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Elke Wild · Jens Möller Hrsg.

Pädagogische
Psychologie
3. Auflage
Pädagogische Psychologie
Elke Wild
Jens Möller
(Hrsg.)

Pädagogische
Psychologie
3., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Hrsg.
Elke Wild Jens Möller
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und
Universität Bielefeld Lernforschung
Bielefeld, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland

Zusätzliches Material zu diesem Buch finden Sie auf 7 http://www.lehrbuch-psychologie.springer.com

ISBN 978-3-662-61402-0 ISBN 978-3-662-61403-7 (eBook)


https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7

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Planung/Lektorat: Joachim Coch


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V

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser, Selbststudium unterbreitet. Zudem bietet die


Website, die über das interaktive Lernportal
wir als Herausgeber freuen uns sehr, Ihnen die (7 www.lehrbuch-psychologie.springer.com)
überarbeitete dritte Auflage des Lehrbuchs vor- zu erreichen ist, Studierenden wie Dozenten
legen zu können. eine Fülle an Materialien, die der Vor- und
Nachbereitung pädagogisch-psychologischer
Die Autorinnen und Autoren, die größtenteils Lehrveranstaltungen einschließlich der
schon bei der ersten Auflage mitgewirkt haben, damit verbundenen Leistungsüberprüfungen
sind ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet dienen sollen.
und haben mit der Aktualisierung ihrer Beiträge
wieder einmal tatkräftig daran mitgewirkt, dass Ganz wesentlich für die Einlösung dieser Ziele
das Lehrbuch drei übergeordneten Ansprüchen ist die Auswahl und Bandbreite der behandelten
gerecht wird: Themenschwerpunkte. So orientieren sich die
1. Um die Pädagogische Psychologie in ihrer Beiträge weiterhin an den Tätigkeiten, die in der
ganzen Breite dazustellen, werden über die pädagogischen Praxis dominieren: Wo immer
klassischen Kernthemen des Lernens und Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt oder
Lehrens hinaus Themenfelder behandelt, optimiert werden sollen, wird gelernt, gelehrt,
die in den immer breiter werdenden Gegen- motiviert, interagiert, diagnostiziert und inter-
standsbereich pädagogisch-psychologischer veniert. Diese thematische Ausrichtung und die
Forschung fallen und zum Wissenskanon damit einhergehende Strukturierung des Lehr-
von Absolventen zählen sollten, die eine buchs haben sich offenkundig bewährt.
Tätigkeit in pädagogischen Praxisfeldern
anstreben. Entsprechend bündelt der Band In der ersten Sektion des Buchs Lernen ist das
wissenschaftliche Erkenntnisse, die für Hauptaugenmerk auf die Lernenden gerichtet. In
Studierende der Psychologie, für Lehramts- modernen Wissensgesellschaften gilt mehr denn je,
studierende und Studierende verwandter dass immer und überall gelernt wird. Aber wie voll-
Fächer wie der Erziehungswissenschaft oder zieht sich Lernen und warum sind manche Lerner
der klinischen Linguistik berufsrelevant sind. erfolgreicher als andere? Erste Antworten auf
2. Der Band führt ein in den Gegenstands- diese Fragen werden in den ersten drei Beiträgen
bereich pädagogisch-psychologischer gegeben, in denen erläutert wird, welche Besonder-
Forschung und liefert einen gut verständ- heiten die menschliche Informationsverarbeitung
lichen Überblick über zentrale Konstrukte, kennzeichnen und wie diese bei der Optimierung
Theorien und Befunde des Fachs. In von Lernprozessen zu berücksichtigen sind
seinem Anspruch hebt er sich also bewusst (7 Kap. 1), warum für den Erwerb kumulativen
ab von bereits vorliegenden, exzellent Wissens nicht nur die Intelligenz, sondern vor
geschriebenen „Nachschlagewerken“, in allem auch das Vorwissen eines Lernenden ent-
denen pädagogisch-psychologische Erkennt- scheidend ist (7 Kap. 2) und mit welchen Heraus-
nisse entweder auszugsweise (z. B. mit Blick forderungen Lernende konfrontiert sind, wenn sie
auf ihre Relevanz für spezifische Berufs- „in Eigenregie“ lernen (7 Kap. 3).
felder) oder in enzyklopädischer (und damit
hoch verdichteter und partikularer) Weise Ein zentrales Element pädagogischer Tätigkeiten ist
zusammengetragen werden. das Lehren. Auch wenn Lernprozesse längst nicht
3. Den spezifischen Anforderungen eines mehr nur in formalen Settings wie dem Schul-
Lehrbuchs wird durch eine Vielzahl von unterricht stattfinden, bleibt die systematische
didaktischen Elementen Rechnung getragen, Vermittlung von relevanten Wissensbeständen
um das Lesen und das Lernen mit diesem und Fertigkeiten doch eine zentrale Aufgabe aller
Buch zu erleichtern. Beispielsweise werden Bildungseinrichtungen. Die ersten beiden Bei-
durchgängig zentrale Fachbegriffe und träge der zweiten Sektion zeigen daher auf, was
Definitionen herausgestellt, finden sich einen „guten“ Unterricht auszeichnet (7 Kap. 4),
zahlreiche Abbildungen und Tabellen zur und inwiefern eine effektive Klassenführung
Illustration relevanter Sachverhalte, werden dazu beiträgt, die verfügbare Lernzeit optimal zu
Fragen zur Selbstreflexion formuliert und nutzen (7 Kap. 5). Die medienpsychologischen
Literaturhinweise zum weiterführenden Ausführungen in 7 Kap. 6 schließen hieran an,
VI Vorwort

indem Gütekriterien für Lehrtexte und andere Warum hängt der Bildungserfolg von Kindern
Lehrmaterialien (Filme, Animationen etc.) sowie so stark von ihrer sozialen und ethnischen Her-
Chancen und Herausforderungen der Gestaltung kunft ab? Leidet die psychosoziale Entwicklung
von Lehr-Lern-Prozessen mithilfe sogenannter „automatisch“, wenn sie mit der Trennung ihrer
Neuer Medien herausgearbeitet werden. Gleich- Eltern oder anderen kritischen Lebensereignissen
zeitig lenken sie mit der Betrachtung des Medien- konfrontiert werden? In 7 Kap. 11 werden nicht
konsums von Kindern und Jugendlichen die minder brisante und gesellschaftlich relevante
Aufmerksamkeit auf informelle und implizite Lern- Themen behandelt, die um die Bedeutung und
prozesse. Gemeinsam ist allen drei Kapiteln, dass Funktion von Lehrkräften ranken. Beispiels-
sie aktuelle Diskussionen – beispielsweise zum Für weise wird der Frage nachgegangen, über welche
und Wider des herkömmlichen Unterrichts oder Kompetenzen „gute“ Lehrkräfte – möglichst bereits
zur Wirkung gewalthaltiger Fernsehsendungen – am Ende ihrer Ausbildung – verfügen sollten,
aufgreifen und mit weit verbreiteten Mythen auf- und was sie davor schützt, im Berufsalltag „aus-
räumen. zubrennen“. Im Zentrum von 7 Kap. 12. stehen
dann die Gleichaltrigen, die – entgegen weitläufiger
Aus heutiger Sicht erschöpft sich Bildung nicht Meinung – nicht erst in der Adoleszenz bedeut-
in der Vermittlung von Fachkenntnissen und sam werden, sondern bereits lange zuvor ein spezi-
traditionellen Kulturtechniken wie dem Lesen, fisches Lernumfeld bereitstellen.
Schreiben und Rechnen. Sie schließt vielmehr
auch die Förderung lernrelevanter Einstellungen Für eine effektive Gestaltung von Lern- und Ent-
ein, und daher stellt sich die Frage, wie Lernende wicklungsprozessen – sei es auf der Ebene von
zu motivieren bzw. zu einer „eigenverantwort- Reformvorhaben im Bildungssystem, im Rahmen
lichen“ Lernmotivation hinzuführen sind. Die der Schulentwicklung, einer einzelnen Bildungsein-
Beiträge der dritten Sektion Motivieren geben richtung oder auch mit Blick auf die Begründung
einen Überblick über Erkenntnisse, die in einer Fördermaßnahme im individuellen Fall – ist
diesem Zusammenhang relevant sind. Die Aus- es notwendig, zunächst die jeweiligen Lernstände
führungen in 7 Kap. 7 machen zunächst deutlich, zu diagnostizieren und die Wirkung pädagogischer
dass Lernende nicht nur mehr oder weniger stark Maßnahmen über den Abgleich von Eingangs-
motiviert sind, sondern sich auch aus unterschied- und Ausgangskompetenzen zu evaluieren.
lichen Motivlagen und Zielsetzungen heraus mit Beide Tätigkeiten markieren von jeher zentrale
Lerninhalten befassen. Darauf aufbauend wird Anforderungen des Berufsalltags von Pädagogischen
erläutert, wie eine zielführende Motivförderung Psychologen (etwa in der schulpsychologischen
aussieht. An diese Darstellungen schließt unmittel- Beratung und Erziehungsberatung) und anderen
bar 7 Kap. 8 zum Selbstkonzept an. Unter anderem pädagogischen Fachkräften. Infolge internationaler
wird dabei der spannenden Frage nachgegangen, Vergleichsstudien sind sie jedoch ins Zentrum
welche Faktoren unsere eigenen Einschätzungen der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Auf-
persönlicher Stärken und Schwächen beeinflussen. merksamkeit gerückt. Die Beiträge in der fünften
7 Kap. 9 Emotionen schließlich fasst Erkenntnisse Sektion des Buchs informieren den Leser deshalb
zu den Bedingungen und Folgen des emotionalen über neuere Entwicklungen in der pädagogisch-
Erlebens von Lernenden zusammen und zeigt psychologischen Diagnostik (7 Kap. 13) sowie der
u.a. auf, wie vielfaltig die in Lernsituationen anzu- Evaluationsforschung (7 Kap. 14) und vermitteln
treffenden Gefühle sind und warum emotionale einen Eindruck vom Mehrwert nationaler und inter-
Kompetenz ein wichtiges Bildungsziel darstellt. nationaler Schulleistungsstudien (7 Kap. 15), ohne
deren Grenzen auszublenden.
Die vierte Sektion Interagieren widmet sich den
Personengruppen, die einen Einfluss auf die In der Praxis müssen mit Erziehungs- und
Bildungslaufbahn und die Persönlichkeitsent- Bildungsfragen betraute Fachkräfte fortlaufend
wicklung Heranwachsender haben. Dies sind entscheiden, wie absehbaren Problemen vor-
die Eltern, die Lehrkräfte und die Gleichaltrigen. gebeugt werden oder bereits manifesten
In 7 Kap. 10 wird zunächst die Familie als ein Problemen entgegengewirkt werden kann. Ihnen
zentraler Entwicklungs- und Lernkontext in den obliegt es somit, gezielt zu intervenieren und
Blick genommen. Die Ausführungen beleuchten dabei – aus fachlichen wie ressourcenschonenden
die Herausforderungen, die sich Eltern in ver- Gründen – auf bewährte Maßnahmen zur
schiedenen Etappen der Familienentwicklung primären, sekundären oder tertiären Prävention
stellen und greifen dabei zahlreiche, in der zurückzugreifen. Diese werden im Überblick in
Öffentlichkeit intensiv diskutierte Themen auf, der sechsten Sektion zusammengefasst. Bereits
darunter: Was zeichnet eine „gute“ Erziehung aus? im Vorschulbereich einsetzbare Trainings zur
VII
Vorwort

Förderung sogenannter Vorläuferfertigkeiten werden. Wichtige Definitionen werden durch-


werden in (7 Kap. 16) vorgestellt, während gängig hervorgehoben und am Ende eines jeden
Trainings, die vornehmlich Schülerinnen und Kapitels finden sich weiterführende Literatur-
Schüler mit mehr oder weniger manifesten Lern- tipps für eine eingehendere Beschäftigung. Ein
und Leistungsproblemen adressieren, in 7 Kap. 17 weiteres didaktisches Element sind die vom
behandelt werden. Bewährte Formen des Text abgehobenen Kästen. Hier werden ent-
(präventiven und interventiven) Umgangs mit weder theoretisch bzw. forschungsmethodisch
psychosozialen Herausforderungen und Risiko- weiterführende Aspekte behandelt (Exkurse)
lagen schließlich werden in 7 Kap. 18 umrissen. oder ausgewählte Studien näher dargestellt, um
unterschiedliche empirische Zugangsweisen zu
Zu erwähnen ist, dass im Lehrbuch soweit wie illustrieren (Beispielkästen). Eine Fülle weiterer
möglich geschlechtsneutrale Formulierungen Lehr- und Lernmaterialien bietet schließlich die
gewählt wurden, aus Gründen der besseren Les- bereits erwähnte Webseite zum Buch: Hier werden
barkeit aber bei Personenbezeichnungen auch englische Fachbegriffe übersetzt und erläutert,
„nur“ die männliche Form verwendet wurde Lernkarten mit Fragen und Antworten zur eigen-
(z. B. Schüler, Lehrer, Erzieher). Selbstverständ- ständigen Verständnisprüfung offeriert und Links
lich sind mit dem generischen Maskulinum aber zu interessanten Internet-Seiten geliefert. Für
Personen jedweder Geschlechtszugehörigkeit Dozenten besonders attraktiv dürften Foliensatze
gemeint! zu den einzelnen Kapiteln sein, die Abbildungen,
Fotos, Merksätze und vieles mehr enthalten.
Unter didaktischen Gesichtspunkten war uns
als Herausgebern ein wichtiges Anliegen, dass Ein gutes Lehrbuch entsteht, wenn viele ver-
jedes Kapitel einen in sich geschlossenen Über- sierte Hände produktiv zusammenarbeiten. Wir
blick über das jeweilige Themengebiet bietet und als Herausgeber möchten uns daher bei allen
die Lektüre auch dann gewinnbringend ist, wenn Autorinnen und Autoren bedanken, dass sie die
nicht alle Beiträge (womöglich in der vorgesehenen Überarbeitungen für die dritte Auflage genauso
Reihenfolge) gelesen werden. Gleichwohl haben engagiert in Angriff genommen haben wie die
sich alle Autoren und Autorinnen bemüht, Quer- Abfassung der Kapitel für die Erstauflage. Nicht
bezüge zwischen den in den einzelnen Kapiteln minder zum Dank verpflichtet sind wir dem
behandelten Ausführungen aufzuzeigen und Verlag, insbesondere Joachim Coch und Judith
Redundanzen zu vermeiden. Insofern sind wir Danziger für ihre unermüdliche Unterstützung
überzeugt, dass die Lektüre „am Stück“ nicht nur in allen Phasen der Entstehung dieses Buchs
zu einem umfassenderen, sondern auch zu einem und für ihre Bereitschaft, unsere Wünsche und
tieferen Verständnis der behandelten Inhalte und Vorstellungen umzusetzen. Danken möchten
damit einer besseren Vorbereitung auf einschlägige wir schließlich auch erneut Veit Mette, dessen
Anforderungen im späteren Beruf beiträgt. Fotos zu Beginn eines jeden Beitrags weiter zum
Betrachten, Verweilen und Nachdenken anregen
Damit die Lektüre des Lehrbuchs für Leser und und hoffentlich zum Lesevergnügen beitragen.
Leserinnen mit unterschiedlichem Hintergrund-
wissen gewinnbringend ist, beginnen alle Bei- Elke Wild
träge mit einer Übersicht über den Aufbau des Jens Möller
Kapitels (Trailer) und enden mit einem Fazit, Bielefeld und Kiel
in dem die zentralen Aussagen rekapituliert im Januar 2020
Autorinnen und Autoren

Anna-Theresia Decker
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2014, Goethe-Universität Frankfurt
Forschungsschwerpunkte
Professionelle Kompetenz von Lehrkräften, Gestaltung und Wirkung von Lerngelegenheiten
für (angehende) Lehrkräfte

Holger Domsch
Professur Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, Fachhochschule Münster
Promotion: 2012, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Entwicklung, ADHS, Stress bei Kinder und Jugendlichen

Laura Dörrenbächer-Ulrich
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität des Saarlandes
Promotion: 2017, Universität des Saarlandes
Forschungsschwerpunkte
Selbstreguliertes Lernen: Modellierung, Erfassung und Förderung

Barbara Drechsel
Professorin für Psychologie in Schule und Unterricht, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Promotion: 2000, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schule, Unterricht, Vergleichsstudien

Marco Ennemoser
Professor für Pädagogische Psychologie, PH Ludwigsburg
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Pädagogisch-psychologische Interventionsforschung, Diagnostik und Intervention,
Prävention von Lernstörungen
IX
Autorinnen und Autoren

Anne C. Frenzel
Professorin für Psychology in the Learning Sciences, Ludwig-Maximilians-Universität
München
Promotion: 2004, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Psychologie in den „Learning Sciences“, Emotionen und Motivation bei Schülern und
Lehrkräften

Stefan Fries
Professor für Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 2000, Universität Potsdam
Forschungsschwerpunkte
Motivation und Lernen, Selbstregulation und multiple Ziele

Thomas Götz
Professor für Bildungspsychologie und gesellschaftliche Veränderungen, Universität Wien,
Österreich
Promotion: 2002, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Empirische Bildungsforschung, Emotionen, Selbstreguliertes Lernen

Hans Gruber
Professor für Pädagogik, Universität Regensburg
Promotion: 1991, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Expertise, Professional Learning, Lernen am Arbeitsplatz, Hochschuldidaktik

Bettina Hannover
Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 1987, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Mechanismen der Verarbeitung selbstbezogener Information, Soziale und
kulturelle Einflussfaktoren auf das Selbst
X Autorinnen und Autoren

Holger Horz
Professor für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Instructional Design, Blended & Multimedia Learning, Bild- & Textverstehen,
Hochschuldidaktik

Ursula Kessels
Professorin für Bildungsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 2001, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Heterogenität und Bildung, Geschlecht, Selbstkonzept und Identität, Interesse und
Motivation, Schul- und Unterrichtsforschung

Olaf Köller
Professor am Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik,
­Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Promotion: 1997 zum Dr. phil. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsdiagnostik

Kristin Krajewski
Professorin für Pädagogische Psychologie, PH Ludwigsburg
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Entwicklungsorientierte Diagnostik und Lernförderung, Ressourcenorientierte Gestaltung
von Lernumgebungen, Mathematische Kompetenzentwicklung, Arbeitsgedächtnis, Lern-
und Leistungsstörungen

Olga Kunina-Habenicht
Professorin, PH Karlsruhe
Promotion: 2010, Humboldt-Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Mess- und Skalierungsmodelle in der Bildungsforschung, Konstruktion und
Evaluation von Leistungstests
XI
Autorinnen und Autoren

Mareike Kunter
Professorin für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Unterrichtsforschung, Motivation im Klassenzimmer

Meike Landmann
Landesschulamt und Lehrkräfteakademie – Abteilung III (Institut für Qualitätsentwicklung),
Wiesbaden seit März 2008
Promotion: 2004, TU Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Die Abteilung III des Landesschulamts unterstützt landesweit und auf allen Ebenen die
Qualitätsentwicklung im hessischen Bildungswesen. Schwerpunkt: Evaluationsstudien und
Wirkungsanalysen zur Wirksamkeit bildungspolitischer Maßnahmen.

Frank Lipowsky
Professor für Erziehungswissenschaften, Universität Kassel
Promotion: 2003, Pädagogische Hochschule Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Empirische Unterrichtsforschung, Lehrerforschung

Arnold Lohaus
Professor für Entwicklungspsychopathologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1982, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsschwerpunkte
Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter, Kognitive Entwicklung im
Säuglingsalter

Jens Möller
Professor für Pädagogische Psychologie, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Promotion: 1991, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Lehrkräfte, Fremdspracherwerb
XII Autorinnen und Autoren

Barbara Otto
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Arbeitsgruppe Entwicklungspsychologie und Pädagogische
Psychologie, Universität Koblenz Landau
Promotion: 2007, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Selbstreguliertes Lernen, Lernmotivation, Determinanten akademischer Leistung, Nachhilfe

Reinhard Pekrun
Professor für Pädagogische Psychologie, Diagnostik und Evaluation, Ludwig-Maximilians-
Universität München
Promotion: 1982, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Emotionen, Pädagogische Psychologie

Franziska Perels
Professorin für Erziehungswissenschaften, Universität des Saarlandes
Promotion: 2002, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Schulinspektion, Empirische Fundierung der Schulentwicklung und Qualitätssicherung der
Evaluation

Britta Pohlmann
Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg
Promotion: 2003, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Evaluation von Schulversuchen, Entwicklung von Instrumenten zur Kompetenzfeststellung

Manfred Prenzel
Professor für Empirische Bildungsforschung, Universität Wien
Promotion: 1980, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsstudien
XIII
Autorinnen und Autoren

Alexander Renkl
Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg
Promotion: 1991, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Lernprozesse und Lernstrategien, Beispielbasiertes Lernen und Lehren, Verhältnis
von instruktionalen Erklärungen und Selbsterklärungen, Lernen durch reflexives Schreiben,
Lernen mit multiplen Repräsentationen

Ellen Schaffner
Promotion: 2009, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Lesemotivation, Lesekompetenz

Ulrich Schiefele
Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Potsdam
Promotion: 1984, Universität Wien
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Auswirkungen von Motivation und Interesse auf Leseverstehen

Bernhard Schmitz
Professor für Pädagogische Psychologie, Technische Universität Darmstadt
Promotion: 1984, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Förderung von Selbstregulation und Problemlösen, Konzeption und Effektivität von
Trainings, Argumentation und Verhandlung, Beratungskompetenz von Lehrern,
Standardisierte Tagebücher

Kathleen Schnick-Vollmer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie, Technische Universität
Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Kompetenzmodellierung und -messung, Selbstregulatorisches Lernen
XIV Autorinnen und Autoren

Tina Seidel
Professorin für Unterrichts- und Hochschulforschung, Technische Universität München
Promotion: 2002, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Unterrichtsforschung, Lehrerforschung, Hochschulforschung

Elmar Souvignier
Professor für Diagnostik und Evaluation im
schulischen Kontext, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Promotion: 2000, Goethe-Universität Frankfurt
Forschungsschwerpunkte
Diagnose und Förderung des Leseverständnisses, Kooperatives Lernen

Elena Stamouli
Akademische Rätin, Universität Regensburg
Promotion: 2003, Universität Regensburg
Forschungsschwerpunkte
Emotionale Kompetenzen, Berufszufriedenheit, Professional Learning

Ulrich Trautwein
Professor für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen
Promotion: 2002, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Empirische Bildungsforschung, Lehr-Lern-Forschung

Sabine Walper
Professorin für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung, Ludwig-Maximilians-
Universität München; Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e. V.
Promotion: 1986, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Scheidungs- und Stieffamilien, Familien in Armut, Entwicklung im Jugendalter, Förderung
elterlicher Erziehungskompetenzen
XV
Autorinnen und Autoren

Elke Wild
Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1993, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Familienpsychologie, Motivationspsychologie, Beratung, Jugendforschung

Oliver Wilhelm
Professor für Differenzielle Psychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Ulm
Promotion: 2000, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Konstruktion und Evaluation von Leistungs- und Fähigkeitstests, Multivariate Untersuchung
von Fähigkeitskonstrukten, Innovative Messverfahren zur Erfassung von Schülerleistungen
Wild, Möller: Pädagogische Psychologie
Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch

• Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch

Trailer: Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivatio-


Mit dieser Einleitung
1 nalen und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden be-
startet das Kapitel stimmt. Es verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen
2 Psychologie spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich
den Aufbau und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum

3 Ziel setzen. Von solchen Trainingsverfahren handelt dieses


Kapitel ( Abb. 17.1).
Stimmungsvoller
Einstieg ins Kapitel: 4
Foto vom Bielefelder 17.1 Was ist ein Training?
sbestimmung
Fotografen Veit Mette
5
6 Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Interven-
tionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar. In
7 diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainingsver-
fahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch
relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen ge-
8 fördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert wer-
Glossar der wichtigsten
den, was ein ▶
9
können.
10
Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
11 begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter Abb. 17.1 (Foto: Veit Mette, ▶ www.veitmette.de)

Ausübung von Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird,


12 Fertigkeiten und Fähigkeiten aufzubauen oder zu Beispiel
verbessern.
knapp erläutert
13 (Klauer, 1991)
-
14 heit, Verschiedenheit, Gleichheit und Verschiedenheit; Fa- Klaus hat verschiedene Lieblingszahlen:
484 – 55 – 1621 – 878 – 323
Welche dieser Zahlen gehört noch dazu? Begründe.
15 -
768 – 32 – 767 – 423 – 113
aufgabentypen des induktiven Denkens:
1. Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen) Aufgabe B
Wissen anwenden 16 2. Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) Im Geometrieunterricht hat euer Lehrer eine Folge von
mit den zahlreichen Figuren an die Tafel gezeichnet ( Abb. 17.2). Leider hat
3.
Beispielen
17 von Merkmalen) er einen Fehler gemacht. Findest Du ihn?
(Lösung Aufgabe A: 767; Lösung Aufgabe B: Parallelo-
4. Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen)
5. Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Re- gramm und Rechteck müssen getauscht werden.)
Griffregister: 18 lationen)
Zur schnellen Orientierung 6. Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von
19 Relationen). Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder Leser sich
schon einmal mit einem konkreten pädagogisch-psycho-
Übersichten erleichtern
20
--
-
Vorteile Neuer Medien
das Lernen rung ein exemplarisches Trainingsprogramm im ▶ Exkurs
Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos

--
„Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens“ kurz
21 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs
skizziert und ausführlicher im ▶ Abschn. 17.2.2 erklärt.
Zeitunabhängiges Lehren und Lernen
Tab. 17.1 präsentiert exemplarisch die Kompe-
22 Ortsunabhängiges Lehren und Lernen
tenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz aus
Navigation: Mit Seiten-
zahl und Kapitelnummer

Exkurs
Wenn Sie es genau
Ein Training zur Förderung des induktiven wissen wollen: Exkurse
Denkens vertiefen das Wissen
Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt das induktive
Denken dar. Induktives Denken liegt immer dann vor, wenn
wir aus konkreten Beobachtungen auf Regelhaftigkeiten
z. B. von Formen schließen. Der Aachener Erziehungswis-
senschaftler und Psychologe Karl Josef Klauer hat für Kinder
und Jugendliche Trainings zur Förderung dieser Denkkom-
petenz vorgelegt (Klauer, 1989, 1991, 1993). Die Trainings

Aufgabeninhalte und -formate kommen dabei zum Einsatz.


So müssen Reihen fortgesetzt, unpassende Elemente ent- Anschaulich:
deckt oder Objekte in ein System eingeordnet werden (für
Aufgabenbeispiele ▶ Aufgaben aus
Abbildungen und
“ in ▶ Abschn. 17.2.2). Im Verlauf der Tabellen
Trainingssitzungen erlernen die Trainingsteilnehmer, ver-
schiedene Typen von Aufgaben des induktiven Denkens zu
unterscheiden und bei der Lösung der Aufgaben nach einer
Abb. 17.2 Das Verfahren zur Aufgabenentwicklung im Überblick speziellen Strategie vorzugehen. Hierdurch sollen die Trai-
nierten, auch über die konkreten Trainingsaufgaben hinaus,
all jene schulischen und außerschulischen Anforderungen
Tab. 17.1 besser bewältigen, in denen Kompetenzen des induktiven
(1998) Denkens von Relevanz sind.

verdeckt

destruktiv - (heimliche) Zerstörung


nen (z. B. tätliche des Eigentums anderer Verständnisfragen
1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich Training
aus?
nicht oppositionelles Normverletzungen (z. B. Was gelernt? Prüfen Sie
destruktiv Verhalten heimliche Regelverstöße) 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am besten
Ihr Wissen anhand der
evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in den Evaluatio-
nen des Denktrainings zentrale Aspekte der Wirksamkeits- Verständnisfragen
-
überprüfung von Trainingsverfahren realisiert?
nen, dass die Trainingsaufgaben (möglichst gleichmäßig)
3. Warum sollten vor dem Hintergrund des Selbstbewer-
tungsmodells der Leistungsmotivation nur solche Trai-
anderen, dass die Trainingsteilnehmer beliebige Aufgaben
des induktiven Denkens den Kernaufgabentypen zuord-
führen, in denen alle drei Prozesskomponenten des Leis-
tungsmotivs trainiert werden?
4.
1991) dargestellt. Wie wird der Zusammenhang zwischen zur Förderung des Leseverstehens auf der einen und des
der Schreibens auf der anderen Seite?
beschrieben? Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammen- 5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich im Hin-
blick auf die Implementation von Trainingsprogrammen
nennen?

Fazit Fazit: Das Wichtigste


Zusammenfassend lässt sich zur Implementation von in Kürze
Vertiefende Literatur
Trainingsprogrammen feststellen, dass die Wirksamkeit Hartig, J., Klieme, E. & Leutner, D. (Hrsg.). (2008). Assessment of compe-
von Fördermaßnahmen maßgeblich von der Qualität tencies in educational contexts. Toronto: Hogrefe & Huber Publishers.
der Umsetzung bestimmt wird und dass eine syste- Pellegrino, J. W., Chudowsky, N. & Glaser, R. (Hrsg.). (2001). Knowing what
students know. Washington, D.C.: National Academies Press.
matische Erforschung von Implementationsprozessen Prenzel, M., Sälzer, Ch., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.). (2013). -
zu den Desideraten der Trainings- und Unterrichtsfor- schritte und Herausforderungen in Deutschland. Münster: Waxmann.
schung gehört (Beelmann, 2006; Gräsel & Parchmann, The
Role of International Large-Scale Assessments: Perspectives from
2004; Souvignier & Trenk-Hinterberger, 2010). Noch nicht genug?
Technology, Economy, and Educational Research. New York: Springer.
. Tipps für die weiter-
führende Lektüre

Website zum Buch auf


www.lehrbuch-psychologie.springer.com
Lernmaterialien zum Lehrbuch Pädagogische
Psychologie im Internet 7 www.lehrbuch-
psychologie.springer.com
5 Alles für die Lehre – fertig zum Download:
Foliensätze, Abbildungen und Tabellen für
Dozentinnen und Dozenten zum Download
5 Schnelles Nachschlagen: Glossar mit über
140 Fachbegriffen
5 Zusammenfassungen der 18 Buchkapitel:
Das steckt drin im Lehrbuch
5 Karteikarten: Prüfen Sie Ihr Wissen
5 Verständnisfragen und Antworten

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Inhaltsverzeichnis

I Lernen

1 Wissenserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Alexander Renkl
1.1 Wissenserwerb – Was wird da erworben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2 Intelligenz und Vorwissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25


Hans Gruber und Eleni Stamouli
2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.3 Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie. . . . . . 35
2.4 Messung von Intelligenz und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.5 Intelligenter Wissenserwerb im Studium – Auch eine Frage der epistemologischen
Überzeugungen von Dozierenden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


Franziska Perels, Laura Dörrenbächer-Ulrich, Meike Landmann, Barbara Otto,
Kathleen ­Schnick-Vollmer und Bernhard Schmitz
3.1 Begriffsbestimmung „Selbstreguliertes Lernen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.2 Modelle der Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.3 Diagnostik von Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3.4 Förderung von Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
3.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

II Lehren

4 Unterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Frank Lipowsky
4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

5 Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Tina Seidel
5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
5.2 Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

6 Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Holger Horz
6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
6.2 Lernmedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
XXI
Inhaltsverzeichnis

6.3 Medien in Bildungskontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149


6.4 Private Mediennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

III Motivieren

7 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner
7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

8 Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Jens Möller und Ulrich Trautwein
8.1 Schulisches Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung. . . . . . . . . . . . . . . . 189
8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
8.4 Determinanten des Selbstkonzepts: Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der
fachbezogenen Selbstkonzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
8.6 Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

9 Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun
9.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
9.2 Erfassung von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
9.3 Leistungsemotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

IV Interagieren

10 Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Elke Wild und Sabine Walper
10.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
10.2 Die Rolle der Eltern im Verlauf der (Familien-)Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
10.3 Familien in der Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

11 Lehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker
11.1 Merkmale des Lehrerberufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
11.2 Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
11.3 Motivationale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
11.4 Emotionale Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
11.5 Lerngelegenheiten für (angehende) Lehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

12 Gleichaltrige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Ursula Kessels und Bettina Hannover
12.1 Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
12.2 Beliebtheit und Freundschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
12.3 Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Peer-Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
XXII Inhaltsverzeichnis

12.4 Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295


12.5 Miteinander und voneinander lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

V Diagnostizieren und Evaluieren

13 Pädagogisch-psychologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311


Oliver Wilhelm und Olga Kunina-Habenicht
13.1 Definition und Zielstellungen von Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
13.2 Beurteilung psychologischer Messverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
13.3 Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
13.4 Abschließende Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

14 Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335


Olaf Köller
14.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
14.2 Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
14.3 Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
14.4 Methodische Probleme bei Evaluationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
14.5 Standards für Evaluationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
14.6 Beispiel für eine wissenschaftliche Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

15 Nationale und internationale Schulleistungsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349


Barbara Drechsel, Manfred Prenzel und Tina Seidel
15.1 Was können Schüler? Das Interesse an Schülerleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
15.2 Klassifikation von Vergleichsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
15.3 Drei beispielhafte Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
15.4 Vergleichsstudien – Von der Idee zur Testdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
15.5 Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
15.6 Erweiterungen von Vergleichsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
15.7 Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

VI Intervenieren

16 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten-


und Einschulungsalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Marco Ennemoser und Kristin Krajewski
16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
16.2 Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
16.3 Förderung des induktiven Denkens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
16.5 Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich. . . . . . . . . 394
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

17 Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Stefan Fries und Elmar Souvignier
17.1 Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
17.2 Training kognitiver Grundfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
17.3 Motivationstraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
17.4 Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
17.5 Implementation von Trainingsprogrammen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
XXIII
Inhaltsverzeichnis

18 Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425


Arnold Lohaus und Holger Domsch
18.1 Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
18.2 Primärpräventive Förderkonzepte für Eltern als Zielgruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
18.3 Organisationsbezogene primärpräventive Förderkonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
18.4 Evaluation der Effekte von Programmen zur Förderung psychosozialer Kompetenzen. . . . . . . . . . . . . 440
18.5 Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

Erratum zu: Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E1


Elke Wild und Sabine Walper

Serviceteil
Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber

Elke Wild, Prof. Dr.


Universität Bielefeld
Bielefeld, Deutschland
E-Mail: ­­elke.wild@uni-bielefeld.de

Jens Möller, Prof. Dr.


IPL - Institut für P
­ ädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Kiel, Deutschland
E-Mail: jmoeller@ipl.uni-kiel.de

Autorenverzeichnis
Anna-Theresia Decker, Dr. Stefan Fries, Prof. Dr.
Institut für Psychologie Abteilung Psychologie
Goethe-Universität Frankfurt Universität Bielefeld
Frankfurt am Main, Deutschland Bielefeld, Deutschland
E-Mail: ­­anna.decker@uni-vechta.de E-Mail: ­­stefan.fries@uni-bielefeld.de

Holger Domsch, Prof. Dr. Thomas Götz, Prof. Dr.


Fachbereich Sozialwesen Fakultät für Psychologie
Fachhochschule Münster Universität Wien
Münster, Deutschland Wien, Österreich
E-Mail: ­­holger.domsch@fh-muenster.de E-Mail: thomas.goetz@univie.ac.at

Laura Dörrenbächer-Ulrich, Dr. Hans Gruber, Prof. Dr.


Fachrichtung Bildungswissenschaften Institut für Erziehungswissenschaft
Universität des Saarlandes Universität Regensburg
Saarbrücken, Deutschland Regensburg, Deutschland
E-Mail: ­­laura.doerrenbaecher@uni-saarland.de E-Mail: Hans.Gruber@ur.de

Barbara Drechsel, Prof. Dr. Bettina Hannover, Univ.-Prof. Dr.


Institut für Psychologie Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Otto-Friedrich-Universität Bamberg Freie Universität Berlin
Bamberg,Deutschland Berlin, Deutschland
E-Mail: ­­barbara.drechsel@uni-bamberg.de E-Mail: bettina.hannover@fu-berlin.de

Marco Ennemoser, Prof. Dr. Holger Horz, Prof. Dr.


Institut für sonderpädagogische Förderschwerpunkte Institut für Psychologie
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Goethe-Universität Frankfurt
Ludwigsburg, Deutschland Frankfurt am Main, Deutschland
E-Mail: ­­ennemoser@ph-ludwigsburg.de E-Mail: horz@psych.uni-frankfurt.de

Anne C. Frenzel, Prof. Dr. Ursula Kessels, Univ.-Prof. Dr.


MCLS – Munich Center of the Learning Sciences Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Ludwig-Maximilians-Universität München Freie Universität Berlin
München, Deutschland Berlin, Deutschland
E-Mail: frenzel@psy.lmu.de E-Mail: ursula.kessels@fu-berlin.de
XXV
Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Olaf Köller, Prof. Dr. Barbara Otto, Dr.


IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Arbeitsgruppe Entwicklungspsychologie und
Naturwissenschaften und Mathematik Pädagogische Psychologie
Christian-Albrechts-Universität Kiel Universität Koblenz Landau
Kiel, Deutschland Landau/Pfalz, Deutschland
E-Mail: koeller@ipn.uni-kiel.de E-Mail: ottob@uni-landau.de

Kristin Krajewski, Prof. Dr. Reinhard Pekrun, Prof. Dr.


Institut für Psychologie Department of Psychology
Pädagogische Hochschule Ludwigsburg University of Essex
Ludwigsburg, Deutschland Colchester, United Kingdom
E-Mail: krajewski@ph-ludwigsburg.de E-Mail: pekrun@lmu.de

Olga Kunina-Habenicht, Dr. Franziska Perels, Prof. Dr.


Institut für Bildungswissenschaftliche Fachrichtung Bildungswissenschaften
Forschungsmethoden Universität des Saarlandes
Pädagogische Hochschule Karlsruhe Saarbrücken, Deutschland
Karlsruhe, Deutschland E-Mail: f.perels@mx.uni-saarland.de
E-Mail: olga.kunina-habenicht@ph-karlsruhe.de
Britta Pohlmann, Dr.
Mareike Kunter, Prof. Dr. Behörde für Schule und Berufsbildung Hansestadt
Zentrum für Lehrerbildung Hamburg
Universität Vechta Institut für Bildungsmonitoring und
Frankfurt am Main, Deutschland Qualitätsentwicklung
E-Mail: kunter@paed.psych.uni-frankfurt.de Hamburg, Deutschland
E-Mail: Britta.Pohlmann@ifbq.hamburg.de
Meike Landmann, Dr.
Dezernat III.3/Wirksamkeitsanalysen Manfred Prenzel, Prof. Dr.
Hessische Lehrkräfteakademie Institut für LehrerInnenbildung
Frankfurt am Main, Deutschland Universität Wien
E-Mail: Meike.Landmann@kultus.hessen.de Wien, Österreich
E-Mail: manfred.prenzel@univie.ac.at
Frank Lipowsky, Prof. Dr.
Fachgebiet Empirische Schul- und Unterrichtsforschung Alexander Renkl, Prof. Dr.
Universität Kassel Institut für Psychologie
Kassel, Deutschland Universität Freiburg
E-Mail: lipowsky@uni-kassel.de Freiburg, Deutschland
E-Mail: renkl@psychologie.uni-freiburg.de
Arnold Lohaus, Univ.-Prof. Dr.
Universität Bielefeld Ellen Schaffner, Dr.
Bielefeld, Deutschland Universität Potsdam
E-Mail: arnold.lohaus@uni-bielefeld.de Department Psychologie
Potsdam, Deutschland
Jens Möller, Prof. Dr., E-Mail: ellen.schaffner@uni-potsdam.de
IPL - Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und
Lernforschung Ulrich Schiefele, Prof. Dr.
Christian-Albrechts-Universität Kiel Universität Potsdam
Kiel, Deutschland Department Psychologie
E-Mail: jmoeller@ipl.uni-kiel.de Potsdam, Deutschland
E-Mail: ulrich.schiefele@uni-potsdam.de
XXVI Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Kathleen Schnick-Vollmer, Dipl.-Psych. Ulrich Trautwein, Prof. Dr.


Pädiatrische Epidemiologie Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung
Johannes Gutenberg-Universität Mainz Eberhard Karls Universität Tübingen
Mainz, Deutschland Tübingen, Deutschland
E-Mail: schnick@psychologie.tu-darmstadt.de E-Mail: ulrich.trautwein@uni-tuebingen.de

Bernhard Schmitz, Prof. Dr. Sabine Walper, Prof. Dr.


Pädiatrische Epidemiologie DJI München, Deutsches Jugendinstitut e. V.
Johannes Gutenberg-Universität Mainz München, Deutschland
Mainz, Deutschland E-Mail: walper@dji.de
E-Mail: schmitz@psychologie.tu-darmstadt.de
Elke Wild, Prof. Dr.
Tina Seidel, Prof. Dr. Universität Bielefeld
TUM School of Education Bielefeld, Deutschland
Technische Universität München E-Mail: elke.wild@uni-bielefeld.de
München, Deutschland
E-Mail: tina.seidel@tum.de Oliver Wilhelm, Prof. Dr.
Institut für Psychologie und Pädagogik
Elmar Souvignier, Prof. Dr. Universität Ulm
Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung Ulm, Deutschland
Westfälische Wilhelms-Universität Münster E-Mail: oliver.wilhelm@uni-ulm.de
Münster, Deutschland
E-Mail: elmar.souvignier@uni-muenster.de

Eleni Stamouli, PD Dr.


Institut für Erziehungswissenschaft
Universität Regensburg
Regensburg, Deutschland
E-Mail: Eleni.stamouli@ur.de
1 I

Lernen
Inhaltsverzeichnis

1 Wissenserwerb – 3
Alexander Renkl

2 Intelligenz und Vorwissen – 25


Hans Gruber und Eleni Stamouli

3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen – 45


Franziska Perels, Laura Dörrenbächer-Ulrich, Meike
Landmann, Barbara Otto, Kathleen Schnick-Vollmer und
Bernhard Schmitz
3 1

Wissenserwerb
Alexander Renkl

1.1  Wissenserwerb – Was wird da erworben? – 4


1.2  Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? – 6
1.2.1  Perspektive des aktiven Tuns – 6
1.2.2  Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung – 7
1.2.3  Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung – 11
1.2.4  Wahl der Perspektive: Implikationen zur Gestaltung von Lehr-Lern-
Arrangements – 12

1.3  Wie kann Wissen erworben werden? –


Wichtige Lernformen – 13
1.3.1  Lernen aus Text – 13
1.3.2  Lernen aus Beispielen und Modellen – 15
1.3.3  Lernen durch Aufgabenbearbeiten – 16
1.3.4  Lernen durch Erkunden – 19
1.3.5  Lernen durch Gruppenarbeit – 20

Literatur – 21

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_1
4 A. Renkl

Der Erwerb von Wissen („knowledge acquisition“) ist wohl 1.1  Wissenserwerb – Was wird da
1 die wichtigste Zieldimension der meisten Bildungsprozesse. erworben?
Wird im Kontext von Schule, Hochschule und Weiterbildung
der Begriff „Lernen“ gebraucht, so bezieht er sich typischer- In diesem Abschnitt soll näher auf den Begriff des Wissens
weise auf Wissenserwerb. Insofern wird im Folgenden Lernen eingegangen werden. Es werden die wichtigsten Wissens-
synonym mit Wissenserwerb gebraucht. Zu gelungenem arten vorgestellt (zu umfassenden Systematiken siehe de
Wissenserwerb trägt eine Vielzahl von Faktoren bei. Dieser Jong und Ferguson-Hessler 1996; Alexander et al. 1991).
Beitrag konzentriert sich auf das Was und Wie des Wissens- In einer ersten groben Einteilung können zwei Arten
erwerbs aus kognitiver Perspektive. Dabei werden nur von Wissen unterschieden werden.
die proximal am Wissenserwerb beteiligten Faktoren
und Prozesse betrachtet. Für andere wichtige Faktoren, Definition
die hier nur am Rande oder gar nicht behandelt werden
Deklaratives Wissen bezieht sich auf „Wissen, dass“.
können, etwa Vorwissen und Intelligenz (7 Kap. 2), Selbst-
Dies kann sowohl einzelne Fakten umfassen (z. B.
steuerung der Lernenden (7 Kap. 3), Motivation (7 Kap. 7
ein Geschichtsdatum, eine Grammatikregel) als auch
und 8) oder Unterricht (7 Kap. 4, 5 und 6), wird auf die
komplexes Zusammenhangswissen (z. B. Verständnis
entsprechenden Kapitel dieses Lehrbuchs verwiesen. Im
der Wechselwirkung zwischen volkswirtschaftlichen
Folgenden wird zunächst die Frage geklärt, welche Wissens-
Faktoren). Vielfach wird auch der Begriff des
arten in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung
konzeptuellen Wissens verwendet, wenn deklaratives
sind (7 Abschn. 1.1). In 7 Abschn. 1.2 werden drei grund-
Wissen gemeint ist, welches tieferes Verständnis
legende theoretische Perspektiven rekonstruiert und
konstituiert.
deren Implikationen für die Analyse und Förderung des
Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, wie“, also
Wissenserwerbs diskutiert. Wichtige Lernarten werden in
etwas, das man in der deutschen Alltagssprache meist
7 Abschn. 1.3 besprochen. Abschließend wird noch kurz das
als Können bezeichnet. Beispiele für prozedurales
Verhältnis zwischen Lernprozessen und Instruktion (Unter-
Wissen, das in der Schule erworben werden soll, sind
richt, instruktionales Design von Lernmaterial und Lern-
das Lösen von Aufgaben aus der Mathematik, der
umgebungen) erörtert (. Abb. 1.1).
Physik oder der Chemie oder auch das Schreiben einer
Erörterung in Deutsch.

Es gibt zwar weitgehenden Konsens über die Unter-


scheidung zwischen 7 deklarativem und prozeduralem
Wissen, gleichwohl wird die Grenze zwischen beiden
Wissensarten unterschiedlich gezogen. In der prominenten
ACT-Theorie von Anderson (aktuell: ACT-R; z. B. Anderson
et al. 2004), auf die vielfach bei der Differenzierung dieser
Wissensarten referenziert wird, wird prozedurales Wissen
in der Form von mentalen Wenn-Dann-Produktionsregeln
konzeptualisiert (7 Kap. 2). Der Wenn-Teil definiert eine
Bedingung, deren Zutreffen eine im Dann-Teil beschriebene
offene oder mentale Aktion aktiviert. Ein menschliches
Können (prozedurales Wissen) nachbildendes System von
solchen Bedingungs-Aktions-Paaren wird Produktions-
system genannt. Während deklaratives Wissen verbalisiert
werden kann, wird in der ACT-Theorie angenommen,
dass prozedurales Wissen nicht (direkt) verbalisierbar ist.
Danach wäre beispielsweise eine verbale Beschreibung
eines Lösungswegs in der Mathematik deklaratives
Wissen, die Fertigkeit, es tatsächlich zu machen, wäre der
prozedurale Aspekt. Andere Autoren (z. B. de Jong und
­Ferguson-Hessler 1996) bezeichnen auch das verbalisierbare
Wissen über einen Lösungsweg als prozedurales Wissen. Ob
dieser Unterschied in der genauen Grenzziehung zwischen
den Wissensarten immer von substanzieller Relevanz
ist (z. B. bei Überlegungen zur Förderung prozeduralen
Wissens), mag dahingestellt sein. Bei der Diagnose der
. Abb. 1.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) Wissensarten spielt es aber natürlich eine große Rolle, ob
Wissenserwerb
5 1
verbalisiertes Vorgehenswissen indikativ für prozedurales diese aber unterschiedlich gut begründet sein können
Wissen ist oder eben nicht. (Evaluatismus).
Deklaratives und prozedurales Wissen kann sich auf In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass
fachliches (domänenspezifisches) Wissen beziehen (z. B. es beim Wissenserwerb nicht nur darauf ankommt, mög-
Wissen über den Satz des Pythagoras oder Berechnenkönnen lichst viel Wissen zu erwerben. Die Qualität des Wissens ist
von Dreieckswinkeln) oder auf Inhalte oder Vorgehens- ebenfalls bedeutsam, wobei insbesondere der Grad der Ver-
weisen (Strategien), die von fachübergreifender Relevanz netzung relevant ist. Dies soll an zwei Extrembeispielen ver-
sind. Beispielsweise sollten Schüler im Unterricht idealiter deutlicht werden:
Lernstrategien erwerben (z. B. hilfreiche Visualisierungen
erstellen können) oder lernen, angemessen zu argumentieren Beispiel
(z. B. nicht nur die eigene Position darzustellen, sondern
auch auf Gegenargumente einzugehen). Solche Vorgehens- Ein Schüler A hat in der Wahrscheinlichkeits-
weisen sind für mehrere Domänen bzw. Schulfächer – wenn rechnung die wichtigen Formeln auswendig gelernt
auch nicht für alle in gleichem Ausmaß – relevant. (z. B. Multiplikationssatz) und kann ihm bekannte
Als weitere wichtige Art von Wissen, die es zu erwerben Aufgabentypen mithilfe dieser Formeln lösen. Wenn
gilt, sei metakognitives Wissen genannt (Hasselhorn und eine Aufgabe einen modifizierten Lösungsweg erfordert
Artelt 2018; Veenman et al. 2006). (z. B. Aufgabe „ohne Zurücklegen“, die zuvor noch nicht
behandelt wurde), scheitert der Schüler. Ein Schüler B
Definition kann nicht nur den Multiplikationssatz wiedergeben,
Beim metakognitiven Wissen geht es um Wissen sondern hat auch verstanden, warum man multipliziert,
über Wissen bzw. um eng mit Wissen verbundene wie sich die Lösungswege für bestimmte Typen von
Phänomene (z. B. Wissen über Wissenserwerb, Wissen Aufgaben mit den zugrunde liegenden mathematischen
um den Sinn einer Lernstrategie oder das Planen des Sätzen (z. B. Multiplikationssatz) begründen lassen,
eigenen Vorgehens). Dabei können deklarative und und welchen Zweck einzelne Lösungsschritte jeweils
prozedurale Aspekte unterschieden werden. erreichen (d. h. prozedurales und konzeptuelles Wissen
sind eng miteinander verknüpft). Bei modifizierten
Aufgabenstellungen ist Schüler B nicht wie Schüler A
darauf angewiesen, einen fertigen Lösungsweg bereits
Eine bekannte Einteilung deklarativen Metawissens
zu kennen. Er kann aufgrund seines Verständnisses ihm
stammt von Flavell (1979): Wissen über Personenmerkmale
bekannte Lösungswege so modifizieren, dass selbst
(z. B. „Bei Textaufgaben neige ich dazu, die Aufgaben-
veränderte Aufgabenstellungen bewältigt werden
stellung nur oberflächlich zu lesen“), Aufgaben („Wahr-
können. Ziel des Wissenserwerbs ist also nicht nur der
scheinlichkeitsaufgaben schauen oft leicht aus, aber sie
Erwerb einzelner Wissenselemente, sondern vor allem
haben es dann doch oft in sich“) und Strategien („Sich vor
auch eine vernetzte Wissensstruktur.
dem Lesen einen Überblick zu verschaffen, erleichtert es
oft das Kommende einzuordnen“). Prozedurales meta-
kognitives Wissen umfasst vor allem das Planen des eigenen
Vorgehens, das Überwachen des eigenen Verständnisses Ein wichtiges Konzept vernetzter Wissensstrukturen ist der
bzw. der eigenen Problemlösungen und das „remediale“ Begriff 7 Schema.
Regulieren (wenn z. B. etwas noch nicht verstanden wurde
oder eine Lösung selbst als ungenügend erkannt wurde). Definition
Zudem wird vielfach eine Art von metakognitivem Schemata beinhalten die Erfahrungen in bestimmten,
Wissen untersucht, das sich auf die subjektive Auf- wiederholt vorkommenden (Problem-)Situationen
fassung darüber, was Wissen eigentlich ist, bezieht. Man in abstrahierter Weise (z. B. Dreisatzaufgaben). Sie
spricht in diesem Zusammenhang von epistemologischen stellen skelettartige Wissensstrukturen dar, die mit den
oder epistemischen Überzeugungen (z. B. Greene et al. Spezifika einer aktuellen Problemsituation angereichert
2016; 7 Kap. 2). Nach Kuhn (2005) sehen Lernende nur werden, wenn die Person einem passenden Problem-
dann einen Sinn, sich mit komplexen Sachverhalten aus- bzw. Situationstyp begegnet. Beispielsweise werden
einanderzusetzen, zu denen es verschiedene Positionen dann die abstrakten Variablen des Dreisatzes mit den
gibt (z. B. Stammzellenforschung, Klimaerwärmung), konkreten Zahlen und Gegenständen einer Aufgaben-
wenn sie nicht mehr an „einfaches“ absolutes Wissen stellung ausgefüllt.
bzw. Wahrheiten glauben (Absolutismus) und auch nicht
mehr alle Positionen als willkürliche Meinungen ansehen
(Multiplismus; oft im Jugendalter anzutreffen). Sie sollten Die Einordnung eines Sachverhalts in ein Schema erlaubt,
vielmehr die Überzeugung gewonnen haben, dass es zwar eine entsprechende Qualität des Schemas vorausgesetzt,
verschiedene (im Prinzip legitime) Positionen geben kann, Verständnis und Reproduktion (Erinnern) desselben.
6 A. Renkl

. Tab. 1.1 Wichtige Lernziele, die bestimmten Wissensarten entsprechen, am Beispiel des Bereichs Schreiben im Deutschunterricht
1
Lernziel Wissensart

Kenntnis der Kommaregeln Domänenspezifisches deklaratives Wissen


Sätze korrekt niederschreiben Domänenspezifisches prozedurales Wissen
Wissen über argumentative Strukturen Domänenübergreifendes deklaratives Wissen
Argumentieren Domänenübergreifendes prozedurales Wissen
Wissen über den Nutzen von Planungsstrategien beim Schreiben Deklaratives metakognitives Wissen
Überwachung der Rechtschreibung und der Grammatik in einem Aufsatz Prozedurales metakognitives Wissen
Verallgemeinerte Vorstellung über Erörterungen und wie man diese verfasst, die die Schema
oben aufgelisteten Wissensarten umfassen kann
Schreiben als Mittel der Alltagsbewältigung erkennen und einsetzen können Kompetenz

Darüber hinaus können Vorhersagen und Problem- 1.2  Was sind bedeutende theoretische
lösungen geleistet werden. In Schemata können deklaratives Perspektiven?
Wissen und prozedurales Wissen integriert sein. Die
Expertiseforschung verdeutlicht dabei (Ericsson et al. Es gibt derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, wie
2006), dass für effektives Problemlösen eine hierarchische, Wissenserwerb abläuft und welche Prozesse besonders
durch Schemata geordnete Wissensstruktur von lernförderlich sind. Diese lassen sich drei prototypischen
Bedeutung ist. Diese ermöglicht nicht nur eine handhab- Positionen zuordnen:
bare Organisation des Wissens, sondern erlaubt es auch, 5 Die Perspektive des aktiven Tuns misst vor allem
die Verbindungen zwischen episodischen, konkreten aktivem Problemlösen und aktivem Diskurs eine
Sachverhalten einschließlich problemlöserelevanter besondere Bedeutung beim Erwerb von Wissen zu.
Informationen (z. B. Wissen über geeignete Operatoren 5 Bei der Perspektive der aktiven Informationsver-
bei bestimmten Problemen) und abstrakteren Domänen- arbeitung wird argumentiert, dass nicht unbedingt
prinzipien zu repräsentieren. Dies ist eine Voraussetzung sichtbares aktives Tun ausschlaggebend ist, sondern die
für kompetentes, prinzipiengesteuertes Problemlösen aktive mentale Auseinandersetzung mit dem Lerngegen-
(Alexander 1997). stand. Diese beiden Perspektiven wurden von Mayer
Um die Anwendungsqualität von Wissen geht es auch und Kollegen als grundlegende Orientierungen identi-
beim Begriff der Kompetenz, der insbesondere durch fiziert (z. B. Robins und Mayer 1993).
die von PISA (z. B. Deutsches PISA-Konsortium 2001; 5 Die Perspektive der fokussierten Informations-
­PISA-Konsortium Deutschland 2007) angestoßene Dis- verarbeitung (Renkl 2011, 2015a) differenziert die
kussion zur Bildungsqualität in deutschen Schulen und Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
Hochschulen bedeutsame Beachtung erfährt (7 Kap. 15; insofern aus, als sie betont, dass nicht mentale Aktivität
siehe auch Klieme und Leutner 2006). Dieser stellt eine an sich zu gelungenem Wissenserwerb führt, sondern
eher holistische, d. h. mehrere Wissensarten umfassende mentale Aktivität, die die zentralen Konzepte (z. B.
und auf die Funktionalität von Wissen bezogene Begriffe) und Prinzipien (z. B. Gesetze, mathematische
Konzeption dar. Beispielsweise wird mathematische Sätze) in einem Lernbereich fokussiert.
Kompetenz im Sinne einer mathematischen Grundfertig-
keit verstanden, die sich auf die Fähigkeit bezieht, die Diese Perspektiven werden im Folgenden diskutiert. Dabei
Funktion von Mathematik in der Lebenswelt zu verstehen, wird die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
fundierte mathematikbasierte Urteile abgeben zu können am ausführlichsten dargestellt, da sie die derzeit dominante
und Mathematik als Werkzeug im Alltags- oder Berufs- Orientierung ist.
leben nutzen zu können. Obwohl mit dem Kompetenz-
begriff und dessen Betonung der Funktionalität von Wissen
ein wichtiger und interessanter Ansatz in die wissenschaft- 1.2.1  Perspektive des aktiven Tuns
liche Diskussion eingeführt wurde, mangelt es derzeit
noch an einer umfassenden theoretischen und allgemein Die Perspektive des aktiven Tuns betrachtet sichtbare, offene
akzeptierten Konzeptualisierung des Kompetenzbegriffs Lernaktivitäten als notwendige Bedingung gelungenen
(Renkl 2012). Wissenserwerbs. Ein klassisches Beispiel für diese Position
In . Tab. 1.1 findet sich eine Zusammenstellung der ist das Modell des operanten Konditionierens von
wichtigsten Wissensarten. Diese werden am Beispiel des Skinner (1954). Dabei wird betont, dass Schüler Gelegen-
Schreibens exemplifiziert. heit bekommen müssen, Verhalten zu zeigen, das, wenn
Wissenserwerb
7 1
erwünscht, sogleich bekräftigt wird. Dies kann sehr gut über für ­ erfolgreiches Lernen ausschlaggebend ist, kritisch
Lernmaschinen – in der Art moderner computerbasierter beleuchtet werden. Lernen ist letztendlich ein Prozess,
Drill-and-Pratice-Lernprogramme – erfolgen, in denen der der sich im Kopf (Gehirn) vollzieht. Vor diesem Hinter-
Lernstoff in kleine Einheiten unterteilt und in Aufgaben grund ist es problematisch, Kriterien darüber, ob effektives
„gegossen“ wird. Die Aufgaben sollten von den Lernenden Lernen stattfindet, primär an offenen Aktivitäten festzu-
zumeist richtig gelöst werden können, sodass korrektes Ver- machen. Tut man dies dennoch, so entspricht dies vielfach
halten bekräftigt werden kann. Die Lernmaschinen erlauben der naiven Annahme einer 1:1-Korrepondenz zwischen
zudem eine individuelle Anpassung des Lerntempos. äußerlich sichtbaren Lernaktivitäten und dem, was internal,
Diese Perspektive mag veraltet anmuten, da also im Kopf der Lernenden passiert. Dass dem nicht so ist,
in modernen instruktionalen („unterrichtlichen“) zeigen beispielsweise die Befunde von Fischer und Mandl
Ansätzen weniger die Einübung einzelner Antworten (2005) sowie Renkl (1997b): In kooperativen Lernarrange-
im Vordergrund steht, als vielmehr vernetzte, Ver- ments, in denen ja auf der sozialen/offenen Ebene auf
ständnis konstituierende und Transfer erlaubende den ersten Blick für alle Vergleichbares passiert, können
Wissensstrukturen. Es gibt allerdings auch moderne die Kooperationspartner dennoch sehr verschieden-
Versionen dieser Perspektive. Unter Schlagwörtern artige Erfahrungen machen und unterschiedliches Wissen
wie Konstruktivismus (im Sinne Piagets) oder Sozial- erwerben (dazu auch Weinberger et al. 2007).
konstruktivismus (unter Bezug auf Vygotsky) gibt es eine Es seien drei weitere Beispiele für empirische Befunde
Vielzahl von Ansätzen, die als Voraussetzung gelungenen genannt, die eine eher kritische Sicht auf die Position des
Wissenserwerbs offenes Verhalten betonen, wie etwa aktiven Tuns implizieren. Pauli und Lipowsky (2007) unter-
Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames suchten die verbale Beteiligung der Schüler am Unter-
Problemlösen oder aktive Teilnahme an fachlichem Dis- richt, welche man als prototypisches aktives Lernverhalten
kurs (z. B. Stahl et al. 2014). Nach Barab et al. (2008) z. B. ansehen kann. Sie fanden nicht, dass aktive Schüler mehr
sind Konzepte keine für sich stehenden Entitäten im Kopf lernen. Ein zweites Beispiel stammt von Renkl (1997b).
von Lernenden, sondern Werkzeuge, die immer mit Aktivi- Er fand, dass Lernen durch Lehren – vielfach ein „Parade-
täten verbunden sind. Da Kognition damit an Aktivitäten in beispiel“ für aktives Lernen – die Lernenden in Stress ver-
konkreten Situationen gebunden ist, spricht man hier auch setzen und sie überfordern kann, wenn sie sich in einem
von der Perspektive der situierten Kognition (Greeno 2006). Lernbereich noch in anfänglichen Lernstadien befinden.
Die Ablehnung der Annahme, dass Wissen Diejenigen, die nach einer ersten Selbstlernphase den Stoff
(„knowledge“) als etwas zu betrachten ist, das unabhängig anderen erklärten, die dieselbe Selbstlernphase gerade
von situativen Kontexten in den Köpfen abgespeichert hinter sich gebracht hatten, lernten sogar weniger als
ist, wird von Vertretern des Situiertheitsansatzes nicht die Zuhörenden. Die vermeintlich passiven Zuhörenden
zuletzt mit dem vielfach anzutreffenden Phänomen des erwarben also mehr Wissen. Das dritte Beispiel bezieht
„trägen Wissens“ begründet (Renkl 1996). Dieser Begriff sich auf Befunde zu Lösungsbeispielen beim anfäng-
kennzeichnet Wissen, das Lernende z. B. in Prüfungen lichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten (z. B. Renkl 2014;
wiedergeben können, das sie aber nicht verwenden, 7 Abschn. 1.3.2). Es ist lernförderlicher, mehrere Lösungs-
wenn es gilt, komplexe Probleme des Berufs- oder All- beispiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem Bei-
tagslebens zu lösen; es findet kein Transfer statt. Insofern spiel) zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen. Dies gilt
wurde argumentiert, dass Wissen nicht eine Entität im sogar dann, wenn das Lernen durch Aufgabenbearbeiten
Kopf ist, die in einem Kontext (z. B. Unterricht) erworben in „ausgefeilter“ Weise unterstützt wird (z. B. Schwonke
und dann in einem anderen Kontext (z. B. Arbeitsstelle) et al. 2009). Das scheinbar passive Studium von Lösungs-
genutzt werden kann. Es wird vielmehr insofern als kontext- beispielen ist also die bessere Alternative. Zugleich zeigen
gebunden angesehen, als es sich immer aus der Relation Untersuchungen, dass die mentalen Lernaktivitäten beim
oder Interaktion zwischen einer Person und einer Situation Beispielstudium von ganz entscheidender Bedeutung für
konstituiert. Beispielsweise konstituiert sich Wissen beim den Lernerfolg sind (Renkl 2014; 7 Abschn. 1.3.2). Diese
Kooperieren mit anderen Lernenden, wobei die Art der Art der Aktivität wird in der Perspektive der aktiven
Interaktion bestimmt, welches Wissen dabei entsteht. Aus Informationsverarbeitung betont.
dieser Wissensauffassung folgt, dass auch Kognition und
Lernen als kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren
ist. Wissen ist gleichsam in Aktivitätsmuster „eingebaut“, 1.2.2  Perspektive der aktiven
die zu bestimmten Situationen bzw. Kontexten passen. Um Informationsverarbeitung
Wissen zu erwerben, müssen Lernende also aktiv an Dis-
kursen und Problemlöseprozessen teilnehmen, um so die Die Perspektive der aktiven Verarbeitung ist mit den
entsprechenden Aktivitätsmuster zu erwerben. im vorstehenden Abschnitt genannten Befunden (z. B.
Eine umfassende Diskussion der Vorzüge und Zuhören kann besser als Erklären sein) vereinbar. Es
Beschränkungen der situierten Perspektive kann hier aus kommt nicht auf die offen sichtbare Aktivität an, sondern
Platzgründen nicht erfolgen (z. B. Renkl 2001). Es soll auf die mentale stoffbezogene Aktivität. Diese Position wird
hier primär die Annahme, dass das aktive, offene Tun von den meisten kognitiv orientierten Lehr-Lern-Forschern
8 A. Renkl

eingenommen (Robins und Mayer 1993; vgl. auch den an Informationen, die wir gleichzeitig beachten können,
1 Begriff der kognitiven Aktivierung; 7 Kap. 2). Auch hierbei begrenzt ist, ist uns allen aus der Alltagserfahrung bekannt
liegt meist eine konstruktivistische Grundauffassung vor: Es (wir können an einem Tisch z. B. nicht zwei komplexen
wird nicht angenommen, dass den Lernenden das Wissen Konversationen zugleich folgen). Die potenziell von außen
direkt vermittelt werden kann, vielmehr müssen sie aktiv ins Arbeitsgedächtnis kommenden Daten werden zunächst
Information interpretieren und daraus Wissen aufbauen. in einem Ultrakurzzeitgedächtnis im Millisekundenbereich
Es ist wichtig anzumerken, dass die Perspektiven der festgehalten (neuronale Muster, die durch akustische oder
aktiven Informationsverarbeitung und des aktiven Tuns optische Signale ausgelöst werden). Aus der Vielzahl der
nicht immer zu unterschiedlichen Vorhersagen über einströmenden Reize werden nur sehr wenige bewusst
effektiven Wissenserwerb kommen. Auch wenn man die beachtet, indem sie in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen
aktive Informationsverarbeitung als für effektiven Wissens- und verarbeitet werden. Insofern eine konstruktivistische
erwerb ausschlaggebend sieht, kann die Annahme gemacht Grundauffassung eingenommen wird – was inzwischen der
werden, dass eine offene Aktivität (z. B. „Experimentieren“ typische Fall ist –, ist dabei vor allem zu beachten, dass die
mit der Simulation eines ökologischen Systems) sinn- ins Arbeitsgedächtnis aufgenommenen Daten erst dadurch
voll ist. Eine Begründung dafür bestünde aber immer in zur Information werden, dass sie auf der Basis des Vor-
der Annahme, dass man dadurch mentale Verarbeitungs- wissens des Einzelnen (aus dem Langzeitspeicher) inter-
prozesse, etwa des Hypothesenbildens und -testens, pretiert werden, ihnen also Bedeutung verliehen wird
aktiviert. Zugleich wird aber die Möglichkeit in Betracht (Aamodt und Nygård 1995). Sehen sich beispielsweise ein
gezogen, dass offene Aktivität der mentalen lernstoff- Patient und ein Arzt eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb
bezogenen Aktivität abträglich sein kann – wie dies mit an, so ist die Information, die im Arbeitsgedächtnis entsteht,
den Befunden zu Lösungsbeispielen und zum Lernen durch jeweils deutlich verschieden. Der Patient „bestaunt“ seine
Zuhörer exemplarisch aufgezeigt wurde. Rippen – das trifft zumindest bei mir zu –, während der Arzt
nach Anzeichen von Lungenerkrankungen sucht, die dem
Gedächtnisstrukturen und Wissenserwerb Laien völlig unbekannt sind (Lesgold et al. 1988). Die Inter-
In der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung pretation des Wahrgenommenen bzw. die Information, die
wird angenommen, dass die lernrelevante Informations- entsteht, ist also fundamental vom Vorwissen abhängig. Dies
verarbeitung im Arbeitsgedächtnis (auch Arbeitsspeicher entspricht einer konstruktivistischen Kernannahme, nämlich
genannt) vollzogen wird. Dieser Speicher enthält das, was dem Postulat, dass wir die Dinge nicht „so wie sie sind“ (was
uns gerade bewusst ist, an was wir gerade denken (7 Exkurs das auch immer sein mag) wahrnehmen, sondern dass wir sie
„Was ist das Arbeitsgedächtnis?“). Dass dabei der Umfang immer interpretieren und damit erst mit Bedeutung belegen.

Exkurs

Was ist das Arbeitsgedächtnis?


Wie das Arbeitsgedächtnis zu heftiger Kritik unterworfen und es genau die Kapazitätsgrenzen des
konzipieren ist, ist seit langer Zeit werden als Alternative prozessorientierte Arbeitsgedächtnisses zustande kommen
Gegenstand einer in der Gedächtnis- Modelle vorschlagen. Beispielsweise (zu prinzipiellen Schwierigkeiten
forschung kontrovers geführten nimmt Cowan (2000) keine temporäre der theoretischen Erklärung von
Debatte. Die klassische Auffassung, Speicherung an, sondern er Arbeitsgedächtnisphänomenen
die meist in der Pädagogischen konzipiert das Arbeitsgedächtnis – s. Cowan 2000). Für spezielle
Psychologie zugrunde gelegt wird, etwas vereinfacht gesprochen – als Problemstellungen kann es jedoch
nimmt einen „separaten“ Speicher den aktivierten Teil des Langzeit- wichtig sein, dass die Pädagogische
an. Diese Auffassung ist eng mit dem gedächtnisses, auf dem der Aufmerksam- Psychologie den aktuellen Stand der
Namen Baddeley verbunden, der dabei keitsfokus liegt; dieser Fokus ist Gedächtnisforschung berücksichtigt.
mehrere Subkomponenten annimmt, wiederum auf wenige Informations- Dies zeigen z. B. Rummer et al. (2008)
die jeweils der Speicherung von einheiten beschränkt. im Zusammenhang mit der Erklärung
visueller, akustischer und episodischer Für die meisten Problemstellungen, des sog. Modalitätseffekts (Bild
Information sowie der exekutiven mit denen sich die Pädagogische und gesprochener Text führen zu
Kontrolle dienen (Baddeley 2007). Psychologie beschäftigt, dürfte besserem Wissenserwerb als Bild und
Diese Auffassung wird immer wieder die Frage sekundär sein, wie geschriebener Text) auf (7 Kap. 5).
Wissenserwerb
9 1
Beispiel z­urechtzukommen. Wenn wir unser Vorwissen nutzen,
können wir – etwas vereinfacht gesprochen – aus vielen
Die Ihnen möglicherweise ungewöhnlich erscheinende Informationseinheiten eine einzige machen („Chunking“).
Annahme, dass Information nicht direkt in unser Schüler müssen z. B. beim Lesen unbekannter Wörter, diese
„Bewusstsein“ dringen kann, sondern die Information aus Einzelbuchstaben oder -silben zusammensetzten. Mit
von den Wahrnehmenden jeweils erst in Abhängigkeit der Zeit werden sie als eine Einheit erkannt. Ein weiteres
vom Vorwissen erzeugt wird, soll an einem plakativen Beispiel ist, dass Nicht-Schachspieler in einer Schach-
Beispiel weiter erläutert werden. Denken Sie an Ihre stellung nur eine Ansammlung einzelner Figuren sehen;
letzte Vorlesungssitzung zurück. Sicherlich würden Sie sie können sich die Stellung auch nur so merken. Schach-
zustimmen, dass Sie Informationen aus der Vorlesung experten fassen Figurengruppen zu einzelnen sinnvollen
ziehen konnten. Bedenken Sie aber, dass für die Einheiten zusammen; sie können quasi in größeren Ein-
allermeisten Personen dieser Welt das in der Vorlesung heiten denken (Chi 1978; Gruber et al. 1994). Das sinnvolle
mündlich Präsentierte keinerlei Informationswert Zusammenfassen von Einzelheiten zu einer umfassenden
gehabt hätte, da sie nicht Deutsch sprechen. Die Informationseinheit („Chunk“), für das im Übrigen ins-
meisten Personen hätten „akustische Signale“ in einer besondere komplexe Schemata hilfreich sein können
ihnen fremden Sprache wahrgenommen, die für sie (7 Abschn. 1.1), ist deshalb so bedeutsam, da im Arbeits-
keinerlei Bedeutung gehabt hätten. Sie selbst konnten gedächtnis nur wenige Informationseinheiten gehalten und
aus der Vorlesung nur deshalb „Informationen ziehen“, verarbeitet werden können. Wenn komplexe Informations-
da Sie des Deutschen mächtig sind und zudem weiteres verarbeitung gefordert ist, mögen nur zwei, drei oder
sprachliches und fachbezogenes Vorwissen haben (auch vier Informationseinheiten zugleich gehalten werden
ein deutscher Zweitklässler hätte von der Vorlesung können (z. B. Cowan 2000). Je umfassender nun einzelne
wohl kaum etwas verstanden). Im Übrigen hätten – aus Informationseinheiten sind – wie dies etwa bei den Schach-
den genannten Gründen – auch die Schriftzeichen experten und den Schachstellungen der Fall ist –, desto
dieses Buchs für die allermeisten Personen keinerlei mehr Gesamtinformation kann im Arbeitsgedächtnis
Bedeutung. gehalten und verarbeitet werden.
Aus der Perspektive der aktiven Informationsver-
arbeitung wird Wissen im Langzeitgedächtnis abgelegt.
Im Arbeitsspeicher sind also Informationen, die aus der Eine Annahme ist dabei, dass Wissen im Langzeitspeicher
aktiven Interpretation von einkommenden Daten entstehen. eine überdauernde, wenngleich unter Umständen schwache
Daneben können wir Informationen aus unserem Lang- Spur hinterlässt. Das „Vergessen“ von Information, die
zeitgedächtnis in den Arbeitsspeicher holen: Wir erinnern schon mal gewusst wurde, ist damit primär ein Problem
uns an etwas. Diese beiden Prozesse – Interpretation und des ­Nicht-mehr-Auffindens (ähnlich wie bei einem in einer
Gedächtnisabruf – sind vielfach eng verwoben. Wenn uns Bibliothek verstellten Buch). Damit auf bestimmtes Wissen
im Italienischkurs eine Vergangenheitsregel an eine ana- wieder zugegriffen werden kann, sollte es möglichst mit zahl-
loge Regel im Französischen erinnert, dann rufen wir zum reichen anderen Wissenselementen in Verbindung stehen.
einen Gedächtnisinhalte ab, zum anderen hilft dies uns die Damit ergeben sich viele „Zugangswege“ zu diesem Wissen.
italienische Regel zu verstehen (sinnvoll zu interpretieren; Lernen bedeutet letztendlich, Informationen mit bereits vor-
7 Exkurs „Cognitive-Load-Theorie“). handenen Wissenselementen zu vernetzen (Elaboration),
Die Interpretation von einkommenden Daten hilft aber und seien sie ebenfalls erst kürzlich konstruiert worden. Man
nicht nur dargebotenen Texten, mündlichen Erklärungen könnte auch sagen, Lernen ist Andocken neuer Information
oder Schaubildern Sinn zu verleihen, sie hilft auch, an das Vorwissen. Lernen ist insofern ein konstruktiver
trotz der engen Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächt- Prozess, als die Verbindungen zwischen dem Neuen und
nisses mit komplexem Stoff und dessen Verarbeitung dem Alten hergestellt (konstruiert) werden müssen.
10 A. Renkl

Exkurs
1
Cognitive-Load-Theorie
Die 7 Cognitive-Load-Theorie von unnötige Belastung wird als extrinsisch Einheiten zusammenfassen können,
Sweller und Kollegen ist die zurzeit („extraneous“) bezeichnet. Daneben ist eine geringe Komplexität aufweisen.
wohl bekannteste Theorie zum die Belastung des Arbeitsgedächtnisses Insbesondere die Kombination aus
Wissenserwerb, die die Struktur des durch die Stoffkomplexität (z. B. hoher intrinsischer und extrinsischer
Arbeitsgedächtnisses ins Zentrum komplexe ökologische Zusammenhänge) Belastung kann zu einer kognitiven
stellt (Paas et al. 2003; Sweller et al. zu beachten. Wenn Lernende mehrere Überforderung („overload“) führen, die
2011). Die grundlegende Annahme Aspekte gleichzeitig beachten den Wissenserwerb beeinträchtigt oder
ist dabei, dass der Wissenserwerb müssen, wird von hoher intrinsischer gar unmöglich macht. Die Relevanz der
in vielen Lernsituationen dadurch Belastung gesprochen („intrinsic load“). mentalen Aktivitäten der Lernenden
beeinträchtigt wird, dass das Diese Belastung ist natürlich immer kommt insbesondere im Konstrukt der
Arbeitsgedächtnis unnötig belastet auch vom Vorwissen der Lernenden lernbezogenen Belastung („germane
wird (z. B. Lernende haben Probleme, abhängig: Was für einen Laien komplex load“) zum Ausdruck. Diese Belastungsart
eine Abbildung und deren Details ist, mag für Experten, die mithilfe beschreibt die Arbeitsgedächtnis-
dem entsprechenden Textinhalten ihrer gut entwickelten Schemata belastung, die aus Wissenskonstruktions-
zuzuordnen; „Split-Attention“-Effekt). Die Einzelinformationen zu größeren prozessen resultiert.

Prozesse des Wissenserwerbs wird. Dies muss vielmehr oft absichtsvoll und insofern
Im Verlauf eines Lernprozesses wird Information im Lang- strategisch erfolgen oder von außen, etwa von einem
zeitspeicher abgelegt, sie wird zu Wissen (Aamodt und Lehrer, angestoßen werden (Krause und Stark 2006).
Nygård 1995). Der eigentliche Lernprozess findet aber im
Arbeitsgedächtnis statt. Im Folgenden wird eine Taxonomie Selegieren Lernende sollten aus den zahlreichen auf
lernbezogener Funktionen der Informationsverarbeitung unsere Sinnesorgane einströmenden Reizen die wichtigsten
im Arbeitsgedächtnis vorgestellt (Renkl 2008b; auch Wein- selegieren, um sie im Arbeitsgedächtnis weiter zu ver-
stein und Mayer 1986). arbeiten. Beispielsweise beinhaltet effektiver Wissens-
Für effektiven Wissenserwerb sollen die Informations- erwerb, dass aus einer Pro-und-Contra-Diskussion die
verarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis insbesondere zentralen Argumente beachtet werden und nicht etwa die
die folgenden Funktionen erfüllen: „komische“ Ausdrucksweise eines Diskussionsteilnehmers.
5 Interpretieren
5 Selegieren Organisieren Lernende sollten sich die Zusammenhänge
5 Organisieren zwischen einzelnen Informationen bewusst machen und
5 Elaborieren bestimmen, was über- und untergeordnete Punkte oder
5 Stärken Hauptpunkte sind (z. B. Identifizieren der zentralen Aus-
5 Generieren sage eines Textabschnittes). Unterstreichen von Haupt-
5 metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren. aussagen oder das Anfertigen von Schaubildern sind
Aktivitäten, die der Funktion der Organisation dienen.
Interpretieren Wie bereits erwähnt, nehmen wir aus
konstruktivistischer Sicht Dinge nicht einfach wahr, Elaborieren Diese Funktion bezieht sich darauf, dass
sondern wir interpretieren einkommende Daten. Erst so neue Information mit vorhandenem Vorwissen in Ver-
entsteht Information. Die Art der Interpretation ist vom bindung gebracht, in dieses integriert wird. Dabei kann
Vorwissen und dessen Aktivierung abhängig. Um auf ein die neue Information sowohl mit bereits vorhandenem
bereits genanntes Beispiel zurückzukommen: Ob man auf fachlichem Wissen als auch mit abgespeicherten
einem Röntgenbild überhaupt Zeichen einer bestimmten Erfahrungen aus der Alltagswelt erfolgen (z. B. ein Schüler
Erkrankung sehen kann, hängt vom medizinischen Fach- bezieht Wissen aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf
wissen ab. Die Qualität der Interpretation einer Problem- seine Erfahrungen mit Würfelspielen). Folgende typische
stellung (Problemrepräsentation) ist in vielen Fällen für Lernaktivitäten erfüllen diese Funktion: sich ein eigenes
weitere Lern- und Problemlöseprozesse entscheidend. Beispiel überlegen, Analogien ziehen, etwas in eigene
So können Schüler Textaufgaben als zu verstehende und Worte fassen oder etwas kritisch vor dem Hintergrund des
durch plausible Schlussfolgerungen zu ergänzende kurze eigenen Vorwissens bewerten.
Geschichte auffassen oder als „Übung“, bei der es einfach
nur gilt, die Zahlen herauszusuchen und eine naheliegende Stärken Wiederholungen – gleich, ob im Kontext eines
Rechenoperation mit ihnen durchzuführen (Verschaffel „einfachen“ Wiederholens (z. B. nochmaliges Lesen) oder
et al. 2000). Zu beachten ist dabei, dass relevantes Vor- im Kontext anspruchsvollerer Lernaktivitäten, in denen
wissen, das helfen würde, einkommende Daten mit bestimmte Inhalte immer wieder vorkommen – können
Bedeutung zu versehen, nicht immer automatisch aktiviert Gedächtnisinhalte und deren Assoziationen zu anderen
Wissenserwerb
11 1
Gedächtnisinhalten stärken. Man kann dadurch die Ver- Lernstrategien oder Lernaktivitäten (Mandl und Fried-
fügbarkeit bestimmten deklarativen Wissens erhöhen. rich 2006), sondern eben von Funktionen gesprochen
Zu beachten ist dabei, dass die Stärkung von Gedächt- wurde. Dies ist insofern bedeutsam, als bei der üblichen
nisinhalten am besten durch ein Abruftraining gelingt Einteilung von Lernstrategien das Problem der ein-
(Testing-Effekt); dabei sollte der Gedächtnisabruf idealiter deutigen Zuordnung entsteht: Wenn ein Lernender sich
mit Mühe verbunden, aber dennoch erfolgreich sein ein eigenes Beispiel für etwas überlegt, um zu sehen, ob
(z. B. Rowland 2014). Ebenso kann die wiederholte Aus- er einen Sachverhalt auch richtig verstanden hat, dann
führung prozeduralen Wissens bedeutsame Lerneffekte ist nicht klar, ob man dieses Vorgehen als Elaborations-
nach sich ziehen. Zum einen kann eine wiederholte Aus- oder als Metakognitionsstrategie bezeichnen soll. Wenn
führung deren Durchführung überflüssig machen, da das jemand versucht, den Hauptpunkt einer Darstellung in
Endergebnis als deklaratives Wissen aus dem Gedächtnis eigenen Worten zu formulieren, handelt es sich dann um
abgerufen werden kann. Dies ist zum Beispiel der Fall, eine Elaborations- oder Organisationsstrategie? Dieses
wenn Erstklässler immer wieder „4+3“ über verschiedene Problem ergibt sich nicht, wenn man von Funktionen
Strategien des Fingerzählens bestimmen. Sie werden mit spricht. Eine Lernstrategie kann eben verschiedene
der Zeit direkt „7“ als Lösung aus dem Gedächtnis abrufen Funktionen erfüllen.
können (Siegler und Jenkins 1989). Zum anderen können Zusammenfassend betont die Perspektive der aktiven
durch die Ausführung von Fertigkeiten spezialisierte Informationsverarbeitung, dass für effektives Lernen
Produktionsregeln generiert werden und es können sich Wissenskonstruktionsprozesse im Arbeitsgedächtnis statt-
damit automatisierte Routinen bilden. Die Ausführung finden müssen. Eingehende Daten sollten aktiv mithilfe
einer Fertigkeit nimmt damit weniger Aufmerksamkeits- des Vorwissens interpretiert, selegiert, organisiert und
ressourcen in Anspruch und erfolgt schneller. elaboriert werden. Wichtige weitere Lernprozesse beziehen
sich auf die Stärkung des Wissens, das Generieren neuer
Generieren Lernende „schaffen“ neue Information Information und die metakognitive Steuerung des
bzw. Wissen. Beim entdeckenden oder erforschenden Lernens. Derartige Prozesse können – müssen aber nicht
(„inquiry“) Lernen (z. B. Loyens und Rikers 2017) steht – durch offene Lernaktivitäten, wie sie die Perspektive
diese Funktion im Vordergrund. Die Lernenden sollen des aktiven Tuns betont, angeregt werden. Eine kritische
beim Erkunden und Erforschen eines Gegenstands- Frage, die hier gestellt werden kann, ist, ob ein Mehr an
bereichs Schlussfolgerungen (Inferenzen) ziehen und lernstoff- bzw. lernmaterialbezogenen Aktivitäten immer
damit Wissen generieren. Aber auch bei „rezeptiven“ besser ist. Dies wird im nächsten Abschnitt diskutiert.
Lernformen, etwa beim Lesen, erfordert ein wirkliches
Textverstehen und Lernen immer auch Inferenzen
(Schlüsse) auf der Basis von Textvorlagen und Vor- 1.2.3  Perspektive der fokussierten
wissen (z. B. Kintsch und Kintsch 1996). Ein für den Informationsverarbeitung
Wissenserwerb sehr wichtiger generativer Aspekt ist die
Konstruktion abstrahierter Wissensstrukturen, z. B. wenn Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung
aus mehreren Beispielen zu einem bestimmten Problem- widerspricht der Perspektive der aktiven Informations-
typ ein Schema für eben diesen Typ konstruiert wird. verarbeitung nicht grundsätzlich, sondern baut auf ihr
auf und differenziert sie. Der basale Unterschied besteht
Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren Die darin, dass die in diesem Abschnitt vorgestellte Auffassung
vorgenannten kognitiven Funktionen beziehen sich mehr postuliert, dass Lernende nicht nur den Lernstoff und die
oder weniger direkt auf den Erwerb oder die Stärkung Lernmaterialen aktiv verarbeiten, sondern vor allem auf
deklarativen oder prozeduralen Wissens. Metakognitionen die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussieren sollen
betreffen hingegen, wie bereits erwähnt, die Steuerung (Renkl 2011, 2015a). Warum dies ein relevanter Unterschied
und Überwachung der kognitiven Prozesse. Während die ist, soll im Folgenden anhand von vier Beispielen aufgezeigt
Ausführungen in 7 Abschn. 1.1 darauf fokussiert waren, werden.
dass Lernende metakognitives Wissen erwerben sollen Bei computerbasierten Lernumgebungen wird Interaktivi-
(als Lernziel), geht es hier um dessen Einsatz in einer tät – die Möglichkeit, dass Lernende aktiv Eingaben machen
aktuellen Lernsituation. Idealiter planen Lernende ihr oder eine Auswahl treffen können und die Lernumgebung
Vorgehen beim Lernen oder beim Bearbeiten von Lern- darauf reagiert – vielfach als ein wichtiges Kriterium gesehen,
aufgaben; sie fragen sich selbst, ob sie den Stoff korrekt das Lernen fördert (z. B. Renkl und Atkinson 2007). Neben
verstanden haben (überwachen) und ergreifen ggf. Begründungen, die aus einer Perspektive des aktiven Tuns
Maßnahmen, um Verständnislücken oder Schwierigkeiten heraus erfolgen, wird Interaktivität meist als ein Mittel
bei einer Problembearbeitung zu überwinden (remediales gesehen, die kognitive Aktivität der Lernenden anzuregen
Regulieren). (Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung). So
An der vorstehenden Nennung wichtiger Prozesse schreiben Moreno und Mayer (2007, S. 312) „we are interested
des Wissenserwerbs ist zu beachten, dass hier bewusst in whether interactivity is a feature that can be used to promote
nicht, wie sonst in diesem Zusammenhang üblich, von deep cognitive processing in the learner … Deep learning
12 A. Renkl

depends on cognitive activity“. Es zeigt sich empirisch jedoch, anschwillt und dann zerplatzt, während eine Blutzelle in
1 dass Interaktivität, auch wenn sie auf aktive Informationsver- Salzwasser schrumpft. Zunächst sollten die Schüler ver-
arbeitung abzielt, vielfach nicht den Lernerfolg fördert. Einen suchen, dies zu erklären. Diese Diskussion erhöhte den
in dieser Hinsicht interessanten Befund fanden Berthold Lernerfolg aus einem nachfolgenden Lehrtext über Osmose
und Renkl (2009). Sie setzten eine computerbasierte Lern- in bedeutsamer Weise. Interessanterweise profitierten
umgebung ein, die u. a. Lösungsbeispiele mit zwei Lösungs- gerade auch Lernende mit weniger Vorwissen, die zum
wegen (Wahrscheinlichkeitsrechnung) darbot. Als interaktives Teil vor dem Textlesen falsche Erklärungen gaben, von der
Element wurden einem Teil der Lernenden anspruchsvolle Fokussierung durch die vorausgehende Diskussion. Dieses
Leitfragen gestellt (sog. „Selbsterklärungs-Prompts“). Diese Beispiel zeigt, dass eine zunächst unfokussierte Aktivierung
führen nicht nur zu mehr Aussagen über wahrscheinlichkeits- durchaus sinnvoll sein kann, aber nur wenn sie einen sinn-
theoretische Prinzipien, die konzeptuell damit auch besser vollen Fokus für die Hauptphase des Lernens (hier: Text-
verstanden wurden, sondern teils auch zu falschen Aussagen, lesen) induziert (siehe auch Glogger-Frey et al. 2017).
die zu vermindertem prozeduralen Wissenserwerb führten. Zusammengefasst besagt die Perspektive der
Die Leitfragen führten also zu vermehrter aktiver Stoffver- fokussierten Verarbeitung, dass man Lernprozesse in ihrer
arbeitung, hatten aber im Endeffekt negative Folgen für das Aktivität nicht allein danach beurteilen kann, ob eine mehr
„Wissen, wie“. oder weniger aktive Verarbeitung des Lernstoffes und der
Als zweites Beispiel sollen fehlpriorisierte Konzepte Lernmaterialien erfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass
(z. B. Otieno et al. 2014) dienen. Mandl et al. (1993) fanden die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussiert und in
beispielsweise, dass Auszubildende einer kaufmännischen korrekter Weise erworben werden.
Berufsschule fehlpriorisierte Konzepte erwerben können,
d. h., sie weisen bestimmten Aspekten des Lernstoffes eine
viel höhere Bedeutung als angemessen zu. Im vorliegenden 1.2.4  Wahl der Perspektive:
Fall arbeiteten die Lernenden mit einer computerbasierten Implikationen zur Gestaltung von
Simulation einer Jeans-Fabrik, um sich zunächst öko- Lehr-Lern-Arrangements
nomische Zusammenhänge zu verdeutlichen und dann
das erworbene Wissen anzuwenden, um den Gewinn der Welche der drei diskutierten Perspektiven zum Wissens-
Fabrik zu maximieren. Viele Lernende richteten ihr Augen- erwerb am angemessensten ist, mag zunächst als akademische
merk in dieser Lernumgebung vor allem darauf, ja nicht Frage anmuten. Die vorstehend berichteten Befunde dürften
zu viele Bestände anzuhäufen und ihr Lager möglichst aber aufgezeigt haben, dass die grundlegende Auffassung
leer zu halten; andere Aspekte, etwa was die Konkurrenz Konsequenzen dafür hat, wie man Lehr-Lern-Umgebungen
am Markt macht oder ob man weitere Werbemaßnahmen gestaltet: Setzt man auf Problemlösen oder auf Beispiele bei
treffen sollte, wurden kaum mehr beachtet. Am Ende anfänglichem Fertigkeitserwerb (aktives Tun oder aktive
waren diese Lernenden auch nicht gut darin, den Gewinn Verarbeitung)? Versucht man die Lernenden z. B. durch
zu maximieren. Das suboptimale Lernen lag nicht an der computerbasierte Simulationen zum Nachdenken über
fehlenden aktiven Verarbeitung, sondern an einer sub- wirtschaftliche Zusammenhänge anzuregen oder muss man
optimalen Verteilung des Fokus. ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigen Aspekte lenken (aktive
Ein drittes Beispiel sind verführerische Details, die in Informationsverarbeitung versus fokussierte Verarbeitung)?
Texte oftmals integriert werden, damit die Leser interessiert Vor dem Hintergrund, dass hier die Perspektive der
werden und den Text aktiv verarbeiten (Garner et al. 1989). fokussierten Verarbeitung als am erklärungsmächtigsten
Sie werden aber deshalb als verführerisch bezeichnet, angesehen wird, ist es problematisch, dass nicht nur in der
da die Leser sie zwar als hoch interessant einstufen, sie wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in der breiten
aber unwichtig sind und nicht in direktem Bezug zu den „Bildungsöffentlichkeit“ (z. B. Lehrer, Dozenten, Bildungs-
Hauptideen des Textes stehen. Tatsächlich haben solche politiker) insbesondere Begriffe wie „aktives Lernen“ betont
verführerischen Details meist negative Effekte auf den Lern- werden und „aktiv“ in Zusammenhang mit Lernen als
erfolg, etwa im Sinne der Identifizierung der Hauptideen besonders wichtig erachtet wird (zu dem entsprechenden
eines Textes (z. B. Eitel und Kühl 2019). Auch dies ist ein Dogma s. Renkl 2008b). Aus dieser Einstellung heraus kann
Fall, in dem Lernstoff einschließlich randständiger Aspekte, man jedoch, wie im vorstehenden Abschnitt aufgezeigt,
aber nicht die zentralen Konzepte und Prinzipien tief ver- suboptimale Entscheidungen bei der Gestaltung von
arbeitet werden. Dies ist letztendlich dem Lernen abträglich. ­Lehr-Lern-Arrangements treffen.
Das vierte Beispiel ist ein „Positivbeispiel“, bei dem eine Als Fazit kann festgehalten werden, dass die grund-
vorausgehende Fokussierung der Aufmerksamkeit der legende theoretische Perspektive wichtige Implikationen
Lernenden produktive Auswirkungen hat. Schmidt et al. hat, wie Unterricht bzw. Lehr-Lern-Arrangements gestaltet
(1989) gaben Kleingruppen von Schülern das Problem zur werden. Es wird dafür plädiert, künftig explizit die
Diskussion, dass eine Blutzelle in reines Wasser e­ ingetaucht Perspektive der fokussierten Verarbeitung einzunehmen.
Wissenserwerb
13 1
1.3  Wie kann Wissen erworben werden? – Gedicht, ein griffiges Zitat oder den Text einer Schau-
Wichtige Lernformen spielrolle auswendig lernen will. Gleichwohl ist die Text-
oberfläche in den meisten Lehr-Lern-Situationen von
1.3.1  Lernen aus Text untergeordneter Bedeutung.

Sei es im traditionellen Schulunterricht (z. B. Schüler Textbasis


lesen im Biologiebuch), sei es in einem projektorientierten Die Textbasis beinhaltet die Aussagen, die die Leser in einem
Seminar im Studium (z. B. Studierende lesen etwas in ersten Schritt aus einem Text entnehmen sollen. Diese von der
einem Buch aus der Bibliothek nach) oder sei es beim konkreten Formulierung unabhängig zu denkenden Aussagen
autodidaktischen Lernen (z. B. jemand liest einen Artikel werden Propositionen genannt. Beispielsweise enthalten die
aus dem Internet) – man könnte hier sicherlich noch viele beiden Sätze „Deutschland griff Polen an“ und „Polen wurde
weitere Lehr-Lern-Arrangements aufführen –, das Lernen vom Deutschen Reich angegriffen“ dieselbe Proposition. Ver-
aus Texten spielt immer eine bedeutsame Rolle. Zudem schiedene Propositionen können nun in einem Netzwerk
kann man eine Vorlesung als Text ansehen, sodass Grund- organisiert werden, wenn sie sich überlappen, so etwa bei
legendes zum Lernen aus schriftlichen Texten auch für den Sätzen „Hitler verfolgte eine sog. Endlösung der Juden-
mündlich Präsentiertes gilt. Insofern kommt dieser Lernart frage. Er wollte alle Juden vernichten“. „Er“ und „Hitler“
sicherlich eine besondere Bedeutung zu. überlagern sich beispielsweise in den vorstehenden Sätzen.
Die Inhalte eines Textes können von den Lernenden auf Dabei wird klar, dass Lesen eine aktiv-konstruktive Tätigkeit
unterschiedlichen Ebenen repräsentiert werden. Die drei ist, da die Lernenden den Zusammenhang zwischen „Er“ und
wichtigsten Ebenen sind (van Dijk und Kintsch 1983) die „Hitler“ herstellen müssen (auch wenn dies in diesem Bei-
5 der Textoberfläche, spiel recht einfach ist). Diese Art der lokalen Kohärenzbildung
5 der Textbasis und gelingt den Lernenden zumeist weitgehend automatisch. Die
5 des Situationsmodells. globale Kohärenzbildung, also eine sinnvolle Organisation
der einzelnen Textaussagen, die es etwa erlaubt den „roten
Faden“ einer komplexen Argumentation nachzuvollziehen,
Definition gelingt Lernenden hingegen nicht immer. Dies kann am wenig
leserfreundlichen Text liegen, an der geringen Motivation
Die Textoberfläche bezieht sich auf die sprachlichen
der Lernenden oder an ihrem unzureichenden Vorwissen
Details, d. h. auf das wörtliche „Abbild“. Wenn Lernende
(Schnotz 2010).
einen Text (z. B. volkswirtschaftliche Zusammenhänge)
Die globale Kohärenzbildung beinhaltet typischer-
lesen, um einen Gegenstandsbereich zu verstehen, wird
weise die Konstruktion von sog. Makropropositionen,
in der Regel allerdings keine wörtliche Repräsentation
die umgangssprachlich den Kern von Textabschnitten
angestrebt.
repräsentieren. Sie werden aus den Einzelpropositionen
Die Textbasis beinhaltet die gegebenen Textaussagen –
„verdichtet“ durch
unabhängig davon, ob etwas z. B. in einem Passiv-
a. Auslassung unwichtiger Propositionen,
oder Aktivsatz gesagt wurde, eins von zwei möglichen
b. Verallgemeinerung von Einzelpropositionen auf
Synonymen verwendet wurde etc.
einem höheren Abstraktionsgrad (beispielsweise wird
Das eigentliche (tiefere) Verstehen des Textes, das z. B.
statt einer detaillierten Beschreibung von Gegen-
Implikationen des Gesagten umfassen kann, wird im
ständen eines Vertrages zur Beendigung eines Krieges
Situationsmodell repräsentiert.
repräsentiert, dass zwei Staaten einen Friedensvertrag
abgeschlossen haben) oder
c. Konstruktion einer neuen Proposition für eine
Im Folgenden werden die drei Ebenen näher beschrieben.
Kette von Propositionen (das Ausdehnen und
Zusammenziehen des Herzmuskels wird als Pumpen
Textoberfläche repräsentiert).
Die Textoberfläche ist meist nicht das Lernziel, wenn
es um Verstehen geht. Es ist dann von untergeordneter Bei der vorstehenden Darstellung der Prozesse des Ver-
Bedeutung, mit welchen spezifischen Formulierungen ein stehens von Texten wird bereits klar, dass ein gutes
Sachverhalt ausgedrückt wird. Auch im Alltag merken wir Textverständnis über die direkt im Text explizierten
uns nicht die Textoberfläche, wenn wir z. B. einen Zeitungs- Propositionen hinausgeht und erfordert, dass Leser ihr
artikel lesen, sondern „lediglich“ die (Kern-)Aussagen und Vorwissen nutzen, um aktiv weitergehende Informations-
ggf. weiterführende Gedanken, die uns dabei in den Sinn elemente zu konstruieren. Dies ist notwendig, da Texte
kommen (Ausnahme: Ein Lernender versteht den Prüfungs- nie vollständig das explizieren, was man, wenn man den
text nicht und hofft mit wörtlicher Wiedergabe einzelner Text gut verstanden hat, intern repräsentiert. Warum tun
Passagen in der Prüfung durchzukommen). Dennoch gibt sie das nicht? Texte würden ansonsten so lang, dass sie
es Situationen, in denen ein Erlernen der Textoberfläche kaum mehr lesbar wären und für die meisten Leser viele
das primäre Lernziel ist, etwa wenn man ein klassisches „Trivialitäten“ beinhalten würden, die das Lesen des Textes
14 A. Renkl

nicht nur langweilig, sondern auch ineffizient machen ungültigen Schlussfolgerungen unterscheiden können (z. B.
1 würden (vgl. den lernabträglichen Redundanzeffekt der Schaffner und Schiefele 2007). Weiterhin ist zu beachten,
­Cognitive-Load-Theorie; Sweller et al. 2011). dass eine situationale Repräsentation der geringsten
Vergessensrate unterliegt, während die Textoberfläche am
Situationsmodell schnellsten vergessen wird (Schnotz 2010).
Van Dijk und Kintsch (1983) bezeichnen eine substanziell
mit Vorwissen angereicherte, reichhaltige Repräsentation Was beeinflusst die Qualität des Textlernens?
eines Textes als Situationsmodell. Kintsch und Kintsch (1996) Welche Art der Repräsentation aufgebaut wird, hängt von
sprechen sogar erst dann von bedeutungshaltigem Lernen verschiedenen Faktoren ab, vor allem von
(„deep learning“), wenn ein Situationsmodell aufgebaut wird. 5 der Qualität des Textes,
Dieses entspricht einer ganzheitlichen Repräsentation des 5 dem Vorwissen der Lernenden und
Textes, die über den propositionalen Gehalt hinausgeht und 5 den mentalen Aktivitäten der Lernenden (hier speziell:
z. B. auch Vorstellungsbilder (also „Analoges“) beinhaltet. Lesestrategien; Kintsch und Kintsch 1996).

Beispiel Relevante Textmerkmale sind z. B. Einführungen zur


Aktivierung relevanten Vorwissens (vgl. die Studie zum
Um den Unterschied zwischen einer „nur“ Osmose-Text; 7 Abschn. 1.2.3), Länge und Einfachheit der
propositionalen Repräsen0tation und einem Sätze, Hervorhebung zentraler Begriffe oder Aussagen.
Situationsmodel in einer Lernsituation zu verdeutlichen, Zudem ist die semantische Kohärenz bedeutsam, also bei-
sei die folgende Textaufgabe angeführt: „Die beste spielsweise, ob es eine explizite Argumentüberlappung gibt
100-Meter-Zeit von Hans beträgt 13,0 Sekunden. Wie („Hitler verfolgte eine sog. Endlösung der Judenfragen.
lange braucht er für 1000 Meter?“ Viele Schüler lösen Hitler wollte alle Juden vernichten“ statt der vorstehenden
diese Aufgabe schnell und „subjektiv problemlos“: Formulierung). Dabei zeigt sich allerdings, dass Lernende
„130 Sekunden“ (Verschaffel et al. 2000). Diese Antwort mit niedrigem Vorwissen vor allem von kohärenten Texten
dürfte vielfach darauf zurückgehen, dass nur der profitieren, während Lernende mit höherem Vorwissen
propositionale Gehalt repräsentiert wurde und dann mehr aus „suboptimalen“ Texten lernen, da sie angeregt
eine passende Rechenoperation gesucht wurde. Würden werden, aktiv ihr Vorwissen einzubringen, um temporäre
Schüler jedoch auf ihr Vorwissen zurückgreifen und Verstehensprobleme zu überwinden. Neuere Befunde
ein Situationsmodell aufbauen, würde ihnen schnell weisen darauf hin, dass dies aber nur für Leser mit hohem
klar werden, dass man nicht immer Bestzeit läuft und Vorwissen gilt, die nicht von sich aus schon gute Lern-
vor allem, dass Hans sein 100-m-Tempo nicht 10-mal strategien einsetzen (O’Reilly und McNamara 2007).
hintereinander durchhalten kann. Sie würden dann die Sieht man sich aktuelle Schulbücher, Lehrbücher für den
Aufgabe nicht so „sinnentleert“ lösen. universitären Kontext oder Weiterbildungsliteratur an, so
Ein anderes Beispiel wäre die folgende Schlagzeile: fällt auf, dass sehr oft Text mit Bildinformation kombiniert
„Usain Bolt mit 9,69 Sekunden Olympiasieger“. Stellen wird. Ob und unter welchen Umständen Bilder in Texten
Sie sich eine Person vor, die sich nicht für Sport lernförderlich sind und welche Verarbeitungsprozesse hier
interessiert; diese mag der Schlagzeile nur die direkt zu beachten sind, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt
gegebene propositionale Bedeutung entnehmen werden (7 Kap. 5; Mayer 2014).
können, sie hat aber nicht viel verstanden (u. a. bleiben Inhaltliches Vorwissen interagiert nicht nur mit der
die Disziplin und die Einordnung der Zeit unklar). Textkohärenz, sondern hat auch an sich einen positiven
Eine sportinteressierte Person kann eine situationale Einfluss auf das Textlernen – wie dies bei jeder anderen
Repräsentation des (kurzen) Textes aufbauen, die Lernart der Fall ist (7 Kap. 2). Je mehr Vorwissen vor-
vergleichsweise reichhaltig sein kann, nämlich wer von handen ist, umso mehr wird aus Texten gelernt – bis
den ihr bekannten Sprintern den 100-m-Lauf gewonnen zu dem Punkt, an dem die Leser kaum mehr neue
hat, ob dies der Favorit war, dass Jamaika damit eine Informationen aus einem Text ziehen können. Das Vor-
Goldmedaille errungen hat, dass die Zeit sehr gut war, ja wissen ist auch deshalb von so großer Relevanz, da es
sogar den Weltrekord brach etc. „hochwertigen“ Lernstrategieeinsatz ermöglicht, wie
etwa ein Netzwerk-Diagramm („concept map“) zeichnen
Die situationale Repräsentation beinhaltet aber nicht nur ein (Organisation), sich selbst den Kern eines Abschnittes
„Mehr“ an Information und Verständnis, sondern erlaubt es erklären oder Fragen zum Text formulieren. Vorwissen
die Textinformation zu nutzen, um Schlussfolgerungen für ermöglicht stimmige (und nicht fehlerbehaftete) Concept
neue Kontexte zu ziehen und Probleme zu lösen (etwa in Maps anzufertigen, sich Textteile korrekt und weitgehend
einem problemorientierten L ­ ehr-Lern-Arrangement). Viel- vollständig (statt lückenhaft und teilweise falsch) zu
fach wird das Ausmaß einer situationalen Repräsentation erklären und Fragen zu formulieren, die auf den „Kern“
sogar darüber gemessen, ob die Lernenden gültige von (und nicht auf irrelevante, „verführerische“ Details) zielen.
Wissenserwerb
15 1
Multiple Texte Lernbereichen ebenfalls sehr effektiv ist. Rourke und
Zu Beginn der Forschung zum Lernen aus Texten wurde Sweller (2009) zeigten beispielsweise, dass Wissen über die
meist ein einzelner Text verwendet. In pädagogischen Stile renommierter Designer (z. B. Stühle, Lampen etc.) gut
Settings oder auch im Alltagsleben werden zu einem über Beispiele erworben werden kann. Solch ein Beispiel
Thema aber vielfach multiple Texte gelesen, etwa beim für einen Designer-Stil enthält natürlich keine Lösungs-
Schreiben einer Abschlussarbeit oder beim Recherchieren schritte, wie dies bei mathematischen Beispielen der Fall
von Informationen im Internet, etwa zu einer Gesund- ist. Manche Beispiele können sehr komplex werden, etwa
heitsfrage (z. B. Barzilai et al. 2018; Britt und Rouet 2012). wenn sie aufzeigen, wie man gut interdisziplinär kooperiert
Die Texte müssen dann miteinander in Bezug gesetzt und (z. B. Rummel und Spada 2005). Diese komplexen Beispiele
integriert werden. Dabei stehen Lernende vor für sie, wie werden zum Teil auch als Modelle bezeichnet (Bandura
sich empirisch zeigt, nicht trivialen Aufgaben: Erkennen 1986; Collins et al. 1989). Im Folgenden wird für das Lernen
sie, inwieweit die Texte übereinstimmen, sich ergänzen aus Beispielen und das 7 Lernen von Modellen auch der
oder widersprechen? Beziehen sich Lernende z. B. primär Begriff des beispielbasierten Lernens gebraucht.
auf die ersten Google-Treffer oder betreiben sie „sourcing“, Ein Missverständnis, das sich bisweilen ergibt, ist, dass
also beurteilen sie, ob der Autor hohe Expertise besitzt mit Lernen aus Beispielen das übliche Vorgehen gemeint
(oder ein Laie sich zu Gesundheitsfragen im Internet ist, bei dem nach der Einführung eines Prinzips (z. B. Satz
äußert) und ob von einer hohen Glaubwürdigkeit aus- des Pythagoras) ein Beispiel gezeigt wird und dann die
zugehen ist (oder ob der Autor ggf. den Verkauf von Lernenden Aufgaben bearbeiten.
Nahrungsergänzungsmitteln fördern will). Inwiefern die
Information aus multiplen Texten angemessen integriert Definition
wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, wie etwa der Beispielbasiertes Lernen meint, dass mehrere Beispiele
Anzahl der zu integrierenden Texte, dem Alter der Schüler bearbeitet werden, um so Verstehen herzustellen, bevor
(ältere integrieren in der Regel besser), deren inhaltlicher die Lernenden dann „verstehensorientiert“ selbstständig
Überlappung oder der den Lernenden gestellten über- Aufgaben bearbeiten.
geordneten Aufgabe fürs Lesen (z. B. nur Lesen, um sich
zu informieren, oder danach einen argumentativen Text
schreiben; letzteres ist integrationsförderlicher). Zudem Dies ist in aller Regel effektiver und effizienter als das
wurden inzwischen zahlreiche Förderansätze entwickelt eben beschriebene übliche Vorgehen (typische Kontroll-
und untersucht (siehe dazu Barzilai et al. 2018). bedingung in entsprechenden Studien zum beispielbasierten
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Lernen).
ein wirkliches Verstehen von Texten erfordert, dass die Die Erklärung für die Effektivität des beispielbasierten
Lernenden aktiv den Text verarbeiten. Dies ermöglicht Lernens ergibt sich daraus, dass Lernende erst dann Auf-
eine Repräsentation der Textinhalte auf der Ebene eines gaben bearbeiten sollten, wenn sie ein grundlegendes
situationalen Modells. Erst dies erlaubt es, mit dem aus Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien (z. B.
dem Text Gelernten „etwas anzufangen“ (z. B. Schluss- physikalisches Gesetz) und deren Anwendung erworben
folgerungen ziehen, Probleme lösen). Zudem kann das haben. Wenn sie mit Aufgaben konfrontiert werden und
Erlernte dann längerfristig behalten werden. In vielen dabei z. B. die zugrunde liegende Physik noch nicht ver-
Situationen müssen Lernende multiple Texte integrieren, standen haben, nehmen sie keinen Bezug auf Physik,
um ausreichend über einen Lerngegenstand informiert zu sondern versuchen, die Aufgaben „irgendwie“ zu lösen
sein. (z. B. Ausprobieren möglicher relevanter Formeln). Sie
„wurschteln“ sich mit oberflächlichen Strategien zur
numerischen Lösung durch. Dieses „Durchwurschteln“
1.3.2  Lernen aus Beispielen und Modellen stellt aus der Sicht der Cognitive-Load-Theorie, über die
der Lösungsbeispieleffekt meist erklärt wird, extrinsische
Das 7 Lernen aus Lösungsbeispielen beim anfäng- Belastung dar. Erst wenn die Lernenden sich über Beispiele
lichen Erwerb von kognitiven Fertigkeiten ist, wie bereits ein grundlegendes Verständnis erarbeitet haben, sollen sie
erwähnt, eine sehr effektive und effiziente Lernart. Dies „verstehensorientiert“ Aufgaben bearbeiten (Renkl 2014).
wird als Lösungsbeispieleffekt ­(„Worked-Example“-Effekt) Lernen aus Beispielen kann – wie jede ­Lehr-Lern-Form,
bezeichnet (Renkl 2014, 2017; Sweller et al. 2011). wenn sie schlecht implementiert wird – ineffektiv sein.
Typisch sind Lösungsbeispiele für Bereiche, in denen Dies ist z. B. der Fall, wenn Lösungsbeispiele grafische
gelernt werden soll, algorithmische Lösungen zu ver- und textuelle Informationen enthalten, die Lernende nur
stehen und anzuwenden (z. B. Mathematik, Physik). schwer zuordnen können (z. B. Tarmizi und Sweller 1988:
Sie bestehen dann aus einer Problemstellung, Lösungs- ­„Split-Attention“-Effekt). Der Abgleich, der notwendig ist,
schritten und der endgültigen Lösung selbst. Inzwischen um die beiden Informationsquellen zu integrieren, nimmt
gibt es aber auch zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, so viel kognitive Kapazität ein, dass der beschriebene Vorteil
dass das Lernen aus Beispielen aus nicht algorithmischen von Beispielen (wenig extrinsische Belastung) verschwindet.
16 A. Renkl

Exkurs
1
Selbsterklärungen
Der Begriff der 7 Selbsterklärungen bei Beispielen aus nichtalgorithmischen zugeordnet, etwa das Revidieren des
wurde von Chi et al. (1989) im Kontext Inhaltsgebieten ist diese Art der eigenen mentalen Modells (entspricht
des Lernens aus Lösungsbeispielen Selbsterklärung besonders wichtig. in etwa dem Situationsmodells,
(Newton’sche Gesetze) eingeführt. Studierende erlernen insbesondere 7 Abschn. 1.3.1; Chi 2000). Aleven
Es zeigt sich, dass insbesondere dann Argumentationsstrukturen aus und Koedinger (2002) zeigten, dass es
diejenigen Lernenden viel aus dialogischen Videobeispielen in eigene auch sinnvoll ist, beim Problemlösen
Lösungsbeispielen, welche ja nie alle Argumentationen zu übernehmen, Selbsterklärungen vorzunehmen.
möglichen Begründungen enthalten, wenn sie angehalten werden, Ainsworth und Loizou (2003) fanden,
lernten, die die Begründungslücken prinzipienbasierte Erklärungen zu dass Diagramme viele Selbsterklärungen
über Schlussfolgerungen füllten. geben (Schworm und Renkl 2007). auslösen können, und Roy und Chi
Beispielsweise begründeten erfolgreich Das heißt in diesem Fall, dass sie aus (2005) sehen Selbsterklärungen als
Lernende Lösungsschritte unter einer Beispielargumentation über probates Mittel an, um unterschiedliche
Bezug auf Newton’sche Gesetze. Renkl Stammzellenforschung nicht nur die Darstellungsformen (z. B. Text und
(1997a) nannte diese Begründungen „offen“ ersichtlichen medizinischen oder Diagramme) zu integrieren. Diese
prinzipienbasierte Erklärungen. Sie sind ethischen Inhalte fokussieren, sondern Ausweitungen unterstreichen einerseits
deshalb von Bedeutung, weil Lernende sich erklären, welche argumentativen die Nützlichkeit des Konzepts der
damit ein tieferes Verständnis von Strukturen jeweils zum Einsatz kommen. Selbsterklärung, andererseits verliert es
Lösungsprozeduren erwerben, d. h., Inzwischen wurde das Konzept der aber seine spezifische Bedeutung. Die
sie wissen, wie die Lösungsschritte mit Selbsterklärung auf andere Lernarten, Grenzen zwischen Selbsterklärung und
den grundlegenden Prinzipien eines etwa dem Lernen aus Texten, anderen in der Literatur beschriebenen
Inhaltsgebiets in Zusammenhang stehen angewandt. Damit wurden diesem Lernstrategien sind inzwischen
(prinzipienbasiertes Verständnis). Auch Konstrukt zusätzliche Aspekte verschwommen.

Es ist dann sinnvoll, die beiden Arten der Information über gaben bearbeiten. Um einen fließenden Übergang zum Auf-
unterschiedliche Modi darzubieten (z. B. Grafik visuell und gabenbearbeiten zu bewerkstelligen, haben Renkl und Atkinson
Text akustisch; Modalitätseffekt; Mousavi et al. 1995), sodass (2003) folgendes Rational entwickelt, das sich inzwischen viel-
sowohl der visuelle als auch der akustische Verarbeitungs- fach bewährt hat: Zunächst werden vollständige Beispiele
kanal genutzt und damit eine Überlastung vermieden präsentiert, in die dann allmählich immer mehr Lücken und
werden kann. Eine weitere Möglichkeit zur Abhilfe ist die damit Anforderungen der Aufgabenbearbeitung integriert
Wahl eines integrierten Formats, bei dem die Beschriftung werden – bis am Ende die Lernenden die Aufgaben komplett
in die Grafik integriert wird (nebenbei sei erwähnt, dass selbstständig lösen. Diese Ausblendprozedur ist besonders
auch beim Lernen aus Texten mit Abbildungen der effektiv, wenn sie an den individuellen Lernfortschritt der
„Split-Attention“-Effekt auftreten kann, wenn Lernenden
­ einzelnen Lernenden angepasst wird (Kalyuga und Sweller
die Zuordnung schwerfällt). Neben den genannten Aspekten 2004; Salden et al. 2009).
der Beispielgestaltung gibt es eine Anzahl weiterer wichtiger Zusammenfassend kann man festhalten, dass beim
Faktoren (dazu Renkl 2014). anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten das Lernen
Zu beachten ist, dass nicht alle Lernenden die Arbeits- aus Lösungsbeispielen besonders effektiv ist, insbesondere
gedächtniskapazität, die beim beispielbasierten Lernen durch wenn die Lernenden sich die Logik der Beispiele selbst
die Reduktion der extrinsischen Belastung frei wird, produktiv erklären. Die Beispiele können dann allmählich aus-
für lernbezogene Belastung nutzen. Viele Lernende lesen Bei- geblendet werden, um so den Übergang zum selbst-
spiele nur oberflächlich durch, ohne sich die Logik der Lösung ständigen Aufgabenbearbeiten zu ebnen.
klar zu machen. Um ein Verstehen der Beispiele weitgehend
sicherzustellen, ist es sinnvoll, die Lernenden mit sog. Prompts
(Leitfragen, Aufforderungen) aufzufordern, sich die Logik der 1.3.3  Lernen durch Aufgabenbearbeiten
Beispiellösung bewusst zu machen (Atkinson et al. 2003). Man
bezeichnet es üblicherweise als Selbsterklärung, wenn Lernende Wie bereits im letzten Absatz erwähnt, gehen Lehrer
sich die Logik von Beispielen bewusst machen (Chi et al. im Unterricht – suboptimaler Weise – sehr oft so vor,
1989: ­„Self-Explanation“-Effekt; 7 Exkurs „Selbsterklärungen“). dass sie zunächst ein Prinzip einführen, ggf. ein Bei-
Alternativ kann man Lernende darin trainieren, Beispiele sich spiel präsentieren und dann Aufgaben bearbeiten lassen
selbst gut zu erklären (Renkl et al. 1998). (7 Lernen durch Tun). Dieses Vorgehen kann effektiv sein,
Die Effektivität beispielbasierten Lernens beschränkt sich sofern die Lernenden beim Problemlösen soweit unterstützt
auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten (Renkl werden, dass sie sich nicht mit oberflächlichen und nicht
2014). Man kann z. B. kein versierter Programmierer werden, fachbezogenen Strategien zur Lösung „durchwurschteln“
wenn man nur Programmierbeispiele studiert. Insbesondere, müssen. Werden beispielsweise Lernende beim Bearbeiten
wenn es um die (teilweise) Automatisierung von Fertigkeiten von Aufgaben durch Selbsterklärungs-Prompts dazu auf-
und deren Feinabstimmung geht, sollten Lernende selbst Auf- gefordert, die zugrunde liegenden Prinzipien zu beachten,
Wissenserwerb
17 1
führt dies zu besserem Verständnis (Aleven und Koedinger den Erwerb von noch nicht beherrschten Regeln fördern –
2002). Umso bedauerlicher ist, dass Lehrer ein solches Vor- bis das Lernziel erreicht ist („Mastery“-Prinzip).
gehen typischerweise nicht realisieren (Renkl et al. 2004). . Abb. 1.2 zeigt einen Ausschnitt aus einer
Im folgenden Abschnitt wird auf ein Positivbeispiel einer ­Cognitive-Tutor-Lektion, die ins Deutsche übersetzt wurde.
sinnvollen Implementierung des Lernens durch unter- Darin sind weitere Elemente zu sehen, mit denen Schüler
stütztes Aufgabenbearbeiten eingegangen. Sodann wird unterstützt werden. Im Feld „Übersicht über Lösungs-
das Aufgabenbearbeiten in späteren Stadien des Fertig- weg“ wird bereits eine Subzielstruktur, also ein Wegweiser
keitserwerbs besprochen, in denen weitreichende Unter- für die einzelnen zu erreichenden Schritte vorgegeben.
stützung nicht mehr notwendig ist und es in erster Linie Im Feld „Grund“ wird nach dem zugrunde liegenden
um Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um Feinab- Prinzip eines Lösungsschrittes gefragt; dies stellt somit
stimmung geht. einen prinzipienbasierten Selbsterklärungs-Prompt dar.
Das in . Abb. 1.2 zu sehende Glossar wird nur auf Anfrage
Lernen durch unterstütztes der Lernenden geöffnet. Sie können dort, z. B. wenn sie
Aufgabenbearbeiten bestimmte Prinzipien nicht mehr genau erinnern, nach-
Eine technisch zwar aufwendige, aber durchaus bewährte schlagen und ggf. mit Doppelklick ein Prinzip auswählen,
Möglichkeit, Lernen durch Aufgabenbearbeiten zu unter- das in das Feld „Grund“ eingetragen wird.
stützen, besteht darin, computerbasierte intelligente Zu beachten ist, dass Cognitive Tutors keine
tutorielle Systeme einzusetzen (z. B. Ma et al. 2014; Kulik „Stand-alone“-Anwendungen sind. Die Arbeit mit dem
­
und Fletcher 2016). Das Beispiel der Cognitive Tutors, Cognitive Tutor muss im Unterricht angemessen vor-
die das in der Praxis am weitesten verbreitete intelligente bereitet werden. Ein derartiger Einsatz fördert Problemlöse-
tutorielle System darstellen (ca. 3000 Schulen in den USA; fertigkeiten effektiver als traditioneller Unterricht (Kulik
Koedinger und Aleven 2016), soll hier näher beleuchtet und Fletcher 2016).
werden.
Cognitive Tutors wurden auf der Grundlage der bereits Üben
genannten ACT-Theorie von Anderson (z. B. Anderson Mit 7 Üben sind hier Lernaktivitäten gemeint, die ein-
et al. 2004) konstruiert. Diese Theorie konzipiert – wie setzen, wenn der anfängliche Erwerb von Fertigkeiten
bereits erwähnt – kognitive Fertigkeiten (prozedurales schon erfolgt ist und es um Stärkung, Automatisierung und
Wissen) als eine Menge von Produktionsregeln (sog. ggf. noch um die Feinabstimmung geht. Durch die (teil-
Produktionssystem), die einen Wenn-Teil (Bedingung für weise) Automatisierung können Aufgaben ohne größere
eine Aktion) und einen Dann-Teil (Aktion) beinhalten. mentale Anstrengung (Arbeitsgedächtnisbelastung) und
Diese bilden sozusagen, die Wissenseinheiten, die im schnell erledigt werden. Sie befreien das Arbeitsgedächtnis
Cognitive Tutor betrachtet werden. Auf dieser theoretischen von Routineaufgaben, sodass mehr mentale Kapazitäten
Grundlage wurden Cognitive Tutoren, insbesondere für für das Erreichen anspruchsvoller Lernziele zur Verfügung
verschiedene Bereiche der Mathematik, daneben aber z. B. stehen. Man kann z. B. leichter Wahrscheinlichkeits-
auch für Teilgebiete der Chemie und Biologie, erstellt. rechnung erlernen, wenn man nicht immer wieder mit den
Die Intelligenz dieses Systems besteht vor allem aus zwei Regeln des Bruchrechnens kämpft. Letzteres wäre in Bezug
Mechanismen: auf das eigentliche Lernziel extrinsische Belastung.
5 „model tracing“ und Eine grundlegende Gesetzmäßigkeit besagt zu Übungs-
5 „knowledge tracing“. effekten (z. B. Zuwachs der Geschwindigkeit korrekter
Ausführung), dass sie zu Beginn sehr stark sind und mit
Für das Model Tracing wurde auf der Basis der A
­ CT-Theorie der Zeit immer schwächer werden; die Fertigkeit strebt
ein System von Produktionsregeln erstellt, das korrektes dabei einer Leistungsobergrenze zu. Dies wird im Potenz-
Aufgabenbearbeiten, aber auch typische Fehler beinhaltet. gesetz der Übung („power law of practice“) wieder-
Vor dem Hintergrund dieser „Folie“ können die Aktionen gegeben (Newell und Rosenbloom 1981), das in . Abb. 1.3
der Lernenden bewertet werden, d. h., das System macht schematisch dargestellt wird. Individuelle Lernzuwächse
sich ein Bild, welche Produktionsregeln ein Schüler ver- lassen sich meist gut mit dem Potenzgesetz beschreiben,
wendet. Bei falschen, aber typischen Eingaben kann nicht wenngleich sich im konkreten Falle nicht immer eine so
nur ein Fehler angezeigt werden, sondern es können sogleich „glatte“ Kurve ergibt. Es können sich z. B. vorübergehende
„maßgeschneiderte“ Hilfen gegeben werden. Knowledge Leistungsplateaus bilden, die erst überwunden werden,
Tracing sorgt dafür, dass Wahrscheinlichkeitsschätzungen wenn eine aktuelle Strategie zugunsten eines optimierten
vorgenommen werden, ob ein Lernender eine Produktions- Vorgehens aufgegeben wird.
regel bereits erlernt hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird Effektive Übung zeichnet sich mindestens durch die
bei jedem Aufgabenschritt, bei dem eine Regel relevant folgenden vier Prinzipien aus:
wäre, aktualisiert. Damit kann den Lernenden ihr aktueller 5 Überlernen,
Wissensstand und Lernfortschrift mit sog. „skill bars“ rück- 5 verteilte Übung,
gemeldet werden. Noch bedeutsamer ist, dass das System 5 Übung im Kontext des „Ganzen“,
den Lernenden (zusätzliche) Aufgaben vorgeben kann, die 5 reflektierte Übung.
18 A. Renkl

. Abb. 1.2 Screenshot aus einer deutschen Version einer Cognitive-Tutor-Lektion zur Kreisgeometrie. (Bildrechte: Carnegie Learning, Inc.)

35 nicht unter das gewünschte Niveau fällt (z. B. Driskell et al.


30 1992). Allerdings gibt es auch Befunde, die den Nutzen
Fertigkeitsniveau

25 von Überlernen nicht belegen können (Rohrer und Taylor


20 2006; 7 Kap. 4). Zu beachten ist dabei, dass auch aus dem
15 Potenzgesetz der Übung vorhergesagt werden kann, dass
10
ein zu langes Einüben keine substanziellen Effekte mehr
5 hat.
0
1 2 3 4 5 6 Verteilte Übung Diese Alternative bezieht sich auf die
Übungseinheiten Frage, ob man eher in größeren Zeitblöcken (massierte
Übung, z. B. 2 h Klavier einmal in der Woche) oder
kleineren Einheiten (verteilte Übung, z. B. 4-mal eine
. Abb. 1.3 Schematische Darstellung des Potenzgesetzes der Übung
halbe Stunde Klavier in der Woche) üben soll. Vergleicht
man bei konstanter Gesamtübungszeit den Lernerfolg bei
wenigen größeren Blöcken mit demjenigen bei mehreren
Überlernen Das Üben sollte nicht eingestellt werden, kleineren Einheiten, erweist sich verteilte Übung als
wenn die Lernenden das erwünschte Niveau erreicht effektiver (Rohrer und Taylor 2006). Auch hier gilt natür-
haben. Wird nicht mehr geübt, fällt das Fertigkeitsniveau lich, dass ein zu „kleinteiliges“ Üben wiederum abträglich
natürlich wieder ab. Soll ein bestimmtes Niveau mittel- werden kann.
fristig sichergestellt werden, muss über das „Ziel“ hinaus
geübt, also überlernt werden. Nur in diesem Fall kann Übung im Kontext des „Ganzen“ Es ist eingeschränkt
erwartet werden, dass die Leistung auch nach einiger Zeit sinnvoll, einzelne Teilfertigkeiten einzuüben, die für die
Wissenserwerb
19 1
Lernenden keinen Sinn ergeben. Dies kann nicht nur Erhöhung der Lernmotivation, Förderung von Wissens-
massive motivationale Probleme, sondern auch Ver- erwerbsstrategien (Lernen lernen) und Metakognition
ständnisschwierigkeiten bewirken. Insofern ist es wichtig, sowie der Erwerb fachspezifischer wissenschaftlicher Vor-
dass Lernende ein Bild der Gesamtaufgabe bzw. des gehensweisen, wie etwa sinnvolles Experimentieren in
Gesamtvorgehens haben. Ist dies vorhanden, ist es sinn- der Physik (Tamir 1996; van Joolingen et al. 2007). Auch
voll, einzelne Teilabläufe, wenn diese z. B. besondere epistemologische Überzeugungen (7 Abschn. 1.1) können
Schwierigkeiten bereiten, separat und damit gezielt zu durch den Nachvollzug des Erkenntnisprozesses in einem
üben (z. B. van Merriënboer und Kester 2005). Fachgebiet ausdifferenziert werden (Kuhn 2005).
Lernen durch Erkunden wird oftmals „rezeptivem“
Reflektierte Übung Pures Einüben, das ein Bewältigen Lernen gegenübergestellt, bei dem die wichtigsten
von Routineaufgaben sicherstellt, kann den Nach- Informationen den Lernenden präsentiert werden
teil haben, dass die konzeptuellen Grundlagen ver- (bemerke: hier wird Information insofern anders ver-
gessen werden. Selbst wenn z. B. ein Schüler nach einer standen als in 7 Abschn. 1.2.2, als Daten und Information
Erklärung im Unterricht die Logik der schriftlichen Sub- nicht differenziert werden). Die klassische Bezeichnung für
traktion verstanden hat, vergisst er sie wahrscheinlich diese Lernart ist 7 entdeckendes Lernen (Bruner 1961).
wieder, wenn es später nur noch um das Einüben geht. Allerdings wurde dieses „Label“ inzwischen für vergleichs-
Idealiter sollten Schüler zwar Algorithmen korrekt und weise unterschiedliche Lehr-Lern-Arrangements ver-
schnell, d. h. ohne großes Nachdenken, ausführen, sich wendet (vom Hofe 2001). Zugleich gibt es eine Reihe von
aber zugleich bei besonderen Fällen, bei denen das Vor- ­Lehr-Lern-Konzeptionen, die schwierig vom entdeckenden
gehen modifiziert werden muss, wieder die dahinter Lernen abzugrenzen sind, so etwa projektorientiertes
liegende Logik bewusst machen können. Insofern ist es Lernen, problembasiertes Lernen oder erforschendes
sinnvoll, beim Einüben von Vorgehensweisen immer Lernen (siehe Loyens und Rikers 2017). Weitgehender
wieder auf die zugrunde liegenden Prinzipien einzu- Konsens herrscht zwischen den Vertretern dieser Ansätze
gehen. Neben Phasen des reinen Einübens sollten also jedoch bezüglich der Überzeugung, dass ein direktes Ver-
Elemente reflektierter Übung („deliberate practice“) mitteln („rezeptives Lernen“) bei den Lernenden in sehr
eingesetzt werden (Ericsson et al. 1993). Diese Art der vielen Fällen nur zu oberflächlichem Wissen führt und es
Übung ist auch dann von besonderer Bedeutung, wenn deshalb besser ist, die Lernenden die zentralen Konzepte
die Lernenden bewusst auf Verbesserung, auf Feinab- und Prinzipien selbst generieren zu lassen (7 Exkurs
stimmung abzielen. Suboptimalitäten im Violinspiel „Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen“). In diesem
werden meist nicht dadurch, dass man die holprigen Kapitel wurde für die genannte Gruppe verwandter Lern-
Stellen einfach immer wieder spielt („übt“) ausgemerzt, arten der Begriff Lernen durch Erkunden gewählt.
sondern dadurch, dass man gezielt und reflektiert an den Es gilt inzwischen als unstrittig, dass unangeleitetes
Schwachstellen arbeitet. Erkunden kein effektives Lernen bewirkt (Mayer 2004;
Zusammenfassend kann man festhalten, dass Lernen Alfieri et al. 2011). Auch Vertreter von ­ Lehr-Lern-
durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eine effektive Konzeptionen, die dem Erkunden große Bedeutung bei-
Methode sein kann, Verstehen und prozedurales Wissen messen, sprechen der Strukturierung des Lernens, also der
zu fördern. Lernen durch Aufgabenbearbeiten ist sogar Unterstützung der Lernenden, maßgebliche Bedeutung
unabdingbar, wenn es um die Ziele der Stärkung und zu (z. B. Hmelo-Silver et al. 2007). Welche Probleme beim
Automatisierung geht. Für die Feinabstimmung sollte die entdeckenden Lernen auftreten können, wenn dieses nicht
Übung in reflektierter Weise erfolgen. unterstützt wird, analysierten de Jong und van Joolingen
(1998) für den Fall des Erkundens computerbasierter
Simulationen. Bei freier Exploration formulieren Lernende
1.3.4  Lernen durch Erkunden oft keine Hypothesen oder sie können diese, wenn sie
welche aufstellen, nicht adäquat überprüfen; zudem bereitet
Dieser Abschnitt befasst sich mit Lernformen, in denen das es ihnen Probleme, Evidenzen stringent auf Hypothesen
Erkunden von Gegenstandsbereichen in den Mittelpunkt zu beziehen und Experimentserien so aufzustellen, dass
gestellt wird (z. B. entdeckendes Lernen, erforschendes systematisch Wissen über den relevanten Inhaltsbereich
Lernen; Loyens und Rikers 2017). Die Lernenden haben gewonnen werden kann. Um effektiv zu lernen, muss Unter-
dabei die Aufgabe, sich die zentralen Konzepte und stützung gegeben werden, sodass sinnvolle Hypothesen auf-
Prinzipien selbst zu generieren (7 Abschn. 1.2.2). Damit soll gestellt werden, diese angemessen überprüft werden etc. Vor
erreicht werden, dass das „neue“ Wissen gut in der Wissens- dem Hintergrund der Bedeutung der Unterstützung beim
basis der Lernenden verankert ist. Zudem können z. B. beim entdeckenden bzw. erkundenden Lernen wird inzwischen
erkundenden Experimentieren den Schülern eigene Fehl- meist eine Konzeption des „Lernens durch gelenktes
vorstellungen und deren Defizite bewusst werden. Darüber Erkunden“ vertreten (vgl. de Jong 2005: „guided discovery
hinaus werden vielfach noch weitere Ziele verfolgt, etwa die principle“).
20 A. Renkl

Exkurs
1
Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen
Vielfach werden erkundendes Lernen eingebaut sind. Andererseits sollte die Nach Koedinger und Aleven (2007)
und rezeptives Lernen dichotom Diskussion des Lernens aus Texten – einer ist es für effektives Lernen zentral, auf
gegenübergestellt. Dabei dürfte es sich prototypisch rezeptiven Lernart – gezeigt der Dimension Informationsvorgabe
hierbei eher um ein Kontinuum handeln, haben (7 Abschn. 1.3.1), dass die alleinige versus Informationszurückhaltung
bei dem eine Reinform die absolute Verarbeitung der direkt vorgegebenen (Generierungsanforderung) die
Ausnahme ist. Beispielsweise kann es Propositionen nur ganz oberflächlichem richtige Mixtur zu finden („assistance
beim erforschenden Lernen vorkommen, Lernen entspricht. Wenn Lernende dilemma“) (7 Kap. 2, letzter Abschnitt).
dass die Lernenden im Internet oder in substanziell etwas aus Texten gelernt Die Vertreter erkundenden Lernens
Hilfesystemen von computerbasierten haben, so haben sie sich eine situationale setzen dabei das Optimum eher
Simulationen etwas nachlesen und damit Repräsentation erarbeitet und vielfach auf der Seite der Informations-
„rezeptive“ Phasen des Lernens quasi Wissenselemente generiert. zurückhaltung an.

1.3.5  Lernen durch Gruppenarbeit während einer Kooperation auftreten können, entstehen


(z. B. Doise 1990). Diese können eine Umstrukturierung
Lernen durch Gruppenarbeit – auch 7 kooperatives von Wissensstrukturen initiieren, wenn der kognitive
Lernen oder kollaboratives Lernen genannt – bezeichnet Konflikt produktiv aufgelöst werden kann.
die Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen, um Aus Neo-Vygotsky’scher Perspektive (Vygotsky 1978)
Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht (alleine) ist Gruppenarbeit dann erfolgreich, wenn durch die
die Qualität eines „Produktes“ oder einer Problemlösung Zusammenarbeit ein Agieren (z. B. Problemlösen oder
im Vordergrund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im Argumentieren) auf höherem Niveau gelingt, als dies den
Arbeitskontext, sondern das Lernen eines jeden einzelnen Lernenden alleine möglich wäre. Die Lernenden bewegen
Gruppenmitglieds. Gruppenarbeit erfolgt in diesem Kontext sich dann in der Zone der nächsthöheren Entwicklung, die
also im Dienste des Lernens. dann allmählich zur Zone der aktuellen Entwicklung wird
Der Einsatz von Gruppenarbeit wird vor allem damit (d. h. die Lernenden können dann auch alleine auf diesem
begründet, dass man eine aktivere Verarbeitung des Lern- Niveau agieren).
stoffes induzieren will, als dies typischerweise bei rezeptiven Die Perspektive der kognitiven Elaboration und Meta-
Lernformen der Fall ist. Es wird Raum gegeben, dass die kognition (vgl. Perspektive der aktiven Informationsver-
Lernenden neue Inhalte mit ihrem Vorwissen und ihrer arbeitung) sieht kooperative Lernformen dann als effektiv
subjektiven Erfahrungswelt in Verbindung bringen können. an, wenn kognitive und metakognitive Lernaktivitäten aus-
Im Schulkontext werden mit Gruppenarbeiten zudem viel- gelöst werden. Die soziale Situation kann eine aktive Aus-
fach Ziele verfolgt, die jenseits des Wissenserwerbs liegen, einandersetzung mit dem Lerngegenstand anregen, da
wie etwa die Stärkung des Selbstkonzepts, der Erwerb sie es gewissermaßen erzwingt, die eigene Sichtweise zu
sozialer Fertigkeiten oder die Integration von Minderheiten explizieren und zu rechtfertigen (Brown und Palincsar
(z. B. Aronson et al. 1978). Dieser Abschnitt konzentriert 1989). In etlichen kooperativen Arrangements geben sich
sich auf den Wissenserwerb. die Lernenden gegenseitig Erklärungen (Renkl 1997b).
Gruppenarbeit per se – etwa in dem Sinne „Schüler halt Dazu müssen sie ihr Wissen organisieren oder sogar
mal Aufgaben nicht alleine, sondern in der Kleingruppe reorganisieren, und es kann notwendig werden, bislang nicht
bearbeiten lassen“ – ist nicht unbedingt effektiv. Es kommt verbundene Wissensteile zu integrieren. Zudem können
vor allem auf eine lernzielangemessene Aufgabe an, bei der beim Erklären Verständnislücken sowie Inkonsistenzen im
die Gruppe einen echten Mehrwert hat (z. B. Einbringen eigenen Wissen auffallen (metakognitive Funktion).
unterschiedlicher Perspektiven). Wenn Gruppenarbeit Nach der Perspektive des argumentativen Dis-
angemessen implementiert wird, kann sie aber sehr effektiv kurses (Fischer 2002) kann Gruppenarbeit zum Erwerb
sein (Renkl 2008a). Es wurden inzwischen zahlreiche differenzierten Wissens führen, wenn die Lernpartner nach
empirisch bewährte Ablaufskripte zur Gruppenarbeit ent- Evidenz und Gegenevidenz für die im Raum stehenden
wickelt, die bei einer angemessenen Implementation helfen Behauptungen suchen, diese Behauptungen hinsichtlich der
(zu einer Skriptsammlung s. Renkl 2015b; zu Skripts für positiven und negativen Evidenz gewichten und die eigenen
computerunterstütztes Lernen siehe Vogel et al. 2017). Sichtweisen entsprechend ausdifferenzieren (Derry 1999).
Aus kognitiver Perspektive können für erfolgreiches Zudem wird in einigen Ansätzen die Vermittlung von
Lernen in Gruppen folgende wichtige Faktoren verantwort- Argumentationsfertigkeiten angestrebt.
lich gemacht werden, die jeweils einer theoretischen Die unterschiedlichen Sichtweisen zum kooperativen
Perspektive entsprechen: Lernen widersprechen sich im Übrigen nicht. Alle
Soziokognitive Konflikte (Neo-Piaget’sche Perspektive) genannten Prozesse können bei der Gruppenarbeit
können durch sich widersprechende Sichtweisen, die produktive Lernprozesse auslösen.
Wissenserwerb
21 1
einfach: 12“. Wie könnte man diese Antwort aus der
Fazit Sicht der Textverstehensforschung interpretieren?
In diesem Beitrag wurde Wissenserwerb insbesondere 3. Stellen Sie sich zwei fortgeschrittene Gitarrenschüler
in Hinblick darauf diskutiert, welche Prozesse zum vor. Schüler A hat bereits eine Gesamtübungszeit
Aufbau von Wissensstrukturen führen. Es dürfte von 6 h in ein schwieriges Jazz-Stück investiert,
deutlich geworden sein, dass diese Prozesse nicht Schüler B erst 3 h. Wenn beide 2 zusätzliche
immer und von allen Lernenden in optimaler Weise Übungsstunden investieren, wer macht dann aller
gezeigt werden. Dazu müssten diese als wichtigste Wahrscheinlichkeit nach die größeren Fortschritte
Voraussetzung ausreichendes Vorwissen haben (z. B. in dem Sinne, wie viele Takte nun durchgespielt
(7 Kap. 2), über geeignete Lernstrategien verfügen, werden können, bevor wieder ein „Stolperer“
Selbststeuerungskompetenzen aufweisen, um den passiert)? Warum?
Lernstrategieeinsatz zu koordinieren (7 Kap. 3), und sie 4. Was spricht dafür, Schüler nach der Einführung
müssten schließlich ausreichend motiviert sein, um die eines Prinzips, z. B. eines Satzes in der Mathematik,
kognitive Anstrengung der aktiven Auseinandersetzung mehrere Beispiele zur Anwendung dieses Prinzips
mit dem Lernstoff auf sich zu nehmen (7 Kap. 7). Immer studieren zu lassen, statt ihnen Aufgaben zum
wenn diese (und ggf. weitere) Voraussetzungen nicht in Bearbeiten vorzugeben?
hinreichendem Maße erfüllt sind – was eher die Regel 5. Warum ist es nicht sinnvoll, traditionelle
als die Ausnahme ist –, kommt dem Unterricht bzw. Unterrichtsformen, wie etwa eine Vorlesung an
dem instruktionalen Design von Lernumgebungen der Universität, mit passiv-rezeptivem Lernen
besondere Bedeutung zu (7 Kap. 4). Wenn, um ein gleichzusetzen?
bereits genanntes Beispiel nochmals aufzugreifen,
Lernende spontan keine Selbsterklärungen zeigen, so Vertiefende Literatur
sollte das Instruktionsdesign „Prompts“ im Lernmaterial 5 National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine.
vorsehen, die sie dazu auffordern; oder der Lehrer sollte (2018). How people learn II: Learners, contexts, and cultures.
Washington, DC: The National Academies Press.
im Unterricht Selbsterklärungen trainieren. Unterricht
5 Mayer, R. E., & Alexander, P. A. (Hrsg.). (2017). Handbook of research
und Instruktionsdesign haben also die Aufgabe, die on learning and instruction (2. Aufl.). New York: Routledge.
lernrelevanten Prozesse zu trainieren und auszulösen,
die von den Lernenden spontan nicht gezeigt werden
(können). Das Wissen, das Sie aus diesem Kapitel Literatur
(hoffentlich) konstruieren konnten, bietet Ihnen
eine gute Grundlage, Lehr-Lern-Arrangements und Aamodt, A., & Nygård, M. (1995). Different roles and mutual
Unterrichtsstile in einem ersten Schritt auf theoretischer dependencies of data, information, and knowledge – An AI
Ebene zu beurteilen: Beinhalten sie Elemente, die perspective on their integration. Data & Knowledge Engineering,
wichtige kognitive Lernprozesse fördern und die 16, 191–222.
Ainsworth, S. E., & Loizou, A. T. (2003). The effects of self-explaining when
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strategy: Learning by doing and explaining with a
­computer-based Cognitive Tutor. Cognitive Science, 26, 147–179.
? Verständnisfragen Alexander, P. A. (1997). Mapping the multidimensional nature of
domain learning: The interplay of cognitive, motivational, and
1. In der öffentlichen Diskussion zum Lernen kann
strategic forces. Advances in Motivation and Achievement, 10,
man im Internet zahlreiche Diskussionsbeiträge 213–250.
finden. Ein typischer Beitrag lautet in etwa wie folgt: Alexander, P. A., Schallert, D. L., & Hare, V. C. (1991). Coming to terms:
„Konstruktivismus bedeutet aktives Lernen. Dies How researchers in learning and literacy talk about knowledge.
kann z. B. über das Anfertigen von Zeichnungen Review of Educational Research, 61, 315–343.
Alfieri, L., Brooks, P. J., Aldrich, N. J., & Tenenbaum, H. R. (2011). Does
oder aktives Diskutieren erfolgen. Wenn man etwas
discovery-based instruction enhance learning? The Journal of
durch selbstständiges Erarbeiten lernt, ist es viel Educational Psychology, 103, 1–18.
tiefer im Gedächtnis verankert als etwas, was einem Anderson, J. R., Bothell, D., Byrne, M. D., Douglass, S., Lebiere, C., & Qin,
eine Lehrkraft erklärt hat.“ – Welcher grundlegenden Y. (2004). An integrated theory of the mind. Psychological Review,
Perspektive des Wissenserwerbs entspricht so ein 111, 1036–1060.
Aronson, E., Blaney, N., Sikes, J., Stephan, G., & Snapp, M. (1978). The
Statement?
jigsaw classroom. Beverly Hills: Sage.
2. Stellen Sie sich vor, ein Schüler der 5. Klasse Atkinson, R. K., Renkl, A., & Merrill, M. M. (2003). Transitioning from
bearbeitet die folgende Textaufgabe: „Michael studying examples to solving problems: Combining fading with
hat eine Sammlung von Seilen mit einem Meter prompting fosters learning. Journal of Educational Psychology, 95,
Länge. Er hätte gerne ein zwölf Meter langes Seil. 774–783.
Baddeley, A. (2007). Working memory, thought, and action. New York:
Wie viele Seile mit einem Meter Länge muss er
Oxford University Press.
aneinanderknoten, um ein 12 Meter langes Seil zu Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: A social
bekommen?“ Die Antwort kommt schnell: „Ist ja cognitive. Englewood Cliffs: Prentice Hall.
22 A. Renkl

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25 2

Intelligenz und Vorwissen


Hans Gruber und Eleni Stamouli

2.1  Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische


Überzeugungen – 26
2.2  Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien – 28
2.2.1  Grundlegendes zur Intelligenzforschung – 29
2.2.2  Grundlegendes zur Wissenspsychologie – 32

2.3  Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand


der Pädagogischen Psychologie – 35
2.3.1  Intelligentes Wissen – Franz Weinerts Sicht auf das Zusammenspiel
von Intelligenz und Wissen – 36
2.3.2  Ability Determinants of Skilled Performance – Philip Ackermans
Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen – 36
2.3.3  Triarchische Theorie der Intelligenz und praktische Intelligenz –
Robert Sternbergs Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz
und Wissen – 37

2.4  Messung von Intelligenz und Wissen – 38


2.4.1  Messung von Intelligenz mit psychometrischer Tradition – 38
2.4.2  Messung von praktischer Intelligenz – 39
2.4.3  Messung von Wissen – 39

2.5  Intelligenter Wissenserwerb im Studium – Auch eine


Frage der epistemologischen Überzeugungen von
Dozierenden? – 40
Literatur – 42

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_2
26 H. Gruber und E. Stamouli

Thema dieses Kapitels ist das Zusammenspiel von Intelligenz so? Weil diese Menschen ein anderes Fach studieren?
und Wissen. Beide Begriffe spielen in der Pädagogischen Weil sie mehr wissen? Weil sie älter sind? Weil sie von
Psychologie eine wichtige Rolle – dennoch werden sie einem anderen Teil der Erde kommen? Weil sie andere
2 unglücklicherweise in der Forschung oft voneinander
getrennt betrachtet. Der Grund hierfür sind unterschied-
Erfahrungen gemacht haben? Weil sie weniger intelligent
sind?
liche wissenschaftstheoretische Perspektiven und die wissen- Wenn Sie sich mit diesen Fragen gründlich auseinander-
schaftsgeschichtlichen Entwicklungen. Die wichtigsten gesetzt haben, sind Sie schon weiter als die meisten Ihrer
Forschungsrichtungen werden wir in 7 Abschn. 2.2 vor- Mitmenschen – Sie haben schon eine Ahnung, dass die
stellen, um die Grundlagen für das Verständnis der Ideen Vorstellungen von Menschen über die Natur von 7 Wissen
einiger moderner Forscher zu legen, die sich um die (man nennt solche Vorstellungen epistemologische Über-
Erklärung des Zusammenspiels von Intelligenz und Wissen zeugungen; Schommer 1990) sehr unterschiedlich sein
bemüht haben (7 Abschn. 2.3). Verfahren zur Messung können. Sie hängen eng damit zusammen, wie man neuem
von Intelligenz und Wissen (7 Abschn. 2.4) nehmen im Wissen begegnet, aber auch damit, wie man sich den
Studium der Pädagogischen Psychologie einen wichtigen Zusammenhang von 7 Intelligenz und Wissen vorstellt.
Platz ein. Anschließend wird dargestellt, wie intelligenter Diese subjektiven Vorstellungen über die Objektivität, die
Wissenserwerb im Studium aussehen kann (7 Abschn. 2.5) Richtigkeit oder die Aussagekraft von Wissen beeinflussen
(. Abb. 2.1). Informationsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation
und Lernleistung. Sie spielen sowohl im Alltagsleben als
auch in Studium und Beruf eine wichtige Rolle. Menschen
mit ausgefeilteren epistemologischen Überzeugungen
gehen überlegter an den Erwerb und die Nutzung ihres
Wissens heran, sie schöpfen das Potenzial besser aus, das
Lerngelegenheiten bietet, und sie beteiligen sich aktiver
am eigenen Lernprozess (7 Kap. 1). Kurzum: Sie gehen
intelligenter mit ihrem Wissen um.

Definition
Unter epistemologischen Überzeugungen
(„epistemological beliefs“) werden die Annahmen
einer Person über die Natur des Wissens verstanden.
Epistemologische Überzeugungen bezeichnen also
subjektive Vorstellungen über die Objektivität, die
Richtigkeit, die Aussagekraft oder die Herkunft von
. Abb. 2.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Wissen.

2.1  Eine geheimnisvolle, aber Um die Sache vollends kompliziert zu machen, aber auch,
wichtige Sache: epistemologische um Sie zur vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten
Überzeugungen des Kapitels anzuregen, bringen wir zum Schluss noch
den Gedanken ins Spiel, dass natürlich auch Lehrende
Befragen Sie sich einmal selbst! Wie sehr können Sie den epistemologische Überzeugungen besitzen. Lehrende
folgenden Aussagen zustimmen? Geben Sie Ihre Antwort können großen Einfluss darauf nehmen, wie sie das Lernen
auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft ihrer Studierenden in Gang setzen wollen – überlegen
voll und ganz zu). Sie selbst, ob die epistemologischen Überzeugungen von
5 „Einige Personen können von Natur aus gut lernen, Studierenden und ihren Dozierenden immer (oder auch
andere haben damit Schwierigkeiten.“ nur manchmal) Hand in Hand gehen!
5 „Genialität hat mehr mit harter Arbeit als mit
Intelligenz zu tun.“ z Über die Relevanz epistemologischer Überzeugungen
5 „Wenn Wissen einmal erworben ist, bleibt es unver- im schulischen Kontext
ändert.“ Die ersten Forschungsergebnisse zu epistemologischen
5 „Es gibt unumstößliche Wahrheiten.“ Überzeugungen entstanden Mitte der 1950er-Jahre.
5 „Menschen lernen auf der ganzen Welt gleich.“ Seitdem gewannen epistemologische Überzeugungen
5 „Wer sein Wissen nicht zeigt, weiß auch nichts.“ im Kontext von Wissenserwerb und -vermittlung in
der psychologischen und pädagogischen Forschung
Können Sie sich vorstellen, dass andere Menschen diese an Bedeutung, vor allem im Bereich der Unterrichts-
Fragen ganz anders beantworten als Sie? Weshalb ist dies forschung und Lehrerprofessionalisierung.
Intelligenz und Vorwissen
27 2
Köller, Baumert und Neubrand definieren sind. Auf dieser Grundlage formulierte Piagets Schüler
epistemologische Überzeugungen als Vorstellungen, Perry (1970) den ersten großen Forschungsansatz über
„die Personen über das Wissen und den Wissenserwerb epistemologische Überzeugungen. Die in der Folgezeit
generell oder in spezifischen Domänen entwickeln“ (Köller entstandenen Konzeptionen über epistemologische Über-
et al. 2000, S. 230). Diese Definition verdeutlicht, dass zeugungen wurden durch Perrys Arbeit inspiriert, sei es,
epistemologische Überzeugungen zunächst unabhängig dass sie seine Auffassung weiter entwickelten, sei es, dass
von den Inhalten sind und allgemein in einzelnen Wissen- sie sich kritisch von ihm absetzten. Der von Perry erhobene
schaftsdisziplinen gebildet werden können. allgemeine Gültigkeitsanspruch wurde infrage gestellt;
Hinter dem Konzept der epistemologischen Über- dies führte zu einer konstruktiven Fortentwicklung der
zeugung steht die Vorstellung, dass jede Person Annahmen theoretischen Grundlagen zu epistemologischen Über-
über das Verhalten anderer entwickelt – was diese wahr- zeugungen. Im Folgenden wird zunächst der Ansatz von
nehmen, denken, fühlen und warum und mit welchen Perry umrissen, der anschließend mit einem neueren
Konsequenzen sie es tun (Dann 1994). Im Gegensatz Zugang von Schommer (1990) kontrastiert wird.
zu subjektiven Theorien, die eher allgemeine Über-
zeugungssysteme erfassen, betreffen epistemologische z z Perrys Modell der intellektuellen und ethischen
Überzeugungen die Vorstellung des Menschen über die Entwicklung
Struktur des Wissens und Lernens, beispielsweise über Der amerikanische Psychologe Perry war ursprüng-
die Veränderbarkeit von Intelligenz. Es ist also nicht nur lich an Fragen von Autoritätshörigkeit und Persönlich-
das Wissen, das epistemologische Überzeugungen aus- keit interessiert. Dies umschloss auch das Phänomen,
macht, sondern auch der Umgang damit (Kuhn et al. 2000; dass das, was Autoritäten sagen, als richtig anerkannt
7 Abschn. 1.1). und als gültiges Wissen deklariert wird. Perry (1970)
Die subjektiven Lernkonzepte lassen sich von den meinte, die Entwicklung von epistemologischen Über-
epistemologischen Überzeugungen insofern abgrenzen, zeugungen hänge weniger von allgemeinen Persönlich-
als sie eine Spezifizierung auf das Lernen vornehmen keitsmerkmalen ab als vielmehr von der Ausprägung
und sich nicht allgemein auf das Wissen beziehen. Zwar intraindividueller kognitiver Prozesse. Zur Überprüfung
können epistemologische Überzeugungen Konzepte über seiner Überlegungen entwickelte er die „Checklist of
das eigene Lernen mit einbeziehen, beschränken sich aber Educational Values“ (CLEV), die in Untersuchungen bei
nicht darauf, sondern berücksichtigen einen umfang- amerikanischen College-Studierenden eingesetzt wurde.
reichen Rahmen von Einflussfaktoren. Eine Vielzahl von Spätere Instrumente zur Erhebung epistemologischer
Faktoren kann im schulischen Kontext exemplarisch genannt Überzeugungen bauen zum Teil auf der CLEV auf. Mit
werden: der Einfluss individueller Überzeugungen von ausgewählten Versuchspersonen führte Perry (1970) nach
Lehrenden auf das Verständnis von Lehr-Lern-Prozessen, der Bearbeitung der CLEV ausführliche Interviews durch.
die Wahrnehmung von und der Umgang mit Differenzen Basierend auf diesen Daten nahm er in seinem Stufen-
von Kindern und Jugendlichen oder wie ihre individuellen modell an, dass der Mensch stetig neue qualitative Vor-
Überzeugungen die Bewertung von Leistungen beein- stellungen von der Organisation des Wissens entwickelt.
flussen. Zahlreiche empirische Studien lassen auf einen Er formulierte ein Entwicklungsschema, in dem neun
Zusammenhang zwischen den epistemologischen Über- Elemente in vier Kategorien zusammengefasst sind.
zeugungen der Lehrenden und ihrem pädagogischen
Handeln schließen (Hofer 2001). Das Lehrerhandeln beein-
flusst wiederum die epistemologischen Überzeugungen zu Epistemologische Kategorien nach Perry
Wissen bei den Lernenden (Buelens et al. 2002; Hofer 2004) 5 Dualism: Es wird von einer absoluten Wahrheit
und wirkt somit auf die Wahl der Lernstrategien (Köller et al. ausgegangen, Dinge gelten als entweder richtig oder
2000), den Lernerfolg (Urhahne und Hopf 2004) und die falsch, gut oder schlecht (Schwarz-Weiß-Position).
Motivation (Urhahne 2006). 5 Multiplicity: Es wird von drei möglichen Kategorien
Als Rüstzeug für diese Überlegungen präsentieren wir ausgegangen: richtig, falsch oder noch nicht
nun einen Überblick über die wichtigsten Arbeiten zum bekannt. Unsicherheiten werden akzeptiert, aber es
Konzept der epistemologischen Überzeugungen (für aus- wird angenommen, dass sich diese Unsicherheiten
führliche und sehr lesenswerte Darstellungen s. Hofer und im Prinzip in Zukunft auflösen lassen.
Pintrich 1997, 2002). Zu dieser Forschung stand Piaget 5 Contextual Relativism: Wissen wird als relativ und
Pate, der sich bereits seit Anfang der 1920er-Jahre mit der kontextbezogen angesehen. Es wird anerkannt,
Entwicklung von Erkenntnisstrukturen beschäftigt hatte dass nur Weniges eindeutig richtig oder falsch
(Piaget 1936). Sein genetisches Modell der intellektuellen ist, und dass die Aneignung von Wissen ein
Entwicklung sieht eine ständige kognitive Höherent- aktiv-konstruktiver Prozess ist.
wicklung im Kindesalter vor. Piaget ging von einer Auf- 5 Commitment within Relativism: Es wird
einanderfolge von Entwicklungsstufen aus, die jeweils Verantwortung für die eigene Konstruktion
durch eine spezifische Denkstruktur gekennzeichnet von Wissensaneignungs- und Lernprozessen
28 H. Gruber und E. Stamouli

Sicht ist dies einleuchtend, denn im Gegensatz zu Reifungs-


übernommen, die individuelle Annahme der und Entwicklungsprozessen, wie sie bei Perry angenommen
Richtigkeit oder Wichtigkeit von Wissen wird werden, kann die Veränderung dieser Facetten gelernt, geübt
moralisch-ethisch begründet.
2 und verbessert werden.
Die hier angesprochene generelle Frage nach den Spiel-
räumen für Veränderung durch Erziehung (Gruber et al.
Perry (1970) nahm an, dass ein Übergang zu einer 2014) ist vielschichtig. Die Anlage-Umwelt-Debatte findet,
höheren Kategorie durch ein kognitives Ungleichgewicht soweit es um die Förderung komplexer intellektueller
als Reaktion auf Umwelteinflüsse ausgelöst wird. Er Fähigkeiten geht, vor allem zwischen der ­ (Hoch-)
postulierte eine fortlaufende Höherentwicklung hin zu Begabungsforschung und der Expertiseforschung statt
reiferen epistemologischen Überzeugungen. Ausgehend als zwei unterschiedlichen, aber doch eng aufeinander
von der Annahme absoluter Wahrheiten gelange der bezogenen Forschungstraditionen in der Pädagogischen
Mensch über die Akzeptanz vielfältiger Vorstellungen hin Psychologie. Beide verbindet das Interesse an der
zu der Konzeption einer kontextabhängigen Wahrheit, die Beschreibung, Erklärung und Förderung hervorragender
in relativen Wissensbegriffen und schließlich in der Ver- menschlicher Leistung in komplexen, anspruchsvollen
antwortungsübernahme für diese relative Position mündet. Bereichen (Gruber 2007). Die Begabungsforschung ist vor
allem an grundlegenden, oft angeborenen Fähigkeiten –
z z Schommers Modell unabhängiger Dimensionen etwa der Intelligenz – interessiert, die schon im Kindes-
Schommer (1990) entwickelte einen völlig neuartigen und Jugendalter beobachtbar sind. Dagegen beschäftigt sich
Ansatz zur Analyse epistemologischer Überzeugungen, der die Expertiseforschung vorrangig mit fortgeschrittenen
sich von der Vorstellung einer klaren Abgrenzung in ver- Leistungen Erwachsener in beruflichen oder künstlerischen
schiedene Entwicklungsphasen löste. Sie entwarf ein System Domänen. Entsprechend wird Lern- und Übungsprozessen
von fünf relativ unabhängigen Dimensionen, die sie mit- sowie dem Aufbau einer umfangreichen, gut organisierten
hilfe eines Fragebogens („Epistemological Questionnaire“) Wissensbasis die größte Aufmerksamkeit geschenkt.
untersuchte. Die Dimensionen dieses Fragebogens sind mit Zwar wird in diesem Kapitel die Anlage-Umwelt-­
Beispielitems im folgenden Kasten aufgeführt. Diskussion nicht explizit aufgegriffen, aber das Zusammenspiel
beider Aspekte in der Beschreibung und Förderung von Lern-
prozessen, das mit dem Begriff des „Dreiecks von Begabung,
Epistemologische Dimensionen nach Schommer Wissen und Lernen“ (Waldmann et al. 2003) gekennzeichnet
5 Quick Learning: Lernen erfolgt schnell oder werden kann, spielt in 7 Abschn. 2.3 eine große Rolle.
schrittweise.
Beispielitem: „Ein schwieriges Kapitel immer und
immer wieder zu lesen, hilft wenig, es zu verstehen.“ 2.2  Grundlegendes: Intelligenztheorien,
5 Fixed Ability: Lernfähigkeit ist angeboren oder Wissenstheorien
veränderbar.
Beispielitem: „Unterschiede in der Lernfähigkeit sind Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl
angeboren.“ den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligenter
5 Simple Knowledge: Wissen besteht aus isolierten, Problemlöseverfahren. Intelligenz und Wissen sind
einfachen Fakten oder aus einem komplexen, methodisch voneinander zu trennen, aber inhaltlich aufs
vernetzten System. Engste verbunden. Da in der Psychologie die beiden
Beispielitem: „Die meisten Wörter haben eine klare Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungs-
Bedeutung.“ traditionen sind, wurden sie dennoch separat voneinander
5 Certain Knowledge: Wissen ist sicher oder unsicher. analysiert; die empirischen Designs sahen es sogar oft
Beispielitem: „Wahrheit ändert sich nicht.“ vor, dass man den Einfluss des jeweils anderen Konstrukts
5 Source of Knowledge: Wissen wird von Autoritäten als Störung auffasste und auszuschalten oder zumindest
vermittelt oder selbst aktiv konstruiert. zu kontrollieren versuchte. So wird in wissenspsycho-
Beispielitem: „Bei schwierigen Entscheidungen logischen Arbeiten oft auf die Verwendung innovativer oder
würde ich es am liebsten haben, wenn jemand mir schlecht definierter Aufgaben verzichtet, in der Intelligenz-
sagen könnte, was richtig ist.“ forschung werden oft möglichst inhaltsfreie – bzw. gar
„kulturfaire“ – Aufgaben verwendet (Gruber et al. 1999).
Der Wissenspsychologie geht es beispielsweise darum, wie
Aktuelle Entwicklungen in der Forschung zu episte­ Sachverhalte im Gedächtnis organisiert und repräsentiert
mologischen Überzeugungen basieren fast ausschließlich auf sind (man spricht dann von deklarativem Wissen) oder
Schommers Annahme, dass es sich hierbei um ein Konstrukt wie Handlungswissen (prozedurales Wissen) entsteht und
handelt, das aus einer Reihe verschiedener Facetten angewandt wird (Mandl und Spada 1988). In der Intelligenz-
zusammengesetzt ist. Aus pädagogisch-psychologischer forschung wird oft thematisiert, wie sich Personen rasch mit
Intelligenz und Vorwissen
29 2
Exkurs

„Smart is fast!“ – Überall auf der Welt?


Sternberg et al. (1981) untersuchten, befragten US-Bürger teilen. Es gibt Belege) für „Smart is fast!“ gibt, sondern
welche Auffassungen Menschen vom eine Reihe von Intelligenztheorien, in vielmehr, dass die Abhängigkeit dieser
Wesen und von der Natur von Intelligenz denen Geschwindigkeit eine große Annahme vom Kontext, in dem eine
haben. Sie fanden, dass in den USA die Rolle spielt – sei es als grundlegende intelligente Leistung zu erbringen ist,
Auffassung „Smart is fast!“ sehr verbreitet Reaktionsgeschwindigkeit, sei es als nicht thematisiert wird. Die Grenzen
war – hohe Werte in den Attributen Geschwindigkeit der Mustererkennung der Tauglichkeit einer theoretischen
„Lernt schnell“, „Handelt rasch“ oder und -differenzierung, sei es in der Auffassung von Intelligenz zeigen sich
„Trifft rasch Entscheidungen“ wurden oft Form schneller Entscheidungen. Dies dann manchmal dramatisch, wenn
als Kennzeichen intelligenter Personen spiegelt sich in der Operationalisierung hoch intelligente Personen in einen
genannt. Aber: In vielen südamerikanischen von Intelligenz wider, wenn etwa im ungewohnten Kontext kommen.
Ländern hingegen wurden intelligente „Choice-Reaction-Time-Paradigma“ Die Bewältigung selbst elementarer,
Leute fast nie mit solchen Attributen in eine möglichst große Anzahl einfacher überlebenswichtiger Anforderungen
Verbindung gebracht. Entscheidungen möglichst rasch fällt einem intelligenten Westeuropäer
Sternberg et al. (2008) wiesen getroffen werden soll. oder Nordamerikaner oft schwer, wenn
eindringlich darauf hin, dass viele Das Problem ist nicht so sehr, dass es er sich unversehens im südostasiatischen
Intelligenztheorien die Auffassung der keine guten Gründe (und empirischen Dschungel wieder findet.

neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fähig- Die weitaus meisten Forschungsarbeiten zur Intelligenz
keiten sie also bezüglich intellektueller Operationen wie beschäftigten sich damit, die Struktur dieser Fähig-
Analysieren, Synthetisieren, Generalisieren, Induzieren, keit genauer aufzuschlüsseln; solche Arbeiten werden
Deduzieren, Abduzieren oder Abstrahieren besitzen. der psychometrischen Forschung zugeordnet (Rost
Bevor wir uns damit beschäftigen, wie beide Heran- 2013). Die Suche nach der Struktur der Intelligenz erfolgt
gehensweisen miteinander verschränkt werden können, zumeist mithilfe faktorenanalytischer Methoden, mit
wollen wir die Grundzüge und die wichtigsten Begriffe der denen Gemeinsamkeiten der Anforderungen unter-
Intelligenzforschung und der Wissensforschung behandeln. schiedlicher Indikatoren für intelligentes Handeln heraus-
geschält werden. Oft handelt es sich bei diesen Indikatoren
um Denk- oder Problemlöseaufgaben; solche Aufgaben
2.2.1  Grundlegendes zur wurden in der kognitiven Psychologie dazu verwendet,
Intelligenzforschung um die Informationsverarbeitungsprozesse von Menschen
bei ihrer Bearbeitung zu analysieren. Es ist erstaun-
Im Verlauf einer über 100-jährigen Forschung wurden ver- lich, wie wenig Berührungspunkte die psychometrische
schiedene Antworten auf die Frage „Was ist Intelligenz?“ und die kognitionspsychologische Forschung haben. In
gegeben. Und das ist gut so, denn eine so komplexe mensch- 7 Abschn. 2.3 werden wir uns mit einigen Versuchen aus-
liche Angelegenheit wie Intelligenz hat so viele Facetten, einandersetzen, die beide Richtungen verknüpfen. Da aber
wird von so vielen Faktoren beeinflusst und zieht so viele die psychometrische Forschung die Auffassung von der
Auswirkungen nach sich, dass unterschiedliche theoretische Natur der Intelligenz am stärksten beeinflusste und noch
Ansätze natürlich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. immer beeinflusst, richten wir unser Augenmerk in den
Wer aus der Unterschiedlichkeit der Definitionen folgert, nächsten Abschnitten zunächst hierauf.
eine müsse „richtig“ sein, die anderen hingegen „falsch“, Eine der grundlegenden Fragestellungen der psycho-
belegt, dass er kein ausgereiftes Verständnis von Wissen metrischen Intelligenzforschung ist, ob und in welchem
und Wissenschaft hat, also keine weit entwickelten Maße sich Intelligenz als einheitliche Fähigkeit dar-
epistemologischen Überzeugungen (7 Exkurs „‚Smart is fast‘ stellt oder ob sie aus mehreren Faktoren besteht. In
– Überall auf der Welt?“). Bevor eine solche Schlussfolgerung der Forschung findet man eine Klassifikation in
gezogen wird, in der scheinbar unterschiedliche Antworten 7 globale Intelligenzmodelle, 7 Strukturmodelle und
auf dieselbe Forschungsfrage bewertet werden, sollte man 7 hierarchische Intelligenzmodelle.
genau überprüfen, ob es nicht vielmehr so ist, dass die
Forscher unterschiedliche Fragen gestellt haben! Globale Intelligenzmodelle
Binet und Simon (1905) gelten als die Urväter der psycho-
Definition metrischen Intelligenzforschung. Sie sahen Intelligenz als
Intelligenz ist die Fähigkeit eines Menschen zur eine ganzheitliche und homogene Fähigkeit an. Ihr Stufen-
Anpassung an neuartige Bedingungen und zur Lösung modell geht davon aus, dass normal intelligente Kinder
neuer Probleme auf der Grundlage vorangehender ihrer Altersstufe entsprechende Aufgaben mit hoher Wahr-
Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext. scheinlichkeit lösen können. Sie setzen also das Intelligenz-
alter (IA) der Kinder mit ihrem Lebensalter (LA) in Bezug.
30 H. Gruber und E. Stamouli

Übertreffen Kinder die altersgemäßen Anforderungen, ist


ihr IA größer als ihr LA; werden altersgemäße Aufgaben
s1
nicht gelöst, ist das IA kleiner als das LA. Dieses Ver-
2 fahren hat einen Nachteil: Es zeigte sich, dass Unterschiede
zwischen LA und IA umso stärker ins Gewicht fallen, je s7 s2
jünger das Kind ist.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, entwickelte
William Stern (1911, 1912) den Klassiker der Intelligenz- g
forschung, den Intelligenzquotienten (IQ). Er bezeichnet s6 s3
den Quotient aus IA und LA einer Person.

Definition
s5 s4
Intelligenzquotient (IQ) einer Testperson: Quotient aus
dem Intelligenzalter (IA) und dem Lebensalter (LA) der
Testperson.
Intelligenzalter (IA) einer Testperson: Lebensalter Anmerkung zu den Abkürzungen:
g = g-Faktor (Generalfaktor);
derjenigen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche S1 – S 7 = Spezialfaktoren
Zahl und Art von Aufgaben löst wie die Testperson.
Abkömmlinge des klassischen IQ werden auch heute
noch verwendet. Aus theoretischen Gründen wird . Abb. 2.2 Das Zwei-Faktoren-Modell von Spearman. (Modifiziert
nach Asendorpf und Neyer 2012, S. 149)
der Wert jedoch in der Regel standardisiert, also auf
Standardnormen bezogen. Der Intelligenzquotient
bezeichnet dann einen an Mittelwert und Standard- Diese Fähigkeiten sind mittlerweile als Primärfaktoren
abweichung einer repräsentativen Bezugsgruppe bekannt. Ihre Unabhängigkeit konnte jedoch nicht empirisch
standardisierten Wert. Am häufigsten werden ein abgesichert werden; die Korrelationen zwischen ihnen
Mittelwert von 100 Punkten und eine Standardab- waren stets von bedeutsamer Größe. Wurden die Primär-
weichung von 15 Punkten gewählt. faktoren selbst einer Faktorenanalyse unterzogen, schälte
sich ein übergeordneter gemeinsamer Faktor heraus –
eben jener von Spearman postulierte g-Faktor.
Strukturmodelle der Intelligenz Ein eigenständiges Strukturmodell ist das
Strukturmodelle der Intelligenz stellen Intelligenz als „­ Structure-of-Intellect“-Modell von Guilford (1967), in
eine Fähigkeit dar, die sich aus mehreren Komponenten dem versucht wird, eine systematische Ordnung zwischen
zusammensetzt (Süß 2003). einer Vielzahl von Einzelfaktoren herzustellen. Dabei
Das bereits 1904 von Spearman entwickelte wird zwischen fünf Operationen (Kognition, Gedächt-
­Zwei-Faktoren-Modell lehnt sich an die Idee eines globalen nis, divergierendes Denken, konvergierendes Denken,
Intelligenzmodells an, da es auf der Vorstellung eines Evaluation), sechs Produkten (Einheiten, Klassen,
Generalfaktors (g-Faktors) als Ausdruck der allgemeinen Relationen, Systeme, Transformationen, Implikationen)
Intelligenz beruht. Zudem gibt es aber, wie in . Abb. 2.2 und vier Inhalten unterschieden (figürlich, symbolisch,
symbolisch angedeutet wird, Spezialfaktoren (s-Faktoren) semantisch, behavioral). Da diese Komponenten beliebig
wie z. B. „sprachliches Können“ oder „mathematische kombinierbar sind, ergeben sich 5 × 6 × 4 = 120 verschiedene
Begabung“ neben dem g-Faktor, die faktorenanalytisch mentale Fähigkeiten. Die empirische Separierbarkeit der
identifiziert wurden. An jeder intelligenten Aufgabenlösung theoretisch postulierten 120 Intelligenzkomponenten stellt
sind nach dem Zwei-Faktoren-Modell der g-Faktor und natürlich ein fast unlösbares Problem dar.
mindestens ein s-Faktor beteiligt.
Die Existenz eines Generalfaktors wurde – wenn- Hierarchische Modelle
gleich etwas widerwillig – von Thurstone (1938; Thurstone Aufbauend auf dem in den Strukturmodellen deut-
und Thurstone 1941) in seinem Primärfaktorenmodell lich gewordenen Verhältnis zwischen Generalfaktor und
übernommen. Er vermutete, dass mehrere voneinander Einzelfaktoren wurde eine Reihe von Intelligenzmodellen
unabhängige Fähigkeiten identifizierbar seien: entwickelt, denen eine hierarchische Ordnung von Intelligenz-
5 Sprachverständnis komponenten zugrunde liegt. Auf der obersten Ebene steht
5 Wortflüssigkeit der Generalfaktor, der die allgemeine Intelligenz erfasst.
5 Rechenfertigkeit Dieser wird in Teilkomponenten aufgespalten. Beispiels-
5 Raumvorstellung weise unterscheidet Cattell (1963, 1971) zwischen der
5 mechanisches Gedächtnis fluiden und kristallinen Intelligenz. Die fluide Intelligenz
5 Wahrnehmungsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Basisprozesse des Denkens sowie
5 Induktion, Schlussfolgern
Intelligenz und Vorwissen
31 2
anderer mentaler Aktivitäten und ist überwiegend genetisch Eine Erweiterung der herkömmlichen
determiniert. Die kristalline (bzw. kristallisierte) Intelligenz psychometrischen Intelligenzmodelle:
dagegen bringt die Bedeutung der bisherigen Lernerfahrungen Emotionale Intelligenz
für das intellektuelle Handeln eines Menschen zum Ausdruck Der Fokus der herkömmlichen psychometrischen
und ist überwiegend kulturabhängig (Nettelnstroth 2003). Intelligenzforschung auf kognitive Leistungen provozierte
Recht bekannt ist auch die von Wechsler (1958) vor- eine Reihe von Forschern, auch andere Komponenten
geschlagene Differenzierung zwischen sprachlicher in Intelligenzmodelle zu integrieren. Salovey und Mayer
Intelligenz (verbale Intelligenz) und Handlungsintelligenz (1990) stellten ein Konzept der emotionalen Intelligenz
(7 praktische Intelligenz). Sie liegt den wohl in Deutsch- vor, in dem postuliert wird, dass der intelligente Umgang
land populärsten Intelligenztests zugrunde (7 Abschn. 2.4), mit den eigenen Emotionen und mit den Emotionen
nämlich dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder anderer Menschen in vielen Lebensbereichen – sowohl
(HAWIK) sowie für Erwachsene (HAWIE). Beide sind eine privater als auch beruflicher Art, etwa in der Arzt-Patient-
Adaptation der von Wechsler in den USA entwickelten Kommunikation – von hoher Bedeutung ist. Sie initiierten
WISC- bzw. WAIS-Tests. damit eine Forschungsrichtung, die sich einer beträcht-
Exemplarisch für ein neueres hierarchisches Modell sei lichen Dynamik erfreut, zahlreiche Polemiken aus-
das Berliner Intelligenzstrukturmodell (BIS-Modell) vor- löst (Asendorpf 2002; Schuler 2002), theoretische und
gestellt, dem drei Kernannahmen zugrunde liegen: methodische Fragen aufwirft und – Wissenschaftler wie
5 An jeder Intelligenzleistung sind, neben anderen Laien – zur Suche nach neuen konzeptionellen Lösungen
Bedingungen, alle intellektuellen Fähigkeiten beteiligt, und Anwendungsmöglichkeiten inspiriert (Bar-On 2000;
allerdings deutlich unterschiedlich gewichtet. Die Petrides et al. 2004; 7 Kap. 9).
Varianz jeder Leistung lässt sich in entsprechende
Komponenten zerlegen.
5 Intelligenz- und Fähigkeitskonstrukte lassen sich unter
Multiple Intelligenzen: Gardners
verschiedenen Aspekten (Modalitäten) klassifizieren. Intelligenzkonzeption
5 Fähigkeitskonstrukte sind hierarchisch strukturiert, Die Theorie emotionaler Intelligenz nimmt eine inhaltlich
d. h., sie lassen sich unterschiedlichen Generalitäts- eng umrissene Neukonzeption des Intelligenzbegriffs vor.
ebenen zuordnen. Unter anderen Versuchen, den Begriff der Intelligenz aus-
zuweiten, erlangte vor allem die „Theorie der multiplen
Wie . Abb. 2.3 zeigt, geht das BIS-Modell von zwei Modali- Intelligenzen“ (Gardner 1983) große Bekanntheit. Gardner
täten aus (Jäger et al. 1997), der Modalität des Aufgaben- postulierte acht Typen von Intelligenz, die jeweils von-
materials und der Modalität der kognitiven Prozesse einander unabhängig sein sollen und sich zu einem
(Operationen). modularen Gesamtkonzept von Intelligenz verknüpfen:
5 linguistische Intelligenz
5 logisch-mathematische Intelligenz
5 visuell-räumliche Intelligenz
5 musikalische Intelligenz
5 körperlich-kinästhetische Intelligenz
5 interpersonale Intelligenz
5 intrapersonale Intelligenz
5 naturalistische Intelligenz

In manchen Publikationen wurden auch existenzielle und


spirituelle Intelligenz genannt (Gardner 2006). Gardners
Konzeption beruht weitgehend auf theoretischen Über-
legungen; überzeugende Versuche einer empirischen
Bestätigung liegen nicht vor, weder in Bezug auf die Ent-
wicklung hinreichender diagnostischer Verfahren noch auf
den Nachweis der postulierten Unabhängigkeit der Typen
(Rost 2008). Seine berufsbezogenen Typisierungen (etwa:
Dichter benötigen vor allem linguistische Intelligenz, Bild-
hauer benötigen vor allem visuell-räumliche Intelligenz)
ähneln eher Populäraussagen als wissenschaftlichen
Annahmen.
Das größte Problem an Gardners Konzeption multipler
Intelligenzen ist die Verwendung des Begriffs Intelligenz
. Abb. 2.3 Berliner Intelligenzstruktur-Modell. (Jäger et al. 1997, S. 5,
an Stellen, an denen viel besser von Fähigkeit oder gar
mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) Fertigkeit die Rede wäre. Dies verweist auf ein ganz
32 H. Gruber und E. Stamouli

anderes Problem der Intelligenzforschung, das oben bereits Die enge Verknüpfung des Wissens mit dem Denken und
angesprochen wurde, nämlich dass der psychometrische dem Handeln macht es für die Pädagogische Psychologie
Ansatz und der kognitive Informationsverarbeitungsansatz relevant. Zugleich legt diese Verbindung nahe, dass Wissen
2 bislang nur wenig verknüpft wurden. Bevor Verbindungen
zwischen beiden Bereichen in 7 Abschn. 2.3 thematisiert
und Intelligenz eng miteinander in Bezug stehen. Wie oben
bereits angedeutet, wurde dieser Bezug in der Forschung
werden, sollen die Grundlagen des Informationsver- aber lange Zeit nicht hergestellt, da sich Intelligenz-
arbeitungsansatzes illustriert werden. Hierzu wird das forschung und Wissenspsychologie auf der Grundlage
Konzept des Vorwissens einer genaueren Analyse unter- unterschiedlicher Paradigmen entwickelten. Erst neuerdings
zogen. werden Arbeiten zur Intelligenz enger an die Analyse von
Informationsverarbeitungsprozessen angelehnt, in denen
Wissen eine wichtige Rolle spielt (Mack 1996).
2.2.2  Grundlegendes zur Der Informationsverarbeitungsansatz wurde in den
Wissenspsychologie 1950er Jahren seit der „kognitiven Wende“ entwickelt und
erlebte in den 1970er Jahren einen großen Aufschwung.
Ist Intelligenz von Wissen abhängig oder hängt Wissen von In ihm werden jene kognitiven Prozesse, die für Lernen,
Intelligenz ab? Sind Wissen und Intelligenz divergierende Wissenserwerb und Leistungsverbesserung wesentlich sind,
oder korrespondierende Begriffe? Die Antwort ist als Prozesse der Verarbeitung von Information beschrieben:
ambivalent. „Es gibt zwei Möglichkeiten, mit den täglichen Der Mensch ist permanent über seine Sinnesorgane neu
Anforderungen des Lebens erfolgreich umzugehen. Die ein- eintreffender Information ausgesetzt, er nimmt sie wahr
fachere von beiden ist, dass man weiß, was zu tun ist. Die und selegiert sie, er behält Teile davon kurz im Gedächt-
schwierigere Methode ist, in der Situation neue Wege zu nis, andere Teile längerfristig, er wendet sie bei späteren
finden, den Ansprüchen zu begegnen“ (Gruber 1999b, S. 94). Gelegenheiten wieder an usw. Gegenstand der Informations-
Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl verarbeitungstheorie sind also die Arten von Information,
den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligenter die sich im Gedächtnis befinden, sowie die Prozesse,
Problemlöseverfahren. „Intelligenz“ und „Wissen“ sind die sich auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden
methodisch voneinander zu trennen, dagegen inhaltlich aufs solcher Information beziehen (Gruber 1999a). Zunächst
Engste verbunden. Da aber in der Psychologie die beiden wurden Informationsverarbeitungsprozesse vor allem in
Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungs- der Kognitiven Psychologie thematisiert (z. B. Newell und
traditionen sind, wurden sie separat voneinander analysiert. Simon 1972), seit einiger Zeit nehmen sie aber auch in der
Pädagogischen Psychologie breiten Raum ein, was sich bei-
Definition spielsweise in Lehrbüchern zeigt (z. B. Slavin 1988).
Wissen stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des
Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale
Vorwissen
Übereinkunft festgelegt ist. Vom Wissen eines Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die Bewältigung
bestimmten Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn komplexer, authentischer Probleme ohne umfangreiches
er Überzeugung von der Gültigkeit dieses Wissens hat. Vorwissen nicht möglich ist (7 Exkurs „Zur Bedeutung
von Vorwissen“). Lernen wurde daher zunehmend als
Prozess gesehen, der mit dem Erwerb großer Wissens-
Wissen wird als eine Menge mentaler Repräsentationen mengen einhergeht und sich über einen langen Zeitraum
aufgefasst, die Menschen in Zusammenhang mit geeigneten erstreckt. Zwischen der Art der Wissensstruktur und den
Denkprozessen zur Bewältigung von Aufgaben befähigt. beim Lernen und Problemlösen ablaufenden kognitiven
„Allgemeiner gesagt, ist Wissen gewissermaßen der Inhalt Prozessen wurden enge Verbindungen identifiziert, denn
und Denken gewissermaßen die Form eines kognitiven Lernen ist ein ständiges Wechselspiel des Rückgriffs auf
Prozesses“ (Gruber et al. 1999, S. 2). Bekanntes und der Bewältigung neuer Situationen. Daraus
In der Wissenspsychologie (Mandl und Spada 1988) wurde gefolgert, dass es wichtig sei, bereits früh im Lern-
werden vier zentrale Themenbereiche untersucht: prozess den Aufbau von Wissensstrukturen zu fokussieren
5 Erwerb von Wissen und dann kontinuierlich an ihrer Entwicklung zu arbeiten,
5 Repräsentation und Organisation von Wissen im indem beispielsweise das Vorwissen infrage gestellt, mit
Gedächtnis Beispielen belegt oder falsifiziert wird. Dies hilft, im Verlauf
5 Prozesse des Abrufs von Wissen des Lernens eine erfahrungsbasierte Wissensorganisation
5 Anwendung des Wissens beim Denken und Handeln zu erstellen (Gruber 1999b).
Intelligenz und Vorwissen
33 2
Exkurs

Zur Bedeutung von Vorwissen


Chi (1978) führte eine Studie durch, die noch unterlegen. Umgekehrt waren finden, die mehr Vorwissen besitzen als
große Wellen schlug. Ihre Idee war es, selbst solche Erwachsene, bei denen die gewöhnliche Erwachsene – daher verglich
in einer entwicklungspsychologischen Anwendung von Gedächtnisstrategien Chi (1978) Kinder-Schachexperten und
Gedächtnisuntersuchung die Bedeutung experimentell verhindert wurde, noch erwachsene Schachnovizen sowohl beim
des Vorwissens plakativ zu demonstrieren. immer besser als Kinder. Angeregt freien Erinnern von Zahlenreihen als
Bis dahin war es unbestrittener „State durch die in Pittsburgh entstandene auch bei der Rekonstruktion kurzzeitig
of the Art“, dass sich das Gedächtnis bis Arbeit von Chase und Simon (1973) präsentierter Schachstellungen. Die
zum Erreichen des Erwachsenenalters griff Chi (1978) die Idee auf, dass Ergebnisse zeigten, dass Wissen einen
stets verbessert. Diese Überlegenheit Expertise beim Schachspielen eng mit gewichtigen Einfluss auf die Gedächtnis-
Erwachsener schien eher etwas mit dem bereichsspezifischen Vorwissen leistung hatte und die Alterseffekte ins
Reifungs- und Entwicklungsprozessen zu zusammenhängt. Sie überprüfte, ob Gegenteil verkehrte: Kinder-Experten
tun zu haben als damit, dass Erwachsene dieser Vorwissenseffekt stark genug erinnerten die Schachstellungen viel
womöglich bessere Erinnerungs- war, um die entwicklungsgemäße besser als erwachsene Anfänger! Beim
strategien besitzen – denn auch Kinder, Überlegenheit Erwachsener in der Erinnern der Zahlenreihen schnitten die
denen die Strategien von Erwachsenen Gedächtnisleistung zu übertrumpfen. Erwachsenen hingegen wie üblich besser
vermittelt wurden, waren Erwachsenen Beim Schachspiel ist es möglich, Kinder zu ab.

Die Bedeutung des Vorwissens wurde zunächst in gut Definition


strukturierten Domänen wie Physik und Schach unter- 7 Chunking ist der Prozess des Bildens bedeutungs-
sucht; z. B. wurden im Bereich der Physik Probleme mit tragender Informationseinheiten im Arbeits- oder
eindeutiger Lösung vorgelegt, bei deren Bearbeitung die Kurzzeitgedächtnis, mit dessen Hilfe erklärt werden
Versuchspersonen „laut denken“ sollten (zur Methode kann, weshalb Menschen trotz vergleichbarer
des „lauten Denkens“ s. Ericsson und Simon 1993). Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern
Dadurch konnte der Zusammenhang zwischen Problem- können. Durch Chunking wird Information verdichtet,
lösestrategien und Vorwissen analysiert werden – und indem ursprünglich separate Informationseinheiten
es zeigte sich, dass sich die Art und Weise, wie das Wissen durch allgemeine Ordnungsprinzipien oder durch das
von Experten in Strategien zum Lösen von Problemen Einbeziehen von Vorwissen rekodiert und zu größeren
umgesetzt wurde, von der von Anfängern erheb- Informationseinheiten (die dann „Chunks“ genannt
lich unterschied. Experten verwendeten häufiger eine werden) zusammengefasst werden.
Vorwärtssuchstrategie, Anfänger hingegen häufiger eine
Rückwärtssuchstrategie. Offenbar antizipieren Experten
aufgrund ihres Vorwissens die Richtung der korrekten Chunking
Lösung und können daher Probleme oft von der Aufgaben- Chase und Simon (1973) thematisierten die Unterschiede
stellung ausgehend („vorwärts“) lösen. Anfänger hingegen von Chunking-Prozessen von Experten und Novizen beim
müssen permanent Vergleiche zwischen Aufgabenstellung Schachspielen. In ihrer „Pattern-Recognition-Theorie“
und Lösungsvorschlag durchführen und von einer Lösungs- postulierten sie, dass ein Schachmeister viele Chunks auf-
idee „rückwärts“ arbeiten, um zu erkennen, ob damit über- grund seiner Erfahrung mit gespielten Partien verfügbar
haupt das Ausgangsproblem bearbeitet werden kann. habe – in einer Computersimulation gelangten Simon und
Ein weiterer Befund, der die Bedeutung des Vor- Gilmartin (1973) zur Schätzung von etwa 50.000 Chunks –,
wissens unterstreicht, steht in Zusammenhang mit der die gut strukturiert im Gedächtnis abgelegt und mit Hand-
immer wieder gefundenen Fähigkeit von Experten, lungsvorschlägen eng assoziiert seien.
Information aus ihrer Domäne sehr gut und schnell zu
erinnern: Ein Schachmeister kann eine Schachposition, Prozedualisierung von Wissen
die er nur für wenige Sekunden gesehen hat, meist perfekt Damit Wissen anwendbar wird, ist die Umwandlung
aus dem Gedächtnis rekonstruieren, wohingegen sich ein von Faktenwissen (deklaratives Wissen) in prozedurales
Anfänger nur an wenige Figuren erinnern kann. Experten Wissen notwendig. Der Prozess der Prozeduralisierung von
können in der präsentierten Information rasch bedeut- Wissen ist das Kernstück der ACT*-Theorie (gesprochen:
same Muster erkennen, die in Bezug zu schon vorhandenem ­ACT-Star-Theorie, „Adaptive Control of Thought Theory“),
Wissen stehen, sodass es bereits bei der Wahrnehmung in der die weitgehende Automatisierung von Fertigkeiten
von Information zu einem Zusammenspiel von Gedächt- modelliert wird (Anderson 1982). Mit der Umwandlung
nis, Wissen und Erfahrung kommt (Gruber 1999a). Dabei deklarativen Wissens in prozedurales wird die kapazitäts- und
spielen „Chunking-Prozesse“ zur semantischen Ver- zeitaufwendige Bearbeitung von Faktenwissen (Aufnahme,
knüpfung von Informationseinheiten eine große Rolle. Speicherung, Abruf und Nutzung) durch automatisierte
34 H. Gruber und E. Stamouli

Prozeduren ersetzt. Diese Prozeduren entstehen aufgrund


erfolgreich bewältigter Lernsituationen und laufen ohne Darstellung von Wissensformen nach De Jong und
weitere bewusste Planung ab; sie stellen somit sehr schnelle Ferguson-Hessler (1996)
2 und wenig aufwendige Reaktionen dar. Prozedurales Wissen
ist in der ACT*-Theorie in Form von Wenn-dann-Regeln
Wissensarten
1. Situationales Wissen ist Wissen über Situationen, die
(Produktionsregeln) modelliert, die zu unmittelbarer Hand- in bestimmten Domänen typischerweise auftauchen,
lungsinitiierung führen. Fertigkeitserwerb und Lernen finden sowie über darin üblicherweise zu beachtende
im ACT*-Modell in drei Stufen statt: Information.
5 Deklarative Stufe: Deklaratives Wissen wird (auf- 2. Konzeptuelles Wissen ist statisches Wissen über
wendig) erworben. Fakten, Begriffe und Prinzipien.
5 Stufe der Kompilation: Deklaratives Wissen wird in 3. Prozedurales Wissen ist Wissen über Handlungen,
leistungsstarkes prozedurales Wissen umgewandelt. die zum gewünschten Erfolg führen.
5 Stufe des Tuning: Prozedurales Wissen wird in der 4. Strategisches Wissen ist metakognitives Wissen über
Praxis fein abgestimmt, indem erfolgreiche Regeln die Gestaltung des eigenen Problemlöseverhaltens
gestärkt und erfolglose Regeln getilgt werden. und über Handlungspläne.

Mit der Unterscheidung von deklarativem und prozeduralem Wissensmerkmale


Wissen wird nicht angestrebt, die eine oder andere Form 1. Der hierarchische Status von Wissen hat die
als besser oder besonders wertvoll zu bezeichnen. Sie ist Extremwerte „oberflächlich“ vs. „tief verarbeitet“.
aber wichtig, um eine differenzierte Analyse von Stärken 2. Die innere Struktur von Wissen hat die
und Defiziten im Handeln von Individuen vornehmen zu Extremwerte „isolierte Wissenseinheiten“ vs.
können – und damit eine Voraussetzung dafür, ein genaueres „vernetztes Wissen“.
Verständnis angestrebter L­ ehr-Lern-Prozesse zu erwerben, 3. Der Automatisierungsgrad ist der Anteil
denn unterschiedliche Wege des Lehrens und Lernens sind intentionaler, angestrengter Informationsver-
vonnöten, um den Erwerb verschiedener Wissensarten zu arbeitung mit den Extremwerten „deklarativ“
fördern. Der differenzierten Unterscheidung verschiedener (explizites Faktenwissen) und „kompiliert“
Wissensformen kommt daher gerade in der Pädagogischen (routiniertes, automatisiertes Prozedurenwissen).
Psychologie große Bedeutung zu. 4. Die Modalität von Wissen deutet an, ob
Wissen vorteilhafter als „bildlich“ oder als
Wissensformen ­„propositional-analytisch“ dargestellt wird.
De Jong und Ferguson-Hessler (1996) klassifizierten 5. Der „Allgemeinheitsgrad“ beschreibt, ob Wissen
20 Wissensformen in einer 4 × 5-Matrix mit den beiden eher „generell“ oder eher „domänenspezifisch“ ist.
Dimensionen Wissensart und Wissensmerkmal (Übersicht).

Darstellung von Wissensformen nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996, S. 111) als Matrix, in der Wissensmerkmale und Wissens-
arten aufeinander bezogen sind (reprinted by permission of the publisher Taylor & Francis Ltd, 7 http://www.tandfonline.com)
Wissensarten
Wissensmerkmale Situatio­nales Wissen Konzep­tuelles Wissen Proze­durales Wissen Strategisches Wissen
Hierar­chischer Status
Innere Struktur
Automatisie­rungsgrad
Modalität
Allgemeinheitsgrad

Als Beispiel für die Verwendbarkeit des Klassifikations- darstellt, kann es doch nicht den Anspruch auf Voll-
modells nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996) soll ständigkeit erheben. Gerade im beruflichen Bereich, in
der Umgang mit Texten dienen. Es gibt Belege dafür, dem soziale, organisationale und ökonomische Kontext-
dass das Textverständnis besonders hoch ist, wenn reich- variablen bedeutsam sind, lassen sich viele weitere
haltiges konzeptuelles Wissen (Wissen über Fakten, Wissensformen unterscheiden, die teils „geheimnisvoll“
Begriffe und Prinzipien) vorliegt, dessen hierarchischer anmuten (Gruber und Sand 2007), weil sie vom ein-
Status als „tief verarbeitet“ bezeichnet werden kann und fachen Konzept des Faktenwissens weit abrücken. Leider
dessen innere Struktur sich mit „vernetztes Wissen“ ist oft festzustellen, dass alltägliche epistemologische
beschreiben lässt. Überzeugungen der Vielfalt des Wissensbegriffs nicht
Auch wenn dieses Klassifikationsmodell das bis- gerecht werden (7 Exkurs „Welche epistemologischen Über-
lang umfassendste Ordnungssystem von Wissensformen zeugungen herrschen vor?“).
Intelligenz und Vorwissen
35 2
Exkurs Der Umgang mit schlecht definierten Problemen ist in
der Ökonomie oder der Politik der Normalfall (Voss 1990).
Welche epistemologischen Überzeugungen herrschen Der Einsatz computersimulierter Szenarien zur Analyse
vor? solcher Prozesse ist seit den bekannt gewordenen Arbeiten
Wissen wird im Alltag meist mit deklarativem Wissen der Gruppe um Dörner prominent; in „Lohhausen“ (Dörner
(Faktenwissen, „Wissen, dass“) gleichgesetzt – während et al. 1983) agieren Problemlöser als Bürgermeister einer
das ebenso bekannte „Know-how“ (prozedurales Wissen,
„Wissen, wie“) eher unter die Rubrik Fertigkeiten fällt. Das
fiktiven Stadt und versuchen, deren wirtschaftliche Ent-
Zusammenspiel dieser beiden Wissensformen und ihre wicklung zu verbessern. Das Problemlösen in solchen
Umwandlung im Verlauf von Lernprozessen – geschweige komplexen Realitätsbereichen zeichnet sich durch eine
denn das Zusammenspiel noch weiterer, komplexerer Reihe von Merkmalen aus:
Wissensformen – spielt in der alltäglichen und leider auch in 5 Vernetztheit von Variablen
der wissenschaftlichen Auffassung von Wissen sowie in der
pädagogisch-psychologischen Praxis nur selten eine Rolle. Allzu
5 Eigendynamik des Systems (oft verbunden mit Zeit-
oft scheinen primitive epistemologische Überzeugungen das druck)
Bild zu bestimmen (Gruber 2008). 5 Intransparenz bezüglich der Variablen und ihrer Ver-
netzung
5 Irreversibilität von Entscheidungen
Problemlösen 5 Informationsflut – auch irrelevante Information
betreffend
Bei Experten ist die Verknüpfung zwischen kognitiven
5 Nebenwirkungen von Entscheidungen.
Strukturen (Gedächtnis und Wissen) und kognitiven
Prozessen (Problemlösen und Entscheiden) selbstver-
ständlich: Expertenwissen umfasst Auskunft über seine Experten sind flexibler bei komplexen Problemlöse-
Anwendungsbedingungen, da es sich in der permanenten prozessen als Novizen, was sich in dreierlei Fähigkeiten
professionellen Tätigkeit entwickelte. Dabei ist es interessant, niederschlägt:
dass professionelles Handeln in vielerlei Hinsicht wegen der 5 Fähigkeit, mentale Repräsentationen von Problemen zu
komplexen Aufgabenstellungen schlecht definiert ist. Die variieren und somit zu verschiedenen Hypothesen zu
Anforderungen sind oft nicht eindeutig, es gibt keine „beste“ gelangen
Lösung und der Einfluss von Kontextvariablen ist selten 5 Fähigkeit, die Analyseebenen situativ zu verändern,
überschaubar. Professionelles Handeln kann daher durchaus also etwa oberflächlich versus prinzipienorientiert zu
als ständiges Problemlösen beschrieben werden. argumentieren
5 Fähigkeit, Verarbeitungsstrategien zu wechseln und
Definition damit Aufgaben schneller und erfolgreicher zu lösen.

Problemlösen: Dörner (1979) spricht vom Vorliegen Forschungsansätze, die Intelligenz und Wissen in ihrem
eines Problems, wenn ein Individuum ein Ziel verfolgt, Zusammenhang betrachten, werden im folgenden Abschnitt
aber eine Barriere den Weg dorthin blockiert. Eine präsentiert.
wichtige Unterscheidung ist die zwischen wohl
definierten Problemen und schlecht definierten
Problemen.
Wohl definierte Probleme: Es existieren klare Aufgaben- 2.3  Zusammenspiel von Intelligenz
anforderungen, sodass Ziele und Barrieren eindeutig und Wissen als Gegenstand der
definiert werden können. Solche Probleme finden sich Pädagogischen Psychologie
häufig in Gegenstandsbereichen, in denen es klare
Regeln, Ziele und Richtlinien gibt. Möglichkeiten des Zusammenspiels von Intelligenz und
Schlecht definierte Probleme: Die Aufgaben- Wissen werden exemplarisch anhand der Arbeiten dreier
anforderungen sind nicht eindeutig, Ziele und Barrieren Forscher dargestellt und diskutiert. Sie sind sich darin
können nicht eindeutig definiert werden. einig, dass Wissen allein einem Menschen nicht viel nützt,
wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen,
und dass ihm Intelligenz ebenso wenig nützt, wenn er
Ob ein Problem wohl definiert oder schlecht definiert nicht über das Wissen verfügt, wie er Nutzen daraus ziehen
ist, hängt auch vom Vorwissensstand und von anderen kann. Franz Weinert prägte den Begriff des „intelligenten
individuellen Voraussetzungen des Problemlösers ab; daher Wissens“; Philip Ackerman beschrieb in seinem Ansatz
spielt die subjektive Beurteilung dessen, wie Aufgaben, der „ability determinants of skilled performance“, wie
Barrieren und Ziele beschaffen sind, eine große Rolle. Dies sich im Verlauf des Kompetenzerwerbs die Bedeutung
verweist auf die Rolle epistemologischer Überzeugungen. von Intelligenz und Vorwissen wandelt; Robert Sternberg
36 H. Gruber und E. Stamouli

weitete das Konzept der Intelligenz zu seiner triarchischen Wissen finden, umso leichter kann neuer Lernstoff in
Theorie der Intelligenz aus und brachte die Idee einer bedeutungsvoller Weise in die vorhandenen Strukturen
„praktischen Intelligenz“ ins Spiel. integriert werden.
2 In Studien, in denen Intelligenz und Wissen simultan als
Prädiktoren für schulische und berufliche Leistungen ver-
2.3.1  Intelligentes Wissen – Franz Weinerts wendet wurden, erwies sich bereichsspezifisches Vorwissen
Sicht auf das Zusammenspiel von als der bessere Prädiktor, um Leistungen in der gleichen
Intelligenz und Wissen Domäne vorherzusagen (Ceci und Liker 1986; Schneider
und Bjorklund 1992). In Arbeiten im schulischen Kontext
Weinert (1996) resümierte die Befunde über die Rolle des zeigte sich, dass den größten Einfluss auf den Lernfortschritt
Denkens beim Wissenserwerb und die Bedeutung des das zu Beginn eines Schuljahres verfügbare Wissen besitzt.
Wissens für Intelligenz und Denkleistung in einer modell- Stern (1997) zeigte, dass die Mathematikleistung in der
haften Darstellung (. Abb. 2.4), die die enge Verknüpfung 11. Klasse eng mit der Mathematikleistung in der Grund-
der Themen illustriert. schule zusammenhängt, enger als mit der Intelligenz der
Nach Weinert (1996, S. 96) zeigt dies, Schüler. Offenbar muss man sich über einen längeren Zeit-
raum mit mathematischen Problemen auseinandersetzen,
» dass das Niveau der Intelligenz auch das kognitive wenn man gut in Mathematik werden möchte. Dass aber in
Lernen beeinflusst, so dass sich mehr oder minder frühen Lernphasen die Intelligenz eine große Rolle für den
intelligente Lernprozesse ergeben. Deren Ertrag Lernfortschritt spielt, ist damit nicht in Abrede gestellt.
besteht im Erwerb eines intelligenteren oder weniger Die Beziehungen zwischen Intelligenz und/oder
intelligenten Wissens. Dieses ist neben der allgemeinen Begabung, Wissen und Lernen spielen in vielen Arbeiten
Intelligenz wiederum die Grundlage des Denkens, Weinerts eine zentrale Rolle (z. B. Weinert 1984). Als
dessen kumulativer Niederschlag schließlich auf das Pädagogischer Psychologe postulierte er, dass man mehr
nachfolgende Lernen zurückwirkt. über das Wissen wissen müsse, um das Denken fördern zu
Beachtung fand Weinerts Position vor allem, weil sie auf können. An der epistemologischen Überzeugung, dass diese
einer reichhaltigen Forschungstätigkeit in unterschied- drei Komponenten zusammengehören, hielt Weinert auch
lichen pädagogisch-psychologischen Feldern beruhte. Bei zu Zeiten fest, in denen in der Forschung versucht wurde,
der Herleitung seines theoretischen Modells berief er sich die Komponenten zu separieren und die Bedeutung der
explizit auf die Expertiseforschung (Schneider et al. 1989), jeweils anderen Teile zu leugnen (Waldmann et al. 2003).
aber auch auf längsschnittliche Analysen der schulischen Früher als die meisten anderen Lehr-Lern-Forscher
Leistungsentwicklung und ihrer Determinanten (Weinert erkannte Weinert, dass hohe Intelligenz nur von Vorteil ist,
und Schneider 1999). In verschiedenen Kontexten fand er wenn sie in bereichsspezifisches Wissen umgesetzt wird.
Bestätigung für die Annahme, dass erworbenes Wissen die Alles, was Menschen wissen und können, muss zuerst
bedeutsamste Voraussetzung des Erwerbs neuen Wissens gelernt werden. Das Lernen kann aber durch genetische
ist – je mehr Anknüpfungspunkte sich im vorhandenen Ausstattung und durch frühe Lernerfahrungen erschwert
oder erleichtert werden.
Eine spezifischere Modellierung der unterschiedlichen
Rolle von Intelligenz und Wissen während verschiedener
Intelligenz Lernen
Phasen des Kompetenzerwerbs liefert die Theorie der
Ability Determinants of Skilled Performance von Ackerman.

2.3.2  Ability Determinants of Skilled


Intelligentes Lernen Performance – Philip Ackermans Sicht
auf das Zusammenspiel von Intelligenz
und Wissen

Intelligentes Wissen
In seiner PPIK-Theorie (PPIK = „process, personality, interests,
and knowledge“) geht Ackerman (1996) den Gründen für
interindividuelle Differenzen in der Kompetenz in einzelnen
Inhaltsbereichen nach. Dabei verknüpft er eine Vielzahl an
theoretischen Ansätzen zur Erklärung der intellektuellen Ent-
Denken durch intelligentes Wissen wicklung. In unserem Zusammenhang ist vor allem interessant,
dass er drei Komponenten von Intelligenz unterscheidet:
. Abb. 2.4 Zusammenhang von Intelligenz und Wissen beim
5 Intelligenz als Prozesskonstrukt
Lernen. (Modifiziert nach Weinert 1996, S. 96, mit freundlicher 5 Intelligenz als Interessenskonstrukt
Genehmigung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) 5 Intelligenz als Persönlichkeitskonstrukt.
Intelligenz und Vorwissen
37 2
Die beiden ersten beziehen sich in informationsver- In Ackermans Theorie der Ability Determinants of
arbeitungstheoretischer Fassung auf das Intelligenz- Skilled Performance wird also beschrieben, dass die Rolle
modell von Cattell (1971). Intelligenz als Prozesskonstrukt der Intelligenz zu Beginn des Kompetenzerwerbs eminent
wird als Informationsverarbeitung verstanden, die aus ist, dann aber zugunsten der Bedeutung des Wissens –
den vier Komponenten Verarbeitungskapazität, Wahr- insbesondere des prozeduralen Wissens – zurücktritt.
nehmungsgeschwindigkeit, Gedächtnisspanne und räum- Die Bewährungsprobe für ein Gelingen des Zusammen-
liche Rotation besteht und mit dem Aufbau von Wissen zu spiels von Intelligenz und Wissen erfolgt nach Ackerman
tun hat. Wissen wird ähnlich wie die kristalline Intelligenz in komplexen, praktischen Situationen – eine Annahme,
bei Cattell (1971) verstanden und in berufsspezifisches und die sich analog auch in Sternbergs triarchischer Theorie
unspezifisches (Allgemein-)Wissen unterschieden. Die Ent- der Intelligenz mit der Betonung des Konzepts der
wicklung des Wissens orientiert sich an der Investment- „praktischen Intelligenz“ findet.
theorie von Cattell (1971); das individuelle Kompetenzprofil
hängt davon ab, wie ein Individuum seine Ressourcen über
verschiedene Bereiche verteilt oder, anders ausgedrückt, 2.3.3  Triarchische Theorie der Intelligenz
wie groß der Anteil der verfügbaren Ressourcen ist, der in und praktische Intelligenz –
das jeweilige Gebiet investiert wird. Ackerman nimmt an,
Robert Sternbergs Sicht auf das
dass die wichtigste Ressource für den Aufbau gegenstands-
bezogener Kenntnisse die individuelle Informationsver-
Zusammenspiel von Intelligenz und
arbeitungskapazität bzw. die generelle kognitive Fähigkeit Wissen
ist. In Anlehnung an Cattell (1963) bezeichnet Ackerman
diese intellektuellen Fähigkeiten als „Intelligenz als Prozess“. Mit dem expliziten Anliegen, den Informationsverarbeitungs-
Fähigkeiten und Wissen entwickeln sich gemeinsam. Die ansatz kognitiver Intelligenztheorien mit dem psycho-
Entwicklung spezifischer Kompetenzen, die von Ackerman metrischen Intelligenzkonzept zu verknüpfen, formulierte
unter dem Begriff „Intelligenz als Wissen“ subsumiert Sternberg in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene
werden, kann demnach nur mithilfe der unter „Intelligenz als Facetten einer neuen Intelligenztheorie. Er postuliert,
Prozess“ zusammengefassten Fähigkeit zur Informationsver- dass erst die Verbindung unterschiedlicher wissenschaft-
arbeitung geschehen. licher Perspektiven der Komplexität des Konstrukts
In seiner Theorie der Ability Determinants of Skilled Intelligenz gerecht werde, insbesondere die Verknüpfung
Performance hatte Ackerman (1987, 1992) bereits vor- der strukturellen Modelle der psychometrischen Intelligenz-
her ein dreiphasiges Modell des Kompetenzerwerbs vor- forschung mit den Prozessmodellen der kognitionspsycho-
gestellt, in dem individuelle Differenzen in der Intelligenz logischen Ansätze. Die Besonderheit seiner Theorie ist, dass
und im Vorwissen kombiniert und zudem mit typischen er in ihr auch über die genannten Perspektiven hinausgeht
Anforderungen im Verlauf der Entwicklung verbunden und das Zusammenspiel von Fähigkeiten, Kompetenzen und
werden. Expertise (Sternberg und Grigorenko 2003) thematisiert.
Sternberg beschäftigt sich daher mit der praktischen
Kognitive Phase Die kognitive Phase zeichnet sich durch Relevanz von Intelligenz und weist anhand verschiedener
hohe kognitive Belastung aus: Das Individuum muss die Beispiele darauf hin, dass kognitive Intelligenz allein
Aufgabeninstruktion verstehen, mit den Zielen vertraut nicht ausreicht, um Erfolg im Leben zu haben und alltäg-
werden und Strategien formulieren. Weitere Entwicklung liche Herausforderungen des Lebens effektiv zu meistern
in den beiden nächsten Phasen ist nur möglich, wenn (Sternberg 1985, 1998). Seine Vorstellung von einer
konsistente Aufgabenanforderungen vorliegen. Während „Erfolgsintelligenz“ umfasst drei Aspekte, die in einem aus-
der kognitiven Phase spielt Intelligenz eine große Rolle; mit geglichenen Verhältnis zueinander stehen sollten:
dem Entstehen konsistenten prozeduralen Wissens ver- 5 analytische Intelligenz
ringert sich allerdings der Einfluss allgemeiner Fähigkeiten 5 kreative Intelligenz
zunehmend, ihre Korrelationen mit Leistungsmaßen sinken. 5 praktische Intelligenz (7 Exkurs „O-Ton Sternberg 1986,
S. 223“).
Assoziative Phase In der assoziativen Phase werden
Strategien eingeübt, die Leistung wird schneller und Mit dieser triarchischen Theorie versteht er Intelligenz als
fehlerfreier. Die Wahrnehmungsgeschwindigkeit wird dynamisches Konstrukt und berücksichtigt Kontextein-
trainiert und verbessert; in der assoziativen Phase geht es flüsse. Praktische Intelligenz wird als die Fähigkeit ver-
daher vor allem um die Kompilation von Wissen und die standen, mit realen Problemen erfolgreich umzugehen.
Schnelligkeit seiner Anwendung. Sternberg (1988) unterscheidet dabei akademisches und
praktisches Wissen. Praktisches Wissen (von Sternberg als
Autonome Phase In der autonomen Phase werden die „tacit knowledge“ deklariert) ist erfahrungsabhängiges,
Fertigkeiten automatisiert, die Tätigkeiten benötigen nur an einen bestimmten Kontext gebundenes prozedurales
noch wenig Aufmerksamkeit oder überhaupt keine mehr, Wissen, das oftmals nicht verbalisiert werden kann, das
sie werden extrem schnell und präzise. zumeist ohne explizite instruktionale Unterstützung aus
38 H. Gruber und E. Stamouli

Exkurs

O-Ton Sternberg (1986, S. 223)

2 The triarchic theory comprises three


subtheories. The first subtheory relates
instrumental in a) learning how to do
things, b) planning what things to do and
emphasizes the roles of novelty and of
automatization in exceptional intelligence.
intelligence to the internal world of how to do them, and c) actually doing the The third subtheory relates intelligence
the individual, specifying the mental things. The second subtheory specifies to the external world of the individual,
mechanisms that lead to more and less those points along the continuum of specifying three classes of acts –
intelligent behaviour. This subtheory one’s experience with tasks or situations environmental adaptation, selection, and
specifies three kinds of information- that most critically involve the use of shaping – that characterize intelligent
processing components that are intelligence. In particular, the account behaviour in the everyday world.

dem sozialen Umfeld angeeignet wird, und das einen Phänomen, dass nämlich die Messung theoretischer
Menschen befähigt, situationsabhängig „richtig“ zu handeln. Konstrukte eng mit ihrer theoretischen Konzeption
Nach Sternberg (1998, S. 157) sind zusammenhängt. Führen wir uns die geschilderte
Dominanz psychometrischer Intelligenztheorien vor
» … Menschen mit der höchsten Erfolgsintelligenz nicht
Augen, ist es nicht erstaunlich, dass die Mehrzahl der Mess-
notwendigerweise jene mit der höchsten Intelligenz
verfahren für Intelligenz auf psychometrischen Annahmen
in allen drei Formen. Vielmehr sind sie – in Schule und
beruht.
Beruf – in der Lage, ihre Stärken optimal zu nutzen, ihre
Schwächen zu kompensieren und aus ihren Fähigkeiten
das Beste zu machen.
2.4.1  Messung von Intelligenz mit
Das heißt, dass man dann hohe Erfolgsintelligenz besitzt, psychometrischer Tradition
wenn man weiß, wann und wie verfügbare Ressourcen
effektiv einzusetzen sind. Praktische Intelligenz wird dem- Bei Intelligenzverfahren, die auf einer psychometrischen
entsprechend nicht über Testverfahren mit Aufgaben Theorie gründen, handelt es sich in der Regel um Tests, bei
erfasst, die wohl definiert, linear und nicht in spezifische denen – meist unter Zeitbeschränkung – relativ kurze Auf-
Kontexte eingebettet sind, sondern über Verfahren, die die gaben zu bearbeiten sind. Die häufigsten Aufgabentypen
Fähigkeit testen sollen, Wissen in relevanten Situationen sind:
anzuwenden. Dabei sind zumeist Probleme zu bearbeiten, 5 Sätze ergänzen
die schlecht definiert, nicht linear und in spezifische 5 Analogien bilden
situationale Kontexte eingebettet sind. Natürlich gab es 5 Gemeinsamkeiten finden
gute Gründe, weshalb solche Aufgaben in der Intelligenz- 5 Zahlenreihen fortsetzen
forschung vermieden wurden. Kessels und Korthagen 5 Figuren auswählen, die zu einer Reihe vorgegebener
(1996) führten die Debatte auf die epistemologische Figuren passen
Überzeugung in großen Teilen der Wissenschaft zurück, 5 mentale Rotation
abstraktes Wissen als höherwertig anzusehen als konkrete 5 Rechenaufgaben ohne verbalen Anteil
Fertigkeiten oder „tacit knowledge of good performance“. 5 Vorzeichenaufgaben
Dies verweist auf interessante Folgerungen für die Messung 5 Vokabularkenntnis
von Intelligenz und Wissen. 5 Sprachverständnis
5 logische Schlussfolgerung.

2.4  Messung von Intelligenz und Wissen In der Praxis lassen sich Intelligenztests in Tests für Kinder
und Jugendliche sowie für Erwachsene unterteilen. Es gibt
In diesem Abschnitt wollen wir grundlegende Möglich- Tests, die vorwiegend auf sprachabhängige Leistungen
keiten und Unterschiede in der Messung von Intelligenz abzielen, und Tests, die relativ sprachfern sind, Tests, die
und Wissen ansprechen, die das in den vorausgehenden nur einen Intelligenzaspekt abdecken, und Tests, die ver-
Abschnitten aufgezeigte Spannungsfeld zwischen beiden schiedene Aspekte messen, Tests, die in Gruppen durch-
Themen widerspiegeln. Es geht also eher um Überblicks- geführt werden können, und Tests, die einzeln angewandt
wissen über Standardverfahren und innovative Ansätze werden.
in der Intelligenzmessung sowie um einen Überblick über Die Vielzahl der vorhandenen Tests macht eine voll-
Methoden der Wissensdiagnostik als um eine umfangreiche ständige Aufzählung unmöglich. Trotzdem werden
Abhandlung der pädagogisch-psychologischen Diagnostik in . Tab. 2.1 exemplarisch einige häufig eingesetzte
(7 Kap. 13). Intelligenztests genannt und kurz erläutert. Eine voll-
Das Bonmot, Intelligenz sei das, was der Intelligenz- ständige, stets aktualisierte Darstellung ist unter 7 http://
test messe, verweist auf ein ernstes wissenschaftliches www.testzentrale.de abrufbar.
Intelligenz und Vorwissen
39 2
. Tab. 2.1 Überblick über häufig eingesetzte psychometrische Intelligenztests im deutschsprachigen Raum

Test Abkürzung Kurzbeschreibung

Raven-Matrizen-Test: Advanced APM Zweifaktorenmodell von Spearman, sprachfreie Erfassung des Intelligenz-
Progressive Matrices potenzials
Berliner Intelligenzstruktur-Test BIS Vielfalt und Breite von Intelligenzleistungen (45 Aufgabentypen)
Hannover-Wechsler-Intelligenztest HAWIVA Intelligenzmodell von Wechsler. Erfassung allgemeiner und spezifischer
für das Vorschulalter Fähigkeiten bei Kindern im Vorschulalter
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest HAWIK Nach Intelligenzmodell und WISC-Test von Wechsler: Je fünf Untertests
für Kinder zum „Handlungsteil“ (Bilderergänzen, Zahlen-Symbol-Test, Bilderordnen,
Mosaiktest, Figurenlegen) und zum „Verbalteil“ (allgemeines Wissen,
Gemeinsamkeiten finden, rechnerisches Denken, Wortschatztest, all-
gemeines Verständnis). Ferner Untertests Zahlennachsprechen, Symboltest,
Labyrinthtest
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest HAWIE Intelligenzmodell von Wechsler, Messung der allgemeinen, der sprachlichen
für Erwachsene und Handlungsintelligenz; Profilanalyse
Intelligenz-Struktur-Test 70 IST-70 Intelligenzstruktur als Gefüge aus sprachlichen und rechnerischen Fähig-
keiten, räumlichem Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit; Profilanalyse
vor allem für Eignungsdiagnostik
Kognitiver Fähigkeits-Test KFT Kognitive Fähigkeiten (vor allem für schulisches Lernen) in den Bereichen
sprachliches Denken, quantitative (numerische) Fähigkeiten und
anschauungsgebundenes (figurales) Denken; Fokus auf Verarbeitungskapazi-
tät im Sinne des Berliner Intelligenzstrukturmodells
Leistungsprüfsystem LPS Intelligenzmodell von Thurstone, Analyse der Intelligenzarten, Ermittlung
der Begabungsstruktur
Raven Matrizen Test: Standard SPM Zweifaktorenmodell von Spearman, Erfassung des g-Faktors
Progressive Matrices

2.4.2  Messung von praktischer Intelligenz Situationen vornehmen mussten. Zu einer Reihe von
Situationen gab es jeweils zwischen 6 und 20 vorgegebene
Die am weitesten reichenden Vorstellungen über die Antwortmöglichkeiten unterschiedlicher Qualität. Jede
empirische Erfassung von praktischer Intelligenz Antwortmöglichkeit musste auf einer Skala eingeschätzt
fokussieren Wege zur Messung von „tacit knowledge“ werden, die von „vollkommen unwichtig“ bis „extrem
– womit diese Verfahren bereits im Grenzbereich zur wichtig“ reichte. Analog sollte in derselben Studie in einem
Messung von Wissen liegen. Die Verfahren fokussieren weiteren Verfahren eine Einschätzung für eine ideale statt
folgende Aspekte: der eigenen Arbeitsumgebung abgegeben werden.
5 Konstruktion konzeptueller Modelle über Interviews
und Protokolle lauten Denkens
5 Durchführung qualitativer Interviews mit erfolgreichen 2.4.3  Messung von Wissen
Berufstätigen
5 Einschätzung arbeitsverbundener Situationen und ihrer Die klassische Form der Wissensdiagnostik besteht
Relevanz durch erfolgreiche Berufstätige in der Ermittlung des Faktenwissens durch – oft über
5 Beschreibung der Gestaltung einer idealen statt der Multiple-Choice-Fragen gestaltete – Wissenstests. Die
­
eigenen tatsächlichen Arbeitsumgebung. Darstellung der Verfahren zur Messung von praktischer
Intelligenz deutete bereits an, dass mit der Differenzierung
Eteläpelto (1993) plädiert insbesondere für die Methode des Wissensbegriffs eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von
der Konstruktion konzeptueller Modelle, da mit ihnen Messverfahren entwickelt werden kann. Die folgende Dar-
die subjektive Natur praktischer Intelligenz erfasst werden stellung kann nur eine Ahnung dieser Vielfalt vermitteln.
kann. Beim Einsatz von Strukturlegetechniken und
Mapping-Techniken sind dann nicht alle Begriffe vom Ver- Interviews Als eine auch bei Kindern im Grundschul-
suchsleiter vorzugeben, sondern die Versuchspersonen alter verwendbare Methode, um konzeptuelles Wissen
erhalten Freiraum zur eigenen Gestaltung von Begriffen. zu erheben, beschreibt Vosniadou (1994) mündliche
Zur Erfassung von „tacit knowledge“ setzten Wagner Interviews. Sie plädiert für möglichst offene Transfer-
und Sternberg (1986) qualitative Interviews erfolgreicher fragen und schlägt vor, dass die Interviews nicht auf
Berufstätiger sowie ein Verfahren ein, bei dem kompetente verbale Daten beschränkt bleiben, sondern dass beispiels-
Versuchspersonen eine Einschätzung arbeitsrelevanter weise auch Zeichnungen oder Diagramme erfasst werden
40 H. Gruber und E. Stamouli

sollten. Interviews wurden und werden jedoch in der Lautes Denken Eine der bevorzugten wissens-
Forschung nur selten verwendet. Dies liegt u. a. daran, diagnostischen Analysemethoden im Informations-
dass die Durchführung, die qualitative Auswertung und verarbeitungsansatz besteht in der Erhebung und
2 die quantitative Kodierung der Antworten aufwendig
sind. Außerdem ist die Objektivität durch die direkte
Analyse von Protokollen lauten Denkens. Dass diese
zunächst als introspektiv bezeichnete Methode unter
Interaktion zwischen Interviewer und Interviewtem sowie bestimmten Bedingungen zuverlässige Ergebnisse liefert,
die notwendige Kodierung der Antworten in der Regel wiesen Ericsson und Simon (1993) nach. Sie zeigten,
niedriger als bei Fragebogen. dass simultane, untergeordnete und unspezifische
Verbalisierung den besten Schutz vor introspektiver Ver-
Concept Maps Concept Maps greifen die oben genannte zerrung bietet. Verbale Berichte erteilen dann genügend
Idee der grafischen Erfassung von Wissen auf. Sie werden zuverlässige Auskunft über kognitive Prozesse und
häufig in Form von Netzwerkdarstellungen eingesetzt. Strukturen.
Die einfachste Möglichkeit besteht darin, Probanden In einer Übersicht über die Entwicklung wissens-
selbstständig ein konzeptuelles Netzwerk zeichnen oder diagnostischer Methoden plädieren Hoffman und
ein teilweise vorgegebenes vervollständigen zu lassen. Lintern (2006) dafür, Mut zum Einsatz neuer, bislang
Komplexere Formen basieren auf computerunter- ungewohnter Verfahren zu besitzen. Karriere-Tiefen-
stützten Verfahren und haben sich in der Erfassung und interviews versprechen ihrer Ansicht nach wichtige Aus-
Diagnose komplexer Wissensstrukturen bewährt (Eckert kunft über die Breite und Tiefe der Erfahrung einer
2000). Mapping-Verfahren werden zunehmend auch zur Person, die Untersuchung von „professional standards“
Simulation und Vorhersage hypothetisch angenommen gewährt eine Einsicht darüber, was zum Erreichen einer
Wissens eingesetzt, etwa im Verfahren des „knowledge beruflichen (Spitzen-)Position notwendig ist, die Ana-
tracking“ (Janetzko und Strube 2000). lyse beruflicher sozialer Interaktionen zeigt, ob als wichtig
angenommene Verhaltensweisen sich tatsächlich in der
Netzwerkanalysen Der Einsatz von Netzwerktechniken professionellen Tätigkeit bewähren.
liegt insbesondere dann nahe, wenn die Verbreitung
von Wissen in sozialen Strukturen (beispielsweise in
Teams, in Unternehmen oder in Staaten) analysiert 2.5  Intelligenter Wissenserwerb im
werden soll. Mithilfe „sozialer Netzwerkanalysen“ Studium – Auch eine Frage der
werden Relationen zwischen allen Akteuren der unter- epistemologischen Überzeugungen von
suchten Strukturen erfasst, sodass die Position eines Dozierenden?
Individuums in der Struktur analysiert werden kann.
Da in der Expertiseforschung das Entstehen von hohem In diesem Kapitel wurden einerseits grundlegende Unter-
Expertisegrad zunehmend als Kombination individueller schiede in der Forschung zu Intelligenz und zu Vorwissen
Exzellenz und sozialer Anerkennung gesehen wird, skizziert, andererseits wurde nachgezeichnet, wie in einigen
gewinnen Netzwerkanalysen als diagnostische Verfahren Theorien versucht wird, einen Zusammenhang zwischen
rasch an Bedeutung (Gruber et al. 2018). beiden Forschungsbereichen herzustellen. Ein solches
Zusammenspiel ist zwangsläufig komplex und anspruchs-
Komplexe Simulationen Der Einsatz komplexer voll, wenn es die Potenziale beider Gebiete nutzen soll.
Simulationen zur Erfassung prozeduralen Wissens ist im Fall Die Anforderungen, die an den Erwerb „intelligenten
der Pilotenausbildung allgemein bekannt; Flugsimulatoren Wissens“ gestellt werden, sind hoch, und leider ist die
sollen die Authentizität realer Situationen herstellen, sodass ­pädagogisch-psychologische Praxis voll von misslungenen
– ohne objektives Risiko – die Fähigkeiten und Fertig- Versuchen. Dies gilt selbst für jene Lehr-Lern-Orte, an
keiten der angehenden Piloten getestet werden können. denen besonders intelligente und wissensreiche Dis-
Simulationen finden in der Messung von Wissen in solchen kussionen geführt werden sollten, für Universitäten. Die
Bereichen besonderen Zuspruch, die ein erhebliches Risiko Arbeitsgruppe um Mandl et al. (1994) lieferte empirische
mit sich bringen (z. B. in der medizinischen Ausbildung) Belege dafür, dass auch Studierende das Wissen, das sie
oder die motorische Komponenten beinhalten (z. B. Fußball; in bestimmten Kontexten in der Universität erwarben, oft
Ward et al. 2006). Sie werden jedoch zunehmend auch nicht in anderen Situationen oder bei anderen Problem-
zur Erfassung konzeptuellen Wissens eingesetzt, etwa im stellungen anwenden können, weil ihr erworbenes Wissen
betriebswirtschaftlichen Bereich bei der Leitung von Unter- „träge“ bleibt, also an die Lernsituation gebunden und nicht
nehmen.
Intelligenz und Vorwissen
41 2
flexibel einsetzbar ist. Eine denkbare Abhilfe verheißen
konstruktivistisch orientierte Lehr-Lern-Konzepte, in wurde. Allerdings müssen pädagogisch-psychologische
denen auf Authentizität, auf Aktivierung der Lernenden, Instruktionsansätze auch anerkennen, dass der
auf das Erwecken von Interesse und auf Lernprozesse in Erwerb (umfangreichen) deklarativen Faktenwissens
anwendungsnahen Situationen Wert gelegt wird (7 Kap. 1). eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche
Abschließend wollen wir ein mögliches Hinder- Prozeduralisierungsprozesse darstellt – aber eben nicht
nis „intelligenten Wissenserwerbs“ erwähnen. Wie wir das Ende der Wissenserwerbsfahnenstange!
zeigten, gewann die Forschung über epistemologische Über-
zeugungen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung, weil
die individuelle Epistemologie als eine wichtige Grundlage
der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen Wörterrätsel
erkannt wurde. Die Relevanz epistemologischer Über- Die Lückenwörter der folgenden Aussagen sind im Rätsel
zeugungen zeigt sich aber nicht nur bei den Lernenden, versteckt (. Abb. 2.5):
sondern auch bei denen, die das Lernen in Gang setzen 5 „… einer Testperson: Quotient aus dem
sollen, bei den Lehrenden. Lehrende, die anerkennen, Intelligenzalter und dem Lebensalter der
dass Lernende über bestimmte epistemologische Über- Testperson.“
zeugungen verfügen und diese zur Grundlage von Lern- 5 „… einer Testperson: Lebensalter derjenigen
entscheidungen machen, sehen die Lernenden mit anderen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche Zahl
Augen (Hasanbegovic et al. 2006). Es gelingt ihnen einfacher, und Art von Aufgaben löst wie die Testperson.“
Stärken und Schwächen und damit den Förderungsbedarf der 5 „… stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des
Lernenden zu erkennen und die Lernsituation angemessen Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale
zu gestalten. Die epistemologischen Überzeugungen von Übereinkunft festgelegt ist. Vom … eines bestimmten
Lehrenden beeinflussen zudem die Ausgestaltung ihrer Lehr- Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn er
angebote (Gruber et al. 2007; Tenenbaum et al. 2001). Überzeugung von der Gültigkeit dieses … hat.“
Die Einführung von E-Learning und virtuellen Lernplatt- 5 „Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die
formen in der Hochschullehre verändert im Prinzip radikal Bewältigung komplexer, authentischer Probleme
die damit implizierte Art des Lernens Studierender, etwa in ohne umfangreiches … nicht möglich ist.“
Richtung einer größeren Bedeutung von Selbststeuerungs- 5 „… ist der Prozess des Bildens bedeutungstragender
aktivitäten. Inwiefern sich aber die epistemologischen Über- Informationseinheiten im Arbeits- oder Kurzzeit-
zeugungen von Lehrenden bereits entsprechend geändert gedächtnis, mit dessen Hilfe erklärt werden kann,
haben, wurde bislang noch kaum untersucht; sollte dies weshalb Menschen trotz vergleichbarer Gedächtnis-
nicht der Fall sein, wird das Potenzial von E-Learning wahr- kapazität unterschiedliche viel erinnern können.“
scheinlich nicht überzeugend genutzt. Bislang jedenfalls
wird die Diskussion über den Einsatz von E-Learning zur
Lösung von Problemen der Hochschullehre vornehmlich ? Verständnisfragen
aus technologischer Perspektive geführt, Analysen über die 1. Warum ist umfangreiches Vorwissen bei der
pädagogische und didaktische Integration sowie über die Bewältigung komplexer, authentischer Probleme von
veränderte Rolle Lehrender sind rar. Gerade in der Praxis Bedeutung?
der virtuellen Hochschullehre ist oft zu beobachten, dass 2. Welcher ist der Gegenstand der Informationsver-
traditionelle Lehr-Lern-Modelle weitgehend unverändert auf arbeitungstheorie?
E-Learning übertragen werden (Astleitner 2000). 3. Was wird in Ackermans Theorie der „ability
„Intelligenter Wissenserwerb“ – ein anspruchsvolles determinants of skilled performance“ beschrieben?
Vorhaben nicht nur für Lernende, sondern auch für ihre 4. Wie wird praktische Intelligenz nach Sternberg
Lehrenden! definiert?
5. Warum spielen epistemologische Überzeugungen
von Lernenden eine wichtige Rolle bei der Ausübung
Fazit der Tätigkeit von Lehrenden?
Mit den Ausführungen in diesem Kapitel wurde
aufgezeigt, dass die Unterstützung intelligenten Vertiefende Literatur
Wissenserwerbs voraussetzt, dass zum einen 5 Anderson, J. R. (1996). Kognitive Psychologie (2. Aufl.). Heidelberg:
Spektrum.
Lernprozesse neu konzipiert werden und zum anderen
5 Gruber, H., Mack, W., & Ziegler, A. (Hrsg.). (1999). Wissen
auch die Ziele des Lernens zu verändern sind. Der und Denken. Beiträge aus Problemlösepsychologie und
Erwerb von Faktenwissen kann nicht mehr vorrangiges Wissenspsychologie. Wiesbaden: Deutscher U ­ niversitäts-Verlag.
Ziel sein, wenn die Wissensvielfalt angestrebt wird, die 5 Sternberg, R. J., Kaufman, J. C., & Grigorenko, E. L. (2008). Applied
zur Beschreibung von Expertenhandeln identifiziert intelligence. Cambridge: Cambridge University Press.
42 H. Gruber und E. Stamouli

L C M X R Z B R Q S T S K L J S K Y P I

B K K U G M U G A O G S S E P S P R C J
2
A N R M K G E Q O T C Y X L R Z I C N K

N E I G M K R H W K C O M H F H T R S T

I Z F O D K P J N L E E K W D V S T U I

O G V P Z V D E H C L J C N P G G F J F

G J C H T K B J D T K O Q V C L A K W U

V V L N R Y M Y X P S Q A F X F I Q P H

I N T E L L I G E N Z Q U O T I E N T J

C M I G P Q T O S R D X Y X Z P U B E L

X Q H W D Y S C O J E O G Y C B I K X I

T L V W G B I I U Y L Y T C E M I W U C

F J W S Q U F K R T M Y L F H C L V L H

S L F I N T E L L I G E N Z A L T E R U

U Z O Q N K X I Z E V K N C F T X M S N

N K U J F E Z G X K H I E W H J F E G K

S M Y I J C I F P K M V S W D R E N Q I

P Q O R P P G R O S J B S A I J S F B N

N X W L Z K K Z V O R W I S S E N W D G

W S P C W E C Q E G M B W E N D B G X L

. Abb. 2.5 Wörterrätsel. (Erstellt mit 7 http://suchsel.de.vu)

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45 3

Selbstregulation und
selbstreguliertes Lernen
Franziska Perels, Laura Dörrenbächer-Ulrich, Meike Landmann, Barbara Otto,
Kathleen Schnick-Vollmer und Bernhard Schmitz

3.1  Begriffsbestimmung „Selbstreguliertes Lernen“ – 46


3.2  Modelle der Selbstregulation – 46
3.2.1  Prozessorientierte Modelle der Selbstregulation – 47
3.2.2  Schichtenmodelle der Selbstregulation – 50

3.3  Diagnostik von Selbstregulation – 52


3.3.1  Fragebogen – 52
3.3.2  Lerntagebücher – 53
3.3.3  Interviews – 53
3.3.4  Beobachtungsverfahren – 56
3.3.5  Strategiewissenstests – 56
3.3.6  Denkprotokolle & Mikroanalysen – 57

3.4  Förderung von Selbstregulation – 58


3.4.1  Gestaltung und Optimierung von Trainingsmaßnahmen zur
Förderung von Selbstregulation – 58
3.4.2  Exemplarische Beschreibung von Trainingsmaßnahmen – 60

3.5  Ausblick – 63
Literatur – 64

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_3
46 F. Perels et al.

Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, die eigenen


Gedanken, Emotionen und Handlungen zielgerichtet zu
steuern (vgl. Zimmerman 2000). Sie ist Grundvoraussetzung,
um sich Ziele setzen und diese erreichen zu können. Dies
gilt für alle Lebensbereiche: für den Sport gleichermaßen
wie für das Berufsleben, für die Freizeit ebenso wie für
3 Schule und Studium. Unerlässlich sind selbstregulative
Kompetenzen vor allem im schulischen/universitären All-
tag. In diesem Zusammenhang sprechen wir von selbst-
reguliertem Lernen. Die Entwicklung der Fähigkeit zum
eigenverantwortlichen, selbstregulierten Lernen wird neben
der Vermittlung von Fachwissen als eine der Hauptaufgaben
der Bildung und Erziehung junger Menschen gesehen. Auf-
grund schnell veraltenden Wissens (z. B. digitale Medien)
und einer durch die Globalisierung bedingten Wissens-
explosion ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler
lernen, wie sie sich neues Wissen selbstständig aneignen
können. Vor allem Lernsituationen jenseits formaler
Unterrichtssequenzen (wie z. B. das Lernen für eine
Klassenarbeit) erfordern von Schülerinnen und Schülern
Lernkompetenzen, die es möglich machen, den Lern-
prozess selbstständig zu strukturieren und zu reflektieren.
Zahlreiche empirische Studien (z. B. Dörrenbächer und
Perels 2016; Otto 2007a; Perels et al. 2009; Schmitz und
Wiese 2006; Zimmerman et al. 2011), die darauf abzielen,
selbstreguliertes Lernen zu fördern, zeigen, dass dieser
Schlüsselkompetenz eine bedeutende Rolle in allen Lern-
situationen zukommt. Die theoretische Modellierung des
Konstrukts Selbstregulation ist Grundvoraussetzung für . Abb. 3.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
die Diagnostik der Selbstregulation und für entsprechende
Interventionen. Infolgedessen stellt das vorliegende Kapitel
zunächst ausgewählte Modelle der Selbstregulation und drei Komponenten selbstregulierten Lernens unterschieden
des selbstregulierten Lernens vor. Es folgt eine Darstellung werden:
von Verfahren zur Diagnostik selbstregulierten Lernens und 1. kognitive Komponente: betrifft die Informationsver-
daran anschließend von Ansätzen zur Förderung selbst- arbeitung, das konzeptionelle und strategische Wissen
regulierten Lernens. Das Kapitel endet mit einem Ausblick sowie die Fähigkeit, entsprechende Strategien (z. B.
auf zukünftige Forschungsfelder und praktische Heraus- kognitive Lernstrategien; vgl. 7 Abschn. 3.2, Exkurs
forderungen (. Abb. 3.1). „Lernstrategien“) anzuwenden;
2. motivationale Komponente: umfasst Aktivitäten, die
der Initiierung (z. B. Selbstmotivierung) und dem
3.1  Begriffsbestimmung „Selbstreguliertes Aufrechterhalten (volitionale Steuerung) des Lernens
Lernen“ dienen, sowie handlungsfördernde Attributionen von
Erfolgen und Misserfolgen und die Selbstwirksam-
Der Begriff des selbstregulierten Lernens („self-regulated keitsüberzeugung;
learning“) wird in der Literatur bereits seit einigen Jahr- 3. metakognitive Komponente: beinhaltet die Planung,
zehnten diskutiert. Er wird häufig synonym mit Begriffen Selbstbeobachtung, Reflexion und adaptive Anpassung
wie selbstgesteuertes Lernen („self-directed learning“), des Lernverhaltens in Bezug auf das angestrebte Lernziel.
selbstbestimmtes Lernen („self-determined learning“),
selbstorganisiertes Lernen oder autonomes Lernen ver-
wendet. Diese Begrifflichkeiten bezeichnen letztendlich 3.2  Modelle der Selbstregulation
alle das vom/von der Lernenden aktiv initiierte Vorgehen,
das eigene Lernverhalten unter Einsatz von verschiedenen In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Modelle zur
Strategien zu steuern und zu regulieren. Den zahlreichen Selbstregulation entwickelt. Diese Modelle werden benötigt,
Definitionen (z. B. Friedrich und Mandl 1997; Schiefele um in einem weiteren Schritt den theoretischen Hinter-
und Pekrun 1996; Zimmerman 2000) ist gemeinsam, dass grund sowohl für die Diagnostik als auch die Förderung
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
47 3
Exkurs

Lernstrategien
Der Einsatz verschiedener Lernstrategien Prüfen) unterteilen. Während der Einsatz überwachen. Hierunter werden z. B. die
stellt den Kern des selbstregulierten von Oberflächenstrategien lediglich dem Selbstreflexion und Selbstbewertung
Lernens dar. Im Wesentlichen werden drei Faktenlernen dient, führt der Einsatz gefasst.
Arten von Lernstrategien unterschieden: von Tiefenstrategien zu einem gut Ressourcenorientierte Lernstrategien
kognitive, metakognitive und ressourcen- verankerten Wissen. Hier wird versucht, bilden die Ressourcen ab, auf die
orientierte Lernstrategien. Die ersten Lerninhalte zu verstehen, indem sie der/die Lernende vor oder während
beiden werden auch als Primär-, letztere beispielsweise strukturiert oder an bereits des Lernprozesses zugreifen kann.
als Sekundär- oder Stützstrategien bestehendes Vorwissen angeknüpft Hier werden internale Ressourcen
bezeichnet (vgl. Wild 2000). Kognitive werden. wie Anstrengung, Aufmerksamkeit
Strategien beschreiben den Umgang Metakognitive Strategien lassen sich und Konzentration und externale
mit einem konkreten Lerninhalt. Sie als sogenannte Kontrollstrategien Ressourcen wie eine geeignete
lassen sich in sogenannte O­ berflächen- bezeichnen. Sie zielen in erster Linie Lernumgebung, soziale Unterstützung
(Wiederholungsstrategien) und darauf ab, die Richtigkeit und den Einsatz oder beispielsweise das Vorhandensein
Tiefenstrategien (Organisations- und der kognitiven Strategien zu überprüfen von Literatur differenziert (s. auch
Elaborationsstrategien sowie kritisches und den gesamten Lernprozess zu 7 Abschn. 3.3.1).

selbstregulatorischer Kompetenzen (7 Abschn. 3.3 und 3.4) Ein häufig zitiertes Beispiel für diesen Mechanismus ist
zu bilden (vgl. Wirth und Leutner 2008). Sie lassen sich das Heizungsthermostat. Dieses wird auf eine gewünschte
grob in die zwei Gruppen der Prozessmodelle (z. B. Schmitz Temperatur eingestellt (Soll-Wert) und misst fortwährend
und Wiese 2006; Zimmerman 2000) und Schichtenmodelle (Zustandsmonitoring) die aktuelle Raumtemperatur
(z. B. Boekaerts 1999; Landmann und Schmitz 2007a) ein- ­(Ist-Zustand). Im Falle einer negativen Diskrepanz (d. h.
teilen. Erstere fokussieren den dynamischen und phasen- zu kühler Raumtemperatur) wird geheizt. Bei Erreichen
bzw. prozessbezogenen Charakter der Selbstregulation. der gewünschten Temperatur wird die Wärmezufuhr ein-
Letztere betonen die verschiedenen (Selbst-)Regulations-
­­ gestellt, da keine Differenz mehr zwischen Ist-Zustand und
ebenen und die darin enthaltenen Komponenten. Soll-Wert vorliegt.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Der hier beschriebene Regulationszyklus lässt sich
Zugangsweisen werden im Folgenden anhand ausgewählter leicht auf menschliches Verhalten – so auch auf die
Modelle illustriert. Um die Modelle verständlicher und Selbstregulation – übertragen. Die in den letzten beiden
greifbarer zu machen, unterstützt an dieser Stelle der Jahrzehnten hervorgebrachten Prozessmodelle der Selbst-
Exkurs über die Bedeutung verschiedener Lernstrategien. regulation bauten aufeinander auf und wurden durch die
Berücksichtigung weiterer Annahmen und Konstrukte
zunehmend differenzierter. Beispielsweise griff Zimmerman
3.2.1  Prozessorientierte Modelle der (2000) in seinem Modell grundlegende Überlegungen
Selbstregulation von Bandura (1991) auf, betonte jedoch stärker als dieser
den kreisförmigen und adaptiven Charakter von Selbst-
Das allgemeine Prozessmodell regulation.
Prozess- oder phasenbezogene Modelle betrachten die
Selbstregulation als einen dynamischen und iterativen, also Beispiel
schrittweisen, regelkreisähnlichen Prozess. Dieser Prozess
lässt sich in verschiedene Phasen gliedern. Er folgt letzt- Da selbstreguliertes Verhalten zahlreiche Aspekte
lich einem Grundmuster, das bereits Mitte des letzten menschlichen Handelns betrifft (z. B. die Aneignung
Jahrhunderts im allgemeinen 7 kybernetischen Modell gesundheitsförderlichen Verhaltens, die Einübung
von Wiener (1948) beschrieben wurde. In diesem ein- motorischer Handlungsabläufe, die Optimierung des
fachen Regelkreismodell wird ein aktueller Ist-Zustand mit Arbeits- und Lernverhaltens usw.), gibt es Modelle,
einem angestrebten Soll-Wert verglichen. Eine Feedback- die Selbstregulation im Zusammenhang mit einem
schleife meldet das Ergebnis an das System zurück. Im Falle speziellen Kontext beschreiben. Das selbstregulierte
einer Übereinstimmung der beiden Werte erfolgt keine Lernen nimmt hierbei eine besondere Wichtigkeit ein:
regulierende Aktion. Im Falle einer Diskrepanz zwischen Lernen bezieht sich bei Weitem nicht nur auf Schule und
beiden Werten werden regulative Handlungen ergriffen, mit Studium; der Mensch lernt von der ersten Minute an
dem Ziel, den Ist-Zustand an den Soll-Wert anzugleichen. sein ganzes Leben lang. Zudem ist menschliches Lernen
Erst bei der Übereinstimmung des Ist-Zustands mit dem so lebensbereichsübergreifend wie kaum ein anderes
Soll-Wert werden die Regulationsmaßnahmen eingestellt. Verhalten.
48 F. Perels et al.

Prozessmodelle der Selbstregulation im Entscheidung sind Merkmale der Aufgabe (interessant, auf-
Kontext des Lernens wendig), der Situation (Antizipation möglicher Störungen)
Eine geeignete Darstellung, um Selbstregulation im Kontext und personelle Faktoren (z. B. verfügbare Zeit, Befindlich-
des Lernens zu beschreiben, bietet das Prozessmodell der keit, Anstrengungsbereitschaft).
Selbstregulation von Schmitz et al. (2007; . Abb. 3.2). Nachfolgend werden die drei Phasen im Zusammen-
In diesem Modell werden drei Phasen differenziert, die hang mit dem selbstregulierten Lernen erläutert:
3 Schmitz in Anlehnung an Heckhausen (1989) und Goll- 1. Die präaktionale Phase („forethought phase“) dient
witzer (1990) als präaktional, aktional und postaktional der Handlungsplanung bzw. der Vorbereitung des
bezeichnet. Diese Phasen sind letztlich als Bestandteil eines Lernprozesses. Ausgehend von der gegebenen Auf-
dynamischen und iterativen Prozesses zu sehen: Adaptives gabe, den Bedingungen der Situation, den individuellen
Handeln findet immer dann statt, wenn Überzeugungen des/der Lernenden und seinen/ihren
5 präaktional Ziele gesetzt werden, deren Erreichung emotionalen und motivationalen Voraussetzungen
durch entsprechende Strategien in der werden in dieser Phase Ziele definiert, Strategien zur
5 aktionalen Phase angestrebt wird, und deren Umsetzung der Ziele ausgewählt und entsprechende
Bewertungsprozesse in der Handlungen geplant. Grundlegende Aspekte dieser
5 postaktionalen Phase zu eventuellen Modifikationen Phase sind also die Aufgabenanalyse, die Zielsetzung
führen (7 Beispiel „Selbstreguliertes Lernen“). und -formulierung und das Herausbilden selbst-
motivierender Überzeugungen für die bevorstehende
Das Modell basiert auf den Überlegungen von Zimmerman Lernhandlung (etwa im Sinne von 7 Selbstwirksam-
(2000), führt diese jedoch in verschiedener Hinsicht weiter keit). Der resultierende Soll-Wert wird als Referenzgröße
und trägt insbesondere der Beobachtung Rechnung, für zukünftiges Regulationsverhalten herangezogen.
dass nicht bei jeder Aufgabenstellung (z. B. bei sehr ein- 2. Die sich anschließende aktionale Phase („performance
fachen Aufgaben) explizite Selbstregulation notwendig or volitional control phase“) entspricht der eigent-
ist und die Vollständigkeit der Bearbeitung von Aufgaben lichen Lernhandlung. Hier werden die ausgewählten
variiert. In dem Modell wird postuliert, dass Filter in der Strategien umgesetzt und das Handeln überwacht und
präaktionalen Phase zu diesen Unterschieden führen. kontrolliert. Kernaspekte dieser Phase sind volitionale
Diese Filter bilden implizite und explizite Entscheidungen (also willentliche) Prozesse, die der Aufrechterhaltung
ab, die vom/von der Lernenden im Hinblick auf die Auf- und Optimierung der Handlungsausführung dienen
gabenbearbeitung getroffen werden. Relevant für die (z. B. Anstrengungs- oder Konzentrationskontrolle).

. Abb. 3.2 Komponenten der Selbstregulation in der präaktionalen, der aktionalen und der postaktionalen Phase. (Nach Schmitz und Schmidt
2007, mit freundlicher Genehmigung des K
­ ohlhammer-Verlags; modifiziert nach Schmitz und Wiese 2006, with permission from Elsevier)
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
49 3
Weiterhin kommt der Selbstbeobachtung ein
besonderer Stellenwert zu. Diese ermöglicht es, wesent- geplanten kognitiven Strategien ein. Sie liest die
liche Einflussgrößen und Wirkungen des eigenen Strophe mehrfach laut. Dann überprüft sie, ob sie an
Handelns zu beobachten und als Information für ihrem ursprünglichen Plan festhält (Self-Monitoring):
weitere Regulationsprozesse bereitzustellen. Erfolg- Sie erinnert sich, dass sie nach mehrfachem Ablesen
reiches Lernen kann in dieser Phase an einer aus- das Buch seltener zur Hilfe nehmen wollte. So sieht Mia
reichenden und effektiv genutzten Lernzeit sowie an immer seltener in das Buch.
einem situationsangemessenen Einsatz von allgemeinen Postaktionale Phase: Nach einiger Zeit stellt sie fest,
(z. B. volitionalen) und aufgabenspezifischen (z. B. dass sie noch nicht sehr viel auswendig gelernt hat. Sie
mathematischen) Strategien festgemacht werden. ist traurig (emotionale Reaktion, vgl. auch 7 Kap. 9),
3. Die abschließende postaktionale Phase aber auch angespornt, ihre Aufgabe zu beenden. An
­(„self-reflection phase“) dient zum einen der Ein- dieser Stelle hat sie die Möglichkeit, ihr Ziel oder ihre
schätzung der Handlungsergebnisse und zum anderen Strategie zu modifizieren. Zweite präaktionale Phase:
der Ableitung von Konsequenzen für zukünftiges Mia merkt, dass das Gedicht einige Fremdwörter
Handeln. Hauptkomponenten dieser Phase sind enthält, die es vorher zu klären gilt (Strategiemodi-
also die Bewertung der erbrachten Leistung und der fikation: erneute Planung kognitiver Lernstrategien).
Abgleich mit dem in der Planungsphase gesetzten Zweite aktionale Phase: Mia informiert sich über die
Ziel ­(Ist-Soll-Vergleich), die Reflexion über Ergebnis- Bedeutung der Wörter, die ihr nicht klar sind. Da sie
ursachen und den gesamten Handlungsverlauf (z. B. den Zusammenhang des Gedichts nun besser versteht,
Umgang mit Hindernissen, erfolgreiche Strategien) kann sie die Strophe bald auswendig aufsagen. Mia
sowie das Ableiten von Schlussfolgerungen und Vor- klappt das Buch zu und trägt die Strophe noch zweimal
sätzen (im Sinne der Strategie- oder Zielmodifikation) vor. Zweite postaktionale Phase: Sie stellt fest, dass
im Hinblick auf die nächste Handlungsphase bzw. sie ihr Ziel erreicht hat. Sie attribuiert ihren Erfolg auf
Lernsequenz. Reflexionen in der postaktionalen Phase ihre Anstrengung und ist daher sehr stolz auf sich.
beeinflussen also unmittelbar den Planungsprozess Das Erreichen dieses Ziels wiederum beeinflusst ihre
in der präaktionalen Phase des folgenden Lernzyklus. Selbstwirksamkeitserwartung bzgl. des nächsten
Eine anschauliche Beschreibung der drei Phasen bietet Lernprozesses. Wenn sie wieder ein Gedicht lernen will,
folgendes Beispiel: kann sie sich an ihren Erfolg erinnern.

Beispiel
Das Modell ist konform mit den Ergebnissen von Sitz-
Selbstreguliertes Lernen mann und Ely (2011), die im Rahmen ihrer Meta-
Mias Hausaufgabe besteht darin, innerhalb von drei analyse die Erfolgsfaktoren selbstgesteuerten Lernens
Tagen ein Gedicht auswendig zu lernen. Präaktionale herauskristallisieren konnten: Zielsetzung, Selbstwirksam-
Phase: Sie schlägt das Buch auf, analysiert die Aufgabe keit, Ausdauer und Anstrengung.
(Lernen eines Gedichts mit drei Strophen) und formuliert Ein weiteres Modell, das geeignet ist, um Selbst-
ihr Ziel (im Idealfall SMART (Doran 1981): spezifisch, regulation im Kontext von Lernen darzustellen, stammt von
messbar, angemessen/anspruchsvoll, realistisch, Pintrich (2000). Es unterscheidet sich von den bisher dar-
terminiert; vgl. auch 7 Kap. 17): „Ich möchte jeden gestellten Modellen insofern, als zum einen vier statt drei
Tag neben den übrigen Hausaufgaben eine Strophe Phasen differenziert werden, da der Selbstüberwachung
des Gedichts lernen.“ Danach plant Mia, welche bzw. Selbstbeobachtung eine separate Phase gewidmet ist:
Vorgehensweise zum Erfolg führen könnte (Planung die Überwachungs- oder Monitoringphase. Somit besteht
der kognitiven Lernstrategien): „Dazu werde ich die das Modell aus folgenden vier Phasen:
Strophe mehrmals betont lesen und dann versuchen, 1. Planungs- und Aktivationsphase
während des Aufsagens immer weniger in das Buch zu 2. Überwachungs- oder Monitoringphase
schauen.“ Mia ruft sich in Erinnerung, dass sie, wenn 3. Kontrollphase
sie ihre Aufgaben erledigt hat, ihre Freundin besuchen 4. Reaktions- und Reflexionsphase.
kann (Motivation, vgl. auch 7 Kap. 7). Aus vorherigen
Erfahrungen weiß sie, dass sie gut auswendig lernen Zum anderen werden, bezogen auf jede der vier Phasen,
kann (hohe Selbstwirksamkeitserwartung, vgl. auch vier Regulationsaspekte bzw. -bereiche unterschieden:
7 Kap. 8). 1. Kognition
Während der aktionalen Phase verhält sich Mia 2. Motivation/Affekt
entsprechend ihres Plans. Vorab prüft sie, ob ihr 3. Verhalten
Schreibtisch aufgeräumt und das Handy ausgeschaltet 4. Kontext.
ist (externale Ressource: geeignete Lernumgebung).
Dann beginnt sie mit dem Lernen und setzt die Aus diesen vier Phasen und vier Regulationsbereichen
ergibt sich ein 16-zelliges Kategorisierungsschema, das
50 F. Perels et al.

. Tab. 3.1 Phasen und Bereiche der Selbstregulation. (Modifiziert nach Pintrich 2000, with permission from Elsevier)

A B C D

Phasen der Bereiche der Regulation


Regulation
Kognition Motivation/Affekt Verhalten Kontext
3 1 Voraussicht, – Ziele setzen – Zielorientierung – Planung von Zeit und – Wahrnehmung der
Planung, – Wissensaktivierung – Selbstwirksamkeitsein- Anstrengung Aufgabe
Aktivierung –A ktivierung meta- schätzung – Planung von Selbst- – Wahrnehmung des
kognitiven Wissens –W  ahrnehmung der Auf- beobachtung des Ver- Kontextes
gabenschwierigkeit haltens
–A  ktivierung von Auf-
gabenwert und Interesse
2 Monitoring – Metakognitive –B
 ewusstheit für und – Bewusstheit für und – Monitoring von sich
Bewusstheit Monitoring von Monitoring von ändernden Auf-
–M  onitoring der Motivation und Affekt Anstrengung, Zeit- gaben und Kontext-
Kognitionen bedarf, Hilfebedarf bedingungen
– Selbstbeobachtung des
Verhaltens
3 Kontrolle – S elektion und – S elektion und Anpassung – Anstrengung erhöhen/ – Aufgaben ändern/bei-
Anpassung von Strategien für reduzieren behalten
kognitiver Strategien Motivations- und Affekt- – Durchhalten, Aufgeben – Kontext ändern/ver-
für Lernen und regulation – Hilfe suchendes Ver- lassen
Denken halten
4 Reaktion, – Kognitive – Affektive Reaktionen – Wahlverhalten – Evaluation der Ziele und
Reflexion Beurteilung – Attributionen des Kontextes
– Attributionen

zur Einordnung spezifischer Regulationsstrategien dient 3.2.2  Schichtenmodelle der Selbstregulation


(. Tab. 3.1).
Anhand dieser Matrix können spezifische Regulations- Den bisher vorgestellten Prozess- und Phasenmodellen der
strategien eingeordnet werden. Betrachten wir beispiels- Selbstregulation lassen sich die sogenannten Schichten-
weise den kognitiven Regulationsbereich (A), also den modelle gegenüberstellen. Diese fokussieren nicht den
Bereich des Denkens, Wissens und der Informationsver- zeitlichen Verlauf der Regulation, sondern betrachten
arbeitung. In der Planungsphase (A1) findet die Aktivierung die verschiedenen Ebenen sowie die darin enthaltenen
von Wissen statt, die Faktenanalyse sowie die Analyse Komponenten.
dessen, was der/die Lernende (noch nicht) weiß und welche Unter den existierenden Schichtenmodellen hat das Drei-
Informationen vorhanden sind, welche benötigt werden etc. Schichten-Modell von Boekaerts (1999) besondere Auf-
Im Rahmen des Monitorings (A2), das während der Auf- merksamkeit erfahren. Boekaerts definiert selbstreguliertes
gabenbearbeitung benötigt wird, geht es hingegen bereits Lernen als eine komplexe Interaktion zwischen kognitiven,
um die Überwachung, hier speziell der kognitiven Vorgänge metakognitiven und motivationalen Regulationsprozessen,
(z. B. werden in B2 Motivation und Emotion überwacht). die sich jeweils auf drei unterschiedliche Regulationsgegen-
Bezüglich der dritten Phase, also der Kontrollphase (A3) stände beziehen können. Diese werden in ihrem Modell
des Lernprozesses (Inwiefern wurde das zuvor gesetzte Ziel als drei konzentrische Ellipsen bzw. Schichten dargestellt
erreicht?) muss der/die Lernende, insofern der Lernprozess (. Abb. 3.3).
nicht zielführend war, ggf. andere kognitive Strategien aus- Der Regulationsgegenstand der inneren – kognitiven –
wählen und einsetzen (wenn der Lernprozess erfolgreich Ellipse ist der Informationsverarbeitungsprozess selbst. Hier
war, müssen die Lernstrategien dementsprechend nicht gilt es zu regulieren, wie mit Informationen, in diesem Fall
geändert werden). In der Phase der Reaktion und Reflexion Lerninhalten, umgegangen wird (Regulation der Information).
(A4) erfolgt die kognitive Beurteilung („Das habe ich gut Im Rahmen dessen wählt der/die Lernende kognitive Primär-
gemacht, weil ich die richtigen Strategien eingesetzt habe“) strategien (vgl. Wild 2000) für die Bearbeitung einer Auf-
und Attribution („Ich habe die Aufgabe gelöst, weil ich mich gabe aus. Der/Die Lernende stellt sich also Fragen über einen
angestrengt habe“ oder auch „Ich habe die Aufgabe gelöst, einzelnen Lerngegenstand (z. B. über eine Mathematikauf-
weil sie sehr leicht war“). Somit lassen sich für jede Zelle gabe) und die für diese Aufgabe geeignete Herangehens-
bestimmte Vorgehensweisen schematisieren. weise. In der mittleren – metakognitiven – Schicht werden die
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
51 3
. Abb. 3.3 Die drei Schichten
des selbstregulierten Lernens.
(Modifiziert nach Boekaerts 1999,
with permission from Elsevier)

Wahl und der Einsatz dieser kognitiven Strategien überwacht Gedichts zu bleiben (s. o.), wäre dies der Fall, wenn Mia
(Regulation des Strategieeinsatzes). Diese Überwachung das Gedicht tatsächlich nur laut gelesen, sich aber nicht
erfolgt, indem metakognitives Wissen und metakognitive gleichzeitig darauf konzentriert hätte, es auch auswendig
Strategien eingesetzt werden. Der/Die Lernende beobachtet zu lernen. Das bedeutet, dass die Strategie zwar richtig
also, ob er/sie die Aufgabe auch tatsächlich so bearbeitet, gewählt, jedoch nicht richtig ausgeführt worden wäre.
wie in der inneren Schicht geplant. In der äußeren, dritten 5 Führt dies nicht zum Erfolg (in diesem Fall zur
Ellipse findet nun die den bisherigen Ebenen übergeordnete Erledigung der Aufgabe), kann auf nächsthöherer Ebene
Regulation des Selbst statt. Dazu zählen insbesondere die Strategieauswahl beobachtet bzw. reguliert und
motivationale und volitionale Aspekte. Hier werden zum ein Strategiewechsel vollzogen werden (2. Strategie-
einen Ziele formuliert und zum anderen die entsprechenden regulation). Beispielsweise könnte sich ein Schüler
7 Ressourcen (Zeit, Ruhe), die zur Zielerreichung notwendig entscheiden, auf Lernkarten oder Gedächtnisstrategien
sind, überprüft. (sog. Mnemotechniken) zurückzugreifen. In unserem
Auch im Hierarchiemodell von Landmann und Schmitz Beispiel könnte Mia das Gedicht abschreiben.
(2007a) werden verschiedene, aufeinander aufbauende 5 Führt das korrekte Ausführen der neuen Strategie
Ebenen der Regulation unterschieden. Es beinhaltet bei zum Erfolg, ist mit der Zielerreichung die Lernepisode
genauerer Betrachtung allerdings auch prozessuale Elemente. abgeschlossen. Ist jedoch weiterhin kein Erfolg zu ver-
Dies ist dadurch bedingt, dass dem Self-Monitoring in zeichnen, würden weitere verfügbare Strategien (z. B.
diesem Modell eine besondere Rolle zugewiesen wird. Wie Lernen mit Klassenkameraden) ausprobiert.
bereits aus den Prozessmodellen hervorgegangen ist, führt 5 Sollte es trotz der Strategieregulation nicht möglich
Selbstregulation i. S. eines ­ Ist-Soll-Vergleichs dazu, dass sein, die Aufgabe zu bewältigen, ist es funktional, die
der Lernprozess im Falle eines nicht erreichten Ziels wieder Beobachtungsebenen erneut zu wechseln (3. Ziel-
von Neuem beginnt. Dieses prozessuale Prinzip wird im regulation) und das Ziel zu regulieren (d. h. in diesem
beschriebenen Modell nun in mehrere Schichten „ver- Fall z. B. das eigene Anspruchsniveau herabzusetzen
packt“: In diesem Ansatz wird der Gegenstand der Selbst- und vielleicht drei statt zwei Tage für das Lernen einzu-
beobachtung sukzessive erweitert, wobei jeder Ebene ein planen).
spezifischer Beobachtungsgegenstand zugeordnet wird.
Die verschiedenen Ebenen des Self-Monitoring bzw. der Prinzipiell kann – anders als in dem gerade beschriebenen
Regulation sind in . Abb. 3.4 ersichtlich. Beispiel – auf die Ebene der Zielregulation auch im Falle
5 Auf der untersten Ebene wird die Ausführung einer aus- eines Erfolgs gewechselt werden. So könnte sich der/die
gewählten Strategie (z. B. einer Lernstrategie wie Aus- Lernende beispielsweise in Bezug auf die nächste Lern-
wendiglernen) in Bezug auf die zuvor definierte Aufgabe sequenz anspruchsvollere Ziele setzen und sein Aufgaben-
überwacht (1. Ausführungsregulation). Wird die niveau langfristig anheben. Das Modell lässt klar Elemente
ausgewählte Strategie nicht korrekt ausgeführt, erfolgt „klassischer“ Schichtenmodelle erkennen, die jedoch mit
eine Ausführungsregulation (Leutner und Leopold prozessualen Komponenten (Zielsetzung, Handlungsaus-
2005). Um bei dem Beispiel des Auswendiglernens eines führung, Kontrolle, ggf. neue Zielsetzung) verbunden sind.
52 F. Perels et al.

. Abb. 3.4 Hierarchieebenen des Self-Monitoring und der Selbstregulation. (Modifiziert nach Landmann und Schmitz 2007a, mit freundlicher
Genehmigung der Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung KG)

3.3  Diagnostik von Selbstregulation Exkurs

Wie bereits erläutert sind theoretische Modelle selbst- Effekte von Interventionen zur Förderung von
regulierten Verhaltens notwendig, um daraus Instrumente selbstreguliertem Lernen
zur Diagnostik abzuleiten und zu entwickeln. Das bedeutet, In ihrer Metaanalyse untersuchten Dignath et al. (2008) die
dass zunächst festgelegt werden muss, welche Komponenten Effektivität von Interventionsprogrammen, die darauf abzielen,
das selbstregulierte Lernen in der Grundschule zu fördern.
der Selbstregulation oder des selbstregulierten Lernens Auf der Basis von insgesamt 48 Studien fanden sie sowohl
erfasst werden sollen und welche Beziehung zwischen hinsichtlich des Anstiegs der Selbstregulationskompetenz
den einzelnen Komponenten angenommen wird. Erst als auch hinsichtlich der Lernleistung vergleichsweise hohe
danach kann mit der Entwicklung eines Instruments zur Effektstärken. Weitere Analysen zeigten, dass selbstreguliertes
Messung selbstregulatorischer Fähigkeiten begonnen Lernen bereits in den unteren Klassenstufen (1 bis 3) effektiv
trainiert werden kann und dass die Interventionsprogramme
werden (7 Exkurs „Effekte von Interventionen zur Förderung insbesondere dann erfolgreich waren, wenn sie nicht von
von selbstreguliertem Lernen“). Im Folgenden werden ver- der regulären Lehrkraft, sondern von Forschern durchgeführt
schiedene Verfahren zur Erfassung von Selbstregulation im wurden.
Kontext des Lernens vorgestellt und diskutiert. Hierbei wird
zwischen Fragebögen, Lerntagebüchern, Beobachtungsver-
fahren, Interviews sowie Denkprotokollen unterschieden äußeren Ressourcen oder Motivationsstrategien. Weit ver-
(s. auch Spörer und Brunstein 2006; Veenman 2011). breitete englischsprachige Fragebögen zur Erfassung von
Lernstrategien sind z. B. der „Motivated Strategies for
Learning Questionnaire“ (MSLQ; Pintrich et al. 1991) und
3.3.1  Fragebogen das „Learning and Study Strategies Inventory“ (LASSI;
Weinstein et al. 1988). Im deutschsprachigen Raum haben
Die gängigen Fragebögen zur Erfassung selbstregulierten sich in diesem Zusammenhang der Fragebogen „Lern-
Lernens unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen strategien im Studium“ (LIST; Wild und Schiefele 1994)
erfassten Komponenten. In fast allen Fragebögen werden und das „Kieler Lernstrategien-Inventar“ (KSI; Baumert
kognitive und metakognitive Strategien abgefragt, in 1993) etabliert. Dabei wird beispielsweise im LIST zwischen
einigen auch Strategien zum Umgang mit inneren und kognitiven, metakognitiven und ressourcenbezogenen
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
53 3
Lernstrategien unterschieden (7 Exkurs „Lernstrategien“). selbstregulierten Lernstrategien erhielten. Während dieses
In . Tab. 3.2 werden die verschiedenen Strategien mit Zeitraums füllten sie vor und nach den Hausaufgaben bzw.
Itembeispielen aus dem LIST dargestellt. Zudem wird die dem außerschulischen Lernen das Tagebuch aus. Das Tage-
Anwendung kognitiver Lernstrategien anhand von Bei- buch basierte inhaltlich auf dem Prozessmodell der Selbst-
spielen zum Mathematik- und Englischlernen erläutert. regulation von Schmitz et al. 2007 (7 Abschn. 3.2.1). Items,
Obwohl Fragebögen aufgrund ihrer ökonomischen Ein- die sich auf die präaktionale Phase dieses Modells bezogen,
setzbarkeit (geringer Aufwand für die Erhebung bei wurden vor dem Lernen bearbeitet und Items, die sich auf
einer großen Stichprobe) immer noch die bevorzugte die aktionale bzw. postaktionale Phase bezogen, wurden
Methode zur Erfassung selbstregulierten Lernens dar- nach dem Lernen erfragt. So wird beispielsweise der Ein-
stellen, häuft sich vermehrt Kritik an dieser Erfassungs- satz metakognitiver Lernstrategien mit Fragen wie „Was
methode (z. B. Veenman 2011): Da es sich um globale davon willst du heute erledigen?“ (Zielsetzung) oder „Die
(also nicht situationsspezifische) Selbstberichte handelt, Hausaufgaben, die ich mir für heute vorgenommen habe,
sind die erhobenen Daten anfällig für Verzerrungen durch habe ich alle geschafft“ (Monitoring) kontrolliert. Internale
Abruf- und Generalisierungsprobleme und können durch Ressourcen betreffende Fragen sind z. B. „Ich konnte
den Einfluss sozialer Erwünschtheit verzerrt sein. Darüber mich bei den Hausaufgaben heute gut konzentrieren“
hinaus ist die automatisierte Nutzung von Lernstrategien (Konzentration) und „Welche der folgenden Übung hast
oft unbewusst und kann daher nur schwer verbalisiert du heute gemacht?“. Der Einsatz externaler Ressourcen
werden (Schmitz et al. 2007). Nichtsdestotrotz liefern hingegen lässt sich anhand von Fragen wie „Meine Eltern
Fragebögen wichtige Informationen zum selbstregulierten haben heute kontrolliert…“ und „Ich wurde heute bei
Lernen einer Person, da die angegebenen Verhaltensweisen meinen Hausaufgaben gestört“ überprüfen. Ziel solcher
vom/von der Lernenden genutzt werden, um sich Ziele zu Tagebuchstudien ist es letztendlich, zu überprüfen, ob,
setzen, das Lernen zu überwachen und das Verhalten anzu- wann und inwiefern eine Intervention zu erhöhtem Ein-
passen (McCardle und Hadwin 2015). Zusammenfassend satz von Lernstrategien und somit zur Verbesserung selbst-
sollten Fragebögen aufgrund ihrer Einschränkungen nur regulatorischer Kompetenzen beigetragen hat.
in Kombination mit weiteren Erhebungsinstrumenten zur Mit dem Einsatz standardisierter Lerntagebücher als
Erfassung selbstregulierten Lernens (s. unten) eingesetzt Evaluationsinstrumente sind bestimmte prozessbezogene
werden, um das Konstrukt möglichst valide erfassen zu Auswertungsmethoden verbunden, die im Sinne zeitreihen-
können (Perry und Rahim 2011). analytischer Verfahren durchgeführt werden (7 Exkurs „Zeit-
reihenanalytische Auswertungen“; z. B. Perels et al. 2008).
Die Zuverlässigkeit der mittels Lerntagebüchern
3.3.2  Lerntagebücher erhobenen Daten hängt von zahlreichen Faktoren ab (z. B.
Klug et al. 2011; Landmann und Schmitz 2007a, b). Da der/
Eine weitere Möglichkeit selbstregulierte Lernstrategien die Lernende das Tagebuch über einen festgelegten Zeit-
zu erfassen, liegt im Einsatz von (Lern-)Tagebüchern. Im raum regelmäßig ausfüllen muss, hängt das Ausfüllverhalten
Unterschied zu den im vorherigen Abschnitt beschriebenen in starkem Maße von der Motivation des/der Lernenden ab.
Fragebögen wird mit Tagebüchern der momentane Zustand Daher ist es wichtig, das Tagebuch so zu gestalten, dass es
bzw. der aktuelle Strategieeinsatz und kein generelles Lern- für die entsprechende Zielgruppe ansprechend ist und deren
verhalten abgefragt. Bei der Erfassung der Selbstregulation Motivation zur Durchführung erhöht.
durch Tagebücher werden von den Teilnehmenden über
einen bestimmten Zeitraum mehrfach (z. B. täglich) Fragen
zu den einzelnen Komponenten beantwortet. Lerntage- 3.3.3  Interviews
bücher erlauben so eine kontinuierliche und zeitnahe
Erhebung der eingesetzten Strategien und der den Lern- Interviews bieten die Möglichkeit, sowohl prospektiv den
prozess begleitenden Emotionen. Besonders gut ist im geplanten Einsatz selbstregulativer Strategien zu erfragen,
Rahmen einer Tagebuchstudie nicht nur zu beobachten, als auch retrospektiv über eingesetzte Strategien berichten
ob eine Veränderung bezüglich des selbstregulierten zu lassen. Die Fragen können in Interviews sowohl offen
Lernens stattgefunden hat, sondern ggf. auch wann. als auch geschlossen gestellt werden („Welche Lern-
Zumeist sind die eingesetzten Tagebücher standardisiert strategie hast du eingesetzt?“ vs. „Hast du Lernstrategien
(Abfolge sowohl identischer, meist geschlossener Fragen eingesetzt?“). Weiterhin können dem/der Lernenden auch
als auch identischer Antwortmöglichkeiten), um Mehrfach- Lernszenarien vorgegeben werden. Hierbei wird der/die
deutungen im Rahmen der Auswertung zu vermeiden und Lernende aufgefordert, sein/ihr Vorgehen in einer solchen
somit eine möglichst hohe Objektivität zu erreichen. Bei- Situation zu erläutern (offenes Fragenformat). Diese offenen
spielhaft ist in . Abb. 3.5 ein Tagebuch aus einer Studie zur Fragen haben den Vorteil, dass sie es dem/der Lernenden
Förderung selbstregulierten Lernens in der vierten Grund- nicht nur ermöglichen, vorgegebene Strategien als hilf-
schulklasse dargestellt (Otto 2007a). Dieses Tagebuch kam reich für diese Situation zu beurteilen, sondern er/sie kann
in einer Studie zum Einsatz, in der Schüler einer vierten durch die Beschreibung seines eigenen Vorgehens deut-
Grundschulklasse über sieben Wochen ein Training zu lich machen, über welches Strategierepertoire er/sie verfügt.
54 F. Perels et al.

. Tab. 3.2 Differenzierung von Lernstrategien gemäß LIST. (Nach Wild und Schiefele 1994, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen)

Lernstrategien Erläuterung Beispiele für Mathematik Beispielitem aus dem LIST


(Flächenberechnungen) und
Englisch (Vokabellernen)

3 Kognitive Lernstrategien
Wiederholungs- Lerntätigkeiten, die durch das Mathematik: Das Auswendiglernen Ich lerne Regeln, Fachbegriffe
strategien aktive Wiederholen einzelner der Formel zur Berechnung der oder Formeln auswendig.
Fakten eine feste Verankerung im Fläche eines Rechtecks
Langzeitgedächtnis zu erreichen Englisch: Vokabeln werden aus-
versuchen wendig gelernt
Elaborationsstrategien Integration von neu auf- Mathematik: alltägliche Beispiele Zu neuen Konzepten stelle ich
genommenem Wissen in die (z. B. Wie groß ist der Fußballplatz, mir praktische Anwendungen vor.
bestehende Wissensstruktur, auf dem ich jede Woche spiele?)
z. B. durch verbale oder bildliche werden herangezogen
Anreicherung, Verknüpfung mit Englisch: Die Bedeutungen von
Alltagsbeispielen und persön- Wörtern werden mit Hilfe von
lichen Erlebnissen oder Bildung Merksätzen gemerkt (z. B. Unter-
von Analogien scheidung „much“ und „many“:
Matsch kann man nicht zählen;
„he, she, it – das „s“ muss mit“)
Organisationsstrategien Lerntätigkeiten, die dazu Mathematik: Die Angaben aus Ich stelle wichtige Fachausdrücke
geeignet sind, die vorliegenden einer Textaufgabe zur Flächen- und Definitionen in eigenen
Informationen in eine leichter zu berechnung werden in eine Skizze Listen zusammen.
verarbeitende Form zu trans- übertragen
formieren, wie z. B. durch das Englisch: Erstellung eines Kartei-
Anfertigen von Diagrammen und kastens für Vokabeln
Skizzen
Metakognitive Lernstrategien
Planung Der/die Lernende überlegt, Vor dem Lernen eines Stoff-
wie er/sie bei der Aufgaben- gebiets überlege ich mir, wie ich
bearbeitung vorgehen wird am effektivsten vorgehen kann.
Monitoring/Über- Der/die Lernende überprüft Um Wissenslücken festzustellen,
wachung kontinuierlich seinen/ihren Lern- rekapituliere ich die wichtigsten
erfolg Inhalte, ohne meine Unterlagen
zu Hilfe zu nehmen.
Regulation Bei auftretenden Schwierigkeiten Wenn mir eine bestimmte Text-
passt der/die Lernende seine/ihre stelle verworren und unklar
Lerntechnik an erscheint, gehe ich sie noch ein-
mal langsam durch.
Ressourcenbezogene Lernstrategien
Bereitstellung interner Die Bereitstellung interner Wenn ich lerne, bin ich leicht
Ressourcen Ressourcen bezieht sich auf abzulenken.
das Management der eigenen
Anstrengung, die Investition
von Aufmerksamkeit und
Konzentration sowie das
Management des eigenen Zeit-
budgets
Bereitstellen externer Die Bereitstellung externer Ich suche nach weiterführender
Ressourcen Ressourcen kann durch die Literatur, wenn mir bestimmte
Gestaltung einer günstigen Inhalte noch nicht ganz klar sind.
Lernumgebung, das Hinzuziehen
zusätzlicher Literatur sowie durch
die Nutzung der Möglichkeiten
von Arbeitsgruppen geschehen
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
55 3

Präaktionale Phase Aktionale Phase Postaktionale Phase

. Abb. 3.5 Lerntagebuch. (Nach Otto 2007a. Mit freundlicher Genehmigung des Logos-Verlags)

Ein deutschsprachiges Interview für Schülerinnen und Schüler f) schlechte Noten: Umgang mit schlechten Noten;
zur Erfassung von Merkmalen selbstregulierten Lernens g) Hobbys: Umgang mit Misserfolgen/Schwierigkeiten
stammt von Spörer (2004). Bei diesem Verfahren erfolgt die beim Hobby;
Befragung individuell und in vertraulicher Atmosphäre. Der h) Freundschaften: Umgang mit Streit mit Freunden.
Ablauf des Interviews lässt sich in vier Bestandteile unterteilen: Bei den Fragen zu den Situationen wird zunächst
1. Einführung: Der Schüler/die Schülerin wird von dem gefragt, wie der Schüler/die Schülerin anfängt. Es folgt
Interviewer über das Vorgehen und die Art des Inter- dann eine Frage dazu, wie er/sie weiter vorgeht. Er/sie
views informiert. Es erfolgt ein Hinweis auf die Ver- wird nach Strategien gefragt, die er/sie einsetzt, wenn
traulichkeit des Verfahrens. er auf Schwierigkeiten/Probleme stößt.
2. Der/die Interviewer/in liest die erste Situation vor und 3. Unbewertete schriftliche Dokumentation der Schüler-
fragt den Schüler/die Schülerin, wie er/sie üblicherweise antworten.
in einer solchen Situation vorgeht. Folgende Situationen 4. Bewertung der angegebenen Strategien: Auf einer vier-
werden im Rahmen des Interviews thematisiert: stufigen Skala (von „sehr selten“ bis „immer“) soll der
a) Anfertigen von Deutsch-Hausaufgaben: Vorgehen Schüler/die Schülerin einschätzen, wie häufig er ein
bei der Verfassung eines Deutschaufsatzes; bestimmtes Verhalten zeigt bzw. eine bestimmte Strategie
b) Anfertigen von Mathematik-Hausaufgaben; anwendet.
c) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in
Biologie; Durch die verschiedenen Vorteile, die Interviews mit sich
d) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in bringen (detaillierte Antworten, unabhängig von der Lese- und
Physik; Schreibfähigkeit der Befragten), eignen sie sich vor allem für
e) geringe Motivation: Vorgehen, wenn man keine die Befragung jüngerer Lernender. Da es sich allerdings auch
Lust hat zu lernen oder sich nicht auf Schulaufgaben bei diesem Verfahren um Selbstberichte handelt, sind verzerrte
konzentrieren kann; und sozial erwünschte Antworten nicht auszuschließen.
56 F. Perels et al.

Exkurs

Zeitreihenanalytische Auswertungen
Der Einsatz von standardisierten über die Form des Verlaufs zu testen. durch eine (z. B. lineare oder quadratische)
Lerntagebüchern ermöglicht es, Beispielsweise konnten Dörrenbächer Funktion beschrieben werden kann.
ein psychologisches Merkmal (z. B. und Perels (2016) im Rahmen einer Dabei kann sowohl der Verlauf für eine
3 Konzentration) über einen längeren
Zeitraum zu beobachten, sodass eine
Zeitreihenanalyse einen positiven Trend
des selbstregulierten Lernens über den
Gruppe (z. B. für eine Schulklasse) als auch
der Verlauf für eine einzelne Person (z. B.
Vielzahl von Messungen vorliegt. Durch Verlauf eines Strategietrainings hinweg Schüler) betrachtet werden. Mithilfe einer
die Anwendung zeitreihenanalytischer mittels eines Lerntagebuchs nachweisen. Interventionsanalyse wird untersucht,
Auswertungen können Veränderungen Weiterhin ermöglichen zeitreihenana- ob eine bestimmte Intervention (z. B. ein
gemessen werden, indem der Verlauf lytische Verfahren neben der Analyse Lernstrategietraining) eine Wirkung hat
der Veränderung näher betrachtet von Gruppendaten auch idiografische und wie diese Intervention wirkt. Dazu wird
wird. Eine Zeitreihe wird in diesem Analysen, d. h. einzelfallanalytische die entsprechende Variable sowohl in einer
Zusammenhang als eine zeitliche Folge Untersuchungen (s. dazu Perels et al. 2007). Baseline- (Phase ohne Training) als auch
von Zustandserhebungen (States) zu Zur Veränderungsmessung mithilfe von in einer Interventionsphase (Phase mit
aufeinander folgenden Zeitpunkten Verlaufs- oder auch Prozessdaten (z. B. zur Training) erhoben. Es wird dann statistisch
beschrieben. Mithilfe zeitreihenana- Evaluation von Interventionen) stehen geprüft, inwiefern diese Intervention
lytischer Verfahren ist es möglich, über innerhalb der Zeitreihenanalysen vor zu einem signifikanten Unterschied des
eine genügend genaue Messung dieser allem zwei Verfahren zur Verfügung: die Niveaus der beiden Phasen beigetragen
Verläufe nicht nur Änderungen im Trendanalyse und die Interventionsanalyse. hat. Über eine solche Untersuchung der
Lernverhalten (Vorher-Nachher-Vergleich) Mithilfe von Trendanalysen wird überprüft, Zeitreihe kann die Wirkung der Intervention
festzustellen, sondern auch Annahmen ob der Verlauf einer bestimmten Variable genauer analysiert werden.

3.3.4  Beobachtungsverfahren oder das Verhalten anderer und die damit verbundenen


Konsequenzen sprechen kann. Weiterhin wird diesbezüg-
Die bisher beschriebenen Verfahren setzen entweder voraus, lich erfragt, ob das Kind auch bei auftretenden Schwierig-
dass die Probanden lesen und schreiben (Fragebogen und keiten nicht aufgibt.
Lerntagebuch) oder aber ihr Vorgehen adäquat in Worte Beobachtungsverfahren werden häufig mit Videoana-
fassen können (Interview). Zur Diagnose selbstregulierten lysen verknüpft. Dabei wird die zu beobachtende Sequenz
Lernens können sie daher z. T. erst ab dem Ende der videografiert und im Nachhinein von verschiedenen
Grundschule eingesetzt werden. Zudem werden mit diesen Beurteilern unabhängig voneinander bewertet. Zusammen-
Methoden ausschließlich Selbstauskünfte der Teilnehmer fassend ermöglicht der Einsatz von Beobachtungsverfahren
über präferierte Strategien erfasst. Diese Präferenzen also die Bewertung auch nicht verbalisierbarer Verhaltens-
können jedoch vom tatsächlichen Strategieeinsatz deut- weisen, insbesondere bei jüngeren Kindern. Aufgrund der
lich abweichen (7 Exkurs „Warum gibt es nur geringe nachträglichen Kodierung der Beobachtungen fällt die
Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Objektivität allerdings geringer aus als bei standardisierten
Erfassung des selbstregulierten Lernens?“). Verfahren wie z. B. Fragebögen.
Aus den genannten Gründen werden Beobachtungs-
verfahren zur Erfassung selbstregulativer Kompetenzen
vor allem in Untersuchungen mit jüngeren Kindern ein- 3.3.5  Strategiewissenstests
gesetzt (z. B. für den schulischen Kontext: Veenman und
Beems 1999). Im CINDLE-Projekt (Anderson et al. 2003) Wie in der Studie von Spörer und Brunstein (2006)
wurde ein Beobachtungsinstrument für Erzieherinnen und beschrieben, erfassen Selbstberichte (z. B. Fragebogen) eine
Erzieher entwickelt, das der Erfassung des „independent Vermischung von Strategiewissen und Strategieanwendung.
learning“ dient. Die CHILD-Checklist besteht aus ins- Um konditionales Strategiewissen (also Wissen darüber,
gesamt 22 Items, die von dem Beobachter auf einer vier- welche Strategien sich in welchen Situationen besonders gut
stufigen Skala dahin gehend einzuschätzen sind, wie häufig eignen) explizit zu erheben, können Strategiewissenstests
die beschriebenen Strategien angewendet werden. Zusätzlich eingesetzt werden. Neben inhaltsspezifischen Tests (z. B.
besteht für die Beobachter die Möglichkeit, Kommentare Würzburger Lesestrategiewissenstest, WSLT 7–12, Schlag-
einzutragen. Bei diesem Instrument beziehen sich die müller und Schneider 2007) existieren auch Verfahren
Autoren auf die Bereiche selbstregulierten Lernens, wie sie zur Erfassung allgemeinen (metakognitiven) Strategie-
Bronson (2000) postuliert: emotionale, prosoziale, kognitive wissens (z. B. Händel et al. 2013; Maag Merki et al. 2013).
und motivationale Selbstregulation. Zu diesen Bereichen Diese Tests präsentieren dem/der Lernenden zielgruppen-
wurden jeweils mehrere Items formuliert, mit deren Hilfe spezifische Lernszenarien, die jeweils von einer Liste
das Verhalten von Kindern in Lernsituationen eingeschätzt möglicher Strategien begleitet werden. Diese Strategien
werden kann. Hinsichtlich der emotionalen Selbstregulation unterscheiden sich in ihrer Effektivität und Nützlich-
soll beispielsweise beurteilt werden, ob das Kind über sein keit für die präsentierte Situation. Der/Die Lernende soll
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
57 3
Exkurs

Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des
selbstregulierten Lernens?
Spörer und Brunstein (2006) diskutieren korrelieren (s. auch Winne und Perry Strategie in dieser Situation von
eingehend die Frage, warum die 2000). Nutzen ist, diese Strategie einsetzen
Zusammenhänge zwischen den 2. Mit Beobachtungsverfahren wird oder nicht.
verschiedenen Instrumenten zur wird kein Strategiewissen 4. Erfassung einer unterschiedlichen
Erfassung des selbstregulierten Lernens erhoben: Die Schwierigkeit bei Strategiereife: Mit den
zumeist sehr gering ausfallen und Beobachtungsdaten liegt häufig verschiedenen Instrumenten
Selbstauskünfte häufig nicht oder nur darin, dass Lernende durchaus könnte möglicherweise eine
schwach mit Leistungsmaßen korrelieren. eine Strategie kennen und diese unterschiedliche Strategiereife (vgl.
1. Globalität des erfassten ggf. auch in ihrem Lernalltag Hasselhorn 1996) erfasst werden.
Merkmals: Der Grad der einsetzen, dass sie jedoch in der Während Selbstberichtsverfahren
Spezifität bei Selbstberichts- und spezifischen Beobachtungssituation hauptsächlich die Strategie-
Beobachtungsdaten ist häufig nicht nicht eingesetzt wird, weil sie kenntnis erfassen, auch wenn die
derselbe. Während in Beobachtungs- beispielsweise nicht erforderlich erworbenen Strategien noch nicht
situationen in der Regel erscheint. effizient eingesetzt werden können,
vorgegebene Situationen definiert 3. Selbstberichte erfassen werden durch Beobachtungen
sind, in denen die Probanden ein kein konditionales Wissen: Daten gewonnen, die belegen, ob
Verhalten zeigen können oder Selbstberichtsverfahren erfragen Lernstrategien effektiv eingesetzt
nicht, wird bei Lernstrategie- zumeist nur, ob Lernende eine werden. In 7 Abschn. 3.4.1
inventaren und -interviews häufig bestimmte Strategie kennen bzw. findet sich eine detaillierte
globaler danach gefragt, was ein/e ob sie diese auch anwenden. Sie Beschreibung der verschiedenen
Lernende/r macht, wenn er/sie lernt. erfragen aber nicht, ob der/die Entwicklungsstufen der Strategiereife.
Zur Erhöhung der gemeinsamen Lernende einzuschätzen weiß, bei
Varianz zwischen Instrumenten welcher Aufgabe und in welcher Insgesamt ziehen Spörer und Brunstein
wäre es daher möglich, entweder Situation welche Strategie am (2006) den Schluss, dass es für die
die Fragen in Selbstberichts- besten eingesetzt werden sollte Prognose von Verhalten und Leistung
verfahren spezifischer zu (konditionales Wissen). Bei der von Vorteil ist, gerade wegen der
formulieren (z. B. durch Vorgabe von Erfassung des selbstregulierten geringen gemeinsamen Varianz
Aufgabengebieten) oder mehrere Lernens durch Beobachtungen der Instrumente diese kombiniert
Beobachtungen in verschiedenen wird dieses konditionale Wissen einzusetzen, um die verschiedenen
Situationen durchzuführen und jedoch indirekt miterfasst, da der/ Varianzanteile des vorherzusagenden
die Selbstberichtsdaten mit den die Lernende in Abhängigkeit von Kriteriums zu erklären (siehe auch
aggregierten Beobachtungsdaten zu seiner/ihrer Entscheidung, ob eine Veenman 2011).

dann die Nützlichkeit der einzelnen Strategien bewerten. lässt. Fragen zur Planungsphase werden den Lernenden
Stimmen die Bewertungen mit zuvor durch Experten fest- vor der Bearbeitung, Fragen zur Handlungsphase während
gelegten Bewertungen überein, wir dem/der Lernenden ein der Bearbeitung und Fragen zur Reflexionsphase nach der
hohes konditionales Strategiewissen attestiert. Bisherige Bearbeitung gestellt (Cleary und Callan 2018). Die Fragen
Studien deuten auf eine gute prädiktive Validität solcher können offen oder geschlossen sein, weshalb qualitative
Strategiewissenstests hin (z. B. Maag Merki et al. 2013). sowie quantitative Daten resultieren können. Offene Fragen
haben dabei keinen Suggestivcharakter, müssen jedoch
mittels aufwendiger Kodierschemata zur weiteren Analyse
3.3.6  Denkprotokolle & Mikroanalysen quantifiziert werden. Generell sind Mikroanalysen durch ihre
handlungsnahe Erfassung weniger anfällig für Verzerrungen
Eine weitere Methode zur Erfassung des selbstregulierten durch Abstraktions- oder Erinnerungsprobleme (Cleary et al.
Lernens wird von Winne und Perry (2000) vorgestellt. 2012). Verschiedene Studien deuten auf die gute Reliabili-
Bei sog. Denkprotokollen werden die Lernenden auf- tät dieser Verfahren sowie eine hohe prädiktive Validität für
gefordert, alle Gedanken auszusprechen, die sie während der akademische Leistung hin (z. B. Cleary et al. 2015).
Bearbeitung einer spezifischen Lernaufgabe beschäftigen. Sobald selbstreguliertes Lernen mithilfe geeigneter
Diese Dokumentationen werden dann differenziert aus- Instrumente oder einer Kombination verschiedener
gewertet und bieten eine gute Möglichkeit, Einblicke in Instrumente erfasst wurde, können entsprechende Inter-
die spezifischen, spontanen Strategieanwendungen der ventionen angesetzt werden, um die gewünschten Fähigkeiten
Lernenden zu erhalten. Eine Sonderform von Denk- zu fördern. Im Anschluss an eine Interventionsmaßnahme
protokollen sind sogenannte Mikroanalysen (Cleary 2011). kommt das Instrument wiederum zum Einsatz, um Ent-
Bei dieser Methode bearbeiten die Lernenden eine spezi- wicklungen in der Fähigkeit des selbstregulierten Lernens
fische Aufgabe, die sich in die drei Phasen des selbst- zu überprüfen. Im Folgenden werden exemplarisch solche
regulierten Lernens (Planung, Handlung, Reflexion) gliedern Fördermaßnahmen beschrieben.
58 F. Perels et al.

3.4  Förderung von Selbstregulation Inhalte der Maßnahme Bestehende Interventionen


lassen sich danach unterscheiden, ob eine ganzheit-
Selbstreguliert lernen zu können, stellt eine wesentliche liche Förderung im Vordergrund steht und somit alle
Voraussetzung für den Lernerfolg dar. Dass dennoch Regulationsphasen betrachtet werden oder ob aus-
nicht alle Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Schul- gewählte kognitive, motivationale oder metakognitive
zeit zu kompetenten selbstregulierten Lernenden werden Aspekte einzelner Phasen (z. B. Zielsetzung, Attribution)
3 (z. B. De Jager et al. 2005), kann verschiedene Gründe trainiert werden. Das vorliegende Kapitel beschränkt sich
haben: Manchen fehlt die Praxis, andere wurden nie auf die ganzheitliche Förderung selbstregulatorischer
richtig angeleitet. In den letzten Jahren entstand eine große Kompetenzen; das 7 Kap. 17 stellt hingegen eine
Anzahl von Interventionen zur Verbesserung des selbst- Maßnahme vor, die ausschließlich motivationale Aspekte
regulierten Lernens und Handelns von Schülerinnen und thematisiert.
Schülern, Studierenden und Erwachsenen (z. B. Benick
et al. 2018; Bellhäuser et al. 2016). Stöger und Ziegler Direkte vs. indirekte Maßnahmen Grundsätzlich können
(2010) konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass die direkte von indirekten Maßnahmen unterschieden werden
Wirksamkeit von Selbstregulationstrainings unabhängig (Friedrich und Mandl 1997). Eine direkte Förderung
von den kognitiven Voraussetzungen der Schülerinnen selbstregulierten Lernens setzt beim/bei der Lernenden
und Schülern ist. Im folgenden Abschnitt werden einige selbst an, um eine Optimierung des Lernverhaltens
Gesichtspunkte benannt, nach denen vorliegende Inter- zu erzielen. Dies ist zumeist bei Schülertrainings der
ventionsprogramme eingeordnet werden können. Fall (z. B. Perels 2007). Die Schülerinnen und Schüler
werden beispielsweise darin geschult, wie sie sich Ziele
für ihr Lernen setzen, sich motivieren oder wie sie mit
3.4.1  Gestaltung und Optimierung von Ablenkungen oder Misserfolgen umgehen können.
Trainingsmaßnahmen zur Förderung Bei der indirekten Förderung des selbstregulierten
von Selbstregulation Lernens geht es in der Regel darum, dass durch eine
gezielte (Um-)Gestaltung der Lernumgebung selbst-
Trainings zur Förderung von Selbstregulation unter- reguliertes Lernen ermöglicht und angeregt wird (vgl.
scheiden sich in vielen Aspekten. Dies betrifft in erster z. B. Deci und Ryan 2000; Friedrich und Mandl 1997).
Linie den Inhalt der Maßnahme und das methodische Vor- Dies kann etwa durch ein Training der Eltern im Sinne
gehen. Letzteres bezieht sich insbesondere darauf, ob die einer förderlichen Hausaufgabenunterstützung oder die
Vermittlung der Inhalte direkt oder indirekt erfolgt. Auch Schulung der Lehrkräfte zur Integration selbstregulativer
bzgl. der Zielgruppe, für die ein Training konzipiert werden Aspekte in den Fachunterricht geschehen (Perels et al.
soll, unterscheiden sich die Interventionen. Hier gilt es 2009). In solchen Förderprogrammen geht es demnach vor
unter anderem, das Alter der Adressaten zu berücksichtigen allem darum, dass die zentralen Gestalter der Lernumwelt
(7 Exkurs „Entwicklung von selbstreguliertem Lernen“). Methoden erlernen, wie sie einen positiven Einfluss auf

Exkurs

Entwicklung von selbstreguliertem Lernen


Rheinberg et al. (2000) zufolge wird die abschließend geklärt. Hasselhorn und überwunden werden. Dass der spontane
Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen Gold (2006) beschreiben verschiedene Strategieeinsatz nicht zum gewünschten
wichtiger, je älter der/die Lernende wird, entwicklungspsychologische Phasen, Erfolg führt, kann zum einen daran
da sich ältere Schülerinnen und Schüler die bei dem Erwerb von Lernstrategien liegen, dass Lernende auf dieser Stufe
oder auch Studierende zunehmend durchlaufen werden müssen. Jede noch nicht entscheiden können, wann
komplexeres Material selbstständig Phase lässt sich durch ein Problem eine bestimmte Strategie am wirkungs-
aneignen müssen. Daher liegen auch charakterisieren, das es zu überwinden gilt. vollsten eingesetzt wird (fehlendes
verschiedene Interventionsprogramme Auf der ersten Stufe steht das konditionales Strategiewissen). Zum
zur Förderung selbstregulierten Mediationsdefizit im Vordergrund. anderen kann das Problem darin
Lernens vor, die sich an Personen Damit ist gemeint, dass Kinder selbst liegen, dass Strategien noch nicht
fast aller Altersstufen (Vorschule, dann, wenn sie gezeigt bekommen, hinreichend automatisiert sind und
unterschiedliche Jahrgangsstufen in wie eine Lernstrategie eingesetzt wird der Strategieeinsatz zu viel kognitive
der Schulzeit, Studium und Berufsleben; und aufgefordert werden, diese selbst Kapazität bindet, worunter die inhaltliche
auch 7 Abschn. 3.5) richten. Allerdings auszuführen, nicht dazu in der Lage sind. Bearbeitung der Aufgabe leidet.
sollte selbstreguliertes Lernen möglichst Auf der zweiten Stufe (Produktionsdefizit) Geht man davon aus, dass Schülerinnen
früh gefördert werden, um günstige können Kinder bestimmte Lernstrategien und Schüler erst ab dem Alter von
Lerngewohnheiten zu etablieren zwar produzieren, benötigen dazu aber 15–16 Jahren über ein breiteres
und die Entwicklung dysfunktionaler explizite Nutzungshinweise, da die Repertoire an differenziert einsetzbaren
Lerngewohnheiten zu vermeiden. Strategien noch nicht in das spontane Lernstrategien verfügen, ist ein
Die Frage, ab welchem Alter komplexe Verhaltensrepertoire integriert worden sind. effizienter Einsatz von Lernstrategien
Lernstrategien und Selbstregulation Auf der nächsten Entwicklungsstufe also frühestens bei Schülern ab dem
erworben werden können, ist nicht muss das sog. Nutzungsdefizit Ende der Sekundarstufe erwartbar.
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
59 3
das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler ausüben Inhalte zu vermitteln; auch die Fähigkeit der Probanden,
und somit deren selbstreguliertes Lernverhalten unter- diese Inhalte in verschiedenen Situationen anwenden zu
stützen können. Studien, in denen beispielsweise Lehr- können, muss im Rahmen einer Intervention geschult
kräfte entsprechende Trainingsprogramme zur Förderung werden. Dies kann erreicht werden, indem verschiedene
des selbstregulierten Lernens in ihren Klassen durch- Anwendungskontexte für die Strategien thematisiert und
geführt haben, zeigen, dass dies prinzipiell möglich ist deren Gebrauch in diesen Bereichen eingeübt werden. Je
(z. B. Werth et al. 2012). Der Metaanalyse von Dignath besser die Schülerinnen und Schüler die Anwendungsbreite
et al. (2008) zufolge sind Interventionen durch externe einer erlernten Strategie erkennen, desto eher erfolgt der
Trainer/Trainerinnen allerdings effektiver als Trainings, Transfer auch in andere Themenfelder. Eine ausführliche
die von regulären Lehrkräften durchgeführt werden. Die Darstellung zum Thema Transfer von Selbstregulations-
Effektivität sowohl direkter als auch indirekter Inter- inhalten findet sich bei Pickl (2004).
ventionen lässt sich durch günstige Trainingsbedingungen
steigern. Einige dieser günstigen Trainingsbedingungen
werden im Folgenden näher erläutert. Weitere Punkte Optimierung hinsichtlich indirekter
finden sich in 7 Abschn. 17.5 (Implementation von Förderung
Trainingsprogrammen). Otto (2007a, b) postuliert, dass die zentralen Gestalter
der Lernumwelt insgesamt drei verschiedene Möglich-
Optimierung hinsichtlich direkter Förderung keiten haben, wie sie auf das selbstregulierte Lernen der
Kombination der selbstregulativen Strategien mit fachspezi- Schülerinnen und Schüler Einfluss nehmen können:
fischen Inhalten Die Vermittlung selbstregulatorischer
Strategien ist dann besonders wirksam, wenn nicht Schaffung günstiger Lernbedingungen Aufbauend auf
nur Selbstregulation an sich vermittelt wird, sondern den theoretischen Überlegungen und empirischen Belegen
wenn diese mit fachspezifischen Inhalten verknüpft im Rahmen der Forschung zur Selbstbestimmungs-
wird (Perels 2007; Perels et al. 2005; Schober et al. 2008; theorie (Deci und Ryan 2000) lassen sich Schluss-
Zimmerman et al. 2011). So zeigte sich beispielsweise folgerungen für den schulischen Alltag ziehen, wie der
in der Studie von Perels et al. (2005), dass Schülerinnen Unterricht bzw. die Hausaufgabenhilfe gestaltet sein
und Schüler, die neben Selbstregulationsstrategien auch sollte, um motiviertes selbstreguliertes Lernen zu ermög-
mathematische Problemlösestrategien vermittelt bekamen, lichen. So können Lehrkräfte und Eltern beispielsweise
bessere Trainingseffekte erzielten als Schülerinnen und günstige (motivationsförderliche) Lernbedingungen
Schüler, die lediglich Selbstregulationsstrategien ver- schaffen, indem sie Aufgaben stellen, die sich an den
mittelt bekamen. Somit scheint der inhaltliche Bezug Interessen der Schülerinnen und Schüler orientieren und
der fächerübergreifenden Selbstregulationsstrategien zu diese bei einer autonomen Aufgabenbearbeitung unter-
einem bestimmten Unterrichtsfach (z. B. Mathematik) den stützen. Darüber hinaus kann im schulischen Kontext
Trainings- und Transfererfolg zu steigern. dem Instruktionsprinzip der Autonomieunterstützung
Rechnung getragen werden, indem den Schülerinnen und
Selbstbeobachtung Ein zentrales Element des Schülern Wahlmöglichkeiten gegeben werden, wodurch
selbstregulierten Lernens ist die Selbstbeobachtung das selbstständige und selbstgesteuerte Erkunden, Planen,
(Self-Monitoring; Landmann und Schmitz 2007a).
­ Handeln und Lernen ermöglicht und gefördert werden.
Schon die alleinige kontinuierliche Selbstbeobachtung Hierbei sind entsprechend angemessene Unterrichts-
kann zu 7 Reaktivität führen, d. h. das Verhalten kann methoden von Bedeutung. So bieten sich beispielsweise
sich bereits durch die bloße Selbstbeobachtung in die Projektarbeiten oder Wochenpläne zur Autonomieunter-
gewünschte Richtung verändern (z. B. Kanfer et al. 2000). stützung an. Ebenso fördern das Gruppenpuzzle oder
Man spricht in diesem Zusammenhang vom Monitoring- das Stationenlernen die Autonomie der Schülerinnen
Effekt. Dass die Wirksamkeit der Selbstbeobachtung etwa und Schüler beim Erlernen neuer Unterrichtsinhalte.
über den Einsatz von Lerntagebüchern gefördert wird, Werden Lernende hingegen stark kontrollierend, d. h. mit
konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden vielen engen Vorgaben unterrichtet, so führt dieses nicht
(z. B. Schmitz und Wiese 2006). Darüber hinaus kann die nur zu einer Verringerung von Initiative beim Lernen,
Selbstbeobachtung mittels Lerntagebüchern durch die sondern auch zu weniger effektivem Lernen (z. B. Utman
Anregung metakognitiver Gedanken zu einer Steigerung 1997). Neben der Autonomieunterstützung ist auch die
der Effekte von Selbstregulationstrainings führen (z. B. Kompetenzunterstützung von Bedeutung. Das heißt, die
Dörrenbächer und Perels 2016; Fabriz et al. 2014). Schülerinnen und Schüler sollten nicht nur das Gefühl von
Wahlmöglichkeiten haben, sondern auch spüren, dass sie
Transfersicherung Ebenso wichtig wie ein gut konzipiertes fähig sind, die gestellten Aufgaben erfolgreich bewältigen
Training ist die Sicherung des Transfers der vermittelten zu können. Zur erfolgreichen Kompetenzunterstützung
Inhalte; also die Sicherstellung der Anwendung der erlernten im schulischen Alltag ist vor allem das informative und
Fertigkeiten auch nach Ende der Intervention. Somit ist motivationsförderliche Feedback geeignet. Erhalten
es nicht ausreichend, ausschließlich selbstregulatorische Schülerinnen und Schüler regelmäßig Rückmeldung über
60 F. Perels et al.

ihr Lernen und die angewendeten Strategien, so können eine kombinierte Intervention für die Schülerinnen und
sie ihr Lernverhalten entsprechend anpassen. Dabei ist Schüler selbst sowie für die Gestalter der Lernumwelt
es wichtig, dass nicht nur die Bewertung des Lernergeb- durchzuführen.
nisses kommuniziert wird, sondern auch Lernprozesse Nachdem die voranstehenden Abschnitte zunächst die
und Lernergebnisse mit den positiven wie verbesserungs- Diagnostik selbstregulierten Lernens und anschließend
würdigen Anteilen thematisiert werden. Bei solchen allgemeine Hinweise zur Gestaltung entsprechender Inter-
3 Rückmeldungen ist zudem von Bedeutung, dass günstige ventionen beschreiben, stellt das nachfolgende Kapitel
Attributionen nahegelegt werden (Möller 2001). Dieses bereits etablierte Maßnahmen zur Steigerung selbst-
bedeutet insbesondere, dass vor allem Misserfolge nicht regulatorischer Kompetenzen (überwiegend, aber nicht
auf (unveränderliche) mangelnde Fähigkeiten oder auf ausschließlich) im Kontext des Lernens vor.
Faktoren zurückgeführt werden sollten, die außerhalb
der Kontrolle der Schülerin/des Schülers liegen. Idealer-
weise werden hier veränderbare Ursachen wie z. B. 3.4.2  Exemplarische Beschreibung von
mangelnde Anstrengung oder falscher Strategiegebrauch Trainingsmaßnahmen
zur Erklärung eines Misserfolges herangezogen.
Die Förderung von Selbstregulation kann sich bezüglich der
Kombination mit direkter Strategievermittlung Neben der geförderten Aspekte der Selbstregulation, der verwendeten
Schaffung günstiger Lernbedingungen können Lehrkräfte Methode oder hinsichtlich der Zielgruppe unterscheiden.
und Eltern zusätzlich auf direktem Weg Strategien zur Im Folgenden werden exemplarisch ein Schülertraining
Selbstregulation vermitteln. Sie können die Schülerinnen zur Vermittlung mathematischer Problemlösestrategien,
und Schüler z. B. in effektiver Zeitnutzung schulen, ein computerbasiertes Training zur Förderung einzel-
oder hinsichtlich dessen, wie sie sich bei Unlust oder ner kognitiver Lernstrategien, ein webbasiertes Training
Ablenkung für ihre Hausaufgaben motivieren können. Im zur Vermittlung metakognitiver Lernstrategien mit einem
Grunde können die zentralen Gestalter der Lernumwelt Tagebuch und ein Training zur Förderung von Selbst-
(Lehrkräfte, Eltern) somit die gleichen Strategien ver- regulation bei Erwachsenen vorgestellt.
mitteln, die externe Trainer/Trainerinnen in den direkten
Förderprogrammen für Schülerinnen und Schüler als Förderung von mathematischen
Trainingsinhalte thematisieren. Insofern müssen sie im Problemlösestrategien bei Schülern
Rahmen der indirekten Förderprogramme mit den Selbst- Nachfolgend wird exemplarisch eine direkte Intervention
regulationsstrategien vertraut gemacht werden, um diese in Form eines Schülertrainings skizziert, welches ver-
weitervermitteln zu können. tiefend bei Perels (2007) nachgelesen werden kann. Das
vorgestellte Training kombiniert fachliche mit fachüber-
Modellverhalten Lehrkräfte und Eltern können auch über greifenden Inhalten und wurde in der 5. gymnasialen
ihr eigenes Modellverhalten (Bandura 1991; Lienemann Jahrgangsstufe durchgeführt. Zielsetzung ist es, die Selbst-
und Reid 2006) Einfluss auf das selbstregulierte Lernver- regulationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu ver-
halten der Schülerinnen und Schüler nehmen. Lernende bessern. Das Training basiert auf dem Prozessmodell der
können ein günstiges Lernverhalten erlernen, indem sie Selbstregulation (Schmitz und Wiese 2006) und besteht
dieses zunächst an einem positiven Modell beobachten aus insgesamt 10 wöchentlichen Trainingssitzungen im
und später imitieren (Zimmerman 2000). Lehrkräfte oder Umfang von jeweils 2 Schulstunden. Da im Sinne der
Eltern können solche Modelle darstellen (Otto et al. 2008). Optimierung von Trainingseffekten (7 Abschn. 3.4.2) über-
Im Unterrichtsalltag sollte die Lehrkraft daher die Selbst- fachliche Strategien mit fachspezifischen Inhalten gekoppelt
regulationsstrategien, die sie bei den Schülerinnen und werden sollten, wurden den Schülerinnen und Schülern
Schülern gerne beobachten würde, auch selbst zeigen. zusätzlich zu Selbstregulationsstrategien mathematische
Dazu kann z. B. die regelmäßige Angabe von Lernzielen Problemlösestrategien vermittelt. Die 1., 9. und 10. Stunde
am Anfang des Unterrichts, die demonstrative Ver- dienen dem Kennenlernen und der Wiederholung der
wendung einer Lernstrategie wie das Unterstreichen Inhalte. Die verbleibenden 7 Sitzungen werden den drei
von wichtigen Textpassagen sowie die Reflexion und Phasen der Selbstregulation zugeordnet; dabei werden
Evaluation am Ende der Unterrichtsstunde gehören. chronologisch entsprechende Strategien vermittelt. Die
Es liegen mehrere empirische Studien dazu vor, dass mathematischen Problemlösestrategien werden ebenfalls
Trainingsprogramme für Eltern (z. B. Lund et al. 2001) den drei Phasen des Modells zugeordnet. So werden in
und Lehrkräfte (z. B. De Jager et al. 2005; Perels et al. Bezug auf die präaktionale Phase innerhalb von 3 Sitzungen
2009; Souvignier und Mokhlesgerami 2006) als indirekte sowohl die Selbstregulationsstrategien Zielsetzung und
Intervention durchaus erfolgreich sein können, um das Planung als auch die handlungsvorbereitenden Strategien
selbstregulierte Lernen von Schülerinnen und Schülern zu des mathematischen Problemlösens Skizze, Selektion und
optimieren. Trotzdem wird immer wieder ersichtlich, dass Überschlag vermittelt. Bezüglich der aktionalen Phase
direkte Trainingsangebote effektiver sind als indirekte werden in 2 Sitzungen einerseits Strategien zur Förderung
Interventionen (Otto 2007a). Insofern wäre es optimal, von Konzentration, Motivation und Willensstrategien
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
61 3
. Tab. 3.3 Inhalte des Schülertrainings. (Nach Perels, F. 2007. Hausaufgabentraining für Schüler der Sekundarstufe I: Förderung
selbstregulierten Lernens in Kombination mit mathematischem Problemlösen bei der Bearbeitung von Textaufgaben. In M. Land-
mann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 33–51). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des
­­Kohlhammer-Verlags)

1. Sitzung 2. Sitzung 3. Sitzung 4. Sitzung 5. Sitzung


Basics „Vor dem Lernen“ „Vor dem Lernen“ „Vor dem Lernen“ „Während des Lernens“
– Erwartungen – E instellung zu – Zielsetzung – Einstellung – Konzentration
– Regeln Mathematik – Planung – Ziele – Motivation
– Überblick – Selektion – Selektion – Selektion – Zerlegung
– Einstieg – Überschlag – Skizze – Überschlag
– Skizze
6. Sitzung 7. Sitzung 8. Sitzung 9. Sitzung 10. Sitzung
„Während des Lernens“ „Nach dem Lernen“ „Nach dem Lernen“ Selbstregulation Problemlösen
– Umgang mit störenden – Wiederholung – Individuelle Bezugsnorm – Wiederholung – Abschluss
Gedanken – Motivation – Umgang mit Fehlern
– Umgang mit Ablenkern – Volition – Probe
– Zerlegung – Umgang mit Fehlern
– Probe

trainiert; andererseits wird auf die Zerlegung beim in Form eines Blitzlichts (kurze Aussage eines jeden Teil-
Problemlösen eingegangen. Zwei Sitzungen widmen sich nehmers/einer jeden Teilnehmerin, welche nicht weiter
den postaktionalen Strategien und vermitteln die Reflexion kommentiert oder diskutiert wird). Zur Transferförderung
und den Umgang mit Fehlern. In . Tab. 3.3 sind die Inhalte werden Hausaufgaben aufgegeben. Diese werden ein-
des Schülertrainings pro Sitzung detailliert aufgeführt. gesammelt, mit schriftlichem, informativem Feedback
Das Training wird von zwei externen Trainern/ angereichert und in der folgenden Woche zurückgegeben.
Trainerinnen nachmittags in den Räumen der Schule Vorteile dieses Trainings sind die massierte (in kurzer
durchgeführt. Die Gruppengröße besteht jeweils aus Zeit sehr intensive) Förderung ganzheitlicher Selbst-
maximal 15 Schülerinnen und Schülern. Die einzelnen regulationsstrategien und deren Kombination mit fach-
Inhalte werden in der Regel zweimal wiederholt. Im Ver- spezifischen Inhalten. Als nachteilig könnten sich die
lauf des Trainings werden alle Strategien auf einer persön- zeitlichen und personellen Kosten des Trainings erweisen,
lichen Schreibtischunterlage festgehalten. Weiterhin die durch die 10 außercurricularen Sitzungen, die Leitung
füllen die Lernenden täglich über den gesamten Zeitraum durch zwei Trainer/Trainerinnen, die relativ kleinen
hinweg ein standardisiertes Lerntagebuch (7 Abschn. 3.3.2) Gruppengrößen und das begleitende Lerntagebuch bedingt
aus. Zielsetzung des Lerntagebuchs ist es zum einen, die sind. Die Evaluationsergebnisse bestätigen jedoch die Wirk-
strukturierte Selbstbeobachtung im Hinblick auf das samkeit des Trainings und rechtfertigen den Aufwand.
individuelle Lernverhalten zu fördern und Reflexions- und Sowohl die selbstregulatorischen Fähigkeiten als auch das
Regulationsprozesse anzuregen. Zum anderen sollen auf mathematische Problemlösen konnten durch das Training
diese Weise die Inhalte des Trainings systematisch in die gefördert werden. Auch seitens der Schülerinnen und
Hausaufgabenbearbeitung integriert werden. Die Auswahl Schüler fiel die Einschätzung des Trainings – trotz der zeit-
der Trainingsmethoden zeichnet sich durch Variation und lichen Belastung – sehr positiv aus.
Aktivierung aus. So werden neben direkter Instruktion
auch Gruppenarbeiten und Spiele integriert und Frontal- Förderung kognitiver Lernstrategien mit
unterricht durch Übungsphasen aufgelockert. Weiterhin einem computerbasierten Training
fungieren die Trainer/Trainerinnen und der Trainingsauf- Selbstregulationstrainings finden nicht zwangsläufig im
bau explizit als Modell für selbstregulatives Vorgehen. Rahmen von Präsenzlernen statt; immer häufiger wird
Der Aufbau der einzelnen Sitzungen ist identisch: selbstreguliertes Lernen auch im Zusammenhang mit
Zu Beginn des Trainings findet ein Stuhlkreis statt. Hier Blended-Learning (vgl. Dörrenbächer-Ulrich et al. 2019)
wird über die Erfahrungen und Probleme bezüglich oder der ausschließlichen Verwendung von elektronischen
der Umsetzung der neuen Strategien, die in den letzten Medien gefördert. Der folgende Abschnitt stellt ein
Sitzungen eingeübt wurden, und beim Ausfüllen des Tage- computerbasiertes Trainingsprogramm für die 10. Jahr-
buchs gesprochen. Dann findet der inhaltliche Teil der gangsstufe von Elzen-Rump und Leutner (2007) vor.
aktuellen Sitzung statt. Nach Abschluss der Inhalte jeder Zielsetzung dieses Programms ist es, den Einsatz einer
Trainingsphase wird eine 10-minütige Wissensabfrage Mapping-Strategie (globales Organisieren und sprach-
durchgeführt und in der jeweils folgenden Sitzung korrigiert liches Integrieren gelesener Information) im Kontext
an die Teilnehmenden zurückgegeben. Am Ende jeder naturwissenschaftlicher Sachtexte zu optimieren. Die
Sitzung erfolgt die schriftliche Evaluation der Stunde, ein Besonderheit besteht darin, dass der qualitätsvolle Ein-
Abschlussstuhlkreis und eine mündliche Rückmeldung satz dieser Lernstrategien reguliert werden soll. Basierend
62 F. Perels et al.

auf dem EPOS-Modell (Essener prozessorientiertes Selbst- zeigt das im Folgenden beschriebene Training von Land-
regulationsmodell nach Leutner und Leopold 2005) wird mann (2005; Landmann et al. 2005). Es richtet sich an
damit vor allem auf die Mikroebene der Lernprozess- Personen, die sich in Phasen beruflicher Neuorientierung
regulation fokussiert. Der/Die Lernende bekommt Wissen oder des beruflichen Wiedereinstiegs befinden. Das
darüber vermittelt, warum und wie er einzelne Schritte Training besteht aus 7 wöchentlichen Trainingssitzungen
der Mapping-Strategie einbringen und sich selbst beim von jeweils 2,5 h. Die Strukturierung und Auswahl der
3 Strategieeinsatz beobachten, einschätzen und angemessen vermittelten Inhalte orientiert sich am Handlungsphasen-
reagieren kann. Vergleichsstandard bei der Selbstregulation modell (Gollwitzer 1990; Heckhausen 1989). Es werden
ist in diesem Fall also nicht das Gesamtziel, sondern die wesentliche Strategien jeder einzelnen Handlungsphase
Erreichung zuvor festgelegter Qualitätsanforderungen (prädezisionale, präaktionale, aktionale, postaktionale
bei der Strategieumsetzung. Didaktisch gliedert sich das Phase) vermittelt, um hierdurch einen vollständigen
Training in drei Teile: Handlungsablauf zu fördern und somit die Zielerreichung
1. Fallbeispiel zu ermöglichen. Die vermittelten Strategien sind:
2. Lernstrategieteil 5 Zielsetzung
3. Selbstregulationsteil. 5 Handlungsplanung
5 Selbstmotivierung
Alle drei Teile beinhalten geschriebene Textabschnitte, 5 Selbstbeobachtung
Grafiken und verbale Beschreibungen, die z. T. gesprochen 5 Handlungsregulation
werden. Weiterhin sind im Selbstregulationsteil Übungs- 5 Volition
aufgaben integriert. Die Bearbeitungszeit kann individuell 5 Attribution
variieren, ist jedoch auf 90 min ausgerichtet. Die Wirksam- 5 Reflexion.
keit des computerbasierten Trainings konnte in Trainings-
experimenten in Bezug auf das Lernverhalten und den In . Tab. 3.4 sind die Inhalte des Trainings entsprechend
Lernerfolg beim Lesen von Sachtexten belegt werden. den einzelnen Sitzungen dargestellt.
(Weitere Interventionen zur Trainierbarkeit kognitiver Die einzelnen Sitzungen folgen einem ähnlichen Ablauf.
Grundfunktionen – jedoch ohne den Aspekt der selbst- Zu Beginn werden in der Gruppe die Erfahrungen mit
regulatorischen Kompetenzen – finden sich in 7 Kap. 17). dem Tagebuch und bei der Umsetzung der Inhalte seit der
letzten Trainingssitzung besprochen. Anschließend werden
Vermittlung metakognitiver Strategien mit die Inhalte der jeweiligen Stunde in eine vereinfachte Dar-
einem webbasierten Lerntagebuch stellung des Handlungsphasenmodells eingeordnet, das
Winter (2007; Winter und Hofer 2007) konzipierte ein web- als Rahmenmodell für das gesamte Training dient und die
basiertes Lerntagebuch, das Studierende bei der Planung kognitive Strukturierung der vermittelten Inhalte seitens
und Regulation des universitären Lernverhaltens unter- der Teilnehmenden erleichtert. Bevor neue Inhalte ver-
stützen soll. Dieses Programm ist prinzipiell unabhängig mittelt werden, erfolgt die Aktivierung von Vorwissen.
von den Inhalten einzelner Lehrveranstaltungen oder Theoretische Inhalte werden in kurzen, interaktiven Vor-
unterschiedlichen Lehrplänen und zielt auf die Förderung tragssequenzen dargeboten und in anschließenden Einzel-
metakognitiver und ressourcenbezogener Regulations- oder Gruppenübungen vertieft. Zum Ende jeder Sitzung
strategien ab. Der/Die Lernende wird durch dieses Tool werden die Inhalte der Sitzung von den Teilnehmenden
über einen längeren Zeitraum (z. B. ein Semester oder zusammengefasst; außerdem wird eine Hausaufgabe auf-
mehrere Wochen während der Prüfungsvorbereitung) gegeben. Das Training wird in Kleingruppen von maximal
angehalten, sein Lernverhalten in regelmäßigen Zeit- 15 Personen durchgeführt.
abständen zu planen, zu beobachten, zu protokollieren und Wesentliche weitere konzeptionelle Bestandteile des
zu reflektieren. Dies geschieht anhand von Leitfragen, die Trainings sind
sich entweder auf einen einzelnen Lerntag oder eine ganze a) ein Trainingsprojekt (in der Regel das berufliche Ziel)
Lernwoche beziehen. Darüber hinaus hat er die Möglich- der Teilnehmenden, das zu Beginn des Trainings
keit, die Entwicklung seines Lernverhaltens über die Zeit gesetzt und an dem sukzessive die vermittelten
grafisch darstellen zu lassen. Dieses elektronische Lerntage- Strategien umgesetzt/erprobt werden,
buch wurde an der Universität Mannheim erprobt und die b) ein Trainingsvertrag zwischen den Teilnehmenden
Ergebnisse zeigen, dass eine sorgfältige und kontinuierliche und der Trainerin/dem Trainer und
Nutzung die Selbstregulation beim Lernen (z. B. Zeit zur c) ein Selbstbeobachtungstagebuch, das täglich aus-
Prüfungsvorbereitung, Wissenstest) verbessert. gefüllt wird und das der strukturierten Umsetzung und
Beobachtung der im Training vermittelten Strategien
Förderung von Selbstregulation bei im Alltag dient.
Erwachsenen
Dass Selbstregulation auch im Erwachsenenalter erfolgreich Die Ergebnisse belegen die Wirksamkeit des Trainings
gefördert werden kann und die beschriebenen Strategien sowohl im Hinblick auf die Vermittlung von Selbst-
auch für den beruflichen Kontext hilfreich sein könnten, regulationsstrategien als auch in Bezug auf die berufliche
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
63 3

. Tab. 3.4 Struktur und Inhalte des Trainings zur beruflichen Zielerreichung. (Modifiziert nach Landmann 2005, mit freundlicher
Genehmigung des Shaker-Verlags, Aachen)

Einheit Inhalte

1. Termin Kennenlernen, Struktur des Trainings


– Kennenlernen der Teilnehmer untereinander
– Vorstellen von Gruppenregeln
– Abgleich von Zielen und Erwartungen
– Trainingsüberblick, theoretisches Modell
– Hausaufgabe
2. Termin Postaktionale Motivationsphase: Ziele I, Umgang mit Erfolg und Misserfolg
– Sinn von Zielen und Zielbindung, Verträge, Trainingsziel, Zielvereinbarung
– Strategien zum Umgang mit Erfolg und Misserfolg
– Nutzenfokussierung, realistische Interpretation von Ereignissen
– Auswirkungen von günstigem und ungünstigem Umgang mit Ergebnissen
– Hausaufgabe
3. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele II, Stärken
– Herausfordernde/realistische Zielsetzung, Zielanpassung
– Zusammenhang zwischen Zielsetzung und Ergebnis
– Stärkenanalyse
– Hausaufgabe
4. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele III
– Strukturierung und Formulierung von Zielen
– Zielformulierung
– Hausaufgabe
5. Termin Präaktionale Volitionsphase: Handlungsplanung
– Nutzen konkreter, schriftlicher Planung
– Umgang mit Handlungs- und Wochenplänen
– Erstellen eines Handlungsplanes
– Vorausschauende Problemanalyse
– Problemlösen/allg. Problemlöseleitfaden (Rückfallpräventionsmodell)
– Hausaufgabe
6. Termin Aktionale Volitionsphase: Selbstregulationszyklus
– Selbstregulationszyklus: Selbstbeobachtung, -bewertung, -reaktion
– Nutzen und Anwendung von Verstärkern
– Zusammenhang von Emotionen, Kognitionen, Verhalten
– Kognitions- und Emotionssteuerung
– Hausaufgabe
7. Termin Wiederholung, Abschluss, Evaluation
– Wiederholung der zentralen Inhalte des Trainings
– Rückblick/persönliches Resümee, Trainingserinnerer
– Evaluationsfragebogen

Zielerreichung (Landmann et al. 2005), wobei sich bestehen, vorliegende Modellvorstellungen stärker zu
das Tagebuch als besonders wirkungsvolle Trainings- integrieren.
komponente erwiesen hat. 5 Eine weitere offene Forschungsfrage zielt auf das Ver-
hältnis zwischen Fremd- und Selbststeuerung ab, da dies
in den wenigsten Theorien Berücksichtigung findet.
3.5  Ausblick 5 Auch die Frage, welche Rolle das soziale Umfeld und
Peergruppen bei der Unterstützung von Selbstregulation
Ungeachtet der intensiv betriebenen Forschungs- und Ent- spielen, ist bisher wenig erforscht.
wicklungsarbeit in den letzten Jahren lässt sich eine Reihe 5 In Bezug auf die Messung von Selbstregulationskompetenz
von Fragestellungen nennen, denen es zukünftig nachzu- besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, worauf
gehen gilt. Exemplarisch seien abschließend ausgewählte die eher geringen Korrelationen zwischen verschiedenen
Forschungsthemen skizziert: Methoden zur Erfassung zurückzuführen sind. Darüber
5 Derzeit existiert eine Reihe von Selbstregulations- hinaus wäre es interessant zu untersuchen, wie ver-
modellen, die sich trotz unterschiedlicher Schwerpunkt- schiedene Erfassungsmethoden möglichst gewinnbringend
setzungen mehr oder weniger stark überlappen. Eine und dennoch sparsam kombiniert werden können, um
Herausforderung für die weitere Forschung wird darin selbstreguliertes Lernen valide abbilden zu können.
64 F. Perels et al.

5 Bezogen auf die unterstützenden Maßnahmen Vertiefende Literatur


zur Förderung selbstregulierten Lernens bildet die 5 Boekaerts, M., Pintrich, P., & Zeidner, M. (2000). Handbook of
self-regulation. San Diego, CA: Academic.
Konzeption und Evaluation von Lerntagebüchern, die 5 Landmann, M., & Schmitz, B. (2007). Selbstregulation erfolgreich
der Förderung von Selbstbeobachtung dienen, einen fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen.
weiteren Themenschwerpunkt. Da das Self-Monitoring Stuttgart: Kohlhammer.
eine wesentliche Voraussetzung für gelungenes 5 Schunk, D. H., & Greene, J. A. (2018). Handbook of self-regulation of
3 Regulationsverhalten darstellt, ist die Identifikation von learning and performance (2nd edition). New York, NY: Routledge.
5 Zimmerman, B. J., & Schunk. D. H. (Eds.). (2011). Handbook
Maßnahmen zur Unterstützung der Selbstbeobachtung of self-regulation of learning and performance. New York, NY:
von hoher Relevanz. Selbstregulationstagebücher Routledge.
konnten zwar bei unterschiedlichen Zielgruppen erfolg-
reich zur Förderung von Selbstregulation eingesetzt
werden, sie sind aber noch vergleichsweise aufwendig Literatur
und wenig alltagstauglich. In diesem Zusammen-
hang ist auch die Analyse der Beziehung zwischen den Anderson, H., Coltman, P., Page, C., & Whitebread, D. (2003).
verschiedenen Möglichkeiten zur Förderung selbst- Developing independent learning in children aged 3–5. Paper
regulierten Lernens von wissenschaftlichem Interesse. presented at the conference of the European Association for
5 Generell gilt es schließlich auch näher zu analysieren, Research on Learning and Instruction (EARLI), Podova, Italy.
Bandura, A. (1991). Social cognitive theory of self-regulation.
ab welchem Alter welche Selbstregulationskompetenzen Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50, 248–287.
mit welcher Methode gefördert werden können. Baumert, J. (1993). Lernstrategien, motivationale Orientierung und
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen im Kontext schulischen
Lernens. Unterrichtswissenschaft, 4, 327–354.
Fazit Bellhäuser, H., Lösch, T., Winter, C., & Schmitz, B. (2016). Applying a
web-based training to foster self-regulated learning—Effects
Insgesamt sollte mit diesem Kapitel deutlich gemacht of an intervention for large numbers of participants. The Inter-
werden, dass Selbstregulationskompetenzen für net and Higher Education, 31, 87–100. 7 https://doi.org/10.1016/j.
erfolgreiches Lernen und Studieren entscheidend iheduc.2016.07.002.
sind. Die vielfältigen Forschungsaktivitäten in Benick, M., Dörrenbächer-Ulrich, L., & Perels, F. (2018). Prozessuale
diesem Bereich haben zur Entwicklung zunehmend Evaluation differentieller Effekte eines Selbstregulationstrainings
gegen Ende der Grundschulzeit. Unterrichtswissenschaft, 46(4),
differenzierter Modelle der Selbstregulation geführt, 379–407. 7 https://doi.org/10.1007/s42010-018-0031-y.
die Ausgangspunkt von Erfassungsmethoden Boekaerts, M. (1999). Self-regulated learning: Where we are today –
und Fördermaßnahmen wurden. Ungeachtet des Theory, research, and practice. International Journal of Educational
umfangreichen Kenntnisstands und der Tatsache, dass Research, 31(6), 445–457.
selbstreguliertes Lernen als ein wichtiges Qualitäts- Bronson, M. B. (2000). Self-regulation in early childhood. New York:
Guilford.
kriterium von Schulqualität angesehen wird, ist die Cleary, T. J. (2011). Emergence of self-regulated learning microana-
Vermittlung von Selbstregulationsstrategien jedoch lysis. In B. J. Zimmerman & D. H. Schunk (Hrsg.), Handbook of
weder in der Schule, noch im Studium oder im ­self-regulation of learning and performance (S. 329–345). New York:
Berufsleben selbstverständlich. Dieses Ungleichgewicht Routledge.
verweist letztlich auf allgemeine Probleme der Cleary, T. J., Callan, G. L., & Zimmerman, B. J. (2012). Assessing
self-regulation as a cyclical, context-specific phenomenon:
­
praktischen Umsetzung von Forschungsergebnissen, die Overview and analysis of SRL microanalytic protocols. Education
(auch) in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften Research International. 7 https://doi.org/10.1155/2012/428639.
und Hochschullehrern zu verorten sind (7 Kap. 18). Cleary, T. J., Callan, G. L., Malatesta, J., & Adams, T. (2015). Examining the
level of convergence among self-regulated learning microanalytic
processes, achievement, and a self-report questionnaire. Journal of
Psychoeducational Assessment, 33(5), 439–450.
? Verständnisfragen Cleary, T. J., & Callan, G. L. (2018). Assessing self-regulated learning
1. Warum ist selbstreguliertes Lernen wichtig für den using microanalytic methods. In D. H. Schunk & J. A. Greene
(Hrsg.), Handbook of self-regulation of learning and performance
Lernerfolg? (2. Aufl.). New York: Routledge.
2. Welche Phasen werden bei den prozessorientierten Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). Self-determination theory and the
Modellen der Selbstregulation unterschieden und facilitation of intrinsic motivation, social development, and
was beinhalten die einzelnen Phasen? ­well-being. American Psychologist, 55, 68–78.
3. Welche Verfahren zur Erfassung selbstregulierten De Jager, B., Jansen, M., & Reezigt, G. (2005). The development of
metacognition in primary school learning environments. School
Lernens werden unterschieden? Effectiveness and School Improvement, 16, 179–196.
4. Beschreiben Sie die Inhalte des LIST! den Elzen-Rump, V., & Leutner, D. (2007). Naturwissenschaftliche Sach-
5. Wie lauten die allgemeinen Prinzipien, die bei der texte verstehen – Ein computerbasiertes Trainingsprogramm
Wissensvermittlung zum selbstregulierten Lernen für Schüler der 10. Jahrgangsstufe zum selbstregulierten Lernen
beachtet werden sollten? mit Mapping-Strategien. In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.),
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
65 3
Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme Education and Special Education, 29(1), 3–11. 7 https://doi.
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67 II

Lehren
Inhaltsverzeichnis

4 Unterricht – 69
Frank Lipowsky

5 Klassenführung – 119
Tina Seidel

6 Medien – 133
Holger Horz
69 4

Unterricht
Frank Lipowsky

4.1  Begriffliche und theoretische Grundlagen – 70


4.1.1  Didaktische Theorien – Modelle für die Planung und Analyse von
Unterricht – 70
4.1.2  Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik – 70
4.1.3  Instructional-Design-Modelle – 71
4.1.4  Angebots-Nutzungs-Modell – 77

4.2  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen


Unterrichts – 79
4.2.1  Strukturiertheit des Unterrichts – 79
4.2.2  Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts – 82
4.2.3  Feedback – 83
4.2.4  Kooperatives Lernen – 86
4.2.5  Üben – 90
4.2.6  Kognitive Aktivierung – 92
4.2.7  Metakognitive Förderung – 94
4.2.8  Unterstützendes Unterrichtsklima – 95
4.2.9  Innere Differenzierung, Individualisierung, formatives Assessment
und Scaffolding als Formen adaptiven Unterrichts – 96
4.2.10  Lernwirksamer Unterricht für ‚Risikoschüler‘ – 101
4.2.11  Zusammenfassung und Einbettung der Befunde – 103
4.2.12  Grenzen – 105

Literatur – 107

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_4
70 F. Lipowsky

Dieses Kapitel beleuchtet theoretische Grundlagen unter- 4.1.1  Didaktische Theorien – Modelle für die
richtlichen Lehrens und Lernens und gibt einen Überblick Planung und Analyse von Unterricht
über wichtige Ergebnisse der Unterrichtsforschung. Dabei
wird sowohl auf kognitive als auch auf a­ ffektiv-motivationale Die allgemeine Didaktik hat eine Vielzahl von didaktischen
Merkmale von Schulerfolg Bezug genommen (. Abb. 4.1). Theorien entwickelt, die sich vor allem als Modelle für die
Planung und Analyse von Unterricht verstehen. Bekannt
geworden sind vor allem die didaktischen Modelle von
Klafki (1963, 1996) und Heimann et al. (1965), auf die hier
4 kurz eingegangen werden soll.
Klafki (1963, 1996) akzentuiert in seiner bildungs-
theoretischen, später zur kritisch-konstruktiven Didaktik
weiterentwickelten Konzeption die Auswahl und Begründung
von Unterrichtsinhalten. Dem Bedeutungsgehalt eines
Themas misst Klafki die zentrale Rolle für die Bildung der
Lernenden bei. Da nicht jeder Inhalt nach Ansicht Klafkis
bildungsbedeutsam ist, hat die Lehrperson vorrangig die Auf-
gabe, die Inhalte auf ihren gegenwärtigen und zukünftigen
Bedeutungsgehalt zu analysieren. Hierzu entwickelt Klafki
die sogenannte didaktische Analyse, die der Lehrperson Leit-
fragen zur Vorbereitung ihres Unterrichts an die Hand gibt.
In ihrer Berliner Didaktik unterscheiden Heimann et al.
(1965) vier Entscheidungsfelder (Ziele, Inhalte, Verfahren
und Medien des Unterrichts) und zwei Bedingungsfelder
. Abb. 4.1 (© Digital Vision/Thinkstock)
(anthroprogene und soziokulturelle Lernvoraussetzungen
der Lernenden) und betonen deren Interdependenz. Bei-
4.1  Begriffliche und theoretische spielsweise lassen sich ohne Kenntnis der Lerngruppe
und ihrer spezifischen Voraussetzungen didaktische Ent-
Grundlagen
scheidungen nicht begründet treffen. Das Berliner Modell
hatte großen Einfluss auf die Ausbildung ganzer Lehrer-
Dieser Abschnitt setzt sich mit begrifflichen und
generationen und akzentuiert vor allem die Frage nach der
theoretischen Grundlagen unterrichtlichen Lehrens und
sinnvollen und kohärenten Beziehung zwischen Zielen,
Lernens auseinander. Wenn hier von Unterricht oder
Inhalten und Methoden des Unterrichts. Von Schulz (1980)
unterrichtlichem Lehren und Lernen die Rede ist, dann ist
wurde es zur Hamburger Didaktik weiterentwickelt, wobei
primär der Unterricht in der Schule gemeint, obgleich der
er vor allem an den wissenschaftstheoretischen Prämissen
Terminus „Unterricht“ auch Prozesse in Institutionen der
des Berliner Modells Änderungen vornahm.
Erwachsenenbildung, wie z. B. in der Hochschule oder in
Obgleich seit einigen Jahren zunehmende Kritik an den
der privaten oder betrieblichen Weiterbildung, umfasst.
Modellen und Theorien der allgemeinen Didaktik laut wird,
die sich vor allem an der mangelnden Integration empirischer
Definition
Forschungsbefunde und an der Abstraktheit der Modelle ent-
Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge zündet, sind sie auch heute noch für die Ausbildung von Lehr-
von Lehr- und Lernsituationen verstanden werden, die personen von Bedeutung. Sie stellen der Lehrperson wichtige
von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant Leitfragen zur Planung von Unterricht zur Verfügung,
und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen sensibilisieren für bestehende Zusammenhänge zwischen den
sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten der verschiedenen Entscheidungsfeldern, regen zur Reduzierung
Lernenden dienen. Sie finden in der Regel in bestimmten und Strukturierung des Unterrichtsgegenstands an und bilden
dafür vorgesehenen Institutionen unter regelhaften damit ein Gerüst für die Planung und Analyse von Unter-
Bedingungen statt (Terhart 1994). richt. Zum „Ausfüllen“ dieses Rahmens ist es jedoch auch
notwendig, Erkenntnisse aus der empirischen Unterrichts-
forschung und den Fachdidaktiken heranzuziehen.
Im Folgenden werden zunächst theoretische Ansätze vor-
gestellt, die seitens der Schulpädagogik (7 Abschn. 4.1.1) und
der Unterrichtsforschung (7 Abschn. 4.1.3) zur Analyse von 4.1.2  Aeblis Entwurf einer
Lehr- und Lernprozessen und zur Erklärung von Schulerfolg kognitionspsychologischen Didaktik
entwickelt wurden. Daran anschließend wird ein Über-
blick über den Forschungsstand zu Unterrichtsmerkmalen Einen ganz anderen Weg der Theoriebildung beschritt der
gegeben, die die kognitive und die ­ affektiv-motivationale Schweizer Hans Aebli. Als Schüler Piagets entwickelt er
Entwicklung der Lernenden beeinflussen (7 Abschn. 4.2). eine stark auf kognitionspsychologischen Erkenntnissen
Unterricht
71 4
beruhende Didaktik und legt den Schwerpunkt auf die angewendet werden, um sie transferierbar für neue
Lern- und Verstehensprozesse der Lernenden, indem Kontexte und Situationen zu machen. Erst dann kann von
er nach den allgemeingültigen Strukturmerkmalen der einer Vollständigkeit der Lernprozesse gesprochen werden
Operations- und Begriffsbildung fragt und damit die (Pauli und Schmid 2019). Anwendungen stehen jedoch
„kognitive Tiefengrammatik“ (Messner und Reusser 2006) nicht ausschließlich am Schluss einer Unterrichtseinheit,
des Unterrichts akzentuiert. sondern erfolgen auch bei der Bearbeitung und Lösung
Aebli geht – und das kennzeichnet seine Nähe zu neuer Probleme.
kognitionspsychologischen und konstruktivistischen Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen
Positionen (7 Abschn. 4.1.3) – davon aus, dass Lernende ihr Didaktik lässt sich gut mit den Erkenntnissen der
Wissen selbst aufbauen müssen und dass die Auseinander- aktuellen Unterrichtsforschung verbinden, da Aebli
setzung mit Problemen besonders geeignet ist, diesen seinen Fokus zum einen darauf richtet, wie Lehrprozesse
Wissensaufbau zu befördern. Um vollständige Lernprozesse sequenziert und strukturiert werden sollten, um Lern- und
im Unterricht zu initiieren, sollten nach Aebli (1983) Verstehensprozesse von Schülerinnen und Schülern zu
bestimmte Lehr- und Lernschritte durchlaufen werden: fördern. Was die Gestaltung und Umsetzung der einzel-
Aebli hat für diese Schritte die Abkürzung PADUA gewählt. nen Schritte des PADUA-Modells anbelangt, sind für
5 problemlösendes Aufbauen die den Unterricht planende Lehrperson zum anderen
5 Durcharbeiten Merkmale lernwirksamen Unterrichts bedeutsam, die
5 Üben in den Vorschlägen Aeblis – allerdings eher indirekt
5 Anwenden – umschrieben werden. So spielen die inhaltliche Klar-
heit (7 Abschn. 4.2.2) und das Potenzial zur kognitiven
Den Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit bildet ein Aktivierung (7 Abschn. 4.2.6) insbesondere in der Phase des
Problem, das die Lernenden zu den geforderten Operationen Durcharbeitens eine Rolle. Erkenntnisse zum produktiven
führen soll und das geeignet sein muss, die sachlichen und sinnvollen Üben (7 Abschn. 4.2.5), zum kooperativen
Beziehungen und Strukturen zu verdeutlichen. Das Problem, Lernen (7 Abschn. 4.2.4) und zur metakognitiven Förderung
das in der Regel von der Lehrperson eingebracht wird, sollte (7 Abschn. 4.2.7) finden beispielsweise in den Übungs- und
in lebenspraktische Zusammenhänge eingekleidet sein. Wiederholungsphasen, aber auch teilweise in den Phasen
Zunächst entwickeln die Lernenden eine Lösung für das des Durcharbeitens und des Anwendens Berücksichtigung.
gestellte Problem und bauen dabei neue Operationen auf. Damit erweist sich Aeblis Modell als anschlussfähig an die
Die bei der Problembearbeitung gewonnenen Einsichten Forschung zur Bedeutung der sogenannten Tiefenstruktur
sind jedoch noch sehr am spezifischen Problem verhaftet. von Unterricht (7 Abschn. 4.2.11; Messner 2019; Reusser
Um ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge 2019; Reusser und Pauli 2013).
zu erreichen und bewegliches Denken zu fördern, ist es Pauli und Schmid (2019) verweisen aber auch auf einige
daher notwendig, Handlungen, Begriffe und Operationen Grenzen des PADUA-Modells. So werde nicht deutlich
durchzuarbeiten, d. h. vielfältigen Transformationen zu genug zwischen Lehr- und Lernaktivitäten unterschieden.
unterwerfen und sie aus verschiedenen Perspektiven zu Zudem favorisiere Aebli für die Erarbeitung neuen Wissens
beleuchten. „Im Zuge eines solchen Durcharbeitens reinigen lehrerzentrierte Unterrichts- und Gesprächsformen, was
wir … den Begriff von den Schlacken, die ihm von der ersten aus Sicht der aktuellen Unterrichtsforschung nicht immer
Erarbeitung her anhaften. Die wesentlichen Zusammen- das lernwirksamere und motivationsförderliche Vorgehen
hänge treten in Klarheit hervor“ (Aebli 1976, S. 206). Der ist (7 Abschn. 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“).
Lehrperson kommt dabei u. a. die Aufgabe zu, neue Ein-
sichten hervorzuheben, darüber zu wachen, dass der Über-
blick über das Ganze nicht verloren geht, und den Blick 4.1.3  Instructional-Design-Modelle
immer wieder auf die ursprüngliche Fragestellung zu lenken
(7 Abschn. 4.2.2). Diese Phase zielt auf vertieftes Verstehen Die angloamerikanische Lehr- und Lernforschung fasst
und flexibles Denken der Lernenden ab, indem sich diese bei- Modelle zur Planung und Gestaltung von Unterricht
spielsweise damit auseinanderzusetzen, für welche Aufgaben häufig unter dem Begriff „instructional design“ zusammen
oder Beispiele das Gelernte gilt und für welche nicht. (Niegemann 2001). Im Gegensatz zu den didaktischen
Übungs- und Wiederholungsphasen dienen der Modellen deutscher Provenienz (s. o.) fokussieren die
Automatisierung und Konsolidierung des Gelernten. Instruktionsdesignmodelle konkreter auf die eigentlichen
Aebli (1976, S. 238 ff.) verweist bei der Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse und beschäftigen sich intensiver
Übungsphasen auf die Erkenntnisse der Lernpsycho- mit der Frage nach deren Wirksamkeit. Insofern wundert es
logie. Er erinnert z. B. an das Gesetz des verteilten Übens nicht, dass die entwickelten Ansätze sehr eng mit den jeweils
(7 Abschn. 4.2.5) und fordert, erst dann auswendig zu vorherrschenden lerntheoretischen Annahmen ihrer Zeit
lernen, wenn eine ausreichende Durcharbeitung statt- korrespondieren. Im Folgenden werden exemplarisch Modelle
gefunden hat. vorgestellt, die sich auf behavioristische Ansätze stützen, eine
Nach der Konsolidierung des Gelernten sollen Hand- deutliche Affinität zu kognitiven Theorien aufweisen oder an
lungen, Operationen und Begriffe in vielfältiger Weise konstruktivistischen Grundannahmen orientiert sind.
72 F. Lipowsky

Kritisch angemerkt werden muss, dass vor allem die die vernünftige Anordnung der Inhalte, das Ausmaß an
frühen Instructional-Design-Modelle den Unterricht sehr Wiederholungen und Anwendungen, die Klarheit der
technologisch betrachteten, indem sie unterrichtliche Anforderungen sowie die Bekräftigungen, Verstärkungen
Prozesse auf rationale, vollständig zu planende Teilschritte und Rückmeldungen seitens der Lehrperson.
reduzierten und ein aus heutiger Sicht vergleichsweise naives Ähnlich wie Carroll räumt Bloom (1976) der Lernzeit
mechanistisches Verständnis des Lehrens und Lernens ver- eine bedeutsame Rolle ein: 90 % der Lernenden einer Klasse
traten (Reinmann-Rothmeier und Mandl 2001). können gute Leistungen erreichen, wenn ihnen ausreichend
Zeit zum zielerreichenden Lernen („mastery learning“)
4 Behavioristisch orientierte ­­­­Instructional- zugestanden wird und wenn sich der Unterricht an den
Design-Modelle speziellen Lernbedürfnissen und Lernvoraussetzungen der
Im Mittelpunkt des einflussreichen Modells von Carroll Lernenden orientiert.
(1963) steht die Lernzeit. Carroll betrachtet den Lernerfolg Ein qualitativ hochwertiger Unterricht zeichnet sich nach
eines Lernenden als eine Funktion des Verhältnisses von Bloom dadurch aus, dass die Lehrkraft den Unterrichtsstoff
tatsächlich aufgewendeter aktiver Lernzeit und benötigter schrittweise darbietet und nach jeder Unterrichtssequenz
Lernzeit (Lernerfolg = aktive Lernzeit/benötigte Lern- den Lernenden Rückmeldungen gibt, ob diese die Leistungs-
zeit). Die benötigte Lernzeit wird aufseiten der Lernenden anforderungen erfüllt haben oder nicht. Für diejenigen
beeinflusst von deren Lernvoraussetzungen, genauer von Schülerinnen und Schüler, die die Lernziele nicht erreicht
den aufgabenspezifischen und den allgemeinen kognitiven haben, stellt die Lehrperson zusätzliche Instruktionen und
Fähigkeiten, von der Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen Übungen bereit, bis die Lernenden die Ziele erfüllen. Zu den
und von der Qualität des Unterrichts (. Abb. 4.2). Die auf- weiteren Komponenten der Unterrichtsqualität gehören für
gabenspezifischen und allgemeinen kognitiven Voraus- Bloom die Bekräftigung der Lernenden und ein effektives
setzungen beeinflussen wiederum die Fähigkeit, dem Unterrichtsmanagement, das sich in einem hohen Anteil aktiv
Unterricht zu folgen, auf die sich auch die Qualität des genutzter Lernzeit widerspiegelt.
Unterrichts auswirkt: Ist die Qualität des Unterrichts In Blooms Verständnis von Unterrichtsqualität kommt
gering, benötigt der Lernende mehr Zeit und günstigere deutlich das Konzept des zielerreichenden Lernens zum Aus-
kognitive Lernvoraussetzungen, um dem Unterricht zu druck (Bloom 1971). Diese Form individualisierten Unter-
folgen. Als Merkmale guten Unterrichts nennt Carroll richts, die vor allem die den Lernenden zur Verfügung gestellte
Aspekte wie die Klarheit der Begriffe und Erklärungen, Lernzeit variierte, erwies sich zwar einerseits als wirksam

. Abb. 4.2 Das Modell von


Caroll (1963. Republished with
permission of Teachers College
Record, © 1963; permission
conveyed through Copyright
Clearance Center, Inc.) in
Anlehnung an Harnischfeger und
Wiley (1977, mit freundlicher
Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen)
Unterricht
73 4
(Hattie 2009; Kulik et al. 1990). Andererseits zeigte sich jedoch, Zusammenhänge zu schließen. Die Lernenden sollen sich
dass die Effekte in erheblichem Ausmaß mit der Qualität des dabei aktiv und selbstständig mit den Lernaufgaben aus-
Lehrerfeedbacks, den spezifischen Leistungsanforderungen und einandersetzen und so zu Konstrukteuren ihres eigenen
den eingesetzten Tests variieren und dass stärkere Schülerinnen Lernprozesses werden. Den Lehrenden versteht Bruner als
und Schüler durch die zahlreichen remedialen Schleifen in ihrer zurückhaltenden Moderator, der für die Auswahl geeigneter
Entwicklung eher gehemmt werden (Arlin 1984). Probleme und Aufgabenstellungen sorgt und die Lernenden
Unterrichtspraktisch erwiesen sich die Zergliederung zum Entdecken anleitet.
des Lernstoffs in kleine „Häppchen“, die passive Rolle der Zwischen Bruner und Ausubel entspann sich seinerzeit
Lernenden und die großen zeitlichen Beanspruchungen, eine anhaltende Kontroverse, die letztlich – wenngleich unter
die durch die remediale Instruktionen entstanden, als Verwendung unterschiedlicher Termini – bis heute andauert.
problematisch (siehe auch die Probleme des sogenannten So diskutierten Verfechter der ­ Cognitive-Load-Theorie
Keller-Plans, 7 Abschn. 4.2.9). (7 Kap. 1) und Anhänger problemorientierten Lernens, wie
viel Lehrerlenkung und Strukturierung für die Lernenden
Kognitionspsychologisch fundierte förderlich sind (­Hmelo-Silver et al. 2007; Kalyuga und
Instructional-Design-Modelle Singh 2016; Kirschner et al. 2006; Schmidt et al. 2007).
Die kognitive Struktur des Menschen ist nach Ansicht von Die Forschung zeigt zusammenfassend, dass entdeckende
Ausubel (1974) hierarchisch geordnet. Sie umfasst auf einer Lernumgebungen lehrergelenkten Settings nicht zwangs-
höheren Ebene allgemeinere Begriffe und Konzepte, die läufig unter- oder überlegen sind, sondern dass es auf die
sich nach unten in spezifischere Begriffe und Konzepte auf- Lernvoraussetzungen der Lernenden, auf Merkmale der
falten. Damit es Lernenden gelingt, neue Wissenselemente Lernumgebung und ihrer Implementierung und dabei ins-
in ihre bestehende kognitive Struktur zu integrieren, sollte besondere auf den Grad der Strukturierung, die Art der
die Darbietung des Unterrichtsgegenstands (Exposition) Unterstützung und auf die intendierten Kompetenzen
bestimmten Prinzipien genügen: ankommt (Hasselhorn und Gold 2013). So ergab eine
5 Zu Beginn einer Unterrichtssequenz sollten Advance Metaanalyse über verschiedene Fächer hinweg, dass die
Organizer als Strukturierungshinweise eingesetzt Leistungen von Schülerinnen und Schülern beim ent-
werden. Sie geben einen Überblick über den Unter- deckenden Lernen, wenn dieses mit nur geringer Lehrer-
richtsgegenstand, bieten gedankliche Verankerungs- lenkung verbunden ist, schwächer ausfallen als im Rahmen
möglichkeiten und erleichtern die Einordnung neuer von lehrergelenkten Unterrichtsverfahren (direkte
Ideen, Gedanken und Konzepte (7 Abschn. 4.2.1). Instruktion), während demgegenüber entdeckendes Lernen
5 Der Unterricht sollte von allgemeinen Begriffen mit einer stärkeren Lehrerlenkung und Strukturierung zu
zu spezifischen Details voranschreiten, da es dem besseren Leistungen führt als andere Unterrichtsformen
Lernenden so leichter gelingt, neues Wissen in seine (Alfieri et al. 2011). Vertiefte Analysen lassen den Schluss zu,
kognitive Struktur zu integrieren. Dies entspricht einem dass entdeckendes Lernen insbesondere dann, wenn es mit
eher deduktiven Vorgehen. Merkmalen wirksamen Unterrichts kombiniert wird und mit
5 Unter integrativer Aussöhnung versteht Ausubel, einer stärkeren Unterstützung seitens der Lehrperson einher-
Beziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen geht, an Effektivität gewinnt. So stellen Alfieri et al. (2011)
inhaltlichen Aspekten zu verdeutlichen und herauszu- fest, dass entdeckendes Lernen effektiver ist, wenn der Unter-
stellen (vgl. auch „Training zum induktiven Denken“ in richtsstoff angemessen strukturiert ist, die Schülerinnen und
7 Kap. 17 und 7 Abschn. 4.2.5 und 4.2.6). Schüler aufgefordert werden, die erarbeiteten Sachverhalte
5 Sequenzielle Organisation bezieht sich auf die und Lösungswege sich oder Mitschülern zu erklären, wenn
Kohärenz des unterrichtlichen Stoffs. Lernen und sie Feedback erhalten und wenn ihnen Lösungsbeispiele
Behalten werden befördert, wenn die Lehrperson die angeboten werden (Alfieri et al. 2011). Alle diese Merkmale
dem Stoff innewohnenden Abhängigkeiten beachtet und kennzeichnen lernwirksamen Unterricht (7 Abschn. 4.2.1,
den Stoff entsprechend sequenziert. 4.2.2, 4.2.3 und 4.2.7).
5 Mit Verfestigung sind vor allem Übungen und Wieder- Die Metaanalyse von Lazonder und Harmsen (2016)
holungen mit fortschreitenden Variationen gemeint. kommt für forschendes Lernen in Mathematik und Natur-
wissenschaften zu einer ganz ähnlichen Schlussfolgerung.
Diese Prinzipien verdeutlichen die zentrale Rolle, Demnach sind gelenktere und strukturiertere Formen
die Ausubel den Lehrenden zuordnet. Insbesondere forschenden Lernens Formen forschenden Lernens
schwächere Schülerinnen und Schüler bedürfen aus seiner mit geringer Lehrerlenkung und -strukturierung über-
Sicht darbietender Verfahren und einer Vorstrukturierung legen. In die gleiche Richtung deuten Befunde der Studie
des Unterrichtsgegenstands durch die Lehrperson. von Hushman und Marley (2015). Diese vergleicht die
Im Unterschied zu Ausubel hält Bruner (1961) es für Wirksamkeit von drei Lernumgebungen auf das natur-
erfolgversprechender, wenn die Lernenden zunächst mit wissenschaftliche Lernen von Grundschülern: Die erste
Einzelfällen bzw. bestimmten Problemen konfrontiert Lernumgebung ist lehrergelenkt (direct instruction) auf-
werden, um daraus auf übergreifende gesetzmäßige gebaut, die zweite ist ähnlich wie die erste gestaltet,
74 F. Lipowsky

verzichtet aber aber auf einen Teil der Lehrererklärungen Konstruktivistische Ansätze
(guided instruction) und die dritte fokussiert stärker auf Seit einigen Jahren stoßen gemäßigt konstruktivistische
entdeckendes Lernen (discovery learning with minimal Positionen auf eine breite Resonanz in der Lehr-
guidance). Insgesamt lernten die Schülerinnen und und Lernforschung und in der Schulpädagogik. Aus
Schüler in den ersten beiden Lernumgebungen mit der konstruktivistischer Sicht wird Lernen als ein konstruktiver,
implementierten Lehrerlenkung mehr als die Schülerinnen kumulativer, selbstgesteuerter, situativer, individuell unter-
und Schüler in der dritten Lernumgebung. Furtak, Seidel schiedlicher, gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen
Iverson und Briggs (2012) wiederum weisen im Rahmen angewiesener Prozess des Aufbaus von Wissen und der
4 einer weiteren Metaanalyse nach, dass lehrergelenktere Konstruktion von Bedeutung verstanden (De Corte 2000).
Ansätze forschenden Lernens in den Naturwissenschaften Die auf konstruktivistischen Annahmen beruhenden
deutlich lernwirksamer sind als traditioneller lehrer- Lernumgebungen werden häufig unter dem Begriff des
gelenkter Unterricht. situierten oder problemorientierten Lernens zusammen-
Möglicherweise spielt für die insgesamt uneinheitliche gefasst. Dem situierten Lernen liegt die Annahme
Forschungslage zum entdeckenden Lernen auch der Zeit- zugrunde, dass das Lernen kontextgebunden, d. h. situiert
punkt eine Rolle, zu dem man die Schülerleistungen testet erfolge. Gerade diese Annahme der Situiertheit des Lernens
und überprüft. Hinweise hierauf ergeben sich aus einer wird jedoch nicht vorbehaltlos geteilt, denn schließlich
experimentellen Grundschulstudie im Mathematikunterricht. gibt es zahlreiche Beispiele, in denen die Übertragung
Im Rahmen der Studie wurden den Lernenden entweder erworbenen Wissens auf neue Kontexte gelingt.
auf explizite Art und Weise Rechenstrategien vermittelt, Situierte Lernumgebungen konfrontieren die Lernenden
die dann auch gezielt geübt und wiederholt wurden, oder in der Regel mit komplexen Aufgaben und authentischen
die Lernenden wurden über einen eher impliziten Ansatz Problemen und setzen bei der Bearbeitung auf ein hohes Maß
angeregt, Strategien selbst zu entdecken, die dann geübt und der Selbststeuerung. Sie intendieren, den Aufbau tragfähigen
wiederholt wurden. Kurzfristig ergab sich hierbei ein Vor- und flexiblen Wissens zu unterstützen, das Verständnis für
teil für den expliziten Ansatz, insbesondere beim Erwerb neue Lerninhalte zu erleichtern und die Anwendbarkeit sowie
anspruchsvoller Strategien (Heinze et al. 2020), langfristig den Transfer erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten zu
zeigten sich eher Vorteile für den impliziten Ansatz (Heinze fördern (Reinmann-Rothmeier und Mandl 2001).
et al. 2018). Demnach behielten die Lernenden der impliziten Zu den bekanntesten konstruktivistisch-orientierten
Gruppe ihre entdeckten Strategien eher und wendeten sie Instruktionsmodellen zählen das Modell der „anchored
korrekter an als die Schülerinnen und Schüler der expliziten instruction“ und der Ansatz des „cognitive apprenticeship“
Gruppe die ihnen explizit vermittelten Strategien. (7 Exkurs „Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship“).

Exkurs

Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship


Der Anchored-Instruction-Ansatz wurde ­Anchored-Instruction-Ansatz fordert Lehrperson im Sinne minimaler
von einer Gruppe an der Vanderbilt- der ­Cognitive-Apprenticeship-Ansatz didaktischer Hilfe, um eine Brücke zu
Universität in Nashville, USA (Cognition eine aktivere Rolle der Lehrperson und schlagen zwischen dem bestehenden
and Technology Group at Vanderbilt eine stärkere Anleitung der Lernenden, Wissen der Lernenden und den
– CTGV) entwickelt. Die zentrale da insbesondere bei komplexeren Anforderungen der Aufgaben-
Komponente der von dieser Gruppe Problemen die Gefahr der Überforderung situation.
entwickelten Lernumgebungen sind besteht. Im Laufe einer Unterrichtseinheit 5 „Fading“ meint, dass die Lehrperson
sogenannte narrative „Anker“, komplexe wird das Ausmaß an Lehrersteuerung nach und nach ihre Unterstützung
Geschichten, die den Lernenden z. B. jedoch immer weiter zurückgefahren. zurückfährt.
mittels Videofilm präsentiert werden. An Ein weiteres Kernelement dieses 5 „Articulation“ bedeutet, dass die
einer bestimmten Stelle bricht der Film Ansatzes ist, dass Lehrende – analog zu Lernenden angeregt werden, ihre
ab. Die Lernenden sollen das Problem Handwerksmeistern – ihr Wissen durch Gedanken, Ideen und Lösungen
zunächst entdecken und mithilfe der „lautes Denken“ verbal explizieren. wiederzugeben.
im Film enthaltenen Informationen Zur Gestaltung des Unterrichts nach 5 „Cooperation“ umfasst die
selbstständig und kooperativ lösen. Die den Grundsätzen des „cognitive kooperative Bearbeitung von
Lehrkraft hält sich dabei zurück und apprenticeship“ werden verschiedene Aufgaben und Problemen.
übernimmt in diesen Lernumgebungen Schritte und Strategien empfohlen: 5 „Reflection“ impliziert den Vergleich
die Rolle eines Moderators und 5 „Modeling“ meint das Vorzeigen und von Lösungen und Strategien im
zurückhaltenden Betreuers. Vormachen und das laute Denken Austausch mit anderen.
Der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz der Lehrperson.
(kognitive Meisterlehre) geht auf Collins 5 „Coaching“ umfasst die Begleitung Einige dieser Schritte des „cognitive
et al. (1989) zurück. Ausgangspunkt der Lernenden während der apprenticeship“-Ansatzes finden auch in
sind Prinzipien der Handwerkslehre, die Problembearbeitung. Trainingsprogrammen zur Vermittlung
auf den Erwerb kognitiver Fähigkeiten 5 „Scaffolding“ beschreibt die von Lernstrategien Anwendung (auch
übertragen werden. Im Unterschied zum „Vermittlungsbemühungen“ der 7 Kap. 3).
Unterricht
75 4
Mitunter werden auch offene Unterrichtsformen als 5 Im Hinblick auf affektiv-motivationale Variablen lassen
eine Form konstruktivistisch orientierten Unterrichts sich Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern
betrachtet, da man in den Wahlfreiheiten des Unterrichts mit günstigen und ungünstigen Lernvoraussetzungen
wesentliche Elemente eines konstruktivistisch geprägten nachweisen. Einigen Studien zufolge erleben sich
Lernverständnisses berücksichtigt sieht (s. o.). Dabei Lernende mit günstigeren Voraussetzungen in solchen
wird jedoch übersehen, dass sich aus konstruktivistischen Lernumgebungen mit Wahlfreiheiten kompetenter
Positionen keine direkten Schlussfolgerungen für konkretes und berichten über eine höhere Erfolgszuversicht, eine
didaktisches Handeln ableiten lassen (s. u.; auch Mayer höhere Lernfreude sowie eine höhere Anstrengung als
2009; Reusser 2006). Lernende mit ungünstigeren Voraussetzungen (Blum-
Die bislang vorliegenden Studien, die sich mit der Wirk- berg et al. 2004; Flunger et al. 2019). Zugleich zeigt sich
samkeit konstruktivistisch orientierter, problemorientierter in einigen Studien, dass Lernende mit ungünstigen
und offener Lernumgebungen beschäftigten, zeichnen Lernvoraussetzungen in ihrem affektiv-motivationalen
insgesamt ein uneinheitliches Bild. Dies dürfte Unter- Erleben stärker auf den Öffnungsgrad von Lern-
schieden in der Operationalisierung der Lernumgebungen umgebungen reagieren (Blumberg et al. 2004; Høgheim
geschuldet, aber auch auf eine unzureichende Erfassung und Reber 2015).
und Kontrolle wichtiger Merkmale des Unterrichts und der 5 Die Forschung zum selbstgesteuerten Lernen
Lernenden zurückzuführen sein. So verweisen Studien- zeigt, dass sich die für die Nutzung offenerer Lern-
ergebnisse darauf, dass sich die Art und Weise, wie umgebungen erforderlichen Selbstregulationsfähig-
konstruktivistisch orientierte Lernumgebungen realisiert keiten mit Trainingsmaßnahmen gezielt fördern
werden, erheblich unterscheiden kann und dass die Unter- lassen. Diese Trainings fokussieren in der Regel auf
schiede in der Implementierung auch die Stärke der Effekte den systematischen domänenspezifischen Erwerb und
der Lernumgebungen beeinflussen (Cognition und Techno- die reflexive Anwendung von Lernstrategien (7 Kap. 3)
logy Group at Vanderbilt 1997; Hickey et al. 2001). und wirken sich nicht nur positiv auf den Erwerb von
5 Dochy, Segers, van den Bossche und Gijbels (2003) kognitiven und metakognitiven Lernstrategien und den
gelangen in ihrer Metaanalyse zu dem Fazit, dass Erwerb affektiv-motivationaler Aspekte des Lernens,
problemorientierte Lernumgebungen höhere Lern- sondern auch auf die Schulleistungen von Lernenden
erfolge nach sich ziehen, wenn es um den Erwerb aus (vgl. u. a. Dignath et al. 2008; Hattie 2009, 2012;
von Problemlöse- und Anwendungsfähigkeiten geht. auch: 7 Abschn. 4.2.7). Hattie (2012) ermittelt in
Gemessen am Erwerb von deklarativem und kon- seiner Metaanalyse für „meta-cognitive strategies“,
zeptuellem Wissen fallen die Ergebnisse jedoch ­„self-verbalisation and self questioning“, „study skills“
inkonsistent aus und offenbaren teilweise Einbußen. und „teaching strategies“ jeweils mittlere Effektstärken
Giaconia und Hedges (1982) fassen den Forschungs- zwischen d = 0,62 und d = 0,69.
stand zum offenen Unterricht zusammen und machen 5 Offenere Lernumgebungen sind offenbar vor allem
hinsichtlich leistungsbezogener Kriteriumsvariablen dann lernwirksam, wenn die Lehrperson den Unter-
kaum Unterschiede zwischen geöffneten und lehrer- richtsgegenstand strukturiert, den Lernenden Feedback
gelenkten Unterrichtsformen aus (vgl. auch Hattie 2009). gibt und sie kognitiv aktiviert, sodass es ihnen gelingt,
Über alle Studien hinweg ist ein Unterricht mit mehr neue Wissenselemente und Informationen mit bereits
Wahlfreiheiten für Lernende damit nicht zwingend lern- bestehenden zu verknüpfen und ihre vorhandenen
wirksamer als ein Unterricht, in dem die wesentlichen Konzepte zu erweitern, umzustrukturieren und weiter-
Entscheidungen von der Lehrperson getroffen werden. zuentwickeln (Hardy et al. 2006; Lipowsky 2002). Somit
5 Berücksichtigt man die Rolle des Vorwissens für die erweist es sich ähnlich wie beim entdeckenden Lernen
Verarbeitung und Verankerung neuer Wissensbestände, (s. o.) auch für offenere Lernumgebungen als vorteilhaft,
so lässt sich auch vermuten, dass die Leistungsschere wenn sich diese durch Merkmale lernwirksamen Unter-
zwischen Schülern mit günstigen und ungünstigen richts auszeichnen.
Voraussetzungen durch einen offenen und wenig 5 Auch Ansätze sogenannten personalisierten Lernens
gelenkten Unterricht nicht geringer, sondern sogar werden unter Rückgriff auf konstruktivistische
größer werden kann (Hattie und Yates 2014), da Positionen begründet. Sie werden insbesondere im
Lernenden mit einem geringeren Vorwissen die englischen Sprachraum neu diskutiert und schul-
Integration neuer Wissensbestände schwerer fällt als praktisch umgesetzt, wobei häufig digitale Medien zum
Lernenden mit einem ausgeprägteren Vorwissen. Einsatz kommen (Campbell et al. 2007; Clarke 2013;
5 Offene Lernumgebungen erfordern ein Mindestmaß John und Wheeler 2008; Murphy et al. 2016; Stebler et al.
an Selbstregulationskompetenzen, weshalb Lernende 2018). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass der Hetero-
mit günstigeren Voraussetzungen stärker von diesen genität der Lernenden durch adaptive, auf die einzelnen
Ansätzen profitieren dürften als Schülerinnen und Lernenden abgestimmte Aufgaben und Instruktionen
Schüler mit ungünstigeren Voraussetzungen (Lipowsky begegnet werden soll. Von einem einheitlichen und eng
2002; Lipowsky und Lotz 2015). umrissenen Konzept personalisierten Lernens kann
dennoch nicht gesprochen werden, zu unterschiedlich
76 F. Lipowsky

sind die jeweiligen Projekte und Umsetzungsversuche und ökonomischer sind als Formen indirekter Instruktion,
(Dumont 2019; Stebler et al. 2018). Die Befundlage insbesondere dann, wenn die Lernenden über geringere
zur Wirksamkeit personalisierter Ansätze auf Schul- Lernvoraussetzungen verfügen (Hasselhorn und Gold 2013;
leistungen ist schmal und uneinheitlich. Die Mehrheit Hattie 2009; Klahr und Nigam 2004; Muijs und Reynolds
der Studien kann keine Vorteile personalisierten Lernens 2018; Schwerdt und Wuppermann 2011; Wellenreuther
gegenüber unterrichtlichen Ansätzen nachweisen, die 2009). Gleichzeitig zeigt die Forschung aber auch, dass
auf eine personalisierte Zuweisung von Lernangeboten Formen indirekter Instruktion wirksam sein können, wenn
an Lernende verzichten (Bates und Wiest 2004; Bernacki sie mit Merkmalen lernwirksamen Unterrichts kombiniert
4 und Walkington 2018; Cakir und Simsek 2010; Høgheim werden (s. o.). So setzt sich gegenwärtig immer stärker
und Reber 2015; Ku und Sullivan 2002; Muijs und die Auffassung durch, dass Formen indirekter Instruktion
Reynolds 2018; Simsek und Cakir 2009). auf der einen Seite und Formen direkter Instruktion auf
5 Einige Forschungs- und Evaluationsergebnisse zum der anderen Seite komplementäre Ansätze sind, die es auf
personalisierten Lernen deuten darauf hin, dass ent- geschickte Art und Weise zu verbinden gilt (Gräsel und
sprechende Lernumgebungen insbesondere in Parchmann 2004; Lipowsky 2006).
Verbindung mit dem Einsatz digitaler Medien ein lern- In eine ähnliche Richtung weisen die Befunde zum
förderliches Potenzial haben (7 Abschn. 4.2.9, 7 Exkurs sogenannten produktiven Scheitern („productive failure“)
„Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien“). Hierbei (Kapur 2010, 2012, 2016). Demnach kann eine der
ist jedoch – analog zu den vorherigen Ausführungen Instruktion vorgeschaltete induktive Problemlösephase, in
über offene Lernumgebungen – davon auszugehen, der die Lernenden z. B. in kleinen Gruppen an der Lösung
dass nicht die Wahl eines stark personalisierten bzw. eines unbekannten Problems arbeiten, zu einem höheren
individualisierten Vorgehens die Effekte hervorruft, Lernerfolg beitragen als die häufig im Unterricht anzu-
sondern die Art und Weise, wie diese Lernumgebungen treffende umgekehrte Reihenfolge der Phasen, welche zuerst
umgesetzt werden, mit welchen Merkmalen lernwirk- eine lehrergelenkte Einführungsphase in direkter Instruktion
samen und motivationsförderlichen Unterrichts sie und dann die Aufgabenbearbeitung in einer Schülerarbeits-
einhergehen und welche Funktionen die zum Einsatz phase vorsieht. Bedingung für die positiven Effekte einer
kommenden digitalen Lern- und Diagnose- bzw. Test- Kombination aus vorgeschalteter Problemlösephase und
werkzeuge konkret erfüllen. nachfolgender Instruktionsphase scheint aber zu sein, dass
in der Phase der Problembearbeitung Fälle (Probleme, Bei-
Die Diskussion über das Für und Wider von Lern- spiele) verglichen und/oder dass in der anschließenden
umgebungen, die sich explizit auf konstruktivistische Instruktionsphase die von den Lernenden entwickelten –
Ansätze und Theorien berufen, spiegelt sich auch in der Dis- häufig unvollständigen oder fehlerhaften – Lösungswege
kussion über Vor- und Nachteile direkter und indirekter bzw. Lösungen aufgegriffen und mit korrekten Lösungs-
Instruktion wider, zwei Begriffe, die vor allem in der anglo- wegen bzw. dem richtigen Ergebnis kontrastiert werden
amerikanischen Literatur Verwendung finden. Direkte (Loibl und Rummel 2014; Loibl et al. 2017). In dem Fall
Instruktion beschreibt einen lehrergelenkten Unterricht, kann ein „Scheitern“ in der vorausgegangenen Problemlöse-
der durch klare Zielvorgaben, die verständliche Darstellung phase demnach zu einem wirksameren Lernen beitragen.
von Inhalten, ein schrittweises Vorgehen, Lehrerfragen Betrachtet man affektiv-motivationale Zielkriterien, so
mit unterschiedlicher Schwierigkeit, Phasen angeleiteten muss lehrergelenkter Unterricht (direkte Instruktion) nicht
und selbstständigen Übens, häufiges Lehrerfeedback und zwangsläufig mit einer Belastung der Schülermotivation ein-
eine regelmäßige Überprüfung der Lernfortschritte der hergehen, genauso wenig wie objektiv vorhandene Hand-
Lernenden charakterisiert ist (Rosenshine und Stevens 1986). lungsoptionen und Wahlfreiheiten immer mit dem Erleben
Diese Erläuterung verdeutlicht, dass direkte Instruktion von Selbstbestimmung und intrinsischer Motivation ver-
keinesfalls mit einem die Schülerinnen und Schüler über- bunden sein müssen (7 Exkurs „Motivationsförderung durch
oder unterfordernden fragend-entwickelnden Frontal- offenen Unterricht?“). Fokussiert man auf kognitive Ziel-
unterricht gleichgesetzt werden kann. Indirekte Instruktion kriterien, so können sich innere mentale Konstruktionsvor-
wird als Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze und gänge grundsätzlich in jeder Art von Unterricht – in Formen
Konzepte benutzt, wobei die Lernenden den Unterrichts- direkter oder indirekter Instruktion – vollziehen. Hinzu
gegenstand und das Lernmaterial partiell selbst strukturieren, kommt, dass eine hohe Aktivität der Lernenden auf der Ver-
transformieren oder konstruieren (Borich 2007) und die haltensebene, wie sie z. B. im geöffneten Unterricht häufig zu
demzufolge mit einem geringeren Ausmaß an Lehrerlenkung beobachten ist, nicht zwangsläufig mit verstärkter kognitiver
verbunden sind. Hierzu zählen u. a. das entdeckende Lernen Aktivität, mit dem Aufbau tragfähigen Wissens bzw. der
(„discovery learning“), das forschende Lernen („inquiry Umstrukturierung von Wissensbeständen einhergehen muss
based learning“), das problemorientierte Lernen, offene (vgl. Chi 2009; Lipowsky 2002; Mayer 2004; Renkl 2011;
Unterrichtsformen und k­onstruktivistisch-orientierte Lern- 7 Kap. 1). Umgekehrt kann auch ein lehrerzentriertes Vor-
umgebungen (Borich 2007). gehen, bei dem die Lernenden äußerlich passiv wirken, dazu
Zusammenfassend kommt die Forschung zu dem Ergeb- führen, dass diese neues Wissen aufbauen oder altes Wissen
nis, dass Formen direkter Instruktion häufig lernwirksamer um- bzw. restrukturieren.
Unterricht
77 4
Exkurs

Motivationsförderung durch offenen Unterricht?


Als besonderer Vorteil des offenen Ausbildung von Interesse hin (Desch Wahlfreiheiten haben vor allem
Unterrichts oder konstruktivistisch et al. 2016; Flunger et al. 2019; Grolnick dann ein motivationsförderliches
orientierter Lernumgebungen wird und Ryan 1987; Hartinger 2005). Potenzial, wenn die zur Auswahl
immer wieder deren motivierendes Hieraus den Schluss zu ziehen, dass mit stehenden Lernangebote das Interesse
Potenzial genannt, das auf den hohen einem Mehr an Wahlfreiheiten auch der Lernenden ansprechen, wenn
Grad an erlebter Selbstbestimmung eine höhere intrinsische Motivation Lehrkräfte die spezifische Relevanz der
der Schülerinnen und Schüler verbunden ist, greift jedoch zu kurz zur Auswahl stehenden Angebote im
zurückgeführt wird. Nach bislang und ist weder empirisch haltbar noch Hinblick auf die Ziele und Interessen
vorliegenden Befunden greift theoretisch zu erwarten. Denn ein der Lernenden herausstellen und
aber die Annahme, dass mit dem hohes Maß an Wahlfreiheiten kann im wenn die zur Auswahl stehenden
Ausmaß an Wahlfreiheiten auch das Sinne der ­Choice-Overload-Hypothese Lernangebote herausfordernd, aber
Autonomieerleben und als Folge auch zu Überforderung, Frustration, nicht zu komplex sind und sich
die intrinsische Motivation und das Unzufriedenheit und Lernabbrüchen am Lernpotenzial der Lernenden
Interesse linear zunehmen, zu kurz führen (Iyengar und Lepper 2000) und orientieren, was wiederum voraussetzt,
(auch 7 Kap. 10 ). Zwar deuten einige muss demzufolge nicht zwingend dass die Lehrpersonen die Lernstände
Befunde auf einen Zusammenhang mit einem höheren Autonomie- und ihrer Schülerinnen und Schüler gut
zwischen Wahlfreiheiten im Unterricht Kompetenzerleben der Lernenden einschätzen können (Katz und Assor
und dem Autonomieerleben bzw. der einhergehen (Wijnia et al. 2011). 2007; Meyer-Ahrens und Wilde 2013).

4.1.4  Angebots-Nutzungs-Modell Hinsicht von den oben dargestellten Modellen und


Ansätzen. So werden im ­ Angebots-Nutzungs-Modell
Vorwiegend in der deutschsprachigen Unterrichts- schulische und außerschulische Determinanten des
forschung hat sich in den letzten Jahren ein integratives Schulerfolgs zu komplexen Variablengruppen auf einem
systemisches Modell zur Erklärung von Schulerfolg etabliert, höheren Abstraktionsniveau gebündelt. Dadurch ent-
das vor allem auf die Arbeiten von Fend (1981) und steht eine Art Metamodell, das aufgrund seines hohen
Helmke (2012) zurückgeht (. Abb. 4.3). Das sogenannte Abstraktionsniveaus als Rahmenmodell verstanden
­ ngebots-Nutzungs-Modell unterscheidet sich in mehrfacher
A werden kann, welches mit spezifischeren Konstrukten und

. Abb. 4.3 Vereinfachtes


Angebots-Nutzungs-Modell.
(Siehe auch Lipowsky 2006)

Lehr- Lernende
Lehrpersonen: personen
78 F. Lipowsky

theoriegeleiteten Hypothesen „gefüllt“ werden muss. Es Aspekte der Lehrperson geht man heute eher von
handelt sich demzufolge nicht um ein theoretisches Modell im indirekten Effekten der beruflichen Motivation, der
klassischen Sinne. Persönlichkeit, des Belastungserlebens und der beruf-
lichen Zufriedenheit auf den Schulerfolg der Lernenden aus
Schulerfolg Schulerfolg wird in diesem Modell als Ergebnis (Klusmann et al. 2006).
des Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren betrachtet
und umfasst dabei nicht nur die Lern- und Leistungsent- Lernende Die Entwicklung der Lernenden wird, wie
wicklung, sondern auch die ­ affektiv-motivationale und viele Untersuchungen zeigen, in erster Linie von deren
4 persönlichkeitsbezogene Entwicklung der Lernenden. spezifischen Voraussetzungen determiniert (Hattie 2009).
Während sich die affektiv-motivationale Entwicklung vor
Unterricht Das Modell unterscheidet zwischen dem allem durch die affektiv-motivationalen Voraussetzungen
Bildungsangebot und der Nutzung dieses Angebots der Lernenden vorhersagen lässt, spielen für die kognitive
durch die Lernenden. Im Mittelpunkt des Modells steht Entwicklung vor allem das Vorwissen und die Intelligenz
der Unterricht, der als Angebot an Lerngelegenheiten der Lernenden eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus
betrachtet wird, die von den Lernenden in unterschied- belegt eine Vielzahl von Studien die Bedeutung der
licher Weise wahrgenommen und genutzt werden können. sozialen Herkunft der Lernenden für den Schulerfolg.
Entsprechend werden Quantität und Qualität unter-
richtlicher Lerngelegenheiten nicht nur in ihren direkten Klassenzusammensetzung Auch die mittlere Leistungs-
Wirkungen auf den Schulerfolg untersucht, sondern auch fähigkeit einer Klasse beeinflusst die Leistungsentwicklung
in ihren indirekt vermittelten Wirkungen über die Wahr- eines Lernenden, und zwar unabhängig davon, über
nehmung und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegen- welche individuellen Voraussetzungen er bzw. sie verfügt.
heiten, die sich z. B. im Erleben des Unterrichts, in der Das heißt, mit einem Anstieg der Leistungsfähigkeit einer
Anstrengungsbereitschaft oder in der Mitarbeit der Klasse sind bessere individuelle Leistungen der Lernenden
Lernenden ausdrücken. Diese Wahrnehmung und Nutzung verbunden (z. B. Rindermann 2007; Tiedemann und
unterrichtlicher Lerngelegenheiten wird wiederum in Billmann-Mahecha 2004). Mögliche Erklärungen für
Abhängigkeit von den Voraussetzungen und Merkmalen diesen Effekt sind, dass sich die Lernenden in leistungs-
der Lernenden konzeptualisiert, die als mitverantwortliche fähigeren Klassen stärker gegenseitig anregen und dass die
Konstrukteure ihres eigenen Wissens betrachtet werden. Lehrpersonen in leistungsstärkeren Klassen einen fach-
Hierin drücken sich auch konstruktivistische Anleihen des lich anspruchsvolleren Unterricht halten, schneller voran-
­Angebots-Nutzungs-Modells aus. schreiten und höhere Erwartungen an die Lernenden
Der beidseitige Pfeil im Unterrichtsrechteck stellen, was sich insgesamt positiv auf die Verarbeitungs-
in . Abb. 4.3 drückt aus, dass Unterricht kein ein- tiefe auswirkt. Außerdem kann angenommen werden,
direktionales Vorgehen darstellt, sondern wechselseitige dass die günstigere Klassenzusammensetzung in leistungs-
Interaktionen und Beeinflussungen beinhaltet: Nicht stärkeren Klassen einen effektiveren und reibungsloseren
nur die Lernangebote der Lehrperson wirken auf die Unterricht erleichtert. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass
Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Schülerinnen ein Anstieg in der mittleren Leistungsfähigkeit der Klasse
und Schüler einer Klasse beeinflussen mit ihren Voraus- aufgrund sozialer Vergleichsprozesse zu einem geringeren
setzungen und ihrem Verhalten die Qualität und Quantität Fähigkeitsselbstkonzept der einzelnen Lernenden führen
der Lernangebote, die eine Lehrperson unterbreitet (z. B. kann (7 Kap. 8).
Seidel et al. 2016).
Merkmale der Schule Merkmalen der Schule kommt
Lehrperson Das Angebots-Nutzungs-Modell konzeptualisiert im Vergleich zu Merkmalen des Unterrichts eine
Lehrerkompetenzen und Lehrermerkmale als wesentliche geringere Bedeutung für die Entwicklung der Lernenden
Determinanten für die Qualität und Quantität unterricht- zu (7 Exkurs „Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und
licher Angebote. Fokussiert man auf die Kompetenzen Schulebene“). Die Schuleffektivitätsforschung gelangt
von Lehrpersonen, rücken kognitive, motivationale und zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich lernwirk-
persönlichkeitsbezogene Dimensionen in den Mittel- same Schulen durch hohe Leistungserwartungen an die
punkt (7 Kap. 11). Zusammenfassend stützen aktuellere Lernenden, durch eine effektive und verantwortungs-
empirische Arbeiten die These, dass sich das fachliche volle Schulleitung mit einem Fokus auf das Kerngeschäft
und fachdidaktische Wissen und die Überzeugungen des Unterrichts, durch Konsens und Kooperation inner-
von Lehrpersonen positiv auf die Qualität und Quanti- halb des Kollegiums, durch ein positives, störungsarmes
tät der Lerngelegenheiten und auch positiv auf den Schulklima, durch die systematische Überprüfung und
Schulerfolg der Lernenden auswirken können (Baumert Bewertung von Lernfortschritten der Lernenden und
und Kunter 2006; Kunter et al. 2011; Lipowsky 2006; durch eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern aus-
Lipowsky und Bleck 2019; Reusser und Pauli 2014). Mit zeichnen (Robinson et al. 2009; Scheerens und Bosker
Blick auf motivationale und persönlichkeitsbezogene 1997; Teddlie und Reynolds 2001).
Unterricht
79 4
Exkurs

Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und Schulebene


Mehrebenenanalytische Auswertungs- mit der Klassenzugehörigkeit eines Die Ergebnisse amerikanischer
verfahren ermöglichen es, jene Anteile Lernenden zusammenhängen, an dritter „value-added“-Studien deuten darauf
am Schulerfolg (Leistung, Motivation Stelle Merkmale, in denen sich Schulen hin, dass der Klassenebene, d. h.
etc.) eines Lernenden zu bestimmen, voneinander unterscheiden. Während Merkmalen der Klasse, der Lehrperson
die auf Unterschiede zwischen die Rangfolge dieser drei Ebenen in und des Unterrichts, eine größere
einzelnen Schülerinnen und Schülern ihrer Bedeutung für die Erklärung von Bedeutung eingeräumt werden muss
(Schülerebene), zwischen Klassen Schulleistungsunterschieden weitgehend als bislang angenommen, wenn man
(Klassenebene) und zwischen Schulen unstrittig ist und in zahlreichen nicht den Leistungsstand, sondern die
(Schulebene) zurückzuführen sind. Das Studien bestätigt wurde (Hattie 2009), Leistungsentwicklung untersucht, und
Verfahren der Mehrebenenanalyse unterscheiden sich die ermittelten dass demgegenüber die Bedeutung
erlaubt es, Einflüsse von Faktoren dieser Varianzanteile teilweise beträchtlich. Die der individuellen Lernvoraussetzungen
drei Ebenen gleichzeitig zu modellieren kognitiven, motivationalen und sozialen eher abnimmt (Lanahan et al. 2005;
und zu analysieren (Hartig und Rakoczy Lernvoraussetzungen der Schülerinnen Schacter und Thum 2003). Darüber
2010). und Schüler (Individualebene) erklären hinaus konnte mehrfach nachgewiesen
Die Schul- und Unterrichtsforschung hat je nach Studie zwischen 50 % und 70 % werden, dass Merkmale von Schule und
in zahlreichen Studien die Bedeutung der Leistungsunterschiede, auf Merkmale Unterricht für Schülerinnen und Schüler
dieser drei Einflussebenen vor allem für des Unterrichts, der Lehrperson mit ungünstigen Startvoraussetzungen
die Leistungsentwicklung untersucht. Es und der Klassenzusammensetzung eine größere Bedeutung haben als für
zeigt sich, dass sich der größte Teil der (Klassenebene) entfallen Anteile Lernende mit günstigeren Startvoraus-
Schulleistungsvarianz mit individuellen von ca. 10–30 % und auf Merkmale setzungen (z. B. Babu und Mendro 2003;
Schülermerkmalen erklären lässt. An der Schule (Schulebene) Anteile von Kunter und Ewald 2016; Muijs et al. 2005;
zweiter Stelle folgen Merkmale, die ca. 5–14 %. 7 Abschn. 4.2.10).

In den folgenden Abschnitten wird das Feld „Quali- Abschnitte und die Zerlegung des Unterrichtsinhalts
tät und Quantität von Lerngelegenheiten“ im ­Angebots- in einzelne Komponenten bedeuten. Diese Bedeutung
Nutzungs-Modell weiter ausdifferenziert. von Strukturiertheit bezieht sich also vor allem auf
didaktische Aspekte des Unterrichts.
5 Zum zweiten wird Strukturiertheit als Konsistenz von
4.2  Merkmale und Regeln, Erwartungen und Grenzen interpretiert. Diese
Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Facette von Strukturiertheit fokussiert eher auf das Ver-
Unterrichts halten der Lernenden und auf die Aufrechterhaltung der
Disziplin im Klassenzimmer.
Als Zielvariablen von Schulerfolg werden in den folgenden 5 Zum dritten kann Strukturiertheit von Unter-
Abschnitten die kognitive und die affektiv-motivationale richt stärker kognitionspsychologisch verstanden
Entwicklung der Lernenden untersucht. Grundsätzlich werden. Darunter werden Maßnahmen und Hand-
ist dabei zu beachten, dass die motivationale Entwicklung lungen subsumiert, die geeignet sind, eine Ver-
deutlich stärker durch individuelle Determinanten der bindung zwischen dem Vorwissen der Lernenden
Lernenden bestimmt wird als die kognitive Entwicklung und neuen Wissenselementen herzustellen und den
(Kunter 2005; Van Landeghem et al. 2002). Das bedeutet, Aufbau einer komplexen und geordneten Wissens-
dass der Spielraum unterrichtlicher Einflussmöglichkeiten struktur beim Lernenden zu fördern. Dies lässt sich
für die affektiv-motivationale Entwicklung geringer ist als z. B. anbahnen, indem Zusammenhänge zwischen
für kognitive Zielvariablen. verschiedenen Aspekten des Unterrichtsinhalts her-
gestellt werden, indem die Übersicht und Einordnung
neuer Informationen z. B. mittels Advance Organizers
4.2.1  Strukturiertheit des Unterrichts erleichtert wird und indem wichtige Unterrichtsergeb-
nisse zusammengefasst werden. Auch Lehrerfragen
Die Strukturiertheit des Unterrichts – einige Autoren können zur Strukturierung des Unterrichts beitragen
sprechen auch von Strukturierung – gilt als zentrales (s. u.).
Merkmal effektiven Unterrichts. Bei näherer Betrachtung
zeigt sich jedoch, dass dieses Merkmal in der Unterrichts- Kognitive Zielvariablen
forschung teilweise sehr unterschiedlich operationalisiert Wie lassen sich positive Effekte der Strukturiertheit des
und verwendet wird. Unterrichts theoretisch erklären? Die drei Bedeutungs-
Grundsätzlich lassen sich mehrere Bedeutungsfacetten facetten implizieren unterschiedliche Annahmen über
von Strukturiertheit unterscheiden. die angenommenen Wirkmechanismen. Die didaktische
5 Zum einen kann Strukturiertheit eine klare erkennbare Strukturierung des Unterrichts setzt einen sorgfältig
Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen und geplanten Unterricht voraus und kann somit als wichtige
80 F. Lipowsky

Voraussetzung für angemessene Anforderungen an Advance Organizern untersucht haben. Für diese sieben
die Lernenden begriffen werden. Eine Strukturierung auf Studien ermittelt er eine mittlere Effektstärke von d = 0,53,
der Verhaltensebene begünstigt eine störungsfreie Lern- was einem durchaus beachtlichen Effekt entspricht. Preiss
umgebung, fördert die Aufmerksamkeit der Lernenden und Gayle (2006) zeigen in ihrer Metaanalyse, dass die
und sorgt dafür, dass mehr Unterrichtszeit für die Aus- Effektstärken abhängig vom Alter der Lernenden und
einandersetzung mit den Unterrichtsthemen zur Ver- dem untersuchten Fach variieren. Demnach profitieren
fügung steht. Auf der Basis einer kognitionspsychologisch jüngere Lernende und Lernende in sozialwissenschaftlichen
verstandenen Strukturierung lässt sich annehmen, dass Fächern stärker von Advance Organizers als Lernende in
4 Fragen, Strukturierungshinweise und -hilfen der Lehr- naturwissenschaftlichen und sprachlichen Domänen.
person die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und In zahlreichen Einzelstudien und einschlägigen
Schüler auf die relevanten Aspekte des Unterrichtsgegen- Zusammenfassungen des Forschungsstands finden sich
stands lenken, einen Überblick über den Unterrichts- Hinweise auf die Bedeutung der Strukturierung des Unter-
gegenstand erleichtern, Relationen zwischen Teilaspekten richts durch Lehrerfragen (7 Exkurs „Lehrerfragen“),
des Unterrichtsgegenstands verdeutlichen und gedank- Zusammenfassungen und verbale Hervorhebungen (z. B.
liche Verankerungsmöglichkeiten schaffen, sodass es Borich 2007; Hardy et al. 2006; Marzano et al. 2000).
den Lernenden leichter gelingt, ihr neues Wissen zu
organisieren und mit bereits vorhandenem zu verbinden Affektiv-motivationale Aspekte des Lernens
(Einsiedler und Hardy 2010; Möller 2016; Schnotz 2006). In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob
Die Forschungslage hat sich in zahlreichen Studien und inwiefern die Strukturierung des Unterrichts mit
mit diesen unterschiedlichen Facetten von Strukturierung positiven Effekten für die affektiv-motivationale Ent-
beschäftigt. Die didaktische Strukturierung, also die wicklung der Lernenden einhergeht. Im ersten Teil wird
Gliederung und Sequenzierung des Unterrichts, hat sich dabei auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und
in Studien zum „mastery learning“ und zur „direkten Ryan (1985, 7 Kap. 7) fokussiert und als Zielvariablen das
Instruktion“ als lernförderlich erwiesen (Fraser et al. 1987; Autonomie- und Kompetenzerleben der Lernenden in
Rosenshine und Stevens 1986). den Blick genommen. Im zweiten Teil werden Studien-
Beleuchtet man Strukturierung auf der Verhaltens- ergebnisse berichtet, die die Vorhersage anderer
ebene und fragt nach deren Bedeutung, so lässt sich eine affektiv-motivationaler Variablen durch Merkmale wie
Reihe von Studien heranziehen, die zeigen können, dass Klassenführung und Strukturiertheit des Unterrichts unter-
ein störungsarmer, reibungsloser Unterricht und ein suchten.
funktionierendes – bereits zu Beginn des Schuljahres ein- Nach den Ergebnissen einiger Studien zeigt sich,
geführtes – Regelsystem mit einem höheren Lernerfolg dass eine effektive Klassenführung und ein störungs-
der Lernenden verbunden sind (Campbell et al. 2004; armer, disziplinierter Unterricht positive Wirkungen auf
Helmke et al. 1986; Marzano et al. 2003). Häufig werden das Autonomieerleben und auf das Kompetenzerleben
die beschriebenen Merkmale mit dem Begriff der effektiven der Lernenden haben. Rakoczy (2007) untersuchte im
Klassenführung überschrieben (7 Kap. 5). Die Metaanalyse Rahmen der deutsch-schweizerischen Studie „Unterrichts-
von Seidel und Shavelson (2007) bestätigt die bedeutende qualität, Lernverhalten und mathematisches Verständ-
Rolle einer effektiven Unterrichts- und Klassenführung für nis“ die Auswirkungen einer effektiven Klassenführung
die kognitive Entwicklung der Lernenden. Eine effektive auf die drei sogenannte „basic needs“ nach Deci und Ryan
Klassenführung geht mit einem aufgabenbezogeneren Ver- (1985). Sie wies nach: Je disziplinierter und störungs-
halten der Lernenden und einem Mehr an inhaltsbezogenen freier der Unterricht verläuft, desto stärker fühlen sich
Lerngelegenheiten – „opportunities to learn“ – einher. Eine die Lernenden in ihrem Streben nach Kompetenz und
Reihe von Forschungsarbeiten weist nach, dass sich „time Autonomie unterstützt. In einer vertiefenden Analyse
on task“, also die aufgabenbezogene Nutzung der Lernzeit zeigten Rakoczy et al. (2007), dass dieser Effekt möglicher-
positiv auf den Lernerfolg auswirkt (z. B. Fredrick und Wal- weise auch darauf zurückzuführen ist, dass Schülerinnen
berg 1980; Hattie 2009; Kuger 2016; Lipowsky und Bleck und Schüler in störungsfreien und strukturierten Lern-
2019; Rowe und Rowe 1999). Ähnliches gilt für das Ausmaß umgebungen über eine höhere Intensität kognitiver
an inhaltlichen Lerngelegenheiten, also für die Zeit, die für Aktivitäten und über positivere emotionale Erfahrungen
die Behandlung inhaltlich relevanter Aspekte des Unter- berichten als Lernende in Klassen mit einem höheren
richtsgegenstands zur Verfügung gestellt und genutzt wird Ausmaß an Störungen und einem geringeren Ausmaß
(Drollinger-Vetter 2011; Hiebert und Grouws 2007; Wal- an Disziplin. Kunter (2005) weist ebenfalls nach, dass der
berg und Paik 2000). effektive Umgang mit Störungen und eine klare didaktische
Fokussiert man auf die dritte Bedeutung von Strukturierung des Unterrichts von den Lernenden als
Strukturierung, so lassen sich z. B. Studien heranziehen, kompetenzunterstützend wahrgenommen werden. Auch
die Effekte von Strukturierungshilfen, wie z. B. Advance eine kognitionspsychologisch orientierte Strukturiert-
Organizers in den Blick nehmen (7 Abschn. 4.1.3). Hattie heit wirkt sich offenbar positiv auf motivationale Aspekte
(2009) identifiziert für seine Meta-Metaanalyse „Visible des Lernens aus, wie die Studie von Blumberg et al. (2004)
learning“ sieben Metaanalysen, die die Wirkungen von
Unterricht
81 4
Exkurs

Lehrerfragen
Lehrerfragen dienen dazu, den Unterricht Wirkungen des kognitiven Niveaus den Lernenden zum Nachdenken nach
zu strukturieren und zu steuern, die von Lehrerfragen ist jedoch insgesamt einer gestellten Lehrerfrage eingeräumt
Aufmerksamkeit der Lernenden auf uneinheitlich. Zwar kann mehrheitlich wird. Studien zeigen, dass es einer
relevante Aspekte des Unterrichts zu nachgewiesen werden, dass kognitiv bestimmten Zeitspanne zwischen der
lenken, das Vorwissen zu aktivieren, anspruchsvollere Lehrerfragen kognitiv Lehrerfrage und dem Aufrufen einer
die Lernenden anzuregen und anspruchsvollere Schülerantworten nach Schülerin bzw. eines Schülers (Wartezeit)
herauszufordern, Lernwege, (Miss-) sich ziehen und insofern zu einer tieferen bedarf, damit die Frage ihr Potenzial
Konzepte und (Fehl-)Vorstellungen Verarbeitung und Elaboration des entfalten kann. Als optimal wird eine
offenzulegen, den Wissensstand der Unterrichtsinhalts durch die Lernenden Wartezeit von 3–5 s betrachtet. In vielen
Lernenden zu ermitteln, Unterrichts- beitragen (Gayle et al. 2006). Ob mit Studien stellte sich jedoch heraus, dass
ergebnisse zu sichern, oder manchmal dem Anteil kognitiv anspruchsvoller die tatsächliche Wartezeit im Unterricht
auch dazu, die Lernenden zu disziplinieren. Fragen aber auch der Lernerfolg deutlich kürzer ist (Heinze und Erhard
Lehrerfragen lassen sich nach der Schülerinnen und Schüler linear 2006; Lotz 2015). Wird die Wartezeit auf
unterschiedlichen Kriterien, so z. B. nach zunimmt, ist umstritten (Mills et al. 1980; 3–5 s verlängert, führt dies in der Regel
ihrem kognitiven Niveau und nach ihrer Samson et al. 1987; Winne 1979). zu elaborierteren Schülerbeiträgen, zu
Offenheit ordnen. Was das kognitive Mögliche Erklärungen für die einer höheren Anzahl von Meldungen, zu
Niveau von Lehrerfragen anbelangt, uneinheitlichen Ergebnisse sind die häufigeren Schülerfragen und insgesamt
wird häufig zwischen „low-level- unterschiedlichen Operationalisierungen zu einer aktiveren und niveauvolleren
questions“ und „­ high-level-questions“ des Begriffs „high-level question“, die Beteiligung von Schülerinnen und
unterschieden, wobei sich „level“ unterschiedlichen Stichproben und Schülern am Unterricht (Ingram und
meist auf die Lernzielebenen – Wissen, curricularen Kontexte, die untersucht Elliot 2016; Rowe 1974; Tobin 1987;
Verstehen, Anwenden, Analysieren, wurden, und der Umstand, dass es Wasik und Hindman 2018). Studien zum
Synthetisieren und Bewerten – nach keine 1:1-Korrespondenz zwischen dem Zusammenhang zwischen Wartezeiten
Bloom (1974) bezieht. Unter low-level- kognitiven Niveau der Lehrerfragen und und Lernzuwachs sind auch international
Fragen werden Fragen verstanden, deren dem kognitiven Niveau der dadurch selten und kommen nicht zu einheitlichen
Beantwortung auf die Wiedergabe von angestoßenen Schüleraktivitäten gibt Ergebnissen (Tobin 1987).
Informationen, Faktenwissen, Prozeduren (Dillon 1982; Mills et al. 1980). Einige Schülerfragen sind im Unterschied
und Definitionen abzielen, sich also Studien verweisen darauf, dass es auch auf zu Lehrerfragen ein vergleichsweise
im Wesentlichen auf die Ebene des die Passung zwischen Frageniveau und seltenes Ereignis, erfüllen jedoch
Wissens beziehen, während man unter dem Vorkenntnisstand der Klasse ankommt: eine wichtige Funktion beim
high-level-Fragen Denkfragen versteht, Sind die Lehrerfragen zu anspruchsvoll Wissensaufbau (Niegemann 2004;
die die Verknüpfung von Informationen, und kann somit ein beträchtlicher Teil der Wuttke 2005). In Trainingsprogrammen
Konzepten, Wissensbausteinen etc. Lehrerfragen nicht beantwortet werden, zum selbstgesteuerten Lernen und
erfordern und die Lernenden anregen, so hat dies ebenso negative Auswirkungen zum reziproken Lehren („reciprocal
Vorgehensweisen und Gedankengänge auf den Lernerfolg der Schülerinnen und teaching“) werden Schülerinnen
zu erläutern und zu begründen. Schüler wie ein zu geringes Niveau der und Schüler systematisch dazu
Die vorliegenden Studien beziffern den Lehrerfragen. Die entsprechende Schwelle angeleitet, sich selbst Fragen zu stellen
Anteil an ­high-level-Fragen, je nach beträgt nach den Ergebnissen dieser – und hierüber ihren Lernprozess zu
Definition, auf 2–20 %, während sich allerdings schon älteren – Studien in etwa strukturieren, zu begleiten und ihr
demgegenüber der Anteil an low-level- zwischen ca. 70 % und 80 % beantworteter Verständnis zu vertiefen. Entsprechende
Fragen zwischen 40 % und 90 % bewegt Fragen (Brophy und Evertson 1980; Forschungsbefunde zeigen, dass diese
(Nehring et al. 2017; Niegemann und Rosenshine und Stevens 1986). Anleitung zum „self-questioning“
Stadler 2001; Sadker et al. 2011; Wilen Als eine weitere moderierende eine wirksame Strategie darstellt, um
1991). Dieser hohe Anteil an Low-Level- Drittvariable für den Zusammenhang das Verständnis gelesener Texte zu
Fragen wird allgemein als kritisch zwischen Fragenniveau und Lernerfolg fördern (King 1991, 1994; Kramarski und
betrachtet. Die Forschungslage zu den kommt der Zeitraum in Betracht, der Mevarech 2003; Rosenshine et al. 1996).

für das Kompetenzerleben und die Erfolgszuversicht von ausübte, das wiederum mit günstigeren Einstellungen
schwächeren Schülerinnen und Schülern nachweisen kann. der Lernenden zum Fach Mathematik und mit einem
Nimmt man weitere affektiv-motivationale Variablen günstigeren mathematischen Selbstkonzept der Lernenden
in den Blick, so zeigt z. B. die längsschnittliche Studie von einherging (Helmke et al. 1986). Auch international lassen
Kunter und Baumert (2006), dass sich ein geringes Ausmaß sich empirische Evidenzen für Effekte eines störungs-
an Unterrichtsstörungen positiv auf die von Schülerinnen armen und strukturierten Unterrichts auf Einstellungsver-
und Schülern erlebte Herausforderung auswirkt, die änderungen der Lernenden nachweisen (Campbell et al.
wiederum positive Effekte auf die Interessensentwicklung 2004).
hat. Im Rahmen der Münchener Hauptschulstudie konnte Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
mittels Pfadanalysen und unter Kontrolle von kognitiven ein strukturierter, störungsarmer und effektiv geführter
und affektiven Lernvoraussetzungen der Lernenden nach- Unterricht die affektiv-motivationale Entwicklung der
gewiesen werden, dass eine effektive Klassenführung einen Lernenden befördern kann. Es kann angenommen werden,
positiven Einfluss auf das Engagement der Lernenden dass ein Mindestmaß an didaktischer Strukturierung eine
82 F. Lipowsky

notwendige Voraussetzung für eine wirksame Klassen- deutliche leistungssteigernde Effekte hat, und zwar vor allem
führung darstellt, die wiederum als wichtige Voraus- dann, wenn sprachliche und nichtsprachliche Repräsentations-
setzung dafür angesehen werden kann, dass inhaltsbezogene formen miteinander verknüpft wurden (zur Bedeutung des
Strukturierungen und Hinweise Wirkungen entfalten können. Medieneinsatzes 7 Kap. 6).
Warum wirkt sich die inhaltliche Klarheit des Unter-
richts positiv auf den Lernerfolg aus? Die inhaltliche Klar-
4.2.2  Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des heit des Unterrichts – so lässt sich annehmen – sorgt
Unterrichts dafür, dass die wichtigsten inhaltlichen Aspekte klar und
4 deutlich hervortreten und als kennzeichnende Elemente
Kognitive Zielvariablen von den Lernenden identifiziert, diskriminiert und ver-
Inhaltliche Klarheit beschreibt einen Unterricht, in dem die arbeitet werden. Auf der Basis der Cognitive-Load-Theorie
inhaltlichen Aspekte des Unterrichtsgegenstandes sprach- lässt sich argumentieren, dass die Betonung relevanter
lich prägnant und verständlich, fachlich korrekt und inhalt- Informationen, der Verzicht auf irrelevante und über-
lich kohärent dargestellt und/oder entwickelt werden. Dabei flüssige Informationen, die didaktische Reduktion der
übernehmen variantenreiche Erklärungen und Erläuterungen Komplexität des Inhalts sowie die angemessene Verbindung
unter Verwendung von Veranschaulichungen, Abbildungen, unterschiedlicher Repräsentationsformen das Arbeits-
Beispielen, Analogien und Metaphern, die Hervorhebung gedächtnis entlasten und die Informationsverarbeitung
und Zusammenfassung zentraler inhaltlicher Punkte, die erleichtern (Chandler und Sweller 1991; Hetmanek et al.
Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden 2019; Mayer und Moreno 2003; Renkl und Scheiter 2017).
in Konzepten, die Verwendung und Verbindung unterschied- Aktuellere Ansätze in der Unterrichtsforschung
licher Repräsentationsformen sowie das wiederholte Auf- verweisen mit Begriffen wie „attending to concepts“,
greifen von schwierigen Sachverhalten und Aspekten eine „opportunities to learn“, „inhaltlich fokussierte Informati­
wichtige verständnisfördernde Funktion (Cruickshank 1985; onsverarbeitung“ oder „Verstehenselemente“ auf die Bereit-
Helmke 2007). stellung fachlich relevanter Lerngelegenheiten. Hiermit
Die Forschungslage ist trotz der weiten Bedeutung des sind demnach curriculare Entscheidungen und Schwer-
Begriffs inhaltliche Klarheit relativ konsistent. Die inhalt- punktsetzungen der Lehrpersonen gemeint, im Unter-
liche Klarheit des Unterrichts hat positive Effekte auf das richt fachlich zentrale Themen, Konzepte und Ideen zu
Lernen der Schülerinnen und Schüler unabhängig vom behandeln (Drollinger-Vetter und Lipowsky 2006; Hiebert
Alter der Lernenden, unabhängig davon, ob die Klarheit und Grouws 2007; Learning Mathematics for Teaching
mittels niedrig oder hoch inferenter Verfahren erfasst wird, Project 2010; Renkl 2011; Schmidt und Maier 2009).
unabhängig davon, welche Dimensionen von Klarheit tat- Dieser didaktisch-curriculare Aspekt inhaltlicher Klar-
sächlich untersucht werden und unabhängig davon, ob es heit geht über die inhaltliche klare und verständnisvolle
sich um experimentelle oder quasi-experimentelle Studien Präsentation vorgegebener Inhalte hinaus und betont, dass
handelt (z. B. Chesebro 2003; Hattie 2009; Hines et al. 1985; das Lernen und Verstehen von Schülerinnen und Schülern
Rodger et al. 2007; Titsworth et al. 2015). auch davon abhängig ist, inwieweit Lehrkräfte fach-
Stellvertretend für die Vielzahl an Studien wird hier lich relevante Kernideen und Inhalte im Unterricht auf-
eine Studie näher vorgestellt. Hines et al. (1985) ließen greifen und thematisieren. Mit Begriffen wie „strukturelle
32 angehende Lehrpersonen die gleiche 25-min Unter- Klarheit“, „making connections“, „links made between
richtssequenz unterrichten. Die Lerngruppen bestanden multiple models“ und „coherent content“ wird heraus-
aus 4–6 Lernenden Die Unterrichtsstunden wurden auf gestellt, dass es wichtig ist, die Beziehungen und Ver-
Video gezeichnet. Die Klarheit des Unterrichts wurde knüpfungen zwischen diesen (Teil-)Konzepten und Ideen
mit 29 Items durch Lehrpersonen, Lernende und zwei explizit unterrichtlich zu behandeln (vgl. Brophy 2000). Im
unabhängige Beobachter niedrig inferent erfasst. Zusätz- sogenannten Pythagorasprojekt, in dem eine dreistündige
lich wurden hoch inferente Ratings durch zwei Beobachter Unterrichtseinheit zum Satz des Pythagoras in 38 Klassen
vorgenommen. Als Zielkriterien wurden der Lernerfolg und Deutschlands und der Schweiz videografiert wurde, wurde
die Zufriedenheit der Lernenden untersucht. Die Ergeb- u. a. untersucht, inwieweit im Mathematikunterricht der
nisse zeigten, dass die Klarheit des Unterrichts, unabhängig beteiligten Klassen jene „(Verstehens)-Elemente“ und ihre
von dem Verfahren der Erfassung, positive Effekte auf den Beziehungen behandelt wurden, von denen man annehmen
Lernerfolg und die Zufriedenheit der Lernenden hatte. kann, dass sie für den Aufbau eines inhaltlich vertieften
Zu den Lehrstrategien, die zur inhaltlichen Klarheit des und elaborierten Verständnisses des Satzes von Pythagoras
Unterrichts beitragen und Auswirkungen auf den Lernerfolg fundamental sind. Beobachter analysierten den Unterricht
haben, zählen Zusammenfassungen und Hervorhebungen in den 38 Klassen u. a. danach, ob z. B. die geometrische
(Marzano et al. 2000; Schneider et al. 2018) sowie der Einsatz Bedeutung des Satzes von Pythagoras zur Sprache kam,
und die Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen. inwieweit deutlich herausgestellt und erarbeitet wurde, dass
So ergab die Metaanalyse von Marzano und Kollegen (2000), der Satz nur im rechtwinkligen Dreieck gilt und inwiefern
dass der Einsatz „nichtsprachlicher Repräsentationsformen“ das Verstehenselement, dass der Satz Aussagen über die
Unterricht
83 4
Beziehungen zwischen den Seiten im rechtwinkligen Drei- Lernende in Klassen, in denen die Zielklarheit und die
eck formuliert, behandelt wurde (Drollinger-Vetter und Kohärenz des Physikunterrichts besonders deutlich aus-
Lipowsky 2006). In dieser Studie erwiesen sich das Vor- geprägt waren, berichteten über eine höhere intrinsische
kommen, die Qualität und die Strukturierung dieser Motivation als Lernende in Klassen, in denen diese beiden
Verstehenselemente als prädiktiv für den Lernerfolg der Merkmale gering eingeschätzt wurden.
Schülerinnen und Schüler (Drollinger-Vetter 2011). In die gleiche Richtung weisen die Befunde von
Auch das Lernen aus Lösungsbeispielen lässt sich als Schrader et al. (1997) aus der SCHOLASTIK-Studie. Hier
eine unterrichtliche Strategie begreifen, den relevanten zeigte die eingeschätzte Klarheit des Unterrichts eben-
Inhalt klarer und verständnisorientierter zu präsentieren. falls einen positiven Zusammenhang mit der affektiven
Insbesondere für das Lernen von mathematischen und Entwicklung der Lernenden. Auch die Ergebnisse zweier
naturwissenschaftlichen Inhalten hat sich das Lernen mit aktueller Metaanalysen können die positiven Effekte inhalt-
Lösungsbeispielen als wirksames Verfahren erwiesen. licher Klarheit auf affektiv-motivationale Aspekte des
Während die Schülerinnen und Schüler im herkömm- Lernens bestätigen (Titsworth et al. 2015).
lichen Mathematikunterricht z. B. nach der Einführung Die positiven Wirkungen inhaltlicher Klarheit auf
eines Prinzips oder eines Verfahrens und einer Beispiel- affektiv-motivationale Variablen lassen sich zum einen
aufgabe in der Regel damit konfrontiert werden, mehrere mit der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan
Aufgaben zu lösen, erfolgt bei der Arbeit mit Lösungsbei- (1985; 7 Kap. 7) erklären: In einem Unterricht, der sich
spielen nach einer ersten Einführung des Themas ein ver- durch eine hohe inhaltliche Klarheit auszeichnet, sollten
gleichsweise ausführliches Studium von Aufgabenbeispielen, Schülerinnen und Schüler eher den Eindruck haben, neue
die bereits ganz oder teilweise gelöst sind. Die Lernenden Kompetenzen und neues Wissen zu erwerben als in einem
werden also mit mehreren Lösungsbeispielen konfrontiert, Unterricht, der inhaltlich unverständlich und unklar
die das zugrunde liegende Prinzip, Verfahren oder Lösungs- ist. Ein entsprechend höheres Kompetenzerleben dürfte
schemata an mehreren Aufgaben und nicht – wie in vielen wiederum mit einer höheren intrinsischen Motivation ein-
einführenden Abschnitten von Schulbüchern – an einer hergehen. Eine zweite mögliche Erklärung fokussiert auf die
Aufgabe darstellen. Diese Arbeit mit Lösungsbeispielen Kontroll-Wert-Theorie der Leistungsemotionen (Pekrun
­
basiert auf Annahmen der Cognitive-Load-Theorie, wonach 2006; 7 Kap. 9). Demnach lässt sich davon ausgehen, dass
eigene Lösungsversuche das Arbeitsgedächtnis so stark mit einer höheren inhaltlichen Klarheit des Unterrichts
belasten, dass nur geringe Kapazitäten für das Ausbilden eine höhere Kontrollüberzeugung, d. h. ein höherer Grad
von Lösungsschemata verbleiben, während demgegenüber an subjektiv erlebter Kontrolle über die Leistungssituation
die Auseinandersetzung mit komplett oder partiell gelösten einhergeht und der Leistungssituation ein höherer Wert
Aufgabenbeispielen das Augenmerk des Lernenden auf zugeschrieben wird, was nach der Kontroll-Wert-Theorie
das Verstehen der Lösungsschritte und -­verfahren lenken. zu einem günstigeren emotionalen Erleben beiträgt.
Die Forschung zeigt: Das Studieren und Analysieren von Empirische Hinweise auf diesen Mechanismus liefert bei-
Lösungsbeispielen ist insbesondere dann effektiv, wenn die spielsweise die Studie von Simonton et al. (2017). Mit einer
Lernenden über wenig Vorwissen verfügen, wenn sie mit höheren inhaltlichen Klarheit waren in dieser Studie aus-
Fragen und Prompts zur Reflexion und zu Selbsterklärungen geprägtere Kontrollüberzeugungen und Wertüberzeugungen
angeregt werden, wenn die Lösungsbeispiele variiert werden der Lernenden verbunden, die dann wiederum eine höhere
und die Lernenden nach und nach einzelne Lösungsschritte Lernfreude und eine geringere Langeweile nach sich zogen.
selbst übernehmen, also Lücken im Lösungsprozess selbst
füllen müssen (7 Kap. 1; Atkinson et al. 2000; Chi et al. 1989;
Paas und Van Merrienboer 1994; Renkl et al. 1998, 2002). 4.2.3  Feedback

Motivational-affektive Zielvariablen Kognitive Zielvariablen


Die Forschungslage zu den Effekten des Lernens mit
Lösungsbeispielen auf affektiv-motivationale Variablen ist Definition
dünn (Stark 1999), sodass ein einheitlicher Trend derzeit Feedback wird als jede Art von Rückmeldung
nicht auszumachen ist. Hinsichtlich der inhaltlichen Klar- verstanden, die sich auf die Leistung oder das
heit des Unterrichts ist der Forschungsstand vergleichs- Verständnis des Lernenden bezieht, diesen über die
weise konsistent. Hines et al. (1985) konnten in ihrer Studie Richtigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung
z. B. nachweisen, dass eine höhere Klarheit des Unterrichts informiert (Mory 2004) oder ihm inhaltliche und/
mit einer höheren Zufriedenheit der Lernenden einhergeht. oder strategische Hilfen und Informationen zu
Rodger et al. (2007) zeigten in ihrer experimentellen Studie, seinem Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Das
dass Studierende stärker motiviert sind, wenn die Klarheit Feedback kann von der Lehrperson, einem Mitschüler,
des (Hochschul-)Unterrichts ausgeprägter ist. dem Lernenden selbst oder einem Medium gegeben
Die Studie von Seidel et al. (2005) konnte ebenfalls werden.
positive Effekte auf die Motivationsentwicklung feststellen:
84 F. Lipowsky

Bloße Bekräftigungen (Belohnungen, Lob, Tadel) ohne 1996; Mory 2004). Sind mit der Rückmeldung dagegen
Bezug auf die erbrachte Leistung werden in der Regel nicht Informationen verbunden, wie die korrekte Lösung lautet
zum Feedback gezählt (Jacobs 2002; Mory 2004) und daher bzw. ist mit der Rückmeldung eine Fehlerkorrektur ver-
bei der folgenden Zusammenfassung nicht berücksichtigt. bunden, so sind eher Effekte auf den Lernerfolg zu
Feedback gilt als zentrale Komponente im Lehr- und beobachten (z. B. Bangert-Drowns et al. 1991; Heubusch
Lernprozess. Aus kognitionspsychologischer Sicht hat und Lloyd 1998).
Feedback eine informierende Funktion und soll dem Formen elaborierten Feedbacks gelten einfacheren
Lernenden Fehler und Misskonzepte bewusst machen Formen des Feedbacks grundsätzlich zwar als überlegen
4 sowie die Kluft zwischen der aktuellen Leistung und dem (Bangert-Drowns et al. 1991; Kluger und DeNisi 1996),
aktuellen Verständnis auf der einen Seite und dem zu doch geht man heute davon aus, dass für die positiven
erreichenden Zielzustand auf der anderen Seite verringern Effekte elaborierter Feedbackformen weitere Variablen
(Hattie und Timperley 2007). Hierzu ist es erforderlich, dass eine Rolle spielen, über deren Zusammenspiel noch wenig
den Lernenden der Zielzustand (feed-up) klar ist und dass bekannt ist. Hierzu zählen z. B. die Komplexität der Auf-
das Feedback Antworten darauf gibt, wo man im Hinblick gabe und verschiedene Merkmale der Lernenden, wie z. B.
auf das angestrebte Lernziel steht (feed-back) und welche deren Vorwissen und deren Umgang mit dem gegebenen
weiteren Schritte erforderlich sind, um dem angestrebten Feedback. Auch die Adaptivität und Spezifität des
Ziel näher zu kommen (­ feed-forward). elaborierten Feedbacks spielen offenbar eine wichtige Rolle:
Wenn man sich dem Forschungsstand zunächst unter Generell gilt zwar, dass spezifisches Feedback allgemein
Heranziehung der großen Metaanalysen nähert, dann gehaltenen Rückmeldungen überlegen ist, jedoch scheint es
kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass „Feedback auch hier Moderatorvariablen zu geben, die die Wirkungen
geben“ per se positive Auswirkungen auf kognitive und der Spezifität von Feedback beeinflussen (Shute 2008). So
motivationale Zielvariablen hat, so bedeutsam fallen die zeigt beispielsweise die Studie von Smits, Boon, Sluijsmans
ermittelten durchschnittlichen Effektstärken aus (Hattie und Van Gog (2008), dass leistungsstärkere Schülerinnen
2009; Hattie und Timperley 2007; Lysakowski und Wal- und Schüler von einem globalen Feedback mehr profitieren
berg 1982; Scheerens und Bosker 1997). Doch der erste Ein- als von einem elaborierten Feedback. Insbesondere wenn
druck täuscht. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein recht Feedback mehr Informationen enthält als zur Korrektur
uneinheitliches Bild (Kluger und DeNisi 1996; Shute 2008), eigentlich notwendig sind, kann elaboriertes und komplexes
das die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung Feedback auch schädlich sein (Mory 2004), da dadurch
aufzeigt und die Frage aufwirft, welche Merkmale von das Arbeitsgedächtnis der Lernenden unnötig belastet und
Feedback, aber auch welche Merkmale der Situation und wertvolle Lernzeit mit vergleichsweise irrelevanten Hin-
des Lernenden dazu beitragen, dass sich Rückmeldungen weisen gebunden wird. Dies ist z. B. bei einfachen Auf-
lernförderlich auswirken. gabenstellungen, die lediglich die Wiedergabe von Fakten
Die Feedbackforschung beschäftigt sich vor allem erfordern, der Fall.
mit dem Lehrerfeedback auf Aufgaben, bei denen es eine Elaborierteres Feedback scheint vor allem bei Aufgaben-
richtige Antwort bzw. Lösung gibt. In Abhängigkeit von der stellungen, die den Erwerb von Regeln und Konzepten
Komplexität und der Elaboriertheit des Feedbacks werden intendieren und komplexeres Denken erfordern, wirk-
verschiedene Formen unterschieden. Die einfachen Rück- samer zu sein als wenig informatives Feedback (Huth
meldungen informieren den Lernenden, ob seine Lösung 2004; Krause et al. 2004; Moreno 2004). Auch für selbst-
bzw. seine Antwort richtig oder falsch war („knowledge gesteuertes Lernen spielt elaboriertes Feedback offen-
of results“, KOR) und ggf. noch darüber, wie die richtige bar eine wichtige Rolle: Van den Boom et al. (2007)
Antwort lautet („knowledge of correct results“, KCR). Zu berichten über entsprechend positive Effekte eines
den komplexen und elaborierteren Rückmeldeformen sogenannten suggestiven Feedbacks, das Hinweise auf
werden in der Regel Hinweise gezählt, die über die Nennung Fehler und Probleme enthält, ohne dass jedoch direkte
des richtigen Ergebnisses hinausgehen und dem Lernenden Hinweise gegeben werden, worin das Problem bzw. der
weitere Informationen, Hinweise und Erklärungen zur Fehler besteht. Nach den Ergebnissen von Vollmeyer und
Verfügung stellen, die für das Verständnis der Aufgaben- Rheinberg (2005) kann sogar schon die Ankündigung
stellung, den Bearbeitungs- und Lösungsweg oder für von Feedback ausreichen, um Lernende zu einer
den Nachvollzug der Lösung bzw. richtigen Antwort von systematischeren Anwendung von Strategien anzuregen
Bedeutung sind (vgl. Jacobs 2002; Kulhavy und Stock 1989). und damit zu besseren Leistungen zu bewegen.
Fasst man die Vielzahl von Studien zusammen und Was Merkmale der Lernenden anbelangt, verdeutlichen
differenziert zusätzlich nach den Formen des Feedbacks, so verschiedene Studien, dass der Lernerfolg als Folge von
zeigt sich ein etwas einheitlicheres Bild. Demzufolge haben Feedback abhängig ist vom Vorwissensstand des Lernenden.
Rückmeldungen, die lediglich darüber informieren, ob eine Insbesondere bei geringerem Vorwissen sind höhere Effekte
Antwort bzw. ein Ergebnis falsch oder richtig ist, in der von Feedback zu erwarten (Jacobs 2002). Für leistungs-
Regel keinen Effekt auf die Lernleistung (Kluger und DeNisi stärkere Schülerinnen und Schüler kann unvollständiges
Unterricht
85 4
Feedback effektiver sein kann als für leistungsschwächere, Feedbacks und der Aufgabenschwierigkeit: Demnach
die demgegenüber eher von vollständigem Feedback kann bei anspruchsvollen Aufgabenstellungen verzögertes
profitieren (Mory 2004). Dies lässt sich mit dem Feedback wirksamer sein als bei einfachen Aufgaben-
„­ expertise-reversal-Effekt“ (Kalyuga 2005, 2007; Kalyuga stellungen (Hattie und Timperley 2007).
et al. 2001) in Verbindung bringen, wonach Unterstützung Hattie und Timperley (2007) differenzieren vier Ebenen
seitens der Lehrperson, die für Lernende mit geringem der Rückmeldung. Feedback kann sich auf die Aufgabe,
Vorwissen wichtig und lernförderlich ist, für Lernende mit auf den Verarbeitungsprozess, auf die Ebene der Selbst-
hohem Vorwissen schädlich sein kann (7 Abschn. 4.2.10). regulation und/oder auf die Ebene des Lernenden beziehen.
Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind die Als Fazit ihrer Metaanalyse zur Wirksamkeit von Feedback
Wahrnehmung sowie der Umgang mit und die Nutzung formulieren die Autoren: Feedback ist wirksamer, wenn es
von Feedback relevante mediierende Faktoren für aufgaben-, prozess- und selbstregulationsbezogene Hin-
dessen Wirkungen. Harks et al. (2014) zeigen beispiels- weise verknüpft und enthält. Aufgabenbezogenes Feedback
weise, dass prozessorientiertes Feedback im Vergleich bezieht sich darauf, wie gut eine Aufgabe gelöst oder ver-
zu einem notenzentrierten Feedback – vermittelt über standen worden und was ggf. noch fehlerhaft ist. Es setzt
die von den Lernenden wahrgenommene Nützlichkeit allerdings voraus, dass Lernende bereits über ausreichendes
– den mathematischen Leistungszuwachs positiv vorher- Verständnis und Vorwissen verfügen. Wenn dieses fehlt, ist
sagen kann. Feedbackmodelle und Forschungsbefunde eine Erklärung und nochmalige Instruktion effektiver als
im Kontext des selbstgesteuerten Lernens unterstreichen, ein Feedback. Feedback auf der Ebene des Verarbeitungs-
dass die Nutzung und die Effekte von Feedback nicht nur prozesses ist insbesondere dann wirksam, wenn es hilft,
von kognitiven, sondern auch von metakognitiven und Fehler zu identifizieren, weitere Informationen zu sammeln
affektiv-motivationalen Voraussetzungen der Lernenden,
­ und Strategien zu verwenden bzw. zu optimieren. Feedback
wie z. B. den Zielorientierungen, den Kontroll- und zum Prozess der Selbstregulation fokussiert vor allem auf
Kompetenzüberzeugungen und dem Selbstkonzept abhängig metakognitive Tätigkeiten des Lernenden und umfasst
sind (Butler und Winne 1995; Mory 2004; Narciss 2004; Hinweise und Hilfen, wie der Lernende sein Lernen selbst
7 Kap. 8). Baadte und Schnotz (2014) weisen beispielsweise planen, regulieren und bewerten kann. Es ist vor allem
nach, dass Feedback auf die Leistungen von Lernenden dann effektiv, wenn es zu einer größeren Anstrengungs-
mit einem hohen Selbstkonzept auch negative Wirkungen bereitschaft und zu einer höheren Selbstwirksamkeit des
haben kann. Erklärt wird dies damit, dass Feedback mit Lernenden beiträgt. Feedback, das sich lediglich auf die
Verbesserungshinweisen auf Lernende mit einem positiv Person des Lernenden oder auf seine generelle Leistung
geprägten Bild von den eigenen Fähigkeiten verunsichernd bezieht und keine spezifischen Angaben zur Aufgabe, dem
und bedrohlich wirken kann und dass diese Lernenden dann Prozess und der Regulation macht, gilt als vergleichsweise
eher damit beschäftigt sind, ihr positives Bild von sich zu unwirksam, da es die Aufmerksamkeit des Lernenden
erhalten als sich um die Lernaufgabe zu kümmern. zu sehr auf die eigene Person und damit auf aufgaben-
Welche Eigenschaften des Feedbackgebers für die irrelevante Aspekte lenkt (Hattie und Timperley 2007).
Wahrnehmung, die Akzeptanz, die Nutzung und die Ein Blick in die Unterrichtspraxis zeigt, dass das
Wirkungen von Feedback relevant sind, wird vor allem Potenzial von Feedback von Lehrpersonen offenbar nur
im Kontext von Peer-Feedback-Studien untersucht. selten genutzt wird. Lehrpersonen geben vergleichsweise
Forschungsbefunde deuten auf komplexere Interaktionen häufig unspezifische Rückmeldungen und loben, ohne auf
zwischen den Kompetenzen des Feedbackgebers, der die Besonderheiten der Aufgabenbearbeitung oder auf
Beschaffenheit und den Inhalten des Feedbacks sowie individuelle Lernfortschritte Bezug zu nehmen (vgl. Lotz
Merkmalen (Wahrnehmungen, Überzeugungen und 2015; Pauli 2010; Voerman et al. 2012).
Kompetenzen) des Feedbackempfängers hin (Patchan und
Schunn 2015, 2016; Berndt et al. 2018). In der Studie von Motivationale Zielvariablen
Schünemann et al. (2017) erwies sich die Qualität von Peer Positive Wirkungen von Feedback auf motivationale
Feedback als entscheidender Einflussfaktor für die nach- Variablen lassen sich u. a. mit der C ­ognitive-
haltigen Effekte eines Selbstregulationstrainings auf die Evaluation-Theorie erklären (Deci et al. 1999). Feedback
Anwendung von Lesestrategien und das Leseverständnis. kann sich dementsprechend über zunehmende Anstrengung,
Auch der Zeitpunkt der Rückmeldung kann die höheres Engagement, geringere Unsicherheiten und
Wirkungsweise des elaborierten Feedbacks beeinflussen. wachsendes Kompetenzerleben auf die Motivation und
In einigen Studien zeigte sich, dass sofortige Lehrer- die Selbstwirksamkeit der Lernenden auswirken (Hattie
rückmeldungen im Unterricht grundsätzlich wirksamer und Timperley 2007), da die Lernenden durch Feedback
sind als aufgeschobene bzw. verzögerte Rückmeldungen Informationen über die Wirkungen ihrer Lernhandlungen
(Kulik und Kulik 1988; Heubusch und Lloyd 1998; erhalten und ihre Anstrengungen beachtet und gewürdigt
Dihoff et al. 2003). In anderen Studien ergab sich jedoch sehen, wodurch sich ihr Kompetenzgefühl und ihre Lern-
auch eine Wechselwirkung zwischen dem Zeitpunkt des freude steigern lassen.
86 F. Lipowsky

Die Forschungslage zu den motivationalen Wirkungen 4.2.4  Kooperatives Lernen


von aufgabenbezogenem Feedback fällt allerdings
uneinheitlich aus. Einerseits berichten verschiedene Kognitive Zielvariablen
Studien, dass aufgabenorientiertes Feedback die Motivation Sowohl im deutschen wie auch im angloamerikanischen
und das Interesse steigert (z. B. Butler 1987). Andere Sprachraum wird der Begriff „kooperatives Lernen“ bzw.
Studien dagegen können keine positiven bzw. keine „cooperative learning“ nicht einheitlich verwendet. Pauli und
direkten Effekte des Feedbacks auf affektiv-motivationale Reusser (2000) verstehen unter kooperativem Lernen „Lern-
Variablen absichern (z. B. Krause und Stark 2004). Die arrangements, die eine … koordinierte, ko-konstruktive
4 Studie von Vollmeyer und Rheinberg (2005) zeigt indirekte Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine
Effekte des Feedbacks über die angewandten Strategien auf gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam
die Motivation, die Studie von Harks et al. (2014) indirekte geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln“
Effekte prozessorientierten Feedbacks im Vergleich zu (Pauli und Reusser 2000, S. 421). Mit K ­ o-Konstruktion ist
notenzentriertem Feedback über die wahrgenommene gemeint, dass Lernende durch den gegenseitigen Austausch
Nützlichkeit auf die Entwicklung mathematischen neues Wissen aufbauen, ein neues Verständnis oder neue
Interesses. ­Aufgaben- oder Problemlösungen entwickeln, die vorher in
Auch wenn man verschiedene Feedbackformen mit- dieser Form bei keinem der Lernenden verfügbar waren.
einander vergleicht, wird die Befundlage nicht klarer. Zu beachten ist, dass kooperatives Lernen nicht ein-
Offenbar wird der Zusammenhang zwischen Feedback und fach gleichzusetzen ist mit jeder x-beliebigen Form von
Motivation von weiteren Drittvariablen moderiert. Narciss Gruppenarbeit. Unter Berücksichtigung der umfang-
(2004) untersuchte in mehreren Studien die Auswirkungen reichen Literatur werden immer wieder folgende zentrale
des Informationsgehalts von Feedback auf kognitive und Bestimmungsmerkmale genannt, die kooperatives Lernen
motivationale Variablen. Ihre Ergebnisse deuten darauf im engeren Sinne kennzeichnen (Johnson et al. 2000).
hin, dass die motivationsförderlichen Wirkungen eines
elaborierteren informativen Feedbacks nicht salient
werden, wenn die Lernenden einer intensiven Aufgaben- Zentrale Bestimmungsmerkmale kooperativen Lernens
bearbeitung aus dem Weg gehen können. Wenn die 5 Grundlegend für kooperatives Lernen ist eine positive
Lernenden jedoch gezwungen sind, sich eine bestimmte Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit) der
Zeit mit den Aufgaben auseinanderzusetzen, werden Lernenden. Das bedeutet: Den Lernenden sollte
positive Wirkungen eines informationshaltigen Feedbacks bewusst sein, dass sie die Aufgabe nur zusammen
wahrscheinlicher. lösen können. Bekräftigungen wie „Wir sitzen alle in
Unterrichtsstudien, wie die von Kunter (2005) und einem Boot“ oder „Wir ziehen am gleichen Strang“
Elawar und Corno (1985), zeigen positive Effekte des drücken diese positive Interdependenz aus.
Feedbacks auf affektiv-motivationale Zielvariablen. 5 Dies impliziert auch, dass jedes Gruppenmitglied eine
Kunter (2005) wies bei der Reanalyse der deutschen individuelle Verantwortung für den Arbeitsprozess
TIMSS-Videos nach, dass sich die von den Lernenden in der Gruppe übernimmt. Die Unterrichtspraxis
wahrgenommene Rückmeldequalität der Lehrperson sieht jedoch häufig anders aus: Oft arbeiten nur
positiv auf die Interessensentwicklung auswirkte, und einige wenige an der Aufgabenstellung, die anderen
zwar auch nach Kontrolle der individuellen Lernvoraus- „tauchen ab“ oder klinken sich ganz aus dem
setzungen der Lernenden und der Kontextbedingungen Arbeitsprozess aus (Renkl et al. 1996).
der jeweiligen Klasse. Elawar und Corno (1985) unter- 5 Kooperatives Lernen lebt von der
suchten, wie Lehrerrückmeldungen auf Hausauf- ­Face-to-Face-Kommunikation zwischen den
gaben die Leistung und Motivation der Lernenden Lernenden, von Formen gegenseitiger Unterstützung
beeinflussen. Hierzu wurde eine Experimentalgruppe und wechselseitiger Rückmeldung.
von Mathematiklehrpersonen in einem aufwendigen 5 Soziale Fähigkeiten sind gleichsam Voraussetzung
Training fortgebildet. Die ausführlichen Lehrerrück- und Ziel kooperativen Lernens. Ohne ein Minimum
meldungen bestanden aus emotional-motivationalen an vorhandenen Fertigkeiten und Fähigkeiten ist
und ­ sachlich-inhaltsbezogenen Komponenten. Ver- kooperatives Lernen kaum realisierbar. Gleichzeitig
glichen wurden diese ausführlichen Rückmeldungen dient kooperatives Lernen jedoch auch dem Aufbau
mit einfachen Rückmeldungen, die die Lernenden nur sozialer Kompetenzen.
darüber informierten, wie viele Aufgaben sie richtig 5 Die fünfte Komponente bezieht sich auf metakognitive
bearbeitet hatten. Das ausführlichere Feedback zeigte und reflexive Tätigkeiten der Lernenden. Kooperatives
positive Effekte sowohl auf die Leistungen als auch Lernen im engeren Sinne beinhaltet, dass die
auf das Selbstkonzept, die Lernfreude und auf die Ein- Lernenden darüber nachdenken, welche Tätigkeiten
stellungen der Lernenden zur Lehrperson und zur und Arbeitsschritte hilfreich sind und wie sie ggf. ihren
Schule. Arbeitsprozess modifizieren müssen.
Unterricht
87 4
Dem kooperativen Lernen in den USA und auch in und Schüler im Grundschulalter höher sind als für ältere
anderen Ländern liegen langjährig entwickelte und Lernende und dass in individualistisch orientierten west-
erprobte Konzepte zugrunde. Diese lassen sich u. a. nach lichen Gesellschaften mit schwächeren Effekten gerechnet
ihrer Belohnungs-/Bewertungs- und nach ihrer Aufgaben- werden muss als in kollektivistisch orientierten Kulturen,
struktur systematisieren. Hinsichtlich der Belohnung bzw. wie sie z. B. in asiatischen Ländern vorherrschend
der Bewertung wird zwischen Konzepten unterschieden, bei sind.
denen die Gruppen aufgrund der individuellen Leistungen Weitere Studien beschäftigten sich mit den Effekten
ihrer Mitglieder belohnt bzw. bewertet werden und solchen der Gruppenzusammensetzung auf den Lernerfolg. Eine
Konzepten, bei denen entweder keine Belohnung bzw. heterogene Zusammensetzung der Gruppe kommt offenbar
Bewertung erfolgt oder die Belohnung bzw. Bewertung nur insbesondere den schwächeren Schülerinnen und Schülern
für das Gruppenergebnis, unabhängig von den Leistungen zugute (Lou et al. 1996; Webb et al. 1998). Erklärt wird
der einzelnen Mitglieder, gegeben wird. Hinsichtlich dies mit den elaborierteren Erklärungen und Beiträgen der
der Aufgabenstruktur lassen sich Konzepte voneinander stärkeren Mitglieder der Gruppen, aber auch mit einem
abgrenzen, die sich im Grad der Vorstrukturierung, der aktiveren Lernverhalten der schwächeren Schülerinnen
Aufteilung der Aufgaben und auch in ihrer Wirksamkeit und Schüler in heterogenen Gruppen (Fawcett und Gar-
unterscheiden (Johnson et al. 2000). ton 2005; Fuchs et al. 1996). Für leistungsdurchschnittliche
Zwei bedeutsame Konzepte kooperativen Lernens Schülerinnen und Schüler zeichnet sich dagegen ab, dass ihr
werden in den folgenden Exkursen vorgestellt. Beim Lernerfolg in heterogenen Gruppen eher geringer ausfällt
STAD-Konzept erfolgt eine Gruppenbelohnung aufgrund als in homogenen Gruppen, für leistungsstarke Lernende
individueller Leistungen der Gruppenmitglieder, dagegen differieren die Befunde (Webb et al. 1998; Lou et al. 1996).
wird auf eine Vorstrukturierung der Aufgaben in der Regel Letztere erzielen in heterogenen Gruppen offenbar dann
verzichtet. Beim zweiten hier vorgestellten Konzept, dem einen vergleichsweise hohen Lerngewinn, wenn eine
Jigsaw (Gruppenpuzzle), erfolgt dagegen keine Belohnung intensive, freundliche und von gegenseitiger Unterstützung
der Leistungen, dagegen sind die Aufgaben vorstrukturiert. geprägte Arbeitsatmosphäre vorherrscht (Webb et al. 2002).
Was den Forschungsstand zum kooperativen Lernen Das letztgenannte Ergebnis zeigt, dass für das Gelingen
insgesamt anbelangt, so zeigen die großen Metaanalysen kooperativen Lernens die Interaktionsqualität eine wichtige
zunächst ein relativ konsistentes Bild: Kooperative Lern- Rolle spielt (Battistich et al. 1993; Bleck und Lipowsky
situationen sind individualisierten und kompetitiven Lern- im Druck; Hijzen et al. 2007; Webb 2008). In einer Studie
situationen überlegen (Apugliese und Lewis 2017; Hattie mit Studierenden wiesen Jurkowski und Hänze (2010)
2009; Johnson et al. 2000; Kyndt et al. 2013; Rohrbeck et al. nach, dass auch die Kooperationsfähigkeit der Lernenden
2003). Die Überlegenheit kooperativer Lernformen gegen- einen Einfluss auf deren Lernerfolg hat, der partiell über
über individualisierten Lernformen lässt sich auch durch das transaktive Interaktionsverhalten vermittelt wird. Mit
Studien nachweisen, bei denen das Lernen durch mobile transaktivem Interaktionsverhalten ist gemeint, wie intensiv
digitale Geräte unterstützt wird (Sung et al. 2017). Obwohl die Lernenden aufeinander Bezug nehmen und Beiträge
die Forschungslage auf den ersten Blick einheitlich zu sein der anderen Gruppenmitglieder aufgreifen und weiter-
scheint, stellt man bei näherer Betrachtung fest, dass die entwickeln.
mittleren Effektstärken in den verschiedenen Metaanalysen Ergebnisse der productive-failure-Forschung (7 Abschn.
erheblich variieren und dass auch innerhalb der jeweiligen 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“) deuten zudem darauf-
Metaanalysen die Effektstärken der einzelnen Studien breit hin, dass nicht nur die Qualität und das Niveau der
streuen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Effekte kooperativen Arbeitsphase für den Lernerfolg bedeutsam
kooperativen Lernens von weiteren Bedingungen beein- sind, sondern auch, wie auf die Ergebnisse dieser Phase in
flusst werden. der anschließenden Instruktionsphase eingegangen wird.
Die Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) konnte Die entsprechende Forschung verdeutlicht, dass die eigen-
eine Reihe solcher Drittvariablen identifizieren, die die ständige Bearbeitung von Problemen in Kleingruppen
Effektivität des „peer-assisted learning“ (PAL), bei dem im Vergleich zu direkter Instruktion insbesondere dann
sich Schülerinnen und Schüler gegenseitig in Gruppen erfolgversprechend ist, wenn die in der kooperativen Phase
unterrichten, moderieren. Demnach fallen die Ergebnisse generierten Lösungsansätze anschließend aufgegriffen und
für diese Art des kooperativen Lernens dann günstiger aus, mit einem/dem korrekten Lösungsansatz verglichen werden
wenn die Lernenden in gleichgeschlechtlichen Gruppen (Kapur 2012; Loibl et al. 2017). Dies erscheint insbesondere
zusammenarbeiten, wenn das Ziel der Arbeit von den deshalb relevant, weil sich Schülergruppen bei der eigen-
Lernenden festgelegt wird und wenn die Arbeit Freiheits- ständigen kooperativen Erarbeitung von Lösungsideen und
grade für die Lernenden eröffnet. Besonders hoffnungsvoll -ansätzen stark unterscheiden können und fehlerhafte oder
stimmen Befunde, die darauf hindeuten, dass insbesondere unvollständige Lösungswege, aber auch korrekte Lösungs-
sozial benachteiligte Kinder von dieser Art des Lernens ansätze nicht als solche erkennen (Barron 2003; Nemeth
profitieren. Die Metaanalyse von Kyndt et al. (2013) kommt et al. 2018). Umso wichtiger ist es, dass die Lernenden
nach der Auswertung neuerer Studien zu dem Ergebnis, im Anschluss an eine kooperative Phase mit korrekten
dass die Effekte kooperativen Lernens für Schülerinnen Lösungsansätzen konfrontiert werden.
88 F. Lipowsky

Ob auch Strukturierungsmaßnahmen die Qualität Neben der Cognitive-Load-Theorie kommen für die hier
kooperativen Arbeitens befördern können, ist nicht rest- dargestellten positiven Effekte kooperativen Lernens weitere
los geklärt. In der Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) theoretische Erklärungen infrage. Dabei lassen sich
konnte dies nicht bestätigt werden, anderen Studien mehrere kognitiv-konstruktivistische und motivationale
zufolge befördern Strukturierungen jedoch die Quali- Perspektiven unterscheiden. Aus kognitiv-konstruktivistischer
tät kooperativen Arbeitens, insbesondere dann, wenn Perspektive kann angenommen werden, dass kooperatives
sie auf eine Aktivierung und Förderung metakognitiver Lernen insbesondere dann zu einer Weiterentwicklung
Fähigkeiten der Lernenden abzielen (Howe und Tolmie kognitiver Schemata und Strukturen beiträgt, wenn es zu
4 2003; Kramarski und Mevarech 2003) und wenn sie über einem vertieften Austausch von Meinungen, Ideen und
Skripts den inhaltlichen Austausch der Gruppenmitglieder Konzepten zwischen den Lernenden kommt, wenn wider-
befördern und zur Vertiefung und Verknüpfung der Inhalte sprüchliche Meinungen aufeinandertreffen und kognitive
anregen (Jurkowski und Hänze 2010). Konflikte entstehen, die zu einem inhaltlich intensiven Dis-
Weitere Bedingungen, die die Wirksamkeit kooperativen kurs führen, und wenn neue Informationen mit bestehenden
Arbeitens beeinflussen können, sind offenbar die Wissensbausteinen verbunden werden (Chi 2009; Duryan
Komplexität und das Anforderungsniveau der Aufgaben- 2001; Galton et al. 2009; Piaget 1985; Slavin et al. 2003).
stellung. Eine Studie von Kirschner et al. (2011), die sich Als besonders wertvoll erweist es sich, wenn Lernende sich
der ­ Cognitive-Load-Theorie zuordnen lässt, ergab, dass wechselseitig Sachverhalte erklären (Cohen 1994; Palincsar
kooperatives Lernen dann wirksamer ist als Einzelarbeit, und Brown 1984; Slavin et al. 2003; Webb 1989). Empirische
wenn die unterrichtlichen Anforderungen komplexer Evidenzen für die Bedeutung solch elaborierender Aktivi-
Natur sind und problemlösendes Lernen erfordern. Wenn täten fassen De Lisi und Golbeck (1999) zusammen.
es dagegen um das Bearbeiten von weniger komplexen Eine stärker soziokulturelle Perspektive nimmt die
Anforderungen (hier: das Studium von Lösungsbeispielen) Theorie Vygotskys (1978) ein. Vygotsky geht davon aus,
geht, zeigen sich deutlich geringere Unterschiede zwischen dass die kognitive Entwicklung ein Prozess ist, der vor
Einzelarbeit und kooperativer Bearbeitung. Eine mög- allem durch die Aushandlungs- und Interaktionsprozesse
liche Erklärung hierfür ist, dass sich die höhere kognitive mit (kompetenteren) Personen befördert und unter-
Beanspruchung bei der Problemlöseaufgabe im Rahmen stützt wird. Lernende eignen sich durch die Interaktion
des kooperativen Settings auf mehrere Mitlernende ver- mit kompetenteren Personen Konzepte, Denkweisen und
teilt, wodurch das Lernen effizienter und effektiver gestaltet Strategien an, indem sie diese schrittweise internalisieren.
werden kann, als wenn die Schülerinnen und Schüler alleine Lernende profitieren vor allem dann von dieser Inter-
arbeiten. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass auch das aktion, wenn Anleitung und Unterstützung in der „Zone
Niveau und die Komplexität der Aufgabenstellungen und die der nächsten Entwicklung“ angesiedelt sind, also etwas über
zu ihrer Bearbeitung erforderlichen Lernaktivitäten darüber den aktuellen Entwicklungsstand des Lernenden hinaus-
entscheiden, ob kooperative Lernumgebungen ihr Potenzial reichen. Andere Autoren erklären die positiven Effekte
„ausspielen“ können oder nicht (7 Exkurs „Student Teams- kooperativen Lernens mit motivationalen Aspekten des
Achievement Divisions“ und 7 Exkurs „Jigsaw“). Lernens (s. unten).

Exkurs

Student Teams-Achievement Divisions (STAD, Slavin 1996)


STAD ist eine Kombination aus Leistungen der Schülerinnen und Schüler Beurteilung erhöht den Druck für die
Gruppenarbeit, regelmäßiger Leistungs- werden jeweils mit einer Baseline, die einzelnen Gruppenmitglieder, sich
überprüfung und Gruppenbelohnung vor der eigentlichen kooperativen anzustrengen und sich für die Arbeit der
und besteht aus mehreren Phasen. Phase erfasst wurde, verglichen. Gruppe zu engagieren.
Zunächst führt die Lehrperson im Am Lernfortschritt bemisst sich, wie Slavin (1996) verweist auf die große
Klassenverband in das Thema des viele Punkte jedes Gruppenmitglied Bedeutung, die der individuellen
Unterrichts ein. In der zweiten Phase erhält. Die Punkte werden pro Gruppe Leistungsüberprüfung in diesem Modell
arbeiten die Lernenden in leistungs- aufsummiert, die Gruppe mit den eingeräumt werden muss. Eine von ihm
heterogenen Gruppen. Ziel dieser Phase meisten Punkten, d. h. dem höchsten durchgeführte Metaanalyse ergab für
ist, dass alle Mitglieder der Gruppe Lernfortschritt, gewinnt. Eine Gruppe – diese Form der Bewertung eine mittlere
die entsprechende(n) Aufgabe(n) so die Erwartung – kann also nur dann Effektstärke von d = 0,32. Wenn dagegen
lösen. Jede Gruppe bekommt die erfolgreich sein, wenn alle Mitglieder der ausschließlich ein einziges von der
gleiche(n) Aufgabe(n) und die gleichen Gruppe dazugelernt haben bzw. nach der Gruppe erstelltes Produkt bewertet wird,
Materialien zur Verfügung gestellt. kooperativen Phase bessere Leistungen zeigen die Studienergebnisse nur einen
Nach der kooperativen Phase – diese zeigen als vorher, was voraussetzt, geringen Effekt von d = 0,07. Insgesamt
kann 3–5 Unterrichtsstunden umfassen dass sich die Lernenden gegenseitig belegen die verfügbaren Studien
– erfolgt eine individuelle Leistungs- in ihrem Lern- und Verstehensprozess positive Effekte des STAD-Ansatzes
überprüfung mit einem Quiz bzw. Test. unterstützen und Verantwortung für (z. B. Wandeler et al. 2015), die stärker
Dabei arbeitet jede Schülerin bzw. jeder sich und die anderen Mitglieder in der ausfallen als für das Gruppenpuzzle
Schüler allein. Die erzielten individuellen Gruppe übernehmen. Diese Form der (Johnson et al. 2000).
Unterricht
89 4
Exkurs

Jigsaw (Aronson et al. 1978)


Das Jigsaw (Gruppenpuzzle) verläuft in gegenüber herkömmlichem Unterricht und Präsentation durch die
4 unterschiedlichen Phasen. Zunächst abgesichert werden können (Hänze Mitschüler, aber auch von der eigenen
teilt sich die Klasse in sogenannte und Berger 2007; Souvignier und Verarbeitung der Informationen
Stammgruppen mit 4–5 Mitgliedern Kronenberger 2007). Demgegenüber abhängt (Webb et al. 1998). Hier setzen
auf. Daraufhin werden, auf der Basis berichten z. B. Borsch et al. (2002) von Interventionsmaßnahmen an, die
thematischer Vorstrukturierungen positiven Effekten, d. h., die Lernenden Lernende gezielt in ihrem Frageverhalten
seitens der Lehrperson, Expertengruppen erzielten im Gruppenpuzzle größere trainieren. Dahinter steht die Annahme,
gebildet, in die jeweils ein Mitglied Lernzuwächse als im traditionellen dass bereits das Stellen von Fragen
jeder Stammgruppe entsandt wird Unterricht bzw. in Einzelarbeit. Die die eigene kognitive Verarbeitung
und die unterschiedliche Aspekte oder Metaanalyse von Johnson et al. (2000) und Elaboration von Informationen
Aufgaben eines komplexeren Themas ermittelt für das Gruppenpuzzle leicht befördert und zum aufmerksameren
bearbeiten. Nach dieser Expertenphase positive Effekte. Einhellig weisen Zuhören anregt. Empirische Befunde
folgt die Vermittlungsphase in den die Studien auf differenzielle Effekte verdeutlichen die Wirksamkeit
Stammgruppen. Jedes Mitglied innerhalb der Gruppenpuzzlegruppen solcher Trainings (Dillenbourg et al.
hat dabei die Aufgabe, sein in den hin: In ihren Expertenthemen schneiden 1996; King 1994; Kronenberger und
Expertengruppen erworbenes (Experten-) die Lernenden in der Regel besser ab Souvignier 2005; Rosenshine et al.
Wissen an die Mitglieder seiner als in jenen Themen, die ihnen von 1996), die damit auch das kognitive
Stammgruppe weiterzugeben, die sich ihren Mitlernenden präsentiert wurden Niveau der Vermittlungsphasen im
mit einem anderen Thema beschäftigt (z. B. Hänze und Berger 2007). Dieser Gruppenpuzzle und somit das Lernen
haben. Daran schließt sich in der Regel sogenannte Experteneffekt ist nicht von Nichtexpertenthemen verbessern
noch eine gemeinsame Reflexion im überraschend, wenn man bedenkt, können. Ohne explizite Anleitung der
Klassenverband an. dass die Schülerinnen und Schüler Lernenden zu einem entsprechenden
Die Befunde zur Lernwirksamkeit sehr viel mehr Zeit auf die Erarbeitung Frage- und auch Erklärverhalten ist das
des Gruppenpuzzles fallen, was den ihrer Expertenthemen verwenden, und Elaborationsniveau in kooperativen
Lernerfolg anbelangt, uneinheitlich aus. wenn man berücksichtigt, dass der Lernformen mitunter eher gering (zsf.
In den meisten Untersuchungen konnten Lernerfolg in den Nichtexpertenthemen King 1999; Kronenberger und Souvignier
keine Vorteile des Gruppenpuzzles auch von der Qualität der Vermittlung 2005; Nemeth et al. 2018).

Motivationale Zielvariablen Auch in der Studie von Tan et al. (2007) ergab sich für die
Für Slavin (1996) stellt die Motivation der Lernenden, die Gesamtstichprobe kein motivationsförderlicher Effekt
seiner Meinung nach insbesondere durch die gruppen- kooperativen Lernens. In dieser Studie wurde die Wirk-
bezogene Belohnung auf der Basis der individuellen samkeit der sogenannten „group investigation“ – einer
Leistungen der Gruppenmitglieder und die sich dadurch kooperativen Methode, die erhebliche Anforderungen
ergebende individuelle Verantwortlichkeit der Lernenden an die Selbststeuerungsfähigkeiten der Lernenden stellt
gefördert wird, den entscheidenden Wirkmechanismus (Sharan und Sharan 1990) – mit herkömmlichem Klassen-
beim kooperativen Lernen dar. unterricht verglichen.
Andere Autoren sehen eher in der sozialen Kohäsion Positive Ergebnisse ergeben sich dagegen aus zwei
der Gruppenmitglieder den entscheidenden Grund für die Studien, die die Wirkungen der STAD-Methode und des
positiven Effekte kooperativen Lernens, da kooperatives Gruppenpuzzles untersuchten. In einer amerikanischen
Lernen dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit Studie mit Lernenden an Highschools konnten positive
entgegenkommt und darüber die Lernmotivation der Effekte der STAD-Methode auf die Entwicklung der Selbst-
Lernenden fördert (Cohen 1994). wirksamkeit, der intrinsischen Motivation sowie auf die
Insgesamt liegen zu den Effekten auf m ­ otivational- Zielorientierungen der Lernenden nachgewiesen werden
affektive Variablen (Einstellungen zum Lernen, Selbst- (Nichols 1996). Hänze und Berger (2007) zeigen, dass sich
wertgefühl, Formen der Lernmotivation) deutlich weniger das Verfahren des Gruppenpuzzles positiver auf die drei
Studien vor als für die Leistungsentwicklung. Zusammen- „basic needs“ nach Deci und Ryan (1985), also auf das
fassungen des Forschungsstands und Metaanalysen Kompetenzerleben, die soziale Eingebundenheit und das
indizieren auch hier ein insgesamt positives Bild (Kyndt Autonomieerleben, auswirkt als traditioneller Unterricht.
et al. 2013; Lou et al. 1996; Slavin et al. 2003; Springer Zusammenfassend lässt sich somit auch für den affektiv-
et al. 1999). motivationalen Bereich nicht automatisch von positiven
Zieht man einige Einzelstudien heran, so wird das Bild Effekten des kooperativen Lernens ausgehen. Vielmehr
verschwommener. In der Studie von Krause und Stark deuten die uneinheitlichen Ergebnisse darauf hin, dass es
(2004) blieben die erwarteten Effekte kooperativen Lernens auch für den affektiv-motivationalen Bereich moderierende
auf motivationale Variablen, wie die Selbstwirksamkeit, Faktoren gibt, die die Stärke der Effekte kooperativen
die erlebte Kompetenz, die wahrgenommene Anstrengung Lernens beeinflussen. So erwies sich in der o. g. Studie
sowie die Akzeptanz der Lernumgebung, allesamt aus. von Tan et al. (2007) das Vorwissen der Lernenden für die
90 F. Lipowsky

Motivationsentwicklung als entscheidend: Schülerinnen Verbesserung und Steigerung. Wesentliche Komponenten


und Schüler mit einem hohen Vorwissen verzeichneten dieser Art des Übens und Trainierens sind an das vor-
eine günstigere Motivationsentwicklung, wenn sie in der handene Niveau des Lernenden angepasste Übungen,
Bedingung „group investigation“ statt im traditionellen korrektives Feedback des Trainers bzw. der Lehrperson,
Unterricht lernten. Bei den Schülerinnen und Schüler mit vertiefte Konzentration – im Unterschied zum auto-
geringem Vorwissen verhielt es sich dagegen umgekehrt: matisierten und „bewusstlosen“ Abarbeiten von Auf-
Bei diesen Lernenden entwickelte sich die Motivation gaben – sowie die Fokussierung auf die zu trainierenden
positiver, wenn sie im traditionellen Unterricht statt im spezifischen Fertigkeiten bzw. Leistungen. Bei „deliberate
4 kooperativen Setting lernten. Erklärbar ist die ungünstige practice“ handelt es sich demnach um eine Übungspraxis,
Motivationsentwicklung der leistungsschwächeren die die Lernenden herausfordert und zu anspruchsvollen
Schülerinnen und Schüler im kooperativen Setting mög- Aktivitäten anregt. Die entsprechende Forschung, die vor
licherweise mit den erheblichen Anforderungen, die allem Lernende mit hoher und geringer Expertise ver-
die kooperative Methode „group investigation“ an die gleicht, kann erhebliche Zusammenhänge zwischen dieser
Selbststeuerungsfähigkeiten der Lernenden stellt, mit Art des Übens und den Leistungen der Lernenden nach-
den beträchtlichen – dieser Methode innewohnenden – weisen (Ericsson et al. 1993; Hattie 2017; Hattie und Yates
Freiheitsgraden, welche sich ungünstig auf die 2014; Lehtinen et al. 2017; Macnamara et al. 2014).
Motivation auswirken können (7 Abschn. 4.1.3, 7 Exkurs Auch die fachdidaktische Forschung stellt die
„Motivationsförderung durch offenen Unterricht?“) und Bedeutung des Übens für den Lernprozess heraus (z. B.
ggf. mit einer Beeinträchtigung des Kompetenzerlebens der für die Mathematik: Grouws und Cebulla 2000). Dabei
schwächeren Schülerinnen und Schüler (7 Abschn. 4.1.3, wird meist darauf verwiesen, dass positive Effekte von
„Konstruktivistische Ansätze“). Übungen am ehesten dann zu erwarten sind, wenn ein aus-
reichendes konzeptionelles Verständnis beim Lernenden
vorhanden ist. Van Gog et al. (2011) weisen z. B. für eine
4.2.5  Üben Unterrichtseinheit zum Thema Widerstand und Strom-
kreis nach, dass die Förderung des konzeptuellen Verständ-
Üben und Wiederholen sind vor allem für den langfristigen nisses durch die Auseinandersetzung mit Lösungsbeispielen
Lernerfolg von Bedeutung, da entsprechende Prozesse zum und daran anschließende Übungsaufgaben wirksamer
einen eine wichtige Rolle bei der Festigung, Anwendung sind als die umgekehrte Reihenfolge, die Lernenden erst
und beim Transfer von Wissen spielen, zum anderen der mit Übungsaufgaben und dann mit Lösungsbeispielen zu
kognitiven Entlastung des Lernenden dienen und somit konfrontieren. Rittle-Johnson et al. (2001) belegen für das
Möglichkeiten für den Erwerb neuen Wissens schaffen. Thema Dezimalzahlen wechselseitige Zusammenhänge
Für den Lern- bzw. Wissenserwerbsprozess übernehmen zwischen der Entwicklung konzeptuellen Verständnisses
Übungen und Wiederholungen damit eine entscheidende und prozeduraler Fertigkeiten. Die Leseforschung ver-
Funktion und spielen demzufolge in vielen Instruktions- deutlicht wiederum, dass wiederholtes Lesen der gleichen
theorien und -modellen eine wichtige Rolle (Aebli 1983; Textabschnitte (repeated reading) erhebliche Effekte auf
Anderson 2001; 7 Abschn. 4.1.3). Dementsprechend wird die Leseflüssigkeit und das Leseverständnis hat (Therrien
auch in Standardwerken zum Thema Unterrichtsquali- 2004), was so interpretiert wird, dass sich der erreichte
tät immer wieder auf die Bedeutung des Übens für den Routinierungsgrad im Lesen kognitiv entlastend aus-
Lernprozess hingewiesen (Brophy 2000; Borich 2007). wirkt und demzufolge eine wichtige Voraussetzung für
Als allgemein anerkannt gilt, dass Training und Übung hierarchiehöhere Kompetenzen im Lesen darstellt.
geringe Fähigkeiten und Begabung zumindest partiell Als empirisch gut bestätigt gilt, dass verteiltes
kompensieren können. Üben grundsätzlich effektiver ist als massiertes (Cepeda
Bei der Analyse des Forschungsstands fällt auf, dass es et al. 2006; Donovan und Radosevich 1999; Cepeda
wenig aktuelle Studien aus dem Bereich der Unterrichts- et al. 2006; Dunlosky et al. 2013; Rohrer und Taylor
forschung zur Wirksamkeit des Übens gibt. Marzano et al. 2006; Seabrook et al. 2005; Sobel et al. 2011). Aktuelle
(2000) unterziehen die verfügbaren älteren Studien einer Forschungen zeigen zudem, dass das Behalten lang-
Metaanalyse und ermitteln für das Merkmal „Hausaufgaben fristig gesteigert werden kann, wenn (Übungs-)Auf-
und Übungen“ eine Effektstärke von d = 0,77, was einen gaben vermischt bzw. verschachtelt dargeboten werden.
beträchtlichen Effekt darstellt. Beim verschachtelten Üben werden Aufgaben zu mit-
Durch Befunde benachbarter Disziplinen wird die einander in Beziehung stehenden Inhalten (Kategorien)
Bedeutung des Übens unterstrichen. Unter dem Begriff verschachtelt und abwechselnd (abcabcabc) dargeboten
„deliberate practice“ wird das zielgerichtete, bewusste und (Rohrer und Taylor 2007; Taylor und Rohrer 2010). Bei
anspruchsvolle Üben in Domänen wie Musik, Schach und geblockten Übungen, was dem typischen Vorgehen in der
Sport verstanden Hierbei geht es weniger um die Auto- Schule entspricht, werden die Aufgaben der jeweiligen
matisierung von Fertigkeiten, sondern um deren stetige Inhalte getrennt und geblockt bearbeitet bzw. geübt
Unterricht
91 4
(aaabbbccc): Nach der Einführung eines Inhalts a wird gelerntes Wissen rekonstruiert und abgefragt wird (vgl.
dieser Inhalt, häufig aber eben nur dieser Inhalt, sofort Dunlosky et al. 2013; Roediger und Karpicke 2006a, b).
geübt, bevor ein neuer Inhalt b eingeführt und geübt Das eigene Wissen zu testen, stellt somit auch eine wert-
wird. Während für kurzfristiges Behalten und Lernen volle Lerngelegenheit dar. Darüber, wie sich dieser Testeffekt
geblockte Lern- und Übungseinheiten teilweise effektiver erklären lässt, liegen unterschiedliche Annahmen vor: Zum
sind, erweisen sich verschachtelt arrangierte Übungen einen werden direkte Effekte angenommen, wonach durch
für den längerfristigen Lern- und Behaltenserfolg als das Testen und Abrufen des Wissens die Wahrscheinlich-
überlegen (Brunmair und Richter 2019; Dunlosky et al. keit steigt, dass neue Informationen mit der bestehenden
2013; Kornell und Bjork 2008; Taylor und Rohrer 2010; kognitiven Struktur verknüpft und dadurch leichter
Rohrer 2012). Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei erinnert werden. Zum anderen lassen sich auch indirekte
einem erheblichen Teil dieser Studien um Laborstudien Effekte annehmen, wonach das Testen Wissenslücken
mit älteren Lernenden handelt und dass die Lern- bzw. bewusst macht und eine Feedbackfunktion beinhaltet
Übungsinhalte in diesen Studien mitunter wenig komplex (Roediger et al. 2011).
sind (vgl. Brunmair und Richter 2019; Ausnahmen: z. B. Wie lang dürfen oder sollen die Zeiträume zwischen
Nemeth et al. 2019, im Druck; Rohrer et al. 2020; Ziegler den Übungseinheiten sein? Lange ging man davon
und Stern 2016). Eine mögliche Erklärung für den Vor- aus, dass es sinnvoll sei, die Zeitintervalle zwischen den
teil verschachtelten Übens ist, dass Lernende durch die Wiederholungsphasen sukzessive auszudehnen. Studien
abwechselnde Behandlung verschiedener Übungsinhalte können dies jedoch bislang nicht bestätigen. Donovan und
mehr Mühe aufwenden müssen, um Informationen aus Radosevich (1999) zeigen, dass zu lange Zeiträume zwischen
dem Gedächtnis abzurufen, was langfristig zu einem nach- den Übungseinheiten den Übungserfolg schmälern können.
haltigeren Lernen führt (Bjork und Bjork 2011). Zudem Cepeda et al. (2006) berichten in ihrer Metaanalyse von
lässt sich die Überlegenheit verschachtelter Lern- und einer uneinheitlichen Befundlage: Während einige Studien
Übungseinheiten mit der „discriminative-contrast“ Hypo- nachweisen, dass mit einer Vergrößerung der Zeiträume
these erklären (Birnbaum et al. 2013). Sie besagt, dass die zwischen den Übungsphasen ein höherer Lernzuwachs ver-
abwechselnde Behandlung von ähnlichen Lerninhalten die bunden ist, gelangen andere Studien zu dem Ergebnis, dass
Lernenden zu kognitiv anspruchsvollen Aktivitäten des gleich lange Zeiträume vorteilhafter sind. Ein Grund für die
Vergleichens und Diskriminierens anregt und hierdurch inkonsistente Forschungslage könnte sein, dass der Übungs-
auch zum Aufbau flexibel anwendbaren Wissens beiträgt. erfolg nicht nur von den Zeiträumen zwischen den Übungs-
Lernende zum Vergleichen herauszufordern, gilt in der einheiten, sondern auch davon abhängig ist, wie lange und
Forschung wiederum als sehr fruchtbare und lernwirksame nachhaltig das Wissen behalten werden soll. Je nachhaltiger
didaktische Maßnahme (7 Abschn. 4.2.6; Lipowsky et al. und länger der Übungsstoff behalten werden soll, desto
2019; ­Rittle-Johnson und Star 2011). länger dürfen die Zeiträume zwischen den Übungseinheiten
Zusammenfassend ist daher davon auszuegen, dass ver- sein (Cepeda et al. 2008). Soll der Lernende das Wissen
schachteltes Üben mit einer deutlich höheren kognitiven noch nach fünf Jahren erinnern, so sollten die Übungsein-
Aktivierung der Lernenden verbunden ist als geblocktes heiten 6–12 Monate auseinanderliegen. Geht es dagegen
Üben (7 Abschn. 4.2.6; Lipowsky et al. 2019). Es lässt um das Behalten für eine Woche, so sollten die Zeiträume
sich daher auch als eine wünschenswerte Erschwernis zwischen den Übungseinheiten nicht länger als 12–24 h sein
begreifen, welche das Lernen zunächst schwerer, langfristig (Cepeda et al. 2008).
aber effektiver macht (Bjork und Bjork 2011; Brunmair und Die berichteten Ergebnisse zum verteilten Üben (s. o.)
Richter 2019; Lipowsky et al. 2015). lassen positive Effekte des sogenannten Overlearning – also
Ganz ähnliche Unterschiede zwischen kurz- des Weiterübens einer Tätigkeit, die man eigentlich schon
fristigem und langfristigem Behalten zeigen Studien zum beherrscht – fraglich erscheinen. Während frühere Studien
sogenannten Testeffekt: Demnach ist es für das langfristige positive Effekte für das Overlearning nachweisen konnten
Behalten besser, wenn sich Lernende nach einer einmaligen (vgl. zsf. Klauer und Leutner 2007), gelangen neuere Unter-
Lese- bzw. Lernphase selbst testen und ihr Wissen prüfen, suchungen eher zu dem Fazit, dass das Overlearning weder
als wenn sie den zu lernenden Text nochmals lesend durch- einen kurz- noch einen langfristigen Effekt hat (Rohrer
arbeiten und studieren. Für den kurzfristigen Lern- und 2009; Rohrer und Taylor 2006).
Behaltenserfolg erweisen sich zwar nacheinander durch- Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Übungen
geführte Studiums- bzw. Wiederholungsphasen als dann vergleichsweise wirkungslos verpuffen, wenn die
effektiver, langfristig bringt es jedoch mehr, wenn einmal Lernenden die auszuführenden Tätigkeiten bereits beherrschen
92 F. Lipowsky

und wenn die Übungsaufgaben keine Variationen und 5 allgemein gesprochen eine diskursive Unterrichtskultur
Herausforderungen beinhalten (Bjork 1994). Hier zeigen sich pflegt, in der sich die Lernenden intensiv über inhalt-
interessante Parallelen zu den Empfehlungen von Aebli (1976, liche Konzepte und Ideen austauschen (vgl. Lipowsky
1983). Die Konzepte des verschachtelten, des verteilten und und Hess 2019).
des bewussten, zielgerichteten Übens sowie der Testeffekt
lassen auch Verbindungen zum Konstrukt der kognitiven Korrespondierend hierzu lässt sich auf der Ebene der
Aktivierung erkennen, weil Lernende hierbei kognitiv Angebotsnutzung dann von einem vergleichsweise
besonders herausgefordert werden. kognitiv aktivierenden Unterricht ausgehen, wenn die
4 Lernenden kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben,
also z. B. Argumente austauschen, Querverbindungen zu
4.2.6  Kognitive Aktivierung anderen Themen oder Konzepten herstellen, Lösungs- und
Bearbeitungswege erläutern, vergleichen und beurteilen,
Aus einer kognitiv-konstruktivistischen Sicht verspricht Vermutungen formulieren, Fragen stellen, Antworten
Unterricht dann erfolgreich – im Sinne der Förderung eines und Lösungen hinterfragen und ihr Wissen auf andere
vertieften Verständnisses – zu sein, wenn er Lernende zum ver- Situationen übertragen.
tieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinander- Eine besondere Rolle in einem kognitiv aktivierenden
setzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt. Damit wird Unterricht werden dem fachlichen Niveau der didaktischen
das Konstrukt der kognitiven Aktivierung umschrieben, ein Kommunikation und der Art und Weise beigemessen, wie
vergleichsweise junges Konstrukt in der Unterrichtsforschung, Schülerbeiträge im Unterrichtsgespräch aufgegriffen und
das von Baumert und Klieme in Abgrenzung zu anderen Basis- weiterentwickelt werden (Brophy 2000; Learning Mathematics
dimensionen der Unterrichtsqualität, wie Schülerorientierung for Teaching Project 2010; Matsumura et al. 2013; Menke und
und Klassenführung, in die Diskussion eingeführt wurde Pressley 1994; Pauli und Reusser 2015; Walshaw und Anthony
(Baumert et al. 2004; Klieme et al. 2006). International werden 2008). Die Forschungslage zu Bedeutung solcher diskursiven
für einen anregenden, herausfordernden Unterricht auch Unterrichtsgespräche ist jedoch uneinheitlich und noch ver-
Begriffe wie „higher order questions“, „higher order thinking“, gleichsweise dünn (Heller und Morek 2019).
„challenging tasks“, „thoughtful discourse“, „authentic Theoretisch weist das Konstrukt der kognitiven
instruction“ oder „instructional support“ verwendet (vgl. Aktivierung u. a. Bezüge zu den Theorien von Vygotsky
Brophy 2000; Hattie 2009, 2012; Louis und Marks 1998; Hamre und Piaget und zu konstruktivistischen Theorien des
und Pianta 2010), wobei mit diesen Begriffen teilweise unter- Wissenserwerbs auf. Der inhaltliche Austausch mit
schiedliche Facetten kognitiver Aktivierung betont werden. anderen Menschen, insbesondere mit kompetenteren Mit-
Inwieweit Lernende kognitiv aktiviert und stimuliert lernenden und Erwachsenen, wird von Vygotsky (1978)
werden, lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird als zentrale Voraussetzung für die allmähliche Verinner-
in der Regel über verschiedene Indikatoren approximativ lichung von neuen Konzepten, Strategien und für den Auf-
zu erfassen versucht. Diese beziehen einerseits Merkmale bau von neuem Wissen verstanden (7 Abschn. 4.2.4). Der
des Unterrichtsangebots, andererseits Aspekte der Nutzung Ansatz von Vygotsky wie auch das Konstrukt der kognitiven
dieses Angebots durch die Lernenden ein. Indikatoren Aktivierung betonen gleichermaßen die Bedeutung der fach-
des Unterrichtsangebots umfassen vor allem Aspekte des gebundenen Interaktion für den Aufbau von neuem Wissen.
Lehrerverhaltens. Die Lehrperson kann den Prozess der Die Konfrontation der Schülerinnen und Schüler mit
kognitiven Aktivierung initiieren und befördern, indem sie anderen Standpunkten und Sichtweisen bzw. die Initiierung
5 die Lernenden mit kognitiv herausfordernden Aufgaben von Widersprüchen stellt eine Voraussetzung für das Ent-
konfrontiert, zu deren Lösung die Lernenden einen Teil stehen kognitiver Konflikte dar, die im Sinne Piagets (1985)
der erforderlichen Informationen selbst generieren, als Motor für die Weiterentwicklung kognitiver Strukturen
finden und/oder verknüpfen müssen, betrachtet werden. Theoretische Basis für diese Annahmen
5 die Lernenden auf Unterschiede in inhaltsbezogenen bildet das sogenannte Äquilibrationskonzept, also das
Ideen, Konzepten, Positionen, Interpretationen und Bestreben des Lernenden, ein Gleichgewicht zwischen den
Lösungen aufmerksam macht und Raum gibt, diese zu existierenden Vorstellungen und Konzepten einerseits und
vergleichen und zu analysieren, neuen Informationen und Erfahrungen andererseits herzu-
5 kognitive Konflikte und Widersprüche induziert, stellen. Der Impuls zum Aufbau und zur Weiterentwicklung
5 die Lernenden anregt, ihre Gedanken, Konzepte, Ideen kognitiver Strukturen erfolgt dadurch, dass der Lernende
und Lösungswege darzulegen und zu erläutern, mit Informationen, Erfahrungen oder Phänomenen
5 anregende und herausfordernde Fragen bzw. Auf- konfrontiert wird, die im Widerspruch zu seinen bisherigen
gaben stellt, die zu Begründungen, Vergleichen und Konzepten stehen und die ihn erkennen lassen, dass seine
Verknüpfungen neuer Informationen mit bereits bisherigen Vorstellungen nicht mehr tragfähig sind und
bestehendem Wissen anregen, neue Konzepte plausibler erscheinen (7 Abschn. 4.2.4).
5 den Erwerb fachbezogener Lernstrategien gezielt Die Forschungsbasis zu Wirkungen eines kognitiv
fördert und die Lernenden immer wieder anregt, die aktivierenden Unterrichts hat sich in den letzten Jahren ver-
erworbenen Strategien zu nutzen, und breitert, insbesondere wenn man auch verwandte Konzepte,
Unterricht
93 4
wie sie oben erwähnt wurden (z. B. verschachteltes Üben, eines kognitiv anregenderen Diskussions- und Unterrichts-
„higher order questions“), einbezieht und berücksichtigt. gesprächsklimas und die Weiterentwicklung der Frage-
Viele Studien liegen zum Mathematikunterricht vor. technik von Lehrpersonen erklären.
Klieme et al. (2001) konnten auf der Basis der Daten aus der Für naturwissenschaftlichen Unterricht ergeben sich
­TIMSS-Videostudie 1995 positive Zusammenhänge zwischen Hinweise auf positive Effekte eines kognitiv aktivierenden
der kognitiven Aktivierung der Lernenden und dem Lern- Unterrichts z. B. durch die Studien von She und Fisher
zuwachs nachweisen, dabei wurde jedoch der Mehrebenen- (2002) und von Zohar und Dori (2003, auch Zohar 2004).
charakter der Daten nicht berücksichtigt. In dem Projekt In einer Unterrichtseinheit zum Schwimmen und Sinken
„Unterrichtsqualität, Lernverhalten und mathematisches ermittelten Fauth et al. (2014a) positive Effekte kognitiver
Verständnis“ (Pythagorasstudie) stellten Lipowsky et al. Aktivierung – erfasst aus der Sicht der Lernenden – auf das
(2009), nach Kontrolle diverser Lernvoraussetzungen und naturwissenschaftliche Interesse der Grundschüler. Das von
klassenspezifischer Bedingungen, einen positiven, wenn- Beobachtern eingeschätzte Potenzial kognitiver Aktivierung
gleich schwachen Effekt der von externen Beobachtern konnte wiederum den Lernzuwachs der Schülerinnen und
hoch inferent eingeschätzten kognitiven Aktivierung auf Schüler in der Unterrichtseinheit vorhersagen (Fauth et al.
den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler während 2014b; Decristan et al. 2015b). Seidel et al. (2003) zeigen, dass
einer dreistündigen Unterrichtseinheit zur „Satzgruppe des ein wenig kognitiv aktivierender Unterricht, gemessen an
Pythagoras“ fest. Pauli und Reusser (2015) analysierten die der Engführung von Unterrichtsgesprächen, negative Aus-
Lehrer-Schüler-Interaktion im öffentlichen Klassengespräch
­ wirkungen auf die Interessensentwicklung von Schülerinnen
des videografierten Pythagorasunterrichts genauer. Mittels und Schülern der Mittelstufe in Physik hat. Dorfner et al.
niedrig inferenter Kodierungen wurden u. a. der Anteil von (2018) weisen nach, dass sich die von Beobachtern ein-
Lehreräußerungen erfasst, mit denen die Schülerinnen und geschätzte kognitive Aktivierung im Biologieunterricht
Schüler aufgefordert wurden etwas zu begründen oder zu positiv auf das situationale Interesse von Lernenden in einer
erläutern, der Anteil kognitiv herausfordernder Lehrer- Unterrichtseinheit zum Thema Botanik auswirkt.
fragen, der Anteil gleichberechtigter Schüleräußerungen (in Im Vergleich zu den beiden anderen Basisdimensionen
Abgrenzung zu Schüleräußerungen, die lediglich eine Stich- von Unterrichtsqualität, der effektiven Klassenführung
wortfunktion erfüllten) und der Anteil der Schüleräußerungen, (7 Abschn. 4.2.1 und 7 Kap. 5) und dem unterstützenden
die eine Begründung enthielten. Diese vier Kategorien ließen Unterrichtsklima (7 Abschn. 4.2.8), scheint die Stabilität
sich faktorenanalytisch zu der Dimension „anspruchsvolle der kognitiven Aktivierung geringer zu sein, d. h. sie kann
mathematische Diskussionen“ verdichten, deren Ausprägung von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit variieren und
mehrebenenanalytisch den Lernerfolg der Schülerinnen und hängt offenbar auch stärker von Merkmalen des zu unter-
Schüler in der dreistündigen Unterrichtseinheit „Einführung in richtenden Inhalts ab (vgl. Praetorius et al. 2014).
den Satz des Pythagoras“ positiv vorhersagen konnte. Betrachtet man die Operationalisierungen der kognitiven
Im COCATIV-Projekt ermittelten Baumert und Aktivierung in den einzelnen Studien genauer, so fällt auf,
Kollegen (2010) einen positiven Effekt der kognitiven dass es sich um ein multidimensionales und facettenreiches
Aktivierung auf den Lernzuwachs von Lernenden im Konstrukt handelt, das je nach Fach unterschiedlich kon-
Mathematikunterricht des 10. Schuljahrs, wobei die zeptualisiert wird. Zudem werden unterschiedliche Quellen
kognitive Aktivierung des Unterrichts hier über das zur Messung kognitiver Aktivierung genutzt: Zum einen
Anspruchsniveau der in Klassenarbeiten eingesetzten Auf- wird der Fokus auf das Handeln der Lehrperson gerichtet,
gaben erfasst wurde (vgl. auch Kunter und Voss 2011). zum anderen auf die Nutzung dieses Angebots durch die
Auch Befunde des amerikanischen QUASAR-Projekts Lernenden. Entsprechend wird die kognitive Aktivierung
(Stein und Lane 1996), des britischen CAME-Projekts in einigen Studien über Unterrichtsbeobachtungen und
(Shayer und Adhami 2007), Ergebnisse einer kleinen Studie Aufgabenanalysen erfasst, in anderen Studien über die
von Hiebert und Wearne (1993) sowie Befunde mehrerer Befragung und Beobachtung der Lernenden.
qualitativer mathematikdidaktischer Studien, die Hiebert Eine spezifische Strategie zur kognitiven Aktivierung
und Grouws (2007) zusammenfassen, verweisen auf die stellt die Anregung der Lernenden zum Vergleichen dar
positiven Effekte eines Unterrichts, der sich durch eine (Rittle-Johnson und Star 2011). Vergleichen beschreibt eine
höhere Anzahl kognitiv anspruchsvoller Aufgaben und fundamentale kognitive Aktivität, die häufig mit anspruchs-
durch die kognitiv anspruchsvolle Auseinandersetzung vollen kognitiven Verarbeitungsprozessen einhergeht,
mit zentralen mathematischen Kernideen auszeichnet. Prozesse des Argumentierens und Schlussfolgerns nach
Taylor et al. (2003) konnten ähnliche Befunde für die Lese- sich zieht und zu einem tieferen konzeptuellen Verständ-
leistungen von benachteiligten Grundschülern ermitteln: nis des Lerngegenstands beiträgt. Die Forschung unter-
Demnach wurden die Leseleistungen der Lernenden sucht beispielsweise, wie wirksam es ist, wenn Lernende
vor allem dann gefördert, wenn die Lehrpersonen die Lösungsbeispiele, Lösungsstrategien, Bearbeitungsver-
Lernenden zu kognitiv anspruchsvollen Aktivitäten fahren, richtig und falsch gelöste Aufgaben, korrekte und
anregten (vgl. auch Menke und Pressley 1994). In der inkorrekte Abbildungen oder Probleme miteinander ver-
amerikanischen Studie von Matsumura et al. (2013) ließ gleichen, deren Lösungen auf ähnlichen Prinzipien beruhen
sich der Zuwachs an Lesekompetenzen durch die Schaffung (Lipowsky et al. 2019; 7 Kap. 17). In einer Studie im Fach
94 F. Lipowsky

Mathematik konnten Rittle-Johnson und Star (2007) am Interventionsmaßnahmen, in denen Schülerinnen und
Beispiel von Aufgaben zum Thema „lineare Gleichungen“ Schüler kognitive Lernstrategien erwerben und anwenden
beispielsweise zeigen, dass Schülerinnen und Schüler ein lernen, lassen sich ebenfalls als spezifische Maßnahmen zur
höheres prozedurales Wissen und eine höhere Flexibilität kognitiven Aktivierung von Lernenden begreifen (7 Kap. 3).
erwerben, wenn sie aufgefordert werden, unterschiedliche Es gibt zahlreiche empirische Belege hierfür, dass solche
Schülerlösungen zu einer Aufgabe zu vergleichen, anstatt Schülertrainings zum Erwerb und zur Förderung von fach-
nacheinander (sequenziell) Aufgabenlösungen zu ver- spezifischen kognitiven Lernstrategien wirksam sind und
schiedenen Aufgaben zu analysieren. Mehrere Studien von schulische Leistungen fördern können (7 Abschn. 4.2.7).
4 Ziegler und Stern (2014, 2016) unterstreichen das Potenzial Entsprechend wirksame Interventionsmaßnahmen liegen
von Lernumgebungen, die Lernende zum Vergleichen für das Lernen in Mathematik (z. B. Dreher et al. 2018;
herausfordern. Der schulische Inhalt, um den es in diesen Perels et al. 2005; Werth 2014), für das Lesen (Souvignier
Studien ging, war die Vereinfachung von Termen. Die und Mokhlesgerami 2006; Philipp und Schilcher 2012), das
Lernenden der Experimentalbedingung wurden – ähnlich Schreiben (z. B. Graham et al. 2005; Glaser und Brunstein
wie beim verschachtelten Lernen – abwechselnd mit Auf- 2007; Hanisch 2018) und für das Lernen in den Natur-
gaben zur Addition (z. B. xy + xy + xy oder m + m + a + m + a) wissenschaften (z. B. Labuhn et al. 2008; Leopold und
und Multiplikation (z. B. xy ∙ xy ∙ xy oder m ∙m ∙ a ∙ m ∙ a) Leutner 2012) vor. Hierbei werden Lehrkräfte in der Regel
konfrontiert und zusätzlich durch verschiedene Auf- zunächst fortgebildet, welche dann wiederum das Training
gabenstellungen explizit zum Vergleichen der Aufgaben in ihrem Unterricht implementieren.
und Prozeduren aufgefordert. Die Lernenden in der Nicht nur das Training fachspezifischer kognitiver
Kontrollbedingung bearbeiteten, wie üblich, zunächst die Strategien erweist sich als wirksam, sondern auch das
Additions- und dann die Multiplikationsaufgaben. Beide Training von kognitiven Strategien und Arbeitstechniken
Studien kommen zu ähnlichen Befunden: Während in der (Hattie 2009), die sich fachübergreifend einsetzen lassen,
eigentlichen Lernphase die Schülerinnen und Schüler der wie z. B. das Erstellen von Concept Maps (Nesbit und
sequenziellen Bedingung bessere Leistungen zeigten als die Adesope 2006; Nückles et al. 2004). Erklärt werden die
Lernenden der vergleichenden Bedingung, kehrt sich dieses lernförderlichen Effekte dieser Organisationsstrategie u. a.
Ergebnismuster nach Abschluss der eigentlichen Lern- damit, dass die Lernenden beim Erstellen von Concept
phase komplett um. Die Lernenden der vergleichenden Maps zu einem höheren kognitiven Engagement heraus-
Bedingung wiesen deutlich bessere Leistungen auf und gefordert sind und intensiv darüber nachdenken, wie die zu
erwarben somit nachhaltigere Kompetenzen, während strukturierenden Begriffe zusammenhängen.
die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in der
sequenziellen Bedingung schneller verblassten.
In einer Studie der Arbeitsgruppe um Chi (Gadgil et al. 4.2.7  Metakognitive Förderung
2012) wurde eine Gruppe von Lernenden mit einer korrekten
Abbildung eines naturwissenschaftlichen Konzepts (Blut- In enger Verbindung mit der kognitiven Aktivierung der
kreislauf) und einer Abbildung, die eine typische Fehlvor- Lernenden stehen Aktivitäten der Lehrperson, die auf eine
stellung repräsentierte, konfrontiert. Außerdem wurden metakognitive Förderung der Schülerinnen und Schüler
die Schüler über Prompts aufgefordert, beide Abbildungen abzielen. Metakognitive Förderung steht dabei für eine Reihe
zu vergleichen. Eine zweite Gruppe von Lernenden erhielt von Maßnahmen der Lehrperson, die dazu beitragen, bei
nur die korrekte Abbildung mit der Aufforderung, diese zu Lernenden Wissen über kognitive Funktionen im Allgemeinen
erklären. Beide Gruppen erhielten zudem den gleichen Sach- und über das eigene Lernen im Speziellen aufzubauen
text zum Thema. Der Vergleich der beiden Schülergruppen sowie Fähigkeiten der Planung, Steuerung, Regulation und
ergab, dass die „vergleichende“ Gruppe ein höheres Fakten- Bewertung weiterzuentwickeln (Hasselhorn und Labuhn 2008).
wissen erwarb, ihre Misskonzepte häufiger aufgab und mehr Die Befundlage zur Förderung der Metakognition ist ver-
korrekte Schlussfolgerungen entwickelte als die Gruppe, die gleichsweise robust: Maßnahmen, die der metakognitiven
lediglich die eine korrekte Abbildung erhielt. Förderung der Lernenden dienen, haben nicht nur das
Diese Befunde zur Wirksamkeit von Lernumgebungen, Potenzial, den Erwerb von Lernstrategien zu unterstützen,
die Lernende zum Vergleichen anregen, lassen sich in Ver- sondern wirken sich darüber hinaus auch auf den Lern-
bindung bringen mit den oben berichteten Ergebnissen erfolg von Schülerinnen und Schülern aus, insbesondere
zum verschachtelten Üben und mit den Metaanalysen wenn es sich um systematische Trainings handelt (vgl. z. B.
von Marzano et al. (2000) und Dean et al. (2012), wonach Dignath et al. 2008; Hattie 2009; Hattie et al. 1996; Kramarski
Lernaktivitäten, die die Identifizierung von Gemeinsam- und Mevarech 2003; Veenman et al. 2006; Wang et al. 1993;
keiten und Unterschieden und damit Vergleichsprozesse Zohar und David 2008). So erweisen sich z. B. Maßnahmen,
evozieren, besonders lernwirksam sind (7 Abschn. 4.2.5; die die Lernenden zur Selbstverbalisierung, Selbsterklärung
Lipowsky et al. 2019). Auch die Metaanalyse von Alfieri und Selbstbewertung des eigenen Lernprozesses anregen, als
et al. (2013) verweisen auf das besondere Potenzial von Auf- überaus erfolgreich (Bisra et al. 2018; Dunlosky et al. 2013;
gabenstellungen, die Lernende zum Vergleichen anregen. Hattie 2009; Chi et al. 1989; Rittle-Johnson und Loehr 2017).
Unterricht
95 4
Erklärbar sind die Effekte dieser metakognitiven Trainings (Gruehn 2000). So kann Klima zum einen die emotionale
auf schulische Leistungen auch dadurch, dass metakognitives Grundtönung der Lehrer-Schüler-Beziehung, zum
Wissen und schulische Leistungen positiv zusammenhängen anderen die Grundorientierungen und Werthaltungen
(z. B. Lingel et al. 2014). der am Schulleben beteiligten Personen oder die von
Dignath et al. (2008) werteten für ihre Metaanalyse den Lernenden wahrgenommene Lernumwelt meinen
insgesamt 48 Studien aus, die zwischen 1992 und 2006 (Eder 2001). Als wahrgenommene Lernumwelt kann
publiziert wurden und in denen Grundschüler (bis Klassen- Klima wiederum die Wahrnehmungen der einzelnen
stufe 6) im selbstregulierten Lernen systematisch trainiert Schülerinnen und Schüler oder die Wahrnehmungen einer
wurden. Die Trainings intendierten u. a. die Förderung ganzen Klasse repräsentieren. Im ersten Fall spricht man
kognitiver, motivationaler und/oder metakognitiver vom individuellen Klima, im zweiten Fall vom geteilten
Lernstrategien in den Domänen Lesen, Schreiben oder kollektiven Klima. In neueren Arbeiten wird das
oder Mathematik. Die Trainings, die sich auf das Fach unterstützende Unterrichtsklima v. a. über die kollektive
Mathematik bezogen, erzielten eine mittlere Effektstärke Wahrnehmung einer Lerngruppe (Göllner et al. 2016),
von d = 1,0, was einem starken Effekt entspricht (Lesen/ über die Befragung der Lehrpersonen und/oder über die
Schreiben: d = 0,44). Für mathematische Leistungen waren Einschätzung externer Beobachter erfasst.
insbesondere solche Trainings wirksam, die entweder meta- Nicht nur die Quellen, die zur Erfassung des unter-
kognitive und kognitive (d = 1,03) oder metakognitive und stützenden Unterrichtsklimas bzw. der konstruktiven
motivationale Strategien (d = 1,23) kombiniert vermittelten. Lernunterstützung herangezogen werden, unter-
In einer der von Dignath et al. (2008) ausgewerteten scheiden sich von Studie zu Studie, sondern auch die
Studien wurden Mathematiklehrpersonen der Klassen- Operationalisierungen. In einigen Studien sind mit unter-
stufen 3–8 darin trainiert, ihre Schüler in besonderer Weise stützendem Unterrichtsklima bzw. konstruktiver Lern-
metakognitiv zu fördern (Cardelle-Elawar 1995). So regten unterstützung u. a. der gegenseitige wertschätzende
die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler durch die Umgang von Lehrperson und Lernenden die Empathie,
Modellierung des erwünschten Verhaltens immer wieder dazu die Fürsorge und das Interesse der Lehrperson an den
an, sich selbst zu fragen, worin die Frage bzw. das Problem Belangen der Lernenden sowie der konstruktive und
bei der jeweiligen Aufgabe besteht, ob alle für die Problem- geduldige Umgang der Lehrperson mit Fehlern gemeint.
lösung erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen Teilweise wird bei der Operationalisierung auch stärker auf
und welche Lösungsschritte und welche arithmetischen die fachliche und adaptive Unterstützung der Lernenden
Operationen ausgeführt werden sollen. Außerdem wurden die durch die Lehrperson abgehoben. Erfasst wird dann bei-
Lernenden am Schluss einer Unterrichtseinheit aufgefordert, spielsweise, inwieweit die Lehrperson ein adäquates Inter-
zu reflektieren, was sie gelernt und was sie über sich in der aktionstempo realisiert, inwieweit sie Verständnisprobleme
Auseinandersetzung mit der Bearbeitung des mathematischen ihrer Lernenden bemerkt und inwiefern sie Hilfestellungen,
Problems erfahren haben. Der Vergleich mit einer Kontroll- konstruktives Feedback und besondere Strukturierungen
gruppe von Schülerinnen und Schülern, die traditionell unter- anbietet (Lipowsky und Bleck 2019; Kunter und Trautwein
richtet wurden, ergab, dass die metakognitiv geförderten 2013; Kunter und Voss 2011). Mitunter werden mit einem
Lernenden – langfristig betrachtet – höhere Leistungszuwächse unterstützenden Unterrichtsklima bzw. einer konstruktiven
erzielten, dem Fach Mathematik eine höhere Bedeutung Lernunterstützung auch ein schülerorientierter Unterricht,
beimaßen und ein höheres mathematikbezogenes Interesse die Schaffung von Freiheitsspielräumen und Merkmale
entwickelten als die Lernenden der Kontrollgruppe. wie „higher order thinking“ oder „encouraging learning“
Veenman et al. (2006) verweisen nach Durchsicht des (Cornelius-White 2007) assoziiert, wobei sich die letzten
Forschungsstands auf drei Bedingungen, die metakognitive beiden Bedeutungsfacetten eher auf das Potenzial zur
Förderung im Unterricht erfolgreich machen. Zum einen kognitiven Aktivierung beziehen als auf das Klima des
sollte die metakognitive Förderung in den Fachunterricht Unterrichts.
integriert, also nicht separat betrieben werden, zweitens Die uneinheitliche Operationalisierung des ­unter­­stützenden
sollten die Lernenden über den Nutzen metakognitiver Klimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung findet
Aktivitäten informiert werden und drittens sollte ein aus- auch in inkonsistenten Forschungsergebnissen ihren
führliches und längeres Training stattfinden. Niederschlag. Ein erster Blick in die englischsprachige
Literatur offenbart nur scheinbar ein relativ einheit-
liches Bild: Darin findet man häufig Hinweise darauf, dass
4.2.8  Unterstützendes Unterrichtsklima ein gutes Unterrichtsklima und eine positiv ausgeprägte
Lehrer-Schüler-Beziehung zentrale Voraussetzungen für
In der Schul- und Unterrichtsforschung zählt der Klima- effektives Lernen sind (z. B. Brophy 2000; Cornelius-White
begriff zu den undeutlichsten Konstrukten überhaupt1 2007; Fraser 1994; Hattie 2009). Berücksichtigt man aber
jene Studien, in denen mit dem Klima die Beziehungsquali-
1 Wegen der begrifflichen Unschärfe des Klimabegriffs ist statt-
tät zwischen Lehrenden und Lernenden erfasst wurde und
dessen auch häufig von konstruktiver Lernunterstützung die Rede die den Einfluss der kollektiven Wahrnehmung auf den
(z. B. Kunter und Voss 2011). Lernzuwachs mehrebenenanalytisch untersuchten, so lassen
96 F. Lipowsky

sich Befunde für direkte Effekte des unterstützenden Unter- sollte. Das aktive Engagement und die höhere Motivation
richtsklimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung auf dürften sich dann wiederum positiv auf den Lernerfolg
den Lernerfolg der Lernenden kaum absichern (Campbell et al. auswirken.
2004; Fauth et al. 2014b; Gruehn 2000; Hamre und Pianta 2005; Für diesen eher indirekten Effekt des Unterrichtsklimas
Helmke 2014; Kunter und Voss 2011; Praetorius et al. 2018). auf den Lernerfolg – über eine höhere Lernmotivation und
Kleickmann et al. (2018) verdeutlichen mit ihrer ein stärkeres Engagement – sprechen vergleichsweise viele
Studie, dass unterschiedlich operationalisierte Unter- empirische Befunde (z. B. Furrer und Skinner 2003; Osterman
stützungsqualitäten unterschiedliche Effekte haben können. 2000). Darüber hinaus belegen Studien, dass ein wert-
4 Sie differenzieren zwischen einer kognitiven und einer schätzender Umgang miteinander, eine warme und fürsorg-
emotionalen Unterstützung und untersuchen die Effekte liche Atmosphäre und ein motivational und emotional
beider Unterstützungsqualitäten – jeweils erfasst durch unterstützendes sowie von Interesse an den Lernenden
externe Rater – auf naturwissenschaftliche Leistungen und geprägtes Lehrerverhalten auf motivationale Zielkriterien
naturwissenschaftliches Interesse von Grundschülern. vielfältig wirken können. Sie haben positiven Einfluss auf
Die kognitiv orientierte Unterstützung operationalisieren das Engagement und die Anstrengungsbereitschaft, das Ver-
sie u. a. über inhaltsbezogenes Feedback, strukturierende halten im Unterricht, das Selbstkonzept, das Autonomie-
Hervorhebungen, Einordnungen und Zusammenfassungen, und Kompetenzerleben, die Motivation und Lernfreude, das
passende Darstellungsformen und inhaltliche Kohärenz. situationale Interesse sowie auf die Selbstwirksamkeit und die
Unter emotionaler Unterstützung verstehen sie u. a. Lob, Zielorientierungen der Lernenden (Ames und Archer 1988;
Fürsorglichkeit, Herzlichkeit und Wärme der Lehrperson Lipowsky und Bleck 2019; Den Brok et al. 2004; Dorfner et al.
sowie eine humorvolle Lernatmosphäre. Während die 2018; Furrer und Skinner 2003; Gabriel 2014; Goodenow 1993;
kognitiv orientierte Unterstützungsqualität einen positiven Katz und Assor 2007; Kunter und Voss 2011; Opdenakker et al.
Effekt auf die Entwicklung des konzeptuellen Verständ- 2012; Reeve 2002; Ryan et al. 1994; Turner et al. 1998; Wentzel
nisses der Schülerinnen und Schüler hat, aber das Interesse 1997; Wubbels und Brekelmans 2005). Allerdings liegen auch
nicht vorhersagen kann, ist die emotionale Unterstützung Studien vor, die keine Effekte des unterstützenden Unter-
für die Entwicklung des Interesses, nicht aber für die Ent- richtsklimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung auf die
wicklung der Leistung prädiktiv. Die uneinheitliche Entwicklung a­ffektiv-motivationaler Variablen nachweisen
Befundlage zum Einfluss des unterstützenden Unterrichts- können (Praetorius et al. 2018). Zu beachten ist ferner, dass
klimas ist somit möglicherweise auch durch Unterschiede die Schaffung eines guten Unterrichtsklimas nicht nur von der
in der Operationalisierung des unterstützenden Klimas Lehrperson, sondern auch von der Klassenzusammensetzung
bzw. der konstruktiven Lernunterstützung zu erklären. abhängig ist.
Dass eine auf das Verstehen der Schülerinnen und
Schüler ausgerichtete Unterstützung für Schulleistungen
und eine auf das emotionale Erleben ausgerichtete Unter- 4.2.9  Innere Differenzierung,
stützung für die Entwicklung affektiv-motivationaler Individualisierung, formatives
Variablen relevant ist, lässt sich mit unterschiedlichen Assessment und Scaffolding als
theoretischen Perspektiven erklären. Als Erklärung Formen adaptiven Unterrichts
für den positiven Effekt der kognitiven Lernunter-
stützung auf die Leistung kommt unter anderen die Maßnahmen zur inneren Differenzierung des Unterrichts
­Cognitive-Load-Theory (7 Kap. 1), aber auch der sozio- und zur Individualisierung des Lernens – neuerdings häufig
kulturelle Ansatz Vygotskys infrage (7 Abschn. 4.2.4, auch als personalisiertes Lernen bezeichnet – werden als
„Kognitive Zielvariablen“). Die Effekte einer emotional zentrale Strategien einer adaptiven Unterrichtsgestaltung
geprägten Lernunterstützung auf affektiv-motivationale betrachtet und gewinnen insbesondere vor dem Hinter-
Merkmale der Schüler lassen sich dagegen u. a. mit der grund heterogener Schulklassen an Relevanz, auch wenn
Kontroll-Wert-Theorie der Leistungsemotionen von
­ Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung
Pekrun (2006; 7 Abschn. 4.2.2, ­„Motivational-affektive Ziel- historisch betrachtet schon lange als schulpädagogische
variablen“ und 7 Kap. 9) und mit der Selbstbestimmungs- Antworten auf die wachsende Heterogenität diskutiert und
theorie von Deci und Ryan (1985; 7 Kap. 7) erklären. auch schulisch umgesetzt werden (z. B. Häcker 2017; Keller
Anknüpfend an die letztgenannte Theorie lässt sich bei- 1968; Scheibe 1994; Stebler et al. 2018; Washburne 1922).2
spielsweise davon ausgehen, dass sich Lernende in Klassen Maßnahmen der Individualisierung verfolgen den
mit einem positiv ausgeprägten Klima, das von gegen- Anspruch, die Lernangebote und -bedingungen an die
seitiger Wertschätzung und von Respekt geprägt ist,
wohler fühlen, positivere Beziehungen zu Mitlernenden
und zu ihrer Lehrperson entwickeln und sich stärker sozial 2 In der schulpädagogischen und bildungspolitischen Diskussion
eingebunden, selbstbestimmter und auch kompetenter ist in diesem Zusammenhang häufig von individueller Förderung
die Rede. Der Begriff wird hier nicht aufgegriffen, weil er in der
erleben, was nach der Selbstbestimmungstheorie eine aktuellen Diskussion häufig normativ und programmatisch ver-
höhere intrinsische Motivation und demzufolge ein wendet wird und nicht klar ist, welche Art von unterrichtlicher
stärkeres Engagement für das Lernen nach sich ziehen Unterstützung hiermit eigentlich gemeint ist.
Unterricht
97 4
Voraussetzungen einzelner Schülerinnen und Schüler gebildet werden, weisen zwar ebenfalls positive Effekte auf die
anzupassen. Demgegenüber weist die Lehrperson in Leistungen der Lernenden auf, jedoch fallen auch diese in der
Phasen innerer Differenzierung Gruppen von Lernenden Regel geringer aus als bei aufwendig konzipierten Maßnahmen
unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Aufgaben- wie dem Mastery Learning, dem Joplin- oder dem Keller-Plan
mengen und/oder unterschiedliche Lernzeitkontingente (Slavin 1987; Kulik und Kulik 1992; Puzio und Colby 2010).
zu und/oder gewährt ihnen unterschiedliche Unter- Auf der Basis des Forschungsstands lässt sich annehmen,
stützungsangebote (Bohl et al. 2012). Als Kriterien zur dass die positiven Wirkungen von Maßnahmen der inneren
Bildung von Schülergruppen werden hierbei meist die Differenzierung und Individualisierung stärker werden,
Leistungen, die Interessen oder die sozialen Präferenzen wenn diese mit einer regelmäßigen und lernbegleitenden
der Schülerinnen und Schüler herangezogen. Maßnahmen Diagnostik, bei der die Lernstände und die Lernlücken der
der Differenzierung und Individualisierung verfolgen Schülerinnen und Schüler fortlaufend erfasst werden, mit
gleichermaßen das Ziel, Schülerinnen und Schüler mit spezifischer Unterstützung, Strukturierung und adaptivem
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in ihrem Lern- Feedback sowie mit Maßnahmen der gezielten Förderung
prozess wirkungsvoll zu fördern und zu unterstützen. von Lernstrategien und selbstgesteuertem Lernen gekoppelt
Während die Begriffe innere Differenzierung und werden (Connor et al. 2009; Reis et al. 2011; Waxman et al.
Individualisierung eher der pädagogischen Literatur ent- 1985; auch Klieme und Warwas 2011).
stammen, wird auf das Konzept des adaptiven Unterrichts Sehr weitreichende Formen der Individualisierung, die
vornehmlich in der psychologischen Forschung Bezug ohne diese flankierenden Maßnahmen der Diagnose, Unter-
genommen. Adaptiver Unterricht zielt hierbei darauf ab, stützung und Strukturierung auskommen und z. B. auf
den Unterricht an die Lernvoraussetzungen der einzelnen eine starke Öffnung des Unterrichts mit großen Wahlfrei-
Schülerinnen und Schüler anzupassen, um deren Lern- heiten setzen, sind im Hinblick auf die Lernleistungen von
prozesse zu optimieren (Corno 2008; Corno und Snow Schülerinnen und Schülern herkömmlichem und lehrer-
1986; Hasselhorn und Gold 2013; Lipowsky und Lotz 2015). gelenktem Unterricht nicht überlegen und können ins-
Hierbei werden aber nicht ausschließlich individualisierte besondere Lernende mit ungünstigen Lernvoraussetzungen
oder schülerorientierte Formen des Unterrichts als ziel- benachteiligen (7 Abschn. 4.1.3; Giaconia und Hedges 1982;
führend betrachtet, sondern auch lehrergelenkte Formen Hattie und Yates 2014). Als mögliche Erklärungen kommen
der Instruktion und Unterstützung. Als hilfreich erweist es in Betracht, dass die Lernenden in diesen Lernumgebungen
sich, zwischen sogenannten Makro- und Mikroadaptionen nicht jene Unterstützung und Förderung erfahren, die
zu unterscheiden. Makroadaptionen umfassen längerfristige sie benötigen und dass die in diesen Unterrichtsformen
Vorhaben und Maßnahmen des Eingehens auf heterogene eingesetzten Aufgaben und Lernangebote zu selten eine
Lernvoraussetzungen, wie z. B. die Bildung von leistungs- fachlich vertiefte Auseinandersetzung mit dem Unter-
homogenen Gruppen, die Zuweisung bestimmter Lern- richtsinhalt sowie einen fruchtbaren diskursiven Austausch
angebote an Gruppen von Schülerinnen und Schülern der Schülerinnen und Schüler untereinander zur Folge
mit unterschiedlicher Leistungsstärke oder ein langfristig haben und demzufolge nur gelegentlich zu einer kognitiven
implementiertes Training von Lernstrategien. Als Mikro- Aktivierung der Lernenden führen (7 Abschn. 4.2.6).
adaptionen werden dagegen einzelne an die Lernvoraus- Darüber hinaus ist auch denkbar, dass Lehrpersonen in
setzungen der Schülerinnen und Schülern angepasste einem hochgradig individualisierten Unterricht – vor dem
Aktivitäten und Handlungen von Lehrpersonen bezeichnet, Hintergrund der Fülle zu bewältigender Aufgaben und
mit denen diese auf die besonderen Lernvoraussetzungen der vielfältigen, parallel ablaufenden Prozesse – nur ein
der Lernenden reagieren. Dies können z. B. eine spezifische begrenztes Spektrum an Möglichkeiten für eine fachlich-
Rückmeldung, eine besonders anschauliche Erklärung, eine konstruktive Unterstützung der Lernenden zur Verfügung
anregende Rückfrage oder eine angepasste Strukturierungs- steht (zsf. Lipowsky und Lotz 2015).
hilfe sein (Krammer 2009; Lipowsky und Lotz 2015). Ältere amerikanische Studien, die die Effekte längerfristig
angelegter und aufwendig konzipierter Differenzierungs-
Kognitive Zielvariablen und Individualisierungsprogramme, wie z. B. den
Individualisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen ­Joplin-Plan (Slavin 1987), den Keller-Plan (Keller 1968)
lassen sich danach unterscheiden, ob sie Bestandteil eines oder das „mastery learning“ (7 Abschn. 4.1.3, „Behavioristisch
größeren umfassenden Konzepts sind oder ad hoc ergriffen orientierte Instructional-Design-Modelle“). untersuchten, kamen
werden. überwiegend zu stärkeren positiven Effekten einer in dieser
Ad hoc und vergleichsweise spontan durchgeführte Form an die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und
Maßnahmen der Individualisierung und Differenzierung Schüler angepassten Instruktion. Der Joplin-Plan sah die
sind einem Unterricht, der auf diese Maßnahmen ver- Bildung von leistungshomogenen Gruppen in einem Fach
zichtet, insgesamt nur geringfügig überlegen (Bangert et al. (z. B. im Lesen) bei gleichzeitiger Beibehaltung der leistungs-
1983; Hattie 2009; Horak 1981; Kulik und Kulik 1982, 1992; heterogenen Klassenverbände vor. Hierzu wurden mehrere
Lou et al. 1996; Slavin 1987). Klassenverbände (z. B. alle Klassen der Jahrgänge 3–5) für
Maßnahmen der inneren Differenzierung, bei der inner- den Leseunterricht aufgelöst. Aus allen Schülerinnen und
halb des Klassenverbands leistungshomogene Gruppen Schülern der betreffenden Jahrgänge wurden dann nur für
98 F. Lipowsky

den Leseunterricht leistungshomogene Schülergruppen für komplexere Aufgaben und für nicht naturwissenschaft-
gebildet, die unterschiedliche Materialien und Lesetexte liche Fächer ähnlich wirksam ist.
erhielten. Der Übergang in das nächste Leseniveau erfolgte Im Zusammenhang mit einer adaptiven Lehrer-
– ähnlich wie beim „mastery learning“ –, sobald man das unterstützung einzelner Schülerinnen und Schüler wird
Ziel des Niveaus erreicht hatte. Der übrige Unterricht war in der aktuellen Diskussion immer häufiger auch auf
von dieser Form der Differenzierung nicht betroffen. Die zu die Notwendigkeit eines angemessenen Scaffoldings
dieser Form der Differenzierung vorliegenden Ergebnisse (7 Abschn. 4.1.3) verwiesen. Bei der Durchsicht der
älterer Studien zeigen insgesamt positive Effekte (Gutiérrez Literatur fällt zunächst auf, dass Scaffolding teilweise sehr
4 und Slavin 1992; Mosteller et al. 1996; Slavin 1987). Auch unterschiedlich konzeptualisiert wird. Versucht man einen
der K­ eller-Plan – genauer Kellers „Personalized System of gemeinsamen Kern dieser Konzeptualisierungen auszu-
Instruction“ (Keller 1968), eine Art programmierter Unter- machen, so lassen sich die folgenden Kernmerkmale identi-
richt, der vor allem im College Anwendung fand – basierte fizieren:
auf ähnlichen Prinzipien. Er zeichnete sich durch die a) eine fortlaufende prozessbegleitende Diagnose der
Strukturierung des Lehrstoffs in kleinere Teileinheiten aus, Lern- und Verstehensprozesse des einzelnen Schülers
die die Lernenden im eigenen Tempo durcharbeiteten. Eine oder der Schülergruppe („ongoing diagnosis“),
Bearbeitung der nächsten Teileinheit war erst dann möglich, b) eine am Lernstand und an den Lernvoraussetzungen
wenn zuvor ein bestimmtes Wissensniveau erreicht wurde. einzelner Schülerinnen und Schüler oder der
Metaanalysen können die positiven Effekte dieser Art des Lernendengruppe ausgerichtete und kalibrierte Unter-
personalisierten Lernens auf die Leistungen der Lernenden stützung der Lehrperson („adaptivity and calibrated
bestätigen (Hattie 2009; Kulik et al. 1979). Trotz der hohen support“) und
Wirksamkeit geriet der Keller-Plan, ähnlich wie das Konzept c) die schrittweise Ausblendung der Lehrerunter-
des „mastery-learning“, in Vergessenheit. Ausschlaggebend stützung in enger Verbindung mit einer zunehmenden
dürfte u. a. gewesen sein, dass diese Art des Unterrichtens Kontrolle des eigenen Lernprozesses durch den
einen erheblichen Aufwand für die Lehrperson bedeutet hat Lernenden („fading“) (Van de Pol et al. 2010;
(Fox 2004) und dass nicht alle Inhalte so beschaffen sind, Puntambekar und Hübscher 2005).
dass sie sich in entsprechende Teilinhalte zerlegen lassen
(7 Exkurs „Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien“). Theoretisch wird hierbei vor allem auf sozio-
Eine aufwendig konzipierte Maßnahme, die u. a. auf konstruktivistische Theorien des Wissenserwerbs und
Formen der Differenzierung setzt, stellt das amerikanische auf das Konzept der Zone der nächsten Entwicklung nach
Success-for-all-Programm dar (Slavin und Madden 2012). Vygotsky (7 Abschn. 4.2.4 und 4.2.6) Bezug genommen,
Hierbei werden leistungshomogene Lesegruppen gebildet, indem die Bedeutung der sozialen Umwelt und einer
die sich aus Schülerinnen und Schülern unterschied- entsprechenden Unterstützung für die kognitive Ent-
lichen Alters, aber ähnlicher Lesefähigkeiten zusammen- wicklung des Lernenden herausgestellt wird. Die erwähnten
setzen. Darüber hinaus gehören kooperative Lernformen, Kernelemente verdeutlichen, dass Scaffolding kein eng
die metakognitive Förderung der Schülerinnen und umgrenztes Lehrerverhalten oder Unterrichtsmerkmal
Schüler und die regelmäßige Diagnose der Lernstände zu darstellt, sondern eine breite Palette von Verhaltensweisen
den Komponenten dieses Programms. Die vorliegenden umfasst, die u. a. Anteile von formativem Assessment
Forschungsbefunde zeigen, dass sich die Leseleistungen der (s. u.), Feedback und kognitiver Strukturierung beinhalten
Schülerinnen und Schüler des Success-for-all-Programms und diagnostische und fachdidaktische Kompetenzen der
günstiger entwickelten als die Leseleistungen der Lernenden Lehrperson voraussetzen dürften (7 Kap. 10).
einer Kontrollgruppe, die herkömmlichen Leseunterricht Bei der Operationalisierung von Scaffolding werden
erhielten (Borman et al. 2007). demzufolge primär Aktivitäten von Lehrpersonen in den
Eine erprobte und untersuchte Form der Differenzierung, Blick genommen. Hierzu zählen z. B. das gezielte Nach-
bei der Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden fragen, das Stellen diagnostischer Fragen und Aufgaben,
können, ob sie instruktionale Hilfen in Anspruch nehmen, welche Auskunft über das Verständnis oder ggf. vorhandene
ist das Konzept der gestuften Lernhilfen. Dabei handelt Misskonzepte geben können, gezielte Beobachtungen
es sich um von der Lehrperson strukturierte, aufeinander von Schüler-Schüler-Interaktionen durch die Lehr-
aufbauende Lösungshinweise in Form von Hilfekärt- person, Lehrer-Schüler-Gespräche, die Konfrontation der
chen zu Lernaufgaben mit eindeutigen Lösungen, auf Lernenden mit gegenteiligen Meinungen oder Argumenten
die die Lernenden nach Wunsch zurückgreifen können. sowie die Fokussierung der Schüleraufmerksamkeit auf
Die vorliegenden Studien offenbaren gegenüber der relevante Aspekte des Unterrichtsgegenstands. Im weitesten
Konfrontation mit herkömmlichen Lösungsbeispielen Sinne sind damit Strukturierungshilfen beschrieben, die
und gegenüber lehrergelenktem Unterricht Vorteile die Funktion eines kognitiven „Lerngerüsts“ erfüllen und
im motivationalen und kognitiven Bereich (Schmidt- relevante Aspekte der Aufgabe oder des Problems hervor-
Weigand et al. 2008, 2009, 2012), allerdings ist noch offen, heben (Einsiedler und Hardy 2010; Kleickmann et al. 2010;
ob dieses Prinzip der Kombination strukturierter Lehrer- Klieme und Warwas 2011; Krammer 2009; Möller 2016;
hinweise mit Selbstdifferenzierungselementen auch Wood et al. 1976).
Unterricht
99 4
Exkurs

Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien


Interessant ist, dass die Ideen des häufig in einer Art Lernbüro statt, Zu beachten ist aber grundsätzlich, dass
Keller-Plans im Zusammenhang in dem die Lernenden alleine, mit der Einsatz digitaler Lernwerkzeuge
mit personalisiertem Lernen Mitschülern oder mit der Lehrperson noch nicht per se mit einer höheren
(7 Abschn. 4.1.3, „Konstruktivistische arbeiten. Täglich nutzen die Schülerinnen Wirksamkeit adaptiver Unterrichts-
Ansätze“) und der Unterstützung dieser und Schüler hierbei die computer- verfahren einhergeht. Vielmehr dürfte es
Art des Lernens durch digitale Medien gestützte Testumgebung „Teach-to auf die Funktionen und Möglichkeiten
wieder aufgegriffen werden (z. B. One: Math“, die ihnen auf der Basis der ankommen, die die digitalen Werkzeuge
Svenningsen et al. 2018). Digitale Medien am Computer gelösten Aufgaben ein bieten, und auf deren Nutzung durch
übernehmen hierbei unterschiedliche individuelles Feedback gibt und einen Lernende und Lehrkräfte. Wichtig
Funktionen: Sie fungieren teilweise als approximativ auf ihre Lernvoraus- erscheint unter Rückgriff auf die o. g.
Test- und Diagnosewerkzeuge, geben setzungen zugeschnittenen Lernplan Befunde zum Feedback, zur kognitiven
den Lernenden Feedback und den für den nächsten Tag vorschlägt. Diese Aktivierung und inhaltlichen Klarheit,
Lehrpersonen Hinweise auf die erreichten Rückmeldungen werden durch einen dass die Lernenden durch die Nutzung
Leistungen der Schülerinnen und Schüler, Algorithmus erzeugt, der sich aus den der digitalen Medien konstruktive
beinhalten in Teilen tutorielle und/oder typischen Fehlern und Lernpfaden von Rückmeldungen zu ihrem Lernstand
instruierende Funktionen und sind in anderen Schülerinnen und Schülern erhalten, dass sie zu einer vertieften
begrenztem Umfang auch in der Lage, speist (siehe auch Herzig 2017). Neben Auseinandersetzung mit dem
den Lernenden neue – sich an deren der Verknüpfung von Feedback Unterrichtsinhalt angeregt werden, dass
Lernständen orientierende – Aufgaben und den auf die Schülervoraus- sie ggf. tutorielle Unterstützung und
oder Lernangebote zu unterbreiten setzungen abgestimmten Plänen zur zusätzliche Erklärungen erhalten und
(Connor et al. 2009; Holmes et al. 2018). Weiterarbeit hält das Programm auch dass die Lehrkräfte die zurückgespielten
Über die Wirksamkeit personalisierter die Möglichkeit eines Online-Tutorials Informationen und Daten tatsächlich
Lernumgebungen, in denen digitale und ein Belohnungssystem bereit. auch zur Gestaltung an den Lernvoraus-
Lern- und/oder Testwerkzeuge eingesetzt Die Wirksamkeit dieser Art adaptiven setzungen der Lernenden ausgerichteter
werden, können keine grundsätzlichen Unterrichts unterscheidet sich von Angebote nutzen.
Aussagen getroffen werden, zu Schule zu Schule stark (Ready et al. Dies lässt sich in Verbindung bringen
unterschiedlich sind die Funktionen 2019), was darauf hindeutet, dass nicht mit Befunden, wonach stärkere Effekte
und Möglichkeiten der digitalen Tools der Einsatz des digitalen Lernwerkzeugs individualisierenden Unterrichts dann zu
in den einzelnen Projekten und Studien in Verbindung mit personalisiertem erwarten sind, wenn die Lernangebote
sowie die curricularen und didaktischen Lernen den Unterschied macht, sondern an die Lernvoraussetzungen der
Bedingungen, unter denen die Tools die Art und Weise der Umsetzung und Schülerinnen und Schüler angepasst sind,
Anwendung finden. Hinzu kommt, dass der Verknüpfung mit dem üblichen wenn die Lernenden Rückmeldungen
den Studien häufig keine belastbaren Mathematikunterricht. Ähnliche zu ihren Lernständen und -fortschritten
Untersuchungsdesigns zugrunde liegen. schulbezogene Unterschiede in der erhalten und wenn sie angehalten
So ist das personalisierte Lernen mit Wirksamkeit personalisierten Lernens werden, sich eigene Ziele zu setzen
digitalen Medien in den verschiedenen zeigen sich auch im Rahmen der (Connor et al. 2009; Waxman et al. 1985).
Studien häufig nur eine Komponente Evaluation eines umfassenden Projekts Auch die Ergebnisse einer aktuellen
umfassenderer schulbezogener zum personalisierten Lernen, welches Metaanalyse (Gerard et al. 2015)
Realisierungskonzepte (z. B. Pane et al. von der Bill und Melinda Gates Stiftung weisen in diese Richtung: In dieser
2015; Ready et al. 2019) und wird hierbei gefördert wurde (Pane et al. 2015). zusammenfassenden Darstellung
mit kooperativen und lehrergesteuerten Kontrolliertere Studien, wie z. B. von Studien, in denen der Einfluss
Unterrichtsformen kombiniert. 5 die Untersuchung von Lenhard et al. adaptiver Lernsoftware auf das Lernen
Vielfach bleibt dann unklar, wie sich (2012), in der die Wirksamkeit einer von Schülerinnen und Schülern
der Unterricht in den einbezogenen tutoriellen, computergestützten überprüft wurde, ergab sich zunächst
Untersuchungs- und Kontrollgruppen Lernumgebung untersucht wurde, ein Vorteil des Einsatzes der Software
tatsächlich unterschieden hat (siehe z. B. die Schülerinnen und Schülern gegenüber herkömmlicher Instruktion,
Pane et al. 2015). differenzierte Rückmeldungen zur der zwar signifikant, aber nicht stark
Auch wird personalisiertes Lernen Qualität ihrer schriftlich verfasster ausfiel (g = 0,34). Vorteile ergaben sich
in verschiedenen Schulen – trotz Zusammenfassungen gab, demzufolge vor allem für die Lernenden
Verwendung des gleichen digitalen 5 die Studie von Roschelle et al. (2016) mit geringem oder mittlerem Vorwissen,
Lern- und/oder Testwerkzeugs – zum Einsatz des onlinegestützten nicht dagegen für Schülerinnen und
teilweise sehr unterschiedlich umgesetzt Tools ASSISment bei der Bearbeitung Schüler mit hohem Vorwissen, was die
und implementiert. Dies lässt sich von Mathematikhausaufgaben (vgl. Forscher u. a. damit erklären, dass die
exemplarisch am amerikanischen auch Koedinger et al. 2010) und Rückmeldemöglichkeiten des Programms
Programm „Teach-to-One: Math“ 5 die Studie von Connor et al. (2009), in der von den stärkeren Schülerinnen und
zeigen. Dieses in Amerika populäre Lehrpersonen auf der Basis computer- Schülern entweder nicht genutzt wurden
Lernwerkzeug für den Mathematik- gestützt erfasster Schülerdaten Hinweise oder aber nicht passgenau waren, um
unterricht in der Mittelstufe arrangiert auf den zu gestaltenden Erstlese- ihr Lernen zu fördern. Im zweiten Schritt
Lern- und Übungsangebote für die unterricht gegeben wurden, analysierte die Forschergruppe, welche
Schülerinnen und Schüler in einer Art zeigten positive Effekte auf die Faktoren den Vorteil der adaptiven
Blended-Learning-Design und verknüpft Entwicklung der Lernenden, die die Lernsoftware weiter verstärken.
hierbei verschiedene Unterrichts- und digitalen Tools nutzten. Demnach fallen die Effekte noch stärker
Sozialformen. Der Unterricht findet zugunsten der digitalen Lernumgebung
100 F. Lipowsky

aus, wenn das konzeptuelle Verständnis von Koedinger et al. (2010) darauf hin, zum Nachdenken und zur Entwicklung
der Lernenden durch die Arbeit dass der Einsatz adaptiver Software neuer Ideen anregen (7 Abschn. 4.2.6),
mit der Software gefördert wurde, dann effektiv ist, wenn Lehrpersonen dass sie die Erklärungen der Lernenden
wenn die Software ein besonderes die datenbasierten Informationen diagnostizieren und produktive Lernwege
Augenmerk auf die Kohärenz der durch die Software auch für ihren vorschlagen und dass sie die Schülerinnen
schriftlichen Antworten der Lernenden herkömmlichen Unterricht nutzen und Schüler durch metakognitive Fragen
legte und wenn die Lernenden zur und es eine Verknüpfung von digital herausfordern, ihr Verständnis zu prüfen
Überwachung (Monitoring) ihres eigenen gestützten und nicht-digital gestützten und zu überwachen (7 Abschn. 4.2.7).
Lernprozesses angehalten wurden statt Lernphasen gibt. Gerard et al. (2015) Ähnlich stellt Stegmann (2020) bei der
4 nur eine einfache Rückmeldung über die kommen zu dem Fazit, dass digitale Analyse verfügbarer Metaanalysen fest,
Korrektheit ihrer Aufgabenlösungen zu Werkzeuge insbesondere dann eine dass digitale Medien vor allem dann
erhalten (Gerard et al. 2015). hohe Lernwirksamkeit versprechen, positive Wirkungen auf den Lernprozess
Überdies kommt es auch auf die wenn sie Merkmale lernförderlichen haben, wenn sie die Lernenden kognitiv
Integration digitaler Medien in den Lehrerverhaltens „nachbilden“. Die aktivieren und zu problemlösenden,
herkömmlichen Unterricht an. So Autoren verstehen darunter, dass konstruktiven und kooperativen
deuten z. B. die Ergebnisse der Studie digitale Werkzeuge die Lernenden Aktivitäten herausfordern.

Obgleich die vorliegende Literatur zum Scaffolding Informationen zu unterstützen (Souvignier et al. 2014).
umfangreich ist, liegen – auch aufgrund der Komplexität Darüber hinaus fallen die Effekte formativen Assessments
dieses Merkmals – nur wenige kontrollierte Studien vor, die offenbar stärker aus, wenn der entsprechende Unterricht
die Wirkungen von Scaffolding oder einzelner Facetten über- mit einem höheren Potenzial zur kognitiven Aktivierung
prüfen. In einem Forschungsüberblick gelangen Van de Pol der Lernenden einhergeht (Decristan et al. 2015b).
et al. (2010) nach der Durchsicht der wenigen vorliegenden Im Zusammenhang mit der Frage nach einem
Studien zu einer optimistischen Einschätzung hinsichtlich konstruktiven Umgang mit heterogenen Klassen erscheint
der Wirkungen auf kognitive und metakognitive Leistungen auch die Frage relevant, ob eine größere Leistungshetero-
von Schülerinnen und Schülern, kritisieren aber gleichzeitig genität in Klassen einen Risikofaktor darstellt und die Ent-
die uneinheitliche Messung des Konstrukts und mahnen wicklung der Lernenden beeinträchtigt. Den Ergebnissen der
zudem einen stärkeren Theoriebezug der Studien an. meisten vorliegenden Studien zufolge lernen die einzelnen
Scaffolding beinhaltet u. a. Maßnahmen formativen Schülerinnen und Schüler in leistungsheterogenen Klassen
Assessments. Hierunter werden Strategien der Lehr- genauso viel oder wenig wie in leistungshomogenen Klassen
person (standardisierte Tests, informelle Tests, Gespräche, (Decristan et al. 2017; Helmke et al. 2008a; Kulik und Kulik
Beobachtungen) zur fortgesetzten, lernprozessbezogenen 1982; Künsting et al. 2010; Scharenberg 2012). Lediglich für
Diagnostik verstanden, die dazu dienen, Lernstände und leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler ergeben sich in
Verstehensprozesse der Lernenden offenzulegen und einigen Studien leichte Vorteile zugunsten leistungshomo-
hieraus Impulse (z. B. in Form entsprechender Feedback-, gener Lerngruppen (Kulik und Kulik 1982; Künsting et al.
Instruktions- und Unterstützungsmaßnahmen der Lehr- 2010). Darüber hinaus zeigt sich in der Studie von Decristan
person) zur Optimierung des Unterrichts und zur weiteren et al. (2017) ein Interaktionseffekt zwischen Klassenhetero-
Förderung der Lernenden abzuleiten (Maier 2010). Der genität und Unterrichtsqualität: In den leistungsheterogeneren
Forschungsstand zum formativem Assessment ist ins- Klassen hing der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler
gesamt dünn und fällt uneinheitlich aus (Bennett 2011; stärker von der kognitiven Aktivierung und der emotionalen
Decristan et al. 2015b; Dunn und Mulvenon 2009; Maier Unterstützung ab als in leistungshomogeneren Klassen.
2010; Rakoczy 2011). Den Ergebnissen einer aktuelleren
Metaanalyse folgend hat formatives Assessment – im Motivational-affektive Zielvariablen
Unterschied zu früheren optimistischeren Einschätzungen Die Forschung zu Effekten von innerer Differenzierung,
(Black und Wiliam 1998) – zwar positive, aber eher Individualisierung, Scaffolding und adaptiven Verfahren der
schwache Effekte auf das Lernen von Schülerinnen und Unterrichtsgestaltung auf affektiv-motivationale Variablen
Schülern (Kingston und Nash 2011). Vielversprechender ist uneinheitlich. Betrachtet man die Leistungsmotivation
fallen Befunde von Studien aus, in denen computer- als abhängige Variable, so zeigen ältere Studien zum
gestützte Werkzeuge zur Diagnostik von Lernständen offenen Unterricht eher negative Effekte. Demnach wird die
und -verläufen zum Einsatz kommen. Die entsprechende Leistungsmotivation eher durch einen traditionellen, lehrer-
Forschung kann oftmals positive Effekte einer solchen Art gesteuerten Unterricht als durch einen offenen Unterricht
von Lernverlaufsdiagnostik auf Schülerleistungen nach- gefördert (Giaconia und Hedges 1982). Ein etwas anderes
weisen (Connor et al. 2009; Förster et al. 2018; Souvignier Bild ergibt sich für die Förderung des fachbezogenen
et al. 2014; Koedinger et al. 2010; Stecker et al. 2005). Interesses und für Facetten intrinsischer Motivation: Ins-
Wichtig scheint allerdings zu sein, die Lehrpersonen besondere auf das Selbstbestimmungserleben und die
bei der Interpretation und Nutzung der diagnostischen Förderung von Interesse haben Unterrichtsformen mit
Unterricht
101 4
Freiheitsspielräumen positive Effekte (Grolnick und Ryan Im Kontext personalisierten Lernens (7 Abschn.
1987; Hartinger 2005; Waxman et al. 1985). Zu beachten 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“) untersuchten Bernack
ist allerdings, dass sich ein zu hohes Maß an Wahlfrei- und Walkington (2018), inwiefern die Bearbeitung von
heiten auch ungünstig auf die Entwicklung intrinsischer kontextualisierten Mathematikaufgaben, die an die Interessen
Motivation auswirken kann (Katz und Assor 2007; der Lernenden angepasst waren, zu einer nachfolgend
7 Abschn. 4.1.3, 7 Exkurs „Motivationsförderung durch günstigeren Entwicklung mathematischen Interesses bei-
offenen Unterricht?“). trägt. Zunächst schätzten die an der Studie teilnehmenden
Fokussiert man das akademische Selbstkonzept Schülerinnen und Schüler ihre Interessen in verschiedenen
als abhängige Variable, zeigen ältere Studien zum Bereichen – z. B. Sport, Musik, Kunst, Ernährung, Computer
offenen Unterricht in der Summe nur sehr schwache – ein. Diese Angaben wurden dann berücksichtigt, um den
positive Effekte (Giaconia und Hedges 1982). Auch Lernenden entsprechend kontextualisierte mathematische
binnendifferenzierende Maßnahmen (Bildung von Textaufgaben aus dem Bereich der Algebra zuzuweisen. Die
Gruppen vs. Klassenunterricht) haben, wenn überhaupt, Lernenden der Kontrollgruppe erhielten Textaufgaben zum
nur schwache Effekte auf das akademische Selbstkonzept gleichen Inhalt wie die Lernenden in der personalisierten
(Lou et al. 1996). In einer Studie mit Grundschülern konnte Bedingung, allerdings ohne die zuvor angegebenen Interessen
gezeigt werden, dass das Ausmaß an aufgabenbezogener zu beachten. Den Ergebnissen der Studie zufolge ent-
Differenzierung einen positiven Effekt auf die Selbst- wickelte sich das situationale mathematische Interesse und
konzeptentwicklung im Schreiben, nicht aber im Lesen das individuelle mathematische Interesse der Schülerinnen
hatte (Lipowsky et al. 2011). Krätzschmar (2010) konnte und Schüler in der personalisierten Bedingung günstiger.
dagegen keine signifikanten Unterschiede in der Ent- Diese affektiv-motivationalen Effekte konnten partiell
wicklung der akademischen Selbstkonzepte in Englisch, auch die mathematischen Leistungen positiv vorhersagen,
Mathematik und im Lesen zwischen Sekundarstufen- einen direkten Effekt der personalisierten Lernumgebung
schülern ausmachen, die a) in einem eher lehrerzentrierten auf die mathematischen Leistungen gab es jedoch nicht
Unterricht, b) in einem individualisierteren Unterricht mit (7 Abschn. 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“). Høgheim
oder c) ohne Altersmischung lernten. und Reber (2015) konnten in ihrer ähnlich angelegten Studie
Häufiger wird berichtet, dass die Koppelung zwischen ebenfalls positive Effekte der personalisierten Lernumgebung
fachlicher Leistung und akademischem Selbstkonzept auf das situationale mathematische Interesse und auf Nütz-
schwächer ausfällt, wenn sich der Unterricht durch Frei- lichkeitsüberzeugungen von Lernenden des 8. und 10. Schul-
heitsgrade auszeichnet (Rosenholtz und Rosenholtz 1981; jahres nachweisen. Diese positiven Effekte betrafen jedoch nur
Rosenholtz und Simpson 1984a, b; Kammermeyer und Schülerinnen und Schüler mit einem geringen mathematischen
Martschinke 2003; Renkl et al. 1997): In Klassen mit höheren Interesse und mit geringen Kompetenzüberzeugungen.
Freiheitsgraden scheint das akademische Selbstkonzept
damit weniger eng an die tatsächlichen Leistungen gebunden
zu sein als in Klassen mit geringeren Freiheitsgraden. 4.2.10  Lernwirksamer Unterricht für
Insgesamt scheinen die Effekte von Maßnahmen ‚Risikoschüler‘
der Binnendifferenzierung und Individualisierung auf
­affektiv-motivationale Variablen von Lernenden im Grund- Im Kontext der Debatte über einen konstruktiven Umgang
schulalter etwas stärker ausgeprägt zu sein als auf ältere mit Heterogenität wird immer wieder die Frage auf-
Lernende. Erklärbar ist dies u. a. mit der mit zunehmendem geworfen, welche Art von Unterricht für ‚Risikoschüler‘,
Alter höheren entwicklungsbedingten Stabilität also für Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Lern-
affektiv-motivationaler
­ Persönlichkeitsmerkmale, die voraussetzungen besonders erfolgversprechend und wirk-
dem Einfluss der Unterrichtsgestaltung in der Sekundar- sam ist. Gibt es bestimmte Merkmale von Unterricht, die
stufe engere Grenzen setzt als in der Grundschule. In der insbesondere diesen Schülerinnen und Schüler zu einem
deutschen SCHOLASTIK-Studie ergab sich z. B., dass erfolgreicheren Lernen verhelfen?
Freiheitsgrade im Unterricht die Lernfreude von Grund- Die Befundlage hierzu ist zwar nicht so reichhaltig, ins-
schülern positiv beeinflussen können (vgl. Helmke 1997). gesamt aber zeichnet sich ab, dass ein Unterricht, der die
Auch die Forschungslage zum Einfluss von Scaffolding in diesem Beitrag genannten Merkmale lernwirksamen
auf affektiv-motivationale Aspekte des Lernprozesses ist Unterrichts in besonderer Weise berücksichtigt, für alle
dünn. Die wenigen Studien lassen die Annahme zu, dass Schülerinnen und Schüler, und damit auch für Lernende
Scaffolding positive Einflüsse auf affektiv-motivationale mit ungünstigen Lernvoraussetzungen, einen höheren
Kriterien von Schulerfolg haben kann (zsf. Van de Pol Lernerfolg verspricht als ein Unterricht, der diese Merkmale
et al. 2010). Die Studie von Hondrich et al. (2018) zeigt nicht berücksichtigt (Lipowsky und Bleck 2019; Kunter
zudem, dass formatives Assessment als Komponente von und Ewald 2016). So ergaben sich in vielen der diesem
Scaffolding mit einer höheren intrinsischen Motivation Forschungsüberblick zugrunde liegenden Studien keine
der Schülerinnen und Schüler einhergeht, wobei der Effekt differentiellen Effekte der untersuchten Merkmale von
durch das Kompetenzerleben der Lernenden mediiert wird. Unterrichtsqualität, was bedeutet, dass leistungsstärkere
102 F. Lipowsky

und -schwächere Schülerinnen und Schüler gleichermaßen Präsentation des Unterrichtsinhalts aus, bei der Lehr-
von dem jeweiligen Unterricht profitierten. personen den Schülerinnen und Schülern mathematische
Im Folgenden werden exemplarisch einige Forschungs- Konzepte, Verfahren, Vorgehensweisen und Strategien durch
befunde näher vorgestellt, die den Einfluss von Unterrichts- lautes Denken und unter Verwendung visueller (ikonischer)
merkmalen ausschließlich auf das Lernen von Schülerinnen Repräsentationsformen variantenreich erklären und zugäng-
und Schülern mit geringen Lernvoraussetzungen unter- lich machen (siehe auch Hiebert und Grouws 2007). Dies
suchten oder aber explizit in den Blick nahmen, wie sich lässt eine Nähe zu den Indikatoren inhaltlicher Klarheit
bestimmte Merkmale von Unterricht auf Lernende mit erkennen (7 Abschn. 4.2.2). Darüber hinaus ist ein lern-
4 günstigen vs. ungünstigen Lernvoraussetzungen im Ver- förderlicher Mathematikunterricht mit leistungsschwächeren
gleich auswirken. Schülerinnen und Schülern dadurch gekennzeichnet, dass die
Hamre und Pianta (2005) analysierten beispielsweise Lernenden angeregt werden, ihre Lösungswege, Gedanken-
den Einfluss der Qualität der L ­ehrer-Schüler-Interaktion gänge und Argumentationsstränge zu verbalisieren, was
auf den Lernerfolg von Lernenden im ersten Schul- als Indikator für die kognitive Aktivierung der Lernenden
jahr. Sie nahmen hierbei die beiden Komponenten angesehen werden kann (7 Abschn. 4.2.6). Ein weiteres
„emotional support“ und „instructional support“ näher Merkmal eines entsprechenden lernförderlichen Unterrichts
in den Blick3 und zeigen, dass diese beiden Merkmale ist, dass die Lernenden mit gut ausgewählten Beispielen und
der ­ Lehrer-Schüler-Interaktion quasi als Puffer wirken Aufgaben konfrontiert werden, die es ihnen erlauben, die
und den negativen Einfluss von bestehenden Risiko- entscheidenden Merkmale eines mathematischen Problems
faktoren auf die Leistungsentwicklung abmildern können. zu erkennen oder zwischen verschiedenen Verfahren oder
In der Studie von Cadima et al. (2010) erwiesen sich Strategien zu entscheiden. Dies wiederum lässt sich durch
ebenfalls Merkmale der ­ Lehrer-Schüler-Interaktion ins- einen Unterricht erreichen, der auf die Kraft des Vergleichens
besondere für den Lernerfolg von Schülerinnen und setzt (7 Abschn. 4.2.6). Überdies ist ein lernförderlicher
Schülern mit geringeren Lernvoraussetzungen als bedeut- Mathematikunterricht für leistungsschwächere Schülerinnen
sam. Die Lehrer-Schüler-Interaktion wurde hierbei eben- und Schülern durch den gezielten Aufbau und die
falls über die Komponenten des Modells lernwirksamer systematische Nutzung von Lernstrategien (7 Abschn. 4.2.7),
und motivationsförderlicher Lehrer-Schüler-Interaktion durch konstruktives Feedback an die Lernenden
von Hamre und Pianta (2010) erfasst (s. Fußnote 3). (7 Abschn. 4.2.3), durch Formen peergestützten Lernens,
In der Studie ergaben sich positive Haupteffekte der drei wobei die Unterstützung bei gravierenden Problemen durch
Komponenten auf den Lernzuwachs der Schülerinnen kompetente Mitlernende erfolgt (7 Abschn. 4.2.4), und
und Schüler und ein signifikanter Interaktionseffekt, durch die Implementierung von Verfahren der Lernver-
wonach insbesondere die schwächeren Schülerinnen und laufsdiagnostik gekennzeichnet, die die Lehrpersonen über
Schüler von einer effektiven Klassenführung profitierten die Lernstände der Schülerinnen und Schüler informieren
(Cadima et al. 2010). Auch in der amerikanischen und zugleich Tipps und Hinweise geben, wie auf die ent-
Studie von Matsumura et al. (2013) hatte die Quali- sprechenden Unterschiede in den Lernständen reagiert
tät der Lehrer-Schüler-Interaktion differentielle Effekte werden kann (s. o. formatives Assessment).
auf die Lernenden: Hierbei erwies sich die kognitive Auch die Leseforschung hebt die Bedeutung eines
Aktivierung der Lernenden (7 Abschn. 4.2.6) durch die lehrergelenkteren Vorgehens mit einer expliziten Strategie-
anregende Gestaltung von Unterrichtsgesprächen als und Leseverständnisförderung für die schwächeren
besonders lernförderlich für Schülerinnen und Schüler Schülerinnen und Schüler hervor (7 Abschn. 4.2.6 und 4.2.7;
mit ­nicht-englischer Muttersprache im Vergleich zu den Connor et al. 2004a, b, 2009; Gersten et al. 2001). Nach
englischsprachigen Schülerinnen und Schülern. Slavin et al. (2011) profitieren leseschwache Schülerinnen
Baker et al. (2002) sowie Gersten et al. (2008, 2009) fassen und Schüler insbesondere von einem Unterricht, der
den Forschungsstand zum lernförderlichen Mathematik- Elemente kooperativen Lernens (7 Abschn. 4.2.4), meta-
unterricht mit leistungsschwächeren Lernenden zusammen kognitiver Förderung (7 Abschn. 4.2.7), tutorieller Unter-
und gelangen hierbei zu folgenden Schlussfolgerungen. stützung durch die Lehrperson und einen hochwertigen
Demnach zeichnet sich ein solcher Unterricht durch lehrergelenkten (7 Abschn. 4.1.3) und lautorientierten
eine explizite, inhaltlich klare und verständnisorientierte Unterricht verknüpft.
Auch einige deutsche Studien untermauern die
Relevanz der genannten Merkmale lernwirksamen und
3 Die Arbeitsgruppe um Hamre und Pianta unterscheidet zwischen motivationsförderlichen Unterrichts für Lernende mit
drei Komponenten der L­ ehrer-Schüler-Interaktion: „emotional ungünstigen Lernvoraussetzungen. In der Studie von Seiz
support“, „classroom organization“ und „instructional support“ et al. (2016) trugen eine effektive Klassenführung (7 Kap. 5)
(Hamre und Pianta 2010). Diese drei Komponenten zeigen
und eine konstruktive Lernunterstützung (7 Abschn. 4.2.8)
eine hohe Überschneidung mit den drei Basisdimensionen der
deutschsprachigen Forschung, effektive Klassenführung, unter- dazu bei, dass Lernende mit Migrationshintergrund
stützendes Unterrichtsklima/konstruktive Lernunterstützung und höhere Lernzuwächse erzielten als ihre Mitschüler ohne
kognitive Aktivierung (7 Abschn. 4.2.11). Migrationshintergrund.
Unterricht
103 4
In der DESI-Videostudie konnte nachgewiesen werden, in solchen Unterrichtssettings häufig mindestens so hohe
dass der Einfluss kognitiver Voraussetzungen der Lernenden Lerngewinne erzielen wie in Phasen mit direkter Lehrer-
auf den Lernerfolg umso schwächer ist, je ausgeprägter die unterstützung.4
inhaltliche Klarheit des Unterrichts ist. Das bedeutet: Wenn Selbst der Ansatz des „produktiven Scheiterns“, der
sich der Unterricht durch eine geringe Klarheit auszeichnet, mit erheblichen kognitiven Anforderungen für Lernende
wird der Lernerfolg der Schüler stärker durch die schon verbunden ist, liefert Hinweise darauf, dass schwächere
vorab existierenden Lernvoraussetzungen bestimmt. Der Schülerinnen und Schüler davon profitieren können
Abstand zwischen den stärkeren und schwächeren Schülern (z. B. Kapur und Bielaczyc 2012). Entscheidend scheint
bleibt somit eher bestehen. Wenn sich der Unterricht auch hier zu sein, dass die Lehrperson die anfäng-
dagegen durch eine hohe inhaltliche Klarheit auszeichnet, lich selbst generierten Problemlösungen der Lernenden
ist der Zusammenhang zwischen Lernvoraussetzungen und in der anschließenden lehrergelenkten Phase aufgreift,
Lernerfolg eher entkoppelt. Der Abstand zwischen stärkeren kontrastiert und für den Diskurs zugänglich macht, was
und schwächeren Schülerinnen und Schülern im Lernerfolg wiederum voraussetzt, dass die Lehrperson die unterschied-
ist damit geringer (Helmke et al. 2008b). lichen Lösungsansätze und -ideen der Schülerinnen und
In der Studie von Decristan et al. (2015a) erwiesen sich Schüler bewusst wahrnimmt und diagnostiziert.
formatives Assessment und Scaffolding (7 Abschn. 4.2.9) Zusammenfassend wird durch die hier exemplarisch
insbesondere für Lernende mit unterdurchschnittlichen dargestellten Studien deutlich, dass ein Unterricht, der sich
sprachlichen Voraussetzungen als bedeutsam für das natur- durch inhaltliche Klarheit und kognitive Aktivierung aus-
wissenschaftliche Verständnis. zeichnet, hierbei die Lernstände der Schülerinnen und
Förster et al. (2018) untersuchen die Wirkungen Schüler einbezieht und dadurch konstruktives und adaptives
einer computergestützt implementierten Lernverlaufs- Feedback ermöglicht sowie die Lernenden im Erwerb und
diagnostik in Kombination mit einem langfristig angelegten in der Anwendung von Lernstrategien unterstützt, auch
Differenzierungsprogramm auf die Entwicklung der Lese- oder sogar insbesondere Schülerinnen und Schülern mit
flüssigkeit und des Leseverständnisses von Grundschülern. ungünstigeren Lernvoraussetzungen entgegenkommt.
Die Lehrpersonen der Untersuchungsgruppe wurden Umgekehrt kann geschlussfolgert werden, dass Lernende
regelmäßig über die Leseentwicklung ihrer Schülerinnen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen größere Schwierig-
und Schüler informiert und erhielten zusätzlich Hinweise auf keiten haben, dem Unterricht zu folgen, wenn dessen Quali-
mögliche – den Lernständen angepasste Differenzierungs- tät gering ist. Hier zeigen sich interessante Parallelen zu
angebote. Diese umfassten Vorschläge zur Durchführung den frühen Annahmen von Carroll (1963) (7 Abschn. 4.1.3,
kooperativer Lesephasen und Hinweise auf Lesetexte mit „Behavioristisch orientierte Instructional-Design-Modelle“).
unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus. Im Vergleich mit
einer Kontrollgruppe, die den herkömmlichen Leseunter-
richt praktizierte, zeigte sich ein Vorteil der Schülerinnen 4.2.11  Zusammenfassung und Einbettung
und Schüler in der Untersuchungsgruppe, allerdings nur im der Befunde
Bereich der Leseflüssigkeit, nicht aber im Bereich des Lese-
verständnisses. Zusätzlich zeigte sich, dass die schwächeren In der deutschen schulpädagogischen Diskussion wurde
Schülerinnen und Schüler stärker profitierten als die lange Zeit Merkmalen der sogenannten Sicht- oder Ober-
Lernenden mit günstigeren Voraussetzungen. flächenstruktur von Unterricht eine erhebliche Bedeutung
Das oben dargestellte amerikanische S­ucess-for-all- für das Lernen der Schüler zugeschrieben. Damit sind
Programm (Slavin und Madden 2012), welches auch auf Merkmale des Unterrichts gemeint, die sich gut beobachten
eine regelmäßige Diagnose der Lernstände, auf kooperative lassen, wie z. B. bestimmte Sozialformen (Einzel-, Partner-,
Lernformen in leistungshomogenen Gruppen und zusätz- Gruppenarbeit, Unterricht mit der ganzen Klasse), der
lich auf die metakognitive Förderung der Lernenden setzte,
konnte ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Leistungs-
schere zwischen privilegierten und weniger privilegierten 4 Die Forschung aus dem Umfeld der C ­ ognitive-Load-Theorie
Schülerinnen und Schülern verringerte. verweist darauf, dass leistungsstärkere Schülerinnen und
Zudem zeigen Studien, dass leistungsschwächere Schüler in der Regel bessere Lernergebnisse erzielen, wenn
sie weniger direkte Unterstützung und Anleitung durch
Schülerinnen und Schüler eher von lehrergelenkteren
die Lehrperson erfahren. Dies wird in der Forschung als
Formen des Unterrichts mit stärkerer Unterstützung ­„expertise-reversal“-Effekt bezeichnet (Kalyuga 2007; Kalyuga
und Strukturierung der Lehrperson profitieren als von et al. 2003; 7 Kap. 6). Demnach wird der Wissenserwerb
Unterrichtsformen mit hohen Freiheitsgraden (Connor von Lernenden mit hoher Expertise behindert, wenn diese
et al. 2004; Decristan et al. 2015a; Kirschner et al. 2006; Informationen und Unterstützungen durch die Lehrperson
erhalten, die sie eigentlich nicht benötigen. Begründet wird
Lipowsky und Lotz 2015), während demgegenüber
dieser Expertise-Umkehr-Effekt damit, dass die Bereitstellung
leistungsstärkere Lernende weniger Lernunterstützung überflüssiger bzw. redundanter Informationen mit höheren
benötigen und mit Unterrichtsformen, die ein hohes Maß kognitiven Belastungen des Arbeitsgedächtnisses einhergeht und
an Selbststeuerung verlangen, besser zurechtkommen und elaborierende Aktivitäten des Lernenden unterdrückt.
104 F. Lipowsky

Einsatz von Medien oder die Wahl bestimmter Unterrichts- 2. Kognitiv anspruchsvolle und vertiefte Auseinander-
formen und -methoden. Die oben zusammengefassten setzung mit dem Unterrichtsgegenstand:
Forschungsbefunde verdeutlichen jedoch, dass es weniger Merkmale wie die kognitive Aktivierung und die meta-
diese gut beobachtbaren und unterscheidbaren Merkmale der kognitive Förderung der Lernenden, die Bereitstellung
Sicht- und Oberflächenstruktur sind, die das Lernen und Ver- informativen Feedbacks sowie die kognitionspsycho-
stehen von Schülerinnen und Schülern befördern sowie ihre logisch verstandene Strukturiertheit des Unterrichts
Motivation und Freude am Lernen erhalten bzw. steigern, beschreiben einen Unterricht, in dem die Lernenden zu
sondern Merkmale der sogenannten Tiefenstruktur, welche einer vertieften Verarbeitung der Unterrichtsinhalte,
4 man nicht so gut beobachten kann (siehe auch Reusser 2019; zu einer Verknüpfung neuer Informationen mit bereits
Reusser und Pauli 2013; Decristan et al. 2020). Um die Wirk- bestehendem Wissen und damit zu einer Erweiterung
samkeit des Unterrichts einzuschätzen, ist es z. B. erforderlich, bestehender kognitiver Strukturen angeregt werden.
Lehrererklärungen, den Anregungsgehalt von Fragen und 3. Inhaltlich klare und kohärente Behandlung von
Aufgaben, die Beschaffenheit von Feedback, die Kohärenz fachlich relevanten Inhalten
des Unterrichtsverlaufs sowie die Art und Weise in den Blick Fachlich anspruchsvolles Lernen setzt aber auch voraus,
zu nehmen, wie Lernende zum Einsatz von Arbeitstechniken dass die Lehrperson fachlich zentrale Konzepte, Ideen
und Lernstrategien angeregt und wie sie in ihrem A ­ utonomie- und Prinzipien zum Gegenstand des Unterrichts macht
und Kompetenzerleben unterstützt werden. und diese inhaltlich relevanten Lerngelegenheiten in
Lange Zeit ging man in der Unterrichtsforschung von kohärenter Weise arrangiert. Diese Dimension des Unter-
einer prinzipiellen Unvereinbarkeit leistungs- und richts dürfte wesentlich von Planungsentscheidungen
motivationsförderlichen Unterrichts aus. Die hier dar- der Lehrperson beeinflusst sein. Im Unterricht spiegelt
gestellten Befunde verdeutlichen jedoch, dass Merkmale, es sich in der inhaltlichen Klarheit und fachlichen
die das Lernen befördern, auch die affektiv-motivationale Kohärenz des Unterrichts, in der Behandlung fach-
Entwicklung von Schülerinnen und Schülern positiv lich relevanter und zentraler Konzepte und Prinzipien
beeinflussen können. Dies wird auch durch Ergebnisse sowie in der Beachtung zentraler Bedingungen sinn-
sogenannte Optimalklassenstudien gestützt. Sie unter- vollen Übens wider. Diese Merkmale tragen dazu bei,
suchen, durch welche Merkmale sich jene Klassen aus- dass Lernende ihre Aufmerksamkeit auf wichtige und
zeichnen, die vergleichsweise hohe Zuwächse im kognitiven relevante Aspekte des Inhaltes richten, kennzeichnende
und ­affektiv-motivationalen Bereich erzielen. Diese „Positiv- Eigenschaften des Gegenstandes oder Prinzips erkenen,
klassen“ zeichnen sich durch eine effektive Klassenführung, das zu lernende Konzept oder Prinzip diskriminieren und
eine intensive Lernzeitnutzung, ein eher mäßiges Interaktions- das zu erwerbende Wissen mit ihrem Vorwissen ver-
tempo, durch hohe inhaltliche Klarheit und individuelle netzen. Aktuelle Ergebnisse der Forschung, insbesondere
Unterstützung der Lernenden aus (Gruehn 1995; Helmke aus dem Mathematikunterricht, verweisen darauf, dass
und Schrader 1990; Weinert und Helmke 1996). Auch fachdidaktische Aspekte von Unterrichtsqualität, wie die
umfassende domänenspezifische Förderprogramme, die fachliche der Inhalte sowie deren verständliche, kohärente
häufig mit Ergänzungen und Veränderungen im Curriculum und qualitativ hochwertige Aufbereitung, Präsentation
einhergehen, erzielten positive Effekte auf kognitive und und Erarbeitung, eine Dimension von Unterrichts-
motivationale Variablen von Lernenden (zsf. Hattie 2009). qualität abbilden, die sich von kognitiver Aktivierung
Darüber hinaus zeigt sich jedoch, dass die Merkmalsprofile unterscheiden lässt. So hingen im Pythagorasprojekt
der Optimalklassen vergleichsweise breit streuen, d. h. den (Klieme et al. 2009) die kognitive Aktivierung und
„Königsweg“ bzw. das Muster erfolgreichen Unterrichts gibt die fachdidaktische Unterrichtsqualität, welche über
es nicht. Erfolgreicher Unterricht lässt sich offenbar unter- das Vorkommen, die Qualität und die Strukturierung
schiedlich, wenngleich nicht beliebig realisieren. sogenannter Verstehenselemente erfasst wurde (7 Abschn.
Die dargestellten Merkmale lernwirksamen und 4.2.2 und 4.2.6), kaum miteinander zusammen (Lipowsky
motivationsförderlichen Unterrichts lassen sich zu et al. 2018; Pauli und Reusser 2015). In einer weiteren
mehreren übergeordneten Dimensionen von Unterrichts- Untersuchung aus dem Mathematikunterricht kommen
qualität verdichten: Jentsch et al. (2020) ebenfalls zu dem Ergebnis, dass fach-
1. Zeit zum Lernen durch eine effektive Klassenführung didaktische Strukturierung – operationalisiert u. a. durch
und eine deutliche Strukturiertheit des Unterrichts: Eine die Qualität der Lehrererklärungen, durch die fachliche
effektive Unterrichts- und Klassenführung und ein gut Korrektheit und die Strukturierung – und kognitive
strukturierter Unterricht tragen dazu bei, dass ein hohes Aktivierung als zwei unterschiedliche Dimensionen von
Ausmaß an Lerngelegenheiten zur Verfügung steht und für Unterrichtsqualität betrachtet werden müssen, wenn-
die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand genutzt gleich hier der Zusammenhang zwischen den beiden
werden kann. Eine effektive Klassenführung und eine deut- Dimensionen höher ausfällt als in der Pythagorasstudie.
liche Strukturiertheit des Unterrichts sind somit wichtige Generisch und fachdidaktisch konzeptualisierte
Voraussetzungen für eine intensive Be- und Verarbeitung Dimensionen von Unterrichtsqualität scheinen somit
der Unterrichtsinhalte und für das Erleben eigener Wirk- komplementäre Facetten eines hochwertigen Lehr- und
samkeit und Kompetenz aufseiten der Lernenden. Lerngeschehens einzufangen und nicht dieselben Aspekte
Unterricht
105 4
von Unterrichtsqualität abzubilden (Charalambous und dafür dar, dass die Lernenden die zur Verfügung stehende
Praetorius 2018; Klieme 2019; Lipowsky et al. 2018). Lernzeit aktiv ­(on-task) nutzen, was sich wiederum positiv auf
4. Unterstützendes Unterrichtsklima (konstruktive Lern- den Lernerfolg, über das Erleben eigener Kompetenz aber auch
unterstützung): Eine vertiefte inhaltliche Auseinander- positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken sollte. Ein
setzung mit dem Unterrichtsgegenstand erfordert positiv geprägtes Unterrichtsklima trägt dazu bei, dass sich die
ein hohes Engagement der Lernenden. Eine positiv Lernenden für ihr Lernen engagieren und anstrengen, was sich
ausgeprägte Lehrer-Schüler-Beziehung und ein unter- über motivationale Aspekte des Lernens auch auf den Lern-
stützendes Unterrichtsklima sind wichtige Voraus- erfolg auswirken kann.
setzungen für dieses Engagement der Lernenden, für das
Erleben sozialer Eingebundenheit und die Förderung
der Motivation und beeinflussen hierüber auch die 4.2.12  Grenzen
kognitive Verarbeitung des Unterrichtsinhalts.
Bei dem hier vorgenommenen variablenzentrierten Review
Anknüpfend an konstruktivistische und motivationspsycho- des Forschungsstands ist Folgendes zu beachten:
logische Perspektiven auf unterrichtliches Lernen und die dar- 1. Zwischen den dargestellten Merkmalen guten Unterrichts
gestellten Befunde der Unterrichtsforschung lassen sich die ergeben sich teilweise inhaltliche Überschneidungen.
vermuteten Wirkungen dieser Basisdimensionen guten Unter- Zum Teil ist auch von ähnlichen Wirkmechanismen
richts vereinfacht und verkürzt im folgenden theoretischen auszugehen. Dies lässt sich z. B. exemplarisch an den
Modell (. Abb. 4.4) zusammenfassen (vgl. auch Klieme et al. Merkmalen des „kooperativen Lernens“ und der
2006, 2009). Dabei wird zwischen den verdichteten Basis- „kognitiven Aktivierung“ zeigen, die sich beide auf die
dimensionen auf der Angebotsseite, den angenommenen Theorien Piagets und Vygotskys stützen. Diese Über-
Wirkmechanismen dieser Basisdimensionen auf der schneidungen bedeuten auch, dass sich die Effekte
Nutzungsebene und den Ergebnissen auf der Wirkungs- mehrerer Merkmale nicht einfach addieren lassen.
ebene unterschieden. Lernwirksamer und motivationsförder- 2. Guter Unterricht lässt sich somit nicht zwangsläufig
licher Unterricht zeichnet sich demnach durch die kognitiv an der Anzahl der überdurchschnittlich ausgeprägten
aktivierende Behandlung fachlich zentraler, verständlich Merkmale festmachen. Die Optimalklassenstudien
und korrekt präsentierter und kohärent arrangierter Inhalte, identifizierten in der Regel mehrere Konfigurationen
durch eine effektive Klassenführung mit wenigen Unter- von Merkmalsausprägungen erfolgreicher Klassen.
richtsstörungen und durch ein positiv geprägtes Unter- Unterricht kann demnach auf verschiedene Weise
richtsklima aus. Während die kognitiv aktivierende und die erfolgreich durchgeführt und gestaltet werden.
verständliche und kohärente Aufbereitung fachlich zentraler 3. Die dargestellten Merkmale unterscheiden sich hinsicht-
Inhalte eine vertiefte kognitive Verarbeitung und eine lich ihrer Komplexität und hinsichtlich ihres Inferenz-
Fokussierung auf relevante Konzepte und Inhalte nach sich grades. Dies lässt sich exemplarisch an den Merkmalen
ziehen und sich darüber auf den Aufbau von Wissen und Feedback und kognitive Aktivierung zeigen. Beim
die Entwicklung von Verständnis auswirken sollte, stellt die Feedback handelt es um ein vergleichsweise konkretes
effektive Klassenführung eine grundlegende Voraussetzung und gut beobachtbares Merkmal von Unterricht,

. Abb. 4.4 Basisdimensionen guten Unterrichts und deren angenommene Wirkungen. (Modifiziert nach Klieme et al. 2006, 2009; mit freund-
licher Genehmigung des Waxmann Verlags)
106 F. Lipowsky

während die kognitive Aktivierung aus unterschiedlichen


Facetten besteht, demzufolge eine höhere Komplexität Lehrpersonen schaffen in einem lernwirksamen und
aufweist, in der Regel über eine Reihe von Indikatoren motivationsförderlichen Unterricht außerdem vielfältige
erfasst wird und schwieriger zu messen ist als z. B. Gelegenheiten zum kooperativen Lernen, in denen die
Feedback oder die beiden anderen Basisdimensionen von Schülerinnen und Schüler herausfordernde und komplexe
Unterrichtsqualität (vgl. Praetorius et al. 2014). Aufgaben gemeinsam bearbeiten, sich hierbei wechselseitig
4. Die für diesen Beitrag herangezogenen Studien unterstützen und aufgabenbezogen interagieren.
beziehen sich auf unterschiedliche curriculare Die genannten Merkmale verdeutlichen, dass ein
4 Kontexte, betrachten unterschiedliche abhängige lernwirksamer und motivationsförderlicher Unterricht
Variablen und Lernende unterschiedlichen Alters. die Spannung zwischen lehrer- und schülerorientiertem
Bei entsprechender Differenzierung dürften sich Unterricht auflöst, indem er auf eine Kombination von
Abweichungen von dieser zusammenfassenden Dar- Formen direkter und indirekter Instruktion setzt. Wie
stellung ergeben. einige der hier herangezogenen Studienergebnisse
5. Aktuellere Forschungsergebnisse verweisen darauf, zeigen, gelten diese Merkmale „guten“ Unterrichts
dass durch den Einbezug domänenspezifischer und offenbar nicht nur für analogen Präsenzunterricht in
curricularer Merkmale noch bedeutsamere Effekte der Schule, sondern auch für digital gestützten und
des Unterrichts zu erwarten sind (Drollinger-Vetter asynchronen Fernunterricht.
2011; Hattie 2009; Lipowsky et al. 2018; Seidel und Wendet man den Blick von der Empirie zur Theorie, so
Shavelson 2007). So zeigen beispielsweise domänen- werden in dem Kapitel Bezüge zu unterschiedlichen
spezifische Schülertrainings (z. B. im Lesen oder in theoretischen Perspektiven hergestellt, die die
der Mathematik) in der Regel erhebliche Effekte auf Wirkungen der dargestellten Unterrichtsmerkmale
den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler (Hattie erklären können. Dies verweist gleichzeitig
2009). Auf diese wurde hier allerdings nur kurz ein- darauf, dass die Entwicklung einer konsistenten
gegangen (z. B. Abschn. 4.2.6 und 4.2.7). Theorie des Unterrichts, die die Spezifität der
einzelnen Unterrichtsfächer, die unterschiedlichen
Voraussetzungen der Lernenden und die verschiedenen
Fazit Lernzielniveaus integriert und verbindet, noch aussteht.
Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die Frage, welche
Merkmale einen lernwirksamen und motivations-
förderlichen Unterricht charakterisieren und wie ? Verständnisfragen
sich entsprechende Effekte theoretisch erklären 1. Was versteht man unter dem
lassen. Den Ergebnissen der herangezogenen ­Angebots-Nutzungs-Modell?
Studien zufolge zeichnet sich ein lernwirksamer und 2. Wie lassen sich positive Effekte kooperativen Lernens
motivationsförderlicher Unterricht dadurch aus, dass von Lernenden theoretisch erklären?
Lernende einen hohen Anteil ihrer Lernzeit für die 3. Wie ist der Experteneffekt beim Gruppenpuzzle erklärbar
Auseinandersetzung mit fachlich relevanten Themen, und wie kann man ihm als Lehrperson begegnen?
Konzepten und Kernideen nutzen. Diese werden von 4. Vergleichen Sie den STAD- und JIGSAW-Ansatz zum
der Lehrperson korrekt, verständlich und kohärent kooperativen Lernen.
präsentiert und zugänglich gemacht. Die Verarbeitung 5. Erläutern Sie, inwieweit erfolgversprechendes
der Inhalte wird durch einen die Lernenden kognitiv Lehrerfeedback vom fachlichen und fachdidaktischen
aktivierenden Unterricht angeregt und unterstützt. Wissen der Lehrperson abhängig sein dürfte.
Die kognitive Aktivierung bezieht sich nicht nur auf 6. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen kognitiver
Phasen der Erarbeitung, sondern auch auf Phasen der Aktivierung und inhaltlicher Klarheit.
Vertiefung, Übung und Anwendung von Inhalten und 7. Was versteht man unter den drei Basisdimensionen
setzt die Anknüpfung an das Vorwissen der Lernenden von Unterrichtsqualität?
voraus. 8. Erläutern Sie, warum konstruktivistische Theorien
In einem lernwirksamen und motivationsförderlichen des Wissenserwerbs nur bedingt geeignet sind,
Unterricht erhalten die Lernenden zudem konstruktives bestimmte Unterrichtsformen zu legitimieren.
und inhaltsbezogenes Feedback, das auf ihre 9. Stellen Sie sich vor, Vertreterinnen und Vertreter der
Lernvoraussetzungen abgestimmt ist und das sie Cognitive-Load-Theorie und des offenen Unterrichts
in ihrem Lernprozess und bei der Selbstregulation kommen miteinander ins Gespräch. Kommen sie zu
unterstützt. Die Lernenden werden systematisch zur ähnlichen Schlussfolgerungen, was die Gestaltung von
Selbststeuerung ihrer Lernprozesse und zum Erwerb von Unterricht anbelangt? Begründen Sie.
Lernstrategien angeleitet und durch die Schaffung von 10. Erstellen Sie eine Concept-Map zum Thema
Lernsituationen herausgefordert, diese metakognitiven Unterrichtsqualität und berücksichtigen Sie hierbei
Fähigkeiten anzuwenden und zu nutzen. Indikatoren der jeweiligen Unterrichtsmerkmale
sowie zugrundeliegende theoretische Perspektiven.
Unterricht
107 4
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119 5

Klassenführung
Tina Seidel

5.1 Klassenführung als zentrales Thema der


Unterrichtsforschung – 120
5.2 Begriffsklärung – 121
5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung – 121
5.3.1 Disziplinierungsmaßnahmen – 122
5.3.2 Allgegenwärtigkeit und Überlappung – 123
5.3.3 Reibungslosigkeit und Schwung – 124
5.3.4 Gruppenmobilisierung – 124
5.3.5 Abwechslung und Herausforderung – 125
5.3.6 Zusammenfassung und Fazit – 125

5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen – 126


5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit – 127
5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei
Schülern – 127
5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von
Lehrenden – 129
Literatur – 130

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_5
120 T. Seidel

Lehrer klagen häufig darüber, dass es im Unterricht an Gerade in Hinblick auf die Klassenführung wünschen
Disziplin mangelt und die Schüler nicht zu bändigen sind. sich viele Lehrer, aber auch Lehramtstudierende und
Die Schülerinnen und Schüler klagen ebenfalls: darüber, Berufsanfänger oft mehr Informationen über einen
dass die Lehrer schlecht vorbereitet sind, der Unterricht angemessenen Umgang mit Störungen im Unterricht und
chaotisch organisiert ist und man sich durch den Lärm zur Führung einer Klasse (Ophardt und Thiel 2013; Thiel
der anderen gestört fühlt. Neben den Klagen gibt es aber 2016).
auch positive Beispiele: Klassenzimmer, aus denen ein Wichtig dabei ist, dass es sich beim Unterricht um
dezenter Lärmpegel dringt, der auf eine konzentrierte ein komplexes Phänomen handelt. Unterricht zeichnet
Arbeitsatmosphäre hinweist; Klassenzimmer, in denen sich durch eine große Anzahl an Ereignissen aus, die mit-
Lehrende durch die einzelnen Arbeitsgruppen gehen, einander vernetzt sind und sich wechselseitig beeinflussen.
5 Hilfestellungen geben, Schüler sich gegenseitig unterstützen
und in denen offensichtlich alle wissen, wohin die (Lern-)
Ereignisse im Unterricht passieren unmittelbar und schnell,
sie sind nur schwer vorhersehbar und haben häufig einen
Reise geht. Das folgende Kapitel behandelt Grundlagen unerwarteten Verlauf. Außerdem kennzeichnet sich Unter-
der 7 Klassenführung. Dabei wird die Klassenführung richt durch die gemeinsame Geschichte der Klasse und der
als Komponente der Unterrichtsqualität eingebettet Lehrperson. Einzelne Ereignisse können also nicht als von-
und wichtige Komponenten vorgestellt. Die Grundlagen einander unabhängig und losgelöst betrachtet werden.
der Klassenführung werden anhand von Beispielen aus 5 Unterricht besteht aus Aushandlungsprozessen, bei
den Forschungsarbeiten von Jacob S. Kounin erläutert. denen unterschiedliche Ziele, Einstellungen, Interessen
Abschließend werden drei Komponenten der Klassenführung und Kognitionen der Lernenden und Lehrenden
herausgestellt: Umgang mit Störungen, Management von aufeinandertreffen. Die Rolle der Lehrenden besteht
Lernzeit und Begleitung von Lernprozessen (. Abb. 5.1). darin, extrinsische Zielstellungen (aus Sicht des Lehr-
plans, der Lehrenden) an die Schüler heranzutragen
und den Unterricht so zu gestalten, dass extrinsische
Motivationslagen internalisiert und in eigene Ziele
integriert werden (7 Kap. 7). Gleichzeitig können
Lehrende das Lernen ihrer Schüler nicht einfach
„anschalten“. Ihre Aufgabe ist es, eine strukturierte Lern-
umgebung vorzubereiten und die Wahrscheinlichkeit für
Lernen zu erhöhen.
5 Unterricht zeichnet sich durch soziale Gruppenprozesse
aus. Mit dieser sozialen Situation umzugehen und
heterogene Gruppen unterschiedlichen Alters zu leiten
und zu begleiten, stellt für viele eine Herausforderung
dar. Dementsprechend schließt sich die Diskussion an,
ob man für den Umgang mit dieser sozialen Situation
„geschaffen“ bzw. geeignet ist oder ob man sich diese
Kompetenzen im Verlauf der Ausbildung aneignen
. Abb. 5.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) kann.
5 Unterricht ist eingebettet in den institutionellen Kontext
von Schule und die an der Schule und im Bildungs-
5.1  Klassenführung als zentrales Thema der system vorherrschenden Ziele und Erwartungen. Für
Unterrichtsforschung den Unterricht bedeutet dies, dass Lehrer nicht losgelöst
von diesem Kontext agieren können und von ihnen
In der Unterrichtsforschung beruft man sich auf das erwartet wird, dass sie Ziele in einer bestimmten Zeit
Angebots-Nutzungs-Modell (Seidel 2014; Seidel und erreichen.
Reiss 2014; Trautwein und Kunter 2013). Ziel ist es, einen
fundierten Kenntnisstand darüber aufzubauen, welche Anfänger im Lehrberuf haben oft die Vorstellung, dass
Angebote eine Lehrperson im Unterricht bereitstellt, eine gelungene Klassenführung eine Art Voraussetzung
die Schülerinnen und Schüler möglichst optimal nutzen für das „eigentliche“ Geschäft des Unterrichtens darstellt.
können, um positive Lernergebnisse zu erzielen. Als effektiv Aus wissenschaftlicher Sicht ist Klassenführung dagegen
wird ein Unterricht dann bezeichnet, wenn bestimme Lehr- als ein Syndrom zu verstehen, das eine Reihe verschiedener
weisen besonders positiv die Lernergebnisse von Schülern Unterrichtsmerkmale einschließt und integraler Teil des
beeinflussen. In der Unterrichtsforschung haben sich drei Prozesses des Unterrichtens ist. In den nachfolgenden Aus-
Merkmalsbereiche als besonders effektiv herausgestellt: führungen wird deshalb der Begriff der Klassenführung
Kognitive Aktivierung, Unterstützendes Lernklima/Lern- als ein besonderer Aspekt des Unterrichts herausgestellt.
begleitung, und Klassenführung (7 Kap. 4). Im Zusammenhang mit den Ausführungen im Kapitel
Klassenführung
121 5
„Unterricht“ ordnet sich die Klassenführung zu großen die einzelnen Schüler mit den zu lernenden Inhalten
Anteilen in die Dimension der Strukturiertheit von Unter- aktiv, engagiert und konstruktiv auseinandersetzen. Je
richt ein, etwa in Bezug auf die Festlegung von Regeln, mehr die Unterrichtszeit für die Reduktion störender
Erwartungen und Normen (7 Abschn. 4.2). Aktivitäten verbraucht bzw. verschwendet wird,
Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Aus- desto weniger aktive Lernzeit steht zur Verfügung. Je
führungen zur Klassenführung in diesem Kapitel auf häufiger einzelne Schüler im Unterricht anwesend und
Lernende ohne gravierende Störungsbilder konzentrieren, zugleich geistig abwesend sind, umso weniger können
wie sie beispielsweise bei Lern- und Verhaltensstörungen auf- sie lernen. Der Klassenführung kommt deshalb eine
treten (7 Kap. 16, 17 und 18). Für diese Fragen bedürfte es Schlüsselfunktion im Unterricht zu.
einer erweiterten Darstellung und Diskussion pädagogisch-
Ein weiterer Aspekt der Klassenführung betrifft die Unter-
psychologischer Interventionsmaßnahmen, die den Rahmen
stützung der individuellen Lernaktivitäten der Schüler
dieses Kapitels übersteigen.
(Thiel 2016). Zentral ist dabei, wie Lehrende mit Schülern
interagieren, wie sie Rückmeldungen an die Lernenden
geben, wie sie das Lernen der Schüler überwachen und
5.2  Begriffsklärung
regulierend begleiten. Das Ziel ist es, erwünschtes Verhalten
zu fördern und zu unterstützen. Diese Komponente von
Der Begriff der Klassenführung lenkt den Blick zunächst
Klassenführung steht im Zentrum der von der Bildungs-
auf jene Maßnahmen, mit deren Hilfe Lehrende für
direktion Zürich (2006) vorgeschlagenen Definition.
Disziplin sorgen, einen reibungslosen Ablauf des Unter-
richts gewährleisten, mit störenden Schülern umgehen,
Definition
Regeln aufstellen, Konflikte lösen (7 Abschn. 4.2). Da es hier
im Kern um den Umgang mit unerwünschten Verhaltens- Klassenführung ist alles, was Lehrpersonen mittels
weisen von Schülern geht, werden Begriffe wie Disziplin, Aktivitäten und Haltungen zur Steuerung der
Regelklarheit, und Strukturgebung bedeutsam, die auch Interaktionen in der Klasse beitragen, wobei ihnen
in der erziehungspsychologischen Literatur (ausführlich bewusst ist, dass die Klasse mehr ist als die Summe der
dazu 7 Abschn. 10.2) im Zentrum stehen. Zieht man eine einzelnen Schüler und dass sich die individuellen und
Parallele von der „Führung“ im Klassenzimmer zum elter- die sozialen Lernprozesse gegenseitig beeinflussen.
lichen Erziehungsstil (Helmke 2015), dann ist hier wie da Ziel ist ein Klassenklima, welches gute Lehr- und
ein autoritatives Erziehungsverhalten zielführend. Dieses Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung und den Schutz
zeichnet sich dadurch aus, dass zwar Normen und Werte jedes Einzelnen gewährleistet, den Schülern ermöglicht,
vorgegeben, diese aber gemeinsam mit den Kindern bzw. an gemeinschaftsbildenden Aktivitäten zu lernen und
Schülern ausgehandelt werden. Ziel ist es, die Kinder von die Motivation der Schüler stärkt, sich zugunsten der
der Notwendigkeit der Normen und Werte zu überzeugen. Gemeinschaft einzusetzen (Bildungsdirektion Kanton
Eine weitere Facette von „Klassenführung“ hebt auf Zürich 2006, S. 1).
Unterrichtsstrategien ab, die dazu beitragen, dass sich
Lernende möglichst zeitintensiv mit den Lerninhalten aus-
einandersetzen (Thiel 2016; Evertson und Weinstein 2006).
Es geht darum, die Lerninhalte vorzustrukturieren und 5.3  Der Klassiker: Kounins Techniken der
den Ablauf einer Stunde so zu gestalten, dass die Schüler Klassenführung
wesentliche Lehrziele als Lernziele nachvollziehen und
integrieren können. Kurz gefasst dient Klassenführung somit Unter den Forschungsarbeiten zur Klassenführung gelten
der Herbeiführung positiven und erwünschten Verhaltens die Beiträge von Jacob S. Kounin (1976, 2006) als weg-
durch eine maximale Bereitstellung von aktiver Lernzeit weisend. Ausgangspunkt für das Forschungsprogramm
(7 Abschn. 4.1). Dass hierbei der (Förderung der) Lern- stellte ein Zwischenfall in der Hochschullehre dar: Ein
motivation von Lernenden eine wichtige Rolle zukommt, Student las während der Vorlesung offensichtlich Zeitung.
wird aus der folgenden Definition Weinerts deutlich. Der Forscher hatte den Studenten daraufhin öffentlich
Nach Weinert (1996, S. 124) ist es die zentrale Funktion gemaßregelt. In der Folge verhielten sich die anderen
von Klassenführung, Studierenden, die von der Maßregelung überhaupt nicht
betroffen waren, deutlich anders: Sie starrten auf ihre
» … die Schüler einer Klasse zu motivieren, sich möglichst Unterlagen, waren zurückhaltend und trauten sich kaum,
lange und intensiv auf die erforderlichen Lernaktivitäten offen an einem Gespräch mit dem Dozenten teilzunehmen.
zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür – den Kounin interpretierte diese pädagogische Situation als
Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder „Welleneffekt“, den er nicht antizipiert und beabsichtigt
auftretende Störungen schnell und undramatisch hatte. Das in Folge entstandene Forschungsprogramm zur
beenden zu können. Die wichtigste Voraussetzung für Klassenführung von Kounin stellt einen der wichtigsten
wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen ist das Ausmaß Beiträge der Pädagogischen Psychologie in der Unterrichts-
der aktiven Lernzeit, das heißt der Zeit, in der sich forschung dar und besitzt immer noch eine hohe Aktualität.
122 T. Seidel

Gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie Forschung (6,8 %) gelten als häufigste Störungen. Weitere bezogen
einen wesentlichen Praxisbezug aufweist und von vielen sich auf Zuspätkommen, Vergessen von Hausarbeiten oder
Pädagogen konkret umgesetzt werden kann. Aus diesem benötigten Arbeitsmitteln und unerlaubtes Verlassen des
Grund wird dem Klassiker im Folgenden besondere Auf- Platzes. Auch wenn sich diese Verhaltensweisen in der Art
merksamkeit geschenkt. und Verteilung bis heute verändert haben dürften, geben die
Häufigkeiten doch einen Einblick in relativ typische Formen
von störenden Verhaltensweisen im Unterricht.
Merkmalsbereiche einer effektiven Klassenführung Drei Dimensionen unterschied Kounin in Bezug auf
(nach Kounin 1976, 2006) Disziplinierungsmaßnahmen:
1. Disziplinierung: Fähigkeit des Lehrenden, bei 5 Klarheit
5 Festigkeit
5 Störungen durch Lernende auf eine klare, feste und
nicht zu harte Weise zu reagieren. 5 Härte
2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung: Fähigkeit des
Lehrenden, den Schülern zu verdeutlichen, dass man Klarheit beinhaltet die Menge der Informationen, die ein
über die Situation im Klassenzimmer stets informiert Lehrender in Bezug auf seine Disziplinierung gibt. Die
ist und ggf. einschreiten wird; sowie die Fähigkeit, Informationen können variieren zwischen einer einfachen
bei gleichzeitig auftretenden Problemen die Benennung („Lass das!“) bis zur Benennung eines konkreten
Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten Fehlverhaltens („Du sollst nicht mit deinem Nachbarn
zu können. sprechen!“) bzw. durch Aufzeigen des Weges zur Einstellung
3. Reibungslosigkeit und Schwung: Fähigkeit des des Fehlverhaltens („Bitte sieh nach vorne!“) oder durch
Lehrenden, für einen flüssigen Unterrichtsverlauf Angabe eines konkreten Gruppenstandards („In der Regel
zu sorgen und speziell in Übergangsphasen für sagen wir ›bitte‹, wenn wir etwas haben möchten!“). Je mehr
eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den konkrete Informationen gegeben werden, desto höher ist die
Lerninhalten zu sorgen. Klarheit einer Disziplinierungsmaßnahme.
4. Gruppenmobilisierung: Fähigkeit des Lehrenden, Festigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, mit dem
sich auf die Gruppe als Ganzes zu konzentrieren; Lehrende die Ernsthaftigkeit ihrer Disziplinierung zum
gleichzeitig aber auch die Fähigkeit, den einzelnen Ausdruck bringen. Ein beiläufiges „Lass das“ ist ein Aus-
Schüler individuell zu unterstützen. druck für eine geringe Festigkeit in der Disziplinierung.
5. Abwechslung und Herausforderung: Fähigkeit Eine hohe Festigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der
des Lehrenden, die Lernaktivitäten (insbesondere Lehrende nachdrängt und den fokussierten Schüler ansieht,
in Stillarbeitsphasen) so zu gestalten, dass sie als bis das störende Verhalten eingestellt wird (. Abb. 5.2).
abwechslungsreich und herausfordernd erlebt Als Härte bezeichnet Kounin Disziplinierungen, in
werden. denen Lehrende Aggressionen zum Ausdruck bringen
(z. B. Zorn, Gereiztheit). Dies können böse Blicke sein oder
Bemerkungen, in denen Strafen angedroht oder tatsächlich
Wesentlich in den Forschungsergebnissen von Kounin war die erteilt werden.
Erkenntnis, dass nicht die Art der Disziplinierungsmaßnahmen
der Lehrenden bei Störungen entscheidend für eine effektive
Klassenführung ist, sondern die Art und Weise, wie Lehrer den
Unterricht organisieren, den Unterrichtsprozess überwachen
und durch die Art der Aufgabenstellungen für eine kognitiv
aktivierende Lernumgebung sorgen.
Die acht Lehrstilvariablen in den fünf Merkmals-
bereichen werden im Folgenden anhand von Fallbeispielen
näher erläutert.

5.3.1  Disziplinierungsmaßnahmen

Der Ausgangspunkt für Kounin war die Frage, wie Lehrende


mit Störungen im Unterricht umgehen und ob die Art und
Weise, wie Lehrer für Disziplin sorgen, messbare Aus-
wirkungen auf das Verhalten der Schüler in einer Klasse
hat. In Bezug auf die Häufigkeit von Störungen im Unter-
richt wurde zunächst festgestellt (Kounin 2006): Unter-
haltungen (30 %), Lärm, Gelächter und laute Unterhaltung . Abb. 5.2 Festigkeit des Lehrers aus Schülerperspektive: Den
(25 %), sachfremde Orientierung (17,2 %), Kaugummikauen Einzelnen sehen und alle im Blick behalten. (© bjupp/7 Fotolia.com)
Klassenführung
123 5
Die empirischen Untersuchungen von Kounin zeigten:
Bei experimentellen Untersuchungen, in denen sich Lehrende etwas zu. An dieser Stelle wies der Lehrer Mary und Jane
unter zwei Bedingungen bei Disziplinierungsmaßnahmen zurecht. Ist die Tatsache, dass Mary sich erst spät in diese
unterschiedlich verhalten, ließ sich ein Welleneffekt bei Kette von Gesprächen und Gekicher einreihte, irgendwie
den Studierenden nachweisen. Dozenten mit harten von Bedeutung?
Disziplinierungsmaßnahmen wurden von den Studierenden (Kounin 2006, S. 89 f.)
negativ bewertet, während ein konstruktiver Umgang eines
Dozenten positive Wirkungen entfaltete.
Die Ausführungen von Kounin verdeutlichen sehr anschau-
lich das Prinzip der Allgegenwärtigkeit. Klassenführung
5.3.2  Allgegenwärtigkeit und Überlappung im Sinne der Allgegenwärtigkeit vollzieht sich über die
Art und Weise, wie ein Lehrender sein Wissen über den
Allgegenwärtigkeit Zustand in der Klasse vermittelt, zu welchem Zeitpunkt er
Allgegenwärtigkeit bedeutet die Fähigkeit des Lehrenden, in das Geschehen eingreift und ob die richtige Person (bzw.
den Schülern mitzuteilen, dass er über ihr Tun stets das richtige Objekt) fokussiert wird. Die oben genannten
informiert ist. Sprichwörtlich bedeutet die Allgegenwärtig- Beispiele beschreiben Situationen, in denen Lehrende ihr
keit, dass ein Lehrender „Augen im Hinterkopf“ hat bzw. Wissen über die gesamte Situation im Klassenzimmer nicht
den Lernenden vermittelt, dass man genau weiß, was im vermittelt haben, ein zu spätes Eingreifen erfolgte und die
Klassenzimmer vorgeht. falsche Personengruppe fokussiert wurde.
Die empirischen Befunde der Videoanalysen zeigen
einen systematischen Zusammenhang zwischen der All-
Beispiel
gegenwärtigkeit von Lehrenden und dem Führungserfolg.
Der Lehrer führt mit einer Gruppe im Lesekreis Eine hohe Allgegenwärtigkeit korreliert positiv mit dem
Lautübungen durch. Johnny, der einer Stillarbeitsgruppe Mitarbeitsverhalten sowie der Rate an ausbleibendem Fehl-
angehört, dreht sich um und flüstert Jimmy etwas verhalten aufseiten der Schüler. Die Allgegenwärtigkeit ist
zu. Der Lehrer blickt auf und sagt: „Johnny, lass somit förderlich für die Mitarbeit und hemmend in Bezug
die Unterhaltung und beschäftige dich mit deinen auf das Fehlverhalten der Lernenden.
Additionsaufgaben!“. Diese Zurechtweisung wurde nun
nach ihrer Klarheit, Festigkeit und Härte bewertet. Aber Überlappung
sie waren für das Verhalten der Kinder gleichgültig. Überlappung bezeichnet die Fähigkeit eines Lehrenden, die
Gab es bei diesem Zurechtweisungsfall sonst noch Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten zu
etwas, was über den Führungserfolg entscheiden können. Situationen der Überlappung ergeben sich oft im
konnte? Wir spulten das [Video] Band zurück und ließen Zuge von Disziplinierungsmaßnahmen sowie bei unvorher-
es dann noch einmal durchlaufen. Dabei wurden wir gesehenen Schülerverhaltensweisen.
gewahr, dass in einem anderen Teil des Zimmers zwei
Jungen sich Papierflugzeuge zuwarfen. Dies war vor Beispiel
und während der Zeit im Gange, als der Lehrer Johnny
für sein Reden zurechtwies. Ist dieser Sachverhalt von Der Lehrer arbeitet mit einer Lesegruppe, und
Bedeutung? Mary liest gerade vor. John und Richard, beide
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Der Lehrer ist gerade dem Stillarbeitsbereich zugeteilt, unterhalten sich
damit beschäftigt, der ganzen Klasse Additionsregeln vernehmlich. Der Lehrer schaut zu ihnen und sagt: „Mary,
beizubringen, indem er die Kinder der Reihe nach lies weiter, ich höre dir zu“, und fast gleichzeitig „John
Aufgaben an der Tafel lösen läßt. Mary beugt sich und Richard, ich höre euch reden. Dreht euch jetzt um
zum rechten Nachbartisch hinüber und flüstert mit und macht eure Arbeit!“. Im anderen Fall ist der Lehrer
Jane. Beide kichern. Der Lehrer sagt: „Mary und Jane, ebenfalls mit einer Lesegruppe beschäftigt, und Betty
lasst das!“ Diese Zurechtweisung wurde ebenfalls auf liest laut. Gary und Lee, beide von der Stillarbeitsgruppe,
verschiedene Qualitäten hin untersucht, von denen rangeln spielerisch miteinander. Der Lehrer schaut zu
keine sich als relevant für das Schülerverhalten erwies. ihnen und sagt ärgerlich: „Schluß mit dem Unfug! Aber
Wieder spulten wir das [Video] Band zurück und ließen auf der Stelle! Lee, du bist noch nicht fertig mit deinen
es noch einmal durchlaufen. Dabei stellten wir fest, dass Aufgaben. Mach sie jetzt sofort, und zwar richtig! Und
etwa 45 s früher Lucy und John, die mit Jane zusammen Gary, du genauso!“ Darauf geht er zum Lesekreis zurück,
an einem Tisch saßen, miteinander zu flüstern begannen. nimmt sein Buch wieder auf, setzt sich auf seinen Stuhl
Robert sah ihnen zu und ließ sich gleichfalls in die und sagt ruhig: „So, nun wollen wir unsere Geschichte
Unterhaltung ein. Dann kicherte Jane und sagte etwas zu weiterlesen.“
John. Daraufhin beugte Mary sich vor und flüsterte Jane (Kounin 2006, S. 93)
124 T. Seidel

Das Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die beiden und Schwung lassen sich empirisch vor allem über negative
Lehrer mit den simultan auftretenden Ereignissen umgehen. Indikatoren, bei Kounin als Sprunghaftigkeit bezeichnet,
Der erste Lehrer vermittelt Mary, dass er ganz bei der belegen. Dazu zählen Reizabhängigkeit (sich ablenken lassen
Sache ist. Gleichzeitig geht er auf das störende Verhalten von einzelnen Reizen), Unvermitteltheiten, thematische
der beiden anderen Schüler ein, kurz und bündig, um sich Inkonsequenzen, Verkürzungen, thematische Unent-
dann dem Lesekreis wieder zuzuwenden. Der zweite Lehrer schlossenheit, Überproblematisierungen, Fragmentierungen
unterbricht die Aktivität im Lesekreis und stürzt sich förm- von Gruppen und Handlungseinheiten.
lich auf das störende Verhalten der beiden Schüler. Die empirischen Befunde von Kounin verweisen
Die empirischen Ergebnisse zeigen einen positiven wiederum auf einen positiven Zusammenhang zwischen
Zusammenhang zwischen Überlappung und der Mit- Reibungslosigkeit/Schwung und Mitarbeit bzw. Aus-
5 arbeit der Schüler. Bei positiver Überlappung tritt weniger
Fehlverhalten aufseiten der Lernenden auf. Dies trifft ins-
bleiben von Fehlverhalten aufseiten der Schüler. Die Ver-
meidung von Verhaltungsweisen, die einen flüssigen
besondere auf Übungs- und Stillarbeitsphasen zu. Ablauf des Unterrichts verhindern, ist eine der wichtigsten
Determinanten für effektive Klassenführung.

5.3.3  Reibungslosigkeit und Schwung


5.3.4  Gruppenmobilisierung
Beim Unterrichten müssen Lehrende eine Vielzahl von
Aktivitäten initiieren, beobachten und aufrechterhalten. Die Gruppenmobilisierung bezieht sich auf die Fähig-
Die Dimensionen von Reibungslosigkeit und Schwung keit eines Lehrenden, sich auf die Klasse als Ganzes zu
fokussieren dabei die Fähigkeit eines Lehrenden, für einen konzentrieren und die einzelnen Schüler „bei der Stange“
flüssigen Unterrichtsverlauf zu sorgen und speziell in Über- zu halten. Merkmale für positive Gruppenmobilisierung
gangsphasen für eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit sind:
den Lerninhalten zu sorgen. 5 alle Methoden, die vor dem Aufrufen eines Schülers
„Spannung“ erzeugen: Pausieren, Sichumschauen, um
Beispiel die Lernenden vor dem Aufruf zu sammeln;
5 Verfahren, bei denen die Schüler in Ungewissheit
Fräulein Smith arbeitet mit der Gruppe der „Rockets“ darüber bleiben, wer als nächstes aufgerufen wird;
im Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren 5 häufiges Aufrufen möglichst vieler verschiedener
Plätzen still arbeiten. Mary hat soeben ihren Lesevortrag Schüler; Aufforderungen an die Lernenden sich zu
beendet. Die Lehrerin sagt: „Schön, Mary. Und damit sind melden, bevor der Aufruf ergeht;
wir am Ende unserer Geschichte angelangt. Geht nun 5 Handlungen, die den nicht aufgerufenen Lernenden zu
an eure Plätze zurück und macht eure Stillarbeit fertig.“ verstehen geben, dass sie ebenfalls im Fokus der Auf-
Sie schließt ihr Buch, schaut sich etwa drei Sekunden merksamkeit stehen;
lang im Zimmer um und sagt dann: „So, jetzt dürfen die 5 Einbeziehung neuer, ungewöhnlicher Materialien.
Bluebirds zum Lesekreis vorkommen.“
Fräulein Jones beschäftigt sich mit den „Brownies“
im Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren Beispiel
Plätzen stillarbeiten. John hat gerade zu Ende gelesen.
Zehn Kinder haben als Lesegruppe in einem Halbkreis
Die Lehrerin schließt ihr Buch und sagt: „Gut, John. Geht
Platz genommen, Fräulein Smith sitzt vor ihnen und hält
nun alle an eure Plätze zurück und macht eure Aufgaben
Schautafeln in der Hand. Auf jeder der Tafeln steht ein
fertig“. Und sie fügt sofort hinzu: „Cubs, jetzt seid ihr an
Wort. Die Lehrerin verkündet: „Heute wollen wir immer
der Reihe, bitte kommt vor zum Lesekreis.“
ein Wort lesen und dann versuchen, ein anderes Wort
(Kounin 2006, S. 102)
zu finden, das sich darauf reimen lässt. Fangen wir bei
Richard an und gehen dann im Kreis herum.“ Fräulein
Smith dreht sich zu Richard, der am rechten Ende des
Im ersten Beispiel wird deutlich, dass die Lehrerin sich am
Halbkreises sitzt, hält ihm eine Papptafel entgegen
Ende des Lesekreises der ersten Gruppe zuerst ein Bild über
und fragt: „Wie heißt dieses Wort, Richard?“ Richard
die Klassensituation verschafft, bevor sie die nächste Gruppe
antwortet: „Nest.“ Die Lehrerin: „Richtig. Nenne mir nun
zu sich bittet. Im zweiten Beispiel benennt die Lehrerin
ein Wort, das sich auf „Nest“ reimt!“ „Rest.“ „Sehr schön“,
eine zweite Gruppe, ohne sich vorher über die momentane
erwidert die Lehrerin. Sie wendet sich zu Mary, die links
Beschäftigung der „Cubs“ zu informieren. Damit riskiert
neben Richard sitzt, und zeigt ihr eine andere Tafel: „Nun,
sie, dass diese unerwartet aus ihren bisherigen Aktivitäten
Mary, wie heißt dieses Wort?“ „Drachen“, sagt Mary.
herausgerissen werden. Reibungslosigkeit und Schwung
„Richtig“, bestätigt die Lehrerin. „Und nun sag mir ein
bezieht sich aber nicht nur auf Übergangsphasen im Unter-
Wort, das sich auf „Drachen“ reimt!“ „Machen“, antwortet
richt. Auch während einer Aktivität ist es von Bedeutung, eine
Mary. Die Lehrerin sagt: „Sehr schön“, nimmt wieder eine
thematische Entschlossenheit zu wahren. Reibungslosigkeit
Klassenführung
125 5
5.3.5  Abwechslung und Herausforderung
andere Tafel, beugt sich damit zu Ruth hinüber, die links
neben Mary sitzt und fragt: „Ruth, kannst du mir sagen, Abwechslung und Herausforderung stellen eine Dimension
wie dieses Wort heißt?“ „Sonne“, antwortet Ruth. Die der Klassenführung dar, bei der die Lernaktivitäten (ins-
Lehrerin fährt mit der Befragung fort, bis jedes Kind ein besondere in Stillarbeitsphasen) so gestaltet sind, dass sie
Wort gelesen und ein Reimwort genannt hat. als abwechslungsreich und herausfordernd erlebt werden.
Sehen wir uns eine andere Lehrerin an, die die gleiche Dadurch sollen sich Schüler konzentriert und kognitiv
Übung durchführt. Fräulein Jones sitzt vor der Lesegruppe. aktiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen können.
Sie hält einen Stapel Pappkarten in der Hand und fragt: „Wer Indikatoren für Abwechslung und Herausforderung
kann mir das nächste Wort lesen?“ Sie macht eine Pause, sind Abwechslung in Art und Umfang der erforder-
hält eine Karte hoch, schaut gespannt in die Runde und lichen intellektuellen Tätigkeit, in der Darbietungsweise
sagt dann: „John.“ John antwortet: „Buch.“ Die Lehrerin: des Lehrers, den Arbeitsmitteln, der Gruppenanordnung,
„Gut. Wer kann mir nun ein Wort nennen, das ganz ähnlich den Lernaktivitäten und den einbezogenen Standorten im
klingt?“ Wieder macht sie eine Pause, schaut sich um und Klassenzimmer.
ruft Mary auf. „Kuchen“, sagt Mary. Darauf fragt die Lehrerin: In den empirischen Untersuchungen zeigte sich
„Wer findet ein Wort, das sich auf „Kuchen“ reimt?“ Sie blickt folgendes Bild: Konzentriert man sich auf die reinen schul-
umher und ruft Richard auf, der mit „Suchen“ antwortet. spezifischen Aktivitäten, lässt sich ein positiver Zusammen-
(Kounin 2006, S. 117) hang zwischen Abwechslung und Herausforderung und
dem Verhalten der Schüler feststellen. Der Zusammenhang
ist besonders bei Stillarbeitsphasen und im Grundschul-
Die beiden Bespiele verdeutlichen wiederum einen unter- unterricht deutlich (Kounin 2006).
schiedlichen Umgang der beiden Lehrerinnen mit einer
vergleichbaren Situation. Während die erste Lehrerin
ein starres Schema anwendet und die Schüler nach vor- 5.3.6  Zusammenfassung und Fazit
gefertigten Karten der Reihe nach aufruft, wandert der
Blick der Lehrerin im zweiten Beispiel jedes Mal durch Die Dimensionen für effektive Klassenführung von
die Gruppe. Gleichzeitig erzeugt sie Spannung, bevor sie Kounin (1976, 2006) stellen bis heute eine zentrale Grund-
einzelne Schüler aufruft und gibt ihnen die Möglichkeit, lage für weiterführende Forschungsarbeiten dar. Auch in
sich selbst für einzelne Karten zu entscheiden. den heutigen Studien wird ein Mix an unterschiedlichen
Die Auswertungen von Kounin belegen auch für die Erhebungsverfahren wie Fragebogen, Videoaufzeichnungen,
Dimension der Gruppenmobilisierung einen positiven Interviews eingesetzt. Die statistischen Analysen sind heute
Zusammenhang zur Mitarbeit und zu ausbleibendem allerdings, z. B. in Form von Mehrebenenanalysen, deut-
Fehlverhalten. Wenn es Lehrenden gelingt, die Schüler zu lich komplexer und anspruchsvoller (7 Exkurs „Stabilität von
mobilisieren, erreichen sie eine aktive Mitarbeit und ein Klassenführung“).
geringes Fehlverhalten.

Exkurs

Stabilität von Klassenführung: Wie oft muss man Unterricht beobachten, um sicher etwas über Klassenführung
aussagen zu können?
In einer aktuellen Studie hat man sich beiden Bereiche der Klassenführung Für die Unterrichtsforschung ist dieser
die Frage gestellt, wie stabil eigentlich und der Lernunterstützung Befund relevant, da man dadurch
Lehrkräfte Klassenführung in ihrem recht stabile Merkmalsbereiche besser abschätzen kann, wie viele
Unterricht umsetzen (Praetorius darstellen und wenig zwischen Unterrichtsstunden man videografieren
et al. 2014). Dazu wurde Mathematik- unterschiedlichen Unterrichtsstunden muss, um eine zuverlässige Aussage
unterricht bei Lehrkräften in einzelnen variieren. Lehrpersonen scheinen bei über die Qualität des Unterrichts
Klassen mehrmals videografiert diesen Qualitätsdimensionen von zu treffen. Bei der Messung von
und die Videoaufzeichnungen Unterricht ausgeprägte Routinen Klassenführung und Lernunterstützung
in Bezug auf die drei Merkmals- entwickelt zu haben, die sie in jeder reicht die Aufzeichnung einzelner
bereiche von Unterricht (Kognitive Unterrichtsstunde anwenden. Andere Unterrichtsstunden aus, während man
Aktivierung, Lernunterstützung und Bereiche wie die Kognitive Aktivierung bei der kognitiven Aktivierung mehrere
Klassenführung) eingeschätzt. Die waren dagegen wesentlich variabler Unterrichtsstunden berücksichtigen
Ergebnisse der Studie zeigen, dass die zwischen einzelnen Unterrichtsstunden. sollte.
126 T. Seidel

Im Folgenden werden nun beispielhaft aktuelle Ansätze


und Studien zur Klassenführung vorgestellt. Diese werden
nach drei Facetten von Klassenführung gegliedert: Klassen-
führung als Umgang mit Störungen, Klassenführung
als Management von Lernzeit und Klassenführung als
Begleitung von Lernprozessen bei Schülern.

5.4  Klassenführung als Umgang mit


Störungen
5 Klassenführung mit einem Schwerpunkt auf Umgang mit
Störungen bzw. Vermeiden von Störungen ist eng mit dem
englischen Begriff des „classroom management“ verbunden
(Evertson und Weinstein 2006). 7 Klassenmanagement
versteht sich in diesem Sinne als das Herstellen und Auf-
rechterhalten von Ordnungsstrukturen im Klassenzimmer.
Ziel ist es, den Unterricht möglichst störungsarm zu halten.
Als Kriterium für effektives Klassenmanagement wird dem-
entsprechend ein geringes Störungsausmaß herangezogen,
meist gemessen über die Wahrnehmung der Schüler einer
Klasse.
Betrachtet man Klassenführung als Umgang mit
Störungen spielt die Einführung von Regelsystemen eine
besondere Rolle (. Abb. 5.3). Im Gegensatz zu Kounin,
der auf Disziplinierungsmaßnahmen im engeren Sinne
fokussierte und hierfür keine nennenswerten Effekte auf das
Schülerverhalten fand, belegen aktuelle Studien durchaus
positive Einflüsse. Effektives Klassenmanagement zeichnet
sich dadurch aus, dass Regeln und Unterrichtsabläufe
gleich zu Beginn des Schuljahres in der Klasse etabliert
werden. Es besteht außerdem darin, dass Lehrpersonen ihre . Abb. 5.3 Man kann nicht alles sehen – der Umgang mit Störungen
Erwartungen deutlich kommunizieren, systematisch das erfordert die Einführung eines Regelsystems. (© 7 photos.com)
Verhalten der Schüler beobachten und regelmäßig Feedback
geben.
Regeln im Klassenzimmer hat Schönbächler (2006) Klassenführung positive Effekte auf die Mathematik-
untersucht und dabei gefragt, welche drei Regeln Lehr- leistung bei Schülern der 6. Jahrgangsstufe zeigen. Bei einer
personen und welche drei Schülerinnen und Schülern souveränen Klassenführung nahmen die Schüler bei ihren
besonders wichtig sind. Die Antworten aller Befragten Lehrpersonen eine hohe Erklärungs- und Kommunikations-
wurden in vier Bereiche kategorisiert: Material/Eigen- kompetenz wahr. Außerdem akzeptierten die Schüler ihre
tum, Ordnung/Ruhe, soziale Interaktion und Zuverlässig- Lehrpersonen bei dieser Qualität der Klassenführung mehr
keit. Die deskriptiven Auswertungen der Antworten von als bei einer rigiden und wenig angepassten Klassenführung.
923 Schülern und ihren Lehrpersonen zeigen folgendes Störungsarmer Unterricht wird in vielen Studien als ein
Bild: Den Lehrpersonen waren geregelte soziale Inter- Resultat einer effektiven Klassenführung gesehen und damit
aktionen und Ordnung bzw. Ruhe am wichtigsten. Aus der als Indikator für effektive Klassenführung verwendet. Auch
Perspektive der Schülerinnen und Schüler wurden Ordnung hier lassen sich systematisch positive Effekte auf das Lernen
bzw. Ruhe am häufigsten genannt, gefolgt von den Regeln der Schüler zeigen.
für soziale Interaktionen. In einer deutsch-schweizerischen Videostudie zur
Aktuelle Studien verweisen darüber hinaus beim Umgang Qualität des Mathematikunterrichts (Rakoczy et al. 2007)
mit Störungen darauf, dass Lehrpersonen ihre Regeln nicht wurde beispielsweise festgestellt, dass störungsarmer Unter-
starr anwenden, sondern adaptiv und verhältnismäßig richt auf Seiten der Schüler mit einem höheren Kompetenz-
agieren sollten (Kwok 2017; ­ Webster-Stratton et al. 2011). erleben einhergeht. Darüber hinaus berichten die Schüler
Effektives Klassenmanagement ist dementsprechend dadurch aus störungsarmen Klassenzimmern eine hohe Intensi-
charakterisiert, dass Lehrende sowohl Regeln setzen als tät an kognitiven Aktivitäten und positiven emotionalen
auch flexibel mit ihnen umgehen und situationsspezifisch Erfahrungen (7 Abschn. 4.2). Auch Kunter et al. (2007)
agieren und reagieren. Neuenschwander (2006) konnte vor zeigen, dass sich ein geringes Ausmaß an Störungen bei den
dem Hintergrund eines solchen Konzepts einer souveränen Schülern positiv auf die Wahrnehmung lernunterstützender
Klassenführung
127 5
Unterrichtsbedingungen und die kognitive Aktivierung
auswirkt. Klieme und Rakoczy (2003) stellen auf der Schul-
ebene fest, dass eine hohe Disziplin in Schulen mit hohen
Leistungen (gemessen über die Lesekompetenz) einhergeht.
Bei allen Studien wird der Befund in der Art interpretiert,
dass eine hohe Disziplin und störungsarmer Unterricht eine
Voraussetzung für erfolgreiches Lernen ist.

5.5  Klassenführung als Management von


Lernzeit

Klassenführung als Form des Managements von Lernzeit


legt den Schwerpunkt auf eine maximale Bereitstellung von
Zeit für eine aktive Auseinandersetzung mit Lerninhalten . Abb. 5.4 Das Ziel: Ein Klima, das gute Lehr- und Lernprozesse
(Evertson und Weinstein 2006). Natürlich ist Klassen- ermöglicht. (© 7 photos.com)
führung als Management von 7 Lernzeit wiederum eng
mit dem Konzept des Umgangs mit Störungen verbunden.
Aus der Perspektive der Forschenden wird hier allerdings positiven Effekt eines zielorientierten Unterrichts auf die
der Schwerpunkt bereits auf vorausschauende Handlungs- Wahrnehmung von inhaltlicher Relevanz, Instruktions-
­
weisen der Lehrenden gelegt, um durch die Organisation qualität, Autonomieunterstützung und Kompetenzunter-
des Unterrichtsablaufs für eine optimale Nutzung der stützung aufseiten der Schüler. In einem zielorientierten
Unterrichtszeit zu sorgen. Darüber hinaus bedeutet Unterricht erleben sich die Schüler intrinsisch motiviert
Management von Lernzeit, dass Lehrende den Unter- und führen tiefer gehende Lernaktivitäten aus. Darüber
richt möglichst klar vorstrukturieren und durch klare Ziel- hinaus zeigt sich ein positiver Effekt der Zielorientierung
stellungen für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts auf die Lernentwicklung im Verlauf eines Schuljahres.
sorgen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Management
In der SCHOLASTIK-Studie (Helmke und Weinert von Lernzeit in der Regel substanzielle Effekte auf das
1997) wurden zur Erfassung der Klassenführung Video- Lernen der Schüler zeigt. Dies belegt eine Reihe von Meta-
aufzeichnungen des Unterrichts analysiert sowie die Ein- analysen (Hattie 2008; Seidel und Shavelson 2007) sowie
schätzungen der Schüler mittels Fragebogen berücksichtigt. eine Vielzahl an Studien aus dem deutschsprachigen und
Die Befunde verweisen auf einen positiven Effekt der internationalen Raum.
Klassenführung auf das Lernen der Schüler. Es zeigt sich ein
systematischer Zusammenhang zwischen der Bereitstellung
von Lernzeit und der von den Schülern empfundenen 5.6  Klassenführung als Begleitung von
Aufmerksamkeitsfähigkeit. Eine hohe Ausschöpfung der Lernprozessen bei Schülern
Lernzeit wirkt sich darüber hinaus positiv auf die Leistungs-
entwicklung im Fach Mathematik aus, aber auch auf die In aktuellen Modellen des Lehrens und Lernens wird Unter-
Einstellungen gegenüber Mathematik und das fachspezi- richt von den Lernprozessen der Schüler aus gedacht (Seidel
fische Selbstkonzept. 2014; Seidel und Reiss 2014). Dementsprechend orientiert
Eine zweite Facette von Klassenführung als Lernzeit- sich Unterricht an den für Lernen notwendigen Prozessen:
management hebt auf die Organisation des Unterrichts ab. der Klärung von Zielen, der Orientierung hin zu den Zielen,
Dazu zählen die Wahl der Methoden, die strukturierte und der Ausführung von Lernaktivitäten, der Evaluation von
kohärente Darbietung des Wissens und eine Orientierung Lernergebnissen und der Begleitung und Überwachung von
des Unterrichts entlang der Lehr-und Lernziele. Lernprozessen. Unterricht stellt in diesem Sinn eine vor-
Erfolgreiche Lehrpersonen unterscheiden sich hier von strukturierte Lernumgebung dar, die eine möglichst intensive
weniger erfolgreichen Lehrpersonen (gemessen über den kognitive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und
Grad des Abschaltens, Unruhe, Aggression und Regelver- eine intrinsische Lernmotivation begünstigen soll. Werden die
letzung aus Sicht der Lernenden) darin, dass sie bedeutsame individuellen Lernprozesse der Schüler unterstützt, bauen sie
Lernziele vermitteln, der Unterricht strukturiert ist, klare reichhaltige, flexible und vernetzte Wissensstrukturen auf und
Arbeitsanweisungen bestehen, der Unterricht als interessant erreichen ein vertieftes Verständnis von Lerninhalten.
wahrgenommen wird und sie zudem eine hohe Fach- Kennzeichnend für diese Auffassung der Gestaltung
kompetenz aufweisen (Mayr 2006) (. Abb. 5.4). von Lernumgebungen ist, dass Klassenführung verstärkt
Seidel et al. (2005) untersuchen die Klarheit und aus einer prozessorientierten Perspektive betrachtet
Transparenz des Unterrichts (ermittelt über Videoana- wird. Zentral sind die Aushandlungsprozesse zwischen
lysen von Unterrichtsaufzeichnungen) und zeigen einen Lehrpersonen und ihren Schülern, die es ermöglichen,
128 T. Seidel

dass Schüler external gestellte Bildungsziele (vonseiten in die Unterrichtsdimension der Klassenführung ein. Vor
der Lehrpersonen, der Schule) als eigene Lernziele inter- allem die Qualität der Interaktion zwischen Lehrenden und
nalisieren können. Wenn Schülern dies gelingt, wächst die Lernenden in der Begleitung, Unterstützung und Rück-
Chance, dass sie sich intrinsisch motiviert und verständnis- meldung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb
orientiert mit Lerninhalten auseinandersetzen. Tun sie dies einer Klassengemeinschaft werden für die Klassenführung
nicht, dominieren Formen externaler Lernmotivation bzw. von Bedeutung (7 Exkurs „Effekte distaler und proximaler
Amotivation. Amotivation und externale Lernmotivation Variablen zur Messung von Klassenführung“) (Thiel 2016;
wiederum führen u. a. dazu, den Unterricht passiv zu ver- Ophardt und Thiel 2013).
folgen bzw. sich nicht auf die Lerninhalte zu konzentrieren Turner und Patrick (2004) beschreiben den Aus-
und dann häufiger den Unterricht zu stören. handlungsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden,
5 Die Folge einer möglichst lang andauernden und
intensiven Auseinandersetzung der Schüler mit Lerninhalten
deren Überzeugungen und Zielorientierungen und die
Auswirkungen der Qualität der Interaktionen zwischen
ist nach dieser Auffassung ein Klassenklima, das durch Lehrenden und Lernenden auf das Verhalten von Schülern.
Konzentration, Herausforderung, und gegenseitige Wert- Sie zeigen, wie das Verhalten von Schülern von der Quali-
schätzung gekennzeichnet ist. Dementsprechend wird Klassen- tät der Interaktionen zwischen ihnen und den jeweiligen
führung mit dem Ziel versehen, eine Situation zu erzeugen, Lehrern abhängt. Das Verhalten von Schülern im Unter-
die gute Lehr- und Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung richt ändert sich deutlich, wenn sie im Zuge des Jahr-
der Schüler unterstützt und es den Lernenden ermöglicht, gangsstufenwechsels auf neue Lehrer treffen. Verfolgen
kooperativ zu lernen und motiviert an Lerninhalte heranzu- Lehrer das Ziel, dass die Lernenden vorwiegend ein
gehen (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2006). Betrachtet Verständnis für Lerninhalte erwerben sollen (Lernziel-
man Kounins (2006) Ausführungen zur Klassenführung, zeigt orientierung), zeigen die Schüler ein Verhalten, das auf
sich, dass diese Ideen bereits in den frühen Arbeiten vertreten ein starkes kognitives Engagement deutet. Bestanden die
waren. Allerdings noch unter Begriffen wie Schwung oder Ziele der Lehrenden und Lernenden darin, Leistung zu
Gruppenmobilisierung. Aktuelle Begriffe umfassen dagegen demonstrieren (Leistungszielorientierung), war das Ver-
Verhaltensweisen der Lehrpersonen, die in den Bereichen halten der Schüler sehr wechselhaft und zum Teil störend.
Regulation, Monitoring, Begleitung, Rückmeldung und Unter- Ähnliche Befunde in Bezug auf die Unterstützung selbst-
stützung angesiedelt sind. regulierten Lernens in Abhängigkeit der Erwartungen
Betrachtet man Klassenführung unter der Perspektive und Zielorientierung der Lehrenden berichten Perry
der 7 Lernbegleitung reihen sich eine Vielzahl von Studien et al. (2002). Die Kongruenz bzw. Friktion zwischen

Exkurs

Effekte distaler und proximaler Variablen zur Messung von Klassenführung


In einer Metaanalyse von Seidel und und proximal auszuführende werden moderate Effekte
Shavelson (2007) wurden empirische Lernprozesse beeinflussen. auf das Lernen der Schüler
Studien eines zehnjährigen Zeitraums festgestellt.
(1994–2005) in Hinblick auf Effekte des Die zentralen Befunde der Metaanalyse in 5 Die Stärke der Effekte auf das
Unterrichts auf das Lernen von Schülern Bezug auf Klassenführung sind: Lernen hängt stark vom gewählten
untersucht. Als Grundlage für die 5 Effekte der Klassenführung sind Forschungsdesign ab. Wird
Klassifikation des Unterrichts diente ein multikriterial und betreffen Klassenführung im Rahmen von
prozessorientiertes Modell des Lehrens kognitive wie motivational-affektive Survey-Studien mittels Fragebogen-
und Lernens. Im prozessorientierten Komponenten des Lernens. verfahren erfasst, sind die
Modell wurden Unterrichtsvariablen 5 Je proximaler Unterrichts- Effektstärken gering. Erfolgt die
identifiziert, welche komponenten die Ausführung von Untersuchung von Klassenführung
5 den Rahmen für die Ausführung Lernaktivitäten unterstützen, desto mittels ­(quasi-)experimenteller
von Lernaktivitäten bereitstellen größer der Effekt des Unterrichts auf Forschungsdesigns oder auf der Basis
(z. B. Organisation des Lernens, das Lernen der Schüler; je distaler, von Videoanalysen, erreichen die
Management von Lernzeit, sozialer desto geringer die Effekte. Studien moderate Effektstärken.
Kontext in der Klasse) und distal 5 Klassenführung als störungsarme
die Ausführung von Lernaktivitäten Organisation des Unterrichts wird als Domänenspezifische Aspekte des
beeinflussen, distal zur konkreten Ausführung von Unterrichts (z. B. mathematisches
5 die Ausführung von Lernaktivitäten betrachtet und erzielt Problemlösen, naturwissenschaftliches
Lernaktivitäten durch die Klärung dementsprechend relativ geringe Experimentieren) stellen solche
von Zielen, der Begleitung des Effekte auf das Lernen der Schüler. Unterrichtskomponenten dar, die im
Lernens und der Evaluation Klassenführung im Sinne Vergleich proximal die Ausführung
der Lernergebnisse mittelbar des Managements von Lernzeit von Lernaktivitäten beeinflussen.
unterstützen und und als Begleitung des Lernens Dementsprechend sind die erzielten
5 die konkret die Ausführung unterstützt die Ausführung von Effekte auf das Lernen hier am größten
von Lernaktivitäten initiieren Lernaktivitäten mittelbar. Hier (moderate bis starke Effekte).
Klassenführung
129 5
Erwartungen und Handlungen der Lehrenden und Neben diesen Trainings zum Erwerb von Handlungs-
Lernenden spielt also eine zentrale Rolle für das Gelingen fertigkeiten wird aber auch die Fähigkeit zur Analyse von
von Aushandlungsprozessen im Unterricht (Vermunt und Klassensituationen geschult. Ein interessantes Beispiel aus
Verloop 1999). dem deutschsprachigen Raum stellt die für Studierende und
Lernbegleitung findet im Unterricht häufig im Kontext Lehrende zugängliche Online-Lernplattform ViU (Video-
des Klassengesprächs und der gemeinsamen verbalen Aus- basierte Unterrichtsanalyse) der Universität Münster dar
einandersetzung mit Lerninhalten statt. Dabei spielt die (Gold et al. 2013). Eine zweite Plattform dieser Art stellt
Offenheit versus Enge der Gesprächsführung eine wichtige das FOCUS Videoportal der FU Berlin dar (7 https://
Rolle und kann eine positive Klassenführung im Sinne tetfolio.fu-berlin.de/tet/focus) (Thiel et al. 2017). Auf beiden
der Lernbegleitung unterstützen. Eng-geführte Klassen- Plattformen werden Videobeispiele, Tools und Aufgaben-
gespräche haben sich dabei als nachteilig erwiesen, da stellungen bereitgestellt, anhand derer Studierende ihre
Schüler dann eher extrinsisch motiviert sind und sich Analysefähigkeiten zum Thema Klassenführung trainieren
weniger kognitiv mit den Lerninhalten auseinandersetzen können.
(Seidel et al. 2006). Produktive Klassengespräche, in denen
sich Schüler aktiv und gegenseitig unterstützend in das
Gespräch einbringen und ihre Beiträge von den Lehr- Welche Handlungsmöglichkeiten hat man als
personen positiv gewürdigt werden, führen dagegen zu Lehrperson zur Umsetzung von Klassenführung
intrinsischer Lernmotivation, hoher kognitiver Aktiviertheit (Seidel und Schindler 2018, S. 331)
und positiven Lern- und Interessenentwicklungen (Kiemer 5 Transparente Regelsysteme: Schüler sollen gültige
et al. 2015; Pehmer et al. 2015). Regeln und die Konsequenzen bei Verstoß gegen die
Regeln kennen.
5 Adaptivität und Flexibilität: Die Lehrperson kann flexibel
5.7  Klassenführung als trainierbare Fähig- auf unerwartete Situationen reagieren und passt die
keit von Lehrenden Handlungen an die jeweiligen Situationen an.
5 Passende Auswahl an Unterrichtsmethoden:
Bei der Klassenführung geht man davon aus, dass diese Fähig- Lehrpersonen wählen verschiedene und auf die
keiten für Lehrpersonen erlernbar sind und sie deshalb einen Bedürfnisse der Lernenden angepasste Methoden
wichtigen Bestandteil der p ­ädagogisch-psychologischen aus, um sie kognitiv zu aktivieren und in die
Ausbildung von Lehrpersonen darstellen (Voss und Kunter Unterrichtsabläufe zu integrieren.
2011). Empirische Studien zeigen auch, dass die im Studium 5 Transparente Zielorientierung: Lehrpersonen
und Referendariat erworbenen ­pädagogisch-psychologischen richten ihren Unterricht an konkreten Lernzielen
Kompetenzen das spätere Wohlbefinden und die Berufs- aus und machen diese Ziele für die Schüler explizit
zufriedenheit, aber auch die Klassenführung als wichtiges und transparent, damit die Schüler sie als eigene
Merkmal für Unterrichtsqualität, vorhersagen (Dicke et al. Lernziele internalisieren können.
2014; Holzberger et al. 2014). Es scheint sich also zu lohnen, 5 Trennung von Lern- und Leistungssituationen:
in der Ausbildung Kompetenzen zur Klassenführung zu Lehrpersonen trennen transparent zwischen
erwerben, weil diese Kompetenzen für das spätere Berufs- Situationen, in denen gelernt wird und Fehler
leben einen wichtigen Puffer in der Bewältigung von zugelassen sind, und solchen, in denen erwartet
Anforderungen darstellen können. wird, dass die Schüler zeigen, was sie gelernt haben.
Im Bereich der Trainings stellt das „Incredible Years 5 Raum für produktive Gespräche: Lehrpersonen
Teacher Classroom Management Training“ (IY TCM) ein agieren als Lernbegleiter und unterstützen
prominentes Beispiel aus der internationalen Forschung produktive Klassendialoge. Sie unterstützen auf diese
dar (Webster-Stratton et al. 2011). Im IY TCM werden Weise das Kompetenzerleben und die Motivation
Lehrpersonen zusammen mit Eltern und weiteren ihrer Schüler.
Erziehern darin geschult, ihre Führungskompetenzen zu
trainieren und zu optimieren. Die Trainings beinhalten
Elemente wie effektives Verhaltensmanagement, pro-
aktives Unterrichten, positive Lehrer-Schüler-Beziehungen, Fazit
Lehrer-Eltern-Kollaboration sowie Möglichkeiten der
­ Bei der Klassenführung handelt es sich um ein Syndrom,
Unterstützung der emotionalen Regulation und des das verschiedene Unterrichtsmerkmale bündelt.
Erwerbs sozialer Fähigkeiten von Kindern und Jugend- Zentral ist dabei die Auffassung, Lernumgebungen
lichen. Das Programm wurde vielfach positiv evaluiert und so zu gestalten, dass Lernen störungsarm abläuft, die
unter anderem auch erfolgreich in das universitäre Studium vorgegebene Lernzeit maximal ausgeschöpft wird und
integriert (Snyder et al. 2011).
130 T. Seidel

Helmke, A. (2015). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität.


die Lehrenden die Lernprozesse optimal begleiten und Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze:
unterstützen. Klett-Kallmeyer.
Helmke, A., & Weinert, F. E. (1997). Unterrichtsqualität und Leistungs-
Die empirische Befundlage zur Relevanz dieser Elemente
entwicklung: Ergebnisse aus dem SCHOLASTIK- Projekt. In F.
zeichnet ein eindeutiges Bild: Störungsarmer Unterricht E. Weinert & A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter
hat in der Regel positive Wirkungen auf kognitive, aber (S. 241–251). Weinheim: Psychologie Verlagsunion.
auch motivational-affektive Komponenten des Lernens. Holzberger, D., Philipp, A., & Kunter, M. (2014). Predicting teachers’
Die optimale Nutzung von Unterrichtszeit durch die instructional behaviors: The interplay between self-efficacy and
intrinsic needs. Contemporary Educational Psychology, 38(2), 100–
Organisation und Strukturierung des Unterrichts hängt
111. 7 https://doi.org/10.1016/j.cedpsych.2014.02.001.
wiederum eng mit der Qualität der Lernprozesse, aber Kiemer, K., Gröschner, A., Pehmer, A.-K., & Seidel, T. (2015). Effects
auch der längerfristigen Lernentwicklungen (vor allem
5 im kognitiven Bereich) zusammen. Die Qualität der
of a classroom discourse intervention on teachers’ practice
and students’ motivation to learn mathematics and science.
Begleitung und Unterstützung der Lernprozesse Learning and Instruction, 35, 94–103. 7 https://doi.org/10.1016/j.
learninstruc.2014.10.003.
fördern vor allem motivational-affektive Komponenten
Klieme, E., & Rakoczy, K. (2003). Unterrichtsqualität aus Schülerperspektive:
des Lernens bei Schülern. Der Umgang mit Störungen Kulturspezifische Profile, regionale Unterschiede und Zusammen-
stellt in gewisser Weise eine Voraussetzung für hänge mit Effekten von Unterricht. In J. Baumert, C. Artelt, E. Klieme,
erfolgreiches Lernen dar; die optimale Ausschöpfung et al. (Hrsg.), PISA 2000 – Ein differenzierter Blick auf die Länder der
der zur Verfügung stehenden Zeit die Grundlagen für Bundesrepublik Deutschland (S. 333–360). Opladen: Leske + Budrich.
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die Ausführung von Lernaktivitäten; die Begleitung
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hochwertiger Lernprozesse. management and the development of subject-related interest.
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Mayr, J. (2006). Klassenführung auf der Sekundarstufe II: Strategien
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133 6

Medien
Holger Horz

6.1  Entwicklung der Medien und Medienforschung – 134


6.1.1  Entwicklung der Medien – 134
6.1.2  Entwicklung der Medienforschung – 134

6.2  Lernmedien – 135


6.2.1  Texte und Hypertexte – 136
6.2.2  Bilder, Animationen und Filme – 138
6.2.3  Multimedia – 141
6.2.4  Medieneinsatz aus medialer Perspektive – 146

6.3  Medien in Bildungskontexten – 149


6.3.1  Formen des Lehrens und Lernens mit Medien – 149
6.3.2  Medien in der Schule – 150
6.3.3  Medien in der Hochschule – 151

6.4  Private Mediennutzung – 153


6.4.1  Musik und Radio – 154
6.4.2  Fernsehen – 155
6.4.3  Computer und Internet – 156

Literatur – 158

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_6
134 H. Horz

In der heutigen sog. globalisierten digitalen Wissens- Definition


gesellschaft prägen Medientechnologien das Lernen Medien vermitteln Zeichen (z. B. Sprachlaute,
und Arbeiten sowie das Freizeitverhalten der Menschen Buchstaben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder
in einem größeren Ausmaß als je zuvor. Aufgrund der Objekten mit dem Ziel der Informationsübertragung.
rasanten technologischen Fortentwicklung im Rahmen Üblicherweise wird zwischen analogen Medien und
der Digitalisierung gilt es, den Einfluss von Medien auf digitalen Medien unterschieden. Als digitale Medien
Menschen empirisch zu erfassen, um Hinweise auf einen werden elektronische Medien bezeichnet, die digital
sinnvollen und erfolgreichen Umgang mit Medien in den kodiert sind.
verschiedensten Lebenssituationen geben zu können.
Auf einen kurzen Überblick über die Entwicklung der
Medien und Medienforschung folgen in u Abschn. 6.2 Entsprechend den verschiedenen medialen Innovationen
die wichtigsten Befunde und Theorien zur Rezeption können vier Stufen der Medienentwicklung unterschieden
text- und bildbasierter Lernmedien. Nach der separaten werden. Die primäre Medienkultur umfasst die Epoche
6 Betrachtung des Lernens mit Texten und Bildern steht in bis 1450, in der allein personengebundene Medien (z. B.
u Abschn. 6.3 das Lernen mit digitalen Lernumgebungen Sprache) oder Medien, die einzeln hergestellt werden
aus kognitionspsychologischer Perspektive im Mittelpunkt (Briefe, Schriften, gemalte Bilder), benutzt wurden. Die hier
der Betrachtung. Abschließend werden in diesem Abschnitt eingesetzten Medien werden als primäre Medien bezeichnet
einige wichtige Tipps zur medienbasierten Unterrichts- und kommen ohne technische Vervielfältigungsmethoden
gestaltung referiert, wobei der Schwerpunkt auf dem Einsatz aus.
digitaler Medien in unterschiedlichen Bildungskontexten In der Phase der technikbasierten Medienkultur, die
liegt. In u Abschn. 6.4 werden die wichtigsten Fakten zur mit der Erfindung des Buchdrucks begann, wurden in
Mediennutzung in privaten Kontexten erläutert, wobei zunehmendem Maße Medien entwickelt, die eine höhere
sowohl das Mediennutzungsverhalten als auch die Frage Verbreitung durch Vervielfältigungstechniken erbrachten.
zum Einfluss der Medien auf das menschliche Verhalten Hierzu zählen die sekundären Medien, bei denen einer der
thematisiert werden (. Abb. 6.1). Kommunizierenden technische Hilfsmittel zur medialen
Informationsvermittlung einsetzt (z. B. Zeitung). Ebenso
verbreiteten sich in dieser Epoche die sog. tertiären Medien,
für deren Gebrauch alle miteinander Kommunizierenden
technische Hilfsmittel einsetzen müssen (z. B. Radio, Fern-
sehen). Die Datenvermittlung in den Informationsprozessen
erfolgt bei sekundären und tertiären Medien in analoger
Form.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts setzte die Entwicklung
der quartären Medien ein, die auf computer- und netz-
werkbasierten Informationsvermittlungsprozessen beruhen,
in denen digitale Daten übermittelt werden (z. B. E-Mail,
Internet), weswegen dies den Beginn der digitalen Medien-
kultur markiert.

6.1.2  Entwicklung der Medienforschung


. Abb. 6.1 (© Dmitriy Shironosov/iStock/Thinkstock)
Die psychologische Erforschung von Medien und deren
Wirkung setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Die
6.1  Entwicklung der Medien und frühen medienpsychologischen Arbeiten beschäftigten sich
Medienforschung mit den Zusammenhängen zwischen Mediennutzungs-
verhalten und den individuellen Merkmalen ihrer Nutzer
6.1.1  Entwicklung der Medien (Trepte 2004). Bereits der Beginn der wissenschaftlichen
Erforschung von Medien war von einer deutlichen Skepsis
Unter dem Begriff Medien werden umgangssprachlich gegenüber den Massenmedien und ihrem gesellschaftlichen
vor allem technologiebasierte Informationsträger und Einfluss geprägt (Peters und Simonson 2004; u Exkurs „Ist die
­-vermittler wie z. B. Computer, Fernseher, Radio etc. ver- Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle letztlich irrelevant?“).
standen. Jedoch sind auch nichttechnologische Medien wie Der kulturelle Medienpessimismus, der bis heute (z. B. Spitzer
Gebärden, Sprache, Laute, Schrift und Bilder als Medien zu 2012, 2015) vor allem in populärwissenschaftlichen Büchern
bezeichnen. zur Mediennutzung postuliert wird, ist dabei empirisch so
Medien
135 6
nicht abgesichert (Appel und Schreiner 2014) und theoretisch wissenschaftlichen Literatur bis heute das Gefahrenpotenzial
nur wenig begründet. Er erklärt aber, warum in der insbesondere digitaler Medien betont wird.

Exkurs

Ist die Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle letztlich irrelevant?


Aus heutiger Sicht von besonderer Sleeper-Effekt nachgewiesen werden: Die konnte aber auch gezeigt werden, dass
Bedeut­ung sind die frühen medienpsycho­ wahrgenommenen Glaubwürdigkeitsein- die Angleichung der Glaubwürdigkeit
logischen Untersuchungen von Carl schätzungen einer als glaubwürdig und verschiedener Informationsquellen
Hovland (1959) zur Wirksamkeit einer als unglaubwürdig dargestellten rückgängig gemacht werden kann,
von Medien in Abhängigkeit Kommunikationsquelle nähern sich umso wenn man die (Un-)Glaubwürdigkeit der
von der Glaubwürdigkeit einer mehr einander an, je mehr Zeit seit der jeweiligen Quelle den Rezipienten erneut
Informationsquelle. So konnte ein sog. Informationsaufnahme vergangen ist. Es in Erinnerung ruft.

Erst in den 1960er und 1970er Jahren nahm die Zahl vermeintlich zunehmenden Aggressivität von Kindern
der wissenschaftlichen Publikationen, in denen Medien- gebracht (u Exkurs „Historische Forschung zu aggressivem
phänomene primär durch Rückgriff auf psychologische Verhalten durch Fernsehkonsum“). In den 1970er Jahren
Theorien und Methoden untersucht wurden, zu. Ins- setzte auch die medienpsychologische Forschung zu Fragen
besondere die Forschung zu Einflüssen des Fernsehens der Mensch-Computer-Interaktion ein. Kein anderes
setzte die Tradition einer deutlichen „Medienskepsis“ Medium führte zu einem solch deutlichen Anstieg der
fort. So wurde der Fernsehkonsum von Kindern in den Forschungsaktivitäten im Bereich der Medienpsychologie
1960er Jahren für zahlreiche psychovegetative Störungen wie die rasche Verbreitung der Computer, insbesondere der
verantwortlich gemacht und in Verbindung mit einer Personal Computer.

Exkurs

Historische Forschung zu aggressivem Verhalten durch Fernsehkonsum


Albert Bandura (1965; Bandura et al. sollten die Kinder in einem Nebenraum Kinder der Gruppe, in der der Erwachsene
1963) zeigte Vorschulkindern in mit denselben Spielzeugen wie der im Film belohnt wurde, folgerte man,
einem Experiment einen Film, in dem Erwachsene im Film spielen. Darunter war dass Gewalt in Film und Fernsehen ein
ein Erwachsener mit verschiedenen auch die Puppe, mit der im Film aggressiv Modellverhalten für Kinder darstellt.
Gegenständen spielte und gegenüber umgegangen wurde. Dabei ahmten die Studien der 1970er Jahre konnten jedoch
einer Puppe in Kindgröße verschiedene Kinder auch das im Film beobachtete nachweisen, dass das Betrachten von
aggressive Verhaltensweisen (z. B. aggressive Verhalten gegenüber der aggressiven Inhalten im Fernsehen nicht
schlagen, beschimpfen) zeigte. Bandura Puppe nach, wobei die Kinder, welche kausal zu langfristig aggressiverem
variierte das Ende des Films, indem a) die Bestrafung des Erwachsenen im Verhalten führt. Vielmehr beeinflusst u. a.
eine zweite Person hinzukommt, die den Film betrachteten, weniger aggressives das Familienklima (Schneewind 1978),
Erwachsenen mit Süßigkeiten belohnt, Verhalten zeigten, als die Kinder der inwiefern Kinder langfristig aggressives
b) diese zweite Person den aggressiven beiden anderen Gruppen, die sich im Verhalten zeigen. Eine detailliertere
Erwachsenen bestraft und c) keine Verhalten kaum unterschieden. Gerade Darstellung zu Auswirkungen des
Person oder weitere Handlung zu sehen weil sich die Kinder der Kontrollgruppe Konsums gewalthaltiger Medien erfolgt
ist (Kontrollgruppe). Anschließend ähnlich aggressiv verhielten wie die in einem Exkurs in 7 Abschn. 6.4.2.

Neuere medienpsychologische Arbeiten fokussieren vermeintlichen und tatsächlichen (Gefahren-)Potenziale von


insbesondere den Einsatz digitaler Medien in Lern- und Medien in zahlreichen Forschungsprojekten thematisiert.
Arbeitssettings, als Mittler in globalisierten Kommunikations-
kontexten und als Unterhaltungswerkzeuge. Aus
­pädagogisch-psychologischer Sicht stehen heute insbesondere 6.2  Lernmedien
die Fragestellungen zur Gestaltung von Lernmedien und
Einsatzszenarien von Medien in Lernkontexten im wissen- Lernmedien werden mit dem Ziel eingesetzt, kognitive
schaftlichen Fokus. Weiterhin werden Kompetenzen, die für Prozesse bei den Rezipienten auszulösen, die zu einer
einen angemessenen Umgang mit digitalen Medien erworben langfristigen Anpassung bestehender Wissensstrukturen
werden müssen („Information and Communication Techno- führen (Adaption), in die neue Informationen integriert
logy (ICT)-Literacy“, vgl. Binkley et al. 2012), sowie die werden (Assimilation) bzw. die den Aufbau neuer
136 H. Horz

Wissensstrukturen (Akkommodation) bedingen. Weiterhin für ein solches Hypertext-/Hypermedia-Angebot im Inter-


können Medien zur Automatisierung und Schematisierung net ist Wikipedia.
des Wissens beitragen.
Bei der hier am Lernbegriff des kognitiven Ent- Definition
wicklungsmodells Piagets (2003) ausgerichteten Darstellung u Hypertexte stellen eine spezifische Form von Texten
des medienbasierten Lernens ist zusätzlich zu berück- dar, weil sie Textteile mittels spezifischer Verknüpfungen
sichtigen, dass die Verarbeitung neuer Information und die (Hyperlinks) in meist nichtlinearer Form präsentieren.
aktive Verknüpfung mit bestehenden Wissensstrukturen im Dadurch entsteht eine netzwerkartige Struktur zwischen
Arbeitsgedächtnis stattfinden. Jedoch ist die Verarbeitungs- den einzelnen Teilen eines Hypertexts. Werden nicht
kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt (Baddeley nur Texte, sondern verschiedene Medien (Bilder,
1992). Aus der begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächt- Texte, Animationen etc.) miteinander durch Hyperlinks
nisses ergibt sich die Notwendigkeit, den medienbasierten verknüpft, spricht man von u Hypermedia.
Lernprozess so zu gestalten, dass keine Überlastung des
6 Arbeitsgedächtnisses auftritt (u Abschn. 6.2.3). Weiterhin
sollten bei der instruktionalen Gestaltung von Lernmedien Hypertexte erlauben höhere Freiheitsgrade beim Lernen
(Instructional Design) die kognitiven, motivationalen und als konventionelle Texte in ihrer Gestaltung. So können
emotionalen Anforderungen des Lernens mit Medien so Redundanzen vermieden werden, indem Hyperlinks zu
weit als möglich berücksichtigt werden, damit Lernziele Textteilen an die Stellen gesetzt werden, an denen in kon-
möglichst effizient erreicht werden können. ventionellen Texten in der Regel redundante Textabschnitte
Lernmedien werden üblicherweise anhand ihrer verwendet werden. Vielfach wird vermutet, dass die netz-
medialen Repräsentationsform (Medialität), ihrer werkartige Darstellung von Informationen in Hypertexten
Kodierungsform (Kodalität) und anhand der Sinnesmodali- einen Lernvorteil an sich darstellt, weil in kognitivistischen
tät, die zur Verarbeitung einer Information benötigt wird Modellen des Langzeitgedächtnisses auch von einem
(Modalität), unterschieden. So kann z. B. ein geschriebener netzwerkartigen Aufbau der Wissensrepräsentationen
Text in Buchform vorliegen oder mittels eines Computer- (Anderson 2001) ausgegangen wird. Diese „kognitive
bildschirms präsentiert werden (Unterschied in der Mediali- Plausibilitätshypothese“ (Schulmeister 1997) hat sich
tät). Während geschriebene Texte durch Buchstaben erzeugt jedoch empirisch nicht bestätigt (Rouet und Levonen 1996).
werden, basieren gesprochene Texte auf Lauten (Unter-
schied in der Kodalität). Dadurch müssen geschriebene Lernen mit Texten und Hypertexten
Texte in der Regel mittels des visuellen Systems, gehörte Um Texte und Hypertexte als Lernmedien nicht nur münd-
Texte hingegen mittels des auditiven Systems (Unterschied lich, sondern auch schriftlich adäquat nutzen zu können, ist
in der Modalität) rezipiert werden. es für die Lernenden notwendig, über eine adäquate Lese-
kompetenz zu verfügen.

6.2.1  Texte und Hypertexte Definition

Texte, sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Als Lesekompetenz (u Kap. 16 und 17) wird die
Form (z. B. Audiofile, Unterrichtsvortrag), gelten weiter- Fähigkeit bezeichnet, sachrichtig Informationen aus
hin als „Leitmedium“ (Horz und Ulrich 2015) in Lehr- und schriftlichen Texten entnehmen zu können (van Dijk
Lernsituationen. Texte stellen eine zusammenhängende und Kintsch 1983; Richter und Christmann 2002). Die
Informationsressource in geschriebener Sprache dar, die Lesekompetenz setzt sich aus hierarchisch geordneten
aus per Konventionen festgelegten Symbolen (Phonemen, Teilfähigkeiten zusammen. Diese Teilfähigkeiten
Silben, Worten, Sätzen) besteht. In Abhängigkeit von der umfassen hierarchieniedrige basale Wahrnehmungs-
Kultur bestehen sehr unterschiedliche Formen, wie diese und Identifikationsprozesse (z. B. Buchstaben- und
Konventionen umgesetzt werden, was z. B. durch unter- Wortidentifikation beim Lesen einer Zeitung). Zudem
schiedliche Alphabete deutlich wird. werden hierarchiehohe Prozesse zum Aufbau interner
Während Texte seit Jahrhunderten genutzt werden, mentaler Repräsentationen benötigt (z. B. Verstehen
um Informationen zu vermitteln und zu archivieren, eines Zeitungsartikels, der über Wahlergebnisse
stellen Hypertexte eine vergleichsweise neue Form der berichtet) sowie zur Interpretation und Evaluation
Textrepräsentation dar. Insbesondere durch die stark der Textinformationen (z. B. Bewertung eines
angestiegene Verbreitung digitaler Lernmedien werden Wahlergebnisses, über das man in der Zeitung gelesen
Hypertexte in zunehmender Zahl eingesetzt, da sie in hat, vor dem Hintergrund der eigenen Vorkenntnisse
digitalen Lernumgebungen einfacher realisiert werden über Wahlsystem, bisherige Machtverhältnisse etc.).
können als in anderen Medien. Ein sehr bekanntes Beispiel
Medien
137 6
Um einen Text zu lesen, müssen folgende perzeptuelle und ist die Kenntnis der wesentlichen Konventionen einer
kognitive Verarbeitungsprozesse durchgeführt werden: Sprache. Um schriftliche Texte verstehen zu können,
5 Zunächst werden einzelne Buchstaben visuell wahr- ist darüber hinaus die Beherrschung der Schriftsprache
genommen und zu Worten zusammengesetzt. Auf („Alphabetisierung“) nötig. Der Erwerb einer Schrift-
diese Weise entsteht eine mentale Textoberflächen- sprache erfolgt in jahrelangen – meist institutionalisierten
repräsentation. Diese ermöglicht dem Lernenden eine – Lernprozessen. Dabei ist es auch in technisch und sozial
wörtliche Wiedergabe des Textes, allerdings entsteht auf hochentwickelten Kulturen keineswegs selbstverständ-
dieser Ebene des Leseprozesses noch kein Verständnis lich, dass die Alphabetisierung bei allen Angehörigen einer
des Textes. Kultur gelingt. Auch in technisch und sozial hoch ent-
5 Für ein inhaltliches Verständnis eines Textes ist der wickelten Gesellschaften verfügen relevante Minderheiten
Aufbau eines propositionalen Modells nötig (van Dijk nicht über die Fähigkeit, schriftliche Texte ausreichend
und Kintsch 1983). In einem propositionalen Modell zu verstehen oder zu produzieren, ohne dass gesundheit-
wird der Text nicht mehr wörtlich, sondern nur durch liche Gründe (z. B. hirnorganisch bedingte intellektuelle
miteinander verknüpfte Sinneinheiten (Propositionen) Defizite) dem erfolgreichen Erwerb einer Schriftsprache
repräsentiert (z. B. der Begriff „Demokratie“ ist bei den im Weg stehen. So sind in Deutschland knapp 2 % der
meisten Menschen verbunden mit Sinneinheiten wie Bevölkerung „echte“ Analphabeten, jedoch müssen
Wahlen, Wahlfreiheit, Parlament etc.). ca. 14 % der Bevölkerung als funktionale Analphabeten
5 Neben der eher abstrakten Repräsentation in einem eingestuft werden (Grotlüschen und Riekmann 2012).
propositionalen Modell, wird der Textinhalt auch in
einem mentalen Modell repräsentiert. Das mentale Definition
Modell besteht aus einer analogen und realitätsnahen Der Begriff funktionaler Analphabetismus
kognitiven Repräsentation der Inhalte eines Textes bezeichnet die unzureichend entwickelte Fähigkeit,
(auch u Abschn. 6.2.3). Mentale Modelle sind subjektive die schriftbasierte Sprache in sozial adäquater Weise
Strukturen, welche die reale Welt im Arbeitsgedächt- zu verstehen und Texte zu produzieren. So können
nis abbilden (Johnson-Laird 1983). Setzt man die Menschen, die als funktionale Analphabeten einzustufen
vorherigen Beispiele fort, so wäre das mentale Modell, sind, zwar meist ihren Namen schreiben und einzelne
das beim Lesen eines Zeitungsartikels über eine Wahl Worte erkennen, sind jedoch nicht in der Lage, längere
entsteht, angereichert mit subjektiven Erinnerungen, Texte zu verstehen (u Abschn. 16.1).
ob man die Partei präferiert, die gewann, die bild-
lichen Erinnerungen an das Aussehen der im Artikel
erwähnten Politiker usw. Vorwissen und Lesefähigkeit Das Lernen mit Texten und
Hypertexten wird von zahlreichen individuellen Faktoren
Ein für das Verständnis eines Textes zentrales Merkmal ist beeinflusst (Artelt et al. 2001; Richter und Christmann
der Grad der Textkohärenz. In der Regel bestehen Texte 2002; u Abschn. 16.1 und 17.5). So sind bei Schülern einer
aus Sätzen, die aufeinander bezogen sind, um einen Inhalt Klasse erhebliche Unterschiede in der allgemeinen Lese-
kohärent zu beschreiben. Dabei kann man zwischen der fähigkeit, in der Lesegeschwindigkeit sowie in den für das
lokalen und globalen Textkohärenz unterscheiden. Während Lesen relevanten Teilprozessen wie z. B. Geschwindigkeit
sich die lokale Textkohärenz allein auf den thematischen des Zugriffs auf den Wortschatz, Wortschatzumfang, Text-
Zusammenhang zwischen zwei Sätzen bezieht, bezeichnet verständnis und Inferenzbildung (Schlussfolgerungen, die
die globale Textkohärenz den thematischen Zusammen- über den gelesenen Inhalt hinausgehen) zu beobachten.
hang aller Sätze eines Textes in Bezug auf dessen Thema. Insbesondere das thematische Vorwissen und die Lese-
Das Verständnis eines Textes ist einfacher, wenn eine hohe fähigkeit können das Lernen mit (Hyper-)Texten beein-
lokale und insbesondere eine hohe globale Textkohärenz flussen (u. a. Richter et al. 2005; Naumann et al. 2007). So
vorliegen und wenn die Themen eines Textes kontinuierlich verringert ein geringes inhaltliches Vorwissen die Effizienz
aufeinander aufgebaut werden (Schnotz 1994). des Aufbaus propositionaler und mentaler Modelle
Beim Lernen mit Hypertexten ergeben sich zusätz- während des Lernens mit Texten. Zudem ist die Inter-
liche Anforderungen an die Leser, die bei der Lektüre pretation und Evaluation von Texten nur eingeschränkt
konventioneller Texte nicht auftreten. Schwieriger als in möglich, wenn Lernende über geringes inhaltliches Vor-
einem konventionellen Text ist das gezielte Auffinden von wissen verfügen oder basale Leseprozesse nicht vollständig
Informationen. Letzteres beansprucht dabei umso mehr automatisiert sind.
kognitive Ressourcen, je komplexer das Netzwerk ver- Die Fähigkeit im Umgang mit computerbasierten
schiedener Textteile in einem Hypertext wird. Hypertexten beeinflusst den Lernerfolg mit diesem
Medium in entscheidender Weise. So kann eine
Individuelle Faktoren des Lernens mit Texten erhebliche Desorientierung von Lernenden bei der
und Hypertexten Bearbeitung von komplexen Hypertexten auftreten, die
Erwerb der Schriftsprache Grundlegende Voraussetzung als „­ Lost-in-Hyperspace“-Phänomen bekannt ist (Conklin
zum Verständnis von mündlich dargebotenen Texten 1987). Lernende mit geringer Erfahrung im Umgang mit
138 H. Horz

computerbasierten Lernmedien erreichen beim Lernen


mit Hypertexten meist einen weitaus geringeren Lern- dargestellt, Wesentliches ist hervorgehoben
erfolg als Personen mit höherer Expertise in diesem etc.). Zudem sollte eine logische innere Ordnung
Bereich (z. B. Horz 2004). Zusätzlich beeinflusst das vorhanden sein, in der Informationen aufeinander
thematische Vorwissen die Rezeption von Hyper- bezogen dargestellt werden, sodass ein roter Faden
texten (u. a. Last et al. 2001), da Lernende mit höherem im Textaufbau erkennbar wird.
thematischem Vorwissen weniger Orientierungsprobleme 3. Kürze/Prägnanz:
in Hypertexten aufweisen. Texte sollten sich auf notwendige Formulierungen
beschränken und keine weitschweifigen und/oder
Gestaltung von Texten und Hypertexten redundanten Darstellungen enthalten.
Der erfolgreiche Einsatz von (Hyper-)Texten als Lern- 4. Zusätzliche Stimulanz:
medien hängt von ihrer Gestaltung ab. Die Qualität der Ein Text sollte den Leser motivieren, ihn vollständig
Gestaltung wird durch eine Vielzahl von Oberflächen- zu rezipieren. Dazu sollte ein Text ein mittleres Maß
6 merkmalen wie Schriftart und Schriftgröße, aber auch von an Stimulanz enthalten, das durch anschauliche
inhaltlichen Merkmalen wie Wort- und Satzlänge, Text- Darstellungen, originelle Formulierungen, direkte
komplexität und -ordnung, Prägnanz und motivierende Ansprache des Lesers etc. erreicht werden kann.
Textgestaltung bedingt. Während für Oberflächen-
merkmale empirisch gut gesicherte Standards existieren
(Ballstaedt 1997), ist die Bestimmung der inhaltlichen 6.2.2  Bilder, Animationen und Filme
Qualität eines Textes weitaus schwieriger.
Eine gebräuchliche Sammlung von Kriterien zur inhalt- Bilder haben als Lernmedien eine lange Tradition.
lichen Textgestaltung stellt bis heute das „Hamburger Heute werden unterschiedlichste Formen statischer und
Verständlichkeitskonzept“ dar (Langer et al. 1974). In bewegter Bilder (Animationen, Filme) für eine Vielzahl
diesem Konzept werden vier Dimensionen der Ver- instruktionaler Funktionen eingesetzt. Neben der genannten
ständlichkeit von Texten genannt, die faktorenanalytisch Unterscheidung zwischen statischen und bewegten Bildern
anhand von Expertenurteilen ermittelt wurden (u Über- wurde eine Reihe unterschiedlicher Kategorisierungs-
sicht). Diese vier Dimensionen der Textverständlichkeit systeme entwickelt, um Bildtypen unterscheiden zu können.
sind weitgehend unkorreliert. So ist es möglich, dass ein Den meisten dieser Kategorisierungen ist gemein, dass sie
Text eine hohe Ausprägung auf einer Dimension auf- die Bilder nach dem Grad der realitätsgetreuen Darstellung
weist, während er auf einer anderen Dimension nur gering unterscheiden. So zeichnen sich Fotografien und realistische
ausgeprägt ist. Zeichnungen durch eine hohe Realitätsnähe aus. Skizzen
Der Hamburger Verständlichkeitsansatz wird sowohl und vereinfachte Abbildungen enthalten meist wenig
wegen seiner atheoretischen Herleitung, die allein auf detaillierte, reduzierte Abbildungen zentraler Elemente
Expertenurteilen basiert, als auch wegen der für die Praxis des abgebildeten Objekts. Schemata und logische Bilder
unzureichenden Spezifizierung der Verständlichkeits- repräsentieren nur noch einzelne Elemente eines Objekts
dimensionen kritisiert (Groeben 1982). Weiterhin konnte oder einen Sachverhalt in abstrakter Form (. Abb. 6.2).
empirisch gezeigt werden, dass die Verständlichkeit eines Unter den verschiedenen Abbildungsformen, die in
Textes insbesondere von der inhaltlichen und gedank- Lernmedien eingesetzt werden, sind logische Bilder hervor-
lichen Strukturierung abhängt (Christmann und Groeben zuheben (Acar 2018).
1999). Trotz dieser Kritik ist das Hamburger Verständlich-
keitskonzept aufgrund seiner klaren Gestaltungsregeln zur Definition
Erstellung von Texten von hohem praktischen Nutzen.
Logische Bilder stellen Zusammenhänge zwischen
Merkmalen eines Objekts oder Sachverhalts dar, wobei
mit Ausnahme der Isotypendiagramme keine Ähnlichkeit
Dimensionen des „Hamburger
mit dem eigentlichen Objekt oder Sachverhalt besteht.
Verständlichkeitskonzepts“
1. Sprachliche Einfachheit:
Ein Text sollte kurze, einfache Formulierungen
Ziel von logischen Bildern ist die Veranschaulichung
verwenden. Wenn möglich, sollten geläufige,
abstrakter Sachverhalte. Die bekanntesten Typen logischer
konkret-anschauliche Wörter genutzt werden.
Bilder sind Kreis-, Balken-, Säulen-, Kurven-, Linien-,
Fremdwörter sollten nur sparsam eingesetzt und
Punkte-, Streu- und Isotypendiagramme (. Abb. 6.3;
erklärt werden.
Ballstaedt 1997).
2. Gliederung/Ordnung:
Ein Text sollte eine klar erkennbare äußere
Verarbeitung von Bildern
Gliederung haben (z. B. inhaltlich aufeinander
Aus instruktionaler Sicht können Bilder in Lern-
bezogene Teile werden unter einer Überschrift
umgebungen sehr verschiedene lernförderliche Funktionen
Medien
139 6
. Abb. 6.2 Abbildungen Realistische Abbilder
von Hasen mit zunehmender
Realitätsnähe Schematisches Vereinfachte Realistische
Fotografie
Bild Abbildung Abbildung

Niedrig Realismus der Abbildung Hoch

Logisches Bild

Hasen

Normierte Ohrenlänge
Abstrakte Darstellung
ohne realistische Kaninchen
Abbildungselemente

Gewicht

haben. Werden Bilder allein aus ästhetisch-dekorativen vertiefte Verarbeitung eines Bildes müssen dann attentive
Gründen eingesetzt, ist davon auszugehen, dass sie den Prozesse folgen, in denen Elemente eines Bildes einer bewussten
Lernprozess behindern, da sie bei der Informationsver- und zielgerichteten Analyse unterzogen werden. Dabei ergeben
arbeitung einer Lernumgebung kognitive Ressourcen des sich aus dem Bildformat (z. B. realistisches Foto vs. logische
Arbeitsgedächtnisses beanspruchen, ohne lernrelevante Abbildung) unterschiedliche Anforderungen an das Vorwissen
kognitive Prozesse auszulösen oder zu erleichtern. Daher der Rezipienten, da sie mit kulturellen Konventionen hinsicht-
werden dekorative Bilder in Lernumgebungen auch als lich der Darstellungsformen und ihrer Bedeutung vertraut sein
„seductive details“ bezeichnet (Harp und Mayer 1998). Ein müssen, um ein Bild adäquat zu interpretieren. So stellt z. B. in
Beispiel für eine Lernumgebung mit zahlreichen „seductive einem Kreisdiagramm der gesamte Kreis in der Regel 100 %
details“ stellt die „Sesamstraße“ dar. Es konnte gezeigt der betreffenden Gesamtmenge dar und jeder Sektor ent-
werden, dass Kinder sich überwiegend die dekorativen spricht in seiner relativen Größe dem Anteil einer Kategorie an
Elemente der Sendungen merkten und nur in geringem der Gesamtmenge. Dabei ist zu bedenken, dass Bilder nicht in
Maße die zu lernenden Informationen behielten (Fisch all ihren Details analog mental repräsentiert werden, sondern
2004). Inwiefern aber „seductive details“ eine motivations- die mentale Repräsentation von Bildern bei den Lernenden
stützende Funktion haben, die Kinder animiert, sich über- anhand von mentalen Modellen erfolgt, wie dies auch bei der
haupt mit Lerninhalten aus Lernumgebungen wie der Verarbeitung von Texten geschieht (u Abschn. 6.2.1). Das heißt,
Sesamstraße zu befassen, ist bisher nicht eindeutig geklärt. ähnlich wie bei Texten werden nur die wichtigsten Bedeutungs-
Sicher ist jedoch, dass informative Bilder (z. B. Grafiken, einheiten von Bildern mental repräsentiert.
Diagramme etc.), die nicht primär aus dekorativen Gründen
in eine Lernumgebung integriert sind, den Lernprozess auf
unterschiedliche Weise fördern können (Übersicht). Für den Lernprozess förderliche Merkmale
Die kognitive Verarbeitung von Bildern erfolgt zunächst informativer Bilder
in Form präattentiver Prozesse. Hierunter fasst man visuelle 5 Interpretationserleichterung:
Routinen zusammen, die automatisiert entlang von Wahr- Bilder können Inhalte veranschaulichen,
nehmungsgesetzen (z. B. „Gesetz der guten Gestalt“) ablaufen konkretisieren und so deren Verständnis erleichtern.
und kaum bewusst gesteuert oder vom Vorwissen der 5 Motivation:
Lernenden beeinflusst werden. Durch präattentive Prozesse Bilder können das Interesse der Lernenden wecken
nehmen wir ein Bild in seiner Gesamtheit wahr. Für eine oder während des Lernens aufrechterhalten.
140 H. Horz

. Abb. 6.3 a–f Beispiele logischer Bilder. a Säulendiagramm, b Balkendiagramm, c Punktediagramm, d Liniendiagramm, e Kreisdiagramm,
f Isotypendiagramm

statischen Darstellungen. Aktuelle Forschungsarbeiten


5 Orientierung und Strukturierung: (Berney und Bétrancourt 2016) deuten zugleich darauf
Komplexe Inhalte und Inhaltsstrukturen können durch hin, dass die Effektivität des Lernens mit Animationen
Bilder einfacher „auf einen Blick“ dargestellt werden. und Filmen sowohl von deren Gestaltung abhängt als auch
5 Vertiefte Enkodierung: von zentralen Lernendenmerkmalen. Animationen und
Bilder können die Behaltensleistung und Filme sind als Lernmedien dann von besonderem Nutzen,
Verarbeitungstiefe von Lernmaterialien verbessern wenn die Lernenden ein dynamisches („animiertes“)
(u Abschn. 6.2.3). mentales Modell erstellen sollen und die Animation
diese dynamisierte mentale Repräsentation unterstützt.
Allerdings kann eine Animation oder ein Film auch zu
Verarbeitung von Filmen und Animationen einer mangelhaften Repräsentation führen, da die dar-
Weit verbreitet ist die Annahme, dass bewegte Bilder gebotenen bewegten Bilder im Unterschied zu statischen
wie Animationen und Filme das Lernen in größerem Bildern flüchtig sind. Daher müssen Lernende bei
Maße fördern als statische Bilder, da sie Informationen Filmen und Animationen im Arbeitsgedächtnis über
in einer Art und Weise darbieten, die der Alltagswahr- eine längere Zeitspanne hinweg aktuelle Bilder fort-
nehmung in höherem Maße entspricht als statische Bilder laufend mit zuvor gesehenen Bildern integrieren, was eher
oder Texte. Eine Metaanalyse von Höffler und Leutner zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses führen
(2007) zeigte eine durchschnittliche Überlegenheit von kann als die Rezeption von statischen Bildern (vgl. auch
Animationen hinsichtlich des Lernerfolgs gegenüber ­„Split-attention-Effekt“, u Abschn. 2.3).
Medien
141 6
Zwar können sich Filme und Animationen aus Syntax, Semantik und Pragmatik der Gestaltung optimiert
motivationaler Sicht als günstige Lernmedien erweisen, sind. Die Gestaltungssyntax beschreibt die Beziehungen
wobei jedoch die positive motivationale Wirkung von der Bildelemente zueinander. So sind in logischen Bildern
Filmen und Animationen nicht unbedingt zu einem Elemente, die zusammengehören, als solche kenntlich zu
höheren Lernerfolg führt (Schwan 2017). So wird das machen. Dies kann z. B. durch die Farbgebung, die Nutzung
Betrachten von Filmen im Vergleich zum Lesen eines unterschiedlicher Texturen, Umrahmungen, Legenden etc.
Textes als „einfach“ durch die Lernenden empfunden und erfolgen. Um die Bedeutung der einzelnen Bildelemente zu
das Betrachten von Filmen macht den Lernenden ver- verdeutlichen, bedarf es einer klaren Gestaltungssemantik.
gleichsweise mehr Spaß als z. B. die Bearbeitung text- So werden z. B. unterschiedliche Objektmengen durch ent-
basierter Lernmedien. Es ist jedoch zu beachten, dass dies sprechende proportionale Größendarstellungen in logischen
dazu führen kann, dass sich Lernende weniger anstrengen, Bildern dargestellt, wohingegen unterschiedliche qualitative
die Inhalte eines Films mental zu bearbeiten und mit ihrem Merkmale vor allem durch verschiedene Formen oder
Vorwissen zu verknüpfen als beim Lesen eines Textes Farben repräsentiert werden. Letztlich ist bei logischen
(„Television-is-easy-Effekt“; Salomon 1984). Abbildungen darauf zu achten, dass die Darstellungsform
ein sachrichtiges Erkennen der dargestellten Inhalte unter-
Individuelle Faktoren stützt (Gestaltungspragmatik). So sollten die Rezipienten
Attentive Prozesse sind in hohem Maße abhängig vom nicht zur Annahme falscher Schlussfolgerungen durch die
Vorwissen der Lernenden. Lange Zeit war man der Über- Gestaltung eines logischen Bildes verleitet werden, indem
zeugung, dass der Lernerfolg mit dem Realismusgrad z. B. Achsen unterbrochen, nicht beim Nullpunkt angesetzt
eines Bildes oder einer Filmsequenz ansteigt („Realismus- oder Proportionen in unzulässiger Weise dargestellt werden.
these“). Diese Annahme konnte jedoch durch Dwyer (1978) Falsche Schlussfolgerungen können auch entstehen, wenn
widerlegt werden, indem er nachwies, dass Lernende mit relationale Unterschiede durch Vergrößerung von Flächen
geringerem Vorwissen durch abstrahierte Zeichnungen dargestellt werden, statt richtigerweise durch Längen
mehr lernten als durch realitätsgetreue Bilder. (. Abb. 6.4).
Ebenso ist ein erhebliches Maß an Vorwissen notwendig,
um logische Bilder und u Piktogramme sachrichtig zu inter-
pretieren. Ist man mit den kulturellen Konventionen nicht 6.2.3  Multimedia
oder nur unzureichend vertraut, unter deren Annahme ein
logisches Bild oder Piktogramm erstellt wurde, bleibt ein Der Begriff u Multimedia wurde durch die rasche Ver-
Bild meist unverständlich oder wird falsch interpretiert. breitung des Computers als Lernmedium in den 90er
Nicht nur das Verständnis von Bildern, sondern auch die Jahren populär. Dabei sind im eigentlichen Sinne keines-
Nutzung von Filmen und Animationen muss erlernt werden. wegs nur digitale (Lern-)Medien als „multi“-medial zu
So sind z. B. Kinder im Grundschulalter durch filmische bezeichnen, wenn sie verschiedene Medien beinhalten.
Erzähltechniken wie Rückblenden oder raschen Szenen- Z. B. sind nahezu alle Lehrbücher, Lehrfilme oder Unter-
wechseln überfordert. Es gibt auch einzelne Hinweise darauf, richtsformen multimedial, da in ihnen Medien unterschied-
dass Fernsehen bei Kindern die Fantasie weniger anregt, licher Kodierungsformen enthalten sind, die z. T. auch
als wenn sie Geschichten erzählt bekommen. Jedoch ist die verschiedene Sinnesmodalitäten ansprechen. Wenn man
Schlussfolgerung, dass Filme, Fernsehen oder interaktive aber die Interaktivität von Medien als ein Kennzeichen von
Medien eine ungünstigere kognitive Entwicklung bedingen, Multimedia mit einbezieht, kennzeichnet dieser Begriff ins-
in dieser Form nicht haltbar (u Abschn. 6.2.3 und 6.4). besondere computergestützte Lernmedien.

Gestaltung von Bildern, Animationen und Definition


Filmen Multimediale Informationsressourcen enthalten
Grundsätzlich gilt für Bilder in Lernumgebungen, dass Informationen, die mittels verschiedener
Bildelemente an sich klar erkennbar und gut differenzier- Kodierungsformen wie z. B. Bilder und Texte
bar sein sollten. Hierfür ist eine Darstellungsperspektive (Multikodalität) dargestellt und meist mittels
zu wählen, die möglichst alle relevanten Bildelemente verschiedener Sinnesmodalitäten rezipiert werden
erkennen lässt. Ebenso sind eine angemessene Detailliert- (z. B. Texte in gedruckter Form durch die Augen und in
heit sowie die Auswahl eines realitätsnahen Darstellungs- gesprochener Form durch das Ohr; Multimodalität).
kontextes von Bedeutung.
Für logische Bilder gilt darüber hinaus, dass die gewählte
Repräsentationsform den darzustellenden Inhalt mög- Vielfach empirisch belegt ist, dass das Lernen mit digitalen,
lichst exakt wiedergibt und die Interpretation der zentralen multimedialen Lernumgebungen im Vergleich zu rein
Sachverhalte möglichst durch das gewählte Format eines textuellen Lernumgebungen einen höheren Lernerfolg
logischen Bildes unterstützt werden sollte. Weiterhin erbringt („Multimedia-Prinzip“). Häufig wird der Lern-
sollte der Aufbau logischer Bilder so gewählt sein, dass die vorteil multimedialer Lernumgebungen anhand der
142 H. Horz

. Abb. 6.4 Beispiele für


Grafiken mit Fehlern in der
Gestaltungssemantik und
-pragmatik. In den beiden
oberen Abbildungen wirken
die abgebildeten Unterschiede
trotz identischer Daten in der
rechten Abbildung größer, da
die Ordinate erst bei einem
Wert vom 20 beginnt. In der
unteren Abbildung werden die
Flächen der Objekte proportional
vergrößert statt richtigerweise
nur deren Höhe

. Abb. 6.5 Modell des


Arbeitsgedächtnisses.
(Modifiziert nach Baddeley 2003)

Theorie der dualen Kodierung (Paivio 1986) erklärt. der meisten Menschen bildhaft und abstrakt kodiert
Die Theorie der dualen Kodierung geht davon aus, dass sein, wohingegen für den Begriff „Wahrheit“ vermut-
die Informationsverarbeitung im kognitiven System des lich die wenigsten Menschen über eine k­onkret-bildhafte
Menschen in zwei unterschiedlichen, aber interagierenden Repräsentation in ihrem Gedächtnis verfügen.
Untersystemen – einem verbalen und einem piktorialen Mayer (1997) entwickelte ausgehend von der Theorie der
System – erfolgt. Weiterhin wird angenommen, dass beide dualen Kodierung eine „kognitive Theorie des multimedialen
Untersysteme in ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt Lernens“. Mayers Theorie bezieht sich zudem auf das Modell
sind, miteinander interagieren, aber auch unabhängig von- des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley (1986, . Abb. 6.5),
einander aktiv sein können. Werden aufeinander bezogene in dem postuliert wird, dass das Arbeitsgedächtnis aus einer
verbale und piktoriale Inhalte gelernt, so wird der Lern- zentralen Exekutive, einer phonologischen Schleife, einem
inhalt in beiden Systemen verarbeitet und gespeichert, was visuell-räumlichen „Notizblock“ und einem episodischen
zu einer doppelten Kodierung und damit zu einem höheren Speichersystem besteht. Die Speichersysteme weisen sowohl
Lernerfolg führt. Einschränkend ist anzumerken, dass ent- eine inhaltliche als auch zeitlich begrenzte Informations-
sprechend Paivios Theorie dieser Lernvorteil nur für Inhalte verarbeitungskapazität auf. In der phonologischen Schleife
existiert, für die im Gedächtnis sowohl eine abstrakt- werden gehörte und/oder gelesene Informationen verarbeitet.
verbale (in Form „symbolischer Codes“) als auch eine Dieses System ist mit einem Wiederholungsmechanismus aus-
­konkret-bildhafte mentale Repräsentation (in Form „analoger gestattet, der die phonologischen Informationen vor einem
Codes“) besteht. So dürfte der Begriff „Brot“ im Gedächtnis raschen Zerfall schützt. Im visuell-räumlichen Notizblock
Medien
143 6
werden visuelle und räumliche Informationen in „skizzen- visuelle Wahrnehmungsprozesse eine Text- bzw. eine
hafter“ Form zwischengespeichert. Im episodischen Speicher Bildoberflächenrepräsentation des betreffenden Lern-
– einer späteren Weiterentwicklung des Arbeitsgedächtnis- materials generiert. Anschließend wird durch bedeutungs-
modells durch Baddeley, die in der Theorie Mayers ursprüng- generierende kognitive Prozesse aus den auditiv und visuell
lich noch nicht berücksichtigt war – werden phonologische, wahrgenommenen verbalen Informationen eine mentale
visuelle und räumliche Informationen zwischenzeitlich Repräsentation gebildet, die aus konzeptuellen Sinneinheiten
integriert. (Propositionen; u Abschn. 6.2.1, Lernen mit Texten und Hyper-
Mayer übernimmt die Annahme eines auditiv-verbalen texten) besteht. Aus den bildbasierten Informationen hin-
und eines visuell-piktorialen Kanals der Informationsver- gegen wird ein mentales Modell konstruiert, das Struktur- und
arbeitung in seine Theorie. Multimediale Informationen Funktionseigenschaften besitzt, die denen des dargestellten
werden in separaten visuell-bildhaften und a­ uditiv-verbalen Inhalts entsprechen und damit diesen Inhalt repräsentieren.
Kanälen verarbeitet und erst im Arbeitsgedächtnis Durch schemageleitete Modellkonstruktions- und Modell-
zusammen mit Informationen aus dem Langzeitgedächtnis inspektionsprozesse interagieren diese beiden mentalen
integriert (. Abb. 6.6). Sein Modell wird durch zahlreiche Repräsentationen kontinuierlich miteinander. So bilden
empirische Forschungsbefunde gestützt. Allerdings geht sie eine kohärente mentale Repräsentation der rezipierten
Mayers Modell davon aus, dass die vorhandenen multi- Informationen, wobei die beteiligten Repräsentationen gegen-
medialen Informationsangebote auch immer tatsächlich seitig zu ihrer Elaboration beitragen (. Abb. 6.7).
genutzt werden und dass Bilder den Wissenserwerb grund- Aus der Perspektive des Modells des integrativen Text-
sätzlich fördern. Beides muss jedoch nicht notwendiger- und Bildverstehens ist die Hauptursache für den Lernvorteil
weise immer eintreten. multimedialer Lehrangebote darin zu sehen, dass verbale
Folglich kann kritisch gegenüber dem Modell von Mayer und piktoriale Informationen bei ihrer integrativen Ver-
eingewendet werden, dass nicht immer alle Informations- arbeitung gemeinsam zur Konstruktion eines mentalen
quellen einer multimedialen Informationsressource genutzt Modells beitragen. Allerdings besteht auch die Möglich-
werden und Bilder mit Texten nicht immer lernförder- keit, dass sich Lernende im Rahmen eines multimedialen
licher sein müssen als Texte allein. Diese Überlegungen Informationsangebots auf eine Informationsquelle
berücksichtigt Schnotz in seinem integrativen Modell des konzentrieren und die andere ignorieren, indem beispiels-
Text- und Bildverstehens. Analog zu dem Modell von weise das Verstehen des Texts durch das Verstehen des
Mayer geht das integrative Modell des Text- und Bild- Bildes ersetzt wird und umgekehrt. Zudem kann ein Bild
verstehens davon aus, dass auf der Wahrnehmungs- aufgrund seiner Visualisierungsstruktur die intendierte
ebene zwischen verschiedenen Sinneskanälen (z. B. Anwendung des gelernten Wissens hemmen (Schnotz und
einem auditiven und einem visuellen Kanal) und auf der Bannert 2003), wodurch eine multimediale Repräsentation
kognitiven Ebene zwischen verschiedenen Repräsentations- (z. B. Lernprogramm) eines Inhalts im Vergleich zu einer
kanälen (einem deskriptionalen und einem piktorialen monomedialen Lernumgebung (z. B. Text) auch zu einer
Kanal) unterschieden werden kann (Schnotz und Bannert schlechteren Lernleistung führen kann, was anhand des
2003; Schnotz 2005). Gemäß dem Modell des integrativen Modells des integrativen Text- und Bildverstehens, jedoch
Text- und Bildverstehens werden durch auditive bzw. nicht anhand des Modells von Mayer erklärt werden kann.

. Abb. 6.6 Modellhafte Darstellung der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens
144 H. Horz

. Abb. 6.7 Modell des integrativen Text- und Bildverstehens. (Modifiziert nach Schnotz und Bannert 2003, with permission from Elsevier, sowie
Schnotz 2005, reproduced with permission of Cambridge University Press through PLSclear)

Individuelle Faktoren ist, um erfolgreich mit multimedialen Lernumgebungen zu


Individuelle Faktoren beeinflussen den erfolgreichen Ein- lernen, da hier Informationen räumlich verteilt angeboten
satz multimedialer Lernumgebungen entscheidend. So ist werden (Plass et al. 2003). Weniger plausibel scheint
das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen besonders zunächst, dass ein hohes Vorwissen für das Lernen mit
dann vorteilhaft, wenn Lernende ein eher geringes Multimedia nachteilig sein kann. Lernende mit hohem
thematisches Vorwissen besitzen und über (ausreichend) thematischem Vorwissen bekommen in multimedialen
hohe visuell-räumliche Fähigkeiten verfügen (Mayer 2005). Lernumgebungen Inhalte mehrfach dargeboten, über
Jedoch bringt ein geringeres thematisches Vorwissen auch die sie (vermeintlich) bereits in ihren Wissensstrukturen
die Gefahr einer rasch eintretenden Überforderung der größtenteils verfügen. Dadurch elaborieren sie die ver-
Lernenden im Umgang mit komplexen Lernumgebungen schiedenen Inhaltsquellen einer multimedialen Lern-
mit sich, weil Lernende mit geringem Vorwissen im Ver- umgebung wesentlich weniger und übersehen so eventuell
gleich zu solchen mit höherem Vorwissen ein höheres Maß auch für sie neue Informationen in den verschiedenen
an kognitiven Ressourcen zur Bearbeitung eines Themas Medien einer multimedialen Lernumgebung („expertise
benötigen. Solch eine kognitive Überlastung kann ins- reversal effect“; Kalyuga et al. 2003).
besondere dann in komplexen Lernumgebungen auftreten,
wenn diese zahlreiche Unterstützungsfunktionen (Glossar, Gestaltung von Multimedia
Hilfen, elaborierte Beispiele etc.) enthalten, zu deren Nachfolgend werden Effekte der Gestaltung multi-
adäquater Nutzung aber auch kognitive Ressourcen in nicht medialer Lernumgebungen dargestellt (Mayer 2005). Die
unerheblichem Maße benötigt werden (Horz et al. 2009; dargestellten Effekte sind alle in experimentellen Unter-
Horz 2012). suchungen belegt worden und basieren theoretisch auf der
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Fähigkeit räum- Cognitive Load Theory (u Exkurs „Cognitive Load Theory“;
lich getrennte Informationen zu integrieren, notwendig Sweller et al. 1998).
Medien
145 6
Exkurs

Cognitive Load Theory


Die Cognitive Load Theory postuliert, („extraneous load“) entsteht durch die („germane load“) zu berücksichtigen,
dass beim Lernen im Arbeitsgedächtnis kognitive Verarbeitung von Gestaltungs- die durch die kognitiven Prozesse der
drei verschiedene kognitive Belastungen elementen einer Lernumgebung, die Lernenden entsteht, die ein Verstehen
auftreten. Die intrinsische Belastung irrelevante Informationen enthalten (in und Behalten der zu lernenden
(„intrinsic load“) wird durch die Lern­​ der Lernumgebung zum Atomstrom Informationen ermöglichen (In der
inhalte selbst bedingt (z. B. eine sind Bilder der wichtigsten Physiker Lernumgebung zum Atomstrom wird mit
Lernumgebung erklärt das Prinzip enthalten, die zur Erforschung der „Eselsbrücken“ gelernt, die helfen, sich
der Kernspaltung zur Erzeugung von Kernspaltung beitrugen, z. B. Otto Hahn). die unterschiedlichen Zerfallsarten bei
Atomstrom). Die extrinsische Belastung Weiterhin ist die lernbezogene Belastung der Kernspaltung zu merken).

Split-Attention-Effekt Wenn in multimedialen Lern- visuellen Kanals für die Bildverarbeitung genutzt werden
umgebungen schriftliche Texte zusammen mit statischen kann. Auf diese Weise kann ein Maximum an gleich-
und/oder dynamischen Bildern dargeboten werden, zeitiger Verfügbarkeit von verbaler und piktorialer
müssen die Lernenden ihre Aufmerksamkeit notwendiger- Informationen im Arbeitsgedächtnis erreicht werden.
weise zwischen der textuellen und bildlichen Information Augenscheinlich entsteht der Modalitätseffekt schlicht
aufteilen. Das heißt, das Auge muss zwischen beiden durch Vermeidung eines Split-Attention-Effekts, jedoch
Informationsquellen wechseln. Dies führt zu einem zeigten Mayer und Moreno (1998), dass selbst dann
­Split-Attention-Effekt, welcher den Lernerfolg verringert. bessere Lernergebnisse im Vergleich zu einer inhalts-
Ein Split-Attention-Effekt tritt insbesondere dann auf, gleichen Lernumgebung erzielt werden, in der die Texte
wenn Animationen oder Filme zusammen mit schrift- schriftlich präsentiert werden, wenn ein auditiver Text
lichem Text dargeboten werden, da in diesem Fall auf- und Animationen nacheinander dargeboten werden (und
grund der begrenzten Informationsaufnahme und somit keine Split-Attention-Situation vorliegt). Mayer und
Verarbeitungskapazität des kognitiven Systems entweder Moreno (1998) nehmen daher an, dass die Nutzung des
Teile der Animation bzw. des Films oder Teile des Textes verbalen sowie des piktorialen Kanals beim multimedialen
ignoriert werden müssen, da diese nur flüchtig präsentiert Lernen zu einer erhöhten Nutzung der Speicherkapazität
werden. Daher sollten Texte in multimedialen Lern- des Arbeitsgedächtnisses führt. Allerdings ist diese Inter-
umgebungen insbesondere bei Animationen und Filmen pretation umstritten (Rummer et al. 2010; Schüler et al.
in gesprochener Form dargeboten werden. 2012).

Temporale und räumliche Kontiguitätseffekte Wenn Effekte der individuellen Verarbeitungssteuerung Folgt
die räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen auf- man den bisherigen Empfehlungen, sollten instruktionale
einander bezogenen Informationen in multimedialen Bilder immer mit auditiv statt visuell präsentiertem Text
Lernumgebungen groß ist (niedrige Kontiguität der kombiniert werden. Dies gilt aber nicht in allen Fällen.
Medien), kann sich dies negativ auf den Wissenserwerb Wichtigster Kritikpunkt ist, dass der S­ plit-Attention-Effekt
auswirken. Die negativen Phänomene niedriger Kontigui- bei der Kombination von schriftlichen Texten mit
tät können verringert werden, wenn Texte und statischen Bildern nur in sehr geringem Maße auftritt und
Abbildungen räumlich und zeitlich möglichst nahe bei- nur dann, wenn die Lernzeit deutlich begrenzt ist. Zudem
einander präsentiert werden, da so die Suchprozesse ist zu bedenken, dass ein schriftlicher Text eine bessere
zwischen den Informationsquellen verkürzt werden. So Steuerung der Informationsaufnahme erlaubt. Bei schrift-
erzielen Lernende bessere Ergebnisse, wenn Texte und lich dargebotenem Text können Satz- oder Textteile bei
Bilder physisch integriert anstatt getrennt dargeboten Verständnisschwierigkeiten neu gelesen werden, während
werden. Daher kann man die Empfehlung geben, dass die gesprochener Text für die Lernenden in der Regel nur
räumliche Distanz zwischen illustrierten Textstellen und flüchtig dargeboten wird. Es ist zu vermuten, dass die
zugehörigen statischen oder animierten Bildern gering Kontrollvorteile einer schriftlichen Darbietung besonders
gehalten werden sollte. bei schwierigen Texten eine wichtige Rolle spielen.

Modalitätseffekt Wenn Texte in gesprochener Form Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der kognitiven
anstelle von schriftlich integrierten Texten in eine Lern- Belastung Um die Lernwirksamkeit multimedialer Lern-
umgebung eingebunden werden, stellt sich ein höherer umgebungen zu verbessern, ist im Allgemeinen die Regel
Lernerfolg ein (Modalitätseffekt). Werden Texte auditiv zu beachten, dass die extrinsische Belastung einer Lern-
mit instruktionalen Bildern dargeboten, kann die gesamte umgebung soweit wie möglich reduziert werden sollte.
Kapazität des auditiven Kanals der Textverarbeitung Auf diese Weise stehen kognitive Kapazitäten für die Ver-
gewidmet werden, während die gesamte Kapazität des arbeitung der Lerninhalte (intrinsische Belastung) und für
146 H. Horz

lernbezogene Aktivitäten (lernbezogene Belastung) zur (s. o.; ICT-Literacy nach Binkley et al. 2012; Engelhardt
Verfügung. Zur Verringerung der kognitiven Belastung et al. 2019) der Lehrenden und Lernenden bedeutsamer.
in multimedialen Lernumgebungen nennen Mayer und Gleichzeitig steht der stetig wachsenden Verfügbarkeit
Moreno (2003) diverse Möglichkeiten, die weiter unten diverser digitaler Informationen, Lern- und Lehrwerk-
aufgeführt sind. zeuge und den sich daraus entwickelten Nutzungs-
angeboten die zunehmende Desorientierung, bis hin
zum Überforderungserleben, von Teilen der Gesell-
6.2.4  Medieneinsatz aus medialer schaft – so auch Lehrenden und Lernenden – gegenüber
Perspektive (BDP, 2018). Abhängig davon über welche Kapazitäten
und Kompetenzen Lehrende verfügen, können die Lern-
Die zuvor dargestellten Gestaltungskriterien für Text und inhalte durch unterschiedliche Medien aufbereitet und
Bild fokussieren die aus pädagogisch-psychologischer und kombiniert werden. Dazu muss meist als Basis des multi-
medienpsychologischer Sicht bedeutsame Fragestellung, wie medialen Lehr-/Lernsettings eine digitale Lernplattform
6 Texte und Bilder grundsätzlich gestaltet sein sollten, um den (wie z. B. Moodle) eingesetzt werden, um den Lernenden
Lernprozess zu optimieren. Diese grundlegende Frage der die vielfältigen Lernmaterialien, Kommunikations-
Lernmediengestaltung steht aber in der Unterrichtspraxis oft und Kooperationsformen anbieten zu können. Um
weniger im Mittelpunkt des Interesses als die Frage, unter solche Plattformen effektiv nutzen zu können, müssen
welchen Umständen es sinnvoll ist, mit (digitaler oder kon- Lehrende und Lernende über die notwendigen Nutzungs-
ventioneller) Tafel, Flipchart, digitalen Präsentationen etc. kompetenzen entsprechend ihrer Rollen im Lern-
zu arbeiten oder wie diese konkret einzusetzen sind und setting verfügen. Dies setzt in der Regel eine zumindest
wie ein adäquater Medienwechsel während einer Unter- kurze Schulung für die Nutzung einer Lernplattform
richtseinheit durchgeführt wird. Zu den praktischen Fragen voraus. Weiterhin sollte man basale Regeln der virtuellen
des Medieneinsatzes im Unterricht existiert eine sehr Kommunikation („Netiquette“; für eine erste Über-
umfangreiche und ausführliche Ratgeberliteratur sowohl in sicht: u http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette) kennen,
gedruckter Form (z. B. zur Präsentation: Hey 2008) als auch um erfolgreich in sozialen Netzwerken oder mittels
im Internet (z. B. u http://www.e-teaching.org). anderer elektronischer Kommunikationsformen (z. B.
­Konferenz-Tools wie Skype) zu agieren.
Medieneinsatz aus Lehrendenperspektive
Einfachheit und Erfahrung Grundsätzlich ist anzumerken,
dass Medien im Unterricht in ihrer Handhabung einfach Medieneinsatz aus medialer Perspektive
einzusetzen sein sollten, damit die Lehrenden keine erheb- Didaktische Gestaltung von Lernmedien Die didaktische
lichen kognitiven Ressourcen auf den Medieneinsatz ver- Gestaltung der Lernmedien kann nur bedingt alle situativen
wenden müssen. Dementsprechend sollten Lehrpersonen und einzigartigen Ereignisse explizit berücksichtigen (z. B.
darauf achten, dass sie Medien einsetzen, mit deren spontane Konflikte unter Schülern, z­ eitlich-räumliche Ein-
Anwendung sie ausreichend vertraut sind. Jedoch sollen schränkungen wie z. B. durch einen Raumwechsel). Doch
hier (zukünftige) Lehrpersonen ausdrücklich ermutigt sollte die didaktische Planung stets multikriterial (z. B.
werden, mediale Innovationen im Unterricht zu erproben. kognitive und motivationale Voraussetzungen, Vorwissen,
Neue Technologien oder Einsatzszenarien sollten dann Gruppenzusammensetzung, Zusammenarbeitsformen,
eingesetzt werden, wenn der Lerninhalt nur geringe Lernziele und zu entwickelnde Kompetenzen, zeit-
inhaltliche Anforderungen an die Lehrperson stellt bzw. liches Setting, sekundäre Kompetenzen, soziale Ziele etc.)
die Lehrperson mit den Lehrinhalten sehr gut vertraut ist. erfolgen. Dabei sollte i. d. R. ein breites Spektrum relevanter
und planbarer Kriterien im didaktischen Design berück-
Vorbereitung und didaktische Planung Allgemein sichtigt werden, um u. a. die Maßnahmen zur Aktivierung
bekannt ist, dass im Unterrichtsablauf hemmende der Lernenden, die Kommunikationsereignisse zwischen
Probleme wie technische Schwierigkeiten beim Ein- Lehrenden und Lernenden oder Lernenden untereinander
satz von Projektionstechniken („Beamer funktioniert zu planen. Zur strukturierten didaktischen Planung sollten
nicht“) umso häufiger auftreten, je mehr technikbasierte theoretisch fundierte und empirisch geprüfte didaktische
Lehrmedien eingesetzt werden, weswegen Lehrende Modelle herangezogen werden. Auch die Gestaltung der
häufig weiterhin auf analoge Medien zurückgreifen Lehrmaterialien sollte im didaktischen Planungsprozess
(u Abschn. 6.3.2). Als Leitlinie kann gelten, dass der konsistent zu den anderen Unterrichtselementen umgesetzt
Medieneinsatz nicht primär an den technischen Möglich- werden. Dabei ist zu beachten, dass je größer die Zahl der
keiten orientiert sein, sondern die Entscheidung für ein relevanten Kriterien im didaktischen Planungsprozess ist,
Lehrmedium vor allem aus didaktischen Erwägungen desto bedeutsamer wird eine klare Hierarchisierung der
erfolgen sollte (z. B. Horz und Schulze-Vorberg 2017). Planungskriterien untereinander. Zur langfristigen Ent-
wicklung von Lehrmaterialien und Lehr-/Lernsettings
Medienbezogene Kompetenzen Insbesondere beim Ein- im Sinne eines Qualitätsmanagements ist zudem die
satz digitaler Medien werden spezifische Kompetenzen Evaluation der eigenen Lehrmaterialien unerlässlich.
Medien
147 6
Ein besonderer Aspekt der didaktischen Planung ist Informationen überlastet ist, sollte den Lernenden der
die an die Voraussetzungen der Lernenden adaptierte Text stattdessen in auditiver Form angeboten werden
Gestaltung von Lehr-/Lernsettings. Hier führt die (vgl. Modalitätseffekt) oder Bilder vereinfacht werden.
adaptive didaktische Gestaltung in der Regel zu unter- 5 Pretraining und Segmenting: Wenn sowohl der
schiedlich schwierigen und medialisierten Formen auditive als auch der visuelle Kanal durch intrinsische
von Lernmaterialien. Während z. B. Lernende mit kognitive Prozesse gleichzeitig überlastet sind, kann
geringem Vorwissen anhand einfach formulierter Texte diese Überlastung durch ein inhaltliches und/oder
mit erklärenden Bildern erfolgreicher lernen als mit medienbezogenes Vorabtraining der Lernenden
komplexen, bilderlosen Texten (zsf. Horz und Schnotz reduziert werden („pretraining“). Solche Trainings
2010), kann bei Lernenden mit hohem Vorwissen ein sind jedoch meist nur mit einem hohen Aufwand zu
umgekehrter Effekt auftreten („Expertise reversal effect“, realisieren. Alternativ kann die Lernumgebung in
Kalyuga et al. 2003; u Abschn. 6.2.3). Bei Personen mit kleinere Einheiten unterteilt werden („segmenting“).
hohem Vorwissen kann ein sowohl inhaltlich als auch 5 Weeding und Signaling: Wenn eine kognitive Über-
sprachlich komplexer Text ohne ergänzende, rasch zu ver- lastung durch extrinsische Belastungen auftritt (z. B.
stehende Bilder zu einer höheren Elaboration eines Textes zu viele Zusatzinformationen, Fallbeispiele), kann
führen als didaktisch möglichst einfach und rasch ver- entweder jedwedes Zusatzmaterial entfernt werden
ständliche Lernmaterialien. („weeding“), das nicht unbedingt notwendig zum Ver-
ständnis der eigentlichen Lerninhalte ist, oder aber man
Texte Texte, ob in gesprochener Form im lehrer- kann durch Signalisierungstechniken (z. B. farbliche
zentrierten Unterricht oder in gedruckter Form in Kodierungen oder Unterstreichungen; „signaling“) die
Büchern oder als Online-Texte in hypermedialen Lern- zentralen Elemente einer Lernumgebung hervorheben,
umgebungen, stellen das Leitmedium in Lernprozessen um so die essenziellen Elemente zu verdeutlichen.
dar. Daher sollte der Gestaltung von Lehrtexten in der 5 Aligning und Eliminating: Tritt eine Überlastung einer der
Unterrichtsvorbereitung sowie der Planung von Lern- beiden Wahrnehmungskanäle aufgrund einer zu hohen
umgebungen bzw. der Vorbereitung von Unterrichtsvor- intrinsischen Belastung auf, kann man entweder die
trägen das Hauptaugenmerk gelten. Lernumgebung restrukturieren („aligning“) und in einer
Um Texte erfolgreich als Lernmedien einsetzen einfacheren Strukturierung neu ordnen oder aber man
zu können, sollten sie wie alle Lernmedien auch aus entfernt („eliminating“) – ähnlich wie beim Weeding der
didaktischer Perspektive hinsichtlich ihrer Gestaltung (s. o.), Zusatzmaterialien – (redundante) Lerninhalte.
aber auch hinsichtlich ihrer Nutzung in Verbindung mit 5 Synchronizing und Individualizing: Wenn die mentale
anderen Lernmedien optimiert werden. Hierzu kann man Integration der multimedialen Informationen zu einer
Texte (s. o.) – wie auch alle anderen Lernmedien – nach Überlastung der kognitiven Kapazitäten im Arbeits-
makro- und mikrodidaktischen Prinzipien gestalten und gedächtnis führt, kann diese Überlastung durch eine
das Ergebnis nach eigenen Zielkriterien (z. B. Lernerfolg) verbesserte Synchronisation der einzelnen Medien
empirisch überprüfen. überwunden werden („synchronizing“), wenn keine
optimale Kontiguität vorliegt. Alternativ kann man ver-
Statische Bilder, bewegte Bilder und Multimedia Durch suchen, die Inhalte und Gestaltung der Lernumgebung
digitale Lehr- und Lernsettings können heute statische an das Vorwissen und die visuellen räumlichen Fähig-
und bewegte Bilder (Animationen, Filme) sehr viel keiten der Lernenden anzupassen („individualizing“).
rascher erstellt, modifiziert und zu Lehrzwecken ein- Letzteres ist in der Praxis meist ebenfalls mit einem
gesetzt werden. Insbesondere instruktionale Bilder helfen erheblichen Zusatzaufwand für die Autoren multi-
komplexe Zusammenhänge darzustellen und individuelle medialer Lernumgebungen verbunden.
Lernprozesse zu unterstützen (u Abschn. 6.2.2). Jedoch
sollte beachtet werden, dass Bilder meist nicht alleine Sonstige Lernmedien Bisher existieren nur wenige
als Lehr- und Lernmedien ausreichen, sondern in Ver- Arbeiten, die sich aus medialer Sicht mit dem Einsatz
bindung mit gesprochenen oder gehörten Texten weiterer Lernmedien (z. B. zerlegbare Modelle, Geruchs-
präsentiert werden, sodass es sich dann um ein multi- proben, Materialproben, Werkstoffe) im Unterricht
mediales Lernarrangement handelt. Dabei ist zu beachten, systematisch beschäftigen. Generell können derartige
dass die parallele kognitive Verarbeitung mehrerer, auf- Lehrmedien helfen, Unterrichtsthemen anschaulicher
einander bezogener Informationsquellen rascher eine und verständlicher zu präsentieren. Dabei sollte aber
kognitive Überlastung der Lernenden bedingt. Dem- beachtet werden, dass allein die möglichst anschauliche
entsprechend sollten die nachfolgenden Regeln zur Gestaltung eines Themas durch ergänzende Objekte und
Reduktion der kognitiven Belastung (u Abschn. 6.3.2) in die damit meist induktiven Denkprozesse (ein Fallbeispiel
multimedialen Lernumgebungen beachtet werden (nach wird präsentiert und soll auf andere Situationen über-
Mayer und Moreno 2003): tragen werden) nicht allein den Lernerfolg garantiert. Um
5 Off-Loading: Wenn der visuelle Kanal durch die Dar- den Transfer des erworbenen Wissens auf andere Frage-
bietung schriftlicher textueller und bildhafter stellungen zu unterstützen, sollten neben anschaulichen
148 H. Horz

Lernmedien auch Lernmedien eingesetzt werden, die zeitunabhängig (zusätzliche) Lehrmaterialien anzubieten,
das Abstraktionsvermögen und deduktive Denkprozesse Kommunikationsprozesse in Lerngruppen oder zwischen
(Anwendung eines Gesetzes auf diverse Einzelfälle) unter- Lehrenden und Lernenden herzustellen sowie eigen-
stützen. ständige Lernprozesse durch „Denkwerkzeuge“ (Mind-
maps, Wikis etc.) zu unterstützen. Die große Vielfalt der
technischen Möglichkeiten in Lernplattformen führt aber
Medieneinsatz aus der technischer dazu, dass sich viele Lehrpersonen bei der Nutzung von
Perspektive Lernplattformen unsicher fühlen, wenn es darum geht,
Digitale Präsentationsmedien Digitale Präsentationen diese zu vielfältigeren Zwecken zu nutzen als nur im Sinne
(z. B. mittels PowerPoint) sollten vor dem Präsentations- eines Speichermediums, das via Netzwerken zugäng-
zeitpunkt unbedingt anhand der lokalen technischen lich ist („PDF-Gräber“). Daher sollten Lernplattformen
Gegebenheiten getestet werden, da aufgrund des not- so gestaltet sein, dass sie sich hinsichtlich der Komplexi-
wendigen Einsatzes eines Computers und eines Beamers tät der Bedienung den Kompetenzen der Lehrenden und
6 oder anderer Projektionsmöglichkeiten (z. B. digitale Lernenden anpassen. Verfügt eine Lernplattform zudem
Whiteboards; s. u.) sowie ggf. zusätzlich von Fern- über ein möglichst intuitives Design, erleichtert dies eben-
bedienungen bis heute zahlreiche Fehler auftreten können, falls die Nutzung auch durch wenig computerkompetente
die einen reibungslosen Ablauf der Lehreinheit verzögern. Personen erheblich. Um Lernplattformen adaptiv an die
Der wesentliche Vorteil an digitalen Präsentationen Nutzervorkenntnisse und möglichst intuitiv zu gestalten,
ist, dass man verschiedene Medien (Audio-Dateien, sind Templates (vorgefertigte Masken, die nur eine Aus-
Filme, Bilder etc.) innerhalb einer Lernumgebung ein- wahl von Funktionen bereitstellen) erforderlich, die durch
binden kann, für die man ansonsten verschiedene versierte Administratoren von Lernplattformen bereit-
Wiedergabegeräte benötigen würde. Zudem können gestellt werden sollten. Da Lehren und Lernen meist
digitale Präsentationen original und kostengünstig an zyklische Prozesse sind, kann man in zukünftigen Lehr-
die Lernenden via Lernplattformen verteilt werden. Ins- und Lernzyklen die Komplexität der Funktionen einer
besondere ist bei digitalen Präsentationen zu beachten, Lernplattform in der Regel sukzessive erhöhen. Je länger
dass die Zahl der eingesetzten Folien nicht zu groß wird, und intensiver eine Lernplattform genutzt wird, desto
damit sich kein „Daumenkino“-Eindruck bei den Zuhörern höher kann in der Regel deren Komplexität sein, da die
einstellt. Um die Zahl der digitalen Folien zu begrenzen, Nutzer durch einen längerfristigen Gebrauch mit immer
kann man auch andere Präsentationsmedien einsetzen. mehr Funktionen vertraut werden. Aus diesem Grund ist
Beispielsweise kann eine konventionelle Tafel oder Flip- es wichtig, dass Ausbildungsinstitutionen (Schulen, Hoch-
charts parallel zur digitalen Präsentation genutzt werden, schulen) sich möglichst auf eine Lernplattform beschränken
um Informationen wie Gliederungen und Übersichten und nicht mehrere Lernplattformen parallel nutzen. Wenn
darzustellen, die während der gesamten Präsentations- in einer Ausbildungsinstitution mehrere Lernplattformen
dauer von Nutzen sein können. Besonders zu erwähnen genutzt werden, wird der Prozess der Kompetenzsteigerung
sind die zunehmend in Bildungsinstitutionen verbreiteten im Umgang mit einer Lernplattform erheblich verlangsamt,
„digitalen Whiteboards“ als Lehrmedien. Es handelt sich wenn nicht gar verhindert.
dabei um berührungssensitive Bildschirme in der Größe
einer Tafel, die analog zu konventionellen Tafeln genutzt Smartphones und Tablets Smartphones und Tablets sind
werden können, aber auch die integrative Nutzung digitaler kleine mobile Computer, die sich einfach transportieren
Materialien (Folien, Filme, I­nternet-Applikationen etc.) lassen aufgrund ihres handlichen Formats. Gerade in
ermöglichen. Um eine professionelle Nutzung dieses Verbindung mit Lernplattformen und digitalen White-
komplexen und multipotenten Lehrmediums zu erzielen, boards haben sich in den letzten Jahren sehr vielfältige
sind eine ausführliche Einweisung, stete Nutzung und Nutzungsformen in Präsenzlernszenarien (z. B. Klassen-
Bereitstellung kontinuierlicher Fortbildungsmaßnahmen raum, Seminare) im Sinne des „Blended Learning“ (Horz
für Lehrkräfte unerlässlich (Hilbert et al. 2012). Anderen- und Schulze-Vorberg 2017) – also der Verbindung digitaler
falls besteht die Gefahr, dass diese Geräte hinsichtlich ihrer und analoger Lernformen (s. u.) – gebildet. Eine erste
potenziellen Funktionalitäten nur in kleinen Teilen analog Übersicht der Einsatzmöglichkeiten bieten diverse Inter-
zu konventionellen Tafeln und Beamern genutzt werden. netressourcen an (z. B. u https://www.lehrer-online.de/unter-
richt/sekundarstufen/faecheruebergreifend/unterrichtseinheit/
Lernplattformen In den vergangenen Jahren haben ue/tablets-im-unterricht/). Inzwischen haben bereits die
Lernplattformen (u Abschn. 6.3.1) in allen Bereichen meisten Heranwachsenden eigene Smartphones (Medien-
institutionalisierter und informeller Lehr- und Lern- pädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018) und die
settings große Verbreitung gefunden. Der wichtigste Zahl der in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen
Vorteil von Lernplattformen ist die internetbasierte Bereit- verfügbaren Tablets wächst ständig, falls nicht sowieso aus
stellung von Funktionen, die es ermöglichen, orts- und privaten Kontexten solch ein Gerät für Lernende zugänglich
Medien
149 6
ist. Besonders vorteilhaft ist die intuitive Nutzung dieser 6.3.1  Formen des Lehrens und Lernens mit
Geräte, die es erlauben, fast alle Formen digitaler Medien, Medien
Informationsrecherchen im Internet oder digitale
Kommunikationsformen (z. B. „Social Media“) in das Medien werden in nahezu allen heutigen Lehr- und Lern-
Unterrichtsgeschehen zu integrieren. Weiterhin erlauben settings eingesetzt. Berücksichtigt man die Veränderungen
diese Geräte die ständig rasch wachsende Nutzung von der Lehr- und Lernsettings durch digitale Medien, so lassen
Lern-Applikationen („Apps“) als auch Internet-basierter sich heute die folgenden drei grundlegenden Kategorien des
Lernangebote wie Videos auf einschlägigen Plattformen medienbasierten Lehrens und Lernens unterscheiden:
(z. B. YouTube).
1. Analoge Formen Hierunter werden alle Formen der
Videos Mittels Videos (über Streamingdienste wie Präsenzlehre und des medienbasierten Lehrens und
YouTube, Computer mit DVD-, CD-Playern) lassen sich Lernens aufgefasst, bei denen keine Computer oder
alle Arten von statischen und dynamischen Bildern in elektronischen Netzwerke genutzt werden. So ist z. B.
qualitativ hochwertiger Form präsentieren. Man sollte der lehrerzentrierte Unterricht per Präsenzvortrag
sich auch beim Einsatz dieser Medien vorab sowohl mit mit Overheadfolien, die Gruppenarbeit mit Peers und
den Projektions- als auch den Wiedergabegeräten vertraut Arbeitsplättern ebenso wie das Lesen eines Lehrbuchs
gemacht haben. Anzumerken bleibt, dass Videos sich ins- dieser Kategorie zuzuordnen.
besondere eignen, Lernende mit einem Thema erstmalig
vertraut zu machen und Interesse zu wecken. 2. Digitale Formen Insgesamt haben sich vier Arten
digitalen Lehrens und Lernens entwickelt, die meist
Tafel und Flipchart Tafel und Flipchart in Form thematisch abgrenzbarer Einheiten (Module)
(­DIN-A1-Papierblöcke, die an einem Ständer befestigt realisiert werden. Gängigerweise lassen sich folgende
sind) erlauben die Darstellung spontan angefertigter Varianten unterscheiden:
handschriftlicher Annotationen oder aber die Darstellung a) Als originär digitale (Lehr-/Lern-)Module werden
vorbereiteter Elemente, die an der Tafel oder dem Flip- Lernumgebungen bezeichnet, die meist mittels
chart befestigt werden. Tafeln und Flipcharts sind ver- Editoren-Tools direkt digital erstellt wurden. Aus
gleichsweise einfach zu handhaben und technisch wenig didaktischer Sicht umfassen diese Module zahlreiche,
aufwendig. Flipcharts besitzen ein höheres grafisches meist an konstruktivistischen Ansätzen des problem-
Potenzial als Tafeln, da z. B. Farben intensiver und basierten Lernens (u Abschn. 1.3.4) orientierte, inter-
Formen detaillierter dargestellt werden können. Zudem aktive, multi- und hypermediale Lernumgebungen
können Inhalte in umfangreichem Maße auf Flip- in Form von Trainings, Simulationen, fallbasierten
charts vorbereitet und auch wiederverwendet werden, Beispielen, Mikrowelten etc. Beispiele für derartige
wohingegen Tafelanschriebe in der Regel für jede Unter- Module sind internetbasierte Lernprogramme, Flug-
richtseinheit neu erstellt werden müssen. simulatoren, Lernspiele usw. Zahlreiche Beispiele
findet man unter u http://www.lernmodule.net.
b) Als digitalisierte Präsenzlehre werden ­(Lehr-/Lern-)
Module bezeichnet, die aus der digitalen Aufzeichnung
6.3  Medien in Bildungskontexten von Präsenzlehrveranstaltung entstehen oder bei denen
Lehrveranstaltungen wie Seminare, Vorträge und Vor-
Seit den 1990er Jahren hat eine rasche Verbreitung „Neuer lesungen mittels Computern und elektronischer Netze
Medien“ – gemeint sind digitale Medien, die auf Computer- (z. B. Internet) an verschiedene Orte übertragen werden
und Netzwerktechniken basieren – in allen Bildungs- (Teleteaching). Vorlesungsaufzeichnungen kann man
bereichen stattgefunden. Grund dafür ist, dass in dieser an zahlreichen Hochschulen erhalten, wie z. B. unter
Zeit die Mehrheit der Bildungsinstitutionen (Schule, Uni- u http://electure.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/.
versität, Fortbildungsinstitutionen) flächendeckend Zugang c) Als Lernmanagement-System (oft auch als Lernplatt-
zu technischen Innovationen wie ausreichend leistungs- form oder Content-Management-System bezeichnet)
starken Computern und Internet erhielten. Jedoch fällt die fungiert eine Software, die dazu genutzt wird, Lern-
technische Qualität der Ausstattung wie auch die Intensi- inhalte über ein institutionsinternes Intranet oder das
tät der Nutzung von computerbasierten Medien in den Internet für die Lernenden bereitzustellen. Weiterhin
jeweiligen Bildungsinstitutionen sehr unterschiedlich unterstützen Lernmanagement-Systeme das Lernen mit
aus. Daher haben computerbasierte Medien in den ver- den bereitgestellten Inhalten. Meist werden auch Werk-
schiedenen Bildungskontexten derzeit einen sehr unter- zeuge (Tools) für das kooperative Arbeiten (Chat Tools,
schiedlichen Stellenwert für die Lehre und das Lernen. Agentensysteme, Foren etc.) und eine Nutzerverwaltung
150 H. Horz

in Lernmanagement-Systemen bereitgestellt. Häufig Definition


können auch (teil-)virtuelle Kurse durch Lernplatt- Die Medienkompetenz setzt sich nach Baacke (1997)
formen administriert werden. Verschiedene Lernplatt- aus vier Dimensionen zusammen: Medienkunde,
formen unterstützen die Möglichkeit elektronische Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Als
Prüfungen durchzuführen und erleichtern mittels Medienkunde wird das Wissen über Medien bezeichnet
integrierter Editoren die Erstellung von digitalen sowie die Kompetenz, Geräte zum Einsatz von Medien
Lernmaterialien, ohne Programmierkenntnisse auch zu nutzen (z. B. Computer bedienen zu können).
zu benötigen. Einen ersten Eindruck über ein Die Fähigkeit zur Medienkritik soll eine Person in die
­„Open-Source“-Lernmanagment-System (kostenfreie Lage versetzen, eine angemessene (gesellschaftliche)
Nutzung möglich) kann man unter u http://www. Bewertung von Medien und mit Medien verbundenen
moodle.de erhalten. Prozessen durchzuführen sowie sein Wissen über
d) In computer- und netzwerkunterstützten Medien auf die eigene Mediennutzung anzuwenden.
Kooperationen und Kollaborationen können Lehrende Als Mediennutzung bezeichnet man die Fähigkeit zum
6 mit Lernenden digital vermittelt (z. B. Teletutoring, interaktiven Umgang mit Medien und zur Rezeption von
E-Coaching), Lernende untereinander in offener Form Medien. Schließlich wird die Erstellung medienbasierter
(Computer-Supported Collaboration) oder anhand Inhalte durch die Fähigkeiten der Mediengestaltung
von Kooperationsskripten (Computer-Supported einer Person bestimmt.
Cooperation) zusammenarbeiten. Es existieren zahl-
reiche Tools, die entweder rein textbasiert, mit Audio-
und teilweise Bildsignal und/oder virtuellen Agenten Durch den Einsatz privater digitaler Geräte wie Smart-
eine Zusammenarbeit ermöglichen. Eine Übersicht phones und Tablets in Unterrichtsszenarien („bring
von Tools zur internetbasierten Kooperation und your own device“) und der vielfältigen ­Internet-basierten
Kollaboration findet man unter u https://www.ionos. Ressourcen wie z. B. YouTube kann rasch eine
de/digitalguide/e-mail/e-mail-technik/collaboration-tools- ­individuell-adaptive Medialisierung konventioneller Lern-
die-besten-loesungen-im-vergleich/. umgebungen im Sinne des Blended Learning erzeugt
werden. Jedoch muss gerade hier eine didaktische Rahmung
3. Blended Learning Der Begriff Blended Learning („ver- dieser Medien erfolgen, da diese meist ohne explizit erkenn-
mischtes Lernen“) bezeichnet alle Mischformen analogen bare Qualitätsinformationen oder didaktischen Kontext
und digitalen Lehrens und Lernens. Damit sind Lehr- wahlfrei den Lernenden angeboten werden. Zur Beurteilung
und Lernformen gemeint, in denen verschiedene analoge und didaktischen Einbindung dieser Medien ist daher die
und digitale Medien und Methoden eingesetzt werden, Lehrendenexpertise essenziell. Um ablenkende Aktivitäten
um Synergieeffekte hinsichtlich der Vorteile der ver- im Unterrichtsgeschehen zu vermeiden bzw. zu reduzieren,
schiedenen Lehr- und Lernformen zu verstärken und die sind vor dem Einsatz solcher Medien klare Absprachen mit
Nachteile einzelner Lehr- und Lernformen zu reduzieren. den Lernenden zwingend. Ein allzu restriktiver Umgang ist
jedoch abzulehnen, da ansonsten die zu erlernenden Selbst-
steuerungskompetenzen im Umgang mit solchen Medien
6.3.2  Medien in der Schule kaum erworben werden.
Zu beachten ist, dass auch Lehrkräfte durch den
Gerade durch die Verbreitung von Computern in allen innovativen Einsatz digitaler Lernmedien wie Smartphones
Lebensbereichen hat eine „Medialisierung“ des Alltags, aber oder Tablets durch die Zusammenarbeit mit Lernenden
auch des Lehrens und Lernens in Ausbildungsinstitutionen profitieren können. So kann man beispielsweise durch den
wie der Schule stattgefunden. Medien sind daher in der Einsatz dieser Medien die didaktische Methode des Reverse
Schule aus zweifacher Sicht von Bedeutung. Zum einen Mentoring nutzen. Bei Reverse Mentoring werden die
erweitern sie das Spektrum der Lehr- und Lernmethoden traditionellen Mentoringstrukturen umgedreht: Lernende,
in erheblicher Weise, zum anderen müssen Schülerinnen die aufgrund signifikant stärkerer Nutzung von digitalen
und Schüler in der Schule einen Grad an Medienkompetenz Medien vertrauter mit diesen umgehen (Yates et al. 2015),
erwerben, der sie zu einem adäquaten Umgang mit Medien geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit digitalen Medien
in unserer Gesellschaft befähigt. Dass die Schule der an erfahrene Lehrende weiter; die Lehrenden wiederum
Aufgabe zur Vermittlung der Medienkompetenz – ins- teilen ihre didaktisch-methodische und ­inhaltlich-fachliche
besondere im Bereich computer- und internetgestützter Expertise mit den Lernenden. Gemeinsam entwickeln beide
Medien – gerade in Deutschland nur bedingt nachkommt, Zielgruppen so Ideen zum sinnvollen Einsatz digitaler
zeigen internationale Bildungsstudien, in denen deutlich Medien im Unterricht. Diese Form des umgedrehten
wird, dass hierzulande der Einsatz von Computern als Lehr- Mentoring kommt in Organisationen bereits mit Blick auf
und Lernmedien in der Schule im internationalen Vergleich die Weiterentwicklung von technologischem Wissen zum
stark unterdurchschnittlich ist (Eickelmann et al. 2014). Einsatz (z. B. Zauschner-Studnicka 2017).
Medien
151 6
Noch bevor digitale Medien in Schulen als reguläres
Lernmedium Einzug gehalten haben, wurden bereits erste Vorteile digitaler Medien
Stimmen laut, die den Nutzen des Computers als Lehr- 5 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos
und Lernmedium grundsätzlich in Zweifel ziehen. Dabei 5 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs
ist zu bedenken, dass nahezu jede mediale Innovation im 5 Zeitunabhängiges Lehren und Lernen
Bildungsbereich zunächst skeptisch betrachtet wurde, wie 5 Ortsunabhängiges Lehren und Lernen
der u Exkurs „Antiker Medienpessimismus“ zeigt. Hier 5 Höhere individuelle Adaptivität bezüglich der
äußerte Platon seine Skepsis über das Vorhaben, allen dargebotenen Lerninhalte
Griechen in Schulen Lesen und Schreiben beizubringen,
da er davon ausging, dass jede Erkenntnis „medienfrei“ aus
sich selbst heraus erworben werde müsse. Man kann sicher- Neben diesen Vorteilen werden aber im Unterschied zu
lich resümieren, dass seine Skepsis gegenüber dem Lesen analogen Lehr- und Lernformen häufig auch Probleme
und Schreiben für alle sich historisch nicht bestätigte. genannt, die die Vorteile eines sinnvollen Medieneinsatzes
unterminieren können.

Exkurs
Probleme digitaler Medien
Antiker Medienpessimismus 5 Zunehmende soziale Isolierung der Lernenden und
Diese Erfindung [die Schrift und damit das Lesen] wird zunehmende Anonymität zwischen Lehrenden und
nämlich den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit Lernenden
einflößen, weil sie das Gedächtnis vernachlässigen werden;
5 Unklare Qualität im Internet angebotener
denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur äußerlich
vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich aus sich selbst Lernmedien
erinnern. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur für die 5 Geringe oder fehlende didaktische Rahmung
Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit 5 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund eines
bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht aber sie komplexen Instruktionsdesign
selbst.
5 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund
Zitat aus: „Phaidros“, Platon, 428–348 v. Chr. (Stephanus 2008). hoher Selbstregulationsanforderungen (u Kap. 3;
u Abschn. 17.4).

6.3.3  Medien in der Hochschule Aus instruktionaler Sicht liegt eine weitere Stärke der
digitalen Medien in den flexiblen medialen Gestaltungs-
Der Einsatz digitaler Medien hat zum einen die Lehre und möglichkeiten multimedialer Lernumgebungen. Diese
das Lernen in konventionellen Hochschulen wie Uni- „Multimedialisierung“ des Lehrens und Lernens anhand
versitäten und Fachhochschulen nachhaltig beeinflusst, von digitalen Modulen bedarf jedoch der Berücksichtigung
aber auch einen neuen Hochschultypus hervorgebracht, die spezifischer Instruktionsdesigns (u Abschn. 6.2.3).
virtuelle Hochschule. Es reicht nicht aus, dass digitale Medien in der Hoch-
Gerade im Hochschulbereich waren die Innovationen schule didaktisch sinnvoll gestaltet werden, damit Lehren
des digitalen Lehrens und Lernens zunächst durch die Ent- und Lernen verbessert wird. Zusätzlich zur didaktischen
wicklung neuer technischer Applikationen geleitet, da diese Optimierung müssen auch die organisationalen Rahmen-
häufig an Hochschulen entwickelt wurden. Typischer- bedingungen adäquat gestaltet sein. Die organisatorischen
weise wurden erst nach der Entwicklung einer Applikation Rahmenbedingungen müssen in Verbindung mit anderen
die spezifischen didaktischen Einsatzmöglichkeiten der digitalen Modulen oder weiteren analogen Lehr- und
jeweiligen Technik erforscht und auf ihre Effektivität hin Lernformen einen effizienten und lernwirksamen Auf-
untersucht. Das heißt, meist wurde eine Technik entwickelt, bau des Lehrens und Lernens in umfassenderen, teilweise
von deren Einsatzmöglichkeiten man nur sehr vage Vor- langfristigen Ausbildungssettings wie der Hochschule
stellungen hatte. Daher wurden neu entwickelte Techniken erlauben. Die mangelhafte organisationale Einbindung zeigt
unsachgemäß in der Lehre eingesetzt, insbesondere wenn sich z. B. in der bis heute problematischen Anerkennung
man nicht ausreichend die didaktische Funktion einer von Lernleistungen, die anhand von digitalen Modulen
Technik berücksichtigte. erbracht wurden oder in der unsicheren inhaltlichen und
Trotz dieser zunächst eher problematischen „try outs“ in technischen Pflege erstellter Module, die dadurch sehr rasch
der Hochschullehre haben digitale Medien hier den höchsten als veraltet wahrgenommen werden. Dies führte dazu, dass
Verbreitungsgrad verglichen mit Schulen oder anderen die Mehrzahl der digitalen Module kaum in nachhaltiger
institutionalisierten Ausbildungsgängen in der Erwachsenen- Weise genutzt wird.
bildung. Es lassen sich im Unterschied zur Schule zahlreiche Inzwischen haben auch erste digitale Prüfungs- und
Formen digitalisierter Lehre und Blended-Learning-Szenarien Assessmentformen Einzug in die Hochschulen gehalten.
(u Abschn. 6.3.1) an den meisten Hochschulen finden. Diese erlauben z. B. die Gestaltung von computergestütztem,
152 H. Horz

individualisiertem, adaptivem Lernen mittels kontinuier- fragen adaptiv in Abhängigkeit ihres aktuellen Leistungs-
lichem formativen Assessment (Wenzel et al. 2016). So standes aus einer Datenbank gezogen werden. Somit lassen sich
kann individuelle Förderung auch in großen, heterogenen viel kürzere und bezüglich des Prüfungszeitpunkts individuell
Studierendengruppen geleistet werden (vgl. auch Schlagwort flexibel gestaltete Prüfungen durchführen. In derartigen
„Personalisierung trotz Massifizierung durch Digitalisierung“, digitalisierten Prüfungen und Assessments können durch
Dräger 2013). Konkret bedeutet dies z. B., dass zur Fest- (u Exkurs „Learning Analytics“) Kompetenzentwicklungen der
stellung des aktuellen Kompetenzniveaus nicht alle Lernenden Lernenden sowie das damit verbundene Lehrendenverhalten
dieselben Prüfungsfragen erhalten, sondern die Prüfungs- dauerhaft und adaptiv unterstützt werden.

Exkurs

Learning Analytics
6 Learning Analytics bezeichnet das verhaltensbezogener Daten werden, um aktuelle Lernprozesse
systematische Erfassen und Analysieren (Logdaten, Assessmentergebnisse, unmittelbar zu reflektieren als auch
von Lernprozessdaten in zumeist Orts- und Zeitdaten usw.) liefert adaptiv zu optimieren. Darüber hinaus
digitalen Lernumgebungen. Dadurch und ein realitätsnähere Abbildung lassen sich auch Prognosen für die
sollen Lernprozesse besser verstanden von Lernprozessen erlaubt. Dadurch Zukunft ableiten, um z. B. Lernende
und dann in ihrer Gestaltung optimiert wird eine verbesserte curriculare zu identifizieren, die Gefahr laufen,
als auch individuell adaptiv gestaltet und instruktionale Gestaltung von Prüfungen nicht zu bestehen (Mory
werden. Zwar ist die grundsätzliche Lernprozessen nicht nur grundsätzlich 2014) und ihnen zusätzliche Materialen
Überlegung der Learning Analytics sondern auch adaptiv auf der oder Übungseinheiten vorzuschlagen.
keineswegs an digitalisierte individuellen Ebene der Lernenden Es ist stark anzunehmen, dass die
Lernprozesse gebunden und daher und Lehrenden ermöglicht. So können bisher kaum praktizierte Verschränkung
auch nicht neu, jedoch erlauben Lehrende prozessdiagnostische der Methoden und Praktiken der
digitale Lernumgebungen sowie mobile Informationen (z. B. über Lernverläufe, Lernstandsdiagnostik und Learning
Endgeräte wie z. B. Smartphones typische Fehlkonzepte etc.) für eine Analytics neue Potenziale für das
eine Menge und Detaillierung von adaptive Lehrplanung nutzen. Diese Thema (formatives) Assessment
lernprozessbezogenen Informationen Lernprozessdaten sind in Echtzeit erschließen und auch zukünftig
„nebenbei“ zu erfassen, die eine analysierbar (Greller und Drachsler schulische Prüfungsformate stark
neue Dimension reichhaltiger 2012) und können so genutzt verändern wird.

Um die Effizienz von digitalen Lehr-Lern-Angeboten Seit ca. einer Dekade werden sogenannte Massive
mittels digitaler Medien an der Hochschule zu steigern Open Online Courses (MOOC) als Lehrform etabliert, in
und so den didaktischen Nutzen sowie den ökonomischen denen konventionelle Universitäten mehrheitlich kosten-
Mehrwert zu erhöhen, kann man Nutzungszyklen kreieren, freie Onlinekurse anbieten. Diese Onlinekurse sind häufig
welche die konventionelle Lehre an Universitäten mit mit dem Präsenzangebot der Lehrenden verknüpft. In
digitalen Medien verbinden. Ein Beispiel hierfür ist der MOOC werden sowohl Vorlesungsaufzeichnungen als
Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. auch Präsenzübertragungen sowie diverse Mischformen
Man kann eine Teleteaching-Veranstaltung (eine (Online-Präsenzübertragung von Vorlesungen, Vor-
Präsenzlehrveranstaltung, die interaktiv via Internet lesungsaufzeichnungen, Online-Tutorien etc.) eingesetzt.
an mehrere Orte übertragen wird) oder konventionelle Möglicherweise werden MOOC die bisher weniger erfolg-
Veranstaltungen digital aufzeichnen. Die digitale Ver- reichen virtuellen Hochschulen verdrängen. Als virtuelle
anstaltungsaufzeichnung kann von den Studierenden als Hochschule bezeichnet man eigenständige Organisationen,
eine Art didaktisch optimiertes, digitales Veranstaltungs- die heute ähnlich wie Fernuniversitäten ein Studieren
skript genutzt werden. Später kann die Veranstaltungsauf- ohne Präsenzlehre meist auf Basis von Lernmanagement
zeichnung für weitere Blended-Learning-Veranstaltungen Systemen und dazugehörigen digitalen Lehr-/Lernmodulen
eingesetzt werden (z. B. aufgezeichnete Vorlesung mit sowie Kommunikations-Tools ermöglichen. Besonders
begleitendem Präsenztutorium). Wenn eine Veranstaltung rasch wächst zudem das Lehrangebot für Studierende
erneut im Präsenzmodus dargeboten wird, kann man auf Internet-Videoplattformen wie YouTube, die jedoch
die Veranstaltungsaufzeichnung gezielt editieren, indem meist ohne jegliche curriculare Kontextualisierung und
man mangelhafte Stellen in der Präsenzveranstaltung glaubwürdige Qualitätsinformationen arbeiten.
überarbeitet, nochmals aufzeichnet und dann die auf- Betrachtet man das Angebot virtueller Universitäten
gezeichneten Passagen in die bestehende digitale Ver- aus inhaltlicher Sicht, so stellt man fest, dass im Vergleich
anstaltungsaufzeichnung einfügt. Auf diese Weise entsteht zu konventionellen Hochschulen ein eher kleines Angebot
ein Nutzungszyklus (. Abb. 6.8) mit hoher Nachhaltigkeit. an Studienmöglichkeiten besteht. MOOC haben daher das
Medien
153 6

. Abb. 6.8 Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. (Modifiziert nach Horz et al. 2003, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen, Bildrechte: British Telecom)

Potenzial, die Brücke zwischen der konventionellen Hoch- u informellen Lernens betonen hierbei positive Zusammen-
schullehre und den Vorteilen virtuellen Studierens zu hänge zwischen einer angemessenen kontextuellen Ein-
schlagen. bettung der Lerninhalte, einer höheren intrinsischen,
weil selbstbestimmteren Bildungsmotivation im Ver-
gleich zu institutionalisierten Bildungskontexten mit dem
6.4  Private Mediennutzung Ziel einer vertieften mentalen Verankerung des Wissens.
So werden Lernformen durch die Medialisierung aller
Medien sind aus pädagogisch-psychologischer Sicht nicht (und nicht nur der schulischen und beruflichen) Lebens-
nur als Träger von Informationen in institutionalisierten bereiche zunehmend bedeutsam, in denen das Freizeit-
Lernprozessen relevant. So haben Medien in unserer Gesell- verhalten mit Lernkontexten verbunden wird. Sie werden
schaft auch zentrale Bedeutung, um sich über nahezu alle vor allem durch digitale Medien gefördert, weil auf diese
Lebensbereiche mittels Fernsehnachrichten, Wikipedia, Weise Informationen durch die Lernenden selbstgesteuert
Ratgeber, Fachzeitschriften usw. zu informieren. Zudem in großer Zahl orts- und zeitunabhängig genutzt werden
spielen Medien eine zentrale Rolle im Freizeitverhalten, können und auch in didaktisch vielfacher und häufig auch
ermöglichen Lernprozesse in nicht-institutionalisierten ästhetisch ansprechender Weise vermittelt werden.
Lernsettings und helfen Medienkompetenz zu entwickeln Um an diesen medialen Angeboten angemessen
und diese Kompetenz in positiver Weise zu erleben. partizipieren zu können, ist, wie bereits zuvor dargestellt,
Dementsprechend bemühen sich z. B. Museen in auch die Vermittlung von Medienkompetenz eine originär
besonderer Weise darum, Bildungsinhalte gerade auch in pädagogische Aufgabe (u Abschn. 6.3.2). Ein kompetenter
der Freizeit von Menschen zu vermitteln. Derartige Formen Umgang mit Medien ist umso wichtiger, wenn man
154 H. Horz

bedenkt, dass Erwachsene in Deutschland zurzeit täg- 6.4.1  Musik und Radio


lich mehr als 8 h Medien konsumieren (. Abb. 6.9). Dabei
werden Medien hauptsächlich zur Unterhaltung und zur Unterhaltungsmedien werden in sehr unterschiedlichen
Information genutzt. Die weit verbreitete Annahme, dass Kontexten genutzt. Betrachtet man die Mediennutzung im
vor allem Kinder und Jugendliche Medien in ausufernder Tagesverlauf, so zeigt sich, dass Radio hauptsächlich tags-
Weise konsumieren, ist falsch. Kinder verbringen deutlich über gehört wird, das Fernsehen nachmittags und im stark
weniger Zeit mit dem Fernsehen als Erwachsene (ein Drittel zunehmenden Maße am Abend genutzt wird. Am Morgen
bis zur Hälfte; . Abb. 6.10). wird mehr gelesen als zu anderen Zeiten des Tages. Tonträger

. Abb. 6.9 Dauer der


Mediennutzung in Deutschland
(2018, Quelle: 7 https:// Femsehen 248
de.statista.com/statistik/daten/
6 studie/165834/umfrage/taegliche- Radio 109
nutzungsdauer-von-medien-in-
deutschland/) Internet inhaltlich* 97

Telefonie 48

E–mails 44

Musik** 40

Games 32

messenger 32

Buch gedruckt & digital 30

Print gedruckt & digital 23

DVD, Blu-ray 5

SMS 3

Kino 1

Tägliche Nutzungsdauer in Minuten

. Abb. 6.10 Sehdauer in


Deutschland nach Alter (2017, DURCHSCHNITTLICHE SEHDAUER PRO TAG / PERSON 2017
Quelle: AGF in Zusammenarbeit Altersgruppen, alle Sender, Montag-Sonntag, 3.00 -3.00 Uhr
mit GfK; TV Scope, 01.01.2017–
350
31.12.2017) 316
Minuten
300

250 238
221
197
200
160
150
105
100
73

50

0
Zuschauer Kinder Erwachsene Erwachsene Erwachsene Erwachsene Erwachsene
Gesamt 3-13 Jahre ab 14 Jahre 14-29 Jahre 30-49 Jahre 14-49 Jahre ab 50 Jahre
Medien
155 6
werden hingegen eher am Abend genutzt. Anhand dieser über einen besonders hohen Fernsehkonsum berichten
unterschiedlichen Nutzungszeiten verdeutlicht sich, dass (. Abb. 6.10; u Exkurs „Auswirkungen intensiven Fernseh-
Medien situationsspezifisch genutzt werden (VPRT 2018). konsums und gewalthaltiger Medieninhalte“).
Die Gründe, warum Menschen Musik hören, sind sehr Eine bekannte Erklärung für den Konsum
vielfältig. Neben der Verfügbarkeit von Musik, die sich von Fernsehen und anderen Medien ist der
durch Internetangebote potenziell enorm gesteigert hat, ­Uses-and-Gratifications-Ansatz (Vogel et al. 2007).
spielen Gewohnheiten, situative Komponenten (allein, mit In diesem Ansatz wird angenommen, dass Menschen
Freunden etc.) sowie die aktuelle Gestimmtheit eine aus- die Art und Weise des Medienkonsums aufgrund des
schlaggebende Rolle. erwarteten Nutzens und der (angenommenen) Bedürf-
Die Auswahl der Musikrichtung hängt neben den lang- nisbefriedigung wählen. Es wird aber verschiedent-
fristigen Gewohnheiten von situativen Musikpräferenzen lich kritisiert, dass sich Menschen nicht immer dem
ab. Grundsätzlich wird als das zentrale Motiv der Radio- erwarteten Nutzen bewusst seien und die Wahl des
und Musikrezeption die Regulation der eigenen Stimmung Medienkonsums eher selten durch aktive volitionale Ent-
gesehen (Mood-Management-Theorie). Dabei kann man scheidungsprozesse geleitet sei.
einerseits die Musikauswahl durch das Isoprinzip und Im Unterschied zum Uses-and-Gratifications-Ansatz
andererseits durch das Kompensationsprinzip erklären besagt die Theorie der selektiven Zuwendung (Vogel
(Schramm 2004). Das Isoprinzip postuliert, dass Menschen et al. 2007), dass Menschen die Medien wählen, die
stimmungskongruente Musik hören wollen. Jedoch scheint ihrem eigenen Standpunkt inhaltlich nahestehen. Hier-
dies im Falle einer eher traurigen Stimmung nur auf einen bei spielen vor allem politische, moralische und weitere
Teil der Menschen zuzutreffen. Das Kompensationsprinzip normative Einstellungen eine gewichtige Rolle. Dabei ver-
hingegen besagt, dass es Situationen gibt, wie das Musikhören stärkt die selektive Medienauswahl und -wahrnehmung
während einer uninteressanten Tätigkeit (z. B. Arbeiten im langfristig die eigenen Standpunkte und führt zu einer
Haushalt), in denen Menschen Musik bevorzugen, die hilft, Gewohnheitsbildung, indem Menschen mit der Zeit eine
Monotonie zu vermeiden. An dieser Stelle soll aber nicht Kanaltreue entwickeln. Zudem zielt die Gestaltung des
unerwähnt bleiben, dass der Einsatz von Musik während des Fernsehprogramms darauf ab, diese Kanaltreue zu unter-
Lernens zwar kompensatorisch motiviert sein mag, bisherige stützen, indem Zuschauer über verschiedene Sendungen
Forschungsergebnisse zeigen jedoch eher eine den Lern- hinweg (z. B. durch Moderationstechniken wie die Vor-
erfolg hemmende Wirkung von Hintergrundmusik während schau auf kommende Sendungen während einer Sendung)
des Lernens (Mayer und Moreno 2003; Brünken et al. 2004). gebunden werden (Vererbungseffekt; Schramm und
Hingegen ist die Wirkung von Hintergrundmusik in anderen Hasebrink 2004). Insgesamt betrachtet, geht dieser
Kontexten (z. B. bei der Arbeit, in Geschäften etc.) nicht nach- Ansatz somit davon aus, dass die Wahl des Medien-
weisbar oder allenfalls als gering anzusehen (Behne 1999). inhalts primär nicht volitional gesteuert ist. Auch die
­Mood-Management-Theorie (Zillmann 1988) postuliert
eine wenig volitional gesteuerte Wahl der Medien-
6.4.2  Fernsehen inhalte. Sie nimmt an, dass Menschen danach streben,
ihre Stimmungslage zu optimieren, indem positive
Betrachtet man die Dauer des täglichen Fernsehkonsums, Stimmungen beibehalten, negative Stimmungen reduziert
so zeigt sich, dass es vor allem ältere Menschen sind, die oder ganz vermieden werden.

Exkurs

Auswirkungen intensiven Fernsehkonsums und gewalthaltiger Medieninhalte


Über die Auswirkungen des mit hohem Fernsehkonsum eine sich aber rasch wieder auf das normale
Fernsehkonsums gibt es eine lang schwächere Sprach- und Leseleistungen Niveau vor dem Medienkonsum einstellt.
anhaltende Kontroverse (u Abschn. 6.1.2, aufweisen, wobei zu fragen ist, inwiefern Zudem werden gewalthaltige Inhalte
Exkurs). Während für Erwachsene diese Kinder aufgrund ihrer Lese- und nicht von allen Rezipienten in gleicher
bisher kaum Befunde zu den Folgen Sprachdefizite das „leichtere“ Medium Weise interpretiert, sondern in vielfältiger
des Fernsehkonsums vorliegen, wird in Fernsehen als Freizeitbeschäftigung Weise verarbeitet. Beispielsweise kann
verschiedenen Arbeiten vermutet, dass bevorzugen (Ennemoser und Schneider das Betrachten eines gewalthaltigen
die soziale und emotionale Entwicklung 2007; Ennemoser et al. 2003). Inhalts als Teil eines Initiationsritus unter
sowie die Sprach- und Lesefertigkeiten Betrachtet man die Auswirkungen des Jugendlichen wahrgenommen werden
von Kindern durch einen hohen Konsums gewalthaltiger Inhalte in Filmen („Mutprobe“) und nicht als Aufforderung
Fernsehkonsum beeinträchtigt werden. und Spielen durch Fernsehen, Computer, zur realen Gewalttätigkeit. Jedoch ist die
Allerdings wirkt sich der Fernsehkonsum Spielekonsolen und das Internet, häufig als Begründung für den Nutzen
je nach Alter, Geschlecht, Intelligenz zeigt sich, dass nach der Betrachtung von gewalthaltigen Inhalten angeführte
und sozialem Hintergrund der Kinder gewalttätiger Inhalte die Rezipienten Katharsis-Hypothese empirisch klar
unterschiedlich aus (Ennemoser et al. solcher Inhalte kurzzeitig ein höheres widerlegt. Gemäß dieser Hypothese senkt
2003). Nachgewiesen ist, dass Kinder Erregungspotenzial aufweisen, welches das Betrachten gewalthaltiger Inhalte
156 H. Horz

die eigene Gewaltbereitschaft, indem die Reaktionen auf in Medien beobachtete zu sehen und nicht allein durch das
eigenen Aggressionen stellvertretend Gewalt registriert. Fernsehen verursacht. So führen in
durch das Betrachten gewalthaltiger Im Unterschied zum gut untersuchten Verbindung mit dem Fernsehkonsum
Inhalte ausgelebt werden können (u. a. Bereich der kurzfristigen Auswirkungen zahlreiche psychische (z. B. geringe
Bushman und Huesmann 2001). von gewalthaltigen Medien existieren Empathie, starke Erregbarkeit, fehlende
Betrachtet man die kurzzeitigen weitaus weniger Langzeitstudien. soziale Kompetenz) und vor allem
Folgen gewalthaltiger Medien, so Insbesondere fehlen Daten zu soziale Faktoren (z. B. geringe und
zeigen sich höhere Dispositionen Auswirkungen gewalthaltiger Inhalte wenig einfühlsame Betreuung durch
zu aggressiven und geringere zu bei erwachsenen Medienkonsumenten. Eltern, geringes Einkommen, geringe
prosozialen Verhaltensweisen. Damit Die wenigen, meist korrelativen soziale Eingebundenheit) zu negativen
verbunden ist eine stärkere Erregung Befunde zeigen zusammenfassend, Konsequenzen für das aktuelle und
der Rezipienten sowie eine verstärkte dass ein Zusammenhang zwischen langfristige Verhalten der Rezipienten.
Wahrnehmung der Umwelt als feindlich hohem Fernsehkonsum in der Kindheit Fasst man die bestehenden empirischen
sowie vermehrt Emotionen, die mit (durchschnittlich mehr als 2 h täglich, Befunde zusammen, ist von einem
Aggressionen verbunden sind (Anderson insbesondere mit regelmäßigem geringen bis mäßigen Einfluss des
6 und Bushman 2001). Insbesondere Kinder Konsum realistischer Gewaltdar- Medienkonsums auf die Befindlichkeit
im Vorschulalter reagieren in stärkerem stellungen) und erhöhter alltäglicher und die psychosoziale Entwicklung
Maße mit aggressivem Verhalten nach Aggression sowie einer verringerten der Rezipienten auszugehen, denn der
dem Konsum gewalthaltiger Medien im Empathie existiert (Bushman und Medienkonsum stellt dabei nur einen
Vergleich zu Kindern im Schulalter bzw. Huesmann 2006; Anderson 2004). unter mehreren teils gewichtigeren
frühen Erwachsenenalter (Bushman Jedoch sind solche negativen Faktoren dar, wobei jedoch vor allem
und Huesmann 2001). Auch wurden bei Auswirkungen eher als Teil einer jüngere Kinder stärker durch Medien
Jungen im Vergleich zu Mädchen stärkere komplexen Entwicklungskonstellation beeinflusst werden.

6.4.3  Computer und Internet (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018).


Bemerkenswert ist, dass trotz der im internationalen Ver-
Unter allen Unterhaltungsmedien haben computer- und gleich geringen Nutzung von Computern in der Schule
internetbasierte Medien in den letzten Jahren eine flächen- (u Abschn. 6.3.2) Kinder und Jugendliche ab 10 Jahren
deckende Reichweite erreicht (. Abb. 6.11). So sind dennoch in großer Breite Erfahrungen im Umgang mit
inzwischen über 90 % der Bevölkerung Deutschlands der Computern besitzen, da nahezu alle Schülerinnen und
Gruppe der u Onlinenutzer zuzurechnen. Dabei werden Schüler privat einen Zugang zu Computern haben und über
computer- und internetbasierte Medien von einem Großteil Smartphones verfügen (Medienpädagogischer Forschungs-
der erwachsenen Nutzer sowohl zu arbeitsbezogenen verbund Südwest 2018).
Aufgaben als auch zur Unterhaltung eingesetzt. Jedoch Computer- und internetbasierte Medien können die
überwiegt bei Kindern und Jugendlichen die Nutzung Funktionen aller anderen Unterhaltungsmedien in vergleich-
von Computern und Internet zu Unterhaltungszwecken barer Weise erfüllen, da etwa Radio- und Musikprogramme

. Abb. 6.11 Entwicklung der


Onlinenutzung in Deutschland
bis 2018. (Quelle: 7 https:// 62,4 63,3
de.statista.com/statistik/
58
daten/studie/36146/umfrage/ 55,6 56,1
53,4 54,2
Anzahl der Internetnuzer in Millionen

anzahl-der-internetnutzer-in- 51.7
deutschland-seit-1997/) 49

42,7 43,5
40,8
37,5 38,6
34,4 35,7

28,3
24,8

18,3

11,2
6,6
4,1
20 7*
97
98
99
00
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16

*
18
1
19
19
19
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
Medien
157 6
oder Musikdateien gehört bzw. Onlinezeitungen gelesen
werden können. Nutzt man den Computer zur Wiedergabe Fazit
der zuvor genannten Medien, dann können die Nutzungs- Das heutige Lehren und Lernen ist ohne Medien
motive, Auswirkungen und Risiken des Medienkonsums von nicht mehr vorstellbar. Insbesondere digitale Medien
computerbasierten Medien mit denen des Musik-, Radio- haben zu einem enormen Anwachsen der Lehr- und
und Fernsehkonsums gleichgesetzt werden. Eine Besonder- Lernformen geführt. Um medienbasiertes Lehren und
heit hingegen stellt die Interaktivität des Computers und des Lernen effizient zu gestalten, ist das Verständnis der
Internets dar, was sich insbesondere an computer- und inter- kognitiven Prozesse bei der Rezeption von Texten,
netbasierten Spielen verdeutlichen lässt. Mittels Computern statischen sowie animierten Bildern und multimedialen
und Internet können Menschen mit anderen Spielern oder Lernumgebungen von Bedeutung, da Lernen in
dem Computer selbst interagieren. Abhängigkeit vom Medium unterschiedliche kognitive
Gerade die Nutzung von computer- und internet- Kompetenzen voraussetzt. Weiterhin ist zu bedenken,
basierten Spielen hat zu einer sehr kontroversen Debatte dass insbesondere das Vorwissen einen starken Einfluss
hinsichtlich der Motive und der Auswirkungen dieser auf medienbasierte Lernprozesse ausübt. Betrachtet
Spiele geführt. Gerade die Interaktivität computerbasierter man den Einsatz von Medien in institutionalisierten
Spiele sowie die Individualisierungsmöglichkeiten von Bildungskontexten, zeigt sich, dass in der Schule das
Computerspielen (z. B. durch die individuelle Gestaltung Lernen mit digitalen Medien bisher erst in geringerem
der Spielfigur) kann zu einem höheren Selbstwirksamkeits- Maße integriert ist als an Hochschulen. Letztlich sind
erleben führen, was die Nutzer als besonders positiv erleben Medien aus pädagogisch-psychologischer Sicht auch
und sie stark motiviert, ein Spiel fortzuführen. Zudem trägt als Unterhaltungsmedien von Relevanz, da Medien
die hohe Belohnungsrate in Computerspielen dazu bei, dass unseren Alltag und insbesondere unser Freizeitverhalten
eine hohe Selbstwirksamkeit erlebt wird (Klimmt 2004). Die erheblich bestimmen. Deswegen sind auch die Gründe
Bindung an ein Spiel wird zusätzlich durch das Zusammen- für das individuelle Medienkonsumverhalten als auch
spiel mit anderen Spielern verstärkt, weil hier langfristige die Auswirkungen des Medienkonsums – insbesondere
soziale Beziehungen zu anderen Spielern aufgebaut werden. auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
Diese sozialen Beziehungen zwischen Spielern werden zum – von Bedeutung. Um negative Einflüsse von Medien
Teil durch das Spielgeschehen selbst notwendig, um weitere zu vermeiden und ein kompetentes Mediennutzungs-
Fortschritte im Spielablauf zu erzielen. verhalten zu erlernen, ist der angeleitete Erwerb von
Insbesondere die in Einzelfällen zeitlich sehr extreme Medienkompetenz entscheidend.
Nutzung von Computerspielen (über 40 h pro Woche) von
Kindern und Jugendlichen, hat erhebliche Kritik hervor-
gerufen. Neben der Debatte, inwiefern Computerspiele ? Verständnisfragen
mit gewalttätigen Inhalten aggressiv machen (zu dieser
Debatte u Abschn. 6.4.2), werden der intensiven Nutzung 1. Welche Rolle spielen die lokale und die globale
von Computer und Internet als Unterhaltungsmedien Textkohärenz beim Lesen eines Textes?
Folgen wie zunehmende soziale Isolierung, Verlust sozialer 2. Wie kann der Lernvorteil digitaler Medien im
Kompetenz, mangelhaftes Lern- und Leistungsverhalten, Vergleich zum Lernen mit analogen Texten erklärt
höhere Delinquenz und schlechtere körperliche Gesund- werden? Unter welchen Bedingungen tritt der
heit zugeschrieben. Zwar gibt es einige empirische Evidenz Lernvorteil digitaler Medien auf?
für diese Kritikpunkte, dennoch erscheint manche Kritik 3. Wie weit ist die Integration der digitalen Medien in
aus empirischer Sicht an digitalen Unterhaltungsmedien institutionellen Bildungskontexten fortgeschritten?
überzogen (Appel und Schreiner 2014). Zudem muss man 4. Was sind die Unterschiede zwischen den
fragen, inwiefern ein stark reglementierter Umgang für verschiedenen Ansätzen zur Erklärung des
Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien langfristig Medienkonsums?
sogar schädlich sein kann, da Kinder und Jugendliche in 5. Führt der Konsum gewalthaltiger Medien
diesem Falle wohl keine zeitgemäße Medienkompetenz zu einer höheren realen Gewalttätigkeit der
erwerben können. Völlig unstrittig hingegen ist, dass es Medienkonsumenten?
entscheidend für die Vermeidung negativer Folgen der
digitalen Medien bei Kindern und Jugendlichen ist, dass Vertiefende Literatur
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161 III

Motivieren
Inhaltsverzeichnis

7 Motivation – 163
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner

8 Selbstkonzept – 187
Jens Möller und Ulrich Trautwein

9 Emotionen – 211
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun
163 7

Motivation
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner

7.1  Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale – 164


7.1.1  Extrinsische und intrinsische Motivation – 165
7.1.2  Dispositionale Motivationsmerkmale – 169

7.2  Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung – 173


7.2.1  Leistungsmotivation – 173
7.2.2  Zielorientierung – 173
7.2.3  Intrinsische vs. extrinsische Motivation – 174
7.2.4  Interesse – 175

7.3  Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale – 177


7.3.1  Leistungsmotivation und Zielorientierung – 177
7.3.2  Interesse und intrinsische Motivation – 177

Literatur – 181

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_7
164 U. Schiefele und E. Schaffner

Motivationale Merkmale und Prozesse werden in der


Pädagogischen Psychologie vor allem auf das Lernen
bezogen. Der besondere Stellenwert der Motivation für
das Lernverhalten und die Leistung ist dabei durch zahl-
reiche empirische Studien belegt worden (7 Abschn. 7.2).
Diese Studien zeigen, dass bestimmte Formen der Lern-
motivation den Lernerfolg unabhängig von kognitiven
Lernvoraussetzungen, wie z. B. der Intelligenz, begünstigen,
wohingegen andere Motivationsformen den Lernerfolg
beeinträchtigen können. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass Motivation die Lernleistung nicht nur auf einem
relativ direkten Weg (z. B. über Aspekte der Informations-
verarbeitung) beeinflussen kann. Es gibt darüber hinaus
Hinweise auf verschiedene indirekte Auswirkungen von
Motivation. Die Motivation beeinflusst nicht nur bildungs-
7 bezogene Entscheidungen wie Kurs- und Studienfach-
wahlen, sondern auch lernbezogene Verhaltensweisen
wie die investierte Lernzeit. Die Bedeutung der Motivation
ergibt sich nicht nur aus ihrer leistungsförderlichen
Wirkung. Vielmehr sind hoch motivierte Lerner bzw.
Schüler auch deshalb wünschenswert, weil der Unterricht
mit motivierten Schülern konfliktfreier, reibungsloser und
effizienter abläuft. Die daraus resultierende Erhöhung von
Lernzeit und Erlebensqualität kann wiederum den Lern-
erfolg begünstigen. Schließlich sind Motivation und (vor
allem) Interesse wichtig, weil sie dafür sorgen, dass Schüler
auch langfristig danach streben, sich mit bestimmten . Abb. 7.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Fächern auseinanderzusetzen (z. B. in Studium und Beruf).
In Übereinstimmung mit dieser Sichtweise hat die neuere,
konstruktivistische Instruktionsforschung (7 Kap. 4) Definition
motivationale Variablen zunehmend als wichtige Kriterien Nach Rheinberg und Vollmeyer (2019, S. 17) kann
erfolgreichen Unterrichts berücksichtigt (. Abb. 7.1). die Motivation als eine „aktivierende Ausrichtung
des momentanen Lebensvollzuges auf einen positiv
bewerteten Zielzustand bzw. auf das Vermeiden eines
7.1  Unterschiedliche Motivationsformen negativ bewerteten Zustandes“ definiert werden.
und -merkmale

Motivation gilt als zentrales Konstrukt der Verhaltens- Die Definition von Rheinberg und Vollmeyer (2019)
erklärung. Insbesondere die Zielrichtung (was eine Person betont die „energetisierende“ Funktion der Motivation
tut), die Ausdauer (wie lange eine Person etwas tut) und sowie die Tatsache, dass sie einen aktuellen bzw. vorüber-
die Intensität (wie sehr sich eine Person bei einer Tätig- gehenden Zustand darstellt. Motivation wird jedoch auch
keit konzentriert bzw. anstrengt) werden als motivations- als habituelles Merkmal operationalisiert und erforscht.
abhängige Verhaltensmerkmale angesehen (z. B. Rheinberg In der Regel werden die Versuchspersonen dabei gefragt,
und Vollmeyer 2019; Schunk et al. 2008). Die Motivation wie häufig eine bestimmte aktuelle Motivation in einem
einer Schülerin sollte somit einen Einfluss darauf haben, längeren Zeitraum (z. B. innerhalb des letzten Jahres) bei
ob sie am Nachmittag für eine Prüfung lernt statt z. B. ihre ihnen aufgetreten ist. Eine habituelle Motivation ist folglich
Freunde zu treffen (Zielrichtung), wie viel Zeit sie in die durch ihr wiederholtes bzw. gewohnheitsmäßiges Auftreten
Prüfungsvorbereitung investiert (Ausdauer) und wie sehr gekennzeichnet (Pekrun 1988). Demnach zeichnet sich
sie sich beim Lernen anstrengt (Intensität). Neben diesen ein Schüler mit einer hohen habituellen Lernmotivation
„klassischen“ Aspekten des Verhaltens können weitere dadurch aus, dass er häufig und in vielen Situationen zum
motivationsabhängige Verhaltensmerkmale angenommen Lernen motiviert ist.
werden. Beim Lernen ist hier insbesondere die Art und Die bisher behandelte allgemeine Definition der
Weise des Lernverhaltens in Betracht zu ziehen. So ist Motivation ist hinsichtlich ihres Erklärungswerts des Lern-
z. B. nachgewiesen worden, dass sich abhängig von der verhaltens und der Lernleistung allerdings begrenzt. So
motivationalen Ausgangslage die Strategien unterscheiden, hat sich in der pädagogisch-psychologischen Forschung
mit denen Schüler lernen (Schiefele und Schreyer 1994; die Unterscheidung verschiedener Motivationsformen
Walker et al. 2006; Wild 2000). durchgesetzt, die das Lernverhalten im Sinne der all-
Motivation
165 7
gemeinen Definition zwar gleichermaßen „energetisieren“, Extrinsische Motivation
gleichzeitig aber z. B. die Verwendung verschiedener Im Bereich schulischen Lernens können gute Leistungen als
(reproduktions- vs. verständnisorientierter) Lernstrategien das wichtigste Handlungsergebnis aufgefasst werden. Damit
nach sich ziehen und den Lernerfolg entsprechend unter- in Übereinstimmung existiert zur Leistungsmotivation bzw.
schiedlich beeinflussen können (Schiefele und Schreyer zur leistungsbezogenen Lernmotivation eine große Zahl
1994; Wild 2000). Als zentral ist in diesem Zusammen- von Forschungsarbeiten (Brunstein und Heckhausen 2006;
hang die Unterscheidung zwischen intrinsischer und Wigfield et al. 2015).
extrinsischer Motivation hervorzuheben.
Definition
Die leistungsbezogene Lernmotivation äußert sich
7.1.1  Extrinsische und intrinsische
in der Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, um
Motivation später im Rahmen einer Leistungssituation (z. B. in einer
Prüfung) eine gute Leistung erbringen zu können.
Lernmotivation wird als Absicht verstanden, spezifische
Inhalte oder Fertigkeiten zu lernen, um damit bestimmte
Ziele bzw. Zielzustände zu erreichen. Diese allgemeine Dabei ist zu beachten, dass gute Leistungen nicht um ihrer
Begriffsbestimmung lässt offen, welche Ziele jeweils selbst willen angestrebt werden (vgl. Heckhausen 1989),
im Einzelnen verfolgt werden. Es können zwei über- sondern weil sie positive Konsequenzen für die Selbst-
geordnete Kategorien von Zielen unterschieden werden: bewertung (z. B. Stolz), die Fremdbewertung (z. B. soziale
die Konsequenzen, die auf eine Handlung folgen (z. B. Anerkennung durch den Lehrer) und die Annäherung an
soziale Anerkennung), und die Erlebenszustände, die Oberziele (z. B. Ausüben eines bestimmten Berufs) nach
bereits während der Handlungsausführung eintreten (z. B. sich ziehen. Die leistungsbezogene Lernmotivation richtet
Anregung, Kompetenzgefühle). Im ersten Fall liegen die sich also auf Sachverhalte, die prinzipiell außerhalb der
angestrebten Zielzustände außerhalb der Handlung und Lernhandlung liegen bzw. auf sie folgen. Sie stellt daher
man spricht deshalb von extrinsischer Lernmotivation. Im eine Form der extrinsischen Lernmotivation dar (auch
zweiten Fall liegen die angestrebten Zielzustände inner- Schneider 1996).
halb der Handlung und die entsprechende Lernmotivation Neben der leistungsbezogenen Lernmotivation lassen
ist intrinsischer Natur. In der Forschung wurden die sich weitere Formen extrinsischer Lernmotivation unter-
extrinsische und intrinsische Lernmotivation häufig als scheiden. Denn auch wenn die Leistung im schulischen
habituelle Merkmale operationalisiert (Schiefele 1996). Kontext stark betont wird, zielt nicht jede Lernhandlung
notwendig auf das Erreichen einer guten Leistung ab.
Definition Lernhandlungen können auch direkt auf Selbstbewertung,
Unter extrinsischer Lernmotivation versteht man die Fremdbewertung und die Annäherung an Oberziele
Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, weil damit gerichtet sein. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Schüler
positive Konsequenzen herbeigeführt oder negative seine Hausaufgaben vor allem deshalb sorgfältig bearbeitet,
Konsequenzen vermieden werden. Intrinsische weil er von seinen Eltern dafür Lob erhält. Neben dieser
Lernmotivation bezeichnet die Absicht, eine bestimmte auf Fremdbewertung zielenden sozialen Lernmotivation
Lernhandlung durchzuführen, weil die Handlung erscheint auch die Annahme einer selbstbewertungs-
selbst von positiven Erlebenszuständen begleitet wird basierten und einer an Oberzielen orientierten Lern-
(Schiefele 1996). motivation sinnvoll (z. B. „Wenn ich es schaffe, diesen
komplizierten Text durchzuarbeiten, bin ich stolz auf
mich“, „Ich arbeite diesen komplizierten Text durch, weil
Die bisherige Forschung gibt Hinweise darauf, dass ich das darin enthaltene Wissen später einmal brauchen
sich extrinsische und intrinsische Lernmotivation nicht kann“). Solche Facetten der Lernmotivation wurden
ausschließen, sondern z. B. gleichermaßen hoch ausgeprägt allerdings nur selten empirisch untersucht (z. B. Covington
sein können (z. B. Amabile et al. 1994; Buff 2001). Dies ist 1992; Hayamizu und Weiner 1991; Pekrun 1983).
aus theoretischen Gründen nicht verwunderlich, denn Eine wichtige Differenzierung der leistungsbezogenen
Lernen ist neben intrinsischen Anreizen meist auch mit Lernmotivation ergibt sich aus dem Konzept der Bezugs-
handlungsexternen Konsequenzen verbunden (z. B. soziale normen von Rheinberg (1980; Rheinberg und Fries 2010).
Anerkennung, Erreichen von Ausbildungszielen). Dennoch Rheinberg unterscheidet bei der Leistungsbeurteilung
lassen sich die Effekte intrinsischer und extrinsischer zwischen einer individuellen, einer sozialen und einer sach-
Motivation separat voneinander untersuchen, z. B. indem lichen Bezugsnorm. Im Falle der individuellen Bezugsnorm
man eine der beiden Motivationsformen experimentell ist der zu erreichende Gütemaßstab durch die eigene frühere
induziert (Schaffner und Schiefele 2007) oder den Effekt der Leistung des Lerners bestimmt, bei der sozialen Bezugs-
jeweils anderen Motivationsform bei der Vorhersage eines norm dagegen durch das Leistungsniveau einer bestimmten
Kriteriums (z. B. der Lernleistung) statistisch kontrolliert. Bezugsgruppe (z. B. der Schulklasse) und bei der sachlichen
166 U. Schiefele und E. Schaffner

Bezugsnorm durch ein aus sachlichen (z. B. curricularen) extrinsische Lernmotivation die Unterscheidung sechs
Erwägungen abgeleitetes Leistungs- bzw. Lernziel. Man verschiedener Komponenten (Übersicht).
kann daher unterschiedliche Formen der leistungs- Die in der Übersicht enthaltene leistungsbezogene
bezogenen Lernmotivation differenzieren, je nachdem, ob Lernmotivation geht über die im vorangegangenen
gute Leistungen im Vergleich mit der eigenen früheren Abschnitt getroffene Differenzierung hinaus. Dort wurde
Leistung (individuelle Bezugsnorm), im Vergleich zu die an individuellen Bezugsnormen orientierte leistungs-
anderen Personen (soziale Bezugsnorm) oder im Vergleich bezogene Lernmotivation als kompetenzbezogene Lern-
mit einem sachlichen Kriterium (sachliche Bezugsnorm) motivation charakterisiert und von der an sozialen
angestrebt werden. Die leistungsbezogene Lernmotivation, Bezugsnormen orientierten, wettbewerbsbezogenen
die sich an individuellen Vergleichsmaßstäben orientiert Lernmotivation unterschieden. Die Inhaltsanalyse ein-
und Leistungssteigerung anstrebt, deckt sich am ehesten schlägiger Instrumente legt jedoch zusätzlich eine auf
mit der klassischen Leistungsmotivationstheorie (z. B. Leistungsrückmeldung zielende Form der Lernmotivation
Atkinson 1957). Diese Form der Motivation kann daher als nahe, bei der weder die Kompetenzerweiterung noch
Leistungsmotivation im engeren Sinne oder als kompetenz- der Wettbewerb im Vordergrund stehen (Amabile et al.
bezogene Leistungsmotivation bezeichnet werden. Wenn 1994). Eine entsprechend motivierte Person lernt vor
7 die handelnde Person jedoch danach strebt, soziale Bezugs- allem, um in einer Leistungs- oder Testsituation ein gutes
normen zu übertreffen, dann kann man von wettbewerbs- Resultat bzw. eine positive Bewertung ihrer Leistung (ins-
bezogener Leistungsmotivation sprechen. besondere im Sinne von Noten, nicht im Sinne sozialer
Zusammenfassend ergibt sich demnach die folgende Anerkennung) zu erreichen. Die Übersicht zeigt zudem,
Differenzierung verschiedener Formen von extrinsischer dass eine rein selbstbewertungsbasierte Lernmotivation
Lernmotivation. Zum einen lassen sich zwei Formen der bislang nicht in die Forschung einbezogen wurde. Die
leistungsbezogenen Lernmotivation unterscheiden, wobei Aspekte der Fremdbewertung (soziale extrinsische Lern-
in einem Fall der individuelle Kompetenzgewinn und im motivation) und der Annäherung an Oberziele (beruf-
anderen Fall das überlegene Abschneiden im Vergleich lich-materielle und beruflich -inhaltliche extrinsische
mit anderen im Vordergrund steht. Zum anderen lassen Lernmotivation) sind jedoch vertreten.
sich die soziale, die selbstbewertungsbasierte und die
oberzielorientierte Lernmotivation voneinander abgrenzen.
Prototypisch betrachtet kann man demnach Schüler unter- Komponenten der extrinsischen Lernmotivation
scheiden, die beim Lernen vor allem danach streben, (ELM)
von wichtigen Bezugspersonen gelobt bzw. anerkannt Lernen, um
zu werden, auf die Ergebnisse ihrer Lernhandlungen mit 1. positive Leistungsrückmeldungen (z. B. Noten) zu
positiver Selbstbewertung zu reagieren (z. B. Stolz, Freude) erhalten (leistungsbezogene ELM),
und/oder wichtige persönliche Ziele (z. B. ein bestimmtes 2. die eigene Kompetenz zu erweitern (kompetenz-
Ausbildungsniveau) zu erreichen. bezogene ELM),
3. andere zu übertreffen bzw. die eigene überlegene
Empirische Befunde zu Komponenten der extrinsischen Fähigkeit zu demonstrieren (wettbewerbsbezogene
Lernmotivation Bisher erfolgte die Differenzierung ver- ELM),
schiedener Formen extrinsischer Lernmotivation auf 4. soziale Anerkennung zu erhalten (soziale ELM),
einer theoretischen Ebene über die Gründe, die bei der 5. beruflich-materielle Ziele zu erreichen (Prestige,
Initiierung von Lernaktivitäten (v. a. im schulischen Gehalt; beruflich-materielle ELM),
Kontext) eine Rolle spielen. Doch lässt sich die vor- 6. eine angestrebte berufliche Tätigkeit ausüben zu
genommene Differenzierung extrinsischer Lern- können (beruflich-inhaltliche ELM).
motivation auch empirisch bestätigen? Unterscheiden
die Probanden (meist Schüler oder Studierende) tatsäch-
lich zwischen den verschiedenen Formen extrinsischer Intrinsische Motivation
Lernmotivation, wie z. B. der leistungsbezogenen und Als zentrales Merkmal der intrinsischen Motivation wurde
der sozialen Lernmotivation? Zur Beantwortung dieser bereits festgehalten, dass positive Erlebnisqualitäten eine
Fragen kann auf Studien zurückgegriffen werden, in denen Handlung begleiten und maßgeblich dafür sind, dass eine
Instrumente zur Erfassung der habituellen (extrinsischen Person die entsprechende Handlung initiiert und aus-
und intrinsischen) Lernmotivation eingesetzt wurden führt. Das Konstrukt der intrinsischen Motivation ent-
(Schiefele 1996). Diese Instrumente sehen vor, dass die wickelte sich im Zusammenhang mit Versuchen, eine
Probanden nach dem Ausmaß befragt werden, in dem sie motivationale Basis des 7 Explorations- und Neugierver-
verschiedene Formen der Lernmotivation üblicherweise haltens zu finden (Deci und Moller 2005; Deci und Ryan
zeigen (z. B. „Ich lerne vor allem deshalb, um von anderen 1985; Schiefele und Streblow 2005). 7 Behavioristische
gelobt zu werden“). Eine Analyse einschlägiger Frage- Theorien stießen hier an ihre Grenzen, da diese Ver-
bogen (z. B. Amabile et al. 1994; Gottfried 1986; Harter haltensweisen ohne einen äußeren Anreiz (wie z. B. eine
1981; Vallerand et al. 1992, 1993) ergab für die habituelle Belohnung) erfolgen. Während der Begriff „intrinsische
Motivation
167 7
Kontextfaktoren, die zur Befriedigung der Grundbedürf-
Motivation“ zunächst nur ausdrücken sollte, dass das nisse beitragen, nicht nur die intrinsische Motivation,
Individuum über eine ihm eigene Motivationsquelle ver- sondern auch die psychische Gesundheit fördern. Dagegen
fügt, die nicht auf primäre Triebe oder externe Verstärkung sollten Kontextfaktoren, die die Grundbedürfnisse ein-
zurückgeführt werden kann, bemühten sich die in der schränken, negative Konsequenzen für die intrinsische
Folge entwickelten Theorien zur intrinsischen Motivation Motivation und – zumindest längerfristig – auch für die
um eine Spezifikation der handlungsbegleitenden Erleb- psychische Gesundheit nach sich ziehen.
nisqualitäten, durch die ein bestimmtes Verhalten (z. B. Weil die subjektiven Wahrnehmungen von Kompetenz
Lernen) einen eigenen Anreiz erhält. Dabei kann die nach- und Selbstbestimmung bei einer Tätigkeit (z. B. dem
folgend behandelte Selbstbestimmungstheorie von Deci Lernen) nach Deci und Ryan positiven Erlebniswert
und Ryan (1985, 2002) als bedeutsamste moderne Theorie besitzen, können sie dazu führen, dass eine Tätigkeit
der intrinsischen Motivation gelten. auch ohne äußere Motivierung initiiert und durchgeführt
wird. Es handelt sich demnach um handlungsimmanente
Kompetenz, Selbstbestimmung und soziale Anreize, die beispielsweise auch zur Erklärung des
Bezogenheit Explorations- und Neugierverhaltens herangezogen
Deci und Ryan (1985, 2002) vertreten die Auffassung, dass werden können (s. oben). Als weitere handlungsimmanente
Menschen über ein angeborenes Bedürfnis verfügen, sich Anreize kommen auch das Flow-Erleben (s. unten) und
effektiv und kompetent mit ihrer Umwelt auseinander- bestimmte handlungsbegleitende Emotionen (z. B. Freude,
zusetzen (vgl. White 1959). Wird dieses Bedürfnis beim situationales Interesse) infrage.
Handeln (z. B. der Erledigung der Hausaufgaben) erfüllt, Wenngleich das Postulat der Bedürfnisse nach
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass intrinsische Motivation Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit
auftritt und die Handlung eine positive Erlebnisqualität eine hohe Plausibilität besitzt, ist ein direkter Nachweis
erhält. Deci und Ryan betonen allerdings auch, dass die ihrer Existenz schwierig. Die Forschungsstrategie von Deci
Annahme eines Kompetenzbedürfnisses nicht ausreicht, und Ryan (1985, 2002) bestand zunächst darin, den Nach-
um intrinsisch motiviertes Verhalten zu erklären. Es gibt weis zu erbringen, dass Beeinträchtigungen der Selbst-
zahlreiche Handlungen, die zwar kompetenzmotiviert bestimmung durch externe Kontrolle (z. B. angekündigte
sind, aber dennoch nicht um ihrer selbst willen durch- Belohnungen) zur Reduzierung von intrinsischer
geführt werden. Eine Schülerin kann sich beim Lernen von Motivation führen. Dieser „Unterminierungseffekt“ tritt
Vokabeln z. B. durchaus kompetent fühlen, ohne dass eine allerdings nur unter bestimmten Bedingungen auf (z. B.
intrinsische Motivation vorliegt. Die Autoren postulieren muss eine angekündigte Belohnung während der Handlung
daher eine weitere wesentliche Bedingung für das Eintreten bewusst sein; vgl. Schiefele und Streblow 2005). In weiteren
intrinsischer Motivation: Eine Person muss sich frei von Studien zeigten Deci und Ryan (1985, 2002), dass die Wahr-
äußerem Druck bzw. als selbstbestimmt handelnd erleben. nehmung von Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer
Wie bezüglich des Kompetenzerlebens gehen die Autoren Bezogenheit positiv mit der intrinsischen Lernmotivation
auch in diesem Fall davon aus, dass alle Menschen Auto- und Aspekten der psychischen Gesundheit zusammen-
nomie als etwas Positives erleben, weil ihnen ein psycho- hängt.
logisches Bedürfnis nach Selbstbestimmung angeboren ist
(vgl. deCharms 1968). Deci und Ryan verweisen schließlich Tätigkeits- und gegenstandszentrierte
noch auf die Bedeutung eines dritten Grundbedürfnisses, Lernmotivation
dem Bedürfnis nach sozialer Bezogenheit. Dieses Bedürf- Die intrinsische Lernmotivation richtet sich also auf
nis manifestiert sich u. a. in dem Ziel, vertrauensvolle positive Erlebenszustände, die während der Ausführung
und unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen einer Handlung eintreten. Dabei kann die Frage gestellt
aufzubauen. Die soziale Bezogenheit kann nicht nur werden, ob die beim Lernen auftretenden Erlebenszustände
erklären, warum soziale Anerkennung einen so wichtigen eher auf den Charakter der Lernhandlung selbst zurück-
extrinsischen Anreiz darstellt, sondern sie bedingt auch die gehen oder eher durch den Gegenstand der Lernhandlung
Entwicklung von Interessen (indem z. B. das Hobby eines bedingt sind (Schiefele 1996; Schiefele und Streblow 2005).
engen Freundes übernommen wird; vgl. Bergin 2016) und Im ersten Fall spricht man von einer tätigkeitszentrierten
das Entstehen von intrinsischer Motivation (indem z. B. intrinsischen Lernmotivation. Sie tritt ein, wenn ein Lerner
Tätigkeiten, die Kooperation mit anderen ermöglichen, unabhängig vom Lerngegenstand bestimmte Handlungs-
intrinsische Anreize erhalten). formen (z. B. Gruppenarbeit, praktisches Experimentieren)
Die psychologischen Grundbedürfnisse nach bevorzugt. Im zweiten Fall spricht man von einer gegen-
Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit standszentrierten intrinsischen Lernmotivation. Diese
bilden nach Deci und Ryan (1985, 2002) die gemeinsame kennzeichnet einen Lerner, der sich unabhängig von der
Grundlage für das Auftreten intrinsisch motivierten Ver- jeweils durchgeführten Tätigkeitsform für bestimmte
haltens. Sie sind gewissermaßen als „Nährstoffe“ zu ver- Inhalte interessiert und deshalb positive Gefühle während
stehen, die für eine gesunde Entwicklung wesentlich sind des Lernens erlebt. Individuelle Interessen des Lerners
(Deci und Moller 2005). Folglich ist zu erwarten, dass
168 U. Schiefele und E. Schaffner

stellen daher eine wichtige Bedingung des Auftretens Grundbedürfnisse, Internalisierung und
intrinsischer Lernmotivation dar. extrinsische Motivation
Die Unterscheidung einer gegenstands- und tätigkeits- Eine wichtige Differenzierung der Theorie von Deci
zentrierten intrinsischen Lernmotivation stimmt mit den und Ryan (1985, 2002) betrifft die Unterscheidung ver-
Befunden der oben erwähnten Studien überein, in denen schiedener Internalisierungsstufen der extrinsischen
die habituelle extrinsische und intrinsische Lernmotivation Motivation im Rahmen der Theorie der organismischen
erfasst worden ist (z. B. Amabile et al. 1994). Neben den Integration. Mithilfe dieser Differenzierung lassen sich
bereits berichteten Komponenten der extrinsischen Lern- einerseits Formen der extrinsischen Motivation identi-
motivation wurden in diesen Studien zwei Komponenten fizieren, die der psychischen Gesundheit nicht abträglich
der intrinsischen Lernmotivation differenziert (Schiefele sind. Andererseits trägt die erweiterte Theorie der Tat-
1996): Lernen aus Interesse und Neugier (gegenstands- sache Rechnung, dass extrinsisch motivierte Handlungen
zentriert) und Freude am Lernen (tätigkeitszentriert). (z. B. Prüfungsvorbereitung zu einem langweiligen Thema)
Allerdings erwiesen sich die beiden Komponenten dem Bedürfnis nach Kompetenz, Selbstbestimmung und
empirisch (bzw. faktorenanalytisch) als nicht trennbar, sozialer Bezogenheit dienlich sein können – auch wenn sie
d. h. die intrinsische Lernmotivation kann im Gegensatz keinen Eigenanreiz besitzen. Die extrinsische Motivation
7 zur extrinsischen Lernmotivation als einheitliches Merkmal einer Handlung schließt die Erfüllung der psychologischen
aufgefasst werden. Dies deutet darauf hin, dass Gegen- Grundbedürfnisse also nicht prinzipiell aus.
stand und Tätigkeit aus der Sicht der Lerner zumindest in In der Theorie der organismischen Integration gehen
motivationaler Hinsicht eine Einheit bilden. Deci und Ryan davon aus, dass bei der Sozialisation eines
Kindes extrinsische Motivationsprozesse unerlässlich
Flow-Erleben sind. Diese betreffen insbesondere die Übernahme von
Die von Csikszentmihalyi (1985, 1990; Csikszentmihalyi et al. Normen, Einstellungen und Handlungszielen im Rahmen
2005) entwickelte Flow-Theorie ergänzt die Sichtweise der von Internalisierungsprozessen. Diese Prozesse werden
Selbstbestimmungstheorie. Csikszentmihalyi konnte zeigen, prinzipiell von den gleichen Bedürfnissen getragen wie
dass Personen, die eine offenbar intrinsisch motivierte Tätig- die intrinsische Motivation. Demzufolge ermöglicht die
keit ausüben, ein charakteristisches Erleben zeigen, dass er als Internalisierung gesellschaftlicher Normen z. B., dass sich
Flow bezeichnet hat. Das Erleben von Flow beinhaltet im Kern das Individuum bei sozial erwünschten Verhaltensweisen
ein vollkommenes Aufgehen in der Tätigkeit (Absorbiertsein). (z. B. der Erledigung von Hausaufgaben) selbstbestimmt
Weitere Aspekte dieses Erlebens sind die Selbstvergessen- erlebt und von anderen Personen (z. B. dem Klassenlehrer)
heit, das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein und sozial anerkannt wird. Längerfristig erleichtert die Inter-
das Gefühl von Kontrolle. Aus den Forschungsarbeiten von nalisierung von Handlungsnormen (z. B. der geltenden
Csikszentmihalyi ist zu schließen, dass das Flow-Erleben Regeln innerhalb des Klassenzimmers) auch das Wirk-
– neben den von Deci und Ryan (1985, 2002) postulierten samkeitserleben beim Lernen und unterstützt somit die
Kompetenz- und Selbstbestimmungsgefühlen – einen Kompetenzentwicklung des Individuums. Würde ein
zentralen Anreiz intrinsisch motivierter Tätigkeiten darstellt. Schüler demgegenüber extern vorgegebene Handlungsziele
Die subjektive Passung von Fähigkeit und Handlungs- überwiegend zurückweisen, wäre die Erfüllung der drei
anforderung stellt dabei die wichtigste Bedingung des grundlegenden Bedürfnisse erheblich erschwert.
­Flow-Erlebens dar. Flow wird vor allem dann erlebt, wenn Deci und Ryan unterscheiden drei Stufen der Inter-
die handelnde Person weder unter- noch überfordert ist. nalisierung, die auch als Formen der Verhaltensregulation
Damit wird die Nähe zur Selbstbestimmungstheorie deut- (Fremd- vs. Selbstbestimmung) beschrieben werden
lich, denn eine optimale Passung von Fähigkeit und Hand- (. Tab. 7.1). Daneben existiert eine Vorstufe der externalen
lungsanforderung müsste theoretisch auch mit einem Regulation. Auf dieser Ebene der Entwicklung hat noch
hohen Kompetenzerleben einhergehen (Rheinberg 2006; keine Internalisierung stattgefunden. Das bedeutet, der
Schiefele und Streblow 2005). Handelnde verfolgt noch kein eigenständiges Ziel, sein

. Tab. 7.1 Differenzierung extrinsischer und intrinsischer Motivation. (Adaptiert nach Deci und Ryan 2002, © University of Rochester
Press)

Extrinsische Motivation Intrinsische Motivation

Externale Regulation Introjizierte Regulation Identifizierte Regulation Integrierte Regulation Intrinsische Regulation
Handeln aufgrund Internalisierung eines Identifizierung mit einem Identifizierung mit einem Handeln aufgrund von
von äußerem Handlungsziels ohne Handlungsziel, aber Handlungsziel ohne handlungsbegleitenden
Druck (Belohnung, Identifizierung vorhandene Konflikte mit Konflikte mit anderen Anreizen
Bestrafung) anderen Zielen Zielen
Fremdbestimmt Selbstbestimmt
Motivation
169 7
Handeln wird allein durch externe Belohnungen bzw. Die integrierte Regulation wurde nicht berücksichtigt,
Bestrafungen reguliert. Die erste Stufe der Internalisierung, weil sie empirisch nicht von der identifizierten Regulation
die introjizierte Regulation, kennzeichnet Personen, die abgegrenzt werden konnte (auch Vallerand et al. 1992,
ein eigenständiges Handlungsziel verfolgen, mit dem sie 1993). Es fällt einerseits auf, dass die externale und die
sich jedoch nicht identifizieren. Diese Personen handeln introjizierte Regulation im Sinne der sozialen extrinsischen
nur aufgrund von innerem Druck, z. B. um ein schlechtes Lernmotivation (s. oben 7 Übersicht) aufgefasst werden.
Gewissen zu vermeiden oder weil es von anderen Personen Andererseits wird die identifizierte Regulation weitgehend
erwartet wird. Auf der Ebene der identifizierten Regulation mit der kompetenzbezogenen Lernmotivation gleichgesetzt.
werden die ursprünglich externalen Handlungsziele als Offenkundig bedürfen diese Bezüge zwischen den von Deci
persönlich wichtige Zielsetzungen akzeptiert. Die Stufe der und Ryan (1985, 2002) unterschiedenen Regulationsformen
integrierten Regulation wird schließlich erreicht, wenn die und den von anderen Autoren unterschiedenen Formen
Person sich nicht nur mit einem bestimmten Handlungs- extrinsischer Lernmotivation noch weiterer Aufklärung.
ziel (z. B. einer höheren beruflichen Position) identifiziert,
sondern dieses auch ohne Konflikte mit anderen Zielen
(z. B. Ausüben eines Hobbys) in ihr Selbst integriert hat. 7.1.2  Dispositionale Motivationsmerkmale
Die vier Stufen der Regulation repräsentieren Formen
der extrinsischen Motivation, die sich vor allem durch Als dispositionale Motivationsmerkmale werden im
das Maß an erlebter Autonomie unterscheiden. Mit Folgenden das Leistungsmotiv, die Zielorientierungen
zunehmender Internalisierung werden die von außen an und das Interesse betrachtet. Während habituelle
die Person herangetragenen Ziele verstärkt in das Selbstbild Motivationsmerkmale lediglich beschreiben, dass bestimmte
integriert. Dabei können die externale und die introjizierte Motivationen wiederholt auftreten, ohne dafür eine Ursache
extrinsische Motivation als fremdbestimmt gelten, die zu benennen, sind dispositionale Motivationsmerkmale
identifizierte und integrierte Regulation dagegen als selbst- durch eine benennbare psychische Struktur (in der Regel
bestimmt. Die Formen selbstbestimmter extrinsischer eine mentale Repräsentation auf Gedächtnisebene) gekenn-
Motivation unterscheiden sich von der intrinsischen zeichnet (Pekrun 1988). So basiert das Interesse eines Schülers
Motivation durch das Fehlen intrinsischer (bzw. hand- an einem Wissensbereich darauf, dass er diesen Bereich mit
lungsimmanenter) Anreize. positiven Emotionen und einer persönlichen Relevanz ver-
Die Stufen von der externalen hin zur integrierten bindet und diese Verbindung in seinem Gedächtnissystem
Regulation können als Entwicklungsphasen verstanden repräsentiert ist (z. B. Schiefele 1996, 2009). Da die ent-
werden, die jedoch nicht notwendig alle durchlaufen sprechende mentale Repräsentation relativ dauerhaft in der
werden. So ist es z. B. möglich, die persönliche Relevanz Person des Schülers verankert ist, kann sie das Auftreten
eines neuen Handlungsziels im Sinne der identifizierten habitueller und aktueller Motivationsformen beeinflussen.
Regulation unmittelbar zu erkennen, ohne die Stufen Die dispositionalen Motivationsmerkmale nehmen folglich
der externalen und introjizierten Regulation zu durch- kausal betrachtet eine vorrangige Position gegenüber den
laufen. Demgegenüber kann es auch zu einer Stagnation aktuellen und habituellen Motivationsformen ein.
auf einer niedrigen Internalisierungsstufe kommen, z. B. Die an dieser Stelle behandelten dispositionalen
wenn die Umwelt den Internalisierungsprozess nicht aus- Motivationsmerkmale können als besonders bedeutsame
reichend unterstützt und die persönliche Bedeutung eines Determinanten für das Auftreten aktueller Lernmotivation
Handlungsziels nicht vermitteln kann. Folglich sind die in einer konkreten Situation gelten. Daneben spielen jedoch
Regulationsstufen auch geeignet, um qualitative Unter- auch situative Faktoren (z. B. Ankündigung positiver Hand-
schiede in der Verhaltensregulation zwischen Personen lungsfolgen) sowie das Selbstkonzept (7 Kap. 8) eine Rolle.
zu kennzeichnen. So wird z. B. in dem Selbstregulations-
fragebogen von Ryan und Connell (1989a, b) das Ausmaß Leistungsmotiv
erfragt, in dem Schüler Lernaktivitäten durchführen, Motive sind nach Rheinberg und Vollmeyer (2019) als
a) weil es von anderen erwartet wird oder um Schwierig- zeitlich stabile Bewertungsvorlieben aufzufassen, d. h. als
keiten zu vermeiden (external), überdauernde Präferenzen für das Erleben spezifischer
b) um sich nicht schlecht zu fühlen oder damit Lehrer Zustände. Im Falle des Leistungsmotivs ist damit ins-
und Mitschüler eine gute Meinung über die eigene besondere das Erleben von Kompetenz und Leistungsfähig-
Person haben (introjiziert) oder keit gemeint. Der Hinweis auf die Stabilität rechtfertigt es,
c) weil ihnen die Durchführung der Aktivität sehr wichtig Motive als Bedingungen der jeweils aktuellen Motivation
ist bzw. um mehr zu verstehen und Neues zu lernen aufzufassen und den dispositionalen Motivations-
(identifiziert). merkmalen zuzuordnen.
170 U. Schiefele und E. Schaffner

Definition Zielorientierung
Während Leistungsmotivation relativ eindeutig als das In den letzten 20 Jahren hat sich die Zielorientierung („goal
Streben nach Erreichen oder Übertreffen individueller orientation“) als ein zentrales motivationales Konstrukt
oder sozialer Gütemaßstäbe definiert werden kann in der Pädagogischen Psychologie etabliert (z. B. Dweck
(z. B. Heckhausen 1989), besteht Konsens darüber, das 1991; Elliot 1999; Kaplan und Maehr 2007; Spinath und
Leistungsmotiv in ein Annäherungsmotiv („Hoffnung Schöne 2003). Die Theorie der Zielorientierung ist als
auf Erfolg“) und ein Vermeidungsmotiv („Furcht vor Weiterentwicklung der Leistungsmotivationsforschung
Misserfolg“) zu unterteilen (Brunstein und Heckhausen zu verstehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die
2006; Elliot und Thrash 2002; McClelland 1987). Arbeiten von Dweck (1986, 1991) und Nicholls (1984,
1989), die in etwa zur gleichen Zeit ähnliche Konzeptionen
vorgelegt haben. Zielorientierungen werden einerseits
Die Erforschung des Leistungsmotivs erfolgte vielfach über als dauerhaft im Gedächtnis repräsentierte Zielüber-
den Einsatz 7 projektiver Motivmessverfahren (z. B. Heck- zeugungen verstanden (z. B. „Ich strebe an, bessere
hausen 1963; McClelland 1980), die jedoch u. a. aufgrund Studienleistungen als andere Studierende zu erreichen“),
unzureichender Gütekriterien und dem Vorgehen bei der die somit dispositionalen Charakter besitzen (Elliot 2005).
7 inhaltlichen Auswertung kritisiert wurden (z. B. Asendorpf Andererseits können Zielorientierungen auch situativ
et al. 1994). erzeugt werden (z. B. durch die Ankündigung sozialer Ver-
Weil projektive Verfahren darüber hinaus relativ auf- gleiche in einer Leistungssituation) und dann zu einer ent-
wendig sind, wurden in der Forschung zunehmend auch sprechenden aktuellen Motivation führen (z. B. aktuelle
Fragebogen zur Messung der Komponenten des Leistungs- wettbewerbsbezogene Lernmotivation).
motivs eingesetzt (z. B. Hermans et al. 1978; Gjesme und
Nygard 1970). Allerdings zeichnen sich diese Instrumente Die Theorie von Nicholls
durch eine Heterogenität der erfassten Komponenten
Nach Nicholls (1984, 1989) liegt dem Leistungsverhalten
aus, die nicht in allen Fällen als zentrale Motivbestand-
das Ziel zugrunde, ein hohes Fähigkeitsniveau zu entwickeln
teile zu akzeptieren sind (z. B. „Ausdauer und Fleiß“, die
bzw. sich und anderen zu demonstrieren. In Abhängig-
eher Folgen des Leistungsmotivs darstellen; Hermans et al.
keit von der Art der Bezugsnorm (s. oben) kann es jedoch
1978). Interessanterweise konnte wiederholt festgestellt
zwei unterschiedliche Konzepte von Fähigkeit geben. Wenn
werden, dass die mit projektiven Verfahren und mit Frage-
Fähigkeit unter Bezugnahme auf die eigenen früheren
bogen gemessenen Motive kaum miteinander korrelieren,
Leistungen oder das bisherige Wissensniveau beurteilt wird
durch unterschiedliche Situationen angeregt werden und
(individuelle Bezugsnorm), dann bedeutet Fähigkeit einen
divergente Effekte aufweisen (Brunstein 2003, 2006).
Zuwachs an Bewältigung, d. h., man beurteilt sich als fähig,
Dies hat McClelland et al. (1989) dazu veranlasst, ein
wenn man Dinge tun kann, die man vorher nicht konnte.
Modell vorzuschlagen, in dem zwei Arten von Motiven
Wenn Fähigkeit dagegen unter Bezug auf die Leistungen
unterschieden werden, nämlich implizite und explizite
anderer Personen beurteilt wird (soziale Bezugsnorm), dann
Motive. Implizite Motive entziehen sich weitgehend
bedeutet Fähigkeit, dass man bei gleicher oder geringerer
der Introspektion, da sie früh gelernte Präferenzen für
Anstrengung die gleiche oder eine höhere Leistung zeigt als
bestimmte Anreize (z. B. Leistungsmotiv: Herausforderung
andere Personen. Nicholls (1989) postuliert, dass Personen
durch schwierige Aufgaben) darstellen. Sie sind deshalb nur
(z. B. Schüler) in Abhängigkeit von den beiden Fähigkeits-
indirekt bzw. durch projektive Verfahren messbar. Explizite
konzeptionen entsprechende Zielorientierungen entwickeln.
Motive stellen bewusste Selbstzuschreibungen einer Person
Dabei soll die intraindividuelle Fähigkeitskonzeption mit
dar und können daher gut mit Fragebogenverfahren erfasst
einer Aufgabenorientierung („task orientation“) und
werden. Empirisch ließ sich zeigen, dass implizite und
die interindividuelle Fähigkeitskonzeption mit einer Ich-
explizite Maße des Leistungsmotivs teilweise zu unter-
Orientierung („ego orientation“) korrespondieren.
schiedlichen Ergebnissen in Leistungssituationen führen. So
wirken z. B. bei Personen mit hohem implizitem Leistungs-
Definition
motiv Rückmeldungen nach der individuellen Bezugs-
norm leistungssteigernd, während Personen mit hohem Die aufgabenorientierte Person strebt danach, ihre
expliziten Leistungsmotiv stärker auf Rückmeldungen Fähigkeit dadurch zu demonstrieren, dass sie bestimmte
nach der sozialen Bezugsnorm ansprechen (Brunstein und Aufgaben bzw. Probleme bewältigen kann. Die
Hoyer 2002; Brunstein und Schmitt 2004). Zur Vorhersage Ich-orientierte Person ist nicht damit zufrieden, dass
von Zielorientierungen (s. unten) leisteten implizite und sie bestimmte Kompetenzen erworben hat. Ihr geht
explizite Motivmaße in einer Studie von Thrash und Elliot es darum, ihre überlegene Fähigkeit im Vergleich mit
(2002) allerdings sehr ähnliche Beiträge. anderen Personen zu zeigen.
Motivation
171 7
Nach Nicholls (1989) bedeutet Erfolg für die beiden der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte wurde jedoch
Personengruppen Unterschiedliches. Der aufgaben- die Unterscheidung von Ich-Orientierung sensu Nicholls
orientierte Lerner betrachtet die Erweiterung seiner und Leistungszielorientierung sensu Dweck nicht explizit
Kompetenz als Erfolg. Der Ich-orientierte Lerner erlebt berücksichtigt. Vielmehr finden sich in der Literatur leicht
sich dagegen als erfolgreich, wenn er andere übertreffen variierende Operationalisierungen der Leistungsziel-
kann. Die Zielorientierungen lassen sich eindeutig auf die orientierung (die sich als Begriff durchgesetzt hat), mal mit
zuvor behandelten Definitionen der Leistungsmotivation stärkerer (z. B. Roedel et al. 1994) und mal mit schwächerer
beziehen (s. oben). So ist die Aufgabenorientierung mit der Betonung des Strebens nach Überlegenheit im sozialen
kompetenzbezogenen Leistungsmotivation weitestgehend Vergleich (z. B. Spinath et al. 2002). Kürzlich haben
deckungsgleich, die Ich-Orientierung korrespondiert mit Senko und Tropiano (2016) diese Unterscheidung wieder
der wettbewerbsbezogenen Leistungsmotivation. explizit aufgegriffen und zusätzlich eine Differenzierung
Nicholls (1989) nimmt an, dass die aufgabenorientierte der normativen (d. h. auf sozialen Vergleich abzielenden)
Person im Prozess des Lernens bzw. Kompetenzerwerbs Leistungsziele vorgeschlagen. Diese Differenzierung basiert
dazu tendiert, intrinsisch motiviert zu sein, d. h., diesen auf den unterschiedlichen Gründen, aus denen eine Person
Prozess unabhängig von seinen Folgen als etwas in sich ihre überlegene Kompetenz demonstrieren möchte. Unter-
Interessantes oder Wertvolles zu betrachten. Dagegen schieden werden dabei autonome (z. B. erlebte Heraus-
erlebt die Ich-orientierte Person die Phase des Kompetenz- forderung) und kontrollierende Gründe (z. B. erwartete
erwerbs als Mittel zur Demonstration ihrer Fähigkeit. Belohnung) im Sinne von Deci und Ryans (2002) Selbst-
Aufgabenorientierung ist jedoch nicht mit intrinsischer bestimmungstheorie.
Lernmotivation gleichzusetzen. Sie kann in einer
gegebenen Situation auch vorhanden sein, ohne dass Integration und Weiterentwicklung durch Elliot
intrinsische Motivation auftritt. Zu erwarten ist jedoch Elliot (1999; Elliot und Harackiewicz 1996) hat die
eine positive Korrelation zwischen Aufgabenorientierung Ansätze von Nicholls (1984, 1989) und Dweck (1986,
und intrinsischer Lernmotivation. Dieser Zusammenhang 1991) weiterentwickelt. Anstelle von Aufgaben- bzw.
konnte empirisch bestätigt werden (7 Abschn. 7.1.2). Lernzielorientierung spricht er von Bewältigungszielen
(„mastery goals“) und anstelle von Ich-Orientierung –
Die Theorie von Dweck in Übereinstimmung mit Dweck – von Leistungszielen
Im Gegensatz zu Nicholls geht Dweck (1986, 1991; („performance goals“), wobei Letztere ganz im Sinne von
Elliott und Dweck 1988) von der Frage aus, wie unan- Nicholls wettbewerbsorientiert gemeint sind (Streben
gepasstes Bewältigungshandeln (schnelles Aufgeben bei nach Überlegenheit). Über die bisherigen Ansätze hinaus-
Hindernissen, Vermeiden schwieriger Aufgaben) bei gehend unterscheidet Elliot bei den Leistungszielen eine
Schülern erklärt werden kann. Da niedrige Intelligenz Annäherungs- und eine Vermeidungskomponente. Damit
in den Studien von Dweck als Ursache ausgeschlossen ergibt sich eine klare Parallele zur Leistungsmotivforschung
werden konnte, präferiert die Autorin eine motivationale und der Unterscheidung eines Erfolgs- und eines Miss-
Erklärung. Dies führt zur Annahme, dass hilflosigkeits- erfolgsmotivs (s. oben).
und bewältigungsorientierte Schüler unterschiedliche
Ziele haben. Dweck postuliert, dass hilflose Schüler sich Definition
vor allem an Leistungszielen („performance goals“) und Von einem Annäherungsleistungsziel wird gesprochen,
bewältigungsorientierte Schüler vor allem an Lernzielen wenn es darum geht, die eigene Kompetenz im
(„learning goals“) orientieren. Das Verfolgen von Lern- Vergleich mit anderen Personen zu demonstrieren.
zielen bedeutet, dass vornehmlich danach gestrebt wird, Dagegen bedeutet das Verfolgen eines Vermeidungs-
die vorhandene Kompetenz zu erweitern. Lernziele ent- leistungsziels, dass die Person versucht, ihre
sprechen somit der Aufgabenorientierung bei Nicholls. Das vermeintlich unterlegene Kompetenz gegenüber
Verfolgen von Leistungszielen bedeutet nach Dweck, dass anderen Personen zu verbergen.
positive Bewertungen der eigenen Kompetenz angestrebt
und negative Bewertungen vermieden werden. Hier offen-
bart sich somit ein wesentlicher Unterschied zwischen Beim Annäherungsleistungsziel wird ein positives Ereig-
den Konzeptionen von Nicholls und Dweck. Während die nis (Demonstration überlegener Kompetenz) angestrebt,
Ich-Orientierung das Anstreben von Überlegenheit im beim Vermeidungsleistungsziel soll ein negatives Ereignis
sozialen Vergleich beinhaltet, wird bezüglich der Leistungs- (Auftreten unterlegener Kompetenz) vermieden werden.
zielorientierung eine stärkere Differenzierung nahe- Darüber hinaus schlug Elliot (1999; Elliot und McGregor
gelegt (vgl. Grant und Dweck 2003). So kann eine positive 2001) vor, die Annäherungs-Vermeidungs-Dichotomie
Bewertung der eigenen Kompetenz aufgrund unter- auch auf Bewältigungsziele anzuwenden. Lerner mit einem
schiedlicher Kriterien erfolgen, wie beispielsweise einem Annäherungsbewältigungsziel versuchen so viel Wissen
individuellen Kompetenzzuwachs, dem Lob eines Lehrers wie möglich zu erwerben, während Lerner mit einem Ver-
oder dem positiven Abschneiden im sozialen Vergleich. In meidungsbewältigungsziel eher danach streben, ihr
172 U. Schiefele und E. Schaffner

bereits verfügbares Wissen bzw. Können nicht zu verlieren In ähnlicher Weise wie das oben erwähnte Kompetenz-
oder einen neuen Lernstoff nicht misszuverstehen. Sowohl erleben (oder das Flow-Erleben) stellt das situationale
die Befunde von Elliot und McGregor (2001) als auch Interesse einen handlungsbegleitenden, emotionalen
von Pastor et al. (2007) stützen das Vier-Faktorenmodell Zustand dar. Insofern kann das Erleben situationalen
der Zielorientierung und zeigen insbesondere, dass die Interesses als relevante Quelle von intrinsischer Lern-
Annahme einer Vermeidungsbewältigungsorientierung motivation aufgefasst werden.
empirisch sinnvoll ist. In einem weiteren Schritt haben Aktuelle Ansätze der Interessenforschung (Krapp 2010;
Elliot et al. (2011) zusätzlich zu den Bewältigungs- und Renninger und Hidi 2016; Schiefele 2009) interpretieren
Leistungszielen nun auch Aufgabenziele postuliert, die Interesse als eine spezifische Beziehung zwischen einer
eine sachliche Bezugsnorm beinhalten. Für diese Zielkate- Person und einem Gegenstand. Dies wird insbesondere
gorie ist ebenfalls eine Annäherungs- (z. B. „Ich möchte die in der „Person-Objekt-Theorie“ des Interesses von Krapp
Klausur in diesem Semester erfolgreich bestehen“) sowie (2005, 2010) hervorgehoben. Die Betonung dieses Aspekts
Vermeidungskomponente (z. B. „Ich möchte in der Klausur soll verdeutlichen, dass sich Interesse immer auf einen
in diesem Semester nicht versagen“) vorgesehen. Gegenstand bezieht und durch die Auseinandersetzung mit
Zu Beginn der Forschung zu Zielorientierungen war diesem entwickelt.
7 eine dichotome Konzeption vorherrschend, nämlich
die Unterscheidung zwischen Lern- und Leistungsziel- Definition
orientierung. Dabei wurde eine „normative“ Auffassung Das individuelle Interesse einer Person an
vertreten, wonach die Lernzielorientierung zu positiven einem Gegenstand setzt sich aus gefühls- und
bzw. adaptiven Auswirkungen im Schul- bzw. Leistungs- wertbezogenen Valenzüberzeugungen zusammen.
kontext führt, die Leistungszielorientierung dagegen Von gefühlsbezogenen Valenzüberzeugungen
negative Effekte nach sich zieht (Pintrich 2000; auch spricht man, wenn ein Sachverhalt für eine Person mit
Harackiewicz et al. 2002a). Im Zuge der Differenzierung positiven Gefühlen verbunden ist. Von wertbezogenen
der Zielorientierungen in eine Annäherungs- und Ver- Valenzüberzeugungen ist die Rede, wenn einem
meidungskomponente wurde jedoch deutlich, dass negative Sachverhalt Attribute im Sinne persönlicher
Auswirkungen vor allem der Vermeidungsleistungsziel- Bedeutsamkeit bzw. Wichtigkeit zugeschrieben werden.
orientierung zuzuschreiben sind. Pintrich (2000) und
Harackiewicz et al. (2002a) postulierten daher auf der Basis
empirischer Befunde eine revidierte Zielorientierungs- Die Art und Zahl der unterscheidbaren gefühlsbezogenen
theorie, in der Annäherungsleistungszielen auch eine Valenzen wurde bislang nicht eingehend untersucht.
adaptive Funktion zukommt und das Verfolgen multipler Meist werden Gefühlszustände erfragt, die plausiblerweise
Ziele (insbesondere von Lern- und Annäherungsleistungs- als interessentypisch gelten, wie z. B. Gefühle des
zielen) zu einer optimalen Motivation mit den meisten Absorbiertseins (bzw. „Flow“), der Freude, der Neugier,
positiven Konsequenzen führt (7 Abschn. 7.2.2). der Anregung, der Faszination oder des Beteiligtseins. In
ähnlicher Weise können auch verschiedene Gründe für die
Interesse persönliche Bedeutsamkeit eines Gegenstands differenziert
In der Interessenforschung wird zwischen dem über- werden. Persönliche Bedeutsamkeit kann z. B. entstehen,
dauernden individuellen Interesse und dem situationsspezi- weil die Beschäftigung mit dem Interessengegenstand als
fisch auftretenden situationalen Interesse unterschieden wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, als
(Krapp 2010; Schiefele 1996, 2009). Beitrag zur Selbstverwirklichung oder als identitätsstiftend
gesehen wird.
Definition Ein Sachverhalt kann sowohl aus extrinsischen bzw.
Das individuelle Interesse kann als relativ dauerhaftes, instrumentellen als auch aus intrinsischen Gründen
dispositionales Merkmal einer Person verstanden positive Gefühle auslösen oder bedeutsam sein. Eine
werden, das sich in der Auseinandersetzung mit einem extrinsische Valenzüberzeugung liegt z. B. vor, wenn ein
Gegenstandsbereich (z. B. Schulfach) entwickelt und als Student eine hohe Wertschätzung des Fachs Mathematik
mehr oder weniger starke Wertschätzung dieses Bereichs zeigt, weil die Beherrschung mathematischen Wissens
zum Ausdruck kommt. Das situationale Interesse für den von ihm angestrebten Beruf zentral ist. Zur
bezeichnet dagegen den durch äußere Umstände Charakterisierung von Interesse kommen definitionsgemäß
(z. B. einen spannenden Vortrag) hervorgerufenen jedoch nur intrinsische Gründe infrage (z. B. das Erleben
Zustand des Interessiertseins, der u. a. durch eine von Flow beim Lösen mathematischer Probleme). Dies
erhöhte Aufmerksamkeit und Gefühle der Neugier und bedeutet, dass die auf einen Gegenstand bezogenen
Faszination gekennzeichnet ist. intrinsischen Valenzen, die das Vorhandensein von
Interesse indizieren, unabhängig von den Beziehungen des
Motivation
173 7
Gegenstands zu anderen Sachverhalten bestehen müssen. (s. auch McClelland 1980). Als herausfordernd gelten dabei
Natürlich ist dabei denkbar, dass eine Person Interesse an Aufgaben, die mit einer gewissen Anstrengung lösbar sind
einem Gegenstand hat und gleichzeitig auf diesen Gegen- – also ein etwa mittleres Schwierigkeitsniveau aufweisen.
stand bezogene extrinsische Valenzüberzeugungen aufweist. So fand man für fähigkeitshomogene Klassen (für deren
Schüler angenommen werden kann, dass der Unterricht in
der Regel ein mittleres Schwierigkeitsniveau aufweist) eine
7.2  Bedeutung der Motivation für Lernen positivere Leistungsentwicklung erfolgsmotivierter Schüler
und Leistung gegenüber misserfolgsmotivierten Schülern (O’Connor
et al. 1966).
In der Vergangenheit wurden Zusammenhänge zwischen Die neuere Forschung konzentriert sich stärker auf die
Motivation und Lernen bzw. Leistung vor allem in Bezug Unterscheidung von implizitem und explizitem Leistungs-
auf die folgenden Konstrukte erforscht: Leistungsmotivation motiv. Dabei hat sich insbesondere gezeigt, dass das
bzw. -motiv, Zielorientierung, intrinsische vs. extrinsische implizite Leistungsmotiv vor allem in Situationen vor-
Motivation und Interesse. In den einzelnen Studien hat hersagestark ist, in denen das Leistungsverhalten eigen-
man unterschiedliche Indikatoren von Lernen und Leistung initiativ (z. B. ohne situative Notwendigkeit) und spontan
zugrunde gelegt, z. B. Schulnoten, standardisierte Leistungs- auftritt. Dagegen ist das explizite Leistungsmotiv eher
tests (z. B. zur Messung der Kompetenz in Mathematik) für solches Leistungsverhalten prädiktiv, das durch eine
sowie Ergebnisse einzelner Klausuren oder textbezogener Situation bzw. andere Personen eingefordert wird (z. B.
Verstehenstests. Die Lernindikatoren reichen also von in einer Prüfung). Es überrascht daher nicht, dass das
kumulativen Leistungen, die während eines längeren Zeit- explizite Leistungsmotiv besser als das implizite Leistungs-
raums entstanden sind, bis hin zu Lernergebnissen bei motiv schulische Leistungen vorhersagen kann. Bei beruf-
konkreten, zeitlich begrenzten Lernaufgaben. lichen Leistungen verhält es sich umgekehrt, denn im
Rahmen einer beruflichen Laufbahn besteht zumindest
potenziell ein größerer Spielraum für spontane und selbst-
7.2.1  Leistungsmotivation initiierte Lern- und Leistungsaktivitäten (Brunstein 2006).
Darüber hinaus gibt es Hinweise (s. Brunstein und Hoyer
Die Leistungsmotivationsforschung hat sich vor allem 2002), dass das implizite Leistungsmotiv dann wirk-
darauf konzentriert, die Auswirkungen des (impliziten sam wird, wenn es um die Verbesserung der eigenen
und expliziten) Leistungsmotivs auf eine Reihe von Leistungsfähigkeit bzw. Kompetenz geht (individuelle
leistungsbezogenen Verhaltensmerkmalen zu untersuchen Bezugsnorm), während sich das explizite Leistungsmotiv
(Brunstein und Heckhausen 2006), insbesondere auf die eher in sozialen Vergleichssituationen auswirkt (soziale
Anstrengung (z. B. operationalisiert als Mengenleistung bei Bezugsnorm). Daraus folgt, dass das implizite Leistungs-
Additionsaufgaben), die Ausdauer und die Bevorzugung motiv auch im Schulkontext immer dann an Bedeutsam-
herausfordernder Aufgaben. Während dabei zahlreiche keit gewinnt, wenn die individuelle Leistungsverbesserung
positive Befunde zu verzeichnen sind, die die Bedeut- im Vordergrund steht und soziale Vergleiche weitgehend
samkeit des Leistungsmotivs unterstreichen, ergibt sich irrelevant sind (Brunstein 2006).
bezüglich des Zusammenhangs von Leistungsmotiv und
Leistungsergebnissen eine weniger eindeutige Befund-
lage. Das Leistungsmotiv ist für das Leistungsergebnis bei 7.2.2  Zielorientierung
der Bearbeitung einer Aufgabe folglich nicht generell prä-
diktiv. Der Stand der Forschung lässt auch keine Vorher- Die Forschung zu Zielorientierungen knüpft unmittelbar
sage zu, unter welchen Voraussetzungen bzw. bei welcher an die Leistungsmotivationsforschung an. So geht es auch
Art von Aufgaben ein positiver Effekt des Leistungsmotivs hier um interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der
auf das Leistungsergebnis zu erwarten ist. Hierzu müssten Bewertung von Leistungen unter Berücksichtigung einer
zunächst Erkenntnisse gewonnen werden, aus denen Annäherungs- und Vermeidungskomponente. Allerdings
hervorgeht, über welche spezifischen Prozesse bei der Auf- werden Zielorientierungen als kognitiv repräsentierte und
gabenbearbeitung das Leistungsmotiv einen Effekt auf das bewusste Merkmale verstanden, sodass sie dem expliziten
Leistungsergebnis entfaltet (Brunstein und Heckhausen Leistungsmotiv näher stehen als dem impliziten. Im Unter-
2006). Allerdings liegen Befunde vor, die hinsichtlich der schied zur Leistungsmotivationsforschung ist die Forschung
Effekte des Leistungsmotivs auf Leistungen im schulischen zu Zielorientierungen sehr stark auf die Bereiche Lernen
Kontext aufschlussreich sind. und Leistung in der Schule bezogen. Aus diesem Grund
existiert eine Fülle empirischer Befunde, die über die
Leistungsmotiv und Schulleistung Einige ältere Befunde Zusammenhänge der Zielorientierungen mit Lern- und
legen nahe, dass nur dann ein signifikanter Zusammen- Schulleistungen Aufschluss geben. Besonders hervor-
hang zwischen Leistungsmotiv und Schulleistung zu zuheben sind Studien, in denen unterschiedliche Ziel-
erwarten ist, wenn eine optimale Anregung des Leistungs- orientierungen experimentell induziert und hinsichtlich
motivs z. B. durch herausfordernde Aufgaben erfolgt ihrer Effekte auf das Lernen untersucht wurden (z. B. Bergin
174 U. Schiefele und E. Schaffner

1995; Graham und Golan 1991). Diese Studien sind nicht negativ auswirken, während den Annäherungsleistungs-
zuletzt deshalb wertvoll, weil sie die theoretisch postulierten zielen zumindest eine leistungsförderliche Funktion
Wirkungen der Zielorientierungen auf Lernprozesse und zugesprochen wird (z. B. Elliot et al. 1999; Harackiewicz
-resultate auch in kausaler Hinsicht prüfen können. et al. 2000; s. jedoch Ford et al. 1998; Köller 1998a).
Die oben beschriebene Differenzierung von Leistungs-
Lern- vs. Leistungsziele Wie Spinath und Schöne (2003) zielen nach Senko und Tropiano (2016; 7 Abschn. 7.1.2
feststellen, belegt sowohl die experimentelle als auch die „Die Theorie von Dweck“) belegt zusätzlich, dass
korrelative Forschung eine Reihe von Vorteilen der Lern- positive Effekte vor allem dann zu erwarten sind, wenn
gegenüber der Leistungszielorientierung. Diese betreffen Annäherungsleistungsziele aus autonomen Gründen ver-
günstigere Attributionen für Erfolg und Misserfolg (eigene folgt werden.
Anstrengung anstelle von Fähigkeit), positivere Gefühle In einem Überblick über bisherige Studien zu Ziel-
gegenüber Lern- und Leistungsaufgaben, vermehrte orientierungen im Studium zeigten Harackiewicz
intrinsische Motivation und größeres Interesse am Lern- et al. (2002a), dass Leistungsziele konsistent positive
gegenstand. Darüber hinaus ergaben sich auch deutliche Beziehungen zu Leistungsmaßen aufweisen, während
Effekte auf lernbezogene Prozesse. Lernzielorientierte Lernziele vor allem das Ausmaß an Interesse, intrinsischer
7 Lerner beschäftigen sich intensiver mit dem Lernmaterial, Motivation, Anstrengung, Ausdauer und Verarbeitungs-
wenden adäquatere Verarbeitungsstrategien an und sind qualität vorhersagen (z. B. Barron und Harackiewicz
ausdauernder (z. B. Ford et al. 1998; Grant und Dweck 2001; Elliot et al. 1999; Harackiewicz et al. 2002b). Dies
2003; Lau und Nie 2008). Zu erwähnen ist dabei, dass Ziel- bestätigt sich auch in neueren Studien von Harackiewicz
orientierungen häufig fachspezifisch erfasst wurden (z. B. et al. (2008) und Hullemann et al. (2008). Betrachtet
Pintrich 2000) und nicht im Sinne eines übergreifenden man die vorliegenden Studien jedoch genauer, so ist zum
Persönlichkeitsmerkmals (z. B. Spinath et al. 2002). einen festzustellen, dass die Korrelationen der Leistungs-
Insbesondere in experimentellen Studien konnten zielorientierung mit Leistungsindikatoren eher niedrig
bessere Lernleistungen bei Lernzielen gegenüber ausfallen (<0,30 oder <0,20). Zum anderen ist die Lern-
Leistungszielen belegt werden (s. die 7 Metaanalyse von zielorientierung vereinzelt durchaus auch positiv mit
Utman 1997). Auch in natürlichen Lern- und Leistungs- akademischen Leistungen korreliert (z. B. Elliot et al.
situationen wurden für die Lernzielorientierung häufig 1999, Studie 1; auch Grant und Dweck 2003). Schließlich
positivere Zusammenhänge mit Leistungsmaßen nach- zeigen die Studien von Elliot et al. (1999, Studie 2)
gewiesen als für die Leistungszielorientierung (z. B. Köller und Hulleman et al. (2008), dass trotz nicht signi-
1998a, b; Lau und Nie 2008; Meece und Holt 1993). Aus- fikanter Korrelationen zwischen Lernzielorientierung
nahmen werden von Spinath und Schöne (2003; auch und Leistung indirekte Effekte der Lernzielorientierung
Midgley et al. 2001) darauf zurückgeführt, dass in diesen auf die Leistung auftreten können (z. B. vermittelt über
Fällen die Rahmenbedingungen eher Leistungsziele nahe- Anstrengung und Persistenz).
gelegt haben (z. B. durch eine starke Betonung sozialer Zusammenfassend ist festzustellen, dass lediglich die
Vergleiche; Harackiewicz et al. 2000). Allerdings ist Effekte der Zielorientierungen auf das Lernverhalten
mit Grant und Dweck (2003) festzustellen, dass gerade und einzelne Determinanten erfolgreichen Lernens
neuere Studien keine Effekte der Lernzielorientierung (Attributionen, intrinsische Motivation, Umgang mit
auf Leistung fanden. Diese Befunde stammen jedoch fast Misserfolg etc.) relativ eindeutig zugunsten der Lernziel-
ausschließlich aus den Arbeitsgruppen um Elliot und orientierung ausfallen. Die Effekte der Zielorientierungen
Harackiewicz (s. die Übersicht von Harackiewicz et al. auf die Leistung sind demgegenüber widersprüchlich und
2002a; sowie die neueren Studien von Harackiewicz et al. bedürfen der weiteren Klärung. Mögliche Ursachen für
2008; und Hullemann et al. 2008). Im Gegensatz dazu die bestehenden Widersprüche betreffen insbesondere
konnten Grant und Dweck (2003) die leistungsförderliche die abweichenden Operationalisierungen von Lernzielen
Wirkung von Lernzielen bestätigen. und Annäherungsleistungszielen (Grant und Dweck
Trotz der bestehenden Inkonsistenzen hinsichtlich 2003), die Art der jeweils untersuchten Lernleistung (z. B.
der Vorhersage von Leistungen ist die generell positive Bearbeitung eines Textes vs. Schulnote) und die Nicht-
Wirkung von Lernzielen – u. a. aufgrund ihrer konsistent berücksichtigung von Kontexteinflüssen, die den Effekt
positiven Beziehungen zu Aspekten eines adaptiven Lern- der Zielorientierung auf die Leistung eventuell moderieren
verhaltens und der intrinsischen Motivation – relativ (Spinath und Schöne 2003).
unumstritten. Im Unterschied dazu war die Einschätzung
der Leistungsziele lange Zeit widersprüchlich (Grant und
Dweck 2003; Harackiewicz et al. 2002a; Pintrich 2000). 7.2.3  Intrinsische vs. extrinsische Motivation
Erst durch die Unterscheidung von Annäherungs- und
Vermeidungsleistungszielen ließ sich diese Unstimmigkeit Studien zum Zusammenhang zwischen intrinsischer Lern-
größtenteils auflösen. Es wurde deutlich, dass sich Ver- motivation und schulischen Leistungen haben relativ
meidungsleistungsziele auf Lernverhalten und Leistung übereinstimmend einen positiven Zusammenhang mit
sowie auf Motivation und emotionales Erleben eher geringer bis mittlerer Ausprägung ergeben (z. B. Gottfried
Motivation
175 7
1990; Gottfried et al. 2001; Ratelle et al. 2007; Vallerand betrachteten Studien mehrheitlich in der Bedingung mit
et al. 1993; s. auch die Übersichten von Schiefele und „intrinsischer“ Instruktion signifikant bessere Textlern-
Schreyer 1994, und Schiefele und Streblow 2005). Dagegen leistungen fanden als in der Bedingung mit „extrinsischer“
sind für die extrinsische Lernmotivation vereinzelt auch Instruktion (z. B. Grolnick und Ryan 1987). Die
negative Effekte auf die Schulleistung berichtet worden. Ins- Anleitungen zur Erzeugung von intrinsischer Motivation
besondere die Ergebnisse von Lepper et al. (2005) belegen, betonten die persönliche Relevanz der Lerninhalte, stützten
dass stärker extrinsisch motivierte Schüler (d. h. solche, das Gefühl von Selbstbestimmung oder Herausforderung
die leichte Aufgaben bevorzugen und vor allem für gute und schwächten den Aspekt einer möglichen Bewertung
Noten und die Anerkennung des Lehrers lernen) geringere der Lernergebnisse ab. Extrinsische Motivation wurde hin-
schulische Leistungen zeigen. Neben der Bedeutung für gegen begünstigt durch die Ankündigung eines Lerntests,
Schulleistungen belegt die bisherige Forschung, dass teilweise mit der zusätzlichen Ankündigung der Vergabe
die intrinsische Lernmotivation deutlich stärker als die von Noten oder Rangplätzen. Ein weiteres sehr wichtiges
extrinsische Lernmotivation mit solchen Lernstrategien Ergebnis besteht darin, dass die signifikanten Effekte der
korrespondiert, die eine tiefere Verarbeitung des Lern- Motivationsmanipulation fast durchgängig Lernkriterien
materials beinhalten (z. B. Schiefele und Schreyer 1994; betrafen, die sich auf das konzeptuelle Verständnis eines
Walker et al. 2006). Allerdings sollte nicht generell davon Textes bezogen. Dagegen ergaben sich in der Regel keine
ausgegangen werden, dass die extrinsische Lernmotivation Unterschiede in Hinblick auf Faktenfragen und quantitative
ohne besondere Bedeutung für Lernleistungen ist. Beispiels- Maße der Textwiedergabe (Schaffner und Schiefele 2007).
weise fanden Schiefele et al. (2003) sowohl für die leistungs-
als auch die wettbewerbsbezogene Lernmotivation Flow-Erleben und Leistung
signifikante Beiträge zur Vorhersage von Studienleistungen. Schließlich sei noch erwähnt, dass auch für das
Darüber hinaus sind insbesondere für die Annäherungs- Flow-Erleben positive Zusammenhänge mit Lernen
­
leistungszielorientierung (7 Abschn. 7.2.2) und die identi- und Leistung nachweisbar sind (z. B. Schüler 2007). So
fizierte extrinsische Motivation positive Zusammenhänge konnte Nakamura (1991) zeigen, dass Schüler mit hoher
mit Leistung festgestellt worden (z. B. Ratelle et al. 2007; mathematischer Fähigkeit, aber schwachen Leistungen,
Vallerand et al. 1993). Zudem konnten Wormington seltener Flow erleben als gleichermaßen fähige, aber
et al. (2012) zeigen, dass eine hohe extrinsische Lern- leistungsstarke Schüler. Noch aussagekräftiger sind jene
motivation keine negativen Leistungseffekte ausübt, Studien, die signifikante Vorhersagewerte des Flow-Erlebens
wenn die betreffenden Schüler gleichzeitig intrinsisch für ­(Studien-)Leistungen auch dann erzielten, wenn andere
motiviert sind. relevante Bedingungsfaktoren (z. B. Leistungsniveau, Vor-
wissen) kontrolliert wurden (Engeser et al. 2005).
Intrinsische Motivation und Fähigkeitsniveau
Interessanterweise scheinen besonders Kinder mit
niedrigen Intelligenzwerten von intrinsischer Motivation 7.2.4  Interesse
zu profitieren. In einer Studie von Tzuriel und Klein (1983)
wurden Schüler zunächst drei verschiedenen Intelligenz- Interesse und Textlernen
stufen (hoch, mittelmäßig, niedrig) zugeordnet. Im Die Bedeutsamkeit des individuellen Interesses für Lern-
nächsten Schritt führten die Autoren innerhalb der drei leistungen konnte vielfach belegt werden. Besondere Auf-
Intelligenzgruppen Vergleiche zwischen intrinsisch und merksamkeit wurde dem Interessenkonstrukt im Rahmen
extrinsisch motivierten Schülern hinsichtlich ihrer Schul- der Forschung zum Textlernen zuteil (Schiefele 1996).
leistungen durch. Dabei zeigte sich in allen drei Gruppen, Sowohl für das situative als auch das individuelle Interesse
dass intrinsisch motivierte Schüler bessere Leistungen existieren zahlreiche Belege eines positiven Zusammen-
erzielten als extrinsisch motivierte. Dieser Unterschied war hangs mit dem Lernen aus Texten. Diese Arbeiten sind
in der Gruppe mit der niedrigsten Intelligenz jedoch am bereits verschiedentlich zusammenfassend dargestellt
höchsten ausgeprägt. Von den Autoren wird dieses Ergeb- worden (z. B. Alexander et al. 1994; Schiefele 1996,
nis damit erklärt, dass intrinsische Motivation mit der 1999, 2009). Hervorzuheben ist dabei, dass Interessen-
Bevorzugung herausfordernder Aufgaben einhergeht und effekte auch Bestand haben, wenn relevante kognitive
auf diese Weise zu Leistungssteigerungen führt. Bei weniger Bedingungsfaktoren (insbesondere Vorwissen und Fähig-
intelligenten Schülern könnte die Vermeidung anspruchs- keiten) kontrolliert werden. Zudem gibt es Belege dafür,
voller Aufgaben besonders groß sein und intrinsische dass Interesse einen größeren Effekt auf Indikatoren tiefer
Motivation folglich einen besonderen Vorteil darstellen. gehenden Leseverstehens (z. B. Hauptgedanken erfassen,
Anwendungsfragen beantworten) ausübt als auf einfache
Experimentelle Befunde Lernindikatoren (z. B. Faktenfragen, Zahl reproduzierter
In einer Übersicht experimenteller Arbeiten zum Ver- Sinneinheiten).
gleich von intrinsischer und extrinsischer Motivation In jüngerer Zeit wurde der Einfluss thematischen
konnten Schaffner und Schiefele (2007) feststellen, dass die Interesses auf die Wirkung von Texten untersucht, die eine
176 U. Schiefele und E. Schaffner

konzeptuelle Veränderung („conceptual change“) hervor- punkten wurden u. a. das Interesse am Fach Mathematik
rufen sollen. Andre und Windschitl (2003) berichten eine und die Mathematikleistung (mithilfe eines standardisierten
Reihe von Studien, in denen zwei Textvarianten (Thema: Tests) erhoben. Zusätzlich wurde registriert, ob sich die
elektrischer Strom) verglichen wurden: ein traditioneller, Schüler für Mathematik als Leistungskurs entschieden.
erklärender Text und ein „Konzeptveränderungstext“, der Strukturgleichungsanalysen ergaben, dass das Interesse in
alternative Auffassungen anspricht und auf dieser Grund- der 7. Klasse keine signifikanten Effekte auf die Leistung
lage ein korrektes Verständnis fördern möchte. Die Ergeb- in der 10. oder 12. Klasse hatte. Dagegen beeinflusste
nisse belegen, dass thematisches Interesse signifikant zur das Leistungsniveau in der 7. Klasse das Interesse in der
Vorhersage konzeptuellen Verstehens beiträgt, und zwar 10. Klasse signifikant, d. h. kompetentere Schüler zeigten
unabhängig von der vorgegebenen Textvariante sowie sich interessierter. Es waren jedoch direkte und indirekte
vom Vorwissen und der verbalen Fähigkeit der Probanden. signifikante Effekte des Interesses in der 10. Klasse auf
Die Autoren nehmen an, dass Interesse die Auseinander- die Leistung in der 12. Klasse festzustellen. Der indirekte
setzung mit einem Text erleichtert und eine tiefere Ver- Effekt des Interesses wurde über die Kurswahl vermittelt:
arbeitung anregt. In einer Studie von Mason et al. (2008) Hoch interessierte Schüler wählten deutlich häufiger
konnte die besondere Bedeutung thematischen Interesses einen Leistungskurs als die weniger interessierten Schüler.
7 für die Wirkung von Konzeptveränderungstexten deutlich Erwartungsgemäß trugen sowohl die Kurswahl als auch die
bestätigt werden. Leistung in der 10. Klasse signifikant zur Leistung in der
12. Klasse bei. Erstaunlicherweise konnte für das Interesse
Schulische Interessen, Leistung und in der 10. Klasse (über die Leistung in der 10. Klasse und die
Kurswahlen Kurswahl hinaus) ein signifikanter direkter Effekt auf die
In einer Übersichtsarbeit stellten Schiefele et al. (1993) Leistung in der 12. Klasse festgestellt werden.
fest, dass die Ausprägung schulfachbezogener Interessen Die Ergebnisse der Studie von Köller et al. (2001;
in mittlerem Ausmaß mit den entsprechenden Leistungen auch Baumert et al. 1998; Baumert und Köller 1998;
bzw. Noten korreliert. Dieser Befund wird auch in einer Köller 1998a; Marsh et al. 2005) legen nahe, dass in der
Reihe neuerer Arbeiten bestätigt, in denen Interesse Sekundarstufe I nur geringe oder gar keine Zusammen-
(auch als „enjoyment“ oder „task value“ bezeichnet) ins- hänge zwischen Interesse und Leistung zu beobachten
besondere zusammen mit Zielorientierungen, Selbst- sind (s. jedoch Lau und Nie 2008; Chiu und Xihua 2008).
konzept und Selbstwirksamkeit sowohl bei Schülern als Köller et al. (2001) argumentieren dabei, dass in den
auch Studierenden untersucht wurde (z. B. Barron und unteren Schulstufen die Motivation der Schüler vornehm-
Harackiewicz 2001; Baumert et al. 1998; Harackiewicz lich durch extrinsische Anreize und Werte (z. B. häufige
et al. 2002b; Marsh et al. 2005). Auf der Grundlage von schriftliche Tests, Verstärkung durch die Eltern) reguliert
PISA-Daten konnten Chiu und Xihua (2008) zeigen, dass wird. Folglich sollte das Interesse nur eine marginale Rolle
das Mathematikinteresse in 80 % aller beteiligten Länder bei der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernaktivi-
auch bei Kontrolle einer Vielzahl von anderen Einfluss- täten spielen. In der Sekundarstufe II nehmen hingegen
variablen (z. B. sozioökonomischer Status, Leistungs- die Häufigkeit schriftlicher Tests und extrinsischer Anreize
niveau, Selbstkonzept) signifikant zur Vorhersage ab und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu. Folg-
mathematischer Kompetenz beiträgt. Im Rahmen einer lich gewinnt das Interesse einen größeren Einfluss auf
national repräsentativen Querschnittsstudie mit Schülern die Regulation von Lernaktivitäten. Diese Annahme wird
der 9. Klassenstufe fanden Jansen et al. (2016) signifikante durch den von Köller et al. (2001) gefundenen direkten
Effekte fachlicher Interessen auf die schulische Leistung, Effekt des Interesses in der 10. Klasse auf die Leistung
die über die Effekte kognitiver Fähigkeit hinausgingen. in der 12. Klasse bestätigt. Darüber hinaus wählten die
Als besonders stark erwies sich der Interesseneffekt im interessierten Schüler deutlich häufiger Mathematik als
Fach Mathematik. Auch ein intraindividueller Effekt des Leistungskurs. Insbesondere der letztgenannte Befund ist
Interesses konnte belegt werden: Ein und derselbe Schüler in Einklang mit der Forschung zu akademischen Wahl-
hatte eine höhere Leistung in den Fächern, in denen er entscheidungen von Eccles (1983, 2005; Wigfield und
mehr Interesse zeigte. Kriegbaum et al. (2015) bestätigten Eccles 2000), deren Befunde die Annahme stützen, dass
den Effekt des Interesses auf die Mathematikleistung auch motivationale Merkmale der Lerner sich stärker auf Ver-
längsschnittlich und unter Kontrolle der kognitiven Fähig- haltensentscheidungen (z. B. Kurswahlen, Studienfach-
keit sowie des bisherigen Leistungsstands. wahlen) als auf die Leistungsgüte auswirken. Die besondere
Mithilfe von längsschnittlichen Daten belegten Köller Bedeutung von Interesse für Kurswahlen konnte auch von
et al. (2001), dass eine wechselseitige Beeinflussung Schiefele und Csikszentmihalyi (1995), Bong (2001) und
zwischen Interesse und Leistung wahrscheinlich ist. Sie Harackiewicz et al. (2008) demonstriert werden. Die beiden
untersuchten eine große Stichprobe von Gymnasiasten zu erstgenannten Studien belegen dabei die Unabhängigkeit
drei verschiedenen Zeitpunkten: am Ende der 7. sowie der des Interesseneffekts von Fähigkeitsindikatoren und Selbst-
10. Klasse und in der Mitte der 12. Klasse. Zu diesen Zeit- wirksamkeitsüberzeugungen (auch Schneider et al. 2018).
Motivation
177 7
7.3  Entwicklung und Förderung ihrer Kompetenz eine individuelle Bezugsnorm zugrunde
motivationaler Merkmale legen. Im Laufe des Jugendalters kommt es zu einem
Differenzierungsprozess, der zu einem elaborierten Fähig-
Die bisher behandelten Motivationsmerkmale wurden in keitskonzept (das nun von der Anstrengung abgegrenzt
der Forschung auch hinsichtlich ihrer längsschnittlichen wird) und einer stärkeren Orientierung am sozialen Ver-
Entwicklung betrachtet. Ein wichtiges Forschungsgebiet gleich führt. Die Studien von Köller et al. (1998a), Seifert
stellt beispielsweise die Veränderung von intrinsischer (1995, 1996) sowie Anderman und Midgley (1997) zeigen
Motivation im Verlauf der Schulzeit dar. In den ent- darüber hinaus, dass erst ab der 5. Klassenstufe mit einer
sprechenden Studien wurden in der Regel auch Merkmale zunehmenden Leistungszielorientierung zu rechnen ist.
der Schüler oder des Umfelds berücksichtigt, die als
motivationsförderliche oder -hemmende Bedingungen Fördermaßnahmen
infrage kommen (z. B. Stipek 1996; Wigfield et al. 2015) Die Untersuchung von Maßnahmen zur Förderung der
und auf die wir deshalb im Folgenden näher eingehen. Leistungsmotivation hat bereits eine sehr lange Tradition
(z. B. McClelland und Winter 1969; 7 Kap. 8 und 16).
Erwähnenswert ist beispielsweise das „Origin-Training“
7.3.1  Leistungsmotivation und von deCharms (1979), in dem u. a. die Bedeutung selbst-
Zielorientierung bestimmten Verhaltens betont wird. Dadurch rückt das
Training von deCharms in die Nähe der Ansätze zur
Entwicklungsverläufe Förderung von intrinsischer Motivation und Interesse
Für das Leistungsmotiv und die Zielorientierung liegen (s. unten). Im deutschen Sprachraum hat das von Heck-
relativ wenige Befunde zu Veränderungen während hausen (1989) konzipierte Selbstbewertungsmodell des
der Schulzeit vor. Empirische Evidenz wurde vor Leistungsmotivs eine entscheidende Rolle für die Ent-
allem im Rahmen von Studien auf der Grundlage des wicklung von Trainingsverfahren gespielt (Rheinberg und
Erwartungs-Wert-Modells von Eccles (1983, 2005;
­ Krug 2005).
Wigfield und Eccles 2000; Wigfield et al. 2015) gewonnen In diesen Verfahren stehen drei Ansatzpunkte zur
(7 Abschn. 7.1.1). Die Studien von Eccles und Wigfield Steigerung des Erfolgsmotivs (bzw. zur Verringerung des
und anderen Autoren (z. B. Watt 2004) zeigen bedeut- Misserfolgsmotivs) im Mittelpunkt:
same Veränderungen für diejenigen Variablen, die als 5 das Setzen realistischer (mittelschwerer) Ziele,
wichtigste Determinanten der Leistungsmotivation gelten 5 die Durchführung günstiger Ursachenerklärungen für
(zusammenfassend Wigfield et al. 2015). Sowohl für Ein- Erfolg und Misserfolg und
schätzungen der eigenen Fähigkeit und Erfolgserwartungen 5 der Aufbau einer positiven Selbstbewertungsbilanz.
als auch für fachbezogene Wertüberzeugungen (z. B.
persönliche Bedeutsamkeit) konnte eine kontinuierliche Eine wichtige Weiterentwicklung der Leistungs-
Abnahme im Laufe der Schulzeit festgestellt werden. Für motivförderung basiert auf der Erkenntnis, dass eine
diese negative Entwicklung wurden vor allem zwei Gründe individuelle Bezugsnormorientierung des Lehrers ähnliche
angeführt. Zum einen verstehen und interpretieren Kinder Wirkungen hervorrufen kann wie ein gezieltes Trainings-
mit zunehmendem Alter die evaluativen Rückmeldungen, verfahren (Rheinberg 1980; Rheinberg und Krug 2005;
die sie erhalten, angemessener und nehmen häufiger soziale 7 Abschn. 7.1.2). Diese Orientierung zeichnet sich dadurch
Vergleiche vor. Auf diese Weise werden die Selbstein- aus, dass der Lehrer die aktuellen Leistungsergebnisse der
schätzungen realistischer und deshalb auch vergleichsweise Schüler im Kontext ihrer früheren Leistungen beurteilt,
negativer. Zum anderen ist zu vermuten, dass die schulische Aufgaben an das Leistungsniveau der Schüler anpasst und
Lernumgebung mit steigender Klassenstufe Leistungsbe- bei der Ursachenzuschreibung den Faktor Anstrengung
wertungen immer stärker betont und somit auch den Wett- betont. Eine solche Vorgehensweise entspricht weitgehend
bewerb zwischen den Schülern anregt. Für einen Teil der einem Unterricht, der im Sinne der Zielorientierungstheorie
Schüler führt diese Entwicklung zu niedrigeren fähigkeits- Bewältigungs- bzw. Lernziele in den Vordergrund stellt
und wertbezogenen Überzeugungen. (z. B. Ames 1992; Anderman et al. 2001; Lau und Nie 2008).
Die Forschung zu Zielorientierungen könnte weiteren
Aufschluss zu der Frage geben, ob Formen der Leistungs-
motivation sich im Laufe der Schulzeit verändern. Ent- 7.3.2  Interesse und intrinsische Motivation
sprechende Befunde sind jedoch selten (Anderman et al.
2002). Nach der Theorie von Nicholls (1984, 1989) ist eine Entwicklungsverläufe
zunehmende Entwicklung von der Aufgaben- bzw. Lern- Es ist seit Längerem bekannt, dass das Interesse an Schul-
zielorientierung hin zur Ich- bzw. Leistungszielorientierung fächern im Laufe der Schulzeit kontinuierlich abnimmt
zu erwarten. Die Ergebnisse von Nicholls belegen, dass (Hidi 2000; Krapp 2002; Wild und Hofer 2000). Die
jüngere Kinder noch nicht zwischen Anstrengung und Schwächung motivationaler Schülermerkmale zeigt
Fähigkeit differenzieren können und bei der Beurteilung sich jedoch nicht nur bezüglich der Interessen, sondern
178 U. Schiefele und E. Schaffner

auch für Einstellungen gegenüber der Schule, aufgaben- aufweisen (Denissen et al. 2007; Köller et al. 1998b, 2000).
bezogene Wertüberzeugungen und Indikatoren habitueller Darüber hinaus bedingt der Übergang von der Schule
intrinsischer Motivation (z. B. Anderman und Maehr 1994; zur beruflichen Ausbildung bzw. zum Arbeitsmarkt,
Gottfried et al. 2007; Helmke 1993; Pekrun 1993; Wigfield dass die Schüler bestimmte Interessen betonen und ver-
et al. 2015). tiefen, während sie andere aufgeben. Damit in Überein-
Die Abnahme schulischer Interessen betrifft ins- stimmung fanden Köller et al. (1998b) eine Abnahme der
besondere die naturwissenschaftlichen Fächer (Mathematik, Korrelationen zwischen den verschiedenen Interessen-
Physik, Chemie). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich bereichen (z. B. zwischen Deutsch und Mathematik)
nicht für alle Themen eines Faches Interessenabnahmen im Laufe der Zeit. Dies spricht für die Existenz eines
zeigen (Krapp 2002). Darüber hinaus beeinflussen Kontext- Differenzierungsprozesses, der zumindest zum Teil die
bedingungen, die Schulform und das Geschlecht die Ent- Reduzierung schulischer Interessen erklären kann (auch
wicklung von Interessen. Hoffmann et al. (1985; Hoffmann Krapp und Lewalter 2001; Schiefer et al. 2018).
und Lehrke 1986) fanden beispielsweise, dass sowohl Einen weiteren interessanten Prozess legt eine Studie
Mädchen als auch Jungen ein geringes Interesse an Physik von Corpus und Wormington (2014) nahe. Demnach
äußern, wenn der Unterricht stark wissenschaftlich aus- sinkt zwar der Mittelwert der intrinsischen Lernmotivation
7 gerichtet ist, d. h. mit starker Betonung der Gültigkeit im Grundschulalter, aber gleichzeitig vergrößert sich die
genereller physikalischer Gesetze. Wenn es dem Lehrer Gruppe der primär intrinsisch motivierten Schüler. Die
jedoch gelingt, physikalische Prinzipien und Fakten zu Autorinnen konnten drei Schülergruppen (Cluster) nach-
praktischen Problemen und dem Alltag der Schüler in weisen, nämlich je eine mit primär intrinsischer Motivation
Beziehung zu setzen, dann ist das Interesse an Physik bei (Gruppe 1), mit primär extrinsischer Motivation (Gruppe
Jungen und Mädchen hoch ausgeprägt. 2) und mit hohen Werten in beiden Komponenten
Es gibt mehrere mögliche Gründe für die Abnahme (Gruppe 3). Über die Zeit kommt es dann vor allem zu
schulischer Interessen (Baumert und Köller 1998). Eine einer Reduktion der ursprünglich großen Gruppe 3, deren
Erklärungsmöglichkeit sieht vor, dass eine mangelnde Mitglieder überwiegend in Gruppe 1 wechseln. Diese
Passung zwischen den schulischen Curricula und den Schüler waren somit schon vorher intrinsisch motiviert
generellen Interessen der Schüler besteht. Vor allem bezüg- und können nicht zu einer Erhöhung des Mittelwerts der
lich des naturwissenschaftlichen Unterrichts wird ver- intrinsischen Motivation beitragen. Gleichzeitig kommt
mutet, dass eine zu starke Wissenschaftsorientierung zu es zu einem nennenswerten Wechsel von Schülern aus
einer Vernachlässigung der Alltagserfahrungen der Schüler Gruppe 3 in Gruppe 2. Diese Schüler tragen dann natür-
führt. Im Rahmen ihrer 7 Stage-Environment-Fit-Theorie lich zu einem niedrigeren Mittelwert der intrinsischen
haben Eccles et al. (1991, 1993) darauf hingewiesen, dass Motivation bei. Zusammenfassend kann hier ebenfalls
die schulische Lernumwelt zunehmend weniger auf die sich ein Differenzierungsprozess postuliert werden: Die zu
entwickelnden Werte, Bedürfnisse und (außerschulischen) Beginn der Grundschulzeit vorherrschende „globale“ Lern-
Interessen der Schüler abgestimmt ist. So gerät beispiels- motivation differenziert sich zunehmend in eine primär
weise das mit steigendem Alter zunehmende Bedürfnis intrinsische und eine primär extrinsische Form. Bestätigung
nach Selbstbestimmung mit der restriktiven Lernumwelt findet diese Annahme auch durch die Befunde von Schiefele
der Schule bzw. dem stark lehrergesteuerten Unter- und Löweke (2018) zur Entwicklung der intrinsischen und
richt in Konflikt. Zusätzlich wird die Beziehung zu Mit- extrinsischen Lesemotivation im Grundschulalter.
schülern durch die vorherrschende Konkurrenz um gute Zusammenfassend ist eine nicht ganz einheitliche
Noten und die Vernachlässigung kooperativen Lernens Befundlage festzustellen. Einerseits ist der schulische Unter-
belastet (auch Wild und Hofer 2000). In Übereinstimmung richt durch Merkmale gekennzeichnet, die Interessenent-
mit diesen Annahmen konnte gezeigt werden, dass die wicklung und intrinsische Motivation behindern. Dies sind
abnehmende Erfüllung der Grundbedürfnisse nach Auto- u. a. eine zu starke Betonung der Wissenschaftlichkeit (vor
nomie, Kompetenz und sozialer Bezogenheit mit der allem in den Naturwissenschaften), die Vernachlässigung
Abnahme intrinsischer Motivation im Laufe der Schulzeit von Alltagserfahrungen und Interessen der Schüler, und
korrespondiert (Gnambs und Hanfstingl 2016). der restriktive, wenig Raum für das Erleben von Auto-
Baumert und Köller (1998) vertreten die Ansicht, nomie, Kompetenz und sozialer Bezogenheit bietende
dass die Abnahme schulischer Interessen im Verlauf der Charakter schulischer Lernumwelten. Andererseits finden
Sekundarstufe I das Ergebnis eines Differenzierungs- auch positiv zu wertende Prozesse statt, die eine Minderung
prozesses darstellen kann (auch Todt 1990; Todt und der durchschnittlichen Stärke der intrinsischen Motivation
Schreiber 1998). In der späten Kindheit und frühen und fachlichen Interessen bewirken. So führt im Laufe
Adoleszenz werden sich die Schüler immer mehr ihrer der Schulzeit die Wahrnehmung einer hohen Fähigkeit in
Stärken und Schwächen bewusst. Der Prozess des Ver- bestimmten Bereichen (z. B. Schulfächern) zu Interessen-
gleichens von Stärken und Schwächen beeinflusst die Ent- schwerpunkten, die wiederum die Aufgabe oder Abwertung
wicklung von Interessen. So belegen empirische Befunde, anderer Interessenbereiche bedingen. Darüber hinaus ist
dass Schüler in den Bereichen stärkeres Interesse zeigen, für die Grundschulzeit eine zunehmende Entkoppelung
in denen sie ein höheres Selbstkonzept ihrer Fähigkeit von intrinsischer und extrinsischer Lernmotivation belegt
Motivation
179 7
worden. Obwohl sich durch diesen Prozess die Gruppe Förderung der Selbstbestimmung Auf die Bedeutung der
der primär intrinsisch motivierten Schüler vergrößert, Selbstbestimmung haben insbesondere Deci und Ryan
kommt es zu einer Verringerung der durchschnittlichen (1985, 2002) hingewiesen und postuliert, dass intrinsische
intrinsischen Lernmotivation. Motivation und Interesse nur dann entwickelt werden,
wenn Schüler über ein ausreichendes Ausmaß an Hand-
Fördermaßnahmen lungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten verfügen (dazu
Nicht nur die Entwicklungsverläufe von Interessen die Befunde von Desch et al. 2016; Reeve et al. 1999; Tsai
und habitueller intrinsischer Motivation zeigen starke et al. 2008). Dafür sind Vorgehensweisen geeignet, die zu
Parallelen, sondern auch die diskutierten Maßnahmen mehr Mitbestimmung führen (z. B. bei der Auswahl des
zur Förderung beider motivationaler Merkmale (z. B. Lernstoffs), die relativ große Freiräume ermöglichen (z. B.
Bergin 1999; Brophy 2004; Moschner und Schiefele 2000; Projektunterricht), die die Selbstbewertung des eigenen
Schiefele und Streblow 2006; Wild 2001; Wild und Remy Lernfortschritts zulassen (z. B. durch das Anlegen von
2002). Von Bedeutung ist insbesondere die Frage, wie Lernkurven auf der Basis von Lerntests) und die es dem
Interesse und intrinsische Motivation nicht nur geweckt, Schüler erlauben, selbst Entscheidungen zu treffen und
sondern auch relativ dauerhaft aufrechterhalten werden Lösungen für Probleme zu finden.
können. Verschiedene Autoren (z. B. Deci und Ryan Kunter et al. (2007) konnten demonstrieren, dass
1985, 2002; Krapp 1998; Schiefele 2004; Wild und Remy auch motivationsunspezifische Maßnahmen im Unter-
2002) haben argumentiert, dass die Erfüllung der in der richt das fachliche Interesse der Schüler fördern, wenn
Selbstbestimmungstheorie postulierten Bedürfnisse nach die Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie
Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogen- angesprochen werden. Die Autoren untersuchten die Aus-
heit eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung und wirkungen von Klassenmanagementstrategien (Klarheit
Aufrechterhaltung von intrinsischer Lernmotivation und der Regeln und Lehrersteuerung) auf die Entwicklung
fachlichen Interessen darstellt. Aus spezifisch interessen- des Interesses an Mathematik. Sie nahmen an, dass vor-
theoretischer Sicht ist darüber hinaus die Erhöhung der strukturierte und gut organisierte Lernumgebungen das
gefühls- und wertbezogenen Bedeutsamkeit bzw. Valenz Erleben von Kompetenz und Selbstbestimmung steigern
des Lerngegenstands als wichtige Voraussetzung zu nennen und sich somit auch interessenförderlich auswirken.
(Schiefele 2004). Somit bieten sich insgesamt die folgenden Die Befunde bestätigen, dass Regelklarheit und Lehrer-
vier Interventionsbereiche an: steuerung positiv zur Vorhersage des Interesses beitragen
5 Förderung der Kompetenzwahrnehmung und dass dieser Effekt durch das Erleben von Kompetenz
5 Förderung der Selbstbestimmung und Selbstbestimmung vermittelt wird.
5 Förderung der sozialen Bezogenheit
5 Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands. Förderung sozialer Bezogenheit Die Annahme eines
Bedürfnisses nach sozialer Bezogenheit erklärt nicht
Förderung der Kompetenzwahrnehmung Jeder der vier nur die besondere Bedeutung sozialer Anerkennung
Interventionsbereiche umfasst übergeordnete Inter- bzw. Zurückweisung als extrinsische Motivations-
ventionsziele, die genauer spezifiziert und mit konkreten quelle, sondern auch die Steigerung intrinsischer
Interventionsmaßnahmen verbunden werden können Motivation durch die Kopplung von Lernhand-
(Schiefele 2004). So lassen sich der Förderung der lungen bzw. ­-gegenständen mit befriedigenden sozialen
Kompetenzwahrnehmung die folgenden Interventionsziele Kontakten (Deci und Ryan 1985, 2002). Daher bildet die
zuordnen: positive Rückmeldungen und Bekräftigungen, Förderung sozialer Bezogenheit eine weitere Möglich-
Förderung aktiver Beteiligung und lebenspraktischer keit zur Förderung von intrinsischer Motivation und
Anwendungen, klare, strukturierte und anschauliche Stoff- Interesse. Um dieses Ziel zu erreichen, scheinen ins-
präsentation und Unterstützung bei herausfordernden besondere Formen der Teamarbeit und des kooperativen
Aufgaben. Das Interventionsziel Förderung aktiver Lernens geeignet zu sein. Dabei ist darauf zu achten, dass
Beteiligung und lebenspraktischer Anwendungen kann die gemeinsame Arbeit einen intensiven sozialen Aus-
beispielsweise konkret durch solche Handlungen gefördert tausch erfordert und jeder Schüler die Verantwortung
werden, die es erlauben, mit realen und lebensnahen für bestimmte Teilaufgaben übernimmt. Zusätzlich kann
Materialien umzugehen und dabei kognitiv und physisch das Erleben sozialer Bezogenheit auch durch ein partner-
aktiv zu sein. Dies könnte z. B. beinhalten, dass Schüler schaftliches ­Lehrer-Schüler-Verhältnis positiv beeinflusst
im Fach Deutsch eine Kurzgeschichte in ein Theaterstück werden (Bergin 2016; Schiefele 2004).
umwandeln und es dann mit verteilten Rollen spielen. In
den naturwissenschaftlichen Fächern besteht die Möglich- Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands Aus
keit zum selbstständigen Experimentieren und zum interessentheoretischer Sicht stellt die Förderung der
Ausprobieren dabei gewonnener Erkenntnisse anhand Bedeutsamkeit bzw. der wahrgenommenen Relevanz
realistischer Aufgaben (z. B. Tröbst et al. 2016). des Lerngegenstands ein zentrales Interventionsziel
180 U. Schiefele und E. Schaffner

dar (Bergin 1999; Krapp 1998; Schiefele 2004). Diesem


Ziel lassen sich einige konkrete Maßnahmen zuordnen, Fazit
so z. B. klare und persönlich bedeutungsvolle Lern- Der hier vorgelegte Überblick zu Aspekten
ziele formulieren (z. B. Mathematik als Grundlage des ­pädagogisch-psychologischer Motivationsansätze
technischen Fortschritts hervorheben), als Lehrender das verdeutlicht die Existenz relativ vielfältiger
eigene Interesse am Stoffgebiet zum Ausdruck bringen motivationaler Merkmale, die zudem in der Regel
(z. B. berichten, warum man sich als Lehrer für sein Fach- eine substanzielle Bedeutung für den Lernerfolg in
gebiet entschieden hat) sowie praktische Anwendungs- Schule und Studium aufweisen. Es fällt jedoch auf,
möglichkeiten des Lernstoffs und Bezüge zum Leben der dass die Beziehungen zwischen den verschiedenen
Schüler hervorheben (z. B. Bedeutung der Chemie für motivationalen Konstrukten nur teilweise als geklärt
Ernährung und Gesundheit). Das Thema der Relevanz gelten können. So werden beispielsweise Konstrukte
schulischer Lerninhalte wurde gerade in jüngerer Zeit voneinander unterschieden (z. B. das explizite
wieder verstärkt aufgegriffen (Albrecht und Karabenick Leistungsmotiv und die Zielorientierungen), die
2018; Hulleman et al. 2017). offenkundig starke Überschneidungen aufweisen. Es
Neben den aufgeführten Einzelmaßnahmen (die ergibt sich daher als dringliche Aufgabe für die künftige
7 natürlich auch gebündelt angewendet werden können) Forschung, die unterschiedlichen Konzeptionen der
existieren auch umfassende und langfristige Programme Lernmotivation in eine kohärente Rahmentheorie
zur Beeinflussung fachlichen Interesses und intrinsischer zu integrieren und die Zusammenhänge zwischen
Motivation bei Schülern (Moschner und Schiefele 2000). ihnen zu klären (z. B. Urhahne 2008). Eine bessere
In einem von Häußler und Hoffmann (2002; auch Hoff- Integration der Konstruktvielfalt wäre nicht nur aus
mann 2002; Hoffmann et al. 1997) durchgeführten theoretischen, sondern auch aus praktischen Gründen
Modellprojekt gelang es, die Interessen von Mädchen zu begrüßen, denn eine größere theoretische Klarheit
der 7. Klassenstufe am naturwissenschaftlichen Unter- würde die Rezeption motivationaler Theorien durch
richt positiv zu beeinflussen. Die durchgeführten Lehrer, Erzieher, Weiterbilder und andere Praktiker
Maßnahmen beinhalteten z. B. die Einbettung der erleichtern und somit die Wahrscheinlichkeit
Inhalte des Physikunterrichts in Kontexte, die Mädchen motivationaler Interventionen in den pädagogischen
besonders interessieren, aber im herkömmlichen Physik- Anwendungsfeldern erhöhen.
unterricht vernachlässigt werden. Gleichzeitig war man Die vorliegenden Befunde zu den Auswirkungen der
bemüht, geschlechtsspezifische Dominanzen zu ver- Motivation auf Lernen und Leistung vermitteln ein
meiden und verwendete vor allem solche Kontexte, die insgesamt positives Bild. Ohne Zweifel kommt der
an außerschulische Erfahrungsbereiche anknüpfen, die Motivation hier eine wichtige Rolle zu, auch jenseits von
Mädchen und Jungen gleichermaßen zugänglich sind. kognitiven Bedingungsfaktoren. Aber es besteht noch
Darüber hinaus hatten die Schüler die Möglichkeit, weiterer Klärungsbedarf. Einige Autoren (insbesondere
aktiv und eigenständig zu lernen, Erfahrungen aus erster Eccles 1983, 2005; Wigfield und Eccles 2000) wiesen
Hand zu sammeln und einen Bezug zum Alltag und ihrer darauf hin, dass motivationale Lernermerkmale
Lebenswelt herzustellen. Auch wurden die Bedeutung der vor allem ausbildungsbezogene Entscheidungen
Naturwissenschaften für die Gesellschaft und der lebens- (z. B. Kurswahlen) beeinflussen. Besonders deutlich
praktische Nutzen naturwissenschaftlicher Inhalte immer konnte dies von Köller et al. (2001) für den Einfluss
wieder verdeutlicht. des Interesses auf die Leistungskurswahl im Fach
Schließlich sei noch erwähnt, dass zahlreiche Studien Mathematik demonstriert werden. Dagegen wurde der
auch die Bedeutung unspezifischer Komponenten der Einfluss der Motivation auf Leistungsindikatoren als
Instruktionsqualität für die Schülermotivation belegen geringer eingeschätzt. Allerdings muss hier wiederum
(z. B. Lazarides und Rubach 2017; Maulana et al. 2016; nach Motivationsformen (z. B. Lern- vs. Leistungsziel-
Ruzek et al. 2016). So fanden zum Beispiel Maulana et al. orientierung) und Leistungsformen (z. B. standardisierte
und Ruzek et al. eine Abhängigkeit der Veränderung Leistungstests vs. Lernleistung in einer spezifischen
verschiedener Aspekte der Schülermotivation (u. a. Textlernsituation) unterschieden werden. Eine
Interesse und Bewältigungszielorientierung) von der wichtige Aufgabe der künftigen Forschung besteht
schülerperzipierten oder durch Beobachter festgestellten deshalb darin, mehr systematische und differenzierte
Klarheit des Unterrichts, der Qualität des Klassen- Kenntnisse über den Zusammenhang von Motivation
managements und der emotionalen Unterstützung durch und akademischen Leistungen zu gewinnen. Zusätzlich
den Lehrer. wäre es dabei wichtig, auch die Motivationseffekte auf
Motivation
181 7
Amabile, T. M., Hill, K. G., Hennessey, B. A., & Tighe, E. M. (1994). The
die den Leistungen zugrunde liegenden Lernprozesse zu work preference inventory: Assessing intrinsic and extrinsic
untersuchen (Brunstein und Heckhausen 2006). motivational orientations. Journal of Personality and Social
Psychology, 66, 950–967.
Ein praktisch besonders bedeutsamer Befund besteht Ames, C. (1992). Classrooms: Goals, structures, and student motivation.
darin, dass insbesondere für die intrinsische Motivation, Journal of Educational Psychology, 84, 261–271.
das Interesse und die Lernzielorientierung im Laufe Anderman, E. M., & Maehr, M. L. (1994). Motivation and schooling in
der Schulzeit signifikante Abnahmen zu beobachten the middle grades. Review of Educational Research, 64, 287–309.
sind. Um diese Abnahmen wirksam zu bekämpfen, Anderman, E. M., & Midgley, C. (1997). Changes in achievement goal
orientations, perceived academic competence, and grades across
kann auf eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten the transition to middle-level schools. Contemporary Educational
zurückgegriffen werden. Dabei haben die obigen Psychology, 22, 269–298.
Ausführungen gezeigt, dass trotz aller Verschiedenheit Anderman, E. M., Austin, C. C., & Johnson, D. M. (2002). The develop-
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Gemeinsamkeit hinsichtlich der Fördermaßnahmen Development of achievement motivation (S. 197–220). San Diego:
Academic.
besteht. Insbesondere die Studien zur Steigerung des Anderman, E. M., Eccles, J. S., Yoon, K. S., Roeser, R., Wigfield, A.,
Leistungsmotivs belegen, dass auch Lernfreude und & Blumenfeld, P. (2001). Learning to value mathematics and
Interesse geweckt werden, wenn es gelingt, durch reading: Relations to mastery and performance-orientated
herausfordernde Ziele und günstige Attributionsmuster instructional practices. Contemporary Educational Psychology, 26,
positive Selbstbewertungen in Leistungssituationen 76–95.
Andre, T., & Windschitl, M. (2003). Interest, epistemological belief, and
zu erreichen (Rheinberg und Krug 2005; Schiefele und intentional conceptual change. In G. M. Sinatra & P. R. Pintrich
Streblow 2006). Diese Konvergenz der Effekte von (Hrsg.), Intentional conceptual change (S. 173–197). Mahwah:
motivationalen Interventionen ist vermutlich darauf Erlbaum.
zurückzuführen, dass die Bedürfnisse nach Kompetenz Asendorpf, J. B., Weber, A., & Burkhardt, K. (1994). Zur Mehr-
und Selbstbestimmung für die Motivation eine deutigkeit projektiver Testergebnisse: Motiv-Projektion oder
­Thema-Sensitivität. Zeitschrift Für Differentielle Und Diagnostische
dominierende Rolle spielen (deCharms 1979; Deci und Psychologie, 15, 155–165.
Ryan 1985, 2002). Atkinson, J. W. (1957). Motivational determinants of risk-taking
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optimal motivation: Testing multiple goal models. Journal of
? Verständnisfragen Personality and Social Psychology, 80, 706–722.
1. Was versteht man unter Lernmotivation und Baumert, J., & Köller, O. (1998). Interest research in secondary level
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187 8

Selbstkonzept
Jens Möller und Ulrich Trautwein

8.1  Schulisches Selbstkonzept – 188


8.2  Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen
Selbstkonzeptforschung – 189
8.2.1  William James – 189
8.2.2  Symbolischer Interaktionismus – 190
8.2.3  Gedächtnispsychologische Modelle des Selbstkonzepts – 191
8.2.4  Entwicklungspsychologische Arbeiten – 192
8.2.5  Sozialpsychologische Selbstkonzeptforschung – 192

8.3  Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts – 193


8.3.1  Struktur des Selbstkonzepts: Bereichsspezifität und Hierarchie – 193
8.3.2  Stabilität des Selbstkonzepts – 194
8.3.3  Erfassung des Selbstkonzepts – 196

8.4  Determinanten des Selbstkonzepts: Welche Faktoren


beeinflussen die Höhe der fachbezogenen
Selbstkonzepte? – 197
8.4.1  Soziale, dimensionale, temporale und kriteriale
Vergleichsinformationen – 197
8.4.2  Big-Fish-Little-Pond Effekt – 197
8.4.3  ­­Internal/External-Frame-of-Reference-Modell – 199
8.4.4  Geschlecht und Geschlechterstereotype – 201
8.4.5  Schulischer Kontext und Selbstkonzeptentwicklung – 202

8.5  Wirkungen des Selbstkonzepts – 203


8.5.1  Selbstkonzept und Leistung – 203
8.5.2  Selbstkonzept, Interesse und leistungsthematische
Wahlentscheidungen – 204

8.6  Schulische und außerschulische


Interventionsmaßnahmen – 206
Literatur – 207

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_8
188 J. Möller und U. Trautwein

Erzielt ein Fußballspieler über Monate kein Tor, so heißt es


häufig, dass es ihm am nötigen „Selbstvertrauen“ fehlt. Ist
eine Schülerin überzeugt, dass ihr Mathematik „liegt“ und
machen ihr entsprechend die Mathematikstunden viel Spaß,
so sagt ihre Lehrkraft möglicherweise, dass die Mathematik
ihr sehr wichtig ist, eben ein zentraler Teil ihres Selbstbilds,
ihrer „Identität“. Durchlebt ein Jugendlicher eine Krise,
etwa weil wichtige Freundschaften zerbrechen oder er
schulischen Misserfolg erlebt, so könnte die Diagnose seiner
Umwelt lauten, dass sein „Selbstwertgefühl“ angeknackst
ist. So verschieden die drei Beispiele auf den ersten Blick
sein mögen, ihnen ist gemein, dass sie das Feld der psycho-
logischen Selbstkonzeptforschung berühren. In diesem
Kapitel geht es um schulbezogene und außerschulische
Selbstkonzepte. Es soll dargestellt werden, wie sich schul-
bezogene Selbstkonzepte entwickeln, wodurch sie beein-
flusst werden und welche Auswirkungen sie auf das Erleben
und Verhalten von Personen haben. Dabei geht es um
8 brisante Fragen: Wie finden Kinder und Jugendliche ihre
Identität? Wieso sind die Leistungen der Mitschülerinnen
und Mitschüler dafür verantwortlich, ob ich denke, dass ich
in Sprachen gut bin? Und wieso beeinflusst meine Note in
Deutsch mein Selbstvertrauen in Mathematik? Zunächst
aber sollen im 7 Abschn. 8.1 Klärungen zum Begriff des
Selbstkonzepts vorgenommen und im 7 Abschn. 8.2
kurz die theoretischen Wurzeln der pädagogisch-psycho-
logischen Selbstkonzeptforschung beschrieben werden,
indem dargestellt wird, wie von James und im symbolischen . Abb. 8.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Interaktionismus über das „Selbst“ gedacht wurde. Zudem
werden gedächtnis- und entwicklungspsychologische
Selbstkonzeptmodelle skizziert und die Kernmerkmale von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen von einer
sozialpsychologischer Selbstkonzeptforschung aufgeführt. positiven Selbstbewertung profitiert.
In 7 Abschn. 8.3 erfolgt eine eingehende Beschreibung von 2. Die Annahme, dass eine positive Bewertung der
Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts, bevor eigenen Leistungsfähigkeit die tatsächlich gezeigten
in 7 Abschn. 8.4 die Determinanten des Selbstkonzepts Leistungen positiv beeinflussen kann, ist empirisch gut
beschrieben werden. In 7 Abschn. 8.5 wird die Bedeutung gesichert.
des Selbstkonzepts für schulische Leistungen und Wahl-
entscheidungen dargestellt. In 7 Abschn. 8.6 werden Das Selbstkonzept hat folgerichtig großes Interesse in der
abschließend Möglichkeiten der Förderung des Selbst- Forschung gefunden; mittlerweile sind mehrere Tausend
konzepts vorgestellt (. Abb. 8.1). wissenschaftliche Artikel zum Selbstkonzept veröffentlicht
worden.

8.1  Schulisches Selbstkonzept Definition


Der Begriff Selbstkonzept wird in der aktuellen
Mit dem Begriff Selbstkonzept werden Einschätzungen und pädagogisch-psychologischen Forschung verwendet,
Einstellungen bezüglich ganz unterschiedlicher Aspekte um die mentale Repräsentation der eigenen Person
der eigenen Person bezeichnet. Zu diesen Einstellungen zu beschreiben. Selbstkonzepte sind Vorstellungen,
und Einschätzungen zählen sowohl globale gefühlsmäßige Einschätzungen und Bewertungen, die die eigene Person
Bewertungen der eigenen Person („Was tauge ich eigent- betreffen (Moschner 2001). Diese Selbstbeschreibungen
lich?“) als auch mehr oder weniger rationale Einschätzungen können sich auf einzelne Facetten der Person („Ich zeige in
der eigenen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kompetenzen Mathematik gute Leistungen“) oder auf die gesamte Person
(„Wie schlau/eitel/schnell bin ich?“). Traditionell ist die („Ich wünschte, ich wäre jemand anderes“) beziehen.
Forschung zum Selbstkonzept in der Pädagogischen Psycho- Bei Selbstbeschreibungen in einem bestimmten Bereich
logie – und hier insbesondere in Bezug auf Schüler – sehr (z. B. schulbezogenes Selbstkonzept oder Selbstkonzept
aktiv. Das hat vor allem zwei Gründe: des Aussehens) wird von einem bereichsspezifischen
1. Die Vermittlung eines positiven Selbstbilds gilt als ein Selbstkonzept („domain-specific self-concept“) gesprochen.
wichtiges Erziehungsziel, da das psychische ­Wohlbefinden
Selbstkonzept
189 8
In diesem Beitrag beschäftigen wir uns fast ausschließlich ­ ädagogisch-psychologische Sichtweise vom S­ elbstkonzept
p
mit schulbezogenen Selbstkonzepten, wie beispielsweise einnehmen, innerhalb dieses Bereichs jedoch eine
dem mathematischen Selbstkonzept. Globale Bewertungen Fokussierung auf Einzelphänomene und einzelne Studien
der eigenen Person, die häufig mit dem Begriff 7 Selbst- vermeiden.
wertgefühl („self-esteem“ bzw. „self-worth“) oder globales
Selbstkonzept beschrieben werden, berücksichtigen wir
dagegen nur am Rande. Ein Fragebogen zum globalen 8.2  Theoretische Wurzeln der
Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl würde typischer- pädagogisch-psychologischen
weise Items wie „Im Großen und Ganzen bin ich mit mir Selbstkonzeptforschung
zufrieden“ enthalten. Bereichsspezifische Selbstkonzepte
werden dagegen über stärker fokussierte Aussagen erfasst 8.2.1  William James
wie „In Mathematik bin ich einfach nicht so begabt wie
viele meiner Mitschüler“ (mathematisches Selbstkonzept). In der englischsprachigen Literatur wird meist William
Schulbezogene Selbstkonzepte firmieren unter unter- James als Begründer der Selbstkonzeptforschung bezeichnet,
schiedlichen Bezeichnungen. Gängig sind im Deutschen der am Ende des 19. Jahrhunderts seine einflussreichen
insbesondere die Begriffe Fähigkeitsselbstkonzept sowie Arbeiten vorlegte. James trieb u. a. die Frage um, warum
Selbstkonzept der Begabung. Der Begriff Fähigkeits- verschiedene Personen mit ähnlichen Fähigkeiten ein ganz
selbstkonzept betont etwas stärker den Aspekt des wahr- unterschiedliches Selbstbild erwerben und entsprechend
genommenen Leistungsstands (die Performanz), während unterschiedlich zufrieden mit sich sind. Zur Systematisierung
im Begriff Selbstkonzept der Begabung auch potenzielle des Forschungsfelds führte James eine Differenzierung im
Leistungen (bzw. die Anlagen, die eine Person besitzt) Selbst ein, indem er zwischen dem Betrachter („I“) und dem
berücksichtigt sind. Beide Konzepte weisen jedoch breite Betrachteten („Me“) unterschied. Das „I“ ist die denkende
Überlappungen auf und werden von manchen Autoren und handelnde Person selbst, es bezeichnet nicht das Selbst
synonym verwendet. Auch empirisch erscheint eine Trenn- als Objekt der Betrachtung, sondern ist gewissermaßen das
barkeit kaum möglich (Marsh et al. 2007). Der Begriff betrachtende Subjekt, das „self as a knower“. Das „Me“ stellt
Kompetenzüberzeugungen („competence beliefs“), der dagegen das Objekt der Betrachtung der eigenen Person
ebenfalls gern verwendet wird, ist breiter als der Begriff des dar. Das „Me“ entspricht dem Selbstkonzept, dem „self as
Selbstkonzepts. Beispielsweise gehören auch die sog. Selbst- known“, oder dem selbstbezogenen Denken, Empfinden und
wirksamkeitsüberzeugungen (7 Exkurs „Selbstwirksam- Wissen. Das „I“ betrachtet also das „Me“. Das „self as known“
keit“) zu den Kompetenzüberzeugungen. stellt die Aspekte einer Person dar, derer sich das „self as
Diskutiert wird, ob Selbstkonzepte rein beschreibende knower“ bewusst ist.
kognitive Repräsentationen eigener Fähigkeiten darstellen oder Das „Me“ wird bei James als hierarchisches und multi-
auch evaluative Komponenten enthalten. Da schulbezogene dimensionales Selbstkonzept konzipiert. Das „Me“ wird
Fähigkeiten und Fertigkeiten wichtige Konsequenzen haben aus Erfahrungen konstruiert, es ist das „empirical ego“
und diese Konsequenzen von Schülern tagtäglich wahr- (James 1892/1999). Es setzt sich aus spirituellen, sozialen
genommen werden, darf man wohl getrost davon ausgehen, und materiellen Aspekten zusammen. Die oberste
dass schulbezogene Selbstkonzepte praktisch für alle Schüler Hierarchieebene bildet das spirituelle Selbst, welches
auch eine evaluative Komponente besitzen. Vereinfacht Wissen über eigene Eigenschaften, Fähigkeiten und Ein-
gesprochen: Wenn jemand sagt, er sei nicht gut in der Schule, stellungen beinhaltet, „the entire collection of my states of
so lässt ihn das nicht kalt. consciousness, my psychic faculties and dispositions taken
Neben dem Zusammenhang mit der Schulleistung concretely“ (James 1892/1999, S. 71). Hier sind in moderner
haben insbesondere die genauere theoretische und Terminologie fähigkeitsbezogene Selbstkonzepte und schul-
empirische Bestimmung des Selbstkonzepts, dessen Genese fachspezifische Interessen anzusiedeln. Das soziale Selbst
sowie die pädagogisch motivierte Veränderung des Selbst- verstand James dagegen eher als wahrgenommene Fremd-
konzepts den wissenschaftlichen Diskurs bestimmt. Die wahrnehmung einer Person. Jeder Mensch hat demnach
Fülle an wissenschaftlichen Artikeln hat dazu geführt, so viele Varianten des sozialen Selbst, wie Personen sich
dass inzwischen die Bedeutung des Selbstkonzepts sowie in unterschiedlicher Weise an ihn erinnern. Das soziale
zentrale Mechanismen der Genese des Selbstkonzepts gut Selbst besteht also im Wesentlichen aus Kognitionen
dokumentiert sind. darüber, welches Ansehen man bei verschiedenen
Ein Lehrbuchkapitel kann und soll nicht die gesamte ­Personen(-gruppen) hat bzw. wie man von ihnen wahr-
Komplexität eines so lebendigen Forschungsfeldes wieder- genommen wird. Das materielle Selbst schließlich umfasst
geben. Es muss vereinfachen, ohne zu trivialisieren, und Wissen über den eigenen Körper, wichtige andere Personen
selektiv in der Auswahl der beschriebenen Forschungs- (Familie) und vertraute Gegenstände.
ergebnisse sein, ohne den Blick ungebührlich zu ver- Zum „Me“ zählen auch affektive Einstellungen gegen-
engen. Bei der Abfassung dieses Kapitels haben wir über der eigenen Person, das sog. „self-feeling“ eines
dies u. a. zu erreichen versucht, indem wir primär eine Menschen sich selbst gegenüber, das in unterschiedlichem
190 J. Möller und U. Trautwein

8
. Abb. 8.2 Multidimensionales und hierarchisches Selbstkonzept. (Modifiziert nach Shavelson et al. 1976, copyright © 1976 by SAGE
Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications.)

Ausmaß etwa Stolz und Scham beinhaltet. Im Wesent- Reflexion ihrer wahrgenommenen Wirkung auf andere.
lichen ist dieses Selbstwertgefühl nach James das Ergeb- Cooley (1902) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff
nis von Erfolgen oder Misserfolgen und der Stellung, des „looking-glass-self“. Andere Personen spiegeln einer
die ein Mensch in der Welt hat. Hierbei geht es primär Person ihre Einstellungen und Gefühle gegenüber dieser
um subjektive Interpretationen von Erfolgen und Miss- Person wider; in diesem Spiegel sieht sich die Person und
erfolgen und nicht um deren objektive Ausprägung. Nach konstruiert aus den Fremdwahrnehmungen ihr eigenes
James bestimmt sich das Selbstwertgefühl eines Menschen Selbstkonzept.
als Verhältnis von Erfolg und Anspruch. Das Selbstwert- Insbesondere Menschen, die einer Person nahestehen,
gefühl basiert auf Fähigkeiten in einzelnen Domänen. Die haben nach dieser Konzeption starken Einfluss auf deren
Domänen werden je nach persönlicher Wichtigkeit bei der Selbstkonzept: „In the presence of one whom we feel to
Ausgestaltung des Selbstwertgefühls berücksichtigt. James be of importance, there is a tendency to enter into and
postulierte Prozesse, nach denen sich das Selbstwertgefühl adopt, by sympathy, his judgment of ourself“ (Cooley
aus der Summe gewichteter bereichsspezifischer Selbst- 1902, S. 175). Mead (1934) betonte darüber hinaus, dass
konzepte zusammensetzt. nicht nur Individuen, sondern auch soziale Gruppen und
Auch wenn die empirisch ausgerichtete Selbstkonzept- deren Normen das Selbstkonzept prägen. Dabei bestimmt
forschung manche Vorstellung von James zu revidieren die Gesamtheit der sozialen Gruppen, deren Mitglied
half, bleibt festzuhalten, dass seine Arbeiten die Basis für eine Person ist, deren Selbstbild. Die Person nimmt einen
spätere Selbstkonzeptmodelle, wie etwa das hierarchische „generalisierten Anderen“ wahr, quasi als Querschnitt aller
Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976; . Abb. 8.2), sozialen Gruppen. Die Einstellung, die dieser generalisierte
lieferten. Andere zu der Person hat, prägt deren Selbstkonzept; die
Einstellung der anderen zu einer Person wird dann von
dieser übernommen.
8.2.2  Symbolischer Interaktionismus Das Verdienst der symbolischen Interaktionisten für die
Selbstkonzeptforschung besteht in der Betonung der Rolle
Selbstkonzepte sind ganz maßgeblich von Interaktionen mit der sozialen Umwelt für die Selbstkonzeptentwicklung.
der sozialen Umwelt beeinflusst. Diese Erkenntnis wurde Diese wird heute nicht mehr angezweifelt, wenn auch nicht
seit Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere von Ver- alle Postulate des symbolischen Interaktionismus empirisch
tretern des symbolischen Interaktionismus, aber auch von bestätigt werden konnten. So fallen Übereinstimmungen
klinischen Psychologen wie Carl Rogers popularisiert. Nach zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen in der Regel
den Annahmen des symbolischen Interaktionismus ist das niedriger aus als erwartet (Shrauger und Schoeneman 1979;
Selbstkonzept in erster Linie ein Resultat der 7 Fremd- 7 Exkurs „Direkte versus indirekte Rückmeldungen“). Diese
wahrnehmungen einer Person durch andere Personen. Übereinstimmungen zwischen Selbstbild und tatsäch-
Das Selbstkonzept ist danach so etwas wie ein Abziehbild lichem Fremdbild sind jedenfalls niedriger als die Überein-
der Einstellungen anderer Menschen zu dieser Person, eine stimmungen zwischen dem Selbstbild von Schülern und
Selbstkonzept
191 8
Exkurs

Direkte versus indirekte Rückmeldungen


Wie kommt es zu den nur moderaten Nichtsdestotrotz gab Felson (1993) auch beinhalten und damit einen sozialen
Zusammenhängen zwischen Selbst- und Hinweise darauf, welche Möglichkeiten Vergleich ermöglichen.
Fremdbild? Angeregt von den insgesamt einem Individuum zur Verfügung Felson (1993) nahm somit an, dass ein
ernüchternden empirischen Befunden stehen, um ein realistisches Selbstbild direkter verbaler Rückmeldeprozess eher
hinsichtlich der Übereinstimmung zu erwerben. Zum einen können die Ausnahme als die Regel ist. Neben
von Selbstbild und Fremdbild nannte in Situationen, in denen negative den hier aufgeführten indirekten und
Felson (1993) einige Gründe, die zu Rückmeldungen sozial „verboten“ sind, institutionalisierten Rückmeldungen
diesem Befundmuster beitragen Rückschlüsse aus der Abwesenheit beschrieb Felson jedoch noch einen
könnten. Als eine mögliche Ursache positiver Rückmeldung gezogen weiteren, indirekten Weg zur Selbstein-
wird die niedrige Kongruenz zwischen werden. Zudem gibt es gewisse schätzung, bei dem gemeinsame Standards
Fremdbild und wahrgenommenem Informationskanäle (z. B. enge Freunde („shared standards“) einer Bezugsgruppe
Fremdbild gesehen, da zunächst das und Lebenspartner), von denen man eine besonders wichtige Rolle spielen.
wahrgenommene Fremdbild in das realitätsnahes Feedback erbitten Nach dieser Annahme kann ein Individuum
Selbstbild integriert werden muss. Oft kann. Eine besondere Rolle nehmen zu einer Repräsentation der eigenen
seien die Rückmeldungen von anderen nach Felson (1993) institutionalisierte Reputation kommen, indem es die in der
zu Aspekten der eigenen Person aber Leistungsrückmeldungen ein, wie Bezugsgruppe vorherrschenden Standards
uneindeutig oder positiv verzerrt: man sie in der Schule etwa bei der internalisiert und sich selbst daran misst
Gesellschaftliche Konventionen würden Zeugnisvergabe oder der Rückgabe (Felson 1993, S. 11): „The process can be
es in vielen Fällen verbieten, kritische von Klassenarbeiten erhält: Sie werden explained in terms of the socialization
bzw. negative Rückmeldungen zu geben. als relativ verlässliches Feedback of standards, or as the normative effect
Es soll gewährleistet werden, dass alle angesehen. Solche Rückmeldungen of reference groups. A normative effect
Mitglieder der Gesellschaft ihr Gesicht werden besonders dann als informativ suggests that individuals learn standards
wahren können („face-work“), was durch angesehen, wenn sie Informationen from others and then evaluate themselves
gegenseitige Rücksicht gewährleistet wird. über die relative Position zu anderen using these standards.“

dem von diesen Schülern selbst wahrgenommenen Fremd- Ein weiteres Beispiel für die gedächtnispsychologische
bild. Meine Vermutung, was andere Personen über mich Tradition sind die Arbeiten von Markus (1977). Sie unter-
denken, ist also auch ein Resultat selektiver Wahrnehmung scheidet zwischen überdauernden und situationalen
und Informationsverarbeitung, die von meinem Selbstbild Aspekten des Selbstkonzepts. In der Konzeption von Markus
gesteuert wird. umfassen die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts beispielsweise
positive oder negative Sichtweisen von Aspekten der eigenen
Person, aber auch Wunschvorstellungen der eigenen Person
8.2.3  Gedächtnispsychologische Modelle (Ideal-Selbst). Nach Markus werden vor dem Hintergrund
des Selbstkonzepts dieser relativ stabilen Aspekte des Selbstkonzepts in konkreten
Situationen bestimmte Selbstkonzeptaspekte aktiviert, von
Mit der kognitiven Wende in der Psychologie ab den 1970er Markus als „working self“ bezeichnet. Das „working self-
Jahren setzte ein Siegeszug der Selbstkonzeptforschung concept“ wird auf der einen Seite durch die stabilen Aspekte
ein. Das Selbst wurde als kognitive (­Gedächtnis-)Struktur des Selbstkonzepts bestimmt, auf der anderen Seite aber durch
modelliert, die durch Informationsaufnahme geformt wird aktuelle situative und soziale Einflüsse modifiziert.
sowie unter bestimmten Umständen selbst die Informations- Nach Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbst-
aufnahme beeinflusst. So konzipierte Filipp (1979) das Selbst- konzepts eine Reihe von verschiedenen Selbstkonzept-
konzept als Wissensstruktur hinsichtlich der eigenen Person. facetten, wie beispielsweise die guten und schlechten Seiten
Neben verschiedenen Quellen selbstbezogenen Wissens hat der eigenen Person, das Ideal-Selbst und das negative
Filipp den Prozess der Aufnahme und Verarbeitung selbst- Selbst. Gleichzeitig machte Markus darauf aufmerksam,
bezogener Informationen untersucht. Sie unterschied dabei dass in Abhängigkeit von der Situation unterschiedliche
vier Phasen, nämlich Verarbeitungsstrategien auftreten.
1. die Vorbereitungsphase, in der die Diskrimination Der Inhalt des jeweiligen Working Self-Concept ist
selbstbezogenen Wissens geschieht, somit nach Markus nicht nur durch die stabilen Selbst-
2. die Aneignungsphase, in der die selbstbezogene konzepte bestimmt, sondern auch durch die jeweilige
Information in ein internes, aktualisiertes Selbstmodell soziale Situation. Als Belege für ihre Vorstellungen führte
integriert wird, Markus Ergebnisse aus experimentellen Studien an. So
3. die Speicherungsphase, in der das selbstbezogene manipulierten beispielsweise Markus und Kunda (1986)
Wissen beispielsweise in der Form eines Schemas das temporäre Selbstkonzept von Studentinnen, indem
gespeichert wird, sowie ihnen suggeriert wurde, sie würden extrem ähnliche
4. die Erinnerungsphase, in der die selbstbezogenen („Ähnlichkeitsbedingung“) bzw. unähnliche („Einzig-
Informationen abgerufen und handlungsleitend artigkeitsbedingung“) Vorlieben aufweisen wie drei
werden können. gleichzeitig untersuchte Studierende. Markus und Kunda
192 J. Möller und U. Trautwein

fanden Belege dafür, dass die Untersuchungsteil- Ende der Kindheit zu. Mit der weiteren Entwicklung geht
nehmerinnen in Reaktion auf die experimentelle eine zunehmende Ausdifferenzierung des eigenen Rollen-
Manipulation ihr tatsächliches Selbstkonzept veränderten. bildes einher; am Ende der Jugendzeit reflektiert das Selbst-
Hannover (1997) hat diesen Ansatz theoretisch und konzept relativ stabile Überzeugungen und Werte.
empirisch weiterentwickelt und insbesondere für die
Pädagogische Psychologie nutzbar gemacht (s. auch Kessels
und Hannover 2004). 8.2.5  Sozialpsychologische
Selbstkonzeptforschung
8.2.4  Entwicklungspsychologische Arbeiten In der Sozialpsychologie hat sich eine ausgesprochen
lebendige und oftmals faszinierende Forschungsaktivi-
In der Entwicklungspsychologie wurde in den vergangenen tät zum Selbstkonzept entwickelt, in der u. a. beschrieben
Jahrzehnten eine Reihe von Modellen zur Genese des wird, wie es den meisten Menschen gelingt, ein positives
Selbstkonzepts erarbeitet. Ein Beispiel für einen ent- Selbstbild zu erhalten. Es gibt in Hinblick auf die Konzepte,
wicklungspsychologisch begründeten Ansatz, der auch Themen und Methoden viele Überschneidungen mit der
für die pädagogisch-psychologische Forschung bedeut- pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung.
sam wurde, sind die Beiträge von Harter (z. B. 1998, 1999). Wichtige Unterschiede zwischen der sozialpsycho-
Harter entwickelte, aufbauend auf den Arbeiten von James logischen und der pädagogisch-psychologischen
8 (1892/1999) und Piaget (1960), in mehreren Etappen ein Forschung bestehen jedoch nach wie vor in zweierlei
Modell der kognitiven Entwicklung des Selbstkonzepts. Hinsicht. Zum einen fokussiert der Großteil der sozial-
Zunächst beschrieb Harter (1983) die Selbstkonzept- psychologischen Selbstkonzeptforschung das Selbst-
entwicklung anhand der Unterscheidung kognitiver wertgefühl (7 Exkurs „Allgemeines Selbstkonzept als
Prozesse nach Piaget (1960). Konkret-operationale Einstellung: Die Beiträge von Morris Rosenberg“) und ist
Selbstbeschreibungen in der früheren Kindheit werden nur bedingt an bereichsspezifischen Selbstkonzepten
zunehmend abgelöst durch abstrakte Selbstbeschreibungen interessiert, die in der pädagogisch-psychologischen
mit Eigenschaftscharakter. Selbstbeschreibungen von Forschung die Publikationsaktivitäten dominieren. Zum
Kindern betreffen häufig beobachtbare Attribute wie Eigen- anderen nimmt die sozialpsychologische Forschung in
tum oder Fähigkeiten; zudem sind die Bewertungen der hohem Maße eine Prozessperspektive ein, die zu den oft
eigenen Person sehr positiv, soziale Vergleichsinformation eher eigenschaftsorientierten Selbstkonzeptmodellen
ist nicht ausreichend vorhanden bzw. wird noch nicht der Pädagogischen Psychologie in deutlichem Kontrast
adäquat genutzt (Ruble und Frey 1987). Ältere Kinder und steht. Bezieht man sich auf die oben dargestellte Unter-
Jugendliche können auch negative Eigenschaften in das scheidung nach James, so beschränkt sich das pädagogisch-
Selbstkonzept integrieren, außerdem steigt die Bedeutung psychologische Selbstkonzept in erster Linie auf das
des leistungsbezogenen und des sozialen Selbstkonzepts. „Me“, während bedeutsame Anteile der sozialpsycho-
Die einzelnen Selbstkonzepte differenzieren sich aus durch logischen Selbstkonzeptforschung eine Präferenz für das
inter- und intraindividuelle Vergleichsprozesse. Durch „I“, die aktive Seite des Selbst, haben. Das Selbst fungiert
Vergleiche mit Gleichaltrigen werden die Selbstkonzepte hier als motiviertes, dynamisches System mit handlungs-
zunehmend realistischer und differenzierter. leitender Funktion (Mischel und Morf 2003). Genannt
Später erfolgte durch Harter (1998, 1999) eine werden beispielsweise theoretische Annahmen, wonach
Reformulierung der Entwicklung des selbstbezogenen viele oder alle Menschen Bedürfnisse nach Selbst-
Denkens im Kindes- und Jugendalter. Harter beschrieb bewertung („self-evaluation“), Selbstwertsteigerung („self-
für sechs Altersstufen vom Säuglingsalter bis zum späten enhancement“), Selbstbestätigung („self-verification“),
Jugendalter die Struktur und die zentralen Inhalte von Selbstwertschutz („self-defense“) oder Selbstverbesserung
Selbstkonzepten sowie deren Übereinstimmung mit der („self-improvement“) haben, die in unterschiedlichen
Wirklichkeit. Danach sind die Selbstkonzepte in frühen und Situationen unterschiedlich bedeutsam sind. In schulischen
mittleren Phasen der Kindheit stark positiv verzerrt, durch Leistungssituationen scheint das Bedürfnis nach Selbst-
die allmähliche Integration auch negativer Informationen verbesserung besonders prominent; so verglichen sich die
über eigene Fähigkeiten und Eigenschaften in das Selbstbild Schüler in der Studie von Möller und Köller (1998) vor
nimmt die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen aber gegen allem mit leistungsstärkeren Mitschülern.
Selbstkonzept
193 8
Exkurs

Allgemeines Selbstkonzept als Einstellung: Die Beiträge von Morris Rosenberg


Die Arbeiten von Rosenberg (1965, Er betont, dass diese Perspektive es lautet: „At times I think I am no
1986) hatten einen nachhaltigen erlaubt, bei der Erforschung des Selbst good at all.“ Dieser Fragebogen zum
Einfluss auf die weitere Forschung zum die gleichen Instrumente zu verwenden Selbstwertgefühl wird noch heute als
Selbstwertgefühl. Rosenberg (1965, wie in der übrigen Einstellungs- Standardinstrument in unterschiedlichen
S. 5 f.) konzipierte das Selbstkonzept forschung. Forschungskontexten eingesetzt.
als Einstellung („attitude“) einer Person Rosenberg (1965) entwickelte Die pädagogisch-psychologische
zu sich selbst: „In the present study, we dementsprechend einen ökonomisch Forschung hat allerdings gezeigt, dass
conceive of the self-image as an attitude einsetzbaren, eindimensionalen bereichsspezifische Selbstkonzepte in
toward an object. … Putting it baldly, und reliablen Fragebogen, die Hinblick auf schulrelevante Kriteriums-
there is no qualitative difference in the Rosenberg-Skala. Zehn Items erfragen variablen fast ausnahmslos eine höhere
characteristics of attitudes toward the auf einer 4-stufigen Antwortskala prognostische Validität besitzen (Marsh
self and attitudes toward soup, soap, generalisierte, ­affektiv-evaluative und Craven 2006; Trautwein et al.
cereal, or suburbia.“ Selbsteinschätzungen. Ein Itembeispiel 2006a).

8.3  Struktur, Stabilität und Erfassung des Eine zentrale Annahme des Shavelson-Modells ist die
Selbstkonzepts multidimensionale Struktur. Um die Komplexität seiner
Erfahrung mit der Umwelt zu reduzieren, organisiert ein
Aktuelle pädagogisch-psychologische Arbeiten zum Selbst- Individuum diese Erfahrungen mithilfe von Kategorien.
konzept gehen in der Regel von einer Konzeption aus, Eine Einteilung von Erfahrungen in Kategorien bedeutet
bei der das Selbstkonzept – in Übereinstimmung mit auch, dass das Selbstkonzept mehrere Facetten hat, d. h. eine
gedächtnispsychologischen Arbeiten – eine kognitive multidimensionale Struktur aufweist. In anderen Worten:
Repräsentation eigener Fähigkeiten und/oder Begabungen Personen bauen Überzeugungen darüber auf, in welchen
darstellt. Versucht man eine Einordnung in die Theorie von Bereichen sie besonders hohe oder geringe Fähigkeiten und
James, so steht im Blickpunkt pädagogisch-psychologischer Begabungen haben. Die logisch nächste Frage ist dann, wie
Arbeiten meist das „Me“. Im Einklang mit James wird die viele unterschiedliche Bereiche Menschen unterscheiden, wie
Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Sicht hervor- viele Dimensionen das Selbstkonzept also umfasst.
gehoben – ein Mensch kann sich in unterschiedlichen Teil- Shavelson et al. (1976) argumentierten, dass das Kate-
bereichen ganz unterschiedlich wahrnehmen. Die Betonung goriensystem von Schülern auf einer relativ generellen
der sozialen Umwelt als wichtige Determinante des Selbst- Ebene zumindest die Facetten Schule, soziale Akzeptanz,
konzepts wirkt wie ein Widerhall der frühen Arbeiten des physische Fähigkeiten sowie emotionales Befinden
symbolischen Interaktionismus, und aus der Entwicklungs- beinhalte. Innerhalb des Bereichs Schule sollte dann
psychologie wurden zentrale Modellvorstellungen zur wiederum zwischen dem Selbstkonzept bezüglich unter-
Genese des Selbstkonzepts adaptiert. Im Folgenden stellen schiedlicher Fächer unterschieden werden sowie inner-
wir zentrale Modelle vor und geben einen kurzen Über- halb der Fächer nach unterschiedlichen Teilfertigkeiten.
blick über Instrumente, mit denen das Selbstkonzept erfasst Shavelson et al. (1976) nahmen darüber hinaus an, dass sich
werden kann. das Selbstkonzept im Laufe der Entwicklung vom Kindes-
zum Erwachsenenalter zunehmend differenziert. Die
Modellvorstellung einer zunehmenden Differenzierung
8.3.1  Struktur des Selbstkonzepts: von Selbstkonzepten ist gut mit einer Neo-Piaget’schen
Bereichsspezifität und Hierarchie Entwicklungstheorie vereinbar (Harter 1998, 1999).
Kinder erwerben demnach im Austausch mit der sozialen
Eine Übersichtsarbeit zum Stand der Selbstkonzeptforschung Umwelt und als Antwort auf kognitive Herausforderungen
von Shavelson et al. (1976) wird häufig als Startpunkt der differenziertere Konzepte von sich selbst und ihren Fähig-
modernen pädagogisch-psychologischen Selbstkonzept- keiten, und zunehmend fällt es ihnen leichter, bei sich
forschung bezeichnet. In dieser Arbeit beklagten Shavelson selbst relative Stärken und Schwächen zu erkennen. Über-
und Mitarbeiter eine fehlende theoretische Tiefe und prüfen lassen sich diese theoretischen Annahmen, indem
Stringenz in der Selbstkonzeptforschung und kritisierten, man Korrelationsmuster zwischen Selbstkonzeptfacetten
dass die meisten der vorhandenen Messinstrumente auf betrachtet: Je älter die Kinder bzw. Jugendlichen sind,
Ad-hoc-Basis konstruiert worden waren. Sie schlugen unter desto geringer sollten die Korrelationen zwischen unter-
Bezugnahme auf James (1892/1999) vor, das Selbstkonzept schiedlichen Selbstkonzeptdomänen ausfallen. In der
mehrdimensional und hierarchisch zu konzipieren. Das von Tat findet sich einige empirische Stützung für diese Ver-
ihnen entwickelte Modell, das heute meist als „Shavelson- mutung, zumindest für die relativ frühe Entwicklung.
Modell“ bezeichnet wird, ist in . Abb. 8.2 dargestellt. Die Forschungsgruppe um Marsh (Überblick in Marsh
194 J. Möller und U. Trautwein

. Abb. 8.3 Struktur des schulischen Selbstkonzepts im revidierten Modell. (Modifiziert nach Marsh et al. 1988, mit freundlicher Genehmigung
8 der American Psychological Association)

und Craven 1997) hat beispielsweise gezeigt, dass es mit und Fächern wie Geschichte. Das mathematische Selbst-
elaborierten Methoden möglich ist, eine Vielzahl von konzept integriert Selbsteinschätzungen in Fächern wie
Selbstkonzeptfacetten analytisch zu trennen. So unter- Mathematik, Physik und Chemie. Tatsächlich lässt sich
scheidet der Akademische Selbstbeschreibungsbogen diese Aufteilung in konfirmatorischen Faktorenana-
(ASDQ; Marsh 1990a) allein im schulischen Bereich lysen gut bestätigen. Das resultierende, revidierte Modell
14 fachspezifische Selbstkonzepte sowie ein globales Selbst- des schulischen Selbstkonzepts beinhaltet also nicht
konzept schulischer Fähigkeiten. Der multidimensionale mehr die von Shavelson angenommene Variante eines
Charakter des Selbstkonzepts ist heute allgemein akzeptiert. hierarchischen Charakters innerhalb der schulischen
Darüber hinaus postulierten Shavelson et al. (1976), dass Domäne, sondern geht von zwei übergeordneten Faktoren
das Selbstkonzept auch eine hierarchische Struktur besitze, aus. . Abb. 8.3 zeigt diese Aufgliederung des schulischen
an dessen Spitze ein allgemeines Selbstkonzept („general Selbstkonzepts in ein verbales und ein mathematisches
self-concept“) stehe. Sie verwiesen hierbei auf Konzepte Selbstkonzept. Das revidierte Modell wurde zur Grund-
der Intelligenzforschung, die von einem allgemeinen lage einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen, die
g-Faktor, der gleichsam an der Spitze der Hierarchie sich mit den Beziehungen zwischen mathematischen und
steht, und mehreren spezifischeren Subfaktoren ausgehen verbalen Selbstkonzepten einerseits und den zugehörigen
(7 Exkurs „Intelligenzanalogie beim Shavelson-Modell“). So mathematischen und verbalen Leistungen andererseits
unterschieden die Autoren beispielsweise zwischen einem befassten (vgl. Gaspard et al. 2018). Sie sind unter dem Stich-
schulischen Selbstkonzept und einem nichtschulischen wort I­ nternal/External-Frame-of-Reference-Modell (I/E-
Selbstkonzept, wobei ersteres wiederum in hierarchisch Modell) bzw. Bezugsrahmenmodell ausführlich beschrieben
gegliederter Art und Weise in fächerspezifische Facetten (7 Abschn. 8.4.3).
aufgeteilt wurde.
Die Annahmen zur hierarchischen Struktur des
Shavelson-Modells wurden über die Zeit zunehmend 8.3.2  Stabilität des Selbstkonzepts
gelockert. Das ursprünglich von Shavelson et al. (1976)
postulierte Modell sah in Bezug auf die schulbezogenen Verlieren Schüler in einem gewissen Alter die Lust auf
Komponenten ein generelles schulisches Selbstkonzept vor, die Schule, weil ihr schulisches Selbstkonzept – beispiels-
welches eine Art Integration der einzelnen unterrichtsfach- weise im Verlauf der Pubertät – absinkt? Wie stabil sind die
spezifischen Selbstkonzepte beispielsweise in Mathematik Unterschiede zwischen Schülern einer bestimmten Klasse?
oder dem muttersprachlichen Unterrichtsfach darstellen Und kommt es vor, dass eine Schülerin, die lange Zeit
sollte. Empirische Untersuchungen ergaben allerdings, dass dachte, sie sei in Deutsch viel begabter als in Mathematik,
das verbale Selbstkonzept und das mathematische Selbst- doch noch ihre Meinung ändert und ein Faible für die
konzept nur unwesentlich, gar nicht oder sogar negativ mit- Mathematik erwirbt? In all diesen Fragen steckt bereits die
einander korreliert waren. Marsh et al. (1988) unterschieden Frage nach den Determinanten eines hohen oder niedrigen
deshalb auf der Ebene globaler schulischer Faktoren zwei Selbstkonzepts, die erst im nächsten Abschnitt vertieft
weitgehend getrennte schulische Selbstkonzepte. Das verbale behandelt wird. Eine erste Antwort erhält man jedoch
Selbstkonzept speist sich aus Selbsteinschätzungen zum bereits dann, wenn man nur die sog. Stabilität des Selbst-
­muttersprachlichen ­Unterrichtsfach, zu den ­Fremdsprachen konzepts betrachtet. Ganz einfach ist die Antwort allerdings
Selbstkonzept
195 8
Exkurs

Intelligenzanalogie beim Shavelson-Modell


Die von Shavelson et al. (1976) Selbstkonzepte beeinflusst. Dies Selbstkonzepte laden. Das andere
verwendete Intelligenzanalogie hat den widerspricht jedoch der Annahme, dass Extrem – und damit ein Hinweis auf
Vorzug der großen Anschaulichkeit. Aus es wiederholte, situationsspezifische eine schwache Hierarchie – würde ein
theoretischen und empirischen Gründen Erfahrungen sind, die das bereichs- multidimensionales Modell darstellen,
mag man sie jedoch durchaus kritisch spezifische Selbstkonzept primär prägen. bei dem sich mehrere bereichsspezifische
betrachten. Aus theoretischer Sicht kann Auch aus empirischer Warte wird man Faktoren finden ließen, die gar nicht
kritisiert werden, dass die Intelligenz- den Postulaten zur Selbstkonzept- oder nur schwach miteinander korreliert
analogie in Konflikt mit zentralen pyramide nur bedingt zustimmen. wären. Die Idee einer Hierarchie lässt sich
Annahmen zur Selbstkonzeptgenese Marsh und Hattie (1996) unterschieden aber auch dann aufrechterhalten, wenn
steht. Im g-Faktor-Modell der Intelligenz verschieden „strenge“ Formen der man nur schwache Korrelationen findet.
wird dem g-Faktor eine wichtige Rolle Hierarchie. Eine strenge hierarchische In diesem Falle können Konstrukte auf
bei der Ausprägung bereichsspezifischer Modellvorstellung würde verlangen, einer höheren Hierarchieebene (z. B. das
Fertigkeiten zugesprochen. Entsprechend dass in einer (konfirmatorischen oder allgemeine schulische Selbstkonzept)
müsste man argumentieren, dass explorativen) Faktorenanalyse lediglich hierarchieniedrigere Selbstkonzepte
das generelle Selbstkonzept die ein starker globaler Faktor gefunden (z. B. das mathematische oder verbale
Ausprägungen aller bereichsspezifischen wird, auf den bereichsspezifische Selbstkonzept) nur bedingt erklären.

nicht, denn man kann verschiedene Formen von Stabilität damit eine recht hohe normative Stabilität auf. Wer zu
unterscheiden (Mortimer et al. 1982): einer bestimmten Zeit ein vergleichsweise hohes Selbst-
5 normative Stabilität konzept berichtet hat, berichtet auch noch Jahre später
5 Mittelwertsstabilität mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein vergleichsweise
5 strukturelle Stabilität hohes Selbstkonzept. Das schließt situationsspezifische
5 intraindividuelle Stabilität Schwankungen natürlich nicht aus.
5 Konstruktstabilität
Mittelwertstabilität Neben der normativen Stabili-
Je nach verwendeter Stabilitätskonzeption kann man zu tät wurde in erster Linie die Mittelwertsstabilität („level
ganz unterschiedlichen Aussagen über die Stabilität des stability“) des Selbstkonzepts untersucht. Unterscheidet
Selbstkonzepts gelangen. sich beispielsweise bei einer Schülergruppe das durch-
schnittliche schulische Selbstkonzept, das in der 7. Klasse
Normative Stabilität Mit normativer Stabilität („normative berichtet wurde, nicht von dem, das in der 10. Klasse
stability“, „differential stability“ oder „correlational berichtet wurde, so würde man dies als einen Hinweis auf
stability“) ist die Stabilität von interindividuellen Unter- eine hohe Mittelwertstabilität deuten. Trotz einer hohen
schieden in Selbstkonzepten bei mehrmaliger Messung Stabilität des Mittelwerts in der Gesamtgruppe kann es
gemeint. Empirisch erfasst wird diese Art der Stabili- jedoch sehr wohl sein, dass das Selbstkonzept einzel-
tät in der Regel durch die Korrelation der Werte der- ner Schüler bzw. von Gruppen von Schülern zu- oder
selben Personengruppe in zwei Messungen mit demselben abnimmt. Das mittlere physikbezogene Selbstkonzept
Instrument. In dem Maße, in dem sich Rangpositionen einer Klasse würde beispielsweise dann stabil bleiben,
zwischen den Messungen verschieben, sinkt die normative wenn das Selbstkonzept der Jungen steigt, während das
Stabilität. Andererseits wird die normative Stabilität durch der Mädchen sinkt.
eine Verschiebung des Mittelwerts zwischen den zwei Insgesamt weisen viele Studien darauf hin, dass es
Messungen nicht notwendigerweise gesenkt. Insgesamt beim Selbstkonzept zu statistisch signifikanten Mittel-
weisen schulbezogene Selbstkonzepte bereits im Grund- wertveränderungen kommt. So fand beispielsweise
schulalter beachtliche normative Stabilitäten auf. Marsh Helmke (1998) in einer Untersuchung mit Grundschul-
et al. (1998) berichteten für Zweitklässler eine Ein-Jahres- kindern einen deutlichen Rückgang der Mittelwerte beim
Stabilität für die Selbstkonzeptbereiche Mathematik, Lesen schulischen Selbstvertrauen zwischen der 1. und 6. Schul-
und Schule von 0,46 bis 0,64. Mit höherem Alter nimmt die klasse. Während Kinder zu Beginn der Schulzeit eine
Stabilität nochmals zu. Stabilitätskoeffizienten von 0,70 und deutliche Überschätzung ihrer eigenen Leistung zeigten,
höher sind keine Seltenheit (Wigfield et al. 1997). Selbst war diese bei Kindern der 6. Klassenstufe nur noch gering
bei einem Wechsel der Bezugsgruppe, wie er beispiels- ausgeprägt. In einer Meta-Analyse fanden Scherrer und
weise nach dem Ende der Schulzeit erfolgt, finden sich Preckel (2018) Belege dafür, dass mathematische und
beachtliche Stabilitätskoeffizienten (Marsh et al. 2007). Die sprachliche Selbstkonzepte über die Jahre sinken, während
berichteten Stabilitätskoeffizienten ähneln den Stabilitäten, das allgemeine schulische Selbstkonzept stabil bleibt.
die für die zentralen Persönlichkeitseigenschaften im Sinne Worauf ist das Absinken schulfachbezogener Selbst-
der Big-Five-Konzeption ermittelt werden (Asendorpf konzepte, das rasch nach Eintritt in die Schule beobachtet
und van Aken 2003). Insgesamt weisen Selbstkonzepte werden kann und sich bis in die mittlere Adoleszenz zieht,
196 J. Möller und U. Trautwein

zurückzuführen? Ist dieses Muster notwendigerweise ein um Kurvendiskussionen, anspruchsvolle Geometrie


Grund zur Besorgnis? Vermutlich tragen mehrere Faktoren sowie Wahrscheinlichkeitstheorie. Im Prinzip ist der
zum Rückgang bereichsspezifischer Selbstkonzepte bei. Nachweis inhaltlicher Stabilität natürlich Voraussetzung
Problematisch ist, dass die schulischen Strukturen und dafür, dass die übrigen Stabilitätsaspekte geprüft werden.
Rückmeldesysteme unnötigerweise negative Auswirkungen Insbesondere bei solchen Konstrukten, bei denen nur
haben; so produzieren beispielsweise Benotungssysteme, geringe Stabilitäten gefunden werden, lässt sich hinter-
die am sozialen Vergleich („Klassenspiegel“) orientiert sind, fragen, ob denn wirklich jeweils „das Gleiche“ gemessen
in jeder Klasse automatisch „Verlierer“, während kriteriale wurde. Allerdings: Die inhaltliche Stabilität empirisch
Bezugssysteme dies vermeiden können. Das Absinken des zu bestimmen, ist eine komplexe Aufgabe, da idealer-
Selbstkonzeptniveaus dürfte aber auch ein Beleg für all- weise ein längsschnittliches Design mit einer aufwendigen
gemeine Entwicklungsverläufe in Hinsicht auf realistischere Konstruktvalidierung kombiniert werden müsste.
Selbstbewertungen sein (Harter 1998, 1999). Darüber
hinaus spiegelt der allgemeine Mittelwertverlauf eine
Herausbildung der eigenen Identität nebst notwendiger 8.3.3  Erfassung des Selbstkonzepts
Interessendifferenzierung wider: Obwohl im Allgemeinen
das Selbstkonzept sinkt, haben fast alle Schüler Bereiche, in Fragebögen zur Erfassung des Selbstkonzepts gibt es in
denen ihr Selbstkonzept stabil bleibt oder sogar ansteigt. einer großen Zahl. Allerdings handelt es sich häufig um
ad hoc konstruierte Instrumente, deren theoretische Ein-
8 Strukturelle Stabilität Strukturelle Stabilität bzw. Invarianz bindung und psychometrische Kennwerte zu wünschen
liegt dann vor, wenn ein Konstrukt über die Zeit hinweg übrig lassen. Im deutschen Sprachraum liegt eine Reihe
die gleichen Dimensionen und dieselben Verbindungen von standardisierten Fragebögen zur Erfassung des schul-
zwischen diesen Domänen aufweist. Hinsichtlich der bezogenen Selbstkonzepts vor (z. B. Rost und Sparfeldt
strukturellen Stabilität zeigten sich sowohl Belege für eine 2002; Schöne et al. 2002; Schwanzer et al. 2005), die
zunehmende Differenzierung des Selbstkonzepts als auch in Hinblick auf die einbezogenen Domänen und das
Hinweise darauf, dass eine solche Differenzierung bereits jeweilige Verständnis von Selbstkonzept gewisse Unter-
in der frühen Adoleszenz abgeschlossen ist. So stellte schiede aufweisen. Umstritten ist nach wie vor, ob die
Marsh (1989) die von Shavelson et al. (1976) sowie Harter affektive („Ich mag Mathematik“) und die kognitiv-
(1998) formulierte Hypothese infrage, dass sich mit fort- evaluative Komponente („Ich bin gut in Mathematik“)
schreitendem Alter eine zunehmende Differenzierung des des akademischen Selbstkonzepts voneinander getrennt
Selbstkonzepts finden lasse. Marsh untersuchte dabei die werden sollten. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass
mittleren Korrelationen zwischen Selbstkonzeptdomänen das Selbstkonzept neben einer kognitiv-evaluativen auch
und stellte fest, dass die Größe dieser Korrelationen bis eine affektive Komponente hat und beide in Selbstkonzept-
zur 5. Klasse tatsächlich abnimmt – danach jedoch stabil skalen wie dem „Self Description Questionnaire“ (SDQ)
bleibt. Marsh beschränkte deshalb die Annahme einer von Marsh (1990b) empirisch kaum zu trennen seien. Dem-
zunehmenden Differenzierung auf die Altersstufen bis zur gegenüber fordern andere Autoren eine klare Trennung
5. Klasse. der beiden Aspekte akademischer Selbstkonzepte. Sie
verstehen unter akademischen Selbstkonzepten primär
Intraindividuelle Stabilität Eine interessante, aber Kompetenzwahrnehmungen („Ich bin gut in Mathematik“)
empirisch eher vernachlässigte Variante der Stabilität und rechnen die affektive Komponente eher dem
stellt die intraindividuelle oder ipsative Stabilität dar. Eine Interesse bzw. der Motivation zu (7 Kap. 7). Entsprechend
hohe ipsative Stabilität ist dann gegeben, wenn bei einem werden Instrumente bevorzugt, deren Items allein die
Individuum die Organisation von verschiedenen Selbst- ­kognitiv-evaluative Komponente thematisieren.
konzeptdomänen über die Jahre hinweg stabil bleibt. Bei- Die meisten Selbstkonzeptinstrumente sind Forschungs-
spielsweise könnte ein Jugendlicher von der 5. bis zur instrumente – eine Diagnostik auf Individualebene ist nicht
10. Klasse immer ein hohes mathematisches Selbstkonzept, vorgesehen. Ausnahmen bilden die SESSKO („Skalen zur
dafür aber ein niedriges verbales Selbstkonzept und ein Erfassung des schulischen Selbstkonzepts“) von Schöne et al.
mittelhohes Selbstkonzept sportlicher Fähigkeiten haben. (2002; kritisch Sparfeldt et al. 2003), die laut Autoren zur
Einzelfalldiagnostik geeignet sind und für die Normwerte vor-
Konstruktstabilität Konstruktstabilität oder inhaltliche liegen, sowie das DISK-Gitter („Differentielles Schulisches
Stabilität schließlich liegt dann vor, wenn ein Konstrukt Selbstkonzept-Gitter“; vgl. Buch et al. 2018). Allerdings ist frag-
bzw. Item für die Befragten über einen längeren Zeitraum lich, ob diese Normwerte in Hinblick auf Interventionsbedarf
stets dieselbe Bedeutung hat. So mag man sich überlegen, bei zu niedrigem (bzw. zu hohem) Selbstkonzept für sich allein
ob das Selbstkonzept Mathematik in der Grundschule und aussagekräftig sind – vermutlich müssten für solche Zwecke
in der gymnasialen Oberstufe eine ähnliche Bedeutung hat die tatsächlich gezeigten Leistungen auspartialisiert werden.
– geht es doch in der Grundschule um einfache Rechen- Neben Fragebogeninstrumenten, die in Hinblick auf
operationen, in der gymnasialen Oberstufe dagegen u. a. die Erfassung von Selbstkonzepten die Methode der Wahl
Selbstkonzept
197 8
zu sein scheinen, gibt es mittlerweile auch Ansätze zur dadurch, dass sie beobachten, ob sie eine bestimmte
Erfassung des „impliziten“ Selbstkonzepts (Greenwald Leistung gezeigt und damit „ein Kriterium“ erfüllt haben.
und Farnham 2000). Inwieweit die implizite Erfassung Spannend, aber auch eine Herausforderung, ist die
des Selbstkonzepts die Selbstberichtsverfahren sinnvoll Tatsache, dass sich die unterschiedlichen Vergleichs-
ergänzen kann, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. informationen oftmals nicht sauber trennen lassen.
Man nehme einmal den Fall an, dass Anna in der letzten
Deutscharbeit die Note 3 erhalten hat. Diese Note enthält
8.4  Determinanten des Selbstkonzepts: soziale Vergleichsinformationen (der Notendurchschnitt
Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der Klasse mag beispielsweise 3,2 gewesen sein), aber
der fachbezogenen Selbstkonzepte? auch kriteriale Vergleichsinformationen (die Leistung war
„befriedigend“). Sie erlaubt zudem einen temporalen Ver-
Selbstkonzepte werden von vielen Faktoren beeinflusst; gleich (in der letzten Arbeit hat Anna noch eine 2 erhalten)
sie spiegeln nur bedingt einen „objektiven“ Status wider. sowie einen dimensionalen Vergleich (in Mathematik
Ein Schüler, der in einem Mathematikleistungstest zu und Englisch steht Anna zwischen 3 und 4). Welche
den besten 10 % seines Jahrgangs gehört, mag trotzdem Auswirkungen die Klassenarbeit auf die Veränderung
der Meinung sein, für Mathematik wenig begabt zu sein. von Annas Deutschselbstkonzept hat, dürfte von der
Solche Diskrepanzen zwischen objektiver Leistung und Gewichtung all dieser Vergleichsinformationen abhängen.
subjektiver Selbsteinschätzung wirken auf viele Forscher Für die sozialen, temporalen, dimensionalen und
faszinierend und fördern die wissenschaftliche Produktivi- kriterialen Vergleiche und deren Konsequenzen ist es mit-
tät in diesem Feld. Der Kontrast zwischen Objektivität und entscheidend, welche Ursachen Schüler einem erlebten
Misserfolg bzw. Erfolg zuschreiben. Erfolge und Miss-
Subjektivität sowie die multiple Bedingtheit des Selbst-
konzepts gehören zu seinen besonders faszinierenden erfolge wirken sich vor allem dann auf das fachliche Selbst-
Eigenschaften und sorgen für einen kaum abreißenden konzept der Begabung aus, wenn sie internal-stabil auf
Strom von Beiträgen, die die Stabilität und Veränderung eine vorhandene oder mangelnde Begabung zurückgeführt
des Selbstkonzepts beschreiben. In diesem Abschnitt werden (Möller 2008). Günstiger sind gerade im Fall von
geben wir zunächst einen Überblick über unterschied- Misserfolg internal-variable Ursachenzuschreibungen
liche Quellen selbstkonzeptrelevanter Informationen. etwa auf die eigene mangelnde Anstrengung, denn sie
Danach gehen wir vertieft auf zwei einflussreiche Modelle ist variabel und kontrollierbar und verspricht damit Ver-
ein, die die komplexe Verarbeitung von Vergleichs- besserungsmöglichkeiten. Allerdings ist es bei schulischen
informationen beschreiben, und beschreiben die Wirkung Leistungssituationen wie Klassenarbeiten bei andauernden
von Geschlechterstereotypen sowie den Einfluss von Unter- Misserfolgen kaum möglich, das eigene Fähigkeitsselbst-
richt auf die Selbstkonzeptentwicklung. konzept gegen die negativen Leistungsrückmeldungen zu
schützen.
Im Folgenden werden zwei interessante Phänomene
vorgestellt, die beide als Bezugsrahmeneffekte bezeichnet
8.4.1  Soziale, dimensionale, temporale und werden können. Sowohl der „Big-Fish-Little-Pond-Effekt“
kriteriale Vergleichsinformationen als auch das „I/E-Modell“ thematisieren die Zusammen-
hänge zwischen schulischen Leistungen und fachbezogenen
Es hat sich eingebürgert, als Quellen der Selbstkonzept- Selbstkonzepten. Bei beiden Phänomenen geht es um die
genese zwischen sozialen, dimensionalen, temporalen und Auswirkungen von Leistungsvergleichen auf die Selbst-
kriterialen Vergleichsinformationen zu unterscheiden. konzepte, wobei im ersten Fall der soziale Vergleich im
Die Verarbeitung und Verwendung sozialer Vergleichs- Vordergrund steht, während im zweiten Fall der soziale Ver-
information lässt sich bereits im Vorschulalter beobachten gleich um dimensionale Vergleiche ergänzt wird.
und gewinnt in den Folgejahren zunehmend an Bedeutung
(Festinger 1954; Frey und Ruble 1990). Die besondere
Rolle 7 sozialer Vergleiche wird heute nicht mehr infrage 8.4.2  Big-Fish-Little-Pond Effekt
gestellt. 7 Temporale Vergleiche beinhalten einen längs-
schnittlichen Abgleich der eigenen Fähigkeit in einem Mit welchen anderen Schülern vergleichen Kinder und
Bereich zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Da die meisten Jugendliche ihre Leistungen? Den Bezugsrahmen für soziale
Schüler im Laufe eines Schuljahres Wissen hinzuerwerben, Vergleiche scheint primär die Schulklasse zu definieren,
sollte, so Rheinberg (2006), bei Schülern ein temporaler der man angehört. Hierauf weisen Arbeiten zum sog.
Vergleich in der Regel mit einer günstigen Entwicklung 7 ­Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Marsh 1987; Köller 2004)
des Selbstkonzepts einhergehen. 7 Dimensionale Ver- hin, nach dem Schüler definierter Leistungsstärke ein relativ
gleiche betreffen den intraindividuellen Vergleich zwischen hohes schulisches Selbstkonzept aufweisen, wenn sie sich
mehreren Domänen (7 Abschn. 8.4.3; zum Überblick Möller in sehr leistungsschwachen Klassen befinden. Sie werden
und Köller 2004; Möller und Marsh 2013). 7 Kriteriale zum großen Fisch im kleinen Teich. Hingegen haben
Vergleichsinformationen gewinnen Personen schließlich Schüler identischer Leistungsstärke niedrigere schulische
198 J. Möller und U. Trautwein

Selbstkonzepte, wenn sie in leistungsstarken Klassen Leistung), was wiederum zu einem höheren Fachinteresse
platziert werden (Schwarzer et al. 1982; im Überblick Köller führen sollte. Zudem konnten Belege dafür gefunden
2004). Dieser Effekt ist großenteils über die Leistungs- werden, dass sich Bezugsgruppeneffekte auch auf diverse
rückmeldungen durch Lehrkräfte vermittelt. In leistungs- Wahlentscheidungen auswirken. Trautwein et al. (2008)
starken Klassen bekommen Schüler bei gleichen Leistungen fanden beispielsweise Hinweise darauf, dass Kinder in ihrer
schlechtere Noten als in leistungsschwachen Klassen Freizeit weniger stark in Sportvereinen aktiv sind, wenn sie
(Trautwein et al. 2006b). Klassen mit sehr leistungsstarken viele sportliche Klassenkameraden haben, und Göllner et al.
Schülern bieten zudem mehr Möglichkeiten für soziale Auf- (2018) konnten Konsequenzen von Bezugsgruppeneffekte
wärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern, die sogar noch 50 Jahre nach dem Schulbesuch nachweisen.
negative Konsequenzen für die selbst eingeschätzten Fähig- Marsh (1991) hat für eine Reihe weiterer Kriteriums-
keiten haben. variablen die Bedeutung von Bezugsgruppeneffekten
Besonders gut kann dieser 7 Bezugsgruppeneffekt aufgezeigt. Allerdings gibt es durchaus bedeutsame Unter-
beim Übergang von Grundschülern in die Sekundarschule schiede in der Höhe der Bezugsgruppeneffekte. In den Items
beobachtet werden. Zunächst einmal ist hier eine gewisse vieler Selbstkonzeptinstrumente sind soziale Vergleiche
Ungerechtigkeit zu vermuten: In leistungsstarken Grund- oftmals implizit oder explizit thematisiert, indem beispiels-
schulklassen sind bessere Leistungen als in leistungs- weise nach Leistungen bzw. Noten in einem Fach gefragt
schwächeren Grundschulklassen notwendig, damit ein wird. Dies scheint eine Gewähr für besonders ausgeprägte
Schüler eine Gymnasialempfehlung bekommt (Trautwein Bezugsgruppeneffekte darzustellen. Werden von Schülern
8 und Baeriswyl 2007). Eine Reihe von Untersuchungen Kompetenzeinschätzungen mithilfe von Instrumenten ver-
belegt, dass Schüler im unteren Leistungsbereich am langt (Marsh et al. 2008), bei denen der soziale Vergleich
Ende der Primarstufe vom Wechsel in die Hauptschule eine geringere Rolle spielt (weil beispielsweise ein kriterialer
im psychosozialen Bereich profitieren. Da der ungünstige Vergleichsmaßstab verwendet wird), fallen die Referenz-
Leistungsvergleich mit deutlich leistungsstärkeren Schülern gruppeneffekte erwartungsgemäß kleiner aus. Interessanter-
entfällt und die Noten besser ausfallen (Schwarzer et al. weise fand sich in der Arbeit von Marsh et al. (2008) in
1982), erholt sich auch das leistungsbezogene Selbst- Hinblick auf die selbst berichtete Anstrengung im Unter-
konzept. Als Erklärung können wiederum soziale Ver- richt überhaupt kein Bezugsgruppeneffekt.
gleichsprozesse herangezogen werden: In der Hauptschule Es wurde vermutet, dass die Zuweisung leistungs-
steigen die Gelegenheiten für soziale Abwärtsvergleiche starker Schüler zu einer besonderen Schule bzw. Schulform
mit schwächeren Mitschülern. Für leistungsstarke Schüler neben den negativen Effekten auch positive Effekte auf
hat der Übergang auf das Gymnasium hinsichtlich ihrer Selbstkonzepte haben könnte. So könnte das Bewusstsein,
selbst wahrgenommenen Fähigkeiten den entgegen- einer prestigeträchtigen Schulform wie dem Gymnasium
gesetzten Effekt. Gehörten sie in der Grundschule noch zu anzugehören, selbstkonzeptsteigernd wirken. Dieser
den Besten, so erleben sie auf dem Gymnasium, dass viele Mechanismus wurde auch als „basking-in-reflected-glory“
Mitschüler in der Leistung ebenbürtig oder besser sind. (Cialdini und Richardson 1980) bzw. Assimilationseffekt
Auf dem Gymnasium steigen die Gelegenheiten für soziale bezeichnet (Marsh et al. 2000; kritisch Wheeler und Suls
Aufwärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern. 2007). Allerdings ist dieser Prestigeeffekt – so er überhaupt
Zudem fallen die Noten in Klassenarbeiten oder Zeugnissen gefunden wird – in aller Regel deutlich schwächer aus-
im Vergleich zur Grundschule schlechter aus. Die sozialen geprägt als der negative Effekt der ungünstigen sozialen
Vergleiche führen hier eher zu einem Absinken fähigkeits- Vergleiche in leistungsstarken Klassen (Trautwein et al.
bezogener Selbstkonzepte. Dieser Prozess mündet darin, 2006, 2009). Bei vergleichbarer Leistungsstärke wird also
dass das mittlere schulische Selbstkonzept auf den ver- in der Regel derjenige Schüler eine günstigere Selbst-
schiedenen Schulformen im Laufe der Sekundarstufe I stark konzeptentwicklung erleben, der in eine vergleichsweise
konvergiert. leistungsschwache Klasse wechselt, als derjenige, der in eine
Ist der Bezugsgruppeneffekt allein auf das Selbst- leistungsstarke Klasse platziert wird.
konzept begrenzt? Dies ist nicht der Fall. In einer Ana- Heißt das nun, dass man Eltern generell raten sollte, ihre
lyse (Köller et al. 2000) der Daten der Third International Kinder in eine leistungsschwächere Gruppe zu schicken,
Mathematics and Science Study (TIMSS) fand sich ebenso weil sich so ihr Selbstkonzept günstig entwickeln dürfte?
wie in Analysen mit Daten aus der PISA-Studie (Traut- Eine Arbeit von Dicke et al. (2018) scheint tatsächlich genau
wein et al. 2006b) neben den erwarteten Effekten auf das dies zu implizieren. Aber die empirische Datenlage ist nicht
mathematische Selbstkonzept auch ein Bezugsgruppeneffekt eindeutig, denn in Hinblick auf die Leistungsentwicklung
auf das Interesse an Mathematik. Bei gleicher Testleistung finden sich auch empirische Hinweise auf ein gegen-
berichteten Schüler ein höheres Interesse an Mathematik, teiliges Muster (Becker et al. 2006): Hier profitieren in ver-
wenn sie sich in einer vergleichsweise leistungsschwachen schiedenen Konstellationen Schüler vermutlich eher von der
Klasse befanden. Vermutlich wirkte hier teilweise das Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken Gruppe. Für Eltern,
Selbstkonzept als Mediator: Je leistungsschwächer die Schüler und Lehrkräfte ergibt sich aus diesen Befunden ein
Bezugsgruppe war, desto höher das Selbstkonzept des Spannungsfeld: Leistungsstärkere Umgebungen scheinen der
einzelnen Schülers (bei Kontrolle der individuellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen zuträglich, b ­ eeinträchtigen
Selbstkonzept
199 8
aber das Selbstkonzept. Umgekehrt fördern leistungs-
schwächere Umgebungen das Selbstkonzept, wirken aber
weniger leistungsfördernd. Als psychologisch begründete
Empfehlung ergibt sich daraus, dass soziale Vergleichs-
prozesse gerade bei schwachen Schülern nicht in den
Vordergrund gerückt werden sollten. Diese profitieren eher
von temporalen Vergleichen, mit denen Lehrer ihnen ihre
Leistungszuwächse deutlich machen können.

8.4.3  ­­Internal/
External-Frame-of-Reference-Modell

Wie oben (7 Abschn. 8.4.1) bereits erwähnt, zeigte sich


in Studien zu bereichsspezifischen Selbstkonzepten . Abb. 8.4 Das Internal/External-Frame-of-Reference-Modell
ein überraschender Befund: Das akademische Selbst-
konzept ließ sich in zwei distinkte Facetten unterteilen,
das verbale und das mathematische Selbstkonzept 4. Diese dimensionalen bzw. intraindividuellen Ver-
(. Abb. 8.3; z. B. Marsh et al. 1988). Überraschend war gleiche führen dazu, dass beispielsweise Schüler mit
dieser Befund insbesondere, weil lange bekannt war, dass guten Leistungen in der mathematischen Domäne ihr
verbale und mathematische Leistungen deutlich positiv Selbstkonzept der Begabung in der verbalen Domäne
korreliert sind und man daher entsprechende positive abwerten und Schüler mit intraindividuell schwachen
Korrelationen zwischen den Selbstkonzepten erwartete. Leistungen in der mathematischen Domäne ihr Selbst-
Das Internal/External-Frame-of-Reference-Modell, kurz: konzept der Begabung in der verbalen Domäne auf-
7 I/E-Modell von Marsh (1986), gilt als empirisch sehr gut werten.
bestätigtes Modell zur Erklärung der Zusammenhänge
zwischen fachspezifischen Schulleistungen und fachspezi- Der entscheidende Prozess scheint dabei ein Kontrast-
fischen Selbstkonzepten. Auf der Basis hoch positiver effekt zu sein, der in der Theorie dimensionaler Ver-
Korrelationen zwischen den schulischen Leistungen in gleiche (Möller und Marsh 2013) beschrieben wird: Schüler
­mathematisch-naturwissenschaftlichen und verbalen Schul- nehmen die Unterschiede in ihrer eigenen Leistungsfähig-
fächern nimmt das Modell vier Prozesse an: keit übertrieben deutlich wahr – alltagssprachlich aus-
1. Schüler wenden zur Beurteilung der eigenen gedrückt überschätzen sie ihre Stärken und unterschätzen
Leistungen einen externalen Bezugsrahmen („external ihre Schwächen. In der Folge kontrastieren sich die
frame of reference“) an. Sie vergleichen ihre Fach- verbalen und mathematischen Selbstkonzepte. Statistisch
leistungen in den Schulfächern mit den Leistungen ergeben sich daraus in Pfadanalysen negative Pfade von der
ihrer Mitschüler („Wie gut bin ich in Mathematik im Leistung etwa in Mathematik auf das verbale Selbstkonzept
Vergleich zu meinen Mitschülern?“). oder der Leistung etwa in Deutsch auf das mathematische
2. Diese sozialen bzw. interindividuellen Vergleiche Selbstkonzept, wie in . Abb. 8.4 veranschaulicht.
führen dazu, dass Schüler mit guten Leistungen Die positiven Effekte der schulischen Leistungen auf
ein hohes Selbstkonzept der Begabung in diesem die Selbstkonzepte im selben Schulfach sind meist stärker
Fach entwickeln und Schüler mit schwachen Schul- als die negativen Effekte der schulischen Leistungen
leistungen ein niedriges Selbstkonzept. Statistisch auf die Selbstkonzepte im anderen Schulfach. Danach
ergibt sich daraus eine positive Korrelation zwischen wirken soziale Vergleiche stärker als dimensionale Ver-
Schulleistungen und Selbstkonzepten innerhalb eines gleiche. Aber auch die Effekte der dimensionalen Ver-
Faches. In Pfadanalysen zeigen sich positive Pfade von gleiche sind substanziell, wie die grafische Darstellung in
der Leistung etwa im muttersprachlichen Unterrichts- . Abb. 8.5 zeigt. Die Höhe des mathematischen Selbst-
fach auf das verbale Selbstkonzept, wie in . Abb. 8.4 konzepts ist zunächst abhängig von der Mathematiknote;
dargestellt. das mathematische Selbstkonzept sinkt mit steigender (also
3. Schüler verwenden eine zweite Informations- schlechterer) Mathematiknote aufgrund sozialer Vergleiche
quelle: Sie nutzen zur Beurteilung der eigenen mit Mitschülern.
Leistungen neben dem externalen Bezugsrahmen In . Abb. 8.5 ist für Schüler mit den Mathematik-
einen internalen Bezugsrahmen („internal frame noten 2, 3 und 4 das mathematische Selbstkonzept (SK),
of reference“). Sie vergleichen ihre Leistungen in getrennt für Schüler mit guten Deutschnoten (1 und 2)
­mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern mit bzw. schlechten Deutschnoten (4 und 5) dargestellt. In
ihren eigenen Leistungen in sprachlichen Fächern Abhängigkeit von der Deutschnote zeigen sich Unter-
(„Wie gut bin ich in Mathematik im Vergleich zu schiede in der Höhe des mathematischen Selbstkonzepts
meinen Leistungen in Deutsch?“). der Begabung. Schüler, die in Mathematik die Note 3
200 J. Möller und U. Trautwein

7 aber keine signifikant unterschiedlich starken Effekte


dimensionaler Aufwärts- und Abwärtsvergleiche.
Auch längsschnittlich und experimentell angelegte
Studien (im Überblick Möller und Marsh 2013) zeigen
Effekte von Leistungsindikatoren auf die Veränderung
von akademischen Selbstkonzepten. Bei identischem
mathematischem Selbstkonzept zu Beginn von Studien
ergeben sich positive Effekte der Mathematikleistungen auf
die Veränderung des mathematischen Selbstkonzepts und
negative Effekte auf die Veränderung des muttersprach-
lichen Selbstkonzepts (Köller et al. 1999). Dabei zeigten
sich die Effekte dimensionaler Vergleiche nicht oder kaum,
wenn andere Personen, wie Lehrer, Mitschüler oder Eltern,
die akademischen Selbstkonzepte von Schülern einschätzen.
. Abb. 8.5 Mathematisches Selbstkonzept
Insbesondere Lehrer überschätzten die Korrelationen
zwischen den Schülerselbstkonzepten deutlich (Pohlmann
(„befriedigend“) und in Deutsch eine schlechtere Note et al. 2004). Die Kenntnis der Effekte dimensionaler Ver-
gleiche könnte also dazu beitragen, dass Lehrer die Selbst-
8 haben, liegen in ihrem mathematischen Selbstkonzept mehr
als eine halbe Standardabweichung über den Schülern mit bilder ihrer Schüler besser nachvollziehen können.
gleicher Mathematik-, aber besserer Deutschnote. Somit Pädagogisch bedeutsam ist auch, dass dimensionale
scheint der dimensionale Vergleich der eigenen Leistungen Vergleiche Kontrasteffekte auslösen, die zu einer Über-
in den beiden Schulfächern zu unterschiedlichen Selbst- schätzung der eigenen Fähigkeiten in den Domänen
einschätzungen in Mathematik zu führen. Damit ver- intraindividueller Stärke und zu einer Unterschätzung
ringert sich die Korrelation zwischen mathematischem der eigenen Fähigkeiten in den intraindividuell eher
und verbalem Selbstkonzept (7 Exkurs „Metaanalyse zum schwächeren Domänen führen. Damit beeinträchtigen
­I/E-Modell“). sie die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen eigener
Dabei ist umstritten, ob dimensionale Vergleiche in Fähigkeiten. Dies ist insbesondere für begabte Schüler
der Summe zu höheren Selbstkonzepten beitragen: Bei von Nachteil, die sich möglicherweise vorzeitig zu stark
Pohlmann und Möller (2009) zeigten sich in Feldstudien spezialisieren, obwohl sie auch in den Bereichen, die
und Experimenten positive Effekte dimensionaler Abwärts- sie selbst als ihre relativen Schwächen erleben, sehr
vergleiche mit dem schwächeren Fach, die stärker waren als gute Leistungen erzielen könnten. Umgekehrt fand das
die negativen Effekte dimensionaler Aufwärtsvergleiche mit ­I/E-Modell auch bei lernbehinderten Schülern Bestätigung
dem stärkeren Fach. Müller-Kalthoff et al. (2017b) fanden (Möller et al. 2009b). Für diese Personengruppe könnten
dagegen in fünf Studien die erwarteten Kontrasteffekte, sich die dimensionalen Vergleiche als Vorteil erweisen, da

Exkurs

Metaanalyse zum I/E-Modell


In einer 7 Metaanalyse mit Daten Ergebnismuster aus . Abb. 8.4. Danach untergeordneter Bedeutung zu sein. Eine
von über 120.000 Personen wurden sind die Pfade von der Schulleistung neuere Meta-Analyse (Möller et al. 2020)
alle 69 zum damaligen Zeitpunkt im muttersprachlichen Fach auf das mit 551 Datensätzen und Daten von
vorhandenen Studien integriert, in mathematische Selbstkonzept (−0.27) und insgesamt mehr als 800.000 Personen
denen die Zusammenhänge untersucht umgekehrt die Pfade von der Mathematik zeigte erneut positive Korrelationen
wurden, die das I/E-Modell beschreibt auf das verbale Selbstkonzept (−0.21) zwischen allen fachlichen Leistungen,
(Möller et al. 2009a). Zunächst zeigten sich negativ. Dieses Zusammenhangsmuster positive Effekte sozialer Vergleiche
nahezu ausschließlich deutlich positive gilt übrigens relativ unabhängig vom Alter und negative Effekte dimensionaler
Korrelationen zwischen mathematischen der Schüler sowohl für Beurteilungen Vergleiche auf Selbstkonzepte sowie
und verbalen schulischen Leistungen durch Lehrernoten als auch für Ergebnisse abgeschwächte Effekte auf motivationale
mit einem Median von Md = 0,63. Wie aus objektiven Leistungstests. Dass das Variablen. Dimensionale Kontrasteffekte
nach dem I/E-Modell zu erwarten, sind I/E-Modell spezifisch für fachbezogene waren am stärksten bei sehr unähnlichen
die Selbstkonzepte niedriger korreliert Selbstkonzepte gilt, zeigte sich ebenfalls Fächern; schwächer, wenn beide
als die Leistungsmaße (Md = 0,10). in der Metaanalyse: Studien, die Fächer verbaler Natur waren und
Die Leistungen und Selbstkonzepte im statt des Selbstkonzepts Selbstwirk- nahe Null, wenn beide Fächer aus der
selben Fach sind durchweg positiv und samkeitsüberzeugungen (7 Exkurs mathematisch-naturwissenschaftlichen
substanziell korreliert (für Mathematik „Selbstwirksamkeit“) erfassten, Fächergruppe stammten. Zudem ergaben
Md = 0,47, in der Muttersprache erbrachten theoriekonform keine sich stärkere soziale und dimensionale
Md = 0,39). Werden die aus der Bestätigung der Zusammenhänge. Vergleichseffekte für ältere als für jüngere
Metaanalyse resultierenden Befunde einer Soziale und dimensionale Vergleiche Schülerinnen und Schüler und für Noten
Pfadanalyse unterzogen, ergibt sich das scheinen für die Selbstwirksamkeit von als für standardisierte Testleistungen.
Selbstkonzept
201 8
die recht positive Einschätzung ihrer relativen Stärken dazu Unzulänglichkeiten dazu führen, dass Schüler und gerade
führt, dass sich ihr diesbezügliches Selbstkonzept kaum von Schülerinnen Studienfächer, die mit Mathematik zu tun
dem von Regelschülern unterscheidet. haben, meiden. Dieses (etwas verzerrte) Wissen um die
Das I/E-Modell wurde durch die Theorie dimensionaler eigene Leistungsfähigkeit trägt dazu bei, sich Umwelten
Vergleiche (Möller und Marsh 2013) einerseits zum und Herausforderungen zu wählen, die zum eigenen Fähig-
generalisierten I/E-Modell und andererseits zum 2­ I/E-Modell keitsprofil passen. Auch an geschlechterstereotypen Fach-
erweitert. Während sich das klassische I/E-Modell auf die wahlen mögen dimensionale Vergleiche beteiligt sein. Die
Relationen zwischen Leistungen und Selbstkonzepten in im I/E-Modell gefundenen Muster finden sich allerdings bei
Mathematik und dem erstsprachlichen Unterrichtsfach Mädchen wie bei Jungen. Dennoch gibt es typische Unter-
bezieht, erweitert das generalisierte I/E-Modell (GI/E- schiede im Selbstkonzept zwischen Jungen und Mädchen,
Modell; Möller et al. 2016) den Geltungsbereich auf andere wie das folgende Kapitel zeigt.
Variablen. Es besagt, dass Personen dimensionale Vergleiche
durchführen, wenn sie beliebige Aspekte einer bestimmten
Domäne A mit denselben Aspekten einer Domäne B ver- 8.4.4  Geschlecht und
gleichen und diese Vergleiche Effekte auf alle möglichen Geschlechterstereotype
Selbstwahrnehmungen in beiden Domänen haben. Erste
Studien zum GI/E-Modell berücksichtigen etwa weitere Von großer theoretischer und praktischer Relevanz sind
Schulfächer neben Mathematik und der Erstsprache wie Geschlechterunterschiede in der Selbstkonzeptentwicklung.
Naturwissenschaften, Fremdsprachen (z. B., Arens et al. Differenziert man die Ausprägung von schulbezogenen
2018; Marsh et al. 2015b; Jansen et al. 2015) oder Geschichte Selbstkonzepten nach dem Geschlecht, so zeigen sich recht
(Arens et al. 2016). Zudem konnten andere Variablen neben konsistent Unterschiede, die den allgemeinen Geschlechter-
den bereichsspezifischen Selbstkonzepten integriert werden stereotypen entsprechen (Marsh und Hattie 1996; Watt und
wie der Wert der Aufgaben (Arens et al. 2017; Gaspard et al. Eccles 2008). So berichten Jungen im Mittel ein höheres
2018; Goetz et al. 2008; Marsh et al. 2015a), Schüler-Lehrer- mathematisches Selbstkonzept als sprachliches Selbst-
Beziehungen (Arens und Möller 2016) und Interessen konzept, während bei Mädchen ein umgekehrtes Muster zu
(Schurtz et al. 2014). So zeigte sich, dass dimensionale und finden ist.
soziale Vergleiche kognitive, affektive und motivationale Diese Geschlechterunterschiede spiegeln nur teil-
Konsequenzen haben. Das 2­ I/E-Modell ermöglicht es, neben weise tatsächlich vorhandene Leistungsunterschiede wider.
sozialen und dimensionalen Vergleichen auch temporale Vielmehr lassen sie sich auch auf Geschlechterstereo-
Vergleiche als weiteren Vergleichsprozess innerhalb der typien zurückführen, die sich im Denken und Handeln
Personen abzubilden (Wolff et al. 2019, s. auch Müller- von zentralen Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer aus-
Kalthoff et al. 2017a). Die Effekte sozialer Vergleiche sind drücken. So konnten Studien der Arbeitsgruppe um Eccles
meist stärker als die Effekte dimensionaler Vergleiche, die (z. B. Frome und Eccles 1998) belegen, dass bei gleichem
wiederum stärker ausfallen als die Effekte temporaler Ver- Leistungsstand Eltern und Lehrkräfte dazu tendieren,
gleiche (Wolff et al. 2019). Für alle drei Vergleichsprozesse Jungen in Mathematik eine höhere Begabung zu attestieren.
zeigen sich meist positive Effekte von Abwärts- und negative Diese geschlechterstereotype Einschätzung scheint
Effekte von Aufwärtsvergleichen. wiederum einen Effekt auf die Selbsteinschätzungen von
Aus entwicklungspsychologischer Perspektive können Jungen und Mädchen zu haben. Lehrkräfte scheinen bei
die mit einer Beeinträchtigung einer realistischen Selbst- gleichem Leistungsstand bei Jungen eine höhere Begabung,
einschätzung verbundenen dimensionalen Vergleiche bei Mädchen dagegen ein stärkeres Ausmaß an Fleiß wahr-
durchaus funktional sein. Es gilt als eine zentrale Ent- zunehmen (Trautwein und Baeriswyl 2007).
wicklungsaufgabe, eine eigene Identität auszubilden und Dass geschlechterstereotype Vorstellungen auch von
im Laufe der Kindheit und Jugend Übergänge zwischen Eltern Effekte haben, zeigten Längsschnittstudien von
Schulformen, von der Schule in die berufliche Erstaus- Eccles (z. B. Frome und Eccles 1998). Eltern erwarten von
bildung oder in das Studium zu bewältigen (Havighurst Jungen in Mathematik bessere Leistungen als von Mädchen,
1952). Akademische Selbstkonzepte sind Bestandteile und diese Erwartungen der Eltern scheinen die Selbst-
der persönlichen Identität; sie beinhalten Wissen über konzepte der Schülerinnen negativ und die der Schüler
eigene Stärken und Schwächen. Wenn die eigenen Stärken positiv zu beeinflussen. Die Selbstkonzepte wiederum
positiv und die eigenen Schwächen negativ verzerrt wahr- beeinflussten die spätere Kurswahl entsprechend.
genommen werden, wozu die dimensionalen Vergleiche Stereotype nehmen nicht nur Einfluss auf die lang-
beitragen, mag dies einerseits richtungsweisende Ent- fristige Entwicklung von Selbstkonzepten, sondern können
scheidungen wie Kurswahlen erleichtern. Andererseits – wenn aktiviert – auch kurzfristig in Testsituationen wirk-
sorgen die Kontrasteffekte aber dafür, dass die Unter- sam werden. Darauf hat bereits die Forschung von Markus
schiede zwischen sprachlichen und mathematischen und Kunda (1986) zum „working self-concept“ hingewiesen.
Leistungen überbetont werden. So könnte die in guten In jüngerer Vergangenheit hat die Forschung zum sog.
Leistungen in sprachlichen Fächern begründete über- „stereotype threat“ einige Aufmerksamkeit gefunden, die im
pointierte Wahrnehmung eigener mathematischer Exkurs „Forschung zum ‚Stereotype Threat‘“ dargestellt wird.
202 J. Möller und U. Trautwein

Exkurs

Forschung zum „Stereotype Threat“


Für Furore sorgte ab Mitte der Gruppen von Studierenden (Jura, potenziell selbstkonzeptrelevant.
1990er-Jahre die Forschung zum sog. Informatik, Psychologie) verglichen Allerdings scheinen Stereotype-Threat-
Stereotype Threat (Steele und Aronson werden sollten (Ihme und Möller 2015). Effekte auch dann aufzutauchen, wenn die
1995). Demnach führt die Aktivierung Ähnliche Befunde fanden sich in Hinblick Stereotypien gar nicht in das Selbstbild
negativer Stereotype über bestimmte auf die Mathematikleistung von Mädchen integriert wurden, sondern nur als
Subgruppen dazu, dass die Mitglieder und Frauen: Ihre Mathematikleistungen Fremdbild wahrgenommen werden.
dieser Gruppen schlechtere Leistungen litten dann, wenn in der Testsituation Unklar ist, welche psychologischen
produzieren, als wenn das negative Stereotype zu Geschlechtsunter- Prozesse bei diesen Effekten ablaufen:
Stereotyp nicht aktiviert ist. schieden aktiviert wurden. Wiederum Was passiert in Situationen, in denen
So konnten Steele und Aronson (1995) in reichten einfache Manipulationen (wie bei Individuen ein (bedrohliches)
einer Serie von Experimenten zeigen, dass beispielsweise die Anwesenheit von Stereotyp aktiviert wird? Ändert sich in
die Leistung schwarzer Studierender dann Männern) aus, um die negativen Effekte diesen Momenten das Selbstkonzept
vergleichsweise schwach ausfiel, wenn des Stereotype Threat zu erzeugen. bzw. der Referenzrahmen, an dem die
sie sich in einer Situation befanden, in der Als Faktoren, die den Effekt erklären eigenen Fähigkeiten gemessen werden?
Stereotype über Leistungsunterschiede können, wurden u. a. Leistungsängst- Solche Fragen wird die Pädagogische
je nach Hautfarbe salient wurden. Dabei lichkeit, Erwartungseffekte, aufgewendete Psychologie in den kommenden Jahren
reichte es aus, die Testaufgaben als Anstrengung sowie kognitive beantworten müssen. Darüber hinaus

8 „Intelligenztest“ zu bezeichnen, um die


Leistung der schwarzen Untersuchungs-
Interferenzen angeführt.
Handelt es sich beim Stereotype Threat
ist zu klären, wie stark die Effekte des
Stereotype Threat unter „normalen“
teilnehmer zu beeinträchtigen. Für um einen Selbstkonzepteffekt? Es ist Schulbedingungen überhaupt
Lehramtsstudierende zeigten sich nach keine Frage, dass von Mitgliedern einer ausfallen. Zwei Beispiele: Unter welchen
einer stereotypen Bedrohung ebenfalls abgewerteten Gruppe Stereotype Bedingungen ist Koedukation für wen
Leistungseinbußen im Intelligenztest. als Ausdruck der Meinung eines schädlich? Zeigen sich bei bestimmten
Es genügte, den kommenden Test als „generalized other“ in das eigene Migrantengruppen in Deutschland
Intelligenztest zu bezeichnen, mit dem Selbstbild inkorporiert werden können. Leistungseinbußen infolge von Stereotype
Lehramtsstudierende mit anderen Wahrgenommene Stereotype sind Threat?

8.4.5  Schulischer Kontext und bei Schülern einher (Lüdtke et al. 2005; Rheinberg 2006).
Selbstkonzeptentwicklung Wenn Lehrer Leistungen ausschließlich im sozialen Ver-
gleich bewerten und sanktionieren und damit sehr stark
Wie sehr werden schulbezogene Selbstkonzepte durch das soziale Bezugsnormen in den Mittelpunkt rücken sowie dabei
Schulsystem, die Schule und den Unterricht beeinflusst? Der die intraindividuellen Leistungszuwächse vernachlässigen,
Big-Fish-Little-Pond-Effekt, der oben vorgestellt wurde, zeigt, leidet das Selbstkonzept insbesondere der schwächeren
dass der schulische Kontext einen starken Einfluss auf die Aus- Schüler. Verwenden Lehrer zusätzlich individuelle Bezugs-
prägung des Selbstkonzepts ausüben kann. Auch Studien zur normen, nach denen die Schülerleistung quasi im Längs-
Passung von Entwicklungsstufe und Lebensumwelt (dem sog. schnitt betrachtet wird, haben auch schwächere Schüler die
„stage-environment fit“) deuten darauf hin, dass das Selbst- Möglichkeit, Anerkennung für ihre Leistungszuwächse zu
konzept von Jugendlichen von der Struktur eines Bildungs- erhalten und günstige Attributionsmuster und höhere Selbst-
systems beeinflusst werden kann. So findet sich – wie bereits konzepte zu entwickeln. Die Rangordnungen der Ausprägung
beschrieben – in der frühen Adoleszenz ein Rückgang in des Selbstkonzepts innerhalb der Klassen scheint dagegen von
den mittleren Ausprägungen vieler bereichsspezifischer einem Wechsel der Lehrkraft nur bedingt beeinflusst zu sein
Selbstkonzepte. Während einige Forschungsgruppen dies (vgl. Rieger et al. 2019).
als Kennzeichen pubertärer Entwicklungen interpretieren, Allerdings sollte man nicht unbedingt erwarten, dass
argumentierten Roeser und Eccles (1998), dass dieser Abfall individuelle Bezugsnormen ausreichen, um für alle Schüler
im Selbstkonzept zumindest teilweise auf den in den meisten einer Klasse überdurchschnittlich positive Selbstkonzepte
Schulen in den USA zu diesem Zeitpunkt stattfindenden hervorzubringen. Die unterschiedlichen Leistungen in jeder
Wechsel auf die Highschool zurückgeführt werden kann. Klasse und die damit verbundenen Effekte sozialer Vergleiche
Dieser Schulwechsel führe zu instabilen Umgebungen und sorgen dafür, dass es viele Schüler gibt, die sich mit „besseren“
bringe mit dem stärker an der Leistung orientierten Unter- Schülern aufwärts vergleichen – mit den bekannten negativen
richtsklima neue Anforderungen an die Jugendlichen mit sich. Effekten auf das Selbstkonzept. Von daher verwundert es nicht,
Haben auch Lehrkräfte einen Einfluss auf die Ausprägung dass es wohl keine Klasse gibt, in der alle Schüler ein über-
der Selbstkonzepte ihrer Schüler? Tatsächlich finden sich durchschnittlich positives Selbstkonzept berichten. Will man
empirisch solche Belege. So haben Studien zum Lern- und untersuchen, wie erfolgreich bestimmte Lehrkräfte dabei sind,
Sozialklima in Klassen sowie zu förderlichem Lehrerver- den Schülern einen festen Glauben in die eigenen Fähigkeiten
halten immer wieder Selbstkonzepteffekte berichtet. Beispiels- zu vermitteln, sollte man deshalb neben dem Selbstkonzept
weise geht eine individuelle Bezugsnormorientierung bei noch weitere Indikatoren wie die Selbstwirksamkeitsüber-
Lehrkräften mit einer günstigen Selbstkonzeptentwicklung zeugungen (7 Exkurs „Selbstwirksamkeit“) einbeziehen.
Selbstkonzept
203 8
Exkurs

Selbstwirksamkeit
Die Selbstwirksamkeit oder auch zukünftigen Situationen. Schulische es nicht um die Wahrscheinlichkeit,
Selbstwirksamkeitserwartung ist die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine bestimmte konkrete Aufgabe
subjektive Wahrscheinlichkeit, neue und/ zeigen in aller Regel – zumindest in lösen zu können, sondern etwa um
oder schwierige Situationen aufgrund querschnittlichen Untersuchungen die eigenen Fähigkeiten in einem
eigener Kompetenz bewältigen zu – einen hohen Zusammenhang mit Unterrichtsfach). Im Unterschied zu
können (Bandura 1997). Ein Schüler hat schulischen Leistungsergebnissen fachspezifischen Selbstkonzepten
beispielsweise dann hohe Selbstwirk- (Bandura 1997). ist die Höhe der Selbstwirksamkeits-
samkeitserwartungen, wenn er oder Basis der Selbstwirksamkeits- erwartungen nur wenig durch soziale
sie bezüglich einer anstehenden erwartungen sind Erfahrungen Vergleichsinformation bestimmt. Für
Klassenarbeit relativ sicher ist, den mit dem konkreten Aufgabentyp. die Frage, ob ich eine konkrete Aufgabe
anstehenden Aufgabentyp gut Notwendig zur Herausbildung solcher lösen kann, ist es unerheblich, ob andere
bewältigen und daher eine gute Note Erwartungen sind internal-stabile dies besser oder schlechter können. Die
erzielen zu können. Selbstwirksam- Attributionen auf die eigene Begabung. Selbstwirksamkeit wird häufig erfasst als
keitserwartungen sind damit Urteile Fachspezifische Selbstkonzepte sind Schätzung der prozentualen Erfolgswahr-
über eigene Fähigkeiten in spezifischen meist breiter angelegt (bei ihnen geht scheinlichkeit einer Aufgabenlösung.

8.5  Wirkungen des Selbstkonzepts zwischen schulischem Selbstkonzept und der schulischen


Leistung bzw. der schulischen Leistungsentwicklung. In
Die besondere theoretische und praktische Bedeutung einer Metaanalyse sämtlicher Längsschnittstudien zum
bereichsspezifischer Selbstkonzepte ergibt sich unter Einfluss fähigkeitsbezogener Selbsteinschätzungen auf
anderem daraus, dass diese Personenmerkmale leistungs- zukünftige Leistungen analysierten Valentine et al. (2004)
bezogenes Verhalten erklären und vorhersagen können. Es insgesamt 60 Studien mit über 50.000 Teilnehmern. In fast
besteht weitgehender Konsens darüber, dass eine hohe Aus- allen Studien ergaben sich positive Effekte der Selbstein-
prägung des Selbstkonzepts, vermittelt über motivationale schätzungen auf künftige Leistungen. Auch wenn die vor-
Variablen, Lernprozesse in der jeweiligen Domäne fördern herigen Leistungen kontrolliert wurden, ergab sich ein
kann. zwar kleiner, aber doch bedeutsamer Effekt auf die Ver-
änderung der Leistung. Der Zusammenhang kann so inter-
pretiert werden, dass von zwei Schülern mit identischer
8.5.1  Selbstkonzept und Leistung Leistung in einem Fach überdurchschnittlich häufig der-
jenige zukünftig besser abschneidet, der ein höheres Selbst-
In welcher Beziehung stehen Selbstkonzept und Leistung? konzept seiner fachspezifischen Begabung hat. Der positive
Schon früh konnten Studien einen positiven Zusammen- Effekt eines vergleichsweise hohen Selbstkonzepts auf die
hang zwischen den beiden Variablen zeigen (Wylie nachfolgende Leistungsentwicklung kann mittlerweile
1979), doch wie sieht die kausale Einflussrichtung aus? als empirisch gesichert gelten. Die Effekte fielen in den-
Der 7 ­Skill-Development-Ansatz geht davon aus, dass jenigen Studien besonders hoch aus, in denen eine einzelne
fachbezogene Selbstkonzepte von schulischen und Leistungsdomäne (also beispielsweise der Zusammenhang
außerschulischen Rückmeldungen beeinflusst werden, dass von mathematischem Selbstkonzept und Schulleistung in
also Leistungen ursächlich für Selbstkonzepte sind. Wie Mathematik) untersucht wurde (Valentine et al. 2004).
bereits oben erläutert wurde, basieren Selbstkonzepte in der Die Forschung innerhalb des Self-Enhancement-
Tat teilweise auf konkreten Leistungsrückmeldungen mit Ansatzes zeigt somit in einer ganzen Reihe von Studien die
anschließenden sozialen, dimensionalen und temporalen Bedeutung des Selbstkonzepts für nachfolgende Leistungen.
Vergleichen und Kausalattributionen. Die „objektiven“ Da auch für den Skill-Development-Ansatz empirische
Leistungen übersetzen sich jedoch nicht direkt in ein Belege gefunden wurden, ist davon auszugehen, dass
„objektives“ Selbstkonzept. Auch die sozialen Vergleiche, wie Selbstkonzept und Leistung in einem reziproken (d. h. sich
sie im Big-Fish-Little-Pond-Effekt beschrieben werden, sind gegenseitig verstärkenden) Zusammenhang stehen. Dies
ein Beispiel dafür, wie schulische Leistungen im Sinne des wird im sogenannten Reciprocal-Effects-Modell (Marsh
­Skill-Development-Ansatzes auf das Selbstkonzept wirken. und Craven 2006) formuliert. Kombiniert man das I/E-
Der 7 Self-Enhancement-Ansatz dagegen nimmt an, Modell mit dem Reciprocal Effects Model, findet man, dass
dass Selbstkonzepte Lernleistungen beeinflussen können die Leistungen längsschnittlich die Selbstkonzepte im nicht
(z. B. Helmke und van Aken 1995). Über die Jahre wurden korrespondierenden Fach negativ beeinflussen. Dagegen
mehrere (Baumeister et al. 2003; Huang 2011; Marsh und zeigt sich kein längsschnittlicher Einfluss der Selbst-
Craven 2006; Valentine et al. 2004) prominente Über- konzepte in einem Fach auf die Leistungen im anderen
sichtsarbeiten zum Zusammenhang von Selbstkonzept und Fach; die Wirkungen der Selbstkonzepte auf die Leistungen
Leistung veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Arbeiten zeigen sich nur fachspezifisch (zum sogenannten
bestätigen recht deutlich den positiven Zusammenhang ­Reciprocal-I/E-Modell s. Möller et al. 2011).
204 J. Möller und U. Trautwein

Exkurs

Negative Folgen eines hohen Selbstkonzepts?


Die Annahmen und empirischen Folgen von Selbstüberschätzung bislang wenn sich Schüler eher an leistungs-
Befunde, dass ein „hohes“ Selbstkonzept in der pädagogisch-psychologischen stärkeren Mitschülern orientieren und
mit günstigen Folgen assoziiert ist, sowie Selbstkonzeptforschung in der Tat nicht dafür möglicherweise auch Einbußen
die damit assoziierten Forderungen, ein ausreichend geklärt. Man muss sich in Hinblick auf das Selbstkonzept in
positives Selbstkonzept zu fördern, sind nämlich vergegenwärtigen, dass übliche Kauf nehmen würden (Blanton et al.
nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Selbstkonzeptinventare gar nicht dazu 1999). In der Tat sind pädagogische
In der Tat gibt es durchaus auch taugen, das Ausmaß von „Selbstüber- Maßnahmen und Rückmeldungen
Modellvorstellungen mit gegenteiligen schätzung“ zu ermitteln, da zu deren immer eine Gratwanderung: Schüler
Wirkmechanismen. Entwicklung multiple Vergleiche dürfen ruhig wissen, dass sie noch nicht
Die erste Gegenposition besagt, dass ein beitragen. Ein Selbstkonzept muss genug wissen – aber sie sollen daran
realistisches Selbstkonzept einem hohen sich damit nicht an einem „objektiven“ glauben, dass sie das Wissen erwerben
Selbstkonzept vorzuziehen sei, da eine Standard messen lassen; hierfür wären können und es sich lohnt, das Wissen
Selbstüberschätzung langfristig negative wohl Selbsteinschätzungen, bei zu erwerben. Eine Orientierung an
Konsequenzen habe. Auf den ersten Blick denen explizit nach objektivierbaren leistungsstarken Mitschülern dürfte
scheinen die regressionsanalytischen Performanzkriterien gefragt wird, deshalb positiv sein, wenn sie mit der
Untersuchungen, bei denen bei Kontrolle interessanter. Überzeugung verknüpft ist, von dem
des tatsächlichen Leistungsstands ein Eine zweite Gegenposition verweist Mitschüler lernen zu können bzw.

8 vergleichsweise hohes Selbstkonzept


mit günstiger Leistungsentwicklung
darauf, dass Personen mit hohen
fachbezogenen Selbsteinschätzungen
ähnlich viel hinzulernen zu können,
aber negative Folgen haben, wenn der
einhergeht, eher dafür zu sprechen, womöglich dazu tendieren, nicht Vergleich mit diesem Mitschüler das
dass „Selbstüberschätzung“ positive mehr viel Anstrengung in das Fach zu eigene Selbstkonzept stark negativ
Folgen habe. Allerdings wurden die investieren. Hilfreich sei es deshalb, beeinträchtigt.

Warum fördert ein hohes schulisches Selbstkonzept lernförderlichen Verhaltensweisen und Kurswahlen stehen.
die schulische Kompetenzentwicklung? Welche Mechanis- Systematisch sind diese Konstrukte, das Selbstkonzept, das
men liegen dem Befundmuster zugrunde? Vermutlich Interesse und Wahlentscheidungen im Erwartungs-Wert-
wirkt ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept sowohl beim Modell von Eccles (1983) integriert, das im Folgenden vor-
Kompetenzerwerb als auch in Performanzsituationen gestellt wird.
unterstützend (7 Exkurs „Negative Folgen eines hohen Das Erwartungs-Wert-Modell bietet eine Systematisierung
Selbstkonzepts?“). Die leistungsfördernde Wirkung eines derjenigen Faktoren, von denen angenommen werden
positiv ausgeprägten Selbstkonzepts wurde u. a. in einer kann, dass sie die Selbstkonzeptgenese beeinflussen und
Arbeit von Helmke (1992) dokumentiert, der mithilfe erlaubt eine Vorhersage von leistungsthematischem Ver-
eines längsschnittlichen Designs das Zusammenspiel halten. Das Modell postuliert, dass sich die Leistung in
von Mathematikleistung und mathematischem Selbst- einem Fach kurz-, mittel- und langfristig dann positiv ent-
konzept beobachtete. In dieser Studie sagte ein hohes wickelt, wenn ein Schüler davon ausgeht, erfolgreich sein
mathematisches Selbstkonzept ein erhöhtes Engagement zu können ­ (Erwartungs-Komponente) und er das Fach
der Schüler im Unterricht sowie eine höhere Anstrengungs- interessant, wichtig oder nützlich findet (Wert-Komponente).
bereitschaft bei den Hausaufgaben und Probearbeiten vor- Die Erwartungskomponente wird durch die Wahrscheinlich-
her; diese Variablen wiederum waren positiv mit einer keit repräsentiert, eine Aufgabe lösen oder in einem Schul-
günstigen Leistungsentwicklung in Mathematik assoziiert. fach gute Leistungen erbringen zu können. Damit ist die
Positive Konsequenzen eines hohen Selbstkonzepts Erwartungskomponente sehr eng mit dem Selbstkonzept ver-
in Performanzsituationen dokumentierten in einer bunden. Aus der Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit
experimentellen Studie Eckert et al. (2006). Konfrontiert in einer Domäne wird die Erwartung abgeleitet, zukünftig
mit Intelligenztestaufgaben, für die es keine korrekten gute Leistungen erbringen zu können. Als Wertkomponente
Lösungen gab und die somit subjektiv zu einem Versagens- ist definiert, welche Bedeutung die Aufgabe oder Tätigkeit
erlebnis führten, waren es vor allem Versuchspersonen mit für jemanden hat, welchen Nutzen er ihr zuschreibt und wie
niedrigem Selbstkonzept, deren anschließende Leistung bei interessant er sie findet; zudem mindern wahrgenommene
anderen Aufgaben unter dem Misserfolgserlebnis litt. Kosten wie die eigene Anstrengung, die mit der Aktivität ver-
bunden sind, den Wert einer Tätigkeit. Eine Kombination von
Erwartungs- und Wertkomponente bestimmt die Leistungs-
8.5.2  Selbstkonzept, Interesse motivation, die Anstrengung und Ausdauer einer Person
und leistungsthematische sowie ihr leistungsbezogenes Wahlverhalten (z. B. Kurs-
Wahlentscheidungen wahlen).
Das Fähigkeitsselbstkonzept steht im Mittelpunkt
Zu den pädagogisch relevanten positiven Effekten des Selbst- des erweiterten Erwartungs-Wert-Modells nach Eccles
konzepts gehört auch die Förderung von fachbezogenen (1983; Wigfield und Eccles 1992), wie es in einer Variante
Interessen, die wiederum in engem Zusammenhang mit in . Abb. 8.6 dargestellt wird. Es ist eine Art Mittler oder
Selbstkonzept
205 8

. Abb. 8.6 Das Selbstkonzept als Mediator im Erwartungs-Wert-Modell

7 Mediator zwischen den Leistungserfahrungen einer ­ useinandersetzung mit dieser Domäne und erhöht die
A
Person und der Lernmotivation und dem Lernverhalten. Ausdauer, die Anstrengung und die Lernzeit. Wigfield und
In dem Modell wird das Selbstkonzept von zentralen Eccles (1992) zeigen, dass eine erhöhte Lernmotivation
Umgebungsfaktoren beeinflusst. Dazu zählen zunächst ein- auch die Art und Weise des Umgangs mit Lernmaterialien
mal das kulturelle Milieu, in dem ein Kind aufwächst, sowie prägt: Während gering Motivierte eher oberflächliche
die familiäre und schulische Umwelt (7 Kap. 10). Welche Lernstrategien einsetzen, wie Auswendiglernen, zeigen
Bedeutung eine Familie der schulischen Bildung ihres motivierte Personen tiefer gehende Lernstrategien, wie
Kindes zuschreibt und welchen Bildungsstand die Eltern für Elaborations- und Transformationsstrategien.
ihr Kind anstreben, sollte danach wesentlich die schulische Insgesamt entsteht also folgendes Bild der Mittler-
Entwicklung mitbestimmen. Auch ganz konkretes rolle des fachbezogenen Selbstkonzepts: Wenn ein unter-
Erziehungsverhalten der Eltern ist wichtig: So lässt sich bei- stützendes familiäres und schulisches Klima vorhanden ist
spielsweise zeigen, dass die Lesekompetenz von Schülern und vor allem positive Lernerfahrungen vorliegen, führen
von familiären und individuellen Bedingungen abhängt positive Leistungsrückmeldungen zu einem hohen Selbst-
und dass dabei der familiäre Einfluss zu einem Großteil auf konzept. Mit einem hohen Selbstkonzept sind die Voraus-
sprachliche Interaktionen von Eltern und Kindern zurück- setzungen günstig, dass ein Schüler in dieser Domäne auch
geht. Der soziale Hintergrund wirkt vor allem über die eine hohe Lernmotivation zeigt. Auch die motivationalen
sprachliche Interaktion von Eltern und Kindern auf das Voraussetzungen sprechen dann für ein zukünftig hohes
Leseselbstkonzept, die Lesemotivation und schließlich die Engagement und entsprechende Lernergebnisse.
Lesekompetenz der Schüler (Retelsdorf und Möller 2008). Generell scheint zu gelten, dass sich fachbezogene Selbst-
Ein niedriges fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept wirkt konzepte und Interessen gegenseitig positiv beeinflussen,
sich ungünstig auf das Lernverhalten und das Lernresultat auch wenn es je nach untersuchter Altersstufe und unter-
aus: Wer sich in einer Domäne eine geringe Begabung suchter Domäne gewisse Unterschiede in der Stärke der
zuschreibt, wird in der Regel wenig motiviert sein, sich mit jeweiligen Effekte geben mag. Die wechselseitige positive
diesem Fachgebiet auseinanderzusetzen. Beeinflussung sowie der oben gezeigte Zusammenhang mit
So beeinflusst das fachbezogene Selbstkonzept die der Schulleistung führen dazu, dass der Zusammenhang
Wertkomponente deutlich. Schüler, die in einer Domäne von Selbstkonzept, Interessen und Schulleistung gerade in
überdurchschnittliche Leistungen zeigen und daher ein höheren Klassenstufen sehr eng ausfallen kann.
hohes bereichsspezifisches Selbstkonzept entwickeln, Sowohl Selbstkonzepte als auch Interessen haben
erleben die Auseinandersetzung mit Aufgaben aus diesem sich als besonders gute Prädiktoren von individuellen
Bereich emotional positiver und finden diesen Bereich akademischen Schwerpunktsetzungen herausgestellt. Ein-
wichtiger als Schüler, die weniger gute Leistungen bringen. flüsse des Selbstkonzepts sowie von Interessen konnten
Der Wert, den eine Domäne für jemanden hat, hängt, so beispielsweise sowohl für Kurswahlen in amerikanischen
betrachtet, zumindest teilweise vom Selbstkonzept ab. Highschools (Marsh und Yeung 1997) als auch in der
Auf der anderen Seite motiviert der Wert die Person zur gymnasialen Oberstufe (Nagy et al. 2008) gezeigt werden.
206 J. Möller und U. Trautwein

8.6  Schulische und außerschulische reicherten ein solches Outward-Bound-Programm durch


Interventionsmaßnahmen akademische Inhalte an und konnten einen positiven Effekt
der Maßnahme auch auf das mathematische Selbstkonzept
Abschließend sollen Maßnahmen vorgestellt werden, die zeigen.
das mehr oder weniger explizite Ziel haben, schulbezogene O’Mara et al. (2006) führten eine Metaanalyse von
Selbstkonzepte zu beeinflussen. Solche Maßnahmen können insgesamt 145 Studien durch, um die Effekte von Inter-
sowohl durch speziell entworfene Selbstkonzepttrainings als ventionsprogrammen auf die Selbstkonzepte von Kindern
auch durch Lehrer etwa während des normalen Unterrichts und Jugendlichen beschreiben zu können. Insgesamt ergab
initiiert werden. Bei der Beurteilung solcher Maßnahmen sich eine mittlere Effektstärke von d = 0,47. Danach hatten
muss jedoch, wie bereits oben beschrieben, immer beachtet die Trainingsgruppen, in denen eine Intervention durch-
werden, dass vielfältige Referenzgruppeneffekte die Ver- geführt wurde, ein um knapp die Hälfte der Standardab-
änderung von Selbstkonzepten beeinflussen. Automatisch weichung höheres Selbstkonzept als die Kontrollgruppe, die
ablaufende soziale und dimensionale Vergleiche, wie sie im kein Programm mitgemacht hatte. Interventionen, die auf
Big-Fish-Little-Pond Effekt und I/E-Modell thematisiert einen spezifischen Aspekt des Selbstkonzepts ausgerichtet
sind, schränken notwendigerweise die Kraft und Nach- waren, waren besonders effektiv, wenn genau dieser spezi-
haltigkeit von gezielten Interventionen ein. Ergänzend ist fische Aspekt des Selbstkonzepts auch gemessen wurde.
deshalb die Berücksichtigung von Selbstwirksamkeitsüber-
zeugungen sowie weiterer Konstrukte zu empfehlen.
8 Zur Steigerung des Selbstkonzepts können Maßnahmen Fazit
beispielsweise aus dem E
­ rwartungs-Wert-Modell (. Abb. 8.6) Das schulische Selbstkonzept zählt zu
abgeleitet werden. Positive Lernerfahrungen und Leistungs- den am gründlichsten untersuchten
rückmeldungen sowie unterstützendes Verhalten durch ­pädagogisch-psychologischen Variablen. Interessant
Eltern und Lehrkräfte schaffen die Ausgangsbasis für ein erscheint es vor allem, weil es in Modellen wie dem
positives Selbstkonzept. Da die Höhe des Selbstkonzepts ­Big-Fish-Little-Pond-Effekt oder dem I/E-Modell
eng mit den Ursachenzuschreibungen für Leistungen ver- zu Abweichungen von rein rationalen Selbstein-
knüpft ist, kann darüber hinaus von günstigen Auswirkungen schätzungen kommt. Deutlich geworden ist nicht nur
internal-variabler Misserfolgsattributionen auf das Selbst- die Abhängigkeit des Selbstkonzepts von schulischen
konzept ausgegangen werden. In Attributionstrainingspr Leistungen und umgekehrt seine Bedeutung für die
ogrammen werden direkt bestimmte Attributionsmuster schulische Leistungsentwicklung. Das Selbstkonzept ist
eingeübt (zum Überblick Försterling 1985). Weiter gefasste auch in komplexe motivationale Prozesse eingebunden
Motivationsförderungsprogramme streben ebenfalls Ver- wie Entscheidungen für bestimmte Kurse oder
änderungen der Bewertung der eigenen Fähigkeiten an Studienfächer. Zusammengefasst kann die Förderung
(7 Kap. 17). eines adäquaten und positiven Selbstkonzepts als
Wie DeCharms (1968) betonen auch Rheinberg und zentrales Ziel pädagogischer Bemühungen gelten.
Krug (2004) die Notwendigkeit realistische Anspruchs-
niveaus zu entwickeln. Schüler, die zu leichte oder zu
schwere Aufgaben als Grundlage der Selbstbewertung
? Verständnisfragen
wählen, vermeiden detaillierte Rückmeldung zu ihrer
1. Was versteht man unter einem bereichsspezifischen
eigenen Leistungsfähigkeit. Geeigneter sind Ziele, die sich
Selbstkonzept?
an der individuellen Leistungsentwicklung des Schülers
2. Welche Rolle spielt das schulische Selbstkonzept im
orientieren und knapp über dem bisher Erreichten liegen.
Erwartungs-Wert-Modell?
Besonders bei Misserfolg kann bei einer solchen Aufgaben-
3. Unterscheiden Sie den Skill-Development-Ansatz
wahl auf die eigene Anstrengung attribuiert werden, die
vom Self-Enhancement-Ansatz.
dann bei zukünftigen Anforderungen gesteigert werden
4. Beschreiben Sie den Big-Fish-Little-Pond-Effekt.
kann.
5. Was versteht man unter dimensionalen Vergleichen?
Speziell zur Erhöhung des Selbstkonzepts sind sog.
Outward-Bound-Programme durchgeführt worden.
Vertiefende Literatur
Dabei werden in erlebnispädagogischer Tradition heraus- 5 Bracken, B. A. (Ed.). (1996). Handbook of self-concept. New York:
fordernde und oft sportliche Aktivitäten verlangt, wie bei- Wiley.
spielsweise das Überqueren eines Flusses mittels einer selbst 5 Helmke, A. (1992). Selbstvertrauen und schulische Leistungen.
konstruierten Brücke oder das (abgesicherte) Balancieren Göttingen: Hogrefe.
5 Marsh, H. W., & Craven, R. G. (2006). Reciprocal effects of
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211 9

Emotionen
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun

9.1  Begriffsbestimmung – 212


9.1.1  Emotionen – Mehrdimensionale Konstrukte – 212
9.1.2  Struktur von Emotionen – 213
9.1.3  Verwandte Konstrukte – 214
9.1.4  Emotionsregulation – 215

9.2  Erfassung von Emotionen – 215


9.3  Leistungsemotionen – 217
9.3.1  Definition und Taxonomisierung – 217
9.3.2  Fachspezifität von Leistungsemotionen – 217
9.3.3  Auftretenswahrscheinlichkeit von Leistungsemotionen und ihre
Bedeutung für Leistung und Wohlbefinden – 218
9.3.4  Versuch einer Abgrenzung von Emotionen und Kognitionen
im Lern- und Leistungskontext – 219
9.3.5  Entwicklungsverläufe von Emotionen im Lern- und
Leistungskontext – 221
9.3.6  Ursachen von Emotionen im Lern- und Leistungskontext – 222
9.3.7  Wirkungen von Emotionen im Lern- und Leistungskontext – 227
9.3.8  Anregungen zur Gestaltung eines emotionsgünstigen
Unterrichts – 230

Literatur – 232

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_9
212 A. C. Frenzel et al.

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Emotionen im Lern- und spürt man, sie sind keine reinen Gedankeninhalte. Jede
Leistungskontext. Fragen Sie sich doch einmal selbst – wie Emotion ist durch ein für sie typisches psychisches Erleben
fühlen Sie sich, während Sie die Inhalte dieses Lehrbuchs gekennzeichnet. Dies wird auch als der „affektive Kern“
durcharbeiten? Macht Ihnen diese Aufgabe Spaß? Lang- einer Emotion bezeichnet. Affektives Erleben ist notwendig
weilt es Sie? Ärgern Sie sich dabei? Und der Gedanke daran, und hinreichend für eine Emotion. Die meisten Emotionen
dass Ihre Lernergebnisse überprüft werden: Jagt er Ihnen lassen sich recht eindeutig entlang der Dimension Valenz
einen Schauer über den Rücken oder erfüllt es Sie mit Stolz, in „positiv“ vs. „negativ“ einordnen. Emotionen haben
Ihre Erkenntnisse und Lösungen präsentieren zu dürfen? einen stark wertenden Charakter, sie sind Signalgeber dafür,
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen wie angenehm oder unangenehm eine aktuelle Situation
findet in allen Subdisziplinen der Psychologie statt, viel in empfunden wird.
der Allgemeinen Psychologie und Klinischen Psychologie,
aber auch in der Neuro-, Entwicklungs-, Persönlichkeits- und
» Emotion would not be emotion without some evaluation
at its heart. (Parkinson 1997, S. 62)
Pädagogischen Psychologie. Innerhalb der Pädagogischen
Psychologie sind Emotionen einen relativ „junger“ Neben diesem affektiven Kern werden in vielen Definitionen
Forschungsbereich. Abgesehen von der traditionellen vier weitere zentrale Komponenten von Emotionen genannt
Prüfungsangstforschung (überblicksartig in Schnabel (. Abb. 9.2 und 7 Exkurs „Prüfungsangst – Facetten“):
1998; Zeidner 2014) wurde der Relevanz von Emotionen im 5 Die physiologische Komponente: Je nach emotionalem
Kontext von Lernen und Leistung in den letzten 20 Jahren Zustand ändern sich z. B. Herzrate, Hautleitfähig-
durch intensive Forschungstätigkeit Rechnung getragen. In keit oder Muskeltonus – kurz gesagt, die allgemeine
diesem Kapitel werden vorwiegend Arbeiten zu Emotionen Anspannung oder der Erregungszustand. Auch im
9 im Leistungskontext vorgestellt und Aspekte aus den zentralen Nervensystem finden Emotionen ihre Ent-
Nachbardisziplinen dann aufgegriffen, wenn sie für den sprechung, sowohl kortikale als auch subkortikale
pädagogischen Kontext relevant sind (. Abb. 9.1). Areale (u. a. der präfrontale Kortex und die Amygdala)
zeigen beim Erleben von Emotionen spezifische
Aktivierungsmuster.
5 Die kognitive Komponente: Emotionales Erleben geht
meist mit emotionstypischen Gedankeninhalten ein-
her; bei Angst sind dies beispielsweise Gedanken an
die Konsequenzen eines möglichen Scheiterns („Was
werden wohl meine Eltern sagen, wenn ich wieder mit
einer schlechten Note nach Hause komme?“).
5 Die expressive Komponente: Verschiedene Emotionen
gehen mit für sie typischem verbalem und nonverbalem
Ausdrucksverhalten einher. Dies macht Emotionen für
Interaktionspartner erkennbar.
5 Die motivationale Komponente: Emotionen lösen
entsprechendes Verhalten aus. Aus evolutionspsycho-
logischer Perspektive wird argumentiert, dass Organis-
men überhaupt erst deshalb Emotionen entwickelt
. Abb. 9.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) haben, weil diese dafür sorgen, adaptives (d. h. über-
lebensförderliches) Verhalten zu zeigen, z. B. aus Angst
zu flüchten oder in guter Stimmung die Umwelt zu
9.1  Begriffsbestimmung explorieren.

9.1.1  Emotionen – Mehrdimensionale
Konstrukte Definition
Emotionen sind mehrdimensionale Konstrukte, die aus
7 Emotionen sind innere, psychische Prozesse. affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und
Charakteristisch ist vor allem ihr „gefühlter“ Kern: Emotionen motivationalen Komponenten bestehen (. Abb. 9.2).
Emotionen
213 9

. Abb. 9.2 Mindmap Emotionen

Exkurs

Prüfungsangst – Facetten
Das affektive Erleben bei 7 Prüfungsangst von Liebert und Morris 1967). Prüfungs- oder Vermeidungstendenzen bezüglich
ängstliche Personen plagen zudem Lern- und Prüfungssituationen einher. Die
ist durch Aufgeregtheit, Nervosität und
permanente Sorgen um eigene Schwierigkeit liegt hier darin, dass es in
Unsicherheitsgefühle gekennzeichnet.
Fähigkeitsmängel – so kreisen ihre unserer modernen Gesellschaft keineswegs
Körperlich macht sich Prüfungsangst
Gedanken schon während des Lernens „adaptiv“ (also Erfolg bringend) ist, in
durch erhöhte Erregung mit Symptomen
und auch in der Prüfung um Versagen und solchen Situationen Vermeidungs- und
wie Zittern, Schweißausbrüchen oder
um die Konsequenzen eines möglichen Fluchtverhalten an den Tag zu legen. Im
Übelkeit bemerkbar. Diese affektiven
Misserfolgs. Dieser kognitive Aspekt Gegenteil, nicht zu lernen mindert die
und physiologischen Komponenten
der Prüfungsangst wird auch mit dem Erfolgsaussichten, und an einer Prüfung
werden in der Literatur häufig zusammen
Begriff „Worry-Komponente“ bezeichnet. nicht teilzunehmen impliziert in der Regel,
als „Emotionality-Komponente“ der
Schließlich geht Prüfungsangst mit Flucht- sie nicht zu bestehen.
Prüfungsangst bezeichnet (erstmalig

9.1.2  Struktur von Emotionen dimensionalen Ansatz identisch klassifiziert werden,


phänomenologisch große Unterschiede gibt. So fühlt
Es gibt zwei zentrale Ansätze zur Beschreibung der Struktur man sich z. B. sowohl bei Angst als auch bei Ärger negativ
von Emotionen, nämlich dimensionale und kategoriale und aktiviert; das subjektive Erleben unterscheidet sich
Modelle. Unter einer dimensionalen Perspektive werden jedoch recht stark bei diesen beiden Emotionen. Aus einer
Emotionen anhand einer begrenzten Anzahl quantitativ dimensionalen Perspektive wird dem wiederum entgegen-
variierender Eigenschaften gruppiert. Die beiden am gehalten, dass trotz der subjektiv-phänomenologischen
häufigsten genannten Dimensionen sind Valenz (positiv bis Unterschiedlichkeit diese Emotionen typischerweise relativ
negativ bzw. angenehm bis unangenehm) und Aktivierung/ hoch positiv miteinander korrelieren, dass man also in
Erregung (niedrige bis hohe Aktivierung). Die Frage „Wie einer angstbesetzen Situation auch rasch ärgerlich reagiert
fühlen Sie sich im Moment?“ würde in diesem Ansatz bei- oder Personen, die allgemein zu Ärger neigen, auch häufig
spielsweise mit „positiv aktiviert“ beantwortet. Manche berichten, Angst zu erleben.
Autoren beziehen daneben noch weitere Dimensionen mit Im Kontext der Suche nach einer begrenzten Anzahl
ein (wie Intensität oder erlebte Dominanz). Beim kate- an diskreten Emotionen, die universell auftreten, ist der
gorialen Ansatz wird darauf Wert gelegt, zwischen einer Begriff Basisemotionen geprägt worden. Basisemotionen
Vielzahl an qualitativ unterschiedlichen („diskreten“) scheinen alle Menschen zu kennen und unterscheiden zu
Emotionen zu differenzieren. Obige Frage würde in diesem können. Sie gehen über Kulturen hinweg mit ähnlichen,
Ansatz beispielsweise mit „ärgerlich“ oder „ängstlich“ typischen Gesichtsausdrücken einher und sind durch spezi-
beantwortet. Aus dieser Perspektive wird argumentiert, fische Auslösebedingungen sowie spezifische resultierende
dass es auch noch zwischen Emotionszuständen, die im Handlungstendenzen charakterisiert. Von verschiedenen
214 A. C. Frenzel et al.

Autoren wurden immer wieder unterschiedliche Vor- 9.1.3  Verwandte Konstrukte


schläge gemacht, welche Gefühlszustände zu den Basis-
emotionen gezählt werden könnten. Besonders häufig Emotionen werden im Kontext zahlreicher weiterer
werden dabei die folgenden Emotionen genannt (z. B. Phänomene diskutiert, die in diesem Beitrag am Rande zur
Ortony und Turner 1990; siehe auch Scarantino 2015): Sprache kommen. Hierzu zählen die Konstrukte Stimmung,
5 Freude Wohlbefinden, Stress und Flow, die im Folgenden kurz
5 Überraschung erläutert werden.
5 Trauer Die Begriffe Emotion und Stimmung werden in
5 Ärger vielen Forschungsarbeiten weitgehend synonym benutzt.
5 Angst Emotionen und Stimmungen sind tatsächlich durch weit-
5 Ekel. gehend kongruente Komponenten charakterisiert (affektives
Erleben, spezifisches physiologisches Erregungsmuster,
Eine weitere wichtige strukturelle Eigenschaft von Emotionen charakteristische Gedankeninhalte sowie Ausdrucksverhalten).
liegt darin, dass sie zum einen als momentane Zustände Unterschiede bestehen darin, dass Stimmungen typischerweise
und zum anderen als dispositionelle Reaktionstendenzen länger anhaltend, aber dabei weniger intensiv ausgeprägt und
betrachtet werden können. In der allgemeinpsycho- in geringerem Maße auf bestimmte Objekte gerichtet sind als
logischen Forschung werden Emotionen meist als situative, Emotionen. Im Unterschied zu diskreten Emotionen werden
momentane Zustände (sog. emotionale States) beschrieben. Stimmungen zudem häufig einfach dimensional als positiv,
In der Differenziellen Psychologie und Persönlichkeits- neutral oder negativ klassifiziert.
psychologie, d. h. bei der Betrachtung von Unterschieden Emotionen werden typischerweise als integrale Bestand-
9 zwischen Individuen, betrachtet man Emotionen aber auch teile von subjektivem Wohlbefinden genannt. Wohl-
aus der Perspektive, dass es dispositionelle Unterschiede in der befinden besteht nicht nur in der Abwesenheit negativer
Neigung zu geben scheint, in verschiedenen Situationen mit Emotionen (z. B. keine Angst zu haben), sondern beinhaltet
bestimmten Emotionen zu reagieren. In diesem Zusammen- auch das Empfinden positiver Emotionen (allem voran
hang spricht man von Emotionen als Traits (relativ stabile das Erleben von Freude). Hinzu kommt in einer der ein-
Persönlichkeitseigenschaften; Pekrun und Frenzel 2009). So schlägigen Definitionen zum subjektiven Wohlbefinden
unterscheiden sich Personen beispielsweise in ihrer generellen von Diener, Lucas und Kollegen, dass man subjektive und
positiven bzw. negativen Affektivität, d. h. der Neigung, gesellschaftliche Werte als erfüllt sieht und insgesamt sein
positive oder negative Emotionen vermehrt zu erleben. Aber Leben als positiv bewertet (Diener et al. 1999; Lucas 2016).
auch bezüglich des Erlebens diskreter Emotionen gibt es dis- Bei 7 Stress handelt es sich um einen Zustand der
positionelle Unterschiede. Beispiele sind die Trait-Angst (auch „Alarmbereitschaft“ eines Organismus, der sich auf erhöhte
Prüfungsängstlichkeit) sowie die Neigung zum Ärger oder Leistungsanforderungen einstellt. In der modernen Stress-
auch zur Langeweile. Zahlreiche pädagogisch-psychologische forschung wird betont, dass erlebter Stress dann auf-
Forschungsarbeiten beziehen sich auf Emotionen als Traits. tritt, wenn die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von
Ergebnisse aus der pädagogisch-psychologischen den Anforderungen der Umwelt übertroffen bzw. infrage
Forschung zeigen, dass es sehr wichtig ist, sich der inhalt- gestellt werden. In solchen Situationen erlebt man häufig
lichen Bedeutung von Trait- und State-Emotionen bei auch Angst, weswegen die Emotion Angst als eng ver-
der Interpretation empirischer Befunde bewusst zu wandt mit subjektiv erlebtem Stress angesehen werden
sein. So zeigt eine Studie von Götz et al. (2013), dass die kann. Daher weisen Theorien zu Entstehung, Wirkungen
State-Angst-Ausprägungen von Jungen und Mädchen
­ und zum Umgang mit Angst und Stress relativ große Über-
im Fach Mathematik identisch sind, während Mädchen schneidungen auf (einen guten Überblick hierzu bietet
– trotz gleicher State-Angst und gleicher Noten im Fach Schwarzer 2000).
Mathematik – höhere Werte für Trait-Mathematikangst Der Begriff 7 Flow wurde durch Csikszentmihalyi
angeben als Jungen. Bei den Trait-Angaben scheinen (deutsch 1985) geprägt. Er beschreibt damit das „holistische
subjektive Überzeugungen (z. B. „Mathematik kann ich Gefühl bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit“ (ebd.,
nicht“) stärker einzufließen als bei den State-Angaben. S. 58/59), das dann auftritt, wenn Handlungsanforderungen
Geschlechterunterschiede im mathematikbezogenen und Handlungskompetenzen in einem ausgewogenen
Selbstkonzept erzeugen dann die geschlechterbezogenen Verhältnis zueinander stehen. In den Zustand von Flow
Unterschiede in der Trait-Mathematikangst – die sich kann man insbesondere dann geraten, wenn man in
bei der State-Erhebung nicht finden. In anderen Worten: eine anspruchsvolle Tätigkeit involviert ist und sich den
Trait-Angaben spiegeln im Vergleich zu State-Angaben
­ Anforderungen der Tätigkeit voll gewachsen fühlt. Obwohl
wohl zu einem größeren Ausmaß unser Denken über Flow eher ein kognitiver Zustand als eine Emotion ist und
Dinge wider. deshalb auch nie im Kontext der Basisemotionen erwähnt
Emotionen
215 9
wird, handelt es sich dabei um einen Erlebenszustand, der oder auch in einer Prüfungssituation Angst im Griff zu
insbesondere im Lern- und Leistungskontext wiederholt haben, wirkt sich vermutlich nicht unerheblich auf die
Beachtung findet – nicht zuletzt deshalb, weil man im Flow resultierenden Leistungen aus (7 Abschn. 9.3.7). Die Fähig-
außerordentlich gute und kreative Leistungen erbringen keit, Emotionen zu regulieren, ist zudem ein wichtiger
kann. Bestandteil des in jüngster Zeit vielbeachteten Konstrukts
7 emotionale Intelligenz (7 Exkurs „Emotionale Intelligenz
– Populär und wissenschaftlich“).
9.1.4  Emotionsregulation Schließlich sei noch angemerkt, dass ein rein
hedonistischer Ansatz bei der Emotionsregulation (negative
Eng verwandt mit der Erforschung von Emotionen an Emotionen senken, positive steigern) nicht immer optimal
sich ist auch die Beschäftigung mit der Frage, ob und wie ist. Generell gilt, dass Emotionen – negative wie positive –
wir Emotionen regulieren können. 7 Emotionsregulation wichtige Signale sind. Negative Emotionen können eine
kann als zielgerichtete, bewusste oder unbewusste Aufrecht- Problemlösung auch begünstigen, und diese zuzulassen und
erhaltung, Steigerung oder Senkung der eigenen Emotionen „auszuhalten“ ist ein wichtiger Bestandteil der Persönlich-
oder der Emotionen anderer Menschen definiert werden keitsentwicklung. Ein in USA für den Einsatz an Schulen
(Gross 2013, für eine deutschsprachige Übersicht siehe entwickeltes Trainingsprogramm für einen konstruktiven
auch Barnow 2012). Ansätzen zur Emotionsregulation liegt Umgang mit den eigenen Emotionen ist „PFADE –
häufig ein hedonistischer Gedanke zugrunde – wir streben Programm zur Förderung alternativer Denkstrategien“
danach, möglichst häufig und intensiv positive und mög- (Greenberg und Kusche 2006).
lichst selten und gering ausgeprägte negative Emotionen
zu erleben und regulieren auf dieses Ziel hin. Emotions-
regulation impliziert dabei nicht nur, wie man reagiert, 9.2  Erfassung von Emotionen
sobald eine emotionale Reaktion eingetreten ist, sondern
auch, dass man sich über mögliche emotionsinduzierende Eine der größten Herausforderungen bei der Aus-
Umstände bewusst ist und diese gezielt aufsucht, ver- einandersetzung mit Emotionen liegt in deren Erfassung
meidet oder verändert, um das eigene emotionale Erleben bzw. Diagnostik. Da Emotionen definitionsgemäß durch
zu optimieren. Weite Verbreitung hat das Emotions- subjektives Erleben gekennzeichnet sind, liegt es nahe, sie
regulationsmodell von Gross und Kollegen gefunden. Hier durch Befragung der Betroffenen zu erfassen. Tatsäch-
werden zwei zentrale Arten von Strategien unterschieden. lich ist eine Vielzahl an Forschungsarbeiten zu Emotionen
Diese sind auf der Basis von Fragebogenskalen entstanden. Einem
5 antizipative Emotionsregulation: diese umfasst die dimensionalen Ansatz folgend ist hierbei die „Positive and
Situationsauswahl (d. h. das Aufsuchen von günstig Negative Affect Schedule“ (PANAS) von Watson, Clark
bewerteten Situationen oder auch das Vermeiden von und Tellegen (1988; deutsche Fassung vgl. Breyer und
problematischen Situationen); die Situationsmodi- Bluemke 2016) entwickelt und vielfach eingesetzt worden.
fikation (d. h. eine aktive Gestaltung der Situation, z. B. Die PANAS ist ein Selbstbeschreibungsinstrument, das
die Beeinflussung von Gesprächsthemen); die Auf- aus 20 Adjektiven besteht, von denen je 10 positive und
merksamkeitslenkung (alltagssprachlich auch „sich negative Empfindungen und Gefühle beschreiben (z. B. aktiv,
ablenken“, d. h. die eigenen Gedanken auf alternative begeistert, gereizt). Die Probanden schätzen die Intensität
Inhalte zu lenken); die Neubewertung (engl. Reappraisal; auf einer 5-stufigen Skala ein (gar nicht bis äußerst). Vielfach
d. h. einer Situation alternative Ursachen zuzuweisen, anhand von Fragebogen erforscht wurde auch die diskrete
z. B. äußere Umstände anstatt bewusste Schädigung), Emotion Angst. Hier ist das „­ State-Trait Angstinventar“ von
5 reaktive Emotionsregulation: diese umfasst die Ver- Spielberger (1983; in deutscher Fassung von Laux et al. 1981)
haltenshemmung (Suppression; hiermit ist insbesondere das am häufigsten eingesetzte Instrument. Die zwei Skalen
die Unterdrückung physiologischer Symptome und des mit jeweils 20 Items (z. B.: Ich bin besorgt, dass etwas schief-
expressiven Ausdrucks gemeint) und die Verstärkung gehen könnte) dienen zur Erfassung von Angst als Zustand
der emotionalen Reaktion (sowohl positiver als auch (State-Angst) und Angst als Eigenschaft (Trait). Alternativ
negativer, z. B. übertriebene Freude), zu quantitativen Fragebogenverfahren können Emotionen
auch durch strukturierte Interviews erfasst werden. Auch
Letztere Form der Emotionsregulation wird typischerweise Prüfungsangst und Leistungsemotionen werden typischer-
als die weniger günstige beschrieben. Emotionsregulation weise durch Selbstbericht erfasst (7 Exkurs „Erfassung von
spielt auch im Lern- und Leistungskontext eine bedeut- Prüfungsangst: AFS und DAI“; Leistungsemotionen allgemein
same Rolle (Götz et al. 2006). Inwieweit es gelingt, sich in können mit dem Achievement Emotions Questionnaire,
einer Lernsituation in eine positive Stimmung zu versetzen AEQ, erfasst werden (vgl. Pekrun et al. 2011).
216 A. C. Frenzel et al.

Exkurs

Emotionale Intelligenz – Populär und wissenschaftlich


Daniel Golemans Buch „Emotionale Sie definieren emotionale Intelligenz auch unangenehme Gefühle offen zu
Intelligenz“ (Goleman 1997) ist als Gesamtheit von vier Fähigkeiten: bleiben, sich auf Emotionen einlassen zu
öffentlich viel beachtet worden und Wahrnehmen, Verstehen, Integrieren können oder sich von ihnen loszulösen, je
hat unter Laien wie Wissenschaftlern und Regulieren der eigenen Emotionen nachdem, ob sie als dienlich eingeschätzt
eine engagierte Debatte ausgelöst. und der Emotionen anderer (Mayer und werden; und zudem natürlich die
Goleman ist der Frage nachgegangen, Salovey 1997; zu diesem und weiteren Fähigkeit, Emotionen bei sich und
was eigentlich den „Lebenserfolg“ Modellen Emotionaler Intelligenz vgl. anderen aufrechtzuerhalten, zu steigern
eines Menschen ausmacht, d. h. Neubauer und Freudenthaler 2006). oder zu senken.
beruflich erfolgreich zu sein, von seinen Zur Wahrnehmung zählt hierbei die Insbesondere Golemans Ansatz
Mitmenschen akzeptiert und geachtet Fähigkeit, Emotionen zu erkennen und ist insofern kritisierbar, als seine
zu werden, Freunde zu haben und diskrete Emotionen auseinanderzuhalten, Behauptungen, kognitive Intelligenz
insgesamt mit seinem Leben zufrieden aber auch „ehrliche“ und „unehrliche“ sei „angeboren“, emotionale Intelligenz
zu sein. Seine zentrale Aussage war, Gefühlsausdrücke unterscheiden zu dagegen erlernbar, kaum haltbar
dass hierzu der traditionell definierte IQ können. Das Verstehen von Emotionen sind. Auch die fachwissenschaftlichen
weniger ausschlaggebend sei als bisher beinhaltet, auch komplexe und simultan Ansätze zur emotionalen Intelligenz sind
angenommen wurde. Vielmehr sei dazu auftretende Emotionen zu durchschauen, kritisiert worden; es wird beispielweise
eine ausgeprägte emotionale Intelligenz die Bedeutung, die Emotionen über argumentiert, die beschriebenen
notwendig, d. h. der intelligente Umgang Beziehungen vermitteln, interpretieren Fähigkeiten seien in der Psychologie seit
mit den eigenen Emotionen und denen zu können und potenzielle Übergänge langem beschriebene Persönlichkeits-
von Mitmenschen. Der besondere Reiz zwischen Emotionen auszumachen. eigenschaften oder auch letztlich die
9 an dieser Form der Intelligenz: Diese
Fähigkeit sei erlernbar.
Integrieren bedeutet, sich Emotionen
zunutze zu machen, um das eigene
Anwendung von traditionell
definierter Intelligenz in sozialen
Die fachwissenschaftliche Betrachtung des Denken zu verbessern, beispielsweise Situationen.
Konstrukts „emotionale Intelligenz“ wurde sich selbst in bestimmte Stimmungen Die Kernannahme, dass Erfolg im Leben
insbesondere durch die Forschungs- zu versetzen, um seine Aufmerksamkeit nicht allein von kognitiven Kompetenzen
arbeiten von Mayer und Salovey zu verbessern und um ein Ziel besser abhängt, sondern dass auch emotions-
geprägt (auch Golemans Ausführungen zu erreichen. Regulieren schließlich bezogene Faktoren eine wichtige Rolle
stützen sich stark auf deren Arbeiten). beinhaltet, sowohl für angenehme als spielen, ist aber unumstritten.

Direkte Befragungsmethoden zur Emotionserfassung sind dem subjektiven Erlebensbericht von Probanden basiert, ist
jedoch dafür kritisiert worden, dass sie sprachbasiert sind das „Self-Assessment Manikin“ von Lang (1980). Hier wird
und Selbsteinschätzungen, d. h. subjektive Rekonstruktionen die emotionale Befindlichkeit anhand von drei Dimensionen
der eigenen Befindlichkeit, darstellen und somit anfällig für (Valenz, Arousal und Dominanz) erfasst, die jeweils durch
bewusste oder unbewusste Verzerrungen sind (7 Exkurs drei grafische Figuren veranschaulicht werden. Man spricht
„Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI“). Eine häufig ein- in diesem Zusammenhang auch von einem affektiven
gesetzte Form der sprachfreien Erfassung, die trotzdem auf Ratingsystem.

Exkurs

Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI


Der „Angstfragebogen für Schüler“ (AFS) Angst und Schulunlust. Ferner enthält Das DAI ist eine Fragebogen-
von Wiecerkowski et al. (7. Auflage 2016) er eine Skala zur Erfassung der batterie zur Erfassung multipler
und das „Differenzielle Leistungsangst- Tendenz von Schülern, sich angepasst Facetten von Leistungsängstlichkeit.
inventar“ (DAI) von Rost und Schermer und sozial erwünscht darzustellen. Es besteht aus vier Bereichen:
(2. Auflage 2007) sind zwei einschlägige Es liegen Normen für Schüler von Angstauslösung, Angstmanifestation,
normorientierte, deutschsprachige 9–17 Jahren (3.–10. Schulklasse) Angst-Copingstrategien sowie
Verfahren, die sich für die Erfassung vor. Je nach Alter beträgt die Angststabilisierung. Es liegen Normen
von Prüfungsangst und weiteren Bearbeitungszeit 10–25 min. Er kann für Schüler der 8.–13. Schulklasse
schulbezogenen Ängsten eignen. im Einzel- und Gruppenverfahren vor. Das DAI kann im Einzel- und
Der AFS ist ein mehrfaktorieller durchgeführt werden. Der AFS eignet Gruppenverfahren durchgeführt
Fragebogen, der die ängstlichen sich zur Erfassung des Ausmaßes der werden. Es ist hinsichtlich Ursachen,
und unlustvollen Erfahrungen von Angstatmosphäre in Schulklassen sowie Diagnoseansätzen und Modifikations-
Schülern unter drei Aspekten erfasst: zur individuellen Diagnostik, Therapie- möglichkeiten von Leistungsängstlichkeit
Prüfungsangst, allgemeine („manifeste“) indikation und -kontrolle. sehr aufschlussreich.
Emotionen
217 9
Schließlich gibt es eine Reihe an Methoden zur Unabhängig davon, dass der Gütemaßstab zur Bewertung
Emotionserfassung, die vollständig auf den subjektiven von Leistungen in unterschiedlichen Bezugsnormen
Bericht der Probanden verzichten. Hierzu zählt die verankert sein kann (individuell, sozial oder sachlich
Codierung der emotionstypischen Prosodie (d. h. des Ton- 7 Kap. 7), impliziert eine Bewertung entlang eines solchen
falls) oder auch der emotionstypischen Mimik. Von Paul Gütemaßstabes häufig ein eindeutiges Urteil: Erfolg oder
Ekman und Kollegen wurde das sog. „Facial Action Coding Misserfolg.
System“ (FACS) entwickelt. Im FACS werden kleinste, den Um Leistungsemotionen theoretisch zu taxonomisieren,
Gesichtsausdruck bewirkende Muskelbewegungen erfasst hat Pekrun (ausführlich z. B. 2006, 2018) vorgeschlagen,
und in ihrer Kombination für die Kodierung diverser Valenz, Objektfokus und zeitlichen Bezug als wichtige
diskreter Emotionen herangezogen (Ekman et al. 2002). Auf Ordnungskriterien zu berücksichtigen (. Tab. 9.1).
Basis des FACS wurden mittlerweile auch verschiedene Soft- 5 Valenz unterscheidet positive (subjektiv angenehme)
waresysteme zur automatisierten Emotionserfassung ent- von negativen (subjektiv unangenehmen) Emotionen.
wickelt, die mittels maschineller Lernalgorithmen optimiert 5 Anhand des Objektfokus wird unterschieden, ob
wurden und so für Fotos, aber auch für Videos (die dann in die Emotionen primär auf die Aktivität oder auf das
ihre Standbilder aufgelöst werden) die im Gesicht gezeigte Leistungsergebnis dieser Aktivität gerichtet sind (Erfolg
Emotion kodieren. Die ­zentral-physiologischen Prozesse, vs. Misserfolg).
die beim Erleben von Emotionen ablaufen, lassen sich 5 Der zeitliche Bezug beschreibt, ob der Fokus
anhand von bildgebenden Verfahren (z. B. fMRT) und beim Erleben einer Emotion eher auf die Zukunft
durch Messungen der Gehirnströme (z. B. EEG) erfassen. (prospektiv), auf die gegenwärtige Situation (aktuell)
Schließlich kann man auch anhand von peripher-physio- oder zurückblickend auf die Vergangenheit (retro-
logischen Messdaten Hinweise auf das emotionale Erleben spektiv) gerichtet ist. Bei einem auf die Aktivität
von Probanden erlangen. Hierzu zählen die Erfassung des gerichteten Objektfokus ist der zeitliche Bezug meist die
Hautwiderstands, der Herzfrequenz oder des Blutdrucks. Gegenwart, d. h. die momentan durchgeführte Tätigkeit.
Auch bestimmte im Blut bzw. im Speichel nachweisbare Freude, Langeweile oder auch Frustration beim Lernen
Botenstoffe – insbesondere Cortisol – werden in Studien sind Beispiele für solche Emotionen im schulischen
häufig als Indikatoren erhöhter emotionaler Erregung Kontext. Liegt der Objektfokus auf Ergebnissen, ist
(Angst bzw. Stress) herangezogen. der zeitliche Bezug meist prospektiv oder retrospektiv.
Zu prospektiven Emotionen zählen beispielsweise
Hoffnung und Angst, zu retrospektiven Emotionen
9.3  Leistungsemotionen Stolz und Scham.

9.3.1  Definition und Taxonomisierung Vor allem bei retrospektiven Emotionen erscheint zudem
eine weitere Klassifikation hinsichtlich des persönlichen
Unter Leistungsemotionen („achievement emotions“) Bezugs sinnvoll, um zu unterscheiden, ob sie selbst- oder
werden diejenigen Emotionen verstanden, die in Bezug auf fremdbezogen sind. Stolz ist eine typische selbstbezogene
leistungsbezogene Aktivitäten und die Leistungsergebnisse Emotion, die man erlebt, wenn man auf eine eigene
dieser Aktivitäten erlebt werden (Pekrun 2006). Zwischen- Errungenschaft zurückblickt. Dankbarkeit ist ein Beispiel
menschliche Gefühle wie Sympathie oder Abneigung sind einer fremdbezogenen Emotion, die auftritt, wenn man
somit eher nicht dieser Gruppe von Emotionen zuzuordnen. einen Erfolg jemand anderem zu verdanken hat.

Definition
Leistungssituationen seien als Situationen definiert, 9.3.2  Fachspezifität von
in denen man das eigene Handeln und die eigene Leistungsemotionen
Tüchtigkeit im Hinblick auf einen Gütemaßstab bewertet
(Rheinberg 2004). Kann man vom emotionalen Erleben eines Schülers
in einem bestimmten Fach (z. B. Mathematik) auf das

. Tab. 9.1 Klassifikation von Leistungsemotionen

Positiv (angenehm) Negativ (unangenehm)

Fokus: Aktivität Aktuell Tätigkeitsfreude Langeweile, Frustration


Fokus: Ergebnis Prospektiv Hoffnung Angst, Hoffnungslosigkeit
Retrospektiv – selbstbezogen Ergebnisfreude, Erleichterung, Stolz Trauer, Enttäuschung, Scham/Schuld, Ärger
Retrospektiv – fremdbezogen Dankbarkeit, Schadenfreude Ärger, Neid, Mitleid
218 A. C. Frenzel et al.

emotionale Erleben in einem anderen Fach (z. B. Deutsch) durch negatives emotionales Erleben geprägt sind, zeigte sich
schließen? Studien zur Fachspezifität von Emotionen als Ergebnis, dass positive und negative Emotionen in etwa
zeigen deutlich, dass dies nur sehr begrenzt möglich ist gleich häufig genannt wurden. Insbesondere Freude und
(Götz et al. 2007). Die Zusammenhänge zwischen dem Erleichterung wurden etwa ebenso häufig genannt wie Angst.
emotionalen Erleben in unterschiedlichen Fächern sind Aufgrund der kleinen und spezifischen Stichprobe ist die
insgesamt gering und am deutlichsten für inhaltlich „ver- Generalisierbarkeit dieser Befunde eingeschränkt. Interviews
wandte“ Fächer wie Mathematik und Physik oder Deutsch mit Studierenden ergaben jedoch vergleichbare Ergebnisse
und Englisch. Für ältere Schüler sind die Zusammen- (Pekrun 1998).
hänge insgesamt noch schwächer als für jüngere, d. h. das In der neueren Forschung wurden dementsprechend
Ausmaß an Fachspezifität emotionalen Erlebens scheint auch Emotionen jenseits der Angst in den Blick der
im Laufe der Schulzeit größer zu werden (Götz et al. pädagogisch-psychologischen Forschung genommen. Man
2007). Die empirischen Ergebnisse zeigen somit deutlich: ist sich heute einig, dass Emotionen eine zentrale Rolle
Es gibt weniger den allgemein prüfungsängstlichen, lern- für die Erklärung von Schülerreaktionen auf schulische
freudigen oder gelangweilten Schüler; Schüler erleben Herausforderungen spielen. Zudem werden Emotionen
vielmehr unterschiedlich stark ausgeprägte Emotionen in als relevant für die Auslösung, Aufrechterhaltung oder
den diversen Fächern. Ähnliche Befunde gibt es auch in Reduzierung von Anstrengung in Lern- und Leistungs-
der Forschung zu Motivation, Selbstkonzept sowie Selbst- situationen und damit als zentrale Prädiktoren von Lern-
regulation (7 Kap. 3, 7 und 8). Daraus ist zu schließen, dass leistungen angesehen (Pekrun und Linnenbrink 2014).
es für Lehrkräfte wichtig ist, das emotionale Erleben einzel- Emotionen sind jedoch nicht nur im Kontext der
ner Schüler fachspezifisch zu beurteilen und entsprechend unmittelbaren Vorhersage schulischen oder universitären
9 spezifisch zu intervenieren und zu fördern. Lern- und Leistungsverhaltens von Bedeutung. Angesichts
der rasanten Veränderungen unserer modernen Welt ist
lebenslanges Lernen unumgänglich geworden. Immer wieder
9.3.3  Auftretenswahrscheinlichkeit wird man mit neuen, unbekannten Aufgaben konfrontiert
von Leistungsemotionen und und einmal erworbene Kompetenzen sind weniger als früher
ihre Bedeutung für Leistung und ein Garant für Lebenserfolg. Die Gefühle, die man mit Lernen
Wohlbefinden und Leistung verbindet, und die mit ihnen verknüpfte Bereit-
schaft, sich wiederholt in Lernsituationen zu begeben, dürften
Im Zentrum des Forschungsinteresses und der Theorie- daher über die gesamte Lebensspanne von Bedeutung sein.
bildung zu Emotionen im Lern- und Leistungskontext stand Neben der Vermittlung von Wissen und Kompetenz sollte
traditionell die Prüfungsangst. Zu Ursachen, Wirkungen und es deshalb ein ebenso wichtiges Ziel von Unterricht sein,
möglichen Interventionsstrategien bezüglich Prüfungsangst eine positive emotionale Einstellung gegenüber Lernen und
liegen umfangreiche Erkenntnisse vor. Andere Emotionen Leistung zu erzeugen.
wie Stolz und Scham, Ärger oder Langeweile haben dagegen Schließlich sind Emotionen, wie oben bereits erwähnt,
bisher vergleichsweise wenig Forschungsaufmerksamkeit auch wichtige Bestandteile des allgemeinen Wohlbefindens
gefunden (7 Exkurs „Langeweile – Eine allbekannte, jedoch und der psychischen Gesundheit. Unabhängig von ihren
wenig untersuchte Emotion“). Angst ist jedoch nicht die ein- Wirkungen auf Leistung verdienen sie damit Aufmerksam-
zige Emotion, die im Lern- und Leistungskontext auftritt keit in pädagogisch-psychologischen Kontexten (Hascher
und von Bedeutung ist. Pekrun (1998) hat in einer Inter- 2004). Ist das emotionale Erleben eines Schülers von Angst,
viewstudie mit Schülern der Oberstufe (56 Gymnasiasten Ärger und Langeweile geprägt, ist davon auszugehen, dass
der Klassen 11, 12 und 13) das emotionale Erleben im Lern- sein allgemeines Wohlbefinden gering ist. Gelingt es hin-
und Leistungskontext exploriert. In diesen Interviews wurde gegen Eltern und Schulen, bei Schülern die Freude am
nach dem Emotionserleben in Bezug auf vier verschiedene Lernen in den Mittelpunkt zu rücken, ist ihr gesamtes
Situationstypen gefragt (Schulunterricht, häusliches Lernen Wohlbefinden positiver ausgeprägt. Ohne dabei in „Spaß-“
bzw. Hausaufgaben, mündliche und schriftliche Prüfungen oder „Kuschelpädagogik“ zu verfallen, gebietet eine ernst-
sowie Situationen der Leistungsrückmeldung bzw. Rück- hafte Auseinandersetzung mit Emotionen im Lern- und
gaben von Prüfungsergebnissen). Entgegen der intuitiven Leistungskontext, dass ein Augenmerk auf solche Aspekte
Annahme, dass Lern- und Leistungssituationen vorwiegend des Wohlbefindens von Schülern gelegt wird.
Emotionen
219 9
Exkurs

Langeweile – Eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion


Insbesondere Philosophen waren es, die erlebte Langeweileform; s. Götz und Haag (2006) wurden diesbezüglich
sich intensive Gedanken zur Langeweile Frenzel 2006; Götz et al. 2014). folgende Aspekte von Schülern der
gemacht haben (z. B. Seneca, Arthur Im pädagogisch-psychologischen 9. Jahrgangsstufe genannt (beginnend
Schopenhauer, Søren Kierkegaard, Kontext stellt Langeweile unter mit dem am häufigsten Genannten):
Martin Heidegger) – Nietzsche nannte sie dem Gesichtspunkt der ineffektiven 1. Unterrichtsgestaltung (z. B.
beispielsweise die „Windstille der Seele“. Nutzung von „Humanressourcen“ ein Abwechslungsarmut)
Empirisch ist Langeweile noch wenig untersuchungsrelevantes Konstrukt 2. spezifische Unterrichtsthemen und
erforscht. dar – Studien deuten darauf hin, dass -inhalte (z. B. „trockene“ Themen)
Im Kontext der wissenschaftlichen sich Schüler je nach Fach sehr häufig im 3. Ursachen in der Person des Schülers
Auseinandersetzung mit Langeweile Unterricht langweilen (z. B. Nett et al. (z. B. Verständnisprobleme) oder
zeigt sich ein definitorischer 2011; Larson und Richards 1991) und dass des Lehrers (z. B. „ausgepowerte“
Minimalkonsens zumindest in zwei dies negative Folgen für Aufmerksamkeit, Lehrer) sowie wahrgenommene
Aspekten: Lernmotivation, die Nutzung von Eigenschaften des Fachs (z. B.
1. Bei Langeweile handelt es sich um Lernstrategien sowie resultierende Schul- Sinnlosigkeit des Fachs).
einen subjektiv als schwach negativ und Studienleistungen hat (vgl. Pekrun
erlebten Gefühlszustand. et al. 2010). Eine weitere Studie (Götz et al.
2. Langeweile ist durch ein subjektiv Was die Wirkung von Langeweile 2007a; 9. Jahrgangsstufe) deutet
langsames Verstreichen der Zeit anbelangt, so weisen Studien in der darauf hin, dass Schüler beim Erleben
(Zeitdilatation) im Sinne der Tat darauf hin, dass Langeweile vor von Langeweile im Unterricht fast
Wortbedeutung von „lange Weile“ allem negative Konsequenzen hat, wie ausschließlich meidensorientierte, d. h.
(vgl. das Gegenteil: „Kurzweil“) beispielsweise deviantes Verhalten, nicht lern- und leistungsförderliche
geprägt. Delinquenz, Abusus psychotroper Strategien zu ihrer Bewältigung
Substanzen, Spielsucht, Übergewicht einsetzten (mentale oder behaviorale
Was den ersten Punkt anbelangt, so und schwache Leistungen (Harris Flucht). Viele Schüler geben an, die
deuten jedoch aktuelle Studien darauf 2000; Pekrun et al. 2014). In der Langeweile einfach zu „ertragen“.
hin, dass Langeweile in spezifischen Literatur werden auch günstige Effekte Langeweile kann wohl insgesamt als eine
Situationen durchaus auch als positiv thematisiert, z. B. im Hinblick auf die „tückische“ Emotion bezeichnet werden:
erlebt werden kann, in manchen Fällen Initiierung kreativer Prozesse im Sinne Obwohl sie mit zahlreichen negativen
hingegen auch als sehr negativ. Es gibt von Inkubationsphasen. Allerdings Konsequenzen einhergeht, scheint sie,
erste Ansätze, statt „der“ Langeweile, die gibt es bisher kaum Belege für solche wenn überhaupt, meist nicht lern- und
in der Regel eher unangenehm erlebt positiven Wirkungen von Langeweile. leistungsförderlich reguliert zu werden
wird, verschiedene Langeweileformen Aufgrund der hohen Bedeutung von (Nett et al. 2010), da sie von Schülern
zu unterscheiden (z. B. indifferente Langeweile in der Schule ist es wichtig, als nur schwach negativ erlebt wird und
Langeweile als eine eher positiv und ihre Ursachen zu kennen. In einer in subjektiv als unwichtig eingestuften
reaktante Langeweile als eine negativ Interviewstudie von Götz, Frenzel und Situationen auftritt.

9.3.4  Versuch einer Abgrenzung von statt – d. h. die Tatsache, ob man viele oder wenige Fehler
Emotionen und Kognitionen im Lern- im Diktat macht, bekommt dann eine emotionale Färbung,
und Leistungskontext wenn die Zahl der Fehler von Bedeutung ist. Da in unserer
leistungsorientierten Gesellschaft Kompetenzen eine
Was ist das Spezifikum von Emotionen, gerade auch in zentrale Rolle spielen, sind Fähigkeitseinschätzungen mehr-
Abgrenzung zu Konstrukten wie Fähigkeitsselbstkonzepten heitlich emotional gefärbt (7 Exkurs „Selbstwerttheorie –
oder Erwartungen? Bei diesen kognitiven Konstrukten Weitreichende ‚gefühlte‘ Folgen von Misserfolg“). Es ist uns
handelt es sich um psychische Repräsentationen, die selbst- nicht gleichgültig, wie viele Rechtschreibfehler wir machen,
oder aufgabenbezogene Überzeugungen beinhalten. Diese wenn uns jemand etwas diktiert, oder wie gut wir eine
müssen keine Bewertung beinhalten (z. B. „In Diktaten Mathematikaufgabe beherrschen. Beantwortet man bei-
mache ich in der Regel wenige Fehler“ im Sinne eines spielsweise das Item „Diese Mathe-Aufgabe kann ich wahr-
Selbstkonzepts, „Diese Mathe-Aufgabe kann ich wahr- scheinlich lösen“ mit „Stimmt eher nicht“, so impliziert
scheinlich lösen“ im Sinne einer Erfolgserwartung). dies häufig schon eine negative emotionale Selbstbewertung
Sind Emotionen im Spiel, findet eine affektive Wertung (vgl. auch 7 Kap. 8).
220 A. C. Frenzel et al.

Exkurs

Selbstwerttheorie – Weitreichende „gefühlte“ Folgen von Misserfolg


Martin Covington (1992) hat mit seiner für gute Leistungsergebnisse unerlässlich zudem mitgeteilt, dass Leistungen
Selbstwerttheorie das Zusammenspiel sind, sind sie manchmal doch zögerlich, bei diesem Aufgabentyp recht stark
zwischen Emotionen, Anstrengung und volle Anstrengung zu investieren, da durch Symptome von Prüfungsangst
Leistung aufschlussreich beleuchtet. in diesem Fall ein möglicher Misserfolg beeinträchtigt würden. Einem
Die Kernaussage seiner Theorie besagt, mit maximalen emotionalen Kosten weiteren Drittel wurde mitgeteilt, dass
dass der Selbstwert von Personen einhergehen würde. Daher legen viele Prüfungsangst für den Aufgabentyp
(also die Überzeugung, „wertvolle“ Lernende sog. „Self-Handicapping“ keine Auswirkung haben sollte; den
und liebenswerte Menschen zu sein an den Tag. Self-Handicapping restlichen Studenten wurde dazu nichts
und sich selbst akzeptieren zu können; bedeutet, bewusst (oder unbewusst) gesagt. Bevor sie die gleiche Aufgabe
auch 7 Kap. 8) eng an ihre Erfolge und Hindernisse für den eigenen Erfolg zu erneut absolvieren sollten, wurden die
Kompetenzüberzeugungen geknüpft schaffen, d. h., sich Ausreden für einen Probanden gebeten, jegliche Symptome
ist. Covington argumentiert, dass es möglichen Misserfolg zurechtzulegen. von Prüfungsangst zu beschreiben,
in unserer modernen Gesellschaft Diese Ausreden dienen dazu, dass ein die sie erlebten. Es zeigte sich, dass
die Tendenz gibt, die Wertigkeit von Misserfolg im Nachhinein relativierend die Teilnehmer mit stark ausgeprägter
Personen durch ihre Leistungen zu auf die gegebenen Umstände Prüfungsangst unter der Bedingung
definieren, und dass viele Schüler daher zurückgeführt werden kann – mit „Prüfungsangst relevant für Leistung“
Kompetenz (insbesondere Kompetenz reduzierten Kosten für den eigenen viel stärkere Symptome berichteten, als
im schulischen Bereich) mit Wertigkeit Selbstwert („Dafür, dass ich in der Nacht unter der Bedingung „irrelevant“ oder
gleichsetzen. Dementsprechend vor der Prüfung noch so lang gefeiert „neutral“. Die Teilnehmer mit gering
wird Misserfolg ein Indikator für die habe, war ich doch noch recht gut“). Zu ausgeprägter Prüfungsangst berichteten
9 „Wertlosigkeit“ einer Person, was erklärt,
warum Schüler im Misserfolgsfall
typischen Self-Handicapping-Strategien
zählt Prokrastination (d. h. exzessives
unter allen drei Bedingungen ähnlich
wenige Symptome. Bei Personen mit
häufig sehr emotional reagieren (mit Aufschieben des Lernens bis zur letzten stark ausgeprägter Prüfungsangst
Verzweiflung, Minderwertigkeits- und Minute), aber auch der Konsum von können also Symptome allein deswegen
Schuldgefühlen). Dies gilt besonders Alkohol und Drogen oder schlicht verstärkt auftreten oder wahrgenommen
dann, wenn der Misserfolg von geringe Anstrengung beim Lernen. werden, weil sie als Ausrede für
den Schülern auf ihre mangelnde Sogar Prüfungsangst kann in diesem schlechtes Abschneiden dienen können.
Fähigkeit zurückgeführt wird Sinne als selbstwertdienliche Ausrede Für Lehrkräfte bedeuten diese Befunde,
(7 Abschn. 9.3.6). Eine solche fähigkeits- wirken. Smith, Ingram und Brehm (1983) dass sie mangelnde Anstrengung
basierte Misserfolgsattribution liegt konnten dies in einem Experiment von Schülern unter Umständen nicht
insbesondere dann nahe, wenn man zeigen. An diesem Experiment nahmen auf deren Unwillen oder mangelnde
sich besonders angestrengt hatte (trotz jeweils zur Hälfte Probanden mit stark Motivation zurückführen sollten,
all der Anstrengung hat man versagt, bzw. gering ausgeprägter Prüfungsangst sondern auch unter dem Aspekt des
dann muss man wohl inkompetent teil. Sie mussten eine (prüfungs- Selbstwertschutzes betrachten sollten.
sein). Gemäß dieser Annahmen ist relevante) Aufgabe absolvieren. Insbesondere auch für Eltern ist zudem
die Investition von Anstrengung als Allen wurde nach der ersten Hälfte eine wichtige Schlussfolgerung, dass
„zweischneidiges Schwert“ zu sehen: rückgemeldet, sie hätten schwach darauf geachtet werden sollte, die
Obwohl sich Lernende durchaus bewusst abgeschnitten. Jeweils einem Drittel der Wertschätzung der eigenen Kinder nicht
sind, dass Anstrengung und Lernaufwand Studierenden in jeder Gruppe wurde an deren Leistungsfähigkeit zu koppeln.

Kognitionen und Emotionen sind im Leistungskontext eigene Kompetenzeinschätzung dazu führen, dass erhöhte
also eng assoziiert und auch theoretisch gibt es zwischen Anstrengung investiert wird. In der Studie stellte sich jedoch
beiden Überlappungen. Dabei gilt es zu beachten, dass heraus, dass das Gegenteil der Fall ist: Je höher die selbstein-
Verhaltensvorhersagen rein aufgrund „kühler“ kognitiver geschätzte Kompetenz, desto mehr Anstrengung investierten
Variablen manchmal misslingen und es hilfreich sein die Schüler; je geringer sie ihre Kompetenz für die gestellten
kann, Emotionen zu berücksichtigen, um Leistungs- Hausaufgaben einschätzten, desto weniger strengten sie
handeln zu verstehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie sich an. Boekaerts und Kollegen konnten zeigen, dass die
von Boekaerts und Kollegen (Boekaerts 2007). In dieser Gefühle der Schüler hier eine vermittelnde Rolle spielen.
Studie wurden 357 Schüler der Mittelstufe gebeten, anhand Bei hoch eingeschätzter Kompetenz berichteten die Teil-
von Tagebüchern ihre Kompetenz, Anstrengung und ihre nehmer positive Emotionen (Freude, Zufriedenheit), die
Gefühle beim Erledigen der ­ Mathematik-Hausaufgaben offensichtlich als „kraftspendende“ Ressourcen dienten,
zu beschreiben. Unter der Annahme einer rein „kühlen die Aufgaben als Herausforderung zu sehen und bereit zu
Berechnung“ würde man erwarten, dass es aufgrund sein, Anstrengung zu investieren. Niedrige Kompetenz-
von Rückkopplungsschleifen zu einer Anpassung der einschätzungen dagegen gingen mit negativen Emotionen
Anstrengung aufgrund der Kompetenzeinschätzung einher (Angespanntheit, Unzufriedenheit, Ärger), die Ver-
kommt: Hält sich ein Schüler für kompetent und schätzt meidungsverhalten hervorriefen, mit der Folge, dass eine
die Hausaufgabe als leicht ein, kann er oder sie die intensive Auseinandersetzung mit den Aufgaben umgangen
Anstrengung reduzieren. Umgekehrt sollte eine niedrige und Anstrengung reduziert wurde.
Emotionen
221 9
9.3.5  Entwicklungsverläufe von Emotionen Zum einen gelangen viele Schüler während der Grund-
im Lern- und Leistungskontext schulzeit über einen (schmerzlichen) Entwicklungsprozess
von unbändiger Neugier, universellen Interessen und fast
Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten zu früh- grenzenloser Überzeugung hinsichtlich der eigenen Fähig-
kindlichen und vorschulischen Formen von Leistungs- keiten über wiederholte Misserfolgserlebnisse zur Einsicht
emotionen, insbesondere zu Stolz und Scham (ausführlich in eigene Unzulänglichkeiten (Hellmich 2011). Darüber
dazu Holodinsky 2006). Als Ergebnis dieser Arbeiten sind hinaus erleben die Schüler die schulischen Anforderungen
sich Entwicklungspsychologen einig, dass Kinder ca. im insbesondere im Verlauf der Sekundarstufe noch einmal als
Alter von 3 Jahren in der Lage sind, zumindest die basalen stark ansteigend. Somit ist eine zunehmende Anstrengung
kognitiven Prozesse zu durchlaufen, die das Erleben von erforderlich, um den eigenen Erwartungen und den
Stolz und Scham ermöglichen: Sie haben dann ein Bewusst- Erwartungen anderer (Eltern, Lehrkräfte) weiter gerecht zu
sein ihres Selbst, erkennen und beachten äußere Standards werden. Diese erhöhte Investition an Anstrengung bringt
zur Beurteilung von Leistungen und internalisieren diese offensichtlich emotionale Kosten mit sich. Zudem wird
Standards für ihre Selbstbewertung. Im Alter zwischen 3 argumentiert, dass insbesondere im Laufe der Adoleszenz
und 5 Jahren verbessern sie diese Fähigkeiten durch ihre außerschulische und soziale Themen mit den schulischen
rapide Sprachentwicklung; sie sind nun auch in der Lage, Themen zu konkurrieren beginnen. Akademische Inhalte
Standards selbst zu benennen, Stolz und Scham bei sich werden deshalb als langweiliger erlebt und der Ärger, sich
selbst und anderen zu erkennen und verbal zu bezeichnen. mit diesen und nicht mit anderen subjektiv als wichtiger
Allerdings haben Kinder in diesem Alter noch Schwierig- eingestuften Inhalten beschäftigen zu müssen, steigt an.
keiten, Stolz von Freude zu differenzieren, und zeigen Schließlich können vermutlich auch sich verändernde
positive emotionale Reaktionen als Ergebnis jeder Art von Instruktionsstrukturen und Klassenklimata für die negativen
Erfolg, egal ob dieser aufgrund ihrer eigenen Anstrengung emotionalen Entwicklungsverläufe mitverantwortlich
oder aufgrund von günstigen äußeren Bedingungen (z. B. gemacht werden: Mit zunehmender Klassenstufe erhöht
einfache Aufgabe) eingetreten ist. Diese Unterscheidung sich der Wettbewerb unter den Schülern, es scheinen ver-
treffen sie erst ab dem Alter von ca. 8 Jahren. mehrt traditionelle, lehrerzentrierte Unterrichtsstrategien
Zudem gibt es vereinzelte Längsschnittstudien zur Ent- eingesetzt zu werden und der persönliche Kontakt zwischen
wicklung von Leistungsemotionen ab dem Schuleintritt. Lehrkräften und Schülern scheint abzunehmen. Inwieweit
Diese zeichnen ein wenig erfreuliches Bild: Das durch- diese veränderten instruktionalen Bedingungen tatsächlich
schnittliche Ausmaß an negativen Emotionen scheint mit vermehrt negativen und weniger positiven Leistungs-
im Laufe der Schulzeit eher anzusteigen, jenes positiver emotionen verknüpft sind, ist jedoch bisher kaum empirisch
Emotionen hingegen abzusinken. Für die Prüfungsangst erforscht worden.
ist gezeigt worden, dass sie insbesondere im Laufe der Eine entscheidende Rolle für Entwicklungsverläufe von
Grundschule relativ stark ansteigt und dann im Durch- Leistungsemotionen spielen auch sog. Bezugsgruppen-
schnitt der Schüler etwa konstant bleibt. Die Lernfreude effekte, besonders bei Entwicklungsübergängen innerhalb
dagegen scheint mit dem Beginn der Einschulung und der Schullaufbahn. In Deutschland betrifft das beispiels-
sogar noch in der Sekundarstufe im Schülerdurchschnitt weise den Übergang von der Grundschule in Schulen des
kontinuierlich abzusinken und sich erst ab der 8. Klasse zu gegliederten Sekundarschulwesens (Hauptschule, Real-
stabilisieren (Helmke 1993; Pekrun et al. 2007). So konnten schule, Gymnasium). Dieser Wechsel ist mit einem Wechsel
Pekrun und Kollegen (2007) in einer Längsschnittstudie der Bezugsgruppe verbunden. Während die Schulklassen
zu Entwicklungsverläufen von Emotionen speziell im Fach der Grundschule Schüler aller Leistungsniveaus umfassen,
Mathematik zwischen der 5. und der 8. Jahrgangsstufe ist man am Gymnasium nach dem Übergang mit einer
einen bedeutsamen Abfall in der Freude feststellen (um relativ homogenen Bezugsgruppe leistungsstarker Mit-
mehr als zwei Drittel einer Standardabweichung). Dabei schüler konfrontiert, an der Hauptschule hingegen mit einer
sind die Verluste in der Freude in den Jahrgangsstufen 5 Bezugsgruppe leistungsschwächerer Schüler (auch 7 Kap. 8).
und 6 besonders stark und schwächen sich zur 8. Klasse Bei den Gymnasiasten verringern sich damit – unter Ver-
hin ab. Bei der Emotion Stolz sind ähnliche Entwicklungs- wendung sozialvergleichender, am Klassenmaßstab
verläufe zu verzeichnen (Diskrepanzen zwischen der 5. und orientierter Normen – die Chancen zu guten Leistungsbe-
8. Klassenstufe von ca. einer halben Standardabweichung). wertungen, während sie für Hauptschüler steigen (über-
Die Emotionen Angst und Scham bleiben in diesem Ent- sichtsartig Köller 2004). Aber nicht nur Selbstkonzepte sind
wicklungszeitraum mehr oder weniger konstant, Ärger und betroffen, sondern in der Folge auch Leistungsemotionen
Langeweile dagegen steigen in bedeutsamer Weise an (um von Schülern. So ist die Prüfungsangst bei hochbegabten
ca. eine halbe Standardabweichung; Pekrun et al. 2007). Schülern in Hochbegabtenklassen stärker ausgeprägt als jene
Ähnliche, zunächst eher steil und dann flacher absinkende, von hochbegabten Schülern in regulären Klassen (Preckel
asymptotische Entwicklungsverläufe zeigen sich auch beim et al. 2008). Pekrun et al. (2019) dokumentieren zudem,
Interesse (z. B. Watt 2004). dass sich das Leistungsniveau einer Klasse unter Kontrolle
Verschiedene Erklärungen sind für diese ungünstigen der individuellen Leistung auch unabhängig von einem
emotionalen Entwicklungsverläufe denkbar (auch 7 Kap. 7). Schulart- bzw. Klassenwechsel negativ auf die Entwicklung
222 A. C. Frenzel et al.

von Freude, Stolz, Ärger, Angst und Hoffnungslosigkeit bzw. konsistent vs. inkonsistent mit den eigenen Bedürf-
in Mathematik von Schülern auswirkt. Einem möglichen nissen). Beim sekundären Appraisal wird beurteilt, wie
Nutzen optimierter Lernbedingungen in homogen leistungs- die Situation zustande gekommen ist (fremd- oder selbst-
starken Lerngruppen stehen demzufolge nicht unerheb- verursacht), ob man über geeignete Ressourcen verfügt,
liche emotionale Kosten gegenüber. Umgekehrt kann sich um mit der Situation umzugehen (Coping-Potenzial) und
ein Übergang in leistungsschwächere Bezugsgruppen unter ob zu erwarten ist, dass sich die Situation ändert. Andere
Umständen durchaus psychosozial positiv auswirken, wenn Appraisal-Theoretiker unterscheiden nicht zwischen
die betroffenen Schüler dann nicht mehr zu den Leistungs- primären und sekundären Appraisal-Dimensionen, betonen
schwachen zählen und im sozialen Vergleich mit ihren Mit- aber die Wichtigkeit weiterer Aspekte, z. B., für wie wahr-
schülern besser abschneiden. scheinlich man das Eintreten einer Situation hält. Insgesamt
kommen die A ­ppraisal-Theoretiker alle zum gleichen
Schluss: Je nachdem, wie man eine Situation einschätzt, wird
9.3.6  Ursachen von Emotionen im Lern- und man emotional reagieren, wobei spezifische Konstellationen
Leistungskontext von Appraisals definieren, welche Emotion man erlebt (z. B.
Scherer et al. 2001). So tritt z. B. die Emotion Dankbarkeit
Appraisal-Theorie in Situationen auf, die wir als persönlich relevant, positiv
Es gibt nur wenige Situationen oder Ereignisse, in denen und durch andere Personen verursacht erleben; Ärger ent-
alle Menschen mit den gleichen Emotionen reagieren. Zum steht, wenn wir den Eindruck haben, dass etwas persön-
Beispiel scheint den meisten von uns eine gewisse Angst lich Bedeutsames, Negatives eingetreten ist, das vermeidbar
vor Höhen, aber auch Angst vor negativer Bewertung gewesen wäre; Angst erleben wir, wenn etwas Negatives,
9 durch andere Personen gemein zu sein. Zum Teil sind uns persönlich Relevantes mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf-
emotionale Reaktionen somit gewissermaßen durch die treten kann, wir aber nur über wenige Ressourcen verfügen,
Evolution in die Wiege gelegt. Die Mehrheit an Situationen um es abzuwenden.
ist jedoch nicht allgemein emotionsinduzierend. Es ist
auffällig, dass wir auch in ähnlichen Situationen mal mit Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz zu
mehr und mal mit weniger Angst, Überraschung oder Leistungsemotionen
Freude reagieren. Oft reagieren auch zwei verschiedene
Personen auf ein und dasselbe Ereignis mit unterschied- z Theoretische Annahmen
lichen Emotionen. Als eine Erklärung hierfür ist in der Pekrun (2006, 2018) hat eine Theorie entwickelt, die auf
Emotionsforschung der sog. Appraisal-Ansatz entwickelt appraisal-theoretischen Ansätzen fußt, aber speziell auf
worden. Dieser besagt, dass es nicht die Situationen selbst Leistungsemotionen fokussiert. Er postuliert in dieser
sind, die Emotionen in uns hervorrufen, sondern vielmehr Theorie, dass aus den diversen kognitiven Appraisals, die
die Interpretationen der Situationen dazu führt, dass wir allgemein für die Entstehung von Emotionen vorgeschlagen
bestimmte Emotionen erleben. Diese Idee ist nicht neu; wurden, insbesondere zwei ­ Appraisal-Dimensionen für
bereits der Stoiker Epiktet schrieb: „Nicht die Dinge selbst Leistungsemotionen bedeutsam sind. Diese sind
beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von 5 die subjektive Kontrolle über lern- und leistungs-
den Dingen“ (Schmidt 1978, S. 24). bezogene Aktivitäten und Leistungsergebnisse und
5 der Wert dieser Aktivitäten und Ergebnisse.
Definition
Appraisals sind kognitive Einschätzungen von Subjektive Kontrolle Subjektive Kontrolle bezieht sich auf
Situationen, Tätigkeiten oder der eigenen Person. wahrgenommene kausale Einflüsse auf Handlungen und
Unterschiedliche Konstellationen von Appraisals rufen ihre Ergebnisse. Dazu zählen zukunftsgerichtete Kausal-
unterschiedliche Emotionen hervor. erwartungen (z. B. „Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe
ich die Prüfung!“ oder auch „Ich bin in diesem Bereich
begabt, ich werde die Prüfung schon schaffen!“), aktuelle
Die Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten von Kontrollwahrnehmungen (z. B. „Die Aufgabenstellung ver-
Situationen ist von Appraisal-Theoretikern geordnet und stehe ich nicht – ich kann die Aufgabe nicht bearbeiten!“)
verschiedenen Dimensionen zugeordnet worden. Weite ebenso wie rückblickende Kausalattributionen von Erfolgen
Verbreitung hat Lazarus’ Modell (Lazarus 1991) gefunden, und Misserfolgen (z. B. „Ich bin durchgefallen, weil ich
in dem er primäre von sekundären Appraisals unterscheidet. mich nicht genug angestrengt habe!“ oder „Ich habe
In einer Ausdifferenzierung der Theorie der primären und schlecht abgeschnitten, weil der Lehrer nicht den Stoff
sekundären Appraisals für diskrete Emotionen beschrieben abgefragt hat, der vereinbart war!“).
Smith und Lazarus (1993), dass das primäre Appraisal
zum einen eine Beurteilung der persönlichen Bedeutsam- Wert Ähnlich wie bei Smith und Lazarus’ „primärem
keit einer Situation beinhaltet (wichtig vs. unwichtig), zum Appraisal“ beinhaltet die Kategorie Wert bei Pekrun zum
anderen eine Beurteilung der Valenz (positiv vs. negativ einen eine kategoriale Bedeutung (ist die Lernaktivität
Emotionen
223 9
bzw. das Leistungsergebnis subjektiv positiv oder
negativ), zum anderen eine dimensionale Bedeutung (wie
wichtig bzw. persönlich bedeutsam ist die Aktivität bzw.
das Leistungsergebnis).
Nun stellt sich die Frage, was zur Bewertung
konkreter Situationen und Tätigkeiten beiträgt, d. h.
was die Appraisals bestimmt. Warum bewertet man
eine Prüfung als „machbar“ oder als unüberwindbare
Hürde, als wichtig oder unwichtig, ein Leistungsergeb-
nis als Erfolg oder Misserfolg? Es ist anzunehmen, dass
Appraisals zum einen durch die Situation selbst, zum
anderen aber auch durch die sie wahrnehmende Person
beeinflusst werden. So können situative Bedingungen die
Kontrollerwartungen bestimmen (wie z. B. Schwierig-
keit der Aufgaben und Durchfallquoten bei Prüfungen)
oder die Einschätzung der Bedeutsamkeit der Situation
beeinflussen (z. B. die Gewichtung einer Prüfung für
die Gesamtnote im Abschlusszeugnis). Diese mehr oder
weniger objektiven Gegebenheiten der Situation müssen
wiederum von Personen individuell beurteilt werden. Sind
die situativen Gegebenheiten unbekannt oder unauffällig,
spielen generalisierte subjektive Kontroll- und Wertüber-
zeugungen eine bedeutendere Rolle für die Entstehung
von Emotionen. Ein positives mathematisches Fähig-
keitsselbstkonzept wird beispielsweise dazu beitragen,
Prüfungssituationen in diesem Fach eher als kontrollier-
bar und bewältigbar zu beurteilen. Ebenso beeinflussen
generalisierte Überzeugungen, beispielsweise hinsicht-
lich der Relevanz eines Fachs für die eigene Karriere,
das Bedeutsamkeits-Appraisal in einer Situation. Auch
Leistungsziele (d. h. Annäherungs- bzw. Vermeidungsziele
anhand kriterialer, individueller bzw. sozial vergleichender
Gütemaßstäbe; 7 Kap. 7) spielen eine Rolle dafür, welche . Abb. 9.3 Schema zu prospektiven Emotionen
Kontrollierbarkeit und welche Bedeutsamkeit man Lern-
aktivitäten und Leistungsergebnissen beimisst.
Wie wirken Appraisals auf das Erleben von Emotionen Kontroll- und Wert-Appraisals entstehen können, wenn
in Lern- und Leistungssituationen? Je nachdem, ob die eine Leistungssituation bevorsteht (prospektiver zeitlicher
derzeitige Tätigkeit als angenehm oder unangenehm Bezug): Die situativen Gegebenheiten sowie die persön-
bewertet wird bzw. ob Erfolg oder Misserfolg ein- lichen generalisierten Überzeugungen bedingen zunächst,
getreten ist oder möglicherweise eintreten wird, bestimmt ob man Misserfolg erwartet. Wie persönlich relevant man
zunächst die Valenz die jeweiligen Emotionen (d. h. ob diesen Misserfolg einschätzt und wie man die persönlichen
positive oder negative Emotionen erlebt werden). Die Ressourcen einschätzt, die Situation bewältigen zu können,
­Kontroll-Appraisals bestimmen zudem die Qualität von trägt schließlich dazu bei, ob man sich hoffnungslos, ängst-
Emotionen, d. h. sie bestimmen, welche diskrete positive lich oder erleichtert fühlen wird.
oder negative Emotion erlebt wird (bei hohem Kontroller-
leben wird man beispielsweise Vorfreude auf eine Prüfung Empirische Befunde Für die Prüfungsangst ist die
erleben, bei geringerem hingegen Angst). Bedeutung von mangelnder wahrgenommener Kontrolle
Wie intensiv diese Emotionen erlebt werden, hängt empirisch gut belegt (z. B. zusammenfassend siehe z. B.
sowohl vom Ausmaß des Kontrollerlebens als auch der Pekrun und Perry 2014): Ein Schüler erlebt intensivere
Bedeutsamkeit ab. Dabei verstärkt die Einschätzung der Angst, wenn Misserfolge drohen, er aber z. B. aufgrund
persönlichen Wichtigkeit sowohl positive als auch negative von niedrigem Selbstkonzept bezweifelt, diese vermeiden
Emotionen (eine Ausnahme stellt hierbei die Lange- zu können. Zusätzlich entscheidend für die Intensität
weile dar; 7 Exkurs „Langeweile – eine allbekannte, jedoch der erlebten Angst ist die Bedeutsamkeit von Misserfolg.
wenig untersuchte Emotion“). Das Ausmaß, in welchem In einer Studie von Frenzel, Pekrun und Götz (2007)
man Kontrolle in der jeweiligen Situation erlebt, verstärkt berichteten Schüler im Fach Mathematik dann stärkere
positive Emotionen in der Regel und schwächt negative ab. Angst, wenn ihre Kompetenzüberzeugungen in diesem
. Abb. 9.3 zeigt beispielhaft, wie Emotionen aufgrund von Fach gering ausgeprägt waren. Unabhängig von den
224 A. C. Frenzel et al.

Kompetenzüberzeugungen spielten aber zusätzlich auch 7 Kap. 7). Kausalattributionen können Einfluss darauf
die Überzeugungen der Schüler zur Bedeutsamkeit von nehmen, wie man emotional auf Ereignisse reagiert. Bernard
Leistung in Mathematik eine Rolle dafür, wie viel Angst Weiner hat den Zusammenhang zwischen Attributionen
sie vor dem Fach berichteten. In dieser Studie konnte auch und Emotionen umfassend analysiert, insbesondere für
gezeigt werden, dass subjektive Kontrollüberzeugungen Erfolge und Misserfolge (Weiner 1986, 2007; 7 Exkurs
und Überzeugungen der Bedeutsamkeit von Leistung für „Die Methode der Vignetten-Aufgaben zur Untersuchung des
das Erleben anderer Emotionen jenseits der Angst eine Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen“).
wichtige Rolle spielen. So zeigte sich beispielsweise, dass Weiner und Kollegen untersuchten zahlreiche ver-
Schüler dann vermehrt Stolz in Mathematik berichteten, schiedene Erfolgs- und Misserfolgsattributionen und
wenn sie hohe Kompetenzüberzeugungen hatten und die nachfolgenden Emotionen. Sie kamen dabei zu zwei
zugleich gute Leistungen in diesem Fach für wichtig zentralen Schlüssen:
hielten. Freude am Fach Mathematik zeigte sich in dieser 1. Erfolg und Misserfolg an sich rufen Emotionen hervor.
Studie dann als besonders ausgeprägt, wenn Schüler hohe Unabhängig davon, worauf man ein Leistungsergeb-
Kompetenzüberzeugungen und zugleich gute Leistungen nis zurückführt, erlebt man Freude bei Erfolg und
in diesem Fach hatten und wenn sie das Fach an sich Frustration bei Misserfolg. Diese beiden Emotionen
positiv bewerteten. nennt Weiner daher auch ergebnisabhängige
Für retrospektive, ergebnisbezogene Emotionen gibt („outcome-dependent“) Emotionen.
es zudem aus der Kausalattributionsforschung zahlreiche 2. Beginnt eine Person, nach den Ursachen für das Leistungs-
empirische Befunde. Kausalattributionen sind Ursachen- ergebnis zu suchen, stellen sich weitere, differenzierte
zuschreibungen für zurückliegende Ereignisse, also Emotionen ein: Diese nennt Weiner attributionsabhängige
9 Antworten auf die Frage „Warum ist das passiert?“ (auch („attribution-dependent“) Emotionen.

Exkurs

Die Methode der Vignetten-Aufgaben zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen
Für eine empirische Untersuchung Ursachen der Erfolg oder Misserfolg Peter bekam eine gute Note und glaubte,
der postulierten Zusammenhänge zurückzuführen ist. Aufgabe der dass er das aufgrund seiner Begabung
zwischen Attributionen und Emotionen Probanden ist es dann zu beurteilen, wie geschafft hat. Wie, glauben Sie, hat sich
verwandte Weiner in vielen seiner sich die in den Vignetten beschriebenen Peter gefühlt, als er die Note erfahren
Studien sog. ­Vignetten-Aufgaben. Personen unter den gegebenen hat? (Weiner 1986, S. 122).
Bei diesem Paradigma werden den Umständen fühlen. Ein Beispiel für eine In dieser Vignette wurde also eine
Probanden kurze schriftliche Szenarien solche Vignette, wie sie von Weiner und Erfolgsattribution auf Begabung und damit
(Vignetten) vorgelegt, in denen Personen Kollegen verwendet wurde, ist: aus Sicht des Handelnden einer internalen,
beschrieben werden, die Misserfolge Es war schrecklich wichtig für Peter, stabilen Ursache nahegelegt. Weiners
bzw. Erfolge erleben, verbunden in einer bevorstehenden Prüfung gut Ergebnisse zeigten, dass viele Probanden
mit Hinweisen darauf, auf welche abzuschneiden. Peter ist sehr begabt. in diesem Fall die Emotion Stolz nannten.

Wie auch in Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz wird hierbei berücksichtige Attributionsdimension Stabilität beein-
der Dimension Kontrollierbarkeit Bedeutung dafür bei- flusst laut Weiner vorwiegend die Erwartung bezüglich
gemessen, welche diskrete Emotion erlebt wird. Zudem zukünftiger Leistungsergebnisse und das Erleben von
wird die Dimension Lokation (internal vs. external) berück- Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.
sichtigt. Die Emotionen Stolz und Scham sind demzufolge Interessant ist, dass wir nicht nur unseren eigenen
durch Attributionen auf internale Ursachen von Erfolg und Erfolgen und Misserfolgen Ursachen zuschreiben, sondern
Misserfolg charakterisiert. Im Falle von Attributionen auf auch denen anderer Personen und entsprechend emotional
externale Verursachung von Erfolg bzw. Misserfolg sollte reagieren können (7 Exkurs „Appraisal rückwärts – Wie wir
man Weiner zufolge Dankbarkeit bzw. Ärger erleben. Die von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und
dritte in der Kausalattributionsforschung typischerweise unsere Fähigkeiten schließen“).
Emotionen
225 9
Exkurs

Appraisal rückwärts – Wie wir von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und unsere Fähigkeiten schließen
Ursachenzuschreibungen beeinflussen Personen auf deren Attributionen Berücksichtigung der Ausprägung des
die emotionalen Reaktionen auf rückschließen kann. Rustemeyer verbalen Selbstkonzeptes der Schüler.
Leistungsergebnisse. Das gilt nicht (1984) hat dies in einer Laborstudie Diese absolvierten eine Wortsuchaufgabe
nur für unsere eigenen Erfolge und eindrucksvoll zeigen können. In ihrer in einer virtuellen Lernumgebung und
Misserfolge, sondern auch für die Studie wies sie Probanden die Rolle bekamen von einer virtuellen Lehrkraft
anderer Personen (Weiner 1986), von „Schülern“ zu und setzte diese wiederholt Misserfolg in dieser Aufgabe
insbesondere für die Beurteilung von systematisch verschiedenen Emotionen zurückgemeldet, gekoppelt mit Ärger-
Erfolgen oder Misserfolgen von Schülern durch die Testleiter (die „Lehrkräfte“) aus. oder Mitleidausdruck. Schüler mit hohem
durch ihre Lehrkräfte. Schülererfolge, In einem Vortest wurde die (scheinbare) verbalem Fähigkeitskonzept führten
die auf kontrollierbare Ursachen Fähigkeit der Probanden in einer im Falle von Ärger der Lehrkraft ihren
zurückzuführen sind, lösen Zufriedenheit optischen Wahrnehmungsaufgabe Misserfolg eher auf ihre mangelnde
bei beobachtenden Lehrkräften aus. durch die Testleiter ermittelt. Das Anstrengung zurück. Bei Lehrermitleid
Unerwartete (d. h. unkontrollierbare) Ergebnis (Erfolg vs. Misserfolg) in einer dagegen attribuierten Schüler mit
Schülererfolge rufen dagegen folgenden, ähnlichen Aufgabe teilte der mittlerem verbalem Selbstkonzept ihren
Überraschung beim Beobachter hervor. Testleiter den Probanden unter Angabe Misserfolg eher auf mangelnde Fähigkeit.
Schülermisserfolge, denen Lehrkräfte seiner eigenen Emotion mit (je nach Als Fazit ist zu ziehen, dass gerade die
kontrollierbare Ursachen (insbesondere Bedingung Zufriedenheit, Überraschung, beiden Emotionen Ärger und Mitleid
mangelnde Anstrengung) zuschreiben, Ärger oder Mitleid). Daraufhin wurden Wirkungen haben können, die den
führen bei Lehrkräften zu Ärger oder die Probanden aufgefordert zu intuitiven Erwartungen aufgrund der
auch Enttäuschung; Schülermisserfolge beurteilen, wie hoch sie ihre eigene Valenz dieser Emotionen widersprechen.
aufgrund von unkontrollierbaren Fähigkeit einschätzten und welche Ärger ist eine negative Emotion, die
Faktoren (insbesondere mangelnde Erfolgserwartung sie bei künftigen, zu zeigen üblicherweise sozial nicht
Begabung) wecken Mitleid oder ähnlichen Aufgaben hätten. Die erwünscht ist, gerade auch bei Lehrkräften.
empathische Hoffnungslosigkeit. Ergebnisse zeigten, dass die Probanden Unter den beschriebenen Umständen
Bereits Kinder im Alter von 6 Jahren bei Überraschung des Testleiters nach kann Ärger dem anderen jedoch mitteilen,
können auf der Basis vorgegebener Erfolg und Mitleid nach Misserfolg ihre dass man seine Fähigkeiten hoch
Ursachenkonstellationen (insbesondere Fähigkeiten geringer einschätzten und einschätzt. Mitleid bei Misserfolgen der
Anstrengung vs. Begabung) vorhersagen, weniger zuversichtlich waren, zukünftige anderen auszudrücken wird dagegen
ob Lehrkräfte ärgerlich oder mitleidig Aufgaben lösen zu können, als wenn der i. Allg. als positive Reaktion angesehen, die
auf Schülermisserfolge reagieren werden Testleiter mit Zufriedenheit auf Erfolg Empathiefähigkeit impliziert. In diesem
(Graham und Weiner 1986). oder Ärger auf Misserfolg reagiert hatte. Fall kann Mitleid jedoch signalisieren, dass
Bemerkenswert ist, dass dieser Prozess Ähnliche Ergebnisse erzielten Frenzel man die Kompetenzen des anderen für
auch „rückwärts“ möglich ist – dass man und Taxer (2018) in einer Feldstudie gering hält – mit negativen Auswirkungen
also von den Emotionen bei anderen mit Sechstklässlern, jedoch nur unter für den Betroffenen.

Einflüsse der Sozialumwelt auf 5 Erwartungen und Zielstrukturen


Leistungsemotionen 5 Leistungsrückmeldungen und -konsequenzen.
Emotionen und ihnen zugrunde liegende Appraisals ent-
stehen zum einen aufgrund von generalisierten Über- Instruktion Gelungene Instruktion in Form einer klar
zeugungen. Zum anderen hängen sie von der jeweiligen strukturierten und verständlichen Stoff- und Aufgaben-
Situation ab. In der Folge stellt sich die Frage, welche präsentation bedingt nicht nur realen Kompetenz- und
situativen Gegebenheiten Appraisals in welcher Weise Wissenszuwachs, sondern trägt auch dazu bei, dass
beeinflussen und wie generalisierte Überzeugungen bei Schüler positive Kompetenzüberzeugungen entwickeln.
Schülern entstehen. Dies ist insbesondere im Hinblick Für Kontroll-Appraisals in Lern- und Leistungssituationen
auf die Frage bedeutsam, wie Leistungsemotionen bei ist somit die kognitive Qualität während des Instruktions-
Schülern positiv beeinflusst werden können (auch 7 Exkurs prozesses von großer Bedeutung. Durch die Auswahl der
„Prüfungsangst – Möglichkeiten zur Intervention“). Unter Art und Schwierigkeit von Aufgaben während des Lern-
einer sozial-kognitiven Perspektive ist anzunehmen, dass prozesses und bei Leistungsüberprüfungen kann zudem auf
Überzeugungen von Personen immer in Auseinander- situative Kontroll-Appraisals Einfluss genommen werden.
setzung mit ihrer Sozialumwelt entstehen. Pekrun (2006, Inhaltlich und strukturell neuartige Aufgaben können die
2018) nennt folgende fünf Facetten der Sozialumwelt, die wahrgenommene Kontrolle senken.
insbesondere die Kontrollüberzeugungen und die Über-
zeugungen zur Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten und Wertinduktion Mit diesem Begriff ist die Vermittlung der
Leistungsergebnissen beeinflussen können (. Abb. 9.4): Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten und Leistungsergeb-
5 Instruktion nissen gemeint. Diese lässt sich direkten Mitteilungen
5 Wertinduktion von anderen Personen und Medien entnehmen. Schüler,
5 Autonomiegewährung denen durch Eltern, Lehrkräfte und Medien wiederholt
226 A. C. Frenzel et al.

Exkurs

Prüfungsangst – Möglichkeiten zur Intervention


Exzessive Prüfungsangst lässt sich individuellen Defiziten bezüglich Lern- ab, die angstimmanenten irrationalen,
in der Regel erfolgreich therapieren. und Prüfungsstrategien an. „katastrophisierenden“ Gedankeninhalte
Einige Formen der Prüfungsangst- Beispiele für emotionsorientierte mit erfolgsorientierten Gedankeninhalten
therapie zählen sogar zu den besonders Therapieformen sind verhaltens- zu ersetzen. Beim Strategietraining
wirksamen Psychotherapien (Ergene therapeutische Verfahren der werden mit dem Klienten kognitive und
2003; von der Embse et al. 2013). Angstinduktion (Expositionsbehandlung, metakognitive Selbstregulations- und
Unterschiedliche Therapieformen setzen systematische Desensibilisierung) Lernstrategien eingeübt (Setzen realistischer
dabei an den affektiv-physiologischen kombiniert mit Biofeedbackverfahren und Ziele, Planung und Überwachung), um
Symptomen von Prüfungsangst, Entspannungstrainings (z. B. progressive die Qualität der inhaltlichen Vorbereitung
den zugrunde liegenden kognitiven Muskelentspannung). Kognitive Ansätze zur auf die Prüfung und das Vorgehen in der
Einschätzungen oder auch den Reduktion der Prüfungsangst zielen darauf Prüfung zu optimieren.

. Abb. 9.4 Ursachen von


Emotionen

explizit mitgeteilt wird, dass bestimmte Fächer oder wenn Schülern auf altersangemessene Weise Selbstständig-
auch gute Leistungen von großer Bedeutung sind, bilden keit und Handlungsspielräume gewährt werden, können
erwartungsgemäß – wenn auch nicht zwangsläufig – mit diese ihr eigenes Handeln erproben und entwickeln. Selbst-
der Zeit entsprechende generalisierte Überzeugungen aus. gesteuerte, erfolgreiche Handlungen bewirken wiederum
Hinzu kommen die häufig glaubwürdigeren, eher indirekten die Ausbildung von Kontrollüberzeugungen. Bedingung
Botschaften zu Wertigkeiten von Verhalten, die durch hierfür ist, dass jeweils bereits hinreichende Kompetenzen
Erwartungen und Rückmeldungen von Bezugspersonen für die Aufgaben selbst sowie für die Selbstregulation von
und durch das Modellverhalten solcher Personen entstehen. Handlungen vorliegen. Komplexe, nur sehr grob umrissene,
Zudem können Lernstoff und Aufgaben so gestaltet werden, scheinbar viele Freiheiten gewährende Aufgaben fördern
dass sie für die Lernenden Bedeutungsgehalt besitzen. aber unter Umständen keine positiven Emotionen während
der Aufgabenbearbeitung, sondern senken eher das
Autonomiegewährung Wie in der Selbstbestimmungs- Kontrollerleben der Schüler und machen sie hilflos.
theorie der Motivation von Deci und Ryan argumentiert
(z. B. Deci und Ryan 1993; Ryan und Deci 2000; 7 Kap. 7) Erwartungen und Zielstrukturen Erwartungen bestimmen
wird wahrgenommener Autonomie im Kontext von Lernen maßgeblich, ob ein Leistungsergebnis als Erfolg oder Miss-
und Leistung eine zentrale Rolle bezüglich der Übernahme erfolg zu beurteilen ist. Äußerungen angemessen hoher
von Werten und Handlungszielen zugeschrieben. Nur Erwartungen vonseiten der Bezugspersonen können bei
Emotionen
227 9
Lernenden zudem den Glauben an ihre Kompetenz und uns fühlen? Hinsichtlich dieser Fragen sind Befunde aus
ihre Kontrollüberzeugungen positiv beeinflussen. Über- zwei Forschungstraditionen interessant, der Stimmungs-
höhte Erwartungen, insbesondere verknüpft mit Sanktionen forschung und der Gedächtnisforschung.
bei Nichterreichung, erhöhen jedoch die Bedeutung von
Misserfolg und sind somit ungünstig für die Emotionsent- Stimmungsforschung Beim typischen Untersuchungs-
wicklung. Empirische Studien belegen, dass Wettbewerb paradigma der Stimmungsforschung wird Stimmung in den
in der Klasse mit der Angst von Schülern positiv korreliert drei Ausprägungen positiv, neutral und negativ induziert
(Götz 2004; Zeidner 1998). Somit sind kooperative Ziel- und nachfolgend untersucht, wie sich dies auf kognitive
strukturen, in denen der eigene Erfolg an die Ziel- Prozesse auswirkt. Die theoretischen Überlegungen und
erreichung der Kooperationspartner geknüpft ist, oder auch empirischen Befunde hierzu sind uneinheitlich. Zum einen
individualistische Strukturen, bei denen eigener Erfolg vom wird argumentiert, dass Stimmung – sowohl positive als
Erfolg anderer Personen unabhängig ist, im Hinblick auf auch negative – kognitive Ressourcen verbraucht und somit
das emotionale Erleben von Schülern zu bevorzugen. kognitive Leistungen negativ beeinflusst. Tatsächlich konnte
in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass beispielsweise
Leistungsrückmeldungen und -konsequenzen Leistungs- die Aufmerksamkeit, kognitive Planung und die Leistung bei
rückmeldungen sind die wichtigste Quelle für die Aus- Analogieaufgaben sowohl in negativer als auch in positiver
bildung von Kompetenzüberzeugungen. Die Einschätzung Stimmung schwächer ausgeprägt waren als in neutraler
der persönlichen Ressourcen zur Bewältigung einer Stimmung (z. B. Meinhardt und Pekrun 2003; Oaksford
Prüfungssituation hängt in großem Maße davon ab, wie et al. 1996; Spies et al. 1996). Es wird aber auch argumentiert,
man in vergangenen Prüfungen abgeschnitten hat. Ein- dass positive und negative Stimmung mit unterschiedlichen
tretende Konsequenzen für Erfolg und Misserfolg beein- Verarbeitungsstilen einhergeht und damit je nach Typ der
flussen dagegen deren Bedeutsamkeit: Persönlich relevante gestellten Aufgaben sowohl positive als auch negative Effekte
Folgen (im Misserfolgsfall z. B. eine Prüfung wiederholen beider Stimmungslagen zu erwarten sind. Demgemäß wird
zu müssen; im Erfolgsfall z. B. öffentlich geehrt oder auch negative Stimmung stärker mit konvergentem, analytischem,
finanziell belohnt zu werden) intensivieren positives wie detailorientiertem Denken assoziiert und damit zwar mit
negatives emotionales Erleben. Insbesondere der Einsatz einer tieferen, aber dafür „schmaleren“ Herangehensweise
negativer Konsequenzen bei Misserfolg sollte daher im Hin- an gestellte Aufgaben. Positiver Stimmung wird dagegen
blick auf das emotionale Erleben eher vermieden werden. zugeschrieben, das divergente, heuristische und damit auch
In . Abb. 9.4 sind die in diesem Abschnitt beschriebenen flexiblere und kreativere Denken zu begünstigen (z. B. Clore
Annahmen zu den Einflüssen der Sozialumwelt über et al. 2001). Empirisch konnte mittlerweile wiederholt gezeigt
generalisierte Überzeugungen und aktuelle Appraisals auf werden, dass die Leistungen in Wortflüssigkeit oder auch der
Emotionen im Lern- und Leistungskontext dargestellt. Dieses Fähigkeit, rasch zu neuen Aufgaben zu wechseln, in positiver
Modell berücksichtigt auch mögliche Rückkopplungsschleifen. Stimmung besser sind; die empirische Evidenz zu gesteigerten
So ist auch davon auszugehen, dass Emotionen ihrerseits Leistungen bei konvergenten Denkaufgaben in negativer
Überzeugungen und Appraisals rückwirkend beeinflussen: Stimmung ist dagegen schwächer (Mitchell und Phillips
Wiederholtes Angsterleben in Prüfungen wirkt sich beispiels- 2007).
weise negativ auf eigene Kompetenzüberzeugungen und somit
auf das aktuelle Kontroll-Appraisal in neuen Prüfungen aus. Gedächtnisforschung Im Kontext der Gedächtnisforschung
Zudem ist anzunehmen, dass Emotionen und Appraisals, wird u. a. untersucht, inwieweit der emotionale Gehalt
soweit sie für die Sozialumwelt ersichtlich sind, diese von Stimulusmaterial darauf wirkt, wie gut es gelernt und
wiederum beeinflussen: Zum Beispiel wird hilflos wirkenden erinnert wird. Übereinstimmend belegt eine Vielzahl an
Schülern erwartungsgemäß mehr Unterstützung angeboten. Studien, dass man sich sowohl an positive als auch negative
Begeisterten und interessierten Schülern werden dagegen emotionale Stimuli (Bilder, Texte, aber auch autobiografische
eher herausfordernde Aufgaben zugewiesen und es werden Ereignisse) besser erinnert als an neutrales Material oder
ihnen mehr Mitsprache und größere Handlungsspielräume neutrale Ereignisse. Dies wird u. a. darauf zurückgeführt,
eingeräumt. Schließlich ist in . Abb. 9.4 auch berücksichtigt, dass emotionale Stimuli neurologisch mit einer Erregung
dass neben Appraisals auch dispositionelle Neigungen wie das der Amygdala einhergehen. In bildgebenden Verfahren
Temperament auf Leistungsemotionen Einfluss nehmen. konnte gezeigt werden, dass die gesteigerte Gedächtnis-
leistung bei emotionalen im Vergleich zu neutralen Bildern
bei Versuchspersonen mit starker Amygdalaaktivation
9.3.7  Wirkungen von Emotionen im Lern- besonders ausgeprägt ist. Der Zusammenhang zwischen
und Leistungskontext Emotionen und Gedächtnis wiederum hat damit zu tun, dass
die Amygdala auf den sensorischen Kortex wirkt (diejenige
Allgemeinpsychologische Befunde zu Hirnregion, die Aufmerksamkeit auf den Stimulus richtet)
Wirkungen von Emotionen sowie den Hippocampus beeinflusst (diejenige Hirnregion,
Wie wirken Emotionen auf Denken und Gedächtnis? die für Prozesse der Konsolidierung im Gedächtnis ver-
Hängen unsere kognitiven Leistungen davon ab, wie wir antwortlich ist; Richardson et al. 2004).
228 A. C. Frenzel et al.

Sowohl die Stimmungs- als auch die Gedächtnis- Anwendung auf den Lern- und
forschung geben wichtige Hinweise auf die Frage nach dem Leistungskontext
Zusammenhang zwischen Emotionen und Lernen (einen In Anknüpfung an die oben beschriebenen Befunde
Überblick bieten Kuhbandnder und Pekrun 2010); beide und basierend auf Überlegungen zum Zusammenhang
Forschungstraditionen scheinen jedoch relevante Aspekte zwischen Emotionen und Motivation schlägt Pekrun
zu vernachlässigen. In der Stimmungsforschung wird (2006) insbesondere drei Wirkmechanismen vor, wie
zwar berücksichtigt, in welcher Stimmung die Probanden lern- und leistungsbezogene Emotionen auf akademische
bei der Durchführung verschiedener Aufgaben sind, der Leistung Einfluss nehmen können, nämlich über kognitive
emotionale Gehalt der Aufgaben selbst (z. B. Interessant- Ressourcen, Lernstrategien und Motivation.
heit oder Aversivität) bleibt aber in der Regel unbeachtet.
Hingegen wird in der Gedächtnisforschung zwar berück- Wirkungen von Emotionen auf kognitive
sichtigt, welche Valenz und welches Erregungspotenzial im Ressourcen
Stimulusmaterial selbst steckt, die Frage danach, wie sich die
Auch für lern- und leistungsbezogene Emotionen ist anzu-
Probanden bei der Durchführung der Aufgaben fühlen, wird
nehmen, dass sie kognitive Ressourcen verbrauchen.
hier jedoch meist nicht thematisiert. Ein weiterer Kritik-
Das Erleben negativer Emotionen während einer Auf-
punkt ist, dass die Lernsituationen in diesen ausschließlich
gabe bedingt somit, dass Aufmerksamkeit von der zu
laborbasierten Studien eher artifiziell und somit in ihrer
bearbeitenden Aufgabe abgelenkt wird. Dies beeinträchtigt
Generalisierbarkeit, z. B. im Hinblick auf schulisches
die Leistung vor allem bei komplexen Aufgaben, die ver-
Lernen, eingeschränkt sind. Speziell für die Stimmungs-
mehrt kognitive Ressourcen beanspruchen. Im Lern-
forschung gilt zudem, dass sie typischerweise lediglich
und Leistungskontext ist das insbesondere für Angst
9 neutrale, positive und negative Stimmung unterscheidet
empirisch gut belegt (7 Exkurs „Prüfungsangst – Wirkung
und diese doch eher „grobe“ Differenzierung menschlichen
auf Leistung“). Aber auch Ärger während einer Aufgabe
affektiven Erlebens kaum Schlüsse auf diskretes emotionales
verbraucht notwendige Ressourcen und beeinträchtigt so
Erleben und dessen Auswirkungen zulässt.

Exkurs

Prüfungsangst – Wirkung auf Leistung


Der Zustand einer prüfungs- hoch Ängstliche mit geringerer des Lernens einhergeht und so die
ängstlichen Person ist durch körperliche Wahrscheinlichkeit, während der schwächeren Leistungen erklärt
Symptome, das Bedürfnis nach Flucht Prüfung an Positives zu denken („Die werden können. Tatsächlich sind
und durch sorgenvolle Gedanken Prüfung läuft doch ganz gut!“ dachten prüfungsängstliche Schüler dadurch
geprägt. Insbesondere diese kognitive z. B. nur 43 % der hoch, aber 70 % der charakterisiert, dass sie Lernzeiten
Komponente der Angst führt zu niedrig Ängstlichen). Insgesamt 49 % im Klassenzimmer schlechter nutzen,
Beeinträchtigungen in der Leistung. der niedrig Ängstlichen, aber nur 26 % weniger kompetente Mitschriften
Vergleicht man Schüler gleichen der hoch Ängstlichen gaben an, ihre verfassen und sich den Lernstoff
Vorwissensstandes und gleichen Gedanken seien klar und sie könnten sich eher durch rigide, oberflächliche
kognitiven Potenzials, schneiden konzentrieren. Strategien anzueignen versuchen als
Prüfungsängstliche bei kognitiv Von Bedeutung ist jedoch nicht durch verständnisorientierte, flexible
anspruchsvollen Aufgaben schlechter nur die Quantität negativer und Lernstrategien (Zeidner 1998).
ab. Dieser leistungsmindernde Effekt positiver Gedankeninhalte, sondern Neben diesen beschriebenen
der „Worry-Komponente“ konnte in auch ihr Fokus: Prüfungsängstliche Wirkmechanismen von Prüfungsangst
zahlreichen Studien empirisch belegt neigen dazu, während der Prüfung auf Leistung gilt es selbstverständlich
werden. an sich selbst und ihre Unzuläng- auch die umgekehrte Wirkrichtung
Ein Beispiel: Galassi, Frierson und Sharer lichkeit sowie an mögliche negative zu beachten – nämlich die Effekte
(1981) baten C ­ ollege-Studenten dreimal Folgen zu denken, anstatt die negativer Leistungsrückmeldungen
während einer Geschichtsklausur, Aufmerksamkeit und Gedankeninhalte auf Prüfungsangst in nachfolgenden
anhand einer Checkliste ihre Gedanken auf die Aufgaben und ihre Lösungen Prüfungen. Erlebt ein Schüler wiederholt
zu beschreiben (vorher, in der Mitte zu fokussieren. Diese Hemmung der Misserfolge in schriftlichen und
der Prüfung und ca. 10 min vor dem aufgabenbezogenen Aufmerksamkeit mündlichen Prüfungssituationen,
Ende). Im Vergleich zu Studenten mit wird in sog. Interferenztheorien verstärkt das die Prüfungsängstlichkeit.
niedriger Prüfungsangst gaben die beschrieben. Zusätzlich zur Annahme, Gepaart mit den oben beschriebenen
hoch Prüfungsängstlichen mit größerer Prüfungsangst führe zu schwächeren Effekten von Prüfungsangst auf die
Häufigkeit an, negative Gedankeninhalte Leistungen aufgrund von aufgaben- Qualität des Lern- und Leistungs-
zu haben („Wie schrecklich es wäre, irrelevantem Denken in der Prüfung, verhaltens vor und während Prüfungen
schlecht zu sein oder durchzufallen!“ wird in der Literatur auch diskutiert, entsteht so ein Teufelskreis ungünstiger
dachten z. B. 45 % der hoch, 11 % der dass Prüfungsangst mit defizitären Beeinflussung von Prüfungsangst und
niedrig Ängstlichen). Zudem berichteten Lernstrategien bereits während Leistung.
Emotionen
229 9
die Aufgabenbearbeitung. So ergaben sich in einer Studie Er unterscheidet dazu aktivierende Emotionen (z. B.
von Götz (2004) negative Korrelationen zwischen selbst- Freude und Angst) und deaktivierende Emotionen (z. B.
berichtetem Ärger und Konzentration, erfasst im Verlauf Erleichterung und Langeweile). Positiv-aktivierende aktivi-
eines Mathematiktests. Wie oben beschrieben, konnte in tätsbezogene Emotionen wie Lernfreude bedingen, dass
der Stimmungsforschung gezeigt werden, dass auch positive man das Lernen an sich als belohnend empfindet, also
Stimmung kognitive Ressourcen verbraucht. Hier wurde die intrinsisch motiviert an das Lernen herangeht (7 Kap. 7). Ist
Stimmung jedoch unabhängig von den gestellten Aufgaben eine Leistungssituation durch positiv-aktivierende ergebnis-
manipuliert. Für positive aufgabenbezogene Emotionen bezogene Emotionen charakterisiert (wie Vorfreude auf ein
(wie Lernfreude) ist anzunehmen, dass diese dazu bei- gutes Ergebnis), beflügelt dies, Anstrengung als Mittel zum
tragen, die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe zu fokussieren. Zweck (gute Leistungen und ihre Folgen) zu investieren.
Dies führt zu Leistungssteigerungen bei emotional positiv Dies entspricht einem Zustand extrinsischer Motivation, in
erlebten Aufgaben. In der Studie von Götz (2004) ergaben diesem Sinne sind positiv-aktivierende Emotionen in der
sich positive Korrelationen zwischen selbst berichteter Regel auch mit dem Ausmaß an extrinsischer Motivation
Freude und Konzentration. Je mehr Freude die Schüler positiv korreliert. Aufgrund erhöhter intrinsischer und
während eines Mathematiktests erlebten, desto eher gaben extrinsischer Motivation stehen positiv-aktivierende
sie an, sich „voll auf die Lösung der Aufgabe konzentriert“ Emotionen daher insgesamt meist in einem positiven
und „die Zeit ganz vergessen“ zu haben. Dies stand Zusammenhang mit Leistung.
wiederum in einem positiven Zusammenhang mit ihren Herrschen dagegen in einer Lern- oder Leistungs-
Leistungen im Test. Diese Befunde stehen im Einklang situation negativ-deaktivierende Emotionen wie Lange-
mit dem Konzept „Flow“, dem Erleben, wenn man in der weile oder Hoffnungslosigkeit vor, senkt dies sowohl die
Bearbeitung einer Aufgabe völlig aufgeht (7 Abschn. 9.1.3). intrinsische Motivation (also die Tätigkeit um ihrer selbst
willen ausführen zu wollen) als auch die extrinsische
Wirkungen von Emotionen auf Lernstrategien Motivation (also sich als Mittel zum Zweck anzustrengen).
In Anknüpfung an Befunde aus der Stimmungsforschung Somit stehen negativ-deaktivierende Emotionen in der
zu unterschiedlichen Verarbeitungsstilen bei positiver vs. Regel in einem negativen Zusammenhang mit der Leistung
negativer Stimmung ist davon auszugehen, dass Leistungs- (vgl. Meta-Analyse zum Zusammenhang zwischen Lange-
emotionen auch den Einsatz von Lernstrategien beein- weile und akademischer Leistung von Tze et al. 2016).
flussen. So sollten positive Emotionen wie Freude und Positiv-deaktivierende und negativ-aktivierende
Stolz mit verständnisorientierten, flexiblen Strategien wie Emotionen schließlich haben komplexe motivationale
Elaboration einhergehen, während Angst und Ärger eher mit Folgen und somit auch weniger eindeutige Bezüge zur
rigiden, weniger verständnisorientierten Lernstrategien wie Lernleistung. Beispielsweise senkt Prüfungsangst zum
Wiederholen im Zusammenhang stehen dürften. Je stärker einen intrinsische Motivation, da die Lernhandlung an
gestellte Aufgaben flexibles, transferorientiertes Denken sich aufgrund der Angst als unangenehm empfunden wird.
erfordern, desto mehr beeinträchtigen negative Emotionen Zugleich steigert Angst aber zugleich unter Umständen
somit die Leistung. Zudem postuliert Pekrun (2006) einen die Anstrengung aufgrund von erhöhter (extrinsischer)
Effekt von Emotionen auf das Ausmaß der Selbstregulation Motivation zur Vermeidung von Misserfolg (Pekrun 2006).
des Lernens. Demzufolge sollten positive Emotionen selbst- Neben den Wirkungen von Emotionen auf Motivation
reguliertes Vorgehen beim Lernen begünstigen, negative ist auch anzunehmen, dass Motivation über Kontroll- und
Emotionen dagegen eher das Befolgen extern vorgegebener Werteinschätzungen auf die Emotionsbildung zurück-
Regeln befördern. Götz (2004) untersuchte den Zusammen- wirkt (Pekrun 2006; auch Heckhausen 1989). Darüber
hang zwischen Emotionen und Selbst- bzw. Fremdregulation hinaus werden, wie oben beschrieben, Handlungs-
bei Sekundarschülern in Mathematik (Selbstregulation war tendenzen (d. h. Motivation) auch als Bestandteile von
dabei mit Items wie diesem operationalisiert: „Beim Lernen Emotionen genannt (7 Abschn. 9.1.2). Auf der Ebene
für Mathe stecke ich mir eigene Ziele, die ich erreichen der Operationalisierung gibt es zudem praktische Über-
möchte“; Fremdregulation u. a. mit dem Item „Was ich für schneidungen zwischen Emotionen und Motivation; so
Mathe lerne, hängt von meinem Lehrer und meinen Eltern wird hier Tätigkeitsfreude explizit als Emotion angesehen,
ab“). Die Ergebnisse zeigten, dass Freude in Mathematik sie ist aber auch einschlägiger Indikator für intrinsische
sowohl mit Selbst- als auch mit Fremdregulation positiv Motivation. Ob Motivation und Emotionen in Sinne einer
korrelierte, Angst hingegen mit Selbstregulation in einem Teil-Ganzes-Beziehung oder sich gegenseitig bedingend
­
negativen und mit Fremdregulation in einem positiven angesehen werden – die enge Verknüpfung beider
Zusammenhang stand. Phänomene ist unumstritten.
. Abb. 9.5 stellt die Wirkungen von Leistungs-
Wirkungen von Emotionen auf intrinsische und emotionen über die beschriebenen Mechanismen dar.
extrinsische Motivation Hier werden auch bisher nicht näher beschriebene Rück-
Pekrun (2006, 2018) argumentiert zudem, dass Emotionen kopplungsschleifen berücksichtigt. Selbstverständlich
differenziell auf die Motivation von Schülern wirken. ist anzunehmen, dass Leistungen ihrerseits das Lernver-
halten und die Motivation sowie das emotionale Erleben
230 A. C. Frenzel et al.

. Abb. 9.5 Wirkungen von


Emotionen

rückwirkend beeinflussen. Zudem wird in der Abbildung 5 klare Strukturierung des Unterrichts (z. B. durch Offen-
berücksichtigt, dass auch Intelligenz und Vorwissen auf legung kurz- und langfristiger Inhalts- und Zeitpläne
Leistungsergebnisse Einfluss nehmen. bezüglich der Unterrichtsinhalte),
5 Gestaltung von Lerngelegenheiten, in denen Kontroll-
erfahrungen durch individuelle Zielsetzungen und
9.3.8  Anregungen zur Gestaltung eines selbstständige Strategieauswahl gemacht werden können
emotionsgünstigen Unterrichts (z. B. Projektarbeit),
5 eindeutige Formulierung von Erwartungen und Zielen
Aus den oben beschriebenen Bedingungsfaktoren für das (z. B. Zielvereinbarungen und Bekanntgabe des Noten-
Erleben von Emotionen im Lern- und Leistungskontext schlüssels vor einer schriftlichen Arbeit),
leiten sich Empfehlungen für die Gestaltung eines emotions- 5 Vermittlung kontrollierbarer Ursachen von Erfolg
günstigen Unterrichts ab (auch Götz et al. 2004). So kann und Misserfolg, insbesondere durch Anstrengung (vgl.
auf die subjektiven Überzeugungen der Schüler Ein- Reattributionstrainings; z. B. Ziegler und Schober 2001;
fluss genommen werden. Zudem können der „intelligente Perry et al. 2014),
Umgang“ mit lern- und leistungsbezogenen Emotionen und 5 deutliche Trennung zwischen „Lernzeiten“, in denen
deren Regulation gefördert werden. Einen nicht unerheb- Fehler als Lerngelegenheiten betrachtet werden und
lichen Einfluss auf Schüleremotionen haben schließlich die nicht in die Leistungsbewertung einfließen, und
von den Lehrkräften selbst vorgelebten Emotionen. „Prüfungszeiten“, in denen Lernzielkontrollen vor-
genommen werden,
Einflussnahme auf Kontroll- und 5 Vermittlung eines dynamischen Konzepts von Fähigkeit
Wertkognitionen (bei dem etwas nicht zu beherrschen bedeutet, es noch
Positive subjektive Kontrollüberzeugungen werden lernen zu können) anstatt eines statischen (bei dem etwas
Schüler dann entwickeln, wenn sie ihr Lernen als nicht zu beherrschen bedeutet, unbegabt zu sein und dies
kontrollierbar erleben. Ziel ist es, Schülern die Gewissheit nicht ändern zu können; siehe z. B. Dweck 2017)
zu geben, dass sie durch spezifische Handlungen relativ
eindeutig vorhersehbare Wirkungen erzielen können, also Überzeugungen zur Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten
„Kontrolle“ über die Ergebnisse ihrer Handlung haben. und Leistungsergebnissen lassen sich direkt und indirekt
Dies ist u. a. durch folgende Handlungsweisen von Lehr- vermitteln. Bei hoher Bedeutsamkeit von Leistungsergeb-
kräften erreichbar: nissen werden sowohl positive als auch negative Emotionen
Emotionen
231 9
verstärkt. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie Lehr- geprägt werden, können auch Lehrkräfte ihre Schüler beim
kräfte insbesondere die Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten Umgang mit ihren Emotionen insbesondere in Bezug auf
selbst (und nicht die von Leistungsergebnissen) fördern schulische Herausforderungen unterstützen. Götz et al.
können, was sich vorwiegend positiv auf das emotionale (2007b) schlagen hierzu folgende Möglichkeiten vor:
Erleben von Schülern auswirken sollte: 5 Förderung des Bewusstseins, dass Emotionen eine
5 direkte Kommunikation des intrinsischen Wertes, der wichtige Rolle im Lern- und Leistungskontext spielen
Neuartigkeit und möglicher Ambiguität des Lerngegen- (Motivierung zur Auseinandersetzung mit den Themen
stands („Das ist ganz anders als man auf den ersten „Emotionen“ und „Emotionsregulation“),
Blick denkt“, „Darüber sind sich die Wissenschaftler bis 5 Aufzeigen, dass Leistungsemotionen beeinflussbar sind,
heute nicht einig“), d. h., dass man ihnen nicht „blind ausgeliefert“ ist (Ver-
5 Aufgabenstellungen, die der Lebenswelt der Schüler ent- mittlung der Kontrollierbarkeit emotionalen Erlebens),
nommen sind (sog. „authentische“ Aufgaben), 5 Vermittlung von Wissen über Leistungsemotionen, z. B.
5 Vorgabe von Wahlmöglichkeiten (z. B. beim Bearbeiten durch die Erweiterung des Emotionsvokabulars und
von Aufgaben), durch das Aufzeigen der Wirkungen von Emotionen auf
5 Vermeidung primär kompetitiver Leistungsrück- Lernen und Leistung,
meldungen („Du bist besser/schlechter als die meisten 5 Vermittlung und Üben konkreter Emotionsregulations-
anderen in der Klasse“) zugunsten von individuellen und Coping-Strategien, d. h. sowohl emotionsorientierter
oder auch kriteriumsbezogenen Kompetenz- Strategien (z. B. durch Entspannungsübungen und positive
rückmeldungen (z. B. „Du kannst quadratische Selbstinstruktion) als auch problemorientierter Strategien
Gleichungen jetzt schon viel besser lösen“ bzw. „Du (z. B. externe Hilfe aufzusuchen oder die Situation kognitiv
solltest das Lösen quadratischer Gleichungen noch positiv umzudeuten; 7 Exkurs „Prüfungsangst – Eine Gefahr
üben“), sodass positive bzw. negative Leistungs- für die Validität von Prüfungen“).
konsequenzen nicht im Mittelpunkt stehen (vgl. auch
Rheinberg und Krug 1999). Vorleben leistungsförderlicher Emotionen
Es ist davon auszugehen, dass Emotionen von Lehrkräften
Unterstützung bei der Regulation von Auswirkungen auf Emotionen von Schülern haben. Wenn
Emotionen Lehrkräfte authentische positive inhalts- und tätigkeits-
Auch wenn Lernumgebungen optimal gestaltet sind, bezogene Emotionen im Zusammenhang mit Lernen
werden negative Emotionen im Lern- und Leistungskontext und Leistung zeigen, so werden Schüler im Sinne von
kaum vollständig zu vermeiden sein. Daher ist neben den Modelllernen ebenfalls vermehrt positive Emotionen in
beschriebenen Möglichkeiten der positiven Einflussnahme diesen Situationen erleben. Außerdem ist anzunehmen,
auf die Emotionsentstehung bei Schülern eine Anleitung dass jenseits von Modelllernen das Erleben und Zeigen
zur Selbstregulation von Leistungsemotionen zu empfehlen. positiver Emotionen von Lehrkräften in Form von Humor
Auch wenn das Emotionswissen und die Fähigkeit zur und enthusiastischem Unterrichten eine nicht zu unter-
Emotionsregulation schon früh in der E
­ ltern-Kind-Beziehung schätzende positive Wirkung auf das emotionale Erleben

Exkurs

Prüfungsangst – Eine Gefahr für die Validität von Prüfungen


Validität eines Tests oder einer Prüfung großzügiger zu bewerten als dieser eine Aufgabe nicht lösen kann,
bedeutet, dass tatsächlich das gemessen unordentlich und chaotisch gestaltete keinen eindeutigen Aufschluss darüber,
wird, was der Test oder die Prüfung zu Aufgabenbearbeitungen. In dieser ob dem Prüfling die entsprechenden
messen vorgibt (7 Kap. 13). Entwirft Hinsicht spiegelt der Punktwert dann Kenntnisse fehlen oder ob er sein
eine Lehrkraft beispielsweise eine nicht wie angestrebt die mathematische eigentlich vorhandenes Wissen
Mathematikprüfung, so zielt sie darauf Kompetenz im betreffenden Stoffgebiet aufgrund der Prüfungsangst nicht
ab, die Kompetenz der Schüler im Stoff wider, sondern vielmehr die Gewissen- abrufen konnte.
der ca. vier bis sechs zurückliegenden haftigkeit und die Fähigkeit, Ergebnisse Nun kann man argumentieren, dass
Stunden zu erfassen. Es gibt in einer formal übersichtlichen Form eine solche Kompetenz zum Umgang
verschiedene Gefahren für die Validität darzustellen. mit Stress in der modernen Gesellschaft
einer solchen Mathematikprüfung; Es bedeutet aber auch eine Gefahr notwendig ist; Lehrkräfte also ggf.
beispielsweise können die gewählten für die Validität von Prüfungen, wenn bewusst (zumindest auch) darauf
Aufgaben nicht das zuletzt besprochene sie so gestaltet sind, dass sie bei den abzielen, diese Kompetenz durch ihre
Stoffgebiet, sondern weiter Prüfungsteilnehmern besondere Angst Tests abzuprüfen. Wichtig ist aus dieser
zurückliegende Kompetenzen oder auslösen. Prüfungsangst beeinträchtigt Perspektive jedoch, den Schülern neben
noch nicht behandelte Fertigkeiten die adäquate Umsetzung der eigenen den fachlichen Fertigkeiten dann auch
betreffen. Problematisch ist auch, dass kognitiven Kompetenz in Leistung. entsprechende Strategien und Tipps
man – ungewollt – bei Korrekturen Ist eine Prüfung so gestaltet, dass sie zu vermitteln, um adäquat mit Stress
dazu neigt, formal (z. B. im Schriftbild) große Prüfungsangst beim Prüfling und Angst in Bewertungssituationen
einwandfreie Aufgabenbearbeitungen hervorruft, liefert die Tatsache, dass umgehen zu können.
232 A. C. Frenzel et al.

von Schülern hat (z. B. Frenzel et al. 2018). Schließlich Vertiefende Literatur
können Lehrkräfte auch einen positiven emotionalen 5 Barrett, L. F., Lewis, M., & Haviland-Jones, J. M. (Eds.). (4. Auflage
2016). Handbook of emotions. Guilford Publications..
Umgang mit eigenen Fehlern und eigener Unzulänglichkeit
5 Schulze, R., Freund, P. A., & Roberts, R. D. (Eds.). (2006). Emotionale
modellhaft vorleben, sowie ihre eigenen Anstrengungen, Intelligenz. Ein internationales Handbuch. Göttingen: Hogrefe.
ihre Emotionen zu regulieren, zur Lernerfahrung für 5 Gross, J. G. (Ed.). (2. Auflage 2015). Handbook of emotion regulation.
Schüler werden lassen. New York: Guilford.
5 Brandstätter, V., & Otto, J. H. (Hrsg.). (2009). Handbuch der
Allgemeinen Psychologie: Motivation und Emotion. Göttingen:
Hogrefe.
Fazit 5 Kuhbandner, C., & Frenzel, A. C. (2019). Emotionen. In D. Urhahne,
In diesem Kapitel wurden Emotionen als M. Dresel, & F. Fischer (Eds.), Psychologie für den Lehrberuf. Berlin:
mehrdimensionale Konstrukte mit affektiven, kognitiven, Springer.
expressiven, physiologischen und motivationalen 5 Pekrun, R., Muis, K. R., Frenzel, A. C., & Goetz, T. (2017). Emotions at
school. New York: Taylor & Francis/Routledge.
Komponenten vorgestellt. Basierend auf traditionellen
appraisal-theoretischen Ansätzen ist davon auszugehen,
dass Emotionen durch die Bewertung von Situationen,
Tätigkeiten und der eigenen Person entstehen.
Literatur
Im Lern- und Leistungskontext ist dabei Kontroll-
Barnow, S. (2012). Emotionsregulation und Psychopathologie. Psycho-
und Wert-Appraisals besondere Bedeutsamkeit
logische Rundschau, 63, 111–124. 7 https://doi.org/10.1026/0033-
zuzuschreiben. Diese Bewertung wird durch 3042/a000119.
generalisierte Überzeugungen der Handelnden, aber Boekaerts, M. (2007). Understanding students’ affective processes
9 auch durch äußere Umstände beeinflusst. Lehrkräften in the classroom. In P. A. Schutz & R. Pekrun (Hrsg.), Emotion in
ist somit die Möglichkeit gegeben, durch gezielte education (S. 37–56). San Diego: Elsevier.
Breyer, B., & Bluemke, M. (2016). Deutsche Version der Positive and
Gestaltung der Lernumgebung und der Lernaufgaben
Negative Affect Schedule PANAS (GESIS Panel). Zusammen-
auf das emotionale Erleben von Schülern Einfluss zu stellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen. 7 https://doi.
nehmen. Emotionen entfalten Wirkungen auf kognitive org/10.6102/zis242.
Ressourcen während der Aufgabenbearbeitung, auf Clore, G. L., Wyer, R. S., Dienes, B., Gasper, K., Gohm, C., & Isbell,
den Einsatz von Lernstrategien, auf das Ausmaß von L. M. (2001). Affective feelings as feedback: Some cognitive
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Lernens. Sie sind somit von großer Bedeutung für Erlbaum Associates, Inc.
resultierende Lernleistungen. Zudem sind sie wichtige Covington, M. V. (1992). Making the grade: A self-worth perspective on
Bestandteile des subjektiven Wohlbefindens. Daher sollte motivation and school reform. Cambridge: Cambridge University
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Emotionen im Kontext schulischen und außerschulischen
Langeweile: Im Tun aufgehen. Stuttgart: Klett-Cotta.
Lernens auch als Wert an sich angestrebt werden. Aber Deci, E., & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der
nicht nur die Emotionen der Schüler, sondern auch die Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für
der Lehrkräfte sind von großer Bedeutung. Sie wirken Pädagogik, 39, 223–238.
sich auf die Qualität von Instruktionsprozessen aus – Diener, E., Suh, E. M., Lucas, R. E., & Smith, H. L. (1999). Subjective
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und schließlich ist es auch belohnend für die Lehrkräfte,
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2. Inwiefern sind Emotionen und Stimmungen bzw.
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Emotionen und Stress verwandt bzw. voneinander of Education, 22, 497–514.
abzugrenzen? Frenzel, A. C., Becker-Kurz, B., Pekrun, R., Goetz, T., & Lüdtke, O.
3. Was ist die zentrale Annahme der (2018). Emotion transmission in the classroom revisited: A
­Appraisal-Theorien? Welche Appraisals gelten reciprocal effects model of teacher and student enjoyment.
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laut Pekruns Theorie als besonders bedeutsam
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Schülern positiv beeinflussen?
Emotionen
233 9
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Smith, C. A., & Lazarus, R. S. (1993). Appraisal components, core
relational themes, and the emotions. Cognition and Emotion, 7,
233–269.
235 IV

Interagieren
Inhaltsverzeichnis

10 Familie – 237
Elke Wild und Sabine Walper

11 Lehrkräfte – 269
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker

12 Gleichaltrige – 289
Ursula Kessels und Bettina Hannover
237 10

Familie
Elke Wild und Sabine Walper

10.1 Einleitung – 238


10.2 Die Rolle der Eltern im Verlauf der
(Familien-)Entwicklung – 239
10.2.1 Die Gründung einer Familie – 239
10.2.2 Familienleben mit einem Kleinkind – 240
10.2.3 Der Schuleintritt: Eltern als Lernbegleiter und Lehrkräfte als
„Erziehungspartner“ – 242
10.2.4 Die Transformation der ­Eltern-Kind-Beziehung im Jugendalter – 245
10.2.5 Familienbande nach der Adoleszenz – 248

10.3 Familien in der Krise – 249


10.3.1 Aufwachsen in einer Ein-Elternteil- oder Stieffamilie – 250
10.3.2 Krankheit als Familienaufgabe – 254
10.3.3 Armut und Arbeitslosigkeit – 257

Literatur – 262

Die Originalversion dieses Kapitels wurde revidiert. Ein Erratum ist verfügbar unter
7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_19

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020, korrigierte Publikation 2021
E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_10
238 E. Wild und S. Walper

Familien sind der primäre Entwicklungs- und Bildungs- Arrangement ist ungeachtet der Pluralisierung familialer
kontext von Kindern. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch Lebensformen statistisch gesehen immer noch die häufigste
lange danach spielen Familien eine entscheidende Rolle in Familienform (Peuckert 2012). Allerdings gewinnen andere
der Förderung und Unterstützung ihrer Familienmitglieder Familienformen zunehmend an Bedeutung. Entsprechend
– nicht zuletzt im hohen Alter. Fraglos ändern sich die wird der Begriff der Familie – in der Bevölkerung wie in
Aufgaben und Beziehungen im Verlauf der Familienent- der Familienforschung – schon seit längerem auf unter-
wicklung, wobei die jeweilige Lebenslage und der Kontext, schiedlichste Konstellationen des Aufwachsens von Kindern
in dem das Familienleben stattfindet, eine wichtige Rolle angewendet – so sprechen wir beispielsweise von Adoptiv-
für die Ausgestaltung der Interaktionen spielt. Wie sich und Pflegefamilien, von Trennungs-, Ein-Elternteil- und
die Anforderungen an Eltern im Verlauf der Familienent- Stieffamilien oder auch von (gleichgeschlechtlichen) Regen-
wicklung wandeln, welchen Einfluss kritische Lebensereig- bogenfamilien. Um diese Beziehungskonstellationen von
nisse auf das Familienleben haben und welche Aspekte des anderen sozialen Gruppen abgrenzen zu können, folgen wir
Familienlebens für die Entwicklungschancen von Kindern der Definition von Hofer (2002a).
und Jugendlichen besonders relevant sind, ist Gegenstand
dieses Kapitels (. Abb. 10.1). Definition
Hofer (2002a, S. 6) definiert Familie als „eine Gruppe von
Menschen, die durch nahe und dauerhafte Beziehungen
miteinander verbunden sind, die sich auf eine
nachfolgende Generation hin orientiert und die einen
erzieherischen und sozialisatorischen Kontext für die
Entwicklung der Mitglieder bereitstellt“.

10
Lange Zeit wurde die Familie vor allem als Ort der
primären Sozialisation und Erziehung betrachtet. Tat-
sächlich stellt sie jedoch zugleich eine wichtige und fort-
dauernde Bildungsinstanz vor und neben der Schule dar
(Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Ange-
sichts globaler gesellschaftlicher Entwicklungen (s. u.) gilt
dies heute in zunehmendem Maße.
Die damit einhergehenden Erwartungen und
Anforderungen wie auch die Hilfen, die Erziehungs-
berechtigte in Anspruch nehmen können, variieren
naturgemäß in Abhängigkeit vom Alter des Kindes.
Daher sind die Ausführungen in 7 Abschn. 10.2 nicht an
den Funktionen der Familie (vgl. etwa Nave-Herz 2015)
orientiert, sondern entlang „prototypischer“ Phasen der
Familienkarriere (vgl. Wild und Hofer 2002) gegliedert.
Das von Aldous (1977) eingeführte Konzept der „Familien-
karriere“ oder des „Familienzyklus“ geht davon aus, dass
der Lebenszyklus einer Familie – wie der eines Menschen
– einer typischen Entwicklungssequenz folgt (s. auch
Kreppner und Lerner 2013). Der Übergang von einer Phase
in die nächste wird durch Veränderungen der kindlichen
Bedürfnisse und Kompetenzen, der elterlichen Rollen-
vorstellungen und Selbstbilder sowie der wechselseitigen
Erwartungen von Eltern und Kindern ausgelöst. Nicht alle
. Abb. 10.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Familien durchlaufen sämtliche Etappen der Familien-
karriere geradlinig – man denke etwa an Eltern, die nach
10.1  Einleitung einer Trennung eine neue Beziehung eingehen und ein
weiteres Kind in dieser „Forsetzungsfamilie“ bekommen,
Wenn heute von „Familien“ die Rede ist, bezieht sich die erste oder an Paare, die ein Pflegekind für eine gewisse Zeit
Assoziation vermutlich nach wie vor auf ein verheiratetes in Obhut nehmen. Dennoch ist die regulative Idee auf-
Paar, das mit seinen leiblichen Kindern (bzw. seinem leib- einanderfolgender Phasen des Familienzyklusses mit je
lichen Kind) in einem Haushalt zusammenlebt. Dieses in der eigenen Anforderungen heuristisch fruchtbar (zum Konzept
Familiensoziologie als „bürgerliche Kernfamilie“ bezeichnete der Familienentwicklungsaufgabe vgl. Duvall und Miller
Familie
239 10
1985). Sie erlaubt eine Beschreibung von erwartbaren Ab dem 3. Lebensjahr erweitert sich allein aufgrund
Wachstumsverantwortlichkeiten, die Familienmitglieder motorischer und sprachlicher Entwicklungsfortschritte
in einer gegebenen Entwicklungsstufe meistern müssen, der Lebensraum von Kleinkindern. Wie sich hierdurch die
um ihre biologisch-sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, Anforderungen an Eltern verändern und welche Rolle neu
den kulturellen Erfordernissen gerecht zu werden und die hinzutretenden Interaktionspartnern – etwa der Erzieherin
Ansprüche und Werte ihrer Mitglieder zu erfüllen. im Kindergarten oder gegebenenfalls weiterer Geschwister-
Wie noch zu zeigen sein wird, gelingt es nicht allen kinder – für die psychosoziale und intellektuelle Ent-
Familien gleich gut, den veränderten Bedürfnissen, Fähig- wicklung von Vorschulkindern zukommt, ist Gegenstand
keiten und Erwartungen der Familienmitglieder Rechnung des 7 Abschn. 10.2.2.
zu tragen. Unterschiede in der Funktionsfähigkeit von Um das vollendete 6. Lebensjahr herum werden Kinder
Familien werden jedoch besonders deutlich im Umgang hierzulande eingeschult. Von nun an sind Familien und
mit sogenannten kritischen Lebensereignissen, die plötz- Schulen aufgefordert, sich zum Zweck der bestmöglichen
lich eintreten und umfassendere Anpassungsleistungen Erziehung und Bildung des jeweiligen Kindes auszu-
verlangen. In 7 Abschn. 10.3 wird daher am Beispiel von tauschen und sich in ihren spezifischen Bemühungen zu
drei kritischen Lebensereignissen bzw. anforderungs- ergänzen bzw. zu unterstützen. Wie sich das Familien-
reichen Lebenslagen – Trennung/Scheidung, Krank- leben durch den Schuleintritt verändert und inwiefern
heit und Armut/Arbeitslosigkeit – herausgearbeitet, Eltern zu einer vertrauensvollen „Erziehungspartnerschaft“
welche Bedingungen einer konstruktiven Bearbeitung von mit der Schule beitragen können, wird in 7 Abschn. 10.2.3
Familienkrisen entgegen stehen und welche ihr zuträg- behandelt.
lich sind. Die betrachteten kritischen Lebensereignisse Wohl um keinen anderen Entwicklungsabschnitt
sind exemplarisch ausgewählt, um nachvollziehbar zu ranken sich so viele Mythen wie um die Pubertät. In
machen, dass und warum die Identifizierung allgemein- 7 Abschn. 10.2.4 wird ausgeführt, warum es keineswegs
gültiger „ultimativer“ Ratschläge im Umgang mit kritischen alarmierend ist, wenn Jugendliche manche Standpunkte
Lebensereignissen obsolet ist. Umso mehr möchten wir ihrer Eltern hinterfragen und warum der augenscheinliche
mit unseren Ausführungen verdeutlichen, inwiefern in der Bedeutungszuwachs der Gleichaltrigen nicht impliziert,
Beratungspraxis auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse dass der Sozialisationseinfluss des Elternhauses schwindet.
zu problemlagenspezifischen Risiko- und Schutzfaktoren In 7 Abschn. 10.2.5 werden schließlich Veränderungen
aufgebaut werden kann. in der Beziehung zwischen Eltern und ihren volljährigen
„Kindern“ thematisiert. Hierbei kommen auch Fehlent-
wicklungen, die unter anderem unter dem Schlagwort
10.2  Die Rolle der Eltern im Verlauf der „Helikopter-Eltern“ untersucht werden, zur Sprache.
(Familien-)Entwicklung

In einer kaum noch überschaubaren Anzahl populär- 10.2.1  Die Gründung einer Familie
wissenschaftlicher Ratgeber wird Eltern gesagt, wie sie
die Entwicklung ihres Kindes vom Säuglings- bis zum Auch wenn die Geburtenraten in den letzten Jahren in
Erwachsenenalter unterstützen können und sollten. Viele Deutschland weitgehend konstant geblieben sind, befinden
dieser Darstellungen zielen auf einfache Botschaften ab. Was sie sich doch ebenso wie in vielen anderen europäischen
dabei leicht aus dem Blick gerät, sind die jeweiligen Lebens- Staaten auf einem relativ geringen Niveau (Statistisches
umstände der Eltern und die individuellen Besonderheiten Bundesamt 2018a). Deshalb und weil die durchschnitt-
der Kinder, die als zentrale Rahmenbedingungen Einfluss liche Lebensdauer steigt, verschiebt sich die Alters-
auf die Ausgestaltung des Familienalltags nehmen. Die im struktur der Bevölkerung. Um diesem demographischen
Folgenden zusammengefassten Forschungserkenntnisse Wandel entgegenzuwirken, wurde und wird seitens der
tragen vor allem jenen Rahmenbedingungen Rechnung, die Politik eine breite Palette an Maßnahmen aufgelegt, die es
durch den jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder bzw. den jungen Erwachsenen erleichtern soll, ein (weiteres) Kind
spezifischen Abschnitt in der Familienkarriere gegeben sind. zu bekommen. Diese reicht von finanziellen Entlastungen
Betrachtet werden in diesem Abschnitt fünf Stadien bei einer traditionellen Arbeitsteilung (Ehegattensplitting,
der Familienkarriere. In 7 Abschn. 10.2.1 wird zunächst die Betreuungsgeld) bis hin zum Ausbau von Kitas. Die Viel-
Phase der Familiengründung betrachtet. Es wird erläutert, zahl der Maßnahmen ist nicht zuletzt deshalb umstritten,
inwiefern sich diese heute anders gestaltet als noch vor weil sie offenbar nicht die gewünschte erleichternde
50 Jahren und welche Konsequenzen dies für das Auf- Wirkung in Form deutlich steigender Geburtenraten erzielt
wachsen von Kindern hat. Darauf aufbauend wird der Frage (Stock et al. 2012). Dabei steht der Wunsch, eine Familie zu
nachgegangen, wie und unter welchen Bedingungen die gründen, ganz oben auf der Liste der persönlichen Ziele von
Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern (0–2 Jahre) Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Shell Deutschland
bestmöglich befriedigt werden. Auch familiale Risiko- 2015). Wie passt dies zusammen?
faktoren und mögliche Unterstützungsangebote werden Aus familiensoziologischer Sicht ist die sogenannte
dargelegt. „kindzentrierte Familie“ (Nave-Herz 2015), in der sich
240 E. Wild und S. Walper

zwei liebende Eltern intensiv um ihren Nachwuchs und können so ihr Kompetenzspektrum besonders schnell
kümmern, ein vergleichsweise neues Phänomen. Noch an erweitern (Spangler und Zimmermann 2015).
der Wende zum 20. Jahrhundert waren sechs oder mehr Eine nachweislich zentrale Voraussetzung für
Geschwister keine Seltenheit und alleinerziehende sowie eine sichere Bindung ist die Feinfühligkeit der Eltern
­Patchwork-Familien genauso anzutreffen wie heute. Mehr beziehungsweise relevanter Bindungspersonen im
noch: Kinder streunten, wenn sie nicht arbeiten mussten, Umgang mit kindlichen Bedürfnissen und Signalen (zusf.
um zum Überleben der Familie beizutragen, häufig ­Becker-Stoll 2017). Eltern, die erkennen, wann ihr Kind
unbeaufsichtigt umher. müde, hungrig oder überfordert ist, und angemessen sowie
Dies änderte sich mit der Schaffung staatlicher prompt auf diese Signale reagieren, tragen dazu bei, dass
Unterstützungs- und Versorgungssysteme und dem Kinder ihre Welt als kontrollierbar wahrnehmen und neu-
wachsenden Wohlstand in der Nachkriegszeit. Nun gierig ihre physikalische und soziale Umwelt explorieren.
konnten es sich immer breitere Teile der Gesellschaft Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Kinder von Anfang an
„leisten“, vorrangig aus romantischen Gründen zu heiraten meist nicht nur mit Eltern sondern auch mit Geschwistern,
und auch den Kinderwunsch von pragmatischen Zielen Verwandten, Paten oder Freunden der Familie aufwachsen.
wie der Versorgung im Alter zu entkoppeln. In der Folge Eine besondere Rolle spielen dabei die Großeltern: Bei
rückten psychologische Motive für Elternschaft in den etwa 70 % der unter 6-jährigen Kinder sind die Großeltern
Vordergrund: Kinder werden heute vor allem als persön- in unterschiedlicher Form in die Betreuung ihrer Enkel
liche Bereicherung empfunden, Elternschaft als eine Facette involviert, und vielfach wünschen sich die Eltern eine
der Selbstverwirklichung (Nauck 2001). Nicht zuletzt hat stärkere Beteiligung der Großeltern, was aber oft daran
auch die Verbreitung der „Pille“ dazu beigetragen, dass sich scheitert, dass diese zu weit weg wohnen (Autorengruppe
die Idee einer „verantworteten Elternschaft“ in praktisch Bildungsberichterstattung 2018, S. 65).
allen Schichten durchsetzen konnte. Die inneren und sozialen Ressourcen sicher gebundener
10 Dass junge Menschen den Übergang zur Elternschaft Kleinstkinder erleichtern eine störungsfreie Entwicklung
unter bestmöglichen Bedingungen vollziehen möchten, in späteren Entwicklungsphasen. Welche fortlaufenden,
ist verständlich, denn die Umstellung des Paares auf die phasenspezifisch variierenden Unterstützungsleistungen
neuen Aufgaben verläuft nicht ohne Anstrengungen, der Eltern ferner bedeutsam sind, wird in den folgenden
erfordert Kompromisse und eröffnet vielfach Reibungs- Abschnitten erörtert.
punkte (Graf 2002; Reichle und Werneck 1999). Steigende
Ansprüche und Erwartungen „postmoderner“ Paare lassen
beispielsweise Fragen der Vereinbarkeit von Familie und 10.2.2  Familienleben mit einem Kleinkind
Beruf virulent werden und können bei unbefriedigenden
Lösungen für die Arbeitsteilung die Qualität und Stabili- In den ersten Lebensmonaten eines Kindes sind die Eltern
tät der elterlichen Partnerschaft beeinträchtigen (vgl. vornehmlich mit fürsorglichen Tätigkeiten der Kinderpflege
7 Abschn. 10.3.1). Gleichzeitig ist die Tendenz, hohe (Füttern, Wickeln etc.) befasst. Bereits in der zweiten Hälfte
Maßstäbe an die eigene Erziehungskompetenz zu setzten, des ersten Lebensjahrs nehmen jedoch sozialisatorische und
durchaus begrüßenswert, weil (Klein-)Kinder aufgrund „lehrende“ Aktivitäten breiteren Raum ein. Je „mobiler“
ihrer beschränkten Kompetenzen stark auf die Fürsorge Kinder werden und je größer ihr Wortschatz wird, desto
ihrer primären Betreuungspersonen angewiesen sind. bedeutsamer wird der häusliche Anregungsgehalt (für
Allerdings tragen (zu) hohe Ansprüche an die Eltern- einen Überblick s. Bradley und Corwyn 2006). Unter
rolle auch dazu bei, dass viele Paare den Kinderwunsch diesem Begriff wird ein breites Spektrum an Erfahrungs-
aufschieben, bis die finanziellen und sonstigen Rahmen- möglichkeiten und Lebensbedingungen gefasst, das von
bedingungen „stimmen“. Auch dass sich viele Paare für materiell und kulturell geprägten Aspekten (z. B. aus-
nicht mehr als ein oder zwei Kinder entscheiden, reflektiert reichender Wohnraum, Verfügbarkeit von Büchern und
gestiegene Ansprüche an Elternschaft. anderen anregenden Spielzeugen und Lernmaterialien) über
Zahlreiche wissenschaftliche Studien stützen die von gemeinsame Aktivitäten (z. B. vorlesen, Ausflüge machen,
Eltern heutzutage gehegte Überzeugung, dass gerade in den gemeinsame Mahlzeiten) bis hin zu Erziehungspraktiken
ersten Lebensmonaten wichtige Grundlagen für die weitere (z. B. elterliche Disziplinierungsstrategien, Selbstständig-
intellektuelle und psychosoziale Entwicklung gelegt werden. keitserziehung) und „psychohygienischen“ Bedingungen
Vor allem bindungstheoretisch inspirierte Längsschnitt- (z. B. Familienklima, Regeln des Miteinander) reicht. Diese
studien zeigen, dass sicher gebundene Kinder – unter sonst Merkmale häuslicher Umgebung korrespondieren vom
gleichen Bedingungen – eher als unsicher-vermeidend oder Säuglingsalter an bis ins Jugendalter hinein systematisch
ambivalent gebundene Kinder in der Lage sind, Angst oder und substanziell mit kindlichen Kompetenzmaßen und
Trauer erzeugende Situationen effektiv zu bewältigen und leisten selbst bei Kontrolle der sozioökonomischen Aus-
positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und relevanten gangslagen einen eigenständigen Beitrag zur Vorhersage
anderen Personen (z. B. Lehrkräften) aufzubauen. Auch der kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklung von
tendieren sie dazu, ihre Umwelt intensiv zu explorieren, Kindern (z. B. Vandell et al. 2010).
Familie
241 10
Wie in 7 Abschn. 10.2.1 erläutert, hat sich aus familien- gesteigert haben, sondern auch Mütter deutlich zugelegt
historischer Sicht ein beträchtlicher Wandel in der haben und mehr Zeit in die Kinderbetreuung investieren –
Eltern-Kind-Beziehung und in der Erziehung vollzogen trotz steigender Erwerbsbeteiligung (­Meier-Gräwe und
(Nave-Herz 2015). Dass Eltern heute engagierter und Klünder 2015; 7 Exkurs „Frühkindliche Bildung und
selbstreflektierter denn je sind, ist einerseits positiv zu Betreuung“).
werten. Andererseits deuten der Boom bei Erziehungsrat- Die regelmäßig durchgeführten, internationalen Ver-
gebern und die wachsende Nachfrage nach Beratungs- und gleichsstudien liefern deutliche Hinweise, dass Bildungs-
Förderhinangeboten auf vermehrte Unsicherheiten von ungleichheiten von Schülerinnen und Schülern wesentlich
Eltern hin, die steigenden Anforderungen und Erwartungs- auf ungleiche Startchancen vor dem Schuleintritt zurück-
haltungen in der Erziehung geschuldet sind, aber auch den zuführen sind (zu IGLU vgl. Hußmann et al. 2017).
Rückgang sozial geteilter Normen und „Selbstverständlich- Diese Befunde lenken das politische Hauptaugenmerk
keiten“ im Wandel von Familie und Erziehung reflektieren. auf Formen der frühen (institutionellen) Betreuung als
Eltern sorgen sich, Fehler in der Erziehung zu machen besonders bedeutsame „Stellschrauben“ zur Verringerung
oder auch Fördermöglichkeiten nicht hinreichend wahrzu- primärer Disparitäten. Sichtbar wird dies etwa in der Ein-
nehmen. Und weil sie sich in hohem Maße für gelingende führung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung für
Erziehung verantwortlich sehen und diese an einer 1- und 2-Jährige Kinder sowie in dem – erst kürzlich, am
optimalen Entwicklung des Kindes festmachen, wird jedes 01.01.2019 – in Kraft getretenen „Gute-Kita-Gesetz“.
Problem, jede Abweichung leicht als Ausdruck des eigenen Letzteres greift öffentliche Erwartungen in Richtung
Scheiterns gewertet. Diese wachsenden Befürchtungen von einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf
Eltern gilt es ernst zu nehmen, auch wenn die Persönlich- sowie Erwartungen im Sinne einer kompensatorischen
keitsentwicklung von Kindern natürlich von zahlreichen Förderung von Kindern aus sozio-kulturell benachteiligten
weiteren Kontextbedingungen sowie genetischen Faktoren Familien, die im Elternhaus kein optimal anregendes
abhängt, die nicht dem Einfluss der Eltern unterliegen Umfeld vorfinden. Deren Eltern sollen damit aber keines-
(Borkenau et al. 1999). wegs aus der Verantwortung entlassen oder entmündigt
Wie stark die Eltern-Kind-Beziehung heutzutage von werden. Vielmehr gilt es alle Eltern darin zu unterstützen,
bildungsbezogenen Ambitionen geprägt ist, zeigt eine Studie ihre eigenen Möglichkeiten und Stärken mit Unterstützung
der Konrad-Adenauer-Stiftung (Henry-Huthmacher et al. der Fachkräfte vor Ort – wie den Erzieherinnen oder
2008). Die Autoren fassen die Ergebnisse ihrer quantitativen anderen Ansprechpartnern in Familienbildungszentren –
Repräsentativbefragung und ergänzender qualitativer Inter- auszuloten und weiterzuentwickeln (7 Exkurs „Frühkind-
views dahin gehend zusammen, dass sich Eltern aller Status- liche Bildung und Betreuung“).
gruppen des Stellenwerts von (früher) Bildung bewusst Aus bildungswissenschaftlicher und entwicklungs-
sind und sich in dem Bestreben, ihrem Kind Startvorteile psychologischer Sicht ist hervorzuheben, dass Vorschul-
zu verschaffen, ein ambitioniertes Programm auferlegen, kinder in sprachlicher, kognitiver und sozialer Hinsicht
das Zeit, Kraft und Geld kostet. Um keine Chance zu ver- von einer institutionellen Betreuung profitieren (Sylva et al.
passen, das eigene Kind im Wettbewerb um gute Schulen, 2004). Selbst bei einem Kita-Besuch im Alter von unter drei
Bestnoten und Studienplätze gut aufzustellen, werden Eltern Jahren lassen sich keine nachteiligen Effekte auf die psycho-
(und vor allem Mütter) zu „Managern“ eines immer dichter soziale Entwicklung finden (Walper und Grgic 2013), wenn
mit Mal-, Turn-, Musik-, Sprach- und Schwimmkursen der Umfang der Fremdbetreuung altersangemessen dosiert
gefüllten Wochenplans. Dieser verlangt auch den Kindern sowie die Eingewöhnungsphase angemessen gestaltet wird
einiges ab, da wenig Raum für freies Spiel, ziellose Kreativi- sowie die Qualität sichergestellt ist (Becker-Stoll et al.
tät und Entspannung bleibt. So wird in zeitkritischen Essays 2009). Viele Studien zeigen zudem, dass der Ertrag von
von einer „Diktatur des Guten“ gesprochen (Stelzer 2009) früher Bildung vor allem für benachteiligte Gruppen hoch
und davon, dass Kinder leicht zu einem „Projekt“ der Eltern ist. Migrantenkinder etwa, die eine Krippe besucht haben,
geraten (vgl. dazu auch 7 Abschn. 10.2.5). Noch mangelt besuchen deutlich häufiger das Gymnasium als diejenigen,
es zwar an wissenschaftlichen Studien zu der Frage, ob im die zu Hause betreut wurden. Vom Kindergartenbesuch
Generationenvergleich eine wachsende Zahl von ­ (Vor-) profitieren jedoch nicht nur die benachteiligten Kinder
Schulkindern den (über-)ehrgeizigen Erwartungen und – Berechnung des Wirtschaftsnobelpreisträgers James
Bemühungen ihrer Eltern ausgesetzt sind. Immerhin zeigt Heckman (2006) zufolge hat ein Land von jedem Dollar,
sich im 11-Jahresvergleich der Zeitverwendungserhebungen den es in die frühe Förderung der Ärmsten investiert, einen
von 2001/2002 und 2012/2013, dass nicht nur Väter ihr 7- bis 12-fachen Nutzen, weil Sozialkosten eingespart und
Engagement in der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder mehr Steuern eingenommen werden.
242 E. Wild und S. Walper

Exkurs

Frühkindliche Bildung und Betreuung


Dass hierzulande der institutionelle dem Kind allenfalls abgemildert, in allen Entwicklungsphasen optimal
Betreuungsbedarf bei Familien mit wenn Mütter aus existenzieller Not unterstützen zu können.
Kindern im Kleinkindalter in den letzten einer Berufstätigkeit nachgehen, die Gleichzeitig sprechen weitere Gründe
Jahren kontinuierlich steigt, kann erkennbar nicht der Befriedigung gegen eine längere Erwerbsunter-
auf die wachsende Bedeutung von „egozentrischer“ Bedürfnisse nach brechung. Seit Jahren fortgeschriebene
früher Bildung und die zunehmende Anerkennung, Selbstbestätigung oder Zahlen des Bundesamts für Statistik
Arbeitsmarktpartizipation von Müttern Aufstieg dient. Dass diese restaurative belegen, dass ungeachtet aller
– bei der Erwerbstätigkeit der Väter Sicht – gerade auch mit Blick auf das romantischen Vorstellungen jede 3. Ehe
ergeben sich kaum Veränderungen – hier zentral gesetzte Kindeswohl – allzu geschieden wird (7 Abschn. 10.3.1).
zurückgeführt werden. Zwar sank von verkürzt ist, lässt sich im Licht der Und da getrennte bzw. wiederver-
2006 bis 2016 der Anteil der Mütter, Forschung zeigen. heiratete Väter oftmals nicht willens
die im 1. Lebensjahr ihres Kindes einer Zunächst ist unstrittig, dass junge oder in der Lage sind, den Unterhalt
Erwerbstätigkeit nachgingen, von 18 Frauen im Mittel heute ebenso viel für ihre biologischen Kinder zu tätigen,
auf 9 %. Gleichzeitig stieg jedoch in Zeit und Geld in eine gute schulische sind alleinerziehende Mütter und deren
demselben Zeitraum der Anteil der und berufliche Ausbildung investieren Kinder überproportional häufig von
erwerbstätigen Mütter mit einem Kind wie junge Männer. Allein deshalb ist Armut betroffen (7 Abschn. 10.3.3). Sie
im 2. und 3. Lebensjahr von 39 % auf ihnen schwerlich anzulasten, wenn sie machen einen bedeutsamen
52 % (Autorengruppe Bildungsbericht- ebenso wie diese die Erträge getätigter Anteil derer aus, die über einen
erstattung 2018). Damit einhergehend Bildungsinvestitionen einlösen längeren Zeitraum in relativer
werden mittlerweile mehr als 80 % der wollen. Im Gegenteil: Mit dem Antritt Armut leben (Der Paritätische
Kinder ab dem 3. Lebensjahr nicht länger einer attraktiven Stelle, die neben Gesamtverband 2018).
ausschließlich von ihren Eltern betreut, guter Bezahlung und Sicherheit ein Insofern ist ein berufliches Engagement
sondern besuchen eine Tageseinrichtung vergleichsweise hohes Maß an Flexibilität von Frauen unter dem Aspekt der
10 bzw. Tagespflege und/oder werden von
ihren Großeltern ­­(mit-)versorgt.
(etwa bezogen auf den Stundenumfang
oder die Möglichkeit von „home-office“-
Armutsprophylaxe doppelt zielführend.
Zum einen verhindert es dauerhafte
Ungeachtet dieser Entwicklungen sehen Zeiten) bietet, sollten gut qualifizierte, Formen von Armut, die sich besonders
sich speziell erwerbstätige Mütter mit junge Frauen ihre eigenen Bedürfnisse nachteilig auf die kindliche Entwicklung
Kleinkindern nicht selten noch mit dem sowie die ihrer Partner und Kinder auswirken (Tophoven et al. 2018). Zum
Vorwurf der „Rabenmutter“ konfrontiert. besser einlösen können. Schließlich steht anderen minimiert eine langfristige
Analysiert man die hierzu ins Feld die eigene Selbstverwirklichung hoch Berufstätigkeit von Müttern das Risiko,
geführten Argumente, überwiegen oben auf der Agenda der Nachkriegs- im Alter nicht von der eigenen Rente
alltagsweltliche Annahmen über die Generationen, wünschen sich junge leben zu können und auf die monetäre
(vermeintlich) einzigartige Bedeutung Männer durchschnittlich mehr Zeit für oder sonstige Hilfe der eigenen Kinder
der Mutter in den ersten Lebensmonaten Kind und Familie und wird ein hoher angewiesen zu sein, denen man ein
und -jahren des Kindes. Aus dieser Lebensstandard von vielen Paaren besseres oder jedenfalls gutes Leben
Perspektive wird die „Schuld“ gegenüber angestrebt, um den eigenen Nachwuchs ermöglichen wollte.

10.2.3  Der Schuleintritt: Eltern als umfassender ist, hat vielfältige Gründe. Sie reichen von
Lernbegleiter und Lehrkräfte als dem oben bereits erwähnten Wandel im Selbstverständ-
„Erziehungspartner“ nis und Anspruch von Eltern über den politisch gewollten
Ausbau von inklusiven und ganztägigen Schulen bis hin zu
Die Aussage, dass Familien nicht nur einen Be- und wissenschaftsinternen Diskursen über die Bildungsbedeut-
Erziehungsraum für Kinder, sondern auch eine wichtige samkeit familialer Sozialisationsprozesse (vgl. Müller 2012;
Lernumgebung darstellen, mag heutzutage wenig Wider- Walper und Grgic 2013; Wild et al. 2012). Infolge dieser
spruch erzeugen. Doch noch Ende der 1980er-Jahre war die Entwicklungen lösen sich die traditionellen Zuständigkeits-
Vorstellung einer strikten Arbeitsteilung zwischen Schule bereiche von Schule und Familie auf (Fegter und Andresen
und Elternhaus in der Öffentlichkeit weit verbreitet. Die 2008), weil zunehmend deutlich wird, dass Bildungs- und
entsprechend getrennten Zuständigkeitskonzeptionen – Erziehungsprozesse kaum unabhängig voneinander zu
Lehrkräfte waren für den Erwerb intellektueller Wissens- betrachten sind.
bestände und Fähigkeiten zuständig, Eltern oblag die Wie oben ausgeführt, können Eltern von Geburt an
Verantwortung, im Rahmen der familialen Erziehung indirekt über die Gestaltung des häuslichen A
­ nregungsgehalts
die psychosoziale Entwicklung von Kindern zu fördern – die Entwicklung von Fähigkeiten und Haltungen, die für den
spiegelten sich auch in der Forschungslandschaft wider: (weiteren) schulischen Erfolg bedeutsam sind, unterstützen.
Pädagogisch-psychologische Untersuchungen zur Rolle Nach der Einschulung verbreitern sich allerdings deutlich
des Elternhauses für die schulische Entwicklung waren die Möglichkeiten, das eigene Kind in seinem schulischen
rar und blieben es in Deutschland bis zum Ausklang des Bildungsweg zu begleiten ­ (Hoover-Dempsey et al. 2001). In
20. Jahrhunderts (zusf. Wild und Lorenz 2010). Dass der Forschung zum Engagement von Eltern für die schulische
der inzwischen vorliegende Forschungsstand deutlich Entwicklung ihrer Kinder (parental involvement in schooling)
Familie
243 10
unterscheidet man zwischen „school-based involvement“ – vor „institutionellen“ Kontakten mit der Schule und den
darunter fällt etwa der Besuch von Elternsprechtagen, die Mit- Lehrkräften eher zurückschrecken und oftmals als „schwer
hilfe bei Schulfesten und -ausflügen oder auch die Mitwirkung erreichbar“ oder „desinteressiert“ gelten, obwohl sie durch-
in der Elternpflegschaft – und „home-based involvement“. aus aktiv Anteil an der schulischen Entwicklung ihrer Kinder
Letzteres hebt vor allem auf die elterliche Hilfe beim häus- nehmen (Killus und Tillmann 2017).
lichen Lernen ab, etwa Hilfestellungen bei den Hausaufgaben So unterliegen Lehr-Lern-Gelegenheiten zu Hause
oder auch das Üben im Vorfeld von Klassenarbeiten oder in keiner strikt vorgegebenen Zeittaktung wie in der Schule,
Reaktion auf Lern- und Leistungsprobleme. Beide Aspekte – weshalb die im Einzelfall (allein) für rekapitulierende
sowohl das Engagement der Eltern in der Schule als auch das Übungsaufgaben benötigte Zeit prinzipiell eher zur Ver-
häusliche Engagement für die schulische Bildung der Kinder – fügung gestellt werden kann. Zudem können Eltern
sind m.o.wW. direkt für die Entwicklung des schulischen grundsätzlich leichter als Lehrkräfte – und insbesondere
Wohlbefindens von Kindern und damit auch für deren Fachlehrkräfte in weiterführenden Schulen – einen offenen
Leistungsentwicklung bedeutsam. Vor allem die Qualität des Umgang mit Fehlern befördern, weil sie weniger gefordert
‚home-based involvements‘ hat sich aber als besonders relevant sind, die kindlichen Lernfortschritte stets (auch) anhand
für die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern sozialer Vergleichsmaßstäbe zu beurteilen. Als lang-
herausgestellt (Hill und Tyson 2009; Jeynes 2005, 2012). So jährige Begleiter ihrer Kinder vermögen sie darüber
betrachten wir im Folgenden zunächst vor allem häusliche hinaus rascher kontraproduktive Formen des Umgangs
Aktivitäten und zeigen deren Potentiale aber auch Grenzen und mit schulischen Misserfolgen zu erkennen und schließlich
Risiken auf. Danach erörtern wir, wie sich Schulen im Rahmen können zumindest fachlich versierte Eltern, wenn sie eine
von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften vor Ort stärker Über- oder Unterforderung bei ihrem Kind wahrnehmen,
für Eltern öffnen können, um Mütter und Väter angemessen Übungsaufgaben an das individuelle Leistungsniveau des
einzubeziehen und auf diesem Weg Synergien für die Bildungs- Kindes anpassen und so eine für das Kind optimale Heraus-
förderung der Kinder zu schaffen. forderung schaffen.
Verschiedene Panelstudien zeigen, dass schulische Ob und inwiefern Heranwachsende von einer quali-
Themen im Familienleben eine wachsende Rolle spielen tätsvollen Hilfe im Elternhaus profitieren, wurde in zwei
(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Forschungslinien untersucht, die auf unterschiedlichen
Jugend [BMFSFJ] 2017). Obwohl Heranwachsende – auch theoretischen Ansätzen basieren. Die erste Forschungs-
im Zuge des Ganztagsschulausbaus – heute mehr Zeit in linie setzt an dem Erwartungs-Wert-Modell der Leistung
der Schule verbringen als vor 10 Jahren, erkundigen sich und leistungsrelevanter Entscheidungen von Eccles und
Eltern in der gemeinsamen Familienzeit häufiger nach den Kollegen an (z. B. Eccles 2007; Wigfield und Eccles 2000).
schulischen Erlebnissen ihres Kindes und unterstützen es In Einklang mit diesem Modell belegen längsschnittliche
verstärkt bei den Hausaufgaben und der Vorbereitung auf Studien für unterschiedliche Domänen wie Mathematik,
Referate, Prüfungen oder andere Leistungsanforderungen. Lesen und Sport, dass selbst bei Kontrolle der Eingangs-
Dabei gaben bereits in Studien von Wild und Remy (2002) leistungen zwei Faktoren einen wesentlichen Beitrag zur
sowie Exeler und Wild (2003) weniger als 10 % der 304 Vorhersage der Leistungsentwicklung und des Wahlver-
befragten Drittklässler an, dass sie ihre Hausaufgaben haltens von Schülern leisten: die Erfolgserwartungen und
in Fächern wie Mathematik und Chemie immer alleine Valenzüberzeugungen der Schülerinnen und Schüler
machen müssen. Dass das häusliche Lehr-Lern-Engagement (Durik et al. 2006; Wigfield und Eccles 2000).
von Eltern seitdem keineswegs nachgelassen hat, illustrieren Mit der Erfolgserwartung („success expectation“) ist die
neuere Elternbefragungen, wonach grob jedes dritte Kind subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit angesprochen,
Nachhilfe von Eltern, Geschwistern oder privat finanzierten dass das angestrebte Ereignis eintritt, also ob ein Kind
Nachhilfelehrern bekommt, weil es den schulischen oder Jugendlicher meint, eine Mathematikaufgabe lösen zu
Anforderungen – tatsächlich oder mutmaßlich – nicht können. Diese Erwartung hängt von der Ausprägung des
allein gerecht werden kann (Tillmann 2017). Fähigkeitsselbstkonzepts der Schülerinnen und Schüler ab,
Gleichwohl variieren Art und Umfang der Hausaufgaben welches sich wiederum mithilfe des elterlichen Vertrauens
und der elterlichen Hausaufgabenbetreuung in Abhängigkeit in die kindliche Leistungsfähigkeit vorhersagen lässt (z. B.
vom Alter der Schüler, dem besuchten Schultyp und dem Fredricks und Eccles 2005). Elterliche Kontrolle hat dem-
Fach (z. B. Trautwein et al. 2006; Wagner et al. 2005). Auch gegenüber ein Absinken des Selbstkonzepts, der Ausdauer
die Ressourcen der Eltern spielen eine Rolle. Empirische und der Leistung von Lernenden zur Folge (Silinskas und
Studien zu den Bedingungen für das Ausmaß elterlichen Kikas 2017).
Schulengagements (Grolnick et al. 1997; Hoover-Dempsey Valenzüberzeugungen bilden ab, wie wichtig es einer
et al. 2005; Wild und Yotyodying 2012) unterstreichen die Person ist, in einem Fach gut zu sein, wie viel Spaß ihr die
Bedeutung der elterlichen Selbstwirksamkeitserwartungen Lernhandlung an sich macht und/oder wie wichtig eine
und anderer psychologischer „Motivatoren“ wie die Lern- Lernhandlung für das Erreichen zukünftiger Ziele erscheint.
und Leistungszielorientierungen von Eltern oder auch Für die Herausbildung kindlicher Valenzüberzeugungen
deren Zuständigkeitsvorstellungen. Zusammengenommen ist zum einen die elterliche Vorbildfunktion und Anleitung
erklären sie, warum sozial weniger privilegierte Familien wichtig. Wenn Eltern ihre Kinder zu Aktivitäten wie
244 E. Wild und S. Walper

Lesen, Musizieren oder Sport ermutigen, diese gemeinsam Hierzu zählt, dass Eltern ihren Kindern Wertmaßstäbe
mit ihrem Kind ausführen und Material (Bücher, vorleben und vermitteln, schul- bzw. lernbezogene
Musikinstrumente, Sportartikel) zur Verfügung stellen, Erwartungen transparent machen und aufzeigen, welche
nehmen Schüler außerschulische Lernangebote eher wahr (sachlogischen) Konsequenzen es hat, wenn Regeln oder
Aktivitäten auch selbstbestimmt nach. Zum anderen ist für Grenzen verletzt werden. Strukturgebung ist dabei von
die Entwicklung der kindlichen Lernmotivation bedeut- einem kontrollierenden Verhalten abzugrenzen, das auf
sam, inwiefern Eltern darauf hinwirken, ob sich Heran- eine Verhaltensanpassung des Kindes abzielt und mit einer
wachsende beim Lernen eher selbst- oder fremdbestimmt Frustration des kindlichen Autonomieerlebens einhergeht.
fühlen (Eccles 2007; Simpkins et al. 2005). In Einklang mit den skizzierten Überlegungen
Der zuletzt genannte Aspekt steht in der zweiten wurden überwiegend in angloamerikanischen Studien
Forschungsperspektive im Zentrum. Hier wird im Rück- zur Funktionalität elterlicher Hilfen beim Lernen positive
griff unter anderem auf die Selbstbestimmungstheorie Zusammenhänge zwischen der kindlichen Bedürfnis-
(Ryan und Deci 2017) angenommen, dass fremdbestimmte befriedigung und dem Kompetenzerleben von Schülern,
(external regulierte) Formen der Verhaltensregulation im ihren Kontrollüberzeugungen sowie ihrem Wohlbefinden
günstigen Fall zu selbstbestimmteren Formen der Lern- gefunden (z. B. Duineveld et al. 2017). Darüber hinaus
motivation transformiert werden. Entscheidend dafür ist berichten Schüler umso eher selbstbestimmte Formen
die Befriedigung von drei psychologischen Grundbedürf- der Lernmotivation, je mehr sie sich von ihren Eltern in
nissen: dem Bedürfnis nach Kompetenzerleben, Auto- ihrem Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und Wert-
nomieerleben und sozialer Eingebundenheit. Angewendet schätzung unterstützt fühlten.
auf die Qualität häuslicher Lernumgebungen sollten Kinder Unter bildungspolitischen Gesichtspunkten ist hervor-
bildungsbezogene Werte und Standards umso eher ver- zuheben, dass die Qualität der von Eltern gewährten Hilfe
innerlichen, je mehr ihnen die Chance eröffnet wird, sich weniger stark mit der Schichtzugehörigkeit zusammenzu-
10 als kompetent und Urheber der eigenen Handlung zu hängen scheint als gemeinhin angenommen (zusf. Dumont
erleben und sich angenommen zu fühlen. Eine in diesem et al. 2012a, b; Rubach 2018). Ein hoher sozialer Status ist
Sinne bedürfnisorientierte Unterstützung von Eltern beim also keineswegs ein Garant für eine förderliche Hilfe beim
häuslichen Lernen zeigt sich dabei in Ermutigungen zur Lernen. Gerade leistungsmotivierte und „erfolgsverwöhnte“
Eigeninitiative, im Anbieten subjektiv bedeutsamer Wahl- Eltern können auf den von Henry-Huthmacher et al.
möglichkeiten, in der Anerkennung der Perspektive und (2008) beobachteten Bildungsdruck mit Verhaltensweisen
Gefühle des Kindes, in emotionaler Unterstützung vor reagieren, die (unbeabsichtigt) dem Wohl des Kindes und
allem bei der Bewältigung von Misserfolgen sowie in Rück- damit auch dem eigenen Bestreben zuwiderlaufen. Dies
meldungen, die die Aufmerksamkeit des Kindes auf den ist etwa der Fall, wenn Kinder mit überzogenen Leistungs-
individuellen Lernfortschritt richten. Darüber hinaus erwartungen konfrontiert werden, die kindliche Kompetenz
kommt adaptiven, auf den jeweiligen Lern- und Ent- subtil in Zweifel gezogen wird, das häusliche Lernen durch
wicklungsstand des Kindes zugeschnittenen Hilfestellungen ein hohes Maß an Druck und engmaschiger Verhaltens-
eine besondere Bedeutung zu: Im Sinne des „Scaffolding- kontrolle gekennzeichnet ist oder Eltern das Lernverhalten
Prinzips“ gilt es, so wenig Hilfe wie möglich, aber so viel ihrer Kinder durch Liebesentzug oder leistungsabhängige
Hilfe wie nötig zu gewähren, damit der Lerner in seiner Zuwendung zu steuern versuchen („conditional regard“,
Selbstständigkeit gefördert wird, ohne dass sich Gefühle vgl. Roth et al. 2009).
von Überforderung oder Hilflosigkeit einstellen (Pomerantz Um problematischen Formen der häuslichen Lern-
et al. 2006; Shumow 1998). An diesen Beispielen wird deut- unterstützung von Eltern entgegenzuwirken, wurde eine
lich, dass sich eine autonomieunterstützende Hilfe nicht Reihe standardisierter Elterntrainings entwickelt (Wild
in einem bloßen Fehlen von Kontrolle erschöpft und auch und Wieler 2015). Nicht minder bedeutsam für die Ver-
nicht mit einem permissiven Umgang mit schulischen ringerung von Bildungsungleichheiten erscheint das
Belangen (7 Abschn. 10.2.4) zu verwechseln ist. Nicht zunehmende Bestreben einer Etablierung von Bildungs-
minder bedeutsam für die Verringerung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Elternhaus und
ungleichheiten erscheint das zunehmende Bestreben einer Schule, die sich an wissenschaftlich fundierten Qualitäts-
Etablierung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften kriterien schulischer Elternarbeit (vgl. Vodafone Stiftung
zwischen Elternhaus und Schule. Hierfür vorgelegte und Deutschland 2013; PTA 2009; Stiftung Bildungspakt
wissenschaftlich fundierte Qualitätskriterien schulischer Bayern 2014) orientieren. Sie zielen darauf ab, die der-
Elternarbeit (vgl. Vodafone Stiftung Deutschland 2013; PTA zeit noch sehr disparate Praxis des Einbezugs von Eltern
2009; Stiftung Bildungspakt Bayern 2014) zielen darauf ab, in Deutschland (zusf. Otterpohl und Wild 2017; Rubach
die derzeit noch sehr disparate Praxis des Einbezugs von 2018; Aich et al. 2018; Bonanati und Knapp 2016) auf
Eltern in Deutschland setzt vielmehr eine vertrauensvolle einem möglichst hohen Niveau anzugleichen und so das
Beziehung zu signifikanten Bezugspersonen und die Bereit- „school-based involvement“ von Eltern zu stärken. Als vor-
stellung von Strukturen voraus, die den Rahmen für auto- bildlich gelten Schulen, an denen sich Eltern und Lernende
nomes Verhalten altersangemessen abstecken und dadurch willkommen fühlen, die einen regelmäßigen und anlassun-
vor allem jüngere Schüler vor Überforderung schützen. abhängigen Informationsaustausch zwischen Eltern und
Familie
245 10
Schulpersonal pflegen, an denen sich alle Beteiligten über hinaus (7 Abschn. 10.2.5). Im Erleben von Eltern werden
Lernziele und -inhalte verständigen, um Lerner optimal Erziehungsfragen jedoch vor allem im Jugendalter salient,
fördern zu können, und an denen ein hohes Maß an Eltern- weil wachsende Unabhängigkeitsbestrebungen der Jugend-
partizipation realisiert wird. Die an einzelnen Schulen zu lichen neue Themen in der Auseinandersetzung um Regeln
erreichende Qualität der Kooperation wird dabei ausdrück- und Normen eröffnen und die elterliche Autorität stärker
lich als eine gemeinsame Herausforderung verstanden. So hinterfragt wird. Im Folgenden wird daher erläutert, warum
obliegt es zwar vorrangig der Schule als einer staatlichen die elterlichen Anstrengungen trotz oder gerade aufgrund
Bildungsinstitution, Eltern aller sozialen Schichten und der zunehmenden Bedeutung der Gleichaltrigen alles
Milieus einzuladen und auch die Interessen von Minder- andere als überflüssig werden.
heiten zu berücksichtigen. Eine demokratisch organisierte
Erziehungspartnerschaft lebt jedoch von dem Gedanken, Definition
dass sich alle Parteien ihrer Bring- und Holschuld bewusst Erziehung zielt auf eine Förderung der psychischen
sind und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen. Entwicklung von Menschen sowie die Vermittlung
Die Empfehlungen tragen zudem aktuellen Entwicklungen von gesellschaftlichem Wissen, Verhaltensregeln und
im Schulsystem Rechnung – und hier vor allem der Normen ab. Im Gegensatz zu Sozialisation beruht
forcierten Öffnung von Schule, dem Ausbau von Ganz- Erziehung auf einer pädagogischen Intention.
tagsschulen und der Ausweitung inklusiver Modelle der
Beschulung –, indem bei der Kooperation mit Eltern nicht
nur Lehrkräfte, sondern auch weitere Personengruppen Empirische Studien (z. B. Schneewind und Ruppert 1995)
(Schulsozialarbeiter, Erzieher, Integrationshelfer und Schul- belegen deutliche Veränderungen in Erziehungszielen und
psychologen) berücksichtigt werden. -methoden im Verlauf der letzten Jahrzehnte (Andresen
Eine verstärkte Einbeziehung der Familie erscheint et al. 2018; Shell Deutschland 2015). Auch die Stärkung
insbesondere in Ganztagsschulen wichtig, da hier die der Kinderrechte, die Deutschland 1989 ratifiziert hat, und
Zuständigkeiten von Elternhaus und Schule neu auszu- das seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch ver-
tarieren sind. So hieß es bereits in der Stellungnahme der ankerte Recht auf gewaltfreie Erziehung dürften hierzu bei-
Bundesregierung zu dem von einer Sachverständigen- getragen haben. Heutzutage geht die Mehrheit der Eltern
kommission erstellten 14. Kinder- und Jugendbericht davon aus, dass in modernen Gesellschaften eine andere
(BMFSFJ 2013): Art von Erziehung benötigt wird als in traditionalen
» Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass das Gesellschaften, in denen Autorität, Gehorsam und Weiter-
gabe von allseits geteilten Normen deren Weiterbestehen
„Reformprojekt Ganztagsschule“ erheblich zur (Neu)
Gestaltung heutiger Kindheiten beigetragen hat und garantieren. So haben Erziehungsziele wie „Selbstständig-
sich Zeiten und Räume von Kindern und Jugendlichen keit und freier Wille“ an Bedeutung gewonnen, sind die
ändern. Vor dem Hintergrund, dass die Ganztagsschule Einflussmöglichkeiten von Kindern auf Familienent-
sich auf dem Weg zum Regelangebot befindet, scheidungen gestiegen und stellen die intergenerationalen
unterstreicht die Kommission die Frage der Qualität von Beziehungen immer weniger einen „Befehlshaushalt“ als
Betreuung, Erziehung und Bildung für die Gestaltung des einen „Verhandlungshaushalt“ dar, in dem die Rechte und
Aufwachsens aller Kinder. Dabei kommt der besseren Pflichten der Familienmitglieder gemeinsam ausgehandelt
Verbindung von schulischen und außerschulischen werden (z. B. Jugendwerk der Deutschen Shell 1985;
Bildungsorten, der verstärkten Beteiligung der Eltern Walper 2004). Für heutige Elterngenerationen impliziert
sowie insbesondere auch der Partizipation der Kinder diese Liberalisierung in der Eltern-Kind-Beziehung indes
und Jugendlichen selbst eine zentrale Bedeutung zu. keine Befreiung von lästigen Pflichten, sondern die Auf-
forderung, die eigenen Entscheidungen, Erwartungen
Besonders bedeutsam dürfte eine tragfähige Erziehungs- oder Meinungen fortwährend argumentativ zu begründen.
und Bildungspartnerschaft auch an inklusiven Schulen Solche Gespräche sind für Eltern nicht selten anstrengend
sein, da Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf und manchmal nervenaufreibend. Gleichwohl sind sie
mit komplexeren Fragen und Entscheidungen konfrontiert sinnvoll, da Jugendliche auf diese Weise „selbstständig
sind und mehr Beratungsbedarf haben sollten als Eltern werden im Gespräch“ (Hofer 2003) und gewissermaßen
von Gleichaltrigen ohne Beeinträchtigungen (Wild und „nebenbei“ ihre Argumentationskompetenz ausbauen
­Lütje-Klose 2017; Sodoge und Eckert 2004). sofern sie gefordert sind, eigene Positionen und Wünsche
zu begründen und sich mit den elterlichen Argumenten
auseinanderzusetzen (Wild et al. 2012; Quasthoff et al.
10.2.4  Die Transformation der ­Eltern-Kind- 2015).
Beziehung im Jugendalter Aus erziehungspsychologischer Sicht sind mit der
wachsenden Sensibilität für die kindlichen Belange und
Erziehung ist eine Funktion der Familie, die in allen Phasen der Hinwendung zu autoritativen Erziehungspraktiken
des Familienzyklus bedeutsam ist, in denen minder- (s. u.) wichtige Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich
jährige Kinder involviert sind – und mitunter auch darüber im Regelfall eine enge und positive Eltern-Kind-Beziehung
246 E. Wild und S. Walper

entwickeln kann und den körperlichen und psychischen Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) betont in § 1 das
Bedürfnissen Heranwachsender mehr denn je Rechnung Recht „auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und
getragen wird. So ist es nicht verwunderlich, dass Heran- gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.
wachsende im Alter von 6 bis 11 Jahren (World Vision Die Ergebnisse von Diana Baumrinds Forschung zeigen,
Deutschland 2018) und 12- bis 25-Jährige (Shell Deutsch- dass autoritativ erzogene Vorschulkinder durchschnitt-
land 2015) das Verhältnis zu ihren Eltern mehrheitlich lich kompetenter sind als Gleichaltrige, die anders erzogen
als sehr gut bezeichnen und ein überwältigender Teil der wurden. So gingen beispielsweise autoritative Erziehungs-
Jugendlichen die eigenen Kinder später einmal so erziehen praktiken bei Mädchen mit einer größeren Zielstrebig-
möchte, wie sie selbst erzogen wurden. Der AIDA:II-Studie keit, Unabhängigkeit und Leistungsorientierung einher,
zufolge bleiben Mütter und Väter die wichtigsten Bezugs- bei Jungen mit einem freundlicheren und kooperativeren
personen für die befragten 18- bis 25-Jährigen und in der Verhalten (Baumrind 1971). Die Überlegenheit autoritativ
NRW-Studie JugendLeben gaben 62 % der Befragten erzogener Kinder zeigt sich auch in weiteren Studien sowohl
an, ihre Sorgen und Probleme am häufigsten mit der zum Grundschul- als auch zum Jugendalter (vgl. Baum-
Mutter zu besprechen. Interessanterweise wird dabei ins- rind 1991), wobei zunächst nur insgesamt drei, später vier
besondere von Heranwachsenden mit Migrationshinter- Erziehungsstile unterschieden wurden. Letztere ergeben sich
grund die Mutter als wichtigste Ansprechperson genannt. aus einer Kombination von zwei Dimensionen, die Baum-
Ansonsten korreliert der sozioökonomische Status der rind als „Demandingness“ (Anforderungen, Kontrolle)
Herkunftsfamilie negativ mit der von Jugendlichen wahr- und „Responsiveness“ (Wärme) bezeichnete. Eine autorita-
genommenen Qualität der Beziehung zu den Eltern (zusf. tive Erziehung ist demnach durch hohe Ausprägungen auf
BMFSFJ 2017). Insgesamt bleibt somit festzuhalten, dass beiden Dimensionen gekennzeichnet. Das Gegenteil ist der
„gut erzogene“ Heranwachsende typischerweise die von Fall bei einem uninvolvierten bzw. vernachlässigenden
Eltern vermittelten Werten übernehmen und daher nicht Erziehungsstil, der im Forschungsverlauf von einem
10 von einem im Jugendalter mehrheitlich beobachtbaren permissiven Erziehungsstil unterschieden wurde und sich
„Generationenkonflikt“ gesprochen werden kann. als besonders nachteilig erwiesen hat. Uninvolvierte bzw.
Was aber macht „gute Erziehung“ aus? Mit dieser vernachlässigende Erziehung ist dadurch gekennzeichnet,
Frage befasst sich die pädagogische und psychologische dass weder Strukturen etabliert oder Grenzen gesetzt
Forschung seit langer Zeit, wobei die Forschung zu werden noch dem Kind emotionale Zuwendung gewährt
(elterlichen) Erziehungsstilen starken konjunkturellen wird. Den Gegenpol zum autoritativen Stil markiert ein ver-
Schwankungen unterlag. Einem regelrechten „Boom“ in nachlässigender Erziehungsstil, für den kennzeichnend ist,
den 1960er-Jahren folgte eine Phase der Stagnation, da in dass weder Strukturen etabliert oder Grenzen gesetzt werden
den 80er-Jahren vor allem von deutschen Wissenschaftlern noch dem Kind emotionale Zuwendung gewährt wird. Eine
(z. B. Brandstädter und Montada 1980; Schneewind 1980) derartige Mißachtung kindlicher Bedürfnisse erwies sich
eine kritische Bilanz gezogen wurde und angezweifelt als besonders problematisch. Ein autoritärer Erziehungs-
wurde, ob von einer Fortführung dieser Forschungs- stil präformiert im Vergleich dazu soziale Anpassungs-
tradition überhaupt ein wissenschaftlicher Erkenntnisfort- leistungen, die häufig allerdings mit intrapsychischen Kosten
schritt zu erwarten sei. verbunden sind. Zudem kann eine autoritäre, auf Gehorsam
Etwa zur gleichen Zeit wurde in anderen Ländern unter gerichtete Erziehung leicht in gewaltförmige Erziehungs-
dem Eindruck der „Studentenrevolten“ und „Hippiekultur“ methoden münden und im Extremfall zu einer Kindeswohl-
eine intensive und sehr kontroverse Debatte über die Frage gefährdung führen. So ist wenig verwunderlich, dass Kinder
geführt, warum sich Heranwachsende von gesellschaftlichen von Eltern mit einem vernachlässigenden oder autoritären
Werten und Normen abwenden. Die Amerikanerin Diana Erziehungsstil durchgängig am schlechtesten in den später
Baumrind untersuchte unter dem Einfluss dieser Debatten erhobenen Kompetenzmaßen abschnitten (Baumrind 2010).
die Funktionalität elterlicher Erziehungspraktiken, indem Die größten Vorteile zeigten sich für Jugendliche, die in
sie verglich, auf welche Art und Weise mehr oder weniger der Kindheit autoritativ erzogen worden waren. Vor dem
kompetente Kinder und Jugendliche erzogen worden waren. Hintergrund anhaltender Debatten um das richtige Ausmaß
„Kompetenz“ wurde dabei an zwei Kriterien festgemacht: und die angemessene Art elterlicher Kontrolle ist gleichwohl
der sozialen Kompetenz und der Autonomie. Dahinter stand festzuhalten, dass schon in den frühen Arbeiten auf einen
der Gedanke, dass Heranwachsende nur dann in der Lage bedingt autoritativen Erziehungsstil aufmerksam gemacht
sind, ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden und sich in die wurde, der zu vergleichbaren Ergebnissen führte und daher
Gemeinschaft einzugliedern, wenn sie einerseits soziales Ver- als ‚good enough‘-Stil tituliert wurde.
antwortungsbewusstsein und soziale Fertigkeiten mitbringen Die Bemühungen Baumrinds wurden von der Arbeits-
und andererseits über ein gewisses Maß an Selbstständig- gruppe um Larry Steinberg aufgegriffen, fortgeführt und
keit und Unabhängigkeit verfügen, auch um sich durch- auf eine breite empirische Basis gestellt. Die Ergebnisse
setzen und dem Druck, zum Beispiel von Gleichaltrigen der hieraus hervorgegangenen, inzwischen über 30 Jahre
(auch 7 Kap. 12), widerstehen zu können. Auch das deutsche bestehenden Erziehungsstilforschung wurden von ihm
Familie
247 10
2001 unter dem programmatischen Titel „We know some können. Aufgrund neuerer Arbeiten, die zur Präzision
things“ zusammengefasst (Steinberg 2001, 2004). der beiden zentralen Dimensionen Wärme und Lenkung
Dabei wird anstelle des Baumrindschen Begriffs der ­beigetragen haben, lässt sich eine autoritative Erziehung am
Strenge nun derjenige der Verhaltenskontrolle verwendet, besten dadurch charakterisieren, dass Kinder zum einen
der im Jugendalter vor allem im elterlichen Monitoring emotionale Zuwendung erfahren, ohne mit dieser „erpresst“
zum Ausdruck komme. Hiermit wird betont, dass Eltern zu werden. Dies ist etwa der Fall, wenn Eltern mit Liebes-
über Aktivitäten, Aufenthaltsorte und Kontakte ihrer entzug drohen oder das kindliche Bestreben nach elterlicher
jugendlichen Kinder informiert sein sollten. Eltern mit Anerkennung zum Zweck einer engmaschigen Verhaltens-
hohen Werten auf dieser Dimension richten hohe, aber steuerung ausnutzen (zur Unterscheidung zwischen beiden
realistische Erwartungen an ihre Kinder, halten sich über Formen des „conditional regard“ vgl. Roth et al. 2009). Zum
deren Aktivitäten, Freundschaften und Interessen auf dem anderen folgt eine autoritative Erziehung der Idee einer
Laufenden, formulieren klare Regeln und setzen diese „Freiheit in Grenzen“ (Wiss. Beirat 2005, S. 55). Damit
auch mit disziplinierenden Maßnahmen durch. Im Licht ist gemeint, dass Heranwachsende in ihrer Autonomie-
neuerer Studien stellt sich allerdings die Frage, ob mit den entwicklung unterstützt und „herausgefordert“ werden,
Instrumenten zur Erfassung des elterlichen Monitorings aber zugleich Struktur erfahren, indem sie konsequent mit
nicht letztlich die Selbstöffnungsbereitschaft der Jugendlichen Regeln und Grenzen konfrontiert werden, deren Über-
abgebildet und somit vornehmlich eine unmittelbare Folge tretung antizipierbare Konsequenzen nach sich zieht (vgl.
der Wärme-Dimension erfasst wird (zur Kritik an diesem Grolnick und Pomerantz 2009).
Konzept vgl. Fletcher et al. 2004; Stattin und Kerr 2000). Alle genannten Prinzipien müssen natürlich immer
Die zweite von Baumrind postulierte Dimension an das einzelne Kind angepasst werden – ein hyperaktiver
der Wärme („responsiveness“) wurde unter dem Begriff Jugendlicher etwa braucht mehr Struktur als andere Kinder
Involvement aufgegriffen. Zudem führte Steinberg als und die Erziehung zur Selbstständigkeit muss sich bei
eine dritte Dimension die psychologische Autonomie- einem geistig behinderten Kind anders gestalten als bei
gewährung ein (zusammenfassend Steinberg 2001). einem intellektuell Begabten. Insofern ist eine autoritative
Sie beschreibt das Ausmaß, in dem Eltern Jugendliche Erziehung nicht durch ein „blindes Befolgen von Regeln“
ermutigen und ihnen erlauben, eigene Meinungen und zu bewerkstelligen – sie setzt vielmehr voraus, dass Eltern
Überzeugungen zu entwickeln. willens und fähig sind, die Bedürfnisse und Signale ihres
Empirisch (zusf. Steinberg 2001) zeigte sich, dass alle Kindes angemessen wahrzunehmen, zu interpretieren und
drei Dimensionen in spezifischer Weise zu einer günstigeren zu beantworten.
psychosozialen Entwicklung und akademischen Kompetenz Wie schwierig es sein kann, emotionale Zuwendung oder
von Jugendlichen beitragen. Je mehr Eltern über die Aktivi- auch die Balance von Freiheit und Verantwortung alters-
täten und das Erleben ihrer Kinder wissen, umso seltener tritt angemessen zu realisieren, erfahren viele Eltern spätestens
jugendliches Problemverhalten in Form von Drogen- und im Umgang mit ihren jugendlichen Kindern. Im Zuge der
Alkoholkonsum oder delinquentem Verhalten auf. Psycho- Identitätsentwicklung in der Adoleszenz beginnen Heran-
logische Autonomiegewährung und Involvement erwiesen wachsende immer stärker die Einstellungen und Gebote
sich insofern als protektive Faktoren, als sie der Ausbildung ihre Eltern zu hinterfragen und entwickeln Beziehungen zu
internalisierender Probleme (Depressionen, Ängste) ent- Gleichaltrigen, die der ­Eltern-Kind-Beziehung an Intensi-
gegenwirken. Hohe Ausprägungen auf beiden Dimensionen tät häufig nicht nachstehen und die Rolle der Eltern als bis-
gehen darüber hinaus auch mit einer positiveren Leistungs- lang wichtigster Gesprächspartner relativieren. Nicht selten
entwicklung – gemessen an der Notenentwicklung im Verlauf zeigen Jugendliche in Peer-Beziehungen auch eine Unter-
eines Jahres – einher. Für die Arbeitshaltung der Jugendlichen ordnungsbereitschaft, die Eltern befremdend finden können.
schließlich sind alle drei erfassten Dimensionen bedeutsam. Schließlich kann die Dynamik in einer Clique Jugendlicher
Um im engeren Sinne von „Effekten“ des elterlichen dazu beitragen, dass das im Rahmen der Identitätsfindung
Erziehungsverhaltens sprechen zu können, ist sicherzu- wachsende Bestreben, sich und seine Umwelt zu explorieren,
stellen, dass korrespondierende Unterschiede in der kind- in riskante Aktivitäten und Problemverhaltensweisen
lichen Entwicklung nicht auf andere Einflussgrößen, wie mündet.
die Lebensumstände der Familie, zurückzuführen sind. Es ist also nur verständlich, wenn Eltern besorgt,
Hierzu vorgelegte Arbeiten zeigen, dass selbst bei Kontrolle vielleicht auch gekränkt oder schlicht genervt reagieren und
der Schichtzugehörigkeit das elterliche Erziehungsverhalten Eltern-Kind-Konflikte in dieser Phase des Familienzyklus
einen statistisch bedeutsamen Beitrag zur Varianzaufklärung zunehmen. Diese vermehrten Auseinandersetzungen haben
in verschiedenen Kriterien, darunter den schulischen aber, wenn sie nicht eskalieren und konstruktiv bearbeitet
Leistungen, der psychosozialen Reife und den Arbeits- werden, auch ihr Gutes: Sie tragen dazu bei, dass Jugend-
haltungen bzw. der Lernmotivation Jugendlicher, leistet. liche „selbstständig werden im Gespräch“ (Hofer 2003).
Zusammenfassend beschreibt das Konzept der autorita- Dass die emotionale Nähe im Urteil verschiedener Geburts-
tiven Erziehung Verhaltensweisen, mit denen Eltern – oder kohorten immer weniger unter Streitigkeiten zwischen
auch andere Erziehungsverantwortliche – Heranwachsende Eltern und Jugendlichen zu leiden scheint, spricht zudem
zu Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit führen dafür, dass eine autoritative Erziehung die T ­ ransformation
248 E. Wild und S. Walper

einer asymmetrischen Eltern-Kind-Beziehung in eine Wie reibungslos diese Herausforderungen im Einzel-


symmetrische „Peer-like“-Beziehung vorbereitet und fall gemeistert werden, hängt von Merkmalen der Familie
erleichtert. Tatsächlich verbringen 13- bis 17-Jährige umso und ihrer Mitglieder ab (zusf. Berger 2009). Da der
mehr Freizeit mit ihren Eltern und sehen sie umso mehr oben beschriebene Wandel in den Erziehungszielen und
als wichtige Ansprechpartner, wenn sie nicht nur ein gutes -praktiken die erfolgreiche Bewältigung vorangehender
Verhältnis zu ihnen unterhalten sondern auch sich selbst als Familienentwicklungsaufgaben generell wahrscheinlicher
selbstständig einschätzen (BMFSFJ 2017). werden lässt, erfolgt die nun anstehende Neustrukturierung
Welche nachteilige Folgen es umgekehrt für die der familialen Interaktionen jedoch im Regelfall unter
psychosoziale Entwicklung junger Erwachsener hat, guten Voraussetzungen. Hierbei kann auch der vorläufige
wenn sie ihre „Territorien des Selbst“ nicht alters- Verbleib im Elternhaus akzeptiert und gewollt sein. In
angemessen erobern (können), lässt sich am Beispiel des einer belgischen Studie etwa zeigte sich, dass nicht das
­„Helicopter-parenting“-Phänomens verdeutlichen, das im Wohnarrangement per se für die Zufriedenheit junger
folgenden Kapitel erläutert wird. Erwachsener ausschlaggebend ist, sondern deren autonome
Motivation in der Entscheidung für das gewählte Arrange-
ment (Kins et al. 2009). Vergleichsweise schwieriger kann
10.2.5  Familienbande nach der Adoleszenz insofern die Situation von Jugendlichen sein, die nach
einem Auszug wieder bei den Eltern einziehen müssen,
Die Überschrift verweist auf einen zeitlich ausgedehnteren etwa weil sie mit Ausbildungsproblemen zu kämpfen haben
Abschnitt im Leben der Familie, der streng genommen oder mit Schwierigkeiten bei der Einmündung in den
mehrere Stufen der Familienkarriere umfasst. Wir Arbeitsmarkt (BMFSFJ 2017). Auch in dieser Lebensphase
konzentrieren uns hier auf die Veränderungen, die im und gerade für solche „Boomerang-Kids“ (Berngruber
Leben von Familien mit jungen Erwachsenen anstehen. 2018) stellt die familiäre Unterstützung jedoch eine
10 Diese Phase ist angesichts verlängerter Ausbildungs- wichtige Ressource dar.
wege und verzögerter Familiengründung als „Emerging Ein von den Medien unter dem Schlagwort „Hotel
Adulthood“ stärker in den Mittelpunkt gerückt (Arnett Mama“ aufgegriffenes Phänomen besteht darin, dass Eltern
2000). In diese Zeit fallen in aller Regel der Auszug aus mitunter in umfassender Weise von ihren Kindern weit
dem Elternhaus und wichtige Entscheidungen rund um über deren Volljährigkeit hinaus beansprucht werden.
den Berufseinstieg, zunehmend auch die vorgelagerten Den Befunden von Papastefanou (1996, 2006) zufolge
Orientierungsprozesse im Verlauf der Ausbildung bzw. des kann dies von Eltern aber unterschiedlich erlebt werden.
Studiums. Während sich manche Eltern ausgenutzt fühlen, weil sie
Ein für alle Familienmitglieder einschneidendes Ereig- punktuelle „Dienstleistungen“ wie Wäsche waschen oder
nis ist der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus. Dieser Essen kochen am Wochenende erbringen (sollen), ohne
verschiebt sich zeitlich vor allem deshalb, weil Heran- einen subjektiv wünschenswerten Gegenwert etwa in Form
wachsende zunehmend einen höheren Bildungsabschluss gemeinsam und exklusiv verbrachter Zeit zu erhalten, sehen
anstreben und entsprechend eine immer längere Aus- sich andere bemüßigt, ihren Nachwuchs (immer) wieder
bildung durchlaufen. Dem 15. Kinder- und Jugendbericht zuhause zu beherbergen, weil dessen Zukunftspläne – das
zufolge (BMFSFJ 2017) schwankt der Prozentsatz derer, die Studium am anderen Ort, das Zusammenwohnen mit der
im Alter von 25 Jahren noch bei ihren Eltern wohnen, je Freundin usw. – scheitern. Aus professioneller Distanz
nach Geschlecht und Region zwischen 20 und 40 %, wobei betrachtet ist diesen „Verwerfungen“ zunächst nur eines
junge Frauen in Ostdeutschland am frühesten aus ihrem gemein: Sie sind Ausdruck eines nicht oder unzuläng-
Elternhaus ausziehen. lich vollzogenen Ablösungsprozesses. Zu welchen Teilen
Aufgrund der längeren Ausbildungszeiten geht dem hieran implizite Motive oder Handlungsgewohnheiten der
Auszug meist eine mehr oder weniger ausgedehnte Zeit des Eltern, Charakteristika der Heranwachsenden oder der
Lebens in einem gemeinsamen Haushalt voraus, in der sich gemeinsamen Beziehungsgeschichte zusammenkommen,
alle Familienmitglieder bereits stärker ihren persönlichen bleibt wissenschaftlich zu klären.
Zielen zuwenden (können). Beim Auszug des Kindes mischt Ebenfalls erst in Ansätzen erforscht ist ein Phänomen,
sich dennoch für viele Eltern die Freude über die nun vor- das in der Medienlandschaft unter dem Titel „Helicopter
handene Zeit und Freiheit, Hobbys wieder aufnehmen oder Parenting“ firmiert. Helicopter Parents kreisen buchstäb-
beruflichen Ambitionen nachgehen zu können, mit Weh- lich über dem Leben ihrer volljährigen Kinder und sind
mut und Gefühlen der Verunsicherung. Mag das „Kind“ fortwährend damit beschäftigt, deren ­ (Ausbildungs-)
auch schon während oder nach der Schulzeit mehrere Erfolg zu überwachen und sich selbst bei allfälligen
Monate im Ausland gewesen sein – erst der Auszug Anforderungen aktiv einzuschalten. Weil dies bei
markiert, dass das Elternhaus nicht länger der „ultimative Studierenden, denen eine mindestens durchschnittliche
Start- und Landeplatz“ ist. Eine weitere Kehrseite der neu Leistungsfähigkeit und Selbstständigkeit zugesprochen
gewonnenen Freiheit sind die neuen Gestaltungserforder- und abverlangt wird, besonders irritierend erscheint,
nisse in Bezug auf das (eigene und partnerschaftliche) fokussieren wissenschaftliche Untersuchungen auf den
Leben. Studienkontext (Lum 2006).
Familie
249 10
Somers und Settle (2010) führen das (vermeint- sich hier ­jedenfalls, dass Entwicklung in der Familie ein
lich) zunehmende Phänomen des Helicopter Parenting ko-konstruktiver Prozess ist, der die jüngere und die ältere
wesentlich auf den oben beschriebenen Wertewandel und Generation gleichermaßen betrifft.
wachsenden Bildungsdruck zurück. Bei aller Plausibili-
tät ist jedoch anzumerken, dass gegenwärtig noch um eine
konzeptuelle Präzisierung des Konstrukts sowie dessen 10.3  Familien in der Krise
Operationalisierung und theoretische Einordnung
gerungen wird (z. B. Padilla-Walker und Nelson 2012; Familienleben bedeutet, sich permanent auf neue und
Wilhelm et al. 2014) und es an belastbaren Erkenntnissen wechselnde Anforderungen einzustellen. Lernt der Sohn
zur (vermeintlich steigenden) Prävalenz dieses speziellen laufen, gilt es Treppen zu sichern und Porzellan außer
Erziehungsmusters mangelt. Erste Studien deuten darauf Reichweite zu bringen; durchläuft die Tochter die Puber-
hin, dass die wohlgemeinten Aktivitäten von Helicopter tät, müssen sich Eltern auf die wechselnden Launen ihres
Parents kontraproduktiv für das Wohlbefinden der jungen Nachwuchses einstellen. Der „ganz normale Wahnsinn“
Erwachsenen sowie deren Lernmotivation, Selbstwirksam- des Familienalltags reicht von durchwachten Nächten
keit und Peer-Beziehungen sein können aber nicht müssen beim kranken Kind über Debatten zum Sinn und Unsinn
(Schiffrin und Liss 2017; Kouros et al. 2017; Reed et al. von Hausaufgaben bis hin zum Spagat zwischen beruf-
2016; van Ingen et al. 2015; LeMoyne und Buchanan 2011). lichen Terminen, elterlichen „Fahrdiensten“ und Eltern-
So verspricht diese noch junge Forschungslinie weiter- sprechtagen. Von solchen erwartbaren Veränderungen
führende Erkenntnisse zu den konstitutiven Merkmalen (normative Familienentwicklungsaufgaben) und damit
einer „guten Erziehung“ auch und gerade jenseits der einhergehenden Alltagsbelastungen sind kritische Lebens-
Adoleszenz. Aus erziehungspsychologischer Sicht dürften ereignisse abzugrenzen, die unerwartet und unabhängig
Helicopter Parents hohe Werte auf den Dimensionen von regulären Übergangsphasen in der Lebensspanne auf-
Wärme und Kontrolle, aber niedrige Ausprägungen auf treten und eine Minderheit – oder besser: eine mehr oder
der Dimension Autonomieunterstützung erzielen (Padilla- weniger große Teilgruppe von Familien – treffen, sodass
Walker und Nelson 2012). Dies stützt die Vermutung, bei der erforderlichen Herausbildung neuer Orientierungs-
dass Kontrolle und Autonomieunterstützung nicht als sich und Handlungsmuster nicht auf gesellschaftlich etablierte
ausschließende Endpole einer Dimension zu fassen sind Rollenmuster und Strategien zurückgegriffen werden kann.
(z. B. Silk et al. 2003) und kann darüber hinaus als Hinweis Welche Konsequenzen kritische Lebensereignisse für
gewertet werden, dass die Beziehung zwischen Wärme und die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung und die kindliche
„Erziehungserfolg“ nicht linear ist. Entsprechende Über- Persönlichkeitsentwicklung nach sich ziehen (können),
legungen finden sich in familientherapeutisch beeinflussten wird in diesem Abschnitt am Beispiel von drei unterschied-
Modellen wie dem Circumplex-Modell von Olson (2000), lich gelagerten Stressoren beleuchtet.
in dem eine moderate Ausprägung des Familienklimas auf In 7 Abschn. 10.3.1 gehen wir zunächst auf das Thema
den Dimensionen Zusammenhalt und Struktur als psycho- Trennung/Scheidung/Stiefelternschaft ein, weil es eine stetig
logisch wie sozial optimal postuliert wird. wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen betrifft.
Festzuhalten ist, dass Transformationsprozesse in der Im Fokus steht die Frage, welche kurz- und langfristigen
Eltern-Kind-Beziehung mit der Auflösung des gemeinsamen Folgen für die kindliche (Schul-)Entwicklung im Fall einer
Haushalts nicht gleichsam natürlich abgeschlossen sind. Trennung zu erwarten sind. Dabei wird auch beleuchtet,
Auch über den Auszug hinaus bleiben die Eltern in aller ob das Aufwachsen in hoch konflikthaften, aber strukturell
Regel wichtige Ansprechpartner und geht speziell ein (zeit-) intakten Familien mit einem höheren Risiko kindlicher Ver-
intensiver Austausch zwischen Jugendlichen und Eltern haltensauffälligkeiten verbunden ist, ob sich im Vergleich
mit höherem Wohlbefinden und Lernerfolg einher (Milkie von Ein-Elternteil- und Stieffamilien der Vorteil von Kern-
et al. 2015). Gleichwohl zeigen sich an der Gestaltung des familien mit beiden leiblichen Eltern abzeichnet und ob
Auszugs der Kinder Unterschiede in dem Grad, in dem der etwaige Probleme vom Alter des Kindes zum Zeitpunkt der
altersangemessene Ablösungsprozess vollzogen wurde – und Trennung oder eher von anderen (internen wie externen)
zwar nicht nur seitens der jungen Erwachsenen, sondern Belastungsfaktoren abhängen.
auch seitens der Eltern. Ein vermeintlich „egoistisches“ oder Lebensbedrohende oder chronische Erkrankungen
auch „unselbstständiges“ Verhalten junger Erwachsener, betreffen nur eine Minderheit von Familien und tangieren
die länger als (finanziell oder beruflich) nötig im Eltern- das ganze Familiensystem, auch wenn zunächst ein einzel-
haus bleiben, mag dabei auf eine unzureichende Selb- nes Familienmitglied direkt betroffen ist. Vorliegende
ständigkeitserziehung durch die Eltern bzw. eine mangelnde Erkenntnisse zu den Folgen einer Erkrankung von
Selbstemanzipation ihrer ‚Kinder‘ zurückzuführen sein. Kindern oder eines Elternteils werden in 7 Abschn. 10.3.2
Es mag auch Ausdruck einer unbewussten Einlösung zusammengefasst. Ein besonderes Augenmerk wird dabei
von unterschwelligen Elternwünschen oder unreifer Ver- auf die Frage gerichtet, warum sich eine psychische Beein-
suche sein, sich dieser tatsächlichen oder vermeintlichen trächtigung von Eltern als prognostisch bedeutsamster
Erwartungshaltungen zu erwehren. Einmal mehr zeigt Risikofaktor erweist.
250 E. Wild und S. Walper

Schließlich sollen am Beispiel von Familien, in denen stellen dann Faktoren vor, die sich als maßgebliche
ein Elternteil oder beide Eltern ihren Arbeitsplatz verloren Moderatoren erwiesen haben, und wenden uns schließlich
haben oder die Eltern trotz Erwerbstätigkeit nicht in der den Besonderheiten von Stief- oder „Patchwork“-Familien
Lage sind, sich aus der Armut zu befreien, die Folgen öko- zu.
nomischer Deprivation aufgezeigt werden. Dabei heben
wir in 7 Abschn. 10.3.3 vor allem auf Bedingungen ab, die Zur Vielfalt von Trennungsfamilien
die psychosoziale und schulische Entwicklung armuts- Nicht selten sehen sich Scheidungskinder und ihre Familien
betroffener Kinder beeinflussen. mit Vorurteilen konfrontiert, die einer pauschalierenden
Bei allen hier thematisierten kritischen Lebensereig- Defizitperspektive entsprechen. Auch ein großer Teil der
nissen beziehungsweise belastenden Lebenslagen werden frühen Untersuchungen folgte einer solchen problem- oder
Risiko- und Schutzfaktoren herausgestellt, denn deren defizitorientierten Perspektive, die alle Abweichungen vom
Kenntnis ist essenziell für pädagogische Psycholog_innen Modell der ehelichen Kernfamilie für die Sozialisation der
und andere Berufsgruppen, an die sich Betroffene hilfe- Kinder als problematisch oder zumindest weniger günstig
suchend wenden (Dickhäuser und Spinath 2018). betrachtete. Weder die Bandbreite der Begleitumstände
einer Trennung (z. B. Ausmaß juristischer Streitverfahren
der Eltern) noch die unterschiedlichen Belastungsmomente,
10.3.1  Aufwachsen in einer Ein-Elternteil- die aus einer Trennung resultieren können (z. B. finanzielle
oder Stieffamilie Probleme, psychische Belastungen der Eltern), wurden
angemessen in den Blick genommen. Erst recht wurde den
Eine Trennung oder Scheidung der Eltern zu erleben möglichen Chancen „alternativer“ Lebensformen kaum
ist heute keine Seltenheit mehr, auch wenn die Zahl der Beachtung geschenkt. Spätestens seit den 1980er-Jahren
Ehescheidungen in Deutschland im Jahr 2017 ihren war jedoch deutlich, dass diese einseitige Sichtweise der
10 niedrigsten Stand seit 25 Jahren erreichte. Setzt man die vielfältigen Lebenssituation von Scheidungsfamilien nicht
absolute Zahl der Scheidungen in Relation zur Zahl der angemessen Rechnung trägt.
Eheschließungen, dann endet nach wie vor rund ein Drittel Trennungsprozesse verlaufen sehr unterschiedlich.
aller Ehen in Deutschland vor dem Scheidungsrichter, Eltern können sich einvernehmlich vor der Geburt des
und in der Hälfte der Fälle sind minderjährige Kinder Kindes getrennt haben oder Jahre in einer belasteten
involviert (Statistisches Bundesamt 2018b). Hinzu kommt Partnerschaft ausharren, um dann im Streit auseinander-
der steigende Anteil nichtehelich geborener Kinder, die zugehen. Der getrennt lebende Elternteil kann in hohem
mit noch höherer Wahrscheinlichkeit eine Trennung ihrer Maße involviert bleiben und gut mit dem häuslichen
Eltern erleben (Walper und Langmeyer 2012). Dies mag Elternteil kooperieren. Beide können aber auch wieder-
auf den ersten Blick nahe legen, dass sich die Bedeutung holt vor Gericht ziehen und konfliktbelastet miteinander
einer Trennung/Scheidung relativiert hat und auch konkurrieren – zum Glück ein seltenes, aber hoch
Belastungen betroffener Kinder heute weniger markant belastendes Phänomen. Nicht zuletzt kann der getrennt
sind als noch vor 40 Jahren. Dies scheint jedoch selbst in lebende Elternteil (gewollt oder ungewollt) aus dem Leben
westlichen Industrienationen nicht durchgängig der Fall seiner Kinder verschwinden – was heute seltener geschieht
zu sein. Befunde aus den USA deuten darauf hin, dass als vor rund zehn Jahren, aber noch rund jedes vierte bis
sich in manchen Bereichen die Nachteile für Scheidungs- fünfte Kind mit getrennten Eltern betrifft (Walper 2016;
kinder sogar im Verlauf der 1990er-Jahre verschärft Walper et al. 2015). In manchen Fällen werden Eltern
haben – möglicherweise deshalb, weil in dieser Zeit staat- mehrfach geschieden und konfrontieren auch ihre Kinder
liche Investitionen zur Unterstützung Alleinerziehender mit instabilen Familienarrangements, deren Belastungs-
zurückgefahren wurden (Amato 2001). Auch länder- potenzial für Kinder mit der Anzahl der Transitionen steigt
vergleichende Daten aus Europa, die speziell Bildungs- (Amato 2010). Manche tragen Sorge für Kinder, die aus
nachteile von Scheidungskindern in den Blick nehmen, verschiedenen Ehen stammen, und stehen vor der Auf-
sprechen gegen einen „Institutionalisierungseffekt“: Nach- gabe, in einer solchen komplexen Stieffamilie Zusammen-
teile von Scheidungskindern fallen in Ländern mit hohen halt zu etablieren (Walper und Wild 2002; Entleitner-Phleps
Scheidungsraten keineswegs geringer aus, sondern scheinen und Walper 2020). In anderen Fällen bleiben ledige Eltern
sogar mit steigender Verbreitung von Scheidungen zu nach der Trennung von einem Partner allein, ziehen ihr
steigen (Bernardi und Radl 2014). Kind aber unter Umständen gemeinsam mit anderen
Generell sind die Folgen einer elterlichen Trennung Erwachsenen (z. B. Großeltern) auf.
keineswegs einheitlich. Ein durchgängiges Thema von Diese Variationen werden in familiensystemischen
Bestandsaufnahmen der Forschung zu Scheidungsfolgen und entwicklungsorientierten Ansätzen explizit
(Amato 2010) ist daher die Vielfalt der Lebensumstände, berücksichtigt. Besonders bewährt hat sich die
Bewältigungsressourcen und Biografien von Eltern und ­ cheidungs-Stress-Bewältigungs-Perspektive, die a) eine
S
Kindern, in der die Heterogenität der Befunde begründet Trennung nicht als punktuelles Ereignis, sondern als zeit-
sein dürfte. Im Folgenden gehen wir hierauf näher ein, lichen Prozess betrachtet, b) typische Stressoren im Kontext
Familie
251 10
einer Trennung in den Blick nimmt, die allerdings im 2015; Weaver und Schofield 2015). So legen internationale
Einzelfall durchaus variieren können, und c) die jeweils Studien etwa mit Blick auf die Entwicklung von Kindern
gegebenen Bewältigungsressourcen der Betroffenen aus Ein-Elternteil-Familien wiederholt nahe, dass sie in der
berücksichtigt (Amato 2010; Walper und Langmeyer Schule mehr Fehlzeiten haben und schlechtere Schulnoten
2019). Vor diesem Hintergrund lassen sich Unterschiede erzielen sowie häufiger psychische Probleme aufweisen
im Anpassungsverlauf der Kinder nach einer elter- als Gleichaltrige aus Kernfamilien. Auch die Chancen auf
lichen Trennung besser erklären. Als besonders relevante höhere Bildung fallen für Scheidungskinder geringer aus,
Stressoren für die Kinder erweisen sich ökonomische vor allem in Schulsystemen mit einem frühen Übertritt in
Belastungen beziehungsweise das Abgleiten in Armut, fort- eine gegliederte Sekundarstufe (Bernardi und Radl 2014).
gesetzte Streitigkeiten der Eltern und Beeinträchtigungen Auch für Stiefkinder wurden im Vergleich zu Kindern
der elterlichen Erziehungskompetenzen. aus Kernfamilien häufiger Auffälligkeiten in der psycho-
Gleichwohl spielen nicht nur die Umstände der sozialen Entwicklung, Beeinträchtigungen des kindlichen
Trennung, die nachfolgenden Belastungen und die Wohlbefindens und ein erhöhtes Risiko für Problemver-
Besonderheiten der weiteren Familienentwicklung für die halten im Jugendalter berichtet (vgl. Walper und Wild
Entwicklungsverläufe von Scheidungskindern eine zentrale 2002; Jeynes 2006). Im Vergleich zu allein erzogenen
Rolle, sondern auch die Vorgeschichte der Trennung. Kindern leben sie zwar zumeist in finanziell günstigeren
Prospektive Längsschnittstudien haben gezeigt, dass sich Verhältnissen und haben zwei Erwachsene als Ansprech-
vielfach schon vor einer Trennung vermehrte familiale partner im Haushalt. Aber das Zusammenleben in Stief-
Belastungen wie Partnerschaftskonflikte, finanzielle familien bringt andere Herausforderungen für die
Schwierigkeiten und Erziehungsprobleme finden, die Betroffenen mit sich (s. u.), sodass sich die Situation von
mit Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung ein- Stiefkindern keineswegs durchgängig als günstiger im Ver-
hergehen (z. B. Heinicke et al. 1997; Shaw et al. 1993). gleich zu Kindern aus Ein-Elternteil-Familien darstellt (vgl.
Punktuelle Vergleiche von Trennungsfamilien mit Kern- Entleitner-Phleps 2017; Walper und Wild 2002).
familien sind insofern kaum geeignet, ein realistisches Bild Insgesamt lässt sich also eine Reihe von Ergebnissen
von Scheidungsfolgen zu zeichnen. Um aussagekräftige anführen, die auf den ersten Blick die früher forschungs-
Erkenntnisse zu den kurz- und langfristigen Bedingungen leitende These defizitorientierter Ansätze unterstützen,
und Auswirkungen einer Trennung zu erlangen, müssten wonach die Entwicklung von Scheidungs- und Stiefkindern
idealerweise prospektive Längsschnittstudien an umfang- mit größerer Wahrscheinlichkeit belastet sein sollte als die
reichen Stichproben durchgeführt werden, in denen alle von Gleichaltrigen aus strukturell intakten Familien. Eine
für die Belastung bzw. Anpassungsfähigkeit der Familien- solche Perspektive vermag aber beispielsweise nicht zu
mitglieder potenziell bedeutsamen Faktoren Berück- erklären, warum ein erhöhtes Maß an Verhaltensauffällig-
sichtigung finden. Auch wenn ein solches Unterfangen keiten vor allem bei Heranwachsenden zu finden ist, die in
schon allein aus forschungspragmatischen Gründen nur ihrer frühen Kindheit die Trennung ihrer Eltern erlebten,
schwer zu realisieren ist, sind doch auch begrenztere während eine Trennung im Jugendalter vor allem mit ver-
Forschungsarbeiten mit prospektivem Forschungsansatz mehrten Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung und
sehr aufschlussreich. So zeigen Prospektivanalysen auf Basis schulischen Problemen einherzugehen scheint (Lansford
des deutschen Beziehungs- und Familienpanels pairfam, et al. 2006). Mehr noch, einige Befunde stehen in klarem
dass bei Jugendlichen, die eine Trennung der Eltern Widerspruch zu defizitorientierten Ansätzen. Hierzu zählt
erleben, die Depressivität ansteigt, vor allem im Kontext vor allem die Erkenntnis, dass sich die Entwicklung von
einer konfliktbelasteten Eltern-Kind-Beziehung, während Scheidungskindern langfristig meist als unauffällig dar-
eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern negative stellt und lediglich bei einer Minderheit von überdauernden
Effekte merklich abfängt (Feldhaus und Timm 2015). Dies psychosozialen Problemen auszugehen ist (Amato 2010;
beleuchtet zwar nur einen begrenzten Bereich möglicher Hetherington und Kelly 2003). Auch die Beobachtung,
Trennungsfolgen, unterstreicht aber die Relevanz von dass die Gründung einer Stieffamilie häufig mit (vorüber-
Beziehungsressourcen für die Trennungsbewältigung. So gehenden) Störungen in der kindlichen Entwicklung
gilt es insgesamt aus der Vielzahl vorliegender Befunde (mit einhergeht, spricht gegen die These, dass kindliches Problem-
ihren je eigenen Beschränkungen) konsistente Ergebnis- verhalten primär auf eine mangelnde Verfügbarkeit von
muster „herauszudestillieren“. zwei (biologischen oder sozialen) Elternteilen als Rollen-
modellen und Identifikationsfiguren zurückzuführen ist.
Psychosoziale Entwicklung von Kindern Antworten auf diese Fragen sind nur zu erlangen, wenn man
in Ein-Elternteil- und Stieffamilien die spezifischen Herausforderungen betrachtet, mit denen
Empirisch beobachtete Unterschiede in der Entwicklung Eltern und Kinder im Zuge einer Scheidung und Wieder-
von Kindern, die mit beiden leiblichen Elternteilen auf- heirat konfrontiert werden, und die Bedingungen beleuchtet,
wachsen oder in anderen Familienkonstellationen groß die dazu beitragen, diese erfolgreich zu meistern. Diese
werden, fallen in der Regel zugunsten der zuerst genannten Herausforderungen und die für ihre Bewältigung relevanten
Gruppe aus (z. B. Amato und Anthony 2014; Kalmijn Faktoren werden daher im Folgenden näher erläutert.
252 E. Wild und S. Walper

Herausforderungen nach einer Scheidung dem Bekanntenkreis können sich in dem Maße, in dem
Wie groß der Leidensdruck ist, dem sich Paare mit Kindern sie die Qualität der Beziehung des Kindes zu relevanten
(auch noch) nach der Trennung ausgesetzt fühlen, hängt (primären) Bezugspersonen und die Erziehungskompetenz
neben psychosozialen Belastungen vor, während und nach des sorgeberechtigten Elternteils beeinflussen, auf die
der Trennung (Amato und Bryndl 2007) nicht zuletzt von kindliche Entwicklung auswirken. Vergleichsstudien an
lebenspraktischen Problemen ab, die sich mit der Gründung geschiedenen und verheirateten Eltern haben nicht durch-
eines Ein-Elternteil-Haushaltes einstellen können (Schwarz gängig (z. B. Freeman und Newland 2002; Hanson et al.
und Noack 2002). Hierzu zählen insbesondere sozioöko- 1998) aber wiederholt auf Beeinträchtigungen in der
nomische Faktoren wie Probleme der Vereinbarkeit von erzieherischen Kompetenz von Geschiedenen hingewiesen.
Familie und Beruf für den häuslichen Elternteil – nach wie Sie seien weniger informiert über die Aktivitäten und
vor ist dies weit überwiegend die Mutter – sowie finanzielle Freunde ihrer Kinder, erzögen inkonsistenter, nähmen
Schwierigkeiten etwa aufgrund unzureichender Unterhalts- erzieherische Fragen insgesamt weniger wichtig und
zahlungen. Da die Armutsquote von Alleinerziehenden mit äußerten ein geringeres Interesse an schulischen Belangen
40 % sehr hoch ist (Der Paritätische Gesamtverband 2018), der Kinder (Hetherington 1993; Wallerstein et al. 2000).
die Qualität der Beziehungen Jugendlicher zu ihren Eltern In all diesen Studien bleibt jedoch offen, ob sich das
stärker als noch vor 10 Jahren von der finanziellen Situation Verhalten der Eltern durch die Scheidung verändert hat
und dem Bildungsgrad der Eltern abhängt (BMFSFJ 2017) oder ob Beeinträchtigungen des elterlichen Erziehungsver-
und der Schulerfolg junger Menschen in Deutschland deut- haltens – und daraus unter Umständen resultierende Ver-
lich stärker vom sozioökonomischen Hintergrund abhängt haltensauffälligkeiten der Kinder – nicht bereits vor der
als in vielen anderen Ländern, überrascht es kaum, wenn Trennung bestanden haben, also beispielsweise ebenso in
Heranwachsende aus Ein-Elternteil-Familien durchschnitt- strukturell intakten, aber hoch konfliktbelasteten Familien
lich häufiger über psychosoziale oder schulische Probleme anzutreffen sein sollten. Zahlreiche Studien an strukturell
10 berichten. intakten Familien sprechen dafür, dass Konflikte zwischen
Erschwerend kommt hinzu, dass das Verhältnis der den Eltern die Eltern-Kind-Beziehung auch hier belasten
Geschiedenen zueinander vielfach durch Ambivalenz und (Krishnakumar und Buehler 2000). Tatsächlich zeigen
Ablehnung geprägt ist, sodass die Regelung der Unter- prospektive Längsschnittstudien, dass geschiedene Eltern
haltszahlungen oder Besuchsrechte leicht zu einer konflikt- bereits Jahre vor der Scheidung ein erhöhtes Risiko auf-
reichen Angelegenheit gerät. Oft leidet hierbei die Qualität weisen, mit mehr Problemen in der Erziehung konfrontiert
des elterlichen Coparenting, d. h. deren Kooperation und zu sein, etwa ein geringeres pädagogisches Engagement zu
Einigkeit in der Erziehung. Lamela und Kollegen (2016) zeigen, häufiger autoritäre Erziehungspraktiken einzusetzen
fanden zwar bei knapp der Hälfte der Trennungsfamilien und mit Blick auf die schulische Laufbahn der Kinder
ein kooperatives Coparenting, und „nur“ bei 13 % ein hoch geringere Aspirationen zu hegen (Block et al. 1988; Sun und
konflikthaftes Coparenting, aber bei den verbleibenden Li 2001). Mit Blick auf kindliche Anpassungsprobleme, wie
39 % ein hohes Maß an Unterminierung, bei dem die Eltern sie für Scheidungskinder vermehrt beschrieben werden,
die Erziehungsbemühungen des anderen unterliefen. Stets konnte ferner nachgewiesen werden, dass ein beträcht-
mit betroffen von der emotionalen Anspannung der Eltern licher Teil der Kinder die Verhaltensauffälligkeiten bereits
und anhaltenden Auseinandersetzungen sind Kinder längere Zeit vor der elterlichen Trennung zeigte (Cherlin
und Jugendliche, die nun lernen müssen, mit der ver- et al. 1991; Strohschein 2005). Dies legt nahe, dass die Zeit
änderten Beziehung ihrer Eltern und den daraus eventuell vor (und nicht erst nach) der elterlichen Trennung für
resultierenden Loyalitätskonflikten umzugehen (Walper Eltern wie auch Kinder vielfach mit großen Belastungen
und Beckh 2006). So verwundert es nicht, dass Kindern verbunden ist. So zeigen auch Daten aus Deutschland, dass
nicht nur in hochstrittigen Trennungsfamilien, sondern Jugendliche schon ein bis zwei Jahre vor der elterlichen
auch bei wenig offen ausgetragenen Konflikten, aber Trennung eine geringere Zufriedenheit mit dem Familien-
hoch unterminierendem Coparenting merklich erhöhtes leben berichten (Walper et al. 2015). Zudem relativieren
Problemverhalten aufweisen (Lamela et al. 2016). Befunde aus den (wenigen) vorliegenden komparativen
Längsschnittstudien zufolge dauert es im Regelfall Arbeiten klar die oben skizzierten Effekte des Familien-
etwa 2–3 Jahre nach der räumlichen Trennung, bis sich status: Mit Blick auf das elterliche Erziehungsverhalten etwa
der Umgang zwischen Eltern und Kindern normalisiert zeigen sich mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen
hat (Hetherington 1991). Allerdings gehen die akuten geschiedenen und verheirateten Eltern (Strohschein 2007),
Belastungen der Familienmitglieder schon am Ende des und auch längsschnittlich lassen sich nur geringfügige Ver-
ersten Jahres deutlich zurück. Das psychische Befinden änderungen in den elterlichen Erziehungspraktiken nach
Geschiedener scheint sich nach durchschnittlich 2–5 Jahren einer Trennung nachweisen (Astone und McLanahan
zu stabilisieren, wobei dem Ausmaß der erfahrenen sozialen 1991). Daraus folgt, dass distalen Faktoren (wie der Stabili-
Unterstützung eine zentrale Rolle zukommt (Krumrei et al. tät der Ehe) ein geringerer Vorhersagewert für die kindliche
2007). Entwicklung zukommt als proximalen Faktoren wie der
Stressoren wie die oben genannten, aber auch Beziehung zwischen den Eltern, dem Ausmaß an Familien-
Ressourcen wie zum Beispiel soziale Unterstützung aus konflikten und dem elterlichen Erziehungsverhalten.
Familie
253 10
Unter den Faktoren, die nachweislich den Effekt möglich, da nur sehr vereinzelt Prospektivstudien vorliegen.
chronischer Belastungen von Alleinerziehenden auf die Die verfügbaren Daten zeigen, dass das Wechselmodell
kindliche Entwicklung moderieren, kommt dem Verhält- durchaus selektiv praktiziert wird von sozio-ökonomisch
nis des Kindes zum getrennt lebenden (leiblichen) Eltern- besser gestellten, vor und während der Trennung weniger
teil eine zentrale Bedeutung zu. Inzwischen wird zwar konfliktbelasteten Eltern und bei schon zuvor hohem
in der Mehrzahl der Fälle ein gemeinsames Sorgerecht Engagement der Väter (Poortman und van Galen 2017).
beider Eltern vereinbart. Dennoch sind es mit über 80 % in In Deutschland ist das Wechselmodell noch wenig ver-
Deutschland nach wie vor die Väter, die nach der Trennung breitet und wird ebenfalls vor allem von Eltern mit höherer
nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren Bildung praktiziert (Walper 2016; Kalmijn 2015).
Kindern leben. Zeigen die getrennt lebenden Väter hohes Förderlich wirken sich häufige Übernachtungen und
Engagement gegenüber ihrem Kind, können sie bei Ein- häufige Kontakte zum getrennt lebenden Elternteil auf die
schränkungen der mütterlichen Erziehungsmöglichkeiten Anpassung des Kindes aus, solange das Ausmaß elterlicher
eine kompensatorische Funktion übernehmen (vgl. Pröls Konflikte in der Nachscheidungsphase gering ist (Kalmijn
2011; Sandler et al. 2013). Allerdings tragen persönliche 2016). Massive und anhaltende Auseinandersetzungen
Belastungen der Mütter oft auch zu mehr Problemen in der der Eltern dagegen werden von Kindern als besonders
Interaktion mit dem Vater bei, die einen Kontaktabbruch belastend erlebt und erschweren die Anpassung aller
zum Vater wahrscheinlicher werden lassen. Beteiligten. Häufig handelt es sich hierbei um Familien, die
Generell wird die Kontakthäufigkeit zum getrennt bereits vor und während der Scheidung zu physischen und
lebenden beziehungsweise externen Elternteil durch ver- verbalen Feindseligkeiten neigten (Johnston et al. 1989).
schiedene Faktoren beeinflusst wie die Sorgerechtsregelung,
die psychische Anpassung des externen Elternteils, das
Herausforderungen im Zuge einer
Ausmaß, in dem sich dieser als für sein Kind wichtig
oder abgelehnt fühlt und die Qualität der Beziehung
Wiederheirat
zum häuslichen Elternteil des Kindes. Häufiger geht der Statistiken zeigen, dass ein überwiegender Anteil von
Kontakt getrennt lebender Väter zu ihren Kindern ver- geschiedenen Frauen und Männern wieder heiratet, auch
loren, wenn der Vater kein (gemeinsames) Sorgerecht hat, wenn die Wiederheiratsneigung und das Wiederheirats-
seine Befindlichkeit beeinträchtigt ist, er sich als Belastung tempo deutlichen Alters- und Geschlechtseffekten unter-
für sein Kind erlebt und wenn die Beziehung zur Mutter liegen. Nicht selten verzichten die neuen Partner auf
konflikthaft ist. Kontaktabbrüche sind auch umso wahr- die Eheschließung. Schätzungen zufolge sind 7 bis 13 %
scheinlicher, je mehr Zeit seit der Trennung vergangen ist aller Familien mit minderjährigen Kindern in Deutsch-
und je jünger das Kind bei der Trennung war (Walper und land Stieffamilien, wobei jedes fünfte Stiefkind in einer
Krey 2009). nicht-ehelichen
­ Lebensgemeinschaft lebt (Bundes-
Aktuell intensiv diskutiert wird das Wechsel- ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
modell als Form einer geteilten Betreuung, bei der 2013). Da nach einer Trennung der Eltern die Kinder weit
das Kind abwechselnd bei beiden Eltern lebt, d. h. zu überwiegend bei der Mutter verbleiben, sind Stieffamilien
(annähernd) gleichen Teilen bei beiden Eltern übernachtet meist Stiefvaterfamilien. Aber auch wenn der getrennt
(Kinderrechtekommission des Deutschen Familien- lebende Elternteil – meist der Vater – eine neue Partner-
gerichtstags e. V. 2014; Kostka 2014; Sünderhauf 2016). schaft eingeht, verändert sich das Familiengefüge für die
Inzwischen wurde eine Vielzahl empirischer Arbeiten Kinder und es entsteht eine sekundäre oder „Wochenend“-
vorgelegt, die Vorteile von Kindern im Wechselmodell Stieffamilie. Wird ein gemeinsames Kind in der neuen
aufzeigen im Vergleich zum herkömmlichen Residenz- Partnerschaft geboren, erhöht sich die Komplexität der
modell, bei dem die Kinder bei einem Elternteil leben (vgl. Familienbeziehungen und „Zuständigkeiten“ der Eltern für
Nielsen 2018). Eine Meta-Analyse erbrachte allerdings Kinder mit unterschiedlichen Abstammungsverhältnissen.
nur schwache Effekte (Baude et al. 2016). Mögliche Die mit dem Eingehen einer Folgeehe oder
Folgen für die Bildungsverläufe der Kinder wurden hier- nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft entstehende Stief-
­
bei kaum thematisiert und scheinen durchaus frag- familie hebt sich von einer Kernfamilie mit Kindern
lich bzw. auf jene Familien beschränkt zu sein, in denen im gleichen Alter dadurch ab, dass nicht alle Familien-
eine enge V ­ater-Kind-Beziehung besteht, während in mitglieder auf eine gemeinsame Familiengeschichte zurück-
den anderen Fällen eher Nachteile zu verzeichnen waren blicken. Stiefeltern treffen vielmehr auf eine mehr oder
(Havermans et al. 2017). Bedenkt man, dass die Anpassung weniger eingespielte Teilfamilie, in der das Zusammen-
an wechselnde Betreuungsverhältnisse mit möglicherweise gehörigkeitsgefühl von Eltern und Kindern auf geteilte
divergierenden Erziehungsstilen und Familienregeln auch Erlebnisse und Erfahrungen zurückgeht und über viele
Kräfte der Kinder und Jugendlichen bindet, so ist durch- Jahre gewachsen ist. Das Zusammenwachsen von Stief-
aus fraglich, ob die schulische Entwicklung in gleicher familien stellt sich deshalb als längerfristiger Prozess dar,
Weise von einem Wechselmodell profitieren kann wie die der mit etwa 5 Jahren deutlich länger andauert als die
emotionale und Verhaltensentwicklung der Kinder. Ohne- Reorganisation des Familiensystems nach einer Trennung
hin sind Kausalaussagen in diesem Forschungsfeld kaum der Eltern (Hetherington und Jodl 1994).
254 E. Wild und S. Walper

Befunde zur Entwicklung der Beziehung zwischen Stief- nur Kinderkrankheiten gehören zum Familienalltag, auch
eltern und ihren Kindern weisen bei allen Inkonsistenzen Eltern sind mit gesundheitlichen Risiken konfrontiert,
darauf hin, dass in Stieffamilien ein geringeres Maß an die ihre Möglichkeiten, Aufgaben in der Familie zu über-
emotionaler Verbundenheit und weniger klare Rollen- nehmen, einschränken und die anderen Familienmitglieder
erwartungen vorherrschen als in strukturell intakten zu Rücksichtnahme und Fürsorge anhalten. Wird jedoch
Familien (Zaharychuk 2017). Generell werden Spannungen ein Familienmitglied von einer schweren akuten oder
zwischen Stiefkindern und Stiefeltern vor allem dann wahr- chronischen Krankheit betroffen, tangiert dies die anderen
scheinlich, wenn Letztere frühzeitig versuchen, in die Familienmitglieder nicht nur auf einer praktischen Ebene,
Disziplinierung und Kontrolle der Kinder einzugreifen sondern vor allem auch emotional (7 Kap. 18).
(Coleman et al. 2000; Hetherington und Jodl 1994) und Insofern mag es nahe liegen, dass sich eine schwere
eine intensive Beziehung zu diesen zu entwickeln, bevor die Erkrankung eines Familienmitglieds unweigerlich und
Kinder hierzu bereit sind. Kinder entziehen sich solchen nachhaltig belastend auf das Erleben und Verhalten aller
Bestrebungen und reagieren nicht selten mit Abwehr gegen- Betroffenen und insbesondere auch der Kinder auswirkt.
über dem zu stark engagierten Stiefelternteil, der seiner- Im Licht vorliegender Befunde (s. u.) muss diese Ver-
seits wieder mit Rückzug reagiert (Hetherington und Jodl mutung jedoch relativiert werden: Selbst akute, lebens-
1994). Entsprechend vorteilhaft ist es, wenn Stiefeltern eine bedrohliche oder den Lebensvollzug beeinträchtigende
abwartend-geduldige Haltung entwickeln und sich an den chronische Erkrankungen eines Elternteils oder eines
Bedürfnissen ihrer Stiefkinder orientieren. Kindes ziehen in vielen Fällen keine anhaltenden Beein-
Insgesamt zeichnen vorliegende Studien zur Situation trächtigungen der Familienmitglieder nach sich. Eine
und Entwicklung von Kindern in Ein-Elternteil- und Stief- Erklärung für dieses vielleicht überraschende Ergebnis
familien somit ein vielschichtiges Bild. Einerseits finden liefern familienstresstheoretische Ansätze (Hofer 2002b),
sich zahlreiche Hinweise auf ein erhöhtes Risiko dieser denen zufolge die Erkrankung eines Familienmitglieds
10 Gruppe(n). Andererseits sind die Unterschiede zwischen ein potenziell stressrelevantes Ereignis ist, welches nicht
Stief- bzw. Ein-Elternteil- und Kernfamilien absolut unbedingt eine Krise auslösen muss. Vielmehr wird in der
betrachtet eher gering (Jeynes 2006) und verweisen auf Anpassungsphase („adjustment phase“), also unmittel-
eine große Variabilität innerhalb dieser Gruppen. Ent- bar nach der Konfrontation mit einem Stressor, dieser
gegen aller Vorurteile ist die Beziehung von Kindern zu zunächst vor dem Hintergrund bereits bestehender
ihren Stiefvätern keineswegs durchgängig distant oder normativer Anforderungen und den direkt mit einem
belastet (Walper 2014) und gerät kaum in Konkurrenz kritischen Ereignis einhergehenden Härten eingeschätzt.
zum leiblichen Vater (Beckh und Walper 2002). Auch In dem sich anschließenden Bewältigungsprozess werden
hier kommt der Qualität des elterlichen Coparenting Copingstrategien und Ressourcen eingesetzt mit dem Ziel,
wesentliche Bedeutung zu, sowohl als Entlastung für die möglichst tief greifende Veränderungen in der Familien-
Mutter als auch für die Kinder (Entleitner-Phleps 2017). struktur und in den Rollenaufteilungen zu vermeiden
So wird eine zentrale Aufgabe zukünftiger Studien darin („resistance to change“). Gelingt es der Familie nicht,
bestehen, diesen Unterschieden systematisch nachzugehen die neuen Anforderungen routinemäßig zu meistern und
und die bislang erst ansatzweise erfolgte Identifizierung werden die mit der Krankheit einhergehenden Schwierig-
von Faktoren voranzutreiben, die ein für die Partner keiten als unüberwindbar definiert, kommt es zu einer
wie auch die Kinder förderliches Familienklima unter- Verschärfung der Belastungssituation und damit zur
stützen oder auch verhindern bzw. stören können. In der Krise.
­pädagogisch-psychologischen Arbeit ist zu berücksichtigen, Im Umgang mit der Krise müssen sich die Familien-
dass in Folge einer Trennung wie der Entstehung einer Stief- mitglieder erneut über ihre Einschätzung der Situation,
familie neue Anpassungsleistungen erforderlich werden über geeignete Lösungsmöglichkeiten und Bewältigungs-
und bei Kindern und Jugendlichen oftmals mit zumindest strategien sowie über die Inanspruchnahme von Ressourcen
vorübergehenden Belastungen angesichts der skizzierten verständigen. Ziel des gemeinsamen Verständigungs-
Herausforderungen zu rechnen ist. prozesses in der nun einsetzenden Adaptationsphase
ist eine Umstrukturierung des Familiensystems, die
darauf abzielt, die Rechte und Pflichten der einzelnen
10.3.2  Krankheit als Familienaufgabe Familienmitglieder entlang ihrer jeweiligen Bedürfnisse
und Möglichkeiten neu auszutarieren. Zu den hierbei
Die Fürsorge für Familienangehörige im Krankheitsfall ist relevanten Ressourcen zählen nicht nur außerfamiliale
seit jeher eine zentrale Leistung, die Familien für ihre Mit- Unterstützungssysteme (soziale Unterstützung) und
glieder und damit auch für die Gemeinschaft erbringen. Charakteristika der einzelnen Familienmitglieder, sondern
Auch wenn mittlerweile ein hoch spezialisiertes Gesund- auch Merkmale der familialen Binnenstruktur wie
heitswesen die medizinische Expertise und Versorgung Kohäsion und Rollenflexibilität, relative Autonomie der
übernommen hat, verbleiben doch viele Aufgaben rund um Familienmitglieder und wechselseitige Toleranz, Expressivi-
die Krankenversorgung und Pflege in der Familie. Nicht tät sowie Übereinstimmung in Einstellungen und Werten.
Familie
255 10
Weitere funktionale Merkmale familialer Bewältigung sind Definition
eine übereinstimmende Identifikation und Anerkennung Nach Schaeffer und Moers (2000) zeichnen sich
des Stressors, eine lösungsorientierte Problembewältigung chronische Krankheiten durch Dauerhaftigkeit,
(anstelle einer Suche nach Schuldzuschreibungen) sowie Komplexität und eine spezifische Verlaufsdynamik aus.
eine offene Familienkommunikation. Konkret ist der Lebensvollzug der Betroffenen langfristig
Welche spezifischen Belastungen mit einer Erkrankung durch die Krankheit und ihre Behandlung geprägt,
einhergehen und welche Faktoren – als Ressourcen oder wobei sich instabile und stabile Phasen typischerweise
Risikofaktoren – den familialen Umgang mit der Krank- abwechseln und mit zunehmendem Alter mit einer
heit und ihren Folgen beeinflussen, hängt prinzipiell davon Kumulation von Symptomen und Krankheit(sfolg)en
ab, ob Eltern oder Kinder erkranken. Im ersteren Fall sind gerechnet werden muss
Kinder eher indirekt betroffen und sollten in ihrer Ent-
wicklung vor allem dann gefährdet sein, wenn die Krank-
heit eines Elternteils dessen Erziehungskompetenz oder Zu den intensiver untersuchten chronischen Krankheiten
die des Partners einschränkt. Im zweiten Fall dagegen im Kindes- und Jugendalter zählt der juvenile Diabetes
können Störungen in der kindlichen Entwicklung auf die (im Volksmund auch Zuckerkrankheit genannt), der
Erkrankung des Kindes an sich zurückgehen oder auch auf im Kindes- und Jugendalter die häufigste Stoffwechsel-
Erziehungsprobleme, die sich im elterlichen Umgang mit erkrankung ist. Damit es nicht zu mehr oder weniger
dem kranken Kind einstellen. Diese können unabhängig schwerwiegenden Symptomen (z. B. Sehstörungen, Herz-
von der Erkrankung das Wohl der Kinder gefährden oder infarkt) kommt, ist eine Behandlung des Diabetes mellitus
auch etwaige krankheitsbedingte Beeinträchtigungen ver- Typ 1 in Form einer Insulintherapie und einer speziellen
schärfen. Diät erforderlich. Während Kinder und Jugendliche, die
In den folgenden Ausführungen wird auf beide früher unter dieser Krankheit litten, von einer geringen
Konstellationen eingegangen, wobei jeweils Schwerpunkte Lebenserwartung ausgehen mussten, können gut ein-
gesetzt werden. Bezogen auf die Folgen einer Erkrankung gestellte diabetische Heranwachsende heute ein relativ
des Kindes fokussieren wir auf den familialen Umgang normales Leben führen. Durch die Behandlung kann
mit chronischen körperlichen Erkrankungen, da sich die sowohl die Symptombelastung als auch die Wahrschein-
in Familien mit akut und chronisch kranken Kindern lichkeit von Folgeerkrankungen (Merkmale der Komplexi-
beobachteten Belastungsreaktionen ähneln, chronische tät) deutlich reduziert werden. Gleichwohl führt sie nicht
Erkrankungen jedoch mit spezifischen Herausforderungen zu einer Heilung, weshalb sich die betroffenen Kinder
für die langfristige Eltern-Kind-Beziehung verknüpft sind. auf ein Leben mit der Krankheit einstellen müssen. Folgt
Bezogen auf mögliche Implikationen einer Erkrankung von man den Ergebnissen einer im Großraum Bonn durch-
Eltern wird primär Literatur zu den Folgen psychischer geführten Längsschnittstudie an 108 diabetischen und
Erkrankungen vorgestellt, da diese in weitaus stärkerem 107 gesunden Jugendlichen (Boeger und Seiffge-Krenke
Maße als körperliche Erkrankungen zu einer Gefährdung 1994), dann scheint dies vielen Heranwachsenden gut zu
des kindlichen Wohls beitragen können. gelingen. Allerdings werden Entwicklungsaufgaben, die
eine zunehmende Autonomie von den Eltern und eine ver-
Kranke Kinder und ihre Familien mehrte Hinwendung zu gleich- und gegengeschlechtlichen
Schwere Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind Altersgenossen beinhalten, von diabetischen Jugendlichen
selten und betroffene Eltern reagieren meist geschockt nur zögerlich in Angriff genommen. Entwicklungsver-
und fassungslos, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass ihr zögerungen bei diabetischen Jugendlichen zeigen sich auch
Kind akut lebensbedrohlich erkrankt ist (z. B. Hung insofern, als die Lösung dieser Aufgaben für die Zukunft
et al. 2004). Dennoch liegen vergleichsweise wenige aus- von ihnen weniger angestrebt wird als von den gesunden
sagekräftige psychologische Studien zu den Folgen eines Gleichaltrigen (Boeger und Seiffge-Krenke 1994; Boeger
solchen Ereignisses für das Familiensystem vor (Dolgin et al. 1996).
und Phipps 1996). Eine umfänglichere Literatur existiert Eine Reihe von Studien ist der Frage nachgegangen,
dagegen zu chronischer Erkrankung von Kindern inwiefern das Auftreten einer chronischen Erkrankung
(Boekaerts und Roder 1999; Dell Orto und Power 2007; Auswirkungen auf das Familienleben hat und welche Rolle
Tröster 2005). Dies ist nicht zuletzt auf die stärkere Ver- der Familie und anderen Stützsystemen (z. B. Ärzten) bei
breitung chronischer Krankheiten zurückzuführen. Ins- der Krankheitsverarbeitung zukommt (Sherifali und Ciliska
gesamt leiden rund 24 % aller Kinder und Jugendlichen 2006). Zusammengenommen zeigen sie, dass Familien
in Deutschland an chronischen Erkrankungen (Lohaus mit einem chronisch erkrankten Kind oft erhebliche
und Heinrichs 2013) und mit Blick auf die Familie ist finanzielle und organisatorische Aufwendungen tätigen
zu berücksichtigen, dass chronische Erkrankungen auf- müssen und sich häufig wenig unterstützt fühlen. Im
grund des medizinischen Fortschritts und der deutlich Zentrum des Erlebens der betroffenen Eltern steht jedoch
verlängerten Lebenserwartung immer häufiger auftreten das „Krankheitsmanagement“, das heißt der Umgang
(werden). mit den (meist) ambulanten Therapiemaßnahmen und
256 E. Wild und S. Walper

Lebensumstellungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Dass selbst jene Untersuchungen, in denen Familien
sich die Situation von Eltern eines diabetischen Kindes während oder unmittelbar nach der Diagnose bzw.
in einem Punkt grundsätzlich von der von Eltern mit Behandlung befragt wurden, zu widersprüchlichen
einem akut erkrankten Kind unterscheidet: Die ­(Dauer-) Befunden geführt haben (Annunziato et al. 2007), ist
Behandlung des Diabetes erfolgt weitgehend losgelöst von neben methodischen Einschränkungen wesentlich auf
Einrichtungen des Gesundheitssystems, sodass das Krank- moderierende Faktoren zurückzuführen, darunter Art,
heitsmanagement, welches die laufende Kontrolle der Blut- Schwere und Dauer der Erkrankung sowie die Verfüg-
zuckerwerte, die regelmäßige Einnahme der Medikamente barkeit von personellen und sozialen Ressourcen (Harris
und das Einhalten der Ernährungsvorschriften umfasst, und Zakowski 2003). Mit Blick auf die psychosoziale Ent-
stark in der Verantwortung der Eltern liegt. wicklung der mitbetroffenen Kinder zeichnet sich jedoch
Verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere in der vergleichsweise durchgängig ab, dass diese mehrheitlich
Zeit nach der Diagnose die Sorge für ein zuckerkrankes mit den akuten Belastungen kompetent umzugehen wissen
Kleinkind mit einem erhöhten Stresspegel und depressiven und keine deutlichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen
Symptomen aufseiten der Eltern einhergeht. In einer zeigen (Lewis und Darby 2003; Osborn 2007).
schweizerischen Studie an 74 Eltern etwa, die gerade mit Ungleich problematischer stellt sich dagegen die
der Diagnose ihres Kindes konfrontiert worden waren, Situation von Kindern und Jugendlichen mit einem
wurden bei 24 % der Befragten Symptome einer post- psychisch gestörten Elternteil dar. In ihrer Übersicht
traumatischen Depression (PTSD) diagnostiziert, die zu über den Forschungsstand kommen Oyserman et al.
Beeinträchtigungen des Familienlebens und der Partner- (2000) zu dem Ergebnis, dass in 32–56 % der Fälle, in
schaft führten (Landolt et al. 2002). Etwaige depressive Ver- denen Kinder mit einer psychisch gestörten Mutter auf-
stimmungen aufseiten der Eltern können zudem in späteren wachsen, die Kinder selbst Symptome einer schizophrenen
Phasen in intensiven Kummer und Ängste umschlagen, oder affektiven Störung im Sinne internationaler Klassi-
10 wenn akute Gesundheitsprobleme bei den Kindern auf- fikationssysteme (DSM-IV und ICD-10; APA 2000;
treten, die eine stationäre Behandlung erforderlich werden World Health Organisation [WHO] 1991) zeigen. Die
lassen. Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen wurden
Langfristig sind es insbesondere die Mütter, die sich in verhaltensgenetischen Studien zur Erblichkeit von
von chronischen Sorgen überhäuft fühlen. Die steigende Psychosen vergleichsweise hohe Erblichkeitskoeffizienten
Verselbstständigung der Jugendlichen in Bezug auf ihr (zwischen 34 und 80 %) ermittelt. Zum anderen unter-
Krankheitsmanagement trägt bei ihnen offensichtlich nicht streichen Studien, in denen psychisch gestörte und gesunde
dazu bei, dass sie sich entlastet fühlen. Die Angst, ihr Kind Mütter hinsichtlich soziodemografischer Merkmale ver-
könnte zu nachlässig mit seiner Krankheit umgehen, kann glichen wurden, dass es bei den von einer psychischen
wiederum leicht in ein überbehütendes und/oder stark Erkrankung betroffenen Frauen häufig zu einer Kumulation
kontrollierendes Verhalten münden, das vorliegenden von Stressoren kommt. Frauen mit der Diagnose einer
Befunden zufolge klar kontraproduktiv ist. Hingegen schweren psychischen Störung (z. B. endogene Depression,
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass medikamentös gut ein- Schizophrenie, Borderline-Persönlichkeitsstörung, anti-
gestellte Kinder die verordnete Diät und Insulintherapie soziale Persönlichkeit) haben häufiger einen eben-
konsequent einhalten, wenn sie in einem fürsorglichen falls psychisch gestörten Partner, bekommen ihr erstes
Elternhaus aufwachsen, in dem offen über die Probleme Kind meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt, haben
und Belange der Familienmitglieder gesprochen wird, häufig mehrere Kinder, kämpfen mit großen finanziellen
elterliche Anweisungen aber auch situationsangemessen Problemen und sind mit größerer Wahrscheinlichkeit
und konsequent durchgesetzt werden (Davis et al. 2001; alleinerziehend oder führen eine Beziehung, die durch
Hanson et al. 1998). Darüber hinaus hat sich eine hohe Ehe- anhaltende Konflikte und Gewalt gekennzeichnet ist.
zufriedenheit als prognostisch bedeutsam für ein effektives Zwar scheinen gerade psychisch gestörte Frauen die
„Krankheitsmanagement“ erwiesen. Mutterrolle als befriedigend und bereichernd zu erleben
und sich motivierter zu fühlen, mit ihrer Krankheit ein-
Erkrankungen der Eltern hergehende Probleme zu bewältigen. Gleichwohl deuten
Den Auswirkungen einer körperlichen Erkrankung von Vergleichsstudien (meist an depressiven und gesunden
Eltern wurde besonders häufig in Studien an Familien mit Müttern) darauf hin, dass die Erziehungskompetenz
einer an Krebs erkrankten Mutter nachgegangen. Obwohl psychisch gestörter Eltern im Regelfall beeinträchtigt ist
eine solche Erkrankung durchaus mehr oder weniger (z. B. Johnson et al. 2006). Bereits im Kleinstkindalter zeigt
erhebliche chronische Langzeitfolgen nach sich ziehen sich, dass an einer psychischen Störung leidende Mütter
kann, ist bislang kaum etwas über das Befinden der (in im Umgang mit einem Säugling weniger responsiv und
unserer alternden Gesellschaft vermutlich nicht unerheb- emotional ansprechbar sind und eher dazu tendieren,
lichen und steigenden Zahl) von Kindern und Jugendlichen Sorgen rund um die Pflege des Kindes zu verdrängen. Im
bekannt, die in die Pflege kranker Elternteile einbezogen Umgang mit dem Kleinkind scheint es ihnen schwerer zu
sind (zu Art und Umfang der geleisteten Hilfen durch fallen, zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen ihres
Kinder s. Metzing et al. 2006). Kindes zu trennen und konsequent aufzutreten. Gleich-
Familie
257 10
zeitig sind vermehrt negativ gefärbte oder unempathische in Deutschland sinkt oder steigt. Legt man die Daten des
Eltern-Kind-Interaktionen zu beobachten. Nach Schul- Mikrozensus und des SOEP zugrunde, dann hat sich die
eintritt zeigen sich psychisch gestörte Mütter weniger gesamtgesellschaftliche Einkommensverteilung zulasten
engagiert und unterstützend, wobei die betroffenen Kinder von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen ver-
von den Müttern selbst aber auch von Lehrern häufiger als schoben. Besonders betroffen sind dabei – nach wie vor –
verhaltensauffällig beschrieben werden. Die Schwere der Kinder und Jugendliche in Familien mit mindestens einem
mütterlichen Symptomatik korreliert dabei signifikant mit arbeitslosen Elternteil und/oder formal gering gebildeten
der Frustrationstoleranz des Kindes und dessen Bereit- Eltern, Kinder in Ein-Elternteil-Familien und/oder kinder-
schaft und Fähigkeit, Aufgaben motiviert und andauernd reichen Familien sowie Kinder mit Migrationshinter-
zu bearbeiten. Diese kindlichen Probleme wiederum sind grund. Für Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern
in engem Zusammenhang damit zu sehen, dass kranke fällt die Armutsrisikoquote besonders hoch aus (Bundes-
Mütter häufiger Verhaltensprobleme aufseiten des Kindes ministerium für Arbeit und Soziales [BMAS] 2018a, S. 112).
überbetonen, unrealistische Erwartungen an die Leistungs- Ausschlaggebend hierfür ist, dass sich die Arbeitsmarkt-
fähigkeit ihrer Kinder hegen, seltener eine anregungs- situation für Alleinerziehende mit mehreren Kindern
reiche Umgebung bereitstellen und bei Konflikten (z. B. im schwierig gestaltet und sie nicht nur häufiger auf staat-
Zusammenhang mit Hausaufgaben) seltener in der Lage liche Unterstützung (Arbeitslosengeld II) angewiesen
sind, die eigenen Emotionen konstruktiv zu regulieren. sind, sondern auch länger im Hilfebezug bleiben als
Die skizzierten Unterschiede zwischen kranken und ­Zwei-Eltern-Familien.
gesunden Müttern werden meist geringer, wenn der Effekt Die Armutsrisikoquote von Menschen mit Migrations-
soziodemografischer Faktoren auspartialisiert wird, lassen hintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit
sich statistisch aber auch dann noch absichern. Inner- schließlich ist doppelt so hoch wie die von Personen ohne
halb der Gruppe der kranken Mütter beobachtbare Unter- Migrationshintergrund. Umgekehrt heißt das, dass lediglich
schiede gehen dahin, dass eine unsichere Bindung vor allem 26 % der Armen in Deutschland zugewanderte Menschen
dann entsteht, wenn die Erkrankung der Mutter bereits sind (Der Paritätische Gesamtverband 2018). Auffällig ist,
vor der Geburt zum Ausbruch kam, wenn die Erkrankung dass mit gesunkenen Löhnen bzw. der Erweiterung des
besonders ungünstig verlief und wiederholte stationäre Niedriglohnsektors im Zuge der Wirtschaftskrise der Anteil
Behandlungen erforderlich wurden, und wenn es sich um der „working poor“ gestiegen ist, also jener Menschen,
alleinerziehende Mütter handelte, der Vater also nicht die trotz Erwerbstätigkeit nicht die Armutsschwelle über-
krankheitsbedingte Beeinträchtigungen abfedern konnte. winden.

Definition
10.3.3  Armut und Arbeitslosigkeit Dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2018)
Zu Beginn dieses Kapitels wurde die Bedeutung sozialer zufolge kann Armut „im Wesentlichen als ein Mangel
Disparitäten insbesondere für die Teilhabechancen an Mitteln und Möglichkeiten verstanden (werden), das
von Kindern und Jugendlichen im Bildungssystem Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer
angesprochen. An dieser Stelle werden die Auswirkungen Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch
von Armut und Arbeitslosigkeit der Eltern auf die Ent- erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist“ (BMAS
wicklung von Kindern und Jugendlichen näher betrachtet. 2018a, S. 8).
Diese Aussage hebt nicht auf ein fixes
Facetten von Armut Einkommensniveau ab, das minimal notwendig ist, um
Die Fragen, welche Bevölkerungsgruppen besonders häufig eine Familie mit Nahrung, Unterkunft, Kleidung sowie
von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind, welche medizinisch zu versorgen (absolute Armut). Vielmehr
Risikofaktoren hierfür ausschlaggebend sind und vor allem: wird betont, dass es um die Absicherung der Teilhabe
welche Folgen dies für die Entwicklung betroffener Kinder am gesellschaftlichen Leben geht und die hierzu
und Jugendliche hat, umreißen ein Thema, das seit gut erforderlichen Mittel u. a. in Relation zu dem jeweiligen
30 Jahren die hiesige Sozialisationsforschung beschäftigt. Wohlstand einer Gesellschaft abzuschätzen sind.
Unter dem Schlagwort der „Infantilisierung der Armut“ Dementsprechend wird in vielen Studien die relative
war Ende der 1980er-Jahre deutlich geworden, dass in Einkommensarmut betrachtet, wobei als Referenzgröße
Deutschland vor allem Kinder, und insbesondere junge das mittlere Einkommen einer betrachteten
Kinder vor dem Schuleintritt, ein erhöhtes Armutsrisiko Gesellschaft herangezogen wird. Als arm gilt hierbei,
haben. Zahlreiche Studien haben sich in der Folgezeit dieses wer über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen
Themas angenommen (z. B. Holz und Hock 2006; Walper bedarfsgewichteten Netto-Äquivalenzeinkommens
und Kruse 2008; Tophoven et al. 2017, 2018). verfügt.
Wie viele und welche Familien von Armut betroffen Häufiger wird in der Literatur auch auf die
sind, hängt davon ab, wie Armut gefasst wird (Definition). Armutsrisikoquote (60 % des
So ist auch umstritten, ob die Armutsrisikoquote für Kinder
258 E. Wild und S. Walper

­durchschnittlichen Netto-Äquivalenzeinkommens) nicht nur dann zu konstatieren, wenn Mitglieder einer


Bezug genommen. Diese verharrt trotz der Gesellschaft unter Bedingungen leben (müssen), die ihre
guten wirtschaftlichen Lage und der deutlichen seelische oder physische Gesundheit bedrohen. Ungleich-
Beschäftigungszuwächse seit dem Jahr 2005 in etwa heit liegt vielmehr auch dann vor, wenn Personen in unter-
auf gleichem Niveau (BMAS 2018b). Bei der Ermittlung schiedlichem Maße darin unterstützt beziehungsweise daran
des bedarfsgewichteten Äquivalenzeinkommens wird gehindert werden, begründete Zielvorstellungen für das
das Netto-Haushaltseinkommen so in ein Pro-Kopf- eigene Leben zu entwickeln, zu formulieren und nachhaltig
Einkommen umgerechnet, dass der wirtschaftliche zu verfolgen.
Vorteil von Mehrpersonenhaushalten gegenüber Die analytische und sozialpolitische Tragweite einer
Einpersonenhaushalten und der unterschiedliche Bedarf solchen Konzeptualisierung wird in Studien deutlich, die
von Erwachsenen und Kindern berücksichtigt wird. für den Armuts- und Reichtumsbericht erstellt worden sind.
So liegt beispielsweise auf Basis der SOEP-Daten die Legt man das traditionelle Kriterium monetärer Armut
Armutsschwelle für Alleinerziehende mit 2 Kindern unter zugrunde, können 16,8 % der Bevölkerung als benachteiligt
14 Jahren bei 1738 €/Monat. gelten, da sie über weniger als 60 % des Median-Ein-
Im 5. Armuts- und Reichtumsbericht wird ein weiterer kommens verfügen. Wird aber – wie im Armuts- und
Indikator zur „materiellen Deprivation“ oder Reichtumsbericht – ein Mangel an nichtfinanziellen
„materiellen Entbehrung“ betrachtet (BMAS 2018b). individuellen und gesellschaftlichen Verwirklichungs-
Dieser geht von einem festgelegten Katalog von chancen (z. B. Gesundheit, Bildung, Zugang zum Gesund-
Gütern und Aktivitäten aus, die den durchschnittlichen heitssystem und zu angemessenem Wohnraum) als
Lebensstandard kennzeichnen, und misst, inwieweit Kriterium gewählt, kommt man zu einem Anteil von knapp
sich Personen diese als üblich geltenden Güter und 40 % aller Bürgerinnen und Bürger, die von einer deutlichen
Aktivitäten nicht leisten können, wer also unfreiwillig Einschränkung betroffen sind, obwohl sie nicht den monetär
10 Abstriche etwa beim Autobesitz, bei Urlauben oder beim Armen zuzurechnen sind (vgl. Arndt et al. 2006).
Beheizen der Wohnung machen muss. In diesem Sinne
überdurchschnittlich häufig von erheblichen materiellen Armut als Stressor für Eltern und Kinder
Entbehrungen betroffen sind Arbeitslose (rund 30 %), Einkommensarmut bedeutet zunächst vor allem tagtäg-
Alleinerziehende (rund 11 %), Alleinlebende (rund 10 %) lich spürbare Einschränkungen. In der Längsschnitt-
und Personen mit niedrigem Bildungsgrad (9 %). studie „Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung“ (PASS,
Tophoven et al. 2018, S. 12) werden 23 Deprivations-
aspekte erhoben, die fünf Bereiche (Wohnung, Nahrung
Die oben skizzierten Ansätze zur Bestimmung von und Kleidung, Konsumgüter, Finanzen sowie soziale und
Armut nehmen mehr oder weniger vielfältige Aspekte der kulturelle Teilhabe) abdecken. Eine unzureichende Grund-
jeweiligen Lebenslage von Menschen und Familien in den versorgung wird hier beispielsweise daran festgemacht, dass
Blick, fokussieren jedoch insbesondere auf die Erwerbs- man nicht in einer Wohnung ohne feuchte Wände oder
situation, die jeweiligen Bildungsressourcen, die Wohn- Fußböden wohnt, nicht mindestens einmal täglich eine
situation und vielfach auch die gesundheitliche Situation warme Mahlzeit hat oder Behandlungen nicht in Anspruch
und soziale Einbindung (s. Walper und Kruse 2008). nehmen kann, die von der Krankenkasse nicht voll-
Um einen im Vergleich dazu noch breiter gefassten ständig bezahlt werden (wie Zahnersatz, Brille). Darüber
Ansatz handelt es sich bei dem sogenannten Capability hinaus bringt Armut vielfach auch Existenzängste, Selbst-
Approach (CA), der von dem Nobelpreisträger für Öko- zweifel, Depression, soziale Schamgefühle und nicht zuletzt
nomie Amartya Sen und der Philosophin Martha Nussbaum Konfliktpotenzial in den alltäglichen Interaktionen mit sich
entwickelt wurde. Aus dessen Perspektive ist Chancen- (z. B. Petterson und Albers 2001; Salentin 2002; Wadsworth
gleichheit – grob gefasst – als Gleichheit zentraler, für und Compas 2002). Entsprechend lässt sich dieser Bereich
wertvoll erachteter Chancen der Verwirklichung von Wohl- familialer Belastungslagen ebenfalls stresstheoretisch
ergehen zu fassen und Chancenungleichheit entsprechend betrachten: Armut ist demnach ein zentraler Stressor, der
als ein Mangel an Verwirklichungschancen. Das Konzept das Familienleben auf vielfältige Weise beeinflusst und
der Verwirklichungschancen wiederum verweist auf ein die Bewältigungsmöglichkeiten betroffener Familie stark
breites Spektrum an qualitativ unterschiedlichen Zuständen beansprucht (Conger et al. 2010). Dennoch können auch
und Handlungen, die Menschen für sich anstreben und ver- hier die Folgen für die betroffenen Eltern und Kinder je
wirklichen können. Diese werden im CA entlang der beiden nach verfügbaren Ressourcen im materiellen, persönlichen
Dimensionen „Well-being“ und „Agency“ eingeordnet. und sozialen Bereich variieren (Garmezy 1991).
Hierbei bezieht sich Well-being auf die Chance auf Wohl- Hinsichtlich des Belastungspotenzials von
befinden, seelische Gesundheit und persönliches Wachstum, (Einkommens-)Armut für betroffene Familien hat sich
­
während Agency auf die Herausbildung von Handlungs- vielfach gezeigt, dass die erforderlichen finanziellen Ein-
befähigung und psychologischer Autonomie abhebt – also schränkungen und ökonomischen Unsicherheiten auch
auf die Gewährung und Nutzung von Gestaltungs- und Ent- vermehrte Sorgen und psychische Belastungen der Eltern
scheidungsfreiräumen. Entsprechend ist Benachteiligung wahrscheinlich machen, die das Familienklima über-
Familie
259 10
schatten und sich in Beeinträchtigungen der familialen 2009). So ist es wenig verwunderlich, dass sich dauer-
Beziehungen und Interaktionen niederschlagen (Conger hafte Armut als besonders belastend für betroffene Kinder
et al. 2010; Walper und Fiedrich 2017). Dies betrifft erwiesen hat (z. B. Bolger et al. 1995).
sowohl die elterliche Partnerschaft – sofern es sich um Jenseits des Familienzusammenhangs machen öko-
eine ­ Zwei-Eltern-Familie handelt – als auch das elter- nomisch deprivierte Kinder und Jugendliche oftmals auch
liche Erziehungsverhalten, das weniger aufmerksam und im weiteren sozialen Kontext weniger positive und mehr
zugewandt, vielfach auch schroffer und strafender wird (vgl. negative Erfahrungen. Speziell Heranwachsende, die dauer-
Walper und Kruse 2008). Wie Glen Elder und Rand Conger haft arm sind, gehören seltener einem Verein an, besuchen
in ihren Arbeiten zeigen konnten, ist hierbei der finanzielle seltener eine kulturelle Veranstaltung und verbringen deut-
Druck in der Haushaltsführung ausschlaggebend (Conger lich weniger Zeit mit ihrer Familie und ihren Freunden
et al. 2000; Elder et al. 1992): Objektive sozioökonomische (Tophoven et al. 2018). In der Gruppe der Gleichaltrigen
Härten führen zunächst zu erhöhtem finanziellem Druck, sind sie zudem weniger eingebunden beziehungsweise
der sich in notwendigem Verzicht oder unbezahlten werden von diesen weniger akzeptiert und fühlen sich
Rechnungen in der alltäglichen Haushaltsführung bemerk- häufiger einsam (Bolger et al. 1995; Klocke 1996; Walper
bar macht. Dieser Druck unterminiert wiederum die et al. 2001). Gleichaltrige bieten somit keineswegs immer
psychischen Ressourcen der Eltern, provoziert bei Paaren einen solidarischen Ausgleich, der häusliche Belastungen
mehr Unzufriedenheit und Unstimmigkeiten, geht mit wettmacht, sondern können im Gegenteil die Probleme
Konflikten um unerfüllbare Wünsche der Kinder einher verschärfen. Denn Erfahrungen sozialer Ausgrenzung
(Conger et al. 1994) und belastet auf diesem Weg auch das durch Gleichaltrige untergraben das Selbstwertgefühl
Erziehungsverhalten (vgl. auch Walper und Fiedrich 2017). betroffener Kinder und Jugendlicher und erhöhen deren
Die elterliche Feinfühligkeit gegenüber kindlichen Bedürf- Depressivität (Walper et al. 2001). Hinzu kommen weitere
nissen wird geringer, ebenso die liebevolle Zuwendung Stressoren, mit denen Kinder, die in Armut aufwachsen,
und achtsame Überwachung kindlicher Aktivitäten und häufiger konfrontiert sind. Neben physischen Kontext-
Belange, Strategien der Machtdurchsetzung nehmen hin- bedingungen (unangemessene Wohnbedingungen, Lärm,
gegen zu und zwar vor allem, wenn die Eltern wenig Crowding) können dies beispielsweise frühe Trennungen
soziale Unterstützung wahrnehmen (z. B. Hashima und oder Gewalt in der Nachbarschaft sein (Evans und English
Amato 1994). Dazu kommt, dass finanziell bedingter 2002). Diese Stressbedingungen scheinen zu erhöhten
Stress dazu beiträgt, dass der Blick der Eltern auf ihre psychischen Belastungen, physiologischen Stressreaktionen
Kinder kritischer ausfällt und das Verhalten der Kinder und den größeren Selbstregulationsschwierigkeiten von
mehr negative Einschätzungen und Emotionen der Eltern betroffenen Kindern beizutragen. In diesem Zusammen-
hervorruft (Pinderhughes et al. 2000). Damit wird zusätz- hang konnten in einer Studie, die Bewältigungsstrategien
lich die Wahrscheinlichkeit eines entwicklungsförder- von Jugendlichen in Armut untersuchte, zwei hilfreiche
lichen Erziehungsstils, wie er im oben behandelten Konzept Arten von Problembewältigung aufgezeigt werden. Es
autoritativer Erziehung angesprochen wird, geringer. handelt sich um Kontrollstrategien, die sich entweder auf
Vor allem solche psychosozialen Folgewirkungen eine aktive Veränderung der Situation (primäre Kontrolle)
finanzieller Knappheit sind letztlich ausschlaggebend oder auf eine veränderte Wahrnehmung und Deutung der
für Beeinträchtigungen der Befindlichkeit und erhöhtes Situation (sekundäre Kontrolle) beziehen (Wadsworth
Problemverhalten bei Kindern aus deprivierten Familien und Compas 2002). Jugendliche mit hohen Belastungs-
(Conger et al. 1997; NICHD-Early Child Care Net- faktoren im Familienkontext (vor allem bei vermehrten
work 2005; Pinderhughe et al. 2000). In einer Reihe von Familienkonflikten im Kontext finanzieller Härten)
Studien konnte gezeigt werden, dass die beeinträchtigende griffen weniger auf diese Strategien zurück und zeigten ein
Wirkung von Einkommenseinbußen, materiellen Sorgen eher dysfunktionales vermeidendes Coping beziehungs-
oder auch dem drohenden Verlust des Arbeitsplatzes weit- weise Rückzug (Disengagement). Die Coping-Strategien
gehend über innerfamiliale Prozesse, namentlich die der Jugendlichen mediierten dabei den Zusammenhang
psychische Befindlichkeit der Eltern, deren Erziehungs- zwischen familialen Belastungen und der Befindlichkeit der
verhalten und Schulengagement sowie die Qualität der Jugendlichen.
Eltern-Kind-Beziehung, vermittelt wird (Whitbeck et al.
­
1997; Lempers und Clark-Lempers 1997; Gutman und Armut und Bildung
Eccles 1999). Auch Befunde aus deutschen Studien konnten Studien aus unterschiedlichen Ländern belegen seit
dies bestätigen (Walper et al. 2001; Walper und Fiedrich vielen Jahren, dass die schulischen Leistungen, Bildungs-
2017) und weisen darauf hin, dass Armutserfahrungen abschlüsse und Schul- beziehungsweise Berufsab-
durchaus langfristig wirksam sind und selbst bei einer Ver- schlussvorstellungen Heranwachsender eng mit dem
besserung der finanziellen Lage wirksam bleiben können. elterlichen Einkommen, Beruf und Bildungsniveau der
Entsprechendes erbrachte eine Längsschnittstudie, der Eltern kovariieren (zusf. Conger und Dogan 2007; Hoover-
zufolge Jugendliche noch sechs Jahre, nachdem sie eine Dempsey et al. 2001; Wild et al. 2001; Wild und Hofer
Verknappung in der Haushaltsführung berichtet hatten, 2002). In diesem Zusammenhang ist – gegenwärtige oder
Einschränkungen in ihrer Befindlichkeit erlebten (Walper frühere – Armut ein zentraler Faktor, der Risiken für die
260 E. Wild und S. Walper

Leistungsentwicklung und Bildungsbiografie birgt (Davis- geboten entscheidend sind. Diese primären Disparitäten
Kean 2005; Entwisle und Alexander 1996), weil für den werden verschärft durch sekundäre Disparitäten, das
Lernerfolg relevante Kompetenzen unzureichend aus- heißt von der Kompetenz unabhängige Ungleichheiten in
gebildet werden. Tatsächlich scheinen Nachteile im Bereich den Bildungschancen. Sekundäre Disparitäten entstehen,
kognitiver Fähigkeiten und des schulischen sowie beruf- weil sozioökonomische Ressourcen der Eltern nicht nur
lichen Erfolgs sogar weitaus gravierender auszufallen als die schulischen Kompetenzen der Kinder beeinflussen,
Nachteile in anderen Entwicklungsbereichen (Duncan sondern auch unabhängig hiervon in die Notengebung,
und ­Brooks-Gunn 1997; Petterson und Albers 2001). So die Übertrittsempfehlungen und vor allem die Schulwahl-
erweisen sich mangelnde sozioökonomische Ressourcen entscheidungen der Eltern am Ende der Grundschule
der Familie bei der Sprachentwicklung der Kinder als deut- einfließen (Ditton 2004). Im deutschen Bildungssystem, das
licher Nachteil (Hoff-Ginsberg 2000) und die Intelligenz- eine Zuweisung zu unterschiedlichen Schulzweigen bereits
entwicklung von Kindern aus einkommensarmen Familien in der vierten Klasse vorsieht, kommt solchen sekundären
liegt – selbst bei Kontrolle potenzieller Drittvariablen Herkunftseffekten vergleichsweise großes Gewicht zu
(perinatale Probleme, Geburtsgewicht, chronische Krank- (Ditton 2007a). Zwar folgen auch Eltern mit geringeren
heiten) – bereits vor dem vierten Lebensjahr deutlich unter sozioökonomischen Ressourcen häufig der von der Grund-
der Norm (Mackner et al. 2003). Im Alter von fünf Jahren schule ausgestellten Gymnasialempfehlung. Eltern mit
zeigen sich zudem stärkere Effekte dauerhafter statt zeit- höheren sozioökonomischen Ressourcen zeigen jedoch
begrenzter Armut (Duncan et al. 1994), wobei Nachteile auch ohne Gymnasialempfehlung deutliche Präferenzen für
für die kognitive Entwicklung bei wiederkehrender oder einen Gymnasialabschluss ihrer Kinder und wissen diese
dauerhafter Armut in den ersten Lebensjahren deutlich Vorstellung umzusetzen (zusf. Maaz et al. 2010). Ausschlag-
gravierender ausfallen als Effekte von Trennungen und gebend hierfür dürften nicht unterschiedliche Erwartungen
neuen Partnerschaften der Eltern (Schoon et al. 2012). an die Nützlichkeit eines höheren Schulabschlusses sein, da
10 Internationale Vergleichsstudien, wie die ­PISA-Studie, sich Eltern in dieser Hinsicht weitgehend einig sind (Ditton
ergänzen dieses Bild, indem sie fortlaufend über die Zeit 2007b). Wohl aber sind schichtabhängige Unterschiede in
und auch über Bildungssysteme hinweg analysieren, wie den antizipierten Erfolgschancen des eigenen Kindes zu
stark zentrale Kulturtechniken (wie die Lesekompetenz) beobachten und auch die Fähigkeit, als Eltern die jeweils
vom sozioökonomischen Hintergrund der Familien beein- nötigen Ressourcen bereitzustellen, ist in privilegierten
flusst werden. Hierbei zeigt sich zwar, dass Schüler aus Familien erwartungsgemäß höher (vgl. 7 Abschn. 10.3.3).
benachteiligten Elternhäusern in der PISA-Erhebung 2015 Angesichts dieser Befunde kann die Stärkung des Eltern-
deutlich besser abschneiden als noch in der ersten Erhebung willens beim Übertritt durchaus kritisch gesehen werden.
im Jahr 2000 (OECD 2018). Dennoch bestehen in vielen Ohne eine intensive Beratung der Eltern werden für einige
Ländern ungleiche Bildungschancen. So gilt in den meisten Schüler Bildungschancen ungenutzt bleiben, während
Ländern, dass Kinder aus den ärmsten Familien seltener andere Kinder vor der Aufgabe stehen, den überhöhten
eine Kindertageseinrichtung und eine weiterführende Schule Erwartungen ihrer Eltern gerecht werden zu müssen.
besuchen, und in Ländern mit hohen Migrationsraten Insgesamt unterstreichen diese Befunde die Rolle der
15-jährige Schüler der ersten Generation zugewanderter Familie als primäre Sozialisations- und Bildungsinstanz
Familien niedrigere Kompetenzwerte erreichen. Eine und lassen verständlich werden, warum Kinder aus sozial
hohe Wirtschaftskraft garantiert hierbei keineswegs eine privilegierten Elternhäusern die schulische und beruf-
Angleichung der Bildungschancen. Deutschland liegt dies- liche Laufbahn meist erfolgreicher durchlaufen. Allerdings
bezüglich in einer Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, macht die in PISA konstatierte enorme transkulturelle
an der 29 europäische Länder teilnahmen, lediglich im Variabilität des Zusammenhangs zwischen Soziallage und
unteren Mittelfeld (UNICEF 2018). Gesellschaftlicher Kompetenz deutlich, dass der Effekt sozioökonomischer
Wohlstand ermöglicht also, wie in Deutschland, die Bereit- Faktoren nicht allein durch Drittvariablen wie Intelligenz
stellung von staatlichen Maßnahmen und Sozialleistungen, oder Persönlichkeitsmerkmale von Eltern erklärt werden
die Armutslagen abmildern können, garantiert dennoch kann, die genetisch (mit-)bestimmt sind (zusf. Plomin et al.
keine Chancengleichheit. Zudem gelingt den einzelnen 1999) und sich in den Bildungsverläufen der Eltern- und
Ländern bzw. Bildungssystemen die Minderung sozial Kindergeneration widerspiegeln. Vielmehr sind es (auch)
bedingter Leistungsunterschiede nicht in allen Bildungs- Merkmale des Bildungssystems, die herkunftsbedingte
phasen gleichermaßen. So liegen nach den Befunden der Disparitäten nivellieren oder verstärken. Eine im Auftrag
­UNICEF-Studie Litauen, Island und Frankreich in der früh- der Vodafone-Stiftung durchgeführte Sonderauswertung
kindlichen Förderung vorn, im Grundschulbereich sind es der PISA-Daten von 2015 zielte in diesem Sinne auf die
die Niederlande, Lettland und Finnland und bei 15-jährigen Identifikation von Faktoren, die zu einer Entkopplung
schließlich ist die Chancengleichheit am stärksten in Lett- von sozialer Herkunft und Schulerfolg beitragen (OECD
land, Irland und Spanien ausgeprägt. 2018). Dazu wurden Informationen über 15-Jährige ana-
Hierzulande sind, wie schon erwähnt, bereits zum Zeit- lysiert, die gute Kompetenzwerte erzielen obwohl sie aus
punkt der Einschulung Ungleichheiten in den kindlichen benachteiligten Familien kommen. Für die Entwicklung
Kompetenzen sichtbar, die für den Zugang zu Bildungsan- dieser „widerstandsfähigen“ (resilienten) Schüler war ent-
Familie
261 10
scheidend: der gemeinsame Unterricht mit bessergestellten
Schülern, eine gute Klassenführung, Aktivitäten jenseits des dass neben bildungsaffinen Werthaltungen und
Unterrichts (im Ganztag), ein positives Schulklima, eine positiven Einschätzungen der kindlichen Leistungs-
geringe Fluktuation bei den Lehrkräften und charismatische fähigkeit durch die Eltern vor allem gemeinsame
Schulleiter. lernrelevante Aktivitäten und eine qualitätsvolle
Ausgestaltung elterlicher Hilfen zielführend sind. Je
mehr Eltern Interesse an schulischen Inhalten und
Fazit an den schulischen Erfahrungen ihrer Kinder zum
Die Ausführungen in diesem Kapitel sollten Ausdruck bringen, diesen klare Leistungserwartungen
verdeutlichen, dass sich die Anforderungen an Eltern und Standards vermitteln, die kindliche Zuversicht
(und deren Kinder) im Verlauf der Familienkarriere in die eigene Leistungsfähigkeit stärken, emotionale
stetig verändern und das der Familie innewohnende Unterstützung bei der Bewältigung von Misserfolgen
Potenzial nur dann ausgeschöpft wird, wenn die leisten und die Herausbildung von Selbstregulations-
­Eltern-Kind-Interaktion auf die altersabhängigen kompetenzen fördern, umso eher ermöglichen sie ihren
Bedürfnisse des Nachwuchses und die Fähigkeiten des Kindern ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Lernen.
einzelnen Kindes abgestellt wird. Diese Idee steht daher Die wenigen wissenschaftlich fundierten Ratgeber
auch – mehr oder weniger ausdrücklich – im Zentrum und Trainings, die auf den elterlichen Umgang mit
vorliegender Trainings zur Steigerung der elterlichen schulischen Belangen fokussieren (Rammert und Wild
Erziehungskompetenz (zusf. Wiss. Beirat 2005; Tschöpe- 2007; Niggli et al. 2009; McElvany und Artelt 2009;
Scheffler 2006). Otto 2009), setzen diese Erkenntnisse in praktische
Mit dem innerfamilialen Sozialisationsgeschehen ist Anleitungen um.
eine entscheidende „Stellgröße“ für die kindliche Beeinträchtigungen in der elterlichen Erziehungs-
Persönlichkeitsentwicklung angesprochen. Daraus im kompetenz werden wahrscheinlicher, wenn
Umkehrschluss abzuleiten, dass den Eltern grundsätzlich Familien mit unvermittelten Schicksalsschlägen (z. B.
die Verantwortung für kindliche Fehlentwicklungen Erkrankung eines Familienmitglieds oder plötzliche
zuzuschreiben ist, ist gleichwohl unzulässig. Ein solch Arbeitslosigkeit) oder mit Krisen (z. B. Trennung/
deterministisches Verständnis verkennt nicht nur die Scheidung, fortdauernde ökonomische Deprivation)
Rolle von Erbanlagen, kindlichen Selbstsozialisations- konfrontiert sind. Aus systemischer Sicht werden in allen
prozessen jenseits der Familie und bidirektionalen diesen Fällen Anpassungsleistungen erforderlich, die
Wirkungen der Eltern-Kind-Interaktion. Es lenkt vielmehr zumindest vorübergehend das Erleben und Verhalten
auch von der Tatsache ab, dass Beeinträchtigungen der Betroffenen beeinträchtigen können. Ob eine Krise
in den Familienbeziehungen häufig auf belastende erfolgreich gemeistert wird oder langfristige negative
Lebenslagen und kritische Lebensereignisse Folgen insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung
zurückgehen und viele unverschuldet in eine Krise der betroffenen Kinder nach sich zieht, hängt dabei
gestürzte Eltern dennoch bemüht sind, ihr Kind wesentlich von den jeweils verfügbaren (personalen
bestmöglich zu begleiten. und sozialen) Ressourcen der Familie beziehungsweise
Was eine „gute Erziehung“ ausmacht, lässt sich vor ihrer Mitglieder ab. Gleichwohl sind Familien vielfach
dem Hintergrund der inzwischen über 50 Jahre hinweg auf Unterstützung in herausforderungsreichen
betriebenen Erziehungsstilforschung dahin gehend Situationen angewiesen. Hierzu vorliegende Angebote
beantworten, dass eine störungsfreie Persönlich- können auf spezifische Probleme und Adressaten
keitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gerichtet oder eher allgemein präventiver Natur sein
umso wahrscheinlicher wird, je mehr Eltern die für (7 Kap. 18). Beide Ansätze finden sich beispielsweise in
einen autoritativen Erziehungsstil charakteristischen den Programmen der Frühprävention für Familien ab
Verhaltensweisen zeigen. So ist es positiv zu bewerten, der Schwangerschaft bis zum Kindergartenalter, die im
dass die Voraussetzungen für die Realisierung eines Rahmen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)
solchen, durchaus anspruchsvollen Erziehungsstils im Auftrag des BMFSFJ auf den Weg gebracht wurden
heute in vielerlei Hinsicht besonders günstig sind. (Sann 2012; s. auch 7 http://www.nzfh.de). Zentral ist
Besorgniserregend sind gleichwohl die nach wie vor hierbei das Anliegen, die Entwicklungschancen für
hohe Zahl von in Armut lebenden Kindern und der Kinder durch eine möglichst wirksame Vernetzung
Erwartungsdruck, unter dem immer mehr Eltern stehen von Hilfen des Gesundheitswesens und der Kinder-
beziehungsweise unter den sie sich selbst stellen. und Jugendhilfe zu verbessern und sie früher und
Nicht zuletzt Befunde der Armuts- und Ungleichheits- besser vor möglichen Gefährdungen zu schützen.
forschung unterstreichen, wie stark das Elternhaus die Aber auch in allen nachfolgenden Phasen können
psychosoziale, intellektuelle und schulische Entwicklung Fragen und Probleme auftreten, die den Rückgriff
der Kinder beeinflusst. Mit Blick auf die Rolle der Familie auf professionelle Hilfe sinnvoll machen. Im Fall einer
als einer bedeutsamen Lernumgebung ist festzuhalten, Trennung/Scheidung der Eltern etwa kann auf ein
262 E. Wild und S. Walper

Andresen, S., Neumann, S., & Public, K. (2018). Vierte World Vision
differenziertes Angebot an Beratung, Mediation, Kinderstudie. Weinheim: Beltz.
aber auch Kursen zurückgegriffen werden (Walper Annunziato, R. A., Rakotomihamina, V., & Rubacka, J. (2007). Examining
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wichtige Ansprechpartner. Leider sind die Hürden bei Das Konzept der Verwirklichungschancen (A. Sen). Empirische
der Inanspruchnahme professioneller Angebote für Operationalisierung im Rahmen der Armuts- und Reichtums-
messung. Machbarkeitsstudie (Endbericht). Bundesministerium
viele Familien aber immer noch hoch. Um ein möglichst für Arbeit und Soziales.
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10
269 11

Lehrkräfte
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker

11.1  Merkmale des Lehrerberufs – 270


11.1.1  Die Rolle von Lehrkräften: Anforderungen und Erwartungen – 270
11.1.2  Lehrkräfte als Thema in der Pädagogischen Psychologie: Klassische
Themen und neuere Trends – 271

11.2  Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen – 272


11.2.1  Wissen – 272
11.2.2  Überzeugungen und Erwartungen – 274

11.3  Motivationale Merkmale – 278


11.3.1  Berufswahlmotive – 279
11.3.2  Enthusiasmus – 279
11.3.3  Zielorientierungen – 280

11.4  Emotionale Merkmale – 280


11.4.1  Vielfältige Emotionen und wie Lehrkräfte damit umgehen – 280
11.4.2  Beanspruchungserleben – 281

11.5  Lerngelegenheiten für (angehende) Lehrkräfte – 282


11.5.1  Das Lehramtsstudium – 282
11.5.2  Einstieg in die Praxis: Der Vorbereitungsdienst – 283
11.5.3  Fortbildungen im Beruf – 283

Literatur – 285

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_11
270 M. Kunter et al.

Lehrkräfte sind zentrale Akteure im Bildungssystem. Dass diversen praktischen Einschränkungen (Lortie 1975). In
sie einen substanziellen Einfluss auf das Lernen und die ihrer Haupttätigkeit, dem Unterrichten, stehen Lehrkräfte
Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler haben können, vor der Herausforderung, Schülerinnen und Schüler dazu
ist auch aus empirischer Sicht unstrittig (Hattie 2009). zu bewegen, sich aktiv mit Themen auseinanderzusetzen
Forschung zum „Lehrereffekt“ zeigt, dass Schülerinnen und und anstrengende Lerntätigkeiten vorzunehmen, die die
Schüler auch bei gleichen persönlichen Voraussetzungen Lernenden typischerweise nicht freiwillig gewählt haben.
innerhalb einer Schule systematische Unterschiede in ihren Auch wenn jede einzelne Schülerin bzw. jeder einzelne
Leistungsentwicklungen zeigen, je nachdem, von welcher Schüler dabei individuell zu fördern ist, findet diese Inter-
Person sie unterrichtet werden (Byrne et al. 2010). Warum aktion normalerweise in einer Gruppe statt. Auf die Lehr-
jedoch manche Lehrkräfte erfolgreicher als andere sind und kraft kommt somit die Aufgabe zu, diese Gruppe zu ordnen
welche persönlichen Voraussetzungen dies bestimmen, ist und so zu organisieren, dass Lernen überhaupt möglich wird:
eine wichtige psychologische Fragestellung und soll im vor- Die vielen simultan ablaufenden Ereignisse erfordern Auf-
liegenden Kapitel näher betrachtet werden. Das Anliegen merksamkeit und Konzentration, da oftmals schnelle Ent-
dieses Kapitels ist es, zu zeigen, wie die Pädagogische scheidungen zu treffen sind, ohne dabei die ursprünglichen
Psychologie dazu beigetragen hat, Lehrerinnen und Lehrer Lernziele aus dem Blick zu verlieren. Über diese unmittel-
als wichtige Agenten im Bildungssystem besser zu ver- baren Unterrichtstätigkeiten hinaus müssen Unterrichts-
stehen. Die Erkenntnisse pädagogisch-psychologischer stunden geplant, Arbeiten korrigiert, Arbeitsgruppen und
Forschung liefern Ansatzpunkte für die Verbesserung von Schulausflüge geleitet sowie Elterngespräche geführt werden
Unterricht und sind auch hilfreich, um die beruflichen – und all dies geschieht unter den aufmerksamen Augen der
Erfahrungen von Lehrkräften positiv zu gestalten. Um auf Öffentlichkeit und Bildungspolitik, die ihrerseits Forderungen
das Thema Lehrkräfte einzustimmen, liefern wir zunächst an „den Lehrkörper“ stellen. Vor allem die Erwartungen der
eine Anforderungsanalyse, die die typischen Heraus- Öffentlichkeit und die vermeintlich geringe Wertschätzung
forderungen des Lehrerberufs beschreibt. Anschließend ihrer Tätigkeit wird von vielen Lehrkräften als besondere
fassen wir Ansätze der pädagogisch-psychologischen berufliche Belastung wahrgenommen (Süßlin 2012). Jedoch
Forschung zu Lehrkräften zusammen und erläutern dann, scheint sich hier – zumindest, was die Situation in Deutsch-
11 welche Merkmale von Lehrkräften bisher in der Forschung land betrifft – in den letzten Jahren eine Trendwende voll-
Aufmerksamkeit fanden. Das Kapitel schließt mit einer zogen zu haben. So rangiert der Lehrerberuf seit mehreren
Beschreibung der Lerngelegenheiten für (angehende) Lehr- Jahren bei Bevölkerungsumfragen zu besonders geachteten
kräfte (. Abb. 11.1). Berufen auf den oberen Plätzen (Forschungsgruppe Welt-
anschauungen in Deutschland 2017) und auch die Bericht-
erstattung in Zeitungen ist deutlich positiver geworden (Köller
et al. 2018; 7 Exkurs „Was zeichnet eine gute Lehrkraft aus?“).

Exkurs

Was zeichnet eine gute Lehrkraft aus?


Wir alle haben Hypothesen darüber, was eine gute Lehrkraft ist.
Diese Annahmen sind stark davon geprägt, welche Erfahrungen
man selbst in seiner Schulzeit gemacht hat. Als Einstimmung
in das Thema des Kapitels können Sie versuchen, sich an Ihre
eigene Schulzeit zu erinnern: Wer war die beste Lehrkraft,
die Sie je in Ihrer Schullaufbahn erlebt haben? Denken Sie an
einen Lehrer oder eine Lehrerin, die Sie besonders beeindruckt
hat und überlegen Sie, was diese Person im Vergleich zu
anderen Lehrerinnen und Lehrern ausgezeichnet hat. Vielleicht
überlegen Sie auch einmal, welche Lehrkraft Sie im negativen
Sinn beeindruckt hat: Welches war die schlechteste Lehrkraft,
. Abb. 11.1 (© Robert Kneschke/7 stock.adobe.com)
den Sie je erlebt haben? Welche Merkmale wies diese
Person auf?

11.1  Merkmale des Lehrerberufs

Die zunehmende Wertschätzung des Berufs geht einher


11.1.1  Die Rolle von Lehrkräften: mit einer Reihe an Veränderungen in der Schullandschaft,
Anforderungen und Erwartungen die Lehrkräfte vor neue Herausforderungen stellen. Aus-
gelöst durch die für Deutschland enttäuschenden Ergeb-
Lehrkräfte haben einen komplexen Beruf. Ihre Tätigkeit ist nisse in den internationalen Schulleistungsstudien des
vielseitig, oft wenig planbar und bietet zwar einerseits hohe letzten Jahrzehnts (Klieme et al. 2010; 7 Kap. 15) wurden
gestalterische Freiheitsgrade, unterliegt aber andererseits in Deutschland eine Reihe an Maßnahmen umgesetzt, die
Lehrkräfte
271 11
die beruflichen Aufgaben von Lehrkräften erweitern. So worden (Baumert und Kunter 2006; Bromme 1997).
sind beispielsweise Lehrkräfte im Zuge der wachsenden Die theoretischen Perspektiven, unter denen diese Frage
Bedeutung von Qualitätssicherungsmaßnahmen (zum Bei- betrachtet wurde, haben sich im Verlauf der Zeit verändert.
spiel in Form der Bildungsstandards, 7 Kap. 15) gefordert, In den Anfangsjahren der Forschung zum Lehrerberuf
sich zunehmend mit Diagnostik und Evaluation aus- wurde insbesondere untersucht, inwieweit Lehrkräfte sich
einanderzusetzen und die Leistungen ihrer Schülerinnen durch besondere Ausprägungen in Persönlichkeitsmerk-
und Schüler angemessen zu dokumentieren. Da in den malen wie Ehrlichkeit, Konventionalität, Humor, Affektivi-
letzten Jahren Schulen zunehmend mehr Autonomie tät sowie Extraversion und Introversion auszeichnen und
gewährt wurde und sie in einen gewissen Wettbewerb ob Unterschiede in diesen Merkmalen auch Unterschiede
untereinander gestellt wurden, sind Lehrkräfte weiterhin im Unterrichtserfolg der Lehrkräfte erklären können.
gefordert, sich aktiv in die Schulentwicklung einzubringen. Diese Fragestellung spiegelt eine grundlegende Annahme
Schließlich führen die Etablierung von Ganztagsschulen über den Lehrerberuf wider, die sehr häufig sowohl bei
sowie die Öffnung von Schulen für Kinder und Jugendliche Schülerinnen und Schülern selbst als auch in der Fach-
mit Behinderung und sonderpädagogischem Förderbedarf literatur zu finden ist: nämlich die Idee des „geborenen
(Inklusion) dazu, dass sich Lehrkräfte auch Kompetenzen Lehrers“ bzw. die Überzeugung, dass es sich beim Lehrer-
hinsichtlich Beratung und individueller Förderung, die über beruf um eine Art Kunst handelt, für die nur bestimmte
den Unterricht hinausgehen, aneignen müssen (7 Kap. 16, Personen das notwendige Talent mitbringen. Empirisch
17 und 18). finden sich für diese Annahme aber kaum Belege (Kim et al.
Den vielseitigen Herausforderungen, denen Lehr- 2019).
kräfte im Berufsalltag begegnen, steht eine besondere Ein veränderter Blick auf den Lehrerberuf findet
Beschäftigungsstruktur entgegen. Im Hinblick auf die lang- sich ab den 1980er-Jahren in zwei unterschiedlichen
fristige Berufstätigkeit zeichnet sich die Lehrerlaufbahn in Forschungssträngen. So hat man sich zum einen verstärkt
der Regel zwar einerseits durch eine relativ hohe Sicherheit den Kognitionen von Lehrkräften zugewendet, indem die
des Arbeitsplatzes, aber andererseits durch ein nur gering Struktur ihres Wissens, Unterschiede zwischen Experten
steigendes Gehalt und wenig Aufstiegsmöglichkeiten inner- und Novizen, aber auch Überzeugungssysteme oder
halb des Tätigkeitsfeldes aus. Aus psychologischer Sicht Erwartungen untersucht wurden (Bromme 1997; Woolfolk
bedeutet dies, dass erhöhtes Engagement und Anstrengung Hoy et al. 2006). Parallel dazu hat sich zum anderen ein
nicht zwingend zu materiellen Belohnungen führen und weiterer Forschungsstrang etabliert, nämlich die aus der
sogar unbefriedigende Arbeitsleistungen nicht unmittelbar Gesundheitsforschung inspirierte Forschung zu Lehrer-
negative Konsequenzen nach sich ziehen müssen. Hinzu stress und Lehrerbelastung (Klusmann und Waschke 2018).
kommt, dass sich die Arbeitsleistung von Lehrkräften nur In der aktuellen Forschung finden sich mit den Arbeiten
schwer anhand von objektiven Kriterien messen lässt, vor zur „professionellen Kompetenz“ von Lehrkräften stärker
allem auch deshalb, weil „Erfolge“ oder „Misserfolge“ des integrative Ansätze, die einen breiteren theoretischen
Unterrichts natürlich in einem hohen Grad auch von den Rahmen spannen und versuchen, sowohl kognitive als auch
Schülerinnen und Schülern selbst bestimmt werden. Gleich- motivationale und emotional-affektive Merkmale von Lehr-
zeitig steht das tägliche Handeln unter einer relativ hohen kräften in ihrem Wechselspiel zueinander zu betrachten
Autonomie, da innerhalb des Unterrichts kaum strukturelle (Baumert und Kunter 2006; König 2016). Dabei wird davon
Vorgaben eingehalten werden müssen und ein Großteil der ausgegangen, dass die professionelle Kompetenz prinzipiell
Arbeitszeit in freier Zeiteinteilung genutzt werden kann. lern- und vermittelbar ist (Klieme und Leutner 2006).
Festzuhalten ist somit, dass die Tätigkeit als Lehrkraft
einen vielseitigen Beruf darstellt, der im täglichen Handeln Definition
hohe Konzentration und Anstrengung erfordert und lang- Professionelle Kompetenz beschreibt die persönlichen
fristig gesehen vor allem Anforderungen an die selbst- Voraussetzungen für die erfolgreiche Bewältigung
regulativen Fähigkeiten (7 Kap. 3) der Lehrkräfte stellt. spezifischer beruflicher Aufgaben. Dabei sind speziell
Dieses typische Anforderungsprofil gilt es zu beachten, Merkmale gemeint, die veränderbar sind und sich
wenn man fragen möchte, welche persönlichen Merkmale im Verlauf der beruflichen Ausbildung und Karriere
für eine erfolgreiche Berufsausübung relevant sind. weiterentwickeln können. Für Lehrkräfte werden
häufig die Kompetenzaspekte Wissen, Überzeugungen,
Motivation und selbstregulative Fähigkeiten
11.1.2  Lehrkräfte als Thema in der unterschieden (Kunter et al. 2011a).
Pädagogischen Psychologie:
Klassische Themen und neuere
Trends Insgesamt werden in der Forschung zu Lehrkräften also
zwei verschiedene Hypothesen dazu vertreten, wie Unter-
Die Kernfrage, welche Merkmale eine Lehrkraft auf- schiede im professionellen Verhalten von Lehrkräften
weisen sollte, um den Beruf erfolgreich auszuüben, ist in zustande kommen (Kunter et al. 2011b). Auf der einen
der psychologischen Forschung immer wieder thematisiert Seite beschreibt die sogenannte Eignungshypothese, dass
272 M. Kunter et al.

. Abb. 11.2 Modell


der Determinanten Kontext
und Konsequenzen der -Bildungssystem
professionellen Kompetenz von -Einzelschule
Lehrkräften von Kunter und
Kolleg(inn)en (2011, S. 59, mit
Schüler-Ergebnisse
freundlicher Genehmigung des Berufliches Fachliches Lernen,
Professionelle
Waxmann Verlags) Kompetenz Verhalten
Wissen Unterrichten Entwicklung
Lern- Nutzung der Beratung
Lerngelegen- Überzeugungen
gelegenheiten Motivation Kooperation
heiten
Allgemeines
Selbstregulation Arbeitsver- Lehrkraft-Ergebnisse
halten Innovation/Weiterentwick-

Individuelle Voraussetzungen
Kognitive Voraussetzungen, Motivation, Personlichkeit

diese Unterschiede hauptsächlich durch bestimmte stabile 11.2  Kognitive Merkmale: Wissen und
Persönlichkeitsmerkmale erklärt werden können, wie z. B. Überzeugungen
kognitive Fähigkeiten und generelle individuelle Tendenzen
im Erleben und Verhalten, die die Lehrkräfte schon mit Kognitive Merkmale beziehen sich auf Aspekte des
in die Lehrerausbildung und den Beruf bringen. Auf der Denkens, Schlussfolgerns, Gedächtnisses oder auf Ein-
11 anderen Seite geht die Qualifikationshypothese davon aus,
dass die Unterschiede im Berufserfolg durch Unterschiede
stellungen und Überzeugungen. Vor allem das Wissen und
die Überzeugungen von Lehrkräften werden als besonders
in der Qualität und Länge der Lehrerausbildung entstehen relevant für ihr berufliches Handeln gesehen. Gelegent-
und unabhängig von den Eingangsvoraussetzungen sind lich werden beide Bereiche auch unter dem Begriff der
(Kunter et al. 2011b). Das „Modell der Determinanten und „Expertise“ zusammengefasst.
Konsequenzen der professionellen Kompetenz von Lehr-
kräften“ von Kunter und Kolleg(inn)en (2011, . Abb. 11.2)
integriert nun beide Ansätze und nimmt an, dass die 11.2.1  Wissen
professionelle Kompetenz durch explizite und implizite
Lernprozesse in geeigneten Lerngelegenheiten aufgebaut Was müssen Lehrkräfte wissen, um erfolgreich unter-
wird (Qualifikationshypothese) und dieser Entwicklungs- richten zu können? Antworten auf diese Frage haben
prozess durch bestimmte Eingangsvoraussetzungen beein- unmittelbare praktische Relevanz: Während bekannt ist,
flusst wird (Eignungshypothese). Das Modell versteht dass z. B. Einstellungen und Meinungen von Lehrkräften
Lehrkräfte selbst als Lernende und betont in Anlehnung häufig sehr stabil und nur sehr schwierig direkt beein-
an andere Angebot-Nutzungsmodelle (Fend 1981; Helmke flussbar sind, geht man davon aus, dass Wissen leichter
2009) ihre aktive Rolle im Lernprozess. Der Lernerfolg veränderbar ist, z. B. durch geeignete Lehrangebote. Die
hängt demnach von der individuellen Nutzung der Lern- Frage, welches Wissen hilfreich ist, um erfolgreich zu unter-
gelegenheit ab, d. h. z. B. davon, welche Fortbildungen sich richten, ist deshalb besonders dann wichtig, wenn es um
die Lehrkräfte zunächst einmal auswählen und wie intensiv Ziele der Lehrerbildung geht: Welche Inhalte sollte die
sie sich gedanklich mit den Inhalten auseinandersetzen. Die ­Lehrer-Erstausbildung vermitteln und welche Inhalte sollten
Nutzung wiederum wird sowohl durch persönliche Voraus- systematisch in die Lehrerfortbildung integriert werden?
setzungen wie kognitive Fähigkeiten, Motivation und Wie im Folgenden dargestellt, spielen psychologische
Persönlichkeit als auch durch kontextuelle Faktoren wie die Inhalte eine wichtige Rolle in diesen Überlegungen.
individuelle Schule und das Bildungssystem beeinflusst. In der Psychologie wird häufig zwischen deklarativem
In aktuellen Forschungsfragen geht es daher zunehmend Wissen, d. h. Wissen über Fakten und Sachverhalte
nicht mehr nur darum, die Eigenschaften „guter“ bzw. („Wissen, was“), und prozeduralen Wissensinhalten, d. h.
erfolgreicher Lehrkräfte zu beschreiben. Stattdessen werden Handlungswissen („Wissen, wie“), unterschieden (7 Kap. 1).
folgende Fragen in den Blick genommen: Wann und wie Bei Lehrkräften wären somit z. B. das Verständnis für
lernen Lehrkräfte und wie kann es ihnen gelingen, auch in fachliche Sachverhalte oder die Kenntnis verschiedener
späteren Berufsjahren immer wieder neu den sichwandelnden Methoden deklaratives Wissen, während Wissen darüber,
Anforderungen erfolgreich zu begegnen? Wir werden wie bestimmte Methoden angewendet oder disziplinarische
darauf in 7 Abschn. 11.5 näher eingehen. Maßnahmen vollzogen werden, Beispiele für prozedurales
Lehrkräfte
273 11
Wissen sind. Zur inhaltlichen Beschreibung des Lehrer- mehrfach belegt (z. B. Agathangelou et al. 2016; Keller et al.
wissens wird häufig auf eine Taxonomie von Shulman 2017). Für die Pädagogische Psychologie bedeuten diese
(1987) zurückgegriffen, die – ohne explizit zwischen Ergebnisse, dass Forschung zum Lernen in bestimmten
deklarativem und prozeduralem Wissen zu unterscheiden – fachlichen Domänen, wie etwa zu Fehlvorstellungen in
mehrere Wissensinhalte beschreibt, welche speziell für das Mathematik und Naturwissenschaften oder zur Wirkung
Unterrichten unmittelbar relevant erscheinen: von bestimmten Präsentationsformen, eine besondere
praktische Relevanz hat und unbedingt in die Lehrerbildung
Definition einfließen sollte.
Doch auch genuin psychologische Inhalte sind
Wichtige Arten des Lehrerwissens (nach Shulman 1987;
elementare Bestandteile des Lehrerwissens, denn Wissen
Baumert und Kunter 2006)
über Prinzipien des Lernens, Motivation, Entwicklungs-
Fachwissen („content knowledge“): tiefes Verständnis
psychologie oder pädagogisch-psychologische Diagnostik
des zu unterrichtenden Schulstoffs
sind wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche Berufsaus-
Fachdidaktisches Wissen („pedagogical content
übung von Lehrkräften (Voss et al. 2015). Studien zeigen,
knowledge“): Wissen darüber, wie fachliche Inhalte
dass solches psychologische Wissen nicht nur hilfreich für
durch Instruktion vermittelt werden können
eine qualitätvolle Unterrichtsgestaltung ist (König und
Allgemeines pädagogisches und psychologisches
Pflanzl 2016; Depaepe und König 2018), sondern auch eine
Wissen („pedagogical knowledge“): Wissen über die
Pufferfunktion gegen Stresserleben einnehmen kann (z. B.
Schaffung und Optimierung von L­ ehr-Lern-Situationen
Dicke et al. 2015).
sowie entwicklungspsychologisches und
Die bisher beschriebenen Forschungsarbeiten setzten
­pädagogisch-psychologisches Grundwissen
meist standardisierte Leistungstests zur Erfassung
des Lehrerwissens ein und zielten somit vor allem auf
das deklarative professionelle Wissen der Lehrkräfte
Lange Zeit wurde die Frage, welche Art von Wissen (. Tab. 11.1). Seit einigen Jahren hat sich mit der Forschung
wichtig für Lehrkräfte ist, in der wissenschaftlichen zur Professional Vision (dt. Professionelle Unterrichts-
Literatur vor allem theoretisch abgehandelt, doch in wahrnehmung) ein Ansatz entwickelt, der versucht, näher
den letzten 10–15 Jahren hat sich die empirische Unter- an die Prozesse des Unterrichtens heranzukommen und
suchung des Lehrerwissens zu einem wichtigen Bereich der auch stärker prozedurale Wissensanteile zu erfassen.
pädagogisch-psychologischen Forschung entwickelt. Eine Unter Professional Vision versteht man die Anwendung
der ersten Studien im deutschen Sprachraum, die das Fach- von Wissen, um Unterrichtssituationen angemessen ein-
wissen und fachdidaktische Wissen von Lehrkräften per ordnen zu können (Seidel und Stürmer 2014). In der
standardisiertem Leistungstest direkt bei den Lehrkräften ­Professional-Vision-Forschung sehen Lehrpersonen Unter-
erfasste, war das COACTIV-Projekt (Kunter et al. 2011a). richtsszenen und sollen diese interpretieren. Gefragt wird
Die Studie, die an die PISA-Erhebung 2003 angekoppelt danach, ob die Lehrenden relevante Ereignisse überhaupt
war, konnte auf eine große repräsentative Stichprobe von erkennen können und ob sie diese angemessen inter-
Mathematikklassen und deren Lehrkräfte zurückgreifen pretieren, z. B. indem sie passende Erklärungen für das
und setzte ein vielfältiges Instrumentarium (Lehrer- und Geschehen finden und einschätzen können, was vermut-
Schülerfragebogen, Tests, Aufgabenanalysen) ein, um den lich passieren wird. Die Forschung zeigt, dass sich diese
Einfluss des Wissens der Lehrkräfte auf die Unterrichts- Form der professionellen Unterrichtswahrnehmung erst
qualität und die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler im Verlauf der beruflichen Ausbildung entwickelt (Stürmer
zu untersuchen (Baumert et al. 2010). Dabei zeigte sich, et al. 2016; Wolff et al. 2017) und dass die Fähigkeit zur
dass Lehrkräfte mit hohem fachdidaktischem Wissen (die professionellen Unterrichtswahrnehmung einen Einfluss auf
also z. B. ein großes Repertoire an Erklärungsmöglich- die Unterrichtsqualität und das Lernen von Schülerinnen
keiten für bestimmte mathematische Sachverhalte oder gute und Schülern hat (Kersting et al. 2012).
Kenntnisse über typische Schülerfehler besaßen) den Unter- Ein für Psychologinnen und Psychologen besonders
richt kognitiv anregender gestalteten und den Schülerinnen interessanter Bereich des Lehrerwissens ist das Diagnose-
und Schülern mehr Unterstützung bieten konnten, was wissen bzw. die diagnostische Kompetenz. Diagnostische
sich wiederum positiv auf die Leistungsentwicklung der Kompetenz beschreibt Wissen und Fähigkeiten, die
Lernenden auswirkte. Ein besonders wichtiges Ergebnis sich auf den Prozess des Beurteilens im Klassen-
der Studie war dabei, dass dieser Wissensvorteil spezifisch zimmer beziehen, z. B. die Fähigkeit, die Leistung von
für das fachdidaktische Wissen der Lehrkräfte war: Weder Schülerinnen und Schülern adäquat beurteilen zu können,
das Fachwissen selbst noch die generelle akademische aber auch Wissen über Methoden und Aufgaben zur
Leistung (gemessen an den Abiturnoten der Lehrkräfte) Beurteilung von Schülerinnen und Schülern (Südkamp
waren relevant für die Unterrichtsgestaltung (Kunter et al. und Praetorius 2017). Dieses prozedurale und deklarative
2013). Die zentrale Rolle, die fachdidaktisches Wissen Wissen kann einerseits fachbezogen („Wird Schülerin
für das Unterrichten und das Lernen der Schülerinnen X die Englischaufgabe Y vermutlich richtig lösen?“),
und Schüler hat, wurde seitdem durch weitere Studien andererseits aber auch fachunabhängig (z. B. Wissen
274 M. Kunter et al.

. Tab. 11.1 Beispielitems aus Wissenstests für Lehrkräfte

Facette Fachwissen Fachdidaktisches Wissen Allgemeines pädagogisches und


psychologisches Wissen

Beispielitem Gilt 0,999999… = 1? Zu Beginn der Unterrichtseinheit Schwimmen Gefühle der Hilflosigkeit treten besonders
Bitte begründen Sie! und Sinken konfrontieren Sie Ihre Schüler mit dann auf, wenn ein Misserfolg …
der Frage, warum manche Gegenstände im A) auf internale, stabile Ursachen, wie z. B.
Wasser schwimmen und andere untergehen. mangelnde Intelligenz, zurückgeführt wird.
Bitte nennen Sie alle Ihnen bekannten B) auf internale, veränderbare Ursachen, wie
typischen falschen Vorstellungen, mit denen z. B. geringen Fleiß, zurückgeführt wird.
die Schüler zu Beginn der Unterrichtseinheit C) auf externale, stabile Ursachen, wie z. B.
das Schwimmen beziehungsweise Sinken von die Schwierigkeit der Aufgaben, zurück-
Gegenständen erklären könnten. geführt wird.
D) auf externale, veränderbare Ursachen, wie
z. B. Zufall oder Pech, zurückgeführt wird.
Quelle COACTIV-Test (Krauss Test zum fachdidaktischen Wissen im Projekt COACTIV-R-Test (Voss et al. 2014, S. 190)
et al. 2011, S. 140) IGEL (Decristan et al. 2015), entwickelt auf
Grundlage von Lange (2010) und des Projekts
Science P (Pollmeier et al. 2011)

über Erwartungseffekte, 7 Abschn. 11.2.2.2) sein und Definition


betrifft somit sowohl fachdidaktische als auch allgemeine 7 Lehrerüberzeugungen („teacher beliefs“) beinhalten
pädagogisch-psychologische Aspekte. Studien zeigen,
­ Vorstellungen und Annahmen von Lehrkräften über
dass Lehrkräfte im Mittel zwar relativ gut darin sind, die schul- und unterrichtsbezogene Phänomene und
Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler zu beurteilen, dass Prozesse mit einer bewertenden Komponente.
11 aber große individuelle Unterschiede zwischen Lehrkräften
bestehen (Südkamp et al. 2012). Diagnostische Kompetenz gilt
als eine wichtige Voraussetzung, um Unterricht angemessen Anders als Wissen, welches sich inhaltlich auf Fakten oder
planen und durchführen können, wobei jedoch nur wenige Schemata bezieht, repräsentieren die Überzeugungen
Studien vorliegen, die diese Annahme auch empirisch stützen von Personen deren Meinungen, Bewertungen oder auch
(z. B. Anders et al. 2010; Karst et al. 2014). subjektive Erklärungssysteme (Fives und Buehl 2012, 2016;
Im Zentrum pädagogisch-psychologischer Forschung Pajares 1992). Vergleicht man etwa eine Wissensfrage wie
standen bisher vor allem Wissensbereiche, die unmittel- „Welche unterschiedlichen Möglichkeiten gibt es, um
bar unterrichtsrelevant sind. Wie eingangs aufgezeigt, einem Schüler den Satz des Pythagoras zu erklären?“ (zur
gehen die beruflichen Aufgaben von Lehrkräften jedoch Erfassung des mathematikspezifischen fachdidaktischen
über das reine Unterrichten hinaus. Gerade die jüngsten Wissens) mit einer Überzeugungsfrage wie „Welche
Veränderungen im Bildungsbereich erfordern von Lehr- Methoden bevorzugen Sie, um Ihren Schülern den Satz des
kräften auch breiteres pädagogisches und psychologisches Pythagoras zu erklären?“ (Überzeugung über die Wirk-
Wissen, wie etwa Kenntnisse über außerunterrichtliche samkeit bzw. Nützlichkeit bestimmter Methoden), so wird
Fördermaßnahmen, Beratung oder Kooperation – deutlich, dass Überzeugungen persönliche Bewertungen
Aspekte, die bisher in der Lehrerbildung nur wenig Platz beinhalten, die immer eine subjektive Komponente ent-
gefunden haben. Ein zukünftig vermutlich immer wichtiger halten und daher nicht per se als richtig oder falsch
werdender Aufgabenbereich von Pädagogischen Psycho- bewertet werden können. Gleichzeitig können natürlich
loginnen und Psychologen ist es daher, Lehrkräfte im Auf- Überzeugungen mehr oder weniger gut begründet sein oder
bau ihres professionellen Wissens in diesen weiterführenden auf falschen Prämissen beruhen. Im letzteren Fall spricht
Bereichen zu unterstützen, sei es im Zuge der Lehrerbildung man auch von intuitiven oder naiven Überzeugungen
oder durch Trainings und Weiterbildungsmaßnahmen (siehe z. B. Patrick und Pintrich 2001). Solche intuitiven
(7 Abschn. 11.5). Überzeugungen sind häufig wenig differenziert und
reflektiert, stehen mitunter im Konflikt mit tatsächlichen
Fakten und können somit dann das Handeln von Lehr-
11.2.2  Überzeugungen und Erwartungen kräften einschränken. Beispielhaft wird dies weiter unten an
den Erwartungseffekten verdeutlicht. Die reflektierte Aus-
Überzeugungen von Lehrkräften werden häufig im einandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und die
Zusammenhang mit ihrem Wissen diskutiert (Fives und bewusste Überprüfung, inwieweit die eigenen Bewertungs-
Buehl 2012; Woolfolk Hoy et al. 2006). systeme das Handeln möglicherweise einschränken, gelten
Lehrkräfte
275 11
daher als eine wichtige Komponente der Professionalität von Überzeugungen unterscheiden (Fives und Buehl 2012;
von Lehrkräften (Lipowsky 2014; Woolfolk Hoy et al. 2006). Wilde und Kunter 2016):
Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrermerkmalen 5 Filterfunktion: Überzeugungen beeinflussen die Wahr-
hat der Bereich der Überzeugungen relativ viel Aufmerk- nehmung und Interpretation von Ereignissen sowie den
samkeit in der pädagogisch-psychologischen Forschung Umgang mit neuen Informationen.
gefunden. Untersucht wurden dabei Überzeugungen, die 5 Rahmenfunktion: Überzeugungen bilden einen Rahmen
von Einstellungen zur eigenen Person über Haltungen und beeinflussen auf diese Weise, wie bestimmte Unter-
zum eigenen Fach und zu einzelnen Schülern bis hin zu richtssituationen eingeordnet und bewertet werden.
subjektiven Theorien über Lehren und Lernen reichen. Zur 5 Steuerfunktion: Überzeugungen steuern das Unter-
Ordnung der vielfältigen Ansätze bietet es sich an, Über- richtsverhalten direkt.
zeugungen darauf hin zu gliedern, auf welche Systemebene
sie sich beziehen (. Tab. 11.2). Die pädagogisch-psychologische Forschung hat sich mit
Aus dieser Perspektive betrachtet können Lehrkräfte den möglichen Wirkungen der verschiedenen Lehrer-
bestimmte Vorstellungen darüber haben, welche spezielle überzeugungen relativ intensiv auseinandergesetzt. Im
Rolle sie als Lehrerin oder Lehrer gerne einnehmen wollen. Sie Folgenden stellen wir exemplarisch drei Überzeugungs-
können zudem in unterschiedlichem Maße davon überzeugt bereiche vor, für die entsprechend gut abgesicherte Erkennt-
sein, bestimmte lehrerrelevante Fähigkeiten mehr oder weniger nisse vorliegen.
stark zu besitzen. Des Weiteren können sich Überzeugungen
auf den unmittelbaren Wirkungskontext der Lehrkräfte, also Überzeugungen über das Selbst:
ihre Schule, ihre Klassen, ihre Schüler oder ihr Fach beziehen. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von
Unabhängig von ihrem direkten Umfeld haben Lehrkräfte Lehrkräften
ferner Meinungen über Aspekte des Bildungssystems all- Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit geht auf die sozial-
gemein, wie z. B. über bildungspolitische Themen oder kognitive Theorie Banduras zurück (7 Kap. 1) und
bildungsrelevante Innovationen. Schließlich sind Lehrkräfte beschreibt die Überzeugungen, inwieweit Personen sich
– wie alle Menschen – von kulturspezifischen Normen und in der Lage sehen, bestimmte Aufgaben – auch unter
Werten geprägt, die gesellschaftliche Haltungen zu erziehungs- schwierigen Bedingungen – erfolgreich zu bewältigen.
nahen Themen wie Bildungskonzepten oder das grundsätz- Übertragen auf Lehrkräfte und ihre primären Aufgaben
liche Verständnis von Kindheit und Jugend widerspiegeln. bedeutet Selbstwirksamkeit somit die Einschätzung einer
In der wissenschaftlichen Literatur wird angenommen, Lehrperson darüber, wie gut es ihr gelingen kann, das
dass Überzeugungen von Lehrkräften eine bedeutsame Lernen und Verhalten ihrer Schülerinnen und Schüler
Rolle für ihr Handeln spielen können. Die empirische zu unterstützen und zu fördern, und zwar auch bei ver-
Befundlage zu dieser Annahme ist allerdings gemischt meintlich schwierigen oder unmotivierten Schülerinnen
(Buehl und Beck 2015; Fives und Buehl 2016). Einige und Schülern (Tschannen-Moran und Hoy 2001). Die
Studien finden z. B. Zusammenhänge zwischen den Über- Lehrer-Selbstwirksamkeit gehört zu den am meisten
­
zeugungen und dem Unterrichtsverhalten von Lehrkräften, untersuchten Merkmalen von Lehrkräften (Klassen et al.
andere wiederum nicht. Welche Meinung eine Lehrkraft 2011; Zee und Koomen 2016). Sie wird häufig auch als
über eine bestimmte Schülerin oder einen bestimmten motivationale Variable verstanden; um jedoch dem Modell
Schüler, eine bestimmte Methode oder inhaltliche Ziel- von Woolfolk Hoy und Kolleginnen (2006) zu folgen,
setzung hat, kann auf unterschiedliche Weise ihr Ver- behandeln wir die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in
halten in der jeweiligen Situation bestimmen. Auf der diesem Text als eine Form von Überzeugungen, der Über-
theoretischen Ebene lassen sich mindestens drei Funktionen gang zur Motivation ist fließend.

. Tab. 11.2 Überzeugungen von Lehrkräften: Bezugssystem, Inhalte und Beispiele. (Modifiziert nach Woolfolk Hoy et al. 2006, with
permission from Elsevier)

Bezugssystem Inhalte Beispiele für untersuchte Konstrukte

Selbst Vorstellungen zur eigenen Identität, Überzeugungen Eigenes Rollenverständnis


über eigene Fähigkeiten Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
Lehr-Lern-Kontext Überzeugungen über Lehren und Lernen, das Fach, Lerntheoretische Überzeugungen
einzelne Schüler Epistemologische Überzeugungen über das eigene Fach
Erwartungen an Schüler
Attributionen für Schülerleistungen
Bildungssystem Bildungspolitische Themen, Standards, Reformen Einstellung zu konkreten Reformen
Einstellung zu Standards
Gesellschaft Kulturelle Normen und Werte, die Bildung und Schule Normative Erziehungsziele
betreffen; Einstellungen zu Kindheit und Jugend Moralvorstellungen
276 M. Kunter et al.

Definition Überzeugungen über bestimmte Schülerinnen


Lehrer-Selbstwirksamkeit: Überzeugungen einer und Schüler: Lehrererwartungen
Lehrperson darüber, wie gut es ihr gelingen kann, Überzeugungen, die Lehrkräfte über bestimmte
effektiv zu unterrichten. Schülerinnen und Schüler haben, sind unter dem Stich-
wort Erwartungseffekte („teacher expectation effects“)
untersucht worden und stellen ein wichtiges Thema der
Lehrkräfte mit einer hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugung pädagogisch-psychologischen Lehrerforschung dar.
gehen davon aus, dass sie selbst die Fähigkeit und die Mittel
besitzen, um ihre beruflichen Aufgaben zu meistern. Dabei Definition
kann sich diese Überzeugung generell auf den Beruf (z. B.
Unter dem Erwartungseffekt versteht man, dass eine
Schmitz und Schwarzer 2000) oder auf spezifische Aspekte
Lehrkraft bestimmte Überzeugungen über das Potenzial
wie die Klassenführung (7 Kap. 5) oder die Motivierung
einer Schülerin bzw. eines Schülers hat und allein diese
von Lernenden (z. B. Tschannen-Moran und Hoy 2001)
Erwartungen dazu beitragen, dass sich die Schülerin
beziehen.
bzw. der Schüler so verhält oder Leistungen zeigt, wie
Die enge Verbindung zwischen Selbstwirksamkeits-
die Lehrkraft es erwartet hat. Erwartungseffekte können
überzeugungen und dem Verhalten von Lehrkräften ist
in positive oder negative Richtungen gehen.
mittlerweile in vielen Studien demonstriert worden (Klassen
et al. 2011; Zee und Koomen 2016): So berichten Lehr-
kräfte mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von In der Studie von Rosenthal und Jacobsen (1968) zum sog.
positiveren Einstellungen gegenüber innovativen Unter- Pygmalioneffekt (7 Exkurs „Pygmalioneffekt“) wurde zum
richtsmethoden, scheinen diese auch häufiger einzu- ersten Mal beschrieben, dass sich Schülerinnen und Schüler
setzen, weisen insgesamt höhere Unterrichtsqualität auf unterschiedlich in ihren Leistungen entwickeln, je nach-
und schildern vergleichsweise hohes Engagement auch dem, welche Erwartungen ihre Lehrkraft an sie hat. Diese
im außerunterrichtlichen Bereich wie z. B. bei Schul- Untersuchung regte seit den 1960er Jahren eine ganze Reihe
programmen oder Fortbildungsmaßnahmen (Tschannen-
11 Moran und Hoy 2001; Klassen et al. 2011; Zee und Koomen
weiterer Studien an (zusammenfassend Jussim 2013; Jussim
und Harber 2005), die untersuchten, ob solche Erwartungs-
2016). Ferner sind positive Selbstwirksamkeitsüber- effekte wirklich auftreten, unter welchen Bedingungen sie
zeugungen mit höherer Berufszufriedenheit und geringerer verstärkt auftreten, welche Wirkmechanismen dahinter
Beanspruchungssymptomatik verbunden (Zee und Koomen stehen und ob bzw. durch welche Maßnahmen Erwartungs-
2016). Es verwundert somit nicht, dass auch Schülerinnen effekte reduziert werden können.
und Schüler von selbstwirksamen Lehrkräften profitieren zu Die Befundlage zur Rolle der Lehrererwartung ist
scheinen: Es finden sich vielfach positive Zusammenhänge äußerst heterogen und generelle Aussagen über die
mit motivationalen Merkmalen der Lernenden, allerdings Stärke, praktische Relevanz oder Auftretensformen von
inkonsistente Befunde zur Auswirkung auf die Leistung Erwartungseffekten in der Lehrer-Schüler-Interaktion sind
(Klassen et al. 2011; Zee und Koomen 2016). nur schwer zu treffen (Jussim und Harber 2005; Rosenthal
Sollte man also dringend dafür sorgen, dass alle Lehr- 1991). Dies liegt vor allem daran, dass den Studien häufig
kräfte hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen entwickeln? ein ganz unterschiedliches Verständnis von Erwartungs-
Tatsächlich scheint etwas Vorsicht angebracht, denn ob effekten zugrunde liegt. So werden Effekte auf verschiedene
positive Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wirklich das „Outcome“-Variablen thematisiert. Am häufigsten wird
Verhalten von Lehrkräften günstig beeinflussen, lässt sich der direkte Effekt der Lehrererwartungen auf die Leistung
aufgrund der bisherigen Datenlage nur schwer beurteilen. von Schülerinnen und Schülern behandelt, z. B. auf die
Da es sich bei den meisten der vorliegenden Studien um Intelligenzentwicklung (Rosenthal und Jacobsen, 1968)
Querschnittsdesigns handelt, die darüber hinaus häufig oder auf Schulleistungen (Friedrich et al. 2015). Unter-
ausschließlich mit Selbstberichten arbeiten, kann nicht aus- sucht wird aber auch, inwieweit lediglich die Leistungs-
geschlossen werden, dass die beobachteten Zusammenhänge beurteilungen der Lehrkräfte durch ihre Erwartungen
durch Effekte in der umgekehrten Richtung erklärt werden verändert werden, und zwar unabhängig von den tatsäch-
können. Es ist beispielsweise durchaus plausibel anzu- lichen Schüler-Outcomes.
nehmen, dass Lehrkräfte, wenn sie auf eine interessierte und Auch wenn allgemein gültige Aussagen nur schwer
engagierte Schüler- bzw. Elternschaft stoßen oder innovative zu treffen sind, spricht der heutige Forschungsstand doch
Methoden häufiger anwenden, auch nach und nach das dafür, dass Erwartungseffekte der beschriebenen Art sowohl
Gefühl entwickeln, diese sicher und effektiv anwenden zu in authentischen Klassensituationen als auch in künst-
können. Bisher liegen nur sehr wenige Studien vor, die lichen Experimentalsettings auftreten (Jussim und Harber
mögliche Effekte von Selbstwirksamkeit in echten Längs- 2005; Rosenthal 1991). Allerdings handelt es sich wohl
schnittdesigns untersuchen, und diese finden keine Belege um eher kleine Effekte. Ausgehend von den durchschnitt-
für die angenommene Wirkrichtung (Holzberger et al. 2013; lich beobachteten Effektgrößen lässt sich schlussfolgern,
Praetorius et al. 2017). dass die Erwartungen einer Lehrkraft nur bei etwa 5–10 %
Lehrkräfte
277 11
Exkurs

Pygmalioneffekt
Der Pygmalioneffekt ist eine speziell auf dass ein Teil der Schülerinnen und einen deutlich höheren Zugewinn in der
die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler Ergebnisse in einem speziellen Intelligenz auf.
Schülerinnen und Schülern bezogene Form Intelligenztest aufweisen würde, welche Die Ergebnisse der Studie von Rosenthal
der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. zeigen, dass bei diesen Schülerinnen und und Jacobsen lieferten den Anlass für viele
Der Begriff geht auf die klassische Studie Schülern in Kürze eine besonders günstige Nachfolgestudien, in denen immer wieder
zurück, die Rosenthal und Jacobsen unter Intelligenzentwicklung zu erwarten sei. In nach Belegen für oder gegen die Existenz
dem Titel „Pygmalion in the Classroom“ (in Wirklichkeit wurden die Informationen, des Pygmalioneffektes gesucht wurde
Anlehnung an den Bildhauer Pygmalion welche Intelligenzentwicklung für (Jussim und Harber 2005, Rosenthal 1991).
in der griechischen Mythologie, der eine welche Schülerin bzw. welchen Schüler Der Begriff Pygmalioneffekt wird dabei
von ihm geschaffene Statue zum Leben zu erwarten sei, rein zufällig verteilt; alle meistens in Referenz auf die Studien von
erweckt) 1968 veröffentlichten. Schülerinnen und Schüler hatten lediglich Rosenthal und Mitarbeitern verwendet,
In dem – aus heutiger Sicht ethisch an einem regulären Intelligenztest die sich eng an das ursprüngliche
äußerst fragwürdigen – Experiment teilgenommen. Nach einem Schuljahr Forschungsparadigma der Originalstudie
erhielten Grundschullehrkräfte wies bei einer erneuten Testung die anlehnen. Der weitaus häufiger
unterschiedliche Informationen über das Schülergruppe mit vermeintlich hohem verwendete Begriff der Erwartungseffekte
Leistungspotenzial ihrer Schülerinnen und Potenzial im Vergleich zu den anderen umfasst dagegen unterschiedliche
Schüler. Dabei wurde ihnen mitgeteilt, Schülerinnen und Schülern tatsächlich Auftretensformen (s. unten).

ihrer Schüler tatsächlich deren Leistungen beeinflussen Phänomen. Im Fall von Lehrkräften können Erwartungs-
(Jussim und Harber 2005). Die Befundlage deutet weiterhin effekte aber besonders gravierende Konsequenzen haben,
darauf hin, dass bestimmte Gegebenheiten und Merkmale die mitunter die Lebenswege von Schülerinnen und
die Stärke der Erwartungseffekte beeinflussen, z. B. ein Schülern entscheidend beeinflussen können. Dass sich
früher Zeitpunkt im Schuljahr, Umbruchssituationen Erwartungen seitens der Lehrkräfte auf die Schüler-
und bestimmte Schülermerkmale (Jussim 2013; Jussim beurteilung und auch auf die Notengebung auswirken,
und Harber 2005). Erwartungseffekte sind besonders bei wurde in vielen Studien belegt (Jussim 2013).
Schülerinnen und Schülern aus stigmatisierten Gruppen Besondere Bedeutung dürften Erwartungseffekte auch
wahrscheinlich, wie z. B. bei Kindern mit sozial schwachem bei Entscheidungen über Fördermaßnahmen oder Über-
familiärem Hintergrund oder Kindern aus ethnischen gangsempfehlungen von Lehrkräften haben (Trautwein und
Minderheiten (Tenenbaum und Ruck 2007). Umgekehrt Baeriswyl 2007). Angesichts der Tatsache, dass solche Ent-
finden sich Erwartungseffekte aber auch (in positiver scheidungen von immenser Bedeutung für die Bildungs-
Richtung) bei Schülerinnen und Schülern mit hoher karrieren der jeweiligen Kinder und Jugendlichen sind,
physischer Attraktivität (z. B. Dunkake et al. 2012). scheint es angezeigt, in solchen Situationen besonders auch
Wie entsteht ein Zusammenhang zwischen den auf mögliche Erwartungseffekte zu achten. Außerdem ist
Lehrererwartungen und der Leistungsentwicklung von es vermutlich sinnvoll, gerade bei wichtigen Bildungsent-
Schülerinnen und Schülern? Es ist plausibel, dass eine Lehr- scheidungen Prozeduren zu etablieren, die das Risiko von
kraft, je nachdem, wie sie über einen bestimmten Schüler Fehlentscheidungen aufgrund von Erwartungseffekten
denkt, sich diesem Schüler gegenüber auf spezielle Weise minimieren. Dies könnte z. B. eine stärkere Gewichtung
verhält. Dabei scheinen vor allem zwei Wirkmechanismen objektiver Leistungskriterien oder die Berücksichtigung
eine besondere Rolle zu spielen, nämlich das sozio- mehrerer Lehrerurteile sein. Um in der täglichen Unterrichts-
emotionale Klima und das Lernangebot (affect/effort praxis das Auftreten von Erwartungseffekten zu reduzieren,
theory, Rosenthal 1993). So scheinen Lehrkräfte die soziale bieten sich Reflexionen des eigenen Unterrichtshandelns in
Interaktion mit Schülerinnen und Schülern, von denen Form von Videofeedback oder Team-Teaching-Methoden an.
sie einen günstigen Eindruck haben bzw. von denen sie
zukünftig gute Leistungen erwarten, insgesamt freundlicher Überzeugungen über Lehren und Lernen:
und geduldiger zu gestalten. Darüber hinaus werden diese Lerntheoretische Überzeugungen
Schülerinnen und Schüler nicht nur häufiger im Unterricht Die Haupttätigkeit aller Lehrkräfte ist das Unterrichten.
aufgerufen, sondern erhalten auch eher schwierigere Auf- Insofern kommt den Meinungen, die Lehrende über das
gaben, werden somit also stärker herausgefordert. Unterrichten haben, eine besondere Wichtigkeit zu. Lern-
Die Tatsache, dass die Interaktion mit anderen theoretische Überzeugungen beschreiben die Annahmen
Menschen stark durch die eigenen Erwartungen und und Wertvorstellungen, die Lehrende über Lehr-Lern-
Erklärungsmuster, die man in Bezug auf seine Interaktions- Prozesse haben; sie beziehen sich spezifisch auf das
partner hat, beeinflusst wird, findet sich in allen Bereichen jeweilige Fach (z. B. „Schülerinnen und Schüler lernen
menschlichen Handelns und ist kein lehrertypisches Lesen am besten durch die Ganzwortmethode.“) oder
278 M. Kunter et al.

auf Lehren und Lernen i. Allg. (z. B. „Schülerinnen und anhand eines Kontinuums von stabil bis dynamisch
Schüler lernen am besten, wenn man sie möglichst eigen- beschreiben lassen (Fives und Buehl 2012). An einem Ende
ständig Probleme bearbeiten lässt.“). sind früh erworbene und tief im eigenen Überzeugungs-
Viele Studien zeigen, dass sich die Vorstellungen und system verankerte Überzeugungen angeordnet, die als
Meinungen über Lehren und Lernen von Lehrkräften mit stabil und schwierig zu verändern angesehen werden.
zwei grundlegenden Lerntheorien aus psychologischer Die andere Seite beschreibt neu entwickelte und isolierte
Sicht in Verbindung bringen lassen, nämlich einerseits dem Überzeugungen, die sich leichter verändern lassen (Wilde
Informationsverarbeitungsansatz und andererseits der sozio- und Kunter 2016). Die tief verankerten und schwierig
konstruktivistischen Lerntheorie (Fives und Buehl 2016; Reusser zu verändernden Überzeugungen werden häufig als ein
und Pauli 2014; 7 Kap. 1). Beide Lerntheorien basieren auf unter- Faktor herangeführt, der es erschwert, Reformen und
schiedlichen Annahmen darüber, wie Wissen konzeptionalisiert Innovationen in der Schule und im Bildungssystem umzu-
ist und welche Lernprozesse angenommen werden – je nach setzen (Fives und Buehl 2016; Gregoire 2003).
Ansatz bedeutet dies auch unterschiedliche Vorstellungen über Aus psychologischer Sicht bietet vor allem die Literatur
die Lehrerrolle. So finden sich einerseits Lehrkräfte, die Lernen zum „conceptual change“ einen Ansatz für die Erklärung
und Lehren eher im Sinne eines Sender-Empfänger-Modells und den Umgang mit stabilen Lehrerüberzeugungen an
(„transmission view“) verstehen, bei dem eine fest umschriebene (Posner et al. 1982): So ist davon auszugehen, dass sich
Menge an Informationen von der Lehrkraft an die Schülerinnen Konzepte und Überzeugungen nur dann verändern, wenn
und Schüler weitergegeben wird. Die wichtigste Aufgabe zum einen die bisher bestehenden alten Konzepte nicht
der Lehrkraft wäre es daher, die Informationen so aufzu- reichen, um beobachtete Phänomene zu erklären, und zum
bereiten, dass sie effektiv von den Lernenden aufgenommen, anderen neue Konzepte zur Verfügung stehen, die plausibel
gespeichert und wieder abgerufen werden können – praktisch und erklärungsmächtig sind. Lern- und schulbezogene
könnte dies dadurch geschehen, dass komplexe Sachverhalte Überzeugungen von Lehrkräften entwickeln sich vermut-
in kleinere Einheiten heruntergebrochen werden, genügend lich vor allem in drei Lerngelegenheiten (Richardson 1996),
Zeit zum Speichern (d. h. Üben) bereitgestellt wird und nämlich
Fehler beim Abruf möglichst direkt korrigiert werden. Lehr- 1. den eigenen Schulerfahrungen,
11 kräfte, die andererseits eher ein sozio-konstruktivistisches 2. der formalen Ausbildung und
Verständnis vom L ­ehr-Lern-Prozess haben („constructivist 3. den eigenen persönlichen Erfahrungen.
view“), gehen davon aus, dass Wissen im gemeinsamen Dis-
kurs mit Lehrenden und Lernenden aufgebaut wird, und Überzeugungen zum Lehren und Lernen und zur Rolle von
legen besonderen Wert darauf, individuelle Problemlöse- und Schule und Erziehung werden somit bereits sehr früh auf-
Konstruktionsprozesse zu unterstützen. Für die Aufgaben gebaut, sodass Lehramtsstudierende ihr Studium schon mit
der Lehrkraft bedeutet dies eher ein Verständnis des Lehrers gefestigten Überzeugungen beginnen (Lortie 1975; Pajares
als Mediator, der Denkprozesse durch komplexe Problem- 1992). Bedenkt man hierbei den eingangs angesprochenen
stellungen auslöst und durch individuelle Hilfestellungen Filtereffekt von Überzeugungen, ist es umso wichtiger, dass
(„scaffolding“) den Wissensaufbau der Lernenden unterstützt. Lehramtsstudierende und Lehrkräfte dazu herausgefordert
Vor allem Studien in den Fächern Mathematik und werden, sich mit neuen Ansichten und Überzeugungen aus-
Naturwissenschaft belegen, dass Lehrkräfte tendenziell eher einanderzusetzen.
in die eine oder andere Richtung in ihren lerntheoretischen In neueren Ansätzen der Lehrerbildung hat man sich
Überzeugungen tendieren – obwohl es durchaus mög- daher der Frage zugewandt, wie man eigentlich Situationen
lich ist, dass eine Person beide Positionen gleichzeitig ver- gestalten müsste, um Lehrkräfte anzuregen, sich ihrer
tritt und je nach Situation unterschiedliche Gewichtungen Überzeugungen bewusst zu werden und sie zu reflektieren.
legt. Insgesamt aber scheinen Lehrkräfte sich eher der einen Unter Rückgriff auf die Conceptual-Change-Literatur sind
oder anderen „Tradition“ verpflichtet zu fühlen und richten Fortbildungskonzepte entstanden, die genau an dieser Frage
ihren Unterricht auch danach aus. Einer Studie an Grund- ansetzen (z. B. Decker 2015; Kleickmann et al. 2016; auch
schullehrern (Staub und Stern 2002) zufolge setzten Lehr- 7 Abschn. 11.5.3).
kräfte, die bezogen auf den Mathematikunterricht eher
sozio-konstruktivistische Überzeugungen über Lehren und
Lernen hatten, in ihrem Unterricht vermehrt Aufgaben ein, 11.3  Motivationale Merkmale
die komplexe Denkprozesse erforderten. Diese Unterrichts-
praxis wirkte sich günstig auf die mathematischen Fähig- Wenn es um Eigenschaften guter Lehrkräfte geht, wird
keiten der Schülerinnen und Schüler aus – und zwar vor immer wieder auf deren Motivation verwiesen. Vermutlich
allem bei Aufgaben, die eher komplexe Problemlöseansätze werden auch den Leserinnen und Lesern dieses Kapitels vor
erforderten (zur Übersicht: Reusser und Pauli 2014). allem diejenigen Lehrkräfte in Erinnerung geblieben sein,
die gerade nicht „Dienst nach Vorschrift“ machten, sondern
Veränderung von Lehrerüberzeugungen sich im Unterricht oder außerhalb durch hohes persön-
Ein wichtiges Thema in der Forschung zu Überzeugungen liches Engagement auszeichneten. Mit der Motivation von
von Lehrkräften ist die Frage nach der Veränderbarkeit. Lehrkräften sind die persönlich variierenden Gründe für
Hierbei wird angenommen, dass sich die Überzeugungen die Initiation, Richtung, Intensität und Aufrechterhaltung
Lehrkräfte
279 11
von Verhalten angesprochen (7 Kap. 7). In der Lehrer- der Motive für die Wahl des Lehramtsstudiums“ (FEMOLA;
forschung ist vor allem der Aspekt der Initiation besonders Pohlmann und Möller 2010) entwickelt, dem ebenfalls
häufig thematisiert worden, also die Frage, warum Personen das Erwartungs-Wert-Modell zugrunde liegt. Mit diesem
überhaupt ein Lehramtsstudium beginnen, und es wurde Instrument ließen sich faktorenanalytisch sechs Faktoren
untersucht, warum manche Lehrkräfte – unabhängig von identifizieren, wobei auch hier intrinsische Motive, z. B.
ihren ursprünglichen Berufswahlmotiven – ihren Beruf mit pädagogisches oder fachliches Interesse, und extrinsische
mehr oder weniger Energie verfolgen. Theoretisch wurden Motive, z. B. Nützlichkeitsaspekte oder soziale Einflüsse,
hierbei vor allem Überlegungen zur Schülermotivation auf unterschieden werden können (7 Exkurs „Fragebogen zur
Lehrende übertragen. Die Frage nach der Aufrechterhaltung Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums
und dem Absinken von Motivation, was im Extremfall bis (FEMOLA)“). Unter Nutzung der FIT-Choice-Skala ließ sich
zur Aufgabe des Berufs führen kann, wird in 7 Abschn. 11.4 zeigen, dass Lehramtsstudierende mit eher intrinsischen
unter dem Thema „Beanspruchungserleben“ diskutiert. Zielen eine günstigere Studiermotivation zeigten (Watt und
Richardson 2008). Um allerdings einzuschätzen, wie wichtig
die Berufswahlmotive für die spätere Berufsausübung sind,
11.3.1  Berufswahlmotive braucht es prospektive Längsschnittstudien, die bisher kaum
vorhanden sind. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass
Was motiviert Studienanfänger und -anfängerinnen, die Mehrzahl der Studien geschlossene, reaktive Antwort-
ein Lehramtsstudium aufzunehmen? Die vorliegenden formate verwendet haben und daher Antworttendenzen wie
Untersuchungen zur Berufswahlmotivation angehender selbstwertdienliche Verzerrungen oder Ja-Sage-Tendenzen
Lehrkräfte weisen ausnahmslos auf die subjektiv hohe bei der Angabe der Motive nicht auszuschließen sind.
Bedeutsamkeit der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
hin (im Überblick Brookhart und Freeman 1992). Als
weitere wichtige Gründe werden der gesellschaftliche Bei- 11.3.2  Enthusiasmus
trag, die abwechslungsreiche und interessante Tätigkeit,
fachbezogene Interessen, die Vermittlung von Wissen, Wie eingangs beschrieben gilt es als eine wichtige Eigen-
erfahrungsbestimmte Motive, die Vereinbarkeit von Familie schaft von Lehrkräften, begeistert und motiviert zu sein.
und Beruf und die Möglichkeit zur eigenen Weiterbildung Häufig wird hierfür auch der Begriff Enthusiasmus ver-
genannt. Darüber hinaus sind extrinsische Motive wie wendet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Lehr-
der hohe Freizeitanteil, die Arbeitsplatzsicherheit und das kräfte, die von ihrem Beruf oder Fach begeistert sind, diese
gute Gehalt von Bedeutung, werden allerdings in der Regel Haltung auch auf ihre Schülerinnen und Schüler über-
weniger stark gewichtet. Es lassen sich jedoch auch Unter- tragen und somit für mehr Freude und Interesse am Lern-
schiede beobachten, zum Beispiel bei Lehrkräften unter- stoff sorgen. Diese Annahme wird durch diverse Studien
schiedlicher Schulformen (Brookhart und Freeman 1992; gestützt, die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler von
Retelsdorf und Möller 2012; 7 Exkurs „Fragebogen zur Lehrkräften, die selbst davon berichten, ihren Beruf mit
Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums“). Freude auszuüben, tatsächlich eine günstigere Motivation
In jüngerer Zeit wurde versucht, die Forschung zur und (zum Teil) auch bessere Leistungen in den unter-
Berufswahlmotivation von Lehrkräften an elaborierte richteten Fächern zeigen (Keller et al. 2016). Dabei kann
motivationstheoretische Modelle anzubinden. So ent- der Enthusiasmus der Lehrkräfte auf unterschiedlichen
wickelten Watt und Richardson (2008) auf Basis des Wegen Einfluss auf das Lernen haben. Zum einen kann eine
7 Erwartungs-Wert-Modells von Eccles (2005) die „Factors Art „emotionale Ansteckung“ stattfinden, bei der die Lehr-
Influencing Teaching Choice Scale“ (FIT-Choice-Scale) und kraft aufgrund ihrer eigenen Begeisterung die Unterrichts-
konnten mit diesem Instrument 12 Einflussfaktoren für die inhalte so mitreißend darstellt, dass die positiven Gefühle
Wahl des Lehrerberufs differenzieren. Für den deutsch- auf die Lernenden übertragen werden und diese dann hoch
sprachigen Raum wurde der „Fragebogen zur Erfassung motiviert an die Sache gehen (Keller et al. 2016; Frenzel

Exkurs

Fragebogen zur Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA)
Der FEMOLA (Pohlmann und Möller Komponenten das pädagogische Vergleiche zwischen Lehramtsstudierenden
2010) erfasst erwartungs- und Interesse, das fachliche Interesse und des Gymnasiums und der Realschule
wertbezogene Faktoren (Eccles Nützlichkeitsaspekte. Entsprechend wiesen darauf hin, dass angehende
2005) für die Wahl des Lehramts- dem Erwartungs-Wert-Modell bildeten Gymnasiallehrkräfte in stärkerem Maße
studiums. Als erwartungsbezogene sich die sozialen Einflüsse als weiterer, fachliche Interessen als Studienwahlmotiv
Komponenten ließen sich die Fähigkeits- empirisch trennbarer Faktor für die angaben, während die zukünftigen
überzeugung und die wahrgenommene Studienwahl heraus. . Tab. 11.3 zeigt die Realschullehrkräfte höhere Ausprägungen
geringe Schwierigkeit des Studiums 6 resultierenden Skalen mit jeweils einem auf den Skalen „geringe Schwierigkeit“ und
identifizieren, als wertbezogene Itembeispiel. „Nützlichkeitsaspekte“ aufwiesen.
280 M. Kunter et al.

. Tab. 11.3 Skalen und Itembeispiele des FEMOLA

Faktor Itembeispiel
„Ich habe das Lehramtsstudium gewählt, weil …

Pädagogisches Interesse … ich gern mit Kindern und Jugendlichen arbeite.“


Fachliches Interesse … ich die Inhalte meiner Fächer interessant finde.“
Fähigkeitsüberzeugung … ich denke, dass ich eine gute Lehrerin/ein guter Lehrer sein werde.“
Nützlichkeitsaspekte … ich neben dem Beruf auch noch Zeit für Familie, Freunde und Hobbies haben will.“
Soziale Einflüsse … mir in der Familie nahe gelegt wurde, das Lehramtsstudium aufzunehmen.“
Geringe Schwierigkeit des Studiums … es leichter ist als andere Studiengänge.“

et al. 2009). Zum anderen kann die von den Lehrkräften erweckt, die meisten Lehrkräfte seien überfordert von ihrem
erlebte Freude am Beruf ein Motor dafür sein, dass diese Beruf und agierten fast immer am Rande des Nerven-
Lehrkräfte insgesamt ein hoch engagiertes Verhalten in und zusammenbruchs (Blömeke 2005). Wie wir bereits im
außerhalb des Unterrichts zeigen (Long und Hoy 2006), was Abschnitt zur Motivation gezeigt haben und im Folgenden
sich insgesamt in einer hohen Unterrichtsqualität nieder- noch weiter erläutern werden, trifft dieses Klischee jedoch
schlagen kann (Kunter et al. 2008). keineswegs auf die meisten Lehrkräfte zu.

11.3.3  Zielorientierungen 11.4.1  Vielfältige Emotionen und wie


Lehrkräfte damit umgehen
Aus der Forschung zur Motivation von Schülerinnen
11 und Schülern ist bekannt, dass Personen unterschied- Wie eingangs gezeigt wurde, ist der Lehrerberuf durch eine
liche Zielorientierungen (7 Kap. 7), d. h. unterschied- Vielzahl an Aufgaben gekennzeichnet, sodass der Arbeits-
liche Tendenzen im Umgang mit Leistungssituationen tag einer Lehrkraft durch viele unterschiedliche Ereig-
haben können. Meistens wird zwischen einer 7 Lernziel- nisse geprägt ist, die als positiv oder negativ erlebt werden
orientierung („mastery approach“) und einer 7 Leistungs- können (Schmidt et al. 2017). Lehrkräfte freuen sich, wenn
zielorientierung unterschieden („performance approach“), ihre Schülerinnen und Schüler gut mitmachen oder wenn
wobei Letztere oft noch in Annäherungs- und Ver- sie angenehme Interaktionen mit den Kolleginnen und
meidungsziele differenziert wird (Elliot 1999). Während Kollegen haben, und sie sind unzufrieden, wenn der Unter-
Personen mit Leistungszielorientierung dazu tendieren, in richt nicht gut läuft oder Probleme in der schulischen
leistungsthematischen Situationen vor allem ihren relativen Organisation auftreten (Schmidt et al. 2017). Tatsächlich
Leistungsstand im Vergleich zu anderen Personen zu scheint jedoch die Freude den Frust zu überwiegen, wie
fokussieren, sehen Personen mit Lernzielorientierung solche verschiedene Studien mit unterschiedlichen methodischen
Situationen eher als Möglichkeit des Lernens und Erreichens Ansätzen zeigen (z. B. Schmidt et al. 2017; Taxer und
von selbstgesetzten Standards. Auch Lehrkräfte können Frenzel 2015). So berichteten beispielsweise in einer Studie
sich in ihren Zielorientierungen unterscheiden und diese von Taxer und Frenzel (2015) zum emotionalen Erleben
Zielorientierungen sind für ihr Handeln relevant (Butler im Unterricht die befragten Lehrkräfte von insgesamt
2007; Nitsche et al. 2011). Dies gilt vor allem für Lehrkräfte 14 unterschiedlichen Emotionen, die von eher negativ
mit einer Lernzielorientierung, die also berufliche Heraus- konnotierten Gefühlen wie Hilflosigkeit, Ärger, Langeweile
forderungen (z. B. schwierige Unterrichtssituationen) als oder Enttäuschung bis zu positiv konnotierten Gefühlen wie
Chance für berufliche Weiterentwicklung sehen; sie zeigen Freude, Stolz oder Zuneigung reichten. Besonders häufig
ein günstigeres Unterrichtsverhalten (Butler und Shibaz wurden aber die eher positiv erlebten Emotionen gefühlt
2008) und engagieren sich insgesamt mehr in ihrem Beruf und auch gezeigt. Zeigen Lehrkräfte positive Emotionen
(Nitsche et al. 2013). wie Freude oder Enthusiasmus, kann sich das günstig auf
die Motivation und das Engagement der Schülerinnen
und Schüler auswirken, wie in 7 Abschn. 11.3.2 unter dem
11.4  Emotionale Merkmale Begriff der „emotionalen Ansteckung“ beschrieben (Frenzel
et al. 2009).
Wie alle Menschen erleben auch Lehrkräfte während ihrer Die psychologische Forschung hat sich auch damit
Berufsausübung eine Reihe an unterschiedlichen Gefühlen. beschäftigt, wie Lehrkräfte mit ihren Emotionen umgehen.
Diese Gefühle können von Freude und Stolz bis hin zu Von besonderem Interesse ist hier die Frage der Emotions-
Ärger oder großer Enttäuschung reichen (Keller et al. regulation während des Unterrichts. Unter emotionaler
2014). In populären Medien wird dabei häufig der Eindruck Arbeit (emotional labor, Hochschild 1983) versteht man
Lehrkräfte
281 11
verschiedene Strategien im Umgang mit unerwünschten Als eine langfristige Beanspruchungsfolge wird speziell auch
Emotionen. Dabei werden Tiefen- von Oberflächen- bei Lehrkräften das Burnout-Syndrom diskutiert (Definition).
strategien unterschieden: Während Tiefenstrategien daran Das am häufigsten verwendete Verfahren zur Messung von
ansetzen, durch kognitive Prozesse wie zum Beispiel Burnout ist das „Maslach Burnout Inventory“ (MBI; Maslach
Reattribuierung oder Entspannung die unerwünschten und Jackson 1981; s. auch Enzmann und Kleiber 1989). Dieser
negativen Emotionen abzuschwächen, geht es bei der ober- Fragebogen erfasst drei Aspekte, die den Autorinnen zufolge
flächlichen emotionalen Arbeit darum, lediglich den Aus- die Kernsymptome des Burnouts darstellen: emotionale
druck negativer Emotionen zu reduzieren, also positivere Erschöpfung, Depersonalisierung und wahrgenommener
Emotionen zu zeigen als eigentlich gefühlt. Wie sich leicht Leistungsmangel. Emotionale Erschöpfung beschreibt dabei
vorstellen lässt, ist letzteres eine wenig empfehlenswerte Gefühle der emotionalen Überforderung und der Ermüdung
Strategie; diverse Studien zeigen, dass Lehrkräfte, die häufig (z. B. „Am Ende des Schultages fühle ich mich erledigt.“).
unauthentisch agieren und es vermeiden, negative Gefühle Depersonalisierung kommt in einer zunehmend zynischen
zu zeigen, eine geringe Berufszufriedenheit und erhöhten und negativen Einstellung zum Ausdruck, vor allem bezogen
Stress erleben (Philipp und Schüpbach 2010; Taxer und auf die Schülerinnen und Schüler (z. B. „Ich glaube, ich
Frenzel 2015). behandle Schüler zum Teil ziemlich unpersönlich.“). Die
dritte Dimension „Leistungsmangel“ hebt auf das Gefühl der
verminderten Leistungsfähigkeit ab (z. B. „Ich fühle mich
11.4.2  Beanspruchungserleben voller Tatkraft“, umgepoltes Item). Das Burnout-Syndrom hat
in den letzten Jahren viel mediale Aufmerksamkeit erhalten,
Stress und Belastung sind Themen, die häufig im nicht zuletzt durch prominente Fälle aus dem Unterhaltungs-
Zusammenhang mit Lehrkräften diskutiert werden. oder Sportbereich. Unter Psychologen und Psychiatern wird
Empirisch lässt sich nicht sicher nachweisen, ob Lehr- die Diagnose jedoch kontrovers diskutiert, da unklar ist, ob
kräfte im Vergleich zu anderen Berufen ein erhöhtes Risiko es sich hierbei um ein eigenständiges Krankheitsbild mit
für Stresserkrankungen haben (Klusmann und Waschke einer spezifischen berufsbezogenen Entstehungsgeschichte
2018). Fest steht jedoch, dass manche Lehrkräfte ein ver- und spezifischer Therapie oder eine Variante von Depression
gleichsweise hohes Beanspruchungserleben zeigen, das handelt (Hillert 2010; Lehr 2014).
sowohl kurzfristige Reaktionen wie negative Emotionen als Fragt man Lehrkräfte, welche Aspekte ihres Berufs-
auch langfristige Folgen wie Stresserkrankungen umfassen lebens sie selbst als besonders belastend empfinden,
kann (z. B. Barth 2001; Körner 2003). Die Erforschung und werden häufig institutionelle Faktoren genannt, wie etwa
Behandlung von Stresserkrankungen von Lehrkräften ist hohe Arbeitsbelastungen durch große Klassen, heterogene
daher ein wichtiges Aufgabengebiet von Psychologinnen Leistungsniveaus in den Klassen, schwierige Schüler, hohe
und Psychologen. Lärmpegel und hohe Stundenbelastungen. Darüber hinaus
werden auch fehlende Unterstützung durch die Eltern und
Definition die Gesellschaft sowie das Erleben von Fremdbestimmung
7 Belastungen sind berufsbezogene Umweltfaktoren, durch Verbürokratisierung, Verrechtlichung und bildungs-
die auf die Person einwirken und zu positiven politische Maßnahmen als belastende Aspekte beschrieben
oder negativen Reaktionen führen können. (Schaarschmidt 2005; Burke et al. 1996).
Unterschieden wird zwischen objektiven Belastungen Dennoch scheinen nicht alle Lehrkräfte in gleichem
(psychophysiologisch nachweisbare Umweltmerkmale Maße von den berufstypischen Belastungen beeinträchtigt
wie z. B. Lärm oder organisatorische Strukturen) und zu werden. Wie in 7 Abschn. 11.3.2 und 11.4.1 dargestellt
subjektiven Belastungen (individuelle Wahrnehmung wurde, berichten viele Lehrkräfte, ihren Beruf gerne
und Interpretation von Umweltbedingungen). und mit Freude auszuüben – trotz teilweise ungünstiger
Bei 7 Beanspruchung handelt es sich um individuelle schulischer Bedingungen (siehe auch Schult et al. 2014).
Reaktionen auf Belastungen; unterschieden werden Theoretische Ansätze zur Erklärung von Beanspruchungs-
kann zwischen kurzfristigen Beanspruchungsreaktionen erleben (z. B. Antonovsky 1987) betonen, dass berufliche
(z. B. positives/negatives Empfinden, verminderte Situationen vor allem dann von Personen als belastend
Konzentration) und langfristigen Beanspruchungsfolgen empfunden werden, wenn es ihnen an Ressourcen mangelt,
(chronischer Stress, Burnout). um die Situation angemessen bewältigen zu können. Dabei
Unter 7 Burnout versteht man langfristige wird zwischen personalen Ressourcen (z. B. Fähigkeiten oder
Beanspruchungsfolgen; Burnout ist ein psychologisches Strategien) und sozialen Ressourcen (z. B. Unterstützung
Syndrom, welches durch die Symptome emotionale durch Kollegen) unterschieden. Wichtig ist, dass Lehrkräfte
Erschöpfung, Depersonalisierung und ein Gefühl nicht ausschließlich als Opfer ihrer Arbeitsbedingungen
verminderter Leistungsfähigkeit gekennzeichnet ist betrachtet werden, sondern ihnen eine aktive Rolle bei der
(Maslach et al. 2001). Mitgestaltung ihrer Belastungssituation zugeschrieben wird.
282 M. Kunter et al.

Im Rahmen des Ansatzes der persönlichen Ressourcen 11.5.1  Das Lehramtsstudium


kommt auch der Selbstwirksamkeitserwartung eine
Bedeutung zu (7 Abschn. 11.3.2). Lehrkräfte, die der Über- Das Lehramtsstudium an der Hochschule dient dazu,
zeugung sind, kompetent handeln zu können, haben theoretische Grundlagen in den Fächern, den dazugehörigen
anscheinend bessere Stressbewältigungsstrategien und Fachdidaktiken, aber auch den bildungswissenschaft-
erleben eine höhere Berufszufriedenheit (Schmitz 2001). Als lichen Disziplinen (7 Definition) – Erziehungswissenschaft,
weitere persönliche Ressourcen werden internale Kontroll- Psychologie, Bildungssoziologie – zu vermitteln. Die
überzeugungen (z. B. van Dick et al. 1999), schulisches Pädagogische Psychologie hat hier ihren Ursprung: Viele
Engagement und sinnvoll erlebte außerschulische Tätig- der ersten Pädagogischen Psychologen hatten Lehrstühle
keit (Buschmann und Gamsjäger 1999) oder realistische für Lehrerbildung inne, und auch heute sind Lehrver-
Erwartungen an den Beruf (Schmitz und Leidl 1999) dis- anstaltungen für Lehramtsstudierende ein wichtiges Tätig-
kutiert. keitsfeld Pädagogischer Psychologen.
Die beschriebenen Beanspruchungsfolgen können
die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Lehrkräfte Definition
erheblich einschränken und letztlich zum Aufgeben des Unter den Bildungswissenschaften werden im Rahmen
Berufs führen. Ein erhöhtes Beanspruchungserleben kann der Lehrerbildung die universitären Disziplinen
zu problematischen Verhaltensänderungen der Lehr- zusammengefasst, die den fachunabhängigen Teil
kräfte führen, wie z. B. zu ungeduldigem oder wenig wert- des Lehramtsstudiums ausmachen, also in der Regel
schätzendem sozialem Verhalten den Schülerinnen und Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie.
Schülern gegenüber oder einer weniger gründlichen Unter- Aufgrund der Kritik, dass in der Vergangenheit die
richtsvorbereitung (Maslach und Leiter 1999). Empirische Lehrveranstaltungen aus diesen drei Disziplinen nur
Studien weisen darauf hin, dass die Unterrichtsqualität bei wenig aufeinander abgestimmt waren, sind viele
Lehrkräften mit ungünstigen Bewältigungsmustern und Universitäten mittlerweile dazu übergegangen, stärker
erhöhtem Beanspruchungserleben tatsächlich leidet, was koordinierte Lehrangebote anzubieten, bei denen die
wiederum mit ungünstigen motivationalen Ausprägungen
11 und geringerer Leistung seitens der Schüler einhergeht
Abgrenzungen zwischen den einzelnen Disziplinen
weniger hervortreten.
(Klusmann et al. 2008; Klusmann et al. 2016).

Kenntnisse in Pädagogischer Psychologie sind fester


11.5  Lerngelegenheiten für (angehende) Bestandteil des Curriculums jedes Lehramtsstudiums
Lehrkräfte (Patrick et al. 2011), das in der Regel Themen wie Lernen
und Lehren, Entwicklung und Erziehung in sozialen
Auch wenn – wie bereits diskutiert – Annahmen über Kontexten, pädagogisch-psychologische Diagnostik und
„geborene Lehrer“ durchaus gängig sind, entwickeln Evaluation sowie Intervention und Beratung umfasst
sich viele der für den Lehrerberuf notwendigen Voraus- (Deutsche Gesellschaft für Psychologie 2002). Lehramts-
setzungen erst im Verlauf der Berufsausbildung oder studierende haben so die Gelegenheit, fundiertes Wissen
-ausübung. Vor allem die kognitiven Merkmale wie
­ über die psychologische Seite ihres Berufs aufzubauen, das
Wissen und Überzeugungen sind Kern der professionellen – wie im 7 Abschn. 11.2.1 gezeigt wurde – eine wichtige
Kompetenz von Lehrkräften, die sich vor allem im Rahmen Grundlage für die erfolgreiche Berufsbewältigung dar-
strukturierter Lerngelegenheiten herausbilden. Dabei stellt stellt. Auch im Hinblick auf die Veränderungen von Über-
die Ausbildungsphase selbst vermutlich die wichtigste zeugungen (7 Abschn. 11.2.2) kann der psychologische
Gelegenheit zum Kompetenzaufbau dar. In Deutschland Studienanteil eine wichtige Rolle spielen – immer dann,
ist die Lehrerbildung konsekutiv aufgebaut, mit zunächst wenn Lehramtsstudierende im Zuge ihrer Auseinander-
einer ersten theoretisch angelegten Phase – dem Uni- setzung mit psychologischen Theorien und Befunden
versitätsstudium – und einer zweiten praktischen Phase angeregt werden, ihre intuitiven Vorstellungen zu
– dem Vorbereitungsdienst. Die späteren Fortbildungen revidieren.
im Beruf werden gelegentlich als dritte Phase bezeichnet. Einschränkend sei jedoch angemerkt, dass Psychologie
Die Lehrerbildung ist eines der aktuell am meisten dis- nur einen kleinen Teil des Lehramtsstudiums umfasst:
kutierten bildungsbezogenen Themen und in allen drei So machen beispielsweise bei angehenden Gymnasial-
Phasen wurden in den letzten Jahren in Deutschland zum lehrkräften die Anteile der Fächer und der Fachdidaktik
Teil tief greifende Reformen vorgenommen. Im Folgenden durchschnittlich etwa zwei Drittel aus, während die
werden kurz einige Herausforderungen und Problemfelder Bildungswissenschaften nur mit etwa 12 % veranschlagt
der jeweiligen Phasen skizziert, um ein Bild davon zu ver- sind; hinzu kommen Schulpraktika (Bauer et al. 2012).
mitteln, wie Lehrkräfte in ihrer Kompetenzentwicklung Dennoch sind sich Experten einig, dass psychologische
unterstützt werden können – und auch, welche Rolle die Inhalte ein zentraler Teil des Lehramtsstudiums sein sollten
Pädagogische Psychologie dabei spielen kann. (Kunina-Habenicht et al. 2012).
Lehrkräfte
283 11
11.5.2  Einstieg in die Praxis: Der Fortbildungen für Lehrkräfte umfassen zahlreiche
Vorbereitungsdienst Angebote. Aufgrund ihres fachlichen Hintergrunds sind
Psychologinnen und Psychologen hier vor allem in den
Der Vorbereitungsdienst ist ein Alleinstellungsmerkmal des Bereichen Klassenführung, Gesundheitsprävention, Gewalt-
deutschen Lehrerbildungssystems – in kaum einem anderen prävention, Diagnostik sowie der Beratung von Eltern
Land ist eine vergleichbare lange Phase des begleitenden oder Schülerinnen und Schülern als Referentinnen und
Berufseinstiegs fest etabliert. Im Anschluss an das Studium Referenten gefragt (Kunina-Habenicht et al. 2016; Richter
werden junge Lehrkräfte graduell in das Unterrichten und et al. 2012). So ist das Thema Klassenführung ein wichtiger
andere schulbezogene Aufgaben eingeführt, begleitet durch Aspekt der Unterrichtsgestaltung, bei dem Psychologinnen
Mentorinnen und Mentoren an den Schulen (Ausbildungs- und Psychologen Lehrkräfte durch Fortbildungen unter-
lehrkräfte) und begleitende Studienseminare. Während stützen können. Das Fortbildungsprogramm „Kompetenzen
die Universitätsphase von vielen Lehrkräften retrospektiv des Klassenmanagements (KODEK)“ (Piwowar et al. 2013;
als theorielastig und wenig praxisvorbereitend bewertet Ophardt et al. 2017), das darauf abzielt, die Kompetenz
wird, beschreiben diese den Vorbereitungsdienst oft als von Lehrkräften im Bereich der Klassenführung zu stärken,
sehr hilfreich (Abs 2011; Czerwenka und Näller 2011). Die ist ein Beispiel für eine solche Fortbildung. Das Programm
Ausbildung während des Vorbereitungsdienstes liegt in besteht aus drei Modulen und kombiniert theoretische
Deutschland in den Händen der staatlichen Studienseminare, Inputs mit der Analyse von Unterrichtsvideos, Rollenspielen
deren Ausbilderinnen und Ausbilder in der Regel erfahrene und moderierten Videozirkeln, bei denen der eigene Unter-
Lehrkräfte sind, sodass Psychologinnen und Psychologen in richt anhand von Videomitschnitten reflektiert wird. Die
dieser Phase weniger stark praktisch involviert sind. Evaluation des Programms ergab eine hohe Akzeptanz und
Dagegen hat sich die pädagogisch-psychologische Zuwächse im selbsteingeschätzten Wissen bei den Lehr-
Forschung ausgiebig mit der spannenden Phase des Über- kräften sowie eine verbesserte Klassenführung aus Sicht der
gangs von der Universität in die Praxis beschäftigt. Wie Schülerinnen und Schüler.
Studien zeigen, stehen junge Lehrkräfte vor einer Reihe an Psychologinnen und Psychologen haben natürlich
spezifischen Problemen, wie etwa Schwierigkeiten bei der auch etwas zum Thema Stressbewältigung und Gesund-
Klassenführung, angemessenem Umgang mit einer hetero- heitsförderung bei Lehrkräften beizutragen. Ein Fort-
genen Schülerschaft, Unsicherheiten im Umgang mit bildungsbeispiel aus diesem Themenbereich ist das
Eltern, Problemen bei der Zusammenstellung von Unter- Präventionsprogramm AGIL „Arbeit und Gesundheit
richtsmaterialien oder Schwierigkeiten, angemessen auf im Lehrerberuf“ (Hillert et al. 2016; Lehr et al. 2013). Es
individuelle Schülerprobleme einzugehen (Veenman 1984). umfasst vier grundlegende Module, die unter anderem die
Dieser „Praxisschock“ kann dazu führen, dass die Selbst- Merkmale und Entstehung von Stress sowie verschiedene
wirksamkeitsüberzeugungen (7 Abschn. 11.2.2) abnehmen Wege der Entlastung thematisieren. Dazu zählen beispiels-
(Woolfolk Hoy und Burke-Spiro 2005) und die jungen weise die Entwicklung und das Einüben von funktionalen
Lehrkräfte sich stark belastet fühlen (Klusmann et al. 2012). Gedanken, der Umgang mit Konfliktsituationen und die
Gleichzeitig stehen verschiedene Unterstützungssysteme Einführung von Erholungsstrategien. Die Evaluation des
zur Verfügung, wie etwa die Mentorinnen und Mentoren Programms zeigte, dass die Depressionswerte bei der Hälfte
oder andere junge Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, also der depressiv vorbelasteten Lehrkräfte nach dem Training
ihre Peers, die negative Entwicklungen verhindern können im gesunden Normbereich lagen. Dieser Rückgang blieb
(Richter et al. 2011; Voss und Kunter in press). auch ein Jahr nach dem Training stabil.
Neben der Durchführung von Fortbildung für Lehr-
kräfte wird psychologisches Know-how auch gebraucht,
11.5.3  Fortbildungen im Beruf um die Gestaltung, Nutzung und Wirksamkeit von Fort-
bildungen zu erforschen (7 Exkurs: „Scaffolding als wirk-
Wie viele andere Berufsgruppen sind Lehrkräfte auf- sames Gestaltungselement von Lehrerfortbildungen“).
gefordert, sich auch nach abgeschlossener Ausbildung Dass Lehrerfortbildungen wie im Exkurs beschrieben
kontinuierlich weiterzubilden. In Deutschland ist die wissenschaftlich evaluiert werden und ihre Wirksam-
kontinuierliche Fortbildung zwar als Dienstpflicht für keit geprüft wird, trifft in den seltensten Fällen zu. Zwar
Lehrkräfte vorgeschrieben, doch ist der zeitliche Mindest- werden viele Fortbildungen von Lehrkräften oft als hilfreich
umfang nur in wenigen Bundesländern explizit geregelt bewertet, doch findet die Umsetzung des neu Gelernten im
(Richter 2016). Inhaltlich steht es Lehrkräften frei, sich aus Unterricht nur selten statt und Effekte auf die Schüler sind
einer großen Anzahl an Fortbildungen die für sie passenden selten zu beobachten (Lipowsky 2014). Dies liegt offenbar
auszuwählen. Nachgewiesen ist, dass sich Lehrkräfte in der zu einem großen Teil daran, dass viele Fortbildungen zum
Anzahl und Qualität ihrer Fortbildungsaktivitäten deutlich einen punktuell angelegt sind und spezifische Schulkontexte
unterscheiden und dass neben schulischen Einflussfaktoren sowie die langfristige Implementation nicht berück-
vor allem auch motivationale Merkmale, wie etwa die unter sichtigen. Weiterhin weist die Forschung darauf hin, dass
7 Abschn. 11.3.3 beschriebenen Zielorientierungen, prä- Fortbildungen, die nur auf die Vermittlung von Wissen
diktiv sind (z. B. Nitsche et al. 2013). und Fertigkeiten ausgerichtet sind, ohne dass Lehrkräfte
284 M. Kunter et al.

Exkurs

Scaffolding als wirksames Gestaltungselement von Lehrerfortbildungen


Die Effekte von Scaffolding-Maßnahmen pädagogische Wissen anhand von Unterrichts durch ein höheres Maß
in der Lehrerfortbildung untersucht eine Fortbildungsmaterialien selbstgesteuert. an Aktivierung und Strukturierung
Studie von Kleickmann et al. (2016). Eine Baseline-Gruppe erhielt keine hin. Schließlich zeigte sich auch bei
In dieser experimentellen Studie nahmen Fortbildung. den Schülerinnen und Schülern, die
Grundschullehrkräfte an unterschiedlich Die Ergebnisse zeigen, dass sich die von Lehrkräften der „Scaffolding“-
gestalteten Fortbildungen zum Scaffolding-Maßnahmen günstig auf Gruppen unterrichtet wurden,
naturwissenschaftlichen Sachunterricht die fachspezifischen Überzeugungen ein besseres Verständnis des
teil. Die Lehrkräfte in den beiden der Lehrkräfte und ihr unterrichtliches Unterrichtsinhalts. Besonders gut waren
Experimentalgruppen („Scaffolding“) Handeln auswirkten. So entwickelten die Schülerleistungen in der Gruppe der
erhielten bei der Erarbeitung der Lehrkräfte, die an den Fortbildungen Lehrkräfte mit starker Unterstützung.
Fortbildungsinhalte Unterstützung mit Scaffolding teilgenommen hatten, Die Studie weist insgesamt
durch Experten, wobei die eine ein stärker konstruktivistisches und die Wirksamkeit aller drei
Gruppe in stärkerem Ausmaß und die weniger transmissives Verständnis von Fortbildungsmaßnahmen für den
andere Gruppe in geringerem Ausmaß Lehr-Lern-Prozessen. Videoanalysen naturwissenschaftlichen Unterricht in der
unterstützt wurde. Die Lehrkräfte in einer Unterrichtseinheit zum Thema Grundschule nach. Die Fortbildungen mit
der Kontrollgruppe erarbeiteten sich „Schwimmen und Sinken“ wiesen Scaffolding-Maßnahmen erwiesen sich
das fachliche, fachdidaktische und zudem auf eine höhere Qualität ihres dabei als besonders erfolgreich.

angeregt werden, ihre bisherigen Praktiken und Über-


zeugungen zu hinterfragen, wenig effektiv sind (Gregoire Unterrichtsgegebenheiten häufig durch spezifische
2003). Die im Exkurs beschriebene Fortbildung verdeut- Überzeugungen der Lehrenden beeinflusst werden
licht, dass Lehrerfortbildungen vor allem dann erfolg- und ihr Handeln bestimmen. Diese Überzeugungen
reich sind, wenn sie sich auf fachbezogene Lernprozesse können – wie am Beispiel der Erwartungseffekte
11 von Schülerinnen und Schülern beziehen, die Lehrkräfte gezeigt – somit Einfluss auf das Lernen und Verhalten
dazu anregen, sich aktiv mit den Fortbildungsinhalten aus- der Schülerinnen und Schüler nehmen. Dass sich neben
einanderzusetzen, und sich die Fortbildungen über einen kognitiven Aspekten auch motivational-emotionale
längeren Zeitraum erstrecken (Desimone 2009; Lipowsky Lehrermerkmale wie die Freude an der Tätigkeit oder die
2014). Insgesamt ist die dritte Phase der Lehrerbildung erlebte Beanspruchung auf das unterrichtliche Handeln
somit ein Feld, das bislang Potenziale brach liegen lässt. Die auswirken können, wird durch neuere Forschungs-
in den letzten Jahren zunehmend gewonnenen Erkennt- ergebnisse belegt.
nisse zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften Das Verhalten und Erleben von Lehrkräften ist aber auch
bieten jedoch wertvolle Hinweise, wie Lehrerfortbildungen aus einem weiteren Grund ein wichtiges Thema für die
zukünftig wirksamer gestaltet werden könnten. Pädagogische Psychologie. In neueren Ansätzen wird
durchgängig davon ausgegangen, dass nicht angeborene
Talente, sondern berufsspezifische erlernbare
Fazit Kompetenzen entscheidend sind für eine erfolgreiche
Die Pädagogische Psychologie beschäftigt sich Berufsausübung. Es existieren daher verschiedene
mit den psychischen Prozessen, die sich innerhalb Ansätze zur Aufrechterhaltung, Verbesserung und
von pädagogischen Situationen abspielen. Die Erweiterung von Handlungs- und Unterrichts-
wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Erleben und kompetenzen, die sich an Lehramtsstudierende,
Handeln von Lehrkräften ist daher aus mindestens zwei angehende Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und
Gründen relevant. ausgebildete Lehrkräfte richten. Lehrer rücken somit
Zum einen sind Lehrkräfte maßgeblich dafür selbst als Lernende in den Fokus pädagogischer
verantwortlich, die Lernprozesse von Schülerinnen Interventionen – aus empirischer Sicht ist dieses Thema
und Schülern zu steuern und zu begleiten. Wie wir noch längst nicht erschöpfend erschlossen.
im vorliegenden Kapitel gezeigt haben, können
verschiedene Merkmale der Lehrkräfte ausschlaggebend
dafür sein, wie gut ihnen die Gestaltung von
? Verständnisfragen
unterrichtlichen Lernsituationen gelingt. Eine
1. Wie hat sich die Perspektive auf Lehrkräfte in der
umfangreiche Wissensbasis über fachliche Inhalte,
pädagogisch-psychologischen Forschung im Verlauf
Methoden und Lernprozesse scheint hilfreich zu sein,
der Zeit geändert und welche Konsequenzen hatte
um adaptiv auf Bedürfnisse der Lernenden einzugehen.
das für die empirische Forschung?
Gleichzeitig weisen viele empirische Befunde darauf
2. Was versteht man unter Erwartungseffekten und wie
hin, dass die Wahrnehmung und Interpretation von
ist der derzeitige empirische Kenntnisstand hierzu?
Lehrkräfte
285 11
3. Welche Formen des Lehrerwissens kann man Brookhart, S. M., & Freeman, D. J. (1992). Characteristics of entering
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Buschmann, I., & Gamsjäger, E. (1999). Determinanten des Lehrer-Burn-
und nur hoch motivierte und talentierte out. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 46, 281–292.
Kandidaten zuzulassen. Nehmen Sie – basierend auf Butler, R. (2007). Teachers’ achievement goals and associations with
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6. Stellen Sie sich vor, Sie sind Bildungsminister(in)
predictors for students’ perception of teachers’ behaviours and
und sollen die Lehrerbildung reformieren. Welche student helpseeking and cheating. Learning and Instruction, 18,
Ansatzpunkte halten Sie für besonders wichtig? 453–467.
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289 12

Gleichaltrige
Ursula Kessels und Bettina Hannover

12.1  Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe – 290


12.2  Beliebtheit und Freundschaft – 292
12.2.1  Beliebtheit – 292
12.2.2  Freundschaft – 293

12.3  Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit


unterschiedlichem Peer-Status – 293
12.3.1  Beliebtheit als soziale Akzeptanz: Welche Kinder und Jugendlichen
werden gemocht, welche werden eher abgelehnt? – 293
12.3.2  Beliebtheit als Reputation: Welche Kinder und Jugendlichen gelten
als beliebt? – 294
12.3.3  Ursachen für die positiven Korrelationen zwischen sozialer Akzeptanz
und Schulleistungen – 295

12.4  Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen – 295


12.4.1  Gruppenzugehörigkeit als Teil der eigenen Identität: Soziale Identität
und Intergruppenbeziehungen – 296
12.4.2  Gleich und gleich gesellt sich gern: Homophilie – 296
12.4.3  Wie aus sozialen Normen Gruppendruck wird: Konformität – 298

12.5  Miteinander und voneinander lernen – 299


12.5.1  Überwindung von gruppenbedingten Feindseligkeiten durch
kooperative Lernformen – 299
12.5.2  Peer Educator als Wissenvermittler – 299
12.5.3  Aggression und Bullying – 300
12.5.4  Fokus: Spezifische Defizite aggressiver Kinder in der sozialen
Informationsverarbeitung – 301
12.5.5  Fokus: Bullying als soziales Geschehen im Klassenkontext – 302
12.5.6  Maßnahmen gegen Aggression und Bullying an Schulen: Prävention
und Intervention – 304

Literatur – 305

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_12
290 U. Kessels und B. Hannover

„Worauf freust du dich in der Schule?“ – Welche spontanen aktuellen Diskussion um die sozialisatorische Bedeutung
Antworten sind auf diese Frage zu erwarten? Fragen Sie von Peers vertritt beispielsweise Harris (1995, 2000) die
Ihre Nichte, das Nachbarskind, den Sohn Ihrer Freundin; Ansicht, dass der Einfluss der Gleichaltrigen auf die Persön-
versetzen Sie sich in Ihre Schulzeit zurück und über- lichkeitsentwicklung gegenüber dem der Eltern ungleich
legen Sie, was Sie selbst geantwortet hätten. Würde die größer sei: Ausgehend von verhaltensgenetischen Befunden,
Freude daran, Neues zu lernen und zu verstehen, als Erstes nach denen sich nur zwischen 0 und 10 % der Varianz in
genannt werden? Vermutlich nicht. Die Schule ist allein Persönlichkeitsmerkmalen von Geschwistern auf die „geteilte
durch die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche dort den Umwelt“ des gemeinsamen Elternhauses zurückführen
überwiegenden Teil ihrer (mehr oder weniger) wach ver- lassen, entwirft sie in ihrer Theorie der Gruppensozialisation
brachten Zeit zubringen, der zentrale Ort für sie, um Freund- ein vorrangig von Peergruppen gesteuertes Sozialisations-
schaften zu knüpfen und sich mit Gleichaltrigen zu treffen. modell. Coleman (1961) hat für die Phase des Jugendalters
Und genau dieses wird auch am häufigsten als die positive eine eigenständige, von der Erwachsenenwelt vollständig
Seite von Schule empfunden: Man freut sich darauf, in der abgegrenzte Jugendkultur postuliert, die impliziert, dass
Schule die Freundin zu sehen, mit den anderen Kindern intergenerationale Konflikte ab dem Jugendalter unver-
zu spielen oder mit der Clique auf dem Schulhof herum- meidbar und sogar erwünscht seien. Eine wichtige Funktion
zustehen (z. B. Spiel et al. 2018; Wentzel et al. 2014). Im dieser Jugendkultur sei gerade die Ablösung von den Eltern
folgenden Kapitel wird es darum gehen, welche Bedeutung und den von ihnen übernommenen Normen.
und Funktion Gleichaltrige für Kinder und Jugendliche
haben. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Bereich „Schule
und Lernen“. Was ist das Besondere an den Beziehungen Exkurs
zwischen Heranwachsenden, in welcher Hinsicht bieten sie
einander etwas, mit dem weder Eltern noch Lehrkräfte auf- Gleichaltrige: Peers
warten können? Welche Arten von Beziehungen lassen sich Wo im deutschsprachigen Raum etwas holprig von
„Gleichaltrigen“ die Rede ist, haben die Angelsachsen mit dem
im Klassenkontext beschreiben? Was ist Beliebtheit und
deutlich griffigeren „Peer“ einen eleganteren und zugleich
was hat Beliebtheit im Klassenverband mit schulbezogenen inhaltlich interessanteren und umfassenderen Begriff gewählt –
Merkmalen wie Motivation und Leistung zu tun? Wie lässt sodass dieser auch schon lange bei uns im Duden zu finden ist.
sich die Abgrenzung verschiedener Cliquen voneinander Der Ausdruck „Peers“ stammt aus der Welt des englischen Adels
12 erklären? Wie kann bei problematischen Interaktionen wie und meint in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht gleich
alte, sondern einander gleichgestellte, ebenbürtige Personen
Bullying interveniert werden? (. Abb. 12.1).
(nämlich die Mitglieder des House of Lords, des Britischen
Oberhauses).

Andere Autoren widersprechen dieser Auffassung vor


dem Hintergrund, dass nicht nur Kinder, sondern auch
die meisten Jugendlichen ihre Eltern als wichtige Bezugs-
personen bezeichnen: Die vor allem ab dem Jugendalter
intensiveren Beziehungen zu den Peers scheinen die zu
den Eltern also nicht abzulösen, sondern vielmehr zu
ergänzen (Walper et al. 2015; Schmidt-Denter 2005). Von
Salisch (2000) betont, dass der Einfluss von Peers auf die
Persönlichkeitsentwicklung gegenüber dem der Familie
aus folgenden Gründen nur sekundär sei: Kinder bauen
Kontakte zu Gleichaltrigen auf der Grundlage dessen auf,
was sie im familiären Kontext erworben haben (Bindungs-
qualität, Erziehungsstil), und Eltern beeinflussen durch
Kontaktanbahnung und Ratschläge auch ganz direkt
. Abb. 12.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
die Art und Qualität der Peerbeziehungen ihrer Kinder.
Fletcher et al. (1995) stellten anhand von Querschnitts-
12.1  Bedeutung und Funktion der
daten fest, dass nicht nur der Erziehungsstil der eigenen
Eltern einen Einfluss auf das Leistungsverhalten und die
Gleichaltrigengruppe
gelungene Entwicklung Jugendlicher hat, sondern darüber
hinaus sich auch der Erziehungsstil der Eltern der eigenen
Es wird kontrovers darüber diskutiert, wie groß der Ein-
Freunde auswirkt: Wenn der Freundeskreis aus Jugend-
fluss von Peers (7 Exkurs „Gleichaltrige: Peers“) – im Gegen-
lichen besteht, deren Eltern einen autoritativen Erziehungs-
satz zum Einfluss der Eltern – auf die kognitive und soziale
stil haben (statt einem autoritären oder Laissez-faire-Stil),
Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden ist. In der
so wirkt sich auch dies auf die eigenen Schulleistungen
Gleichaltrige
291 12
und die eigene psychosoziale Anpassung positiv aus. Die insgesamt Gelegenheitsstrukturen, in denen solche
Autoren vermuten weiter, dass sich Jugendliche vorrangig symmetrisch-reziproken Interaktionen wahrscheinlicher
­
mit solchen Peers anfreunden, deren Eltern einen ähnlichen realisiert werden.
Erziehungsstil haben wie die eigenen. Die besondere Qualität der Interaktionen der Gleich-
Ungeachtet der Differenzen bezüglich des relativen altrigen im Sinne von Gleichrangigen schließt auch nicht
Einflusses der Eltern und Peers auf die Persönlichkeitsent- aus, dass Interaktionen zwischen Kindern, die im Alter
wicklung besteht doch Einigkeit darüber, dass die Kontakte voneinander abweichen, nicht ebenfalls entwicklungs-
und Beziehungen zu Gleichaltrigen eine einzigartige und förderlich wären. Gerade bei Vorschulkindern konnte
hervorgehobene Rolle in der Entwicklung von Kindern und beobachtet werden, dass die Interaktion erleichtert wird,
Jugendlichen spielen. Nach Krappmann (1993) bezeichnet wenn eines der beiden Kinder etwas älter ist und für das
die sogenannte „Kinderkultur“ („peer culture“) eine eigen- jüngere Kind Modellcharakter besitzt. Die etwas älteren
ständige Sozialwelt der Kinder, die unverzichtbarer Ort Kinder können den jüngeren etwas beibringen und
der Entwicklung von Autonomie und Kompetenz ist. Im ihnen helfen. Dies wirkt sich sowohl auf den Erwerb von
Folgenden wird dargestellt, welche spezifischen Funktionen Kompetenzen der jüngeren Kinder als auch auf die Ent-
Peer-Kontakte für Heranwachsende haben. wicklung der sozialen Fähigkeiten der älteren Kinder
positiv aus (zusammenfassend Schmidt-Denter 2005).
z Kognitive und soziale Entwicklung Kinder spielen am liebsten mit anderen Kindern. Dem
Schon Piaget (1954/1932) schrieb den Gleichaltrigen kooperativen Spiel werden zahlreiche entwicklungs-
eine besondere Rolle bei der kognitiven Entwicklung zu: fördernde Funktionen aus dem kognitiven und sozialen
Gerade weil sie einander gleichrangig sind und sich auf Bereich zugeschrieben.
der gleichen oder benachbarten Stufe der kognitiven Ent- 5 Es vermittelt soziale Kompetenzen, indem Kinder
wicklung befinden, können sie einander Denkanstöße lernen, wie andere einbezogen werden.
liefern, die sie in ihrer Entwicklung befördern. Aufbauend 5 Es lehrt, dass soziale Interaktionen durch Regeln
auf Piaget bezeichnet Youniss (1980, 1994) als das Wesent- gesteuert werden und führt so zum Erwerb sozialer
liche der Beziehungen zu Peers, dass sie unter bilateraler Normen.
Kontrolle stehen und sich durch eine symmetrische 5 Es dient als Medium für den Spracherwerb.
Reziprozität auszeichnen. Dies bedeutet, dass die mög- 5 Es fördert die kognitive Entwicklung auch durch den
licherweise konträren Standpunkte unter Peers zunächst Gebrauch von Objekten im Spiel.
gleichen Anspruch darauf haben, die richtige Sichtweise 5 Es ermöglicht die Einübung von Rollen, die in der
auf den jeweiligen Sachverhalt darzustellen. Bei Inter- Erwachsenenwelt beobachtet werden.
aktionen mit Vertretern der vorangehenden Generation 5 Es ist für die Konstruktion sozialer Schemata zentral.
(unilaterale Kontrolle und komplementäre Reziprozi- 5 Es fördert den Erwerb prosozialer Verhaltensweisen
tät) steht hingegen von vornherein fest, dass diese durch (zusammenfassend Schmidt-Denter 2005).
den Vorsprung in Wissen und Lebenserfahrung und
qua ihrer Rolle als Erziehungsberechtigte im Recht sein Insgesamt kommt den Peerkontakten eine zentrale
werden. Durch die Auseinandersetzung mit einer von der Sozialisationsfunktion zu, weil für die Aufrechterhaltung
eigenen Sichtweise abweichenden Meinung eines Gleich- von gelingenden Interaktionen kooperative und prosoziale
altrigen entstehe dagegen ein echter kognitiver Konflikt, Verhaltensweisen nötig sind.
der gleichzeitig auch ein sozialer Konflikt ist. Die Kinder Dass positive Interaktionen mit Peers den Kompetenz-
oder Heranwachsenden müssen die eigene Sichtweise erwerb von Kindern fördern, spiegelt sich schließlich
kommunizieren lernen, mit der differierenden Sichtweise auch darin wider, dass im Klassenverband akzeptierte
vergleichen und letztlich zu einer gemeinsam erarbeiteten Kinder im Durchschnitt bessere Schulleistungen zeigen
Lösung kommen. Die Entwicklung einer gemeinsamen als Kinder, die von anderen abgelehnt werden. In
Sichtweise ist in symmetrisch-reziproken Beziehungen 7 Abschn. 12.3 wird ausführlicher beschrieben, wie die
nur über kooperative Perspektivenkoordination und gelungene Integration in die Gleichaltrigengruppe mit
das Aushandeln von Kompromissen möglich, wodurch schulischen Leistungen zusammenhängt.
Kooperation und Konsensbildung erreicht werden
können (Ko-Konstruktion sozialer Realität; Youniss 1994). z Affiliation
Zusammengefasst müssen die interagierenden Kinder, Als Affiliation wird in der Psychologie die Verhaltens-
um die Ko-Konstruktion gemeinsam zu bewerkstelligen, tendenz bezeichnet, die Gesellschaft anderer Menschen zu
wesentliche kognitive Entwicklungsschritte vollziehen, suchen. Peerkontakte und Freundschaften sind ein Aus-
die die Überwindung des kindlichen Egozentrismus sensu druck dieses ganz offenbar angeborenen menschlichen
Piaget beinhalten und insgesamt das Sprechen, Denken Bedürfnisses nach Kontakt, Nähe und Austausch. In
und moralische Urteilen befördern. Auch wenn nicht welcher Hinsicht Kinder und Jugendliche Freundschaften
jede Interaktion zwischen Peers so gleichberechtigt statt- gerade darüber definieren, dass sie einander mögen und
findet, wie es das Modell der symmetrisch-reziproken unterstützen, wird in 7 Abschn. 12.2.2 detaillierter dar-
Interaktion impliziert, schaffen Peerbeziehungen doch gestellt.
292 U. Kessels und B. Hannover

z Unterstützung bei der Bewältigung von Übergängen 12.2.1  Beliebtheit


und Entwicklungsaufgaben
Den Peerbeziehungen kommt eine zentrale Rolle bei der Vor allem in der englischsprachigen Literatur wird bezüg-
Bewältigung von Übergängen und Entwicklungsaufgaben lich des Peer-Status zwischen zwei Konzepten unter-
zu. Gerade die Gleichaltrigkeit der Peers impliziert, dass schieden, die sich im Deutschen zwar beide als „Beliebtheit“
sie in einem ähnlichen Zeitraum die gleichen normativen übersetzen lassen, aber Unterschiedliches meinen.
Lebensereignisse und Entwicklungsaufgaben zu meistern
haben (z. B. Einschulung, Schulwechsel, Pubertät, erste Beliebtheit als soziale Akzeptanz
sexuelle Beziehungen, Ablösung vom Elternhaus). Der Zum einen kann Beliebtheit das Ausmaß des
Austausch darüber macht vor allem in der Adoleszenz Gemochtwerdens im Sinne der sozialen Akzeptanz („social
einen beträchtlichen Anteil der Interaktionen aus: acceptance“) eines Kindes meinen. Wie „beliebt“ bzw. sozial
Mit zunehmendem Alter sprechen Jugendliche immer akzeptiert ein Kind innerhalb des Klassenverbandes ist, wird
häufiger mit ihren Freunden – und relativ seltener mit überwiegend mit soziometrischen Verfahren gemessen.
ihren Eltern – über Schwierigkeiten oder Probleme, die Dabei handelt es sich um Fragebögen, in denen sämt-
sie mit sich selbst und mit anderen haben (Fend 2005). liche Mitglieder einer Gruppe (z. B. einer Schulklasse) eine
Die Erfahrung, dass Freunde ähnlichen Belastungen aus- bestimmte Anzahl (meistens drei) von Mitschülerinnen und
gesetzt sind wie man selbst, hat erleichternde Wirkung. Mitschülern benennen müssen, die sie am liebsten mögen
Die Imitation gelungener Lösungen ermöglicht es den und/oder mit denen sie am liebsten bestimmte Aktivitäten
Jugendlichen, neue Orientierungen aufzubauen und die machen würden (z. B. zusammenarbeiten, nebeneinander
mit den Veränderungen der Adoleszenz einhergehenden sitzen, zum Geburtstag einladen), und Mitschüler, mit denen
Unsicherheiten zu verringern (Schmidt-Denter 2005). sie dies nicht tun möchten. Aus den Antworten kann zum
Dass Freundschaften und Cliquen vor allem zwischen einen ein Soziogramm für die gesamte Klasse erstellt werden,
Jugendlichen bestehen, die einander hinsichtlich zentraler das die Strukturierung der Klasse insgesamt beschreibt.
Merkmale ähnlich sind, erhöht vermutlich die Nützlichkeit Zum anderen lässt sich aber auch in Bezug auf die einzelnen
der Modelllösungen der Freunde für die eigene Lebens- Schülerinnen und Schüler erkennen, wie oft sie von ihren
gestaltung. Dies bedeutet aber ebenfalls, dass Peers auch Klassenkameraden genannt wurden.
besonders wirkungsvolle Modelle für entwicklungsabträg-
12 liche Verhaltensweisen sind, wie z. B. für Drogenkonsum Definition
oder kriminelles Verhalten (z. B. Farrington et al. 2012).
Die Beliebtheit eines Kindes im Sinne sozialer Akzeptanz
ist umso höher, je häufiger andere Kinder angeben,
z Identitätsentwicklung und Selbstpräsentation
dieses Kind zu mögen und mit ihm zusammen arbeiten
Über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Gleichaltrigen oder spielen zu wollen. Aus diesen Angaben kann
können Kinder und Jugendliche sowohl der Außenwelt ein Index errechnet werden, der das Ansehen eines
als auch sich selbst ein bestimmtes Bild von der eigenen einzelnen Kindes innerhalb der Klasse abbildet, der
Person vermitteln (vgl. Kessels 2013; Kessels und Hannover sogenannte Peer-Status, bei dem zwei verschiedene
2004). Cliquen haben häufig einen bestimmten Ruf (z. B. Dimensionen berücksichtigt werden: die soziale
„die Schläger“ oder „die Braven“), der auf jedes einzelne Präferenz („social preference“) und die soziale
Mitglied der Clique angewendet wird und beeinflusst, wie Beachtung („social impact“) eines Kindes (Peery 1979).
andere es wahrnehmen. Diese spezifische Wahrnehmung Die soziale Präferenz leitet sich aus der Differenz
durch andere beeinflusst wiederum, wie sich die Gruppen- zwischen der Anzahl der positiven und negativen
mitglieder selbst sehen (vgl. Hannover et al. 2004). So kann Stimmen, die ein Kind erhalten hat, ab und beschreibt,
ein Junge beispielsweise über die Zugehörigkeit zu einer wie sehr ein Kind von den Gruppenmitgliedern gemocht
Gruppe, die sich deviant verhält, anderen kommunizieren, wird. Die soziale Beachtung ergibt sich aus der Summe
dass er unangepasst und draufgängerisch ist (vgl. auch der positiven und negativen Nennungen und bildet
Engels et al. 2007). Diese Präsentation seines Selbst führt damit ab, wie stark ein Kind von den Klassenkameraden
gleichzeitig dazu, dass er diese Eigenschaften an sich selbst wahrgenommen wird.
tatsächlich wahrnimmt.

In der Forschung hat sich das von Coie et al. (1982) ent-
wickelte zweidimensionale Schema zur Beschreibung der
12.2  Beliebtheit und Freundschaft Stellung eines Kindes durchgesetzt: Als durchschnittliche
Kinder werden jene bezeichnet, die eine mittlere Anzahl von
Ein wichtiges Forschungsfeld beschäftigt sich mit Fragen, Nominierungen erhalten – dies ist die größte Untergruppe.
die die Art und das Ausmaß der Integration eines Kindes Beliebte Kinder sind jene mit vielen positiven und wenigen
oder Jugendlichen in die Gruppe der Gleichaltrigen negativen Nennungen, die also eine hohe Beachtung und
betreffen, wobei in der Regel auf den Klassenverband gleichzeitig eine hohe Präferenz erfahren. Als abgelehnte
fokussiert wird.
Gleichaltrige
293 12
Kinder werden diejenigen bezeichnet, die viele negative wichtigstes Merkmal einer Freundschaft gesehen wird (für
und wenige positive Stimmen erhalten (hohe Beachtung einen Überblick siehe Schmidt-Denter 2005).
und wenig Präferenz). Unbeachtete Kinder sind jene, In empirischen Untersuchungen wird „Freundschaft“
die wenige positive und auch wenige negative Stimmen in der Regel dadurch erfasst, dass ein Kind (bzw. bei
erhalten (mittlere Präferenz und niedrige Beachtung). Eine jüngeren Kindern seine Bezugsperson) ein anderes Kind
meist kleine Gruppe der umstrittenen Kinder vereint mit als „Freund“ oder „Freundin“ nominiert und diese Wahl
vielen positiven und vielen negativen Nennungen eine hohe vom gewählten Kind bestätigt wird. Die Freundesnetze von
Beachtung mit mittlerer Präferenz (für ein ähnliches Klassi- Schulkindern vor der Pubertät sind im Wesentlichen alters-
fikationssystem siehe Van den Berg et al. 2015). homogen und bestehen überwiegend innerhalb der eigenen
Geschlechtsgruppe (7 Abschn. 12.4.2). Die erlebte Qualität
Beliebtheit als Reputation der jeweiligen Freundschaft wird in Studien durch Frage-
Zum anderen kann mit Beliebtheit auch eine Reputation bögen erhoben, in denen verschiedene Funktionen von
im Sinne von Popularität („popularity“) gemeint sein, die Beziehungen erfasst werden, wie z. B. Zuneigung, Nähe
dadurch erfasst wird, dass die befragten Kinder angeben im Sinne von Intimität, instrumentelle Hilfe, emotionale
sollen, für wie „popular“ sie die zu beurteilenden Kinder Unterstützung, Geselligkeit, Erhöhung des Selbstwertes und
halten (Schwartz et al. 2006). Arten der Konfliktbewältigung. Von Salisch (2000) weist
darauf hin, dass ein gerade für jüngere Kinder zentraler
Definition Aspekt von Freundschaft, nämlich Spaß haben, in den
meisten Instrumenten leider nicht mit erfasst wird.
Popularity bezeichnet die innerhalb einer Gruppe
geteilte Meinung, dass ein Gruppenmitglied Prestige,
Sichtbarkeit, einen hohen sozialen Status oder eine
12.3  Merkmale von Kindern und
machtvolle Position innerhalb dieser Gruppe erreicht
hat.
Jugendlichen mit unterschiedlichem
Peer-Status

Es zeigte sich, dass ältere Kinder und Jugendliche, die als Im Folgenden wird dargestellt, hinsichtlich welcher
„popular“ bezeichnet werden, von ihren Klassenkameraden Merkmale sich Kinder und Jugendliche mit unterschied-
nicht unbedingt auch gern gemocht wurden. Denn populäre lichem Peer-Status unterscheiden, wobei der Fokus auf
Schülerinnen und Schüler setzen häufig manipulative lern- und leistungsbezogenen Variablen liegt.
Strategien zur Erhaltung der eigenen Machtposition ein
(z. B. Rose et al. 2004; Zimmer-Gembeck et al. 2013).
12.3.1  Beliebtheit als soziale Akzeptanz:
Welche Kinder und Jugendlichen
12.2.2  Freundschaft werden gemocht, welche werden
eher abgelehnt?
Freundschaften unterscheiden sich von anderen beispiels-
weise im familiären Raum bestehenden Beziehungen vor In der Literatur zur sozialen Akzeptanz von Kindern und
allem dadurch, dass sie grundsätzlich auf Freiwilligkeit und Jugendlichen wird recht übereinstimmend berichtet, dass
Reziprozität beruhen. Dies impliziert auch, dass Freund- beliebte Schülerinnen und Schüler positivere Eigenschaften
schaften störanfällig sind und nur in dem Maße bestehen, aufweisen als weniger beliebte oder abgelehnte Kinder: sie
wie beide Seiten kontinuierlich durch Stützung und gelten als kooperativ und hilfsbereit, kontaktfreudig, durch-
Bejahung zum Bestehen der Freundschaft beitragen. Das setzungsfähig, mit „Führungsqualitäten“ ausgestattet (z. B.
zentrale Kriterium einer Freundschaftsbeziehung ist der Newcomb et al. 1993) und sie verteidigen andere, die von
Austausch von Gesellschaft und Zuneigung. Mobbing betroffen sind (Knauf et al. 2017; zusammen-
Was Kinder und Jugendliche genau unter Freundschaft fassend Wentzel 2017). Dagegen zeigen abgelehnte Kinder
verstehen, ist Gegenstand der Forschung über Freund- und Jugendliche im Vergleich zu den beliebten oder
schaftskonzepte. Empirische Forschung zeigt, dass sich durchschnittlichen Kindern häufiger Verhaltensweisen,
dieses Verständnis – parallel zum gezeigten Verhalten die es plausibel machen, dass andere Kinder den Kontakt
zwischen Freunden – im Laufe der Kindheit und Jugend mit ihnen eher meiden: Etwa die Hälfte der abgelehnten
verändert. Grob eingeteilt steht in der Wahrnehmung Kinder zeigt antisoziales, negatives Verhalten, was körper-
jüngerer Kinder im Mittelpunkt einer Freundschafts- liche Übergriffe auf andere Kinder, Bedrohungen und
beziehung der Austausch von Handlungen und Objekten Störungen des Unterrichts umfasst („aggressiv-abgelehnte
(vor allem im gemeinsamen Spiel), während bei etwas Kinder“; Newcomb et al. 1993). Darüber hinaus erreichen
älteren Kindern der Austausch von dauerhafterem gegen- im Klassenverband abgelehnte Kinder auch überdurch-
seitigen Vertrauen betont wird und schließlich ab der schnittliche Werte auf Skalen, die Rückzug, Depression
Adoleszenz der Austausch von Gedanken und Gefühlen als und Ängstlichkeit oder Viktimisierung durch Peers messen
294 U. Kessels und B. Hannover

(„submissiv-abgelehnte Kinder“; Cillessen et al. 1992; und schulische Leistungen, wenn die in einem Setting
Knauf et al. 2017; Parkhurst und Asher 1992). dominierende Peergruppe leistungsfeindliche Normen
Werden die Schulleistungen und andere schulnahe vorgibt.
Variablen betrachtet, so wird deutlich, dass die Akzeptanz Ebenfalls sind alle Konnotationen, die der Begriff des
im Klassenverband in der Regel positiv mit schulischem „Strebers“ mit sich führt, Hinweise darauf, dass besonders
Erfolg korreliert ist (zusammenfassend Wentzel 2017). leistungsmotivierte Schüler und Schülerinnen nicht immer
Vor allem finden sich konsistente Befunde, nach denen auch gleichzeitig die beliebtesten Kinder und/oder die
abgelehnte Kinder geringere Kompetenzen und schlechtere Kinder mit den meisten Freunden sind. Im Gegenteil ist der
Schulleistungen haben als nicht abgelehnte Kinder (Kauer Vorwurf, ein „Streber“ zu sein, deutlich rufschädigend (z. B.
und Roebers 2012; Newcomb et al. 1993; van der Wilt Bishop et al. 2004; Pelkner und Boehnke 2003). Vor allem
et al. 2018; Wilson et al. 2011). Eine Untersuchung von ab der Sekundarstufe gelten Schülerinnen und Schüler,
van der Wilt et al. (2018) zeigte z. B., dass abgelehnte und denen ein besonderes Bemühen um gute Schulleistungen
umstrittene Vorschulkinder signifikant geringere sprach- unterstellt wird, als eher unbeliebt (Heyder und Kessels
liche Kommunikationskompetenzen haben als Kinder mit 2017; Juvonen und Murdock 1995).
einem anderen Peer-Status. Diese jugendspezifischen Normen sind nicht ohne
Folgen für das leistungsbezogene Verhalten von Schülern.
Eine experimentelle Studie (Kessels et al. 2008) konnte
12.3.2  Beliebtheit als Reputation: Welche zeigen, dass Jugendliche im Beisein ihrer Peers unter
Kinder und Jugendlichen gelten als bestimmten Bedingungen das Ausmaß an schulischem
beliebt? Engagement herunterspielten (7 Exkurs „Wer Physik mag,
ist unbeliebt“). Dabei wurde folgendermaßen vorgegangen:
Während soziale Akzeptanz in der Peergruppe mit Nach einem Leistungstest wurde Jugendlichen im Beisein
positivem Sozialverhalten und Leistungsverhalten korreliert ihrer Peers falsches Leistungsfeedback gegeben. Variiert
ist, scheint Beliebtheit als Reputation, zumindest in der wurde, ob bei diesem sehr positiven Leistungsfeedback
nordamerikanischen Forschung und den dort üblichen („Du hast sehr vieles richtig; du hast die Aufgaben sehr gut
Konnotationen des Begriffs „popular“, zum Teil sogar und sehr clever gelöst“) dem Feedback-Empfänger im Bei-
mit weniger gut angepasstem Verhalten einherzugehen. sein von Klassenkameraden gleichzeitig eine besondere
12 Es wird berichtet, dass die als „popular“ bezeichneten Nähe zur Lehrkraft unterstellt wurde („Du bist sicher ein
Jugendlichen ein erhöhtes Maß an (vor allem relationaler) Schüler, auf den deine Lehrer richtig stolz sind“) oder nicht.
Aggressivität aufweisen (Cillessen und Mayeux 2004), sich Direkt anschließend wurde die Frage gestellt, wie viel Zeit
verhältnismäßig früh für Sex und Alkohol interessieren, zu sie jeden Tag mit ihren Hausaufgaben verbringen; auch die
riskantem Verhalten im Straßenverkehr neigen (Rabaglietti Antwort auf diese Frage war für die anwesenden Klassen-
et al. 2012) und eher wenig schulisches Engagement kameraden zu hören. Erwartungsgemäß gaben die Jugend-
zeigen (Estévez et al. 2014; zusammenfassend Schwartz lichen nach der Unterstellung einer großen Nähe zur
et al. 2006). In besonderem Maße konfligieren Popularität Lehrkraft an, weniger Hausaufgaben zu machen.

Exkurs

Wer Physik mag, ist unbeliebt


Es scheint für die Art der Beziehung oder Physik als Lieblingsfach haben, ihren Mitschülerinnen und Mitschülern
zwischen schulischem Engagement und unter deutschen und holländischen zugeschrieben, vor allem beim anderen
Beliebtheit auch eine Rolle zu spielen, Jugendlichen als deutlich weniger beliebt Geschlecht wenig angesehen zu sein,
in welchen Fächern sich Jugendliche und schlechter integriert als Schülerinnen wie eine Studie von Kessels (2005) mit
stark engagieren und ob die gezeigten und Schüler, die die Fächer Deutsch Neuntklässlern zeigte. Weiter ergab die
Leistungen in Übereinstimmung oder Englisch bevorzugen (Hannover Studie, dass auch die Mädchen selbst, die
mit geschlechtsrollenkonformen und Kessels 2004; Taconis und Kessels gute oder sehr gute Physiknoten hatten,
Erwartungen stehen. Beispielsweise gelten 2009). Darüber hinaus wird Mädchen, sich von den Jungen in ihrer Klasse am
Schülerinnen und Schüler, die Mathematik die in Physik die Klassenbesten sind, von stärksten abgelehnt fühlten.
Gleichaltrige
295 12
12.3.3  Ursachen für die positiven Dodge (1994) zeigten beispielsweise, dass die Fähig-
Korrelationen zwischen sozialer keiten, sich Ziele zu setzen, eigene Emotionen zu
Akzeptanz und Schulleistungen regulieren und eigenes Verhalten zu überwachen
(„self-monitoring“), Leistungen angemessen zu
Warum zeigen sozial akzeptierte Schülerinnen und Schüler attribuieren und Ziel-Mittel-Analysen vorzunehmen,
bessere Leistungen als abgelehnte Kinder? Verschiedene dazu beitragen, sich in sozialen und akademischen
Erklärungen für diesen Zusammenhang sind denkbar und Domänen planvoll und strategisch zu verhalten.
aufgrund vorliegender Forschungsergebnisse plausibel. Ähnlich fanden Galián et al. (2018), dass der positive
1. Es wäre möglich, dass soziale Akzeptanz und Schul- Zusammenhang zwischen Selbstkontrollkompetenz
leistungen kausal verknüpft sind. Sollte ein kausaler und Leistung durch den Peer-Status der Kinder ver-
Zusammenhang bestehen, sind zwei Varianten der Ver- mittelt zustande kam.
knüpfung denkbar: soziale Akzeptanz könnte zu guten 3. Es wäre auch möglich, dass positive Peer-Beziehungen
Schulleistungen führen, und/oder gute Schulleistungen „Gelegenheitsstrukturen“ beim Verfolgen von
könnten zu höherer sozialer Akzeptanz führen. leistungsbezogenen Zielen bieten (zusammen-
Längsschnittstudien haben vor allem für die Phase des fassend Wentzel 2017). Gute Beziehungen zu
Schuleinstiegs zeigen können, dass die Akzeptanz in Klassenkameraden können dazu beitragen, dass sie
der Peergruppe prädiktiv für schulisches Engagement einander schulbezogene Werte und Erwartungen
und gute Schulleistungen war, wohingegen erfahrene kommunizieren, füreinander Modelle erfolg-
Ablehnung im Klassenverband bei den betroffenen reichen Lernverhaltens sind und einander Rat und
Kindern dazu führte, dass die Schulleistungen praktische Hilfe geben (z. B. Klärung von nicht ver-
schlechter wurden (Ladd et al. 1997; Lubbers et al. standenen Anweisungen der Lehrkraft oder Leihen
2006). Über den Schulbeginn hinausgehend konnte die von Stiften und Papier). Außerdem sichern Freunde
Forschung jedoch in der Regel keinen direkten Einfluss im Klassenverband die emotionale Unterstützung
von Peer-Ablehnung auf nachfolgende Schulleistungen und bieten Schutz vor Gewalt und Belästigung
nachweisen. Allerdings verweist eine Längsschnitt- (Abschn. „Literatur“).
studie von De Rosier et al. (1994) von der zweiten
bis fünften Jahrgangsstufe darauf, dass in der Schule Insgesamt stellt sich die Frage, ob der vielfach belegte
erfahrene Ablehnung dazu führt, dass Kinder ver- Zusammenhang zwischen sozialer Akzeptanz im Klassen-
suchen, dieser unangenehmen Erfahrung möglichst verband und individuellen Schulleistungen nicht auch
zu entgehen: Abgelehnte Kinder hatten im vierten teilweise auf einen methodischen Artefakt zurückgeführt
Jahr der Untersuchung signifikant mehr Fehltage als werden kann, der aus der Operationalisierung von sozialer
andere Kinder (bei Kontrolle der Anzahl der Fehl- Akzeptanz in den einzelnen Studien resultiert. Wenn zur
tage zu Beginn der Untersuchung). Ähnlich fanden Erfassung der Akzeptanz Soziogramme verwendet werden,
Greenman et al. (2009), dass Kinder, deren Peer-Status in denen Kinder angeben, neben wem sie gerne im Unter-
sich verschlechterte, auch schlechtere Schulleistungen richt sitzen möchten oder mit wem sie eine Schulaufgabe am
entwickelten, wohingegen Kinder mit steigendem liebsten bearbeiten würden, kann neben reiner Sympathie
Peer-Status ihre Leistungen verbessern konnten. auch das wahrgenommene Leistungsniveau der genannten
Hinweise auf reziproke Einflüsse bei der Beziehung Kinder ausschlaggebend für die Wahlen sein, weil die
von Peer-Status und Schulleistungen gab eine Studie Zusammenarbeit mit guten Schülern besonders attraktiv
von Chen et al. (1997) mit chinesischen Kindern erscheint. In diesem Falle würde sich eine Überschätzung
(unter denen möglicherweise gute Schulleistungen des Zusammenhanges zwischen dem Gemochtwerden im
angesehener sind als bei US-amerikanischen oder Klassenverband und schulischen Leistungen ergeben.
deutschen Schulkindern, vgl. Steinberg et al. [1992]).
Positive Peer-Beziehungen trugen zu besseren Schul-
leistungen zwei Jahre später bei, und Schulleistungen 12.4  Beziehungen zwischen Gruppen von
hatten ihrerseits einen Einfluss auf den Peer-Status Gleichaltrigen
zwei Jahre später (jeweils unter Kontrolle der Aus-
gangswerte). Beginnend in der mittleren Kindheit und verstärkt in
2. Es wäre möglich, dass die Kovariation zwischen der Phase der Adoleszenz orientieren sich Kinder bzw.
akademischen Leistungen und Peer-Akzeptanz Jugendliche an sozialen Gruppen. So berichten am Ende
nicht auf einer kausalen Verknüpfung dieser beiden der Grundschulzeit die meisten Kinder, dass sie Mitglied
Variablen basiert, sondern sich daraus ergibt, dass einer Freundesgruppe sind, und die meisten Interaktionen
andere Variablen (sogenannte Drittvariablen) diese zwischen Gleichaltrigen finden innerhalb solcher sozialer
beiden Bereiche ihrerseits beeinflussen. Crick und Gruppen Gleichaltriger statt (z. B. Crockett et al. 1984).
296 U. Kessels und B. Hannover

Definition halb einer Schulklasse eine Mädchenclique gibt, die sich


Unter einer sozialen Gruppe versteht man zwei oder vor allem für Mode, Jungs und Disko interessiert und eine
mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als Mädchenclique, die es ablehnt, sich hübsch anzuziehen
auch von sich selbst als zu derselben Kategorie gehörig und den Jungs gefallen zu wollen –, ist die Voraussetzung
wahrgenommen werden: Die Mitglieder wissen um die dafür geschaffen, dass sich ihre Mitglieder nicht mehr als
eigene Gruppenzugehörigkeit (kognitive Komponente) Individuen (interpersonales Verhalten), sondern vielmehr
und dieses Wissen geht mit einer positiven oder als Mitglieder der jeweiligen Gruppe zueinander verhalten
negativen Bewertung (evaluative Komponente) (intergruppales Verhalten). Intergruppales Verhalten ist
sowie positiven bzw. negativen Gefühlen (emotionale dadurch gekennzeichnet, dass die Gruppen sich unter-
Komponente) einher. einander sozial vergleichen mit dem Ziel, positive soziale
Distinktheit zu erreichen, was bedeutet, sich positiv von den
anderen Gruppen abzuheben (Tajfel und Turner 1985). Im
Ergebnis wird die eigene Gruppe auf- und die Außengruppe
12.4.1  Gruppenzugehörigkeit als Teil der abgewertet. In unserem Beispiel sagen die Mädchen der
eigenen Identität: Soziale Identität einen Clique vielleicht, dass die Mädchen der anderen
und Intergruppenbeziehungen Clique sich nur deshalb nicht für Jungen interessieren
würden, weil sie „alle hässlich und zu dick“ seien, während
Tajfel und Turner (1985) bezeichnen das Wissen über umgekehrt diese Mädchen entgegnen würden, die anderen
eigene Gruppenzugehörigkeiten und deren Bewertung interessierten sich ja nur deshalb für Mode und Disko, weil
sowie die damit verbundenen Gefühle als die soziale Identi- sie „zu dumm“ seien, um durch Leistungen in der Schule
tät einer Person. Ein Beispiel für eine soziale Gruppe sind Anerkennung zu finden. In pädagogischen Kontexten
die Mitglieder einer bestimmten Ethnie. Die soziale Identi- können sich solche Intergruppenprozesse als problematisch
tät ist in diesem Fall die gemeinsame ethnische Identi- erweisen, z. B. zu Feindseligkeiten innerhalb einer Klasse
tät (z. B. „Ich gehöre zur Gruppe der Türken“; kognitive oder Diskriminierung von Schülergruppen führen, die
Komponente), „Ich bin stolz darauf, Türkin zu sein“ gemeinsames Lernen verunmöglichen (7 Abschn. 12.5).
(evaluative Komponente), „Ich fühle mich gut als Türkin“
(emotionale Komponente). Ein anderes Beispiel für eine
12 soziale Gruppe ist eine sogenannte Clique. Cliquen sind 12.4.2  Gleich und gleich gesellt sich gern:
soziale Netzwerke, in die bestimmte Personen eingebunden Homophilie
und von denen andere ausgeschlossen sind. Sie werden
einerseits definiert über ihre Größe (typischerweise drei Gruppen von Personen, die häufig miteinander inter-
bis neun Personen) und andererseits darüber, dass ihre agieren, zeichnen sich typischerweise durch eine starke
Mitglieder in der Regel untereinander befreundet sind Homogenität hinsichtlich Merkmalen wie Alter,
(Gifford-Smith und Brownell 2003). Geschlecht, Migrationsstatus, Religionszugehörigkeit und
Die Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe (z. B. sozialen Einstellungen aus (z. B. Echols und Graham 2013;
in einer bestimmten Clique in der Schulklasse) ist umso Leszczensky und Pink 2017; Martin et al. 2011).
attraktiver, je positiver die Gruppe im sozialen Umfeld
bewertet wird, denn entsprechend positiv sind die Gefühle, Definition
die mit der Mitgliedschaft einhergehen. Diese Tatsache 7 Homophilie bezeichnet allgemein das
kann genutzt werden: Die Interessen oder das Engagement Phänomen, dass Kontakt zwischen ähnlichen
von Kindern und Jugendlichen für bestimmte Inhalts- Personen wahrscheinlicher ist als Kontakt zwischen
domänen oder Aktivitäten können gesteigert werden, unähnlichen Personen, Gruppen-Homophilie das
wenn diese mit dem Erwerb der Mitgliedschaft in einer Phänomen, dass Mitglieder einer Gruppe einander
attraktiven sozialen Gruppe einhergehen. Beispiele sind ähnlicher sind als Nicht-Gruppenmitglieder und
das Engagement in kirchlichen Jugendgruppen oder in ­Freundschafts-Homophilie das Phänomen, dass
politischen Jugendorganisationen. Allerdings schließt das Menschen auch ihre Freunde vorzugsweise unter
Wissen über die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe solchen Personen wählen, die ihnen selbst auf
(sog. Ingroup) notwendigerweise ein, dass man sich von relevanten Merkmalen ähnlich sind.
anderen Gruppen, zu denen man nicht selbst gehört,
abgrenzt (sog. Outgroup). Die Theorie der sozialen Identi-
tät (Tajfel und Turner 1985) beschreibt die negative Die Gründe für Gruppen-Homophilie sind sowohl in
Dynamik, die sich aus der Tatsache ergibt, dass Menschen Selektions- als auch in Sozialisationseffekten zu suchen:
dazu neigen, die eigene Gruppe in einem positiv ver- Zunächst kommen Menschen am wahrscheinlichsten
zerrten und Outgroups in einem negativ verzerrten Licht mit solchen anderen in Kontakt, die ihnen räumlich nah
zu sehen. Besteht ein Konsens darüber, dass bestimmte sind, sei es aufgrund des Besuches derselben Schule, des
Ingroups und Outgroups existieren – z. B. dass es inner- Wohnens in derselben Straße oder der Zugehörigkeit zum
Gleichaltrige
297 12
gleichen Sportverein. Da die Verteilung von Personen und länger beobachten als gegengeschlechtliche (für einen
auf Schulen, Wohnviertel oder Sportvereine jedoch nicht Überblick siehe Ruble 1994) und dass sie gleichgeschlecht-
zufällig, sondern sozial stratifiziert ist, treffen Menschen liche Spielpartner gegengeschlechtlichen vorziehen.
besonders wahrscheinlich auf andere, die ihnen hinsichtlich Die sozialisatorische Komponente besteht nun darin,
Merkmalen wie z. B. Alter, Bildungsnähe oder Einkommen dass Mädchen und Jungen in den jeweils geschlechts-
ähnlich sind. Darüber hinausgehend ziehen Gruppen segregierten Gruppen unterschiedliche „peer cultures“
typischerweise Personen an, die bestimmte Merkmale mit- (Maccoby 1998) entwickeln und sich somit wechselseitig
einander teilen. Z. B. vereint die Laienspielgruppe einer in verschiedene Richtung sozialisieren (für Überblicke
Schule vermutlich Schüler, die relativ extravertiert und siehe Martin et al. 2011, 2013; Underwood 2004): So ist
künstlerisch interessiert sind und weniger Schüler, die das Interaktionsverhalten in Jungengruppen durch körper-
extrem schüchtern sind oder sich wesentlich über deviantes liches Kräftemessen gekennzeichnet, z. B. beim Balgen
Verhalten definieren. Und schließlich sozialisieren sich und in sportlichen Wettkämpfen. Demgegenüber ent-
Gruppenmitglieder wechselseitig auf eine solche Weise, wickeln Mädchen stärker kooperative Interaktionsformen,
dass sie sich über die Zeit hinweg in ihren Einstellungen z. B. kommunizieren sie stärker sprachlich untereinander
und Verhaltensweisen einander angleichen oder aber solche oder spielen mit verteilten Rollen. Ausgehend von diesen
Mitglieder, die diesen Anpassungsprozess nicht durch- unterschiedlichen Interaktionsstilen entwickeln sich nach
laufen, aus der Gruppe ausschließen (7 Abschn. 12.4.3). Meinung verschiedener Autoren geschlechtsspezifische
Ein weiterer wichtiger Mechanismus, der zu Gruppen- Formen von Beziehungsgestaltung, Kompetenzen und
und Freundschafts-Homophilie beiträgt, liegt in der Vulnerabilitäten (für einen Überblick siehe Underwood
Tatsache begründet, dass Menschen bestrebt sind, die 2007). So argumentieren beispielsweise Rose und Rudolph
Richtigkeit ihrer Meinungen oder die Qualität ihrer (2006), dass Mädchen aufgrund stärkerer Selbstoffenbarung
Fähigkeiten durch soziales Vergleichen mit anderen zu (self-disclosure) in Freundschaftsbeziehungen, aufgrund
überprüfen: Immer dann, wenn es keine überprüfbaren einer Höherbewertung von Beziehungen und sozialer Ein-
objektiven Tatsachen gibt, anhand derer wir die Ange- gebundenheit und aufgrund stärker empfundener Empathie
messenheit unserer Meinungen oder die Qualität unserer gegenüber anderen wahrscheinlicher die Kompetenz
Fähigkeiten einschätzen können, schauen wir, was andere erlangen, intensivere und intime Freundschaften zu ent-
sagen, tun oder können. Sind diese anderen derselben wickeln und zu bewahren als Jungen, gleichzeitig aber auch
Meinung wie wir oder können sie etwas vergleichbar gut anfälliger für Angst vor sozialer Zurückweisung werden.
wie wir, so fühlen wir uns der Angemessenheit unserer Die selbstinitiierte Geschlechtersegregation wird erst
eigenen Überzeugungen und Fähigkeiten versichert mit dem Übergang in die Pubertät, in der (in der Regel)
(Festinger 1954). Dabei ist nun aber nicht jeder Mensch das jeweils andere Geschlecht attraktiv gefunden wird, auf-
als Vergleichsperson geeignet: Personen, die uns ähnlich gegeben.
sind, sind dazu funktionaler als solche, die uns sehr unähn-
lich sind. Beispielsweise werden Sie Ihre Zeit bei einem Homophilie in Bezug auf ethnische oder
Lauf über 200 m weder mit der Leistung des aktuellen kulturelle Zugehörigkeit
Weltmeisters noch mit der Ihres fünfjährigen Patenkindes Ein weiteres Beispiel für Freundschafts-Homophilie stellen
vergleichen, um zu beurteilen, ob Sie einen guten oder die sozialen Beziehungen dar, die zwischen Kindern und
schlechten Sprint hingelegt haben, sondern Sie werden Jugendlichen verschiedener ethnischer oder kultureller
gleichaltrige Personen ähnlicher Konstitution und Fitness Herkunftsgruppen bestehen. McPherson et al. (2001)
zum Vergleich heranziehen. gehen davon aus, dass Rasse oder Ethnie noch stärker als
Geschlecht oder Alter Varianz in sozialen Netzwerken
Homophilie in Bezug auf Geschlecht aufklären. Titzmann et al. (2007) verweisen darauf, dass
Besonders deutlich zeigt sich das Phänomen der Freundschaften zwischen Schülerinnen und Schülern mit
Freundschafts-Homophilie bei einer Betrachtung der
­ und ohne Migrationshintergrund als ein bedeutsames
Beziehungen zwischen den Geschlechtern: beginnend Kriterium für erfolgreiche Integration interpretiert werden
im Alter von ungefähr drei Jahren bis zum Ende der können: Freundschaften über verschiedene ethnische
mittleren Kindheit (ca. elf Jahre) spielen Kinder vorzugs- Gruppen hinweg können zum Abbau von Vorurteilen und
weise mit Kindern des eigenen Geschlechts (Maccoby sozialer Diskriminierung beitragen und auf diese Weise die
1998). Es können wiederum sowohl selektive als auch sozialen Beziehungen zwischen den Gruppen als solchen
sozialisatorische Ursachen ausgemacht werden (Martin sowie den Zugang von Migranten zu Informationen und
et al. 2013). Schon ab der Vorschulzeit versuchen Kinder Ressourcen der Aufnahmegesellschaft verbessern. Inter-
aktiv herauszufinden, was es bedeutet, ein Mädchen bzw. ethnischen Kontakten im Jugendalter messen Titzmann
ein Junge zu sein und sich selbst entsprechend zu verhalten. et al. (2007) dabei eine besondere Bedeutung bei, weil in
Sie sind vor allem daran interessiert zu erfahren, was andere dieser Lebensphase Freunde wesentliche Hilfestellung bei
Vertreter des eigenen Geschlechts tun – dies ist z. B. darin der Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben
sichtbar, dass sie gleichgeschlechtliche Modelle häufiger bieten können, die Voraussetzung für die erfolgreiche
298 U. Kessels und B. Hannover

Lebensgestaltung im neuen kulturellen Kontext ist. Diese Informativer sozialer Einfluss dürfte in Peergruppen in
Entwicklungsaufgaben umfassen z. B. die Entwicklung von Kindheit und Jugend eine besonders große Rolle spielen, da
Eigenständigkeit oder von befriedigenden Beziehungen sich Heranwachsende häufig mit Fragen auseinandersetzen,
zum anderen Geschlecht sowie den Erwerb kulturspezi- auf die es entweder keine eindeutig richtigen oder falschen
fischen Wissens oder kulturspezifischer Kompetenzen. Vor Antworten gibt – z. B. weltanschauliche Fragen – oder
diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass verschiedene aber die tabuisiert sind – z. B. auf Sexualität oder Drogen-
Studien unter Einbezug unterschiedlicher Länder und konsum bezogene Fragen. Gruppenmitglieder, die aufgrund
ethnischer Gruppen konsistent finden, dass Freundschafts- ihres hohen sozialen Status innerhalb der Gruppe oder aber
beziehungen häufiger innerhalb derselben ethnischen auch aufgrund von Vorerfahrungen oder eines Altersvor-
Gruppe entstehen und auch stabiler über die Zeit sind, als sprungs als Expertinnen bzw. Experten für das jeweilige
dies für Freundschaften zwischen Personen verschiedener Thema gelten, wirken somit in besonderem Maße als Quelle
ethnischer Herkunft der Fall ist (z. B. Haug 2003; Lee et al. sozialen Informationseinflusses.
2007). Von dieser Form sozialer Einflussnahme ist der
Aufgrund der Erkenntnisse der Sozialen Identitäts- sogenannte normative soziale Einfluss zu unterscheiden,
theorie (Tajfel und Turner 1985) muss gemutmaßt werden, der aus dem Bestreben entsteht, in der eigenen Gruppe
dass Gruppen- und Freundschafts-Homophilie zu wechsel- anerkannt zu sein und nicht ausgeschlossen zu werden.
seitiger Stereotypenbildung über die jeweilige ethnische Weil abweichendes Verhalten in Gruppen in der Regel auf
Outgroup beiträgt, die in sozialen Vorurteilen oder sozialer Ablehnung oder gar Ausgrenzung stößt, passen sich die
Diskriminierung ihren Ausdruck finden kann. Formen Mitglieder der Gruppenmeinung an. Normativer Einfluss
kooperativen Lernens (7 Abschn. 12.5) können zu ihrem ist dann besonders stark, wenn
Abbau beitragen. a) der Person die Gruppenmitgliedschaft sehr wichtig ist,
b) die Gruppe einflussreich ist und die Person glaubt,
dass abweichendes Verhalten negativ sanktioniert
12.4.3  Wie aus sozialen Normen würde und
Gruppendruck wird: Konformität c) die Gruppe ihre Meinung konsistent äußert.

Beziehungen zwischen Gleichaltrigen gehen mit der Ent- Beide Formen der Einflussnahme innerhalb sozialer Gruppen,
12 wicklung eigenständiger sozialer Normen einher, die die im informative und normative, führen zu Konformität, d. h.
Elternhaus oder von anderen Erwachsenen kommunizierten zum Übereinstimmen des Individuums mit den Normen der
Normen ergänzen oder gar ersetzen können. Gruppe. Während sozialer Informationseinfluss dabei jedoch
typischerweise zu einer tatsächlichen Anpassung der eigenen
Definition Meinung oder des eigenen Verhaltens an die Meinung bzw.
das Verhalten der Gruppe führt, kann normativer Einfluss
Unter sozialen Normen versteht man von einer Gruppe
geteilte Erwartungen darüber, wie sich ihre Mitglieder
auch bewirken, dass zwar öffentlich den Erwartungen der
verhalten sollten. Diese Erwartungen werden in Form
Gruppe entsprochen wird, die eigene Meinung oder das privat
von impliziten oder expliziten Regeln kommuniziert,
praktizierte Verhalten aber unverändert bleiben.
deren Einhaltung belohnt (z. B. dadurch, dass Mitglieder,
Weil in der Jugendphase die Akzeptanz bei der
die den Erwartungen am ehesten entsprechen, den
Peergruppe als besonders wichtig empfunden wird,
höchsten sozialen Status innerhalb der Gruppe
gehen Heranwachsende oft besonders stark mit den
genießen) und deren Nichtbeachtung sanktioniert wird
Normen ihrer Cliquen konform, indem sie z. B. ihren
und zum Ausschluss aus der Gruppe führen kann.
Kleidungsstil entsprechend anpassen und bestimmte,
gerade „angesagte“ Produkte unbedingt auch besitzen
möchten. Die Konformität wird dabei noch weiter durch
Die Einflussnahme der Gruppe auf jedes einzelne Mitglied Gruppen-Homophilie verstärkt: Die Gruppenmitglieder
­
kann dabei auf zweierlei Weise geschehen. Informativer werden für soziale Vergleiche über die in der Umwelt ver-
sozialer Einfluss bedeutet, dass die Meinung anderer tretenen Meinungen oder Verhaltensweisen genutzt, d. h.
Gruppenmitglieder als valider Standard für die Bildung der über das, was üblich oder „normal“ ist. Die Homogenität
eigenen Meinung übernommen wird. Dieser Einfluss ist der Gruppen begünstigt nun, dass ein selektives und damit
besonders stark, wenn verzerrtes Bild entsteht, in dem die Mehrheitsmeinung,
a) der zu beurteilende Stimulus uneindeutig ist, das Mehrheitsverhalten oder das, was für die meisten
b) die anderen Mitglieder als Expertinnen oder Experten Gruppenmitglieder gilt, deutlich überrepräsentiert ist. Die
wahrgenommen werden und Verschiedenheit der tatsächlichen Lebenslagen von Gleich-
c) die Person ihre eigene Kompetenz anzweifelt. altrigen wird somit von den Betroffenen unterschätzt.
Gleichaltrige
299 12
12.5  Miteinander und voneinander lernen dass der instrumentelle Wert sozialer Vergleiche für die
soziale Identität verringert wird; also z. B. dadurch, dass
Im schulischen Rahmen werden Lernformen, in denen die Bedeutsamkeit der I­ngroup-Outgroup-Kategorisierung
Kinder und Jugendliche gemeinsam arbeiten, aus ver- reduziert wird.
schiedenen Gründen eingesetzt. In diesem Abschnitt Um Feindseligkeiten zwischen Cliquen, die sich stark
werden die Auswirkungen kooperativer Lernformen auf voneinander abgrenzen, abzubauen, ist es deshalb wichtig,
das soziale Lernen dargestellt. Die Wirkung kooperativer jede Kleingruppe, die zusammen eine kooperative Aufgabe
Lernumgebungen auf den Kompetenzerwerb und die bearbeitet, heterogen zu besetzen. Bestimmen beispiels-
Motivation wird im 7 Kap. 4 behandelt. weise Konflikte zwischen Cliquen unterschiedlicher Her-
kunftskulturen oder auch unterschiedlicher „Subkulturen“
(wie „Gamer“, „Rapper“ oder „Beauty Gurus“) das Klassen-
12.5.1  Überwindung von gruppenbedingten geschehen, so ist die Einführung kooperativer Lernformen,
Feindseligkeiten durch kooperative in denen Angehörige der verschiedenen Cliquen zusammen
Lernformen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, sehr sinnvoll. Ent-
scheidend ist, dass eine kooperative Lernaufgabe gefunden
1954 wurde in den USA die Rassentrennung an Schulen wird, die
per Gerichtsbeschluss abgeschafft und die Integration von a) nur durch den Beitrag aller gemeinschaftlich gelöst
Schülerinnen und Schülern verschiedener Abstammung werden kann und
angestrebt. Allerdings führte die Umsetzung dieses b) die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Kennt-
Beschlusses zu so starken Auseinandersetzungen zwischen nisse der unterschiedlichen Gruppenmitglieder nutzt
Schülern der verschiedenen Ethnien, dass das Integrations- – durch die so erfolgende Erweiterung der Vergleichs-
programm fast wieder aufgegeben wurde. In dieser dimensionen zwischen den verschiedenen beteiligten
Situation wurden kooperative Lernformen wie z. B. der sozialen Gruppen/Cliquen ergibt sich für jede von
Jigsaw-Classroom (deutsch: Gruppenpuzzle) entwickelt, ihnen positive Distinktheit.
die helfen sollten, Feindseligkeiten zwischen Schüler-
gruppen abzubauen und gemeinsames Lernen im Klassen- Verschiedene Studien zeigen, dass durch solche Formen
zimmer zu ermöglichen (Aronson 2000; Aronson und kooperativen Lernens in heterogenen Kleingruppen nicht
Patnoe 1997). Die Schwierigkeiten in den Schulen zeigten, nur Wissensinhalte besonders wirkungsvoll vermittelt
dass bloßer Kontakt zwischen Angehörigen einander werden, sondern mittelfristig auch prosoziales Verhalten
ablehnender Gruppen nicht ausreichend ist, um Feindselig- und Sympathie zwischen sozialen Gruppen (z. B. Aronson
keiten zwischen ihnen zu beseitigen (was Gordon Allport in et al. 1997; Choi et al. 2011) und die soziale Selbstwirksam-
der Kontakthypothese zunächst postuliert hatte). Vielmehr keit der Schülerinnen und Schüler (Drössler et al. 2007)
müssen gemeinsame Ziele induziert werden, deren Ver- gesteigert werden können.
folgung die Grundlage für Kooperation bildet.

Definition 12.5.2  Peer Educator als Wissenvermittler


Kooperative Aufgaben zeichnen sich dadurch aus,
In einer Meta-Analyse, in die 72 verschiedene Unter-
dass sie nur gemeinschaftlich gelöst werden können.
suchungsstichproben eingegangen waren, fand Leung (2015)
Es entsteht somit positive Interdependenz zwischen
positive Effekte von Peer-Tutoring (Lernende werden von
Personen, nach dem Motto: „Sink or swim together!“ (vgl.
ihren Peers unterrichtet) auf (meist mit standardisierten
Aronson und Patnoe 1997). Es wird ein gemeinsames
Tests gemessene) Leistungen (meist Mathematik und Lese-
Gruppenziel definiert und gleichzeitig sichergestellt,
kompetenz). Besonders wirksam können Gleichaltrige
dass jedes Gruppenmitglied individuelle Verantwortung
aber dann sein, wenn es sich um altersspezifische Themen
für den eigenen Beitrag übernimmt und auch die
oder Erfahrungsbereiche handelt. Hinter dem Begriff Peer
Möglichkeit hat, diesen wirkungsvoll zu leisten.
Education verbirgt sich die Idee, dass eigens trainierte Jugend-
liche (sog. Peer Educators) eine Gruppe Gleichaltrige (z. B.
Aus der Sozialen Identitätstheorie (Tajfel und Turner 1985; Schulklasse, Besucher einer Jugendfreizeiteinrichtung) über
7 Abschn. 12.4.1) lässt sich genauer ableiten, auf welche ein altersspezifisch relevantes Thema (z. B. Empfängnisver-
Weise positive Interdependenz zwischen sozialen Gruppen hütung, Essverhalten, Drogen, Streitschlichtung) informieren
hergestellt werden kann: Die negative Interdependenz und ihre Einstellungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen
zwischen den Gruppen muss dadurch abgeschwächt werden, versuchen (z. B. Akkus et al. 2016; Bilgiç und Günay 2018;
300 U. Kessels und B. Hannover

Eickman et al. 2018; Layzer et al. 2017). Die Wirkung dieser 12.5.3  Aggression und Bullying
Vorgehensweise liegt vor allem in einem Multiplikatoren-
effekt: Weil Peers als „ähnliche andere“ bedeutsame soziale
Vergleichspersonen sind (7 Abschn. 12.4.2), können sie Definition
besonders wahrscheinlich auf Einstellungen und Verhaltens- Aggression/aggressives Verhalten werden definiert
weisen Jugendlicher Einfluss nehmen. Meta-Analysen im als zielgerichtetes Verhalten mit Schädigungsabsicht.
Bereich der sexuellen Gesundheitserziehung belegen für Jede Handlung, die mit der Absicht ausgeführt wird,
peergeleitete Interventionen vor allem positive Auswirkungen eine andere Person zu schädigen oder zu verletzen, die
auf das Wissen und, wenn auch in geringerem Maße, auf ihrerseits versucht, dieser Schädigung zu entgehen, wird
die Einstellungen der Teilnehmenden. Eine faktische Ver- als Aggression/aggressives Verhalten bezeichnet.
änderung des Sexualverhaltens konnte jedoch nicht gezeigt In der Literatur finden sich unterschiedliche
werden (Sun et al. 2018). Im Bereich des Konsums legaler und Kategorisierungen der verschiedenen Formen, die
illegaler Drogen konnte metaanalytisch bei Teilnehmenden aggressives Verhalten annehmen kann. So wird
an ­Peer-Education-Interventionen eine leichte Verringerung beispielsweise unterschieden zwischen
der Wahrscheinlichkeit zu rauchen, Alkohol zu trinken oder 5 proaktiver und reaktiver Aggression; diese
Cannabis zu konsumieren festgestellt werden; die Daten- Unterscheidung bezieht sich auf die Initiierung von
grundlage ist hier allerdings als noch nicht ausreichend aggressivem Verhalten (aus eigenem Antrieb heraus
anzusehen und die Resultate sind entsprechend vorsichtig versus ärgerlich/defensiv auf eine Frustration oder
zu interpretieren (MacArthur et al. 2016). Zusammen- Provokation reagierend).
gefasst scheinen Peer-Educators vor allem als Vermittler von 5 instrumenteller und feindseliger Aggression;
Wissen erfolgreich zu sein, wobei, wie Kleiber und Appel in dieser Unterscheidung wird auf das Motiv der
(1999) hervorheben, sie hierbei nur insofern wirkungs- aggressiven Handlung rekurriert (ein bestimmtes
voller als erwachsene Expertinnen bzw. Experten sind, als Ziel erreichen wollen versus impulsiv/ärgerbedingt
sich die Rezipierenden wahrscheinlicher mit Fragen an sie handeln).
wenden. Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: 5 direkter und indirekter Aggression; bei indirekter
Aggression und Bullying. Aggression weiß das Opfer nicht, wer der Täter ist.
Auch wenn für die meisten Schüler die Schule positiv 5 physischer, verbaler und relationaler (sozialer)
12 besetzt ist, weil sie dort ihre Freunde und Klassen- Aggression; physische Aggression umfasst
kameraden treffen, gibt es doch häufig auch sehr körperliche Schädigungen jeder Art, verbale
problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen, die Aggression umfasst z. B. Verspotten, Beleidigen
den Schulbesuch für etliche Kinder und Jugendliche in und soziale/relationale Aggression ist definiert als
erster Linie angstbesetzt und qualvoll werden lassen. Im Verhalten, das darauf zielt, die Beziehung einer
folgenden Abschnitt wird aggressives Verhalten unter Person zu ihren Peers zu beschädigen und/oder ihr
Kindern und Jugendlichen, vor allem das sogenannte soziales Zugehörigkeitsgefühl und Akzeptiertsein zu
Bullying, behandelt. Auf Definitionen von Aggression und verletzen.
Bullying folgt die Darstellung zweier Blickrichtungen auf
die Problematik des aggressiven Verhaltens im Klassen- Aggressivität wird definiert als die relativ überdauernde
zimmer. Zuerst werden Theorien und Befunde zu den Bereitschaft einer Person, sich in unterschiedlichen
Merkmalen aggressiver Kinder vorgestellt, die vor allem Situationen aggressiv zu verhalten (Personenmerkmal).
deren spezifische Defizite in der sozialen Informationsver-
arbeitung beschreiben. Darauf folgt die Konzeptualisierung
von Bullying als komplexes soziales Geschehen, an dem Im Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler und auch
zahlreiche Mitglieder einer Klasse in verschiedenen Rollen der erwachsenen Laien in Deutschland hat sich der Begriff
beteiligt sind. Schließlich werden Maßnahmen vorgestellt, Bullying (noch) nicht eingebürgert; hier heißt es meistens –
die auf Prävention und/oder Eindämmung von Aggression wie in der Arbeitswelt – Mobbing. („Bully“ klingt für deutsche
und Bullying im Schulkontext abzielen (7 Kap. 18). Ohren ja auch eher nach sympathischem altem VW-Bus und
Gleichaltrige
301 12
überhaupt nicht nach „brutalem Kerl“, was dieses Wort im Formen dissozialen Verhaltens. ­ Meta-Analysen zeigten
Englischen bedeutet.) Die angelsächsisch geprägte Wissen- sowohl für das herkömmliche Bullying (Van Noorden et al.
schaftssprache hat aber den Begriff Bullying übernommen. 2015) als auch für das Cyberbullying (Zych et al. 2019), dass
die Täter eine geringe kognitive und vor allem eine geringere
Definition emotionale Empathie besitzen.
Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten gefasst,
bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt
und über einen längeren Zeitraum den schädigenden 12.5.4  Fokus: Spezifische Defizite
Handlungen von Mitschülern ausgesetzt ist (Olweus aggressiver Kinder in der sozialen
2002). Kennzeichnend ist dabei ein Ungleichgewicht Informationsverarbeitung
der (physischen oder psychischen oder sozialen) Kräfte
von Täter/n und Opfer. Smith und Sharp (1994) stellen Ein sehr einflussreiches Modell der Beschreibung von
als zentrales Merkmal von Bullying den „systematischen aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen
Missbrauch von Macht“ heraus. stammt von Dodge und Crick (Dodge 1986; Crick und
Es werden drei Arten von Bullying unterschieden, die Dodge 1994, 1996). Im sogenannten SIP-Modell (social
alleine oder als Mischform ausgeübt werden können information processing model) werden sechs Phasen der
(Scheithauer et al. 2003): sozialen Informationsverarbeitung unterschieden, die
1. physisches Bullying Menschen durchlaufen, bevor sie in einer sozialen Situation
2. verbales Bullying reagieren. Aggressive Kinder, so die These von Crick und
3. relationales Bullying (rufschädigendes Verhalten Dodge (1994), zeigen in allen Phasen des Modells spezi-
dem Opfer gegenüber, z. B. Gerüchte und fische Tendenzen, die aggressives oder feindseliges Ver-
Verleumdungen in Umlauf bringen, Ausgrenzung, halten wahrscheinlicher machen als es normalerweise der
Manipulation des Umfeldes). Fall ist. Im Folgenden werden kurz die einzelnen Phasen
Eine sich zunehmend verbreitende Form des beschrieben. Dabei wird jeweils verdeutlicht, auf welche
Bullying nutzt die Möglichkeiten des Internets: Beim Weise einer (unangemessenen) aggressiven Reaktion der
Cyberbullying werden die Opfer in sozialen Medien und Weg gebahnt werden kann (. Abb. 12.2).
Chat-Apps verhöhnt, bloßgestellt, verfolgt und belästigt 1. Enkodierung der Hinweisreize: Welche sozialen Hin-
(für eine Meta-Analyse zur Prävalenz Brochado et al. weisreize werden in einer sozialen Situation überhaupt
2017). wahrgenommen und enkodiert? Es wird angenommen,
dass aggressive Kinder eine selektive Wahrnehmung
aufweisen, aufgrund derer sie ihre Aufmerksamkeit
Physisches Bullying wird fast ausschließlich von Jungen vor allem auf solche Aspekte einer sozialen Situation
ausgeübt, relationales Bullying, das deutlich subtiler abläuft lenken, die sich als feindselig oder negativ deuten
und damit auch oft schwerer zu erfassen ist, von Jungen lassen (z. B. „Lukas stürzt auf mich zu und kippt mir
und Mädchen (Scheithauer et al. 2003). seinen Saft über die Hose“), wohingegen jene Aspekte
Durchschnittlich werden in deutschen Schulen der gleichen Situation, die freundlich oder allgemein
zwischen fünf und elf Prozent der Schülerinnen und positiv sind, weniger wahrscheinlich wahrgenommen
Schüler mindestens einmal pro Woche Opfer von Bullying. und enkodiert werden (z. B. „Lukas nähert sich mir
Zwischen fünf und neun Prozent der Schülerinnen und lächelnd mit seinem Saftglas in der Hand, mit den
Schüler nehmen regelmäßig die Rolle des Bullys wahr. Worten ‚Du, ich muss dir was erzählen‘.“).
Dabei gibt es zwischen einzelnen Klassen und Schulen 2. Interpretation der Hinweisreize: Die Deutung des
erhebliche Schwankungen (Scheithauer et al. 2007). jeweils Wahrgenommenen ist ein komplexer, mehrere
Auch wenn sowohl Opfer als auch Täter beim Bullying Schritte umfassender Prozess, bei dem Kinder mit
keinesfalls eine homogene Gruppe sind, haben Scheithauer einer aggressiven „Voreinstellung“ mit größerer Wahr-
und Kollegen (2003) typische Opfer- und T ­ äter-Merkmale scheinlichkeit zu Interpretationen gelangen, die die
(„Warnsignale“) aus der Literatur herausgefiltert, bei deren erlebte Situation als feindselig und negativ erscheinen
Auftreten Eltern und Lehrkräfte überprüfen sollten, ob mög- lassen. Dies kann zum Beispiel durch bestimmte
licherweise Bullying vorliegt. So haben B­ ullying-Opfer bei- Attributionen der Handlungen und Absichten der
spielsweise häufig Angst vor dem Schulbesuch, wenige oder anderen geschehen („Lukas hat mir mit Absicht
keine Freunde, sind sozial zurückgezogen, beklagen den seinen Saft über die Hose gekippt“). Eine Deutung, die
Verlust von Dingen, weisen (kleinere) Verletzungen auf, dieser gleichen Situation jede aggressive Note nimmt,
haben Schlafstörungen, sind häufig niedergeschlagen und wäre beispielsweise „Der arme Lukas ist immer so
ängstlich und weigern sich, über diese Situation oder die ungeschickt, das wollte er natürlich nicht“.
eigenen Sorgen zu sprechen. Täter im Bullying-Geschehen 3. Klärung der eigenen Ziele in der jeweiligen Situation:
dagegen seien häufig körperlich stark, impulsiv, gegenüber Es wird angenommen, dass das Kind, das in unserem
Erwachsenen vorlaut und aggressiv und zeigen verschiedene Beispiel den Saft abbekommen hat, für die jeweilige
302 U. Kessels und B. Hannover

Situation ein bevorzugtes Ergebnis wählt, ein Ziel Schemata und Skripte beeinflussen jeweils, wie neue Hin-
verfolgt. Ein Ziel, das wahrscheinlich zur Eskalation weisreize wahrgenommen werden, wie sie interpretiert
führt, könnte hier lauten „Ich will jetzt mal klarstellen, werden und welche Reaktionsmöglichkeiten dem Kind „in
dass mir keiner ungestraft Saft überkippen darf“. Eine den Sinn kommen“.
prominente Rolle spielt in dieser Phase das Ziel, die Crick und Dodge (1994) berichten zahlreiche Belege,
eigene Erregung und Anspannung „irgendwie“ zu nach denen aggressive und/oder abgelehnte Kinder in den
vermindern. Verfolgt das besudelte Kind dagegen das einzelnen Phasen des Modells spezifische Wahrnehmungs-,
Ziel, Lukas zu trösten und zu erfahren, was er ihm Interpretations- und Reaktionsroutinen zeigen, die ihren
erzählen wollte, werden Verhaltensweisen wahrschein- aggressiven Verhaltensweisen vorangehen.
licher, die diese Situation friedlich verlaufen lassen.
4. Zugang zu Reaktionen/Konstruktion von (neuen)
Reaktionen: Es wird angenommen, dass nach der 12.5.5  Fokus: Bullying als soziales
mentalen Abbildung der Situation und der Aus- Geschehen im Klassenkontext
wahl eines zu verfolgenden Zieles das Kind nun
das Repertoire der ihm bekannten und möglichen Eine erweiterte Sicht auf Aggression im Klassenkontext
Reaktionen durchgeht, bevor es eine auswählt und fokussiert weniger auf bestimmte Merkmale der einzelnen
ausführt. Aus wie vielen verschiedenen möglichen Täter und der jeweiligen Opfer, sondern versteht Bullying
Reaktionsweisen ein Kind auswählen kann, wie als ein gruppendynamisches Geschehen, an dem so gut
diese möglichen Reaktionen im Einzelnen aussehen wie alle Mitglieder der Klasse oder Schule auf die eine oder
und in welcher Reihenfolge dem Kind die mög- andere Art beteiligt sind. So haben Lagerspetz et al. (1982)
lichen Reaktionen in den Sinn kommen, ist für den betont, dass Bullying unter Schulkindern ein kollektives
weiteren Verlauf der Interaktion ganz entscheidend. Geschehen ist, das auf sozialen Beziehungen und Rollen
Aggressiven Kindern fallen offenbar als Erstes feind- basiert, die die einzelnen Schülerinnen und Schüler ein-
selige und aggressive Reaktionen ein (weil positivere nehmen beziehungsweise die ihnen zugeschrieben werden.
Reaktionen gar nicht gelernt wurden oder in der Ver- Salmivalli et al. (1996) haben daraus den Participant
gangenheit keinen Erfolg zeigten oder durch seltene Role Ansatz entwickelt, mit dem sie die verschiedenen
Ausführung wenig zugänglich sind). Eine „typische“ Rollen der am Bullying direkt oder indirekt Beteiligten
12 und damit hoch zugängliche Reaktion für ein beschrieben haben. Erfasst werden diese Rollen mit der 50
aggressives Kind wäre beispielsweise, besagtem Lukas Items umfassenden Participant Role Scale. In ihrer Studie
nach seinem Missgeschick einen gezielten Kinnhaken konnten 87 % der untersuchten 573 Sechstklässler als eine
zu verpassen, wohingegen ein wenig aggressives Kind der folgenden Rollen einnehmend charakterisiert werden:
darin geübter ist, mit einem kleinen freundlichen Witz 8 % wurden als aktiv, initiativ und anführend beim Bullying
die Spannung aus der Situation zu nehmen („Woher beschrieben (ringleader bully). 12 % wurden die Rolle des
wusstest du, dass ich auch Saft wollte?“). Opfers (victim) zugeschrieben (dies wurde – ohne Einsatz
5. Entscheidung für eine Reaktion: Für welche der der Participant Role Scale – darüber erfragt, welche Kinder
möglichen Reaktionen sich das Kind entscheidet, in der Regel die Opferrolle einnehmen). 7 % wurden als
hängt von seiner Bewertung dieser Reaktionen ab Assistenten des Bullys bezeichnet (assistant bully), die eben-
(„Ist es in Ordnung, jemanden zu schlagen?“), von falls aktiv am Bullying beteiligt sind, dabei aber nicht die
seinen Erwartungen, was nach der von ihm gezeigten Führungsrolle einnehmen, sondern den Bully unterstützen
Reaktion dann wohl weiter passieren wird (Ergebnis- und ihm zuarbeiten, beispielsweise das Opfer festhalten.
erwartungen) und der Einschätzung seiner eigenen 20 % der Kinder einer Klasse nahmen jeweils die Rolle von
Selbstwirksamkeit, also ob sich das Kind in der Lage Verstärkern (reinforcer) ein, die dem Bully ein interessiertes
fühlt, die jeweilige Reaktion selbst erfolgreich durchzu- Publikum sind, ihn zuweilen anstiften und durch
führen. Anerkennung und Lachen verstärken. 17 % wurden als Ver-
6. Ausführung des Verhaltens: In Folge der Phasen 1 bis teidiger (defender) klassifiziert, die das Opfer unterstützen
5 wird nun das gewählte Verhalten ausgeführt. Damit und trösten und versuchen, die Bullys und Assistenten
ist die soziale Interaktion nicht abgeschlossen, sondern daran zu hindern, es zu drangsalieren. 24 % wurden als
führt zur Bewertung und zu Reaktionen seitens der Außenstehende (outsider) klassifiziert, die sich in keiner
Peers, die wiederum als neue Hinweisreize die „Phase Weise an der Bullying Situation beteiligen und „nichts tun“.
1“ einleiten. Eine deutsche Untersuchung von Schäfer und Korn (2004)
bestätigte diese Rollen für ein Sample von vier Hauptschul-
Wichtig ist, dass es in allen Phasen des Prozesses der klassen, auch wenn die Verteilung auf einige Rollen etwas
sozialen Informationsverarbeitung zu einer Rück- anders war (weniger Verstärker, mehr Assistenten).
kopplung mit den zurückliegenden Erfahrungen des Kindes Als besonders relevant ist hier die Erweiterung
kommt, die es in seinem Gedächtnis abgespeichert hat des Blickwinkels auf die nicht unmittelbar an der
(in . Abb. 12.2 ist dies mit „Datenbasis“ bezeichnet). Aus Bullyingsituation beteiligten Schülerinnen und Schüler
den eigenen Erfahrungen generierte und abgespeicherte hervorzuheben. Schließlich wären sie in der Lage, dem
Gleichaltrige
303 12

. Abb. 12.2 Modell der sozialen Informationsverarbeitung bei Kindern. (Nach Crick und Dodge 1994. Adapted with permission of the American
Psychological Association. APA is not responsible for the accuracy of this translation.)

Opfer zu Hilfe zu kommen – oft wird dies aber unterlassen. neuen Klasse zu Beginn des Jahres zunächst mehr Bullying
Aus der sozialpsychologischen Forschung zum sogenannten zeigten, gegen Ende des Schuljahres entsprechendes Ver-
Bystander-Effekt ist bekannt, welche Umstände dazu halten aber wieder zurückging (Pellegrini und Bartini
führen, dass Personen in Situationen, in denen jemand 2001). Die Autoren vermuten, dass dies damit zusammen-
anderes bedroht wird, lediglich zuschauen, statt helfend hängt, dass sich im Laufe des ersten Jahres Dominanz-
einzugreifen. Dieser Effekt ist sogar umso stärker, je mehr strukturen etabliert hatten, die dann nicht mehr permanent
andere bystander anwesend sind: dann nimmt das Gefühl, ausgehandelt werden mussten.
persönlich für den Verlauf der Situation verantwortlich zu Dass Bullys ausschließlich als proaktiv aggressive Kinder
sein, ab (Verantwortungsdiffusion), weil man das Nichtein- mit den von Crick und Dodge (1994) beschriebenen spezi-
greifen der anderen Anwesenden als Hinweis darauf wertet, fischen Defiziten in der sozialen Informationsverarbeitung
dass keine wirkliche Notsituation vorliegt (pluralistische anzusehen sind, wurde von Sutton et al. (z. B. 1999a, b,
Ignoranz), und weil man sich vor den anderen als einzig 2001) hinterfragt. Das durch die Literatur transportierte
Eingreifender nicht blamieren möchte (Darley und Lantané Stereotyp vom Bully als körperlich starkem, aber wenig
1968). Ein Interventionsprogramm, das sich auch auf das intelligentem „Trottel“, der Gewalt anwendet, weil er sich
Verhalten der Bystander beim Bullying bezieht, wird im nicht anders zu helfen weiß, sei empirisch nicht haltbar; vor
nächsten Abschnitt vorgestellt. allem nicht, wenn neben der physischen Aggression auch
Dass Bullying auch die Funktion der Festlegung und andere Formen von indirekter oder relationaler Aggression
Stabilisierung von Hierarchien innerhalb der Gruppe hat, betrachtet werden. Sutton und Kollegen formulierten die
wird beispielsweise durch eine Untersuchung nahe gelegt, These, dass viele der Bullys im Gegenteil auch über aus-
die zeigen konnte, dass Jungen nach dem Übergang von geprägte Fähigkeiten im sozialen Bereich verfügen können,
der Grundschule in die weiterführende Schule in ihrer die sie in „machiavellistischer“ Manier zur Herstellung und
304 U. Kessels und B. Hannover

Aufrechterhaltung der eigenen machtvollen Position und Interventions- und Präventionsprogramme


zum Durchsetzen egoistischer Ziele nutzen. Denn gerade bei Bullying, die am System Klasse und Schule
indirekte und relationale Aggression könne nur dann zum ansetzen
Erfolg führen, wenn ein Großteil des sozialen Umfeldes so Als sich Anfang der 80er Jahre drei norwegische Schüler
manipuliert wird, dass es dabei mitmacht, also beispiels- das Leben nahmen, weil sie die Schikanen durch Mitschüler
weise Gerüchte glaubt und weiter verbreitet, Personen tat- nicht mehr ertragen konnten, startete dort eine landesweite
sächlich ausschließt usw. Zur Initiierung und Steuerung Kampagne gegen Bullying. Im Zentrum der Kampagne
eines solchen Prozesses sei ein erhebliches Maß an sozialen stand das von Dan Olweus (2002; neueste deutsche Auflage)
Kompetenzen nötig. Empirisch bestätigte sich, dass bei entwickelte Bullying Prevention Program, das inzwischen
einem Test, der anhand vom Verständnis von Kurz- in vielen anderen Ländern durchgeführt wird. Es setzt an
geschichten die Fähigkeiten in sozialer Kognition maß allen drei am Bullying beteiligten Ebenen an: Schulebene,
(Verständnis der vermutlichen Gedanken und vermut- Klassenebene und Individualebene. Ein wichtiger Bestand-
lichen Gefühle anderer Personen), die ringleader bullies teil des Programms ist die anfängliche Erhebung des tat-
signifikant besser abschnitten als Opfer, Verteidiger oder sächlichen Auftretens von Bullying in der einzelnen Schule,
Assistenten (Sutton et al. 1999b). um ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen und dem
Auch wenn dieses einzelne Ergebnis nicht überbewertet oft praktiziertem Wegsehen und Ignorieren – gerade auf-
werden sollte (vgl. Van Noorden et al. 2015; Zych et al. seiten der Lehrer und Eltern – entgegenzuwirken. Ein
2019), machen Sutton und Kollegen (2001) doch zurecht anderer wichtiger Bestandteil ist die Etablierung sozialer
auf die Gefahr aufmerksam, den Bully zu „pathologisieren“, Normen, nach denen Bullying und Gewalt in der Klasse
weil dies zu einer einseitigen Defizitzuschreibung und geächtet werden (klare Regeln zur Gewaltvermeidung, klare
damit zu einer Art Betriebsblindheit im Umgang mit dem Regeln zur Bestrafung bei Verstößen gegen diese Regeln)
Problem führen würde, die das soziale Umfeld und die dort sowie die Stärkung der Klassengemeinschaft, u. a. durch
herrschenden Normen zu wenig berücksichtigt. Alsaker den Einsatz kooperativer Lernformen. Olweus’ Ansatz
(2003) betont, dass nur dann Erfolge in der Bullying Prä- stand Pate für zahlreiche weitere Programme, in denen
vention und Bekämpfung zu erwarten sind, wenn Bullying sich der Fokus nicht ausschließlich auf die unmittelbar und
im Klassenkontext nicht zur Anerkennung, sondern zur sichtbar involvierten Täter und Opfer richtet, sondern am
Ächtung der Täter führen würde. gesamten System von Klasse und Schule ansetzt. So wird
12 auch in dem US-amerikanischen Programm „Steps to
Respect“ die gesamte Schule als Rahmen der A ­ nti-Bullying
12.5.6  Maßnahmen gegen Aggression und Strategien gesetzt und das gesamte Kollegium fortgebildet,
Bullying an Schulen: Prävention und bevor es den Schülerinnen und Schülern in einem zwölf
Intervention bis vierzehnwöchigen Curriculum beibringt, wie sie
Bullying erkennen, verhindern und melden sollen – und
Psychotherapeutische Interventionen auch, wie sie sich selbst sozial kompetent verhalten und
Fundierte verhaltenstherapeutische Interventionen, Freundschaften knüpfen können. In besonderem Maße
die an den spezifischen Defiziten aggressiver Kinder und konzentriert sich dieses Programm auf die Rolle der
Jugendlichen ansetzen und sich damit auf die Grundlagen Gruppe der Zuschauer (bystanders). So wird versucht,
des S­IP-Modells von Crick und Dodge (1994) beziehen, den nicht direkt beteiligten bystanders ein gesteigertes
stammen in Deutschland vor allem von Petermann Verantwortungsgefühl und klare Umgangsregeln für
und Petermann (z. B. 2005). Die für aggressive Kinder Situationen zu vermitteln, in denen jemand zum Opfer wird
typischen „Fehler“ in den einzelnen Phasen der sozialen (Frey et al. 2005).
Informationsverarbeitung werden in diesen Trainings Eine weitere Maßnahme zur Förderung von sozialen
gezielt bearbeitet, indem die Selbst- und Fremdwahr- Kompetenzen und Zivilcourage in der Schule und zur
nehmung geschult werden, neue Problemsichtweisen ver- Prävention von Bullying, die ebenfalls explizit an der
mittelt und neue Reaktionen in Rollenspielen umgesetzt ganzen Schulklasse ansetzt, ist das Programm fairplayer
und geübt werden. Sowohl gewaltfreie Selbstbehauptung (Scheithauer und Bull 2007; für eine Zusammenfassung
wie auch Einfühlungsvermögen und kooperatives Ver- siehe Scheithauer et al. 2007 sowie für eine detaillierte
halten werden eingeübt. Eingeleitet werden die Übungen Beschreibung im Internet unter 7 fairplayer.de). Dieses
meist durch eine bildgeleitete Kurzentspannung, um Programm wird in 14–16 Schuldoppelstunden von Lehr-
die motorische Unruhe der Kinder zu lindern. Für eine kräften durchgeführt, die zuvor an einer entsprechenden
detaillierte Darstellung der Trainings sei auf die zahl- Lehrerfortbildung teilgenommen haben. In mehreren
reichen, ständig aktualisierten Buchpublikationen der Wochen werden strukturierte Rollenspiele durchgeführt
Autor/innen verwiesen. Diese Trainings wenden sich an die und moralische Dilemma-Diskussionen durchgeführt
Gruppe der aggressiven Kinder und werden in Einzel- und sowie mit Modelllernen, Verstärkung und Verhaltensrück-
Gruppensitzungen durch ausgebildete Psychotherapeuten meldung gearbeitet.
durchgeführt (7 Kap. 18).
Gleichaltrige
305 12
Auch die Schulämter der einzelnen Länder erstellen 4. Wie wird in der Forschung anhand von
Handreichungen und Online-Materialien zur Thematik, soziometrischen Verfahren der Peerstatus eines
die Empfehlungen an Lehrkräfte darstellen, wie sie in ihrer Kindes ermittelt und welche fünf Kategorien des
Schule gegen Bullying und Cyberbullying vorgehen können. Peerstatus werden in der Literatur unterschieden?
Dies verdeutlicht, dass der professionelle Umgang mit 5. Was ist der „Bystander-Effekt“ und warum ist
aggressiven Peer-Interaktionen in den vergangenen Jahren es wichtig, diesen bei der Entwicklung von
als eine wichtige und originäre Aufgabe von Lehrkräften Anti-Bullying-Maßnahmen zu berücksichtigen?
zunehmend in den Blickpunkt gerückt ist. An ein breiteres
Publikum gerichtete Bücher mit Interventionsfokus werden Vertiefende Literatur
von in diesem Bereich Forschenden selbst verfasst (z. B. 5 Wentzel, K., & Ramani, G. (2016). Handbook of social influences
in school contexts. Social-emotional, motivation, and cognitive
Wachs et al. 2016).
outcomes. New York: Routledge, Taylor & Francis Group.
5 Zander, L., Kreutzmann, M., & Hannover, B. (2017).
Peerbeziehungen im Klassenzimmer. Zeitschrift für Erziehungs-
Fazit wissenschaft, 20(3), 353–386.
In diesem Kapitel haben wir uns mit der Funktion
und Bedeutung von Peers beschäftigt. Dabei wurde
dargestellt, wie die Interaktion mit Gleichaltrigen Literatur
Kinder und Jugendliche in ihrer sozialen und kognitiven
Entwicklung fördert und welche Rolle die Position Akkus, D., Eker, F., Karaca, A., Kapisiz, Ö., & Acikgöz, F. (2016). Is peer
im Klassenverband sowohl für das Wohlbefinden als education program an effective model in prevention of substance
addiction in high-school teens? Journal of Psychiatric Nursing/
auch für die schulischen Leistungen spielt. Auch die
Psikiyatri Hemsireleri Dernegi, 7(1), 34–44.
spezifischen Entwicklungsaufgaben des Kindes- und Alsaker, F. D. (2003). Quälgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern –
Jugendalters machen die Peers zu einer wichtigen und wie man damit umgeht. Bern: Huber.
Orientierungshilfe und Unterstützung. Wie gut die Aronson, E. (2000). Nobody left to hate. Teaching compassion after
Bewältigung dieser Aufgaben gelingt, hängt wesentlich Columbine. New York: Freeman.
Aronson, E., & Patnoe, S. (1997). The Jigsaw classroom: Building
davon ab, wie wirkungsvoll ein Kind oder Jugendlicher
cooperation in the classroom (2. Aufl.). New York: Addison Wesley
die Unterstützung durch Gleichaltrige nutzen kann. So Longman.
kann die Bildung von Cliquen als ein zentraler Faktor für Bilgiç, N., & Günay, T. (2018). Evaluation of effectiveness of peer
die Ausbildung sozialer Identitäten gelten. Dabei sind education on smoking behavior among high school students.
jedoch ebenfalls die potenziellen Konflikte zwischen Saudi Medical Journal, 39(1), 74–80.
Bishop, J., Bishop, M., Bishop, M., Gelbwasser, L., Green, S., Peterson, E.,
sich voneinander abgrenzenden Gruppierungen zu
Rubinsztaj, A., & Zuckerman, A. (2004). Why we harass nerds and
berücksichtigen. Auch insgesamt stehen neben den freaks: A formal theory of student culture and norms. Journal of
positiven Auswirkungen von gelingenden Peerkontakten School Health, 74, 235–251.
die negativen Folgen von aggressiven Verhaltensweisen Brochado, S., Soares, S., & Fraga, S. (2017). A scoping review on
unter Schülern, die den Schulgang für zahlreiche Kinder studies of cyberbullying prevalence among adolescents. Trauma,
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? Verständnisfragen Cillessen, A. H. N., & Mayeux, L. (2004). From censure to reinforcement:
Developmental changes in the association between aggression
1. Welche Erklärungen gibt es für das Phänomen der
and social status. Child Development, 75, 147–163.
Homophilie? Cillessen, A. H., Van IJzendoorn, H. W., Van Lieshout, C. F., & Hartup, W.
2. Benennen Sie verschiedenen Formen sozialen W. (1992). Heterogeneity among peer-rejected boys: Subtypes
Einflusses, die innerhalb einer Gruppe Jugendlicher and stabilities. Child Development, 63, 893–905.
wirksam werden können! Coie, J. D., Dodge, K. A., & Cappotelli, H. (1982). Dimensions and
types of social status: A cross-age perspective. Developmental
3. Was ist mit der „Ko-Konstruktion sozialer Realität“
Psychology, 18, 557–570.
unter gleichaltrigen Kindern gemeint und weshalb Coleman, J. S. (1961). The Adolescent Society. New York: Free Press.
ist dies in Beziehungen zwischen Gleichaltrigen Crick, N. R., & Dodge, K. A. (1994). A review and reformulation of
eher möglich als in Beziehungen, die Kinder zu social information-processing mechanisms in children’s social
Erwachsenen haben? adjustment. Psychological Bulletin, 115, 74–101.
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12
309 V

Diagnostizieren und
Evaluieren
Inhaltsverzeichnis

13 Pädagogisch-psychologische Diagnostik – 311


Oliver Wilhelm und Olga Kunina-Habenicht

14 Evaluation pädagogisch-psychologischer
Maßnahmen – 335
Olaf Köller

15 Nationale und internationale


Schulleistungsstudien – 349
Barbara Drechsel, Manfred Prenzel und Tina Seidel
311 13

Pädagogisch-psychologische
Diagnostik
Oliver Wilhelm und Olga Kunina-Habenicht

13.1  Definition und Zielstellungen von Diagnostik – 312


13.1.1  Definition p
­ ädagogisch-psychologischer Diagnostik – 312
13.1.2  Diagnostische Ziele – 313
13.1.3  Anwendungsgebiete und Nachbardisziplinen der pädagogischen
Diagnostik – 314

13.2  Beurteilung psychologischer Messverfahren – 317


13.2.1  Besonderheiten bei der Messung psychologischer Merkmale – 317
13.2.2  Gütekriterien zur Beurteilung psychologischer Messverfahren – 319
13.2.3  Testtheorie: Konkurrierende Ansätze und adäquate Methoden – 322
13.2.4  Klassifikatorische Diagnostik – 324

13.3  Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten – 326


13.3.1  Lebensdaten – 327
13.3.2  Zensuren – 327
13.3.3  Selbstberichtsinstrumente – 327
13.3.4  Testdaten: Intelligenz- und Schulleistungsdiagnostik – 328
13.3.5  Interviews und Beobachtungsinventare – 330

13.4  Abschließende Kommentare – 331


Literatur – 332

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_13
312 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Im Alltag schreiben wir Personen, die uns umgeben, häufig 13.1  Definition und Zielstellungen von
mit großer Selbstverständlichkeit bestimmte Ausprägungen Diagnostik
von Eigenschaften wie „Intelligenz“ oder „soziale Kompetenz“
zu. Die Datengrundlage und unsere Fähigkeit, zu zutreffenden 13.1.1  Definition ­pädagogisch-
Urteilen zu kommen, sind dabei oft unzureichend. Somit psychologischer Diagnostik
ermöglichen informelle Daten und unsere Urteilsfähig-
keit kaum zuverlässige und korrekte Aussagen über Nach Schmidt-Atzert und Amelang (2012, S. 4) dient die
nicht direkt beobachtbare psychische Eigenschaften wie psychologische Diagnostik der Beantwortung von Frage-
„Gewissenhaftigkeit“ oder „mathematische Begabung“. In stellungen, die sich auf die Beschreibung, Klassifikation,
diesem Kapitel werden wir darauf eingehen, wie wir in der Erklärung oder Vorhersage menschlichen Verhaltens
pädagogisch-psychologischen Diagnostik zu geeigneten und Erlebens beziehen. Sie schließt die gezielte Erhebung
Beobachtungen gelangen und darauf aufbauend fundierte von Informationen über das Verhalten und Erleben
diagnostische Beurteilungen abgeben können. Hierzu werden eines oder mehrerer Menschen sowie deren relevanter
zunächst Definitionen, Ziele und Anwendungsgebiete der Bedingungen ein. Die erhobenen Informationen werden
pädagogisch-psychologischen Diagnostik erörtert. In einem für die Beantwortung der Fragestellungen interpretiert.
zweiten Abschnitt werden methodische Grundlagen der Das diagnostische Handeln wird von psychologischem
Beurteilung diagnostischer Instrumente besprochen. Im Wissen geleitet. Zur Erhebung von Informationen werden
dritten Abschnitt gilt die A­ ufmerksamkeit der Beurteilung Methoden verwendet, die wissenschaftlichen Standards
und exemplarischen ­Darstellung verschiedener Informations- genügen.
quellen und -arten (. Abb. 13.1). Diese Definition stimmt weitgehend mit z­ahlreichen
weiteren Auffassungen zur psychologischen Diagnostik
überein. Die Abgrenzung zwischen pädagogisch-psycho-
logischer und psychologischer Diagnostik wird kontrovers
diskutiert. Während Klauer (1982, S. XI) behauptet, dass
„die pädagogische Diagnostik aus der psychologischen
Diagnostik herausgewachsen ist“, vertreten Autoren wie
Ingenkamp und Lissmann (2005, S. 12) die Meinung, dass
„die pädagogische Diagnostik nach ihren Angaben, Zielen
und Handlungsfeldern immer eigenständig war“. Wir ver-
13 treten die Auffassung, dass zwischen psychologischer und
pädagogisch-psychologischer Diagnostik große Über-
­
lappungen bezüglich der grundsätzlichen Problemlage und
der angewandten Methoden bestehen. Eine erste Besonder-
heit in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
entsteht durch den pädagogischen, schulischen oder
bildungspolitischen Charakter der Probleme, die typischer-
weise an sie herangetragen werden. Eine zweite Besonder-
heit besteht in der starken Orientierung auf Fragen der
Veränderbarkeit. In 7 Abschn. 13.1.3 gehen wir genauer
auf wichtige Anwendungsfelder der pädagogisch-psycho-
logischen Diagnostik ein.
Diagnostik soll zur Lösung praktischer Probleme bei-
tragen. Allerdings werden beispielsweise Entscheidungen
über Schullaufbahnen, Platzierungen in der beruf-
lichen Weiterbildung, die Hochschulzulassung oder den
Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten im schulischen
Kontext oft ohne die Berücksichtigung der Expertise der
pädagogisch-psychologischen Diagnostik getroffen. Damit
die pädagogisch-psychologische Diagnostik zukünftig bei
solchen Entscheidungen stärker einbezogen wird, sollte ihr
. Abb. 13.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) Nutzen nachvollziehbar aufgezeigt werden.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
313 13
Definition während des Therapieverlaufs. Methodisch spielen hier
Der Einsatz von pädagogisch-psychologischer insbesondere Aspekte der Einzelfallanalyse (Köhler 2008)
Diagnostik soll bei der Lösung praktischer und der Veränderungsmessung (Fitzmaurice et al. 2011;
pädagogischer, schulischer oder bildungs- McArdle 2009) eine deutlich größere Rolle als bei der
bezogener Probleme und Fragestellungen helfen. Statusdiagnostik.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik bezieht sich Eine diagnostische Untersuchung dient häufig dem
auf einzelne Merkmalsträger, in der Regel Personen. Zweck, eine Veränderung (Modifikation) von Bedingungen
Von den Merkmalsträgern werden Ausprägungen oder Verhaltensweisen aufzuzeigen. Die Konzepte der
interessierender Merkmale und Konstrukte gemessen. Selektions- und Modifikationsdiagnostik stellen die zweite
Hierzu werden unterschiedliche Verfahrensklassen wichtige Dimension der Taxonomie von Pawlik dar.
(Leistungstests, Fragebögen, Interviews etc.)
eingesetzt. Die gewonnene Information wird mit Selektionsdiagnostik Ein typisches Beispiel für die
möglichst transparenten, nachvollziehbaren und Personenselektion ist die Auswahl geeigneter Kandidaten
problemadäquaten Methoden zu einem Urteil für die Zulassung zu Universitäten für Studiengänge,
verdichtet. bei denen die Anzahl der Bewerber die Anzahl der vor-
handenen Studienplätze deutlich übersteigt. Im Vorder-
grund steht hierbei die Maximierung des Nutzens für die
jeweilige Hochschule.
13.1.2  Diagnostische Ziele In der Berufsberatung werden die Intensität und das
Profil fachlicher Interessen und Kenntnisse ermittelt, um
Bei der Beantwortung einer diagnostischen Fragestellung die Auswahl von passenden Bedingungen (Bedingungs-
können unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Pawlik selektion) – mögliche Ausbildungsberufe oder Studien-
(1982) hat eine hilfreiche Taxonomie diagnostischer richtungen – zu ermöglichen, die am besten auf die
Probleme vorgeschlagen, in der folgende Dimensionen jeweilige Person zugeschnitten sind. Hier werden also
unterschieden werden: Fragen der optimalen Platzierung adressiert mit dem Ziel,
5 Status- versus Prozessdiagnostik den Nutzen für Klienten zu maximieren.
5 Selektions- versus Modifikationsdiagnostik
5 kriteriums- versus normorientierte Diagnostik. Modifikationsdiagnostik Während einer Verhaltens-
therapie eines Grundschulkindes, bei dem eine Rechen-
Eine wichtige Dimension zur Charakterisierung diagnostischer schwäche (Dyskalkulie) diagnostiziert wurde, steht
Probleme ist nach dieser Taxonomie zunächst die Unter- dagegen die Modifikation des Verhaltens im Vordergrund.
scheidung zwischen 7 Statusdiagnostik und 7 Prozess- Während der Therapie werden häufige Fehlerquellen beim
diagnostik. Lösen von Rechen- und Sachaufgaben aufgezeigt. Der
Therapeut erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem Kind
Statusdiagnostik Sehr häufig ist bei der Beantwortung und seinen Eltern in verschiedenen Übungen adäquate
diagnostischer Fragestellungen die Ausprägung der Strategien, die das Ausmaß und die Auswirkungen der
interessierenden Eigenschaft zum gegebenen Zeitpunkt Rechenschwäche mildern sollen.
ausschlaggebend. Diese typische Fragestellung ist der sog. Bei der Entscheidung, welche weiterführende Schule
Statusdiagnostik zugeordnet. Die untersuchten Merkmale nach der Grundschule besucht werden soll, handelt es sich
sind dabei nicht direkt beobachtbar, sondern führen im auf den ersten Blick um Bedingungsmodifikation. Hier
Sinne einer Verhaltensbereitschaft dazu, dass Personen in soll für die betreffende Person eine optimale Situations-
ähnlichen Situationen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit veränderung bzw. Platzierung herbeigeführt werden.
ähnlich handeln. So sind bspw. extravertierte Menschen Neben diesem Platzierungsaspekt spielt jedoch auch
in den meisten sozialen Situationen aufgeschlossen der Selektionsaspekt eine wichtige Rolle. Mit der Ent-
und gesellig. Somit wird in der Statusdiagnostik eine scheidung, ob ein Kind die Haupt-, Realschule oder das
wenigstens mittelfristige zeitliche und situative Stabilität Gymnasium besuchen soll, wird auch über zukünftige
der untersuchten Merkmale vorausgesetzt. Ein typisches Bildungs- und Berufsmöglichkeiten entschieden, da
Beispiel für Statusdiagnostik ist die Untersuchung von eine Auswahlentscheidung getroffen wird, die dem Kind
Studienplatzbewerbern bezüglich der Eignung für ein optimale Fördermöglichkeiten bieten soll. Verschiedene
bestimmtes Hochschulstudium. Formen möglicher Fehlentscheidungen erörtern wir kurz
in 7 Abschn. 13.2.4.
Prozessdiagnostik Die Prozessdiagnostik beschäftigt sich Ein weiteres wichtiges Problem bei der Klärung eines
im Gegensatz zur Statusdiagnostik mit der Beurteilung diagnostischen Problems betrifft die Frage, nach welchem
spontaner oder gezielt herbeigeführter Veränderungen über Standard Ausprägungen gemessener Merkmale beurteilt
einen Zeitraum. Ein typisches Beispiel ist die Untersuchung werden (Klauer 1987; Pawlik 1982). Die dritte bedeutsame
der Veränderung sprachlicher Denkleistungen eines Schul- Dimension nach Pawlik stellt daher die Differenzierung
kindes, das an einer ­ Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet, zwischen kriteriums- und normorientierter Diagnostik dar.
314 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Kriteriumsorientierte Diagnostik Bei der Vergabe von einer Eins bewertet wird. Für viele praktische Probleme
Bildungszertifikaten liegt bspw. ein klar definiertes in der ­ pädagogisch-psychologischen Diagnostik liegt
und sachlich motiviertes Kriterium vor, das für die also faktisch eine Mischung aus norm- und kriterien-
Zertifikaterteilung wenigstens erreicht werden muss. In orientierter Diagnostik vor.
solchen Fällen spricht man von kriteriumsorientierter
Diagnostik, da hierbei die Leistung der jeweiligen Person
im Vergleich zu einem definierten Kriterium bewertet 13.1.3  Anwendungsgebiete und
wird. Hier geht es also primär um die Frage, welche Nachbardisziplinen der
Personen das festgelegte Kriterium erreichen oder über- pädagogischen Diagnostik
schreiten. Die Unterschiede zwischen Personen sind
bei diesem methodischen Ansatz von untergeordneter Die Anwendungsgebiete der ­ pädagogisch-psychologischen
Bedeutung. Bei einer beruflichen Weiterbildung mit Diagnostik reichen von der Beurteilung der Einschulungs-
Erteilung eines Zertifikats wird z. B. festgestellt, ob ein reife über Fragen der Berufsberatung bis zur Diagnose von
Mitarbeiter die inhaltlichen Vorgaben der Prüfung erfüllt Teilleistungsstörungen. Dabei können sich Berührungs-
und damit nachgewiesen hat, die infrage stehenden punkte mit klinisch-psychologischen Problemen, etwa bei
Leistungen im beruflichen Alltag erbringen zu können. der Diagnose von Teilleistungsschwächen oder Selektions-
Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob andere Personen problemen, ergeben, wie sie häufig von der Arbeits- und
eventuell noch bessere Leistungen gezeigt haben. Organisationspsychologie bearbeitet werden, etwa bei der
Regelung des Hochschulzugangs. Wenn sich Diagnostik
Normorientierte Diagnostik Bei der normorientierten nicht auf einzelne Personen bezieht, sondern etwa auf
Diagnostik wird den Unterschieden zwischen Personen Organisationen wie Schulen, ist für die pädagogische
besondere Beachtung geschenkt. Hier werden die Aus- Diagnostik von solchen Systemen ein Transfer von Know-how
prägungen auf interessierenden Merkmalen mit einer aus anderen diagnostischen Teildisziplinen notwendig – etwa
relevanten Bezugsgruppe verglichen. So wird bspw. die aus der Organisationspsychologie (Felfe und Liepmann 2008).
Leistung eines 11-jährigen Jungen in einem Intelligenztest Ein wichtiges Teilgebiet der ­ pädagogisch-psychologischen
im Vergleich zu anderen Jungen innerhalb seiner Alters- Diagnostik befasst sich mit Entscheidungen, die Bildungs-
gruppe bewertet. laufbahnen betreffen. In diesem Teilgebiet relevant sind die
Neben dem Vergleich mit sachlichen und sozialen folgenden diagnostischen Fragestellungen:
Bezugsnormen kann auch der Vergleich innerhalb 5 zur Einschulung
5 zur Lernbehinderung
13 von Personen (sog. intraindividueller Vergleich) vor-
5 zu Teilleistungsstörungen
genommen werden. Hier stehen die relative Stärke ver-
schiedener Merkmalsausprägungen – ein Profil – zu einem 5 zu Verhaltensauffälligkeiten
Zeitpunkt oder der Vergleich der Stärke einer Merkmals- 5 zur Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
ausprägung zu verschiedenen Messzeitpunkten im Vorder- 5 zur Hochbegabung
grund. Während diese intraindividuellen Vergleiche in den 5 zum Hochschulzugang
letzten Jahren verstärkt erforscht werden (z. B. Brehmer 5 zur Berufsberatung
und Lindenberger 2007), werden sie in der diagnostischen 5 zur beruflichen Weiterbildung.
Praxis relativ selten angewandt. Im Rahmen von
pädagogischen Förder- und Lernprogrammen sowie Inter- Einschulung
ventionsstudien erfolgt meist der Vergleich mit sachlichen In der Einschulungsdiagnostik sollen soziale, emotionale,
Kriterien oder sozialer Bezugsnorm. motorische und kognitive Kompetenzen einzuschulender
Viele praktisch auftretende diagnostische Frage- Kinder beurteilt werden. Die in der Praxis eingesetzten Test-
stellungen lassen sich diesen diagnostischen Zielen jedoch verfahren bilden jedoch vorrangig kognitive Kompetenzen
nicht eindeutig zuordnen. Ein anschauliches Beispiel ist ab. Bei niedrig ausgeprägten Kompetenzen kann ein Kind
die Bewertung einer Klassenarbeit in einer Schulklasse. vom Schulbesuch für ein Schuljahr zurückgestellt werden,
Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der ggf. können Kinder bei stark ausgeprägten Kompetenzen
Leistungsbewertung sowohl die in den Lehrplänen vor- nach entsprechender diagnostischer Klärung auch früh-
gegebenen Lernziele als auch die Leistung des Schülers zeitig eingeschult werden (für eine Übersicht zu aktuellen
im Vergleich zum allgemeinen Klassenniveau berück- Regelungen s. Faust 2006). Traditionelle Einschulungs-
sichtigt werden (Tent 1998; Ingenkamp 1995). Weitere diagnostik ist mit zwei Kernproblemen konfrontiert. Zum
Studien zeigen, dass die herangezogenen Kriterien zu einen verhindert die verzögerte Einschulung das, was Kinder
Leistungsbewertungen in der Sekundarstufe II in ver- mit schwächer ausgeprägten Kompetenzen besonders nötig
schiedenen Bundesländern und an verschiedenen haben: schulische Förderung. Zum anderen ist die Anzahl
Schultypen (z. B. Gesamtschule vs. Gymnasium) stark der Fehlentscheidungen schon dann gering, wenn fast alle
schwanken (Köller et al. 1999). So kann bspw. in Bayern Personen eine bestimmte Ausprägung aufweisen. Dann kann
für eine konkrete Klassenarbeit eine Drei vergeben es sich kaum lohnen Diagnostik zu betreiben. Wenn bei-
werden, während die gleiche Leistung in Hamburg mit spielsweise fast alle Kinder einer Gruppe für die Einschulung
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
315 13
„geeignet“ sind, begeht man sehr wenige Fehler, wenn alle und emotionale Störungen des Kindesalters. Die
Kinder eingeschult werden. Den Fehleranteil – bspw. 5 % – ­Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
zu verringern wird aufwendige Diagnostik erfordern und ist eine in der Regel im Kindesalter beginnende psychische
den Fehler nur geringfügig senken können (günstigsten- Störung, die primär durch leichte Ablenkbarkeit, schwach
falls um 5 % auf 0 %). Probleme dieser Art werden in ausgeprägtes Konzentrations- und Aufmerksamkeits-
7 Abschn. 13.2.4 näher diskutiert. vermögen sowie leichte Reizbarkeit gekennzeichnet ist –
häufig in Kombination mit Hyperaktivität (motorische
Lernbehinderung Unruhe bzw. übermäßiger Bewegungsdrang). ADHS
Lernbehinderung ist ein wissenschaftlich wenig präziser wird bei 3–10 % der Kinder diagnostiziert, wobei Jungen
Begriff, der auf ca. 2,5 % aller Kinder eines Geburtsjahr- unter den betroffenen Kindern deutlich überrepräsentiert
gangs angewandt wird um auszudrücken, dass die Kinder sind (WHO und Dilling 2008). In der ICD-10 (ICD-10
dem Regelschulunterricht nicht hinreichend folgen können. und DSM-5 sind zwei wesentliche Klassifikationssysteme
Die Diagnose einer Lernbehinderung ist im Wesentlichen psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation
an eine normorientierte Klassifikation von Intelligenz- und der American Psychiatric Association) werden unter
messungen geknüpft. Die Diagnose der Lernbehinderung Störungen des Sozialverhaltens sich wiederholende und
wird erschwert durch regionale Variationen eingesetzter andauernde Muster mutwilligen dissozialen, aggressiven
Verfahren und verwendeter Normen und Kriterien oder aufsässigen Verhaltens verstanden. Diese Störungen
(Borchert 2000; Kanaya et al. 2003; Moog und Nowacki zählen zu den häufigsten im Kindes- und Jugendalter
1993). Ein weiteres gravierendes Problem betrifft die starke diagnostizierten Störungen und treten oft zusammen mit
Überlappung der Sonderschulzugehörigkeit mit sozioöko- ADHS auf (WHO und Dilling 2008). Zu emotionalen
nomischem Status und der unzureichenden Trennung der Störungen des Kindesalters zählt insbesondere Angst, die
Intelligenzverteilungen von Haupt- und Sonderschülern. durch bestimmte, im Allgemeinen ungefährliche Objekte
hervorgerufen wird. Diese Störungsgruppe umfasst u. a.
Teilleistungsstörungen phobische Störungen, soziale Ängstlichkeit und Trennungs-
In Abgrenzung zur Lernbehinderung oder Intelligenz- angst. Diese Störungen treten besonders häufig zusammen
minderung sind kognitive Teilleistungsstörungen auf mit depressiven Störungen auf (WHO und Dilling 2008).
Beeinträchtigungen in spezifischen Bereichen beschränkt. Die zuverlässige Erfassung der für die jeweilige Diagnose
Häufig wird diesen isolierten Beeinträchtigungen dadurch in den internationalen Klassifikationssystemen definierten
Rechnung getragen, dass Teilleistungsstörungen nur bei notwendigen und optionalen Kriterien gestaltet sich in der
ansonsten unbeeinträchtigter Intelligenz vorliegen können Praxis häufig schwierig. Die Methode der Wahl ist die Ver-
(DSM-5, ICD 10). Eine Implikation dieses Grundsatzes haltensbeobachtung in problematischen Situationen. Da
ist, dass weniger intelligente Kinder per Definition keine dies nicht immer möglich ist, muss der Therapeut in vielen
kognitiven Teilleistungsstörungen aufweisen können. Eine Fällen auf die Fremdbeurteilung durch die Bezugspersonen
weitere Implikation besteht darin, dass ein bestimmter Pro- vertrauen, die jedoch subjektiv gefärbt ist. Die gebräuch-
zentsatz der Kinder mit unbeeinträchtigter Intelligenz aber lichen diagnostischen Kriterien und auch die verfügbaren
unterdurchschnittlichen Leistungen in einem spezifischen diagnostischen Instrumente unterscheiden sich ein wenig.
Teilbereich per Definition eine Teilleistungsstörung auf- Lernbehinderungen, Teilleistungsstörungen und Ver­
weisen muss. haltensauffälligkeiten sind auch die vorrangigen Beschäf­
Lese-Rechtschreib-Störungen und Dyskalkulie sind tigungsfelder der Erziehungsberatung. Trotz dieser
die beiden schwerwiegendsten Teilleistungsstörungen. Für Fokussierung ist in der Erziehungsberatung im Grunde
beide Störungen liegt eine Fülle bewährter Messinstrumente die ganze Bandbreite der pädagogisch-psychologischen
und erfolgserprobter Behandlungsmethoden vor (Bakker Diagnostik relevant. In der Regel handelt es sich in der
2006; Kaufmann 2008; 7 Kap. 17). Erziehungsberatung um Interventionen in Einzelfällen,
In eher auf Störungen und Schwierigkeiten fokussierten bei denen sorgfältige Diagnostik und intensive Qualitäts-
Teilgebieten der pädagogisch-psychologischen Diagnostik kontrolle besonders bedeutsam sind (7 Kap. 18).
werden die Berührungspunkte mit der klinischen Psycho-
logie offensichtlich. Diagnose und Intervention bei Ver- Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
haltensauffälligkeiten wie hyperaktivem Verhalten (ADHS) Die je nach Bundesland zwischen der 4. und 6. Klassen-
oder Störungen des Sozialverhaltens stehen hier im Vorder- stufe erfolgende Zuordnung zur weiterführenden Schule
grund der praktischen Arbeit. in der Sekundarstufe ist weitgehend am Schulleistungsver-
mögen bzw. der Intelligenz der Kinder orientiert (Maaz
Verhaltensauffälligkeiten et al. 2008). Aus der Perspektive vieler Eltern ist mit der
Die in der pädagogischen Praxis am häufigsten auf- Schulformzuordnung weniger eine optimale Platzierung
tretenden Verhaltensauffälligkeiten lassen sich drei als vielmehr eine Selektion verknüpft. Tatsächlich ist auch
Störungsgruppen zuordnen: Aufmerksamkeits- und Kon­ mit einer Haupt- oder Realschulempfehlung die Chance,
zentrationsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens das Abitur zu absolvieren, grundsätzlich gegeben. Jedoch
316 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems von niedrigeren Hochschulzulassung


zu höheren Schulabschlüssen geringer als in umgekehrter Ein in Deutschland im Vergleich zu angloamerikanischen
Richtung. Umgekehrt ist mit einer Gymnasialempfehlung Ländern in der Praxis unterentwickeltes Anwendungs-
keinesfalls eine Erfolgsgarantie verbunden (Maaz et al. 2008). feld der pädagogisch-psychologischen Diagnostik stellen
Während die Überschätzung des tatsächlichen Leistungs- Entscheidungen im Feld der Hochschulzulassung dar. Die
vermögens mit potenzieller Überforderung der Schüler Hochschulen tragen im Rahmen restriktiver Landesgesetze
verbunden ist, wird bei Unterschätzung den Schülern bei der Auswahl von Studienbewerbern die Verantwortung
die optimale Förderung verwehrt. Unstrittig sind Schul- für die Zulassung. In Studiengängen mit großem Bewerber-
empfehlungen von Lehrkräften ebenso wie Intelligenztests andrang und hohen Zurückweisungsquoten wirken sich
gute – wenngleich hoch redundante – Indikatoren für die Variationen der Zulassungspraxis besonders stark aus.
Vorhersage des Schulerfolgs (Sauer und Gamsjäger 1996). Allerdings ist festzuhalten, dass es Hochschulen in vielen
Die Vorhersage des Schulerfolgs weist jedoch erhebliche Fällen kaum möglich ist, die ihnen eingeräumte begrenzte
Ungenauigkeiten auf, die wenigstens teilweise überhöhten Freiheit auszuschöpfen angesichts
oder fehlenden elterlichen Ambitionen und Kontexteffekten 5 fehlender finanzieller Spielräume,
(Trautwein und Baeriswyl 2007) geschuldet sind. 5 juristischer Hürden wie dem jeweils geltenden Landes-
recht und schwer vorhersehbarer lokaler Recht-
Hochbegabung sprechung in Zulassungsfragen,
Ähnlich wie bei der Lernbehinderung geht es bei der 5 mangelnder pädagogisch-psychologischer Expertise und
Diagnostik der Hochbegabung nach Rost (1993) darum, 5 umständlicher Selbstverwaltung wie dem Erlass von
5 eine Gruppe besonders begabter Personen zu identi- Zulassungs- und Zugangssatzungen.
fizieren und
5 nach ihren Möglichkeiten optimal zu fördern – etwa in Aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht sind die Empfehlungen
speziellen Institutionen bzw. zur Hochschulzulassung an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen
5 spezifische Probleme dieser Personengruppe besonders (Formazin et al. 2011). Schulabschlüsse und Schulleistungen,
zu adressieren – etwa vermeintlich gehäuft auftretende die zur Hochschulzugangsberechtigung führen – in der
Verhaltensauffälligkeiten hochbegabter Kinder in Regel das Abitur bzw. die Abiturdurchschnittsnote – erklären
Gruppen mit gemischtem Leistungsniveau. Studienleistungen recht gut. Dies gilt auch für sog. Studier-
fähigkeitstests. Aus der Perspektive der Maximierung der Vor-
Im Kern steht bei der Hochbegabung eine überdurchschnitt- hersage ist besonders relevant, inwiefern beide Prädiktoren
13 lich ausgeprägte Intelligenz. Aufbauend auf Intelligenz- zusammen die Vorhersage des Studienerfolgs verbessern. Die
strukturtheorien (etwa Carroll 1993) sollte von kognitiver empirischen Belege sprechen dafür, dass die beiden unter-
Hochbegabung jedoch nur mit Blick auf etablierte einander teilweise redundanten Prädiktoren sich in ihren Vor-
Intelligenztestverfahren gesprochen werden. Zur Vorher- hersageleistungen ergänzen.
sage hochbegabter Verhaltensweisen sind neben über- In Hinblick auf die Hochschulzulassung existieren jedoch
durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten weitere weitere, empirisch nicht hinreichend geklärte Probleme.
Bedingungsfaktoren von Bedeutung, die in verschiedenen Hierzu zählen
Hochbegabungstheorien thematisiert werden, wie z. B. 5 Fairnessprobleme bei der Beurteilung von Schul-
Kreativität, soziale Kompetenz oder nichtkognitive Persön- leistungen (Scott et al. 2014; AERA et al. 2014),
lichkeitsmerkmale wie Leistungsorientierung und Aufgaben- 5 Ursachen für den häufig zu beklagenden Studien-
zuwendung (vgl. dazu Renzullis Modell; Reis und Renzulli abbruch,
2011; Sternbergs Modell; Sternberg 1993; oder das Münchner 5 Konsequenzen verschiedener Zulassungsprozeduren
Hochbegabungsmodell; Heller 2001). Im Gegensatz zu für die soziale und ethnische Zusammensetzung der
Kreativität oder sozialer Kompetenz ist intellektuelle Hoch- Studierenden und
begabung im Sinne einer statistischen Norm hinreichend 5 die Messung des Kriteriums „Studienerfolg“,
definiert über das Überschreiten einer bestimmten Schwelle insbesondere jenseits traditionell herangezogener
(z. B. Intelligenzquotient 130 oder höher) in etablierten Prüfungsleistungen.
Leistungsfaktoren wie verbale, mathematische oder räum-
lich-kognitive Fähigkeiten, die mit erprobten Tests erfasst An einigen Hochschulen werden in vielen zulassungsbe-
werden. Solche Tests erfassen in der Regel individuelle Unter- schränkten Studiengängen Verfahren eingesetzt, deren
schiede in anspruchsvollen Denktätigkeiten wie etwa schluss- Nützlichkeit äußerst fragwürdig ist. So werden bspw. in der
folgerndes Denken (Wilhelm 2005). Interessant ist, dass auch Praxis neben der Abiturnote gewichtete, für den Studien-
bei spezielleren – etwa mathematischen – Hochbegabungen gang vermeintlich relevante Einzelnoten herangezogen –
(Lubinski et al. 2006) in der Regel eine erheblich erhöhte ein nachgewiesenermaßen nutzloses Unterfangen (Gold
Intelligenz vorliegt (Rost 1993). und Souvignier 2005; Steyer et al. 2005). Insgesamt ist zu
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
317 13
konstatieren, dass die Entscheidungsfindung im Feld der die p ­ädagogisch-psychologische Diagnostik orientieren.
Hochschulzulassung in Deutschland häufig ohne die Ein- Darüber hinaus unterliegt die diagnostische Praxis den
beziehung der pädagogisch-psychologischen Diagnostik rechtlichen Vorgaben durch Gesetzgeber, Verwaltung
erfolgt und nur in wenigen Fällen mit den Empfehlungen und Gerichte. Die Dienstpflichten von Lehrkräften und
zu vereinbaren ist, die aus der vorliegenden empirischen Psychologen, die im öffentlichen Dienst tätig sind, sind
Evidenz abgeleitet werden können. durch arbeits-, dienst- und beamtenrechtliche Vorschriften
weitestgehend geregelt (Tent und Stelzl 1993). Auch die
Berufsberatung empirische Forschung an Schulen muss zahlreiche recht-
Berufsberatung ist in Deutschland eine gesetzlich geregelte liche Regelungen einhalten, bspw. indem empirische Studien
Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Hartung et al. einzeln durch die zuständige Landesbehörde für Bildung
(2015) sowie Walsh et al. (2013) geben gute Einführungen überprüft und genehmigt werden müssen.
in die psychologische Sichtweise der Berufsberatungs-
praxis. Aus der diagnostischen Sicht steht bei der Berufs-
beratung bzw. Berufseignungsdiagnostik die Frage nach der 13.2  Beurteilung psychologischer
optimalen Platzierung des Klienten im Vordergrund – mit Messverfahren
dem Ziel, individuelle berufliche Leistungen und berufliche
Zufriedenheit des Klienten zu maximieren. Um die an sie herangetragenen praktischen Probleme lösen
zu können, stehen in der Diagnostik eine Reihe unter-
Berufliche Weiterbildung schiedlich formalisierter Werkzeuge wie Tests, Fragebögen,
In der beruflichen Weiterbildung werden sehr ähnliche Beobachtungsinventare und Interviews zur Verfügung. Im
Fragestellungen adressiert wie in der Berufsberatung. In 7 Abschn. 13.3 werden verschiedene diagnostische Ver-
beiden Fällen geht es darum, die optimale Passung zwischen fahren exemplarisch vorgestellt und diskutiert. Bei allen
den Eigenschaften und Fähigkeiten der Klienten mit den diagnostischen Entscheidungen ist es von entscheidender
Gegebenheiten und Anforderungen des (zukünftigen) Bedeutung auf welchen Datenquellen die Diagnosen
Arbeitsplatzes zu schaffen. Der Unterschied zwischen beruhen und wie brauchbar die zugrunde liegenden
Berufsberatung und beruflicher Weiterbildung besteht Informationen für die gegebene Fragestellung sind.
hauptsächlich in der Stichprobe, die diese Beratungsan- Wir werden zunächst auf einige zentrale Begriffe der
gebote wahrnimmt, in Bezug auf ihren beruflichen Werde- Diagnostik eingehen und anschließend wesentliche Güte-
gang und ihr Alter. Während die Berufsberatung von kriterien bei der Beurteilung diagnostischer Informations-
vorwiegend jüngeren Menschen mit keiner bzw. nur wenig quellen erörtern. Abschließend werden die Bedeutung
Berufserfahrung aufgesucht wird, stehen bei der beruf- unterschiedlicher methodischer Ansätze beleuchtet und die
lichen Weiterbildung in der Regel Fragen zu geeigneten Konsequenzen von Klassifikationen dargestellt.
Umschulungs- oder Spezialisierungsmöglichkeiten für
Arbeitnehmer, die meist über einen abgeschlossenen
Ausbildungs- oder Studienabschluss sowie ausreichende 13.2.1  Besonderheiten bei der Messung
Berufserfahrung verfügen, im Vordergrund. Die Qualität psychologischer Merkmale
der angebotenen Fortbildungsmaßnahmen reicht dabei von
wenig hilfreichen und nicht sachgerecht evaluierten kurz- Während in der Physik und anderen sog. exakten Wissen-
fristigen Maßnahmen bis hin zu anspruchsvollen und gut schaften die Messung interessierender Größen (z. B.
erprobten qualifizierenden Bildungslehrgängen, bei denen Körpergröße, Masse, Dichte etc.) häufig sehr präzise und
spezifische Fertigkeiten erlernt und Zertifikate erworben eindeutig erfolgen kann, liegen bei Messungen psycho-
werden können, die aufgrund von wohl definierten logischer Größen oft beträchtliche Ungenauigkeiten vor.
Kriterien vergeben werden. Mit Blick auf das Verständnis psychologischer Merkmale ist
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik werden es wichtig, dass diese Eigenschaften nicht direkt beobacht-
Entscheidungen getroffen, deren Konsequenzen häufig bar sind, sondern aus beobachtetem Verhalten erschlossen
nur schwer abschätzbar sind. Daher verlangen Sachlogik werden müssen. So lässt sich z. B. die Intelligenz eines
und Berufsethos, dass das Vorgehen in der diagnostischen Menschen auf der Beobachtungsebene nicht unmittel-
Praxis juristisch abgesichert sein muss. Die deutsche Gesell- bar feststellen. Diese und viele weitere nicht direkt
schaft für Psychologie (DGPs) und der Berufsverband beobachtbare Eigenschaften werden in der Psychologie
Deutscher Psychologen (BDP) gaben 1998 ethische Richt- als Konstrukte bezeichnet, weil sie durch den Forscher
linien heraus, die zugleich die „Berufsordnung für Psycho- präzisiert bzw. definiert werden müssen. Konstrukte werden
logen“ des BDP von 1998 darstellen (DGPs und BDP in statistischen Modellen häufig als latente Variablen kon-
1998). An diesen Richtlinien sollte sich natürlich auch zeptualisiert.
318 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Definition wie die interessierenden Merkmale optimal beobachtet


Ein Konstrukt ist ein nicht direkt beobachtbarer und gemessen werden können. Auch die Diskussion der
Sachverhalt innerhalb einer wissenschaftlichen Theorie. zugrunde liegenden und als ursächlich geltenden Konstrukte
Konstrukte sind gedanklicher bzw. theoretischer Natur. ist durch viele konzeptuelle und sprachliche Unschärfen
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik sind und Beliebigkeiten geprägt. So wird in Handbüchern zu
Konstrukte insbesondere interessierende Merkmale in diagnostischen Verfahren häufig nicht ausreichend erläutert,
Beobachtungseinheiten – in der Regel Personen. Durch wie die theoretischen Konstrukte wie „Leseverständnis“
Operationalisierung und statistische Abstraktion können definiert und operationalisiert werden. Zusätzlich werden
aus beobachteten Variablen (etwa gelösten Mathematik- in der Forschung für ähnliche Konstrukte unterschiedliche
aufgaben) Ausprägungen von Konstrukten (etwa Bezeichnungen verwendet (z. B. „Lesekompetenz“, „Lesever-
mathematische Begabung eines Schülers) geschätzt ständnis“ oder „Sprachbeherrschung“), sodass häufig unklar
werden. bleibt, inwieweit sich diese Konstrukte inhaltlich überlappen
Eine latente Variable ist ein Parameter in einem bzw. voneinander unterscheiden.
mathematischen Modell. Sie repräsentiert das Im alltagssprachlichen Gebrauch werden Eigenschafts-
psychologische Konstrukt und wird aus empirischen zuschreibungen häufig als bipolare kategoriale Konzepte ver-
Daten erschlossen. wendet. Eine Person ist begabt oder nicht begabt, faul oder
fleißig usw. Natürlich werden hierbei sprachliche Modulationen
vorgenommen, sodass wir auch alltagssprachlich für die
meisten Merkmale eine stärkere oder schwächere Ausprägung
Ausprägungen der interessierenden Merkmale bzw. Konstrukte
ausdrücken können. In der pädagogisch-psychologischen
werden aufgrund von Ausprägungen auf beobachteten
Diagnostik sind die infrage stehenden Merkmale in der Regel
Variablen (auch 7 manifeste Variablen oder Indikatoren
kontinuierlich und nicht kategorial, d. h. dass ein Schüler
genannt) geschätzt. So wird etwa die Intelligenz einer Person
mehr oder weniger mathematisch begabt oder gewissen-
anhand der Antworten auf verschiedene Aufgaben in
haft ist. In großen nationalen und internationalen Bildungs-
einem Intelligenztest geschätzt. Eine Kernannahme bei der
studien (7 Kap. 15) und auch im gemeinsamen Europäischen
Postulierung 7 latenter Variablen ist, dass die interessierenden
Referenzrahmen für Sprachbeherrschung werden häufig die
Merkmale das beobachtete Verhalten bedingen und somit die
eigentlich kontinuierlichen Größen in einige wenige Kate-
Zusammenhänge der beobachteten Variablen erklären. Diesen
gorien zusammengefasst, die als geordnete Entwicklungs- oder
Vorgang der Präzisierung des interessierenden Merkmals
Kompetenzstufen verstanden werden. Bei diesem Vorgehen
bezeichnet man als Operationalisierung.
13 gehen Informationen über die Unterschiede innerhalb der
einzelnen Kategorien verloren (MacCallum et al. 2002). Diese
Definition Klassifikation erleichtert jedoch die Kommunikation von
Manifeste Variablen stellen eine Operationalisierung Befunden. Sie erlaubt bspw. die Benennung des prozentualen
der interessierenden latenten Variablen dar. Die Anteils von Schülern, die eine bestimmte Kompetenzstufe in
Operationalisierung beruht auf einer möglichst präzisen einem bestimmten Leistungstest erreicht haben. So lässt sich
Definition des psychologischen Konstrukts sowie z. B. prägnant der Anteil an Risikoschülern in verschiedenen
einer inhaltlich motivierten Ableitung der manifesten Gruppen miteinander vergleichen.
Variablen (bzw. Indikatoren), mit denen individuelle Von diesem Verständnis der gemessenen Variablen muss
Unterschiede oder intraindividuelle Veränderungen unbedingt die darauf aufbauende Erstellung einer Diagnose
in diesem Konstrukt mithilfe des Messinstruments unterschieden werden. Hier finden sich häufiger kategoriale
gemessen werden sollen. Aussagen über Personen, etwa eine Schülerin leide an einer
Manifeste Variablen bzw. Indikatoren sind Lese-Rechtschreib-Schwäche (Dyslexie) oder ein Schüler sei
beobachtete Variablen, von denen – geeignete aufmerksamkeitsgestört etc. Allerdings ist auch hier häufig
Operationalisierung vorausgesetzt – auf das zugrunde ein kontinuierliches Verständnis der Urteile angebracht
liegende psychologische Konstrukt geschlossen wird. (Rost 2004; Kraemer et al. 2003). Personen, bei denen eine
In der psychologischen Diagnostik können die Begriffe dyslexische Störung diagnostiziert wurde, unterscheiden
Testkonstruktion und Operationalisierung weitgehend sich beispielsweise im Schweregrad, in der Reaktion auf
synonym verwendet werden. eine Intervention und in der daraus resultierenden Beein-
trächtigung im Alltag auch untereinander. Auch Personen,
die nicht als dyslexisch charakterisiert wurden, weisen
Leider besteht in der Psychologie häufig kein Einver- große Unterschiede in ihren lexikalischen Begabungen auf
nehmen darüber, mit welchen psychologischen Eigen- und sind darüber hinaus unterschiedlich stark gefährdet,
schaften bestimmte Verhaltensweisen assoziiert sind und zukünftig eine Dyslexie zu entwickeln.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
319 13
Definition Auswertungsschablonen zur Verfügung gestellt werden.
Diagnose bzw. Prognose sind Begriffe, die der Medizin Im Handbuch zum jeweiligen Verfahren sollten dabei
entlehnt sind. Dort bezieht sich der Begriff Diagnose insbesondere bei Leistungstests eindeutige Richtig-
auf das Erkennen einer Störung oder Krankheit anhand antworten für alle Aufgaben vorliegen. Zusätzlich sollten
spezifischer Zeichen oder Symptome, etwa ob ein Patient Informationen zur Bildung des Gesamtwerts für die
eine Lungenentzündung hat. Der Begriff Prognose Leistung im Test enthalten sein. Wünschenswert sind
bezieht sich auf den erwarteten oder vorhergesagten außerdem Erläuterungen zum Vorgehen, wie der ermittelte
Verlauf einer Störung oder Krankheit. In der pädagogisch- Gesamtwert im Leistungstest anhand der Normtabellen zu
psychologischen Diagnostik beruhen Diagnosen bewerten ist.
und Prognosen in der Regel auf Beurteilungen von Etwas schwieriger ist die Sicherung der Objektivi-
Beobachtungseinheiten (in der Regel Personen) mit Blick tät bei Beobachtungsinventaren (z. B. zur Feststellung
auf vorgegebene Fragestellungen, etwa ob ein Schüler von Verhaltensauffälligkeiten) oder Interviews. Um die
eine Gymnasialempfehlung erhalten soll. Durchführungsobjektivität zu gewährleisten, werden bei
7 Diagnostischer Prozess bezeichnet im Kern die Beobachtungsinventaren unter anderem standardisierte
begründete Zuschreibung einer Eigenschaft zu einer Checklisten eingesetzt, mit denen möglichst verbindliche
bestimmten Beobachtungseinheit. Der diagnostische Kriterien für die Verhaltensbeobachtung festgelegt werden.
Prozess muss wissenschaftlichen Ansprüchen unter Bei (halb-)standardisierten Interviews wird meist vorher ein
Berücksichtigung von Kosten-Nutzen Aspekten verbindlicher Fragenkatalog erstellt. Zur Prüfung, inwieweit
genügen. Im diagnostischen Prozess lassen sich die die Auswertungsobjektivität vorliegt, werden in der Praxis
Phasen der Problemanalyse, der hypothesengetriebenen für die Beobachtung und Auswertung häufig mehrere
Informationsgewinnung, des diagnostischen Urteilens Personen herangezogen und anschließend die Überein-
und der Evaluation unterscheiden (Jäger 1988). stimmung zwischen den Beurteilern bestimmt.

Reliabilität
Die Reliabilität eines Messverfahrens gibt dessen Zuverlässig-
keit an. Traditionell werden drei Reliabilitätsarten unter-
13.2.2  Gütekriterien zur Beurteilung
schieden: Stabilität, Äquivalenz und I­ nter-Item-Konsistenz.
psychologischer Messverfahren Bei der Stabilität interessiert insbesondere, inwiefern
in der Zeit zwischen zwei Testungen Effekte wirken, die
In der Praxis werden im Rahmen der ­ pädagogisch- die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindern. Wird ein Ver-
psychologischen Diagnostik häufig verschiedene Messver- fahren bei ein und derselben Person mehrfach eingesetzt,
fahren (z. B. Fragebögen oder Leistungstests) eingesetzt, so variiert die individuelle Leistung bei diesen Messwieder-
die für die konkrete diagnostische Fragestellung relevante holungen auch unter strikt kontrollierten Bedingungen
Merkmale erfassen. Zur Messung der interessierenden abhängig von Zufallsfaktoren wie Tageszeit, Stimmung und
Konstrukte können meist ebenfalls unterschiedliche Ver- Wohlbefinden. Zahlreiche Lern- und Gedächtniseffekte
fahren herangezogen werden. Daher stellt sich in der können die Leistungen bei Messwiederholungen beein-
Praxis häufig die Frage, welches Verfahren für die konkrete flussen. Die beobachteten Werte einer Person zu zwei ver-
Fragestellung angemessen ist. Als wesentliche Aspekte zur schiedenen Zeitpunkten unterscheiden sich auch dann,
Beurteilung der Qualität von Messverfahren werden in der wenn die Ausprägung des interessierenden Merkmals dieser
psychologischen Diagnostik häufig drei Kriterien heran- Person sich nicht verändert hat. Da das Ausmaß des Mess-
gezogen: 7 Objektivität, 7 Reliabilität und 7 Validität. fehlers einer einzigen Testung in der Regel nicht abschätz-
Wir besprechen zunächst kurz das Kriterium Objektivität bar ist, geht man bei Untersuchungen zur Reliabilität im
und gehen dann etwas ausführlicher auf Reliabilität und Sinne der zeitlichen Stabilität vereinfachend davon aus, dass
­Validität ein. Messfehler über mehrere Messzeitpunkte zufällig entstehen
und nicht vorhersehbar sind. Messfehler können jedoch
Objektivität auch systematisch auftreten, etwa wenn einige Bewerber
Objektivität ist ein wesentlicher Aspekt der Messquali- sich aufgrund von hoher Gewissenhaftigkeit nach der ersten
tät psychologischer Testverfahren und nach Lienert Leistungstestung intensiv auf die Folgetestung vorbereiten.
(1969) zu verstehen als der Grad, in dem Testergeb- Die Korrelation von Erst- mit Wiederholungstestung wird
nisse unabhängig vom Untersucher sind. Laut Lienert auch Stabilitätskoeffizient genannt. Dieser Reliabilitäts-
spiegelt sich die Unabhängigkeit des Untersuchers in drei aspekt wird in der Literatur auch als ­ Retest-Reliabilität
Aspekten wider: der Objektivität der Durchführung, der bezeichnet. In den Stabilitätskoeffizienten geht eine Fülle
Auswertung und der Interpretation. Diese drei Aspekte von teils zusammenhangsteigernden Aspekten (etwa
können bei Frvagebögen und Leistungstests sichergestellt direkte Erinnerung an Angaben aus der Ersttestung) und
werden, indem z. B. standardisierte Vorgaben für die teils zusammenhangsenkenden Aspekten ein (etwa tatsäch-
Durchführung und Auswertung des jeweiligen Instruments liche Merkmalsänderungen zwischen den Testungen oder
in Form von Instruktionen für Testdurchführung und Wirkungen von Interventionen).
320 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Die meisten Leistungstests oder Fragebögen bestehen American Psychological Association (AERA et al. 2014)
aus mehreren Fragen bzw. Aufgaben. Beim Aspekt der Äqui- für psychometrische Tests anlehnen, wird auf diese Unter-
valenz interessiert insbesondere, inwiefern die Zuordnung scheidung bewusst verzichtet, wobei die oben genannten
der einzelnen Aufgaben zu Paralleltests (z. B. zu Form A Validitätsaspekte in die umfassendere Konzeption von
und B) die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindert. Ein Messick (1989) integriert wurden.
optimales diagnostisches Verfahren sollte bei ein und der-
selben Person zu gleichen Ergebnissen führen, unabhängig Definition
davon, welche Testform die Person bearbeitet hat. In den APA-Standards (2002) wird Validität als eine
Beim Aspekt der Inter-Item-Konsistenz wird der Gedanke Eigenschaft der Testwerte verstanden. Validität
des Einflusses von mehreren Testformen aufgegriffen und auf gibt den Grad an, zu dem die empirischen Belege
die Ebene der einzelnen Aufgaben erweitert. Das bedeutet, und theoretischen Sachverhalte die beabsichtigte
dass es hier konkret darum geht, inwieweit die einzelnen Auf- Interpretation der Testwerte unterstützen.
gaben zuverlässig das gleiche Konstrukt messen. In der Praxis
wird die interne Konsistenz noch häufig als Cronbach’s
Alpha (Cronbach 1951) bestimmt. Nach Messick (1989) lassen sich mindestens zwei mit-
Zur Beurteilung der Reliabilität und insbesondere einander zusammenhängende Fragen unterscheiden, mit
der Inter-Item-Konsistenz werden in der Literatur ver- denen sich die Validitätsprüfung befassen kann:
schiedene Koeffizienten (z. B. Cronbach’s Alpha) und 5 Gibt es Belege, die die beabsichtigte Interpretation bzw.
Richtwerte (häufig .70 oder höher) vorgeschlagen. Zunächst Bedeutung der Testwerte unterstützen?
ist jedoch zu beachten, dass Koeffizienten betrachtet 5 Gibt es Hinweise darauf, dass diese Testwerte relevant
werden, die der jeweiligen Fragestellung angemessen sind und nützlich in Bezug auf bestimmte praktische
(etwa Stabilität versus Konsistenz). Bei der Auswahl von Anwendungen sind?
Instrumenten ist aber auch zu berücksichtigen, dass die
gleich zu besprechende Validität gegenüber der Reliabili- Zur Beantwortung der ersten Frage sollte man das
tät in aller Regel den Vorrang erhalten sollte. Wir vertreten interessierende Konstrukt und die damit z­usammenhängende
die Ansicht, dass die Vorgabe von Richtwerten praktischen Interpretation der Messwerte genau definieren und von anderen
Anforderungen nicht gerecht wird. Sofern nur sehr wenig Konstrukten abgrenzen. Diese detaillierte Definition erlaubt es,
Zeit für die Erhebung von Informationen zur Verfügung ein konzeptuelles Rahmensystem (sog. „nomologisches Netz“)
steht – etwa in der Umfrageforschung –, sind auch niedrige zu entwickeln. Basierend auf theoretischen Überlegungen,
13 Reliabilitäten hinnehmbar, insbesondere wenn die Alter- lassen sich Hypothesen über die Zusammenhänge in diesem
native darin bestünde, überhaupt keine Information zu Rahmensystem ableiten, die gelten müssten, wenn die Test-
bekommen. Zusammengenommen bestehen diagnostische werte im beabsichtigten Sinne interpretiert werden können.
Herausforderungen oft darin, unter extern gesetzten So würde man beispielsweise erwarten, dass die Testwerte aus
Maßgaben bzgl. verfügbarer Ressourcen inhaltlich und einem neu entwickelten Mathematiktest höher mit anderen
psychometrisch optimierte Informationen zusammenzu- Mathematiktests korrelieren als mit einem Leseverständnis-
tragen. oder Intelligenztest.
Die zweite Frage zielt darauf ab zu klären, ob Zusam­
Validität menhänge zwischen den Testwerten und praktisch
Validität ist das entscheidende und zentrale Gütekriterium relevanten Kriterien (z. B. Schulnoten) bestehen. So
bei der Bewertung und Auswahl geeigneter Messver- sollte z. B. ein neu entwickelter Mathematiktest eine hohe
fahren in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. In Korrelation mit der Mathematiknote aufweisen.
der Literatur werden unterschiedliche Konzeptionen des Relevante Evidenz für die Validität eines Tests kann
Validitätsbegriffs diskutiert. nach APA-Standards in mehrere Kategorien eingeteilt
werden:
Definition 5 Testinhaltsanalysen sollen die Beurteilung der Passung
zwischen dem zugrunde liegenden Konstrukt und den
Eine weit verbreitete Definition der Validität lautet:
Validität ist das Ausmaß, zu dem ein Test das misst, was
konstruierten Testaufgaben erlauben. Diese Passung
er zu messen vorgibt. Validität ist in diesem Verständnis
kann zum einen durch streng theoriegeleitete Auf-
eine Eigenschaft des Tests.
gabenkonstruktion sichergestellt werden. Zum anderen
können Expertenbefragungen durchgeführt werden,
bei denen die Repräsentativität und Adäquatheit der
In älteren Konzeptionen, die mit dieser Auffassung ver- Aufgaben beurteilt wird. Praktisch bedeutet das, dass
einbar sind, wurde zwischen verschiedenen Validitäts- im Handbuch eine Definition des interessierenden
arten – Inhalts-, Übereinstimmungs-, bzw. Vorhersage- und Merkmals sowie Angaben zu dessen theoretischer
Konstruktvalidität – unterschieden (American Psychological Einordnung enthalten sein sollten. Ferner sollten
Association 1954). In der neueren Konzeption von Messick Informationen zum Vorgehen bei der Aufgabenent-
(1989), an die sich auch die aktuellen Standards der wicklung verfügbar sein.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
321 13
5 Zusammenhänge mit anderen Variablen erlauben Definition
Schlüsse über konvergente, diskriminante und prä- Borsboom et al. (2004) definieren Validität
diktive Validität in einem nomologischen Netzwerk konstruktbezogen. Ein Test ist demnach für die
und sollten in einem Handbuch unbedingt berichtet Erfassung eines bestimmten Konstruktes valide, wenn
werden. Leistungstests (z. B. verschiedene Mathematik- a) dieses Attribut existiert und
tests), die auf das gleiche psychologische Konstrukt b) die Variation in diesem Konstrukt die Variation in
(mathematische Begabung) abzielen, sollten hohe den gemessenen beobachteten Variablen kausal
Korrelationen untereinander aufweisen. In diesem verursacht.
Fällen spricht man von konvergenter Validität. Um
sicherzugehen, dass ein Messinstrument ein spezi-
fisches Konstrukt (z. B. arithmetische Fähigkeiten) Borsboom et al. (2004) argumentieren weiter, dass es nicht
erfasst, das von anderen Konstrukten abgegrenzt ausreicht, die Konstruktvalidität durch korrelative Zusammen-
werden kann, werden auch Zusammenhänge zu hänge im nomologischen Netz bzw. zu Außenkriterien
anderen Konstrukten aus dem nomologischen Netz- zu begründen, sondern zeigen auf, dass eine umfassende
werk (z. B. allgemeine kognitive Leistungen, Lesever- theoretische Definition und Einordnung des interessierenden
ständnistest etc.) betrachtet. In diesem Fall spricht Konstrukts zentral für die Validierung ist. Inhaltlichen Über-
man von diskriminanter oder divergenter Validität. legungen bei der Konstruktion von Messinstrumenten kommt
Diese Zusammenhänge sollten deutlich geringer sein in diesem Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zu.
als Zusammenhänge, die konvergente Validierung Ausgehend von den älteren Validitätskonzeptionen (APA
reflektieren. Der Multi-Trait-Multi–­Method-(MTMM-) 1954) hat sich in jüngerer Vergangenheit damit ein Validi-
Ansatz erlaubt die simultane Prüfung konvergenter tätsverständnis durchgesetzt, das weniger an der Vorher-
und diskriminanter Validitätsaspekte (Eid und Diener sagemaximierung interessiert ist als an adäquat begründeten
2006). Zusätzlich sollten die Testleistungen (z. B. in Messungen von Personeneigenschaften.
einem Schulleistungstest) mit relevanten Kriterien (z. B.
Schulnoten) korrelieren. In diesem Fall spricht man von Weitere relevante Gütekriterien
Vorhersage- bzw. prädiktiver Validität. So sollten Hoch-
Bei der Beurteilung diagnostischer Messverfahren sollten
schulzulassungstests die späteren Studienleistungen
alle drei beschriebenen Gütekriterien gleichwertig berück-
möglichst gut vorhersagen.
sichtigt werden, da sie sich gegenseitig bedingen. Objektivi-
5 Bei der Analyse der internen Teststruktur steht die
tät ist eine wesentliche Voraussetzung für die Reliabilität
Struktur des interessierenden Merkmals im Vorder-
eines Tests. Reliabilität ist eine wesentliche Voraussetzung
grund. Dazu werden Zusammenhänge zwischen den
für die Validität eines Verfahrens, d. h. ein unreliables Ver-
einzelnen Aufgaben bzw. einzelnen Testskalen näher
fahren kann nicht im oben beschriebenen Sinne valide sein.
untersucht. Hierbei wird empirisch geprüft, ob ein
In der Praxis lassen sich Objektivität und Reliabilität anhand
Test ein oder mehrere latente Konstrukte erfasst.
der oben vorgeschlagenen Hinweise bzw. Schwellenwerte
Dazu sollten in einem Handbuch Ergebnisse aus
relativ einfach beurteilen, während die Bewertung der
konfirmatorischen Strukturgleichungsmodellen oder
Validität oft anspruchsvoller ist. Neben diesen drei Güte-
probabilistischen Item-Response-Modellen berichtet
kriterien sind in der Praxis die Qualität der Normierung
werden (vgl. dazu 7 Abschn. 13.2.3).
und Kosten-Nutzen-Verhältnis als weitere Aspekte für die
5 Analysen individueller Strategien sollen detailliert
Beurteilung der Testverfahren von Bedeutung.
Aufschluss geben über Prozesse, die bei der Bearbeitung
Der im Test erzielte Gesamtwert wird in der Regel
der Testaufgaben beteiligt sind. Dies kann z. B. über die
anhand der Normwerte, die für ein Verfahren im Hand-
Methode des lauten Denkens erfolgen, bei der Versuchs-
buch enthalten sein sollten, eingeordnet. Bei der Auswahl
personen ihre Vorgehensweise bei der Lösung der Auf-
des geeigneten Verfahrens sollte darauf geachtet werden,
gabe kommentieren bzw. verbalisieren. Ferner kann die
dass für das Instrument aktuelle Normen für die relevante
Verwendung bestimmter Lösungsstrategien per Frage-
Zielgruppe vorliegen. Sind die Normen deutlich älter als
bogen erfasst werden. Solche Validitätshinweise werden
zehn Jahre, ist das Verfahren veraltet. Richtet sich das
in der Praxis selten in einem Handbuch berichtet.
Verfahren an die relevante Zielgruppe? So sollte z. B. für
Hauptschüler kein Intelligenztest verwendet werden, der
Borsboom et al. (2004) kritisieren den Validitätsansatz von ausschließlich an Gymnasialschülern oder Erwachsenen
Messick und argumentieren, dass Validität eine Eigenschaft normiert wurde. Wichtig ist auch, dass die untersuchte
des Tests und nicht wie von Messick (1989) vorgeschlagen Normstichprobe ausreichend groß und repräsentativ für die
eine Eigenschaft der Testwerte ist. angestrebte Zielgruppe ist. So sollte z. B. ein Intelligenztest
322 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

für die Sekundarstufe I Normen für alle Schultypen (Haupt- den in der Testkonstruktion bzw. Operationalisierung
schule, Realschule, Gymnasium) enthalten. eigentlich zu lösenden Problemen nicht hinreichend gerecht.
Zum anderen spielen Überlegungen zum K ­osten- Theoretisch und methodisch fundierte Testentwicklung
Nutzen-Verhältnis des Verfahrens eine wichtige Rolle. erfordert ein umfassendes Domänenwissen und eine
Bei der Auswahl der diagnostischen Instrumente sollten fundierte statistische Methodenausbildung. Testtheoretische
angesichts der begrenzten Zeit, die für die diagnostische Überlegungen und das Verständnis wesentlicher statistischer
Untersuchung zur Verfügung steht, der zeitliche und Auswertungsmethoden stellen einen grundlegenden Pfeiler
ggf. finanzielle Aufwand (z. B. wenn mehrere Beurteiler der pädagogisch-psychologischen Diagnostik dar. Die
herangezogen werden) der Durchführung gegen den zu inhaltliche Expertise für die in Frage stehenden Messungen
erwartenden Nutzen bzw. Informationsgewinn abgewogen ist, wie bereits betont, ebenfalls von ausschlaggebender
werden. Etwas allgemeiner gesprochen kann bei der Bedeutung. Ohne inhaltliche Expertise ist es unmöglich,
Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der (auch Messinstrumente nach dem aktuellen Stand der Wissen-
monetäre) Netto-Nutzen diagnostischer Anstrengungen schaft zu entwickeln. Inhaltliche Expertise ist auch erforder-
analysiert werden (Brogden 1949; Cronbach und Gleser lich, wenn es um die Deutung von Testergebnissen geht. Zu
1965; Holling und Reiners 1999). viele Messinstrumente in der psychologischen Diagnostik
tragen identische oder sehr verwandte Etiketten ohne tat-
Probleme in der Praxis und Forschung sächlich Gleiches abzubilden. Verschiedene Instrumente, die
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik werden das Schlagwort „Aufmerksamkeit“ enthalten, bilden zum
Entscheidungen getroffen, die weitreichende Konsequenzen Teil recht verschiedene Denkleistungen ab (die sog. Jingle-
für die betroffenen Personen oder Organisationen nach Fallacy; Thorndike 1904). Der umgekehrte Fall, dass Test-
sich ziehen können. Daher ist es unerlässlich, die Quali- verfahren mit gänzlich verschiedenen Etiketten weitgehend
tät und Zuverlässigkeit der Informationen, auf denen die Ähnliches messen, tritt ebenfalls auf (die sog. Jangle-Fallacy;
Entscheidung beruht, nach wissenschaftlichen Kriterien Kelley 1927). Testverfahren zur Konzentrationsleistung und
zu beurteilen. Dies ist in der Psychologie keine einfache zur Bearbeitungsgeschwindigkeit sind z. B. in vielerlei Hin-
Aufgabe, da die infrage stehenden Größen nicht direkt sicht kaum zu unterscheiden.
beobachtbar sind, sondern indirekt aus beobachtbaren Ver-
haltensweisen erschlossen werden müssen.
Für die Beurteilung jedes diagnostischen Messver- 13.2.3  Testtheorie: Konkurrierende Ansätze
fahrens stellen sich zwei Fragen: und adäquate Methoden
13 5 Sind die gewählten Indikatoren (Fragen, Aufgaben
etc.) inhaltlich-theoretisch adäquat und reflektieren die Für die Bewertung der Angemessenheit diagnostischer
Messinstrumente den aktuellsten Stand der Forschung? Verfahren ist es auch wichtig, neben den Gütekriterien die
5 Liefern die ausgewählten Messinstrumente methodisch relevanten statistischen Kennwerte für die einzelnen Auf-
fundierte Messungen psychischer Größen? gaben sowie für den gesamten Test zu kennen. Eine einfache
und in der Praxis noch gängige Art zu solchen Kennwerten
In der Praxis ist die inhaltliche und theoretische Ange- zu gelangen, bietet die sog. klassische Testtheorie.
messenheit psychologischer Testverfahren sehr viel Im Folgenden werden kurz die Kernannahmen und
schwieriger zu beurteilen als die methodische und ana- Grenzen der klassischen Testtheorie diskutiert und
lytische Fundiertheit. Dies hat zum beklagenswerten einige problemgerechtere Ansätze in der Testtheorie an
Umstand geführt, dass sich Debatten um die Qualität einem Beispiel illustriert. Das Ziel dieses Abschnitts ist
psychologischer Verfahren häufig auf leichter kommunizier- es nicht, die Konzeptualisierung dieser Ansätze ausführ-
bare methodische Aspekte – wie die Beurteilerüberein- lich zu erläutern (s. hierzu Lord und Novick 1968, für die
stimmung, die interne Konsistenz oder die prädiktive klassische Testtheorie; Raykov und Marcoulides 2006,
Validität – fokussieren. Diese und ähnliche methodische für konfirmatorische Faktorenanalysen; Rost 2004; und
Aspekte ersetzen jedoch keineswegs die Aussagen über Embretson und Reise 2000, für probabilistische Mess-
die theoretische Adäquatheit des jeweiligen Leistungstests modelle). Es werden vielmehr die wesentlichen Annahmen
oder Fragebogens. Ein Mathematiktest kann beispielsweise sowie Vorzüge und Probleme verschiedener Modellansätze
objektiv, reliabel und prognostisch valide sein, ohne dabei diskutiert. Aus diesem Grund sind die Ausführungen
die relevanten fachdidaktischen und denkpsychologischen zu den einzelnen Modellklassen vereinfacht und nicht
Theorien adäquat abzubilden. Nahezu die gesamte Literatur, erschöpfend dargestellt.
die sich mit Testkonstruktion und Testanalyse befasst,
ist ausschließlich auf methodische Aspekte ausgerichtet. z Klassische Testtheorie in ihren Kernannahmen und
Umgekehrt findet sich in den grundlagenorientierten -problemen
Fächern in der Regel der umgekehrte Sachverhalt. Der Die Axiome der klassischen Testtheorie besagen, dass der
theoretischen Erwägung der zu messenden Merkmale wird beobachtete Wert als Summe aus dem wahren Wert und
intensive Beachtung geschenkt, aber messmethodische einem Fehlerterm definiert ist. Der im Mittel zu erwartende
Erwägungen werden vernachlässigt. Beide Zustände werden Fehler ist in der klassischen Testtheorie gleich Null.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
323 13
Fehlerterme sind nach den Axiomen komplett zufällig. Konsistenz der Skala als Cronbach’s Alpha berechnet.
Basierend auf diesen Axiomen werden in der klassischen In einem nächsten Schritt korreliert man den Summen-
Testtheorie Konzepte wie Reliabilität und deskriptive wert mit einem zusätzlich erfassten Außenkriterium (z. B.
Item- und Testkennwerte wie Itemschwierigkeiten und Schulnoten). Ist die Korrelation überzufällig von Null ver-
Itemtrennschärfen definiert (Lienert 1969; Nunnaly und schieden und ausreichend hoch, wird meist argumentiert,
Bernstein 1994). der Test sei valide.
Die Itemschwierigkeit wird bestimmt über den Mittel- Dieses eher einfache Vorgehen beruht auf der
wert aller Antworten auf eine konkrete Aufgabe (auch ungeprüften Annahme, dass der Summenwert eines
genannt Item). Bei Leistungstests, bei denen eindeutige Tests das interessierende Merkmal anhand der ver-
richtige und falsche Antworten bekannt sind, liegt die Auf- wendeten Aufgaben angemessen erfasst. Diese grund-
gabenschwierigkeit zwischen 0 und 1 und gibt den pro- legende Annahme kann in der klassischen Testtheorie
zentualen Anteil der Personen an, die die Aufgabe richtig jedoch nicht adäquat überprüft werden. Die Schätzung
gelöst haben. Aufgaben mit einem Wert höher als 0,90 probabilistischer und konfirmatorischer Modelle erlaubt
sind besonders einfach und unterscheiden kaum zwischen hingegen eine Überprüfung dieser Annahme. Ein weiteres
Personen, da sie von fast allen gelöst werden. Aufgaben Problem der klassischen Testtheorie besteht darin, dass
mit einem Wert nahe Null oder nahe der Ratewahrschein- in diesem Ansatz die relative Personenfähigkeit in der
lichkeit hingegen sind besonders schwer, da sie von einem untersuchten Personenstichprobe bei der Berechnung der
kleinen Personenkreis erfolgreich bearbeitet werden. Itemschwierigkeit unberücksichtigt bleibt. So sollte zum
Itemtrennschärfe gibt an, inwieweit die Aufgabe im Sinne Beispiel eine Gruppe von 100 vermeintlich hochbegabten
des Gesamttests zwischen den Personen diskriminiert. Sie Kindern bei einem neu entwickelten Mathematiktest besser
wird bestimmt durch die Korrelation zwischen der einzel- abschneiden als eine Gruppe dyskalkulischer, versetzungs-
nen Aufgabe und dem Summenwert im Gesamttest (bzw. gefährdeter Problemschüler. Diese Gruppenunterschiede
in der interessierenden Skala). würden sich aber auch in den Itemschwierigkeiten nieder-
Itemschwierigkeiten und -trennschärfen einer Auf- schlagen, indem die Aufgaben für die Hochbegabtengruppe
gabe sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Für im Vergleich zur anderen Gruppe deutlich leichter
besonders schwere und besonders leichte Items findet man erscheinen. In diesem Sinne liefert die klassische Test-
in der Regel eher geringe Trennschärfen (eine korrigier- theorie also stichprobenabhängige Kennwerte.
bare Konfundierung), da sich für diese Items kaum Unter- Die neueren Ansätze der probabilistischen I­ tem-
schiede in den individuellen Antworten zeigen. Aufgaben Response-Modelle sowie konfirmatorische Struktur-
mit mittlerer Schwierigkeit hingegen unterscheiden gut gleichungsmodelle, die im 7 Exkurs „Probabilistische Mess-
zwischen Personen im mittleren Bereich und weisen meist modelle“ kurz erläutert werden, unterscheiden sich von
höhere Trennschärfen auf. der klassischen Testtheorie u. a. in einem entscheidenden
In einem Handbuch sollten insbesondere für Leistungs- Merkmal. Sie nehmen an, dass die beobachteten Antworten
tests Itemschwierigkeiten und -trennschärfen für alle Auf- eine Funktion der nicht direkt beobachtbaren Merkmalsaus-
gaben angegeben sein. Die Verteilung der Itemschwierigkeiten prägung sind und führen das Konzept „latenter Variablen“
sollte der Verteilung der angestrebten Personenverteilung ein. In diesen Ansätzen wird von mehreren beobachteten,
folgen. Ein Screening-Instrument für Hochbegabung sollte aber fehlerbehafteten Einzelindikatoren (Fragen, Aufgaben
zum Beispiel viele schwere Fragen enthalten, sodass unter etc.), die zu einer Skala zählen, abstrahiert und die latenten
überdurchschnittlich begabten und hochbegabten Personen Merkmalsausprägungen werden auf der Grundlage der
möglichst gut unterschieden werden kann. Analog dazu sollte beobachteten Werte geschätzt.
ein Messinstrument zur Erfassung von Teilleistungsstörungen Zusammenfassend ist es wichtig festzuhalten, dass
besonders gut zwischen Personen im niedrigen Fähigkeits- Modelle, in denen pädagogisch-psychologische Konstrukte
bereich differenzieren und viele einfache Aufgaben enthalten. als latente Variablen abgebildet werden, überzeugendere
Die Trennschärfe einer Aufgabe sollte möglichst hoch sein (in und wissenschaftlichere Konzepte repräsentieren, als
der Regel 0,20 oder höher). Abhängig von der Fragestellung dies in häufig inhaltlich und methodisch nicht über-
können aber auch hier nötigenfalls Kompromisse eingegangen zeugenden Anwendungen der klassischen Testtheorie der
werden (s. die Erörterungen zur Reliabilität). Fall ist. Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle und
In der klassischen Testtheorie werden Aufgaben, die probabilistische Messmodelle stehen für grundsätzlich ver-
das gleiche Konstrukt messen, einer Skala zugeordnet. Der wandte Modellierungsansätze.
erzielte Wert wird häufig als Summenwert über alle Items Betrachten wir nun ein Beispiel, in dem 100 Schüler
der Skala gebildet. Anschließend wird häufig die interne einen Mathematiktest bestehend aus 20 Fragen bearbeiten.
324 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Exkurs

Probabilistische Messmodelle
Ein häufig angewandtes probabilistisches diese Annahme oft als problematisch, eine Aufgabe richtig zu beantworten,
Messmodell ist das Rasch-Modell, in dem auch weil deren Gültigkeit für empirische von der Ausprägung der jeweiligen
angenommen wird, dass die Anzahl der Daten nicht einfach geprüft werden latenten Variablen abhängig ist (und von
gelösten Items für die Schätzung der kann. Darüber hinaus ist es in vielen Zufallseinflüssen). Somit sollte –
Merkmalsausprägung ausreichend ist. Fällen nicht sehr schlüssig anzunehmen, abgesehen von zufallsbedingten
Dabei spielt es keine Rolle, welche Items dass Items spezifisch objektiv sind. Schwankungen – eine Person mit einem
genau gelöst wurden. In diesem Sinne Schließlich kann die Passung der hohen Fähigkeitswert alle Aufgaben
ist die Schätzung der Personenwerte Rasch-Modelle auf die empirischen Daten mit einer höheren Wahrschein-
und Itemschwierigkeiten unabhängig oftmals nur schwer beurteilt werden. lichkeit lösen als Personen mit
von der untersuchten Stichprobe. Insbesondere die letzten beiden Punkte niedrigeren Fähigkeitswerten. Analog
Diese Eigenschaft wird als „spezifische können mit dem Ansatz der Struktur- dazu sollten leichtere Aufgaben von
Objektivität“ bezeichnet (Irtel 1995). gleichungsmodelle stringenter überprüft allen Personen mit einer höheren
Aufgrund dieser Eigenschaft werden werden (7 Exkurs „Konfirmatorische Wahrscheinlichkeit gelöst werden
Rasch-Modelle z. B. häufig in nationalen Strukturgleichungsmodelle“). als schwere Aufgaben. Neben dem
und internationalen Bildungsstudien Das Rasch-Modell stellt den einfachsten Rasch-Modell wurde eine Vielzahl
(7 Kap. 15) verwendet, in denen sehr und zugleich restriktivsten Sonderfall weiterer probabilistischer Messmodelle
viele Aufgaben verwendet werden und der probabilistischen Messmodelle vorgeschlagen, die u. a. die Schätzung
Personen nur einen Teil der Aufgaben (engl. „item reponse models“) dar. unterschiedlicher Trennschärfen oder
bearbeiten können. Unter diesem Oberbegriff lassen sich die Berücksichtigung der Ratewahr-
Die Eigenschaft der „spezifischen viele verschiedene Modellansätze scheinlichkeit erlauben (vgl. vertiefend
Objektivität“ ist jedoch mit der vereinen, die postulieren, dass das Rost 2004; de Ayala 2009; Embretson
strengen Voraussetzung verbunden, beobachte Antwortverhalten eine und Reise 2000). Eine weitere Klasse
dass alle Items gleiche Trennschärfen Funktion der Ausprägung auf dem nicht probabilistischer Messmodelle – sog.
(Diskriminationsparameter) aufweisen beobachtbaren latenten Merkmal (Θ – kognitiver Diagnosemodelle – erlaubt die
und somit gleich gut zwischen Personen Theta) und der Itemschwierigkeit ist. Das Schätzung latenter Fähigkeitsprofile (vgl.
unterscheiden. In der Praxis erweist sich bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dazu Kunina-Habenicht et al. 2009).

Beispiel 13.2.4  Klassifikatorische Diagnostik


13 Mathematiktest Am Ende eines diagnostischen Prozesses erfolgen
Wir lassen 100 Schüler einen Mathematiktest bestehend häufig kategoriale Entscheidungen, z. B. „Kandidat ist
aus 20 Items bearbeiten (. Tab. 13.1). Zehn dieser Items angenommen“, „Bewerber wird abgelehnt“ oder „Matthias
betreffen geometrische Probleme, 10 weitere Items sind Müller leidet an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche“.
als Algebraaufgaben zu klassifizieren. Wir bestimmen Merkmalsträger werden demnach in wenigstens zwei Kate-
zunächst, welche Fragen richtig und welche falsch gelöst gorien eingeteilt. Wir bezeichnen diesen Zuordnungs-
wurden. prozess als klassifikatorische Diagnostik. Das Vorgehen bei
Im Rahmen der klassischen Testtheorie würden wir solchen Klassifikationen weist beträchtliche Ähnlichkeit mit
zunächst für jeden Schüler die Summe richtig gelöster dem Vorgehen in der Medizin auf.
Antworten über alle 20 Items berechnen. Wir würden In . Tab. 13.2 ist ein fiktives Beispiel für die Diagnostik von
ungeprüft annehmen, dass dieser Summenwert die Dyskalkulie in einer Gruppe von 100 Kindern mit schlechten
gesammelte Information über die zugrunde liegenden Mathematikleistungen in der 3. Klasse angeführt. Das Ergeb-
mathematischen Fähigkeiten der Schüler erschöpfend nis könnte etwa die Klassifikation auf der Grundlage eines
repräsentiert. Anhand der gleichen Stichprobe würden neu entwickelten Mathematiktests sein. Die tatsächliche Aus-
wir anschließend die oben erläuterten Itemkennwerte prägung ist in Disziplinen wie der Pädagogik oder Psychologie
berechnen. Der Mittelwert gibt den relativen Anteil in der Regel kein fehlerfrei feststellbarer Zustand. Man hilft
der Richtiglösungen an und wird als Itemschwierigkeit sich in der medizinischen Praxis der Beurteilung von Mess-
gedeutet. Die Standardabweichung gibt die Wurzel aus instrumenten häufig damit, dass die „tatsächliche Ausprägung“
der mittleren quadrierten Abweichung vom Mittelwert durch die Anwendung eines diagnostischen Goldstandards –
an. Die Itemtrennschärfe gibt in der klassischen damit ist die unter gegenwärtigen Bedingungen optimal mach-
Testtheorie die Stärke des Zusammenhangs zwischen bare Diagnostik gemeint – operationalisiert wird.
einem Einzelitem und dem Summenwert wieder. In Bei dieser Entscheidung können zwei Arten von Fehlern
konfirmatorischen und probabilistischen Modellen begangen werden. Der erste Fehler besteht darin, ein Kind,
erfolgt die Schätzung der Trennschärfen (bzw. Ladungen das tatsächlich dyskalkulisch ist, als ungestört zu klassi-
oder Diskriminationsparameter) durch Berechnungen fizieren (falsch-negativ). Die Folgen für dieses Kind wären
der Zusammenhänge zwischen Items und latenten die potenzielle ausbleibende Förderung und ein sich daraus
Variablen. entwickelndes kumulatives Defizit, das später in schulischer
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
325 13
. Tab. 13.1 Daten für den Mathematiktest

Item 1 Item 2 … Item 19 Item 20 Anzahl korrekt


gelöster Aufgaben

Schüler 1 1 1 … 1 1 18
Schüler 2 0 1 … 1 0 10
… … … … … … …
Schüler 99 0 0 … 1 1 12
Schüler 100 1 1 … 0 1 14
Mittelwert 0,92 0,78 … 0,50 0,30
Streuung 0,27 0,41 … 0,50 0,46
Trennschärfe 0,15 0,20 … 0,35 0,18

. Tab. 13.2 Fiktive Klassifikationsdaten zur Diagnose von Dyskalkulie mit einem neu entwickelten Mathematiktest-Verfahren (relative
Häufigkeiten)

Ergebnis + (Dyskalkulie) Ergebnis – (keine Dyskalkulie) Summe


Tatsächliche Ausprägung + (Dyskalkulie) 0,30 (richtig-positiv – RP) 0,12 (falsch-negativ – FN) P = 0,42
Tatsächliche Ausprägung – (keine Dyskalkulie) 0,10 (falsch-positiv – FP) 0,48 (richtig-negativ – RN) P’ = 1−P = 0,58
Summe Q = 0,40 Q’ = 1–Q = 0,60 1

Basisrate/Prävalenz (Anteil der tatsächlich an Dyskalkulie leidenden Kinder in der untersuchten Stichprobe): P = RP + FN = 0,3 + 0,12 = 0,42
Selektionsrate (Anteil der Kinder, die mit dem neuen Test als dyskalkulisch diagnostiziert wurden): Q = RP + FP = 0,3 + 0,1 = 0,40
Sensitivität des neuen Testverfahrens (Anteil der gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert wurden):
SE = RP/P = 0,3/0,42 = 0,625
Spezifität des neuen Testverfahrens (Anteil der nicht gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert als ungestört klassi-
fiziert wurden): SP = RN/P’=0,48/0,58 ≈ 0,83
Effizienz des neuen Testverfahrens = RP + RN = 0,3 + 0,48 = 0,78. Das bedeutet, dass 22 % der Kinder mit dem neuen Testverfahren falsch
klassifiziert wurden

Exkurs

Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle
Konfirmatorische Struktur- man – beispielsweise testen, ob die Eine Stärke dieses Modellierungsansatzes
gleichungsmodelle ermöglichen Variation in den Items 1–10 durch eine besteht darin, dass Aussagen über die
die explizite Überprüfung der latente Variable „Geometriewissen“ und Passung dieser Modelle zu den empirischen
empirischen Struktur des infrage die Variation in den Items 11–20 durch Daten anhand zahlreicher in der Forschung
stehenden Merkmals (einführend eine latente Variable „Algebrawissen“ weithin anerkannter Gütekriterien
Byrne 2001; weiterführend Bollen bedingt wird, wobei die beiden latenten ermöglicht werden (Schermelleh-Engel et al.
1989). Im einfachen Modell (sog. Variablen miteinander korrelieren 2003). Der Ansatz, über konfirmatorische
Generalfaktormodell) wird postuliert, dürften. In Abhängigkeit davon, wie Strukturgleichungsmodelle Testdaten zu
dass die Gemeinsamkeiten, die bei der stark die beiden latenten Faktoren für modellieren, ist äußerst vielseitig, flexibel
Beantwortung aller Items zu beobachten „Geometriewissen“ und „Algebrawissen“ und analytisch weit entwickelt. Er erlaubt
sind, auf ein einzelnes latentes Merkmal miteinander zusammenhängen, z. B. die Modellierung intraindividueller
bzw. Konstrukt zurückzuführen sind. In kann anhand etablierter statistischer Veränderungen sowie die Betrachtung von
unserem Beispiel wäre dieses Konstrukt Prüfmethoden fundiert entschieden Gruppenunterschieden auf latenter Ebene.
„mathematische Begabung“. In einem werden, welches Struktur- Die weniger gut entwickelte Schätzung
alternativen theoretisch plausiblen gleichungsmodell die empirischen von Personenparametern ist in diesem
Modell könnten auch weitergehende Daten besser erklärt (vgl. dazu Schulze Ansatz über sog. Faktorscore-Koeffizienten
Modelle geprüft werden. So könnte 2005). möglich.

Überforderung münden kann. Der zweite Fehler liegt vor, jedoch hohe Behandlungskosten verursacht und tatsäch-
wenn ein Kind als gestört klassifiziert wird, das tatsäch- lich von Dyskalkulie betroffene Kinder von begrenzten
lich ungestört ist (falsch-positiv). In diesem Fall würde Behandlungsressourcen ausschließt.
das Kind eine kostenintensive und aufwendige Förderung Zur Beurteilung der Klassifikationen bei diagnostischen
erhalten, die dem Schüler zwar ggf. nicht schaden wird, und medizinischen Entscheidungen werden die ­Spezifität,
326 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

Sensitivität sowie die Effizienz des Tests bzw. der Ent- Risiko) von Kindern mit auffälligem Dyskalkulietestergebnis
scheidungsprozedur und einige weitere Koeffizienten tatsächlich dyskalkulisch zu sein, sind 12-mal so groß wie die
herangezogen. von Kindern ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis, tatsäch-
Bei der Klassifikation mittels eines perfekten Tests treten lich dyskalkulisch zu sein. Zahlreiche weitere Koeffizienten
keine Fehler auf, daher gilt in diesem Fall TP = P, FN = FP = 0 erlauben eine detaillierte Bewertung der klassifikatorischen
und TN = P’. Für einen völlig zufälligen und folglich nicht Aspekte von Diagnostik (Kraemer 1992). Daumenregeln
legitimen Test ergeben sich die relativen Häufigkeiten in für die Beurteilung solcher Koeffizienten sind schwer zu
den Zellen der Klassifikationstabelle aus dem Produkt der formulieren, da die in Frage stehenden Zusammenhänge
Randsummen, es gilt also: TP = P*Q, FN = P*Q’, FP = P’*Q, jeweils im Anwendungskontext und mit Blick auf etwaige
TN = P’*Q’. In der Realität treten diese extremen Fälle Implikationen beurteilt werden müssen.
jedoch so gut wie nie auf. Für einen legitimen Test muss eine Wie in vielen anderen anwendungsnahen Disziplinen
signifikante Korrelation zwischen der diagnostischen Ent- steht bei der Beurteilung der Qualität ­ pädagogisch-
scheidung und dem tatsächlichen Zustand vorliegen. psychologischer Diagnostik nicht immer die Frage im
Vordergrund, inwiefern eine optimale und fehlerfreie Ent-
Definition scheidung erreicht wurde. Es geht vielmehr häufig darum,
eine Verbesserung gegenüber alternativen Vorgehensweisen
Die wichtigsten Begriffe der klassifikatorischen oder dem Status quo zu erzielen. Solche Nützlichkeits-
Diagnostik sollen hier am Beispiel einer erwägungen und die mit konkurrierenden Prozeduren ver-
Dyskalkuliediagnose kurz erläutert werden: Die bundenen Kosten sollten bei der Beurteilung der Qualität
Basisrate/Prävalenz gibt den Anteil der gestörten Kinder des diagnostischen Prozesses berücksichtigt werden.
in der Stichprobe an. Unter der Selektionsrate versteht
man den Anteil der Kinder, für die der Test eine positive
Diagnose ergibt. Sensitivität des Tests gibt an, welchem 13.3  Diagnostische Verfahren und
Anteil der Kinder mit Dyskalkulie korrekterweise eine diagnostische Daten
Dyskalkuliediagnose zugeschrieben wird. Spezifität
gibt den Anteil der korrekterweise als ungestört Um die an sie herangetragenen praktischen Probleme
diagnostizierten Kinder an. Effizienz gibt den Anteil lösen zu können, stehen in der Diagnostik eine Reihe
korrekt klassifizierter Kinder an. verschieden formalisierter Werkzeuge wie Tests, Frage-
bögen, Beobachtungsinventare oder Interviews zur Ver-
13 Definition
fügung. Mithilfe der Diagnostik sollen konkrete Aussagen
über Beobachtungseinheiten getroffen werden, um dann
Das relative Risiko ist das Verhältnis der begründete Entscheidungen zu treffen. In der Regel sind
Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses diese Beobachtungseinheiten Personen. Diagnostik kann
(Dyskalkuliediagnose) bei positiver Ausprägung aber auch in/für Situationen, Gruppen von Personen oder
im Vergleich zu einem positiven Ergebnis Institutionen, wie etwa Schulen, gelten.
(Dyskalkuliediagnose) bei negativer Eigenschafts- Bei der Diagnostik von Personen ist es von großer
ausprägung. Relatives Risiko und Odds-Ratio (das Bedeutung, auf welcher Datenquelle die Informationen bzw.
Verhältnis von Wetten) sind eng miteinander verwandt. Beobachtungen beruhen:
1. Es können Lebensdaten oder biografische Fakten wie
Alter, Geschlecht oder Schulabschluss erfragt werden.
Wettverhältnisse (Odds) geben die Wahrscheinlichkeit an, 2. Personen können um Aussagen über ihre Interessen,
dass das positive Ereignis für eine bestimmte Personengruppe Persönlichkeit oder typische Verhaltensweisen gebeten
vorliegt. Die „Chance“, dass im oben genannten Beispiel ein werden. Dies geschieht meist in Form von Fragebögen
Kind mit Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch und seltener über Interviews.
ist, berechnet sich aus dem Verhältnis „richtig-positiv“ zu 3. Leistungsbezogenes Verhalten (sog. maximale
„falsch-positiv“ und beträgt 0,3:0,1 oder 3:1. Die „Chance“, Anstrengung; Cronbach 1949) kann meist mithilfe von
dass ein Kind ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis tat- standardisierten Leistungstests erfasst werden. Hierbei
sächlich dyskalkulisch wäre, beträgt 0,12:0,48 oder 1:4. Die sollen Personen in begrenzter Zeit möglichst viele Auf-
Odds Ratio ist ein Maß für die Stärke des Unterschieds gaben einer bestimmten Beschaffenheit korrekt lösen.
zwischen zwei Gruppen, hier Kindern mit und ohne auffälliges 4. Insbesondere zur Beurteilung von Verhaltensauf-
Dyskalkulietestergebnis. Die Odds Ratio setzt die Odds der fälligkeiten können sog. Beobachtungsinventare
beiden Gruppen zueinander ins Verhältnis. Im Beispiel beträgt herangezogen werden, um das Verhalten in kritischen
die Odds Ratio 3:0,25 = 12. Das heißt, die Chancen (bzw. das Situationen direkt zu beobachten.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
327 13
13.3.1  Lebensdaten S­chulleistungen von den Lehrkräften beurteilt werden,
beruhen die Einzelnoten auf Beurteilungsprozessen, deren
Wichtige biografische Informationen, die bei Unter- Ergebnis von der diagnostischen und pädagogischen
suchungen in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik Kompetenz sowie von den individuellen Beurteilungs-
berücksichtigt werden, sind Alter, Geschlecht, erworbene tendenzen der Lehrkraft abhängt (Langfeldt und Tent
Schulabschlüsse und bei Erwachsenen ggf. bisherige Erwerbs- 1999). Solche subjektiven Urteile sind zahlreichen ver-
tätigkeit. Dazu gehören aber auch Informationen darüber, zerrenden Einflussfaktoren ausgesetzt wie beispielsweise
ob jemand in der Schule sitzen geblieben ist, ein Auslands- Erinnerungsfehlern, fehlerhaften Attributionen, Urteils-
praktikum absolviert hat oder in einem bestimmten Zeit- tendenzen (Milde- oder Strengeeffekte, Tendenz zur
intervall Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hat. Biografische Mitte), Einstellungs- und Erwartungseffekten sowie der
Daten können als manifeste Spuren bestimmter Merkmale aktuellen Befindlichkeit der Lehrkraft (Tent 1998). Lehr-
und Dispositionen im Lebenslauf eines Individuums ver- kräften geht es da, auch trotz umfangreicher Erfahrung
standen werden; sie sind daher häufig das Ergebnis lang in der Leistungsbeurteilung, nicht anders als anderen
währender Vorgänge (etwa einer Berufsausbildung), Menschen. Bei objektiv gleicher Leistung schwanken die
deren Ergebnisse durch zahlreiche, häufig unbekannte Lehrerbeurteilungen z. T. erheblich. Langfeldt et al. (1999)
Determinanten bestimmt sind. Zu diesen Determinanten geben jedoch zu bedenken, dass die meisten Urteile nur
zählen z. B. Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeits- wenig voneinander abweichen. Das Gleiche gilt auch für
eigenschaften der betreffenden Person, aber auch der sozio- die Reliabilität der Schulleistungsurteile: Wenn Lehrkräfte
ökonomische Status der Eltern, epochale Einflüsse, zufällig ein und dieselbe Leistung mehrmals bewerten, können
eintretende Opportunitäten und vieles mehr. Die größte sich durchaus große Unterschiede zeigen – die Mehrheit
Schwierigkeit bei der Beurteilung biografischer Daten besteht der Zweiturteile weicht allerdings nur wenig vom Erst-
darin, verlässlich zu bestimmen, welche konkreten Aussagen urteil ab (Langfeldt et al. 1999). Dabei ist auch unbedingt
über die Ausprägungen der in Frage stehenden Merkmale in Rechnung zu stellen, dass beim Einsatz standardisierter
und Dispositionen sich aus Lebensdaten ableiten lassen. Leistungstests ähnliche Phänomene zu erwarten sind. Auch
Sitzenbleiben indiziert in den meisten Fällen eine schwache hier können bei den Schätzungen Abweichungen auftreten,
Schulleistung, in einigen Fällen jedoch wiederholen Kinder wie im Abschnitt über Reliabilität diskutiert wurde.
mit durchschnittlichen schulischen Fertigkeiten eine Klasse Eine grundlegende Schwäche des Lehrerurteils, die für
aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen. Neben der Leistungstests nicht gilt, liegt in der mangelnden Vergleich-
mangelnden Motivation oder mangelnder Begabung können barkeit von Noten aufgrund des fehlenden klassenüber-
aber auch die Strenge der Bewertungsmaßstäbe und Inter- greifenden Maßstabs für die Leistungsbeurteilung. Das
aktionen solcher Determinanten zur Vorhersage des Sitzen- bedeutet, dass die objektiv gleiche Leistung in Abhängig-
bleibens beitragen. keit vom allgemeinen Leistungsniveau der Klasse und der
Informationen wie Schulnoten, Examensleistungen an Schule verschieden bewertet wird (7 Kap. 8 und 11).
Hochschulen und weitere Beurteilungen von Lernleistungen
nach institutionalisierter Ausbildung zählen unserer Ansicht
nach nur mittelbar zu den Lebensdaten. Da den Schulnoten 13.3.3  Selbstberichtsinstrumente
im deutschen Bildungssystem eine herausragende Bedeutung
bei wichtigen Selektionsentscheidungen zukommt, werden Unter Selbstberichtsinstrumenten werden Verfahren
wir im Folgenden näher auf die Qualität der schulischen verstanden, bei denen eine Person sich selbst bezüglich
Leistungsbeurteilungen eingehen. interessierender Eigenschaften oder Verhaltensweisen ein-
schätzen soll. In Selbstberichtsinstrumenten gibt es keine
objektiv richtige Antwort. Es ist ganz wesentlich zu ver-
13.3.2  Zensuren stehen, dass die Beurteilungen der Antworten folglich
nicht die Abweichungen von einem definierten Leistungs-
Schulleistungen entscheiden beispielsweise darüber, welche standard abbilden – also inwieweit sich das Antwortmuster
weiterführende Schule nach der Grundschule empfohlen von einem Soll-Antwortmuster unterscheidet –, sondern
und ggf. besucht wird und bilden die Grundlage für die subjektiv gefärbte Beurteilungen widerspiegeln, die von der
Entscheidung, welche Bewerber zum Hochschulstudium Person manipuliert werden können.
zugelassen werden. Aufgrund dieser großen Bedeutung müssen In der pädagogischen und klinischen Praxis, etwa bei
an die schulischen Leistungsbeurteilungen hohe methodische Untersuchungen von Schulfähigkeit oder Verhaltens-
Anforderungen gestellt werden. Sie müssen objektiv, reliabel auffälligkeiten, werden Selbst- und Fremdbeurteilungen
und vergleichbar zwischen verschiedenen Klassen und Schulen häufig eingesetzt. Typische Beispiele für Selbstberichts-
sein. Selbstverständlich müssen Zensuren auch valide im Sinne verfahren stellen Persönlichkeitstests wie der NEO-PI-R
der oben angeführten Konzeptualisierung sein. (Ostendorf und Angleitner 2004) dar. Zu den Selbst-
Die mangelnde Objektivität und Reliabilität der Schul- berichtsinstrumenten zählen auch Einstellungsfragebögen,
noten sind vielfach festgestellt und kritisiert worden semantische Differenziale, Ratingskalen und einiges mehr.
(vgl. dazu zusammenfassend Ingenkamp 1995). Da die Dem NEO-PI-R liegt das Big-Five-Modell zugrunde, nach
328 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

dem fünf breite und hierarchisch organisierte Persön- ­ estsituationen zählen neben Selektionssituationen u. U. auch
T
lichkeitseigenschaften unterschieden werden müssen Beratungssituationen, die zu als stigmatisierend empfundenen
(McCrae und Costa 1999). In der folgenden Übersicht Behandlungsempfehlungen führen.
sind Beschreibungen dieser Konstrukte und jeweils ein Eine weitere, verbreitete Form von Selbstbericht sind
Beispielitem angegeben. Einschätzungen der eigenen Leistungsfähigkeit (z. B.
Zustimmungsgrad zur Aussage „Ich weiß, dass ich es schaffe,
selbst den problematischsten Schülern den prüfungs-
Typische Items zur Erfassung der „­ Big-Five“- relevanten Stoff zu vermitteln.“). Diese Mischform zwischen
Persönlichkeitseigenschaften nach NEO-PI-R Selbstbericht und Leistungstests (Stankov 1999) lässt sich
(Ostendorf und Angleitner 2004) in die oben besprochene Taxonomie von typischem und
5 Extraversion: Tendenz, gesellig, aktiv, gesprächig, maximalem Verhalten (Cronbach 1949) ebenso schwierig
sozial und optimistisch zu sein. einordnen wie Tests zum situierten Urteilen (sog. situational
„Ich habe gern viele Leute um mich herum.“ judgement tests; vgl. Lievens et al. 2008). Diese Verfahren
5 Neurotizismus: Tendenz nervös, ängstlich, traurig, zielen darauf ab, aus Verhaltensabsichten in kritischen
unsicher und verlegen zu sein. Unfähigkeit, die Situationen (z. B. „Umgang mit unaufmerksamen Kindern“)
Bedürfnisse zu kontrollieren und angemessen auf z. B. auf die für den Unterrichtserfolg ausschlaggebenden
Stressreaktionen zu reagieren. Persönlichkeitseigenschaften bzw. -fertigkeiten von Lehr-
„Ich bin oft nervös.“ kräften zu schließen. Konkret bedeutet das, dass zu einer
5 Gewissenhaftigkeit: Tendenz leistungsorientiert, Situationsbeschreibung mehrere Handlungsalternativen
ordentlich, diszipliniert und ehrgeizig zu arbeiten. angeboten werden, die entweder hinsichtlich ihrer Ange-
„Ich arbeite hart, um meine Ziele zu erreichen.“ messenheit bewertet werden sollen oder aus denen eine
5 Verträglichkeit: Neigung altruistisch, verständnisvoll Alternative ausgewählt werden soll. Die Antwortbewertung
und mitfühlend zu sein sowie zwischen- erfolgt meistens anhand des Vergleichs mit einer Experten-
menschliches Vertrauen, kooperatives Verhalten und gruppe, da korrekte Antworten für solche Verfahren meist
Nachgiebigkeit zu zeigen. unbekannt sind (Weekley und Ployhart 2005).
„Ich komme mit den meisten Mitmenschen gut Selbstberichtsinstrumente können auch zur Erfassung von
zurecht.“ relevanten Kontextaspekten wie z. B. zur Erfassung der Unter-
5 Offenheit für neue Erfahrungen: Wertschätzungen richtsqualität oder der Qualität der ­ Eltern-Kind-Beziehung
für neue Erfahrungen, Bevorzugung von eingesetzt werden. So können z. B. Lehrkräfte ihren eigenen
13 Abwechslung. Personen mit hohen Ausprägungen in Unterricht hinsichtlich verschiedener Aspekte wie kognitive
dieser Skala sind wissbegierig und kreativ. Aktivierung, Klassenführung oder konstruktive Unterstützung
„Ich führe gerne intellektuelle Diskussionen.“ (7 Kap. 4 und 11) aus ihrer Perspektive mittels eines Frage-
bogens beurteilen. Zusätzlich können Schüler analoge Frage-
bögen bearbeiten, die ihre Wahrnehmung des Unterrichts im
Zu Selbstberichtsverfahren zählen auch Interessen- Sinne einer Fremdevaluation erfassen. Darüber hinaus werden
tests sowie Motivationsfragebögen, etwa zur Leistungs- in nationalen und internationalen Bildungsstudien (7 Kap. 15)
motivation. Ein empfehlenswerter Berufsinteressentest häufig Fragebögen zur Erfassung des sozioökonomischen
ist der AIST (Bergmann und Eder 2005), der auf dem Status oder Migrationshintergrunds der Schüler eingesetzt.
Hexagon-Modell von Holland (Holland 1997) beruht,
­ Denkbar ist auch der Einsatz von Fragebögen zur Erfassung
in dem ein Interessenprofil (Nagy et al. 2010) auf sechs der Eltern-Kind-Interaktion aus der Perspektive der Kinder
Interessendomänen (z. B. technische, intellektuelle, künst- und der Eltern.
lerische Interessen) erstellt werden kann.
Ein schwerwiegendes Problem beim Einsatz von Selbst-
berichtsinstrumenten stellt die Verfälschbarkeit der 13.3.4  Testdaten: Intelligenz- und
Antworten dar (Ziegler et al. 2011). Versuchspersonen weisen Schulleistungsdiagnostik
in den für sie relevanten Bewertungssituationen mehr oder
weniger stark ausgeprägte Tendenzen auf, ihre Antworten zu Intelligenz gehört zu den am besten etablierten Konstrukten
verfälschen – etwa vermeintlich sozial erwünscht zu reagieren. der empirischen Sozialwissenschaft und wird auch als
Der Einsatz von sog. Lügenskalen löst solche Verfälschungs- „Begabung“ oder als „allgemeine kognitive Fähigkeit“
probleme nicht. In Selektions- oder Beratungssituationen, bezeichnet. Trotz jahrzehntelanger Forschungstradition gibt
bei denen für Versuchspersonen viel auf dem Spiel steht, es keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz.
sind Selbstberichte daher kritisch zu beurteilen. Zu diesen Intelligenztests lassen sich hingegen definieren.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
329 13
Definition
Typische Aufgaben zur Erfassung fluider Intelligenz
Intelligenztests sind Verfahren, bei denen wesentliche
aus dem BEFKI 8–10 (Wilhelm et al. 2014) bzw.
Anteile der Varianz auf individuelle Unterschiede in
BEFKI 11–12+ (Schipolowski et al. 2020)
kognitiver Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind.
Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Intellektuelle Fähigkeiten, die mit solchen Verfahren
Denken – verbaler Teil
erfasst werden, gelten als über die Zeit relativ stabile
Bei einem Pferderennen starten fünf Pferde mit den
Persönlichkeitseigenschaften.
Namen Rocky, Prinz, Flotte Lotte, Wirbelwind und
Fury. Auf welchem Platz geht Flotte Lotte ins Ziel, wenn
In unterschiedlichen Intelligenztheorien variiert die Anzahl folgende Aussagen gelten?
und Beschaffenheit der postulierten Fähigkeiten. In neueren 5 Rocky geht vor Wirbelwind ins Ziel.
Intelligenzmodellen wird aufbauend auf älteren Modellen 5 Prinz geht als zweiter ins Ziel.
ein tieferes Verständnis der ablaufenden Denkprozesse 5 Flotte Lotte liegt vor Rocky.
angestrebt. Ein weitgehend anerkanntes Intelligenzstruktur- 5 Flotte Lotte liegt hinter Fury.
modell, das auf der Grundlage umfangreicher Reanalysen a) Platz 1
etabliert wurde, postuliert neben einem Generalfaktor b) Platz 3
mehrere breite Gruppenfaktoren, zu denen beispielsweise c) Platz 4
fluide und kristalline Intelligenz zählen (Carroll 1993). d) Platz 5
Fluide Intelligenz kann beschrieben werden als die Fähig-
keit, komplexere logische Zusammenhänge und abstrakte Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Strukturen zu begreifen sowie vielfältige Informationen ver- Denken – rechnerischer Teil
fügbar zu halten und manipulieren zu können. Unter dem In Matthias’ Klasse singen 15 Schüler im Chor und 12
Begriff kristalline Intelligenz werden individuelle Unter- spielen im Orchester. Wenn von diesen Schülern 13 nur
schiede im verfügbaren und anwendbaren Wissen ver- zu einer der beiden musikalischen Gruppen gehören, wie
standen. Neben fluider und kristalliner Intelligenz werden viele Schüler müssen dann sowohl im Chor als auch im
weitere Intelligenzfähigkeiten unterschieden, wie z. B. Orchester sein?
allgemeine auditive und visuelle Fähigkeiten sowie ver- a) 2
schiedene Gedächtnisleistungen und geschwindigkeits- b) 5
bezogene Intelligenzleistungen (7 Kap. 2). c) 7
Mit Blick auf verfügbare Tests sind auch ­ Gedächtnis-, d) 9
Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests als speziellere Ver-
fahren zu nennen, die häufig eingesetzt werden. Bezüglich der Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Aufmerksamkeitstests sind allerdings gravierende Probleme Denken – figuraler Teil
der Abgrenzung gegenüber sog. Konzentrationsleistungstests
und Verfahren zur Erfassung der Bearbeitungsgeschwindigkeit
und der Wahrnehmungsgeschwindigkeit festzustellen.
Die Ausprägung intellektueller Fähigkeiten wird ? ?
heute in der Regel in alters- und schulformspezifischen
Normskalen mit dem Mittelwert 100 und der Standard-
r
abweichung 10 oder 15 ausgedrückt. Der Berliner Test
te
zur Erfassung fluider und kristalliner Intelligenz liegt in
A A
mehreren miteinander verknüpften Versionen vor. Der
Test ist in Fassungen für die 5. bis 7. Jahrgangstufe, für die
8. bis 10. Jahrgangstufe (Wilhelm et al. 2014) und ab der
us

11. Jahrgangsstufe (Schipolowski et al. 2020) verfügbar. B B


Der BEFKI ist ein theoretisch fundierter Intelligenztest zur
Erfassung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten. Er erlaubt die
M

Messung fluider und kristalliner Intelligenz mit alters- und C C


insbesondere jahrgangsangemessenen Normen und kann
unter anderem in der Berufs- und Ausbildungsberatung
eingesetzt werden. Typische Aufgaben zur Erfassung der
fluiden Intelligenz sind im Folgenden wiedergegeben.
330 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

die Klassenstufe 1–4 – vorgestellt. Der Testkonstruktion liegen


(© by Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen die Mathematiklehrpläne aller 16 deutschen Bundesländer
• Nachdruck und jegliche Art der Vervielfältigung zugrunde. Der Test erfasst Schülerleistungen in den Bereichen
verboten. Bezugsquelle: Testzentrale Göttingen, Arithmetik (vgl. Beispielaufgabe in . Abb. 13.2), Sachrechnen
­Herbert-Quandt-Str. 4, 37081 Göttingen, Tel. (0551) und Geometrie. Der Bereich Arithmetik wird durch die Auf-
999-50-999, 7 www.testzentrale.de) gabentypen Zahlenstrahlen, Additionen, Subtraktionen,
Multiplikationen und Divisionen gemessen. Zum
Eine Beispielaufgabe zur Messung kristalliner Intelligenz Bereich Sachrechnen gehören die Aufgabentypen
aus dem BEFKI 11–12+ (Schipolowski et al. 2020) ist im Größenvergleichen und Lösen von Sachaufgaben. Die
Folgenden dargestellt. Geometrieleistung wird mit den Aufgabentypen Lage-
beziehungen und Spiegelzeichnungen gemessen. Die
Validität des Verfahrens ist gut belegt durch substanzielle
Typische Aufgabe zur Erfassung kristalliner Intelligenz Zusammenhänge mit anderen etablierten Mathematik-
aus dem BEFKI 11–12+ (Schipolowski et al. 2020) tests und Schulnoten. Zur Diagnose spezifischer Defizite
Beispielitem aus dem Untertest zur kristallinen in mathematischen Kenntnissen – insbesondere der
Intelligenz Dyskalkulie können dann ggf. spezifischere Verfahren
In welchem Takt wird ein Walzer gespielt? herangezogen werden, etwa der ZAREKI (von Aster et al.
a) 4/4-Takt 2006). Weitere Informationen zur ­DEMAT-Reihe sowie all-
b) 3/4-Takt gemein zur Diagnostik von Mathematikleistungen finden
c) 2/4-Takt sich bei Hasselhorn et al. (2005). In . Abb. 13.2 ist eine Bei-
d) 7/8-Takt spielaufgabe aus dem DEMAT 4 dargestellt.

(© by Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen


• Nachdruck und jegliche Art der Vervielfältigung 13.3.5  Interviews und
verboten. Bezugsquelle: Testzentrale Göttingen, Herbert- Beobachtungsinventare
Quandt-Str. 4, 37081 Göttingen, Tel. (0551) 999-50-999,
7 www.testzentrale.de) In der Praxis ist man bei der Beurteilung eines
diagnostischen Problems häufig auf Auskünfte der unter-
suchten Personen oder der Bezugspersonen wie Eltern oder
Die Unterscheidung zwischen Intelligenztests und Schul-
13 leistungstests ist ein schwieriges und kontroverses Thema
Lehrkräfte angewiesen, deren Urteil subjektiv gefärbt sein
kann. Zur Objektivierung dieser Informationen können
(Lohman 2006). Die oben angegebene Definition für
standardisierte oder halbstandardisierte Interviews ein-
Intelligenztests schließt grundsätzlich alle Schulleistungs-
gesetzt werden. Um die Transparenz des Vorgehens und
tests ein. Schulleistungstests sind häufig auf Leistungen in
der getroffenen Entscheidung zu maximieren, sollte bei der
spezifischen Schulfächern in spezifischen Jahrgangsstufen
Befragung auf einen standardisierten Fragenkatalog zurück-
zugeschnitten, es gibt aber auch fächer- und jahrgangsüber-
gegriffen werden. Darüber hinaus erleichtern vorab fest-
greifende Verfahren. Grundsätzlich ist die Bezeichnung
gelegte Antwortkategorien die Einordnung und Auswertung
Schulleistungstest auch etwas irreführend, denn geht es in
der häufig schwer miteinander vergleichbaren Antworten.
der Regel um die Messung von Schülerleistungen.
Eine weitere Klasse von Verfahren bietet sich ins-
Als ein Beispiel eines Schulleistungstests wird hier
besondere für die Beurteilung von Verhaltensauffällig-
DEMAT 4 (Gölitz et al. 2006) aus der DEMAT-Reihe – einer
keiten an: die Beobachtung von kritischen Situationen
Serie gut etablierter und untersuchter Verfahren zur Erfassung
mittels sog. Beobachtungsinventare (z. B. in der
mathematischer Rechenfertigkeiten in der Grundschule für
­Eltern-Kind-Interaktion oder in der Klasse), wenn man sich

. Abb. 13.2 Beispielaufgabe


aus dem DEMAT 4. (Aus Gölitz,
D., Roick, T. & Hasselhorn, M. 105:2= 610·3=
(2006). Deutscher Mathematiktest
für vierte Klassen (DEMAT 4). ©
by Hogrefe Verlag GmbH & Co.
KG, Göttingen • Nachdruck und
jegliche Art der Vervielfältigung
verboten. Bezugsquelle:
Testzentrale Göttingen, Herbert-
Quandt-Str. 4, 37081 Göttingen,
Tel. (0551) 999-50-999, 7 www.
testzentrale.de)
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
331 13
nicht ausschließlich auf die Selbst- und Fremdauskunft ver- grafischen Konsequenzen dieser Entscheidungen werden
lassen will. Um auch hier Transparenz zu gewährleisten, in Deutschland gesellschaftlich noch nicht hinreichend in
sollten bei der Beobachtung standardisierte Checklisten Erwägung gezogen.
oder vorab festgelegte Kategorien für das zu beobachtende In vielen benachbarten Disziplinen, insbesondere
Verhalten verwendet werden. Darüber hinaus sollten in der Medizin, gibt es eine verbindliche und aus
sowohl bei Interviews als auch bei Beobachtungsinventaren Kunden- bzw. Patientensicht selbstverständliche Fort-
mehrere Beobachter bzw. Beurteiler eingesetzt und die und Weiterbildungsforderung für diagnostisch tätige
Übereinstimmung zwischen diesen errechnet werden, Personen. In der psychologischen Diagnostik gibt es
um die Objektivität der Auswertung und Interpretation kein solches Qualifizierungsgebot. Dies trägt sicher zu
der Antworten (bzw. des beobachteten Verhaltens) abzu- einigen der nicht zufriedenstellenden Gegebenheiten in
sichern. der psychologischen Diagnostik bei (Schoor 1995). So
werden für diagnostische Zwecke häufig Instrumente
verwendet, deren Normen überaltert sind, deren Test-
13.4  Abschließende Kommentare inhalte überholt sind und die inhaltliche Weiter-
entwicklungen in der Grundlagenforschung nicht
Naturgemäß können in einem kurzen Kapitel nicht alle wesent- abbilden. Die Aktualität des Wissens in der Praxis der
lichen Aspekte einer wichtigen Teildisziplin der Pädagogischen pädagogisch-psychologischen Diagnostik muss somit
Psychologie Berücksichtigung finden. Daher können auch leider ebenso bezweifelt werden wie die Realisierung
nicht alle behandelten Sachverhalte im gegebenen Rahmen einer problemgerechten Testpraxis.
ausführlich erörtert werden. Im Folgenden werden einige
weiterführende Aspekte aufgegriffen und Verweise für ein ver-
tiefendes Studium gegeben. Fazit
Nachdem die psychologische Diagnostik lange Zeit Pädagogisch-psychologische Diagnostik befasst
starker Kritik sowohl inner- und außerhalb der Disziplin sich mit der Erfassung nicht direkt beobachtbarer
ausgesetzt war, ist seit einigen Jahren ein Umschwung in Merkmale von Personen oder Institutionen mit dem
der Bewertung ihrer Bedeutsamkeit feststellbar. Besonders Ziel der Beantwortung einer konkreten Fragestellung.
sichtbar wird dieser Wandel an der Vielzahl der nationalen Ausprägungen der interessierenden Merkmale werden
und internationalen Bildungsstudien wie PISA oder TIMSS aufgrund von beobachtetem Verhalten geschätzt.
(7 Kap. 15). Darüber hinaus hat aber auch die Einführung In Bezug auf diagnostische Fragestellungen werden
von Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten zu einer drei Dimensionen unterschieden: Status- und
öffentlichen Diskussion und stärkeren Sichtbarkeit der Prozessdiagnostik, Selektions- und Modifikations-
psychologischen Diagnostik geführt. diagnostik sowie kriteriums- und normorientierte
In der Diagnostik sind die Analyseeinheiten häufig Diagnostik.
einzelne oder einige wenige Personen. Spezielle Methoden An die pädagogisch-psychologische Diagnostik werden
der Einzelfallanalyse und Veränderungsmessung sind Fragestellungen aus vielfältigen Anwendungsfeldern
hier häufig die statistischen Verfahren der Wahl, und herangetragen, die von der Diagnose der Teilleistungs-
ihr Studium (etwa Köhler 2008) ist relevant, weil diese störungen bis zu Fragen der Hochschulzulassung
Methoden in der Regel im Rahmen des universitären reichen. Zur Beantwortung diagnostischer Probleme
Studiums keinen festen Platz haben. werden neben demografischen Angaben und
Diagnostik beruht immer auf empirischer Evidenz und Schulnoten insbesondere Leistungstests, Fragebögen
setzt geeignete Messinstrumente voraus. In der Reali- und Interviews herangezogen. Im diagnostischen
tät diagnostischer Praxis ist zu befürchten, dass zahlreiche Prozess kommt der Auswahl geeigneter Verfahren
diagnostische Probleme durch Laien bearbeitet und mit eine besondere Bedeutung zu. Bei der Beurteilung der
unzureichenden Instrumenten und Methoden entschieden infrage kommenden Messinstrumente sollten neben
werden (Wottawa und Hossiep 1997). Die Konsequenzen Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität und Validität
eines unzulänglichen Vorgehens für betroffene Personen insbesondere inhaltliche Abwägungen zum Tragen
werden dabei oft zu wenig beachtet. Zweifellos würden kommen.
vergleichbare Zustände in der medizinischen Diagnostik Diagnostische Entscheidungen können
zu großem gesellschaftlichen Unbehagen führen. Wir sind schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.
der Meinung, dass es in der p ­ ädagogisch-psychologischen Daher muss man sich der möglichen Fehler, die bei
Diagnostik einige saliente Probleme – wie etwa die einer diagnostischen Entscheidung entstehen können,
Begründung und die Konsequenzen der Aufteilung der bewusst sein und sollte versuchen, diese durch die
Grundschulkohorten in verschiedene Schulformen in der Verwendung adäquater Verfahren und Methoden zu
Sekundarstufe – gibt, bei denen Betroffenen bedeutsame minimieren.
Lebenschancen zugeteilt oder vorenthalten werden. Die bio-
332 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht

? Verständnisfragen Cronbach, L. J. (1951). Coefficient alpha and the internal structure of


1. Erklären Sie den Begriff ­„pädagogisch-psychologische tests. Psychometrika, 16, 297–334.
Cronbach, L. J., & Gleser, G. C. (1965). Psychological tests and personnel
Diagnostik“. In welchen Anwendungsfeldern kommt
decisions. Urbana, IL: University of Illinois Press.
die p
­ ädagogisch-psychologische Diagnostik zum de Ayala, R. J. (2009). The theory and practice of item response theory.
Einsatz? New York: Guilford Press.
2. Welche wichtigen Taxonomien von Problemen der Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), & Bund deutscher
pädagogisch-psychologischen Diagnostik kennen Psychologinnen und Psychologen (BDP). (1998). Ethische Richt-
linien der DGPs und des BDP. 7 http://www.dgps.de/dgps/auf-
Sie? Nennen Sie jeweils Beispiele für Fragestellungen.
gaben/003.php.
3. Nennen und erläutern Sie drei relevante Eid, M., & Diener, E. (Hrsg.). (2006). Handbook of multimethod
Gütekriterien anhand derer psychologische measurement in psychology. Washington, DC: American Psycho-
Verfahren bewertet werden? logical Association.
4. Erklären Sie die Begriffe Basisrate und Selektionsrate Embretson, S. E., & Reise, S. P. (2000). Item response theory for
psychologists. Mahwah: LEA.
an einem Beispiel. Was versteht man unter
Faust, G. (2006). Zum Stand der Einschulung und der neuen Schulein-
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Testverfahrens? 328–347.
5. Welche diagnostischen Informationen Felfe, J., & Liepmann, D. (2008). Organisationsdiagnostik. Göttingen:
bzw. Verfahrensklassen können in der Hogrefe.
Fitzmaurice, G. M., Laird, N. M., & Ware, J. H. (2011). Applied longitudinal
­pädagogisch-psychologischen Diagnostik
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herangezogen werden? Welche Vorzüge und Formazin, M., Schroeders, U., Köller, O., Wilhelm, O., & Westmeyer,
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London: Sage. Press.

13
335 14

Evaluation ­­pädagogisch-
psychologischer Maßnahmen
Olaf Köller

14.1  Begriffsbestimmung – 336


14.2  Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation – 338
14.2.1  Entstehungszusammenhang von Evaluationen – 339
14.2.2  Begründungszusammenhang von Evaluationen – 339
14.2.3  Verwertungszusammenhang von Evaluationen – 340

14.3  Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen – 340


14.4  Methodische Probleme bei Evaluationen – 343
14.4.1  Reifungs- und Entwicklungseffekte – 343
14.4.2  Äquivalenzprobleme – 343
14.4.3  Stichprobenmortalität – 344
14.4.4  Hierarchische Daten – 344

14.5  Standards für Evaluationen – 345


14.6  Beispiel für eine wissenschaftliche Evaluation – 345
Literatur – 346

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_14
336 O. Köller

Als angewandte Disziplin bietet die Pädagogische Psycho- 14.1  Begriffsbestimmung


logie eine Vielzahl von Präventions- und Interventions-
programmen im schulischen und außerschulischen Kontext Geht man von einer sehr breiten Definition aus, so kann
an (7 Kap. 17). Motivationstrainings (z. B. Rheinberg und Evaluation in Anlehnung an Scriven (1991; auch Mittag und
Krug 1999) und Denktrainings (Klauer 1993) sind Beispiele Hager 2000) als jegliche Art der zielgerichteten und zweck-
für Interventionen bzw. Maßnahmen auf der Mikro- bzw. orientierten Festsetzung des Wertes einer Sache verstanden
Individualebene; Unterrichtsentwicklungsprogramme stellen werden. Im Sinne dieser Definition können prinzipiell
Interventionen auf einer Mesoebene dar, und schließlich sind beliebige Objekte, Gegenstände, Maßnahmen etc. evaluiert
Schulreformen Maßnahmen auf der Makro- oder System- werden. Im pädagogisch-psychologischen Bereich sind dies
ebene. Die Pädagogische Psychologie ist nicht nur bemüht, typischerweise Interventions- und Präventionsprogramme,
die Maßnahmen auf den verschiedenen Ebenen theorie- vorschulische Erziehung, schulischer Unterricht oder
basiert zu entwickeln, sie bedient sich vielmehr auch der Fortbildungsmaßnahmen.
entsprechenden sozialwissenschaftlichen Methoden und Jede beliebige Maßnahme und ihre Evaluation können
statistischen Verfahren, um den Erfolg der Maßnahmen systemtheoretisch im Sinne von . Abb. 14.2 konzeptualisiert
zu überprüfen. Erfolg bedeutet hier, dass die Zielvariablen werden und enthalten nach Chen (2005) die Komponenten:
der Maßnahmen/Interventionen optimiert werden; im 5 Input
vorschulischen und schulischen Kontext können dies 5 Transformation
motivationale, soziale und emotionale Variablen ebenso 5 Output
wie die kognitive Entwicklung sein. Die Überprüfung der 5 Feedback
Wirksamkeit der Maßnahmen wird als Evaluation, das dazu 5 Umwelt.
gehörige wissenschaftliche Vorgehen als Evaluations-
forschung bezeichnet. Im Rahmen dieses Kapitels soll eine Input Hierunter fallen Ressourcen, die für eine Maßnahme
Einführung in die Grundlagen der Evaluation gegeben bereitgestellt werden, z. B. organisationale Strukturen, Per­
werden. Begonnen wird mit einer Präzisierung dessen, was sonal, Finanzen und Infrastruktur.
genau unter einer Evaluation zu verstehen ist und welche
Formen der Evaluation unterschieden werden können. Transformation (Prozess) Hiermit ist die Durchführung
Danach wird der Ablauf einer Evaluation in acht Schritten von der eigentlichen Maßnahme/Intervention gemeint, die auf-
der Entscheidung, überhaupt eine Evaluation durchzuführen, seiten der Zielobjekte (Zielpersonen) zu Veränderungen
bis hin zum Ziehen von Konsequenzen aus den Evaluations- führen soll. Dies kann beispielsweise die konkrete Durch-
befunden skizziert. 7 Abschn. 14.3 widmet sich der Über- führung eines kombinierten Motivations- und Lese-
prüfung der Wirksamkeit von Evaluationen, in 7 Abschn. 14.4 programms bei benachteiligten Schülern sein.
werden verschiedene methodische Probleme beschrieben,
14 die bei der Durchführung und Auswertung von Evaluationen Output Der Output umfasst die Ergebnisse der Trans-
entstehen können. Hieran schließt sich ein kurzer Abschnitt formation aufseiten der Zielobjekte (Zielpersonen). Ziel-
an, in dem international gültige Standards für Evaluationsvor- kriterien pädagogisch-psychologischer Programme
haben vorgestellt werden. 7 Abschn. 14.6 beinhaltet dann beinhalten kognitive Variablen, Leistungsmaße, Sozial-
die Beschreibung eines konkreten Evaluationsvorhabens verhalten, Persönlichkeitsvariablen sowie emotionale und
(. Abb. 14.1). motivationale Merkmale. Die Programme müssen sich
letztendlich daran messen lassen, ob es ihnen gelingt, die
angesprochenen Kriterien zu optimieren (Frage der Effektivi-
tät). Neben diesen Kriterien sind bei Evaluationen aber

. Abb. 14.2 Systemtheoretische Fassung einer Intervention und ihrer


Evaluation. (Modifiziert nach Chen 2005. Republished with permission
of SAGE College, © 2005; permission conveyed through Copyright
. Abb. 14.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) Clearance Center, Inc.)
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
337 14
auch Fragen der Durchführbarkeit, der Akzeptanz und der z Wissenschaftliche Evaluation, Evaluations- und
theoretischen Fundierung eines Programms von Bedeutung Grundlagenforschung
(Hager 2008). Bei den Zielkriterien unterscheidet Hager Von einer wissenschaftlichen Evaluation wird gesprochen,
(2008) Nah- und Fernziele. Nahziele beziehen sich auf wenn die Bewertung des Evaluationsgegenstandes wenigstens
die Effekte einer Intervention direkt zum Zeitpunkt ihrer ansatzweise theoriebasiert ist und sich auf empirische Daten
Beendigung. Hager nennt hier als Beispiel das kognitive stützt, die im Rahmen der Evaluationsforschung mit wissen-
Denktraining von Klauer (1993), dessen Wirksamkeit sich schaftlichen Methoden bzw. Verfahren gewonnen und ana-
unmittelbar nach Abschluss in einem Anstieg der Leistungs- lysiert wurden. In diesem Sinne definieren Mittag und Hager
fähigkeit im induktiven Denken ausdrücken sollte. Fernziele (2000, S. 103) Evaluationsforschung als
umfassen längerfristige Effekte von Interventionen, so könnte
sich das Denktraining von Klauer nach einer gewissen Zeit » die wissenschaftlich fundierte, empirische
und hypothesenorientierte Forschung unter
auch in besseren Schulleistungen niederschlagen.
systematischer Anwendung sozialwissenschaftlicher
Forschungsmethoden. Die Ergebnisse der
Umwelt Maßnahmen bzw. Interventionen finden üblicher-
Evaluationsforschung bilden die wesentliche, wenn auch
weise in natürlichen (ökologischen) Kontexten statt,
nicht die einzige Grundlage einer wissenschaftlichen
in denen vielfältige Umweltfaktoren ein Programm im
Evaluation.
Positiven wie im Negativen beeinflussen können. Zu solchen
Faktoren zählen soziale Normen, politische Strukturen, das Noch zielführender ist in diesem Zusammenhang die
wirtschaftliche Umfeld, Interessengruppen, Erwartungen Definition von Rossi und Freeman (1993, S. 5):
des Auftraggebers der Evaluation und Interessen von direkt
und indirekt Beteiligten. Wird dem Output im Umfeld » Evaluation research is the systematic application
of social research procedures in assessing the
keine hinreichende Bedeutung zugemessen oder liegen die
conceptualization and design, implementation, and
Befunde der Evaluation quer zu den Erwartungen des Auf-
utility of social intervention programs.
traggebers, so steigt die Wahrscheinlichkeit des vorzeitigen
Abbruchs einer Maßnahme. Im Gegensatz zur Evaluationsforschung steht bei der
Grundlagenforschung nicht ein Produkt, sondern eine
Feedback Hierunter fällt die eigentliche Evaluation, Forschungsfrage, die aus einer Theorie abgeleitet wurde,
die idealer Weise prozessbegleitend stattfinden sollte. im Vordergrund (vgl. Rost 2000). Typische Beispiele hier-
Prozess- und Produkt- bzw. Outputinformation können für sind Experimente, in denen abgeleitete Aussagen aus
genutzt werden, um Modifikationen auf der Input- und einer Theorie überprüft werden.
Transformationsseite vorzunehmen. Ohne eingezogene
Feedbackschleifen steigt die Gefahr von Misserfolgen. z Isolierte vs. vergleichende vs. kombinierte Evaluation
Hager (2008) unterscheidet drei Evaluationsparadigmen,
z Globale vs. analytische Evaluation die mit unterschiedlichen Hypothesen verbunden sind.
Notwendige Voraussetzung einer Evaluation ist, dass die Im Paradigma der isolierten Evaluation steht die Frage
ihr zugrunde liegenden Bewertungskriterien expliziert nach der grundsätzlichen Wirksamkeit eines Programms
werden und der Evaluationsgegenstand auf der Basis im Vordergrund. Eine Wirksamkeitshypothese wird in
dieser Kriterien bewertet wird. Wird ein Programm bzw. diesem Paradigma beispielsweise dahin gehend formuliert,
ein Objekt als Ganzes bewertet, so sprechen wir von einer dass eine Trainingsmaßnahme bei den beteiligten
globalen Evaluation, im Falle einer detaillierten Über- Personen (Interventionsgruppe) eine Veränderung in
prüfung einzelner Komponenten eines Programms liegt Richtung eines definierten Ziels bewirkt, während diese
eine analytische Evaluation vor. Ein typisches Beispiel Veränderung in einer alternativen Maßnahme, die in einer
einer globalen Evaluation stellt der Ländervergleich zur Kontrollgruppe andere Ziele verfolgt, nicht beobachtbar
Überprüfung der Schulleistungen in allen 16 Ländern der sein sollte. Hager spricht nur dann von einer „echten“
Bundesrepublik Deutschland (vgl. Köller et al. 2010; Stanat Kontrollgruppe, wenn auch in dieser eine Maßnahme/
et al. 2012) dar (7 Kap. 15). Hier steht das gesamte all- Intervention durchgeführt wird.
gemeinbildende Schulsystem eines Landes auf dem Prüf- Im Paradigma der vergleichenden Evaluation werden
stand. Eine analytische Evaluation liegt beispielsweise vor, mindestens zwei Maßnahmen/Interventionen, welche
wenn in einem Programm inner- und außerschulische (mit unterschiedlichen Mitteln) dieselben Ziele verfolgen,
Maßnahmen zur Förderung schulischer Kompetenzen gegenübergestellt. Dies betrifft vor allem Interventions-
durchgeführt und diese verschiedenen Maßnahmen programme, die sich bereits in isolierten Evaluationen
getrennt hinsichtlich ihrer Effektivität ausgewertet werden. als erfolgreich erwiesen haben. Zu dieser Gruppe zählen
Konzediert werden muss hier, dass die Unterscheidung von auch Evaluationsstudien, in denen Einzelmaßnahmen
globaler und analytischer Evaluation oft schwierig ist und mit Maßnahmenkombinationen verglichen werden.
die Übergänge fließend sind. Denkbar ist hier, dass verschiedene Programme zur
338 O. Köller

Steigerung von Schulleistungen verknüpft werden. So


können ein Motivationstraining und ein Denktraining
mit einem Training, das beide Programme verbindet,
verglichen werden (vgl. hierzu beispielsweise die Studie
von Fries et al. 1999). Die zu testenden Hypothesen
bezeichnet Hager (2008) als Äquivalenzhypothesen (alle
Maßnahmen sind gleich erfolgreich), Überlegenheits-
hypothesen (eine Maßnahme hat größere Effekte auf
die Zielvariablen als die andere bzw. die anderen) und
­Nicht-Unterlegenheitshypothese (eine Maßnahme ist
mindestens ebenso wirksam wie eine Alternative).
Im Paradigma der kombinierten Evaluation werden
schließlich die isolierte und die vergleichende Evaluation
zusammengeführt. Anlässe für diese Form ergeben sich,
wenn Programme sich zunächst in einer vergleichenden
Evaluation als äquivalent erweisen, man aber nicht wirk-
lich daraus schließen kann, wie groß die Wirksamkeit
ist. Man wird in diesem Fall eine dritte „echte“ Kontroll-
gruppe hinzu ziehen müssen, um die Wirksamkeitshypo-
these zu prüfen.

z Summative vs. formative Evaluation . Abb. 14.3 Übersicht über die acht Schritte einer wissenschaftlichen
Je nachdem, ob ein Produkt oder ein Prozess evaluiert Evaluation. (Modifiziert nach Abs et al. 2006, aus: Böttcher/Holtappels/
wird, spricht man von einer summativen oder einer Brohm (Hrsg.), Evaluation im Bildungswesen, © 2006 Beltz Juventa in der
formativen Evaluation. Summative Evaluationen (Produkt- Verlagsgruppe Beltz ∙ Weinheim Basel)
evaluationen) finden nach Fertigstellung eines Produktes
bzw. Beendigung einer Maßnahme bzw. Intervention statt.
Das primäre Ziel besteht darin, Fragen hinsichtlich der In England sind sog. League-Tables im Internet verfüg-
Wirksamkeit von Programmen zu beantworten. Formative bar, in denen Einzelschulen in eine Rangreihe hinsicht-
Evaluationen (Prozessevaluationen) setzen direkt während lich der erreichten Schülerleistungen gebracht werden. Im
der Entwicklung oder Erprobung einer Maßnahme bzw. Bereich der Evaluation von Hochschulen ist beispielhaft das
Intervention ein, können aber auch interventionsbegleitend
14 sein. Sie haben die Funktion, die Komponenten eines
CHE-Hochschulranking zu nennen, das fachbereichsspezi-
­
fisch deutsche Universitäten hinsichtlich ihrer Angebote für
Programms zu modifizieren bzw. zu optimieren, um die Studierende in eine Rangfolge bringt. Forschungsrankings
Gesamtwirkung der Maßnahme zu erhöhen. liefern darüber hinaus Informationen über die Forschungs-
leistungen (Zahl der Publikationen, Promotionen, Zitationen,
z Interne vs. externe Evaluation eingeworbene Drittmittel) von Fachbereichen an Universitäten.
Im schulischen Kontext wird häufig zwischen interner
und externer Evaluation unterschieden. Bei der internen
Evaluation werden die in . Abb. 14.3 aufgeführten Schritte 14.2  Die acht Schritte einer
innerhalb eines Kollegiums gegangen. Planung, Durch- wissenschaftlichen Evaluation
führung und Interpretation der Evaluation liegen also in
den Händen der Lehrkräfte. Bei der externen Evaluation ist In . Abb. 14.3 finden sich die acht Schritte einer
üblicherweise die Schulaufsicht die treibende Kraft, wiewohl systematischen wissenschaftlichen Evaluation in der
international (z. B. in Großbritannien) die externe Schul- Form eines Kreislaufs (aus Abs et al. 2006). Die Schritte 1
evaluation durch unabhängige Einrichtungen durchgeführt und 2 umfassen den Entstehungszusammenhang der
wird (u. a. das Office for Standards in Education in England). Evaluation, der Begründungszusammenhang wird über
die Schritte 3–5 hergestellt, schließlich besteht der Ver-
z Ranking wertungszusammenhang aus den Schritten 6–8. Rost
Ein relativ neues Phänomen in der Evaluation von (2000) bezeichnet diese Phasen in Anlehnung an Rossi
pädagogischen Einrichtungen, Institutionen oder Systemen et al. (1988) als Konzeptualisierungsphase (Schritte 1–3),
sind Rankings. Die Schulsysteme der 16 Länder der Bundes- Implementationsphase (Schritte 4 und 5) und Wirkungs-
republik Deutschland werden im Rahmen von PISA öffentlich forschungsphase (Schritte 6–8). Alle drei Phasen haben
in eine Reihenfolge gebracht (vgl. u. a. Köller et al. 2010). ihre Entsprechung in der Grundlagenforschung.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
339 14
14.2.1  Entstehungszusammenhang von von „echten“ Kontrollgruppen (s. auch den Abschnitt zu
Evaluationen isolierter, vergleichender und kombinierter Evaluation).
Die Berücksichtigung von Vergleichsgruppen bietet einen
Jede empirische Untersuchung, so auch jede Evaluation, wissenschaftlich haltbaren Vergleichsmaßstab für die Inter-
bedarf hinsichtlich des Evaluationsgegenstands eines pretation von Wirkungen. Eine Interventionsmaßnahme,
theoretischen bzw. konzeptuellen Überbaus. Darin gilt es beispielsweise ein Training zum prosozialen Verhalten
zunächst zu klären, welches die zentralen Zieldimensionen von verhaltensauffälligen Schülern kann nur dann in
sind, die infolge einer Maßnahme optimiert werden sollen. seiner Wirksamkeit evaluiert werden, wenn es mit anderen
Weitere Fragen beziehen sich auf den Kontext, in dem die Trainingsgruppen und/oder einer Gruppe ohne Training
Evaluation stattfinden soll. Die angestrebte Zielgruppe ist verglichen wird.
zu präzisieren; der Ort, an dem die Evaluation stattfindet, Unbestritten ist allerdings, dass die Forderung nach
muss ebenso festgelegt werden wie das zu verwendende einer und mehreren Kontrollgruppen zumindest im Kontext
Evaluationsmodell. Geht es in Interventionsmaßnahmen Kindergarten oder Schule an Grenzen stößt. So kann auf
um die Steigerung der Schul- oder Unterrichtsqualität, so Systemebene die Wirksamkeit von Schule nicht dadurch
ist mit den jeweils Betroffenen zu klären, welchem Quali- untersucht werden, dass man beschulte Kinder und Jugend-
tätsverständnis von Schule oder Unterricht gefolgt wird und liche mit unbeschulten Gleichaltrigen vergleicht. Letztere
in welche Forschungstradition dieses eingebettet werden wird man zumindest in den Industrienationen kaum
kann. Scheerens und Bosker (1997) beispielsweise identi- finden. Begibt man sich auf die Ebene der Einzelschule
fizierten in einem Review der einschlägigen Forschungs- und definiert hier passgenaue Indikatoren der Schul- und
literatur 13 schulische Faktoren, die als relevant für die Unterrichtsqualität, so werden an die Stelle von Kontroll-
Steigerung der Schülerleistungen gelten (7 Übersicht). gruppen Schulen treten, die in vergleichbaren Lagen ähn-
Hattie (2009, 2012) kommt zu vergleichbaren Faktoren. liche Schüler aufnehmen (Versuch eines fairen Vergleichs).
Weiterhin muss in dieser Phase festgelegt gelegt werden,
in welchen Einrichtungen (Institutionen) die Intervention
durchgeführt werden soll, welche Personengruppen und 14.2.2  Begründungszusammenhang von
welche Bereiche eingebunden werden sollen. Schließlich Evaluationen
müssen auch Festlegungen getroffen werden, ob eine
(formative) Prozessevaluation, eine (summative) Produkt- Entsprechend dem Vorgehen in der Grundlagenforschung
evaluation oder eine Kombination aus beiden Evaluations- werden im nächsten Schritt Fragestellungen bzw. Hypothesen
strategien realisiert werden soll. formuliert, die das Kausalgefüge zwischen Maßnahmen
bzw. Interventionen und Kriterien beschreiben. Welche
Maßnahmen führen zu welchen Effekten aufseiten der
Zentrale Faktoren der Qualität einer Schule (nach Qualitätsindikatoren? Wie intensiv müssen sie sein? Gibt es
Scheerens und Bosker 1997) Bedingungen, unter denen sie unwirksam werden? Wirken
1. Leistungsorientierung, hohe Lernerwartungen der mehrere, gleichzeitig implementierte Maßnahmen jede für
Lehrkräfte an die Schüler sich oder kumulativ oder gar kompensatorisch?
2. Effiziente Schulleitung Mit der theoriebasierten Ableitung und Formulierung
3. Konsens und Zusammenhalt im Kollegium von Hypothesen über Kausalitätsgefüge folgt die
4. Qualität von Curriculum und Lernumgebungen Evaluationsforschung dem Credo des kritischen Rationalis-
5. Schulklima mus (Popper 1971) und legitimiert so ihren wissenschaft-
6. Evaluationsorientierung lichen Anspruch. Gleichzeitig ist die Präzisierung des
7. Aktive und positive Beziehungen zwischen der Zusammenhangsgefüges zwischen Maßnahmen und Ziel-
Schule und ihrem Umfeld (z. B. Eltern, Betriebe) kriterien die Voraussetzung für die Konstruktion von Mess-
8. Klassenklima instrumenten, mit deren Hilfe Zielvariablen und potenzielle
9. Zielstrebige Führung des Unterrichts Prozessindikatoren der Interventionen bzw. Maßnahmen
10. Klar strukturierter Unterricht operationalisiert werden können: „Wo quantitative Daten
11. Selbstständiges Lernen erhoben und interpretiert werden, müssen auch die Regeln
12. Differenzierung, lernerangepasste Methodik der sozialwissenschaftlichen Methodenlehre und Statistik
13. Rückmeldung beachtet werden“ (Abs et al. 2006, S. 102). Die Einhaltung
entsprechender Regeln gilt analog für qualitative Ansätze
(vgl. hierzu z. B. Mayring 2002).
Bei der Planung der Intervention und ihrer Evaluation Auch wenn die Anwendung hoher wissenschaftlicher
ist die zusätzliche Berücksichtigung einer oder mehrerer Standards an Evaluationsmaßnahmen nicht unwider-
Kontroll- bzw. Vergleichsgruppen – wo immer mög- sprochen geblieben ist (z. B. Altrichter 1999), steht außer
lich – erforderlich. Kontroll- bzw. Vergleichsgruppen Zweifel, dass nur bei Verwendung adäquater Unter-
können alternative oder keine Interventionen erhalten, suchungsdesigns, messgenauer und in der Literatur
nur bei alternativen Interventionen spricht Hager (2008) etablierter Erhebungsverfahren und der Anwendung
340 O. Köller

adäquater Auswertungsmethoden die Validität der in der Hinsichtlich der Verläufe der Zielvariablen in isolierten
Evaluation gewonnenen Befunde gegeben ist. Müssen Evaluationen beschreibt Hager (2008) fünf Ergebnismuster,
Erhebungsinstrumente für eine Evaluation zunächst ent- die in . Abb. 14.4 präsentiert werden. Bei einer erfolg-
wickelt werden, so sind deren vorherige Erprobung und die losen Intervention zeigt sich eine parallele Entwicklung
Feststellung psychometrischer Eigenschaften notwendige der Mittelwerte in der Interventions- und Kontrollgruppe.
Bedingungen. Existieren keine Ausgangsunterschiede, so decken sich
beide Verlaufslinien.
Bei einer nur teilweise erfolgreichen Maßnahme zeigt
14.2.3  Verwertungszusammenhang von sich in der Interventionsgruppe ein Anstieg in der Ziel-
Evaluationen variable zwischen Vor- und Nachtest, der allerdings bis zur
Follow-up-Messung wieder verschwunden ist. In diesem
In diesem Zusammenhang werden Entscheidungen Fall bleibt die Intervention also auf kurzfristige Effekte
getroffen, wer Zugang zu den Ergebnissen haben soll, wie die beschränkt. Bleiben die Effekte dagegen auch bei der
Befunde zu interpretieren sind und welche Konsequenzen Follow-up-Messung stabil, so handelt es sich in der Tat um
sich daraus für ein Produkt bzw. Programm ergeben. Sofern eine erfolgreiche Intervention.
es nicht gelingt, die Befunde von Evaluationen in konkrete Die letzten beiden Graphen in . Abb. 14.4 zeigen
Anschlussmaßnahmen umzusetzen, wird die Sinnhaftig- ebenfalls Varianten erfolgreicher Interventionen.
keit des gesamten Vorgehens bei der Evaluation in Frage Im ersten Fall setzt sich der positive Trend bis
gestellt. An die Bereitstellung von Evaluationsbefunden zur F ­ollow-up-Messung fort, d. h. die Zielvariable
wird sich dementsprechend ein Katalog von Maßnahmen verzeichnet auch nach der Intervention einen weiteren
zur Implementation der erwünschten Veränderungen Anstieg. Typische Beispiele hierfür finden sich bei
anschließen. Fehlt solch ein Begleit- bzw. Implementations- Gesundheitsprogrammen, wenn Teilnehmer auch nach
programm, so wächst die Gefahr nicht intendierter Effekte der Intervention weiterhin die Verhaltensregeln befolgen
der Evaluation, indem Adressaten die Befunde einfach und sich ihr körperlicher Zustand über das Programm
ignorieren oder gar abwerten. hinaus verbessert. Im zweiten Fall bleibt die Intervention
bis zur Nachtestmessung erfolglos, beim Follow-up ist
dann aber ein deutlicher Anstieg erkennbar. In diesem
14.3  Überprüfung der Wirksamkeit von Fall sprechen wir von einer „Schläfer-Effekt“ („sleeper
Interventionen effect“). Ein Beispiel hierfür liefert eine Untersuchung
von Hall et al. (1996). In dieser Studie erhielt eine
Oben wurde festgestellt, dass Evaluationsdesigns immer auch Interventionsgruppe von Lehrkräften professionelle
mindestens eine „echte“ Kontrollgruppe berücksichtigen Beratung über insgesamt 30 h. Direkt nach der Maßnahme
14 sollten. Darüber hinaus sollte die Evaluation längsschnitt- ergaben sich zwischen der Interventionsgruppe und einer
lich ausgerichtet sein. Hier ist das einfachste aber auch hin- Kontrollgruppe keine Unterschiede im wahrgenommenen
reichend flexible Design der V ­ ortest-Nachtest-Follow-up-Plan professionellen Handeln. Erst ein Jahr später wurden dann
(Hager 2008). In der Interventionsgruppe und in der Kontroll- Unterschiede zwischen beiden Gruppen in einer weiteren
gruppe wird dabei unmittelbar vor der Maßnahme eine Untersuchung sichtbar.
Baseline-Erhebung der Zielvariablen durchgeführt, die zweite
Messung erfolgt unmittelbar nach Ende der Maßnahme. z Statistische Signifikanz und Effektstärken in wissen-
Schließlich wird längere Zeit nach Abschluss der Maßnahme schaftlichen Evaluationen
eine dritte Messung durchgeführt um zu überprüfen, ob das Die deskriptiven Mittelwertsverläufe in . Abb. 14.4
Programm nachhaltige Effekte auf die Zielgrößen hat. Natür- visualisieren die Effekte einer Intervention. Im Hin-
lich schließt dieses relativ elementare Design nicht aus, dass blick auf die inferenzstatistische Absicherung der Inter-
auch während der Maßnahme Messungen stattfinden; sei es, ventionen werden typischerweise Varianzanalysen mit
um Modifikationen vornehmen zu wollen oder um frühzeitig Messwiederholung und/oder geplante Kontraste durch-
abschätzen zu können, ob die Maßnahme trägt. Weiterhin geführt (Hager 2008). Im Falle ungleicher Ausgangswerte
können auch mehr als zwei Gruppen in diesem Plan berück- zwischen Interventions- und Kontrollgruppen werden
sichtigt werden. 7 Kovarianzanalysen angewendet (Pedhazur 1997). Die
Zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebung sollten keine statistischen Hypothesen beziehen sich dabei üblicher-
Unterschiede zwischen Interventions- und Kontroll- weise auf Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe
gruppen bestehen, da Ausgangsunterschiede methodische und den Kontrollgruppen in den Mittelwertsdifferenzen
Probleme bei der Auswertung aufwerfen, so beispielsweise bzw. in den mittleren Trends. Mit der Nullhypothese (H0)
das Phänomen der 7 Regression zur Mitte (Campbell und wird angenommen, dass keine Unterschiede zwischen den
Kenny 1999), bei dem messfehlerbedingt höhere Aus- Gruppen im Verlauf bestehen. Dennoch auftretende Unter-
gangswerte die Chance reduzieren, dass beim Zielkriterium schiede zwischen den Gruppen sind rein zufällig. Mit der
Wachstum beobachtbar ist. Alternativhypothese (H1) wird angenommen, dass sich
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
341 14
a b

c d

. Abb. 14.4 a–e Typische Ergebnismuster bei isolierten Evaluationen

die Mittelwertsdifferenzen bzw. die Trends zwischen Inter- der Annahme von H0 gilt, dass dieser oder größere Werte
ventionsgruppe und Kontrollgruppen unterscheiden. Als nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 5 %
Prüfgröße wird (in Varianzanalysen) die F-Statistik ver- (α = 0,05) oder von unter einem Prozent (α = 0,01) auf-
wendet, und die Entscheidung für oder gegen H0 erfolgt treten, so wird H0 verworfen. Aus der Nichthaltbarkeit von
entsprechend den in der Inferenzstatistik geltenden Kon- H0 wird dann auf die Geltung der Alternativhypothese H1
ventionen: Erreicht der F-Bruch einen Wert, für den unter geschlossen (. Tab. 14.1).
342 O. Köller

. Tab. 14.1 Entscheidungen beim Hypothesentesten . Tab. 14.3 Konventionen für die Interpretation von Effekt-
stärken. (Nach Bortz und Döring 2002)
Entscheidung für
d η2
H0 H1
Unbedeutender Effekt <0,20 <1%
Wahr ist H0 1–α α
Kleiner Effekt 0,20–0,50 1–5%
H1 β 1–β
Mittlerer Effekt 0,50–0,80 6–14%
1 − α Wahrscheinlichkeit, dass H0 beibehalten wird und wahr ist;
α Wahrscheinlichkeit, dass H0 verworfen wird, obwohl H0 richtig Großer Effekt >0,80 >15%
ist (α-Fehler); 1 − β Wahrscheinlichkeit, dass H0 verworfen wird
und H1 richtig ist (Teststärke bzw. Power); β Wahrscheinlichkeit,
dass H0 beibehalten wird, obwohl H1 wahr ist (β-Fehler)
Die in Stichproben ermittelte Größe d ist dagegen ein unver-
zerrter (erwartungstreuer) Schätzer für die Effektstärke auf
Populationsebene.
. Tab. 14.2 Effektstärkenmaße
Inwieweit diese Konventionen geeignet sind, die
Paarweise Vergleiche zwischen praktische Signifikanz von Maßnahmen, die Gegenstand
Mittelwertsvergleiche mehreren Gruppen wissenschaftlicher Evaluationen sind, zu beurteilen, ist
d= MIG −MKG
η2 = QSzwischen Gegenstand vielfältiger Diskussionen. So zeigen beispiels-
weise die großen nationalen und internationalen Schul-

2 +S2
SIG
QStotal
KG
2
leistungsstudien der letzten 20 Jahre, dass der gemessene
MIG Mittelwert in der Interventionsgruppe; MKG Mittelwert in Wissenszuwachs von Schülern in den Kernfächern
der Kontrollgruppe; SIG2 Varianz in der Interventionsgruppe; S 2
KG (Deutsch, Mathematik, erste Fremdsprache) über ein
Varianz in der Kontrollgruppe; QSzwischen Streuung zwischen der
Interventionsgruppe und den Kontrollgruppen; QStotal Gesamt-
Schuljahr einer Effektstärke d von 0,25–0,50 entspricht.
streuung Dementsprechend hat eine Maßnahme zur Unterrichts-
entwicklung, die in einer Schülergruppe einen Wissens-
zuwachs von d = 0,20 erreicht, durchaus praktische
Die F-Statistik ist allerdings wie alle Prüfstatistiken Bedeutung, korrespondiert doch ihr Effekt mit rund einem
abhängig von der Stichprobengröße. Sehr kleine, praktisch halben Jahr Beschulung. Diese Diskussion zeigt, dass die
unbedeutende Mittelwertdifferenzen können signifikant Beurteilung der Effektstärke einer Intervention keines-
werden, wenn die Stichprobengrößen nur hinreichend wegs trivial ist. Idealerweise wird man bereits bei der
groß gewählt werden (vgl. hierzu Bortz und Döring Planung eines Maßnahmenpakets die gewünschte Effekt-
14 2002). Als Folge der Stichprobengrößenabhängigkeit stärke festlegen. Hat man solch eine Festlegung getroffen,
der Prüfstatistiken ist zu Recht darauf hingewiesen so lassen sich bei zusätzlicher Festlegung des Signifikanz-
worden, dass Effektstärken relevantere Größen für die niveaus und der Teststärke adäquate Stichprobenumfänge
Beurteilung von Mittelwertsdifferenzen sind (vgl. Bortz kalkulieren (vgl. hierzu Bortz und Döring 2002).
und Döring 2002). Wir vertreten eine Position, wonach Einen ganz anderen Weg, die praktische Bedeut-
zu einer angemessenen Auswertung der Daten sowohl die samkeit einer Intervention zu beleuchten, stellt die
inferenzstatistische Absicherung als auch die Bestimmung Kosten-Nutzen-Analyse (Cost-benefit-Analysis) dar, die
­
von Effektstärken gehört. primär nicht auf die Wirksamkeit einer Maßnahme abzielt
Maße für die Effektstärke, die bei kontinuierlichen (Effektivität), sondern den Aufwand einer Intervention
Zielvariablen typischerweise berechnet werden, sind die in Relation zu den Erträgen betrachtet (Effizienz). Hier
Koeffizienten d und η2. Die entsprechenden Definitionen geht es vor allem auch um die Frage, ob die potenziellen
finden sich in . Tab. 14.2. Der Koeffizient d wird als finanziellen Gewinne bzw. später ausbleibenden Kosten
Differenz zwischen zwei Mittelwerten, geteilt durch eines Programms höher sind als die für das Programm
die gepoolte Standardabweichung bestimmt. η2 ist ein aufgewendeten Finanzmittel. Prominent geworden sind
deskriptives Maß für die durch die Gruppenzugehörig- solche Kosten-Nutzen-Analysen durch die Arbeiten des
keit aufgeklärte Varianz, das dem quadrierten multiplen amerikanischen Bildungsökonomen James Heckman (s.
Regressionskoeffizient R2 entspricht. In der Tradition der z. B. Heckman et al. 2010). Heckman hat systematisch
experimentellen Psychologie haben sich die in . Tab. 14.3 analysiert, mit welchen Kosteneinsparungen zu rechnen
aufgeführten Konventionen zur Beurteilung beider ist, wenn man Interventionsprogramme zur kognitiven,
Effektgrößen etabliert (Bortz und Döring 2002). sozialen und emotionalen Förderung besonders
Dabei muss allerdings konzediert werden, dass η2 ebenso benachteiligter Kinder einführt. Dabei interessierte vor
wir R2 nur in sehr großen Stichproben eine unverzerrte allem der Zeitpunkt des Einsetzens der Intervention. Die
Schätzung der Effektstärke auf Populationsebene darstellt. In Befunde dieser Analysen sind in . Abb. 14.5 zusammen-
kleinen Stichproben überschätzt η2 die Effektstärke, das hier gefasst, in der die Rendite von Interventionsprogrammen
adäquatere Maß ist die Größe ω2 (vgl. Bortz und Döring 2002). gegen den Zeitpunkt des Beginns der Intervention
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
343 14
Entwicklungsbedingte Faktoren (Reifung) ebenso wie
Frühkindliche unkontrollierte Umwelteinflüsse (Fernseh- und Computer-
Interventionen konsum sowie andere häusliche Entwicklungsgelegenheiten)
Vorschulische wirken sich auf die Veränderungen aus und können Inter-
Interventionen ventionseffekte überlagern. In der Tat versuchen Arbeiten
Renditen von Bildungsinvestitionen

zur Effizienz von Schule immer wieder, konkurrierende


Schulische Beschulungs- und Alterseffekte (z. B. Cliffordson und
Interventionen Gustafsson 2008; Luyten 2006) zu trennen und stellen damit
Nachschulische
Interventionen
der „schulischen Intervention“ Reifungseffekte gegenüber.
Einen besonderen Fall der Entwicklungseffekte stellen
Veränderungen in den Zielvariablen dar, die allein durch
die wiederholte Messung unter Verwendung desselben Tests
entstehen. So zeigen Studien zu Effekten kognitiver Denk-
trainings immer wieder, dass sich auch in unbehandelten
0–3 4–6 Schule nach der Schule
Kontrollgruppen die Kriterien (Intelligenztestwerte)
zwischen Pre- und Posttest aufgrund von Übungseffekten
Alter
verändern („test wiseness“, vgl. Sarnacki 1979).

. Abb. 14.5 Zusammenhang zwischen dem Alter bei Einsetzen eines


Interventionsprogramms und den Renditen (Verhältnis der Kosten pro 14.4.2  Äquivalenzprobleme
Kind zu den langfristig eingesparten Folgekosten)
Im optimalen Fall wird man im Rahmen einer Interventions-
dargestellt ist. Erkennbar ist, dass früh einsetzende Inter- studie Personen zufällig der Interventions- und der Kontroll-
ventionsprogramme eine deutlich höhere Effizienz auf- gruppe zuweisen (7 Randomisierung) und die Evaluation
weisen als spät beginnende Programme (7 Abschn. 14.6). dann in einem V ­ ortest-Nachtest-Follow-up-Design realisieren.
Solch ein Vorgehen sichert, dass sich alle Personmerkmale,
die jenseits der Intervention einen Einfluss auf die Zielvariable
14.4  Methodische Probleme bei
haben, auf die verschiedenen Gruppen gleich verteilen.
Als Folge wird die interne Validität der Evaluationsstudie
Evaluationen
maximiert (zu den Grenzen solchen Vorgehens s. Köller 2008;
Rost 2005).
In 7 Abschn. 14.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass
In vielen praktischen Feldern wird es allerdings unmög-
Interventionen immer in spezifischen Umwelten stattfinden,
lich sein, Personen zufällig den Gruppen zuzuweisen. Will
die in manchen Fällen auch methodische und statistische
man beispielsweise Effekte unterschiedlicher Unterrichts-
Einschränkungen zur Folge haben können. Wottawa und
methoden im Klassenkontext erkunden, so ist es in der Regel
Thierau (2003) diskutieren drei Fehlerquellen, die in
unmöglich, Schüler per Zufall den Gruppen zuzuweisen.
Evaluationsstudien auftreten können, nämlich
Anstelle von Einzelpersonen werden dann intakte Klassen
5 Reifungseffekte
den jeweiligen Bedingungen zugeordnet. In diesem Fall kann
5 Nichtäquivalenz von Vergleichsgruppen
man nicht mehr davon ausgehen, dass die Mitglieder in den
5 Stichprobenmortalität.
Maßnahmen- und Kontrollgruppen äquivalent hinsichtlich
der Ausgangswerte auf den Zielvariablen und anderen Maßen
Hinzu kommen noch Probleme, wie sie typischerweise auch
sind. In solchen Fällen der Nichtäquivalenz ist es nötig, Aus-
in quasiexperimentellen Studien auftreten, und methodische
gangsunterschiede und Störvariablen in den Gruppen zu
Probleme, die aus dem hierarchischen Charakter der Daten
kontrollieren, indem man sie aufseiten der Zielpersonen, die
resultieren, die im ­pädagogisch-psychologischen Kontext
in ein Programm eingebunden werden, in der Vortestung
erhoben werden. Diese Probleme sollen im Folgenden kurz
mit erhebt. Störvariablen können z. B. das Vorwissen, das
skizziert und Lösungsansätze angeboten werden.
Geschlecht oder der Migrationshintergrund von Schülern
sein. Bei aller Kontrolle von Ausgangsunterschieden und
Störvariablen sind mit solchen Evaluationsdesigns Gefahren
14.4.1  Reifungs- und Entwicklungseffekte
verbunden, wie sie für quasiexperimentelle Studien diskutiert
werden (vgl. Campbell und Stanley 1970; Klauer 2001; Köller
Reifungs- und Entwicklungseffekte beschreiben Ver-
2008). Dabei sind folgende Fehlerquellen zu berücksichtigen:
änderungen, die nicht auf die Interventionen selbst,
5 Diffusion oder Imitation der Intervention kann auf-
sondern auf organismische oder umweltbedingte Effekte
treten, wenn beispielsweise in einer Kontrollgruppe das
zurückzuführen sind. Die kognitive Leistungsfähigkeit von
Programm bekannt wird und die Mitglieder der Kontroll-
Schülern steigt beispielsweise keineswegs allein in Folge
gruppe sich bemühen, das Treatment zu imitieren.
schulischen Unterrichts oder anderer gezielter Maßnahmen.
344 O. Köller

5 Ein kompensatorischer Ausgleich der Intervention analysiert werden. Die Berücksichtigung von Variablen, die
kann auftreten, wenn Kontrollgruppen große den Ausfallprozess determiniert haben, führt dabei zu weit-
Anstrengungen unternehmen, die fehlenden Inter- gehend unverzerrten Schätzungen fehlender Werte. Verfahren
ventionen durch andere Fördermaßnahmen auszu- der Mittelung der gewonnenen Ergebnisse werden ausführ-
gleichen. lich bei Little und Rubin (1987) beschrieben. Die aktuellen
5 Von einer kompensatorischen Anstrengung innerhalb Versionen vieler Softwarepakete bieten darüber hinaus sog.
der Kontrollgruppe spricht man, wenn sich ihre Mit- „­ Full-information-maximum-likelihood“-Verfahren (FIML)
glieder benachteiligt fühlen und sich dann aber in der zur unverzerrten Parameterschätzung bei unvollständigen
Posttestung besonders anstrengen. Daten an.
5 Eine negative Reaktion der Kontrollgruppe liegt Stichprobenmortalität ist im p
­ ädagogisch-psychologischen
vor, wenn ihre Mitglieder aus dem Gefühl der Kontext nur schwer vermeidbar. Zwei Handlungsrichtlinien
Benachteiligung sich im Posttest nicht anstrengen, können dem Problem begegnen, zum einen Strategien, welche
sodass es zu einer erheblichen Unterschätzung ihrer die Mortalität minimieren (Stichprobenpflege), und zum
Leistungen kommt. anderen der Einsatz adäquater statistischer Analyseverfahren,
um zu unverzerrten Parameterschätzungen zu gelangen.

14.4.3  Stichprobenmortalität
14.4.4  Hierarchische Daten
Das Problem der Stichprobenmortalität (statistischen
Mortalität) stammt ursprünglich aus der medizinischen Ver- In Interventionsprogrammen im Kontext Schule werden
laufsforschung, in der Interventionen bzw. Treatments in häufig nicht Personen, sondern ganze Klassen oder gar
Patientengruppen hinsichtlich ihrer Effizienz untersucht Schulen einer Interventions- und einer Kontrollgruppe
wurden. Patienten verstarben während des Programms und zugewiesen. Innerhalb der Klassen und Schulen, die als
standen somit für weitere Datenerhebungen nicht mehr zur „Klumpen“ bezeichnet werden, trifft man Schüler an, die sich
Verfügung. Dieses Problem fehlender Werte tritt auch im hinsichtlich verschiedener Merkmale oft sehr ähnlich sind,
Bereich pädagogisch-psychologischer Interventionsprogramme wohingegen Schüler unterschiedlicher Klassen und Schulen
auf, die mit einem P
­ retest-Posttest-Follow-up-Design evaluiert sich oftmals sehr unähnlich sind. Die Ziehung von Klumpen-
werden, wenn Teilnehmer aus den unterschiedlichsten stichproben hat für die weiteren statistischen Analysen
Gründen die weitere Teilnahme an der Maßnahme ver- erhebliche Konsequenzen, vor allem bei der Bestimmung
weigern. Mit den dann fehlenden Werten sind drei statistische von Standardfehlern, welche das Ausmaß der statistischen
Probleme verbunden: Ungenauigkeit eines geschätzten Parameters ausdrücken. Die
1. ein Verlust an Effizienz, da die Stichprobengröße ein- übliche Berechnung des Standardfehlers setzt eine Zufalls-
14 geschränkt ist; stichprobe mit voneinander unabhängigen Beobachtungen
2. ein erschwerter Umgang mit den Daten, weil die voraus. Bei Klumpenstichproben und der resultierenden
statistischen Standardverfahren vollständige Daten- hierarchischen Datenstruktur ist das nicht der Fall. Die
matrizen erwarten; Berechnung des Standardfehlers auf die gerade beschriebene
3. die Gefahr verzerrter Parameterschätzungen aufgrund Art führt dann zu einer Unterschätzung. Konsequenzen sind
möglicher Unterschiede zwischen den beobachteten zum einen zu kleine Konfidenzintervalle für die geschätzten
und den fehlenden Daten. Parameter, zum anderen die Inflation möglicher Ent-
scheidungsfehler bei inferenzstatistischen Verfahren.
Zur Lösung dieser Probleme wurde eine Vielzahl von Ver- Das Ausmaß der Unterschätzung von Standardfehlern
fahren vorgeschlagen, die vom Ausschluss aller Personen hängt zum einen von der Klumpengröße in der Stichprobe
mit ungültigen Werten bis zur Ersetzung fehlender Werte ab: Steigt diese, so nimmt auch die Unterschätzung zu.
reichen. In der neueren methodischen Literatur (z. B. Lüdtke Zum anderen bestimmt die Homogenität der Klumpen die
et al. 2007; Schafer und Graham 2002) besteht Konsens Verschätzung der Standardfehler. Die Homogenität wird
darüber, dass ein fallweiser Ausschluss die Validität der üblicherweise über die Intraklassenkorrelation bestimmt.
Befunde deutlich senken kann und Verfahren der Mehrfach- Die Intraklassenkorrelation beschreibt das Verhältnis der
schätzung fehlender Werte („multiple imputation“, Rubin Varianz zwischen den Klumpen zu der Varianz innerhalb
1987) den Schwierigkeiten am besten begegnen und zu ver- der Klumpen. Auf Klassen und deren Leistungen bezogen
gleichsweise validen Befunden in den statistischen Analysen bildet sich in der Intraklassenkorrelation ab, wie stark die
führen. Mittlerweile existieren zufriedenstellende Software- Unterschiede zwischen Klassen im Vergleich zu den Unter-
lösungen zur multiplen Imputation, hervorzuheben sind schieden zwischen Schülern innerhalb von Klassen sind. Je
das Programm NORM von Schafer (1997), die Imputations- größer die Intraklassenkorrelation, desto stärker die Ver-
möglichkeiten in Mplus (Muthén und Muthén 2010) und die schätzung bei der Bestimmung der Standardfehler.
implementierten Routinen in R. Üblicherweise werden je nach Einen eleganten Weg bei der multivariaten
Menge der fehlenden Werte zwischen 5 und 50 vollständige Behandlung von hierarchischen Daten aus Klumpenstich-
Datensätze generiert, die anschließend simultan statistisch proben stellen mehrebenenanalytische Verfahren dar.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
345 14
Bei diesen Verfahren wird die hierarchische Struktur Genauigkeitsstandards („accuracy standards“) beziehen
der Daten direkt modelliert. Ihr großer Vorteil besteht sich vor allem auf den Begründungszusammenhang von
darin, dass sie adäquate Schätzungen der Standard- Evaluationen und sollen sichern, dass eine Evaluation auf-
fehler liefern und die gleichzeitige Modellierung von seiten der Abnehmer verwertbare Informationen liefert.
Effekten auf der Individual- und Clusterebene ermög- Eine Evaluation soll danach umfassend sein und möglichst
lichen. Der H­ LM-Ansatz (Bryk und Raudenbush 1987; viele Programmkomponenten in die Analyse einbeziehen.
1989; Raudenbush und Bryk 2002) löst die aufgezeigten Gleichzeitig sollten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens
Probleme, indem er die hierarchische Struktur der Daten eingehalten werden, um die Interpretierbarkeit der Ergeb-
nicht nur als Makel des Stichprobenprozesses begreift, nisse zu gewährleisten.
der eine Korrektur der Freiheitsgrade in Abhängig- Die JCSEE-Standards (zu weiteren Details s. Schiffler
keit von der Intraklassenkorrelation erzwingt, sondern und Hübner 2000) zielten ursprünglich auf größere,
die hierarchische Struktur selbst zum Gegenstand der flächendeckende Programme ab, können allerdings auch
Prüfung macht. Es handelt sich um einen regressions- als Richtlinien bei kleineren Evaluationsvorhaben heran-
analytischen Ansatz, wobei Personenmerkmale auf gezogen werden.
individuelle (Ebene 1), Klassen- (Ebene 2) und Schul-
variablen (Ebene 3) zurückgeführt werden. Eine einfache
deutschsprachige Einführung in das Verfahren der Mehr- 14.6  Beispiel für eine wissenschaftliche
ebenenanalyse findet man bei Lüdtke und Köller (2010). Evaluation

Im Folgenden wird kurz und beispielhaft auf ein Interventions-


14.5  Standards für Evaluationen programm und seine Ergebnisse eingegangen. Es handelt
sich um das Carolina Abecedarian Project (CAP). In diesem
In den USA werden seit langem Standards für Evaluationen Programm wurden in den Jahren 1972 bis 1977 vier Stichproben
im Bildungsbereich diskutiert, die ihren Niederschlag in mit jeweils 28 Risikokindern (insgesamt N = 112) aus sozial und
den Richtlinien des Joint Committee on Standards for kulturell benachteiligten Familien North Carolinas gezogen. Die
Educational Evaluation (JCSEE 1994) gefunden haben (zu fast ausnahmslos afroamerikanischen Eltern wiesen niedrige
weiteren Standards s. z. B. Rost 2000). Die vorgeschlagenen Bildungsstände auf, waren im Schulsystem gescheitert, arbeits-
Standards sind in vier Gruppen unterteilt, „die einerseits los bzw. hatten geringe Einkommen und nahmen Wohlfahrts-
die Qualität von empirischen Evaluationen und anderer- leistungen in Anspruch. Die berücksichtigten Kinder waren
seits die Fairness oder Offenheit gegenüber allen beteiligten zu Beginn des Programms zwischen sechs Wochen und sechs
Personen, Gruppen, Institutionen usw. sicherstellen sollen“ Monate alt. Je 14 Kinder wurden einer Maßnahmen- bzw. einer
(Schiffler und Hübner 2000, S. 142). Kontrollgruppe zugewiesen. Die Maßnahmengruppe erhielt in
Nutzenstandards („utility standards“) fordern, dass mit Betreuungszentren an fünf Wochentagen eine Ganztagesunter-
den Ergebnissen von Evaluationen ein aktueller Wissens- stützung, die mit zunehmendem Alter der Kinder immer mehr
bedarf befriedigt werden kann. Evaluationsberichte sollen kognitive Anteile enthielt. Mit dem Eintritt in die Schule wurde
informativ und zeitgenau zur Verfügung gestellt werden, eine weitere experimentelle Variation vorgenommen, die halbe
sodass die Adressaten die Informationen auch für die Maßnahmengruppe wurde einem schulischen Förderprogramm
Bewertung und anschließende Nutzung des Evaluations- zugewiesen, die andere Hälfte nicht. In vergleichbarer Weise
gegenstandes verwenden können. wurde mit den Kindern der Kontrollgruppe verfahren, sodass
Machbarkeits- oder Durchführbarkeitsstandards („feasi­ sich das in . Abb. 14.6 dargestellte Design ergab.
bility standards“) legen Regeln fest, nach denen das Design Alle vier Gruppen wurden bis ins Erwachsenalter
einer Evaluationsstudie an die Erfordernisse der natürlichen wissenschaftlich begleitet. Dabei zeigten sich die günstigsten
Umgebung, in der die Evaluation stattfinden soll, angepasst sozialen und kognitiven Effekte in der Gruppe, die über den
werden muss. Grenzen der Realisierung von wissenschaft- gesamten Zeitraum gefördert wurde. Für die Gruppe, die
lichen Evaluationsstudien in ökologisch validen Kontexten in den ersten fünf Jahren gefördert wurde, nicht aber in der
werden hier aufgezeigt, und es wird für ein Evaluationsver- Schule, ergaben sich günstigere Entwicklungsverläufe als
ständnis geworben, wonach die praktischen Gegebenheiten für die Gruppe, die nur in der Schulzeit gefördert wurde.
häufig ein pragmatisches Vorgehen unter Berücksichtigung Insgesamt waren die Interventionseffekte substanziell,
ökonomischer Aspekte nahelegen. und die bildungsökonomischen Analysen ergaben einen
Standards für Anstand und ethisches Vorgehen ­Cost-Benefit-Quotienten von ungefähr 1:3, d. h. aus jedem
(„propriety standards“) garantieren den Schutz individueller pro Kind investierten Dollar resultierten später mehr als drei
Rechte, nicht zuletzt auch im Bereich des Datenschutzes. Dollar. Diese Gewinne resultierten durch geringere Sozial-
Berücksichtigt sind hier aber auch ethische Standards, wie leistungen und höhere Steuerzahlungen der Kinder aus den
sie in der Grundlagenforschung üblich sind und welche auf Maßnahmengruppen im Vergleich zu den Kindern aus den
die Unversehrtheit der Untersuchungsteilnehmer abzielen. Kontrollgruppen.
346 O. Köller

. Abb. 14.6 Design des Carolina


Abecedarian Projects 0–5 Jahre 5–8 Jahre

Interventions-
gruppe

Interventions-
gruppe
Kontroll-
gruppe

Gesamt-
stichprobe
Interventions-
gruppe

Kontroll-
gruppe
Kontroll-
gruppe

? Verständnisfragen
Fazit 1. Beschreiben Sie kurz, was unter einer Evaluation
In den angewandten Disziplinen der Psychologie, zu zu verstehen ist und welche Unterscheidungen
denen auch die Pädagogische Psychologie zählt, wird diesbezüglich vorgenommen werden können.
wissenschaftlich fundiertes Wissen genutzt, um in 2. Beschreiben Sie den idealtypischen Ablauf einer
verschiedenen praktischen Kontexten Zielvariablen wissenschaftlichen Evaluation.
zu optimieren. In pädagogisch-psychologischen 3. Beschreiben Sie ein Untersuchungsdesign, mit dem
Zusammenhängen zielen die Maßnahmen vor allem auf die sich Maßnahmen wissenschaftlich evaluieren lassen.
Förderung von Lernenden ab. Mit diesem Kapitel wurde 4. Nennen Sie typische methodische Probleme bei
14 der Versuch unternommen zu dokumentieren, welche wissenschaftlichen Evaluationen und beschreiben sie
Anforderungen an die Abläufe einer wissenschaftlichen diese kurz.
Evaluation solcher Maßnahmen gestellt werden, welche
Probleme auftreten können und welche Ansätze zu ihrer Vertiefende Literatur
Lösung existieren. Allein eine Evaluationsforschung, die 5 Chen, H.-T. (Chen 2005). Practical program evaluation. Thousand
sich an ihren eigenen, hoch gesetzten wissenschaftlichen Oaks: Sage.
5 Fend, H. (2008). Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung
Standards orientiert, kann aussagekräftige Ergebnisse
und Unterrichtsqualität. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
zur Effizienz von Interventionsprogrammen liefern. Dies 5 Wottawa, H., und Thierau, H. (2003). Lehrbuch Evaluation (3. Aufl.).
erfordert große Sorgfalt in den jeweiligen Schritten der Bern: Huber.
Evaluation und hohe Expertise aufseiten derjenigen,
die die Evaluation verantworten. Die angesprochenen
methodischen Herausforderungen (Umgang mit fehlenden Literatur
Werten, Umgang mit hierarchischen Daten) sollten in
diesem Zusammenhang deutlich gemacht haben, dass ein Abs, H. J., Maag Merki, K., & Klieme, E. (2006). Grundlegende Güte-
sehr hohes methodisches Know-how vonnöten ist, um zu kriterien für Schulevaluation. In W. Böttcher, H. G. Holtappels, &
validen Aussagen auf der Basis der generierten Daten zu M. Brohm (Hrsg.), Evaluation im Bildungswesen. Eine Einführung
in die Grundlagen und Praxisbeispiele (S. 97–108). Weinheim:
gelangen.
Juventa.
Gleichzeitig wurde aber auch argumentiert, dass Altrichter, H. (1999). Anmerkungen zur Diskussion mit Detlev Leutner.
potenzielle Restriktionen des Umfeldes, in dem eine In J. Thonhauser, & J.-L. Patry (Hrsg.), Evaluation im Bildungsbereich.
Evaluation stattfindet, nicht selten im Gegensatz zu Wissenschaft und Praxis im Dialog (S. 133–136). Innsbruck: Studien-
den wissenschaftlichen Ansprüchen des Evaluators verlag.
Bortz, J., & Döring, N. (2002). Forschungsmethoden und Evaluation für
stehen. Evaluationen werden demzufolge immer wieder
Human- und Sozialwissenschaftler (3. Aufl.). Berlin: Springer.
das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Bryk, A. S., & Raudenbush, S. W. (1987). Application of hierarchical linear
Auftraggeber und -nehmer sein. models to assessing change. Psychological Bulletin, 101, 147–158.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
347 14
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im Ländervergleich. Münster: Waxmann. Huber.
349 15

Nationale und internationale


Schulleistungsstudien
Barbara Drechsel, Manfred Prenzel und Tina Seidel

15.1  Was können Schüler? Das Interesse an


Schülerleistungen – 350
15.1.1  Outputsteuerung von Bildungssystemen – 351
15.1.2  Evaluation und Qualitätssicherung im Bildungssystem: Ein
Rückblick – 351
15.1.3  Bildungsmonitoring heute – 352

15.2  Klassifikation von Vergleichsstudien – 353


15.3  Drei beispielhafte Vergleichsstudien – 354
15.3.1  Flächendeckende Erhebung des Lern- und Leistungsstands:
VERA – 354
15.3.2  Eine Internationale Vergleichsstudie: PISA – 355
15.3.3  Überprüfen von Bildungsstandards – 357

15.4  Vergleichsstudien – Von der Idee zur Testdurchführung – 358


15.4.1  Designs und Stichproben – 358
15.4.2  Theoretische Rahmenkonzeptionen – 360
15.4.3  Testkonstruktion und Itementwicklung – 360
15.4.4  Itemanalysen und Skalierung – 361

15.5  Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen) – 362


15.5.1  Vergleiche von Gruppen – 362
15.5.2  Kompetenzstufen – 364
15.5.3  Disparitäten – 364
15.5.4  Analysen von Zusammenhängen und deren Grenzen – 368
15.5.5  Trends – 369
15.5.6  Vergleichsstudien als politische Instrumente? – 369

15.6  Erweiterungen von Vergleichsstudien – 370


15.6.1  Ergänzungen – 370
15.6.2  Systematische Vernetzung von Vergleichsstudien mit ­
pädagogisch-psychologischer Forschung – 370

15.7  Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien – 371


Literatur – 372

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_15
350 B. Drechsel et al.

Deutsche Schülerinnen und Schüler sind dumm! – ­PISA-Zeugnis 15.1  Was können Schüler? Das Interesse
für Kultusminister: Versetzung gefährdet. – Kinder besser als die an Schülerleistungen
Schulen. – Zehn Jahre Pisa: Die Bildungsschocker. – Für derlei
Schlagzeilen sorgten in Deutschland im letzten Jahrzehnt PISA und Studien wie das „Programme for International Student Assess-
andere Vergleichsstudien. Deren Ergebnisse führen in der Regel ment“ (PISA) oder die „Progress in International Reading
zu intensiven Bildungsdiskussionen und tragen an vielen Stellen Literacy Study“ (PIRLS) betrachten Bildungssysteme aus einer
dazu bei, unser Bildungssystem weiterzuentwickeln. Immer wieder ergebnisorientierten Perspektive. Von der Beantwortung der
werden solche Studien aber auch kritisiert, da sie beispielsweise Frage „Was können Schüler?“ werden Rückschlüsse auf die
einseitig von Wirtschaftsinteressen beeinflusst seien oder deutsche Frage, wie gut ein Schulsystem seinen Aufgaben gerecht wird,
Schüler aufgrund bestimmter Aufgabenformate benachteiligten. erwartet. So wie Leistungsbeurteilungen bei der (individuellen)
Das vorliegende Kapitel beschreibt zentrale Aspekte der Diagnostik von Schülern als Grundlage für Schlussfolgerungen
theoretischen Fundierung, der Testkonstruktion und der Inter- dienen, aufgrund derer Lehrende Lernprozesse unterstützen,
pretation der Ergebnisse von internationalen und nationalen können Ergebnisse aus Vergleichsstudien Aufschluss über die
Schulleistungsstudien und legt dar, welche Funktionen diese Qualität des Bildungssystems geben: Sie bringen Stärken und
Studien im Bildungssystem übernehmen können. 7 Abschn. 15.1 Schwächen im Vergleich zu anderen Staaten oder Gruppen
beleuchtet zunächst den historischen Zusammenhang, aus dem zutage (Benchmarkingfunktion) und liefern eine Datengrund-
Schulleistungsstudien entstanden sind. 7 Abschn. 15.2 betrachtet lage für Überlegungen zur Veränderung und Verbesserung
Schulleistungsstudien systematisch: Welche Varianten solcher (Monitoringfunktion; 7 Exkurs „Was können Erwachsene?“).
Studien gibt es und wie kann man sie klassifizieren? Welche Anders als bei individuellen Diagnosen (7 Kap. 13, Definition
Studien ziehen internationale und welche nationale Vergleiche? von Schmidt-Atzert und Amelang 2012) steht hier
Anhand dreier Beispiele wird in 7 Abschn. 15.3 ein Spektrum gewissermaßen das Bildungssystem als „Merkmalsträger“ im
von Schulleistungsstudien vorgestellt. Danach behandeln wir die Blickpunkt.
theoretischen Grundlagen und die verschiedenen Konzeptionen,
technische und methodische Voraussetzungen, wie Designs und
Stichproben sowie Besonderheiten der Datenerhebung und -auf- Exkurs
bereitung (7 Abschn. 15.4), und wenden uns Fragen der Aus-
Was können Erwachsene?
wertung und der Ergebnisdarstellung zu (7 Abschn. 15.5). Wie
Auch mit Erwachsenen werden Vergleichsstudien durchgeführt,
jeder Forschungszugang haben auch Schulleistungsstudien nur
um das Kompetenzniveau in einem bestimmten Bereich für
eine begrenzte Reichweite. Deshalb gehen wir auf ihre Grenzen in eine ganze Gesellschaft zu überprüfen. PIAAC, das Programme
7 Abschn. 15.6 ein und beschreiben verschiedene Ergänzungen for the International Assessment of Adult Competencies
und Erweiterungen im Design bzw. in den Stichproben von Schul- (OECD 2013; Rammstedt 2013), ist eine Studie der OECD, die
leistungsstudien, die den beschriebenen Problemen Rechnung in 24 Ländern speziell den Übergang von der Schule in das
Berufsleben und die Kompetenzen Erwachsener untersucht.
tragen. In diesem Zusammenhang wird auch thematisiert, wie
2011/2012 wurden dafür erstmalig Erwachsene im Alter von
Fragestellungen sich entwickeln: Schulleistungsstudien werden 16 bis 65 Jahren befragt. Die nächste Erhebungsrunde ist für
15 erweitert, um bestimmte Fragen aus der pädagogisch-psycho- 2021/22 geplant und PIAAC soll in regelmäßigen Abständen
logischen Forschung tiefergehend bearbeiten zu können. wiederholt werden, um gesellschaftliche Veränderungen in den
Darüber hinaus tragen Befunde aus der pädagogisch-psycho- untersuchten Bereichen Lesekompetenz, alltagsmathematische
Kompetenz und technologiebasiertes Problemlösen
logischen Forschung zur Weiterentwicklung der Studien bei
nachverfolgen zu können.
(7 Abschn. 15.7). Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf
aktuelle Trends bei Vergleichsstudien (. Abb. 15.1).

Je nach Konzeption verwenden Vergleichsstudien ver-


schiedene Begriffe für das zu Messende. Eher curricular
orientierte Studien wie TIMSS (Trends in Mathematics and
Science Study) oder landesbezogene Vergleichsarbeiten sind
Studien, die sich stark auf Fächer und Fachleistungen in
bestimmten Jahrgangsstufen beziehen (Mullis et al. 2005). Sie
können unter dem Begriff Schulleistungsstudie zusammen-
gefasst werden. Bei PISA, dessen Konzeption stärker die
Voraussetzungen für die gesellschaftliche Teilhabe in den
Mittelpunkt stellt, stehen die bis zu einem spezifischen Zeit-
punkt erworbenen Kompetenzen im Vordergrund. PISA
setzt daher nicht bei einer bestimmten Jahrgangsstufe (z. B.
9. Klasse) an, sondern untersucht ein bestimmtes Lebens-
alter (z. B. 15-Jährige), etwa weil die Mehrheit der Jugend-
lichen in diesem Alter vor dem Übertritt in das Berufsleben
. Abb. 15.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) steht (OECD 2019). Die Aufgaben, die in solchen Tests
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
351 15
gestellt werden, sind anwendungsbezogen und realitäts- Inputfaktoren In den ersten Statistiken über Bildungs-
nah. Das Wissen, die Fertigkeiten und die Strategien, die systeme wurden vorwiegend Inputfaktoren berück-
zur erfolgreichen Bearbeitung dieser Probleme notwendig sichtigt, beispielsweise der Anteil der Bildungsausgaben
sind, werden in neueren Studien meist unter dem Begriff am Bruttosozialprodukt, die Größe von Schulklassen
Kompetenz zusammengefasst. Im Mittelpunkt des Interesses oder die Lehrerausstattung. Dieser Input wurde als aus-
steht weniger die Fähigkeit, bestimmte Schulleistungen zu sagekräftig für Bildungsbemühungen angesehen (Bos und
erbringen, als vielmehr die Frage, wie gut Schülerinnen und Postlethwaite 2001).
Schüler auf bestimmte Anforderungen vorbereitet sind.
Prozessfaktoren Im Bereich der Prozessfaktoren werden
Definition relevante schulische Faktoren und Merkmale des Unter-
Weinert (2001) definiert Kompetenz als beim Individuum richts in den Blick genommen. Auf der Ebene der Schul-
verfügbare oder durch Individuen erlernbare bereichs- qualität fallen darunter beispielsweise Aspekte wie die
spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Schulkultur, das Schulmanagement, die Kooperation
Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen zwischen Lehrpersonen und die Personalentwicklung. Im
motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften Bereich der Unterrichtsqualität stellen sich Fragen nach den
und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Handlungsweisen der Lehrkräfte. Prozessfaktoren wurden
Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen intensiv im Rahmen der P­ rozess-Produkt-Forschung in den
zu können. Blick genommen (Gage und Needles 1989).

Outputfaktoren Der Output beschreibt die Ergebnisse


Beide Zugangsweisen sind insofern nicht unabhängig und Erträge von Bildungssystemen (Seidel 2008). Generell
voneinander, als sich die von Schülern erworbenen unterscheidet man zwischen kurzfristigen Wirkungen (sog.
Kompetenzen auch in deren Schulleistungen nieder- Outputs, z. B. Schulleistungen) und langfristigen Ergeb-
schlagen. Da außerschulische Lernorte (z. B. Elternhaus, nissen (sog. Outcomes, z. B. Schulabschlüsse, beruflicher
Freundeskreis, Medien) erheblich zum Kompetenzerwerb Werdegang, Schulabbrecherquoten (Scheerens und Bosker
von Kindern und Jugendlichen beitragen, wird in einigen 1997)). Kurzfristige Wirkungen betreffen nach Ditton
Studien von Bildungsergebnissen gesprochen. Ent- (2000) die Leistungen der Schüler, aber auch ihre Ein-
sprechend werden Testleistungen, Einstellungen oder stellungen und Haltungen. Im Rahmen von Schulleistungs-
Werthaltungen von Schülern auch allgemein als Ergebnisse studien wird der Output zum entscheidenden Bezugspunkt
von Bildungsprozessen verstanden (7 Abschn. 15.4.1). für die Beurteilung des Schulsystems und für Maßnahmen
Wenn wir im Folgenden also über Vergleichsstudien zur Verbesserung und Weiterentwicklung. Als Kriterien
oder Large-Scale-Assessments sprechen, sind damit sowohl zur Überprüfung der Wirksamkeit von Schulsystemen
Studien gemeint, die eng an Lehrplänen oder Bildungs- werden Testleistungen in bestimmten Schulfächern oder
standards orientiert Schulleistungen erfragen, als auch Kompetenzbereichen, fächerübergreifende Kompetenzen
Studien, die umfassender die Ergebnisse verschiedener und Merkmale der motivationalen, personalen und sozialen
Bildungsprozesse in den Blick nehmen. Entwicklung verwendet.

Kontextfaktoren Neben der individuellen Kompetenzent-


15.1.1  Outputsteuerung von wicklung hat ein Bildungssystem weitere Ziele zu berück-
Bildungssystemen sichtigen: Bedeutsame Kriterien für ein entwickeltes,
modernes Bildungssystem betreffen auch Aspekte wie
Aktuelle Vergleichsstudien nutzen ein Grundmodell über beispielsweise die Chancengerechtigkeit. Wie gut gelingt
die Wirkungsweise von Bildungssystemen, das den Schwer- es in den Bildungssystemen, Schüler unabhängig von
punkt auf die Beurteilung der Ergebnisse und Erträge von ihrer sozialen oder soziokulturellen Herkunft oder ihrem
Bildungsprozessen legt (Dunkin und Biddle 1974, Kuger Geschlecht zu fördern? Diese Aspekte ordnen sich nach
et al. 2016). Im Grundmodell wird zwischen Input-, Prozess-, dem Grundmodell in den Bereich der Kontextfaktoren ein
Kontext- und Output-Faktoren in einem Bildungssystem (Scheerens und Bosker 1997). In Vergleichsstudien werden
differenziert (vgl. auch Seidel 2008; auch 7 Kap. 14). Eine deshalb Fragen zur Stärke des Zusammenhangs zwischen
Fortführung bzw. Erweiterung dieses Grundmodells stellt sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb untersucht.
beispielsweise das A­ ngebot-Nutzungs-Modell in der Unter-
richtsforschung dar (7 Kap. 4). Allerdings fokussiert dieses
auf die individuellen Verarbeitungsprozesse der Lernenden, 15.1.2  Evaluation und Qualitätssicherung im
während das Grundmodell von Dunkin und Biddle (1974) Bildungssystem: Ein Rückblick
einen allgemeinen strukturellen Rahmen für Prozesse im
Bildungssystem liefert. Im Zentrum der vermittelnden Die ersten großen internationalen Vergleichsstudien
Faktoren für Bildung (Prozesse) stehen vor allem formelle erfolgten in den 1960er-Jahren (. Tab. 15.1). Die First
Bildungseinrichtungen wie die Schule und der Unterricht. International Mathematics Study wurde beispielsweise
352 B. Drechsel et al.

. Tab. 15.1 Internationale Vergleichsstudien im Bildungssystem

Jahr Studien mit deutscher Beteiligung Studien ohne deutsche Beteiligung

2019 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2019), 4. Jahr- Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2019), 8.
gang Jahrgang
2018 Programme for International Student Assessment (PISA) 2018
2016 Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2016
2015 Programme for International Student Assessment (PISA) 2015 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2015),
Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2015), 4. Jahrgang 8. Jahrgang
2012 Programme for the International Assessment of Adult
Competencies (PIACC)
Programme for International Student Assessment (PISA) 2012
2011 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2011), 4. Jahrgang Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2011),
Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2011 8. Jahrgang
2009 Programme for International Student Assessment (PISA) 2009
2008 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007), 4. Jahr- Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007),
gang 8. Jahrgang
2006 Programme for International Student Assessment (PISA) 2006
Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2006
2005 Second Information Technology in Education Study III (SITES III) Third International Mathematics and Science Study 2003
PISA 2003 (TIMSS 2003)
PIRLS 2001 PIRLS – keine Beteiligung an der Replikation von IRLS – Teilen
PISA 2000 mit nationalen Ergänzungen und Erweiterungen der (International Reading Literacy Study)
Stichprobe, SITES II Civic Education Study (CIVICS) – ältere Population, (Second
Civic Education Study (CIVICS) Information Technology in Education Study) SITES I
1995 Third International Mathematics and Science Study (TIMSS; – Third International Mathematics and Science Study (TIMSS; –
Beteiligung an TIMSS II und TIMSS III und TIMSS-Video) keine Beteiligung an TIMSS I)
International Reading Literacy Study (IRLS) Languages in Education Study (LES)
Computers in Education Study (ComPed; Beteiligung an Computers in Education Study (ComPed; keine Beteiligung an
ComPed II und ComPed III) ComPed)
International Assessment of Educational Progress (IAEP
I-Studie)
1985 Study of Written Composition Second International Science Study (SISS)
Classroom Environment Study Second International Mathematics Study (SIMS)
15 1975 Six Subject Study – Beteiligung an First International Science Six Subject Study – keine Beteiligung an Französisch, Lesever-
Study (FISS), Leseverständnis Englisch, Civic Education ständnis, Literatur
1965 First International Mathematics Study (FIMS)

1967 publiziert (Husén 1967). Die Six-Subjects-Study, die CIVICS (Civic Education Study) wieder am internationalen
Englisch und Französisch als Fremdsprachen, Naturwissen- Geschehen. Mit systematischen und umfassenden
schaften, Literatur, Lesekompetenz und politischer Bildung nationalen Bildungsforschungsstudien wurde in den
untersuchte, erschien in den 1970er-Jahren (Thorndike ­90er-Jahren begonnen (Baumert et al. 1996; Lehmann et al.
1973). Weitere Mathematik- und Naturwissenschafts- 1995). Eine „empirische Wende“ erfolgte erst seit Anfang
studien – die Second International Mathematics Study des neuen Jahrtausends, als Deutschland an der damals
(SIMS) und die Second International Science Study (SISS) – neuen OECD-Studie PISA teilnahm. Seit diesem Zeit-
wurden in den 1980er-Jahren veröffentlicht (Postlethwaite punkt wurde damit begonnen, die Qualität des deutschen
und Wiley 1992; Robitaille und Garden 1989). Bildungssystems regelmäßig, systematisch, fortlaufend und
Betrachtet man die Geschichte internationaler Schul- gestützt auf empirische Daten zu überprüfen.
leistungsstudien, so fällt auf, dass Deutschland auf die
Teilnahme an den ersten Studien weitgehend verzichtet
hat. Nur einzelne Bundesländer nahmen an FIMS und 15.1.3  Bildungsmonitoring heute
Teilen der Six-Subjects-Study teil. Erst in den 90er-Jahren
orientierte sich Deutschland mit der Beteiligung an den Eine wichtige Erkenntnis aus den im vorangegangenen
IEA-Studien TIMSS (Third International Mathematics Abschnitt angesprochenen Vergleichsstudien war, dass
and Science Study), RLS (Reading Literacy Study) und deutsche Schüler bezüglich ihres Kompetenzniveaus in
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
353 15
zentralen Basiskompetenzen einen deutlichen Abstand hängt es ab, welche Art von Stichprobe aus welcher Population
gegenüber der Weltspitze aufwiesen. Zugleich wurde gezogen werden muss, ob die Studien national oder inter-
deutlich, dass es an empirisch fundiertem Wissen über national angelegt sein müssen oder welche Domänen und
Erklärungszusammenhänge mangelte. So wurde in den Hintergrundvariablen betrachtet werden.
letzten Jahren damit begonnen, in Deutschland ein Je nach Fragestellungen einer Studie sind bestimmte Ver-
umfassendes und auf modernen Methoden basierendes gleichsperspektiven zur Bewertung der Testleistungen einer
Bildungsmonitoring aufzubauen. umschriebenen Gruppe anzulegen (z. B. Klauer 1987; Rhein-
berg 1998). Die Kompetenz einer Person oder einer Gruppe
Definition kann beispielsweise an der Kompetenz einer anderen
Der Begriff Bildungsmonitoring bezeichnet die Gruppe gemessen werden. Dies geschieht in internationalen
systematische und regelmäßige Erfassung von Vergleichsstudien wie PISA, wo jedem teilnehmenden
Indikatoren für die Qualität eines Bildungssystems oder Staat die Ergebnisse der Tests auf einer gemeinsamen Skala
dessen Teilsysteme. zurückgemeldet werden. Jeder Staat kann sich so einem
normorientierten Vergleich stellen. Diese Ergebnisse
informieren über relative Stärken und Schwächen eines
Ein Monitoring gibt Informationen über den Zustand eines Bildungssystems. Diese Daten können auch für ein Bench-
Systems und dient als Datenbasis für Bildungsberichte. marking verwendet werden, um zu klären, wie andere (etwa
Da Bildungsergebnisse Auskunft über die erreichte Quali- erfolgreichere) Staaten vorgehen. Über mehrere Messzeit-
tät geben und eventuell Nachsteuerungsbedarf anzeigen, punkte entsteht zusätzliches Steuerungswissen.
können sie zur Steuerung des Systems genutzt werden. Eine Einen kriteriumsorientierten Vergleich stellt man
wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Bildungs- an, wenn man die erreichten Kompetenzen an inhaltlich
monitoring besteht darin, gezielt Indikatoren zu identi- definierten Standards oder Bildungszielen misst, wie etwa
fizieren, die relevante Aspekte der Ergebnisqualität, also der den in Lehrplänen oder Bildungsstandards definierten
Outcomes, repräsentieren. Diese Indikatoren werden durch Wissensbeständen oder auch den in theoretischen Rahmen-
die Verwendung empirischer Verfahren erfasst. Hervor- konzeptionen beschriebenen Ansprüchen an eine Grund-
zuheben ist, dass einzelne Schulleistungsstudien nicht alle bildung („literacy“) in einer bestimmten Domäne. So
Aspekte des Bildungssystems erfassen und Vergleichsstudien wird beispielsweise in PISA über die inhaltlich begründete
nur einen Teil aller für das Bildungssystem relevanten Abstufung der Schwierigkeitsskala ermittelt, wie groß die
Indikatoren bereitstellen können; weitere Aspekte von Gruppe besonders schwacher oder besonders leistungs-
Bildungsqualität müssen über zusätzliche Zugänge und mit starker Schüler pro Land ist.
anderen Mitteln erfasst werden, beispielsweise können die Schließlich gibt es eine ipsative Perspektive, die
prozentualen Anteile von Schulabbrechern in vielen Staaten betrachtet, wie sich die Kompetenzen einer Person
über nationale Statistiken festgestellt werden. oder Gruppe über die Zeit verändern oder auch, wie
die Kompetenzen in einem Staat auf einer bestimmten
Klassenstufe sich über die Jahre voneinander unter-
15.2  Klassifikation von Vergleichsstudien scheiden (Trends). Trendanalysen geben Aufschluss,
ob und wie weit ergriffene Maßnahmen zur Beseitigung
Vergleichsstudien verwenden verschiedene Mess- von Schwächen (wie z. B. ein Leseförderprogramm oder
instrumente, darunter Fragebögen, Interviews und Quellen spezielle Unterstützung für Kinder mit Migrationshinter-
z. B. von statistischen Ämtern, zur Ermittlung von Hinter- grund) greifen.
grundinformationen. Vergleichsstudien können anhand Abhängig von den Fragestellungen lassen sich Ver-
einer Reihe von Kriterien definiert und eingeordnet werden. gleichsstudien nach weiteren Gesichtspunkten klassifizieren
Die vorliegenden Vorschläge zur Klassifikation (Cresswell (Seidel und Prenzel 2008).
et al. 2015; Kuger et al. 2016, Sälzer et al. 2017, Seidel und Die Stichproben von Vergleichsstudien unterscheiden
Prenzel 2008) stimmen in vielen Punkten überein. sich insofern, als entweder eine gesamte Population getestet
Der Kern einer Vergleichsstudie ist demnach die (beispielsweise bei Vergleichsarbeiten in einem Bundes-
Testkomponente: Schüler werden mit Testaufgaben land) oder eine Zufallsstichprobe aus einer umschriebenen
konfrontiert, die Kompetenz messen. Die Antworten der Population gezogen wird. Entsprechend variiert die Reich-
Person auf bestimmte Testaufgaben dienen als Indikator weite einer Studie bzw. die Generalisierbarkeit der Ergeb-
für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch außerhalb der nisse. Vergleichsstudien können eine Anzahl von Staaten,
Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder ein vergleich- einen bestimmten Staat und seine Untergliederungen
bares Problem lösen zu können. Aus der Testleistung eines (wie z. B. die kanadischen Provinzen oder die Länder der
Schülers oder einer Schülerin wird also auf das Potenzial Bundesrepublik Deutschland), eine bestimmte Region oder
bzw. die Kompetenz der Person geschlossen. ein Bundesland, eine Schulart oder eine bestimmte Gruppe
Das zentrale Kriterium zur Klassifikation von Vergleichs- von Schulen (beispielsweise Ganztagsschulen) umfassen
studien sind ihre Fragestellungen. Von den Fragestellungen (7 Exkurs „Kombinierte Vergleichsstudien“).
354 B. Drechsel et al.

Exkurs Konsortien, die aus mehreren Instituten besetzt werden,


mit der Durchführung der Studie. In Deutschland wurde
Kombinierte Vergleichsstudien zur Wahrnehmung nationaler Aufgaben im Bildungs-
Es gibt auch besondere Kombinationen internationaler monitoring von der Kultusministerkonferenz das Institut
Studien mit nationalen Komponenten, etwa die Stichproben- zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in
erweiterungen in mehreren OECD-Teilnehmerstaaten, die Berlin institutionalisiert. . Tab. 15.2 gibt einen Überblick
ihre PISA-Stichprobe so vergrößert haben, dass nicht nur wichtiger und im Kapitel beschriebener Studien.
Ergebnisse auf nationaler, sondern auch auf regionaler Ebene
berichtet werden können (z. B. in Deutschland, Spanien,
Italien und Kanada). Neben dem Mittelwert für Deutschland
werden in der Erweiterung PISA-E Mittelwerte für jedes Land 15.3  Drei beispielhafte Vergleichsstudien
der Bundesrepublik Deutschland ermittelt. Der besondere
Vorteil solcher Kombinationen liegt darin, dass neben dem Im folgenden Abschnitt stellen wir drei Vergleichsstudien
sehr aufschlussreichen nationalen Binnenvergleich der Länder
genauer vor, um einen Eindruck von der Bandbreite der
untereinander auch der internationale Bezugspunkt erhalten
bleibt (7 Abschn. 15.3.2 und 15.6). unterschiedlichen Varianten zu geben. VERA und die „Über-
prüfung der Bildungsstandards“ sind nationale Studien, PISA
hat den internationalen Vergleich zum Ziel. Während VERA
auch Grundschüler als Zielgruppe hat, setzen die beiden
Ein wichtiges Merkmal von Vergleichsstudien ist die inhalt- anderen Varianten von Vergleichsstudien im Sekundar-
liche Ausrichtung: Welche Domänen werden untersucht bereich an. Während VERA und PISA mit wiederkehrenden
und auf welcher theoretischen Basis werden die Bereiche Erhebungsrunden arbeiten, sollte die „Überprüfung der
definiert? In der Vergangenheit wurden insbesondere die Bildungsstandards“ einen Test konzipieren und erproben,
mathematische und die naturwissenschaftliche Kompetenz dessen Aufgaben eine Grundlage für die regelmäßige Über-
sowie die erstsprachliche und die Fremdsprachen- prüfung der Bildungsstandards sein soll.
kompetenz untersucht. Manche Studien fokussieren auf
die Inhalte bestimmter Schulfächer (curriculumorientierte
Studien), in anderen Studien steht eher die anschlussfähige, 15.3.1  Flächendeckende Erhebung des Lern-
zur Bewältigung des Berufs- und Privatlebens erforderliche und Leistungsstands: VERA
Kompetenz im Mittelpunkt.
Eng verknüpft mit der inhaltlichen Ausrichtung ist die Das Projekt Vergleichsarbeiten (VERA) ist eine flächen-
Auswahl von Hintergrund- und Kontextmerkmalen. Die deckende Lernstandserhebung, die u.a. in den Fächern
entsprechenden Daten werden meist durch Fragebögen Mathematik und Deutsch durchgeführt wird. Die Studie ist
erhoben. Vergleichsstudien beziehen bisher oft nur die ein Beispiel für eine Vergleichsstudie nationaler Reichweite,
Schüler ein, die Teil des allgemeinbildenden Schulsystems die nicht mit einer Stichprobe, sondern mit einer Vollerhebung
sind. Die Zielgruppe ist dabei wahlweise eine bestimmte der 3. und 8. Klassen arbeitet. Entwickelt wurde die Konzeption
15 Altersgruppe (z. B. 15-Jährige) oder die Angehörigen einer des Projekts im Jahr 2002 von Helmke und Hosenfeld in
oder mehrerer Klassenstufen (z. B. Viertklässler). Kooperation mit dem rheinland-pfälzischen Ministerium
Bezüglich des Designs von Vergleichsstudien kann für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur (Helmke und
zwischen quer- und längsschnittlich angelegten Unter- Hosenfeld 2003a, b). Mittlerweile wird VERA vom IQB und
suchungen differenziert werden. Wenn Daten zu mehreren den Landesinstituten bzw. Qualitätsagenturen der Länder
Erhebungszeitpunkten gewonnen werden, kann entweder gemeinsam organisiert und durchgeführt (7 https://www.iqb.
ein und dieselbe Stichprobe immer wieder untersucht werden hu-berlin.de/vera). Seit 2010 nehmen auch Südtirol und die
oder es wird zu jeder Erhebungsrunde eine Stichprobe der Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens an VERA-3 teil.
entsprechenden Alters- oder Jahrgangsstufe gezogen. Ziel des Projekts ist es, flächendeckend und jahrgangs-
Ein letzter Gesichtspunkt zur Einordnung von Ver- bezogen zu untersuchen, welche Kompetenzen Schüler zu
gleichsstudien ist schließlich die Organisation, die die einem bestimmten Zeitpunkt in den Bereichen Mathematik
Studie verantwortet. Je nach Reichweite der Studie sind und Deutsch erreicht haben. Die Ergebnisse bieten eine
die Organisatoren häufig die Bildungsadministration von empirische Basis, auf der Schulen die Schul- und Unter-
Ländern oder Staaten. Viele Internationale Vergleichs- richtsentwicklung vorantreiben können (Lankes et al.
studien werden von der IEA (International Association 2015; Metzeld et al. 2009). Die für die Vergleichsarbeiten
for the Evaluation of Educational Achievement) oder der benötigten Testaufgaben werden von Lehrkräften ent-
OECD (Organisation for Economic Cooperation and wickelt und in mehreren Durchgängen überarbeitet und
Development) initiiert, die über langjährige Erfahrung mit empirisch anhand von Stichproben überprüft. Leitend für
solchen Studien verfügen. Weitere Organisatoren sind bei- die Testentwicklung sind hierbei die jeweiligen Bildungs-
spielsweise die UNESCO (United Nations Educational, standards für die Fächer Deutsch und Mathematik.
Scientific, and Cultural Organisation) oder das IBE (Inter- In den Schulen führen die Lehrkräfte der teilnehmenden
national Bureau of Education). Die Organisatoren der Klassen die Vergleichsarbeiten durch und werten sie nach
Studien beauftragen wissenschaftliche Institute oder genau vorgegebenen Regeln aus. Für jede Klasse geben
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
355 15
. Tab. 15.2 Klassifikation wichtiger Studien. (Modifiziert nach Seidel und Prenzel 2008, © 2008 by Hogrefe & Huber Publishers (now
Hogrefe Publishing), 7 https://www.hogrefe.com)

PISA TIMSS PIRLS VERA Bildungsstandards

Stichprobe Zufallsstichprobe Zufallsstichprobe Zufallsstichprobe Vollerhebung Zufallsstichprobe


Reichweite International International International National National
Domänen Lesen Mathematik Lesen Deutsch/ Mathematik
Mathematik Naturwissen- Mathematik
Naturwissen- schaften (Englisch/
schaften Französisch)
Ausrichtung Literacy Curriculum Literacy Bildungsstandards Bildungsstandards
Primarbereich mittlerer Schulab-
schluss
Zielgruppe 15-Jährige Klassen 4/8/12 Klassen 3/4 Klassen 3/8 Klasse 9
Design Trend (3-jähriger Trend (4-jähriger Trend (5-jähriger
Zyklus) Zyklus) Zyklus)
Initiator OECD IEA IEA Land Rheinland- KMK
Pfalz/IQB
Vergleichsperspektive
Normorientierter Internationaler Ver- Internationaler Ver- Internationaler Ver- Vergleich auf Verkoppelung mit
Vergleich gleich gleich gleich Landesebene internationalem
Vergleich
Kriterialer Ver- Kompetenzstufen Kompetenzstufen Kompetenzstufen Fähigkeitsniveaus Standards
gleich
Ipsativer Ver- Vergleiche über die Vergleiche über die Vergleiche über die – –
gleich Zeit Zeit Zeit
Wissenserwerb Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv:
Monitoring Monitoring Monitoring Monitoring Monitoring
Benchmark Benchmark Benchmark Benchmark
Korrelationsstudie Korrelationsstudie Korrelationsstudie
PISA Programme for International Student Assessment; TIMSS Trends in Mathematics and Science Study; PIRLS Progress in International
Reading Literacy Study; VERA Vergleichsarbeiten in der Grundschule; OECD Organisation for Economic Cooperation and Development;
IEA International Association for the Evaluation of Educational Achievement; IQB Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen; KMK
Kultusministerkonferenz

die Lehrer über das Internet die Rohdaten sowie relevante 15.3.2  Eine Internationale Vergleichsstudie:
Klassen- und Schülerdaten (z. B. Klassengröße) ein. Die PISA
Auswertungen und Rückmeldungen der Ergebnisse auf
Schüler-, Klassen- und Schulniveau sind Sache der Länder PISA, das „Programme for International Student Assess-
und erfolgen per E-Mail. Beispielaufgaben zu VERA finden ment“, ist der zentrale Teil eines umfassenden Indikatoren-
sich u. a. unter 7 https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben. systems, das die Organisation für wirtschaftliche
VERA erlaubt mehrere Vergleichsperspektiven: Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) organisiert.
5 Normorientierter Vergleich: Die Vergleichsarbeiten PISA untersucht, wie gut junge Menschen am Ende der
ermöglichen eine Standortbestimmung durch den Ver- Pflichtschulzeit auf Herausforderungen der Wissensgesell-
gleich der Ergebnisse von Klassen untereinander und schaft vorbereitet sind. Die erste Erhebungsrunde fand im
mit den jeweiligen Landesergebnissen. Ein sog. fairer Jahr 2000 statt, seither wird PISA alle 3 Jahre durchgeführt.
Vergleich gibt zudem die Möglichkeit, das Klassen- An PISA nehmen die OECD-Mitgliedsstaaten teil, welche
ergebnis mit dem Ergebnis aus einer Klasse in Bezug die Referenz darstellen, an der sich alle teilnehmenden
zu setzen, deren Schülerschaft bezüglich ihrer Hinter- Staaten messen. PISA ist auch für Staaten interessant, die
grundbedingungen vergleichbar ist. selbst nicht der OECD angehören, aber ihre Bildungs-
5 Kriteriumsorientierter Vergleich: Dieser Vergleich wird ergebnisse am OECD-Standard beurteilen möchten. An
gezogen, indem die Leistungen der Klassen mit inhalt- PISA 2006 nahmen 57 Staaten teil, bei PISA 2018 waren
lich definierten Fähigkeitsniveaus verglichen werden. Die es 79.
Ergebnisse lassen sich auf Bildungsstandards sowie Lehr- Die OECD beauftragt in jeder Erhebungsrunde inter-
pläne und Kerncurricula der Grundschulen beziehen. national zusammengesetzte Konsortien mit der Durchführung
356 B. Drechsel et al.

von PISA. In den Teilnehmerstaaten wird PISA nach den das Abprüfen von Lehrplanstoff beschränkt und fokussiert
internationalen Vorgaben und Standards von nationalen bei den Untersuchungen drei Kompetenzbereiche, die in
Institutionen durchgeführt. In Deutschland hat die Kultus- der Wissensgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Jede
ministerkonferenz (KMK) die Durchführung und Bericht- Erhebungsrunde umfasst alle drei Kompetenzbereiche,
erstattung für jede Erhebungsrunde ausgeschrieben und in wobei bei jedem Durchgang ein Bereich vertieft untersucht
Folge nationale Konsortien mit Wissenschaftlerinnen und wird (. Abb. 15.2):
Wissenschaftlern unterschiedlicher Institute (z. B. Max- 5 Die Lesekompetenz, die in der ersten
Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin; Leibniz- ­PISA-Erhebungsrunde den Schwerpunkt bildete und
Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und seither regelmäßig getestet wird, wird als Schlüssel für
Mathematik (IPN), Kiel; oder Deutsches Institut für Inter- den Zugang zu Wissen schlechthin betrachtet, denn der
nationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt) mit der größte Teil des Wissens wird über Texte (unterschied-
Durchführung beauftragt. Ende 2010 wurde von der KMK licher Sorten) transportiert und erschlossen.
zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und 5 Die ebenfalls regelmäßig untersuchte mathematische
Forschung (BMBF) das „Zentrum für Internationale Bildungs- Kompetenz steht weniger für alltägliche Rechenfertig-
vergleichsstudien“ (ZIB) gegründet. Dieses Zentrum plant und keit, sondern für die Nutzung von Mathematik als
verbindet Forschungsarbeiten zu Large Scale Assessments in Werkzeug für die Modellierung von Zusammenhängen
drei Instituten (DIPF, IPN und TUM School of Education); es und für das Lösen von Problemen.
führt – mit Sitz an der TUM School of Education in München 5 Der dritte in jeder Runde erneut untersuchte Bereich
– regelmäßig PISA in Deutschland durch und stimmt sich der naturwissenschaftlichen Kompetenz trägt der
eng mit dem IQB in Berlin ab, das für die nationalen Schul- Tatsache Rechnung, dass Gesellschaft und Kultur von
leistungsstudien verantwortlich ist. den sich dynamisch weiterentwickelnden Naturwissen-
PISA ist vor allem darauf gerichtet, zentrale und grund- schaften und der Technik nachhaltig geprägt werden.
legende Kompetenzen zu erheben, die für die individuellen
Lern- und Lebenschancen und die persönliche wie beruf- Die PISA-Rahmenkonzeptionen für die drei Testbereiche
liche Entwicklung über die Lebensspanne ebenso bedeut- liefern die Grundlage für die Konstruktion der Tests. Das
sam sind wie für die gesellschaftliche, politische und Aufgabenmaterial wird in Test- und Forschungsinstituten
wirtschaftliche Weiterentwicklung. Die Zielgruppe von aus mehreren Ländern in Zusammenarbeit mit dem inter-
PISA sind Jugendliche im Alter von 15 Jahren. Diese Fest- nationalen PISA-Konsortium entwickelt. Darüber hinaus
legung wurde gewählt, da sich Jugendliche dieser Alters- haben alle teilnehmenden Staaten Gelegenheit, selbst Auf-
gruppe in den OECD-Staaten normalerweise noch alle im gaben einzureichen, die in den Test aufgenommen werden,
Pflichtschulsystem befinden, sich zugleich aber dem Ende wenn sie den Kriterien der Rahmenkonzeption ent-
der Pflichtschulzeit und dem Übergang in das Berufsleben sprechen. Die so entstandenen Aufgaben werden in einem
oder in weiterführende Bildungsgänge nähern. Feldtest erprobt. An der Hauptstudie nimmt in jedem Teil-
Welche Anforderungen die Testaufgaben stellen, nehmerstaat eine repräsentative Stichprobe von Schülern
15 ist in ausführlichen Testkonzeptionen beschrieben und teil. Die PISA-Ergebnisse werden zentral analysiert und
begründet, die von Expertenkommissionen in Hinblick schließlich in internationalen und nationalen Berichten ver-
auf die generelle Zielstellung von PISA ausgearbeitet öffentlicht (z. B. Klieme et al. 2010; OECD 2007a; OECD
wurden (z. B. OECD 2016). PISA verwendet eine 2007b; OECD 2010; Prenzel et al. 2007a, Reiss et al. 2016).
­Literacy-orientierte Rahmenkonzeption, die sich nicht auf Auch PISA lässt unterschiedliche Vergleichsperspektiven zu:

Lernansätze, Ein-
Lernansätze, Lernansätze, stellung zu den
Leseengage- Einstellung zur Naturwissenschaf-
ment, -motivation Mathematik ten, kooperatives
und -strategien Problemlösen
(computerbasiert)

. Abb. 15.2 Jahr der Erhebungsrunde, Untersuchungsbereiche mit Schwerpunktdomäne. (PISA Broschüre – Die internationale Schulleistungs-
studie der OECD, OECD 2007, 7 http://www.oecd.org/pisa, mit freundlicher Genehmigung)
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
357 15
5 Die internationale Einordnung der Befunde eines für Mathematik (OECD 2003). Beide Rahmenkonzeptionen
Landes entspricht einem normorientierten Vergleich. beschreiben die Mathematikkompetenz aus einer inhalt-
5 Kompetenzstufen, die eine inhaltliche Beurteilung der lichen und einer prozessorientierten Sicht. Die KMK-­
Kompetenzen enthalten, gestatten kriteriumsorientierte Bildungsstandards unterscheiden „mathematische Leitideen“
Vergleiche. und „mathematische Kompetenzen“ (Kultusminister-
5 Da PISA in aufeinander folgenden Erhebungsrunden konferenz 2004) und definieren Kompetenzstandards
durchgeführt wird, können ipsative Vergleiche gezogen und (vgl. auch Ehmke et al. 2006c).
die Ergebnisse für ein Land über die Zeit betrachtet werden.

PISA ist offen für Ergänzungen und Erweiterungen, Exkurs


solange sichergestellt ist, dass die Studie exakt nach
den internationalen Vorgaben erfolgt (7 Abschn. 15.6). Welche Rolle spielen Bildungsstandards im
Eine Variante der Ergänzung bestand in den ersten Schulsystem?
Runden von PISA in Deutschland darin, die PISA-Stich- Die inhaltliche Diskussion um die Einführung der Bildungs-
probe für einen zweiten Testtag zu nutzen. An diesem standards wurde maßgeblich von der BMBF-Expertise „Zur
zweiten Tag wurden die Schüler gebeten, weitere Tests Einführung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al. 2003)
und Fragebögen zu bearbeiten, die für Forschungs- angeregt. Sie beschreibt die Funktionen, konzeptuellen
Grundlagen und die Entwicklung von Bildungsstandards. Mit der
fragen von nationalem Interesse genutzt wurden. In
Einführung von Bildungsstandards soll ein weiterer Schritt beim
PISA 2006 wurde am zweiten Testtag ein Verfahren zur Wechsel von der Input- hin zur Outputorientierung vollzogen
Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik für werden. Qualitätssicherung im Bildungssystem wird dann nicht
den mittleren Schulabschluss erprobt, das im folgenden allein durch Bildungsprogramme (Lehrpläne) gesteuert, sondern
Abschnitt näher erläutert wird. Beispielaufgaben zu auch über zu erzielende Lernergebnisse (Bildungsstandards).
PISA finden sich unter 7 http://www.pisa.tum.de/
kompetenzbereiche/beispielaufgaben/.

In den Schuljahren 2004/5 bzw. 2005/6 wurden Bildungs-


15.3.3  Überprüfen von Bildungsstandards standards in allen Ländern der Bundesrepublik verbind-
lich eingeführt. Für die Hauptschule und den mittleren
Die Erhebungen zur Erreichung von Bildungsstandards Bildungsabschluss liegen Bildungsstandards für die
stehen exemplarisch für standardorientierte Vergleichs- Fächer Deutsch und Mathematik sowie die erste Fremd-
studien, die auf nationaler Ebene die Qualität der Ausbildung sprache (Englisch und Französisch) und die naturwissen-
bei Schülern vor dem mittleren Bildungsabschluss prüfen. schaftlichen Fächer vor, im Primarbereich in den Fächern
Als eine Reaktion auf PISA 2000 führte die Ständige Deutsch und Mathematik. Standards für die Fächer
Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundes- Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache werden
republik Deutschland (KMK) Bildungsstandards als auch für die allgemeine Hochschulreife entwickelt.
wichtigen Bestandteil eines umfassenden Systems der Quali- Die Testaufgaben werden von Lehrkräften und fach-
tätssicherung schulischer Bildung ein. Für den mittleren didaktischen Experten entwickelt. Auf der Grundlage
Schulabschluss und für den Hauptschulabschluss wurden einer Normierungsstudie werden – ähnlich wie bei PISA
damit Bildungsstandards definiert und verbindliche Ziele (7 Abschn. 15.5.2) – Kompetenzstufenmodelle entwickelt.
und Kriterien festgelegt, anhand derer das Erreichen eines Die Überprüfung der Bildungsstandards erfolgt anhand
Standards erfasst und gemessen werden kann (7 Exkurs einer repräsentativen Stichprobe, im Falle der Standards für
„Welche Rolle spielen Bildungsstandards im Schulsystem?“). den mittleren Bildungsabschluss an Schülern der 9. Jahr-
Eine an PISA 2006 gekoppelte Studie sollte erst- gangsstufe. Ob und inwieweit es gelingt, die in den Bildungs-
mals empirisch überprüfen, inwieweit die Schüler der standards formulierten Lernziele zu erreichen, wird in
9. Klassen die durch die Bildungsstandards beschriebenen Deutschland mittlerweile regelmäßig in mehrjährigen
Anforderungen in Mathematik für den mittleren Bildungs- Abständen überprüft und berichtet. Das IQB stellt regelmäßig
abschluss bewältigen können (Prenzel und Blum 2007). die Ergebnisse dieser Standardüberprüfungen in sogenannten
Die Aufgaben können darüber hinaus als Grundstock für „Ländervergleichen“ und „Bildungstrends“ dar (Köller et al.
weitere Testentwicklungen zur Überprüfung der Bildungs- 2010; Stanat et al. 2012, 2015, 2016). Ähnlich wie bei PISA
standards in Mathematik genutzt werden (Blum et al. 2006; erlauben die Ergebnisse keinen Vergleich auf individueller
Prenzel und Blum 2007). oder Schulebene. Die Befunde werden vergleichend für die
Die Konzeption der Bildungsstandards im Fach Mathematik Länder der Bundesrepublik dargestellt. Beispielaufgaben zu
orientiert sich an den Vorarbeiten der Standards, die vom Bildungsstandards finden sich in den Dokumenten unter
National Council of Teachers of Mathematics (NCTM 2000) 7 http://www.kmk.org/bildung-schule/qualitaetssicherung-in-
entwickelt wurden, und an der PISA-Rahmenkonzeption schulen/bildungsstandards/dokumente.html.
358 B. Drechsel et al.

15.4  Vergleichsstudien – Von der Idee zur mehreren Stichproben unterschiedlicher Alters- oder Jahr-
Testdurchführung gangsstufen und begleiten diese über mehrere Messzeit-
punkte oder Erhebungsrunden. Die Erhebungen in solchen
Die bisherigen Ausführungen illustrieren, dass es nicht komplexen Panelstudien können gewinnbringend mit quer-
„die“ Vergleichsstudie gibt, sondern sich das konkrete Vor- schnittlichen Designs ergänzt werden (vgl. auch Duncan
gehen in den einzelnen Studien deutlich unterscheidet. Was und Kalton 1987). Viele Vergleichsstudien verwenden auch
dies für den konkreten Forschungsprozess bedeutet und eine Kombination der beschriebenen Designs oder ver-
welche Arbeitsschritte im Rahmen der Planung und Durch- koppeln Teilstichproben einer querschnittlichen Studie mit
führung der meisten Vergleichsstudien anfallen, wird in Komponenten längsschnittlicher Designs.
den nächsten Abschnitten behandelt. Vergleichsstudien streben an, repräsentative Aus-
sagen über Kompetenzen und andere Merkmale in einer
Population zu treffen. Um den Aufwand einer Erhebung zu
15.4.1  Designs und Stichproben reduzieren, werden Stichproben von Personen (bzw. von
Schulen, s. unten) gezogen. Die Ziehung der Stichproben
Das Zentrum von Vergleichsstudien ist die Testkomponente. ist ein sehr bedeutsamer (und methodisch anspruchsvoller)
Hinzu kommen Daten zu Hintergrundvariablen, die mittels Schritt im Laufe der Realisierung einer Vergleichsstudie,
Fragebogen, Interview oder Beobachtung erfasst werden. da die Aussagekraft auf Populationsebene mit der Quali-
Gegenstand der Analysen sind Relationen zwischen diesen tät einer Stichprobe steht und fällt. Ein Sonderfall, in dem
Variablen. Stichproben keine Rolle spielen, sind Vollerhebungen wie
Die Entscheidung für ein quer- oder längsschnittliches beispielsweise flächendeckende Lernstandserhebungen, in
Design wirkt sich auf die Möglichkeiten der Interpretation denen alle Schüler einer Population in eine Vergleichsstudie
aus. Vergleichsstudien, die nur zu einem Messzeitpunkt einbezogen werden.
durchgeführt werden, liefern deskriptive Befunde, die zur In Vergleichsstudien werden aus verschiedenen
Standortbestimmung und Bestandsaufnahme beitragen. Will Gründen häufig komplexe Stichproben gezogen. Das
man solide Hinweise auf kausal bedeutsame Bedingungs- bedeutet, dass mehrere Arten der Stichprobenziehung mit-
faktoren erhalten, dann sind Längsschnittdesigns erforder- einander kombiniert werden müssen. Dies hat verschiedene
lich. . Tab. 15.3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Gründe: Einfache Zufallsstichproben setzen voraus, dass
Möglichkeiten, eine Vergleichsstudie zu gestalten. es Listen sämtlicher Schüler gibt, die der Zielpopulation
Zwei der Designs sind querschnittlich angelegte angehören. Dies stellt vor allem bei altersbasierten Stich-
Studien, die wahlweise eine oder mehrere Zielgruppen proben ein Problem dar. Ebenso wichtig ist jedoch ein
(Alters- oder Jahrgangsstufen) einbeziehen, die entweder zweiter, praktischer Grund: Theoretisch können sich die in
einmal getestet werden oder die in mehreren Runden zu einer einfachen Zufallsstichprobe gezogenen Schüler geo-
jedem Erhebungszeitpunkt immer an neuen Stichproben in grafisch sehr weit und auf sehr viele verschiedene Schulen
der jeweiligen Population untersucht werden. Panelstudien verteilen. Der organisatorische Aufwand, der mit einer
15 verwenden längsschnittliche Designs. Dabei wird eine solchen Stichprobe verbunden wäre, ist kaum zu leisten.
Stichprobe aus einer Population über mehrere Messzeit- Stichproben in Vergleichsstudien werden deshalb strati-
punkte hinweg immer wieder getestet und befragt (ein- fiziert. Das heißt, die Zielpopulation wird in verschiedene
fache Panelstudien). Komplexe Panelstudien starten mit Teilstichproben (Strata) unterteilt. Man unterscheidet hier

. Tab. 15.3 Untersuchungsdesigns in Vergleichsstudien. (Modifiziert nach Seidel und Prenzel 2008, © 2008 by Hogrefe & Huber
Publishers (now Hogrefe Publishing), 7 https://www.hogrefe.com)

Design Datenerhebungen Zielgruppe Stichproben

Querschnittlich
Eine Erhebung 1 ≥1 (z. B. Klasse 4, 8, 12) Zufallsstichproben für jede Population zu
jedem Erhebungszeitpunkt
In mehrjährigen Runden wiederkehrende >1 ≥1 Zufallsstichproben für jede Population zu
Erhebungen (Trend) jedem Erhebungszeitpunkt
Längsschnittlich
Einfaches Panel >1 1 Eine Zufallsstichprobe wird zu Beginn
gezogen und zu allen Erhebungszeit-
punkten erneut getestet/befragt
Komplexes Panel >1 ≥1 Mehrere Zufallsstichproben werden
gezogen und zu allen Erhebungszeit-
punkten erneut getestet/befragt
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
359 15
explizit und implizit stratifizierende Variablen. Um einen Beispiel
„sampling frame“, also die Listen dieser Teilstichproben,
zu erstellen, aus denen die Stichproben dann gezogen Stichprobenziehung bei PISA 2006
werden, wird die Zielpopulation unterteilt. Die Schulstich- Im ersten Schritt wurden 227 Schulen für den
probe wird nach Ländern geschichtet, d. h. separat für jedes internationalen Vergleich gezogen. In vier dieser Schulen
Land behandelt (explizit stratifiziert). Die Ziehung wird so gab es zum Testzeitpunkt keine Fünfzehnjährigen mehr.
angelegt, dass sich die gezogenen Schulen innerhalb der Für zwei dieser Schulen konnten Ersatzschulen ermittelt
Schichten proportional zur Zahl der unterrichteten Schüler werden. Insgesamt wurden Daten von Schülerinnen
je nach Schulart auf die unterschiedlichen Schulen verteilen und Schülern aus 225 Schulen ausgewertet, die
(implizit stratifiziert). Die Grundlage für die Stichproben- Teilnahmequote beträgt auf Schulebene somit 100 %.
ziehung sind die Angaben der statistischen Ämter eines Auf Schülerebene liegt die Teilnahmequote bei
Staates (in der Bundesrepublik beispielsweise die Angaben 92,3 %, weil meist wegen Krankheit oder fehlender
der 16 statistischen Landesämter; vgl. z. B. auch Carstensen Elterngenehmigungen Schülerinnen und Schüler
et al. 2007). nicht an der Erhebung teilnahmen. […] Vom Test
Innerhalb der stratifizierten Stichproben werden dann ausgeschlossene Schülerinnen und Schüler wurden
Klumpenstichproben gezogen, die sich dadurch aus- nicht in die Berechnung der Untersuchungs-
zeichnen, dass die zu testenden Personen in Gruppen beteiligung einbezogen; ihr Anteil lag bei 0,66 %. Den
zusammengefasst sind (7 Kap. 14). In Vergleichsstudien internationalen PISA-Regelungen folgend wurden
ist es gängige Praxis, mehrere Klumpenstichproben nach- Schülerinnen und Schüler innerhalb der Schulen
einander zu ziehen: Die primären Stichprobeneinheiten dann ausgeschlossen, wenn sie weniger als ein Jahr in
sind Schulen, die sekundären Stichprobeneinheiten sind Deutschland Deutschunterricht erhalten hatten oder
Schüler (vgl. auch Lohr 1999; Walter und Rost 2011). wenn ihnen aufgrund einer körperlichen, geistigen oder
Es werden Schulen gezogen, deren Zahl von der emotionalen Beeinträchtigung die Teilnahme am Test
angestrebten Genauigkeit der Stichprobenergebnisse nicht möglich war.
abhängt. In den Schulen werden Zufallsstichproben von (Zitiert nach Carstensen et al. 2007, S. 371).
Schülern gezogen. Das Beispiel PISA 2006 illustriert, wie
aus der laut „sampling frame“ vorgesehenen Stichprobe
eine realisierte Stichprobe wird. Eine definierte Zielpopulation sollte innerhalb der Staaten
Wie bereits ausgeführt, werden in Vergleichsstudien alters- möglichst vollständig ausgeschöpft werden. Von voll-
bzw. jahrgangsbasierte Stichproben gezogen (7 Abschn. 15.4.1). ständiger Ausschöpfung spricht man dann, wenn potenziell
In altersbasierten Stichproben entscheidet man sich alle Personen der Zielpopulation für die zu untersuchende
für eine Untersuchungspopulation, die das Lebens- Stichprobe ausgewählt werden können. Es gibt einige,
alter der Schüler als Kriterium nimmt. In diesen Studien wohldefinierte Ausschlussgründe. Ausgeschlossen werden
wird danach gefragt, welche Kompetenzen Jugendliche in der Regel Schüler, die aus körperlichen, geistigen oder
bis zu einem bestimmten Alter entwickeln, unabhängig seelischen Gründen nicht in der Lage sind, selbstständig
davon, auf welcher Klassenstufe sie sich zu diesem Zeit- den Test zu bearbeiten. Ein weiterer Grund kann sein, dass
punkt befinden. Diese Definition bringt es mit sich, dass Schüler die Testsprache nicht gut genug beherrschen, weil
sich Schüler der Stichprobe auf mehrere Klassenstufen sie gerade erst zugewandert sind. Neben diesen Gründen
verteilen, in Abhängigkeit davon, wie die Einschulungs- könnten sich (je nach Regelung) in manchen Ländern
praxis und die Regeln zur Klassenwiederholung in den teil- Schüler oder ganze Schulen weigern, an der Studie teilzu-
nehmenden Staaten sind. Ein Problem der altersbasierten nehmen. Um Verzerrungen der Stichproben, die durch
Stichproben tritt auf, wenn ein nennenswerter Anteil der diese Ursachen zustande kommen könnten, möglichst
Zielpopulation nicht (mehr) die Schule besucht. Dies ist für gering zu halten, werden in Vergleichsstudien auf Schul-
15-Jährige in einigen Staaten der Fall, beispielsweise in der ebene und auf der Ebene der Schüler jeweils Mindestaus-
Türkei (über 40 %), in Mexiko (über 35 %) oder Portugal schöpfungsquoten definiert. Diese Mindestquoten müssen
(über 10 %). Man kann vermuten, dass die Jugendlichen, erreicht werden, damit die Daten eines Landes berichtet
die aus diesem Grund nicht an PISA teilnehmen, zu den werden.
kompetenzschwächeren gehören. Das bedeutet, dass so das Die Wahrscheinlichkeit, in die Stichprobe aufgenommen
Kompetenzniveau der Population der 15-Jährigen in diesen zu werden, ist aufgrund der expliziten Stratifizierung nach
Staaten u. U. überschätzt wird. Schularten nicht für alle Schüler gleich. Die Stichprobe
360 B. Drechsel et al.

ist damit zwar zufällig gezogen, was aber nicht bedeutet, Expertengruppen unter Berücksichtigung des Forschungs-
dass sie repräsentativ für die Zielpopulation ist. Um diese standes erarbeitet werden. Dabei verspricht man sich auch,
Repräsentativität herzustellen, wird für jede Schülerin und der Gefahr zu entgehen, am Ende nur typisches Schulbuch-
jeden Schüler ein sog. individuelles Gewicht berechnet. wissen abzufragen, das Schüler sich kurzfristig angeeignet
Die Gewichte drücken aus, wie viele Schüler der haben. Vielmehr möchte man sie mit lebensnahen
Population jede Schülerin bzw. jeder Schüler repräsentieren Anforderungen konfrontieren, die eine flexible, situations-
soll. Das Gewicht gibt somit die Zahl der Jugendlichen in angemessene Anwendung von Wissen verlangen.
der Population je Person in der Stichprobe an. Die Aus- Die Erhebungen bei Vergleichsstudien beschränken
wertungen von Ergebnissen, auf die die so konstruierten sich nicht nur auf Tests (Kuger et al. 2016). Unter dem
Gewichte angewendet werden, beziehen sich auf die Fall- Begriff „Hintergrund- und Kontextmerkmale“ ver-
zahlen der zugrunde liegenden Population, und die bergen sich Merkmale, die mit den Bildungsergebnissen
Stichprobenergebnisse lassen sich auf diese Population ver- der Schüler (Outputs) assoziiert sind und deren Lern-
allgemeinern (vgl. auch Walter und Rost 2011). und Lebensumgebungen zugeordnet werden können
(Kontextfaktoren). Es werden Lern- und Entwicklungs-
bedingungen erhoben, die vor allem das Elternhaus, die
15.4.2  Theoretische Rahmenkonzeptionen Schule und den Unterricht charakterisieren (Prozess-
faktoren; 7 Abschn. 15.1.1). Mit der Erhebung von Hinter-
Die Rahmenkonzeption einer Vergleichsstudie beschreibt grundmerkmalen auf diesen unterschiedlichen Ebenen
die Anforderungen an die Konstruktion der Testverfahren können nicht nur aufschlussreiche Informationen über
und Fragebögen. Die Testkonzeptionen beziehen sich auf Bedingungen des Aufwachsens und diesbezügliche Unter-
die zugrunde liegende bildungstheoretische Auffassung schiede gewonnen werden. Die Erhebungen geben auch
und berücksichtigen den aktuellen Forschungsstand. Sie die Möglichkeit, die unter verschiedenen Bedingungen ent-
sind an der zu testenden Zielpopulation und den Zielen der wickelte Kompetenz von Schülern zu vergleichen, auf der
jeweiligen Studie orientiert. nationalen wie internationalen Ebene. Damit können auch
Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, Kompetenz- Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit bestimmte
messungen normativ zu verankern: Die IEA orientiert sich Lebensbedingungen (z. B. Merkmale der Herkunft) in den
beispielsweise an curricularen Vorgaben und prüft, inwieweit einzelnen Ländern systematisch mit Kompetenzunter-
diese von den Schülern erreicht werden. Aus der Sicht von schieden – also unterschiedlichen Chancen auf eine erfolg-
Schule erscheint ein curricularer Bezugspunkt als nahe- reiche Kompetenzentwicklung – verknüpft sind.
liegend, denn man hofft so zu erfahren, inwieweit die Lehr- In vielen Studien werden neben den teilnehmenden
pläne in Wissen und Können umgesetzt werden. Für den Schülern auch die Schulleitungen und/oder Lehrpersonen
internationalen Vergleich können die Überschneidungs- mittels Fragebögen befragt, um Prozessinformationen
bereiche der Curricula in den teilnehmenden Staaten der über die schulische und unterrichtliche Lernumgebung
Kompetenzmessung in einer bestimmten Jahrgangsstufe zu sammeln. Einen Einblick in die familiäre Situation und
15 zugrunde gelegt werden. Da in der Mathematik und in den das soziale Umfeld der Familie geben immer häufiger auch
Naturwissenschaften am ehesten international gemeinsame Fragebögen an die Eltern der Schüler.
curriculare Anforderungen vorliegen, sind diese Fächer
traditionell die Favoriten für internationale Vergleichs-
studien. Dennoch stellen sich auch bei diesen Fächern zahl- 15.4.3  Testkonstruktion und
reiche Probleme, die vor allem auf Unterschiede in der Itementwicklung
Organisation und Sequenzierung der nationalen Curricula
zurückzuführen sind. Die Testentwicklung erfolgt auf der Basis der Rahmen-
Unter anderem deshalb wird in neueren Vergleichs- konzeption und erfordert festgelegte Arbeitsschritte. Die
studien (wie in PISA) eine andere Vorgehensweise gewählt. zentralen Kriterien für die Aufgabenkonstruktion sind
Statt der Erfüllung bestehender Curricula steht bei Literacy- folgende:
orientierten Studien die Frage im Mittelpunkt, wie gut 5 Die Aufgaben müssen die bildungstheoretischen Grund-
Schüler eines bestimmten Lebensalters Kompetenzen gedanken der jeweiligen Testkonzeption verkörpern.
entwickelt haben, die für ein lebenslanges Lernen in der 5 Die Aufgaben müssen die in der Testkonzeption
Wissensgesellschaft und für die aktive Teilhabe am Leben unterschiedenen inhaltlichen Aspekte umsetzen und
einer Gesellschaft von Bedeutung sind. Nun steht diese repräsentieren.
Perspektive nicht unbedingt einer curricularen Sicht ent- 5 Die Aufgaben müssen eine reliable, valide und inter-
gegen – die Präambeln von Lehrplänen sprechen ja auch national vergleichbare Leistungsmessung ermöglichen.
vergleichbar anspruchsvolle Zielvorstellungen an. Allerdings
verfolgen die Literacy-orientierten Ansätze die Absicht, Die Aufgabenentwürfe werden in einem mehrstufigen
sich zu vergewissern, welche Kompetenzen relevant und Verfahren überprüft und weiterentwickelt (. Abb. 15.3).
anschlussfähig sind. Da solche Anforderungen nicht (wie bei Einzelne Schüler werden beispielsweise gebeten, Aufgaben
Lehrplänen) in kodifizierter Form vorliegen, müssen sie von zu bearbeiten und dabei „laut zu denken“. Es folgen erste
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
361 15
sein müssen. Die Übersetzungen werden nach fest-
geschriebenen Übersetzungsregeln angefertigt.
Aufgrund der z. T. großen organisatorischen Unter-
schiede zwischen den Schulsystemen der Staaten, die an
Vergleichsstudien teilnehmen, sind Anpassungen der
Fragebögen nötig. Beispielsweise gilt es, gegliederte und
nicht gegliederte Schulsysteme vergleichbar zu machen,
die Qualifikationsniveaus von Lehrkräften zu vergleichen
oder – beispielsweise für die Beschreibung des sozialen und
kulturellen Hintergrundes – Indikatoren für Wohlstand zu
finden. Diese Prozedur ist aufwändig und erfolgt unter der
Leitung der Organisatoren der Studie, die die Anpassungen
und Spezifikationen prüfen und auf Vergleichbarkeit
achten. Jede Anpassung, die im Fragebogen vorgenommen
wird, muss sorgfältig geprüft und genehmigt werden.

Testdesign Die Aussagekraft von Vergleichsstudien


hängt davon ab, inwieweit es gelingt, die Kompetenzen
(auf der Ebene von Staaten oder Personengruppen) mög-
lichst genau zu schätzen. Dazu ist es einerseits erforder-
. Abb. 15.3 Das Verfahren zur Aufgabenentwicklung im Überblick lich, eine große Zahl von Aufgaben zu verwenden, um den
jeweiligen Bereich umfassend und in der nötigen Breite zu
testen. Anderseits kann man die Schüler nicht tagelang mit
Überprüfungen der Aufgaben mit kleinen Schülergruppen, Aufgaben testen. Um diesen gegenläufigen Ansprüchen
die die Aufgaben bearbeiten und die man dann bittet, diese gerecht zu werden, nutzt man in Vergleichsstudien ein
nach verschiedenen Gesichtspunkten aus ihrer Perspektive besonderes Testdesign, das sog. Multi-Matrix-Design. Die
zu bewerten. Nach diesen Prüfungen und eventuellen Menge der Testaufgaben wird nach einem bestimmten Ver-
Überarbeitungen werden die Aufgabenentwürfe inner- fahren auf mehrere Schüler verteilt. Sie erhalten jeweils eine
halb der Expertengruppen und im Kreis der nationalen Teilmenge der Aufgaben aus den Aufgabenblöcken, die
Projektmanager aus den Teilnehmerstaaten beurteilt. Unter damit eine umfassende und statistisch präzise Schätzung
anderem werden die fachliche Richtigkeit der Aufgaben, die der Kompetenzwerte für Staaten oder Schülergruppen
Nähe zum jeweiligen Curriculum des Landes, eine mögliche ermöglicht (allerdings können darüber die Kompetenzen
kulturelle oder geschlechterbezogene Benachteiligung durch individueller Schüler nicht exakt bestimmt werden).
die Art oder das Thema der Aufgabe, die Interessantheit und . Abb. 15.4 zeigt als Beispiel für ein solches
die Schwierigkeit der Aufgaben bewertet. Diejenigen Auf- ­Multi-Matrix-Design das Testdesign des internationalen
gaben, die den Aufgabenentwicklungsprozess bis zu diesem Tests in PISA 2006: Insgesamt wurden 13 Testhefte ein-
Punkt „überlebt“ haben, werden dann in einem inter- gesetzt, die in verschiedenen Varianten Teile der drei
nationalen Feldtest erprobt (Drechsel und Prenzel 2008). Tests in Naturwissenschaften, Lesen und Mathematik ent-
halten (Prenzel et al. 2007b).
Antwortformate Die in Vergleichsstudien eingesetzten Die Testhefte bei PISA sind in verschiedene Aufgaben-
Aufgaben weisen unterschiedliche Antwortformate auf. blöcke à 30 min eingeteilt. Am Schluss des Tests füllen alle
Bei einem Teil der Aufgaben müssen die Schüler unter Schüler zusätzlich die Fragebögen aus. Die Testitems sind
mehreren vorgegebenen Antwortmöglichkeiten eine oder in sog. Units gruppiert: Mehrere thematisch zusammen-
mehrere korrekte Lösungen markieren (Mehrfachwahl gehörende Items sind in eine Aufgabe (Aufgabenein-
bzw. Multiple Choice). Bei anderen Antwortformaten heit) eingebaut. Die Aufgabe beginnt normalerweise mit
sollen die Schüler eine eigene Antwort formulieren, die einer einführenden Passage (einem Text, oft mit einem
aus einem einzigen Wort oder einer Zahl (Kurzantwort) Bild oder einer Tabelle, etc.), die dazu dient, die Schüler
oder aus mehreren Sätzen (manchmal auch Zeichnungen) in eine bestimmte realitätsbezogene Situation (zugleich
besteht (offenes Antwortformat). einen Anwendungskontext für Wissen) einzuführen.
Dann folgen 3 oder 4 Items (also Testfragen), die auf diese
Übersetzungen In internationalen Vergleichsstudien Situation bezogen sind.
ist die Übersetzung der Testinstrumente eine besondere
Herausforderung, denn die Testaufgaben, Fragebögen und
Manuale in den verschiedenen Sprachen müssen mehr 15.4.4  Itemanalysen und Skalierung
oder weniger identisch sein. Das heißt, dass die Über-
setzungen auch bezüglich ihrer sprachlichen Komplexi- Aus den Angaben der Schüler in Test und Frage-
tät und der Schwierigkeit der Begriffe vergleichbar bogen, den Angaben der Schulleitungen und ggf. der
362 B. Drechsel et al.

. Abb. 15.4 Design des internationalen Tests in PISA 2006. (Aus Prenzel, M., Carstensen, C. H., Frey, A., Drechsel, B. & Rönnebeck, S. (2007b).
PISA 2006 – Eine Einführung in die Studie. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichs-
studie (S. 49). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)

Eltern oder Lehrkräfte werden Datensätze erstellt, die nach Personenfähigkeiten und Aufgabenschwierigkeiten
zur zentralen Auswertung weitergegeben werden. Die differenzieren. Aus beiden ergibt sich die Lösungswahr-
Skalierung der Tests ist der erste und grundlegende Aus- scheinlichkeit für eine richtige oder falsche Bearbeitung der
wertungsschritt. Auf der Basis von Modellen der Item- einzelnen Aufgabe durch jede Person (Rost 2004; 7 Exkurs
Response-Theorie werden sog. Parameter bestimmt, die „Modelle der ­Item-Response-Theorie“).

Exkurs

Modelle der Item-Response-Theorie


Mit Vergleichsstudien wird das Ziel merkmalen gebracht. Es wird eine Die zur Skalierung verwendeten Modelle
verfolgt, Aussagen über die Qualität Auswertungsmethode verwendet, die haben die Eigenschaft, dass die Fähigkeit
von Bildungssystemen zu treffen. Zu optimierte Schätzwerte für große Gruppen bzw. Kompetenz einer Person bezüglich
diesem Zweck werden die Ergebnisse für liefert. Bei Vergleichsstudien spielen damit einer Aufgabe und gleichzeitig die
Personengruppen (wie z. B. Schüler eines die Testleistungen einzelner Personen (z. B. (empirisch bestimmte) Schwierigkeit der
15 Staates, Mädchen in einer Schulart, die einzelner Schüler) nur insofern eine Rolle, Aufgabe auf derselben Skala abgebildet
kompetentesten Schüler in Mathematik als sie einen Beitrag zum Gesamtbild liefern. werden kann (für einen genaueren
etc.) analysiert und in Zusammenhang Individuelle Kompetenzen kann man mit Überblick vgl. z. B. Carstensen et al. 2004;
mit verschiedenen Hintergrund- dieser Methode nicht optimal bestimmen. Rost 2004; Sälzer 2016).

Das Ziel der Skalierung ist es, die Antworten der Schüler 15.5  Auswertungsverfahren und Ergebnisse
auf die Testfragen so zu analysieren, dass sie auf einer (mit Beispielen)
gemeinsamen Skala betrachtet werden können und die
Kompetenzen der Jugendlichen verglichen werden können. Die in 7 Abschn. 15.3.2 beschriebenen Vergleichsperspektiven
Damit die Personen bzw. Personengruppen bezüglich der bestimmen, welche Ergebnisse ermittelt werden und ent-
gemessenen Kompetenz miteinander verglichen werden scheiden dementsprechend auch über die Auswertungsver-
können, muss eine Skala eindimensional sein. Außerdem fahren. Im Folgenden werden Auswertungsverfahren und
muss eine Skala möglichst messgenau sein, d. h. die Ergebnisse dargestellt, mit denen man bei der Auseinander-
anvisierte Kompetenz möglichst zuverlässig und präzise setzung mit Ergebnisberichten zu Vergleichsstudien häufig
erfassen. konfrontiert ist.
Die Fragebögen werden analog zum Vorgehen bei den
Testaufgaben skaliert (ebenfalls häufig unter Anwendung
von Modellen der Item-Response-Theorie). Die Analysen 15.5.1  Vergleiche von Gruppen
zur Dimensionalität und Zuverlässigkeit informieren über
die Qualität und die Eignung der Fragebogenskalen für die Wie bereits ausgeführt, steht in Vergleichsstudien meist eine
weiteren Auswertungen. normorientierte Perspektive im Vordergrund. In diesem
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
363 15
Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sich Vergleichs- Mittelwert zur exakten Betrachtung über die Zeit am
studien in erster Linie zum Vergleich der Ergebnisse von OECD-Mittel von PISA 2000 normiert. Die Lesekompetenz
Gruppen eignen und nur bedingt Aufschluss über die hat sich in den 15 Jahren seit PISA 2000 im Mittel der
Leistung oder die Bildungsergebnisse einzelner Individuen OECD-Staaten verringert. Deshalb liegt der OECD-Mittel-
(z. B. einzelner Schüler) geben (zur Individualdiagnostik wert in . Abb. 15.5 bei 493 Punkten. Der normierte Mittel-
7 Kap. 13). Zur Illustration zeigt . Abb. 15.5 die Ergebnisse wert bildet die Referenz für die Ergebnisse aller anderen
aus PISA 2015 zur Lesekompetenz. Teilgruppen (z. B. einzelner Staaten), die mit dem OECD-
Die Festlegung einer gemeinsamen Skala für die Mittelwert verglichen und beurteilt werden.
Testergebnisse erleichtert den Vergleich von Mittel- Neben dem arithmetischen Mittel sind weitere Kenn-
werten zwischen den Gruppen. Dabei bietet sich das werte der Verteilung der Leistungen für die Inter-
arithmetische Mittel für Vergleiche der im Durchschnitt pretation von Bedeutung. Ein typischer Kennwert für
von einer Teilgruppe erreichten Kompetenzwerte an. die Streuung ist die Standardabweichung. Um die Ver-
Diese sog. Kompetenzskalen werden häufig normiert, d. h. gleiche zwischen Gruppen auch in dieser Hinsicht zu
es gibt einen über alle beteiligten Gruppen berechneten erleichtern, normiert man Kompetenzskalen für Mittelwert
Durchschnittswert, der die Referenz für die einzelnen und Standardabweichung. Für das Beispiel PISA bedeutet
Teilgruppen bildet. In PISA beispielsweise liegt dieser dies: Die Standardabweichung aller Messwerte über die
normierte Mittelwert bei 500 Punkten und entspricht dem ­OECD-Staaten wird bei der Normierung der Skalen auf
OECD-Durchschnitt. Bei PISA 2006 wurde der OECD-
­ 100 Punkte festgelegt.

. Abb. 15.5 Mittelwerte und


Streuungen für Lesekompetenz Naturwissenschafts- Steigung des sozialen Stärke des
in PISA 2015; M arithmetisches kompetenz- Gradienten Zusammenhangs
Mittel; SD Standardabweichung; Achsen-
OECD-Staaten abschnitt (SE) Steigung (SE) R2 (SE)
SE Standardfehler. (Nach Reiss,
Island 470 (1.8) 18.2 (2.0) 3.2 (0.7)
K., Sälzer, C., Schiepe-Tiska, A., Japan 545 (2.7) 21.2 (1.6) 4.5 (0.6)
Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.) Korea 518 (2.8) 26.2 (2.0) 5.8 (0.9)
(2016). PISA 2015. Eine Studie Norwegen 491 (2.0) 26.7 (1.5) 6.5 (0.7)
zwischen Kontinuität und Kanada 526 (1.8) 26.3 (1.2) 7.3 (0.6)
Innovation (S. 465). Münster: Australien 509 (1.4) 28.7 (1.3) 7.6 (0.7)
Waxmann. © Waxmann Verlag. Finnland 533 (1.9) 27.0 (1.7) 7.8 (0.9)
Verwendung mit freundlicher Mexiko 429 (2.1) 20.4 (1.5) 7.9 (1.1)
Genehmigung) Lettland 495 (1.4) 22.9 (1.4) 8.2 (1.0)
Estland 537 (2.0) 26.9 (1.6) 8.3 (0.9)
Polen 512 (2.3) 25.3 (1.6) 8.4 (1.0)
Türkei 447 (4.1) 25.4 (2.8) 8.4 (1.9)
Vereinigte Staaten 499 (2.5) 28.4 (1.8) 8.5 (1.0)
Dänemark 503 (2.1) 25.9 (1.5) 8.7 (1.0)
Vereinigtes Königreich 510 (2.1) 29.7 (1.6) 8.9 (0.9)
Irland 505 (2.1) 27.8 (1.4) 9.7 (0.9)
Spanien 501 (1.7) 25.4 (1.2) 9.8 (0.9)
Italien 487 (2.4) 29.5 (1.7) 10.3 (1.1)
Niederlande 509 (2.1) 35.1 (2.0) 10.6 (1.2)
Israel 465 (2.7) 35.1 (2.1) 10.7 (1.2)
Schweden 492 (2.5) 35.2 (2.0) 11.1 (1.2)
Neuseeland 511 (2.2) 37.9 (2.0) 11.7 (1.1)
Slowakei 478 (2.3) 34.5 (2.1) 12.1 (1.3)
Österreich 501 (2.0) 35.2 (1.8) 12.7 (1.2)
Griechenland 462 (3.2) 30.6 (1.9) 12.7 (1.3)
Chile 462 (2.3) 30.3 (1.5) 13.0 (1.2)
Deutschland 521 (2.2) 37.9 (1.8) 13.2 (1.1)
Slowenien 515 (1.3) 34.7 (1.4) 13.2 (1.0)
Schweiz 509 (2.5) 37.0 (1.8) 14.3 (1.2)
Portugal 509 (2.0) 33.4 (1.6) 14.9 (1.4)
Tschechische Republik 506 (2.0) 41.0 (1.9) 15.1 (1.2)
Frankreich 507 (1.6) 39.1 (1.6) 16.0 (1.3)
Belgien 508 (1.6) 40.6 (1.6) 18.0 (1.2)
Ungarn 491 (2.1) 43.3 (1.9) 20.4 (1.5)
Luxemburg 495 (1.2) 46.3 (1.3) 23.0 (1.1)
OECD-Durchschnitt 499 (0.4) 31.1 (0.3) 10.9 (0.2)

Anmerkung: Prädiktorvariable ist HISEI. Der farblich gekennzeichnete Unterschied zum OECD-Durchschnitt bezieht sich auf
die Stärke des Zusammenhangs.

signifikant unter dem nicht signifikant verschieden signifikant über dem


OECD-Durchschnitt vom OECD-Durchschnitt OECD-Durchschnitt
364 B. Drechsel et al.

Tabellen mit Mittelwertvergleichen enthalten außerdem komplexer und unbekannter Inhalte sowie die Übertragung
Angaben über den sog. Standardfehler der Schätzung des von Konzepten und die Anwendung domänenspezifischer
Populationskennwertes. Mithilfe von Zufallsstichproben Prozesse auf unbekannte Situationen und Fragestellungen.
wird versucht, Aussagen über Merkmalsverteilungen in einer
Population (Grundgesamtheit) zu treffen (7 Abschn. 15.4.3).
Allerdings sind diese Schätzungen auf der Basis von Stich- Exkurs
proben immer fehlerbehaftet. Die Größe des Fehlers
wiederum lässt sich anhand der (gemessenen) Streuung in Was sind Kompetenzstufen?
der Stichprobe im Verhältnis zur Stichprobengröße schätzen. Verfahren zur Festlegung von Kompetenzstufen waren erstmals
Die angegebenen Standardfehler kann man auch nutzen, um in der TIMS-Studie angewendet und berichtet worden. Dieser
anhand der geschätzten Populationswerte zu prüfen, ob sich methodische Zugang wurde bei PISA weiter verfeinert (OECD
2002) und scheint inzwischen Routine zu sein. Beispielsweise
die Mittelwerte von zwei Gruppen überzufällig (mit einer ist die Festlegung von Kompetenzstufen derzeit auch das
Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %) unterscheiden. Verfahren der Wahl bei der Umsetzung der Bildungsstandards.
Eine Rangfolge der untersuchten Teilgruppen wird Hier wird eine Kompetenzstufe als Kriterium für das Erreichen
erzeugt, indem die teilnehmenden Gruppen anhand ihrer eines Standards (z. B. Minimal- oder Regelstandard) gesetzt. Es
Mittelwerte in einer Tabelle angeordnet werden. Diese wird inhaltlich begründet, warum diese Kompetenzstufe die
Minimalanforderung in einem Bereich darstellt.
Rangfolgen alleine bilden die Mittelwertunterschiede ab.
Anhand der Standardfehler für die Populationsschätzung
kann man jedoch erkennen, dass die Unterschiede in
den Stichprobenmittelwerten nicht immer substanzielle . Tab. 15.4 präsentiert exemplarisch die Kompetenzstufen-
Unterschiede (zwischen den Populationen) abbilden. Des- beschreibungen für die Lesekompetenz aus PISA 2015
halb werden geeignete statistische Verfahren zum Mittel- (Weis et al. 2016).
wertvergleich angewendet. In unserem Beispiel, den Analysiert man die Verteilung der Schüler auf den Stufen
internationalen Vergleichstabellen in PISA, werden ent- der Lesekompetenz, kann man einerseits Spitzengruppen und
sprechend drei Blöcke gebildet (OECD-Durchschnitt, ober- andererseits Schüler mit grundlegenden Leseschwierigkeiten
halb und unterhalb des OECD-Durchschnittes). Innerhalb identifizieren. . Abb. 15.6 zeigt exemplarisch die Anteile der
dieser Blöcke sind Unterschiede zwischen den Staaten Schüler in Prozent, deren Lesekompetenz unter oder auf
statistisch nicht mehr zuverlässig abzusichern. Folgt man Stufe I und auf Stufe V liegt, im internationalen Vergleich.
dieser Betrachtung, dann verbietet es sich, die Tabellen- Im Durchschnitt der OECD-Staaten gehören 20,1 % der
plätze entsprechend einer einfachen Rangfolge „durchzu- Schüler zu der Gruppe, deren Lesekompetenz unter und auf
nummerieren“. Kompetenzstufe I liegt. Die Kompetenzstufe V erreichen
8,3 % der 15-Jährigen. Etwas erfreulicher zeigt sich das
Bild für Deutschland: Die Lesekompetenz von 16,2 %
15.5.2  Kompetenzstufen der Schüler liegt auf und unter Stufe I, die Kompetenz-
15 stufe V hingegen erreichen 11,7 %. Die durchschnittlichen
In den aktuellen Vergleichsstudien werden Kompetenz- Werte der Jugendlichen in allen OECD-Staaten setzen sich
stufen („proficiency levels“) differenziert und anhand von aus sehr unterschiedlichen Mischungen von besonders
Aufgabenanforderungen inhaltlich beschrieben (7 Exkurs leistungsstarken oder leistungsschwachen 15-Jährigen
„Was sind Kompetenzstufen?“). Kompetenzstufen dienen zusammen: In einigen Staaten, wie beispielsweise Irland
in erster Linie der anschaulichen Charakterisierung oder Kanada, stehen relativ kleine Gruppen auf Stufe I und
dessen, wozu ein Schüler oder eine Schülerin mit einem darunter (10,2 bzw. 10,7 %) vergleichbar großen Anteilen
bestimmten Skalenwert in der entsprechenden Domäne in von Schülern gegenüber, die Stufe V erreichen (10,7 bzw.
der Lage ist. Kompetenzstufen sind eine wichtige Grund- sogar 14 %). Andere Konstellationen finden sich z. B. in
lage dafür, eine kriteriale Vergleichsperspektive einnehmen Frankreich, in denen vergleichsweise große Gruppen auf
zu können. In den Rahmenkonzeptionen wird hierzu meist Stufe I und darunter (21,5 %) mit nennenswerten Anteilen
eine bestimmte Kompetenzstufe als Standard oder Mindest- an 15-Jährigen auf Kompetenzstufe V einhergehen
niveau festgelegt (Mindestkriterium). Dieser Standard (12,5 %). In Italien steht einem im OECD-Vergleich durch-
sollte von allen Schülern erreicht werden, da den Schülern schnittlichen Anteil von 21 % auf Kompetenzstufe I und
unterhalb dieser Kompetenzstufe ungünstige Perspektiven darunter ein eher unterdurchschnittlicher Anteil von 5,7 %
für die weitere Bildungskarriere und die gesellschaft- auf Kompetenzstufe V gegenüber.
liche Teilhabe zugesprochen werden. Die Aufgaben im
unteren Bereich einer Kompetenzskala sind in einfache
und bekannte Kontexte eingebunden und verlangen im 15.5.3  Disparitäten
Wesentlichen nur eine direkte Anwendung bestimmter
Wissenselemente und ein Verständnis einfacher, allgemein Zu den wichtigsten Bildungszielen gehört der Anspruch,
bekannter Konzepte. Die Aufgaben im oberen Bereich der gerechte Chancen für alle Mitglieder einer Gesellschaft
Kompetenzskala verlangen hingegen die Interpretation herzustellen. Chancen zur Teilhabe an Bildungsangeboten
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
365 15
. Tab. 15.4 Kompetenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz in PISA 2015. (Nach Weis, M., Zehner, F., Sälzer, C., Strohmaier, A.,
Artelt, C. & Pfost, M. (2016). Lesekompetenz in PISA 2015: Ergebnisse, Veränderungen und Perspektiven. In K. Reiss, C. Sälzer, A. Schiepe-
Tiska, E. Klieme, & O. Köller (Hrsg.), PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation (S. 258). Münster: Waxmann. © Waxmann
Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)

Kompetenzstufe Wozu die Schülerinnen und Schüler auf der jeweiligen Kompetenzstufe im Allgemeinen in der Lage sind

VI Jugendliche auf dieser Stufe können Schlussfolgerungen, Vergleiche und Gegenüberstellungen detailgenau und
≥698 Punkte präzise anstellen. Dabei entwickeln sie ein volles und detailliertes Verständnis eines oder mehrerer Texte und
verbinden dabei unter Umständen gedanklich Informationen aus mehreren Texten miteinander. Hierbei kann
auch die Auseinandersetzung mit ungewohnten Ideen gefordert sein, genauso wie der kompetente Umgang mit
konkurrierenden Informationen und abstrakten Interpretationskategorien sowie hohe Präzision im Umgang mit zum
Teil unauffälligen Textdetails
V Jugendliche auf dieser Stufe können sowohl mehrere tief eingebettete Informationen finden, ordnen und heraus-
626–697 Punkte finden, welche davon jeweils relevant sind, als auch ausgehend von Fachwissen eine kritische Beurteilung oder Hypo-
these anstellen. Die Aufgaben dieser Stufe setzen in der Regel ein volles und detailliertes Verständnis von Texten
voraus, deren Inhalt oder Form ungewohnt ist. Zudem muss mit Konzepten umgegangen werden können, die im
Gegensatz zum Erwarteten stehen
IV Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, linguistischen oder thematischen Ver-
553–625 Punkte knüpfungen in einem Text über mehrere Abschnitte zu folgen, oftmals ohne Verfügbark
eit eindeutiger Kennzeichen im Text, um eingebettete Informationen zu finden, zu interpretieren und zu bewerten
oder um psychologische oder philosophische Bedeutungen zu erschließen. Insgesamt muss ein genaues Verständnis
langer oder komplexer Texte, deren Inhalt oder Form ungewohnt sein kann, unter Beweis gestellt werden
III Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, vorhandenes Wissen über die Organisation
480–552 Punkte und den Aufbau von Texten zu nutzen, implizite oder explizite logische Relationen (z. B. Ursache-Wirkungs-
Beziehungen) über mehrere Sätze oder Textabschnitte zu erkennen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu
lokalisieren, zu interpretieren und zu bewerten. Einige Aufgaben verlangen vom Leser/von der Leserin, einen
Zusammenhang zu begreifen oder die Bedeutung eines Wortes oder Satzes zu analysieren. Häufig sind die
benötigten Informationen dabei nicht leicht sichtbar oder Passagen des Textes laufen eigenen Erwartungen zuwider
II Jugendliche auf dieser Stufe können innerhalb eines Textabschnitts logischen und linguistischen Verknüpfungen
408–479 Punkte folgen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu lokalisieren oder zu interpretieren; im Text oder über Textabschnitte
verteilte Informationen aufeinander beziehen, um die Absicht des Autors zu erschließen. Bei Aufgaben dieser Stufe
müssen unter Umständen auf der Grundlage eines einzigen Textbestandteils Vergleiche und Gegenüberstellungen
vorgenommen werden oder es müssen, ausgehend von eigenen Erfahrungen oder Standpunkten, Vergleiche
angestellt oder Zusammenhänge zwischen dem Text und nicht im Text enthaltenen Informationen erkannt werden
Ia Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, in einem Text zu einem vertrauten Thema
335–407 Punkte eine oder mehrere unabhängige, explizit ausgedrückte Informationen zu lokalisieren, das Hauptthema oder
die Absicht des Autors zu erkennen oder einen einfachen Zusammenhang zwischen den im Text enthaltenen
Informationen und allgemeinem Alltagswissen herzustellen. Die erforderlichen Informationen sind in der Regel leicht
sichtbar, und es sind nur wenige beziehungsweise keine konkurrierenden Informationen vorhanden. Der Leser wird
explizit auf die entscheidenden Elemente in der Aufgabe und im Text hingewiesen
Ib Jugendliche auf dieser Stufe können in einem kurzen, syntaktisch einfachen Text aus einem gewohnten Kontext,
262–334 Punkte dessen Form vertraut ist (z. B. in einer einfachen Liste oder Erzählung), eine einzige, explizit ausgedrückte Information
lokalisieren, die leicht sichtbar ist. Der Text enthält in der Regel Hilfestellungen für den Leser, wie Wiederholungen,
Bilder oder bekannte Symbole. Es gibt kaum konkurrierende Informationen. Bei anderen Aufgaben müssen einfache
Zusammenhänge zwischen benachbarten Informationsteilen hergestellt werden
unter Ib
≤261 Punkte

und auf Bildungserfolg sollten nicht von Merkmalen der Teilnehmerstaaten gleich hoch ausgeprägt? Solchen Fragen
sozialen Herkunft oder des ethnisch-kulturellen Hinter- zu Disparitäten wird in Vergleichsstudien nachgegangen.
grundes abhängen. Gegenstand der Betrachtung sind dabei Wie wird der Zusammenhang zwischen der sozialen
meistens allgemeine Merkmale der sozialen Herkunft und Herkunft und der Kompetenz analysiert und beschrieben?
die Disparitäten, die mit einem Migrationshintergrund ver- Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammenhang quanti-
bunden sind. Wie unterscheiden sich die Sozialschichtver- fizieren (vgl. auch Ehmke und Baumert 2007), beiden liegt
teilungen der 15-Jährigen zwischen den Teilnehmerstaaten ein regressionsanalytischer Ansatz zugrunde:
einer Vergleichsstudie? Erreichen Jugendliche aus Familien 5 den sozialen Gradienten und
mit einem höheren sozioökonomischen Status höhere 5 das Maß der aufgeklärten Varianz.
Kompetenzen in den getesteten Bereichen als Schüler, die
aus weniger privilegierten Verhältnissen stammen? Sind . Abb. 15.7 stellt die Steigungen der sozialen Gradienten
diese Unterschiede zwischen den Sozialschichten in allen für die OECD-Staaten bei PISA 2015 in Bezug auf die
366 B. Drechsel et al.

. Abb. 15.6 Prozentuale


Anteile von Schülerinnen und Irland 10.2 10.7
Schülern auf Kompetenzstufe Ia,
Estland 10.6 11.0
Kompetenzstufe Ib oder darunter
Kanada 10.7 14.0
sowie auf Kompetenzstufe V
und Kompetenzstufe VI. (Nach Finnland 11.1 13.7

Weis, M., Zehner, F., Sälzer, C., Japan 12.9 10.8

Strohmaier, A., Artelt, C. & Pfost, Korea 13.7 12.7


M. (2016). Lesekompetenz in PISA Polen 14.4 8.2
2015: Ergebnisse, Veränderungen Norwegen 14.9 12.2
und Perspektiven. In K. Reiss, C.
Dänemark 15.0 6.5
Sälzer, A. Schiepe-Tiska, E. Klieme
Slowenien 15.1 8.9
& O. Köller (Hrsg.), PISA 2015.
Eine Studie zwischen Kontinuität Deutschland 16.2 11.7

und Innovation (S. 267). Münster: Spanien 16.2 5.5


Waxmann. © Waxmann Verlag. Portugal 17.2 7.5
Verwendung mit freundlicher Neuseeland 17.3 13.6
Genehmigung)
Lettland 17.7 4.3

Vereinigtes Königreich 17.9 9.2

Niederlande 18.1 10.9

Australien 18.1 11.0

Schweden 18.4 10.0

Vereinigte Staaten 19.0 9.6

Belgien 19.5 9.3

Schweiz 20.0 7.8

OECD-Durchschnitt 20.1 8.3

Italien 21.0 5.7

Frankreich 21.5 12.5

Tschechische Republik 22.0 7.9

Island 22.1 6.6

Österreich 22.5 7.2


Luxemburg 25.6 8.1

Israel 26.6 9.2

Griechenland 27.3 4.0


Ungarn 27.5 4.3

Chile 28.4 2.3


Slowakische Republik 32.1 3.5

15 Türkei
Mexiko
40.0

41.7
0.6

0.3

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Schülerinnen und Schüler in Prozent

unter Kompetenzstufe Ib Kompetenzstufe Ib Kompetenzstufe Ia


Kompetenzstufe II Kompetenzstufe III Kompetenzstufe IV
Kompetenzstufe V Kompetenzstufe VI

naturwissenschaftliche Kompetenz dar. In allen Staaten (je nachdem, ob die Steigung der Gradienten vom
besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Her- Durchschnitt der OECD-Staaten abweicht oder nicht).
kunft von Schülern und ihrer Kompetenz, jedoch variiert Demnach bildet die Tschechische Republik zusammen
die Höhe des Zusammenhangs. Bei einem Vergleich mit Luxemburg, Frankreich, dem Vereinigten Königreich,
der Steigungen der sozialen Gradienten muss beachtet den Niederlanden und Belgien eine Gruppe von Staaten,
werden, dass das Niveau des sozioökonomischen Index in denen der Zusammenhang vergleichsweise am stärksten
in den Staaten unterschiedlich sein kann (Ehmke und ausgeprägt ist und signifikant über dem OECD-Durch-
Baumert 2007). Ebenfalls findet man zwischen den Staaten schnitt liegt. Deutschland befindet sich mit einer Steigung
beträchtliche Unterschiede in der naturwissenschaftlichen von 36 Punkten in der Gruppe von Staaten, für die der
Kompetenz (Prenzel et al. 2007c). soziale Gradient mit seiner Steigung im OECD-Durch-
Betrachtet man die Unterschiede in den Steigungen, schnittsbereich lokalisiert ist. Zu dieser Gruppe gehören
so lassen sich die Staaten hinsichtlich der Ausprägung u. a. auch einige der deutschen Nachbarländer (die Schweiz,
des sozialen Gradienten in drei Gruppen einteilen Österreich, Dänemark, Polen). Zu den Staaten, in denen
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
367 15

OECD-Staaten Perzentile
M (SE) SD (SE) 5% 10% 25% 75% 90% 95%
Kanada 527 (2.3) 93 (1.3) 366 404 466 591 642 671
Finnland 526 (2.5) 94 (1.5) 359 401 469 592 640 668
Irland 521 (2.5) 86 (1.5) 373 406 463 582 629 657
Estland 519 (2.2) 87 (1.2) 369 404 460 581 630 659
Korea 517 (3.5) 97 (1.7) 345 386 455 586 637 666
Japan 516 (3.2) 92 (1.8) 352 391 457 581 629 656
Norwegen 513 (2.5) 99 (1.7) 342 381 449 583 636 666
Neuseeland 509 (2.4) 105 (1.7) 327 368 439 584 643 674
Deutschland 509 (3.0) 100 (1.6) 334 375 442 581 634 664
Polen 506 (2.5) 90 (1.3) 349 386 446 570 617 644
Slowenien 505 (1.5) 92 (1.3) 346 382 444 570 621 648
Niederlande 503 (2.4) 101 (1.6) 330 368 434 577 630 658
Australien 503 (1.7) 103 (1.1) 324 365 435 576 631 662
Schweden 500 (3.5) 102 (1.5) 321 364 433 573 625 655
Dänemark 500 (2.5) 87 (1.2) 347 383 443 561 608 635
Frankreich 499 (2.5) 112 (2.0) 299 344 423 583 637 666
Belgien 499 (2.4) 100 (1.5) 323 360 429 573 623 650
Portugal 498 (2.7) 92 (1.1) 339 374 436 564 614 641
Vereinigtes Königreich 498 (2.8) 97 (1.1) 336 372 432 565 621 653
Vereinigte Staaten 497 (3.4) 100 (1.6) 326 364 430 568 624 655
Spanien 496 (2.4) 87 (1.4) 343 379 438 558 603 629
Schweiz 492 (3.0) 98 (1.7) 322 360 426 563 614 643
Lettland 488 (1.8) 85 (1.5) 341 374 431 548 595 621
Tschechische Republik 487 (2.6) 100 (1.7) 315 352 418 559 614 645
Österreich 485 (2.8) 101 (1.5) 308 347 417 559 611 641
Italien 485 (2.7) 94 (1.6) 323 359 421 552 602 631
Island 482 (2.0) 99 (1.7) 310 350 417 552 607 638
Luxemburg 481 (1.4) 107 (1.0) 299 336 405 561 616 647
Israel 479 (3.8) 113 (2.0) 284 326 401 562 621 655
Ungarn 470 (2.7) 97 (1.7) 306 338 399 541 593 620
Griechenland 467 (4.3) 98 (2.4) 296 334 400 539 590 618
Chile 459 (2.6) 88 (1.7) 310 342 398 521 572 599
Slowakische Republik 453 (2.8) 104 (1.8) 269 312 382 528 583 613
Türkei 428 (4.0) 82 (2.0) 291 322 372 487 535 561
Mexiko 423 (2.6) 78 (1.5) 292 321 370 478 523 549
OECD-Durchschnitt 493 (0.5) 96 (0.3) 326 364 428 561 613 642
OECD-Partnerstaaten
Singapur 535 (1.6) 99 (1.1) 362 400 470 607 657 686
Hongkong (China) 527 (2.7) 86 (1.5) 372 412 473 587 632 656
Macau (China) 509 (1.3) 82 (1.1) 365 399 456 566 610 635
Chinesisch Taipeh 497 (2.5) 93 (1.7) 331 371 437 563 611 638
Russische Föderation 495 (3.1) 87 (1.4) 350 381 434 556 608 637
B-S-J-G (China)* 494 (5.1) 109 (2.9) 304 346 420 573 630 661
Kroatien 487 (2.7) 91 (1.6) 334 367 424 553 603 632
Vietnam 487 (3.7) 73 (2.0) 367 393 438 537 580 605
Litauen 472 (2.7) 94 (1.5) 312 347 407 541 593 622
Malta 447 (1.8) 121 (1.5) 236 284 366 533 595 631
Uruguay 437 (2.5) 97 (1.6) 280 311 368 504 563 597
Rumänien 434 (4.1) 95 (2.1) 276 310 370 499 555 588
Vereinigte Arabische Emirate 434 (2.9) 106 (1.4) 258 295 359 509 572 605
Bulgarien 432 (5.0) 115 (2.6) 241 277 347 517 578 611
Costa Rica 427 (2.6) 79 (1.6) 298 326 374 480 530 560
Republik Trinidad und Tobago 427 (1.5) 104 (1.3) 256 291 353 502 561 596
Republik Montenegro 427 (1.6) 94 (1.2) 271 304 361 493 549 581
Kolumbien 425 (2.9) 90 (1.5) 278 308 361 489 542 572
Republik Moldau 416 (2.5) 98 (1.5) 253 289 349 485 541 574
Thailand 409 (3.3) 80 (1.7) 281 308 354 463 514 543
Jordanien 408 (2.9) 94 (1.8) 241 281 348 475 522 549
Brasilien 407 (2.8) 100 (1.5) 247 279 336 477 539 576
Albanien 405 (4.1) 97 (1.8) 244 279 340 472 528 561
Katar 402 (1.0) 111 (1.0) 221 256 321 483 547 581
Georgien 401 (3.0) 104 (1.8) 226 266 332 474 533 568
Peru 398 (2.9) 89 (1.6) 253 281 333 462 514 543
Indonesien 397 (2.9) 76 (1.8) 272 300 346 448 495 522
Tunesien 361 (3.1) 82 (1.9) 228 257 305 416 467 496
Dominikanische Republik 358 (3.1) 85 (1.9) 226 250 297 416 471 503
Republik Mazedonien 352 (1.4) 99 (1.2) 187 222 284 421 480 513
Algerien 350 (3.0) 73 (1.6) 232 258 301 397 443 472
Kosovo 347 (1.6) 78 (1.1) 215 243 294 403 447 471
Libanesische Republik 347 (4.4) 115 (2.6) 167 203 265 426 503 546
*B-S-J-G (China) bezieht sich auf vier Provinzen in China, die an der PISA-Studie teilgenommen haben: Peking, Shanghai, Jiangsu und Guangdong.

signifikant über dem nicht signifikant verschieden signifikant unter dem


OECD-Durchschnitt vom OECD-Durchschnitt OECD-Durchschnitt

. Abb. 15.7 Soziale Gradienten der naturwissenschaftlichen Kompetenz im internationalen Vergleich. (Nach Müller, K. & Ehmke, T. (2016).
Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb. In K. Reiss, C. Sälzer, A. Schiepe-Tiska, E. Klieme & O. Köller (Hrsg.), PISA 2015. Eine Studie zwischen
Kontinuität und Innovation (S. 294). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)
368 B. Drechsel et al.

die Steigung des sozialen Gradienten niedriger ausgeprägt


ist als im ­OECD-Durchschnitt, gehören Kanada, Mexiko,
Island, Finnland, Korea und Japan.

3
Die letzten Spalten der Tabelle in . Abb. 15.7 stellen
dar, welcher Varianzanteil im Kompetenzniveau durch den

Mathematische Kompetenz 2013


2
sozioökonomischen Status aufgeklärt wird. Wird ein großer
Anteil der Gesamtvarianz durch den sozioökonomischen

1
Status aufgeklärt, so kann das Kompetenzniveau sehr genau
vorhergesagt werden. Das Maß der Varianzaufklärung zeigt,

0
dass in einigen Staaten bei vergleichbaren Steigungen des
sozialen Gradienten die Vorhersage der Kopplung stärker

-1
ist als in anderen. Das durchschnittliche Kompetenzniveau
geht nicht systematisch mit der Varianzaufklärung einher.

-2
Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein hohes Kompetenz-
niveau nur durch starke soziale Unterschiede erreicht

-3
werden kann. Eher deutet sich das Gegenteil an: Gerade in
Staaten, in denen der sozioökonomische Status einen unter-
durchschnittlichen Vorhersagewert für die Kompetenz -3 -2 -1 0 1 2 3
hat (wie etwa in Finnland, Japan und Kanada), erreichen Mathematische Kompetenz 2012
Jugendliche ein hohes Kompetenzniveau. . Abb. 15.8 Streudiagramm der mathematischen Kompetenz
Weitere Möglichkeiten, die Kopplung von sozialer Her- (mathematical literacy) zum Ende der 9. Klassenstufe sowie zum Ende
kunft und Kompetenzerwerb darzustellen, beziehen sich der 10. Klassenstufe auf Individualebene. (Aus Lehner et al. 2017)
auf andere Indikatoren der sozialen Herkunft, beispiels-
weise die EGP-Klassen (Erikson et al. 1979; vgl. auch Müller
und Ehmke 2016). Die im Zusammenhang mit PISA und Die erste Fragerichtung nutzt die Erhebungen zu zwei
PIRLS bekannt gewordene Berechnung relativer Chancen Messzeitpunkten, um die Entwicklung der mathematischen
(Odds Ratios) ist beispielsweise bei Stubbe et al. (2017) oder und der naturwissenschaftlichen Kompetenz im Verlauf
Ehmke und Baumert (2007) nachzulesen. eines Schuljahres zu beschreiben.
. Abb. 15.8 veranschaulicht die Verteilung der
mathematischen Kompetenz in der 9. und 10. Klassenstufe:
15.5.4  Analysen von Zusammenhängen und Ein Punkt entspricht dem Testwert eines Schülers. Die Punkte-
deren Grenzen wolke repräsentiert also die gesamte in ­PISA-I-plus getestete
Stichprobe von etwa 6000 Schülern. Die Abbildung präsentiert
Ein umfassendes Modell, das alle Bedingungen des eines der Hauptergebnisse der Studie: Die Punktewolke der
15 Kompetenzerwerbs in und außerhalb der Schule berück- Messwerte liegt größtenteils oberhalb der eingezeichneten
sichtigt, kann in einer Vergleichsstudie nie abgedeckt werden. Diagonalen. Für die Mehrheit der Schüler kann daher ein
Wenn dann auch noch mit Querschnittdesigns gearbeitet deutlicher Kompetenzzuwachs in der mathematischen
wird, können Vermutungen über beeinflussende Faktoren Kompetenz innerhalb eines Schuljahres festgestellt werden.
nicht empirisch fundiert zurückgewiesen oder bekräftigt 58 % der Zehntklässler erreichen einen höheren Wert beim
werden. Beispiele, in denen solche Ergebnisse durch kausale zweiten Messzeitpunkt. Allerdings weisen auch 8 % der
Interpretationen überstrapaziert werden, finden sich in der Schüler eine negative Entwicklung auf, d. h. sie verschlechtern
Literatur immer wieder, beispielsweise im thematischen sich im Verlauf eines Schuljahres. Für die verbleibenden 34 %
Bericht der OECD zur Vertrautheit mit Informations- können keine Veränderungen im Niveau der lebensbezogenen
technologien zu PISA 2003 (OECD 2005; vgl. hierzu auch Kompetenz in Mathematik festgestellt werden.
Wittwer und Senkbeil 2008). Einer der ersten Ansätze, mit Dieses Ergebnis wird zum Bezugspunkt für die zweite
den Restriktionen eines querschnittlichen Designs umzu- Fragerichtung, die über die Beschreibung von Ent-
gehen, wurde in der PISA-I-plus-Studie bei PISA 2003 wicklungen (generell und bei Teilgruppen) hinausgeht: Lässt
realisiert (Prenzel et al. 2006a) und in PISA 2012 wiederholt sich die Kompetenzentwicklung innerhalb eines Schuljahres
(Reiss et al. 2017). Der internationale Untersuchungsansatz unter Kontrolle verschiedener Bedingungen vorhersagen?
(querschnittlich) wurde jeweils durch ein längsschnittliches Sie nutzt die Information aus den beiden Messzeitpunkten,
Erhebungsdesign erweitert. Auf diese Weise konnten zwei um Bedingungsfaktoren für die Kompetenzentwicklung
übergeordnete Fragestellungen verfolgt werden: zur 10. Jahrgangsstufe zu analysieren. Die Grundstruktur
1. die Untersuchung von Veränderungen und Ent- von PISA legt es nahe, sich bei diesen Analysen auf einige
wicklungen im Verlauf eines Schuljahres und Bedingungsbereiche zu konzentrieren, nämlich auf das
2. die Identifizierung von Bedingungsfaktoren im Eltern- Elternhaus (Ehmke et al. 2006b, Kiemer et al. 2017), den
haus, im Unterricht und in der Schule, die Einfluss auf Mathematikunterricht (Kunter et al. 2006; Kuger et al. 2017)
die Kompetenzentwicklung der Schüler haben. und die Schule (Senkbeil 2006) sowie auf einige Merkmale
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
369 15
auf der Individualebene (vgl. auch Prenzel et al. 2006b, Methodenforschung dar. Insbesondere eine international
Schiepe-Tiska et al. 2017). vergleichende Interpretation scheint problematisch zu sein
Einen weiteren Ansatz des Umgangs mit der Restriktion (vgl. Carstensen et al. 2008; Robitzsch et al. 2017). Ein Aus-
des querschnittlichen Designs bildet die Ziehung zusätz- weg zur konsistenten Beschreibung von Veränderungen
licher Stichproben. Die Ebene der Schulklasse hat sich in über die Zeit scheint in der Vereinfachung der Testdesigns
der Unterrichtsforschung beispielsweise als eine zentrale zu liegen: Werden in den Studien mehr gemeinsame Test-
Analyseeinheit erwiesen, die in den Blick genommen aufgaben verwendet, stabilisiert dies die Verknüpfbarkeit
werden muss, um Unterrichtsaspekte genauer betrachten zwischen den Erhebungsrunden.
zu können (z. B. Seidel et al. 2007). Auf der Grundlage von
Befunden aus Vergleichsstudien, die meist einzelne Schüler
einer Schule und damit keine kompletten Klassen unter- 15.5.6  Vergleichsstudien als politische
suchen, ist es daher nicht möglich, sich einen umfassenden Instrumente?
Überblick über das Unterrichtsgeschehen zu verschaffen
oder gar Verbesserungsvorschläge abzuleiten. In einer Die Bildungsdiskussion in Deutschland wurde durch TIMSS,
nationalen Erweiterung der Stichprobe wurde in Deutsch- PIRLS und PISA maßgeblich bestimmt und hat viele Anstöße
land seit PISA 2000 neben der Stichprobe der 15-Jährigen gegeben und Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt. Eine
auch immer eine Stichprobe von Neuntklässlern unter- umfassende öffentliche Bildungsdiskussion ist für die Weiter-
sucht. Seit PISA 2003 sind dies komplette 9. Klassen, deren entwicklung von Bildungssystemen von großem Wert. Sie
Ergebnisse auch mit Aussagen der jeweiligen Lehrperson regt das Nachdenken darüber an, welche Ziele von Schule
in Verbindung gebracht werden können. Dies schafft die und Unterricht im Vordergrund stehen sollen und inwieweit
Voraussetzung dafür, Fragestellungen zum Unterrichts- diese Ziele erreicht werden. Diese Überlegungen verhelfen
geschehen auch im Large-Scale-Format zu thematisieren. den an Schule und Unterricht Beteiligten dazu, sich ihrer
Allerdings sind auch hier die Möglichkeiten eingeschränkt, Ziele zu vergewissern und sich selbst in Frage zu stellen. Das
da die querschnittliche Anlage der Untersuchung keine öffentliche Interesse und das Bewusstsein für die Bedeutung
Aussage über die Wirkungen bestimmter Unterrichts- eines hochentwickelten und international konkurrenzfähigen
modelle erlaubt (Baumert et al. 2004). Bildungssystems eines Staates sind unabdingbar. Jedoch kam
Beide Beispiele verdeutlichen, dass internationale Ver- es in den letzten Jahren auch zu zahlreichen Fehl- oder Über-
gleichsstudien – so umfangreich sie auch gestaltet sind – spezi- interpretationen der Studienergebnisse. Die „Wie-PISA-zeigt-
fische Designs verfolgen und damit in der Aussagefähigkeit an Argumente“ sind schon beinahe sprichwörtlich geworden,
diese Designs gebunden sind. Am Beispiel von PISA haben sie verhelfen beliebigen Aussagen mit dem Verweis auf PISA
wir aber gezeigt, wie zumindest in Deutschland sinnvolle zu Glaubwürdigkeit. PISA-Befunde werden häufig selektiv
Erweiterungen vorgenommen werden, um die methodischen benutzt, vereinfacht und vorschnell kausal interpretiert. Ver-
Grundlagen für weiterführende Fragestellungen und belastbare deutlichen lässt sich dies an der Diskussion um die „richtige“
Ergebnisse zu legen. Diese Zusatzuntersuchungen sind für die Schulstruktur in Deutschland. Aus den hervorragenden
empirische Bildungsforschung von erheblicher Bedeutung. Ergebnissen für Finnland ist immer wieder der Schluss
gezogen worden, dass man Ergebnisse eines Staates verbessern
kann, indem man sich dem finnischen Beispiel anschließt. In
15.5.5  Trends Finnland, wie in einigen anderen Staaten, die bei PISA sehr
gut abschneiden, wird in einem Gesamtschulsystem unter-
Teilnehmende Staaten sind interessiert an der Veränderung richtet. Kritiker des gegliederten Schulsystems nehmen dies
von Kompetenzen und anderen Merkmalen über die Zeit, zum Anlass, eine Reform der Schulstruktur in Deutschland zu
nicht zuletzt als Erfolgskontrolle für gezielt ergriffene fordern. Es ist allerdings sehr leicht, für ein bestimmtes Ergeb-
Maßnahmen in bestimmten Bereichen. Untersuchungen nis in einem Staat das Gegenbeispiel eines anderen Staates zu
solcher Veränderungen über die Zeit werden als Trends finden: Es gibt auch Staaten mit hochdifferenzierten Schul-
bezeichnet. Studien wie PIRLS, TIMSS oder PISA tragen systemen, die bei PISA sehr gut abschneiden, beispielsweise
diesen Bedürfnissen Rechnung, indem sie, in regelmäßigen die Niederlande oder Belgien. Andererseits finden wir in
Erhebungsrunden durchgeführt, Aussagen zu Trends PISA auch Gesamtschulsysteme, in denen die Kompetenzen
machen. Dabei gilt es, die substanziellen Unterschiede der 15-Jährigen tendenziell unter dem OECD-Durchschnitt
zwischen zwei oder mehreren Erhebungsrunden heraus- liegen, beispielsweise Norwegen, die USA oder Italien.
zuarbeiten, wobei verschiedene Fehlerquellen, wie z. B. Wie die vorangegangenen Abschnitte zeigen, sind Ver-
Stichprobenfehler, Unterschiede zwischen den Erhebungs- gleichsstudien komplexe Studien, sodass auch die sach-
runden bezüglich der Ausschöpfung der Stichproben oder kundige Interpretation der Ergebnisse alles andere als
der Testadministration oder fehlende Daten durch das trivial ist. Gerade weil Vergleichsstudien keine Rezepte
Multi-Matrix-Design berücksichtigt werden müssen. Das oder Anleitungen geben, die erfolgreiche Entwicklungen im
Ausloten der Möglichkeiten und Grenzen von Trendana- Schulsystem garantieren, muss den Entscheidungsträgern
lysen in internationalen Vergleichsstudien mit komplexen im Bildungssystem die eingeschränkte Reichweite und Aus-
Testdesigns stellt derzeit eine große Herausforderung der sagekraft solcher Studien bewusst sein.
370 B. Drechsel et al.

15.6  Erweiterungen von Vergleichsstudien entsprechender Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen.


Darüber hinaus wurden Bedingungsfaktoren in den Blick
Vergleichsstudien machen Probleme sichtbar, die genommen, beispielsweise das Elternhaus, die Gruppen der
gesellschaftlich relevant sind und deshalb hohe Auf- Gleichaltrigen und die Medien. Darauf aufbauend untersuchten
merksamkeit erfahren. Dabei wird leicht übersehen, dass Studien aus BIQUA, wie durch gezielte Maßnahmen die Quali-
wissenschaftliche Konsortien mit den Studien betraut tät von Bildungsprozessen und -ergebnissen verbessert werden
sind, die dafür Sorge tragen, dass die Erkenntnisse in die kann. Der Fachunterricht stand im Mittelpunkt aller Unter-
Disziplinen zurückwirken und hier neu aufgeworfenen suchungen, die das gesamte Schulspektrum erfassten.
Fragen nachgegangen wird. Mit Blick auf das Zusammen- Ziel der Studien war es, generalisierbares Erklärungs-
spiel von Vergleichsstudien und anderen Untersuchungen und Veränderungswissen zu entwickeln, das einerseits die
der Bildungsforschung lassen sich zwei Arten von Studien Befunde aus Vergleichsstudien ergänzt und differenziert
unterscheiden: Ergänzungsstudien und Forschungen mit und das andererseits in weiteren Untersuchungen und
explikativem und technologischem Fokus. Interventionsprogrammen umgesetzt werden kann (für
einen Überblick vgl. Prenzel und Allolio-Näcke 2006).
Da die Grenzen des Querschnittsdesigns von inter-
15.6.1  Ergänzungen nationalen und nationalen Leistungsvergleichen schnell
erkannt waren, wurden Möglichkeiten diskutiert, zusätz-
Ergänzungen und Erweiterungen von Vergleichsstudien liche Erhebungsprogramme zu starten, die Längs-
betreffen in der Regel den Umfang und die Zusammen- schnittinformationen, möglichst über weite Bereiche der
setzung der Stichprobe, die Erhebungsinstrumente sowie Lebensspanne, liefern. In vielen Staaten wurden und werden
die Erhebungszeitpunkte. Sie eröffnen die Möglich- solche Studien (Panels) mit großem Erkenntnisgewinn
keit, die Aussagekraft der Studien zu validieren, zusätz- durchgeführt (Kristen et al. 2005). Vor diesem Hintergrund
liche Variablen zu überprüfen oder Fragestellungen von wurde schließlich in Deutschland ein sorgfältig vorbereitetes
besonderem oder aktuellem Interesse zu bearbeiten. und umfassend angelegtes nationales Bildungspanel
In Deutschland wurden beispielsweise in PIRLS und PISA (National Educational Panel Study, NEPS) eingerichtet
die Stichproben so erweitert, dass die Daten für jedes der (Blossfeld und Roßbach 2019). Dieses Panel verfolgt die Ent-
16 Bundesländer aussagekräftige Befunde lieferten. Darüber wicklung von sechs Alterskohorten durch wiederkehrende
hinaus wurde in PISA 2003 die Stichprobe um Jugendliche Tests zu Fähigkeiten in den Bereichen Lesen/Schreiben,
mit Migrationshintergrund ergänzt, um von dieser Teilgruppe Mathematik, Naturwissenschaften und Informations-
der Schüler in Deutschland ein genaueres Bild zu bekommen. technologien. Diese Tests wurden, einer übergreifenden
Veränderungen bzw. Erweiterungen der Erhebungs- theoretischen Konzeption folgend, für die verschiedenen
instrumente zielen darauf ab, aktuelle Entwicklungen und Altersstufen entwickelt (Weinert et al. 2019).
Fragestellungen berücksichtigen zu können. In PISA 2006 Natürlich gehen Impulse für die empirische Bildungs-
etwa wurden die Schulleitungen um Auskunft zu Ganz- forschung nicht nur von Vergleichsstudien aus. Auch
15 tagsangeboten an ihren Schulen gebeten und 2015 die müssen Vergleichsstudien ihrerseits immer auf dem
Kompetenzen zum kollaborativen Problemlösen untersucht. neuesten Stand der Forschung sein und Innovationen auf
dem Gebiet der inhaltlichen Beschreibung der Testdomänen,
der Aufgabenentwicklung, der Testdurchführung und der
15.6.2  Systematische Vernetzung von Auswertungsmethoden darstellen. Das computerbasierte
Vergleichsstudien mit ­pädagogisch- Testen ist ein Beispiel für einen innovativen Aspekt von
psychologischer Forschung Large-Scale-Studien. Computerbasiertes Testen ist einer-
seits aussichtsreich, weil es verspricht, Vergleichsstudien
TIMSS und PISA haben eine Reihe von Fragen aufgeworfen, auf ökonomischere Weise als bisher durchzuführen, neue
die in der pädagogisch-psychologischen und in der fach- und anregende Aufgabenformate zu ermöglichen und die
didaktischen Forschung aufgegriffen und bearbeitet werden. Auswertungsprozeduren erheblich zu vereinfachen (z. B.
Exemplarisch für systematische Erweiterungen sei auf das Wirth 2008). Die Anwendung und Durchführung computer-
DFG-Schwerpunktprogramm BIQUA hingewiesen, das als basierter Assessments hat zum Teil immer noch Grenzen,
direkte Antwort auf PISA und TIMSS organisiert wurde und in die zum Beispiel in der Computerausstattung der Schulen
vielfältiger Weise zeigt, wie die Befunde aus Vergleichsstudien begründet sind. Interessanter und herausfordernder ist
aufgegriffen und im Rahmen entsprechender Small-Scale- jedoch die Erforschung der Effekte der unterschiedlichen
Designs weiterentwickelt werden (Prenzel 2007; Prenzel und Test- und Aufgabenformate, die letztlich zu der Frage
Allolio-Näcke 2006). BIQUA beschreibt Bildungsqualität aus führen, ob computerbasierte Tests das Gleiche messen wie
verschiedenen Perspektiven: Neben fachbezogenen kognitiven Papier-und-Bleistift-Tests, selbst dann, wenn identische
­
Kompetenzen werden motivationale Orientierungen, Wert- Aufgaben verwendet werden (Robitzsch et al. 2017). Wenn
haltungen und fächerübergreifende Kompetenzen der die Möglichkeiten computerbasierter Assessments aus-
Schüler berücksichtigt. Die Einzelprojekte untersuchten die geschöpft werden (z. B. Animationen, Simulationen, andere
Wirkungen schulischer Lernumgebungen auf die Entwicklung Antwortformate, interaktive Aufgaben), liegt die Frage auf
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
371 15
der Hand, ob dann noch das gleiche Konstrukt erfasst wird hinausgehen, werden im nationalen Bildungspanel (NEPS)
wie in herkömmlichen, papiergestützten Tests. Für die mit einem Längsschnittdesign angestrebt: Bestimmte, zufällig
Beschreibung und Berechnung von Trends – zum Beispiel gezogene Kohorten werden über Etappen des Bildungssystems
über verschiedene PISA-Runden – bedeutet das eine große begleitet (Blossfeld und Roßbach 2019). Neben Kompetenz-
Herausforderung. Von besonderer Bedeutung sind hier entwicklungen werden in NEPS über die gesamte Lebens-
zum Beispiel Studien zu den sogenannten „mode-effects“, spanne Bildungsübergänge und -verläufe, auch speziell mit
den Auswirkungen unterschiedlicher Präsentations-, Blick auf soziale Ungleichheit und die Auswirkung von
Bearbeitungs- und Auswertungsmodi auf die Testergebnisse. Migration, motivationale Variablen und weitere Persönlich-
PISA 2012 greift das computerbasierte Testen auf. Zusätzlich keitsaspekte sowie Bildungsrenditen untersucht und über
zu den herkömmlichen papiergestützten Tests bearbeiten acht abgrenzbare Bildungsetappen verfolgt. Diese Fülle an
Teilgruppen der Schüler computerbasierte Aufgaben in Information zu formalen und informellen Aspekten unseres
den Bereichen Lesen, Mathematik und Problemlösen. Bildungssystems ist bisher einmalig in Deutschland und die
Das gesamte Erhebungsprogramm seit PISA 2015 wird Grundlage für viele Studien, die zur Erklärung und Steuerung
computerbasiert administriert, für TIMSS und PIRLS wird des Bildungssystems, aber auch zu den Konsequenzen, bei-
dies seit 2019 bzw. ab 2021 umgesetzt (eTIMSS und ePIRLS). spielsweise von Bildungsentscheidungen, für individuelle
Lebensverläufe beitragen können.
Auch Vergleichsstudien beschränken sich nicht nur
15.7  Ausblick: Aktuelle Trends bei auf die Etappe des schulischen Lernens. Sie nehmen auch
Vergleichsstudien andere Altersgruppen und Lernorte in den Blick. Inter-
nationale Vergleichsstudien, deren Zielgruppe Erwachsene
Vergleichsstudien können nur dann aussagekräftig und sind, haben bereits eine gewisse Tradition, z. B. der Inter-
glaubwürdig sein und bleiben, wenn sie auf dem höchsten national Adult Literacy Survey (IALS; OECD und Statistics
technischen Niveau und sensibel für innovative Ent- Canada 1997) oder das OECD Programme for the Inter-
wicklungen sind. Dazu gehört zum einen, dass neue Inhalte national Assessment for Adult Competencies (PIAAC).
und Verschiebungen in Bildungszielen in die Rahmen- An einer weiteren OECD-Studie mit dem Namen
konzeptionen der Studien aufgenommen werden. Häufig Teaching and Learning International Survey (TALIS),
betreffen solche Verschiebungen neue Herausforderungen die auf internationaler Ebene die Lernumgebungen und
unserer wissens- und technologiebasierten Gesellschaft. Arbeitsbedingungen von Lehrkräften untersucht, hat
Dies sind beispielsweise die Kompetenz im Umgang mit sich Deutschland nicht beteiligt. Weitere Planungen für
Kommunikationstechnologie oder das Lesen elektronischer internationale Vergleichsstudien beziehen sich derzeit
Texte, wie es in PISA 2009 als internationale Option (nicht auch auf die berufliche Bildung (Assessment of Skills and
jedoch in Deutschland) untersucht wurde (Naumann et al. Competencies (ASCOT); vgl. auch Baethge 2010) und auf
2010), ab PISA 2018 jedoch von großer Bedeutung ist, den Hochschulbereich (z. B. die OECD-Studie Assess-
indem in der Definition von Lesekompetenz die sich ver- ment of Higher Education Learning Outcomes (AHELO)),
ändernde Lesepraxis beim digitalen Lesen berücksichtigt letzteres ohne deutsche Beteiligung.
und dementsprechend in den Aufgaben dem Bewerten von
Texten einen wichtigen Stellenwert zuweist. So müssen in
den entsprechenden PISA-Lesetests die Glaubwürdigkeit Fazit
von Texten eingeschätzt und möglicherweise widersprüch- In modernen Gesellschaften wird die Qualität von
liche Informationen aus mehreren Textquellen miteinander Bildungssystemen mithilfe eines empirisch fundierten
verglichen werden (OECD 2015). Bildungsmonitoring regelmäßig überprüft und auf
Neue Testkomponenten werden zukünftig das der Grundlage der zusammengetragenen Daten
Spektrum an Kompetenzmessungen erweitern, z. B. Fremd- gesteuert und verbessert. Zentral ist dabei die Frage,
sprachenkompetenzen, die Fähigkeit, Texte zu schreiben wie gut ein Schul- bzw. Bildungssystem seinen
oder die sogenannte Global Competence, also Fähigkeiten, Aufgaben gerecht wird. Schulleistungsstudien oder
die im Umgang mit einer globalisierten Welt erforder- Vergleichsstudien gehören als wichtiger Bestandteil zu
lich sind (Sälzer und Roczen 2018). Ebenfalls von großer einem systematischen Bildungsmonitoring. Sie haben
Bedeutung für die Zukunft von Vergleichsstudien sind zum Ziel, in ihrer Testkomponente Auskunft über den
innovative Testformate, wie das computerbasierte Testen, Stand der Kompetenzen einer Personengruppe zu
das perspektivisch auch dynamische Aufgabentypen und einem bestimmten Zeitpunkt in der Bildungskarriere zu
Itemformate zulässt (Hartig und Klieme 2007). Ein weiterer geben. Neben diesen wichtigen Ergebnissen (Outputs)
Aspekt ist das adaptive Testen, also das an die Fähigkeiten von Bildungsprozessen werden auch Prozess- und
der Testperson angepasste Erfassen von Kompetenzen (z. B. Kontextfaktoren berücksichtigt, die Aussagen über
Frey und Ehmke 2007). die Wirkungsweise eines Bildungssystems erlauben
Weiterführende Befunde zu Bedingungsfaktoren des (beispielsweise über Chancengerechtigkeit). Diese
Kompetenzerwerbs oder Modelle zur Erklärung von Bildungs- Daten werden meist über Fragebögen erhoben. Die
prozessen, die über typische Befunde aus Querschnittstudien
372 B. Drechsel et al.

3. Erklären Sie, welche Rolle die theoretische


inhaltliche Ausrichtung einer Vergleichsstudie wird in Rahmenkonzeption einer Vergleichsstudie für deren
ihrer Rahmenkonzeption festgelegt: Unter Rückgriff Durchführung spielt.
auf eine bildungstheoretische Auffassung und den 4. Erklären Sie, was Kompetenzstufen sind und wie sie
aktuellen Forschungsstand in der Domäne bildet zu interpretieren sind?
die Rahmenkonzeption die Grundlage der Test- und 5. Beschreiben Sie, unter welchen Perspektiven man die
Fragebogenkonstruktion. Ergebnisse von Vergleichsstudien betrachten kann.
Abhängig von ihren Fragestellungen legen
Vergleichsstudien unterschiedliche Perspektiven Vertiefende Literatur
an: Sie geben Auskunft über den Zustand des 5 Hartig, J., Klieme, E., & Leutner, D. (Hrsg.). (2008). Assessment of
Bildungssystems im (internationalen) Vergleich competencies in educational contexts. Toronto: Hogrefe & Huber
mit anderen Systemen, sie lassen sich anhand von Publishers.
5 Pellegrino, J. W., Chudowsky, N., & Glaser, R. (Hrsg.). (2001).
inhaltlichen Kriterien (z. B. Kompetenzstufen) verorten Knowing what students know. Washington, D.C.: National
und geben – bei wiederholten Erhebungsrunden – Academies Press.
Auskunft über Veränderungen über die Zeit. Um diesen 5 Reiss, K., Sälzer, Ch, Schiepe-Tiska, A., Klieme, E., & Köller, O. (Hrsg.).
Fragen nachgehen zu können sind Vergleichsstudien (2016). PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation.
spezifische Designs zugrunde gelegt. Die Auswertung Münster: Waxmann.
5 Von Davier, M., Gonzalez, E., Kirsch, I., & Yamamoto, K. (Hrsg.).
von Vergleichsstudien erfolgt mit Modellen der (2013). The Role of International Large-Scale Assessments:
Item-Response-Theorie. IRT-Modelle sind am besten Perspectives from Technology, Economy, and Educational Research.
geeignet, präzise Aussagen über die Ergebnisse für New York: Springer.
Personengruppen (und nicht auf Individualebene) zu
machen und Aufgabenschwierigkeit und Personen-
fähigkeit auf derselben Skala zu messen. Die Literatur
Ergebnisse von Vergleichsstudien beschreiben die
Stärken und Schwächen eines Bildungssystems und Baethge, M. (2010). Ein europäisches Berufsbildungs-PISA als
geben viele wertvolle Hinweise zu seiner Steuerung. methodisches und politisches Projekt. In D. Münk & A. Schelten (Hrsg.),
Die begrenzte Reichweite und die eingeschränkten Kompetenzvermittlung für die Berufsbildung (S. 19-36). Bonn: bibb.
Baumert, J., Roeder, P. M., Gruehn, S., et al. (1996). Bildungsverläufe
„Interpretationsmöglichkeiten“ von Vergleichsstudien, und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter (BIJU). In K.-P.
die jeweils spezifische Fragen verfolgen und meist Treumann, G. Neubauer, R. Möller, & J. Abel (Hrsg.), Methoden und
nicht kausal interpretierbare Ergebnisse liefern, Anwendungen empirischer pädagogischer Forschung (S. 170–180).
geben Impulse für Forschungsarbeiten, die an den Münster: Waxmann.
Verfahren und Ergebnissen von Vergleichsstudien Baumert, J., Kunter, M., Brunner, M., Krauss, S., Blum, W., & Neubrand,
M. (2004). Mathematikunterricht aus Sicht der PISA-Schülerinnen
ansetzen und Erkenntnisse und Zusammenhänge in und -Schüler und ihrer Lehrkräfte. In M. Prenzel, J. Baumert, W.
­Small-Scale-Studien überprüfen und vertiefen. Eine Blum et al. (Hrsg.), PISA 2003. Der Bildungsstand der Jugendlichen
15 besondere Herausforderung für die Zukunft ist es, in in Deutschland – Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs
(S. 314–354). Münster: Waxmann.
der Anlage und Umsetzung von Vergleichsstudien auf
Veränderungen in den Bildungszielen (beispielsweise Blossfeld, H.P., & Roßbach, H.-G. (Hrsg.). (2019). Education as a Lifelong
Process. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Special Issue. Heidel-
durch Veränderungen im IT-Bereich; auch 7 Kap. 6) berg: VS Verlag.
sensibel und zeitnah zu reagieren. Die Entwicklungen Blum, W., Drüke-Noe, C., Hartung, R., & Köller, O. (Hrsg.). (2006).
von Kompetenzen und Kontextmerkmalen über die Bildungsstandards Mathematik: konkret – Sekundarstufe I: Auf-
Zeit, die sogenannten Trends, methodisch fundiert zu gabenbeispiel, Unterrichtsanregungen, Fortbildungsideen. Berlin:
beschreiben, ist eines der bedeutsamen Probleme in Cornelsen Scriptor.
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notwendigen Vorarbeiten dazu sind jedoch bisher nicht Carstensen, C. H., Knoll, S., Rost, J., & Prenzel, M. (2004). Technische Grund-
vollsständig erledigt. lagen. In M. Prenzel, J. Baumert, W. Blum et al. (Hrsg.), PISA 2003. Der
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? Verständnisfragen PISA 2000 und PISA 2006 entwickelt? Zeitschrift für Erziehungs-
1. Erklären Sie, was für unterschiedliche Grundaus- wissenschaft (Sonderheft 10), 11–34.
richtungen von Vergleichsstudien es gibt und was Carstensen, C. H., Frey, A., Walter, O., & Knoll, S. (2007). Technische
dabei jeweils gemessen werden soll. Grundlagen des dritten internationalen Vergleichs. In M. Prenzel,
2. Beschreiben Sie verschiedene C. Artelt, J. Baumert, W. Blum, M. Hammann, E. Klieme, & R. Pekrun
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Untersuchungsdesigns, die man bei gleichsstudie (S. 367–390). Münster: Waxmann.
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375 VI

Intervenieren
Inhaltsverzeichnis

16 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im
Kindergarten- und Einschulungsalter – 377
Marco Ennemoser und Kristin Krajewski

17 Training – 405
Stefan Fries und Elmar Souvignier

18 Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im


Schulalter – 425
Arnold Lohaus und Holger Domsch
377 16

Pädagogisch-psychologische
Lernförderung im
Kindergarten- und
Einschulungsalter
Marco Ennemoser und Kristin Krajewski

16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen – 379


16.1.1 Die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen – 380
16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte beim Einsatz von
pädagogisch-psychologischen Trainingsprogrammen – 380
16.1.3 Fazit – 382

16.2 Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule – 382


16.2.1 Möglichkeiten einer effektiven Sprachförderung – 382
16.2.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit des dialogischen Lesens – 384
16.2.3 Fazit – 385

16.3 Förderung des induktiven Denkens – 385


16.3.1 Möglichkeiten einer effektiven Förderung induktiven Denkens – 386
16.3.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Denktrainings – 388

16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten des


Schriftspracherwerbs – 389
16.4.1 Die Bedeutung von phonologischer Bewusstheit und ­Buchstaben-
Laut-Zuordnung in der schriftsprachlichen Entwicklung – 389
16.4.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von phonologischer
Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung – 391
16.4.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von
phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung – 393

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E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_16
16.5 Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten
und im Schuleingangsbereich – 394
16.5.1 Die Bedeutung von Z­ ahl-Größen-Kompetenzen in der
mathematischen Entwicklung – 394
16.5.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von Zahl-Größen-
Kompetenzen – 395
16.5.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von Zahl-Größen-
Kompetenzen – 399

Literatur – 401
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
379 16
Die Kinder eines Einschulungsjahrgangs bringen bereits Schultag mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen zum
am ersten Schultag sehr unterschiedliche Ausgangsvoraus- Unterricht an. Wie aus den Befunden verschiedener Längs-
setzungen mit. Diese Unterschiede haben einen nach- schnittstudien hervorgeht, können diese anfänglichen Rück-
haltigen Einfluss auf die weitere Schullaufbahn. Mit dem Ziel stände in den nachfolgenden Schuljahren nur noch bedingt
ungünstigen Entwicklungsverläufen frühzeitig vorzubeugen, aufgeholt werden (z. B. Klicpera und Gasteiger-Klicpera
wird in den letzten Jahren ein immer größeres Augenmerk 1993; Stern 2003).
auf Möglichkeiten der vorschulischen Prävention gerichtet. Die Erkenntnis, dass die Ursachen für spätere Lern-
Da das konventionelle Bildungsangebot in dieser Hinsicht schwierigkeiten bereits vor dem Schuleintritt zum Tragen
bislang wenig erfolgreich ist, bieten sich insbesondere kommen, hat das Augenmerk in den letzten Jahren
pädagogisch-psychologisch fundierte Förderansätze an. zunehmend auf Möglichkeiten der Prävention und damit auf
Diese stützen sich nicht nur auf solide theoretische Grund- vorschulische Bildungsprozesse gelenkt. Früh einsetzende
lagen, sondern können in vielen Fällen auch empirische Fördermaßnahmen sollen drohenden Entwicklungsrück-
Wirksamkeitsnachweise vorlegen. Das vorliegende Kapitel ständen vorbeugen und allen (insbesondere auch sozial
befasst sich mit der Frage, in welchen Lernbereichen die benachteiligten) Kindern eine gute Ausgangslage für den
Implementation von pädagogisch-psychologisch fundierten Anfangsunterricht in der Schule ermöglichen. Vor dem
Präventionsmaßnahmen besonders sinnvoll ist, welche Hintergrund der oben beschriebenen, eher ernüchternden
vorschulisch vorhandenen (Vorläufer-)Kompetenzen für Befunde gewinnt dabei zunehmend das Kriterium der
diesen Zweck vielversprechende Ansatzpunkte bieten, Evidenzbasierung an Bedeutung.
welche konkreten Förderansätze jeweils existieren und
welche empirischen Befunde bislang zur Wirksamkeit dieser Definition
Maßnahmen vorliegen (. Abb. 16.1).
Fördermaßahmen gelten als evidenzbasiert, wenn sie
nicht nur eine solide theoretische Fundierung aufweisen,
sondern darüber hinaus auch überzeugende empirische
Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen. Idealerweise liegen
mehrere empirische Untersuchungen vor, die bestimmten
methodischen Anforderungen genügen (7 Kap. 17, Fries
und Souvignier in diesem Band), sodass die Befunde
eine möglichst klare Aussage darüber erlauben, ob die
jeweilige Maßnahme tatsächlich wirksam ist.

Hintergrund der Forderung nach einer stärkeren


Evidenzbasierung im Bildungswesen ist der international
vielfach replizierte Befund, dass viele Maßnahmen in Unter-
richt und Lernförderung nicht die gewünschte Wirkung
entfalten (Mayer 2005; Hsieh et al. 2005). Unter den zahl-
reichen Maßnahmen, die mit präventiver Intention in den
. Abb. 16.1 (© Jupiterimages/Getty Images)
Kindergärten zum Einsatz kommen, wird das Kriterium
der Evidenzbasierung jedoch nur von sehr wenigen erfüllt.
Selbst in so prominenten Bereichen wie der Sprach-
16.1  Notwendigkeit vorschulischer förderung liegen viel zu wenige aussagekräftige Studien vor,
Fördermaßnahmen die Gewissheit geben könnten, welche Maßnahmen tatsäch-
lich die erhofften präventiven Förderpotenziale entfalten
Schulische Bildung gilt als wesentliche Voraussetzung für (Weinert und Lockl 2008). Erschwerend kommt hinzu, dass
die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dem- viele Studien methodische Schwächen aufweisen, sodass die
entsprechend zählt es zu den wichtigsten Zielen unseres Befunde oft nur eingeschränkt interpretierbar sind.
Bildungssystems, jedem Kind einen angemessenen, das Wertvolle Beiträge zur Verbesserung dieser Situation
heißt einen aufgrund der jeweiligen individuellen Voraus- stammen aus der pädagogisch-psychologischen Inter-
setzungen erreichbaren Bildungserfolg zu ermöglichen. ventionsforschung. Diese definiert, welche methodischen
Allerdings zeigen die Befunde internationaler Vergleichs- Anforderungen an empirische Evaluationsstudien zu
studien, dass unser Bildungssystem diesbezüglich nicht stellen sind und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit
allzu erfolgreich ist. Insbesondere gelingt es offenbar nicht, die Wirksamkeit der evaluierten Maßnahme beurteilet
herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen auszu- werden kann (7 Kap. 14, Köller in diesem Band). Die ent-
gleichen, wie etwa die Herkunft aus sozial schwächeren Ver- sprechenden Maßnahmen orientieren sich üblicherweise
hältnissen oder einen Migrationshintergrund. In diesem an theoretischen Modellen der natürlichen Kompetenzent-
Sinne benachteiligte Kinder treten häufig bereits am ersten wicklung. Die Programme zielen auf einen systematischen
380 M. Ennemoser und K. Krajewski

Kompetenzaufbau ab, sie sind klar strukturiert und können, muss berücksichtigt werden, dass Prävention als
beinhalten standardisierte Durchführungsrichtlinien. Hier- Fachbegriff weiter gefasst wird als dies in der alltagssprach-
durch wird sichergestellt, dass die Förderpotenziale der lichen Begriffsverwendung der Fall ist. Einer gängigen
Maßnahmen nicht durch willkürliche Abweichungen und Einteilung zufolge können drei Stufen der Prävention
Ausschmückungen untergraben werden (Sicherung der unterschieden werden.
Treatment-Validität; Pressley und Harris 1994). Idealer-
weise liegen mehrere und aussagekräftige empirische Definition
Studien vor, die die Wirksamkeit des jeweiligen Förder- Drei Stufen der Prävention (vgl. von Suchodoletz 2007)
programms belegen. 1. Maßnahmen, die allen Personen einer bestimmten
Von anderen Fachdisziplinen im Bereich der Bildungs­ Population (z. B. allen Kindergartenkindern)
forschung wird der programmatische Aufbau pädagogisch- zuteilwerden, dienen der primären Prävention. Das
psychologischer Trainings gelegentlich kritisch bewertet. heißt, hier wird keine Auswahl danach getroffen, ob
Dabei wird häufig die Auffassung vertreten, dass durch die ein Kind im anvisierten Bereich einen besonderen
standardisierte Vorgehensweise individuelle Lernwege und Förderbedarf hat oder nicht.
Entfaltungsmöglichkeiten unterdrückt würden. Als alternative 2. Maßnahmen der sekundären Prävention beziehen
Ansätze werden vielfach „ganzheitliche“ Methoden oder demgegenüber nur Kinder ein, bei denen bereits ein
„selbstentdeckendes Lernen“ hervorgehoben, die individuellen gewisses Risiko für die Entstehung entsprechender
Entwicklungsbedürfnissen angemessen entgegen kämen. Probleme identifiziert wurde. Die betreffenden
Eine differenzierte Diskussion dieser Kontroverse würde Kinder weisen zwar noch keine substanziellen
den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen (vgl. hierzu Schwierigkeiten (beispielsweise im Sinne einer
Probst und Kuhl 2006). Insgesamt kann jedoch der Nutzen Rechenstörung) auf, es sind jedoch bereits
­pädagogisch-psychologischer Trainingsprogramme angesichts ungünstige Ausgangsvoraussetzungen erkennbar
der internationalen Befundlage nicht grundsätzlich in Frage (z. B. fehlendes Zahlverständnis).
gestellt werden. Zudem kann ein global konstruktivistisches, 3. Der Begriff der tertiären Prävention bezieht sich
allein auf selbstentdeckendes Lernen ausgerichtetes Vorgehen schließlich auf Maßnahmen, die erst dann einsetzen,
unter präventiven Gesichtspunkten als ungeeignet gelten, da wenn bereits massive Probleme im jeweiligen
dies gerade für Kinder mit Lern- und Vorwissensdefiziten Bereich evident sind. Dies ist beispielsweise der Fall,
regelmäßig Überforderungen mit sich bringt (Grünke 2006; wenn eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine
Heward 2003; Krajewski und Ennemoser 2010). Rechenschwäche diagnostiziert wurde oder wenn
Da vorschulische Förderprogramme üblicherweise im klinischen Sinne von einer Erkrankung oder einer
mit präventiven Zielsetzungen verbunden sind, wird im Störung gesprochen werden kann.
Folgenden zunächst beleuchtet, was unter dem Begriff Prä-
vention zu verstehen ist und welche präventive Funktion
pädagogisch-psychologische Trainingsprogramme in
einem institutionellen Bildungskontext erfüllen (können). Bei den Trainingsprogrammen für das Kindergarten- und
Anschließend soll diskutiert werden, in welchen Lern- Einschulungsalter, die in diesem Kapitel behandelt werden,
handelt es sich naturgemäß eher um primär- und sekundär-
16 bereichen eine Prävention durch entsprechende Trainings-
programme besonders sinnvoll scheint. Hierbei werden präventive Maßnahmen, da sie Schwächen beziehungsweise
vier Bereiche vorgeschlagen, die für die weitere Bildungs- Störungen im schulischen Lernen vorbeugen sollen, die zu
laufbahn besonders wichtig sind. Jedem dieser Bereiche diesem Zeitpunkt noch gar nicht manifestiert sind. Tertiär-
wird ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem zunächst die präventive Maßnahmen fallen demgegenüber eher in den
Relevanz der jeweiligen Kompetenz für den Bildungserfolg Bereich der Therapie (schulischer Lernstörungen) und
begründet wird und anschließend geeignete Förderansätze können im Rahmen vorschulischer Fördersettings nicht
im Detail beschrieben werden. Dabei wird auch auf die geleistet werden.
jeweils vorliegende Befundlage zur Wirksamkeit der einzel-
nen Maßnahmen eingegangen.
16.1.2  Inhaltliche Schwerpunkte
beim Einsatz von
16.1.1  Die präventive Funktion pädagogisch-psychologischen
vorschulischer Fördermaßnahmen Trainingsprogrammen

Im Allgemeinen dienen vorschulische Fördermaßnahmen Unter den Begriff der primären Prävention könnten
dazu, Kinder auf die Schule und das spätere Leben vorzu- theoretisch sämtliche Maßnahmen gefasst werden, die im
bereiten. Insbesondere sollen sie Problemen in der späteren Kindergartenalltag durchgeführt werden, um Kinder auf die
Bildungslaufbahn vorbeugen, das heißt, sie verfolgen eine Schule beziehungsweise ganz allgemein auf das Leben in der
präventive Zielsetzung. Um die präventive Funktion vor- Gesellschaft vorzubereiten. Wie bereits eingangs dargestellt,
schulischer Fördermaßnahmen genauer definieren zu werden unsere konventionellen Bildungsangebote dieser
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
381 16
präventiven Zielsetzung jedoch nicht in vollem Umfang auch für vorschulische Trainings der exekutiven Funktionen
gerecht. Um die präventive Wirksamkeit vorschulischer keine hinreichende empirische Evidenz vor, aus der sich
Bildungsangebote sicherzustellen, scheint es daher sinn- überzeugend ableiten ließe, dass die Maßnahmen präventiv
voll, die konventionellen Routinen durch strukturierte wirksam sind, das heißt, dass sie sich auch tatsächlich
Fördermaßnahmen im Sinne pädagogisch-psychologischer positiv auf die spätere Schulleistungsentwicklung auswirken.
Trainings (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band) Anders verhält es sich mit Maßnahmen zur Förderung
zu ergänzen. des induktiven Denkens. Unter induktivem Denken wird das
Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Umfang Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten Beobachtungen
und in welchen Lernbereichen eine Ergänzung durch ent- verstanden (Klauer 1989). Das induktive Denken gilt als
sprechende Förderprogramme sinnvoll und zielführend eine zentrale Komponente der allgemeinen Intelligenz, die
ist. Nicht zuletzt angesichts der begrenzten Ressourcen des bekanntermaßen substanzielle Zusammenhänge mit der
vorschulischen Bildungssystems scheint es zwingend not- Schulleistung aufweist. Die Annahme, dass eine erfolgreiche
wendig, eine gewisse Priorisierung vorzunehmen. Grund- Förderung nicht nur spezifisch auf das induktive Denken
sätzlich ist es naheliegend, vorrangig solche Fähigkeiten und wirkt, sondern auch Transfereffekte auf das schulische Lernen
Fertigkeiten in den Blick zu nehmen, die für den weiteren nach sich zieht, ist daher theoretisch überaus plausibel.
Entwicklungsverlauf beziehungsweise die nachfolgende Zudem liegen inzwischen umfangreiche empirische Wirk-
Schullaufbahn besonders relevant sind und die – im Falle samkeitsnachweise vor, die diese Annahme bestätigen.
einer ungünstigen Entwicklung – zusätzliche Sekundär-
problematiken nach sich ziehen. Es sollten also Kompetenz- Sprachkompetenz
bereiche im Fokus stehen, die für die anschließende Ein Kompetenzbereich, der das Kriterium einer großen
Entwicklung eine besonders breite „Streuwirkung“ auf- Streuwirkung auf den späteren Schulerfolg in besonderem
weisen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sollten Umfang erfüllt, ist die Sprachkompetenz. Da die Sprache
theoretisch insbesondere die nachfolgend beschriebenen als wichtigstes Kommunikationsmedium auch das
drei Bereiche einen jeweils vielversprechenden Ansatzpunkt dominierende Medium der Wissensvermittlung darstellt, hat
für präventive Maßnahmen bieten. sie einen entsprechend nachhaltigen Einfluss auf die gesamte
schulische Leistungsentwicklung und zählt somit zu den
Allgemeine kognitive Fähigkeiten wichtigsten Ansatzpunkten für eine wirksame Prävention.
Mit Blick auf die geforderte Streuwirkung der Maßnahmen
bieten sich zunächst allgemeine kognitive Fähigkeiten und Bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten
Fertigkeiten als potenzielle Ansatzpunkte für eine Förderung Einen weiteren Ansatzpunkt für präventive Fördermaß­
an. Diese haben auf breiter Front leistungslimitierende Einflüsse nahmen, die eine breite Streuwirkung erwarten lassen, stellen
auf den Lernprozess sind damit lerngegenstandsübergreifend sogenannte bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten für den
relevant. Naheliegend ist beispielsweise eine gezielte Förderung Erwerb der Kulturtechniken Schriftsprache und Mathematik
des Arbeitsgedächtnisses, das beim Lernen allgemein als dar. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten und Fertigkeiten,
eine Art „Flaschenhals“ gilt (Hasselhorn und Gold 2006). Die die zwar noch nicht im engeren Sinne als Lesen, Schreiben
präventiven Potenziale von Arbeitsgedächtnistrainings sind oder Rechnen zu bezeichnen sind, die aber eine wichtige
allerdings umstritten. So genügt es für den Zweck der Prä- Voraussetzung für deren Erwerb darstellen. Bezogen auf den
vention nicht nachzuweisen, dass nach der Förderung bessere Schriftspracherwerb ist dies vor allem die phonologische
Leistungen in verschiedenen Arbeitsgedächtnistests erzielt Bewusstheit, also die Einsicht in die Lautstruktur der Sprache.
werden. Vielmehr muss zudem sichergestellt sein, dass mit Analog hierzu werden für den mathematischen Kompetenz-
dem Training auch die gewünschten Transferwirkungen auf erwerb sogenannte mathematische Basiskompetenzen,
andere Lernbereiche erzielt werden. Insbesondere für den Vor- also grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen und
schulbereich konnte jedoch bislang nicht überzeugend belegt Mengen oder Größen, als zentrale Voraussetzung betrachtet
werden, dass sich eine Förderung des Arbeitsgedächtnisses (Krajewski und Ennemoser 2013). Die genannten Vorläufer-
auch tatsächlich in späteren Schulleistungen niederschlägt fertigkeiten entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit
(Melby-Lervåg und Hulme 2013). der Umwelt bereits vor dem Schuleintritt und sind in der
Ähnliche Einschränkungen gelten für Trainings zur Regel nicht, oder zumindest nicht in hinreichendem Umfang,
Förderung exekutiver Funktionen. Die unter diesen Begriff Gegenstand der formalen Instruktion im Unterricht. Das
gefassten kognitiven Regulations- und Kontrollmechanis- heißt, sie werden im Anfangsunterricht weitgehend voraus-
men (z. B. Hemmung von Denk- und Handlungsimpulsen, gesetzt oder implizit als „beiläufig erlernbar“ betrachtet. Für
Wechseln des Aufmerksamkeitsfokus, Aktualisieren von Kinder, die aufgrund fehlender Anregungen im sozialen
Informationen im Arbeitsgedächtnis; Drechsler 2007; Umfeld mit unzureichend entwickelten Vorläuferfertigkeiten
Miyake et al. 2000) haben ebenfalls einen substanziellen in die Schule kommen, hat dies weitreichende Konsequenzen.
Einfluss auf zukünftige Lernentwicklungen (z. B. Mischel Viele dieser Kinder gehen in den beiden wichtigsten Grund-
et al. 1988; Roebers et al. 2011; Krajewski und Simanowski schulfächern bereits mit Rückständen an den Start, die im
2017). Wie im Falle des Arbeitsgedächtnisses liegt jedoch Anfangsunterricht nicht gezielt ausgeglichen werden.
382 M. Ennemoser und K. Krajewski

16.1.3  Fazit
Ebenen der Sprachkompetenz (vgl. Weinert und
Ausgehend von der Argumentation, dass im Rahmen Grimm 2008)
vorschulischer Präventionsbemühungen vor allem 1. Die phonetisch-phonologische Ebene bezieht
Maßnahmen zu priorisieren sind, die – idealerweise nach- sich auf die Kenntnis des Lautsystems und die
weislich – eine breite Wirkung auf die spätere Schulleistung Verarbeitung lautlicher Information.
entfalten, sollte das Augenmerk vor allem auf folgende 2. Die morphologisch-syntaktische Ebene umfasst
vier Schwerpunkte gerichtet werden: induktives Denken, Regularitäten der Wort- und Satzbildung und damit
Sprache sowie jeweils spezifische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Grammatik.
den Erwerb der Schriftsprache (phonologische Bewusstheit) 3. Auf der lexikalisch-semantischen Ebene stehen
und der Mathematik (mathematische Basiskompetenzen). der Wortschatz sowie auch wortübergreifende
Die vorgeschlagene Fokussierung auf bestimmte Schwer- Bedeutungszusammenhänge im Vordergrund.
punkte bedeutet nicht, dass man andere Lernbereiche nicht 4. Die kommunikativ-pragmatische Ebene bezieht
ebenfalls für eine frühe Förderung in Erwägung ziehen oder sich schließlich auf den sachgerechten, situations-
als erstrebenswert betrachten kann. Wie bereits dargelegt, angemessenen Gebrauch von Sprache.
scheint es jedoch vor dem Hintergrund der begrenzten
finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen im
Bereich der frühkindlichen Bildung notwendig, eine klare Der Erwerb dieser Kompetenzen zählt zweifellos zu den
Abgrenzung vorzunehmen zwischen Kompetenzbereichen, wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Kindesalters. Defizite in
die im oben beschriebenen Sinne als „must have“ zu der Sprachkompetenz ziehen langfristige Beeinträchtigungen
bezeichnen sind, und solchen, die zusätzlich in den Fokus im späteren Bildungserfolg nach sich, was nicht zuletzt durch
genommen werden können, wenn die zuerst genannten die massiven Bildungsbenachteiligungen von Kindern mit
hinreichend gesichert sind. So kann etwa über Sinn und Migrationshintergrund dokumentiert wird (Baumert et al.
Unsinn der frühkindlichen Vermittlung von Chinesisch in 2001; Bos et al. 2007; Stanat 2003). Aber auch über den
hiesigen Bildungseinrichtungen trefflich diskutiert werden. Bildungserfolg hinaus stellt die Sprache eine zentrale Voraus-
Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis kommen setzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar.
jedoch auch ohne C ­ hinesisch-Kenntnisse ganz gut zurecht, Die Unterstützung des Spracherwerbs zählt somit zu den
ohne in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teil- wichtigsten Zielen frühkindlicher Bildung und ihr gebührt
habe nennenswerte Einschränkungen in Kauf nehmen zu auch unter präventiven Gesichtspunkten besondere Beachtung.
müssen. Es handelt sich also um Kompetenzen, die eher
der Kategorie „nice to have“ zuzuordnen sind. Davon
abgesehen sollte bei der Entscheidung, welche und wie viele 16.2.1  Möglichkeiten einer effektiven
Fördermaßnahmen letzten Endes implementiert werden, Sprachförderung
schließlich auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
fokussierten, formalen Förderangeboten und Freiräumen Vor dem geschilderten Hintergrund ist es erstaun-
beziehungsweise informellen Lerngelegenheiten berück- lich, wie wenig über die Wirksamkeit vorschulischer
sichtigt werden.
16 Fördermaßnahmen bekannt ist. Obwohl inzwischen eine
Vielzahl an Förderkonzepten existiert (vgl. Jampert et al.
2005), liegt bislang kein Programm vor, für das in einem
16.2  Sprachförderung in Kindergarten und hinreichenden Umfang empirische Wirksamkeitsnachweise
Vorschule existieren und das in diesem Sinne als „evidenzbasiert“
gelten kann (7 Abschn. 16.1). Darüber hinaus gelangen
Die Sprache ist ein extrem flexibles Kodiersystem, das es uns jüngste Begleitstudien zu verschiedenen Förderinitiativen in
einerseits ermöglicht, komplexe, abstrakte Informationen Deutschland vergleichsweise konsistent zu ernüchternden
„nach außen“ zu kommunizieren, und das uns umgekehrt Ergebnissen (z. B. Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Roos et al.
auch dabei hilft, Wahrgenommenes verbal „nach innen“ zu 2010; Wolf et al. 2011; für einen Überblick vgl. Lisker 2011).
kodieren, Informationen zu strukturieren, sie problemlösend Folglich ist es an dieser Stelle nicht möglich, ein bestimmtes
zu verarbeiten und in größere Zusammenhänge einzubetten. Förderprogramm im Sinne eines empirisch bewährten
Um Sprache in diesem Sinne nutzen zu können, muss jedoch „Gesamtpakets“ hervorzuheben. Allerdings lassen sich aus
das ihr zugrunde liegende Regelsystem erworben werden der internationalen Forschung Hinweise auf bestimmte
(vgl. Weinert und Lockl 2008). Die Kompetenzen, die hier- übergeordnete Prinzipien ableiten, die im Rahmen der vor-
bei aufgebaut werden müssen, lassen sich im Wesentlichen schulischen Sprachförderung vielversprechend sind. Ins-
auf vier Ebenen verorten. besondere kann es als vergleichsweise gesichert gelten,
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
383 16
dass große Förderpotenziale in der Art der sprachlichen Das dialogische Lesen stellt somit – wie die meisten
Interaktion mit dem Kind liegen. Richtungsweisend sind Sprachfördermaßnahmen für das Kindergartenalter – einen
in diesem Zusammenhang die inzwischen als klassisch zu impliziten Vermittlungsansatz dar (Polotzek et al. 2008;
bezeichnenden Arbeiten von Whitehurst und Kollegen zur 7 Exkurs „Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien“). Eine
Wirksamkeit des sogenannten dialogischen Lesens (dialogic Besonderheit besteht jedoch darin, dass das dialogische Lesen
reading; Whitehurst et al. 1988). im Grunde ausschließlich auf die konsequente Anwendung
sprachförderlicher Interaktionsprinzipien setzt (Ennemoser
Definition et al. 2013). Das heißt, der Förderansatz umfasst weder
Das dialogische Lesen basiert auf der konsequenten elaborierte Programmbausteine, die jeweils gezielt auf die
Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien, wie sie Vermittlung bestimmter Sprachkompetenzen (z. B. Plural-
auch im Rahmen der natürlichen Eltern-Kind-Interaktion bildung, Wortschatz) zugeschnitten sind, noch werden hier-
beobachtbar sind („Motherese“; Hoff-Ginsberg 1986; für bestimmte Übungsmaterialien vorgehalten, wie dies in
Weinert und Lockl 2008). Als Plattform für die Umsetzung verfügbaren Trainingsprogrammen üblicherweise der Fall
sprachförderlicher Dialoge wird die klassische ist (z. B. Penner 2005; Küspert und Schneider 2006). Neben
Vorlesesituation gewählt, die hierfür ideale Möglichkeiten der Vorlesesituation, die als Plattform für die Realisierung
bietet (Ennemoser 2008). Im Zuge des kommunikativen sprachförderlicher Interaktionen genutzt wird, gilt ledig-
Austauschs über möglichst interessante Inhalte erhalten lich die Vorgabe, dass sich die Auswahl der Bücher an den
Kinder die Gelegenheit, eher beiläufig neue Wörter zu Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren soll.
erlernen und aus dem „wohlgeformten“ Input intuitiv Was genau ist nun mit sprachförderlichen Inter-
sprachliche Regelmäßigkeiten abzuleiten (vgl. Ritterfeld aktionen im Sinne des dialogischen Lesens gemeint?
2000; Polotzek et al. 2008). Nach Ennemoser und Kollegen (2013) lassen sich die
von Whitehurst et al. (1988) beschrieben Interaktions-

Exkurs

Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien


In der Sprachförderung und wie dies auch beim dialogischen (vgl. hierzu auch die Unterscheidung
insbesondere in der Zweitsprach- Lesen der Fall ist, weitgehend auf die zwischen Focus on Meaning vs. Focus
erwerbsforschung wird häufig zwischen kommunikative Auseinandersetzung on Form; z. B. Darsow et al. 2012).
impliziten und expliziten Vermittlungs- mit relevanten Inhalten. Demgegenüber Während im Kindergartenbereich noch
strategien unterschieden (Gasparini 2004; rückt der Bedeutungsaspekt der Sprache implizite Förderansätze dominieren
Hulstijn 2005). Im Rahmen impliziter im Rahmen expliziter Vermittlungs- (Hofmann et al. 2008), gelten im späteren
Vermittlungsstrategien werden formale strategien in den Hintergrund. Ein Entwicklungsverlauf zunehmend
Aspekte der Sprache üblicherweise Fokus liegt hier auf der expliziten explizite oder auch kombinierte
nicht zum Gegenstand der Betrachtung Vermittlung sprachlicher Strukturen Vermittlungsansätze als potenziell
gemacht. Die Förderung setzt hier, und grammatischen Regelwissens überlegen (Stanat et al. 2012).

prinzipien drei sprachstimulierenden Funktionen zuordnen Beispielsweise gelten Entscheidungsfragen für die Anregung
(. Tab. 16.1; Ennemoser et al. 2013): der Sprachproduktion als weniger geeignet, da sie gegebenen-
1. Anregung der kindlichen Sprachproduktion falls schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind.
2. Modellierung sprachlicher Äußerungen Dem vorzuziehen sind Ergänzungs- und offene Fragen
3. Verstärkung/Motivation. beziehungsweise W-Fragen (z. B. Wie…? Warum…?), deren
Beantwortung es erfordert, im Text enthaltene Wörter und
Die hierunter gefassten Maßnahmen sind allerdings keines- grammatische Strukturen zu reproduzieren oder diese auf
falls spezifisch dem Ansatz des dialogischen Lesens zuzu- alternative Weise auszudrücken. Vertiefende Nachfragen
ordnen. Vielmehr handelt es sich um Techniken, die in der auf die Äußerungen des Kindes halten den bereits initiierten
Forschung zu elterlichen Sprachlehrstrategien allgemein als Dialog aufrecht und können etwa dazu anregen, die wieder-
besonders geeignet gelten, um Kindern implizite Kennt- gegebenen Inhalte zu vervollständigen oder präziser sprach-
nisse über die formale Struktur der Sprache zu vermitteln lich zu elaborieren.
(Weinert und Lockl 2008). Im Rahmen des dialogischen Die durch Fragetechniken stimulierten sprachlichen
Lesens sollen diese Prinzipien lediglich systematisch Äußerungen der Kinder bieten der Förderkraft zum
angewendet werden. einen die Gelegenheit, den Sprachgebrauch konsequent
zu loben und zu verstärken, um ihnen Zutrauen in die
> Eine der wichtigsten Strategien zur Anregung der eigene sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu vermitteln. Zum
Sprachproduktion ist der gezielte Einsatz von Fragen anderen ermöglichen sie der Förderkraft, diese Äußerungen
(Arnold et al. 1994; Whitehurst et al. 1988), wobei gezielt zu modellieren. Die Modellierungstechniken
jedoch die Art der Fragen eine Rolle spielt. umfassen neben der lobenden Wiederholung korrekter
384 M. Ennemoser und K. Krajewski

. Tab. 16.1 Sprachförderliche Interaktionsmerkmale im Sinne des dialogischen Lesens und ihre jeweilige Funktion. (Ennemoser et al.
2013, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)

Funktion Maßnahme/Technik

Anregung der Sprachproduktion – W-Fragen


– offene Fragen
– Nachfragen zu Äußerungen des Kindes
– Sätze vervollständigen lassen
Modellierung – korrektive Wiederholung der Äußerungen des Kindes/Wiederholung eigener
Äußerungen
– Erweiterung und Umformulierung
– Unterstützung
Verstärkung/Motivation – Lob und Verstärkung
– Orientierung an Interessen und Erfahrungen des Kindes
– Spaß haben

Verbalisierungen gezielte Ergänzungen (Expansion) sowie Ergebnissen zufolge zeigen Kinder, deren Eltern eine Ein-
unterstützende bzw. korrektive Modellierungen bei Fehlern führung in die genannten Sprachlehrstrategien erhalten
(recasts). So greift die Förderkraft Äußerungen des Kindes haben, im Anschluss substanziell größere sprachliche
wiederholend auf und ändert diese gegebenenfalls gering- Kompetenzzuwächse, als eine Kontrollgruppe, in der die
fügig ab, um die verwendeten Wörter zu festigen und Eltern gemäß ihren üblichen Gewohnheiten vorlesen
grammatische Strukturen salient zu machen. Bei sprachlich (Whitehurst et al. 1988; Whitehurst et al. 1994). Inzwischen
unkorrekten Äußerungen wird auf eine explizite, tadelnde wurde das dialogische Lesen in verschiedenen Kontexten
Benennung von Fehlern (z. B. „Es heißt nicht Teppe, jenseits des häuslichen Eltern-Kind-Settings und auch bei
sondern Treppe!“) verzichtet. Stattdessen werden die älteren Kindern evaluiert. So wurde es erfolgreich im Klein-
Äußerungen aufgegriffen und in korrigierter Form wieder- gruppenformat in Kindergärten und Tagesstätten sowie als
holt, eventuell etwas erweitert und zum Anlass für weitere Maßnahme innerhalb des Head Start Programms1 eingesetzt
Nachfragen genommen. So könnte eine Förderkraft auf die (vgl. Lonigan und Whitehurst 1998; Whitehurst et al. 1994;
Aussage „Teppe nunterfallt!“ beispielsweise erwidern: „Ja, Whitehurst et al. 1999). Neben unausgelesenen Normalstich-
genau! Die Puppe ist die Treppe hinuntergefallen! Warum proben wurden auch für Risikokinder (Fielding-Barnsley
ist sie denn die Treppe hinunter gefallen?“. und Purdie 2003; Hargrave und Sénéchal 2000) sowie für
Da die genannten Modellierungstechniken direkt an Kinder mit Hörschädigungen positive Effekte gefunden
den sprachlichen Äußerungen des Kindes ansetzen, ent- (Fung et al. 2005; Dale et al. 1996). Die hierbei registrierten
faltet sich der anschließende Dialog jeweils ausgehend Fördererfolge betreffen eine breite Palette sprachlicher
vom individuellen Entwicklungsniveau des Kindes. Die Kompetenzen und reichen von einer Erweiterung des Wort-
Äußerungen des Kindes stellen gleichsam das Grund- schatzes über Zugewinne in der mittleren Äußerungslänge
16 gerüst dar, das im gemeinsamen Dialog weitergebaut und (mean length of utterances; MLU) beziehungsweise in
ausgestaltet wird. Hierbei werden durch die Modellierung den ­ morphologisch-syntaktischen Fähigkeiten bis hin zu
im Idealfall Reize gesetzt, die in der Zone der nächsten verbesserten schriftsprachlichen Vorläuferkompetenzen
Entwicklung (Vygotskij 1934) liegen und die die weitere (vgl. Mol et al. 2008; Mol et al. 2009). Einschränkend ist
Sprachentwicklung optimal stimulieren. jedoch festzuhalten, dass das dialogische Lesen in vielen
Wie bereits erwähnt, spielen neben den spezifisch Studien nicht isoliert eingesetzt wurde, sondern mit
sprachbezogenen Interaktionsprinzipen auch allgemeine anderen Maßnahmen kombiniert war, sodass nicht ein-
motivationspsychologische Aspekte eine wichtige Rolle. deutig bestimmt werden kann, welcher Anteil der Förderer-
Hierzu zählen Lob und Bekräftigung der kindlichen folge ausschließlich dem dialogischen Lesen zugeschrieben
Äußerungen, die Beachtung der Interessen des Kindes und werden kann.
nicht zuletzt eine unterhaltsame Gestaltung der Förder- Für den deutschen Sprachraum waren lange Zeit keine
situation (vgl. auch Ritterfeld et al. 2006). Untersuchungen verfügbar, die das dialogische Lesen
im Sinne eines eigenständigen Förderansatzes evaluiert

16.2.2  Evaluationsstudien zur Wirksamkeit


des dialogischen Lesens
1 Head Start ist ein Programm zur kompensatorischen Erziehung in
den USA, das bereits in den 1960er Jahren initiiert wurde und das
Die Wirksamkeit des dialogischen Lesens wurde zunächst Ziel verfolgt herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen auszu-
im Kontext der elterlichen Vorlesesituation mit Klein- gleichen beziehungsweise in sozial schwachen Familien brach-
kindern im Alter von zwei bis drei Jahren untersucht. Den liegende Bildungsressourcen zu mobilisieren.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
385 16
haben. Ennemoser und Kollegen (2013) konnten in einer den ersten Blick scheinen mag, und dass es vielen Förder-
ersten Studie zeigen, dass Migrantenkinder, die auf- kräften selbst in einer klar umgrenzten Trainingssituation
grund mangelnder Sprachkenntnisse von der Einschulung nicht gelingt, die entsprechenden Sprachlehrstrategien
zurückgestellt worden waren, bereits nach wenigen Förder- konsequent und gewinnbringend anzuwenden. Für eine
sitzungen vom dialogischen Lesen profitieren. Dabei erfolgreiche Implementierung in die Praxis liegt somit eine
wurde eine Trainingsgruppe, die nach den Prinzipien besondere Herausforderung darin sicherzustellen, dass die
des dialogischen Lesens gefördert wurde, mit einer mit der Förderung betrauten Fachkräfte durch geeignete
parallelisierten Kontrollgruppe verglichen, die in derselben Trainingsmaßnahmen in die Lage versetzt werden, die ver-
Zeit konventionell angebotene Sprachfördersitzungen mittelten Sprachlehrstrategien konsequent anzuwenden.
absolvierte (hessische Vorlaufkurse). Die Trainingsgruppe
erzielte im Untersuchungszeitraum signifikant größere
Leistungszuwächse in den durchgeführten Sprachtests 16.3  Förderung des induktiven Denkens
als die Kinder der Kontrollgruppe. Zwei deutlich größer
angelegte Folgestudien, die nicht nur auf Migrantenkinder Bereits als Neugeborene nehmen wir unsere Umwelt
begrenzt waren, belegen ebenfalls kurzfristige Fördereffekte nicht nur passiv wahr, sondern beginnen unmittelbar,
des dialogischen Lesens auf die Entwicklung der Sprach- die Eindrücke und Beobachtungen in unserer Umwelt
kompetenz (Ennemoser und Hartung 2017; Ennemoser zu strukturieren. Als Motor fungiert dabei eine intuitive
et al. 2015). Die Befunde deuten jedoch auch darauf hin, Strategie des Vergleichens (Klauer 1989).
dass die Trainingserfolge massiv von der realisierten (per
> Vergleiche ermöglichen es uns, Ähnlichkeiten und
Videoanalyse erfassten) Durchführungsqualität abhängen
Unterschiede zu entdecken und daraus Annahmen
und dass zur Sicherung langfristiger Erfolge größere
über Regelhaftigkeiten abzuleiten. Sie dienen dazu,
Bemühungen in die Qualifizierung der Förderkräfte
Wissen nicht lediglich unsystematisch anzuhäufen,
investiert werden müssen.
sondern es zu organisieren und strukturieren.

So können bereits als Neugeborene die Stimme der


16.2.3  Fazit Mutter von anderen Stimmen unterscheiden und lernen –
einige Zeit später –, dass bestimmte Gegenstände alle-
Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die dem samt als „Ball“ bezeichnet werden, obwohl sie sich gleich-
Spracherwerb zur Teilhabe an der Gesellschaft und im zeitig in vielerlei Hinsicht (z. B. in Farbe, Größe, Material)
Besonderen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn unterscheiden und im Grunde nur ein einziges Merkmal
zukommt, überrascht, wie wenige gesicherte Erkenntnisse gemeinsam haben (rund). Auf diese Weise können
über die Wirksamkeit primär- und sekundarpräventiver nach und nach auch abstrakte Begriffe sowie komplexe
Sprachfördermaßnahmen vorliegen. Ein Problem ist darin Schemata erworben werden, die sich im Entwicklungsver-
zu sehen, dass die verfügbaren Programme gar nicht oder lauf immer weiter präzisieren und ausdifferenzieren. Das
bestenfalls als Gesamtpaket evaluiert wurden, sodass beschriebene Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten
aus den Befunden keine Schlussfolgerungen darüber Beobachtungen bezeichnet man als induktives Denken
abgeleitet werden können, welche Programmanteile Förder- (Klauer 1989). Auch wenn der Begriff „induktiv“ dies nahe-
potenziale bergen und welche nicht. Die Befunde zum legt, ist damit allerdings nicht zwingend gemeint, dass
dialogischen Lesen lassen zumindest darauf schließen, hierbei tatsächlich verallgemeinerbare Gesetzmäßigkeiten
dass die systematische Anwendung einfacher Sprachlehr- abgeleitet werden. Vielmehr werden auf der Grundlage
strategien wirksam ist und insofern auch im Sinne eines von wahrgenommenen Beobachtungen lediglich Hypo-
eigenständigen Förderansatzes Beachtung verdient. Dabei thesen über Regelhaftigkeiten generiert, die im Zuge
bleibt festzuhalten, dass es sich beim dialogischen Lesen weiterer Erkenntnisse gegebenenfalls wieder verworfen oder
streng genommen nicht um ein klassisches Trainings- relativiert werden müssen (z. B. kleine pelzige Objekte mit
programm handelt. Die angewendeten Sprachlehrstrategien vier Beinen fallen in die Kategorie „Hund“).
sind keinesfalls an die Vorlesesituation oder an spezielle Unter präventiven Gesichtspunkten ist das induktive
(additive) Einzel- oder Kleingruppensitzungen gebunden. Denken von besonderem Interesse, weil es grundlegende
Vielmehr handelt es sich um allgemeine Interaktions- Strategien und Verarbeitungsprozesse umfasst, die in sehr
prinzipien, die im Kindergarten quasi alltagsintegriert vielen Lernbereichen und bei verschiedensten Problem-
einsetzbar sind und idealerweise zum standardmäßigen stellungen anwendbar sind. Sie versetzen den Lernenden
„Handwerkszeug“ pädagogischer Fachkräfte gehören in die Lage, auch neuartige Probleme zu lösen, indem Ana-
sollten. Inwiefern das dialogische Lesen auch als ein solcher logien zu bereits Bekanntem hergestellt und entsprechende
alltagsintegrierter Ansatz erfolgversprechend ist, kann Erkenntnisse und Strategien auf das jeweils aktuelle
jedoch mangels empirischer Befunde derzeit nicht beurteilt Problem angewendet werden.
werden. Aktuelle Befunde sind sehr ermutigend, sie deuten Es steht außer Frage, dass das induktive Denken
aber auch darauf hin, dass die konkrete Umsetzung dieser für den Bildungserfolg von sehr großer Bedeutung ist.
Interaktionsprinzipien nicht ganz so einfach ist, wie es auf Diese Bedeutung ist auch daran abzulesen, dass das
386 M. Ennemoser und K. Krajewski

induktive Denken eine zentrale Komponente in etablierten übergeordnete Vergleichsdimensionen unterschieden:


Intelligenzmodellen darstellt (im Sinne eines „allgemeinen“ zum einen Merkmale (z. B. Farbe, Größe, übliche Art
Intelligenzfaktors bzw. des g-Faktors nach Horn und Cattell der Nutzung) und zum anderen Relationen (z. B. „mehr
1966). Eine erfolgreiche Förderung des induktiven Denkens als“, „weiter entfernt von“, „wohnt in“). Facette C ist eine
sollte demnach eine vergleichsweise breite Wirksamkeit Materialfacette, die lediglich bezeichnet, auf welche Art
erzielen, das heißt, die durch das Training erzielte Ver- von Material sich die vorgenommenen Vergleichsprozesse
besserung spezieller, induktiver Denkprozesse sollte auch beziehen. Hier unterscheidet Klauer verbales, bildhaftes,
in anderen Bereichen zu verbesserten Lernerfolgen führen geometrisch-figurales, numerisches sowie „sonstiges“
(Theorie des paradigmatischen Transfers; Klauer 2011). Material.

Aufgabenklassen zum induktiven Denken


16.3.1  Möglichkeiten einer effektiven Lässt man die Materialkomponente einmal unberücksichtigt,
Förderung induktiven Denkens ergeben sich aus Facette A und Facette B sechs grund-
legende Aufgabentypen, die induktives Denken erfordern.
Um eine gezielte Förderung spezieller Denkstrukturen zu Diese unterscheiden sich einerseits darin, ob Merkmale
ermöglichen, schlägt Klauer eine präskriptive Definition oder Relationen verglichen werden müssen, und anderer-
des induktiven Denkens vor (z. B. Klauer 2001). Diese seits in der Art der geforderten Feststellung (Gleichheit,
zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass sie die Verschiedenheit oder beides). Die Systematik der Aufgaben-
kognitiven Prozesse spezifiziert, die für das induktive typen ist in . Abb. 16.3 illustriert.
Denken charakteristisch sind. Zum anderen lassen sich
auf Grundlage dieser Definition bestimmte Aufgaben- Aufgabenklassen zum Vergleich von Merkmalen
klassen festlegen, deren Lösung die genannten „induktiven Als Aufgabentypen für den Vergleich von Merkmalen
Prozesse“ erfordert. Dies ermöglicht eine systematische nennt Klauer Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen),
Konzeption von Trainingsaufgaben, die sehr gezielt auf Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) und
die Förderung induktiver Denkprozesse abzielen. Die Kreuzklassifikation (Gleichheit und Verschiedenheit von
kognitiven ­(Vergleichs-)Prozesse, die es ermöglichen sollen, Relationen).
aus konkreten Beobachtungen Regelhaftigkeiten abzuleiten, Die theoretisch voneinander abgegrenzten Aufgaben zur
werden nach Klauers Theorie des induktiven Denkens Generalisierung und zur Diskrimination sind jedoch nicht
durch zwei Kernfacetten (A und B) sowie eine Material- ganz trennscharf. So geht etwa die Feststellung, dass drei von
facette (C) charakterisiert (. Abb. 16.2). fünf dargestellten Möbeln „zusammen gehören“ (also gleich
Facette A bezeichnet zunächst das Ergebnis der Ver- sind, weil es sich um Sitzmöbel handelt; Generalisierung)
gleichsprozesse. Dabei kann der vorgenommene Abgleich einher mit der Einschätzung, dass die übrigen zwei Möbel-
von Ähnlichkeiten und Unterschieden grundsätzlich stücke (z. B. ein Tisch und ein Schrank) die entscheidende
zu drei Ergebnissen führen: Gleichheit, Verschieden- Gemeinsamkeit eben nicht teilen, also in diesem Punkt von
heit oder Gleichheit und Verschiedenheit (z. B. gleiche den anderen verschieden sind (Diskrimination). In ähn-
Farbe, verschiedene Form). Facette B kennzeichnet die licher Weise erfordert die Feststellung, welches von fünf
16 Vergleichsdimension. Hier geht es um die Frage, worauf Fahrzeugen nicht zu den anderen passt (also von ihnen ver-
sich der Vergleich bezieht. Diesbezüglich werden zwei schieden ist; Diskrimination) gleichzeitig die Erkenntnis,

. Abb. 16.2 Kognitive


Vergleichsprozesse nach
Klauer (1989, modifiziert, mit
freundlicher Genehmigung von ...
Hogrefe, Göttingen)
Feststellung der ... von ... bei ...

c1 verbalem
a1 Gleichheit
b1 Merkmalen c2
a2 Verschiedenheit c3 geometr.-figuralem
b2 c4 numerischem
a3 Gleichheit und
Verschiedenheit c5

...
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
387 16
. Abb. 16.3 Aufgabenklassen
zum induktiven Denken nach
Klauer (1989, modifiziert, mit
freundlicher Genehmigung von
Hogrefe, Göttingen)
Aufgabenklasse Beispielaufgabe
- Klassen bilden
gleich Generalisierung
- Klassen ergänzen

Merkmal verschieden Diskriminierung - Unpassendes streichen

gleich + - 4-Felderschema
verschieden - 6-Felderschema

- Folgen ergänzen
gleich Beziehungserfassung - Folgen ordnen
- einfache Analogie

verschieden Beziehungsunterscheidung - gestörte Folge

gleich + - Matrizenaufgaben
verschieden Systembildung
- komplexe
Analogien

dass die anderen vier Fahrzeuge ein bestimmtes Merkmal zu sortieren, während bei der Beziehungsunterscheidung ein
gemeinsam haben (z. B. es handelt sich um Lastenfahr- Element identifiziert werden muss, das die ansonsten bereits
zeuge; Generalisierung). Alle anderen Fahrzeuge sind korrekte Größensortierung stört. Streng genommen müssen
also in diesem Punkt ähnlich bzw. gleich. Die theoretische also auch hier bei vielen Aufgaben sowohl Gleichheit als auch
Abgrenzung der beiden Aufgabentypen basiert demnach Verschiedenheit in irgendeiner Weise berücksichtigt werden.
im Wesentlichen darauf, welche Art Feststellung in der Die Gleichheit von Relationen wird neben Aufgaben zu Folgen-
Fragestellung ausdrücklich gefordert wird: Ähnlichkeit ergänzungen auch durch einfache Analogien erfasst. Hier muss
(Generalisierung) oder Unterschied (Diskrimination). beispielsweise erkannt werden, dass ein Fisch zum Aquarium
Die Aufgaben zur Kreuzklassifikation erfordern dem- eine ganz ähnliche Beziehung hat wie ein Vogel zum Käfig.
gegenüber explizit eine gleichzeitige Feststellung von Gleich- Analog zur Kreuzklassifikation hebt sich auch die
heit und Verschiedenheit von Merkmalen. Im Gegensatz zu Systembildung, also die Feststellung von Gleichheit und
den beiden anderen Aufgabentypen muss hier notwendiger- Verschiedenheit, von den beiden anderen Aufgaben-
weise mehr als ein Merkmal in den Vergleich einbezogen typen dadurch ab, dass mindestens zwei Vergleichs-
werden. So kann man beispielsweise bei vier vorliegenden dimensionen – in diesem Fall zwei verschiedene Arten von
Objekten einerseits feststellen, welche sich hinsichtlich Beziehungen – gleichzeitig berücksichtigt werden müssen.
ihrer Farbe gleichen beziehungsweise sich darin unter- Dies ist beispielsweise dann erforderlich, wenn bestimmte
scheiden (z. B. rot vs. gelb), und andererseits, welche dieser Anordnungen so ergänzt werden müssen, dass sie die
vier Objekte sich in ihrer Form gleichen – oder diesbezüg- erkennbaren Beziehungen zwischen bereits vorgegebenen
lich verschieden sind (z. B. rund vs. eckig). Es können also, Objekten systematisch fortführen beziehungsweise vervoll-
je nachdem welches der beiden Merkmale zugrunde gelegt ständigen. Ein einfaches Beispiel ist ein Vierfelderschema,
wird, unterschiedliche Klassen von Objekten gebildet in dem Fische abgebildet sind. Im Feld oben links befindet
werden, die sich sozusagen „überkreuzen“ (daher der Begriff sich ein großer Fisch. Rechts daneben sind zwei Fische dar-
Kreuzklassifikation, z. B. rot und rund, rot und eckig). gestellt, die genauso groß sind wie der im ersten Feld. Unten
links ist ebenfalls ein Fisch abgebildet, der jedoch wesent-
Aufgabenklassen zum Vergleich von Relationen lich kleiner ist. Wenn das Feld unten rechts frei ist, liegt die
Beim Vergleich von Relationen werden die ­ Aufgabentypen Vermutung nahe, dass hier zwei kleine Fische hingehören.
Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen), Bezie­ Das „System“ besteht darin, dass von oben nach unten die
hungs­unterscheidung (Verschiedenheit von Relationen) Relation „größer als“ gilt, während die Beziehung von links
und Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von nach rechts „eins weniger als“ heißen könnte (alternativ
Relationen) unterschieden (. Abb. 16.3). Eine typische Auf- wäre in diesem Fall auch „ist halb so viel wie“ plausibel).
gabe zur Beziehungserfassung besteht darin, mehrere Schwäne Mit einer zunehmenden Anzahl von Feldern können deut-
der Größe nach (d. h. entsprechend der Relation „größer als“) lich komplexere Matrizen gebildet werden.
388 M. Ennemoser und K. Krajewski

Trainingsprogramme zur Förderung des Aufgabe zielführend sind, sondern dass die Vorgehensweise
induktiven Denkens systematisch auf sehr viele verschiedene Problemstellungen
Die Förderung induktiven Denkens ist nicht allein als vor- angewendet werden kann. Um die Lösungsstrategien zu ver-
schulische Präventionsmaßnahme zu betrachten, sondern innerlichen und deren Übertragbarkeit auf andere Problem-
es werden auch im Grundschulalter und darüber hinaus stellungen zu erkennen, spielt die explizite Verbalisierung
noch bedeutsame Förderpotenziale gesehen. So gibt es der jeweiligen Vorgehensweise eine große Rolle. Dies
neben dem „Denktraining für Kinder I“ (Klauer 1989), wird im Training durch die Methode der verbalen Selbst-
das für Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren konzipiert instruktion gezielt unterstützt (Meichenbaum und
wurde, zwei weitere Programme mit älteren Zielgruppen. Goodman 1971). Hierbei fungiert die Förderkraft zunächst
Während das „Denktraining für Kinder II“ (Klauer 1991) als Modell, indem sie eine Lösungsstrategie anwendet und
den Altersbereich zwischen zehn und 13 Jahren abdeckt, die Vorgehensweise laut kommentiert. Anschließend soll das
richtet sich das „Denktraining für Jugendliche“ (Klauer Kind die Durchführung und die begleitende Verbalisierung
1993) schließlich speziell an Schüler mit Lernschwierig- schrittweise selbst übernehmen (sich sozusagen „selbst
keiten im Altersbereich zwischen 14 und 17 Jahren. instruieren“) und so zunehmend in die Lage versetzt
Die Trainingsaufgaben der drei Programmversionen werden, seine Problemlöseversuche eigenständig zu planen
sind sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf Schwierig- und zu regulieren. Leistungsstärkere Kinder, bei denen
keit und Abstraktionsniveau an die jeweilige Zielgruppe eine Modellierung durch die Förderkraft nicht erforder-
angepasst. Zudem unterscheiden sie sich hinsichtlich lich ist, können ihre Vorgehensweise auch direkt begleitend
der verwendeten Materialkomponenten. Während im verbalisieren (Methode des lauten Denkens) oder diese im
Denktraining I vorwiegend mit konkreten Materialien Nachhinein kommentieren (Selbstreflexion). Der Förder-
und bildlichen Darstellungen gearbeitet wird, ent- person kommt im Wesentlichen die Rolle zu, den Lösungs-
halten die Programmversionen für ältere Kinder zu prozess durch gezielte Fragen zu unterstützen (Methode des
gleichen Teilen verbale, numerische sowie figurale Auf- „gelenkten Entdeckenlassens“).
gaben (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band).
Davon abgesehen sind die Programme im Wesentlichen
identisch strukturiert. Die Durchführung kann sowohl 16.3.2  Evaluationsstudien zur Wirksamkeit
als Einzelförderung als auch paarweise oder im Rahmen von Denktrainings
eines Gruppentrainings erfolgen. Im Verlauf von zehn
45-minütigen Sitzungen werden insgesamt je 120 Aufgaben Die Wirksamkeit der oben beschriebenen Programme zur
aus den sechs beschriebenen Aufgabenklassen bearbeitet. Förderung des induktiven Denkens wurde in zahlreichen
Für die einzelnen Sitzungen sind bestimmte inhaltliche Studien überprüft. Eine Meta-Analyse von Klauer und Phye
Schwerpunkte vorgesehen, um einen schrittweisen Auf- (2008), die auf den Ergebnissen von 74 Evaluationsstudien
bau und eine zunehmend flexiblere Anwendung der ver- basiert, liefert vergleichsweise eindrucksvolle Belege für
mittelten Strategien zu gewährleisten. Dieser Aufbau erfolgt die Effektivität der drei Denktrainings. Die Wirksamkeit
in drei Phasen. In den ersten Sitzungen wird zunächst die spiegelte sich nicht nur in den Ergebnissen von Intelligenz-
Grundstruktur der Aufgabenklassen erarbeitet und es tests wider (die einen substanziellen Anteil an induktiven
16 werden die Begriffe Eigenschaft und Beziehung eingeführt. Denkaufgaben enthalten), sondern es konnten darüber
Anschließend bildet die Einübung metakognitiver Kontroll- hinaus auch substanzielle Transfereffekte auf schulische
strategien einen Schwerpunkt. Das heißt, ergänzend zu Lernleistungen in verschiedenen Inhaltsbereichen registriert
den induktiven Strategien werden Strategien eingeübt, werden. Die vergleichsweise breiten Transferwirkungen
die darauf abzielen, die eigenen Problemlöseversuche zu belegen zugleich die Annahme, dass die trainierten
planen, zu überwachen und zu regulieren. Dies geschieht induktiven Denkprozesse tatsächlich ihren Niederschlag
anhand der Leitfragen: 1) „Was ist gesucht?“ 2) „Was kann in vielen anderen Lernbereichen finden. Interessanterweise
ich tun, um die Lösung zu finden? 3) Wie kann ich meine fielen diese Transfereffekte mit einer Effektstärke von knapp
Lösung kontrollieren?“ In den letzten Sitzungen liegt der 0.7 Standardabweichungen sogar noch größer aus als die
Schwerpunkt schließlich auf der Festigung und Auto- Effekte auf die Intelligenz, die etwa eine halbe Standard-
matisierung sowie der flexiblen Anwendung des Gelernten. abweichung betrugen. Zudem deuten die Befunde darauf
Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten sollen in hin, dass die gefundenen Effekte tatsächlich nachhaltig sind
jeder Sitzung 12 Aufgaben aus allen sechs Aufgabenklassen und im Falle der Intelligenz nach Abschluss des Trainings
bearbeitet werden. Generell steht dabei weniger das Ergeb- sogar geringfügig weiter zunehmen. Wie aus einer Studie
nis beziehungsweise die jeweilige Lösung als vielmehr die von Möller und Appelt (2001) hervorgeht, können die lang-
angewendete Lösungsstrategie im Fokus. So soll im Verlauf fristigen Effekte durch eine Auffrischung der geförderten
des Trainings zunehmend deutlich werden, dass die ver- Strategien (sog. Booster-Sitzung) sieben Monate nach
mittelten Strategien nicht nur bei der konkret vorliegenden Abschluss der Trainingsphase weiter verbessert werden.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
389 16
16.4  Förderung von Vorläuferfertigkeiten Schreibenlernen vielfach bestätigt (z. B. Bradley und Bryant
des Schriftspracherwerbs 1985; de Jong und van der Leij 1999; Ennemoser et al. 2012;
Landerl und Wimmer 1994; Lundberg et al. 1980; Mann und
Zum Schulanfang bringen Kinder unterschiedliche Fähig- Liberman 1984; Lyytinen et al. 2004; Schneider und Näslund
keiten mit, die für den Erwerb der Lese- und Recht- 1993, 1999; Vellutino und Scanlon 1987; Schneider et al.
schreibkompetenz bedeutsam sind. Sie verfügen bereits 2000; Krajewski et al. 2008).
im Vorschulalter über sprachliche, auditive, visuelle und Allerdings wurde die Annahme, dass es sich bei der
motorische Fähigkeiten, auf die beim späteren Lesen- phonologischen Bewusstheit um eine Vorläuferfertigkeit
und Schreibenlernen zurückgegriffen werden muss. Eine des Schriftspracherwerbs handelt, im Forschungsverlauf
Schlüsselrolle kommt dabei der Einsicht in die Lautstruktur auch angezweifelt. In den betreffenden Arbeiten wurde
der Sprache zu, der sogenannten phonologischen Bewusst- argumentiert, dass sich die phonologische Bewusstheit erst
heit (Wagner und Torgesen 1987). Damit gemeint ist die durch die Auseinandersetzung mit dem alphabetischen
Fähigkeit, den sprachlichen „Lautstrom“ in kleinere Ein- Schriftsystem entwickelt und somit eher eine Folge als eine
heiten zerlegen und mit diesen Einheiten operieren zu Ursache für den ungestörten Schriftspracherwerb sei (z. B.
können. Sie äußert sich beispielsweise darin, dass ein Kind Morais et al. 1979). Der vermeintliche Widerspruch konnte
Reime erkennen, Wörter in Silben untergliedern oder einzeln durch eine differenziertere Betrachtung der phonologischen
vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenziehen Bewusstheit aufgelöst werden. So wird nun unterschieden
kann. Genau genommen handelt es sich also um eine meta- zwischen der phonologischen Bewusstheit im weiteren
sprachliche Fähigkeit, da sie sich nicht auf den semantischen Sinne und der phonologischen Bewusstheit im engeren
Gehalt (die Bedeutung) sprachlicher Äußerungen bezieht, Sinne (Skowronek und Marx 1989).
sondern allein auf formale Aspekte, nämlich das Wissen über
die lautliche Struktur der Sprache. Definition
Die unter den Begriff der phonologischen Bewusstheit Einteilung der phonologischen Bewusstheit nach
gefassten Fähigkeiten entwickeln sich – mit gewissen Ein- Skowronek und Marx (1989):
schränkungen – bereits vor dem Schuleintritt und haben Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn bezieht
nachgewiesenermaßen einen substanziellen Einfluss auf sich auf die Fähigkeit, den Lautstrom in größere
den späteren Schriftspracherwerb in der Schule (Ennemoser sprachliche Einheiten zu unterteilen und diese zu
et al. 2012). Insofern gilt die phonologische Bewusstheit als manipulieren. Sie ermöglicht es beispielsweise, Wörter
grundlegende Voraussetzung für den Erwerb unseres alpha- in Sätzen zu isolieren, sie in Silben zu zergliedern oder
betischen Schriftsystems, weshalb sie auch als spezifische Reime zu erkennen.
Vorläuferfertigkeit des Schriftspracherwerbs bezeichnet Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn
wird. bezeichnet die Einsicht, dass sich der Sprachfluss
in noch kleinere, abstrakte Einheiten – einzelne
Laute bzw. Phoneme – zerlegen lässt, weshalb sie
16.4.1  Die Bedeutung von phonologischer auch als phonemische Bewusstheit bezeichnet wird.
Bewusstheit und ­Buchstaben-Laut- Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ist
Zuordnung in der schriftsprachlichen beispielsweise erforderlich, um den Anlaut eines Wortes
Entwicklung identifizieren zu können, einzeln vorgesprochene Laute
zu einem Wort zusammenzuschleifen (Phonemsynthese)
In der Forschung wurden bereits früh Hinweise darauf oder ein Wort in seine Einzellaute zu zerlegen
gefunden, dass metasprachliche Fähigkeiten wie die phono- (Phonemanalyse).
logische Bewusstheit mit dem Lesen- und Schreibenlernen
in Verbindung stehen. Sowjetische Psychologen wiesen
bereits in den 1960er-Jahren auf Zusammenhänge zwischen Mit Blick auf das oben angesprochene Henne-Ei-Problem
der Fähigkeit, Wörter in Laute zerlegen zu können, und der wird heute davon ausgegangen, dass sich die phono-
späteren Leseleistung hin (Zhurova 1963; Elkonin 1963). logische Bewusstheit im weiteren Sinn grundsätzlich
Auch ältere, in der ehemaligen DDR entwickelte Förder- auch ohne spezielle Schriftsprachinstruktion im Kinder-
ansätze zur Überwindung von Lese-Rechtschreib-Schwierig- gartenalter entwickelt. Sie bezieht sich lediglich auf die
keiten basierten schon auf der Annahme, dass Probleme im Verarbeitung natürlicher, bedeutungstragender sprach-
Schriftspracherwerb primär auf mangelnden Fähigkeiten der licher Einheiten, die keinerlei Einsicht in das (abstrakte)
Lautanalyse, -artikulation und -­unterscheidung beziehungs- alphabetische Schriftsystem erfordern. Die Entwicklung
weise einer Lautdifferenzierungs- und Wortaufgliederungs- der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn geht
schwäche basieren (Kossakowski 1962; Kossow 1972). In den dem Schriftspracherwerb voraus und kann somit tatsäch-
folgenden Jahrzehnten hat sich die internationale Forschung lich als Voraussetzung beziehungsweise als Vorläufer-
intensiv mit der phonologischen Bewusstheit befasst und fertigkeit für das Lesen- und Schreibenlernen bezeichnet
ihre Rolle als bedeutsame Voraussetzung für das Lesen- und werden. Demgegenüber erfordert die phonologische
390 M. Ennemoser und K. Krajewski

Bewusstheit im engeren Sinn den Umgang mit Phonemen, Wort) in eine lautliche Entsprechung zu übersetzen.
also mit abstrakten sprachlichen Einheiten, die keine Dieser Vorgang, der als phonologische Rekodierung
bedeutungstragende (sondern lediglich eine bedeutungs- bezeichnet wird, erfordert den Abruf gelernter
unterscheidende) Funktion haben. Grundsätzlich kann Buchstabe-Laut-Beziehungen sowie das „Zusammen-
­
sich zwar auch diese Fähigkeit bereits vor dem Schrift- schleifen“ der durch die vorliegende Buchstabensequenz
spracherwerb herausbilden; im Allgemeinen geschieht dies repräsentierten Einzellaute (phonologische Bewusstheit).
jedoch lediglich rudimentär. Der größte Entwicklungs- Das resultierende Klangbild kann dann mit dem mentalen
schub erfolgt erst mit der Einführung in das alphabetische Lexikon abgeglichen werden, wodurch – sofern eine
Prinzip. Die gelernten Buchstaben stehen nun als externe Übereinstimmung mit einem bekannten Wort gefunden
Repräsentanten für bestimmte Phoneme zur Verfügung wird – der Zugriff auf die Wortbedeutung erfolgen
(Buchstabe-Laut-Verknüpfung). Durch die Verknüpfung kann (Dekodierung). In diese basalen Leseprozesse des
eines Buchstabens mit dem zugehörigen Laut wird es für die Rekodierens und Dekodierens ist die phonologische
Kinder leichter, das betreffende Phonem als abstrakte, aus Bewusstheit unmittelbar involviert, das heißt, sie hat einen
dem Sprachfluss heraus isolierbare Einheit zu begreifen und direkten Einfluss auf die Effizienz dieser Prozesse.
es beispielsweise in einem gehörten Wort zu identifizieren. Auf indirektem Wege nimmt die phonologische
Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne entwickelt Bewusstheit damit auch Einfluss auf Verstehensprozesse
sich also erst im Wechselspiel mit der expliziten Schrift- oberhalb der Wortebene (z. B. Bildung lokaler und
sprachinstruktion (Küspert et al. 2007; Schneider 1997). globaler Kohärenz, Aufbau eines Situationsmodells; vgl.
van Dijk und Kintsch 1983). Denn insbesondere in frühen
> Für die Mobilisierung der in der phonologischen
Erwerbsphasen beeinflusst die Effizienz basaler Dekodier-
Bewusstheit liegenden Förderpotenziale hat
fertigkeiten das Leseverstehen noch maßgeblich (Perfetti
das Wechselspiel mit der Buchstabeninstruktion
1985). Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei das Arbeits-
weitreichende Konsequenzen, denn es macht deutlich,
gedächtnis ein. Der anfänglich mühevolle Vorgang der
dass eine Förderung der phonologischen Bewusstheit
phonologischen Rekodierung stellt eine große Belastung
(im engeren Sinne) sinnvollerweise an die Vermittlung
für das Arbeitsgedächtnis dar, sodass nur begrenzte
von Buchstabenkenntnissen gekoppelt werden sollte.
Ressourcen für das Leseverstehen zur Verfügung stehen.
Dies wird auch durch Befunde zur phonologischen Ver- Wenn der Rekodiervorgang durch eine gute phonologische
knüpfungshypothese bestätigt, aus denen hervorgeht, Bewusstheit erleichtert wird, werden Arbeitsgedächtnis-
dass die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung ressourcen für hierarchiehöhere Verstehensprozesse frei-
der phonologischen Bewusstheit durch die Verknüpfung gesetzt, was letztlich in einem besseren Leseverständnis
mit einem Buchstaben-Laut-Training deutlich verbessert resultiert.
werden kann (Hatcher et al. 1994; Schneider et al. 2000). Obwohl die phonologische Bewusstheit also (lediglich)
basale Leseprozesse beeinflusst, nimmt sie doch einen –
z Präventive Potenziale der phonologischen Bewusst- wenn auch nur indirekten – Einfluss auf das Leseverständ-
heit und ihre Grenzen nis. Dennoch greift ein rein phonologisch orientierter
In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Forschungs- Präventionsansatz speziell im Hinblick auf die lang-
16 arbeiten publiziert worden, die sich mit der Bedeutung der
phonologischen Bewusstheit befassen. Durch diese starke
fristige Leseverständnisentwicklung zu kurz. Diese Ein-
schätzung lässt sich mit dem „Simple View of Reading“
Fokussierung ist allerdings etwas aus dem Blick geraten, begründen (Gough und Tunmer 1986; Hoover und Gough
dass die in der phonologischen Bewusstheit liegenden 1990), dem zufolge das Leseverständnis ein Produkt aus
Präventionspotenziale für den Schriftspracherwerb auch Dekodierfertigkeit und Hörverstehen ist. Das heißt, sobald
klare Grenzen haben. Diese Grenzen werden besonders die Dekodierfertigkeiten hinreichend automatisiert sind
deutlich, wenn man sich zunächst vor Augen führt, (einzelne Wörter also zügig und ohne größere Mühen
welche kognitiven Prozesse (später in der Schule) am erlesen werden können), stellen sie keinen leistungs-
sinnentnehmenden Lesen eines Textes beteiligt sind, und limitierenden Faktor mehr dar. Stattdessen gewinnt nun
anschließend analysiert, welche dieser Prozesse durch eine das das Hör- beziehungsweise Sprachverständnis eine
gute phonologische Bewusstheit begünstigt werden. Aus immer größere Bedeutung. Genau genommen stellt das
einer solchen Analyse des Wirkmechanismus lässt sich Hörverstehen bereits von Anfang an die Obergrenze für
theoretisch differenziert ableiten, wo genau die Förder- das Leseverstehen dar (Marx und Jungmann 2000). Der
potenziale der phonologischen Bewusstheit liegen – und maßgelbliche Einfluss des Hörverstehens kann jedoch
wo sie an ihre Grenzen stoßen, sodass gegebenenfalls eine anfänglich noch gar nicht sichtbar werden, da mit dem
Ergänzung durch andere Maßnahmen sinnvoll ist. Schuleintritt zunächst einmal – notwendigerweise –
Im Erstunterricht geht es zunächst um den Erwerb der Erwerb des schriftsprachlichen Symbolsystems und
basaler Lesefertigkeiten; das Verstehen von Texten steht damit basaler Dekodierfertigkeiten im Vordergrund steht
hier noch im Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt bestehen (Ennemoser et al. 2012; 7 Exkurs „Einflüsse von phono-
die zentralen Herausforderungen etwa darin, eine vor- logischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf
gegebene Buchstabensequenz (d. h. ein geschriebenes das spätere Leseverständnis“).
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
391 16
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Wenn durch präventive Maßnahmen nachhaltig bessere
Potenziale phonologisch orientierter Fördermaßnahmen Ausgangsbedingungen für die Leseverständnisentwicklung
ziehen? Trainings der phonologischen Bewusstheit in der Schule geschaffen werden sollen, muss demnach
erleichtern den Einstieg in den Schriftspracherwerb. Sie neben der phonologischen Bewusstheit auch die all-
begünstigen den Erwerb des alphabetischen Prinzips gemeine Sprachkompetenz beziehungsweise das Hörver-
und damit insbesondere basale Prozesse der phono- stehen gezielt gefördert werden.
logischen Rekodierung und des Dekodierens. Vor allem Analog gelten diese Überlegungen für die Schreib-
in frühen Erwerbsphasen sollte sich dies auch in ver- kompetenz. Auch hier beschränkt sich das Einflusspotenzial
besserten Leseverständnisleistungen niederschlagen. Mit der phonologischen Bewusstheit auf den Erwerb des
stetig wachsenden Dekodierfertigkeiten sollte sich dieser abstrakten schriftsprachlichen Symbolsystems. Dies befähigt
Effekt jedoch zunehmend erschöpfen, da dann nicht mehr zwar zur „Übersetzung“ von sprachlich formulierten
die Effizienz des Dekodierens, sondern das vorhandene Inhalten in die Schriftsprache und erfüllt damit zweifellos
Sprachverständnis den leistungslimitierenden Faktor dar- eine außerordentlich wichtige Funktion. Es ersetzt jedoch
stellt. Im ungünstigen Fall ist ein Kind nun zwar in der nicht die Notwendigkeit einer angemessenen sprachlichen
Lage Wörter flüssig zu dekodieren, das Textverständnis Ausdrucksfähigkeit beziehungsweise der hierfür erforder-
bleibt aber dennoch auf einem unzureichenden Niveau, lichen lexikalischen und morphologisch-syntaktischen
weil das hierfür erforderliche Sprachverständnis fehlt. Kompetenzen (7 Abschn. 16.2).

Exkurs

Einflüsse von phonologischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf das spätere Leseverständnis
Ennemoser und Kollegen (2013) Ende der 1. Klasse. Diese beeinflussten anfänglichen ­Dekodierfertigkeiten.
analysierten die Daten zweier wiederum das in der 4. Klasse erfasste Im erst vier Jahre später erfassten
Längsschnittstudien, um die Einflüsse Leseverständnis. Die phonologische Leseverständnis klärten sie allerdings
der phonologischen Bewusstheit und Bewusstheit hatte somit einen ebenso viel Varianz auf wie die
der allgemeinen Sprachkompetenz indirekten Effekt auf das spätere Dekodierleistung in der 1. Klasse. Diese
auf die Lesekompetenzentwicklung in Leseverstehen. Demgegenüber hatten Befunde deuten darauf hin, dass die
der Schule zu untersuchen. In beiden die im Kindergartenalter erhobenen phonologische Bewusstheit einen
Studien erwies sich die phonologische sprachlichen Kompetenzen („oberhalb“ wichtigen, aber keinesfalls hinreichenden
Bewusstheit im Kindergarten als starker der phonologischen Ebene) zwar noch Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen
Prädiktor für die D
­ ekodierfertigkeiten am keinen signifikanten Einfluss auf die im Vorschulalter darstellt.

16.4.2  Möglichkeiten einer bewährt hatte (Lundberg et al. 1988). Das Training wird im
effektiven Förderung von letzten Kindergartenjahr durchgeführt und umfasst täg-
phonologischer Bewusstheit und liche Fördersitzungen über einen Zeitraum von 20 Wochen.
Buchstaben-Laut-Zuordnung Das Programm besteht aus spielerischen Übungen zu
beiden Bereichen der phonologischen Bewusstheit, die
Um Kindern den Einstieg in den Schriftspracherwerb systematisch aufeinander aufbauen (. Abb. 16.4). In den
zu erleichtern, sollten sie dazu in die Lage versetzt ersten Wochen stehen zunächst verschiedene Spiele zur
werden, den Sprachfluss in Sätze, Wörter, Silben (phono- phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn (Reimen,
logische Bewusstheit im weiteren Sinn) und schließlich Sätze und Wörter, Silben) auf dem Programm, bevor im
in einzelne Laute zerlegen (phonologische Bewusstheit Anschluss die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn
im engeren Sinn) sowie mit diesen Segmenten operieren immer stärker in den Fokus genommen wird (Anlaut,
zu können. Darüber hinaus sollten die Kinder Buch- Phonem). Die vorgeschalteten Lauschspiele dienen dazu,
staben kennenlernen und verstehen, dass die Einzellaute die Kinder für das genaue Hinhören zu sensibilisieren,
der gesprochenen Sprache verschiedenen schriftlichen indem ihre Aufmerksamkeit auf akustische Reize in ihrer
Zeichen – den Buchstaben – zugeordnet werden können Umgebung gelenkt wird.
­(Buchstaben-Laut-Zuordnung). Wie dies konkret umgesetzt Im Bereich phonologische Bewusstheit im weiteren
werden kann, wird im Folgenden exemplarisch anhand von Sinn finden sich Reimspiele, die den Kindern verdeutlichen
zwei aufeinander aufbauenden Programmen dargestellt. sollen, dass Wörter klangliche Ähnlichkeiten aufweisen
können (sich reimen), was zugleich bedeutet, dass ein Wort
Förderung von phonologischer Bewusstheit in Teile untergliedert werden kann, die sich auch in anderen
Das Förderprogramm „Hören, lauschen, lernen“ (HLL; Wörtern wiederfinden (selbst wenn diese Wörter inhaltlich
Küspert und Schneider 2006) wurde in Anlehnung an ein nichts miteinander zu tun haben, z. B. Schnecke – Ecke). In
skandinavisches Training entwickelt, das sich zuvor im Übungen zu Sätzen und Wörtern sollen die Kinder unter
Rahmen einer viel beachteten Interventionsstudie empirisch anderem eine Vorstellung davon erhalten, dass Wörter
392 M. Ennemoser und K. Krajewski

16

. Abb. 16.4 Die drei Ziele früher schriftsprachlicher Förderung, exemplarisch dargestellt an den Förderprogrammen HLL („Hören, lauschen,
lernen“; Küspert und Schneider 2006) und HLL 2 („Hören, lauschen, lernen 2“; Plume und Schneider 2004)
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
393 16
nicht nur zu Sätzen, sondern auch zu neuen Wörtern gleich der entsprechende Buchstabe („A“) zugeordnet.
zusammengesetzt werden (z. B. „Schnee“ und „Mann“ Anschließend lernen die Kinder, dass diese Laute nicht nur
ergeben „Schneemann“) und umgekehrt manche Wörter in isoliert vorkommen, sondern tatsächlich in vielen Wörtern
kleinere Wörter zerlegt werden können („Fußball“ besteht enthalten sind. Zu diesem Zweck müssen etwa bildlich dar-
aus „Fuß“ und „Ball“). In den anschließenden Silbenspielen gestellte Objekte benannt, der Anlaut des entsprechenden
wird dieses Prinzip fortgeführt, wobei Wörter nun nicht Wortes identifiziert und dem richtigen Buchstaben
mehr in andere Wörter, sondern in Silben zerlegt und durch zugeordnet werden. Die umgekehrte Aufgabe besteht darin,
motorische Elemente wie Händeklatschen, Tanzen und Buchstaben bestimmten Objektbildern zuzuordnen, deren
Marschieren rhythmisch betont oder künstlich auseinander- Bezeichnung mit dem korrespondierenden Anlaut beginnt
gezogene Silben zu Wörtern zusammengesetzt werden (z. B. das A dem Apfel). Ziel des Ergänzungsprogramms
sollen (z. B. „Scho-ko-la-de“ zu „Schokolade“). HLL 2 ist es also, dass die Kinder das Zuordnungsprinzip
Der Bereich phonologische Bewusstheit im engeren zwischen Lauten und Buchstaben erkennen.
Sinn beinhaltet zunächst Übungen zur Identifikation des
Anfangslauts. Hier sind die Kinder herausgefordert, auf-
merksam auf den Anfang eines Wortes zu hören, um den 16.4.3  Evaluationsstudien zur
ersten Laut bestimmen zu können (z. B. Rrrrrreis →/r/). Wirksamkeit der Förderung von
Zudem lernen die Kinder – ähnlich wie bei den Silben –, phonologischer Bewusstheit und
dass Anfangslaute entfernt oder hinzugenommen werden Buchstaben-Laut-Zuordnung
können und dass dadurch neue Wörter mit anderer
Bedeutung entstehen (z. B. „rot“ – „B…rot“). Schließlich Die Wirksamkeit von Trainings der phonologischen Bewusst-
folgen die abstrakteren Aufgaben zur Phonemanalyse und heit kann als empirisch sehr gut belegt gelten. Zahlreiche Inter-
-synthese. Hier lauschen die Kinder beispielsweise einem ventionsstudien zeigen, dass die Fördermaßnahmen nicht nur
Kobold, der – wie ein Roboter – Wörter so ausspricht, als eine Verbesserung der phonologischen Bewusstheit bewirken,
seien sie in ihre Laute zerlegt (z. B./n/-/a/-/s/-/e/). Die Auf- sondern dass die Fördereffekte auch langfristig in verbesserten
gabe der Kinder besteht darin, die Einzellaute zu einem Schriftsprachkompetenzen resultieren (z. B. Lundberg et al.
Wort zu verbinden (Phonemsynthese). Umgekehrt sollen 1988; Schneider et al. 1997). Insbesondere konnte gezeigt
die Kinder Wörter in ihre Einzellaute zerlegen, das heißt, werden, dass diese Effekte auch bei Risikokindern zum Tragen
sie in lautierter Form aufsagen und dabei für jeden einzel- kommen, die eine schwache phonologische Informationsver-
nen Laut ein Klötzchen legen (Phonemanalyse). arbeitung und damit eine besonders ungünstige Ausgangslage
aufweisen (Schneider et al. 1999, 2000). Eine Förderung der
Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung phonologischen Bewusstheit ist demnach nicht nur als primär-
Um das Training der phonologischen Bewusstheit – wie sondern auch als sekundärpräventive Maßnahme wirksam und
in den vorangegangenen Abschnitten gefordert – mit führt zu einem substanziell verminderten Anteil von Kindern
der Vermittlung von Buchstaben-Laut-Zuordnungen mit ­ Lese-Recht-Schreibschwierigkeiten. Allerdings deuten
zu verknüpfen, kann das Ergänzungsprogramm „Hören, die Befunde auch darauf hin, dass phonologisch orientierte
lauschen, lernen 2“ herangezogen werden (HLL 2; Fördermaßnahmen mit einem B ­ uchstaben-Laut-Training
Plume und Schneider 2004). Das an eine amerikanische kombiniert werden sollten, da in diesem Fall mit deutlich
Trainingskonzeption von Ball und Blachman (1991) größeren Effekten zu rechnen ist (Ball und Blachmann 1991; Bus
angelehnte Programm wird in den letzten zehn Trainings- und van IJzendoorn 1999; Hatcher et al. 1994; Schneider et al.
wochen des HLL in dessen Durchführung integriert (Roth 2000).
1999). Das Training umfasst nicht das gesamte Alphabet, Auch für die in der einschlägigen Forschung lange Zeit
sondern konzentriert sich auf jene 12 Buchstaben, die im vernachlässigte Zielgruppe der Migrantenkinder liegen
deutschen Sprachgebrauch am häufigsten vorkommen inzwischen ermutigende Befunde vor (Armand et al. 2004;
(A, E, M, I, O, R, U, S, L, B, T, N). Die entsprechenden Stuart 1999, 2004; Blatter et al. 2013; Weber et al. 2007).
­Buchstabe-Laut-Beziehungen werden in zwei Schritten ver- Grenzen phonologischer Trainings liegen darin, dass sie
deutlicht (. Abb. 16.4). Zunächst werden die Buchstaben lediglich den Erwerb des schriftsprachlichen Symbol-
anhand kurzer Geschichten eingeführt. Diese Geschichten systems begünstigen, aber naturgemäß nichts dazu bei-
sind allesamt dadurch gekennzeichnet, dass jeweils ein tragen können, das Hörverstehen zu verbessern, das – in
bestimmter markanter Laut eine zentrale Rolle spielt, der langfristiger Perspektive – die letztendliche Obergrenze für
anschließend von den Kindern nachgeahmt werden soll. So das Leseverstehen markiert. Frühe Präventionsmaßnahmen
geht es beispielsweise um einen Zahnarztbesuch, anlässlich sollten sich daher nicht lediglich auf eine Förderung der
dessen die Kinder laut/aaaaa/sagen müssen. Dem jeweils phonologischen Bewusstheit beschränken, sondern sich
fokussierten Laut wird in diesem Zusammenhang auch auch auf die Sprachkompetenz erstrecken.
394 M. Ennemoser und K. Krajewski

16.5  Förderung mathematischer Fähigkeiten des Arbeitsgedächtnisses (z. B. Jordan et al.


Kompetenzen im Kindergarten und im 2010; Krajewski und Ennemoser 2018; Krajewski und
Schuleingangsbereich Schneider 2006, 2009b; Stern 2003). So konnte etwa in zwei
unabhängigen Langzeitstudien mithilfe der im Vorschulalter
Wie bei der schriftsprachlichen Förderung sollten auch erfassten Zahl-Größen-Kompetenzen jeweils ein Viertel
Präventionsmaßnahmen zur mathematischen Kompetenz- der Unterschiede in den drei und vier Jahre später erfassten
entwicklung auf Vorläuferkompetenzen abzielen, die Mathematikleistungen erklärt werden, während Intelligenz
im Anfangsunterricht mehr oder weniger vorausgesetzt oder Arbeitsgedächtnisfähigkeiten keinen direkten Ein-
werden, aber eben nicht bei allen Kindern vorhanden fluss auf die Mathematikleistungen hatten (Krajewski
sind. Das Pendant zur phonologischen Bewusstheit stellen und Schneider 2006, 2009b). Zahl-Größen-Kompetenzen
hier Zahl-Größen-Kompetenzen dar, die häufig auch als stellen somit einen wesentlichen Grundpfeiler in der
mathematische Basiskompetenzen bezeichnet werden. mathematischen Entwicklung und einen potenziellen
Ursachenfaktor für die Entwicklung einer Rechenstörung
Definition dar. Dennoch existieren in der Literatur unterschiedliche
Auffassungen darüber, wo genau die Ursache von Rechen-
Zahl-Größen-Kompetenzen bezeichnen die
störungen zu lokalisieren ist.
Entwicklungsschritte auf dem Weg zum Verständnis
der Zahlen. Dies umfasst zunächst die bloße Kenntnis
von Zahlwörtern und Ziffern sowie darauf aufbauend
Auffassung 1: Defekter angeborener
das Verständnis dafür, dass Zahlen Mengen und
Zahlensinn als Ursache von
Mengenrelationen – beziehungsweise allgemeiner Rechenschwierigkeiten
Größen und Größenrelationen – repräsentieren (vgl. Viele Forscher gehen davon aus, dass Kinder bereits dann die
Krajewski und Ennemoser 2013). Bedeutung von Zahlwörtern verstehen, wenn sie diese erst-
malig einzeln aufsagen (z. B. Fuson 1988; Resnick 1989; von
Aster und Shalev 2007; Fritz und Ricken 2008; Kaufmann
Wenn ein Kind dieses Verständnis zum Schuleintritt noch und von Aster 2012). Wiederholt ein Kind beispielsweise die
nicht erworben hat, bringt es ein deutlich erhöhtes Risiko Handlung seiner Mutter, indem es „drei“ sagt und dabei auf
für spätere Rechenschwierigkeiten mit (Krajewski und drei Clementinen zeigt, meint das Kind dieser Auffassung
Schneider 2009a), denn im konventionellen Anfangs- folgend sofort die Anzahl „drei“ und nicht die Clementinen
unterricht wird vergleichsweise schnell mit dem Rechnen oder deren andere Eigenschaften. Dementsprechend müsste
begonnen. Das heißt, es werden kaum nennenswerte ein Kind im Laufe seiner mathematischen Entwicklung
Bemühungen investiert um sicherzustellen, dass die Kinder lediglich noch verstehen, dass Zahlen auch für Unterschiede,
grundlegende Zahl-Größen-Kompetenzen aufbauen und Veränderungen und Relationen zwischen Mengen stehen
festigen konnten. Grundschulkinder mit Schwierigkeiten (Resnick 1989; Fuson 1988) und zudem ins visuell-arabische
im Rechnen weisen üblicherweise eine in diesem Sinne ver- Ziffernsystem und in eine innere Zahlenstrahlvorstellung
zögerte mathematische Entwicklung auf. Sie haben noch übersetzt werden können (von Aster und Shalev 2007).
nicht verstanden, dass hinter Zahlen Mengen oder Größen Dieser Grundgedanke, wonach Kinder Zahlwörter sofort
16 stehen (Größenverständnis von Zahlen). Ohne diese Ein- als „Label“ für eine betrachtete Menge erkennen, beruht
sicht können sie weder Additions- noch Subtraktionsauf- auf der Annahme, dass Neugeborene zwischen Stückzahlen
gaben verständnisbasiert lösen und sind folglich auch mit unterscheiden können und daher bereits mit einem Sinn für
Sachaufgaben oder komplexeren Rechenoperationen völlig Anzahlen („Zahlensinn“) zur Welt kommen (z. B. Antell und
überfordert. Ziel der Frühförderung sollte es daher sein, das Keating 1983; Feigenson et al. 2004). Ausschließlich rechen-
Verständnis für Zahl-Größen-Verknüpfungen spätestens gestörten Kindern wird hierbei ein angeborener „defekter
bis Schulbeginn aufzubauen. Zahlensinn“ zugeschrieben, der nachfolgend auch zur
Unfähigkeit führt, Mengen und Größen in entsprechende
Zahlwörter und Ziffern übersetzen zu können und
16.5.1  Die Bedeutung von ­Zahl-Größen- umgekehrt (z. B. von Aster und Shalev 2007; Dehaene et al.
Kompetenzen in der mathematischen 2004; Landerl et al. 2004). Nach diesen Modellvorstellungen
Entwicklung nehmen normal entwickelte Kinder also von Geburt an
Stückzahlen wahr, die sie aufgrund fehlender Wörter nur
Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die die Bedeutung noch nicht benennen können. Mit den später gelernten Zahl-
der Zahl-Größen-Kompetenzen für das Rechnenlernen wörtern jedoch (z. B. „drei“, „zwei“) werden die zugehörigen
belegen. Sie zeigen unter anderem, dass diese Kompetenzen Bezeichnungen geliefert, die ein Kind dann sofort problem-
eine deutlich größere Rolle für die schulischen Mathematik- los den entsprechenden Stückzahlen (z. B. drei Murmeln,
leistungen spielen als beispielsweise die Intelligenz oder zwei Schachteln) zuordnet.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
395 16
Auffassung 2: Unzureichend entwickelte ableiten, die Entwicklung eines Zahlensinns systematisch zu
Zahl-Größen-Verknüpfung als Ursache von fördern und so der Entstehung von Rechenschwierigkeiten
Rechenschwierigkeiten vorzubeugen.
Dem Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung
(ZGV-Modell) zufolge basiert die oben beschriebene
Annahme, dass einzelne Zahlwörter nach dem Erlernen 16.5.2  Möglichkeiten einer
sofort entsprechenden Stückzahlen zugeordnet werden effektiven Förderung von
können, auf unzulässigen Kompetenzzuschreibungen, Zahl-Größen-Kompetenzen
da allein das Aufsagen von Zahlwörtern oder einer Zahl-
wortfolge keinesfalls auf ein vorhandenes Zahlverständnis Eine frühzeitige entwicklungsorientierte Förderung
schließen lasse (Prinzip der minimalistischen Kompetenz- von Zahl-Größen-Kompetenzen sollte zunächst entlang
zuschreibung; Krajewski und Ennemoser 2013). Anstelle der im ZGV-Modell beschriebenen Entwicklungsebenen
eines angeborenen Zahlensinns wird hier postuliert, dass geschehen.
jedes Kind den „Zahlensinn“ und das Verständnis dafür,
dass Stückzahlen und Größen mit (Zahl-)Wörtern belegt Entwicklungsorientierte Förderung von ­­Zahl-
werden können, erst erwerben muss. Den Erwerbsver-
Größen-Kompetenzen
lauf beschreibt das Modell über drei Kompetenzebenen,
die durch eine zunehmende Verknüpfung von Zahlen Wie . Abb. 16.5 zeigt, sollten hierbei zunächst sprach-
mit Größen und Größenrelationen charakterisiert sind liche Begriffe thematisiert werden, mit denen Unterschiede
(7 Exkurs „Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung zwischen Größen beschrieben werden können (Ebene 1).
(ZGV-Modell; Krajewski 2007, 2013)“; . Abb. 16.5). Defizite Anfangs sind dies insbesondere die Begriffe größer/kleiner/
in dieser – potenziell von außen steuerbaren – Entwicklung länger/kürzer/mehr/weniger als. Darüber hinaus sollte mit
werden als Ursache von Rechenstörungen gesehen. Den den Kindern frühzeitig die Zahlwortfolge eingeübt werden
Ausgangspunkt dieses Ansatzes bilden Studien, die einen (Ebene 1). Dies sollte idealerweise so gut gelingen, dass die
angeborenen „(An-)Zahlensinn“ in Zweifel ziehen und nahe Kinder diese nicht nur vorwärts („eins, zwei, drei, …“) und
legen, dass Säuglinge zwar zwischen Flächen und Volumen rückwärts („zehn, neun, acht, …“) aufsagen können. Viel-
von Mengen, nicht aber zwischen Stückzahlen differenzieren mehr sollten sie auch zu einem beliebigen Zahlwort (z. B.
können (z. B. Clearfield und Mix 1999; Feigenson et al. 2002). „vier“) problemlos das Nachfolger- („fünf“) oder Vor-
Das ZGV-Modell geht also davon aus, dass ein Zahlen- gängerzahlwort („drei“) finden können. So wird sicher-
sinn (bzw. ein „Zahldefekt“) nicht angeboren ist, sondern gestellt, dass ein Kind die einzelnen Zahlwörter als separate
sich im natürlichen Entwicklungsverlauf erst heraus- Einheiten wahrnimmt (z. B. „vier, fünf, sechs“) und nicht
bildet. Damit eröffnet es einen Ansatzpunkt für präventive miteinander vermengt (z. B. zum vermeintlich dreisilbigen
Fördermaßnahmen, der in der Forschung aufgrund allzu Zahlwort „vierfünfsechs“). Diese Entwicklung scheint auch
optimistischer Kompetenzzuschreibungen lange Zeit völlig durch eine gut ausgeprägte phonologische Bewusstheit
übersehen wurde (und in Teilen auch heute noch über- im weiteren Sinn unterstützt zu werden (Krajewski et al.
sehen wird). Denn anders als bei Annahme eines angeboren 2013; 7 Exkurs „Einfluss phonologischer Bewusstheit auf die
„defekten Zahlensinns“ lässt sich daraus die Möglichkeit mathematische Entwicklung“).
396 M. Ennemoser und K. Krajewski

Exkurs

Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell; Krajewski 2007, 2013)


Kompetenzebene 1 Dem Prinzip gebracht (Größenrepräsentation von Das Verständnis dafür, dass Zahlen
der minimalistischen Kompetenz- Zahlen, einfaches Zahlverständnis; Größen repräsentieren, wird hier als der
zuschreibungen folgend, wird im Modell (. Abb. 16.5). Hierdurch wird den wichtigste Meilenstein betrachtet, den
der Zahl-Größen-Verknüpfung lediglich Zahlen ein numerischer Inhalt verliehen, Kinder bis zum Schuleintritt vollzogen
die Fähigkeit zur (nichtnumerischen) sodass sie erstmals aufgrund ihrer haben sollten. Dieses Verständnis
Größenunterscheidung als angeboren „Größe“ miteinander verglichen werden stellt das Fundament dafür dar, dem
betrachtet und auf einer ersten können. Dieser Entwicklungsschritt mathematischen Anfangsunterricht
Kompetenzebene verortet. Die Fähigkeit vollzieht sich üblicherweise in zwei überhaupt folgen zu können. Wie
zur Unterscheidung von Anzahlen wird Phasen. So ordnen Kinder in der Phase Untersuchungen mit rechenschwachen
Säuglingen nicht zugeschrieben. Darüber der unpräzisen Größenrepräsentation Grundschülern zeigen, kann im Fehlen
hinaus wird im Modell postuliert, dass (Ebene 2a) Zahlwörter zunächst groben dieses Entwicklungsschritts das
ein Kind ab etwa zwei Jahren zwar dazu Größenkategorien zu (z. B. eins, zwei und Kerndefizit einer Rechenschwäche
in der Lage sein mag eine Zahlwortfolge drei der Kategorie „wenig“, zwanzig und gesehen werden (Krajewski und
aufzusagen, dass dies aber nicht fünfundzwanzig der Kategorie „viel“, Ennemoser 2013). Daher sollte in
notwendigerweise auf ein Verständnis hundert und tausend der Kategorie „sehr der Diagnostik und Förderung bei
für die hinter den Zahlen stehenden viel“). Hierfür ist es weder notwendig, Rechenschwäche und vor allem bei
Anzahlen und Größen schließen lässt. Mengen aufgrund ihrer exakten Stückzahl präventiven Fördermaßnahmen hierauf
Vielmehr kann die Abfolge auch ohne voneinander zu unterscheiden noch die ein besonderes Augenmerk gelegt
dieses Verständnis „nachgeplappert“ Zahlwortfolge exakt zu beherrschen. werden.
werden – ähnlich wie auch Gedichte und Vielmehr wird eine noch sehr unpräzise Obwohl auf der zweiten
Kinderreime aufgesagt werden können, Zuordnung von Zahlwörtern zu Mengen Kompetenzebene Zahlen bereits mit
ohne dass die wiedergegebenen Inhalte und Größen vorgenommen, wodurch weit Mengen und Größen verknüpft werden,
auch verstanden sein müssen. Da ein auseinander liegende Zahlen (nämlich entwickelt sich parallel hierzu das
fehlendes Sinnverständnis weder ein diejenigen, die nicht in dieselbe grobe Verständnis für Größenrelationen
Hindernis für das Auswendiglernen von Kategorie fallen), größenmäßig verglichen zunächst noch ohne einen Bezug zu
Gedichten oder Reimen noch für das werden können. Im Beispiel könnte bereits Zahlen. So gelangen Kinder durch
Aufsagen von Zahlwörtern darstellt, kann angegeben werden, dass zwanzig weniger verschiedene Erfahrungen (oder eine
nach diesen Annahmen die korrekte ist als hundert, weil „viel“ weniger ist als entsprechende Förderung) zur Einsicht,
Zahlwortfolge vorwärts und rückwärts „sehr viel“. Welche der beiden Zahlwörter dass Mengen oder Größen zueinander
prinzipiell auch ohne eine Verknüpfung zwanzig („viel“) oder fünfundzwanzig in Beziehung stehen und beispielsweise
mit Mengen und Größen erlernt werden. (ebenfalls „viel“) mehr repräsentiert, eine größere Menge oder Größe aus
So ist die erste Kompetenzebene könnte jedoch noch nicht entschieden zwei kleineren Mengen oder Größen
dadurch gekennzeichnet, dass werden. zusammengesetzt werden kann
Zahlwörter und Mengen oder Größen Dies wird erst in der Phase der präzisen (. Abb. 16.5). Zahlwörter können für
noch nicht miteinander in Verbindung Größenrepräsentation (Ebene 2b) diese Überlegungen allerdings noch
gebracht werden. Läuft ein Kind also möglich, wenn Zahlwörter durch genaue nicht herangezogen werden.
beispielsweise die Treppen hinauf und ­Eins-zu-Eins-Zuordnung auch ihren
„zählt“ dabei laut „eins, zwei, drei, vier, exakten Anzahlen zugewiesen werden Kompetenzebene 3 Damit der Übergang
…“, spiegelt dies nach dem ZGV-Modell können. Erst diese Fähigkeit ermöglicht zum Rechnen gelingt, müssen die Kinder
16 nicht zwangsläufig, nur möglicherweise,
wieder, dass das Kind beim Benennen
es, eng nebeneinander liegende Zahlen
anhand ihrer Größe zu unterscheiden
schließlich auch die zuletzt beschriebene
Einsicht mit Zahlen verknüpfen. Sie
der vierten Treppe („vier“) auch (z. B. vierundzwanzig ist weniger als müssen verstehen, dass Zahlen nicht
versteht, dass es bereits vier Stufen fünfundzwanzig). Im Gegensatz zur Phase nur Mengen und Größen abbilden,
( = zugehörige Menge) erklommen der unpräzisen Größenrepräsentation, sondern dass sie auch Größenrelationen
hat. Nach dieser Modellvorstellung ist in der es etwa für einen Vergleich von zwischen Zahlen beschreiben (tiefes
eine „Mengenbewusstheit von Zahlen“ „zwanzig“ und „hundert“ nicht zwingend Zahlverständnis). So müssen sie erkennen,
beziehungsweise eine Zahl-Größen- notwendig ist, bis hundert zählen zu dass der Größenunterschied zwischen
Repräsentation für das Aufsagen können, ist es in der Phase der präzisen zwei Zahlen (z. B. „drei“ und „fünf“) nicht
einzelner Zahlwörter oder der korrekten Größenrepräsentation unabdingbar nur mit „größer“ oder „kleiner“ bzw.
Zahlwortfolge also nicht notwendig. Dies (im betreffenden Zahlenraum) die „mehr“ oder „weniger“ beschreibbar ist
kann auch ohne eine solche gelingen. exakte Zahlwortfolge zu beherrschen. („drei sind kleiner/weniger als fünf“, Ebene
Dies macht deutlich, wie wichtig es ist 2), sondern auch mit einer
Kompetenzebene 2 Erst auf einer die – stur auswendig lernbare – Folge exakten Zahl angegeben werden kann
zweiten Kompetenzstufe, die etwa der einzelnen Zahlwörter (vorwärts wie („drei sind zwei kleiner/weniger als fünf“)
ab dem Alter von drei bis vier Jahren rückwärts, Ebene 1) auch tatsächlich und dass eine Zahl aus anderen
erworben wird, werden Zahlwörter – und auswendig zu können um die präzise Zahlen zusammengesetzt werden
gegebenenfalls auch schon Ziffern – mit Größenrepräsentation auf Ebene 2b zu kann oder in diese zerlegbar ist
Mengen und Größen in Verbindung erwerben. (Ebene 3).
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
397 16
. Abb. 16.5 Zunehmendes
semantisches Verständnis
von Zahlwörtern und Ziffern
und zugehörige Förderziele in
Anlehnung an das ZGV-Modell.
(Krajewski 2007, 2013)
398 M. Ennemoser und K. Krajewski

Exkurs

Einfluss phonologischer Bewusstheit auf die mathematische Entwicklung


Wie eine aktuelle Längsschnitt- wurden 45 % der Unterschiede im zerlegen oder Reime bilden zu können.
untersuchung von Krajewski, Simanowski Aufsagen der Zahlwortfolge vorwärts Eine gut ausgeprägte phonologische
und Greiner (2013) zeigt, weisen und rückwärts sowie dem Bestimmen Bewusstheit auf Wort- und Silbenebene
Kinder, die als Vierjährige über eine von Vorgänger- und Nachfolgerzahlen hilft demnach, die üblicherweise
gute phonologische Bewusstheit im (ZGV-Modell Kompetenzebene 1) durch zusammenhängend erlernte und
weiteren Sinn verfügen, als Fünfjährige die vorher bestehenden Unterschiede aufgesagte Zahlwortfolge („einszwei
auch einen flexibleren Umgang mit in der phonologischen Bewusstheit dreivierfünfsechs…“) in ihre einzelnen
der Zahlwortfolge auf als Kinder im weiteren Sinn erklärt, also durch Bestandteile zu zerlegen („eins, zwei,
mit schwächerer phonologischer die Fähigkeit gesprochene Sätze in drei, vier, fünf, sechs, …“) und als einzelne
Bewusstheit im weiteren Sinn. So ihre einzelnen Wörter und Silben Zahlwörter zu begreifen.

Die Förderung der Größenrepräsentation von Zahlen > Die Veranschaulichung der Zahlen sollte idealerweise
(Ebene 2) sollte zunächst über die Zuordnung von Zahl- anhand von Mengen erfolgen, die aus gleichen
wörtern beziehungsweise Ziffernzahlen zu abzählbaren Elementen bestehen. Diese sollten sich durch nichts
Mengen erfolgen (z. B. „drei“ steht für ▄ ▄ ▄, . Abb. 16.5). unterscheiden als allein durch ihre Anzahl (Krajewski
Wenn Kindern dies gelingt, kann sich der Größenvergleich und Ennemoser 2013).
von (An-)Zahlen anschließen (z. B. „drei sind weniger als
Wie die Veranschaulichungen in . Abb. 16.5 zeigen,
fünf“). Bevor schließlich zu Ebene 3 übergegangen werden
korrespondieren dargestellte Mengen (z. B. drei vs. fünf
kann, sollte sichergestellt sein, dass die Kinder sprachliche
Rechtecke) nur dann exakt mit der Flächen- oder Volumen-
Begriffe, die für die Beschreibung von Größenrelationen
ausdehnung beziehungsweise der „Größe“ der jeweiligen
wichtig sind (z. B. „sind zusammen genauso viel/groß/lang
Zahlen, wenn alle einzelnen Elemente der Mengen
wie“), sicher verwenden. So kann die Förderung schließlich
identisch und damit gleich groß sind (hier z. B. Recht-
darauf zielen, den Kindern bewusst zu machen, dass eine
ecke: ▄ ▄ ▄ vs. ▄ ▄ ▄ ▄ ▄). Nur in diesem Fall gibt die
(An-)Zahl nicht nur in kleinere (An-)Zahlen zerlegt und aus
Flächen- oder Volumenausdehnung der einzelnen Stück-
diesen wieder zusammengesetzt werden kann (z. B. „drei
zahlen auch das exakte Größenverhältnis der beiden zu ver-
und zwei sind zusammen genauso viele wie fünf“), sondern
gleichenden Zahlen wieder. Dies stellt ein sehr wichtiges
dass auch der Unterschied zwischen zwei Zahlen wieder
Prinzip dar, um Kindern im wörtlichen Sinne Einsicht in
eine Zahl ist und dass diese Zahl den Größenunterschied
die Größenverhältnisse der Zahlen und damit in die Zahl-
zwischen den beiden anderen Zahlen exakt angibt (z. B.
Größen-Verknüpfung (Ebene 2) sowie die Größenrelationen
„drei sind zwei weniger als fünf“; Ebene 3).
zwischen Zahlen (z. B. drei sind zwei weniger als fünf; Ebene
3) zu ermöglichen. Dennoch finden sich für den Kinder-
Die Bedeutung geeigneter Darstellungsmittel garten-, Vorschul- und Schuleingangsbereich nur wenige
Im Rahmen der Förderung ist es wichtig, die zu Materialien für die Beschäftigung mit Zahlen, die diesem
16 erkennenden Größenverhältnisse von Zahlen hinreichend Prinzip folgen. Die Auffassung, dass derart strukturiertes
salient zu machen. Dies gilt insbesondere für Kinder mit Material langweilig, nicht abwechslungsreich genug und
Schwächen im Bereich der Aufmerksamkeitsregulation damit nicht kindgerecht sein könnte, führt dazu, dass die
und des Arbeitsgedächtnisses. Aus diesem Grund ist eine Materialien tatsächlich nicht kindgerecht, weil nicht an der
sorgfältige Auswahl der Darstellungsmittel für die Zahlen kindlichen Entwicklung orientiert sind (7 Exkurs „Beispiel
erforderlich. für irreführende Darstellungsmittel“).

Exkurs

Beispiel für irreführende Darstellungsmittel


Wenn Kinder noch kein Zahlverständnis kleinere (5 Nüsse). Zudem ist es gänzlich Art, Funktion), Anzahlen als relevantes
(Ebene 2) erworben haben, sollten unmöglich zu erkennen, dass von der hier Unterscheidungsmerkmal von Zahlen zu
Darstellungsmittel zunächst so gewählt flächenmäßig größeren Zahl drei (Teller) erkennen und zwei Mengen aufgrund
werden, dass numerische und räumliche die Zahl zwei (Teller? Nüsse?) hinzukommt, ihrer Stückzahl miteinander in Beziehung
Größen nicht, wie im dargestellten um die hier flächenmäßig kleinere Zahl zu setzen. Nur wenn alle irrelevanten,
Beispiel (. Abb. 16.6), in Konflikt fünf (Nüsse) zu erhalten. Die Verwendung nicht-zahlbezogenen Materialaspekte
geraten. Gerade für schwächere Kinder verschiedenartiger Materialien konstant gehalten werden, wird die
ist es schwer nachvollziehbar, warum die erschwert es also aufgrund von Anzahl als Unterscheidungsmerkmal
flächenmäßig größere Menge (3 Teller) irrelevanten Verschiedenheitsaspekten zwischen den zu repräsentierenden
„weniger“ sein soll als die flächenmäßig (Größe, Volumen, aber auch Farbe, Zahlen unmittelbar sichtbar.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
399 16
von Zahlen in der Förderung nicht nur sehen können,
sondern diesen auch bewusst wahrnehmen, ver-
arbeiten und verstehen, ist es notwendig die zentralen
numerischen Inhalte auch sprachlich benennen zu
lassen. So sollten Verbalisierungen wie beispielsweise
„[Zahlwort] ist größer/kleiner als [Zahlwort]“, „[Zahl-
wort] sind mehr/weniger als [Zahlwort]“ oder „[Zahl-
wort] sind genauso viele wie [Zahlwort] und [Zahlwort]
. Abb. 16.6 Beispiel für irreführende Darstellungsmittel zusammen“ in der Förderung explizit verwendet werden.

Anforderungen an mathematische 16.5.3  Evaluationsstudien zur


Präventionsmaßnahmen Wirksamkeit der Förderung von
Zusammenfassend lassen sich folgende vier Anforderungen Zahl-Größen-Kompetenzen
an eine mathematische Frühförderung ableiten (vgl.
Krajewski und Simanowski 2017). Es gibt einige Programme, die vereinzelte Aspekte der oben
5 Inhaltsspezifität. Die Förderung sollte sehr gezielt dargestellten Entwicklung von Zahl-Größen-Kompetenzen
auf mathematikspezifische Fähigkeiten und Fertig- fördern. In aller Regel werden jedoch die hierbei genannten
keiten fokussiert werden. Auf eher allgemeine oder Anforderungen nicht umfänglich beachtet. Zudem schließen
zumindest nicht mathematikspezifische Kompetenzen die empirischen Wirksamkeitsuntersuchungen – sofern vor-
ausgerichtete Maßnahmen (z. B. Motorik- oder Wahr- handen – neben ungeförderten Kontrollgruppen keine alter-
nehmungstrainings) bleiben in der Regel gänzlich nativ trainierten Kontrollgruppen ein, anhand derer sich
wirkungslos oder haben zumindest deutlich geringere Zuwendungseffekte kontrollieren und die tatsächlich auf das
Erfolgsaussichten (z. B. Grünke 2006). Training zurückzuführenden Effekte quantifizieren ließen
5 Entwicklungsorientierung. Die Förderung sollte sich (z. B. „Zahlenzauber“, Clausen-Suhr et al. 2008; „Komm mit
an der Abfolge der natürlichen mathematischen Ent- ins Zahlenland“, Friedrich und Munz 2006).
wicklung orientieren (vgl. ZGV-Modell). Das heißt, Ein pädagogisch-psychologisches Programm, das die
es macht keinen Sinn, Rechenoperationen oder das oben beschriebenen drei Kriterien hingegen erfüllt und
­Teile-Ganzes-Verständnis von Zahlen (Ebene 3) zu in kontrollierten Trainingsstudien umfassend empirisch
fördern, wenn eine Größenrepräsentation von Zahlen evaluiert wurde, ist das Förderprogramm „Mengen,
(Ebene 2) oder gar ein flexibler Umgang mit der Zahl- zählen, Zahlen“ (MZZ; Krajewski et al. 2007). Es orientiert
wortfolge (Ebene 1) noch nicht (sicher) vorhanden sind. sich am ZGV-Modell und baut unter Rückgriff auf die
5 Verwendung gleichartiger, abstrakter Veranschau- Zahlwortfolge (Ebene 1) systematisch zunächst eine
lichungsmaterialien. Hierdurch wird sichergestellt, Größenrepräsentation von Zahlen (Ebene 2) auf, bevor
dass quantitative Relationen zwischen den dargestellten es auf das Verständnis von Zahlrelationen (Ebene 3) zielt.
Zahlen sichtbar werden. Wie im 7 Exkurs „Beispiel Hierfür werden Darstellungsmittel verwendet, die für alle
für irreführende Darstellungsmittel“ näher beschrieben, Zahlen gleich sind (z. B. Chips, Holzklötze), sodass sich die
sollten also nicht „Äpfel mit Birnen“, sondern allen- dargestellten Mengen für unterschiedliche Zahlen nur in
falls Äpfel mit (exakt gleich großen, exakt gleich- ihrer Anzahl und – damit exakt korrespondierend – in ihrer
farbigen) Äpfeln verglichen werden. Besonders gut räumlichen Ausdehnung voneinander unterscheiden. Bei
geeignet scheinen Materialien, die möglichst wenige der Beschäftigung mit den Materialien wird großer Wert
„ablenkende“ Eigenschaften haben, wie beispiels- darauf gelegt, dass die Kinder ihre Erkenntnisse über die
weise einfarbige Chips oder Klötzchen. Hierdurch Zahlen auch verbalisieren (z. B. fünf sind [zwei] mehr als
wird vermieden, dass Kinder irrelevante Assoziationen drei; von einer zur nächsten Zahl kommt immer eins dazu).
mit Zahlen verbinden, wie dies insbesondere dann Das Programm wird in 24 etwa halbstündigen
geschehen kann, wenn Zahlen bewusst durch Fantasie- Sitzungen über acht Wochen durchgeführt. Es hat sich für
gestalten repräsentiert werden (z. B. wenn die Zahl die Förderung der Zahl-Größen-Kompetenzen im letzten
2 – aufgrund der gebogenen Halsform – durch einen Kindergartenjahr (Krajewski et al. 2008), in Vorklassen
Schwan repräsentiert werden soll). Letzteres kann (Ennemoser 2010; Hasselhorn und Linke-Hasselhorn
gerade bei rechenschwachen Kindern den Aufbau eines 2013) und bei Risikokindern in der ersten Klasse bewährt
Zahlverständnisses systematisch erschweren. Denn die (Ennemoser und Krajewski 2007; Ennemoser et al. 2015).
quantitativen Eigenschaften der Zahlen werden durch Inzwischen liegen auch für Lernhilfeschüler sowie für
eine Einbettung in Fantasiegeschichten systematisch Schüler mit einer geistigen Behinderung erste ermutigende
verschleiert, was langfristig zu schwächeren schulischen Hinweise vor (Kuhl et al. 2012; Sinner und Kuhl 2010).
Rechenleistungen führen kann (von Aster 2005). In der ersten Studie legten Vorschulkinder, die mit MZZ
5 Verbalisierung mathematischer Inhalte. Um sicher- trainiert wurden, kurz- und langfristig deutlich mehr in
zustellen, dass die Kinder den numerischen Gehalt ihrer numerischen Entwicklung zu als eine Kontrollgruppe
400 M. Ennemoser und K. Krajewski

ohne Förderung sowie zwei Gruppen von Kindern, die ein


allgemeines Denktraining oder eine andere mathematische forschung gewertet werden. In der Praxis wird allerdings
Förderung erhalten hatten (Krajewski et al. 2008). Darüber häufig die Notwendigkeit übersehen, die Maßnahmen
hinaus zeigten sich bei einer MZZ-Förderung von rechen- mit der Vermittlung von Buchstabe-Laut-Beziehungen
schwachen Erstklässlern beachtliche Transfereffekte auf zu verknüpfen. Wird dies nicht umgesetzt, ist mit
die Mathematikleistungen der Kinder, die weder durch deutlich geringeren Effekten zu rechnen. Zudem
ein Lesetraining (Ennemoser und Krajewski 2007) noch werden die Maßnahmen häufig nicht programmgetreu,
durch ein allgemeines Denktraining (Sinner 2011) erreicht sondern eher sporadisch und selektiv durchgeführt,
werden konnten. Zeitverzögert auftretende, langfristige was den empirischen Befunden zufolge sehr schnell die
Transfereffekte auf die schulischen Mathematikleistungen eigentlich vorhandenen Förderpotenziale untergräbt
deuten darauf hin, dass durch eine Förderung mit dem (z. B. Schneider et al. 1997; vgl. auch Pressley und
Programm „Mengen, zählen, Zahlen“ zunächst Ent- Harris 1994). Nicht zuletzt bleibt festzuhalten, dass
wicklungslücken im Zahlverständnis geschlossen werden Maßnahmen zur Förderung der phonologischen
konnten, woraufhin die Kinder anschließend in der Lage Bewusstheit zweifelsohne einen wichtigen
waren, auch vom regulären Mathematikunterricht mehr Präventionsansatz darstellen. Insbesondere mit Blick
zu profitieren (Ennemoser et al. 2015). In einer Folgestudie auf die späteren Leseverständnisleistungen können sie
hatten die positiven Effekte auf die Entwicklung der Risiko- jedoch eine präventive Förderung der „allgemeinen“
kinder selbst zwei Jahre nach der Förderung noch Bestand Sprachkompetenz (morphosyntaktische Fähigkeiten,
(Ennemoser et al. eingereicht). Wortschatz) nicht gänzlich ersetzen.
Die Förderung spezifischer Vorläuferfertigkeiten im Bereich
Mathematik wurde demgegenüber erst in den letzten zehn
Fazit Jahren zunehmend in den Blick genommen. Dennoch sind
Die pädagogisch-psychologische Interventionsforschung in diesem Zeitraum enorme Fortschritte erzielt worden,
hat inzwischen eine Reihe theoretisch fundierter indem im Rahmen theoretischer Modellkonzeptionen
Förderansätze hervorgebracht, die problemlos in die zentrale Meilensteine identifiziert werden konnten,
institutionellen Förderangebote des Kindergartens die einen wirksamen Ansatzpunkt für gezielte und
implementierbar sind und deren präventive Potenziale für nachweislich wirksame Präventionsmaßnahmen liefern
die spätere Schullaufbahn auch empirisch belegt werden (Krajewski und Ennemoser 2013).
konnten. Am wenigsten zufriedenstellen kann die Lage im
Bereich der Sprachförderung. Zwar liegen hier (inzwischen
auch für den deutschen Raum) positive Befunde zum
dialogischen Lesen vor, das auf der systematischen ? Verständnisfragen
Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien basiert 1. Worauf sollte bei der Auswahl von präventiven
(Ennemoser et al. 2013). Allerdings ist zu vermuten, dass Fördermaßnahmen geachtet werden?
eine systematische, jeweils gezielt auf bestimmte Ebenen 2. Was ist unter sprachförderlichen Interaktionen zu
der Sprachkompetenz fokussierte Vorgehensweise verstehen und welche Funktionen haben sie?
3. Beschreiben Sie, wie kann grundlegende
16 zusätzliche Potenziale birgt. Diese können jedoch
durch undifferenzierte „Paketevaluationen“ nicht Denkprozesse wirksam fördern kann?
eindeutig ausgemacht werden und benötigen einen 4. Was ist unter Vorläuferfertigkeiten des
kleinschrittigeren Vorlauf an Interventionsstudien (für eine Schriftspracherwerbs zu verstehen und was ist bei
Kritik an so genannten „horse races“ in der Evaluations- der Förderung zu beachten?
forschung vgl. Pressley und Harris 1994). 5. Wo liegt aus entwicklungspsychologischer Sicht das
Deutlich ermutigender sind die Befunde zur Förderung Kerndefizit einer Rechenschwäche und wie kann man
des induktiven Denkens, die zeigen, dass die diesem Defizit frühzeitig entgegenwirken?
entsprechenden Maßnahmen langfristige Transfereffekte
zeigen, welche auch in erwarteter Weise auf ein breites Vertiefende Literatur
Spektrum an Lernleistungen transferieren. Angesichts 5 Ennemoser, M. & Hartung, N. (2017). Wirksamkeit verschiedener
der relativ eindeutigen Befundlage wäre jedoch eine Sprachfördermaßnahmen bei Risikokindern im Vorschulalter.
stärkere Dissemination in die institutionelle Förderpraxis Unterrichtswissenschaft, 3, 198–219.
5 Krajewski, K., & Ennemoser, M. (2013). Entwicklung und Diagnostik
wünschenswert. der Zahl-Größen-Verknüpfung zwischen 3 und 8 Jahren. In M.
Die Förderung der phonologischen Bewusstheit hat Hasselhorn, A. Heinze, W. Schneider, & U. Trautwein (Hrsg.),
unter den vorgestellten Ansätzen die mit Abstand Diagnostik mathematischer Kompetenzen. Tests & Trends N.F. 11
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auch die größte Verbreitung in die Praxis. So können die 5 Schneider, W., & Marx, P. (2008). Früherkennung und Prävention
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16
405 17

Training
Stefan Fries und Elmar Souvignier

17.1  Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und


Klassifikation – 406
17.2  Training kognitiver Grundfunktionen – 409
17.2.1  Aufmerksamkeit – 410
17.2.2  Denken – 410

17.3  Motivationstraining – 412


17.4  Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des
Lesens und Schreibens – 414
17.4.1  Training des Leseverständnisses – 414
17.4.2  Schreiben – 416

17.5  Implementation von Trainingsprogrammen – 418


Literatur – 421

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_17
406 S. Fries und E. Souvignier

Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivationalen 17.1  Was ist ein Training?
und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden bestimmt. Es Begriffsbestimmung und
verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen Psychologie Klassifikation
spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich den Aufbau
und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum Ziel setzen. Von Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Inter-
solchen Trainingsverfahren handelt dieses Kapitel (. Abb. 17.1). ventionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar.
In diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainings-
verfahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch
relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen
gefördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert
werden, was ein 7 Training i. Allg. kennzeichnet und
anhand welcher Kriterien Trainingsverfahren klassifiziert
werden können. Da nicht vorausgesetzt werden kann,
dass jeder Leser sich schon einmal mit einem konkreten
pädagogisch-psychologischen Training befasst hat, wird
­
vor der Begriffsklärung ein exemplarisches Trainings-
programm im 7 Exkurs „Ein Training zur Förderung des
induktiven Denkens“ kurz skizziert und ausführlicher im
7 Abschn. 17.2.2 erklärt.
Am Beispiel des Denktrainings nach Klauer lassen sich
die drei zentralen Merkmale eines Trainings identifizieren:
5 die wiederholte Übung an spezifischen Aufgaben,
5 die Vermittlung von prozeduralem Wissen und
5 die Strukturiertheit der Maßnahme.

. Abb. 17.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)

17 Exkurs

Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens


Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt 10 Trainingssitzungen. Pro Sitzung werden teilnehmer, verschiedene Typen von
das induktive Denken dar. Induktives jeweils 12 Aufgaben durchgenommen. Aufgaben des induktiven Denkens
Denken liegt immer dann vor, wenn Vielfältige Aufgabeninhalte und zu unterscheiden und bei der Lösung
wir aus konkreten Beobachtungen auf -formate kommen dabei zum Einsatz. So der Aufgaben nach einer speziellen
Regelhaftigkeiten z. B. von Formen müssen Reihen fortgesetzt, unpassende Strategie vorzugehen. Hierdurch sollen
schließen. Der Aachener Erziehungs- Elemente entdeckt oder Objekte in die Trainierten, auch über die konkreten
wissenschaftler und Psychologe Karl Josef ein System eingeordnet werden (für Trainingsaufgaben hinaus, all jene
Klauer hat für Kinder und Jugendliche Aufgabenbeispiele Beispielkasten „Zwei schulischen und außerschulischen
Trainings zur Förderung dieser Aufgaben aus dem Denktraining II“ Anforderungen besser bewältigen, in
Denkkompetenz vorgelegt (Klauer 1989, in 7 Abschn. 17.2.2). Im Verlauf der denen Kompetenzen des induktiven
1991, 1993). Die Trainings umfassen jeweils Trainingssitzungen erlernen die Trainings- Denkens von Relevanz sind.
Training
407 17
Wiederholte Übung an spezifischen Aufgaben Das erste Ziel der Verbesserung von Fähigkeiten und Fertigkeiten im
Merkmal betrifft die eingesetzte Methode. So besteht Sinne prozeduralen Wissens (Klauer 2001b).
das Denktraining im Wesentlichen in der angeleiteten
oder eigenständigen Bearbeitung von Aufgaben des Strukturiertheit der Maßnahme Die beiden bisher
induktiven Denkens. Auch in anderen Trainingsver- besprochenen Merkmale genügen noch nicht, um den
fahren steht die wiederholte Ausübung von Tätigkeiten Trainingsbegriff von anderen Interventionsmethoden
und Aktivitäten im Mittelpunkt (Klauer 2001a; Langfeldt abzugrenzen. Die Verbesserung des Könnens durch
und Büttner 2008; Strobach und Karbach 2016): In ver- die übende Wiederholung einer Tätigkeit stellt eine all-
schiedenen 7 Lesetrainings werden kurze Texte unter gemeine Lernform dar. Von einem Training sollte man
Anwendung neuer Strategien gelesen (z. B. Gold et al. daher erst dann sprechen, wenn eine strukturierte und
2006), in Schreibtrainings Texte nach konkreten Vor- zeitlich begrenzte Intervention vorliegt. Typischerweise
gaben eigenständig verfasst (z. B. Harris und Graham haben Trainings eine Lektionsstruktur und die Vor-
1996) oder in Motivationstrainings spielerische Aufgaben gehensweise im Training ist durch geeignete Anweisungen
unter Anwendung einer motivationalen Strategie aus- an den Trainer und den Trainierten z. B. in einem
geführt (Rheinberg und Krug 2017). Verallgemeinernd Trainingsmanual vorab festgelegt.
kann man festhalten, dass ein Training immer durch die
wiederholte Ausübung von Tätigkeiten und Aktivitäten Definition
gekennzeichnet ist. Selbstverständlich kommen in vielen Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich begrenzte
Trainings auch weitere Methoden zum Einsatz. So wird Intervention, in der mittels wiederholter Ausübung von
beispielsweise im Denktraining anhand von Beispielen Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird, Fertigkeiten und
eine Aufgabenklassifikation entwickelt. Oder im Training Fähigkeiten aufzubauen oder zu verbessern.
„Wir werden Textdetektive“, einem Programm zur
Förderung der Lesekompetenzen in den Klassenstufen 4–6
(Gold et al. 2006), erarbeiten die Teilnehmer gemeinsam Bedenkt man die Vielzahl von Fertigkeiten, die einem
mit dem Trainer Merkblätter, auf denen die wichtigsten erfolgreichen Lernen oder erfolgreicher Lebensgestaltung
Funktionen von Lesestrategien festgehalten sind. zugrunde liegen, dann überrascht es nicht, dass Trainings
für eine Vielzahl von Fertigkeiten entwickelt wurden (für
Vermittlung von prozeduralem Wissen Das zweite zentrale einen Überblick z. B. Klauer 2001a; Langfeldt und Büttner
Merkmal von Trainings ergibt sich aus einer inhaltlichen 2008; Lohaus und Domsch 2009; Strobach und Karbach
Perspektive. Es geht um die Frage, was mit welchem 2016). Bevor wir jedoch weitere Trainings vorstellen, sollen
Ziel trainiert wird. Durch Trainings soll das Können der zunächst noch zentrale Klassifikationskriterien geklärt
Trainierten verbessert oder wiederhergestellt werden. werden, auch um die Vielfalt und Anwendungsbreite
Im Falle des Denktrainings ist das Ziel die verbesserte pädagogisch-psychologischer Trainings zu verdeutlichen.
Leistungsfähigkeit im induktiven Denken. In typischen
Aufmerksamkeitstrainings (s. unten) sind das verbesserte Trainierter Funktionsbereich Man kann zwischen Trainings
Fertigkeiten im konzentrierten Bearbeiten von Aufgaben. für kognitive, motivationale, selbstregulative, soziale und
Betrachtet man die zentralen Ziele von Trainings vor dem emotionale Funktionsbereiche unterscheiden. Insbesondere
Hintergrund der Unterscheidung zwischen deklarativem für den kognitiven Funktionsbereich existiert eine Viel-
und prozeduralem Wissen (7 Kap. 1), dann ist der Gegen- zahl von Trainingsverfahren, wobei man zwischen dem
stand eines Trainings immer die Verbesserung prozeduralen Training allgemeiner intellektueller Kompetenzen (Auf-
Wissens. Natürlich kann es sein, dass mit einem Training merksamkeit, Gedächtnis, Denken etc.) und dem Training
auch weitere Ziele verfolgt werden. So war z. B. ein Element kulturbezogener Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben und
bei einem Gedächtnistraining für ältere Menschen von Rechnen) unterscheiden kann (Souvignier 2008). Eine Reihe
Knopf (1993), diese zunächst von ihren nach wie vor vor- weiterer Trainingsprogramme zielt auf die Verbesserung
handenen Leistungspotenzialen zu überzeugen. Hier sollte psychosozialer Kompetenzen ab (7 Kap. 18). Trainingsver-
durch die entsprechenden Trainingsinhalte eine Einstellung fahren können dabei auch mehr als einen Funktionsbereich
der Trainierten modifiziert werden. Und auch deklaratives zum Gegenstand haben. So soll z. B. durch das Integrierte
Wissen kann in einem Training vermittelt werden. So wird Training (Fries 2002; 7 Abschn. 17.3) sowohl das induktive
z. B. ein Trainer im Denktraining sicherstellen, dass die Denken als auch das leistungsmotivierte Verhalten trainiert
Trainierten auch über das deklarative Wissen verfügen, das werden. Auch die Förderung selbstregulierten Lernens
sie zur Lösung spezifischer Aufgaben benötigen. Oder in (7 Kap. 3) erfolgt häufig in Kombination mit weiteren
begleitenden Elterntrainings zu Aufmerksamkeitstrainings Funktionsbereichen (Landmann und Schmitz 2007). Dies
erhalten die Eltern häufig ausführliche Informationen zu gilt insbesondere für Trainingsverfahren zur Förderung des
den bei ihren Kindern vorliegenden Aufmerksamkeits- Lesens und Schreibens (z. B. Gold et al. 2006; 7 Abschn. 17.3).
störungen. Doch dienen solche Trainingsinhalte, die auf
Einstellungsänderungen oder die Erweiterung deklarativen Allgemeine Trainingsintention Trainings werden mit unter-
Wissens abzielen, letztlich immer dem übergeordneten schiedlichen allgemeinen Trainingsintentionen eingesetzt
408 S. Fries und E. Souvignier

(Hager und Hasselhorn 2008). Trainings können darauf in bestimmten Funktionsbereichen zeigen, wird durch das
abzielen, bereits bestehende nichtdefizitäre Fertigkeiten weiter- Training versucht, diese zu minimieren oder aufzuheben. Dies
zuentwickeln. In einem solchen Fall spricht man von einer all- ist z. B. der Fall, wenn Kinder mit einer Aufmerksamkeits-
gemeinen Förderung. Das eingangs dargestellte Denktraining defizit-/Hyperaktivitätsstörung ein Aufmerksamkeits- (z. B.
(Klauer 1989, 1991, 1993; 7 Abschn. 17.2) wird meist mit Lauth und Schlottke 2009; 7 Abschn. 17.2) oder ein Arbeits-
dieser Trainingsintention eingesetzt. Hiervon lassen sich drei gedächtnistraining (vgl. Klingberg 2010) erhalten. Schließlich
weitere Trainingsintentionen abgrenzen, bei denen es jeweils gibt es noch den Fall, dass ein Training zur Rehabilitation
um bereits existierende oder zu vermeidende Fähigkeits- eingesetzt wird. Hier sollen Fähigkeiten und Fertigkeiten
und Fertigkeitsdefizite beim Trainierenden geht. Im Fall der wiederhergestellt werden, die aufgrund äußerer Einflüsse
präventiven Nutzung soll durch den Einsatz von Trainings beeinträchtigt wurden oder verloren gegangen sind. Zuletzt
sichergestellt werden, dass drohende Defizite nicht auftreten. sei noch angemerkt, dass die Systematisierung der Trainings-
Dies ist z. B. der Fall, wenn Kindergartenkinder, bei denen intentionen auch ausschließlich über den Präventionsbegriff
potenzielle Probleme hinsichtlich des späteren Erwerbs von erfolgen kann, indem zwischen Primärprävention (Nutzung
Lese- und Schreibkompetenzen diagnostiziert wurden, ein des Trainings vor dem Auftreten von Problemen) und
Training zur Förderung phonologischer Bewusstheit erhalten Sekundärprävention (Nutzung des Trainings nach dem Auf-
(Küspert und Schneider 2018; 7 Kap. 16). Andere Trainings treten erster Probleme) unterschieden wird (s. hierzu die ein-
werden dagegen kurativ eingesetzt. Wenn Schüler Defizite leitenden Bemerkungen im nachfolgenden 7 Kap. 18).

Exkurs

Wirksamkeitsüberprüfung
Aufgrund der praktischen Bedeutsamkeit verglichen werden. Der Vergleich mit keitsmerkmale (z. B. Offenheit für neue
und des zu betreibenden zeitlichen einem Placebotraining ist notwendig, Erfahrungen bei einem Training sozialer
und personellen Aufwandes sollten nur um etwaige Zuwendungs- oder Kompetenzen) beziehen. Dieser Befund
Trainingsverfahren eingesetzt werden, Neuheitseffekte als Alternativerklärungen spiegelt im Hinblick auf die höheren
für die ein Wirksamkeitsnachweis für Fortschritte der Trainingsgruppe Trainingseffekte bei Schülern mit
im Rahmen geeigneter empirischer ausschließen zu können. höheren Ausgangsleistungen den in der
Untersuchungen erbracht wurde. Es Der zweite Aspekt betrifft den Trainingsforschung häufig beobachteten
muss gezeigt werden, dass ein Training gezeigten Transfer. Die Wirksamkeit „Matthäus-Effekt“ – gemäß der Bibelstelle
auch tatsächlich jene Fähigkeiten des Trainings muss mit geeigneten Mt 25,29 „Denn wer hat, dem wird
und Fertigkeiten fördert, die es zu Messinstrumenten zu angemessenen gegeben, und er wird im Überfluss
fördern beansprucht. Idealiter erfolgt Testzeitpunkten nachgewiesen werden haben“ – wider. Ein Training ist nicht
eine solche Überprüfung unter der (Hasselhorn und Hager 2008). Die per se für jeden gleich wirksam und vor
Nutzung von experimentellen oder Leistungsverbesserungen sollten über dem Hintergrund des „­ Matthäus-Effekts“
quasi-experimentellen Trainingsstudien. die spezifischen, im Training genutzten scheint es wichtig zu überprüfen, ob ein
Um zu aussagekräftigen Ergebnissen Aufgaben hinausgehen und sich auch Training tatsächlich seine Zielgruppe
zu gelangen, sind zwei Aspekte bei der noch längere Zeit nach dem Ende des erreicht.
Wirksamkeitsüberprüfung zentral (für Trainings in Follow-up-Messungen Für Trainingsautoren stellt sich meist
eine ausführliche Diskussion Hager nachweisen lassen. Darüber hinaus ist es die Problematik, dass die Wirksamkeits-
17 2008; Hager et al. 2000; Schmiedek 2016;
Simons et al. 2016). Der erste Aspekt
wünschenswert, dass der Nachweis der
Wirksamkeit eines Trainingsverfahrens
überprüfung im Feld erfolgen muss.
Dies bringt häufig mit sich, dass
ist das Untersuchungsdesign: Das zu mehrfach erbracht wird (Replikation). die methodischen Anforderungen
überprüfende Training muss seine Wirksamkeitsüberprüfungen können an Evaluationen pädagogisch-
Wirksamkeit im Vergleich zu geeigneten differenzielle Wirksamkeiten eines psychologischer Interventionen
Kontrollgruppen zeigen. Die Wirksamkeit Trainings zutage fördern. Hierunter (Hager et al. 2000) nur eingeschränkt
eines Trainings ist noch nicht gezeigt, versteht man, dass die Wirksamkeit eines realisiert werden können (z. B. hat man
wenn sich die Trainingsteilnehmer von Trainings beim Vorliegen bestimmter in vielen Untersuchungskontexten
Trainingsbeginn zu Trainingsende in individueller Voraussetzungen höher ist keine Möglichkeit, die Probanden
der trainierten Fertigkeit verbessern. als bei anderen Ausprägungen dieser randomisiert den verschiedenen
Ein solcher Befund könnte ja auch die Merkmale. So fanden Souvignier und Bedingungen zuzuweisen, weil z. B.
Konsequenz von Reifungseffekten sein. Lienert (1998), dass eine Förderung das Herausnehmen von Schülern aus
Um die Wirksamkeit eines Trainings zu räumlichen Denkens insbesondere bei dem Klassenverband nicht möglich ist).
belegen, sollte es mit unbehandelten solchen Schülern hohe Effekte bewirkte, Es erscheint daher angebracht, sich
Wartekontrollgruppen (Test gegen die zwar über ein vergleichsweise bei der Überprüfung der Wirksamkeit
Reifungseffekte), mit einem Alternativ- hohes Ausgangsniveau räumlicher neben methodischen Standards auch
training (das sind Trainings, die die Fähigkeiten verfügten, die sich in der daran zu orientieren, was im Feld
gleichen oder ähnliche Trainingsziele Auseinandersetzung mit dem konkreten machbar ist, solange die resultierenden
haben) und mit einem Placebotraining Trainingsmaterial aber eher schwer taten. Einschränkungen bei der Interpretation
(das sind Trainings, die nicht auf die Eine solche „optimale Passung“ kann sich von Untersuchungen angemessen
anvisierte Fertigkeit wirken sollen) natürlich auch auf bestimmte Persönlich- berücksichtigt werden.
Training
409 17
Adressaten und Zielgruppen Trainingsverfahren richten obwohl diese in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle
sich an unterschiedliche Adressaten (Personen, die an spielen (Landmann und Schmitz 2007; Benick et al. 2019). Wir
einem Training teilnehmen). So gibt es Trainingsver- tun dies zum einen, weil entsprechende Trainings ausführ-
fahren für Kinder, für Jugendliche, für Eltern, für Lehrer lich in 7 Kap. 3 dargestellt werden. Wir tun dies jedoch auch,
oder auch für Mitarbeiter in einem Unternehmen. In der weil – auf der Basis theoretischer Grundlagen selbstregulierten
Regel sind die Adressaten eines Trainings identisch mit Lernens – zunehmend metakognitive und selbstregulative
der Zielgruppe (denjenigen, bei denen in erster Linie Ver- Elemente in vielen Trainingsprogrammen integriert wurden.
änderungen angestrebt sind). Jedoch gibt es auch ver- Insbesondere im Bereich der Förderung des Lesens und des
schiedene Trainings oder Trainingsbausteine, bei denen Schreibens gibt es hierzu verschiedene Ansätze. Bei der Dar-
die eigentliche Zielgruppe indirekt erreicht werden soll. stellung der Trainingsverfahren wird deutlich werden, wie
Wenn z. B. in einem Elterntraining im Rahmen eines Auf- die Kombination mit dem Training selbstregulativer Fertig-
merksamkeitstrainings über Störungsmodelle informiert keiten erfolgt, sodass auch Rückschlüsse auf angemessene
wird (Lauth und Schlottke 2009), dann kommt dies nicht Vorgehensweisen beim Training selbstregulativer Fertig-
nur den Eltern, sondern vor allem deren Kindern zugute keiten gezogen werden können. Ausgeblendet werden
(7 Abschn. 17.2). im vorliegenden Kapitel die vielfältigen Trainings- und
Nach diesen einleitenden Klärungen zum Trainings- Interventionsmaßnahmen zur Förderung psychosozialer
begriff und zu klassifikatorischen Kriterien sollen nun – ent- Kompetenzen (7 Kap. 18).
lang unterschiedlicher Funktionsbereiche – verschiedene
Trainings mit ihren theoretischen Grundlagen, mit kurzen
Darstellungen zur Vorgehensweise sowie mit exemplarischen 17.2  Training kognitiver Grundfunktionen
empirischen Befunden dargestellt werden (für allgemeine Hin-
weise zur Evaluation von Trainingsverfahren 7 Exkurs „Wirk- Unter kognitiven Grundfunktionen versteht man jene Basis-
samkeitsüberprüfung“). Bei der Gliederung des Beitrags haben fähigkeiten der Informationsaufnahme, -­verarbeitung und
wir uns daran orientiert, eine möglichst große Breite inhalt- -speicherung, wie sie sich insbesondere in Aufmerksamkeits-,
licher Funktionsbereiche abzubilden. Dem untergeordnet Denk- und Gedächtnisleistungen ausdrücken. Für diese
wurde die Frage der jeweiligen Trainingsintention, wenn- wichtigen kognitiven Lernvoraussetzungen existiert eine Viel-
gleich sich in den einzelnen Abschnitten Beispiele für all- zahl von Trainingsverfahren (für einen Überblick Klauer
gemeine, präventive und kurative Trainings finden. Wir stellen 2001a; oder auch Langfeldt und Büttner 2008; 7 Exkurs „Sind
ausschließlich Trainingsverfahren für Kinder und Jugend- kognitive Grundfunktionen trainierbar?“). Die meisten dieser
liche vor, da diese in der Regel eine breitere Implementierung Trainings richten sich an Kinder und Jugendliche, aber es gibt
erfahren haben als Trainingsverfahren für andere Adressaten. auch Trainingsverfahren für andere Adressatengruppen (z. B.
Bei den Funktionsbereichen verzichten wir bewusst auf die Oswald 1998). Im Folgenden gehen wir auf Trainingsverfahren
Darstellung von Trainings zur Förderung der Selbstregulation, für die Funktionsbereiche Aufmerksamkeit und Denken ein.

Exkurs

Sind kognitive Grundfunktionen trainierbar?


Kognitive Grundfunktionen sind (1989) davon, dass bei entsprechender Merkmale des kognitiven Apparats
Bestandteil des kognitiven Apparats. Übung Individuen ihre Merkleistung davon unberührt bleiben. Kognitive
Dieser ist durch strukturelle Merkmale beim Listenlernen vervielfachen. Wie Grundfunktionen sind also in einem
(z. B. begrenzte Kapazität des kann dieser offenkundige Widerspruch praktisch relevanten Umfang trainierbar.
Arbeitsgedächtnisses) gekennzeichnet, aufgelöst werden? In strategie- Einen weiterreichenden Anspruch haben
die nur eingeschränkt veränderbar sind basierten kognitiven Trainings geht prozessbasierte kognitive Trainings,
(7 Kap. 1). Angesichts dieser Eigenschaft es keineswegs um eine Modifikation in denen z. B. das Arbeitsgedächtnis
des kognitiven Apparats stellt sich die struktureller Merkmale des kognitiven trainiert werden soll (Klingberg
Frage, ob kognitive Grundfunktionen Apparats. Trainingsziel ist vielmehr die 2010; Könen et al. 2016). Hier soll
überhaupt trainiert werden können. Vermittlung von Strategien, die eine eine kognitive Grundfunktion durch
Manche Autoren vertreten die effizientere Nutzung des kognitiven vielfältige Wiederholungen spezifischer
Auffassung, dass dies nur in einem engen Apparats erlauben (Karbach et al. Aufgabenformate trainiert werden. Die
Rahmen möglich ist (z. B. Weinert 2001; 2018). In der Untersuchung von Kliegl Untersuchungen belegen einen Transfer
Hartig und Klieme 2006). Demgegenüber et al. (1989) ist das die Merkstrategie auf die Leistung in ähnlichen Aufgaben.
stehen vielfältige Trainingsstudien, der „Methode der Orte“. Durch die Inwiefern ein Transfer über eine
die erstaunliche Trainingseffekte auf Nutzung solcher Strategien lassen sich Veränderung über den direkt trainierten
Gedächtnis- oder Denkleistungen die kognitiven Leistungen deutlich Bereich hinaus gelingt, wird kontrovers
belegen. So berichten z. B. Kliegl et al. steigern, auch wenn die strukturellen diskutiert (Simons et al. 2016).
410 S. Fries und E. Souvignier

17.2.1  Aufmerksamkeit sollen die Kinder in entsprechenden Übungen lernen, ihre


Reaktionen zu verzögern und damit ihre Impulsivität zu
Aufmerksamkeit ist eine Voraussetzung für Informations- kontrollieren. Gegen Trainingsende sollen die Kinder sich
aufnahme und damit für Lernen. Liegen bei einem Schüler die Karte nur noch vorstellen und sich mental eine ent-
Störungen der Aufmerksamkeitsleistung vor, dann drohen sprechende Anweisung zur Reaktionsverzögerung geben.
kumulierte Lerndefizite. Die betroffenen Kinder und Jugend- Das Strategietraining baut auf dem Basistraining auf
lichen zeigen häufig ein impulsives und überaktives Verhalten, und besteht aus 12 Lektionen. Im Strategietraining wird
neigen zum Träumen und Trödeln und verfügen nur über eine eine allgemeine Problemlösestrategie vermittelt. Diese
geringe Ausdauer (Barkley 2014; Lauth und Schlottke 2009). besteht aus einer Abfolge von 6 Schritten:
Trainingsprogramme zur Förderung der Aufmerksamkeit 1. Was ist meine Aufgabe?
sind auf diese Kinder und Jugendlichen zugeschnitten; mit den 2. Ich mache mir einen Plan.
Trainingsverfahren sollen kurative Ziele erreicht werden. 3. Kenne ich etwas Ähnliches?
Verschiedene Ansätze sind in diesem Bereich erprobt 4. Sorgfältig und bedacht!
worden. Lauth (2004) konstatiert, dass ursprünglich versucht 5. Halt-Stopp, überprüfe!
wurde, die Defizite durch wiederholtes Bearbeiten einfacher 6. Das habe ich gut gemacht!
Konzentrationsaufgaben zu beseitigen. Es ist bekannt, dass
die Bearbeitung von Aufgaben aus Konzentrationstests zu Die Anwendung der einzelnen Schritte wird durch die
enormen Übungseffekten führt, jedoch lassen sich keine Trans- Nutzung entsprechender Strategiekarten unterstützt. Im
fereffekte auf andere Aufgabenstellungen nachweisen (Westhoff Verlauf des Trainings nehmen die Komplexität und die
und Dewald 1990; Westhoff und Hagemeister 2001; vgl. auch Schulnähe der zu bearbeitenden Aufgaben zu. Durch die
Simons et al. 2016). Es verwundert daher nicht, dass sich solche wiederholte Übung der Strategie soll ihre Nutzung weit-
Trainingsverfahren als ungeeignet erwiesen, um Aufmerksam- gehend automatisiert werden, um so die vorhandenen
keitsdefizite im schulischen Bereich nachhaltig zu reduzieren. Defizite in der Verhaltenssteuerung zu reduzieren. Gerade
Aktuelle Programme zur Aufmerksamkeitsförderung ver­folgen die Inhalte des Strategietrainings verdeutlichen, dass der
einen grundlegend anderen Ansatz. Dabei wird von Bedingungs- Förderanspruch des Trainingspakets weit über das pure
modellen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung Training von Aufmerksamkeitsleistungen hinausgeht.
ausgegangen, die neben neurobiologischen Besonderheiten (z. B. Die Wirksamkeit des Aufmerksamkeitstrainings ist in
gestörte autonome Regulationsprozesse) bei den betroffenen mehreren Evaluationsstudien untersucht worden. In einer
Kindern und Jugendlichen Defizite im Bereich der Selbstkontroll- Untersuchung von Lauth et al. (1996) zeigten sich in der
kompetenzen sehen. Während die neurobiologischen Störungs- Eltern- und Lehrerbeurteilung der Verhaltenssymptomatik
grundlagen potenziell medikamentös beeinflusst werden, bietet deutliche Vorteile zugunsten der trainierten Kinder im Ver-
sich für die Defizite im Bereich der Selbstkontrollkompetenzen der gleich zu einer Wartekontrollgruppe. Trainingseffekte ließen
Einsatz von Trainingsverfahren an, in denen Aufmerksamkeits- sich teilweise bis zu 6 Jahre nach Trainingsende nachweisen
kontrollstrategien vermittelt werden (Naumann und Lauth 2008). (Linderkamp 2002). Allerdings muss kritisch angemerkt
Das Vorgehen soll exemplarisch an dem von Lauth und werden, dass die Wirksamkeit des Trainings meist durch
Schlottke (2009) entwickelten „Training mit aufmerksam- Eltern- und Lehrerbeurteilungen der Schüler, nicht jedoch
keitsgestörten Kindern“ beschrieben werden. Es handelt sich durch objektive Testverfahren überprüft wurde.
dabei um ein kognitiv-behavioriales Interventionsprogramm Neben dem Training von Lauth und Schlottke (2009)
für aufmerksamkeitsgestörte/hyperaktive Kinder im Alter existieren einige weitere Trainingsverfahren. Zu nennen
17 von 7–12 Jahren. Eine Besonderheit des Trainings von sind hier insbesondere das „Marburger Konzentrations-
Lauth und Schlottke (2009) ist sein modularer Charakter. training“ (Krowatschek et al. 2017a, b) und das „Therapie-
Das Training besteht aus insgesamt 5 Therapiebausteinen. programm für Kinder mit hyperkinetischem und
Neben einem Basistraining und einem Strategietraining sind oppositionellem Problemverhalten“ (THOP; Döpfner et al.
dies eine Elternanleitung, eine Wissensvermittlung sowie 2002). Zudem gibt es Trainingsprogramme, die explizit
ein Modul zur Vermittlung von sozialen Kompetenzen. auf Kindergarten- und Vorschulkinder zugeschnitten sind
Zentrale Elemente sind das Basistraining und das Strategie- (Ettrich 1998; Krowatschek et al. 2019; 7 Kap. 16).
training. Das Basistraining besteht aus 13 Lektionen. Im
Basistraining werden Grundfertigkeiten zur Aufmerksam-
keit eingeübt. Die Kinder üben anhand einfacher Aufgaben 17.2.2  Denken
„genau hinzuschauen“, „genau hinzuhören“ oder auch
„genau nachzuerzählen“. Dazu werden u. a. komplexes Bild- Intelligenzleistungen, so wie sie mit den typischen Test-
material, Audiodateien mit sprachlichen Informationen, die verfahren erfasst werden, erfordern im Wesentlichen
von Störgeräuschen überlagert sind und kurze Geschichten Denkleistungen (7 Kap. 2). Es verwundert nicht, dass
verwendet. Die Übungen setzen an einer basalen Ver- verschiedene Trainingsverfahren das Ziel haben, Denk-
haltenssteuerung an, die die Voraussetzung für komplexere kompetenzen zu verbessern. Im deutschen Sprachraum hat
Aufmerksamkeitsleistungen bildet. Im Anschluss an diese insbesondere das Denktraining nach (Klauer 1989, 1991,
Übungen wird im Basistraining in der 7. Lektion eine 1993; für weiteres Aufgabenmaterial s. Marx und Klauer
Stopp-Signal-Karte eingeführt. Unter Nutzung dieser Karte 2007, 2009, 2011; für eine computergestützte Version siehe
Training
411 17
Lenhard et al. 2012) eine breite Beachtung gefunden und
vielfältige Diskussionen zur Trainierbarkeit intellektueller
Leistungen angestoßen (z. B. Hager und Hasselhorn 1998).
Das Denktraining hat differenzierte theoretische Grund-
lagen. Die spezifischen Trainingsinhalte ergeben sich aus
einer Definition des induktiven Denkens und der von Klauer . Abb. 17.2 Aufgabe aus dem „Denktraining für Kinder II“ (Klauer 1991,
entwickelten präskriptiven Theorie des induktiven Denkens. © by Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen • Nachdruck und jegliche
Klauer definiert induktives Denken als jenes Denken, das „in Art der Vervielfältigung verboten. Bezugsquelle: Testzentrale Göttingen,
Herbert-Quandt-Str. 4, 37081 Göttingen, Tel. (0551) 999-50-999,
der Entdeckung von Regelhaftigkeiten durch Feststellung
7 www.testzentrale.de)
der Gleichheit oder Verschiedenheit oder Gleichheit und
Verschiedenheit bei Merkmalen oder Relationen besteht.“
(Klauer 1993, S. 17). Diese Definition enthält zwei Facetten: Auch die präskriptive Theorie des induktiven Denkens
Facette A – Gleichheit, Verschiedenheit, Gleichheit und Ver- (z. B. Klauer 1993) ist von zentraler Bedeutung für die
schiedenheit; Facette B – Merkmale, Relationen. Durch die Trainingskonzeption. Diese Theorie beschreibt eine
Kombination der einzelnen Elemente der Facetten ergeben Strategie, die effizient und zuverlässig zur erfolgreichen
sich 6 Kernaufgabentypen des induktiven Denkens: Lösung von Aufgaben des induktiven Denkens führt. Als
1. Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen) präskriptive Theorie hat sie keinen beschreibenden und
2. Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) erklärenden Anspruch für das induktive Denken im Alltag.
3. Kreuzklassifikation (Gleichheit und Verschiedenheit Die Theorie legt aber fest, welches strategische Vorgehen im
von Merkmalen) Denktraining erlernt werden soll. Die Strategie besteht im
4. Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen) Wesentlichen aus einer Abfolge systematischer Vergleichs-
5. Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Relationen) prozesse. Im Training wird sie durch eine Abfolge von
6. Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von Fragen umgesetzt, anhand derer die Bearbeitung der einzel-
Relationen). nen Aufgaben strukturiert wird:
1. Was ist gesucht? (Identifikation des Aufgabentyps)
Für die Trainingsinhalte folgt aus der Definition zum einen, 2. Wie muss ich vorgehen, um die Lösung zu finden?
dass die Trainingsaufgaben (möglichst gleichmäßig) aus den (Lösungsprozedur)
6 Kernaufgabentypen stammen sollten, und zum anderen, dass 3. Wie kann ich meine Lösung kontrollieren? (Kontroll-
die Trainingsteilnehmer beliebige Aufgaben des induktiven prozedur).
Denkens den Kernaufgabentypen zuordnen können. Im nach-
folgenden Beispielkasten sind zwei Aufgaben aus dem „Denk- Im Gegensatz zum bereits vorgestellten Training mit auf-
training für Kinder II“ (Klauer 1991) dargestellt. Bei der ersten merksamkeitsgestörten Kindern (Lauth und Schlottke
Aufgabe handelt es sich um eine Generalisierung, bei der 2009) wird das Denktraining meist mit allgemeiner
zweiten um eine Beziehungsunterscheidung. Förderabsicht eingesetzt, d. h. die bereits bestehenden
Kompetenzen im induktiven Denken sollen durch das
Beispiel Training weiterentwickelt werden. Die unterschied-
lichen Varianten des Denktrainings umfassen jeweils
Zwei Aufgaben aus dem „Denktraining für Kinder II“ 10 Lektionen, in denen jeweils 12 Aufgaben bearbeitet
(Klauer 1991) werden (7 Beispiel „Zwei Aufgaben aus dem „Denktraining
Aufgabe A (Generalisierung, Aufgabe 25): für Kinder II“ (Klauer 1991)). Das Denktraining hat eine
zweiphasige Struktur. In den ersten 4 Lektionen wird
die Aufgabenklassifikation erarbeitet. Die Trainings-
Klaus hat verschiedene Lieblingszahlen:
inhalte ergeben sich in dieser Phase aus der Definition
484 – 55 – 1621 – 878 – 323
des induktiven Denkens. Ab der 5. Lektion steht dann
Welche dieser Zahlen gehört noch dazu? Begründe.
die Vermittlung der Lösungs- und Kontrollprozedur im
768 – 32 – 767 – 423 – 113
Vordergrund. Die 2. Phase des Trainings ist also an der
präskriptiven Theorie des induktiven Denkens orientiert.
Aufgabe B (Beziehungsunterscheidung, Aufgabe 101)
Die erwarteten Leistungssteigerungen im induktiven
Im Geometrieunterricht hat euer Lehrer eine Folge von
Denken ergeben sich als Konsequenz der kompetenten
Figuren an die Tafel gezeichnet (. Abb. 17.2). Leider hat
Anwendung der neuen Strategie auf Aufgaben des
er einen Fehler gemacht. Findest Du ihn?
induktiven Denkens.
(Lösung Aufgabe A: 767; Lösung Aufgabe B:
Es gibt wenig andere Trainingsprogramme, die so häufig
Parallelogramm und Rechteck müssen getauscht werden.)
und umfangreich evaluiert wurden wie das Denktraining.
Klauer (2014) berichtet von insgesamt 106 Untersuchungen
(© by Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen • Nachdruck
mit insgesamt etwas mehr als 4600 Probanden. Die mittlere
und jegliche Art der Vervielfältigung verboten. Bezugsquelle:
Effektstärke für aus Intelligenztests entnommene Aufgaben
Testzentrale Göttingen, Herbert-Quandt-Str. 4, 37081
des induktiven Denkens beträgt dabei d = 0,60, d. h. die
Göttingen, Tel. (0551) 999-50-999, 7 www.testzentrale.de)
trainierten Kinder und Jugendlichen sind unter Einbezug
412 S. Fries und E. Souvignier

etwaiger Vortestunterschiede in der Nachtestung im Mittel 1. Man kann Merkmale der Situation verändern und z. B.
ein wenig mehr als eine halbe Standardabweichung besser zusätzliche Anreize in die Lernsituation einführen,
als Kinder und Jugendliche aus nicht trainierten oder mit welche das Lernen attraktiver und damit motivierender
einem Alternativtraining trainierten Gruppen. In 44 Unter- machen. Dieses Vorgehen zielt auf eine kurzfristige
suchungen wurden Follow-up-Erhebungen durchgeführt. Steigerung der Motivation ab und ist damit Bestand-
Die Ergebnisse sprechen für die Stabilität der Effekte. teil des Unterrichts (7 Kap. 6 und 11), nicht aber
Daneben gibt es eine Reihe von Untersuchungen, in eines Trainings und soll hier nicht weiter besprochen
denen die Wirksamkeit des Denktrainings für das Erlernen werden.
schulischer Inhalte untersucht wurde. Hierzu erhält 2. Der zweite Ansatzpunkt besteht in einer Veränderung
mindestens eine Gruppe von Schülern das Denktraining, von Personenmerkmalen. Bei diesem Vorgehen
während eine andere Gruppe nicht trainiert wird oder an wird durch geeignete Interventionen versucht, lern-
einem Alternativtraining teilnimmt. In der 2. Phase der relevante motivationale Dispositionen langfristig
Untersuchung bearbeiten die Schüler dann kürzere Unter- positiv zu beeinflussen. Hierfür existiert eine Reihe von
richtseinheiten. So nahmen z. B. in einer Untersuchung Trainingsverfahren (für einen Überblick Fries 2010;
von Klauer (1994) Schüler an einer Unterrichtsstunde zum Hascher et al. 2019; Rheinberg und Fries 2001, 2018;
Thema der Klassifikation von Tieren teil. Die im Unterricht Ziegler und Finsterwald 2008).
geforderten klassifikatorischen Leistungen sollten den zuvor
trainierten Schülern leichter fallen, da induktives Denken Wir beschränken uns nachfolgend auf die Darstellung
das Erkennen von Klassifikationen umfasst. Wie erwartet von Verfahren, die eine Veränderung eines zentralen
erzielten die zuvor trainierten Schüler deutlich bessere motivationalen Personenmerkmals, nämlich des
Leistungen (Klauer 1994). Über alle Studien hinweg, in denen 7 Leistungsmotivs (7 Kap. 7), zum Ziel haben.
die Einflüsse des Denktrainings auf schulisches Lernen unter-
sucht wurden (insgesamt 39 Vergleiche), liegen die mittleren Definition
Effektstärken bei d = 0,68 (Klauer 2014). Das Denktraining Motive sind zeitlich stabile Wertungs- und Verhaltens-
hat offenbar positive Wirkungen auf das Erlernen schul- dispositionen für thematisch abgrenzbare und zugleich
relevanter Lerninhalte. Allerdings stehen Studien aus, in allgemeine Klassen von Handlungssituationen.
denen die Wirkung des Denktrainings auf den Lernerfolg im Das Leistungsmotiv umfasst die Wertungs- und
normalen Schulunterricht untersucht wird. Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich,
Während das Denktraining nach Klauer wie auch wobei das Leitthema des Leistungsmotivs in der
einige weitere Trainingsansätze (z. B. Sydow und Schmude „Auseinandersetzung mit einem als verbindlich
2001) auf der gezielten Vermittlung einer Denkstrategie erachteten Gütemaßstab“ besteht. Wie bei Motiven
beruhen, gibt es andere Förderansätze, die auf eine Ent- i. Allg. wird auch beim Leistungsmotiv zwischen einer
wicklungsförderung hinauslaufen. Hier ist insbesondere Annäherungskomponente (Hoffnung auf Erfolg) und
der im deutschsprachigen Raum nach wie vor noch recht einer Meidungskomponente (Furcht vor Misserfolg)
wenig bekannte, von Adey und Shayer (2002) entwickelte unterschieden.
Ansatz zur kognitiven Akzellerierung durch das angeleitete
Bearbeiten kognitiver Konflikte im naturwissenschaftlichen
Unterricht zu nennen. Über einen Zeitraum von 2 Jahren Schon früh wurde in der Leistungsmotivationsforschung ver-
werden hier in einem 14-tägigen Rhythmus im Rahmen des sucht, das Leistungsmotiv durch gezielte Interventionen zu
17 regulären Unterrichts sog. „thinking science lessons“ mit verändern (DeCharms 1979; McClelland und Winter 1969).
dem Ziel durchgeführt, Denk- und Arbeitsweisen im Sinne Eine präzisere Differenzierung zwischen verschiedenen
formaler Operationen nach Piaget zu fördern. Ansatzmöglichkeiten für die Vorgehensweise lieferte jedoch
erst das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation
(Heckhausen 1975; Fries 2002; Rheinberg und Vollmeyer
17.3  Motivationstraining 2018). Im Selbstbewertungsmodell wird die erfolgszuver-
sichtliche oder misserfolgsängstliche Ausprägung des
Erfolgreiche Lernprozesse setzen einen gewissen Grad an Leistungsmotivs als Resultat dreier Prozesskomponenten
Motivation aufseiten des Lerners voraus. Lehrende stehen gesehen. Es sind dies:
somit vor dem Problem, wie sie eine ausreichende Bereit- 1. Ziel- und Anspruchsniveausetzung,
schaft zum Lernen bei den Lernenden sicherstellen können. 2. Ursachenzuschreibung und
Die aktuelle Motivation der Lernenden ist eine Funktion 3. Selbstbewertung.
aus Personenmerkmalen (hierunter fallen im Wesentlichen
die motivationsrelevanten Dispositionen; 7 Abschn. 7.2) Diese Prozesskomponenten beeinflussen sich gegenseitig
und Situationsmerkmalen (insbesondere den Anreizen). und stabilisieren sich dabei wechselseitig. Im Motivations-
Somit bestehen zwei Ansatzpunkte zur Motivierung training muss daher an allen drei Komponenten angesetzt
(Rheinberg und Fries 1998; 7 Abschn. 7.1): werden. Durch das Training soll eine erfolgszuversichtliche
Ausprägung des Leistungsmotivs erzielt werden. Konkret
Training
413 17
bedeutet das, dass misserfolgsängstliche Trainingsteil- ersetzt. Die Aufgaben haben jeweils einfache Schwierig-
nehmer entgegen ihrer bisherigen Verhaltenstendenzen keitsstaffelungen (z. B. Abstände bei Wurfspielen) und die
lernen sollen, Erfolge bzw. Misserfolge hängen zentral von der eigenen
5 sich realistische Ziele zu setzen (7 Exkurs „Realistische Anstrengung ab. An diesen Materialien werden die drei
Zielsetzungen fördern“), Prozesskomponenten einer erfolgszuversichtlichen Motiv-
5 erfolgszuversichtliche Ursachenzuschreibungen zu ausprägung eingeübt. Die Trainingsteilnehmer setzen sich
zeigen (Erfolge eher internal und Misserfolge eher vor der Bearbeitung der Aufgaben Ziele. Im Anschluss an die
variabel zu attribuieren) und Aufgabenbearbeitung benennen sie Gründe für ihr erfolg-
5 aus ihren Erfolgen mehr positive Selbstbewertungen zu reiches oder nicht erfolgreiches Abschneiden (Ursachen-
ziehen als negative Selbstbewertungen aus ihren Miss- zuschreibung). Abgeschlossen wird die Sequenz durch
erfolgen (positive Selbstbewertungsbilanz). Selbstbewertungsprozesse, die im Training z. B. durch das
Beantworten entsprechender Abfragen angeregt werden.
Ausgehend von diesem Modell wurden verschiedene Obwohl diese Trainingsverfahren eine dauerhafte Ver-
Evaluationsstudien mit Schülern durchgeführt (z. B. Krug änderung des Leistungsmotivs und damit eines Persönlich-
und Hanel 1976; Rheinberg und Günther 2017). Zu Beginn keitsmerkmals anstreben, ist es durchaus angemessen, den
kommen in diesen Motivationstrainings einfache Spiele wie Trainingsbegriff auf solche Interventionen anzuwenden: Im
z. B. das Ringwurfspiel oder das Labyrinthspiel zum Ein- Training wird prozedurales Wissen hinsichtlich motivations-
satz. Im Verlauf der Trainings werden die eher spielerischen förderlicher Anspruchsniveausetzungen, Ursachen-
Materialien immer mehr durch schulnahes Material zuschreibungen und Selbstbewertungen vermittelt und geübt.

Exkurs

Realistische Zielsetzungen fördern


Misserfolgsängstliche Schüler meiden mehr oder weniger Punkte vergeben. Die pro Wurf auch eine größere Anzahl von
mittelschwere Anforderungen, da Wahrscheinlichkeit eines Treffers sinkt mit Punkten erzielt. So ist z. B. bei 5 Würfen
Misserfolge bei mittelschweren Aufgaben größer werdendem Abstand. In den ersten das Gesamtergebnis von 3 Treffern
besonders negative Selbstbewertungen Trainingssitzungen wird als Aufgabe vom 5-Punkte-Abstand günstiger als
nach sich ziehen. Im Training steht vorgegeben, mit einer bestimmten Anzahl ein fünfmaliges Treffen vom 2-Punkte-
man daher vor dem Problem, wie man von Würfen (z. B. 5 Würfe) eine möglichst Abstand oder ein einmaliges Treffen
solche Schüler überhaupt dazu bringt, hohe Gesamtpunktzahl zu erreichen. Es ist vom 7-Punkte-Abstand. Die Struktur der
sich realistische Ziele zu setzen. Hierzu also noch keine Anspruchsniveausetzung Aufgabe legt den Teilnehmern nahe, von
nutzt man Wurfspiele wie z. B. das notwendig. Bei dieser Aufgaben- einem angemessenen Abstand aus zu
Ringwurfspiel. Bei diesen Wurfspielen stellung ist man am erfolgreichsten, werfen. Aufbauend auf dieser Erfahrung
soll von einem selbstgewählten Abstand wenn man von Entfernungen mit einer kann man dann in den weiteren Trainings-
aus das Wurfziel getroffen werden und mittleren Erfolgswahrscheinlichkeit sitzungen ein realistisches Zielsetzungs-
es werden in Abhängigkeit vom Abstand aus wirft, da man mehrfach trifft und verhalten vermitteln.

Die auf der Basis des Selbstbewertungsmodells ent- in dem sie ihre veränderten Motivationsstrategien auch tat-
wickelten Motivationstrainings wurden in einzelnen sächlich anwenden können; so muss z. B. im schulischen
Studien evaluiert. Dabei zeigte sich, dass die trainierten Kontext Raum für eigene Anspruchsniveausetzungen
Schüler sich im Anschluss an das Training im Vergleich bestehen (Problem der Nachhaltigkeit; 7 Abschn. 17.5).
zu nicht trainierten Schülern günstigere Ziele setzen sowie Die bislang dargestellten Trainingsverfahren haben
Misserfolge stärker auf Anstrengung und weniger auf ausschließlich motivationale Förderziele. Man kann die
mangelnde Fähigkeit attribuieren. Auch die Ausprägung Motivationsförderung jedoch auch mit anderen Förderzielen
des Leistungsmotivs – gemessen mit dem LM-Gitter nach verbinden. So hat z. B. Fries (2002) ein Motivationstraining
Schmalt (1976) – wurde durch das Training in vorher- mit dem Denktraining nach Klauer (1991; 7 Abschn. 17.2)
gesagter Weise beeinflusst (Steigerung der Hoffnung auf kombiniert. Gerade die Motivationsförderung sollte hier-
Erfolg, Sinken der Furcht vor Misserfolg; Krug und Hanel von profitieren, weil gleichzeitig lernrelevante Kompetenzen
1976; Rheinberg und Günther 2017). Trotz dieser positiven vermittelt werden, durch welche die zusätzlich investierte
Evaluationsbefunde sollten weitere Evaluationsstudien Anstrengung auch in einem tatsächlichen Lernerfolg
zur Wirksamkeit von Motivationstrainings durchgeführt mündet. Das „Integrierte Training“ (Fries 2002) umfasst
werden. Insbesondere fehlen Untersuchungen, in denen 16 Lektionen und richtet sich an 10- bis 13-jährige Schüler.
langfristige Effekte des Trainings nachgewiesen werden Neben Trainingsmodulen, die ausschließlich das Denken
konnten. Es ist zu vermuten, dass gerade der langfristige bzw. die Motivation fördern, umfasst das Training sog.
Erfolg von Motivationstrainings in besonderer Weise davon integrierte Module. In diesen Modulen wird die Methode
abhängt, ob die trainierten Schüler auf ein Umfeld treffen, aus dem Motivationstraining übernommen, das Material
414 S. Fries und E. Souvignier

stammt hingegen aus dem Denktraining (7 Abschn. 17.2.2). Förderung des Leseverständnisses, des Rechtschreibens
Die Bearbeitung der integrierten Module erfolgt in 3 Schritten. und des Schreibens von Texten für Kinder im Schulalter
Im 1. Schritt legen die Teilnehmer fest, wie viele von ins- (zu Ansätzen zur vorschulischen Förderung von Vorläufer-
gesamt 6 Denkaufgaben sie anschließend korrekt lösen wollen kompetenzen für den Schriftspracherwerb vgl. 7 Kap. 16).
(Zielsetzung). Im 2. Schritt werden die 6 Denkaufgaben Dabei wird deutlich werden, dass viele Erkenntnisse und
eigenständig bearbeitet. Im 3. Schritt erfolgt die Leistungsfest- Prinzipien, die bislang beschrieben wurden, auch in diesen
stellung sowie im Anschluss daran eine Ursachenzuschreibung beiden Domänen zum Einsatz kommen.
(„Ich hatte Misserfolg, weil …“) und eine Selbstbewertung.
Innerhalb der integrierten Module werden also die für die
Motivförderung zentralen Übungen der realistischen Ziel- 17.4.1  Training des Leseverständnisses
setzung, der erfolgszuversichtlichen Ursachenzuschreibung
und der positiven Selbstbewertung direkt auf die Aufgaben des Übersichtsarbeiten über Ansätze zur Förderung des Lese-
induktiven Denkens bezogen. Empirische Untersuchungen verständnisses weisen übereinstimmend darauf hin, dass
belegen die Wirksamkeit des „Integrierten Trainings“ (Fries jenseits aller spezifischen Unterschiede vorliegender
et al. 1999; Fries 2002). Die Koppelung von Motivations- Trainingsmaßnahmen ein gemeinsames Ziel wirksamer
förderung mit anderen Trainingszielen erfolgt auch in anderen Programme darin besteht, Leser zum Überprüfen des
Trainingsverfahren. So wird in Verfahren zur Förderung eigenen Leseverstehens anzuleiten (Souvignier 2016). Ein
des Leseverständnisses mit den Teilnehmern das Setzen solchermaßen aktiv reflektierendes Lesen wird dadurch
realistischer Ziele geübt (Gold et al. 2006; 7 Abschn. 17.4) oder unterstützt, dass Schüler sich selbst Fragen zum Text
auf die motivationsfördernde Wirkung der Trainingsinhalte stellen und versuchen, wichtige Inhalte zusammenzufassen.
geachtet (Guthrie et al. 2004a; 7 Abschn. 17.4). Nicht zuletzt unter motivationalen Gesichtspunkten ist
Neben den skizzierten Programmen gibt es weitere es wichtig, dass Leser sich klar machen, dass sie selbst den
Trainingsverfahren, die sich auf spezifische Teilziele richten. Prozess des Leseverstehens positiv beeinflussen können.
Zu nennen sind hier insbesondere Reattribuierungstrainings Dieses zunächst schlicht anmutende Grundprinzip erfolg-
(Ziegler und Schober 2001; Ziegler und Finsterwald 2008) und reichen Lesens – Nachdenken über das, was man gelesen
Trainings zur Bezugsnormorientierung (Rheinberg und Krug hat – wird bei unterschiedlichen Förderansätzen in
2017). Auch weitere Motivationstheorien (7 Kap. 7) wurden für Anlehnung an je unterschiedliche theoretische Rahmen-
die Entwicklung von Fördermaßnahmen genutzt. So wurden konzepte mit abweichenden Nuancierungen umgesetzt. In
z. B. aus Kernannahmen der Selbstbestimmungstheorie (Ryan diesem Abschnitt sollen zwei Ansätze exemplarisch vor-
und Deci 2017) Förderansätze abgeleitet, bei denen Lehrkräfte gestellt werden, bevor eine Zusammenstellung zentraler
in der Gestaltung einer autonomieförderlichen Unterrichts- Komponenten von Programmen zur Förderung des Lese-
gestaltung unterwiesen werden (z. B. Cheon et al. 2018; Su und verständnisses vorgenommen wird.
Reeve 2011). Eine Metaanalyse zu verschiedenen Ansätzen Ein Grundmuster vieler Förderprogramme, das in
motivationaler Interventionen im Schulkontext bieten Einklang mit Theorien zum selbstregulierten Lernen
Lazowski und Hulleman (2016). Im Mittel ergaben sich für steht (Pintrich 2000; Zimmerman 2000), lässt sich in drei
die unterschiedlichen Interventionsansätze Effektgrößen von Punkten zusammenfassen:
d = ,49 für Selbstberichts- und Verhaltensmaße. 5 Lerner müssen über bereichsspezifische Strategien ver-
fügen. Beim Lesen sind das beispielsweise Strategien
wie „unklare Begriffe klären“, „Wichtiges zusammen-
17 17.4  Training kultureller fassen“, „Textaussagen auf Kohärenz prüfen“ oder „sich
Grundkompetenzen am Beispiel des Anwendungsbeispiele zu Textinhalten überlegen“.
Lesens und Schreibens 5 Der Einsatz dieser Strategien muss reflektiert und deren
Wirksamkeit muss überprüft werden. Der Leser muss
Bislang lag der Fokus dieses Kapitels auf überlegen, welche Strategie in einer gegebenen Situation
Trainingsmaßnahmen zur Förderung kognitiver Grund- hilfreich sein könnte, und es muss kontrolliert werden,
funktionen und der Motivation. Solche Inhalte zeichnen ob der Strategieeinsatz tatsächlich erfolgreich war, um
sich durch ihre bereichsübergreifende Bedeutung aus: Wir gegebenenfalls zu entscheiden, die Lernaufgabe in einer
können nur lernen, wenn unsere Aufmerksamkeit die Auf- alternativen Weise anzugehen.
nahme von Informationen zulässt, die dann im Gedächtnis 5 Das eigene Lernverhalten muss motivational unterstützt
verarbeitet werden. Wir initiieren nur dann ­(Lern-)Hand- werden, indem beispielsweise klare Ziele formuliert
lungen, wenn wir dazu motiviert sind. werden, indem ein Anwendungsbezug des Gelernten
In den folgenden Abschnitten wird dieser Blickwinkel deutlich gemacht wird oder indem Anreize gesetzt
verändert, indem kulturbezogene Grundkompetenzen werden.
wie Rechnen, Lesen und Schreiben ins Zentrum gerückt
werden. Weil in der Pädagogischen Psychologie vor allem Dieses Grundmuster aus dem Einsatz von Lesestrategien
die beiden zuletzt genannten Bereiche intensiv erforscht und einer motivationalen Unterstützung kann in der
wurden, fokussieren wir im Folgenden auf Programme zur Praxis auf deutlich unterschiedliche Weise umgesetzt
Training
415 17
werden. Bei dem deutschsprachigen Unterrichtsprogramm et al. 2004b) basiert hingegen stärker auf Überlegungen
„Wir werden Textdetektive“ (Gold et al. 2006; 7 Exkurs zum motivierten aktiven Lesen (7 Exkurs „Concept
„Textdetektive“) liegt der Fokus auf einer Anleitung zu Oriented Reading Instruction“). Beide Programme haben sich
strategieorientiertem Lesen. Der amerikanische Ansatz der als wirksame Maßnahmen zur Förderung des Leseverständ-
„Concept Oriented Reading Instruction CORI“ (Guthrie nisses erwiesen (z. B. Souvignier und Mokhlesgerami 2006).

Exkurs

Textdetektive
Das Programm „Wir werden generiert werden) und „Wichtiges und Reflexion über den Leseerfolg als
Textdetektive“ (Gold et al. 2006) zusammenfassen“ (wie komme ich zu Arbeitsroutine vorgegeben werden.
ist für Schüler der Klassenstufen 5 einer verkürzten Darstellung in eigenen Zur Unterstützung der nachhaltigen
und 6 konzipiert und umfasst etwa Worten?) erarbeitet werden. Vor dem Wirksamkeit des Programms wurde
28 Unterrichtsstunden. Eingebettet Hintergrund des Trainingsbausteins zur ein Wiederholungsprogramm
in die Rahmenhandlung einer individuellen Zielsetzung werden die entwickelt, das etwa 1 Jahr nach
Ausbildung zu Textdetektiven – in Schüler angeleitet zu reflektieren, ob Durchführung des Trainings zur
dieser Analogie wird der systematisch die neuen Strategien sich tatsächlich Auffrischung des Gelernten eingesetzt
planvolle Charakter erfolgreichen als hilfreich erweisen. Die so individuell werden kann (Trenk-Hinterberger
Lesens deutlich – werden den Schülern wahrgenommene Wirksamkeit der und Souvignier 2006). Bei diesem
7 Lesestrategien in Verbindung mit Strategien soll deren kontinuierliche strategiezentrierten Ansatz wird eine
Strategien zur motivationalen und Anwendung unterstützen. Schließlich Verbesserung der Lesemotivation
kognitiven Selbstregulation vermittelt. werden die Schüler in einem letzten durch die Wahrnehmung eines
Zunächst lernen die Schüler, dass Trainingsbaustein dafür sensibilisiert, die Kompetenzzuwachses angestrebt.
individuelle Erfolge davon abhängig Lesestrategien zielgerichtet einzusetzen. Insgesamt führte das Textdetektive-
sind, sich realistische Ziele zu setzen Sie lernen hier, sich nicht nach dem Programm zu Verbesserungen
(7 Abschn. 17.3). Anschließend folgt Prinzip „Viel hilft viel“, sondern adaptiv hinsichtlich des Lesestrategiewissens
ein umfangreicher Trainingsbaustein, in Abhängigkeit von der jeweiligen (d = 0,82), des Leseverständnisses
bei dem Lesestrategien wie „Überschrift Lesesituation zu verhalten. Alle Inhalte (d = 0,51) und der lesebezogenen
beachten“ (zur Bewusstmachung des ­Textdetektive-Programms werden Selbstwirksamkeit (d = 0,49) (Souvignier
vorhandenen Wissens), „Klären abschließend in Form eines „Leseplans“ und Mokhlesgerami 2006; für eine
von Textschwierigkeiten“ (Umgang strukturierend zusammengefasst, in ähnliche Befundlage zum Training siehe
mit unklaren Wörtern), „Verstehen dem die Schritte Zielformulierung, Souvignier und Trenk-Hinterberger
überprüfen“ (indem Fragen zum Text Strategieauswahl, Strategieregulation 2010).

Exkurs

Concept Oriented Reading Instruction


Das CORI-Programm (Guthrie et al. 5 Praktische Tätigkeiten („real world der Schüler, und sie drücken dieses
2004a) richtet sich an Schüler der interaction“): Die Schüler führen Interesse auch explizit aus.
3. Jahrgangsstufe und wird über einen selbst – begleitend zur Lektüre
Zeitraum von 12 Wochen durchgeführt, von Sachtexten – Experimente und Diese motivationstheoretisch
während derer täglich eine Doppelstunde Beobachtungen durch. begründeten instruktionalen Prinzipien
für die Leseförderung aufgewandt wird. 5 Kontinuierliche Kompetenzunter- werden durch eine gezielte Strategiever-
Thema des Programms ist das „Leben stützung („competence support“): mittlung unterstützt. Diese Strategien
an Land und im Wasser“, sodass ein Ziele und effektive Strategien um beziehen sich darauf, dass die Schüler
erfahrungs- und anwendungsbezogener die Ziele zu erreichen werden klar beim Lesen ihr Vorwissen nutzen,
fächerübergreifender Unterricht möglich strukturiert vorgegeben, sodass die sich selbst Fragen zum Text stellen,
ist. Da motiviertes Lesen und der Lernenden selbst erfahren, wie sie verschiedene Texte lesen, kritische Inhalte
motivierte Einsatz von Lesestrategien der Wissen und Kompetenz erwerben. extrahieren, Informationen integrieren
Ansatzpunkt des CORI-Programms sind, 5 Förderung der Autonomie sowie Verstandenes kommunizieren und
wird eine integrierte Lesemotivations- und („autonomy support“): Schülern darstellen. Der CORI-Unterricht wird über
-strategieförderung durch die Realisierung werden Entscheidungsspielräume weite Unterrichtsphasen in selbstständig
von 5 Instruktionsprinzipien angestrebt: bei der Auswahl von Texten arbeitenden Kleingruppen umgesetzt.
5 Lesebezogene Lernzielorientierung eingeräumt, um das selbstbestimmte Den Lehrern werden umfangreiche
(„learning goals orientation“): Es wird Lernen und Lesen zu fördern. Materialien und ein Instruktions-
vermittelt, dass die Aneignung von 5 Förderung von Interaktion mit dem handbuch zur Verfügung gestellt, die
Wissen und ein tieferes Verstehen Lehrer („relatedness support“): Die während einer zweiwöchigen Schulung
Ziel des Lernens sind und nicht die Lehrer befassen sich fortlaufend zur Vorbereitung auf den Unterricht
Noten am Ende des Schuljahres. mit den individuellen Interessen genutzt werden.
416 S. Fries und E. Souvignier

Neben diesen beispielhaft vorgestellten Programmen gibt es 1. soziale Einbindung,


noch eine Reihe von Ansätzen, die das Thema „motivierter 2. Kompetenzerleben,
Einsatz von Lesestrategien“ variieren. Als „Klassiker“ der 3. Selbstbestimmung und
Leseförderung kann hier der ­„Reciprocal-Teaching-Ansatz“ 4. Bedeutung des Lernstoffs entscheidend.
von Palincsar und Brown (1984) gelten, bei dem zunächst Entsprechend wird Lesen dann als motivierend
vier Lesestrategien vermittelt werden (Fragen formulieren, empfunden, wenn in Kleingruppen ein hohes Maß an
zusammenfassen, vorhersagen, Textschwierigkeiten klären), Austausch und Auseinandersetzung mit den Texten
die anschließend in Kleingruppen angewandt werden. Dabei ermöglicht wird, wenn thematisches Vorwissen oder der
übernehmen Schüler wechselseitig die Lehrerrolle und Einsatz von Lesestrategien das Erleben eigener Kompetenz
bekommen so die Verantwortung für den selbstständigen, unterstützen und Schüler sich durch Einbindung in die
kooperativen Strategieeinsatz übertragen. Kombiniert mit Themenwahl als selbstbestimmt erleben können.
einem zusätzlichen Baustein zur Förderung selbstregulierten
Lernens, konnte die Nachhaltigkeit dieses Ansatzes noch Wenngleich nicht all diese sechs Merkmale umgesetzt
einmal gesteigert werden (Schünemann et al. 2013; Spörer sein müssen (dies ist bisher nur bei dem CORI-Programm
et al. 2016). In ähnlicher Weise gilt für fast alle in der der Fall), hat sich in Untersuchungen mit unterschied-
Praxis bewährten Konzepte, dass zentrale Trainingsbau- lich komplex aufgebauten Förderprogrammen gezeigt,
steine benannt werden können, die in je unterschiedlicher dass jeweils die „theoretisch vollständigere“ Version
Gewichtung miteinander kombiniert wurden. Eine Sichtung die höchsten Effekte bewirkte (Guthrie et al. 2004b;
der Literatur zur Förderung des Leseverständnisses führt hier Souvignier und Mokhlesgerami 2006). Wenngleich dieser
zu sechs Merkmalen effektiver Leseförderung (Souvignier Befund aus einer theoriebezogenen Position zu erwarten
2009): ist (und letztlich auch eine Bestätigung theoretischer
5 Vermittlung von Lesestrategien: Es sollten sowohl Konzepte darstellt), so stellt er für die Förderpraxis doch
Strategien, die einer Verdichtung der Textvorlage eine nennenswerte Hypothek dar: Mit der Überlegenheit
dienen (Zusammenfassen) als auch solche Strategien theoretisch fundierter, inhaltlich komplexer Programme
vermittelt werden, die über den konkreten Text- steigt die Anforderung an Trainer und Lehrkräfte, diese
inhalt hinausweisen (Fragen generieren). Ergänzt um umfassenden Konzepte in den alltäglichen Unterricht zu
Strategien zum Klären unklarer Begriffe bilden solche übertragen. Dies unterstreicht auch für den Bereich der
Strategien das Grundgerüst von Strategieprogrammen. Leseförderung die Bedeutung der Frage nach wirksamen
5 Aufbau metakognitiver Kompetenzen: Die Schüler Implementationskonzepten (7 Abschn. 17.5).
müssen in die Lage versetzt werden, den Einsatz von
Strategien zu planen und zu regulieren. Hier ist auch das
zentrale Trainingsziel zu verorten, dass Leser zur Über- 17.4.2  Schreiben
wachung des eigenen Leseverstehens angeleitet werden
müssen. Im Hinblick auf das Training von Schreibkompetenzen ist
5 Vermittlung von Textstrukturwissen: Das Wissen über es sinnvoll, zwei Domänen zu unterscheiden: Das Recht-
den Aufbau von Texten in Form einer Geschichten- schreiben und das Schreiben von (informativen, spannenden,
grammatik oder von Strukturmerkmalen von Sach- gut gegliederten) Texten. Parallelen zur Leseförderung liegen
texten stellt dem Leser ein (Vorwissens-)Gerüst zur insofern vor, als vorschulische präventive Maßnahmen zur
Verfügung, in dessen Struktur konkrete Informationen Förderung phonologischer Bewusstheit und der Buchstabe-
17 eines Textes eingebaut werden können. Laut-Zuordnung als wirksamste Möglichkeit zur Vermeidung
5 Explizite Instruktion von Strategiewissen: Die initiale von Rechtschreibschwierigkeiten angesehen werden können
Vermittlung von Lesestrategiewissen muss explizit (Schneider und Marx 2008) und wirksame Programme zur
durch Trainer vorgenommen werden. Hier hat sich Förderung des Schreibens von Texten auf theoretischen
die modellhafte Demonstration des Einsatzes und der Modellen zum selbstregulierten Lernen basieren (z. B. Glaser
Reflexion über den Nutzen einer Lesestrategie bewährt, et al. 2011; Harris und Graham 1996).
indem ein Trainer laut denkend illustriert, wie er mit
Leseanforderungen umgeht. Rechtschreiben
5 Peer-Tutoring-Methoden: Aufbauend auf einer lehrer- Am Beispiel des Rechtschreibens lässt sich sehr gut ver-
geleiteten Strategievermittlung hat sich das eigen- deutlichen, wie wichtig ein frühzeitiger Einstieg in
verantwortliche Einüben der Strategienutzung in fördernde Maßnahmen ist. Anfangsunterricht im
Kleingruppen bewährt. Auf diese Weise steigt die Schreiben ist häufig dadurch gekennzeichnet, dass Kinder
Übungsintensität und Lernende müssen (metakognitiv) Buchstabe-Laut-Korrespondenzen lernen. Verbunden mit
­
reflektieren, welche Strategie in welcher Situation ziel- dem Ziel, die Schreibmotivation durch freies Schreiben und
führend eingesetzt werden kann. vielfältige Schreibanlässe zu unterstützen, erfolgt eine gezielte
5 Motivationale Unterstützung: Zur Förderung der Lese- Überprüfung und Rückmeldung von Rechtschreibleistungen
motivation sind die 4 Aspekte häufig erst zeitlich verzögert. Eine späte Feststellung von
Training
417 17
Rechtschreibschwierigkeiten (etwa in der 3. Klasse) erschwert folgt (Graham 2006). Solchen eher anekdotischen
die Förderung insofern, als der Aufbau von Rechtschreib- Annäherungen an den Schreibprozess stehen mehrere
kompetenzen einer klaren Abfolge von Phasen unterliegt (vgl. wissenschaftlich fundierte Modelle des Schreibens zur Seite
Marx 2007) und entsprechend viele Lernschritte „nachgeholt“ (Hayes und Flower 1980; Bereiter und Scardamalia 1987).
werden müssen: Indem diese Modelle auf der Basis von Protokollen lauten
5 Einsicht in Buchstabe-Laut-Korrespondenzen: Den Denkens oder experimentellen Analysen der Auslastung
Kindern muss deutlich werden, dass jedem gehörten kognitiver Ressourcen beschreiben, welche Anforderungen
Laut ein geschriebener Buchstabe zugeordnet werden beim Schreiben eines spannenden oder überzeugenden
kann. Phonologische Bewusstheit (7 Kap. 16) ist also Textes zu bewältigen sind, geben sie gleichzeitig Hin-
(auch) eine notwendige Kompetenz für das (­ Recht-) weise auf Aspekte, die für ein Schreibtraining von zentraler
Schreiben. Das Würzburger Trainingsprogramm Bedeutung sind.
„Hören, lauschen, lernen“ (Küspert und Schneider Generell werden drei Makroprozesse des Schreibens
2018) stellt somit auch eine wirksame Möglichkeit zur unterschieden: das Planen, das Erstellen und das Über-
Prävention von Rechtschreibschwierigkeiten dar. arbeiten (Hayes und Flower 1980: „planning, translating
5 Lautgetreue Schreibung: Im Übergang zur Beachtung and reviewing“).
orthografischer Muster lernen Kinder, Wörter lautgetreu Planungsaktivitäten umfassen
zu schreiben. Zunächst werden Wörter rhythmisiert a) das Generieren von Ideen,
und in Silben zerlegt, bevor einfache Rechtschreibregeln b) eine Auswahl von Ideen, die sich in einer kohärenten
(z. B. Konsonantenverdopplung lässt sich beim Zer- Weise darstellen lassen und
legen in Silben heraushören) behandelt werden. Das c) das Benennen von Zielen, die bei der Erstellung des
Programm „Lautgetreue L ­ ese-Rechtschreibförderung“ Textes realisiert werden sollen.
von Reuter-Liehr (2001) hat sich in diesem Bereich als
eine wirksame Möglichkeit zur Förderung erwiesen. Beim Erstellen eines Textes müssen
5 Orthografische Strategie: Darauf aufbauend ist eine a) Ideen in eine sprachliche Form (Sätze) transformiert
gezielte Förderung von Rechtschreibregeln anzustreben, werden, die anschließend
wie sie beispielsweise in dem „Marburger Rechtschreib- b) in eine Schriftform übertragen wird.
training“ von Schulte-Körne und Mathwig (2000) ver-
mittelt werden. Bei der Überarbeitung wird schließlich
a) der geschriebene Text mit einem angestrebten End-
Daher gilt insbesondere für den Bereich des Rechtschreibens, zustand verglichen, es werden
dass eine frühzeitige Diagnose möglichen Förderbedarfs, bei- b) Strategien ausgewählt, die eine Realisierung dieser
spielsweise durch den Einsatz des „Würzburger Screenings Ziele erlauben und in einer abschließenden Phase
zur Früherkennung von ­Lese-Rechtschreibschwierigkeiten“ werden
(Endlich et al. 2019), und eine unmittelbar einsetzende c) diese Strategien angewandt.
Förderung die Chance einer erfolgreichen Intervention deut-
lich erhöhen. Die Komplexität des Schreibprozesses bedingt eine Viel-
zahl simultaner Anforderungen, deren Bewältigung durch
Schreiben von Texten strukturierende Trainings unterstützt werden sollte. Darüber
Schreiben ist ein komplexer Prozess. Namhafte Schrift- hinaus deutet sich an, worin eine zentrale Herausforderung
steller weisen – bei individuell sehr unterschiedlichen für Schreibanfänger und Schüler mit Schreibschwierigkeiten
Strategien – gerne darauf hin, wie arbeitsintensiv und auf- liegt: Sie benötigen Wissen über den genrespezifischen Auf-
wendig das Planen, Erstellen und Überarbeiten eines Textes bau von Texten und sie benötigen mentale Ressourcen,
sind. So berichtet Truman Capote („Kaltblütig“, „Früh- um den Schreibprozess zu planen, zu überwachen und
stück bei Tiffany“), dass er einem ersten handschriftlichen Geschriebenes zu revidieren (Bereiter und Scardamalia
Entwurf eine vollständige handschriftliche Überarbeitung 1987). Insbesondere die metakognitiven Fähigkeiten der
folgen lässt, bevor er eine zweite maschinengeschriebene Koordination von Schreibaktivitäten sind eine Schwierigkeit
Revision auf gelbem Papier erarbeitet, der dann – mit für ungeübte Schreiber. Wie diese theoretischen Grundlagen
einigem zeitlichem Abstand – eine weitere Überarbeitung für ein Training von Schreibfähigkeiten umgesetzt werden
auf weißem Papier folgt. Andere Autoren berichten von können, soll beispielhaft an einem Programm von Harris und
einer minutiösen Planung ihrer Texte, sodass einer voll- Graham (1996) illustriert werden (7 Exkurs „Self-Regulated
ständigen Festlegung der Handlung in einem zweiten Strategy Development (SRSD)“; vgl. auch das deutschsprachige
Schritt die „schriftstellerische“ Phase der Ausformulierung Programm von Glaser et al. 2011).
418 S. Fries und E. Souvignier

Exkurs

Self-Regulated Strategy Development (SRSD)


Harris und Graham (1996) haben ein 5 Diskussion: Es werden Strategien Hilfen durch die Lehrkräfte werden
Programm entwickelt, mit dem Schüler zum Aufbau von Geschichten zurückgenommen.
ab der zweiten Klasse an das Schreiben erklärt (z. B. Anfang, Hauptteil, 5 Unabhängige Leistung: In dieser
von Texten herangeführt werden Abschluss), die aktuelle abschließenden Stufe setzen die
können. Systematisch werden bei diesem Schreibleistung wird ermittelt Schüler die Strategien selbstständig
„Self-Regulated-Strategy-Development“- und es werden individuelle Ziele ein, besprechen und bewerten ihre
(SRSD-)Programm domänenspezifische besprochen. Texte in kleinen Gruppen.
Schreibstrategien und metakognitives 5 Modellieren: Planungs- und
Strategiewissen mit der Vermittlung Revisionsphase werden von Dieses Programm zeichnet sich durch
von Überwachungs- und Steuerungs- einer Lehrkraft mit der Methode eine systematische Anleitung zur
fertigkeiten und einer Förderung des lauten Denkens modelliert, Strategieanwendung, zur selbstständigen
motivationaler Kompetenzen integriert. indem Ideen generiert und in eine Reflexion des Arbeitsprozesses und der
Konkret verläuft das Programm über sinnvolle Abfolge gebracht werden Bewertung des (Schreib-)Produkts sowie
6 Instruktionsstufen: und die erste Fassung des Textes durch einen sukzessiven Übergang
5 Entwickeln und Aktivieren von überarbeitet wird. von expliziter Strategievermittlung,
Hintergrundwissen: Es wird Wissen 5 Einprägen: Die Schüler üben, Modellierung des Strategieeinsatzes
über den Aufbau von Geschichten die gelernten Strategien ohne durch Lehrkräfte und kooperative
vermittelt, Stilmittel werden Merkhilfen (z. B. Arbeitsblätter) aus Arbeitsformen (Schreibkonferenzen,
besprochen, und es werden Kriterien dem Gedächtnis abzurufen. gemeinsame Bewertung von Texten) zur
zur Bewertung von Geschichten 5 Unterstützen: Die Strategien werden eigenverantwortlichen Umsetzung der
erarbeitet. nun von den Schülern angewendet, gelernten Fähigkeiten aus.

Mehrere Evaluationsstudien belegen die hohe Wirksamkeit 17.5  Implementation von


des SRSD-Programms (Graham 2006). Untersuchungen von Trainingsprogrammen
Glaser und Brunstein (2007a, b) spezifizieren die Befund-
lage dahin gehend, dass die hohe Wirksamkeit dieses Die Trainingsforschung erhebt zu Recht Anspruch auf
Programms maßgeblich durch Maßnahmen zur Förderung eine hohe Praxisrelevanz. Hohe methodische Standards
selbstregulatorischer Kompetenzen erzielt wird. Neben wie die Überprüfung der langfristigen Wirksamkeit in
einer Programmversion, in der Schülern der 4. und 6. Klasse Follow-up-Erhebungen, die Kontrolle der Durchführungs-
Schreibstrategien in Anlehnung an das SRSD-Programm qualität und der (Un-)Abhängigkeit der Effekte von den
vermittelt wurden, wurden in einer zweiten Gruppe zusätz- jeweiligen Lehrkräften tragen dazu bei, die Wirksam-
lich Selbstregulationskompetenzen der Planungsfähigkeit keit vorliegender Programme realistisch einschätzen zu
­(„self-monitoring and strategic planning“), Selbstbewertung können (z. B. Glaser und Brunstein 2007b; Klauer 2001b).
(„self-assessment“), Überwachung von Revisionsaktivitäten Ein nächster Schritt, der über die theoriegeleitete Ent-
(„self-monitoring of revision activities“) sowie ergebnis- und wicklung und den empirischen Nachweis der Wirksam-
prozessbezogene Ziele („criterion setting and procedural keit von Trainingsprogrammen hinausgeht, liegt allerdings
goals“) trainiert. Es zeigte sich, dass die Kombination aus darin, die Umsetzung solcher Konzepte in der Breite von
17 Selbstregulations- und Strategietraining eine deutlich höhere Beratungsangeboten, Kindergarten- und Schulalltag zu
Wirksamkeit aufwies als das reine Strategietraining und sichern (Hasselhorn et al. 2014). Insofern bewegt sich die
„klassischer“ Schreibunterricht, der mit Kontrollschülern Frage nach wirksamen Implementationskonzepten an
durchgeführt wurde. Zusammenfassend stellt Graham (2006) einer Schnittstelle zwischen „Training“ und „Unterricht“,
fest, dass bei der Förderung von Fähigkeiten zum Schreiben in dem Trainingskonzepte und Materialangebote nicht als
von Texten drei Prinzipien beachtet werden sollten: isolierte Programme vermittelt werden, sondern in den
5 Strategien zum Schreiben von Texten, Schreibfertig- umfassenderen Rahmen institutionalisierter Bildungs-
keiten und Wissen über Textgenres sollten direkt und angebote eingebettet werden. Damit hat die Frage der
explizit durch Lehrkräfte vermittelt werden. 7 Implementation (Umsetzung bzw. Verbreitung) einen
5 Der eigentliche Schreibprozess sollte durch klare eigenständigen Stellenwert, der über die Feststellung des
Strukturierungshinweise unterstützt werden, sodass Vorliegens wirksamer Trainingskonzepte hinausgeht:
Schüler unmittelbare Erfolgserlebnisse haben, die 5 Zum einen ist die Wirksamkeit eines Programms
wiederum motivierend sind. abhängig von der Qualität seiner Durchführung.
5 Die Entwicklung von Schreibkompetenzen sollte durch O’Donnell (2008) fand im Rahmen einer umfassend
den Einsatz von Peer-tutoring-Methoden und Klein- angelegten Übersichtsarbeit, dass die Frage nach
gruppen unterstützt werden, die eine intensive Aus- der Wiedergabetreue von Programmen allzu selten
einandersetzung mit dem Schreibprozess und den systematisch angegangen wird, wobei Wiedergabetreue
Schreibprodukten bewirken. und Wirksamkeit von Programmen – wenn sie erhoben
Training
419 17
wurden – in einem positiven Zusammenhang standen. Reflexion von Trainingseffekten bedarf (Kline et al. 1992;
Zudem zeigte sich in einer Analyse der Wirksamkeit im Souvignier und Trenk-Hinterberger 2010; Wahl 2002).
Unterricht eingesetzter Förderprogramme anhand von Angesichts dieser vielfältigen Anforderungen an einen
645 Studien, dass deren Effekte deutlich höher ausfallen, erfolgversprechenden Implementationsprozess ist es gut
wenn sie in einem kontrollierten Forschungssetting nachvollziehbar, dass Kline et al. (1992, S. 380) skeptisch
durchgeführt wurden (Cheung und Slavin 2016). fragen, ob es überhaupt funktionieren kann, Ergebnisse der
5 Ein zweiter kritischer Punkt liegt in der Akzeptanz neuer Trainingsforschung in die breite Praxis zu übertragen: „Can
Förderkonzepte. So stellen Gräsel und Parchmann strategy instruction be incorporated into educational practices
(2004) in einem Übersichtsartikel deutliche Wider- in thousands of schools throughout the nation?“ In einem
stände gegenüber von administrativer Seite verordneten umfassend angelegten Forschungsprogramm überprüften
Veränderungen wie der Einführung alternativer Unter- sie daher, ob Lehrkräfte vorgegebenes Unterrichtsmaterial
richtskonzepte fest. Nicht zu vernachlässigen ist auch in sinnvoller Weise in die schulische Praxis übertrugen und
der zeitliche Mehraufwand, der mit der Auseinander- welche Maßnahmen notwendig sind, um die langfristige
setzung mit neuen Fördermaßnahmen einhergeht. Kline Anwendung innovativer Konzepte zu sichern. Während Kline
et al. (1992) haben im Zuge der Einführung strategie- et al. (1992) generell eine gelungene Adaptation vorgegebener
orientierten Unterrichts spezifische „Barrieren“ aufseiten Unterrichtsmaterialien berichten, weisen Beobachtungen
der Lehrenden festgestellt. Diese bestanden sowohl in von Souvignier et al. (2003) darauf hin, dass die Vorgabe
Unsicherheiten darüber, ob die innovativen Unter- fertiger Unterrichtsprogramme auch leicht damit einhergehen
richtskonzepte adäquat umgesetzt werden konnten als kann, dass Lehrkräfte solche Materialien „stur“ abarbeiten.
auch in einer Grundhaltung, dass Schüler notwendige Zur Implementation eines Programms sollte daher immer
Fähigkeiten als Folge von Entwicklungsprozessen „von eine praxisbegleitende Reflexion des (veränderten) Lehrer-
alleine“ erwerben. handelns gehören (Wahl 2002). So geht auch Guskey (1986;
5 Ein dritter Punkt, der gerade im Zusammenhang mit vgl. Clarke und Hollingsworth 2002) in seinem Modell der
„fertigen“ Trainingsprogrammen von Bedeutung ist, Lehrerfortbildung davon aus, dass Lehrkräfte in Folge einer
liegt in der Frage der Nachhaltigkeit: Was passiert, wenn Veränderung ihres Unterrichtshandelns zunächst bewusst
ein Programm zur Förderung von Motivation, sozialer höhere Lernerfolge aufseiten der Schüler erleben müssen,
Kompetenz oder der Schreibfähigkeit abgeschlossen bevor sie ihre generellen Einstellungen gegenüber Förder-
ist? Übernehmen Lehrkräfte und Lernende die wesent- programmen bzw. den Prinzipien neuer Unterrichtskonzepte
lichen Prinzipien in ihren (­ Lern-)Alltag oder werden verändern. Das bedeutet, dass es für einen erfolgreichen
im Anschluss an ein Trainingsprogramm wieder die Implementationsprozess in einem ersten Schritt not-
alten Lerngewohnheiten aufgenommen? Gräsel und wendig ist, die Akzeptanz zur Durchführung eines Förder-
Parchmann (2004, S. 204) weisen darauf hin, „dass es programms zu gewinnen. In einem zweiten Schritt müssen
unrealistisch ist, den Unterricht dadurch verändern die Erfahrungen mit diesem Programm reflektiert werden,
zu wollen, indem man Schulen und Lehrkräften neue um zu einer nachhaltigen Veränderung des Unterrichts-
Materialien zur Verfügung stellt und darauf hofft, dass handelns zu kommen. Im Hinblick auf eine Unterstützung
diese wie geplant umgesetzt werden“. der Nachhaltigkeit fanden Kline et al. (1992), dass mit einem
zeitlichen Abstand von einigen Monaten zu dem eigentlichen
Diese drei für eine breite Umsetzung von Trainings- Programm durchgeführte Wiederholungseinheiten („booster-
programmen kritischen Punkte zielen jenseits der Quali- sessions“) die langfristige Übernahme der neuen Konzepte
tät solcher Programme darauf ab, dass Umsetzung und wirksam unterstützten. Auch Befunde von Souvignier und
Nachhaltigkeit durch begleitende Maßnahmen unterstützt Trenk-Hinterberger (2010) zeigen, dass Lehrkräfte, die einen
werden sollten. Im Hinblick auf die Qualität der Umsetzung solchen Wiederholungsbaustein zu einem Programm der
müssen Programme also weitestgehend selbsterklärend sein Leseverständnisförderung durchführten, nicht nur lang-
und/oder durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen fristig mehr profitierten, sondern auch in höherem Maße
vermittelt werden. Um eine hohe Akzeptanz zu erreichen, angaben, Programminhalte im kommenden Schuljahr sowie
ist es wichtig, dass Lehrende bei der Entscheidung zur Ein- in anderen Klassen und Fächern umzusetzen. Eindrucksvoll
führung neuer Programme beteiligt werden, die zeitliche konnte auch in einer Studie von Möller und Appelt (2001)
Belastung durch Fortbildungsmaßnahmen möglichst gering zur Optimierung nachhaltiger Effekte des Denktrainings von
gehalten wird, die Programme praktisch erprobt sind und Klauer (7 Abschn. 17.2) gezeigt werden, dass mit nur einer
die Wirksamkeit der Programme unmittelbar zu erfahren Wiederholungsstunde, die 7 Monate nach dem eigentlichen
ist (Gräsel und Parchmann 2004; Guskey 1986; Van Keer Training durchgeführt wurde, die Effektivität noch einmal
und Verhaeghe 2005). Eine Nachhaltigkeit kann schließlich deutlich gesteigert und stabilisiert werden konnte.
nur dann erreicht werden, wenn die Durchführung eines Ein kritischer Punkt im Hinblick auf die Akzeptanz von
Programms ein Umdenken und eine Veränderung des Fördermaßnahmen liegt in dem Faktor der aufzuwendenden
Lehrerhandelns („teacher change“) zur Folge hat, was in Zeit. In einer Studie mit mehr als 1000 Lehrkräften zur Wirk-
aller Regel weiterer Unterstützung und einer (angeleiteten) samkeit eines breit angelegten Lehrerfortbildungsprogramms
420 S. Fries und E. Souvignier

(Eisenhower Professional Development Program) in den Dieses Drei-Stufen-Modell greift zentrale kritische Punkte
USA zeigte sich, dass sowohl die Zeitspanne als auch der Implementation wie Akzeptanz, adäquate Durchführung
der absolute zeitliche Umfang der Fortbildungen gute und Sicherung der Nachhaltigkeit auf. Auch die zeitliche
Prädiktoren dafür waren, ob Lehrkräfte langfristig einen Belastung der Lehrkräfte ist auf ein Minimum reduziert.
Zuwachs an professionellem Wissen und Veränderungen Grenzen eines derart primär materialgestützten Vor-
ihres Unterrichtshandelns berichteten (Garet et al. 2001). gehens liegen allerdings darin, dass die konkrete Anpassung
Bei der Implementation neuer Programme muss daher das an unterrichtliche Notwendigkeiten sowie die Reflexion
sensible Gleichgewicht zwischen zeitlicher Belastung und zur von Erfolgen und Schwierigkeiten alleine in der Ver-
Qualitätssicherung notwendiger Investition von Zeit gewahrt antwortung der Lehrkräfte liegen. Als sinnvolle Maßnahme
werden. Van Keer und Verhaeghe (2005) konnten zeigen, zur Optimierung von Implementationsprozessen sollten
dass im Anschluss an eine erste erfolgreiche Implementation daher mehrere Kollegen einer Einrichtung gemeinsam
eines Programms zur Leseverständnisförderung, bei der Fortbildungsmaßnahmen besuchen und die Einführung
eine intensive Begleitung der Lehrkräfte mit einem zeit- neuer Programme parallel betreiben. Die Ergebnisse der
lichen Umfang von 35 h stattfand, in einer zweiten Studie Studie von Garet et al. (2001) unterstreichen, dass Ver-
eine Reduzierung des Fortbildungsaufwands auf 13 h gelang. änderungen des Lehrerhandelns langfristig eher gelingen,
Dieser reduzierte Lehrgang umfasste drei 3-stündige Fort- wenn Lehrerteams gemeinsam an Fortbildungen teil-
bildungen zur Information über das Förderkonzept sowie nehmen. Eine solche gemeinsame Veränderung von Unter-
zur Illustration und Diskussion von Realisierungsmöglich- richtsroutinen macht zudem den gegenseitigen Austausch
keiten, denen später zwei 2-stündige intensive Reflexionen und die Reflexion von Erfahrungen wahrscheinlicher, die
von Unterrichtserfahrungen folgten. Dass eine solche idealerweise durch begleitendes Feedback wie in der Studie
Reduzierung der Fortbildungszeit als Anpassung an die von Van Keer und Verhaeghe (2005) unterstützt werden
Praxis (im Sinne einer Verbesserung der Akzeptanz) erst im sollten.
Anschluss an eine erste erfolgreiche Evaluation des Unter-
richtsprogramms erfolgte, entspricht dem wissenschaftlichen
Vorgehen in der Tradition von „Design-Experimenten“. Fazit
Ähnlich wie dies Gräsel und Parchmann (2004) für die „Top- Zusammenfassend lässt sich zur Implementation von
down“-Implementation vorliegender Unterrichtsprogramme Trainingsprogrammen feststellen, dass die Wirksamkeit
fordern, sollte zunächst in einem kontrollierten Rahmen von Fördermaßnahmen maßgeblich von der Qualität der
gesichert werden, dass ein Programm wirksam ist und Umsetzung bestimmt wird und dass eine systematische
sich in der Praxis generell bewährt. Erst dann wird es mög- Erforschung von Implementationsprozessen zu den
lich sein, Schritte zur Optimierung von Implementations- Desideraten der Trainings- und Unterrichtsforschung
prozessen durchzuführen. Bei der Implementation des gehört (Gräsel und Parchmann 2004; Hasselhorn
„Textdetektive-Programms“ zur Förderung des Lese-
­ et al. 2014; Philipp und Souvignier 2016). Wesentliche
verständnisses (7 Abschn. 17.4) wurde in diesem Sinne Faktoren, die bei einer erfolgreichen Implementation
sukzessive ein Drei-Stufen-Modell entwickelt und empirisch beachtet werden sollten, beziehen sich auf die Sicherung
überprüft (Souvignier und Trenk-Hinterberger 2010). der Akzeptanz gegenüber den neuen Konzepten, auf
5 In einer einführenden Lehrerfortbildung werden die Bereitstellung praxistauglicher Materialien und
theoretische Hintergründe zur Konzeption des eine Unterstützung der langfristigen Übernahme
Programms mit direktem Bezug zur Unterrichtspraxis von Trainingsprinzipien – auch über die konkreten
17 vermittelt, um die generelle Akzeptanz gegenüber der Programme hinaus – in den Förder- und Unterrichtsalltag.
Durchführung des Programms zu sichern.
5 Indem fertig konzipiertes Unterrichtsmaterial zur Ver-
fügung gestellt wird, soll die Durchführung des für viele ? Verständnisfragen
Lehrkräfte ungewohnten strategieorientierten Unter- 1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich
richts in einer theoriekonformen Weise ermöglicht Training aus?
werden. Dazu enthält das Lehrermanual nicht nur aus- 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am
gearbeitete Stundenentwürfe, sondern darüber hinaus besten evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in
explizite Hinweise auf die theoretische Fundierung der den Evaluationen des Denktrainings zentrale Aspekte
jeweiligen Unterrichtsinhalte. der Wirksamkeitsüberprüfung von Trainings-
5 Durch eine Wiederholungseinheit, die etwa 1 Jahr nach verfahren realisiert?
dem ursprünglichen Programm durchgeführt werden 3. Warum sollten vor dem Hintergrund des
soll, wird die nachhaltige Übernahme der Programm- Selbstbewertungsmodells der Leistungsmotivation
prinzipien in den weiteren Unterricht unterstützt. nur solche Trainings zu einer überdauernden
Lehrende und Schüler erfahren hier, dass grundlegende Veränderung der Effekte führen, in denen alle drei
Inhalte des Programms auch im weiteren Verlauf des Prozesskomponenten des Leistungsmotivs trainiert
Unterrichts und in anderen Fächern von Nutzen sind. werden?
Training
421 17
4. Welche Parallelen finden sich bei effektiven Glaser, C., Keßler, C., & Palm, D. (2011). Aufsatztraining für 5. bis 7.
Programmen zur Förderung des Leseverstehens auf Klassen. Göttingen: Hogrefe.
Gold, A., Rühl, K., Souvignier, E., Mokhlesgerami, J., & Buick, S. (2006).
der einen und des Schreibens auf der anderen Seite?
Wir werden Textdetektive (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck &
5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich Ruprecht.
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425 18

Die Förderung psychosozialer


Kompetenzen im Schulalter
Arnold Lohaus und Holger Domsch

18.1  Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und


Jugendliche als Zielgruppe – 426
18.1.1  Förderkonzepte für einzelne Problembereiche – 427
18.1.2  Problemübergreifende Förderprogramme – 433
18.1.3  Förderung des Umgangs mit kritischen Lebensereignissen – 434

18.2  Primärpräventive Förderkonzepte für Eltern als


Zielgruppe – 435
18.3  Organisationsbezogene primärpräventive
Förderkonzepte – 436
18.3.1  Maßnahmen auf Klassenebene – 437
18.3.2  Maßnahmen auf Schulebene – 439
18.3.3  Maßnahmen auf makrosozialen Ebenen – 440

18.4  Evaluation der Effekte von Programmen zur Förderung


psychosozialer Kompetenzen – 440
18.5  Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten – 440
Literatur – 441

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_18
426 A. Lohaus und H. Domsch

Mit dem Beginn der Grundschulzeit wartet nicht nur die Schul- 18.1  Primärpräventive Förderkonzepte für
tüte mit ihren süßen Versprechungen auf die Schulanfänger. Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
Sie müssen sich die Aufmerksamkeit eines Lehrers mit oftmals
25 anderen Kindern teilen. Haben einige Kinder im Kinder- Nach dem Gesundheitsverständnis der WHO bezieht sich
garten möglicherweise noch den Umgang mit Schere und Stift Gesundheit nicht nur auf körperliches, sondern auch auf
aufgrund von Schwierigkeiten in der Feinmotorik vermieden, psychisches und soziales Wohlbefinden. Die Förderung
werden sie nun in diesen Bereichen herausgefordert und psychosozialer Kompetenzen fällt dementsprechend
benötigen die notwendige Frustrationstoleranz. Was bereits im in den Bereich der Gesundheitsförderung. Als primär-
Kindergarten galt, gilt in der Schule umso mehr. In der großen präventiv sind dabei Förderkonzepte einzustufen, die ein-
Gruppe einer Klasse wird verlangt, sich sozial kompetent zu gesetzt werden, bevor Probleme eingetreten sind. Davon
verhalten: eigene Emotionen wahrnehmen und regulieren, sind insbesondere sekundärpräventive Förderkonzepte
Perspektivenübernahme, positive Beziehungen eingehen abzugrenzen, die mit einer korrektiven Zielsetzung ein-
und halten, Regeln des Miteinanders einhalten, angemessene gesetzt werden, wenn bereits erste Probleme erkennbar
Konfliktlösestrategien zeigen etc. Die Anforderungen sind groß. sind, um eine weitere Stabilisierung oder Ausweitung dieser
Gleichzeitig bestimmt diese psychosoziale Seite des Lernens Probleme zu vermeiden.
auch einen nicht zu vernachlässigen Teil des Lernerfolgs Bei vielen der im Folgenden vorgestellten Förderkonzepte
und des Wohlbefindens in der Klasse. Doch auch außerhalb handelt es sich um universelle Präventionsmaßnahmen, die
der Schule sind psychosoziale Kompetenzen wichtig. Das sich prinzipiell an alle Kinder und Jugendlichen einer Alters-
folgende Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung in die gruppe wenden. Davon abzugrenzen sind primärpräventive
primärpräventive Förderung psychosozialer Kompetenzen. Förderkonzepte mit selektivem bzw. indiziertem Charakter.
Anschließend wird ein Überblick über verschiedene Förder- Bei der selektiven Prävention richten sich Maßnahmen an
konzepte gegeben. Abschließend wird auf besondere Aspekte bestimmte Gruppen, bei denen ein erhöhtes Problemrisiko
der Evaluation und Möglichkeiten zur Optimierung solcher besteht. So könnte man beispielsweise gezielt ein Gewaltprä-
Fördermaßnahmen eingegangen (. Abb. 18.1). ventionsprogramm für Jungen in bestimmten städtischen
Sozialräumen anbieten, wenn bekannt ist, dass dort das
Gewaltrisiko erhöht ist. Die indizierte Prävention richtet sich
dagegen an Kinder und Jugendliche, bei denen ein individuell
erhöhtes Problemrisiko besteht. So könnte man beispiels-
weise mithilfe eines Screening-Tests Kinder und Jugendliche
mit besonders niedrigen sozialen Kompetenzen identifizieren,
um mit ihnen gezielt ein Training zur Steigerung der sozialen
Kompetenzen durchzuführen (Heinrichs und Lohaus 2011).
Universelle Förderkonzepte haben den Vorteil, dass
alle Kinder und Jugendlichen einer Altersgruppe damit
erreicht werden. Der Nachteil besteht gleichzeitig darin,
dass auch relativ viele Kinder und Jugendliche in die Ziel-
gruppe eingeschlossen werden, bei denen kein Förderbedarf
besteht. Die entstehenden Kosten sind dadurch höher
als notwendig. Selektive und indizierte Prävention setzen
wiederum voraus, dass es möglich ist, eine umgrenzte Ziel-
gruppe zu identifizieren, was nicht immer gelingt. Hinzu
18 kommt, dass die Gefahr einer Stigmatisierung besteht,
wenn einige Kinder und Jugendliche an einem Programm
teilnehmen sollen und andere nicht. Da alle Förderansätze
mit spezifischen Problemen behaftet sind, lässt sich nur im
konkreten Anwendungsfall entscheiden, welcher Ansatz
jeweils geeignet ist.
In den nachfolgenden Abschnitten werden zunächst
Förderansätze dargestellt, die sich an einzelnen Problem-
bereichen (wie soziale Kompetenz, Abbau von Ängsten
etc.) orientieren. Es folgt die Darstellung von problem-
übergreifenden Förderansätzen. Anschließend werden
Förderansätze vorgestellt, die greifen, wenn Kinder und
Jugendliche mit kritischen Lebensereignissen konfrontiert
sind (z. B. der Scheidung der Eltern). In diesem Bereich
stehen verstärkt Ansätze der selektiven und indizierten Prä-
. Abb. 18.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) vention im Vordergrund.
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
427 18
18.1.1  Förderkonzepte für einzelne angeleitet werden, positive Rückmeldung über angemessenes
Problembereiche Verhalten zu geben. Damit soll der Transfer in den Alltag
erhöht werden. Zudem macht man sich damit den positiven
Es existiert eine Vielzahl an Förderprogrammen, die auf Effekt zunutze, dass die Umgebung von einer Verhaltens-
die Stärkung psychosozialer Kompetenzen in einzel- änderung ausgeht und soziale Interaktionen sich somit
nen Problembereichen ausgerichtet sind. Im Folgenden positiver gestalten. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn die
wird exemplarisch auf die Bereiche soziale Kompetenz, soziale Umgebung aufgrund von Etikettierungstendenzen
Aggression, Hyperkinetische Störungen, Depressionen und (z. B. „Er ist immer aggressiv“) ansonsten unangemessenes
Ängste, Sexualität sowie Alkohol-, Nikotin- und Drogen- Verhalten erwartet und sich dementsprechend verhält
konsum eingegangen. (Spence 2003).

Soziale Kompetenz Sozial-kognitives Problemlösen Bei diesem Ansatz wird


Nach Pfingsten (2015) besteht soziale Kompetenz in der in den Vordergrund gerückt, ob eine Situation richtig ein-
Verfügbarkeit und Anwendung von Fertigkeiten, die es geschätzt wird, mögliche Verhaltensalternativen generiert
dem Handelnden ermöglichen, soziale Situationen ziel- werden können, Konsequenzen überschaut werden sowie
führend und bedürfnisgerecht zu bewältigen. Dazu gehören ein Prozess des Problemlösens in sozialen Situationen
a) kognitive, möglich ist. Trainiert wird, das Auftreten eines sozialen
b) emotionale und Problems wahrzunehmen, innezuhalten und über alter-
c) aktionale Fertigkeiten. native Lösungen nachzudenken sowie die möglichen
Konsequenzen der jeweiligen Lösung abzuschätzen,
Beispiele für a) kognitive Fertigkeiten sind unter anderem, Hindernisse zu bedenken, eine angemessene Lösung aus-
sich in andere Personen hineinversetzen oder Handlungs- zusuchen, auszuführen und zu bewerten.
alternativen für eine soziale Situation entwickeln zu können.
Der Bereich b) emotionaler Fertigkeiten beinhaltet, eigene Soziale Perspektivenübernahme Trainiert werden Empathie­
Gefühle oder Stimmungen wahrnehmen oder eigene fähigkeit und Perspektivenübernahme sowohl auf der
(soziale) Ängste zeitweise ignorieren zu können. In den emotionalen Ebene (z. B. wie fühlt sich der andere in der
Bereich der c) aktionalen Fertigkeiten gehört, laut und Interaktion?) als auch auf der kognitiven Ebene (z. B. wie
deutlich sprechen zu können oder jemanden während nimmt mein Gegenüber die Interaktion wahr und bewertet
eines Gesprächs anzusehen (Pfingsten 2009). Das Ziel diese?).
besteht darin, ein selbstsicheres bzw. sozial kompetentes
Verhalten in sozialen Situationen realisieren zu können, Selbstmanagement Das primäre Ziel besteht bei diesem
während umgekehrt ein aggressives oder unsicheres Ver- Ansatz in der Erhöhung des Selbstmanagements bzw.
halten abgebaut werden soll (Hinsch und Pfingsten 2015). der Selbststeuerungskompetenzen. Diese beziehen sich
Damit wird die Förderung sozialer Kompetenzen auch in auf die Fähigkeit, eigenes Verhalten bewusst zu steuern
vielen Ansätzen verfolgt, die auf die Prävention in Problem- und aufkommende konkurrierende Impulse ggf. zu
bereichen wie Aggressions- oder Angstabbau abzielen. unterdrücken. Verwendung finden Techniken wie z. B.
Beelmann et al. (1994) unterscheiden vier Trainings- Selbstinstruktionen. Sie machen sich innere Dialoge
ansätze im Bereich sozialer Kompetenzen: bzw. Selbstanweisungen zunutze, die in komplexen
Situationen eine Form der Selbststrukturierung darstellen
Behaviorale Ansätze Fehlende soziale Kompetenzen werden (Meichenbaum und Goodman 1971). Daneben werden
vornehmlich auf ein Verhaltensdefizit zurückgeführt. Ver- Methoden der Selbstbeobachtung, Selbstevaluation sowie
folgt wird daher das Eintrainieren konkreten Verhaltens Selbstbelohnung angewendet.
(nonverbal und/oder verbal) in sozialen Situationen. Dies In der Regel werden diese Ansätze in den vorhandenen
kann beispielsweise im nonverbalen Verhaltensrepertoire Förderprogrammen nicht isoliert verfolgt, sondern mit-
auf einen angemessenen Augenkontakt sowie eine adäquate einander kombiniert. Die Metaanalyse von Beelmann
Mimik und Gestik bezogen sein und im verbalen Bereich die et al. (1994) deutet darauf hin, dass eine Kombination
Tonlage, Intonation sowie Geschwindigkeit und Umfang der unterschiedlicher Ansätze zu höheren Effektstärken führt.
Sprachäußerungen betreffen. Zudem werden Verhaltens- Der Gedanke liegt nahe, dass ein Training sozialer
skripts für häufiger auftretende soziale Situationen trainiert. Kompetenzen am ehesten in Gruppen gelingen kann,
Beispiele hierfür sind positives oder negatives Feedback da die Einübung sozialer Fertigkeiten idealerweise im
geben, jemanden einladen, mit Hänseleien umgehen oder unmittelbaren sozialen Kontakt erfolgt. Auf der anderen
ein Vorstellungsgespräch wahrnehmen. Verwendung finden Seite kann es Aspekte geben, die in einem Einzeltraining
beispielsweise Methoden wie Instruktion, Modelllernen, erfolgversprechend bearbeitet werden können. Dies
Rollenspiel, positive Verstärkung und praktische Hausauf- gilt insbesondere für individuelle Gedanken, die ein
gaben bezüglich konkreten Verhaltens. Eltern, Lehrer oder angemessenes Sozialverhalten erschweren können (wie
auch Gleichaltrige können dabei mit einbezogen und z. B. z. B. irrationale Gedanken). Es gibt daher Trainings, die
neben Gruppensitzungen auch Einzelsettings integrieren
428 A. Lohaus und H. Domsch

(wie z. B. das Training mit sozial unsicheren Kindern von . Tab. 18.1 Klassifikation aggressiven Verhaltens nach Frick
Petermann und Petermann 2015). (1998)
Der überwiegende Teil der sozialen Kompetenztrainings
ist im Bereich der selektiven bzw. indizierten Prävention Offen Verdeckt
anzusiedeln. Es gibt jedoch auch Programme mit uni- Destruktiv Offene (Heimliche) Zerstörung
versell-präventiver Zielrichtung, was insofern sinnvoll ist, Aggressionen (z. B. des Eigentums anderer
als eine breit angelegte Stärkung sozialer Kompetenzen tätliche Angriffe)
für viele Lebensbereiche (wie Familie, Schule oder Beruf) Nicht Oppositionelles Normverletzungen (z. B.
hilfreich ist. Soziale Kompetenztrainings gibt es für ver- destruktiv Verhalten heimliche Regelverstöße)
schiedene Altersbereiche, angefangen vom Kindesalter.
Beispielhaft zu nennen ist dabei das Gruppentraining
sozialer Kompetenzen von Hinsch und Pfingsten (2015), Ähnlich wie bei der Förderung sozialer Kompetenzen
das in verschiedenen Varianten vom Grundschulalter bis werden auch bei Trainings zum Aggressionsabbau in
in das Jugend- und junge Erwachsenenalter einsetzbar der Regel verschiedene psychosoziale Dimensionen
ist (s. hierzu auch Jürgens und Lübben 2014). Wie bereits angesprochen (7 Kap. 12). Dazu gehören unter anderem
angeführt, werden darüber hinaus Elemente eines sozialen kognitive, affektive und verhaltensbezogene Elemente.
Kompetenztrainings in Programmen zu verschiedenen Betrachtet man zunächst die kognitive Ebene, so geht es
Problembereichen integriert. Kazdin et al. (1992) ver- um die Beeinflussung von Gedanken, die zur Auslösung
wendeten beispielsweise ein Problemlösetraining für und Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens beitragen.
soziale Situationen bei Kindern und Jugendlichen mit einer Besonders hervorzuheben sind dabei unangemessene
Störung des Sozialverhaltens, wobei bessere Effekte erzielt Attributionsmuster, mangelnde Problemlösekompetenzen
wurden, wenn es mit einem Elterntraining kombiniert war. und unzureichende Selbstkontrollmechanismen. Als unan-
Andere Problembereiche betreffen soziale Angst (Spence gemessenes Attributionsmuster gilt vor allem der feind-
et al. 2000), Stress (Beyer und Lohaus 2018) oder auch selige Attributionsfehler, der darin besteht, anderen
die Förderung der Lebenskompetenz (Silbereisen und Kindern oder Jugendlichen eine feindselige Absicht zu
Weichold 2014). unterstellen, auch wenn sie sich neutral verhalten. Es
Übersichtsarbeiten deuten darauf hin, dass sich im kommt dadurch in verstärktem Maße zu aggressiven Hand-
direkten Anschluss an Trainings sozialer Kompetenzen lungen, um der vermeintlichen Feindseligkeit zu begegnen
positive Effekte abbilden lassen (Beelmann et al 1994). (Crick und Dodge 1994). In Anti-Aggressionstrainings geht
Allerdings fallen die Langzeiteffekte ernüchternder es darum, die Attributionsmuster offen zu legen und alter-
aus. Neben der Generalisierung in den Alltag von native Verhaltensinterpretationen einzuüben.
Kindern und Jugendlichen stellt damit auch die zeitliche Im Bereich der Problemlösekompetenzen geht es
Generalisierung weiterhin eine Herausforderung dar darum, einseitige Problemlösungen durch den Einsatz
(Beelmann et al. 1994). aggressiven Verhaltens zu vermeiden. Viele aggressive
Kinder und Jugendliche verfügen über ein recht einseitiges
Aggression Verhaltensrepertoire und haben im Wesentlichen gelernt,
Die Vermeidung eines aggressiven Auftretens in sozialen sich mit aggressiven Verhaltensweisen durchzusetzen. In
Interaktionen gilt als Bestandteil sozialer Kompetenz und Trainingsmaßnahmen werden daher häufig Elemente von
kann daher auch im Rahmen sozialer Kompetenztrainings Problemlösetrainings eingesetzt. Ein weiterer Ansatzpunkt
bearbeitet werden. Es gibt darüber hinaus Präventions- und ist in unzureichenden Selbstkontrollmechanismen zu
Interventionsprogramme, die unmittelbar auf die Ver- sehen. Dazu gehört, dass betroffene Kinder und Jugend-
18 meidung aggressiven Verhaltens ausgerichtet sind. Nach liche nicht in hinreichendem Maße gelernt haben, Selbst-
Frick (1998) lassen sich aggressive Verhaltensweisen nach kontrollstrategien bei ausgelösten Emotionen (wie Ärger
den Dimensionen offen vs. verdeckt und destruktiv vs. oder Wut) einzusetzen. Hier hilft beispielsweise der Aufbau
nicht destruktiv klassifizieren (. Tab. 18.1). Grundsätz- von Selbstinstruktionstechniken (wie sich selbst zu sagen,
lich können alle Aggressionsbereiche Gegenstand von dass man ruhig bleibt). Mangelnde Selbstinstruktions-
­Anti-Aggressionstrainings sein, wobei der Schwerpunkt in techniken spielen nicht nur bei der Auslösung, sondern
vielen Trainings auf den offenen Aggressionen in sozialen auch der Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens eine
Interaktionen liegt. Rolle.
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
429 18
Beispiel müssen. In manchen Trainings geht es also auch darum, die
Opfer von aggressiven Handlungen zu stärken.
Jannik rennt mit vielen anderen Kindern die Treppe zum Trainings zum aggressiven Verhalten gibt es vom
Pausenhof hinunter. Sie haben es eilig, die große Pause Kindesalter (z. B. Cierpka und Schick 2014a, b; Petermann
hat begonnen. Von der Seite wird Jannik von einem und Petermann 2012) bis in das Jugend- und Erwachsenen-
anderen Jungen angerempelt. Jannik schubst zurück, alter, wobei hier vor allem die indizierte Prävention im
sodass der Junge die letzten Treppenstufen hinunterfällt. Vordergrund steht (z. B. bei Personen, die bereits durch
Was ist in dieser Situation in Jannik vorgegangen? Warum Gewalttätigkeiten auffällig geworden sind).
musste er sich gleich aggressiv verhalten? Vielleicht
würden andere Kinder diese Situation ignorieren – Hyperkinetische Störungen
Jannik nicht. Er nimmt solche Situationen besonders Hyperkinetische Störungen sind durch eine Symptomtrias
wahr. Das Anrempeln interpretiert er schnell als charakterisiert, zu der Beeinträchtigungen im Bereich der Auf-
aggressive Handlung gegen seine Person (feindseliger merksamkeit, der Impulskontrolle und des Aktivitätslevels
Attributionsfehler). Er wird wütend. Es fällt ihm schwer, gehören. Je nach der Kombination dieser drei Haupt-
diese Wut zu unterdrücken (unzureichende Selbstkontroll- symptome werden verschiedene Subtypen unterschieden.
mechanismen), er schubst zurück (mangelnde Da eine mangelnde Impulskontrolle auch bei Aggressionen
Problemlösekompetenzen). An unterschiedlichen Stellen eine wichtige Rolle spielt, gibt es Überschneidungen, die zu
könnte Jannik lernen, einen anderen Weg einzuschlagen, teilweise ähnlichen Ansatzpunkten bei Präventions- und
damit die Situation nicht eskaliert: Er könnte weniger Interventionsmaßnahmen führen (z. B. durch das Erlernen
sensibel für solche Situationen sein (Wahrnehmung). von Selbstkontrolltechniken). Es ist eine multifaktorielle Ver-
Anstatt die Situation als Angriff zu interpretieren, könnte ursachung der hyperkinetischen Störungen anzunehmen,
er nach alternativen Erklärungen suchen (möglicherweise die sowohl genetische Dispositionen (wie ungünstige
war der Rempler ein Versehen, die Treppe ist eng und Temperamentsmerkmale oder Regulationsstörungen) als
alle wollen schnell nach draußen). Er könnte seine Wut auch psychosoziale Elemente (ungünstiges Erziehungsver-
zunächst unterdrücken, um die Situation zu klären halten) umfasst. Ein inkonsistentes Erziehungsverhalten und
(Selbstregulation). Er könnte dem anderen Jungen eine mangelnde Kontrolle seitens der Eltern kann zudem zur
sagen, dass es ihn gestört hat, und fragen, ob dieser es Aufrechterhaltung einer hyperkinetischen Störung beitragen
absichtlich gemacht hat (Erweiterung der Problemlöse- (Döpfner und Kinnen 2009).
kompetenz). Der Präventions- und Behandlungsansatz erfolgt
am günstigsten multimodal. Neben einem Training mit
dem Kind bzw. Jugendlichen werden auch die Bezugs-
Auf der affektiven Ebene geht es zum einen um Emotions- personen wie Eltern und Lehrer mit eingebunden (DuPaul
erkennung und -ausdruck und zum anderen um den und Stoner 2015). So bezieht beispielsweise das THOP
Aufbau eines empathischen Mitempfindens. Um die (Döpfner et al. 2013) sowohl die betroffenen Kinder und
Empfindungen und Intentionen anderer Personen zu Jugendlichen als auch deren Erziehungsberechtigte mit
erkennen, ist es beispielsweise wichtig, emotionale Signale in das Training ein. Dabei sind die familien- und die
zu verstehen. Gleichzeitig ist es für ein angemessenes Inter- kindzentrierten Interventionen aufeinander abgestimmt.
aktionsverhalten wichtig, auch selbst entsprechende Signale Neben einer Psychoedukation werden beispielsweise auch
zu kommunizieren. Dies lässt sich durch Übungen zum die positive Eltern-Kind-Interaktion gestärkt und operante
Gefühlserkennen sowie zu einem angemessenen Gefühls- Techniken eingeführt.
ausdruck trainieren. Weiterhin kann es sinnvoll sein, sich Konzentrations- und Selbstinstruktionstrainings verfolgen
gefühlsmäßig (oder auch kognitiv) in andere Personen unter anderem das Ziel, die Aufmerksamkeit und Impuls-
hineinzuversetzen, um die Folgen eines aggressiven kontrolle zu steigern. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang
Handelns nachvollziehen zu können. beispielsweise das Marburger Konzentrationstraining, das
Auf der Verhaltensebene steht die Erweiterung des Ver- für verschiedene Altersabschnitte vorliegt (Krowatschek et al.
haltensrepertoires im Zentrum, um Verhaltensalternativen 2016, 2017). Bei hyperkinetischen Störungen steht insgesamt
zum aggressiven Verhalten zu erlernen. Hier kann es unter die indizierte Prävention im Vordergrund, wobei die Über-
anderem darum gehen, prosoziales Verhalten einzuüben, um gänge in die Therapie fließend sind. Unterschiedliche Ansätze
dadurch die Integration in sozialen Gruppen zu erleichtern. lassen sich zudem im schulischen Kontext verfolgen, um
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass viele Elemente von eine Verbesserung in diesem Setting zu bewirken (s. DuPaul
Trainings zur sozialen Kompetenz gleichzeitig auch Elemente und Stoner 2015). So haben sich beispielsweise Belohnungs-
von Anti-Aggressionstrainings sind, wobei besondere systeme gerade bei Kindern und Jugendlichen mit einer hyper-
Schwerpunkte im Bereich der Aggression gesetzt werden. kinetischen Störung bewährt. Neben der gezielten positiven
Nicht zu vergessen ist, dass es neben aggressiven Kindern und Rückmeldung (soziale Verstärkung) bei erwünschtem Ver-
Jugendlichen auch deren potenzielle Opfer gibt, sodass auch halten sind dies beispielsweise T
­ oken-Systeme oder auch Ver-
die Opfer eines „Bullying“ in den Blick genommen werden haltensverträge (Domsch 2016).
430 A. Lohaus und H. Domsch

Beispiel
nicht. Dafür geben Jannik und seine Lehrerin jeweils
Gerade während der Stillarbeit wandert Jannik gehäuft getrennt voneinander eine Bewertung ab. Anschließend
durch den Klassenraum. Immer mit einer Ausrede für seine vergleichen sie, ob die Bewertungen übereinstimmen
Ausflüge parat, fällt es ihm schwer, ruhig auf dem Stuhl und besprechen mögliche Diskrepanzen. Schließlich
sitzen zu bleiben. Damit stört er nicht nur seine Mitschüler kann sich Jannik die vereinbarte Punktezahl in seinen
beim konzentrierten Arbeiten, er beendet die Aufgaben Punkteplan eintragen. Jannik soll so lernen, sein eigenes
auch selten in der vorgegebenen Arbeitszeit. Seine Verhalten besser zu beobachten (Selbstbeobachtung),
Lehrerin holt sich in Absprache mit den Eltern Hilfe bei der zu bewerten (Selbstevaluation) und ggf. zu belohnen
zuständigen Schulpsychologischen Beratungsstelle. Dafür (Selbstbelohnung). Ein wichtiger Schritt zu verbesserten
vereinbart sie einen Termin zur Unterrichtshospitation, Selbstregulationskompetenzen. Und bei Familienfesten
bei der der Schulpsychologe Jannik im Unterricht oder wichtigen Fußballtrainings gönnt er sich einen
beobachtet. Im Anschluss findet ein Gespräch zwischen Nachmittag hausaufgabenfrei!
Schulpsychologe, Lehrerin und Eltern statt, bei dem die
Beobachtungen zusammengetragen und Maßnahmen
abgesprochen werden. Die Eltern berichten, dass sie das In einer Metaanalyse von DuPaul und Eckert (1997)
unaufmerksame Verhalten ihres Sohnes zu Hause bei wurden verschiedene schulische Interventionen verglichen,
den Hausaufgaben erleben. Täglich käme es daher zu die sich in drei Bereiche gliedern ließen:
Konflikten. Nach einer halben Stunde lege Jannik den 1. Kontingenzmanagement: Bei diesem Ansatz wird
Stift zur Seite. „Unsere Lehrerin behauptet, wir sollen nur angemessenes Verhalten durch positive Konsequenzen
eine halbe Stunde an den Hausaufgaben sitzen. Die Zeit (z. B. Token-Systeme) verstärkt und unangemessenes
ist um!“ Durch sein ständiges Trödeln hat er jedoch fast Verhalten durch negative Konsequenzen reduziert.
nichts geschafft. In der Folge käme es immer wieder zu 2. Interventionen in der Lehrstrategie: Darunter wurden
Machtkämpfen zwischen Jannik und seinen Eltern, das sei besondere Lehrstrategien (z. B. Peer-Tutoring)
sehr anstrengend. gebündelt.
Gemeinsam einigt man sich darauf, dass Janniks 3. Kognitiv-verhaltensbezogene Interventionen: Dieser
Lehrerin ihm konkret benennt, welche Aufgaben er zu Ansatz enthält Interventionen wie beispielsweise
Hause zu erledigen hat. Die Diskussion um die halbe Problemlösestrategien oder Maßnahmen mit dem Ziel
Stunde Arbeitszeit entfällt dadurch, was bereits zu einer einer höheren Selbstkontrolle.
deutlichen Entspannung führt. Zudem vereinbaren
die Eltern einen Termin in der Schulpsychologischen Alle drei Ansätze zeigten deutliche Effekte, wobei
Beratungsstelle, um konkreter zu besprechen, wie Jannik diese bei verhaltensbezogenen Variablen größer aus-
in eine höhere Selbstständigkeit bei der Erledigung fielen als bei akademischen Variablen. Zudem zeigten
seiner Aufgaben begleitet werden kann. sich die ersten beiden Interventionsarten effektiver als
Für das schulische Setting wird vereinbart, mit einem ­kognitiv-verhaltensbezogene Interventionen. Einschränkend
Token-Programm anzufangen. Dafür bespricht seine muss jedoch bedacht werden, dass die von den Autoren vor-
Lehrerin mit Jannik genommene Einteilung artifiziell ist, da Maßnahmen häufig
5 eine konkrete Verhaltensweise, miteinander kombiniert werden. So kann beispielsweise ein
5 wie viele Punkte (Token) er für das Einhalten der Kontingenzmanagement-Ansatz auch mit dem Ziel ver-
­
Verhaltensweise wann erhält, wendet werden, die Selbstkontrolle zu trainieren.
5 wie viele Punkte er gegen welchen Preis eintauschen
18 kann. Ängste und Depressionen
Mit Ängsten sind fast alle Kinder im Laufe ihrer Ent-
Sie einigen sich darauf, dass Jannik bei der Stillarbeit
wicklung konfrontiert. Schon im Säuglingsalter lassen sich
ruhig auf seinem Stuhl sitzen bleiben soll. Schafft er
Ängste vor lauten Geräuschen oder – etwas später – vor
dies, kann er sich auf seinem Punkteplan anschließend
fremden Menschen identifizieren. Im Vorschulalter finden
einen Punkt eintragen. Zwanzig Punkte kann er gegen
sich Ängste vor der Trennung von Bezugspersonen ebenso
einen Hausaufgabenfrei-Gutschein eintauschen, den er
wie Ängste vor Fantasiegestalten (wie Geister oder Monster).
aufheben und bei Bedarf einlösen kann.
Im Schulalter werden die Ängste konkreter und beziehen
Janniks Lehrerin beginnt den Punkteplan zu
sich häufig auf Verletzungen, Krankheit oder Tod, aber
verändern, nachdem sich das Verhalten während der
auch auf eigenes Versagen in der Schule oder in den Augen
Stillarbeitsphasen deutlich verbessert hat. Sie trifft
der Gleichaltrigengruppe. Ängste sind evolutionsbiologisch
eine neue Verabredung mit Jannik: In der letzten
fundiert, indem sie eine Schutzfunktion in potenziellen
Stunde, die sie Jannik an einem Schulvormittag
Gefahrensituationen übernehmen. Sie bereiten Verhaltens-
unterrichtet, findet die Bewertung statt, ob er während
tendenzen vor, die in Flucht, Angriff oder Erstarren bestehen
der Arbeitsphasen gut sitzen bleiben konnte oder
können (Heinrichs und Lohaus 2011).
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
431 18
Nach Parritz und Troy (2018) kann ein gemeinsamer angesprochen. Einen wichtigen Bestandteil bilden dabei
Entwicklungspfad für das Entstehen von Ängsten und potenzielle Fehlinterpretationen von Körperreaktionen,
Depressionen vermutet werden. Die Gemeinsamkeit liegt Bewältigungsstrategien (z. B. Selbstkonfrontation mit angst-
darin, dass in beiden Fällen negative Emotionen über- auslösenden Situationen) und dysfunktionale Gedanken.
wiegen und Schwierigkeiten bestehen, negative Emotionen Speziell zur Prävention von Depressionen liegt weiterhin
zu regulieren. Daraus ergibt sich gleichzeitig ein wichtiger das vorrangig universelle Programm „Lust an realistischer
Ansatzpunkt für mögliche präventive Bemühungen: Es Sicht & Leichtigkeit im sozialen Alltag (LARS&LISA)“
kommt darauf an, frühzeitig mit negativen Emotionen von Pössel et al. (2004) vor. Es richtet sich in erster Linie
umgehen zu lernen und sie erfolgreich zu regulieren. an Jugendliche der 8. und 9. Klasse. Die Wahl der Ziel-
Wichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass gruppe ist vor allem dadurch begründet, dass die Prä-
Ängste sich auf der emotionalen Ebene äußern, dass valenzraten für Depressionen über das Jugendalter hinweg
aber auch die kognitive Ebene (durch angstauslösende deutlich ansteigen. Neben der Wissensvermittlung wird
Gedanken), die Verhaltens- (durch Flucht- oder Angriffs- das Setzen persönlicher (realistischer) Ziele thematisiert.
verhalten) und die körperliche Ebene (durch somatische Darüber hinaus finden sich Elemente zur kognitiven
Reaktionen wie Erhöhung der Herzfrequenz) involviert Umstrukturierung, zur Veränderung dysfunktionaler
sind. Diese verschiedenen Ebenen spielen auch bei Gedanken sowie Trainingselemente zum Einüben selbst-
Depressionen eine Rolle, wobei auf der kognitiven Ebene sicheren Verhaltens und zur Verbesserung sozialer
negative Gedanken in Bezug auf die eigene Person, die Kompetenzen. Mit dem Training sozialer Kompetenzen soll
Welt und die Zukunft bestehen. Auf der Verhaltensebene die soziale Einbindung von Jugendlichen unterstützt werden,
dominiert das Rückzugsverhalten und auf der körperlichen was einer Depressionsentwicklung entgegenwirken kann.
Ebene die Antriebslosigkeit. Im Rahmen der Prävention Neben den universellen Programmen, die teilweise auch
kann es also sinnvoll sein, nicht nur auf Emotions- indiziert oder selektiv eingesetzt werden können (z. B. in
regulationsstrategien zu fokussieren, sondern beispielsweise Mädchengruppen, weil internalisierende Symptomatiken
auch auslösende und aufrechterhaltende Kognitionen zu ab der Pubertät häufiger bei Mädchen vorkommen), gibt
thematisieren. Auch der Umgang mit Verhaltensreaktionen es Programme, die durch einen stärker therapeutischen
kann Gegenstand von Interventionsbemühungen sein. Anspruch charakterisiert sind (s. zusammenfassend Pössel
Besonders ist auf die Verhaltensebene zu achten, wenn z. B. und Hautzinger 2009; Melfsen und Warnke 2009).
soziale Ängste (Angst vor der negativen Bewertung durch
andere) begründet sind, da ein Kind oder Jugendlicher tat- Sexualität
sächlich Defizite in seinem Sozialverhalten aufweisen kann. Ein wichtiges Präventionsanliegen im Bereich der Sexuali-
Ein universelles Präventionsprogramm, das sowohl auf tät ist die Vermeidung von Schwangerschaften und von
Ängste als auch Depressionen gerichtet ist, liegt mit dem Infektionskrankheiten (wie HIV). Als mindestens genauso
Freunde-Programm von Barrett et al. (2003) vor. Es wird wichtig ist jedoch der Aufbau eines angemessenen Ver-
in Schulklassen durchgeführt und richtet sich an Schüler im hältnisses zu Fragen der Sexualität anzusehen. Hier geht
Altersbereich von sieben bis zwölf Jahren. Das Programm es darum, positive Einstellungen zur Sexualität zu ent-
integriert mehrere Ebenen, wobei es im kognitiven Bereich wickeln und in angemessener Weise sexuelle Beziehungen
darum geht, innere Gedanken zu erkennen und gegebenen- aufzubauen und gegebenenfalls aufrechtzuerhalten. Es geht
falls im positiven Sinne zu verändern. Im physischen also nicht nur um die biologischen, sondern auch um die
Bereich steht die Entwicklung eines Bewusstseins für psychosozialen Dimensionen von Sexualität. Es liegen für
Körpersignale und ihre Beeinflussung (z. B. durch Ent- diesen Problembereich nur wenige evaluierte Präventions-
spannungsübungen) im Vordergrund. Zusätzlich erfolgt programme vor, die sich überwiegend an das Jugendalter
das Einüben von Bewältigungsstrategien (wie Problem- richten. Es gibt zwar eine Vielzahl an Programmen und
lösefertigkeiten, graduelle Annäherung an angstauslösende Materialien (wie z. B. Aufklärungsbroschüren etc.), die sich
Ereignisse, Suche nach Unterstützung etc.). an verschiedene Altersgruppen wenden, der überwiegende
An etwas ältere Schüler (im Alter von 14 bis 18 Jahren) Teil wurde jedoch nicht systematisch evaluiert.
richtet sich das (vorrangig universell ausgerichtete) Ein breiter Zugang zum Thema Sexualität mit Ein-
Programm „Gesundheit und Optimismus (GO!)“ von Junge, bezug biologischer und psychosozialer Dimensionen wird
Neumer, Manz und Margraf (2002), das ebenfalls sowohl bei dem Medienpaket zur Sexualerziehung von Eichholz
Angst als auch Depression adressiert. Neben der Vermittlung et al. (1994) gewählt. Neben der Vermittlung einer Wissens-
von Basisinformationen werden auch hier die Ebenen basis finden sich hier Elemente zum Aufbau positiver Ein-
Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen und Verhalten stellungen zur Sexualität und zur Verhaltensbeeinflussung
432 A. Lohaus und H. Domsch

(wie z. B. in Form von Rollenspielen zur Kontaktaufnahme unterscheiden (Lohaus 1993). Zu den antezedenten
etc.). Ähnlich breit ist der Zugang beim LiZA-Programm Bedingungen gehören unter anderem frühe Einstellungen zum
(Liebe in Zeiten von Aids), das einen Schwerpunkt auf Suchtmittelkonsum, das Vorhandensein von Modellen (z. B.
die Aids-Prävention setzt, dabei jedoch gleichzeitig die Suchtmittelkonsum bei Eltern oder Geschwistern), eine erhöhte
Stärkung des Selbstwertgefühls, sozialer Kompetenzen und Risikobereitschaft und mangelnde Bewältigungsressourcen
der Kommunikationsfertigkeit thematisiert (Bayerisches (z. B. indem Alkohol und Drogen als Wege zur Problem-
Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2004). Ein bewältigung gesehen werden). In der Phase der Initiierung
weiteres Element ist auf Gruppendruck und Medien spielen das Angebot von Suchtmitteln durch Gleichaltrige,
gerichtet, um Jugendliche gegen Einflussnahmeversuche das Suchtmittelverhalten in der Gleichaltrigengruppe und das
und verzerrte Normwahrnehmungen zu wappnen. Ein Bedürfnis nach Anerkennung durch die Gleichaltrigengruppe
deutlich anderer Zugangsweg wird bei dem Programm eine entscheidende Rolle. Die Gleichaltrigengruppe ist auch
Peer Education von Backes und Schönbach (2002) gewählt, in der Phase der Stabilisierung wichtig, da sie den Substanz-
das sich an Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren richtet mittelkonsum weiter unterstützen und zu seiner Aufrecht-
und sie dazu befähigen soll, eigene Projekte zu sexualitäts- erhaltung beitragen kann. In diesen Phasen stehen also die
bezogenen Themen (wie Liebe oder Schwangerschaftsver- sozialen Funktionen des Suchtmittelkonsums im Vorder-
hütung) durchzuführen, ohne dass Erwachsene anwesend grund, während in der Phase der Habitualisierung zunehmend
sind und Hilfestellung leisten (Vierhaus 2009). die individuellen Funktionen im Vordergrund stehen. Dies
Insgesamt gibt es in diesem Bereich nur wenig bedeutet, dass das Suchtmittelverhalten sich weiter stabilisiert
standardisierte und evaluierte Programme, wobei ins- und zunehmend individuelle Bedürfnisse erfüllt, indem
besondere zum Vorschul- und Grundschulalter wenig vor- Abhängigkeiten vom Suchtmittel entstehen. Das Phasenmodell
zufinden ist. Hier dominieren ad hoc zusammengestellte ist in . Abb. 18.2 zusammengefasst.
Programmelemente, die z. B. in Unterrichtsreihen in der Das Phasenmodell verdeutlicht, dass eine Präventions-
Schule genutzt werden. Eine wissenschaftliche Evaluation arbeit zum Suchtmittelkonsum frühzeitig ansetzen kann, um
liegt in diesen Fällen nicht vor. bereits vor der Initiierung beispielsweise die Einstellung zu
Suchtmitteln in eine angemessene Richtung zu verändern
Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum oder um mangelnde Bewältigungsressourcen auszugleichen.
Vor allem im Jugendalter nimmt der Konsum legaler Diesen Weg beschreiten beispielsweise Lebenskompetenz-
und illegaler Substanzen zu. Legale Substanzen sind bei- trainings, die in Kombination mit einer Informationsver-
spielsweise Alkohol, Tabak oder Medikamente, illegale mittlung zum Substanzmittelkonsum eingesetzt werden.
Substanzen Cannabis oder Opiate. Will man im Bereich Hinzu kommen vielfach Elemente zur Stärkung der Wider-
des Substanzmittelkonsums präventiv tätig werden, dann ist standsmöglichkeiten gegen Einflussnahmeversuche durch
es zunächst wichtig, sich verschiedene Konsumphasen vor Gleichaltrige, um die sozialen Ressourcen für die Phase
Augen zu halten. So lassen sich beispielsweise der Initiierung zu stärken (z. B. Nein-sagen-Können beim
a) antezedente Bedingungen, die bereits vor dem Angebot von Substanzmitteln). Beispielhaft für diesen Ansatz
Konsumbeginn eine Rolle spielen, sind die Programme „Allgemeine Lebenskompetenzen
b) eine Phase der Initiierung, und Fertigkeiten (ALF)“ von Walden et al. (2000) sowie
c) der Stabilisierung und das Lebenskompetenzprogramm IPSY von Silbereisen
d) der Habitualisierung und Weichold (2014) zu nennen. Für Jugendliche, die sich

18 Bahnende Funktionen: Soziale Funktionen und Motive Individuelle Funktionen und


- Modellwirkungen - Annahmen über die soziale Wirkung des Motive:
- Einstellungen Suchtmittelkonsums (z.B. Anerkennung) - Physische und psychische
- Risikobereitschaft - Einflussnahmen durch die Gleichaltrigen Wirkung des Suchtmittel-
- Bewältigungsressourcen (z.B. Suchtmittelangebote) konsums
- Medien - Unterstützung der Aufrechterhaltung - Entstehen von Abhängigkeiten

Antezedente Bedingungen Initiierung Stabilisierung Habitualisierung

. Abb. 18.2 Phasenmodell des Suchtmittelkonsums. (In Anlehnung an Lohaus 1993, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
433 18
bereits in der Phase der Stabilisierung bzw. Habitualisierung Bewältigungsmechanismen zur Lösung von Alltagsproblemen
befinden, existieren Angebote zur Sekundärprävention, zurückgehen (Silbereisen 1997). Durch das Vorhanden-
um die Entstehung von Abhängigkeiten zu vermeiden. In sein eines Problemlöse- und Bewältigungspotenzials werden
einigen Suchtmittelbereichen (wie Alkoholkonsum) besteht Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufgebaut und damit die
das Präventionsziel nicht darin, einen Konsum grundsätz- Persönlichkeit gestärkt (Jerusalem und Meixner 2009). Die
lich zu vermeiden, sondern zu einem kontrollierten Konsum Lebenskompetenzprogramme basieren dementsprechend
zu gelangen. Eine weitere Zielrichtung, die ebenfalls teilweise auf einem ganzheitlichen Förderansatz, der davon ausgeht,
verfolgt wird, besteht darin, den Zeitpunkt der Initiierung dass sich die erfolgte Ressourcenstärkung positiv auf unter-
hinauszuzögern, da bei einem späteren Einstieg in den schiedliche Problembereiche auswirkt. Teilweise erfolgt eine
Substanzmittelkonsum die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es Verbindung mit problemspezifischen Elementen (z. B. zu
nicht zu einer Stabilisierung oder Habitualisierung kommt. Rauchen und Alkoholkonsum), um dadurch die Wirkung
Ein Beispiel für ein Programm, bei dem die Hinauszögerung auf einzelne Problembereiche weiter zu verstärken. Lebens-
eines Konsums eine wichtige Rolle spielt, ist „Be smart – Don’t kompetenzprogramme werden typischerweise universell ein-
start“ zur Primärprävention des Rauchens, das sich an Schüler gesetzt. Neben den bereits genannten substanzspezifischen
der Klassenstufen 6 bis 8 richtet. Das Programm wird in Form Lebenskompetenztrainings sind hier beispielsweise Programme
eines Wettbewerbs in Schulklassen durchgeführt, wobei alle wie Lions Quest („Erwachsen werden“) von Wilms und Wilms
Klassen, die nach Ablauf des Wettbewerbszeitraums (sechs (2004) oder das Programm „Klasse 2000“ zu nennen.
Monate) noch rauchfrei sind, ein Zertifikat erhalten und an Als problemübergreifend können auch Stressprä-
einer Preisverlosung teilnehmen (Hanewinkel 2007). ventionsprogramme für Kinder und Jugendliche aufgefasst
werden. Auch hier werden allgemeine Grundlagen für
den Umgang mit Problemen gelegt, die in verschiedenen
18.1.2  Problemübergreifende Kontexten genutzt werden können, um das individuelle
Förderprogramme Belastungserleben zu reduzieren. Die zentralen Programm-
elemente sind typischerweise darauf gerichtet,
Die bisher dargestellten Förderansätze sind auf einzelne a) stressauslösende Situationen zu erkennen,
Problembereiche (wie Ängste oder Substanzmittelkonsum) b) die Bewertung stressauslösender Situationen zu ver-
gerichtet. Eine andere Zielrichtung wird mit problemüber- ändern (kognitive Umstrukturierung),
greifenden Förderprogrammen eingeschlagen, bei denen c) das Bewältigungspotenzial zu erweitern und
es darum geht, die allgemeinen psychosozialen Ressourcen d) mit Stressreaktionen (wie beispielsweise Kopf- oder
zu stärken, damit Kinder und Jugendliche in die Lage ver- Bauchschmerzen) umgehen zu lernen.
setzt werden, verschiedenste Problemlagen im positiven
Sinne zu meistern, ohne auf unangemessene Bewältigungs- Es geht dabei nicht nur darum, angemessene Bewältigungs-
wege zurückgreifen zu müssen. Nach dem Konzept der formen zum Umgang mit individuellen Problemlagen zu
World Health Organization (WHO) ist lebenskompetent, erlernen, sondern auch in der Lage zu sein, die emotionalen,
kognitiven und verhaltensbezogenen Stressreaktionen zu
» „wer sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch
regulieren. Als Stresspräventionsprogramme stehen das
und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen
Programm „Bleib locker“ von K ­ lein-Heßling und Lohaus
führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft,
(2012) für Grundschulkinder der 3. und 4. Klasse, das Anti-
erfolgreich Probleme löst sowie Gefühle und Stress
Stress-Training für Kinder von Hampel und Petermann (2017)
bewältigen kann“ (Jerusalem und Meixner 2009, S. 141).
und das SNAKE-Training („Stress nicht als Katastrophe
Die Idee dabei ist, dass viele Risikoverhaltensweisen erleben“, 7 Exkurs „Stress nicht als Katastrophe erleben –
von Kindern und Jugendlichen auf einen Mangel an SNAKE“) von Beyer und Lohaus (2018) zur Verfügung.
434 A. Lohaus und H. Domsch

Exkurs

Stress nicht als Katastrophe erleben – SNAKE


Das Stresspräventionstraining SNAKE Prozess wird fortgesetzt, bis es zu einer durch Rollenspielübungen gefördert.
richtet sich an Jugendliche der 7. bis 9. Lösung kommt, die positiv bewertet wird, Das Modul zur Entspannung und
Klassenstufe und wird in der Regel im und das Problem somit „verdaut“ ist. zum Zeitmanagement thematisiert
schulischen Setting durchgeführt. Dafür Im Zusatzmodul zu den Kognitiven unterschiedliche Entspannungs-
wird eine Splittung der Schulklasse Strategien werden Methoden der techniken (von Musik hören bis
in zwei Gruppen empfohlen. Je nach kognitiven Umstrukturierung verwendet. progressive Muskelrelaxation) und übt
Zusammensetzung der Schulklasse Dafür wird der Zusammenhang zwischen einige dieser Entspannungsformen
können zwei geschlechtsheterogene Situation, Stressgedanken, Emotion und praktisch ein. Zudem besprechen
oder aber zwei geschlechtshomogene Verhalten veranschaulicht. Beobachtet die Jugendlichen unterschiedliche
Gruppen gebildet werden. Das Training eine Schülerin beispielsweise auf dem Strategien zum Thema Zeitmanagement.
erstreckt sich über acht Doppelstunden, Schulhof, dass ihre Klassenkameradinnen Ergänzend zum Training existiert
wobei das Basismodul „Wissen zu Stress lachen, könnte ihre Bewertung der außerdem eine Internet-Seite (7 http://
und Problemlösen“ (4 Sitzungen) je nach Situation darauf hinauslaufen, dass www.snake-training.de). Hier lassen
Bedürfnislage der Schüler mit einem von sie ausgelacht wurde (Gedanke). sich begleitend Inhalte nach und nach
drei möglichen Zusatzmodulen (jeweils Sie würde sich daher beschämt, freischalten und Übungen online
4 Sitzungen) kombiniert wird. Diese niedergeschlagen und unsicher fühlen durchführen.
beziehen sich auf (Emotion). In der Folge würde sie sich In einer Evaluationsstudie konnte die
a) kognitive Strategien, möglicherweise abwenden und die Wirksamkeit des Trainings untermauert
b) Suche nach sozialer Unterstützung Pause alleine verbringen (Verhalten). werden (Beyer und Lohaus 2005).
und Eine hilfreichere Bewertung wäre Bei den Jugendlichen konnten
c) Entspannung und Zeitmanagement. z. B., dass ihre Klassenkameradinnen signifikante Wissenszuwächse sowie
über einen Witz oder Ähnliches eine Verbesserung im Bereich der
Im Basismodul „Wissen zu Stress und lachen (Gedanke), wodurch sich ein Stressbewältigung verzeichnet werden.
Problemlösen“ sollen die Problemlöse- positiveres Gefühl in der Situation Zudem ließ sich eine Reduktion
kompetenzen verbessert werden. Das und auch ein adäquateres Verhalten der wahrgenommenen Probleme
Symbol des Trainings ist (dem Namen ergeben würden. Zur Förderung nachweisen. Diese Effekte zeigten sich
des Trainings entsprechend) eine von Bewältigungsstrategien wird im auch in einer Follow-up-Erhebung zwei
Schlange. Anhand dieser Schlange wird Zusatzmodul zur Suche nach sozialer Monate nach Trainingsende. Eine additive
ein Problemlöseprozess symbolisiert, Unterstützung die soziale Unterstützung Nutzung des I­nternet-Angebots führte
wobei die einzelnen Schritte im durch Bezugsgruppen in der Schule, zudem zu einer weiteren Steigerung
Bauch der Schlange weiterwandern: Familie oder im Freundeskreis sowie des Wissenserwerbs sowie zu einer
Problemdefinition, Lösungssuche, durch Beratungsinstitutionen in der positiveren Einschätzung des Trainings
Entscheidungsfindung, Erprobung einer Umgebung thematisiert. Darüber hinaus durch die Jugendlichen (Fridrici und
Lösung, Bewertung der Lösung. Der werden die sozialen Kompetenzen z. B. Lohaus 2009).

18.1.3  Förderung des Umgangs mit sich auf chronische Erkrankungen (wie Diabetes mellitus
kritischen Lebensereignissen oder Asthma bronchiale). Ein angemessener Umgang mit
den Anforderungen der Erkrankung und eine gute psycho-
Als kritische Lebensereignisse werden einschneidende soziale Anpassung können entscheidend für den Krank-
Veränderungen im Leben eines Kindes oder Jugendlichen heitsverlauf sein. Dementsprechend gibt es mittlerweile für
bezeichnet, die eine umfassende Neuorientierung ver- viele Erkrankungsformen altersentsprechende Schulungs-
langen (wie der Neueintritt einer chronischen Erkrankung möglichkeiten (z. B. das ­ Luftikurs-Programm für Kinder
oder Tod, Trennung oder Scheidung der Eltern). Bei der mit Asthma-Erkrankungen von Theiling et al. 2011, oder das
18 Konfrontation mit kritischen Lebensereignissen geht Neurodermitis-Verhaltenstraining für Kinder, Jugendliche
es darum, betroffenen Kindern und Jugendlichen die und deren Eltern von Scheewe et al. 2000). Die vorhandenen
Anpassung an die neu eingetretene Situation zu erleichtern Programme sind in der Regel darauf ausgerichtet, den
und Folgeprobleme zu reduzieren. Ein besonderes Problem Kindern und Jugendlichen ein altersangemessenes Wissen
stellen dabei abrupt eintretende kritische Lebensereignisse über ihre Erkrankung zu vermitteln sowie erforderliche
dar, da in diesen Fällen keine Vorbereitung erfolgen konnte medizinische Maßnahmen bzw. Verhaltensänderungen (z. B.
und daher erst im Nachhinein Maßnahmen greifen können, bei notwendigen Diäten) zu trainieren. Einen besonderen
um die psychosoziale Anpassung zu verbessern (Heinrichs Stellenwert nehmen dabei die Bewältigung der besonderen
und Lohaus 2011). Beim Umgang mit kritischen Lebens- Anforderungen, die die jeweilige Erkrankung stellt, sowie
ereignissen stehen daher indizierte Präventionsansätze im die ­Patienten-Compliance (Einhaltung der erforderlichen
Vordergrund, die sich an betroffene Kinder und Jugend- medizinischen Maßnahmen) ein. Teilweise wird – je nach
liche richten. Je nach Schwere der Auswirkungen können Alter der Patienten – auch das soziale Umfeld einbezogen.
auch therapeutische Interventionen erforderlich sein. Besondere Aufmerksamkeit unter den kritischen
Ein mögliches kritisches Lebensereignis, mit dem bereits Lebensereignissen, von denen Kinder und Jugend-
Kinder und Jugendliche konfrontiert sein können, bezieht liche betroffen sein können, haben Tod, Trennung oder
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
435 18
Scheidung der Eltern erhalten, da diese Ereignisse zu den Das Altersspektrum reicht dabei vom Vorschul- bis in das
gravierendsten gehören, mit denen Kinder und Jugend- Jugendalter (s. zusammenfassend Beelmann 2009).
liche konfrontiert sein können. Dementsprechend zeigen Kinder und Jugendliche können auch indirekt von
Metaanalysen (z. B. Amato 2001, 2010), dass bei betroffenen kritischen Lebensereignissen betroffen sein, die in erster Linie
Kindern ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von auf Personen ihres unmittelbaren sozialen Umfelds bezogen
Störungen besteht. Um den Risiken entgegenzuwirken, gibt sind. Ein Beispiel dafür sind psychische Erkrankungen eines
es verschiedene Trainingsprogramme, die in erster Linie als Elternteils (z. B. eine depressive Störung der Mutter, 7 Exkurs
Gruppenprogramme für betroffene Kinder konzipiert sind. „Kinder psychisch erkrankter Eltern“).

Exkurs

Kinder psychisch erkrankter Eltern


Nach Röhrle und Christiansen (2009) oftmals lediglich auf Erwachsene – in Problemsituationen kann sowohl
stellt das Zusammenleben mit psychisch der Regel den Lebenspartner. Sowohl für Kinder als auch Jugendliche eine
erkrankten Eltern einen erheblichen eine Fixierung auf die psychische wichtige Erfahrung darstellen. Neben
Risikofaktor für die Entwicklung einer Erkrankung innerhalb des Familiensystems dem Austausch erleben sie, dass auch
eigenen psychischen Erkrankung als auch eine Verheimlichung oder andere Kinder und Jugendliche ähnliche
dar (s. a. Cummings und Davis 1994). Verleugnung innerhalb der Familie kann Erfahrungen machen. Auch daraus
Bei depressiven Müttern finden zu weiteren Belastungen für die Kinder ergibt sich ein Anlass für eine indizierte
sich beispielsweise häufig negative und Jugendlichen führen (Mattejat und Prävention (s. hierzu ausführlicher Röhrle
­Eltern-Kind-Interaktionen. Akute Lisofsky 2013). Gerade Kinder konstruieren und Christiansen 2009). Zunehmend
Wahnvorstellungen im Rahmen einer eigene Erklärungen über das Verhalten werden solche Maßnahmen auch in
Psychose können auf das Kind sehr des Elternteils, was mit Ängsten und Erziehungsberatungsstellen angeboten.
bedrohlich und oftmals auch verwirrend Schuldgefühlen einhergehen kann. Für Dies ist auch darin begründet, dass – wie
wirken. Remschmidt und Mattejat (1994) Kinder kann daher eine entwicklungs- oben angesprochen – Kinder psychisch
schätzen, dass in Deutschland allein angemessene Aufklärung über die erkrankter Eltern ein erhöhtes Risiko
etwa 300.000 Kinder mit psychotisch psychische Störung besonders relevant haben, selbst psychische Auffälligkeiten zu
erkrankten Elternteilen leben. Dennoch sein (Wagenbass 2003). Auch der entwickeln und ihre Eltern somit verstärkt
beschränkt sich die Angehörigenarbeit Austausch mit Gleichaltrigen in ähnlichen Erziehungsberatungsstellen aufsuchen.

18.2  Primärpräventive Förderkonzepte für 5 die Verbesserung der Einfühlung in das Erleben des Kindes,
Eltern als Zielgruppe 5 die Bearbeitung unbewusster Wahrnehmungs- und
Erziehungstendenzen und
Der überwiegende Teil der bisher dargestellten 5 die Einübung sozialer und elterlicher Kompetenzen
Präventionsmaßnahmen richtete sich unmittelbar an
Kinder und Jugendliche. Wenn man auf das Erleben genannt. Es handelt sich um ein strukturiertes Eltern-
und Verhalten von Kindern und Jugendlichen Einfluss training, das sich an alleinerziehende Mütter von Kindern
nehmen will, kann es jedoch ebenso sinnvoll sein, auf das im Alter von 4 bis 6 Jahren richtet und von geschulten
soziale Umfeld zu fokussieren, um dadurch indirekt die Erzieherinnen durchgeführt wird. Das Training richtet sich
Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Wichtigste Ziel- also an Mütter in einer besonderen Problemlage und ver-
gruppe sind dabei die Eltern, da sie in der Regel als zentrale sucht, ihre Erziehungskompetenzen zu steigern und dabei
Bezugspersonen für ihre Kinder fungieren. Bei Fragen der gleichzeitig der besonderen Situation als alleinerziehende
Erziehung können Eltern sich an Erziehungsberatungs- Mutter Rechnung zu tragen.
stellen wenden. Hier wird oftmals auch mit speziellen Als problemübergreifendes Elternprogramm kann weiter-
Methoden wie z. B. der Gesprächspsychotherapie oder hin das Triple-P-Programm (Sanders et al. 2003) angesehen
der Familientherapie gearbeitet. Zudem bieten einige werden, dessen Besonderheit darin besteht, dass es fünf
Erziehungsberatungsstellen gezielte Elterntrainings an. Ebenen umfasst, die von der universellen Prävention (mit
Maßnahmen, die sich an Eltern richten, können in problem- allgemeinen Informationskampagnen und niederschwelligen
übergreifende und problemspezifische Elterntrainings unter- Angeboten) bis hin zu intensiver Betreuung im Sinne von
schieden werden. Bei problemübergreifenden Trainings sind indizierter Prävention reichen. Das Programm richtet sich
die Hauptzielrichtungen darin zu sehen, die Eltern-Kind- an Eltern von Kindern zwischen von 0 und 16 Jahren. Bei
Beziehung zu stärken und das Erziehungsverhalten der Eltern zu diesem Programm kann abhängig vom Schwergrad der
verbessern. So werden beispielsweise bei dem PALME-Training Erziehungsproblematik die Intensität des Programm-
(Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter geleitet einsatzes variiert werden. Die fünf Ebenen des Triple-P-
von Erzieherinnen; Franz 2009) als zentrale Ziele Programms sind in der . Abb. 18.3 zusammengefasst.
5 die Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung, Von den problemübergreifenden sind die problemspezi-
5 die Stärkung der intuitiven Elternfunktionen, fischen Elterntrainings abzugrenzen, die auf bestimmte
436 A. Lohaus und H. Domsch

Ebene 1 Allgemeine Informationskampagnen


(Bereitstellung von Informationsmaterial Niedrig
Universelles Triple P über verschiedene Medien)

Ebene 2
Niedrigschwellige Angebote mit
allgemeinen Informationen zu
Triple P – Elterngespräche und Entwicklung und Erziehung
Vortragsreihe

Kurzberatung zur Unterstützung bei


Ebene 3
einzelnen Erziehungsproblemen (ggf.
mit kurzem Training von
Triple P – Kurzberatung
Erziehungskompetenzen)

Ebene 4
Intensives Elterntraining im Einzel-,
Gruppen- oder Selbsthilfeformat
Triple P – Elterntraining

Ebene 5 Intensives und individuell Hoch


zugeschnittenes Elterntraining im
Triple P – Plus Einzelkontakt
Intensivierungsgrad

. Abb. 18.3 Ebenenkonzept des Triple-P-Trainings. (In Anlehnung an Heinrichs und Lohaus 2011, Klinische Entwicklungspsychologie kompakt,
© 2011 Programm Psychologie Verlags Union in der Verlagsgruppe Beltz ∙ Weinheim Basel)

Verhaltensprobleme von Kindern und Jugendlichen 18.3  Organisationsbezogene


bezogen sind. So wendet sich das Präventionsprogramm primärpräventive Förderkonzepte
18 für expansives Problemverhalten (PEP) von Plück et al.
(2006) an die Eltern und Erzieher von Kindern im Vorschul- Der überwiegende Teil der bisher vorgestellten Förder-
alter und an die Eltern von Kindern im Grundschulalter. konzepte richtete sich an spezifische Zielgruppen (Kinder,
Es geht hier vor allem darum, durch eine Verbesserung des Jugendliche, Eltern etc.). Es gibt jedoch auch Förder-
Erziehungsverhaltens die expansiven bzw. externalisierenden konzepte, die auf unterschiedlichen organisatorischen
Verhaltensauffälligkeiten der Kinder zu reduzieren. Ebenen angelegt sind, z. B. die Klassenebene, die Schul-
Ergänzend ist zu betonen, dass Elemente von Eltern- ebene oder auch einen ganzen Stadtteil.
trainings auch teilweise in Trainings enthalten sind, die Bezogen auf die Klassen- und Schulebene kann fest-
sich an Kinder und Jugendliche richten. So sieht bei- gehalten werden, dass an bestimmten Schulformen
spielsweise das Stresspräventionstraining „Bleib locker“ emotionale und Verhaltensauffälligkeiten häufiger auftreten
von Klein-Heßling und Lohaus (2012) zwei ergänzende als an anderen. Die Prävalenzrate psychischer Störungen im
Elternabende vor, um die Unterstützung der Eltern bei der Kindes- und Jugendalter liegt in Deutschland bei ca. 18 %
Umsetzung der Programmelemente zu gewinnen. Auch (Ihle und Esser 2002), wobei sich an Grundschulen, Haupt-
eine begleitende Elternarbeit in einem Training für Kinder und Förderschulen die höchsten Prävalenzzahlen finden
und Jugendliche ist also denkbar. (Remschmidt und Walter 1990; Hillenbrand 2009). Da
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
437 18
Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihres Tages im Selbstregulationskompetenzen beinhalten auch Fähigkeiten
schulischen Kontext verbringen, sind Schulen zwangs- zur Emotionsregulation. Eine hohe negative Emotionali-
läufig mit Fragen der Prävention und Intervention auch im tät geht dabei mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit
Bereich psychischen Wohlbefindens konfrontiert. für Unaufmerksamkeit, Überaktivität und geringeren
schulischen Kompetenzen bzw. Leistungen einher (z. B.
Bulotsky-Shearer und Fantuzzo 2004; Gumora und Arsenio
18.3.1  Maßnahmen auf Klassenebene 2002). Dies ist auch der Fall, wenn andere kognitive, auf-
merksamkeitsbezogene oder soziale Variablen kontrolliert
Lehrer benennen emotionale und verhaltensbezogene werden (z. B. Graziano et al. 2007). Dies zeigt, wie ent-
Regulationsprobleme von Schülern unter den Hauptstressoren scheidend auch aus schulischer Sicht die Förderung psycho-
ihrer beruflichen Tätigkeit (Friedman 1995). Gleichzeitig hat sozialer Kompetenzen ist. Gelegenheiten dazu ergeben sich
Schule in Deutschland sowohl einen Bildungs- als auch einen in unterschiedlichen Momenten des Schulalltags. Dies kann
Erziehungsauftrag. Neben der Vermittlung von Wissen soll beispielsweise integriert in den Unterricht oder auch in
sie Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu sozialem Poolstunden mit psychosozialen Lernzielen oder in spezi-
und eigenverantwortlichem Handeln unterstützen. Daraus fischen Programmen erfolgen.
folgt, dass Lehrer angehalten sind, die Entwicklung der
psychosozialen Kompetenzen ihrer Schüler zu fördern. Dies In den Unterricht integrierte Maßnahmen
ist auch deshalb sinnvoll, weil psychosoziale Kompetenzen
Am häufigsten wird die psychosoziale Entwicklung eines
und Lernen im schulischen Kontext miteinander zusammen-
Schülers beiläufig im Schulalltag beeinflusst. Beispiels-
hängen. Ein Schüler, der sich durch eine geringe Selbst-
weise ergeben sich Möglichkeiten zu positiven Erfahrungen
regulation auszeichnet, mag beispielsweise Probleme haben,
in der Lehrer-Schüler-Interaktion (Tausch und Tausch
dem Unterricht konzentriert zu folgen. In der Folge können
1973). So zeigen sich Schüler, die ihre Lehrer als wert-
kumulierte Lernlücken entstehen. Wie wichtig solche
schätzend und unterstützend wahrnehmen, im Unterricht
Kompetenzen für die schulischen Leistungen sind, zeigt eine
eher engagiert und motiviert (Ryan und Patrick 2001). Eine
Studie von Duckworth und Seligman (2005). In dieser Längs-
Rolle spielt dabei auch die Bezugsnormorientierung des
schnittstudie klärten Variablen, die die Selbstdisziplin von
Unterrichtenden. Liegt z. B. der Fokus des Lehrenden auf
Schülerinnen und Schülern abbilden sollten, signifikant mehr
einer sozialen Bezugsnorm, bei der die Leistungen eines
Varianz bei späteren Schulnoten auf als andere Variablen,
Schülers immer nur im Bezug zu seinen Klassenkameraden
darunter auch die Ergebnisse eines IQ-Tests.
betrachtet werden, und werden akademische Leistungen
zudem in den Vordergrund gerückt? Oder meldet der
Beispiel Lehrer gezielt zurück, wenn er wahrnimmt, dass ein Schüler
sich verbessert hat, unabhängig von seiner Leistungs-
Belohnungsaufschub und Selbstregulation im
position in der Klasse (individuelle Bezugsnorm)? Eine
Schulalltag
individuelle Bezugsnormorientierung zeigt positive Aus-
Als Paul in die Schule kommt, werden neben kognitiven
wirkungen auf unterschiedliche Schülervariablen wie z. B.
Kompetenzen auch seine Frustrationstoleranz, seine
eine geringere Prüfungsangst, eine höhere Selbstwirksam-
Selbstregulation und seine Fähigkeit zum Belohnungs-
keitserwartung und Motivation, eine realistischere Selbst-
aufschub gefordert. Statt die direkte Aufmerksamkeit der
bewertung etc. (s. Lissmann und Paetzold 1982; Mischo und
Lehrerin zu erhalten, muss er diese mit 26 Mitschülern
Rheinberg 1995). Die Verengung auf eine soziale Bezugs-
teilen. Er soll sich melden, wenn er etwas sagen
norm scheint dagegen eher mit einem schlechteren Klassen-
möchte (Selbstregulation), wird aber wiederholt nicht
klima einherzugehen, was wiederum die Entwicklung
drangenommen (Frustrationstoleranz). Während der
sozialer Kompetenzen erschwert.
Stillarbeit wird er öfter angehalten, die Buchstaben in sein
Tausch und Tausch (1973) benennen zwei Dimensionen
Schreibheft zu übertragen, anstatt mit seinem Nachbarn zu
des Lehrerverhaltens: „maximale Lenkung vs. minimale
reden und seinen Tagträumen nachzuhängen. Paul fällt es
Lenkung“ sowie „Wertschätzung vs. Geringschätzung“.
schwer, die direkten Belohnungen (Reden und Tagträumen)
Während ein eher demokratisches Lehrerverhalten sich durch
auszublenden, um stattdessen die spätere Belohnung
eine hohe Wertschätzung bei einer mittleren Lenkung aus-
(Beendigung der Aufgabe, Lob) zu erreichen (Belohnungs-
zeichnet, ist ein autokratisches Lehrerverhalten durch eine
aufschub). Dies zieht sich durch seinen Schulalltag: Im
hohe Lenkung und Geringschätzung und ein Laissez-fairer-
Frontalunterricht bastelt er lieber aus seinem Radiergummi
Lehrertyp durch eine minimale Lenkung und emotionale
Wurfgeschosse für die anstehende Pause (kurzfristig
Gleichgültigkeit gekennzeichnet. Demokratisches Lehrerver-
Belohnung), anstatt zuzuhören und anschließend die
halten zeigt sich für die Entwicklung sozialer Einstellungen
Aufgabe richtig zu bearbeiten (langfristige Belohnung); bei
am förderlichsten. Schüler, die ihre Lehrer als wertschätzend
der Hausaufgabenbetreuung lenkt er sich ab und fängt erst
wahrnehmen, zeigen mehr prosoziales Verhalten im Klassen-
gar nicht mit den Aufgaben an (kurzfristige Belohnung),
raum (Kienbaum 2001). Zudem sind sie wahrscheinlicher der
anstatt sich zu beeilen und somit früher zum Spielen
Aufgabe zugewandt und zeigen mehr Anstrengungsbereitschaft
entlassen zu werden (langfristige Belohnung).
(Davis 2003). Es wäre jedoch verkürzt, die Lehrer-Schüler-
438 A. Lohaus und H. Domsch

Interaktion lediglich als unidirektional zu verstehen, bei der Sowohl die Interaktion zwischen Gleichaltrigen als
die Schüler dem Lehrer bedingungslos ausgeliefert sind und auch ein positives Klassenklima wird durch ein gelingendes
entsprechend geformt werden. Jeder wird aus seinen eigenen classroom management (7 Kap. 5) unterstützt (Evertson
schulischen Erfahrungen erinnern, dass die Lehrer-Schüler- und Weinstein 2006). Unter classroom management wird
Interaktion sich in der Regel vielmehr als ein reziproker Prozess dabei das gesamte Lehrerverhalten gefasst, das darauf
darstellt (Minsel und Roth 1978). abzielt, Lernprozesse positiv zu gestalten. Dies schließt
Zudem sind Interaktionen mit den Gleichaltrigen mit ein, dass Schüler zu einem eigenverantwortlichen
(7 Kap. 12) hervorzuheben, die mit zunehmendem Alter und kooperativen Verhalten begleitet werden, was sich
noch einmal an Bedeutung gewinnen (Jerusalem und wiederum günstig auf den Lernprozess auswirkt.
Klein-Heßling 2002). Diese Interaktionen können sowohl Es gibt also unterschiedliche Möglichkeiten im Schul-
eine Ressource, die für die psychosoziale Entwicklung alltag, sich mit Aspekten psychosozialer Kompetenz aus-
förderlich ist, als auch eine Risikovariable darstellen. Im einanderzusetzen und dabei fachliches, emotionales und
letzteren Fall ist z. B. ein Jugendlicher herausgefordert, soziales Lernen zusammenzubringen (Greenberg et al.
sich gegen das Drängen seiner Freunde zum Drogen- 2003). Eine enge Verknüpfung kann auch z. B. mit spezi-
konsum zu positionieren. Wie weiter oben beschrieben, fischen Aufgabenstellungen verfolgt werden: Integriert in
gilt es daher, sowohl Ressourcen als auch Risiken, die sich den Fachunterricht wird anhand eines Textes in Deutsch
aus der Interaktion mit Gleichaltrigen ergeben können, über Werte und Moral diskutiert. Die Schüler erhalten
in Programmen zur Förderung psychosozialer Ent- die Aufgabe, eine schwierige Interaktion (z. B. einen Streit
wicklung (wie z. B. zum Umgang mit Drogen) in den Blick unter Freunden) aus unterschiedlichen Perspektiven
zu nehmen. In einem Klassenklima, in dem sowohl ein schriftlich zu beschreiben; anschließend findet ein Aus-
unterstützendes Lehrerverhalten als auch eine kollegiale tausch in der Klasse statt, um die Facetten sozialer Inter-
Schüler-Schüler-Interaktion wahrgenommen wird, kann
­ aktion zusammenzutragen und zu diskutieren. Die Klasse
sich eher eine positive soziale Selbstwirksamkeitserwartung entwickelt ein Theaterstück zum Thema „Mobbing“ etc.
bei den Schülern ausbilden. Diese ermöglicht, sozial Unterstützung finden Lehrer bei der Bearbeitung
kompetenter und selbstsicherer in schwierige soziale Inter- solcher Themen auch durch die Schulpsychologischen
aktionen zu treten und führt letztendlich zu einer höheren Dienste bzw. Beratungsstellen (Fleischer et al. 2007,
psychosozialen Gesundheit. 7 Exkurs „Schulpsychologie“).

Exkurs

Schulpsychologie
Schulpsychologen unterstützen alle an Seitdem Amokläufe auch an deutschen Durchschnitt pro ca. 7258 Schülerinnen
Schule Beteiligten mit psychologischem Schulen vorgekommen sind, ist das und Schüler einen Schulpsychologen. Die
Wissen, um letztendlich Kinder und Thema Krisenmanagement innerhalb der WHO empfiehlt ein Verhältnis von 5000:1.
Jugendliche in ihrer Entwicklung positiv zu Schulpsychologie noch einmal stärker in Obwohl die Anzahl der Planstellen für
beeinflussen und beim Erreichen adäquater den Vordergrund gerückt. Schulpsychologen in den letzten
Schulabschlüsse zu unterstützen. Das Dies schließt auch andere Formen Jahren zugenommen hat, liegt
Aufgabenfeld der Schulpsychologie ist der Krise, z. B. versuchter oder Deutschland noch immer deutlich
breit gefächert. Neben Diagnostik und vollzogener Suizid, Tod einer unterhalb der empfohlenen
Beratung können u. a. auch Fortbildungen, Mitarbeiterin, gewaltsame Übergriffe Relation.
Supervision von pädagogischen etc., ein. Die Anzahl an Schulpsychologen in einer
Fachkräften, Beteiligung an Schulent- Schulpsychologen sind in Deutschland Beratungsstelle schwankt stark (abhängig
18 wicklungsprozessen, Öffentlichkeits- oder leider immer noch Mangelware. Laut vom Bundesland sowie der Kommune
Projektarbeit (z. B. Implementierung eines einer Erhebung des Bundesverbandes bzw. dem Kreis). Dementsprechend
Präventionsprojekts an einer Schule) deutscher Psychologinnen und sind auch die Arbeitsbedingungen sehr
hinzugezählt werden. Psychologen (BDP 2018) gibt es im heterogen.

Poolstunden und Programme in der Klasse angesprochen und Schüler in adäquaten


Zur Verfügung stehende Poolstunden werden häufig zum Konfliktlösestrategien angeleitet. Im pädagogischen Kontext
Verfolgen psychosozialer Lernziele verwendet. So werden bei- existieren hierfür mittlerweile unterschiedliche Methoden wie
spielsweise in einer Klassenlehrerstunde alltägliche Konflikte z. B. der Klassenrat (z. B. Keller 2011, 7 Exkurs „Klassenrat“).
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
439 18
Exkurs

Klassenrat
Der Klassenrat ist ein Zeitfenster, werden können z. B. Konflikte in die Klasse betreffen. Denkbar ist
in dem die Klasse zum Besprechen der Klasse, die sich über die Woche beispielsweise, über gemeinsame
unterschiedlicher Themen angesammelt haben und in einem Unterrichtsprojekte zu entscheiden,
zusammenkommt. Oftmals wird die Klassenratsbuch festgehalten worden die Aufgabenverteilung in der Klasse
Gesprächsführung von einem Schüler sind. Ritualisiert werden die Konflikte zu regeln oder Positives aus der
übernommen. Neben der Vermittlung besprochen und Lösungen letzten Woche zu benennen. Damit
von Kommunikationskompetenzen ausgehandelt. lassen sich auch demokratische
nimmt die Lehrperson damit bewusst Darüber hinaus können auch andere Kommunikationsformen und
eine andere Position ein. Besprochen Themen besprochen werden, die Entscheidungsfindungen fördern.

Zur Förderung der Perspektivenübernahme sowie der In einer Metaanalyse von Durlak et al. (2011) wurden
moralischen Entwicklung wird von Lind (2015) aufbauend die Ergebnisse unterschiedlicher Evaluationsstudien zu
auf Kohlbergs Überlegungen zur moralischen Urteils- schulischen Interventionen und Programmen zum sozialen
bildung (Kohlberg 1995) die Diskussion über moralische und emotionalen Lernen zusammengetragen. Es zeigten
Dilemmata vorgeschlagen. Dabei wird den Schülern ein sich positive Einflüsse auf eine Reihe unterschiedlicher
ethisches bzw. moralisches Dilemma präsentiert, das einen Variablen, zu denen physische und mentale Gesundheit,
kognitiven Konflikt erzeugen soll. Am bekanntesten dürfte moralisches Urteil, Leistungsbereitschaft sowie schulische
das Heinz-Dilemma von Kohlberg (1995) sein. Der Ehe- Leistungen gehörten.
mann, Heinz, einer im Sterben liegenden Frau, versucht
ein Medikament zu bekommen, bei dem die Ärzte von
Heilungschancen ausgehen. Das ohnehin teure Medika- 18.3.2  Maßnahmen auf Schulebene
ment wird von dem Apotheker mit einem zehnfachen Auf-
schlag auf die Produktionskosten verkauft. Heinz bekommt Über das Schulprogramm legt eine Schule ihr Leitbild fest.
lediglich die Hälfte des Kaufpreises zusammen, der Apo- Oftmals werden auch Schwerpunkte gesetzt wie z. B. im Fall
theker besteht jedoch weiterhin auf seinem angesetzten einer sogenannten Gesundheitsfördernden Schule. Der
Preis. Heinz steht vor dem Dilemma, ob er das Medika- Aspekt der Gesundheitsförderung wird dabei als integrativer
ment stehlen soll oder nicht. Kohlberg verwendete unter Bestandteil des Schulalltags aufgefasst, der in unterschiedlichen
anderem dieses Dilemma zur Kategorisierung von Personen Kontexten kontinuierlich aufgegriffen wird. Gesundheits-
in seinem moralischen Stufenmodell. Dabei interessierten förderung wird dabei zum Bestandteil der Schulentwicklung,
ihn vor allem die Beweggründe und Begründungen für eine um prinzipiell den gesamten Lern- und Lebensraum Schule
entsprechende Entscheidung. In der Dilemmadiskussion gesundheitsförderlich zu gestalten. Neben den Schülern
setzt sich die Klasse mit einem solchen Dilemma aus- werden auch die Lehrer, das nicht lehrende Personal sowie die
einander. In der Diskussion werden die Schüler besonders Eltern einbezogen. Die Maßnahmen können strukturelle Ver-
angehalten, möglichst genaue Begründungen für ihren änderungen (wie eine Veränderung der Schulhofgestaltung)
Standpunkt zu liefern. Unterschiedliche Vorschläge zum und verhaltensbezogene Maßnahmen (wie Etablierung von
konkreten Vorgehen liegen vor (z. B. Blatt und Kohlberg Entspannungsmöglichkeiten in den Schulalltag) umfassen und
1975; Lind 2015). Eine Metaanalyse von Schläfli et al. (1985) sich an alle Personen richten, die am Alltagsleben in der Schule
deutet auf positive Effekte eines solchen Ansatzes hin. beteiligt sind. Durch den zielgruppenübergreifenden und
Daneben gibt es eine Reihe spezifischer Programme, die kontinuierlichen Charakter der Maßnahmen soll eine stärkere
im schulischen Setting durchgeführt werden können. Einige Beständigkeit der Maßnahmenwirkung erreicht werden
von ihnen, wie beispielsweise das Stresspräventionstraining (Lohaus und Domsch 2008).
SNAKE (Beyer und Lohaus 2018), wurden bereits benannt Die Einbindung von Schülern kann beispielsweise
(7 Exkurs „Stress nicht als Katastrophe erleben – SNAKE“). auch durch die schulübergreifende Implementierung eines
Der schulische Kontext wird gerne für solche Programme ­ treitschlichter-Projekts (Jefferys-Duden 2008) erreicht
S
genutzt, da eine hohe Erreichbarkeit der Kinder und werden. Hierbei werden einige Schüler als Streitschlichter
Jugendlichen gewährleistet ist. Dies ist besonders bei eingesetzt, die bei Konflikten hinzugezogen werden
primärpräventiven Programmen sinnvoll. Neben der können. Einen zielgruppenübergreifenden Ansatz ver-
guten Erreichbarkeit ist zudem hervorzuheben, dass eine folgen auch Konzepte zur Reduktion von Aggression und
Implementierung im schulischen Setting mit Einbeziehung Gewalt in der Schule (7 Kap. 12). So umfasst das Gewaltprä-
von Lehrern vor allem auch Vorteile für die Nachhaltigkeit ventionsprogramm von Olweus (1991) Maßnahmen auf
eines Programms bringt. Interventionen können somit in a) der Schulebene,
den Schulalltag integriert werden, was sowohl den Transfer b) der Klassenebene und
als auch die zeitliche Generalisierung unterstützt. c) der individuellen Ebene.
440 A. Lohaus und H. Domsch

Auf der Schulebene werden beispielsweise Maßnah­ Maßnahmeneinsatz stattfindet, bevor überhaupt Probleme
menpakete zur Gewaltreduktion beschlossen, die alle Ebenen aufgetreten sind. So ist es nicht verwunderlich, dass sich
des Schulalltags umfassen können und an denen alle Akteure in Metaanalysen die mittleren Effektstärken primär-
im Schulbetrieb partizipieren. Auf der Klassenebene werden präventiver Programme auf einem deutlich niedrigeren
Regeln und Konsequenzen bei Nichtbeachtung verein- Niveau bewegten, als dies bei sekundärpräventiven
bart. Auch ein verstärkter Einsatz von kooperativen Lern- Programmen der Fall war (s. Pinquart und Silbereisen
methoden kann zu den Maßnahmen auf der Klassenebene 2004). Hinzu kommt, dass Follow-up-Erhebungen ver-
gehören. Auf der individuellen Ebene werden spezifische gleichsweise selten durchgeführt werden, sodass unklar ist,
Maßnahmen für Täter und Opfer von aggressiven Aktionen über welche Zeiträume gefundene Effekte stabil bleiben.
festgelegt (z. B. angemessene Strafen, Gespräche mit den Weiterhin werden in Evaluationsstudien häufig unter-
Eltern, Suche nach Unterstützungsmaßnahmen für die Opfer schiedliche Evaluationsmaße eingesetzt, wodurch die
von Gewalthandlungen etc.). Auch hier handelt es sich um Vergleichbarkeit stark eingeschränkt wird.
ein Schulentwicklungsprogramm, das jedoch stärker auf eine Dass die Wahl des Evaluationsmaßes einen entscheidenden
spezifische Problematik bezogen ist. Einfluss auf die Ergebnisse hat, wird schnell deutlich, wenn
man den Zugewinn an Wissen als Effektmaß betrachtet. Wenn
beispielsweise eine primärpräventive Maßnahme zu einem
18.3.3  Maßnahmen auf makrosozialen Themenbereich wie Depression oder Stress über mehrere
Ebenen Trainingssitzungen hinweg mit Kindern oder Jugendlichen
durchgeführt wird, wäre es eher verwunderlich, wenn kein
Durch den Aufbau gesundheitsförderlicher Netzwerke Wissenszuwachs einträte. Wenn dies als primäres Ergebnismaß
können auch Adressaten auf kommunaler Ebene einbezogen verwendet wird, ist es dementsprechend wahrscheinlich, dass
werden (wie Beratungseinrichtungen etc.). Zudem kann sich auch im primärpräventiven Bereich Programmeffekte
beispielsweise durch eine stärkere Stadtteilarbeit (Öffnung nachweisen lassen. Dies gilt insbesondere für universell aus-
der Schule im Nachmittagsbereich, gemeinsame Feste, gerichtete primärpräventive Programme, da hier der Nachweis
Aufführungen, Sprachkurse für Eltern etc.) die stadtteil- von Verhaltensänderungen voraussetzt, dass eine relevante
bezogene Einbindung einer Schule erhöht und so Schwer- Prävalenzrate von problematischen Verhaltensweisen vor dem
punkte wie die Förderung psychosozialer Kompetenzen Maßnahmeneinsatz existierte. Es überrascht daher nicht, dass
verfolgt werden. viele primärpräventive Maßnahmen eher auf vergleichsweise
Darüber hinaus sind unterschiedliche Ansätze unter Ein- „weiche“ Evaluationsmaße (wie Wissens- oder Einstellungs-
beziehung von Medien zu benennen. In Australien wurde änderungen) setzen, wobei unklar bleibt, inwieweit dadurch
beispielsweise im Rahmen des Triple-P-Ansatzes über das auch Veränderungen bei den angezielten Problemen erreicht
Fernsehen eine Erziehungskampagne ausgestrahlt (Sanders werden.
1999). Neben der Informationsweitergabe wurde damit auch Wünschenswert wäre es, die Effekte von primär-
das Ziel verfolgt, die Schwelle zur Teilnahme an Eltern- präventiven Maßnahmen über längere Zeiträume hinweg
trainings zu senken. Mittlerweile liefert auch das Internet zu betrachten, um so den Nachweis führen zu können,
eine Fülle an Informationen und bietet Beratungsangebote. dass dadurch problematisches Verhalten bis hin zu klinisch
Auf der einen Seite stellt sich dabei das Problem, dass die relevanten Störungen reduziert wird. Wenn sich belegen
Informationsquelle oftmals nicht eindeutig ist und auch ließe, dass durch frühzeitige primärpräventive Maßnahmen
falsche Informationen zu finden sind. Auf der anderen Seite längerfristig psychosoziale Probleme und die damit häufig
ergeben sich eine niedrigschwellige Informationsweitergabe verbundenen vergleichsweise teuren sekundärpräventiven
und die Möglichkeit zu einer anonymen Beratung. Dies Maßnahmen verhindert werden können, könnte die Bereit-
18 ist vor allem bei Themen, die von Jugendlichen als pein- schaft steigen, stärker in diesen Maßnahmenbereich zu
lich besetzt bewertet werden (z. B. Probleme in der Sexuali- investieren.
tät), von besonderem Vorteil. Schließlich finden sich im
Internet auch Lernmodule, die ein schrittweises Erarbeiten
eines Themenbereichs erlauben. Ein Beispiel hierfür stellt 18.5  Maßnahmen zur Optimierung von
das Internetmodul des Stresspräventionstrainings SNAKE Programmeffekten
(Beyer und Lohaus 2018; s. oben) dar.
Einen wichtigen Stellenwert bei der Optimierung von
Programmeffekten hat die Qualität der Implementation
18.4  Evaluation der Effekte von einer präventiven Maßnahme. Es ist sinnvoll, bei der
Programmen zur Förderung Implementation einer Maßnahme neben der summativen
psychosozialer Kompetenzen Evaluation der Programmeffekte auch eine formative
Evaluation vorzusehen, mit der die Implementations-
Ein zentrales Problem bei der Evaluation primär- qualität überwacht werden kann (z. B. durch Teilnehmer-
präventiver Maßnahmen ist darin zu sehen, dass es vielfach befragungen, Videoaufzeichnungen des Trainerverhaltens
schwierig ist, Programmeffekte nachzuweisen, wenn ein etc.). Vor allem, wenn eine kontinuierliche Überprüfung
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
441 18
der Prozessqualität stattfindet (durch Supervision etc.),
kann eine gleichbleibende Programmqualität gewährleistet auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die
werden. Aus den kontinuierlichen Prozessanalysen lassen Schulleistungen und letztendlich die psychische und
sich in der Regel auch Hinweise auf Verbesserungsmöglich- körperliche Gesundheit. Der Förderung psychosozialer
keiten ableiten. Kompetenzen kommt damit ein wichtiger Stellenwert
Des Weiteren ist der Frage nachzugehen, welche zu. Während in den USA durch große Programme wie
Merkmale erfolgreiche Programme aufweisen. Durlak z. B. das Head Start Programm (McKey et al. 1985) die
et al. (2010) benennen vier Eigenschaften, die Programme Diskussion und Forschung bezüglich einer frühen
zur Verbesserung sozialer Fähigkeiten erfüllen sollten: Förderung größere Ausmaße angenommen hat, werden
sequenziell, aktiv, fokussiert und explizit (SAFE). in Deutschland vergleichsweise kleinere Projekte
5 sequenziell: Programminhalte müssen schrittweise ver- durchgeführt. Wie das Kapitel aufzeigt, liegt auf der
mittelt werden und dabei aufeinander aufbauen. anderen Seite eine Vielzahl von universell, indiziert und
5 aktiv: Kinder und Jugendliche lernen besonders gut selektiv ausgerichteten präventiven Maßnahmen für
durch Ausprobieren und Handeln. Nach einem Input das Kindes- und Jugendalter vor, die sich entweder an
sollte daher immer auch die Möglichkeit des Aus- die Betroffenen selbst oder das soziale Umfeld richten.
probierens gegeben sein. Gerade beim Erlernen sozialer Zudem liegen im pädagogisch-psychologischen Bereich
Kompetenzen sind Rückmeldungen über das konkrete weitere Methoden und Maßnahmen vor, die sich in den
Verhalten und ggf. die Möglichkeit, durch erneutes Aus- Schulalltag integrieren lassen. Wünschenswert wäre,
probieren Erfolge zu sichern, besonders wichtig. dass einzelne Programme nicht punktuell und losgelöst
5 fokussiert: Den einzelnen Trainingsschritten muss aus- von anderen Maßnahmen durchgeführt werden,
reichend Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet werden – sondern die Förderung psychosozialer Kompetenzen
die Dosierung muss stimmen. beispielsweise als selbstverständlicher Bestandteil des
5 explizit: Die Ziele des Programms sollen möglichst gesamten schulischen Lernens angesehen und gelebt
genau formuliert und zudem transparent sein. Dies wird.
schafft Einigkeit und Transparenz bei allen Beteiligten,
welche Ziele durch die Maßnahme verfolgt werden.
? Verständnisfragen
Die Autoren weisen in einer Metaanalyse nach, dass 1. Welche Typen von Trainingsansätzen lassen sich
Programme mit diesen Merkmalen tendenziell höhere im Bereich sozialer Kompetenzen voneinander
Effektstärken aufweisen. unterscheiden?
Es lässt sich weiterhin konstatieren, dass es zur 2. Welches sind die Unterschiede zwischen
Optimierung von Programmeffekten sinnvoll ist, universellen, indizierten und selektiven
Einzelmaßnahmen in größeren Kontexten zu verankern, Präventionsmaßnahmen?
um dadurch die Effekte zu stabilisieren. Dazu können bei- 3. Wodurch ist gegründet, dass die Effektstärken bei
spielsweise Auffrischungssitzungen in gewissen Zeit- primärpräventiven Programmen häufig geringer sind
abständen gehören, um an zentrale Programmbotschaften als bei sekundärpräventiven Programmen?
zu erinnern. Dazu kann auch gehören, Einzelmaßnahmen 4. Welche Interventionsebenen lassen sich bei
in Kontexte wie Schulentwicklungsprojekte zu integrieren,
dem Triple P Programm als Elternprogramm
um dadurch einen größeren Einbindungskontext zu unterscheiden?
schaffen. So könnte beispielsweise ein Problemlöseansatz als 5. Wie könnte man vorgehen, wenn man die Moralent-
Bestandteil eines Stressbewältigungsprogramms vermittelt wicklung von Schülern fördern möchte?
werden, der danach dann in unterschiedlichen Unter-
richtskontexten wieder aufgegriffen wird (z. B. zur Lösung Vertiefende Literatur
mathematischer oder biologischer Problemstellungen). 5 Lohaus, A., & Domsch, H. (2009). Psychologische Förder- und
Zudem erweisen sich Trainingsansätze, die nicht nur die Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter.
Kinder und Jugendlichen selbst fokussieren, sondern auch Heidelberg: Springer.
ihre Bezugspersonen (Eltern, Lehrer, Peers) einbinden,
oftmals als erfolgswahrscheinlicher.
Literatur

Fazit Amato, P. R. (2001). Children of divorce in 1990s: An update of


Angemessene psychosoziale Kompetenzen stellen eine the Amato and Keith (1991) meta-analysis. Journal of Family
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E1

Erratum zu: Familie


Elke Wild und Sabine Walper

Die korrigierte Version des Kapitels ist verfügbar unter 7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_10

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021


E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_19
E2 E. Wild und S. Walper

Erratum zu:
Kapitel 10 in: E. Wild und J. Möller (Hrsg.),
Pädagogische Psychologie,
7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_10

In der zuerst veröffentlichten Fassung dieses Buches gab es


einige Fehler in diesem Kapitel. Dies wurde nachträglich
verbessert.


445

Serviceteil
Glossar – 447

Stichwortverzeichnis – 455

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020


E. Wild und J. Möller (Hrsg Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7
447

Glossar
Karteikarten zum Trainieren der Glossarbegriffe und der englischen Beratung pädagogisch-psychologische (counseling, educational
Übersetzungen finden Sie auf der Website zum Lehrbuch unter psychological) Meist kurzfristige angelegte und prinzipiell freiwillige
7 http://www.lehrbuch-psychologie.springer.com. Beziehung, in der Berater vorwiegend mittels sprachlicher Interaktion
und unter Rückgriff auf pädagogisch-psychologisches Wissen ver-
Aktive Lernzeit (active learning time) Das Konzept der aktiven Lern- suchen, Personen oder Gruppen von Personen aus dem erzieherischen
zeit ist eng mit dem Konzept der Klassenführung verbunden. Um die in Feld in die Lage zu versetzen, ihr Problem zu lösen, um Entwicklungs-
formalen ­Lehr-Lehr-Settings anberaumte Zeit (z. B. eine Klassenstunde) prozesse zu optimieren.
möglichst vollständig für eine aktive Auseinandersetzung mit Lern-
inhalten nutzen zu können, müssen Lehrende vorausschauend handeln Bezugsgruppeneffekt (reference group effect) ­­Big-Fish-Little-Pond-E
und durch die Organisation und Strukturierung des Unterrichts dafür ffekt
sorgen, dass die zur Verfügung stehende Lernzeit optimal genutzt wird.
Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Big-Fish-Little-Pond-Effect) Der BFLPE
Allgemeines pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge) Wissen beschreibt die negativen Auswirkungen der Leistungsstärke einer
über die Schaffung und Optimierung von Lehr-Lern-Situationen sowie Bezugsgruppe (z. B. Schulklasse) auf das Selbstkonzept einzelner
entwicklungspsychologisches und pädagogisch-psychologisches Schüler: Danach hat von zwei Schülern identischer Leistungsstärke mit
Grundwissen. einiger Wahrscheinlichkeit derjenige ein höheres Selbstkonzept, der sich
in der leistungsschwächeren Klasse befindet.
Angebots-Nutzungs-Modell (Model of the uptake of learning
opportunities) Dem Angebots-Nutzungs-Modell liegt die Auffassung Bildungssystem (educational system) Das Bildungssystem bezeichnet
zugrunde, dass Bildungsangebote Lerngelegenheiten darstellen, die das Gefüge aller schulischen Einrichtungen und Möglichkeiten des
von den Lernenden – in teilweise unterschiedlicher Weise – wahr- Erwerbs von Bildung in einem Staat. Es umfasst das Schulsystem als
genommen und genutzt wird. Das Modell drückt auch aus, dass den solches, seine angegliederten Bereiche, das Hochschulwesen und
Eingangsvoraussetzungen der Lerner (z. B. ihre Motivation, die die den Bereich der persönlichen Weiterbildung. Im Schulsystem werden
Wahrnehmung, Nutzung und Verarbeitung der Lernangebote durch die Qualifikationen erworben und bescheinigt, die für die berufliche Lauf-
Lernenden steuert) eine wichtige moderierende Funktion im Lehr- und bahn von Personen entscheidend sind. Es hat neben der Selektions-
Lernprozess zukommt. Neben schulischen Bildungsangeboten (Unter- funktion auch die Aufgabe, Chancengerechtigkeit herzustellen: Alle
richt), die im Zentrum des Modells stehen, berücksichtigt das Modell Mitglieder einer Gesellschaft sollen gerechte Bildungschancen erhalten
auch außerunterrichtliche und außerschulische Einflussfaktoren. unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft, ihrem
Geschlecht oder anderen Personenmerkmalen.
Appraisals (appraisals) Kognitive Bewertungsprozesse von
Anforderungssituationen, die unterschiedliche Emotionen hervorrufen Bindung Dieser Begriff bezieht sich zunächst auf die Interaktions-
und Handlungsweisen begründen. erfahrungen von Kindern in den ersten Lebensmonaten. Je nachdem,
wie prompt und feinfühlig (responsiv) die primären Bezugspersonen
Armut (poverty) Im engeren Sinne ist arm, wer nicht über genügend auf kindliche Signale reagieren, entwickelt sich eine sichere, unsichere,
Mittel zum physischen Überleben verfügt. Psychologisch entscheidend ambivalente oder diffuse Bindung. Aus bindungstheoretischer
und hierzulande relevant ist jedoch die relative ökonomische Sicht werden diese Beziehungserfahrungen als internale Arbeits-
Deprivation. Relative Armut bezieht sich auf die relative Einkommens- modelle gespeichert und prägen damit die Gestaltung nachfolgender
armut, auch relatives Armutsrisiko genannt, bei der das mittlere Ein- Beziehungen.
kommen einer betrachteten Gesellschaft die Referenzgröße darstellt.
Bullying (bullying) Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten
Basking in Reflected Glory (basking in reflected glory) „Sich im Glanze gefasst, bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt und über
anderer zu sonnen“ meint hier die Erhöhung des Selbstkonzepts durch einen längeren Zeitraum den schädigenden Handlungen von (einer
die Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken und prestigeträchtigen Gruppe von) Mitschülern ausgesetzt ist. Kennzeichnend ist dabei ein
Bezugsgruppe (z. B. Schulform). Ungleichgewicht der (physischen oder psychischen oder sozialen) Kräfte
von Täter/n und Opfer. Es werden in der Literatur drei Arten von Bullying
Beanspruchung (stress) Individuelle Reaktionen auf Belastungen; unterschieden: physisches, verbales und relationales Bullying.
unterschieden werden kann zwischen kurzfristigen Beanspruchungs-
reaktionen (z. B. positives/negatives Empfinden, verminderte Burnout (burnout) Der Begriff beschreibt ein psychologisches
Konzentration) und langfristigen Beanspruchungsfolgen (chronischer Syndrom, das meist in Folge langfristiger Beanspruchung auftritt. Es ist
Stress, Burnout). gekennzeichnet durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung
und ein Gefühl verminderter Leistungsfähigkeit.
Behavioristische Theorien (behaviorist learning theories) Waren
in den 1970er Jahren verbreitet und akzeptieren nur Aussagen über Chunking (chunking) Prozess des Bildens Bedeutung tragender
beobachtbares Verhalten als wissenschaftlich (Psychologie als Ver- Informationseinheiten im Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis, mit dessen
haltenswissenschaft). Intrapsychische (z. B. kognitive) Vorgänge werden Hilfe erklärt werden kann, weshalb Menschen trotz vergleichbarer
aus der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen. Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern können.

Belastungen (strain) Berufsbezogene und andere Umweltfaktoren, Clique (clique) Cliquen sind soziale Netzwerke, in die bestimmte
die auf eine Person einwirken. Unterschieden wird zwischen objektiven Personen eingebunden und von denen andere ausgeschlossen
Belastungen (wie z. B. Lärm als psychophysiologisch nachweisbare sind. Sie werden einerseits definiert über ihre Größe (typischerweise
Belastungsquelle) und subjektiven Belastungen (wie z. B. die individuelle 3–9 Personen) und andererseits darüber, dass ihre Mitglieder in der
Wahrnehmung und Interpretation von Arbeitsplatzbedingungen oder Regel untereinander befreundet sind.
finanziellen Härten).
448 Glossar

Cognitive-Load-Theorie (cognitive load theory) Betont vor allem die legende Sachverhalte (z. B. Prinzip des Unterdrucks) nicht präsentiert
Begrenztheit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses und begründet bekommen sondern sich selbst erarbeiten. Die Funktion des Lehrenden
instruktionale Maßnahmen (z. B. integrierte Darbietung von Bildern ist es, passende Materialien bereitzustellen und – je nach Ansatz – den
und Texten, Vorgabe von Lösungsbeispielen), durch die einerseits eine Entdeckungsprozess zu begleiten bzw. zu strukturieren.
unnötige Arbeitsgedächtnisbelastung minimiert und andererseits eine
fokussierte Informationsverarbeitung erleichtert wird. Epistemologische Überzeugungen (epistemological
beliefs) Subjektive Vorstellungen über die Beschaffenheit (d. h.
Constructivist View (constructivist view) Nach konstruktivistischem Objektivität, Richtigkeit oder Aussagekraft) von Wissen. Sie beeinflussen
Verständnis wird in der sozialen Interaktion zwischen Lernenden und Informationsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation und Lern-
Lehrenden geteiltes Wissen im gemeinsamen Diskurs mit Lehrenden leistung.
und Lernenden aufgebaut. Lernen ist demnach grundsätzlich als Ergeb-
nis von Ko-Konstruktionsprozessen zu verstehen, in deren Rahmen auch Erwartungseffekt (expectancy effect) Bezogen auf Unterrichtsprozesse
(implizite) Werte, Normen und Handlungsroutinen weitergegeben bzw. bezeichnet der Begriff ein Phänomen, bei dem eine Lehrkraft bestimmte
modifiziert werden. Überzeugungen über das Potenzial eines Schülers hat, und allein diese
Erwartungen dazu beitragen, dass sich der Schüler so verhält oder
Curriculares Wissen (curricular knowledge) Wissen über die in Lehr- Leistungen zeigt, wie die Lehrkraft es erwartet hat; vgl. Pygmalioneffekt.
plänen festgehaltene Anordnung von Inhalten und Lehrmaterialien.
Erwartungs-Wert-Modell (Expectancy-Value Model of
Deklaratives Wissen (declarative knowledge) Entspricht in etwa Motivation) Motivationspsychologisches Modell zur Erklärung
dem Begriff des „Faktenwissens“ im deutschen Sprachgebrauch – in leistungsbezogener Entscheidungsprozesse und Verhaltensweisen. Als
Abgrenzung zum Können (Beherrschung von Fertigkeiten), welches in zentrale Determinanten werden die subjektive Erfolgserwartung („Kann
der Psychologie als prozedurales Wissen bezeichnet wird. Deklaratives ich dieses Ziel erreichen?“) und der subjektive Wert des Handlungs-
Wissen kann sich auf „Wissen, dass“ über einzelne Fakten, aber auch ergebnisses („Ist mir das Ziel wichtig?“) angenommen.
über komplexe Zusammenhänge (z. B. Verständnis des Zusammenspiels
von ökologischen Faktoren) beziehen. Erziehung (education) Zielt auf eine Förderung der psychischen Ent-
wicklung Heranwachsender sowie die intergenerationale Transmission
Diagnostische Kompetenz (diagnostic competence) Hebt darauf von gesellschaftlich als relevant erachteten Wissensbeständen, Werten
ab, inwiefern Fachkräfte in der Lage sind, individuelle Lernstände (z. B. und Normen ab. Erziehungsziele und − praktiken variieren daher inter-
aktuelle Lesekompetenzen) und Lernvoraussetzungen (z. B. Wortschatz, kulturell und unterliegen historischen Wandlungsprozessen. Auch
Lesemotivation) korrekt (d. h. objektiv, reliabel und valide) einzu- wird in gängigen Definitionen der Selbsttätigkeit der zu Erziehenden
schätzen. Rechnung getragen, indem Erziehung immer nur als (absichtsvolles)
„Versuchshandeln“ charakterisiert wird.
Diagnostische Strategien (diagnostic strategies) Stellen je nach Frage-
stellung variierende methodische Vorgehensweisen im diagnostischen Erziehungsberatungsstellen (child guidance center) Die institutionelle
Prozess dar. Unterschieden wird zwischen Status- vs. Prozessdiagnostik; Erziehungsberatung obliegt dem achten Sozialgesetzbuch der Kinder-
normorientierte vs. kriteriumsorientierte Diagnostik und Modifikations- und Jugendhilfe. Es wird – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – meist
vs. Selektionsdiagnostik. von Erziehungsberatungsstellen in freier Trägerschaft (z. B. Diakonie,
AWO) geleistet. Um den vielfältigen Anlässen gerecht werden zu
Diagnostischer Prozess (diagnostic process) Begründete können, arbeiten in der Regel Fachkräfte mit unterschiedlicher
Zuschreibung eines Attributs oder einer Eigenschaft zu einer Expertise (z. B. Ärzte, Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter) im
bestimmten Beobachtungseinheit (z. B. einer Person, Gruppe oder Team zusammen (vgl. Interdisziplinarität). Die Inanspruchnahme der
Institution). Beratungsangebote ist grundsätzlich freiwillig und kostenlos.

Dimensionale Vergleiche (dimensional comparisons) Vergleiche der Explorations- und Neugierverhalten (exploring and inquisitive
Leistungsfähigkeit einer Person in einem Fach mit der Leistungsfähig- behavior) Kann sowohl bei Menschen als auch Tieren beobachtet
keit derselben Person in einem anderen Fach. werden und richtet sich auf die Erkundung neuer bzw. unbekannter
Umweltbereiche.
Effektstärke (effect size) Statistisches Maß, das aufzeigt, inwiefern
Unterschiede zwischen Populationen, Korrelationen, Prozentwert- Fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge) Wissen
differenzen o. Ä. nicht nur statistisch, sondern auch praktisch bedeut- darüber, wie fachliche Inhalte durch Instruktion vermittelt werden
sam sind. können.

Emotionale Intelligenz (emotional intelligence) Bezeichnet die Fähig- Fachwissen (content knowledge) Wissen über den zu unterrichtenden
keit, eigene Emotionen und die anderer wahrnehmen, verstehen und (Schul-)Stoff.
im Handlungsvollzug integrieren sowie eigene Emotionen sinnvoll
regulieren zu können. Familie (family) Gruppe von Menschen, die durch nahe und dauer-
hafte Beziehungen miteinander verbunden sind und (perspektivisch)
Emotionen (emotions) Mehrdimensionales Konstrukt, besteht aus einen erzieherischen/sozialisatorischen Kontext für die Entwicklung von
affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und motivationalen Kindern und Jugendlichen bereitstellt.
Komponenten.
Feedback (feedback) Rückmeldung, die den Lernenden über die
Emotionsregulation (emotion regulation) Zielgerichtete, bewusste Richtigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung im Anschluss
oder unbewusste Aktivitäten zur Aufrechterhaltung, Steigerung oder an eine bearbeitete Aufgabenstellung informiert oder die dem
Senkung der eigenen Emotionen oder der anderer Menschen. Lernenden inhaltliche und/oder strategische Informationen zu dessen
Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Rückmeldungen können
Entdeckendes Lernen (discovery learning) Hinter diesem didaktischen informativ sein (d. h. sachliche Informationen über Lücken und Ver-
Ansatz steht die Vorstellung, dass ein tieferes Verständnis erreicht und besserungsmöglichkeiten beinhalten) und Bewertungen enthalten,
das eigenständige Problemlösen gefördert wird, wenn Lernende grund- die je nach herangezogener Bezugsnorm (z. B. individuell vs. sozial)
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Glossar

divergieren und damit auch in unterschiedlichem Maß motivierend sein mittagsbetreuung der Ganztagsschule) findet jedoch informelles Lernen
können. statt.

Flow (flow) Positives emotionales Erleben, wenn man in der Inhaltliche Klarheit (content clarity) Unterricht, in dem die inhaltlichen
Bearbeitung einer Aufgabe völlig aufgeht. Vertreter des Flow-Ansatzes Aspekte des Unterrichtsgegenstands sprachlich prägnant und verständ-
postulieren, dass Flow eine optimale Erlebensqualität darstellt, die lich, fachlich korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt und/oder ent-
Höchstleistungen begünstigt. wickelt werden. Dabei übernehmen variantenreiche Erklärungen und
Erläuterungen, die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unter-
Fremdwahrnehmungen (external perceptions) Einschätzungen schieden in Konzepten sowie die Verwendung und Verbindung unter-
anderer Personen (Eltern, Lehrer, Mitschüler) bezüglich der Eigen- schiedlicher Repräsentationsformen eine wichtige verständnisfördernde
schaften einer Person (eines Schülers, Elternteils etc.). Funktion.

Gruppe (group) Unter einer sozialen Gruppe versteht man zwei oder Intelligenz (intelligence) Fähigkeit eines Menschen zur Anpassung an
mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als auch von sich neuartige Bedingungen und zur Lösung neuer Probleme auf der Grund-
selbst als zu derselben Kategorie gehörig wahrgenommen werden: lage vorangehender Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext.
Die Mitglieder wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit (kognitive
Komponente) und dieses Wissen geht mit einer positiven oder Intelligenzforschung (intelligence research) Forschungsrichtung der
negativen Bewertung (evaluative Komponente) sowie positiven bzw. Psychologie, in der vor allem thematisiert wird, wie sich Personen rasch
negativen Gefühlen (emotionale Komponente) einher. mit neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fähigkeiten sie
bezüglich intellektueller Operationen wie Analysieren, Synthetisieren,
Handlungsphasenmodell (Rubicon Model of Action Phases) Hand- Generalisieren, Induzieren, Deduzieren, Abduzieren oder Abstrahieren
lungsphasenmodelle (wie das Rubikon-Modell von Heinz Heckhausen besitzen.
und Peter M. Gollwitzer) unterteilen eine Handlung in unterschiedliche
Phasen mit jeweils unterschiedlichen motivationalen und volitionalen Intelligenzmodelle (models of intelligence) Globale Intelligenz-
Prozessen. Meist wird zwischen (mindestens) einer Phase vor der Hand- modelle sehen Intelligenz als ganzheitliche und homogene Fähigkeit a.
lung (präaktional), während der Handlung (aktional) und nach der Hand- Hierarchische Intelligenzmodelle nehmen eine hierarchische Ordnung
lung (postaktional) unterschieden. von Intelligenzkomponenten an. Auf der obersten Ebene steht der
Generalfaktor „g“, der die allgemeine Intelligenz erfasst und in Teil-
Homophilie (homophily) Homophilie bezeichnet das Phänomen, komponenten aufgespaltet wird.
dass Kontakt zwischen ähnlichen Personen wahrscheinlicher ist als
Kontakt zwischen unähnlichen Personen. „Gruppenhomophilie“ Interdisziplinarität (interdisciplinarity) Bezeichnet die Bearbeitung
bedeutet, dass Mitglieder einer Gruppe einander ähnlicher sind als von Inhalten aus verschiedenen Disziplinen mit ihren je eigenen
­Nicht-Gruppenmitglieder, „Freundschaftshomophilie“ bedeutet, dass theoretischen Perspektiven und forschungsmethodischen Zugängen.
Menschen auch ihre Freunde vorzugsweise unter solchen Personen Im Kinder- und Jugendhilfebereich ist das Grundprinzip der Zusammen-
wählen, die ihnen selbst auf relevanten Merkmalen ähnlich sind. arbeit zwischen den unterschiedlichsten fachlichen Richtungen unter
dem Begriff der „Komplexleistung“ im Sozialgesetzbuch (SGB IX) recht-
Hypermedia (hypermedia) Verschiedene Medien werden über analoge lich verankert.
oder elektronische Verknüpfungen miteinander in Beziehung gesetzt.
Intervention (intervention) Intervention (lat. dazwischentreten, sich
Hypertext (hypertext) Hierbei handelt es sich um Texte, die in nicht- einschalten) steht im Kontext der Pädagogischen Psychologie für das
linearer Form (meist über elektronische Verknüpfungen, sog. Hyperlinks) direkte Eingreifen in ein Geschehen, um ein unerwünschtes Phänomen
miteinander verbunden sind. zu beseitigen oder gar nicht erst entstehen zu lassen (z. B. Trainings-
interventionen).
I/E-Modell (Internal External Frame of Reference Model) Das
­Internal-External-Frame-of-Reference-Modell beschreibt die Effekte Kanaltreue (channel loyalty) Bindung eines Medienrezipienten an ein
sozialer und dimensionaler Vergleiche auf fachbezogene Selbst- institutionalisiertes Informationsangebot wie z. B. eine Tageszeitung,
konzepte. einen Fernseh- oder Radiosender.

Implementation (implementation) Umsetzung von Prinzipien Klassenführung (classroom management) Unter dem Begriff der
oder Programmen in einen konkreten Kontext. Das Konzept der Klassenführung werden verschiedene Unterrichtsmerkmale gebündelt.
Implementation ist eng mit dem Transferbegriff verbunden. In der Zentral ist, dass Lernumgebungen so gestaltet werden, dass Lernen
Pädagogischen Psychologie ist wichtig, dass es sich dabei immer um störungsarm abläuft, die vorgegebene Lernzeit maximal ausgeschöpft
einen Transfer – beispielsweise von grundlagenwissenschaftlichen wird und die Lehrenden die Lernprozesse optimal begleiten und unter-
Erkenntnissen (Lern- oder Motivationstheorien) oder Trainings- stützen.
programmen – in einen Anwendungskontext wie z. B. schulischen
Unterricht handelt. Klumpenstichprobe (cluster sampling) Stichprobe, die aus mehreren
zufällig ausgewählten Teilmengen der Zielpopulation (z. B. mehrere
Informationsverarbeitungstheorie (information processing Schulen oder Schulklassen) besteht.
theory) Wissenschaftstheoretische Sichtweise, die (vor allem kognitive)
menschliche Prozesse als Informationsverarbeitungsprozesse inter- Kodalität (codality) Informationen können in unterschiedlicher
pretiert. Wichtige Gegenstandsbereiche sind die Repräsentation und Zeichenform repräsentiert werden, indem man analoge (z. B. Bilder,
Organisation von Wissen und Gedächtnis sowie die Prozesse, die sich lautmalerische Töne) oder abstrakte Zeichen (z. B. Buchstaben, Sprach-
auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden von Wissen beziehen. laute) verwendet.

Informelles Lernen (informal learning) Lernprozesse, die nicht Kognitive Aktivierung (cognitive activation) In Abgrenzung zu hand-
absichtlich herbeigeführt werden und vornehmlich außerhalb lungsorientierten Konzepten wird betont, dass der Wissenserwerb
formaler Bildungsinstitutionen (z. B. in der Familie) erfolgen. Auch in nicht von der sichtbaren Aktivität des Lerners (z. B. Experimentieren
institutionellen Bildungseinrichtungen (z. B. in der Pause, in der Nach- im Schülerlabor) abhängt sondern von dem Grad, indem er im Unter-
450 Glossar

richt zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bewertung eigener Tüchtigkeit vor dem Hintergrund des Gütemaßstabs
motiviert wird. Zur kognitiven Aktivierung der Lernenden kann die bildet den Anreiz der leistungsmotivierten Zielverfolgung.
Lehrperson beitragen, indem sie herausfordernde Aufgaben und Fragen
stellt, kognitive Widersprüche und Konflikte „provoziert“ und das Vor- Leistungszielorientierung (achievement goal
wissen und die Konzepte der Lernenden einbezieht. orientation) Motivationale Tendenz, eigene Stärken zu demonstrieren
bzw. eigene Schwächen zu verbergen. Das Leistungsverhalten wird vor-
Kompetenz (competence) Bereichsspezifische Fähigkeiten und nehmlich durch den Vergleich mit anderen bestimmt.
Fertigkeiten, Wissen und Strategien, die notwendig sind, um mit
Anforderungen eines Bereichs erfolgreich umgehen zu können. Bei Ver- Lernbegleitung (learning support) Die Qualität der Interaktion
gleichsstudien stehen Kompetenzen im Blickpunkt: Vergleichsstudien zwischen Lehrenden und Lernenden in der Begleitung, Unterstützung
erfassen bereichsspezifische Kompetenzen (z. B. Lesekompetenz) und und Rückmeldung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb einer
bereichsübergreifende Kompetenzen (z. B. Lernstrategien, Problem- Klassengemeinschaft sind Kennzeichen einer Lernbegleitung im Unter-
lösen). Aus den Antworten auf die Testfragen (Testleistung oder Per- richt. Ziel einer Lernbegleitung im Unterricht ist es, die Schüler zu einer
formanz) zu einem bestimmten Teilgebiet wird die Kompetenz in möglichst lang andauernden und intensiven Auseinandersetzung mit
diesem Bereich erschlossen. Lerninhalten anzuregen.

Kooperatives Lernen (cooperative learning) Bezeichnet die Lernen aus Lösungsbeispielen (learning from worked-out
Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen (einschließlich examples) Bezeichnet üblicherweise nicht (!) das Lernen mit Lösungs-
Tandems), um Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht (alleine) beispielen im traditionellen Unterricht oder in typischen Lehrbüchern.
die Qualität eines „Produktes“ oder einer Problemlösung im Vorder- Dort wird meist nach der Einführung eines Prinzips oder Gesetzes ein
grund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im Arbeitskontext, sondern das Beispiel gegeben, dann werden Aufgaben zum Bearbeiten präsentiert.
Lernen eines jeden Einzelnen. Beim Lernen aus Lösungsbeispielen wird die Phase des Beispielstudiums
verlängert, damit sichergestellt wird, dass die Lernenden ein Prinzip
Korrelation (correlation) Enge des Zusammenhangs zwischen oder Gesetz und dessen Anwendung verstanden haben, bevor sie selbst
Merkmalen. Dieser kann zwischen +1 (je mehr Merkmal A, desto mehr verständnisorientiert Aufgaben lösen. Komplexe Beispiele, bei denen
Merkmal B) und −1 (je mehr Merkmal A, desto weniger Merkmal B) eine Person aufzeigt, wie man ein Problem löst, werden meist Modelle
liegen. Unabhängig von deren Höhe dürfen Korrelationen nicht als genannt (Lernen von Modellen).
Kausalbeziehung interpretiert werden.
Lernen aus Texten (learning by text) Bei dieser Lernart wird den
Kovarianzanalyse (analysis of covariance) Die Kovarianzanalyse ist Lernenden schriftlicher und mündlicher Text dargeboten, den es
ein allgemeines lineares Modell mit einer kontinuierlichen abhängigen zunächst zu „verstehen“ gilt. Gelernt werden sollen dabei meist nicht
Variable und einem oder mehreren Prädiktoren. Sie ist eine Ver- der ganze Text in seinen einzelnen Aussagen, sondern die Kernaussagen
knüpfung von Varianzanalyse und Regressionsanalyse und prüft, des Textes und „naheliegende“ Schlussfolgerungen. Für das Lernen ist
ob Prädiktoren einen Effekt haben, wenn der Effekt einer Kovariate ein „Verstehen“ des Textes, im Vergleich z. B. zu einem oberflächlichen
kontrolliert wird. Auswendiglernen, ein günstige Bedingung. Für tiefes Verstehen muss
der Lernende sein Vorwissen mit der Textinformation in Verbindung
Kriteriale Vergleiche (criteria-based comparison) Vergleiche der bringen; dieser Prozess fördert auch die Speicherung im Langzeit-
eigenen Leistung mit einem vorliegenden Kriterium wie beispielsweise gedächtnis also Lernen.
Bildungsstandards, Kompetenzstufen oder Lehrplanvorgaben.
Lernen durch Tun (learning by doing) Diese Bezeichnung wird für
Kritische Lebensereignisse (critical life events) Hierunter werden im Detail ganz unterschiedliche Lernarrangements verwendet, die
außerordentliche Veränderungen im Leben von Personen verstanden aber alle gemeinsam haben, dass die Lernenden selbst Aufgaben
(wie Krankheit, Trennungen oder Arbeitslosigkeit), die stressbedingte bearbeiten bzw. Probleme lösen. Bisweilen ist diese Lernform durch
Langzeitfolgen hervorrufen können, sofern sie die (individuellen oder ein ­Versuch-Irrtum-Vorgehen gekennzeichnet; andererseits kann das
kollektiven) Bewältigungskapazitäten überschreiten. Kritische Lebens- Lernen durch Tun auch stark strukturiert und angeleitet sein, etwa
ereignisse werden von kumulativen „Mikrostressoren“ (daily hassles) in intelligenten tutoriellen Systemen, die die Lernaufgaben, Rück-
und normativen Entwicklungsaufgaben abgegrenzt. meldungen und Hilfen auf das spezifische Vorwissen des einzelnen
Lernenden abstimmen.
Kybernetik (cybernetics) Kybernetik (griech. Steuermannskunst) ist die
Wissenschaft von der Funktion komplexer Systeme, insbesondere der Lernen am Modell (observational learning) Beim Lernen von Modellen
Kommunikation und der Steuerung eines Regelkreises. (auch: Modelllernen) wird typischerweise eine Person beobachtet, die
ein exemplarisches Problem löst (Lernen aus Lösungsbeispielen). Die
Latente Variable (latent variable) Parameter in einem mathematischen Lernenden können dabei sehen, wie man beim Problemlösen sinn-
Modell, der nicht direkt beobachtet werden kann. Die latente Variable vollerweise vorgehen kann und wie Sackgassen und Schwierigkeiten
soll das infrage stehende psychologische Konstrukt repräsentieren – der überwunden werden können. Das „Modell-Lernen“ gilt als ein zentraler
Grad der Ausprägung wird anhand empirischer Daten geschätzt. Mechanismus für Sozialisationsprozesse (Kinder lernen am Modell
ihrer Eltern) und wurde in instruktionspsychologischen Ansätzen (z. B.
Lehrerüberzeugungen (teacher beliefs) Vorstellungen und Annahmen cognitive apprenticeship) systematisch zu nutzen versucht; häufig
von Lehrkräften über schul- und unterrichtsbezogene Phänomene und wird hiermit auch die Wirkung von Medien (z. B. aggressionsfördernde
Prozesse mit einer bewertenden Komponente. Wirkung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen) zu erklären versucht.

Leistungsmotiv (achievement motive) Zeitlich stabile Wertungs- und Lernstandserhebungen (measuring pupil achievements) Über-
Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich. Leistungsmotiviertes prüfen Lernergebnisse im Hinblick auf Standards, wie sie in den
Verhalten ist gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung mit einem länderübergreifenden Bildungsstandards bzw. den daran gekoppelten
als verbindlich erachteten Gütemaßstab. Leistungsmotiviertes Verhalten Anforderungen/Kerncurricula der Länder formuliert werden. Sie zielen
(z. B. etwas besonders gut machen wollen, etwas besser als andere darauf ab, nach vorgegebenen Aufgaben und Beurteilungsmaßstäben
machen wollen etc.) kann somit gelingen oder scheitern. Die Selbst- Aussagen über die zu fest definierten Zeitpunkten erreichten Lern-
451
Glossar

ergebnisse von Schülern und damit über erreichte Kompetenzniveaus Normative Entwicklungsaufgaben (normative developing
machen zu können. tasks) Beschreiben Anforderungen, die erwartbar in verschiedenen
Phasen der kindlichen Entwicklung auftreten (z. B. Identitätsfindung in
Lernstrategie (learning strategy) Handlungsplan zur Steuerung des der Adoleszenz) und bei unzureichender Bewältigung die Bearbeitung
eigenen Lernens. Weit verbreitet ist die Differenzierung in kognitive, nachfolgender Entwicklungsaufgaben beeinträchtigen können.
metakognitive und ressourcenbezogene Lernstrategien. Familienentwicklungsaufgaben bezeichnen analog die in verschiedenen
Phasen des Familienzyklus auftretenden, das ganze Familiensystem
Lerntagebücher (learning diaries) Standardisierte, strukturierte betreffenden Anforderungen.
Beobachtungsleitfäden, die die Aufmerksamkeit des Lerners mittels
offener und geschlossener Fragen auf wesentliche Aspekte des Lern- Objektivität (objectivity) Wesentliches Gütekriterium zur Beurteilung
prozesses lenken. Zur systematischen Beobachtung und Dokumentation diagnostischer Verfahren; bezeichnet den Grad, in dem Testergebnisse
von Lernverhalten haben sich neben standardisierten Lerntagebüchern unabhängig von der Durchführung, Auswertung und Interpretation
auch Portfolios und Lernprotokolle etabliert. sind.

Medialität (mediality) Art und Weise, mit der eine Information Online (online) Wissenserwerb kann online (Rezipienten sind aktuell
repräsentiert wird (z. B. als gedruckter Text, Audiofile, Bild, Film etc.). über das Internet verbunden) oder offline erfolgen (z. B. können sich
Studierende eine aufgezeichnete Vorlesung anhören, wann immer sie
Mediator (mediator variable) Mediatorvariablen vermitteln den Ein- dies tun wollen).
fluss einer Variablen auf eine andere Variable. Beispielsweise mediieren
unterschiedliche Freizeitinteressen die Effekte des Geschlechts auf die Ontogenese (ontogenetics) Entwicklung des Menschen von der
Lesekompetenz. Geburt bis ins hohe Alter.

Medien (media) Vermittler von Zeichen (z. B. Sprachlaute, Buch- Optimalklassen (optimal class size) Schulklassen, die sich im Vergleich
staben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder Objekten mit dem Ziel der zu anderen Klassen in verschiedenen Dimensionen positiv entwickelt
Informationsübertragung. haben, also z. B. eine durchschnittlich besonders positive kognitive und
motivationale Entwicklung zu verzeichnen haben.
Metaanalyse (meta-analysis) Eine Metaanalyse fasst verschiedenen
Untersuchungen zu einem wissenschaftlichen Forschungsgebiet Peer group (peer group) Unter einer sozialen Gruppe versteht man
zusammen. Durch die Zusammenfassung und systematische Ana- zwei oder mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als auch
lyse der im Forschungsgebiet vorhandenen, inhaltlich homogenen, von sich selbst als zu derselben Kategorie gehörig wahrgenommen
empirischen Einzelergebnisse, soll die übergreifende Effektgröße in werden: Die Mitglieder wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit
Bezug auf den Forschungsgegenstand (z. B. Wirksamkeit von Inter- (kognitive Komponente) und dieses Wissen geht mit einer positiven
ventionen zur Selbstregulation) geschätzt werden. oder negativen Bewertung (evaluative Komponente) sowie positiven
bzw. negativen Gefühlen (emotionale Komponente) einher. Bereits im
Metakognitives Wissen (meta-cognitive knowledge) Bezieht sich Kindesalter (z. B. in der Kita, der Schule) formieren sich Gruppen von (z.
auf das „Wissen über Wissen“ bzw. über eng mit Wissen verbundene B. gleichgeschlechtlichen) Gleichaltrigen. Im Jugendalter spielen peer
Phänomene. Dabei wird die Grenzziehung von Kognition und Meta- groups eine zentrale Rolle für die Identitätsentwicklung.
kognition von verschiedenen Autoren unterschiedlich vorgenommen.
Manche Autoren bezeichnen es z. B. als Metakognition, wenn Peerstatus (peer status) Der Peerstatus eines Kindes wird daraus
Lernende einen Problemlöseschritt, den sie vornehmen, mit einer errechnet, wie häufig bei soziometrischen Verfahren andere Kinder
Gesetzmäßigkeit (z. B. aus der Physik) begründen. Die Begründung angeben, dieses Kind zu mögen und mit ihm zusammen arbeiten
wird als Metastatement über eine eigene Aktion (prozedurales oder spielen zu wollen. Dieser Index bildet das Ansehen eines einzel-
Wissen) gesehen. Andere sehen diese Art der Begründungen als nen Kindes innerhalb der Klasse ab. Dabei werden zwei verschiedene
Selbsterklärungen an, die in einem Fachgebiet Verbindung zwischen Dimensionen berücksichtigt: die soziale Präferenz (social preference)
Prinzipien und Lösungsverfahren herstellen, sodass ihnen kein meta- und die soziale Beachtung (social impact) eines Kindes. Die soziale
kognitiver Status zugesprochen wird. Der Kern von Metakognition, und Präferenz leitet sich aus der Differenz zwischen der Anzahl der positiven
da besteht Einigkeit, bezieht sich aber auf das Wissen um Strategien-, und negativen Stimmen, die ein Kind erhalten hat, ab und beschreibt,
Aufgaben- und Personmerkmale sowie die Regulation der eigenen wie sehr ein Kind von den Gruppenmitgliedern gemocht wird. Die
Kognition. soziale Beachtung ergibt sich aus der Summe der positiven und
negativen Nennungen und bildet damit ab, wie stark ein Kind von den
Microteaching (microteaching) Eine Methode des Unterrichtstrainings Klassenkameraden wahrgenommen wird.
in der Lehreraus- und -fortbildung, bei der angemessenes Lehrerver-
halten systematisch eingeübt werden soll. Phylogenese (phylogenetics) Entstehung bzw. Entwicklung des
Menschen (und aller anderen Lebewesen) im Laufe der Evolution.
Modalität (modality) Hebt auf die Sinneskanäle ab, über die
Informationen aufgenommen werden (z. B. visuell vs. auditiv). Wird eine Piktogramme (pictogram) Sie benutzen meist vereinfachte bildhafte
Information (z. B. Tonfilm) über mehrere Sinneskanäle (hier: visuell und Darstellungen des darzustellenden Gegenstandes oder Sachverhaltes
akustisch) rezipiert, spricht man von einer multimodalen Informations- zur Informationsvermittlung.
verarbeitung.
Praktische Intelligenz (tacit knowledge) Fähigkeit, mit realen
Multimedia (multimedia) Der Begriff Multimedia ist nicht einheit- Problemen erfolgreich umzugehen.
lich definiert. Heute bezeichnet er normalerweise integrierte, inter-
aktive, digitale Informationsressourcen, in denen unterschiedliche Prävention (prevention) Als Prävention werden Maßnahmen
Medien (Multimedialität) in unterschiedlichen Kodierungsformen zusammengefasst, die der Vermeidung physischer oder psychischer
(Multikodalität) miteinander verknüpft sind. Die multimedialen Probleme dienen. Primärpräventive Maßnahmen werden eingesetzt,
Informationsressourcen müssen dabei in der Regel über verschiedene bevor Probleme eingetreten sind, während sekundärpräventive
Sinneskanäle (Multimodalität) durch die Rezipienten verarbeitet Maßnahmen mit einer korrektiven Zielsetzung eingesetzt werden, wenn
werden. bereits erste Probleme erkennbar sind, um eine weitere Stabilisierung
452 Glossar

oder Ausweitung zu vermeiden. Bei der tertiären Prävention geht es Ressourcen (resources) Ressourcen (franz. Mittel, Quelle) ermög-
darum, mögliche Folgeprobleme einzudämmen, die aus bereits ent- lichen die Realisierung von Handlungen oder Vorhaben. Hierzu zählen
standen Problemen erwachsen können. materielle oder immaterielle Mittel wir Betriebsmittel, Geldmittel,
Boden, Rohstoffe, Energie oder Personen. Im Rahmen der Selbst-
Projektive Verfahren (projective tests) Verfahren, bei denen mehr- regulation werden interne (z. B. Fähigkeiten, Konzentration, Selbst-
deutiges bzw. auslegungsfähiges Bildmaterial (z. B. Tintenkleckse, wirksamkeit) von externen Ressourcen (z. B. Lernumgebung, Literatur,
Zeichnungen von motivrelevanten Situationen) von den Probanden zu kollegiales Lernen) unterschieden.
interpretieren ist. Es wird angenommen, dass Einstellungen, Motive und
Persönlichkeitsmerkmale sich in diesen Interpretationen äußern bzw. Schema (schema) Kognitive Struktur, mit der Informationen inter-
auf das Bildmaterial „projiziert“ werden. Projektive Tests sind weniger pretiert und organisiert werden. Es resultiert aus Erfahrungen in wieder-
anfällig für gezielte Selbstdarstellungen als Fragebogen, aber auch holt vorkommenden (Problem-)Situationstypen (z. B. Probleme zur
weniger objektiv und reliabel. Berechnung der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens von
unabhängigen Ereignissen), die in abstrahierter Weise repräsentiert
Prozedurales Wissen (procedural knowledge) Entspricht in etwa dem werden. Ein Schema ist eine skelettartige Wissensstruktur, die mit den
Begriff des Könnens im deutschen Sprachgebrauch – in Abgrenzung zu Spezifika einer aktuellen Problemsituation angereichert wird (z. B. wird
(deklarativem) Wissen. Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, wie“, der Multiplikationssatz für unabhängige Ereignisse mit den konkreten
z. B., wie man bestimmte Aufgaben aus der Mathematik oder Physik Zahlen ausgefüllt und auf die konkreten Ereignisse bezogen). In einem
ausrechnet oder auch wie man eine bestimmte Maltechnik zum Einsatz Schema können deklaratives und prozedurales Wissen integriert
bringt (z. B. im Kunstunterricht). werden.

Prozessdiagnostik (process diagnostics) Im Zentrum steht die Schulentwicklung (school development) Systemischer und
Erfassung von Veränderungen (z. B. in Einstellungen oder Verhaltens- systematischer Prozess, in dem alle Beteiligten für die Schule vor Ort
weisen) über mehrere Zeitpunkte hinweg. gemeinsam Ziele aufstellen und versuchen, sie umzusetzen und zu
evaluieren mit dem Ziel, die Qualität der Schule zu verbessern. Schul-
Prüfungsangst (test anxiety) Unlustvolles emotionales Erleben von entwicklung ist kein eng umrissenes Projekt, sondern ein zielgerichteter
Aufgeregtheit, Nervosität und Unsicherheit vor und während Prüfungen Veränderungsprozess. Schulentwicklung realisiert sich in den Auf-
und ähnlichen Bewertungssituationen. Es wird typischerweise zwischen gabenbereichen Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung und
der „Worry-Komponente“ und der „Emotionality-Komponente“ von Organisationsentwicklung.
Prüfungsangst unterschieden.
Schulpsychologische Dienste (school counseling services) Sollen
Psychosoziale Risiken (psychosocial risks) Entwicklungsgefährdende die Arbeit von Bildungseinrichtungen durch psychologische Theorien,
Umweltbedingungen überwiegend im familiären Bereich, die die Erkenntnisse und Methoden in ihrem Entwicklungs-, Veränderungs-
Befriedigung grundlegender physischer und psychischer Bedürfnisse und Anpassungsprozess unterstützen. Schulpsychologische Beratung
verhindern. Hierunter fallen vor allem deprivierende Lebensumstände, kann sich an Einzelpersonen (Schüler, Lehrer, Eltern), Gruppen (Klassen,
psychische Erkrankungen mindestens eines Elternteils und Armut. Das Lehrergruppen, Elterngruppen) sowie die ganze Schule oder Schulnetz-
Risiko für eine ungünstige Entwicklung der Kinder steigt, je schwer- werke richten.
wiegender die Unterversorgungen ausfallen.
Selbsterklärungen (self-explanation) Erklärungen, die zum einen von
Pygmalioneffekt (pygmalion effects) Speziell auf die Interaktion einem Lernenden selbst generiert werden und die er zum anderen auch
zwischen Lehrern und Schülern bezogene Form der sich selbst primär an sich selbst richtet. Sie enthalten Information, die nicht direkt
erfüllenden Prophezeiung, bei der sich die Leistungen der Schüler ent- im Lernmaterial enthalten ist. Typisch dafür wäre ein Lernender, der sich
sprechend der Lehrererwartungen entwickeln; vgl. Erwartungseffekt. den Sinn eines Lösungsschritts (z. B. in Hinblick auf das Zwischenziel,
das damit erreicht wird) bewusst macht oder von den Spezifika einer
Randomisierung (randomization) Zufallsauswahl; bei der Zusammen- Problemstellung die strukturellen Merkmale abstrahiert, die für die Wahl
stellung von Stichproben werden Personen zufällig ausgewählt bzw. des korrekten Lösungswegs von Bedeutung sind.
auf verschiedene Untersuchungsgruppen aufgeteilt, sodass jedes
Individuum exakt die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, in eine Gruppe Selbstkonzept (self-concept) Einschätzung der eigenen Person; in der
aufgenommen zu werden. Pädagogischen Psychologie häufig als schulisches oder fachspezifisches
Selbstkonzept untersucht.
Reaktivität (reactivity) Maß zur Beschreibung von Reaktionen. In
der Sozialforschung unterscheidet man reaktive (z. B. teilnehmende Selbstwertgefühl (self-esteem) Gesamtheit der affektiven Ein-
Beobachtung) von nichtreaktiven (z. B. verdeckte Beobachtung) Ver- stellungen einer Person zu sich selbst.
fahren und meint damit das Ausmaß der Veränderung des zu unter-
suchenden Gegenstandes durch das angewendete Verfahren. Selbstwirksamkeitsüberzeugung (self efficacy) geht zurück auf Albert
Bandura. Konkrete Erwartung, dass eine Aufgabe oder Herausforderung
Regression zur Mitte (regression towards the mean) Phänomen, bei aus eigener Kraft trotz Hindernissen erfolgreich bewältigt werden kann.
dem extreme (weit vom Mittelwert abweichende) Ausprägungen einer
unabhängigen Variablen mit weniger extremen Ausprägungen (d. h. Self-Enhancement-Ansatz (self enhancement approach) Das zentrale
weniger vom Mittelwert abweichend) in der abhängigen Variablen Postulat lautet, dass günstige Selbstkonzepte zu einer positiven
einhergehen. Beispielsweise sind Kinder besonders hoch gewachsener Leistungsentwicklung beitragen.
Eltern im Mittel im Vergleich zu ihren Eltern kleiner.
Skill-Developement-Ansatz (skill development approach) Das
Reliabilität (reliability) Wesentliches Gütekriterium zur Beurteilung zentrale Postulat lautet, dass hohe Leistungen zu einer positiven Selbst-
diagnostischer Verfahren; gibt die Zuverlässigkeit eines Tests an. konzeptentwicklung beitragen.
Klassische Formen der Reliabilitätsermittlung beruhen im Wesentlichen
auf der Untersuchung der Stabilität einer Rangreihe von Personen über Sozial abweichendes Verhalten (deviance) Mit dem Begriff des
Itemstichproben oder Messzeitpunkte. sozial abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen wird
hervorgehoben, dass klinisch relevante „Verhaltensstörungen“ weder
453
Glossar

genetisch oder biologisch begründet sein müssen und der Grad der Strukturiertheit des Unterrichts (structured instruction) Strukturiert-
„Abweichung“ letztlich auf sozialen Konventionen beruht. In der heit des Unterrichts meint zum einen eine klare erkennbare Gliederung
aktuellen Literatur werden darunter meist aggressive, oppositionelle, des Unterrichts in einzelne Phasen und Abschnitte. Zum zweiten wird
gewalttätige, delinquente und kriminelle Verhaltensweisen gefasst. Um Strukturiertheit häufig als Konsistenz von Regeln, Erwartungen und
eine klinisch relevante Störung des Sozialverhaltens diagnostizieren zu Grenzen begriffen und drückt sich somit in einer effektiven Unterrichts-
können, gilt es Anzahl, Intensität und Dauer der Verhaltensprobleme und Klassenführung aus. Zum dritten wird der Begriff Strukturiert-
sowie damit einhergehende Beeinträchtigungen der kindlichen Ent- heit von Unterricht häufig kognitionspsychologisch verwendet, um
wicklung zu berücksichtigen. Eine sehr ungünstige Entwicklungs- Maßnahmen und Handlungen zu beschreiben, die der Verknüpfung des
prognose haben Kinder, bei denen Störungen sehr früh, sehr massiv und Vorwissens der Lernenden mit neuen Wissenselementen und einem
in vielfältigen Lebensbereichen auftreten. geordneten Aufbau von Wissen dienen (z. B. advanced organizer).

Soziale Kompetenz (social competence) Soziale Kompetenz bezieht Stressprävention (stress preventing) Bei der Stressprävention geht es
sich auf die Verfügbarkeit und Anwendung von Fertigkeiten, die es dem darum, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen, die sich einem
Handelnden ermöglichen, soziale Situationen zielführend und bedürf- Individuum stellen, und den Bewältigungsressourcen, die zum Umgang
nisgerecht zu bewältigen. Sie umfasst Fertigkeiten auf den Ebenen mit den Anforderungen vorhanden sind, herzustellen. In Stressprä-
Kognition, Emotion und Verhalten. ventionsprogrammen wird typischerweise ein multimethodaler Zugang
zur Stressprävention genutzt, der neben verhaltensorientierten auch
Soziale Vergleiche (social comparisons) Vergleiche der eigenen verhältnisorientierte Maßnahmen umfasst. Verhaltensorientierte
Leistung mit der Leistung anderer (z. B. der Mitschüler). Maßnahmen richten sich auf eine Verbesserung der individuellen Stress-
bewältigungskompetenzen, während verhältnisorientierte Maßnahmen
Sozialisation (socialisation) Wird zu analytischen Zwecken meist von an der Verbesserung der Lebensverhältnisse bzw. der Lebenssituation
Erziehung abgegrenzt, indem der Begriff auf Einstellungs- und Ver- ansetzen, um dadurch Stress zu reduzieren.
haltensänderungen abhebt, die auf das Lebensumfeld und die hier
stattfindenden Interaktionen mit relevanten Bezugspersonen zurück- Systemmonitoring (system monitoring) Zielt auf Informationen über
zuführen sind, obwohl diese keiner bewussten pädagogischen Absicht Organisationen (z. B. Bildungssysteme) ab. Dies impliziert eine stich-
folgen. Dennoch (oder gerade deshalb) können Sozialisationsprozesse probenbasierte Erhebung von Schülerleistungen zur Feststellung der
die Veränderung oder Stabilisierung von Personmerkmalen während Leistungsfähigkeit von Schulsystemen.
verschiedener Ausschnitte der Lebensspanne erheblich beeinflussen.
Temporale Vergleiche (temporal comparisons) Vergleiche der
Stage-Environment-Fit-Theorie (Stage-Environment Fit Theory) Diese eigenen aktuellen Leistung mit vorherigen Leistungen.
Theorie geht von der Erkenntnis aus, dass bestimmte Lern- bzw.
Erziehungsumwelten nicht generell für eine Person günstig oder Test (test) Verfahren zur Untersuchung eines empirisch abgrenz-
ungünstig sind, sondern dass die Passung mit einer Umwelt von der baren Merkmals (z. B. der Kompetenz) mit dem Ziel einer quantitativen
jeweiligen Entwicklungsphase („stage of development“) der Person Aussage über den relativen Grad der individuellen Ausprägung des
abhängt. Merkmals. Die Antworten der Person auf bestimmte Testaufgaben
dienen als Indikator für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch
Statusdiagnostik (status assessment) Im Zentrum steht die Fest- außerhalb der Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder ein
stellung der relativen Ausprägung eines interessierenden Konstrukts vergleichbares Problem lösen zu können. Aus der Testleistung eines
(z. B. Intelligenz) zu einem gegebenen Zeitpunkt. Zentral ist die Schülers wird also auf das Potenzial bzw. die Kompetenz der Person
Annahme, dass für das interessierende Konstrukt von einer relativen geschlossen.
(situations- und zeitüberdauernden) Stabilität auszugehen ist.
Training (training) Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
Stichprobe (sample) Um den Aufwand von Untersuchungen mit Tests begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter Ausübung von
zu reduzieren und dennoch repräsentative Aussagen treffen zu können, Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird, Fertigkeiten und Fähigkeiten
werden Stichproben von Personen gezogen. Um eine Stichprobe ziehen aufzubauen oder zu verbessern. Es gibt pädagogisch-psychologische
zu können, muss man zunächst die Population definieren, über die die Trainings für kognitive, motivationale, selbstregulative, soziale und
Stichprobe etwas aussagen soll. Kann man die Stichproben nicht durch emotionale Funktionsbereiche. Trainings können zur allgemeinen
eine völlig zufällige Auswahl treffen, muss entschieden werden, nach Förderung, zur Prävention, zur Rehabilitation und zur Behebung von
welchen Gesichtspunkten eine Stichprobenziehung optimiert wird. Defiziten eingesetzt werden.
In Vergleichsstudien werden häufig komplexe Stichproben gezogen,
d. h., dass verschiedene Arten der Stichprobenziehung miteinander Transfer (transfer) Transfer (lat. hinüberbringen) oder Lerntransfer
kombiniert werden müssen (z. B. die Ziehung einer Stichprobe von bezeichnet in der Pädagogischen Psychologie die Übertragung von
Schulen mit einer Ziehung von Schülern in den Schulen. durch Lernen erworbenes Wissen über konkrete Gegenstände oder
Zusammenhänge auf mehr oder weniger ähnliche (naher vs. weiter
Strategien (strategies) Allgemein versteht man unter Strategien das Transfer) Phänomene oder Anwendungsbereiche, indem diese ver-
planvolle Anstreben eines Ziels. Im Zusammenhang mit Lernverhalten allgemeinert oder abstrahiert werden.
spricht man entsprechend von Lernstrategien und bezeichnet damit
Verhaltensweisen und Gedanken, die Lernende aktivieren, um Prozesse Transmission View (transmission view) Lerntheoretische Über-
des Wissenserwerbs und ihre Motivation zu steuern. Durch den Einsatz zeugung im Sinne des Informationsverarbeitungsansatzes, wonach eine
von Lernstrategien können Lernende mithin ihr eigenes Lernen selbst fest umschriebene Menge an Informationen von der Lehrkraft effektiv
beeinflussen. an die Schüler „weitergegeben“ wird.

Stress (stress) Zustand der „Alarmbereitschaft“ eines Organismus, der Üben (practice) Zumeist eine Form des Lernens durch Tun, bei der
sich auf erhöhte Leistungsanforderungen einstellt, wenn die eigenen nicht die Erarbeitung von neuem Stoff angestrebt wird, sondern die
Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Anforderungen in der Umwelt Festigung und Automatisierung. Gegebenenfalls kann dabei noch
übertroffen bzw. in Frage gestellt werden. eine Feinabstimmung des Wissens erfolgen, etwa indem noch kleinere
Fehler korrigiert, Wissenslücken geschlossen oder die Auswahl jeweils
454 Glossar

effizienter Lösungsvarianten für verschiedene Problemtypen (Transfer!) WHO (World Health Organisation) Die Weltgesundheitsorganisation
optimiert werden. (World Health Organisation) ist Koordinationsbehörde der Vereinten
Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen. Eine
Unterricht (lesson) Abfolge von Lehr- und Lernsituationen, die von zentrale Aufgabe der WHO stellt die Entwicklung und weltweite Durch-
ausgebildeten Lehrpersonen in institutionalisierten Kontexten (Schule, setzung von Leitlinien, Standards (z. B. ICD) und Methoden in gesund-
Weiterbildung) absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem heitsbezogenen Bereichen dar.
Aufbau von Wissen sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten
der Lernenden dienen. Wissen (knowledge) Relativ dauerhaft (im LZG) gespeicherte Gedächt-
nisinhalte, deren Bedeutsamkeit durch soziale Übereinkunft festgelegt
Validität (validity) Das entscheidende Gütekriterium in der psycho- wird („Allgemeinwissen“). Vom Wissen eines bestimmten Menschen
logischen Diagnostik. Auf einer theoretischen Ebene geht es vorrangig ist in der Regel nur die Rede, wenn er Überzeugung von der Gültigkeit
darum, inhaltlich-psychologisch zu beurteilen und zu begründen, dieses Wissens besitzt.
inwiefern eine spezifische Messung geeignet ist das intendierte
Konstrukt abzubilden. Auf einer empirischen Ebene geht es ins- Wissenspsychologie (psychology of knowledge) Forschungs-
besondere darum, datengestützt zu demonstrieren, dass Kern- richtung der Psychologie, in der aus einer informationsverarbeitungs-
annahmen über die Eigenschaften einer Messung zutreffen. Ergebnisse theoretischen Sichtweise vor allem vier Themenbereiche analysiert
zur konvergenten und diskriminanten Validität helfen hier häufig auch werden: Erwerb von Wissen, Repräsentation und Organisation von
die Relevanz psychologischer Diagnostik zu unterstreichen. Wissen im Gedächtnis, Prozesse des Abrufs von Wissen, Anwendung des
Wissens beim Denken und Handeln.
455 A–E

Stichwortverzeichnis
– phonologische 389, 391 – kognitionspsychologische s. kognitions-
A Bezugsgruppe 221
Bezugsgruppeneffekt 198
psychologische Didaktik
didaktische Theorie 70
ACT*-Theorie 33 Bezugsnorm 165, 177, 202, 314 Differenzierung
Adoleszenz 195 – individuelle 165, 177, 202 – innere 96
Advance Organizer 73 – sachliche 165 digitale Medien 151
Advanced Progressive Matrices 39 – soziale 165, 202 digitale Medienkultur 134
Aebli, Hans 70 Bezugsnormorientierung 414 dimensionaler Vergleich 197
Aeblis PADUA Modell 71 Bezugsrahmenmodell 194 direkte Förderung
Aggression 127, 156 Bezugssystem – Hausaufgabe 243
aktive Lernzeit 121 – kriteriales 196 – Leistungsproblem 243
Aktivierung Big-Fish-Little-Pond-Effekt 197 – Lernprobleme 243
– kognitive 92 Big-Five 195 direkte Instruktion 76
Alleinerziehende 253, 257 Bild 138 Disziplin 120
Allgegenwärtigkeit 122 – informatives 139 Disziplinierung 122
Amotivation 128 – logisches 138 Disziplinierungsmaßnahme 122
Analphabet Bildungsmonitoring 353 – Festigkeit 122
– funktionaler 137 Bildungspanel 371 – Härte 122
Analphabetismus 137 Bildungsstandard 357 – Klarheit 122
anchored instruction 74 Bildungssystem 351 Dyskalkulie 325
Angebot-Nutzungs-Modell 77, 351 Bildungsungleichheit 241
Ängste 430 BIS (Berliner Intelligenzstruktur-Test) 39
Animation 140
Anlage-Umwelt-Debatte 28
Blended Learning 150, 151
Buchstaben-Laut-Zuordnung 391
E
Anregungsgehalt Effektivität 336
– Förderung 393
– häuslicher 240 – Akzeptanz 337
Bullying 302
Anspruchsniveau 206 – Durchführbarkeit 337
Burnout 281
Anspruchsniveausetzung 412 – Evaluation 336
Anstrengung 197 – Fernziel 337
Anti-Aggressionstraining 428
APM (Advanced Progressive Matrices) 39
C – Nahziel 337
– theoretische Fundierung 337
Appraisal 222 Capability Approach 258 Ein-Elternteil-Familie 250
Arbeitsgedächtnis 8, 136, 140, 142, 145 chronische Erkrankung von Kindern 255 Einschulung 314
Arbeitslosigkeit 257 – Entwicklungsverzögerung 255 Einzelfallanalyse 313
Armut 242 – Krankheitsmanagement 256 Elaboration 9
Assessment chunking 33 E-Learning 41
– formatives 96, 100 classroom management 438 Eltern
Attribution 220 Cognitive Apprenticeship 74 – psychisch gestörte, Erziehungskompetenz 256
Attributionsmuster 202, 428 Cognitive Load Theory 144 Eltern-Kind-Interaktion
Aufgabenorientierung 170 Computerspiel 157 – lernbezogene 243
Aufmerksamkeitsdefizitsstörung 410 Concept Map 40 Elterntraining 435
Aufmerksamkeitstraining 407 conceptual change 176, 278 Emotion 212
Aussöhnung Coping-Strategie 231 Emotionsregulation 215, 437
– integrative 73 – antizipative 215
– reaktive 215
Autonomieerleben 80
Autonomiegewährung 226 D Emotionsregulationsstrategie 231
Enthusiasmus 279
Autonomieunterstützung 244 darbietender Unterricht 73
Entscheidung 164, 277, 312, 314, 316, 322, 324
Daten 327
– bildungsbezogene 164
B – biografische 327
Denken
Entwicklungsverlauf 221
Entwicklungsverzögerung 255
Basisdimensionen guten Unterrichts 105 – induktives s. induktives Denken
epistemologische Überzeugung 5, 26
Basisemotion 213 – lautes 40, 321
– Entwicklungsphase 28
Basiskompetenz Denktraining 407
– relativer Wissensbegriff 28
– mathematische 381, 394 Depression 431
– Verantwortungsübernahme 28
basking-in-reflected-glory 198 Diabetes mellitus
Erkrankung der Eltern 256
Begabung 36 – juveniler 255
– Erblichkeit von Psychosen 256
Begleitung von Lernprozessen 126 Diagnostik 312, 314
– Erziehungskompetenz 256
Belastung 271 – kriteriumsorientierte 314
– körperliche 256
Berliner Didaktik 70 – normorientierte 314
– Pflege 256
Berliner Intelligenzstruktur-Test 31, 39 – pädagogisch-psychologische 312
– psychische 256
Berufsberatung 317 – psychologische 312
– psychisch gestört 256
Berufswahl 279 diagnostisches Verfahren 317
Erlebensqualität 164
Bewältigungsziel 171 Didaktik
Erwartungseffekt 274, 276
Bewusstheit Erwartungs-Wert-Modell 177, 204, 279
456 Stichwortverzeichnis

– der Leistung 243 Fördermaßnahme 179 Ideal-Selbst 191


Erziehung 245 – vorschulische 380 – working self 191
– Autorität 245 Förderprogramm Implementation 416, 418
– Eltern-Kind-Beziehung 245 – problemübergreifendes 433 Index
– freier Wille 245 Förderung – sozioökonomischer 366
– Gehorsam 245 – metakognitive 94 Individualdiagnostik 363
Erziehungsberatung 315 formatives Assessment 96 Individualisierung 96
Erziehungspartnerschaft 244 Forschung induktives Denken 385, 411
Erziehungsstil 121, 246 – psychometrische 29 – Aufgabenklassen 386
– Autonomiegewährung 247 Fortbildung 278 – Förderung 386
– autoritärer 246 Fremdwahrnehmung 190 Informationsverarbeitung 26
– autoritativer 121, 246 Frühförderung Informationsverarbeitungskapazität 142
– Involvement 247 – mathematische 399 Informationsverarbeitungstheorie 32
– Kindeswohlgefährdung 246 informatives Bild 139
– permissiver 246 innere Differenzierung 96
– Verhaltenskontrolle 247
– vernachlässigender 246
G Instructional Design 136, 151
Instructional-Design-Modell 71
Gedächtnis 8
Evaluation 336–338, 340 – behavioristisch orientiertes, Lernzeit 72
– mechanisches 30
– analytische 337 – behavioristisch orientiertes 72
Gedächtnisleistung 227
– externe 338 – kognitionspsychologisch fundiertes,
Gehorsam 245
– Feedback 336 Advance 73
Geschlecht 201
– formative 338 – kognitionspsychologisch fundiertes,
Geschlechterstereotyp 197, 201
– Forschung 337 deduktives Vorgehen 73
gestufte Lernhilfen 98
– globale 337 – kognitionspsychologisch fundiertes,
gesundheitsfördernde Schule 439
– Implementationsphase 338 integrative Aussöhnung 73
Grundbedürfnis 167
– Input 336 – kognitionspsychologisch fundiertes,
Gruppenmobilisierung 122
– interne 338 Organizer 73
Gruppenprozess
– isolierte 337 – kognitionspsychologisch fundiertes,
– sozialer 120
– Klumpenstichprobe 344 sequenzielle Organisation 73
guter Unterricht 105
– kombinierte 337 – kognitionspsychologisch fundiertes, Ver-
– Kontrollgruppe 337 festigung 73
– Konzeptualisierungsphase 338
– Mehrebenenanalyse 345 H – kognitionspsychologisch fundiertes 73
Instruktion 76, 225
– methodische Probleme 343 Hamburg-Wechsler-Intelligenztest – direkte 76
– Output 336 – für Erwachsene 39 – indirekte 76
– Standard 345 – für Kinder 39 Instruktionsdesign 136, 151
– summative 338 Handlungsphase 48 Intelligenz 28, 30, 32, 37, 39, 175, 215, 316, 328,
– Transformation 336 – aktionale 48 329, 410
– Umwelt 336 – postaktionale 48 – analytische 37
– vergleichende 337 – präaktionale 48 – APM 39
– Vortest-Nachtest-Follow-up-Plan 340 Handlungsplanung 48, 62 – assoziative Phase 37
– Wirkungsforschungsphase 338 Hannover-Wechsler-Intelligenztest für das Vor- – autonome Phase 37
Expertise 272, 322 schulalter 39 – Begabungsforschung 28
Expertise-reversal-Effekt 85 Hausaufgabe 249 – BIS 31, 39
Expertiseforschung 28 HAWIE (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für – emotionale 31, 215, 216
Erwachsene) 39 – faktorenanalytische 29
HAWIK (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für – fluide 30, 329
F Kinder) 39
HAWIVA (Hannover-Wechsler-Intelligenztest für
– Gardner-Konzeption 31
– g-Faktor 30
Fachwissen 273
das Vorschulalter) 39 – HAWIE 31, 39
Fähigkeitskonzept 177
Helicopter Parenting 248 – HAWIK 31, 39
Fähigkeitsniveau 175
Herausforderung 122, 128 – HAWIVA 39
Fähigkeitsselbstkonzept 204, 219
Herkunft – Induktion 30
Familie 238
– soziale 365 – Intelligenzforschung 28
Familiengründung 239
High-level-Fragen 81 – IST-70 39
Feedback 83
Hochbegabung 316 – KFT 39
– direktes 191
Hochschule – kognitive Phase 37
– Ebenen 85
– virtuelle 151 – kreative 37
– einfaches 84
Hochschulzulassung 316 – kristalline 31, 37, 329
– elaboriertes 84
Hyperaktivitätsstörung 315, 410 – LPS 39
– indirektes 191
hyperkinetische Störung 429 – mechanisches Gedächtnis 30
– mediierende Faktoren 85
Hypertext 136 – Messung 39
– Zeitpunkt 85
– multiple 31
Fernsehkonsum 155
– praktische 31, 37
Flow 168, 214, 229
Förderkonzept I – Primärfaktorenmodell 30
– Raumvorstellung 30
– primärpräventives 426 I/E-Modell 197
– Rechenfertigkeit 30
– universelles 426 Ich-Orientierung 170
– Schlussfolgern 30
Stichwortverzeichnis
457 F–L
– s-Faktor 30 – pädagogische 327 – Wartezeit 81
– SPM 39 – soziale 427 Lehrerrolle 278
– Sprachverständnis 30 Kompetenzerleben 80 Lehrerurteil 327
– Struktur 29 Kompetenzstufe 364 Leistung 203
– Strukturmodell 30 komplexe Simulation 40 Leistungsbeurteilung 276
– verbale 31 Konstrukt 318 Leistungsemotion 217, 221
– Wahrnehmungsgeschwindigkeit 30 Konstruktivismus 7 Leistungsentwicklung 79
– Wortflüssigkeit 30 konstruktivistischer Ansatz 74 Leistungsmotiv 169, 173
– Zwei-Faktoren-Modell 30 – anchored instruction 74 – explizites 173
Intelligenz-Struktur-Test 70 39 – cognitive apprenticeship 74 – implizites 173
Intelligenzmodell 329 – problemorientiertes Lernen 74 Leistungsmotivation 166, 173
Intelligenztest 38 Kontrasteffekt 199 Leistungsmotivationsforschung 173
Interaktion Kontrollüberzeugung 230 Leistungsprüfsystem 39
– soziale 126 Kontrollwahrnehmung 222 Leistungsrückmeldung 166, 197, 227
Interaktionismus Konzentration 128 Leistungsziel 171, 174
– symbolischer 190 Konzentrationstraining 429 Leistungszielorientierung 174
Interdependenz kooperatives Lernen 20, 86, 179 Lernbegleitung 128
– positive 86 – gegenseitige Unterstützung 86 Lernbehinderung 315
Interesse 172, 175 – Gruppenzusammensetzung 87 Lernen 11, 15, 19, 20, 32, 36, 153, 179, 414
– individuelles 172 – individuelle Verantwortung 86 – affektiv-motivationale Aspekte 80
– situationales 172 – Jigsaw 87 – aus Lösungsbeispielen 83
Internal/External-Frame-of-Reference-Modell – metakognitive Tätigkeit 86 – beispielbasierte 15
(I/E-Modell) 194 – peer-assisted learning 87 – durch Vergleichen 93
Intervention 52, 58, 179, 226 – positive Interdependenz 86 – entdeckendes 11, 19, 73
Interview 39, 53 – reflexive Tätigkeit 86 – informelles 153
IST-70 (Intelligenz-Struktur-Test 70) 39 – soziale Fähigkeit 86 – kooperatives 86
Item-Response-Theorie 362 – STAD-Konzept 87 – kooperratives s. kooperatives Lernen
– Strukturierungsmaßnahme 88 – mit Text 13, 175
Kounin, Jacob S. 121 – personalisierts s. personalisierts Lernen
J – Abwechslung 122
– Allgegenwärtigkeit 122
– problemorientiertes 74
– rezeptives 19
James, William 189
– Disziplinierung 122 – selbstreguliertes 46, 414
– I 189
– Gruppenmobilisierung 122 – situiertes 74
– Me 189
– Herausforderung 122 – zielerreichendes 72
Jigsaw 87, 89
– Reibungslosigkeit 122 Lernende 78
Joplin-Plan 97
– Schwung 122 Lernhilfe
– Sprunghaftigkeit 124 – gestufte 98

K – Überlappung 122
Krankheit 254
Lernmanagement-System 149
Lernmedien 135
Kausalattribution 222, 224 – Adaptationsphase 254 – computergestützte 141
Keller-Plan 98 – Anpassungphase 254 Lernmotivation 121, 164, 165, 205
KFT (Kognitiver Fähigkeits-Test) 39 – chronische, eines Elternteils 254 – an Oberzielen orientierte 165
Klassenarbeit 197 – chronische, eines Kindes 254 – dispositionale Merkmale 169
Klassenführung 120, 121 – Eltern 255 – extrinsische 165, 166, 168, 174
– classroom management 126 – familienstresstheoretischer Ansatz 254 – gegenstandszentrierte 167
– Regelsystem 126 – Kinder 255 – intrinsische 165, 166, 168, 174
– souveräne 126 kriterialer Vergleich 197 – leistungsbezogene 165
– Welleneffekt 121 kriteriales Bezugssystem 196 – selbstbewertungsbasierte 165
Klassenklima 128 kritisches Lebensereignis 249 – soziale 165
Klassenspiegel 196 Kurswahl 204 – tätigkeitszentrierte 167
Klassenzusammensetzung 78 Lernprozess
Kognition 220 – Begleitung 126
kognitionspsychologischen Didaktik 70
– Anwenden 71
L Lernstrategie 5, 11, 53, 229
– kognitive 47, 52, 94
Langeweile 219
– Durcharbeiten 71 – metakognitive 47, 52
Langzeitgedächtnis 9
– problemlösendes Aufbauen 71 – ressourcenorientierte 47, 52
Langzeitspeicher 9
– Üben 71 Lerntagebuch 52
lautes Denken 40
kognitive Aktivierung 8, 92 Lerntagebücher 53
Learning Analytics 152
kognitive Psychologie 29 Lernumgebung 11, 136
Lebensereignis
kognitive Überlastung 144 – computerbasierte 11
– kritisches 249, 434
kognitive Wende 191 – digitale 136
Lehramtstudierende 120
Kognitiver Fähigkeits-Test 39 Lernunterstützung
Lehrer 78, 120, 270
Kommunikationstechnologie 371 – emotional geprägte 96
– Kompetenz 78
Kompetenz 6, 273, 327, 351, 416 Lernzeit 127, 164
– Merkmal 78
– diagnostische 273, 327 – aktive 121
Lehrerbildung 282
– mathematische 356 – Management 126
Lehrerfrage 81
– metakognitive 416 Lernziel 171, 174
– High-Level-Fragen 81
– naturwissenschaftliche 356 Leseförderung 416
458 Stichwortverzeichnis

Lesekompetenz 136, 356


Lesen O – phonologische 390
Reliabilität 319
– dialogisches 383 Oberflächenstruktur von Unterricht 103 Repräsentation 143
Lesestrategie 407 Objektivität 319 – mentale 143
logisches Bild 138, 141 Ordnung 126 – situationale 14
Low-level-Lehrerfrage 81 Organisation Ressource 228, 281
LPS (Leistungsprüfsystem) 39 – sequenzielle 73 – kognitive 228
Overlearning 91 – personale 281
– soziale 281
M Risikoschüler 101

Makroproposition 13 P Rückmeldung 121, 191


ruckmeldung s. Feedback
Management von Lernzeit 126 PADUA-Modell 71 Ruhe 126
Marburger Rechtschreibtraining 417 Panelstudie 358
Massive Open Online Courses (MOOC) 152 parental involvement in schooling 242
Mathematiktest 324
Matthäus-Effekt 408
peer-assisted learning 87
personalisiertes Lernen 75, 101
S
Mediationsdefizit 58 – mit digitalen Medien 99 Scaffolding 96, 98, 244
Mediator 205 Persönlichkeit 328 – Operationalisierung 98
Medien 134 phonologische Bewusstheit 389 Schachspielen 33
– digitale 99, 141, 151 – Förderung 391 Scheidung 251–253
– primäre 134 Piktogramm 141 – allein erzogenes Kind 251
– quartäre 134 Präsenzlehre 149 – Erziehungsverhalten 252
– sekundäre 134 – digitalisierte 149 – jugendliches Problemverhalten 251
Medienkompetenz 150, 157 Prävention – kindliches Wohlbefinden 251
Medienkultur – indizierte 426 – Kontakthäufigkeit 253
– digitale 134 – primäre 380 – Loyalitätskonflikt 252
Mehrebenenanalyse 79 – selektive 426 – Ressource 252
mentales Modell 137, 139, 143 – Stufen 380 – Scheidungsfamilie 250
Merkmal 105 Primärstrategie 50 – sozioökonomischer Faktor 252
Metaanalyse 200 Problemlösung 6 – Stiefeltern 254
Metakognition 11 productive failure 76, 87 – Stieffamilie 253
metakognitive Förderung 94 Produktionsdefizit 58 – Stressor 251
Methode des lauten Denkens 40, 321 Professionalität 275 – Vereinbarkeit von Familie und Beruf 252
Migration 365 Professional Vision 273 Scheidungs-Stress-Bewältigung 250
Mikroanalysen 57 Professionelle Unterrichtswahrnehmung 273 Schema 5
Minderheit 277 Prognose 319 Schlussfolgern 30
Misserfolg 220 Prokrastination 220 Schreiben von Texten 418
Modalitätseffekt 145 Proposition 13 Schreibtraining 407
Modell 47 propositionales Modell 137 Schule
– kybernetisches 47 Prozessdiagnostik 313 – gesundheitsfördernde 439
Modifikationsdiagnostik 313 Prüfungsangst 213, 218, 226, 228 – Merkmale 78
Motiv 170, 412 Psychologie Schuleffektivitätsforschung 78
– Annäherung 170 – kognitive 29 Schulentwicklungsprogramm 439
– explizites 170 psychometrische Forschung 29 Schulleistung 175
– implizites 170 Pubertät 194 Schulleistungstest 330
– Vermeidung 170 Pygmalioneffekt 277 Schulnote 327
Motivation 164, 228, 229, 278 Schulpädagogik 70
Motivationsförderung 77 Schulpsychologie 438
Motivationstraining 407
Multi-Matrix-Design 361
Q Schulqualität 351
Schulstruktur 369
Multikodalität 141 Qualitätssicherung 357 Selbstbestätigung 192
Multimedia 141 Selbstbestimmung 179
Multimodalität 141
Multiple-Choice-Frage 39 R Selbstbestimmungstheorie 80, 83, 167, 244
– Autonomieerleben 244
Ranking 338 – Kompetenzerleben 244
– soziale Eingebundenheit 244
N Rasch-Modell, 324
Raumvorstellung 30 Selbstbewertung 192, 219
Selbstbewertungsmodell 412
Nachhaltigkeit 419 Reattribuierungstraining 414
Rechenfertigkeit 30 Selbstbild 188
Netzwerkanalyse 40
Regel 126 Selbsterklärung 16
Neue Medien 149
Reibungslosigkeit 122 Selbstinstruktionstraining 429
Neugier 166
Reifungseffekt 343 Selbstkonzept 176, 188, 193, 194
Nicholls-Theorie 170
Rekodierung – affektives 196
Nutzungsdefizit 58
Stichwortverzeichnis
459 M–V
– als Einstellung 193 STAD (Student Teams-Achievement Divisions) 88 Überlernen 18
– bereichsspezifisches 188 Stage-Environment-Fit-Theorie 178 Überzeugung 274
– der Begabung 189 Standard – epistemologische s. epistemiologische Über-
– entwicklungspsychologische Arbeit 192 – ethisches Vorgehen 345 zeugung 26
– Erfassung 193 – Genauigkeit 345 Übung
– fachbezogenes 205 – Machbarkeit 345 – verteilte 18
– Fähigkeitsselbstkonzept 189 Standard Progressive Matrices 39 Umgang mit Störungen 126
– Gedächtnis-Struktur 191 Statistik 341 Unterhaltungsmedien 154
– Genese 192 – Alternativhypothese 340 Unterminierungseffekt 167
– globales 189 – Effektstärke 342 Unterricht 70, 79, 82, 120
– implizites 197 – Nullhypothese 340 – adaptiver 96
– Informationsverarbeitung 191 – Varianzanalyse 341 – darbietender 73
– intraindividuelle Stabilität 195 Statusdiagnostik 313 – guter, Basisdimensionen 105
– kognitiv-evaluative Komponente 196 Stereotype Threat 201, 202 – guter 105
– kognitive Entwicklung 192 Sternberg, Robert 37 – inhaltliche Klarheit 82
– Kompetenzüberzeugung 189 Stichprobenmortalität 343 – kognitive Zielvariablen 79, 82
– Konstruktstabilität 195 Stichprobenziehung 358 – Kohärenz 82, 83
– materielles 189 Stieffamilie 253 – lernwirksamer 101
– mathematisches 81, 189, 194 Stiefkind 251 – motivational-affektive Zielvariablen 100
– Mittelwertsstabilität 195 Stimmung 214 – motivationale Zielvariablen 85
– multidimensionales 189 Stimmungsforschung 227 – Oberflächenstruktur 103
– normatives 195 Störung 120 – Strukturierheit 79
– schulisches 188 Strategiewissenstest 56 – Strukturierung 79
– selektive Wahrnehmung 191 Stress 214, 271 – Tiefenstruktur 104
– situationales 191 Stressbewältigungs 282 Unterrichtsforschung 70
– soziales 189 Stresspräventionsprogramm für Kinder und Unterrichtsklima 95
– spirituelles 189 Jugendliche 433 – individuelles 95
– Stabilität 193, 194 Student Teams-Achievement Divisions 88 – kollektives 95
– Struktur 193 subjektive Theorie 275 – Lehrer-Schüler-Beziehung 95
– strukturelle Stabilität 195 Suchtmittelkonsum – unterstützendes 95
– Training 206 – Phasen 432 Unterrichtsqualität 120, 351
– überdauerndes 191 symbolischer Interaktionismus 190 Unterrichtswahrnehmung
– verbales 194 – Professionelle 273
– Wissensstruktur 191 Ursachenzuschreibung 197, 224, 412
– zunehmende Differenzierung 193
Selbstkonzeptforschung 192
T
– sozialpsychologische 192
Selbstregulation 46, 229, 231, 271, 415
Teilleistungsstörung 315
temporaler Vergleich 197
V
Test 350 Valenzüberzeugung 172
Selbstregulationskompetenz 418
Testtheorie 322 – gefühlsbezogene 172
selbstreguliertes, Lernen 46
– klassische 322 – wertbezogene 172
Selbstverbesserung 192
Textkohärenz 137 Validität 320, 321
Selbstvertrauen 188
– globale 137 Veränderungsmessung 313
Selbstwertgefühl 188
– lokale 137 Vergleich 177
– globales Selbstkonzept 189
Textverständlichkeit 138 – dimensionaler 197
Selbstwertschutz 192
Theorie – kriterialer 197
Selbstwertsteigerung 192
– didaktische 70 – sozialer 177, 197
Selbstwirksamkeit 48, 176, 275
– subjektive 275 – temporaler 197
Selbstwirksamkeitsüberzeugung 189, 275
Tiefenstruktur von Unterricht 104 – von Merkmalen 386
Self-Enhancement-Ansatz 203
Training 177, 406 – von Relationen 387
Self-Handicapping 220
Trainingsstudie 408 Vergleichsgruppen
Self-Monitoring 49
Trainingsverfahren 410 – Nichtäquivalenz 343
Sexualität 431
– kuratives 410 Vergleichsinformation
Shavelson, R. J. 193
Transfer 7, 408 – soziale 192
Simulation
Trendanalyse 369 Vergleichsperspektive 353, 356
– komplexe 40
Trennung der Eltern 250 Vergleichsstudie 350
Sinneskanal 143
Triple-P-Programm 435 Verhalten 315
situiertes Lernen 74
– aggressives 315
Skill-Development-Ansatz 203
– dissoziales 315
sozaler Gruppenprozess 120
soziale Interaktion 126 U Verhaltensauffälligkeit 315
Verhaltensregulation 168
soziale Vergleichsinformation 192 Üben 90
– externale 168
sozialer Vergleich 197 – Overlearning 91
– identifizierte 169
Split-Attention-Effekt 145 – verschachteltes 90
– integrierte 169
SPM (Standard Progressive Matrices) 39 – verschachteltes Üben 90
– introjizierte 169
Sprachkompetenz 382 – verteiltes 90
Verstehenselemente 82
– Ebenen 382 – wünschenswerte Erschwernisse 91
Videoanalyse 125
Sprachverständnis 30 Überlastung
virtuelle Hochschule 151
Stabilität des Selbstkonzepts 195 – kognitive 144
460 Stichwortverzeichnis

Vorläuferfertigkeit 381, 389, 394, 400 – deklaratives 4, 33, 272, 407 Wissensarten 4
Vorwissen 8, 14, 32, 137, 141, 144 – Experten 35 Wissenserwerb 4
– fachdidaktisches 273 Wissenspsychologie 28
– Fakten 33 Wohlbefinden 214
W –

Informationsverarbeitungstheorie 32
Kompilation 34
working self-concept 191
Wortflüssigkeit 30
Wahrnehmungsebene 143
– konditionales 57
Wahrnehmungsgeschwindigkeit 30
– konzeptuelles 34
Wahrnehmungsgesetz 139
Wartezeit 81


Messung 39
metakognitives 5
Z
Weiterbildung 317 Zahl-Größen-Kompetenz 394
– Nutzung 33
– berufliche 317 – Förderung 395
– pädagogisches 273
Wende Zahl-Größen-Verknüpfung 395
– Problemlösen 35
– kognitive 191 Zahlensinn 394
– Problemlösestrategie 33
Wert 222 Zahlverständnis 380, 396, 398
– prozedurales 4, 33, 34, 272, 407
Wertinduktion 225 Zeitreihenanalyse 56
– Schachspielen 33
Wertschätzung 128 Zensur 327
– situationales 34
Wissen 26, 28, 32, 39, 57, 272, 407 Zielorientierung 169, 170, 173, 280
– Speicherung 33
– Abruf 33 Zuckerkranheit s. Diabetes mellitus
– strategisches 34
– Aufnahme 33
– träges 7

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