Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Pädagogische
Psychologie
3. Auflage
Pädagogische Psychologie
Elke Wild
Jens Möller
(Hrsg.)
Pädagogische
Psychologie
3., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Hrsg.
Elke Wild Jens Möller
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und
Universität Bielefeld Lernforschung
Bielefeld, Nordrhein-Westfalen, Deutschland Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kiel, Schleswig-Holstein, Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte biblio-
grafische Daten sind im Internet über 7 http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2009, 2015, 2020, korrigierte Publikation 2021
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich
vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für
Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet
nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne
gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber
übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt
im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen
neutral.
Einbandabbildung: © luckyguy123/stock.adobe.com
Vorwort
indem Gütekriterien für Lehrtexte und andere Warum hängt der Bildungserfolg von Kindern
Lehrmaterialien (Filme, Animationen etc.) sowie so stark von ihrer sozialen und ethnischen Her-
Chancen und Herausforderungen der Gestaltung kunft ab? Leidet die psychosoziale Entwicklung
von Lehr-Lern-Prozessen mithilfe sogenannter „automatisch“, wenn sie mit der Trennung ihrer
Neuer Medien herausgearbeitet werden. Gleich- Eltern oder anderen kritischen Lebensereignissen
zeitig lenken sie mit der Betrachtung des Medien- konfrontiert werden? In 7 Kap. 11 werden nicht
konsums von Kindern und Jugendlichen die minder brisante und gesellschaftlich relevante
Aufmerksamkeit auf informelle und implizite Lern- Themen behandelt, die um die Bedeutung und
prozesse. Gemeinsam ist allen drei Kapiteln, dass Funktion von Lehrkräften ranken. Beispiels-
sie aktuelle Diskussionen – beispielsweise zum Für weise wird der Frage nachgegangen, über welche
und Wider des herkömmlichen Unterrichts oder Kompetenzen „gute“ Lehrkräfte – möglichst bereits
zur Wirkung gewalthaltiger Fernsehsendungen – am Ende ihrer Ausbildung – verfügen sollten,
aufgreifen und mit weit verbreiteten Mythen auf- und was sie davor schützt, im Berufsalltag „aus-
räumen. zubrennen“. Im Zentrum von 7 Kap. 12. stehen
dann die Gleichaltrigen, die – entgegen weitläufiger
Aus heutiger Sicht erschöpft sich Bildung nicht Meinung – nicht erst in der Adoleszenz bedeut-
in der Vermittlung von Fachkenntnissen und sam werden, sondern bereits lange zuvor ein spezi-
traditionellen Kulturtechniken wie dem Lesen, fisches Lernumfeld bereitstellen.
Schreiben und Rechnen. Sie schließt vielmehr
auch die Förderung lernrelevanter Einstellungen Für eine effektive Gestaltung von Lern- und Ent-
ein, und daher stellt sich die Frage, wie Lernende wicklungsprozessen – sei es auf der Ebene von
zu motivieren bzw. zu einer „eigenverantwort- Reformvorhaben im Bildungssystem, im Rahmen
lichen“ Lernmotivation hinzuführen sind. Die der Schulentwicklung, einer einzelnen Bildungsein-
Beiträge der dritten Sektion Motivieren geben richtung oder auch mit Blick auf die Begründung
einen Überblick über Erkenntnisse, die in einer Fördermaßnahme im individuellen Fall – ist
diesem Zusammenhang relevant sind. Die Aus- es notwendig, zunächst die jeweiligen Lernstände
führungen in 7 Kap. 7 machen zunächst deutlich, zu diagnostizieren und die Wirkung pädagogischer
dass Lernende nicht nur mehr oder weniger stark Maßnahmen über den Abgleich von Eingangs-
motiviert sind, sondern sich auch aus unterschied- und Ausgangskompetenzen zu evaluieren.
lichen Motivlagen und Zielsetzungen heraus mit Beide Tätigkeiten markieren von jeher zentrale
Lerninhalten befassen. Darauf aufbauend wird Anforderungen des Berufsalltags von Pädagogischen
erläutert, wie eine zielführende Motivförderung Psychologen (etwa in der schulpsychologischen
aussieht. An diese Darstellungen schließt unmittel- Beratung und Erziehungsberatung) und anderen
bar 7 Kap. 8 zum Selbstkonzept an. Unter anderem pädagogischen Fachkräften. Infolge internationaler
wird dabei der spannenden Frage nachgegangen, Vergleichsstudien sind sie jedoch ins Zentrum
welche Faktoren unsere eigenen Einschätzungen der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Auf-
persönlicher Stärken und Schwächen beeinflussen. merksamkeit gerückt. Die Beiträge in der fünften
7 Kap. 9 Emotionen schließlich fasst Erkenntnisse Sektion des Buchs informieren den Leser deshalb
zu den Bedingungen und Folgen des emotionalen über neuere Entwicklungen in der pädagogisch-
Erlebens von Lernenden zusammen und zeigt psychologischen Diagnostik (7 Kap. 13) sowie der
u.a. auf, wie vielfaltig die in Lernsituationen anzu- Evaluationsforschung (7 Kap. 14) und vermitteln
treffenden Gefühle sind und warum emotionale einen Eindruck vom Mehrwert nationaler und inter-
Kompetenz ein wichtiges Bildungsziel darstellt. nationaler Schulleistungsstudien (7 Kap. 15), ohne
deren Grenzen auszublenden.
Die vierte Sektion Interagieren widmet sich den
Personengruppen, die einen Einfluss auf die In der Praxis müssen mit Erziehungs- und
Bildungslaufbahn und die Persönlichkeitsent- Bildungsfragen betraute Fachkräfte fortlaufend
wicklung Heranwachsender haben. Dies sind entscheiden, wie absehbaren Problemen vor-
die Eltern, die Lehrkräfte und die Gleichaltrigen. gebeugt werden oder bereits manifesten
In 7 Kap. 10 wird zunächst die Familie als ein Problemen entgegengewirkt werden kann. Ihnen
zentraler Entwicklungs- und Lernkontext in den obliegt es somit, gezielt zu intervenieren und
Blick genommen. Die Ausführungen beleuchten dabei – aus fachlichen wie ressourcenschonenden
die Herausforderungen, die sich Eltern in ver- Gründen – auf bewährte Maßnahmen zur
schiedenen Etappen der Familienentwicklung primären, sekundären oder tertiären Prävention
stellen und greifen dabei zahlreiche, in der zurückzugreifen. Diese werden im Überblick in
Öffentlichkeit intensiv diskutierte Themen auf, der sechsten Sektion zusammengefasst. Bereits
darunter: Was zeichnet eine „gute“ Erziehung aus? im Vorschulbereich einsetzbare Trainings zur
VII
Vorwort
Anna-Theresia Decker
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2014, Goethe-Universität Frankfurt
Forschungsschwerpunkte
Professionelle Kompetenz von Lehrkräften, Gestaltung und Wirkung von Lerngelegenheiten
für (angehende) Lehrkräfte
Holger Domsch
Professur Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, Fachhochschule Münster
Promotion: 2012, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Entwicklung, ADHS, Stress bei Kinder und Jugendlichen
Laura Dörrenbächer-Ulrich
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität des Saarlandes
Promotion: 2017, Universität des Saarlandes
Forschungsschwerpunkte
Selbstreguliertes Lernen: Modellierung, Erfassung und Förderung
Barbara Drechsel
Professorin für Psychologie in Schule und Unterricht, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Promotion: 2000, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schule, Unterricht, Vergleichsstudien
Marco Ennemoser
Professor für Pädagogische Psychologie, PH Ludwigsburg
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Pädagogisch-psychologische Interventionsforschung, Diagnostik und Intervention,
Prävention von Lernstörungen
IX
Autorinnen und Autoren
Anne C. Frenzel
Professorin für Psychology in the Learning Sciences, Ludwig-Maximilians-Universität
München
Promotion: 2004, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Psychologie in den „Learning Sciences“, Emotionen und Motivation bei Schülern und
Lehrkräften
Stefan Fries
Professor für Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 2000, Universität Potsdam
Forschungsschwerpunkte
Motivation und Lernen, Selbstregulation und multiple Ziele
Thomas Götz
Professor für Bildungspsychologie und gesellschaftliche Veränderungen, Universität Wien,
Österreich
Promotion: 2002, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Empirische Bildungsforschung, Emotionen, Selbstreguliertes Lernen
Hans Gruber
Professor für Pädagogik, Universität Regensburg
Promotion: 1991, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Expertise, Professional Learning, Lernen am Arbeitsplatz, Hochschuldidaktik
Bettina Hannover
Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 1987, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Mechanismen der Verarbeitung selbstbezogener Information, Soziale und
kulturelle Einflussfaktoren auf das Selbst
X Autorinnen und Autoren
Holger Horz
Professor für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Instructional Design, Blended & Multimedia Learning, Bild- & Textverstehen,
Hochschuldidaktik
Ursula Kessels
Professorin für Bildungsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 2001, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Heterogenität und Bildung, Geschlecht, Selbstkonzept und Identität, Interesse und
Motivation, Schul- und Unterrichtsforschung
Olaf Köller
Professor am Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Promotion: 1997 zum Dr. phil. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsdiagnostik
Kristin Krajewski
Professorin für Pädagogische Psychologie, PH Ludwigsburg
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Entwicklungsorientierte Diagnostik und Lernförderung, Ressourcenorientierte Gestaltung
von Lernumgebungen, Mathematische Kompetenzentwicklung, Arbeitsgedächtnis, Lern-
und Leistungsstörungen
Olga Kunina-Habenicht
Professorin, PH Karlsruhe
Promotion: 2010, Humboldt-Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Mess- und Skalierungsmodelle in der Bildungsforschung, Konstruktion und
Evaluation von Leistungstests
XI
Autorinnen und Autoren
Mareike Kunter
Professorin für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Unterrichtsforschung, Motivation im Klassenzimmer
Meike Landmann
Landesschulamt und Lehrkräfteakademie – Abteilung III (Institut für Qualitätsentwicklung),
Wiesbaden seit März 2008
Promotion: 2004, TU Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Die Abteilung III des Landesschulamts unterstützt landesweit und auf allen Ebenen die
Qualitätsentwicklung im hessischen Bildungswesen. Schwerpunkt: Evaluationsstudien und
Wirkungsanalysen zur Wirksamkeit bildungspolitischer Maßnahmen.
Frank Lipowsky
Professor für Erziehungswissenschaften, Universität Kassel
Promotion: 2003, Pädagogische Hochschule Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Empirische Unterrichtsforschung, Lehrerforschung
Arnold Lohaus
Professor für Entwicklungspsychopathologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1982, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsschwerpunkte
Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter, Kognitive Entwicklung im
Säuglingsalter
Jens Möller
Professor für Pädagogische Psychologie, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Promotion: 1991, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Lehrkräfte, Fremdspracherwerb
XII Autorinnen und Autoren
Barbara Otto
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Arbeitsgruppe Entwicklungspsychologie und Pädagogische
Psychologie, Universität Koblenz Landau
Promotion: 2007, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Selbstreguliertes Lernen, Lernmotivation, Determinanten akademischer Leistung, Nachhilfe
Reinhard Pekrun
Professor für Pädagogische Psychologie, Diagnostik und Evaluation, Ludwig-Maximilians-
Universität München
Promotion: 1982, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Emotionen, Pädagogische Psychologie
Franziska Perels
Professorin für Erziehungswissenschaften, Universität des Saarlandes
Promotion: 2002, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Schulinspektion, Empirische Fundierung der Schulentwicklung und Qualitätssicherung der
Evaluation
Britta Pohlmann
Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg
Promotion: 2003, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Evaluation von Schulversuchen, Entwicklung von Instrumenten zur Kompetenzfeststellung
Manfred Prenzel
Professor für Empirische Bildungsforschung, Universität Wien
Promotion: 1980, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsstudien
XIII
Autorinnen und Autoren
Alexander Renkl
Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg
Promotion: 1991, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Lernprozesse und Lernstrategien, Beispielbasiertes Lernen und Lehren, Verhältnis
von instruktionalen Erklärungen und Selbsterklärungen, Lernen durch reflexives Schreiben,
Lernen mit multiplen Repräsentationen
Ellen Schaffner
Promotion: 2009, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Lesemotivation, Lesekompetenz
Ulrich Schiefele
Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Potsdam
Promotion: 1984, Universität Wien
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Auswirkungen von Motivation und Interesse auf Leseverstehen
Bernhard Schmitz
Professor für Pädagogische Psychologie, Technische Universität Darmstadt
Promotion: 1984, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Förderung von Selbstregulation und Problemlösen, Konzeption und Effektivität von
Trainings, Argumentation und Verhandlung, Beratungskompetenz von Lehrern,
Standardisierte Tagebücher
Kathleen Schnick-Vollmer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie, Technische Universität
Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Kompetenzmodellierung und -messung, Selbstregulatorisches Lernen
XIV Autorinnen und Autoren
Tina Seidel
Professorin für Unterrichts- und Hochschulforschung, Technische Universität München
Promotion: 2002, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Unterrichtsforschung, Lehrerforschung, Hochschulforschung
Elmar Souvignier
Professor für Diagnostik und Evaluation im
schulischen Kontext, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Promotion: 2000, Goethe-Universität Frankfurt
Forschungsschwerpunkte
Diagnose und Förderung des Leseverständnisses, Kooperatives Lernen
Elena Stamouli
Akademische Rätin, Universität Regensburg
Promotion: 2003, Universität Regensburg
Forschungsschwerpunkte
Emotionale Kompetenzen, Berufszufriedenheit, Professional Learning
Ulrich Trautwein
Professor für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen
Promotion: 2002, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Empirische Bildungsforschung, Lehr-Lern-Forschung
Sabine Walper
Professorin für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung, Ludwig-Maximilians-
Universität München; Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e. V.
Promotion: 1986, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Scheidungs- und Stieffamilien, Familien in Armut, Entwicklung im Jugendalter, Förderung
elterlicher Erziehungskompetenzen
XV
Autorinnen und Autoren
Elke Wild
Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1993, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Familienpsychologie, Motivationspsychologie, Beratung, Jugendforschung
Oliver Wilhelm
Professor für Differenzielle Psychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Ulm
Promotion: 2000, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Konstruktion und Evaluation von Leistungs- und Fähigkeitstests, Multivariate Untersuchung
von Fähigkeitskonstrukten, Innovative Messverfahren zur Erfassung von Schülerleistungen
Wild, Möller: Pädagogische Psychologie
Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch
--
„Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens“ kurz
21 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs
skizziert und ausführlicher im ▶ Abschn. 17.2.2 erklärt.
Zeitunabhängiges Lehren und Lernen
Tab. 17.1 präsentiert exemplarisch die Kompe-
22 Ortsunabhängiges Lehren und Lernen
tenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz aus
Navigation: Mit Seiten-
zahl und Kapitelnummer
Exkurs
Wenn Sie es genau
Ein Training zur Förderung des induktiven wissen wollen: Exkurse
Denkens vertiefen das Wissen
Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt das induktive
Denken dar. Induktives Denken liegt immer dann vor, wenn
wir aus konkreten Beobachtungen auf Regelhaftigkeiten
z. B. von Formen schließen. Der Aachener Erziehungswis-
senschaftler und Psychologe Karl Josef Klauer hat für Kinder
und Jugendliche Trainings zur Förderung dieser Denkkom-
petenz vorgelegt (Klauer, 1989, 1991, 1993). Die Trainings
verdeckt
5 Kapitelzusammenfassungen
5 Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen 5 Karteikarten: Fachbegriffe pauken
5 Karteikarten: Überprüfen Sie Ihr Wissen 5 Kommentierte Linksammlung
5 Kapitelzusammenfassungen 5 Verständnisfragen und Antworten
5 Prüfungsfragen & Antworten: Üben Sie für 5 Dozentenmaterialien: Vorlesungsfolien,
die Prüfung Abbildungen und Tabellen
5 Dozentenmaterialien: Abbildungen und
Tabellen
I Lernen
1 Wissenserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Alexander Renkl
1.1 Wissenserwerb – Was wird da erworben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
II Lehren
4 Unterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Frank Lipowsky
4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
5 Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Tina Seidel
5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
5.2 Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
6 Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Holger Horz
6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
6.2 Lernmedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
XXI
Inhaltsverzeichnis
III Motivieren
7 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner
7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
8 Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Jens Möller und Ulrich Trautwein
8.1 Schulisches Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung. . . . . . . . . . . . . . . . 189
8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
8.4 Determinanten des Selbstkonzepts: Welche Faktoren beeinflussen die Höhe der
fachbezogenen Selbstkonzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
8.6 Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
9 Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun
9.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
9.2 Erfassung von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
9.3 Leistungsemotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
IV Interagieren
10 Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Elke Wild und Sabine Walper
10.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
10.2 Die Rolle der Eltern im Verlauf der (Familien-)Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
10.3 Familien in der Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
11 Lehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker
11.1 Merkmale des Lehrerberufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
11.2 Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
11.3 Motivationale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
11.4 Emotionale Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
11.5 Lerngelegenheiten für (angehende) Lehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
12 Gleichaltrige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Ursula Kessels und Bettina Hannover
12.1 Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
12.2 Beliebtheit und Freundschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
12.3 Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Peer-Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
XXII Inhaltsverzeichnis
VI Intervenieren
17 Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
Stefan Fries und Elmar Souvignier
17.1 Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
17.2 Training kognitiver Grundfunktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
17.3 Motivationstraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
17.4 Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
17.5 Implementation von Trainingsprogrammen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
XXIII
Inhaltsverzeichnis
Serviceteil
Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
Herausgeber- und Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
Anna-Theresia Decker, Dr. Stefan Fries, Prof. Dr.
Institut für Psychologie Abteilung Psychologie
Goethe-Universität Frankfurt Universität Bielefeld
Frankfurt am Main, Deutschland Bielefeld, Deutschland
E-Mail: anna.decker@uni-vechta.de E-Mail: stefan.fries@uni-bielefeld.de
Lernen
Inhaltsverzeichnis
1 Wissenserwerb – 3
Alexander Renkl
Wissenserwerb
Alexander Renkl
Literatur – 21
Der Erwerb von Wissen („knowledge acquisition“) ist wohl 1.1 Wissenserwerb – Was wird da
1 die wichtigste Zieldimension der meisten Bildungsprozesse. erworben?
Wird im Kontext von Schule, Hochschule und Weiterbildung
der Begriff „Lernen“ gebraucht, so bezieht er sich typischer- In diesem Abschnitt soll näher auf den Begriff des Wissens
weise auf Wissenserwerb. Insofern wird im Folgenden Lernen eingegangen werden. Es werden die wichtigsten Wissens-
synonym mit Wissenserwerb gebraucht. Zu gelungenem arten vorgestellt (zu umfassenden Systematiken siehe de
Wissenserwerb trägt eine Vielzahl von Faktoren bei. Dieser Jong und Ferguson-Hessler 1996; Alexander et al. 1991).
Beitrag konzentriert sich auf das Was und Wie des Wissens- In einer ersten groben Einteilung können zwei Arten
erwerbs aus kognitiver Perspektive. Dabei werden nur von Wissen unterschieden werden.
die proximal am Wissenserwerb beteiligten Faktoren
und Prozesse betrachtet. Für andere wichtige Faktoren, Definition
die hier nur am Rande oder gar nicht behandelt werden
Deklaratives Wissen bezieht sich auf „Wissen, dass“.
können, etwa Vorwissen und Intelligenz (7 Kap. 2), Selbst-
Dies kann sowohl einzelne Fakten umfassen (z. B.
steuerung der Lernenden (7 Kap. 3), Motivation (7 Kap. 7
ein Geschichtsdatum, eine Grammatikregel) als auch
und 8) oder Unterricht (7 Kap. 4, 5 und 6), wird auf die
komplexes Zusammenhangswissen (z. B. Verständnis
entsprechenden Kapitel dieses Lehrbuchs verwiesen. Im
der Wechselwirkung zwischen volkswirtschaftlichen
Folgenden wird zunächst die Frage geklärt, welche Wissens-
Faktoren). Vielfach wird auch der Begriff des
arten in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung
konzeptuellen Wissens verwendet, wenn deklaratives
sind (7 Abschn. 1.1). In 7 Abschn. 1.2 werden drei grund-
Wissen gemeint ist, welches tieferes Verständnis
legende theoretische Perspektiven rekonstruiert und
konstituiert.
deren Implikationen für die Analyse und Förderung des
Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, wie“, also
Wissenserwerbs diskutiert. Wichtige Lernarten werden in
etwas, das man in der deutschen Alltagssprache meist
7 Abschn. 1.3 besprochen. Abschließend wird noch kurz das
als Können bezeichnet. Beispiele für prozedurales
Verhältnis zwischen Lernprozessen und Instruktion (Unter-
Wissen, das in der Schule erworben werden soll, sind
richt, instruktionales Design von Lernmaterial und Lern-
das Lösen von Aufgaben aus der Mathematik, der
umgebungen) erörtert (. Abb. 1.1).
Physik oder der Chemie oder auch das Schreiben einer
Erörterung in Deutsch.
. Tab. 1.1 Wichtige Lernziele, die bestimmten Wissensarten entsprechen, am Beispiel des Bereichs Schreiben im Deutschunterricht
1
Lernziel Wissensart
Darüber hinaus können Vorhersagen und Problem- 1.2 Was sind bedeutende theoretische
lösungen geleistet werden. In Schemata können deklaratives Perspektiven?
Wissen und prozedurales Wissen integriert sein. Die
Expertiseforschung verdeutlicht dabei (Ericsson et al. Es gibt derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, wie
2006), dass für effektives Problemlösen eine hierarchische, Wissenserwerb abläuft und welche Prozesse besonders
durch Schemata geordnete Wissensstruktur von lernförderlich sind. Diese lassen sich drei prototypischen
Bedeutung ist. Diese ermöglicht nicht nur eine handhab- Positionen zuordnen:
bare Organisation des Wissens, sondern erlaubt es auch, 5 Die Perspektive des aktiven Tuns misst vor allem
die Verbindungen zwischen episodischen, konkreten aktivem Problemlösen und aktivem Diskurs eine
Sachverhalten einschließlich problemlöserelevanter besondere Bedeutung beim Erwerb von Wissen zu.
Informationen (z. B. Wissen über geeignete Operatoren 5 Bei der Perspektive der aktiven Informationsver-
bei bestimmten Problemen) und abstrakteren Domänen- arbeitung wird argumentiert, dass nicht unbedingt
prinzipien zu repräsentieren. Dies ist eine Voraussetzung sichtbares aktives Tun ausschlaggebend ist, sondern die
für kompetentes, prinzipiengesteuertes Problemlösen aktive mentale Auseinandersetzung mit dem Lerngegen-
(Alexander 1997). stand. Diese beiden Perspektiven wurden von Mayer
Um die Anwendungsqualität von Wissen geht es auch und Kollegen als grundlegende Orientierungen identi-
beim Begriff der Kompetenz, der insbesondere durch fiziert (z. B. Robins und Mayer 1993).
die von PISA (z. B. Deutsches PISA-Konsortium 2001; 5 Die Perspektive der fokussierten Informations-
PISA-Konsortium Deutschland 2007) angestoßene Dis- verarbeitung (Renkl 2011, 2015a) differenziert die
kussion zur Bildungsqualität in deutschen Schulen und Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
Hochschulen bedeutsame Beachtung erfährt (7 Kap. 15; insofern aus, als sie betont, dass nicht mentale Aktivität
siehe auch Klieme und Leutner 2006). Dieser stellt eine an sich zu gelungenem Wissenserwerb führt, sondern
eher holistische, d. h. mehrere Wissensarten umfassende mentale Aktivität, die die zentralen Konzepte (z. B.
und auf die Funktionalität von Wissen bezogene Begriffe) und Prinzipien (z. B. Gesetze, mathematische
Konzeption dar. Beispielsweise wird mathematische Sätze) in einem Lernbereich fokussiert.
Kompetenz im Sinne einer mathematischen Grundfertig-
keit verstanden, die sich auf die Fähigkeit bezieht, die Diese Perspektiven werden im Folgenden diskutiert. Dabei
Funktion von Mathematik in der Lebenswelt zu verstehen, wird die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
fundierte mathematikbasierte Urteile abgeben zu können am ausführlichsten dargestellt, da sie die derzeit dominante
und Mathematik als Werkzeug im Alltags- oder Berufs- Orientierung ist.
leben nutzen zu können. Obwohl mit dem Kompetenz-
begriff und dessen Betonung der Funktionalität von Wissen
ein wichtiger und interessanter Ansatz in die wissenschaft- 1.2.1 Perspektive des aktiven Tuns
liche Diskussion eingeführt wurde, mangelt es derzeit
noch an einer umfassenden theoretischen und allgemein Die Perspektive des aktiven Tuns betrachtet sichtbare, offene
akzeptierten Konzeptualisierung des Kompetenzbegriffs Lernaktivitäten als notwendige Bedingung gelungenen
(Renkl 2012). Wissenserwerbs. Ein klassisches Beispiel für diese Position
In . Tab. 1.1 findet sich eine Zusammenstellung der ist das Modell des operanten Konditionierens von
wichtigsten Wissensarten. Diese werden am Beispiel des Skinner (1954). Dabei wird betont, dass Schüler Gelegen-
Schreibens exemplifiziert. heit bekommen müssen, Verhalten zu zeigen, das, wenn
Wissenserwerb
7 1
erwünscht, sogleich bekräftigt wird. Dies kann sehr gut über für erfolgreiches Lernen ausschlaggebend ist, kritisch
Lernmaschinen – in der Art moderner computerbasierter beleuchtet werden. Lernen ist letztendlich ein Prozess,
Drill-and-Pratice-Lernprogramme – erfolgen, in denen der der sich im Kopf (Gehirn) vollzieht. Vor diesem Hinter-
Lernstoff in kleine Einheiten unterteilt und in Aufgaben grund ist es problematisch, Kriterien darüber, ob effektives
„gegossen“ wird. Die Aufgaben sollten von den Lernenden Lernen stattfindet, primär an offenen Aktivitäten festzu-
zumeist richtig gelöst werden können, sodass korrektes Ver- machen. Tut man dies dennoch, so entspricht dies vielfach
halten bekräftigt werden kann. Die Lernmaschinen erlauben der naiven Annahme einer 1:1-Korrepondenz zwischen
zudem eine individuelle Anpassung des Lerntempos. äußerlich sichtbaren Lernaktivitäten und dem, was internal,
Diese Perspektive mag veraltet anmuten, da also im Kopf der Lernenden passiert. Dass dem nicht so ist,
in modernen instruktionalen („unterrichtlichen“) zeigen beispielsweise die Befunde von Fischer und Mandl
Ansätzen weniger die Einübung einzelner Antworten (2005) sowie Renkl (1997b): In kooperativen Lernarrange-
im Vordergrund steht, als vielmehr vernetzte, Ver- ments, in denen ja auf der sozialen/offenen Ebene auf
ständnis konstituierende und Transfer erlaubende den ersten Blick für alle Vergleichbares passiert, können
Wissensstrukturen. Es gibt allerdings auch moderne die Kooperationspartner dennoch sehr verschieden-
Versionen dieser Perspektive. Unter Schlagwörtern artige Erfahrungen machen und unterschiedliches Wissen
wie Konstruktivismus (im Sinne Piagets) oder Sozial- erwerben (dazu auch Weinberger et al. 2007).
konstruktivismus (unter Bezug auf Vygotsky) gibt es eine Es seien drei weitere Beispiele für empirische Befunde
Vielzahl von Ansätzen, die als Voraussetzung gelungenen genannt, die eine eher kritische Sicht auf die Position des
Wissenserwerbs offenes Verhalten betonen, wie etwa aktiven Tuns implizieren. Pauli und Lipowsky (2007) unter-
Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames suchten die verbale Beteiligung der Schüler am Unter-
Problemlösen oder aktive Teilnahme an fachlichem Dis- richt, welche man als prototypisches aktives Lernverhalten
kurs (z. B. Stahl et al. 2014). Nach Barab et al. (2008) z. B. ansehen kann. Sie fanden nicht, dass aktive Schüler mehr
sind Konzepte keine für sich stehenden Entitäten im Kopf lernen. Ein zweites Beispiel stammt von Renkl (1997b).
von Lernenden, sondern Werkzeuge, die immer mit Aktivi- Er fand, dass Lernen durch Lehren – vielfach ein „Parade-
täten verbunden sind. Da Kognition damit an Aktivitäten in beispiel“ für aktives Lernen – die Lernenden in Stress ver-
konkreten Situationen gebunden ist, spricht man hier auch setzen und sie überfordern kann, wenn sie sich in einem
von der Perspektive der situierten Kognition (Greeno 2006). Lernbereich noch in anfänglichen Lernstadien befinden.
Die Ablehnung der Annahme, dass Wissen Diejenigen, die nach einer ersten Selbstlernphase den Stoff
(„knowledge“) als etwas zu betrachten ist, das unabhängig anderen erklärten, die dieselbe Selbstlernphase gerade
von situativen Kontexten in den Köpfen abgespeichert hinter sich gebracht hatten, lernten sogar weniger als
ist, wird von Vertretern des Situiertheitsansatzes nicht die Zuhörenden. Die vermeintlich passiven Zuhörenden
zuletzt mit dem vielfach anzutreffenden Phänomen des erwarben also mehr Wissen. Das dritte Beispiel bezieht
„trägen Wissens“ begründet (Renkl 1996). Dieser Begriff sich auf Befunde zu Lösungsbeispielen beim anfäng-
kennzeichnet Wissen, das Lernende z. B. in Prüfungen lichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten (z. B. Renkl 2014;
wiedergeben können, das sie aber nicht verwenden, 7 Abschn. 1.3.2). Es ist lernförderlicher, mehrere Lösungs-
wenn es gilt, komplexe Probleme des Berufs- oder All- beispiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem Bei-
tagslebens zu lösen; es findet kein Transfer statt. Insofern spiel) zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen. Dies gilt
wurde argumentiert, dass Wissen nicht eine Entität im sogar dann, wenn das Lernen durch Aufgabenbearbeiten
Kopf ist, die in einem Kontext (z. B. Unterricht) erworben in „ausgefeilter“ Weise unterstützt wird (z. B. Schwonke
und dann in einem anderen Kontext (z. B. Arbeitsstelle) et al. 2009). Das scheinbar passive Studium von Lösungs-
genutzt werden kann. Es wird vielmehr insofern als kontext- beispielen ist also die bessere Alternative. Zugleich zeigen
gebunden angesehen, als es sich immer aus der Relation Untersuchungen, dass die mentalen Lernaktivitäten beim
oder Interaktion zwischen einer Person und einer Situation Beispielstudium von ganz entscheidender Bedeutung für
konstituiert. Beispielsweise konstituiert sich Wissen beim den Lernerfolg sind (Renkl 2014; 7 Abschn. 1.3.2). Diese
Kooperieren mit anderen Lernenden, wobei die Art der Art der Aktivität wird in der Perspektive der aktiven
Interaktion bestimmt, welches Wissen dabei entsteht. Aus Informationsverarbeitung betont.
dieser Wissensauffassung folgt, dass auch Kognition und
Lernen als kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren
ist. Wissen ist gleichsam in Aktivitätsmuster „eingebaut“, 1.2.2 Perspektive der aktiven
die zu bestimmten Situationen bzw. Kontexten passen. Um Informationsverarbeitung
Wissen zu erwerben, müssen Lernende also aktiv an Dis-
kursen und Problemlöseprozessen teilnehmen, um so die Die Perspektive der aktiven Verarbeitung ist mit den
entsprechenden Aktivitätsmuster zu erwerben. im vorstehenden Abschnitt genannten Befunden (z. B.
Eine umfassende Diskussion der Vorzüge und Zuhören kann besser als Erklären sein) vereinbar. Es
Beschränkungen der situierten Perspektive kann hier aus kommt nicht auf die offen sichtbare Aktivität an, sondern
Platzgründen nicht erfolgen (z. B. Renkl 2001). Es soll auf die mentale stoffbezogene Aktivität. Diese Position wird
hier primär die Annahme, dass das aktive, offene Tun von den meisten kognitiv orientierten Lehr-Lern-Forschern
8 A. Renkl
eingenommen (Robins und Mayer 1993; vgl. auch den an Informationen, die wir gleichzeitig beachten können,
1 Begriff der kognitiven Aktivierung; 7 Kap. 2). Auch hierbei begrenzt ist, ist uns allen aus der Alltagserfahrung bekannt
liegt meist eine konstruktivistische Grundauffassung vor: Es (wir können an einem Tisch z. B. nicht zwei komplexen
wird nicht angenommen, dass den Lernenden das Wissen Konversationen zugleich folgen). Die potenziell von außen
direkt vermittelt werden kann, vielmehr müssen sie aktiv ins Arbeitsgedächtnis kommenden Daten werden zunächst
Information interpretieren und daraus Wissen aufbauen. in einem Ultrakurzzeitgedächtnis im Millisekundenbereich
Es ist wichtig anzumerken, dass die Perspektiven der festgehalten (neuronale Muster, die durch akustische oder
aktiven Informationsverarbeitung und des aktiven Tuns optische Signale ausgelöst werden). Aus der Vielzahl der
nicht immer zu unterschiedlichen Vorhersagen über einströmenden Reize werden nur sehr wenige bewusst
effektiven Wissenserwerb kommen. Auch wenn man die beachtet, indem sie in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen
aktive Informationsverarbeitung als für effektiven Wissens- und verarbeitet werden. Insofern eine konstruktivistische
erwerb ausschlaggebend sieht, kann die Annahme gemacht Grundauffassung eingenommen wird – was inzwischen der
werden, dass eine offene Aktivität (z. B. „Experimentieren“ typische Fall ist –, ist dabei vor allem zu beachten, dass die
mit der Simulation eines ökologischen Systems) sinn- ins Arbeitsgedächtnis aufgenommenen Daten erst dadurch
voll ist. Eine Begründung dafür bestünde aber immer in zur Information werden, dass sie auf der Basis des Vor-
der Annahme, dass man dadurch mentale Verarbeitungs- wissens des Einzelnen (aus dem Langzeitspeicher) inter-
prozesse, etwa des Hypothesenbildens und -testens, pretiert werden, ihnen also Bedeutung verliehen wird
aktiviert. Zugleich wird aber die Möglichkeit in Betracht (Aamodt und Nygård 1995). Sehen sich beispielsweise ein
gezogen, dass offene Aktivität der mentalen lernstoff- Patient und ein Arzt eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb
bezogenen Aktivität abträglich sein kann – wie dies mit an, so ist die Information, die im Arbeitsgedächtnis entsteht,
den Befunden zu Lösungsbeispielen und zum Lernen durch jeweils deutlich verschieden. Der Patient „bestaunt“ seine
Zuhörer exemplarisch aufgezeigt wurde. Rippen – das trifft zumindest bei mir zu –, während der Arzt
nach Anzeichen von Lungenerkrankungen sucht, die dem
Gedächtnisstrukturen und Wissenserwerb Laien völlig unbekannt sind (Lesgold et al. 1988). Die Inter-
In der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung pretation des Wahrgenommenen bzw. die Information, die
wird angenommen, dass die lernrelevante Informations- entsteht, ist also fundamental vom Vorwissen abhängig. Dies
verarbeitung im Arbeitsgedächtnis (auch Arbeitsspeicher entspricht einer konstruktivistischen Kernannahme, nämlich
genannt) vollzogen wird. Dieser Speicher enthält das, was dem Postulat, dass wir die Dinge nicht „so wie sie sind“ (was
uns gerade bewusst ist, an was wir gerade denken (7 Exkurs das auch immer sein mag) wahrnehmen, sondern dass wir sie
„Was ist das Arbeitsgedächtnis?“). Dass dabei der Umfang immer interpretieren und damit erst mit Bedeutung belegen.
Exkurs
Exkurs
1
Cognitive-Load-Theorie
Die 7 Cognitive-Load-Theorie von unnötige Belastung wird als extrinsisch Einheiten zusammenfassen können,
Sweller und Kollegen ist die zurzeit („extraneous“) bezeichnet. Daneben ist eine geringe Komplexität aufweisen.
wohl bekannteste Theorie zum die Belastung des Arbeitsgedächtnisses Insbesondere die Kombination aus
Wissenserwerb, die die Struktur des durch die Stoffkomplexität (z. B. hoher intrinsischer und extrinsischer
Arbeitsgedächtnisses ins Zentrum komplexe ökologische Zusammenhänge) Belastung kann zu einer kognitiven
stellt (Paas et al. 2003; Sweller et al. zu beachten. Wenn Lernende mehrere Überforderung („overload“) führen, die
2011). Die grundlegende Annahme Aspekte gleichzeitig beachten den Wissenserwerb beeinträchtigt oder
ist dabei, dass der Wissenserwerb müssen, wird von hoher intrinsischer gar unmöglich macht. Die Relevanz der
in vielen Lernsituationen dadurch Belastung gesprochen („intrinsic load“). mentalen Aktivitäten der Lernenden
beeinträchtigt wird, dass das Diese Belastung ist natürlich immer kommt insbesondere im Konstrukt der
Arbeitsgedächtnis unnötig belastet auch vom Vorwissen der Lernenden lernbezogenen Belastung („germane
wird (z. B. Lernende haben Probleme, abhängig: Was für einen Laien komplex load“) zum Ausdruck. Diese Belastungsart
eine Abbildung und deren Details ist, mag für Experten, die mithilfe beschreibt die Arbeitsgedächtnis-
dem entsprechenden Textinhalten ihrer gut entwickelten Schemata belastung, die aus Wissenskonstruktions-
zuzuordnen; „Split-Attention“-Effekt). Die Einzelinformationen zu größeren prozessen resultiert.
Prozesse des Wissenserwerbs wird. Dies muss vielmehr oft absichtsvoll und insofern
Im Verlauf eines Lernprozesses wird Information im Lang- strategisch erfolgen oder von außen, etwa von einem
zeitspeicher abgelegt, sie wird zu Wissen (Aamodt und Lehrer, angestoßen werden (Krause und Stark 2006).
Nygård 1995). Der eigentliche Lernprozess findet aber im
Arbeitsgedächtnis statt. Im Folgenden wird eine Taxonomie Selegieren Lernende sollten aus den zahlreichen auf
lernbezogener Funktionen der Informationsverarbeitung unsere Sinnesorgane einströmenden Reizen die wichtigsten
im Arbeitsgedächtnis vorgestellt (Renkl 2008b; auch Wein- selegieren, um sie im Arbeitsgedächtnis weiter zu ver-
stein und Mayer 1986). arbeiten. Beispielsweise beinhaltet effektiver Wissens-
Für effektiven Wissenserwerb sollen die Informations- erwerb, dass aus einer Pro-und-Contra-Diskussion die
verarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis insbesondere zentralen Argumente beachtet werden und nicht etwa die
die folgenden Funktionen erfüllen: „komische“ Ausdrucksweise eines Diskussionsteilnehmers.
5 Interpretieren
5 Selegieren Organisieren Lernende sollten sich die Zusammenhänge
5 Organisieren zwischen einzelnen Informationen bewusst machen und
5 Elaborieren bestimmen, was über- und untergeordnete Punkte oder
5 Stärken Hauptpunkte sind (z. B. Identifizieren der zentralen Aus-
5 Generieren sage eines Textabschnittes). Unterstreichen von Haupt-
5 metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren. aussagen oder das Anfertigen von Schaubildern sind
Aktivitäten, die der Funktion der Organisation dienen.
Interpretieren Wie bereits erwähnt, nehmen wir aus
konstruktivistischer Sicht Dinge nicht einfach wahr, Elaborieren Diese Funktion bezieht sich darauf, dass
sondern wir interpretieren einkommende Daten. Erst so neue Information mit vorhandenem Vorwissen in Ver-
entsteht Information. Die Art der Interpretation ist vom bindung gebracht, in dieses integriert wird. Dabei kann
Vorwissen und dessen Aktivierung abhängig. Um auf ein die neue Information sowohl mit bereits vorhandenem
bereits genanntes Beispiel zurückzukommen: Ob man auf fachlichem Wissen als auch mit abgespeicherten
einem Röntgenbild überhaupt Zeichen einer bestimmten Erfahrungen aus der Alltagswelt erfolgen (z. B. ein Schüler
Erkrankung sehen kann, hängt vom medizinischen Fach- bezieht Wissen aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf
wissen ab. Die Qualität der Interpretation einer Problem- seine Erfahrungen mit Würfelspielen). Folgende typische
stellung (Problemrepräsentation) ist in vielen Fällen für Lernaktivitäten erfüllen diese Funktion: sich ein eigenes
weitere Lern- und Problemlöseprozesse entscheidend. Beispiel überlegen, Analogien ziehen, etwas in eigene
So können Schüler Textaufgaben als zu verstehende und Worte fassen oder etwas kritisch vor dem Hintergrund des
durch plausible Schlussfolgerungen zu ergänzende kurze eigenen Vorwissens bewerten.
Geschichte auffassen oder als „Übung“, bei der es einfach
nur gilt, die Zahlen herauszusuchen und eine naheliegende Stärken Wiederholungen – gleich, ob im Kontext eines
Rechenoperation mit ihnen durchzuführen (Verschaffel „einfachen“ Wiederholens (z. B. nochmaliges Lesen) oder
et al. 2000). Zu beachten ist dabei, dass relevantes Vor- im Kontext anspruchsvollerer Lernaktivitäten, in denen
wissen, das helfen würde, einkommende Daten mit bestimmte Inhalte immer wieder vorkommen – können
Bedeutung zu versehen, nicht immer automatisch aktiviert Gedächtnisinhalte und deren Assoziationen zu anderen
Wissenserwerb
11 1
Gedächtnisinhalten stärken. Man kann dadurch die Ver- Lernstrategien oder Lernaktivitäten (Mandl und Fried-
fügbarkeit bestimmten deklarativen Wissens erhöhen. rich 2006), sondern eben von Funktionen gesprochen
Zu beachten ist dabei, dass die Stärkung von Gedächt- wurde. Dies ist insofern bedeutsam, als bei der üblichen
nisinhalten am besten durch ein Abruftraining gelingt Einteilung von Lernstrategien das Problem der ein-
(Testing-Effekt); dabei sollte der Gedächtnisabruf idealiter deutigen Zuordnung entsteht: Wenn ein Lernender sich
mit Mühe verbunden, aber dennoch erfolgreich sein ein eigenes Beispiel für etwas überlegt, um zu sehen, ob
(z. B. Rowland 2014). Ebenso kann die wiederholte Aus- er einen Sachverhalt auch richtig verstanden hat, dann
führung prozeduralen Wissens bedeutsame Lerneffekte ist nicht klar, ob man dieses Vorgehen als Elaborations-
nach sich ziehen. Zum einen kann eine wiederholte Aus- oder als Metakognitionsstrategie bezeichnen soll. Wenn
führung deren Durchführung überflüssig machen, da das jemand versucht, den Hauptpunkt einer Darstellung in
Endergebnis als deklaratives Wissen aus dem Gedächtnis eigenen Worten zu formulieren, handelt es sich dann um
abgerufen werden kann. Dies ist zum Beispiel der Fall, eine Elaborations- oder Organisationsstrategie? Dieses
wenn Erstklässler immer wieder „4+3“ über verschiedene Problem ergibt sich nicht, wenn man von Funktionen
Strategien des Fingerzählens bestimmen. Sie werden mit spricht. Eine Lernstrategie kann eben verschiedene
der Zeit direkt „7“ als Lösung aus dem Gedächtnis abrufen Funktionen erfüllen.
können (Siegler und Jenkins 1989). Zum anderen können Zusammenfassend betont die Perspektive der aktiven
durch die Ausführung von Fertigkeiten spezialisierte Informationsverarbeitung, dass für effektives Lernen
Produktionsregeln generiert werden und es können sich Wissenskonstruktionsprozesse im Arbeitsgedächtnis statt-
damit automatisierte Routinen bilden. Die Ausführung finden müssen. Eingehende Daten sollten aktiv mithilfe
einer Fertigkeit nimmt damit weniger Aufmerksamkeits- des Vorwissens interpretiert, selegiert, organisiert und
ressourcen in Anspruch und erfolgt schneller. elaboriert werden. Wichtige weitere Lernprozesse beziehen
sich auf die Stärkung des Wissens, das Generieren neuer
Generieren Lernende „schaffen“ neue Information Information und die metakognitive Steuerung des
bzw. Wissen. Beim entdeckenden oder erforschenden Lernens. Derartige Prozesse können – müssen aber nicht
(„inquiry“) Lernen (z. B. Loyens und Rikers 2017) steht – durch offene Lernaktivitäten, wie sie die Perspektive
diese Funktion im Vordergrund. Die Lernenden sollen des aktiven Tuns betont, angeregt werden. Eine kritische
beim Erkunden und Erforschen eines Gegenstands- Frage, die hier gestellt werden kann, ist, ob ein Mehr an
bereichs Schlussfolgerungen (Inferenzen) ziehen und lernstoff- bzw. lernmaterialbezogenen Aktivitäten immer
damit Wissen generieren. Aber auch bei „rezeptiven“ besser ist. Dies wird im nächsten Abschnitt diskutiert.
Lernformen, etwa beim Lesen, erfordert ein wirkliches
Textverstehen und Lernen immer auch Inferenzen
(Schlüsse) auf der Basis von Textvorlagen und Vor- 1.2.3 Perspektive der fokussierten
wissen (z. B. Kintsch und Kintsch 1996). Ein für den Informationsverarbeitung
Wissenserwerb sehr wichtiger generativer Aspekt ist die
Konstruktion abstrahierter Wissensstrukturen, z. B. wenn Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung
aus mehreren Beispielen zu einem bestimmten Problem- widerspricht der Perspektive der aktiven Informations-
typ ein Schema für eben diesen Typ konstruiert wird. verarbeitung nicht grundsätzlich, sondern baut auf ihr
auf und differenziert sie. Der basale Unterschied besteht
Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren Die darin, dass die in diesem Abschnitt vorgestellte Auffassung
vorgenannten kognitiven Funktionen beziehen sich mehr postuliert, dass Lernende nicht nur den Lernstoff und die
oder weniger direkt auf den Erwerb oder die Stärkung Lernmaterialen aktiv verarbeiten, sondern vor allem auf
deklarativen oder prozeduralen Wissens. Metakognitionen die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussieren sollen
betreffen hingegen, wie bereits erwähnt, die Steuerung (Renkl 2011, 2015a). Warum dies ein relevanter Unterschied
und Überwachung der kognitiven Prozesse. Während die ist, soll im Folgenden anhand von vier Beispielen aufgezeigt
Ausführungen in 7 Abschn. 1.1 darauf fokussiert waren, werden.
dass Lernende metakognitives Wissen erwerben sollen Bei computerbasierten Lernumgebungen wird Interaktivi-
(als Lernziel), geht es hier um dessen Einsatz in einer tät – die Möglichkeit, dass Lernende aktiv Eingaben machen
aktuellen Lernsituation. Idealiter planen Lernende ihr oder eine Auswahl treffen können und die Lernumgebung
Vorgehen beim Lernen oder beim Bearbeiten von Lern- darauf reagiert – vielfach als ein wichtiges Kriterium gesehen,
aufgaben; sie fragen sich selbst, ob sie den Stoff korrekt das Lernen fördert (z. B. Renkl und Atkinson 2007). Neben
verstanden haben (überwachen) und ergreifen ggf. Begründungen, die aus einer Perspektive des aktiven Tuns
Maßnahmen, um Verständnislücken oder Schwierigkeiten heraus erfolgen, wird Interaktivität meist als ein Mittel
bei einer Problembearbeitung zu überwinden (remediales gesehen, die kognitive Aktivität der Lernenden anzuregen
Regulieren). (Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung). So
An der vorstehenden Nennung wichtiger Prozesse schreiben Moreno und Mayer (2007, S. 312) „we are interested
des Wissenserwerbs ist zu beachten, dass hier bewusst in whether interactivity is a feature that can be used to promote
nicht, wie sonst in diesem Zusammenhang üblich, von deep cognitive processing in the learner … Deep learning
12 A. Renkl
depends on cognitive activity“. Es zeigt sich empirisch jedoch, anschwillt und dann zerplatzt, während eine Blutzelle in
1 dass Interaktivität, auch wenn sie auf aktive Informationsver- Salzwasser schrumpft. Zunächst sollten die Schüler ver-
arbeitung abzielt, vielfach nicht den Lernerfolg fördert. Einen suchen, dies zu erklären. Diese Diskussion erhöhte den
in dieser Hinsicht interessanten Befund fanden Berthold Lernerfolg aus einem nachfolgenden Lehrtext über Osmose
und Renkl (2009). Sie setzten eine computerbasierte Lern- in bedeutsamer Weise. Interessanterweise profitierten
umgebung ein, die u. a. Lösungsbeispiele mit zwei Lösungs- gerade auch Lernende mit weniger Vorwissen, die zum
wegen (Wahrscheinlichkeitsrechnung) darbot. Als interaktives Teil vor dem Textlesen falsche Erklärungen gaben, von der
Element wurden einem Teil der Lernenden anspruchsvolle Fokussierung durch die vorausgehende Diskussion. Dieses
Leitfragen gestellt (sog. „Selbsterklärungs-Prompts“). Diese Beispiel zeigt, dass eine zunächst unfokussierte Aktivierung
führen nicht nur zu mehr Aussagen über wahrscheinlichkeits- durchaus sinnvoll sein kann, aber nur wenn sie einen sinn-
theoretische Prinzipien, die konzeptuell damit auch besser vollen Fokus für die Hauptphase des Lernens (hier: Text-
verstanden wurden, sondern teils auch zu falschen Aussagen, lesen) induziert (siehe auch Glogger-Frey et al. 2017).
die zu vermindertem prozeduralen Wissenserwerb führten. Zusammengefasst besagt die Perspektive der
Die Leitfragen führten also zu vermehrter aktiver Stoffver- fokussierten Verarbeitung, dass man Lernprozesse in ihrer
arbeitung, hatten aber im Endeffekt negative Folgen für das Aktivität nicht allein danach beurteilen kann, ob eine mehr
„Wissen, wie“. oder weniger aktive Verarbeitung des Lernstoffes und der
Als zweites Beispiel sollen fehlpriorisierte Konzepte Lernmaterialien erfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass
(z. B. Otieno et al. 2014) dienen. Mandl et al. (1993) fanden die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussiert und in
beispielsweise, dass Auszubildende einer kaufmännischen korrekter Weise erworben werden.
Berufsschule fehlpriorisierte Konzepte erwerben können,
d. h., sie weisen bestimmten Aspekten des Lernstoffes eine
viel höhere Bedeutung als angemessen zu. Im vorliegenden 1.2.4 Wahl der Perspektive:
Fall arbeiteten die Lernenden mit einer computerbasierten Implikationen zur Gestaltung von
Simulation einer Jeans-Fabrik, um sich zunächst öko- Lehr-Lern-Arrangements
nomische Zusammenhänge zu verdeutlichen und dann
das erworbene Wissen anzuwenden, um den Gewinn der Welche der drei diskutierten Perspektiven zum Wissens-
Fabrik zu maximieren. Viele Lernende richteten ihr Augen- erwerb am angemessensten ist, mag zunächst als akademische
merk in dieser Lernumgebung vor allem darauf, ja nicht Frage anmuten. Die vorstehend berichteten Befunde dürften
zu viele Bestände anzuhäufen und ihr Lager möglichst aber aufgezeigt haben, dass die grundlegende Auffassung
leer zu halten; andere Aspekte, etwa was die Konkurrenz Konsequenzen dafür hat, wie man Lehr-Lern-Umgebungen
am Markt macht oder ob man weitere Werbemaßnahmen gestaltet: Setzt man auf Problemlösen oder auf Beispiele bei
treffen sollte, wurden kaum mehr beachtet. Am Ende anfänglichem Fertigkeitserwerb (aktives Tun oder aktive
waren diese Lernenden auch nicht gut darin, den Gewinn Verarbeitung)? Versucht man die Lernenden z. B. durch
zu maximieren. Das suboptimale Lernen lag nicht an der computerbasierte Simulationen zum Nachdenken über
fehlenden aktiven Verarbeitung, sondern an einer sub- wirtschaftliche Zusammenhänge anzuregen oder muss man
optimalen Verteilung des Fokus. ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigen Aspekte lenken (aktive
Ein drittes Beispiel sind verführerische Details, die in Informationsverarbeitung versus fokussierte Verarbeitung)?
Texte oftmals integriert werden, damit die Leser interessiert Vor dem Hintergrund, dass hier die Perspektive der
werden und den Text aktiv verarbeiten (Garner et al. 1989). fokussierten Verarbeitung als am erklärungsmächtigsten
Sie werden aber deshalb als verführerisch bezeichnet, angesehen wird, ist es problematisch, dass nicht nur in der
da die Leser sie zwar als hoch interessant einstufen, sie wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in der breiten
aber unwichtig sind und nicht in direktem Bezug zu den „Bildungsöffentlichkeit“ (z. B. Lehrer, Dozenten, Bildungs-
Hauptideen des Textes stehen. Tatsächlich haben solche politiker) insbesondere Begriffe wie „aktives Lernen“ betont
verführerischen Details meist negative Effekte auf den Lern- werden und „aktiv“ in Zusammenhang mit Lernen als
erfolg, etwa im Sinne der Identifizierung der Hauptideen besonders wichtig erachtet wird (zu dem entsprechenden
eines Textes (z. B. Eitel und Kühl 2019). Auch dies ist ein Dogma s. Renkl 2008b). Aus dieser Einstellung heraus kann
Fall, in dem Lernstoff einschließlich randständiger Aspekte, man jedoch, wie im vorstehenden Abschnitt aufgezeigt,
aber nicht die zentralen Konzepte und Prinzipien tief ver- suboptimale Entscheidungen bei der Gestaltung von
arbeitet werden. Dies ist letztendlich dem Lernen abträglich. Lehr-Lern-Arrangements treffen.
Das vierte Beispiel ist ein „Positivbeispiel“, bei dem eine Als Fazit kann festgehalten werden, dass die grund-
vorausgehende Fokussierung der Aufmerksamkeit der legende theoretische Perspektive wichtige Implikationen
Lernenden produktive Auswirkungen hat. Schmidt et al. hat, wie Unterricht bzw. Lehr-Lern-Arrangements gestaltet
(1989) gaben Kleingruppen von Schülern das Problem zur werden. Es wird dafür plädiert, künftig explizit die
Diskussion, dass eine Blutzelle in reines Wasser e ingetaucht Perspektive der fokussierten Verarbeitung einzunehmen.
Wissenserwerb
13 1
1.3 Wie kann Wissen erworben werden? – Gedicht, ein griffiges Zitat oder den Text einer Schau-
Wichtige Lernformen spielrolle auswendig lernen will. Gleichwohl ist die Text-
oberfläche in den meisten Lehr-Lern-Situationen von
1.3.1 Lernen aus Text untergeordneter Bedeutung.
nicht nur langweilig, sondern auch ineffizient machen ungültigen Schlussfolgerungen unterscheiden können (z. B.
1 würden (vgl. den lernabträglichen Redundanzeffekt der Schaffner und Schiefele 2007). Weiterhin ist zu beachten,
Cognitive-Load-Theorie; Sweller et al. 2011). dass eine situationale Repräsentation der geringsten
Vergessensrate unterliegt, während die Textoberfläche am
Situationsmodell schnellsten vergessen wird (Schnotz 2010).
Van Dijk und Kintsch (1983) bezeichnen eine substanziell
mit Vorwissen angereicherte, reichhaltige Repräsentation Was beeinflusst die Qualität des Textlernens?
eines Textes als Situationsmodell. Kintsch und Kintsch (1996) Welche Art der Repräsentation aufgebaut wird, hängt von
sprechen sogar erst dann von bedeutungshaltigem Lernen verschiedenen Faktoren ab, vor allem von
(„deep learning“), wenn ein Situationsmodell aufgebaut wird. 5 der Qualität des Textes,
Dieses entspricht einer ganzheitlichen Repräsentation des 5 dem Vorwissen der Lernenden und
Textes, die über den propositionalen Gehalt hinausgeht und 5 den mentalen Aktivitäten der Lernenden (hier speziell:
z. B. auch Vorstellungsbilder (also „Analoges“) beinhaltet. Lesestrategien; Kintsch und Kintsch 1996).
Exkurs
1
Selbsterklärungen
Der Begriff der 7 Selbsterklärungen bei Beispielen aus nichtalgorithmischen zugeordnet, etwa das Revidieren des
wurde von Chi et al. (1989) im Kontext Inhaltsgebieten ist diese Art der eigenen mentalen Modells (entspricht
des Lernens aus Lösungsbeispielen Selbsterklärung besonders wichtig. in etwa dem Situationsmodells,
(Newton’sche Gesetze) eingeführt. Studierende erlernen insbesondere 7 Abschn. 1.3.1; Chi 2000). Aleven
Es zeigt sich, dass insbesondere dann Argumentationsstrukturen aus und Koedinger (2002) zeigten, dass es
diejenigen Lernenden viel aus dialogischen Videobeispielen in eigene auch sinnvoll ist, beim Problemlösen
Lösungsbeispielen, welche ja nie alle Argumentationen zu übernehmen, Selbsterklärungen vorzunehmen.
möglichen Begründungen enthalten, wenn sie angehalten werden, Ainsworth und Loizou (2003) fanden,
lernten, die die Begründungslücken prinzipienbasierte Erklärungen zu dass Diagramme viele Selbsterklärungen
über Schlussfolgerungen füllten. geben (Schworm und Renkl 2007). auslösen können, und Roy und Chi
Beispielsweise begründeten erfolgreich Das heißt in diesem Fall, dass sie aus (2005) sehen Selbsterklärungen als
Lernende Lösungsschritte unter einer Beispielargumentation über probates Mittel an, um unterschiedliche
Bezug auf Newton’sche Gesetze. Renkl Stammzellenforschung nicht nur die Darstellungsformen (z. B. Text und
(1997a) nannte diese Begründungen „offen“ ersichtlichen medizinischen oder Diagramme) zu integrieren. Diese
prinzipienbasierte Erklärungen. Sie sind ethischen Inhalte fokussieren, sondern Ausweitungen unterstreichen einerseits
deshalb von Bedeutung, weil Lernende sich erklären, welche argumentativen die Nützlichkeit des Konzepts der
damit ein tieferes Verständnis von Strukturen jeweils zum Einsatz kommen. Selbsterklärung, andererseits verliert es
Lösungsprozeduren erwerben, d. h., Inzwischen wurde das Konzept der aber seine spezifische Bedeutung. Die
sie wissen, wie die Lösungsschritte mit Selbsterklärung auf andere Lernarten, Grenzen zwischen Selbsterklärung und
den grundlegenden Prinzipien eines etwa dem Lernen aus Texten, anderen in der Literatur beschriebenen
Inhaltsgebiets in Zusammenhang stehen angewandt. Damit wurden diesem Lernstrategien sind inzwischen
(prinzipienbasiertes Verständnis). Auch Konstrukt zusätzliche Aspekte verschwommen.
Es ist dann sinnvoll, die beiden Arten der Information über gaben bearbeiten. Um einen fließenden Übergang zum Auf-
unterschiedliche Modi darzubieten (z. B. Grafik visuell und gabenbearbeiten zu bewerkstelligen, haben Renkl und Atkinson
Text akustisch; Modalitätseffekt; Mousavi et al. 1995), sodass (2003) folgendes Rational entwickelt, das sich inzwischen viel-
sowohl der visuelle als auch der akustische Verarbeitungs- fach bewährt hat: Zunächst werden vollständige Beispiele
kanal genutzt und damit eine Überlastung vermieden präsentiert, in die dann allmählich immer mehr Lücken und
werden kann. Eine weitere Möglichkeit zur Abhilfe ist die damit Anforderungen der Aufgabenbearbeitung integriert
Wahl eines integrierten Formats, bei dem die Beschriftung werden – bis am Ende die Lernenden die Aufgaben komplett
in die Grafik integriert wird (nebenbei sei erwähnt, dass selbstständig lösen. Diese Ausblendprozedur ist besonders
auch beim Lernen aus Texten mit Abbildungen der effektiv, wenn sie an den individuellen Lernfortschritt der
„Split-Attention“-Effekt auftreten kann, wenn Lernenden
einzelnen Lernenden angepasst wird (Kalyuga und Sweller
die Zuordnung schwerfällt). Neben den genannten Aspekten 2004; Salden et al. 2009).
der Beispielgestaltung gibt es eine Anzahl weiterer wichtiger Zusammenfassend kann man festhalten, dass beim
Faktoren (dazu Renkl 2014). anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten das Lernen
Zu beachten ist, dass nicht alle Lernenden die Arbeits- aus Lösungsbeispielen besonders effektiv ist, insbesondere
gedächtniskapazität, die beim beispielbasierten Lernen durch wenn die Lernenden sich die Logik der Beispiele selbst
die Reduktion der extrinsischen Belastung frei wird, produktiv erklären. Die Beispiele können dann allmählich aus-
für lernbezogene Belastung nutzen. Viele Lernende lesen Bei- geblendet werden, um so den Übergang zum selbst-
spiele nur oberflächlich durch, ohne sich die Logik der Lösung ständigen Aufgabenbearbeiten zu ebnen.
klar zu machen. Um ein Verstehen der Beispiele weitgehend
sicherzustellen, ist es sinnvoll, die Lernenden mit sog. Prompts
(Leitfragen, Aufforderungen) aufzufordern, sich die Logik der 1.3.3 Lernen durch Aufgabenbearbeiten
Beispiellösung bewusst zu machen (Atkinson et al. 2003). Man
bezeichnet es üblicherweise als Selbsterklärung, wenn Lernende Wie bereits im letzten Absatz erwähnt, gehen Lehrer
sich die Logik von Beispielen bewusst machen (Chi et al. im Unterricht – suboptimaler Weise – sehr oft so vor,
1989: „Self-Explanation“-Effekt; 7 Exkurs „Selbsterklärungen“). dass sie zunächst ein Prinzip einführen, ggf. ein Bei-
Alternativ kann man Lernende darin trainieren, Beispiele sich spiel präsentieren und dann Aufgaben bearbeiten lassen
selbst gut zu erklären (Renkl et al. 1998). (7 Lernen durch Tun). Dieses Vorgehen kann effektiv sein,
Die Effektivität beispielbasierten Lernens beschränkt sich sofern die Lernenden beim Problemlösen soweit unterstützt
auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten (Renkl werden, dass sie sich nicht mit oberflächlichen und nicht
2014). Man kann z. B. kein versierter Programmierer werden, fachbezogenen Strategien zur Lösung „durchwurschteln“
wenn man nur Programmierbeispiele studiert. Insbesondere, müssen. Werden beispielsweise Lernende beim Bearbeiten
wenn es um die (teilweise) Automatisierung von Fertigkeiten von Aufgaben durch Selbsterklärungs-Prompts dazu auf-
und deren Feinabstimmung geht, sollten Lernende selbst Auf- gefordert, die zugrunde liegenden Prinzipien zu beachten,
Wissenserwerb
17 1
führt dies zu besserem Verständnis (Aleven und Koedinger den Erwerb von noch nicht beherrschten Regeln fördern –
2002). Umso bedauerlicher ist, dass Lehrer ein solches Vor- bis das Lernziel erreicht ist („Mastery“-Prinzip).
gehen typischerweise nicht realisieren (Renkl et al. 2004). . Abb. 1.2 zeigt einen Ausschnitt aus einer
Im folgenden Abschnitt wird auf ein Positivbeispiel einer Cognitive-Tutor-Lektion, die ins Deutsche übersetzt wurde.
sinnvollen Implementierung des Lernens durch unter- Darin sind weitere Elemente zu sehen, mit denen Schüler
stütztes Aufgabenbearbeiten eingegangen. Sodann wird unterstützt werden. Im Feld „Übersicht über Lösungs-
das Aufgabenbearbeiten in späteren Stadien des Fertig- weg“ wird bereits eine Subzielstruktur, also ein Wegweiser
keitserwerbs besprochen, in denen weitreichende Unter- für die einzelnen zu erreichenden Schritte vorgegeben.
stützung nicht mehr notwendig ist und es in erster Linie Im Feld „Grund“ wird nach dem zugrunde liegenden
um Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um Feinab- Prinzip eines Lösungsschrittes gefragt; dies stellt somit
stimmung geht. einen prinzipienbasierten Selbsterklärungs-Prompt dar.
Das in . Abb. 1.2 zu sehende Glossar wird nur auf Anfrage
Lernen durch unterstütztes der Lernenden geöffnet. Sie können dort, z. B. wenn sie
Aufgabenbearbeiten bestimmte Prinzipien nicht mehr genau erinnern, nach-
Eine technisch zwar aufwendige, aber durchaus bewährte schlagen und ggf. mit Doppelklick ein Prinzip auswählen,
Möglichkeit, Lernen durch Aufgabenbearbeiten zu unter- das in das Feld „Grund“ eingetragen wird.
stützen, besteht darin, computerbasierte intelligente Zu beachten ist, dass Cognitive Tutors keine
tutorielle Systeme einzusetzen (z. B. Ma et al. 2014; Kulik „Stand-alone“-Anwendungen sind. Die Arbeit mit dem
und Fletcher 2016). Das Beispiel der Cognitive Tutors, Cognitive Tutor muss im Unterricht angemessen vor-
die das in der Praxis am weitesten verbreitete intelligente bereitet werden. Ein derartiger Einsatz fördert Problemlöse-
tutorielle System darstellen (ca. 3000 Schulen in den USA; fertigkeiten effektiver als traditioneller Unterricht (Kulik
Koedinger und Aleven 2016), soll hier näher beleuchtet und Fletcher 2016).
werden.
Cognitive Tutors wurden auf der Grundlage der bereits Üben
genannten ACT-Theorie von Anderson (z. B. Anderson Mit 7 Üben sind hier Lernaktivitäten gemeint, die ein-
et al. 2004) konstruiert. Diese Theorie konzipiert – wie setzen, wenn der anfängliche Erwerb von Fertigkeiten
bereits erwähnt – kognitive Fertigkeiten (prozedurales schon erfolgt ist und es um Stärkung, Automatisierung und
Wissen) als eine Menge von Produktionsregeln (sog. ggf. noch um die Feinabstimmung geht. Durch die (teil-
Produktionssystem), die einen Wenn-Teil (Bedingung für weise) Automatisierung können Aufgaben ohne größere
eine Aktion) und einen Dann-Teil (Aktion) beinhalten. mentale Anstrengung (Arbeitsgedächtnisbelastung) und
Diese bilden sozusagen, die Wissenseinheiten, die im schnell erledigt werden. Sie befreien das Arbeitsgedächtnis
Cognitive Tutor betrachtet werden. Auf dieser theoretischen von Routineaufgaben, sodass mehr mentale Kapazitäten
Grundlage wurden Cognitive Tutoren, insbesondere für für das Erreichen anspruchsvoller Lernziele zur Verfügung
verschiedene Bereiche der Mathematik, daneben aber z. B. stehen. Man kann z. B. leichter Wahrscheinlichkeits-
auch für Teilgebiete der Chemie und Biologie, erstellt. rechnung erlernen, wenn man nicht immer wieder mit den
Die Intelligenz dieses Systems besteht vor allem aus zwei Regeln des Bruchrechnens kämpft. Letzteres wäre in Bezug
Mechanismen: auf das eigentliche Lernziel extrinsische Belastung.
5 „model tracing“ und Eine grundlegende Gesetzmäßigkeit besagt zu Übungs-
5 „knowledge tracing“. effekten (z. B. Zuwachs der Geschwindigkeit korrekter
Ausführung), dass sie zu Beginn sehr stark sind und mit
Für das Model Tracing wurde auf der Basis der A
CT-Theorie der Zeit immer schwächer werden; die Fertigkeit strebt
ein System von Produktionsregeln erstellt, das korrektes dabei einer Leistungsobergrenze zu. Dies wird im Potenz-
Aufgabenbearbeiten, aber auch typische Fehler beinhaltet. gesetz der Übung („power law of practice“) wieder-
Vor dem Hintergrund dieser „Folie“ können die Aktionen gegeben (Newell und Rosenbloom 1981), das in . Abb. 1.3
der Lernenden bewertet werden, d. h., das System macht schematisch dargestellt wird. Individuelle Lernzuwächse
sich ein Bild, welche Produktionsregeln ein Schüler ver- lassen sich meist gut mit dem Potenzgesetz beschreiben,
wendet. Bei falschen, aber typischen Eingaben kann nicht wenngleich sich im konkreten Falle nicht immer eine so
nur ein Fehler angezeigt werden, sondern es können sogleich „glatte“ Kurve ergibt. Es können sich z. B. vorübergehende
„maßgeschneiderte“ Hilfen gegeben werden. Knowledge Leistungsplateaus bilden, die erst überwunden werden,
Tracing sorgt dafür, dass Wahrscheinlichkeitsschätzungen wenn eine aktuelle Strategie zugunsten eines optimierten
vorgenommen werden, ob ein Lernender eine Produktions- Vorgehens aufgegeben wird.
regel bereits erlernt hat. Diese Wahrscheinlichkeit wird Effektive Übung zeichnet sich mindestens durch die
bei jedem Aufgabenschritt, bei dem eine Regel relevant folgenden vier Prinzipien aus:
wäre, aktualisiert. Damit kann den Lernenden ihr aktueller 5 Überlernen,
Wissensstand und Lernfortschrift mit sog. „skill bars“ rück- 5 verteilte Übung,
gemeldet werden. Noch bedeutsamer ist, dass das System 5 Übung im Kontext des „Ganzen“,
den Lernenden (zusätzliche) Aufgaben vorgeben kann, die 5 reflektierte Übung.
18 A. Renkl
. Abb. 1.2 Screenshot aus einer deutschen Version einer Cognitive-Tutor-Lektion zur Kreisgeometrie. (Bildrechte: Carnegie Learning, Inc.)
Exkurs
1
Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen
Vielfach werden erkundendes Lernen eingebaut sind. Andererseits sollte die Nach Koedinger und Aleven (2007)
und rezeptives Lernen dichotom Diskussion des Lernens aus Texten – einer ist es für effektives Lernen zentral, auf
gegenübergestellt. Dabei dürfte es sich prototypisch rezeptiven Lernart – gezeigt der Dimension Informationsvorgabe
hierbei eher um ein Kontinuum handeln, haben (7 Abschn. 1.3.1), dass die alleinige versus Informationszurückhaltung
bei dem eine Reinform die absolute Verarbeitung der direkt vorgegebenen (Generierungsanforderung) die
Ausnahme ist. Beispielsweise kann es Propositionen nur ganz oberflächlichem richtige Mixtur zu finden („assistance
beim erforschenden Lernen vorkommen, Lernen entspricht. Wenn Lernende dilemma“) (7 Kap. 2, letzter Abschnitt).
dass die Lernenden im Internet oder in substanziell etwas aus Texten gelernt Die Vertreter erkundenden Lernens
Hilfesystemen von computerbasierten haben, so haben sie sich eine situationale setzen dabei das Optimum eher
Simulationen etwas nachlesen und damit Repräsentation erarbeitet und vielfach auf der Seite der Informations-
„rezeptive“ Phasen des Lernens quasi Wissenselemente generiert. zurückhaltung an.
Barab, S., Ingram-Goble, A., Gresalfi, M., Arici, A., Siyahhan, S., Dodge, Fischer, F. (2002). Gemeinsame Wissenskonstruktion – Theoretische
1 T., & Hay, K. (2008). Conceptual play spaces and the quest Atlantis
project. In G. Kanselaar, V. Jonker, P. A. Kirschner, & F. J. Prins
und methodologische Aspekte. Psychologische Rundschau, 53,
119–134.
(Hrsg.), Proceedings of the 8th International Conference of the Fischer, F., & Mandl, H. (2005). Knowledge convergence in
Learning Sciences 2008. Utrecht: ICLS. computer-supported collaborative learning – The role of external
Barzilai, S., Zohar, A. R., & Mor-Hagani, S. (2018). Promoting integration representation tools. Journal of the Learning Sciences, 14, 405–441.
of multiple texts: A review of instructional approaches and Flavell, J. (1979). Metacognition and cognitive monitoring: A new area
practices. Educational Psychology Review, 30, 1–27. of cognitive-developmental inquiry. American Psychologist, 34,
Berthold, K., & Renkl, A. (2009). Instructional aids to support a 906–911.
conceptual understanding of multiple representations. Journal of Garner, R., Gillingham, M. G., & White, C. S. (1989). Effects of „seductive
Educational Psychology, 101, 70–87. details“ on macroprocessing and microprocessing in adults and
Britt, M. A., & Rouet, J.-F. (2012). Learning with multiple documents: children. Cognition and Instruction, 6, 41–57.
Component skills and their acquisition. In J. R. Kirby & M. J. Glogger-Frey, I., Gaus, K., & Renkl, A. (2017). Learning from direct
Lawson (Hrsg.), Enhancing the quality of learning: Dispositions, instruction: Best prepared by several self-regulated or guided
instruction, and learning processes (S. 276–314). New York: invention activities? Learning & Instruction, 51, 26–35.
Cambridge University Press. Greene, J. A., Sandoval, W. A., & Bråten, I. (Hrsg.). (2016). Handbook of
Brown, A. L., & Palincsar, A. S. (1989). Guided, cooperative learning epistemic cognition. New York: Routledge.
and individual knowledge acquisition. In L. B. Resnick (Hrsg.), Greeno, J. G. (2006). Learning in activity. In R. K. Sawyer (Hrsg.),
Knowing, learning, and instruction (S. 393–451). Hillsdale: Erlbaum. Cambridge handbook of the learning sciences (S. 79–96). New York:
Bruner, J. S. (1961). The act of discovery. Harvard Educational Review, Cambridge University Press.
31, 21–32. Gruber, H., Renkl, A., & Schneider, W. (1994). Expertise und Gedächtnis-
Chi, M. T. H. (1978). Knowledge structures and memory develop- entwicklung: Längsschnittliche Befunde aus der Domäne Schach.
ment. In R. S. Siegler (Hrsg.), Children’s thinking: What develops? Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psycho-
(S. 73–96). Hillsdale: Erlbaum. logie, 26, 53–70.
Chi, M. T. H. (2000). Self-explaining expository texts: The dual Hasselhorn, M., & Artelt, C. (2018). Metakognition. In D. H. Rost, J. R.
processes of generating inferences and repairing mental models. Sparfeldt, & S. R. Buch (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische
In R. Glaser (Hrsg.), Advances in instructional psychology (S. 161– Psychologie (5. Aufl., S. 520–525). Weinheim: Beltz.
238). Hillsdale: Erlbaum. Hmelo-Silver, C. E., Duncan, R. G., & Chinn, C. A. (2007). Scaffolding and
Chi, M. T. H., Bassok, M., Lewis, M. W., Reimann, P., & Glaser, R. (1989). achievement in problem-based and inquiry learning: A response
Self-explanations: How students study and use examples in to Kirschner, Sweller, and Clark (2006). Educational Psychologist,
learning to solve problems. Cognitive Science, 13, 145–182. 42, 99–107.
Collins, A., Brown, J. S., & Newman, S. E. (1989). Cognitive Kalyuga, S., & Sweller, J. (2004). Measuring knowledge to optimize
apprenticeship: Teaching the craft of reading, writing and cognitive load factors during instruction. Journal of Educational
matematics. In L. B. Resnick (Hrsg.), Knowing, learning, and Psychology, 96, 558–568.
instruction (S. 453–494). Hillsdale: Erlbaum. Kintsch, E., & Kintsch, W. (1996). Learning from text. In E. de Corte & F.
Cowan, N. (2000). The magical number 4 in short-term memory: A E. Weinert (Hrsg.), International encyclopedia of developmental and
reconsideration of mental storage capacity. Behavioral and Brain instructional psychology (S. 519–524). Exeter: Pergamon.
Sciences, 24, 87–185. Klieme, E., & Leutner, D. (2006). Kompetenzmodelle zur Erfassung
de Jong, T. (2005). The guided discovery principle in multimedia individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungs-
learning. In R. Mayer (Hrsg.), Cambridge handbook of multimedia prozessen (Überarbeitete Fassung des Antrags an die DFG auf Ein-
learning (S. 215–228). New York: Cambridge University Press. richtung eines Schwerpunktprogramms). Frankfurt: DIPF.
de Jong, T., & Ferguson-Hessler, M. G. H. (1996). Types and qualities of Koedinger, K. R., & Aleven, V. (2007). Exploring the assistance dilemma
knowledge. Educational Psychologist, 31, 105–113. in experiments with Cognitive Tutors. Educational Psychology
de Jong, T., & van Joolingen, W. R. (1998). Scientific discovery learning Review, 19, 239–264.
with computer simulations of conceptual domains. Review of Koedinger, K. R., & Aleven, V. (2016). An interview reflection on
Educational Research, 68, 179–201. “Intelligent tutoring goes to school in the big city”. International
Derry, S. J. (1999). A fish called peer learning: Searching for common Journal of Artificial Intelligence in Education, 26, 13–24.
themes. In A. O’Donnell & A. King (Hrsg.), Cognitive perspectives on Krause, U.-M., & Stark, R. (2006). Vorwissen aktivieren. In H. Mandl & H.
peer learning (S. 197–211). Mahwah: Erlbaum. F. Friedrich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien (S. 38–49). Göttingen:
Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). (2001). PISA 2000. Basis- Hogrefe.
kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Kuhn, D. (2005). Education for thinking. Cambridge: Harvard University
Vergleich. Opladen: Leske + Budrich. Press.
Doise, W. (1990). The development of individual competencies Kulik, J. A., & Fletcher, J. D. (2016). Effectiveness of intelligent tutoring
through social interaction. In H. C. Foot, M. J. Morgan, & R. H. systems: A meta-analytic review. Review of Educational Research,
Shute (Hrsg.), Children helping children (S. 43–64). Chichester: 86, 42–78.
Wiley. Lesgold, A. M., Rubinson, H., Feltovich, P. J., Glaser, R., Klopfer, D., &
Driskell, J. E., Willis, R. P., & Copper, C. (1992). Effect of overlearning on Wang, Y. (1988). Expertise in a complex skill: Diagnosing X-ray
retention. Journal of Applied Psychology, 77, 615–622. pictures. In M. T. H. Chi, R. Glaser, & M. Farr (Hrsg.), The nature of
Eitel, A., & Kühl, T. (2019). Harmful or helpful to learning? The impact expertise (S. 311–342). Hillsdale: Erlbaum.
of seductive details on learning and instruction. Applied Cognitive Loyens, S. M. M., & Rikers, R. M. J. P. (2017). Instruction based on
Psychology, 33, 3–8. inquiry. In R. E Mayer & P. A Alexander (Hrsg.), Handbook of
Ericsson, K. A., Charness, N., Feltovich, P. J., & Hoffman, R. R. (Hrsg.). research on learning and instruction (2. Aufl., S. 405–431). New
(2006). The Cambridge handbook of expertise and expert per- York: Routledge.
formance. New York: Cambridge University Press. Ma, W., Adesope, O. O., Nesbit, J. C., & Liu, Q. (2014). Intelligent
Ericsson, K. A., Krampe, R. T., & Tesch-Römer, C. (1993). The role of tutoring systems and learning outcomes: A meta-analysis. Journal
deliberate practice in the acquisition of expert performance. of Educational Psychology, 106, 901–918.
Psychological Review, 100, 363–406.
Wissenserwerb
23 1
Mandl, H., & Friedrich, H. F. (2006). Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Renkl, A., & Atkinson, R. K. (2003). Structuring the transition from
Hogrefe. example study to problem solving in cognitive skills acquisition:
Mandl, H., Gruber, H., & Renkl, A. (1993). Misconceptions and A cognitive load perspective. Educational Psychologist, 38, 15–22.
knowledge compartmentalization. In G. Strube & K. F. Wender Renkl, A., & Atkinson, R. K. (2007). Interactive learning environments:
(Hrsg.), The cognitive psychology of knowledge: The German Contemporary issues and trends. An introduction to the special
Wissenspsychologie project (S. 161–176). Amsterdam: Elsevier. issue. Educational Psychology Review, 19, 235–238.
Mayer, R. E. (2004). Should there be a three-strikes-rule against pure Renkl, A., Stark, R., Gruber, H., & Mandl, H. (1998). Learning from
discovery learning? A case for guided methods of instruction. worked-out examples: The effects of example variability and
American Psychologist, 59, 14–19. elicited self-explanations. Contemporary Educational Psychology,
Mayer, R. E. (Hrsg.). (2014). Cambridge handbook of multimedia learning 23, 90–108.
(2. Aufl., S. 391–412). Cambridge: Cambridge University Press. Renkl, A., Schworm, S., & Hilbert, T. S. (2004). Lernen aus Lösungsbei-
Moreno, R., & Mayer, R. (2007). Interactive multimodal learning spielen: Eine effektive, aber kaum genutzte Möglichkeit, Unter-
environments. Educational Psychology Review, 19, 309–326. richt zu gestalten. In J. Doll & M. Prenzel (Hrsg.), Bildungsqualität
Mousavi, S. Y., Low, R., & Sweller, J. (1995). Reducing cognitive load von Schule: Lehrerprofessionalisierung, Unterrichtsentwicklung und
by mixing auditory and visual presentation modes. Journal of Schülerförderung als Strategien der Qualitätsverbesserung
Educational Psychology, 87, 319–334. (S. 77–92). Münster: Waxmann.
Newell, A., & Rosenbloom, P. S. (1981). Mechanisms of skill acquisition Robins, S., & Mayer, R. E. (1993). Schema formation in analogical
and the law of practice. In J. R. Anderson (Hrsg.), Cognitive skills reasoning. Journal of Educational Psychology, 85, 529–538.
and their acquisition. Hillsdale: Erlbaum. Rohrer, D., & Taylor, K. (2006). The effects of overlearning and
O’Reilly, T., & McNamara, D. S. (2007). Reversing the reverse cohesion distributed practice on the retention of mathematics knowledge.
effect: Good texts can be better for strategic, high-knowledge Applied Cognitive Psychology, 20, 1209–1224.
readers. Discourse Processes, 43, 121–152. Rourke, A., & Sweller, J. (2009). The worked-example effect using
Otieno, C., Spada, H., Liebler, K., Ludemann, T., Deil, U., & Renkl, A. ill-defined problems: Learning to recognise designers’ styles.
(2014). Informing about climate change and invasive species: Learning and Instruction, 19, 185–199.
How the presentation of information affects perception of risk, Rowland, C. A. (2014). The effect of testing versus restudy on retention:
emotions, and learning. Environmental Education Research, 20, A meta-analytic review of the testing effect. Psychological Bulletin,
612–638. 140, 1432–1463.
Paas, F., Renkl, A., & Sweller, J. (2003). Cognitive load theory and Roy, M., & Chi, M. T. H. (2005). Self-explanation in a multi-media
instructional design: Recent developments. Educational context. In R. Mayer (Hrsg.), Cambridge handbook of multimedia
Psychologist, 38, 1–4. learning (S. 271–286). Cambridge: Cambridge University Press.
Pauli, C., & Lipowsky, F. (2007). Mitmachen oder zuhören? Mündliche Rummel, N., & Spada, H. (2005). Learning to collaborate: An
Schülerinnen- und Schülerbeteiligung im Mathematikunterricht. instructional approach to promoting collaborative problem
Unterrichtswissenschaft, 35, 101–124. solving in computer-mediated settings. Journal of the Learning
PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.). (2007). PISA 2006 – Die Ergebnis Sciences, 14, 201–241.
der dritten internationalen Vergleichsstudie. Münster: Waxmann. Rummer, R., Schweppe, J., Scheiter, K., & Gerjets, P. (2008). Lernen in
Renkl, A. (1996). Träges Wissen: Wenn Erlerntes nicht genutzt wird. Multimedia: Die kognitiven Grundlagen des Modalitätseffekts.
Psychologische Rundschau, 47, 78–92. Psychologische Rundschau, 59, 98–108.
Renkl, A. (1997a). Learning from worked-out examples: A study on Salden, R., Aleven, V., Renkl, A., & Schwonke, R. (2009). Worked
individual differences. Cognitive Science, 21, 1–29. examples and tutored problem solving: Redundant or synergistic
Renkl, A. (1997b). Lernen durch Lehren. Zentrale Wirkmechanismen beim forms of support? Topics in Cognitive Science, 1, 203–213.
kooperativen Lernen. Wiesbaden: DUV. Schaffner, E., & Schiefele, U. (2007). The effect of experimental
Renkl, A. (2001). Situated learning, out of school and in the classroom. manipulation of student motivation on the situational
In P. B. Baltes & N. J. Smelser (Hrsg.), International encyclopedia of representation of text. Learning and Instruction, 17, 755–772.
the social & behavioral sciences (Bd. 21, S. 14133–14137). Amster- Schmidt, H. G., de Grave, W. S., De Volder, M. L., Moust, J. H. C., & Patel,
dam: Pergamon. V. L. (1989). Explanatory models in the processing of science
Renkl, A. (2008a). Kooperatives Lernen. In W. Schneider & M. Hassel- text: The role of prior knowledge activation through small-group
horn (Hrsg.), Handbuch Psychologie: Bd. Pädagogische Psychologie discussion. Journal of Educational Psychology, 81, 610–619.
(S. 84–94). Göttingen: Hogrefe. Schnotz, W. (2010). Textverstehen. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörter-
Renkl, A. (2008b). Lehren und Lernen im Kontext der Schule. In A. Renkl buch Pädagogische Psychologie (4. Aufl., S. 843–854). Weinheim:
(Hrsg.), Lehrbuch Pädagogische Psychologie (S. 109–153). Bern: Beltz.
Huber. Schwonke, R., Renkl, A., Krieg, K., Wittwer, J., Aleven, V., & Salden,
Renkl, A. (2011). Aktives Lernen = gutes Lernen? Reflektion zu einer R. (2009). The worked-example effect: Not an artefact of lousy
(zu) einfachen Gleichung. Unterichtswissenschaft, 39, 194–196. control conditions. Computers in Human Behavior, 25, 258–266.
Renkl, A. (2012). Modellierung von Kompetenzen oder von inter- Schworm, S., & Renkl, A. (2007). Learning argumentation skills through
individuellen Kompetenzunterschieden: Ein unterschätzter Unter- the use of prompts for self-explaining examples. Journal of
schied? Psychologische Rundschau, 63, 50–53. Educational Psychology, 99, 285–296.
Renkl, A. (2014). Toward an instructionally oriented theory of Siegler, R. S., & Jenkins, E. (1989). How children discover strategies.
example-based learning. Cognitive Science, 38, 1–37. Hillsdale: Erlbaum.
Renkl, A. (2015a). Different roads lead to Rome: The case of Skinner, B. F. (1954). The science of learning and the art of teaching.
principle-based cognitive skills. Learning: Research & Practice, 1, Harvard Educational Review, 24, 86–97.
79–90. Stahl, G., Koshmann, T., & Suthers, D. D. (2014). Computer-supported
Renkl, A. (2015b). Lernen in Gruppen: Ein Minihandbuch (2. erweiterte collaborative learning. In R. K. Sawyer (Hrsg.), Cambridge
und leicht modifizierte Aufl.). Landau: Verlag Empirische handbook of the learning sciences (2. Aufl., S. 479–500). New York:
Pädagogik Cambridge University Press.
Renkl, A. (2017). Learning from worked examples in mathematics: Sweller, J., Ayres, P., & Kalyuga, S. (2011). Cognitive load theory. New
Students relate procedures to principles. ZDM Mathematics York: Springer.
Education, 49, 571–584.
24 A. Renkl
Tamir, P. (1996). Discovery learning and teaching. In E. de Corte & F. E. Verschaffel, L., Greer, B., & de Corte, E. (2000). Making sense of word
1 Weinert (Hrsg.), International encyclopedia of developmental and
instructional psychology (S. 355–361). Exeter: Pergamon.
problems. Lisse: Swets & Zeitlinger.
Vogel, F., Wecker, C., Kollar, I., & Fischer, F. (2017). Socio-cognitive
Tarmizi, R. A., & Sweller, J. (1988). Guidance during mathematical scaffolding with computer-supported collaborations scripts: A
problem solving. Journal of Educational Psychology, 80, 424–436. meta-analysis. Educational Psychology Review, 29, 477–511.
van Dijk, T. A., & Kintsch, W. (1983). Strategies of discourse vom Hofe, R. (2001). Mathematik entdecken – Neue Argumente für
comprehension. New York: Academic. entdeckendes Lernen. mathematik lehren, 105, 4–8.
van Joolingen, W. R., de Jong, T., & Dimitrakopoulou, A. (2007). Issues Vygotsky, L. S. (1978). Mind in society. The development of higher psycho-
in computer supported inquiry learning in science. Journal of logical processes. Cambridge: Harvard University Press.
Computer Assisted Learning, 23, 111–119. Weinberger, A., Stegmann, K., & Fischer, F. (2007). Knowledge
van Merriënboer, J. J. G., & Kester, L. (2005). The four-component convergence in collaborative learning: Concepts and assessment.
instructional design model: Multimedia principles in environments for Learning and Instruction, 17, 416–426.
complex learning. In R. E. Mayer (Hrsg.), The Cambridge handbook of Weinstein, C. F., & Mayer, R. (1986). The teaching of learning strategies.
multimedia learning (S. 71–93). Cambridge: Cambridge University Press. In M. C. Wittrock (Hrsg.), Handbook of research on teaching
Veenman, M. V. J., Van Hout-Wolters, B. H. A. M., & Afflerbach, P. (2006). (3. Aufl., S. 315–327). New York: Macmillan.
Metacognition and learning: Conceptual and methodological
considerations. Metacognition and Learning, 1, 3–14.
25 2
Thema dieses Kapitels ist das Zusammenspiel von Intelligenz so? Weil diese Menschen ein anderes Fach studieren?
und Wissen. Beide Begriffe spielen in der Pädagogischen Weil sie mehr wissen? Weil sie älter sind? Weil sie von
Psychologie eine wichtige Rolle – dennoch werden sie einem anderen Teil der Erde kommen? Weil sie andere
2 unglücklicherweise in der Forschung oft voneinander
getrennt betrachtet. Der Grund hierfür sind unterschied-
Erfahrungen gemacht haben? Weil sie weniger intelligent
sind?
liche wissenschaftstheoretische Perspektiven und die wissen- Wenn Sie sich mit diesen Fragen gründlich auseinander-
schaftsgeschichtlichen Entwicklungen. Die wichtigsten gesetzt haben, sind Sie schon weiter als die meisten Ihrer
Forschungsrichtungen werden wir in 7 Abschn. 2.2 vor- Mitmenschen – Sie haben schon eine Ahnung, dass die
stellen, um die Grundlagen für das Verständnis der Ideen Vorstellungen von Menschen über die Natur von 7 Wissen
einiger moderner Forscher zu legen, die sich um die (man nennt solche Vorstellungen epistemologische Über-
Erklärung des Zusammenspiels von Intelligenz und Wissen zeugungen; Schommer 1990) sehr unterschiedlich sein
bemüht haben (7 Abschn. 2.3). Verfahren zur Messung können. Sie hängen eng damit zusammen, wie man neuem
von Intelligenz und Wissen (7 Abschn. 2.4) nehmen im Wissen begegnet, aber auch damit, wie man sich den
Studium der Pädagogischen Psychologie einen wichtigen Zusammenhang von 7 Intelligenz und Wissen vorstellt.
Platz ein. Anschließend wird dargestellt, wie intelligenter Diese subjektiven Vorstellungen über die Objektivität, die
Wissenserwerb im Studium aussehen kann (7 Abschn. 2.5) Richtigkeit oder die Aussagekraft von Wissen beeinflussen
(. Abb. 2.1). Informationsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation
und Lernleistung. Sie spielen sowohl im Alltagsleben als
auch in Studium und Beruf eine wichtige Rolle. Menschen
mit ausgefeilteren epistemologischen Überzeugungen
gehen überlegter an den Erwerb und die Nutzung ihres
Wissens heran, sie schöpfen das Potenzial besser aus, das
Lerngelegenheiten bietet, und sie beteiligen sich aktiver
am eigenen Lernprozess (7 Kap. 1). Kurzum: Sie gehen
intelligenter mit ihrem Wissen um.
Definition
Unter epistemologischen Überzeugungen
(„epistemological beliefs“) werden die Annahmen
einer Person über die Natur des Wissens verstanden.
Epistemologische Überzeugungen bezeichnen also
subjektive Vorstellungen über die Objektivität, die
Richtigkeit, die Aussagekraft oder die Herkunft von
. Abb. 2.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Wissen.
2.1 Eine geheimnisvolle, aber Um die Sache vollends kompliziert zu machen, aber auch,
wichtige Sache: epistemologische um Sie zur vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten
Überzeugungen des Kapitels anzuregen, bringen wir zum Schluss noch
den Gedanken ins Spiel, dass natürlich auch Lehrende
Befragen Sie sich einmal selbst! Wie sehr können Sie den epistemologische Überzeugungen besitzen. Lehrende
folgenden Aussagen zustimmen? Geben Sie Ihre Antwort können großen Einfluss darauf nehmen, wie sie das Lernen
auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft ihrer Studierenden in Gang setzen wollen – überlegen
voll und ganz zu). Sie selbst, ob die epistemologischen Überzeugungen von
5 „Einige Personen können von Natur aus gut lernen, Studierenden und ihren Dozierenden immer (oder auch
andere haben damit Schwierigkeiten.“ nur manchmal) Hand in Hand gehen!
5 „Genialität hat mehr mit harter Arbeit als mit
Intelligenz zu tun.“ z Über die Relevanz epistemologischer Überzeugungen
5 „Wenn Wissen einmal erworben ist, bleibt es unver- im schulischen Kontext
ändert.“ Die ersten Forschungsergebnisse zu epistemologischen
5 „Es gibt unumstößliche Wahrheiten.“ Überzeugungen entstanden Mitte der 1950er-Jahre.
5 „Menschen lernen auf der ganzen Welt gleich.“ Seitdem gewannen epistemologische Überzeugungen
5 „Wer sein Wissen nicht zeigt, weiß auch nichts.“ im Kontext von Wissenserwerb und -vermittlung in
der psychologischen und pädagogischen Forschung
Können Sie sich vorstellen, dass andere Menschen diese an Bedeutung, vor allem im Bereich der Unterrichts-
Fragen ganz anders beantworten als Sie? Weshalb ist dies forschung und Lehrerprofessionalisierung.
Intelligenz und Vorwissen
27 2
Köller, Baumert und Neubrand definieren sind. Auf dieser Grundlage formulierte Piagets Schüler
epistemologische Überzeugungen als Vorstellungen, Perry (1970) den ersten großen Forschungsansatz über
„die Personen über das Wissen und den Wissenserwerb epistemologische Überzeugungen. Die in der Folgezeit
generell oder in spezifischen Domänen entwickeln“ (Köller entstandenen Konzeptionen über epistemologische Über-
et al. 2000, S. 230). Diese Definition verdeutlicht, dass zeugungen wurden durch Perrys Arbeit inspiriert, sei es,
epistemologische Überzeugungen zunächst unabhängig dass sie seine Auffassung weiter entwickelten, sei es, dass
von den Inhalten sind und allgemein in einzelnen Wissen- sie sich kritisch von ihm absetzten. Der von Perry erhobene
schaftsdisziplinen gebildet werden können. allgemeine Gültigkeitsanspruch wurde infrage gestellt;
Hinter dem Konzept der epistemologischen Über- dies führte zu einer konstruktiven Fortentwicklung der
zeugung steht die Vorstellung, dass jede Person Annahmen theoretischen Grundlagen zu epistemologischen Über-
über das Verhalten anderer entwickelt – was diese wahr- zeugungen. Im Folgenden wird zunächst der Ansatz von
nehmen, denken, fühlen und warum und mit welchen Perry umrissen, der anschließend mit einem neueren
Konsequenzen sie es tun (Dann 1994). Im Gegensatz Zugang von Schommer (1990) kontrastiert wird.
zu subjektiven Theorien, die eher allgemeine Über-
zeugungssysteme erfassen, betreffen epistemologische z z Perrys Modell der intellektuellen und ethischen
Überzeugungen die Vorstellung des Menschen über die Entwicklung
Struktur des Wissens und Lernens, beispielsweise über Der amerikanische Psychologe Perry war ursprüng-
die Veränderbarkeit von Intelligenz. Es ist also nicht nur lich an Fragen von Autoritätshörigkeit und Persönlich-
das Wissen, das epistemologische Überzeugungen aus- keit interessiert. Dies umschloss auch das Phänomen,
macht, sondern auch der Umgang damit (Kuhn et al. 2000; dass das, was Autoritäten sagen, als richtig anerkannt
7 Abschn. 1.1). und als gültiges Wissen deklariert wird. Perry (1970)
Die subjektiven Lernkonzepte lassen sich von den meinte, die Entwicklung von epistemologischen Über-
epistemologischen Überzeugungen insofern abgrenzen, zeugungen hänge weniger von allgemeinen Persönlich-
als sie eine Spezifizierung auf das Lernen vornehmen keitsmerkmalen ab als vielmehr von der Ausprägung
und sich nicht allgemein auf das Wissen beziehen. Zwar intraindividueller kognitiver Prozesse. Zur Überprüfung
können epistemologische Überzeugungen Konzepte über seiner Überlegungen entwickelte er die „Checklist of
das eigene Lernen mit einbeziehen, beschränken sich aber Educational Values“ (CLEV), die in Untersuchungen bei
nicht darauf, sondern berücksichtigen einen umfang- amerikanischen College-Studierenden eingesetzt wurde.
reichen Rahmen von Einflussfaktoren. Eine Vielzahl von Spätere Instrumente zur Erhebung epistemologischer
Faktoren kann im schulischen Kontext exemplarisch genannt Überzeugungen bauen zum Teil auf der CLEV auf. Mit
werden: der Einfluss individueller Überzeugungen von ausgewählten Versuchspersonen führte Perry (1970) nach
Lehrenden auf das Verständnis von Lehr-Lern-Prozessen, der Bearbeitung der CLEV ausführliche Interviews durch.
die Wahrnehmung von und der Umgang mit Differenzen Basierend auf diesen Daten nahm er in seinem Stufen-
von Kindern und Jugendlichen oder wie ihre individuellen modell an, dass der Mensch stetig neue qualitative Vor-
Überzeugungen die Bewertung von Leistungen beein- stellungen von der Organisation des Wissens entwickelt.
flussen. Zahlreiche empirische Studien lassen auf einen Er formulierte ein Entwicklungsschema, in dem neun
Zusammenhang zwischen den epistemologischen Über- Elemente in vier Kategorien zusammengefasst sind.
zeugungen der Lehrenden und ihrem pädagogischen
Handeln schließen (Hofer 2001). Das Lehrerhandeln beein-
flusst wiederum die epistemologischen Überzeugungen zu Epistemologische Kategorien nach Perry
Wissen bei den Lernenden (Buelens et al. 2002; Hofer 2004) 5 Dualism: Es wird von einer absoluten Wahrheit
und wirkt somit auf die Wahl der Lernstrategien (Köller et al. ausgegangen, Dinge gelten als entweder richtig oder
2000), den Lernerfolg (Urhahne und Hopf 2004) und die falsch, gut oder schlecht (Schwarz-Weiß-Position).
Motivation (Urhahne 2006). 5 Multiplicity: Es wird von drei möglichen Kategorien
Als Rüstzeug für diese Überlegungen präsentieren wir ausgegangen: richtig, falsch oder noch nicht
nun einen Überblick über die wichtigsten Arbeiten zum bekannt. Unsicherheiten werden akzeptiert, aber es
Konzept der epistemologischen Überzeugungen (für aus- wird angenommen, dass sich diese Unsicherheiten
führliche und sehr lesenswerte Darstellungen s. Hofer und im Prinzip in Zukunft auflösen lassen.
Pintrich 1997, 2002). Zu dieser Forschung stand Piaget 5 Contextual Relativism: Wissen wird als relativ und
Pate, der sich bereits seit Anfang der 1920er-Jahre mit der kontextbezogen angesehen. Es wird anerkannt,
Entwicklung von Erkenntnisstrukturen beschäftigt hatte dass nur Weniges eindeutig richtig oder falsch
(Piaget 1936). Sein genetisches Modell der intellektuellen ist, und dass die Aneignung von Wissen ein
Entwicklung sieht eine ständige kognitive Höherent- aktiv-konstruktiver Prozess ist.
wicklung im Kindesalter vor. Piaget ging von einer Auf- 5 Commitment within Relativism: Es wird
einanderfolge von Entwicklungsstufen aus, die jeweils Verantwortung für die eigene Konstruktion
durch eine spezifische Denkstruktur gekennzeichnet von Wissensaneignungs- und Lernprozessen
28 H. Gruber und E. Stamouli
neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fähig- Die weitaus meisten Forschungsarbeiten zur Intelligenz
keiten sie also bezüglich intellektueller Operationen wie beschäftigten sich damit, die Struktur dieser Fähig-
Analysieren, Synthetisieren, Generalisieren, Induzieren, keit genauer aufzuschlüsseln; solche Arbeiten werden
Deduzieren, Abduzieren oder Abstrahieren besitzen. der psychometrischen Forschung zugeordnet (Rost
Bevor wir uns damit beschäftigen, wie beide Heran- 2013). Die Suche nach der Struktur der Intelligenz erfolgt
gehensweisen miteinander verschränkt werden können, zumeist mithilfe faktorenanalytischer Methoden, mit
wollen wir die Grundzüge und die wichtigsten Begriffe der denen Gemeinsamkeiten der Anforderungen unter-
Intelligenzforschung und der Wissensforschung behandeln. schiedlicher Indikatoren für intelligentes Handeln heraus-
geschält werden. Oft handelt es sich bei diesen Indikatoren
um Denk- oder Problemlöseaufgaben; solche Aufgaben
2.2.1 Grundlegendes zur wurden in der kognitiven Psychologie dazu verwendet,
Intelligenzforschung um die Informationsverarbeitungsprozesse von Menschen
bei ihrer Bearbeitung zu analysieren. Es ist erstaun-
Im Verlauf einer über 100-jährigen Forschung wurden ver- lich, wie wenig Berührungspunkte die psychometrische
schiedene Antworten auf die Frage „Was ist Intelligenz?“ und die kognitionspsychologische Forschung haben. In
gegeben. Und das ist gut so, denn eine so komplexe mensch- 7 Abschn. 2.3 werden wir uns mit einigen Versuchen aus-
liche Angelegenheit wie Intelligenz hat so viele Facetten, einandersetzen, die beide Richtungen verknüpfen. Da aber
wird von so vielen Faktoren beeinflusst und zieht so viele die psychometrische Forschung die Auffassung von der
Auswirkungen nach sich, dass unterschiedliche theoretische Natur der Intelligenz am stärksten beeinflusste und noch
Ansätze natürlich unterschiedliche Schwerpunkte setzen. immer beeinflusst, richten wir unser Augenmerk in den
Wer aus der Unterschiedlichkeit der Definitionen folgert, nächsten Abschnitten zunächst hierauf.
eine müsse „richtig“ sein, die anderen hingegen „falsch“, Eine der grundlegenden Fragestellungen der psycho-
belegt, dass er kein ausgereiftes Verständnis von Wissen metrischen Intelligenzforschung ist, ob und in welchem
und Wissenschaft hat, also keine weit entwickelten Maße sich Intelligenz als einheitliche Fähigkeit dar-
epistemologischen Überzeugungen (7 Exkurs „‚Smart is fast‘ stellt oder ob sie aus mehreren Faktoren besteht. In
– Überall auf der Welt?“). Bevor eine solche Schlussfolgerung der Forschung findet man eine Klassifikation in
gezogen wird, in der scheinbar unterschiedliche Antworten 7 globale Intelligenzmodelle, 7 Strukturmodelle und
auf dieselbe Forschungsfrage bewertet werden, sollte man 7 hierarchische Intelligenzmodelle.
genau überprüfen, ob es nicht vielmehr so ist, dass die
Forscher unterschiedliche Fragen gestellt haben! Globale Intelligenzmodelle
Binet und Simon (1905) gelten als die Urväter der psycho-
Definition metrischen Intelligenzforschung. Sie sahen Intelligenz als
Intelligenz ist die Fähigkeit eines Menschen zur eine ganzheitliche und homogene Fähigkeit an. Ihr Stufen-
Anpassung an neuartige Bedingungen und zur Lösung modell geht davon aus, dass normal intelligente Kinder
neuer Probleme auf der Grundlage vorangehender ihrer Altersstufe entsprechende Aufgaben mit hoher Wahr-
Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext. scheinlichkeit lösen können. Sie setzen also das Intelligenz-
alter (IA) der Kinder mit ihrem Lebensalter (LA) in Bezug.
30 H. Gruber und E. Stamouli
Definition
s5 s4
Intelligenzquotient (IQ) einer Testperson: Quotient aus
dem Intelligenzalter (IA) und dem Lebensalter (LA) der
Testperson.
Intelligenzalter (IA) einer Testperson: Lebensalter Anmerkung zu den Abkürzungen:
g = g-Faktor (Generalfaktor);
derjenigen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche S1 – S 7 = Spezialfaktoren
Zahl und Art von Aufgaben löst wie die Testperson.
Abkömmlinge des klassischen IQ werden auch heute
noch verwendet. Aus theoretischen Gründen wird . Abb. 2.2 Das Zwei-Faktoren-Modell von Spearman. (Modifiziert
nach Asendorpf und Neyer 2012, S. 149)
der Wert jedoch in der Regel standardisiert, also auf
Standardnormen bezogen. Der Intelligenzquotient
bezeichnet dann einen an Mittelwert und Standard- Diese Fähigkeiten sind mittlerweile als Primärfaktoren
abweichung einer repräsentativen Bezugsgruppe bekannt. Ihre Unabhängigkeit konnte jedoch nicht empirisch
standardisierten Wert. Am häufigsten werden ein abgesichert werden; die Korrelationen zwischen ihnen
Mittelwert von 100 Punkten und eine Standardab- waren stets von bedeutsamer Größe. Wurden die Primär-
weichung von 15 Punkten gewählt. faktoren selbst einer Faktorenanalyse unterzogen, schälte
sich ein übergeordneter gemeinsamer Faktor heraus –
eben jener von Spearman postulierte g-Faktor.
Strukturmodelle der Intelligenz Ein eigenständiges Strukturmodell ist das
Strukturmodelle der Intelligenz stellen Intelligenz als „ Structure-of-Intellect“-Modell von Guilford (1967), in
eine Fähigkeit dar, die sich aus mehreren Komponenten dem versucht wird, eine systematische Ordnung zwischen
zusammensetzt (Süß 2003). einer Vielzahl von Einzelfaktoren herzustellen. Dabei
Das bereits 1904 von Spearman entwickelte wird zwischen fünf Operationen (Kognition, Gedächt-
Zwei-Faktoren-Modell lehnt sich an die Idee eines globalen nis, divergierendes Denken, konvergierendes Denken,
Intelligenzmodells an, da es auf der Vorstellung eines Evaluation), sechs Produkten (Einheiten, Klassen,
Generalfaktors (g-Faktors) als Ausdruck der allgemeinen Relationen, Systeme, Transformationen, Implikationen)
Intelligenz beruht. Zudem gibt es aber, wie in . Abb. 2.2 und vier Inhalten unterschieden (figürlich, symbolisch,
symbolisch angedeutet wird, Spezialfaktoren (s-Faktoren) semantisch, behavioral). Da diese Komponenten beliebig
wie z. B. „sprachliches Können“ oder „mathematische kombinierbar sind, ergeben sich 5 × 6 × 4 = 120 verschiedene
Begabung“ neben dem g-Faktor, die faktorenanalytisch mentale Fähigkeiten. Die empirische Separierbarkeit der
identifiziert wurden. An jeder intelligenten Aufgabenlösung theoretisch postulierten 120 Intelligenzkomponenten stellt
sind nach dem Zwei-Faktoren-Modell der g-Faktor und natürlich ein fast unlösbares Problem dar.
mindestens ein s-Faktor beteiligt.
Die Existenz eines Generalfaktors wurde – wenn- Hierarchische Modelle
gleich etwas widerwillig – von Thurstone (1938; Thurstone Aufbauend auf dem in den Strukturmodellen deut-
und Thurstone 1941) in seinem Primärfaktorenmodell lich gewordenen Verhältnis zwischen Generalfaktor und
übernommen. Er vermutete, dass mehrere voneinander Einzelfaktoren wurde eine Reihe von Intelligenzmodellen
unabhängige Fähigkeiten identifizierbar seien: entwickelt, denen eine hierarchische Ordnung von Intelligenz-
5 Sprachverständnis komponenten zugrunde liegt. Auf der obersten Ebene steht
5 Wortflüssigkeit der Generalfaktor, der die allgemeine Intelligenz erfasst.
5 Rechenfertigkeit Dieser wird in Teilkomponenten aufgespalten. Beispiels-
5 Raumvorstellung weise unterscheidet Cattell (1963, 1971) zwischen der
5 mechanisches Gedächtnis fluiden und kristallinen Intelligenz. Die fluide Intelligenz
5 Wahrnehmungsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Basisprozesse des Denkens sowie
5 Induktion, Schlussfolgern
Intelligenz und Vorwissen
31 2
anderer mentaler Aktivitäten und ist überwiegend genetisch Eine Erweiterung der herkömmlichen
determiniert. Die kristalline (bzw. kristallisierte) Intelligenz psychometrischen Intelligenzmodelle:
dagegen bringt die Bedeutung der bisherigen Lernerfahrungen Emotionale Intelligenz
für das intellektuelle Handeln eines Menschen zum Ausdruck Der Fokus der herkömmlichen psychometrischen
und ist überwiegend kulturabhängig (Nettelnstroth 2003). Intelligenzforschung auf kognitive Leistungen provozierte
Recht bekannt ist auch die von Wechsler (1958) vor- eine Reihe von Forschern, auch andere Komponenten
geschlagene Differenzierung zwischen sprachlicher in Intelligenzmodelle zu integrieren. Salovey und Mayer
Intelligenz (verbale Intelligenz) und Handlungsintelligenz (1990) stellten ein Konzept der emotionalen Intelligenz
(7 praktische Intelligenz). Sie liegt den wohl in Deutsch- vor, in dem postuliert wird, dass der intelligente Umgang
land populärsten Intelligenztests zugrunde (7 Abschn. 2.4), mit den eigenen Emotionen und mit den Emotionen
nämlich dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder anderer Menschen in vielen Lebensbereichen – sowohl
(HAWIK) sowie für Erwachsene (HAWIE). Beide sind eine privater als auch beruflicher Art, etwa in der Arzt-Patient-
Adaptation der von Wechsler in den USA entwickelten Kommunikation – von hoher Bedeutung ist. Sie initiierten
WISC- bzw. WAIS-Tests. damit eine Forschungsrichtung, die sich einer beträcht-
Exemplarisch für ein neueres hierarchisches Modell sei lichen Dynamik erfreut, zahlreiche Polemiken aus-
das Berliner Intelligenzstrukturmodell (BIS-Modell) vor- löst (Asendorpf 2002; Schuler 2002), theoretische und
gestellt, dem drei Kernannahmen zugrunde liegen: methodische Fragen aufwirft und – Wissenschaftler wie
5 An jeder Intelligenzleistung sind, neben anderen Laien – zur Suche nach neuen konzeptionellen Lösungen
Bedingungen, alle intellektuellen Fähigkeiten beteiligt, und Anwendungsmöglichkeiten inspiriert (Bar-On 2000;
allerdings deutlich unterschiedlich gewichtet. Die Petrides et al. 2004; 7 Kap. 9).
Varianz jeder Leistung lässt sich in entsprechende
Komponenten zerlegen.
5 Intelligenz- und Fähigkeitskonstrukte lassen sich unter
Multiple Intelligenzen: Gardners
verschiedenen Aspekten (Modalitäten) klassifizieren. Intelligenzkonzeption
5 Fähigkeitskonstrukte sind hierarchisch strukturiert, Die Theorie emotionaler Intelligenz nimmt eine inhaltlich
d. h., sie lassen sich unterschiedlichen Generalitäts- eng umrissene Neukonzeption des Intelligenzbegriffs vor.
ebenen zuordnen. Unter anderen Versuchen, den Begriff der Intelligenz aus-
zuweiten, erlangte vor allem die „Theorie der multiplen
Wie . Abb. 2.3 zeigt, geht das BIS-Modell von zwei Modali- Intelligenzen“ (Gardner 1983) große Bekanntheit. Gardner
täten aus (Jäger et al. 1997), der Modalität des Aufgaben- postulierte acht Typen von Intelligenz, die jeweils von-
materials und der Modalität der kognitiven Prozesse einander unabhängig sein sollen und sich zu einem
(Operationen). modularen Gesamtkonzept von Intelligenz verknüpfen:
5 linguistische Intelligenz
5 logisch-mathematische Intelligenz
5 visuell-räumliche Intelligenz
5 musikalische Intelligenz
5 körperlich-kinästhetische Intelligenz
5 interpersonale Intelligenz
5 intrapersonale Intelligenz
5 naturalistische Intelligenz
anderes Problem der Intelligenzforschung, das oben bereits Die enge Verknüpfung des Wissens mit dem Denken und
angesprochen wurde, nämlich dass der psychometrische dem Handeln macht es für die Pädagogische Psychologie
Ansatz und der kognitive Informationsverarbeitungsansatz relevant. Zugleich legt diese Verbindung nahe, dass Wissen
2 bislang nur wenig verknüpft wurden. Bevor Verbindungen
zwischen beiden Bereichen in 7 Abschn. 2.3 thematisiert
und Intelligenz eng miteinander in Bezug stehen. Wie oben
bereits angedeutet, wurde dieser Bezug in der Forschung
werden, sollen die Grundlagen des Informationsver- aber lange Zeit nicht hergestellt, da sich Intelligenz-
arbeitungsansatzes illustriert werden. Hierzu wird das forschung und Wissenspsychologie auf der Grundlage
Konzept des Vorwissens einer genaueren Analyse unter- unterschiedlicher Paradigmen entwickelten. Erst neuerdings
zogen. werden Arbeiten zur Intelligenz enger an die Analyse von
Informationsverarbeitungsprozessen angelehnt, in denen
Wissen eine wichtige Rolle spielt (Mack 1996).
2.2.2 Grundlegendes zur Der Informationsverarbeitungsansatz wurde in den
Wissenspsychologie 1950er Jahren seit der „kognitiven Wende“ entwickelt und
erlebte in den 1970er Jahren einen großen Aufschwung.
Ist Intelligenz von Wissen abhängig oder hängt Wissen von In ihm werden jene kognitiven Prozesse, die für Lernen,
Intelligenz ab? Sind Wissen und Intelligenz divergierende Wissenserwerb und Leistungsverbesserung wesentlich sind,
oder korrespondierende Begriffe? Die Antwort ist als Prozesse der Verarbeitung von Information beschrieben:
ambivalent. „Es gibt zwei Möglichkeiten, mit den täglichen Der Mensch ist permanent über seine Sinnesorgane neu
Anforderungen des Lebens erfolgreich umzugehen. Die ein- eintreffender Information ausgesetzt, er nimmt sie wahr
fachere von beiden ist, dass man weiß, was zu tun ist. Die und selegiert sie, er behält Teile davon kurz im Gedächt-
schwierigere Methode ist, in der Situation neue Wege zu nis, andere Teile längerfristig, er wendet sie bei späteren
finden, den Ansprüchen zu begegnen“ (Gruber 1999b, S. 94). Gelegenheiten wieder an usw. Gegenstand der Informations-
Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl verarbeitungstheorie sind also die Arten von Information,
den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligenter die sich im Gedächtnis befinden, sowie die Prozesse,
Problemlöseverfahren. „Intelligenz“ und „Wissen“ sind die sich auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden
methodisch voneinander zu trennen, dagegen inhaltlich aufs solcher Information beziehen (Gruber 1999a). Zunächst
Engste verbunden. Da aber in der Psychologie die beiden wurden Informationsverarbeitungsprozesse vor allem in
Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungs- der Kognitiven Psychologie thematisiert (z. B. Newell und
traditionen sind, wurden sie separat voneinander analysiert. Simon 1972), seit einiger Zeit nehmen sie aber auch in der
Pädagogischen Psychologie breiten Raum ein, was sich bei-
Definition spielsweise in Lehrbüchern zeigt (z. B. Slavin 1988).
Wissen stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des
Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale
Vorwissen
Übereinkunft festgelegt ist. Vom Wissen eines Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die Bewältigung
bestimmten Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn komplexer, authentischer Probleme ohne umfangreiches
er Überzeugung von der Gültigkeit dieses Wissens hat. Vorwissen nicht möglich ist (7 Exkurs „Zur Bedeutung
von Vorwissen“). Lernen wurde daher zunehmend als
Prozess gesehen, der mit dem Erwerb großer Wissens-
Wissen wird als eine Menge mentaler Repräsentationen mengen einhergeht und sich über einen langen Zeitraum
aufgefasst, die Menschen in Zusammenhang mit geeigneten erstreckt. Zwischen der Art der Wissensstruktur und den
Denkprozessen zur Bewältigung von Aufgaben befähigt. beim Lernen und Problemlösen ablaufenden kognitiven
„Allgemeiner gesagt, ist Wissen gewissermaßen der Inhalt Prozessen wurden enge Verbindungen identifiziert, denn
und Denken gewissermaßen die Form eines kognitiven Lernen ist ein ständiges Wechselspiel des Rückgriffs auf
Prozesses“ (Gruber et al. 1999, S. 2). Bekanntes und der Bewältigung neuer Situationen. Daraus
In der Wissenspsychologie (Mandl und Spada 1988) wurde gefolgert, dass es wichtig sei, bereits früh im Lern-
werden vier zentrale Themenbereiche untersucht: prozess den Aufbau von Wissensstrukturen zu fokussieren
5 Erwerb von Wissen und dann kontinuierlich an ihrer Entwicklung zu arbeiten,
5 Repräsentation und Organisation von Wissen im indem beispielsweise das Vorwissen infrage gestellt, mit
Gedächtnis Beispielen belegt oder falsifiziert wird. Dies hilft, im Verlauf
5 Prozesse des Abrufs von Wissen des Lernens eine erfahrungsbasierte Wissensorganisation
5 Anwendung des Wissens beim Denken und Handeln zu erstellen (Gruber 1999b).
Intelligenz und Vorwissen
33 2
Exkurs
Darstellung von Wissensformen nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996, S. 111) als Matrix, in der Wissensmerkmale und Wissens-
arten aufeinander bezogen sind (reprinted by permission of the publisher Taylor & Francis Ltd, 7 http://www.tandfonline.com)
Wissensarten
Wissensmerkmale Situationales Wissen Konzeptuelles Wissen Prozedurales Wissen Strategisches Wissen
Hierarchischer Status
Innere Struktur
Automatisierungsgrad
Modalität
Allgemeinheitsgrad
Als Beispiel für die Verwendbarkeit des Klassifikations- darstellt, kann es doch nicht den Anspruch auf Voll-
modells nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996) soll ständigkeit erheben. Gerade im beruflichen Bereich, in
der Umgang mit Texten dienen. Es gibt Belege dafür, dem soziale, organisationale und ökonomische Kontext-
dass das Textverständnis besonders hoch ist, wenn reich- variablen bedeutsam sind, lassen sich viele weitere
haltiges konzeptuelles Wissen (Wissen über Fakten, Wissensformen unterscheiden, die teils „geheimnisvoll“
Begriffe und Prinzipien) vorliegt, dessen hierarchischer anmuten (Gruber und Sand 2007), weil sie vom ein-
Status als „tief verarbeitet“ bezeichnet werden kann und fachen Konzept des Faktenwissens weit abrücken. Leider
dessen innere Struktur sich mit „vernetztes Wissen“ ist oft festzustellen, dass alltägliche epistemologische
beschreiben lässt. Überzeugungen der Vielfalt des Wissensbegriffs nicht
Auch wenn dieses Klassifikationsmodell das bis- gerecht werden (7 Exkurs „Welche epistemologischen Über-
lang umfassendste Ordnungssystem von Wissensformen zeugungen herrschen vor?“).
Intelligenz und Vorwissen
35 2
Exkurs Der Umgang mit schlecht definierten Problemen ist in
der Ökonomie oder der Politik der Normalfall (Voss 1990).
Welche epistemologischen Überzeugungen herrschen Der Einsatz computersimulierter Szenarien zur Analyse
vor? solcher Prozesse ist seit den bekannt gewordenen Arbeiten
Wissen wird im Alltag meist mit deklarativem Wissen der Gruppe um Dörner prominent; in „Lohhausen“ (Dörner
(Faktenwissen, „Wissen, dass“) gleichgesetzt – während et al. 1983) agieren Problemlöser als Bürgermeister einer
das ebenso bekannte „Know-how“ (prozedurales Wissen,
„Wissen, wie“) eher unter die Rubrik Fertigkeiten fällt. Das
fiktiven Stadt und versuchen, deren wirtschaftliche Ent-
Zusammenspiel dieser beiden Wissensformen und ihre wicklung zu verbessern. Das Problemlösen in solchen
Umwandlung im Verlauf von Lernprozessen – geschweige komplexen Realitätsbereichen zeichnet sich durch eine
denn das Zusammenspiel noch weiterer, komplexerer Reihe von Merkmalen aus:
Wissensformen – spielt in der alltäglichen und leider auch in 5 Vernetztheit von Variablen
der wissenschaftlichen Auffassung von Wissen sowie in der
pädagogisch-psychologischen Praxis nur selten eine Rolle. Allzu
5 Eigendynamik des Systems (oft verbunden mit Zeit-
oft scheinen primitive epistemologische Überzeugungen das druck)
Bild zu bestimmen (Gruber 2008). 5 Intransparenz bezüglich der Variablen und ihrer Ver-
netzung
5 Irreversibilität von Entscheidungen
Problemlösen 5 Informationsflut – auch irrelevante Information
betreffend
Bei Experten ist die Verknüpfung zwischen kognitiven
5 Nebenwirkungen von Entscheidungen.
Strukturen (Gedächtnis und Wissen) und kognitiven
Prozessen (Problemlösen und Entscheiden) selbstver-
ständlich: Expertenwissen umfasst Auskunft über seine Experten sind flexibler bei komplexen Problemlöse-
Anwendungsbedingungen, da es sich in der permanenten prozessen als Novizen, was sich in dreierlei Fähigkeiten
professionellen Tätigkeit entwickelte. Dabei ist es interessant, niederschlägt:
dass professionelles Handeln in vielerlei Hinsicht wegen der 5 Fähigkeit, mentale Repräsentationen von Problemen zu
komplexen Aufgabenstellungen schlecht definiert ist. Die variieren und somit zu verschiedenen Hypothesen zu
Anforderungen sind oft nicht eindeutig, es gibt keine „beste“ gelangen
Lösung und der Einfluss von Kontextvariablen ist selten 5 Fähigkeit, die Analyseebenen situativ zu verändern,
überschaubar. Professionelles Handeln kann daher durchaus also etwa oberflächlich versus prinzipienorientiert zu
als ständiges Problemlösen beschrieben werden. argumentieren
5 Fähigkeit, Verarbeitungsstrategien zu wechseln und
Definition damit Aufgaben schneller und erfolgreicher zu lösen.
Problemlösen: Dörner (1979) spricht vom Vorliegen Forschungsansätze, die Intelligenz und Wissen in ihrem
eines Problems, wenn ein Individuum ein Ziel verfolgt, Zusammenhang betrachten, werden im folgenden Abschnitt
aber eine Barriere den Weg dorthin blockiert. Eine präsentiert.
wichtige Unterscheidung ist die zwischen wohl
definierten Problemen und schlecht definierten
Problemen.
Wohl definierte Probleme: Es existieren klare Aufgaben- 2.3 Zusammenspiel von Intelligenz
anforderungen, sodass Ziele und Barrieren eindeutig und Wissen als Gegenstand der
definiert werden können. Solche Probleme finden sich Pädagogischen Psychologie
häufig in Gegenstandsbereichen, in denen es klare
Regeln, Ziele und Richtlinien gibt. Möglichkeiten des Zusammenspiels von Intelligenz und
Schlecht definierte Probleme: Die Aufgaben- Wissen werden exemplarisch anhand der Arbeiten dreier
anforderungen sind nicht eindeutig, Ziele und Barrieren Forscher dargestellt und diskutiert. Sie sind sich darin
können nicht eindeutig definiert werden. einig, dass Wissen allein einem Menschen nicht viel nützt,
wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen,
und dass ihm Intelligenz ebenso wenig nützt, wenn er
Ob ein Problem wohl definiert oder schlecht definiert nicht über das Wissen verfügt, wie er Nutzen daraus ziehen
ist, hängt auch vom Vorwissensstand und von anderen kann. Franz Weinert prägte den Begriff des „intelligenten
individuellen Voraussetzungen des Problemlösers ab; daher Wissens“; Philip Ackerman beschrieb in seinem Ansatz
spielt die subjektive Beurteilung dessen, wie Aufgaben, der „ability determinants of skilled performance“, wie
Barrieren und Ziele beschaffen sind, eine große Rolle. Dies sich im Verlauf des Kompetenzerwerbs die Bedeutung
verweist auf die Rolle epistemologischer Überzeugungen. von Intelligenz und Vorwissen wandelt; Robert Sternberg
36 H. Gruber und E. Stamouli
weitete das Konzept der Intelligenz zu seiner triarchischen Wissen finden, umso leichter kann neuer Lernstoff in
Theorie der Intelligenz aus und brachte die Idee einer bedeutungsvoller Weise in die vorhandenen Strukturen
„praktischen Intelligenz“ ins Spiel. integriert werden.
2 In Studien, in denen Intelligenz und Wissen simultan als
Prädiktoren für schulische und berufliche Leistungen ver-
2.3.1 Intelligentes Wissen – Franz Weinerts wendet wurden, erwies sich bereichsspezifisches Vorwissen
Sicht auf das Zusammenspiel von als der bessere Prädiktor, um Leistungen in der gleichen
Intelligenz und Wissen Domäne vorherzusagen (Ceci und Liker 1986; Schneider
und Bjorklund 1992). In Arbeiten im schulischen Kontext
Weinert (1996) resümierte die Befunde über die Rolle des zeigte sich, dass den größten Einfluss auf den Lernfortschritt
Denkens beim Wissenserwerb und die Bedeutung des das zu Beginn eines Schuljahres verfügbare Wissen besitzt.
Wissens für Intelligenz und Denkleistung in einer modell- Stern (1997) zeigte, dass die Mathematikleistung in der
haften Darstellung (. Abb. 2.4), die die enge Verknüpfung 11. Klasse eng mit der Mathematikleistung in der Grund-
der Themen illustriert. schule zusammenhängt, enger als mit der Intelligenz der
Nach Weinert (1996, S. 96) zeigt dies, Schüler. Offenbar muss man sich über einen längeren Zeit-
raum mit mathematischen Problemen auseinandersetzen,
» dass das Niveau der Intelligenz auch das kognitive wenn man gut in Mathematik werden möchte. Dass aber in
Lernen beeinflusst, so dass sich mehr oder minder frühen Lernphasen die Intelligenz eine große Rolle für den
intelligente Lernprozesse ergeben. Deren Ertrag Lernfortschritt spielt, ist damit nicht in Abrede gestellt.
besteht im Erwerb eines intelligenteren oder weniger Die Beziehungen zwischen Intelligenz und/oder
intelligenten Wissens. Dieses ist neben der allgemeinen Begabung, Wissen und Lernen spielen in vielen Arbeiten
Intelligenz wiederum die Grundlage des Denkens, Weinerts eine zentrale Rolle (z. B. Weinert 1984). Als
dessen kumulativer Niederschlag schließlich auf das Pädagogischer Psychologe postulierte er, dass man mehr
nachfolgende Lernen zurückwirkt. über das Wissen wissen müsse, um das Denken fördern zu
Beachtung fand Weinerts Position vor allem, weil sie auf können. An der epistemologischen Überzeugung, dass diese
einer reichhaltigen Forschungstätigkeit in unterschied- drei Komponenten zusammengehören, hielt Weinert auch
lichen pädagogisch-psychologischen Feldern beruhte. Bei zu Zeiten fest, in denen in der Forschung versucht wurde,
der Herleitung seines theoretischen Modells berief er sich die Komponenten zu separieren und die Bedeutung der
explizit auf die Expertiseforschung (Schneider et al. 1989), jeweils anderen Teile zu leugnen (Waldmann et al. 2003).
aber auch auf längsschnittliche Analysen der schulischen Früher als die meisten anderen Lehr-Lern-Forscher
Leistungsentwicklung und ihrer Determinanten (Weinert erkannte Weinert, dass hohe Intelligenz nur von Vorteil ist,
und Schneider 1999). In verschiedenen Kontexten fand er wenn sie in bereichsspezifisches Wissen umgesetzt wird.
Bestätigung für die Annahme, dass erworbenes Wissen die Alles, was Menschen wissen und können, muss zuerst
bedeutsamste Voraussetzung des Erwerbs neuen Wissens gelernt werden. Das Lernen kann aber durch genetische
ist – je mehr Anknüpfungspunkte sich im vorhandenen Ausstattung und durch frühe Lernerfahrungen erschwert
oder erleichtert werden.
Eine spezifischere Modellierung der unterschiedlichen
Rolle von Intelligenz und Wissen während verschiedener
Intelligenz Lernen
Phasen des Kompetenzerwerbs liefert die Theorie der
Ability Determinants of Skilled Performance von Ackerman.
Intelligentes Wissen
In seiner PPIK-Theorie (PPIK = „process, personality, interests,
and knowledge“) geht Ackerman (1996) den Gründen für
interindividuelle Differenzen in der Kompetenz in einzelnen
Inhaltsbereichen nach. Dabei verknüpft er eine Vielzahl an
theoretischen Ansätzen zur Erklärung der intellektuellen Ent-
Denken durch intelligentes Wissen wicklung. In unserem Zusammenhang ist vor allem interessant,
dass er drei Komponenten von Intelligenz unterscheidet:
. Abb. 2.4 Zusammenhang von Intelligenz und Wissen beim
5 Intelligenz als Prozesskonstrukt
Lernen. (Modifiziert nach Weinert 1996, S. 96, mit freundlicher 5 Intelligenz als Interessenskonstrukt
Genehmigung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) 5 Intelligenz als Persönlichkeitskonstrukt.
Intelligenz und Vorwissen
37 2
Die beiden ersten beziehen sich in informationsver- In Ackermans Theorie der Ability Determinants of
arbeitungstheoretischer Fassung auf das Intelligenz- Skilled Performance wird also beschrieben, dass die Rolle
modell von Cattell (1971). Intelligenz als Prozesskonstrukt der Intelligenz zu Beginn des Kompetenzerwerbs eminent
wird als Informationsverarbeitung verstanden, die aus ist, dann aber zugunsten der Bedeutung des Wissens –
den vier Komponenten Verarbeitungskapazität, Wahr- insbesondere des prozeduralen Wissens – zurücktritt.
nehmungsgeschwindigkeit, Gedächtnisspanne und räum- Die Bewährungsprobe für ein Gelingen des Zusammen-
liche Rotation besteht und mit dem Aufbau von Wissen zu spiels von Intelligenz und Wissen erfolgt nach Ackerman
tun hat. Wissen wird ähnlich wie die kristalline Intelligenz in komplexen, praktischen Situationen – eine Annahme,
bei Cattell (1971) verstanden und in berufsspezifisches und die sich analog auch in Sternbergs triarchischer Theorie
unspezifisches (Allgemein-)Wissen unterschieden. Die Ent- der Intelligenz mit der Betonung des Konzepts der
wicklung des Wissens orientiert sich an der Investment- „praktischen Intelligenz“ findet.
theorie von Cattell (1971); das individuelle Kompetenzprofil
hängt davon ab, wie ein Individuum seine Ressourcen über
verschiedene Bereiche verteilt oder, anders ausgedrückt, 2.3.3 Triarchische Theorie der Intelligenz
wie groß der Anteil der verfügbaren Ressourcen ist, der in und praktische Intelligenz –
das jeweilige Gebiet investiert wird. Ackerman nimmt an,
Robert Sternbergs Sicht auf das
dass die wichtigste Ressource für den Aufbau gegenstands-
bezogener Kenntnisse die individuelle Informationsver-
Zusammenspiel von Intelligenz und
arbeitungskapazität bzw. die generelle kognitive Fähigkeit Wissen
ist. In Anlehnung an Cattell (1963) bezeichnet Ackerman
diese intellektuellen Fähigkeiten als „Intelligenz als Prozess“. Mit dem expliziten Anliegen, den Informationsverarbeitungs-
Fähigkeiten und Wissen entwickeln sich gemeinsam. Die ansatz kognitiver Intelligenztheorien mit dem psycho-
Entwicklung spezifischer Kompetenzen, die von Ackerman metrischen Intelligenzkonzept zu verknüpfen, formulierte
unter dem Begriff „Intelligenz als Wissen“ subsumiert Sternberg in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene
werden, kann demnach nur mithilfe der unter „Intelligenz als Facetten einer neuen Intelligenztheorie. Er postuliert,
Prozess“ zusammengefassten Fähigkeit zur Informationsver- dass erst die Verbindung unterschiedlicher wissenschaft-
arbeitung geschehen. licher Perspektiven der Komplexität des Konstrukts
In seiner Theorie der Ability Determinants of Skilled Intelligenz gerecht werde, insbesondere die Verknüpfung
Performance hatte Ackerman (1987, 1992) bereits vor- der strukturellen Modelle der psychometrischen Intelligenz-
her ein dreiphasiges Modell des Kompetenzerwerbs vor- forschung mit den Prozessmodellen der kognitionspsycho-
gestellt, in dem individuelle Differenzen in der Intelligenz logischen Ansätze. Die Besonderheit seiner Theorie ist, dass
und im Vorwissen kombiniert und zudem mit typischen er in ihr auch über die genannten Perspektiven hinausgeht
Anforderungen im Verlauf der Entwicklung verbunden und das Zusammenspiel von Fähigkeiten, Kompetenzen und
werden. Expertise (Sternberg und Grigorenko 2003) thematisiert.
Sternberg beschäftigt sich daher mit der praktischen
Kognitive Phase Die kognitive Phase zeichnet sich durch Relevanz von Intelligenz und weist anhand verschiedener
hohe kognitive Belastung aus: Das Individuum muss die Beispiele darauf hin, dass kognitive Intelligenz allein
Aufgabeninstruktion verstehen, mit den Zielen vertraut nicht ausreicht, um Erfolg im Leben zu haben und alltäg-
werden und Strategien formulieren. Weitere Entwicklung liche Herausforderungen des Lebens effektiv zu meistern
in den beiden nächsten Phasen ist nur möglich, wenn (Sternberg 1985, 1998). Seine Vorstellung von einer
konsistente Aufgabenanforderungen vorliegen. Während „Erfolgsintelligenz“ umfasst drei Aspekte, die in einem aus-
der kognitiven Phase spielt Intelligenz eine große Rolle; mit geglichenen Verhältnis zueinander stehen sollten:
dem Entstehen konsistenten prozeduralen Wissens ver- 5 analytische Intelligenz
ringert sich allerdings der Einfluss allgemeiner Fähigkeiten 5 kreative Intelligenz
zunehmend, ihre Korrelationen mit Leistungsmaßen sinken. 5 praktische Intelligenz (7 Exkurs „O-Ton Sternberg 1986,
S. 223“).
Assoziative Phase In der assoziativen Phase werden
Strategien eingeübt, die Leistung wird schneller und Mit dieser triarchischen Theorie versteht er Intelligenz als
fehlerfreier. Die Wahrnehmungsgeschwindigkeit wird dynamisches Konstrukt und berücksichtigt Kontextein-
trainiert und verbessert; in der assoziativen Phase geht es flüsse. Praktische Intelligenz wird als die Fähigkeit ver-
daher vor allem um die Kompilation von Wissen und die standen, mit realen Problemen erfolgreich umzugehen.
Schnelligkeit seiner Anwendung. Sternberg (1988) unterscheidet dabei akademisches und
praktisches Wissen. Praktisches Wissen (von Sternberg als
Autonome Phase In der autonomen Phase werden die „tacit knowledge“ deklariert) ist erfahrungsabhängiges,
Fertigkeiten automatisiert, die Tätigkeiten benötigen nur an einen bestimmten Kontext gebundenes prozedurales
noch wenig Aufmerksamkeit oder überhaupt keine mehr, Wissen, das oftmals nicht verbalisiert werden kann, das
sie werden extrem schnell und präzise. zumeist ohne explizite instruktionale Unterstützung aus
38 H. Gruber und E. Stamouli
Exkurs
dem sozialen Umfeld angeeignet wird, und das einen Phänomen, dass nämlich die Messung theoretischer
Menschen befähigt, situationsabhängig „richtig“ zu handeln. Konstrukte eng mit ihrer theoretischen Konzeption
Nach Sternberg (1998, S. 157) sind zusammenhängt. Führen wir uns die geschilderte
Dominanz psychometrischer Intelligenztheorien vor
» … Menschen mit der höchsten Erfolgsintelligenz nicht
Augen, ist es nicht erstaunlich, dass die Mehrzahl der Mess-
notwendigerweise jene mit der höchsten Intelligenz
verfahren für Intelligenz auf psychometrischen Annahmen
in allen drei Formen. Vielmehr sind sie – in Schule und
beruht.
Beruf – in der Lage, ihre Stärken optimal zu nutzen, ihre
Schwächen zu kompensieren und aus ihren Fähigkeiten
das Beste zu machen.
2.4.1 Messung von Intelligenz mit
Das heißt, dass man dann hohe Erfolgsintelligenz besitzt, psychometrischer Tradition
wenn man weiß, wann und wie verfügbare Ressourcen
effektiv einzusetzen sind. Praktische Intelligenz wird dem- Bei Intelligenzverfahren, die auf einer psychometrischen
entsprechend nicht über Testverfahren mit Aufgaben Theorie gründen, handelt es sich in der Regel um Tests, bei
erfasst, die wohl definiert, linear und nicht in spezifische denen – meist unter Zeitbeschränkung – relativ kurze Auf-
Kontexte eingebettet sind, sondern über Verfahren, die die gaben zu bearbeiten sind. Die häufigsten Aufgabentypen
Fähigkeit testen sollen, Wissen in relevanten Situationen sind:
anzuwenden. Dabei sind zumeist Probleme zu bearbeiten, 5 Sätze ergänzen
die schlecht definiert, nicht linear und in spezifische 5 Analogien bilden
situationale Kontexte eingebettet sind. Natürlich gab es 5 Gemeinsamkeiten finden
gute Gründe, weshalb solche Aufgaben in der Intelligenz- 5 Zahlenreihen fortsetzen
forschung vermieden wurden. Kessels und Korthagen 5 Figuren auswählen, die zu einer Reihe vorgegebener
(1996) führten die Debatte auf die epistemologische Figuren passen
Überzeugung in großen Teilen der Wissenschaft zurück, 5 mentale Rotation
abstraktes Wissen als höherwertig anzusehen als konkrete 5 Rechenaufgaben ohne verbalen Anteil
Fertigkeiten oder „tacit knowledge of good performance“. 5 Vorzeichenaufgaben
Dies verweist auf interessante Folgerungen für die Messung 5 Vokabularkenntnis
von Intelligenz und Wissen. 5 Sprachverständnis
5 logische Schlussfolgerung.
2.4 Messung von Intelligenz und Wissen In der Praxis lassen sich Intelligenztests in Tests für Kinder
und Jugendliche sowie für Erwachsene unterteilen. Es gibt
In diesem Abschnitt wollen wir grundlegende Möglich- Tests, die vorwiegend auf sprachabhängige Leistungen
keiten und Unterschiede in der Messung von Intelligenz abzielen, und Tests, die relativ sprachfern sind, Tests, die
und Wissen ansprechen, die das in den vorausgehenden nur einen Intelligenzaspekt abdecken, und Tests, die ver-
Abschnitten aufgezeigte Spannungsfeld zwischen beiden schiedene Aspekte messen, Tests, die in Gruppen durch-
Themen widerspiegeln. Es geht also eher um Überblicks- geführt werden können, und Tests, die einzeln angewandt
wissen über Standardverfahren und innovative Ansätze werden.
in der Intelligenzmessung sowie um einen Überblick über Die Vielzahl der vorhandenen Tests macht eine voll-
Methoden der Wissensdiagnostik als um eine umfangreiche ständige Aufzählung unmöglich. Trotzdem werden
Abhandlung der pädagogisch-psychologischen Diagnostik in . Tab. 2.1 exemplarisch einige häufig eingesetzte
(7 Kap. 13). Intelligenztests genannt und kurz erläutert. Eine voll-
Das Bonmot, Intelligenz sei das, was der Intelligenz- ständige, stets aktualisierte Darstellung ist unter 7 http://
test messe, verweist auf ein ernstes wissenschaftliches www.testzentrale.de abrufbar.
Intelligenz und Vorwissen
39 2
. Tab. 2.1 Überblick über häufig eingesetzte psychometrische Intelligenztests im deutschsprachigen Raum
Raven-Matrizen-Test: Advanced APM Zweifaktorenmodell von Spearman, sprachfreie Erfassung des Intelligenz-
Progressive Matrices potenzials
Berliner Intelligenzstruktur-Test BIS Vielfalt und Breite von Intelligenzleistungen (45 Aufgabentypen)
Hannover-Wechsler-Intelligenztest HAWIVA Intelligenzmodell von Wechsler. Erfassung allgemeiner und spezifischer
für das Vorschulalter Fähigkeiten bei Kindern im Vorschulalter
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest HAWIK Nach Intelligenzmodell und WISC-Test von Wechsler: Je fünf Untertests
für Kinder zum „Handlungsteil“ (Bilderergänzen, Zahlen-Symbol-Test, Bilderordnen,
Mosaiktest, Figurenlegen) und zum „Verbalteil“ (allgemeines Wissen,
Gemeinsamkeiten finden, rechnerisches Denken, Wortschatztest, all-
gemeines Verständnis). Ferner Untertests Zahlennachsprechen, Symboltest,
Labyrinthtest
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest HAWIE Intelligenzmodell von Wechsler, Messung der allgemeinen, der sprachlichen
für Erwachsene und Handlungsintelligenz; Profilanalyse
Intelligenz-Struktur-Test 70 IST-70 Intelligenzstruktur als Gefüge aus sprachlichen und rechnerischen Fähig-
keiten, räumlichem Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit; Profilanalyse
vor allem für Eignungsdiagnostik
Kognitiver Fähigkeits-Test KFT Kognitive Fähigkeiten (vor allem für schulisches Lernen) in den Bereichen
sprachliches Denken, quantitative (numerische) Fähigkeiten und
anschauungsgebundenes (figurales) Denken; Fokus auf Verarbeitungskapazi-
tät im Sinne des Berliner Intelligenzstrukturmodells
Leistungsprüfsystem LPS Intelligenzmodell von Thurstone, Analyse der Intelligenzarten, Ermittlung
der Begabungsstruktur
Raven Matrizen Test: Standard SPM Zweifaktorenmodell von Spearman, Erfassung des g-Faktors
Progressive Matrices
2.4.2 Messung von praktischer Intelligenz Situationen vornehmen mussten. Zu einer Reihe von
Situationen gab es jeweils zwischen 6 und 20 vorgegebene
Die am weitesten reichenden Vorstellungen über die Antwortmöglichkeiten unterschiedlicher Qualität. Jede
empirische Erfassung von praktischer Intelligenz Antwortmöglichkeit musste auf einer Skala eingeschätzt
fokussieren Wege zur Messung von „tacit knowledge“ werden, die von „vollkommen unwichtig“ bis „extrem
– womit diese Verfahren bereits im Grenzbereich zur wichtig“ reichte. Analog sollte in derselben Studie in einem
Messung von Wissen liegen. Die Verfahren fokussieren weiteren Verfahren eine Einschätzung für eine ideale statt
folgende Aspekte: der eigenen Arbeitsumgebung abgegeben werden.
5 Konstruktion konzeptueller Modelle über Interviews
und Protokolle lauten Denkens
5 Durchführung qualitativer Interviews mit erfolgreichen 2.4.3 Messung von Wissen
Berufstätigen
5 Einschätzung arbeitsverbundener Situationen und ihrer Die klassische Form der Wissensdiagnostik besteht
Relevanz durch erfolgreiche Berufstätige in der Ermittlung des Faktenwissens durch – oft über
5 Beschreibung der Gestaltung einer idealen statt der Multiple-Choice-Fragen gestaltete – Wissenstests. Die
eigenen tatsächlichen Arbeitsumgebung. Darstellung der Verfahren zur Messung von praktischer
Intelligenz deutete bereits an, dass mit der Differenzierung
Eteläpelto (1993) plädiert insbesondere für die Methode des Wissensbegriffs eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von
der Konstruktion konzeptueller Modelle, da mit ihnen Messverfahren entwickelt werden kann. Die folgende Dar-
die subjektive Natur praktischer Intelligenz erfasst werden stellung kann nur eine Ahnung dieser Vielfalt vermitteln.
kann. Beim Einsatz von Strukturlegetechniken und
Mapping-Techniken sind dann nicht alle Begriffe vom Ver- Interviews Als eine auch bei Kindern im Grundschul-
suchsleiter vorzugeben, sondern die Versuchspersonen alter verwendbare Methode, um konzeptuelles Wissen
erhalten Freiraum zur eigenen Gestaltung von Begriffen. zu erheben, beschreibt Vosniadou (1994) mündliche
Zur Erfassung von „tacit knowledge“ setzten Wagner Interviews. Sie plädiert für möglichst offene Transfer-
und Sternberg (1986) qualitative Interviews erfolgreicher fragen und schlägt vor, dass die Interviews nicht auf
Berufstätiger sowie ein Verfahren ein, bei dem kompetente verbale Daten beschränkt bleiben, sondern dass beispiels-
Versuchspersonen eine Einschätzung arbeitsrelevanter weise auch Zeichnungen oder Diagramme erfasst werden
40 H. Gruber und E. Stamouli
sollten. Interviews wurden und werden jedoch in der Lautes Denken Eine der bevorzugten wissens-
Forschung nur selten verwendet. Dies liegt u. a. daran, diagnostischen Analysemethoden im Informations-
dass die Durchführung, die qualitative Auswertung und verarbeitungsansatz besteht in der Erhebung und
2 die quantitative Kodierung der Antworten aufwendig
sind. Außerdem ist die Objektivität durch die direkte
Analyse von Protokollen lauten Denkens. Dass diese
zunächst als introspektiv bezeichnete Methode unter
Interaktion zwischen Interviewer und Interviewtem sowie bestimmten Bedingungen zuverlässige Ergebnisse liefert,
die notwendige Kodierung der Antworten in der Regel wiesen Ericsson und Simon (1993) nach. Sie zeigten,
niedriger als bei Fragebogen. dass simultane, untergeordnete und unspezifische
Verbalisierung den besten Schutz vor introspektiver Ver-
Concept Maps Concept Maps greifen die oben genannte zerrung bietet. Verbale Berichte erteilen dann genügend
Idee der grafischen Erfassung von Wissen auf. Sie werden zuverlässige Auskunft über kognitive Prozesse und
häufig in Form von Netzwerkdarstellungen eingesetzt. Strukturen.
Die einfachste Möglichkeit besteht darin, Probanden In einer Übersicht über die Entwicklung wissens-
selbstständig ein konzeptuelles Netzwerk zeichnen oder diagnostischer Methoden plädieren Hoffman und
ein teilweise vorgegebenes vervollständigen zu lassen. Lintern (2006) dafür, Mut zum Einsatz neuer, bislang
Komplexere Formen basieren auf computerunter- ungewohnter Verfahren zu besitzen. Karriere-Tiefen-
stützten Verfahren und haben sich in der Erfassung und interviews versprechen ihrer Ansicht nach wichtige Aus-
Diagnose komplexer Wissensstrukturen bewährt (Eckert kunft über die Breite und Tiefe der Erfahrung einer
2000). Mapping-Verfahren werden zunehmend auch zur Person, die Untersuchung von „professional standards“
Simulation und Vorhersage hypothetisch angenommen gewährt eine Einsicht darüber, was zum Erreichen einer
Wissens eingesetzt, etwa im Verfahren des „knowledge beruflichen (Spitzen-)Position notwendig ist, die Ana-
tracking“ (Janetzko und Strube 2000). lyse beruflicher sozialer Interaktionen zeigt, ob als wichtig
angenommene Verhaltensweisen sich tatsächlich in der
Netzwerkanalysen Der Einsatz von Netzwerktechniken professionellen Tätigkeit bewähren.
liegt insbesondere dann nahe, wenn die Verbreitung
von Wissen in sozialen Strukturen (beispielsweise in
Teams, in Unternehmen oder in Staaten) analysiert 2.5 Intelligenter Wissenserwerb im
werden soll. Mithilfe „sozialer Netzwerkanalysen“ Studium – Auch eine Frage der
werden Relationen zwischen allen Akteuren der unter- epistemologischen Überzeugungen von
suchten Strukturen erfasst, sodass die Position eines Dozierenden?
Individuums in der Struktur analysiert werden kann.
Da in der Expertiseforschung das Entstehen von hohem In diesem Kapitel wurden einerseits grundlegende Unter-
Expertisegrad zunehmend als Kombination individueller schiede in der Forschung zu Intelligenz und zu Vorwissen
Exzellenz und sozialer Anerkennung gesehen wird, skizziert, andererseits wurde nachgezeichnet, wie in einigen
gewinnen Netzwerkanalysen als diagnostische Verfahren Theorien versucht wird, einen Zusammenhang zwischen
rasch an Bedeutung (Gruber et al. 2018). beiden Forschungsbereichen herzustellen. Ein solches
Zusammenspiel ist zwangsläufig komplex und anspruchs-
Komplexe Simulationen Der Einsatz komplexer voll, wenn es die Potenziale beider Gebiete nutzen soll.
Simulationen zur Erfassung prozeduralen Wissens ist im Fall Die Anforderungen, die an den Erwerb „intelligenten
der Pilotenausbildung allgemein bekannt; Flugsimulatoren Wissens“ gestellt werden, sind hoch, und leider ist die
sollen die Authentizität realer Situationen herstellen, sodass pädagogisch-psychologische Praxis voll von misslungenen
– ohne objektives Risiko – die Fähigkeiten und Fertig- Versuchen. Dies gilt selbst für jene Lehr-Lern-Orte, an
keiten der angehenden Piloten getestet werden können. denen besonders intelligente und wissensreiche Dis-
Simulationen finden in der Messung von Wissen in solchen kussionen geführt werden sollten, für Universitäten. Die
Bereichen besonderen Zuspruch, die ein erhebliches Risiko Arbeitsgruppe um Mandl et al. (1994) lieferte empirische
mit sich bringen (z. B. in der medizinischen Ausbildung) Belege dafür, dass auch Studierende das Wissen, das sie
oder die motorische Komponenten beinhalten (z. B. Fußball; in bestimmten Kontexten in der Universität erwarben, oft
Ward et al. 2006). Sie werden jedoch zunehmend auch nicht in anderen Situationen oder bei anderen Problem-
zur Erfassung konzeptuellen Wissens eingesetzt, etwa im stellungen anwenden können, weil ihr erworbenes Wissen
betriebswirtschaftlichen Bereich bei der Leitung von Unter- „träge“ bleibt, also an die Lernsituation gebunden und nicht
nehmen.
Intelligenz und Vorwissen
41 2
flexibel einsetzbar ist. Eine denkbare Abhilfe verheißen
konstruktivistisch orientierte Lehr-Lern-Konzepte, in wurde. Allerdings müssen pädagogisch-psychologische
denen auf Authentizität, auf Aktivierung der Lernenden, Instruktionsansätze auch anerkennen, dass der
auf das Erwecken von Interesse und auf Lernprozesse in Erwerb (umfangreichen) deklarativen Faktenwissens
anwendungsnahen Situationen Wert gelegt wird (7 Kap. 1). eine notwendige Voraussetzung für erfolgreiche
Abschließend wollen wir ein mögliches Hinder- Prozeduralisierungsprozesse darstellt – aber eben nicht
nis „intelligenten Wissenserwerbs“ erwähnen. Wie wir das Ende der Wissenserwerbsfahnenstange!
zeigten, gewann die Forschung über epistemologische Über-
zeugungen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung, weil
die individuelle Epistemologie als eine wichtige Grundlage
der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen Wörterrätsel
erkannt wurde. Die Relevanz epistemologischer Über- Die Lückenwörter der folgenden Aussagen sind im Rätsel
zeugungen zeigt sich aber nicht nur bei den Lernenden, versteckt (. Abb. 2.5):
sondern auch bei denen, die das Lernen in Gang setzen 5 „… einer Testperson: Quotient aus dem
sollen, bei den Lehrenden. Lehrende, die anerkennen, Intelligenzalter und dem Lebensalter der
dass Lernende über bestimmte epistemologische Über- Testperson.“
zeugungen verfügen und diese zur Grundlage von Lern- 5 „… einer Testperson: Lebensalter derjenigen
entscheidungen machen, sehen die Lernenden mit anderen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche Zahl
Augen (Hasanbegovic et al. 2006). Es gelingt ihnen einfacher, und Art von Aufgaben löst wie die Testperson.“
Stärken und Schwächen und damit den Förderungsbedarf der 5 „… stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des
Lernenden zu erkennen und die Lernsituation angemessen Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale
zu gestalten. Die epistemologischen Überzeugungen von Übereinkunft festgelegt ist. Vom … eines bestimmten
Lehrenden beeinflussen zudem die Ausgestaltung ihrer Lehr- Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn er
angebote (Gruber et al. 2007; Tenenbaum et al. 2001). Überzeugung von der Gültigkeit dieses … hat.“
Die Einführung von E-Learning und virtuellen Lernplatt- 5 „Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die
formen in der Hochschullehre verändert im Prinzip radikal Bewältigung komplexer, authentischer Probleme
die damit implizierte Art des Lernens Studierender, etwa in ohne umfangreiches … nicht möglich ist.“
Richtung einer größeren Bedeutung von Selbststeuerungs- 5 „… ist der Prozess des Bildens bedeutungstragender
aktivitäten. Inwiefern sich aber die epistemologischen Über- Informationseinheiten im Arbeits- oder Kurzzeit-
zeugungen von Lehrenden bereits entsprechend geändert gedächtnis, mit dessen Hilfe erklärt werden kann,
haben, wurde bislang noch kaum untersucht; sollte dies weshalb Menschen trotz vergleichbarer Gedächtnis-
nicht der Fall sein, wird das Potenzial von E-Learning wahr- kapazität unterschiedliche viel erinnern können.“
scheinlich nicht überzeugend genutzt. Bislang jedenfalls
wird die Diskussion über den Einsatz von E-Learning zur
Lösung von Problemen der Hochschullehre vornehmlich ? Verständnisfragen
aus technologischer Perspektive geführt, Analysen über die 1. Warum ist umfangreiches Vorwissen bei der
pädagogische und didaktische Integration sowie über die Bewältigung komplexer, authentischer Probleme von
veränderte Rolle Lehrender sind rar. Gerade in der Praxis Bedeutung?
der virtuellen Hochschullehre ist oft zu beobachten, dass 2. Welcher ist der Gegenstand der Informationsver-
traditionelle Lehr-Lern-Modelle weitgehend unverändert auf arbeitungstheorie?
E-Learning übertragen werden (Astleitner 2000). 3. Was wird in Ackermans Theorie der „ability
„Intelligenter Wissenserwerb“ – ein anspruchsvolles determinants of skilled performance“ beschrieben?
Vorhaben nicht nur für Lernende, sondern auch für ihre 4. Wie wird praktische Intelligenz nach Sternberg
Lehrenden! definiert?
5. Warum spielen epistemologische Überzeugungen
von Lernenden eine wichtige Rolle bei der Ausübung
Fazit der Tätigkeit von Lehrenden?
Mit den Ausführungen in diesem Kapitel wurde
aufgezeigt, dass die Unterstützung intelligenten Vertiefende Literatur
Wissenserwerbs voraussetzt, dass zum einen 5 Anderson, J. R. (1996). Kognitive Psychologie (2. Aufl.). Heidelberg:
Spektrum.
Lernprozesse neu konzipiert werden und zum anderen
5 Gruber, H., Mack, W., & Ziegler, A. (Hrsg.). (1999). Wissen
auch die Ziele des Lernens zu verändern sind. Der und Denken. Beiträge aus Problemlösepsychologie und
Erwerb von Faktenwissen kann nicht mehr vorrangiges Wissenspsychologie. Wiesbaden: Deutscher U niversitäts-Verlag.
Ziel sein, wenn die Wissensvielfalt angestrebt wird, die 5 Sternberg, R. J., Kaufman, J. C., & Grigorenko, E. L. (2008). Applied
zur Beschreibung von Expertenhandeln identifiziert intelligence. Cambridge: Cambridge University Press.
42 H. Gruber und E. Stamouli
L C M X R Z B R Q S T S K L J S K Y P I
B K K U G M U G A O G S S E P S P R C J
2
A N R M K G E Q O T C Y X L R Z I C N K
N E I G M K R H W K C O M H F H T R S T
I Z F O D K P J N L E E K W D V S T U I
O G V P Z V D E H C L J C N P G G F J F
G J C H T K B J D T K O Q V C L A K W U
V V L N R Y M Y X P S Q A F X F I Q P H
I N T E L L I G E N Z Q U O T I E N T J
C M I G P Q T O S R D X Y X Z P U B E L
X Q H W D Y S C O J E O G Y C B I K X I
T L V W G B I I U Y L Y T C E M I W U C
F J W S Q U F K R T M Y L F H C L V L H
S L F I N T E L L I G E N Z A L T E R U
U Z O Q N K X I Z E V K N C F T X M S N
N K U J F E Z G X K H I E W H J F E G K
S M Y I J C I F P K M V S W D R E N Q I
P Q O R P P G R O S J B S A I J S F B N
N X W L Z K K Z V O R W I S S E N W D G
W S P C W E C Q E G M B W E N D B G X L
Literatur Binet, A., & Simon, T. (1905). Methodes nouvelles pour la diagnostic
du niveau intellectuel des anormeaux. Année Psychologique, 11,
Ackerman, P. L. (1987). Individual differences in skill learning: 191–244.
An integration of psychometric and information processing Buelens, H., Clement, M., & Clarebout, G. (2002). University assistants’
perspectives. Psychological Bulletin, 102, 3–27. conceptions of knowledge, learning and instruction. Research in
Ackerman, P. L. (1992). Predicting individual differences in complex Education, 67, 44–57.
skill acquisition: Dynamics of ability determinants. Journal of Cattell, R. B. (1963). Theory of fluid and crystallized intelligence: A
Applied Psychology, 77, 598–614. critical experiment. Journal of Educational Psychology, 54, 1–22.
Ackerman, P. L. (1996). Theory of adult intellectual development: Cattell, R. B. (1971). Abilities: Their structure, growth, and action. Boston:
Process, personality, interests, and knowledge. Intelligence, 22, Houghton Mifflin.
227–257. Ceci, S. J., & Liker, J. K. (1986). A day at the races: A study of IQ,
Anderson, J. R. (1982). Acquisition of cognitive skill. Psychological expertise, and cognitive complexity. Journal of Experimental
Review, 89, 369–406. Psychology: General, 115, 255–266.
Asendorpf, J. B. (2002). Emotionale Intelligenz nein, emotionale Chase, W. G., & Simon, H. A. (1973). Perception in chess. Cognitive
Kompetenzen ja. Zeitschrift für Personalpsychologie, 1, 180–181. Psychology, 4, 55–81.
Asendorpf, J. B., & Neyer, F. J. (2012). Psychologie der Persönlichkeit Chi, M. T. H. (1978). Knowledge structures and memory develop-
(5. Aufl.). Berlin: Springer. ment. In R. S. Siegler (Hrsg.), Children’s thinking: What develops?
Astleitner, H. (2000). Qualität von web-basierter Instruktion: Was (S. 73–96). Hillsdale: Erlbaum.
wissen wir aus der experimentellen Forschung? In F. Scheuer- Dann, H.-D. (1994). Pädagogisches Verstehen: Subjektive Theorien
mann (Hrsg.), Campus 2000. Lernen in neuen Organisationsformen und erfolgreiches Handeln von Lehrkräften. In K. Reusser & M.
(S. 15–39). Münster: Waxmann. Reusser-Weyeneth (Hrsg.), Verstehen. Psychologischer Prozess und
Bar-On, R. (2000). Emotional and social intelligence. Insights from the didaktische Aufgabe (S. 163–183). Bern: Huber.
emotional quotient inventory. In R. Bar-On & J. D. A. Parker (Hrsg.), De Jong, T., & Ferguson-Hessler, M. G. M. (1996). Types and qualities of
The handbook of emotional intelligence. Theory, development, knowledge. Educational Psychologist, 31, 105–113.
assessment, and application at home, school, and in the workplace Dörner, D. (1979). Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart:
(S. 363–388). San Francisco: Jossey-Bass. Kohlhammer.
Intelligenz und Vorwissen
43 2
Dörner, D., Kreuzig, H. W., Reither, F., & Stäudel, T. (1983). Lohhausen. and their relation to learning. Review of Educational Research, 67,
Vom Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität. Bern: Huber. 88–140.
Eckert, A. (2000). Die Netzwerk-Elaborierungs-Technik (NET). Ein Hofer, B. K., & Pintrich, P. D. (Hrsg.). (2002). Personal epistemology: The
computerunterstütztes Verfahren zur Diagnose komplexer psychology of beliefs about knowledge and knowing. Mahwah:
Wissensstrukturen. In H. Mandl & F. Fischer (Hrsg.), Wissen sichtbar Erlbaum.
machen. Wissensmanagement mit Mapping-Techniken (S. 137–157). Hoffman, R. R., & Lintern, G. (2006). Eliciting and representing the
Göttingen: Hogrefe. knowledge of experts. In K. A. Ericsson, N. Charness, P. J. Feltovich,
Ericsson, K. A., & Simon, H. A. (1993). Protocol analysis. Verbal reports as & R. R. Hoffman (Hrsg.), Handbook on expertise and expert per-
data. Cambridge: MIT Press. (rev. edn.). formance (S. 203–222). Cambridge: Cambridge University Press.
Eteläpelto, A. (1993). Metacognition and the expertise of computer Jäger, A. O., Süß, H.-M., & Beauducel, A. (1997). Der Berliner Intelligenz-
program comprehension. Scandinavian Journal of Educational struktur Test (BIS-Test; Form 4). Göttingen: Hogrefe.
Research, 37, 243–254. Janetzko, D., & Strube, G. (2000). Knowledge Tracking. Eine neue
Gardner, H. (1983). Frames of mind. The theory of multiple intelligences. Methode zur Diagnose von Wissensstrukturen. In H. Mandl & F.
New York: Basic. Fischer (Hrsg.), Wissen sichtbar machen. Wissensmanagement mit
Gardner, H. (2006). Multiple intelligences: New horizons in theory and Mapping-Techniken (S. 199–217). Göttingen: Hogrefe.
practice. New York: Perseus. Kessels, J. P. A. M., & Korthagen, A. J. (1996). The relationship between
Gruber, H. (1999a). Mustererkennung und Erfahrungswissen. In M. theory and practice: Back to the classics. Educational Researcher,
R. Fischer & W. Bartens (Hrsg.), Zwischen Erfahrung und Beweis 25, 17–22.
– Medizinische Entscheidungen und Evidence-Based Medicine Köller, O., Baumert, J., & Neubrand, J. (2000). Epistemologische Über-
(S. 25–52). Bern: Huber. zeugungen und Fachverständnis im Mathematik- und Physik-
Gruber, H. (1999b). Wissen. In C. Perleth & A. Ziegler (Hrsg.), unterricht. In J. Baumert, W. Bos, & R. Lehmann (Hrsg.), TIMSS/
Pädagogische Psychologie. Grundlagen und Anwendungsfelder III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschafts-
(S. 94–102). Bern: Huber. studie. Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am
Gruber, H. (2007). Bedingungen von Expertise. In K. A. Heller & A. Ende der Schullaufbahn: Bd. 2. Mathematische und physikalische
Ziegler (Hrsg.), Begabt sein in Deutschland (S. 93–112). Münster: Lit. Kompetenzen am Ende der gymnasialen Oberstufe (S. 229–270).
Gruber, H. (2008). Lernen und Wissenserwerb. In W. Schneider & M. Opladen: Leske + Budrich.
Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie Kuhn, D., Cheney, R., & Weinstock, M.-P. (2000). The development of
(S. 95–104). Göttingen: Hogrefe. epistemological understanding. Cognitive Development, 15, 309–
Gruber, H., Harteis, C., Hasanbegovic, J., & Lehner, F. (2007). Über 328.
die Rolle epistemischer Überzeugungen für die Gestaltung von Mack, W. (1996). Expertise und Intelligenz. In H. Gruber & A. Ziegler
E-Learning – Eine empirische Studie bei Hochschul-Lehrenden. (Hrsg.), Expertiseforschung. Theoretische und methodische Grund-
In M. H. Breitner, B. Bruns, & F. Lehner (Hrsg.), Neue Trends im lagen (S. 92–114). Opladen: Westdeutscher Verlag.
E-Learning. Aspekte der Betriebswirtschaftslehre und Informatik Mandl, H., & Spada, H. (Hrsg.). (1988). Wissenspsychologie. München:
(S. 123–132). Heidelberg: Physica/Springer. Psychologie Verlags Union.
Gruber, H., Hirschmann, M., & Rehrl, M. (2018). Bildungsbezogene Mandl, H., Gruber, H., & Renkl, A. (1994). Zum Problem der Wissens-
Netzwerkforschung. In R. Tippelt & B. Schmidt-Hertha (Hrsg.), anwendung. Unterrichtswissenschaft, 22, 233–242.
Handbuch Bildungsforschung (4. Aufl., S. 1339–1356). Wiesbaden: Nettelnstroth, W. (2003). Intelligenz im Rahmen der beruflichen Tätigkeit.
Springer Reference Sozialwissenschaften. Unveröff. Diss., Freie Universität Berlin, Fachbereich Erziehungs-
Gruber, H., Mack, W., & Ziegler, A. (1999). Wissen und Denken. Eine wissenschaft und Psychologie, Berlin.
problematische Beziehung. In H. Gruber, W. Mack, & A. Ziegler Newell, A., & Simon, H. A. (1972). Human problem solving. Englewood
(Hrsg.), Wissen und Denken. Beiträge aus Problemlösepsycho- Cliffs: Prentice-Hall.
logie und Wissenspsychologie (S. 7–16). Wiesbaden: Deutscher Perry, W. G. (1970). Forms of intellectual and ethical development in the
Universitäts. college years: A scheme. New York: Holt, Rinehart, and Winston.
Gruber, H., Prenzel, M., & Schiefele, H. (2014). Spielräume für Ver- Petrides, K. V., Frederickson, N., & Furnham, A. (2004). The role of trait
änderung durch Erziehung. In T. Seidel & A. Krapp (Hrsg.), emotional intelligence in academic performance and deviant
Pädagogische Psychologie. Ein Lehrbuch (6., vollst. überarb. Aufl.). behaviour at school. Personality and Individual Differences, 36, 277–
Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union. 293.
Gruber, H., & Sand, R. (Hrsg.). (2007). Geheimnisvolle Wissensformen Piaget, J. (1936). La naissance de l’intelligence chez l’enfant. Neuchâtel:
(Bibliothek „Studentische Arbeiten Educational Science“, Nr. 1). Delachaux, & Niestlé.
Regensburg: Universität Regensburg, Institut für Pädagogik. Rost, D. H. (2008). Multiple Intelligenzen, multiple Irritationen. Zeit-
Guilford, J. P. (1967). The nature of human intelligence. New York: schrift für Pädagogische Psychologie, 22, 97–112.
McGraw Hill. Rost, D. H. (2013). Handbuch Intelligenz. Weinheim: Beltz.
Hasanbegovic, J., Gruber, H., Rehrl, M., & Bauer, J. (2006). The two-fold Salovey, P., & Mayer, J. D. (1990). Emotional intelligence. Imagination,
role of epistemological beliefs in higher education: A review of Cognition and Personality, 9, 185–211.
research about innovation in universities. In P. Tynjälä, J. Välimaa, Schneider, W., & Bjorklund, D. F. (1992). Expertise, aptitude, and
& G. Boulton-Lewis (Hrsg.), Higher education and working life. strategic remembering. Child Development, 63, 461–473.
Collaborations, confrontations and challenges (S. 163–176). Oxford: Schneider, W., Körkel, J., & Weinert, F. E. (1989). Domain-specific
Pergamon. EARLI Advances in Learning and Instruction Book knowledge and memory performance: A comparison of high- and
Series. low-aptitude children. Journal of Educational Psychology, 81, 306–
Hofer, B. K. (2001). Personal epistemology research: Implications for 312.
learning and teaching. Journal of Educational Psychology Review, Schommer, M. (1990). Effects of beliefs about the nature of knowledge
13, 353–383. on comprehension. Journal of Educational Psychology, 82, 498–504.
Hofer, B. K. (2004). Exploring the dimensions of personal epistemology Schuler, H. (2002). Emotionale Intelligenz – Ein irreführender und
in differing classroom contexts: Student interpretations during unnötiger Begriff. Zeitschrift für Personalpsychologie, 3, 138–140.
the first year of college. Contemporary Educational Psychology, 29, Simon, H. A., & Gilmartin, K. (1973). A simulation of memory for chess
129–163. positions. Cognitive Psychology, 5, 29–46.
Hofer, B. K., & Pintrich, P. D. (1997). The development of Slavin, R. E. (1988). Educational psychology: Theory into practice
epistemological theories: Beliefs about knowledge and knowing (2. Aufl.). Englewood Cliffs: Prentice Hall.
44 H. Gruber und E. Stamouli
Spearman, C. (1904). „General intelligence”, objectively determined Urhahne, D. (2006). Die Bedeutung domänenspezifischer
and measured. American Journal of Psychology, 9, 209–293. epistemologischer Überzeugungen für Motivation, Selbstkonzept
Stern, E. (1997). Erwerb mathematischer Kompetenzen: Ergebnisse aus und Lernstrategien von Studierenden. Zeitschrift für Pädagogische
dem SCHOLASTIK Projekt. In F. E. Weinert & A. Helmke (Hrsg.), Ent- Psychologie, 20, 189–198.
2 wicklung im Grundschulalter (S. 157–170). Weinheim: Psychologie Urhahne, D., & Hopf, M. (2004). Epistemologische Überzeugungen
Verlags Union. in den Naturwissenschaften und ihre Zusammenhänge mit
Stern, W. (1911). Intelligenzproblem und Schule. Leipzig: Teubner. Motivation, Selbstkonzept und Lernstrategien. Zeitschrift für
Stern, W. (1912). Die psychologischen Methoden der Intelligenzprüfung Didaktik der Naturwissenschaften, 10, 71–87.
und deren Anwendung an Schulkindern. Leipzig: Barth. Vosniadou, S. (1994). Capturing and modelling the process of
Sternberg, R. J. (1985). Beyond IQ: A triarchic theory of human conceptual change. Learning, & Instruction, 4, 45–69.
intelligence. Cambridge: Cambridge University Press. Voss, J. F. (1990). Das Lösen schlecht strukturierter Probleme – ein
Sternberg, R. J. (1986). A triarchic theory of intellectual giftedness. In Überblick. Unterrichtswissenschaft, 18, 313–337.
R. J. Sternberg & J. E. Davidson (Hrsg.), Conceptions of giftedness Wagner, R. K., & Sternberg, R. J. (1986). Tacit knowledge and
(S. 223–243). Cambridge: Cambridge University Press. intelligence in the everyday world. In R. J. Sternberg & R. K. Wagner
Sternberg, R. J. (1988). The triarchic mind: A new theory of human (Hrsg.), Practical intelligence. Nature and origins of competence in
intelligence. New York: Viking. the everyday world (S. 51–83). Cambridge: Cambridge University
Sternberg, R. J. (1998). Erfolgsintelligenz. Warum wir mehr brauchen als Press.
EQ und IQ. München: Lichtenberg. Waldmann, M. R., Renkl, A., & Gruber, H. (2003). Das Dreieck von
Sternberg, R. J., Conway, B. E., Ketron, J. L., & Bernstein, M. (1981). Begabung, Wissen und Lernen. In W. Schneider & M. Knopf (Hrsg.),
People’s conceptions of intelligence. Journal of Personality and Entwicklung, Lehren und Lernen. Zum Gedenken an Franz Emanuel
Social Psychology, 41, 37–55. Weinert (S. 219–233). Göttingen: Hogrefe.
Sternberg, R. J., & Grigorenko, E. L. (Hrsg.). (2003). The psychology of Ward, P., Williams, A. M., & Hancock, P. A. (2006). Simulation for per-
abilities, competencies, and expertise. Cambridge: Cambridge Uni- formance and training. In K. A. Ericsson, N. Charness, P. J. Feltovich,
versity Press. & R. R. Hoffman (Hrsg.), Handbook on expertise and expert per-
Sternberg, R. J., Kaufman, J. C., & Grigorenko, E. L. (2008). Applied formance (S. 243–262). Cambridge: Cambridge University Press.
intelligence. Cambridge: Cambridge University Press. Wechsler, D. (1958). The measurement and appraisal of adult
Süß, H. M. (2003). Intelligenztheorien. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger intelligence. Baltimore: Williams, & Wilkins.
(Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 217– Weinert, F. E. (1984). Vom statischen zum dynamischen zum statischen
224). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Begabungsbegriff? Die Deutsche Schule, 5, 353–365.
Tenenbaum, G., Naidu, S., Jegede, O., & Austin, J. (2001). Constructivist Weinert, F. E. (1996). Wissen und Denken. Über die unterschätzte
pedagogy in conventional on-campus and distance learning practice: Bedeutung des Gedächtnisses für das menschliche Denken.
An exploratory investigation. Learning, & Instruction, 12, 263–284. In Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1996
Thurstone, L. L. (1938). Primary mental abilities. Chicago: University of (S. 85–101). München: Bayerische Akademie der Wissenschaften.
Chicago Press. Weinert, F. E., & Schneider, W. (Hrsg.). (1999). Individual develop-
Thurstone, L. L., & Thurstone, T. G. (1941). Factorial studies of ment from 3 to 12: Findings from the Munich longitudinal study.
intelligence. Chicago: University of Chicago Press. Cambridge: Cambridge University Press.
45 3
Selbstregulation und
selbstreguliertes Lernen
Franziska Perels, Laura Dörrenbächer-Ulrich, Meike Landmann, Barbara Otto,
Kathleen Schnick-Vollmer und Bernhard Schmitz
3.5 Ausblick – 63
Literatur – 64
Lernstrategien
Der Einsatz verschiedener Lernstrategien Prüfen) unterteilen. Während der Einsatz überwachen. Hierunter werden z. B. die
stellt den Kern des selbstregulierten von Oberflächenstrategien lediglich dem Selbstreflexion und Selbstbewertung
Lernens dar. Im Wesentlichen werden drei Faktenlernen dient, führt der Einsatz gefasst.
Arten von Lernstrategien unterschieden: von Tiefenstrategien zu einem gut Ressourcenorientierte Lernstrategien
kognitive, metakognitive und ressourcen- verankerten Wissen. Hier wird versucht, bilden die Ressourcen ab, auf die
orientierte Lernstrategien. Die ersten Lerninhalte zu verstehen, indem sie der/die Lernende vor oder während
beiden werden auch als Primär-, letztere beispielsweise strukturiert oder an bereits des Lernprozesses zugreifen kann.
als Sekundär- oder Stützstrategien bestehendes Vorwissen angeknüpft Hier werden internale Ressourcen
bezeichnet (vgl. Wild 2000). Kognitive werden. wie Anstrengung, Aufmerksamkeit
Strategien beschreiben den Umgang Metakognitive Strategien lassen sich und Konzentration und externale
mit einem konkreten Lerninhalt. Sie als sogenannte Kontrollstrategien Ressourcen wie eine geeignete
lassen sich in sogenannte O berflächen- bezeichnen. Sie zielen in erster Linie Lernumgebung, soziale Unterstützung
(Wiederholungsstrategien) und darauf ab, die Richtigkeit und den Einsatz oder beispielsweise das Vorhandensein
Tiefenstrategien (Organisations- und der kognitiven Strategien zu überprüfen von Literatur differenziert (s. auch
Elaborationsstrategien sowie kritisches und den gesamten Lernprozess zu 7 Abschn. 3.3.1).
selbstregulatorischer Kompetenzen (7 Abschn. 3.3 und 3.4) Ein häufig zitiertes Beispiel für diesen Mechanismus ist
zu bilden (vgl. Wirth und Leutner 2008). Sie lassen sich das Heizungsthermostat. Dieses wird auf eine gewünschte
grob in die zwei Gruppen der Prozessmodelle (z. B. Schmitz Temperatur eingestellt (Soll-Wert) und misst fortwährend
und Wiese 2006; Zimmerman 2000) und Schichtenmodelle (Zustandsmonitoring) die aktuelle Raumtemperatur
(z. B. Boekaerts 1999; Landmann und Schmitz 2007a) ein- (Ist-Zustand). Im Falle einer negativen Diskrepanz (d. h.
teilen. Erstere fokussieren den dynamischen und phasen- zu kühler Raumtemperatur) wird geheizt. Bei Erreichen
bzw. prozessbezogenen Charakter der Selbstregulation. der gewünschten Temperatur wird die Wärmezufuhr ein-
Letztere betonen die verschiedenen (Selbst-)Regulations-
gestellt, da keine Differenz mehr zwischen Ist-Zustand und
ebenen und die darin enthaltenen Komponenten. Soll-Wert vorliegt.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Der hier beschriebene Regulationszyklus lässt sich
Zugangsweisen werden im Folgenden anhand ausgewählter leicht auf menschliches Verhalten – so auch auf die
Modelle illustriert. Um die Modelle verständlicher und Selbstregulation – übertragen. Die in den letzten beiden
greifbarer zu machen, unterstützt an dieser Stelle der Jahrzehnten hervorgebrachten Prozessmodelle der Selbst-
Exkurs über die Bedeutung verschiedener Lernstrategien. regulation bauten aufeinander auf und wurden durch die
Berücksichtigung weiterer Annahmen und Konstrukte
zunehmend differenzierter. Beispielsweise griff Zimmerman
3.2.1 Prozessorientierte Modelle der (2000) in seinem Modell grundlegende Überlegungen
Selbstregulation von Bandura (1991) auf, betonte jedoch stärker als dieser
den kreisförmigen und adaptiven Charakter von Selbst-
Das allgemeine Prozessmodell regulation.
Prozess- oder phasenbezogene Modelle betrachten die
Selbstregulation als einen dynamischen und iterativen, also Beispiel
schrittweisen, regelkreisähnlichen Prozess. Dieser Prozess
lässt sich in verschiedene Phasen gliedern. Er folgt letzt- Da selbstreguliertes Verhalten zahlreiche Aspekte
lich einem Grundmuster, das bereits Mitte des letzten menschlichen Handelns betrifft (z. B. die Aneignung
Jahrhunderts im allgemeinen 7 kybernetischen Modell gesundheitsförderlichen Verhaltens, die Einübung
von Wiener (1948) beschrieben wurde. In diesem ein- motorischer Handlungsabläufe, die Optimierung des
fachen Regelkreismodell wird ein aktueller Ist-Zustand mit Arbeits- und Lernverhaltens usw.), gibt es Modelle,
einem angestrebten Soll-Wert verglichen. Eine Feedback- die Selbstregulation im Zusammenhang mit einem
schleife meldet das Ergebnis an das System zurück. Im Falle speziellen Kontext beschreiben. Das selbstregulierte
einer Übereinstimmung der beiden Werte erfolgt keine Lernen nimmt hierbei eine besondere Wichtigkeit ein:
regulierende Aktion. Im Falle einer Diskrepanz zwischen Lernen bezieht sich bei Weitem nicht nur auf Schule und
beiden Werten werden regulative Handlungen ergriffen, mit Studium; der Mensch lernt von der ersten Minute an
dem Ziel, den Ist-Zustand an den Soll-Wert anzugleichen. sein ganzes Leben lang. Zudem ist menschliches Lernen
Erst bei der Übereinstimmung des Ist-Zustands mit dem so lebensbereichsübergreifend wie kaum ein anderes
Soll-Wert werden die Regulationsmaßnahmen eingestellt. Verhalten.
48 F. Perels et al.
Prozessmodelle der Selbstregulation im Entscheidung sind Merkmale der Aufgabe (interessant, auf-
Kontext des Lernens wendig), der Situation (Antizipation möglicher Störungen)
Eine geeignete Darstellung, um Selbstregulation im Kontext und personelle Faktoren (z. B. verfügbare Zeit, Befindlich-
des Lernens zu beschreiben, bietet das Prozessmodell der keit, Anstrengungsbereitschaft).
Selbstregulation von Schmitz et al. (2007; . Abb. 3.2). Nachfolgend werden die drei Phasen im Zusammen-
In diesem Modell werden drei Phasen differenziert, die hang mit dem selbstregulierten Lernen erläutert:
3 Schmitz in Anlehnung an Heckhausen (1989) und Goll- 1. Die präaktionale Phase („forethought phase“) dient
witzer (1990) als präaktional, aktional und postaktional der Handlungsplanung bzw. der Vorbereitung des
bezeichnet. Diese Phasen sind letztlich als Bestandteil eines Lernprozesses. Ausgehend von der gegebenen Auf-
dynamischen und iterativen Prozesses zu sehen: Adaptives gabe, den Bedingungen der Situation, den individuellen
Handeln findet immer dann statt, wenn Überzeugungen des/der Lernenden und seinen/ihren
5 präaktional Ziele gesetzt werden, deren Erreichung emotionalen und motivationalen Voraussetzungen
durch entsprechende Strategien in der werden in dieser Phase Ziele definiert, Strategien zur
5 aktionalen Phase angestrebt wird, und deren Umsetzung der Ziele ausgewählt und entsprechende
Bewertungsprozesse in der Handlungen geplant. Grundlegende Aspekte dieser
5 postaktionalen Phase zu eventuellen Modifikationen Phase sind also die Aufgabenanalyse, die Zielsetzung
führen (7 Beispiel „Selbstreguliertes Lernen“). und -formulierung und das Herausbilden selbst-
motivierender Überzeugungen für die bevorstehende
Das Modell basiert auf den Überlegungen von Zimmerman Lernhandlung (etwa im Sinne von 7 Selbstwirksam-
(2000), führt diese jedoch in verschiedener Hinsicht weiter keit). Der resultierende Soll-Wert wird als Referenzgröße
und trägt insbesondere der Beobachtung Rechnung, für zukünftiges Regulationsverhalten herangezogen.
dass nicht bei jeder Aufgabenstellung (z. B. bei sehr ein- 2. Die sich anschließende aktionale Phase („performance
fachen Aufgaben) explizite Selbstregulation notwendig or volitional control phase“) entspricht der eigent-
ist und die Vollständigkeit der Bearbeitung von Aufgaben lichen Lernhandlung. Hier werden die ausgewählten
variiert. In dem Modell wird postuliert, dass Filter in der Strategien umgesetzt und das Handeln überwacht und
präaktionalen Phase zu diesen Unterschieden führen. kontrolliert. Kernaspekte dieser Phase sind volitionale
Diese Filter bilden implizite und explizite Entscheidungen (also willentliche) Prozesse, die der Aufrechterhaltung
ab, die vom/von der Lernenden im Hinblick auf die Auf- und Optimierung der Handlungsausführung dienen
gabenbearbeitung getroffen werden. Relevant für die (z. B. Anstrengungs- oder Konzentrationskontrolle).
. Abb. 3.2 Komponenten der Selbstregulation in der präaktionalen, der aktionalen und der postaktionalen Phase. (Nach Schmitz und Schmidt
2007, mit freundlicher Genehmigung des K
ohlhammer-Verlags; modifiziert nach Schmitz und Wiese 2006, with permission from Elsevier)
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
49 3
Weiterhin kommt der Selbstbeobachtung ein
besonderer Stellenwert zu. Diese ermöglicht es, wesent- geplanten kognitiven Strategien ein. Sie liest die
liche Einflussgrößen und Wirkungen des eigenen Strophe mehrfach laut. Dann überprüft sie, ob sie an
Handelns zu beobachten und als Information für ihrem ursprünglichen Plan festhält (Self-Monitoring):
weitere Regulationsprozesse bereitzustellen. Erfolg- Sie erinnert sich, dass sie nach mehrfachem Ablesen
reiches Lernen kann in dieser Phase an einer aus- das Buch seltener zur Hilfe nehmen wollte. So sieht Mia
reichenden und effektiv genutzten Lernzeit sowie an immer seltener in das Buch.
einem situationsangemessenen Einsatz von allgemeinen Postaktionale Phase: Nach einiger Zeit stellt sie fest,
(z. B. volitionalen) und aufgabenspezifischen (z. B. dass sie noch nicht sehr viel auswendig gelernt hat. Sie
mathematischen) Strategien festgemacht werden. ist traurig (emotionale Reaktion, vgl. auch 7 Kap. 9),
3. Die abschließende postaktionale Phase aber auch angespornt, ihre Aufgabe zu beenden. An
(„self-reflection phase“) dient zum einen der Ein- dieser Stelle hat sie die Möglichkeit, ihr Ziel oder ihre
schätzung der Handlungsergebnisse und zum anderen Strategie zu modifizieren. Zweite präaktionale Phase:
der Ableitung von Konsequenzen für zukünftiges Mia merkt, dass das Gedicht einige Fremdwörter
Handeln. Hauptkomponenten dieser Phase sind enthält, die es vorher zu klären gilt (Strategiemodi-
also die Bewertung der erbrachten Leistung und der fikation: erneute Planung kognitiver Lernstrategien).
Abgleich mit dem in der Planungsphase gesetzten Zweite aktionale Phase: Mia informiert sich über die
Ziel (Ist-Soll-Vergleich), die Reflexion über Ergebnis- Bedeutung der Wörter, die ihr nicht klar sind. Da sie
ursachen und den gesamten Handlungsverlauf (z. B. den Zusammenhang des Gedichts nun besser versteht,
Umgang mit Hindernissen, erfolgreiche Strategien) kann sie die Strophe bald auswendig aufsagen. Mia
sowie das Ableiten von Schlussfolgerungen und Vor- klappt das Buch zu und trägt die Strophe noch zweimal
sätzen (im Sinne der Strategie- oder Zielmodifikation) vor. Zweite postaktionale Phase: Sie stellt fest, dass
im Hinblick auf die nächste Handlungsphase bzw. sie ihr Ziel erreicht hat. Sie attribuiert ihren Erfolg auf
Lernsequenz. Reflexionen in der postaktionalen Phase ihre Anstrengung und ist daher sehr stolz auf sich.
beeinflussen also unmittelbar den Planungsprozess Das Erreichen dieses Ziels wiederum beeinflusst ihre
in der präaktionalen Phase des folgenden Lernzyklus. Selbstwirksamkeitserwartung bzgl. des nächsten
Eine anschauliche Beschreibung der drei Phasen bietet Lernprozesses. Wenn sie wieder ein Gedicht lernen will,
folgendes Beispiel: kann sie sich an ihren Erfolg erinnern.
Beispiel
Das Modell ist konform mit den Ergebnissen von Sitz-
Selbstreguliertes Lernen mann und Ely (2011), die im Rahmen ihrer Meta-
Mias Hausaufgabe besteht darin, innerhalb von drei analyse die Erfolgsfaktoren selbstgesteuerten Lernens
Tagen ein Gedicht auswendig zu lernen. Präaktionale herauskristallisieren konnten: Zielsetzung, Selbstwirksam-
Phase: Sie schlägt das Buch auf, analysiert die Aufgabe keit, Ausdauer und Anstrengung.
(Lernen eines Gedichts mit drei Strophen) und formuliert Ein weiteres Modell, das geeignet ist, um Selbst-
ihr Ziel (im Idealfall SMART (Doran 1981): spezifisch, regulation im Kontext von Lernen darzustellen, stammt von
messbar, angemessen/anspruchsvoll, realistisch, Pintrich (2000). Es unterscheidet sich von den bisher dar-
terminiert; vgl. auch 7 Kap. 17): „Ich möchte jeden gestellten Modellen insofern, als zum einen vier statt drei
Tag neben den übrigen Hausaufgaben eine Strophe Phasen differenziert werden, da der Selbstüberwachung
des Gedichts lernen.“ Danach plant Mia, welche bzw. Selbstbeobachtung eine separate Phase gewidmet ist:
Vorgehensweise zum Erfolg führen könnte (Planung die Überwachungs- oder Monitoringphase. Somit besteht
der kognitiven Lernstrategien): „Dazu werde ich die das Modell aus folgenden vier Phasen:
Strophe mehrmals betont lesen und dann versuchen, 1. Planungs- und Aktivationsphase
während des Aufsagens immer weniger in das Buch zu 2. Überwachungs- oder Monitoringphase
schauen.“ Mia ruft sich in Erinnerung, dass sie, wenn 3. Kontrollphase
sie ihre Aufgaben erledigt hat, ihre Freundin besuchen 4. Reaktions- und Reflexionsphase.
kann (Motivation, vgl. auch 7 Kap. 7). Aus vorherigen
Erfahrungen weiß sie, dass sie gut auswendig lernen Zum anderen werden, bezogen auf jede der vier Phasen,
kann (hohe Selbstwirksamkeitserwartung, vgl. auch vier Regulationsaspekte bzw. -bereiche unterschieden:
7 Kap. 8). 1. Kognition
Während der aktionalen Phase verhält sich Mia 2. Motivation/Affekt
entsprechend ihres Plans. Vorab prüft sie, ob ihr 3. Verhalten
Schreibtisch aufgeräumt und das Handy ausgeschaltet 4. Kontext.
ist (externale Ressource: geeignete Lernumgebung).
Dann beginnt sie mit dem Lernen und setzt die Aus diesen vier Phasen und vier Regulationsbereichen
ergibt sich ein 16-zelliges Kategorisierungsschema, das
50 F. Perels et al.
. Tab. 3.1 Phasen und Bereiche der Selbstregulation. (Modifiziert nach Pintrich 2000, with permission from Elsevier)
A B C D
Wahl und der Einsatz dieser kognitiven Strategien überwacht Gedichts zu bleiben (s. o.), wäre dies der Fall, wenn Mia
(Regulation des Strategieeinsatzes). Diese Überwachung das Gedicht tatsächlich nur laut gelesen, sich aber nicht
erfolgt, indem metakognitives Wissen und metakognitive gleichzeitig darauf konzentriert hätte, es auch auswendig
Strategien eingesetzt werden. Der/Die Lernende beobachtet zu lernen. Das bedeutet, dass die Strategie zwar richtig
also, ob er/sie die Aufgabe auch tatsächlich so bearbeitet, gewählt, jedoch nicht richtig ausgeführt worden wäre.
wie in der inneren Schicht geplant. In der äußeren, dritten 5 Führt dies nicht zum Erfolg (in diesem Fall zur
Ellipse findet nun die den bisherigen Ebenen übergeordnete Erledigung der Aufgabe), kann auf nächsthöherer Ebene
Regulation des Selbst statt. Dazu zählen insbesondere die Strategieauswahl beobachtet bzw. reguliert und
motivationale und volitionale Aspekte. Hier werden zum ein Strategiewechsel vollzogen werden (2. Strategie-
einen Ziele formuliert und zum anderen die entsprechenden regulation). Beispielsweise könnte sich ein Schüler
7 Ressourcen (Zeit, Ruhe), die zur Zielerreichung notwendig entscheiden, auf Lernkarten oder Gedächtnisstrategien
sind, überprüft. (sog. Mnemotechniken) zurückzugreifen. In unserem
Auch im Hierarchiemodell von Landmann und Schmitz Beispiel könnte Mia das Gedicht abschreiben.
(2007a) werden verschiedene, aufeinander aufbauende 5 Führt das korrekte Ausführen der neuen Strategie
Ebenen der Regulation unterschieden. Es beinhaltet bei zum Erfolg, ist mit der Zielerreichung die Lernepisode
genauerer Betrachtung allerdings auch prozessuale Elemente. abgeschlossen. Ist jedoch weiterhin kein Erfolg zu ver-
Dies ist dadurch bedingt, dass dem Self-Monitoring in zeichnen, würden weitere verfügbare Strategien (z. B.
diesem Modell eine besondere Rolle zugewiesen wird. Wie Lernen mit Klassenkameraden) ausprobiert.
bereits aus den Prozessmodellen hervorgegangen ist, führt 5 Sollte es trotz der Strategieregulation nicht möglich
Selbstregulation i. S. eines Ist-Soll-Vergleichs dazu, dass sein, die Aufgabe zu bewältigen, ist es funktional, die
der Lernprozess im Falle eines nicht erreichten Ziels wieder Beobachtungsebenen erneut zu wechseln (3. Ziel-
von Neuem beginnt. Dieses prozessuale Prinzip wird im regulation) und das Ziel zu regulieren (d. h. in diesem
beschriebenen Modell nun in mehrere Schichten „ver- Fall z. B. das eigene Anspruchsniveau herabzusetzen
packt“: In diesem Ansatz wird der Gegenstand der Selbst- und vielleicht drei statt zwei Tage für das Lernen einzu-
beobachtung sukzessive erweitert, wobei jeder Ebene ein planen).
spezifischer Beobachtungsgegenstand zugeordnet wird.
Die verschiedenen Ebenen des Self-Monitoring bzw. der Prinzipiell kann – anders als in dem gerade beschriebenen
Regulation sind in . Abb. 3.4 ersichtlich. Beispiel – auf die Ebene der Zielregulation auch im Falle
5 Auf der untersten Ebene wird die Ausführung einer aus- eines Erfolgs gewechselt werden. So könnte sich der/die
gewählten Strategie (z. B. einer Lernstrategie wie Aus- Lernende beispielsweise in Bezug auf die nächste Lern-
wendiglernen) in Bezug auf die zuvor definierte Aufgabe sequenz anspruchsvollere Ziele setzen und sein Aufgaben-
überwacht (1. Ausführungsregulation). Wird die niveau langfristig anheben. Das Modell lässt klar Elemente
ausgewählte Strategie nicht korrekt ausgeführt, erfolgt „klassischer“ Schichtenmodelle erkennen, die jedoch mit
eine Ausführungsregulation (Leutner und Leopold prozessualen Komponenten (Zielsetzung, Handlungsaus-
2005). Um bei dem Beispiel des Auswendiglernens eines führung, Kontrolle, ggf. neue Zielsetzung) verbunden sind.
52 F. Perels et al.
. Abb. 3.4 Hierarchieebenen des Self-Monitoring und der Selbstregulation. (Modifiziert nach Landmann und Schmitz 2007a, mit freundlicher
Genehmigung der Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung KG)
Wie bereits erläutert sind theoretische Modelle selbst- Effekte von Interventionen zur Förderung von
regulierten Verhaltens notwendig, um daraus Instrumente selbstreguliertem Lernen
zur Diagnostik abzuleiten und zu entwickeln. Das bedeutet, In ihrer Metaanalyse untersuchten Dignath et al. (2008) die
dass zunächst festgelegt werden muss, welche Komponenten Effektivität von Interventionsprogrammen, die darauf abzielen,
das selbstregulierte Lernen in der Grundschule zu fördern.
der Selbstregulation oder des selbstregulierten Lernens Auf der Basis von insgesamt 48 Studien fanden sie sowohl
erfasst werden sollen und welche Beziehung zwischen hinsichtlich des Anstiegs der Selbstregulationskompetenz
den einzelnen Komponenten angenommen wird. Erst als auch hinsichtlich der Lernleistung vergleichsweise hohe
danach kann mit der Entwicklung eines Instruments zur Effektstärken. Weitere Analysen zeigten, dass selbstreguliertes
Messung selbstregulatorischer Fähigkeiten begonnen Lernen bereits in den unteren Klassenstufen (1 bis 3) effektiv
trainiert werden kann und dass die Interventionsprogramme
werden (7 Exkurs „Effekte von Interventionen zur Förderung insbesondere dann erfolgreich waren, wenn sie nicht von
von selbstreguliertem Lernen“). Im Folgenden werden ver- der regulären Lehrkraft, sondern von Forschern durchgeführt
schiedene Verfahren zur Erfassung von Selbstregulation im wurden.
Kontext des Lernens vorgestellt und diskutiert. Hierbei wird
zwischen Fragebögen, Lerntagebüchern, Beobachtungsver-
fahren, Interviews sowie Denkprotokollen unterschieden äußeren Ressourcen oder Motivationsstrategien. Weit ver-
(s. auch Spörer und Brunstein 2006; Veenman 2011). breitete englischsprachige Fragebögen zur Erfassung von
Lernstrategien sind z. B. der „Motivated Strategies for
Learning Questionnaire“ (MSLQ; Pintrich et al. 1991) und
3.3.1 Fragebogen das „Learning and Study Strategies Inventory“ (LASSI;
Weinstein et al. 1988). Im deutschsprachigen Raum haben
Die gängigen Fragebögen zur Erfassung selbstregulierten sich in diesem Zusammenhang der Fragebogen „Lern-
Lernens unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen strategien im Studium“ (LIST; Wild und Schiefele 1994)
erfassten Komponenten. In fast allen Fragebögen werden und das „Kieler Lernstrategien-Inventar“ (KSI; Baumert
kognitive und metakognitive Strategien abgefragt, in 1993) etabliert. Dabei wird beispielsweise im LIST zwischen
einigen auch Strategien zum Umgang mit inneren und kognitiven, metakognitiven und ressourcenbezogenen
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
53 3
Lernstrategien unterschieden (7 Exkurs „Lernstrategien“). selbstregulierten Lernstrategien erhielten. Während dieses
In . Tab. 3.2 werden die verschiedenen Strategien mit Zeitraums füllten sie vor und nach den Hausaufgaben bzw.
Itembeispielen aus dem LIST dargestellt. Zudem wird die dem außerschulischen Lernen das Tagebuch aus. Das Tage-
Anwendung kognitiver Lernstrategien anhand von Bei- buch basierte inhaltlich auf dem Prozessmodell der Selbst-
spielen zum Mathematik- und Englischlernen erläutert. regulation von Schmitz et al. 2007 (7 Abschn. 3.2.1). Items,
Obwohl Fragebögen aufgrund ihrer ökonomischen Ein- die sich auf die präaktionale Phase dieses Modells bezogen,
setzbarkeit (geringer Aufwand für die Erhebung bei wurden vor dem Lernen bearbeitet und Items, die sich auf
einer großen Stichprobe) immer noch die bevorzugte die aktionale bzw. postaktionale Phase bezogen, wurden
Methode zur Erfassung selbstregulierten Lernens dar- nach dem Lernen erfragt. So wird beispielsweise der Ein-
stellen, häuft sich vermehrt Kritik an dieser Erfassungs- satz metakognitiver Lernstrategien mit Fragen wie „Was
methode (z. B. Veenman 2011): Da es sich um globale davon willst du heute erledigen?“ (Zielsetzung) oder „Die
(also nicht situationsspezifische) Selbstberichte handelt, Hausaufgaben, die ich mir für heute vorgenommen habe,
sind die erhobenen Daten anfällig für Verzerrungen durch habe ich alle geschafft“ (Monitoring) kontrolliert. Internale
Abruf- und Generalisierungsprobleme und können durch Ressourcen betreffende Fragen sind z. B. „Ich konnte
den Einfluss sozialer Erwünschtheit verzerrt sein. Darüber mich bei den Hausaufgaben heute gut konzentrieren“
hinaus ist die automatisierte Nutzung von Lernstrategien (Konzentration) und „Welche der folgenden Übung hast
oft unbewusst und kann daher nur schwer verbalisiert du heute gemacht?“. Der Einsatz externaler Ressourcen
werden (Schmitz et al. 2007). Nichtsdestotrotz liefern hingegen lässt sich anhand von Fragen wie „Meine Eltern
Fragebögen wichtige Informationen zum selbstregulierten haben heute kontrolliert…“ und „Ich wurde heute bei
Lernen einer Person, da die angegebenen Verhaltensweisen meinen Hausaufgaben gestört“ überprüfen. Ziel solcher
vom/von der Lernenden genutzt werden, um sich Ziele zu Tagebuchstudien ist es letztendlich, zu überprüfen, ob,
setzen, das Lernen zu überwachen und das Verhalten anzu- wann und inwiefern eine Intervention zu erhöhtem Ein-
passen (McCardle und Hadwin 2015). Zusammenfassend satz von Lernstrategien und somit zur Verbesserung selbst-
sollten Fragebögen aufgrund ihrer Einschränkungen nur regulatorischer Kompetenzen beigetragen hat.
in Kombination mit weiteren Erhebungsinstrumenten zur Mit dem Einsatz standardisierter Lerntagebücher als
Erfassung selbstregulierten Lernens (s. unten) eingesetzt Evaluationsinstrumente sind bestimmte prozessbezogene
werden, um das Konstrukt möglichst valide erfassen zu Auswertungsmethoden verbunden, die im Sinne zeitreihen-
können (Perry und Rahim 2011). analytischer Verfahren durchgeführt werden (7 Exkurs „Zeit-
reihenanalytische Auswertungen“; z. B. Perels et al. 2008).
Die Zuverlässigkeit der mittels Lerntagebüchern
3.3.2 Lerntagebücher erhobenen Daten hängt von zahlreichen Faktoren ab (z. B.
Klug et al. 2011; Landmann und Schmitz 2007a, b). Da der/
Eine weitere Möglichkeit selbstregulierte Lernstrategien die Lernende das Tagebuch über einen festgelegten Zeit-
zu erfassen, liegt im Einsatz von (Lern-)Tagebüchern. Im raum regelmäßig ausfüllen muss, hängt das Ausfüllverhalten
Unterschied zu den im vorherigen Abschnitt beschriebenen in starkem Maße von der Motivation des/der Lernenden ab.
Fragebögen wird mit Tagebüchern der momentane Zustand Daher ist es wichtig, das Tagebuch so zu gestalten, dass es
bzw. der aktuelle Strategieeinsatz und kein generelles Lern- für die entsprechende Zielgruppe ansprechend ist und deren
verhalten abgefragt. Bei der Erfassung der Selbstregulation Motivation zur Durchführung erhöht.
durch Tagebücher werden von den Teilnehmenden über
einen bestimmten Zeitraum mehrfach (z. B. täglich) Fragen
zu den einzelnen Komponenten beantwortet. Lerntage- 3.3.3 Interviews
bücher erlauben so eine kontinuierliche und zeitnahe
Erhebung der eingesetzten Strategien und der den Lern- Interviews bieten die Möglichkeit, sowohl prospektiv den
prozess begleitenden Emotionen. Besonders gut ist im geplanten Einsatz selbstregulativer Strategien zu erfragen,
Rahmen einer Tagebuchstudie nicht nur zu beobachten, als auch retrospektiv über eingesetzte Strategien berichten
ob eine Veränderung bezüglich des selbstregulierten zu lassen. Die Fragen können in Interviews sowohl offen
Lernens stattgefunden hat, sondern ggf. auch wann. als auch geschlossen gestellt werden („Welche Lern-
Zumeist sind die eingesetzten Tagebücher standardisiert strategie hast du eingesetzt?“ vs. „Hast du Lernstrategien
(Abfolge sowohl identischer, meist geschlossener Fragen eingesetzt?“). Weiterhin können dem/der Lernenden auch
als auch identischer Antwortmöglichkeiten), um Mehrfach- Lernszenarien vorgegeben werden. Hierbei wird der/die
deutungen im Rahmen der Auswertung zu vermeiden und Lernende aufgefordert, sein/ihr Vorgehen in einer solchen
somit eine möglichst hohe Objektivität zu erreichen. Bei- Situation zu erläutern (offenes Fragenformat). Diese offenen
spielhaft ist in . Abb. 3.5 ein Tagebuch aus einer Studie zur Fragen haben den Vorteil, dass sie es dem/der Lernenden
Förderung selbstregulierten Lernens in der vierten Grund- nicht nur ermöglichen, vorgegebene Strategien als hilf-
schulklasse dargestellt (Otto 2007a). Dieses Tagebuch kam reich für diese Situation zu beurteilen, sondern er/sie kann
in einer Studie zum Einsatz, in der Schüler einer vierten durch die Beschreibung seines eigenen Vorgehens deut-
Grundschulklasse über sieben Wochen ein Training zu lich machen, über welches Strategierepertoire er/sie verfügt.
54 F. Perels et al.
. Tab. 3.2 Differenzierung von Lernstrategien gemäß LIST. (Nach Wild und Schiefele 1994, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen)
3 Kognitive Lernstrategien
Wiederholungs- Lerntätigkeiten, die durch das Mathematik: Das Auswendiglernen Ich lerne Regeln, Fachbegriffe
strategien aktive Wiederholen einzelner der Formel zur Berechnung der oder Formeln auswendig.
Fakten eine feste Verankerung im Fläche eines Rechtecks
Langzeitgedächtnis zu erreichen Englisch: Vokabeln werden aus-
versuchen wendig gelernt
Elaborationsstrategien Integration von neu auf- Mathematik: alltägliche Beispiele Zu neuen Konzepten stelle ich
genommenem Wissen in die (z. B. Wie groß ist der Fußballplatz, mir praktische Anwendungen vor.
bestehende Wissensstruktur, auf dem ich jede Woche spiele?)
z. B. durch verbale oder bildliche werden herangezogen
Anreicherung, Verknüpfung mit Englisch: Die Bedeutungen von
Alltagsbeispielen und persön- Wörtern werden mit Hilfe von
lichen Erlebnissen oder Bildung Merksätzen gemerkt (z. B. Unter-
von Analogien scheidung „much“ und „many“:
Matsch kann man nicht zählen;
„he, she, it – das „s“ muss mit“)
Organisationsstrategien Lerntätigkeiten, die dazu Mathematik: Die Angaben aus Ich stelle wichtige Fachausdrücke
geeignet sind, die vorliegenden einer Textaufgabe zur Flächen- und Definitionen in eigenen
Informationen in eine leichter zu berechnung werden in eine Skizze Listen zusammen.
verarbeitende Form zu trans- übertragen
formieren, wie z. B. durch das Englisch: Erstellung eines Kartei-
Anfertigen von Diagrammen und kastens für Vokabeln
Skizzen
Metakognitive Lernstrategien
Planung Der/die Lernende überlegt, Vor dem Lernen eines Stoff-
wie er/sie bei der Aufgaben- gebiets überlege ich mir, wie ich
bearbeitung vorgehen wird am effektivsten vorgehen kann.
Monitoring/Über- Der/die Lernende überprüft Um Wissenslücken festzustellen,
wachung kontinuierlich seinen/ihren Lern- rekapituliere ich die wichtigsten
erfolg Inhalte, ohne meine Unterlagen
zu Hilfe zu nehmen.
Regulation Bei auftretenden Schwierigkeiten Wenn mir eine bestimmte Text-
passt der/die Lernende seine/ihre stelle verworren und unklar
Lerntechnik an erscheint, gehe ich sie noch ein-
mal langsam durch.
Ressourcenbezogene Lernstrategien
Bereitstellung interner Die Bereitstellung interner Wenn ich lerne, bin ich leicht
Ressourcen Ressourcen bezieht sich auf abzulenken.
das Management der eigenen
Anstrengung, die Investition
von Aufmerksamkeit und
Konzentration sowie das
Management des eigenen Zeit-
budgets
Bereitstellen externer Die Bereitstellung externer Ich suche nach weiterführender
Ressourcen Ressourcen kann durch die Literatur, wenn mir bestimmte
Gestaltung einer günstigen Inhalte noch nicht ganz klar sind.
Lernumgebung, das Hinzuziehen
zusätzlicher Literatur sowie durch
die Nutzung der Möglichkeiten
von Arbeitsgruppen geschehen
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
55 3
. Abb. 3.5 Lerntagebuch. (Nach Otto 2007a. Mit freundlicher Genehmigung des Logos-Verlags)
Ein deutschsprachiges Interview für Schülerinnen und Schüler f) schlechte Noten: Umgang mit schlechten Noten;
zur Erfassung von Merkmalen selbstregulierten Lernens g) Hobbys: Umgang mit Misserfolgen/Schwierigkeiten
stammt von Spörer (2004). Bei diesem Verfahren erfolgt die beim Hobby;
Befragung individuell und in vertraulicher Atmosphäre. Der h) Freundschaften: Umgang mit Streit mit Freunden.
Ablauf des Interviews lässt sich in vier Bestandteile unterteilen: Bei den Fragen zu den Situationen wird zunächst
1. Einführung: Der Schüler/die Schülerin wird von dem gefragt, wie der Schüler/die Schülerin anfängt. Es folgt
Interviewer über das Vorgehen und die Art des Inter- dann eine Frage dazu, wie er/sie weiter vorgeht. Er/sie
views informiert. Es erfolgt ein Hinweis auf die Ver- wird nach Strategien gefragt, die er/sie einsetzt, wenn
traulichkeit des Verfahrens. er auf Schwierigkeiten/Probleme stößt.
2. Der/die Interviewer/in liest die erste Situation vor und 3. Unbewertete schriftliche Dokumentation der Schüler-
fragt den Schüler/die Schülerin, wie er/sie üblicherweise antworten.
in einer solchen Situation vorgeht. Folgende Situationen 4. Bewertung der angegebenen Strategien: Auf einer vier-
werden im Rahmen des Interviews thematisiert: stufigen Skala (von „sehr selten“ bis „immer“) soll der
a) Anfertigen von Deutsch-Hausaufgaben: Vorgehen Schüler/die Schülerin einschätzen, wie häufig er ein
bei der Verfassung eines Deutschaufsatzes; bestimmtes Verhalten zeigt bzw. eine bestimmte Strategie
b) Anfertigen von Mathematik-Hausaufgaben; anwendet.
c) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in
Biologie; Durch die verschiedenen Vorteile, die Interviews mit sich
d) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in bringen (detaillierte Antworten, unabhängig von der Lese- und
Physik; Schreibfähigkeit der Befragten), eignen sie sich vor allem für
e) geringe Motivation: Vorgehen, wenn man keine die Befragung jüngerer Lernender. Da es sich allerdings auch
Lust hat zu lernen oder sich nicht auf Schulaufgaben bei diesem Verfahren um Selbstberichte handelt, sind verzerrte
konzentrieren kann; und sozial erwünschte Antworten nicht auszuschließen.
56 F. Perels et al.
Exkurs
Zeitreihenanalytische Auswertungen
Der Einsatz von standardisierten über die Form des Verlaufs zu testen. durch eine (z. B. lineare oder quadratische)
Lerntagebüchern ermöglicht es, Beispielsweise konnten Dörrenbächer Funktion beschrieben werden kann.
ein psychologisches Merkmal (z. B. und Perels (2016) im Rahmen einer Dabei kann sowohl der Verlauf für eine
3 Konzentration) über einen längeren
Zeitraum zu beobachten, sodass eine
Zeitreihenanalyse einen positiven Trend
des selbstregulierten Lernens über den
Gruppe (z. B. für eine Schulklasse) als auch
der Verlauf für eine einzelne Person (z. B.
Vielzahl von Messungen vorliegt. Durch Verlauf eines Strategietrainings hinweg Schüler) betrachtet werden. Mithilfe einer
die Anwendung zeitreihenanalytischer mittels eines Lerntagebuchs nachweisen. Interventionsanalyse wird untersucht,
Auswertungen können Veränderungen Weiterhin ermöglichen zeitreihenana- ob eine bestimmte Intervention (z. B. ein
gemessen werden, indem der Verlauf lytische Verfahren neben der Analyse Lernstrategietraining) eine Wirkung hat
der Veränderung näher betrachtet von Gruppendaten auch idiografische und wie diese Intervention wirkt. Dazu wird
wird. Eine Zeitreihe wird in diesem Analysen, d. h. einzelfallanalytische die entsprechende Variable sowohl in einer
Zusammenhang als eine zeitliche Folge Untersuchungen (s. dazu Perels et al. 2007). Baseline- (Phase ohne Training) als auch
von Zustandserhebungen (States) zu Zur Veränderungsmessung mithilfe von in einer Interventionsphase (Phase mit
aufeinander folgenden Zeitpunkten Verlaufs- oder auch Prozessdaten (z. B. zur Training) erhoben. Es wird dann statistisch
beschrieben. Mithilfe zeitreihenana- Evaluation von Interventionen) stehen geprüft, inwiefern diese Intervention
lytischer Verfahren ist es möglich, über innerhalb der Zeitreihenanalysen vor zu einem signifikanten Unterschied des
eine genügend genaue Messung dieser allem zwei Verfahren zur Verfügung: die Niveaus der beiden Phasen beigetragen
Verläufe nicht nur Änderungen im Trendanalyse und die Interventionsanalyse. hat. Über eine solche Untersuchung der
Lernverhalten (Vorher-Nachher-Vergleich) Mithilfe von Trendanalysen wird überprüft, Zeitreihe kann die Wirkung der Intervention
festzustellen, sondern auch Annahmen ob der Verlauf einer bestimmten Variable genauer analysiert werden.
Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des
selbstregulierten Lernens?
Spörer und Brunstein (2006) diskutieren korrelieren (s. auch Winne und Perry Strategie in dieser Situation von
eingehend die Frage, warum die 2000). Nutzen ist, diese Strategie einsetzen
Zusammenhänge zwischen den 2. Mit Beobachtungsverfahren wird oder nicht.
verschiedenen Instrumenten zur wird kein Strategiewissen 4. Erfassung einer unterschiedlichen
Erfassung des selbstregulierten Lernens erhoben: Die Schwierigkeit bei Strategiereife: Mit den
zumeist sehr gering ausfallen und Beobachtungsdaten liegt häufig verschiedenen Instrumenten
Selbstauskünfte häufig nicht oder nur darin, dass Lernende durchaus könnte möglicherweise eine
schwach mit Leistungsmaßen korrelieren. eine Strategie kennen und diese unterschiedliche Strategiereife (vgl.
1. Globalität des erfassten ggf. auch in ihrem Lernalltag Hasselhorn 1996) erfasst werden.
Merkmals: Der Grad der einsetzen, dass sie jedoch in der Während Selbstberichtsverfahren
Spezifität bei Selbstberichts- und spezifischen Beobachtungssituation hauptsächlich die Strategie-
Beobachtungsdaten ist häufig nicht nicht eingesetzt wird, weil sie kenntnis erfassen, auch wenn die
derselbe. Während in Beobachtungs- beispielsweise nicht erforderlich erworbenen Strategien noch nicht
situationen in der Regel erscheint. effizient eingesetzt werden können,
vorgegebene Situationen definiert 3. Selbstberichte erfassen werden durch Beobachtungen
sind, in denen die Probanden ein kein konditionales Wissen: Daten gewonnen, die belegen, ob
Verhalten zeigen können oder Selbstberichtsverfahren erfragen Lernstrategien effektiv eingesetzt
nicht, wird bei Lernstrategie- zumeist nur, ob Lernende eine werden. In 7 Abschn. 3.4.1
inventaren und -interviews häufig bestimmte Strategie kennen bzw. findet sich eine detaillierte
globaler danach gefragt, was ein/e ob sie diese auch anwenden. Sie Beschreibung der verschiedenen
Lernende/r macht, wenn er/sie lernt. erfragen aber nicht, ob der/die Entwicklungsstufen der Strategiereife.
Zur Erhöhung der gemeinsamen Lernende einzuschätzen weiß, bei
Varianz zwischen Instrumenten welcher Aufgabe und in welcher Insgesamt ziehen Spörer und Brunstein
wäre es daher möglich, entweder Situation welche Strategie am (2006) den Schluss, dass es für die
die Fragen in Selbstberichts- besten eingesetzt werden sollte Prognose von Verhalten und Leistung
verfahren spezifischer zu (konditionales Wissen). Bei der von Vorteil ist, gerade wegen der
formulieren (z. B. durch Vorgabe von Erfassung des selbstregulierten geringen gemeinsamen Varianz
Aufgabengebieten) oder mehrere Lernens durch Beobachtungen der Instrumente diese kombiniert
Beobachtungen in verschiedenen wird dieses konditionale Wissen einzusetzen, um die verschiedenen
Situationen durchzuführen und jedoch indirekt miterfasst, da der/ Varianzanteile des vorherzusagenden
die Selbstberichtsdaten mit den die Lernende in Abhängigkeit von Kriteriums zu erklären (siehe auch
aggregierten Beobachtungsdaten zu seiner/ihrer Entscheidung, ob eine Veenman 2011).
dann die Nützlichkeit der einzelnen Strategien bewerten. lässt. Fragen zur Planungsphase werden den Lernenden
Stimmen die Bewertungen mit zuvor durch Experten fest- vor der Bearbeitung, Fragen zur Handlungsphase während
gelegten Bewertungen überein, wir dem/der Lernenden ein der Bearbeitung und Fragen zur Reflexionsphase nach der
hohes konditionales Strategiewissen attestiert. Bisherige Bearbeitung gestellt (Cleary und Callan 2018). Die Fragen
Studien deuten auf eine gute prädiktive Validität solcher können offen oder geschlossen sein, weshalb qualitative
Strategiewissenstests hin (z. B. Maag Merki et al. 2013). sowie quantitative Daten resultieren können. Offene Fragen
haben dabei keinen Suggestivcharakter, müssen jedoch
mittels aufwendiger Kodierschemata zur weiteren Analyse
3.3.6 Denkprotokolle & Mikroanalysen quantifiziert werden. Generell sind Mikroanalysen durch ihre
handlungsnahe Erfassung weniger anfällig für Verzerrungen
Eine weitere Methode zur Erfassung des selbstregulierten durch Abstraktions- oder Erinnerungsprobleme (Cleary et al.
Lernens wird von Winne und Perry (2000) vorgestellt. 2012). Verschiedene Studien deuten auf die gute Reliabili-
Bei sog. Denkprotokollen werden die Lernenden auf- tät dieser Verfahren sowie eine hohe prädiktive Validität für
gefordert, alle Gedanken auszusprechen, die sie während der akademische Leistung hin (z. B. Cleary et al. 2015).
Bearbeitung einer spezifischen Lernaufgabe beschäftigen. Sobald selbstreguliertes Lernen mithilfe geeigneter
Diese Dokumentationen werden dann differenziert aus- Instrumente oder einer Kombination verschiedener
gewertet und bieten eine gute Möglichkeit, Einblicke in Instrumente erfasst wurde, können entsprechende Inter-
die spezifischen, spontanen Strategieanwendungen der ventionen angesetzt werden, um die gewünschten Fähigkeiten
Lernenden zu erhalten. Eine Sonderform von Denk- zu fördern. Im Anschluss an eine Interventionsmaßnahme
protokollen sind sogenannte Mikroanalysen (Cleary 2011). kommt das Instrument wiederum zum Einsatz, um Ent-
Bei dieser Methode bearbeiten die Lernenden eine spezi- wicklungen in der Fähigkeit des selbstregulierten Lernens
fische Aufgabe, die sich in die drei Phasen des selbst- zu überprüfen. Im Folgenden werden exemplarisch solche
regulierten Lernens (Planung, Handlung, Reflexion) gliedern Fördermaßnahmen beschrieben.
58 F. Perels et al.
Exkurs
ihr Lernen und die angewendeten Strategien, so können eine kombinierte Intervention für die Schülerinnen und
sie ihr Lernverhalten entsprechend anpassen. Dabei ist Schüler selbst sowie für die Gestalter der Lernumwelt
es wichtig, dass nicht nur die Bewertung des Lernergeb- durchzuführen.
nisses kommuniziert wird, sondern auch Lernprozesse Nachdem die voranstehenden Abschnitte zunächst die
und Lernergebnisse mit den positiven wie verbesserungs- Diagnostik selbstregulierten Lernens und anschließend
würdigen Anteilen thematisiert werden. Bei solchen allgemeine Hinweise zur Gestaltung entsprechender Inter-
3 Rückmeldungen ist zudem von Bedeutung, dass günstige ventionen beschreiben, stellt das nachfolgende Kapitel
Attributionen nahegelegt werden (Möller 2001). Dieses bereits etablierte Maßnahmen zur Steigerung selbst-
bedeutet insbesondere, dass vor allem Misserfolge nicht regulatorischer Kompetenzen (überwiegend, aber nicht
auf (unveränderliche) mangelnde Fähigkeiten oder auf ausschließlich) im Kontext des Lernens vor.
Faktoren zurückgeführt werden sollten, die außerhalb
der Kontrolle der Schülerin/des Schülers liegen. Idealer-
weise werden hier veränderbare Ursachen wie z. B. 3.4.2 Exemplarische Beschreibung von
mangelnde Anstrengung oder falscher Strategiegebrauch Trainingsmaßnahmen
zur Erklärung eines Misserfolges herangezogen.
Die Förderung von Selbstregulation kann sich bezüglich der
Kombination mit direkter Strategievermittlung Neben der geförderten Aspekte der Selbstregulation, der verwendeten
Schaffung günstiger Lernbedingungen können Lehrkräfte Methode oder hinsichtlich der Zielgruppe unterscheiden.
und Eltern zusätzlich auf direktem Weg Strategien zur Im Folgenden werden exemplarisch ein Schülertraining
Selbstregulation vermitteln. Sie können die Schülerinnen zur Vermittlung mathematischer Problemlösestrategien,
und Schüler z. B. in effektiver Zeitnutzung schulen, ein computerbasiertes Training zur Förderung einzel-
oder hinsichtlich dessen, wie sie sich bei Unlust oder ner kognitiver Lernstrategien, ein webbasiertes Training
Ablenkung für ihre Hausaufgaben motivieren können. Im zur Vermittlung metakognitiver Lernstrategien mit einem
Grunde können die zentralen Gestalter der Lernumwelt Tagebuch und ein Training zur Förderung von Selbst-
(Lehrkräfte, Eltern) somit die gleichen Strategien ver- regulation bei Erwachsenen vorgestellt.
mitteln, die externe Trainer/Trainerinnen in den direkten
Förderprogrammen für Schülerinnen und Schüler als Förderung von mathematischen
Trainingsinhalte thematisieren. Insofern müssen sie im Problemlösestrategien bei Schülern
Rahmen der indirekten Förderprogramme mit den Selbst- Nachfolgend wird exemplarisch eine direkte Intervention
regulationsstrategien vertraut gemacht werden, um diese in Form eines Schülertrainings skizziert, welches ver-
weitervermitteln zu können. tiefend bei Perels (2007) nachgelesen werden kann. Das
vorgestellte Training kombiniert fachliche mit fachüber-
Modellverhalten Lehrkräfte und Eltern können auch über greifenden Inhalten und wurde in der 5. gymnasialen
ihr eigenes Modellverhalten (Bandura 1991; Lienemann Jahrgangsstufe durchgeführt. Zielsetzung ist es, die Selbst-
und Reid 2006) Einfluss auf das selbstregulierte Lernver- regulationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu ver-
halten der Schülerinnen und Schüler nehmen. Lernende bessern. Das Training basiert auf dem Prozessmodell der
können ein günstiges Lernverhalten erlernen, indem sie Selbstregulation (Schmitz und Wiese 2006) und besteht
dieses zunächst an einem positiven Modell beobachten aus insgesamt 10 wöchentlichen Trainingssitzungen im
und später imitieren (Zimmerman 2000). Lehrkräfte oder Umfang von jeweils 2 Schulstunden. Da im Sinne der
Eltern können solche Modelle darstellen (Otto et al. 2008). Optimierung von Trainingseffekten (7 Abschn. 3.4.2) über-
Im Unterrichtsalltag sollte die Lehrkraft daher die Selbst- fachliche Strategien mit fachspezifischen Inhalten gekoppelt
regulationsstrategien, die sie bei den Schülerinnen und werden sollten, wurden den Schülerinnen und Schülern
Schülern gerne beobachten würde, auch selbst zeigen. zusätzlich zu Selbstregulationsstrategien mathematische
Dazu kann z. B. die regelmäßige Angabe von Lernzielen Problemlösestrategien vermittelt. Die 1., 9. und 10. Stunde
am Anfang des Unterrichts, die demonstrative Ver- dienen dem Kennenlernen und der Wiederholung der
wendung einer Lernstrategie wie das Unterstreichen Inhalte. Die verbleibenden 7 Sitzungen werden den drei
von wichtigen Textpassagen sowie die Reflexion und Phasen der Selbstregulation zugeordnet; dabei werden
Evaluation am Ende der Unterrichtsstunde gehören. chronologisch entsprechende Strategien vermittelt. Die
Es liegen mehrere empirische Studien dazu vor, dass mathematischen Problemlösestrategien werden ebenfalls
Trainingsprogramme für Eltern (z. B. Lund et al. 2001) den drei Phasen des Modells zugeordnet. So werden in
und Lehrkräfte (z. B. De Jager et al. 2005; Perels et al. Bezug auf die präaktionale Phase innerhalb von 3 Sitzungen
2009; Souvignier und Mokhlesgerami 2006) als indirekte sowohl die Selbstregulationsstrategien Zielsetzung und
Intervention durchaus erfolgreich sein können, um das Planung als auch die handlungsvorbereitenden Strategien
selbstregulierte Lernen von Schülerinnen und Schülern zu des mathematischen Problemlösens Skizze, Selektion und
optimieren. Trotzdem wird immer wieder ersichtlich, dass Überschlag vermittelt. Bezüglich der aktionalen Phase
direkte Trainingsangebote effektiver sind als indirekte werden in 2 Sitzungen einerseits Strategien zur Förderung
Interventionen (Otto 2007a). Insofern wäre es optimal, von Konzentration, Motivation und Willensstrategien
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
61 3
. Tab. 3.3 Inhalte des Schülertrainings. (Nach Perels, F. 2007. Hausaufgabentraining für Schüler der Sekundarstufe I: Förderung
selbstregulierten Lernens in Kombination mit mathematischem Problemlösen bei der Bearbeitung von Textaufgaben. In M. Land-
mann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 33–51). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des
Kohlhammer-Verlags)
trainiert; andererseits wird auf die Zerlegung beim in Form eines Blitzlichts (kurze Aussage eines jeden Teil-
Problemlösen eingegangen. Zwei Sitzungen widmen sich nehmers/einer jeden Teilnehmerin, welche nicht weiter
den postaktionalen Strategien und vermitteln die Reflexion kommentiert oder diskutiert wird). Zur Transferförderung
und den Umgang mit Fehlern. In . Tab. 3.3 sind die Inhalte werden Hausaufgaben aufgegeben. Diese werden ein-
des Schülertrainings pro Sitzung detailliert aufgeführt. gesammelt, mit schriftlichem, informativem Feedback
Das Training wird von zwei externen Trainern/ angereichert und in der folgenden Woche zurückgegeben.
Trainerinnen nachmittags in den Räumen der Schule Vorteile dieses Trainings sind die massierte (in kurzer
durchgeführt. Die Gruppengröße besteht jeweils aus Zeit sehr intensive) Förderung ganzheitlicher Selbst-
maximal 15 Schülerinnen und Schülern. Die einzelnen regulationsstrategien und deren Kombination mit fach-
Inhalte werden in der Regel zweimal wiederholt. Im Ver- spezifischen Inhalten. Als nachteilig könnten sich die
lauf des Trainings werden alle Strategien auf einer persön- zeitlichen und personellen Kosten des Trainings erweisen,
lichen Schreibtischunterlage festgehalten. Weiterhin die durch die 10 außercurricularen Sitzungen, die Leitung
füllen die Lernenden täglich über den gesamten Zeitraum durch zwei Trainer/Trainerinnen, die relativ kleinen
hinweg ein standardisiertes Lerntagebuch (7 Abschn. 3.3.2) Gruppengrößen und das begleitende Lerntagebuch bedingt
aus. Zielsetzung des Lerntagebuchs ist es zum einen, die sind. Die Evaluationsergebnisse bestätigen jedoch die Wirk-
strukturierte Selbstbeobachtung im Hinblick auf das samkeit des Trainings und rechtfertigen den Aufwand.
individuelle Lernverhalten zu fördern und Reflexions- und Sowohl die selbstregulatorischen Fähigkeiten als auch das
Regulationsprozesse anzuregen. Zum anderen sollen auf mathematische Problemlösen konnten durch das Training
diese Weise die Inhalte des Trainings systematisch in die gefördert werden. Auch seitens der Schülerinnen und
Hausaufgabenbearbeitung integriert werden. Die Auswahl Schüler fiel die Einschätzung des Trainings – trotz der zeit-
der Trainingsmethoden zeichnet sich durch Variation und lichen Belastung – sehr positiv aus.
Aktivierung aus. So werden neben direkter Instruktion
auch Gruppenarbeiten und Spiele integriert und Frontal- Förderung kognitiver Lernstrategien mit
unterricht durch Übungsphasen aufgelockert. Weiterhin einem computerbasierten Training
fungieren die Trainer/Trainerinnen und der Trainingsauf- Selbstregulationstrainings finden nicht zwangsläufig im
bau explizit als Modell für selbstregulatives Vorgehen. Rahmen von Präsenzlernen statt; immer häufiger wird
Der Aufbau der einzelnen Sitzungen ist identisch: selbstreguliertes Lernen auch im Zusammenhang mit
Zu Beginn des Trainings findet ein Stuhlkreis statt. Hier Blended-Learning (vgl. Dörrenbächer-Ulrich et al. 2019)
wird über die Erfahrungen und Probleme bezüglich oder der ausschließlichen Verwendung von elektronischen
der Umsetzung der neuen Strategien, die in den letzten Medien gefördert. Der folgende Abschnitt stellt ein
Sitzungen eingeübt wurden, und beim Ausfüllen des Tage- computerbasiertes Trainingsprogramm für die 10. Jahr-
buchs gesprochen. Dann findet der inhaltliche Teil der gangsstufe von Elzen-Rump und Leutner (2007) vor.
aktuellen Sitzung statt. Nach Abschluss der Inhalte jeder Zielsetzung dieses Programms ist es, den Einsatz einer
Trainingsphase wird eine 10-minütige Wissensabfrage Mapping-Strategie (globales Organisieren und sprach-
durchgeführt und in der jeweils folgenden Sitzung korrigiert liches Integrieren gelesener Information) im Kontext
an die Teilnehmenden zurückgegeben. Am Ende jeder naturwissenschaftlicher Sachtexte zu optimieren. Die
Sitzung erfolgt die schriftliche Evaluation der Stunde, ein Besonderheit besteht darin, dass der qualitätsvolle Ein-
Abschlussstuhlkreis und eine mündliche Rückmeldung satz dieser Lernstrategien reguliert werden soll. Basierend
62 F. Perels et al.
auf dem EPOS-Modell (Essener prozessorientiertes Selbst- zeigt das im Folgenden beschriebene Training von Land-
regulationsmodell nach Leutner und Leopold 2005) wird mann (2005; Landmann et al. 2005). Es richtet sich an
damit vor allem auf die Mikroebene der Lernprozess- Personen, die sich in Phasen beruflicher Neuorientierung
regulation fokussiert. Der/Die Lernende bekommt Wissen oder des beruflichen Wiedereinstiegs befinden. Das
darüber vermittelt, warum und wie er einzelne Schritte Training besteht aus 7 wöchentlichen Trainingssitzungen
der Mapping-Strategie einbringen und sich selbst beim von jeweils 2,5 h. Die Strukturierung und Auswahl der
3 Strategieeinsatz beobachten, einschätzen und angemessen vermittelten Inhalte orientiert sich am Handlungsphasen-
reagieren kann. Vergleichsstandard bei der Selbstregulation modell (Gollwitzer 1990; Heckhausen 1989). Es werden
ist in diesem Fall also nicht das Gesamtziel, sondern die wesentliche Strategien jeder einzelnen Handlungsphase
Erreichung zuvor festgelegter Qualitätsanforderungen (prädezisionale, präaktionale, aktionale, postaktionale
bei der Strategieumsetzung. Didaktisch gliedert sich das Phase) vermittelt, um hierdurch einen vollständigen
Training in drei Teile: Handlungsablauf zu fördern und somit die Zielerreichung
1. Fallbeispiel zu ermöglichen. Die vermittelten Strategien sind:
2. Lernstrategieteil 5 Zielsetzung
3. Selbstregulationsteil. 5 Handlungsplanung
5 Selbstmotivierung
Alle drei Teile beinhalten geschriebene Textabschnitte, 5 Selbstbeobachtung
Grafiken und verbale Beschreibungen, die z. T. gesprochen 5 Handlungsregulation
werden. Weiterhin sind im Selbstregulationsteil Übungs- 5 Volition
aufgaben integriert. Die Bearbeitungszeit kann individuell 5 Attribution
variieren, ist jedoch auf 90 min ausgerichtet. Die Wirksam- 5 Reflexion.
keit des computerbasierten Trainings konnte in Trainings-
experimenten in Bezug auf das Lernverhalten und den In . Tab. 3.4 sind die Inhalte des Trainings entsprechend
Lernerfolg beim Lesen von Sachtexten belegt werden. den einzelnen Sitzungen dargestellt.
(Weitere Interventionen zur Trainierbarkeit kognitiver Die einzelnen Sitzungen folgen einem ähnlichen Ablauf.
Grundfunktionen – jedoch ohne den Aspekt der selbst- Zu Beginn werden in der Gruppe die Erfahrungen mit
regulatorischen Kompetenzen – finden sich in 7 Kap. 17). dem Tagebuch und bei der Umsetzung der Inhalte seit der
letzten Trainingssitzung besprochen. Anschließend werden
Vermittlung metakognitiver Strategien mit die Inhalte der jeweiligen Stunde in eine vereinfachte Dar-
einem webbasierten Lerntagebuch stellung des Handlungsphasenmodells eingeordnet, das
Winter (2007; Winter und Hofer 2007) konzipierte ein web- als Rahmenmodell für das gesamte Training dient und die
basiertes Lerntagebuch, das Studierende bei der Planung kognitive Strukturierung der vermittelten Inhalte seitens
und Regulation des universitären Lernverhaltens unter- der Teilnehmenden erleichtert. Bevor neue Inhalte ver-
stützen soll. Dieses Programm ist prinzipiell unabhängig mittelt werden, erfolgt die Aktivierung von Vorwissen.
von den Inhalten einzelner Lehrveranstaltungen oder Theoretische Inhalte werden in kurzen, interaktiven Vor-
unterschiedlichen Lehrplänen und zielt auf die Förderung tragssequenzen dargeboten und in anschließenden Einzel-
metakognitiver und ressourcenbezogener Regulations- oder Gruppenübungen vertieft. Zum Ende jeder Sitzung
strategien ab. Der/Die Lernende wird durch dieses Tool werden die Inhalte der Sitzung von den Teilnehmenden
über einen längeren Zeitraum (z. B. ein Semester oder zusammengefasst; außerdem wird eine Hausaufgabe auf-
mehrere Wochen während der Prüfungsvorbereitung) gegeben. Das Training wird in Kleingruppen von maximal
angehalten, sein Lernverhalten in regelmäßigen Zeit- 15 Personen durchgeführt.
abständen zu planen, zu beobachten, zu protokollieren und Wesentliche weitere konzeptionelle Bestandteile des
zu reflektieren. Dies geschieht anhand von Leitfragen, die Trainings sind
sich entweder auf einen einzelnen Lerntag oder eine ganze a) ein Trainingsprojekt (in der Regel das berufliche Ziel)
Lernwoche beziehen. Darüber hinaus hat er die Möglich- der Teilnehmenden, das zu Beginn des Trainings
keit, die Entwicklung seines Lernverhaltens über die Zeit gesetzt und an dem sukzessive die vermittelten
grafisch darstellen zu lassen. Dieses elektronische Lerntage- Strategien umgesetzt/erprobt werden,
buch wurde an der Universität Mannheim erprobt und die b) ein Trainingsvertrag zwischen den Teilnehmenden
Ergebnisse zeigen, dass eine sorgfältige und kontinuierliche und der Trainerin/dem Trainer und
Nutzung die Selbstregulation beim Lernen (z. B. Zeit zur c) ein Selbstbeobachtungstagebuch, das täglich aus-
Prüfungsvorbereitung, Wissenstest) verbessert. gefüllt wird und das der strukturierten Umsetzung und
Beobachtung der im Training vermittelten Strategien
Förderung von Selbstregulation bei im Alltag dient.
Erwachsenen
Dass Selbstregulation auch im Erwachsenenalter erfolgreich Die Ergebnisse belegen die Wirksamkeit des Trainings
gefördert werden kann und die beschriebenen Strategien sowohl im Hinblick auf die Vermittlung von Selbst-
auch für den beruflichen Kontext hilfreich sein könnten, regulationsstrategien als auch in Bezug auf die berufliche
Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen
63 3
. Tab. 3.4 Struktur und Inhalte des Trainings zur beruflichen Zielerreichung. (Modifiziert nach Landmann 2005, mit freundlicher
Genehmigung des Shaker-Verlags, Aachen)
Einheit Inhalte
Zielerreichung (Landmann et al. 2005), wobei sich bestehen, vorliegende Modellvorstellungen stärker zu
das Tagebuch als besonders wirkungsvolle Trainings- integrieren.
komponente erwiesen hat. 5 Eine weitere offene Forschungsfrage zielt auf das Ver-
hältnis zwischen Fremd- und Selbststeuerung ab, da dies
in den wenigsten Theorien Berücksichtigung findet.
3.5 Ausblick 5 Auch die Frage, welche Rolle das soziale Umfeld und
Peergruppen bei der Unterstützung von Selbstregulation
Ungeachtet der intensiv betriebenen Forschungs- und Ent- spielen, ist bisher wenig erforscht.
wicklungsarbeit in den letzten Jahren lässt sich eine Reihe 5 In Bezug auf die Messung von Selbstregulationskompetenz
von Fragestellungen nennen, denen es zukünftig nachzu- besteht Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, worauf
gehen gilt. Exemplarisch seien abschließend ausgewählte die eher geringen Korrelationen zwischen verschiedenen
Forschungsthemen skizziert: Methoden zur Erfassung zurückzuführen sind. Darüber
5 Derzeit existiert eine Reihe von Selbstregulations- hinaus wäre es interessant zu untersuchen, wie ver-
modellen, die sich trotz unterschiedlicher Schwerpunkt- schiedene Erfassungsmethoden möglichst gewinnbringend
setzungen mehr oder weniger stark überlappen. Eine und dennoch sparsam kombiniert werden können, um
Herausforderung für die weitere Forschung wird darin selbstreguliertes Lernen valide abbilden zu können.
64 F. Perels et al.
Schlagmüller, M., & Schneider, W. (2007). Würzburger Lesestrategie Veenman, S., & Beems, D. (1999). Implementation effects of a training
Wissenstest für die Klassen 7–12. In M. Hasselhorn, H. Marx, & W. program for self-regulated learning. Journal of Research and
Schneider (Hrsg.), Deutsche Schultests. Göttingen: Hogrefe. Development in Education, 32, 148–159.
Schmitz, B., & Schmidt, M. (2007). Einführung in die Selbstregulation. Weinstein, C. E., Zimmerman, S. A., & Palmer, D. R. (1988). Assessing
In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolg- learning strategies: The design and development of LASSI. In C. E.
reich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen Weinstein, E. T. Goetz, & P. Alexander (Hrsg.), Learning and study
(S. 9–18). Stuttgart: Kohlhammer. strategies (S. 25–40). San Diego: Academic.
3 Schmitz, B., & Wiese, B. S. (2006). New perspectives for the evaluation Werth, S., Wagner, W., Ogrin, S., Trautwein, U., Friedrich, A., Keller, S.,
of training sessions in self-regulated learning: Time-series analyses Ihringer, A., & Schmitz, B. (2012). Förderung des selbstregulierten
of diary data. Contemporary Educational Psychology, 31, 64–96. Lernens durch die Lehrkräftefortbildung „Lernen mit Plan“: Effekte
Schmitz, B., Landmann, M., & Perels, F. (2007). Das Selbstregulations- auf fokale Trainingsinhalte und die allgemeine Unterrichtsqualität.
prozessmodell und theoretische Implikationen. In M. Landmann & Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 26, 291–305.
B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Wiener, N. (1948). Cybernatics: Control and communication in the animal
Trainingsprogramme für effektives Lernen (S. 312–326). Stuttgart: and the machine. Cambridge, MA: MIT Press.
Kohlhammer. Wild, K. P. (2000). Lernstrategien im Studium: Strukturen und
Schober, B., Wagner, P., Reimann, R., & Spiel, C. (2008). Vienna Bedingungen. Münster: Waxmann.
E-Lecturing (VEL): Learning how to learn self-regulated in an Wild, K. P., & Schiefele, U. (1994). Lernstrategien im Studium. Ergeb-
Internet-based blended learning setting. International Journal on nisse zur Faktorstruktur und Reliabilität eines neuen Frage-
ELearning, 7(4), 703–723. bogens. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie,
Sitzmann, T., & Ely, K. (2011). A meta-analysis of self-regulated learning 15, 185–200.
in work-related training and educational attainment: What we Winne, P. H., & Perry, N. E. (2000). Measuring self-regulated learning.
know and where we need to go. Psychological Bulletin, 137, 421– In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Hrsg.), Handbook of
442. self-regulation (S. 531–566). San Diego, CA: Academic.
Souvignier, E., & Mokhlesgerami, J. (2006). Using self-regulation as a Winter, C. (2007). Analyse und Förderung selbstregulierten Lernens durch
framework for implementing strategy instruction to foster reading Self-Monitoring. Hamburg: Kovač.
comprehension. Learning and Instruction, 16, 57–71. Winter, C., & Hofer, M. (2007). Das Self-Monitoring-Tool: Ein Selbst-
Spörer, N. (2004). Strategie und Lernerfolg: Validierung eines Inter- beobachtungstraining zur Förderung selbstgesteuerten Lernens.
views zum selbstgesteuerten Lernen. Dissertation: Universität In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolg-
Potsdam. reich fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für effektives Lernen
Spörer, N., & Brunstein, J. C. (2006). Erfassung selbstregulierten (S. 269–289). Stuttgart: Kohlhammer.
Lernens mit Selbstberichtsverfahren: Ein Überblick zum Stand der Wirth, J., & Leutner, D. (2008). Self-regulated learning as a competence.
Forschung. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, 147–160. Implications of theoretical models for assessment methods. Zeit-
Stoeger, H., & Ziegler, A. (2010). Do pupils with differing cognitive schrift für Psychologie/Journal of Psychology, 216, 102–110.
abilities benefit similarly from a self-regulated learning training Zimmerman, B. J. (2000). Attaining self-regulation: A social cognitive
program? Gifted Education International, 26(1), 110–123. perspective. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Hrsg.),
Utman, C. H. (1997). Performance effects of motivational state: A Handbook of self-regulation (S. 13–39). San Diego, CA: Academic.
meta-analysis. Personality and Social Psychology Review, 1, 170–182. Zimmerman, B. J., Moylan, A., Hudesman, J., White, N., & Flugman, B.
Veenman, M. V. (2011). Alternative assessment of strategy use with (2011). Enhancing self-reflection and mathematics achievement
self-report instruments: A discussion. Metacognition and Learning, of at-risk urban technical college students. Psychological Test and
6(2), 205–211. 7 https://doi.org/10.1007/s11409-011-9080-x. Assessment Modeling, 53(1), 108–127.
67 II
Lehren
Inhaltsverzeichnis
4 Unterricht – 69
Frank Lipowsky
5 Klassenführung – 119
Tina Seidel
6 Medien – 133
Holger Horz
69 4
Unterricht
Frank Lipowsky
Literatur – 107
Dieses Kapitel beleuchtet theoretische Grundlagen unter- 4.1.1 Didaktische Theorien – Modelle für die
richtlichen Lehrens und Lernens und gibt einen Überblick Planung und Analyse von Unterricht
über wichtige Ergebnisse der Unterrichtsforschung. Dabei
wird sowohl auf kognitive als auch auf a ffektiv-motivationale Die allgemeine Didaktik hat eine Vielzahl von didaktischen
Merkmale von Schulerfolg Bezug genommen (. Abb. 4.1). Theorien entwickelt, die sich vor allem als Modelle für die
Planung und Analyse von Unterricht verstehen. Bekannt
geworden sind vor allem die didaktischen Modelle von
Klafki (1963, 1996) und Heimann et al. (1965), auf die hier
4 kurz eingegangen werden soll.
Klafki (1963, 1996) akzentuiert in seiner bildungs-
theoretischen, später zur kritisch-konstruktiven Didaktik
weiterentwickelten Konzeption die Auswahl und Begründung
von Unterrichtsinhalten. Dem Bedeutungsgehalt eines
Themas misst Klafki die zentrale Rolle für die Bildung der
Lernenden bei. Da nicht jeder Inhalt nach Ansicht Klafkis
bildungsbedeutsam ist, hat die Lehrperson vorrangig die Auf-
gabe, die Inhalte auf ihren gegenwärtigen und zukünftigen
Bedeutungsgehalt zu analysieren. Hierzu entwickelt Klafki
die sogenannte didaktische Analyse, die der Lehrperson Leit-
fragen zur Vorbereitung ihres Unterrichts an die Hand gibt.
In ihrer Berliner Didaktik unterscheiden Heimann et al.
(1965) vier Entscheidungsfelder (Ziele, Inhalte, Verfahren
und Medien des Unterrichts) und zwei Bedingungsfelder
. Abb. 4.1 (© Digital Vision/Thinkstock)
(anthroprogene und soziokulturelle Lernvoraussetzungen
der Lernenden) und betonen deren Interdependenz. Bei-
4.1 Begriffliche und theoretische spielsweise lassen sich ohne Kenntnis der Lerngruppe
und ihrer spezifischen Voraussetzungen didaktische Ent-
Grundlagen
scheidungen nicht begründet treffen. Das Berliner Modell
hatte großen Einfluss auf die Ausbildung ganzer Lehrer-
Dieser Abschnitt setzt sich mit begrifflichen und
generationen und akzentuiert vor allem die Frage nach der
theoretischen Grundlagen unterrichtlichen Lehrens und
sinnvollen und kohärenten Beziehung zwischen Zielen,
Lernens auseinander. Wenn hier von Unterricht oder
Inhalten und Methoden des Unterrichts. Von Schulz (1980)
unterrichtlichem Lehren und Lernen die Rede ist, dann ist
wurde es zur Hamburger Didaktik weiterentwickelt, wobei
primär der Unterricht in der Schule gemeint, obgleich der
er vor allem an den wissenschaftstheoretischen Prämissen
Terminus „Unterricht“ auch Prozesse in Institutionen der
des Berliner Modells Änderungen vornahm.
Erwachsenenbildung, wie z. B. in der Hochschule oder in
Obgleich seit einigen Jahren zunehmende Kritik an den
der privaten oder betrieblichen Weiterbildung, umfasst.
Modellen und Theorien der allgemeinen Didaktik laut wird,
die sich vor allem an der mangelnden Integration empirischer
Definition
Forschungsbefunde und an der Abstraktheit der Modelle ent-
Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge zündet, sind sie auch heute noch für die Ausbildung von Lehr-
von Lehr- und Lernsituationen verstanden werden, die personen von Bedeutung. Sie stellen der Lehrperson wichtige
von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant Leitfragen zur Planung von Unterricht zur Verfügung,
und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen sensibilisieren für bestehende Zusammenhänge zwischen den
sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten der verschiedenen Entscheidungsfeldern, regen zur Reduzierung
Lernenden dienen. Sie finden in der Regel in bestimmten und Strukturierung des Unterrichtsgegenstands an und bilden
dafür vorgesehenen Institutionen unter regelhaften damit ein Gerüst für die Planung und Analyse von Unter-
Bedingungen statt (Terhart 1994). richt. Zum „Ausfüllen“ dieses Rahmens ist es jedoch auch
notwendig, Erkenntnisse aus der empirischen Unterrichts-
forschung und den Fachdidaktiken heranzuziehen.
Im Folgenden werden zunächst theoretische Ansätze vor-
gestellt, die seitens der Schulpädagogik (7 Abschn. 4.1.1) und
der Unterrichtsforschung (7 Abschn. 4.1.3) zur Analyse von 4.1.2 Aeblis Entwurf einer
Lehr- und Lernprozessen und zur Erklärung von Schulerfolg kognitionspsychologischen Didaktik
entwickelt wurden. Daran anschließend wird ein Über-
blick über den Forschungsstand zu Unterrichtsmerkmalen Einen ganz anderen Weg der Theoriebildung beschritt der
gegeben, die die kognitive und die affektiv-motivationale Schweizer Hans Aebli. Als Schüler Piagets entwickelt er
Entwicklung der Lernenden beeinflussen (7 Abschn. 4.2). eine stark auf kognitionspsychologischen Erkenntnissen
Unterricht
71 4
beruhende Didaktik und legt den Schwerpunkt auf die angewendet werden, um sie transferierbar für neue
Lern- und Verstehensprozesse der Lernenden, indem Kontexte und Situationen zu machen. Erst dann kann von
er nach den allgemeingültigen Strukturmerkmalen der einer Vollständigkeit der Lernprozesse gesprochen werden
Operations- und Begriffsbildung fragt und damit die (Pauli und Schmid 2019). Anwendungen stehen jedoch
„kognitive Tiefengrammatik“ (Messner und Reusser 2006) nicht ausschließlich am Schluss einer Unterrichtseinheit,
des Unterrichts akzentuiert. sondern erfolgen auch bei der Bearbeitung und Lösung
Aebli geht – und das kennzeichnet seine Nähe zu neuer Probleme.
kognitionspsychologischen und konstruktivistischen Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen
Positionen (7 Abschn. 4.1.3) – davon aus, dass Lernende ihr Didaktik lässt sich gut mit den Erkenntnissen der
Wissen selbst aufbauen müssen und dass die Auseinander- aktuellen Unterrichtsforschung verbinden, da Aebli
setzung mit Problemen besonders geeignet ist, diesen seinen Fokus zum einen darauf richtet, wie Lehrprozesse
Wissensaufbau zu befördern. Um vollständige Lernprozesse sequenziert und strukturiert werden sollten, um Lern- und
im Unterricht zu initiieren, sollten nach Aebli (1983) Verstehensprozesse von Schülerinnen und Schülern zu
bestimmte Lehr- und Lernschritte durchlaufen werden: fördern. Was die Gestaltung und Umsetzung der einzel-
Aebli hat für diese Schritte die Abkürzung PADUA gewählt. nen Schritte des PADUA-Modells anbelangt, sind für
5 problemlösendes Aufbauen die den Unterricht planende Lehrperson zum anderen
5 Durcharbeiten Merkmale lernwirksamen Unterrichts bedeutsam, die
5 Üben in den Vorschlägen Aeblis – allerdings eher indirekt
5 Anwenden – umschrieben werden. So spielen die inhaltliche Klar-
heit (7 Abschn. 4.2.2) und das Potenzial zur kognitiven
Den Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit bildet ein Aktivierung (7 Abschn. 4.2.6) insbesondere in der Phase des
Problem, das die Lernenden zu den geforderten Operationen Durcharbeitens eine Rolle. Erkenntnisse zum produktiven
führen soll und das geeignet sein muss, die sachlichen und sinnvollen Üben (7 Abschn. 4.2.5), zum kooperativen
Beziehungen und Strukturen zu verdeutlichen. Das Problem, Lernen (7 Abschn. 4.2.4) und zur metakognitiven Förderung
das in der Regel von der Lehrperson eingebracht wird, sollte (7 Abschn. 4.2.7) finden beispielsweise in den Übungs- und
in lebenspraktische Zusammenhänge eingekleidet sein. Wiederholungsphasen, aber auch teilweise in den Phasen
Zunächst entwickeln die Lernenden eine Lösung für das des Durcharbeitens und des Anwendens Berücksichtigung.
gestellte Problem und bauen dabei neue Operationen auf. Damit erweist sich Aeblis Modell als anschlussfähig an die
Die bei der Problembearbeitung gewonnenen Einsichten Forschung zur Bedeutung der sogenannten Tiefenstruktur
sind jedoch noch sehr am spezifischen Problem verhaftet. von Unterricht (7 Abschn. 4.2.11; Messner 2019; Reusser
Um ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge 2019; Reusser und Pauli 2013).
zu erreichen und bewegliches Denken zu fördern, ist es Pauli und Schmid (2019) verweisen aber auch auf einige
daher notwendig, Handlungen, Begriffe und Operationen Grenzen des PADUA-Modells. So werde nicht deutlich
durchzuarbeiten, d. h. vielfältigen Transformationen zu genug zwischen Lehr- und Lernaktivitäten unterschieden.
unterwerfen und sie aus verschiedenen Perspektiven zu Zudem favorisiere Aebli für die Erarbeitung neuen Wissens
beleuchten. „Im Zuge eines solchen Durcharbeitens reinigen lehrerzentrierte Unterrichts- und Gesprächsformen, was
wir … den Begriff von den Schlacken, die ihm von der ersten aus Sicht der aktuellen Unterrichtsforschung nicht immer
Erarbeitung her anhaften. Die wesentlichen Zusammen- das lernwirksamere und motivationsförderliche Vorgehen
hänge treten in Klarheit hervor“ (Aebli 1976, S. 206). Der ist (7 Abschn. 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“).
Lehrperson kommt dabei u. a. die Aufgabe zu, neue Ein-
sichten hervorzuheben, darüber zu wachen, dass der Über-
blick über das Ganze nicht verloren geht, und den Blick 4.1.3 Instructional-Design-Modelle
immer wieder auf die ursprüngliche Fragestellung zu lenken
(7 Abschn. 4.2.2). Diese Phase zielt auf vertieftes Verstehen Die angloamerikanische Lehr- und Lernforschung fasst
und flexibles Denken der Lernenden ab, indem sich diese bei- Modelle zur Planung und Gestaltung von Unterricht
spielsweise damit auseinanderzusetzen, für welche Aufgaben häufig unter dem Begriff „instructional design“ zusammen
oder Beispiele das Gelernte gilt und für welche nicht. (Niegemann 2001). Im Gegensatz zu den didaktischen
Übungs- und Wiederholungsphasen dienen der Modellen deutscher Provenienz (s. o.) fokussieren die
Automatisierung und Konsolidierung des Gelernten. Instruktionsdesignmodelle konkreter auf die eigentlichen
Aebli (1976, S. 238 ff.) verweist bei der Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse und beschäftigen sich intensiver
Übungsphasen auf die Erkenntnisse der Lernpsycho- mit der Frage nach deren Wirksamkeit. Insofern wundert es
logie. Er erinnert z. B. an das Gesetz des verteilten Übens nicht, dass die entwickelten Ansätze sehr eng mit den jeweils
(7 Abschn. 4.2.5) und fordert, erst dann auswendig zu vorherrschenden lerntheoretischen Annahmen ihrer Zeit
lernen, wenn eine ausreichende Durcharbeitung statt- korrespondieren. Im Folgenden werden exemplarisch Modelle
gefunden hat. vorgestellt, die sich auf behavioristische Ansätze stützen, eine
Nach der Konsolidierung des Gelernten sollen Hand- deutliche Affinität zu kognitiven Theorien aufweisen oder an
lungen, Operationen und Begriffe in vielfältiger Weise konstruktivistischen Grundannahmen orientiert sind.
72 F. Lipowsky
Kritisch angemerkt werden muss, dass vor allem die die vernünftige Anordnung der Inhalte, das Ausmaß an
frühen Instructional-Design-Modelle den Unterricht sehr Wiederholungen und Anwendungen, die Klarheit der
technologisch betrachteten, indem sie unterrichtliche Anforderungen sowie die Bekräftigungen, Verstärkungen
Prozesse auf rationale, vollständig zu planende Teilschritte und Rückmeldungen seitens der Lehrperson.
reduzierten und ein aus heutiger Sicht vergleichsweise naives Ähnlich wie Carroll räumt Bloom (1976) der Lernzeit
mechanistisches Verständnis des Lehrens und Lernens ver- eine bedeutsame Rolle ein: 90 % der Lernenden einer Klasse
traten (Reinmann-Rothmeier und Mandl 2001). können gute Leistungen erreichen, wenn ihnen ausreichend
Zeit zum zielerreichenden Lernen („mastery learning“)
4 Behavioristisch orientierte Instructional- zugestanden wird und wenn sich der Unterricht an den
Design-Modelle speziellen Lernbedürfnissen und Lernvoraussetzungen der
Im Mittelpunkt des einflussreichen Modells von Carroll Lernenden orientiert.
(1963) steht die Lernzeit. Carroll betrachtet den Lernerfolg Ein qualitativ hochwertiger Unterricht zeichnet sich nach
eines Lernenden als eine Funktion des Verhältnisses von Bloom dadurch aus, dass die Lehrkraft den Unterrichtsstoff
tatsächlich aufgewendeter aktiver Lernzeit und benötigter schrittweise darbietet und nach jeder Unterrichtssequenz
Lernzeit (Lernerfolg = aktive Lernzeit/benötigte Lern- den Lernenden Rückmeldungen gibt, ob diese die Leistungs-
zeit). Die benötigte Lernzeit wird aufseiten der Lernenden anforderungen erfüllt haben oder nicht. Für diejenigen
beeinflusst von deren Lernvoraussetzungen, genauer von Schülerinnen und Schüler, die die Lernziele nicht erreicht
den aufgabenspezifischen und den allgemeinen kognitiven haben, stellt die Lehrperson zusätzliche Instruktionen und
Fähigkeiten, von der Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen Übungen bereit, bis die Lernenden die Ziele erfüllen. Zu den
und von der Qualität des Unterrichts (. Abb. 4.2). Die auf- weiteren Komponenten der Unterrichtsqualität gehören für
gabenspezifischen und allgemeinen kognitiven Voraus- Bloom die Bekräftigung der Lernenden und ein effektives
setzungen beeinflussen wiederum die Fähigkeit, dem Unterrichtsmanagement, das sich in einem hohen Anteil aktiv
Unterricht zu folgen, auf die sich auch die Qualität des genutzter Lernzeit widerspiegelt.
Unterrichts auswirkt: Ist die Qualität des Unterrichts In Blooms Verständnis von Unterrichtsqualität kommt
gering, benötigt der Lernende mehr Zeit und günstigere deutlich das Konzept des zielerreichenden Lernens zum Aus-
kognitive Lernvoraussetzungen, um dem Unterricht zu druck (Bloom 1971). Diese Form individualisierten Unter-
folgen. Als Merkmale guten Unterrichts nennt Carroll richts, die vor allem die den Lernenden zur Verfügung gestellte
Aspekte wie die Klarheit der Begriffe und Erklärungen, Lernzeit variierte, erwies sich zwar einerseits als wirksam
verzichtet aber aber auf einen Teil der Lehrererklärungen Konstruktivistische Ansätze
(guided instruction) und die dritte fokussiert stärker auf Seit einigen Jahren stoßen gemäßigt konstruktivistische
entdeckendes Lernen (discovery learning with minimal Positionen auf eine breite Resonanz in der Lehr-
guidance). Insgesamt lernten die Schülerinnen und und Lernforschung und in der Schulpädagogik. Aus
Schüler in den ersten beiden Lernumgebungen mit der konstruktivistischer Sicht wird Lernen als ein konstruktiver,
implementierten Lehrerlenkung mehr als die Schülerinnen kumulativer, selbstgesteuerter, situativer, individuell unter-
und Schüler in der dritten Lernumgebung. Furtak, Seidel schiedlicher, gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen
Iverson und Briggs (2012) wiederum weisen im Rahmen angewiesener Prozess des Aufbaus von Wissen und der
4 einer weiteren Metaanalyse nach, dass lehrergelenktere Konstruktion von Bedeutung verstanden (De Corte 2000).
Ansätze forschenden Lernens in den Naturwissenschaften Die auf konstruktivistischen Annahmen beruhenden
deutlich lernwirksamer sind als traditioneller lehrer- Lernumgebungen werden häufig unter dem Begriff des
gelenkter Unterricht. situierten oder problemorientierten Lernens zusammen-
Möglicherweise spielt für die insgesamt uneinheitliche gefasst. Dem situierten Lernen liegt die Annahme
Forschungslage zum entdeckenden Lernen auch der Zeit- zugrunde, dass das Lernen kontextgebunden, d. h. situiert
punkt eine Rolle, zu dem man die Schülerleistungen testet erfolge. Gerade diese Annahme der Situiertheit des Lernens
und überprüft. Hinweise hierauf ergeben sich aus einer wird jedoch nicht vorbehaltlos geteilt, denn schließlich
experimentellen Grundschulstudie im Mathematikunterricht. gibt es zahlreiche Beispiele, in denen die Übertragung
Im Rahmen der Studie wurden den Lernenden entweder erworbenen Wissens auf neue Kontexte gelingt.
auf explizite Art und Weise Rechenstrategien vermittelt, Situierte Lernumgebungen konfrontieren die Lernenden
die dann auch gezielt geübt und wiederholt wurden, oder in der Regel mit komplexen Aufgaben und authentischen
die Lernenden wurden über einen eher impliziten Ansatz Problemen und setzen bei der Bearbeitung auf ein hohes Maß
angeregt, Strategien selbst zu entdecken, die dann geübt und der Selbststeuerung. Sie intendieren, den Aufbau tragfähigen
wiederholt wurden. Kurzfristig ergab sich hierbei ein Vor- und flexiblen Wissens zu unterstützen, das Verständnis für
teil für den expliziten Ansatz, insbesondere beim Erwerb neue Lerninhalte zu erleichtern und die Anwendbarkeit sowie
anspruchsvoller Strategien (Heinze et al. 2020), langfristig den Transfer erworbener Kenntnisse und Fertigkeiten zu
zeigten sich eher Vorteile für den impliziten Ansatz (Heinze fördern (Reinmann-Rothmeier und Mandl 2001).
et al. 2018). Demnach behielten die Lernenden der impliziten Zu den bekanntesten konstruktivistisch-orientierten
Gruppe ihre entdeckten Strategien eher und wendeten sie Instruktionsmodellen zählen das Modell der „anchored
korrekter an als die Schülerinnen und Schüler der expliziten instruction“ und der Ansatz des „cognitive apprenticeship“
Gruppe die ihnen explizit vermittelten Strategien. (7 Exkurs „Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship“).
Exkurs
sind die jeweiligen Projekte und Umsetzungsversuche und ökonomischer sind als Formen indirekter Instruktion,
(Dumont 2019; Stebler et al. 2018). Die Befundlage insbesondere dann, wenn die Lernenden über geringere
zur Wirksamkeit personalisierter Ansätze auf Schul- Lernvoraussetzungen verfügen (Hasselhorn und Gold 2013;
leistungen ist schmal und uneinheitlich. Die Mehrheit Hattie 2009; Klahr und Nigam 2004; Muijs und Reynolds
der Studien kann keine Vorteile personalisierten Lernens 2018; Schwerdt und Wuppermann 2011; Wellenreuther
gegenüber unterrichtlichen Ansätzen nachweisen, die 2009). Gleichzeitig zeigt die Forschung aber auch, dass
auf eine personalisierte Zuweisung von Lernangeboten Formen indirekter Instruktion wirksam sein können, wenn
an Lernende verzichten (Bates und Wiest 2004; Bernacki sie mit Merkmalen lernwirksamen Unterrichts kombiniert
4 und Walkington 2018; Cakir und Simsek 2010; Høgheim werden (s. o.). So setzt sich gegenwärtig immer stärker
und Reber 2015; Ku und Sullivan 2002; Muijs und die Auffassung durch, dass Formen indirekter Instruktion
Reynolds 2018; Simsek und Cakir 2009). auf der einen Seite und Formen direkter Instruktion auf
5 Einige Forschungs- und Evaluationsergebnisse zum der anderen Seite komplementäre Ansätze sind, die es auf
personalisierten Lernen deuten darauf hin, dass ent- geschickte Art und Weise zu verbinden gilt (Gräsel und
sprechende Lernumgebungen insbesondere in Parchmann 2004; Lipowsky 2006).
Verbindung mit dem Einsatz digitaler Medien ein lern- In eine ähnliche Richtung weisen die Befunde zum
förderliches Potenzial haben (7 Abschn. 4.2.9, 7 Exkurs sogenannten produktiven Scheitern („productive failure“)
„Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien“). Hierbei (Kapur 2010, 2012, 2016). Demnach kann eine der
ist jedoch – analog zu den vorherigen Ausführungen Instruktion vorgeschaltete induktive Problemlösephase, in
über offene Lernumgebungen – davon auszugehen, der die Lernenden z. B. in kleinen Gruppen an der Lösung
dass nicht die Wahl eines stark personalisierten bzw. eines unbekannten Problems arbeiten, zu einem höheren
individualisierten Vorgehens die Effekte hervorruft, Lernerfolg beitragen als die häufig im Unterricht anzu-
sondern die Art und Weise, wie diese Lernumgebungen treffende umgekehrte Reihenfolge der Phasen, welche zuerst
umgesetzt werden, mit welchen Merkmalen lernwirk- eine lehrergelenkte Einführungsphase in direkter Instruktion
samen und motivationsförderlichen Unterrichts sie und dann die Aufgabenbearbeitung in einer Schülerarbeits-
einhergehen und welche Funktionen die zum Einsatz phase vorsieht. Bedingung für die positiven Effekte einer
kommenden digitalen Lern- und Diagnose- bzw. Test- Kombination aus vorgeschalteter Problemlösephase und
werkzeuge konkret erfüllen. nachfolgender Instruktionsphase scheint aber zu sein, dass
in der Phase der Problembearbeitung Fälle (Probleme, Bei-
Die Diskussion über das Für und Wider von Lern- spiele) verglichen und/oder dass in der anschließenden
umgebungen, die sich explizit auf konstruktivistische Instruktionsphase die von den Lernenden entwickelten –
Ansätze und Theorien berufen, spiegelt sich auch in der Dis- häufig unvollständigen oder fehlerhaften – Lösungswege
kussion über Vor- und Nachteile direkter und indirekter bzw. Lösungen aufgegriffen und mit korrekten Lösungs-
Instruktion wider, zwei Begriffe, die vor allem in der anglo- wegen bzw. dem richtigen Ergebnis kontrastiert werden
amerikanischen Literatur Verwendung finden. Direkte (Loibl und Rummel 2014; Loibl et al. 2017). In dem Fall
Instruktion beschreibt einen lehrergelenkten Unterricht, kann ein „Scheitern“ in der vorausgegangenen Problemlöse-
der durch klare Zielvorgaben, die verständliche Darstellung phase demnach zu einem wirksameren Lernen beitragen.
von Inhalten, ein schrittweises Vorgehen, Lehrerfragen Betrachtet man affektiv-motivationale Zielkriterien, so
mit unterschiedlicher Schwierigkeit, Phasen angeleiteten muss lehrergelenkter Unterricht (direkte Instruktion) nicht
und selbstständigen Übens, häufiges Lehrerfeedback und zwangsläufig mit einer Belastung der Schülermotivation ein-
eine regelmäßige Überprüfung der Lernfortschritte der hergehen, genauso wenig wie objektiv vorhandene Hand-
Lernenden charakterisiert ist (Rosenshine und Stevens 1986). lungsoptionen und Wahlfreiheiten immer mit dem Erleben
Diese Erläuterung verdeutlicht, dass direkte Instruktion von Selbstbestimmung und intrinsischer Motivation ver-
keinesfalls mit einem die Schülerinnen und Schüler über- bunden sein müssen (7 Exkurs „Motivationsförderung durch
oder unterfordernden fragend-entwickelnden Frontal- offenen Unterricht?“). Fokussiert man auf kognitive Ziel-
unterricht gleichgesetzt werden kann. Indirekte Instruktion kriterien, so können sich innere mentale Konstruktionsvor-
wird als Sammelbegriff für unterschiedliche Ansätze und gänge grundsätzlich in jeder Art von Unterricht – in Formen
Konzepte benutzt, wobei die Lernenden den Unterrichts- direkter oder indirekter Instruktion – vollziehen. Hinzu
gegenstand und das Lernmaterial partiell selbst strukturieren, kommt, dass eine hohe Aktivität der Lernenden auf der Ver-
transformieren oder konstruieren (Borich 2007) und die haltensebene, wie sie z. B. im geöffneten Unterricht häufig zu
demzufolge mit einem geringeren Ausmaß an Lehrerlenkung beobachten ist, nicht zwangsläufig mit verstärkter kognitiver
verbunden sind. Hierzu zählen u. a. das entdeckende Lernen Aktivität, mit dem Aufbau tragfähigen Wissens bzw. der
(„discovery learning“), das forschende Lernen („inquiry Umstrukturierung von Wissensbeständen einhergehen muss
based learning“), das problemorientierte Lernen, offene (vgl. Chi 2009; Lipowsky 2002; Mayer 2004; Renkl 2011;
Unterrichtsformen und konstruktivistisch-orientierte Lern- 7 Kap. 1). Umgekehrt kann auch ein lehrerzentriertes Vor-
umgebungen (Borich 2007). gehen, bei dem die Lernenden äußerlich passiv wirken, dazu
Zusammenfassend kommt die Forschung zu dem Ergeb- führen, dass diese neues Wissen aufbauen oder altes Wissen
nis, dass Formen direkter Instruktion häufig lernwirksamer um- bzw. restrukturieren.
Unterricht
77 4
Exkurs
Lehr- Lernende
Lehrpersonen: personen
78 F. Lipowsky
theoriegeleiteten Hypothesen „gefüllt“ werden muss. Es Aspekte der Lehrperson geht man heute eher von
handelt sich demzufolge nicht um ein theoretisches Modell im indirekten Effekten der beruflichen Motivation, der
klassischen Sinne. Persönlichkeit, des Belastungserlebens und der beruf-
lichen Zufriedenheit auf den Schulerfolg der Lernenden aus
Schulerfolg Schulerfolg wird in diesem Modell als Ergebnis (Klusmann et al. 2006).
des Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren betrachtet
und umfasst dabei nicht nur die Lern- und Leistungsent- Lernende Die Entwicklung der Lernenden wird, wie
wicklung, sondern auch die affektiv-motivationale und viele Untersuchungen zeigen, in erster Linie von deren
4 persönlichkeitsbezogene Entwicklung der Lernenden. spezifischen Voraussetzungen determiniert (Hattie 2009).
Während sich die affektiv-motivationale Entwicklung vor
Unterricht Das Modell unterscheidet zwischen dem allem durch die affektiv-motivationalen Voraussetzungen
Bildungsangebot und der Nutzung dieses Angebots der Lernenden vorhersagen lässt, spielen für die kognitive
durch die Lernenden. Im Mittelpunkt des Modells steht Entwicklung vor allem das Vorwissen und die Intelligenz
der Unterricht, der als Angebot an Lerngelegenheiten der Lernenden eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus
betrachtet wird, die von den Lernenden in unterschied- belegt eine Vielzahl von Studien die Bedeutung der
licher Weise wahrgenommen und genutzt werden können. sozialen Herkunft der Lernenden für den Schulerfolg.
Entsprechend werden Quantität und Qualität unter-
richtlicher Lerngelegenheiten nicht nur in ihren direkten Klassenzusammensetzung Auch die mittlere Leistungs-
Wirkungen auf den Schulerfolg untersucht, sondern auch fähigkeit einer Klasse beeinflusst die Leistungsentwicklung
in ihren indirekt vermittelten Wirkungen über die Wahr- eines Lernenden, und zwar unabhängig davon, über
nehmung und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegen- welche individuellen Voraussetzungen er bzw. sie verfügt.
heiten, die sich z. B. im Erleben des Unterrichts, in der Das heißt, mit einem Anstieg der Leistungsfähigkeit einer
Anstrengungsbereitschaft oder in der Mitarbeit der Klasse sind bessere individuelle Leistungen der Lernenden
Lernenden ausdrücken. Diese Wahrnehmung und Nutzung verbunden (z. B. Rindermann 2007; Tiedemann und
unterrichtlicher Lerngelegenheiten wird wiederum in Billmann-Mahecha 2004). Mögliche Erklärungen für
Abhängigkeit von den Voraussetzungen und Merkmalen diesen Effekt sind, dass sich die Lernenden in leistungs-
der Lernenden konzeptualisiert, die als mitverantwortliche fähigeren Klassen stärker gegenseitig anregen und dass die
Konstrukteure ihres eigenen Wissens betrachtet werden. Lehrpersonen in leistungsstärkeren Klassen einen fach-
Hierin drücken sich auch konstruktivistische Anleihen des lich anspruchsvolleren Unterricht halten, schneller voran-
Angebots-Nutzungs-Modells aus. schreiten und höhere Erwartungen an die Lernenden
Der beidseitige Pfeil im Unterrichtsrechteck stellen, was sich insgesamt positiv auf die Verarbeitungs-
in . Abb. 4.3 drückt aus, dass Unterricht kein ein- tiefe auswirkt. Außerdem kann angenommen werden,
direktionales Vorgehen darstellt, sondern wechselseitige dass die günstigere Klassenzusammensetzung in leistungs-
Interaktionen und Beeinflussungen beinhaltet: Nicht stärkeren Klassen einen effektiveren und reibungsloseren
nur die Lernangebote der Lehrperson wirken auf die Unterricht erleichtert. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass
Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Schülerinnen ein Anstieg in der mittleren Leistungsfähigkeit der Klasse
und Schüler einer Klasse beeinflussen mit ihren Voraus- aufgrund sozialer Vergleichsprozesse zu einem geringeren
setzungen und ihrem Verhalten die Qualität und Quantität Fähigkeitsselbstkonzept der einzelnen Lernenden führen
der Lernangebote, die eine Lehrperson unterbreitet (z. B. kann (7 Kap. 8).
Seidel et al. 2016).
Merkmale der Schule Merkmalen der Schule kommt
Lehrperson Das Angebots-Nutzungs-Modell konzeptualisiert im Vergleich zu Merkmalen des Unterrichts eine
Lehrerkompetenzen und Lehrermerkmale als wesentliche geringere Bedeutung für die Entwicklung der Lernenden
Determinanten für die Qualität und Quantität unterricht- zu (7 Exkurs „Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und
licher Angebote. Fokussiert man auf die Kompetenzen Schulebene“). Die Schuleffektivitätsforschung gelangt
von Lehrpersonen, rücken kognitive, motivationale und zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich lernwirk-
persönlichkeitsbezogene Dimensionen in den Mittel- same Schulen durch hohe Leistungserwartungen an die
punkt (7 Kap. 11). Zusammenfassend stützen aktuellere Lernenden, durch eine effektive und verantwortungs-
empirische Arbeiten die These, dass sich das fachliche volle Schulleitung mit einem Fokus auf das Kerngeschäft
und fachdidaktische Wissen und die Überzeugungen des Unterrichts, durch Konsens und Kooperation inner-
von Lehrpersonen positiv auf die Qualität und Quanti- halb des Kollegiums, durch ein positives, störungsarmes
tät der Lerngelegenheiten und auch positiv auf den Schulklima, durch die systematische Überprüfung und
Schulerfolg der Lernenden auswirken können (Baumert Bewertung von Lernfortschritten der Lernenden und
und Kunter 2006; Kunter et al. 2011; Lipowsky 2006; durch eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern aus-
Lipowsky und Bleck 2019; Reusser und Pauli 2014). Mit zeichnen (Robinson et al. 2009; Scheerens und Bosker
Blick auf motivationale und persönlichkeitsbezogene 1997; Teddlie und Reynolds 2001).
Unterricht
79 4
Exkurs
In den folgenden Abschnitten wird das Feld „Quali- Abschnitte und die Zerlegung des Unterrichtsinhalts
tät und Quantität von Lerngelegenheiten“ im Angebots- in einzelne Komponenten bedeuten. Diese Bedeutung
Nutzungs-Modell weiter ausdifferenziert. von Strukturiertheit bezieht sich also vor allem auf
didaktische Aspekte des Unterrichts.
5 Zum zweiten wird Strukturiertheit als Konsistenz von
4.2 Merkmale und Regeln, Erwartungen und Grenzen interpretiert. Diese
Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Facette von Strukturiertheit fokussiert eher auf das Ver-
Unterrichts halten der Lernenden und auf die Aufrechterhaltung der
Disziplin im Klassenzimmer.
Als Zielvariablen von Schulerfolg werden in den folgenden 5 Zum dritten kann Strukturiertheit von Unter-
Abschnitten die kognitive und die affektiv-motivationale richt stärker kognitionspsychologisch verstanden
Entwicklung der Lernenden untersucht. Grundsätzlich werden. Darunter werden Maßnahmen und Hand-
ist dabei zu beachten, dass die motivationale Entwicklung lungen subsumiert, die geeignet sind, eine Ver-
deutlich stärker durch individuelle Determinanten der bindung zwischen dem Vorwissen der Lernenden
Lernenden bestimmt wird als die kognitive Entwicklung und neuen Wissenselementen herzustellen und den
(Kunter 2005; Van Landeghem et al. 2002). Das bedeutet, Aufbau einer komplexen und geordneten Wissens-
dass der Spielraum unterrichtlicher Einflussmöglichkeiten struktur beim Lernenden zu fördern. Dies lässt sich
für die affektiv-motivationale Entwicklung geringer ist als z. B. anbahnen, indem Zusammenhänge zwischen
für kognitive Zielvariablen. verschiedenen Aspekten des Unterrichtsinhalts her-
gestellt werden, indem die Übersicht und Einordnung
neuer Informationen z. B. mittels Advance Organizers
4.2.1 Strukturiertheit des Unterrichts erleichtert wird und indem wichtige Unterrichtsergeb-
nisse zusammengefasst werden. Auch Lehrerfragen
Die Strukturiertheit des Unterrichts – einige Autoren können zur Strukturierung des Unterrichts beitragen
sprechen auch von Strukturierung – gilt als zentrales (s. u.).
Merkmal effektiven Unterrichts. Bei näherer Betrachtung
zeigt sich jedoch, dass dieses Merkmal in der Unterrichts- Kognitive Zielvariablen
forschung teilweise sehr unterschiedlich operationalisiert Wie lassen sich positive Effekte der Strukturiertheit des
und verwendet wird. Unterrichts theoretisch erklären? Die drei Bedeutungs-
Grundsätzlich lassen sich mehrere Bedeutungsfacetten facetten implizieren unterschiedliche Annahmen über
von Strukturiertheit unterscheiden. die angenommenen Wirkmechanismen. Die didaktische
5 Zum einen kann Strukturiertheit eine klare erkennbare Strukturierung des Unterrichts setzt einen sorgfältig
Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen und geplanten Unterricht voraus und kann somit als wichtige
80 F. Lipowsky
Voraussetzung für angemessene Anforderungen an Advance Organizern untersucht haben. Für diese sieben
die Lernenden begriffen werden. Eine Strukturierung auf Studien ermittelt er eine mittlere Effektstärke von d = 0,53,
der Verhaltensebene begünstigt eine störungsfreie Lern- was einem durchaus beachtlichen Effekt entspricht. Preiss
umgebung, fördert die Aufmerksamkeit der Lernenden und Gayle (2006) zeigen in ihrer Metaanalyse, dass die
und sorgt dafür, dass mehr Unterrichtszeit für die Aus- Effektstärken abhängig vom Alter der Lernenden und
einandersetzung mit den Unterrichtsthemen zur Ver- dem untersuchten Fach variieren. Demnach profitieren
fügung steht. Auf der Basis einer kognitionspsychologisch jüngere Lernende und Lernende in sozialwissenschaftlichen
verstandenen Strukturierung lässt sich annehmen, dass Fächern stärker von Advance Organizers als Lernende in
4 Fragen, Strukturierungshinweise und -hilfen der Lehr- naturwissenschaftlichen und sprachlichen Domänen.
person die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und In zahlreichen Einzelstudien und einschlägigen
Schüler auf die relevanten Aspekte des Unterrichtsgegen- Zusammenfassungen des Forschungsstands finden sich
stands lenken, einen Überblick über den Unterrichts- Hinweise auf die Bedeutung der Strukturierung des Unter-
gegenstand erleichtern, Relationen zwischen Teilaspekten richts durch Lehrerfragen (7 Exkurs „Lehrerfragen“),
des Unterrichtsgegenstands verdeutlichen und gedank- Zusammenfassungen und verbale Hervorhebungen (z. B.
liche Verankerungsmöglichkeiten schaffen, sodass es Borich 2007; Hardy et al. 2006; Marzano et al. 2000).
den Lernenden leichter gelingt, ihr neues Wissen zu
organisieren und mit bereits vorhandenem zu verbinden Affektiv-motivationale Aspekte des Lernens
(Einsiedler und Hardy 2010; Möller 2016; Schnotz 2006). In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob
Die Forschungslage hat sich in zahlreichen Studien und inwiefern die Strukturierung des Unterrichts mit
mit diesen unterschiedlichen Facetten von Strukturierung positiven Effekten für die affektiv-motivationale Ent-
beschäftigt. Die didaktische Strukturierung, also die wicklung der Lernenden einhergeht. Im ersten Teil wird
Gliederung und Sequenzierung des Unterrichts, hat sich dabei auf die Selbstbestimmungstheorie von Deci und
in Studien zum „mastery learning“ und zur „direkten Ryan (1985, 7 Kap. 7) fokussiert und als Zielvariablen das
Instruktion“ als lernförderlich erwiesen (Fraser et al. 1987; Autonomie- und Kompetenzerleben der Lernenden in
Rosenshine und Stevens 1986). den Blick genommen. Im zweiten Teil werden Studien-
Beleuchtet man Strukturierung auf der Verhaltens- ergebnisse berichtet, die die Vorhersage anderer
ebene und fragt nach deren Bedeutung, so lässt sich eine affektiv-motivationaler Variablen durch Merkmale wie
Reihe von Studien heranziehen, die zeigen können, dass Klassenführung und Strukturiertheit des Unterrichts unter-
ein störungsarmer, reibungsloser Unterricht und ein suchten.
funktionierendes – bereits zu Beginn des Schuljahres ein- Nach den Ergebnissen einiger Studien zeigt sich,
geführtes – Regelsystem mit einem höheren Lernerfolg dass eine effektive Klassenführung und ein störungs-
der Lernenden verbunden sind (Campbell et al. 2004; armer, disziplinierter Unterricht positive Wirkungen auf
Helmke et al. 1986; Marzano et al. 2003). Häufig werden das Autonomieerleben und auf das Kompetenzerleben
die beschriebenen Merkmale mit dem Begriff der effektiven der Lernenden haben. Rakoczy (2007) untersuchte im
Klassenführung überschrieben (7 Kap. 5). Die Metaanalyse Rahmen der deutsch-schweizerischen Studie „Unterrichts-
von Seidel und Shavelson (2007) bestätigt die bedeutende qualität, Lernverhalten und mathematisches Verständ-
Rolle einer effektiven Unterrichts- und Klassenführung für nis“ die Auswirkungen einer effektiven Klassenführung
die kognitive Entwicklung der Lernenden. Eine effektive auf die drei sogenannte „basic needs“ nach Deci und Ryan
Klassenführung geht mit einem aufgabenbezogeneren Ver- (1985). Sie wies nach: Je disziplinierter und störungs-
halten der Lernenden und einem Mehr an inhaltsbezogenen freier der Unterricht verläuft, desto stärker fühlen sich
Lerngelegenheiten – „opportunities to learn“ – einher. Eine die Lernenden in ihrem Streben nach Kompetenz und
Reihe von Forschungsarbeiten weist nach, dass sich „time Autonomie unterstützt. In einer vertiefenden Analyse
on task“, also die aufgabenbezogene Nutzung der Lernzeit zeigten Rakoczy et al. (2007), dass dieser Effekt möglicher-
positiv auf den Lernerfolg auswirkt (z. B. Fredrick und Wal- weise auch darauf zurückzuführen ist, dass Schülerinnen
berg 1980; Hattie 2009; Kuger 2016; Lipowsky und Bleck und Schüler in störungsfreien und strukturierten Lern-
2019; Rowe und Rowe 1999). Ähnliches gilt für das Ausmaß umgebungen über eine höhere Intensität kognitiver
an inhaltlichen Lerngelegenheiten, also für die Zeit, die für Aktivitäten und über positivere emotionale Erfahrungen
die Behandlung inhaltlich relevanter Aspekte des Unter- berichten als Lernende in Klassen mit einem höheren
richtsgegenstands zur Verfügung gestellt und genutzt wird Ausmaß an Störungen und einem geringeren Ausmaß
(Drollinger-Vetter 2011; Hiebert und Grouws 2007; Wal- an Disziplin. Kunter (2005) weist ebenfalls nach, dass der
berg und Paik 2000). effektive Umgang mit Störungen und eine klare didaktische
Fokussiert man auf die dritte Bedeutung von Strukturierung des Unterrichts von den Lernenden als
Strukturierung, so lassen sich z. B. Studien heranziehen, kompetenzunterstützend wahrgenommen werden. Auch
die Effekte von Strukturierungshilfen, wie z. B. Advance eine kognitionspsychologisch orientierte Strukturiert-
Organizers in den Blick nehmen (7 Abschn. 4.1.3). Hattie heit wirkt sich offenbar positiv auf motivationale Aspekte
(2009) identifiziert für seine Meta-Metaanalyse „Visible des Lernens aus, wie die Studie von Blumberg et al. (2004)
learning“ sieben Metaanalysen, die die Wirkungen von
Unterricht
81 4
Exkurs
Lehrerfragen
Lehrerfragen dienen dazu, den Unterricht Wirkungen des kognitiven Niveaus den Lernenden zum Nachdenken nach
zu strukturieren und zu steuern, die von Lehrerfragen ist jedoch insgesamt einer gestellten Lehrerfrage eingeräumt
Aufmerksamkeit der Lernenden auf uneinheitlich. Zwar kann mehrheitlich wird. Studien zeigen, dass es einer
relevante Aspekte des Unterrichts zu nachgewiesen werden, dass kognitiv bestimmten Zeitspanne zwischen der
lenken, das Vorwissen zu aktivieren, anspruchsvollere Lehrerfragen kognitiv Lehrerfrage und dem Aufrufen einer
die Lernenden anzuregen und anspruchsvollere Schülerantworten nach Schülerin bzw. eines Schülers (Wartezeit)
herauszufordern, Lernwege, (Miss-) sich ziehen und insofern zu einer tieferen bedarf, damit die Frage ihr Potenzial
Konzepte und (Fehl-)Vorstellungen Verarbeitung und Elaboration des entfalten kann. Als optimal wird eine
offenzulegen, den Wissensstand der Unterrichtsinhalts durch die Lernenden Wartezeit von 3–5 s betrachtet. In vielen
Lernenden zu ermitteln, Unterrichts- beitragen (Gayle et al. 2006). Ob mit Studien stellte sich jedoch heraus, dass
ergebnisse zu sichern, oder manchmal dem Anteil kognitiv anspruchsvoller die tatsächliche Wartezeit im Unterricht
auch dazu, die Lernenden zu disziplinieren. Fragen aber auch der Lernerfolg deutlich kürzer ist (Heinze und Erhard
Lehrerfragen lassen sich nach der Schülerinnen und Schüler linear 2006; Lotz 2015). Wird die Wartezeit auf
unterschiedlichen Kriterien, so z. B. nach zunimmt, ist umstritten (Mills et al. 1980; 3–5 s verlängert, führt dies in der Regel
ihrem kognitiven Niveau und nach ihrer Samson et al. 1987; Winne 1979). zu elaborierteren Schülerbeiträgen, zu
Offenheit ordnen. Was das kognitive Mögliche Erklärungen für die einer höheren Anzahl von Meldungen, zu
Niveau von Lehrerfragen anbelangt, uneinheitlichen Ergebnisse sind die häufigeren Schülerfragen und insgesamt
wird häufig zwischen „low-level- unterschiedlichen Operationalisierungen zu einer aktiveren und niveauvolleren
questions“ und „ high-level-questions“ des Begriffs „high-level question“, die Beteiligung von Schülerinnen und
unterschieden, wobei sich „level“ unterschiedlichen Stichproben und Schülern am Unterricht (Ingram und
meist auf die Lernzielebenen – Wissen, curricularen Kontexte, die untersucht Elliot 2016; Rowe 1974; Tobin 1987;
Verstehen, Anwenden, Analysieren, wurden, und der Umstand, dass es Wasik und Hindman 2018). Studien zum
Synthetisieren und Bewerten – nach keine 1:1-Korrespondenz zwischen dem Zusammenhang zwischen Wartezeiten
Bloom (1974) bezieht. Unter low-level- kognitiven Niveau der Lehrerfragen und und Lernzuwachs sind auch international
Fragen werden Fragen verstanden, deren dem kognitiven Niveau der dadurch selten und kommen nicht zu einheitlichen
Beantwortung auf die Wiedergabe von angestoßenen Schüleraktivitäten gibt Ergebnissen (Tobin 1987).
Informationen, Faktenwissen, Prozeduren (Dillon 1982; Mills et al. 1980). Einige Schülerfragen sind im Unterschied
und Definitionen abzielen, sich also Studien verweisen darauf, dass es auch auf zu Lehrerfragen ein vergleichsweise
im Wesentlichen auf die Ebene des die Passung zwischen Frageniveau und seltenes Ereignis, erfüllen jedoch
Wissens beziehen, während man unter dem Vorkenntnisstand der Klasse ankommt: eine wichtige Funktion beim
high-level-Fragen Denkfragen versteht, Sind die Lehrerfragen zu anspruchsvoll Wissensaufbau (Niegemann 2004;
die die Verknüpfung von Informationen, und kann somit ein beträchtlicher Teil der Wuttke 2005). In Trainingsprogrammen
Konzepten, Wissensbausteinen etc. Lehrerfragen nicht beantwortet werden, zum selbstgesteuerten Lernen und
erfordern und die Lernenden anregen, so hat dies ebenso negative Auswirkungen zum reziproken Lehren („reciprocal
Vorgehensweisen und Gedankengänge auf den Lernerfolg der Schülerinnen und teaching“) werden Schülerinnen
zu erläutern und zu begründen. Schüler wie ein zu geringes Niveau der und Schüler systematisch dazu
Die vorliegenden Studien beziffern den Lehrerfragen. Die entsprechende Schwelle angeleitet, sich selbst Fragen zu stellen
Anteil an high-level-Fragen, je nach beträgt nach den Ergebnissen dieser – und hierüber ihren Lernprozess zu
Definition, auf 2–20 %, während sich allerdings schon älteren – Studien in etwa strukturieren, zu begleiten und ihr
demgegenüber der Anteil an low-level- zwischen ca. 70 % und 80 % beantworteter Verständnis zu vertiefen. Entsprechende
Fragen zwischen 40 % und 90 % bewegt Fragen (Brophy und Evertson 1980; Forschungsbefunde zeigen, dass diese
(Nehring et al. 2017; Niegemann und Rosenshine und Stevens 1986). Anleitung zum „self-questioning“
Stadler 2001; Sadker et al. 2011; Wilen Als eine weitere moderierende eine wirksame Strategie darstellt, um
1991). Dieser hohe Anteil an Low-Level- Drittvariable für den Zusammenhang das Verständnis gelesener Texte zu
Fragen wird allgemein als kritisch zwischen Fragenniveau und Lernerfolg fördern (King 1991, 1994; Kramarski und
betrachtet. Die Forschungslage zu den kommt der Zeitraum in Betracht, der Mevarech 2003; Rosenshine et al. 1996).
für das Kompetenzerleben und die Erfolgszuversicht von ausübte, das wiederum mit günstigeren Einstellungen
schwächeren Schülerinnen und Schülern nachweisen kann. der Lernenden zum Fach Mathematik und mit einem
Nimmt man weitere affektiv-motivationale Variablen günstigeren mathematischen Selbstkonzept der Lernenden
in den Blick, so zeigt z. B. die längsschnittliche Studie von einherging (Helmke et al. 1986). Auch international lassen
Kunter und Baumert (2006), dass sich ein geringes Ausmaß sich empirische Evidenzen für Effekte eines störungs-
an Unterrichtsstörungen positiv auf die von Schülerinnen armen und strukturierten Unterrichts auf Einstellungsver-
und Schülern erlebte Herausforderung auswirkt, die änderungen der Lernenden nachweisen (Campbell et al.
wiederum positive Effekte auf die Interessensentwicklung 2004).
hat. Im Rahmen der Münchener Hauptschulstudie konnte Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass
mittels Pfadanalysen und unter Kontrolle von kognitiven ein strukturierter, störungsarmer und effektiv geführter
und affektiven Lernvoraussetzungen der Lernenden nach- Unterricht die affektiv-motivationale Entwicklung der
gewiesen werden, dass eine effektive Klassenführung einen Lernenden befördern kann. Es kann angenommen werden,
positiven Einfluss auf das Engagement der Lernenden dass ein Mindestmaß an didaktischer Strukturierung eine
82 F. Lipowsky
notwendige Voraussetzung für eine wirksame Klassen- deutliche leistungssteigernde Effekte hat, und zwar vor allem
führung darstellt, die wiederum als wichtige Voraus- dann, wenn sprachliche und nichtsprachliche Repräsentations-
setzung dafür angesehen werden kann, dass inhaltsbezogene formen miteinander verknüpft wurden (zur Bedeutung des
Strukturierungen und Hinweise Wirkungen entfalten können. Medieneinsatzes 7 Kap. 6).
Warum wirkt sich die inhaltliche Klarheit des Unter-
richts positiv auf den Lernerfolg aus? Die inhaltliche Klar-
4.2.2 Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des heit des Unterrichts – so lässt sich annehmen – sorgt
Unterrichts dafür, dass die wichtigsten inhaltlichen Aspekte klar und
4 deutlich hervortreten und als kennzeichnende Elemente
Kognitive Zielvariablen von den Lernenden identifiziert, diskriminiert und ver-
Inhaltliche Klarheit beschreibt einen Unterricht, in dem die arbeitet werden. Auf der Basis der Cognitive-Load-Theorie
inhaltlichen Aspekte des Unterrichtsgegenstandes sprach- lässt sich argumentieren, dass die Betonung relevanter
lich prägnant und verständlich, fachlich korrekt und inhalt- Informationen, der Verzicht auf irrelevante und über-
lich kohärent dargestellt und/oder entwickelt werden. Dabei flüssige Informationen, die didaktische Reduktion der
übernehmen variantenreiche Erklärungen und Erläuterungen Komplexität des Inhalts sowie die angemessene Verbindung
unter Verwendung von Veranschaulichungen, Abbildungen, unterschiedlicher Repräsentationsformen das Arbeits-
Beispielen, Analogien und Metaphern, die Hervorhebung gedächtnis entlasten und die Informationsverarbeitung
und Zusammenfassung zentraler inhaltlicher Punkte, die erleichtern (Chandler und Sweller 1991; Hetmanek et al.
Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden 2019; Mayer und Moreno 2003; Renkl und Scheiter 2017).
in Konzepten, die Verwendung und Verbindung unterschied- Aktuellere Ansätze in der Unterrichtsforschung
licher Repräsentationsformen sowie das wiederholte Auf- verweisen mit Begriffen wie „attending to concepts“,
greifen von schwierigen Sachverhalten und Aspekten eine „opportunities to learn“, „inhaltlich fokussierte Informati
wichtige verständnisfördernde Funktion (Cruickshank 1985; onsverarbeitung“ oder „Verstehenselemente“ auf die Bereit-
Helmke 2007). stellung fachlich relevanter Lerngelegenheiten. Hiermit
Die Forschungslage ist trotz der weiten Bedeutung des sind demnach curriculare Entscheidungen und Schwer-
Begriffs inhaltliche Klarheit relativ konsistent. Die inhalt- punktsetzungen der Lehrpersonen gemeint, im Unter-
liche Klarheit des Unterrichts hat positive Effekte auf das richt fachlich zentrale Themen, Konzepte und Ideen zu
Lernen der Schülerinnen und Schüler unabhängig vom behandeln (Drollinger-Vetter und Lipowsky 2006; Hiebert
Alter der Lernenden, unabhängig davon, ob die Klarheit und Grouws 2007; Learning Mathematics for Teaching
mittels niedrig oder hoch inferenter Verfahren erfasst wird, Project 2010; Renkl 2011; Schmidt und Maier 2009).
unabhängig davon, welche Dimensionen von Klarheit tat- Dieser didaktisch-curriculare Aspekt inhaltlicher Klar-
sächlich untersucht werden und unabhängig davon, ob es heit geht über die inhaltliche klare und verständnisvolle
sich um experimentelle oder quasi-experimentelle Studien Präsentation vorgegebener Inhalte hinaus und betont, dass
handelt (z. B. Chesebro 2003; Hattie 2009; Hines et al. 1985; das Lernen und Verstehen von Schülerinnen und Schülern
Rodger et al. 2007; Titsworth et al. 2015). auch davon abhängig ist, inwieweit Lehrkräfte fach-
Stellvertretend für die Vielzahl an Studien wird hier lich relevante Kernideen und Inhalte im Unterricht auf-
eine Studie näher vorgestellt. Hines et al. (1985) ließen greifen und thematisieren. Mit Begriffen wie „strukturelle
32 angehende Lehrpersonen die gleiche 25-min Unter- Klarheit“, „making connections“, „links made between
richtssequenz unterrichten. Die Lerngruppen bestanden multiple models“ und „coherent content“ wird heraus-
aus 4–6 Lernenden Die Unterrichtsstunden wurden auf gestellt, dass es wichtig ist, die Beziehungen und Ver-
Video gezeichnet. Die Klarheit des Unterrichts wurde knüpfungen zwischen diesen (Teil-)Konzepten und Ideen
mit 29 Items durch Lehrpersonen, Lernende und zwei explizit unterrichtlich zu behandeln (vgl. Brophy 2000). Im
unabhängige Beobachter niedrig inferent erfasst. Zusätz- sogenannten Pythagorasprojekt, in dem eine dreistündige
lich wurden hoch inferente Ratings durch zwei Beobachter Unterrichtseinheit zum Satz des Pythagoras in 38 Klassen
vorgenommen. Als Zielkriterien wurden der Lernerfolg und Deutschlands und der Schweiz videografiert wurde, wurde
die Zufriedenheit der Lernenden untersucht. Die Ergeb- u. a. untersucht, inwieweit im Mathematikunterricht der
nisse zeigten, dass die Klarheit des Unterrichts, unabhängig beteiligten Klassen jene „(Verstehens)-Elemente“ und ihre
von dem Verfahren der Erfassung, positive Effekte auf den Beziehungen behandelt wurden, von denen man annehmen
Lernerfolg und die Zufriedenheit der Lernenden hatte. kann, dass sie für den Aufbau eines inhaltlich vertieften
Zu den Lehrstrategien, die zur inhaltlichen Klarheit des und elaborierten Verständnisses des Satzes von Pythagoras
Unterrichts beitragen und Auswirkungen auf den Lernerfolg fundamental sind. Beobachter analysierten den Unterricht
haben, zählen Zusammenfassungen und Hervorhebungen in den 38 Klassen u. a. danach, ob z. B. die geometrische
(Marzano et al. 2000; Schneider et al. 2018) sowie der Einsatz Bedeutung des Satzes von Pythagoras zur Sprache kam,
und die Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen. inwieweit deutlich herausgestellt und erarbeitet wurde, dass
So ergab die Metaanalyse von Marzano und Kollegen (2000), der Satz nur im rechtwinkligen Dreieck gilt und inwiefern
dass der Einsatz „nichtsprachlicher Repräsentationsformen“ das Verstehenselement, dass der Satz Aussagen über die
Unterricht
83 4
Beziehungen zwischen den Seiten im rechtwinkligen Drei- Lernende in Klassen, in denen die Zielklarheit und die
eck formuliert, behandelt wurde (Drollinger-Vetter und Kohärenz des Physikunterrichts besonders deutlich aus-
Lipowsky 2006). In dieser Studie erwiesen sich das Vor- geprägt waren, berichteten über eine höhere intrinsische
kommen, die Qualität und die Strukturierung dieser Motivation als Lernende in Klassen, in denen diese beiden
Verstehenselemente als prädiktiv für den Lernerfolg der Merkmale gering eingeschätzt wurden.
Schülerinnen und Schüler (Drollinger-Vetter 2011). In die gleiche Richtung weisen die Befunde von
Auch das Lernen aus Lösungsbeispielen lässt sich als Schrader et al. (1997) aus der SCHOLASTIK-Studie. Hier
eine unterrichtliche Strategie begreifen, den relevanten zeigte die eingeschätzte Klarheit des Unterrichts eben-
Inhalt klarer und verständnisorientierter zu präsentieren. falls einen positiven Zusammenhang mit der affektiven
Insbesondere für das Lernen von mathematischen und Entwicklung der Lernenden. Auch die Ergebnisse zweier
naturwissenschaftlichen Inhalten hat sich das Lernen mit aktueller Metaanalysen können die positiven Effekte inhalt-
Lösungsbeispielen als wirksames Verfahren erwiesen. licher Klarheit auf affektiv-motivationale Aspekte des
Während die Schülerinnen und Schüler im herkömm- Lernens bestätigen (Titsworth et al. 2015).
lichen Mathematikunterricht z. B. nach der Einführung Die positiven Wirkungen inhaltlicher Klarheit auf
eines Prinzips oder eines Verfahrens und einer Beispiel- affektiv-motivationale Variablen lassen sich zum einen
aufgabe in der Regel damit konfrontiert werden, mehrere mit der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan
Aufgaben zu lösen, erfolgt bei der Arbeit mit Lösungsbei- (1985; 7 Kap. 7) erklären: In einem Unterricht, der sich
spielen nach einer ersten Einführung des Themas ein ver- durch eine hohe inhaltliche Klarheit auszeichnet, sollten
gleichsweise ausführliches Studium von Aufgabenbeispielen, Schülerinnen und Schüler eher den Eindruck haben, neue
die bereits ganz oder teilweise gelöst sind. Die Lernenden Kompetenzen und neues Wissen zu erwerben als in einem
werden also mit mehreren Lösungsbeispielen konfrontiert, Unterricht, der inhaltlich unverständlich und unklar
die das zugrunde liegende Prinzip, Verfahren oder Lösungs- ist. Ein entsprechend höheres Kompetenzerleben dürfte
schemata an mehreren Aufgaben und nicht – wie in vielen wiederum mit einer höheren intrinsischen Motivation ein-
einführenden Abschnitten von Schulbüchern – an einer hergehen. Eine zweite mögliche Erklärung fokussiert auf die
Aufgabe darstellen. Diese Arbeit mit Lösungsbeispielen Kontroll-Wert-Theorie der Leistungsemotionen (Pekrun
basiert auf Annahmen der Cognitive-Load-Theorie, wonach 2006; 7 Kap. 9). Demnach lässt sich davon ausgehen, dass
eigene Lösungsversuche das Arbeitsgedächtnis so stark mit einer höheren inhaltlichen Klarheit des Unterrichts
belasten, dass nur geringe Kapazitäten für das Ausbilden eine höhere Kontrollüberzeugung, d. h. ein höherer Grad
von Lösungsschemata verbleiben, während demgegenüber an subjektiv erlebter Kontrolle über die Leistungssituation
die Auseinandersetzung mit komplett oder partiell gelösten einhergeht und der Leistungssituation ein höherer Wert
Aufgabenbeispielen das Augenmerk des Lernenden auf zugeschrieben wird, was nach der Kontroll-Wert-Theorie
das Verstehen der Lösungsschritte und -verfahren lenken. zu einem günstigeren emotionalen Erleben beiträgt.
Die Forschung zeigt: Das Studieren und Analysieren von Empirische Hinweise auf diesen Mechanismus liefert bei-
Lösungsbeispielen ist insbesondere dann effektiv, wenn die spielsweise die Studie von Simonton et al. (2017). Mit einer
Lernenden über wenig Vorwissen verfügen, wenn sie mit höheren inhaltlichen Klarheit waren in dieser Studie aus-
Fragen und Prompts zur Reflexion und zu Selbsterklärungen geprägtere Kontrollüberzeugungen und Wertüberzeugungen
angeregt werden, wenn die Lösungsbeispiele variiert werden der Lernenden verbunden, die dann wiederum eine höhere
und die Lernenden nach und nach einzelne Lösungsschritte Lernfreude und eine geringere Langeweile nach sich zogen.
selbst übernehmen, also Lücken im Lösungsprozess selbst
füllen müssen (7 Kap. 1; Atkinson et al. 2000; Chi et al. 1989;
Paas und Van Merrienboer 1994; Renkl et al. 1998, 2002). 4.2.3 Feedback
Bloße Bekräftigungen (Belohnungen, Lob, Tadel) ohne 1996; Mory 2004). Sind mit der Rückmeldung dagegen
Bezug auf die erbrachte Leistung werden in der Regel nicht Informationen verbunden, wie die korrekte Lösung lautet
zum Feedback gezählt (Jacobs 2002; Mory 2004) und daher bzw. ist mit der Rückmeldung eine Fehlerkorrektur ver-
bei der folgenden Zusammenfassung nicht berücksichtigt. bunden, so sind eher Effekte auf den Lernerfolg zu
Feedback gilt als zentrale Komponente im Lehr- und beobachten (z. B. Bangert-Drowns et al. 1991; Heubusch
Lernprozess. Aus kognitionspsychologischer Sicht hat und Lloyd 1998).
Feedback eine informierende Funktion und soll dem Formen elaborierten Feedbacks gelten einfacheren
Lernenden Fehler und Misskonzepte bewusst machen Formen des Feedbacks grundsätzlich zwar als überlegen
4 sowie die Kluft zwischen der aktuellen Leistung und dem (Bangert-Drowns et al. 1991; Kluger und DeNisi 1996),
aktuellen Verständnis auf der einen Seite und dem zu doch geht man heute davon aus, dass für die positiven
erreichenden Zielzustand auf der anderen Seite verringern Effekte elaborierter Feedbackformen weitere Variablen
(Hattie und Timperley 2007). Hierzu ist es erforderlich, dass eine Rolle spielen, über deren Zusammenspiel noch wenig
den Lernenden der Zielzustand (feed-up) klar ist und dass bekannt ist. Hierzu zählen z. B. die Komplexität der Auf-
das Feedback Antworten darauf gibt, wo man im Hinblick gabe und verschiedene Merkmale der Lernenden, wie z. B.
auf das angestrebte Lernziel steht (feed-back) und welche deren Vorwissen und deren Umgang mit dem gegebenen
weiteren Schritte erforderlich sind, um dem angestrebten Feedback. Auch die Adaptivität und Spezifität des
Ziel näher zu kommen ( feed-forward). elaborierten Feedbacks spielen offenbar eine wichtige Rolle:
Wenn man sich dem Forschungsstand zunächst unter Generell gilt zwar, dass spezifisches Feedback allgemein
Heranziehung der großen Metaanalysen nähert, dann gehaltenen Rückmeldungen überlegen ist, jedoch scheint es
kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass „Feedback auch hier Moderatorvariablen zu geben, die die Wirkungen
geben“ per se positive Auswirkungen auf kognitive und der Spezifität von Feedback beeinflussen (Shute 2008). So
motivationale Zielvariablen hat, so bedeutsam fallen die zeigt beispielsweise die Studie von Smits, Boon, Sluijsmans
ermittelten durchschnittlichen Effektstärken aus (Hattie und Van Gog (2008), dass leistungsstärkere Schülerinnen
2009; Hattie und Timperley 2007; Lysakowski und Wal- und Schüler von einem globalen Feedback mehr profitieren
berg 1982; Scheerens und Bosker 1997). Doch der erste Ein- als von einem elaborierten Feedback. Insbesondere wenn
druck täuscht. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein recht Feedback mehr Informationen enthält als zur Korrektur
uneinheitliches Bild (Kluger und DeNisi 1996; Shute 2008), eigentlich notwendig sind, kann elaboriertes und komplexes
das die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung Feedback auch schädlich sein (Mory 2004), da dadurch
aufzeigt und die Frage aufwirft, welche Merkmale von das Arbeitsgedächtnis der Lernenden unnötig belastet und
Feedback, aber auch welche Merkmale der Situation und wertvolle Lernzeit mit vergleichsweise irrelevanten Hin-
des Lernenden dazu beitragen, dass sich Rückmeldungen weisen gebunden wird. Dies ist z. B. bei einfachen Auf-
lernförderlich auswirken. gabenstellungen, die lediglich die Wiedergabe von Fakten
Die Feedbackforschung beschäftigt sich vor allem erfordern, der Fall.
mit dem Lehrerfeedback auf Aufgaben, bei denen es eine Elaborierteres Feedback scheint vor allem bei Aufgaben-
richtige Antwort bzw. Lösung gibt. In Abhängigkeit von der stellungen, die den Erwerb von Regeln und Konzepten
Komplexität und der Elaboriertheit des Feedbacks werden intendieren und komplexeres Denken erfordern, wirk-
verschiedene Formen unterschieden. Die einfachen Rück- samer zu sein als wenig informatives Feedback (Huth
meldungen informieren den Lernenden, ob seine Lösung 2004; Krause et al. 2004; Moreno 2004). Auch für selbst-
bzw. seine Antwort richtig oder falsch war („knowledge gesteuertes Lernen spielt elaboriertes Feedback offen-
of results“, KOR) und ggf. noch darüber, wie die richtige bar eine wichtige Rolle: Van den Boom et al. (2007)
Antwort lautet („knowledge of correct results“, KCR). Zu berichten über entsprechend positive Effekte eines
den komplexen und elaborierteren Rückmeldeformen sogenannten suggestiven Feedbacks, das Hinweise auf
werden in der Regel Hinweise gezählt, die über die Nennung Fehler und Probleme enthält, ohne dass jedoch direkte
des richtigen Ergebnisses hinausgehen und dem Lernenden Hinweise gegeben werden, worin das Problem bzw. der
weitere Informationen, Hinweise und Erklärungen zur Fehler besteht. Nach den Ergebnissen von Vollmeyer und
Verfügung stellen, die für das Verständnis der Aufgaben- Rheinberg (2005) kann sogar schon die Ankündigung
stellung, den Bearbeitungs- und Lösungsweg oder für von Feedback ausreichen, um Lernende zu einer
den Nachvollzug der Lösung bzw. richtigen Antwort von systematischeren Anwendung von Strategien anzuregen
Bedeutung sind (vgl. Jacobs 2002; Kulhavy und Stock 1989). und damit zu besseren Leistungen zu bewegen.
Fasst man die Vielzahl von Studien zusammen und Was Merkmale der Lernenden anbelangt, verdeutlichen
differenziert zusätzlich nach den Formen des Feedbacks, so verschiedene Studien, dass der Lernerfolg als Folge von
zeigt sich ein etwas einheitlicheres Bild. Demzufolge haben Feedback abhängig ist vom Vorwissensstand des Lernenden.
Rückmeldungen, die lediglich darüber informieren, ob eine Insbesondere bei geringerem Vorwissen sind höhere Effekte
Antwort bzw. ein Ergebnis falsch oder richtig ist, in der von Feedback zu erwarten (Jacobs 2002). Für leistungs-
Regel keinen Effekt auf die Lernleistung (Kluger und DeNisi stärkere Schülerinnen und Schüler kann unvollständiges
Unterricht
85 4
Feedback effektiver sein kann als für leistungsschwächere, Feedbacks und der Aufgabenschwierigkeit: Demnach
die demgegenüber eher von vollständigem Feedback kann bei anspruchsvollen Aufgabenstellungen verzögertes
profitieren (Mory 2004). Dies lässt sich mit dem Feedback wirksamer sein als bei einfachen Aufgaben-
„ expertise-reversal-Effekt“ (Kalyuga 2005, 2007; Kalyuga stellungen (Hattie und Timperley 2007).
et al. 2001) in Verbindung bringen, wonach Unterstützung Hattie und Timperley (2007) differenzieren vier Ebenen
seitens der Lehrperson, die für Lernende mit geringem der Rückmeldung. Feedback kann sich auf die Aufgabe,
Vorwissen wichtig und lernförderlich ist, für Lernende mit auf den Verarbeitungsprozess, auf die Ebene der Selbst-
hohem Vorwissen schädlich sein kann (7 Abschn. 4.2.10). regulation und/oder auf die Ebene des Lernenden beziehen.
Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind die Als Fazit ihrer Metaanalyse zur Wirksamkeit von Feedback
Wahrnehmung sowie der Umgang mit und die Nutzung formulieren die Autoren: Feedback ist wirksamer, wenn es
von Feedback relevante mediierende Faktoren für aufgaben-, prozess- und selbstregulationsbezogene Hin-
dessen Wirkungen. Harks et al. (2014) zeigen beispiels- weise verknüpft und enthält. Aufgabenbezogenes Feedback
weise, dass prozessorientiertes Feedback im Vergleich bezieht sich darauf, wie gut eine Aufgabe gelöst oder ver-
zu einem notenzentrierten Feedback – vermittelt über standen worden und was ggf. noch fehlerhaft ist. Es setzt
die von den Lernenden wahrgenommene Nützlichkeit allerdings voraus, dass Lernende bereits über ausreichendes
– den mathematischen Leistungszuwachs positiv vorher- Verständnis und Vorwissen verfügen. Wenn dieses fehlt, ist
sagen kann. Feedbackmodelle und Forschungsbefunde eine Erklärung und nochmalige Instruktion effektiver als
im Kontext des selbstgesteuerten Lernens unterstreichen, ein Feedback. Feedback auf der Ebene des Verarbeitungs-
dass die Nutzung und die Effekte von Feedback nicht nur prozesses ist insbesondere dann wirksam, wenn es hilft,
von kognitiven, sondern auch von metakognitiven und Fehler zu identifizieren, weitere Informationen zu sammeln
affektiv-motivationalen Voraussetzungen der Lernenden,
und Strategien zu verwenden bzw. zu optimieren. Feedback
wie z. B. den Zielorientierungen, den Kontroll- und zum Prozess der Selbstregulation fokussiert vor allem auf
Kompetenzüberzeugungen und dem Selbstkonzept abhängig metakognitive Tätigkeiten des Lernenden und umfasst
sind (Butler und Winne 1995; Mory 2004; Narciss 2004; Hinweise und Hilfen, wie der Lernende sein Lernen selbst
7 Kap. 8). Baadte und Schnotz (2014) weisen beispielsweise planen, regulieren und bewerten kann. Es ist vor allem
nach, dass Feedback auf die Leistungen von Lernenden dann effektiv, wenn es zu einer größeren Anstrengungs-
mit einem hohen Selbstkonzept auch negative Wirkungen bereitschaft und zu einer höheren Selbstwirksamkeit des
haben kann. Erklärt wird dies damit, dass Feedback mit Lernenden beiträgt. Feedback, das sich lediglich auf die
Verbesserungshinweisen auf Lernende mit einem positiv Person des Lernenden oder auf seine generelle Leistung
geprägten Bild von den eigenen Fähigkeiten verunsichernd bezieht und keine spezifischen Angaben zur Aufgabe, dem
und bedrohlich wirken kann und dass diese Lernenden dann Prozess und der Regulation macht, gilt als vergleichsweise
eher damit beschäftigt sind, ihr positives Bild von sich zu unwirksam, da es die Aufmerksamkeit des Lernenden
erhalten als sich um die Lernaufgabe zu kümmern. zu sehr auf die eigene Person und damit auf aufgaben-
Welche Eigenschaften des Feedbackgebers für die irrelevante Aspekte lenkt (Hattie und Timperley 2007).
Wahrnehmung, die Akzeptanz, die Nutzung und die Ein Blick in die Unterrichtspraxis zeigt, dass das
Wirkungen von Feedback relevant sind, wird vor allem Potenzial von Feedback von Lehrpersonen offenbar nur
im Kontext von Peer-Feedback-Studien untersucht. selten genutzt wird. Lehrpersonen geben vergleichsweise
Forschungsbefunde deuten auf komplexere Interaktionen häufig unspezifische Rückmeldungen und loben, ohne auf
zwischen den Kompetenzen des Feedbackgebers, der die Besonderheiten der Aufgabenbearbeitung oder auf
Beschaffenheit und den Inhalten des Feedbacks sowie individuelle Lernfortschritte Bezug zu nehmen (vgl. Lotz
Merkmalen (Wahrnehmungen, Überzeugungen und 2015; Pauli 2010; Voerman et al. 2012).
Kompetenzen) des Feedbackempfängers hin (Patchan und
Schunn 2015, 2016; Berndt et al. 2018). In der Studie von Motivationale Zielvariablen
Schünemann et al. (2017) erwies sich die Qualität von Peer Positive Wirkungen von Feedback auf motivationale
Feedback als entscheidender Einflussfaktor für die nach- Variablen lassen sich u. a. mit der C ognitive-
haltigen Effekte eines Selbstregulationstrainings auf die Evaluation-Theorie erklären (Deci et al. 1999). Feedback
Anwendung von Lesestrategien und das Leseverständnis. kann sich dementsprechend über zunehmende Anstrengung,
Auch der Zeitpunkt der Rückmeldung kann die höheres Engagement, geringere Unsicherheiten und
Wirkungsweise des elaborierten Feedbacks beeinflussen. wachsendes Kompetenzerleben auf die Motivation und
In einigen Studien zeigte sich, dass sofortige Lehrer- die Selbstwirksamkeit der Lernenden auswirken (Hattie
rückmeldungen im Unterricht grundsätzlich wirksamer und Timperley 2007), da die Lernenden durch Feedback
sind als aufgeschobene bzw. verzögerte Rückmeldungen Informationen über die Wirkungen ihrer Lernhandlungen
(Kulik und Kulik 1988; Heubusch und Lloyd 1998; erhalten und ihre Anstrengungen beachtet und gewürdigt
Dihoff et al. 2003). In anderen Studien ergab sich jedoch sehen, wodurch sich ihr Kompetenzgefühl und ihre Lern-
auch eine Wechselwirkung zwischen dem Zeitpunkt des freude steigern lassen.
86 F. Lipowsky
Ob auch Strukturierungsmaßnahmen die Qualität Neben der Cognitive-Load-Theorie kommen für die hier
kooperativen Arbeitens befördern können, ist nicht rest- dargestellten positiven Effekte kooperativen Lernens weitere
los geklärt. In der Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) theoretische Erklärungen infrage. Dabei lassen sich
konnte dies nicht bestätigt werden, anderen Studien mehrere kognitiv-konstruktivistische und motivationale
zufolge befördern Strukturierungen jedoch die Quali- Perspektiven unterscheiden. Aus kognitiv-konstruktivistischer
tät kooperativen Arbeitens, insbesondere dann, wenn Perspektive kann angenommen werden, dass kooperatives
sie auf eine Aktivierung und Förderung metakognitiver Lernen insbesondere dann zu einer Weiterentwicklung
Fähigkeiten der Lernenden abzielen (Howe und Tolmie kognitiver Schemata und Strukturen beiträgt, wenn es zu
4 2003; Kramarski und Mevarech 2003) und wenn sie über einem vertieften Austausch von Meinungen, Ideen und
Skripts den inhaltlichen Austausch der Gruppenmitglieder Konzepten zwischen den Lernenden kommt, wenn wider-
befördern und zur Vertiefung und Verknüpfung der Inhalte sprüchliche Meinungen aufeinandertreffen und kognitive
anregen (Jurkowski und Hänze 2010). Konflikte entstehen, die zu einem inhaltlich intensiven Dis-
Weitere Bedingungen, die die Wirksamkeit kooperativen kurs führen, und wenn neue Informationen mit bestehenden
Arbeitens beeinflussen können, sind offenbar die Wissensbausteinen verbunden werden (Chi 2009; Duryan
Komplexität und das Anforderungsniveau der Aufgaben- 2001; Galton et al. 2009; Piaget 1985; Slavin et al. 2003).
stellung. Eine Studie von Kirschner et al. (2011), die sich Als besonders wertvoll erweist es sich, wenn Lernende sich
der Cognitive-Load-Theorie zuordnen lässt, ergab, dass wechselseitig Sachverhalte erklären (Cohen 1994; Palincsar
kooperatives Lernen dann wirksamer ist als Einzelarbeit, und Brown 1984; Slavin et al. 2003; Webb 1989). Empirische
wenn die unterrichtlichen Anforderungen komplexer Evidenzen für die Bedeutung solch elaborierender Aktivi-
Natur sind und problemlösendes Lernen erfordern. Wenn täten fassen De Lisi und Golbeck (1999) zusammen.
es dagegen um das Bearbeiten von weniger komplexen Eine stärker soziokulturelle Perspektive nimmt die
Anforderungen (hier: das Studium von Lösungsbeispielen) Theorie Vygotskys (1978) ein. Vygotsky geht davon aus,
geht, zeigen sich deutlich geringere Unterschiede zwischen dass die kognitive Entwicklung ein Prozess ist, der vor
Einzelarbeit und kooperativer Bearbeitung. Eine mög- allem durch die Aushandlungs- und Interaktionsprozesse
liche Erklärung hierfür ist, dass sich die höhere kognitive mit (kompetenteren) Personen befördert und unter-
Beanspruchung bei der Problemlöseaufgabe im Rahmen stützt wird. Lernende eignen sich durch die Interaktion
des kooperativen Settings auf mehrere Mitlernende ver- mit kompetenteren Personen Konzepte, Denkweisen und
teilt, wodurch das Lernen effizienter und effektiver gestaltet Strategien an, indem sie diese schrittweise internalisieren.
werden kann, als wenn die Schülerinnen und Schüler alleine Lernende profitieren vor allem dann von dieser Inter-
arbeiten. Dieses Ergebnis verweist darauf, dass auch das aktion, wenn Anleitung und Unterstützung in der „Zone
Niveau und die Komplexität der Aufgabenstellungen und die der nächsten Entwicklung“ angesiedelt sind, also etwas über
zu ihrer Bearbeitung erforderlichen Lernaktivitäten darüber den aktuellen Entwicklungsstand des Lernenden hinaus-
entscheiden, ob kooperative Lernumgebungen ihr Potenzial reichen. Andere Autoren erklären die positiven Effekte
„ausspielen“ können oder nicht (7 Exkurs „Student Teams- kooperativen Lernens mit motivationalen Aspekten des
Achievement Divisions“ und 7 Exkurs „Jigsaw“). Lernens (s. unten).
Exkurs
Motivationale Zielvariablen Auch in der Studie von Tan et al. (2007) ergab sich für die
Für Slavin (1996) stellt die Motivation der Lernenden, die Gesamtstichprobe kein motivationsförderlicher Effekt
seiner Meinung nach insbesondere durch die gruppen- kooperativen Lernens. In dieser Studie wurde die Wirk-
bezogene Belohnung auf der Basis der individuellen samkeit der sogenannten „group investigation“ – einer
Leistungen der Gruppenmitglieder und die sich dadurch kooperativen Methode, die erhebliche Anforderungen
ergebende individuelle Verantwortlichkeit der Lernenden an die Selbststeuerungsfähigkeiten der Lernenden stellt
gefördert wird, den entscheidenden Wirkmechanismus (Sharan und Sharan 1990) – mit herkömmlichem Klassen-
beim kooperativen Lernen dar. unterricht verglichen.
Andere Autoren sehen eher in der sozialen Kohäsion Positive Ergebnisse ergeben sich dagegen aus zwei
der Gruppenmitglieder den entscheidenden Grund für die Studien, die die Wirkungen der STAD-Methode und des
positiven Effekte kooperativen Lernens, da kooperatives Gruppenpuzzles untersuchten. In einer amerikanischen
Lernen dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit Studie mit Lernenden an Highschools konnten positive
entgegenkommt und darüber die Lernmotivation der Effekte der STAD-Methode auf die Entwicklung der Selbst-
Lernenden fördert (Cohen 1994). wirksamkeit, der intrinsischen Motivation sowie auf die
Insgesamt liegen zu den Effekten auf m otivational- Zielorientierungen der Lernenden nachgewiesen werden
affektive Variablen (Einstellungen zum Lernen, Selbst- (Nichols 1996). Hänze und Berger (2007) zeigen, dass sich
wertgefühl, Formen der Lernmotivation) deutlich weniger das Verfahren des Gruppenpuzzles positiver auf die drei
Studien vor als für die Leistungsentwicklung. Zusammen- „basic needs“ nach Deci und Ryan (1985), also auf das
fassungen des Forschungsstands und Metaanalysen Kompetenzerleben, die soziale Eingebundenheit und das
indizieren auch hier ein insgesamt positives Bild (Kyndt Autonomieerleben, auswirkt als traditioneller Unterricht.
et al. 2013; Lou et al. 1996; Slavin et al. 2003; Springer Zusammenfassend lässt sich somit auch für den affektiv-
et al. 1999). motivationalen Bereich nicht automatisch von positiven
Zieht man einige Einzelstudien heran, so wird das Bild Effekten des kooperativen Lernens ausgehen. Vielmehr
verschwommener. In der Studie von Krause und Stark deuten die uneinheitlichen Ergebnisse darauf hin, dass es
(2004) blieben die erwarteten Effekte kooperativen Lernens auch für den affektiv-motivationalen Bereich moderierende
auf motivationale Variablen, wie die Selbstwirksamkeit, Faktoren gibt, die die Stärke der Effekte kooperativen
die erlebte Kompetenz, die wahrgenommene Anstrengung Lernens beeinflussen. So erwies sich in der o. g. Studie
sowie die Akzeptanz der Lernumgebung, allesamt aus. von Tan et al. (2007) das Vorwissen der Lernenden für die
90 F. Lipowsky
und wenn die Übungsaufgaben keine Variationen und 5 allgemein gesprochen eine diskursive Unterrichtskultur
Herausforderungen beinhalten (Bjork 1994). Hier zeigen sich pflegt, in der sich die Lernenden intensiv über inhalt-
interessante Parallelen zu den Empfehlungen von Aebli (1976, liche Konzepte und Ideen austauschen (vgl. Lipowsky
1983). Die Konzepte des verschachtelten, des verteilten und und Hess 2019).
des bewussten, zielgerichteten Übens sowie der Testeffekt
lassen auch Verbindungen zum Konstrukt der kognitiven Korrespondierend hierzu lässt sich auf der Ebene der
Aktivierung erkennen, weil Lernende hierbei kognitiv Angebotsnutzung dann von einem vergleichsweise
besonders herausgefordert werden. kognitiv aktivierenden Unterricht ausgehen, wenn die
4 Lernenden kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben,
also z. B. Argumente austauschen, Querverbindungen zu
4.2.6 Kognitive Aktivierung anderen Themen oder Konzepten herstellen, Lösungs- und
Bearbeitungswege erläutern, vergleichen und beurteilen,
Aus einer kognitiv-konstruktivistischen Sicht verspricht Vermutungen formulieren, Fragen stellen, Antworten
Unterricht dann erfolgreich – im Sinne der Förderung eines und Lösungen hinterfragen und ihr Wissen auf andere
vertieften Verständnisses – zu sein, wenn er Lernende zum ver- Situationen übertragen.
tieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinander- Eine besondere Rolle in einem kognitiv aktivierenden
setzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt. Damit wird Unterricht werden dem fachlichen Niveau der didaktischen
das Konstrukt der kognitiven Aktivierung umschrieben, ein Kommunikation und der Art und Weise beigemessen, wie
vergleichsweise junges Konstrukt in der Unterrichtsforschung, Schülerbeiträge im Unterrichtsgespräch aufgegriffen und
das von Baumert und Klieme in Abgrenzung zu anderen Basis- weiterentwickelt werden (Brophy 2000; Learning Mathematics
dimensionen der Unterrichtsqualität, wie Schülerorientierung for Teaching Project 2010; Matsumura et al. 2013; Menke und
und Klassenführung, in die Diskussion eingeführt wurde Pressley 1994; Pauli und Reusser 2015; Walshaw und Anthony
(Baumert et al. 2004; Klieme et al. 2006). International werden 2008). Die Forschungslage zu Bedeutung solcher diskursiven
für einen anregenden, herausfordernden Unterricht auch Unterrichtsgespräche ist jedoch uneinheitlich und noch ver-
Begriffe wie „higher order questions“, „higher order thinking“, gleichsweise dünn (Heller und Morek 2019).
„challenging tasks“, „thoughtful discourse“, „authentic Theoretisch weist das Konstrukt der kognitiven
instruction“ oder „instructional support“ verwendet (vgl. Aktivierung u. a. Bezüge zu den Theorien von Vygotsky
Brophy 2000; Hattie 2009, 2012; Louis und Marks 1998; Hamre und Piaget und zu konstruktivistischen Theorien des
und Pianta 2010), wobei mit diesen Begriffen teilweise unter- Wissenserwerbs auf. Der inhaltliche Austausch mit
schiedliche Facetten kognitiver Aktivierung betont werden. anderen Menschen, insbesondere mit kompetenteren Mit-
Inwieweit Lernende kognitiv aktiviert und stimuliert lernenden und Erwachsenen, wird von Vygotsky (1978)
werden, lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird als zentrale Voraussetzung für die allmähliche Verinner-
in der Regel über verschiedene Indikatoren approximativ lichung von neuen Konzepten, Strategien und für den Auf-
zu erfassen versucht. Diese beziehen einerseits Merkmale bau von neuem Wissen verstanden (7 Abschn. 4.2.4). Der
des Unterrichtsangebots, andererseits Aspekte der Nutzung Ansatz von Vygotsky wie auch das Konstrukt der kognitiven
dieses Angebots durch die Lernenden ein. Indikatoren Aktivierung betonen gleichermaßen die Bedeutung der fach-
des Unterrichtsangebots umfassen vor allem Aspekte des gebundenen Interaktion für den Aufbau von neuem Wissen.
Lehrerverhaltens. Die Lehrperson kann den Prozess der Die Konfrontation der Schülerinnen und Schüler mit
kognitiven Aktivierung initiieren und befördern, indem sie anderen Standpunkten und Sichtweisen bzw. die Initiierung
5 die Lernenden mit kognitiv herausfordernden Aufgaben von Widersprüchen stellt eine Voraussetzung für das Ent-
konfrontiert, zu deren Lösung die Lernenden einen Teil stehen kognitiver Konflikte dar, die im Sinne Piagets (1985)
der erforderlichen Informationen selbst generieren, als Motor für die Weiterentwicklung kognitiver Strukturen
finden und/oder verknüpfen müssen, betrachtet werden. Theoretische Basis für diese Annahmen
5 die Lernenden auf Unterschiede in inhaltsbezogenen bildet das sogenannte Äquilibrationskonzept, also das
Ideen, Konzepten, Positionen, Interpretationen und Bestreben des Lernenden, ein Gleichgewicht zwischen den
Lösungen aufmerksam macht und Raum gibt, diese zu existierenden Vorstellungen und Konzepten einerseits und
vergleichen und zu analysieren, neuen Informationen und Erfahrungen andererseits herzu-
5 kognitive Konflikte und Widersprüche induziert, stellen. Der Impuls zum Aufbau und zur Weiterentwicklung
5 die Lernenden anregt, ihre Gedanken, Konzepte, Ideen kognitiver Strukturen erfolgt dadurch, dass der Lernende
und Lösungswege darzulegen und zu erläutern, mit Informationen, Erfahrungen oder Phänomenen
5 anregende und herausfordernde Fragen bzw. Auf- konfrontiert wird, die im Widerspruch zu seinen bisherigen
gaben stellt, die zu Begründungen, Vergleichen und Konzepten stehen und die ihn erkennen lassen, dass seine
Verknüpfungen neuer Informationen mit bereits bisherigen Vorstellungen nicht mehr tragfähig sind und
bestehendem Wissen anregen, neue Konzepte plausibler erscheinen (7 Abschn. 4.2.4).
5 den Erwerb fachbezogener Lernstrategien gezielt Die Forschungsbasis zu Wirkungen eines kognitiv
fördert und die Lernenden immer wieder anregt, die aktivierenden Unterrichts hat sich in den letzten Jahren ver-
erworbenen Strategien zu nutzen, und breitert, insbesondere wenn man auch verwandte Konzepte,
Unterricht
93 4
wie sie oben erwähnt wurden (z. B. verschachteltes Üben, eines kognitiv anregenderen Diskussions- und Unterrichts-
„higher order questions“), einbezieht und berücksichtigt. gesprächsklimas und die Weiterentwicklung der Frage-
Viele Studien liegen zum Mathematikunterricht vor. technik von Lehrpersonen erklären.
Klieme et al. (2001) konnten auf der Basis der Daten aus der Für naturwissenschaftlichen Unterricht ergeben sich
TIMSS-Videostudie 1995 positive Zusammenhänge zwischen Hinweise auf positive Effekte eines kognitiv aktivierenden
der kognitiven Aktivierung der Lernenden und dem Lern- Unterrichts z. B. durch die Studien von She und Fisher
zuwachs nachweisen, dabei wurde jedoch der Mehrebenen- (2002) und von Zohar und Dori (2003, auch Zohar 2004).
charakter der Daten nicht berücksichtigt. In dem Projekt In einer Unterrichtseinheit zum Schwimmen und Sinken
„Unterrichtsqualität, Lernverhalten und mathematisches ermittelten Fauth et al. (2014a) positive Effekte kognitiver
Verständnis“ (Pythagorasstudie) stellten Lipowsky et al. Aktivierung – erfasst aus der Sicht der Lernenden – auf das
(2009), nach Kontrolle diverser Lernvoraussetzungen und naturwissenschaftliche Interesse der Grundschüler. Das von
klassenspezifischer Bedingungen, einen positiven, wenn- Beobachtern eingeschätzte Potenzial kognitiver Aktivierung
gleich schwachen Effekt der von externen Beobachtern konnte wiederum den Lernzuwachs der Schülerinnen und
hoch inferent eingeschätzten kognitiven Aktivierung auf Schüler in der Unterrichtseinheit vorhersagen (Fauth et al.
den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler während 2014b; Decristan et al. 2015b). Seidel et al. (2003) zeigen, dass
einer dreistündigen Unterrichtseinheit zur „Satzgruppe des ein wenig kognitiv aktivierender Unterricht, gemessen an
Pythagoras“ fest. Pauli und Reusser (2015) analysierten die der Engführung von Unterrichtsgesprächen, negative Aus-
Lehrer-Schüler-Interaktion im öffentlichen Klassengespräch
wirkungen auf die Interessensentwicklung von Schülerinnen
des videografierten Pythagorasunterrichts genauer. Mittels und Schülern der Mittelstufe in Physik hat. Dorfner et al.
niedrig inferenter Kodierungen wurden u. a. der Anteil von (2018) weisen nach, dass sich die von Beobachtern ein-
Lehreräußerungen erfasst, mit denen die Schülerinnen und geschätzte kognitive Aktivierung im Biologieunterricht
Schüler aufgefordert wurden etwas zu begründen oder zu positiv auf das situationale Interesse von Lernenden in einer
erläutern, der Anteil kognitiv herausfordernder Lehrer- Unterrichtseinheit zum Thema Botanik auswirkt.
fragen, der Anteil gleichberechtigter Schüleräußerungen (in Im Vergleich zu den beiden anderen Basisdimensionen
Abgrenzung zu Schüleräußerungen, die lediglich eine Stich- von Unterrichtsqualität, der effektiven Klassenführung
wortfunktion erfüllten) und der Anteil der Schüleräußerungen, (7 Abschn. 4.2.1 und 7 Kap. 5) und dem unterstützenden
die eine Begründung enthielten. Diese vier Kategorien ließen Unterrichtsklima (7 Abschn. 4.2.8), scheint die Stabilität
sich faktorenanalytisch zu der Dimension „anspruchsvolle der kognitiven Aktivierung geringer zu sein, d. h. sie kann
mathematische Diskussionen“ verdichten, deren Ausprägung von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit variieren und
mehrebenenanalytisch den Lernerfolg der Schülerinnen und hängt offenbar auch stärker von Merkmalen des zu unter-
Schüler in der dreistündigen Unterrichtseinheit „Einführung in richtenden Inhalts ab (vgl. Praetorius et al. 2014).
den Satz des Pythagoras“ positiv vorhersagen konnte. Betrachtet man die Operationalisierungen der kognitiven
Im COCATIV-Projekt ermittelten Baumert und Aktivierung in den einzelnen Studien genauer, so fällt auf,
Kollegen (2010) einen positiven Effekt der kognitiven dass es sich um ein multidimensionales und facettenreiches
Aktivierung auf den Lernzuwachs von Lernenden im Konstrukt handelt, das je nach Fach unterschiedlich kon-
Mathematikunterricht des 10. Schuljahrs, wobei die zeptualisiert wird. Zudem werden unterschiedliche Quellen
kognitive Aktivierung des Unterrichts hier über das zur Messung kognitiver Aktivierung genutzt: Zum einen
Anspruchsniveau der in Klassenarbeiten eingesetzten Auf- wird der Fokus auf das Handeln der Lehrperson gerichtet,
gaben erfasst wurde (vgl. auch Kunter und Voss 2011). zum anderen auf die Nutzung dieses Angebots durch die
Auch Befunde des amerikanischen QUASAR-Projekts Lernenden. Entsprechend wird die kognitive Aktivierung
(Stein und Lane 1996), des britischen CAME-Projekts in einigen Studien über Unterrichtsbeobachtungen und
(Shayer und Adhami 2007), Ergebnisse einer kleinen Studie Aufgabenanalysen erfasst, in anderen Studien über die
von Hiebert und Wearne (1993) sowie Befunde mehrerer Befragung und Beobachtung der Lernenden.
qualitativer mathematikdidaktischer Studien, die Hiebert Eine spezifische Strategie zur kognitiven Aktivierung
und Grouws (2007) zusammenfassen, verweisen auf die stellt die Anregung der Lernenden zum Vergleichen dar
positiven Effekte eines Unterrichts, der sich durch eine (Rittle-Johnson und Star 2011). Vergleichen beschreibt eine
höhere Anzahl kognitiv anspruchsvoller Aufgaben und fundamentale kognitive Aktivität, die häufig mit anspruchs-
durch die kognitiv anspruchsvolle Auseinandersetzung vollen kognitiven Verarbeitungsprozessen einhergeht,
mit zentralen mathematischen Kernideen auszeichnet. Prozesse des Argumentierens und Schlussfolgerns nach
Taylor et al. (2003) konnten ähnliche Befunde für die Lese- sich zieht und zu einem tieferen konzeptuellen Verständ-
leistungen von benachteiligten Grundschülern ermitteln: nis des Lerngegenstands beiträgt. Die Forschung unter-
Demnach wurden die Leseleistungen der Lernenden sucht beispielsweise, wie wirksam es ist, wenn Lernende
vor allem dann gefördert, wenn die Lehrpersonen die Lösungsbeispiele, Lösungsstrategien, Bearbeitungsver-
Lernenden zu kognitiv anspruchsvollen Aktivitäten fahren, richtig und falsch gelöste Aufgaben, korrekte und
anregten (vgl. auch Menke und Pressley 1994). In der inkorrekte Abbildungen oder Probleme miteinander ver-
amerikanischen Studie von Matsumura et al. (2013) ließ gleichen, deren Lösungen auf ähnlichen Prinzipien beruhen
sich der Zuwachs an Lesekompetenzen durch die Schaffung (Lipowsky et al. 2019; 7 Kap. 17). In einer Studie im Fach
94 F. Lipowsky
Mathematik konnten Rittle-Johnson und Star (2007) am Interventionsmaßnahmen, in denen Schülerinnen und
Beispiel von Aufgaben zum Thema „lineare Gleichungen“ Schüler kognitive Lernstrategien erwerben und anwenden
beispielsweise zeigen, dass Schülerinnen und Schüler ein lernen, lassen sich ebenfalls als spezifische Maßnahmen zur
höheres prozedurales Wissen und eine höhere Flexibilität kognitiven Aktivierung von Lernenden begreifen (7 Kap. 3).
erwerben, wenn sie aufgefordert werden, unterschiedliche Es gibt zahlreiche empirische Belege hierfür, dass solche
Schülerlösungen zu einer Aufgabe zu vergleichen, anstatt Schülertrainings zum Erwerb und zur Förderung von fach-
nacheinander (sequenziell) Aufgabenlösungen zu ver- spezifischen kognitiven Lernstrategien wirksam sind und
schiedenen Aufgaben zu analysieren. Mehrere Studien von schulische Leistungen fördern können (7 Abschn. 4.2.7).
4 Ziegler und Stern (2014, 2016) unterstreichen das Potenzial Entsprechend wirksame Interventionsmaßnahmen liegen
von Lernumgebungen, die Lernende zum Vergleichen für das Lernen in Mathematik (z. B. Dreher et al. 2018;
herausfordern. Der schulische Inhalt, um den es in diesen Perels et al. 2005; Werth 2014), für das Lesen (Souvignier
Studien ging, war die Vereinfachung von Termen. Die und Mokhlesgerami 2006; Philipp und Schilcher 2012), das
Lernenden der Experimentalbedingung wurden – ähnlich Schreiben (z. B. Graham et al. 2005; Glaser und Brunstein
wie beim verschachtelten Lernen – abwechselnd mit Auf- 2007; Hanisch 2018) und für das Lernen in den Natur-
gaben zur Addition (z. B. xy + xy + xy oder m + m + a + m + a) wissenschaften (z. B. Labuhn et al. 2008; Leopold und
und Multiplikation (z. B. xy ∙ xy ∙ xy oder m ∙m ∙ a ∙ m ∙ a) Leutner 2012) vor. Hierbei werden Lehrkräfte in der Regel
konfrontiert und zusätzlich durch verschiedene Auf- zunächst fortgebildet, welche dann wiederum das Training
gabenstellungen explizit zum Vergleichen der Aufgaben in ihrem Unterricht implementieren.
und Prozeduren aufgefordert. Die Lernenden in der Nicht nur das Training fachspezifischer kognitiver
Kontrollbedingung bearbeiteten, wie üblich, zunächst die Strategien erweist sich als wirksam, sondern auch das
Additions- und dann die Multiplikationsaufgaben. Beide Training von kognitiven Strategien und Arbeitstechniken
Studien kommen zu ähnlichen Befunden: Während in der (Hattie 2009), die sich fachübergreifend einsetzen lassen,
eigentlichen Lernphase die Schülerinnen und Schüler der wie z. B. das Erstellen von Concept Maps (Nesbit und
sequenziellen Bedingung bessere Leistungen zeigten als die Adesope 2006; Nückles et al. 2004). Erklärt werden die
Lernenden der vergleichenden Bedingung, kehrt sich dieses lernförderlichen Effekte dieser Organisationsstrategie u. a.
Ergebnismuster nach Abschluss der eigentlichen Lern- damit, dass die Lernenden beim Erstellen von Concept
phase komplett um. Die Lernenden der vergleichenden Maps zu einem höheren kognitiven Engagement heraus-
Bedingung wiesen deutlich bessere Leistungen auf und gefordert sind und intensiv darüber nachdenken, wie die zu
erwarben somit nachhaltigere Kompetenzen, während strukturierenden Begriffe zusammenhängen.
die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in der
sequenziellen Bedingung schneller verblassten.
In einer Studie der Arbeitsgruppe um Chi (Gadgil et al. 4.2.7 Metakognitive Förderung
2012) wurde eine Gruppe von Lernenden mit einer korrekten
Abbildung eines naturwissenschaftlichen Konzepts (Blut- In enger Verbindung mit der kognitiven Aktivierung der
kreislauf) und einer Abbildung, die eine typische Fehlvor- Lernenden stehen Aktivitäten der Lehrperson, die auf eine
stellung repräsentierte, konfrontiert. Außerdem wurden metakognitive Förderung der Schülerinnen und Schüler
die Schüler über Prompts aufgefordert, beide Abbildungen abzielen. Metakognitive Förderung steht dabei für eine Reihe
zu vergleichen. Eine zweite Gruppe von Lernenden erhielt von Maßnahmen der Lehrperson, die dazu beitragen, bei
nur die korrekte Abbildung mit der Aufforderung, diese zu Lernenden Wissen über kognitive Funktionen im Allgemeinen
erklären. Beide Gruppen erhielten zudem den gleichen Sach- und über das eigene Lernen im Speziellen aufzubauen
text zum Thema. Der Vergleich der beiden Schülergruppen sowie Fähigkeiten der Planung, Steuerung, Regulation und
ergab, dass die „vergleichende“ Gruppe ein höheres Fakten- Bewertung weiterzuentwickeln (Hasselhorn und Labuhn 2008).
wissen erwarb, ihre Misskonzepte häufiger aufgab und mehr Die Befundlage zur Förderung der Metakognition ist ver-
korrekte Schlussfolgerungen entwickelte als die Gruppe, die gleichsweise robust: Maßnahmen, die der metakognitiven
lediglich die eine korrekte Abbildung erhielt. Förderung der Lernenden dienen, haben nicht nur das
Diese Befunde zur Wirksamkeit von Lernumgebungen, Potenzial, den Erwerb von Lernstrategien zu unterstützen,
die Lernende zum Vergleichen anregen, lassen sich in Ver- sondern wirken sich darüber hinaus auch auf den Lern-
bindung bringen mit den oben berichteten Ergebnissen erfolg von Schülerinnen und Schülern aus, insbesondere
zum verschachtelten Üben und mit den Metaanalysen wenn es sich um systematische Trainings handelt (vgl. z. B.
von Marzano et al. (2000) und Dean et al. (2012), wonach Dignath et al. 2008; Hattie 2009; Hattie et al. 1996; Kramarski
Lernaktivitäten, die die Identifizierung von Gemeinsam- und Mevarech 2003; Veenman et al. 2006; Wang et al. 1993;
keiten und Unterschieden und damit Vergleichsprozesse Zohar und David 2008). So erweisen sich z. B. Maßnahmen,
evozieren, besonders lernwirksam sind (7 Abschn. 4.2.5; die die Lernenden zur Selbstverbalisierung, Selbsterklärung
Lipowsky et al. 2019). Auch die Metaanalyse von Alfieri und Selbstbewertung des eigenen Lernprozesses anregen, als
et al. (2013) verweisen auf das besondere Potenzial von Auf- überaus erfolgreich (Bisra et al. 2018; Dunlosky et al. 2013;
gabenstellungen, die Lernende zum Vergleichen anregen. Hattie 2009; Chi et al. 1989; Rittle-Johnson und Loehr 2017).
Unterricht
95 4
Erklärbar sind die Effekte dieser metakognitiven Trainings (Gruehn 2000). So kann Klima zum einen die emotionale
auf schulische Leistungen auch dadurch, dass metakognitives Grundtönung der Lehrer-Schüler-Beziehung, zum
Wissen und schulische Leistungen positiv zusammenhängen anderen die Grundorientierungen und Werthaltungen
(z. B. Lingel et al. 2014). der am Schulleben beteiligten Personen oder die von
Dignath et al. (2008) werteten für ihre Metaanalyse den Lernenden wahrgenommene Lernumwelt meinen
insgesamt 48 Studien aus, die zwischen 1992 und 2006 (Eder 2001). Als wahrgenommene Lernumwelt kann
publiziert wurden und in denen Grundschüler (bis Klassen- Klima wiederum die Wahrnehmungen der einzelnen
stufe 6) im selbstregulierten Lernen systematisch trainiert Schülerinnen und Schüler oder die Wahrnehmungen einer
wurden. Die Trainings intendierten u. a. die Förderung ganzen Klasse repräsentieren. Im ersten Fall spricht man
kognitiver, motivationaler und/oder metakognitiver vom individuellen Klima, im zweiten Fall vom geteilten
Lernstrategien in den Domänen Lesen, Schreiben oder kollektiven Klima. In neueren Arbeiten wird das
oder Mathematik. Die Trainings, die sich auf das Fach unterstützende Unterrichtsklima v. a. über die kollektive
Mathematik bezogen, erzielten eine mittlere Effektstärke Wahrnehmung einer Lerngruppe (Göllner et al. 2016),
von d = 1,0, was einem starken Effekt entspricht (Lesen/ über die Befragung der Lehrpersonen und/oder über die
Schreiben: d = 0,44). Für mathematische Leistungen waren Einschätzung externer Beobachter erfasst.
insbesondere solche Trainings wirksam, die entweder meta- Nicht nur die Quellen, die zur Erfassung des unter-
kognitive und kognitive (d = 1,03) oder metakognitive und stützenden Unterrichtsklimas bzw. der konstruktiven
motivationale Strategien (d = 1,23) kombiniert vermittelten. Lernunterstützung herangezogen werden, unter-
In einer der von Dignath et al. (2008) ausgewerteten scheiden sich von Studie zu Studie, sondern auch die
Studien wurden Mathematiklehrpersonen der Klassen- Operationalisierungen. In einigen Studien sind mit unter-
stufen 3–8 darin trainiert, ihre Schüler in besonderer Weise stützendem Unterrichtsklima bzw. konstruktiver Lern-
metakognitiv zu fördern (Cardelle-Elawar 1995). So regten unterstützung u. a. der gegenseitige wertschätzende
die Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler durch die Umgang von Lehrperson und Lernenden die Empathie,
Modellierung des erwünschten Verhaltens immer wieder dazu die Fürsorge und das Interesse der Lehrperson an den
an, sich selbst zu fragen, worin die Frage bzw. das Problem Belangen der Lernenden sowie der konstruktive und
bei der jeweiligen Aufgabe besteht, ob alle für die Problem- geduldige Umgang der Lehrperson mit Fehlern gemeint.
lösung erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen Teilweise wird bei der Operationalisierung auch stärker auf
und welche Lösungsschritte und welche arithmetischen die fachliche und adaptive Unterstützung der Lernenden
Operationen ausgeführt werden sollen. Außerdem wurden die durch die Lehrperson abgehoben. Erfasst wird dann bei-
Lernenden am Schluss einer Unterrichtseinheit aufgefordert, spielsweise, inwieweit die Lehrperson ein adäquates Inter-
zu reflektieren, was sie gelernt und was sie über sich in der aktionstempo realisiert, inwieweit sie Verständnisprobleme
Auseinandersetzung mit der Bearbeitung des mathematischen ihrer Lernenden bemerkt und inwiefern sie Hilfestellungen,
Problems erfahren haben. Der Vergleich mit einer Kontroll- konstruktives Feedback und besondere Strukturierungen
gruppe von Schülerinnen und Schülern, die traditionell unter- anbietet (Lipowsky und Bleck 2019; Kunter und Trautwein
richtet wurden, ergab, dass die metakognitiv geförderten 2013; Kunter und Voss 2011). Mitunter werden mit einem
Lernenden – langfristig betrachtet – höhere Leistungszuwächse unterstützenden Unterrichtsklima bzw. einer konstruktiven
erzielten, dem Fach Mathematik eine höhere Bedeutung Lernunterstützung auch ein schülerorientierter Unterricht,
beimaßen und ein höheres mathematikbezogenes Interesse die Schaffung von Freiheitsspielräumen und Merkmale
entwickelten als die Lernenden der Kontrollgruppe. wie „higher order thinking“ oder „encouraging learning“
Veenman et al. (2006) verweisen nach Durchsicht des (Cornelius-White 2007) assoziiert, wobei sich die letzten
Forschungsstands auf drei Bedingungen, die metakognitive beiden Bedeutungsfacetten eher auf das Potenzial zur
Förderung im Unterricht erfolgreich machen. Zum einen kognitiven Aktivierung beziehen als auf das Klima des
sollte die metakognitive Förderung in den Fachunterricht Unterrichts.
integriert, also nicht separat betrieben werden, zweitens Die uneinheitliche Operationalisierung des unterstützenden
sollten die Lernenden über den Nutzen metakognitiver Klimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung findet
Aktivitäten informiert werden und drittens sollte ein aus- auch in inkonsistenten Forschungsergebnissen ihren
führliches und längeres Training stattfinden. Niederschlag. Ein erster Blick in die englischsprachige
Literatur offenbart nur scheinbar ein relativ einheit-
liches Bild: Darin findet man häufig Hinweise darauf, dass
4.2.8 Unterstützendes Unterrichtsklima ein gutes Unterrichtsklima und eine positiv ausgeprägte
Lehrer-Schüler-Beziehung zentrale Voraussetzungen für
In der Schul- und Unterrichtsforschung zählt der Klima- effektives Lernen sind (z. B. Brophy 2000; Cornelius-White
begriff zu den undeutlichsten Konstrukten überhaupt1 2007; Fraser 1994; Hattie 2009). Berücksichtigt man aber
jene Studien, in denen mit dem Klima die Beziehungsquali-
1 Wegen der begrifflichen Unschärfe des Klimabegriffs ist statt-
tät zwischen Lehrenden und Lernenden erfasst wurde und
dessen auch häufig von konstruktiver Lernunterstützung die Rede die den Einfluss der kollektiven Wahrnehmung auf den
(z. B. Kunter und Voss 2011). Lernzuwachs mehrebenenanalytisch untersuchten, so lassen
96 F. Lipowsky
sich Befunde für direkte Effekte des unterstützenden Unter- sollte. Das aktive Engagement und die höhere Motivation
richtsklimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung auf dürften sich dann wiederum positiv auf den Lernerfolg
den Lernerfolg der Lernenden kaum absichern (Campbell et al. auswirken.
2004; Fauth et al. 2014b; Gruehn 2000; Hamre und Pianta 2005; Für diesen eher indirekten Effekt des Unterrichtsklimas
Helmke 2014; Kunter und Voss 2011; Praetorius et al. 2018). auf den Lernerfolg – über eine höhere Lernmotivation und
Kleickmann et al. (2018) verdeutlichen mit ihrer ein stärkeres Engagement – sprechen vergleichsweise viele
Studie, dass unterschiedlich operationalisierte Unter- empirische Befunde (z. B. Furrer und Skinner 2003; Osterman
stützungsqualitäten unterschiedliche Effekte haben können. 2000). Darüber hinaus belegen Studien, dass ein wert-
4 Sie differenzieren zwischen einer kognitiven und einer schätzender Umgang miteinander, eine warme und fürsorg-
emotionalen Unterstützung und untersuchen die Effekte liche Atmosphäre und ein motivational und emotional
beider Unterstützungsqualitäten – jeweils erfasst durch unterstützendes sowie von Interesse an den Lernenden
externe Rater – auf naturwissenschaftliche Leistungen und geprägtes Lehrerverhalten auf motivationale Zielkriterien
naturwissenschaftliches Interesse von Grundschülern. vielfältig wirken können. Sie haben positiven Einfluss auf
Die kognitiv orientierte Unterstützung operationalisieren das Engagement und die Anstrengungsbereitschaft, das Ver-
sie u. a. über inhaltsbezogenes Feedback, strukturierende halten im Unterricht, das Selbstkonzept, das Autonomie-
Hervorhebungen, Einordnungen und Zusammenfassungen, und Kompetenzerleben, die Motivation und Lernfreude, das
passende Darstellungsformen und inhaltliche Kohärenz. situationale Interesse sowie auf die Selbstwirksamkeit und die
Unter emotionaler Unterstützung verstehen sie u. a. Lob, Zielorientierungen der Lernenden (Ames und Archer 1988;
Fürsorglichkeit, Herzlichkeit und Wärme der Lehrperson Lipowsky und Bleck 2019; Den Brok et al. 2004; Dorfner et al.
sowie eine humorvolle Lernatmosphäre. Während die 2018; Furrer und Skinner 2003; Gabriel 2014; Goodenow 1993;
kognitiv orientierte Unterstützungsqualität einen positiven Katz und Assor 2007; Kunter und Voss 2011; Opdenakker et al.
Effekt auf die Entwicklung des konzeptuellen Verständ- 2012; Reeve 2002; Ryan et al. 1994; Turner et al. 1998; Wentzel
nisses der Schülerinnen und Schüler hat, aber das Interesse 1997; Wubbels und Brekelmans 2005). Allerdings liegen auch
nicht vorhersagen kann, ist die emotionale Unterstützung Studien vor, die keine Effekte des unterstützenden Unter-
für die Entwicklung des Interesses, nicht aber für die Ent- richtsklimas bzw. der konstruktiven Lernunterstützung auf die
wicklung der Leistung prädiktiv. Die uneinheitliche Entwicklung affektiv-motivationaler Variablen nachweisen
Befundlage zum Einfluss des unterstützenden Unterrichts- können (Praetorius et al. 2018). Zu beachten ist ferner, dass
klimas ist somit möglicherweise auch durch Unterschiede die Schaffung eines guten Unterrichtsklimas nicht nur von der
in der Operationalisierung des unterstützenden Klimas Lehrperson, sondern auch von der Klassenzusammensetzung
bzw. der konstruktiven Lernunterstützung zu erklären. abhängig ist.
Dass eine auf das Verstehen der Schülerinnen und
Schüler ausgerichtete Unterstützung für Schulleistungen
und eine auf das emotionale Erleben ausgerichtete Unter- 4.2.9 Innere Differenzierung,
stützung für die Entwicklung affektiv-motivationaler Individualisierung, formatives
Variablen relevant ist, lässt sich mit unterschiedlichen Assessment und Scaffolding als
theoretischen Perspektiven erklären. Als Erklärung Formen adaptiven Unterrichts
für den positiven Effekt der kognitiven Lernunter-
stützung auf die Leistung kommt unter anderen die Maßnahmen zur inneren Differenzierung des Unterrichts
Cognitive-Load-Theory (7 Kap. 1), aber auch der sozio- und zur Individualisierung des Lernens – neuerdings häufig
kulturelle Ansatz Vygotskys infrage (7 Abschn. 4.2.4, auch als personalisiertes Lernen bezeichnet – werden als
„Kognitive Zielvariablen“). Die Effekte einer emotional zentrale Strategien einer adaptiven Unterrichtsgestaltung
geprägten Lernunterstützung auf affektiv-motivationale betrachtet und gewinnen insbesondere vor dem Hinter-
Merkmale der Schüler lassen sich dagegen u. a. mit der grund heterogener Schulklassen an Relevanz, auch wenn
Kontroll-Wert-Theorie der Leistungsemotionen von
Maßnahmen der Differenzierung und Individualisierung
Pekrun (2006; 7 Abschn. 4.2.2, „Motivational-affektive Ziel- historisch betrachtet schon lange als schulpädagogische
variablen“ und 7 Kap. 9) und mit der Selbstbestimmungs- Antworten auf die wachsende Heterogenität diskutiert und
theorie von Deci und Ryan (1985; 7 Kap. 7) erklären. auch schulisch umgesetzt werden (z. B. Häcker 2017; Keller
Anknüpfend an die letztgenannte Theorie lässt sich bei- 1968; Scheibe 1994; Stebler et al. 2018; Washburne 1922).2
spielsweise davon ausgehen, dass sich Lernende in Klassen Maßnahmen der Individualisierung verfolgen den
mit einem positiv ausgeprägten Klima, das von gegen- Anspruch, die Lernangebote und -bedingungen an die
seitiger Wertschätzung und von Respekt geprägt ist,
wohler fühlen, positivere Beziehungen zu Mitlernenden
und zu ihrer Lehrperson entwickeln und sich stärker sozial 2 In der schulpädagogischen und bildungspolitischen Diskussion
eingebunden, selbstbestimmter und auch kompetenter ist in diesem Zusammenhang häufig von individueller Förderung
die Rede. Der Begriff wird hier nicht aufgegriffen, weil er in der
erleben, was nach der Selbstbestimmungstheorie eine aktuellen Diskussion häufig normativ und programmatisch ver-
höhere intrinsische Motivation und demzufolge ein wendet wird und nicht klar ist, welche Art von unterrichtlicher
stärkeres Engagement für das Lernen nach sich ziehen Unterstützung hiermit eigentlich gemeint ist.
Unterricht
97 4
Voraussetzungen einzelner Schülerinnen und Schüler gebildet werden, weisen zwar ebenfalls positive Effekte auf die
anzupassen. Demgegenüber weist die Lehrperson in Leistungen der Lernenden auf, jedoch fallen auch diese in der
Phasen innerer Differenzierung Gruppen von Lernenden Regel geringer aus als bei aufwendig konzipierten Maßnahmen
unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Aufgaben- wie dem Mastery Learning, dem Joplin- oder dem Keller-Plan
mengen und/oder unterschiedliche Lernzeitkontingente (Slavin 1987; Kulik und Kulik 1992; Puzio und Colby 2010).
zu und/oder gewährt ihnen unterschiedliche Unter- Auf der Basis des Forschungsstands lässt sich annehmen,
stützungsangebote (Bohl et al. 2012). Als Kriterien zur dass die positiven Wirkungen von Maßnahmen der inneren
Bildung von Schülergruppen werden hierbei meist die Differenzierung und Individualisierung stärker werden,
Leistungen, die Interessen oder die sozialen Präferenzen wenn diese mit einer regelmäßigen und lernbegleitenden
der Schülerinnen und Schüler herangezogen. Maßnahmen Diagnostik, bei der die Lernstände und die Lernlücken der
der Differenzierung und Individualisierung verfolgen Schülerinnen und Schüler fortlaufend erfasst werden, mit
gleichermaßen das Ziel, Schülerinnen und Schüler mit spezifischer Unterstützung, Strukturierung und adaptivem
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in ihrem Lern- Feedback sowie mit Maßnahmen der gezielten Förderung
prozess wirkungsvoll zu fördern und zu unterstützen. von Lernstrategien und selbstgesteuertem Lernen gekoppelt
Während die Begriffe innere Differenzierung und werden (Connor et al. 2009; Reis et al. 2011; Waxman et al.
Individualisierung eher der pädagogischen Literatur ent- 1985; auch Klieme und Warwas 2011).
stammen, wird auf das Konzept des adaptiven Unterrichts Sehr weitreichende Formen der Individualisierung, die
vornehmlich in der psychologischen Forschung Bezug ohne diese flankierenden Maßnahmen der Diagnose, Unter-
genommen. Adaptiver Unterricht zielt hierbei darauf ab, stützung und Strukturierung auskommen und z. B. auf
den Unterricht an die Lernvoraussetzungen der einzelnen eine starke Öffnung des Unterrichts mit großen Wahlfrei-
Schülerinnen und Schüler anzupassen, um deren Lern- heiten setzen, sind im Hinblick auf die Lernleistungen von
prozesse zu optimieren (Corno 2008; Corno und Snow Schülerinnen und Schülern herkömmlichem und lehrer-
1986; Hasselhorn und Gold 2013; Lipowsky und Lotz 2015). gelenktem Unterricht nicht überlegen und können ins-
Hierbei werden aber nicht ausschließlich individualisierte besondere Lernende mit ungünstigen Lernvoraussetzungen
oder schülerorientierte Formen des Unterrichts als ziel- benachteiligen (7 Abschn. 4.1.3; Giaconia und Hedges 1982;
führend betrachtet, sondern auch lehrergelenkte Formen Hattie und Yates 2014). Als mögliche Erklärungen kommen
der Instruktion und Unterstützung. Als hilfreich erweist es in Betracht, dass die Lernenden in diesen Lernumgebungen
sich, zwischen sogenannten Makro- und Mikroadaptionen nicht jene Unterstützung und Förderung erfahren, die
zu unterscheiden. Makroadaptionen umfassen längerfristige sie benötigen und dass die in diesen Unterrichtsformen
Vorhaben und Maßnahmen des Eingehens auf heterogene eingesetzten Aufgaben und Lernangebote zu selten eine
Lernvoraussetzungen, wie z. B. die Bildung von leistungs- fachlich vertiefte Auseinandersetzung mit dem Unter-
homogenen Gruppen, die Zuweisung bestimmter Lern- richtsinhalt sowie einen fruchtbaren diskursiven Austausch
angebote an Gruppen von Schülerinnen und Schülern der Schülerinnen und Schüler untereinander zur Folge
mit unterschiedlicher Leistungsstärke oder ein langfristig haben und demzufolge nur gelegentlich zu einer kognitiven
implementiertes Training von Lernstrategien. Als Mikro- Aktivierung der Lernenden führen (7 Abschn. 4.2.6).
adaptionen werden dagegen einzelne an die Lernvoraus- Darüber hinaus ist auch denkbar, dass Lehrpersonen in
setzungen der Schülerinnen und Schülern angepasste einem hochgradig individualisierten Unterricht – vor dem
Aktivitäten und Handlungen von Lehrpersonen bezeichnet, Hintergrund der Fülle zu bewältigender Aufgaben und
mit denen diese auf die besonderen Lernvoraussetzungen der vielfältigen, parallel ablaufenden Prozesse – nur ein
der Lernenden reagieren. Dies können z. B. eine spezifische begrenztes Spektrum an Möglichkeiten für eine fachlich-
Rückmeldung, eine besonders anschauliche Erklärung, eine konstruktive Unterstützung der Lernenden zur Verfügung
anregende Rückfrage oder eine angepasste Strukturierungs- steht (zsf. Lipowsky und Lotz 2015).
hilfe sein (Krammer 2009; Lipowsky und Lotz 2015). Ältere amerikanische Studien, die die Effekte längerfristig
angelegter und aufwendig konzipierter Differenzierungs-
Kognitive Zielvariablen und Individualisierungsprogramme, wie z. B. den
Individualisierungs- und Differenzierungsmaßnahmen Joplin-Plan (Slavin 1987), den Keller-Plan (Keller 1968)
lassen sich danach unterscheiden, ob sie Bestandteil eines oder das „mastery learning“ (7 Abschn. 4.1.3, „Behavioristisch
größeren umfassenden Konzepts sind oder ad hoc ergriffen orientierte Instructional-Design-Modelle“). untersuchten, kamen
werden. überwiegend zu stärkeren positiven Effekten einer in dieser
Ad hoc und vergleichsweise spontan durchgeführte Form an die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und
Maßnahmen der Individualisierung und Differenzierung Schüler angepassten Instruktion. Der Joplin-Plan sah die
sind einem Unterricht, der auf diese Maßnahmen ver- Bildung von leistungshomogenen Gruppen in einem Fach
zichtet, insgesamt nur geringfügig überlegen (Bangert et al. (z. B. im Lesen) bei gleichzeitiger Beibehaltung der leistungs-
1983; Hattie 2009; Horak 1981; Kulik und Kulik 1982, 1992; heterogenen Klassenverbände vor. Hierzu wurden mehrere
Lou et al. 1996; Slavin 1987). Klassenverbände (z. B. alle Klassen der Jahrgänge 3–5) für
Maßnahmen der inneren Differenzierung, bei der inner- den Leseunterricht aufgelöst. Aus allen Schülerinnen und
halb des Klassenverbands leistungshomogene Gruppen Schülern der betreffenden Jahrgänge wurden dann nur für
98 F. Lipowsky
den Leseunterricht leistungshomogene Schülergruppen für komplexere Aufgaben und für nicht naturwissenschaft-
gebildet, die unterschiedliche Materialien und Lesetexte liche Fächer ähnlich wirksam ist.
erhielten. Der Übergang in das nächste Leseniveau erfolgte Im Zusammenhang mit einer adaptiven Lehrer-
– ähnlich wie beim „mastery learning“ –, sobald man das unterstützung einzelner Schülerinnen und Schüler wird
Ziel des Niveaus erreicht hatte. Der übrige Unterricht war in der aktuellen Diskussion immer häufiger auch auf
von dieser Form der Differenzierung nicht betroffen. Die zu die Notwendigkeit eines angemessenen Scaffoldings
dieser Form der Differenzierung vorliegenden Ergebnisse (7 Abschn. 4.1.3) verwiesen. Bei der Durchsicht der
älterer Studien zeigen insgesamt positive Effekte (Gutiérrez Literatur fällt zunächst auf, dass Scaffolding teilweise sehr
4 und Slavin 1992; Mosteller et al. 1996; Slavin 1987). Auch unterschiedlich konzeptualisiert wird. Versucht man einen
der K eller-Plan – genauer Kellers „Personalized System of gemeinsamen Kern dieser Konzeptualisierungen auszu-
Instruction“ (Keller 1968), eine Art programmierter Unter- machen, so lassen sich die folgenden Kernmerkmale identi-
richt, der vor allem im College Anwendung fand – basierte fizieren:
auf ähnlichen Prinzipien. Er zeichnete sich durch die a) eine fortlaufende prozessbegleitende Diagnose der
Strukturierung des Lehrstoffs in kleinere Teileinheiten aus, Lern- und Verstehensprozesse des einzelnen Schülers
die die Lernenden im eigenen Tempo durcharbeiteten. Eine oder der Schülergruppe („ongoing diagnosis“),
Bearbeitung der nächsten Teileinheit war erst dann möglich, b) eine am Lernstand und an den Lernvoraussetzungen
wenn zuvor ein bestimmtes Wissensniveau erreicht wurde. einzelner Schülerinnen und Schüler oder der
Metaanalysen können die positiven Effekte dieser Art des Lernendengruppe ausgerichtete und kalibrierte Unter-
personalisierten Lernens auf die Leistungen der Lernenden stützung der Lehrperson („adaptivity and calibrated
bestätigen (Hattie 2009; Kulik et al. 1979). Trotz der hohen support“) und
Wirksamkeit geriet der Keller-Plan, ähnlich wie das Konzept c) die schrittweise Ausblendung der Lehrerunter-
des „mastery-learning“, in Vergessenheit. Ausschlaggebend stützung in enger Verbindung mit einer zunehmenden
dürfte u. a. gewesen sein, dass diese Art des Unterrichtens Kontrolle des eigenen Lernprozesses durch den
einen erheblichen Aufwand für die Lehrperson bedeutet hat Lernenden („fading“) (Van de Pol et al. 2010;
(Fox 2004) und dass nicht alle Inhalte so beschaffen sind, Puntambekar und Hübscher 2005).
dass sie sich in entsprechende Teilinhalte zerlegen lassen
(7 Exkurs „Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien“). Theoretisch wird hierbei vor allem auf sozio-
Eine aufwendig konzipierte Maßnahme, die u. a. auf konstruktivistische Theorien des Wissenserwerbs und
Formen der Differenzierung setzt, stellt das amerikanische auf das Konzept der Zone der nächsten Entwicklung nach
Success-for-all-Programm dar (Slavin und Madden 2012). Vygotsky (7 Abschn. 4.2.4 und 4.2.6) Bezug genommen,
Hierbei werden leistungshomogene Lesegruppen gebildet, indem die Bedeutung der sozialen Umwelt und einer
die sich aus Schülerinnen und Schülern unterschied- entsprechenden Unterstützung für die kognitive Ent-
lichen Alters, aber ähnlicher Lesefähigkeiten zusammen- wicklung des Lernenden herausgestellt wird. Die erwähnten
setzen. Darüber hinaus gehören kooperative Lernformen, Kernelemente verdeutlichen, dass Scaffolding kein eng
die metakognitive Förderung der Schülerinnen und umgrenztes Lehrerverhalten oder Unterrichtsmerkmal
Schüler und die regelmäßige Diagnose der Lernstände zu darstellt, sondern eine breite Palette von Verhaltensweisen
den Komponenten dieses Programms. Die vorliegenden umfasst, die u. a. Anteile von formativem Assessment
Forschungsbefunde zeigen, dass sich die Leseleistungen der (s. u.), Feedback und kognitiver Strukturierung beinhalten
Schülerinnen und Schüler des Success-for-all-Programms und diagnostische und fachdidaktische Kompetenzen der
günstiger entwickelten als die Leseleistungen der Lernenden Lehrperson voraussetzen dürften (7 Kap. 10).
einer Kontrollgruppe, die herkömmlichen Leseunterricht Bei der Operationalisierung von Scaffolding werden
erhielten (Borman et al. 2007). demzufolge primär Aktivitäten von Lehrpersonen in den
Eine erprobte und untersuchte Form der Differenzierung, Blick genommen. Hierzu zählen z. B. das gezielte Nach-
bei der Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden fragen, das Stellen diagnostischer Fragen und Aufgaben,
können, ob sie instruktionale Hilfen in Anspruch nehmen, welche Auskunft über das Verständnis oder ggf. vorhandene
ist das Konzept der gestuften Lernhilfen. Dabei handelt Misskonzepte geben können, gezielte Beobachtungen
es sich um von der Lehrperson strukturierte, aufeinander von Schüler-Schüler-Interaktionen durch die Lehr-
aufbauende Lösungshinweise in Form von Hilfekärt- person, Lehrer-Schüler-Gespräche, die Konfrontation der
chen zu Lernaufgaben mit eindeutigen Lösungen, auf Lernenden mit gegenteiligen Meinungen oder Argumenten
die die Lernenden nach Wunsch zurückgreifen können. sowie die Fokussierung der Schüleraufmerksamkeit auf
Die vorliegenden Studien offenbaren gegenüber der relevante Aspekte des Unterrichtsgegenstands. Im weitesten
Konfrontation mit herkömmlichen Lösungsbeispielen Sinne sind damit Strukturierungshilfen beschrieben, die
und gegenüber lehrergelenktem Unterricht Vorteile die Funktion eines kognitiven „Lerngerüsts“ erfüllen und
im motivationalen und kognitiven Bereich (Schmidt- relevante Aspekte der Aufgabe oder des Problems hervor-
Weigand et al. 2008, 2009, 2012), allerdings ist noch offen, heben (Einsiedler und Hardy 2010; Kleickmann et al. 2010;
ob dieses Prinzip der Kombination strukturierter Lehrer- Klieme und Warwas 2011; Krammer 2009; Möller 2016;
hinweise mit Selbstdifferenzierungselementen auch Wood et al. 1976).
Unterricht
99 4
Exkurs
aus, wenn das konzeptuelle Verständnis von Koedinger et al. (2010) darauf hin, zum Nachdenken und zur Entwicklung
der Lernenden durch die Arbeit dass der Einsatz adaptiver Software neuer Ideen anregen (7 Abschn. 4.2.6),
mit der Software gefördert wurde, dann effektiv ist, wenn Lehrpersonen dass sie die Erklärungen der Lernenden
wenn die Software ein besonderes die datenbasierten Informationen diagnostizieren und produktive Lernwege
Augenmerk auf die Kohärenz der durch die Software auch für ihren vorschlagen und dass sie die Schülerinnen
schriftlichen Antworten der Lernenden herkömmlichen Unterricht nutzen und Schüler durch metakognitive Fragen
legte und wenn die Lernenden zur und es eine Verknüpfung von digital herausfordern, ihr Verständnis zu prüfen
Überwachung (Monitoring) ihres eigenen gestützten und nicht-digital gestützten und zu überwachen (7 Abschn. 4.2.7).
Lernprozesses angehalten wurden statt Lernphasen gibt. Gerard et al. (2015) Ähnlich stellt Stegmann (2020) bei der
4 nur eine einfache Rückmeldung über die kommen zu dem Fazit, dass digitale Analyse verfügbarer Metaanalysen fest,
Korrektheit ihrer Aufgabenlösungen zu Werkzeuge insbesondere dann eine dass digitale Medien vor allem dann
erhalten (Gerard et al. 2015). hohe Lernwirksamkeit versprechen, positive Wirkungen auf den Lernprozess
Überdies kommt es auch auf die wenn sie Merkmale lernförderlichen haben, wenn sie die Lernenden kognitiv
Integration digitaler Medien in den Lehrerverhaltens „nachbilden“. Die aktivieren und zu problemlösenden,
herkömmlichen Unterricht an. So Autoren verstehen darunter, dass konstruktiven und kooperativen
deuten z. B. die Ergebnisse der Studie digitale Werkzeuge die Lernenden Aktivitäten herausfordern.
Obgleich die vorliegende Literatur zum Scaffolding Informationen zu unterstützen (Souvignier et al. 2014).
umfangreich ist, liegen – auch aufgrund der Komplexität Darüber hinaus fallen die Effekte formativen Assessments
dieses Merkmals – nur wenige kontrollierte Studien vor, die offenbar stärker aus, wenn der entsprechende Unterricht
die Wirkungen von Scaffolding oder einzelner Facetten über- mit einem höheren Potenzial zur kognitiven Aktivierung
prüfen. In einem Forschungsüberblick gelangen Van de Pol der Lernenden einhergeht (Decristan et al. 2015b).
et al. (2010) nach der Durchsicht der wenigen vorliegenden Im Zusammenhang mit der Frage nach einem
Studien zu einer optimistischen Einschätzung hinsichtlich konstruktiven Umgang mit heterogenen Klassen erscheint
der Wirkungen auf kognitive und metakognitive Leistungen auch die Frage relevant, ob eine größere Leistungshetero-
von Schülerinnen und Schülern, kritisieren aber gleichzeitig genität in Klassen einen Risikofaktor darstellt und die Ent-
die uneinheitliche Messung des Konstrukts und mahnen wicklung der Lernenden beeinträchtigt. Den Ergebnissen der
zudem einen stärkeren Theoriebezug der Studien an. meisten vorliegenden Studien zufolge lernen die einzelnen
Scaffolding beinhaltet u. a. Maßnahmen formativen Schülerinnen und Schüler in leistungsheterogenen Klassen
Assessments. Hierunter werden Strategien der Lehr- genauso viel oder wenig wie in leistungshomogenen Klassen
person (standardisierte Tests, informelle Tests, Gespräche, (Decristan et al. 2017; Helmke et al. 2008a; Kulik und Kulik
Beobachtungen) zur fortgesetzten, lernprozessbezogenen 1982; Künsting et al. 2010; Scharenberg 2012). Lediglich für
Diagnostik verstanden, die dazu dienen, Lernstände und leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler ergeben sich in
Verstehensprozesse der Lernenden offenzulegen und einigen Studien leichte Vorteile zugunsten leistungshomo-
hieraus Impulse (z. B. in Form entsprechender Feedback-, gener Lerngruppen (Kulik und Kulik 1982; Künsting et al.
Instruktions- und Unterstützungsmaßnahmen der Lehr- 2010). Darüber hinaus zeigt sich in der Studie von Decristan
person) zur Optimierung des Unterrichts und zur weiteren et al. (2017) ein Interaktionseffekt zwischen Klassenhetero-
Förderung der Lernenden abzuleiten (Maier 2010). Der genität und Unterrichtsqualität: In den leistungsheterogeneren
Forschungsstand zum formativem Assessment ist ins- Klassen hing der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler
gesamt dünn und fällt uneinheitlich aus (Bennett 2011; stärker von der kognitiven Aktivierung und der emotionalen
Decristan et al. 2015b; Dunn und Mulvenon 2009; Maier Unterstützung ab als in leistungshomogeneren Klassen.
2010; Rakoczy 2011). Den Ergebnissen einer aktuelleren
Metaanalyse folgend hat formatives Assessment – im Motivational-affektive Zielvariablen
Unterschied zu früheren optimistischeren Einschätzungen Die Forschung zu Effekten von innerer Differenzierung,
(Black und Wiliam 1998) – zwar positive, aber eher Individualisierung, Scaffolding und adaptiven Verfahren der
schwache Effekte auf das Lernen von Schülerinnen und Unterrichtsgestaltung auf affektiv-motivationale Variablen
Schülern (Kingston und Nash 2011). Vielversprechender ist uneinheitlich. Betrachtet man die Leistungsmotivation
fallen Befunde von Studien aus, in denen computer- als abhängige Variable, so zeigen ältere Studien zum
gestützte Werkzeuge zur Diagnostik von Lernständen offenen Unterricht eher negative Effekte. Demnach wird die
und -verläufen zum Einsatz kommen. Die entsprechende Leistungsmotivation eher durch einen traditionellen, lehrer-
Forschung kann oftmals positive Effekte einer solchen Art gesteuerten Unterricht als durch einen offenen Unterricht
von Lernverlaufsdiagnostik auf Schülerleistungen nach- gefördert (Giaconia und Hedges 1982). Ein etwas anderes
weisen (Connor et al. 2009; Förster et al. 2018; Souvignier Bild ergibt sich für die Förderung des fachbezogenen
et al. 2014; Koedinger et al. 2010; Stecker et al. 2005). Interesses und für Facetten intrinsischer Motivation: Ins-
Wichtig scheint allerdings zu sein, die Lehrpersonen besondere auf das Selbstbestimmungserleben und die
bei der Interpretation und Nutzung der diagnostischen Förderung von Interesse haben Unterrichtsformen mit
Unterricht
101 4
Freiheitsspielräumen positive Effekte (Grolnick und Ryan Im Kontext personalisierten Lernens (7 Abschn.
1987; Hartinger 2005; Waxman et al. 1985). Zu beachten 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“) untersuchten Bernack
ist allerdings, dass sich ein zu hohes Maß an Wahlfrei- und Walkington (2018), inwiefern die Bearbeitung von
heiten auch ungünstig auf die Entwicklung intrinsischer kontextualisierten Mathematikaufgaben, die an die Interessen
Motivation auswirken kann (Katz und Assor 2007; der Lernenden angepasst waren, zu einer nachfolgend
7 Abschn. 4.1.3, 7 Exkurs „Motivationsförderung durch günstigeren Entwicklung mathematischen Interesses bei-
offenen Unterricht?“). trägt. Zunächst schätzten die an der Studie teilnehmenden
Fokussiert man das akademische Selbstkonzept Schülerinnen und Schüler ihre Interessen in verschiedenen
als abhängige Variable, zeigen ältere Studien zum Bereichen – z. B. Sport, Musik, Kunst, Ernährung, Computer
offenen Unterricht in der Summe nur sehr schwache – ein. Diese Angaben wurden dann berücksichtigt, um den
positive Effekte (Giaconia und Hedges 1982). Auch Lernenden entsprechend kontextualisierte mathematische
binnendifferenzierende Maßnahmen (Bildung von Textaufgaben aus dem Bereich der Algebra zuzuweisen. Die
Gruppen vs. Klassenunterricht) haben, wenn überhaupt, Lernenden der Kontrollgruppe erhielten Textaufgaben zum
nur schwache Effekte auf das akademische Selbstkonzept gleichen Inhalt wie die Lernenden in der personalisierten
(Lou et al. 1996). In einer Studie mit Grundschülern konnte Bedingung, allerdings ohne die zuvor angegebenen Interessen
gezeigt werden, dass das Ausmaß an aufgabenbezogener zu beachten. Den Ergebnissen der Studie zufolge ent-
Differenzierung einen positiven Effekt auf die Selbst- wickelte sich das situationale mathematische Interesse und
konzeptentwicklung im Schreiben, nicht aber im Lesen das individuelle mathematische Interesse der Schülerinnen
hatte (Lipowsky et al. 2011). Krätzschmar (2010) konnte und Schüler in der personalisierten Bedingung günstiger.
dagegen keine signifikanten Unterschiede in der Ent- Diese affektiv-motivationalen Effekte konnten partiell
wicklung der akademischen Selbstkonzepte in Englisch, auch die mathematischen Leistungen positiv vorhersagen,
Mathematik und im Lesen zwischen Sekundarstufen- einen direkten Effekt der personalisierten Lernumgebung
schülern ausmachen, die a) in einem eher lehrerzentrierten auf die mathematischen Leistungen gab es jedoch nicht
Unterricht, b) in einem individualisierteren Unterricht mit (7 Abschn. 4.1.3, „Konstruktivistische Ansätze“). Høgheim
oder c) ohne Altersmischung lernten. und Reber (2015) konnten in ihrer ähnlich angelegten Studie
Häufiger wird berichtet, dass die Koppelung zwischen ebenfalls positive Effekte der personalisierten Lernumgebung
fachlicher Leistung und akademischem Selbstkonzept auf das situationale mathematische Interesse und auf Nütz-
schwächer ausfällt, wenn sich der Unterricht durch Frei- lichkeitsüberzeugungen von Lernenden des 8. und 10. Schul-
heitsgrade auszeichnet (Rosenholtz und Rosenholtz 1981; jahres nachweisen. Diese positiven Effekte betrafen jedoch nur
Rosenholtz und Simpson 1984a, b; Kammermeyer und Schülerinnen und Schüler mit einem geringen mathematischen
Martschinke 2003; Renkl et al. 1997): In Klassen mit höheren Interesse und mit geringen Kompetenzüberzeugungen.
Freiheitsgraden scheint das akademische Selbstkonzept
damit weniger eng an die tatsächlichen Leistungen gebunden
zu sein als in Klassen mit geringeren Freiheitsgraden. 4.2.10 Lernwirksamer Unterricht für
Insgesamt scheinen die Effekte von Maßnahmen ‚Risikoschüler‘
der Binnendifferenzierung und Individualisierung auf
affektiv-motivationale Variablen von Lernenden im Grund- Im Kontext der Debatte über einen konstruktiven Umgang
schulalter etwas stärker ausgeprägt zu sein als auf ältere mit Heterogenität wird immer wieder die Frage auf-
Lernende. Erklärbar ist dies u. a. mit der mit zunehmendem geworfen, welche Art von Unterricht für ‚Risikoschüler‘,
Alter höheren entwicklungsbedingten Stabilität also für Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Lern-
affektiv-motivationaler
Persönlichkeitsmerkmale, die voraussetzungen besonders erfolgversprechend und wirk-
dem Einfluss der Unterrichtsgestaltung in der Sekundar- sam ist. Gibt es bestimmte Merkmale von Unterricht, die
stufe engere Grenzen setzt als in der Grundschule. In der insbesondere diesen Schülerinnen und Schüler zu einem
deutschen SCHOLASTIK-Studie ergab sich z. B., dass erfolgreicheren Lernen verhelfen?
Freiheitsgrade im Unterricht die Lernfreude von Grund- Die Befundlage hierzu ist zwar nicht so reichhaltig, ins-
schülern positiv beeinflussen können (vgl. Helmke 1997). gesamt aber zeichnet sich ab, dass ein Unterricht, der die
Auch die Forschungslage zum Einfluss von Scaffolding in diesem Beitrag genannten Merkmale lernwirksamen
auf affektiv-motivationale Aspekte des Lernprozesses ist Unterrichts in besonderer Weise berücksichtigt, für alle
dünn. Die wenigen Studien lassen die Annahme zu, dass Schülerinnen und Schüler, und damit auch für Lernende
Scaffolding positive Einflüsse auf affektiv-motivationale mit ungünstigen Lernvoraussetzungen, einen höheren
Kriterien von Schulerfolg haben kann (zsf. Van de Pol Lernerfolg verspricht als ein Unterricht, der diese Merkmale
et al. 2010). Die Studie von Hondrich et al. (2018) zeigt nicht berücksichtigt (Lipowsky und Bleck 2019; Kunter
zudem, dass formatives Assessment als Komponente von und Ewald 2016). So ergaben sich in vielen der diesem
Scaffolding mit einer höheren intrinsischen Motivation Forschungsüberblick zugrunde liegenden Studien keine
der Schülerinnen und Schüler einhergeht, wobei der Effekt differentiellen Effekte der untersuchten Merkmale von
durch das Kompetenzerleben der Lernenden mediiert wird. Unterrichtsqualität, was bedeutet, dass leistungsstärkere
102 F. Lipowsky
und -schwächere Schülerinnen und Schüler gleichermaßen Präsentation des Unterrichtsinhalts aus, bei der Lehr-
von dem jeweiligen Unterricht profitierten. personen den Schülerinnen und Schülern mathematische
Im Folgenden werden exemplarisch einige Forschungs- Konzepte, Verfahren, Vorgehensweisen und Strategien durch
befunde näher vorgestellt, die den Einfluss von Unterrichts- lautes Denken und unter Verwendung visueller (ikonischer)
merkmalen ausschließlich auf das Lernen von Schülerinnen Repräsentationsformen variantenreich erklären und zugäng-
und Schülern mit geringen Lernvoraussetzungen unter- lich machen (siehe auch Hiebert und Grouws 2007). Dies
suchten oder aber explizit in den Blick nahmen, wie sich lässt eine Nähe zu den Indikatoren inhaltlicher Klarheit
bestimmte Merkmale von Unterricht auf Lernende mit erkennen (7 Abschn. 4.2.2). Darüber hinaus ist ein lern-
4 günstigen vs. ungünstigen Lernvoraussetzungen im Ver- förderlicher Mathematikunterricht mit leistungsschwächeren
gleich auswirken. Schülerinnen und Schülern dadurch gekennzeichnet, dass die
Hamre und Pianta (2005) analysierten beispielsweise Lernenden angeregt werden, ihre Lösungswege, Gedanken-
den Einfluss der Qualität der L ehrer-Schüler-Interaktion gänge und Argumentationsstränge zu verbalisieren, was
auf den Lernerfolg von Lernenden im ersten Schul- als Indikator für die kognitive Aktivierung der Lernenden
jahr. Sie nahmen hierbei die beiden Komponenten angesehen werden kann (7 Abschn. 4.2.6). Ein weiteres
„emotional support“ und „instructional support“ näher Merkmal eines entsprechenden lernförderlichen Unterrichts
in den Blick3 und zeigen, dass diese beiden Merkmale ist, dass die Lernenden mit gut ausgewählten Beispielen und
der Lehrer-Schüler-Interaktion quasi als Puffer wirken Aufgaben konfrontiert werden, die es ihnen erlauben, die
und den negativen Einfluss von bestehenden Risiko- entscheidenden Merkmale eines mathematischen Problems
faktoren auf die Leistungsentwicklung abmildern können. zu erkennen oder zwischen verschiedenen Verfahren oder
In der Studie von Cadima et al. (2010) erwiesen sich Strategien zu entscheiden. Dies wiederum lässt sich durch
ebenfalls Merkmale der Lehrer-Schüler-Interaktion ins- einen Unterricht erreichen, der auf die Kraft des Vergleichens
besondere für den Lernerfolg von Schülerinnen und setzt (7 Abschn. 4.2.6). Überdies ist ein lernförderlicher
Schülern mit geringeren Lernvoraussetzungen als bedeut- Mathematikunterricht für leistungsschwächere Schülerinnen
sam. Die Lehrer-Schüler-Interaktion wurde hierbei eben- und Schülern durch den gezielten Aufbau und die
falls über die Komponenten des Modells lernwirksamer systematische Nutzung von Lernstrategien (7 Abschn. 4.2.7),
und motivationsförderlicher Lehrer-Schüler-Interaktion durch konstruktives Feedback an die Lernenden
von Hamre und Pianta (2010) erfasst (s. Fußnote 3). (7 Abschn. 4.2.3), durch Formen peergestützten Lernens,
In der Studie ergaben sich positive Haupteffekte der drei wobei die Unterstützung bei gravierenden Problemen durch
Komponenten auf den Lernzuwachs der Schülerinnen kompetente Mitlernende erfolgt (7 Abschn. 4.2.4), und
und Schüler und ein signifikanter Interaktionseffekt, durch die Implementierung von Verfahren der Lernver-
wonach insbesondere die schwächeren Schülerinnen und laufsdiagnostik gekennzeichnet, die die Lehrpersonen über
Schüler von einer effektiven Klassenführung profitierten die Lernstände der Schülerinnen und Schüler informieren
(Cadima et al. 2010). Auch in der amerikanischen und zugleich Tipps und Hinweise geben, wie auf die ent-
Studie von Matsumura et al. (2013) hatte die Quali- sprechenden Unterschiede in den Lernständen reagiert
tät der Lehrer-Schüler-Interaktion differentielle Effekte werden kann (s. o. formatives Assessment).
auf die Lernenden: Hierbei erwies sich die kognitive Auch die Leseforschung hebt die Bedeutung eines
Aktivierung der Lernenden (7 Abschn. 4.2.6) durch die lehrergelenkteren Vorgehens mit einer expliziten Strategie-
anregende Gestaltung von Unterrichtsgesprächen als und Leseverständnisförderung für die schwächeren
besonders lernförderlich für Schülerinnen und Schüler Schülerinnen und Schüler hervor (7 Abschn. 4.2.6 und 4.2.7;
mit nicht-englischer Muttersprache im Vergleich zu den Connor et al. 2004a, b, 2009; Gersten et al. 2001). Nach
englischsprachigen Schülerinnen und Schülern. Slavin et al. (2011) profitieren leseschwache Schülerinnen
Baker et al. (2002) sowie Gersten et al. (2008, 2009) fassen und Schüler insbesondere von einem Unterricht, der
den Forschungsstand zum lernförderlichen Mathematik- Elemente kooperativen Lernens (7 Abschn. 4.2.4), meta-
unterricht mit leistungsschwächeren Lernenden zusammen kognitiver Förderung (7 Abschn. 4.2.7), tutorieller Unter-
und gelangen hierbei zu folgenden Schlussfolgerungen. stützung durch die Lehrperson und einen hochwertigen
Demnach zeichnet sich ein solcher Unterricht durch lehrergelenkten (7 Abschn. 4.1.3) und lautorientierten
eine explizite, inhaltlich klare und verständnisorientierte Unterricht verknüpft.
Auch einige deutsche Studien untermauern die
Relevanz der genannten Merkmale lernwirksamen und
3 Die Arbeitsgruppe um Hamre und Pianta unterscheidet zwischen motivationsförderlichen Unterrichts für Lernende mit
drei Komponenten der L ehrer-Schüler-Interaktion: „emotional ungünstigen Lernvoraussetzungen. In der Studie von Seiz
support“, „classroom organization“ und „instructional support“ et al. (2016) trugen eine effektive Klassenführung (7 Kap. 5)
(Hamre und Pianta 2010). Diese drei Komponenten zeigen
und eine konstruktive Lernunterstützung (7 Abschn. 4.2.8)
eine hohe Überschneidung mit den drei Basisdimensionen der
deutschsprachigen Forschung, effektive Klassenführung, unter- dazu bei, dass Lernende mit Migrationshintergrund
stützendes Unterrichtsklima/konstruktive Lernunterstützung und höhere Lernzuwächse erzielten als ihre Mitschüler ohne
kognitive Aktivierung (7 Abschn. 4.2.11). Migrationshintergrund.
Unterricht
103 4
In der DESI-Videostudie konnte nachgewiesen werden, in solchen Unterrichtssettings häufig mindestens so hohe
dass der Einfluss kognitiver Voraussetzungen der Lernenden Lerngewinne erzielen wie in Phasen mit direkter Lehrer-
auf den Lernerfolg umso schwächer ist, je ausgeprägter die unterstützung.4
inhaltliche Klarheit des Unterrichts ist. Das bedeutet: Wenn Selbst der Ansatz des „produktiven Scheiterns“, der
sich der Unterricht durch eine geringe Klarheit auszeichnet, mit erheblichen kognitiven Anforderungen für Lernende
wird der Lernerfolg der Schüler stärker durch die schon verbunden ist, liefert Hinweise darauf, dass schwächere
vorab existierenden Lernvoraussetzungen bestimmt. Der Schülerinnen und Schüler davon profitieren können
Abstand zwischen den stärkeren und schwächeren Schülern (z. B. Kapur und Bielaczyc 2012). Entscheidend scheint
bleibt somit eher bestehen. Wenn sich der Unterricht auch hier zu sein, dass die Lehrperson die anfäng-
dagegen durch eine hohe inhaltliche Klarheit auszeichnet, lich selbst generierten Problemlösungen der Lernenden
ist der Zusammenhang zwischen Lernvoraussetzungen und in der anschließenden lehrergelenkten Phase aufgreift,
Lernerfolg eher entkoppelt. Der Abstand zwischen stärkeren kontrastiert und für den Diskurs zugänglich macht, was
und schwächeren Schülerinnen und Schülern im Lernerfolg wiederum voraussetzt, dass die Lehrperson die unterschied-
ist damit geringer (Helmke et al. 2008b). lichen Lösungsansätze und -ideen der Schülerinnen und
In der Studie von Decristan et al. (2015a) erwiesen sich Schüler bewusst wahrnimmt und diagnostiziert.
formatives Assessment und Scaffolding (7 Abschn. 4.2.9) Zusammenfassend wird durch die hier exemplarisch
insbesondere für Lernende mit unterdurchschnittlichen dargestellten Studien deutlich, dass ein Unterricht, der sich
sprachlichen Voraussetzungen als bedeutsam für das natur- durch inhaltliche Klarheit und kognitive Aktivierung aus-
wissenschaftliche Verständnis. zeichnet, hierbei die Lernstände der Schülerinnen und
Förster et al. (2018) untersuchen die Wirkungen Schüler einbezieht und dadurch konstruktives und adaptives
einer computergestützt implementierten Lernverlaufs- Feedback ermöglicht sowie die Lernenden im Erwerb und
diagnostik in Kombination mit einem langfristig angelegten in der Anwendung von Lernstrategien unterstützt, auch
Differenzierungsprogramm auf die Entwicklung der Lese- oder sogar insbesondere Schülerinnen und Schülern mit
flüssigkeit und des Leseverständnisses von Grundschülern. ungünstigeren Lernvoraussetzungen entgegenkommt.
Die Lehrpersonen der Untersuchungsgruppe wurden Umgekehrt kann geschlussfolgert werden, dass Lernende
regelmäßig über die Leseentwicklung ihrer Schülerinnen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen größere Schwierig-
und Schüler informiert und erhielten zusätzlich Hinweise auf keiten haben, dem Unterricht zu folgen, wenn dessen Quali-
mögliche – den Lernständen angepasste Differenzierungs- tät gering ist. Hier zeigen sich interessante Parallelen zu
angebote. Diese umfassten Vorschläge zur Durchführung den frühen Annahmen von Carroll (1963) (7 Abschn. 4.1.3,
kooperativer Lesephasen und Hinweise auf Lesetexte mit „Behavioristisch orientierte Instructional-Design-Modelle“).
unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus. Im Vergleich mit
einer Kontrollgruppe, die den herkömmlichen Leseunter-
richt praktizierte, zeigte sich ein Vorteil der Schülerinnen 4.2.11 Zusammenfassung und Einbettung
und Schüler in der Untersuchungsgruppe, allerdings nur im der Befunde
Bereich der Leseflüssigkeit, nicht aber im Bereich des Lese-
verständnisses. Zusätzlich zeigte sich, dass die schwächeren In der deutschen schulpädagogischen Diskussion wurde
Schülerinnen und Schüler stärker profitierten als die lange Zeit Merkmalen der sogenannten Sicht- oder Ober-
Lernenden mit günstigeren Voraussetzungen. flächenstruktur von Unterricht eine erhebliche Bedeutung
Das oben dargestellte amerikanische Sucess-for-all- für das Lernen der Schüler zugeschrieben. Damit sind
Programm (Slavin und Madden 2012), welches auch auf Merkmale des Unterrichts gemeint, die sich gut beobachten
eine regelmäßige Diagnose der Lernstände, auf kooperative lassen, wie z. B. bestimmte Sozialformen (Einzel-, Partner-,
Lernformen in leistungshomogenen Gruppen und zusätz- Gruppenarbeit, Unterricht mit der ganzen Klasse), der
lich auf die metakognitive Förderung der Lernenden setzte,
konnte ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Leistungs-
schere zwischen privilegierten und weniger privilegierten 4 Die Forschung aus dem Umfeld der C ognitive-Load-Theorie
Schülerinnen und Schülern verringerte. verweist darauf, dass leistungsstärkere Schülerinnen und
Zudem zeigen Studien, dass leistungsschwächere Schüler in der Regel bessere Lernergebnisse erzielen, wenn
sie weniger direkte Unterstützung und Anleitung durch
Schülerinnen und Schüler eher von lehrergelenkteren
die Lehrperson erfahren. Dies wird in der Forschung als
Formen des Unterrichts mit stärkerer Unterstützung „expertise-reversal“-Effekt bezeichnet (Kalyuga 2007; Kalyuga
und Strukturierung der Lehrperson profitieren als von et al. 2003; 7 Kap. 6). Demnach wird der Wissenserwerb
Unterrichtsformen mit hohen Freiheitsgraden (Connor von Lernenden mit hoher Expertise behindert, wenn diese
et al. 2004; Decristan et al. 2015a; Kirschner et al. 2006; Informationen und Unterstützungen durch die Lehrperson
erhalten, die sie eigentlich nicht benötigen. Begründet wird
Lipowsky und Lotz 2015), während demgegenüber
dieser Expertise-Umkehr-Effekt damit, dass die Bereitstellung
leistungsstärkere Lernende weniger Lernunterstützung überflüssiger bzw. redundanter Informationen mit höheren
benötigen und mit Unterrichtsformen, die ein hohes Maß kognitiven Belastungen des Arbeitsgedächtnisses einhergeht und
an Selbststeuerung verlangen, besser zurechtkommen und elaborierende Aktivitäten des Lernenden unterdrückt.
104 F. Lipowsky
Einsatz von Medien oder die Wahl bestimmter Unterrichts- 2. Kognitiv anspruchsvolle und vertiefte Auseinander-
formen und -methoden. Die oben zusammengefassten setzung mit dem Unterrichtsgegenstand:
Forschungsbefunde verdeutlichen jedoch, dass es weniger Merkmale wie die kognitive Aktivierung und die meta-
diese gut beobachtbaren und unterscheidbaren Merkmale der kognitive Förderung der Lernenden, die Bereitstellung
Sicht- und Oberflächenstruktur sind, die das Lernen und Ver- informativen Feedbacks sowie die kognitionspsycho-
stehen von Schülerinnen und Schülern befördern sowie ihre logisch verstandene Strukturiertheit des Unterrichts
Motivation und Freude am Lernen erhalten bzw. steigern, beschreiben einen Unterricht, in dem die Lernenden zu
sondern Merkmale der sogenannten Tiefenstruktur, welche einer vertieften Verarbeitung der Unterrichtsinhalte,
4 man nicht so gut beobachten kann (siehe auch Reusser 2019; zu einer Verknüpfung neuer Informationen mit bereits
Reusser und Pauli 2013; Decristan et al. 2020). Um die Wirk- bestehendem Wissen und damit zu einer Erweiterung
samkeit des Unterrichts einzuschätzen, ist es z. B. erforderlich, bestehender kognitiver Strukturen angeregt werden.
Lehrererklärungen, den Anregungsgehalt von Fragen und 3. Inhaltlich klare und kohärente Behandlung von
Aufgaben, die Beschaffenheit von Feedback, die Kohärenz fachlich relevanten Inhalten
des Unterrichtsverlaufs sowie die Art und Weise in den Blick Fachlich anspruchsvolles Lernen setzt aber auch voraus,
zu nehmen, wie Lernende zum Einsatz von Arbeitstechniken dass die Lehrperson fachlich zentrale Konzepte, Ideen
und Lernstrategien angeregt und wie sie in ihrem A utonomie- und Prinzipien zum Gegenstand des Unterrichts macht
und Kompetenzerleben unterstützt werden. und diese inhaltlich relevanten Lerngelegenheiten in
Lange Zeit ging man in der Unterrichtsforschung von kohärenter Weise arrangiert. Diese Dimension des Unter-
einer prinzipiellen Unvereinbarkeit leistungs- und richts dürfte wesentlich von Planungsentscheidungen
motivationsförderlichen Unterrichts aus. Die hier dar- der Lehrperson beeinflusst sein. Im Unterricht spiegelt
gestellten Befunde verdeutlichen jedoch, dass Merkmale, es sich in der inhaltlichen Klarheit und fachlichen
die das Lernen befördern, auch die affektiv-motivationale Kohärenz des Unterrichts, in der Behandlung fach-
Entwicklung von Schülerinnen und Schülern positiv lich relevanter und zentraler Konzepte und Prinzipien
beeinflussen können. Dies wird auch durch Ergebnisse sowie in der Beachtung zentraler Bedingungen sinn-
sogenannte Optimalklassenstudien gestützt. Sie unter- vollen Übens wider. Diese Merkmale tragen dazu bei,
suchen, durch welche Merkmale sich jene Klassen aus- dass Lernende ihre Aufmerksamkeit auf wichtige und
zeichnen, die vergleichsweise hohe Zuwächse im kognitiven relevante Aspekte des Inhaltes richten, kennzeichnende
und affektiv-motivationalen Bereich erzielen. Diese „Positiv- Eigenschaften des Gegenstandes oder Prinzips erkenen,
klassen“ zeichnen sich durch eine effektive Klassenführung, das zu lernende Konzept oder Prinzip diskriminieren und
eine intensive Lernzeitnutzung, ein eher mäßiges Interaktions- das zu erwerbende Wissen mit ihrem Vorwissen ver-
tempo, durch hohe inhaltliche Klarheit und individuelle netzen. Aktuelle Ergebnisse der Forschung, insbesondere
Unterstützung der Lernenden aus (Gruehn 1995; Helmke aus dem Mathematikunterricht, verweisen darauf, dass
und Schrader 1990; Weinert und Helmke 1996). Auch fachdidaktische Aspekte von Unterrichtsqualität, wie die
umfassende domänenspezifische Förderprogramme, die fachliche der Inhalte sowie deren verständliche, kohärente
häufig mit Ergänzungen und Veränderungen im Curriculum und qualitativ hochwertige Aufbereitung, Präsentation
einhergehen, erzielten positive Effekte auf kognitive und und Erarbeitung, eine Dimension von Unterrichts-
motivationale Variablen von Lernenden (zsf. Hattie 2009). qualität abbilden, die sich von kognitiver Aktivierung
Darüber hinaus zeigt sich jedoch, dass die Merkmalsprofile unterscheiden lässt. So hingen im Pythagorasprojekt
der Optimalklassen vergleichsweise breit streuen, d. h. den (Klieme et al. 2009) die kognitive Aktivierung und
„Königsweg“ bzw. das Muster erfolgreichen Unterrichts gibt die fachdidaktische Unterrichtsqualität, welche über
es nicht. Erfolgreicher Unterricht lässt sich offenbar unter- das Vorkommen, die Qualität und die Strukturierung
schiedlich, wenngleich nicht beliebig realisieren. sogenannter Verstehenselemente erfasst wurde (7 Abschn.
Die dargestellten Merkmale lernwirksamen und 4.2.2 und 4.2.6), kaum miteinander zusammen (Lipowsky
motivationsförderlichen Unterrichts lassen sich zu et al. 2018; Pauli und Reusser 2015). In einer weiteren
mehreren übergeordneten Dimensionen von Unterrichts- Untersuchung aus dem Mathematikunterricht kommen
qualität verdichten: Jentsch et al. (2020) ebenfalls zu dem Ergebnis, dass fach-
1. Zeit zum Lernen durch eine effektive Klassenführung didaktische Strukturierung – operationalisiert u. a. durch
und eine deutliche Strukturiertheit des Unterrichts: Eine die Qualität der Lehrererklärungen, durch die fachliche
effektive Unterrichts- und Klassenführung und ein gut Korrektheit und die Strukturierung – und kognitive
strukturierter Unterricht tragen dazu bei, dass ein hohes Aktivierung als zwei unterschiedliche Dimensionen von
Ausmaß an Lerngelegenheiten zur Verfügung steht und für Unterrichtsqualität betrachtet werden müssen, wenn-
die Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand genutzt gleich hier der Zusammenhang zwischen den beiden
werden kann. Eine effektive Klassenführung und eine deut- Dimensionen höher ausfällt als in der Pythagorasstudie.
liche Strukturiertheit des Unterrichts sind somit wichtige Generisch und fachdidaktisch konzeptualisierte
Voraussetzungen für eine intensive Be- und Verarbeitung Dimensionen von Unterrichtsqualität scheinen somit
der Unterrichtsinhalte und für das Erleben eigener Wirk- komplementäre Facetten eines hochwertigen Lehr- und
samkeit und Kompetenz aufseiten der Lernenden. Lerngeschehens einzufangen und nicht dieselben Aspekte
Unterricht
105 4
von Unterrichtsqualität abzubilden (Charalambous und dafür dar, dass die Lernenden die zur Verfügung stehende
Praetorius 2018; Klieme 2019; Lipowsky et al. 2018). Lernzeit aktiv (on-task) nutzen, was sich wiederum positiv auf
4. Unterstützendes Unterrichtsklima (konstruktive Lern- den Lernerfolg, über das Erleben eigener Kompetenz aber auch
unterstützung): Eine vertiefte inhaltliche Auseinander- positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken sollte. Ein
setzung mit dem Unterrichtsgegenstand erfordert positiv geprägtes Unterrichtsklima trägt dazu bei, dass sich die
ein hohes Engagement der Lernenden. Eine positiv Lernenden für ihr Lernen engagieren und anstrengen, was sich
ausgeprägte Lehrer-Schüler-Beziehung und ein unter- über motivationale Aspekte des Lernens auch auf den Lern-
stützendes Unterrichtsklima sind wichtige Voraus- erfolg auswirken kann.
setzungen für dieses Engagement der Lernenden, für das
Erleben sozialer Eingebundenheit und die Förderung
der Motivation und beeinflussen hierüber auch die 4.2.12 Grenzen
kognitive Verarbeitung des Unterrichtsinhalts.
Bei dem hier vorgenommenen variablenzentrierten Review
Anknüpfend an konstruktivistische und motivationspsycho- des Forschungsstands ist Folgendes zu beachten:
logische Perspektiven auf unterrichtliches Lernen und die dar- 1. Zwischen den dargestellten Merkmalen guten Unterrichts
gestellten Befunde der Unterrichtsforschung lassen sich die ergeben sich teilweise inhaltliche Überschneidungen.
vermuteten Wirkungen dieser Basisdimensionen guten Unter- Zum Teil ist auch von ähnlichen Wirkmechanismen
richts vereinfacht und verkürzt im folgenden theoretischen auszugehen. Dies lässt sich z. B. exemplarisch an den
Modell (. Abb. 4.4) zusammenfassen (vgl. auch Klieme et al. Merkmalen des „kooperativen Lernens“ und der
2006, 2009). Dabei wird zwischen den verdichteten Basis- „kognitiven Aktivierung“ zeigen, die sich beide auf die
dimensionen auf der Angebotsseite, den angenommenen Theorien Piagets und Vygotskys stützen. Diese Über-
Wirkmechanismen dieser Basisdimensionen auf der schneidungen bedeuten auch, dass sich die Effekte
Nutzungsebene und den Ergebnissen auf der Wirkungs- mehrerer Merkmale nicht einfach addieren lassen.
ebene unterschieden. Lernwirksamer und motivationsförder- 2. Guter Unterricht lässt sich somit nicht zwangsläufig
licher Unterricht zeichnet sich demnach durch die kognitiv an der Anzahl der überdurchschnittlich ausgeprägten
aktivierende Behandlung fachlich zentraler, verständlich Merkmale festmachen. Die Optimalklassenstudien
und korrekt präsentierter und kohärent arrangierter Inhalte, identifizierten in der Regel mehrere Konfigurationen
durch eine effektive Klassenführung mit wenigen Unter- von Merkmalsausprägungen erfolgreicher Klassen.
richtsstörungen und durch ein positiv geprägtes Unter- Unterricht kann demnach auf verschiedene Weise
richtsklima aus. Während die kognitiv aktivierende und die erfolgreich durchgeführt und gestaltet werden.
verständliche und kohärente Aufbereitung fachlich zentraler 3. Die dargestellten Merkmale unterscheiden sich hinsicht-
Inhalte eine vertiefte kognitive Verarbeitung und eine lich ihrer Komplexität und hinsichtlich ihres Inferenz-
Fokussierung auf relevante Konzepte und Inhalte nach sich grades. Dies lässt sich exemplarisch an den Merkmalen
ziehen und sich darüber auf den Aufbau von Wissen und Feedback und kognitive Aktivierung zeigen. Beim
die Entwicklung von Verständnis auswirken sollte, stellt die Feedback handelt es um ein vergleichsweise konkretes
effektive Klassenführung eine grundlegende Voraussetzung und gut beobachtbares Merkmal von Unterricht,
. Abb. 4.4 Basisdimensionen guten Unterrichts und deren angenommene Wirkungen. (Modifiziert nach Klieme et al. 2006, 2009; mit freund-
licher Genehmigung des Waxmann Verlags)
106 F. Lipowsky
Borich, G. D. (2007). Effective teaching methods: Research-based practice Cognition and Technology Group at Vanderbilt. (1997). The Jasper
(6. Aufl.). Upper Saddle River: Pearson Merrill Prentice Hall. Project. Lessons in curriculum, instruction, assessment, and
Borman, G. D., Slavin, R. E., Cheung, A. C., Chamberlain, A. M., professional development. Mahwah: Erlbaum.
Madden, N. A., & Chambers, B. (2007). Final reading outcomes Cohen, E. G. (1994). Restructuring the classroom: Conditions for
of the national randomized field trial of success for all. American productive small groups. Review of Educational Research, 64(1),
Educational Research Journal, 44(3), 701–731. 1–35.
Borsch, F., Jürgen-Lohmann, J., & Giesen, H. (2002). Kooperatives Collins, A., Brown, J. S., & Newman, S. E. (1989). Cognitive
Lernen in Grundschulen: Leistungssteigerung durch den Einsatz apprenticeship: Teaching the crafts of reading, writing, and
des Gruppenpuzzles im Sachunterricht. Psychologie in Erziehung mathematics. In L. B. Resnick (Hrsg.), Knowing, learning, and
und Unterricht, 49, 172–183. instruction (S. 453–494). Hillsdale: Erlbaum.
4 Brophy, J. (2000). Teaching (Educational Practices Series Vol. 1). Brüssel: Connor, C. M., Morrison, F. J., & Katch, E. L. (2004a). Beyond the reading
International Academy of Education (IAE). 7 http://www.ibe. wars: The effect of classroom instruction by child interactions on
unesco.org/en/document/teaching-educational-practices-1. early reading. Scientific Studies of Reading, 8, 305–336.
Zugegriffen: März 2019. Connor, C. M., Morrison, F. J., & Petrella, J. N. (2004b). Effective reading
Brophy, J., & Evertson, C. (1980). Lernen durch Unterricht. Bochum: comprehension instruction. Examining child x instruction inter-
Kamp. actions. Journal of Educational Psychology, 96(4), 682–698.
Bruner, J. S. (1961). The act of discovery. Harvard Educational Review, Connor, C. M., Piasta, S. B., Fishman, B., Glasney, S., Schatschneider,
31(1), 21–32. C., Crowe, E., & Morrison, F. J. (2009). Individualizing student
Brunmair, M., & Richter, T. (2019). Similarity matters: A meta-analysis instruction precisely: Effects of child x instruction interactions
of interleaved learning and its moderators. Psychological Bulletin, on first graders’ literacy development. Child Development, 80(1),
145(11), 1029–1052. 77–100.
Butler, R. (1987). Task-involving and ego-involving properties Cornelius-White, J. (2007). Learner-centered teacher-student relation-
of evaluation: Effects of different feedback conditions on ships are effective: A meta-analysis. Review of Educational
motivational perceptions, interest and performance. Journal of Research, 77(1), 113–143.
Educational Psychology, 79(4), 474–482. Corno, L. (2008). On teaching adaptively. Educational Psychologist,
Butler, D., & Winne, P. (1995). Feedback and self-regulated learning: A 43(3), 161–173.
theoretical synthesis. Review of Educational Research, 65(3), 245–281. Corno, L., & Snow, R. E. (1986). Adapting teaching to individual
Cadima, J., Leal, T., & Burchinal, M. (2010). The quality of differences among learners. In M. C. Wittrock (Hrsg.), Handbook of
teacher-student interactions. Associations with first graders’
research on teaching (S. 605–629). New York: Macmillan.
academic and behavioral outcomes. Journal of School Psychology, Cruickshank, D. R. (1985). Applying research on teacher clarity. Journal
48, 457–482. of Teacher Education, 36, 44–48.
Cakir, O., & Simsek, N. (2010). A comparative analysis of computer and De Corte, E. (2000). Marrying theory building and the improvement
paper-based personalization on student achievement. Computers of school practice: A permanent challenge for instructional
& Education, 55, 1524–1531. psychology. Learning and Instruction, 10, 249–266.
Campbell, J., Kyriakides, L., Muijs, D., & Robinson, W. (2004). Assessing De Lisi, R., & Golbeck, S. L. (1999). Implications of Piagetian theory
teacher effectiveness. Developing a differentiated model. London: for peer learning. In A. M. O’Donnell & A. King (Hrsg.), Cognitive
Routledge Falmer. perspectives on peer learning (S. 3–37). Mahwah: Erlbaum.
Campbell, R. J., Robinson, W., Neelands, J., Hewston, R., & Mazzoli, L. Dean, C. B., Hubbell, E. R., Pitler, H., & Stone, B. J. (2012). Classroom
(2007). Personalised learning: Ambiguities in theory and practice. instruction that works. Alexandria: ASCD.
British Journal of Eucational Studies, 55(2), 135–154. Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and
Cardelle-Elawar, M. (1995). Effects of metacognitive instruction on self-determination in human behavior. New York: Plenum Press.
low-achievers in mathematics problems. Teaching and Teacher Deci, E. L., Koestner, R., & Ryan, R. M. (1999). A meta-analytic review
Education, 11(1), 81–95. of experiments examining the effects of extrinsic rewards on
Carroll, J. B. (1963). A model of school learning. Teacher College Record, intrinsic motivation. Psychological Bulletin, 125, 627–668.
64(8), 723–733. Decristan, J., Hess, M., Holzberger, D., & Praetorius, A.-K. (2020).
Cepeda, N. J., Pashler, H., Vul, E., Wixted, J., & Rohrer, D. (2006). Oberflächen- und Tiefenmerkmale. Eine Reflexion zweier
Distributed practice in verbal recall tasks. A review and prominenter Begriffe der Unterrichtsforschung. In A.-K.
quantitative synthesis. Psychological Bulletin, 132(3), 354–380. Praetorius, J. Grünkorn, & E. Klieme (Hrsg.), Empirische Forschung
Cepeda, N. J., Vul, E., Rohrer, D., Wixted, J. T., & Pashler, H. (2008). zu Unterrichtsqualität. Theoretische Grundfragen und quantitative
Spacing effects in learning: A temporal ridgeline of optimal Modellierungen. Zeitschrift für Pädagogik (Bd. 66, S. 102–116). Wein-
retention. Psychological Science, 19, 1095–1102. heim: Beltz.
Chandler, P., & Sweller, J. (1991). Cognitive load theory and the format Decristan, J., Hondrich, A. L., Büttner, G., Hertel, S., Klieme, E., Kunter, M.,
of instruction. Cognition and Instruction, 8(4), 293–332. Lühken, A., Adl-Armini, K., Djakovic, S.-K., Mannel, S., Naumann,
Charalambous, C. Y., & Praetorius, A. K. (2018). Studying mathematics A., & Hardy, I. (2015a). Impact of additional guidance in science
instruction through different lenses: Setting the ground for education on primary students’ conceptual understanding. The
understanding instructional quality more comprehensively. ZDM Journal of Educational Research, 108(5), 358–370.
50(3), 355–366. Decristan, J., Klieme, E., Kunter, M., Hochweber, J., Büttner, G., Fauth, B.,
Chesebro, J. L. (2003). Effects of teacher clarity and nonverbal Hondrich, L., Rieser, S., Hertel, S., & Hardy, I. (2015b). Embedded
immediacy on student learning, receiver apprehension, and formative assessment and classroom process quality: How do
affect. Communication Education, 52(2), 135–147. they interact in promoting science understanding? American
Chi, M. T. H. (2009). Active-constructive-interactive: A conceptual Educational Research Journal, 52(6), 1133–1159.
framework for differentiating learning activities. Topics in Decristan, J., Fauth, B., Kunter, M., Büttner, G., & Klieme, E. (2017). The
Cognitive Science, 1, 73–105. interplay between class heterogeneity and teaching quality in
Chi, M. T. H., Bassok, M., Lewis, M. W., Reimann, P., & Glaser, R. (1989). primary school. International Journal of Educational Research, 86,
Self-explanations: How students study and use examples in 109–121.
learning to solve problems. Cognitive Science, 13, 145–182. Den Brok, P., Brekelmans, M., & Wubbels, T. (2004). Interpersonal
Clarke, J. H. (2013). Personalized learning: Student-designed pathways to teacher behaviour and student outcomes. School Effectiveness
high school graduation. Thousand Oaks: Corwin. and School Improvement, 15(3–4), 407–442.
Unterricht
109 4
Desch, I., Stiller, C., & Wilde, M. (2016). Förderung des situationsspezi- Fauth, B., Decristan, J., Rieser, S., Klieme, E., & Büttner, G. (2014a). Student
fischen Interesses durch eine Schülerwahl des Unterrichtsthemas. ratings of teaching quality in primary school. Dimensions and
Psychologie in Erziehung und Unterricht, 63(1), 60−74. prediction of student outcomes. Learning and Instruction, 29, 1–9.
Dignath, C., Büttner, G., & Langfeldt, H.-P. (2008). How can primary Fauth, B., Decristan, J., Rieser, S., Klieme, E., & Büttner, G. (2014b).
school students acquire self-regulated learning most efficiently? Grundschulunterricht aus Schüler-, Lehrer-und Beobachter-
A meta-analysis on interventions that aim at fostering perspektive: Zusammenhänge und Vorhersage von Lernerfolg.
self-regulation. Educational Research Review, 3, 101–129. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 28(3), 127–137.
Dihoff, R. E., Brosvic, G. M., & Epstein, M. L. (2003). The role of feedback Fawcett, L. M., & Garton, A. F. (2005). The effect of peer collaboration
during academic testing: The delay retention effect revisited. on children’s problem-solving ability. British Journal of
Psychological Record, 53(4), 533–549. Educational Psychology, 75(2), 157–169.
Dillenbourg, P., Baker, M., Blaye, A., & O’Malley, C. (1996). The Fend, H. (1981). Theorie der Schule (2. Aufl.). München: Urban &
evolution of research on collaborative learning. In E. Spada & P. Schwarzenberg.
Reiman (Hrsg.), Learning in humans and machine: Towards an Flunger, B., Mayer, A., & Umbach, N. (2019). Beneficial for some or for
interdisciplinary learning science (S. 189–211). Oxford: Elsevier. everyone? Exploring the effects of an autonomy-supportive
Dillon, J. T. (1982). Cognitive correspondence between question/state- intervention in the real-life classroom. Journal of Educational
ment and response. American Educational Research Journal, 19, Psychology, 111(2), 210−234.
540–552. Förster, N., Kawohl, E., & Souvignier, E. (2018). Short- and long-term
Dochy, F., Segers, M., van den Bossche, P., & Gijbels, D. (2003). Effects effects of assessment-based differentiated reading instruction
of problem-based learning: A meta-analysis. Learning and in general education on reading fluency and reading
Instruction, 13, 533–568. comprehension. Learning and Instruction, 56, 98–109.
Donovan, J. J., & Radosevich, D. J. (1999). A meta-analytic review of Fox, E. J. (2004). The personalized system of instruction: A flexible and
the distribution of practice effect: Now you see it, now you don’t. effective approach to mastery learning. In D. J. Moran & R. W.
Journal of Applied Psychology, 84(5), 795–805. Malott (Hrsg.), Evidence-based educational methods (S. 201–221).
Dorfner, T., Förtsch, C., & Neuhaus, B. J. (2018). Effects of three basic San Diego: Elsevier Academic Press.
dimensions of instructional quality on students’ situational interest Fraser, B. J. (1994). Research on classroom and school climate. In
in sixth-grade biology instruction. Learning and Instruction, 56, D. Gabel (Hrsg.), Handbook of research on science teaching and
42–53. learning (S. 493–541). New York: MacMillan.
Dreher, U., Holzäpfel, L., Leuders, T., & Stahnke, R. (2018). Problem- Fraser, B. J., Walberg, H. J., Welch, W. W., & Hattie, J. A. (1987).
lösen lehren lernen – Effekte einer Lehrerfortbildung auf Syntheses of educational productivity research. International
die prozessbezogenen mathematischen Kompetenzen von Journal of Educational Research, 11, 145–252.
Schülerinnen und Schülern. Journal für Mathematik-Didaktik, Fredrick, W. C., & Walberg, H. J. (1980). Learning as a function of time.
39(2), 227–256. Journal of Educational Research, 73(4), 183–194.
Drollinger-Vetter, B. (2011). Verstehenselemente und strukturelle Klar- Fuchs, L., Fuchs, D., Karns, K., Hamlett, C. L., Dutka, S., & Katzaroff, M.
heit. Fachdidaktische Qualität der Anleitung von mathematischen (1996). The relation between student ability and the quality and
Verstehensprozessen im Unterricht. Münster: Waxmann. effectiveness of explanations. American Educational Research
Drollinger-Vetter, B., & Lipowsky, F. (2006). Fachdidaktische Quali- Journal, 33(3), 631–664.
tät der Theoriephasen. In E. Klieme, C. Pauli, & K. Reusser (Hrsg.), Furrer, C., & Skinner, E. (2003). Sense of relatedness as a factor in
Dokumentation der Erhebungs- und Auswertungsinstrumente zur children’s academic engagement and performance. Journal of
schweizerisch-deutschen Videostudie „Unterrichtsqualität, Lern- Educational Psychology, 95(1), 148–161.
verhalten und mathematisches Verständnis“. Teil 3: Videoanalysen Furtak, E. M., Seidel, T., Iverson, H., & Briggs, D. C. (2012). Experimental
(S. 189–205). Frankfurt a. M.: GFPF. and quasi-experimental studies of inquiry-based science teaching:
Dumont, H. (2019). Neuer Schlauch für alten Wein? Eine konzeptuelle A meta-analysis. Review of Educational Research, 82(3), 300–329.
Betrachtung von individueller Förderung im Unterricht. Zeitschrift Gabriel, K. (2014). Videobasierte Erfassung von Unterrichtsqualität im
für Erziehungswissenschaft, 22, 249–277. Anfangsunterricht der Grundschule – Klassenführung und Unter-
Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E., Nathan, M. J., & Willingham, D. richtsklima in Deutsch und Mathematik. Kassel: University Press.
(2013). Improving students’ learning with effective learning Gadgil, S., Nokes-Malach, T. J., & Chi, M. T. H. (2012). Effectiveness
techniques: Promising directions from cognitive and educational of holistic mental model confrontation in driving conceptual
psychology. Psychological Science in the Public Interest, 14(1), 4–58. change. Learning and Instruction, 22(1), 47–61.
Dunn, K. E., & Mulvenon, S. W. (2009). A critical review of research on Galton, M., Hargreaves, L., & Pell, T. (2009). Group work and whole-class
formative assessment: The limited scientific evidence on the teaching with 11-to 14-year-olds compared. Cambridge Journal of
impact of formative assessment in education. Practical Assess- Education, 39(1), 119–140.
ment, Research & Evaluation, 14(7), 1–11. Gayle, B. M., Preiss, R. W., & Allen, M. (2006). How effective are
Duryan, S. (2001). A comparison of four types of cognitive conflict and teacher-initiated classroom questions in enhancing student
their effect on cognitive development. International Journal of learning? In B. M. Gayle, R. W. Preiss, N. Burrell, & M. Allen (Hrsg.),
Behavioural Development, 25(3), 226–236. Classroom communication and instructional processes. Advances
Eder, F. (2001). Schul- und Klassenklima. In D. H. Rost (Hrsg.), Hand- through meta-analysis (S. 279–293). Mahwah: Erlbaum.
wörterbuch Pädagogische Psychologie (2. Aufl., S. 578–586). Wein- Gerard, L., Matuk, C., McElhaney, K., & Linn, M. C. (2015). Automated,
heim: Beltz. adaptive guidance for K-12 education. Educational Research
Einsiedler, W., & Hardy, I. (2010). Kognitive Strukturierung im Unter- Review, 15, 41–58.
richt: Einführung und Begriffsklärungen. Unterrichtswissenschaft, Gersten, R., Fuchs, L. S., Williams, J. P., & Baker, S. (2001). Teaching
38(3), 194–209. reading comprehension strategies to students with learning
Elawar, M. C., & Corno, L. (1985). A factorial experiment in teachers’ disabilities: A review of research. Review of Educational Research,
written feedback on student homework: Changing teacher 71(2), 279–320.
behavior a little rather than a lot. Journal of Educational Gersten, R., Chard, D. J., Jayanthi, M., Baker, S. K., Morphy, P., & Flojo,
Psychology, 77(2), 162–173. J. (2008). Mathematics instruction for students with learning
Ericsson, K. A., Krampe, R. T., & Tesch-Römer, C. (1993). The role of disabilities or difficulty learning mathematics. A synthesis of
deliberate practice in the acquisition of expert performance. the intervention research. 7 https://eric.ed.gov/?id=ED521890.
Psychological Review, 100, 363–406. Zugegriffen: Mai 2020.
110 F. Lipowsky
Gersten, R., Chard, D. J., Jayanthi, M., Baker, S. K., Morphy, P., & Flojo, Harnischfeger, A., & Wiley, D. E. (1977). Kernkonzepte des Schullernens.
J. (2009). Mathematics instruction for students with learning Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psycho-
disabilities: A meta-analysis of instructional components. Review logie, 9(3), 207–228.
of Educational Research, 79(3), 1202–1242. Hartig, J., & Rakoczy, K. (2010). Mehrebenenanalyse. In H. Holling &
Giaconia, R., & Hedges, L. V. (1982). Identifying features of effective B. Schmitz (Hrsg.), Handbuch Statistik, Methoden und Evaluation
open education. Review of Educational Research, 52(4), 579–602. (S. 538–547). Göttingen: Hogrefe.
Glaser, C., & Brunstein, J. C. (2007). Improving fourth-grade Hartinger, A. (2005). Interesse durch Öffnung von Unterricht –
students’ composition skills: Effects of strategy instruction and Wodurch? Unterrichtswissenschaft, 34(3), 272–289.
self-regulation procedures. Journal of Educational Psychology, 99, Hasselhorn, M., & Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie. Erfolg-
297–310. reiches Lehren und Lernen (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
4 Göllner, R., Wagner, W., Klieme, E., Lüdtke, O., Nagengast, B., & Traut- Hasselhorn, M., & Labuhn, A. S. (2008). Metakognition und selbst-
wein, U. (2016). Erfassung der Unterrichtsqualität mithilfe von reguliertes Lernen. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Hand-
Schülerurteilen: Chancen, Grenzen und Forschungsperspektiven. buch der Pädagogischen Psychologie (S. 28–37). Göttingen: Hogrefe.
In Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Hattie, J. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses
Forschungsvorhaben in Ankopplung an Large-Scale-Assessments relating to achievement. London: Routledge.
(Bildungsforschung; Bd. 44, S. 63–82). Bielefeld: W. Bertelsmann. Hattie, J. (2012). Visible learning for teachers. Maximizing impact of
Goodenow, C. (1993). Classroom belonging among early adolescent learning. London: Routledge.
students: Relationships to motivation and achievement. Journal Hattie, J. (2017). Global database research. 7 http://www.
of Early Adolescence, 13, 21–43. visiblelearningmetax.com/Influences. Zugegriffen: Mai 2020.
Graham, S., Harris, K. R., & Mason, L. (2005). Improving the writing Hattie, J. & Yates, G. (2014). Visible learning and the science of how we
performance, knowledge, and self-efficacy of struggling young learn. Abingdon: Routledge.
writers. The effects of self-regulated strategy development. Hattie, J., & Timperley, H. (2007). The power of feedback. Review of
Contemporary Educational Psychology, 30, 207–241. Educational Research, 77(1), 81–112.
Gräsel, C., & Parchmann, I. (2004). Die Entwicklung und Hattie, J., Biggs, J., & Purdie, N. (1996). Effects of learning skills
Implementation von Konzepten situierten, selbstgesteuerten interventions on student learning. A meta-analysis. Review of
Lernens. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 7(3), 171–184. Educational Research, 66(2), 99–136.
Grolnick, W. S., & Ryan, R. M. (1987). Autonomy in children’s learning: Heimann, P., Otto, G., & Schulz, W. (1965). Unterricht – Analyse und
An experimental and individual difference investigation. Journal Planung. Hannover: Schroedel.
of Personality and Social Psychology, 52(5), 890–898. Heinze, A., & Erhard, M. (2006). How much time do students have to
Grouws, D. A., & Cebulla, K. J. (2000). Improving student achievement in think about teacher questions? An investigation of the quick
mathematics (Educational Practices Series, Bd. 4). Brüssel: Inter- succession of teacher questions and student responses in the
national Academy of Education (IAE). German mathematics classroom. ZDM Mathematics Education,
Gruehn, S. (1995). Vereinbarkeit kognitiver und nichtkognitiver Ziele 38(5), 388–398.
im Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 41, 531–553. Heinze, A., Arend, J., Grüßing, M., & Lipowsky, F. (2018). Instructional
Gruehn, S. (2000). Unterricht und schulisches Lernen. Schüler als Quellen approaches to foster third graders' adaptive use of strategies – An
der Unterrichtsbeschreibung. Münster: Waxmann. experimental study on the effects of two learning environments
Gutiérrez, R., & Slavin, R. E. (1992). Achievement effects of the on multi-digit addition and subtraction. Instructional Science,
nongraded elementary school: A best evidence synthesis. Review 46(6), 869−891.
of Educational Research, 62(4), 333–376. Heinze, A., Arend, J., Grüßing, M., & Lipowsky, F. (2020). Systematisch ein-
Häcker, T. (2017). Individualisierter Unterricht. In T. Bohl, J. Budde, führen oder selbst entdecken lassen? Eine experimentelle Studie
& M. Rieger-Ladich (Hrsg.), Umgang mit Heterogenität in Schule zur Förderung der adaptiven Nutzung von Rechenstrategien bei
und Unterricht. Grundlagentheoretische Beiträge und didaktische Grundschulkindern. Unterrichtswissenschaft, 48(1), 11−34.
Reflexionen (S. 271–287). Bad Heilbrunn: Klinkhardt, UTB. Heller, V., & Morek, M. (2019). Fachliches und sprachliches Lernen
Hamre, B. K., & Pianta, R. C. (2005). Can instructional and emotional durch diskurs(erwerbs)orientierte Unterrichtsgespräche.
support in the first-grade classroom make a difference for Empirische Evidenzen und Desiderata mit Blick auf inklusive
children at risk of school failure? Child Development, 76(5), 949– Settings. Didaktik Deutsch, 24(46), 102−121.
967. Helmke, A. (1997). Entwicklung lern- und leistungsbezogener Motive
Hamre, B. K., & Pianta, R. C. (2010). Classroom environments and und Einstellungen. Ergebnisse aus dem SCHOLASTIK-Projekt. In
developmental processes: Conceptualization and measurement. F. Weinert & A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter
In J. L. Meece & J. S. Eccles (Hrsg.), Handbook of research on (S. 59–76). Weinheim: Beltz.
schools, schooling and human development (S. 43–59). London: Helmke, A. (2007). Lernprozesse anregen und steuern – Was wissen wir
Routledge. über Klarheit und Strukturiertheit? Pädagogik, 59(6), 44–47.
Hanisch, A. K. (2018). Kognitive Aktivierung im Rechtschreibunterricht: Helmke, A. (2012). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität.
Eine Interventionsstudie in der Grundschule. Münster: Waxmann. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (4. Aufl.).
Hänze, M., & Berger, R. (2007). Cooperative learning, motivational Seelze: Kallmeyer.
effects and student characteristics: An experimental study Helmke, A. (2014). Forschung zur Lernwirksamkeit des Lehrerhandelns.
comparing cooperative learning and direct instruction in 12th In E. Terhart, H. Bennewitz, &. M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der
grade physics classes. Learning and Instruction, 17(1), 29–41. Forschung zum Lehrerberuf (2. Aufl., S. 807–821). Münster: Waxmann.
Hardy, I., Jonen, A., Möller, K., & Stern, E. (2006). Effects of instructional Helmke, A., & Schrader, F.-W. (1990). Zur Kompatibilität kognitiver,
support within constructivist environments for elementary school affektiver und motivationaler Zielkriterien des Schulunterrichts
students’ understanding of „Floating and Sinking“. Journal of – Clusteranalytische Studien. In M. Knopf & W. Schneider (Hrsg.),
Educational Psychology, 98(2), 307–326. Entwicklung. Allgemeine Verläufe – Individuelle Unterschiede –
Harks, B., Rakoczy, K., Hattie, J., Besser, M., & Klieme, E. (2014). The Pädagogische Konsequenzen (S. 180–200). Göttingen: Hogrefe.
effects of feedback on achievement, interest and self-evaluation: Helmke, A., Schneider, W., & Weinert, F. E. (1986). Quality of instruction
the role of feedback’s perceived usefulness. Educational and classroom learning outcomes: The German contribution
Psychology, 34(3), 269–290. to the IEA classroom environment study. Teaching and Teacher
Education, 2(1), 1–18.
Unterricht
111 4
Helmke, A., Helmke, T., Schrader, F.-W., Wagner, W., Klieme, E., Nold, Iyengar, S. S., & Lepper, M. R. (2000). When choice is demotivating: Can
G., & Schröder, K. (2008a). Wirksamkeit des Englischunterrichts. In one desire too much of a good thing? Journal of Personality and
E. Klieme (Hrsg.), Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Social Psychology, 79(6), 995–1006.
Englisch (S. 382–397). Weinheim: Beltz. Jacobs, B. (2002). Aufgaben stellen und Feedback geben. 7 http://
Helmke, T., Helmke, A., Schrader, F.-W., Wagner, W., Nold, G., & psydok.psycharchives.de/jspui/bitstream/20.500.11780/1024/1/
Schröder, K. (2008b). Die Videostudie des Englischunterrichts. In feedback.pdf. Zugegriffen: Mai 2020.
E. Klieme (Hrsg.), Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Jentsch, A., Schlesinger, L., Heinrichs, H., Kaiser, G., König, J., &
Englisch (S. 345–363). Weinheim: Beltz. Blömeke, S. (2020). Erfassung der fachspezifischen Qualität von
Herzig, B. (2017). Digitalisierung und Mediatisierung – Didaktische Mathematikunterricht: Faktorenstruktur und Zusammenhänge
und pädagogische Herausforderungen. In C. Fischer (Hrsg.), zur professionellen Kompetenz von Mathematiklehrpersonen.
Pädagogischer Mehrwert? Digitale Medien Schule und Unterricht. Journal für Mathematikdidaktik, Online first.
Münstersche Gespräche zur Pädagogik (S. 25–57). Münster: Waxmann. John, P., & Wheeler, S. (2008). The digital classroom: Harnessing techno-
Hetmanek, A., Wiesbeck, A. B., & CHU Research Group. (2019). Gestaltung logy for the future of learning and teaching. London: Routledge.
von Lernmaterial: Wie Integration von Abbildung und Text das Johnson, D. W., Johnson, R. T., & Stanne, M. B. (2000). Cooperative learning
Lernen erleichtert. 7 https://www.clearinghouse.edu.tum.de/ methods: A meta-analysis. Minneapolis: University of Minnesota.
reviews/lehrstrategien-im-vergleich/. Zugegriffen: Mai 2020. Jurkowski, S., & Hänze, M. (2010). Soziale Kompetenzen, transaktives
Heubusch, J. D., & Lloyd, J. W. (1998). Corrective feedback in oral Interaktionsverhalten und Lernerfolg. Experimenteller Ver-
reading. Journal of Behavioral Education, 8(1), 63–79. gleich zweier unterschiedlich gestalteter Gruppenunterrichts-
Hickey, D. T., Moore, A. L., & Pellegrino, J. W. (2001). The motivational bedingungen und Evaluation eines transaktivitätsbezogenen
and academic consequences of elementary mathematics Kooperationsskriptes. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie,
environments: Do constructivist innovations and reforms make a 24(3–4), 241–257.
difference? American Educational Research Journal, 38(3), 611–652. Kalyuga, S. (2005). Prior knowledge principle in multimedia learning.
Hiebert, J., & Grouws, D. A. (2007). The effects of classroom mathematics In R. E. Mayer (Hrsg.), Cambridge handbook of multimedia learning
teaching on students’ learning. In F. K. Lester (Hrsg.), Second (S. 325–337). New York: Cambridge University Press.
handbook of research on mathematics teaching and learning. A Kalyuga, S. (2007). Expertise reversal effect and its implications for
project of the National Council of Teachers of Mathematics (S. 371– learner-tailored instruction. Educational Psychological Review, 19,
404). Charlotte: Information Age Publishing/NCTM. 509–539.
Hiebert, J., & Wearne, D. (1993). Instructional tasks, classroom dis- Kalyuga, S., & Singh, A. M. (2016). Rethinking the boundaries of
course, and students’ learning in second-grade arithmetic. cognitive load theory in complex learning. Educational Psychology
American Educational Research Journal, 30(2), 393–425. Review, 28(4), 831–852.
Hijzen, D., Boekaerts, M., & Vedder, P. (2007). Exploring the links Kalyuga, S., Chandler, P., & Sweller, J. (2001). Learner experience and
between students’ engagement in cooperative learning, their efficiency of instructional guidance. Educational Psychology, 21,
goal preferences and appraisals of instructional conditions in the 5–23.
classroom. Learning and Instruction, 17(6), 673–687. Kalyuga, S., Ayres, P., Chandler, P., & Sweller, J. (2003). The expertise
Hines, C., Cruickshank, D., & Kennedy, J. (1985). Teacher clarity and its reversal effect. Educational Psychologist, 38, 23–32.
relationship to student achievement and satisfaction. American Kammermeyer, G., & Martschinke, S. (2003). Schulleistung und Fähig-
Educational Research Journal, 22(1), 87–99. keitsselbstbild im Anfangsunterricht – Ergebnisse aus dem
Hmelo-Silver, C. E., Duncan, R. G., & Chinn, C. A. (2007). Scaffolding and KILIA-Projekt. Empirische Pädagogik, 17, 486–503.
achievement in problem-based and inquiry learning: A response Kapur, M. (2008). Productive failure. Cognition and Instruction, 26(3),
to Kirschner, Sweller, and Clark (2006). Educational Psychologist, 379–424.
42(2), 99–107. Kapur, M. (2010). Productive failure in mathematical problem solving.
Høgheim, S., & Reber, R. (2015). Supporting interest of middle school Instructional Science, 38(6), 523–550.
students in mathematics through context personalization and Kapur, M. (2012). Productive failure in learning the concept of variance.
example choice. Contemporary Educational Psychology, 42, 17–25. Instructional Science, 40(4), 651–672.
Holmes, W., Anastopoulou, S., Schaumburg, H., & Mavrikis, M. (2018). Kapur, M. (2014). Productive failure in learning math. Cognitive Science,
Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden. 38, 1008–1022.
Stuttgart: Robert Bosch Stiftung. Kapur, M. (2016). Examining productive failure, productive success,
Hondrich, A. L., Decristan, J., Hertel, S., & Klieme, E. (2018). Formative unproductive failure, and unproductive success in learning.
assessment and intrinsic motivation: The mediating role of Educational Psychologist, 51(2), 289–299.
perceived competence. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Kapur, M., & Bielaczyc, K. (2012). Designing for productive failure. The
21(4), 717–734. Journal of the Learning Sciences, 21(1), 45–83.
Horak, V. M. (1981). A meta-analysis of research findings on Katz, I., & Assor, A. (2007). When choice motivates and when it does
individualized instruction in mathematics. The Journal of not. Educational Psychology Review, 19(4), 429–442.
Educational Research, 74(4), 249–253. Keller, F. S. (1968). Good bye teacher… Journal of Applied Behavior Ana-
Howe, C., & Tolmie, A. (2003). Group work in primary school science: lysis, 1(1), 79–89.
discussions, consensus and guidance from experts. International King, A. (1991). Effects of training in strategic questioning on children’s
Journal of Educational Research, 39(1–2), 51–72. problem-solving performance. Journal of Educational Psychology,
Hushman, C. J., & Marley, S. C. (2015). Guided instruction improves 83(3), 307–317.
elementary student learning and self-efficacy in science. The King, A. (1994). Guiding knowledge construction in the classroom:
Journal of Educational Research, 108(5), 371–381. Effects of teaching children how to question and how to explain.
Huth, K. (2004). Entwicklung und Evaluation von fehlerspezifischem American Educational Research Journal, 31(3), 338–368.
informativem tutoriellem Feedback (ITF) für die schriftliche Sub- King, A. (1999). Discourse patterns for mediating peer learning. In A. M.
traktion. Technische Universität Dresden. 7 https://tud.qucosa.de/ O’Donnell & A. King (Hrsg.), Cognitive perspectives on peer learning
api/qucosa%3A24442/attachment/ATT-0/. Zugegriffen: Mai 2020. (S. 87–115). Mahwah: Erlbaum.
Ingram, J., & Elliott, V. (2016). A critical analysis of the role of wait time Kingston, N., & Nash, B. (2011). Formative assessment: A m eta-analysis
in classroom interactions and the effects on student and teacher and a call for research. Educational Measurement: Issues and
interactional behaviours. Cambridge Journal of Education, 46(1), 37–53. Practice, 30(4), 28–37.
112 F. Lipowsky
Kirschner, P. A., Sweller, J., & Clark, R. E. (2006). Why minimal guidance Krätzschmar, M. (2010). Selbstkonzepte in altersgemischten Lerngruppen.
during instruction does not work: an analysis of the failure of Eine Längsschnittstudie mit Kontrollgruppen in der Sekundarstufe.
constructivist, discovery, problem-based, experiential, and Münster: Waxmann.
inquiry-based teaching. Educational Psychologist, 41(2), 75–86. Krause, U.-M., & Stark, R. (2004). Too much of a good thing? Unwanted
Kirschner, F., Paas, F., Kirschner, P. A., & Janssen, J. (2011). Differential side effects of successful instructional interventions. In P. Gerjets,
effects of problem-solving demands on individual and collaborative P. A. Kirschner, J. Elen, & R. Joiner (Hrsg.), Instructional design for
learning outcomes. Learning and Instruction, 21, 587–599. effective and enjoyable computer-supported learning. Tübingen:
Klafki, W. (1963). Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim: Knowledge Media Research Center. 7 https://www.iwm-
Beltz. tuebingen.de/workshops/SIM2004/pdf_files/Krause_et_al.pdf.
Klafki, W. (1996). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik (5. Aufl.). Zugegriffen: Mai 2020.
4 Weinheim: Beltz. Krause, U.-M., Stark, R., & Mandl, H. (2004). Förderung des computer-
Klahr, D., & Nigam, M. (2004). The equivalence of learning paths basierten Wissenserwerbs durch kooperatives Lernen und eine
in early science instruction: Effects of direct instruction and Feedbackmaßnahme. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie,
discovery learning. Psychological Science, 15, 661–667. 18(2), 125–136.
Klauer, K. J., & Leutner, D. (2007). Lehren und Lernen. Einführung in die Kronenberger, J., & Souvignier, E. (2005). Fragen und Erklärungen
Instruktionspsychologie. Weinheim: Beltz. beim kooperativen Lernen in Grundschulklassen. Zeitschrift für
Kleickmann, T., Vehmeyer, J., & Möller, K. (2010). Lehrervorstellungen Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 37(2),
und kognitives Strukturieren im Unterricht am Beispiel von 91–100.
Scaffolding-Maßnahmen. Unterrichtswissenschaft, 38(3), 210–228. Ku, H. Y., & Sullivan, H. J. (2002). Student performance and attitudes
Kleickmann, T., Praetorius, A.-K., & Steffensky, M. (2018). Qualität natur- using personalized mathematics instruction. Educational Techno-
wissenschaftlichen Unterrichts in der Grundschule: Mehr als drei logy Research and Development, 50(1), 21–34.
Basisdimensionen? Basel: Vortrag auf der 6. Tagung der Gesell- Kuger, S. (2016). Curriculum and learning time in international school
schaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF). achievement studies. In S. Kuger, E. Klieme, N. Jude, & D. Kaplan
Klieme, E. (2019). Unterrichtsqualität. In M. Gläser-Zikuda, M. Harring (Hrsg.), Assessing contexts of learning (S. 395–422). Cham: Springer.
& C. Rohlfs (Hrsg.), Handbuch Schulpädagogik (S. 393–408). Kulhavy, R. W., & Stock, W. A. (1989). Feedback in written instruction:
Stuttgart: UTB. The place of response certitude. Educational Psychology Review,
Klieme, E., & Warwas, J. (2011). Konzepte der Individuellen Förderung. 1(4), 279–308.
Zeitschrift für Pädagogik, 57(6), 805–818. Kulik, C.-L., & Kulik, J. A. (1982). Effects of ability grouping on secondary
Klieme, E., Schümer, G., & Knoll, S. (2001). Mathematikunterricht in der school students: A metaanalysis of evaluation findings. American
Sekundarstufe I: Aufgabenkultur und Unterrichtsgestaltung. In Educational Research Journal, 19(3), 415–428.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.), Kulik, J. A., & Kulik, C. L. (1988). Timing of feedback and verbal learning.
TIMSS – Impulse für Schule und Unterricht. Forschungsbefunde, Review of Educational Research, 58(1), 79–97.
Reforminitiativen, Praxisberichte und Video-Dokumente (S. 43–57). Kulik, J. A., & Kulik, C. L. (1992). Meta-analytic findings on grouping
München: Medienhaus Biering. programs. Gifted Child Quarterly, 36(2), 73–77.
Klieme, E., Lipowsky, F., Rakoczy, K., & Ratzka, N. (2006). Qualitäts- Kulik, J. A., Kulik, C. L., & Cohen, P. A. (1979). A meta-analysis of
dimensionen und Wirksamkeit von Mathematikunterricht. outcome studies of Keller’s personalized system of instruction.
Theoretische Grundlagen und ausgewählte Ergebnisse des Projekts American Psychologist, 34(4), 307–318.
„Pythagoras“. In M. Prenzel & L. Allolio-Näcke (Hrsg.), Unter- Kulik, C. L., Kulik, J. A., & Bangert-Drowns, R. L. (1990). Effectiveness of
suchungen zur Bildungsqualität von Schule. Abschlussbericht des mastery learning programs. A meta analysis. Review of Educational
DFG-Schwerpunktprogramms (S. 127–146). Münster: Waxmann. Research, 60, 265–299.
Klieme, E., Pauli, C., & Reusser, K. (2009). The Pythagoras Study. Künsting, J., Post, S., Greb, K., Faust, G., & Lipowsky, F. (2010).
Investigating effects of teaching and learning in Swiss and Leistungsheterogenität im mathematischen Anfangsunterricht.
German mathematics classrooms. In T. Janik & T. Seidel (Hrsg.), Ein Risiko für die Leistungsentwicklung? Zeitschrift für Grundschul-
The power of video studies in investigating teaching and learning in forschung, 3(1), 46–64.
the classroom (S. 137–160). Münster: Waxmann. Kunter, M. (2005). Multiple Ziele im Mathematikunterricht. Münster:
Kluger, A. N., & DeNisi, A. (1996). The effects of feedback interventions Waxmann.
on performance: A historical review, a meta-analysis, and a Kunter, M., & Baumert, J. (2006). Linking TIMSS to research on learning
preliminary feedback intervention theory. Psychological Bulletin, and instruction: A re-analysis of the German TIMSS and TIMSS
119(2), 254–284. video data. In S. J. Howie & T. Plomp (Hrsg.), Contexts of learning
Klusmann, U., Kunter, M., Trautwein, U., & Baumert, J. (2006). Lehrer- mathematics and science: Lessons learned from TIMSS (S. 335–351).
belastung und Unterrichtsqualität aus der Perspektive von London: Routledge.
Lehrenden und Lernenden. Zeitschrift für Pädagogische Psycho- Kunter, M., & Ewald, S. (2016). Bedingungen und Effekte von Unter-
logie, 20(3), 161–173. richt: Aktuelle Forschungsperspektiven aus der pädagogischen
Koedinger, K. R., McLaughlin, E. A., & Heffernan, N. T. (2010). A Psychologie. In N. McElvany, W. Bos, H. G. Holtappels, M. M.
quasi-experimental evaluation of an online formative assessment Gebauer, & F. Schwabe (Hrsg.), Bedingungen und Effekte guten
and tutoring system. Journal of Educational Computing Research, Unterrichts (S. 9–31). Münster: Waxmann.
43(4), 489–510. Kunter, M., & Trautwein, U. (2013). Psychologie des Unterrichts. Pader-
Kornell, N., & Bjork, R. A. (2008). Learning concepts and categories: Is born: Schöningh.
spacing the „enemy of induction“? Psychological Science, 19, 585–592. Kunter, M., & Voss, T. (2011). Das Modell der Unterrichtsqualität in
Kramarski, B., & Mevarech, Z. R. (2003). Enhancing mathematical COACTIV: Eine multikriteriale Analyse. In M. Kunter, J. Baumert,
reasoning in the classroom: Effects of cooperative learning and W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Hrsg.),
metacognitive training. American Educational Research Journal, Professionelle Kompetenz von Lehrkräften (S. 85–113). Münster:
40(1), 281–310. Waxmann.
Krammer, K. (2009). Individuelle Lernunterstützung in Schülerarbeits- Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S., & Neubrand,
phasen. Eine videobasierte Analyse des Unterstützungsverhaltens M. (2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des
von Lehrpersonen im Mathematikunterricht. Münster: Waxmann. Forschungsprogramms COACTIV. Münster: Waxmann.
Unterricht
113 4
Kyndt, E., Raes, E., Lismont, B., Timmers, F., Cascallar, E., & Dochy, F. Lipowsky, F., Richter, T., Borromeo-Ferri, R., Ebersbach, M., & Hänze,
(2013). A meta-analysis of the effects of face-to-face cooperative M. (2015). Wünschenswerte Erschwernisse beim Lernen. Schul-
learning. Do recent studies falsify or verify earlier findings? pädagogik heute, 6(11), 1–10. 7 https://www.uni-kassel.de/go/
Educational Research Review, 10, 133–149. lipowsky_et_al_2015.pdf. Zugegriffen: Mai 2020.
Labuhn, A. S., Bögelholz, S., & Hasselhorn, M. (2008). Selbstregulations- Lipowsky, F., Drollinger-Vetter, B., Klieme, E., Pauli, C., & Reusser, K.
förderung in einer Biologie-Unterrichtseinheit: Langfristige und (2018). Generische und fachdidaktische Dimensionen von Unter-
differenzielle Wirksamkeit. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie richtsqualität – Zwei Seiten einer Medaille? In M. Martens, K.
und Pädagogische Psychologie, 40(4), 167–178. Rabenstein, K. Bräu, M. Fetzer, H. Gresch, I. Hardy, & C. Schelle
Lanahan, L., McGrath, D. J., McLaughlin, M., Burian-Fitzgerald, M., & (Hrsg.), Konstruktionen von Fachlichkeit: Ansätze, Erträge und Dis-
Salganik, L. (2005). Fundamental problems in the measurement kussionen in der empirischen Unterrichtsforschung (S. 183–202).
of instructional processes: Estimating reasonable effect sizes Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
and conceptualizing what is important to measure. Washington: Lipowsky, F., Hess, M., Arend, J., Böhnert, A., Denn, A.-K., Hirstein, A., &
American Institutes. 7 https://www.air.org/sites/default/files/ Rzejak, D. (2019). Lernen durch Kontrastieren und Vergleichen –
downloads/report/AERA2005Fundamental_Problems11_0.pdf. Ein Forschungsüberblick zu wirkmächtigen Prinzipien eines ver-
Zugegriffen: Mai 2020. ständnisorientierten und kognitiv aktivierenden Unterrichts. In
Lazonder, A. W., & Harmsen, R. (2016). Meta-analysis of inquiry-based U. Steffens & R. Messner (Hrsg.), Konzepte und Bedingungen quali-
learning: Effects of guidance. Review of Educational Research, tätsvollen Unterrichts – Grundlagen der Qualität von Schule (Bd. 3,
86(3), 681–718. S. 373–402). Münster: Waxmann.
Learning Mathematics for Teaching Project. (2010). Measuring the Loibl, K., & Rummel, N. (2014). Knowing what you don’t know makes
mathematical quality of instruction. Journal of Mathematics failure productive. Learning and Instruction, 34, 74–85.
Teacher Education, 14(1), 25–47. Loibl, K., Roll, I., & Rummel, N. (2017). Towards a theory of when and
Lenhard, W., Baier, H., Endlich, D., Lenhard, A., Schneider, W., & Hoff- how problem solving followed by instruction supports learning.
mann, J. (2012). Computerunterstützte Leseverständnisförderung: Educational Psychology Review, 29(4), 693–715.
Die Effekte automatisch generierter Rückmeldungen. Zeitschrift Lotz, M. (2015). Kognitive Aktivierung im Leseunterricht der Grundschule.
für Pädagogische Psychologie, 26(2), 135–148. Eine Videostudie zur Gestaltung und Qualität von Leseübungen im
Leopold, C., & Leutner, D. (2012). Science text comprehension: ersten Schuljahr. Wiesbaden: VS.
Drawing, main idea selection, and summarizing as learning Lou, Y., Abrami, P. C., Spence, J. C., Poulsen, C., Chambers, B., &
strategies. Learning and Instruction, 22(1), 16–26. d’Apollonia, S. (1996). Within-class grouping: A meta-analysis.
Lehtinen, E., Hannula-Sormunen, M., McMullen, J., & Gruber, H. (2017). Review of Educational Research, 66(4), 423–458.
Cultivating mathematical skills: From drill-and-practice to Louis, K. S., & Marks, H. (1998). Does professional community affect the
deliberate practice. ZDM, 49(4), 625–636. classroom? Teachers’ work and student experiences in restructuring
Lingel, K., Neuenhaus, N., Artelt, C., & Schneider, W. (2014). Der Ein- schools. American Journal of Education, 106(4), 532–575.
fluss des metakognitiven Wissens auf die Entwicklung der Lysakowski, R. S., & Walberg, H. J. (1982). Instructional effects of cues,
Mathematikleistung am Beginn der Sekundarstufe I. Journal für participation, and corrective feedback: A quantitative synthesis.
Mathematik-Didaktik, 35(1), 49–77. American Educational Research Journal, 19(4), 559–578.
Lipowsky, F. (2002). Zur Qualität offener Lernsituationen im Spiegel Macnamara, B. N., Hambrick, D. Z., & Oswald, F. L. (2014). Deliberate
empirischer Forschung – Auf die Mikroebene kommt es an. In U. practice and performance in music, games, sports, education, and
Drews & W. Wallrabenstein (Hrsg.), Freiarbeit in der Grundschule. professions: A meta-analysis. Psychological Science, 25(8), 1608–1618.
Arbeitskreis Grundschule (S. 126–159). Frankfurt a. M.: Arbeitskreis Maier, U. (2010). Formative Assessment – Ein erfolgversprechendes
Grundschule. Konzept zur Reform von Unterricht und Leistungsmessung? Zeit-
Lipowsky, F. (2006). Auf den Lehrer kommt es an. In C. schrift für Erziehungswissenschaft, 13(2), 293–308.
Allemann-Ghionda & E. Terhart (Hrsg.), Kompetenzen und
Mandl, H., & Friedrich, H. F. (Hrsg.). (2006). Handbuch Lernstrategien.
Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern: Ausbildung Göttingen: Hogrefe.
und Beruf. Zeitschrift für Pädagogik (Bd. 51, S. 47–70). Weinheim: Marzano, R. J., Gaddy, B. B., & Dean, C. (2000). What works in classroom
Beltz. instruction. Aurora: Mid-continent Research for Education and
Lipowsky, F., & Bleck, V. (2019). Was wissen wir über guten Unterricht? Learning (McREL). 7 https://at-udl.com/library_bkup/DATA/
– Ein Update. In U. Steffens & R. Messner (Hrsg.), Konzepte und Misc%20PDF's/whatworks.pdf. Zugegriffen: Mai 2020.
Bedingungen qualitätsvollen Unterrichts – Grundlagen der Qualität Marzano, R. J., Marzano, J. S., & Pickering, D. (2003). Classroom
von Schule (Bd. 3, S. 219–249). Münster: Waxmann. management that works. Research-based strategies for every
Lipowsky, F., & Hess, M. (2019). Warum es manchmal hilfreich sein teacher. Alexandria: Association for Supervision and Curriculum
kann, das Lernen schwerer zu machen – Kognitive Aktivierung Development.
und die Kraft des Vergleichens. In K. Schöppe & F. Schulz (Hrsg.), Matsumura, L. C., Garnier, H. E., & Spybrook, J. (2013). Literacy coaching
Kreativität & Bildung – Nachhaltiges Lernen (S. 65–120). München: to improve student reading achievement: A multi-level mediation
kopaed. model. Learning and Instruction, 25, 35–48.
Lipowsky, F. & Lotz, M. (2015). Ist Individualisierung der Königs- Mayer, R. E. (2004). Should there be a three-strikes rule against pure
weg zum Lernen? Eine Auseinandersetzung mit Theorien, discovery learning? The case for guided methods of instruction.
Konzepten und empirischen Befunden. In G. Mehlhorn, F. Schulz, American Psychologist, 59(1), 14–19.
& K. Schöppe (Hrsg.), Begabungen entwickeln & Kreativität fördern Mayer, R. E. (2009). Constructivism as a theory of learning versus
(S. 155–219). München: kopaed. constructivism as a prescription for instruction. In S. Tobias & T. M.
Lipowsky, F., Rakoczy, K., Pauli, C., Drollinger-Vetter, B., Klieme, Duffy (Hrsg.), Constructivist instruction: Success or failure? (S. 184–
E., & Reusser, K. (2009). Quality of geometry instruction and 200). New York: Routledge.
its short-term impact on students’ understanding of the Mayer, R. E., & Moreno, R. (2003). Nine ways to reduce cognitive load in
Pythagorean theorem. Learning and Instruction, 19(6), 527–537. multimedia learning. Educational Psychologist, 38, 43–52.
Lipowsky, F., Kastens, C., Lotz, M., & Faust, G. (2011). Aufgaben- Menke, D. T., & Pressley, M. (1994). Elaborative interrogation. Using
bezogene Differenzierung und Entwicklung des verbalen „why“ questions to enhance the learning from text. Journal of
Selbstkonzepts im Anfangsunterricht. Zeitschrift für Pädagogik, Reading, 37(8), 642–645.
57(6), 868–884.
114 F. Lipowsky
Messner, R. (2019). „Tiefen-Didaktik“ – Zur praktischen Wende der Nichols, J. D. (1996). The effects of cooperative learning on student
Lehr-/Lernforschung. In U. Steffens & R. Messner (Hrsg.), Unter- achievement and motivation in a high school geometry class.
richtsqualität. Konzepte und Bilanzen gelingenden Lehrens und Contemporary Educational Psychology, 21, 467–476.
Lernens (S. 29–56). Münster: Waxmann. Niegemann, H. M. (2001). Neue Lernmedien. Konzipieren, entwickeln, ein-
Messner, R., & Reusser, K. (2006). Aeblis Didaktik auf psychologischer setzen. Göttingen: Huber.
Grundlage im Kontext der zeitgenössischen Didaktik. In M. Baer, Niegemann, H. M. (2004). Lernen und Fragen: Bilanz und Perspektiven
M. Fuchs, P. Füglister, K. Reusser, & H. Wyss (Hrsg.), Didaktik der Forschung. Unterrichtswissenschaft, 32, 345–356.
auf psychologischer Grundlage. Von Hans Aeblis kognitions- Niegemann, H. M., & Stadler, S. (2001). Hat noch jemand eine Frage?
psychologischer Didaktik zur modernen Lehr- und Lernforschung Systematische Unterrichtsbeobachtung zu Häufigkeit und
(S. 52–73). Bern: h.e.p. kognitivem Niveau von Fragen im Unterricht. Unterrichtswissen-
4 Meyer-Ahrens, I., & Wilde, M. (2013). Der Einfluss von Schülerwahl und schaft, 29, 171–192.
der Interessantheit des Unterrichtsgegenstands auf die Lern- Nückles, M., Gurlitt, J., Pabst, T., & Renkl, A. (2004). Mind Maps und
motivation im Biologieunterricht. Unterrichtswissenschaft, 41(1), Concept Maps. Visualisieren, organisieren, kommunizieren.
57–71. München: Beck.
Mills, S. R., Rice, C. T., Berliner, D. C., & Rousseau, E. W. (1980). Opdenakker, M.-C., Maulana, R., & Den Brok, P. (2012). Teacher–student
Correspondence between teacher questions and student answers interpersonal relationships and academic motivation within
in classroom discourse. Journal of Experimental Education, 48, one school year: developmental changes and linkage. School
194–204. Effectiveness and School Improvement, 23(1), 95–119.
Möller, K. (2016). Bedingungen und Effekte qualitätsvollen Unter- Osterman, K. F. (2000). Students’ need for belonging in the school
richts–Ein Beitrag aus fachdidaktischer Perspektive. In N. community. Review of Educational Research, 70, 323–367.
McElvany, W. Bos, H. G. Holtappels, M. M. Gebauer, & F. Schwabe Paas, F. G. W. C., & Van Merrienboer, J. J. G. (1994). Variability of worked
(Hrsg.), Bedingungen und Effekte guten Unterrichts (S. 43–64). examples and transfer of geometrical problem-solving skills: A
Münster: Waxmann. cognitive-load approach. Journal of Educational Psychology, 86(1),
Moreno, R. (2004). Decreasing cognitive load for novice students: 122–133.
Effects of explanatory versus corrective feedback in Palincsar, A. S., & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of
discovery-based multimedia. Instructional Science, 32(1–2), comprehension monitoring activities. Cognition and Instruction, 2,
99–113. 117–175.
Mory, E. H. (2004). Feedback research revisited. In D. H. Jonassen Pane, J. F., Steiner, E. D., Baird, M. D., & Hamilton, L. S. (2015). Continued
(Hrsg.), Handbook of research on educational communications and progess. Promising evidence on personalized learning. Santa
technology (S. 745–783). Mahwah: Erlbaum. Monica: RAND. 7 https://www.rand.org/pubs/research_reports/
Mosteller, F., Light, R., & Sachs, J. (1996). Sustained inquiry in RR1365.html. Zugegriffen: Mai 2020.
education: Lessons from skill grouping and class size. Harvard Patchan, M. M., & Schunn, C. D. (2015). Understanding the benefits of
Educational Review, 66, 797–828. providing peer feedback: How students respond to peers’ texts of
Muijs, D., & Reynolds, D. (2018). Effective teaching. Evidence and practice varying quality. Instructional Science, 43(5), 591–614.
(4. Aufl.). London: Sage. Patchan, M. M., & Schunn, C. D. (2016). Understanding the effects of
Muijs, D., Campbell, J., Kyriakides, L., & Robinson, W. (2005). Making receiving peer feedback for text revision: Relations between author
the case for differentiated teacher effectiveness: An overview and reviewer ability. Journal of Writing Research, 8(2), 227–265.
of research in four key areas. School Effectiveness and School Pauli, C. (2010). Fostering understanding and thinking in discursive
Improvement, 16(1), 51–70. cultures of learning. Unpublished paper presented at the meeting
Murphy, M., Redding, S., & Twyman, J. S. (Hrsg.). (2016). Handbook of of EARLI SIG 10 and SIG 21, Utrecht.
personalized learning for states, districts, and schools. Philadelphia: Pauli, C., & Reusser, K. (2000). Zur Rolle der Lehrperson beim
Center on Innovations in Learning, Temple University. kooperativen Lernen. Schweizerische Zeitschrift für
Narciss, S. (2004). The impact of informative tutoring feedback and Bildungswissenschaften, 22(3), 421–442.
self-efficacy on motivation and achievement in concept learning. Pauli, C., & Reusser, K. (2015). Discursive cultures of learning in
Experimental Psychology, 51(3), 214–228. (everyday) mathematics teaching: A video-based study on
Nehring, A., Päßler, A., & Tiemann, R. (2017). The complexity of teacher mathematics teaching in German and Swiss classrooms. In
questions in chemistry classrooms: an empirical analysis on the L. Resnick, C. S. C. Asterhan, & S. N. Clarke (Hrsg.), Socializing
basis of two competence models. International Journal of Science intelligence through academic talk and dialogue (S. 181–193).
and Mathematics Education, 15(2), 233–250. Washington DC: AERA.
Nemeth, L., Denn, A.-K., Hirstein, A., & Lipowsky, F. (2018). Interaktions- Pauli, C., & Schmid, M. (2019). Zur Didaktik guten Unterrichts. Quali-
muster beim kooperativen Lernen – Umgang mit richtigen und tätsvollen Unterricht gestalten lernen. In U. Steffens & R. Messner
falschen Lösungsideen. Vortrag auf der 83. Tagung der Arbeits- (Hrsg.), Unterrichtsqualität. Konzepte und Bilanzen gelingenden
gruppe Empirische Pädagogische Forschung (AEPF), 25. Sept. Lehrens und Lernens (S. 167–181). Münster: Waxmann.
2018. Pekrun, R. (2006). The control-value theory of achievement emotions:
Nemeth, L., Werker, K., Arend, J., Vogel, S., & Lipowsky, F. (2019). Assumptions, corollaries, and implications for educational research
Interleaved learning in elementary school mathematics: Effects and practice. Educational Psychology Review, 18, 315–341.
on the flexible and adaptive use of subtraction strategies. Perels, F., Gürtler, T., & Schmitz, B. (2005). Training of self-regulatory
Frontiers in Psychology, 10, 86. 7 https://doi.org/10.3389/ and problem-solving competence. Learning and Instruction, 15(2),
fpsyg.2019.00086. Zugegriffen: Mai 2020. 123–139.
Nemeth, L., Werker, K., Arend, J., & Lipowsky, F. (im Druck). Fostering Philipp, M., & Schilcher, A. (2012). Selbstreguliertes Lesen. Ein Überblick
the acquisition of subtraction strategies with interleaved practise: über wirksame Leseförderansätze. Seelze: Klett Kallmeyer.
An intervention study with German third graders. Learning and Piaget, J. (1985). The equilibration of cognitive structures. Chicago: Uni-
Instruction. versity of Chicago Press.
Nesbit, J. C., & Adesope, O. O. (2006). Learning with concept and Praetorius, A.-K., Pauli, C., Reusser, K., Rakoczy, K., & Klieme, E. (2014).
knowledge maps: A meta-analysis. Review of Educational Research, One lesson is all you need? Stability of instructional quality across
76(3), 413–448. lessons. Learning and Instruction, 31, 2–12.
Unterricht
115 4
Praetorius, A.-K., Klieme, E., Herbert, B., & Pinger, P. (2018). Generic psychologischer Grundlage. Von Hans Aeblis kognitionspsycho-
dimensions of teaching quality: The German framework of three logischer Didaktik zur modernen Lehr- und Lernforschung (S. 151–
basic dimensions. ZDM Mathematics Education, 50(3), 407–426. 168). Bern: h.e.p.
Preiss, R. W., & Gayle, B. M. (2006). A meta-analysis of the educational Reusser, K. (2019). Unterricht als Kulturwerkstatt in bildungswissen-
benefits of employing advanced organizers. In B. M. Gayle, R. W. schaftlicher-psychologischer Sicht. In U. Steffens & R.
Preiss, N. Burrell, & M. Allen (Hrsg.), Classroom communication and Messner (Hrsg.), Unterrichtsqualität. Konzepte und Bilanzen
instructional processes. Advances through meta-analysis (S. 329– gelingenden Lehrens und Lernens (S. 129–166). Münster: Waxmann.
344). Mahwah: Erlbaum. Reusser, K., & Pauli, C. (2013). Verständnisorientierung in Mathematik-
Puntambekar, S., & Hübscher, R. (2005). Tools for scaffolding students stunden erfassen. Ergebnisse eines methodenintegrierten
in a complex learning environment: What have we gained and Ansatzes. Zeitschrift für Pädagogik, 59(3), 308–335.
what have we missed? Educational Psychologist, 40, 1–12. Reusser, K., & Pauli, C. (2014). Berufsbezogene Überzeugungen von
Puzio, K., & Colby, G. T. (2010). The effects of within class grouping on Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Roth-
reading achievement: A meta-analytic synthesis. Paper presented land (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (2. Aufl.,
at the annual meeting of the Society for Research on Educational S. 642–661). Münster: Waxmann.
Effectiveness (SREE), Washington, DC. Rindermann, H. (2007). Die Bedeutung der mittleren Klassenfähigkeit
Rakoczy, K. (2007). Motivationsunterstützung im Mathematikunterricht. für das Unterrichtsgeschehen und die Entwicklung individueller
Münster: Waxmann. Fähigkeiten. Unterrichtswissenschaft, 35(1), 68–89.
Rakoczy, K. (2011). Formatives Assessment – Theoretische Erkenntnisse Rittle-Johnson, B., & Loehr, A. M. (2017). Eliciting explanations:
und praktische Umsetzung im Mathematikunterricht. In C. Fischer Constraints on when self-explanation aids learning. Psychonomic
(Hrsg.), Diagnose und Förderung statt Notengebung? Problemfelder Bulletin & Review, 24, 1501–1510.
schulischer Leistungsbeurteilung (S. 73–91). Münster: Waxmann. Rittle-Johnson, B., & Star, J. R. (2007). Does comparing solution
Rakoczy, K., Klieme, E., Drollinger-Vetter, B., Lipowsky, F., Pauli, C., & methods facilitate conceptual and procedural knowledge? An
Reusser, K. (2007). Structure as a quality feature in mathematics experimental study on learning to solve equations. Journal of
instruction. In M. Prenzel (Hrsg.), Studies on the educational quality Educational Psychology, 99(3), 561–574.
of schools. The final report on the DFG Priority Programme (S. 101– Rittle-Johnson, B., & Star, J. R. (2011). The power of comparison in
120). Münster: Waxmann. learning and instruction: Learning outcomes supported by
Ready, D. D., Conn, K., Breats, S. S., & Daruwala, I. (2019). Final impact different types of comparisons. In J. P. Mestre & B. H. Ross (Eds.),
results from the i3 implementation of Teach to one: Math. New The psychology of learning and motivation: Cognition in education
York: Columbia University. 7 https://www.tc.columbia.edu/ (Vol. 55, S. 199–225). San Diego, CA: Elsevier.
media/centers/cpre/Final-Impact-Results-i3-TtO-190224.pdf. Rittle-Johnson, B., Siegler, R. S., & Alibali, M. W. (2001). Developing
Zugegriffen: Mai 2020. conceptual understanding and procedural skill in mathematics:
Reeve, J. (2002). Self-determination theory applied to educational An iterative process. Journal of Educational Psychology, 93, 346–
settings. In E. Deci & R. M. Ryan (Hrsg.), Handbook of 362.
self-determination research (S. 183–203). Rochester: The University Robinson, V., Hohepa, M., & Lloyd, C. (2009). School leadership and
of Rochester Press. student outcomes. Identifying what works and why. Best evidence
Reinmann-Rothmeier, G., & Mandl, H. (2001). Unterrichten und Lern- synthesis iteration (BES). Wellington: Ministry of Education.
umgebungen gestalten. In B. Weidenmann, A. Krapp, G. L. Huber, Rodger, S., Murray, H. G., & Cummings, A. L. (2007). Effects of teacher
M. Hofer, & H. Mandl (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 603– clarity and student anxiety on student outcomes. Teaching in
648). Weinheim: PVU. Higher Education, 12(1), 91–104.
Reis, S. M., McCoach, D. B., Little, C. M., Muller, L. M., & Kaniskan, R. B. Roediger, H. L., & Karpicke, J. D. (2006a). The power of testing memory:
(2011). The effects of differentiated instruction and enrichment Basic research and implications for educational practice.
pedagogy on reading achievement in five elementary schools. Perspectives on Psychological Science, 1, 181–210.
American Educational Research Journal, 48(2), 462–501. Roediger, H. L., & Karpicke, J. D. (2006b). Test-enhanced learning:
Renkl, A. (2011). Aktives Lernen: Von sinnvollen und weniger sinn- Taking memory tests improves long-term retention. Psychological
vollen theoretischen Perspektiven zu einem schillernden Science, 17, 249–255.
Konstrukt. Unterrichtswissenschaft, 39(3), 194–196. Roediger, H. L., Putnam, A. L., & Smith, M. A. (2011). Ten benefits of
Renkl, A., & Scheiter, K. (2017). Studying visual displays: How to testing and their applications to educational practice. In J. Mestre
instructionally support learning. Educational Psychology Review, & B. Ross (Hrsg.), Psychology of learning and motivation: Cognition
29(3), 599–621. in education (S. 1–36). Oxford: Elsevier.
Renkl, A., Gruber, H., & Mandl, H. (1996). Kooperatives problem- Rohrbeck, C. A., Ginsburg-Block, M., Fantuzzo, J. W., & Miller, T. R.
orientiertes Lernen in der Hochschule. In J. Lompscher & H. Mandl (2003). Peer assisted learning interventions with elementary
(Hrsg.), Lehr- und Lernprobleme im Studium: Bedingungen und Ver- school students: A meta-analytic review. Journal of Educational
änderungsmöglichkeiten (S. 131–147). Bern: Huber. Psychology, 95(2), 240–257.
Renkl, A., Helmke, A., & Schrader, F. W. (1997). Schulleistung und Fähig- Rohrer, D. (2009). Avoidance of overlearning characterises the spacing
keitsselbstbild – Universelle Beziehungen oder kontextspezifische effect. European Journal of Cognitive Psychology, 21(7), 1001–1012.
Zusammenhänge? Ergebnisse aus dem SCHOLASTIK-Projekt. In Rohrer, D. (2012). Interleaving helps students distinguish among
F. E. Weinert & A. Helmke (Hrsg.), Entwicklung im Grundschulalter similar concepts. Educational Psychology Review, 24, 355–367.
(S. 374–383). Weinheim: Beltz. Rohrer, D., & Taylor, K. (2006). The effects of overlearning and
Renkl, A., Stark, R., Gruber, H., & Mandl, H. (1998). Learning from distributed practice on the retention of mathematics knowledge.
worked-out examples: The effects of example variability and Applied Cognitive Psychology, 20, 1209–1224.
elicited self-explanations. Contemporary Educational Psychology, Rohrer, D., & Taylor, K. (2007). The shuffling of mathematics practice
23, 90–108. problems improves learning. Instructional Science, 35, 481–498.
Renkl, A., Atkinson, R. K., Maier, U. H., & Staley, R. (2002). From example Rohrer, D., Dedrick, R. F., Hartwig, M. K., & Cheung, C.-N. (2020). A
study to problem solving: Smooth transitions help learning. randomized controlled trial of interleaved mathematics practice.
Journal of Experimental Education, 70, 293–315. Journal of Educational Psychology, 112(1), 40–52.
Reusser, K. (2006). Konstruktivismus – vom epistemologischen Leit- Roschelle, J., Feng, M., Murphy, R. F., & Mason, C. A. (2016). Online
begriff zur Erneuerung der didaktischen Kultur. In M. Baer, M. mathematics homework increases student achievement. AERA
Fuchs, P. Füglister, K. Reusser, & H. Wyss (Hrsg.), Didaktik auf Open, 2(4), 1–12.
116 F. Lipowsky
Rosenholtz, S. J., & Rosenholtz, S. H. (1981). Classroom organization Schulz, W. (1980). Ein Hamburger Modell der Unterrichtsplanung –
and the perception of ability. Sociology of Education, 54(2), 132– Seine Funktionen in der Alltagspraxis. In B. Adl-Amini & R. Künzli
140. (Hrsg.), Didaktische Modelle und Unterrichtsplanung (S. 49–87).
Rosenholtz, S. J., & Simpson, C. (1984a). Classroom organization and the München: Juventa.
stratification of students. Elementary School Journal, 85(1), 21–37. Schünemann, N., Spörer, N., Völlinger, V. A., & Brunstein, J. C. (2017).
Rosenholtz, S. J., & Simpson, C. (1984b). The formation of ability Peer feedback mediates the impact of self-regulation procedures
conceptions: Developmental trend or social construction? Review on strategy use and reading comprehension in reciprocal
of Educational Research, 54(1), 31–63. teaching groups. Instructional Science, 45(4), 395–415.
Rosenshine, B., & Stevens, R. (1986). Teaching functions. In M. C. Schwerdt, G., & Wuppermann, A. (2011). Is traditional teaching really
Wittrock (Hrsg.), Handbook of research on teaching (S. 376–391). all that bad? A within-student between-subject approach.
4 New York: Macmillan. Economics of Education Review, 30, 365–379.
Rosenshine, B., Meister, C., & Chapman, S. (1996). Teaching students to Seabrook, R., Brown, G. D. A., & Solity, J. E. (2005). Distributed and
generate questions: A review of the intervention studies. Review massed practice: From laboratory to classroom. Applied Cognitive
of Educational Research, 66(2), 181–221. Psychology, 19, 107–122.
Rowe, M. B. (1974). Wait time and rewards as instructional variables, Seidel, T., & Shavelson, R. (2007). Teaching effectiveness research
their influence on language, logic and fate control: Part one – in the past decade: The role of theory and research design
Wait time. Journal of Research in Science Teaching, 11(2), 81–94. in disentangling meta-analysis results. Review of Educational
Rowe, K. J., & Rowe, K. S. (1999). Investigating the relationship between Research, 77(4), 454–499.
students’ attentive-in-attentive behaviors in the classroom Seidel, T., Rimmele, R., & Prenzel, M. (2003). Gelegenheitsstrukturen
and their literacy progress. International Journal of Educational beim Klassengespräch und ihre Bedeutung für die Lern-
Research, 31(1–2), 1–138. motivation. Videoanalysen in Kombination mit Schülerselbstein-
Ryan, R. M., Stiller, J. D., & Lynch, J. H. (1994). Representations of schätzungen. Unterrichtswissenschaft, 31(2), 142–165.
relationships to teachers, parents, and friends as predictors Seidel, T., Rimmele, R., & Prenzel, M. (2005). Clarity and coherence of
of academic motivation and self-esteem. Journal of Early lesson goals as a scaffold for student learning. Learning and
Adolescence, 14, 226–249. Instruction, 15(6), 539–556.
Sadker, D., Sadker, M. & Zittleman, K. R. (2011). Questioning skills. In Seidel, T., Jurik, V., Häusler, J., & Stubben, S. (2016). Mikro-Umwelten
J. M. Cooper (Hrsg.), Classroom teaching skills (Bd. 9, S. 107–152). im Klassenverband: Wie sich kognitive und motivational-affektive
Wadsworth: Cengage Learning. Schülervoraussetzungen auf die Wahrnehmung und das Ver-
Samson, G. E., Strykowski, B., Weinstein, T., & Walberg, H. J. (1987). The halten im Fachunterricht auswirken. In N. McElvany, W. Bos, H. G.
effects of teacher questioning level on student achievement: A Holtappels, M. M. Gebauer, & F. Schwabe (Hrsg.), Bedingungen und
quantitative synthesis. Journal of Educational Research, 80, 290–295. Effekte guten Unterrichts (S. 65–87). Münster: Waxmann.
Schacter, J., & Thum, Y. M. (2003). Paying for high- and low-quality Seiz, J., Decristan, J., Kunter, M., & Baumert, J. (2016). Differenzielle
teaching. Economics of Education Review, 23(4), 411–430. Effekte von Klassenführung und Unterstützung für Schülerinnen
Scharenberg, K. (2012). Leistungsheterogenität und Kompetenzent- und Schüler mit Migrationshintergrund. Zeitschrift für
wicklung. Zur Relevanz klassenbezogener Kompositionsmerkmale Pädagogische Psychologie, 30(4), 237–249.
im Rahmen der KESS-Studie. Münster: Waxmann. Sharan, Y., & Sharan, S. (1990). Group investigation expands
Scheerens, J., & Bosker, R. (1997). The foundations of educational cooperative learning. Educational Leadership, 47(4), 17–21.
effectiveness. Oxford: Elsevier. Shayer, M., & Adhami, M. (2007). Fostering cognitive development
Scheibe, W. (1994). Die reformpädagogische Bewegung (10. Aufl.). Wein- through the context of mathematics. Results of the CAME Project.
heim: Beltz. Educational Studies in Mathematics, 64(3), 265–291.
Schmidt, W. H., & Maier, A. (2009). Opportunity to learn. In G. Sykes, She, H. C., & Fisher, D. (2002). Teacher communication behavior and its
B. Schneider, & D. N. Plank (Hrsg.), Handbook of education policy association with students’ cognitive and attitudinal outcomes in
research (S. 541–559). New York: Routledge. science in Taiwan. Journal of Research in Science Teaching, 39(1),
Schmidt, H. G., Loyens, S. M., Van Gog, T., & Paas, F. (2007). 63–78.
Problem-based learning is compatible with human cognitive
Shute, V. J. (2008). Focus on formative feedback. Review of Educational
architecture: Commentary on Kirschner, Sweller, and Clark (2006). Research, 78(1), 153–189.
Educational Psychologist, 42(2), 91–97. Simonton, K. L., Garn, A. C., & Solmon, M. A. (2017). Class-related
Schmidt-Weigand, F., Franke-Braun, G., & Hänze, M. (2008). Erhöhen emotions in secondary physical education: A control-value theory
gestufte Lernhilfen die Effektivität von Lösungsbeispielen? Eine approach. Journal of Teaching in Physical Education, 36(4), 409–
Studie zur kooperativen Bearbeitung von Aufgaben in den Natur- 418.
wissenschaften. Unterrichtswissenschaft, 36, 365–384. Simsek, N., & Cakir, O. (2009). Effect of personalization on students’
Schmidt-Weigand, F., Hänze, M., & Wodzinski, R. (2009). Complex achievement and gender factor in mathematics education. Inter-
problem solving and worked examples: The role of prompting national Journal of Educational and Pedagogical Sciences, 3(7),
strategic behavior and fading-in solution steps. Zeitschrift für 1307–1401.
Pädagogische Psychologie, 23(2), 129–138. Slavin, R. E. (1987). Ability grouping and student achievement in
Schmidt-Weigand, F., Hänze, M., & Wodzinski, R. (2012). How can elementary schools: A best-evidence synthesis. Review of
self-regulated problem solving be implemented in the school Educational Research, 57(3), 293–336.
curriculum? Results from a research project on incremental Slavin, R. E. (1996). Research on cooperative learning and achievement:
worked examples. In M. Edwards & S. O. Adams (Hrsg.), Learning What we know, what we need to know. Contemporary Educational
strategies, expectations and challenges (S. 45–69). Hauppauge: Psychology, 21, 43–69.
Nova Publishers. Slavin, R. E., & Madden, N. A. (2012). Success for all. Summary of
Schneider, S., Beege, M., Nebel, S., & Rey, G. D. (2018). A meta-analysis research on achievement outcomes. 7 http://www.successforall.
of how signaling affects learning with media. Educational org/wp-content/uploads/2016/02/Summary_of_Research_
Research Review, 23, 1–24. September_2012.pdf. Zugegriffen: Mai 2020.
Schnotz, W. (2006). Pädagogische Psychologie. Weinheim: PVU. Slavin, R. E., Hurley, E. A., & Chamberlain, A. (2003). Cooperative
Schrader, F.-W., Helmke, A., & Dotzler, H. (1997). Zielkonflikte in der learning and achievement: Theory and research. In W. M.
Grundschule. Ergebnisse. In F. E. Weinert & A. Helmke (Hrsg.), Ent- Reynolds & G. E. Miller (Hrsg.), Handbook of psychology (Bd. 7,
wicklung im Grundschulalter (S. 299–316). Weinheim: PVU. S. 177–198)., Educational psychology Hoboken: Wiley.
Unterricht
117 4
Slavin, R. E., Lake, C., Davis, S., & Madden, N. A. (2011). Effective Titsworth, S., Mazer, J. P., Goodboy, A. K., Bolkan, S., & Myers, S. A. (2015).
programs for struggling readers. A best-evidence synthesis. Two meta-analyses exploring the relationship between teacher clarity
Educational Research Review, 6, 1–26. and student learning. Communication Education, 64(4), 385–418.
Smits, M. H., Boon, J., Sluijsmans, D. M., & Van Gog, T. (2008). Content Tobin, K. (1987). The role of wait time in higher cognitive level
and timing of feedback in a web-based learning environment: learning. Review of Educational Research, 57(1), 69–95.
Effects on learning as a function of prior knowledge. Interactive Turner, J. C., Cox, K. E., DiCintio, M., Meyer, D. K., Logan, C., & Thomas, C.
Learning Environments, 16(2), 183–193. (1998). Creating contexts for involvement in mathematics. Journal
Sobel, H. S., Cepeda, N. J., & Kapler, I. V. (2011). Spacing effects in of Educational Psychology, 90(4), 730–745.
real-world classroom vocabulary learning. Applied Cognitive Van de Pol, J., Volman, M., & Beishuizen, J. (2010). Scaffolding in
Psychology, 25, 763–767. teacher-student interaction: A decade of research. Educational
Souvignier, E., & Kronenberger, J. (2007). Cooperative learning in Psychology Review, 22(3), 271–297.
third graders’ jigsaw groups for mathematics and science with Van den Boom, G., Paas, F., & van Merriënboer, J. J. G. (2007). Effects
and without questioning training. British Journal of Educational of elicited reflections combined with tutor or peer feedback on
Psychology, 77(4), 755–771. self-regulated learning and learning outcomes. Learning and
Souvignier, E., & Mokhlesgerami, J. (2006). Using self-regulation as a Instruction, 17(5), 532–548.
framework for implementing strategy-instruction to foster reading Van Gog, T., Kester, L., & Paas, F. (2011). Effects of worked examples,
comprehension. Learning and Instruction, 16(1), 57–71. example-problem, and problem-example pairs on novices’
Souvignier, E., Förster, N., & Schulte, E. (2014). Wirksamkeit formativen learning. Contemporary Educational Psychology, 36(3), 212–218.
Assessments – Evaluation des Ansatzes der Lernverlaufs- Van Landeghem, G., van Damme, J., Opdenakker, M.-C., de Fraine,
diagnostik. In M. Hasselhorn, W. Schneider, & U. Trautwein (Hrsg.), B., & Onghena, P. (2002). The effect of schools and classes
Lernverlaufsdiagnostik (Tests und Trends N.F., Bd. 12, S. 221–237). on noncognitive outcomes. School Effectiveness and School
Göttingen: Hogrefe. Improvement, 13(4), 429–451.
Springer, L., Stanne, M. E., & Donovan, S. S. (1999). Effects of Veenman, M. V. J., Van Hout-Wolters, B., & Afflerbach, P. (2006).
small-group learning on undergraduates in science, mathematics, Metacognition and learning: Conceptual and methodological
engineering, and technology: A meta-analysis. Review of considerations. Metacognition and Learning, 1(1), 3–14.
Educational Research, 69(1), 21–51. Voerman, L., Meijer, P. C., Korthagen, F. A., & Simons, R. S. (2012). Types
Stark, R. (1999). Lernen mit Lösungsbeispielen. Einfluss unvollständiger and frequencies of feedback interventions in classroom inter-
Lösungsbeispiele auf Beispielelaboration, Lernerfolg und Motivation. action in secondary education. Teaching and Teacher Education,
Göttingen: Hogrefe. 28, 1107–1115.
Stebler, R., Pauli, C., & Reusser, K. (2018). Personalisiertes Lernen. Zur Vollmeyer, R., & Rheinberg, F. (2005). A surprising effect of feedback on
Analyse eines Bildungsschlagwortes und erste Ergebnisse aus der learning. Learning and Instruction, 15(6), 589–602.
perLen-Studie. Zeitschrift für Pädagogik, 64(2), 159–178. Vygotsky, L. S. (1978). Mind in society. The development of higher psycho-
Stecker, P. M., Fuchs, L. S., & Fuchs, D. (2005). Using curriculum-based logical processes. Cambridge: Harvard University Press.
measurement to improve student achievement: Review of Walberg, H. J., & Paik, S. J. (2000). Effective educational practices.
research. Psychology in the Schools, 42, 795–819. Educational Practices 3. 7 http://www.ibe.unesco.org/en/
Stegmann, K. (2020). Effekte digitalen Lernens auf den Wissens- und document/effective-educational-practices-educational-
Kompetenzerwerb in der Schule. Eine Integration metaana- practices-3. Zugegriffen: Mai 2020.
lytischer Befunde. Zeitschrift für Pädagogik, 66(2), 174–190. Walshaw, M., & Anthony, G. (2008). The teacher’s role in classroom dis-
Stein, M. K., & Lane, S. (1996). Instructional tasks and the development course. A review of recent research in mathematics classroom.
of student capacity to think and reason: An analysis of the relation- Review of Educational Research, 78(3), 516–551.
ship between teaching and learning in a reform mathematics Wandeler, C., Niggli, A., Villiger, C., Aebischer, M., & Leopold, P. (2015). Ein
project. Educational Research and Evaluation, 2(1), 50–80. Quasi-Experiment zur Gruppenrallye im Mathematikunterricht: Hält
Sung, Y. T., Yang, J. M., & Lee, H. Y. (2017). The effects of mobile- die Methode, was sie verspricht? Empirische Pädagogik, 29(2), 161–187.
computer-supported collaborative learning: Meta-analysis and Wang, M. C., Haertel, G. D., & Walberg, H. J. (1993). Toward a
critical synthesis. Review of Educational Research, 87(4), 768–805. knowledge base for school learning. Review of Educational
Svenningsen, L., Bottomley, S., & Pear, J. J. (2018). Personalized Research, 63(3), 249–294.
learning and online instruction. In R. Zheng (Hrsg.), Digital techno- Washburne, C. W. (1922). Educational measurements as a key to
logies and instructional design for personalized learning (S. 164– individualizing instruction and promotions. Journal of Educational
190). Hershey: IGI Global. Research, 5, 195–206.
Tan, I. G. C., Sharan, S., & Lee, C. K. E. (2007). Group investigation effects Wasik, B. A., & Hindman, A. H. (2018). Why wait? The importance
on achievement, motivation, and perceptions of students in of wait time in developing young students’ language and
Singapore. The Journal of Educational Research, 100(3), 142–154. vocabulary skills. The Reading Teacher, 72(3), 369–378.
Taylor, K., & Rohrer, D. (2010). The effects of interleaved practice. Waxman, H. C., Wang, M. C., Anderson, K. A., & Walberg, H. J. (1985).
Applied Cognitive Psychology, 24(6), 837–848. Adaptive education and student outcomes: A quantitative
Taylor, B. M., Pearson, P. D., Peterson, D. S., & Rodriguez, M. C. (2003). synthesis. The Journal of Educational Research, 78(4), 228–236.
Reading growth in high-poverty classrooms: The influence of Webb, N. M. (1989). Peer interaction and learning in small groups.
teacher practices that encourage cognitive engagement in literacy International Journal of Educational Research, 13, 21–39.
learning. The Elementary School Journal, 104(1), 3–28. Webb, N. M. (2008). Learning in small groups. In T. L. Good (Hrsg.),
Teddlie, C., & Reynolds, D. (Hrsg.). (2001). The international handbook of 21st century education. A reference handbook (Bd. 1, S. 203–211).
school effectiveness research. London: Routledge Falmer. Thousand Oaks: Sage.
Terhart, E. (1994). Unterricht. In D. Lenzen (Hrsg.), Erziehungswissen- Webb, N. M., Nemer, K. M., Chizhik, A., & Sugrue, B. (1998). Equity
schaft. Ein Grundkurs (S. 133–158). Reinbek: Rowohlt. issues in collaborative group assessment: Group composition
Therrien, W. J. (2004). Fluency and comprehension gains as a result and performance. American Educational Research Journal, 35(4),
of repeated reading: A meta-analysis. Remedial and Special 607–651.
Education, 24(4), 252–261. Webb, N. M., Nemer, K. M., & Zuniga, S. (2002). Short circuits or
Tiedemann, J., & Billmann-Mahecha, E. (2004). Kontextfaktoren superconductors? Effects of group composition on h igh-achieving
der Schulleistung im Grundschulalter. Ergebnisse aus der students’ science assessment performance. American Educational
Hannoverschen Grundschulstudie. Zeitschrift für Pädagogische Research Journal, 39(4), 943–989.
Psychologie, 18(2), 113–124.
118 F. Lipowsky
Weinert, F. E., & Helmke, A. (1996). Der gute Lehrer: Person, Funktion Wood, D., Bruner, J. S., & Ross, G. (1976). The role of tutoring in problem
oder Fiktion? In A. Leschinsky (Hrsg.), Die Institutionalisierung von solving. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 17(2), 89–100.
Lehren und Lernen. Beiträge zu einer Theorie der Schule. Zeitschrift Wubbels, T., & Brekelmans, M. (2005). Two decades of research on
für Pädagogik (Bd. 34, S. 223–234). Weinheim: Beltz. teacher–student relationships in class. International Journal of
Wellenreuther, M. (2009). Forschungsbasierte Schulpädagogik. Educational Research, 43, 6–24.
Anleitung zur Nutzung empirischer Forschung für die Schulpraxis. Wuttke, E. (2005). Unterrichtskommunikation und Wissenserwerb.
Baltmannsweiler: Schneider. Zum Einfluss von Kommunikation auf den Prozess der Wissens-
Wentzel, K. R. (1997). Student motivation in middle school: The role of generierung. Frankfurt: Lang.
perceived pedagogical caring. Journal of Educational Psychology, Ziegler, E., & Stern, E. (2014). Delayed benefits of learning elementary
89, 411–419. algebraic transformations through contrasted comparisons.
4 Werth, S. (2014). Erfassung und Veränderung der allgemeinen Unterrichts- Learning and Instruction, 33, 131–146.
qualität im Rahmen der Lehrerfortbildungsstudie „Lernen mit Plan“. Ziegler, E., & Stern, E. (2016). Consistent advantages of contrasted
Dissertation, Universität Tübingen. 7 https://publikationen.uni- comparisons: Algebra learning under direct instruction. Learning
tuebingen.de/xmlui/handle/10900/59036. Zugegriffen: Mai 2020. and Instruction, 41, 41–51.
Wijnia, L., Loyens, S. M. M., & Derous, E. (2011). Investigating effects of Zohar, A. (2004). Higher order thinking in science classrooms: Students
problem-based versus lecture-based learning environments on learning and teachers’ professional development. Dordrecht:
student motivation. Contemporary Educational Psychology, 26(2), Kluwer.
101–113. Zohar, A., & David, A. B. (2008). Explicit teaching of meta-strategic
Wilen, W. W. (1991). Questioning skills, for teachers (3. Aufl.). knowledge in authentic classroom situations. Metacognition
Washington, DC: National Education Association. Learning, 3(1), 59–82.
Winne, P. H. (1979). Experiments relating teachers’ use of higher Zohar, A., & Dori, Y. (2003). Higher order thinking skills and low
cognitive questions to student achievement. Review of achieving students – Are they mutually exclusive? Journal of the
Educational Research, 49, 13–50. Learning sciences, 12(2), 145–182.
119 5
Klassenführung
Tina Seidel
Lehrer klagen häufig darüber, dass es im Unterricht an Gerade in Hinblick auf die Klassenführung wünschen
Disziplin mangelt und die Schüler nicht zu bändigen sind. sich viele Lehrer, aber auch Lehramtstudierende und
Die Schülerinnen und Schüler klagen ebenfalls: darüber, Berufsanfänger oft mehr Informationen über einen
dass die Lehrer schlecht vorbereitet sind, der Unterricht angemessenen Umgang mit Störungen im Unterricht und
chaotisch organisiert ist und man sich durch den Lärm zur Führung einer Klasse (Ophardt und Thiel 2013; Thiel
der anderen gestört fühlt. Neben den Klagen gibt es aber 2016).
auch positive Beispiele: Klassenzimmer, aus denen ein Wichtig dabei ist, dass es sich beim Unterricht um
dezenter Lärmpegel dringt, der auf eine konzentrierte ein komplexes Phänomen handelt. Unterricht zeichnet
Arbeitsatmosphäre hinweist; Klassenzimmer, in denen sich durch eine große Anzahl an Ereignissen aus, die mit-
Lehrende durch die einzelnen Arbeitsgruppen gehen, einander vernetzt sind und sich wechselseitig beeinflussen.
5 Hilfestellungen geben, Schüler sich gegenseitig unterstützen
und in denen offensichtlich alle wissen, wohin die (Lern-)
Ereignisse im Unterricht passieren unmittelbar und schnell,
sie sind nur schwer vorhersehbar und haben häufig einen
Reise geht. Das folgende Kapitel behandelt Grundlagen unerwarteten Verlauf. Außerdem kennzeichnet sich Unter-
der 7 Klassenführung. Dabei wird die Klassenführung richt durch die gemeinsame Geschichte der Klasse und der
als Komponente der Unterrichtsqualität eingebettet Lehrperson. Einzelne Ereignisse können also nicht als von-
und wichtige Komponenten vorgestellt. Die Grundlagen einander unabhängig und losgelöst betrachtet werden.
der Klassenführung werden anhand von Beispielen aus 5 Unterricht besteht aus Aushandlungsprozessen, bei
den Forschungsarbeiten von Jacob S. Kounin erläutert. denen unterschiedliche Ziele, Einstellungen, Interessen
Abschließend werden drei Komponenten der Klassenführung und Kognitionen der Lernenden und Lehrenden
herausgestellt: Umgang mit Störungen, Management von aufeinandertreffen. Die Rolle der Lehrenden besteht
Lernzeit und Begleitung von Lernprozessen (. Abb. 5.1). darin, extrinsische Zielstellungen (aus Sicht des Lehr-
plans, der Lehrenden) an die Schüler heranzutragen
und den Unterricht so zu gestalten, dass extrinsische
Motivationslagen internalisiert und in eigene Ziele
integriert werden (7 Kap. 7). Gleichzeitig können
Lehrende das Lernen ihrer Schüler nicht einfach
„anschalten“. Ihre Aufgabe ist es, eine strukturierte Lern-
umgebung vorzubereiten und die Wahrscheinlichkeit für
Lernen zu erhöhen.
5 Unterricht zeichnet sich durch soziale Gruppenprozesse
aus. Mit dieser sozialen Situation umzugehen und
heterogene Gruppen unterschiedlichen Alters zu leiten
und zu begleiten, stellt für viele eine Herausforderung
dar. Dementsprechend schließt sich die Diskussion an,
ob man für den Umgang mit dieser sozialen Situation
„geschaffen“ bzw. geeignet ist oder ob man sich diese
Kompetenzen im Verlauf der Ausbildung aneignen
. Abb. 5.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) kann.
5 Unterricht ist eingebettet in den institutionellen Kontext
von Schule und die an der Schule und im Bildungs-
5.1 Klassenführung als zentrales Thema der system vorherrschenden Ziele und Erwartungen. Für
Unterrichtsforschung den Unterricht bedeutet dies, dass Lehrer nicht losgelöst
von diesem Kontext agieren können und von ihnen
In der Unterrichtsforschung beruft man sich auf das erwartet wird, dass sie Ziele in einer bestimmten Zeit
Angebots-Nutzungs-Modell (Seidel 2014; Seidel und erreichen.
Reiss 2014; Trautwein und Kunter 2013). Ziel ist es, einen
fundierten Kenntnisstand darüber aufzubauen, welche Anfänger im Lehrberuf haben oft die Vorstellung, dass
Angebote eine Lehrperson im Unterricht bereitstellt, eine gelungene Klassenführung eine Art Voraussetzung
die Schülerinnen und Schüler möglichst optimal nutzen für das „eigentliche“ Geschäft des Unterrichtens darstellt.
können, um positive Lernergebnisse zu erzielen. Als effektiv Aus wissenschaftlicher Sicht ist Klassenführung dagegen
wird ein Unterricht dann bezeichnet, wenn bestimme Lehr- als ein Syndrom zu verstehen, das eine Reihe verschiedener
weisen besonders positiv die Lernergebnisse von Schülern Unterrichtsmerkmale einschließt und integraler Teil des
beeinflussen. In der Unterrichtsforschung haben sich drei Prozesses des Unterrichtens ist. In den nachfolgenden Aus-
Merkmalsbereiche als besonders effektiv herausgestellt: führungen wird deshalb der Begriff der Klassenführung
Kognitive Aktivierung, Unterstützendes Lernklima/Lern- als ein besonderer Aspekt des Unterrichts herausgestellt.
begleitung, und Klassenführung (7 Kap. 4). Im Zusammenhang mit den Ausführungen im Kapitel
Klassenführung
121 5
„Unterricht“ ordnet sich die Klassenführung zu großen die einzelnen Schüler mit den zu lernenden Inhalten
Anteilen in die Dimension der Strukturiertheit von Unter- aktiv, engagiert und konstruktiv auseinandersetzen. Je
richt ein, etwa in Bezug auf die Festlegung von Regeln, mehr die Unterrichtszeit für die Reduktion störender
Erwartungen und Normen (7 Abschn. 4.2). Aktivitäten verbraucht bzw. verschwendet wird,
Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Aus- desto weniger aktive Lernzeit steht zur Verfügung. Je
führungen zur Klassenführung in diesem Kapitel auf häufiger einzelne Schüler im Unterricht anwesend und
Lernende ohne gravierende Störungsbilder konzentrieren, zugleich geistig abwesend sind, umso weniger können
wie sie beispielsweise bei Lern- und Verhaltensstörungen auf- sie lernen. Der Klassenführung kommt deshalb eine
treten (7 Kap. 16, 17 und 18). Für diese Fragen bedürfte es Schlüsselfunktion im Unterricht zu.
einer erweiterten Darstellung und Diskussion pädagogisch-
Ein weiterer Aspekt der Klassenführung betrifft die Unter-
psychologischer Interventionsmaßnahmen, die den Rahmen
stützung der individuellen Lernaktivitäten der Schüler
dieses Kapitels übersteigen.
(Thiel 2016). Zentral ist dabei, wie Lehrende mit Schülern
interagieren, wie sie Rückmeldungen an die Lernenden
geben, wie sie das Lernen der Schüler überwachen und
5.2 Begriffsklärung
regulierend begleiten. Das Ziel ist es, erwünschtes Verhalten
zu fördern und zu unterstützen. Diese Komponente von
Der Begriff der Klassenführung lenkt den Blick zunächst
Klassenführung steht im Zentrum der von der Bildungs-
auf jene Maßnahmen, mit deren Hilfe Lehrende für
direktion Zürich (2006) vorgeschlagenen Definition.
Disziplin sorgen, einen reibungslosen Ablauf des Unter-
richts gewährleisten, mit störenden Schülern umgehen,
Definition
Regeln aufstellen, Konflikte lösen (7 Abschn. 4.2). Da es hier
im Kern um den Umgang mit unerwünschten Verhaltens- Klassenführung ist alles, was Lehrpersonen mittels
weisen von Schülern geht, werden Begriffe wie Disziplin, Aktivitäten und Haltungen zur Steuerung der
Regelklarheit, und Strukturgebung bedeutsam, die auch Interaktionen in der Klasse beitragen, wobei ihnen
in der erziehungspsychologischen Literatur (ausführlich bewusst ist, dass die Klasse mehr ist als die Summe der
dazu 7 Abschn. 10.2) im Zentrum stehen. Zieht man eine einzelnen Schüler und dass sich die individuellen und
Parallele von der „Führung“ im Klassenzimmer zum elter- die sozialen Lernprozesse gegenseitig beeinflussen.
lichen Erziehungsstil (Helmke 2015), dann ist hier wie da Ziel ist ein Klassenklima, welches gute Lehr- und
ein autoritatives Erziehungsverhalten zielführend. Dieses Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung und den Schutz
zeichnet sich dadurch aus, dass zwar Normen und Werte jedes Einzelnen gewährleistet, den Schülern ermöglicht,
vorgegeben, diese aber gemeinsam mit den Kindern bzw. an gemeinschaftsbildenden Aktivitäten zu lernen und
Schülern ausgehandelt werden. Ziel ist es, die Kinder von die Motivation der Schüler stärkt, sich zugunsten der
der Notwendigkeit der Normen und Werte zu überzeugen. Gemeinschaft einzusetzen (Bildungsdirektion Kanton
Eine weitere Facette von „Klassenführung“ hebt auf Zürich 2006, S. 1).
Unterrichtsstrategien ab, die dazu beitragen, dass sich
Lernende möglichst zeitintensiv mit den Lerninhalten aus-
einandersetzen (Thiel 2016; Evertson und Weinstein 2006).
Es geht darum, die Lerninhalte vorzustrukturieren und 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der
den Ablauf einer Stunde so zu gestalten, dass die Schüler Klassenführung
wesentliche Lehrziele als Lernziele nachvollziehen und
integrieren können. Kurz gefasst dient Klassenführung somit Unter den Forschungsarbeiten zur Klassenführung gelten
der Herbeiführung positiven und erwünschten Verhaltens die Beiträge von Jacob S. Kounin (1976, 2006) als weg-
durch eine maximale Bereitstellung von aktiver Lernzeit weisend. Ausgangspunkt für das Forschungsprogramm
(7 Abschn. 4.1). Dass hierbei der (Förderung der) Lern- stellte ein Zwischenfall in der Hochschullehre dar: Ein
motivation von Lernenden eine wichtige Rolle zukommt, Student las während der Vorlesung offensichtlich Zeitung.
wird aus der folgenden Definition Weinerts deutlich. Der Forscher hatte den Studenten daraufhin öffentlich
Nach Weinert (1996, S. 124) ist es die zentrale Funktion gemaßregelt. In der Folge verhielten sich die anderen
von Klassenführung, Studierenden, die von der Maßregelung überhaupt nicht
betroffen waren, deutlich anders: Sie starrten auf ihre
» … die Schüler einer Klasse zu motivieren, sich möglichst Unterlagen, waren zurückhaltend und trauten sich kaum,
lange und intensiv auf die erforderlichen Lernaktivitäten offen an einem Gespräch mit dem Dozenten teilzunehmen.
zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür – den Kounin interpretierte diese pädagogische Situation als
Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder „Welleneffekt“, den er nicht antizipiert und beabsichtigt
auftretende Störungen schnell und undramatisch hatte. Das in Folge entstandene Forschungsprogramm zur
beenden zu können. Die wichtigste Voraussetzung für Klassenführung von Kounin stellt einen der wichtigsten
wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen ist das Ausmaß Beiträge der Pädagogischen Psychologie in der Unterrichts-
der aktiven Lernzeit, das heißt der Zeit, in der sich forschung dar und besitzt immer noch eine hohe Aktualität.
122 T. Seidel
Gleichzeitig ist es ein Beispiel dafür, wie Forschung (6,8 %) gelten als häufigste Störungen. Weitere bezogen
einen wesentlichen Praxisbezug aufweist und von vielen sich auf Zuspätkommen, Vergessen von Hausarbeiten oder
Pädagogen konkret umgesetzt werden kann. Aus diesem benötigten Arbeitsmitteln und unerlaubtes Verlassen des
Grund wird dem Klassiker im Folgenden besondere Auf- Platzes. Auch wenn sich diese Verhaltensweisen in der Art
merksamkeit geschenkt. und Verteilung bis heute verändert haben dürften, geben die
Häufigkeiten doch einen Einblick in relativ typische Formen
von störenden Verhaltensweisen im Unterricht.
Merkmalsbereiche einer effektiven Klassenführung Drei Dimensionen unterschied Kounin in Bezug auf
(nach Kounin 1976, 2006) Disziplinierungsmaßnahmen:
1. Disziplinierung: Fähigkeit des Lehrenden, bei 5 Klarheit
5 Festigkeit
5 Störungen durch Lernende auf eine klare, feste und
nicht zu harte Weise zu reagieren. 5 Härte
2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung: Fähigkeit des
Lehrenden, den Schülern zu verdeutlichen, dass man Klarheit beinhaltet die Menge der Informationen, die ein
über die Situation im Klassenzimmer stets informiert Lehrender in Bezug auf seine Disziplinierung gibt. Die
ist und ggf. einschreiten wird; sowie die Fähigkeit, Informationen können variieren zwischen einer einfachen
bei gleichzeitig auftretenden Problemen die Benennung („Lass das!“) bis zur Benennung eines konkreten
Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten Fehlverhaltens („Du sollst nicht mit deinem Nachbarn
zu können. sprechen!“) bzw. durch Aufzeigen des Weges zur Einstellung
3. Reibungslosigkeit und Schwung: Fähigkeit des des Fehlverhaltens („Bitte sieh nach vorne!“) oder durch
Lehrenden, für einen flüssigen Unterrichtsverlauf Angabe eines konkreten Gruppenstandards („In der Regel
zu sorgen und speziell in Übergangsphasen für sagen wir ›bitte‹, wenn wir etwas haben möchten!“). Je mehr
eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit den konkrete Informationen gegeben werden, desto höher ist die
Lerninhalten zu sorgen. Klarheit einer Disziplinierungsmaßnahme.
4. Gruppenmobilisierung: Fähigkeit des Lehrenden, Festigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, mit dem
sich auf die Gruppe als Ganzes zu konzentrieren; Lehrende die Ernsthaftigkeit ihrer Disziplinierung zum
gleichzeitig aber auch die Fähigkeit, den einzelnen Ausdruck bringen. Ein beiläufiges „Lass das“ ist ein Aus-
Schüler individuell zu unterstützen. druck für eine geringe Festigkeit in der Disziplinierung.
5. Abwechslung und Herausforderung: Fähigkeit Eine hohe Festigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der
des Lehrenden, die Lernaktivitäten (insbesondere Lehrende nachdrängt und den fokussierten Schüler ansieht,
in Stillarbeitsphasen) so zu gestalten, dass sie als bis das störende Verhalten eingestellt wird (. Abb. 5.2).
abwechslungsreich und herausfordernd erlebt Als Härte bezeichnet Kounin Disziplinierungen, in
werden. denen Lehrende Aggressionen zum Ausdruck bringen
(z. B. Zorn, Gereiztheit). Dies können böse Blicke sein oder
Bemerkungen, in denen Strafen angedroht oder tatsächlich
Wesentlich in den Forschungsergebnissen von Kounin war die erteilt werden.
Erkenntnis, dass nicht die Art der Disziplinierungsmaßnahmen
der Lehrenden bei Störungen entscheidend für eine effektive
Klassenführung ist, sondern die Art und Weise, wie Lehrer den
Unterricht organisieren, den Unterrichtsprozess überwachen
und durch die Art der Aufgabenstellungen für eine kognitiv
aktivierende Lernumgebung sorgen.
Die acht Lehrstilvariablen in den fünf Merkmals-
bereichen werden im Folgenden anhand von Fallbeispielen
näher erläutert.
5.3.1 Disziplinierungsmaßnahmen
Das Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die beiden und Schwung lassen sich empirisch vor allem über negative
Lehrer mit den simultan auftretenden Ereignissen umgehen. Indikatoren, bei Kounin als Sprunghaftigkeit bezeichnet,
Der erste Lehrer vermittelt Mary, dass er ganz bei der belegen. Dazu zählen Reizabhängigkeit (sich ablenken lassen
Sache ist. Gleichzeitig geht er auf das störende Verhalten von einzelnen Reizen), Unvermitteltheiten, thematische
der beiden anderen Schüler ein, kurz und bündig, um sich Inkonsequenzen, Verkürzungen, thematische Unent-
dann dem Lesekreis wieder zuzuwenden. Der zweite Lehrer schlossenheit, Überproblematisierungen, Fragmentierungen
unterbricht die Aktivität im Lesekreis und stürzt sich förm- von Gruppen und Handlungseinheiten.
lich auf das störende Verhalten der beiden Schüler. Die empirischen Befunde von Kounin verweisen
Die empirischen Ergebnisse zeigen einen positiven wiederum auf einen positiven Zusammenhang zwischen
Zusammenhang zwischen Überlappung und der Mit- Reibungslosigkeit/Schwung und Mitarbeit bzw. Aus-
5 arbeit der Schüler. Bei positiver Überlappung tritt weniger
Fehlverhalten aufseiten der Lernenden auf. Dies trifft ins-
bleiben von Fehlverhalten aufseiten der Schüler. Die Ver-
meidung von Verhaltungsweisen, die einen flüssigen
besondere auf Übungs- und Stillarbeitsphasen zu. Ablauf des Unterrichts verhindern, ist eine der wichtigsten
Determinanten für effektive Klassenführung.
Exkurs
Stabilität von Klassenführung: Wie oft muss man Unterricht beobachten, um sicher etwas über Klassenführung
aussagen zu können?
In einer aktuellen Studie hat man sich beiden Bereiche der Klassenführung Für die Unterrichtsforschung ist dieser
die Frage gestellt, wie stabil eigentlich und der Lernunterstützung Befund relevant, da man dadurch
Lehrkräfte Klassenführung in ihrem recht stabile Merkmalsbereiche besser abschätzen kann, wie viele
Unterricht umsetzen (Praetorius darstellen und wenig zwischen Unterrichtsstunden man videografieren
et al. 2014). Dazu wurde Mathematik- unterschiedlichen Unterrichtsstunden muss, um eine zuverlässige Aussage
unterricht bei Lehrkräften in einzelnen variieren. Lehrpersonen scheinen bei über die Qualität des Unterrichts
Klassen mehrmals videografiert diesen Qualitätsdimensionen von zu treffen. Bei der Messung von
und die Videoaufzeichnungen Unterricht ausgeprägte Routinen Klassenführung und Lernunterstützung
in Bezug auf die drei Merkmals- entwickelt zu haben, die sie in jeder reicht die Aufzeichnung einzelner
bereiche von Unterricht (Kognitive Unterrichtsstunde anwenden. Andere Unterrichtsstunden aus, während man
Aktivierung, Lernunterstützung und Bereiche wie die Kognitive Aktivierung bei der kognitiven Aktivierung mehrere
Klassenführung) eingeschätzt. Die waren dagegen wesentlich variabler Unterrichtsstunden berücksichtigen
Ergebnisse der Studie zeigen, dass die zwischen einzelnen Unterrichtsstunden. sollte.
126 T. Seidel
dass Schüler external gestellte Bildungsziele (vonseiten in die Unterrichtsdimension der Klassenführung ein. Vor
der Lehrpersonen, der Schule) als eigene Lernziele inter- allem die Qualität der Interaktion zwischen Lehrenden und
nalisieren können. Wenn Schülern dies gelingt, wächst die Lernenden in der Begleitung, Unterstützung und Rück-
Chance, dass sie sich intrinsisch motiviert und verständnis- meldung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb
orientiert mit Lerninhalten auseinandersetzen. Tun sie dies einer Klassengemeinschaft werden für die Klassenführung
nicht, dominieren Formen externaler Lernmotivation bzw. von Bedeutung (7 Exkurs „Effekte distaler und proximaler
Amotivation. Amotivation und externale Lernmotivation Variablen zur Messung von Klassenführung“) (Thiel 2016;
wiederum führen u. a. dazu, den Unterricht passiv zu ver- Ophardt und Thiel 2013).
folgen bzw. sich nicht auf die Lerninhalte zu konzentrieren Turner und Patrick (2004) beschreiben den Aus-
und dann häufiger den Unterricht zu stören. handlungsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden,
5 Die Folge einer möglichst lang andauernden und
intensiven Auseinandersetzung der Schüler mit Lerninhalten
deren Überzeugungen und Zielorientierungen und die
Auswirkungen der Qualität der Interaktionen zwischen
ist nach dieser Auffassung ein Klassenklima, das durch Lehrenden und Lernenden auf das Verhalten von Schülern.
Konzentration, Herausforderung, und gegenseitige Wert- Sie zeigen, wie das Verhalten von Schülern von der Quali-
schätzung gekennzeichnet ist. Dementsprechend wird Klassen- tät der Interaktionen zwischen ihnen und den jeweiligen
führung mit dem Ziel versehen, eine Situation zu erzeugen, Lehrern abhängt. Das Verhalten von Schülern im Unter-
die gute Lehr- und Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung richt ändert sich deutlich, wenn sie im Zuge des Jahr-
der Schüler unterstützt und es den Lernenden ermöglicht, gangsstufenwechsels auf neue Lehrer treffen. Verfolgen
kooperativ zu lernen und motiviert an Lerninhalte heranzu- Lehrer das Ziel, dass die Lernenden vorwiegend ein
gehen (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2006). Betrachtet Verständnis für Lerninhalte erwerben sollen (Lernziel-
man Kounins (2006) Ausführungen zur Klassenführung, zeigt orientierung), zeigen die Schüler ein Verhalten, das auf
sich, dass diese Ideen bereits in den frühen Arbeiten vertreten ein starkes kognitives Engagement deutet. Bestanden die
waren. Allerdings noch unter Begriffen wie Schwung oder Ziele der Lehrenden und Lernenden darin, Leistung zu
Gruppenmobilisierung. Aktuelle Begriffe umfassen dagegen demonstrieren (Leistungszielorientierung), war das Ver-
Verhaltensweisen der Lehrpersonen, die in den Bereichen halten der Schüler sehr wechselhaft und zum Teil störend.
Regulation, Monitoring, Begleitung, Rückmeldung und Unter- Ähnliche Befunde in Bezug auf die Unterstützung selbst-
stützung angesiedelt sind. regulierten Lernens in Abhängigkeit der Erwartungen
Betrachtet man Klassenführung unter der Perspektive und Zielorientierung der Lehrenden berichten Perry
der 7 Lernbegleitung reihen sich eine Vielzahl von Studien et al. (2002). Die Kongruenz bzw. Friktion zwischen
Exkurs
Medien
Holger Horz
Literatur – 158
Exkurs
Erst in den 1960er und 1970er Jahren nahm die Zahl vermeintlich zunehmenden Aggressivität von Kindern
der wissenschaftlichen Publikationen, in denen Medien- gebracht (u Exkurs „Historische Forschung zu aggressivem
phänomene primär durch Rückgriff auf psychologische Verhalten durch Fernsehkonsum“). In den 1970er Jahren
Theorien und Methoden untersucht wurden, zu. Ins- setzte auch die medienpsychologische Forschung zu Fragen
besondere die Forschung zu Einflüssen des Fernsehens der Mensch-Computer-Interaktion ein. Kein anderes
setzte die Tradition einer deutlichen „Medienskepsis“ Medium führte zu einem solch deutlichen Anstieg der
fort. So wurde der Fernsehkonsum von Kindern in den Forschungsaktivitäten im Bereich der Medienpsychologie
1960er Jahren für zahlreiche psychovegetative Störungen wie die rasche Verbreitung der Computer, insbesondere der
verantwortlich gemacht und in Verbindung mit einer Personal Computer.
Exkurs
Texte, sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Als Lesekompetenz (u Kap. 16 und 17) wird die
Form (z. B. Audiofile, Unterrichtsvortrag), gelten weiter- Fähigkeit bezeichnet, sachrichtig Informationen aus
hin als „Leitmedium“ (Horz und Ulrich 2015) in Lehr- und schriftlichen Texten entnehmen zu können (van Dijk
Lernsituationen. Texte stellen eine zusammenhängende und Kintsch 1983; Richter und Christmann 2002). Die
Informationsressource in geschriebener Sprache dar, die Lesekompetenz setzt sich aus hierarchisch geordneten
aus per Konventionen festgelegten Symbolen (Phonemen, Teilfähigkeiten zusammen. Diese Teilfähigkeiten
Silben, Worten, Sätzen) besteht. In Abhängigkeit von der umfassen hierarchieniedrige basale Wahrnehmungs-
Kultur bestehen sehr unterschiedliche Formen, wie diese und Identifikationsprozesse (z. B. Buchstaben- und
Konventionen umgesetzt werden, was z. B. durch unter- Wortidentifikation beim Lesen einer Zeitung). Zudem
schiedliche Alphabete deutlich wird. werden hierarchiehohe Prozesse zum Aufbau interner
Während Texte seit Jahrhunderten genutzt werden, mentaler Repräsentationen benötigt (z. B. Verstehen
um Informationen zu vermitteln und zu archivieren, eines Zeitungsartikels, der über Wahlergebnisse
stellen Hypertexte eine vergleichsweise neue Form der berichtet) sowie zur Interpretation und Evaluation
Textrepräsentation dar. Insbesondere durch die stark der Textinformationen (z. B. Bewertung eines
angestiegene Verbreitung digitaler Lernmedien werden Wahlergebnisses, über das man in der Zeitung gelesen
Hypertexte in zunehmender Zahl eingesetzt, da sie in hat, vor dem Hintergrund der eigenen Vorkenntnisse
digitalen Lernumgebungen einfacher realisiert werden über Wahlsystem, bisherige Machtverhältnisse etc.).
können als in anderen Medien. Ein sehr bekanntes Beispiel
Medien
137 6
Um einen Text zu lesen, müssen folgende perzeptuelle und ist die Kenntnis der wesentlichen Konventionen einer
kognitive Verarbeitungsprozesse durchgeführt werden: Sprache. Um schriftliche Texte verstehen zu können,
5 Zunächst werden einzelne Buchstaben visuell wahr- ist darüber hinaus die Beherrschung der Schriftsprache
genommen und zu Worten zusammengesetzt. Auf („Alphabetisierung“) nötig. Der Erwerb einer Schrift-
diese Weise entsteht eine mentale Textoberflächen- sprache erfolgt in jahrelangen – meist institutionalisierten
repräsentation. Diese ermöglicht dem Lernenden eine – Lernprozessen. Dabei ist es auch in technisch und sozial
wörtliche Wiedergabe des Textes, allerdings entsteht auf hochentwickelten Kulturen keineswegs selbstverständ-
dieser Ebene des Leseprozesses noch kein Verständnis lich, dass die Alphabetisierung bei allen Angehörigen einer
des Textes. Kultur gelingt. Auch in technisch und sozial hoch ent-
5 Für ein inhaltliches Verständnis eines Textes ist der wickelten Gesellschaften verfügen relevante Minderheiten
Aufbau eines propositionalen Modells nötig (van Dijk nicht über die Fähigkeit, schriftliche Texte ausreichend
und Kintsch 1983). In einem propositionalen Modell zu verstehen oder zu produzieren, ohne dass gesundheit-
wird der Text nicht mehr wörtlich, sondern nur durch liche Gründe (z. B. hirnorganisch bedingte intellektuelle
miteinander verknüpfte Sinneinheiten (Propositionen) Defizite) dem erfolgreichen Erwerb einer Schriftsprache
repräsentiert (z. B. der Begriff „Demokratie“ ist bei den im Weg stehen. So sind in Deutschland knapp 2 % der
meisten Menschen verbunden mit Sinneinheiten wie Bevölkerung „echte“ Analphabeten, jedoch müssen
Wahlen, Wahlfreiheit, Parlament etc.). ca. 14 % der Bevölkerung als funktionale Analphabeten
5 Neben der eher abstrakten Repräsentation in einem eingestuft werden (Grotlüschen und Riekmann 2012).
propositionalen Modell, wird der Textinhalt auch in
einem mentalen Modell repräsentiert. Das mentale Definition
Modell besteht aus einer analogen und realitätsnahen Der Begriff funktionaler Analphabetismus
kognitiven Repräsentation der Inhalte eines Textes bezeichnet die unzureichend entwickelte Fähigkeit,
(auch u Abschn. 6.2.3). Mentale Modelle sind subjektive die schriftbasierte Sprache in sozial adäquater Weise
Strukturen, welche die reale Welt im Arbeitsgedächt- zu verstehen und Texte zu produzieren. So können
nis abbilden (Johnson-Laird 1983). Setzt man die Menschen, die als funktionale Analphabeten einzustufen
vorherigen Beispiele fort, so wäre das mentale Modell, sind, zwar meist ihren Namen schreiben und einzelne
das beim Lesen eines Zeitungsartikels über eine Wahl Worte erkennen, sind jedoch nicht in der Lage, längere
entsteht, angereichert mit subjektiven Erinnerungen, Texte zu verstehen (u Abschn. 16.1).
ob man die Partei präferiert, die gewann, die bild-
lichen Erinnerungen an das Aussehen der im Artikel
erwähnten Politiker usw. Vorwissen und Lesefähigkeit Das Lernen mit Texten und
Hypertexten wird von zahlreichen individuellen Faktoren
Ein für das Verständnis eines Textes zentrales Merkmal ist beeinflusst (Artelt et al. 2001; Richter und Christmann
der Grad der Textkohärenz. In der Regel bestehen Texte 2002; u Abschn. 16.1 und 17.5). So sind bei Schülern einer
aus Sätzen, die aufeinander bezogen sind, um einen Inhalt Klasse erhebliche Unterschiede in der allgemeinen Lese-
kohärent zu beschreiben. Dabei kann man zwischen der fähigkeit, in der Lesegeschwindigkeit sowie in den für das
lokalen und globalen Textkohärenz unterscheiden. Während Lesen relevanten Teilprozessen wie z. B. Geschwindigkeit
sich die lokale Textkohärenz allein auf den thematischen des Zugriffs auf den Wortschatz, Wortschatzumfang, Text-
Zusammenhang zwischen zwei Sätzen bezieht, bezeichnet verständnis und Inferenzbildung (Schlussfolgerungen, die
die globale Textkohärenz den thematischen Zusammen- über den gelesenen Inhalt hinausgehen) zu beobachten.
hang aller Sätze eines Textes in Bezug auf dessen Thema. Insbesondere das thematische Vorwissen und die Lese-
Das Verständnis eines Textes ist einfacher, wenn eine hohe fähigkeit können das Lernen mit (Hyper-)Texten beein-
lokale und insbesondere eine hohe globale Textkohärenz flussen (u. a. Richter et al. 2005; Naumann et al. 2007). So
vorliegen und wenn die Themen eines Textes kontinuierlich verringert ein geringes inhaltliches Vorwissen die Effizienz
aufeinander aufgebaut werden (Schnotz 1994). des Aufbaus propositionaler und mentaler Modelle
Beim Lernen mit Hypertexten ergeben sich zusätz- während des Lernens mit Texten. Zudem ist die Inter-
liche Anforderungen an die Leser, die bei der Lektüre pretation und Evaluation von Texten nur eingeschränkt
konventioneller Texte nicht auftreten. Schwieriger als in möglich, wenn Lernende über geringes inhaltliches Vor-
einem konventionellen Text ist das gezielte Auffinden von wissen verfügen oder basale Leseprozesse nicht vollständig
Informationen. Letzteres beansprucht dabei umso mehr automatisiert sind.
kognitive Ressourcen, je komplexer das Netzwerk ver- Die Fähigkeit im Umgang mit computerbasierten
schiedener Textteile in einem Hypertext wird. Hypertexten beeinflusst den Lernerfolg mit diesem
Medium in entscheidender Weise. So kann eine
Individuelle Faktoren des Lernens mit Texten erhebliche Desorientierung von Lernenden bei der
und Hypertexten Bearbeitung von komplexen Hypertexten auftreten, die
Erwerb der Schriftsprache Grundlegende Voraussetzung als „ Lost-in-Hyperspace“-Phänomen bekannt ist (Conklin
zum Verständnis von mündlich dargebotenen Texten 1987). Lernende mit geringer Erfahrung im Umgang mit
138 H. Horz
Logisches Bild
Hasen
Normierte Ohrenlänge
Abstrakte Darstellung
ohne realistische Kaninchen
Abbildungselemente
Gewicht
haben. Werden Bilder allein aus ästhetisch-dekorativen vertiefte Verarbeitung eines Bildes müssen dann attentive
Gründen eingesetzt, ist davon auszugehen, dass sie den Prozesse folgen, in denen Elemente eines Bildes einer bewussten
Lernprozess behindern, da sie bei der Informationsver- und zielgerichteten Analyse unterzogen werden. Dabei ergeben
arbeitung einer Lernumgebung kognitive Ressourcen des sich aus dem Bildformat (z. B. realistisches Foto vs. logische
Arbeitsgedächtnisses beanspruchen, ohne lernrelevante Abbildung) unterschiedliche Anforderungen an das Vorwissen
kognitive Prozesse auszulösen oder zu erleichtern. Daher der Rezipienten, da sie mit kulturellen Konventionen hinsicht-
werden dekorative Bilder in Lernumgebungen auch als lich der Darstellungsformen und ihrer Bedeutung vertraut sein
„seductive details“ bezeichnet (Harp und Mayer 1998). Ein müssen, um ein Bild adäquat zu interpretieren. So stellt z. B. in
Beispiel für eine Lernumgebung mit zahlreichen „seductive einem Kreisdiagramm der gesamte Kreis in der Regel 100 %
details“ stellt die „Sesamstraße“ dar. Es konnte gezeigt der betreffenden Gesamtmenge dar und jeder Sektor ent-
werden, dass Kinder sich überwiegend die dekorativen spricht in seiner relativen Größe dem Anteil einer Kategorie an
Elemente der Sendungen merkten und nur in geringem der Gesamtmenge. Dabei ist zu bedenken, dass Bilder nicht in
Maße die zu lernenden Informationen behielten (Fisch all ihren Details analog mental repräsentiert werden, sondern
2004). Inwiefern aber „seductive details“ eine motivations- die mentale Repräsentation von Bildern bei den Lernenden
stützende Funktion haben, die Kinder animiert, sich über- anhand von mentalen Modellen erfolgt, wie dies auch bei der
haupt mit Lerninhalten aus Lernumgebungen wie der Verarbeitung von Texten geschieht (u Abschn. 6.2.1). Das heißt,
Sesamstraße zu befassen, ist bisher nicht eindeutig geklärt. ähnlich wie bei Texten werden nur die wichtigsten Bedeutungs-
Sicher ist jedoch, dass informative Bilder (z. B. Grafiken, einheiten von Bildern mental repräsentiert.
Diagramme etc.), die nicht primär aus dekorativen Gründen
in eine Lernumgebung integriert sind, den Lernprozess auf
unterschiedliche Weise fördern können (Übersicht). Für den Lernprozess förderliche Merkmale
Die kognitive Verarbeitung von Bildern erfolgt zunächst informativer Bilder
in Form präattentiver Prozesse. Hierunter fasst man visuelle 5 Interpretationserleichterung:
Routinen zusammen, die automatisiert entlang von Wahr- Bilder können Inhalte veranschaulichen,
nehmungsgesetzen (z. B. „Gesetz der guten Gestalt“) ablaufen konkretisieren und so deren Verständnis erleichtern.
und kaum bewusst gesteuert oder vom Vorwissen der 5 Motivation:
Lernenden beeinflusst werden. Durch präattentive Prozesse Bilder können das Interesse der Lernenden wecken
nehmen wir ein Bild in seiner Gesamtheit wahr. Für eine oder während des Lernens aufrechterhalten.
140 H. Horz
. Abb. 6.3 a–f Beispiele logischer Bilder. a Säulendiagramm, b Balkendiagramm, c Punktediagramm, d Liniendiagramm, e Kreisdiagramm,
f Isotypendiagramm
Theorie der dualen Kodierung (Paivio 1986) erklärt. der meisten Menschen bildhaft und abstrakt kodiert
Die Theorie der dualen Kodierung geht davon aus, dass sein, wohingegen für den Begriff „Wahrheit“ vermut-
die Informationsverarbeitung im kognitiven System des lich die wenigsten Menschen über eine konkret-bildhafte
Menschen in zwei unterschiedlichen, aber interagierenden Repräsentation in ihrem Gedächtnis verfügen.
Untersystemen – einem verbalen und einem piktorialen Mayer (1997) entwickelte ausgehend von der Theorie der
System – erfolgt. Weiterhin wird angenommen, dass beide dualen Kodierung eine „kognitive Theorie des multimedialen
Untersysteme in ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt Lernens“. Mayers Theorie bezieht sich zudem auf das Modell
sind, miteinander interagieren, aber auch unabhängig von- des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley (1986, . Abb. 6.5),
einander aktiv sein können. Werden aufeinander bezogene in dem postuliert wird, dass das Arbeitsgedächtnis aus einer
verbale und piktoriale Inhalte gelernt, so wird der Lern- zentralen Exekutive, einer phonologischen Schleife, einem
inhalt in beiden Systemen verarbeitet und gespeichert, was visuell-räumlichen „Notizblock“ und einem episodischen
zu einer doppelten Kodierung und damit zu einem höheren Speichersystem besteht. Die Speichersysteme weisen sowohl
Lernerfolg führt. Einschränkend ist anzumerken, dass ent- eine inhaltliche als auch zeitlich begrenzte Informations-
sprechend Paivios Theorie dieser Lernvorteil nur für Inhalte verarbeitungskapazität auf. In der phonologischen Schleife
existiert, für die im Gedächtnis sowohl eine abstrakt- werden gehörte und/oder gelesene Informationen verarbeitet.
verbale (in Form „symbolischer Codes“) als auch eine Dieses System ist mit einem Wiederholungsmechanismus aus-
konkret-bildhafte mentale Repräsentation (in Form „analoger gestattet, der die phonologischen Informationen vor einem
Codes“) besteht. So dürfte der Begriff „Brot“ im Gedächtnis raschen Zerfall schützt. Im visuell-räumlichen Notizblock
Medien
143 6
werden visuelle und räumliche Informationen in „skizzen- visuelle Wahrnehmungsprozesse eine Text- bzw. eine
hafter“ Form zwischengespeichert. Im episodischen Speicher Bildoberflächenrepräsentation des betreffenden Lern-
– einer späteren Weiterentwicklung des Arbeitsgedächtnis- materials generiert. Anschließend wird durch bedeutungs-
modells durch Baddeley, die in der Theorie Mayers ursprüng- generierende kognitive Prozesse aus den auditiv und visuell
lich noch nicht berücksichtigt war – werden phonologische, wahrgenommenen verbalen Informationen eine mentale
visuelle und räumliche Informationen zwischenzeitlich Repräsentation gebildet, die aus konzeptuellen Sinneinheiten
integriert. (Propositionen; u Abschn. 6.2.1, Lernen mit Texten und Hyper-
Mayer übernimmt die Annahme eines auditiv-verbalen texten) besteht. Aus den bildbasierten Informationen hin-
und eines visuell-piktorialen Kanals der Informationsver- gegen wird ein mentales Modell konstruiert, das Struktur- und
arbeitung in seine Theorie. Multimediale Informationen Funktionseigenschaften besitzt, die denen des dargestellten
werden in separaten visuell-bildhaften und a uditiv-verbalen Inhalts entsprechen und damit diesen Inhalt repräsentieren.
Kanälen verarbeitet und erst im Arbeitsgedächtnis Durch schemageleitete Modellkonstruktions- und Modell-
zusammen mit Informationen aus dem Langzeitgedächtnis inspektionsprozesse interagieren diese beiden mentalen
integriert (. Abb. 6.6). Sein Modell wird durch zahlreiche Repräsentationen kontinuierlich miteinander. So bilden
empirische Forschungsbefunde gestützt. Allerdings geht sie eine kohärente mentale Repräsentation der rezipierten
Mayers Modell davon aus, dass die vorhandenen multi- Informationen, wobei die beteiligten Repräsentationen gegen-
medialen Informationsangebote auch immer tatsächlich seitig zu ihrer Elaboration beitragen (. Abb. 6.7).
genutzt werden und dass Bilder den Wissenserwerb grund- Aus der Perspektive des Modells des integrativen Text-
sätzlich fördern. Beides muss jedoch nicht notwendiger- und Bildverstehens ist die Hauptursache für den Lernvorteil
weise immer eintreten. multimedialer Lehrangebote darin zu sehen, dass verbale
Folglich kann kritisch gegenüber dem Modell von Mayer und piktoriale Informationen bei ihrer integrativen Ver-
eingewendet werden, dass nicht immer alle Informations- arbeitung gemeinsam zur Konstruktion eines mentalen
quellen einer multimedialen Informationsressource genutzt Modells beitragen. Allerdings besteht auch die Möglich-
werden und Bilder mit Texten nicht immer lernförder- keit, dass sich Lernende im Rahmen eines multimedialen
licher sein müssen als Texte allein. Diese Überlegungen Informationsangebots auf eine Informationsquelle
berücksichtigt Schnotz in seinem integrativen Modell des konzentrieren und die andere ignorieren, indem beispiels-
Text- und Bildverstehens. Analog zu dem Modell von weise das Verstehen des Texts durch das Verstehen des
Mayer geht das integrative Modell des Text- und Bild- Bildes ersetzt wird und umgekehrt. Zudem kann ein Bild
verstehens davon aus, dass auf der Wahrnehmungs- aufgrund seiner Visualisierungsstruktur die intendierte
ebene zwischen verschiedenen Sinneskanälen (z. B. Anwendung des gelernten Wissens hemmen (Schnotz und
einem auditiven und einem visuellen Kanal) und auf der Bannert 2003), wodurch eine multimediale Repräsentation
kognitiven Ebene zwischen verschiedenen Repräsentations- (z. B. Lernprogramm) eines Inhalts im Vergleich zu einer
kanälen (einem deskriptionalen und einem piktorialen monomedialen Lernumgebung (z. B. Text) auch zu einer
Kanal) unterschieden werden kann (Schnotz und Bannert schlechteren Lernleistung führen kann, was anhand des
2003; Schnotz 2005). Gemäß dem Modell des integrativen Modells des integrativen Text- und Bildverstehens, jedoch
Text- und Bildverstehens werden durch auditive bzw. nicht anhand des Modells von Mayer erklärt werden kann.
. Abb. 6.6 Modellhafte Darstellung der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens
144 H. Horz
. Abb. 6.7 Modell des integrativen Text- und Bildverstehens. (Modifiziert nach Schnotz und Bannert 2003, with permission from Elsevier, sowie
Schnotz 2005, reproduced with permission of Cambridge University Press through PLSclear)
Split-Attention-Effekt Wenn in multimedialen Lern- visuellen Kanals für die Bildverarbeitung genutzt werden
umgebungen schriftliche Texte zusammen mit statischen kann. Auf diese Weise kann ein Maximum an gleich-
und/oder dynamischen Bildern dargeboten werden, zeitiger Verfügbarkeit von verbaler und piktorialer
müssen die Lernenden ihre Aufmerksamkeit notwendiger- Informationen im Arbeitsgedächtnis erreicht werden.
weise zwischen der textuellen und bildlichen Information Augenscheinlich entsteht der Modalitätseffekt schlicht
aufteilen. Das heißt, das Auge muss zwischen beiden durch Vermeidung eines Split-Attention-Effekts, jedoch
Informationsquellen wechseln. Dies führt zu einem zeigten Mayer und Moreno (1998), dass selbst dann
Split-Attention-Effekt, welcher den Lernerfolg verringert. bessere Lernergebnisse im Vergleich zu einer inhalts-
Ein Split-Attention-Effekt tritt insbesondere dann auf, gleichen Lernumgebung erzielt werden, in der die Texte
wenn Animationen oder Filme zusammen mit schrift- schriftlich präsentiert werden, wenn ein auditiver Text
lichem Text dargeboten werden, da in diesem Fall auf- und Animationen nacheinander dargeboten werden (und
grund der begrenzten Informationsaufnahme und somit keine Split-Attention-Situation vorliegt). Mayer und
Verarbeitungskapazität des kognitiven Systems entweder Moreno (1998) nehmen daher an, dass die Nutzung des
Teile der Animation bzw. des Films oder Teile des Textes verbalen sowie des piktorialen Kanals beim multimedialen
ignoriert werden müssen, da diese nur flüchtig präsentiert Lernen zu einer erhöhten Nutzung der Speicherkapazität
werden. Daher sollten Texte in multimedialen Lern- des Arbeitsgedächtnisses führt. Allerdings ist diese Inter-
umgebungen insbesondere bei Animationen und Filmen pretation umstritten (Rummer et al. 2010; Schüler et al.
in gesprochener Form dargeboten werden. 2012).
Temporale und räumliche Kontiguitätseffekte Wenn Effekte der individuellen Verarbeitungssteuerung Folgt
die räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen auf- man den bisherigen Empfehlungen, sollten instruktionale
einander bezogenen Informationen in multimedialen Bilder immer mit auditiv statt visuell präsentiertem Text
Lernumgebungen groß ist (niedrige Kontiguität der kombiniert werden. Dies gilt aber nicht in allen Fällen.
Medien), kann sich dies negativ auf den Wissenserwerb Wichtigster Kritikpunkt ist, dass der S plit-Attention-Effekt
auswirken. Die negativen Phänomene niedriger Kontigui- bei der Kombination von schriftlichen Texten mit
tät können verringert werden, wenn Texte und statischen Bildern nur in sehr geringem Maße auftritt und
Abbildungen räumlich und zeitlich möglichst nahe bei- nur dann, wenn die Lernzeit deutlich begrenzt ist. Zudem
einander präsentiert werden, da so die Suchprozesse ist zu bedenken, dass ein schriftlicher Text eine bessere
zwischen den Informationsquellen verkürzt werden. So Steuerung der Informationsaufnahme erlaubt. Bei schrift-
erzielen Lernende bessere Ergebnisse, wenn Texte und lich dargebotenem Text können Satz- oder Textteile bei
Bilder physisch integriert anstatt getrennt dargeboten Verständnisschwierigkeiten neu gelesen werden, während
werden. Daher kann man die Empfehlung geben, dass die gesprochener Text für die Lernenden in der Regel nur
räumliche Distanz zwischen illustrierten Textstellen und flüchtig dargeboten wird. Es ist zu vermuten, dass die
zugehörigen statischen oder animierten Bildern gering Kontrollvorteile einer schriftlichen Darbietung besonders
gehalten werden sollte. bei schwierigen Texten eine wichtige Rolle spielen.
Modalitätseffekt Wenn Texte in gesprochener Form Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der kognitiven
anstelle von schriftlich integrierten Texten in eine Lern- Belastung Um die Lernwirksamkeit multimedialer Lern-
umgebung eingebunden werden, stellt sich ein höherer umgebungen zu verbessern, ist im Allgemeinen die Regel
Lernerfolg ein (Modalitätseffekt). Werden Texte auditiv zu beachten, dass die extrinsische Belastung einer Lern-
mit instruktionalen Bildern dargeboten, kann die gesamte umgebung soweit wie möglich reduziert werden sollte.
Kapazität des auditiven Kanals der Textverarbeitung Auf diese Weise stehen kognitive Kapazitäten für die Ver-
gewidmet werden, während die gesamte Kapazität des arbeitung der Lerninhalte (intrinsische Belastung) und für
146 H. Horz
lernbezogene Aktivitäten (lernbezogene Belastung) zur (s. o.; ICT-Literacy nach Binkley et al. 2012; Engelhardt
Verfügung. Zur Verringerung der kognitiven Belastung et al. 2019) der Lehrenden und Lernenden bedeutsamer.
in multimedialen Lernumgebungen nennen Mayer und Gleichzeitig steht der stetig wachsenden Verfügbarkeit
Moreno (2003) diverse Möglichkeiten, die weiter unten diverser digitaler Informationen, Lern- und Lehrwerk-
aufgeführt sind. zeuge und den sich daraus entwickelten Nutzungs-
angeboten die zunehmende Desorientierung, bis hin
zum Überforderungserleben, von Teilen der Gesell-
6.2.4 Medieneinsatz aus medialer schaft – so auch Lehrenden und Lernenden – gegenüber
Perspektive (BDP, 2018). Abhängig davon über welche Kapazitäten
und Kompetenzen Lehrende verfügen, können die Lern-
Die zuvor dargestellten Gestaltungskriterien für Text und inhalte durch unterschiedliche Medien aufbereitet und
Bild fokussieren die aus pädagogisch-psychologischer und kombiniert werden. Dazu muss meist als Basis des multi-
medienpsychologischer Sicht bedeutsame Fragestellung, wie medialen Lehr-/Lernsettings eine digitale Lernplattform
6 Texte und Bilder grundsätzlich gestaltet sein sollten, um den (wie z. B. Moodle) eingesetzt werden, um den Lernenden
Lernprozess zu optimieren. Diese grundlegende Frage der die vielfältigen Lernmaterialien, Kommunikations-
Lernmediengestaltung steht aber in der Unterrichtspraxis oft und Kooperationsformen anbieten zu können. Um
weniger im Mittelpunkt des Interesses als die Frage, unter solche Plattformen effektiv nutzen zu können, müssen
welchen Umständen es sinnvoll ist, mit (digitaler oder kon- Lehrende und Lernende über die notwendigen Nutzungs-
ventioneller) Tafel, Flipchart, digitalen Präsentationen etc. kompetenzen entsprechend ihrer Rollen im Lern-
zu arbeiten oder wie diese konkret einzusetzen sind und setting verfügen. Dies setzt in der Regel eine zumindest
wie ein adäquater Medienwechsel während einer Unter- kurze Schulung für die Nutzung einer Lernplattform
richtseinheit durchgeführt wird. Zu den praktischen Fragen voraus. Weiterhin sollte man basale Regeln der virtuellen
des Medieneinsatzes im Unterricht existiert eine sehr Kommunikation („Netiquette“; für eine erste Über-
umfangreiche und ausführliche Ratgeberliteratur sowohl in sicht: u http://de.wikipedia.org/wiki/Netiquette) kennen,
gedruckter Form (z. B. zur Präsentation: Hey 2008) als auch um erfolgreich in sozialen Netzwerken oder mittels
im Internet (z. B. u http://www.e-teaching.org). anderer elektronischer Kommunikationsformen (z. B.
Konferenz-Tools wie Skype) zu agieren.
Medieneinsatz aus Lehrendenperspektive
Einfachheit und Erfahrung Grundsätzlich ist anzumerken,
dass Medien im Unterricht in ihrer Handhabung einfach Medieneinsatz aus medialer Perspektive
einzusetzen sein sollten, damit die Lehrenden keine erheb- Didaktische Gestaltung von Lernmedien Die didaktische
lichen kognitiven Ressourcen auf den Medieneinsatz ver- Gestaltung der Lernmedien kann nur bedingt alle situativen
wenden müssen. Dementsprechend sollten Lehrpersonen und einzigartigen Ereignisse explizit berücksichtigen (z. B.
darauf achten, dass sie Medien einsetzen, mit deren spontane Konflikte unter Schülern, z eitlich-räumliche Ein-
Anwendung sie ausreichend vertraut sind. Jedoch sollen schränkungen wie z. B. durch einen Raumwechsel). Doch
hier (zukünftige) Lehrpersonen ausdrücklich ermutigt sollte die didaktische Planung stets multikriterial (z. B.
werden, mediale Innovationen im Unterricht zu erproben. kognitive und motivationale Voraussetzungen, Vorwissen,
Neue Technologien oder Einsatzszenarien sollten dann Gruppenzusammensetzung, Zusammenarbeitsformen,
eingesetzt werden, wenn der Lerninhalt nur geringe Lernziele und zu entwickelnde Kompetenzen, zeit-
inhaltliche Anforderungen an die Lehrperson stellt bzw. liches Setting, sekundäre Kompetenzen, soziale Ziele etc.)
die Lehrperson mit den Lehrinhalten sehr gut vertraut ist. erfolgen. Dabei sollte i. d. R. ein breites Spektrum relevanter
und planbarer Kriterien im didaktischen Design berück-
Vorbereitung und didaktische Planung Allgemein sichtigt werden, um u. a. die Maßnahmen zur Aktivierung
bekannt ist, dass im Unterrichtsablauf hemmende der Lernenden, die Kommunikationsereignisse zwischen
Probleme wie technische Schwierigkeiten beim Ein- Lehrenden und Lernenden oder Lernenden untereinander
satz von Projektionstechniken („Beamer funktioniert zu planen. Zur strukturierten didaktischen Planung sollten
nicht“) umso häufiger auftreten, je mehr technikbasierte theoretisch fundierte und empirisch geprüfte didaktische
Lehrmedien eingesetzt werden, weswegen Lehrende Modelle herangezogen werden. Auch die Gestaltung der
häufig weiterhin auf analoge Medien zurückgreifen Lehrmaterialien sollte im didaktischen Planungsprozess
(u Abschn. 6.3.2). Als Leitlinie kann gelten, dass der konsistent zu den anderen Unterrichtselementen umgesetzt
Medieneinsatz nicht primär an den technischen Möglich- werden. Dabei ist zu beachten, dass je größer die Zahl der
keiten orientiert sein, sondern die Entscheidung für ein relevanten Kriterien im didaktischen Planungsprozess ist,
Lehrmedium vor allem aus didaktischen Erwägungen desto bedeutsamer wird eine klare Hierarchisierung der
erfolgen sollte (z. B. Horz und Schulze-Vorberg 2017). Planungskriterien untereinander. Zur langfristigen Ent-
wicklung von Lehrmaterialien und Lehr-/Lernsettings
Medienbezogene Kompetenzen Insbesondere beim Ein- im Sinne eines Qualitätsmanagements ist zudem die
satz digitaler Medien werden spezifische Kompetenzen Evaluation der eigenen Lehrmaterialien unerlässlich.
Medien
147 6
Ein besonderer Aspekt der didaktischen Planung ist Informationen überlastet ist, sollte den Lernenden der
die an die Voraussetzungen der Lernenden adaptierte Text stattdessen in auditiver Form angeboten werden
Gestaltung von Lehr-/Lernsettings. Hier führt die (vgl. Modalitätseffekt) oder Bilder vereinfacht werden.
adaptive didaktische Gestaltung in der Regel zu unter- 5 Pretraining und Segmenting: Wenn sowohl der
schiedlich schwierigen und medialisierten Formen auditive als auch der visuelle Kanal durch intrinsische
von Lernmaterialien. Während z. B. Lernende mit kognitive Prozesse gleichzeitig überlastet sind, kann
geringem Vorwissen anhand einfach formulierter Texte diese Überlastung durch ein inhaltliches und/oder
mit erklärenden Bildern erfolgreicher lernen als mit medienbezogenes Vorabtraining der Lernenden
komplexen, bilderlosen Texten (zsf. Horz und Schnotz reduziert werden („pretraining“). Solche Trainings
2010), kann bei Lernenden mit hohem Vorwissen ein sind jedoch meist nur mit einem hohen Aufwand zu
umgekehrter Effekt auftreten („Expertise reversal effect“, realisieren. Alternativ kann die Lernumgebung in
Kalyuga et al. 2003; u Abschn. 6.2.3). Bei Personen mit kleinere Einheiten unterteilt werden („segmenting“).
hohem Vorwissen kann ein sowohl inhaltlich als auch 5 Weeding und Signaling: Wenn eine kognitive Über-
sprachlich komplexer Text ohne ergänzende, rasch zu ver- lastung durch extrinsische Belastungen auftritt (z. B.
stehende Bilder zu einer höheren Elaboration eines Textes zu viele Zusatzinformationen, Fallbeispiele), kann
führen als didaktisch möglichst einfach und rasch ver- entweder jedwedes Zusatzmaterial entfernt werden
ständliche Lernmaterialien. („weeding“), das nicht unbedingt notwendig zum Ver-
ständnis der eigentlichen Lerninhalte ist, oder aber man
Texte Texte, ob in gesprochener Form im lehrer- kann durch Signalisierungstechniken (z. B. farbliche
zentrierten Unterricht oder in gedruckter Form in Kodierungen oder Unterstreichungen; „signaling“) die
Büchern oder als Online-Texte in hypermedialen Lern- zentralen Elemente einer Lernumgebung hervorheben,
umgebungen, stellen das Leitmedium in Lernprozessen um so die essenziellen Elemente zu verdeutlichen.
dar. Daher sollte der Gestaltung von Lehrtexten in der 5 Aligning und Eliminating: Tritt eine Überlastung einer der
Unterrichtsvorbereitung sowie der Planung von Lern- beiden Wahrnehmungskanäle aufgrund einer zu hohen
umgebungen bzw. der Vorbereitung von Unterrichtsvor- intrinsischen Belastung auf, kann man entweder die
trägen das Hauptaugenmerk gelten. Lernumgebung restrukturieren („aligning“) und in einer
Um Texte erfolgreich als Lernmedien einsetzen einfacheren Strukturierung neu ordnen oder aber man
zu können, sollten sie wie alle Lernmedien auch aus entfernt („eliminating“) – ähnlich wie beim Weeding der
didaktischer Perspektive hinsichtlich ihrer Gestaltung (s. o.), Zusatzmaterialien – (redundante) Lerninhalte.
aber auch hinsichtlich ihrer Nutzung in Verbindung mit 5 Synchronizing und Individualizing: Wenn die mentale
anderen Lernmedien optimiert werden. Hierzu kann man Integration der multimedialen Informationen zu einer
Texte (s. o.) – wie auch alle anderen Lernmedien – nach Überlastung der kognitiven Kapazitäten im Arbeits-
makro- und mikrodidaktischen Prinzipien gestalten und gedächtnis führt, kann diese Überlastung durch eine
das Ergebnis nach eigenen Zielkriterien (z. B. Lernerfolg) verbesserte Synchronisation der einzelnen Medien
empirisch überprüfen. überwunden werden („synchronizing“), wenn keine
optimale Kontiguität vorliegt. Alternativ kann man ver-
Statische Bilder, bewegte Bilder und Multimedia Durch suchen, die Inhalte und Gestaltung der Lernumgebung
digitale Lehr- und Lernsettings können heute statische an das Vorwissen und die visuellen räumlichen Fähig-
und bewegte Bilder (Animationen, Filme) sehr viel keiten der Lernenden anzupassen („individualizing“).
rascher erstellt, modifiziert und zu Lehrzwecken ein- Letzteres ist in der Praxis meist ebenfalls mit einem
gesetzt werden. Insbesondere instruktionale Bilder helfen erheblichen Zusatzaufwand für die Autoren multi-
komplexe Zusammenhänge darzustellen und individuelle medialer Lernumgebungen verbunden.
Lernprozesse zu unterstützen (u Abschn. 6.2.2). Jedoch
sollte beachtet werden, dass Bilder meist nicht alleine Sonstige Lernmedien Bisher existieren nur wenige
als Lehr- und Lernmedien ausreichen, sondern in Ver- Arbeiten, die sich aus medialer Sicht mit dem Einsatz
bindung mit gesprochenen oder gehörten Texten weiterer Lernmedien (z. B. zerlegbare Modelle, Geruchs-
präsentiert werden, sodass es sich dann um ein multi- proben, Materialproben, Werkstoffe) im Unterricht
mediales Lernarrangement handelt. Dabei ist zu beachten, systematisch beschäftigen. Generell können derartige
dass die parallele kognitive Verarbeitung mehrerer, auf- Lehrmedien helfen, Unterrichtsthemen anschaulicher
einander bezogener Informationsquellen rascher eine und verständlicher zu präsentieren. Dabei sollte aber
kognitive Überlastung der Lernenden bedingt. Dem- beachtet werden, dass allein die möglichst anschauliche
entsprechend sollten die nachfolgenden Regeln zur Gestaltung eines Themas durch ergänzende Objekte und
Reduktion der kognitiven Belastung (u Abschn. 6.3.2) in die damit meist induktiven Denkprozesse (ein Fallbeispiel
multimedialen Lernumgebungen beachtet werden (nach wird präsentiert und soll auf andere Situationen über-
Mayer und Moreno 2003): tragen werden) nicht allein den Lernerfolg garantiert. Um
5 Off-Loading: Wenn der visuelle Kanal durch die Dar- den Transfer des erworbenen Wissens auf andere Frage-
bietung schriftlicher textueller und bildhafter stellungen zu unterstützen, sollten neben anschaulichen
148 H. Horz
Lernmedien auch Lernmedien eingesetzt werden, die zeitunabhängig (zusätzliche) Lehrmaterialien anzubieten,
das Abstraktionsvermögen und deduktive Denkprozesse Kommunikationsprozesse in Lerngruppen oder zwischen
(Anwendung eines Gesetzes auf diverse Einzelfälle) unter- Lehrenden und Lernenden herzustellen sowie eigen-
stützen. ständige Lernprozesse durch „Denkwerkzeuge“ (Mind-
maps, Wikis etc.) zu unterstützen. Die große Vielfalt der
technischen Möglichkeiten in Lernplattformen führt aber
Medieneinsatz aus der technischer dazu, dass sich viele Lehrpersonen bei der Nutzung von
Perspektive Lernplattformen unsicher fühlen, wenn es darum geht,
Digitale Präsentationsmedien Digitale Präsentationen diese zu vielfältigeren Zwecken zu nutzen als nur im Sinne
(z. B. mittels PowerPoint) sollten vor dem Präsentations- eines Speichermediums, das via Netzwerken zugäng-
zeitpunkt unbedingt anhand der lokalen technischen lich ist („PDF-Gräber“). Daher sollten Lernplattformen
Gegebenheiten getestet werden, da aufgrund des not- so gestaltet sein, dass sie sich hinsichtlich der Komplexi-
wendigen Einsatzes eines Computers und eines Beamers tät der Bedienung den Kompetenzen der Lehrenden und
6 oder anderer Projektionsmöglichkeiten (z. B. digitale Lernenden anpassen. Verfügt eine Lernplattform zudem
Whiteboards; s. u.) sowie ggf. zusätzlich von Fern- über ein möglichst intuitives Design, erleichtert dies eben-
bedienungen bis heute zahlreiche Fehler auftreten können, falls die Nutzung auch durch wenig computerkompetente
die einen reibungslosen Ablauf der Lehreinheit verzögern. Personen erheblich. Um Lernplattformen adaptiv an die
Der wesentliche Vorteil an digitalen Präsentationen Nutzervorkenntnisse und möglichst intuitiv zu gestalten,
ist, dass man verschiedene Medien (Audio-Dateien, sind Templates (vorgefertigte Masken, die nur eine Aus-
Filme, Bilder etc.) innerhalb einer Lernumgebung ein- wahl von Funktionen bereitstellen) erforderlich, die durch
binden kann, für die man ansonsten verschiedene versierte Administratoren von Lernplattformen bereit-
Wiedergabegeräte benötigen würde. Zudem können gestellt werden sollten. Da Lehren und Lernen meist
digitale Präsentationen original und kostengünstig an zyklische Prozesse sind, kann man in zukünftigen Lehr-
die Lernenden via Lernplattformen verteilt werden. Ins- und Lernzyklen die Komplexität der Funktionen einer
besondere ist bei digitalen Präsentationen zu beachten, Lernplattform in der Regel sukzessive erhöhen. Je länger
dass die Zahl der eingesetzten Folien nicht zu groß wird, und intensiver eine Lernplattform genutzt wird, desto
damit sich kein „Daumenkino“-Eindruck bei den Zuhörern höher kann in der Regel deren Komplexität sein, da die
einstellt. Um die Zahl der digitalen Folien zu begrenzen, Nutzer durch einen längerfristigen Gebrauch mit immer
kann man auch andere Präsentationsmedien einsetzen. mehr Funktionen vertraut werden. Aus diesem Grund ist
Beispielsweise kann eine konventionelle Tafel oder Flip- es wichtig, dass Ausbildungsinstitutionen (Schulen, Hoch-
charts parallel zur digitalen Präsentation genutzt werden, schulen) sich möglichst auf eine Lernplattform beschränken
um Informationen wie Gliederungen und Übersichten und nicht mehrere Lernplattformen parallel nutzen. Wenn
darzustellen, die während der gesamten Präsentations- in einer Ausbildungsinstitution mehrere Lernplattformen
dauer von Nutzen sein können. Besonders zu erwähnen genutzt werden, wird der Prozess der Kompetenzsteigerung
sind die zunehmend in Bildungsinstitutionen verbreiteten im Umgang mit einer Lernplattform erheblich verlangsamt,
„digitalen Whiteboards“ als Lehrmedien. Es handelt sich wenn nicht gar verhindert.
dabei um berührungssensitive Bildschirme in der Größe
einer Tafel, die analog zu konventionellen Tafeln genutzt Smartphones und Tablets Smartphones und Tablets sind
werden können, aber auch die integrative Nutzung digitaler kleine mobile Computer, die sich einfach transportieren
Materialien (Folien, Filme, Internet-Applikationen etc.) lassen aufgrund ihres handlichen Formats. Gerade in
ermöglichen. Um eine professionelle Nutzung dieses Verbindung mit Lernplattformen und digitalen White-
komplexen und multipotenten Lehrmediums zu erzielen, boards haben sich in den letzten Jahren sehr vielfältige
sind eine ausführliche Einweisung, stete Nutzung und Nutzungsformen in Präsenzlernszenarien (z. B. Klassen-
Bereitstellung kontinuierlicher Fortbildungsmaßnahmen raum, Seminare) im Sinne des „Blended Learning“ (Horz
für Lehrkräfte unerlässlich (Hilbert et al. 2012). Anderen- und Schulze-Vorberg 2017) – also der Verbindung digitaler
falls besteht die Gefahr, dass diese Geräte hinsichtlich ihrer und analoger Lernformen (s. u.) – gebildet. Eine erste
potenziellen Funktionalitäten nur in kleinen Teilen analog Übersicht der Einsatzmöglichkeiten bieten diverse Inter-
zu konventionellen Tafeln und Beamern genutzt werden. netressourcen an (z. B. u https://www.lehrer-online.de/unter-
richt/sekundarstufen/faecheruebergreifend/unterrichtseinheit/
Lernplattformen In den vergangenen Jahren haben ue/tablets-im-unterricht/). Inzwischen haben bereits die
Lernplattformen (u Abschn. 6.3.1) in allen Bereichen meisten Heranwachsenden eigene Smartphones (Medien-
institutionalisierter und informeller Lehr- und Lern- pädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018) und die
settings große Verbreitung gefunden. Der wichtigste Zahl der in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen
Vorteil von Lernplattformen ist die internetbasierte Bereit- verfügbaren Tablets wächst ständig, falls nicht sowieso aus
stellung von Funktionen, die es ermöglichen, orts- und privaten Kontexten solch ein Gerät für Lernende zugänglich
Medien
149 6
ist. Besonders vorteilhaft ist die intuitive Nutzung dieser 6.3.1 Formen des Lehrens und Lernens mit
Geräte, die es erlauben, fast alle Formen digitaler Medien, Medien
Informationsrecherchen im Internet oder digitale
Kommunikationsformen (z. B. „Social Media“) in das Medien werden in nahezu allen heutigen Lehr- und Lern-
Unterrichtsgeschehen zu integrieren. Weiterhin erlauben settings eingesetzt. Berücksichtigt man die Veränderungen
diese Geräte die ständig rasch wachsende Nutzung von der Lehr- und Lernsettings durch digitale Medien, so lassen
Lern-Applikationen („Apps“) als auch Internet-basierter sich heute die folgenden drei grundlegenden Kategorien des
Lernangebote wie Videos auf einschlägigen Plattformen medienbasierten Lehrens und Lernens unterscheiden:
(z. B. YouTube).
1. Analoge Formen Hierunter werden alle Formen der
Videos Mittels Videos (über Streamingdienste wie Präsenzlehre und des medienbasierten Lehrens und
YouTube, Computer mit DVD-, CD-Playern) lassen sich Lernens aufgefasst, bei denen keine Computer oder
alle Arten von statischen und dynamischen Bildern in elektronischen Netzwerke genutzt werden. So ist z. B.
qualitativ hochwertiger Form präsentieren. Man sollte der lehrerzentrierte Unterricht per Präsenzvortrag
sich auch beim Einsatz dieser Medien vorab sowohl mit mit Overheadfolien, die Gruppenarbeit mit Peers und
den Projektions- als auch den Wiedergabegeräten vertraut Arbeitsplättern ebenso wie das Lesen eines Lehrbuchs
gemacht haben. Anzumerken bleibt, dass Videos sich ins- dieser Kategorie zuzuordnen.
besondere eignen, Lernende mit einem Thema erstmalig
vertraut zu machen und Interesse zu wecken. 2. Digitale Formen Insgesamt haben sich vier Arten
digitalen Lehrens und Lernens entwickelt, die meist
Tafel und Flipchart Tafel und Flipchart in Form thematisch abgrenzbarer Einheiten (Module)
(DIN-A1-Papierblöcke, die an einem Ständer befestigt realisiert werden. Gängigerweise lassen sich folgende
sind) erlauben die Darstellung spontan angefertigter Varianten unterscheiden:
handschriftlicher Annotationen oder aber die Darstellung a) Als originär digitale (Lehr-/Lern-)Module werden
vorbereiteter Elemente, die an der Tafel oder dem Flip- Lernumgebungen bezeichnet, die meist mittels
chart befestigt werden. Tafeln und Flipcharts sind ver- Editoren-Tools direkt digital erstellt wurden. Aus
gleichsweise einfach zu handhaben und technisch wenig didaktischer Sicht umfassen diese Module zahlreiche,
aufwendig. Flipcharts besitzen ein höheres grafisches meist an konstruktivistischen Ansätzen des problem-
Potenzial als Tafeln, da z. B. Farben intensiver und basierten Lernens (u Abschn. 1.3.4) orientierte, inter-
Formen detaillierter dargestellt werden können. Zudem aktive, multi- und hypermediale Lernumgebungen
können Inhalte in umfangreichem Maße auf Flip- in Form von Trainings, Simulationen, fallbasierten
charts vorbereitet und auch wiederverwendet werden, Beispielen, Mikrowelten etc. Beispiele für derartige
wohingegen Tafelanschriebe in der Regel für jede Unter- Module sind internetbasierte Lernprogramme, Flug-
richtseinheit neu erstellt werden müssen. simulatoren, Lernspiele usw. Zahlreiche Beispiele
findet man unter u http://www.lernmodule.net.
b) Als digitalisierte Präsenzlehre werden (Lehr-/Lern-)
Module bezeichnet, die aus der digitalen Aufzeichnung
6.3 Medien in Bildungskontexten von Präsenzlehrveranstaltung entstehen oder bei denen
Lehrveranstaltungen wie Seminare, Vorträge und Vor-
Seit den 1990er Jahren hat eine rasche Verbreitung „Neuer lesungen mittels Computern und elektronischer Netze
Medien“ – gemeint sind digitale Medien, die auf Computer- (z. B. Internet) an verschiedene Orte übertragen werden
und Netzwerktechniken basieren – in allen Bildungs- (Teleteaching). Vorlesungsaufzeichnungen kann man
bereichen stattgefunden. Grund dafür ist, dass in dieser an zahlreichen Hochschulen erhalten, wie z. B. unter
Zeit die Mehrheit der Bildungsinstitutionen (Schule, Uni- u http://electure.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/.
versität, Fortbildungsinstitutionen) flächendeckend Zugang c) Als Lernmanagement-System (oft auch als Lernplatt-
zu technischen Innovationen wie ausreichend leistungs- form oder Content-Management-System bezeichnet)
starken Computern und Internet erhielten. Jedoch fällt die fungiert eine Software, die dazu genutzt wird, Lern-
technische Qualität der Ausstattung wie auch die Intensi- inhalte über ein institutionsinternes Intranet oder das
tät der Nutzung von computerbasierten Medien in den Internet für die Lernenden bereitzustellen. Weiterhin
jeweiligen Bildungsinstitutionen sehr unterschiedlich unterstützen Lernmanagement-Systeme das Lernen mit
aus. Daher haben computerbasierte Medien in den ver- den bereitgestellten Inhalten. Meist werden auch Werk-
schiedenen Bildungskontexten derzeit einen sehr unter- zeuge (Tools) für das kooperative Arbeiten (Chat Tools,
schiedlichen Stellenwert für die Lehre und das Lernen. Agentensysteme, Foren etc.) und eine Nutzerverwaltung
150 H. Horz
Exkurs
Probleme digitaler Medien
Antiker Medienpessimismus 5 Zunehmende soziale Isolierung der Lernenden und
Diese Erfindung [die Schrift und damit das Lesen] wird zunehmende Anonymität zwischen Lehrenden und
nämlich den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit Lernenden
einflößen, weil sie das Gedächtnis vernachlässigen werden;
5 Unklare Qualität im Internet angebotener
denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur äußerlich
vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich aus sich selbst Lernmedien
erinnern. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur für die 5 Geringe oder fehlende didaktische Rahmung
Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit 5 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund eines
bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht aber sie komplexen Instruktionsdesign
selbst.
5 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund
Zitat aus: „Phaidros“, Platon, 428–348 v. Chr. (Stephanus 2008). hoher Selbstregulationsanforderungen (u Kap. 3;
u Abschn. 17.4).
6.3.3 Medien in der Hochschule Aus instruktionaler Sicht liegt eine weitere Stärke der
digitalen Medien in den flexiblen medialen Gestaltungs-
Der Einsatz digitaler Medien hat zum einen die Lehre und möglichkeiten multimedialer Lernumgebungen. Diese
das Lernen in konventionellen Hochschulen wie Uni- „Multimedialisierung“ des Lehrens und Lernens anhand
versitäten und Fachhochschulen nachhaltig beeinflusst, von digitalen Modulen bedarf jedoch der Berücksichtigung
aber auch einen neuen Hochschultypus hervorgebracht, die spezifischer Instruktionsdesigns (u Abschn. 6.2.3).
virtuelle Hochschule. Es reicht nicht aus, dass digitale Medien in der Hoch-
Gerade im Hochschulbereich waren die Innovationen schule didaktisch sinnvoll gestaltet werden, damit Lehren
des digitalen Lehrens und Lernens zunächst durch die Ent- und Lernen verbessert wird. Zusätzlich zur didaktischen
wicklung neuer technischer Applikationen geleitet, da diese Optimierung müssen auch die organisationalen Rahmen-
häufig an Hochschulen entwickelt wurden. Typischer- bedingungen adäquat gestaltet sein. Die organisatorischen
weise wurden erst nach der Entwicklung einer Applikation Rahmenbedingungen müssen in Verbindung mit anderen
die spezifischen didaktischen Einsatzmöglichkeiten der digitalen Modulen oder weiteren analogen Lehr- und
jeweiligen Technik erforscht und auf ihre Effektivität hin Lernformen einen effizienten und lernwirksamen Auf-
untersucht. Das heißt, meist wurde eine Technik entwickelt, bau des Lehrens und Lernens in umfassenderen, teilweise
von deren Einsatzmöglichkeiten man nur sehr vage Vor- langfristigen Ausbildungssettings wie der Hochschule
stellungen hatte. Daher wurden neu entwickelte Techniken erlauben. Die mangelhafte organisationale Einbindung zeigt
unsachgemäß in der Lehre eingesetzt, insbesondere wenn sich z. B. in der bis heute problematischen Anerkennung
man nicht ausreichend die didaktische Funktion einer von Lernleistungen, die anhand von digitalen Modulen
Technik berücksichtigte. erbracht wurden oder in der unsicheren inhaltlichen und
Trotz dieser zunächst eher problematischen „try outs“ in technischen Pflege erstellter Module, die dadurch sehr rasch
der Hochschullehre haben digitale Medien hier den höchsten als veraltet wahrgenommen werden. Dies führte dazu, dass
Verbreitungsgrad verglichen mit Schulen oder anderen die Mehrzahl der digitalen Module kaum in nachhaltiger
institutionalisierten Ausbildungsgängen in der Erwachsenen- Weise genutzt wird.
bildung. Es lassen sich im Unterschied zur Schule zahlreiche Inzwischen haben auch erste digitale Prüfungs- und
Formen digitalisierter Lehre und Blended-Learning-Szenarien Assessmentformen Einzug in die Hochschulen gehalten.
(u Abschn. 6.3.1) an den meisten Hochschulen finden. Diese erlauben z. B. die Gestaltung von computergestütztem,
152 H. Horz
individualisiertem, adaptivem Lernen mittels kontinuier- fragen adaptiv in Abhängigkeit ihres aktuellen Leistungs-
lichem formativen Assessment (Wenzel et al. 2016). So standes aus einer Datenbank gezogen werden. Somit lassen sich
kann individuelle Förderung auch in großen, heterogenen viel kürzere und bezüglich des Prüfungszeitpunkts individuell
Studierendengruppen geleistet werden (vgl. auch Schlagwort flexibel gestaltete Prüfungen durchführen. In derartigen
„Personalisierung trotz Massifizierung durch Digitalisierung“, digitalisierten Prüfungen und Assessments können durch
Dräger 2013). Konkret bedeutet dies z. B., dass zur Fest- (u Exkurs „Learning Analytics“) Kompetenzentwicklungen der
stellung des aktuellen Kompetenzniveaus nicht alle Lernenden Lernenden sowie das damit verbundene Lehrendenverhalten
dieselben Prüfungsfragen erhalten, sondern die Prüfungs- dauerhaft und adaptiv unterstützt werden.
Exkurs
Learning Analytics
6 Learning Analytics bezeichnet das verhaltensbezogener Daten werden, um aktuelle Lernprozesse
systematische Erfassen und Analysieren (Logdaten, Assessmentergebnisse, unmittelbar zu reflektieren als auch
von Lernprozessdaten in zumeist Orts- und Zeitdaten usw.) liefert adaptiv zu optimieren. Darüber hinaus
digitalen Lernumgebungen. Dadurch und ein realitätsnähere Abbildung lassen sich auch Prognosen für die
sollen Lernprozesse besser verstanden von Lernprozessen erlaubt. Dadurch Zukunft ableiten, um z. B. Lernende
und dann in ihrer Gestaltung optimiert wird eine verbesserte curriculare zu identifizieren, die Gefahr laufen,
als auch individuell adaptiv gestaltet und instruktionale Gestaltung von Prüfungen nicht zu bestehen (Mory
werden. Zwar ist die grundsätzliche Lernprozessen nicht nur grundsätzlich 2014) und ihnen zusätzliche Materialen
Überlegung der Learning Analytics sondern auch adaptiv auf der oder Übungseinheiten vorzuschlagen.
keineswegs an digitalisierte individuellen Ebene der Lernenden Es ist stark anzunehmen, dass die
Lernprozesse gebunden und daher und Lehrenden ermöglicht. So können bisher kaum praktizierte Verschränkung
auch nicht neu, jedoch erlauben Lehrende prozessdiagnostische der Methoden und Praktiken der
digitale Lernumgebungen sowie mobile Informationen (z. B. über Lernverläufe, Lernstandsdiagnostik und Learning
Endgeräte wie z. B. Smartphones typische Fehlkonzepte etc.) für eine Analytics neue Potenziale für das
eine Menge und Detaillierung von adaptive Lehrplanung nutzen. Diese Thema (formatives) Assessment
lernprozessbezogenen Informationen Lernprozessdaten sind in Echtzeit erschließen und auch zukünftig
„nebenbei“ zu erfassen, die eine analysierbar (Greller und Drachsler schulische Prüfungsformate stark
neue Dimension reichhaltiger 2012) und können so genutzt verändern wird.
Um die Effizienz von digitalen Lehr-Lern-Angeboten Seit ca. einer Dekade werden sogenannte Massive
mittels digitaler Medien an der Hochschule zu steigern Open Online Courses (MOOC) als Lehrform etabliert, in
und so den didaktischen Nutzen sowie den ökonomischen denen konventionelle Universitäten mehrheitlich kosten-
Mehrwert zu erhöhen, kann man Nutzungszyklen kreieren, freie Onlinekurse anbieten. Diese Onlinekurse sind häufig
welche die konventionelle Lehre an Universitäten mit mit dem Präsenzangebot der Lehrenden verknüpft. In
digitalen Medien verbinden. Ein Beispiel hierfür ist der MOOC werden sowohl Vorlesungsaufzeichnungen als
Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. auch Präsenzübertragungen sowie diverse Mischformen
Man kann eine Teleteaching-Veranstaltung (eine (Online-Präsenzübertragung von Vorlesungen, Vor-
Präsenzlehrveranstaltung, die interaktiv via Internet lesungsaufzeichnungen, Online-Tutorien etc.) eingesetzt.
an mehrere Orte übertragen wird) oder konventionelle Möglicherweise werden MOOC die bisher weniger erfolg-
Veranstaltungen digital aufzeichnen. Die digitale Ver- reichen virtuellen Hochschulen verdrängen. Als virtuelle
anstaltungsaufzeichnung kann von den Studierenden als Hochschule bezeichnet man eigenständige Organisationen,
eine Art didaktisch optimiertes, digitales Veranstaltungs- die heute ähnlich wie Fernuniversitäten ein Studieren
skript genutzt werden. Später kann die Veranstaltungsauf- ohne Präsenzlehre meist auf Basis von Lernmanagement
zeichnung für weitere Blended-Learning-Veranstaltungen Systemen und dazugehörigen digitalen Lehr-/Lernmodulen
eingesetzt werden (z. B. aufgezeichnete Vorlesung mit sowie Kommunikations-Tools ermöglichen. Besonders
begleitendem Präsenztutorium). Wenn eine Veranstaltung rasch wächst zudem das Lehrangebot für Studierende
erneut im Präsenzmodus dargeboten wird, kann man auf Internet-Videoplattformen wie YouTube, die jedoch
die Veranstaltungsaufzeichnung gezielt editieren, indem meist ohne jegliche curriculare Kontextualisierung und
man mangelhafte Stellen in der Präsenzveranstaltung glaubwürdige Qualitätsinformationen arbeiten.
überarbeitet, nochmals aufzeichnet und dann die auf- Betrachtet man das Angebot virtueller Universitäten
gezeichneten Passagen in die bestehende digitale Ver- aus inhaltlicher Sicht, so stellt man fest, dass im Vergleich
anstaltungsaufzeichnung einfügt. Auf diese Weise entsteht zu konventionellen Hochschulen ein eher kleines Angebot
ein Nutzungszyklus (. Abb. 6.8) mit hoher Nachhaltigkeit. an Studienmöglichkeiten besteht. MOOC haben daher das
Medien
153 6
. Abb. 6.8 Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. (Modifiziert nach Horz et al. 2003, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen, Bildrechte: British Telecom)
Potenzial, die Brücke zwischen der konventionellen Hoch- u informellen Lernens betonen hierbei positive Zusammen-
schullehre und den Vorteilen virtuellen Studierens zu hänge zwischen einer angemessenen kontextuellen Ein-
schlagen. bettung der Lerninhalte, einer höheren intrinsischen,
weil selbstbestimmteren Bildungsmotivation im Ver-
gleich zu institutionalisierten Bildungskontexten mit dem
6.4 Private Mediennutzung Ziel einer vertieften mentalen Verankerung des Wissens.
So werden Lernformen durch die Medialisierung aller
Medien sind aus pädagogisch-psychologischer Sicht nicht (und nicht nur der schulischen und beruflichen) Lebens-
nur als Träger von Informationen in institutionalisierten bereiche zunehmend bedeutsam, in denen das Freizeit-
Lernprozessen relevant. So haben Medien in unserer Gesell- verhalten mit Lernkontexten verbunden wird. Sie werden
schaft auch zentrale Bedeutung, um sich über nahezu alle vor allem durch digitale Medien gefördert, weil auf diese
Lebensbereiche mittels Fernsehnachrichten, Wikipedia, Weise Informationen durch die Lernenden selbstgesteuert
Ratgeber, Fachzeitschriften usw. zu informieren. Zudem in großer Zahl orts- und zeitunabhängig genutzt werden
spielen Medien eine zentrale Rolle im Freizeitverhalten, können und auch in didaktisch vielfacher und häufig auch
ermöglichen Lernprozesse in nicht-institutionalisierten ästhetisch ansprechender Weise vermittelt werden.
Lernsettings und helfen Medienkompetenz zu entwickeln Um an diesen medialen Angeboten angemessen
und diese Kompetenz in positiver Weise zu erleben. partizipieren zu können, ist, wie bereits zuvor dargestellt,
Dementsprechend bemühen sich z. B. Museen in auch die Vermittlung von Medienkompetenz eine originär
besonderer Weise darum, Bildungsinhalte gerade auch in pädagogische Aufgabe (u Abschn. 6.3.2). Ein kompetenter
der Freizeit von Menschen zu vermitteln. Derartige Formen Umgang mit Medien ist umso wichtiger, wenn man
154 H. Horz
Telefonie 48
E–mails 44
Musik** 40
Games 32
messenger 32
DVD, Blu-ray 5
SMS 3
Kino 1
250 238
221
197
200
160
150
105
100
73
50
0
Zuschauer Kinder Erwachsene Erwachsene Erwachsene Erwachsene Erwachsene
Gesamt 3-13 Jahre ab 14 Jahre 14-29 Jahre 30-49 Jahre 14-49 Jahre ab 50 Jahre
Medien
155 6
werden hingegen eher am Abend genutzt. Anhand dieser über einen besonders hohen Fernsehkonsum berichten
unterschiedlichen Nutzungszeiten verdeutlicht sich, dass (. Abb. 6.10; u Exkurs „Auswirkungen intensiven Fernseh-
Medien situationsspezifisch genutzt werden (VPRT 2018). konsums und gewalthaltiger Medieninhalte“).
Die Gründe, warum Menschen Musik hören, sind sehr Eine bekannte Erklärung für den Konsum
vielfältig. Neben der Verfügbarkeit von Musik, die sich von Fernsehen und anderen Medien ist der
durch Internetangebote potenziell enorm gesteigert hat, Uses-and-Gratifications-Ansatz (Vogel et al. 2007).
spielen Gewohnheiten, situative Komponenten (allein, mit In diesem Ansatz wird angenommen, dass Menschen
Freunden etc.) sowie die aktuelle Gestimmtheit eine aus- die Art und Weise des Medienkonsums aufgrund des
schlaggebende Rolle. erwarteten Nutzens und der (angenommenen) Bedürf-
Die Auswahl der Musikrichtung hängt neben den lang- nisbefriedigung wählen. Es wird aber verschiedent-
fristigen Gewohnheiten von situativen Musikpräferenzen lich kritisiert, dass sich Menschen nicht immer dem
ab. Grundsätzlich wird als das zentrale Motiv der Radio- erwarteten Nutzen bewusst seien und die Wahl des
und Musikrezeption die Regulation der eigenen Stimmung Medienkonsums eher selten durch aktive volitionale Ent-
gesehen (Mood-Management-Theorie). Dabei kann man scheidungsprozesse geleitet sei.
einerseits die Musikauswahl durch das Isoprinzip und Im Unterschied zum Uses-and-Gratifications-Ansatz
andererseits durch das Kompensationsprinzip erklären besagt die Theorie der selektiven Zuwendung (Vogel
(Schramm 2004). Das Isoprinzip postuliert, dass Menschen et al. 2007), dass Menschen die Medien wählen, die
stimmungskongruente Musik hören wollen. Jedoch scheint ihrem eigenen Standpunkt inhaltlich nahestehen. Hier-
dies im Falle einer eher traurigen Stimmung nur auf einen bei spielen vor allem politische, moralische und weitere
Teil der Menschen zuzutreffen. Das Kompensationsprinzip normative Einstellungen eine gewichtige Rolle. Dabei ver-
hingegen besagt, dass es Situationen gibt, wie das Musikhören stärkt die selektive Medienauswahl und -wahrnehmung
während einer uninteressanten Tätigkeit (z. B. Arbeiten im langfristig die eigenen Standpunkte und führt zu einer
Haushalt), in denen Menschen Musik bevorzugen, die hilft, Gewohnheitsbildung, indem Menschen mit der Zeit eine
Monotonie zu vermeiden. An dieser Stelle soll aber nicht Kanaltreue entwickeln. Zudem zielt die Gestaltung des
unerwähnt bleiben, dass der Einsatz von Musik während des Fernsehprogramms darauf ab, diese Kanaltreue zu unter-
Lernens zwar kompensatorisch motiviert sein mag, bisherige stützen, indem Zuschauer über verschiedene Sendungen
Forschungsergebnisse zeigen jedoch eher eine den Lern- hinweg (z. B. durch Moderationstechniken wie die Vor-
erfolg hemmende Wirkung von Hintergrundmusik während schau auf kommende Sendungen während einer Sendung)
des Lernens (Mayer und Moreno 2003; Brünken et al. 2004). gebunden werden (Vererbungseffekt; Schramm und
Hingegen ist die Wirkung von Hintergrundmusik in anderen Hasebrink 2004). Insgesamt betrachtet, geht dieser
Kontexten (z. B. bei der Arbeit, in Geschäften etc.) nicht nach- Ansatz somit davon aus, dass die Wahl des Medien-
weisbar oder allenfalls als gering anzusehen (Behne 1999). inhalts primär nicht volitional gesteuert ist. Auch die
Mood-Management-Theorie (Zillmann 1988) postuliert
eine wenig volitional gesteuerte Wahl der Medien-
6.4.2 Fernsehen inhalte. Sie nimmt an, dass Menschen danach streben,
ihre Stimmungslage zu optimieren, indem positive
Betrachtet man die Dauer des täglichen Fernsehkonsums, Stimmungen beibehalten, negative Stimmungen reduziert
so zeigt sich, dass es vor allem ältere Menschen sind, die oder ganz vermieden werden.
Exkurs
die eigene Gewaltbereitschaft, indem die Reaktionen auf in Medien beobachtete zu sehen und nicht allein durch das
eigenen Aggressionen stellvertretend Gewalt registriert. Fernsehen verursacht. So führen in
durch das Betrachten gewalthaltiger Im Unterschied zum gut untersuchten Verbindung mit dem Fernsehkonsum
Inhalte ausgelebt werden können (u. a. Bereich der kurzfristigen Auswirkungen zahlreiche psychische (z. B. geringe
Bushman und Huesmann 2001). von gewalthaltigen Medien existieren Empathie, starke Erregbarkeit, fehlende
Betrachtet man die kurzzeitigen weitaus weniger Langzeitstudien. soziale Kompetenz) und vor allem
Folgen gewalthaltiger Medien, so Insbesondere fehlen Daten zu soziale Faktoren (z. B. geringe und
zeigen sich höhere Dispositionen Auswirkungen gewalthaltiger Inhalte wenig einfühlsame Betreuung durch
zu aggressiven und geringere zu bei erwachsenen Medienkonsumenten. Eltern, geringes Einkommen, geringe
prosozialen Verhaltensweisen. Damit Die wenigen, meist korrelativen soziale Eingebundenheit) zu negativen
verbunden ist eine stärkere Erregung Befunde zeigen zusammenfassend, Konsequenzen für das aktuelle und
der Rezipienten sowie eine verstärkte dass ein Zusammenhang zwischen langfristige Verhalten der Rezipienten.
Wahrnehmung der Umwelt als feindlich hohem Fernsehkonsum in der Kindheit Fasst man die bestehenden empirischen
sowie vermehrt Emotionen, die mit (durchschnittlich mehr als 2 h täglich, Befunde zusammen, ist von einem
Aggressionen verbunden sind (Anderson insbesondere mit regelmäßigem geringen bis mäßigen Einfluss des
6 und Bushman 2001). Insbesondere Kinder Konsum realistischer Gewaltdar- Medienkonsums auf die Befindlichkeit
im Vorschulalter reagieren in stärkerem stellungen) und erhöhter alltäglicher und die psychosoziale Entwicklung
Maße mit aggressivem Verhalten nach Aggression sowie einer verringerten der Rezipienten auszugehen, denn der
dem Konsum gewalthaltiger Medien im Empathie existiert (Bushman und Medienkonsum stellt dabei nur einen
Vergleich zu Kindern im Schulalter bzw. Huesmann 2006; Anderson 2004). unter mehreren teils gewichtigeren
frühen Erwachsenenalter (Bushman Jedoch sind solche negativen Faktoren dar, wobei jedoch vor allem
und Huesmann 2001). Auch wurden bei Auswirkungen eher als Teil einer jüngere Kinder stärker durch Medien
Jungen im Vergleich zu Mädchen stärkere komplexen Entwicklungskonstellation beeinflusst werden.
anzahl-der-internetnutzer-in- 51.7
deutschland-seit-1997/) 49
42,7 43,5
40,8
37,5 38,6
34,4 35,7
28,3
24,8
18,3
11,2
6,6
4,1
20 7*
97
98
99
00
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
*
18
1
19
19
19
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
20
Medien
157 6
oder Musikdateien gehört bzw. Onlinezeitungen gelesen
werden können. Nutzt man den Computer zur Wiedergabe Fazit
der zuvor genannten Medien, dann können die Nutzungs- Das heutige Lehren und Lernen ist ohne Medien
motive, Auswirkungen und Risiken des Medienkonsums von nicht mehr vorstellbar. Insbesondere digitale Medien
computerbasierten Medien mit denen des Musik-, Radio- haben zu einem enormen Anwachsen der Lehr- und
und Fernsehkonsums gleichgesetzt werden. Eine Besonder- Lernformen geführt. Um medienbasiertes Lehren und
heit hingegen stellt die Interaktivität des Computers und des Lernen effizient zu gestalten, ist das Verständnis der
Internets dar, was sich insbesondere an computer- und inter- kognitiven Prozesse bei der Rezeption von Texten,
netbasierten Spielen verdeutlichen lässt. Mittels Computern statischen sowie animierten Bildern und multimedialen
und Internet können Menschen mit anderen Spielern oder Lernumgebungen von Bedeutung, da Lernen in
dem Computer selbst interagieren. Abhängigkeit vom Medium unterschiedliche kognitive
Gerade die Nutzung von computer- und internet- Kompetenzen voraussetzt. Weiterhin ist zu bedenken,
basierten Spielen hat zu einer sehr kontroversen Debatte dass insbesondere das Vorwissen einen starken Einfluss
hinsichtlich der Motive und der Auswirkungen dieser auf medienbasierte Lernprozesse ausübt. Betrachtet
Spiele geführt. Gerade die Interaktivität computerbasierter man den Einsatz von Medien in institutionalisierten
Spiele sowie die Individualisierungsmöglichkeiten von Bildungskontexten, zeigt sich, dass in der Schule das
Computerspielen (z. B. durch die individuelle Gestaltung Lernen mit digitalen Medien bisher erst in geringerem
der Spielfigur) kann zu einem höheren Selbstwirksamkeits- Maße integriert ist als an Hochschulen. Letztlich sind
erleben führen, was die Nutzer als besonders positiv erleben Medien aus pädagogisch-psychologischer Sicht auch
und sie stark motiviert, ein Spiel fortzuführen. Zudem trägt als Unterhaltungsmedien von Relevanz, da Medien
die hohe Belohnungsrate in Computerspielen dazu bei, dass unseren Alltag und insbesondere unser Freizeitverhalten
eine hohe Selbstwirksamkeit erlebt wird (Klimmt 2004). Die erheblich bestimmen. Deswegen sind auch die Gründe
Bindung an ein Spiel wird zusätzlich durch das Zusammen- für das individuelle Medienkonsumverhalten als auch
spiel mit anderen Spielern verstärkt, weil hier langfristige die Auswirkungen des Medienkonsums – insbesondere
soziale Beziehungen zu anderen Spielern aufgebaut werden. auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
Diese sozialen Beziehungen zwischen Spielern werden zum – von Bedeutung. Um negative Einflüsse von Medien
Teil durch das Spielgeschehen selbst notwendig, um weitere zu vermeiden und ein kompetentes Mediennutzungs-
Fortschritte im Spielablauf zu erzielen. verhalten zu erlernen, ist der angeleitete Erwerb von
Insbesondere die in Einzelfällen zeitlich sehr extreme Medienkompetenz entscheidend.
Nutzung von Computerspielen (über 40 h pro Woche) von
Kindern und Jugendlichen, hat erhebliche Kritik hervor-
gerufen. Neben der Debatte, inwiefern Computerspiele ? Verständnisfragen
mit gewalttätigen Inhalten aggressiv machen (zu dieser
Debatte u Abschn. 6.4.2), werden der intensiven Nutzung 1. Welche Rolle spielen die lokale und die globale
von Computer und Internet als Unterhaltungsmedien Textkohärenz beim Lesen eines Textes?
Folgen wie zunehmende soziale Isolierung, Verlust sozialer 2. Wie kann der Lernvorteil digitaler Medien im
Kompetenz, mangelhaftes Lern- und Leistungsverhalten, Vergleich zum Lernen mit analogen Texten erklärt
höhere Delinquenz und schlechtere körperliche Gesund- werden? Unter welchen Bedingungen tritt der
heit zugeschrieben. Zwar gibt es einige empirische Evidenz Lernvorteil digitaler Medien auf?
für diese Kritikpunkte, dennoch erscheint manche Kritik 3. Wie weit ist die Integration der digitalen Medien in
aus empirischer Sicht an digitalen Unterhaltungsmedien institutionellen Bildungskontexten fortgeschritten?
überzogen (Appel und Schreiner 2014). Zudem muss man 4. Was sind die Unterschiede zwischen den
fragen, inwiefern ein stark reglementierter Umgang für verschiedenen Ansätzen zur Erklärung des
Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien langfristig Medienkonsums?
sogar schädlich sein kann, da Kinder und Jugendliche in 5. Führt der Konsum gewalthaltiger Medien
diesem Falle wohl keine zeitgemäße Medienkompetenz zu einer höheren realen Gewalttätigkeit der
erwerben können. Völlig unstrittig hingegen ist, dass es Medienkonsumenten?
entscheidend für die Vermeidung negativer Folgen der
digitalen Medien bei Kindern und Jugendlichen ist, dass Vertiefende Literatur
5 Batinic, B., & Appel, M. (Hrsg.). (2008). Medienpsychologie.
Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder begleiteten und in Heidelberg: Springer.
Verbindung mit den Schulen die Medienkompetenz ihrer 5 Issing, L. J., & Klimsa, P. (Hrsg.). (2009). Online-Lernen. München:
Kinder fördern. Oldenbourg.
158 H. Horz
5 Krämer, N., Schwan, S., Unz, D., & Suckfüll, M. (Hrsg.). (2016). Christmann, U., & Groeben, N. (1999). Psychologie des Lesens. In B.
Medienpsychologie: Schlüsselbegriffe und Konzepte. Stuttgart: Franzmann, K. Hasemann, D. Löffler, & E. Schön (Hrsg.), Handbuch
Kohlhammer. Lesen (S. 145–223). München: Saur.
5 Schwan, S., & Cress, U. (Hrsg.). (2017). The psychology of digital Conklin, J. (1987). Hypertext: A survey and introduction. IEEE Computer,
learning. Constructing, exchanging, and acquiring knowledge with 20, 17–41.
digital media. Cham: Springer. Dräger, J. (2013). Personalisierung trotz Massifizierung – Wie
5 Trepte, S., & Reinecke, L. (2018). Medienpsychologie Digitalisierung die Hochschullehre verändern wird, Vortrag auf
(2. unveränderte Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. der Tagung MOOCs and beyond – Chancen, Risiken und Folgen
digitaler Bildungsangebote für die deutsche Hochschullandschaft.
u http://www.che.de/downloads/Veranstaltun-gen/CHE_Vortrag_
Praesentation_Draeger_Personalisierung_trotz_Massifizierung_
Literatur PK428.pdf.
Dwyer, F. M. (1978). Strategies for improving visual learning.
Acar, M. (2018). Anleitung 2.0: Entwicklung und Gestaltung von inter- Pennsylvania: Learning Services.
aktiven, textarmen Anleitungen durch Visualisierungen. München: Ennemoser, M., & Schneider, W. (2007). Relations of television viewing
6 BookRix.
Anderson, J. R. (2001). Kognitive Psychologie. Heidelberg: Spektrum.
and reading: Findings from a 4-year longitudinal study. Journal of
Educational Psychology, 99, 349–368.
Anderson, C. A. (2004). An update of the effects of playing violent Eickelmann, B., Schaumburg, H., Drossel, K., & Lorenz, R. (2014).
games. Journal of Adolescence, 27, 113–122. Schulische Nutzung von neuen Technologien in Deutschland
Anderson, C. A., & Bushman, B. J. (2001). Effects of violent video games im internationalen Vergleich. In W. Bos, B. Eickelmann, J. Gerick,
on aggressive behaviour, aggressive cognition, aggressive affect, F. Goldhammer, H. Schaumburg, K. Schwippert, et al. (Hrsg.),
physiological arousal, and prosocial behaviour: A meta-analytic ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen
review of the scientific literature. Psychological Science, 12, 353–359. von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im inter-
Appel, M., & Schreiner, C. (2014). Digitale Demenz? Mythen und nationalen Vergleich. Münster: Waxmann.
wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Internet- Engelhardt, L., Naumann, J., Goldhammer, F., Frey, A., Wenzel, S. F. C.,
nutzung. Psychologische Rundschau, 65, 1–10. Hartig, K., Horz, H. (2019). Convergent evidence for the validity of
Artelt, C., Stanat, P., Schneider, W., & Schiefele, U. (2001). Lese- a performance-based ICT skills test. European Journal of Psycho-
kompetenz: Testkonzeption und Ergebnisse. In J. Baumert, E. logical Assessment.
Klieme, M. Neubrand, et al. (Hrsg.), PISA 2000 – Basiskompetenzen Ennemoser, M., Schiffer, K., Reinsch, C., & Schneider, W. (2003).
von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich Fernsehkonsum und die Entwicklung von Sprach- und Lese-
(S. 69–137). Opladen: Leske + Budrich. kompetenzen im frühen Grundschulalter: Eine empirische Über-
Baacke, D. (1997). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer. prüfung der SÖS-Mainstreaming-Hypothese. Zeitschrift für
Baddeley, A. D. (1986). Working memory. New York: Oxford University Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 35, 12–26.
Press. Fisch, S. M. (2004). Children’s learning from educational television:
Baddeley, A. (1992). Working memory. Science, 255, 556–559. Sesame street and beyond. Mahwah: Erlbaum.
Baddeley, A. (2003). Working memory: Looking back and looking Greller, W., & Drachsler, H. (2012). Translating learning into numbers: A
forward. Nature Reviews Neuroscience, 4, 829–839. generic framework for learning analytics. Educational Technology,
Ballstaedt, S. P. (1997). Wissensvermittlung. Die Gestaltung von Lern- 15, 42–57.
material. Weinheim: Beltz PVU. Groeben, N. (1982). Leserpsychologie: Textverständnis – Textverständ-
Bandura, A. (1965). Influence of models reinforcement contingencies lichkeit. Münster: Aschendorff.
on the acquisition of imitative response. Journal of Personality and Grotlüschen, A., & Riekmann, W. (2012). Funktionaler Analphabetis-
Social Psychology, 1, 589–595. mus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo. – Level-One Studie.
Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1963). Imitation of film-mediated Münster: Waxmann.
aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 66, Harp, S. F., & Mayer, R. E. (1998). How seductive details do their
3–11. damage: A theory of cognitive interest in science learning. Journal
BDP – Bund Deutscher Psychologinnen und Psychologen. (2018). of Educational Psychology, 90, 414–434.
Mensch und Gesellschaft im Digitalen Wandel. u https://www.bdp- Hey, B. (2008). Präsentieren in Wissenschaft und Forschung: Ein Leit-
verband.de/binaries/content/assets/verband/bdp-berichte/bdp- faden zur Vorbereitung von Referaten, Vorträgen, Konferenzen und
bericht-2018.pdf. Symposien. Weinheim: Wiley-VCH.
Behne, K.-E. (1999). Zu einer Theorie der Wirkungslosigkeit von Hilbert, T., Fabriz, S., Imhof, M., & Hargesheimer, J. (2012). Smarter
(Hintergrunds-)Musik. Jahrbuch Musikpsychologie, 14, 7–28. lehren mit SMART – Boards: Der Einsatz interaktiver Whiteboards
Berney, S., & Bétrancourt, M. (2016). Does animation enhance learning? im schulischen Unterricht. In M. Krämer, S. Dutke, & J. Barenberg
A meta-analysis. Computers & Education, 101, 150–167. (Hrsg.), Psychologiedidaktik und Evaluation IX (S. 277–284). Aachen:
Binkley, M., Erstad, O., Herman, J., Raizen, R., Ripley, M., & Rumble, M. Shaker.
(2012). Defining 21st century skills. In P. Griffin, B. McGaw, & E. Care Höffler, T. N., & Leutner, D. (2007). Instructional animation versus static
(Hrsg.), Assessment and teaching of 21st century skills (S. 17–66). pictures: A meta-analysis. Learning and Instruction, 17, 722–738.
Dordrecht: Springer. Horz, H. (2004). Lernen mit Computern: Interaktionen von Personen- und
Brünken, R., Plass, J. L., & Leutner, D. (2004). Assessment of cognitive Programmmerkmalen in computergestützten Lernumgebungen.
load in multimedia learning with dual-task methodology: Auditory Münster: Waxmann.
load and modality effects. Instructional Science, 32, 115–132. Horz, H. (2012). Situated prompts in authentic learning environ-
Bushman, B. J., & Huesman, L. R. (2001). Effects of televised violence ments. In N. M. Seel (Hrsg.), Encyclopedia of the sciences of learning
on aggression. In D. G. Singer & J. L. Singer (Hrsg.), Handbook of (S. 3086–3087). Heidelberg: Springer.
children and the media (S. 223–254). London: Sage. Horz, H., Fries, S., & Hofer, M. (2003). Stärken und Schwächen der
Bushman, B. J., & Huesmann, L. R. (2006). Short-term and long-term Gestaltung eines kollaborativen Teleseminars zum Thema
effects of violent media on aggression in children and adults. „Distance Learning“. Zeitschrift für Medienpsychologie, 15,
Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine, 160, 348–352. 48–59.
Medien
159 6
Horz, H., & Schnotz, W. (2010). Cognitive load in learning with multiple Rouet, J.-F., & Levonen, J. J. (1996). Studying and learning with hyper-
representations. In J. L. Plass, R. Moreno, & R. Bruenken (Hrsg.), text: Empirical studies and their implications. In J.-F. Rouet, J. J.
Cognitive load: Theory, & application (S. 229–252). New York: Levonen, A. Dillon, & R. J. Spiro (Hrsg.), Hypertext and cognition
Cambridge University Press. (S. 9–23). Mahwah: Erlbaum.
Horz, H., & Schulze-Vorberg, L. (2017). Digitalisierung in der Hoch- Rummer, R., Schweppe, J., Fürstenberg, A., Seufert, T., & Brünken, R.
schullehre. In Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Digitale Gesell- (2010). Working memory interference during processing texts and
schaft – Gestaltungsräume (S. 57–71). Berlin: Konrad Adenauer pictures: Implications for the explanation of the modality effect.
Stiftung. u http://www.kas.de/wf/doc/kas_50782-544-1-30.pdf? Applied Cognitive Psychology, 24, 164–176.
171123080940. Salomon, G. (1984). Television is „easy“ and print is „tough“. Journal of
Horz, H., & Ulrich, I. (2015). Lernen mit Medien. In H. Reinders, H. Educational Psychology, 76, 647–658.
Ditton, C. Gräsel, & B. Gniewosz (Hrsg.), Empirische Bildungs- Schneewind, K. A. (1978). Erziehungs- und Familienstile als Bedingungen
forschung (2. Aufl., S. 25–39). Wiesbaden: Springer VS. kindlicher Medienerfahrung. Fernsehen und Bildung, 11, 234–248.
Horz, H., Winter, C., & Fries, S. (2009). Differential benefits of Schnotz, W. (1994). Aufbau von Wissensstrukturen. Weinheim: Beltz.
instructional prompts. Computers in Human Behavior, 25, 818–828. Schnotz, W. (2005). An integrated model of text and picture
Hovland, C. I. (1959). Reconciling conflicting results derived from comprehension. In R. E. Mayer (Hrsg.), Cambridge handbook of multi-
experimental and survey studies of attitude change. American media learning (S. 49–69). Cambridge: Cambridge University Press.
Psychologist, 14, 8–17. Schnotz, W., & Bannert, M. (2003). Construction and interference in
Johnson-Laird, P. N. (1983). Mental models: Towards a cognitive science learning from multiple representations. Learning and Instruction,
of language, inference and consciousness. Cambridge: Cambridge 13, 141–156.
University Press. Schramm, H. (2004). Musikrezeption und Radionutzung. In R. Mangold,
Kalyuga, S., Ayres, P., Chandler, P., & Sweller, J. (2003). The expertise P. Vorderer, & G. Bente (Hrsg.), Lehrbuch der Medienpsychologie
reversal effect. Educational Psychologist, 38, 23–31. (S. 443–463). Göttingen: Hogrefe.
Klimmt, C. (2004). Computer- und Videospiele. In R. Mangold, P. Schramm, H., & Hasebrink, U. (2004). Fernsehnutzung und Fernseh-
Vorderer, & G. Bente (Hrsg.), Lehrbuch der Medienpsychologie wirkung. In R. Mangold, P. Vorderer, & G. Bente (Hrsg.), Lehrbuch
(S. 695–716). Göttingen: Hogrefe. der Medienpsychologie (S. 465–492). Göttingen: Hogrefe.
Langer, I., Schulz von Thun, W., & Tausch, R. (1974). Verständlichkeit in Schüler, A., Scheiter, K., Rummer, R., & Gerjets, P. (2012). Enhanced cognitive
Schule, Verwaltung, Politik und Wissenschaft. München: Reinhardt. resources or temporal contiguity? Revising the explanation of the
Last, D. A., O’Donnell, A. M., & Kelly, A. E. (2001). The effects of prior modality effect in multimedia learning. Learning & Instruction, 22, 92–102.
knowledge and goal strength on the use of hypertext. Journal of Schulmeister, R. (1997). Grundlagen hypermedialer Lernsysteme.
Educational Multimedia & Hypermedia, 10, 3–25. Theorie – Didaktik – Design (2. Aufl.). Oldenbourg: München.
Mayer, R. E. (1997). Multimedia learning: Are we asking the right Schwan, S. (2017). Digital pictures, videos, and beyond: Knowledge
questions? Educational Psychologist, 32, 1–19. acquisition with realistic images. In S. Schwan & U. Cress (Hrsg.),
Mayer, R. E. (Hrsg.). (2005). The Cambridge handbook of multimedia The psychology of digital learning (S. 41–59). Cham: Springer.
learning. Cambridge: Cambridge University Press. Spitzer, M. (2012). Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um
Mayer, R. E., & Moreno, R. (1998). A split-attention effect in multi- den Verstand bringen. München: Droemer/Knaur.
media learning: Evidence for dual processing systems in working Spitzer, M. (2015). Cyberkrank!: Wie das digitalisierte Leben unsere
memory. Journal of Educational Psychology, 90, 312–320. Gesundheit ruiniert. München: Droemer/Knaur.
Mayer, R. E., & Moreno, R. (2003). Nine ways to reduce cognitive load in Stephanus, H. (2008). Übersetzung des „Phaidros“ von Plato. u http://www.
multimedia learning. Educational Psychologist, 38, 43–52. emerco.de/resources/platon/phaidros/. Zugegriffen: 29. Febr. 2008.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. (2018). Sweller, J., van Merriënboer, J. J. G., & Paas, F. G. W. C. (1998). Cognitive
JIM-Studie. Jugend, Information, Medien. u https://www.mpfs.de/ architecture and instructional design. Educational Psychology
fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM_2018_Gesamt.pdf. Review, 10, 251–296.
Zugegriffen: 1. März 2019. Trepte, S. (2004). Zur Geschichte der Medienpsychologie. In R.
Mory, E. H. (2014). Feedback research revisited. In J. M. Spector, M. Mangold, P. Vorderer, & G. Bente (Hrsg.), Lehrbuch der Medien-
D. Merrill, J. Elen, & M. J. Bishop (Hrsg.), Handbook of research on psychologie (S. 4–25). Göttingen: Hogrefe.
educational communications and technology (S. 745–783). New van Dijk, T. A., & Kintsch, W. (1983). Strategies of discourse
York: Springer. comprehension. New York: Academic.
Naumann, J., Richter, T., Flender, J., Christmann, U., & Groeben, N. Vogel, I., Suckfüll, M., & Gleich, U. (2007). Medienhandeln. In U. Six,
(2007). Signaling in expository hypertexts compensates for deficits U. Gleich, & R. Gimmler (Hrsg.), Kommunikationspsychologie und
in reading skill. Journal of Educational Psychology, 99, 791–807. Medienpsychologie (S. 335–355). Weinheim: Beltz-PVU.
Paivio, A. (1986). Mental representation: A dual coding approach. Oxford: VPRT – Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (2018).
Oxford University Press. Mediennutzung in Deutschland 2017. u https://www.vau.net/
Peters, J. D., & Simonson, P. (Hrsg.). (2004). Mass Communication and system/files/documents/vprt_mediennutzung-in-deutsch-
American Social Thought: Key Texts, 1919–1968. Lanham: Rowman & land-2017.pdf. Zugegriffen: 8. März 2019.
Littlefied. Wenzel, S. F. C., Engelhardt, L., Hartig, K., Kuchta, K., Frey, A., Gold-
Piaget, J. (2003). Meine Theorie der geistigen Entwicklung. Weinheim: hammer, F., Naumann, J., & Horz, H. (2016). Computergestützte,
Beltz. adaptive und verhaltensnahe Erfassung Informations- und
Plass, J. L., Chun, D. M., Mayer, R. E., & Leutner, D. (2003). Cognitive Kommunikationstechnologie-bezogener Fertigkeiten (ICT-Skills)
load in reading a foreign language text with multimedia aids and (CavE-ICT). In BMBF (Hrsg.), Forschung in Ankopplung an
the influence of verbal and spatial abilities. Computers in Human Large-Scale Assessments (S. 161–180). Bonn: BMBF.
Behavior, 19, 221–243. Yates, S., Kirby, J., & Lockley, E. (2015). Digital media use: Differences
Richter, T., & Christmann, U. (2002). Lesekompetenz: Prozessebenen and inequalities in relation to class and age. Sociological research
und interindividuelle Unterschiede. In N. Groeben & B. Hurrelmann online, 20, 1–21.
(Hrsg.), Lesekompetenz: Bedingungen, Dimensionen, Funktionen Zauschner-Studnicka, S. (2017). A model for reverse-mentoring in
(S. 25–58). Weinheim: Juventa. education. International Journal of Social, Behavioral, Educational,
Richter, T., Naumann, J., Brunner, M., & Christmann, U. (2005). Economic, Business and Industrial Engineering, 11, 546–553.
Strategische Verarbeitung beim Lernen mit Text und Hypertext. Zillmann, D. (1988). Mood management through communication
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 19, 5–22. choices. American Behavioral Scientist, 31, 327–341.
161 III
Motivieren
Inhaltsverzeichnis
7 Motivation – 163
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner
8 Selbstkonzept – 187
Jens Möller und Ulrich Trautwein
9 Emotionen – 211
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun
163 7
Motivation
Ulrich Schiefele und Ellen Schaffner
Literatur – 181
Motivation gilt als zentrales Konstrukt der Verhaltens- Die Definition von Rheinberg und Vollmeyer (2019)
erklärung. Insbesondere die Zielrichtung (was eine Person betont die „energetisierende“ Funktion der Motivation
tut), die Ausdauer (wie lange eine Person etwas tut) und sowie die Tatsache, dass sie einen aktuellen bzw. vorüber-
die Intensität (wie sehr sich eine Person bei einer Tätig- gehenden Zustand darstellt. Motivation wird jedoch auch
keit konzentriert bzw. anstrengt) werden als motivations- als habituelles Merkmal operationalisiert und erforscht.
abhängige Verhaltensmerkmale angesehen (z. B. Rheinberg In der Regel werden die Versuchspersonen dabei gefragt,
und Vollmeyer 2019; Schunk et al. 2008). Die Motivation wie häufig eine bestimmte aktuelle Motivation in einem
einer Schülerin sollte somit einen Einfluss darauf haben, längeren Zeitraum (z. B. innerhalb des letzten Jahres) bei
ob sie am Nachmittag für eine Prüfung lernt statt z. B. ihre ihnen aufgetreten ist. Eine habituelle Motivation ist folglich
Freunde zu treffen (Zielrichtung), wie viel Zeit sie in die durch ihr wiederholtes bzw. gewohnheitsmäßiges Auftreten
Prüfungsvorbereitung investiert (Ausdauer) und wie sehr gekennzeichnet (Pekrun 1988). Demnach zeichnet sich
sie sich beim Lernen anstrengt (Intensität). Neben diesen ein Schüler mit einer hohen habituellen Lernmotivation
„klassischen“ Aspekten des Verhaltens können weitere dadurch aus, dass er häufig und in vielen Situationen zum
motivationsabhängige Verhaltensmerkmale angenommen Lernen motiviert ist.
werden. Beim Lernen ist hier insbesondere die Art und Die bisher behandelte allgemeine Definition der
Weise des Lernverhaltens in Betracht zu ziehen. So ist Motivation ist hinsichtlich ihres Erklärungswerts des Lern-
z. B. nachgewiesen worden, dass sich abhängig von der verhaltens und der Lernleistung allerdings begrenzt. So
motivationalen Ausgangslage die Strategien unterscheiden, hat sich in der pädagogisch-psychologischen Forschung
mit denen Schüler lernen (Schiefele und Schreyer 1994; die Unterscheidung verschiedener Motivationsformen
Walker et al. 2006; Wild 2000). durchgesetzt, die das Lernverhalten im Sinne der all-
Motivation
165 7
gemeinen Definition zwar gleichermaßen „energetisieren“, Extrinsische Motivation
gleichzeitig aber z. B. die Verwendung verschiedener Im Bereich schulischen Lernens können gute Leistungen als
(reproduktions- vs. verständnisorientierter) Lernstrategien das wichtigste Handlungsergebnis aufgefasst werden. Damit
nach sich ziehen und den Lernerfolg entsprechend unter- in Übereinstimmung existiert zur Leistungsmotivation bzw.
schiedlich beeinflussen können (Schiefele und Schreyer zur leistungsbezogenen Lernmotivation eine große Zahl
1994; Wild 2000). Als zentral ist in diesem Zusammen- von Forschungsarbeiten (Brunstein und Heckhausen 2006;
hang die Unterscheidung zwischen intrinsischer und Wigfield et al. 2015).
extrinsischer Motivation hervorzuheben.
Definition
Die leistungsbezogene Lernmotivation äußert sich
7.1.1 Extrinsische und intrinsische
in der Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, um
Motivation später im Rahmen einer Leistungssituation (z. B. in einer
Prüfung) eine gute Leistung erbringen zu können.
Lernmotivation wird als Absicht verstanden, spezifische
Inhalte oder Fertigkeiten zu lernen, um damit bestimmte
Ziele bzw. Zielzustände zu erreichen. Diese allgemeine Dabei ist zu beachten, dass gute Leistungen nicht um ihrer
Begriffsbestimmung lässt offen, welche Ziele jeweils selbst willen angestrebt werden (vgl. Heckhausen 1989),
im Einzelnen verfolgt werden. Es können zwei über- sondern weil sie positive Konsequenzen für die Selbst-
geordnete Kategorien von Zielen unterschieden werden: bewertung (z. B. Stolz), die Fremdbewertung (z. B. soziale
die Konsequenzen, die auf eine Handlung folgen (z. B. Anerkennung durch den Lehrer) und die Annäherung an
soziale Anerkennung), und die Erlebenszustände, die Oberziele (z. B. Ausüben eines bestimmten Berufs) nach
bereits während der Handlungsausführung eintreten (z. B. sich ziehen. Die leistungsbezogene Lernmotivation richtet
Anregung, Kompetenzgefühle). Im ersten Fall liegen die sich also auf Sachverhalte, die prinzipiell außerhalb der
angestrebten Zielzustände außerhalb der Handlung und Lernhandlung liegen bzw. auf sie folgen. Sie stellt daher
man spricht deshalb von extrinsischer Lernmotivation. Im eine Form der extrinsischen Lernmotivation dar (auch
zweiten Fall liegen die angestrebten Zielzustände inner- Schneider 1996).
halb der Handlung und die entsprechende Lernmotivation Neben der leistungsbezogenen Lernmotivation lassen
ist intrinsischer Natur. In der Forschung wurden die sich weitere Formen extrinsischer Lernmotivation unter-
extrinsische und intrinsische Lernmotivation häufig als scheiden. Denn auch wenn die Leistung im schulischen
habituelle Merkmale operationalisiert (Schiefele 1996). Kontext stark betont wird, zielt nicht jede Lernhandlung
notwendig auf das Erreichen einer guten Leistung ab.
Definition Lernhandlungen können auch direkt auf Selbstbewertung,
Unter extrinsischer Lernmotivation versteht man die Fremdbewertung und die Annäherung an Oberziele
Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, weil damit gerichtet sein. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Schüler
positive Konsequenzen herbeigeführt oder negative seine Hausaufgaben vor allem deshalb sorgfältig bearbeitet,
Konsequenzen vermieden werden. Intrinsische weil er von seinen Eltern dafür Lob erhält. Neben dieser
Lernmotivation bezeichnet die Absicht, eine bestimmte auf Fremdbewertung zielenden sozialen Lernmotivation
Lernhandlung durchzuführen, weil die Handlung erscheint auch die Annahme einer selbstbewertungs-
selbst von positiven Erlebenszuständen begleitet wird basierten und einer an Oberzielen orientierten Lern-
(Schiefele 1996). motivation sinnvoll (z. B. „Wenn ich es schaffe, diesen
komplizierten Text durchzuarbeiten, bin ich stolz auf
mich“, „Ich arbeite diesen komplizierten Text durch, weil
Die bisherige Forschung gibt Hinweise darauf, dass ich das darin enthaltene Wissen später einmal brauchen
sich extrinsische und intrinsische Lernmotivation nicht kann“). Solche Facetten der Lernmotivation wurden
ausschließen, sondern z. B. gleichermaßen hoch ausgeprägt allerdings nur selten empirisch untersucht (z. B. Covington
sein können (z. B. Amabile et al. 1994; Buff 2001). Dies ist 1992; Hayamizu und Weiner 1991; Pekrun 1983).
aus theoretischen Gründen nicht verwunderlich, denn Eine wichtige Differenzierung der leistungsbezogenen
Lernen ist neben intrinsischen Anreizen meist auch mit Lernmotivation ergibt sich aus dem Konzept der Bezugs-
handlungsexternen Konsequenzen verbunden (z. B. soziale normen von Rheinberg (1980; Rheinberg und Fries 2010).
Anerkennung, Erreichen von Ausbildungszielen). Dennoch Rheinberg unterscheidet bei der Leistungsbeurteilung
lassen sich die Effekte intrinsischer und extrinsischer zwischen einer individuellen, einer sozialen und einer sach-
Motivation separat voneinander untersuchen, z. B. indem lichen Bezugsnorm. Im Falle der individuellen Bezugsnorm
man eine der beiden Motivationsformen experimentell ist der zu erreichende Gütemaßstab durch die eigene frühere
induziert (Schaffner und Schiefele 2007) oder den Effekt der Leistung des Lerners bestimmt, bei der sozialen Bezugs-
jeweils anderen Motivationsform bei der Vorhersage eines norm dagegen durch das Leistungsniveau einer bestimmten
Kriteriums (z. B. der Lernleistung) statistisch kontrolliert. Bezugsgruppe (z. B. der Schulklasse) und bei der sachlichen
166 U. Schiefele und E. Schaffner
Bezugsnorm durch ein aus sachlichen (z. B. curricularen) extrinsische Lernmotivation die Unterscheidung sechs
Erwägungen abgeleitetes Leistungs- bzw. Lernziel. Man verschiedener Komponenten (Übersicht).
kann daher unterschiedliche Formen der leistungs- Die in der Übersicht enthaltene leistungsbezogene
bezogenen Lernmotivation differenzieren, je nachdem, ob Lernmotivation geht über die im vorangegangenen
gute Leistungen im Vergleich mit der eigenen früheren Abschnitt getroffene Differenzierung hinaus. Dort wurde
Leistung (individuelle Bezugsnorm), im Vergleich zu die an individuellen Bezugsnormen orientierte leistungs-
anderen Personen (soziale Bezugsnorm) oder im Vergleich bezogene Lernmotivation als kompetenzbezogene Lern-
mit einem sachlichen Kriterium (sachliche Bezugsnorm) motivation charakterisiert und von der an sozialen
angestrebt werden. Die leistungsbezogene Lernmotivation, Bezugsnormen orientierten, wettbewerbsbezogenen
die sich an individuellen Vergleichsmaßstäben orientiert Lernmotivation unterschieden. Die Inhaltsanalyse ein-
und Leistungssteigerung anstrebt, deckt sich am ehesten schlägiger Instrumente legt jedoch zusätzlich eine auf
mit der klassischen Leistungsmotivationstheorie (z. B. Leistungsrückmeldung zielende Form der Lernmotivation
Atkinson 1957). Diese Form der Motivation kann daher als nahe, bei der weder die Kompetenzerweiterung noch
Leistungsmotivation im engeren Sinne oder als kompetenz- der Wettbewerb im Vordergrund stehen (Amabile et al.
bezogene Leistungsmotivation bezeichnet werden. Wenn 1994). Eine entsprechend motivierte Person lernt vor
7 die handelnde Person jedoch danach strebt, soziale Bezugs- allem, um in einer Leistungs- oder Testsituation ein gutes
normen zu übertreffen, dann kann man von wettbewerbs- Resultat bzw. eine positive Bewertung ihrer Leistung (ins-
bezogener Leistungsmotivation sprechen. besondere im Sinne von Noten, nicht im Sinne sozialer
Zusammenfassend ergibt sich demnach die folgende Anerkennung) zu erreichen. Die Übersicht zeigt zudem,
Differenzierung verschiedener Formen von extrinsischer dass eine rein selbstbewertungsbasierte Lernmotivation
Lernmotivation. Zum einen lassen sich zwei Formen der bislang nicht in die Forschung einbezogen wurde. Die
leistungsbezogenen Lernmotivation unterscheiden, wobei Aspekte der Fremdbewertung (soziale extrinsische Lern-
in einem Fall der individuelle Kompetenzgewinn und im motivation) und der Annäherung an Oberziele (beruf-
anderen Fall das überlegene Abschneiden im Vergleich lich-materielle und beruflich -inhaltliche extrinsische
mit anderen im Vordergrund steht. Zum anderen lassen Lernmotivation) sind jedoch vertreten.
sich die soziale, die selbstbewertungsbasierte und die
oberzielorientierte Lernmotivation voneinander abgrenzen.
Prototypisch betrachtet kann man demnach Schüler unter- Komponenten der extrinsischen Lernmotivation
scheiden, die beim Lernen vor allem danach streben, (ELM)
von wichtigen Bezugspersonen gelobt bzw. anerkannt Lernen, um
zu werden, auf die Ergebnisse ihrer Lernhandlungen mit 1. positive Leistungsrückmeldungen (z. B. Noten) zu
positiver Selbstbewertung zu reagieren (z. B. Stolz, Freude) erhalten (leistungsbezogene ELM),
und/oder wichtige persönliche Ziele (z. B. ein bestimmtes 2. die eigene Kompetenz zu erweitern (kompetenz-
Ausbildungsniveau) zu erreichen. bezogene ELM),
3. andere zu übertreffen bzw. die eigene überlegene
Empirische Befunde zu Komponenten der extrinsischen Fähigkeit zu demonstrieren (wettbewerbsbezogene
Lernmotivation Bisher erfolgte die Differenzierung ver- ELM),
schiedener Formen extrinsischer Lernmotivation auf 4. soziale Anerkennung zu erhalten (soziale ELM),
einer theoretischen Ebene über die Gründe, die bei der 5. beruflich-materielle Ziele zu erreichen (Prestige,
Initiierung von Lernaktivitäten (v. a. im schulischen Gehalt; beruflich-materielle ELM),
Kontext) eine Rolle spielen. Doch lässt sich die vor- 6. eine angestrebte berufliche Tätigkeit ausüben zu
genommene Differenzierung extrinsischer Lern- können (beruflich-inhaltliche ELM).
motivation auch empirisch bestätigen? Unterscheiden
die Probanden (meist Schüler oder Studierende) tatsäch-
lich zwischen den verschiedenen Formen extrinsischer Intrinsische Motivation
Lernmotivation, wie z. B. der leistungsbezogenen und Als zentrales Merkmal der intrinsischen Motivation wurde
der sozialen Lernmotivation? Zur Beantwortung dieser bereits festgehalten, dass positive Erlebnisqualitäten eine
Fragen kann auf Studien zurückgegriffen werden, in denen Handlung begleiten und maßgeblich dafür sind, dass eine
Instrumente zur Erfassung der habituellen (extrinsischen Person die entsprechende Handlung initiiert und aus-
und intrinsischen) Lernmotivation eingesetzt wurden führt. Das Konstrukt der intrinsischen Motivation ent-
(Schiefele 1996). Diese Instrumente sehen vor, dass die wickelte sich im Zusammenhang mit Versuchen, eine
Probanden nach dem Ausmaß befragt werden, in dem sie motivationale Basis des 7 Explorations- und Neugierver-
verschiedene Formen der Lernmotivation üblicherweise haltens zu finden (Deci und Moller 2005; Deci und Ryan
zeigen (z. B. „Ich lerne vor allem deshalb, um von anderen 1985; Schiefele und Streblow 2005). 7 Behavioristische
gelobt zu werden“). Eine Analyse einschlägiger Frage- Theorien stießen hier an ihre Grenzen, da diese Ver-
bogen (z. B. Amabile et al. 1994; Gottfried 1986; Harter haltensweisen ohne einen äußeren Anreiz (wie z. B. eine
1981; Vallerand et al. 1992, 1993) ergab für die habituelle Belohnung) erfolgen. Während der Begriff „intrinsische
Motivation
167 7
Kontextfaktoren, die zur Befriedigung der Grundbedürf-
Motivation“ zunächst nur ausdrücken sollte, dass das nisse beitragen, nicht nur die intrinsische Motivation,
Individuum über eine ihm eigene Motivationsquelle ver- sondern auch die psychische Gesundheit fördern. Dagegen
fügt, die nicht auf primäre Triebe oder externe Verstärkung sollten Kontextfaktoren, die die Grundbedürfnisse ein-
zurückgeführt werden kann, bemühten sich die in der schränken, negative Konsequenzen für die intrinsische
Folge entwickelten Theorien zur intrinsischen Motivation Motivation und – zumindest längerfristig – auch für die
um eine Spezifikation der handlungsbegleitenden Erleb- psychische Gesundheit nach sich ziehen.
nisqualitäten, durch die ein bestimmtes Verhalten (z. B. Weil die subjektiven Wahrnehmungen von Kompetenz
Lernen) einen eigenen Anreiz erhält. Dabei kann die nach- und Selbstbestimmung bei einer Tätigkeit (z. B. dem
folgend behandelte Selbstbestimmungstheorie von Deci Lernen) nach Deci und Ryan positiven Erlebniswert
und Ryan (1985, 2002) als bedeutsamste moderne Theorie besitzen, können sie dazu führen, dass eine Tätigkeit
der intrinsischen Motivation gelten. auch ohne äußere Motivierung initiiert und durchgeführt
wird. Es handelt sich demnach um handlungsimmanente
Kompetenz, Selbstbestimmung und soziale Anreize, die beispielsweise auch zur Erklärung des
Bezogenheit Explorations- und Neugierverhaltens herangezogen
Deci und Ryan (1985, 2002) vertreten die Auffassung, dass werden können (s. oben). Als weitere handlungsimmanente
Menschen über ein angeborenes Bedürfnis verfügen, sich Anreize kommen auch das Flow-Erleben (s. unten) und
effektiv und kompetent mit ihrer Umwelt auseinander- bestimmte handlungsbegleitende Emotionen (z. B. Freude,
zusetzen (vgl. White 1959). Wird dieses Bedürfnis beim situationales Interesse) infrage.
Handeln (z. B. der Erledigung der Hausaufgaben) erfüllt, Wenngleich das Postulat der Bedürfnisse nach
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass intrinsische Motivation Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit
auftritt und die Handlung eine positive Erlebnisqualität eine hohe Plausibilität besitzt, ist ein direkter Nachweis
erhält. Deci und Ryan betonen allerdings auch, dass die ihrer Existenz schwierig. Die Forschungsstrategie von Deci
Annahme eines Kompetenzbedürfnisses nicht ausreicht, und Ryan (1985, 2002) bestand zunächst darin, den Nach-
um intrinsisch motiviertes Verhalten zu erklären. Es gibt weis zu erbringen, dass Beeinträchtigungen der Selbst-
zahlreiche Handlungen, die zwar kompetenzmotiviert bestimmung durch externe Kontrolle (z. B. angekündigte
sind, aber dennoch nicht um ihrer selbst willen durch- Belohnungen) zur Reduzierung von intrinsischer
geführt werden. Eine Schülerin kann sich beim Lernen von Motivation führen. Dieser „Unterminierungseffekt“ tritt
Vokabeln z. B. durchaus kompetent fühlen, ohne dass eine allerdings nur unter bestimmten Bedingungen auf (z. B.
intrinsische Motivation vorliegt. Die Autoren postulieren muss eine angekündigte Belohnung während der Handlung
daher eine weitere wesentliche Bedingung für das Eintreten bewusst sein; vgl. Schiefele und Streblow 2005). In weiteren
intrinsischer Motivation: Eine Person muss sich frei von Studien zeigten Deci und Ryan (1985, 2002), dass die Wahr-
äußerem Druck bzw. als selbstbestimmt handelnd erleben. nehmung von Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer
Wie bezüglich des Kompetenzerlebens gehen die Autoren Bezogenheit positiv mit der intrinsischen Lernmotivation
auch in diesem Fall davon aus, dass alle Menschen Auto- und Aspekten der psychischen Gesundheit zusammen-
nomie als etwas Positives erleben, weil ihnen ein psycho- hängt.
logisches Bedürfnis nach Selbstbestimmung angeboren ist
(vgl. deCharms 1968). Deci und Ryan verweisen schließlich Tätigkeits- und gegenstandszentrierte
noch auf die Bedeutung eines dritten Grundbedürfnisses, Lernmotivation
dem Bedürfnis nach sozialer Bezogenheit. Dieses Bedürf- Die intrinsische Lernmotivation richtet sich also auf
nis manifestiert sich u. a. in dem Ziel, vertrauensvolle positive Erlebenszustände, die während der Ausführung
und unterstützende Beziehungen zu anderen Menschen einer Handlung eintreten. Dabei kann die Frage gestellt
aufzubauen. Die soziale Bezogenheit kann nicht nur werden, ob die beim Lernen auftretenden Erlebenszustände
erklären, warum soziale Anerkennung einen so wichtigen eher auf den Charakter der Lernhandlung selbst zurück-
extrinsischen Anreiz darstellt, sondern sie bedingt auch die gehen oder eher durch den Gegenstand der Lernhandlung
Entwicklung von Interessen (indem z. B. das Hobby eines bedingt sind (Schiefele 1996; Schiefele und Streblow 2005).
engen Freundes übernommen wird; vgl. Bergin 2016) und Im ersten Fall spricht man von einer tätigkeitszentrierten
das Entstehen von intrinsischer Motivation (indem z. B. intrinsischen Lernmotivation. Sie tritt ein, wenn ein Lerner
Tätigkeiten, die Kooperation mit anderen ermöglichen, unabhängig vom Lerngegenstand bestimmte Handlungs-
intrinsische Anreize erhalten). formen (z. B. Gruppenarbeit, praktisches Experimentieren)
Die psychologischen Grundbedürfnisse nach bevorzugt. Im zweiten Fall spricht man von einer gegen-
Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit standszentrierten intrinsischen Lernmotivation. Diese
bilden nach Deci und Ryan (1985, 2002) die gemeinsame kennzeichnet einen Lerner, der sich unabhängig von der
Grundlage für das Auftreten intrinsisch motivierten Ver- jeweils durchgeführten Tätigkeitsform für bestimmte
haltens. Sie sind gewissermaßen als „Nährstoffe“ zu ver- Inhalte interessiert und deshalb positive Gefühle während
stehen, die für eine gesunde Entwicklung wesentlich sind des Lernens erlebt. Individuelle Interessen des Lerners
(Deci und Moller 2005). Folglich ist zu erwarten, dass
168 U. Schiefele und E. Schaffner
stellen daher eine wichtige Bedingung des Auftretens Grundbedürfnisse, Internalisierung und
intrinsischer Lernmotivation dar. extrinsische Motivation
Die Unterscheidung einer gegenstands- und tätigkeits- Eine wichtige Differenzierung der Theorie von Deci
zentrierten intrinsischen Lernmotivation stimmt mit den und Ryan (1985, 2002) betrifft die Unterscheidung ver-
Befunden der oben erwähnten Studien überein, in denen schiedener Internalisierungsstufen der extrinsischen
die habituelle extrinsische und intrinsische Lernmotivation Motivation im Rahmen der Theorie der organismischen
erfasst worden ist (z. B. Amabile et al. 1994). Neben den Integration. Mithilfe dieser Differenzierung lassen sich
bereits berichteten Komponenten der extrinsischen Lern- einerseits Formen der extrinsischen Motivation identi-
motivation wurden in diesen Studien zwei Komponenten fizieren, die der psychischen Gesundheit nicht abträglich
der intrinsischen Lernmotivation differenziert (Schiefele sind. Andererseits trägt die erweiterte Theorie der Tat-
1996): Lernen aus Interesse und Neugier (gegenstands- sache Rechnung, dass extrinsisch motivierte Handlungen
zentriert) und Freude am Lernen (tätigkeitszentriert). (z. B. Prüfungsvorbereitung zu einem langweiligen Thema)
Allerdings erwiesen sich die beiden Komponenten dem Bedürfnis nach Kompetenz, Selbstbestimmung und
empirisch (bzw. faktorenanalytisch) als nicht trennbar, sozialer Bezogenheit dienlich sein können – auch wenn sie
d. h. die intrinsische Lernmotivation kann im Gegensatz keinen Eigenanreiz besitzen. Die extrinsische Motivation
7 zur extrinsischen Lernmotivation als einheitliches Merkmal einer Handlung schließt die Erfüllung der psychologischen
aufgefasst werden. Dies deutet darauf hin, dass Gegen- Grundbedürfnisse also nicht prinzipiell aus.
stand und Tätigkeit aus der Sicht der Lerner zumindest in In der Theorie der organismischen Integration gehen
motivationaler Hinsicht eine Einheit bilden. Deci und Ryan davon aus, dass bei der Sozialisation eines
Kindes extrinsische Motivationsprozesse unerlässlich
Flow-Erleben sind. Diese betreffen insbesondere die Übernahme von
Die von Csikszentmihalyi (1985, 1990; Csikszentmihalyi et al. Normen, Einstellungen und Handlungszielen im Rahmen
2005) entwickelte Flow-Theorie ergänzt die Sichtweise der von Internalisierungsprozessen. Diese Prozesse werden
Selbstbestimmungstheorie. Csikszentmihalyi konnte zeigen, prinzipiell von den gleichen Bedürfnissen getragen wie
dass Personen, die eine offenbar intrinsisch motivierte Tätig- die intrinsische Motivation. Demzufolge ermöglicht die
keit ausüben, ein charakteristisches Erleben zeigen, dass er als Internalisierung gesellschaftlicher Normen z. B., dass sich
Flow bezeichnet hat. Das Erleben von Flow beinhaltet im Kern das Individuum bei sozial erwünschten Verhaltensweisen
ein vollkommenes Aufgehen in der Tätigkeit (Absorbiertsein). (z. B. der Erledigung von Hausaufgaben) selbstbestimmt
Weitere Aspekte dieses Erlebens sind die Selbstvergessen- erlebt und von anderen Personen (z. B. dem Klassenlehrer)
heit, das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein und sozial anerkannt wird. Längerfristig erleichtert die Inter-
das Gefühl von Kontrolle. Aus den Forschungsarbeiten von nalisierung von Handlungsnormen (z. B. der geltenden
Csikszentmihalyi ist zu schließen, dass das Flow-Erleben Regeln innerhalb des Klassenzimmers) auch das Wirk-
– neben den von Deci und Ryan (1985, 2002) postulierten samkeitserleben beim Lernen und unterstützt somit die
Kompetenz- und Selbstbestimmungsgefühlen – einen Kompetenzentwicklung des Individuums. Würde ein
zentralen Anreiz intrinsisch motivierter Tätigkeiten darstellt. Schüler demgegenüber extern vorgegebene Handlungsziele
Die subjektive Passung von Fähigkeit und Handlungs- überwiegend zurückweisen, wäre die Erfüllung der drei
anforderung stellt dabei die wichtigste Bedingung des grundlegenden Bedürfnisse erheblich erschwert.
Flow-Erlebens dar. Flow wird vor allem dann erlebt, wenn Deci und Ryan unterscheiden drei Stufen der Inter-
die handelnde Person weder unter- noch überfordert ist. nalisierung, die auch als Formen der Verhaltensregulation
Damit wird die Nähe zur Selbstbestimmungstheorie deut- (Fremd- vs. Selbstbestimmung) beschrieben werden
lich, denn eine optimale Passung von Fähigkeit und Hand- (. Tab. 7.1). Daneben existiert eine Vorstufe der externalen
lungsanforderung müsste theoretisch auch mit einem Regulation. Auf dieser Ebene der Entwicklung hat noch
hohen Kompetenzerleben einhergehen (Rheinberg 2006; keine Internalisierung stattgefunden. Das bedeutet, der
Schiefele und Streblow 2005). Handelnde verfolgt noch kein eigenständiges Ziel, sein
. Tab. 7.1 Differenzierung extrinsischer und intrinsischer Motivation. (Adaptiert nach Deci und Ryan 2002, © University of Rochester
Press)
Externale Regulation Introjizierte Regulation Identifizierte Regulation Integrierte Regulation Intrinsische Regulation
Handeln aufgrund Internalisierung eines Identifizierung mit einem Identifizierung mit einem Handeln aufgrund von
von äußerem Handlungsziels ohne Handlungsziel, aber Handlungsziel ohne handlungsbegleitenden
Druck (Belohnung, Identifizierung vorhandene Konflikte mit Konflikte mit anderen Anreizen
Bestrafung) anderen Zielen Zielen
Fremdbestimmt Selbstbestimmt
Motivation
169 7
Handeln wird allein durch externe Belohnungen bzw. Die integrierte Regulation wurde nicht berücksichtigt,
Bestrafungen reguliert. Die erste Stufe der Internalisierung, weil sie empirisch nicht von der identifizierten Regulation
die introjizierte Regulation, kennzeichnet Personen, die abgegrenzt werden konnte (auch Vallerand et al. 1992,
ein eigenständiges Handlungsziel verfolgen, mit dem sie 1993). Es fällt einerseits auf, dass die externale und die
sich jedoch nicht identifizieren. Diese Personen handeln introjizierte Regulation im Sinne der sozialen extrinsischen
nur aufgrund von innerem Druck, z. B. um ein schlechtes Lernmotivation (s. oben 7 Übersicht) aufgefasst werden.
Gewissen zu vermeiden oder weil es von anderen Personen Andererseits wird die identifizierte Regulation weitgehend
erwartet wird. Auf der Ebene der identifizierten Regulation mit der kompetenzbezogenen Lernmotivation gleichgesetzt.
werden die ursprünglich externalen Handlungsziele als Offenkundig bedürfen diese Bezüge zwischen den von Deci
persönlich wichtige Zielsetzungen akzeptiert. Die Stufe der und Ryan (1985, 2002) unterschiedenen Regulationsformen
integrierten Regulation wird schließlich erreicht, wenn die und den von anderen Autoren unterschiedenen Formen
Person sich nicht nur mit einem bestimmten Handlungs- extrinsischer Lernmotivation noch weiterer Aufklärung.
ziel (z. B. einer höheren beruflichen Position) identifiziert,
sondern dieses auch ohne Konflikte mit anderen Zielen
(z. B. Ausüben eines Hobbys) in ihr Selbst integriert hat. 7.1.2 Dispositionale Motivationsmerkmale
Die vier Stufen der Regulation repräsentieren Formen
der extrinsischen Motivation, die sich vor allem durch Als dispositionale Motivationsmerkmale werden im
das Maß an erlebter Autonomie unterscheiden. Mit Folgenden das Leistungsmotiv, die Zielorientierungen
zunehmender Internalisierung werden die von außen an und das Interesse betrachtet. Während habituelle
die Person herangetragenen Ziele verstärkt in das Selbstbild Motivationsmerkmale lediglich beschreiben, dass bestimmte
integriert. Dabei können die externale und die introjizierte Motivationen wiederholt auftreten, ohne dafür eine Ursache
extrinsische Motivation als fremdbestimmt gelten, die zu benennen, sind dispositionale Motivationsmerkmale
identifizierte und integrierte Regulation dagegen als selbst- durch eine benennbare psychische Struktur (in der Regel
bestimmt. Die Formen selbstbestimmter extrinsischer eine mentale Repräsentation auf Gedächtnisebene) gekenn-
Motivation unterscheiden sich von der intrinsischen zeichnet (Pekrun 1988). So basiert das Interesse eines Schülers
Motivation durch das Fehlen intrinsischer (bzw. hand- an einem Wissensbereich darauf, dass er diesen Bereich mit
lungsimmanenter) Anreize. positiven Emotionen und einer persönlichen Relevanz ver-
Die Stufen von der externalen hin zur integrierten bindet und diese Verbindung in seinem Gedächtnissystem
Regulation können als Entwicklungsphasen verstanden repräsentiert ist (z. B. Schiefele 1996, 2009). Da die ent-
werden, die jedoch nicht notwendig alle durchlaufen sprechende mentale Repräsentation relativ dauerhaft in der
werden. So ist es z. B. möglich, die persönliche Relevanz Person des Schülers verankert ist, kann sie das Auftreten
eines neuen Handlungsziels im Sinne der identifizierten habitueller und aktueller Motivationsformen beeinflussen.
Regulation unmittelbar zu erkennen, ohne die Stufen Die dispositionalen Motivationsmerkmale nehmen folglich
der externalen und introjizierten Regulation zu durch- kausal betrachtet eine vorrangige Position gegenüber den
laufen. Demgegenüber kann es auch zu einer Stagnation aktuellen und habituellen Motivationsformen ein.
auf einer niedrigen Internalisierungsstufe kommen, z. B. Die an dieser Stelle behandelten dispositionalen
wenn die Umwelt den Internalisierungsprozess nicht aus- Motivationsmerkmale können als besonders bedeutsame
reichend unterstützt und die persönliche Bedeutung eines Determinanten für das Auftreten aktueller Lernmotivation
Handlungsziels nicht vermitteln kann. Folglich sind die in einer konkreten Situation gelten. Daneben spielen jedoch
Regulationsstufen auch geeignet, um qualitative Unter- auch situative Faktoren (z. B. Ankündigung positiver Hand-
schiede in der Verhaltensregulation zwischen Personen lungsfolgen) sowie das Selbstkonzept (7 Kap. 8) eine Rolle.
zu kennzeichnen. So wird z. B. in dem Selbstregulations-
fragebogen von Ryan und Connell (1989a, b) das Ausmaß Leistungsmotiv
erfragt, in dem Schüler Lernaktivitäten durchführen, Motive sind nach Rheinberg und Vollmeyer (2019) als
a) weil es von anderen erwartet wird oder um Schwierig- zeitlich stabile Bewertungsvorlieben aufzufassen, d. h. als
keiten zu vermeiden (external), überdauernde Präferenzen für das Erleben spezifischer
b) um sich nicht schlecht zu fühlen oder damit Lehrer Zustände. Im Falle des Leistungsmotivs ist damit ins-
und Mitschüler eine gute Meinung über die eigene besondere das Erleben von Kompetenz und Leistungsfähig-
Person haben (introjiziert) oder keit gemeint. Der Hinweis auf die Stabilität rechtfertigt es,
c) weil ihnen die Durchführung der Aktivität sehr wichtig Motive als Bedingungen der jeweils aktuellen Motivation
ist bzw. um mehr zu verstehen und Neues zu lernen aufzufassen und den dispositionalen Motivations-
(identifiziert). merkmalen zuzuordnen.
170 U. Schiefele und E. Schaffner
Definition Zielorientierung
Während Leistungsmotivation relativ eindeutig als das In den letzten 20 Jahren hat sich die Zielorientierung („goal
Streben nach Erreichen oder Übertreffen individueller orientation“) als ein zentrales motivationales Konstrukt
oder sozialer Gütemaßstäbe definiert werden kann in der Pädagogischen Psychologie etabliert (z. B. Dweck
(z. B. Heckhausen 1989), besteht Konsens darüber, das 1991; Elliot 1999; Kaplan und Maehr 2007; Spinath und
Leistungsmotiv in ein Annäherungsmotiv („Hoffnung Schöne 2003). Die Theorie der Zielorientierung ist als
auf Erfolg“) und ein Vermeidungsmotiv („Furcht vor Weiterentwicklung der Leistungsmotivationsforschung
Misserfolg“) zu unterteilen (Brunstein und Heckhausen zu verstehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die
2006; Elliot und Thrash 2002; McClelland 1987). Arbeiten von Dweck (1986, 1991) und Nicholls (1984,
1989), die in etwa zur gleichen Zeit ähnliche Konzeptionen
vorgelegt haben. Zielorientierungen werden einerseits
Die Erforschung des Leistungsmotivs erfolgte vielfach über als dauerhaft im Gedächtnis repräsentierte Zielüber-
den Einsatz 7 projektiver Motivmessverfahren (z. B. Heck- zeugungen verstanden (z. B. „Ich strebe an, bessere
hausen 1963; McClelland 1980), die jedoch u. a. aufgrund Studienleistungen als andere Studierende zu erreichen“),
unzureichender Gütekriterien und dem Vorgehen bei der die somit dispositionalen Charakter besitzen (Elliot 2005).
7 inhaltlichen Auswertung kritisiert wurden (z. B. Asendorpf Andererseits können Zielorientierungen auch situativ
et al. 1994). erzeugt werden (z. B. durch die Ankündigung sozialer Ver-
Weil projektive Verfahren darüber hinaus relativ auf- gleiche in einer Leistungssituation) und dann zu einer ent-
wendig sind, wurden in der Forschung zunehmend auch sprechenden aktuellen Motivation führen (z. B. aktuelle
Fragebogen zur Messung der Komponenten des Leistungs- wettbewerbsbezogene Lernmotivation).
motivs eingesetzt (z. B. Hermans et al. 1978; Gjesme und
Nygard 1970). Allerdings zeichnen sich diese Instrumente Die Theorie von Nicholls
durch eine Heterogenität der erfassten Komponenten
Nach Nicholls (1984, 1989) liegt dem Leistungsverhalten
aus, die nicht in allen Fällen als zentrale Motivbestand-
das Ziel zugrunde, ein hohes Fähigkeitsniveau zu entwickeln
teile zu akzeptieren sind (z. B. „Ausdauer und Fleiß“, die
bzw. sich und anderen zu demonstrieren. In Abhängig-
eher Folgen des Leistungsmotivs darstellen; Hermans et al.
keit von der Art der Bezugsnorm (s. oben) kann es jedoch
1978). Interessanterweise konnte wiederholt festgestellt
zwei unterschiedliche Konzepte von Fähigkeit geben. Wenn
werden, dass die mit projektiven Verfahren und mit Frage-
Fähigkeit unter Bezugnahme auf die eigenen früheren
bogen gemessenen Motive kaum miteinander korrelieren,
Leistungen oder das bisherige Wissensniveau beurteilt wird
durch unterschiedliche Situationen angeregt werden und
(individuelle Bezugsnorm), dann bedeutet Fähigkeit einen
divergente Effekte aufweisen (Brunstein 2003, 2006).
Zuwachs an Bewältigung, d. h., man beurteilt sich als fähig,
Dies hat McClelland et al. (1989) dazu veranlasst, ein
wenn man Dinge tun kann, die man vorher nicht konnte.
Modell vorzuschlagen, in dem zwei Arten von Motiven
Wenn Fähigkeit dagegen unter Bezug auf die Leistungen
unterschieden werden, nämlich implizite und explizite
anderer Personen beurteilt wird (soziale Bezugsnorm), dann
Motive. Implizite Motive entziehen sich weitgehend
bedeutet Fähigkeit, dass man bei gleicher oder geringerer
der Introspektion, da sie früh gelernte Präferenzen für
Anstrengung die gleiche oder eine höhere Leistung zeigt als
bestimmte Anreize (z. B. Leistungsmotiv: Herausforderung
andere Personen. Nicholls (1989) postuliert, dass Personen
durch schwierige Aufgaben) darstellen. Sie sind deshalb nur
(z. B. Schüler) in Abhängigkeit von den beiden Fähigkeits-
indirekt bzw. durch projektive Verfahren messbar. Explizite
konzeptionen entsprechende Zielorientierungen entwickeln.
Motive stellen bewusste Selbstzuschreibungen einer Person
Dabei soll die intraindividuelle Fähigkeitskonzeption mit
dar und können daher gut mit Fragebogenverfahren erfasst
einer Aufgabenorientierung („task orientation“) und
werden. Empirisch ließ sich zeigen, dass implizite und
die interindividuelle Fähigkeitskonzeption mit einer Ich-
explizite Maße des Leistungsmotivs teilweise zu unter-
Orientierung („ego orientation“) korrespondieren.
schiedlichen Ergebnissen in Leistungssituationen führen. So
wirken z. B. bei Personen mit hohem implizitem Leistungs-
Definition
motiv Rückmeldungen nach der individuellen Bezugs-
norm leistungssteigernd, während Personen mit hohem Die aufgabenorientierte Person strebt danach, ihre
expliziten Leistungsmotiv stärker auf Rückmeldungen Fähigkeit dadurch zu demonstrieren, dass sie bestimmte
nach der sozialen Bezugsnorm ansprechen (Brunstein und Aufgaben bzw. Probleme bewältigen kann. Die
Hoyer 2002; Brunstein und Schmitt 2004). Zur Vorhersage Ich-orientierte Person ist nicht damit zufrieden, dass
von Zielorientierungen (s. unten) leisteten implizite und sie bestimmte Kompetenzen erworben hat. Ihr geht
explizite Motivmaße in einer Studie von Thrash und Elliot es darum, ihre überlegene Fähigkeit im Vergleich mit
(2002) allerdings sehr ähnliche Beiträge. anderen Personen zu zeigen.
Motivation
171 7
Nach Nicholls (1989) bedeutet Erfolg für die beiden der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte wurde jedoch
Personengruppen Unterschiedliches. Der aufgaben- die Unterscheidung von Ich-Orientierung sensu Nicholls
orientierte Lerner betrachtet die Erweiterung seiner und Leistungszielorientierung sensu Dweck nicht explizit
Kompetenz als Erfolg. Der Ich-orientierte Lerner erlebt berücksichtigt. Vielmehr finden sich in der Literatur leicht
sich dagegen als erfolgreich, wenn er andere übertreffen variierende Operationalisierungen der Leistungsziel-
kann. Die Zielorientierungen lassen sich eindeutig auf die orientierung (die sich als Begriff durchgesetzt hat), mal mit
zuvor behandelten Definitionen der Leistungsmotivation stärkerer (z. B. Roedel et al. 1994) und mal mit schwächerer
beziehen (s. oben). So ist die Aufgabenorientierung mit der Betonung des Strebens nach Überlegenheit im sozialen
kompetenzbezogenen Leistungsmotivation weitestgehend Vergleich (z. B. Spinath et al. 2002). Kürzlich haben
deckungsgleich, die Ich-Orientierung korrespondiert mit Senko und Tropiano (2016) diese Unterscheidung wieder
der wettbewerbsbezogenen Leistungsmotivation. explizit aufgegriffen und zusätzlich eine Differenzierung
Nicholls (1989) nimmt an, dass die aufgabenorientierte der normativen (d. h. auf sozialen Vergleich abzielenden)
Person im Prozess des Lernens bzw. Kompetenzerwerbs Leistungsziele vorgeschlagen. Diese Differenzierung basiert
dazu tendiert, intrinsisch motiviert zu sein, d. h., diesen auf den unterschiedlichen Gründen, aus denen eine Person
Prozess unabhängig von seinen Folgen als etwas in sich ihre überlegene Kompetenz demonstrieren möchte. Unter-
Interessantes oder Wertvolles zu betrachten. Dagegen schieden werden dabei autonome (z. B. erlebte Heraus-
erlebt die Ich-orientierte Person die Phase des Kompetenz- forderung) und kontrollierende Gründe (z. B. erwartete
erwerbs als Mittel zur Demonstration ihrer Fähigkeit. Belohnung) im Sinne von Deci und Ryans (2002) Selbst-
Aufgabenorientierung ist jedoch nicht mit intrinsischer bestimmungstheorie.
Lernmotivation gleichzusetzen. Sie kann in einer
gegebenen Situation auch vorhanden sein, ohne dass Integration und Weiterentwicklung durch Elliot
intrinsische Motivation auftritt. Zu erwarten ist jedoch Elliot (1999; Elliot und Harackiewicz 1996) hat die
eine positive Korrelation zwischen Aufgabenorientierung Ansätze von Nicholls (1984, 1989) und Dweck (1986,
und intrinsischer Lernmotivation. Dieser Zusammenhang 1991) weiterentwickelt. Anstelle von Aufgaben- bzw.
konnte empirisch bestätigt werden (7 Abschn. 7.1.2). Lernzielorientierung spricht er von Bewältigungszielen
(„mastery goals“) und anstelle von Ich-Orientierung –
Die Theorie von Dweck in Übereinstimmung mit Dweck – von Leistungszielen
Im Gegensatz zu Nicholls geht Dweck (1986, 1991; („performance goals“), wobei Letztere ganz im Sinne von
Elliott und Dweck 1988) von der Frage aus, wie unan- Nicholls wettbewerbsorientiert gemeint sind (Streben
gepasstes Bewältigungshandeln (schnelles Aufgeben bei nach Überlegenheit). Über die bisherigen Ansätze hinaus-
Hindernissen, Vermeiden schwieriger Aufgaben) bei gehend unterscheidet Elliot bei den Leistungszielen eine
Schülern erklärt werden kann. Da niedrige Intelligenz Annäherungs- und eine Vermeidungskomponente. Damit
in den Studien von Dweck als Ursache ausgeschlossen ergibt sich eine klare Parallele zur Leistungsmotivforschung
werden konnte, präferiert die Autorin eine motivationale und der Unterscheidung eines Erfolgs- und eines Miss-
Erklärung. Dies führt zur Annahme, dass hilflosigkeits- erfolgsmotivs (s. oben).
und bewältigungsorientierte Schüler unterschiedliche
Ziele haben. Dweck postuliert, dass hilflose Schüler sich Definition
vor allem an Leistungszielen („performance goals“) und Von einem Annäherungsleistungsziel wird gesprochen,
bewältigungsorientierte Schüler vor allem an Lernzielen wenn es darum geht, die eigene Kompetenz im
(„learning goals“) orientieren. Das Verfolgen von Lern- Vergleich mit anderen Personen zu demonstrieren.
zielen bedeutet, dass vornehmlich danach gestrebt wird, Dagegen bedeutet das Verfolgen eines Vermeidungs-
die vorhandene Kompetenz zu erweitern. Lernziele ent- leistungsziels, dass die Person versucht, ihre
sprechen somit der Aufgabenorientierung bei Nicholls. Das vermeintlich unterlegene Kompetenz gegenüber
Verfolgen von Leistungszielen bedeutet nach Dweck, dass anderen Personen zu verbergen.
positive Bewertungen der eigenen Kompetenz angestrebt
und negative Bewertungen vermieden werden. Hier offen-
bart sich somit ein wesentlicher Unterschied zwischen Beim Annäherungsleistungsziel wird ein positives Ereig-
den Konzeptionen von Nicholls und Dweck. Während die nis (Demonstration überlegener Kompetenz) angestrebt,
Ich-Orientierung das Anstreben von Überlegenheit im beim Vermeidungsleistungsziel soll ein negatives Ereignis
sozialen Vergleich beinhaltet, wird bezüglich der Leistungs- (Auftreten unterlegener Kompetenz) vermieden werden.
zielorientierung eine stärkere Differenzierung nahe- Darüber hinaus schlug Elliot (1999; Elliot und McGregor
gelegt (vgl. Grant und Dweck 2003). So kann eine positive 2001) vor, die Annäherungs-Vermeidungs-Dichotomie
Bewertung der eigenen Kompetenz aufgrund unter- auch auf Bewältigungsziele anzuwenden. Lerner mit einem
schiedlicher Kriterien erfolgen, wie beispielsweise einem Annäherungsbewältigungsziel versuchen so viel Wissen
individuellen Kompetenzzuwachs, dem Lob eines Lehrers wie möglich zu erwerben, während Lerner mit einem Ver-
oder dem positiven Abschneiden im sozialen Vergleich. In meidungsbewältigungsziel eher danach streben, ihr
172 U. Schiefele und E. Schaffner
bereits verfügbares Wissen bzw. Können nicht zu verlieren In ähnlicher Weise wie das oben erwähnte Kompetenz-
oder einen neuen Lernstoff nicht misszuverstehen. Sowohl erleben (oder das Flow-Erleben) stellt das situationale
die Befunde von Elliot und McGregor (2001) als auch Interesse einen handlungsbegleitenden, emotionalen
von Pastor et al. (2007) stützen das Vier-Faktorenmodell Zustand dar. Insofern kann das Erleben situationalen
der Zielorientierung und zeigen insbesondere, dass die Interesses als relevante Quelle von intrinsischer Lern-
Annahme einer Vermeidungsbewältigungsorientierung motivation aufgefasst werden.
empirisch sinnvoll ist. In einem weiteren Schritt haben Aktuelle Ansätze der Interessenforschung (Krapp 2010;
Elliot et al. (2011) zusätzlich zu den Bewältigungs- und Renninger und Hidi 2016; Schiefele 2009) interpretieren
Leistungszielen nun auch Aufgabenziele postuliert, die Interesse als eine spezifische Beziehung zwischen einer
eine sachliche Bezugsnorm beinhalten. Für diese Zielkate- Person und einem Gegenstand. Dies wird insbesondere
gorie ist ebenfalls eine Annäherungs- (z. B. „Ich möchte die in der „Person-Objekt-Theorie“ des Interesses von Krapp
Klausur in diesem Semester erfolgreich bestehen“) sowie (2005, 2010) hervorgehoben. Die Betonung dieses Aspekts
Vermeidungskomponente (z. B. „Ich möchte in der Klausur soll verdeutlichen, dass sich Interesse immer auf einen
in diesem Semester nicht versagen“) vorgesehen. Gegenstand bezieht und durch die Auseinandersetzung mit
Zu Beginn der Forschung zu Zielorientierungen war diesem entwickelt.
7 eine dichotome Konzeption vorherrschend, nämlich
die Unterscheidung zwischen Lern- und Leistungsziel- Definition
orientierung. Dabei wurde eine „normative“ Auffassung Das individuelle Interesse einer Person an
vertreten, wonach die Lernzielorientierung zu positiven einem Gegenstand setzt sich aus gefühls- und
bzw. adaptiven Auswirkungen im Schul- bzw. Leistungs- wertbezogenen Valenzüberzeugungen zusammen.
kontext führt, die Leistungszielorientierung dagegen Von gefühlsbezogenen Valenzüberzeugungen
negative Effekte nach sich zieht (Pintrich 2000; auch spricht man, wenn ein Sachverhalt für eine Person mit
Harackiewicz et al. 2002a). Im Zuge der Differenzierung positiven Gefühlen verbunden ist. Von wertbezogenen
der Zielorientierungen in eine Annäherungs- und Ver- Valenzüberzeugungen ist die Rede, wenn einem
meidungskomponente wurde jedoch deutlich, dass negative Sachverhalt Attribute im Sinne persönlicher
Auswirkungen vor allem der Vermeidungsleistungsziel- Bedeutsamkeit bzw. Wichtigkeit zugeschrieben werden.
orientierung zuzuschreiben sind. Pintrich (2000) und
Harackiewicz et al. (2002a) postulierten daher auf der Basis
empirischer Befunde eine revidierte Zielorientierungs- Die Art und Zahl der unterscheidbaren gefühlsbezogenen
theorie, in der Annäherungsleistungszielen auch eine Valenzen wurde bislang nicht eingehend untersucht.
adaptive Funktion zukommt und das Verfolgen multipler Meist werden Gefühlszustände erfragt, die plausiblerweise
Ziele (insbesondere von Lern- und Annäherungsleistungs- als interessentypisch gelten, wie z. B. Gefühle des
zielen) zu einer optimalen Motivation mit den meisten Absorbiertseins (bzw. „Flow“), der Freude, der Neugier,
positiven Konsequenzen führt (7 Abschn. 7.2.2). der Anregung, der Faszination oder des Beteiligtseins. In
ähnlicher Weise können auch verschiedene Gründe für die
Interesse persönliche Bedeutsamkeit eines Gegenstands differenziert
In der Interessenforschung wird zwischen dem über- werden. Persönliche Bedeutsamkeit kann z. B. entstehen,
dauernden individuellen Interesse und dem situationsspezi- weil die Beschäftigung mit dem Interessengegenstand als
fisch auftretenden situationalen Interesse unterschieden wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, als
(Krapp 2010; Schiefele 1996, 2009). Beitrag zur Selbstverwirklichung oder als identitätsstiftend
gesehen wird.
Definition Ein Sachverhalt kann sowohl aus extrinsischen bzw.
Das individuelle Interesse kann als relativ dauerhaftes, instrumentellen als auch aus intrinsischen Gründen
dispositionales Merkmal einer Person verstanden positive Gefühle auslösen oder bedeutsam sein. Eine
werden, das sich in der Auseinandersetzung mit einem extrinsische Valenzüberzeugung liegt z. B. vor, wenn ein
Gegenstandsbereich (z. B. Schulfach) entwickelt und als Student eine hohe Wertschätzung des Fachs Mathematik
mehr oder weniger starke Wertschätzung dieses Bereichs zeigt, weil die Beherrschung mathematischen Wissens
zum Ausdruck kommt. Das situationale Interesse für den von ihm angestrebten Beruf zentral ist. Zur
bezeichnet dagegen den durch äußere Umstände Charakterisierung von Interesse kommen definitionsgemäß
(z. B. einen spannenden Vortrag) hervorgerufenen jedoch nur intrinsische Gründe infrage (z. B. das Erleben
Zustand des Interessiertseins, der u. a. durch eine von Flow beim Lösen mathematischer Probleme). Dies
erhöhte Aufmerksamkeit und Gefühle der Neugier und bedeutet, dass die auf einen Gegenstand bezogenen
Faszination gekennzeichnet ist. intrinsischen Valenzen, die das Vorhandensein von
Interesse indizieren, unabhängig von den Beziehungen des
Motivation
173 7
Gegenstands zu anderen Sachverhalten bestehen müssen. (s. auch McClelland 1980). Als herausfordernd gelten dabei
Natürlich ist dabei denkbar, dass eine Person Interesse an Aufgaben, die mit einer gewissen Anstrengung lösbar sind
einem Gegenstand hat und gleichzeitig auf diesen Gegen- – also ein etwa mittleres Schwierigkeitsniveau aufweisen.
stand bezogene extrinsische Valenzüberzeugungen aufweist. So fand man für fähigkeitshomogene Klassen (für deren
Schüler angenommen werden kann, dass der Unterricht in
der Regel ein mittleres Schwierigkeitsniveau aufweist) eine
7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen positivere Leistungsentwicklung erfolgsmotivierter Schüler
und Leistung gegenüber misserfolgsmotivierten Schülern (O’Connor
et al. 1966).
In der Vergangenheit wurden Zusammenhänge zwischen Die neuere Forschung konzentriert sich stärker auf die
Motivation und Lernen bzw. Leistung vor allem in Bezug Unterscheidung von implizitem und explizitem Leistungs-
auf die folgenden Konstrukte erforscht: Leistungsmotivation motiv. Dabei hat sich insbesondere gezeigt, dass das
bzw. -motiv, Zielorientierung, intrinsische vs. extrinsische implizite Leistungsmotiv vor allem in Situationen vor-
Motivation und Interesse. In den einzelnen Studien hat hersagestark ist, in denen das Leistungsverhalten eigen-
man unterschiedliche Indikatoren von Lernen und Leistung initiativ (z. B. ohne situative Notwendigkeit) und spontan
zugrunde gelegt, z. B. Schulnoten, standardisierte Leistungs- auftritt. Dagegen ist das explizite Leistungsmotiv eher
tests (z. B. zur Messung der Kompetenz in Mathematik) für solches Leistungsverhalten prädiktiv, das durch eine
sowie Ergebnisse einzelner Klausuren oder textbezogener Situation bzw. andere Personen eingefordert wird (z. B.
Verstehenstests. Die Lernindikatoren reichen also von in einer Prüfung). Es überrascht daher nicht, dass das
kumulativen Leistungen, die während eines längeren Zeit- explizite Leistungsmotiv besser als das implizite Leistungs-
raums entstanden sind, bis hin zu Lernergebnissen bei motiv schulische Leistungen vorhersagen kann. Bei beruf-
konkreten, zeitlich begrenzten Lernaufgaben. lichen Leistungen verhält es sich umgekehrt, denn im
Rahmen einer beruflichen Laufbahn besteht zumindest
potenziell ein größerer Spielraum für spontane und selbst-
7.2.1 Leistungsmotivation initiierte Lern- und Leistungsaktivitäten (Brunstein 2006).
Darüber hinaus gibt es Hinweise (s. Brunstein und Hoyer
Die Leistungsmotivationsforschung hat sich vor allem 2002), dass das implizite Leistungsmotiv dann wirk-
darauf konzentriert, die Auswirkungen des (impliziten sam wird, wenn es um die Verbesserung der eigenen
und expliziten) Leistungsmotivs auf eine Reihe von Leistungsfähigkeit bzw. Kompetenz geht (individuelle
leistungsbezogenen Verhaltensmerkmalen zu untersuchen Bezugsnorm), während sich das explizite Leistungsmotiv
(Brunstein und Heckhausen 2006), insbesondere auf die eher in sozialen Vergleichssituationen auswirkt (soziale
Anstrengung (z. B. operationalisiert als Mengenleistung bei Bezugsnorm). Daraus folgt, dass das implizite Leistungs-
Additionsaufgaben), die Ausdauer und die Bevorzugung motiv auch im Schulkontext immer dann an Bedeutsam-
herausfordernder Aufgaben. Während dabei zahlreiche keit gewinnt, wenn die individuelle Leistungsverbesserung
positive Befunde zu verzeichnen sind, die die Bedeut- im Vordergrund steht und soziale Vergleiche weitgehend
samkeit des Leistungsmotivs unterstreichen, ergibt sich irrelevant sind (Brunstein 2006).
bezüglich des Zusammenhangs von Leistungsmotiv und
Leistungsergebnissen eine weniger eindeutige Befund-
lage. Das Leistungsmotiv ist für das Leistungsergebnis bei 7.2.2 Zielorientierung
der Bearbeitung einer Aufgabe folglich nicht generell prä-
diktiv. Der Stand der Forschung lässt auch keine Vorher- Die Forschung zu Zielorientierungen knüpft unmittelbar
sage zu, unter welchen Voraussetzungen bzw. bei welcher an die Leistungsmotivationsforschung an. So geht es auch
Art von Aufgaben ein positiver Effekt des Leistungsmotivs hier um interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der
auf das Leistungsergebnis zu erwarten ist. Hierzu müssten Bewertung von Leistungen unter Berücksichtigung einer
zunächst Erkenntnisse gewonnen werden, aus denen Annäherungs- und Vermeidungskomponente. Allerdings
hervorgeht, über welche spezifischen Prozesse bei der Auf- werden Zielorientierungen als kognitiv repräsentierte und
gabenbearbeitung das Leistungsmotiv einen Effekt auf das bewusste Merkmale verstanden, sodass sie dem expliziten
Leistungsergebnis entfaltet (Brunstein und Heckhausen Leistungsmotiv näher stehen als dem impliziten. Im Unter-
2006). Allerdings liegen Befunde vor, die hinsichtlich der schied zur Leistungsmotivationsforschung ist die Forschung
Effekte des Leistungsmotivs auf Leistungen im schulischen zu Zielorientierungen sehr stark auf die Bereiche Lernen
Kontext aufschlussreich sind. und Leistung in der Schule bezogen. Aus diesem Grund
existiert eine Fülle empirischer Befunde, die über die
Leistungsmotiv und Schulleistung Einige ältere Befunde Zusammenhänge der Zielorientierungen mit Lern- und
legen nahe, dass nur dann ein signifikanter Zusammen- Schulleistungen Aufschluss geben. Besonders hervor-
hang zwischen Leistungsmotiv und Schulleistung zu zuheben sind Studien, in denen unterschiedliche Ziel-
erwarten ist, wenn eine optimale Anregung des Leistungs- orientierungen experimentell induziert und hinsichtlich
motivs z. B. durch herausfordernde Aufgaben erfolgt ihrer Effekte auf das Lernen untersucht wurden (z. B. Bergin
174 U. Schiefele und E. Schaffner
1995; Graham und Golan 1991). Diese Studien sind nicht negativ auswirken, während den Annäherungsleistungs-
zuletzt deshalb wertvoll, weil sie die theoretisch postulierten zielen zumindest eine leistungsförderliche Funktion
Wirkungen der Zielorientierungen auf Lernprozesse und zugesprochen wird (z. B. Elliot et al. 1999; Harackiewicz
-resultate auch in kausaler Hinsicht prüfen können. et al. 2000; s. jedoch Ford et al. 1998; Köller 1998a).
Die oben beschriebene Differenzierung von Leistungs-
Lern- vs. Leistungsziele Wie Spinath und Schöne (2003) zielen nach Senko und Tropiano (2016; 7 Abschn. 7.1.2
feststellen, belegt sowohl die experimentelle als auch die „Die Theorie von Dweck“) belegt zusätzlich, dass
korrelative Forschung eine Reihe von Vorteilen der Lern- positive Effekte vor allem dann zu erwarten sind, wenn
gegenüber der Leistungszielorientierung. Diese betreffen Annäherungsleistungsziele aus autonomen Gründen ver-
günstigere Attributionen für Erfolg und Misserfolg (eigene folgt werden.
Anstrengung anstelle von Fähigkeit), positivere Gefühle In einem Überblick über bisherige Studien zu Ziel-
gegenüber Lern- und Leistungsaufgaben, vermehrte orientierungen im Studium zeigten Harackiewicz
intrinsische Motivation und größeres Interesse am Lern- et al. (2002a), dass Leistungsziele konsistent positive
gegenstand. Darüber hinaus ergaben sich auch deutliche Beziehungen zu Leistungsmaßen aufweisen, während
Effekte auf lernbezogene Prozesse. Lernzielorientierte Lernziele vor allem das Ausmaß an Interesse, intrinsischer
7 Lerner beschäftigen sich intensiver mit dem Lernmaterial, Motivation, Anstrengung, Ausdauer und Verarbeitungs-
wenden adäquatere Verarbeitungsstrategien an und sind qualität vorhersagen (z. B. Barron und Harackiewicz
ausdauernder (z. B. Ford et al. 1998; Grant und Dweck 2001; Elliot et al. 1999; Harackiewicz et al. 2002b). Dies
2003; Lau und Nie 2008). Zu erwähnen ist dabei, dass Ziel- bestätigt sich auch in neueren Studien von Harackiewicz
orientierungen häufig fachspezifisch erfasst wurden (z. B. et al. (2008) und Hullemann et al. (2008). Betrachtet
Pintrich 2000) und nicht im Sinne eines übergreifenden man die vorliegenden Studien jedoch genauer, so ist zum
Persönlichkeitsmerkmals (z. B. Spinath et al. 2002). einen festzustellen, dass die Korrelationen der Leistungs-
Insbesondere in experimentellen Studien konnten zielorientierung mit Leistungsindikatoren eher niedrig
bessere Lernleistungen bei Lernzielen gegenüber ausfallen (<0,30 oder <0,20). Zum anderen ist die Lern-
Leistungszielen belegt werden (s. die 7 Metaanalyse von zielorientierung vereinzelt durchaus auch positiv mit
Utman 1997). Auch in natürlichen Lern- und Leistungs- akademischen Leistungen korreliert (z. B. Elliot et al.
situationen wurden für die Lernzielorientierung häufig 1999, Studie 1; auch Grant und Dweck 2003). Schließlich
positivere Zusammenhänge mit Leistungsmaßen nach- zeigen die Studien von Elliot et al. (1999, Studie 2)
gewiesen als für die Leistungszielorientierung (z. B. Köller und Hulleman et al. (2008), dass trotz nicht signi-
1998a, b; Lau und Nie 2008; Meece und Holt 1993). Aus- fikanter Korrelationen zwischen Lernzielorientierung
nahmen werden von Spinath und Schöne (2003; auch und Leistung indirekte Effekte der Lernzielorientierung
Midgley et al. 2001) darauf zurückgeführt, dass in diesen auf die Leistung auftreten können (z. B. vermittelt über
Fällen die Rahmenbedingungen eher Leistungsziele nahe- Anstrengung und Persistenz).
gelegt haben (z. B. durch eine starke Betonung sozialer Zusammenfassend ist festzustellen, dass lediglich die
Vergleiche; Harackiewicz et al. 2000). Allerdings ist Effekte der Zielorientierungen auf das Lernverhalten
mit Grant und Dweck (2003) festzustellen, dass gerade und einzelne Determinanten erfolgreichen Lernens
neuere Studien keine Effekte der Lernzielorientierung (Attributionen, intrinsische Motivation, Umgang mit
auf Leistung fanden. Diese Befunde stammen jedoch fast Misserfolg etc.) relativ eindeutig zugunsten der Lernziel-
ausschließlich aus den Arbeitsgruppen um Elliot und orientierung ausfallen. Die Effekte der Zielorientierungen
Harackiewicz (s. die Übersicht von Harackiewicz et al. auf die Leistung sind demgegenüber widersprüchlich und
2002a; sowie die neueren Studien von Harackiewicz et al. bedürfen der weiteren Klärung. Mögliche Ursachen für
2008; und Hullemann et al. 2008). Im Gegensatz dazu die bestehenden Widersprüche betreffen insbesondere
konnten Grant und Dweck (2003) die leistungsförderliche die abweichenden Operationalisierungen von Lernzielen
Wirkung von Lernzielen bestätigen. und Annäherungsleistungszielen (Grant und Dweck
Trotz der bestehenden Inkonsistenzen hinsichtlich 2003), die Art der jeweils untersuchten Lernleistung (z. B.
der Vorhersage von Leistungen ist die generell positive Bearbeitung eines Textes vs. Schulnote) und die Nicht-
Wirkung von Lernzielen – u. a. aufgrund ihrer konsistent berücksichtigung von Kontexteinflüssen, die den Effekt
positiven Beziehungen zu Aspekten eines adaptiven Lern- der Zielorientierung auf die Leistung eventuell moderieren
verhaltens und der intrinsischen Motivation – relativ (Spinath und Schöne 2003).
unumstritten. Im Unterschied dazu war die Einschätzung
der Leistungsziele lange Zeit widersprüchlich (Grant und
Dweck 2003; Harackiewicz et al. 2002a; Pintrich 2000). 7.2.3 Intrinsische vs. extrinsische Motivation
Erst durch die Unterscheidung von Annäherungs- und
Vermeidungsleistungszielen ließ sich diese Unstimmigkeit Studien zum Zusammenhang zwischen intrinsischer Lern-
größtenteils auflösen. Es wurde deutlich, dass sich Ver- motivation und schulischen Leistungen haben relativ
meidungsleistungsziele auf Lernverhalten und Leistung übereinstimmend einen positiven Zusammenhang mit
sowie auf Motivation und emotionales Erleben eher geringer bis mittlerer Ausprägung ergeben (z. B. Gottfried
Motivation
175 7
1990; Gottfried et al. 2001; Ratelle et al. 2007; Vallerand betrachteten Studien mehrheitlich in der Bedingung mit
et al. 1993; s. auch die Übersichten von Schiefele und „intrinsischer“ Instruktion signifikant bessere Textlern-
Schreyer 1994, und Schiefele und Streblow 2005). Dagegen leistungen fanden als in der Bedingung mit „extrinsischer“
sind für die extrinsische Lernmotivation vereinzelt auch Instruktion (z. B. Grolnick und Ryan 1987). Die
negative Effekte auf die Schulleistung berichtet worden. Ins- Anleitungen zur Erzeugung von intrinsischer Motivation
besondere die Ergebnisse von Lepper et al. (2005) belegen, betonten die persönliche Relevanz der Lerninhalte, stützten
dass stärker extrinsisch motivierte Schüler (d. h. solche, das Gefühl von Selbstbestimmung oder Herausforderung
die leichte Aufgaben bevorzugen und vor allem für gute und schwächten den Aspekt einer möglichen Bewertung
Noten und die Anerkennung des Lehrers lernen) geringere der Lernergebnisse ab. Extrinsische Motivation wurde hin-
schulische Leistungen zeigen. Neben der Bedeutung für gegen begünstigt durch die Ankündigung eines Lerntests,
Schulleistungen belegt die bisherige Forschung, dass teilweise mit der zusätzlichen Ankündigung der Vergabe
die intrinsische Lernmotivation deutlich stärker als die von Noten oder Rangplätzen. Ein weiteres sehr wichtiges
extrinsische Lernmotivation mit solchen Lernstrategien Ergebnis besteht darin, dass die signifikanten Effekte der
korrespondiert, die eine tiefere Verarbeitung des Lern- Motivationsmanipulation fast durchgängig Lernkriterien
materials beinhalten (z. B. Schiefele und Schreyer 1994; betrafen, die sich auf das konzeptuelle Verständnis eines
Walker et al. 2006). Allerdings sollte nicht generell davon Textes bezogen. Dagegen ergaben sich in der Regel keine
ausgegangen werden, dass die extrinsische Lernmotivation Unterschiede in Hinblick auf Faktenfragen und quantitative
ohne besondere Bedeutung für Lernleistungen ist. Beispiels- Maße der Textwiedergabe (Schaffner und Schiefele 2007).
weise fanden Schiefele et al. (2003) sowohl für die leistungs-
als auch die wettbewerbsbezogene Lernmotivation Flow-Erleben und Leistung
signifikante Beiträge zur Vorhersage von Studienleistungen. Schließlich sei noch erwähnt, dass auch für das
Darüber hinaus sind insbesondere für die Annäherungs- Flow-Erleben positive Zusammenhänge mit Lernen
leistungszielorientierung (7 Abschn. 7.2.2) und die identi- und Leistung nachweisbar sind (z. B. Schüler 2007). So
fizierte extrinsische Motivation positive Zusammenhänge konnte Nakamura (1991) zeigen, dass Schüler mit hoher
mit Leistung festgestellt worden (z. B. Ratelle et al. 2007; mathematischer Fähigkeit, aber schwachen Leistungen,
Vallerand et al. 1993). Zudem konnten Wormington seltener Flow erleben als gleichermaßen fähige, aber
et al. (2012) zeigen, dass eine hohe extrinsische Lern- leistungsstarke Schüler. Noch aussagekräftiger sind jene
motivation keine negativen Leistungseffekte ausübt, Studien, die signifikante Vorhersagewerte des Flow-Erlebens
wenn die betreffenden Schüler gleichzeitig intrinsisch für (Studien-)Leistungen auch dann erzielten, wenn andere
motiviert sind. relevante Bedingungsfaktoren (z. B. Leistungsniveau, Vor-
wissen) kontrolliert wurden (Engeser et al. 2005).
Intrinsische Motivation und Fähigkeitsniveau
Interessanterweise scheinen besonders Kinder mit
niedrigen Intelligenzwerten von intrinsischer Motivation 7.2.4 Interesse
zu profitieren. In einer Studie von Tzuriel und Klein (1983)
wurden Schüler zunächst drei verschiedenen Intelligenz- Interesse und Textlernen
stufen (hoch, mittelmäßig, niedrig) zugeordnet. Im Die Bedeutsamkeit des individuellen Interesses für Lern-
nächsten Schritt führten die Autoren innerhalb der drei leistungen konnte vielfach belegt werden. Besondere Auf-
Intelligenzgruppen Vergleiche zwischen intrinsisch und merksamkeit wurde dem Interessenkonstrukt im Rahmen
extrinsisch motivierten Schülern hinsichtlich ihrer Schul- der Forschung zum Textlernen zuteil (Schiefele 1996).
leistungen durch. Dabei zeigte sich in allen drei Gruppen, Sowohl für das situative als auch das individuelle Interesse
dass intrinsisch motivierte Schüler bessere Leistungen existieren zahlreiche Belege eines positiven Zusammen-
erzielten als extrinsisch motivierte. Dieser Unterschied war hangs mit dem Lernen aus Texten. Diese Arbeiten sind
in der Gruppe mit der niedrigsten Intelligenz jedoch am bereits verschiedentlich zusammenfassend dargestellt
höchsten ausgeprägt. Von den Autoren wird dieses Ergeb- worden (z. B. Alexander et al. 1994; Schiefele 1996,
nis damit erklärt, dass intrinsische Motivation mit der 1999, 2009). Hervorzuheben ist dabei, dass Interessen-
Bevorzugung herausfordernder Aufgaben einhergeht und effekte auch Bestand haben, wenn relevante kognitive
auf diese Weise zu Leistungssteigerungen führt. Bei weniger Bedingungsfaktoren (insbesondere Vorwissen und Fähig-
intelligenten Schülern könnte die Vermeidung anspruchs- keiten) kontrolliert werden. Zudem gibt es Belege dafür,
voller Aufgaben besonders groß sein und intrinsische dass Interesse einen größeren Effekt auf Indikatoren tiefer
Motivation folglich einen besonderen Vorteil darstellen. gehenden Leseverstehens (z. B. Hauptgedanken erfassen,
Anwendungsfragen beantworten) ausübt als auf einfache
Experimentelle Befunde Lernindikatoren (z. B. Faktenfragen, Zahl reproduzierter
In einer Übersicht experimenteller Arbeiten zum Ver- Sinneinheiten).
gleich von intrinsischer und extrinsischer Motivation In jüngerer Zeit wurde der Einfluss thematischen
konnten Schaffner und Schiefele (2007) feststellen, dass die Interesses auf die Wirkung von Texten untersucht, die eine
176 U. Schiefele und E. Schaffner
konzeptuelle Veränderung („conceptual change“) hervor- punkten wurden u. a. das Interesse am Fach Mathematik
rufen sollen. Andre und Windschitl (2003) berichten eine und die Mathematikleistung (mithilfe eines standardisierten
Reihe von Studien, in denen zwei Textvarianten (Thema: Tests) erhoben. Zusätzlich wurde registriert, ob sich die
elektrischer Strom) verglichen wurden: ein traditioneller, Schüler für Mathematik als Leistungskurs entschieden.
erklärender Text und ein „Konzeptveränderungstext“, der Strukturgleichungsanalysen ergaben, dass das Interesse in
alternative Auffassungen anspricht und auf dieser Grund- der 7. Klasse keine signifikanten Effekte auf die Leistung
lage ein korrektes Verständnis fördern möchte. Die Ergeb- in der 10. oder 12. Klasse hatte. Dagegen beeinflusste
nisse belegen, dass thematisches Interesse signifikant zur das Leistungsniveau in der 7. Klasse das Interesse in der
Vorhersage konzeptuellen Verstehens beiträgt, und zwar 10. Klasse signifikant, d. h. kompetentere Schüler zeigten
unabhängig von der vorgegebenen Textvariante sowie sich interessierter. Es waren jedoch direkte und indirekte
vom Vorwissen und der verbalen Fähigkeit der Probanden. signifikante Effekte des Interesses in der 10. Klasse auf
Die Autoren nehmen an, dass Interesse die Auseinander- die Leistung in der 12. Klasse festzustellen. Der indirekte
setzung mit einem Text erleichtert und eine tiefere Ver- Effekt des Interesses wurde über die Kurswahl vermittelt:
arbeitung anregt. In einer Studie von Mason et al. (2008) Hoch interessierte Schüler wählten deutlich häufiger
konnte die besondere Bedeutung thematischen Interesses einen Leistungskurs als die weniger interessierten Schüler.
7 für die Wirkung von Konzeptveränderungstexten deutlich Erwartungsgemäß trugen sowohl die Kurswahl als auch die
bestätigt werden. Leistung in der 10. Klasse signifikant zur Leistung in der
12. Klasse bei. Erstaunlicherweise konnte für das Interesse
Schulische Interessen, Leistung und in der 10. Klasse (über die Leistung in der 10. Klasse und die
Kurswahlen Kurswahl hinaus) ein signifikanter direkter Effekt auf die
In einer Übersichtsarbeit stellten Schiefele et al. (1993) Leistung in der 12. Klasse festgestellt werden.
fest, dass die Ausprägung schulfachbezogener Interessen Die Ergebnisse der Studie von Köller et al. (2001;
in mittlerem Ausmaß mit den entsprechenden Leistungen auch Baumert et al. 1998; Baumert und Köller 1998;
bzw. Noten korreliert. Dieser Befund wird auch in einer Köller 1998a; Marsh et al. 2005) legen nahe, dass in der
Reihe neuerer Arbeiten bestätigt, in denen Interesse Sekundarstufe I nur geringe oder gar keine Zusammen-
(auch als „enjoyment“ oder „task value“ bezeichnet) ins- hänge zwischen Interesse und Leistung zu beobachten
besondere zusammen mit Zielorientierungen, Selbst- sind (s. jedoch Lau und Nie 2008; Chiu und Xihua 2008).
konzept und Selbstwirksamkeit sowohl bei Schülern als Köller et al. (2001) argumentieren dabei, dass in den
auch Studierenden untersucht wurde (z. B. Barron und unteren Schulstufen die Motivation der Schüler vornehm-
Harackiewicz 2001; Baumert et al. 1998; Harackiewicz lich durch extrinsische Anreize und Werte (z. B. häufige
et al. 2002b; Marsh et al. 2005). Auf der Grundlage von schriftliche Tests, Verstärkung durch die Eltern) reguliert
PISA-Daten konnten Chiu und Xihua (2008) zeigen, dass wird. Folglich sollte das Interesse nur eine marginale Rolle
das Mathematikinteresse in 80 % aller beteiligten Länder bei der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernaktivi-
auch bei Kontrolle einer Vielzahl von anderen Einfluss- täten spielen. In der Sekundarstufe II nehmen hingegen
variablen (z. B. sozioökonomischer Status, Leistungs- die Häufigkeit schriftlicher Tests und extrinsischer Anreize
niveau, Selbstkonzept) signifikant zur Vorhersage ab und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu. Folg-
mathematischer Kompetenz beiträgt. Im Rahmen einer lich gewinnt das Interesse einen größeren Einfluss auf
national repräsentativen Querschnittsstudie mit Schülern die Regulation von Lernaktivitäten. Diese Annahme wird
der 9. Klassenstufe fanden Jansen et al. (2016) signifikante durch den von Köller et al. (2001) gefundenen direkten
Effekte fachlicher Interessen auf die schulische Leistung, Effekt des Interesses in der 10. Klasse auf die Leistung
die über die Effekte kognitiver Fähigkeit hinausgingen. in der 12. Klasse bestätigt. Darüber hinaus wählten die
Als besonders stark erwies sich der Interesseneffekt im interessierten Schüler deutlich häufiger Mathematik als
Fach Mathematik. Auch ein intraindividueller Effekt des Leistungskurs. Insbesondere der letztgenannte Befund ist
Interesses konnte belegt werden: Ein und derselbe Schüler in Einklang mit der Forschung zu akademischen Wahl-
hatte eine höhere Leistung in den Fächern, in denen er entscheidungen von Eccles (1983, 2005; Wigfield und
mehr Interesse zeigte. Kriegbaum et al. (2015) bestätigten Eccles 2000), deren Befunde die Annahme stützen, dass
den Effekt des Interesses auf die Mathematikleistung auch motivationale Merkmale der Lerner sich stärker auf Ver-
längsschnittlich und unter Kontrolle der kognitiven Fähig- haltensentscheidungen (z. B. Kurswahlen, Studienfach-
keit sowie des bisherigen Leistungsstands. wahlen) als auf die Leistungsgüte auswirken. Die besondere
Mithilfe von längsschnittlichen Daten belegten Köller Bedeutung von Interesse für Kurswahlen konnte auch von
et al. (2001), dass eine wechselseitige Beeinflussung Schiefele und Csikszentmihalyi (1995), Bong (2001) und
zwischen Interesse und Leistung wahrscheinlich ist. Sie Harackiewicz et al. (2008) demonstriert werden. Die beiden
untersuchten eine große Stichprobe von Gymnasiasten zu erstgenannten Studien belegen dabei die Unabhängigkeit
drei verschiedenen Zeitpunkten: am Ende der 7. sowie der des Interesseneffekts von Fähigkeitsindikatoren und Selbst-
10. Klasse und in der Mitte der 12. Klasse. Zu diesen Zeit- wirksamkeitsüberzeugungen (auch Schneider et al. 2018).
Motivation
177 7
7.3 Entwicklung und Förderung ihrer Kompetenz eine individuelle Bezugsnorm zugrunde
motivationaler Merkmale legen. Im Laufe des Jugendalters kommt es zu einem
Differenzierungsprozess, der zu einem elaborierten Fähig-
Die bisher behandelten Motivationsmerkmale wurden in keitskonzept (das nun von der Anstrengung abgegrenzt
der Forschung auch hinsichtlich ihrer längsschnittlichen wird) und einer stärkeren Orientierung am sozialen Ver-
Entwicklung betrachtet. Ein wichtiges Forschungsgebiet gleich führt. Die Studien von Köller et al. (1998a), Seifert
stellt beispielsweise die Veränderung von intrinsischer (1995, 1996) sowie Anderman und Midgley (1997) zeigen
Motivation im Verlauf der Schulzeit dar. In den ent- darüber hinaus, dass erst ab der 5. Klassenstufe mit einer
sprechenden Studien wurden in der Regel auch Merkmale zunehmenden Leistungszielorientierung zu rechnen ist.
der Schüler oder des Umfelds berücksichtigt, die als
motivationsförderliche oder -hemmende Bedingungen Fördermaßnahmen
infrage kommen (z. B. Stipek 1996; Wigfield et al. 2015) Die Untersuchung von Maßnahmen zur Förderung der
und auf die wir deshalb im Folgenden näher eingehen. Leistungsmotivation hat bereits eine sehr lange Tradition
(z. B. McClelland und Winter 1969; 7 Kap. 8 und 16).
Erwähnenswert ist beispielsweise das „Origin-Training“
7.3.1 Leistungsmotivation und von deCharms (1979), in dem u. a. die Bedeutung selbst-
Zielorientierung bestimmten Verhaltens betont wird. Dadurch rückt das
Training von deCharms in die Nähe der Ansätze zur
Entwicklungsverläufe Förderung von intrinsischer Motivation und Interesse
Für das Leistungsmotiv und die Zielorientierung liegen (s. unten). Im deutschen Sprachraum hat das von Heck-
relativ wenige Befunde zu Veränderungen während hausen (1989) konzipierte Selbstbewertungsmodell des
der Schulzeit vor. Empirische Evidenz wurde vor Leistungsmotivs eine entscheidende Rolle für die Ent-
allem im Rahmen von Studien auf der Grundlage des wicklung von Trainingsverfahren gespielt (Rheinberg und
Erwartungs-Wert-Modells von Eccles (1983, 2005;
Krug 2005).
Wigfield und Eccles 2000; Wigfield et al. 2015) gewonnen In diesen Verfahren stehen drei Ansatzpunkte zur
(7 Abschn. 7.1.1). Die Studien von Eccles und Wigfield Steigerung des Erfolgsmotivs (bzw. zur Verringerung des
und anderen Autoren (z. B. Watt 2004) zeigen bedeut- Misserfolgsmotivs) im Mittelpunkt:
same Veränderungen für diejenigen Variablen, die als 5 das Setzen realistischer (mittelschwerer) Ziele,
wichtigste Determinanten der Leistungsmotivation gelten 5 die Durchführung günstiger Ursachenerklärungen für
(zusammenfassend Wigfield et al. 2015). Sowohl für Ein- Erfolg und Misserfolg und
schätzungen der eigenen Fähigkeit und Erfolgserwartungen 5 der Aufbau einer positiven Selbstbewertungsbilanz.
als auch für fachbezogene Wertüberzeugungen (z. B.
persönliche Bedeutsamkeit) konnte eine kontinuierliche Eine wichtige Weiterentwicklung der Leistungs-
Abnahme im Laufe der Schulzeit festgestellt werden. Für motivförderung basiert auf der Erkenntnis, dass eine
diese negative Entwicklung wurden vor allem zwei Gründe individuelle Bezugsnormorientierung des Lehrers ähnliche
angeführt. Zum einen verstehen und interpretieren Kinder Wirkungen hervorrufen kann wie ein gezieltes Trainings-
mit zunehmendem Alter die evaluativen Rückmeldungen, verfahren (Rheinberg 1980; Rheinberg und Krug 2005;
die sie erhalten, angemessener und nehmen häufiger soziale 7 Abschn. 7.1.2). Diese Orientierung zeichnet sich dadurch
Vergleiche vor. Auf diese Weise werden die Selbstein- aus, dass der Lehrer die aktuellen Leistungsergebnisse der
schätzungen realistischer und deshalb auch vergleichsweise Schüler im Kontext ihrer früheren Leistungen beurteilt,
negativer. Zum anderen ist zu vermuten, dass die schulische Aufgaben an das Leistungsniveau der Schüler anpasst und
Lernumgebung mit steigender Klassenstufe Leistungsbe- bei der Ursachenzuschreibung den Faktor Anstrengung
wertungen immer stärker betont und somit auch den Wett- betont. Eine solche Vorgehensweise entspricht weitgehend
bewerb zwischen den Schülern anregt. Für einen Teil der einem Unterricht, der im Sinne der Zielorientierungstheorie
Schüler führt diese Entwicklung zu niedrigeren fähigkeits- Bewältigungs- bzw. Lernziele in den Vordergrund stellt
und wertbezogenen Überzeugungen. (z. B. Ames 1992; Anderman et al. 2001; Lau und Nie 2008).
Die Forschung zu Zielorientierungen könnte weiteren
Aufschluss zu der Frage geben, ob Formen der Leistungs-
motivation sich im Laufe der Schulzeit verändern. Ent- 7.3.2 Interesse und intrinsische Motivation
sprechende Befunde sind jedoch selten (Anderman et al.
2002). Nach der Theorie von Nicholls (1984, 1989) ist eine Entwicklungsverläufe
zunehmende Entwicklung von der Aufgaben- bzw. Lern- Es ist seit Längerem bekannt, dass das Interesse an Schul-
zielorientierung hin zur Ich- bzw. Leistungszielorientierung fächern im Laufe der Schulzeit kontinuierlich abnimmt
zu erwarten. Die Ergebnisse von Nicholls belegen, dass (Hidi 2000; Krapp 2002; Wild und Hofer 2000). Die
jüngere Kinder noch nicht zwischen Anstrengung und Schwächung motivationaler Schülermerkmale zeigt
Fähigkeit differenzieren können und bei der Beurteilung sich jedoch nicht nur bezüglich der Interessen, sondern
178 U. Schiefele und E. Schaffner
auch für Einstellungen gegenüber der Schule, aufgaben- aufweisen (Denissen et al. 2007; Köller et al. 1998b, 2000).
bezogene Wertüberzeugungen und Indikatoren habitueller Darüber hinaus bedingt der Übergang von der Schule
intrinsischer Motivation (z. B. Anderman und Maehr 1994; zur beruflichen Ausbildung bzw. zum Arbeitsmarkt,
Gottfried et al. 2007; Helmke 1993; Pekrun 1993; Wigfield dass die Schüler bestimmte Interessen betonen und ver-
et al. 2015). tiefen, während sie andere aufgeben. Damit in Überein-
Die Abnahme schulischer Interessen betrifft ins- stimmung fanden Köller et al. (1998b) eine Abnahme der
besondere die naturwissenschaftlichen Fächer (Mathematik, Korrelationen zwischen den verschiedenen Interessen-
Physik, Chemie). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich bereichen (z. B. zwischen Deutsch und Mathematik)
nicht für alle Themen eines Faches Interessenabnahmen im Laufe der Zeit. Dies spricht für die Existenz eines
zeigen (Krapp 2002). Darüber hinaus beeinflussen Kontext- Differenzierungsprozesses, der zumindest zum Teil die
bedingungen, die Schulform und das Geschlecht die Ent- Reduzierung schulischer Interessen erklären kann (auch
wicklung von Interessen. Hoffmann et al. (1985; Hoffmann Krapp und Lewalter 2001; Schiefer et al. 2018).
und Lehrke 1986) fanden beispielsweise, dass sowohl Einen weiteren interessanten Prozess legt eine Studie
Mädchen als auch Jungen ein geringes Interesse an Physik von Corpus und Wormington (2014) nahe. Demnach
äußern, wenn der Unterricht stark wissenschaftlich aus- sinkt zwar der Mittelwert der intrinsischen Lernmotivation
7 gerichtet ist, d. h. mit starker Betonung der Gültigkeit im Grundschulalter, aber gleichzeitig vergrößert sich die
genereller physikalischer Gesetze. Wenn es dem Lehrer Gruppe der primär intrinsisch motivierten Schüler. Die
jedoch gelingt, physikalische Prinzipien und Fakten zu Autorinnen konnten drei Schülergruppen (Cluster) nach-
praktischen Problemen und dem Alltag der Schüler in weisen, nämlich je eine mit primär intrinsischer Motivation
Beziehung zu setzen, dann ist das Interesse an Physik bei (Gruppe 1), mit primär extrinsischer Motivation (Gruppe
Jungen und Mädchen hoch ausgeprägt. 2) und mit hohen Werten in beiden Komponenten
Es gibt mehrere mögliche Gründe für die Abnahme (Gruppe 3). Über die Zeit kommt es dann vor allem zu
schulischer Interessen (Baumert und Köller 1998). Eine einer Reduktion der ursprünglich großen Gruppe 3, deren
Erklärungsmöglichkeit sieht vor, dass eine mangelnde Mitglieder überwiegend in Gruppe 1 wechseln. Diese
Passung zwischen den schulischen Curricula und den Schüler waren somit schon vorher intrinsisch motiviert
generellen Interessen der Schüler besteht. Vor allem bezüg- und können nicht zu einer Erhöhung des Mittelwerts der
lich des naturwissenschaftlichen Unterrichts wird ver- intrinsischen Motivation beitragen. Gleichzeitig kommt
mutet, dass eine zu starke Wissenschaftsorientierung zu es zu einem nennenswerten Wechsel von Schülern aus
einer Vernachlässigung der Alltagserfahrungen der Schüler Gruppe 3 in Gruppe 2. Diese Schüler tragen dann natür-
führt. Im Rahmen ihrer 7 Stage-Environment-Fit-Theorie lich zu einem niedrigeren Mittelwert der intrinsischen
haben Eccles et al. (1991, 1993) darauf hingewiesen, dass Motivation bei. Zusammenfassend kann hier ebenfalls
die schulische Lernumwelt zunehmend weniger auf die sich ein Differenzierungsprozess postuliert werden: Die zu
entwickelnden Werte, Bedürfnisse und (außerschulischen) Beginn der Grundschulzeit vorherrschende „globale“ Lern-
Interessen der Schüler abgestimmt ist. So gerät beispiels- motivation differenziert sich zunehmend in eine primär
weise das mit steigendem Alter zunehmende Bedürfnis intrinsische und eine primär extrinsische Form. Bestätigung
nach Selbstbestimmung mit der restriktiven Lernumwelt findet diese Annahme auch durch die Befunde von Schiefele
der Schule bzw. dem stark lehrergesteuerten Unter- und Löweke (2018) zur Entwicklung der intrinsischen und
richt in Konflikt. Zusätzlich wird die Beziehung zu Mit- extrinsischen Lesemotivation im Grundschulalter.
schülern durch die vorherrschende Konkurrenz um gute Zusammenfassend ist eine nicht ganz einheitliche
Noten und die Vernachlässigung kooperativen Lernens Befundlage festzustellen. Einerseits ist der schulische Unter-
belastet (auch Wild und Hofer 2000). In Übereinstimmung richt durch Merkmale gekennzeichnet, die Interessenent-
mit diesen Annahmen konnte gezeigt werden, dass die wicklung und intrinsische Motivation behindern. Dies sind
abnehmende Erfüllung der Grundbedürfnisse nach Auto- u. a. eine zu starke Betonung der Wissenschaftlichkeit (vor
nomie, Kompetenz und sozialer Bezogenheit mit der allem in den Naturwissenschaften), die Vernachlässigung
Abnahme intrinsischer Motivation im Laufe der Schulzeit von Alltagserfahrungen und Interessen der Schüler, und
korrespondiert (Gnambs und Hanfstingl 2016). der restriktive, wenig Raum für das Erleben von Auto-
Baumert und Köller (1998) vertreten die Ansicht, nomie, Kompetenz und sozialer Bezogenheit bietende
dass die Abnahme schulischer Interessen im Verlauf der Charakter schulischer Lernumwelten. Andererseits finden
Sekundarstufe I das Ergebnis eines Differenzierungs- auch positiv zu wertende Prozesse statt, die eine Minderung
prozesses darstellen kann (auch Todt 1990; Todt und der durchschnittlichen Stärke der intrinsischen Motivation
Schreiber 1998). In der späten Kindheit und frühen und fachlichen Interessen bewirken. So führt im Laufe
Adoleszenz werden sich die Schüler immer mehr ihrer der Schulzeit die Wahrnehmung einer hohen Fähigkeit in
Stärken und Schwächen bewusst. Der Prozess des Ver- bestimmten Bereichen (z. B. Schulfächern) zu Interessen-
gleichens von Stärken und Schwächen beeinflusst die Ent- schwerpunkten, die wiederum die Aufgabe oder Abwertung
wicklung von Interessen. So belegen empirische Befunde, anderer Interessenbereiche bedingen. Darüber hinaus ist
dass Schüler in den Bereichen stärkeres Interesse zeigen, für die Grundschulzeit eine zunehmende Entkoppelung
in denen sie ein höheres Selbstkonzept ihrer Fähigkeit von intrinsischer und extrinsischer Lernmotivation belegt
Motivation
179 7
worden. Obwohl sich durch diesen Prozess die Gruppe Förderung der Selbstbestimmung Auf die Bedeutung der
der primär intrinsisch motivierten Schüler vergrößert, Selbstbestimmung haben insbesondere Deci und Ryan
kommt es zu einer Verringerung der durchschnittlichen (1985, 2002) hingewiesen und postuliert, dass intrinsische
intrinsischen Lernmotivation. Motivation und Interesse nur dann entwickelt werden,
wenn Schüler über ein ausreichendes Ausmaß an Hand-
Fördermaßnahmen lungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten verfügen (dazu
Nicht nur die Entwicklungsverläufe von Interessen die Befunde von Desch et al. 2016; Reeve et al. 1999; Tsai
und habitueller intrinsischer Motivation zeigen starke et al. 2008). Dafür sind Vorgehensweisen geeignet, die zu
Parallelen, sondern auch die diskutierten Maßnahmen mehr Mitbestimmung führen (z. B. bei der Auswahl des
zur Förderung beider motivationaler Merkmale (z. B. Lernstoffs), die relativ große Freiräume ermöglichen (z. B.
Bergin 1999; Brophy 2004; Moschner und Schiefele 2000; Projektunterricht), die die Selbstbewertung des eigenen
Schiefele und Streblow 2006; Wild 2001; Wild und Remy Lernfortschritts zulassen (z. B. durch das Anlegen von
2002). Von Bedeutung ist insbesondere die Frage, wie Lernkurven auf der Basis von Lerntests) und die es dem
Interesse und intrinsische Motivation nicht nur geweckt, Schüler erlauben, selbst Entscheidungen zu treffen und
sondern auch relativ dauerhaft aufrechterhalten werden Lösungen für Probleme zu finden.
können. Verschiedene Autoren (z. B. Deci und Ryan Kunter et al. (2007) konnten demonstrieren, dass
1985, 2002; Krapp 1998; Schiefele 2004; Wild und Remy auch motivationsunspezifische Maßnahmen im Unter-
2002) haben argumentiert, dass die Erfüllung der in der richt das fachliche Interesse der Schüler fördern, wenn
Selbstbestimmungstheorie postulierten Bedürfnisse nach die Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie
Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogen- angesprochen werden. Die Autoren untersuchten die Aus-
heit eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung und wirkungen von Klassenmanagementstrategien (Klarheit
Aufrechterhaltung von intrinsischer Lernmotivation und der Regeln und Lehrersteuerung) auf die Entwicklung
fachlichen Interessen darstellt. Aus spezifisch interessen- des Interesses an Mathematik. Sie nahmen an, dass vor-
theoretischer Sicht ist darüber hinaus die Erhöhung der strukturierte und gut organisierte Lernumgebungen das
gefühls- und wertbezogenen Bedeutsamkeit bzw. Valenz Erleben von Kompetenz und Selbstbestimmung steigern
des Lerngegenstands als wichtige Voraussetzung zu nennen und sich somit auch interessenförderlich auswirken.
(Schiefele 2004). Somit bieten sich insgesamt die folgenden Die Befunde bestätigen, dass Regelklarheit und Lehrer-
vier Interventionsbereiche an: steuerung positiv zur Vorhersage des Interesses beitragen
5 Förderung der Kompetenzwahrnehmung und dass dieser Effekt durch das Erleben von Kompetenz
5 Förderung der Selbstbestimmung und Selbstbestimmung vermittelt wird.
5 Förderung der sozialen Bezogenheit
5 Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands. Förderung sozialer Bezogenheit Die Annahme eines
Bedürfnisses nach sozialer Bezogenheit erklärt nicht
Förderung der Kompetenzwahrnehmung Jeder der vier nur die besondere Bedeutung sozialer Anerkennung
Interventionsbereiche umfasst übergeordnete Inter- bzw. Zurückweisung als extrinsische Motivations-
ventionsziele, die genauer spezifiziert und mit konkreten quelle, sondern auch die Steigerung intrinsischer
Interventionsmaßnahmen verbunden werden können Motivation durch die Kopplung von Lernhand-
(Schiefele 2004). So lassen sich der Förderung der lungen bzw. -gegenständen mit befriedigenden sozialen
Kompetenzwahrnehmung die folgenden Interventionsziele Kontakten (Deci und Ryan 1985, 2002). Daher bildet die
zuordnen: positive Rückmeldungen und Bekräftigungen, Förderung sozialer Bezogenheit eine weitere Möglich-
Förderung aktiver Beteiligung und lebenspraktischer keit zur Förderung von intrinsischer Motivation und
Anwendungen, klare, strukturierte und anschauliche Stoff- Interesse. Um dieses Ziel zu erreichen, scheinen ins-
präsentation und Unterstützung bei herausfordernden besondere Formen der Teamarbeit und des kooperativen
Aufgaben. Das Interventionsziel Förderung aktiver Lernens geeignet zu sein. Dabei ist darauf zu achten, dass
Beteiligung und lebenspraktischer Anwendungen kann die gemeinsame Arbeit einen intensiven sozialen Aus-
beispielsweise konkret durch solche Handlungen gefördert tausch erfordert und jeder Schüler die Verantwortung
werden, die es erlauben, mit realen und lebensnahen für bestimmte Teilaufgaben übernimmt. Zusätzlich kann
Materialien umzugehen und dabei kognitiv und physisch das Erleben sozialer Bezogenheit auch durch ein partner-
aktiv zu sein. Dies könnte z. B. beinhalten, dass Schüler schaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis positiv beeinflusst
im Fach Deutsch eine Kurzgeschichte in ein Theaterstück werden (Bergin 2016; Schiefele 2004).
umwandeln und es dann mit verteilten Rollen spielen. In
den naturwissenschaftlichen Fächern besteht die Möglich- Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands Aus
keit zum selbstständigen Experimentieren und zum interessentheoretischer Sicht stellt die Förderung der
Ausprobieren dabei gewonnener Erkenntnisse anhand Bedeutsamkeit bzw. der wahrgenommenen Relevanz
realistischer Aufgaben (z. B. Tröbst et al. 2016). des Lerngegenstands ein zentrales Interventionsziel
180 U. Schiefele und E. Schaffner
Buff, A. (2001). Warum lernen Schülerinnen und Schüler? Eine Elliot, A. J., & Harackiewicz, J. M. (1996). Approach and avoidance
explorative Studie zur Lernmotivation auf der Basis qualitativer achievement goals and intrinsic motivation: A mediational ana-
Daten. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische lysis. Journal of Personality and Social Psychology, 70, 461–475.
Psychologie, 33, 157–164. Elliot, A. J., & McGregor, H. A. (2001). A 2 x 2 achievement goal framework.
Chiu, M. M., & Xihua, Z. (2008). Family and motivation effects on Journal of Personality and Social Psychology, 80, 501–519.
mathematics achievement: Analyses of students in 41 countries. Elliot, A. J., McGregor, H. A., & Gable, S. (1999). Achievment goals, study
Learning and Instruction, 18, 321–336. strategies, and exam performance: A mediational analysis. Journal
Corpus, J. H., & Wormington, S. V. (2014). Profiles of intrinsic and of Educational Psychology, 3, 549–563.
extrinsic motivations in elementary school: A longitudinal ana- Elliot, A. J., Murayama, K., & Pekrun, R. (2011). A 3 × 2 achievement goal
lysis. Journal of Experimental Education, 82, 480–501. model. Journal of Educational Psychology, 103, 632–648.
Covington, M. V. (1992). Making the grade. Cambridge: Cambridge Uni- Elliot, A. J., & Thrash, T. M. (2002). Approach-avoidance motivation in
versity Press. personality: Approach and avoidance temperaments and goals.
Csikszentmihalyi, M. (1985). Das Flow-Erlebnis. Stuttgart: Klett-Cotta. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 804–818.
(Original erschienen 1975: Beyond boredom and anxiety). Elliott, E. S., & Dweck, C. S. (1988). Goals: An approach to motivation and
Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow – The psychology of optimal achievement. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 5–12.
experience. New York: Harper & Row. Engeser, S., Rheinberg, F., Vollmeyer, R., & Bischoff, J. (2005).
Csikszentmihalyi, M., Abuhamdeh, S., & Nakamura, J. (2005). Flow. Motivation, Flow-Erleben und Lernleistung in universitären Lern-
In A. J. Elliot & C. S. Dweck (Hrsg.), Handbook of competence and settings. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 19, 159–172.
7 motivation (S. 598–608). New York: Guilford Press.
deCharms, R. (1968). Personal causation: The internal affective
Ford, J. K., Smith, E. M., Weissbein, D. A., Gully, S. M., & Salas, E. (1998).
Relationships of goal orientation, metacognitive activity, and
determinants of behavior. New York: Academic. practice strategies with learning outcomes and transfer. Journal
deCharms, R. (1979). Motivation in der Klasse. München: Moderne Ver- of Applied Psychology, 83, 218–233.
lags. (Original erschienen 1976: Enhancing motivation: Change in Gjesme, T., & Nygard, R. (1970). Achievement-related motives:
the classroom). Theoretical considerations and construction of a measuring
Deci, E. L., & Moller, A. C. (2005). The concept of competence. In instrument. Oslo: University of Oslo. (Unpublished manuscript).
A. J. Elliot & C. S. Dweck (Hrsg.), Handbook of competence and Gnambs, T., & Hanfstingl, B. (2016). The decline of academic motivation
motivation (S. 579–597). New York: Guilford Press. during adolescence: An accelerated longitudinal cohort ana-
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and lysis on the effect of psychological need satisfaction. Educational
self-determination in human behavior. New York: Plenum Press. Psychology, 36, 1691–1705.
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2002). Overview of self-determination Gottfried, A. E. (1986). Children’s academic intrinsic motivation inventory
theory: An organismic dialectical perspective. In E. L. Deci & R. M. (CAIMI). Odessa: Psychological Assessment Resources.
Ryan (Hrsg.), Handbook of self-determination research (S. 3–33). Gottfried, A. E. (1990). Academic intrinsic motivation in young
Rochester: University of Rochester Press. elementary school children. Journal of Educational Psychology, 82,
Denissen, J. J. A., Zarrett, N. R., & Eccles, J. S. (2007). I like to do it, 525–538.
I’m able, and I know I am: Longitudinal couplings between Gottfried, A. E., Fleming, J. S., & Gottfried, A. W. (2001). Continuity
domain-specific achievement, self-concept, and interest. Child
of academic intrinsic motivation from childhood through
Development, 78, 30–447. late adolescence: A longitudinal study. Journal of Educational
Desch, I., Stiller, C., & Wilde, M. (2016). Förderung des situationsspezi- Psychology, 93, 3–13.
fischen Interesses durch eine Schülerwahl des Unterrichtsthemas. Gottfried, A. E., Marcoulides, G. A., Gottfried, A. W., Oliver, P. H., &
Psychologie in Erziehung Und Unterricht, 63, 60–74. Guerin, D. W. (2007). Multivariate latent change modeling of
Dweck, C. S. (1986). Motivational processes affecting learning. developmental decline in academic intrinsic math motivation
American Psychologist, 41, 1040–1048. and achievement: Childhood through adolescence. International
Dweck, C. S. (1991). Self-theories and goals: Their role in motivation, Journal of Behavioral Development, 31, 317–327.
personality, and development. In R. A. Dienstbier (Hrsg.), Graham, S., & Golan, S. (1991). Motivational influences on cognition:
Nebraska symposium on motivation (Bd. 38, S. 199–235)., Task involvement, ego involvement, and depth of information
Perspectives on Motivation Lincoln: University of Nebraska Press. processing. Journal of Educational Psychology, 83, 187–194.
Eccles, J. S. (1983). Expectancies, values, and academic behaviors. Grant, H., & Dweck, C. S. (2003). Clarifying achievement goals and their
In J. T. Spence (Hrsg.), Achievement and achievement motives impact. Journal of Personality and Social Psychology, 85, 541–553.
(S. 75–146). San Francisco: Freeman. Grolnick, W. S., & Ryan, R. M. (1987). Autonomy in children’s learning:
Eccles, J. S. (2005). Subjective task value and the Eccles et al. model of An experimental and individual difference investigation. Journal
achievement-related choices. In A. J. Elliot & C. S. Dweck (Hrsg.), of Personality and Social Psychology, 52, 890–898.
Handbook of competence and motivation (S. 105–121). New York: Harackiewicz, J. M., Barron, K. E., Tauer, J. M., Carter, S. M., & Elliot, A. J.
Guilford Press. (2000). Short-term and long-term consequences of achievement
Eccles, J. S., Buchanan, C. M., Flanagan, C., Fuligni, A., Midgley, C. goals: Predicting interest and performance over time. Journal of
M., & Lee, D. (1991). Control versus autonomy during early Educational Psychology, 92, 316–330.
adolescence. Journal of Social Issues, 47, 53–68. Harackiewicz, J. M., Barron, K. E., Pintrich, P. R., Elliot, A. J., & Thrash, T.
Eccles, J. S., Midgley, C., Wigfield, A., Buchanan, C. M., Reumann, M. (2002a). Revision of achievement goal theory: Necessary and
D., Flanagan, C., & MacIver, D. (1993). Development during illuminating. Journal of Educational Psychology, 94, 638–645.
adolescence. The impact of stage-environment fit on young Harackiewicz, J. M., Barron, K. E., Tauer, J. M., & Elliot, A. J. (2002b).
adolescents’ experiences in schools and families. American Predicting success in college: A longitudinal study of
Psychologist, 48, 90–101. achievement goals and ability measures as predictors of interest
Elliot, A. J. (1999). Approach and avoidance motivation and and performance from freshman year through graduation.
achievement goals. Educational Psychologist, 3, 169–189. Journal of Educational Psychology, 94, 562–575.
Elliot, A. J. (2005). A conceptual history of the achievement goal Harackiewicz, J. M., Durik, A. M., Barron, K. E., Linnenbrink-Garcia, L., &
construct. In A. J. Elliot & C. S. Dweck (Hrsg.), Handbook of Tauer, J. M. (2008). The role of achievement goals in the develop-
competence and motivation (S. 52–72). New York: Guilford Press. ment of interest: Reciprocal relations between achievement
Motivation
183 7
goals, interest, and performance. Journal of Educational Köller, O., Schnabel, K. U., & Baumert, J. (2000). Der Einfluß der
Psychology, 100, 105–122. Leistungsstärke von Schulen auf das fachspezifische Selbst-
Harter, S. (1981). A new self-report scale of intrinsic versus extrinsic konzept der Begabung und das Interesse. Zeitschrift für Ent-
orientation in the classroom: Motivational and informational wicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 32, 70–80.
components. Developmental Psychology, 17, 300–312. Köller, O., Baumert, J., & Schnabel, K. U. (2001). Does interest matter?
Häußler, P., & Hoffmann, L. (2002). An intervention study to enhance The relationship between academic interest and achievement in
girls’ interest, self-concept, and achievement in physics classes. mathematics. Journal of Research in Mathematics Education, 32,
Journal of Research in Science Teaching, 39, 870–888. 448–470.
Hayamizu, T., & Weiner, B. (1991). A test of Dweck’s Model of Krapp, A. (1998). Entwicklung und Förderung von Interessen im Unter-
achievement goals as related to perceptions of ability. Journal of richt. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 44, 185–201.
Experimental Education, 59, 226–234. Krapp, A. (2002). Structural and dynamic aspects of interest develop-
Heckhausen, H. (1963). Hoffnung und Furcht in der Leistungsmotivation. ment: Theoretical considerations from an ontogenetic
Meisenheim: Hain. perspective. Learning and Instruction, 12, 383–409.
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln. Berlin: Springer. Krapp, A. (2005). Basic needs and the development of interest and intrinsic
Helmke, A. (1993). Die Entwicklung der Lernfreude vom Kindergarten motivational orientations. Learning and Instruction, 15, 381–395.
bis zur 5. Klassenstufe. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 7, Krapp, A. (2010). Interesse. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch
77–86. Pädagogische Psychologie (S. 311–323). Weinheim: Beltz.
Hermans, H., Petermann, F., & Zielinski, W. (1978). Leistungs Motivations Krapp, A., & Lewalter, D. (2001). Development of interests and
Test. Amsterdam: Swets & Zeitlinger. interest-based motivational orientations: A longitudinal study
Hidi, S. (2000). An interest researcher’s perspective: The effects of in vocational school and work settings. In S. Volet & S. Järvelä
extrinsic and intrinsic factors on motivation. In C. Sansone & J. (Hrsg.), Motivation in learning contexts (S. 201–232). Amsterdam:
M. Harackiewicz (Hrsg.), Intrinsic and extrinsic motivation (S. 309– Pergamon.
339). San Diego: Academic. Kriegbaum, K., Jansen, M., & Spinath, B. (2015). Motivation: A predictor
Hoffmann, L. (2002). Promoting girls’ interest and achievement in of PISA’s mathematical competence beyond intelligence and prior
physics classes for beginners. Learning and Instruction, 12, test achievement. Learning and Individual Differences, 43, 140–148.
447–465. Kunter, M., Baumert, J., & Köller, O. (2007). Effective classroom
Hoffmann, L., & Lehrke, M. (1986). Eine Untersuchung über Schüler- management and the development of subject-related interest.
interessen an Physik und Technik. Zeitschrift für Pädagogik, 32, Learning and Instruction, 17, 494–509.
189–204. Lau, S., & Nie, Y. (2008). Interplay between personal goals and
Hoffmann, L., Häußler, P., & Peters-Haft, S. (1997). An den Interessen von classroom goal structures in predicting student outcomes: A
Mädchen und Jungen orientierter Physikunterricht. Kiel: Institut für multilevel analysis of person-context interactions. Journal of
die Pädagogik der Naturwissenschaften. Educational Psychology, 100, 15–29.
Hoffmann, L., Lehrke, M., & Todt, E. (1985). Development and change Lazarides, R., & Rubach, C. (2017). Instructional characteristics in
of pupils’ interest in physics: Design of longitudinal study (grade mathematics classrooms: Relationships to achievement goal
5–10). In M. Lehrke, L. Hoffmann, & P. L. Gardner (Hrsg.), Interests orientation and student engagement. Mathematics Education
in science and technology (S. 71–80). Kiel: Institute for Science Research Journal, 29, 201–217.
Education. Lepper, M. R., Corpus, J. H., & Iyengar, S. S. (2005). Intrinsic and extrinsic
Hullemann, C. S., Durik, A. M., Schweigert, S. A., & Harackiewicz, J. motivational orientations in the classroom: Age differences and
M. (2008). Task values, achievement goals, and interest: An academic correlates. Journal of Educational Psychology, 97, 184–196.
integrative analysis. Journal of Educational Psychology, 100, 398– Marsh, H. W., Trautwein, U., Lüdtke, O., Köller, O., & Baumert, J. (2005).
416. Academic self-concept, interest, grades, and standardized
Hulleman, C. S., Kosovich, J. J., Barron, K. E., & Daniel, D. B. (2017). test scores: Reciprocal effects models of causal ordering. Child
Making connections: Replicating and extending the utility value Development, 76, 397–416.
intervention in the classroom. Journal of Educational Psychology, Mason, L., Gava, M., & Boldrin, A. (2008). On warm conceptual change:
109, 387–404. The Interplay of text, epistemological beliefs, and topic interest.
Jansen, M., Lüdtke, O., & Schroeders, U. (2016). Evidence for a Journal of Educational Psychology, 100, 291–309.
positive relation between interest and achievement: Examining Maulana, R., Opdenakker, M.-C., & Bosker, R. (2016). Teachers’
between-person and within-person variation in five domains. instructional behaviors as important predictors of academic
Contemporary Educational Psychology, 46, 116–127. motivation: Changes and links across the school year. Learning
Kaplan, A., & Maehr, M. L. (2007). The contributions and prospects and Individual Differences, 50, 147–156.
of goal orientation theory. Educational Psychology Review, 19, McClelland, D. C. (1980). Motive dispositions: The merits of operant and
141–184. respondent measures. In L. Wheeler (Hrsg.), Review of personality
Köller, O. (1998a). Different aspects of learning motivation: The impact and social psychology (Bd. 1, S. 10–41). Beverly Hills: Sage.
of interest and goal orientation on scholastic learning. In L. Hoff- McClelland, D. C. (1987). Human motivation. Cambridge: Cambridge
mann, A. Krapp, K. A. Renninger, & J. Baumert (Hrsg.), Interest and University Press.
learning (S. 317–326). Kiel: IPN. McClelland, D. C., Koestner, R., & Weinberger, J. (1989). How do
Köller, O. (1998b). Zielorientierungen und schulisches Lernen. Münster: self-attributed and implicit motives differ? Psychological Review,
Waxmann. 96, 690–702.
Köller, O., Baumert, J., & Rost, J. (1998a). Zielorientierung: Ihr typo- McClelland, D. C., & Winter, D. G. (1969). Motivating economic
logischer Charakter und ihre Entwicklung im frühen Jugendalter. achievement. New York: Free Press.
Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psycho- Meece, J. L., & Holt, K. (1993). A pattern analysis of students’
logie, 30, 128–138. achievement goals. Journal of Educational Psychology, 85, 582–
Köller, O., Schnabel, K. U., & Baumert, J. (1998b). The impact of academic 590.
self-concepts of ability on the development of interests during Midgley, C., Kaplan, A., & Middleton, M. (2001). Performance-approach
adolescence. Paper presented at the annual meeting of the goals: Good for what, for whom, under what circumstances, and
American Educational Research Association, San Diego. at what cost? Journal of Educational Psychology, 93, 77–86.
184 U. Schiefele und E. Schaffner
Moschner, B., & Schiefele, U. (2000). Motivationsförderung im Unter- Schiefele, U. (1999). Interest and learning from text. Scientific Studies of
richt. In M. K. W. Schweer (Hrsg.), Lehrer-Schüler-Interaktion Reading, 3, 257–279.
(S. 177–193). Opladen: Leske + Budrich. Schiefele, U. (2004). Förderung von Interessen. In G. W. Lauth, M.
Nakamura, J. (1991). Optimales Erleben und die Nutzung der Grünke, & J. C. Brunstein (Hrsg.), Interventionen bei Lernstörungen
Begabung. In M. Csikszentmihalyi & I. S. Csikszentmihalyi (Hrsg.), (S. 134–144). Göttingen: Hogrefe.
Die außergewöhnliche Erfahrung im Alltag. Die Psychologie des Schiefele, U. (2009). Situational and individual interest. In K. R. Wentzel
flow-Erlebnisses (S. 326–334). Stuttgart: Klett-Cotta. & A. Wigfield (Hrsg.), Handbook of motivation at school (S. 197–
Nicholls, J. G. (1984). Achievement motivation: Conceptions of ability, 222). New York: Routledge.
subjective experience, task choice, and peformance. Psychological Schiefele, U., & Csikszentmihalyi, M. (1995). Motivation and ability as
Review, 91, 328–346. factors in mathematics experience and achievement. Journal for
Nicholls, J. G. (1989). The competitive ethos and democratic education. Research in Mathematics Education, 26, 163–181.
Cambridge: Harvard University Press. Schiefele, U., & Löweke, S. (2018). The nature, development, and
O’Connor, P., Atkinson, J. W., & Horner, M. S. (1966). Motivational effects of elementary students’ reading motivation profiles.
implications of ability grouping in schools. In J. W. Atkinson & N. Reading Research Quarterly, 53, 405–421.
T. Feather (Hrsg.), A theory of achievement motivation (S. 231–248). Schiefele, U., & Schreyer, I. (1994). Intrinsische Lernmotivation und
New York: Wiley. Lernen. Ein Überblick zu Ergebnissen der Forschung. Zeitschrift für
Pastor, D. A., Barron, K. E., Miller, B. J., & Davis, S. L. (2007). A latent Pädagogische Psychologie, 8, 1–13.
profile analysis of college students’ achievement goal orientation. Schiefele, U., & Streblow, L. (2005). Intrinsische Motivation – Theorien
7 Contemporary Educational Psychology, 32, 8–47.
Pekrun, R. (1983). Schulische Persönlichkeitsentwicklung. Frankfurt a. M.:
und Befunde. In R. Vollmeyer & J. C. Brunstein (Hrsg.), Motivations-
psychologie und ihre Anwendung (S. 39–58). Stuttgart: Kohlhammer.
Lang. Schiefele, U., & Streblow, L. (2006). Motivation aktivieren. In H. Mandl
Pekrun, R. (1988). Emotion, Motivation und Persönlichkeit. München: & H. F. Friedrich (Hrsg.), Handbuch Lernstrategien (S. 232–247).
Psychologie Verlags Union. Göttingen: Hogrefe.
Pekrun, R. (1993). Facets of adolescents’ academic motivation: A Schiefele, U., Krapp, A., & Schreyer, I. (1993). Metaanalyse des
longitudinal expectancy-value approach. In M. L. Maehr & P. R. Zusammenhangs von Interesse und schulischer Leistung. Zeit-
Pintrich (Hrsg.), Advances in motivation and achievement (8. Aufl., schrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie,
S. 139–189). Greenwich: Jai. 25, 120–148.
Pintrich, P. R. (2000). Multiple goals, multiple pathways: The role Schiefele, U., Streblow, L., Ermgassen, U., & Moschner, B. (2003). Lern-
of goal orientation in learning and achievement. Journal of motivation und Lernstrategien als Bedingungen der Studien-
Educational Psychology, 92, 544–555. leistung: Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Zeitschrift für
Ratelle, C. F., Guay, F., Vallerand, R. J., Larose, S., & Senécal, C. (2007). Pädagogische Psychologie, 17, 185–198.
Autonomous, controlled, and amotivated types of academic Schiefer, I. M., Becker, S., & Artelt, C. (2018). Eine personenzentrierte
motivation: A person-oriented analysis. Journal of Educational Betrachtung der Entwicklung des Fachinteresses Deutsch,
Psychology, 99, 734–746. Mathematik und Englisch von Jahrgangsstufe 4 bis 11. Psycho-
Reeve, J., Bolt, E., & Cai, Y. (1999). Autonomy-supportive teachers: logie in Erziehung und Unterricht, 65, 141–157.
How they teach and motivate students. Journal of Educational Schneider, K. (1996). Intrinsisch (autotelisch) motiviertes Verhalten –
Psychology, 91, 537–541. dargestellt an den Beispielen des Neugierverhaltens sowie ver-
Renninger, K. A., & Hidi, S. E. (2016). The power of interest for motivation wandter Verhaltenssysteme (Spielen und leistungsmotiviertes
and engagement. New York: Routledge. Handeln). In J. Kuhl & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation, Volition,
Rheinberg, F. (1980). Leistungsbewertung und Lernmotivation. Handlung (Enzyklopädie der Psychologie, C, Serie Motivation und
Göttingen: Hogrefe. Emotion) (Bd. 4, S. 119–152). Göttingen: Hogrefe.
Rheinberg, F. (2006). Intrinsische Motivation und Flow-Erleben. In J. Schneider, R., Lotz, C., & Sparfeldt, J. R. (2018). Smart, confident,
Heckhausen & H. Heckhausen (Hrsg.), Motivation und Handeln interested: Contributions of intelligence, self-concept, and
(S. 331–354). Heidelberg: Springer. interest to elementary school achievement. Learning & Individual
Rheinberg, F., & Fries, S. (2010). Bezugsnormorientierung. In D. H. Rost Differences, 62, 23–35.
(Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 61–68). Schüler, J. (2007). Arousal of flow experience in a learning setting
Weinheim: Beltz. and its effects on exam performance and affect. Zeitschrift für
Rheinberg, F., & Krug, S. (2005). Motivationsförderung im Schulalltag. Pädagogische Psychologie, 21, 217–227.
Göttingen: Hogrefe. Schunk, D. H., Pintrich, P. R., & Meece, J. L. (2008). Motivation in
Rheinberg, F., & Vollmeyer, R. (2019). Motivation. Stuttgart: Kohl- education. Upper Saddle River: Pearson Education.
hammer. Seifert, T. L. (1995). Characteristics of ego- and task-oriented students:
Roedel, T. D., Schraw, G., & Plake, B. S. (1994). Validation of a measure A comparison of two methodologies. British Journal of Educational
of learning and performance goal orientations. Educational and Psychology, 65, 125–138.
Psychological Measurement, 54, 1014–1021. Seifert, T. L. (1996). The stability of goal orientations in grade five
Ruzek, E. A., Hafen, C. A., Allen, J. P., Gregory, A., Mikami, A. Y., & Pianta, students: Comparison of two methodologies. British Journal of
R. C. (2016). How teacher emotional support motivates students: Educational Psychology, 66, 73–82.
The mediating roles of perceived peer relatedness, autonomy Senko, C., & Tropiano, K. L. (2016). Comparing three models of
support, and competence. Learning and Instruction, 42, 95–103. achievement goals: Goal orientations, goal standards, and
Ryan, R. M., & Connell, J. P. (1989a). Perceived locus of causality and goal complexes. Journal of Educational Psychology, 108,
internalization: Examining reasons for acting in two domains. 1178–1192.
Journal of Personality and Social Psychology, 57, 749–761. Spinath, B., & Schöne, C. (2003). Ziele als Bedingungen von Motivation
Ryan, R. M., & Connell, J. P. (1989b). Self-regulation Questionnaire. am Beispiel der Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungs-
Rochester: University of Rochester. (Unpublished manuscript). motivation (SELLMO). In J. Stiensmeier-Pelster & F. Rheinberg
Schaffner, E., & Schiefele, U. (2007). The effect of experimental (Hrsg.), Diagnostik von Motivation und Selbstkonzept (S. 29–40).
manipulation of student motivation on the situational Göttingen: Hogrefe.
representation of text. Learning and Instruction, 17, 755–772. Spinath, B., Stiensmeier-Pelster, J., Schöne, C., & Dickhäuser, O. (2002).
Schiefele, U. (1996). Motivation und Lernen mit Texten. Göttingen: SELLMO: Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation.
Hogrefe. Göttingen: Hogrefe.
Motivation
185 7
Stipek, D. J. (1996). Motivation and instruction. In D. C. Berliner & R. C. and amotivation in education: Evidence on the concurrent and
Calfee (Hrsg.), Handbook of educational psychology (S. 85–113). construct validity of the Academic Motivation Scale. Educational
New York: Macmillan. and Psychological Measurement, 53, 159–172.
Thrash, T. M., & Elliot, A. J. (2002). Implicit and self-attributed Walker, C. O., Greene, B. A., & Mansell, R. A. (2006). Identification with
achievement motives: Concordance and predictive validity. academics, intrinsic/extrinsic motivation, and self-efficacy as
Journal of Personality, 70, 729–755. predictors of cognitive engagement. Learning and Individual
Todt, E. (1990). Entwicklung des Interesses. In H. Hetzer (Hrsg.), Differences, 16, 1–12.
Angewandte Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters Watt, H. M. G. (2004). Development of adolescents’ self- perceptions,
(S. 213–264). Wiesbaden: Quelle & Meyer. values, and task perceptions according to gender and domain in
Todt, E., & Schreiber, S. (1998). Development of interests. In L. Hoff- 7th- through 11th-grade Australian students. Child Development,
mann, A. Krapp, K. A. Renninger, & J. Baumert (Hrsg.), Interest and 75, 1556–1574.
learning (S. 25–40). Kiel: Institute for Science Education. White, R. W. (1959). Motivation reconsidered: The concept of
Tröbst, S., Kleickmann, T., Lange-Schubert, K., Rothkopf, A., & Möller, K. competence. Psychological Review, 66, 297–333.
(2016). Instruction and students declining interest in science: An Wigfield, A., & Eccles, J. S. (2000). Expectancy-value theory of
analysis of German fourth- and sixth-grade classrooms. American achievement motivation. Contemporary Educational Psychology,
Educational Research Journal, 53, 162–193. 25, 68–81.
Tsai, Y.-M., Kunter, M., Lüdtke, O., Trautwein, U., & Ryan, R. M. (2008). Wigfield, A., Eccles, J. S., Fredricks, J., Simpkins, S., Roeser, R. W., &
What makes lessons interesting? The role of situational and Schiefele, U. (2015). Development of achievement motivation and
individual factors in three school subjects. Journal of Educational engagement. In M. E. Lamb (Hrsg.), Handbook of child psychology
Psychology, 100, 460–472. and developmental science (Bd. 3, S. 657–700)., Socioemotional
Tzuriel, D., & Klein, P. S. (1983). Learning skills and types of processes. Hoboken: Wiley.
temperaments as discrimination between intrinsically and Wild, E. (2001). Familiale und schulische Bedingungen der Lern-
extrinsically motivated children. Psychological Reports, 53, 59–69. motivation von Schülern. Zeitschrift für Pädagogik, 47, 481–499.
Urhahne, D. (2008). Sieben Arten der Lernmotivation. Ein Überblick Wild, E., & Hofer, M. (2000). Elterliche Erziehung und die Veränderung
über zentrale Forschungskonzepte. Psychologische Rundschau, 59, motivationaler Orientierungen in der gymnasialen Oberstufe und
150–166. der Berufsschule. In U. Schiefele & K.-P. Wild (Hrsg.), Interesse und
Utman, C. H. (1997). Performance effects of motivational state: A Lernmotivation (S. 31–52). Münster: Waxmann.
meta-analysis. Personality and Social Psychology Review, 1, 170–182. Wild, E., & Remy, K. (2002). Affektive und motivationale Folgen der
Vallerand, R. J., Pelletier, L. G., Blais, M. R., Brière, N. M., Senécal, C. B., & Lernhilfen und lernbezogenen Einstellungen von Eltern. Unter-
Vallières, E. F. (1992). The Academic Motivation Scale: A measure richtswissenschaft, 30, 26–51.
of intrinsic, extrinsic, and amotivation in education. Educational Wild, K.-P. (2000). Lernstrategien im Studium. Münster: Waxmann.
and Psychological Measurement, 52, 1003–1017. Wormington, S. V., Corpus, J. H., & Anderson, K. G. (2012). A p
erson-centered
Vallerand, R. J., Pelletier, L. G., Blais, M. R., Brière, N. M., Senécal, C. B., investigation of academic motivation and its correlates in high school.
& Vallières, E. F. (1993). On the assessment of intrinsic, extrinsic, Learning and Individual Differences, 22, 429–438.
187 8
Selbstkonzept
Jens Möller und Ulrich Trautwein
8
. Abb. 8.2 Multidimensionales und hierarchisches Selbstkonzept. (Modifiziert nach Shavelson et al. 1976, copyright © 1976 by SAGE
Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications.)
Ausmaß etwa Stolz und Scham beinhaltet. Im Wesent- Reflexion ihrer wahrgenommenen Wirkung auf andere.
lichen ist dieses Selbstwertgefühl nach James das Ergeb- Cooley (1902) prägte in diesem Zusammenhang den Begriff
nis von Erfolgen oder Misserfolgen und der Stellung, des „looking-glass-self“. Andere Personen spiegeln einer
die ein Mensch in der Welt hat. Hierbei geht es primär Person ihre Einstellungen und Gefühle gegenüber dieser
um subjektive Interpretationen von Erfolgen und Miss- Person wider; in diesem Spiegel sieht sich die Person und
erfolgen und nicht um deren objektive Ausprägung. Nach konstruiert aus den Fremdwahrnehmungen ihr eigenes
James bestimmt sich das Selbstwertgefühl eines Menschen Selbstkonzept.
als Verhältnis von Erfolg und Anspruch. Das Selbstwert- Insbesondere Menschen, die einer Person nahestehen,
gefühl basiert auf Fähigkeiten in einzelnen Domänen. Die haben nach dieser Konzeption starken Einfluss auf deren
Domänen werden je nach persönlicher Wichtigkeit bei der Selbstkonzept: „In the presence of one whom we feel to
Ausgestaltung des Selbstwertgefühls berücksichtigt. James be of importance, there is a tendency to enter into and
postulierte Prozesse, nach denen sich das Selbstwertgefühl adopt, by sympathy, his judgment of ourself“ (Cooley
aus der Summe gewichteter bereichsspezifischer Selbst- 1902, S. 175). Mead (1934) betonte darüber hinaus, dass
konzepte zusammensetzt. nicht nur Individuen, sondern auch soziale Gruppen und
Auch wenn die empirisch ausgerichtete Selbstkonzept- deren Normen das Selbstkonzept prägen. Dabei bestimmt
forschung manche Vorstellung von James zu revidieren die Gesamtheit der sozialen Gruppen, deren Mitglied
half, bleibt festzuhalten, dass seine Arbeiten die Basis für eine Person ist, deren Selbstbild. Die Person nimmt einen
spätere Selbstkonzeptmodelle, wie etwa das hierarchische „generalisierten Anderen“ wahr, quasi als Querschnitt aller
Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976; . Abb. 8.2), sozialen Gruppen. Die Einstellung, die dieser generalisierte
lieferten. Andere zu der Person hat, prägt deren Selbstkonzept; die
Einstellung der anderen zu einer Person wird dann von
dieser übernommen.
8.2.2 Symbolischer Interaktionismus Das Verdienst der symbolischen Interaktionisten für die
Selbstkonzeptforschung besteht in der Betonung der Rolle
Selbstkonzepte sind ganz maßgeblich von Interaktionen mit der sozialen Umwelt für die Selbstkonzeptentwicklung.
der sozialen Umwelt beeinflusst. Diese Erkenntnis wurde Diese wird heute nicht mehr angezweifelt, wenn auch nicht
seit Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere von Ver- alle Postulate des symbolischen Interaktionismus empirisch
tretern des symbolischen Interaktionismus, aber auch von bestätigt werden konnten. So fallen Übereinstimmungen
klinischen Psychologen wie Carl Rogers popularisiert. Nach zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen in der Regel
den Annahmen des symbolischen Interaktionismus ist das niedriger aus als erwartet (Shrauger und Schoeneman 1979;
Selbstkonzept in erster Linie ein Resultat der 7 Fremd- 7 Exkurs „Direkte versus indirekte Rückmeldungen“). Diese
wahrnehmungen einer Person durch andere Personen. Übereinstimmungen zwischen Selbstbild und tatsäch-
Das Selbstkonzept ist danach so etwas wie ein Abziehbild lichem Fremdbild sind jedenfalls niedriger als die Überein-
der Einstellungen anderer Menschen zu dieser Person, eine stimmungen zwischen dem Selbstbild von Schülern und
Selbstkonzept
191 8
Exkurs
dem von diesen Schülern selbst wahrgenommenen Fremd- Ein weiteres Beispiel für die gedächtnispsychologische
bild. Meine Vermutung, was andere Personen über mich Tradition sind die Arbeiten von Markus (1977). Sie unter-
denken, ist also auch ein Resultat selektiver Wahrnehmung scheidet zwischen überdauernden und situationalen
und Informationsverarbeitung, die von meinem Selbstbild Aspekten des Selbstkonzepts. In der Konzeption von Markus
gesteuert wird. umfassen die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts beispielsweise
positive oder negative Sichtweisen von Aspekten der eigenen
Person, aber auch Wunschvorstellungen der eigenen Person
8.2.3 Gedächtnispsychologische Modelle (Ideal-Selbst). Nach Markus werden vor dem Hintergrund
des Selbstkonzepts dieser relativ stabilen Aspekte des Selbstkonzepts in konkreten
Situationen bestimmte Selbstkonzeptaspekte aktiviert, von
Mit der kognitiven Wende in der Psychologie ab den 1970er Markus als „working self“ bezeichnet. Das „working self-
Jahren setzte ein Siegeszug der Selbstkonzeptforschung concept“ wird auf der einen Seite durch die stabilen Aspekte
ein. Das Selbst wurde als kognitive (Gedächtnis-)Struktur des Selbstkonzepts bestimmt, auf der anderen Seite aber durch
modelliert, die durch Informationsaufnahme geformt wird aktuelle situative und soziale Einflüsse modifiziert.
sowie unter bestimmten Umständen selbst die Informations- Nach Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbst-
aufnahme beeinflusst. So konzipierte Filipp (1979) das Selbst- konzepts eine Reihe von verschiedenen Selbstkonzept-
konzept als Wissensstruktur hinsichtlich der eigenen Person. facetten, wie beispielsweise die guten und schlechten Seiten
Neben verschiedenen Quellen selbstbezogenen Wissens hat der eigenen Person, das Ideal-Selbst und das negative
Filipp den Prozess der Aufnahme und Verarbeitung selbst- Selbst. Gleichzeitig machte Markus darauf aufmerksam,
bezogener Informationen untersucht. Sie unterschied dabei dass in Abhängigkeit von der Situation unterschiedliche
vier Phasen, nämlich Verarbeitungsstrategien auftreten.
1. die Vorbereitungsphase, in der die Diskrimination Der Inhalt des jeweiligen Working Self-Concept ist
selbstbezogenen Wissens geschieht, somit nach Markus nicht nur durch die stabilen Selbst-
2. die Aneignungsphase, in der die selbstbezogene konzepte bestimmt, sondern auch durch die jeweilige
Information in ein internes, aktualisiertes Selbstmodell soziale Situation. Als Belege für ihre Vorstellungen führte
integriert wird, Markus Ergebnisse aus experimentellen Studien an. So
3. die Speicherungsphase, in der das selbstbezogene manipulierten beispielsweise Markus und Kunda (1986)
Wissen beispielsweise in der Form eines Schemas das temporäre Selbstkonzept von Studentinnen, indem
gespeichert wird, sowie ihnen suggeriert wurde, sie würden extrem ähnliche
4. die Erinnerungsphase, in der die selbstbezogenen („Ähnlichkeitsbedingung“) bzw. unähnliche („Einzig-
Informationen abgerufen und handlungsleitend artigkeitsbedingung“) Vorlieben aufweisen wie drei
werden können. gleichzeitig untersuchte Studierende. Markus und Kunda
192 J. Möller und U. Trautwein
fanden Belege dafür, dass die Untersuchungsteil- Ende der Kindheit zu. Mit der weiteren Entwicklung geht
nehmerinnen in Reaktion auf die experimentelle eine zunehmende Ausdifferenzierung des eigenen Rollen-
Manipulation ihr tatsächliches Selbstkonzept veränderten. bildes einher; am Ende der Jugendzeit reflektiert das Selbst-
Hannover (1997) hat diesen Ansatz theoretisch und konzept relativ stabile Überzeugungen und Werte.
empirisch weiterentwickelt und insbesondere für die
Pädagogische Psychologie nutzbar gemacht (s. auch Kessels
und Hannover 2004). 8.2.5 Sozialpsychologische
Selbstkonzeptforschung
8.2.4 Entwicklungspsychologische Arbeiten In der Sozialpsychologie hat sich eine ausgesprochen
lebendige und oftmals faszinierende Forschungsaktivi-
In der Entwicklungspsychologie wurde in den vergangenen tät zum Selbstkonzept entwickelt, in der u. a. beschrieben
Jahrzehnten eine Reihe von Modellen zur Genese des wird, wie es den meisten Menschen gelingt, ein positives
Selbstkonzepts erarbeitet. Ein Beispiel für einen ent- Selbstbild zu erhalten. Es gibt in Hinblick auf die Konzepte,
wicklungspsychologisch begründeten Ansatz, der auch Themen und Methoden viele Überschneidungen mit der
für die pädagogisch-psychologische Forschung bedeut- pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung.
sam wurde, sind die Beiträge von Harter (z. B. 1998, 1999). Wichtige Unterschiede zwischen der sozialpsycho-
Harter entwickelte, aufbauend auf den Arbeiten von James logischen und der pädagogisch-psychologischen
8 (1892/1999) und Piaget (1960), in mehreren Etappen ein Forschung bestehen jedoch nach wie vor in zweierlei
Modell der kognitiven Entwicklung des Selbstkonzepts. Hinsicht. Zum einen fokussiert der Großteil der sozial-
Zunächst beschrieb Harter (1983) die Selbstkonzept- psychologischen Selbstkonzeptforschung das Selbst-
entwicklung anhand der Unterscheidung kognitiver wertgefühl (7 Exkurs „Allgemeines Selbstkonzept als
Prozesse nach Piaget (1960). Konkret-operationale Einstellung: Die Beiträge von Morris Rosenberg“) und ist
Selbstbeschreibungen in der früheren Kindheit werden nur bedingt an bereichsspezifischen Selbstkonzepten
zunehmend abgelöst durch abstrakte Selbstbeschreibungen interessiert, die in der pädagogisch-psychologischen
mit Eigenschaftscharakter. Selbstbeschreibungen von Forschung die Publikationsaktivitäten dominieren. Zum
Kindern betreffen häufig beobachtbare Attribute wie Eigen- anderen nimmt die sozialpsychologische Forschung in
tum oder Fähigkeiten; zudem sind die Bewertungen der hohem Maße eine Prozessperspektive ein, die zu den oft
eigenen Person sehr positiv, soziale Vergleichsinformation eher eigenschaftsorientierten Selbstkonzeptmodellen
ist nicht ausreichend vorhanden bzw. wird noch nicht der Pädagogischen Psychologie in deutlichem Kontrast
adäquat genutzt (Ruble und Frey 1987). Ältere Kinder und steht. Bezieht man sich auf die oben dargestellte Unter-
Jugendliche können auch negative Eigenschaften in das scheidung nach James, so beschränkt sich das pädagogisch-
Selbstkonzept integrieren, außerdem steigt die Bedeutung psychologische Selbstkonzept in erster Linie auf das
des leistungsbezogenen und des sozialen Selbstkonzepts. „Me“, während bedeutsame Anteile der sozialpsycho-
Die einzelnen Selbstkonzepte differenzieren sich aus durch logischen Selbstkonzeptforschung eine Präferenz für das
inter- und intraindividuelle Vergleichsprozesse. Durch „I“, die aktive Seite des Selbst, haben. Das Selbst fungiert
Vergleiche mit Gleichaltrigen werden die Selbstkonzepte hier als motiviertes, dynamisches System mit handlungs-
zunehmend realistischer und differenzierter. leitender Funktion (Mischel und Morf 2003). Genannt
Später erfolgte durch Harter (1998, 1999) eine werden beispielsweise theoretische Annahmen, wonach
Reformulierung der Entwicklung des selbstbezogenen viele oder alle Menschen Bedürfnisse nach Selbst-
Denkens im Kindes- und Jugendalter. Harter beschrieb bewertung („self-evaluation“), Selbstwertsteigerung („self-
für sechs Altersstufen vom Säuglingsalter bis zum späten enhancement“), Selbstbestätigung („self-verification“),
Jugendalter die Struktur und die zentralen Inhalte von Selbstwertschutz („self-defense“) oder Selbstverbesserung
Selbstkonzepten sowie deren Übereinstimmung mit der („self-improvement“) haben, die in unterschiedlichen
Wirklichkeit. Danach sind die Selbstkonzepte in frühen und Situationen unterschiedlich bedeutsam sind. In schulischen
mittleren Phasen der Kindheit stark positiv verzerrt, durch Leistungssituationen scheint das Bedürfnis nach Selbst-
die allmähliche Integration auch negativer Informationen verbesserung besonders prominent; so verglichen sich die
über eigene Fähigkeiten und Eigenschaften in das Selbstbild Schüler in der Studie von Möller und Köller (1998) vor
nimmt die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen aber gegen allem mit leistungsstärkeren Mitschülern.
Selbstkonzept
193 8
Exkurs
8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Eine zentrale Annahme des Shavelson-Modells ist die
Selbstkonzepts multidimensionale Struktur. Um die Komplexität seiner
Erfahrung mit der Umwelt zu reduzieren, organisiert ein
Aktuelle pädagogisch-psychologische Arbeiten zum Selbst- Individuum diese Erfahrungen mithilfe von Kategorien.
konzept gehen in der Regel von einer Konzeption aus, Eine Einteilung von Erfahrungen in Kategorien bedeutet
bei der das Selbstkonzept – in Übereinstimmung mit auch, dass das Selbstkonzept mehrere Facetten hat, d. h. eine
gedächtnispsychologischen Arbeiten – eine kognitive multidimensionale Struktur aufweist. In anderen Worten:
Repräsentation eigener Fähigkeiten und/oder Begabungen Personen bauen Überzeugungen darüber auf, in welchen
darstellt. Versucht man eine Einordnung in die Theorie von Bereichen sie besonders hohe oder geringe Fähigkeiten und
James, so steht im Blickpunkt pädagogisch-psychologischer Begabungen haben. Die logisch nächste Frage ist dann, wie
Arbeiten meist das „Me“. Im Einklang mit James wird die viele unterschiedliche Bereiche Menschen unterscheiden, wie
Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Sicht hervor- viele Dimensionen das Selbstkonzept also umfasst.
gehoben – ein Mensch kann sich in unterschiedlichen Teil- Shavelson et al. (1976) argumentierten, dass das Kate-
bereichen ganz unterschiedlich wahrnehmen. Die Betonung goriensystem von Schülern auf einer relativ generellen
der sozialen Umwelt als wichtige Determinante des Selbst- Ebene zumindest die Facetten Schule, soziale Akzeptanz,
konzepts wirkt wie ein Widerhall der frühen Arbeiten des physische Fähigkeiten sowie emotionales Befinden
symbolischen Interaktionismus, und aus der Entwicklungs- beinhalte. Innerhalb des Bereichs Schule sollte dann
psychologie wurden zentrale Modellvorstellungen zur wiederum zwischen dem Selbstkonzept bezüglich unter-
Genese des Selbstkonzepts adaptiert. Im Folgenden stellen schiedlicher Fächer unterschieden werden sowie inner-
wir zentrale Modelle vor und geben einen kurzen Über- halb der Fächer nach unterschiedlichen Teilfertigkeiten.
blick über Instrumente, mit denen das Selbstkonzept erfasst Shavelson et al. (1976) nahmen darüber hinaus an, dass sich
werden kann. das Selbstkonzept im Laufe der Entwicklung vom Kindes-
zum Erwachsenenalter zunehmend differenziert. Die
Modellvorstellung einer zunehmenden Differenzierung
8.3.1 Struktur des Selbstkonzepts: von Selbstkonzepten ist gut mit einer Neo-Piaget’schen
Bereichsspezifität und Hierarchie Entwicklungstheorie vereinbar (Harter 1998, 1999).
Kinder erwerben demnach im Austausch mit der sozialen
Eine Übersichtsarbeit zum Stand der Selbstkonzeptforschung Umwelt und als Antwort auf kognitive Herausforderungen
von Shavelson et al. (1976) wird häufig als Startpunkt der differenziertere Konzepte von sich selbst und ihren Fähig-
modernen pädagogisch-psychologischen Selbstkonzept- keiten, und zunehmend fällt es ihnen leichter, bei sich
forschung bezeichnet. In dieser Arbeit beklagten Shavelson selbst relative Stärken und Schwächen zu erkennen. Über-
und Mitarbeiter eine fehlende theoretische Tiefe und prüfen lassen sich diese theoretischen Annahmen, indem
Stringenz in der Selbstkonzeptforschung und kritisierten, man Korrelationsmuster zwischen Selbstkonzeptfacetten
dass die meisten der vorhandenen Messinstrumente auf betrachtet: Je älter die Kinder bzw. Jugendlichen sind,
Ad-hoc-Basis konstruiert worden waren. Sie schlugen unter desto geringer sollten die Korrelationen zwischen unter-
Bezugnahme auf James (1892/1999) vor, das Selbstkonzept schiedlichen Selbstkonzeptdomänen ausfallen. In der
mehrdimensional und hierarchisch zu konzipieren. Das von Tat findet sich einige empirische Stützung für diese Ver-
ihnen entwickelte Modell, das heute meist als „Shavelson- mutung, zumindest für die relativ frühe Entwicklung.
Modell“ bezeichnet wird, ist in . Abb. 8.2 dargestellt. Die Forschungsgruppe um Marsh (Überblick in Marsh
194 J. Möller und U. Trautwein
. Abb. 8.3 Struktur des schulischen Selbstkonzepts im revidierten Modell. (Modifiziert nach Marsh et al. 1988, mit freundlicher Genehmigung
8 der American Psychological Association)
und Craven 1997) hat beispielsweise gezeigt, dass es mit und Fächern wie Geschichte. Das mathematische Selbst-
elaborierten Methoden möglich ist, eine Vielzahl von konzept integriert Selbsteinschätzungen in Fächern wie
Selbstkonzeptfacetten analytisch zu trennen. So unter- Mathematik, Physik und Chemie. Tatsächlich lässt sich
scheidet der Akademische Selbstbeschreibungsbogen diese Aufteilung in konfirmatorischen Faktorenana-
(ASDQ; Marsh 1990a) allein im schulischen Bereich lysen gut bestätigen. Das resultierende, revidierte Modell
14 fachspezifische Selbstkonzepte sowie ein globales Selbst- des schulischen Selbstkonzepts beinhaltet also nicht
konzept schulischer Fähigkeiten. Der multidimensionale mehr die von Shavelson angenommene Variante eines
Charakter des Selbstkonzepts ist heute allgemein akzeptiert. hierarchischen Charakters innerhalb der schulischen
Darüber hinaus postulierten Shavelson et al. (1976), dass Domäne, sondern geht von zwei übergeordneten Faktoren
das Selbstkonzept auch eine hierarchische Struktur besitze, aus. . Abb. 8.3 zeigt diese Aufgliederung des schulischen
an dessen Spitze ein allgemeines Selbstkonzept („general Selbstkonzepts in ein verbales und ein mathematisches
self-concept“) stehe. Sie verwiesen hierbei auf Konzepte Selbstkonzept. Das revidierte Modell wurde zur Grund-
der Intelligenzforschung, die von einem allgemeinen lage einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen, die
g-Faktor, der gleichsam an der Spitze der Hierarchie sich mit den Beziehungen zwischen mathematischen und
steht, und mehreren spezifischeren Subfaktoren ausgehen verbalen Selbstkonzepten einerseits und den zugehörigen
(7 Exkurs „Intelligenzanalogie beim Shavelson-Modell“). So mathematischen und verbalen Leistungen andererseits
unterschieden die Autoren beispielsweise zwischen einem befassten (vgl. Gaspard et al. 2018). Sie sind unter dem Stich-
schulischen Selbstkonzept und einem nichtschulischen wort I nternal/External-Frame-of-Reference-Modell (I/E-
Selbstkonzept, wobei ersteres wiederum in hierarchisch Modell) bzw. Bezugsrahmenmodell ausführlich beschrieben
gegliederter Art und Weise in fächerspezifische Facetten (7 Abschn. 8.4.3).
aufgeteilt wurde.
Die Annahmen zur hierarchischen Struktur des
Shavelson-Modells wurden über die Zeit zunehmend 8.3.2 Stabilität des Selbstkonzepts
gelockert. Das ursprünglich von Shavelson et al. (1976)
postulierte Modell sah in Bezug auf die schulbezogenen Verlieren Schüler in einem gewissen Alter die Lust auf
Komponenten ein generelles schulisches Selbstkonzept vor, die Schule, weil ihr schulisches Selbstkonzept – beispiels-
welches eine Art Integration der einzelnen unterrichtsfach- weise im Verlauf der Pubertät – absinkt? Wie stabil sind die
spezifischen Selbstkonzepte beispielsweise in Mathematik Unterschiede zwischen Schülern einer bestimmten Klasse?
oder dem muttersprachlichen Unterrichtsfach darstellen Und kommt es vor, dass eine Schülerin, die lange Zeit
sollte. Empirische Untersuchungen ergaben allerdings, dass dachte, sie sei in Deutsch viel begabter als in Mathematik,
das verbale Selbstkonzept und das mathematische Selbst- doch noch ihre Meinung ändert und ein Faible für die
konzept nur unwesentlich, gar nicht oder sogar negativ mit- Mathematik erwirbt? In all diesen Fragen steckt bereits die
einander korreliert waren. Marsh et al. (1988) unterschieden Frage nach den Determinanten eines hohen oder niedrigen
deshalb auf der Ebene globaler schulischer Faktoren zwei Selbstkonzepts, die erst im nächsten Abschnitt vertieft
weitgehend getrennte schulische Selbstkonzepte. Das verbale behandelt wird. Eine erste Antwort erhält man jedoch
Selbstkonzept speist sich aus Selbsteinschätzungen zum bereits dann, wenn man nur die sog. Stabilität des Selbst-
muttersprachlichen Unterrichtsfach, zu den Fremdsprachen konzepts betrachtet. Ganz einfach ist die Antwort allerdings
Selbstkonzept
195 8
Exkurs
nicht, denn man kann verschiedene Formen von Stabilität damit eine recht hohe normative Stabilität auf. Wer zu
unterscheiden (Mortimer et al. 1982): einer bestimmten Zeit ein vergleichsweise hohes Selbst-
5 normative Stabilität konzept berichtet hat, berichtet auch noch Jahre später
5 Mittelwertsstabilität mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein vergleichsweise
5 strukturelle Stabilität hohes Selbstkonzept. Das schließt situationsspezifische
5 intraindividuelle Stabilität Schwankungen natürlich nicht aus.
5 Konstruktstabilität
Mittelwertstabilität Neben der normativen Stabili-
Je nach verwendeter Stabilitätskonzeption kann man zu tät wurde in erster Linie die Mittelwertsstabilität („level
ganz unterschiedlichen Aussagen über die Stabilität des stability“) des Selbstkonzepts untersucht. Unterscheidet
Selbstkonzepts gelangen. sich beispielsweise bei einer Schülergruppe das durch-
schnittliche schulische Selbstkonzept, das in der 7. Klasse
Normative Stabilität Mit normativer Stabilität („normative berichtet wurde, nicht von dem, das in der 10. Klasse
stability“, „differential stability“ oder „correlational berichtet wurde, so würde man dies als einen Hinweis auf
stability“) ist die Stabilität von interindividuellen Unter- eine hohe Mittelwertstabilität deuten. Trotz einer hohen
schieden in Selbstkonzepten bei mehrmaliger Messung Stabilität des Mittelwerts in der Gesamtgruppe kann es
gemeint. Empirisch erfasst wird diese Art der Stabili- jedoch sehr wohl sein, dass das Selbstkonzept einzel-
tät in der Regel durch die Korrelation der Werte der- ner Schüler bzw. von Gruppen von Schülern zu- oder
selben Personengruppe in zwei Messungen mit demselben abnimmt. Das mittlere physikbezogene Selbstkonzept
Instrument. In dem Maße, in dem sich Rangpositionen einer Klasse würde beispielsweise dann stabil bleiben,
zwischen den Messungen verschieben, sinkt die normative wenn das Selbstkonzept der Jungen steigt, während das
Stabilität. Andererseits wird die normative Stabilität durch der Mädchen sinkt.
eine Verschiebung des Mittelwerts zwischen den zwei Insgesamt weisen viele Studien darauf hin, dass es
Messungen nicht notwendigerweise gesenkt. Insgesamt beim Selbstkonzept zu statistisch signifikanten Mittel-
weisen schulbezogene Selbstkonzepte bereits im Grund- wertveränderungen kommt. So fand beispielsweise
schulalter beachtliche normative Stabilitäten auf. Marsh Helmke (1998) in einer Untersuchung mit Grundschul-
et al. (1998) berichteten für Zweitklässler eine Ein-Jahres- kindern einen deutlichen Rückgang der Mittelwerte beim
Stabilität für die Selbstkonzeptbereiche Mathematik, Lesen schulischen Selbstvertrauen zwischen der 1. und 6. Schul-
und Schule von 0,46 bis 0,64. Mit höherem Alter nimmt die klasse. Während Kinder zu Beginn der Schulzeit eine
Stabilität nochmals zu. Stabilitätskoeffizienten von 0,70 und deutliche Überschätzung ihrer eigenen Leistung zeigten,
höher sind keine Seltenheit (Wigfield et al. 1997). Selbst war diese bei Kindern der 6. Klassenstufe nur noch gering
bei einem Wechsel der Bezugsgruppe, wie er beispiels- ausgeprägt. In einer Meta-Analyse fanden Scherrer und
weise nach dem Ende der Schulzeit erfolgt, finden sich Preckel (2018) Belege dafür, dass mathematische und
beachtliche Stabilitätskoeffizienten (Marsh et al. 2007). Die sprachliche Selbstkonzepte über die Jahre sinken, während
berichteten Stabilitätskoeffizienten ähneln den Stabilitäten, das allgemeine schulische Selbstkonzept stabil bleibt.
die für die zentralen Persönlichkeitseigenschaften im Sinne Worauf ist das Absinken schulfachbezogener Selbst-
der Big-Five-Konzeption ermittelt werden (Asendorpf konzepte, das rasch nach Eintritt in die Schule beobachtet
und van Aken 2003). Insgesamt weisen Selbstkonzepte werden kann und sich bis in die mittlere Adoleszenz zieht,
196 J. Möller und U. Trautwein
Selbstkonzepte, wenn sie in leistungsstarken Klassen Leistung), was wiederum zu einem höheren Fachinteresse
platziert werden (Schwarzer et al. 1982; im Überblick Köller führen sollte. Zudem konnten Belege dafür gefunden
2004). Dieser Effekt ist großenteils über die Leistungs- werden, dass sich Bezugsgruppeneffekte auch auf diverse
rückmeldungen durch Lehrkräfte vermittelt. In leistungs- Wahlentscheidungen auswirken. Trautwein et al. (2008)
starken Klassen bekommen Schüler bei gleichen Leistungen fanden beispielsweise Hinweise darauf, dass Kinder in ihrer
schlechtere Noten als in leistungsschwachen Klassen Freizeit weniger stark in Sportvereinen aktiv sind, wenn sie
(Trautwein et al. 2006b). Klassen mit sehr leistungsstarken viele sportliche Klassenkameraden haben, und Göllner et al.
Schülern bieten zudem mehr Möglichkeiten für soziale Auf- (2018) konnten Konsequenzen von Bezugsgruppeneffekte
wärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern, die sogar noch 50 Jahre nach dem Schulbesuch nachweisen.
negative Konsequenzen für die selbst eingeschätzten Fähig- Marsh (1991) hat für eine Reihe weiterer Kriteriums-
keiten haben. variablen die Bedeutung von Bezugsgruppeneffekten
Besonders gut kann dieser 7 Bezugsgruppeneffekt aufgezeigt. Allerdings gibt es durchaus bedeutsame Unter-
beim Übergang von Grundschülern in die Sekundarschule schiede in der Höhe der Bezugsgruppeneffekte. In den Items
beobachtet werden. Zunächst einmal ist hier eine gewisse vieler Selbstkonzeptinstrumente sind soziale Vergleiche
Ungerechtigkeit zu vermuten: In leistungsstarken Grund- oftmals implizit oder explizit thematisiert, indem beispiels-
schulklassen sind bessere Leistungen als in leistungs- weise nach Leistungen bzw. Noten in einem Fach gefragt
schwächeren Grundschulklassen notwendig, damit ein wird. Dies scheint eine Gewähr für besonders ausgeprägte
Schüler eine Gymnasialempfehlung bekommt (Trautwein Bezugsgruppeneffekte darzustellen. Werden von Schülern
8 und Baeriswyl 2007). Eine Reihe von Untersuchungen Kompetenzeinschätzungen mithilfe von Instrumenten ver-
belegt, dass Schüler im unteren Leistungsbereich am langt (Marsh et al. 2008), bei denen der soziale Vergleich
Ende der Primarstufe vom Wechsel in die Hauptschule eine geringere Rolle spielt (weil beispielsweise ein kriterialer
im psychosozialen Bereich profitieren. Da der ungünstige Vergleichsmaßstab verwendet wird), fallen die Referenz-
Leistungsvergleich mit deutlich leistungsstärkeren Schülern gruppeneffekte erwartungsgemäß kleiner aus. Interessanter-
entfällt und die Noten besser ausfallen (Schwarzer et al. weise fand sich in der Arbeit von Marsh et al. (2008) in
1982), erholt sich auch das leistungsbezogene Selbst- Hinblick auf die selbst berichtete Anstrengung im Unter-
konzept. Als Erklärung können wiederum soziale Ver- richt überhaupt kein Bezugsgruppeneffekt.
gleichsprozesse herangezogen werden: In der Hauptschule Es wurde vermutet, dass die Zuweisung leistungs-
steigen die Gelegenheiten für soziale Abwärtsvergleiche starker Schüler zu einer besonderen Schule bzw. Schulform
mit schwächeren Mitschülern. Für leistungsstarke Schüler neben den negativen Effekten auch positive Effekte auf
hat der Übergang auf das Gymnasium hinsichtlich ihrer Selbstkonzepte haben könnte. So könnte das Bewusstsein,
selbst wahrgenommenen Fähigkeiten den entgegen- einer prestigeträchtigen Schulform wie dem Gymnasium
gesetzten Effekt. Gehörten sie in der Grundschule noch zu anzugehören, selbstkonzeptsteigernd wirken. Dieser
den Besten, so erleben sie auf dem Gymnasium, dass viele Mechanismus wurde auch als „basking-in-reflected-glory“
Mitschüler in der Leistung ebenbürtig oder besser sind. (Cialdini und Richardson 1980) bzw. Assimilationseffekt
Auf dem Gymnasium steigen die Gelegenheiten für soziale bezeichnet (Marsh et al. 2000; kritisch Wheeler und Suls
Aufwärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern. 2007). Allerdings ist dieser Prestigeeffekt – so er überhaupt
Zudem fallen die Noten in Klassenarbeiten oder Zeugnissen gefunden wird – in aller Regel deutlich schwächer aus-
im Vergleich zur Grundschule schlechter aus. Die sozialen geprägt als der negative Effekt der ungünstigen sozialen
Vergleiche führen hier eher zu einem Absinken fähigkeits- Vergleiche in leistungsstarken Klassen (Trautwein et al.
bezogener Selbstkonzepte. Dieser Prozess mündet darin, 2006, 2009). Bei vergleichbarer Leistungsstärke wird also
dass das mittlere schulische Selbstkonzept auf den ver- in der Regel derjenige Schüler eine günstigere Selbst-
schiedenen Schulformen im Laufe der Sekundarstufe I stark konzeptentwicklung erleben, der in eine vergleichsweise
konvergiert. leistungsschwache Klasse wechselt, als derjenige, der in eine
Ist der Bezugsgruppeneffekt allein auf das Selbst- leistungsstarke Klasse platziert wird.
konzept begrenzt? Dies ist nicht der Fall. In einer Ana- Heißt das nun, dass man Eltern generell raten sollte, ihre
lyse (Köller et al. 2000) der Daten der Third International Kinder in eine leistungsschwächere Gruppe zu schicken,
Mathematics and Science Study (TIMSS) fand sich ebenso weil sich so ihr Selbstkonzept günstig entwickeln dürfte?
wie in Analysen mit Daten aus der PISA-Studie (Traut- Eine Arbeit von Dicke et al. (2018) scheint tatsächlich genau
wein et al. 2006b) neben den erwarteten Effekten auf das dies zu implizieren. Aber die empirische Datenlage ist nicht
mathematische Selbstkonzept auch ein Bezugsgruppeneffekt eindeutig, denn in Hinblick auf die Leistungsentwicklung
auf das Interesse an Mathematik. Bei gleicher Testleistung finden sich auch empirische Hinweise auf ein gegen-
berichteten Schüler ein höheres Interesse an Mathematik, teiliges Muster (Becker et al. 2006): Hier profitieren in ver-
wenn sie sich in einer vergleichsweise leistungsschwachen schiedenen Konstellationen Schüler vermutlich eher von der
Klasse befanden. Vermutlich wirkte hier teilweise das Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken Gruppe. Für Eltern,
Selbstkonzept als Mediator: Je leistungsschwächer die Schüler und Lehrkräfte ergibt sich aus diesen Befunden ein
Bezugsgruppe war, desto höher das Selbstkonzept des Spannungsfeld: Leistungsstärkere Umgebungen scheinen der
einzelnen Schülers (bei Kontrolle der individuellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen zuträglich, b eeinträchtigen
Selbstkonzept
199 8
aber das Selbstkonzept. Umgekehrt fördern leistungs-
schwächere Umgebungen das Selbstkonzept, wirken aber
weniger leistungsfördernd. Als psychologisch begründete
Empfehlung ergibt sich daraus, dass soziale Vergleichs-
prozesse gerade bei schwachen Schülern nicht in den
Vordergrund gerückt werden sollten. Diese profitieren eher
von temporalen Vergleichen, mit denen Lehrer ihnen ihre
Leistungszuwächse deutlich machen können.
8.4.3 Internal/
External-Frame-of-Reference-Modell
Exkurs
Exkurs
8.4.5 Schulischer Kontext und bei Schülern einher (Lüdtke et al. 2005; Rheinberg 2006).
Selbstkonzeptentwicklung Wenn Lehrer Leistungen ausschließlich im sozialen Ver-
gleich bewerten und sanktionieren und damit sehr stark
Wie sehr werden schulbezogene Selbstkonzepte durch das soziale Bezugsnormen in den Mittelpunkt rücken sowie dabei
Schulsystem, die Schule und den Unterricht beeinflusst? Der die intraindividuellen Leistungszuwächse vernachlässigen,
Big-Fish-Little-Pond-Effekt, der oben vorgestellt wurde, zeigt, leidet das Selbstkonzept insbesondere der schwächeren
dass der schulische Kontext einen starken Einfluss auf die Aus- Schüler. Verwenden Lehrer zusätzlich individuelle Bezugs-
prägung des Selbstkonzepts ausüben kann. Auch Studien zur normen, nach denen die Schülerleistung quasi im Längs-
Passung von Entwicklungsstufe und Lebensumwelt (dem sog. schnitt betrachtet wird, haben auch schwächere Schüler die
„stage-environment fit“) deuten darauf hin, dass das Selbst- Möglichkeit, Anerkennung für ihre Leistungszuwächse zu
konzept von Jugendlichen von der Struktur eines Bildungs- erhalten und günstige Attributionsmuster und höhere Selbst-
systems beeinflusst werden kann. So findet sich – wie bereits konzepte zu entwickeln. Die Rangordnungen der Ausprägung
beschrieben – in der frühen Adoleszenz ein Rückgang in des Selbstkonzepts innerhalb der Klassen scheint dagegen von
den mittleren Ausprägungen vieler bereichsspezifischer einem Wechsel der Lehrkraft nur bedingt beeinflusst zu sein
Selbstkonzepte. Während einige Forschungsgruppen dies (vgl. Rieger et al. 2019).
als Kennzeichen pubertärer Entwicklungen interpretieren, Allerdings sollte man nicht unbedingt erwarten, dass
argumentierten Roeser und Eccles (1998), dass dieser Abfall individuelle Bezugsnormen ausreichen, um für alle Schüler
im Selbstkonzept zumindest teilweise auf den in den meisten einer Klasse überdurchschnittlich positive Selbstkonzepte
Schulen in den USA zu diesem Zeitpunkt stattfindenden hervorzubringen. Die unterschiedlichen Leistungen in jeder
Wechsel auf die Highschool zurückgeführt werden kann. Klasse und die damit verbundenen Effekte sozialer Vergleiche
Dieser Schulwechsel führe zu instabilen Umgebungen und sorgen dafür, dass es viele Schüler gibt, die sich mit „besseren“
bringe mit dem stärker an der Leistung orientierten Unter- Schülern aufwärts vergleichen – mit den bekannten negativen
richtsklima neue Anforderungen an die Jugendlichen mit sich. Effekten auf das Selbstkonzept. Von daher verwundert es nicht,
Haben auch Lehrkräfte einen Einfluss auf die Ausprägung dass es wohl keine Klasse gibt, in der alle Schüler ein über-
der Selbstkonzepte ihrer Schüler? Tatsächlich finden sich durchschnittlich positives Selbstkonzept berichten. Will man
empirisch solche Belege. So haben Studien zum Lern- und untersuchen, wie erfolgreich bestimmte Lehrkräfte dabei sind,
Sozialklima in Klassen sowie zu förderlichem Lehrerver- den Schülern einen festen Glauben in die eigenen Fähigkeiten
halten immer wieder Selbstkonzepteffekte berichtet. Beispiels- zu vermitteln, sollte man deshalb neben dem Selbstkonzept
weise geht eine individuelle Bezugsnormorientierung bei noch weitere Indikatoren wie die Selbstwirksamkeitsüber-
Lehrkräften mit einer günstigen Selbstkonzeptentwicklung zeugungen (7 Exkurs „Selbstwirksamkeit“) einbeziehen.
Selbstkonzept
203 8
Exkurs
Selbstwirksamkeit
Die Selbstwirksamkeit oder auch zukünftigen Situationen. Schulische es nicht um die Wahrscheinlichkeit,
Selbstwirksamkeitserwartung ist die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen eine bestimmte konkrete Aufgabe
subjektive Wahrscheinlichkeit, neue und/ zeigen in aller Regel – zumindest in lösen zu können, sondern etwa um
oder schwierige Situationen aufgrund querschnittlichen Untersuchungen die eigenen Fähigkeiten in einem
eigener Kompetenz bewältigen zu – einen hohen Zusammenhang mit Unterrichtsfach). Im Unterschied zu
können (Bandura 1997). Ein Schüler hat schulischen Leistungsergebnissen fachspezifischen Selbstkonzepten
beispielsweise dann hohe Selbstwirk- (Bandura 1997). ist die Höhe der Selbstwirksamkeits-
samkeitserwartungen, wenn er oder Basis der Selbstwirksamkeits- erwartungen nur wenig durch soziale
sie bezüglich einer anstehenden erwartungen sind Erfahrungen Vergleichsinformation bestimmt. Für
Klassenarbeit relativ sicher ist, den mit dem konkreten Aufgabentyp. die Frage, ob ich eine konkrete Aufgabe
anstehenden Aufgabentyp gut Notwendig zur Herausbildung solcher lösen kann, ist es unerheblich, ob andere
bewältigen und daher eine gute Note Erwartungen sind internal-stabile dies besser oder schlechter können. Die
erzielen zu können. Selbstwirksam- Attributionen auf die eigene Begabung. Selbstwirksamkeit wird häufig erfasst als
keitserwartungen sind damit Urteile Fachspezifische Selbstkonzepte sind Schätzung der prozentualen Erfolgswahr-
über eigene Fähigkeiten in spezifischen meist breiter angelegt (bei ihnen geht scheinlichkeit einer Aufgabenlösung.
Exkurs
Warum fördert ein hohes schulisches Selbstkonzept lernförderlichen Verhaltensweisen und Kurswahlen stehen.
die schulische Kompetenzentwicklung? Welche Mechanis- Systematisch sind diese Konstrukte, das Selbstkonzept, das
men liegen dem Befundmuster zugrunde? Vermutlich Interesse und Wahlentscheidungen im Erwartungs-Wert-
wirkt ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept sowohl beim Modell von Eccles (1983) integriert, das im Folgenden vor-
Kompetenzerwerb als auch in Performanzsituationen gestellt wird.
unterstützend (7 Exkurs „Negative Folgen eines hohen Das Erwartungs-Wert-Modell bietet eine Systematisierung
Selbstkonzepts?“). Die leistungsfördernde Wirkung eines derjenigen Faktoren, von denen angenommen werden
positiv ausgeprägten Selbstkonzepts wurde u. a. in einer kann, dass sie die Selbstkonzeptgenese beeinflussen und
Arbeit von Helmke (1992) dokumentiert, der mithilfe erlaubt eine Vorhersage von leistungsthematischem Ver-
eines längsschnittlichen Designs das Zusammenspiel halten. Das Modell postuliert, dass sich die Leistung in
von Mathematikleistung und mathematischem Selbst- einem Fach kurz-, mittel- und langfristig dann positiv ent-
konzept beobachtete. In dieser Studie sagte ein hohes wickelt, wenn ein Schüler davon ausgeht, erfolgreich sein
mathematisches Selbstkonzept ein erhöhtes Engagement zu können (Erwartungs-Komponente) und er das Fach
der Schüler im Unterricht sowie eine höhere Anstrengungs- interessant, wichtig oder nützlich findet (Wert-Komponente).
bereitschaft bei den Hausaufgaben und Probearbeiten vor- Die Erwartungskomponente wird durch die Wahrscheinlich-
her; diese Variablen wiederum waren positiv mit einer keit repräsentiert, eine Aufgabe lösen oder in einem Schul-
günstigen Leistungsentwicklung in Mathematik assoziiert. fach gute Leistungen erbringen zu können. Damit ist die
Positive Konsequenzen eines hohen Selbstkonzepts Erwartungskomponente sehr eng mit dem Selbstkonzept ver-
in Performanzsituationen dokumentierten in einer bunden. Aus der Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit
experimentellen Studie Eckert et al. (2006). Konfrontiert in einer Domäne wird die Erwartung abgeleitet, zukünftig
mit Intelligenztestaufgaben, für die es keine korrekten gute Leistungen erbringen zu können. Als Wertkomponente
Lösungen gab und die somit subjektiv zu einem Versagens- ist definiert, welche Bedeutung die Aufgabe oder Tätigkeit
erlebnis führten, waren es vor allem Versuchspersonen mit für jemanden hat, welchen Nutzen er ihr zuschreibt und wie
niedrigem Selbstkonzept, deren anschließende Leistung bei interessant er sie findet; zudem mindern wahrgenommene
anderen Aufgaben unter dem Misserfolgserlebnis litt. Kosten wie die eigene Anstrengung, die mit der Aktivität ver-
bunden sind, den Wert einer Tätigkeit. Eine Kombination von
Erwartungs- und Wertkomponente bestimmt die Leistungs-
8.5.2 Selbstkonzept, Interesse motivation, die Anstrengung und Ausdauer einer Person
und leistungsthematische sowie ihr leistungsbezogenes Wahlverhalten (z. B. Kurs-
Wahlentscheidungen wahlen).
Das Fähigkeitsselbstkonzept steht im Mittelpunkt
Zu den pädagogisch relevanten positiven Effekten des Selbst- des erweiterten Erwartungs-Wert-Modells nach Eccles
konzepts gehört auch die Förderung von fachbezogenen (1983; Wigfield und Eccles 1992), wie es in einer Variante
Interessen, die wiederum in engem Zusammenhang mit in . Abb. 8.6 dargestellt wird. Es ist eine Art Mittler oder
Selbstkonzept
205 8
7 Mediator zwischen den Leistungserfahrungen einer useinandersetzung mit dieser Domäne und erhöht die
A
Person und der Lernmotivation und dem Lernverhalten. Ausdauer, die Anstrengung und die Lernzeit. Wigfield und
In dem Modell wird das Selbstkonzept von zentralen Eccles (1992) zeigen, dass eine erhöhte Lernmotivation
Umgebungsfaktoren beeinflusst. Dazu zählen zunächst ein- auch die Art und Weise des Umgangs mit Lernmaterialien
mal das kulturelle Milieu, in dem ein Kind aufwächst, sowie prägt: Während gering Motivierte eher oberflächliche
die familiäre und schulische Umwelt (7 Kap. 10). Welche Lernstrategien einsetzen, wie Auswendiglernen, zeigen
Bedeutung eine Familie der schulischen Bildung ihres motivierte Personen tiefer gehende Lernstrategien, wie
Kindes zuschreibt und welchen Bildungsstand die Eltern für Elaborations- und Transformationsstrategien.
ihr Kind anstreben, sollte danach wesentlich die schulische Insgesamt entsteht also folgendes Bild der Mittler-
Entwicklung mitbestimmen. Auch ganz konkretes rolle des fachbezogenen Selbstkonzepts: Wenn ein unter-
Erziehungsverhalten der Eltern ist wichtig: So lässt sich bei- stützendes familiäres und schulisches Klima vorhanden ist
spielsweise zeigen, dass die Lesekompetenz von Schülern und vor allem positive Lernerfahrungen vorliegen, führen
von familiären und individuellen Bedingungen abhängt positive Leistungsrückmeldungen zu einem hohen Selbst-
und dass dabei der familiäre Einfluss zu einem Großteil auf konzept. Mit einem hohen Selbstkonzept sind die Voraus-
sprachliche Interaktionen von Eltern und Kindern zurück- setzungen günstig, dass ein Schüler in dieser Domäne auch
geht. Der soziale Hintergrund wirkt vor allem über die eine hohe Lernmotivation zeigt. Auch die motivationalen
sprachliche Interaktion von Eltern und Kindern auf das Voraussetzungen sprechen dann für ein zukünftig hohes
Leseselbstkonzept, die Lesemotivation und schließlich die Engagement und entsprechende Lernergebnisse.
Lesekompetenz der Schüler (Retelsdorf und Möller 2008). Generell scheint zu gelten, dass sich fachbezogene Selbst-
Ein niedriges fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept wirkt konzepte und Interessen gegenseitig positiv beeinflussen,
sich ungünstig auf das Lernverhalten und das Lernresultat auch wenn es je nach untersuchter Altersstufe und unter-
aus: Wer sich in einer Domäne eine geringe Begabung suchter Domäne gewisse Unterschiede in der Stärke der
zuschreibt, wird in der Regel wenig motiviert sein, sich mit jeweiligen Effekte geben mag. Die wechselseitige positive
diesem Fachgebiet auseinanderzusetzen. Beeinflussung sowie der oben gezeigte Zusammenhang mit
So beeinflusst das fachbezogene Selbstkonzept die der Schulleistung führen dazu, dass der Zusammenhang
Wertkomponente deutlich. Schüler, die in einer Domäne von Selbstkonzept, Interessen und Schulleistung gerade in
überdurchschnittliche Leistungen zeigen und daher ein höheren Klassenstufen sehr eng ausfallen kann.
hohes bereichsspezifisches Selbstkonzept entwickeln, Sowohl Selbstkonzepte als auch Interessen haben
erleben die Auseinandersetzung mit Aufgaben aus diesem sich als besonders gute Prädiktoren von individuellen
Bereich emotional positiver und finden diesen Bereich akademischen Schwerpunktsetzungen herausgestellt. Ein-
wichtiger als Schüler, die weniger gute Leistungen bringen. flüsse des Selbstkonzepts sowie von Interessen konnten
Der Wert, den eine Domäne für jemanden hat, hängt, so beispielsweise sowohl für Kurswahlen in amerikanischen
betrachtet, zumindest teilweise vom Selbstkonzept ab. Highschools (Marsh und Yeung 1997) als auch in der
Auf der anderen Seite motiviert der Wert die Person zur gymnasialen Oberstufe (Nagy et al. 2008) gezeigt werden.
206 J. Möller und U. Trautwein
Kessels, U., & Hannover, B. (2004). Empfundene „Selbstnähe“ als achievements in multiple domains. Learning and Instruction, 35,
Mediator zwischen Fähigkeitsselbstkonzept und Leistungskurs- 16–32.
wahlintentionen. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Marsh, H. W., & Richards, G. E. (1988). The outward bound bridging
Pädagogische Psychologie, 36, 130–138. course for low-achieving males: Effects on academic achievement
Köller, O. (2004). Konsequenzen von Leistungsgruppierungen. Münster: and multidimensional self-concepts. Australian Journal of
Waxmann. Psychology, 40, 281–298.
Köller, O., Daniels, Z., Schnabel, K. U., & Baumert, J. (2000). Kurswahlen Marsh, H. W., Trautwein, U., Lüdtke, O., Baumert, J., & Köller, O.
von Mädchen und Jungen im Fach Mathematik: Zur Rolle von (2007). Big fish little pond effect: Persistent negative effects of
fachspezifischem Selbstkonzept und Interesse. Zeitschrift für selective high schools on self-concept after graduation. American
Pädagogische Psychologie, 14, 26–37. Educational Research Journal, 44, 631–669.
Köller, O., Klemmert, H., Möller, J., & Baumert, J. (1999). Leistungsbe- Marsh, H. W., Trautwein, U., Lüdtke, O., & Köller, O. (2008). Social
urteilungen und Fähigkeitsselbstkonzepte: Eine längsschnittliche comparison and big-fish-little-pond effects on self-concept and
Überprüfung des Internal/External Frame of Reference Modells. efficacy perceptions: Role of generalized and specific others.
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 13, 128–134. Journal of Educational Psychology, 100, 510–524.
Lüdtke, O., Köller, O., Marsh, H. W., & Trautwein, U. (2005). Teacher Marsh, H. W., & Yeung, A. (1997). Coursework selection: Relations to
frame of reference and the big-fish-little-pond effect. academic self-concept and achievement. American Educational
Contemporary Educational Psychology, 30, 263–285. Research Journal, 34(4), 691–720.
Markus, H. (1977). Self-schemata and processing information about the Mead, G. H. (1934). Mind, self, and society from the standpoint of a social
self. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 63–78. behaviorist. Chicago: University of Chicago Press.
Markus, H., & Kunda, Z. (1986). Stability and malleability of the self- Mischel, W., & Morf, C. C. (2003). The self as a psycho-social dynamic
concept. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 858–866. processing system: A meta-perspective on a century of the self in
8 Marsh, H. W. (1986). Global self-esteem: Its relation to specific facets psychology. In M. R. Leary & J. P. Tangney (Hrsg.), Handbook of self
of self-concept and their importance. Journal of Personality and and identity (S. 15–43). New York: Guilford.
Social Psychology, 51, 1224–1236. Möller, J. (2008). Lernmotivation. In A. Renkl (Hrsg.), Lehrbuch
Marsh, H. W. (1987). The big fish little pond effect on academic self- Pädagogische Psychologie (S. 263–298). Bern: Huber.
concept. Journal of Educational Psychology, 79, 280–295. Möller, J., Helm, F., Müller-Kalthoff, H., Nagy, N., & Marsh, H. W. (2016).
Marsh, H. W. (1989). Age and sex effects in multiple dimensions of The generalized internal/external frame of reference model: An
self-concept: Preadolescence to early adulthood. Journal of extension to dimensional comparison theory. Frontline Learning
Educational Psychology, 81, 417–430. Research, 4, 1–11.
Marsh, H. W. (1990a). The structure of academic self-concept: The Möller, J., & Köller, O. (1998). Dimensionale und soziale Vergleiche nach
Marsh/Shavelson model. Journal of Educational Psychology, 82, schulischen Leistungen. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie
623–636. und Pädagogische Psychologie, 30, 118–127.
Marsh, H. W. (1990b). A multidimensional, hierarchical model of self- Möller, J., & Köller, O. (2004). Die Genese akademischer Selbstkonzepte:
concept: Theoretical and empirical justification. Educational Effekte dimensionaler und sozialer Vergleiche. Psychologische
Psychology Review, 2, 77–172. Rundschau, 55, 19–27.
Marsh, H. W. (1991). The failure of high-ability high schools to deliver Möller, J., & Marsh, H. W. (2013). Dimensional comparison theory.
academic benefits: The importance of academic self-concept and Psychological Review, 120, 544–560.
educational aspirations. American Educational Research Journal, Möller, J., Pohlmann, B., Köller, O., & Marsh, H. W. (2009a). A meta-
28, 445–480. analytic path analysis of the internal/external frame of reference
Marsh, H. W., Abduljabbar, A. S., Parker, P. D., Morin, A. J., Abdelfattah, model of academic achievement and academic self-concept.
F., Nagengast, B., & Abu-Hilal, M. M. (2015a). The internal/external Review of Educational Research, 79, 1129–1167.
frame of reference model of self-concept and achievement Möller, J., Retelsdorf, J., Köller, O., & Marsh, H. W. (2011). The reciprocal
relations: Age-cohort and cross-cultural differences. American I/E model: An integration of models of relations between
Educational Research Journal, 52(1), 168–202. academic achievement and self-concept. American Educational
Marsh, H. W., Byrne, B. M., & Shavelson, R. J. (1988). A multifaceted Research Journal, 48, 1315–1346.
academic self-concept: Its hierarchical structure and its relation Möller, J., Streblow, L., & Pohlmann, B. (2009b). Achievement and self-
to academic achievement. Journal of Educational Psychology, 80, concept of students with learning disabilities. Social Psychology of
366–380. Education, 12, 113–122.
Marsh, H. W., & Craven, R. (1997). Academic self-concept: Beyond the Möller, J., Zitzmann, S., Machts, N., Helm, F., & Wolff, F. (2020). A Meta-
dustbowl. In G. D. Phye (Hrsg.), Handbook of classroom assessment Analysis of Relations between Achievement and Self-Perception.
(S. 137–198). San Diego: Academic. Review of Eductional Research.
Marsh, H. W., & Craven, R. G. (2006). Reciprocal effects of self-concept Mortimer, J. T., Finch, M. D., & Kumka, D. (1982). Persistence and
and performance from a multidimensional perspective: Beyond change in development: The multidimensional self-concept. In P.
seductive pleasure and unidimensional perspectives. Perspectives B. Baltes & O. G. Brim (Hrsg.), Life-span development and behavior
on Psychological Science, 1, 133–162. (Bd. 4, S. 263–313). New York: Academic Press.
Marsh, H. W., Craven, R., & Debus, R. (1998). Structure, stability, and Moschner, B. (2001). Selbstkonzept. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörter-
development of young children’s self-concepts: A multicohort- buch Pädagogische Psychologie (S. 629–634). Weinheim: Beltz.
multioccasion study. Child Development, 69, 1030–1053. Müller-Kalthoff, H., Helm, F., & Möller, J. (2017a). The big three of
Marsh, H. W., & Hattie, J. (1996). Theoretical perspectives on the comparative judgment: On the effects of social, temporal, and
structure of self-concept. In B. A. Bracken (Hrsg.), Handbook of self- dimensional comparisons on academic self-concept. Social
concept (S. 38–90). New York: Wiley. Psychology of Education, 20, 849–873.
Marsh, H. W., Kong, C.-K., & Hau, K.-T. (2000). Longitudinal multilevel Müller-Kalthoff, H., Jansen, M., Schiefer, I. M., Helm, F., Nagy, N., &
models of the big fish little pond effect on academic self-concept: Möller, J. (2017b). A double-edged sword? On the benefit, detri-
Counterbalancing contrast and reflected-glory effects in Hong Kong ment, and net effect of dimensional comparison on self-concept.
schools. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 337–349. Journal of Educational Psychology, 109, 1029–1047.
Marsh, H. W., Lüdtke, O., Nagengast, B., Trautwein, U., Abduljabbar, Nagy, G., Garrett, J., Trautwein, U., Cortina, K. S., Baumert, J., & Eccles, J.
A. S., Abdelfattah, F., & Jansen, M. (2015b). Dimensional (2008). Gendered high school course selection as a precursor of
comparison theory: Paradoxical relations between self-beliefs and gendered careers: The mediating role of self-concept and intrinsic
Selbstkonzept
209 8
value. In H. Watt & J. Eccles (Hrsg.), Gender and occupational Shavelson, R. J., Hubner, J. J., & Stanton, G. C. (1976). Self-concept:
outcomes: Longitudinal assessment of individual, social, and Validation of construct interpretations. Review of Educational
cultural influences (S. 115–143). Washington: American Psycho- Research, 46, 407–441.
logical Association. Shrauger, J. S., & Schoeneman, T. J. (1979). Symbolic interactionist view
O’Mara, A. J., Marsh, H. W., Craven, R. G., & Debus, R. (2006). Do self- of self-concept: Through the looking glass darkly. Psychological
concept interventions make a difference? A synergetic blend of Bulletin, 86, 549–573.
construct validation and meta-analysis. Educational Psychologist, Sparfeldt, J., Schilling, S. R., Rost, D. H., & Müller, C. (2003). Bezugsnorm-
41, 181–206. orientierte Selbstkonzepte? Zur Eignung der SESSKO. Zeitschrift
Piaget, J. (1960). The psychology of intelligence. Patterson: Littlefield, für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 24, 325–335.
Adams. Steele, C. M., & Aronson, J. (1995). Stereotype threat and the
Pohlmann, B., & Möller, J. (2009). On the benefit of dimensional intellectual test performance of African-Americans. Journal of
comparisons. Journal of Educational Psychology, 101, 248–258. Personality and Social Psychology, 69, 797–811.
Pohlmann, B., Möller, J., & Streblow, L. (2004). Zur Fremdeinschätzung Trautwein, U., & Baeriswyl, F. (2007). Wenn leistungsstarke Klassen-
von Schülerselbstkonzepten durch Lehrer und Mitschüler. Zeit- kameraden ein Nachteil sind: Referenzgruppeneffekte bei Über-
schrift für Pädagogische Psychologie, 18, 157–169. gangsentscheidungen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie,
Retelsdorf, J., & Möller, J. (2008). Familiäre Bedingungen und 21, 119–133.
individuelle Voraussetzungen der Lesekompetenz von Trautwein, U., Gerlach, E., & Lüdtke, O. (2008). Athletic classmates,
Schülerinnen und Schülern. Psychologie in Erziehung und Unter- physical self-concept, and free-time physical activity: A
richt, 55, 227–237. longitudinal study of frame of reference effects. Journal of
Rheinberg, F. (2006). Motivation (6. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Educational Psychology, 100, 988–1001.
Rheinberg, F., & Krug, S. (2004). Motivationsförderung im Schulalltag. Trautwein, U., Lüdtke, O., Köller, O., & Baumert, J. (2006a). Self-esteem,
Göttingen: Hogrefe. academic self-concept, and achievement: How the learning
Rieger, S., Göllner, R., Spengler, M., Trautwein, U., Nagengast, B., environment moderates the dynamics of self-concept. Journal of
Harring, J. R., & Roberts, B. (2019). The effects of getting a new Personality and Social Psychology, 90, 334–349.
teacher on the consistency of personality. Journal of Personality, Trautwein, U., Lüdtke, O., Marsh, H. W., Köller, O., & Baumert, J.
87, 485–500. (2006b). Tracking, grading, and student motivation: Using group
Roeser, R. W., & Eccles, J. S. (1998). Adolescents’ perceptions of middle composition and status to predict self-concept and interest in
school: Relation to longitudinal changes in academic and psycho- ninth grade mathematics. Journal of Educational Psychology, 98,
logical adjustment. Journal of Research on Adolescence, 8, 123–158. 788–806.
Rosenberg, M. (1965). Society and the adolescent self-image. Princeton: Trautwein, U., Lüdtke, O., Marsh, H. W., & Nagy, G. (2009). Within-
Princeton University Press. school social comparison: How students’ perceived standing of
Rosenberg, M. (1986). Self-concept from middle childhood through their class predicts academic self-concept. Journal of Educational
adolescence. In J. Suls & A. G. Greenwald (Hrsg.), Psychological Psychology, 101, 853–866.
perspectives on the self (Bd. 3, S. 107–136). Hillsdale: Erlbaum. Valentine, J. C., DuBois, D. L., & Cooper, H. (2004). The relations
Rost, D. H., & Sparfeldt, J. R. (2002). Facetten des schulischen Selbst- between self-beliefs and academic achievement: A systematic
konzepts. Ein Verfahren zur Messung des differentiellen Selbst- review. Educational Psychologist, 39, 111–133.
konzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten (DISK-Gitter). Watt, H. M. G., & Eccles, J. S. (Hrsg.). (2008). Gender and occupational
Diagnostica, 48, 130–140. outcomes: Longitudinal assessments of individual, social, and
Ruble, D. N., & Frey, K. S. (1987). Social comparison and self-evaluation cultural influences. Washington, DC: APA books.
in the classroom: Developmental changes in knowledge and Wheeler, L., & Suls, J. (2007). Assimilation in social comparison: Can we
function. In J. C. Masters & W. P. Smith (Hrsg.), Social comparison, agree on what it is? Revue Internationale de Psychologie Sociale, 20,
social justice, and relative deprivation: Theoretical, empirical, and 31–51.
policy perspectives (S. 81–103). Hillsdale: Erlbaum. Wigfield, A., Eccles, J. S., Yoon, K. S., Harold, R. D., Arbreton, A.,
Scherrer, V., & Preckel, F. (2018). Development of motivational variables Freedman-Doan, K., & Blumenfeld, P. C. (1997). Changes in
and self-esteem during the school career: A meta-analysis of childrens’ competence beliefs and subjective task values across
longitudinal studies. Review of Educational Research, 89, 211–258. the elementary school years: A three-year study. Journal of
Schöne, C., Dickhäuser, O., Spinath, B., & Stiensmeier-Pelster, J. (2002). Educational Psychology, 89, 451–469.
Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts. Manual. Wigfield, A., & Eccles, J. S. (1992). The development of achievement task
Göttingen: Hogrefe. values: A theoretical analysis. Developmental Review, 12, 265–310.
Schurtz, I. M., Pfost, M., Nagengast, B., & Artelt, C. (2014). Impact of Wolff, F., Helm, F., Zimmermann, F., Nagy, G. & Möller, J. (2018). On
social and dimensional comparisons on student’s mathematical the effects of social, temporal, and dimensional comparisons on
and English subject-interest at the beginning of secondary academic self-concept. Journal of Educational Psychology, 110,
school. Learning and Instruction, 34, 32–41. 1005–1025.
Schwanzer, A., Trautwein, U., Lüdtke, O., & Sydow, H. (2005). Ent- Wolff, F., Nagy, G., Retelsdorf, J., Helm, F., Köller, O., & Möller, J. (2019).
wicklung eines Instruments zur Erfassung des Selbstkonzepts The 2I/E model: Integrating temporal comparisons into the
junger Erwachsener. Diagnostica, 51, 183–194. internal/external frame of reference model. Journal of Educational
Schwarzer, R., Lange, B., & Jerusalem, M. (1982). Selbstkonzeptent- Psychology, 111, 1131–1161.
wicklung nach einem Bezugsgruppenwechsel. Zeitschrift für Ent- Wylie, R. C. (1979). The self concept: Theory and research on selected
wicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 14, 125–140. topics (Bd. 2). Lincoln: University of Nebraska Press.
211 9
Emotionen
Anne C. Frenzel, Thomas Götz und Reinhard Pekrun
Literatur – 232
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Emotionen im Lern- und spürt man, sie sind keine reinen Gedankeninhalte. Jede
Leistungskontext. Fragen Sie sich doch einmal selbst – wie Emotion ist durch ein für sie typisches psychisches Erleben
fühlen Sie sich, während Sie die Inhalte dieses Lehrbuchs gekennzeichnet. Dies wird auch als der „affektive Kern“
durcharbeiten? Macht Ihnen diese Aufgabe Spaß? Lang- einer Emotion bezeichnet. Affektives Erleben ist notwendig
weilt es Sie? Ärgern Sie sich dabei? Und der Gedanke daran, und hinreichend für eine Emotion. Die meisten Emotionen
dass Ihre Lernergebnisse überprüft werden: Jagt er Ihnen lassen sich recht eindeutig entlang der Dimension Valenz
einen Schauer über den Rücken oder erfüllt es Sie mit Stolz, in „positiv“ vs. „negativ“ einordnen. Emotionen haben
Ihre Erkenntnisse und Lösungen präsentieren zu dürfen? einen stark wertenden Charakter, sie sind Signalgeber dafür,
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen wie angenehm oder unangenehm eine aktuelle Situation
findet in allen Subdisziplinen der Psychologie statt, viel in empfunden wird.
der Allgemeinen Psychologie und Klinischen Psychologie,
aber auch in der Neuro-, Entwicklungs-, Persönlichkeits- und
» Emotion would not be emotion without some evaluation
at its heart. (Parkinson 1997, S. 62)
Pädagogischen Psychologie. Innerhalb der Pädagogischen
Psychologie sind Emotionen einen relativ „junger“ Neben diesem affektiven Kern werden in vielen Definitionen
Forschungsbereich. Abgesehen von der traditionellen vier weitere zentrale Komponenten von Emotionen genannt
Prüfungsangstforschung (überblicksartig in Schnabel (. Abb. 9.2 und 7 Exkurs „Prüfungsangst – Facetten“):
1998; Zeidner 2014) wurde der Relevanz von Emotionen im 5 Die physiologische Komponente: Je nach emotionalem
Kontext von Lernen und Leistung in den letzten 20 Jahren Zustand ändern sich z. B. Herzrate, Hautleitfähig-
durch intensive Forschungstätigkeit Rechnung getragen. In keit oder Muskeltonus – kurz gesagt, die allgemeine
diesem Kapitel werden vorwiegend Arbeiten zu Emotionen Anspannung oder der Erregungszustand. Auch im
9 im Leistungskontext vorgestellt und Aspekte aus den zentralen Nervensystem finden Emotionen ihre Ent-
Nachbardisziplinen dann aufgegriffen, wenn sie für den sprechung, sowohl kortikale als auch subkortikale
pädagogischen Kontext relevant sind (. Abb. 9.1). Areale (u. a. der präfrontale Kortex und die Amygdala)
zeigen beim Erleben von Emotionen spezifische
Aktivierungsmuster.
5 Die kognitive Komponente: Emotionales Erleben geht
meist mit emotionstypischen Gedankeninhalten ein-
her; bei Angst sind dies beispielsweise Gedanken an
die Konsequenzen eines möglichen Scheiterns („Was
werden wohl meine Eltern sagen, wenn ich wieder mit
einer schlechten Note nach Hause komme?“).
5 Die expressive Komponente: Verschiedene Emotionen
gehen mit für sie typischem verbalem und nonverbalem
Ausdrucksverhalten einher. Dies macht Emotionen für
Interaktionspartner erkennbar.
5 Die motivationale Komponente: Emotionen lösen
entsprechendes Verhalten aus. Aus evolutionspsycho-
logischer Perspektive wird argumentiert, dass Organis-
men überhaupt erst deshalb Emotionen entwickelt
. Abb. 9.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) haben, weil diese dafür sorgen, adaptives (d. h. über-
lebensförderliches) Verhalten zu zeigen, z. B. aus Angst
zu flüchten oder in guter Stimmung die Umwelt zu
9.1 Begriffsbestimmung explorieren.
9.1.1 Emotionen – Mehrdimensionale
Konstrukte Definition
Emotionen sind mehrdimensionale Konstrukte, die aus
7 Emotionen sind innere, psychische Prozesse. affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und
Charakteristisch ist vor allem ihr „gefühlter“ Kern: Emotionen motivationalen Komponenten bestehen (. Abb. 9.2).
Emotionen
213 9
Exkurs
Prüfungsangst – Facetten
Das affektive Erleben bei 7 Prüfungsangst von Liebert und Morris 1967). Prüfungs- oder Vermeidungstendenzen bezüglich
ängstliche Personen plagen zudem Lern- und Prüfungssituationen einher. Die
ist durch Aufgeregtheit, Nervosität und
permanente Sorgen um eigene Schwierigkeit liegt hier darin, dass es in
Unsicherheitsgefühle gekennzeichnet.
Fähigkeitsmängel – so kreisen ihre unserer modernen Gesellschaft keineswegs
Körperlich macht sich Prüfungsangst
Gedanken schon während des Lernens „adaptiv“ (also Erfolg bringend) ist, in
durch erhöhte Erregung mit Symptomen
und auch in der Prüfung um Versagen und solchen Situationen Vermeidungs- und
wie Zittern, Schweißausbrüchen oder
um die Konsequenzen eines möglichen Fluchtverhalten an den Tag zu legen. Im
Übelkeit bemerkbar. Diese affektiven
Misserfolgs. Dieser kognitive Aspekt Gegenteil, nicht zu lernen mindert die
und physiologischen Komponenten
der Prüfungsangst wird auch mit dem Erfolgsaussichten, und an einer Prüfung
werden in der Literatur häufig zusammen
Begriff „Worry-Komponente“ bezeichnet. nicht teilzunehmen impliziert in der Regel,
als „Emotionality-Komponente“ der
Schließlich geht Prüfungsangst mit Flucht- sie nicht zu bestehen.
Prüfungsangst bezeichnet (erstmalig
Exkurs
Direkte Befragungsmethoden zur Emotionserfassung sind dem subjektiven Erlebensbericht von Probanden basiert, ist
jedoch dafür kritisiert worden, dass sie sprachbasiert sind das „Self-Assessment Manikin“ von Lang (1980). Hier wird
und Selbsteinschätzungen, d. h. subjektive Rekonstruktionen die emotionale Befindlichkeit anhand von drei Dimensionen
der eigenen Befindlichkeit, darstellen und somit anfällig für (Valenz, Arousal und Dominanz) erfasst, die jeweils durch
bewusste oder unbewusste Verzerrungen sind (7 Exkurs drei grafische Figuren veranschaulicht werden. Man spricht
„Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI“). Eine häufig ein- in diesem Zusammenhang auch von einem affektiven
gesetzte Form der sprachfreien Erfassung, die trotzdem auf Ratingsystem.
Exkurs
9.3.1 Definition und Taxonomisierung Vor allem bei retrospektiven Emotionen erscheint zudem
eine weitere Klassifikation hinsichtlich des persönlichen
Unter Leistungsemotionen („achievement emotions“) Bezugs sinnvoll, um zu unterscheiden, ob sie selbst- oder
werden diejenigen Emotionen verstanden, die in Bezug auf fremdbezogen sind. Stolz ist eine typische selbstbezogene
leistungsbezogene Aktivitäten und die Leistungsergebnisse Emotion, die man erlebt, wenn man auf eine eigene
dieser Aktivitäten erlebt werden (Pekrun 2006). Zwischen- Errungenschaft zurückblickt. Dankbarkeit ist ein Beispiel
menschliche Gefühle wie Sympathie oder Abneigung sind einer fremdbezogenen Emotion, die auftritt, wenn man
somit eher nicht dieser Gruppe von Emotionen zuzuordnen. einen Erfolg jemand anderem zu verdanken hat.
Definition
Leistungssituationen seien als Situationen definiert, 9.3.2 Fachspezifität von
in denen man das eigene Handeln und die eigene Leistungsemotionen
Tüchtigkeit im Hinblick auf einen Gütemaßstab bewertet
(Rheinberg 2004). Kann man vom emotionalen Erleben eines Schülers
in einem bestimmten Fach (z. B. Mathematik) auf das
emotionale Erleben in einem anderen Fach (z. B. Deutsch) durch negatives emotionales Erleben geprägt sind, zeigte sich
schließen? Studien zur Fachspezifität von Emotionen als Ergebnis, dass positive und negative Emotionen in etwa
zeigen deutlich, dass dies nur sehr begrenzt möglich ist gleich häufig genannt wurden. Insbesondere Freude und
(Götz et al. 2007). Die Zusammenhänge zwischen dem Erleichterung wurden etwa ebenso häufig genannt wie Angst.
emotionalen Erleben in unterschiedlichen Fächern sind Aufgrund der kleinen und spezifischen Stichprobe ist die
insgesamt gering und am deutlichsten für inhaltlich „ver- Generalisierbarkeit dieser Befunde eingeschränkt. Interviews
wandte“ Fächer wie Mathematik und Physik oder Deutsch mit Studierenden ergaben jedoch vergleichbare Ergebnisse
und Englisch. Für ältere Schüler sind die Zusammen- (Pekrun 1998).
hänge insgesamt noch schwächer als für jüngere, d. h. das In der neueren Forschung wurden dementsprechend
Ausmaß an Fachspezifität emotionalen Erlebens scheint auch Emotionen jenseits der Angst in den Blick der
im Laufe der Schulzeit größer zu werden (Götz et al. pädagogisch-psychologischen Forschung genommen. Man
2007). Die empirischen Ergebnisse zeigen somit deutlich: ist sich heute einig, dass Emotionen eine zentrale Rolle
Es gibt weniger den allgemein prüfungsängstlichen, lern- für die Erklärung von Schülerreaktionen auf schulische
freudigen oder gelangweilten Schüler; Schüler erleben Herausforderungen spielen. Zudem werden Emotionen
vielmehr unterschiedlich stark ausgeprägte Emotionen in als relevant für die Auslösung, Aufrechterhaltung oder
den diversen Fächern. Ähnliche Befunde gibt es auch in Reduzierung von Anstrengung in Lern- und Leistungs-
der Forschung zu Motivation, Selbstkonzept sowie Selbst- situationen und damit als zentrale Prädiktoren von Lern-
regulation (7 Kap. 3, 7 und 8). Daraus ist zu schließen, dass leistungen angesehen (Pekrun und Linnenbrink 2014).
es für Lehrkräfte wichtig ist, das emotionale Erleben einzel- Emotionen sind jedoch nicht nur im Kontext der
ner Schüler fachspezifisch zu beurteilen und entsprechend unmittelbaren Vorhersage schulischen oder universitären
9 spezifisch zu intervenieren und zu fördern. Lern- und Leistungsverhaltens von Bedeutung. Angesichts
der rasanten Veränderungen unserer modernen Welt ist
lebenslanges Lernen unumgänglich geworden. Immer wieder
9.3.3 Auftretenswahrscheinlichkeit wird man mit neuen, unbekannten Aufgaben konfrontiert
von Leistungsemotionen und und einmal erworbene Kompetenzen sind weniger als früher
ihre Bedeutung für Leistung und ein Garant für Lebenserfolg. Die Gefühle, die man mit Lernen
Wohlbefinden und Leistung verbindet, und die mit ihnen verknüpfte Bereit-
schaft, sich wiederholt in Lernsituationen zu begeben, dürften
Im Zentrum des Forschungsinteresses und der Theorie- daher über die gesamte Lebensspanne von Bedeutung sein.
bildung zu Emotionen im Lern- und Leistungskontext stand Neben der Vermittlung von Wissen und Kompetenz sollte
traditionell die Prüfungsangst. Zu Ursachen, Wirkungen und es deshalb ein ebenso wichtiges Ziel von Unterricht sein,
möglichen Interventionsstrategien bezüglich Prüfungsangst eine positive emotionale Einstellung gegenüber Lernen und
liegen umfangreiche Erkenntnisse vor. Andere Emotionen Leistung zu erzeugen.
wie Stolz und Scham, Ärger oder Langeweile haben dagegen Schließlich sind Emotionen, wie oben bereits erwähnt,
bisher vergleichsweise wenig Forschungsaufmerksamkeit auch wichtige Bestandteile des allgemeinen Wohlbefindens
gefunden (7 Exkurs „Langeweile – Eine allbekannte, jedoch und der psychischen Gesundheit. Unabhängig von ihren
wenig untersuchte Emotion“). Angst ist jedoch nicht die ein- Wirkungen auf Leistung verdienen sie damit Aufmerksam-
zige Emotion, die im Lern- und Leistungskontext auftritt keit in pädagogisch-psychologischen Kontexten (Hascher
und von Bedeutung ist. Pekrun (1998) hat in einer Inter- 2004). Ist das emotionale Erleben eines Schülers von Angst,
viewstudie mit Schülern der Oberstufe (56 Gymnasiasten Ärger und Langeweile geprägt, ist davon auszugehen, dass
der Klassen 11, 12 und 13) das emotionale Erleben im Lern- sein allgemeines Wohlbefinden gering ist. Gelingt es hin-
und Leistungskontext exploriert. In diesen Interviews wurde gegen Eltern und Schulen, bei Schülern die Freude am
nach dem Emotionserleben in Bezug auf vier verschiedene Lernen in den Mittelpunkt zu rücken, ist ihr gesamtes
Situationstypen gefragt (Schulunterricht, häusliches Lernen Wohlbefinden positiver ausgeprägt. Ohne dabei in „Spaß-“
bzw. Hausaufgaben, mündliche und schriftliche Prüfungen oder „Kuschelpädagogik“ zu verfallen, gebietet eine ernst-
sowie Situationen der Leistungsrückmeldung bzw. Rück- hafte Auseinandersetzung mit Emotionen im Lern- und
gaben von Prüfungsergebnissen). Entgegen der intuitiven Leistungskontext, dass ein Augenmerk auf solche Aspekte
Annahme, dass Lern- und Leistungssituationen vorwiegend des Wohlbefindens von Schülern gelegt wird.
Emotionen
219 9
Exkurs
9.3.4 Versuch einer Abgrenzung von statt – d. h. die Tatsache, ob man viele oder wenige Fehler
Emotionen und Kognitionen im Lern- im Diktat macht, bekommt dann eine emotionale Färbung,
und Leistungskontext wenn die Zahl der Fehler von Bedeutung ist. Da in unserer
leistungsorientierten Gesellschaft Kompetenzen eine
Was ist das Spezifikum von Emotionen, gerade auch in zentrale Rolle spielen, sind Fähigkeitseinschätzungen mehr-
Abgrenzung zu Konstrukten wie Fähigkeitsselbstkonzepten heitlich emotional gefärbt (7 Exkurs „Selbstwerttheorie –
oder Erwartungen? Bei diesen kognitiven Konstrukten Weitreichende ‚gefühlte‘ Folgen von Misserfolg“). Es ist uns
handelt es sich um psychische Repräsentationen, die selbst- nicht gleichgültig, wie viele Rechtschreibfehler wir machen,
oder aufgabenbezogene Überzeugungen beinhalten. Diese wenn uns jemand etwas diktiert, oder wie gut wir eine
müssen keine Bewertung beinhalten (z. B. „In Diktaten Mathematikaufgabe beherrschen. Beantwortet man bei-
mache ich in der Regel wenige Fehler“ im Sinne eines spielsweise das Item „Diese Mathe-Aufgabe kann ich wahr-
Selbstkonzepts, „Diese Mathe-Aufgabe kann ich wahr- scheinlich lösen“ mit „Stimmt eher nicht“, so impliziert
scheinlich lösen“ im Sinne einer Erfolgserwartung). dies häufig schon eine negative emotionale Selbstbewertung
Sind Emotionen im Spiel, findet eine affektive Wertung (vgl. auch 7 Kap. 8).
220 A. C. Frenzel et al.
Exkurs
Kognitionen und Emotionen sind im Leistungskontext eigene Kompetenzeinschätzung dazu führen, dass erhöhte
also eng assoziiert und auch theoretisch gibt es zwischen Anstrengung investiert wird. In der Studie stellte sich jedoch
beiden Überlappungen. Dabei gilt es zu beachten, dass heraus, dass das Gegenteil der Fall ist: Je höher die selbstein-
Verhaltensvorhersagen rein aufgrund „kühler“ kognitiver geschätzte Kompetenz, desto mehr Anstrengung investierten
Variablen manchmal misslingen und es hilfreich sein die Schüler; je geringer sie ihre Kompetenz für die gestellten
kann, Emotionen zu berücksichtigen, um Leistungs- Hausaufgaben einschätzten, desto weniger strengten sie
handeln zu verstehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie sich an. Boekaerts und Kollegen konnten zeigen, dass die
von Boekaerts und Kollegen (Boekaerts 2007). In dieser Gefühle der Schüler hier eine vermittelnde Rolle spielen.
Studie wurden 357 Schüler der Mittelstufe gebeten, anhand Bei hoch eingeschätzter Kompetenz berichteten die Teil-
von Tagebüchern ihre Kompetenz, Anstrengung und ihre nehmer positive Emotionen (Freude, Zufriedenheit), die
Gefühle beim Erledigen der Mathematik-Hausaufgaben offensichtlich als „kraftspendende“ Ressourcen dienten,
zu beschreiben. Unter der Annahme einer rein „kühlen die Aufgaben als Herausforderung zu sehen und bereit zu
Berechnung“ würde man erwarten, dass es aufgrund sein, Anstrengung zu investieren. Niedrige Kompetenz-
von Rückkopplungsschleifen zu einer Anpassung der einschätzungen dagegen gingen mit negativen Emotionen
Anstrengung aufgrund der Kompetenzeinschätzung einher (Angespanntheit, Unzufriedenheit, Ärger), die Ver-
kommt: Hält sich ein Schüler für kompetent und schätzt meidungsverhalten hervorriefen, mit der Folge, dass eine
die Hausaufgabe als leicht ein, kann er oder sie die intensive Auseinandersetzung mit den Aufgaben umgangen
Anstrengung reduzieren. Umgekehrt sollte eine niedrige und Anstrengung reduziert wurde.
Emotionen
221 9
9.3.5 Entwicklungsverläufe von Emotionen Zum einen gelangen viele Schüler während der Grund-
im Lern- und Leistungskontext schulzeit über einen (schmerzlichen) Entwicklungsprozess
von unbändiger Neugier, universellen Interessen und fast
Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten zu früh- grenzenloser Überzeugung hinsichtlich der eigenen Fähig-
kindlichen und vorschulischen Formen von Leistungs- keiten über wiederholte Misserfolgserlebnisse zur Einsicht
emotionen, insbesondere zu Stolz und Scham (ausführlich in eigene Unzulänglichkeiten (Hellmich 2011). Darüber
dazu Holodinsky 2006). Als Ergebnis dieser Arbeiten sind hinaus erleben die Schüler die schulischen Anforderungen
sich Entwicklungspsychologen einig, dass Kinder ca. im insbesondere im Verlauf der Sekundarstufe noch einmal als
Alter von 3 Jahren in der Lage sind, zumindest die basalen stark ansteigend. Somit ist eine zunehmende Anstrengung
kognitiven Prozesse zu durchlaufen, die das Erleben von erforderlich, um den eigenen Erwartungen und den
Stolz und Scham ermöglichen: Sie haben dann ein Bewusst- Erwartungen anderer (Eltern, Lehrkräfte) weiter gerecht zu
sein ihres Selbst, erkennen und beachten äußere Standards werden. Diese erhöhte Investition an Anstrengung bringt
zur Beurteilung von Leistungen und internalisieren diese offensichtlich emotionale Kosten mit sich. Zudem wird
Standards für ihre Selbstbewertung. Im Alter zwischen 3 argumentiert, dass insbesondere im Laufe der Adoleszenz
und 5 Jahren verbessern sie diese Fähigkeiten durch ihre außerschulische und soziale Themen mit den schulischen
rapide Sprachentwicklung; sie sind nun auch in der Lage, Themen zu konkurrieren beginnen. Akademische Inhalte
Standards selbst zu benennen, Stolz und Scham bei sich werden deshalb als langweiliger erlebt und der Ärger, sich
selbst und anderen zu erkennen und verbal zu bezeichnen. mit diesen und nicht mit anderen subjektiv als wichtiger
Allerdings haben Kinder in diesem Alter noch Schwierig- eingestuften Inhalten beschäftigen zu müssen, steigt an.
keiten, Stolz von Freude zu differenzieren, und zeigen Schließlich können vermutlich auch sich verändernde
positive emotionale Reaktionen als Ergebnis jeder Art von Instruktionsstrukturen und Klassenklimata für die negativen
Erfolg, egal ob dieser aufgrund ihrer eigenen Anstrengung emotionalen Entwicklungsverläufe mitverantwortlich
oder aufgrund von günstigen äußeren Bedingungen (z. B. gemacht werden: Mit zunehmender Klassenstufe erhöht
einfache Aufgabe) eingetreten ist. Diese Unterscheidung sich der Wettbewerb unter den Schülern, es scheinen ver-
treffen sie erst ab dem Alter von ca. 8 Jahren. mehrt traditionelle, lehrerzentrierte Unterrichtsstrategien
Zudem gibt es vereinzelte Längsschnittstudien zur Ent- eingesetzt zu werden und der persönliche Kontakt zwischen
wicklung von Leistungsemotionen ab dem Schuleintritt. Lehrkräften und Schülern scheint abzunehmen. Inwieweit
Diese zeichnen ein wenig erfreuliches Bild: Das durch- diese veränderten instruktionalen Bedingungen tatsächlich
schnittliche Ausmaß an negativen Emotionen scheint mit vermehrt negativen und weniger positiven Leistungs-
im Laufe der Schulzeit eher anzusteigen, jenes positiver emotionen verknüpft sind, ist jedoch bisher kaum empirisch
Emotionen hingegen abzusinken. Für die Prüfungsangst erforscht worden.
ist gezeigt worden, dass sie insbesondere im Laufe der Eine entscheidende Rolle für Entwicklungsverläufe von
Grundschule relativ stark ansteigt und dann im Durch- Leistungsemotionen spielen auch sog. Bezugsgruppen-
schnitt der Schüler etwa konstant bleibt. Die Lernfreude effekte, besonders bei Entwicklungsübergängen innerhalb
dagegen scheint mit dem Beginn der Einschulung und der Schullaufbahn. In Deutschland betrifft das beispiels-
sogar noch in der Sekundarstufe im Schülerdurchschnitt weise den Übergang von der Grundschule in Schulen des
kontinuierlich abzusinken und sich erst ab der 8. Klasse zu gegliederten Sekundarschulwesens (Hauptschule, Real-
stabilisieren (Helmke 1993; Pekrun et al. 2007). So konnten schule, Gymnasium). Dieser Wechsel ist mit einem Wechsel
Pekrun und Kollegen (2007) in einer Längsschnittstudie der Bezugsgruppe verbunden. Während die Schulklassen
zu Entwicklungsverläufen von Emotionen speziell im Fach der Grundschule Schüler aller Leistungsniveaus umfassen,
Mathematik zwischen der 5. und der 8. Jahrgangsstufe ist man am Gymnasium nach dem Übergang mit einer
einen bedeutsamen Abfall in der Freude feststellen (um relativ homogenen Bezugsgruppe leistungsstarker Mit-
mehr als zwei Drittel einer Standardabweichung). Dabei schüler konfrontiert, an der Hauptschule hingegen mit einer
sind die Verluste in der Freude in den Jahrgangsstufen 5 Bezugsgruppe leistungsschwächerer Schüler (auch 7 Kap. 8).
und 6 besonders stark und schwächen sich zur 8. Klasse Bei den Gymnasiasten verringern sich damit – unter Ver-
hin ab. Bei der Emotion Stolz sind ähnliche Entwicklungs- wendung sozialvergleichender, am Klassenmaßstab
verläufe zu verzeichnen (Diskrepanzen zwischen der 5. und orientierter Normen – die Chancen zu guten Leistungsbe-
8. Klassenstufe von ca. einer halben Standardabweichung). wertungen, während sie für Hauptschüler steigen (über-
Die Emotionen Angst und Scham bleiben in diesem Ent- sichtsartig Köller 2004). Aber nicht nur Selbstkonzepte sind
wicklungszeitraum mehr oder weniger konstant, Ärger und betroffen, sondern in der Folge auch Leistungsemotionen
Langeweile dagegen steigen in bedeutsamer Weise an (um von Schülern. So ist die Prüfungsangst bei hochbegabten
ca. eine halbe Standardabweichung; Pekrun et al. 2007). Schülern in Hochbegabtenklassen stärker ausgeprägt als jene
Ähnliche, zunächst eher steil und dann flacher absinkende, von hochbegabten Schülern in regulären Klassen (Preckel
asymptotische Entwicklungsverläufe zeigen sich auch beim et al. 2008). Pekrun et al. (2019) dokumentieren zudem,
Interesse (z. B. Watt 2004). dass sich das Leistungsniveau einer Klasse unter Kontrolle
Verschiedene Erklärungen sind für diese ungünstigen der individuellen Leistung auch unabhängig von einem
emotionalen Entwicklungsverläufe denkbar (auch 7 Kap. 7). Schulart- bzw. Klassenwechsel negativ auf die Entwicklung
222 A. C. Frenzel et al.
von Freude, Stolz, Ärger, Angst und Hoffnungslosigkeit bzw. konsistent vs. inkonsistent mit den eigenen Bedürf-
in Mathematik von Schülern auswirkt. Einem möglichen nissen). Beim sekundären Appraisal wird beurteilt, wie
Nutzen optimierter Lernbedingungen in homogen leistungs- die Situation zustande gekommen ist (fremd- oder selbst-
starken Lerngruppen stehen demzufolge nicht unerheb- verursacht), ob man über geeignete Ressourcen verfügt,
liche emotionale Kosten gegenüber. Umgekehrt kann sich um mit der Situation umzugehen (Coping-Potenzial) und
ein Übergang in leistungsschwächere Bezugsgruppen unter ob zu erwarten ist, dass sich die Situation ändert. Andere
Umständen durchaus psychosozial positiv auswirken, wenn Appraisal-Theoretiker unterscheiden nicht zwischen
die betroffenen Schüler dann nicht mehr zu den Leistungs- primären und sekundären Appraisal-Dimensionen, betonen
schwachen zählen und im sozialen Vergleich mit ihren Mit- aber die Wichtigkeit weiterer Aspekte, z. B., für wie wahr-
schülern besser abschneiden. scheinlich man das Eintreten einer Situation hält. Insgesamt
kommen die A ppraisal-Theoretiker alle zum gleichen
Schluss: Je nachdem, wie man eine Situation einschätzt, wird
9.3.6 Ursachen von Emotionen im Lern- und man emotional reagieren, wobei spezifische Konstellationen
Leistungskontext von Appraisals definieren, welche Emotion man erlebt (z. B.
Scherer et al. 2001). So tritt z. B. die Emotion Dankbarkeit
Appraisal-Theorie in Situationen auf, die wir als persönlich relevant, positiv
Es gibt nur wenige Situationen oder Ereignisse, in denen und durch andere Personen verursacht erleben; Ärger ent-
alle Menschen mit den gleichen Emotionen reagieren. Zum steht, wenn wir den Eindruck haben, dass etwas persön-
Beispiel scheint den meisten von uns eine gewisse Angst lich Bedeutsames, Negatives eingetreten ist, das vermeidbar
vor Höhen, aber auch Angst vor negativer Bewertung gewesen wäre; Angst erleben wir, wenn etwas Negatives,
9 durch andere Personen gemein zu sein. Zum Teil sind uns persönlich Relevantes mit gewisser Wahrscheinlichkeit auf-
emotionale Reaktionen somit gewissermaßen durch die treten kann, wir aber nur über wenige Ressourcen verfügen,
Evolution in die Wiege gelegt. Die Mehrheit an Situationen um es abzuwenden.
ist jedoch nicht allgemein emotionsinduzierend. Es ist
auffällig, dass wir auch in ähnlichen Situationen mal mit Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz zu
mehr und mal mit weniger Angst, Überraschung oder Leistungsemotionen
Freude reagieren. Oft reagieren auch zwei verschiedene
Personen auf ein und dasselbe Ereignis mit unterschied- z Theoretische Annahmen
lichen Emotionen. Als eine Erklärung hierfür ist in der Pekrun (2006, 2018) hat eine Theorie entwickelt, die auf
Emotionsforschung der sog. Appraisal-Ansatz entwickelt appraisal-theoretischen Ansätzen fußt, aber speziell auf
worden. Dieser besagt, dass es nicht die Situationen selbst Leistungsemotionen fokussiert. Er postuliert in dieser
sind, die Emotionen in uns hervorrufen, sondern vielmehr Theorie, dass aus den diversen kognitiven Appraisals, die
die Interpretationen der Situationen dazu führt, dass wir allgemein für die Entstehung von Emotionen vorgeschlagen
bestimmte Emotionen erleben. Diese Idee ist nicht neu; wurden, insbesondere zwei Appraisal-Dimensionen für
bereits der Stoiker Epiktet schrieb: „Nicht die Dinge selbst Leistungsemotionen bedeutsam sind. Diese sind
beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von 5 die subjektive Kontrolle über lern- und leistungs-
den Dingen“ (Schmidt 1978, S. 24). bezogene Aktivitäten und Leistungsergebnisse und
5 der Wert dieser Aktivitäten und Ergebnisse.
Definition
Appraisals sind kognitive Einschätzungen von Subjektive Kontrolle Subjektive Kontrolle bezieht sich auf
Situationen, Tätigkeiten oder der eigenen Person. wahrgenommene kausale Einflüsse auf Handlungen und
Unterschiedliche Konstellationen von Appraisals rufen ihre Ergebnisse. Dazu zählen zukunftsgerichtete Kausal-
unterschiedliche Emotionen hervor. erwartungen (z. B. „Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe
ich die Prüfung!“ oder auch „Ich bin in diesem Bereich
begabt, ich werde die Prüfung schon schaffen!“), aktuelle
Die Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten von Kontrollwahrnehmungen (z. B. „Die Aufgabenstellung ver-
Situationen ist von Appraisal-Theoretikern geordnet und stehe ich nicht – ich kann die Aufgabe nicht bearbeiten!“)
verschiedenen Dimensionen zugeordnet worden. Weite ebenso wie rückblickende Kausalattributionen von Erfolgen
Verbreitung hat Lazarus’ Modell (Lazarus 1991) gefunden, und Misserfolgen (z. B. „Ich bin durchgefallen, weil ich
in dem er primäre von sekundären Appraisals unterscheidet. mich nicht genug angestrengt habe!“ oder „Ich habe
In einer Ausdifferenzierung der Theorie der primären und schlecht abgeschnitten, weil der Lehrer nicht den Stoff
sekundären Appraisals für diskrete Emotionen beschrieben abgefragt hat, der vereinbart war!“).
Smith und Lazarus (1993), dass das primäre Appraisal
zum einen eine Beurteilung der persönlichen Bedeutsam- Wert Ähnlich wie bei Smith und Lazarus’ „primärem
keit einer Situation beinhaltet (wichtig vs. unwichtig), zum Appraisal“ beinhaltet die Kategorie Wert bei Pekrun zum
anderen eine Beurteilung der Valenz (positiv vs. negativ einen eine kategoriale Bedeutung (ist die Lernaktivität
Emotionen
223 9
bzw. das Leistungsergebnis subjektiv positiv oder
negativ), zum anderen eine dimensionale Bedeutung (wie
wichtig bzw. persönlich bedeutsam ist die Aktivität bzw.
das Leistungsergebnis).
Nun stellt sich die Frage, was zur Bewertung
konkreter Situationen und Tätigkeiten beiträgt, d. h.
was die Appraisals bestimmt. Warum bewertet man
eine Prüfung als „machbar“ oder als unüberwindbare
Hürde, als wichtig oder unwichtig, ein Leistungsergeb-
nis als Erfolg oder Misserfolg? Es ist anzunehmen, dass
Appraisals zum einen durch die Situation selbst, zum
anderen aber auch durch die sie wahrnehmende Person
beeinflusst werden. So können situative Bedingungen die
Kontrollerwartungen bestimmen (wie z. B. Schwierig-
keit der Aufgaben und Durchfallquoten bei Prüfungen)
oder die Einschätzung der Bedeutsamkeit der Situation
beeinflussen (z. B. die Gewichtung einer Prüfung für
die Gesamtnote im Abschlusszeugnis). Diese mehr oder
weniger objektiven Gegebenheiten der Situation müssen
wiederum von Personen individuell beurteilt werden. Sind
die situativen Gegebenheiten unbekannt oder unauffällig,
spielen generalisierte subjektive Kontroll- und Wertüber-
zeugungen eine bedeutendere Rolle für die Entstehung
von Emotionen. Ein positives mathematisches Fähig-
keitsselbstkonzept wird beispielsweise dazu beitragen,
Prüfungssituationen in diesem Fach eher als kontrollier-
bar und bewältigbar zu beurteilen. Ebenso beeinflussen
generalisierte Überzeugungen, beispielsweise hinsicht-
lich der Relevanz eines Fachs für die eigene Karriere,
das Bedeutsamkeits-Appraisal in einer Situation. Auch
Leistungsziele (d. h. Annäherungs- bzw. Vermeidungsziele
anhand kriterialer, individueller bzw. sozial vergleichender
Gütemaßstäbe; 7 Kap. 7) spielen eine Rolle dafür, welche . Abb. 9.3 Schema zu prospektiven Emotionen
Kontrollierbarkeit und welche Bedeutsamkeit man Lern-
aktivitäten und Leistungsergebnissen beimisst.
Wie wirken Appraisals auf das Erleben von Emotionen Kontroll- und Wert-Appraisals entstehen können, wenn
in Lern- und Leistungssituationen? Je nachdem, ob die eine Leistungssituation bevorsteht (prospektiver zeitlicher
derzeitige Tätigkeit als angenehm oder unangenehm Bezug): Die situativen Gegebenheiten sowie die persön-
bewertet wird bzw. ob Erfolg oder Misserfolg ein- lichen generalisierten Überzeugungen bedingen zunächst,
getreten ist oder möglicherweise eintreten wird, bestimmt ob man Misserfolg erwartet. Wie persönlich relevant man
zunächst die Valenz die jeweiligen Emotionen (d. h. ob diesen Misserfolg einschätzt und wie man die persönlichen
positive oder negative Emotionen erlebt werden). Die Ressourcen einschätzt, die Situation bewältigen zu können,
Kontroll-Appraisals bestimmen zudem die Qualität von trägt schließlich dazu bei, ob man sich hoffnungslos, ängst-
Emotionen, d. h. sie bestimmen, welche diskrete positive lich oder erleichtert fühlen wird.
oder negative Emotion erlebt wird (bei hohem Kontroller-
leben wird man beispielsweise Vorfreude auf eine Prüfung Empirische Befunde Für die Prüfungsangst ist die
erleben, bei geringerem hingegen Angst). Bedeutung von mangelnder wahrgenommener Kontrolle
Wie intensiv diese Emotionen erlebt werden, hängt empirisch gut belegt (z. B. zusammenfassend siehe z. B.
sowohl vom Ausmaß des Kontrollerlebens als auch der Pekrun und Perry 2014): Ein Schüler erlebt intensivere
Bedeutsamkeit ab. Dabei verstärkt die Einschätzung der Angst, wenn Misserfolge drohen, er aber z. B. aufgrund
persönlichen Wichtigkeit sowohl positive als auch negative von niedrigem Selbstkonzept bezweifelt, diese vermeiden
Emotionen (eine Ausnahme stellt hierbei die Lange- zu können. Zusätzlich entscheidend für die Intensität
weile dar; 7 Exkurs „Langeweile – eine allbekannte, jedoch der erlebten Angst ist die Bedeutsamkeit von Misserfolg.
wenig untersuchte Emotion“). Das Ausmaß, in welchem In einer Studie von Frenzel, Pekrun und Götz (2007)
man Kontrolle in der jeweiligen Situation erlebt, verstärkt berichteten Schüler im Fach Mathematik dann stärkere
positive Emotionen in der Regel und schwächt negative ab. Angst, wenn ihre Kompetenzüberzeugungen in diesem
. Abb. 9.3 zeigt beispielhaft, wie Emotionen aufgrund von Fach gering ausgeprägt waren. Unabhängig von den
224 A. C. Frenzel et al.
Kompetenzüberzeugungen spielten aber zusätzlich auch 7 Kap. 7). Kausalattributionen können Einfluss darauf
die Überzeugungen der Schüler zur Bedeutsamkeit von nehmen, wie man emotional auf Ereignisse reagiert. Bernard
Leistung in Mathematik eine Rolle dafür, wie viel Angst Weiner hat den Zusammenhang zwischen Attributionen
sie vor dem Fach berichteten. In dieser Studie konnte auch und Emotionen umfassend analysiert, insbesondere für
gezeigt werden, dass subjektive Kontrollüberzeugungen Erfolge und Misserfolge (Weiner 1986, 2007; 7 Exkurs
und Überzeugungen der Bedeutsamkeit von Leistung für „Die Methode der Vignetten-Aufgaben zur Untersuchung des
das Erleben anderer Emotionen jenseits der Angst eine Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen“).
wichtige Rolle spielen. So zeigte sich beispielsweise, dass Weiner und Kollegen untersuchten zahlreiche ver-
Schüler dann vermehrt Stolz in Mathematik berichteten, schiedene Erfolgs- und Misserfolgsattributionen und
wenn sie hohe Kompetenzüberzeugungen hatten und die nachfolgenden Emotionen. Sie kamen dabei zu zwei
zugleich gute Leistungen in diesem Fach für wichtig zentralen Schlüssen:
hielten. Freude am Fach Mathematik zeigte sich in dieser 1. Erfolg und Misserfolg an sich rufen Emotionen hervor.
Studie dann als besonders ausgeprägt, wenn Schüler hohe Unabhängig davon, worauf man ein Leistungsergeb-
Kompetenzüberzeugungen und zugleich gute Leistungen nis zurückführt, erlebt man Freude bei Erfolg und
in diesem Fach hatten und wenn sie das Fach an sich Frustration bei Misserfolg. Diese beiden Emotionen
positiv bewerteten. nennt Weiner daher auch ergebnisabhängige
Für retrospektive, ergebnisbezogene Emotionen gibt („outcome-dependent“) Emotionen.
es zudem aus der Kausalattributionsforschung zahlreiche 2. Beginnt eine Person, nach den Ursachen für das Leistungs-
empirische Befunde. Kausalattributionen sind Ursachen- ergebnis zu suchen, stellen sich weitere, differenzierte
zuschreibungen für zurückliegende Ereignisse, also Emotionen ein: Diese nennt Weiner attributionsabhängige
9 Antworten auf die Frage „Warum ist das passiert?“ (auch („attribution-dependent“) Emotionen.
Exkurs
Die Methode der Vignetten-Aufgaben zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Attributionen und Emotionen
Für eine empirische Untersuchung Ursachen der Erfolg oder Misserfolg Peter bekam eine gute Note und glaubte,
der postulierten Zusammenhänge zurückzuführen ist. Aufgabe der dass er das aufgrund seiner Begabung
zwischen Attributionen und Emotionen Probanden ist es dann zu beurteilen, wie geschafft hat. Wie, glauben Sie, hat sich
verwandte Weiner in vielen seiner sich die in den Vignetten beschriebenen Peter gefühlt, als er die Note erfahren
Studien sog. Vignetten-Aufgaben. Personen unter den gegebenen hat? (Weiner 1986, S. 122).
Bei diesem Paradigma werden den Umständen fühlen. Ein Beispiel für eine In dieser Vignette wurde also eine
Probanden kurze schriftliche Szenarien solche Vignette, wie sie von Weiner und Erfolgsattribution auf Begabung und damit
(Vignetten) vorgelegt, in denen Personen Kollegen verwendet wurde, ist: aus Sicht des Handelnden einer internalen,
beschrieben werden, die Misserfolge Es war schrecklich wichtig für Peter, stabilen Ursache nahegelegt. Weiners
bzw. Erfolge erleben, verbunden in einer bevorstehenden Prüfung gut Ergebnisse zeigten, dass viele Probanden
mit Hinweisen darauf, auf welche abzuschneiden. Peter ist sehr begabt. in diesem Fall die Emotion Stolz nannten.
Wie auch in Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz wird hierbei berücksichtige Attributionsdimension Stabilität beein-
der Dimension Kontrollierbarkeit Bedeutung dafür bei- flusst laut Weiner vorwiegend die Erwartung bezüglich
gemessen, welche diskrete Emotion erlebt wird. Zudem zukünftiger Leistungsergebnisse und das Erleben von
wird die Dimension Lokation (internal vs. external) berück- Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.
sichtigt. Die Emotionen Stolz und Scham sind demzufolge Interessant ist, dass wir nicht nur unseren eigenen
durch Attributionen auf internale Ursachen von Erfolg und Erfolgen und Misserfolgen Ursachen zuschreiben, sondern
Misserfolg charakterisiert. Im Falle von Attributionen auf auch denen anderer Personen und entsprechend emotional
externale Verursachung von Erfolg bzw. Misserfolg sollte reagieren können (7 Exkurs „Appraisal rückwärts – Wie wir
man Weiner zufolge Dankbarkeit bzw. Ärger erleben. Die von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und
dritte in der Kausalattributionsforschung typischerweise unsere Fähigkeiten schließen“).
Emotionen
225 9
Exkurs
Appraisal rückwärts – Wie wir von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und unsere Fähigkeiten schließen
Ursachenzuschreibungen beeinflussen Personen auf deren Attributionen Berücksichtigung der Ausprägung des
die emotionalen Reaktionen auf rückschließen kann. Rustemeyer verbalen Selbstkonzeptes der Schüler.
Leistungsergebnisse. Das gilt nicht (1984) hat dies in einer Laborstudie Diese absolvierten eine Wortsuchaufgabe
nur für unsere eigenen Erfolge und eindrucksvoll zeigen können. In ihrer in einer virtuellen Lernumgebung und
Misserfolge, sondern auch für die Studie wies sie Probanden die Rolle bekamen von einer virtuellen Lehrkraft
anderer Personen (Weiner 1986), von „Schülern“ zu und setzte diese wiederholt Misserfolg in dieser Aufgabe
insbesondere für die Beurteilung von systematisch verschiedenen Emotionen zurückgemeldet, gekoppelt mit Ärger-
Erfolgen oder Misserfolgen von Schülern durch die Testleiter (die „Lehrkräfte“) aus. oder Mitleidausdruck. Schüler mit hohem
durch ihre Lehrkräfte. Schülererfolge, In einem Vortest wurde die (scheinbare) verbalem Fähigkeitskonzept führten
die auf kontrollierbare Ursachen Fähigkeit der Probanden in einer im Falle von Ärger der Lehrkraft ihren
zurückzuführen sind, lösen Zufriedenheit optischen Wahrnehmungsaufgabe Misserfolg eher auf ihre mangelnde
bei beobachtenden Lehrkräften aus. durch die Testleiter ermittelt. Das Anstrengung zurück. Bei Lehrermitleid
Unerwartete (d. h. unkontrollierbare) Ergebnis (Erfolg vs. Misserfolg) in einer dagegen attribuierten Schüler mit
Schülererfolge rufen dagegen folgenden, ähnlichen Aufgabe teilte der mittlerem verbalem Selbstkonzept ihren
Überraschung beim Beobachter hervor. Testleiter den Probanden unter Angabe Misserfolg eher auf mangelnde Fähigkeit.
Schülermisserfolge, denen Lehrkräfte seiner eigenen Emotion mit (je nach Als Fazit ist zu ziehen, dass gerade die
kontrollierbare Ursachen (insbesondere Bedingung Zufriedenheit, Überraschung, beiden Emotionen Ärger und Mitleid
mangelnde Anstrengung) zuschreiben, Ärger oder Mitleid). Daraufhin wurden Wirkungen haben können, die den
führen bei Lehrkräften zu Ärger oder die Probanden aufgefordert zu intuitiven Erwartungen aufgrund der
auch Enttäuschung; Schülermisserfolge beurteilen, wie hoch sie ihre eigene Valenz dieser Emotionen widersprechen.
aufgrund von unkontrollierbaren Fähigkeit einschätzten und welche Ärger ist eine negative Emotion, die
Faktoren (insbesondere mangelnde Erfolgserwartung sie bei künftigen, zu zeigen üblicherweise sozial nicht
Begabung) wecken Mitleid oder ähnlichen Aufgaben hätten. Die erwünscht ist, gerade auch bei Lehrkräften.
empathische Hoffnungslosigkeit. Ergebnisse zeigten, dass die Probanden Unter den beschriebenen Umständen
Bereits Kinder im Alter von 6 Jahren bei Überraschung des Testleiters nach kann Ärger dem anderen jedoch mitteilen,
können auf der Basis vorgegebener Erfolg und Mitleid nach Misserfolg ihre dass man seine Fähigkeiten hoch
Ursachenkonstellationen (insbesondere Fähigkeiten geringer einschätzten und einschätzt. Mitleid bei Misserfolgen der
Anstrengung vs. Begabung) vorhersagen, weniger zuversichtlich waren, zukünftige anderen auszudrücken wird dagegen
ob Lehrkräfte ärgerlich oder mitleidig Aufgaben lösen zu können, als wenn der i. Allg. als positive Reaktion angesehen, die
auf Schülermisserfolge reagieren werden Testleiter mit Zufriedenheit auf Erfolg Empathiefähigkeit impliziert. In diesem
(Graham und Weiner 1986). oder Ärger auf Misserfolg reagiert hatte. Fall kann Mitleid jedoch signalisieren, dass
Bemerkenswert ist, dass dieser Prozess Ähnliche Ergebnisse erzielten Frenzel man die Kompetenzen des anderen für
auch „rückwärts“ möglich ist – dass man und Taxer (2018) in einer Feldstudie gering hält – mit negativen Auswirkungen
also von den Emotionen bei anderen mit Sechstklässlern, jedoch nur unter für den Betroffenen.
Exkurs
explizit mitgeteilt wird, dass bestimmte Fächer oder wenn Schülern auf altersangemessene Weise Selbstständig-
auch gute Leistungen von großer Bedeutung sind, bilden keit und Handlungsspielräume gewährt werden, können
erwartungsgemäß – wenn auch nicht zwangsläufig – mit diese ihr eigenes Handeln erproben und entwickeln. Selbst-
der Zeit entsprechende generalisierte Überzeugungen aus. gesteuerte, erfolgreiche Handlungen bewirken wiederum
Hinzu kommen die häufig glaubwürdigeren, eher indirekten die Ausbildung von Kontrollüberzeugungen. Bedingung
Botschaften zu Wertigkeiten von Verhalten, die durch hierfür ist, dass jeweils bereits hinreichende Kompetenzen
Erwartungen und Rückmeldungen von Bezugspersonen für die Aufgaben selbst sowie für die Selbstregulation von
und durch das Modellverhalten solcher Personen entstehen. Handlungen vorliegen. Komplexe, nur sehr grob umrissene,
Zudem können Lernstoff und Aufgaben so gestaltet werden, scheinbar viele Freiheiten gewährende Aufgaben fördern
dass sie für die Lernenden Bedeutungsgehalt besitzen. aber unter Umständen keine positiven Emotionen während
der Aufgabenbearbeitung, sondern senken eher das
Autonomiegewährung Wie in der Selbstbestimmungs- Kontrollerleben der Schüler und machen sie hilflos.
theorie der Motivation von Deci und Ryan argumentiert
(z. B. Deci und Ryan 1993; Ryan und Deci 2000; 7 Kap. 7) Erwartungen und Zielstrukturen Erwartungen bestimmen
wird wahrgenommener Autonomie im Kontext von Lernen maßgeblich, ob ein Leistungsergebnis als Erfolg oder Miss-
und Leistung eine zentrale Rolle bezüglich der Übernahme erfolg zu beurteilen ist. Äußerungen angemessen hoher
von Werten und Handlungszielen zugeschrieben. Nur Erwartungen vonseiten der Bezugspersonen können bei
Emotionen
227 9
Lernenden zudem den Glauben an ihre Kompetenz und uns fühlen? Hinsichtlich dieser Fragen sind Befunde aus
ihre Kontrollüberzeugungen positiv beeinflussen. Über- zwei Forschungstraditionen interessant, der Stimmungs-
höhte Erwartungen, insbesondere verknüpft mit Sanktionen forschung und der Gedächtnisforschung.
bei Nichterreichung, erhöhen jedoch die Bedeutung von
Misserfolg und sind somit ungünstig für die Emotionsent- Stimmungsforschung Beim typischen Untersuchungs-
wicklung. Empirische Studien belegen, dass Wettbewerb paradigma der Stimmungsforschung wird Stimmung in den
in der Klasse mit der Angst von Schülern positiv korreliert drei Ausprägungen positiv, neutral und negativ induziert
(Götz 2004; Zeidner 1998). Somit sind kooperative Ziel- und nachfolgend untersucht, wie sich dies auf kognitive
strukturen, in denen der eigene Erfolg an die Ziel- Prozesse auswirkt. Die theoretischen Überlegungen und
erreichung der Kooperationspartner geknüpft ist, oder auch empirischen Befunde hierzu sind uneinheitlich. Zum einen
individualistische Strukturen, bei denen eigener Erfolg vom wird argumentiert, dass Stimmung – sowohl positive als
Erfolg anderer Personen unabhängig ist, im Hinblick auf auch negative – kognitive Ressourcen verbraucht und somit
das emotionale Erleben von Schülern zu bevorzugen. kognitive Leistungen negativ beeinflusst. Tatsächlich konnte
in einer Reihe von Studien gezeigt werden, dass beispielsweise
Leistungsrückmeldungen und -konsequenzen Leistungs- die Aufmerksamkeit, kognitive Planung und die Leistung bei
rückmeldungen sind die wichtigste Quelle für die Aus- Analogieaufgaben sowohl in negativer als auch in positiver
bildung von Kompetenzüberzeugungen. Die Einschätzung Stimmung schwächer ausgeprägt waren als in neutraler
der persönlichen Ressourcen zur Bewältigung einer Stimmung (z. B. Meinhardt und Pekrun 2003; Oaksford
Prüfungssituation hängt in großem Maße davon ab, wie et al. 1996; Spies et al. 1996). Es wird aber auch argumentiert,
man in vergangenen Prüfungen abgeschnitten hat. Ein- dass positive und negative Stimmung mit unterschiedlichen
tretende Konsequenzen für Erfolg und Misserfolg beein- Verarbeitungsstilen einhergeht und damit je nach Typ der
flussen dagegen deren Bedeutsamkeit: Persönlich relevante gestellten Aufgaben sowohl positive als auch negative Effekte
Folgen (im Misserfolgsfall z. B. eine Prüfung wiederholen beider Stimmungslagen zu erwarten sind. Demgemäß wird
zu müssen; im Erfolgsfall z. B. öffentlich geehrt oder auch negative Stimmung stärker mit konvergentem, analytischem,
finanziell belohnt zu werden) intensivieren positives wie detailorientiertem Denken assoziiert und damit zwar mit
negatives emotionales Erleben. Insbesondere der Einsatz einer tieferen, aber dafür „schmaleren“ Herangehensweise
negativer Konsequenzen bei Misserfolg sollte daher im Hin- an gestellte Aufgaben. Positiver Stimmung wird dagegen
blick auf das emotionale Erleben eher vermieden werden. zugeschrieben, das divergente, heuristische und damit auch
In . Abb. 9.4 sind die in diesem Abschnitt beschriebenen flexiblere und kreativere Denken zu begünstigen (z. B. Clore
Annahmen zu den Einflüssen der Sozialumwelt über et al. 2001). Empirisch konnte mittlerweile wiederholt gezeigt
generalisierte Überzeugungen und aktuelle Appraisals auf werden, dass die Leistungen in Wortflüssigkeit oder auch der
Emotionen im Lern- und Leistungskontext dargestellt. Dieses Fähigkeit, rasch zu neuen Aufgaben zu wechseln, in positiver
Modell berücksichtigt auch mögliche Rückkopplungsschleifen. Stimmung besser sind; die empirische Evidenz zu gesteigerten
So ist auch davon auszugehen, dass Emotionen ihrerseits Leistungen bei konvergenten Denkaufgaben in negativer
Überzeugungen und Appraisals rückwirkend beeinflussen: Stimmung ist dagegen schwächer (Mitchell und Phillips
Wiederholtes Angsterleben in Prüfungen wirkt sich beispiels- 2007).
weise negativ auf eigene Kompetenzüberzeugungen und somit
auf das aktuelle Kontroll-Appraisal in neuen Prüfungen aus. Gedächtnisforschung Im Kontext der Gedächtnisforschung
Zudem ist anzunehmen, dass Emotionen und Appraisals, wird u. a. untersucht, inwieweit der emotionale Gehalt
soweit sie für die Sozialumwelt ersichtlich sind, diese von Stimulusmaterial darauf wirkt, wie gut es gelernt und
wiederum beeinflussen: Zum Beispiel wird hilflos wirkenden erinnert wird. Übereinstimmend belegt eine Vielzahl an
Schülern erwartungsgemäß mehr Unterstützung angeboten. Studien, dass man sich sowohl an positive als auch negative
Begeisterten und interessierten Schülern werden dagegen emotionale Stimuli (Bilder, Texte, aber auch autobiografische
eher herausfordernde Aufgaben zugewiesen und es werden Ereignisse) besser erinnert als an neutrales Material oder
ihnen mehr Mitsprache und größere Handlungsspielräume neutrale Ereignisse. Dies wird u. a. darauf zurückgeführt,
eingeräumt. Schließlich ist in . Abb. 9.4 auch berücksichtigt, dass emotionale Stimuli neurologisch mit einer Erregung
dass neben Appraisals auch dispositionelle Neigungen wie das der Amygdala einhergehen. In bildgebenden Verfahren
Temperament auf Leistungsemotionen Einfluss nehmen. konnte gezeigt werden, dass die gesteigerte Gedächtnis-
leistung bei emotionalen im Vergleich zu neutralen Bildern
bei Versuchspersonen mit starker Amygdalaaktivation
9.3.7 Wirkungen von Emotionen im Lern- besonders ausgeprägt ist. Der Zusammenhang zwischen
und Leistungskontext Emotionen und Gedächtnis wiederum hat damit zu tun, dass
die Amygdala auf den sensorischen Kortex wirkt (diejenige
Allgemeinpsychologische Befunde zu Hirnregion, die Aufmerksamkeit auf den Stimulus richtet)
Wirkungen von Emotionen sowie den Hippocampus beeinflusst (diejenige Hirnregion,
Wie wirken Emotionen auf Denken und Gedächtnis? die für Prozesse der Konsolidierung im Gedächtnis ver-
Hängen unsere kognitiven Leistungen davon ab, wie wir antwortlich ist; Richardson et al. 2004).
228 A. C. Frenzel et al.
Sowohl die Stimmungs- als auch die Gedächtnis- Anwendung auf den Lern- und
forschung geben wichtige Hinweise auf die Frage nach dem Leistungskontext
Zusammenhang zwischen Emotionen und Lernen (einen In Anknüpfung an die oben beschriebenen Befunde
Überblick bieten Kuhbandnder und Pekrun 2010); beide und basierend auf Überlegungen zum Zusammenhang
Forschungstraditionen scheinen jedoch relevante Aspekte zwischen Emotionen und Motivation schlägt Pekrun
zu vernachlässigen. In der Stimmungsforschung wird (2006) insbesondere drei Wirkmechanismen vor, wie
zwar berücksichtigt, in welcher Stimmung die Probanden lern- und leistungsbezogene Emotionen auf akademische
bei der Durchführung verschiedener Aufgaben sind, der Leistung Einfluss nehmen können, nämlich über kognitive
emotionale Gehalt der Aufgaben selbst (z. B. Interessant- Ressourcen, Lernstrategien und Motivation.
heit oder Aversivität) bleibt aber in der Regel unbeachtet.
Hingegen wird in der Gedächtnisforschung zwar berück- Wirkungen von Emotionen auf kognitive
sichtigt, welche Valenz und welches Erregungspotenzial im Ressourcen
Stimulusmaterial selbst steckt, die Frage danach, wie sich die
Auch für lern- und leistungsbezogene Emotionen ist anzu-
Probanden bei der Durchführung der Aufgaben fühlen, wird
nehmen, dass sie kognitive Ressourcen verbrauchen.
hier jedoch meist nicht thematisiert. Ein weiterer Kritik-
Das Erleben negativer Emotionen während einer Auf-
punkt ist, dass die Lernsituationen in diesen ausschließlich
gabe bedingt somit, dass Aufmerksamkeit von der zu
laborbasierten Studien eher artifiziell und somit in ihrer
bearbeitenden Aufgabe abgelenkt wird. Dies beeinträchtigt
Generalisierbarkeit, z. B. im Hinblick auf schulisches
die Leistung vor allem bei komplexen Aufgaben, die ver-
Lernen, eingeschränkt sind. Speziell für die Stimmungs-
mehrt kognitive Ressourcen beanspruchen. Im Lern-
forschung gilt zudem, dass sie typischerweise lediglich
und Leistungskontext ist das insbesondere für Angst
9 neutrale, positive und negative Stimmung unterscheidet
empirisch gut belegt (7 Exkurs „Prüfungsangst – Wirkung
und diese doch eher „grobe“ Differenzierung menschlichen
auf Leistung“). Aber auch Ärger während einer Aufgabe
affektiven Erlebens kaum Schlüsse auf diskretes emotionales
verbraucht notwendige Ressourcen und beeinträchtigt so
Erleben und dessen Auswirkungen zulässt.
Exkurs
rückwirkend beeinflussen. Zudem wird in der Abbildung 5 klare Strukturierung des Unterrichts (z. B. durch Offen-
berücksichtigt, dass auch Intelligenz und Vorwissen auf legung kurz- und langfristiger Inhalts- und Zeitpläne
Leistungsergebnisse Einfluss nehmen. bezüglich der Unterrichtsinhalte),
5 Gestaltung von Lerngelegenheiten, in denen Kontroll-
erfahrungen durch individuelle Zielsetzungen und
9.3.8 Anregungen zur Gestaltung eines selbstständige Strategieauswahl gemacht werden können
emotionsgünstigen Unterrichts (z. B. Projektarbeit),
5 eindeutige Formulierung von Erwartungen und Zielen
Aus den oben beschriebenen Bedingungsfaktoren für das (z. B. Zielvereinbarungen und Bekanntgabe des Noten-
Erleben von Emotionen im Lern- und Leistungskontext schlüssels vor einer schriftlichen Arbeit),
leiten sich Empfehlungen für die Gestaltung eines emotions- 5 Vermittlung kontrollierbarer Ursachen von Erfolg
günstigen Unterrichts ab (auch Götz et al. 2004). So kann und Misserfolg, insbesondere durch Anstrengung (vgl.
auf die subjektiven Überzeugungen der Schüler Ein- Reattributionstrainings; z. B. Ziegler und Schober 2001;
fluss genommen werden. Zudem können der „intelligente Perry et al. 2014),
Umgang“ mit lern- und leistungsbezogenen Emotionen und 5 deutliche Trennung zwischen „Lernzeiten“, in denen
deren Regulation gefördert werden. Einen nicht unerheb- Fehler als Lerngelegenheiten betrachtet werden und
lichen Einfluss auf Schüleremotionen haben schließlich die nicht in die Leistungsbewertung einfließen, und
von den Lehrkräften selbst vorgelebten Emotionen. „Prüfungszeiten“, in denen Lernzielkontrollen vor-
genommen werden,
Einflussnahme auf Kontroll- und 5 Vermittlung eines dynamischen Konzepts von Fähigkeit
Wertkognitionen (bei dem etwas nicht zu beherrschen bedeutet, es noch
Positive subjektive Kontrollüberzeugungen werden lernen zu können) anstatt eines statischen (bei dem etwas
Schüler dann entwickeln, wenn sie ihr Lernen als nicht zu beherrschen bedeutet, unbegabt zu sein und dies
kontrollierbar erleben. Ziel ist es, Schülern die Gewissheit nicht ändern zu können; siehe z. B. Dweck 2017)
zu geben, dass sie durch spezifische Handlungen relativ
eindeutig vorhersehbare Wirkungen erzielen können, also Überzeugungen zur Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten
„Kontrolle“ über die Ergebnisse ihrer Handlung haben. und Leistungsergebnissen lassen sich direkt und indirekt
Dies ist u. a. durch folgende Handlungsweisen von Lehr- vermitteln. Bei hoher Bedeutsamkeit von Leistungsergeb-
kräften erreichbar: nissen werden sowohl positive als auch negative Emotionen
Emotionen
231 9
verstärkt. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie Lehr- geprägt werden, können auch Lehrkräfte ihre Schüler beim
kräfte insbesondere die Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten Umgang mit ihren Emotionen insbesondere in Bezug auf
selbst (und nicht die von Leistungsergebnissen) fördern schulische Herausforderungen unterstützen. Götz et al.
können, was sich vorwiegend positiv auf das emotionale (2007b) schlagen hierzu folgende Möglichkeiten vor:
Erleben von Schülern auswirken sollte: 5 Förderung des Bewusstseins, dass Emotionen eine
5 direkte Kommunikation des intrinsischen Wertes, der wichtige Rolle im Lern- und Leistungskontext spielen
Neuartigkeit und möglicher Ambiguität des Lerngegen- (Motivierung zur Auseinandersetzung mit den Themen
stands („Das ist ganz anders als man auf den ersten „Emotionen“ und „Emotionsregulation“),
Blick denkt“, „Darüber sind sich die Wissenschaftler bis 5 Aufzeigen, dass Leistungsemotionen beeinflussbar sind,
heute nicht einig“), d. h., dass man ihnen nicht „blind ausgeliefert“ ist (Ver-
5 Aufgabenstellungen, die der Lebenswelt der Schüler ent- mittlung der Kontrollierbarkeit emotionalen Erlebens),
nommen sind (sog. „authentische“ Aufgaben), 5 Vermittlung von Wissen über Leistungsemotionen, z. B.
5 Vorgabe von Wahlmöglichkeiten (z. B. beim Bearbeiten durch die Erweiterung des Emotionsvokabulars und
von Aufgaben), durch das Aufzeigen der Wirkungen von Emotionen auf
5 Vermeidung primär kompetitiver Leistungsrück- Lernen und Leistung,
meldungen („Du bist besser/schlechter als die meisten 5 Vermittlung und Üben konkreter Emotionsregulations-
anderen in der Klasse“) zugunsten von individuellen und Coping-Strategien, d. h. sowohl emotionsorientierter
oder auch kriteriumsbezogenen Kompetenz- Strategien (z. B. durch Entspannungsübungen und positive
rückmeldungen (z. B. „Du kannst quadratische Selbstinstruktion) als auch problemorientierter Strategien
Gleichungen jetzt schon viel besser lösen“ bzw. „Du (z. B. externe Hilfe aufzusuchen oder die Situation kognitiv
solltest das Lösen quadratischer Gleichungen noch positiv umzudeuten; 7 Exkurs „Prüfungsangst – Eine Gefahr
üben“), sodass positive bzw. negative Leistungs- für die Validität von Prüfungen“).
konsequenzen nicht im Mittelpunkt stehen (vgl. auch
Rheinberg und Krug 1999). Vorleben leistungsförderlicher Emotionen
Es ist davon auszugehen, dass Emotionen von Lehrkräften
Unterstützung bei der Regulation von Auswirkungen auf Emotionen von Schülern haben. Wenn
Emotionen Lehrkräfte authentische positive inhalts- und tätigkeits-
Auch wenn Lernumgebungen optimal gestaltet sind, bezogene Emotionen im Zusammenhang mit Lernen
werden negative Emotionen im Lern- und Leistungskontext und Leistung zeigen, so werden Schüler im Sinne von
kaum vollständig zu vermeiden sein. Daher ist neben den Modelllernen ebenfalls vermehrt positive Emotionen in
beschriebenen Möglichkeiten der positiven Einflussnahme diesen Situationen erleben. Außerdem ist anzunehmen,
auf die Emotionsentstehung bei Schülern eine Anleitung dass jenseits von Modelllernen das Erleben und Zeigen
zur Selbstregulation von Leistungsemotionen zu empfehlen. positiver Emotionen von Lehrkräften in Form von Humor
Auch wenn das Emotionswissen und die Fähigkeit zur und enthusiastischem Unterrichten eine nicht zu unter-
Emotionsregulation schon früh in der E
ltern-Kind-Beziehung schätzende positive Wirkung auf das emotionale Erleben
Exkurs
von Schülern hat (z. B. Frenzel et al. 2018). Schließlich Vertiefende Literatur
können Lehrkräfte auch einen positiven emotionalen 5 Barrett, L. F., Lewis, M., & Haviland-Jones, J. M. (Eds.). (4. Auflage
2016). Handbook of emotions. Guilford Publications..
Umgang mit eigenen Fehlern und eigener Unzulänglichkeit
5 Schulze, R., Freund, P. A., & Roberts, R. D. (Eds.). (2006). Emotionale
modellhaft vorleben, sowie ihre eigenen Anstrengungen, Intelligenz. Ein internationales Handbuch. Göttingen: Hogrefe.
ihre Emotionen zu regulieren, zur Lernerfahrung für 5 Gross, J. G. (Ed.). (2. Auflage 2015). Handbook of emotion regulation.
Schüler werden lassen. New York: Guilford.
5 Brandstätter, V., & Otto, J. H. (Hrsg.). (2009). Handbuch der
Allgemeinen Psychologie: Motivation und Emotion. Göttingen:
Hogrefe.
Fazit 5 Kuhbandner, C., & Frenzel, A. C. (2019). Emotionen. In D. Urhahne,
In diesem Kapitel wurden Emotionen als M. Dresel, & F. Fischer (Eds.), Psychologie für den Lehrberuf. Berlin:
mehrdimensionale Konstrukte mit affektiven, kognitiven, Springer.
expressiven, physiologischen und motivationalen 5 Pekrun, R., Muis, K. R., Frenzel, A. C., & Goetz, T. (2017). Emotions at
school. New York: Taylor & Francis/Routledge.
Komponenten vorgestellt. Basierend auf traditionellen
appraisal-theoretischen Ansätzen ist davon auszugehen,
dass Emotionen durch die Bewertung von Situationen,
Tätigkeiten und der eigenen Person entstehen.
Literatur
Im Lern- und Leistungskontext ist dabei Kontroll-
Barnow, S. (2012). Emotionsregulation und Psychopathologie. Psycho-
und Wert-Appraisals besondere Bedeutsamkeit
logische Rundschau, 63, 111–124. 7 https://doi.org/10.1026/0033-
zuzuschreiben. Diese Bewertung wird durch 3042/a000119.
generalisierte Überzeugungen der Handelnden, aber Boekaerts, M. (2007). Understanding students’ affective processes
9 auch durch äußere Umstände beeinflusst. Lehrkräften in the classroom. In P. A. Schutz & R. Pekrun (Hrsg.), Emotion in
ist somit die Möglichkeit gegeben, durch gezielte education (S. 37–56). San Diego: Elsevier.
Breyer, B., & Bluemke, M. (2016). Deutsche Version der Positive and
Gestaltung der Lernumgebung und der Lernaufgaben
Negative Affect Schedule PANAS (GESIS Panel). Zusammen-
auf das emotionale Erleben von Schülern Einfluss zu stellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen. 7 https://doi.
nehmen. Emotionen entfalten Wirkungen auf kognitive org/10.6102/zis242.
Ressourcen während der Aufgabenbearbeitung, auf Clore, G. L., Wyer, R. S., Dienes, B., Gasper, K., Gohm, C., & Isbell,
den Einsatz von Lernstrategien, auf das Ausmaß von L. M. (2001). Affective feelings as feedback: Some cognitive
consequences. In L. L. Martin & G. L. Clore (Hrsg.), Theories of mood
Selbstregulation und auf die Motivation während des
and cognition: A user’s guidebook (S. 27–62). Mahway: Lawrence
Lernens. Sie sind somit von großer Bedeutung für Erlbaum Associates, Inc.
resultierende Lernleistungen. Zudem sind sie wichtige Covington, M. V. (1992). Making the grade: A self-worth perspective on
Bestandteile des subjektiven Wohlbefindens. Daher sollte motivation and school reform. Cambridge: Cambridge University
die Förderung positiver und die Reduktion negativer Press.
Csikszentmihalyi, M. (1985). Das Flow-Erlebnis. Jenseits von Angst und
Emotionen im Kontext schulischen und außerschulischen
Langeweile: Im Tun aufgehen. Stuttgart: Klett-Cotta.
Lernens auch als Wert an sich angestrebt werden. Aber Deci, E., & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der
nicht nur die Emotionen der Schüler, sondern auch die Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für
der Lehrkräfte sind von großer Bedeutung. Sie wirken Pädagogik, 39, 223–238.
sich auf die Qualität von Instruktionsprozessen aus – Diener, E., Suh, E. M., Lucas, R. E., & Smith, H. L. (1999). Subjective
well-being: Three decades of progress. Psychological Bulletin, 125,
und schließlich ist es auch belohnend für die Lehrkräfte,
276–302.
Schüler zu unterrichten, die von Lernfreude und Dweck, C. (2017). Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen
Interesse an den Lerninhalten erfüllt sind. bewirkt. München: Piper.
Ekman, P., Friesen, W. V., & Hager, J. C. (2002). Facial action coding
system [E-book]. Salt Lake City: Research Nexus.
Ergene, T. (2003). Effective interventions on test anxiety reduction: A
? Verständnisfragen meta-analysis. School Psychology International, 24(3), 313–328.
1. Wie können Emotionen definiert werden? Frenzel, A. C., Pekrun, R., & Götz, T. (2007). Girls and mathematics – A
„hopeless“ issue? A control-value approach to gender differences
2. Inwiefern sind Emotionen und Stimmungen bzw.
in emotions towards mathematics. European Journal of Psychology
Emotionen und Stress verwandt bzw. voneinander of Education, 22, 497–514.
abzugrenzen? Frenzel, A. C., Becker-Kurz, B., Pekrun, R., Goetz, T., & Lüdtke, O.
3. Was ist die zentrale Annahme der (2018). Emotion transmission in the classroom revisited: A
Appraisal-Theorien? Welche Appraisals gelten reciprocal effects model of teacher and student enjoyment.
Journal of Educational Psychology, 110(5), 628–639. 7 https://doi.
laut Pekruns Theorie als besonders bedeutsam
org/10.1037/edu0000228.
für die Entstehung von Emotionen im Lern- und Galassi, J. P., Frierson, H. T., Jr., & Sharer, R. (1981). Behaviour of high,
Leistungskontext? moderate, and low test anxious students during an actual test
4. Über welche Mechanismen wirken Emotionen auf situation. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 49, 51–62.
schulische Leistungen? Goleman, D. (1997). EQ – Emotionale Intelligenz. München: dtv.
Götz, T. (2004). Emotionales Erleben und selbstreguliertes Lernen bei
5. Wie können Lehrkräfte Leistungsemotionen von
Schülern im Fach Mathematik. München: Utz.
Schülern positiv beeinflussen?
Emotionen
233 9
Goetz, T., Bieg, M., Lüdtke, O., Pekrun, R., & Hall, N. C. (2013). Do girls Laux, L., Glanzmann, P., Schaffner, P., & Spielberger, C. D. (1981). Das
really experience more anxiety in mathematics? Psychological State-Trait-Angstinventar (STAI). Weinheim: Beltz Testgesellschaft.
Science, 24(10), 2079–2087. Lazarus, R. S. (1991). Emotion and adaptation. New York: Oxford Uni-
Götz, T., & Frenzel, A. C. (2006). Phänomenologie schulischer Lange- versity Press.
weile. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Liebert, R. M., & Morris, L. W. (1967). Cognitive and emotional
Psychologie, 38(4), 149–153. components of test anxiety: A distinction and some initial data.
Götz, T., Frenzel, A. C., & Haag, L. (2006a). Ursachen von Langeweile im Psychological Reports, 20, 975–978.
Unterricht. Empirische Pädagogik, 20, 113–134. Lucas, R. (2016). Subjective well-being in psychology. The Oxford
Götz, T., Frenzel, A. C., Hall, N. C., Nett, U., Pekrun, R., & Lipnevich, A. Handbook of Well-Being and Public Policy, 403–423.
(2014). Types of boredom: An experience sampling approach. Mayer, J. D., & Salovey, P. (1997). What is emotional intelligence?
Motivation and Emotion, 38, 1–19. In P. Salovey & D. J. Sluyter (Hrsg.), Emotional development and
Götz, T., Frenzel, A. C., & Pekrun, R. (2007a). Regulation von Langeweile emotional intelligence: Educational implications (S. 3–31). New York:
im Unterricht. Was Schülerinnen und Schüler bei der „Windstille Basic Books.
der Seele“ (nicht) tun. Unterrichtswissenschaft, 35, 312–333. Meinhardt, J., & Pekrun, R. (2003). Attentional resource allocation to
Götz, T., Frenzel, A. C., & Pekrun, R. (2007b). Emotionstrainings. In J. emotional events: An ERP study. Cognition and Emotion, 17, 477–
Zumbach & H. Mandl (Hrsg.), Fallbuch Pädagogische Psychologie – 500.
Lehr- und Lernpsychologie (S. 255–264). Göttingen: Hogrefe. Mitchell, R. L. C., & Phillips, L. H. (2007). The psychological, neuro-
Götz, T., Frenzel, A. C., Pekrun, R., & Hall, N. (2006). Emotionale chemical and functional neuroanatomical mediators of the
Intelligenz im Lern- und Leistungskontext. In R. Schulze, P. A. effects of positive and negative mood on executive functions.
Freund, & R. D. Roberts (Hrsg.), Emotionale Intelligenz. Ein inter- Neuropsychologia, 45, 617–629.
nationales Handbuch (S. 237–256). Göttingen: Hogrefe. Nett, U., Goetz, T., & Daniels, L. (2010). What to do when feeling bored?
Götz, T., Frenzel, A. C., Pekrun, R., Hall, N. C., & Lüdtke, O. (2007c). Students’ strategies for coping with boredom. Learning and
Between- and within-domain relations of students’ academic Individual Differences, 20, 626–638.
emotions. Journal of Educational Psychology, 99, 715–733. Nett, U. E., Goetz, T., & Hall, N. C. (2011). Coping with boredom in
Götz, T., Zirngibl, A., & Pekrun, R. (2004). Lern- und Leistungs- school: An experience sampling perspective. Contemporary
emotionen von Schülerinnen und Schülern. In T. Hascher (Hrsg.), Educational Psychology, 36(1), 49–59.
Schule positiv erleben. Erkenntnisse und Ergebnisse zum Wohl- Neubauer, A. C., & Freudenthaler, H. H. (2006). Modelle emotionaler
befinden von Schülerinnen und Schülern (S. 49–66). Bern: Haupt AG. Intelligenz. In R. Schulze, P. A. Freund, & R. D. Roberts (Hrsg.),
Graham, S., & Weiner, B. (1986). From an attributional theory of Emotionale Intelligenz. Ein internationales Handbuch (S. 39–60).
emotion to developmental psychology: A round-trip ticket? Social Göttingen: Hogrefe.
Cognition, 4, 152–179. Oaksford, M., Morris, F., Grainger, B., & Williams, J. M. G. (1996). Mood,
Greenberg, M. T., & Kusche, C. A. (2006). Building social and emotional reasoning, and central executive processes. Journal of Experimental
competence: The PATHS Curriculum. In S. R. Jimerson & M. J. Psychology. Learning, Memory, and Cognition, 22, 477–493.
Furlong (Hrsg.), Handbook of school violence and school safety: Ortony, A., & Turner, T. J. (1990). What’s basic about basic emotions?
From research to practice (S. 395–412). Mahwah: Erlbaum. Psychological Review, 97, 315–331.
Gross, J. J. (Hrsg.). (2013). Handbook of emotion regulation. Guilford: Parkinson, B. (1997). Untangling the appraisal-emotion connection.
New York. Personality and Social Psychology Review, 1, 62–79.
Harris, M. B. (2000). Correlates and characteristics of boredom Pekrun, R. (1998). Schüleremotionen und ihre Förderung: Ein blinder
proneness and boredom. Journal of Applied Social Psychology, 30, Fleck der Unterrichtsforschung. Psychologie in Erziehung und Unter-
576–598. richt, 45, 230–248.
Hascher, T. (2004). Schule positiv erleben. Erkenntnisse und Ergebnisse Pekrun, R. (2006). The control-value theory of achievement emotions:
zum Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern. Bern: Haupt AG. Assumptions, corollaries, and implications for educational
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2. Aufl.). Berlin: research and practice. Educational Psychology Review, 18, 315–341.
Springer. Pekrun, R. (2018). Control-value theory: A social-cognitive approach
Hellmich, F. (Hrsg.). (2011). Selbstkonzepte im Grundschulalter: Modelle, to achievement emotions. In G. A. D. Liem & D. M. McInerney
empirische Ergebnisse, pädagogische Konsequenzen. Stuttgart: Kohl- (Hrsg.), Big theories revisited 2: A volume of research on sociocultural
hammer Verlag. influences on motivation and learning (S. 162–190). Charlotte:
Helmke, A. (1983). Schulische Leistungsangst. Frankfurt: Lang. Information Age Publishing.
Helmke, A. (1993). Die Entwicklung der Lernfreude vom Kindergarten bis Pekrun, R., & Frenzel, A. C. (2009). Persönlichkeit und Emotion. In V.
zur 5. Klassenstufe. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 7, 77–86. Brandstätter, & J. H. Otto (Hrsg.), Handbuch Allgemeine Psychologie.
Holodynski, M. (2006). Emotionen – Entwicklung und Regulation. Heidel- Motivation und Emotion (2. Aufl., S. 686–696). Göttingen: Hogrefe.
berg: Springer. Pekrun, R., & Linnenbrink-Garcia, L. (Hrsg.). (2014). International
Jerusalem, M., & Schwarzer, R. (1991). Entwicklung des Selbstkonzepts handbook of emotions in education. New York: Francis & Taylor,
in verschiedenen Lernumwelten. In R. Pekrun & H. Fend (Hrsg.), Routledge.
Schule und Persönlichkeitsentwicklung: Ein Resumée der Längs- Pekrun, R., & Perry, R. P. (2014). Control-value theory of achievement
schnittforschung (S. 115–130). Stuttgart: Enke. emotions. In R. Pekrun & L. Linnenbrink-Garcia (Hrsg.), Inter-
Köller, O. (2004). Konsequenzen von Leistungsgruppierungen. Münster: national handbook of emotions in education (S. 120–141). New
Waxmann. York: Taylor & Francis.
Kuhbandner, C., & Pekrun, R. (2010). Emotion und Gedächtnis. In H.-P. Pekrun, R., Hall, N. C., Goetz, T., & Perry, R. P. (2014). Boredom and
Trolldenier, W. Lenhart, & P. Marx (Hrsg.), Brennpunkte der Gedächt- academic achievement: Testing a model of reciprocal causation.
nisforschung: Entwicklungs- und pädagogisch-psychologische Journal of Educational Psychology, 106, 696–710.
Perspektiven (S. 35–51). Göttigen: Hogrefe. Pekrun, R., Goetz, T., Daniels, L. M., Stupnisky, R. H., & Perry, R. P. (2010).
Lang, P. J. (1980). Self-assessment manikin. Gainesville: The Center for Boredom in achievement settings: Control-value antecedents
Research in Psychophysiology, University of Florida. and performance outcomes of a neglected emotion. Journal of
Larson, R. W., & Richards, M. H. (1991). Boredom in the middle school Educational Psychology, 102, 531–549.
years: Blaming schools versus blaming students. American Journal Pekrun, R., Goetz, T., Frenzel, A. C., Barchfeld, P., & Perry, R. P. (2011).
of Education, 99, 418–443. Measuring emotions in students’ learning and performance:
234 A. C. Frenzel et al.
The Achievement Emotions Questionnaire (AEQ). Contemporary Smith, T. W., Ingram, R. E., & Brehm, S. S. (1983). Social anxiety, anxious
Educational Psychology, 36, 36–48. preoccupation and recall of self-relevant information. Journal of
Pekrun, R., Murayama, K., Marsh, H. W., Goetz, T., & Frenzel, A. C. (21. Personality and Social Psychology, 44, 1276–1283.
January 2019). Happy fish in little ponds: Testing a reference group Spielberger, C. D. (1983). Manual for the State-Trait Anxiety Inventory
model of achievement and emotion. Journal of Personality and (STAI). Palo Alto: Consulting Psychologists Press.
Social Psychology. 7 http://dx.doi.org/10.1037/pspp0000230. Spies, K., Hesse, F. W., & Hummitzsch, C. (1996). Mood and capacity in
Pekrun, R., vom Hofe, R., Blum, W., Frenzel, A. C., Götz, T., & Wartha, Baddeley’s model of human memory. Zeitschrift für Psychologie,
S. (2007). Development of mathematical competencies in 204, 367–381.
adolescence: The PALMA longitudinal study. In M. Prenzel (Hrsg.), Taxer, J. (2018). Das kannst Du doch besser! – Effekte von
Studies on the educational quality of schools. The final report on the Lehrerärger und –mitleid nach Misserfolg auf das
DFG priority programme (S. 17–37). Münster: Waxmann. Misserfolgs-Attributionsmuster und die Persistenz von Lernenden.
Perry, R. P., Chipperfield, J. G., Hladkyj, S., Pekrun, R., & Hamm, J. In G. Hagenauer & T. Hascher (Hrsg.), Emotionen und Emotions-
M. (2014). Attribution-based treatment interventions in some regulation in der Schule. Münster: Waxmann.
achievement settings. In S. Karabenick & T. C. Urdan (Hrsg.), Tze, V. M. C., Daniels, L. M., & Klassen, R. M. (2016). Evaluating the
Advances in motivation and achievement (Bd. 18, S. 1–35). Bingley: relationship between boredom and academic outcomes: A meta-
Emerald. analysis. Educational Psychology Review, 28(1), 119–144. 7 https://
Preckel, F., Zeidner, M., Götz, T., & Schleyer, E. (2008). Female ‚big fish‘ doi.org/10.1007/s10648-015-9301-y.
swimming against the tide: The,big-fish-little-pond effect‘ and Von Der Embse, N., Barterian, J., & Segool, N. (2013). Test anxiety
gender ratio in special gifted classes. Contemporary Educational interventions for children and adolescents: A systematic review
Psychology, 33, 78–96. of treatment studies from 2000–2010. Psychology in the Schools,
Rheinberg, F. (2004). Motivation (5. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. 50(1), 57–71.
Rheinberg, F., & Krug, S. (1999). Motivationsförderung im Schulalltag. Watson, D., Clark, L. A., & Tellegen, A. (1988). Development and
Göttingen: Hogrefe. validation of brief measures of positive and negative affect: The
Richardson, M. P., Strange, B., & Dolan, R. J. (2004). Encoding of PANAS scales. Journal of Personality and Social Psychology, 54,
9 emotional memories depends on the amygdala and hippocampus 1063–1070.
and their interactions. Nature Neuroscience, 7, 278–285. Watt, H. M. G. (2004). Development of adolescents’ self-perceptions,
Rost, D. H., & Schermer, F. J. (2007). Differentielles Leistungsangst values, and task perceptions according to gender and domain in
Inventar (DAI) (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe Testzentrale. 7th- through 11-th grade Australian students. Child Development,
Rustemeyer, R. (1984). Selbsteinschätzung eigener Fähigkeit – Ver- 75, 1556–1574.
mittelt durch die Emotionen anderer Personen. Zeitschrift für Ent- Weiner, B. (1986). An attributional theory of motivation and emotion.
wicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 16, 149–161. New York: Springer.
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the Weiner, B. (2007). Examining emotional diversity in the classroom: An
facilitation of intrinsic motivation, social development, and attribution theorist considers the moral emotions. In P. A. Schutz
well-being. American Psychologist, 55, 68–78. & R. Pekrun (Hrsg.), Emotions in education (S. 75–88). San Diego:
Scarantino, A. (2015). Basic emotions, psychological construction, and Academic.
the problem of variability. In: J. Russel & L. Barrett (Eds.). The psycho- Wieczerkowski, W., Nickel, H., Janowski, A., Fittkau, B., Rauer, W.,
logical construction of emotion (S. 334–376). New York: Guilford Press. & Petermann, F. (2016). Angstfragebogen für Kinder (7. Aufl.).
Scherer, K. R., Schorr, A., & Johnstone, T. (Hrsg.). (2001). Appraisal Göttingen: Hogrefe Testzentrale.
processes in emotion. Oxford: Oxford University Press. Zeidner, M. (1998). Test anxiety: The state of the art. New York: Plenum.
Schmidt, H. (Hrsg.). (1978). Handbüchlein der Moral und Unterredungen/ Zeidner, M. (2014). Anxiety in education. In R. Pekrun & L.
Epiktet (10. Aufl.). Stuttgart: Kröner. Linnenbrink-Garcia (Hrsg.), International handbook of emotions
Schnabel, K. (1998). Prüfungsangst und Lernen. Empirische Analysen zum in education (S. 265–288). New York: Routledge, Taylor & Francis
Einfluss fachspezifischer Leistungsängstlichkeit auf schulischen Lern- Group.
fortschritt. Münster: Waxmann. Ziegler, A., & Schober, B. (2001). Theoretische Grundlagen und praktische
Schwarzer, R. (2000). Stress, Angst und Handlungsregulation. Stuttgart: Anwendungen von Reattributionstrainings. Regensburg: Roderer.
Kohlhammer.
Smith, C. A., & Lazarus, R. S. (1993). Appraisal components, core
relational themes, and the emotions. Cognition and Emotion, 7,
233–269.
235 IV
Interagieren
Inhaltsverzeichnis
10 Familie – 237
Elke Wild und Sabine Walper
11 Lehrkräfte – 269
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker
12 Gleichaltrige – 289
Ursula Kessels und Bettina Hannover
237 10
Familie
Elke Wild und Sabine Walper
Literatur – 262
Die Originalversion dieses Kapitels wurde revidiert. Ein Erratum ist verfügbar unter
7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_19
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020, korrigierte Publikation 2021
E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_10
238 E. Wild und S. Walper
Familien sind der primäre Entwicklungs- und Bildungs- Arrangement ist ungeachtet der Pluralisierung familialer
kontext von Kindern. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch Lebensformen statistisch gesehen immer noch die häufigste
lange danach spielen Familien eine entscheidende Rolle in Familienform (Peuckert 2012). Allerdings gewinnen andere
der Förderung und Unterstützung ihrer Familienmitglieder Familienformen zunehmend an Bedeutung. Entsprechend
– nicht zuletzt im hohen Alter. Fraglos ändern sich die wird der Begriff der Familie – in der Bevölkerung wie in
Aufgaben und Beziehungen im Verlauf der Familienent- der Familienforschung – schon seit längerem auf unter-
wicklung, wobei die jeweilige Lebenslage und der Kontext, schiedlichste Konstellationen des Aufwachsens von Kindern
in dem das Familienleben stattfindet, eine wichtige Rolle angewendet – so sprechen wir beispielsweise von Adoptiv-
für die Ausgestaltung der Interaktionen spielt. Wie sich und Pflegefamilien, von Trennungs-, Ein-Elternteil- und
die Anforderungen an Eltern im Verlauf der Familienent- Stieffamilien oder auch von (gleichgeschlechtlichen) Regen-
wicklung wandeln, welchen Einfluss kritische Lebensereig- bogenfamilien. Um diese Beziehungskonstellationen von
nisse auf das Familienleben haben und welche Aspekte des anderen sozialen Gruppen abgrenzen zu können, folgen wir
Familienlebens für die Entwicklungschancen von Kindern der Definition von Hofer (2002a).
und Jugendlichen besonders relevant sind, ist Gegenstand
dieses Kapitels (. Abb. 10.1). Definition
Hofer (2002a, S. 6) definiert Familie als „eine Gruppe von
Menschen, die durch nahe und dauerhafte Beziehungen
miteinander verbunden sind, die sich auf eine
nachfolgende Generation hin orientiert und die einen
erzieherischen und sozialisatorischen Kontext für die
Entwicklung der Mitglieder bereitstellt“.
10
Lange Zeit wurde die Familie vor allem als Ort der
primären Sozialisation und Erziehung betrachtet. Tat-
sächlich stellt sie jedoch zugleich eine wichtige und fort-
dauernde Bildungsinstanz vor und neben der Schule dar
(Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Ange-
sichts globaler gesellschaftlicher Entwicklungen (s. u.) gilt
dies heute in zunehmendem Maße.
Die damit einhergehenden Erwartungen und
Anforderungen wie auch die Hilfen, die Erziehungs-
berechtigte in Anspruch nehmen können, variieren
naturgemäß in Abhängigkeit vom Alter des Kindes.
Daher sind die Ausführungen in 7 Abschn. 10.2 nicht an
den Funktionen der Familie (vgl. etwa Nave-Herz 2015)
orientiert, sondern entlang „prototypischer“ Phasen der
Familienkarriere (vgl. Wild und Hofer 2002) gegliedert.
Das von Aldous (1977) eingeführte Konzept der „Familien-
karriere“ oder des „Familienzyklus“ geht davon aus, dass
der Lebenszyklus einer Familie – wie der eines Menschen
– einer typischen Entwicklungssequenz folgt (s. auch
Kreppner und Lerner 2013). Der Übergang von einer Phase
in die nächste wird durch Veränderungen der kindlichen
Bedürfnisse und Kompetenzen, der elterlichen Rollen-
vorstellungen und Selbstbilder sowie der wechselseitigen
Erwartungen von Eltern und Kindern ausgelöst. Nicht alle
. Abb. 10.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de)
Familien durchlaufen sämtliche Etappen der Familien-
karriere geradlinig – man denke etwa an Eltern, die nach
10.1 Einleitung einer Trennung eine neue Beziehung eingehen und ein
weiteres Kind in dieser „Forsetzungsfamilie“ bekommen,
Wenn heute von „Familien“ die Rede ist, bezieht sich die erste oder an Paare, die ein Pflegekind für eine gewisse Zeit
Assoziation vermutlich nach wie vor auf ein verheiratetes in Obhut nehmen. Dennoch ist die regulative Idee auf-
Paar, das mit seinen leiblichen Kindern (bzw. seinem leib- einanderfolgender Phasen des Familienzyklusses mit je
lichen Kind) in einem Haushalt zusammenlebt. Dieses in der eigenen Anforderungen heuristisch fruchtbar (zum Konzept
Familiensoziologie als „bürgerliche Kernfamilie“ bezeichnete der Familienentwicklungsaufgabe vgl. Duvall und Miller
Familie
239 10
1985). Sie erlaubt eine Beschreibung von erwartbaren Ab dem 3. Lebensjahr erweitert sich allein aufgrund
Wachstumsverantwortlichkeiten, die Familienmitglieder motorischer und sprachlicher Entwicklungsfortschritte
in einer gegebenen Entwicklungsstufe meistern müssen, der Lebensraum von Kleinkindern. Wie sich hierdurch die
um ihre biologisch-sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, Anforderungen an Eltern verändern und welche Rolle neu
den kulturellen Erfordernissen gerecht zu werden und die hinzutretenden Interaktionspartnern – etwa der Erzieherin
Ansprüche und Werte ihrer Mitglieder zu erfüllen. im Kindergarten oder gegebenenfalls weiterer Geschwister-
Wie noch zu zeigen sein wird, gelingt es nicht allen kinder – für die psychosoziale und intellektuelle Ent-
Familien gleich gut, den veränderten Bedürfnissen, Fähig- wicklung von Vorschulkindern zukommt, ist Gegenstand
keiten und Erwartungen der Familienmitglieder Rechnung des 7 Abschn. 10.2.2.
zu tragen. Unterschiede in der Funktionsfähigkeit von Um das vollendete 6. Lebensjahr herum werden Kinder
Familien werden jedoch besonders deutlich im Umgang hierzulande eingeschult. Von nun an sind Familien und
mit sogenannten kritischen Lebensereignissen, die plötz- Schulen aufgefordert, sich zum Zweck der bestmöglichen
lich eintreten und umfassendere Anpassungsleistungen Erziehung und Bildung des jeweiligen Kindes auszu-
verlangen. In 7 Abschn. 10.3 wird daher am Beispiel von tauschen und sich in ihren spezifischen Bemühungen zu
drei kritischen Lebensereignissen bzw. anforderungs- ergänzen bzw. zu unterstützen. Wie sich das Familien-
reichen Lebenslagen – Trennung/Scheidung, Krank- leben durch den Schuleintritt verändert und inwiefern
heit und Armut/Arbeitslosigkeit – herausgearbeitet, Eltern zu einer vertrauensvollen „Erziehungspartnerschaft“
welche Bedingungen einer konstruktiven Bearbeitung von mit der Schule beitragen können, wird in 7 Abschn. 10.2.3
Familienkrisen entgegen stehen und welche ihr zuträg- behandelt.
lich sind. Die betrachteten kritischen Lebensereignisse Wohl um keinen anderen Entwicklungsabschnitt
sind exemplarisch ausgewählt, um nachvollziehbar zu ranken sich so viele Mythen wie um die Pubertät. In
machen, dass und warum die Identifizierung allgemein- 7 Abschn. 10.2.4 wird ausgeführt, warum es keineswegs
gültiger „ultimativer“ Ratschläge im Umgang mit kritischen alarmierend ist, wenn Jugendliche manche Standpunkte
Lebensereignissen obsolet ist. Umso mehr möchten wir ihrer Eltern hinterfragen und warum der augenscheinliche
mit unseren Ausführungen verdeutlichen, inwiefern in der Bedeutungszuwachs der Gleichaltrigen nicht impliziert,
Beratungspraxis auf wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse dass der Sozialisationseinfluss des Elternhauses schwindet.
zu problemlagenspezifischen Risiko- und Schutzfaktoren In 7 Abschn. 10.2.5 werden schließlich Veränderungen
aufgebaut werden kann. in der Beziehung zwischen Eltern und ihren volljährigen
„Kindern“ thematisiert. Hierbei kommen auch Fehlent-
wicklungen, die unter anderem unter dem Schlagwort
10.2 Die Rolle der Eltern im Verlauf der „Helikopter-Eltern“ untersucht werden, zur Sprache.
(Familien-)Entwicklung
In einer kaum noch überschaubaren Anzahl populär- 10.2.1 Die Gründung einer Familie
wissenschaftlicher Ratgeber wird Eltern gesagt, wie sie
die Entwicklung ihres Kindes vom Säuglings- bis zum Auch wenn die Geburtenraten in den letzten Jahren in
Erwachsenenalter unterstützen können und sollten. Viele Deutschland weitgehend konstant geblieben sind, befinden
dieser Darstellungen zielen auf einfache Botschaften ab. Was sie sich doch ebenso wie in vielen anderen europäischen
dabei leicht aus dem Blick gerät, sind die jeweiligen Lebens- Staaten auf einem relativ geringen Niveau (Statistisches
umstände der Eltern und die individuellen Besonderheiten Bundesamt 2018a). Deshalb und weil die durchschnitt-
der Kinder, die als zentrale Rahmenbedingungen Einfluss liche Lebensdauer steigt, verschiebt sich die Alters-
auf die Ausgestaltung des Familienalltags nehmen. Die im struktur der Bevölkerung. Um diesem demographischen
Folgenden zusammengefassten Forschungserkenntnisse Wandel entgegenzuwirken, wurde und wird seitens der
tragen vor allem jenen Rahmenbedingungen Rechnung, die Politik eine breite Palette an Maßnahmen aufgelegt, die es
durch den jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder bzw. den jungen Erwachsenen erleichtern soll, ein (weiteres) Kind
spezifischen Abschnitt in der Familienkarriere gegeben sind. zu bekommen. Diese reicht von finanziellen Entlastungen
Betrachtet werden in diesem Abschnitt fünf Stadien bei einer traditionellen Arbeitsteilung (Ehegattensplitting,
der Familienkarriere. In 7 Abschn. 10.2.1 wird zunächst die Betreuungsgeld) bis hin zum Ausbau von Kitas. Die Viel-
Phase der Familiengründung betrachtet. Es wird erläutert, zahl der Maßnahmen ist nicht zuletzt deshalb umstritten,
inwiefern sich diese heute anders gestaltet als noch vor weil sie offenbar nicht die gewünschte erleichternde
50 Jahren und welche Konsequenzen dies für das Auf- Wirkung in Form deutlich steigender Geburtenraten erzielt
wachsen von Kindern hat. Darauf aufbauend wird der Frage (Stock et al. 2012). Dabei steht der Wunsch, eine Familie zu
nachgegangen, wie und unter welchen Bedingungen die gründen, ganz oben auf der Liste der persönlichen Ziele von
Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern (0–2 Jahre) Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Shell Deutschland
bestmöglich befriedigt werden. Auch familiale Risiko- 2015). Wie passt dies zusammen?
faktoren und mögliche Unterstützungsangebote werden Aus familiensoziologischer Sicht ist die sogenannte
dargelegt. „kindzentrierte Familie“ (Nave-Herz 2015), in der sich
240 E. Wild und S. Walper
zwei liebende Eltern intensiv um ihren Nachwuchs und können so ihr Kompetenzspektrum besonders schnell
kümmern, ein vergleichsweise neues Phänomen. Noch an erweitern (Spangler und Zimmermann 2015).
der Wende zum 20. Jahrhundert waren sechs oder mehr Eine nachweislich zentrale Voraussetzung für
Geschwister keine Seltenheit und alleinerziehende sowie eine sichere Bindung ist die Feinfühligkeit der Eltern
Patchwork-Familien genauso anzutreffen wie heute. Mehr beziehungsweise relevanter Bindungspersonen im
noch: Kinder streunten, wenn sie nicht arbeiten mussten, Umgang mit kindlichen Bedürfnissen und Signalen (zusf.
um zum Überleben der Familie beizutragen, häufig Becker-Stoll 2017). Eltern, die erkennen, wann ihr Kind
unbeaufsichtigt umher. müde, hungrig oder überfordert ist, und angemessen sowie
Dies änderte sich mit der Schaffung staatlicher prompt auf diese Signale reagieren, tragen dazu bei, dass
Unterstützungs- und Versorgungssysteme und dem Kinder ihre Welt als kontrollierbar wahrnehmen und neu-
wachsenden Wohlstand in der Nachkriegszeit. Nun gierig ihre physikalische und soziale Umwelt explorieren.
konnten es sich immer breitere Teile der Gesellschaft Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Kinder von Anfang an
„leisten“, vorrangig aus romantischen Gründen zu heiraten meist nicht nur mit Eltern sondern auch mit Geschwistern,
und auch den Kinderwunsch von pragmatischen Zielen Verwandten, Paten oder Freunden der Familie aufwachsen.
wie der Versorgung im Alter zu entkoppeln. In der Folge Eine besondere Rolle spielen dabei die Großeltern: Bei
rückten psychologische Motive für Elternschaft in den etwa 70 % der unter 6-jährigen Kinder sind die Großeltern
Vordergrund: Kinder werden heute vor allem als persön- in unterschiedlicher Form in die Betreuung ihrer Enkel
liche Bereicherung empfunden, Elternschaft als eine Facette involviert, und vielfach wünschen sich die Eltern eine
der Selbstverwirklichung (Nauck 2001). Nicht zuletzt hat stärkere Beteiligung der Großeltern, was aber oft daran
auch die Verbreitung der „Pille“ dazu beigetragen, dass sich scheitert, dass diese zu weit weg wohnen (Autorengruppe
die Idee einer „verantworteten Elternschaft“ in praktisch Bildungsberichterstattung 2018, S. 65).
allen Schichten durchsetzen konnte. Die inneren und sozialen Ressourcen sicher gebundener
10 Dass junge Menschen den Übergang zur Elternschaft Kleinstkinder erleichtern eine störungsfreie Entwicklung
unter bestmöglichen Bedingungen vollziehen möchten, in späteren Entwicklungsphasen. Welche fortlaufenden,
ist verständlich, denn die Umstellung des Paares auf die phasenspezifisch variierenden Unterstützungsleistungen
neuen Aufgaben verläuft nicht ohne Anstrengungen, der Eltern ferner bedeutsam sind, wird in den folgenden
erfordert Kompromisse und eröffnet vielfach Reibungs- Abschnitten erörtert.
punkte (Graf 2002; Reichle und Werneck 1999). Steigende
Ansprüche und Erwartungen „postmoderner“ Paare lassen
beispielsweise Fragen der Vereinbarkeit von Familie und 10.2.2 Familienleben mit einem Kleinkind
Beruf virulent werden und können bei unbefriedigenden
Lösungen für die Arbeitsteilung die Qualität und Stabili- In den ersten Lebensmonaten eines Kindes sind die Eltern
tät der elterlichen Partnerschaft beeinträchtigen (vgl. vornehmlich mit fürsorglichen Tätigkeiten der Kinderpflege
7 Abschn. 10.3.1). Gleichzeitig ist die Tendenz, hohe (Füttern, Wickeln etc.) befasst. Bereits in der zweiten Hälfte
Maßstäbe an die eigene Erziehungskompetenz zu setzten, des ersten Lebensjahrs nehmen jedoch sozialisatorische und
durchaus begrüßenswert, weil (Klein-)Kinder aufgrund „lehrende“ Aktivitäten breiteren Raum ein. Je „mobiler“
ihrer beschränkten Kompetenzen stark auf die Fürsorge Kinder werden und je größer ihr Wortschatz wird, desto
ihrer primären Betreuungspersonen angewiesen sind. bedeutsamer wird der häusliche Anregungsgehalt (für
Allerdings tragen (zu) hohe Ansprüche an die Eltern- einen Überblick s. Bradley und Corwyn 2006). Unter
rolle auch dazu bei, dass viele Paare den Kinderwunsch diesem Begriff wird ein breites Spektrum an Erfahrungs-
aufschieben, bis die finanziellen und sonstigen Rahmen- möglichkeiten und Lebensbedingungen gefasst, das von
bedingungen „stimmen“. Auch dass sich viele Paare für materiell und kulturell geprägten Aspekten (z. B. aus-
nicht mehr als ein oder zwei Kinder entscheiden, reflektiert reichender Wohnraum, Verfügbarkeit von Büchern und
gestiegene Ansprüche an Elternschaft. anderen anregenden Spielzeugen und Lernmaterialien) über
Zahlreiche wissenschaftliche Studien stützen die von gemeinsame Aktivitäten (z. B. vorlesen, Ausflüge machen,
Eltern heutzutage gehegte Überzeugung, dass gerade in den gemeinsame Mahlzeiten) bis hin zu Erziehungspraktiken
ersten Lebensmonaten wichtige Grundlagen für die weitere (z. B. elterliche Disziplinierungsstrategien, Selbstständig-
intellektuelle und psychosoziale Entwicklung gelegt werden. keitserziehung) und „psychohygienischen“ Bedingungen
Vor allem bindungstheoretisch inspirierte Längsschnitt- (z. B. Familienklima, Regeln des Miteinander) reicht. Diese
studien zeigen, dass sicher gebundene Kinder – unter sonst Merkmale häuslicher Umgebung korrespondieren vom
gleichen Bedingungen – eher als unsicher-vermeidend oder Säuglingsalter an bis ins Jugendalter hinein systematisch
ambivalent gebundene Kinder in der Lage sind, Angst oder und substanziell mit kindlichen Kompetenzmaßen und
Trauer erzeugende Situationen effektiv zu bewältigen und leisten selbst bei Kontrolle der sozioökonomischen Aus-
positive Beziehungen zu Gleichaltrigen und relevanten gangslagen einen eigenständigen Beitrag zur Vorhersage
anderen Personen (z. B. Lehrkräften) aufzubauen. Auch der kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklung von
tendieren sie dazu, ihre Umwelt intensiv zu explorieren, Kindern (z. B. Vandell et al. 2010).
Familie
241 10
Wie in 7 Abschn. 10.2.1 erläutert, hat sich aus familien- gesteigert haben, sondern auch Mütter deutlich zugelegt
historischer Sicht ein beträchtlicher Wandel in der haben und mehr Zeit in die Kinderbetreuung investieren –
Eltern-Kind-Beziehung und in der Erziehung vollzogen trotz steigender Erwerbsbeteiligung (Meier-Gräwe und
(Nave-Herz 2015). Dass Eltern heute engagierter und Klünder 2015; 7 Exkurs „Frühkindliche Bildung und
selbstreflektierter denn je sind, ist einerseits positiv zu Betreuung“).
werten. Andererseits deuten der Boom bei Erziehungsrat- Die regelmäßig durchgeführten, internationalen Ver-
gebern und die wachsende Nachfrage nach Beratungs- und gleichsstudien liefern deutliche Hinweise, dass Bildungs-
Förderhinangeboten auf vermehrte Unsicherheiten von ungleichheiten von Schülerinnen und Schülern wesentlich
Eltern hin, die steigenden Anforderungen und Erwartungs- auf ungleiche Startchancen vor dem Schuleintritt zurück-
haltungen in der Erziehung geschuldet sind, aber auch den zuführen sind (zu IGLU vgl. Hußmann et al. 2017).
Rückgang sozial geteilter Normen und „Selbstverständlich- Diese Befunde lenken das politische Hauptaugenmerk
keiten“ im Wandel von Familie und Erziehung reflektieren. auf Formen der frühen (institutionellen) Betreuung als
Eltern sorgen sich, Fehler in der Erziehung zu machen besonders bedeutsame „Stellschrauben“ zur Verringerung
oder auch Fördermöglichkeiten nicht hinreichend wahrzu- primärer Disparitäten. Sichtbar wird dies etwa in der Ein-
nehmen. Und weil sie sich in hohem Maße für gelingende führung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung für
Erziehung verantwortlich sehen und diese an einer 1- und 2-Jährige Kinder sowie in dem – erst kürzlich, am
optimalen Entwicklung des Kindes festmachen, wird jedes 01.01.2019 – in Kraft getretenen „Gute-Kita-Gesetz“.
Problem, jede Abweichung leicht als Ausdruck des eigenen Letzteres greift öffentliche Erwartungen in Richtung
Scheiterns gewertet. Diese wachsenden Befürchtungen von einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf
Eltern gilt es ernst zu nehmen, auch wenn die Persönlich- sowie Erwartungen im Sinne einer kompensatorischen
keitsentwicklung von Kindern natürlich von zahlreichen Förderung von Kindern aus sozio-kulturell benachteiligten
weiteren Kontextbedingungen sowie genetischen Faktoren Familien, die im Elternhaus kein optimal anregendes
abhängt, die nicht dem Einfluss der Eltern unterliegen Umfeld vorfinden. Deren Eltern sollen damit aber keines-
(Borkenau et al. 1999). wegs aus der Verantwortung entlassen oder entmündigt
Wie stark die Eltern-Kind-Beziehung heutzutage von werden. Vielmehr gilt es alle Eltern darin zu unterstützen,
bildungsbezogenen Ambitionen geprägt ist, zeigt eine Studie ihre eigenen Möglichkeiten und Stärken mit Unterstützung
der Konrad-Adenauer-Stiftung (Henry-Huthmacher et al. der Fachkräfte vor Ort – wie den Erzieherinnen oder
2008). Die Autoren fassen die Ergebnisse ihrer quantitativen anderen Ansprechpartnern in Familienbildungszentren –
Repräsentativbefragung und ergänzender qualitativer Inter- auszuloten und weiterzuentwickeln (7 Exkurs „Frühkind-
views dahin gehend zusammen, dass sich Eltern aller Status- liche Bildung und Betreuung“).
gruppen des Stellenwerts von (früher) Bildung bewusst Aus bildungswissenschaftlicher und entwicklungs-
sind und sich in dem Bestreben, ihrem Kind Startvorteile psychologischer Sicht ist hervorzuheben, dass Vorschul-
zu verschaffen, ein ambitioniertes Programm auferlegen, kinder in sprachlicher, kognitiver und sozialer Hinsicht
das Zeit, Kraft und Geld kostet. Um keine Chance zu ver- von einer institutionellen Betreuung profitieren (Sylva et al.
passen, das eigene Kind im Wettbewerb um gute Schulen, 2004). Selbst bei einem Kita-Besuch im Alter von unter drei
Bestnoten und Studienplätze gut aufzustellen, werden Eltern Jahren lassen sich keine nachteiligen Effekte auf die psycho-
(und vor allem Mütter) zu „Managern“ eines immer dichter soziale Entwicklung finden (Walper und Grgic 2013), wenn
mit Mal-, Turn-, Musik-, Sprach- und Schwimmkursen der Umfang der Fremdbetreuung altersangemessen dosiert
gefüllten Wochenplans. Dieser verlangt auch den Kindern sowie die Eingewöhnungsphase angemessen gestaltet wird
einiges ab, da wenig Raum für freies Spiel, ziellose Kreativi- sowie die Qualität sichergestellt ist (Becker-Stoll et al.
tät und Entspannung bleibt. So wird in zeitkritischen Essays 2009). Viele Studien zeigen zudem, dass der Ertrag von
von einer „Diktatur des Guten“ gesprochen (Stelzer 2009) früher Bildung vor allem für benachteiligte Gruppen hoch
und davon, dass Kinder leicht zu einem „Projekt“ der Eltern ist. Migrantenkinder etwa, die eine Krippe besucht haben,
geraten (vgl. dazu auch 7 Abschn. 10.2.5). Noch mangelt besuchen deutlich häufiger das Gymnasium als diejenigen,
es zwar an wissenschaftlichen Studien zu der Frage, ob im die zu Hause betreut wurden. Vom Kindergartenbesuch
Generationenvergleich eine wachsende Zahl von (Vor-) profitieren jedoch nicht nur die benachteiligten Kinder
Schulkindern den (über-)ehrgeizigen Erwartungen und – Berechnung des Wirtschaftsnobelpreisträgers James
Bemühungen ihrer Eltern ausgesetzt sind. Immerhin zeigt Heckman (2006) zufolge hat ein Land von jedem Dollar,
sich im 11-Jahresvergleich der Zeitverwendungserhebungen den es in die frühe Förderung der Ärmsten investiert, einen
von 2001/2002 und 2012/2013, dass nicht nur Väter ihr 7- bis 12-fachen Nutzen, weil Sozialkosten eingespart und
Engagement in der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder mehr Steuern eingenommen werden.
242 E. Wild und S. Walper
Exkurs
10.2.3 Der Schuleintritt: Eltern als umfassender ist, hat vielfältige Gründe. Sie reichen von
Lernbegleiter und Lehrkräfte als dem oben bereits erwähnten Wandel im Selbstverständ-
„Erziehungspartner“ nis und Anspruch von Eltern über den politisch gewollten
Ausbau von inklusiven und ganztägigen Schulen bis hin zu
Die Aussage, dass Familien nicht nur einen Be- und wissenschaftsinternen Diskursen über die Bildungsbedeut-
Erziehungsraum für Kinder, sondern auch eine wichtige samkeit familialer Sozialisationsprozesse (vgl. Müller 2012;
Lernumgebung darstellen, mag heutzutage wenig Wider- Walper und Grgic 2013; Wild et al. 2012). Infolge dieser
spruch erzeugen. Doch noch Ende der 1980er-Jahre war die Entwicklungen lösen sich die traditionellen Zuständigkeits-
Vorstellung einer strikten Arbeitsteilung zwischen Schule bereiche von Schule und Familie auf (Fegter und Andresen
und Elternhaus in der Öffentlichkeit weit verbreitet. Die 2008), weil zunehmend deutlich wird, dass Bildungs- und
entsprechend getrennten Zuständigkeitskonzeptionen – Erziehungsprozesse kaum unabhängig voneinander zu
Lehrkräfte waren für den Erwerb intellektueller Wissens- betrachten sind.
bestände und Fähigkeiten zuständig, Eltern oblag die Wie oben ausgeführt, können Eltern von Geburt an
Verantwortung, im Rahmen der familialen Erziehung indirekt über die Gestaltung des häuslichen A
nregungsgehalts
die psychosoziale Entwicklung von Kindern zu fördern – die Entwicklung von Fähigkeiten und Haltungen, die für den
spiegelten sich auch in der Forschungslandschaft wider: (weiteren) schulischen Erfolg bedeutsam sind, unterstützen.
Pädagogisch-psychologische Untersuchungen zur Rolle Nach der Einschulung verbreitern sich allerdings deutlich
des Elternhauses für die schulische Entwicklung waren die Möglichkeiten, das eigene Kind in seinem schulischen
rar und blieben es in Deutschland bis zum Ausklang des Bildungsweg zu begleiten (Hoover-Dempsey et al. 2001). In
20. Jahrhunderts (zusf. Wild und Lorenz 2010). Dass der Forschung zum Engagement von Eltern für die schulische
der inzwischen vorliegende Forschungsstand deutlich Entwicklung ihrer Kinder (parental involvement in schooling)
Familie
243 10
unterscheidet man zwischen „school-based involvement“ – vor „institutionellen“ Kontakten mit der Schule und den
darunter fällt etwa der Besuch von Elternsprechtagen, die Mit- Lehrkräften eher zurückschrecken und oftmals als „schwer
hilfe bei Schulfesten und -ausflügen oder auch die Mitwirkung erreichbar“ oder „desinteressiert“ gelten, obwohl sie durch-
in der Elternpflegschaft – und „home-based involvement“. aus aktiv Anteil an der schulischen Entwicklung ihrer Kinder
Letzteres hebt vor allem auf die elterliche Hilfe beim häus- nehmen (Killus und Tillmann 2017).
lichen Lernen ab, etwa Hilfestellungen bei den Hausaufgaben So unterliegen Lehr-Lern-Gelegenheiten zu Hause
oder auch das Üben im Vorfeld von Klassenarbeiten oder in keiner strikt vorgegebenen Zeittaktung wie in der Schule,
Reaktion auf Lern- und Leistungsprobleme. Beide Aspekte – weshalb die im Einzelfall (allein) für rekapitulierende
sowohl das Engagement der Eltern in der Schule als auch das Übungsaufgaben benötigte Zeit prinzipiell eher zur Ver-
häusliche Engagement für die schulische Bildung der Kinder – fügung gestellt werden kann. Zudem können Eltern
sind m.o.wW. direkt für die Entwicklung des schulischen grundsätzlich leichter als Lehrkräfte – und insbesondere
Wohlbefindens von Kindern und damit auch für deren Fachlehrkräfte in weiterführenden Schulen – einen offenen
Leistungsentwicklung bedeutsam. Vor allem die Qualität des Umgang mit Fehlern befördern, weil sie weniger gefordert
‚home-based involvements‘ hat sich aber als besonders relevant sind, die kindlichen Lernfortschritte stets (auch) anhand
für die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern sozialer Vergleichsmaßstäbe zu beurteilen. Als lang-
herausgestellt (Hill und Tyson 2009; Jeynes 2005, 2012). So jährige Begleiter ihrer Kinder vermögen sie darüber
betrachten wir im Folgenden zunächst vor allem häusliche hinaus rascher kontraproduktive Formen des Umgangs
Aktivitäten und zeigen deren Potentiale aber auch Grenzen und mit schulischen Misserfolgen zu erkennen und schließlich
Risiken auf. Danach erörtern wir, wie sich Schulen im Rahmen können zumindest fachlich versierte Eltern, wenn sie eine
von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften vor Ort stärker Über- oder Unterforderung bei ihrem Kind wahrnehmen,
für Eltern öffnen können, um Mütter und Väter angemessen Übungsaufgaben an das individuelle Leistungsniveau des
einzubeziehen und auf diesem Weg Synergien für die Bildungs- Kindes anpassen und so eine für das Kind optimale Heraus-
förderung der Kinder zu schaffen. forderung schaffen.
Verschiedene Panelstudien zeigen, dass schulische Ob und inwiefern Heranwachsende von einer quali-
Themen im Familienleben eine wachsende Rolle spielen tätsvollen Hilfe im Elternhaus profitieren, wurde in zwei
(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Forschungslinien untersucht, die auf unterschiedlichen
Jugend [BMFSFJ] 2017). Obwohl Heranwachsende – auch theoretischen Ansätzen basieren. Die erste Forschungs-
im Zuge des Ganztagsschulausbaus – heute mehr Zeit in linie setzt an dem Erwartungs-Wert-Modell der Leistung
der Schule verbringen als vor 10 Jahren, erkundigen sich und leistungsrelevanter Entscheidungen von Eccles und
Eltern in der gemeinsamen Familienzeit häufiger nach den Kollegen an (z. B. Eccles 2007; Wigfield und Eccles 2000).
schulischen Erlebnissen ihres Kindes und unterstützen es In Einklang mit diesem Modell belegen längsschnittliche
verstärkt bei den Hausaufgaben und der Vorbereitung auf Studien für unterschiedliche Domänen wie Mathematik,
Referate, Prüfungen oder andere Leistungsanforderungen. Lesen und Sport, dass selbst bei Kontrolle der Eingangs-
Dabei gaben bereits in Studien von Wild und Remy (2002) leistungen zwei Faktoren einen wesentlichen Beitrag zur
sowie Exeler und Wild (2003) weniger als 10 % der 304 Vorhersage der Leistungsentwicklung und des Wahlver-
befragten Drittklässler an, dass sie ihre Hausaufgaben haltens von Schülern leisten: die Erfolgserwartungen und
in Fächern wie Mathematik und Chemie immer alleine Valenzüberzeugungen der Schülerinnen und Schüler
machen müssen. Dass das häusliche Lehr-Lern-Engagement (Durik et al. 2006; Wigfield und Eccles 2000).
von Eltern seitdem keineswegs nachgelassen hat, illustrieren Mit der Erfolgserwartung („success expectation“) ist die
neuere Elternbefragungen, wonach grob jedes dritte Kind subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit angesprochen,
Nachhilfe von Eltern, Geschwistern oder privat finanzierten dass das angestrebte Ereignis eintritt, also ob ein Kind
Nachhilfelehrern bekommt, weil es den schulischen oder Jugendlicher meint, eine Mathematikaufgabe lösen zu
Anforderungen – tatsächlich oder mutmaßlich – nicht können. Diese Erwartung hängt von der Ausprägung des
allein gerecht werden kann (Tillmann 2017). Fähigkeitsselbstkonzepts der Schülerinnen und Schüler ab,
Gleichwohl variieren Art und Umfang der Hausaufgaben welches sich wiederum mithilfe des elterlichen Vertrauens
und der elterlichen Hausaufgabenbetreuung in Abhängigkeit in die kindliche Leistungsfähigkeit vorhersagen lässt (z. B.
vom Alter der Schüler, dem besuchten Schultyp und dem Fredricks und Eccles 2005). Elterliche Kontrolle hat dem-
Fach (z. B. Trautwein et al. 2006; Wagner et al. 2005). Auch gegenüber ein Absinken des Selbstkonzepts, der Ausdauer
die Ressourcen der Eltern spielen eine Rolle. Empirische und der Leistung von Lernenden zur Folge (Silinskas und
Studien zu den Bedingungen für das Ausmaß elterlichen Kikas 2017).
Schulengagements (Grolnick et al. 1997; Hoover-Dempsey Valenzüberzeugungen bilden ab, wie wichtig es einer
et al. 2005; Wild und Yotyodying 2012) unterstreichen die Person ist, in einem Fach gut zu sein, wie viel Spaß ihr die
Bedeutung der elterlichen Selbstwirksamkeitserwartungen Lernhandlung an sich macht und/oder wie wichtig eine
und anderer psychologischer „Motivatoren“ wie die Lern- Lernhandlung für das Erreichen zukünftiger Ziele erscheint.
und Leistungszielorientierungen von Eltern oder auch Für die Herausbildung kindlicher Valenzüberzeugungen
deren Zuständigkeitsvorstellungen. Zusammengenommen ist zum einen die elterliche Vorbildfunktion und Anleitung
erklären sie, warum sozial weniger privilegierte Familien wichtig. Wenn Eltern ihre Kinder zu Aktivitäten wie
244 E. Wild und S. Walper
Lesen, Musizieren oder Sport ermutigen, diese gemeinsam Hierzu zählt, dass Eltern ihren Kindern Wertmaßstäbe
mit ihrem Kind ausführen und Material (Bücher, vorleben und vermitteln, schul- bzw. lernbezogene
Musikinstrumente, Sportartikel) zur Verfügung stellen, Erwartungen transparent machen und aufzeigen, welche
nehmen Schüler außerschulische Lernangebote eher wahr (sachlogischen) Konsequenzen es hat, wenn Regeln oder
Aktivitäten auch selbstbestimmt nach. Zum anderen ist für Grenzen verletzt werden. Strukturgebung ist dabei von
die Entwicklung der kindlichen Lernmotivation bedeut- einem kontrollierenden Verhalten abzugrenzen, das auf
sam, inwiefern Eltern darauf hinwirken, ob sich Heran- eine Verhaltensanpassung des Kindes abzielt und mit einer
wachsende beim Lernen eher selbst- oder fremdbestimmt Frustration des kindlichen Autonomieerlebens einhergeht.
fühlen (Eccles 2007; Simpkins et al. 2005). In Einklang mit den skizzierten Überlegungen
Der zuletzt genannte Aspekt steht in der zweiten wurden überwiegend in angloamerikanischen Studien
Forschungsperspektive im Zentrum. Hier wird im Rück- zur Funktionalität elterlicher Hilfen beim Lernen positive
griff unter anderem auf die Selbstbestimmungstheorie Zusammenhänge zwischen der kindlichen Bedürfnis-
(Ryan und Deci 2017) angenommen, dass fremdbestimmte befriedigung und dem Kompetenzerleben von Schülern,
(external regulierte) Formen der Verhaltensregulation im ihren Kontrollüberzeugungen sowie ihrem Wohlbefinden
günstigen Fall zu selbstbestimmteren Formen der Lern- gefunden (z. B. Duineveld et al. 2017). Darüber hinaus
motivation transformiert werden. Entscheidend dafür ist berichten Schüler umso eher selbstbestimmte Formen
die Befriedigung von drei psychologischen Grundbedürf- der Lernmotivation, je mehr sie sich von ihren Eltern in
nissen: dem Bedürfnis nach Kompetenzerleben, Auto- ihrem Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und Wert-
nomieerleben und sozialer Eingebundenheit. Angewendet schätzung unterstützt fühlten.
auf die Qualität häuslicher Lernumgebungen sollten Kinder Unter bildungspolitischen Gesichtspunkten ist hervor-
bildungsbezogene Werte und Standards umso eher ver- zuheben, dass die Qualität der von Eltern gewährten Hilfe
innerlichen, je mehr ihnen die Chance eröffnet wird, sich weniger stark mit der Schichtzugehörigkeit zusammenzu-
10 als kompetent und Urheber der eigenen Handlung zu hängen scheint als gemeinhin angenommen (zusf. Dumont
erleben und sich angenommen zu fühlen. Eine in diesem et al. 2012a, b; Rubach 2018). Ein hoher sozialer Status ist
Sinne bedürfnisorientierte Unterstützung von Eltern beim also keineswegs ein Garant für eine förderliche Hilfe beim
häuslichen Lernen zeigt sich dabei in Ermutigungen zur Lernen. Gerade leistungsmotivierte und „erfolgsverwöhnte“
Eigeninitiative, im Anbieten subjektiv bedeutsamer Wahl- Eltern können auf den von Henry-Huthmacher et al.
möglichkeiten, in der Anerkennung der Perspektive und (2008) beobachteten Bildungsdruck mit Verhaltensweisen
Gefühle des Kindes, in emotionaler Unterstützung vor reagieren, die (unbeabsichtigt) dem Wohl des Kindes und
allem bei der Bewältigung von Misserfolgen sowie in Rück- damit auch dem eigenen Bestreben zuwiderlaufen. Dies
meldungen, die die Aufmerksamkeit des Kindes auf den ist etwa der Fall, wenn Kinder mit überzogenen Leistungs-
individuellen Lernfortschritt richten. Darüber hinaus erwartungen konfrontiert werden, die kindliche Kompetenz
kommt adaptiven, auf den jeweiligen Lern- und Ent- subtil in Zweifel gezogen wird, das häusliche Lernen durch
wicklungsstand des Kindes zugeschnittenen Hilfestellungen ein hohes Maß an Druck und engmaschiger Verhaltens-
eine besondere Bedeutung zu: Im Sinne des „Scaffolding- kontrolle gekennzeichnet ist oder Eltern das Lernverhalten
Prinzips“ gilt es, so wenig Hilfe wie möglich, aber so viel ihrer Kinder durch Liebesentzug oder leistungsabhängige
Hilfe wie nötig zu gewähren, damit der Lerner in seiner Zuwendung zu steuern versuchen („conditional regard“,
Selbstständigkeit gefördert wird, ohne dass sich Gefühle vgl. Roth et al. 2009).
von Überforderung oder Hilflosigkeit einstellen (Pomerantz Um problematischen Formen der häuslichen Lern-
et al. 2006; Shumow 1998). An diesen Beispielen wird deut- unterstützung von Eltern entgegenzuwirken, wurde eine
lich, dass sich eine autonomieunterstützende Hilfe nicht Reihe standardisierter Elterntrainings entwickelt (Wild
in einem bloßen Fehlen von Kontrolle erschöpft und auch und Wieler 2015). Nicht minder bedeutsam für die Ver-
nicht mit einem permissiven Umgang mit schulischen ringerung von Bildungsungleichheiten erscheint das
Belangen (7 Abschn. 10.2.4) zu verwechseln ist. Nicht zunehmende Bestreben einer Etablierung von Bildungs-
minder bedeutsam für die Verringerung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften zwischen Elternhaus und
ungleichheiten erscheint das zunehmende Bestreben einer Schule, die sich an wissenschaftlich fundierten Qualitäts-
Etablierung von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften kriterien schulischer Elternarbeit (vgl. Vodafone Stiftung
zwischen Elternhaus und Schule. Hierfür vorgelegte und Deutschland 2013; PTA 2009; Stiftung Bildungspakt
wissenschaftlich fundierte Qualitätskriterien schulischer Bayern 2014) orientieren. Sie zielen darauf ab, die der-
Elternarbeit (vgl. Vodafone Stiftung Deutschland 2013; PTA zeit noch sehr disparate Praxis des Einbezugs von Eltern
2009; Stiftung Bildungspakt Bayern 2014) zielen darauf ab, in Deutschland (zusf. Otterpohl und Wild 2017; Rubach
die derzeit noch sehr disparate Praxis des Einbezugs von 2018; Aich et al. 2018; Bonanati und Knapp 2016) auf
Eltern in Deutschland setzt vielmehr eine vertrauensvolle einem möglichst hohen Niveau anzugleichen und so das
Beziehung zu signifikanten Bezugspersonen und die Bereit- „school-based involvement“ von Eltern zu stärken. Als vor-
stellung von Strukturen voraus, die den Rahmen für auto- bildlich gelten Schulen, an denen sich Eltern und Lernende
nomes Verhalten altersangemessen abstecken und dadurch willkommen fühlen, die einen regelmäßigen und anlassun-
vor allem jüngere Schüler vor Überforderung schützen. abhängigen Informationsaustausch zwischen Eltern und
Familie
245 10
Schulpersonal pflegen, an denen sich alle Beteiligten über hinaus (7 Abschn. 10.2.5). Im Erleben von Eltern werden
Lernziele und -inhalte verständigen, um Lerner optimal Erziehungsfragen jedoch vor allem im Jugendalter salient,
fördern zu können, und an denen ein hohes Maß an Eltern- weil wachsende Unabhängigkeitsbestrebungen der Jugend-
partizipation realisiert wird. Die an einzelnen Schulen zu lichen neue Themen in der Auseinandersetzung um Regeln
erreichende Qualität der Kooperation wird dabei ausdrück- und Normen eröffnen und die elterliche Autorität stärker
lich als eine gemeinsame Herausforderung verstanden. So hinterfragt wird. Im Folgenden wird daher erläutert, warum
obliegt es zwar vorrangig der Schule als einer staatlichen die elterlichen Anstrengungen trotz oder gerade aufgrund
Bildungsinstitution, Eltern aller sozialen Schichten und der zunehmenden Bedeutung der Gleichaltrigen alles
Milieus einzuladen und auch die Interessen von Minder- andere als überflüssig werden.
heiten zu berücksichtigen. Eine demokratisch organisierte
Erziehungspartnerschaft lebt jedoch von dem Gedanken, Definition
dass sich alle Parteien ihrer Bring- und Holschuld bewusst Erziehung zielt auf eine Förderung der psychischen
sind und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen. Entwicklung von Menschen sowie die Vermittlung
Die Empfehlungen tragen zudem aktuellen Entwicklungen von gesellschaftlichem Wissen, Verhaltensregeln und
im Schulsystem Rechnung – und hier vor allem der Normen ab. Im Gegensatz zu Sozialisation beruht
forcierten Öffnung von Schule, dem Ausbau von Ganz- Erziehung auf einer pädagogischen Intention.
tagsschulen und der Ausweitung inklusiver Modelle der
Beschulung –, indem bei der Kooperation mit Eltern nicht
nur Lehrkräfte, sondern auch weitere Personengruppen Empirische Studien (z. B. Schneewind und Ruppert 1995)
(Schulsozialarbeiter, Erzieher, Integrationshelfer und Schul- belegen deutliche Veränderungen in Erziehungszielen und
psychologen) berücksichtigt werden. -methoden im Verlauf der letzten Jahrzehnte (Andresen
Eine verstärkte Einbeziehung der Familie erscheint et al. 2018; Shell Deutschland 2015). Auch die Stärkung
insbesondere in Ganztagsschulen wichtig, da hier die der Kinderrechte, die Deutschland 1989 ratifiziert hat, und
Zuständigkeiten von Elternhaus und Schule neu auszu- das seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch ver-
tarieren sind. So hieß es bereits in der Stellungnahme der ankerte Recht auf gewaltfreie Erziehung dürften hierzu bei-
Bundesregierung zu dem von einer Sachverständigen- getragen haben. Heutzutage geht die Mehrheit der Eltern
kommission erstellten 14. Kinder- und Jugendbericht davon aus, dass in modernen Gesellschaften eine andere
(BMFSFJ 2013): Art von Erziehung benötigt wird als in traditionalen
» Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass das Gesellschaften, in denen Autorität, Gehorsam und Weiter-
gabe von allseits geteilten Normen deren Weiterbestehen
„Reformprojekt Ganztagsschule“ erheblich zur (Neu)
Gestaltung heutiger Kindheiten beigetragen hat und garantieren. So haben Erziehungsziele wie „Selbstständig-
sich Zeiten und Räume von Kindern und Jugendlichen keit und freier Wille“ an Bedeutung gewonnen, sind die
ändern. Vor dem Hintergrund, dass die Ganztagsschule Einflussmöglichkeiten von Kindern auf Familienent-
sich auf dem Weg zum Regelangebot befindet, scheidungen gestiegen und stellen die intergenerationalen
unterstreicht die Kommission die Frage der Qualität von Beziehungen immer weniger einen „Befehlshaushalt“ als
Betreuung, Erziehung und Bildung für die Gestaltung des einen „Verhandlungshaushalt“ dar, in dem die Rechte und
Aufwachsens aller Kinder. Dabei kommt der besseren Pflichten der Familienmitglieder gemeinsam ausgehandelt
Verbindung von schulischen und außerschulischen werden (z. B. Jugendwerk der Deutschen Shell 1985;
Bildungsorten, der verstärkten Beteiligung der Eltern Walper 2004). Für heutige Elterngenerationen impliziert
sowie insbesondere auch der Partizipation der Kinder diese Liberalisierung in der Eltern-Kind-Beziehung indes
und Jugendlichen selbst eine zentrale Bedeutung zu. keine Befreiung von lästigen Pflichten, sondern die Auf-
forderung, die eigenen Entscheidungen, Erwartungen
Besonders bedeutsam dürfte eine tragfähige Erziehungs- oder Meinungen fortwährend argumentativ zu begründen.
und Bildungspartnerschaft auch an inklusiven Schulen Solche Gespräche sind für Eltern nicht selten anstrengend
sein, da Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf und manchmal nervenaufreibend. Gleichwohl sind sie
mit komplexeren Fragen und Entscheidungen konfrontiert sinnvoll, da Jugendliche auf diese Weise „selbstständig
sind und mehr Beratungsbedarf haben sollten als Eltern werden im Gespräch“ (Hofer 2003) und gewissermaßen
von Gleichaltrigen ohne Beeinträchtigungen (Wild und „nebenbei“ ihre Argumentationskompetenz ausbauen
Lütje-Klose 2017; Sodoge und Eckert 2004). sofern sie gefordert sind, eigene Positionen und Wünsche
zu begründen und sich mit den elterlichen Argumenten
auseinanderzusetzen (Wild et al. 2012; Quasthoff et al.
10.2.4 Die Transformation der Eltern-Kind- 2015).
Beziehung im Jugendalter Aus erziehungspsychologischer Sicht sind mit der
wachsenden Sensibilität für die kindlichen Belange und
Erziehung ist eine Funktion der Familie, die in allen Phasen der Hinwendung zu autoritativen Erziehungspraktiken
des Familienzyklus bedeutsam ist, in denen minder- (s. u.) wichtige Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich
jährige Kinder involviert sind – und mitunter auch darüber im Regelfall eine enge und positive Eltern-Kind-Beziehung
246 E. Wild und S. Walper
entwickeln kann und den körperlichen und psychischen Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) betont in § 1 das
Bedürfnissen Heranwachsender mehr denn je Rechnung Recht „auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und
getragen wird. So ist es nicht verwunderlich, dass Heran- gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.
wachsende im Alter von 6 bis 11 Jahren (World Vision Die Ergebnisse von Diana Baumrinds Forschung zeigen,
Deutschland 2018) und 12- bis 25-Jährige (Shell Deutsch- dass autoritativ erzogene Vorschulkinder durchschnitt-
land 2015) das Verhältnis zu ihren Eltern mehrheitlich lich kompetenter sind als Gleichaltrige, die anders erzogen
als sehr gut bezeichnen und ein überwältigender Teil der wurden. So gingen beispielsweise autoritative Erziehungs-
Jugendlichen die eigenen Kinder später einmal so erziehen praktiken bei Mädchen mit einer größeren Zielstrebig-
möchte, wie sie selbst erzogen wurden. Der AIDA:II-Studie keit, Unabhängigkeit und Leistungsorientierung einher,
zufolge bleiben Mütter und Väter die wichtigsten Bezugs- bei Jungen mit einem freundlicheren und kooperativeren
personen für die befragten 18- bis 25-Jährigen und in der Verhalten (Baumrind 1971). Die Überlegenheit autoritativ
NRW-Studie JugendLeben gaben 62 % der Befragten erzogener Kinder zeigt sich auch in weiteren Studien sowohl
an, ihre Sorgen und Probleme am häufigsten mit der zum Grundschul- als auch zum Jugendalter (vgl. Baum-
Mutter zu besprechen. Interessanterweise wird dabei ins- rind 1991), wobei zunächst nur insgesamt drei, später vier
besondere von Heranwachsenden mit Migrationshinter- Erziehungsstile unterschieden wurden. Letztere ergeben sich
grund die Mutter als wichtigste Ansprechperson genannt. aus einer Kombination von zwei Dimensionen, die Baum-
Ansonsten korreliert der sozioökonomische Status der rind als „Demandingness“ (Anforderungen, Kontrolle)
Herkunftsfamilie negativ mit der von Jugendlichen wahr- und „Responsiveness“ (Wärme) bezeichnete. Eine autorita-
genommenen Qualität der Beziehung zu den Eltern (zusf. tive Erziehung ist demnach durch hohe Ausprägungen auf
BMFSFJ 2017). Insgesamt bleibt somit festzuhalten, dass beiden Dimensionen gekennzeichnet. Das Gegenteil ist der
„gut erzogene“ Heranwachsende typischerweise die von Fall bei einem uninvolvierten bzw. vernachlässigenden
Eltern vermittelten Werten übernehmen und daher nicht Erziehungsstil, der im Forschungsverlauf von einem
10 von einem im Jugendalter mehrheitlich beobachtbaren permissiven Erziehungsstil unterschieden wurde und sich
„Generationenkonflikt“ gesprochen werden kann. als besonders nachteilig erwiesen hat. Uninvolvierte bzw.
Was aber macht „gute Erziehung“ aus? Mit dieser vernachlässigende Erziehung ist dadurch gekennzeichnet,
Frage befasst sich die pädagogische und psychologische dass weder Strukturen etabliert oder Grenzen gesetzt
Forschung seit langer Zeit, wobei die Forschung zu werden noch dem Kind emotionale Zuwendung gewährt
(elterlichen) Erziehungsstilen starken konjunkturellen wird. Den Gegenpol zum autoritativen Stil markiert ein ver-
Schwankungen unterlag. Einem regelrechten „Boom“ in nachlässigender Erziehungsstil, für den kennzeichnend ist,
den 1960er-Jahren folgte eine Phase der Stagnation, da in dass weder Strukturen etabliert oder Grenzen gesetzt werden
den 80er-Jahren vor allem von deutschen Wissenschaftlern noch dem Kind emotionale Zuwendung gewährt wird. Eine
(z. B. Brandstädter und Montada 1980; Schneewind 1980) derartige Mißachtung kindlicher Bedürfnisse erwies sich
eine kritische Bilanz gezogen wurde und angezweifelt als besonders problematisch. Ein autoritärer Erziehungs-
wurde, ob von einer Fortführung dieser Forschungs- stil präformiert im Vergleich dazu soziale Anpassungs-
tradition überhaupt ein wissenschaftlicher Erkenntnisfort- leistungen, die häufig allerdings mit intrapsychischen Kosten
schritt zu erwarten sei. verbunden sind. Zudem kann eine autoritäre, auf Gehorsam
Etwa zur gleichen Zeit wurde in anderen Ländern unter gerichtete Erziehung leicht in gewaltförmige Erziehungs-
dem Eindruck der „Studentenrevolten“ und „Hippiekultur“ methoden münden und im Extremfall zu einer Kindeswohl-
eine intensive und sehr kontroverse Debatte über die Frage gefährdung führen. So ist wenig verwunderlich, dass Kinder
geführt, warum sich Heranwachsende von gesellschaftlichen von Eltern mit einem vernachlässigenden oder autoritären
Werten und Normen abwenden. Die Amerikanerin Diana Erziehungsstil durchgängig am schlechtesten in den später
Baumrind untersuchte unter dem Einfluss dieser Debatten erhobenen Kompetenzmaßen abschnitten (Baumrind 2010).
die Funktionalität elterlicher Erziehungspraktiken, indem Die größten Vorteile zeigten sich für Jugendliche, die in
sie verglich, auf welche Art und Weise mehr oder weniger der Kindheit autoritativ erzogen worden waren. Vor dem
kompetente Kinder und Jugendliche erzogen worden waren. Hintergrund anhaltender Debatten um das richtige Ausmaß
„Kompetenz“ wurde dabei an zwei Kriterien festgemacht: und die angemessene Art elterlicher Kontrolle ist gleichwohl
der sozialen Kompetenz und der Autonomie. Dahinter stand festzuhalten, dass schon in den frühen Arbeiten auf einen
der Gedanke, dass Heranwachsende nur dann in der Lage bedingt autoritativen Erziehungsstil aufmerksam gemacht
sind, ihre Rolle in der Gesellschaft zu finden und sich in die wurde, der zu vergleichbaren Ergebnissen führte und daher
Gemeinschaft einzugliedern, wenn sie einerseits soziales Ver- als ‚good enough‘-Stil tituliert wurde.
antwortungsbewusstsein und soziale Fertigkeiten mitbringen Die Bemühungen Baumrinds wurden von der Arbeits-
und andererseits über ein gewisses Maß an Selbstständig- gruppe um Larry Steinberg aufgegriffen, fortgeführt und
keit und Unabhängigkeit verfügen, auch um sich durch- auf eine breite empirische Basis gestellt. Die Ergebnisse
setzen und dem Druck, zum Beispiel von Gleichaltrigen der hieraus hervorgegangenen, inzwischen über 30 Jahre
(auch 7 Kap. 12), widerstehen zu können. Auch das deutsche bestehenden Erziehungsstilforschung wurden von ihm
Familie
247 10
2001 unter dem programmatischen Titel „We know some können. Aufgrund neuerer Arbeiten, die zur Präzision
things“ zusammengefasst (Steinberg 2001, 2004). der beiden zentralen Dimensionen Wärme und Lenkung
Dabei wird anstelle des Baumrindschen Begriffs der beigetragen haben, lässt sich eine autoritative Erziehung am
Strenge nun derjenige der Verhaltenskontrolle verwendet, besten dadurch charakterisieren, dass Kinder zum einen
der im Jugendalter vor allem im elterlichen Monitoring emotionale Zuwendung erfahren, ohne mit dieser „erpresst“
zum Ausdruck komme. Hiermit wird betont, dass Eltern zu werden. Dies ist etwa der Fall, wenn Eltern mit Liebes-
über Aktivitäten, Aufenthaltsorte und Kontakte ihrer entzug drohen oder das kindliche Bestreben nach elterlicher
jugendlichen Kinder informiert sein sollten. Eltern mit Anerkennung zum Zweck einer engmaschigen Verhaltens-
hohen Werten auf dieser Dimension richten hohe, aber steuerung ausnutzen (zur Unterscheidung zwischen beiden
realistische Erwartungen an ihre Kinder, halten sich über Formen des „conditional regard“ vgl. Roth et al. 2009). Zum
deren Aktivitäten, Freundschaften und Interessen auf dem anderen folgt eine autoritative Erziehung der Idee einer
Laufenden, formulieren klare Regeln und setzen diese „Freiheit in Grenzen“ (Wiss. Beirat 2005, S. 55). Damit
auch mit disziplinierenden Maßnahmen durch. Im Licht ist gemeint, dass Heranwachsende in ihrer Autonomie-
neuerer Studien stellt sich allerdings die Frage, ob mit den entwicklung unterstützt und „herausgefordert“ werden,
Instrumenten zur Erfassung des elterlichen Monitorings aber zugleich Struktur erfahren, indem sie konsequent mit
nicht letztlich die Selbstöffnungsbereitschaft der Jugendlichen Regeln und Grenzen konfrontiert werden, deren Über-
abgebildet und somit vornehmlich eine unmittelbare Folge tretung antizipierbare Konsequenzen nach sich zieht (vgl.
der Wärme-Dimension erfasst wird (zur Kritik an diesem Grolnick und Pomerantz 2009).
Konzept vgl. Fletcher et al. 2004; Stattin und Kerr 2000). Alle genannten Prinzipien müssen natürlich immer
Die zweite von Baumrind postulierte Dimension an das einzelne Kind angepasst werden – ein hyperaktiver
der Wärme („responsiveness“) wurde unter dem Begriff Jugendlicher etwa braucht mehr Struktur als andere Kinder
Involvement aufgegriffen. Zudem führte Steinberg als und die Erziehung zur Selbstständigkeit muss sich bei
eine dritte Dimension die psychologische Autonomie- einem geistig behinderten Kind anders gestalten als bei
gewährung ein (zusammenfassend Steinberg 2001). einem intellektuell Begabten. Insofern ist eine autoritative
Sie beschreibt das Ausmaß, in dem Eltern Jugendliche Erziehung nicht durch ein „blindes Befolgen von Regeln“
ermutigen und ihnen erlauben, eigene Meinungen und zu bewerkstelligen – sie setzt vielmehr voraus, dass Eltern
Überzeugungen zu entwickeln. willens und fähig sind, die Bedürfnisse und Signale ihres
Empirisch (zusf. Steinberg 2001) zeigte sich, dass alle Kindes angemessen wahrzunehmen, zu interpretieren und
drei Dimensionen in spezifischer Weise zu einer günstigeren zu beantworten.
psychosozialen Entwicklung und akademischen Kompetenz Wie schwierig es sein kann, emotionale Zuwendung oder
von Jugendlichen beitragen. Je mehr Eltern über die Aktivi- auch die Balance von Freiheit und Verantwortung alters-
täten und das Erleben ihrer Kinder wissen, umso seltener tritt angemessen zu realisieren, erfahren viele Eltern spätestens
jugendliches Problemverhalten in Form von Drogen- und im Umgang mit ihren jugendlichen Kindern. Im Zuge der
Alkoholkonsum oder delinquentem Verhalten auf. Psycho- Identitätsentwicklung in der Adoleszenz beginnen Heran-
logische Autonomiegewährung und Involvement erwiesen wachsende immer stärker die Einstellungen und Gebote
sich insofern als protektive Faktoren, als sie der Ausbildung ihre Eltern zu hinterfragen und entwickeln Beziehungen zu
internalisierender Probleme (Depressionen, Ängste) ent- Gleichaltrigen, die der Eltern-Kind-Beziehung an Intensi-
gegenwirken. Hohe Ausprägungen auf beiden Dimensionen tät häufig nicht nachstehen und die Rolle der Eltern als bis-
gehen darüber hinaus auch mit einer positiveren Leistungs- lang wichtigster Gesprächspartner relativieren. Nicht selten
entwicklung – gemessen an der Notenentwicklung im Verlauf zeigen Jugendliche in Peer-Beziehungen auch eine Unter-
eines Jahres – einher. Für die Arbeitshaltung der Jugendlichen ordnungsbereitschaft, die Eltern befremdend finden können.
schließlich sind alle drei erfassten Dimensionen bedeutsam. Schließlich kann die Dynamik in einer Clique Jugendlicher
Um im engeren Sinne von „Effekten“ des elterlichen dazu beitragen, dass das im Rahmen der Identitätsfindung
Erziehungsverhaltens sprechen zu können, ist sicherzu- wachsende Bestreben, sich und seine Umwelt zu explorieren,
stellen, dass korrespondierende Unterschiede in der kind- in riskante Aktivitäten und Problemverhaltensweisen
lichen Entwicklung nicht auf andere Einflussgrößen, wie mündet.
die Lebensumstände der Familie, zurückzuführen sind. Es ist also nur verständlich, wenn Eltern besorgt,
Hierzu vorgelegte Arbeiten zeigen, dass selbst bei Kontrolle vielleicht auch gekränkt oder schlicht genervt reagieren und
der Schichtzugehörigkeit das elterliche Erziehungsverhalten Eltern-Kind-Konflikte in dieser Phase des Familienzyklus
einen statistisch bedeutsamen Beitrag zur Varianzaufklärung zunehmen. Diese vermehrten Auseinandersetzungen haben
in verschiedenen Kriterien, darunter den schulischen aber, wenn sie nicht eskalieren und konstruktiv bearbeitet
Leistungen, der psychosozialen Reife und den Arbeits- werden, auch ihr Gutes: Sie tragen dazu bei, dass Jugend-
haltungen bzw. der Lernmotivation Jugendlicher, leistet. liche „selbstständig werden im Gespräch“ (Hofer 2003).
Zusammenfassend beschreibt das Konzept der autorita- Dass die emotionale Nähe im Urteil verschiedener Geburts-
tiven Erziehung Verhaltensweisen, mit denen Eltern – oder kohorten immer weniger unter Streitigkeiten zwischen
auch andere Erziehungsverantwortliche – Heranwachsende Eltern und Jugendlichen zu leiden scheint, spricht zudem
zu Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit führen dafür, dass eine autoritative Erziehung die T ransformation
248 E. Wild und S. Walper
Schließlich sollen am Beispiel von Familien, in denen stellen dann Faktoren vor, die sich als maßgebliche
ein Elternteil oder beide Eltern ihren Arbeitsplatz verloren Moderatoren erwiesen haben, und wenden uns schließlich
haben oder die Eltern trotz Erwerbstätigkeit nicht in der den Besonderheiten von Stief- oder „Patchwork“-Familien
Lage sind, sich aus der Armut zu befreien, die Folgen öko- zu.
nomischer Deprivation aufgezeigt werden. Dabei heben
wir in 7 Abschn. 10.3.3 vor allem auf Bedingungen ab, die Zur Vielfalt von Trennungsfamilien
die psychosoziale und schulische Entwicklung armuts- Nicht selten sehen sich Scheidungskinder und ihre Familien
betroffener Kinder beeinflussen. mit Vorurteilen konfrontiert, die einer pauschalierenden
Bei allen hier thematisierten kritischen Lebensereig- Defizitperspektive entsprechen. Auch ein großer Teil der
nissen beziehungsweise belastenden Lebenslagen werden frühen Untersuchungen folgte einer solchen problem- oder
Risiko- und Schutzfaktoren herausgestellt, denn deren defizitorientierten Perspektive, die alle Abweichungen vom
Kenntnis ist essenziell für pädagogische Psycholog_innen Modell der ehelichen Kernfamilie für die Sozialisation der
und andere Berufsgruppen, an die sich Betroffene hilfe- Kinder als problematisch oder zumindest weniger günstig
suchend wenden (Dickhäuser und Spinath 2018). betrachtete. Weder die Bandbreite der Begleitumstände
einer Trennung (z. B. Ausmaß juristischer Streitverfahren
der Eltern) noch die unterschiedlichen Belastungsmomente,
10.3.1 Aufwachsen in einer Ein-Elternteil- die aus einer Trennung resultieren können (z. B. finanzielle
oder Stieffamilie Probleme, psychische Belastungen der Eltern), wurden
angemessen in den Blick genommen. Erst recht wurde den
Eine Trennung oder Scheidung der Eltern zu erleben möglichen Chancen „alternativer“ Lebensformen kaum
ist heute keine Seltenheit mehr, auch wenn die Zahl der Beachtung geschenkt. Spätestens seit den 1980er-Jahren
Ehescheidungen in Deutschland im Jahr 2017 ihren war jedoch deutlich, dass diese einseitige Sichtweise der
10 niedrigsten Stand seit 25 Jahren erreichte. Setzt man die vielfältigen Lebenssituation von Scheidungsfamilien nicht
absolute Zahl der Scheidungen in Relation zur Zahl der angemessen Rechnung trägt.
Eheschließungen, dann endet nach wie vor rund ein Drittel Trennungsprozesse verlaufen sehr unterschiedlich.
aller Ehen in Deutschland vor dem Scheidungsrichter, Eltern können sich einvernehmlich vor der Geburt des
und in der Hälfte der Fälle sind minderjährige Kinder Kindes getrennt haben oder Jahre in einer belasteten
involviert (Statistisches Bundesamt 2018b). Hinzu kommt Partnerschaft ausharren, um dann im Streit auseinander-
der steigende Anteil nichtehelich geborener Kinder, die zugehen. Der getrennt lebende Elternteil kann in hohem
mit noch höherer Wahrscheinlichkeit eine Trennung ihrer Maße involviert bleiben und gut mit dem häuslichen
Eltern erleben (Walper und Langmeyer 2012). Dies mag Elternteil kooperieren. Beide können aber auch wieder-
auf den ersten Blick nahe legen, dass sich die Bedeutung holt vor Gericht ziehen und konfliktbelastet miteinander
einer Trennung/Scheidung relativiert hat und auch konkurrieren – zum Glück ein seltenes, aber hoch
Belastungen betroffener Kinder heute weniger markant belastendes Phänomen. Nicht zuletzt kann der getrennt
sind als noch vor 40 Jahren. Dies scheint jedoch selbst in lebende Elternteil (gewollt oder ungewollt) aus dem Leben
westlichen Industrienationen nicht durchgängig der Fall seiner Kinder verschwinden – was heute seltener geschieht
zu sein. Befunde aus den USA deuten darauf hin, dass als vor rund zehn Jahren, aber noch rund jedes vierte bis
sich in manchen Bereichen die Nachteile für Scheidungs- fünfte Kind mit getrennten Eltern betrifft (Walper 2016;
kinder sogar im Verlauf der 1990er-Jahre verschärft Walper et al. 2015). In manchen Fällen werden Eltern
haben – möglicherweise deshalb, weil in dieser Zeit staat- mehrfach geschieden und konfrontieren auch ihre Kinder
liche Investitionen zur Unterstützung Alleinerziehender mit instabilen Familienarrangements, deren Belastungs-
zurückgefahren wurden (Amato 2001). Auch länder- potenzial für Kinder mit der Anzahl der Transitionen steigt
vergleichende Daten aus Europa, die speziell Bildungs- (Amato 2010). Manche tragen Sorge für Kinder, die aus
nachteile von Scheidungskindern in den Blick nehmen, verschiedenen Ehen stammen, und stehen vor der Auf-
sprechen gegen einen „Institutionalisierungseffekt“: Nach- gabe, in einer solchen komplexen Stieffamilie Zusammen-
teile von Scheidungskindern fallen in Ländern mit hohen halt zu etablieren (Walper und Wild 2002; Entleitner-Phleps
Scheidungsraten keineswegs geringer aus, sondern scheinen und Walper 2020). In anderen Fällen bleiben ledige Eltern
sogar mit steigender Verbreitung von Scheidungen zu nach der Trennung von einem Partner allein, ziehen ihr
steigen (Bernardi und Radl 2014). Kind aber unter Umständen gemeinsam mit anderen
Generell sind die Folgen einer elterlichen Trennung Erwachsenen (z. B. Großeltern) auf.
keineswegs einheitlich. Ein durchgängiges Thema von Diese Variationen werden in familiensystemischen
Bestandsaufnahmen der Forschung zu Scheidungsfolgen und entwicklungsorientierten Ansätzen explizit
(Amato 2010) ist daher die Vielfalt der Lebensumstände, berücksichtigt. Besonders bewährt hat sich die
Bewältigungsressourcen und Biografien von Eltern und cheidungs-Stress-Bewältigungs-Perspektive, die a) eine
S
Kindern, in der die Heterogenität der Befunde begründet Trennung nicht als punktuelles Ereignis, sondern als zeit-
sein dürfte. Im Folgenden gehen wir hierauf näher ein, lichen Prozess betrachtet, b) typische Stressoren im Kontext
Familie
251 10
einer Trennung in den Blick nimmt, die allerdings im 2015; Weaver und Schofield 2015). So legen internationale
Einzelfall durchaus variieren können, und c) die jeweils Studien etwa mit Blick auf die Entwicklung von Kindern
gegebenen Bewältigungsressourcen der Betroffenen aus Ein-Elternteil-Familien wiederholt nahe, dass sie in der
berücksichtigt (Amato 2010; Walper und Langmeyer Schule mehr Fehlzeiten haben und schlechtere Schulnoten
2019). Vor diesem Hintergrund lassen sich Unterschiede erzielen sowie häufiger psychische Probleme aufweisen
im Anpassungsverlauf der Kinder nach einer elter- als Gleichaltrige aus Kernfamilien. Auch die Chancen auf
lichen Trennung besser erklären. Als besonders relevante höhere Bildung fallen für Scheidungskinder geringer aus,
Stressoren für die Kinder erweisen sich ökonomische vor allem in Schulsystemen mit einem frühen Übertritt in
Belastungen beziehungsweise das Abgleiten in Armut, fort- eine gegliederte Sekundarstufe (Bernardi und Radl 2014).
gesetzte Streitigkeiten der Eltern und Beeinträchtigungen Auch für Stiefkinder wurden im Vergleich zu Kindern
der elterlichen Erziehungskompetenzen. aus Kernfamilien häufiger Auffälligkeiten in der psycho-
Gleichwohl spielen nicht nur die Umstände der sozialen Entwicklung, Beeinträchtigungen des kindlichen
Trennung, die nachfolgenden Belastungen und die Wohlbefindens und ein erhöhtes Risiko für Problemver-
Besonderheiten der weiteren Familienentwicklung für die halten im Jugendalter berichtet (vgl. Walper und Wild
Entwicklungsverläufe von Scheidungskindern eine zentrale 2002; Jeynes 2006). Im Vergleich zu allein erzogenen
Rolle, sondern auch die Vorgeschichte der Trennung. Kindern leben sie zwar zumeist in finanziell günstigeren
Prospektive Längsschnittstudien haben gezeigt, dass sich Verhältnissen und haben zwei Erwachsene als Ansprech-
vielfach schon vor einer Trennung vermehrte familiale partner im Haushalt. Aber das Zusammenleben in Stief-
Belastungen wie Partnerschaftskonflikte, finanzielle familien bringt andere Herausforderungen für die
Schwierigkeiten und Erziehungsprobleme finden, die Betroffenen mit sich (s. u.), sodass sich die Situation von
mit Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung ein- Stiefkindern keineswegs durchgängig als günstiger im Ver-
hergehen (z. B. Heinicke et al. 1997; Shaw et al. 1993). gleich zu Kindern aus Ein-Elternteil-Familien darstellt (vgl.
Punktuelle Vergleiche von Trennungsfamilien mit Kern- Entleitner-Phleps 2017; Walper und Wild 2002).
familien sind insofern kaum geeignet, ein realistisches Bild Insgesamt lässt sich also eine Reihe von Ergebnissen
von Scheidungsfolgen zu zeichnen. Um aussagekräftige anführen, die auf den ersten Blick die früher forschungs-
Erkenntnisse zu den kurz- und langfristigen Bedingungen leitende These defizitorientierter Ansätze unterstützen,
und Auswirkungen einer Trennung zu erlangen, müssten wonach die Entwicklung von Scheidungs- und Stiefkindern
idealerweise prospektive Längsschnittstudien an umfang- mit größerer Wahrscheinlichkeit belastet sein sollte als die
reichen Stichproben durchgeführt werden, in denen alle von Gleichaltrigen aus strukturell intakten Familien. Eine
für die Belastung bzw. Anpassungsfähigkeit der Familien- solche Perspektive vermag aber beispielsweise nicht zu
mitglieder potenziell bedeutsamen Faktoren Berück- erklären, warum ein erhöhtes Maß an Verhaltensauffällig-
sichtigung finden. Auch wenn ein solches Unterfangen keiten vor allem bei Heranwachsenden zu finden ist, die in
schon allein aus forschungspragmatischen Gründen nur ihrer frühen Kindheit die Trennung ihrer Eltern erlebten,
schwer zu realisieren ist, sind doch auch begrenztere während eine Trennung im Jugendalter vor allem mit ver-
Forschungsarbeiten mit prospektivem Forschungsansatz mehrten Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung und
sehr aufschlussreich. So zeigen Prospektivanalysen auf Basis schulischen Problemen einherzugehen scheint (Lansford
des deutschen Beziehungs- und Familienpanels pairfam, et al. 2006). Mehr noch, einige Befunde stehen in klarem
dass bei Jugendlichen, die eine Trennung der Eltern Widerspruch zu defizitorientierten Ansätzen. Hierzu zählt
erleben, die Depressivität ansteigt, vor allem im Kontext vor allem die Erkenntnis, dass sich die Entwicklung von
einer konfliktbelasteten Eltern-Kind-Beziehung, während Scheidungskindern langfristig meist als unauffällig dar-
eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern negative stellt und lediglich bei einer Minderheit von überdauernden
Effekte merklich abfängt (Feldhaus und Timm 2015). Dies psychosozialen Problemen auszugehen ist (Amato 2010;
beleuchtet zwar nur einen begrenzten Bereich möglicher Hetherington und Kelly 2003). Auch die Beobachtung,
Trennungsfolgen, unterstreicht aber die Relevanz von dass die Gründung einer Stieffamilie häufig mit (vorüber-
Beziehungsressourcen für die Trennungsbewältigung. So gehenden) Störungen in der kindlichen Entwicklung
gilt es insgesamt aus der Vielzahl vorliegender Befunde (mit einhergeht, spricht gegen die These, dass kindliches Problem-
ihren je eigenen Beschränkungen) konsistente Ergebnis- verhalten primär auf eine mangelnde Verfügbarkeit von
muster „herauszudestillieren“. zwei (biologischen oder sozialen) Elternteilen als Rollen-
modellen und Identifikationsfiguren zurückzuführen ist.
Psychosoziale Entwicklung von Kindern Antworten auf diese Fragen sind nur zu erlangen, wenn man
in Ein-Elternteil- und Stieffamilien die spezifischen Herausforderungen betrachtet, mit denen
Empirisch beobachtete Unterschiede in der Entwicklung Eltern und Kinder im Zuge einer Scheidung und Wieder-
von Kindern, die mit beiden leiblichen Elternteilen auf- heirat konfrontiert werden, und die Bedingungen beleuchtet,
wachsen oder in anderen Familienkonstellationen groß die dazu beitragen, diese erfolgreich zu meistern. Diese
werden, fallen in der Regel zugunsten der zuerst genannten Herausforderungen und die für ihre Bewältigung relevanten
Gruppe aus (z. B. Amato und Anthony 2014; Kalmijn Faktoren werden daher im Folgenden näher erläutert.
252 E. Wild und S. Walper
Herausforderungen nach einer Scheidung dem Bekanntenkreis können sich in dem Maße, in dem
Wie groß der Leidensdruck ist, dem sich Paare mit Kindern sie die Qualität der Beziehung des Kindes zu relevanten
(auch noch) nach der Trennung ausgesetzt fühlen, hängt (primären) Bezugspersonen und die Erziehungskompetenz
neben psychosozialen Belastungen vor, während und nach des sorgeberechtigten Elternteils beeinflussen, auf die
der Trennung (Amato und Bryndl 2007) nicht zuletzt von kindliche Entwicklung auswirken. Vergleichsstudien an
lebenspraktischen Problemen ab, die sich mit der Gründung geschiedenen und verheirateten Eltern haben nicht durch-
eines Ein-Elternteil-Haushaltes einstellen können (Schwarz gängig (z. B. Freeman und Newland 2002; Hanson et al.
und Noack 2002). Hierzu zählen insbesondere sozioöko- 1998) aber wiederholt auf Beeinträchtigungen in der
nomische Faktoren wie Probleme der Vereinbarkeit von erzieherischen Kompetenz von Geschiedenen hingewiesen.
Familie und Beruf für den häuslichen Elternteil – nach wie Sie seien weniger informiert über die Aktivitäten und
vor ist dies weit überwiegend die Mutter – sowie finanzielle Freunde ihrer Kinder, erzögen inkonsistenter, nähmen
Schwierigkeiten etwa aufgrund unzureichender Unterhalts- erzieherische Fragen insgesamt weniger wichtig und
zahlungen. Da die Armutsquote von Alleinerziehenden mit äußerten ein geringeres Interesse an schulischen Belangen
40 % sehr hoch ist (Der Paritätische Gesamtverband 2018), der Kinder (Hetherington 1993; Wallerstein et al. 2000).
die Qualität der Beziehungen Jugendlicher zu ihren Eltern In all diesen Studien bleibt jedoch offen, ob sich das
stärker als noch vor 10 Jahren von der finanziellen Situation Verhalten der Eltern durch die Scheidung verändert hat
und dem Bildungsgrad der Eltern abhängt (BMFSFJ 2017) oder ob Beeinträchtigungen des elterlichen Erziehungsver-
und der Schulerfolg junger Menschen in Deutschland deut- haltens – und daraus unter Umständen resultierende Ver-
lich stärker vom sozioökonomischen Hintergrund abhängt haltensauffälligkeiten der Kinder – nicht bereits vor der
als in vielen anderen Ländern, überrascht es kaum, wenn Trennung bestanden haben, also beispielsweise ebenso in
Heranwachsende aus Ein-Elternteil-Familien durchschnitt- strukturell intakten, aber hoch konfliktbelasteten Familien
lich häufiger über psychosoziale oder schulische Probleme anzutreffen sein sollten. Zahlreiche Studien an strukturell
10 berichten. intakten Familien sprechen dafür, dass Konflikte zwischen
Erschwerend kommt hinzu, dass das Verhältnis der den Eltern die Eltern-Kind-Beziehung auch hier belasten
Geschiedenen zueinander vielfach durch Ambivalenz und (Krishnakumar und Buehler 2000). Tatsächlich zeigen
Ablehnung geprägt ist, sodass die Regelung der Unter- prospektive Längsschnittstudien, dass geschiedene Eltern
haltszahlungen oder Besuchsrechte leicht zu einer konflikt- bereits Jahre vor der Scheidung ein erhöhtes Risiko auf-
reichen Angelegenheit gerät. Oft leidet hierbei die Qualität weisen, mit mehr Problemen in der Erziehung konfrontiert
des elterlichen Coparenting, d. h. deren Kooperation und zu sein, etwa ein geringeres pädagogisches Engagement zu
Einigkeit in der Erziehung. Lamela und Kollegen (2016) zeigen, häufiger autoritäre Erziehungspraktiken einzusetzen
fanden zwar bei knapp der Hälfte der Trennungsfamilien und mit Blick auf die schulische Laufbahn der Kinder
ein kooperatives Coparenting, und „nur“ bei 13 % ein hoch geringere Aspirationen zu hegen (Block et al. 1988; Sun und
konflikthaftes Coparenting, aber bei den verbleibenden Li 2001). Mit Blick auf kindliche Anpassungsprobleme, wie
39 % ein hohes Maß an Unterminierung, bei dem die Eltern sie für Scheidungskinder vermehrt beschrieben werden,
die Erziehungsbemühungen des anderen unterliefen. Stets konnte ferner nachgewiesen werden, dass ein beträcht-
mit betroffen von der emotionalen Anspannung der Eltern licher Teil der Kinder die Verhaltensauffälligkeiten bereits
und anhaltenden Auseinandersetzungen sind Kinder längere Zeit vor der elterlichen Trennung zeigte (Cherlin
und Jugendliche, die nun lernen müssen, mit der ver- et al. 1991; Strohschein 2005). Dies legt nahe, dass die Zeit
änderten Beziehung ihrer Eltern und den daraus eventuell vor (und nicht erst nach) der elterlichen Trennung für
resultierenden Loyalitätskonflikten umzugehen (Walper Eltern wie auch Kinder vielfach mit großen Belastungen
und Beckh 2006). So verwundert es nicht, dass Kindern verbunden ist. So zeigen auch Daten aus Deutschland, dass
nicht nur in hochstrittigen Trennungsfamilien, sondern Jugendliche schon ein bis zwei Jahre vor der elterlichen
auch bei wenig offen ausgetragenen Konflikten, aber Trennung eine geringere Zufriedenheit mit dem Familien-
hoch unterminierendem Coparenting merklich erhöhtes leben berichten (Walper et al. 2015). Zudem relativieren
Problemverhalten aufweisen (Lamela et al. 2016). Befunde aus den (wenigen) vorliegenden komparativen
Längsschnittstudien zufolge dauert es im Regelfall Arbeiten klar die oben skizzierten Effekte des Familien-
etwa 2–3 Jahre nach der räumlichen Trennung, bis sich status: Mit Blick auf das elterliche Erziehungsverhalten etwa
der Umgang zwischen Eltern und Kindern normalisiert zeigen sich mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen
hat (Hetherington 1991). Allerdings gehen die akuten geschiedenen und verheirateten Eltern (Strohschein 2007),
Belastungen der Familienmitglieder schon am Ende des und auch längsschnittlich lassen sich nur geringfügige Ver-
ersten Jahres deutlich zurück. Das psychische Befinden änderungen in den elterlichen Erziehungspraktiken nach
Geschiedener scheint sich nach durchschnittlich 2–5 Jahren einer Trennung nachweisen (Astone und McLanahan
zu stabilisieren, wobei dem Ausmaß der erfahrenen sozialen 1991). Daraus folgt, dass distalen Faktoren (wie der Stabili-
Unterstützung eine zentrale Rolle zukommt (Krumrei et al. tät der Ehe) ein geringerer Vorhersagewert für die kindliche
2007). Entwicklung zukommt als proximalen Faktoren wie der
Stressoren wie die oben genannten, aber auch Beziehung zwischen den Eltern, dem Ausmaß an Familien-
Ressourcen wie zum Beispiel soziale Unterstützung aus konflikten und dem elterlichen Erziehungsverhalten.
Familie
253 10
Unter den Faktoren, die nachweislich den Effekt möglich, da nur sehr vereinzelt Prospektivstudien vorliegen.
chronischer Belastungen von Alleinerziehenden auf die Die verfügbaren Daten zeigen, dass das Wechselmodell
kindliche Entwicklung moderieren, kommt dem Verhält- durchaus selektiv praktiziert wird von sozio-ökonomisch
nis des Kindes zum getrennt lebenden (leiblichen) Eltern- besser gestellten, vor und während der Trennung weniger
teil eine zentrale Bedeutung zu. Inzwischen wird zwar konfliktbelasteten Eltern und bei schon zuvor hohem
in der Mehrzahl der Fälle ein gemeinsames Sorgerecht Engagement der Väter (Poortman und van Galen 2017).
beider Eltern vereinbart. Dennoch sind es mit über 80 % in In Deutschland ist das Wechselmodell noch wenig ver-
Deutschland nach wie vor die Väter, die nach der Trennung breitet und wird ebenfalls vor allem von Eltern mit höherer
nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren Bildung praktiziert (Walper 2016; Kalmijn 2015).
Kindern leben. Zeigen die getrennt lebenden Väter hohes Förderlich wirken sich häufige Übernachtungen und
Engagement gegenüber ihrem Kind, können sie bei Ein- häufige Kontakte zum getrennt lebenden Elternteil auf die
schränkungen der mütterlichen Erziehungsmöglichkeiten Anpassung des Kindes aus, solange das Ausmaß elterlicher
eine kompensatorische Funktion übernehmen (vgl. Pröls Konflikte in der Nachscheidungsphase gering ist (Kalmijn
2011; Sandler et al. 2013). Allerdings tragen persönliche 2016). Massive und anhaltende Auseinandersetzungen
Belastungen der Mütter oft auch zu mehr Problemen in der der Eltern dagegen werden von Kindern als besonders
Interaktion mit dem Vater bei, die einen Kontaktabbruch belastend erlebt und erschweren die Anpassung aller
zum Vater wahrscheinlicher werden lassen. Beteiligten. Häufig handelt es sich hierbei um Familien, die
Generell wird die Kontakthäufigkeit zum getrennt bereits vor und während der Scheidung zu physischen und
lebenden beziehungsweise externen Elternteil durch ver- verbalen Feindseligkeiten neigten (Johnston et al. 1989).
schiedene Faktoren beeinflusst wie die Sorgerechtsregelung,
die psychische Anpassung des externen Elternteils, das
Herausforderungen im Zuge einer
Ausmaß, in dem sich dieser als für sein Kind wichtig
oder abgelehnt fühlt und die Qualität der Beziehung
Wiederheirat
zum häuslichen Elternteil des Kindes. Häufiger geht der Statistiken zeigen, dass ein überwiegender Anteil von
Kontakt getrennt lebender Väter zu ihren Kindern ver- geschiedenen Frauen und Männern wieder heiratet, auch
loren, wenn der Vater kein (gemeinsames) Sorgerecht hat, wenn die Wiederheiratsneigung und das Wiederheirats-
seine Befindlichkeit beeinträchtigt ist, er sich als Belastung tempo deutlichen Alters- und Geschlechtseffekten unter-
für sein Kind erlebt und wenn die Beziehung zur Mutter liegen. Nicht selten verzichten die neuen Partner auf
konflikthaft ist. Kontaktabbrüche sind auch umso wahr- die Eheschließung. Schätzungen zufolge sind 7 bis 13 %
scheinlicher, je mehr Zeit seit der Trennung vergangen ist aller Familien mit minderjährigen Kindern in Deutsch-
und je jünger das Kind bei der Trennung war (Walper und land Stieffamilien, wobei jedes fünfte Stiefkind in einer
Krey 2009). nicht-ehelichen
Lebensgemeinschaft lebt (Bundes-
Aktuell intensiv diskutiert wird das Wechsel- ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
modell als Form einer geteilten Betreuung, bei der 2013). Da nach einer Trennung der Eltern die Kinder weit
das Kind abwechselnd bei beiden Eltern lebt, d. h. zu überwiegend bei der Mutter verbleiben, sind Stieffamilien
(annähernd) gleichen Teilen bei beiden Eltern übernachtet meist Stiefvaterfamilien. Aber auch wenn der getrennt
(Kinderrechtekommission des Deutschen Familien- lebende Elternteil – meist der Vater – eine neue Partner-
gerichtstags e. V. 2014; Kostka 2014; Sünderhauf 2016). schaft eingeht, verändert sich das Familiengefüge für die
Inzwischen wurde eine Vielzahl empirischer Arbeiten Kinder und es entsteht eine sekundäre oder „Wochenend“-
vorgelegt, die Vorteile von Kindern im Wechselmodell Stieffamilie. Wird ein gemeinsames Kind in der neuen
aufzeigen im Vergleich zum herkömmlichen Residenz- Partnerschaft geboren, erhöht sich die Komplexität der
modell, bei dem die Kinder bei einem Elternteil leben (vgl. Familienbeziehungen und „Zuständigkeiten“ der Eltern für
Nielsen 2018). Eine Meta-Analyse erbrachte allerdings Kinder mit unterschiedlichen Abstammungsverhältnissen.
nur schwache Effekte (Baude et al. 2016). Mögliche Die mit dem Eingehen einer Folgeehe oder
Folgen für die Bildungsverläufe der Kinder wurden hier- nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft entstehende Stief-
bei kaum thematisiert und scheinen durchaus frag- familie hebt sich von einer Kernfamilie mit Kindern
lich bzw. auf jene Familien beschränkt zu sein, in denen im gleichen Alter dadurch ab, dass nicht alle Familien-
eine enge V ater-Kind-Beziehung besteht, während in mitglieder auf eine gemeinsame Familiengeschichte zurück-
den anderen Fällen eher Nachteile zu verzeichnen waren blicken. Stiefeltern treffen vielmehr auf eine mehr oder
(Havermans et al. 2017). Bedenkt man, dass die Anpassung weniger eingespielte Teilfamilie, in der das Zusammen-
an wechselnde Betreuungsverhältnisse mit möglicherweise gehörigkeitsgefühl von Eltern und Kindern auf geteilte
divergierenden Erziehungsstilen und Familienregeln auch Erlebnisse und Erfahrungen zurückgeht und über viele
Kräfte der Kinder und Jugendlichen bindet, so ist durch- Jahre gewachsen ist. Das Zusammenwachsen von Stief-
aus fraglich, ob die schulische Entwicklung in gleicher familien stellt sich deshalb als längerfristiger Prozess dar,
Weise von einem Wechselmodell profitieren kann wie die der mit etwa 5 Jahren deutlich länger andauert als die
emotionale und Verhaltensentwicklung der Kinder. Ohne- Reorganisation des Familiensystems nach einer Trennung
hin sind Kausalaussagen in diesem Forschungsfeld kaum der Eltern (Hetherington und Jodl 1994).
254 E. Wild und S. Walper
Befunde zur Entwicklung der Beziehung zwischen Stief- nur Kinderkrankheiten gehören zum Familienalltag, auch
eltern und ihren Kindern weisen bei allen Inkonsistenzen Eltern sind mit gesundheitlichen Risiken konfrontiert,
darauf hin, dass in Stieffamilien ein geringeres Maß an die ihre Möglichkeiten, Aufgaben in der Familie zu über-
emotionaler Verbundenheit und weniger klare Rollen- nehmen, einschränken und die anderen Familienmitglieder
erwartungen vorherrschen als in strukturell intakten zu Rücksichtnahme und Fürsorge anhalten. Wird jedoch
Familien (Zaharychuk 2017). Generell werden Spannungen ein Familienmitglied von einer schweren akuten oder
zwischen Stiefkindern und Stiefeltern vor allem dann wahr- chronischen Krankheit betroffen, tangiert dies die anderen
scheinlich, wenn Letztere frühzeitig versuchen, in die Familienmitglieder nicht nur auf einer praktischen Ebene,
Disziplinierung und Kontrolle der Kinder einzugreifen sondern vor allem auch emotional (7 Kap. 18).
(Coleman et al. 2000; Hetherington und Jodl 1994) und Insofern mag es nahe liegen, dass sich eine schwere
eine intensive Beziehung zu diesen zu entwickeln, bevor die Erkrankung eines Familienmitglieds unweigerlich und
Kinder hierzu bereit sind. Kinder entziehen sich solchen nachhaltig belastend auf das Erleben und Verhalten aller
Bestrebungen und reagieren nicht selten mit Abwehr gegen- Betroffenen und insbesondere auch der Kinder auswirkt.
über dem zu stark engagierten Stiefelternteil, der seiner- Im Licht vorliegender Befunde (s. u.) muss diese Ver-
seits wieder mit Rückzug reagiert (Hetherington und Jodl mutung jedoch relativiert werden: Selbst akute, lebens-
1994). Entsprechend vorteilhaft ist es, wenn Stiefeltern eine bedrohliche oder den Lebensvollzug beeinträchtigende
abwartend-geduldige Haltung entwickeln und sich an den chronische Erkrankungen eines Elternteils oder eines
Bedürfnissen ihrer Stiefkinder orientieren. Kindes ziehen in vielen Fällen keine anhaltenden Beein-
Insgesamt zeichnen vorliegende Studien zur Situation trächtigungen der Familienmitglieder nach sich. Eine
und Entwicklung von Kindern in Ein-Elternteil- und Stief- Erklärung für dieses vielleicht überraschende Ergebnis
familien somit ein vielschichtiges Bild. Einerseits finden liefern familienstresstheoretische Ansätze (Hofer 2002b),
sich zahlreiche Hinweise auf ein erhöhtes Risiko dieser denen zufolge die Erkrankung eines Familienmitglieds
10 Gruppe(n). Andererseits sind die Unterschiede zwischen ein potenziell stressrelevantes Ereignis ist, welches nicht
Stief- bzw. Ein-Elternteil- und Kernfamilien absolut unbedingt eine Krise auslösen muss. Vielmehr wird in der
betrachtet eher gering (Jeynes 2006) und verweisen auf Anpassungsphase („adjustment phase“), also unmittel-
eine große Variabilität innerhalb dieser Gruppen. Ent- bar nach der Konfrontation mit einem Stressor, dieser
gegen aller Vorurteile ist die Beziehung von Kindern zu zunächst vor dem Hintergrund bereits bestehender
ihren Stiefvätern keineswegs durchgängig distant oder normativer Anforderungen und den direkt mit einem
belastet (Walper 2014) und gerät kaum in Konkurrenz kritischen Ereignis einhergehenden Härten eingeschätzt.
zum leiblichen Vater (Beckh und Walper 2002). Auch In dem sich anschließenden Bewältigungsprozess werden
hier kommt der Qualität des elterlichen Coparenting Copingstrategien und Ressourcen eingesetzt mit dem Ziel,
wesentliche Bedeutung zu, sowohl als Entlastung für die möglichst tief greifende Veränderungen in der Familien-
Mutter als auch für die Kinder (Entleitner-Phleps 2017). struktur und in den Rollenaufteilungen zu vermeiden
So wird eine zentrale Aufgabe zukünftiger Studien darin („resistance to change“). Gelingt es der Familie nicht,
bestehen, diesen Unterschieden systematisch nachzugehen die neuen Anforderungen routinemäßig zu meistern und
und die bislang erst ansatzweise erfolgte Identifizierung werden die mit der Krankheit einhergehenden Schwierig-
von Faktoren voranzutreiben, die ein für die Partner keiten als unüberwindbar definiert, kommt es zu einer
wie auch die Kinder förderliches Familienklima unter- Verschärfung der Belastungssituation und damit zur
stützen oder auch verhindern bzw. stören können. In der Krise.
pädagogisch-psychologischen Arbeit ist zu berücksichtigen, Im Umgang mit der Krise müssen sich die Familien-
dass in Folge einer Trennung wie der Entstehung einer Stief- mitglieder erneut über ihre Einschätzung der Situation,
familie neue Anpassungsleistungen erforderlich werden über geeignete Lösungsmöglichkeiten und Bewältigungs-
und bei Kindern und Jugendlichen oftmals mit zumindest strategien sowie über die Inanspruchnahme von Ressourcen
vorübergehenden Belastungen angesichts der skizzierten verständigen. Ziel des gemeinsamen Verständigungs-
Herausforderungen zu rechnen ist. prozesses in der nun einsetzenden Adaptationsphase
ist eine Umstrukturierung des Familiensystems, die
darauf abzielt, die Rechte und Pflichten der einzelnen
10.3.2 Krankheit als Familienaufgabe Familienmitglieder entlang ihrer jeweiligen Bedürfnisse
und Möglichkeiten neu auszutarieren. Zu den hierbei
Die Fürsorge für Familienangehörige im Krankheitsfall ist relevanten Ressourcen zählen nicht nur außerfamiliale
seit jeher eine zentrale Leistung, die Familien für ihre Mit- Unterstützungssysteme (soziale Unterstützung) und
glieder und damit auch für die Gemeinschaft erbringen. Charakteristika der einzelnen Familienmitglieder, sondern
Auch wenn mittlerweile ein hoch spezialisiertes Gesund- auch Merkmale der familialen Binnenstruktur wie
heitswesen die medizinische Expertise und Versorgung Kohäsion und Rollenflexibilität, relative Autonomie der
übernommen hat, verbleiben doch viele Aufgaben rund um Familienmitglieder und wechselseitige Toleranz, Expressivi-
die Krankenversorgung und Pflege in der Familie. Nicht tät sowie Übereinstimmung in Einstellungen und Werten.
Familie
255 10
Weitere funktionale Merkmale familialer Bewältigung sind Definition
eine übereinstimmende Identifikation und Anerkennung Nach Schaeffer und Moers (2000) zeichnen sich
des Stressors, eine lösungsorientierte Problembewältigung chronische Krankheiten durch Dauerhaftigkeit,
(anstelle einer Suche nach Schuldzuschreibungen) sowie Komplexität und eine spezifische Verlaufsdynamik aus.
eine offene Familienkommunikation. Konkret ist der Lebensvollzug der Betroffenen langfristig
Welche spezifischen Belastungen mit einer Erkrankung durch die Krankheit und ihre Behandlung geprägt,
einhergehen und welche Faktoren – als Ressourcen oder wobei sich instabile und stabile Phasen typischerweise
Risikofaktoren – den familialen Umgang mit der Krank- abwechseln und mit zunehmendem Alter mit einer
heit und ihren Folgen beeinflussen, hängt prinzipiell davon Kumulation von Symptomen und Krankheit(sfolg)en
ab, ob Eltern oder Kinder erkranken. Im ersteren Fall sind gerechnet werden muss
Kinder eher indirekt betroffen und sollten in ihrer Ent-
wicklung vor allem dann gefährdet sein, wenn die Krank-
heit eines Elternteils dessen Erziehungskompetenz oder Zu den intensiver untersuchten chronischen Krankheiten
die des Partners einschränkt. Im zweiten Fall dagegen im Kindes- und Jugendalter zählt der juvenile Diabetes
können Störungen in der kindlichen Entwicklung auf die (im Volksmund auch Zuckerkrankheit genannt), der
Erkrankung des Kindes an sich zurückgehen oder auch auf im Kindes- und Jugendalter die häufigste Stoffwechsel-
Erziehungsprobleme, die sich im elterlichen Umgang mit erkrankung ist. Damit es nicht zu mehr oder weniger
dem kranken Kind einstellen. Diese können unabhängig schwerwiegenden Symptomen (z. B. Sehstörungen, Herz-
von der Erkrankung das Wohl der Kinder gefährden oder infarkt) kommt, ist eine Behandlung des Diabetes mellitus
auch etwaige krankheitsbedingte Beeinträchtigungen ver- Typ 1 in Form einer Insulintherapie und einer speziellen
schärfen. Diät erforderlich. Während Kinder und Jugendliche, die
In den folgenden Ausführungen wird auf beide früher unter dieser Krankheit litten, von einer geringen
Konstellationen eingegangen, wobei jeweils Schwerpunkte Lebenserwartung ausgehen mussten, können gut ein-
gesetzt werden. Bezogen auf die Folgen einer Erkrankung gestellte diabetische Heranwachsende heute ein relativ
des Kindes fokussieren wir auf den familialen Umgang normales Leben führen. Durch die Behandlung kann
mit chronischen körperlichen Erkrankungen, da sich die sowohl die Symptombelastung als auch die Wahrschein-
in Familien mit akut und chronisch kranken Kindern lichkeit von Folgeerkrankungen (Merkmale der Komplexi-
beobachteten Belastungsreaktionen ähneln, chronische tät) deutlich reduziert werden. Gleichwohl führt sie nicht
Erkrankungen jedoch mit spezifischen Herausforderungen zu einer Heilung, weshalb sich die betroffenen Kinder
für die langfristige Eltern-Kind-Beziehung verknüpft sind. auf ein Leben mit der Krankheit einstellen müssen. Folgt
Bezogen auf mögliche Implikationen einer Erkrankung von man den Ergebnissen einer im Großraum Bonn durch-
Eltern wird primär Literatur zu den Folgen psychischer geführten Längsschnittstudie an 108 diabetischen und
Erkrankungen vorgestellt, da diese in weitaus stärkerem 107 gesunden Jugendlichen (Boeger und Seiffge-Krenke
Maße als körperliche Erkrankungen zu einer Gefährdung 1994), dann scheint dies vielen Heranwachsenden gut zu
des kindlichen Wohls beitragen können. gelingen. Allerdings werden Entwicklungsaufgaben, die
eine zunehmende Autonomie von den Eltern und eine ver-
Kranke Kinder und ihre Familien mehrte Hinwendung zu gleich- und gegengeschlechtlichen
Schwere Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind Altersgenossen beinhalten, von diabetischen Jugendlichen
selten und betroffene Eltern reagieren meist geschockt nur zögerlich in Angriff genommen. Entwicklungsver-
und fassungslos, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass ihr zögerungen bei diabetischen Jugendlichen zeigen sich auch
Kind akut lebensbedrohlich erkrankt ist (z. B. Hung insofern, als die Lösung dieser Aufgaben für die Zukunft
et al. 2004). Dennoch liegen vergleichsweise wenige aus- von ihnen weniger angestrebt wird als von den gesunden
sagekräftige psychologische Studien zu den Folgen eines Gleichaltrigen (Boeger und Seiffge-Krenke 1994; Boeger
solchen Ereignisses für das Familiensystem vor (Dolgin et al. 1996).
und Phipps 1996). Eine umfänglichere Literatur existiert Eine Reihe von Studien ist der Frage nachgegangen,
dagegen zu chronischer Erkrankung von Kindern inwiefern das Auftreten einer chronischen Erkrankung
(Boekaerts und Roder 1999; Dell Orto und Power 2007; Auswirkungen auf das Familienleben hat und welche Rolle
Tröster 2005). Dies ist nicht zuletzt auf die stärkere Ver- der Familie und anderen Stützsystemen (z. B. Ärzten) bei
breitung chronischer Krankheiten zurückzuführen. Ins- der Krankheitsverarbeitung zukommt (Sherifali und Ciliska
gesamt leiden rund 24 % aller Kinder und Jugendlichen 2006). Zusammengenommen zeigen sie, dass Familien
in Deutschland an chronischen Erkrankungen (Lohaus mit einem chronisch erkrankten Kind oft erhebliche
und Heinrichs 2013) und mit Blick auf die Familie ist finanzielle und organisatorische Aufwendungen tätigen
zu berücksichtigen, dass chronische Erkrankungen auf- müssen und sich häufig wenig unterstützt fühlen. Im
grund des medizinischen Fortschritts und der deutlich Zentrum des Erlebens der betroffenen Eltern steht jedoch
verlängerten Lebenserwartung immer häufiger auftreten das „Krankheitsmanagement“, das heißt der Umgang
(werden). mit den (meist) ambulanten Therapiemaßnahmen und
256 E. Wild und S. Walper
Lebensumstellungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Dass selbst jene Untersuchungen, in denen Familien
sich die Situation von Eltern eines diabetischen Kindes während oder unmittelbar nach der Diagnose bzw.
in einem Punkt grundsätzlich von der von Eltern mit Behandlung befragt wurden, zu widersprüchlichen
einem akut erkrankten Kind unterscheidet: Die (Dauer-) Befunden geführt haben (Annunziato et al. 2007), ist
Behandlung des Diabetes erfolgt weitgehend losgelöst von neben methodischen Einschränkungen wesentlich auf
Einrichtungen des Gesundheitssystems, sodass das Krank- moderierende Faktoren zurückzuführen, darunter Art,
heitsmanagement, welches die laufende Kontrolle der Blut- Schwere und Dauer der Erkrankung sowie die Verfüg-
zuckerwerte, die regelmäßige Einnahme der Medikamente barkeit von personellen und sozialen Ressourcen (Harris
und das Einhalten der Ernährungsvorschriften umfasst, und Zakowski 2003). Mit Blick auf die psychosoziale Ent-
stark in der Verantwortung der Eltern liegt. wicklung der mitbetroffenen Kinder zeichnet sich jedoch
Verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere in der vergleichsweise durchgängig ab, dass diese mehrheitlich
Zeit nach der Diagnose die Sorge für ein zuckerkrankes mit den akuten Belastungen kompetent umzugehen wissen
Kleinkind mit einem erhöhten Stresspegel und depressiven und keine deutlichen oder nachhaltigen Beeinträchtigungen
Symptomen aufseiten der Eltern einhergeht. In einer zeigen (Lewis und Darby 2003; Osborn 2007).
schweizerischen Studie an 74 Eltern etwa, die gerade mit Ungleich problematischer stellt sich dagegen die
der Diagnose ihres Kindes konfrontiert worden waren, Situation von Kindern und Jugendlichen mit einem
wurden bei 24 % der Befragten Symptome einer post- psychisch gestörten Elternteil dar. In ihrer Übersicht
traumatischen Depression (PTSD) diagnostiziert, die zu über den Forschungsstand kommen Oyserman et al.
Beeinträchtigungen des Familienlebens und der Partner- (2000) zu dem Ergebnis, dass in 32–56 % der Fälle, in
schaft führten (Landolt et al. 2002). Etwaige depressive Ver- denen Kinder mit einer psychisch gestörten Mutter auf-
stimmungen aufseiten der Eltern können zudem in späteren wachsen, die Kinder selbst Symptome einer schizophrenen
Phasen in intensiven Kummer und Ängste umschlagen, oder affektiven Störung im Sinne internationaler Klassi-
10 wenn akute Gesundheitsprobleme bei den Kindern auf- fikationssysteme (DSM-IV und ICD-10; APA 2000;
treten, die eine stationäre Behandlung erforderlich werden World Health Organisation [WHO] 1991) zeigen. Die
lassen. Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen wurden
Langfristig sind es insbesondere die Mütter, die sich in verhaltensgenetischen Studien zur Erblichkeit von
von chronischen Sorgen überhäuft fühlen. Die steigende Psychosen vergleichsweise hohe Erblichkeitskoeffizienten
Verselbstständigung der Jugendlichen in Bezug auf ihr (zwischen 34 und 80 %) ermittelt. Zum anderen unter-
Krankheitsmanagement trägt bei ihnen offensichtlich nicht streichen Studien, in denen psychisch gestörte und gesunde
dazu bei, dass sie sich entlastet fühlen. Die Angst, ihr Kind Mütter hinsichtlich soziodemografischer Merkmale ver-
könnte zu nachlässig mit seiner Krankheit umgehen, kann glichen wurden, dass es bei den von einer psychischen
wiederum leicht in ein überbehütendes und/oder stark Erkrankung betroffenen Frauen häufig zu einer Kumulation
kontrollierendes Verhalten münden, das vorliegenden von Stressoren kommt. Frauen mit der Diagnose einer
Befunden zufolge klar kontraproduktiv ist. Hingegen schweren psychischen Störung (z. B. endogene Depression,
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass medikamentös gut ein- Schizophrenie, Borderline-Persönlichkeitsstörung, anti-
gestellte Kinder die verordnete Diät und Insulintherapie soziale Persönlichkeit) haben häufiger einen eben-
konsequent einhalten, wenn sie in einem fürsorglichen falls psychisch gestörten Partner, bekommen ihr erstes
Elternhaus aufwachsen, in dem offen über die Probleme Kind meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt, haben
und Belange der Familienmitglieder gesprochen wird, häufig mehrere Kinder, kämpfen mit großen finanziellen
elterliche Anweisungen aber auch situationsangemessen Problemen und sind mit größerer Wahrscheinlichkeit
und konsequent durchgesetzt werden (Davis et al. 2001; alleinerziehend oder führen eine Beziehung, die durch
Hanson et al. 1998). Darüber hinaus hat sich eine hohe Ehe- anhaltende Konflikte und Gewalt gekennzeichnet ist.
zufriedenheit als prognostisch bedeutsam für ein effektives Zwar scheinen gerade psychisch gestörte Frauen die
„Krankheitsmanagement“ erwiesen. Mutterrolle als befriedigend und bereichernd zu erleben
und sich motivierter zu fühlen, mit ihrer Krankheit ein-
Erkrankungen der Eltern hergehende Probleme zu bewältigen. Gleichwohl deuten
Den Auswirkungen einer körperlichen Erkrankung von Vergleichsstudien (meist an depressiven und gesunden
Eltern wurde besonders häufig in Studien an Familien mit Müttern) darauf hin, dass die Erziehungskompetenz
einer an Krebs erkrankten Mutter nachgegangen. Obwohl psychisch gestörter Eltern im Regelfall beeinträchtigt ist
eine solche Erkrankung durchaus mehr oder weniger (z. B. Johnson et al. 2006). Bereits im Kleinstkindalter zeigt
erhebliche chronische Langzeitfolgen nach sich ziehen sich, dass an einer psychischen Störung leidende Mütter
kann, ist bislang kaum etwas über das Befinden der (in im Umgang mit einem Säugling weniger responsiv und
unserer alternden Gesellschaft vermutlich nicht unerheb- emotional ansprechbar sind und eher dazu tendieren,
lichen und steigenden Zahl) von Kindern und Jugendlichen Sorgen rund um die Pflege des Kindes zu verdrängen. Im
bekannt, die in die Pflege kranker Elternteile einbezogen Umgang mit dem Kleinkind scheint es ihnen schwerer zu
sind (zu Art und Umfang der geleisteten Hilfen durch fallen, zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen ihres
Kinder s. Metzing et al. 2006). Kindes zu trennen und konsequent aufzutreten. Gleich-
Familie
257 10
zeitig sind vermehrt negativ gefärbte oder unempathische in Deutschland sinkt oder steigt. Legt man die Daten des
Eltern-Kind-Interaktionen zu beobachten. Nach Schul- Mikrozensus und des SOEP zugrunde, dann hat sich die
eintritt zeigen sich psychisch gestörte Mütter weniger gesamtgesellschaftliche Einkommensverteilung zulasten
engagiert und unterstützend, wobei die betroffenen Kinder von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen ver-
von den Müttern selbst aber auch von Lehrern häufiger als schoben. Besonders betroffen sind dabei – nach wie vor –
verhaltensauffällig beschrieben werden. Die Schwere der Kinder und Jugendliche in Familien mit mindestens einem
mütterlichen Symptomatik korreliert dabei signifikant mit arbeitslosen Elternteil und/oder formal gering gebildeten
der Frustrationstoleranz des Kindes und dessen Bereit- Eltern, Kinder in Ein-Elternteil-Familien und/oder kinder-
schaft und Fähigkeit, Aufgaben motiviert und andauernd reichen Familien sowie Kinder mit Migrationshinter-
zu bearbeiten. Diese kindlichen Probleme wiederum sind grund. Für Alleinerziehende mit zwei und mehr Kindern
in engem Zusammenhang damit zu sehen, dass kranke fällt die Armutsrisikoquote besonders hoch aus (Bundes-
Mütter häufiger Verhaltensprobleme aufseiten des Kindes ministerium für Arbeit und Soziales [BMAS] 2018a, S. 112).
überbetonen, unrealistische Erwartungen an die Leistungs- Ausschlaggebend hierfür ist, dass sich die Arbeitsmarkt-
fähigkeit ihrer Kinder hegen, seltener eine anregungs- situation für Alleinerziehende mit mehreren Kindern
reiche Umgebung bereitstellen und bei Konflikten (z. B. im schwierig gestaltet und sie nicht nur häufiger auf staat-
Zusammenhang mit Hausaufgaben) seltener in der Lage liche Unterstützung (Arbeitslosengeld II) angewiesen
sind, die eigenen Emotionen konstruktiv zu regulieren. sind, sondern auch länger im Hilfebezug bleiben als
Die skizzierten Unterschiede zwischen kranken und Zwei-Eltern-Familien.
gesunden Müttern werden meist geringer, wenn der Effekt Die Armutsrisikoquote von Menschen mit Migrations-
soziodemografischer Faktoren auspartialisiert wird, lassen hintergrund und ausländischer Staatsangehörigkeit
sich statistisch aber auch dann noch absichern. Inner- schließlich ist doppelt so hoch wie die von Personen ohne
halb der Gruppe der kranken Mütter beobachtbare Unter- Migrationshintergrund. Umgekehrt heißt das, dass lediglich
schiede gehen dahin, dass eine unsichere Bindung vor allem 26 % der Armen in Deutschland zugewanderte Menschen
dann entsteht, wenn die Erkrankung der Mutter bereits sind (Der Paritätische Gesamtverband 2018). Auffällig ist,
vor der Geburt zum Ausbruch kam, wenn die Erkrankung dass mit gesunkenen Löhnen bzw. der Erweiterung des
besonders ungünstig verlief und wiederholte stationäre Niedriglohnsektors im Zuge der Wirtschaftskrise der Anteil
Behandlungen erforderlich wurden, und wenn es sich um der „working poor“ gestiegen ist, also jener Menschen,
alleinerziehende Mütter handelte, der Vater also nicht die trotz Erwerbstätigkeit nicht die Armutsschwelle über-
krankheitsbedingte Beeinträchtigungen abfedern konnte. winden.
Definition
10.3.3 Armut und Arbeitslosigkeit Dem fünften Armuts- und Reichtumsbericht des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2018)
Zu Beginn dieses Kapitels wurde die Bedeutung sozialer zufolge kann Armut „im Wesentlichen als ein Mangel
Disparitäten insbesondere für die Teilhabechancen an Mitteln und Möglichkeiten verstanden (werden), das
von Kindern und Jugendlichen im Bildungssystem Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer
angesprochen. An dieser Stelle werden die Auswirkungen Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch
von Armut und Arbeitslosigkeit der Eltern auf die Ent- erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist“ (BMAS
wicklung von Kindern und Jugendlichen näher betrachtet. 2018a, S. 8).
Diese Aussage hebt nicht auf ein fixes
Facetten von Armut Einkommensniveau ab, das minimal notwendig ist, um
Die Fragen, welche Bevölkerungsgruppen besonders häufig eine Familie mit Nahrung, Unterkunft, Kleidung sowie
von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind, welche medizinisch zu versorgen (absolute Armut). Vielmehr
Risikofaktoren hierfür ausschlaggebend sind und vor allem: wird betont, dass es um die Absicherung der Teilhabe
welche Folgen dies für die Entwicklung betroffener Kinder am gesellschaftlichen Leben geht und die hierzu
und Jugendliche hat, umreißen ein Thema, das seit gut erforderlichen Mittel u. a. in Relation zu dem jeweiligen
30 Jahren die hiesige Sozialisationsforschung beschäftigt. Wohlstand einer Gesellschaft abzuschätzen sind.
Unter dem Schlagwort der „Infantilisierung der Armut“ Dementsprechend wird in vielen Studien die relative
war Ende der 1980er-Jahre deutlich geworden, dass in Einkommensarmut betrachtet, wobei als Referenzgröße
Deutschland vor allem Kinder, und insbesondere junge das mittlere Einkommen einer betrachteten
Kinder vor dem Schuleintritt, ein erhöhtes Armutsrisiko Gesellschaft herangezogen wird. Als arm gilt hierbei,
haben. Zahlreiche Studien haben sich in der Folgezeit dieses wer über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen
Themas angenommen (z. B. Holz und Hock 2006; Walper bedarfsgewichteten Netto-Äquivalenzeinkommens
und Kruse 2008; Tophoven et al. 2017, 2018). verfügt.
Wie viele und welche Familien von Armut betroffen Häufiger wird in der Literatur auch auf die
sind, hängt davon ab, wie Armut gefasst wird (Definition). Armutsrisikoquote (60 % des
So ist auch umstritten, ob die Armutsrisikoquote für Kinder
258 E. Wild und S. Walper
Leistungsentwicklung und Bildungsbiografie birgt (Davis- geboten entscheidend sind. Diese primären Disparitäten
Kean 2005; Entwisle und Alexander 1996), weil für den werden verschärft durch sekundäre Disparitäten, das
Lernerfolg relevante Kompetenzen unzureichend aus- heißt von der Kompetenz unabhängige Ungleichheiten in
gebildet werden. Tatsächlich scheinen Nachteile im Bereich den Bildungschancen. Sekundäre Disparitäten entstehen,
kognitiver Fähigkeiten und des schulischen sowie beruf- weil sozioökonomische Ressourcen der Eltern nicht nur
lichen Erfolgs sogar weitaus gravierender auszufallen als die schulischen Kompetenzen der Kinder beeinflussen,
Nachteile in anderen Entwicklungsbereichen (Duncan sondern auch unabhängig hiervon in die Notengebung,
und Brooks-Gunn 1997; Petterson und Albers 2001). So die Übertrittsempfehlungen und vor allem die Schulwahl-
erweisen sich mangelnde sozioökonomische Ressourcen entscheidungen der Eltern am Ende der Grundschule
der Familie bei der Sprachentwicklung der Kinder als deut- einfließen (Ditton 2004). Im deutschen Bildungssystem, das
licher Nachteil (Hoff-Ginsberg 2000) und die Intelligenz- eine Zuweisung zu unterschiedlichen Schulzweigen bereits
entwicklung von Kindern aus einkommensarmen Familien in der vierten Klasse vorsieht, kommt solchen sekundären
liegt – selbst bei Kontrolle potenzieller Drittvariablen Herkunftseffekten vergleichsweise großes Gewicht zu
(perinatale Probleme, Geburtsgewicht, chronische Krank- (Ditton 2007a). Zwar folgen auch Eltern mit geringeren
heiten) – bereits vor dem vierten Lebensjahr deutlich unter sozioökonomischen Ressourcen häufig der von der Grund-
der Norm (Mackner et al. 2003). Im Alter von fünf Jahren schule ausgestellten Gymnasialempfehlung. Eltern mit
zeigen sich zudem stärkere Effekte dauerhafter statt zeit- höheren sozioökonomischen Ressourcen zeigen jedoch
begrenzter Armut (Duncan et al. 1994), wobei Nachteile auch ohne Gymnasialempfehlung deutliche Präferenzen für
für die kognitive Entwicklung bei wiederkehrender oder einen Gymnasialabschluss ihrer Kinder und wissen diese
dauerhafter Armut in den ersten Lebensjahren deutlich Vorstellung umzusetzen (zusf. Maaz et al. 2010). Ausschlag-
gravierender ausfallen als Effekte von Trennungen und gebend hierfür dürften nicht unterschiedliche Erwartungen
neuen Partnerschaften der Eltern (Schoon et al. 2012). an die Nützlichkeit eines höheren Schulabschlusses sein, da
10 Internationale Vergleichsstudien, wie die PISA-Studie, sich Eltern in dieser Hinsicht weitgehend einig sind (Ditton
ergänzen dieses Bild, indem sie fortlaufend über die Zeit 2007b). Wohl aber sind schichtabhängige Unterschiede in
und auch über Bildungssysteme hinweg analysieren, wie den antizipierten Erfolgschancen des eigenen Kindes zu
stark zentrale Kulturtechniken (wie die Lesekompetenz) beobachten und auch die Fähigkeit, als Eltern die jeweils
vom sozioökonomischen Hintergrund der Familien beein- nötigen Ressourcen bereitzustellen, ist in privilegierten
flusst werden. Hierbei zeigt sich zwar, dass Schüler aus Familien erwartungsgemäß höher (vgl. 7 Abschn. 10.3.3).
benachteiligten Elternhäusern in der PISA-Erhebung 2015 Angesichts dieser Befunde kann die Stärkung des Eltern-
deutlich besser abschneiden als noch in der ersten Erhebung willens beim Übertritt durchaus kritisch gesehen werden.
im Jahr 2000 (OECD 2018). Dennoch bestehen in vielen Ohne eine intensive Beratung der Eltern werden für einige
Ländern ungleiche Bildungschancen. So gilt in den meisten Schüler Bildungschancen ungenutzt bleiben, während
Ländern, dass Kinder aus den ärmsten Familien seltener andere Kinder vor der Aufgabe stehen, den überhöhten
eine Kindertageseinrichtung und eine weiterführende Schule Erwartungen ihrer Eltern gerecht werden zu müssen.
besuchen, und in Ländern mit hohen Migrationsraten Insgesamt unterstreichen diese Befunde die Rolle der
15-jährige Schüler der ersten Generation zugewanderter Familie als primäre Sozialisations- und Bildungsinstanz
Familien niedrigere Kompetenzwerte erreichen. Eine und lassen verständlich werden, warum Kinder aus sozial
hohe Wirtschaftskraft garantiert hierbei keineswegs eine privilegierten Elternhäusern die schulische und beruf-
Angleichung der Bildungschancen. Deutschland liegt dies- liche Laufbahn meist erfolgreicher durchlaufen. Allerdings
bezüglich in einer Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, macht die in PISA konstatierte enorme transkulturelle
an der 29 europäische Länder teilnahmen, lediglich im Variabilität des Zusammenhangs zwischen Soziallage und
unteren Mittelfeld (UNICEF 2018). Gesellschaftlicher Kompetenz deutlich, dass der Effekt sozioökonomischer
Wohlstand ermöglicht also, wie in Deutschland, die Bereit- Faktoren nicht allein durch Drittvariablen wie Intelligenz
stellung von staatlichen Maßnahmen und Sozialleistungen, oder Persönlichkeitsmerkmale von Eltern erklärt werden
die Armutslagen abmildern können, garantiert dennoch kann, die genetisch (mit-)bestimmt sind (zusf. Plomin et al.
keine Chancengleichheit. Zudem gelingt den einzelnen 1999) und sich in den Bildungsverläufen der Eltern- und
Ländern bzw. Bildungssystemen die Minderung sozial Kindergeneration widerspiegeln. Vielmehr sind es (auch)
bedingter Leistungsunterschiede nicht in allen Bildungs- Merkmale des Bildungssystems, die herkunftsbedingte
phasen gleichermaßen. So liegen nach den Befunden der Disparitäten nivellieren oder verstärken. Eine im Auftrag
UNICEF-Studie Litauen, Island und Frankreich in der früh- der Vodafone-Stiftung durchgeführte Sonderauswertung
kindlichen Förderung vorn, im Grundschulbereich sind es der PISA-Daten von 2015 zielte in diesem Sinne auf die
die Niederlande, Lettland und Finnland und bei 15-jährigen Identifikation von Faktoren, die zu einer Entkopplung
schließlich ist die Chancengleichheit am stärksten in Lett- von sozialer Herkunft und Schulerfolg beitragen (OECD
land, Irland und Spanien ausgeprägt. 2018). Dazu wurden Informationen über 15-Jährige ana-
Hierzulande sind, wie schon erwähnt, bereits zum Zeit- lysiert, die gute Kompetenzwerte erzielen obwohl sie aus
punkt der Einschulung Ungleichheiten in den kindlichen benachteiligten Familien kommen. Für die Entwicklung
Kompetenzen sichtbar, die für den Zugang zu Bildungsan- dieser „widerstandsfähigen“ (resilienten) Schüler war ent-
Familie
261 10
scheidend: der gemeinsame Unterricht mit bessergestellten
Schülern, eine gute Klassenführung, Aktivitäten jenseits des dass neben bildungsaffinen Werthaltungen und
Unterrichts (im Ganztag), ein positives Schulklima, eine positiven Einschätzungen der kindlichen Leistungs-
geringe Fluktuation bei den Lehrkräften und charismatische fähigkeit durch die Eltern vor allem gemeinsame
Schulleiter. lernrelevante Aktivitäten und eine qualitätsvolle
Ausgestaltung elterlicher Hilfen zielführend sind. Je
mehr Eltern Interesse an schulischen Inhalten und
Fazit an den schulischen Erfahrungen ihrer Kinder zum
Die Ausführungen in diesem Kapitel sollten Ausdruck bringen, diesen klare Leistungserwartungen
verdeutlichen, dass sich die Anforderungen an Eltern und Standards vermitteln, die kindliche Zuversicht
(und deren Kinder) im Verlauf der Familienkarriere in die eigene Leistungsfähigkeit stärken, emotionale
stetig verändern und das der Familie innewohnende Unterstützung bei der Bewältigung von Misserfolgen
Potenzial nur dann ausgeschöpft wird, wenn die leisten und die Herausbildung von Selbstregulations-
Eltern-Kind-Interaktion auf die altersabhängigen kompetenzen fördern, umso eher ermöglichen sie ihren
Bedürfnisse des Nachwuchses und die Fähigkeiten des Kindern ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Lernen.
einzelnen Kindes abgestellt wird. Diese Idee steht daher Die wenigen wissenschaftlich fundierten Ratgeber
auch – mehr oder weniger ausdrücklich – im Zentrum und Trainings, die auf den elterlichen Umgang mit
vorliegender Trainings zur Steigerung der elterlichen schulischen Belangen fokussieren (Rammert und Wild
Erziehungskompetenz (zusf. Wiss. Beirat 2005; Tschöpe- 2007; Niggli et al. 2009; McElvany und Artelt 2009;
Scheffler 2006). Otto 2009), setzen diese Erkenntnisse in praktische
Mit dem innerfamilialen Sozialisationsgeschehen ist Anleitungen um.
eine entscheidende „Stellgröße“ für die kindliche Beeinträchtigungen in der elterlichen Erziehungs-
Persönlichkeitsentwicklung angesprochen. Daraus im kompetenz werden wahrscheinlicher, wenn
Umkehrschluss abzuleiten, dass den Eltern grundsätzlich Familien mit unvermittelten Schicksalsschlägen (z. B.
die Verantwortung für kindliche Fehlentwicklungen Erkrankung eines Familienmitglieds oder plötzliche
zuzuschreiben ist, ist gleichwohl unzulässig. Ein solch Arbeitslosigkeit) oder mit Krisen (z. B. Trennung/
deterministisches Verständnis verkennt nicht nur die Scheidung, fortdauernde ökonomische Deprivation)
Rolle von Erbanlagen, kindlichen Selbstsozialisations- konfrontiert sind. Aus systemischer Sicht werden in allen
prozessen jenseits der Familie und bidirektionalen diesen Fällen Anpassungsleistungen erforderlich, die
Wirkungen der Eltern-Kind-Interaktion. Es lenkt vielmehr zumindest vorübergehend das Erleben und Verhalten
auch von der Tatsache ab, dass Beeinträchtigungen der Betroffenen beeinträchtigen können. Ob eine Krise
in den Familienbeziehungen häufig auf belastende erfolgreich gemeistert wird oder langfristige negative
Lebenslagen und kritische Lebensereignisse Folgen insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung
zurückgehen und viele unverschuldet in eine Krise der betroffenen Kinder nach sich zieht, hängt dabei
gestürzte Eltern dennoch bemüht sind, ihr Kind wesentlich von den jeweils verfügbaren (personalen
bestmöglich zu begleiten. und sozialen) Ressourcen der Familie beziehungsweise
Was eine „gute Erziehung“ ausmacht, lässt sich vor ihrer Mitglieder ab. Gleichwohl sind Familien vielfach
dem Hintergrund der inzwischen über 50 Jahre hinweg auf Unterstützung in herausforderungsreichen
betriebenen Erziehungsstilforschung dahin gehend Situationen angewiesen. Hierzu vorliegende Angebote
beantworten, dass eine störungsfreie Persönlich- können auf spezifische Probleme und Adressaten
keitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gerichtet oder eher allgemein präventiver Natur sein
umso wahrscheinlicher wird, je mehr Eltern die für (7 Kap. 18). Beide Ansätze finden sich beispielsweise in
einen autoritativen Erziehungsstil charakteristischen den Programmen der Frühprävention für Familien ab
Verhaltensweisen zeigen. So ist es positiv zu bewerten, der Schwangerschaft bis zum Kindergartenalter, die im
dass die Voraussetzungen für die Realisierung eines Rahmen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)
solchen, durchaus anspruchsvollen Erziehungsstils im Auftrag des BMFSFJ auf den Weg gebracht wurden
heute in vielerlei Hinsicht besonders günstig sind. (Sann 2012; s. auch 7 http://www.nzfh.de). Zentral ist
Besorgniserregend sind gleichwohl die nach wie vor hierbei das Anliegen, die Entwicklungschancen für
hohe Zahl von in Armut lebenden Kindern und der Kinder durch eine möglichst wirksame Vernetzung
Erwartungsdruck, unter dem immer mehr Eltern stehen von Hilfen des Gesundheitswesens und der Kinder-
beziehungsweise unter den sie sich selbst stellen. und Jugendhilfe zu verbessern und sie früher und
Nicht zuletzt Befunde der Armuts- und Ungleichheits- besser vor möglichen Gefährdungen zu schützen.
forschung unterstreichen, wie stark das Elternhaus die Aber auch in allen nachfolgenden Phasen können
psychosoziale, intellektuelle und schulische Entwicklung Fragen und Probleme auftreten, die den Rückgriff
der Kinder beeinflusst. Mit Blick auf die Rolle der Familie auf professionelle Hilfe sinnvoll machen. Im Fall einer
als einer bedeutsamen Lernumgebung ist festzuhalten, Trennung/Scheidung der Eltern etwa kann auf ein
262 E. Wild und S. Walper
Andresen, S., Neumann, S., & Public, K. (2018). Vierte World Vision
differenziertes Angebot an Beratung, Mediation, Kinderstudie. Weinheim: Beltz.
aber auch Kursen zurückgegriffen werden (Walper Annunziato, R. A., Rakotomihamina, V., & Rubacka, J. (2007). Examining
the effects of maternal chronic illness on child well-being in
und Bröning 2008). Für Eltern mit Schulkindern sind single parent families. Journal of Developmental and Behavioral
Beratungslehrer und Schulpsychologen, aber auch Pediatrics, 28, 386–391.
die Mitarbeiter in Erziehungsberatungsstellen oft Arndt, C., Dann, S., Kleimann, R., Strotmann, H., & Volkert, J. (2006).
wichtige Ansprechpartner. Leider sind die Hürden bei Das Konzept der Verwirklichungschancen (A. Sen). Empirische
der Inanspruchnahme professioneller Angebote für Operationalisierung im Rahmen der Armuts- und Reichtums-
messung. Machbarkeitsstudie (Endbericht). Bundesministerium
viele Familien aber immer noch hoch. Um ein möglichst für Arbeit und Soziales.
gesundes, unbelastetes Aufwachsen von Kindern und Arnett, J. J. (2000). Emerging adulthood: A theory of development from
Jugendlichen zu ermöglichen, muss uns daran gelegen the late teens through the twenties. American Psychologist, 55(5),
sein, die Sichtbarkeit, Erreichbarkeit und Koordination 469.
der vielfältigen Angebote für Familien zu verbessern. Astone, N. M., & McLanahan, S. S. (1991). Family structure, parental
practices and high school completion. American Sociological
Review, 56, 309–320.
Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2012). Bildung in Deutsch-
land 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur
? Verständnisfragen kulturellen Bildung im Lebenslauf. Bielefeld: W. Bertelsmann.
1. Wie haben sich in den letzten 50 Jahren die Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2018). Bildung in Deutsch-
Erziehungspraktiken von Eltern verändert und warum? land 2018. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu
2. Wie ist die wachsende Nachfrage nach und Wirkungen und Erträgen von Bildung. Bielefeld: wbv Publikation.
Bereitstellung von institutioneller Fremdbetreuung 7 https://doi.org/10.3278/6001820fw.
Baude, A., Pearson, J., & Drapeau, S. (2016). Child adjustment in joint
gerade auch für Familien mit Kindern unter drei physical custody versus sole custody: A meta-analytic review.
Jahren zu bewerten? Journal of Divorce & Remarriage, 57(5), 338–360.
10 3. Was kennzeichnet eine „gute“ Erziehung? Baumrind, D. (1971). Current patterns of parental authority.
4. Welche Kontextfaktoren tragen dazu bei, dass Developmental Psychology, 4(1pt 2), 1–103.
Heranwachsende aus privilegierten Familien eine Baumrind, D. (1991). Effective parenting during the early adolescent
transition. In P. A. Cowan & M. Hetherington (Hrsg.), Family
durchschnittlich erfolgreichere Bildungslaufbahn transitions (S. 111–163). Hillsdale: Erlbaum.
erzielen? Baumrind, D., Larzelere, R. E., & Owens, E. B. (2010). Effects of preschool
5. Was meint der Begriff „Resilienz“? parents’ power assertive patterns and practices on adolescent
development. Parenting: Science and Practice, 10(3), 157–201.
Becker-Stoll, F. (2017). Bedeutung der elterlichen Feinfühligkeit für die
kindliche Entwicklung. In M. Wertfein, A. Wildgruber, C. Wirts, &
Vertiefende Literatur F. Becker-Stoll (Hrsg.), Interaktionen in Kindertageseinrichtungen
5 Kracke, B., & Noack, P. (2018). Handbuch Entwicklungs- und
(S. 10–21). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Erziehungspsychologie. Berlin: Springer.
Becker-Stoll, F., Niesel, R., & Wertfein, M. (2009). Handbuch Kinder in den
5 Bodenmann, G. (2016). Lehrbuch Klinische Paar-und Familien-
ersten drei Lebensjahren: Theorie und Praxis für die Tagesbetreuung.
psychologie. Bern: Hogrefe.
Freiburg: Herder.
5 Nave-Herz, R. (2015). Familie heute. Wandel der Familienstrukturen
Beckh, K., & Walper, S. (2002). Stiefkinder und ihre Beziehung zu den
und Folgen für die Erziehung (6. Aufl.). Darmstadt: Primus.
Eltern: Ein Fokus auf die Rolle von leiblichem und Stiefvater. In
5 Wild, E., & Lorenz, F. (2010). Elternhaus und Schule. StandardWissen
W. Bien, A. Hartl, & M. Teubner (Hrsg.), Stieffamilien in Deutsch-
Lehramt. Paderborn: Schöningh (UTB).
land. Eltern und Kinder zwischen Normalität und Konflikt. Opladen:
Leske + Budrich.
Berger, F. (2009). Auszug aus dem Elternhaus – Strukturelle, familiale
Literatur und persönlichkeitsbezogene Bedingungsfaktoren. In H. Fend,
F. Berger, & U. Grob (Hrsg.), Lebensverläufe, Lebensbewältigung,
Aich, G., Kuboth, C., Gartmeier, M., & Sauer, D. (Hrsg.). (2018). Lebensglück (S. 195–243). Wiesbaden: VS Verlag.
Kommunikation und Kooperation mit Eltern. Weinheim: Beltz. Bernardi, F., & Radl, J. (2014). The long-term consequences of parental
Aldous, J. (1977). Family interaction patterns. Annual Review of divorce for children’s educational attainment. Demographic
Sociology, 3, 105–135. Research, 30(61), 1653–1680.
Amato, P. R. (2001). Children of divorce in the 1990s: An update of Berngruber, A. (2018). Der Auszug aus dem Elternhaus als ein Status-
the Amato and Keith (1991) meta-analysis. Journal of Family übergang im jungen Erwachsenenalter. In A. Lange, H. Reiter, S.
Psychology, 15(3), 355–370. Schutter, & C. Steiner (Hrsg.), Handbuch Kindheits-und Jugend-
Amato, P. R. (2010). Research on divorce: Continuing trends and new soziologie (S. 519–530). Wiesbaden: Springer.
developments. Journal of Marriage and Family, 72(3), 650–666. Block, J., Block, J. H., & Gjerde, P. F. (1988). Parental functioning and
Amato, P. R., & Anthony, C. (2014). Estimating the effects of parental the home environment in families of divorce: Prospective and
divorce and death with fixed effects models. Journal of Marriage concurrent analyses. Journal of the American Academy of Child and
and Family, 76(4), 370–386. 7 https://doi.org/10.1111/jomf.12100. Adolescent Psychiatry, 27, 207–213.
Amato, P. R., & Bryndl, H.-M. (2007). A comparison of high- and Boeger, A., & Seiffge-Krenke, I. (1994). Symptombelastung, Selbst-
low-distress marriages that end in divorce. Journal of Marriage konzept und Entwicklungsverzögerung bei gesunden und
and Family, 69, 621–638. chronisch kranken Jugendlichen mit Typ-I-Diabetes. Zeitschrift für
American Psychiatric Association. (2000). Diagnostic and statistical Kinder- und Jugendpsychiatrie, 22, 5–15.
manual of mental disorders (DSM-IV). Washington, DC: American Boeger, A., Seiffge-Krenke, I., & Roth, M. (1996). Symptombelastung,
Psychiatric Association. Selbstkonzept und Entwicklungsverzögerung bei gesunden und
Familie
263 10
chronisch kranken Jugendlichen: Ergebnisse einer 4 1/2 jährigen Family Stress Model. In L. J. Crockett & R. K. Silbereisen (Hrsg.),
Längsschnittstudie. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Negotiating adolescence in times of social change (S. 201–233).
24, 231–239. Cambridge: Cambridge University Press.
Boekaerts, M., & Roder, I. (1999). Stress, coping, and adjustment Conger, R. D., Conger, K. J., & Martin, M. J. (2010). Socioeconomic
in children with a chronic disease: A review of the literature. status, family processes, and individual development. Journal of
Disability and Rehabilitation: An International. Multidisciplinary Marriage and Family, 72(3), 685–704.
Journal, 21, 311–337. Davis, C. L., Delamater, A. M., Shaw, K. H., La Greca, A. M., Eidson, M.
Bolger, K. E., Patterson, C. J., Thompson, W. W., & Kupersmidt, J. B. S., Perez-Rodriguez, J. E., et al. (2001). Parenting styles, regimen
(1995). Psychosocial adjustment among children experiencing adherence and glycemic control in 4–10 year old children with
persistent and intermittent family economic hardship. Child diabetes. Journal of Pediatric Psychology, 26, 123–129.
Development, 66, 1107–1129. Davis-Kean, P. E. (2005). The influence of parent education and family
Bonanati, M., & Knapp, C. (Hrsg.). (2016). Eltern – Lehrer – Schüler. income on child achievement: The indirect role of parental
Theoretische und qualitativ-empirische Betrachtung zum Verhältnis expectations and the home environment. Journal of Family
von Elternhaus und Schule sowie zu schulischen Gesprächen. Bad Psychology, 19(2), 294–304.
Heilbrunn: Klinkhardt. Dell Orto, A. E., & Power, P. W. (2007). The psychological and social
Borkenau, P., Riemann, R., & Spinath, F. M. (1999). Gene, Umwelt und impact of illness and disability (5. Aufl.) New York: Springer.
Verhalten. Bern: Huber. Der Paritätische Gesamtverband (Hrsg.). (2018). Wer die Armen sind. Der
Bradley, R. H., & Corwyn, R. F. (2006). The family environment. In C. Paritätische Armutsbericht 2018. Berlin.
Tamis-LaMonda & L. Balter (Hrsg.), Child psychology: A handbook Dickhäuser, O., & Spinath, B. (Hrsg.). (2018). Berufsfelder der
of contemporary issues (2. Aufl., S. 493–520). New York: Garland. Pädagogischen Psychologie. Karrierewege, Kompetenzen, Tätigkeits-
Brandstädter, J., & Montada, L. (1980). Normative Implikationen schwerpunkte. Berlin: Springer.
der Erziehungsstilforschung. In K. A. Schneewind & T. Herr- Ditton, H. (2004). Der Beitrag von Schule und Lehrern zur
mann (Hrsg.), Erziehungsstilforschung. Theorien, Methoden und Reproduktion Bildungsungleichheit. In R. Becker & W. Lauter-
Anwendung der Psychologie elterlichen Erziehungsverhaltens bach (Hrsg.), Bildung als Privileg? Erklärungen und Befunde zu
(S. 33–55). Bern: Huber. den Ursachen von Bildungsungleichheit (S. 251–281). Opladen:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2018a). Lebenslagen in Leske + Budrich.
Deutschland. Der 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes- Ditton, H. (2007a). Schulübertritte, Geschlecht und soziale Herkunft.
regierung. Kurzfassung. 7 https://www.bmas.de/DE/Service/ In H. Ditton (Hrsg.), Kompetenzaufbau und Laufbahnen im Schul-
Medien/Publikationen/a306k-5-arb.html. system (S. 63–87). Münster: Waxmann.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2018b). Lebenslagen in Ditton, H. (2007b). Kosten, Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeit. In H.
Deutschland. Der 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes- Ditton (Hrsg.), Kompetenzaufbau und Laufbahnen im Schulsystem
regierung. 7 https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/ (S. 89–115). Münster: Waxmann.
SharedDocs/Downloads/Berichte/5-arb-langfassung.html. Dolgin, M. J., & Phipps, S. (1996). Reciprocal influences in family
Bundesministerium für Familie Senioren Frauen und Jugend (Hrsg.). adjustment to childhood cancer. In L. Baider, C. L. Cooper, & A.
(2013). Stief- und Patchworkfamilien in Deutschland. Monitor Kaplan De-Nour (Hrsg.), Cancer and the family (S. 73–92). Oxford:
Familienforschung Nr. 31. Berlin: BMFSFJ Referat für Öffentlich- Wiley.
keitsarbeit. Duineveld, J. J., Parker, P. D., Ryan, R. M., Ciarrochi, J., & Salmela-Aro,
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (2013). K. (2017). The link between perceived maternal and paternal
14. Kinder- und Jugendbericht: Bericht über die Lebenssituation autonomy support and adolescent well-being across three major
junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugend- educational transitions. Developmental Psychology, 53(10), 1978–
hilfe in Deutschland. 7 http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/ 1994. 7 https://doi.org/10.1037/dev0000364.
Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/14-Kinder-und-Jugendbericht,prop Dumont, H., Trautwein, U., & Lüdtke, O. (2012a). Familiärer Hintergrund
erty=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf. und die Qualität elterlicher Hausaufgabenhilfe. Psychologie in
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (2017). Erziehung und Unterricht, 59, 109–121. 7 https://doi.org/10.2378/
Familienreport 2017. Leistungen, Wirkungen, Trends. 7 https:// peu2012.art08d.
www.bmfsfj.de/familienreport-2017. Dumont, H., Trautwein, U., Lüdtke, O., Neumann, M., Niggli, A., &
Cherlin, A. J., Furstenberg, F. F., Chase-Lansdale, P. L., Kiernan, K. E., Schnyder, I. (2012b). Does parental homework involvement
Robins, P. K., Morrison, D. R., et al. (1991). Longitudinal studies mediate the relationship between family background and
of effects of divorce on children in Great Britain and the United educational outcomes? Contemporary Educational Psychologie, 37,
States. Science, 252, 1386–1389. 55–69. 7 https://doi.org/10.1016/j.cedpsych.2011.09.004.
Coleman, M., Ganong, L. H., & Fine, M. A. (2000). Reinvestigating Duncan, G. J., & Brooks-Gunn, J. (1997). Income effects across the
remarriage: Another decade of progress. Journal of Marriage and life span: Integration and interpretation. In G. J. Duncan & J.
the Family, 62, 1288–1307. Brooks-Gunn (Hrsg.), The consequences of growing up poor (S. 596–
Conger, R. D., & Dogan, S. J. (2007). Social class and socialization in 610). New York: Russell Sage Foundation.
families. In J. F. Grusec & P. D. Hastings (Hrsg.), Handbook of Duncan, G. J., Brooks-Gunn, J., & Klebanov, P. K. (1994). Economic
socialization theory and research (S. 433–460). New York: Guilford. deprivation and early childhood development. Child Develop-
Conger, R. D., Ge, X., Elder, G. H., Jr., Lorenz, F. O., & Simons, R. L. (1994). ment, 65, 296–318.
Economic stress, coercive family process, and developmental Durik, A. M., Vida, M., & Eccles, J. S. (2006). Task values and ability
problems of adolescents. Child Development, 65, 541–561. beliefs as predictors of high school literacy choices: A
Conger, R. D., Conger, K. J., & Elder, G. H. J. (1997). Family economic developmental analysis. Journal of Educational Psychology, 98,
hardship and adolescent adjustment: Mediating and moderating 382–393.
processes. In G. J. Duncan & J. Brooks-Gunn (Hrsg.), Consequences of Duvall, E. M., & Miller, B. C. (1985). Marriage and family development (6.
growing up poor (S. 288–310). New York: Russell Sage Foundation. Aufl.). New York: Harper & Row.
Conger, K. J., Rueter, M. A., & Conger, R. D. (2000). The role of economic Eccles, J. S. (2007). Families, schools, and developing
pressure in the lives of parents and their adolescents: The achievement-related motivations and engagement. In J. E. Grusec
264 E. Wild und S. Walper
& P. D. Hastings (Hrsg.), Handbook of socialization: Theory and Hetherington, E. M. (1991). The role of individual differences and
research (S. 665–691). New York: Guilford. family relationships in children’s coping with divorce and
Elder, G. H., Jr., Conger, R. D., Foster, E. M., & Ardelt, M. (1992). Families remarriage. In P. A. Cowan & E. M. Hetherington (Hrsg.), Family
under economic pressure. Journal of Family Issues, 13, 5–37. transitions (S. 165–194). Hillsdale: Erlbaum.
Entleitner-Phleps, C. (2017). Zusammenzug und familiales Zusammen- Hetherington, E. M. (1993). An overview of the Virginia Longitudinal
leben von Stieffamilien. Wiesbaden: Springer VS. Study of Divorce and Remarriage with a focus on early
Entleitner-Phleps, C. & Walper, S. (2020). Kindliches Wohlbefinden in adolescence. Journal of Family Psychology, 7, 39–56.
unterschiedlichen Familienformen: ein Fokus auf komplexe Stief- Hetherington, E. M., & Jodl, K. M. (1994). Stepfamilies as settings for
familien. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 23, 323–341. child development. In A. Booth & J. Dunn (Hrsg.), Stepfamilies:
Entwisle, D. R., & Alexander, K. L. (1996). Family type and children’s who benefits? Who does not? (S. 55–79). Hillsdale: Erlbaum.
growth in reading and math over the primary grades. Journal of Hetherington, E. M., & Kelly, J. (2003). Scheidung. Die Perspektiven der
Marriage and the Family, 58, 341–355. Kinder. Weinheim: Beltz.
Evans, G. W., & English, K. (2002). The environment of poverty: Hill, N. E., & Tyson, D. F. (2009). Parental involvement in middle school:
Multiple stressor exposure, psychophysiological stress, and A meta-analytic assessment of the strategies that promote
socioemotional adjustment. Child Development, 73(4), 1238–1248. achievement. Developmental Psychology, 45(3), 740.
Exeler, J., & Wild, E. (2003). Die Rolle des Elternhauses für die Förderung Hofer, M. (2002a). Familienbeziehungen in der Entwicklung. In M.
selbstbestimmten Lernens. Unterrichtswissenschaft, 31(1), 6–22. Hofer, E. Wild, & P. Noack (Hrsg.), Lehrbuch Familienbeziehungen
Fegter, S., & Andresen, S. (2008). Entgrenzung. In T. Coelen & H.-U. Otto (S. 4–27). Bern: Huber.
(Hrsg.), Grundbegriffe Ganztagsschule (S. 832–841). Wiesbaden: VS Hofer, M. (2002b). Theoretische Ansätze in der Familienpsycho-
Verlag. logie. In M. Hofer, E. Wild, & P. Noack (Hrsg.), Lehrbuch Familien-
Feldhaus, M., & Timm, A. (2015). Der Einfluss der elterlichen Trennung beziehungen (S. 28–49). Göttingen: Hogrefe.
im Jugendalter auf die Depressivität von Jugendlichen. Zeitschrift Hofer, M. (2003). Selbstständig werden im Gespräch. Wie Jugendliche und
für Familienforschung, 27(1), 32–52. Eltern ihre Beziehung verändern. Bern: Huber.
Fletcher, A. C., Steinberg, L., & Williams-Wheeler, M. (2004). Parental Hofer, M., Wild, E., & Noack, P. (2002). Lehrbuch Familienbeziehungen.
influences on adolescent problem behavior: Revisiting Stattin and Eltern und Kinder in der Entwicklung (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Kerr. Child Development, 75, 781–796. Hoff-Ginsberg, E. (2000). Soziale Umwelt und Sprachlernen. In H. Grimm
Fredricks, J. A., & Eccles, J. S. (2005). Family socialization, gender, and (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie: C. Theorie und Forschung. Bd. 3:
10 sport motivation and involvement. Journal of Sport & Exercise Sprachentwicklung (S. 463–494). Göttingen: Hogrefe.
Psychology, 27, 3–31. Holz, G., & Hock, B. (2006). Infantilisierung von Armut begreifbar
Freeman, H. S., & Newland, L. A. (2002). Family transitions during the machen – Die AWO-ISS-Studien zu familiärer Armut. Vierteljahres-
adolescent transition: Implications for parenting. Adolescence, 37, hefte zur Wirtschaftsforschung, 75(1), 77–88.
457–475. Hoover-Dempsey, K. V., Battiato, A. C., Walker, J. M., Reed, R. P., DeJong,
Fuhrer, U. (2005). Lehrbuch Erziehungspsychologie. Bern: Huber. J., & Jones, K. P. (2001). Parental involvement in homework.
Garmezy, N. (1991). Resilience and vulnerability to adverse Educational Psychologist, 36(3), 195–209.
developmental outcomes associated with poverty. American Hoover-Dempsey, K., Walker, J., Sandler, H., Whetsel, D., Green, C.,
Behavioral Scientist, 34(4), 416–430. Wilkins, A., et al. (2005). Why do parent become involved?
Graf, J. (2002). Wenn Paare Eltern werden. Weinheim: Beltz. Research findings and implications. The Elementary School
Grolnick, W. S., & Pomerantz, E. M. (2009). Issues and challenges in Journal, 106, 106–130.
studying parental control: Toward a new conceptualization. Child Hung, J. W., Wu, Y. H., & Yeh, C. H. (2004). Comparing stress levels of
Development Perspectives, 3(3), 165–170. parents of children with cancer and parents of children with
Grolnick, W. S., Benjet, C., Kurowski, C. O., & Apostoleris, N. H. (1997). physical disabilities. Psycho-Oncology, 13, 898–903.
Predictors of parent involvement in children’s schooling. Journal Hußmann, A., Wendt, H., Bos, W., Bremerich-Vos, A., Kasper, D., Lankes,
of Educational Psychology, 89(3), 538–548. E., et al. (Hrsg.). (2017). Iglu 2016. Lesekompetenzen von Grund-
Gutman, L. M., & Eccles, J. S. (1999). Financial strain, parenting schulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Münster:
behaviors, and adolescents’ achievement: Testing model Waxmann.
equivalence between African American and European American Jeynes, W. H. (2005). A meta-analysis of the relation of parental
families and between single and two-parent families. Child involvement to urban elementary school student academic
Development, 70, 1464–1476. achievement. Urban Education, 40(3), 237–269.
Hanson, T. L., McLanahan, S., & Thomson, E. (1998). Windows on Jeynes, W. H. (2006). The impact of parental remarriage on children: A
divorce: Before and after. Social Science Research, 27, 329–349. meta-analysis. Marriage & Family Review, 40(4), 75–102.
Harris, C. A., & Zakowski, S. G. (2003). Comparisons of distress in Jeynes, W. (2012). A meta-analysis of the efficacy of different types
adolescents of cancer patients and controls. Psycho-Oncology, 12, of parental involvement programs for urban students. Urban
173–182. Education, 47(4), 706–742.
Hashima, P. Y., & Amato, P. R. (1994). Poverty, social support, and Johnson, J. G., Cohen, P., Kasen, S., Ehrensaft, M. K., & Crawford, T. N.
parental behavior. Child Development, 65(2), 394–403. (2006). Associations of parental personality disorders and axis i
Havermans, N., Sodermans, A. K., & Matthijs, K. (2017). Residential disorders with childrearing behavior. Psychiatry, 69(4), 336–350.
arrangements and children’s school engagement: The role of Johnston, J. R., Kline, M., & Tschann, J. M. (1989). Ongoing postdivorce
the parent–child relationship and selection mechanisms. Youth & conflict: Effects on children of joint custody and frequent access.
Society, 49(8), 1104–1122. American Journal of Orthopsychiatry, 59, 576–593.
Heckman, J. (2006). Skill formation and the economics of investing in Jugendwerk der Deutschen Shell. (1985). Jugendliche und Erwachsene’85.
disadvantaged children. Science, 312, 1900–1902. Generationen im Vergleich. Opladen: Leske & Budrich.
Heinicke, C. M., Guthrie, D., & Ruth, G. (1997). Marital adaptation, Kalmijn, M. (2015). How childhood circumstances moderate the
divorce, and parent–infant development: A prospective study. long-term impact of divorce on fahter-child relationships. Journal
Infant Mental Health Journal, 18(3), 282–299. of Marriage and Family, 77(8), 921–938. 7 https://doi.org/10.1111/
Henry-Huthmacher, C., Borchard, M., Merkle, T., & Wippermann, C. jomf.12202.
(2008). Eltern unter Druck. Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Kalmijn, M. (2016). Father-child contact, interparental conflict, and
Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten. Stuttgart: depressive symptoms among children of divorced parents.
Lucius & Lucius. European Sociological Review, 32, 68–80.
Familie
265 10
Killus, D., & Tillmann, K.-J. (Hrsg.). (2017). Eltern beurteilen Schule – Ent- the Berlin Parent-Child Reading Program. Learning and Instruction,
wicklungen und Herausforderungen. Ein Trendbericht zu Schule und 19, 79–95.
Bildungspolitik in Deutschland. 4. JAKO-O Bildungsstudie. Münster: Meier-Gräwe, U., & Klünder, N. (2015). Ausgewählte Ergebnisse der Zeit-
Waxmann. budgeterhebungen 1991/92 2001/02 und 2012/13. Im Auftrag der
Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags e. V. Heinrich-Böll-Stiftung. Gießen: Universität Gießen.
(2014). Das Wechselmodell im deutschen Familienrecht. FamRZ, Metzing, S., Schnepp, W., Hübner, B., & Büscher, A. (2006). Die Lücke
14, 1157–1166. füllen und in Bereitschaft sein – Kinder und Jugendliche als
Kins, E., Beyers, W., Soenens, B., & Vansteenkiste, M. (2009). Patterns of pflegende Angehörige. Pflege & Gesellschaft, 11, 351–373.
home leaving and subjective well-being in emerging adulthood: Milkie, M. A., Nomaguchi, K. M., & Denny, K. E. (2015). Does the amount
The role of motivational processes and parental autonomy of time mothers spend with children or adolescents matter?
support. Developmental Psychology, 45(5), 1416–1429. Journal of Marrirage and Family, 77, 355–372.
Klocke, A. (1996). Aufwachsen in Armut. Zeitschrift für Sozialisations- Moroni, S., Dumont, H., Trautwein, U., Niggli, A., & Baeriswyl, F. (2015).
forschung und Erziehungssoziologie, 16(4), 390–409. The need to distinguish between quantity and quality in parental
Kostka, K. (2014). Neue Erkenntnisse zum Wechselmodell? Zugleich involvement research. The Journal of Educational Research, 108,
eine Rezension von Hildegund Sünderhauf „Wechselmodell: 417–431.
Psychologie–Recht–Praxis“. Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 9(2), Müller, C. (2012): Kindliche Erzählfähigkeiten und ( schrift-)
54–61. sprachsozialisatorische Einflüsse in der Familie. Eine longitudinale
Kouros, C. D., Pruitt, M. M., Ekas, N. V., Kiriaki, R., & Sunderland, M. Einzelfallstudie mit ein- und mehrsprachigen (Vor-) Schulkindern.
(2017). Helicopter parenting, autonomy support, and college Unveröffentlichte Dissertation, Technische Universität Dortmund.
students’ mental health and well-being: The moderation role of National Institute of Child Health and Human Development Early
sex and ethnicity. Journal of Child and Family Studies, 26(3), 939– Child Care Research Network. (2005). Predicting individual
949. 7 https://doi.org/10.1007/s10826-016-0614-3. differences in attention, memory, and planning in first graders
Kreppner, K., & Lerner, R. M. (2013). Family systems and life-span from experiences at home, child care, and school. Developmental
development. New York: Psychology Press. Psychology, 41, 99–114.
Krishnakumar, A., & Buehler, C. (2000). Interparental conflict and Nauck, B. (2001). Der Wert von Kindern für ihre Eltern. Kölner Zeitschrift
parenting behaviors. A meta-analytic review. Family Relations, 49, für Soziologie und Sozialpsychologie, 53(3), 407–435.
25–44. Nave-Herz, R. (2015). Familie heute. Wandel der Familienstrukturen und
Krumrei, E., Coit, C., Martin, S., Fogo, W., & Mahoney, A. (2007). Folgen für die Erziehung (6. Aufl.). Darmstadt: Primus.
Post-divorce adjustment and social relationships: A meta-analytic Nielsen, L. (2018). Joint versus sole physical custody: Children’s
review. Journal of Divorce & Remarriage, 46, 145–166. outcomes independent of parent-child relationships, income,
Lamela, D., Figueiredo, B., Bastos, A., & Feinberg, M. (2016). Typologies and conflict in 60 studies. Journal of Divorce & Remarriage, 59(4),
of post-divorce coparenting and parental well-being, parenting 247–281.
quality and children’s psychological adjustment. Child Psychiatry Niggli, A., Wandeler, C., & Villiger, C. (2009). Globale und bereichs-
and Human Development, 47(5), 716–728. spezifische Komponenten eines Elterntrainings zur Betreuung
Landolt, M. A., Ribi, K., Laimbacher, J., Vollrath, M., Gnehm, H. E., & bei Lesehausaufgaben – Zusammenhänge im familiären Kontext.
Sennhauser, F. H. (2002). Posttraumatic stress disorder in parents Unterrichtswissenschaft, 37, 230–245.
of children with newly diagnosed type 1 diabetes. Journal of OECD. (2018). Erfolgsfaktor Resilienz. 7 http://www.oecd.org/berlin/
Pediatric Psychology, 27, 647–652. publikationen/pisa-2015-resilienz.htm.
Lansford, J. E., Malone, P. S., Castellino, D. R., Dodge, K. A., Pettit, G. S., Olson, D. H. (2000). Circumplex model of marital and family sytems.
& Bates, J. E. (2006). Trajectories of internalizing, externalizing, Journal of Family Therapy, 22(2), 144–167.
and grades for children who have and have not experienced their Osborn, T. (2007). The psychosocial impact of parental cancer on
parents’ divorce or separation. Journal of Family Psychology, 20, children and adolescents: A systematic review. Psycho-Oncology,
292–301. 16, 101–126.
LeMoyne, T., & Buchanan, T. (2011). Does “hovering” matter? Otterpohl, N., & Wild, E. (2017). Kooperation zwischen Elternhaus und
Helicopter parenting and its effect on well-being. Sociological Schule im Kontext der schulischen Leistungsentwicklung. In B.
Spectrum, 31(4), 399–418. Kracke & P. Noack (Hrsg.), Handbuch Entwicklungs- und Erziehungs-
Lempers, J. D., & Clark-Lempers, D. S. (1997). Economic hardship, psychologie (S. 1–15). Berlin: Springer.
family relationships, and adolescent distress: An evaluation of a Otto, B. (2009). Lässt sich das selbstregulierte Lernen von Schülern
stress-distress mediation model in mother-daughter and mother- durch ein Training der Eltern optimieren? In M. Landmann & B.
son dyads. Adolescence, 32(126), 339–356. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 164–183).
Lewis, F. M., & Darby, E. L. (2003). Adolescent adjustment and maternal Stuttgart: Kohlhammer.
breast cancer: A test of the „faucet hypothesis“. Journal of Oyserman, D., Mowbray, C. T., Meares, P. A., & Firminger, K. B. (2000).
Psychosocial Oncology, 21, 81–104. Parenting among mothers with a serious mental illness. American
Lohaus, A., & Heinrichs, N. (Hrsg.). (2013). Chronische Erkrankungen im Journal of Orthopsychiatry, 70, 296–315.
Kindes- und Jugendalter. Psychologische und medizinische Grund- Padilla-Walker, L. M., & Nelson, L. J. (2012). Black hawk down?
lagen. Weinheim: Beltz. Establishing helicopter parenting as a distinct construct from
Lum, L. (2006). Handling „Helicopter Parents“. Diverse: Issues in Higher other forms of parental control during emerging adulthood.
Education, 23(20), 40–43. Journal of Adolescence, 35(5), 1177–1190.
Maaz, K., Baumert, J., Gresch, C., & McElvany, N. (Hrsg.). (2010). Der Papastefanou, C. (1996). Auszug aus dem Elternhaus. Weinheim:
Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Juventa.
Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Papastefanou, C. (2006). Ablösung im Erleben junger Erwachsener aus
Disparitäten. Bonn: BMBF. verschiedenen Familienstrukturen. Zeitschrift für Soziologie der
Mackner, L. M., Black, M. M., & Starr, R. H., Jr. (2003). Cognitive develop- Erziehung und Sozialisation, 26(1), 23–35.
ment of children in poverty with failure to thrive: A prospective Petterson, S. M., & Albers, A. B. (2001). Effects of poverty and maternal
study through age 6. Journal of Child Psychology and Psychiatry depression on early child development. Child Development, 72(6),
and Allied Disciplines, 44, 743–751. 1794–1813.
McElvany, N., & Artelt, C. (2009). Systematic reading training in the Peuckert, R. (2012). Familienformen im sozialen Wandel (8. Aufl.). Wies-
family: Development, implementation, and initial evaluation of baden: VS Verlag.
266 E. Wild und S. Walper
Pinderhughes, E. E., Bates, J. E., Dodge, K. A., Pettit, G. S., & Zelli, Schneewind, K. A. (1980). Elterliche Erziehungsstile: Einige
A. (2000). Discipline responses: Influences of parents’ Anmerkungen zum Forschungsgegenstand. In K. A. Schneewind
socioeconomic status, ethnicity, beliefs about parenting, stress, & T. Herrmann (Hrsg.), Erziehungsstilforschung (S. 19–30). Bern:
and cognitive-emotional processes. Journal of Family Psychology, Huber.
14(3), 380–400. Schneewind, K. A., & Ruppert, S. (1995). Familien gestern und heute: Ein
Plomin, R., DeFries, J. C., McClearn, G. E., & Rutter, M. (1999). Gene, Generationenvergleich über 16 Jahre. München: Quintessenz.
Umwelt und Verhalten. Einführung in die Verhaltensgenetik. Bern: Schoon, I., Jones, E., Cheng, H., & Maughan, B. (2012). Family hardship,
Huber. family instability, and cognitive development. Journal of
Pomerantz, E. M., Ng, F. F., & Wang, Q. (2006). Mothers’ Epidemiology and Community Health, 66(8), 716–722.
mastery-oriented involvement in children’s homework:
Schwarz, B., & Noack, P. (2002). Scheidung und Ein-Elternteil-Familien.
Implications for the well-being of children with negative In M. Hofer, E. Wild, & P. Noack (Hrsg.), Lehrbuch Familien-
perception of competence. Journal of Educational Psychology, 98, beziehungen. Eltern und Kinder in der Entwicklung (2. Aufl., S. 312–
99–111. 335). Göttingen: Hogrefe.
Poortman, A. R., & van Gaalen, R. (2017). Shared residence after Shaw, D. S., Emery, R. E., & Tuer, M. D. (1993). Parental functioning and
separation: A review and new findings from the Netherlands. children’s adjustment in families of divorce: A prospective study.
Family Court Review, 55(4), 531–544. Journal of Abnormal Child Psychology, 21(1), 119–134.
Pröls, C. (2011). Die Vater-Kind-Beziehung im Kontext von Trennung und Shell Deutschland (Hrsg.). (2015). Jugend 2015. Die 17. Shell Jugend-
Scheidung. Berlin: Köster. studie. Frankfurt a. M.: Fischer.
PTA. (2009). National standards for family-school-partnerships Sherifali, D., & Ciliska, D. (2006). Parenting children with diabetes and
implementation guide. 7 https://www.pta.org/home/run-your- Belsky’s determinants of parenting model: Literature review.
pta/National-Standards-for-Family-School-Partnerships. Journal of Advanced Nursing, 55, 636–642.
Quasthoff, U., Wild, E., Domenech, M., Hollmann, J., Kluger, C., Krah, Shumow, L. (1998). Promoting parental attunement to children’s
A., Otterpohl, N., & Wibbing, J. (2015). Mündliches und schrift- mathematical reasoning through parent education. Journal of
liches Argumentieren in der Sekundarstufe I: Können Eltern ihre Applied Developmental Psychology, 19, 109–127.
Kinder beim Erwerb dieser Schlüsselkompetenzen unterstützen? Silinskas, G., & Kikas, E. (2017). Parental involvement in math
In A. Redder, J. Naumann, & R. Tracy (Hrsg.), Forschungsinitiative homework: Links to children’s performance and motivation.
Sprachdiagnostik und Sprachförderung – Ergebnisse (S. 207–233). Scandinavian Journal of Educational Research. 7 https://doi.org/10.
10 Münster: Waxmann. 1080/00313831.2017.1324901.
Rammert, M., & Wild, E. (2007). Hausaufgaben ohne Stress. Silk, J. S., Morris, A. S., Kanaya, T., & Steinberg, L. (2003). Psychological
Informationen und Tipps für Eltern. Freiburg: Herder. control and autonomy granting: Opposite ends of a continuum or
Reed, K., Duncan, J. M., Lucier-Greer, M., Fixelle, C., & Ferraro, A. J. distinct constructs? Journal of Research on Adolescence, 13, 113–
(2016). Helicopter parenting and emerging adult self-efficacy: 128.
Implications for mental and physical health. Journal of Child and Simpkins, S. D., Davis-Kean, P. E., & Eccles, J. S. (2005). Parents’
Family Studies, 25(10), 3136–3149. socializing behavior and children’s participation in math, science,
Reichle, B., & Werneck, H. (1999). Übergang zur Elternschaft. Aktuelle and computer out-of-school activities. Applied Developmental
Studien zur Bewältigung eines unterschätzten Lebensereignisses. Science, 9, 14–30.
Stuttgart: Enke. Sodoge, A., & Eckert, A. (2004). Kooperation mit Eltern in der Sonder-
Roth, G., Assor, A., Niemiec, C. P., Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2009). The schule – Ergebnisse einer Befragung von Eltern und Sonderschul-
emotional and academic consequences of parental conditional lehrern. Zeitschrift für Heilpädagogik, 10, 453–461.
regard: Comparing conditional positive regard, conditional Somers, P., & Settle, J. (2010). The helicopter parent (part 2): Inter-
negative regard, and autonomy support as parenting practices. national arrivals and departures. College and University, 86(2), 2–9.
Developmental Psychology, 45(4), 1119–1142. 7 https://doi. Spangler, G., & Zimmermann, P. (2015). Die Bindungstheorie: Grund-
org/10.1037/a0015272. lagen, Forschung und Anwendung (7. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
Rubach, C. (2018). Kooperationsbeziehungen zwischen Eltern und Statistisches Bundesamt. (2018a). Quelle Geburtenraten. 7 https://
Lehrkräften am Ende der Sekundarstufe I: Bedingungen von www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/
Kooperationsbeziehungen und Auswirkungen auf motivationale und Bevoelkerung/Geburten/Geburten.html.
kognitive Überzeugungen von Lernenden. Online veröffentlichte Statistisches Bundesamt. (2018b). Pressemitteilung Nr. 251 vom
Dissertation an der Universität Potsdam. 10.07.2018. 7 https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2017). Self-determination theory: Basic psycho- Pressemitteilungen/2018/07/PD18_251_12631.html.
logical needs in motivation, development, and wellness. New York: Stattin, H., & Kerr, M. (2000). Parental monitoring: A reinterpretation.
Guilford Publishing. Child Development, 71, 1072–1095.
Salentin, K. (2002). Armut, Scham und Stressbewältigung: die Ver- Steinberg, L. (1987). Recent research on the family at adolescence:
arbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommens- The extent and nature of sex differences. Journal of Youth and
bereich. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Adolescence, 16, 191–197.
Sandler, I. N., Wheeler, L. A., & Braver, S. L. (2013). Relations of Steinberg, L. (2001). We know some things: Parent-adolescent
parenting quality, interparental conflict, and overnights with relationships in retrospect and prospect. Journal of Research on
mental health problems of children in divorcing families with Adolescence, 11, 1–19.
high legal conflict. Journal of Family Psychology, 27(6), 915–924. Steinberg, L. (2004). The 10 basic principles of good parenting. New York:
Sann, A. (2012). Frühe Hilfen – Entwicklung eines neuen Praxis- Simon & Schuster.
feldes in Deutschland. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 4, Stelzer, T. (2009). Ich will doch nur spielen. ZEIT online. 7 http://www.
256–274. zeit.de/2009/32/Das-therapierte-Kind-32.
Schaeffer, D., & Moers, M. (2000). Bewältigung chronischer Krank- Stiftung Bildungspakt Bayern in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen
heiten – Herausforderungen für die Pflege. In B. Rennen-Allhoff Staatsministerium. (2014). Schulversuch AKZENT Elternarbeit.
& D. Schaeffer (Hrsg.), Handbuch Pflegewissenschaft. Weinheim: Anregungen zur Gestaltung der Bildungs- und Erziehungs-
Juventa. partnerschaft von Schule und Elternhaus. Dokumentation und
Schiffrin, H. H., & Liss, M. (2017). The effects of helicopter parenting on Ergebnisse. 7 https://bildungspakt-bayern.de/akzent-elternarbeit/.
academic motivation. Journal of Child and Family Studies, 26(5), Stock, G., Bertram, H., Fürnkranz-Prskawetz, A., Holzgreve, W., Kohli,
1472–1480. 7 https://doi.org/10.1007/s10826-017-0658-z. M., & Staudinger, U. M. (2012). Zukunft mit Kindern: Fertilität und
Familie
267 10
gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Walper, S. (2009). Links of perceived economic deprivation to
Schweiz (Bd. 29). Frankfurt: Campus. adolescents’ well-being six years later. Zeitschrift für Familien-
Strohschein, L. (2005). Parental divorce and child mental health forschung, 21, 107–127.
trajectories. Journal of Marriage and Family, 67, 1286–1300. Walper, S. (2014). Soziale Elternschaft in elternreichen Familien: Ein
Strohschein, L. (2007). Challenging the presumption of diminished Blick auf Stieffamilien. In I. Götz, I. Schwenzer, K. Seelmann, & J.
capacity to parent: Does divorce really change parenting Taupitz (Hrsg.), Familie-Recht-Ethik: Festschrift für Gerd Bruder-
practices. Family Relations, 56, 358–368. müller zum 65. Geburtstag. München: Beck.
Sun, Y., & Li, Y. (2001). Marital disruption, parental investment, and Walper, S. (2016). Arrangements elterlicher Fürsorge nach Trennung
childrens’ academic achievement: A prospective analysis. Journal und Scheidung: Das Wechselmodell im Licht neuer Daten aus
of Family Issues, 22, 27–62. Deutschland. In Deutscher Familiengerichtstag e. V. (Hrsg.), Ein-
Sünderhauf, H. (2016). Getrennt erziehen im Wechselmodell. Frühe Kind- undzwanzigster Deutscher Familiengerichtstag. (Brühler Schriften,
heit, 19(2), 16–25. Bd. 19). Bielefeld: Gieseking.
Sylva, K., Melhuish, E., Sammons, P., Siraj-Blatchford, I., & Taggart, Walper, S., & Beckh, K. (2006). Adolescents’ development in
B. (2004). The effective provision of pre-school education (EPPE) high-conflict and separated families. Evidence from a German
project: Final report: A longitudinal study funded by the DfES 1997– longitudinal study. In A. Clarke-Stewart & J. Dunn (Hrsg.), Families
2004. Institute of Education, University of London/Department for count: Effects on child and adolescent development (S. 238–270).
Education and Skills/Sure Start. Cambridge: Cambridge University Press.
Tillmann, K.-J. (2017). Meinungstrends der Eltern über Schule und Walper, S., & Bröning, S. (2008). Bewältigungshilfen bei Trennung und
Schulreformen – Die JAKO-O Bildungsstudien von 2010 bis 2017. Scheidung. In F. Petermann & W. Schneider (Hrsg.), Angewandte
In D. Killus & K.-J. Tillmann (Hrsg.), Eltern beurteilen Schule – Ent- Entwicklungspsychologie (S. 571–604). Göttingen: Hogrefe.
wicklungen und Herausforderungen. Ein Trendbericht zu Schule und Walper, S., & Fiedrich, S. (2017). Impact of the recession on family
Bildungspolitik in Deutschland. 4. JAKO-O Bildungsstudie. (S. 57–81). dynamics and youth well-being: Findings from the German family
Münster: Waxmann. panel pairfam. In I. Schoon & J. Bynner (Hrsg.), Young people’s
Tophoven, S., Lietzmann, T., Reiter, S., & Wenzig, C. (2017). Armuts- development and the great recession. Uncertain transitions and
muster in Kindheit und Jugend. Längsschnittbetrachtungen von precarious futures (S. 269–296). Cambridge: Cambridge University
Kinderarmut. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Press.
Tophoven, S., Lietzmann, T., Reiter, S., & Wenzig, C. (2018). Aufwachsen Walper, S., Gerhard, A.-K., Schwarz, B., & Gödde, M. (2001). Wenn an
in Armutslagen. Zentrale Einflussfaktoren und Folgen für die den Kindern gespart werden muß: Einflüsse der Familienstruktur
soziale Teilhabe. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. 7 https://doi. und finanzieller Knappheit auf die Befindlichkeit von Kindern
org/10.11586/2018017. und Jugendlichen. In S. Walper & R. Pekrun (Hrsg.), Familie und
Trautwein, U., Lüdtke, O., Schnyder, I., & Niggli, A. (2006). Predicting Entwicklung. Perspektiven der Familienpsychologie (S. 266–291).
homework effort: Support for a domain-specific, multilevel Göttingen: Hogrefe.
homework model. Journal of Educational Psychology, 98, 438–456. Walper, S., & Grgic, M. (2013). Verhaltens- und Kompetenzentwicklung
Tröster, H. (2005). Themenschwerpunkt: Chronische Krankheiten. Kind- im Kontext der Familie: Zur relativen Bedeutung von sozialer Her-
heit und Entwicklung, 14, 63–68. kunft, elterlicher Erziehung und Aktivitäten in der Familie. Zeit-
Tschöpe-Scheffler, S. (2006). Konzepte der Elternbildung – Eine kritische schrift für Erziehungswissenschaft, 16, 503–531.
Übersicht. Opladen: Leske + Budrich. Walper, S., & Krey, M. (2009). Familienbeziehungen nach Trennungen.
UNICEF. (2005). Child poverty in rich countries. UNICEF Innocenti In K. Lenz & F. Nestmann (Hrsg.), Persönliche Beziehungen. Wein-
Research Centre, Florence. 7 www.unicef-irc.org/publications/ heim: Juventa.
pdf/repcard6e.pdf. Walper, S., & Kruse, J. (2008). Kindheit und Armut. In M. Hasselhorn &
UNICEF. (2018). Hohe Wirtschaftskraft garantiert keine Bildungs- R. K. Silbereisen (Hrsg.), Psychologie des Säuglings- und Kindesalters
gerechtigkeit. 7 https://www.unicef.de/informieren/ (Enzyklopädie der Psychologie, Serie V: Entwicklungspsychologie,
aktuelles/presse/2018/ungleiche-bildungschancen-kinder-in- Bd. 4, S. 431–487). Göttingen: Hogrefe.
industrielaendern/177516. Walper, S., & Langmeyer, A. (2012). Sorge nicht miteinander
Van Ingen, D. J., Freiheit, S. R., Steinfeldt, J. A., Moore, L. L., Wimer, D. verheirateter Eltern aus interdisziplinärer Sicht. In D.
J, Knutt, A. D., Scapinello, S., & Roberts, A. (2015). Helicopter Coester-Waltjen, V. Lipp, E. Schumann, & B. Veit (Hrsg.), Reform-
parenting: The effect of an overbearing caregiving style on peer bedarf im nichtehelichen Eltern-Kind-Verhältnis (S. 37–65).
attachment and self-efficacy. Journal of College Counseling, 18. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen.
7 https://doi.org/10.1002/j.2161-1882.2015.00065.x. Walper, S., & Langmeyer, A. N. (2019). Belastungs- und Unterstützungs-
Vandell, D. L., Belsky, J., Burchinal, M., Vandergrift, N., & Steinberg faktoren für die Entwicklung von Kindern in Trennungsfamilien. In
L. (2010). Do effects of early child care extend to age 15 years? R. Volbert, A. Huber, A. Jacob, & A. Kannegießer (Hrsg.), Empirische
Results from the NICHD study of early child care and youth Grundlagen der familienrechtlichen Begutachtung. Göttingen:
development. Child Development, 81(3), 737–756. 7 https://doi. Hogrefe.
org/10.1111/j.1467-8624.2010.01431.x. Walper, S., & Wild, E. (2002). Wiederheirat und Stiefelternschaft. In M.
Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.). (2013). Qualitätsmerkmale Hofer, E. Wild, & P. Noack (Hrsg.), Lehrbuch Familienbeziehungen.
schulischer Elternarbeit. Ein Kompass für die partnerschaftliche Eltern und Kinder in der Entwicklung (2. Aufl., S. 336–361).
Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus. Düsseldorf: Druck- Göttingen: Hogrefe.
studio GmbH. Walper, S., Thönnissen, C., & Alt, P. (2015). Effects of family structure
Wadsworth, M. E., & Compas, B. E. (2002). Coping with family conflict and the experience of parental separation: A study on
and economic strain: The adolescent perspective. Journal of adolescents’ well-being. Comparative Population Studies, 40(3),
Research on Adolescence, 12(2), 243–274. 335–364.
Wagner, P., Schober, B., & Spiel, C. (2005). Time students spend Weaver, J. M., & Schofield, T. J. (2015). Mediation and moderation of
working at home for school. Learning and Instruction, 18, 309–320. divorce effects on children´s behavior problems. Journal of Family
Wallerstein, J. S., Lewis, J., & Blakeslee, S. (2000). The unexpected legacy Psychology, 29(1), 39–48. 7 https://doi.org/10.1037/fam0000043.
of divorce: A 25 year landmark study. New York: Hyperion. Whitbeck, L. B., Simons, R. L., Conger, R. D., Wickrama, K. A. S., Ackley, K.
Walper, S. (2004). Der Wandel der Familien als Sozialisationsinstanz. In A., & Elder, G. H. (1997). The effects of parents’ working conditions
D. Geulen & H. Veith (Hrsg.), Sozialisationstheorie interdisziplinär – and family economic hardship on parenting behaviors and
Aktuelle Perspektiven. Stuttgart: Lucius & Lucius. children’s self-efficacy. Social Psychology Quarterly, 60, 291–303.
268 E. Wild und S. Walper
Wigfield, A., & Eccles, J. S. (2000). Expectancy-value theory of (Hrsg.), Eltern und Schule. Aspekte von Chancengerechtigkeit und Teil-
achievement motivation. Contemporary Educational Psychology, habe an Bildung (S. 77–88). Weinheim: Beltz.
25, 68–81. Wild, E., & Yotyodying, S. (2012). Studying at home: With whom and
Wild, E. (2004). Häusliches Lernen. Forschungsdesiderate und in which way? Homework practices and conflicts in the family. In
Forschungsperspektiven. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 7, M. Richter & S. Andresen (Hrsg.), The politicization of parenthood
37–64. (S. 165–180). Heidelberg: Springer.
Wild, E., & Hofer, M. (2002). Familien mit Schulkindern. In M. Hofer, E. Wild, E., Hofer, M., & Pekrun, R. (2001). Psychologie des Lerners. In
Wild, & P. Noack (Hrsg.), Lehrbuch Familienbeziehungen (S. 216– A. Krapp & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie
240). Göttingen: Hogrefe. (S. 207–270). Weinheim: PVU.
Wild, E., & Lorenz, F. (2010). Elternhaus und Schule. StandardWissen Wild, E., Quasthoff, U., Hollmann, J., Otterpohl, N., Krah, A., & Ohlhus,
Lehramt. Paderborn: Schöningh (UTB). S. (2012). Die Rolle familialer Unterstützung beim Erwerb von
Wild, E., & Lütje-Klose, B. (2017). Schulische Elternarbeit als essenzielles Argumentationskompetenz in der Sekundarstufe I. Diskurs
Gestaltungsmoment inklusiver Beschulung. In B. Lütje-Klose, S. Kindheits- und Jugendforschung, 1, 101–112.
Miller, S. Schwab, B. Streese, & Österreichische Gesellschaft für Wilhelm, D., Esdar, W. & Wild, E. (2014). Helicopter Parents – Begriffs-
Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) (Hrsg.), bestimmung, Entwicklung und Validierung eines Fragebogens.
Inklusion: Profile für die Schul- und Unterrichtsentwicklung in Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 9(1), 70–83.
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Theoretische Grundlagen, Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen. (2005). Familiale
empirische Befunde, Praxisbeispiele; Beiträge zur Bildungsforschung Erziehungskompetenzen. Beziehungsklima und Erziehungsleistung
(2. Aufl., S. 129–139). Münster: Waxmann. in der Familie als Problem und Aufgabe. Weinheim: Juventa.
Wild, E., & Remy, K. (2002). Quantität und Qualität der elterlichen Haus- World Health Organisation. (1991). Internationale Klassifikation
aufgabenbetreuung von Drittklässlern in Mathematik. Zeitschrift psychischer Störungen – ICD-10, Kapitel V. Bern: Huber.
für Pädagogik, 45, 276–290. World Vision Deutschland. (2018). Kinder in Deutschland 2018 – 4. World
Wild, E., & Wieler, M. (2015). Verwirklichungschancen schaffen durch eine Vision Kinderstudie. Weinheim: Beltz.
geeignete Gestaltung von Lernprozessen im familiären Umfeld. Zaharychuk, C. (2017). Stepmothers’ role in mediating adverse effects
Eine Übersicht über den Stand der bildungsbezogenen Eltern- on children of divorce. Journal of Divorce & Remarriage, 58(5),
trainingsforschung und ihre Desiderata. In S. Frank & A. Sliwka 311–328. 7 https://doi.org/10.1080/10502556.2017.1301738.
10
269 11
Lehrkräfte
Mareike Kunter, Britta Pohlmann und Anna-Theresia Decker
Literatur – 285
Lehrkräfte sind zentrale Akteure im Bildungssystem. Dass diversen praktischen Einschränkungen (Lortie 1975). In
sie einen substanziellen Einfluss auf das Lernen und die ihrer Haupttätigkeit, dem Unterrichten, stehen Lehrkräfte
Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler haben können, vor der Herausforderung, Schülerinnen und Schüler dazu
ist auch aus empirischer Sicht unstrittig (Hattie 2009). zu bewegen, sich aktiv mit Themen auseinanderzusetzen
Forschung zum „Lehrereffekt“ zeigt, dass Schülerinnen und und anstrengende Lerntätigkeiten vorzunehmen, die die
Schüler auch bei gleichen persönlichen Voraussetzungen Lernenden typischerweise nicht freiwillig gewählt haben.
innerhalb einer Schule systematische Unterschiede in ihren Auch wenn jede einzelne Schülerin bzw. jeder einzelne
Leistungsentwicklungen zeigen, je nachdem, von welcher Schüler dabei individuell zu fördern ist, findet diese Inter-
Person sie unterrichtet werden (Byrne et al. 2010). Warum aktion normalerweise in einer Gruppe statt. Auf die Lehr-
jedoch manche Lehrkräfte erfolgreicher als andere sind und kraft kommt somit die Aufgabe zu, diese Gruppe zu ordnen
welche persönlichen Voraussetzungen dies bestimmen, ist und so zu organisieren, dass Lernen überhaupt möglich wird:
eine wichtige psychologische Fragestellung und soll im vor- Die vielen simultan ablaufenden Ereignisse erfordern Auf-
liegenden Kapitel näher betrachtet werden. Das Anliegen merksamkeit und Konzentration, da oftmals schnelle Ent-
dieses Kapitels ist es, zu zeigen, wie die Pädagogische scheidungen zu treffen sind, ohne dabei die ursprünglichen
Psychologie dazu beigetragen hat, Lehrerinnen und Lehrer Lernziele aus dem Blick zu verlieren. Über diese unmittel-
als wichtige Agenten im Bildungssystem besser zu ver- baren Unterrichtstätigkeiten hinaus müssen Unterrichts-
stehen. Die Erkenntnisse pädagogisch-psychologischer stunden geplant, Arbeiten korrigiert, Arbeitsgruppen und
Forschung liefern Ansatzpunkte für die Verbesserung von Schulausflüge geleitet sowie Elterngespräche geführt werden
Unterricht und sind auch hilfreich, um die beruflichen – und all dies geschieht unter den aufmerksamen Augen der
Erfahrungen von Lehrkräften positiv zu gestalten. Um auf Öffentlichkeit und Bildungspolitik, die ihrerseits Forderungen
das Thema Lehrkräfte einzustimmen, liefern wir zunächst an „den Lehrkörper“ stellen. Vor allem die Erwartungen der
eine Anforderungsanalyse, die die typischen Heraus- Öffentlichkeit und die vermeintlich geringe Wertschätzung
forderungen des Lehrerberufs beschreibt. Anschließend ihrer Tätigkeit wird von vielen Lehrkräften als besondere
fassen wir Ansätze der pädagogisch-psychologischen berufliche Belastung wahrgenommen (Süßlin 2012). Jedoch
Forschung zu Lehrkräften zusammen und erläutern dann, scheint sich hier – zumindest, was die Situation in Deutsch-
11 welche Merkmale von Lehrkräften bisher in der Forschung land betrifft – in den letzten Jahren eine Trendwende voll-
Aufmerksamkeit fanden. Das Kapitel schließt mit einer zogen zu haben. So rangiert der Lehrerberuf seit mehreren
Beschreibung der Lerngelegenheiten für (angehende) Lehr- Jahren bei Bevölkerungsumfragen zu besonders geachteten
kräfte (. Abb. 11.1). Berufen auf den oberen Plätzen (Forschungsgruppe Welt-
anschauungen in Deutschland 2017) und auch die Bericht-
erstattung in Zeitungen ist deutlich positiver geworden (Köller
et al. 2018; 7 Exkurs „Was zeichnet eine gute Lehrkraft aus?“).
Exkurs
Individuelle Voraussetzungen
Kognitive Voraussetzungen, Motivation, Personlichkeit
diese Unterschiede hauptsächlich durch bestimmte stabile 11.2 Kognitive Merkmale: Wissen und
Persönlichkeitsmerkmale erklärt werden können, wie z. B. Überzeugungen
kognitive Fähigkeiten und generelle individuelle Tendenzen
im Erleben und Verhalten, die die Lehrkräfte schon mit Kognitive Merkmale beziehen sich auf Aspekte des
in die Lehrerausbildung und den Beruf bringen. Auf der Denkens, Schlussfolgerns, Gedächtnisses oder auf Ein-
11 anderen Seite geht die Qualifikationshypothese davon aus,
dass die Unterschiede im Berufserfolg durch Unterschiede
stellungen und Überzeugungen. Vor allem das Wissen und
die Überzeugungen von Lehrkräften werden als besonders
in der Qualität und Länge der Lehrerausbildung entstehen relevant für ihr berufliches Handeln gesehen. Gelegent-
und unabhängig von den Eingangsvoraussetzungen sind lich werden beide Bereiche auch unter dem Begriff der
(Kunter et al. 2011b). Das „Modell der Determinanten und „Expertise“ zusammengefasst.
Konsequenzen der professionellen Kompetenz von Lehr-
kräften“ von Kunter und Kolleg(inn)en (2011, . Abb. 11.2)
integriert nun beide Ansätze und nimmt an, dass die 11.2.1 Wissen
professionelle Kompetenz durch explizite und implizite
Lernprozesse in geeigneten Lerngelegenheiten aufgebaut Was müssen Lehrkräfte wissen, um erfolgreich unter-
wird (Qualifikationshypothese) und dieser Entwicklungs- richten zu können? Antworten auf diese Frage haben
prozess durch bestimmte Eingangsvoraussetzungen beein- unmittelbare praktische Relevanz: Während bekannt ist,
flusst wird (Eignungshypothese). Das Modell versteht dass z. B. Einstellungen und Meinungen von Lehrkräften
Lehrkräfte selbst als Lernende und betont in Anlehnung häufig sehr stabil und nur sehr schwierig direkt beein-
an andere Angebot-Nutzungsmodelle (Fend 1981; Helmke flussbar sind, geht man davon aus, dass Wissen leichter
2009) ihre aktive Rolle im Lernprozess. Der Lernerfolg veränderbar ist, z. B. durch geeignete Lehrangebote. Die
hängt demnach von der individuellen Nutzung der Lern- Frage, welches Wissen hilfreich ist, um erfolgreich zu unter-
gelegenheit ab, d. h. z. B. davon, welche Fortbildungen sich richten, ist deshalb besonders dann wichtig, wenn es um
die Lehrkräfte zunächst einmal auswählen und wie intensiv Ziele der Lehrerbildung geht: Welche Inhalte sollte die
sie sich gedanklich mit den Inhalten auseinandersetzen. Die Lehrer-Erstausbildung vermitteln und welche Inhalte sollten
Nutzung wiederum wird sowohl durch persönliche Voraus- systematisch in die Lehrerfortbildung integriert werden?
setzungen wie kognitive Fähigkeiten, Motivation und Wie im Folgenden dargestellt, spielen psychologische
Persönlichkeit als auch durch kontextuelle Faktoren wie die Inhalte eine wichtige Rolle in diesen Überlegungen.
individuelle Schule und das Bildungssystem beeinflusst. In der Psychologie wird häufig zwischen deklarativem
In aktuellen Forschungsfragen geht es daher zunehmend Wissen, d. h. Wissen über Fakten und Sachverhalte
nicht mehr nur darum, die Eigenschaften „guter“ bzw. („Wissen, was“), und prozeduralen Wissensinhalten, d. h.
erfolgreicher Lehrkräfte zu beschreiben. Stattdessen werden Handlungswissen („Wissen, wie“), unterschieden (7 Kap. 1).
folgende Fragen in den Blick genommen: Wann und wie Bei Lehrkräften wären somit z. B. das Verständnis für
lernen Lehrkräfte und wie kann es ihnen gelingen, auch in fachliche Sachverhalte oder die Kenntnis verschiedener
späteren Berufsjahren immer wieder neu den sichwandelnden Methoden deklaratives Wissen, während Wissen darüber,
Anforderungen erfolgreich zu begegnen? Wir werden wie bestimmte Methoden angewendet oder disziplinarische
darauf in 7 Abschn. 11.5 näher eingehen. Maßnahmen vollzogen werden, Beispiele für prozedurales
Lehrkräfte
273 11
Wissen sind. Zur inhaltlichen Beschreibung des Lehrer- mehrfach belegt (z. B. Agathangelou et al. 2016; Keller et al.
wissens wird häufig auf eine Taxonomie von Shulman 2017). Für die Pädagogische Psychologie bedeuten diese
(1987) zurückgegriffen, die – ohne explizit zwischen Ergebnisse, dass Forschung zum Lernen in bestimmten
deklarativem und prozeduralem Wissen zu unterscheiden – fachlichen Domänen, wie etwa zu Fehlvorstellungen in
mehrere Wissensinhalte beschreibt, welche speziell für das Mathematik und Naturwissenschaften oder zur Wirkung
Unterrichten unmittelbar relevant erscheinen: von bestimmten Präsentationsformen, eine besondere
praktische Relevanz hat und unbedingt in die Lehrerbildung
Definition einfließen sollte.
Doch auch genuin psychologische Inhalte sind
Wichtige Arten des Lehrerwissens (nach Shulman 1987;
elementare Bestandteile des Lehrerwissens, denn Wissen
Baumert und Kunter 2006)
über Prinzipien des Lernens, Motivation, Entwicklungs-
Fachwissen („content knowledge“): tiefes Verständnis
psychologie oder pädagogisch-psychologische Diagnostik
des zu unterrichtenden Schulstoffs
sind wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche Berufsaus-
Fachdidaktisches Wissen („pedagogical content
übung von Lehrkräften (Voss et al. 2015). Studien zeigen,
knowledge“): Wissen darüber, wie fachliche Inhalte
dass solches psychologische Wissen nicht nur hilfreich für
durch Instruktion vermittelt werden können
eine qualitätvolle Unterrichtsgestaltung ist (König und
Allgemeines pädagogisches und psychologisches
Pflanzl 2016; Depaepe und König 2018), sondern auch eine
Wissen („pedagogical knowledge“): Wissen über die
Pufferfunktion gegen Stresserleben einnehmen kann (z. B.
Schaffung und Optimierung von L ehr-Lern-Situationen
Dicke et al. 2015).
sowie entwicklungspsychologisches und
Die bisher beschriebenen Forschungsarbeiten setzten
pädagogisch-psychologisches Grundwissen
meist standardisierte Leistungstests zur Erfassung
des Lehrerwissens ein und zielten somit vor allem auf
das deklarative professionelle Wissen der Lehrkräfte
Lange Zeit wurde die Frage, welche Art von Wissen (. Tab. 11.1). Seit einigen Jahren hat sich mit der Forschung
wichtig für Lehrkräfte ist, in der wissenschaftlichen zur Professional Vision (dt. Professionelle Unterrichts-
Literatur vor allem theoretisch abgehandelt, doch in wahrnehmung) ein Ansatz entwickelt, der versucht, näher
den letzten 10–15 Jahren hat sich die empirische Unter- an die Prozesse des Unterrichtens heranzukommen und
suchung des Lehrerwissens zu einem wichtigen Bereich der auch stärker prozedurale Wissensanteile zu erfassen.
pädagogisch-psychologischen Forschung entwickelt. Eine Unter Professional Vision versteht man die Anwendung
der ersten Studien im deutschen Sprachraum, die das Fach- von Wissen, um Unterrichtssituationen angemessen ein-
wissen und fachdidaktische Wissen von Lehrkräften per ordnen zu können (Seidel und Stürmer 2014). In der
standardisiertem Leistungstest direkt bei den Lehrkräften Professional-Vision-Forschung sehen Lehrpersonen Unter-
erfasste, war das COACTIV-Projekt (Kunter et al. 2011a). richtsszenen und sollen diese interpretieren. Gefragt wird
Die Studie, die an die PISA-Erhebung 2003 angekoppelt danach, ob die Lehrenden relevante Ereignisse überhaupt
war, konnte auf eine große repräsentative Stichprobe von erkennen können und ob sie diese angemessen inter-
Mathematikklassen und deren Lehrkräfte zurückgreifen pretieren, z. B. indem sie passende Erklärungen für das
und setzte ein vielfältiges Instrumentarium (Lehrer- und Geschehen finden und einschätzen können, was vermut-
Schülerfragebogen, Tests, Aufgabenanalysen) ein, um den lich passieren wird. Die Forschung zeigt, dass sich diese
Einfluss des Wissens der Lehrkräfte auf die Unterrichts- Form der professionellen Unterrichtswahrnehmung erst
qualität und die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler im Verlauf der beruflichen Ausbildung entwickelt (Stürmer
zu untersuchen (Baumert et al. 2010). Dabei zeigte sich, et al. 2016; Wolff et al. 2017) und dass die Fähigkeit zur
dass Lehrkräfte mit hohem fachdidaktischem Wissen (die professionellen Unterrichtswahrnehmung einen Einfluss auf
also z. B. ein großes Repertoire an Erklärungsmöglich- die Unterrichtsqualität und das Lernen von Schülerinnen
keiten für bestimmte mathematische Sachverhalte oder gute und Schülern hat (Kersting et al. 2012).
Kenntnisse über typische Schülerfehler besaßen) den Unter- Ein für Psychologinnen und Psychologen besonders
richt kognitiv anregender gestalteten und den Schülerinnen interessanter Bereich des Lehrerwissens ist das Diagnose-
und Schülern mehr Unterstützung bieten konnten, was wissen bzw. die diagnostische Kompetenz. Diagnostische
sich wiederum positiv auf die Leistungsentwicklung der Kompetenz beschreibt Wissen und Fähigkeiten, die
Lernenden auswirkte. Ein besonders wichtiges Ergebnis sich auf den Prozess des Beurteilens im Klassen-
der Studie war dabei, dass dieser Wissensvorteil spezifisch zimmer beziehen, z. B. die Fähigkeit, die Leistung von
für das fachdidaktische Wissen der Lehrkräfte war: Weder Schülerinnen und Schülern adäquat beurteilen zu können,
das Fachwissen selbst noch die generelle akademische aber auch Wissen über Methoden und Aufgaben zur
Leistung (gemessen an den Abiturnoten der Lehrkräfte) Beurteilung von Schülerinnen und Schülern (Südkamp
waren relevant für die Unterrichtsgestaltung (Kunter et al. und Praetorius 2017). Dieses prozedurale und deklarative
2013). Die zentrale Rolle, die fachdidaktisches Wissen Wissen kann einerseits fachbezogen („Wird Schülerin
für das Unterrichten und das Lernen der Schülerinnen X die Englischaufgabe Y vermutlich richtig lösen?“),
und Schüler hat, wurde seitdem durch weitere Studien andererseits aber auch fachunabhängig (z. B. Wissen
274 M. Kunter et al.
Beispielitem Gilt 0,999999… = 1? Zu Beginn der Unterrichtseinheit Schwimmen Gefühle der Hilflosigkeit treten besonders
Bitte begründen Sie! und Sinken konfrontieren Sie Ihre Schüler mit dann auf, wenn ein Misserfolg …
der Frage, warum manche Gegenstände im A) auf internale, stabile Ursachen, wie z. B.
Wasser schwimmen und andere untergehen. mangelnde Intelligenz, zurückgeführt wird.
Bitte nennen Sie alle Ihnen bekannten B) auf internale, veränderbare Ursachen, wie
typischen falschen Vorstellungen, mit denen z. B. geringen Fleiß, zurückgeführt wird.
die Schüler zu Beginn der Unterrichtseinheit C) auf externale, stabile Ursachen, wie z. B.
das Schwimmen beziehungsweise Sinken von die Schwierigkeit der Aufgaben, zurück-
Gegenständen erklären könnten. geführt wird.
D) auf externale, veränderbare Ursachen, wie
z. B. Zufall oder Pech, zurückgeführt wird.
Quelle COACTIV-Test (Krauss Test zum fachdidaktischen Wissen im Projekt COACTIV-R-Test (Voss et al. 2014, S. 190)
et al. 2011, S. 140) IGEL (Decristan et al. 2015), entwickelt auf
Grundlage von Lange (2010) und des Projekts
Science P (Pollmeier et al. 2011)
. Tab. 11.2 Überzeugungen von Lehrkräften: Bezugssystem, Inhalte und Beispiele. (Modifiziert nach Woolfolk Hoy et al. 2006, with
permission from Elsevier)
Pygmalioneffekt
Der Pygmalioneffekt ist eine speziell auf dass ein Teil der Schülerinnen und einen deutlich höheren Zugewinn in der
die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler Ergebnisse in einem speziellen Intelligenz auf.
Schülerinnen und Schülern bezogene Form Intelligenztest aufweisen würde, welche Die Ergebnisse der Studie von Rosenthal
der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. zeigen, dass bei diesen Schülerinnen und und Jacobsen lieferten den Anlass für viele
Der Begriff geht auf die klassische Studie Schülern in Kürze eine besonders günstige Nachfolgestudien, in denen immer wieder
zurück, die Rosenthal und Jacobsen unter Intelligenzentwicklung zu erwarten sei. In nach Belegen für oder gegen die Existenz
dem Titel „Pygmalion in the Classroom“ (in Wirklichkeit wurden die Informationen, des Pygmalioneffektes gesucht wurde
Anlehnung an den Bildhauer Pygmalion welche Intelligenzentwicklung für (Jussim und Harber 2005, Rosenthal 1991).
in der griechischen Mythologie, der eine welche Schülerin bzw. welchen Schüler Der Begriff Pygmalioneffekt wird dabei
von ihm geschaffene Statue zum Leben zu erwarten sei, rein zufällig verteilt; alle meistens in Referenz auf die Studien von
erweckt) 1968 veröffentlichten. Schülerinnen und Schüler hatten lediglich Rosenthal und Mitarbeitern verwendet,
In dem – aus heutiger Sicht ethisch an einem regulären Intelligenztest die sich eng an das ursprüngliche
äußerst fragwürdigen – Experiment teilgenommen. Nach einem Schuljahr Forschungsparadigma der Originalstudie
erhielten Grundschullehrkräfte wies bei einer erneuten Testung die anlehnen. Der weitaus häufiger
unterschiedliche Informationen über das Schülergruppe mit vermeintlich hohem verwendete Begriff der Erwartungseffekte
Leistungspotenzial ihrer Schülerinnen und Potenzial im Vergleich zu den anderen umfasst dagegen unterschiedliche
Schüler. Dabei wurde ihnen mitgeteilt, Schülerinnen und Schülern tatsächlich Auftretensformen (s. unten).
ihrer Schüler tatsächlich deren Leistungen beeinflussen Phänomen. Im Fall von Lehrkräften können Erwartungs-
(Jussim und Harber 2005). Die Befundlage deutet weiterhin effekte aber besonders gravierende Konsequenzen haben,
darauf hin, dass bestimmte Gegebenheiten und Merkmale die mitunter die Lebenswege von Schülerinnen und
die Stärke der Erwartungseffekte beeinflussen, z. B. ein Schülern entscheidend beeinflussen können. Dass sich
früher Zeitpunkt im Schuljahr, Umbruchssituationen Erwartungen seitens der Lehrkräfte auf die Schüler-
und bestimmte Schülermerkmale (Jussim 2013; Jussim beurteilung und auch auf die Notengebung auswirken,
und Harber 2005). Erwartungseffekte sind besonders bei wurde in vielen Studien belegt (Jussim 2013).
Schülerinnen und Schülern aus stigmatisierten Gruppen Besondere Bedeutung dürften Erwartungseffekte auch
wahrscheinlich, wie z. B. bei Kindern mit sozial schwachem bei Entscheidungen über Fördermaßnahmen oder Über-
familiärem Hintergrund oder Kindern aus ethnischen gangsempfehlungen von Lehrkräften haben (Trautwein und
Minderheiten (Tenenbaum und Ruck 2007). Umgekehrt Baeriswyl 2007). Angesichts der Tatsache, dass solche Ent-
finden sich Erwartungseffekte aber auch (in positiver scheidungen von immenser Bedeutung für die Bildungs-
Richtung) bei Schülerinnen und Schülern mit hoher karrieren der jeweiligen Kinder und Jugendlichen sind,
physischer Attraktivität (z. B. Dunkake et al. 2012). scheint es angezeigt, in solchen Situationen besonders auch
Wie entsteht ein Zusammenhang zwischen den auf mögliche Erwartungseffekte zu achten. Außerdem ist
Lehrererwartungen und der Leistungsentwicklung von es vermutlich sinnvoll, gerade bei wichtigen Bildungsent-
Schülerinnen und Schülern? Es ist plausibel, dass eine Lehr- scheidungen Prozeduren zu etablieren, die das Risiko von
kraft, je nachdem, wie sie über einen bestimmten Schüler Fehlentscheidungen aufgrund von Erwartungseffekten
denkt, sich diesem Schüler gegenüber auf spezielle Weise minimieren. Dies könnte z. B. eine stärkere Gewichtung
verhält. Dabei scheinen vor allem zwei Wirkmechanismen objektiver Leistungskriterien oder die Berücksichtigung
eine besondere Rolle zu spielen, nämlich das sozio- mehrerer Lehrerurteile sein. Um in der täglichen Unterrichts-
emotionale Klima und das Lernangebot (affect/effort praxis das Auftreten von Erwartungseffekten zu reduzieren,
theory, Rosenthal 1993). So scheinen Lehrkräfte die soziale bieten sich Reflexionen des eigenen Unterrichtshandelns in
Interaktion mit Schülerinnen und Schülern, von denen Form von Videofeedback oder Team-Teaching-Methoden an.
sie einen günstigen Eindruck haben bzw. von denen sie
zukünftig gute Leistungen erwarten, insgesamt freundlicher Überzeugungen über Lehren und Lernen:
und geduldiger zu gestalten. Darüber hinaus werden diese Lerntheoretische Überzeugungen
Schülerinnen und Schüler nicht nur häufiger im Unterricht Die Haupttätigkeit aller Lehrkräfte ist das Unterrichten.
aufgerufen, sondern erhalten auch eher schwierigere Auf- Insofern kommt den Meinungen, die Lehrende über das
gaben, werden somit also stärker herausgefordert. Unterrichten haben, eine besondere Wichtigkeit zu. Lern-
Die Tatsache, dass die Interaktion mit anderen theoretische Überzeugungen beschreiben die Annahmen
Menschen stark durch die eigenen Erwartungen und und Wertvorstellungen, die Lehrende über Lehr-Lern-
Erklärungsmuster, die man in Bezug auf seine Interaktions- Prozesse haben; sie beziehen sich spezifisch auf das
partner hat, beeinflusst wird, findet sich in allen Bereichen jeweilige Fach (z. B. „Schülerinnen und Schüler lernen
menschlichen Handelns und ist kein lehrertypisches Lesen am besten durch die Ganzwortmethode.“) oder
278 M. Kunter et al.
auf Lehren und Lernen i. Allg. (z. B. „Schülerinnen und anhand eines Kontinuums von stabil bis dynamisch
Schüler lernen am besten, wenn man sie möglichst eigen- beschreiben lassen (Fives und Buehl 2012). An einem Ende
ständig Probleme bearbeiten lässt.“). sind früh erworbene und tief im eigenen Überzeugungs-
Viele Studien zeigen, dass sich die Vorstellungen und system verankerte Überzeugungen angeordnet, die als
Meinungen über Lehren und Lernen von Lehrkräften mit stabil und schwierig zu verändern angesehen werden.
zwei grundlegenden Lerntheorien aus psychologischer Die andere Seite beschreibt neu entwickelte und isolierte
Sicht in Verbindung bringen lassen, nämlich einerseits dem Überzeugungen, die sich leichter verändern lassen (Wilde
Informationsverarbeitungsansatz und andererseits der sozio- und Kunter 2016). Die tief verankerten und schwierig
konstruktivistischen Lerntheorie (Fives und Buehl 2016; Reusser zu verändernden Überzeugungen werden häufig als ein
und Pauli 2014; 7 Kap. 1). Beide Lerntheorien basieren auf unter- Faktor herangeführt, der es erschwert, Reformen und
schiedlichen Annahmen darüber, wie Wissen konzeptionalisiert Innovationen in der Schule und im Bildungssystem umzu-
ist und welche Lernprozesse angenommen werden – je nach setzen (Fives und Buehl 2016; Gregoire 2003).
Ansatz bedeutet dies auch unterschiedliche Vorstellungen über Aus psychologischer Sicht bietet vor allem die Literatur
die Lehrerrolle. So finden sich einerseits Lehrkräfte, die Lernen zum „conceptual change“ einen Ansatz für die Erklärung
und Lehren eher im Sinne eines Sender-Empfänger-Modells und den Umgang mit stabilen Lehrerüberzeugungen an
(„transmission view“) verstehen, bei dem eine fest umschriebene (Posner et al. 1982): So ist davon auszugehen, dass sich
Menge an Informationen von der Lehrkraft an die Schülerinnen Konzepte und Überzeugungen nur dann verändern, wenn
und Schüler weitergegeben wird. Die wichtigste Aufgabe zum einen die bisher bestehenden alten Konzepte nicht
der Lehrkraft wäre es daher, die Informationen so aufzu- reichen, um beobachtete Phänomene zu erklären, und zum
bereiten, dass sie effektiv von den Lernenden aufgenommen, anderen neue Konzepte zur Verfügung stehen, die plausibel
gespeichert und wieder abgerufen werden können – praktisch und erklärungsmächtig sind. Lern- und schulbezogene
könnte dies dadurch geschehen, dass komplexe Sachverhalte Überzeugungen von Lehrkräften entwickeln sich vermut-
in kleinere Einheiten heruntergebrochen werden, genügend lich vor allem in drei Lerngelegenheiten (Richardson 1996),
Zeit zum Speichern (d. h. Üben) bereitgestellt wird und nämlich
Fehler beim Abruf möglichst direkt korrigiert werden. Lehr- 1. den eigenen Schulerfahrungen,
11 kräfte, die andererseits eher ein sozio-konstruktivistisches 2. der formalen Ausbildung und
Verständnis vom L ehr-Lern-Prozess haben („constructivist 3. den eigenen persönlichen Erfahrungen.
view“), gehen davon aus, dass Wissen im gemeinsamen Dis-
kurs mit Lehrenden und Lernenden aufgebaut wird, und Überzeugungen zum Lehren und Lernen und zur Rolle von
legen besonderen Wert darauf, individuelle Problemlöse- und Schule und Erziehung werden somit bereits sehr früh auf-
Konstruktionsprozesse zu unterstützen. Für die Aufgaben gebaut, sodass Lehramtsstudierende ihr Studium schon mit
der Lehrkraft bedeutet dies eher ein Verständnis des Lehrers gefestigten Überzeugungen beginnen (Lortie 1975; Pajares
als Mediator, der Denkprozesse durch komplexe Problem- 1992). Bedenkt man hierbei den eingangs angesprochenen
stellungen auslöst und durch individuelle Hilfestellungen Filtereffekt von Überzeugungen, ist es umso wichtiger, dass
(„scaffolding“) den Wissensaufbau der Lernenden unterstützt. Lehramtsstudierende und Lehrkräfte dazu herausgefordert
Vor allem Studien in den Fächern Mathematik und werden, sich mit neuen Ansichten und Überzeugungen aus-
Naturwissenschaft belegen, dass Lehrkräfte tendenziell eher einanderzusetzen.
in die eine oder andere Richtung in ihren lerntheoretischen In neueren Ansätzen der Lehrerbildung hat man sich
Überzeugungen tendieren – obwohl es durchaus mög- daher der Frage zugewandt, wie man eigentlich Situationen
lich ist, dass eine Person beide Positionen gleichzeitig ver- gestalten müsste, um Lehrkräfte anzuregen, sich ihrer
tritt und je nach Situation unterschiedliche Gewichtungen Überzeugungen bewusst zu werden und sie zu reflektieren.
legt. Insgesamt aber scheinen Lehrkräfte sich eher der einen Unter Rückgriff auf die Conceptual-Change-Literatur sind
oder anderen „Tradition“ verpflichtet zu fühlen und richten Fortbildungskonzepte entstanden, die genau an dieser Frage
ihren Unterricht auch danach aus. Einer Studie an Grund- ansetzen (z. B. Decker 2015; Kleickmann et al. 2016; auch
schullehrern (Staub und Stern 2002) zufolge setzten Lehr- 7 Abschn. 11.5.3).
kräfte, die bezogen auf den Mathematikunterricht eher
sozio-konstruktivistische Überzeugungen über Lehren und
Lernen hatten, in ihrem Unterricht vermehrt Aufgaben ein, 11.3 Motivationale Merkmale
die komplexe Denkprozesse erforderten. Diese Unterrichts-
praxis wirkte sich günstig auf die mathematischen Fähig- Wenn es um Eigenschaften guter Lehrkräfte geht, wird
keiten der Schülerinnen und Schüler aus – und zwar vor immer wieder auf deren Motivation verwiesen. Vermutlich
allem bei Aufgaben, die eher komplexe Problemlöseansätze werden auch den Leserinnen und Lesern dieses Kapitels vor
erforderten (zur Übersicht: Reusser und Pauli 2014). allem diejenigen Lehrkräfte in Erinnerung geblieben sein,
die gerade nicht „Dienst nach Vorschrift“ machten, sondern
Veränderung von Lehrerüberzeugungen sich im Unterricht oder außerhalb durch hohes persön-
Ein wichtiges Thema in der Forschung zu Überzeugungen liches Engagement auszeichneten. Mit der Motivation von
von Lehrkräften ist die Frage nach der Veränderbarkeit. Lehrkräften sind die persönlich variierenden Gründe für
Hierbei wird angenommen, dass sich die Überzeugungen die Initiation, Richtung, Intensität und Aufrechterhaltung
Lehrkräfte
279 11
von Verhalten angesprochen (7 Kap. 7). In der Lehrer- der Motive für die Wahl des Lehramtsstudiums“ (FEMOLA;
forschung ist vor allem der Aspekt der Initiation besonders Pohlmann und Möller 2010) entwickelt, dem ebenfalls
häufig thematisiert worden, also die Frage, warum Personen das Erwartungs-Wert-Modell zugrunde liegt. Mit diesem
überhaupt ein Lehramtsstudium beginnen, und es wurde Instrument ließen sich faktorenanalytisch sechs Faktoren
untersucht, warum manche Lehrkräfte – unabhängig von identifizieren, wobei auch hier intrinsische Motive, z. B.
ihren ursprünglichen Berufswahlmotiven – ihren Beruf mit pädagogisches oder fachliches Interesse, und extrinsische
mehr oder weniger Energie verfolgen. Theoretisch wurden Motive, z. B. Nützlichkeitsaspekte oder soziale Einflüsse,
hierbei vor allem Überlegungen zur Schülermotivation auf unterschieden werden können (7 Exkurs „Fragebogen zur
Lehrende übertragen. Die Frage nach der Aufrechterhaltung Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums
und dem Absinken von Motivation, was im Extremfall bis (FEMOLA)“). Unter Nutzung der FIT-Choice-Skala ließ sich
zur Aufgabe des Berufs führen kann, wird in 7 Abschn. 11.4 zeigen, dass Lehramtsstudierende mit eher intrinsischen
unter dem Thema „Beanspruchungserleben“ diskutiert. Zielen eine günstigere Studiermotivation zeigten (Watt und
Richardson 2008). Um allerdings einzuschätzen, wie wichtig
die Berufswahlmotive für die spätere Berufsausübung sind,
11.3.1 Berufswahlmotive braucht es prospektive Längsschnittstudien, die bisher kaum
vorhanden sind. Es ist weiterhin zu berücksichtigen, dass
Was motiviert Studienanfänger und -anfängerinnen, die Mehrzahl der Studien geschlossene, reaktive Antwort-
ein Lehramtsstudium aufzunehmen? Die vorliegenden formate verwendet haben und daher Antworttendenzen wie
Untersuchungen zur Berufswahlmotivation angehender selbstwertdienliche Verzerrungen oder Ja-Sage-Tendenzen
Lehrkräfte weisen ausnahmslos auf die subjektiv hohe bei der Angabe der Motive nicht auszuschließen sind.
Bedeutsamkeit der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
hin (im Überblick Brookhart und Freeman 1992). Als
weitere wichtige Gründe werden der gesellschaftliche Bei- 11.3.2 Enthusiasmus
trag, die abwechslungsreiche und interessante Tätigkeit,
fachbezogene Interessen, die Vermittlung von Wissen, Wie eingangs beschrieben gilt es als eine wichtige Eigen-
erfahrungsbestimmte Motive, die Vereinbarkeit von Familie schaft von Lehrkräften, begeistert und motiviert zu sein.
und Beruf und die Möglichkeit zur eigenen Weiterbildung Häufig wird hierfür auch der Begriff Enthusiasmus ver-
genannt. Darüber hinaus sind extrinsische Motive wie wendet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Lehr-
der hohe Freizeitanteil, die Arbeitsplatzsicherheit und das kräfte, die von ihrem Beruf oder Fach begeistert sind, diese
gute Gehalt von Bedeutung, werden allerdings in der Regel Haltung auch auf ihre Schülerinnen und Schüler über-
weniger stark gewichtet. Es lassen sich jedoch auch Unter- tragen und somit für mehr Freude und Interesse am Lern-
schiede beobachten, zum Beispiel bei Lehrkräften unter- stoff sorgen. Diese Annahme wird durch diverse Studien
schiedlicher Schulformen (Brookhart und Freeman 1992; gestützt, die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler von
Retelsdorf und Möller 2012; 7 Exkurs „Fragebogen zur Lehrkräften, die selbst davon berichten, ihren Beruf mit
Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums“). Freude auszuüben, tatsächlich eine günstigere Motivation
In jüngerer Zeit wurde versucht, die Forschung zur und (zum Teil) auch bessere Leistungen in den unter-
Berufswahlmotivation von Lehrkräften an elaborierte richteten Fächern zeigen (Keller et al. 2016). Dabei kann
motivationstheoretische Modelle anzubinden. So ent- der Enthusiasmus der Lehrkräfte auf unterschiedlichen
wickelten Watt und Richardson (2008) auf Basis des Wegen Einfluss auf das Lernen haben. Zum einen kann eine
7 Erwartungs-Wert-Modells von Eccles (2005) die „Factors Art „emotionale Ansteckung“ stattfinden, bei der die Lehr-
Influencing Teaching Choice Scale“ (FIT-Choice-Scale) und kraft aufgrund ihrer eigenen Begeisterung die Unterrichts-
konnten mit diesem Instrument 12 Einflussfaktoren für die inhalte so mitreißend darstellt, dass die positiven Gefühle
Wahl des Lehrerberufs differenzieren. Für den deutsch- auf die Lernenden übertragen werden und diese dann hoch
sprachigen Raum wurde der „Fragebogen zur Erfassung motiviert an die Sache gehen (Keller et al. 2016; Frenzel
Exkurs
Fragebogen zur Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA)
Der FEMOLA (Pohlmann und Möller Komponenten das pädagogische Vergleiche zwischen Lehramtsstudierenden
2010) erfasst erwartungs- und Interesse, das fachliche Interesse und des Gymnasiums und der Realschule
wertbezogene Faktoren (Eccles Nützlichkeitsaspekte. Entsprechend wiesen darauf hin, dass angehende
2005) für die Wahl des Lehramts- dem Erwartungs-Wert-Modell bildeten Gymnasiallehrkräfte in stärkerem Maße
studiums. Als erwartungsbezogene sich die sozialen Einflüsse als weiterer, fachliche Interessen als Studienwahlmotiv
Komponenten ließen sich die Fähigkeits- empirisch trennbarer Faktor für die angaben, während die zukünftigen
überzeugung und die wahrgenommene Studienwahl heraus. . Tab. 11.3 zeigt die Realschullehrkräfte höhere Ausprägungen
geringe Schwierigkeit des Studiums 6 resultierenden Skalen mit jeweils einem auf den Skalen „geringe Schwierigkeit“ und
identifizieren, als wertbezogene Itembeispiel. „Nützlichkeitsaspekte“ aufwiesen.
280 M. Kunter et al.
Faktor Itembeispiel
„Ich habe das Lehramtsstudium gewählt, weil …
et al. 2009). Zum anderen kann die von den Lehrkräften erweckt, die meisten Lehrkräfte seien überfordert von ihrem
erlebte Freude am Beruf ein Motor dafür sein, dass diese Beruf und agierten fast immer am Rande des Nerven-
Lehrkräfte insgesamt ein hoch engagiertes Verhalten in und zusammenbruchs (Blömeke 2005). Wie wir bereits im
außerhalb des Unterrichts zeigen (Long und Hoy 2006), was Abschnitt zur Motivation gezeigt haben und im Folgenden
sich insgesamt in einer hohen Unterrichtsqualität nieder- noch weiter erläutern werden, trifft dieses Klischee jedoch
schlagen kann (Kunter et al. 2008). keineswegs auf die meisten Lehrkräfte zu.
Exkurs
differences and cultural and contextual factors (Bd. 2, S. 471–495). Kleickmann, T., Tröbst, S., Jonen, A., Vehmeyer, J., & Möller, K.
Washington: American Psychological Association. (2016). The effects of expert scaffolding in elementary science
Fives, H., & Buehl, M. M. (2016). Teachers’ beliefs, in the context professional development on teachers’ beliefs and motivations,
of policy reform. Policy Insights from the Behavioral and Brain instructional practices, and student achievement. Journal of
Sciences, 3(1), 114–121. Educational Psychology, 108(1), 21–42.
Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland. (2017). Berufs- Klieme, E., & Leutner, D. (2006). Kompetenzmodelle zur Erfassung
prestige 2013-2016. Verfügbar unter: 7 https://fowid.de/meldung/ individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungs-
berufsprestige-2013-2016-node3302. Zugegriffen: 5. Febr. 2019. prozessen: Beschreibung eines neu eingerichteten Schwerpunkt-
Frenzel, A. C., Goetz, T., Lüdtke, O., Pekrun, R., & Sutton, R. E. (2009). programms der DFG. Zeitschrift für Pädagogik, 52(6), 876–903.
Emotional transmission in the classroom: Exploring the relation- Klieme, E., Artelt, C., Hartig, J., Jude, N., Köller, O., Prenzel, M., et al.
ship between teacher and student enjoyment. Journal of (Hrsg.). (2010). PISA 2009: Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster:
Educational Psychology, 101(3), 705–716. Waxmann.
Friedrich, A., Flunger, B., Nagengast, B., Jonkmann, K., & Trautwein, U. Klusmann, U., Kunter, M., Trautwein, U., Lüdtke, O., & Baumert, J.
(2015). Pygmalion effect in the classroom: Teacher expectancy (2008). Teachers’ occupational well-being and the quality of
effects on students’ math achievement. Contemporary instruction: The important role of self-regulatory patterns. Journal
Educational Psychology, 41, 1–12. of Educational Psychology, 103, 702–715.
Gregoire, M. (2003). Is it a challenge or a threat? A dual-process model Klusmann, U., Kunter, M., Voss, T., & Baumert, J. (2012). Berufliche
of teachers’ cognition and appraisal processes during conceptual Beanspruchung angehender Lehrkräfte: Die Effekte von Persön-
change. Educational Psychology Review, 15(2), 147–179. lichkeit, pädagogischer Vorerfahrung und professioneller
Hattie, J. A. C. (2009). Visible learning: A synthesis of over 800 Kompetenz. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 26(4), 275–
meta-analyses relating to achievement. London: Routledge. 290.
Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Klusmann, U., Richter, D., & Lüdtke, O. (2016). Teachers’ emotional
Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. exhaustion is negatively related to students’ achievement:
Seelze-Velber: Kallmeyer-Klett. Evidence from a large-scale assessment study. Journal of
Hillert, A. (2010). Burnout – was ist das? Eine kritische Annäherung an Educational Psychology, 108, 1193–1203.
ein Phänomen. Wirtschaftspsychologie aktuell, 17(2), 28–32. Klusmann, U., & Waschke, N. (2018). Gesundheit und Wohlbefinden im
Hillert, A., Lehr, D., Koch, S., Bracht, M., Ueing, S., Sosnowsky-Waschek, Lehrerberuf. Göttingen: Hogrefe.
N., & Lüdtke, K. (2016). Lehrergesundheit: AGIL – Das Präventions- Köller, M. M., Stuckert, M. O., & Möller, J. (2018). Das Lehrerbild in den
programm für Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf. Stuttgart: Printmedien: Keine „Faulen Säcke“ mehr! Zeitschrift für Erziehungs-
11 Schattauer.
Hochschild, A. R. (1983). The managed heart: Commercialization of
wissenschaft, 22, 1–15.
König, J. (2016). Lehrerexpertise und Lehrerkompetenz. In M. Roth-
human feeling. Berkeley: University of California Press. land (Hrsg.), Beruf Lehrer/Lehrerin: Ein Studienbuch (S. 127–148).
Holzberger, D., Philipp, A., & Kunter, M. (2013). How teachers’ Münster: Waxmann.
self-efficacy is related to instructional quality: A longitudinal ana- König, J., & Pflanzl, B. (2016). Is teacher knowledge associated with
lysis. Journal of Educational Psychology, 105(3), 774–786. performance? On the relationship between teachers’ general
Jussim, L. (2013). Teachers’ expectations. In J. Hattie & E. M. Anderman pedagogical knowledge and instructional quality. European
(Hrsg.), International guide to student achievement (S. 243–246). Journal of Teacher Education, 39(4), 419–436.
New York: Routledge. Körner, S. (2003). Das Phänomen Burnout am Arbeitsplatz Schule. Ein
Jussim, L., & Harber, K. D. (2005). Teacher expectations and s elf-fulfilling empirischer Beitrag zur Beschreibung des Burnout-Syndroms und
prophecies: Knows and unknowns, resolved and unresolved seiner Verbreitung sowie zur Analyse von Zusammenhängen und
controversies. Personality and Social Psychology Review, 9, 131–155. potentiellen Einflussfaktoren auf das Ausbrennen von Gymnasial-
Karst, K., Schoreit, E., & Lipowsky, F. (2014). Diagnostische lehrern. Berlin: Logos.
Kompetenzen von Mathematiklehrern und ihr Vorhersagewert Krauss, S., Blum, W., Brunner, M., Neubrand, M., Baumert, J., Kunter,
für die Lernentwicklung von Grundschulkindern. Zeitschrift für M., Besser, M., & Elsner, J. (2011). Konzeptualisierung und Test-
Pädagogische Psychologie, 28(4), 237–248. konstruktion zum fachbezogenen Professionswissen von
Keller, M. M., Chang, M.-L., Becker, E., Goetz, T., & Frenzel, A. C. (2014). Mathematiklehrkräften. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum,
Teachers’ emotional experiences and exhaustion as predictors of U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle
emotional labor in the classroom: An experience sampling study. Kompetenz von Lehrkräften – Ergebnisse des Forschungsprogramms
Frontiers in Psychology, 5, 1442. COACTIV (S. 136–161). Münster: Waxmann.
Keller, M. M., Neumann, K., & Fischer, H. E. (2017). The impact of physics Kunina-Habenicht, O., Lohse-Bossenz, H., Kunter, M., Dicke, T., Förster,
teachers’ pedagogical content knowledge and motivation on D., Gößling, J., et al. (2012). Welche bildungswissenschaftlichen
students’ achievement and interest. Journal of Research in Science Inhalte sind wichtig in der Lehrerbildung? Ergebnisse einer Delphi-
Teaching, 54(5), 586–614. Studie. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 15(4), 649–682.
Keller, M. M., Woolfolk Hoy, A. E., Goetz, T., & Frenzel, A. C. (2016). Kunina-Habenicht, O., Decker, A.-T., & Kunter, M. (2016). Lehrerpersön-
Teacher enthusiasm: Reviewing and redefining a complex lichkeit und professionelle Kompetenzen von Lehrkräften. In
construct. Educational Psychology Review, 28, 743–769. K. Seifried, S. Drewes, & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch Schul-
Kersting, N. B., Givvin, K. B., Thompson, B. J., Santagata, R., & Stigler, psychologie: Psychologie für die Schule (S. 319–330). Stuttgart:
J. W. (2012). Measuring usable knowledge: Teachers’ analyses Kohlhammer.
of mathematics classroom videos predict teaching quality and Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S., & Neu-
student learning. American Educational Research Journal, 49(3), brand, M. (Hrsg.). (2011a). Professionelle Kompetenz von Lehr-
568–589. kräften – Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster:
Kim, L. E., Jörg, V., & Klassen, R. M. (2019). A meta-analysis of the effects Waxmann.
of teacher personality on teacher effectiveness and burnout. Kunter, M., Kleickmann, T., Klusmann, U., & Richter, D. (2011b). Die
Educational Psychology Review. 7 https://doi.org/10.1007/s10648- Entwicklung professioneller Kompetenz von Lehrkräften. In M.
018-9458-2. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neu-
Klassen, R. M., Tze, V. M. C., Betts, S. M., & Gordon, K. A. (2011). Teacher brand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften – Ergeb-
efficacy research 1998–2009: Signs of progress or unfulfilled pro- nisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 56–68). Münster:
mise. Educational Psychology Review, 23(1), 21–43. Waxmann.
Lehrkräfte
287 11
Kunter, M., Klusmann, U., Baumert, J., Richter, D., Voss, T., & Hachfeld, Journal of Occupational Health Psychology, 15, 494–504. 7 https://
A. (2013). Professional competence of teachers: Effects on quality doi.org/10.1037/a0021046.
and student development. Journal of Educational Psychology, Piwowar, V., Thiel, F., & Ophardt, D. (2013). Training inservice teachers’
108(3), 805–820. competencies in classroom management – A quasi-experimental
Kunter, M., Tsai, Y.-M., Klusmann, U., Brunner, M., Krauss, S., & Baumert, study with teachers of secondary schools. Teaching and Teacher
J. (2008). Students’ and mathematics teachers’ perceptions of Education, 30, 1–12.
teacher enthusiasm and instruction. Learning and Instruction, Pohlmann, B., & Möller, J. (2010). Fragebogen zur Erfassung der
18(5), 468–482. Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA). Zeit-
Lange, K. (2010). Zusammenhänge zwischen naturwissenschafts- schrift für Pädagogische Psychologie, 24, 73–84.
bezogenem fachspezifisch-pädagogischem Wissen von Grundschul- Pollmeier, J., Hardy, I., Koerber, S., & Möller, K. (2011). Lassen sich natur-
lehrkräften und Fortschritten im Verständnis naturwissenschaftlicher wissenschaftliche Lernstän-de im Grundschulalter mit schrift-
Konzepte bei Grundschülerinnen und -schülern (Dissertation). Ver- lichen Aufgaben valide erfassen? Zeitschrift für Pädagogik, 57(6),
fügbar unter 7 http://d-nb.info/1011948885. 834–853.
Lehr, D., Koch, S., & Hillert, A. (2013). Stress-Bewältigungs-Trainings: Posner, G. J., Strike, K. A., Hewson, P. W., & Gertzog, W. A. (1982).
Das Präventionsprogramm AGIL „Arbeit und Gesundheit im Accommodation of a scientific conception: Toward a theory of
Lehrerberuf“ als Beispiel eines Stress-Bewältigungs-Trainings für conceptual change. Science Education, 66, 211–227.
Lehrerinnen und Lehrer. In M. Rothland (Hrsg.), Belastung und Praetorius, A.-K., Lauermann, F., Klassen, R. M., Drexler, K., Nitsche, S.,
Beanspruchung im Lehrerberuf (S. 251–271). Wiesbaden: Springer Janke…, O., & Dresel, M. (2017). Longitudinal relations between
VS. teaching-related motivations and student-reported teaching
Lehr, D. (2014). Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf – quality. Teaching and Teacher Education, 65, 241–254. 7 https://
Gesundheitliche Situation und Evidenz für Risikofaktoren. In doi.org/10.1016/j.tate.2017.03.023.
E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Retelsdorf, J., & Möller, J. (2012). Grundschule oder Gymnasium? Zur
Forschung zum Lehrerberuf (S. 947–967). Münster: Waxmann. Motivation ein Lehramt zu studieren. Zeitschrift für Pädagogische
Lipowsky, F. (2014). Theoretische Perspektiven und empirische Psychologie, 26, 5–17.
Befunde zur Wirksamkeit von Lehrerfort- und -weiterbildung. Reusser, K., & Pauli, C. (2014). Berufsbezogene Überzeugungen von
In E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Lehrerinnen und Lehrern. In E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Roth-
Forschung zum Lehrerberuf (S. 511–541). Waxmann: Münster. land (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 642–
Long, J. F., & Hoy, A. W. (2006). Interested instructors: A composite 661). Münster: Waxmann.
portrait of individual differences and effectiveness. Teaching and Richardson, V. (1996). The role of attitudes and beliefs in learning to
Teacher Education, 22, 303–314. teach. In J. Sikula, T. Buttery, & E. Guyton (Hrsg.), Handbook of
Lortie, D. C. (1975). School teacher. A sociological study. Chicago: The research on teacher education (S. 102–106). New York: Macmillan.
University of Chicago Press. Richter, D. (2016). Lehrerinnen und Lehrer lernen: Fort- und Weiter-
Maslach, C., & Jackson, S. E. (1981). The measurement of experienced bildung im Lehrerberuf. In M. Rothland (Hrsg.), Beruf Lehrer/
burnout. Journal of Occupational Behaviour, 2, 99–113. Lehrerin: Ein Studienbuch (S. 245–260). Stuttgart: UTB.
Maslach, C., & Leiter, M. P. (1999). Teacher burnout: A research agenda. Richter, D., Kuhl, P., Reimers, H., & Pant, H. A. (2012). Aspekte der
In R. Vandenberghe & M. A. Huberman (Hrsg.), Understanding and Aus- und Fortbildung von Lehrkräften in der Primarstufe. In P.
preventing teacher burnout: A sourcebook of international research Stanat, H. A. Pant, K. Böhme, & D. Richter (Hrsg.), Kompetenzen
and practice (S. 295–303). Cambridge: Cambridge University Press. von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangs-
Maslach, C., Schaufeli, W. B., & Leiter, M. P. (2001). Job burnout. Annual stufe in den Fächern Deutsch und Mathematik Ergebnisse des
Review of Psychology, 52, 397–422. IQB-Ländervergleichs 2011 (S. 237–250). Waxmann: Münster.
Nitsche, S., Dickhäuser, O., Dresel, M., & Fasching, M. S. (2013). Ziel- Richter, D., Kunter, M., Lüdtke, O., Klusmann, U., & Baumert, J. (2011).
orientierungen von Lehrkräften als Prädiktoren lernrelevanten Soziale Unterstützung beim Berufseinstieg ins Lehramt. Zeitschrift
Verhaltens. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 27, 95–103. für Erziehungswissenschaft, 14(1), 35–59.
Nitsche, S., Dickhäuser, O., Fasching, M. S., & Dresel, M. (2011). Rosenthal, R. (1991). Teacher expectancy effects: A brief update 25
Rethinking teachers’ goal orientations: Conceptual and years after the pygmalion experiment. Journal of Research in
methodological enhancements. Learning and Instruction, 21, 574– Education, 1, 3–12.
586. Rosenthal, R. (1993). Interpersonal expectations. Some antecedents
Ophardt, D., Piwowar, V., & Thiel, F. (2017). Kompetenzen des Klassen- and some consequences. In P. D. Blanck (Hrsg.), Interpersonal
managements (KODEK) – Entwicklung und Evaluation eines Fort- expectations: Theory, research, and applications (S. 3–24).
bildungsprogramms für Lehrpersonen zum Klassenmanagement. Cambridge: Cambridge University Press.
In C. Gräsel & K. Trempler (Hrsg.), Entwicklung von Professionalität Rosenthal, R., & Jacobson, L. (1968). Pygmalion in the classroom. New
des pädagogischen Personals: Interdisziplinäre Betrachtungen, York: Holt, Rinehart, & Winston.
Befunde und Perspektiven (S. 133–152). Wiesbaden: Springer VS. Schaarschmidt, U. (2005). Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im
Pajares, M. F. (1992). Teachers’ beliefs and educational research: Lehrerberuf – Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes.
Cleaning up a messy construct. Review of Educational Research, 62, Weinheim: Beltz.
307–332. Schmidt, J., Klusmann, U., Lüdtke, O., Möller, J., & Kunter, M. (2017).
Patrick, H., & Pintrich, P. R. (2001). Conceptual change in teachers’ What makes good and bad days for beginning teachers? A diary
intuitive conceptions of learning, motivation and instruction: The study on daily uplifts and hassles. Contemporary Educational
role of motivational and epistemological beliefs. In B. Torff & R. Psychology, 48, 85–97.
Sternberg (Hrsg.), Understanding and teaching the intuitive mind: Schmitz, E., & Leidl, J. (1999). Brennt wirklich aus, wer einst entflammt
Student and teacher learning (S. 117–143). Mahwah: Lawrence war? Studie 2: Eine LISREL-Analyse zum Burnout-Prozeß bei Lehr-
Erlbaum Associates. personen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 46, 302–310.
Patrick, H., Anderman, L. H., Bruening, P. S., & Duffin, L. C. (2011). Schmitz, G. S. (2001). Kann Selbstwirksamkeit Lehrer vor Burnout
The role of educational psychology in teacher education: schützen? Eine Längsschnittstudie in zehn Bundesländern.
Three challenges for educational psychologists. Educational Psychologie in Erziehung und Unterricht, 48, 302–310.
Psychologist, 46(2), 71–83. Schmitz, G. S., & Schwarzer, R. (2000). Selbstwirksamkeitserwartung
Philipp, A., & Schüpbach, H. (2010). Longitudinal effects of emotional von Lehrern: Längsschnittbefunde mit einem neuen Instrument.
labour on emotional exhaustion and dedication of teachers. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 14, 12–25.
288 M. Kunter et al.
Schult, J., Münzer-Schrobildgen, M., & Sparfeldt, J. R. (2014). Belastet, aber van Dick, R., Wagner, U., & Petzelt, T. (1999). Arbeitsbelastung und
hochzufrieden? Arbeitsbelastung von Lehrkräften im Quer- und gesundheitliche Beschwerden von Lehrerinnen und Lehrern:
Längsschnitt. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 22(2), 61–67. Einflüsse von Kontrollüberzeugungen, Mobbing und sozialer
Seidel, T., & Stürmer, K. (2014). Modeling the structure of professional Unterstützung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 46,
vision in pre-service teachers. American Educational Research 269–280.
Journal, 51(4), 739–771. Veenman, S. (1984). Perceived problems of beginning teachers. Review
Shulman, L. S. (1987). Knowledge and teaching: Foundations of the of Educational Research, 54(2), 143–178.
new reform. Harvard Educational Review, 57, 1–22. Voss, T., Kunina-Habenicht, O., Hohne, V., & Kunter, M. (2015). Stich-
Staub, F. C., & Stern, E. (2002). The nature of teachers’ pedagogical wort Pädagogisches Wissen von Lehrkräften: Empirische
content beliefs matters for students’ achievement gains: Zugänge und Befunde. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft,
Quasi-experimental evidence from elementary mathematics.
18(2), 178–223.
Journal of Educational Psychology, 94, 344–355. Voss, T., Kunter, M., Seiz, J., Hohne, V., & Baumert, J. (2014). Die
Stürmer, K., Seidel, T., & Holzberger, D. (2016). Intra-Individual Bedeutung pädagogisch-psychologischen Wissens von
differences in developing professional vision – Preservice teachers angehenden Lehrkräften für die Unterrichtsqualität. Zeitschrift für
change trajectories in the course of an innovative teacher Pädagogik, 60(2), 184–201.
preparation program. Instructional Science, 44(3), 293–309. Voss, T. & Kunter, M. (in press). “Reality Schock” of beginning teachers?
Südkamp, A., Kaiser, J., & Möller, J. (2012). Accuracy of teachers’ Changes in teacher candidates’ emotional exhaustion and
judgments of students’ academic achievement: A meta-analysis. constructivist-oriented beliefs. Journal of Teacher Education.
Journal of Educational Psychology, 104, 743–762. Watt, H. M. G., & Richardson, P. W. (2008). Motivations, perceptions,
Südkamp, A., & Praetorius, A.-K. (Hrsg.). (2017). Diagnostische and aspirations concerning teaching as a career for different
Kompetenz von Lehrkräften – Theoretische und methodische Weiter- types of beginning teachers. Learning and Instruction, 18, 408–
entwicklungen. Münster: Waxmann. 428.
Süßlin, W. (2012). Die Situation an den deutschen Schulen aus Sicht Wilde, A., & Kunter, M. (2016). Überzeugungen von Lehrerinnen und
von Lehrern und Eltern. In Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.), Lehrern. In M. Rothland (Hrsg.), Beruf Lehrer/Lehrerin: Ein Studien-
Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik. Eine Studie zum Prestige des buch (S. 299–315). Münster: Waxmann.
Lehrerberufs und zur Situation an den Schulen in Deutschland. Ver- Wolff, C. E., Jarodzka, H., & Boshuizen, H. P. A. (2017). See and tell:
fügbar unter 7 https://www.vodafone-stiftung.de/uploads/tx_ Differences between expert and novice teachers’ interpretation
newsjson/allensbach_04_2012.pdf. of problematic classroom management events. Teaching and
Taxer, J. L., & Frenzel, A. C. (2015). Facets of teachers’ emotional lives: A Teacher education, 66, 295–308.
Gleichaltrige
Ursula Kessels und Bettina Hannover
Literatur – 305
„Worauf freust du dich in der Schule?“ – Welche spontanen aktuellen Diskussion um die sozialisatorische Bedeutung
Antworten sind auf diese Frage zu erwarten? Fragen Sie von Peers vertritt beispielsweise Harris (1995, 2000) die
Ihre Nichte, das Nachbarskind, den Sohn Ihrer Freundin; Ansicht, dass der Einfluss der Gleichaltrigen auf die Persön-
versetzen Sie sich in Ihre Schulzeit zurück und über- lichkeitsentwicklung gegenüber dem der Eltern ungleich
legen Sie, was Sie selbst geantwortet hätten. Würde die größer sei: Ausgehend von verhaltensgenetischen Befunden,
Freude daran, Neues zu lernen und zu verstehen, als Erstes nach denen sich nur zwischen 0 und 10 % der Varianz in
genannt werden? Vermutlich nicht. Die Schule ist allein Persönlichkeitsmerkmalen von Geschwistern auf die „geteilte
durch die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche dort den Umwelt“ des gemeinsamen Elternhauses zurückführen
überwiegenden Teil ihrer (mehr oder weniger) wach ver- lassen, entwirft sie in ihrer Theorie der Gruppensozialisation
brachten Zeit zubringen, der zentrale Ort für sie, um Freund- ein vorrangig von Peergruppen gesteuertes Sozialisations-
schaften zu knüpfen und sich mit Gleichaltrigen zu treffen. modell. Coleman (1961) hat für die Phase des Jugendalters
Und genau dieses wird auch am häufigsten als die positive eine eigenständige, von der Erwachsenenwelt vollständig
Seite von Schule empfunden: Man freut sich darauf, in der abgegrenzte Jugendkultur postuliert, die impliziert, dass
Schule die Freundin zu sehen, mit den anderen Kindern intergenerationale Konflikte ab dem Jugendalter unver-
zu spielen oder mit der Clique auf dem Schulhof herum- meidbar und sogar erwünscht seien. Eine wichtige Funktion
zustehen (z. B. Spiel et al. 2018; Wentzel et al. 2014). Im dieser Jugendkultur sei gerade die Ablösung von den Eltern
folgenden Kapitel wird es darum gehen, welche Bedeutung und den von ihnen übernommenen Normen.
und Funktion Gleichaltrige für Kinder und Jugendliche
haben. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Bereich „Schule
und Lernen“. Was ist das Besondere an den Beziehungen Exkurs
zwischen Heranwachsenden, in welcher Hinsicht bieten sie
einander etwas, mit dem weder Eltern noch Lehrkräfte auf- Gleichaltrige: Peers
warten können? Welche Arten von Beziehungen lassen sich Wo im deutschsprachigen Raum etwas holprig von
„Gleichaltrigen“ die Rede ist, haben die Angelsachsen mit dem
im Klassenkontext beschreiben? Was ist Beliebtheit und
deutlich griffigeren „Peer“ einen eleganteren und zugleich
was hat Beliebtheit im Klassenverband mit schulbezogenen inhaltlich interessanteren und umfassenderen Begriff gewählt –
Merkmalen wie Motivation und Leistung zu tun? Wie lässt sodass dieser auch schon lange bei uns im Duden zu finden ist.
sich die Abgrenzung verschiedener Cliquen voneinander Der Ausdruck „Peers“ stammt aus der Welt des englischen Adels
12 erklären? Wie kann bei problematischen Interaktionen wie und meint in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht gleich
alte, sondern einander gleichgestellte, ebenbürtige Personen
Bullying interveniert werden? (. Abb. 12.1).
(nämlich die Mitglieder des House of Lords, des Britischen
Oberhauses).
In der Forschung hat sich das von Coie et al. (1982) ent-
wickelte zweidimensionale Schema zur Beschreibung der
12.2 Beliebtheit und Freundschaft Stellung eines Kindes durchgesetzt: Als durchschnittliche
Kinder werden jene bezeichnet, die eine mittlere Anzahl von
Ein wichtiges Forschungsfeld beschäftigt sich mit Fragen, Nominierungen erhalten – dies ist die größte Untergruppe.
die die Art und das Ausmaß der Integration eines Kindes Beliebte Kinder sind jene mit vielen positiven und wenigen
oder Jugendlichen in die Gruppe der Gleichaltrigen negativen Nennungen, die also eine hohe Beachtung und
betreffen, wobei in der Regel auf den Klassenverband gleichzeitig eine hohe Präferenz erfahren. Als abgelehnte
fokussiert wird.
Gleichaltrige
293 12
Kinder werden diejenigen bezeichnet, die viele negative wichtigstes Merkmal einer Freundschaft gesehen wird (für
und wenige positive Stimmen erhalten (hohe Beachtung einen Überblick siehe Schmidt-Denter 2005).
und wenig Präferenz). Unbeachtete Kinder sind jene, In empirischen Untersuchungen wird „Freundschaft“
die wenige positive und auch wenige negative Stimmen in der Regel dadurch erfasst, dass ein Kind (bzw. bei
erhalten (mittlere Präferenz und niedrige Beachtung). Eine jüngeren Kindern seine Bezugsperson) ein anderes Kind
meist kleine Gruppe der umstrittenen Kinder vereint mit als „Freund“ oder „Freundin“ nominiert und diese Wahl
vielen positiven und vielen negativen Nennungen eine hohe vom gewählten Kind bestätigt wird. Die Freundesnetze von
Beachtung mit mittlerer Präferenz (für ein ähnliches Klassi- Schulkindern vor der Pubertät sind im Wesentlichen alters-
fikationssystem siehe Van den Berg et al. 2015). homogen und bestehen überwiegend innerhalb der eigenen
Geschlechtsgruppe (7 Abschn. 12.4.2). Die erlebte Qualität
Beliebtheit als Reputation der jeweiligen Freundschaft wird in Studien durch Frage-
Zum anderen kann mit Beliebtheit auch eine Reputation bögen erhoben, in denen verschiedene Funktionen von
im Sinne von Popularität („popularity“) gemeint sein, die Beziehungen erfasst werden, wie z. B. Zuneigung, Nähe
dadurch erfasst wird, dass die befragten Kinder angeben im Sinne von Intimität, instrumentelle Hilfe, emotionale
sollen, für wie „popular“ sie die zu beurteilenden Kinder Unterstützung, Geselligkeit, Erhöhung des Selbstwertes und
halten (Schwartz et al. 2006). Arten der Konfliktbewältigung. Von Salisch (2000) weist
darauf hin, dass ein gerade für jüngere Kinder zentraler
Definition Aspekt von Freundschaft, nämlich Spaß haben, in den
meisten Instrumenten leider nicht mit erfasst wird.
Popularity bezeichnet die innerhalb einer Gruppe
geteilte Meinung, dass ein Gruppenmitglied Prestige,
Sichtbarkeit, einen hohen sozialen Status oder eine
12.3 Merkmale von Kindern und
machtvolle Position innerhalb dieser Gruppe erreicht
hat.
Jugendlichen mit unterschiedlichem
Peer-Status
Es zeigte sich, dass ältere Kinder und Jugendliche, die als Im Folgenden wird dargestellt, hinsichtlich welcher
„popular“ bezeichnet werden, von ihren Klassenkameraden Merkmale sich Kinder und Jugendliche mit unterschied-
nicht unbedingt auch gern gemocht wurden. Denn populäre lichem Peer-Status unterscheiden, wobei der Fokus auf
Schülerinnen und Schüler setzen häufig manipulative lern- und leistungsbezogenen Variablen liegt.
Strategien zur Erhaltung der eigenen Machtposition ein
(z. B. Rose et al. 2004; Zimmer-Gembeck et al. 2013).
12.3.1 Beliebtheit als soziale Akzeptanz:
Welche Kinder und Jugendlichen
12.2.2 Freundschaft werden gemocht, welche werden
eher abgelehnt?
Freundschaften unterscheiden sich von anderen beispiels-
weise im familiären Raum bestehenden Beziehungen vor In der Literatur zur sozialen Akzeptanz von Kindern und
allem dadurch, dass sie grundsätzlich auf Freiwilligkeit und Jugendlichen wird recht übereinstimmend berichtet, dass
Reziprozität beruhen. Dies impliziert auch, dass Freund- beliebte Schülerinnen und Schüler positivere Eigenschaften
schaften störanfällig sind und nur in dem Maße bestehen, aufweisen als weniger beliebte oder abgelehnte Kinder: sie
wie beide Seiten kontinuierlich durch Stützung und gelten als kooperativ und hilfsbereit, kontaktfreudig, durch-
Bejahung zum Bestehen der Freundschaft beitragen. Das setzungsfähig, mit „Führungsqualitäten“ ausgestattet (z. B.
zentrale Kriterium einer Freundschaftsbeziehung ist der Newcomb et al. 1993) und sie verteidigen andere, die von
Austausch von Gesellschaft und Zuneigung. Mobbing betroffen sind (Knauf et al. 2017; zusammen-
Was Kinder und Jugendliche genau unter Freundschaft fassend Wentzel 2017). Dagegen zeigen abgelehnte Kinder
verstehen, ist Gegenstand der Forschung über Freund- und Jugendliche im Vergleich zu den beliebten oder
schaftskonzepte. Empirische Forschung zeigt, dass sich durchschnittlichen Kindern häufiger Verhaltensweisen,
dieses Verständnis – parallel zum gezeigten Verhalten die es plausibel machen, dass andere Kinder den Kontakt
zwischen Freunden – im Laufe der Kindheit und Jugend mit ihnen eher meiden: Etwa die Hälfte der abgelehnten
verändert. Grob eingeteilt steht in der Wahrnehmung Kinder zeigt antisoziales, negatives Verhalten, was körper-
jüngerer Kinder im Mittelpunkt einer Freundschafts- liche Übergriffe auf andere Kinder, Bedrohungen und
beziehung der Austausch von Handlungen und Objekten Störungen des Unterrichts umfasst („aggressiv-abgelehnte
(vor allem im gemeinsamen Spiel), während bei etwas Kinder“; Newcomb et al. 1993). Darüber hinaus erreichen
älteren Kindern der Austausch von dauerhafterem gegen- im Klassenverband abgelehnte Kinder auch überdurch-
seitigen Vertrauen betont wird und schließlich ab der schnittliche Werte auf Skalen, die Rückzug, Depression
Adoleszenz der Austausch von Gedanken und Gefühlen als und Ängstlichkeit oder Viktimisierung durch Peers messen
294 U. Kessels und B. Hannover
(„submissiv-abgelehnte Kinder“; Cillessen et al. 1992; und schulische Leistungen, wenn die in einem Setting
Knauf et al. 2017; Parkhurst und Asher 1992). dominierende Peergruppe leistungsfeindliche Normen
Werden die Schulleistungen und andere schulnahe vorgibt.
Variablen betrachtet, so wird deutlich, dass die Akzeptanz Ebenfalls sind alle Konnotationen, die der Begriff des
im Klassenverband in der Regel positiv mit schulischem „Strebers“ mit sich führt, Hinweise darauf, dass besonders
Erfolg korreliert ist (zusammenfassend Wentzel 2017). leistungsmotivierte Schüler und Schülerinnen nicht immer
Vor allem finden sich konsistente Befunde, nach denen auch gleichzeitig die beliebtesten Kinder und/oder die
abgelehnte Kinder geringere Kompetenzen und schlechtere Kinder mit den meisten Freunden sind. Im Gegenteil ist der
Schulleistungen haben als nicht abgelehnte Kinder (Kauer Vorwurf, ein „Streber“ zu sein, deutlich rufschädigend (z. B.
und Roebers 2012; Newcomb et al. 1993; van der Wilt Bishop et al. 2004; Pelkner und Boehnke 2003). Vor allem
et al. 2018; Wilson et al. 2011). Eine Untersuchung von ab der Sekundarstufe gelten Schülerinnen und Schüler,
van der Wilt et al. (2018) zeigte z. B., dass abgelehnte und denen ein besonderes Bemühen um gute Schulleistungen
umstrittene Vorschulkinder signifikant geringere sprach- unterstellt wird, als eher unbeliebt (Heyder und Kessels
liche Kommunikationskompetenzen haben als Kinder mit 2017; Juvonen und Murdock 1995).
einem anderen Peer-Status. Diese jugendspezifischen Normen sind nicht ohne
Folgen für das leistungsbezogene Verhalten von Schülern.
Eine experimentelle Studie (Kessels et al. 2008) konnte
12.3.2 Beliebtheit als Reputation: Welche zeigen, dass Jugendliche im Beisein ihrer Peers unter
Kinder und Jugendlichen gelten als bestimmten Bedingungen das Ausmaß an schulischem
beliebt? Engagement herunterspielten (7 Exkurs „Wer Physik mag,
ist unbeliebt“). Dabei wurde folgendermaßen vorgegangen:
Während soziale Akzeptanz in der Peergruppe mit Nach einem Leistungstest wurde Jugendlichen im Beisein
positivem Sozialverhalten und Leistungsverhalten korreliert ihrer Peers falsches Leistungsfeedback gegeben. Variiert
ist, scheint Beliebtheit als Reputation, zumindest in der wurde, ob bei diesem sehr positiven Leistungsfeedback
nordamerikanischen Forschung und den dort üblichen („Du hast sehr vieles richtig; du hast die Aufgaben sehr gut
Konnotationen des Begriffs „popular“, zum Teil sogar und sehr clever gelöst“) dem Feedback-Empfänger im Bei-
mit weniger gut angepasstem Verhalten einherzugehen. sein von Klassenkameraden gleichzeitig eine besondere
12 Es wird berichtet, dass die als „popular“ bezeichneten Nähe zur Lehrkraft unterstellt wurde („Du bist sicher ein
Jugendlichen ein erhöhtes Maß an (vor allem relationaler) Schüler, auf den deine Lehrer richtig stolz sind“) oder nicht.
Aggressivität aufweisen (Cillessen und Mayeux 2004), sich Direkt anschließend wurde die Frage gestellt, wie viel Zeit
verhältnismäßig früh für Sex und Alkohol interessieren, zu sie jeden Tag mit ihren Hausaufgaben verbringen; auch die
riskantem Verhalten im Straßenverkehr neigen (Rabaglietti Antwort auf diese Frage war für die anwesenden Klassen-
et al. 2012) und eher wenig schulisches Engagement kameraden zu hören. Erwartungsgemäß gaben die Jugend-
zeigen (Estévez et al. 2014; zusammenfassend Schwartz lichen nach der Unterstellung einer großen Nähe zur
et al. 2006). In besonderem Maße konfligieren Popularität Lehrkraft an, weniger Hausaufgaben zu machen.
Exkurs
Lebensgestaltung im neuen kulturellen Kontext ist. Diese Informativer sozialer Einfluss dürfte in Peergruppen in
Entwicklungsaufgaben umfassen z. B. die Entwicklung von Kindheit und Jugend eine besonders große Rolle spielen, da
Eigenständigkeit oder von befriedigenden Beziehungen sich Heranwachsende häufig mit Fragen auseinandersetzen,
zum anderen Geschlecht sowie den Erwerb kulturspezi- auf die es entweder keine eindeutig richtigen oder falschen
fischen Wissens oder kulturspezifischer Kompetenzen. Vor Antworten gibt – z. B. weltanschauliche Fragen – oder
diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass verschiedene aber die tabuisiert sind – z. B. auf Sexualität oder Drogen-
Studien unter Einbezug unterschiedlicher Länder und konsum bezogene Fragen. Gruppenmitglieder, die aufgrund
ethnischer Gruppen konsistent finden, dass Freundschafts- ihres hohen sozialen Status innerhalb der Gruppe oder aber
beziehungen häufiger innerhalb derselben ethnischen auch aufgrund von Vorerfahrungen oder eines Altersvor-
Gruppe entstehen und auch stabiler über die Zeit sind, als sprungs als Expertinnen bzw. Experten für das jeweilige
dies für Freundschaften zwischen Personen verschiedener Thema gelten, wirken somit in besonderem Maße als Quelle
ethnischer Herkunft der Fall ist (z. B. Haug 2003; Lee et al. sozialen Informationseinflusses.
2007). Von dieser Form sozialer Einflussnahme ist der
Aufgrund der Erkenntnisse der Sozialen Identitäts- sogenannte normative soziale Einfluss zu unterscheiden,
theorie (Tajfel und Turner 1985) muss gemutmaßt werden, der aus dem Bestreben entsteht, in der eigenen Gruppe
dass Gruppen- und Freundschafts-Homophilie zu wechsel- anerkannt zu sein und nicht ausgeschlossen zu werden.
seitiger Stereotypenbildung über die jeweilige ethnische Weil abweichendes Verhalten in Gruppen in der Regel auf
Outgroup beiträgt, die in sozialen Vorurteilen oder sozialer Ablehnung oder gar Ausgrenzung stößt, passen sich die
Diskriminierung ihren Ausdruck finden kann. Formen Mitglieder der Gruppenmeinung an. Normativer Einfluss
kooperativen Lernens (7 Abschn. 12.5) können zu ihrem ist dann besonders stark, wenn
Abbau beitragen. a) der Person die Gruppenmitgliedschaft sehr wichtig ist,
b) die Gruppe einflussreich ist und die Person glaubt,
dass abweichendes Verhalten negativ sanktioniert
12.4.3 Wie aus sozialen Normen würde und
Gruppendruck wird: Konformität c) die Gruppe ihre Meinung konsistent äußert.
Beziehungen zwischen Gleichaltrigen gehen mit der Ent- Beide Formen der Einflussnahme innerhalb sozialer Gruppen,
12 wicklung eigenständiger sozialer Normen einher, die die im informative und normative, führen zu Konformität, d. h.
Elternhaus oder von anderen Erwachsenen kommunizierten zum Übereinstimmen des Individuums mit den Normen der
Normen ergänzen oder gar ersetzen können. Gruppe. Während sozialer Informationseinfluss dabei jedoch
typischerweise zu einer tatsächlichen Anpassung der eigenen
Definition Meinung oder des eigenen Verhaltens an die Meinung bzw.
das Verhalten der Gruppe führt, kann normativer Einfluss
Unter sozialen Normen versteht man von einer Gruppe
geteilte Erwartungen darüber, wie sich ihre Mitglieder
auch bewirken, dass zwar öffentlich den Erwartungen der
verhalten sollten. Diese Erwartungen werden in Form
Gruppe entsprochen wird, die eigene Meinung oder das privat
von impliziten oder expliziten Regeln kommuniziert,
praktizierte Verhalten aber unverändert bleiben.
deren Einhaltung belohnt (z. B. dadurch, dass Mitglieder,
Weil in der Jugendphase die Akzeptanz bei der
die den Erwartungen am ehesten entsprechen, den
Peergruppe als besonders wichtig empfunden wird,
höchsten sozialen Status innerhalb der Gruppe
gehen Heranwachsende oft besonders stark mit den
genießen) und deren Nichtbeachtung sanktioniert wird
Normen ihrer Cliquen konform, indem sie z. B. ihren
und zum Ausschluss aus der Gruppe führen kann.
Kleidungsstil entsprechend anpassen und bestimmte,
gerade „angesagte“ Produkte unbedingt auch besitzen
möchten. Die Konformität wird dabei noch weiter durch
Die Einflussnahme der Gruppe auf jedes einzelne Mitglied Gruppen-Homophilie verstärkt: Die Gruppenmitglieder
kann dabei auf zweierlei Weise geschehen. Informativer werden für soziale Vergleiche über die in der Umwelt ver-
sozialer Einfluss bedeutet, dass die Meinung anderer tretenen Meinungen oder Verhaltensweisen genutzt, d. h.
Gruppenmitglieder als valider Standard für die Bildung der über das, was üblich oder „normal“ ist. Die Homogenität
eigenen Meinung übernommen wird. Dieser Einfluss ist der Gruppen begünstigt nun, dass ein selektives und damit
besonders stark, wenn verzerrtes Bild entsteht, in dem die Mehrheitsmeinung,
a) der zu beurteilende Stimulus uneindeutig ist, das Mehrheitsverhalten oder das, was für die meisten
b) die anderen Mitglieder als Expertinnen oder Experten Gruppenmitglieder gilt, deutlich überrepräsentiert ist. Die
wahrgenommen werden und Verschiedenheit der tatsächlichen Lebenslagen von Gleich-
c) die Person ihre eigene Kompetenz anzweifelt. altrigen wird somit von den Betroffenen unterschätzt.
Gleichaltrige
299 12
12.5 Miteinander und voneinander lernen dass der instrumentelle Wert sozialer Vergleiche für die
soziale Identität verringert wird; also z. B. dadurch, dass
Im schulischen Rahmen werden Lernformen, in denen die Bedeutsamkeit der Ingroup-Outgroup-Kategorisierung
Kinder und Jugendliche gemeinsam arbeiten, aus ver- reduziert wird.
schiedenen Gründen eingesetzt. In diesem Abschnitt Um Feindseligkeiten zwischen Cliquen, die sich stark
werden die Auswirkungen kooperativer Lernformen auf voneinander abgrenzen, abzubauen, ist es deshalb wichtig,
das soziale Lernen dargestellt. Die Wirkung kooperativer jede Kleingruppe, die zusammen eine kooperative Aufgabe
Lernumgebungen auf den Kompetenzerwerb und die bearbeitet, heterogen zu besetzen. Bestimmen beispiels-
Motivation wird im 7 Kap. 4 behandelt. weise Konflikte zwischen Cliquen unterschiedlicher Her-
kunftskulturen oder auch unterschiedlicher „Subkulturen“
(wie „Gamer“, „Rapper“ oder „Beauty Gurus“) das Klassen-
12.5.1 Überwindung von gruppenbedingten geschehen, so ist die Einführung kooperativer Lernformen,
Feindseligkeiten durch kooperative in denen Angehörige der verschiedenen Cliquen zusammen
Lernformen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, sehr sinnvoll. Ent-
scheidend ist, dass eine kooperative Lernaufgabe gefunden
1954 wurde in den USA die Rassentrennung an Schulen wird, die
per Gerichtsbeschluss abgeschafft und die Integration von a) nur durch den Beitrag aller gemeinschaftlich gelöst
Schülerinnen und Schülern verschiedener Abstammung werden kann und
angestrebt. Allerdings führte die Umsetzung dieses b) die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Kennt-
Beschlusses zu so starken Auseinandersetzungen zwischen nisse der unterschiedlichen Gruppenmitglieder nutzt
Schülern der verschiedenen Ethnien, dass das Integrations- – durch die so erfolgende Erweiterung der Vergleichs-
programm fast wieder aufgegeben wurde. In dieser dimensionen zwischen den verschiedenen beteiligten
Situation wurden kooperative Lernformen wie z. B. der sozialen Gruppen/Cliquen ergibt sich für jede von
Jigsaw-Classroom (deutsch: Gruppenpuzzle) entwickelt, ihnen positive Distinktheit.
die helfen sollten, Feindseligkeiten zwischen Schüler-
gruppen abzubauen und gemeinsames Lernen im Klassen- Verschiedene Studien zeigen, dass durch solche Formen
zimmer zu ermöglichen (Aronson 2000; Aronson und kooperativen Lernens in heterogenen Kleingruppen nicht
Patnoe 1997). Die Schwierigkeiten in den Schulen zeigten, nur Wissensinhalte besonders wirkungsvoll vermittelt
dass bloßer Kontakt zwischen Angehörigen einander werden, sondern mittelfristig auch prosoziales Verhalten
ablehnender Gruppen nicht ausreichend ist, um Feindselig- und Sympathie zwischen sozialen Gruppen (z. B. Aronson
keiten zwischen ihnen zu beseitigen (was Gordon Allport in et al. 1997; Choi et al. 2011) und die soziale Selbstwirksam-
der Kontakthypothese zunächst postuliert hatte). Vielmehr keit der Schülerinnen und Schüler (Drössler et al. 2007)
müssen gemeinsame Ziele induziert werden, deren Ver- gesteigert werden können.
folgung die Grundlage für Kooperation bildet.
Eickman et al. 2018; Layzer et al. 2017). Die Wirkung dieser 12.5.3 Aggression und Bullying
Vorgehensweise liegt vor allem in einem Multiplikatoren-
effekt: Weil Peers als „ähnliche andere“ bedeutsame soziale
Vergleichspersonen sind (7 Abschn. 12.4.2), können sie Definition
besonders wahrscheinlich auf Einstellungen und Verhaltens- Aggression/aggressives Verhalten werden definiert
weisen Jugendlicher Einfluss nehmen. Meta-Analysen im als zielgerichtetes Verhalten mit Schädigungsabsicht.
Bereich der sexuellen Gesundheitserziehung belegen für Jede Handlung, die mit der Absicht ausgeführt wird,
peergeleitete Interventionen vor allem positive Auswirkungen eine andere Person zu schädigen oder zu verletzen, die
auf das Wissen und, wenn auch in geringerem Maße, auf ihrerseits versucht, dieser Schädigung zu entgehen, wird
die Einstellungen der Teilnehmenden. Eine faktische Ver- als Aggression/aggressives Verhalten bezeichnet.
änderung des Sexualverhaltens konnte jedoch nicht gezeigt In der Literatur finden sich unterschiedliche
werden (Sun et al. 2018). Im Bereich des Konsums legaler und Kategorisierungen der verschiedenen Formen, die
illegaler Drogen konnte metaanalytisch bei Teilnehmenden aggressives Verhalten annehmen kann. So wird
an Peer-Education-Interventionen eine leichte Verringerung beispielsweise unterschieden zwischen
der Wahrscheinlichkeit zu rauchen, Alkohol zu trinken oder 5 proaktiver und reaktiver Aggression; diese
Cannabis zu konsumieren festgestellt werden; die Daten- Unterscheidung bezieht sich auf die Initiierung von
grundlage ist hier allerdings als noch nicht ausreichend aggressivem Verhalten (aus eigenem Antrieb heraus
anzusehen und die Resultate sind entsprechend vorsichtig versus ärgerlich/defensiv auf eine Frustration oder
zu interpretieren (MacArthur et al. 2016). Zusammen- Provokation reagierend).
gefasst scheinen Peer-Educators vor allem als Vermittler von 5 instrumenteller und feindseliger Aggression;
Wissen erfolgreich zu sein, wobei, wie Kleiber und Appel in dieser Unterscheidung wird auf das Motiv der
(1999) hervorheben, sie hierbei nur insofern wirkungs- aggressiven Handlung rekurriert (ein bestimmtes
voller als erwachsene Expertinnen bzw. Experten sind, als Ziel erreichen wollen versus impulsiv/ärgerbedingt
sich die Rezipierenden wahrscheinlicher mit Fragen an sie handeln).
wenden. Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: 5 direkter und indirekter Aggression; bei indirekter
Aggression und Bullying. Aggression weiß das Opfer nicht, wer der Täter ist.
Auch wenn für die meisten Schüler die Schule positiv 5 physischer, verbaler und relationaler (sozialer)
12 besetzt ist, weil sie dort ihre Freunde und Klassen- Aggression; physische Aggression umfasst
kameraden treffen, gibt es doch häufig auch sehr körperliche Schädigungen jeder Art, verbale
problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen, die Aggression umfasst z. B. Verspotten, Beleidigen
den Schulbesuch für etliche Kinder und Jugendliche in und soziale/relationale Aggression ist definiert als
erster Linie angstbesetzt und qualvoll werden lassen. Im Verhalten, das darauf zielt, die Beziehung einer
folgenden Abschnitt wird aggressives Verhalten unter Person zu ihren Peers zu beschädigen und/oder ihr
Kindern und Jugendlichen, vor allem das sogenannte soziales Zugehörigkeitsgefühl und Akzeptiertsein zu
Bullying, behandelt. Auf Definitionen von Aggression und verletzen.
Bullying folgt die Darstellung zweier Blickrichtungen auf
die Problematik des aggressiven Verhaltens im Klassen- Aggressivität wird definiert als die relativ überdauernde
zimmer. Zuerst werden Theorien und Befunde zu den Bereitschaft einer Person, sich in unterschiedlichen
Merkmalen aggressiver Kinder vorgestellt, die vor allem Situationen aggressiv zu verhalten (Personenmerkmal).
deren spezifische Defizite in der sozialen Informationsver-
arbeitung beschreiben. Darauf folgt die Konzeptualisierung
von Bullying als komplexes soziales Geschehen, an dem Im Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler und auch
zahlreiche Mitglieder einer Klasse in verschiedenen Rollen der erwachsenen Laien in Deutschland hat sich der Begriff
beteiligt sind. Schließlich werden Maßnahmen vorgestellt, Bullying (noch) nicht eingebürgert; hier heißt es meistens –
die auf Prävention und/oder Eindämmung von Aggression wie in der Arbeitswelt – Mobbing. („Bully“ klingt für deutsche
und Bullying im Schulkontext abzielen (7 Kap. 18). Ohren ja auch eher nach sympathischem altem VW-Bus und
Gleichaltrige
301 12
überhaupt nicht nach „brutalem Kerl“, was dieses Wort im Formen dissozialen Verhaltens. Meta-Analysen zeigten
Englischen bedeutet.) Die angelsächsisch geprägte Wissen- sowohl für das herkömmliche Bullying (Van Noorden et al.
schaftssprache hat aber den Begriff Bullying übernommen. 2015) als auch für das Cyberbullying (Zych et al. 2019), dass
die Täter eine geringe kognitive und vor allem eine geringere
Definition emotionale Empathie besitzen.
Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten gefasst,
bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt
und über einen längeren Zeitraum den schädigenden 12.5.4 Fokus: Spezifische Defizite
Handlungen von Mitschülern ausgesetzt ist (Olweus aggressiver Kinder in der sozialen
2002). Kennzeichnend ist dabei ein Ungleichgewicht Informationsverarbeitung
der (physischen oder psychischen oder sozialen) Kräfte
von Täter/n und Opfer. Smith und Sharp (1994) stellen Ein sehr einflussreiches Modell der Beschreibung von
als zentrales Merkmal von Bullying den „systematischen aggressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen
Missbrauch von Macht“ heraus. stammt von Dodge und Crick (Dodge 1986; Crick und
Es werden drei Arten von Bullying unterschieden, die Dodge 1994, 1996). Im sogenannten SIP-Modell (social
alleine oder als Mischform ausgeübt werden können information processing model) werden sechs Phasen der
(Scheithauer et al. 2003): sozialen Informationsverarbeitung unterschieden, die
1. physisches Bullying Menschen durchlaufen, bevor sie in einer sozialen Situation
2. verbales Bullying reagieren. Aggressive Kinder, so die These von Crick und
3. relationales Bullying (rufschädigendes Verhalten Dodge (1994), zeigen in allen Phasen des Modells spezi-
dem Opfer gegenüber, z. B. Gerüchte und fische Tendenzen, die aggressives oder feindseliges Ver-
Verleumdungen in Umlauf bringen, Ausgrenzung, halten wahrscheinlicher machen als es normalerweise der
Manipulation des Umfeldes). Fall ist. Im Folgenden werden kurz die einzelnen Phasen
Eine sich zunehmend verbreitende Form des beschrieben. Dabei wird jeweils verdeutlicht, auf welche
Bullying nutzt die Möglichkeiten des Internets: Beim Weise einer (unangemessenen) aggressiven Reaktion der
Cyberbullying werden die Opfer in sozialen Medien und Weg gebahnt werden kann (. Abb. 12.2).
Chat-Apps verhöhnt, bloßgestellt, verfolgt und belästigt 1. Enkodierung der Hinweisreize: Welche sozialen Hin-
(für eine Meta-Analyse zur Prävalenz Brochado et al. weisreize werden in einer sozialen Situation überhaupt
2017). wahrgenommen und enkodiert? Es wird angenommen,
dass aggressive Kinder eine selektive Wahrnehmung
aufweisen, aufgrund derer sie ihre Aufmerksamkeit
Physisches Bullying wird fast ausschließlich von Jungen vor allem auf solche Aspekte einer sozialen Situation
ausgeübt, relationales Bullying, das deutlich subtiler abläuft lenken, die sich als feindselig oder negativ deuten
und damit auch oft schwerer zu erfassen ist, von Jungen lassen (z. B. „Lukas stürzt auf mich zu und kippt mir
und Mädchen (Scheithauer et al. 2003). seinen Saft über die Hose“), wohingegen jene Aspekte
Durchschnittlich werden in deutschen Schulen der gleichen Situation, die freundlich oder allgemein
zwischen fünf und elf Prozent der Schülerinnen und positiv sind, weniger wahrscheinlich wahrgenommen
Schüler mindestens einmal pro Woche Opfer von Bullying. und enkodiert werden (z. B. „Lukas nähert sich mir
Zwischen fünf und neun Prozent der Schülerinnen und lächelnd mit seinem Saftglas in der Hand, mit den
Schüler nehmen regelmäßig die Rolle des Bullys wahr. Worten ‚Du, ich muss dir was erzählen‘.“).
Dabei gibt es zwischen einzelnen Klassen und Schulen 2. Interpretation der Hinweisreize: Die Deutung des
erhebliche Schwankungen (Scheithauer et al. 2007). jeweils Wahrgenommenen ist ein komplexer, mehrere
Auch wenn sowohl Opfer als auch Täter beim Bullying Schritte umfassender Prozess, bei dem Kinder mit
keinesfalls eine homogene Gruppe sind, haben Scheithauer einer aggressiven „Voreinstellung“ mit größerer Wahr-
und Kollegen (2003) typische Opfer- und T äter-Merkmale scheinlichkeit zu Interpretationen gelangen, die die
(„Warnsignale“) aus der Literatur herausgefiltert, bei deren erlebte Situation als feindselig und negativ erscheinen
Auftreten Eltern und Lehrkräfte überprüfen sollten, ob mög- lassen. Dies kann zum Beispiel durch bestimmte
licherweise Bullying vorliegt. So haben B ullying-Opfer bei- Attributionen der Handlungen und Absichten der
spielsweise häufig Angst vor dem Schulbesuch, wenige oder anderen geschehen („Lukas hat mir mit Absicht
keine Freunde, sind sozial zurückgezogen, beklagen den seinen Saft über die Hose gekippt“). Eine Deutung, die
Verlust von Dingen, weisen (kleinere) Verletzungen auf, dieser gleichen Situation jede aggressive Note nimmt,
haben Schlafstörungen, sind häufig niedergeschlagen und wäre beispielsweise „Der arme Lukas ist immer so
ängstlich und weigern sich, über diese Situation oder die ungeschickt, das wollte er natürlich nicht“.
eigenen Sorgen zu sprechen. Täter im Bullying-Geschehen 3. Klärung der eigenen Ziele in der jeweiligen Situation:
dagegen seien häufig körperlich stark, impulsiv, gegenüber Es wird angenommen, dass das Kind, das in unserem
Erwachsenen vorlaut und aggressiv und zeigen verschiedene Beispiel den Saft abbekommen hat, für die jeweilige
302 U. Kessels und B. Hannover
Situation ein bevorzugtes Ergebnis wählt, ein Ziel Schemata und Skripte beeinflussen jeweils, wie neue Hin-
verfolgt. Ein Ziel, das wahrscheinlich zur Eskalation weisreize wahrgenommen werden, wie sie interpretiert
führt, könnte hier lauten „Ich will jetzt mal klarstellen, werden und welche Reaktionsmöglichkeiten dem Kind „in
dass mir keiner ungestraft Saft überkippen darf“. Eine den Sinn kommen“.
prominente Rolle spielt in dieser Phase das Ziel, die Crick und Dodge (1994) berichten zahlreiche Belege,
eigene Erregung und Anspannung „irgendwie“ zu nach denen aggressive und/oder abgelehnte Kinder in den
vermindern. Verfolgt das besudelte Kind dagegen das einzelnen Phasen des Modells spezifische Wahrnehmungs-,
Ziel, Lukas zu trösten und zu erfahren, was er ihm Interpretations- und Reaktionsroutinen zeigen, die ihren
erzählen wollte, werden Verhaltensweisen wahrschein- aggressiven Verhaltensweisen vorangehen.
licher, die diese Situation friedlich verlaufen lassen.
4. Zugang zu Reaktionen/Konstruktion von (neuen)
Reaktionen: Es wird angenommen, dass nach der 12.5.5 Fokus: Bullying als soziales
mentalen Abbildung der Situation und der Aus- Geschehen im Klassenkontext
wahl eines zu verfolgenden Zieles das Kind nun
das Repertoire der ihm bekannten und möglichen Eine erweiterte Sicht auf Aggression im Klassenkontext
Reaktionen durchgeht, bevor es eine auswählt und fokussiert weniger auf bestimmte Merkmale der einzelnen
ausführt. Aus wie vielen verschiedenen möglichen Täter und der jeweiligen Opfer, sondern versteht Bullying
Reaktionsweisen ein Kind auswählen kann, wie als ein gruppendynamisches Geschehen, an dem so gut
diese möglichen Reaktionen im Einzelnen aussehen wie alle Mitglieder der Klasse oder Schule auf die eine oder
und in welcher Reihenfolge dem Kind die mög- andere Art beteiligt sind. So haben Lagerspetz et al. (1982)
lichen Reaktionen in den Sinn kommen, ist für den betont, dass Bullying unter Schulkindern ein kollektives
weiteren Verlauf der Interaktion ganz entscheidend. Geschehen ist, das auf sozialen Beziehungen und Rollen
Aggressiven Kindern fallen offenbar als Erstes feind- basiert, die die einzelnen Schülerinnen und Schüler ein-
selige und aggressive Reaktionen ein (weil positivere nehmen beziehungsweise die ihnen zugeschrieben werden.
Reaktionen gar nicht gelernt wurden oder in der Ver- Salmivalli et al. (1996) haben daraus den Participant
gangenheit keinen Erfolg zeigten oder durch seltene Role Ansatz entwickelt, mit dem sie die verschiedenen
Ausführung wenig zugänglich sind). Eine „typische“ Rollen der am Bullying direkt oder indirekt Beteiligten
12 und damit hoch zugängliche Reaktion für ein beschrieben haben. Erfasst werden diese Rollen mit der 50
aggressives Kind wäre beispielsweise, besagtem Lukas Items umfassenden Participant Role Scale. In ihrer Studie
nach seinem Missgeschick einen gezielten Kinnhaken konnten 87 % der untersuchten 573 Sechstklässler als eine
zu verpassen, wohingegen ein wenig aggressives Kind der folgenden Rollen einnehmend charakterisiert werden:
darin geübter ist, mit einem kleinen freundlichen Witz 8 % wurden als aktiv, initiativ und anführend beim Bullying
die Spannung aus der Situation zu nehmen („Woher beschrieben (ringleader bully). 12 % wurden die Rolle des
wusstest du, dass ich auch Saft wollte?“). Opfers (victim) zugeschrieben (dies wurde – ohne Einsatz
5. Entscheidung für eine Reaktion: Für welche der der Participant Role Scale – darüber erfragt, welche Kinder
möglichen Reaktionen sich das Kind entscheidet, in der Regel die Opferrolle einnehmen). 7 % wurden als
hängt von seiner Bewertung dieser Reaktionen ab Assistenten des Bullys bezeichnet (assistant bully), die eben-
(„Ist es in Ordnung, jemanden zu schlagen?“), von falls aktiv am Bullying beteiligt sind, dabei aber nicht die
seinen Erwartungen, was nach der von ihm gezeigten Führungsrolle einnehmen, sondern den Bully unterstützen
Reaktion dann wohl weiter passieren wird (Ergebnis- und ihm zuarbeiten, beispielsweise das Opfer festhalten.
erwartungen) und der Einschätzung seiner eigenen 20 % der Kinder einer Klasse nahmen jeweils die Rolle von
Selbstwirksamkeit, also ob sich das Kind in der Lage Verstärkern (reinforcer) ein, die dem Bully ein interessiertes
fühlt, die jeweilige Reaktion selbst erfolgreich durchzu- Publikum sind, ihn zuweilen anstiften und durch
führen. Anerkennung und Lachen verstärken. 17 % wurden als Ver-
6. Ausführung des Verhaltens: In Folge der Phasen 1 bis teidiger (defender) klassifiziert, die das Opfer unterstützen
5 wird nun das gewählte Verhalten ausgeführt. Damit und trösten und versuchen, die Bullys und Assistenten
ist die soziale Interaktion nicht abgeschlossen, sondern daran zu hindern, es zu drangsalieren. 24 % wurden als
führt zur Bewertung und zu Reaktionen seitens der Außenstehende (outsider) klassifiziert, die sich in keiner
Peers, die wiederum als neue Hinweisreize die „Phase Weise an der Bullying Situation beteiligen und „nichts tun“.
1“ einleiten. Eine deutsche Untersuchung von Schäfer und Korn (2004)
bestätigte diese Rollen für ein Sample von vier Hauptschul-
Wichtig ist, dass es in allen Phasen des Prozesses der klassen, auch wenn die Verteilung auf einige Rollen etwas
sozialen Informationsverarbeitung zu einer Rück- anders war (weniger Verstärker, mehr Assistenten).
kopplung mit den zurückliegenden Erfahrungen des Kindes Als besonders relevant ist hier die Erweiterung
kommt, die es in seinem Gedächtnis abgespeichert hat des Blickwinkels auf die nicht unmittelbar an der
(in . Abb. 12.2 ist dies mit „Datenbasis“ bezeichnet). Aus Bullyingsituation beteiligten Schülerinnen und Schüler
den eigenen Erfahrungen generierte und abgespeicherte hervorzuheben. Schließlich wären sie in der Lage, dem
Gleichaltrige
303 12
. Abb. 12.2 Modell der sozialen Informationsverarbeitung bei Kindern. (Nach Crick und Dodge 1994. Adapted with permission of the American
Psychological Association. APA is not responsible for the accuracy of this translation.)
Opfer zu Hilfe zu kommen – oft wird dies aber unterlassen. neuen Klasse zu Beginn des Jahres zunächst mehr Bullying
Aus der sozialpsychologischen Forschung zum sogenannten zeigten, gegen Ende des Schuljahres entsprechendes Ver-
Bystander-Effekt ist bekannt, welche Umstände dazu halten aber wieder zurückging (Pellegrini und Bartini
führen, dass Personen in Situationen, in denen jemand 2001). Die Autoren vermuten, dass dies damit zusammen-
anderes bedroht wird, lediglich zuschauen, statt helfend hängt, dass sich im Laufe des ersten Jahres Dominanz-
einzugreifen. Dieser Effekt ist sogar umso stärker, je mehr strukturen etabliert hatten, die dann nicht mehr permanent
andere bystander anwesend sind: dann nimmt das Gefühl, ausgehandelt werden mussten.
persönlich für den Verlauf der Situation verantwortlich zu Dass Bullys ausschließlich als proaktiv aggressive Kinder
sein, ab (Verantwortungsdiffusion), weil man das Nichtein- mit den von Crick und Dodge (1994) beschriebenen spezi-
greifen der anderen Anwesenden als Hinweis darauf wertet, fischen Defiziten in der sozialen Informationsverarbeitung
dass keine wirkliche Notsituation vorliegt (pluralistische anzusehen sind, wurde von Sutton et al. (z. B. 1999a, b,
Ignoranz), und weil man sich vor den anderen als einzig 2001) hinterfragt. Das durch die Literatur transportierte
Eingreifender nicht blamieren möchte (Darley und Lantané Stereotyp vom Bully als körperlich starkem, aber wenig
1968). Ein Interventionsprogramm, das sich auch auf das intelligentem „Trottel“, der Gewalt anwendet, weil er sich
Verhalten der Bystander beim Bullying bezieht, wird im nicht anders zu helfen weiß, sei empirisch nicht haltbar; vor
nächsten Abschnitt vorgestellt. allem nicht, wenn neben der physischen Aggression auch
Dass Bullying auch die Funktion der Festlegung und andere Formen von indirekter oder relationaler Aggression
Stabilisierung von Hierarchien innerhalb der Gruppe hat, betrachtet werden. Sutton und Kollegen formulierten die
wird beispielsweise durch eine Untersuchung nahe gelegt, These, dass viele der Bullys im Gegenteil auch über aus-
die zeigen konnte, dass Jungen nach dem Übergang von geprägte Fähigkeiten im sozialen Bereich verfügen können,
der Grundschule in die weiterführende Schule in ihrer die sie in „machiavellistischer“ Manier zur Herstellung und
304 U. Kessels und B. Hannover
Crick, N. R., & Dodge, K. A. (1996). Social information-processing Psychologie (Bd. V, S. 317–364)., Theorien und Anwendungen der
mechanisms in reactive and proactive aggression. Child Develop- Differentiellen Psychologie. Göttingen: Hogrefe.
ment, 67, 993–1002. Harris, J. R. (1995). Where is the child’s environment? A group
Crockett, L., Losoff, M., & Petersen, A. C. (1984). Perceptions of the socialization theory of development. Psychological Review, 102,
peer group and friendship in early adolescence. Journal of Early 458–489.
Adolescence, 4, 155–181. Harris, J. R. (2000). Ist Erziehung sinnlos? Reinbek: Rowohlt.
Darley, J. M., & Latané, B. (1968). Bystander intervention in Haug, S. (2003). Interethnische Freundschaftsbeziehungen und soziale
emergencies: Diffusion of responsibility. Journal of Personality and Integration. Unterschiede in der Ausstattung mit sozialem Kapital
Social Psychology, 8, 377–383. bei jungen Deutschen und Immigranten. Kölner Zeitschrift für
De Rosier, M. E., Kupersmidt, J. B., & Patterson, C. J. (1994). Children’s Soziologie und Sozialpsychologie, 55, 716–736.
academic and behavioral adjustment as a function of the Heyder, A., & Kessels, U. (2017). Boys don’t work? On the psychological
chronicity and proximity of peer rejection. Child Development, 65, benefits of showing low effort in high school. Sex Roles, 77, 72–85.
1799–1813. Juvonen, J., & Murdock, T. (1995). Grade-level differences in the social
Dodge, K. A. (1986). A social information processing model of social value of effort: Implications for self-presentation tactics of early
competence in children. In M. Perlmutter (Hrsg.), The Minnesota adolescents. Child Development, 66, 1694–1705.
symposium on child psychology (Bd. 18, S. 77–125). Hillsdale: Kauer, M., & Roebers, C. M. (2012). Kognitive Basisfunktionen und
Erlbaum. motorisch-koordinative Kompetenzen in Abhängigkeit des
Drössler, S., Jerusalem, M., & Mittag, W. (2007). Förderung sozialer Peerstatus bei Kindern zu Beginn der Schulzeit. Zeitschrift für Ent-
Kompetenzen im Unterricht. Implemetation eines Lehrerfort- wicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 44(3), 139–
bildungsprojektes. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21, 152.
157–168. Kessels, U. (2005). Fitting into the stereotype: How gender-stereotyped
Echols, L., & Graham, S. (2013). Birds of a different feather: How do perceptions of prototypic peers relate to liking for school
cross-ethnic friends flock together? Merrill-Palmer Quarterly, 59(4), subjects. European Journal of Psychology of Education, 20, 309–
461–488. 323.
Eickman, L., Betts, J., Pollack, L., Bozsik, F., Beauchamp, M., & Lundgren, Kessels, U. (2013). Die Suche nach dem eigenen Ich. In A. Knoke &
J. (2018). Randomized controlled trial of REbeL: A peer education M. Wichmann (Hrsg.), Bildungserfolge an Ganztagsschulen. Was
program to promote positive body image, healthy eating brauchen Jugendliche? (S. 46–53). Schwalmbach am Taunus:
behavior, and empowerment in teens. Eating Disorders, 26(2), Debus Pädagogik.
127–142. Kessels, U., & Hannover, B. (2004). Entwicklung schulischer Interessen
Engels, R., Kerr, M., & Stattin, H. (Hrsg.). (2007). Friends, lovers, and als Identitätsregulation. In J. Doll & M. Prenzel (Hrsg.),
groups: Key relationships in adolescence. London: Wiley. Bildungsqualität von Schule: Lehrerprofessionalisierung, Unter-
Estévez, E., Emler, N. P., Cava, M. J., & Inglés, C. J. (2014). Psychosocial richtsentwicklung und Schülerförderung als Strategien der Qualitäts-
12 adjustment in aggressive popular and aggressive rejected
adolescents at school. Psychosocial Intervention/Intervención
verbesserung (S. 398–412). Münster: Waxmann.
Kessels, U., Warner, L., Holle, J., & Hannover, B. (2008). Identitäts-
Psicosocial, 23(1), 57–67. bedrohung durch positives schulisches Leistungsfeedback.
Farrington, D. P., Loeber, R., & Ttofi, M. M. (2012). Risk and protective Die Erledigung von Entwicklungsaufgaben im Konflikt mit
factors for offending. In D. P. Farrington & B. C. Welsh (Hrsg.), The schulischem Engagement. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie
Oxford handbook of crime prevention (S. 46–69). Oxford: Oxford und Pädagogische Psychologie, 40, 22–31.
University Press. Kleiber, D., & Appel, E. (1999). Peer Education. Ergebnisse eines
Fend, H. (2005). Entwicklungspsychologie des Jugendalters (3. Aufl.). Interventionsprojektes im Auftrag der BZgA zur Prävention
Opladen: Leske + Budrich. ungewünschter Schwangerschaften und HIV. In Bundeszentrale
Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.), Wissenschaftliche Grund-
Relations, 7, 117–140. lagen, Teil 2 (Forschung und Praxis der Sexualaufklärung und
Fletcher, A. C., Darling, N. E., Steinberg, L., & Dornbusch, S. (1995). The Familienplanung, Bd. 13.2) (S. 157–175). Köln: BZgA.
company they keep: Relation of adolescents’ adjustment and Knauf, R.-K., Eschenbeck, H., & Käser, U. (2017). Bullying im Klassen-
behavior to their friends’ perceptions of authoritative parenting verband. Prävalenz, soziometrische und leistungsbezogene
in the social network. Developmental Psychology, 31, 300–310. Merkmale der Participant Roles. Zeitschrift Für Entwicklungs-
Frey, K. S., Hirschstein, M. K., Snell, J. L., Edstrom, L. V., MacKenzie, E. psychologie Und Pädagogische Psychologie, 49(4), 186–196.
P., & Broderick, C. J. (2005). Reducing playground bullying and Krappmann, L. (1993). Kinderkultur als institutionalisierte Ent-
supporting beliefs: An experimental trial of the steps to respect wicklungsaufgabe. In M. Markefka & B. Nauck (Hrsg.), Handbuch
program. Developmental Psychology, 41, 479–491. der Kindheitsforschung (S. 365–376). Neuwied: Luchterhand.
Galián, M. D., Ato, E., & Fernández-Vilar, M. A. (2018). Sociometric Ladd, G. W., Kochenderfer, B. J., & Coleman, C. C. (1997). Classroom
status as mediator in the relation between effortful control and peer acceptance, friendship, and victimization: Distinct relational
achievement. Merrill-Palmer Quarterly, 64(3), 309–328. systems that contribute uniquely to children’s school adjustment.
Gifford-Smith, M. E., & Brownell, C. A. (2003). Childhood peer relation- Child Development, 68, 1181–1197.
ships: Social acceptance, friendships, and peer networks. Journal Lagerspetz, K. M. J., Björkqvist, K., Berts, M., & King, E. (1982). Group
of School Psychology, 41(4), 235–284. aggression among school children in three schools. Scandinavian
Greenman, P. S., Schneider, B. H., & Tomada, G. (2009). Stability and Journal of Psychology, 23, 45–52.
change in patterns of peer rejection: Implications for children’s Layzer, C., Rosapep, L., & Barr, S. (2017). Student voices: Perspectives
academic performance over time. School Psychology International, on peer-to-peer sexual health education. Journal of School Health,
30(2), 163–183. 87(7), 513–523.
Hannover, B., & Kessels, U. (2004). Self-to-prototype matching as a Lee, L., Howes, C., & Chamberlain, B. (2007). Ethnic heterogeneity of
strategy for making academic choices. Why German high school social networks and cross-ethnic friendships of elementary school
students do not like math and science. Learning and Instruction, boys and girls. Merrill-Palmer Quarterly, 53, 325–346.
14(1), 51–67. Leszczensky, L., & Pink, S. (2017). Intra- and inter-group friendship
Hannover, B., Pöhlmann, C., & Springer, A. (2004). Selbsttheorien choices of Christian, Muslim, and non-religious youth in Germany.
der Persönlichkeit. In K. Pawlik (Hrsg.), Enzyklopädie der European Sociological Review, 33(1), 72–83.
Gleichaltrige
307 12
Leung, K. C. (2015). Preliminary empirical model of crucial Schäfer, M., & Korn, S. (2004). Bullying als Gruppenphänomen. Zeit-
determinants of best practice for peer tutoring on academic schrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie,
achievement. Journal of Educational Psychology, 107(2), 558–579. 36(1), 19–29.
Lubbers, M. J., van der Werf, M. P. C., Snijders, T. A. B., Creemers, Scheithauer, H., & Bull, H. D. (2007). fairplayer.manual. Förderung von
B. P. M., & Kuyper, H. (2006). The impact of peer relations on sozialen Kompetenzen und Zivilcourage. Prävention von Bullying
academic progress in junior high. Journal of School Psychology, 44, und Schulgewalt. Theorie- und Praxismanual für die Arbeit mit
491–512. Jugendlichen und Schulklassen (3. Aufl.). Bremen: NR.
MacArthur, G. J., Harrison, S., Caldwell, D. M., Hickman, M., & Campbell, Scheithauer, H., Hayer, T., & Petermann, F. (2003). Bullying unter
R. (2016). Peer-led interventions to prevent tobacco, alcohol and/ Schülern – Erscheinungsformen, Risikobedingungen und Inter-
or drug use among young people aged 11–21 years: A systematic ventionskonzepte. Göttingen: Hogrefe.
review and meta-analysis. Addiction, 111(3), 391–407. Scheithauer, H., Hayer, T., & Bull, H. D. (2007). Gewalt an Schulen am
Maccoby, E. E. (1998). The two sexes: Growing up apart, coming together. Beispiel Bullying. Aktuelle Aspekte eines populären Themas. Zeit-
Cambridge: Harvard University Press. schrift für Sozialpsychologie, 38, 141–152.
Martin, C., Fabes, R., Hanish, L., Leonard, S., & Dinella, L. (2011). Schmidt-Denter, U. (2005). Soziale Beziehungen im Lebenslauf. Wein-
Experienced and expected similarity to same-gender peers: heim: BeltzPVU.
Moving toward a comprehensive model of gender segregation. Schwartz, D., Hopmeyer Gorman, A., Nakamoto, J., & McKay, T. (2006).
Sex Roles, 65(5–6), 421–434. Popularity, social acceptance, and aggression in adolescent peer
Martin, C. L., Kornienko, O., Schaefer, D. R., Hanish, L. D., Fabes, R. A., groups: Links with academic performance and school attendance.
& Goble, P. (2013). The role of sex of peers and g ender-typed Developmental Psychology, 42, 1116–1127.
activities in young children’s peer affiliative networks: A Smith, P. K., & Sharp, S. (1994). School bullying: Insights and perspectives.
longitudinal analysis of selection and influence. Child Develop- London: Routledge.
ment, 84(3), 921–937. Spiel, C., Lüftenegger, M., & Schober, B. (2018). Das Jugendalter –
McPherson, M., Smith-Lovin, L., & Cook, J. M. (2001). Birds of a feather: Herausforderungen für die Schule. In B. Gniewosz & P. Titzmann
Homophily in social networks. Annual review of sociology, 27(1), (Hrsg.), Handbuch Jugend. Psychologische Sichtweisen auf Ver-
415–444. änderungen in der Adoleszenz (S. 89–106). Stuttgart: Kohlhammer.
Newcomb, A. F., Bukowski, W. M., & Pattee, L. (1993). Children’s peer Steinberg, L., Dornbusch, S. M., & Brown, B. B. (1992). Ethnic differences
relations: A meta-analytic review of popular, rejected, neglected, in adolescent achievement: An ecological perspective. American
controversial, and average sociometric status. Psychological Psychologist, 47, 723–729.
Bulletin, 113, 99–128. Sun, W. H., Miu, H. Y. H., Wong, C. K. H., Tucker, J. D., & Wong, W. C. W.
Olweus, D. (2002). Gewalt in der Schule: Was Lehrer und Eltern wissen (2018). Assessing participation and effectiveness of the peer-led
sollten – und tun können (3. korr. Aufl.). Bern: Huber. approach in youth sexual health education: Systematic review
Parkhurst, J. T., & Asher, S. R. (1992). Peer rejection in middle school: and meta-analysis in more developed countries. The Journal of Sex
Subgroup differences in behavior, loneliness, and interpersonal Research, 55(1), 31–44.
concerns. Developmental Psychology, 28, 231–241. Sutton, J., Smith, P. K., & Swettenham, J. (1999a). Bullying and „theory
Peery, J. C. (1979). Popular, amiable, isolated, rejected: A of mind“: A critique of the „social skills deficit“ view of anti-social
reconzeptualization of sociometric status in preschool children. behaviour. Social Development, 8, 117–127.
Child Development, 50, 1131–1234. Sutton, J., Smith, P. K., & Swettenham, J. (1999b). Social cognition
Pelkner, A., & Boehnke, K. (2003). Streber als Leistungsver- and bullying: Social inadequacy or skilled manipulation? British
weigerer? Projektidee und erstes Datenmaterial einer Studie zu Journal of Developmental Psychology, 17, 435–450.
mathematischen Schulleistungen. Zeitschrift für Erziehungswissen- Sutton, J., Smith, P. K., & Swettenham, J. (2001). ‚It’s easy, it works,
schaft, 6, 106–125. and it makes me feel good‘: A response to Arsenio and Lemerise.
Pellegrini, A. D., & Bartini, M. (2001). Dominance in early adolescent Social Development, 10, 74–78.
boys: Affiliative and aggressive dimensions and possible Taconis, R., & Kessels, U. (2009). How choosing a science major
functions. Merrill-Palmer Quarterly, 47, 142–163. depends on the „science culture“. International Journal of Science
Petermann, F., & Petermann, U. (2005). Training mit aggressiven Kindern Education, 31(8), 1115–1132.
(11. korr. Aufl.). Weinheim: BeltzPVU. Tajfel, H., & Turner, J. C. (1985). The social identity theory of intergroup
Piaget, J. (1954). Das moralische Urteil beim Kinde. Zürich: Rascher (Erst- behaviour. In S. Worchel & W. G. Austin (Hrsg.), Psychology of
veröffentlichung 1932). intergroup relations (S. 7–24). Chicago: Nelson-Hall.
Rabaglietti, E., Vacirca, M. F., & Ciairano, S. (2012). Popularity and Titzmann, P. F., Silbereisen, R. K., & Schmitt-Rodermund, E. (2007).
quality of adolescent friendships: Are they resources or risks? In C. Friendship homophily among diaspora migrant adolescents in
Bassani (Hsg.), Adolescent behaviour (S. 35–53). Hauppauge: Nova Germany and Israel. European Psychologist, 12, 181–195.
Science Publishers. Underwood, M. K. (2004). Gender and peer relations: Are the two
Rose, A. J., & Rudolph, K. D. (2006). A review of sex differences in peer gender cultures really all that different? In J. B. Kupersmidt & K.
relationship processes: Potential trade-offs for the emotional and A. Dodge (Hrsg.), Children’s peer relations: From developmental
behavioral development of girls and boys. Psychological Bulletin, science to intervention to policy (S. 21–36). Washington, DC:
132, 98–131. American Psychological Association.
Rose, A. J., Swenson, L. P., & Carlson, W. (2004). Friendships of Underwood, M. K. (2007). Introduction to the special issue „gender and
aggressive youth: Considering the influences of being disliked children’s friendships“. Do girls’ and boys’ friendships constitute
and of being perceived as popular. Journal of Experimental Child different peer cultures, and what are the trade-offs for develop-
Psychology, 88, 25–45. ment. Merrill-Palmer Quarterly, 53(3), 319–324.
Ruble, D. N. (1994). A phase model of transitions: Cognitive and Van den Berg, Y. H. M., Burk, W. J., & Cillessen, A. H. N. (2015).
motivational consequences. In M. P. Zanna (Hrsg.), Advances in Identifying subtypes of peer status by combining popularity
experimental social psychology (Bd. 26, S. 163–214). San Diego: and preference: A cohort-sequential approach. Journal of Early
Academic Press. Adolescence, 35(8), 1108–1137.
Salmivalli, C., Lagerspetz, K., Björkqvist, K., Österman, K., & Kaukiainen, van der Wilt, F., van der Veen, C., van Kruistum, C., & van Oers, B.
A. (1996). Bullying as a group process: Participant roles and their (2018). Why can’t I join? Peer rejection in early childhood
relations to social status within the group. Aggressive Behavior, 22, education and the role of oral communicative competence.
1–15. Contemporary Educational Psychology, 54, 247–254.
308 U. Kessels und B. Hannover
Van Noorden, T. H., Haselager, G. J., Cillessen, A. H., & Bukowski, W. Wentzel, K., Russell, S., & Baker, S. (2014). Peer relationships and
M. (2015). Empathy and involvement in bullying in children positive adjustment at school. In M. Furlong, R. Gilman, & E.
and adolescents: A systematic review. Journal of Youth and Huebner (Hrsg.), Handbook of positive psychology in schools (2.
Adolescence, 44(3), 637–657. Aufl., S. 260–277). New York: Routledge/Taylor & Francis Group.
von Salisch, M. (2000). Zum Einfluss von Gleichaltrigen (Peers) und Wilson, B. J., Petaja, H., & Mancil, L. (2011). The attention skills and
Freuden auf die Persönlichkeitsentwicklung. In: Amelang, M. academic performance of aggressive/rejected and low aggressive/
(Hrsg.), Determinanten individueller Unterschiede. Bd. 4 der Reihe popular children. Early Education and Development, 22(6), 907–930.
Differentielle Psychologie in der Enzyklopädie der Psychologie Youniss, J. (1980). Parents and peers in social development. A
(S. 345–405). Göttingen: Hogrefe. sullivan-piaget perspective. Chicago: University of Chicago Press.
Wachs, S., Hess, M., Scheithauer, H., & Schubarth, W. (2016). Mobbing Youniss, J. (1994). Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung.
an Schulen: Erkennen-Handeln-Vorbeugen. Stuttgart: Kohlhammer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Walper, S., Langmeyer, A., & Wend, E. V. (2015). Sozialisation in der Zimmer-Gembeck, M., Pronk, R., Goodwin, B., Mastro, S., & Crick, N.
Familie. In K. Hurrelmann, U. Bauer, M. Grundmann, & S. Walper (2013). Connected and isolated victims of relational aggression:
(Hrsg.), Handbuch Sozialisationsforschung (S. 364–392). Weinheim Associations with peer group status and differences between girls
und Basel: Beltz. and boys. Sex Roles, 68(5–6), 363–377.
Wentzel, K. (2017) Peer relationships, motivation, and academic per- Zych, I., Baldry, A. C., Farrington, D. P., & Llorent, V. J. (2019). Are
formance at school. In A. Elliot, C. Dweck, & D. Yeager (Hrsg.), children involved in cyberbullying low on empathy? A systematic
Handbook of competence and motivation: Theory and application review and meta-analysis of research on empathy versus different
(2. Aufl., S. 586–603). New York: Guilford Press. cyberbullying roles. Aggression and Violent Behavior, 45, 83–97.
12
309 V
Diagnostizieren und
Evaluieren
Inhaltsverzeichnis
14 Evaluation pädagogisch-psychologischer
Maßnahmen – 335
Olaf Köller
Pädagogisch-psychologische
Diagnostik
Oliver Wilhelm und Olga Kunina-Habenicht
Im Alltag schreiben wir Personen, die uns umgeben, häufig 13.1 Definition und Zielstellungen von
mit großer Selbstverständlichkeit bestimmte Ausprägungen Diagnostik
von Eigenschaften wie „Intelligenz“ oder „soziale Kompetenz“
zu. Die Datengrundlage und unsere Fähigkeit, zu zutreffenden 13.1.1 Definition pädagogisch-
Urteilen zu kommen, sind dabei oft unzureichend. Somit psychologischer Diagnostik
ermöglichen informelle Daten und unsere Urteilsfähig-
keit kaum zuverlässige und korrekte Aussagen über Nach Schmidt-Atzert und Amelang (2012, S. 4) dient die
nicht direkt beobachtbare psychische Eigenschaften wie psychologische Diagnostik der Beantwortung von Frage-
„Gewissenhaftigkeit“ oder „mathematische Begabung“. In stellungen, die sich auf die Beschreibung, Klassifikation,
diesem Kapitel werden wir darauf eingehen, wie wir in der Erklärung oder Vorhersage menschlichen Verhaltens
pädagogisch-psychologischen Diagnostik zu geeigneten und Erlebens beziehen. Sie schließt die gezielte Erhebung
Beobachtungen gelangen und darauf aufbauend fundierte von Informationen über das Verhalten und Erleben
diagnostische Beurteilungen abgeben können. Hierzu werden eines oder mehrerer Menschen sowie deren relevanter
zunächst Definitionen, Ziele und Anwendungsgebiete der Bedingungen ein. Die erhobenen Informationen werden
pädagogisch-psychologischen Diagnostik erörtert. In einem für die Beantwortung der Fragestellungen interpretiert.
zweiten Abschnitt werden methodische Grundlagen der Das diagnostische Handeln wird von psychologischem
Beurteilung diagnostischer Instrumente besprochen. Im Wissen geleitet. Zur Erhebung von Informationen werden
dritten Abschnitt gilt die A ufmerksamkeit der Beurteilung Methoden verwendet, die wissenschaftlichen Standards
und exemplarischen Darstellung verschiedener Informations- genügen.
quellen und -arten (. Abb. 13.1). Diese Definition stimmt weitgehend mit zahlreichen
weiteren Auffassungen zur psychologischen Diagnostik
überein. Die Abgrenzung zwischen pädagogisch-psycho-
logischer und psychologischer Diagnostik wird kontrovers
diskutiert. Während Klauer (1982, S. XI) behauptet, dass
„die pädagogische Diagnostik aus der psychologischen
Diagnostik herausgewachsen ist“, vertreten Autoren wie
Ingenkamp und Lissmann (2005, S. 12) die Meinung, dass
„die pädagogische Diagnostik nach ihren Angaben, Zielen
und Handlungsfeldern immer eigenständig war“. Wir ver-
13 treten die Auffassung, dass zwischen psychologischer und
pädagogisch-psychologischer Diagnostik große Über-
lappungen bezüglich der grundsätzlichen Problemlage und
der angewandten Methoden bestehen. Eine erste Besonder-
heit in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
entsteht durch den pädagogischen, schulischen oder
bildungspolitischen Charakter der Probleme, die typischer-
weise an sie herangetragen werden. Eine zweite Besonder-
heit besteht in der starken Orientierung auf Fragen der
Veränderbarkeit. In 7 Abschn. 13.1.3 gehen wir genauer
auf wichtige Anwendungsfelder der pädagogisch-psycho-
logischen Diagnostik ein.
Diagnostik soll zur Lösung praktischer Probleme bei-
tragen. Allerdings werden beispielsweise Entscheidungen
über Schullaufbahnen, Platzierungen in der beruf-
lichen Weiterbildung, die Hochschulzulassung oder den
Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten im schulischen
Kontext oft ohne die Berücksichtigung der Expertise der
pädagogisch-psychologischen Diagnostik getroffen. Damit
die pädagogisch-psychologische Diagnostik zukünftig bei
solchen Entscheidungen stärker einbezogen wird, sollte ihr
. Abb. 13.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) Nutzen nachvollziehbar aufgezeigt werden.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
313 13
Definition während des Therapieverlaufs. Methodisch spielen hier
Der Einsatz von pädagogisch-psychologischer insbesondere Aspekte der Einzelfallanalyse (Köhler 2008)
Diagnostik soll bei der Lösung praktischer und der Veränderungsmessung (Fitzmaurice et al. 2011;
pädagogischer, schulischer oder bildungs- McArdle 2009) eine deutlich größere Rolle als bei der
bezogener Probleme und Fragestellungen helfen. Statusdiagnostik.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik bezieht sich Eine diagnostische Untersuchung dient häufig dem
auf einzelne Merkmalsträger, in der Regel Personen. Zweck, eine Veränderung (Modifikation) von Bedingungen
Von den Merkmalsträgern werden Ausprägungen oder Verhaltensweisen aufzuzeigen. Die Konzepte der
interessierender Merkmale und Konstrukte gemessen. Selektions- und Modifikationsdiagnostik stellen die zweite
Hierzu werden unterschiedliche Verfahrensklassen wichtige Dimension der Taxonomie von Pawlik dar.
(Leistungstests, Fragebögen, Interviews etc.)
eingesetzt. Die gewonnene Information wird mit Selektionsdiagnostik Ein typisches Beispiel für die
möglichst transparenten, nachvollziehbaren und Personenselektion ist die Auswahl geeigneter Kandidaten
problemadäquaten Methoden zu einem Urteil für die Zulassung zu Universitäten für Studiengänge,
verdichtet. bei denen die Anzahl der Bewerber die Anzahl der vor-
handenen Studienplätze deutlich übersteigt. Im Vorder-
grund steht hierbei die Maximierung des Nutzens für die
jeweilige Hochschule.
13.1.2 Diagnostische Ziele In der Berufsberatung werden die Intensität und das
Profil fachlicher Interessen und Kenntnisse ermittelt, um
Bei der Beantwortung einer diagnostischen Fragestellung die Auswahl von passenden Bedingungen (Bedingungs-
können unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Pawlik selektion) – mögliche Ausbildungsberufe oder Studien-
(1982) hat eine hilfreiche Taxonomie diagnostischer richtungen – zu ermöglichen, die am besten auf die
Probleme vorgeschlagen, in der folgende Dimensionen jeweilige Person zugeschnitten sind. Hier werden also
unterschieden werden: Fragen der optimalen Platzierung adressiert mit dem Ziel,
5 Status- versus Prozessdiagnostik den Nutzen für Klienten zu maximieren.
5 Selektions- versus Modifikationsdiagnostik
5 kriteriums- versus normorientierte Diagnostik. Modifikationsdiagnostik Während einer Verhaltens-
therapie eines Grundschulkindes, bei dem eine Rechen-
Eine wichtige Dimension zur Charakterisierung diagnostischer schwäche (Dyskalkulie) diagnostiziert wurde, steht
Probleme ist nach dieser Taxonomie zunächst die Unter- dagegen die Modifikation des Verhaltens im Vordergrund.
scheidung zwischen 7 Statusdiagnostik und 7 Prozess- Während der Therapie werden häufige Fehlerquellen beim
diagnostik. Lösen von Rechen- und Sachaufgaben aufgezeigt. Der
Therapeut erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem Kind
Statusdiagnostik Sehr häufig ist bei der Beantwortung und seinen Eltern in verschiedenen Übungen adäquate
diagnostischer Fragestellungen die Ausprägung der Strategien, die das Ausmaß und die Auswirkungen der
interessierenden Eigenschaft zum gegebenen Zeitpunkt Rechenschwäche mildern sollen.
ausschlaggebend. Diese typische Fragestellung ist der sog. Bei der Entscheidung, welche weiterführende Schule
Statusdiagnostik zugeordnet. Die untersuchten Merkmale nach der Grundschule besucht werden soll, handelt es sich
sind dabei nicht direkt beobachtbar, sondern führen im auf den ersten Blick um Bedingungsmodifikation. Hier
Sinne einer Verhaltensbereitschaft dazu, dass Personen in soll für die betreffende Person eine optimale Situations-
ähnlichen Situationen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit veränderung bzw. Platzierung herbeigeführt werden.
ähnlich handeln. So sind bspw. extravertierte Menschen Neben diesem Platzierungsaspekt spielt jedoch auch
in den meisten sozialen Situationen aufgeschlossen der Selektionsaspekt eine wichtige Rolle. Mit der Ent-
und gesellig. Somit wird in der Statusdiagnostik eine scheidung, ob ein Kind die Haupt-, Realschule oder das
wenigstens mittelfristige zeitliche und situative Stabilität Gymnasium besuchen soll, wird auch über zukünftige
der untersuchten Merkmale vorausgesetzt. Ein typisches Bildungs- und Berufsmöglichkeiten entschieden, da
Beispiel für Statusdiagnostik ist die Untersuchung von eine Auswahlentscheidung getroffen wird, die dem Kind
Studienplatzbewerbern bezüglich der Eignung für ein optimale Fördermöglichkeiten bieten soll. Verschiedene
bestimmtes Hochschulstudium. Formen möglicher Fehlentscheidungen erörtern wir kurz
in 7 Abschn. 13.2.4.
Prozessdiagnostik Die Prozessdiagnostik beschäftigt sich Ein weiteres wichtiges Problem bei der Klärung eines
im Gegensatz zur Statusdiagnostik mit der Beurteilung diagnostischen Problems betrifft die Frage, nach welchem
spontaner oder gezielt herbeigeführter Veränderungen über Standard Ausprägungen gemessener Merkmale beurteilt
einen Zeitraum. Ein typisches Beispiel ist die Untersuchung werden (Klauer 1987; Pawlik 1982). Die dritte bedeutsame
der Veränderung sprachlicher Denkleistungen eines Schul- Dimension nach Pawlik stellt daher die Differenzierung
kindes, das an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet, zwischen kriteriums- und normorientierter Diagnostik dar.
314 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
Kriteriumsorientierte Diagnostik Bei der Vergabe von einer Eins bewertet wird. Für viele praktische Probleme
Bildungszertifikaten liegt bspw. ein klar definiertes in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik liegt
und sachlich motiviertes Kriterium vor, das für die also faktisch eine Mischung aus norm- und kriterien-
Zertifikaterteilung wenigstens erreicht werden muss. In orientierter Diagnostik vor.
solchen Fällen spricht man von kriteriumsorientierter
Diagnostik, da hierbei die Leistung der jeweiligen Person
im Vergleich zu einem definierten Kriterium bewertet 13.1.3 Anwendungsgebiete und
wird. Hier geht es also primär um die Frage, welche Nachbardisziplinen der
Personen das festgelegte Kriterium erreichen oder über- pädagogischen Diagnostik
schreiten. Die Unterschiede zwischen Personen sind
bei diesem methodischen Ansatz von untergeordneter Die Anwendungsgebiete der pädagogisch-psychologischen
Bedeutung. Bei einer beruflichen Weiterbildung mit Diagnostik reichen von der Beurteilung der Einschulungs-
Erteilung eines Zertifikats wird z. B. festgestellt, ob ein reife über Fragen der Berufsberatung bis zur Diagnose von
Mitarbeiter die inhaltlichen Vorgaben der Prüfung erfüllt Teilleistungsstörungen. Dabei können sich Berührungs-
und damit nachgewiesen hat, die infrage stehenden punkte mit klinisch-psychologischen Problemen, etwa bei
Leistungen im beruflichen Alltag erbringen zu können. der Diagnose von Teilleistungsschwächen oder Selektions-
Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob andere Personen problemen, ergeben, wie sie häufig von der Arbeits- und
eventuell noch bessere Leistungen gezeigt haben. Organisationspsychologie bearbeitet werden, etwa bei der
Regelung des Hochschulzugangs. Wenn sich Diagnostik
Normorientierte Diagnostik Bei der normorientierten nicht auf einzelne Personen bezieht, sondern etwa auf
Diagnostik wird den Unterschieden zwischen Personen Organisationen wie Schulen, ist für die pädagogische
besondere Beachtung geschenkt. Hier werden die Aus- Diagnostik von solchen Systemen ein Transfer von Know-how
prägungen auf interessierenden Merkmalen mit einer aus anderen diagnostischen Teildisziplinen notwendig – etwa
relevanten Bezugsgruppe verglichen. So wird bspw. die aus der Organisationspsychologie (Felfe und Liepmann 2008).
Leistung eines 11-jährigen Jungen in einem Intelligenztest Ein wichtiges Teilgebiet der pädagogisch-psychologischen
im Vergleich zu anderen Jungen innerhalb seiner Alters- Diagnostik befasst sich mit Entscheidungen, die Bildungs-
gruppe bewertet. laufbahnen betreffen. In diesem Teilgebiet relevant sind die
Neben dem Vergleich mit sachlichen und sozialen folgenden diagnostischen Fragestellungen:
Bezugsnormen kann auch der Vergleich innerhalb 5 zur Einschulung
5 zur Lernbehinderung
13 von Personen (sog. intraindividueller Vergleich) vor-
5 zu Teilleistungsstörungen
genommen werden. Hier stehen die relative Stärke ver-
schiedener Merkmalsausprägungen – ein Profil – zu einem 5 zu Verhaltensauffälligkeiten
Zeitpunkt oder der Vergleich der Stärke einer Merkmals- 5 zur Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
ausprägung zu verschiedenen Messzeitpunkten im Vorder- 5 zur Hochbegabung
grund. Während diese intraindividuellen Vergleiche in den 5 zum Hochschulzugang
letzten Jahren verstärkt erforscht werden (z. B. Brehmer 5 zur Berufsberatung
und Lindenberger 2007), werden sie in der diagnostischen 5 zur beruflichen Weiterbildung.
Praxis relativ selten angewandt. Im Rahmen von
pädagogischen Förder- und Lernprogrammen sowie Inter- Einschulung
ventionsstudien erfolgt meist der Vergleich mit sachlichen In der Einschulungsdiagnostik sollen soziale, emotionale,
Kriterien oder sozialer Bezugsnorm. motorische und kognitive Kompetenzen einzuschulender
Viele praktisch auftretende diagnostische Frage- Kinder beurteilt werden. Die in der Praxis eingesetzten Test-
stellungen lassen sich diesen diagnostischen Zielen jedoch verfahren bilden jedoch vorrangig kognitive Kompetenzen
nicht eindeutig zuordnen. Ein anschauliches Beispiel ist ab. Bei niedrig ausgeprägten Kompetenzen kann ein Kind
die Bewertung einer Klassenarbeit in einer Schulklasse. vom Schulbesuch für ein Schuljahr zurückgestellt werden,
Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der ggf. können Kinder bei stark ausgeprägten Kompetenzen
Leistungsbewertung sowohl die in den Lehrplänen vor- nach entsprechender diagnostischer Klärung auch früh-
gegebenen Lernziele als auch die Leistung des Schülers zeitig eingeschult werden (für eine Übersicht zu aktuellen
im Vergleich zum allgemeinen Klassenniveau berück- Regelungen s. Faust 2006). Traditionelle Einschulungs-
sichtigt werden (Tent 1998; Ingenkamp 1995). Weitere diagnostik ist mit zwei Kernproblemen konfrontiert. Zum
Studien zeigen, dass die herangezogenen Kriterien zu einen verhindert die verzögerte Einschulung das, was Kinder
Leistungsbewertungen in der Sekundarstufe II in ver- mit schwächer ausgeprägten Kompetenzen besonders nötig
schiedenen Bundesländern und an verschiedenen haben: schulische Förderung. Zum anderen ist die Anzahl
Schultypen (z. B. Gesamtschule vs. Gymnasium) stark der Fehlentscheidungen schon dann gering, wenn fast alle
schwanken (Köller et al. 1999). So kann bspw. in Bayern Personen eine bestimmte Ausprägung aufweisen. Dann kann
für eine konkrete Klassenarbeit eine Drei vergeben es sich kaum lohnen Diagnostik zu betreiben. Wenn bei-
werden, während die gleiche Leistung in Hamburg mit spielsweise fast alle Kinder einer Gruppe für die Einschulung
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
315 13
„geeignet“ sind, begeht man sehr wenige Fehler, wenn alle und emotionale Störungen des Kindesalters. Die
Kinder eingeschult werden. Den Fehleranteil – bspw. 5 % – Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
zu verringern wird aufwendige Diagnostik erfordern und ist eine in der Regel im Kindesalter beginnende psychische
den Fehler nur geringfügig senken können (günstigsten- Störung, die primär durch leichte Ablenkbarkeit, schwach
falls um 5 % auf 0 %). Probleme dieser Art werden in ausgeprägtes Konzentrations- und Aufmerksamkeits-
7 Abschn. 13.2.4 näher diskutiert. vermögen sowie leichte Reizbarkeit gekennzeichnet ist –
häufig in Kombination mit Hyperaktivität (motorische
Lernbehinderung Unruhe bzw. übermäßiger Bewegungsdrang). ADHS
Lernbehinderung ist ein wissenschaftlich wenig präziser wird bei 3–10 % der Kinder diagnostiziert, wobei Jungen
Begriff, der auf ca. 2,5 % aller Kinder eines Geburtsjahr- unter den betroffenen Kindern deutlich überrepräsentiert
gangs angewandt wird um auszudrücken, dass die Kinder sind (WHO und Dilling 2008). In der ICD-10 (ICD-10
dem Regelschulunterricht nicht hinreichend folgen können. und DSM-5 sind zwei wesentliche Klassifikationssysteme
Die Diagnose einer Lernbehinderung ist im Wesentlichen psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation
an eine normorientierte Klassifikation von Intelligenz- und der American Psychiatric Association) werden unter
messungen geknüpft. Die Diagnose der Lernbehinderung Störungen des Sozialverhaltens sich wiederholende und
wird erschwert durch regionale Variationen eingesetzter andauernde Muster mutwilligen dissozialen, aggressiven
Verfahren und verwendeter Normen und Kriterien oder aufsässigen Verhaltens verstanden. Diese Störungen
(Borchert 2000; Kanaya et al. 2003; Moog und Nowacki zählen zu den häufigsten im Kindes- und Jugendalter
1993). Ein weiteres gravierendes Problem betrifft die starke diagnostizierten Störungen und treten oft zusammen mit
Überlappung der Sonderschulzugehörigkeit mit sozioöko- ADHS auf (WHO und Dilling 2008). Zu emotionalen
nomischem Status und der unzureichenden Trennung der Störungen des Kindesalters zählt insbesondere Angst, die
Intelligenzverteilungen von Haupt- und Sonderschülern. durch bestimmte, im Allgemeinen ungefährliche Objekte
hervorgerufen wird. Diese Störungsgruppe umfasst u. a.
Teilleistungsstörungen phobische Störungen, soziale Ängstlichkeit und Trennungs-
In Abgrenzung zur Lernbehinderung oder Intelligenz- angst. Diese Störungen treten besonders häufig zusammen
minderung sind kognitive Teilleistungsstörungen auf mit depressiven Störungen auf (WHO und Dilling 2008).
Beeinträchtigungen in spezifischen Bereichen beschränkt. Die zuverlässige Erfassung der für die jeweilige Diagnose
Häufig wird diesen isolierten Beeinträchtigungen dadurch in den internationalen Klassifikationssystemen definierten
Rechnung getragen, dass Teilleistungsstörungen nur bei notwendigen und optionalen Kriterien gestaltet sich in der
ansonsten unbeeinträchtigter Intelligenz vorliegen können Praxis häufig schwierig. Die Methode der Wahl ist die Ver-
(DSM-5, ICD 10). Eine Implikation dieses Grundsatzes haltensbeobachtung in problematischen Situationen. Da
ist, dass weniger intelligente Kinder per Definition keine dies nicht immer möglich ist, muss der Therapeut in vielen
kognitiven Teilleistungsstörungen aufweisen können. Eine Fällen auf die Fremdbeurteilung durch die Bezugspersonen
weitere Implikation besteht darin, dass ein bestimmter Pro- vertrauen, die jedoch subjektiv gefärbt ist. Die gebräuch-
zentsatz der Kinder mit unbeeinträchtigter Intelligenz aber lichen diagnostischen Kriterien und auch die verfügbaren
unterdurchschnittlichen Leistungen in einem spezifischen diagnostischen Instrumente unterscheiden sich ein wenig.
Teilbereich per Definition eine Teilleistungsstörung auf- Lernbehinderungen, Teilleistungsstörungen und Ver
weisen muss. haltensauffälligkeiten sind auch die vorrangigen Beschäf
Lese-Rechtschreib-Störungen und Dyskalkulie sind tigungsfelder der Erziehungsberatung. Trotz dieser
die beiden schwerwiegendsten Teilleistungsstörungen. Für Fokussierung ist in der Erziehungsberatung im Grunde
beide Störungen liegt eine Fülle bewährter Messinstrumente die ganze Bandbreite der pädagogisch-psychologischen
und erfolgserprobter Behandlungsmethoden vor (Bakker Diagnostik relevant. In der Regel handelt es sich in der
2006; Kaufmann 2008; 7 Kap. 17). Erziehungsberatung um Interventionen in Einzelfällen,
In eher auf Störungen und Schwierigkeiten fokussierten bei denen sorgfältige Diagnostik und intensive Qualitäts-
Teilgebieten der pädagogisch-psychologischen Diagnostik kontrolle besonders bedeutsam sind (7 Kap. 18).
werden die Berührungspunkte mit der klinischen Psycho-
logie offensichtlich. Diagnose und Intervention bei Ver- Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
haltensauffälligkeiten wie hyperaktivem Verhalten (ADHS) Die je nach Bundesland zwischen der 4. und 6. Klassen-
oder Störungen des Sozialverhaltens stehen hier im Vorder- stufe erfolgende Zuordnung zur weiterführenden Schule
grund der praktischen Arbeit. in der Sekundarstufe ist weitgehend am Schulleistungsver-
mögen bzw. der Intelligenz der Kinder orientiert (Maaz
Verhaltensauffälligkeiten et al. 2008). Aus der Perspektive vieler Eltern ist mit der
Die in der pädagogischen Praxis am häufigsten auf- Schulformzuordnung weniger eine optimale Platzierung
tretenden Verhaltensauffälligkeiten lassen sich drei als vielmehr eine Selektion verknüpft. Tatsächlich ist auch
Störungsgruppen zuordnen: Aufmerksamkeits- und Kon mit einer Haupt- oder Realschulempfehlung die Chance,
zentrationsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens das Abitur zu absolvieren, grundsätzlich gegeben. Jedoch
316 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
Reliabilität
Die Reliabilität eines Messverfahrens gibt dessen Zuverlässig-
keit an. Traditionell werden drei Reliabilitätsarten unter-
13.2.2 Gütekriterien zur Beurteilung
schieden: Stabilität, Äquivalenz und I nter-Item-Konsistenz.
psychologischer Messverfahren Bei der Stabilität interessiert insbesondere, inwiefern
in der Zeit zwischen zwei Testungen Effekte wirken, die
In der Praxis werden im Rahmen der pädagogisch- die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindern. Wird ein Ver-
psychologischen Diagnostik häufig verschiedene Messver- fahren bei ein und derselben Person mehrfach eingesetzt,
fahren (z. B. Fragebögen oder Leistungstests) eingesetzt, so variiert die individuelle Leistung bei diesen Messwieder-
die für die konkrete diagnostische Fragestellung relevante holungen auch unter strikt kontrollierten Bedingungen
Merkmale erfassen. Zur Messung der interessierenden abhängig von Zufallsfaktoren wie Tageszeit, Stimmung und
Konstrukte können meist ebenfalls unterschiedliche Ver- Wohlbefinden. Zahlreiche Lern- und Gedächtniseffekte
fahren herangezogen werden. Daher stellt sich in der können die Leistungen bei Messwiederholungen beein-
Praxis häufig die Frage, welches Verfahren für die konkrete flussen. Die beobachteten Werte einer Person zu zwei ver-
Fragestellung angemessen ist. Als wesentliche Aspekte zur schiedenen Zeitpunkten unterscheiden sich auch dann,
Beurteilung der Qualität von Messverfahren werden in der wenn die Ausprägung des interessierenden Merkmals dieser
psychologischen Diagnostik häufig drei Kriterien heran- Person sich nicht verändert hat. Da das Ausmaß des Mess-
gezogen: 7 Objektivität, 7 Reliabilität und 7 Validität. fehlers einer einzigen Testung in der Regel nicht abschätz-
Wir besprechen zunächst kurz das Kriterium Objektivität bar ist, geht man bei Untersuchungen zur Reliabilität im
und gehen dann etwas ausführlicher auf Reliabilität und Sinne der zeitlichen Stabilität vereinfachend davon aus, dass
Validität ein. Messfehler über mehrere Messzeitpunkte zufällig entstehen
und nicht vorhersehbar sind. Messfehler können jedoch
Objektivität auch systematisch auftreten, etwa wenn einige Bewerber
Objektivität ist ein wesentlicher Aspekt der Messquali- sich aufgrund von hoher Gewissenhaftigkeit nach der ersten
tät psychologischer Testverfahren und nach Lienert Leistungstestung intensiv auf die Folgetestung vorbereiten.
(1969) zu verstehen als der Grad, in dem Testergeb- Die Korrelation von Erst- mit Wiederholungstestung wird
nisse unabhängig vom Untersucher sind. Laut Lienert auch Stabilitätskoeffizient genannt. Dieser Reliabilitäts-
spiegelt sich die Unabhängigkeit des Untersuchers in drei aspekt wird in der Literatur auch als Retest-Reliabilität
Aspekten wider: der Objektivität der Durchführung, der bezeichnet. In den Stabilitätskoeffizienten geht eine Fülle
Auswertung und der Interpretation. Diese drei Aspekte von teils zusammenhangsteigernden Aspekten (etwa
können bei Frvagebögen und Leistungstests sichergestellt direkte Erinnerung an Angaben aus der Ersttestung) und
werden, indem z. B. standardisierte Vorgaben für die teils zusammenhangsenkenden Aspekten ein (etwa tatsäch-
Durchführung und Auswertung des jeweiligen Instruments liche Merkmalsänderungen zwischen den Testungen oder
in Form von Instruktionen für Testdurchführung und Wirkungen von Interventionen).
320 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
Die meisten Leistungstests oder Fragebögen bestehen American Psychological Association (AERA et al. 2014)
aus mehreren Fragen bzw. Aufgaben. Beim Aspekt der Äqui- für psychometrische Tests anlehnen, wird auf diese Unter-
valenz interessiert insbesondere, inwiefern die Zuordnung scheidung bewusst verzichtet, wobei die oben genannten
der einzelnen Aufgaben zu Paralleltests (z. B. zu Form A Validitätsaspekte in die umfassendere Konzeption von
und B) die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindert. Ein Messick (1989) integriert wurden.
optimales diagnostisches Verfahren sollte bei ein und der-
selben Person zu gleichen Ergebnissen führen, unabhängig Definition
davon, welche Testform die Person bearbeitet hat. In den APA-Standards (2002) wird Validität als eine
Beim Aspekt der Inter-Item-Konsistenz wird der Gedanke Eigenschaft der Testwerte verstanden. Validität
des Einflusses von mehreren Testformen aufgegriffen und auf gibt den Grad an, zu dem die empirischen Belege
die Ebene der einzelnen Aufgaben erweitert. Das bedeutet, und theoretischen Sachverhalte die beabsichtigte
dass es hier konkret darum geht, inwieweit die einzelnen Auf- Interpretation der Testwerte unterstützen.
gaben zuverlässig das gleiche Konstrukt messen. In der Praxis
wird die interne Konsistenz noch häufig als Cronbach’s
Alpha (Cronbach 1951) bestimmt. Nach Messick (1989) lassen sich mindestens zwei mit-
Zur Beurteilung der Reliabilität und insbesondere einander zusammenhängende Fragen unterscheiden, mit
der Inter-Item-Konsistenz werden in der Literatur ver- denen sich die Validitätsprüfung befassen kann:
schiedene Koeffizienten (z. B. Cronbach’s Alpha) und 5 Gibt es Belege, die die beabsichtigte Interpretation bzw.
Richtwerte (häufig .70 oder höher) vorgeschlagen. Zunächst Bedeutung der Testwerte unterstützen?
ist jedoch zu beachten, dass Koeffizienten betrachtet 5 Gibt es Hinweise darauf, dass diese Testwerte relevant
werden, die der jeweiligen Fragestellung angemessen sind und nützlich in Bezug auf bestimmte praktische
(etwa Stabilität versus Konsistenz). Bei der Auswahl von Anwendungen sind?
Instrumenten ist aber auch zu berücksichtigen, dass die
gleich zu besprechende Validität gegenüber der Reliabili- Zur Beantwortung der ersten Frage sollte man das
tät in aller Regel den Vorrang erhalten sollte. Wir vertreten interessierende Konstrukt und die damit zusammenhängende
die Ansicht, dass die Vorgabe von Richtwerten praktischen Interpretation der Messwerte genau definieren und von anderen
Anforderungen nicht gerecht wird. Sofern nur sehr wenig Konstrukten abgrenzen. Diese detaillierte Definition erlaubt es,
Zeit für die Erhebung von Informationen zur Verfügung ein konzeptuelles Rahmensystem (sog. „nomologisches Netz“)
steht – etwa in der Umfrageforschung –, sind auch niedrige zu entwickeln. Basierend auf theoretischen Überlegungen,
13 Reliabilitäten hinnehmbar, insbesondere wenn die Alter- lassen sich Hypothesen über die Zusammenhänge in diesem
native darin bestünde, überhaupt keine Information zu Rahmensystem ableiten, die gelten müssten, wenn die Test-
bekommen. Zusammengenommen bestehen diagnostische werte im beabsichtigten Sinne interpretiert werden können.
Herausforderungen oft darin, unter extern gesetzten So würde man beispielsweise erwarten, dass die Testwerte aus
Maßgaben bzgl. verfügbarer Ressourcen inhaltlich und einem neu entwickelten Mathematiktest höher mit anderen
psychometrisch optimierte Informationen zusammenzu- Mathematiktests korrelieren als mit einem Leseverständnis-
tragen. oder Intelligenztest.
Die zweite Frage zielt darauf ab zu klären, ob Zusam
Validität menhänge zwischen den Testwerten und praktisch
Validität ist das entscheidende und zentrale Gütekriterium relevanten Kriterien (z. B. Schulnoten) bestehen. So
bei der Bewertung und Auswahl geeigneter Messver- sollte z. B. ein neu entwickelter Mathematiktest eine hohe
fahren in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. In Korrelation mit der Mathematiknote aufweisen.
der Literatur werden unterschiedliche Konzeptionen des Relevante Evidenz für die Validität eines Tests kann
Validitätsbegriffs diskutiert. nach APA-Standards in mehrere Kategorien eingeteilt
werden:
Definition 5 Testinhaltsanalysen sollen die Beurteilung der Passung
zwischen dem zugrunde liegenden Konstrukt und den
Eine weit verbreitete Definition der Validität lautet:
Validität ist das Ausmaß, zu dem ein Test das misst, was
konstruierten Testaufgaben erlauben. Diese Passung
er zu messen vorgibt. Validität ist in diesem Verständnis
kann zum einen durch streng theoriegeleitete Auf-
eine Eigenschaft des Tests.
gabenkonstruktion sichergestellt werden. Zum anderen
können Expertenbefragungen durchgeführt werden,
bei denen die Repräsentativität und Adäquatheit der
In älteren Konzeptionen, die mit dieser Auffassung ver- Aufgaben beurteilt wird. Praktisch bedeutet das, dass
einbar sind, wurde zwischen verschiedenen Validitäts- im Handbuch eine Definition des interessierenden
arten – Inhalts-, Übereinstimmungs-, bzw. Vorhersage- und Merkmals sowie Angaben zu dessen theoretischer
Konstruktvalidität – unterschieden (American Psychological Einordnung enthalten sein sollten. Ferner sollten
Association 1954). In der neueren Konzeption von Messick Informationen zum Vorgehen bei der Aufgabenent-
(1989), an die sich auch die aktuellen Standards der wicklung verfügbar sein.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
321 13
5 Zusammenhänge mit anderen Variablen erlauben Definition
Schlüsse über konvergente, diskriminante und prä- Borsboom et al. (2004) definieren Validität
diktive Validität in einem nomologischen Netzwerk konstruktbezogen. Ein Test ist demnach für die
und sollten in einem Handbuch unbedingt berichtet Erfassung eines bestimmten Konstruktes valide, wenn
werden. Leistungstests (z. B. verschiedene Mathematik- a) dieses Attribut existiert und
tests), die auf das gleiche psychologische Konstrukt b) die Variation in diesem Konstrukt die Variation in
(mathematische Begabung) abzielen, sollten hohe den gemessenen beobachteten Variablen kausal
Korrelationen untereinander aufweisen. In diesem verursacht.
Fällen spricht man von konvergenter Validität. Um
sicherzugehen, dass ein Messinstrument ein spezi-
fisches Konstrukt (z. B. arithmetische Fähigkeiten) Borsboom et al. (2004) argumentieren weiter, dass es nicht
erfasst, das von anderen Konstrukten abgegrenzt ausreicht, die Konstruktvalidität durch korrelative Zusammen-
werden kann, werden auch Zusammenhänge zu hänge im nomologischen Netz bzw. zu Außenkriterien
anderen Konstrukten aus dem nomologischen Netz- zu begründen, sondern zeigen auf, dass eine umfassende
werk (z. B. allgemeine kognitive Leistungen, Lesever- theoretische Definition und Einordnung des interessierenden
ständnistest etc.) betrachtet. In diesem Fall spricht Konstrukts zentral für die Validierung ist. Inhaltlichen Über-
man von diskriminanter oder divergenter Validität. legungen bei der Konstruktion von Messinstrumenten kommt
Diese Zusammenhänge sollten deutlich geringer sein in diesem Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zu.
als Zusammenhänge, die konvergente Validierung Ausgehend von den älteren Validitätskonzeptionen (APA
reflektieren. Der Multi-Trait-Multi–Method-(MTMM-) 1954) hat sich in jüngerer Vergangenheit damit ein Validi-
Ansatz erlaubt die simultane Prüfung konvergenter tätsverständnis durchgesetzt, das weniger an der Vorher-
und diskriminanter Validitätsaspekte (Eid und Diener sagemaximierung interessiert ist als an adäquat begründeten
2006). Zusätzlich sollten die Testleistungen (z. B. in Messungen von Personeneigenschaften.
einem Schulleistungstest) mit relevanten Kriterien (z. B.
Schulnoten) korrelieren. In diesem Fall spricht man von Weitere relevante Gütekriterien
Vorhersage- bzw. prädiktiver Validität. So sollten Hoch-
Bei der Beurteilung diagnostischer Messverfahren sollten
schulzulassungstests die späteren Studienleistungen
alle drei beschriebenen Gütekriterien gleichwertig berück-
möglichst gut vorhersagen.
sichtigt werden, da sie sich gegenseitig bedingen. Objektivi-
5 Bei der Analyse der internen Teststruktur steht die
tät ist eine wesentliche Voraussetzung für die Reliabilität
Struktur des interessierenden Merkmals im Vorder-
eines Tests. Reliabilität ist eine wesentliche Voraussetzung
grund. Dazu werden Zusammenhänge zwischen den
für die Validität eines Verfahrens, d. h. ein unreliables Ver-
einzelnen Aufgaben bzw. einzelnen Testskalen näher
fahren kann nicht im oben beschriebenen Sinne valide sein.
untersucht. Hierbei wird empirisch geprüft, ob ein
In der Praxis lassen sich Objektivität und Reliabilität anhand
Test ein oder mehrere latente Konstrukte erfasst.
der oben vorgeschlagenen Hinweise bzw. Schwellenwerte
Dazu sollten in einem Handbuch Ergebnisse aus
relativ einfach beurteilen, während die Bewertung der
konfirmatorischen Strukturgleichungsmodellen oder
Validität oft anspruchsvoller ist. Neben diesen drei Güte-
probabilistischen Item-Response-Modellen berichtet
kriterien sind in der Praxis die Qualität der Normierung
werden (vgl. dazu 7 Abschn. 13.2.3).
und Kosten-Nutzen-Verhältnis als weitere Aspekte für die
5 Analysen individueller Strategien sollen detailliert
Beurteilung der Testverfahren von Bedeutung.
Aufschluss geben über Prozesse, die bei der Bearbeitung
Der im Test erzielte Gesamtwert wird in der Regel
der Testaufgaben beteiligt sind. Dies kann z. B. über die
anhand der Normwerte, die für ein Verfahren im Hand-
Methode des lauten Denkens erfolgen, bei der Versuchs-
buch enthalten sein sollten, eingeordnet. Bei der Auswahl
personen ihre Vorgehensweise bei der Lösung der Auf-
des geeigneten Verfahrens sollte darauf geachtet werden,
gabe kommentieren bzw. verbalisieren. Ferner kann die
dass für das Instrument aktuelle Normen für die relevante
Verwendung bestimmter Lösungsstrategien per Frage-
Zielgruppe vorliegen. Sind die Normen deutlich älter als
bogen erfasst werden. Solche Validitätshinweise werden
zehn Jahre, ist das Verfahren veraltet. Richtet sich das
in der Praxis selten in einem Handbuch berichtet.
Verfahren an die relevante Zielgruppe? So sollte z. B. für
Hauptschüler kein Intelligenztest verwendet werden, der
Borsboom et al. (2004) kritisieren den Validitätsansatz von ausschließlich an Gymnasialschülern oder Erwachsenen
Messick und argumentieren, dass Validität eine Eigenschaft normiert wurde. Wichtig ist auch, dass die untersuchte
des Tests und nicht wie von Messick (1989) vorgeschlagen Normstichprobe ausreichend groß und repräsentativ für die
eine Eigenschaft der Testwerte ist. angestrebte Zielgruppe ist. So sollte z. B. ein Intelligenztest
322 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
für die Sekundarstufe I Normen für alle Schultypen (Haupt- den in der Testkonstruktion bzw. Operationalisierung
schule, Realschule, Gymnasium) enthalten. eigentlich zu lösenden Problemen nicht hinreichend gerecht.
Zum anderen spielen Überlegungen zum K osten- Theoretisch und methodisch fundierte Testentwicklung
Nutzen-Verhältnis des Verfahrens eine wichtige Rolle. erfordert ein umfassendes Domänenwissen und eine
Bei der Auswahl der diagnostischen Instrumente sollten fundierte statistische Methodenausbildung. Testtheoretische
angesichts der begrenzten Zeit, die für die diagnostische Überlegungen und das Verständnis wesentlicher statistischer
Untersuchung zur Verfügung steht, der zeitliche und Auswertungsmethoden stellen einen grundlegenden Pfeiler
ggf. finanzielle Aufwand (z. B. wenn mehrere Beurteiler der pädagogisch-psychologischen Diagnostik dar. Die
herangezogen werden) der Durchführung gegen den zu inhaltliche Expertise für die in Frage stehenden Messungen
erwartenden Nutzen bzw. Informationsgewinn abgewogen ist, wie bereits betont, ebenfalls von ausschlaggebender
werden. Etwas allgemeiner gesprochen kann bei der Bedeutung. Ohne inhaltliche Expertise ist es unmöglich,
Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der (auch Messinstrumente nach dem aktuellen Stand der Wissen-
monetäre) Netto-Nutzen diagnostischer Anstrengungen schaft zu entwickeln. Inhaltliche Expertise ist auch erforder-
analysiert werden (Brogden 1949; Cronbach und Gleser lich, wenn es um die Deutung von Testergebnissen geht. Zu
1965; Holling und Reiners 1999). viele Messinstrumente in der psychologischen Diagnostik
tragen identische oder sehr verwandte Etiketten ohne tat-
Probleme in der Praxis und Forschung sächlich Gleiches abzubilden. Verschiedene Instrumente, die
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik werden das Schlagwort „Aufmerksamkeit“ enthalten, bilden zum
Entscheidungen getroffen, die weitreichende Konsequenzen Teil recht verschiedene Denkleistungen ab (die sog. Jingle-
für die betroffenen Personen oder Organisationen nach Fallacy; Thorndike 1904). Der umgekehrte Fall, dass Test-
sich ziehen können. Daher ist es unerlässlich, die Quali- verfahren mit gänzlich verschiedenen Etiketten weitgehend
tät und Zuverlässigkeit der Informationen, auf denen die Ähnliches messen, tritt ebenfalls auf (die sog. Jangle-Fallacy;
Entscheidung beruht, nach wissenschaftlichen Kriterien Kelley 1927). Testverfahren zur Konzentrationsleistung und
zu beurteilen. Dies ist in der Psychologie keine einfache zur Bearbeitungsgeschwindigkeit sind z. B. in vielerlei Hin-
Aufgabe, da die infrage stehenden Größen nicht direkt sicht kaum zu unterscheiden.
beobachtbar sind, sondern indirekt aus beobachtbaren Ver-
haltensweisen erschlossen werden müssen.
Für die Beurteilung jedes diagnostischen Messver- 13.2.3 Testtheorie: Konkurrierende Ansätze
fahrens stellen sich zwei Fragen: und adäquate Methoden
13 5 Sind die gewählten Indikatoren (Fragen, Aufgaben
etc.) inhaltlich-theoretisch adäquat und reflektieren die Für die Bewertung der Angemessenheit diagnostischer
Messinstrumente den aktuellsten Stand der Forschung? Verfahren ist es auch wichtig, neben den Gütekriterien die
5 Liefern die ausgewählten Messinstrumente methodisch relevanten statistischen Kennwerte für die einzelnen Auf-
fundierte Messungen psychischer Größen? gaben sowie für den gesamten Test zu kennen. Eine einfache
und in der Praxis noch gängige Art zu solchen Kennwerten
In der Praxis ist die inhaltliche und theoretische Ange- zu gelangen, bietet die sog. klassische Testtheorie.
messenheit psychologischer Testverfahren sehr viel Im Folgenden werden kurz die Kernannahmen und
schwieriger zu beurteilen als die methodische und ana- Grenzen der klassischen Testtheorie diskutiert und
lytische Fundiertheit. Dies hat zum beklagenswerten einige problemgerechtere Ansätze in der Testtheorie an
Umstand geführt, dass sich Debatten um die Qualität einem Beispiel illustriert. Das Ziel dieses Abschnitts ist
psychologischer Verfahren häufig auf leichter kommunizier- es nicht, die Konzeptualisierung dieser Ansätze ausführ-
bare methodische Aspekte – wie die Beurteilerüberein- lich zu erläutern (s. hierzu Lord und Novick 1968, für die
stimmung, die interne Konsistenz oder die prädiktive klassische Testtheorie; Raykov und Marcoulides 2006,
Validität – fokussieren. Diese und ähnliche methodische für konfirmatorische Faktorenanalysen; Rost 2004; und
Aspekte ersetzen jedoch keineswegs die Aussagen über Embretson und Reise 2000, für probabilistische Mess-
die theoretische Adäquatheit des jeweiligen Leistungstests modelle). Es werden vielmehr die wesentlichen Annahmen
oder Fragebogens. Ein Mathematiktest kann beispielsweise sowie Vorzüge und Probleme verschiedener Modellansätze
objektiv, reliabel und prognostisch valide sein, ohne dabei diskutiert. Aus diesem Grund sind die Ausführungen
die relevanten fachdidaktischen und denkpsychologischen zu den einzelnen Modellklassen vereinfacht und nicht
Theorien adäquat abzubilden. Nahezu die gesamte Literatur, erschöpfend dargestellt.
die sich mit Testkonstruktion und Testanalyse befasst,
ist ausschließlich auf methodische Aspekte ausgerichtet. z Klassische Testtheorie in ihren Kernannahmen und
Umgekehrt findet sich in den grundlagenorientierten -problemen
Fächern in der Regel der umgekehrte Sachverhalt. Der Die Axiome der klassischen Testtheorie besagen, dass der
theoretischen Erwägung der zu messenden Merkmale wird beobachtete Wert als Summe aus dem wahren Wert und
intensive Beachtung geschenkt, aber messmethodische einem Fehlerterm definiert ist. Der im Mittel zu erwartende
Erwägungen werden vernachlässigt. Beide Zustände werden Fehler ist in der klassischen Testtheorie gleich Null.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
323 13
Fehlerterme sind nach den Axiomen komplett zufällig. Konsistenz der Skala als Cronbach’s Alpha berechnet.
Basierend auf diesen Axiomen werden in der klassischen In einem nächsten Schritt korreliert man den Summen-
Testtheorie Konzepte wie Reliabilität und deskriptive wert mit einem zusätzlich erfassten Außenkriterium (z. B.
Item- und Testkennwerte wie Itemschwierigkeiten und Schulnoten). Ist die Korrelation überzufällig von Null ver-
Itemtrennschärfen definiert (Lienert 1969; Nunnaly und schieden und ausreichend hoch, wird meist argumentiert,
Bernstein 1994). der Test sei valide.
Die Itemschwierigkeit wird bestimmt über den Mittel- Dieses eher einfache Vorgehen beruht auf der
wert aller Antworten auf eine konkrete Aufgabe (auch ungeprüften Annahme, dass der Summenwert eines
genannt Item). Bei Leistungstests, bei denen eindeutige Tests das interessierende Merkmal anhand der ver-
richtige und falsche Antworten bekannt sind, liegt die Auf- wendeten Aufgaben angemessen erfasst. Diese grund-
gabenschwierigkeit zwischen 0 und 1 und gibt den pro- legende Annahme kann in der klassischen Testtheorie
zentualen Anteil der Personen an, die die Aufgabe richtig jedoch nicht adäquat überprüft werden. Die Schätzung
gelöst haben. Aufgaben mit einem Wert höher als 0,90 probabilistischer und konfirmatorischer Modelle erlaubt
sind besonders einfach und unterscheiden kaum zwischen hingegen eine Überprüfung dieser Annahme. Ein weiteres
Personen, da sie von fast allen gelöst werden. Aufgaben Problem der klassischen Testtheorie besteht darin, dass
mit einem Wert nahe Null oder nahe der Ratewahrschein- in diesem Ansatz die relative Personenfähigkeit in der
lichkeit hingegen sind besonders schwer, da sie von einem untersuchten Personenstichprobe bei der Berechnung der
kleinen Personenkreis erfolgreich bearbeitet werden. Itemschwierigkeit unberücksichtigt bleibt. So sollte zum
Itemtrennschärfe gibt an, inwieweit die Aufgabe im Sinne Beispiel eine Gruppe von 100 vermeintlich hochbegabten
des Gesamttests zwischen den Personen diskriminiert. Sie Kindern bei einem neu entwickelten Mathematiktest besser
wird bestimmt durch die Korrelation zwischen der einzel- abschneiden als eine Gruppe dyskalkulischer, versetzungs-
nen Aufgabe und dem Summenwert im Gesamttest (bzw. gefährdeter Problemschüler. Diese Gruppenunterschiede
in der interessierenden Skala). würden sich aber auch in den Itemschwierigkeiten nieder-
Itemschwierigkeiten und -trennschärfen einer Auf- schlagen, indem die Aufgaben für die Hochbegabtengruppe
gabe sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Für im Vergleich zur anderen Gruppe deutlich leichter
besonders schwere und besonders leichte Items findet man erscheinen. In diesem Sinne liefert die klassische Test-
in der Regel eher geringe Trennschärfen (eine korrigier- theorie also stichprobenabhängige Kennwerte.
bare Konfundierung), da sich für diese Items kaum Unter- Die neueren Ansätze der probabilistischen I tem-
schiede in den individuellen Antworten zeigen. Aufgaben Response-Modelle sowie konfirmatorische Struktur-
mit mittlerer Schwierigkeit hingegen unterscheiden gut gleichungsmodelle, die im 7 Exkurs „Probabilistische Mess-
zwischen Personen im mittleren Bereich und weisen meist modelle“ kurz erläutert werden, unterscheiden sich von
höhere Trennschärfen auf. der klassischen Testtheorie u. a. in einem entscheidenden
In einem Handbuch sollten insbesondere für Leistungs- Merkmal. Sie nehmen an, dass die beobachteten Antworten
tests Itemschwierigkeiten und -trennschärfen für alle Auf- eine Funktion der nicht direkt beobachtbaren Merkmalsaus-
gaben angegeben sein. Die Verteilung der Itemschwierigkeiten prägung sind und führen das Konzept „latenter Variablen“
sollte der Verteilung der angestrebten Personenverteilung ein. In diesen Ansätzen wird von mehreren beobachteten,
folgen. Ein Screening-Instrument für Hochbegabung sollte aber fehlerbehafteten Einzelindikatoren (Fragen, Aufgaben
zum Beispiel viele schwere Fragen enthalten, sodass unter etc.), die zu einer Skala zählen, abstrahiert und die latenten
überdurchschnittlich begabten und hochbegabten Personen Merkmalsausprägungen werden auf der Grundlage der
möglichst gut unterschieden werden kann. Analog dazu sollte beobachteten Werte geschätzt.
ein Messinstrument zur Erfassung von Teilleistungsstörungen Zusammenfassend ist es wichtig festzuhalten, dass
besonders gut zwischen Personen im niedrigen Fähigkeits- Modelle, in denen pädagogisch-psychologische Konstrukte
bereich differenzieren und viele einfache Aufgaben enthalten. als latente Variablen abgebildet werden, überzeugendere
Die Trennschärfe einer Aufgabe sollte möglichst hoch sein (in und wissenschaftlichere Konzepte repräsentieren, als
der Regel 0,20 oder höher). Abhängig von der Fragestellung dies in häufig inhaltlich und methodisch nicht über-
können aber auch hier nötigenfalls Kompromisse eingegangen zeugenden Anwendungen der klassischen Testtheorie der
werden (s. die Erörterungen zur Reliabilität). Fall ist. Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle und
In der klassischen Testtheorie werden Aufgaben, die probabilistische Messmodelle stehen für grundsätzlich ver-
das gleiche Konstrukt messen, einer Skala zugeordnet. Der wandte Modellierungsansätze.
erzielte Wert wird häufig als Summenwert über alle Items Betrachten wir nun ein Beispiel, in dem 100 Schüler
der Skala gebildet. Anschließend wird häufig die interne einen Mathematiktest bestehend aus 20 Fragen bearbeiten.
324 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
Exkurs
Probabilistische Messmodelle
Ein häufig angewandtes probabilistisches diese Annahme oft als problematisch, eine Aufgabe richtig zu beantworten,
Messmodell ist das Rasch-Modell, in dem auch weil deren Gültigkeit für empirische von der Ausprägung der jeweiligen
angenommen wird, dass die Anzahl der Daten nicht einfach geprüft werden latenten Variablen abhängig ist (und von
gelösten Items für die Schätzung der kann. Darüber hinaus ist es in vielen Zufallseinflüssen). Somit sollte –
Merkmalsausprägung ausreichend ist. Fällen nicht sehr schlüssig anzunehmen, abgesehen von zufallsbedingten
Dabei spielt es keine Rolle, welche Items dass Items spezifisch objektiv sind. Schwankungen – eine Person mit einem
genau gelöst wurden. In diesem Sinne Schließlich kann die Passung der hohen Fähigkeitswert alle Aufgaben
ist die Schätzung der Personenwerte Rasch-Modelle auf die empirischen Daten mit einer höheren Wahrschein-
und Itemschwierigkeiten unabhängig oftmals nur schwer beurteilt werden. lichkeit lösen als Personen mit
von der untersuchten Stichprobe. Insbesondere die letzten beiden Punkte niedrigeren Fähigkeitswerten. Analog
Diese Eigenschaft wird als „spezifische können mit dem Ansatz der Struktur- dazu sollten leichtere Aufgaben von
Objektivität“ bezeichnet (Irtel 1995). gleichungsmodelle stringenter überprüft allen Personen mit einer höheren
Aufgrund dieser Eigenschaft werden werden (7 Exkurs „Konfirmatorische Wahrscheinlichkeit gelöst werden
Rasch-Modelle z. B. häufig in nationalen Strukturgleichungsmodelle“). als schwere Aufgaben. Neben dem
und internationalen Bildungsstudien Das Rasch-Modell stellt den einfachsten Rasch-Modell wurde eine Vielzahl
(7 Kap. 15) verwendet, in denen sehr und zugleich restriktivsten Sonderfall weiterer probabilistischer Messmodelle
viele Aufgaben verwendet werden und der probabilistischen Messmodelle vorgeschlagen, die u. a. die Schätzung
Personen nur einen Teil der Aufgaben (engl. „item reponse models“) dar. unterschiedlicher Trennschärfen oder
bearbeiten können. Unter diesem Oberbegriff lassen sich die Berücksichtigung der Ratewahr-
Die Eigenschaft der „spezifischen viele verschiedene Modellansätze scheinlichkeit erlauben (vgl. vertiefend
Objektivität“ ist jedoch mit der vereinen, die postulieren, dass das Rost 2004; de Ayala 2009; Embretson
strengen Voraussetzung verbunden, beobachte Antwortverhalten eine und Reise 2000). Eine weitere Klasse
dass alle Items gleiche Trennschärfen Funktion der Ausprägung auf dem nicht probabilistischer Messmodelle – sog.
(Diskriminationsparameter) aufweisen beobachtbaren latenten Merkmal (Θ – kognitiver Diagnosemodelle – erlaubt die
und somit gleich gut zwischen Personen Theta) und der Itemschwierigkeit ist. Das Schätzung latenter Fähigkeitsprofile (vgl.
unterscheiden. In der Praxis erweist sich bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dazu Kunina-Habenicht et al. 2009).
Schüler 1 1 1 … 1 1 18
Schüler 2 0 1 … 1 0 10
… … … … … … …
Schüler 99 0 0 … 1 1 12
Schüler 100 1 1 … 0 1 14
Mittelwert 0,92 0,78 … 0,50 0,30
Streuung 0,27 0,41 … 0,50 0,46
Trennschärfe 0,15 0,20 … 0,35 0,18
. Tab. 13.2 Fiktive Klassifikationsdaten zur Diagnose von Dyskalkulie mit einem neu entwickelten Mathematiktest-Verfahren (relative
Häufigkeiten)
Basisrate/Prävalenz (Anteil der tatsächlich an Dyskalkulie leidenden Kinder in der untersuchten Stichprobe): P = RP + FN = 0,3 + 0,12 = 0,42
Selektionsrate (Anteil der Kinder, die mit dem neuen Test als dyskalkulisch diagnostiziert wurden): Q = RP + FP = 0,3 + 0,1 = 0,40
Sensitivität des neuen Testverfahrens (Anteil der gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert wurden):
SE = RP/P = 0,3/0,42 = 0,625
Spezifität des neuen Testverfahrens (Anteil der nicht gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert als ungestört klassi-
fiziert wurden): SP = RN/P’=0,48/0,58 ≈ 0,83
Effizienz des neuen Testverfahrens = RP + RN = 0,3 + 0,48 = 0,78. Das bedeutet, dass 22 % der Kinder mit dem neuen Testverfahren falsch
klassifiziert wurden
Exkurs
Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle
Konfirmatorische Struktur- man – beispielsweise testen, ob die Eine Stärke dieses Modellierungsansatzes
gleichungsmodelle ermöglichen Variation in den Items 1–10 durch eine besteht darin, dass Aussagen über die
die explizite Überprüfung der latente Variable „Geometriewissen“ und Passung dieser Modelle zu den empirischen
empirischen Struktur des infrage die Variation in den Items 11–20 durch Daten anhand zahlreicher in der Forschung
stehenden Merkmals (einführend eine latente Variable „Algebrawissen“ weithin anerkannter Gütekriterien
Byrne 2001; weiterführend Bollen bedingt wird, wobei die beiden latenten ermöglicht werden (Schermelleh-Engel et al.
1989). Im einfachen Modell (sog. Variablen miteinander korrelieren 2003). Der Ansatz, über konfirmatorische
Generalfaktormodell) wird postuliert, dürften. In Abhängigkeit davon, wie Strukturgleichungsmodelle Testdaten zu
dass die Gemeinsamkeiten, die bei der stark die beiden latenten Faktoren für modellieren, ist äußerst vielseitig, flexibel
Beantwortung aller Items zu beobachten „Geometriewissen“ und „Algebrawissen“ und analytisch weit entwickelt. Er erlaubt
sind, auf ein einzelnes latentes Merkmal miteinander zusammenhängen, z. B. die Modellierung intraindividueller
bzw. Konstrukt zurückzuführen sind. In kann anhand etablierter statistischer Veränderungen sowie die Betrachtung von
unserem Beispiel wäre dieses Konstrukt Prüfmethoden fundiert entschieden Gruppenunterschieden auf latenter Ebene.
„mathematische Begabung“. In einem werden, welches Struktur- Die weniger gut entwickelte Schätzung
alternativen theoretisch plausiblen gleichungsmodell die empirischen von Personenparametern ist in diesem
Modell könnten auch weitergehende Daten besser erklärt (vgl. dazu Schulze Ansatz über sog. Faktorscore-Koeffizienten
Modelle geprüft werden. So könnte 2005). möglich.
Überforderung münden kann. Der zweite Fehler liegt vor, jedoch hohe Behandlungskosten verursacht und tatsäch-
wenn ein Kind als gestört klassifiziert wird, das tatsäch- lich von Dyskalkulie betroffene Kinder von begrenzten
lich ungestört ist (falsch-positiv). In diesem Fall würde Behandlungsressourcen ausschließt.
das Kind eine kostenintensive und aufwendige Förderung Zur Beurteilung der Klassifikationen bei diagnostischen
erhalten, die dem Schüler zwar ggf. nicht schaden wird, und medizinischen Entscheidungen werden die Spezifität,
326 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
Sensitivität sowie die Effizienz des Tests bzw. der Ent- Risiko) von Kindern mit auffälligem Dyskalkulietestergebnis
scheidungsprozedur und einige weitere Koeffizienten tatsächlich dyskalkulisch zu sein, sind 12-mal so groß wie die
herangezogen. von Kindern ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis, tatsäch-
Bei der Klassifikation mittels eines perfekten Tests treten lich dyskalkulisch zu sein. Zahlreiche weitere Koeffizienten
keine Fehler auf, daher gilt in diesem Fall TP = P, FN = FP = 0 erlauben eine detaillierte Bewertung der klassifikatorischen
und TN = P’. Für einen völlig zufälligen und folglich nicht Aspekte von Diagnostik (Kraemer 1992). Daumenregeln
legitimen Test ergeben sich die relativen Häufigkeiten in für die Beurteilung solcher Koeffizienten sind schwer zu
den Zellen der Klassifikationstabelle aus dem Produkt der formulieren, da die in Frage stehenden Zusammenhänge
Randsummen, es gilt also: TP = P*Q, FN = P*Q’, FP = P’*Q, jeweils im Anwendungskontext und mit Blick auf etwaige
TN = P’*Q’. In der Realität treten diese extremen Fälle Implikationen beurteilt werden müssen.
jedoch so gut wie nie auf. Für einen legitimen Test muss eine Wie in vielen anderen anwendungsnahen Disziplinen
signifikante Korrelation zwischen der diagnostischen Ent- steht bei der Beurteilung der Qualität pädagogisch-
scheidung und dem tatsächlichen Zustand vorliegen. psychologischer Diagnostik nicht immer die Frage im
Vordergrund, inwiefern eine optimale und fehlerfreie Ent-
Definition scheidung erreicht wurde. Es geht vielmehr häufig darum,
eine Verbesserung gegenüber alternativen Vorgehensweisen
Die wichtigsten Begriffe der klassifikatorischen oder dem Status quo zu erzielen. Solche Nützlichkeits-
Diagnostik sollen hier am Beispiel einer erwägungen und die mit konkurrierenden Prozeduren ver-
Dyskalkuliediagnose kurz erläutert werden: Die bundenen Kosten sollten bei der Beurteilung der Qualität
Basisrate/Prävalenz gibt den Anteil der gestörten Kinder des diagnostischen Prozesses berücksichtigt werden.
in der Stichprobe an. Unter der Selektionsrate versteht
man den Anteil der Kinder, für die der Test eine positive
Diagnose ergibt. Sensitivität des Tests gibt an, welchem 13.3 Diagnostische Verfahren und
Anteil der Kinder mit Dyskalkulie korrekterweise eine diagnostische Daten
Dyskalkuliediagnose zugeschrieben wird. Spezifität
gibt den Anteil der korrekterweise als ungestört Um die an sie herangetragenen praktischen Probleme
diagnostizierten Kinder an. Effizienz gibt den Anteil lösen zu können, stehen in der Diagnostik eine Reihe
korrekt klassifizierter Kinder an. verschieden formalisierter Werkzeuge wie Tests, Frage-
bögen, Beobachtungsinventare oder Interviews zur Ver-
13 Definition
fügung. Mithilfe der Diagnostik sollen konkrete Aussagen
über Beobachtungseinheiten getroffen werden, um dann
Das relative Risiko ist das Verhältnis der begründete Entscheidungen zu treffen. In der Regel sind
Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses diese Beobachtungseinheiten Personen. Diagnostik kann
(Dyskalkuliediagnose) bei positiver Ausprägung aber auch in/für Situationen, Gruppen von Personen oder
im Vergleich zu einem positiven Ergebnis Institutionen, wie etwa Schulen, gelten.
(Dyskalkuliediagnose) bei negativer Eigenschafts- Bei der Diagnostik von Personen ist es von großer
ausprägung. Relatives Risiko und Odds-Ratio (das Bedeutung, auf welcher Datenquelle die Informationen bzw.
Verhältnis von Wetten) sind eng miteinander verwandt. Beobachtungen beruhen:
1. Es können Lebensdaten oder biografische Fakten wie
Alter, Geschlecht oder Schulabschluss erfragt werden.
Wettverhältnisse (Odds) geben die Wahrscheinlichkeit an, 2. Personen können um Aussagen über ihre Interessen,
dass das positive Ereignis für eine bestimmte Personengruppe Persönlichkeit oder typische Verhaltensweisen gebeten
vorliegt. Die „Chance“, dass im oben genannten Beispiel ein werden. Dies geschieht meist in Form von Fragebögen
Kind mit Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch und seltener über Interviews.
ist, berechnet sich aus dem Verhältnis „richtig-positiv“ zu 3. Leistungsbezogenes Verhalten (sog. maximale
„falsch-positiv“ und beträgt 0,3:0,1 oder 3:1. Die „Chance“, Anstrengung; Cronbach 1949) kann meist mithilfe von
dass ein Kind ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis tat- standardisierten Leistungstests erfasst werden. Hierbei
sächlich dyskalkulisch wäre, beträgt 0,12:0,48 oder 1:4. Die sollen Personen in begrenzter Zeit möglichst viele Auf-
Odds Ratio ist ein Maß für die Stärke des Unterschieds gaben einer bestimmten Beschaffenheit korrekt lösen.
zwischen zwei Gruppen, hier Kindern mit und ohne auffälliges 4. Insbesondere zur Beurteilung von Verhaltensauf-
Dyskalkulietestergebnis. Die Odds Ratio setzt die Odds der fälligkeiten können sog. Beobachtungsinventare
beiden Gruppen zueinander ins Verhältnis. Im Beispiel beträgt herangezogen werden, um das Verhalten in kritischen
die Odds Ratio 3:0,25 = 12. Das heißt, die Chancen (bzw. das Situationen direkt zu beobachten.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
327 13
13.3.1 Lebensdaten Schulleistungen von den Lehrkräften beurteilt werden,
beruhen die Einzelnoten auf Beurteilungsprozessen, deren
Wichtige biografische Informationen, die bei Unter- Ergebnis von der diagnostischen und pädagogischen
suchungen in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik Kompetenz sowie von den individuellen Beurteilungs-
berücksichtigt werden, sind Alter, Geschlecht, erworbene tendenzen der Lehrkraft abhängt (Langfeldt und Tent
Schulabschlüsse und bei Erwachsenen ggf. bisherige Erwerbs- 1999). Solche subjektiven Urteile sind zahlreichen ver-
tätigkeit. Dazu gehören aber auch Informationen darüber, zerrenden Einflussfaktoren ausgesetzt wie beispielsweise
ob jemand in der Schule sitzen geblieben ist, ein Auslands- Erinnerungsfehlern, fehlerhaften Attributionen, Urteils-
praktikum absolviert hat oder in einem bestimmten Zeit- tendenzen (Milde- oder Strengeeffekte, Tendenz zur
intervall Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hat. Biografische Mitte), Einstellungs- und Erwartungseffekten sowie der
Daten können als manifeste Spuren bestimmter Merkmale aktuellen Befindlichkeit der Lehrkraft (Tent 1998). Lehr-
und Dispositionen im Lebenslauf eines Individuums ver- kräften geht es da, auch trotz umfangreicher Erfahrung
standen werden; sie sind daher häufig das Ergebnis lang in der Leistungsbeurteilung, nicht anders als anderen
währender Vorgänge (etwa einer Berufsausbildung), Menschen. Bei objektiv gleicher Leistung schwanken die
deren Ergebnisse durch zahlreiche, häufig unbekannte Lehrerbeurteilungen z. T. erheblich. Langfeldt et al. (1999)
Determinanten bestimmt sind. Zu diesen Determinanten geben jedoch zu bedenken, dass die meisten Urteile nur
zählen z. B. Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeits- wenig voneinander abweichen. Das Gleiche gilt auch für
eigenschaften der betreffenden Person, aber auch der sozio- die Reliabilität der Schulleistungsurteile: Wenn Lehrkräfte
ökonomische Status der Eltern, epochale Einflüsse, zufällig ein und dieselbe Leistung mehrmals bewerten, können
eintretende Opportunitäten und vieles mehr. Die größte sich durchaus große Unterschiede zeigen – die Mehrheit
Schwierigkeit bei der Beurteilung biografischer Daten besteht der Zweiturteile weicht allerdings nur wenig vom Erst-
darin, verlässlich zu bestimmen, welche konkreten Aussagen urteil ab (Langfeldt et al. 1999). Dabei ist auch unbedingt
über die Ausprägungen der in Frage stehenden Merkmale in Rechnung zu stellen, dass beim Einsatz standardisierter
und Dispositionen sich aus Lebensdaten ableiten lassen. Leistungstests ähnliche Phänomene zu erwarten sind. Auch
Sitzenbleiben indiziert in den meisten Fällen eine schwache hier können bei den Schätzungen Abweichungen auftreten,
Schulleistung, in einigen Fällen jedoch wiederholen Kinder wie im Abschnitt über Reliabilität diskutiert wurde.
mit durchschnittlichen schulischen Fertigkeiten eine Klasse Eine grundlegende Schwäche des Lehrerurteils, die für
aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen. Neben der Leistungstests nicht gilt, liegt in der mangelnden Vergleich-
mangelnden Motivation oder mangelnder Begabung können barkeit von Noten aufgrund des fehlenden klassenüber-
aber auch die Strenge der Bewertungsmaßstäbe und Inter- greifenden Maßstabs für die Leistungsbeurteilung. Das
aktionen solcher Determinanten zur Vorhersage des Sitzen- bedeutet, dass die objektiv gleiche Leistung in Abhängig-
bleibens beitragen. keit vom allgemeinen Leistungsniveau der Klasse und der
Informationen wie Schulnoten, Examensleistungen an Schule verschieden bewertet wird (7 Kap. 8 und 11).
Hochschulen und weitere Beurteilungen von Lernleistungen
nach institutionalisierter Ausbildung zählen unserer Ansicht
nach nur mittelbar zu den Lebensdaten. Da den Schulnoten 13.3.3 Selbstberichtsinstrumente
im deutschen Bildungssystem eine herausragende Bedeutung
bei wichtigen Selektionsentscheidungen zukommt, werden Unter Selbstberichtsinstrumenten werden Verfahren
wir im Folgenden näher auf die Qualität der schulischen verstanden, bei denen eine Person sich selbst bezüglich
Leistungsbeurteilungen eingehen. interessierender Eigenschaften oder Verhaltensweisen ein-
schätzen soll. In Selbstberichtsinstrumenten gibt es keine
objektiv richtige Antwort. Es ist ganz wesentlich zu ver-
13.3.2 Zensuren stehen, dass die Beurteilungen der Antworten folglich
nicht die Abweichungen von einem definierten Leistungs-
Schulleistungen entscheiden beispielsweise darüber, welche standard abbilden – also inwieweit sich das Antwortmuster
weiterführende Schule nach der Grundschule empfohlen von einem Soll-Antwortmuster unterscheidet –, sondern
und ggf. besucht wird und bilden die Grundlage für die subjektiv gefärbte Beurteilungen widerspiegeln, die von der
Entscheidung, welche Bewerber zum Hochschulstudium Person manipuliert werden können.
zugelassen werden. Aufgrund dieser großen Bedeutung müssen In der pädagogischen und klinischen Praxis, etwa bei
an die schulischen Leistungsbeurteilungen hohe methodische Untersuchungen von Schulfähigkeit oder Verhaltens-
Anforderungen gestellt werden. Sie müssen objektiv, reliabel auffälligkeiten, werden Selbst- und Fremdbeurteilungen
und vergleichbar zwischen verschiedenen Klassen und Schulen häufig eingesetzt. Typische Beispiele für Selbstberichts-
sein. Selbstverständlich müssen Zensuren auch valide im Sinne verfahren stellen Persönlichkeitstests wie der NEO-PI-R
der oben angeführten Konzeptualisierung sein. (Ostendorf und Angleitner 2004) dar. Zu den Selbst-
Die mangelnde Objektivität und Reliabilität der Schul- berichtsinstrumenten zählen auch Einstellungsfragebögen,
noten sind vielfach festgestellt und kritisiert worden semantische Differenziale, Ratingskalen und einiges mehr.
(vgl. dazu zusammenfassend Ingenkamp 1995). Da die Dem NEO-PI-R liegt das Big-Five-Modell zugrunde, nach
328 O. Wilhelm und O. Kunina-Habenicht
dem fünf breite und hierarchisch organisierte Persön- estsituationen zählen neben Selektionssituationen u. U. auch
T
lichkeitseigenschaften unterschieden werden müssen Beratungssituationen, die zu als stigmatisierend empfundenen
(McCrae und Costa 1999). In der folgenden Übersicht Behandlungsempfehlungen führen.
sind Beschreibungen dieser Konstrukte und jeweils ein Eine weitere, verbreitete Form von Selbstbericht sind
Beispielitem angegeben. Einschätzungen der eigenen Leistungsfähigkeit (z. B.
Zustimmungsgrad zur Aussage „Ich weiß, dass ich es schaffe,
selbst den problematischsten Schülern den prüfungs-
Typische Items zur Erfassung der „ Big-Five“- relevanten Stoff zu vermitteln.“). Diese Mischform zwischen
Persönlichkeitseigenschaften nach NEO-PI-R Selbstbericht und Leistungstests (Stankov 1999) lässt sich
(Ostendorf und Angleitner 2004) in die oben besprochene Taxonomie von typischem und
5 Extraversion: Tendenz, gesellig, aktiv, gesprächig, maximalem Verhalten (Cronbach 1949) ebenso schwierig
sozial und optimistisch zu sein. einordnen wie Tests zum situierten Urteilen (sog. situational
„Ich habe gern viele Leute um mich herum.“ judgement tests; vgl. Lievens et al. 2008). Diese Verfahren
5 Neurotizismus: Tendenz nervös, ängstlich, traurig, zielen darauf ab, aus Verhaltensabsichten in kritischen
unsicher und verlegen zu sein. Unfähigkeit, die Situationen (z. B. „Umgang mit unaufmerksamen Kindern“)
Bedürfnisse zu kontrollieren und angemessen auf z. B. auf die für den Unterrichtserfolg ausschlaggebenden
Stressreaktionen zu reagieren. Persönlichkeitseigenschaften bzw. -fertigkeiten von Lehr-
„Ich bin oft nervös.“ kräften zu schließen. Konkret bedeutet das, dass zu einer
5 Gewissenhaftigkeit: Tendenz leistungsorientiert, Situationsbeschreibung mehrere Handlungsalternativen
ordentlich, diszipliniert und ehrgeizig zu arbeiten. angeboten werden, die entweder hinsichtlich ihrer Ange-
„Ich arbeite hart, um meine Ziele zu erreichen.“ messenheit bewertet werden sollen oder aus denen eine
5 Verträglichkeit: Neigung altruistisch, verständnisvoll Alternative ausgewählt werden soll. Die Antwortbewertung
und mitfühlend zu sein sowie zwischen- erfolgt meistens anhand des Vergleichs mit einer Experten-
menschliches Vertrauen, kooperatives Verhalten und gruppe, da korrekte Antworten für solche Verfahren meist
Nachgiebigkeit zu zeigen. unbekannt sind (Weekley und Ployhart 2005).
„Ich komme mit den meisten Mitmenschen gut Selbstberichtsinstrumente können auch zur Erfassung von
zurecht.“ relevanten Kontextaspekten wie z. B. zur Erfassung der Unter-
5 Offenheit für neue Erfahrungen: Wertschätzungen richtsqualität oder der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung
für neue Erfahrungen, Bevorzugung von eingesetzt werden. So können z. B. Lehrkräfte ihren eigenen
13 Abwechslung. Personen mit hohen Ausprägungen in Unterricht hinsichtlich verschiedener Aspekte wie kognitive
dieser Skala sind wissbegierig und kreativ. Aktivierung, Klassenführung oder konstruktive Unterstützung
„Ich führe gerne intellektuelle Diskussionen.“ (7 Kap. 4 und 11) aus ihrer Perspektive mittels eines Frage-
bogens beurteilen. Zusätzlich können Schüler analoge Frage-
bögen bearbeiten, die ihre Wahrnehmung des Unterrichts im
Zu Selbstberichtsverfahren zählen auch Interessen- Sinne einer Fremdevaluation erfassen. Darüber hinaus werden
tests sowie Motivationsfragebögen, etwa zur Leistungs- in nationalen und internationalen Bildungsstudien (7 Kap. 15)
motivation. Ein empfehlenswerter Berufsinteressentest häufig Fragebögen zur Erfassung des sozioökonomischen
ist der AIST (Bergmann und Eder 2005), der auf dem Status oder Migrationshintergrunds der Schüler eingesetzt.
Hexagon-Modell von Holland (Holland 1997) beruht,
Denkbar ist auch der Einsatz von Fragebögen zur Erfassung
in dem ein Interessenprofil (Nagy et al. 2010) auf sechs der Eltern-Kind-Interaktion aus der Perspektive der Kinder
Interessendomänen (z. B. technische, intellektuelle, künst- und der Eltern.
lerische Interessen) erstellt werden kann.
Ein schwerwiegendes Problem beim Einsatz von Selbst-
berichtsinstrumenten stellt die Verfälschbarkeit der 13.3.4 Testdaten: Intelligenz- und
Antworten dar (Ziegler et al. 2011). Versuchspersonen weisen Schulleistungsdiagnostik
in den für sie relevanten Bewertungssituationen mehr oder
weniger stark ausgeprägte Tendenzen auf, ihre Antworten zu Intelligenz gehört zu den am besten etablierten Konstrukten
verfälschen – etwa vermeintlich sozial erwünscht zu reagieren. der empirischen Sozialwissenschaft und wird auch als
Der Einsatz von sog. Lügenskalen löst solche Verfälschungs- „Begabung“ oder als „allgemeine kognitive Fähigkeit“
probleme nicht. In Selektions- oder Beratungssituationen, bezeichnet. Trotz jahrzehntelanger Forschungstradition gibt
bei denen für Versuchspersonen viel auf dem Spiel steht, es keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz.
sind Selbstberichte daher kritisch zu beurteilen. Zu diesen Intelligenztests lassen sich hingegen definieren.
Pädagogisch-psychologische Diagnostik
329 13
Definition
Typische Aufgaben zur Erfassung fluider Intelligenz
Intelligenztests sind Verfahren, bei denen wesentliche
aus dem BEFKI 8–10 (Wilhelm et al. 2014) bzw.
Anteile der Varianz auf individuelle Unterschiede in
BEFKI 11–12+ (Schipolowski et al. 2020)
kognitiver Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind.
Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Intellektuelle Fähigkeiten, die mit solchen Verfahren
Denken – verbaler Teil
erfasst werden, gelten als über die Zeit relativ stabile
Bei einem Pferderennen starten fünf Pferde mit den
Persönlichkeitseigenschaften.
Namen Rocky, Prinz, Flotte Lotte, Wirbelwind und
Fury. Auf welchem Platz geht Flotte Lotte ins Ziel, wenn
In unterschiedlichen Intelligenztheorien variiert die Anzahl folgende Aussagen gelten?
und Beschaffenheit der postulierten Fähigkeiten. In neueren 5 Rocky geht vor Wirbelwind ins Ziel.
Intelligenzmodellen wird aufbauend auf älteren Modellen 5 Prinz geht als zweiter ins Ziel.
ein tieferes Verständnis der ablaufenden Denkprozesse 5 Flotte Lotte liegt vor Rocky.
angestrebt. Ein weitgehend anerkanntes Intelligenzstruktur- 5 Flotte Lotte liegt hinter Fury.
modell, das auf der Grundlage umfangreicher Reanalysen a) Platz 1
etabliert wurde, postuliert neben einem Generalfaktor b) Platz 3
mehrere breite Gruppenfaktoren, zu denen beispielsweise c) Platz 4
fluide und kristalline Intelligenz zählen (Carroll 1993). d) Platz 5
Fluide Intelligenz kann beschrieben werden als die Fähig-
keit, komplexere logische Zusammenhänge und abstrakte Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Strukturen zu begreifen sowie vielfältige Informationen ver- Denken – rechnerischer Teil
fügbar zu halten und manipulieren zu können. Unter dem In Matthias’ Klasse singen 15 Schüler im Chor und 12
Begriff kristalline Intelligenz werden individuelle Unter- spielen im Orchester. Wenn von diesen Schülern 13 nur
schiede im verfügbaren und anwendbaren Wissen ver- zu einer der beiden musikalischen Gruppen gehören, wie
standen. Neben fluider und kristalliner Intelligenz werden viele Schüler müssen dann sowohl im Chor als auch im
weitere Intelligenzfähigkeiten unterschieden, wie z. B. Orchester sein?
allgemeine auditive und visuelle Fähigkeiten sowie ver- a) 2
schiedene Gedächtnisleistungen und geschwindigkeits- b) 5
bezogene Intelligenzleistungen (7 Kap. 2). c) 7
Mit Blick auf verfügbare Tests sind auch Gedächtnis-, d) 9
Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests als speziellere Ver-
fahren zu nennen, die häufig eingesetzt werden. Bezüglich der Beispielitem aus dem Untertest zum Schlussfolgernden
Aufmerksamkeitstests sind allerdings gravierende Probleme Denken – figuraler Teil
der Abgrenzung gegenüber sog. Konzentrationsleistungstests
und Verfahren zur Erfassung der Bearbeitungsgeschwindigkeit
und der Wahrnehmungsgeschwindigkeit festzustellen.
Die Ausprägung intellektueller Fähigkeiten wird ? ?
heute in der Regel in alters- und schulformspezifischen
Normskalen mit dem Mittelwert 100 und der Standard-
r
abweichung 10 oder 15 ausgedrückt. Der Berliner Test
te
zur Erfassung fluider und kristalliner Intelligenz liegt in
A A
mehreren miteinander verknüpften Versionen vor. Der
Test ist in Fassungen für die 5. bis 7. Jahrgangstufe, für die
8. bis 10. Jahrgangstufe (Wilhelm et al. 2014) und ab der
us
New York, NY: Routledge/Taylor & Francis Group. 7 https://doi. Wilhelm, O., Schroeders, U. & Schipolowski, S. (2014). BEFKI 8–10. Berliner
org/10.4324/9780203143209. Test zur Erfassung fluider und kristalliner Intelligenz für die 8. bis 10.
Weekley, J. A., & Ployhart, R. E. (2005). Situational judgment tests: Jahrgangstufe. Göttingen: Hogrefe.
Theory, measurement, and application. Mahwah: Lawrence Erlbaum Wottawa, H., & Hossiep, R. (1997). Anwendungsfelder psychologischer
Associates. Diagnostik. Göttingen: Hogrefe.
Wilhelm, O. (2005). Measuring reasoning ability. In O. Wilhelm & R. W. Ziegler, M., MacCann, C., & Roberts, R. D. (Hrsg.). (2011). New perspectives
Engle (Hrsg.), Understanding and measuring intelligence (S. 373–392). on faking in personality assessment. New York: Oxford University
London: Sage. Press.
13
335 14
Evaluation pädagogisch-
psychologischer Maßnahmen
Olaf Köller
z Summative vs. formative Evaluation . Abb. 14.3 Übersicht über die acht Schritte einer wissenschaftlichen
Je nachdem, ob ein Produkt oder ein Prozess evaluiert Evaluation. (Modifiziert nach Abs et al. 2006, aus: Böttcher/Holtappels/
wird, spricht man von einer summativen oder einer Brohm (Hrsg.), Evaluation im Bildungswesen, © 2006 Beltz Juventa in der
formativen Evaluation. Summative Evaluationen (Produkt- Verlagsgruppe Beltz ∙ Weinheim Basel)
evaluationen) finden nach Fertigstellung eines Produktes
bzw. Beendigung einer Maßnahme bzw. Intervention statt.
Das primäre Ziel besteht darin, Fragen hinsichtlich der In England sind sog. League-Tables im Internet verfüg-
Wirksamkeit von Programmen zu beantworten. Formative bar, in denen Einzelschulen in eine Rangreihe hinsicht-
Evaluationen (Prozessevaluationen) setzen direkt während lich der erreichten Schülerleistungen gebracht werden. Im
der Entwicklung oder Erprobung einer Maßnahme bzw. Bereich der Evaluation von Hochschulen ist beispielhaft das
Intervention ein, können aber auch interventionsbegleitend
14 sein. Sie haben die Funktion, die Komponenten eines
CHE-Hochschulranking zu nennen, das fachbereichsspezi-
fisch deutsche Universitäten hinsichtlich ihrer Angebote für
Programms zu modifizieren bzw. zu optimieren, um die Studierende in eine Rangfolge bringt. Forschungsrankings
Gesamtwirkung der Maßnahme zu erhöhen. liefern darüber hinaus Informationen über die Forschungs-
leistungen (Zahl der Publikationen, Promotionen, Zitationen,
z Interne vs. externe Evaluation eingeworbene Drittmittel) von Fachbereichen an Universitäten.
Im schulischen Kontext wird häufig zwischen interner
und externer Evaluation unterschieden. Bei der internen
Evaluation werden die in . Abb. 14.3 aufgeführten Schritte 14.2 Die acht Schritte einer
innerhalb eines Kollegiums gegangen. Planung, Durch- wissenschaftlichen Evaluation
führung und Interpretation der Evaluation liegen also in
den Händen der Lehrkräfte. Bei der externen Evaluation ist In . Abb. 14.3 finden sich die acht Schritte einer
üblicherweise die Schulaufsicht die treibende Kraft, wiewohl systematischen wissenschaftlichen Evaluation in der
international (z. B. in Großbritannien) die externe Schul- Form eines Kreislaufs (aus Abs et al. 2006). Die Schritte 1
evaluation durch unabhängige Einrichtungen durchgeführt und 2 umfassen den Entstehungszusammenhang der
wird (u. a. das Office for Standards in Education in England). Evaluation, der Begründungszusammenhang wird über
die Schritte 3–5 hergestellt, schließlich besteht der Ver-
z Ranking wertungszusammenhang aus den Schritten 6–8. Rost
Ein relativ neues Phänomen in der Evaluation von (2000) bezeichnet diese Phasen in Anlehnung an Rossi
pädagogischen Einrichtungen, Institutionen oder Systemen et al. (1988) als Konzeptualisierungsphase (Schritte 1–3),
sind Rankings. Die Schulsysteme der 16 Länder der Bundes- Implementationsphase (Schritte 4 und 5) und Wirkungs-
republik Deutschland werden im Rahmen von PISA öffentlich forschungsphase (Schritte 6–8). Alle drei Phasen haben
in eine Reihenfolge gebracht (vgl. u. a. Köller et al. 2010). ihre Entsprechung in der Grundlagenforschung.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
339 14
14.2.1 Entstehungszusammenhang von von „echten“ Kontrollgruppen (s. auch den Abschnitt zu
Evaluationen isolierter, vergleichender und kombinierter Evaluation).
Die Berücksichtigung von Vergleichsgruppen bietet einen
Jede empirische Untersuchung, so auch jede Evaluation, wissenschaftlich haltbaren Vergleichsmaßstab für die Inter-
bedarf hinsichtlich des Evaluationsgegenstands eines pretation von Wirkungen. Eine Interventionsmaßnahme,
theoretischen bzw. konzeptuellen Überbaus. Darin gilt es beispielsweise ein Training zum prosozialen Verhalten
zunächst zu klären, welches die zentralen Zieldimensionen von verhaltensauffälligen Schülern kann nur dann in
sind, die infolge einer Maßnahme optimiert werden sollen. seiner Wirksamkeit evaluiert werden, wenn es mit anderen
Weitere Fragen beziehen sich auf den Kontext, in dem die Trainingsgruppen und/oder einer Gruppe ohne Training
Evaluation stattfinden soll. Die angestrebte Zielgruppe ist verglichen wird.
zu präzisieren; der Ort, an dem die Evaluation stattfindet, Unbestritten ist allerdings, dass die Forderung nach
muss ebenso festgelegt werden wie das zu verwendende einer und mehreren Kontrollgruppen zumindest im Kontext
Evaluationsmodell. Geht es in Interventionsmaßnahmen Kindergarten oder Schule an Grenzen stößt. So kann auf
um die Steigerung der Schul- oder Unterrichtsqualität, so Systemebene die Wirksamkeit von Schule nicht dadurch
ist mit den jeweils Betroffenen zu klären, welchem Quali- untersucht werden, dass man beschulte Kinder und Jugend-
tätsverständnis von Schule oder Unterricht gefolgt wird und liche mit unbeschulten Gleichaltrigen vergleicht. Letztere
in welche Forschungstradition dieses eingebettet werden wird man zumindest in den Industrienationen kaum
kann. Scheerens und Bosker (1997) beispielsweise identi- finden. Begibt man sich auf die Ebene der Einzelschule
fizierten in einem Review der einschlägigen Forschungs- und definiert hier passgenaue Indikatoren der Schul- und
literatur 13 schulische Faktoren, die als relevant für die Unterrichtsqualität, so werden an die Stelle von Kontroll-
Steigerung der Schülerleistungen gelten (7 Übersicht). gruppen Schulen treten, die in vergleichbaren Lagen ähn-
Hattie (2009, 2012) kommt zu vergleichbaren Faktoren. liche Schüler aufnehmen (Versuch eines fairen Vergleichs).
Weiterhin muss in dieser Phase festgelegt gelegt werden,
in welchen Einrichtungen (Institutionen) die Intervention
durchgeführt werden soll, welche Personengruppen und 14.2.2 Begründungszusammenhang von
welche Bereiche eingebunden werden sollen. Schließlich Evaluationen
müssen auch Festlegungen getroffen werden, ob eine
(formative) Prozessevaluation, eine (summative) Produkt- Entsprechend dem Vorgehen in der Grundlagenforschung
evaluation oder eine Kombination aus beiden Evaluations- werden im nächsten Schritt Fragestellungen bzw. Hypothesen
strategien realisiert werden soll. formuliert, die das Kausalgefüge zwischen Maßnahmen
bzw. Interventionen und Kriterien beschreiben. Welche
Maßnahmen führen zu welchen Effekten aufseiten der
Zentrale Faktoren der Qualität einer Schule (nach Qualitätsindikatoren? Wie intensiv müssen sie sein? Gibt es
Scheerens und Bosker 1997) Bedingungen, unter denen sie unwirksam werden? Wirken
1. Leistungsorientierung, hohe Lernerwartungen der mehrere, gleichzeitig implementierte Maßnahmen jede für
Lehrkräfte an die Schüler sich oder kumulativ oder gar kompensatorisch?
2. Effiziente Schulleitung Mit der theoriebasierten Ableitung und Formulierung
3. Konsens und Zusammenhalt im Kollegium von Hypothesen über Kausalitätsgefüge folgt die
4. Qualität von Curriculum und Lernumgebungen Evaluationsforschung dem Credo des kritischen Rationalis-
5. Schulklima mus (Popper 1971) und legitimiert so ihren wissenschaft-
6. Evaluationsorientierung lichen Anspruch. Gleichzeitig ist die Präzisierung des
7. Aktive und positive Beziehungen zwischen der Zusammenhangsgefüges zwischen Maßnahmen und Ziel-
Schule und ihrem Umfeld (z. B. Eltern, Betriebe) kriterien die Voraussetzung für die Konstruktion von Mess-
8. Klassenklima instrumenten, mit deren Hilfe Zielvariablen und potenzielle
9. Zielstrebige Führung des Unterrichts Prozessindikatoren der Interventionen bzw. Maßnahmen
10. Klar strukturierter Unterricht operationalisiert werden können: „Wo quantitative Daten
11. Selbstständiges Lernen erhoben und interpretiert werden, müssen auch die Regeln
12. Differenzierung, lernerangepasste Methodik der sozialwissenschaftlichen Methodenlehre und Statistik
13. Rückmeldung beachtet werden“ (Abs et al. 2006, S. 102). Die Einhaltung
entsprechender Regeln gilt analog für qualitative Ansätze
(vgl. hierzu z. B. Mayring 2002).
Bei der Planung der Intervention und ihrer Evaluation Auch wenn die Anwendung hoher wissenschaftlicher
ist die zusätzliche Berücksichtigung einer oder mehrerer Standards an Evaluationsmaßnahmen nicht unwider-
Kontroll- bzw. Vergleichsgruppen – wo immer mög- sprochen geblieben ist (z. B. Altrichter 1999), steht außer
lich – erforderlich. Kontroll- bzw. Vergleichsgruppen Zweifel, dass nur bei Verwendung adäquater Unter-
können alternative oder keine Interventionen erhalten, suchungsdesigns, messgenauer und in der Literatur
nur bei alternativen Interventionen spricht Hager (2008) etablierter Erhebungsverfahren und der Anwendung
340 O. Köller
adäquater Auswertungsmethoden die Validität der in der Hinsichtlich der Verläufe der Zielvariablen in isolierten
Evaluation gewonnenen Befunde gegeben ist. Müssen Evaluationen beschreibt Hager (2008) fünf Ergebnismuster,
Erhebungsinstrumente für eine Evaluation zunächst ent- die in . Abb. 14.4 präsentiert werden. Bei einer erfolg-
wickelt werden, so sind deren vorherige Erprobung und die losen Intervention zeigt sich eine parallele Entwicklung
Feststellung psychometrischer Eigenschaften notwendige der Mittelwerte in der Interventions- und Kontrollgruppe.
Bedingungen. Existieren keine Ausgangsunterschiede, so decken sich
beide Verlaufslinien.
Bei einer nur teilweise erfolgreichen Maßnahme zeigt
14.2.3 Verwertungszusammenhang von sich in der Interventionsgruppe ein Anstieg in der Ziel-
Evaluationen variable zwischen Vor- und Nachtest, der allerdings bis zur
Follow-up-Messung wieder verschwunden ist. In diesem
In diesem Zusammenhang werden Entscheidungen Fall bleibt die Intervention also auf kurzfristige Effekte
getroffen, wer Zugang zu den Ergebnissen haben soll, wie die beschränkt. Bleiben die Effekte dagegen auch bei der
Befunde zu interpretieren sind und welche Konsequenzen Follow-up-Messung stabil, so handelt es sich in der Tat um
sich daraus für ein Produkt bzw. Programm ergeben. Sofern eine erfolgreiche Intervention.
es nicht gelingt, die Befunde von Evaluationen in konkrete Die letzten beiden Graphen in . Abb. 14.4 zeigen
Anschlussmaßnahmen umzusetzen, wird die Sinnhaftig- ebenfalls Varianten erfolgreicher Interventionen.
keit des gesamten Vorgehens bei der Evaluation in Frage Im ersten Fall setzt sich der positive Trend bis
gestellt. An die Bereitstellung von Evaluationsbefunden zur F ollow-up-Messung fort, d. h. die Zielvariable
wird sich dementsprechend ein Katalog von Maßnahmen verzeichnet auch nach der Intervention einen weiteren
zur Implementation der erwünschten Veränderungen Anstieg. Typische Beispiele hierfür finden sich bei
anschließen. Fehlt solch ein Begleit- bzw. Implementations- Gesundheitsprogrammen, wenn Teilnehmer auch nach
programm, so wächst die Gefahr nicht intendierter Effekte der Intervention weiterhin die Verhaltensregeln befolgen
der Evaluation, indem Adressaten die Befunde einfach und sich ihr körperlicher Zustand über das Programm
ignorieren oder gar abwerten. hinaus verbessert. Im zweiten Fall bleibt die Intervention
bis zur Nachtestmessung erfolglos, beim Follow-up ist
dann aber ein deutlicher Anstieg erkennbar. In diesem
14.3 Überprüfung der Wirksamkeit von Fall sprechen wir von einer „Schläfer-Effekt“ („sleeper
Interventionen effect“). Ein Beispiel hierfür liefert eine Untersuchung
von Hall et al. (1996). In dieser Studie erhielt eine
Oben wurde festgestellt, dass Evaluationsdesigns immer auch Interventionsgruppe von Lehrkräften professionelle
mindestens eine „echte“ Kontrollgruppe berücksichtigen Beratung über insgesamt 30 h. Direkt nach der Maßnahme
14 sollten. Darüber hinaus sollte die Evaluation längsschnitt- ergaben sich zwischen der Interventionsgruppe und einer
lich ausgerichtet sein. Hier ist das einfachste aber auch hin- Kontrollgruppe keine Unterschiede im wahrgenommenen
reichend flexible Design der V ortest-Nachtest-Follow-up-Plan professionellen Handeln. Erst ein Jahr später wurden dann
(Hager 2008). In der Interventionsgruppe und in der Kontroll- Unterschiede zwischen beiden Gruppen in einer weiteren
gruppe wird dabei unmittelbar vor der Maßnahme eine Untersuchung sichtbar.
Baseline-Erhebung der Zielvariablen durchgeführt, die zweite
Messung erfolgt unmittelbar nach Ende der Maßnahme. z Statistische Signifikanz und Effektstärken in wissen-
Schließlich wird längere Zeit nach Abschluss der Maßnahme schaftlichen Evaluationen
eine dritte Messung durchgeführt um zu überprüfen, ob das Die deskriptiven Mittelwertsverläufe in . Abb. 14.4
Programm nachhaltige Effekte auf die Zielgrößen hat. Natür- visualisieren die Effekte einer Intervention. Im Hin-
lich schließt dieses relativ elementare Design nicht aus, dass blick auf die inferenzstatistische Absicherung der Inter-
auch während der Maßnahme Messungen stattfinden; sei es, ventionen werden typischerweise Varianzanalysen mit
um Modifikationen vornehmen zu wollen oder um frühzeitig Messwiederholung und/oder geplante Kontraste durch-
abschätzen zu können, ob die Maßnahme trägt. Weiterhin geführt (Hager 2008). Im Falle ungleicher Ausgangswerte
können auch mehr als zwei Gruppen in diesem Plan berück- zwischen Interventions- und Kontrollgruppen werden
sichtigt werden. 7 Kovarianzanalysen angewendet (Pedhazur 1997). Die
Zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebung sollten keine statistischen Hypothesen beziehen sich dabei üblicher-
Unterschiede zwischen Interventions- und Kontroll- weise auf Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe
gruppen bestehen, da Ausgangsunterschiede methodische und den Kontrollgruppen in den Mittelwertsdifferenzen
Probleme bei der Auswertung aufwerfen, so beispielsweise bzw. in den mittleren Trends. Mit der Nullhypothese (H0)
das Phänomen der 7 Regression zur Mitte (Campbell und wird angenommen, dass keine Unterschiede zwischen den
Kenny 1999), bei dem messfehlerbedingt höhere Aus- Gruppen im Verlauf bestehen. Dennoch auftretende Unter-
gangswerte die Chance reduzieren, dass beim Zielkriterium schiede zwischen den Gruppen sind rein zufällig. Mit der
Wachstum beobachtbar ist. Alternativhypothese (H1) wird angenommen, dass sich
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
341 14
a b
c d
die Mittelwertsdifferenzen bzw. die Trends zwischen Inter- der Annahme von H0 gilt, dass dieser oder größere Werte
ventionsgruppe und Kontrollgruppen unterscheiden. Als nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 5 %
Prüfgröße wird (in Varianzanalysen) die F-Statistik ver- (α = 0,05) oder von unter einem Prozent (α = 0,01) auf-
wendet, und die Entscheidung für oder gegen H0 erfolgt treten, so wird H0 verworfen. Aus der Nichthaltbarkeit von
entsprechend den in der Inferenzstatistik geltenden Kon- H0 wird dann auf die Geltung der Alternativhypothese H1
ventionen: Erreicht der F-Bruch einen Wert, für den unter geschlossen (. Tab. 14.1).
342 O. Köller
. Tab. 14.1 Entscheidungen beim Hypothesentesten . Tab. 14.3 Konventionen für die Interpretation von Effekt-
stärken. (Nach Bortz und Döring 2002)
Entscheidung für
d η2
H0 H1
Unbedeutender Effekt <0,20 <1%
Wahr ist H0 1–α α
Kleiner Effekt 0,20–0,50 1–5%
H1 β 1–β
Mittlerer Effekt 0,50–0,80 6–14%
1 − α Wahrscheinlichkeit, dass H0 beibehalten wird und wahr ist;
α Wahrscheinlichkeit, dass H0 verworfen wird, obwohl H0 richtig Großer Effekt >0,80 >15%
ist (α-Fehler); 1 − β Wahrscheinlichkeit, dass H0 verworfen wird
und H1 richtig ist (Teststärke bzw. Power); β Wahrscheinlichkeit,
dass H0 beibehalten wird, obwohl H1 wahr ist (β-Fehler)
Die in Stichproben ermittelte Größe d ist dagegen ein unver-
zerrter (erwartungstreuer) Schätzer für die Effektstärke auf
Populationsebene.
. Tab. 14.2 Effektstärkenmaße
Inwieweit diese Konventionen geeignet sind, die
Paarweise Vergleiche zwischen praktische Signifikanz von Maßnahmen, die Gegenstand
Mittelwertsvergleiche mehreren Gruppen wissenschaftlicher Evaluationen sind, zu beurteilen, ist
d= MIG −MKG
η2 = QSzwischen Gegenstand vielfältiger Diskussionen. So zeigen beispiels-
weise die großen nationalen und internationalen Schul-
2 +S2
SIG
QStotal
KG
2
leistungsstudien der letzten 20 Jahre, dass der gemessene
MIG Mittelwert in der Interventionsgruppe; MKG Mittelwert in Wissenszuwachs von Schülern in den Kernfächern
der Kontrollgruppe; SIG2 Varianz in der Interventionsgruppe; S 2
KG (Deutsch, Mathematik, erste Fremdsprache) über ein
Varianz in der Kontrollgruppe; QSzwischen Streuung zwischen der
Interventionsgruppe und den Kontrollgruppen; QStotal Gesamt-
Schuljahr einer Effektstärke d von 0,25–0,50 entspricht.
streuung Dementsprechend hat eine Maßnahme zur Unterrichts-
entwicklung, die in einer Schülergruppe einen Wissens-
zuwachs von d = 0,20 erreicht, durchaus praktische
Die F-Statistik ist allerdings wie alle Prüfstatistiken Bedeutung, korrespondiert doch ihr Effekt mit rund einem
abhängig von der Stichprobengröße. Sehr kleine, praktisch halben Jahr Beschulung. Diese Diskussion zeigt, dass die
unbedeutende Mittelwertdifferenzen können signifikant Beurteilung der Effektstärke einer Intervention keines-
werden, wenn die Stichprobengrößen nur hinreichend wegs trivial ist. Idealerweise wird man bereits bei der
groß gewählt werden (vgl. hierzu Bortz und Döring Planung eines Maßnahmenpakets die gewünschte Effekt-
14 2002). Als Folge der Stichprobengrößenabhängigkeit stärke festlegen. Hat man solch eine Festlegung getroffen,
der Prüfstatistiken ist zu Recht darauf hingewiesen so lassen sich bei zusätzlicher Festlegung des Signifikanz-
worden, dass Effektstärken relevantere Größen für die niveaus und der Teststärke adäquate Stichprobenumfänge
Beurteilung von Mittelwertsdifferenzen sind (vgl. Bortz kalkulieren (vgl. hierzu Bortz und Döring 2002).
und Döring 2002). Wir vertreten eine Position, wonach Einen ganz anderen Weg, die praktische Bedeut-
zu einer angemessenen Auswertung der Daten sowohl die samkeit einer Intervention zu beleuchten, stellt die
inferenzstatistische Absicherung als auch die Bestimmung Kosten-Nutzen-Analyse (Cost-benefit-Analysis) dar, die
von Effektstärken gehört. primär nicht auf die Wirksamkeit einer Maßnahme abzielt
Maße für die Effektstärke, die bei kontinuierlichen (Effektivität), sondern den Aufwand einer Intervention
Zielvariablen typischerweise berechnet werden, sind die in Relation zu den Erträgen betrachtet (Effizienz). Hier
Koeffizienten d und η2. Die entsprechenden Definitionen geht es vor allem auch um die Frage, ob die potenziellen
finden sich in . Tab. 14.2. Der Koeffizient d wird als finanziellen Gewinne bzw. später ausbleibenden Kosten
Differenz zwischen zwei Mittelwerten, geteilt durch eines Programms höher sind als die für das Programm
die gepoolte Standardabweichung bestimmt. η2 ist ein aufgewendeten Finanzmittel. Prominent geworden sind
deskriptives Maß für die durch die Gruppenzugehörig- solche Kosten-Nutzen-Analysen durch die Arbeiten des
keit aufgeklärte Varianz, das dem quadrierten multiplen amerikanischen Bildungsökonomen James Heckman (s.
Regressionskoeffizient R2 entspricht. In der Tradition der z. B. Heckman et al. 2010). Heckman hat systematisch
experimentellen Psychologie haben sich die in . Tab. 14.3 analysiert, mit welchen Kosteneinsparungen zu rechnen
aufgeführten Konventionen zur Beurteilung beider ist, wenn man Interventionsprogramme zur kognitiven,
Effektgrößen etabliert (Bortz und Döring 2002). sozialen und emotionalen Förderung besonders
Dabei muss allerdings konzediert werden, dass η2 ebenso benachteiligter Kinder einführt. Dabei interessierte vor
wir R2 nur in sehr großen Stichproben eine unverzerrte allem der Zeitpunkt des Einsetzens der Intervention. Die
Schätzung der Effektstärke auf Populationsebene darstellt. In Befunde dieser Analysen sind in . Abb. 14.5 zusammen-
kleinen Stichproben überschätzt η2 die Effektstärke, das hier gefasst, in der die Rendite von Interventionsprogrammen
adäquatere Maß ist die Größe ω2 (vgl. Bortz und Döring 2002). gegen den Zeitpunkt des Beginns der Intervention
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
343 14
Entwicklungsbedingte Faktoren (Reifung) ebenso wie
Frühkindliche unkontrollierte Umwelteinflüsse (Fernseh- und Computer-
Interventionen konsum sowie andere häusliche Entwicklungsgelegenheiten)
Vorschulische wirken sich auf die Veränderungen aus und können Inter-
Interventionen ventionseffekte überlagern. In der Tat versuchen Arbeiten
Renditen von Bildungsinvestitionen
5 Ein kompensatorischer Ausgleich der Intervention analysiert werden. Die Berücksichtigung von Variablen, die
kann auftreten, wenn Kontrollgruppen große den Ausfallprozess determiniert haben, führt dabei zu weit-
Anstrengungen unternehmen, die fehlenden Inter- gehend unverzerrten Schätzungen fehlender Werte. Verfahren
ventionen durch andere Fördermaßnahmen auszu- der Mittelung der gewonnenen Ergebnisse werden ausführ-
gleichen. lich bei Little und Rubin (1987) beschrieben. Die aktuellen
5 Von einer kompensatorischen Anstrengung innerhalb Versionen vieler Softwarepakete bieten darüber hinaus sog.
der Kontrollgruppe spricht man, wenn sich ihre Mit- „ Full-information-maximum-likelihood“-Verfahren (FIML)
glieder benachteiligt fühlen und sich dann aber in der zur unverzerrten Parameterschätzung bei unvollständigen
Posttestung besonders anstrengen. Daten an.
5 Eine negative Reaktion der Kontrollgruppe liegt Stichprobenmortalität ist im p
ädagogisch-psychologischen
vor, wenn ihre Mitglieder aus dem Gefühl der Kontext nur schwer vermeidbar. Zwei Handlungsrichtlinien
Benachteiligung sich im Posttest nicht anstrengen, können dem Problem begegnen, zum einen Strategien, welche
sodass es zu einer erheblichen Unterschätzung ihrer die Mortalität minimieren (Stichprobenpflege), und zum
Leistungen kommt. anderen der Einsatz adäquater statistischer Analyseverfahren,
um zu unverzerrten Parameterschätzungen zu gelangen.
14.4.3 Stichprobenmortalität
14.4.4 Hierarchische Daten
Das Problem der Stichprobenmortalität (statistischen
Mortalität) stammt ursprünglich aus der medizinischen Ver- In Interventionsprogrammen im Kontext Schule werden
laufsforschung, in der Interventionen bzw. Treatments in häufig nicht Personen, sondern ganze Klassen oder gar
Patientengruppen hinsichtlich ihrer Effizienz untersucht Schulen einer Interventions- und einer Kontrollgruppe
wurden. Patienten verstarben während des Programms und zugewiesen. Innerhalb der Klassen und Schulen, die als
standen somit für weitere Datenerhebungen nicht mehr zur „Klumpen“ bezeichnet werden, trifft man Schüler an, die sich
Verfügung. Dieses Problem fehlender Werte tritt auch im hinsichtlich verschiedener Merkmale oft sehr ähnlich sind,
Bereich pädagogisch-psychologischer Interventionsprogramme wohingegen Schüler unterschiedlicher Klassen und Schulen
auf, die mit einem P
retest-Posttest-Follow-up-Design evaluiert sich oftmals sehr unähnlich sind. Die Ziehung von Klumpen-
werden, wenn Teilnehmer aus den unterschiedlichsten stichproben hat für die weiteren statistischen Analysen
Gründen die weitere Teilnahme an der Maßnahme ver- erhebliche Konsequenzen, vor allem bei der Bestimmung
weigern. Mit den dann fehlenden Werten sind drei statistische von Standardfehlern, welche das Ausmaß der statistischen
Probleme verbunden: Ungenauigkeit eines geschätzten Parameters ausdrücken. Die
1. ein Verlust an Effizienz, da die Stichprobengröße ein- übliche Berechnung des Standardfehlers setzt eine Zufalls-
14 geschränkt ist; stichprobe mit voneinander unabhängigen Beobachtungen
2. ein erschwerter Umgang mit den Daten, weil die voraus. Bei Klumpenstichproben und der resultierenden
statistischen Standardverfahren vollständige Daten- hierarchischen Datenstruktur ist das nicht der Fall. Die
matrizen erwarten; Berechnung des Standardfehlers auf die gerade beschriebene
3. die Gefahr verzerrter Parameterschätzungen aufgrund Art führt dann zu einer Unterschätzung. Konsequenzen sind
möglicher Unterschiede zwischen den beobachteten zum einen zu kleine Konfidenzintervalle für die geschätzten
und den fehlenden Daten. Parameter, zum anderen die Inflation möglicher Ent-
scheidungsfehler bei inferenzstatistischen Verfahren.
Zur Lösung dieser Probleme wurde eine Vielzahl von Ver- Das Ausmaß der Unterschätzung von Standardfehlern
fahren vorgeschlagen, die vom Ausschluss aller Personen hängt zum einen von der Klumpengröße in der Stichprobe
mit ungültigen Werten bis zur Ersetzung fehlender Werte ab: Steigt diese, so nimmt auch die Unterschätzung zu.
reichen. In der neueren methodischen Literatur (z. B. Lüdtke Zum anderen bestimmt die Homogenität der Klumpen die
et al. 2007; Schafer und Graham 2002) besteht Konsens Verschätzung der Standardfehler. Die Homogenität wird
darüber, dass ein fallweiser Ausschluss die Validität der üblicherweise über die Intraklassenkorrelation bestimmt.
Befunde deutlich senken kann und Verfahren der Mehrfach- Die Intraklassenkorrelation beschreibt das Verhältnis der
schätzung fehlender Werte („multiple imputation“, Rubin Varianz zwischen den Klumpen zu der Varianz innerhalb
1987) den Schwierigkeiten am besten begegnen und zu ver- der Klumpen. Auf Klassen und deren Leistungen bezogen
gleichsweise validen Befunden in den statistischen Analysen bildet sich in der Intraklassenkorrelation ab, wie stark die
führen. Mittlerweile existieren zufriedenstellende Software- Unterschiede zwischen Klassen im Vergleich zu den Unter-
lösungen zur multiplen Imputation, hervorzuheben sind schieden zwischen Schülern innerhalb von Klassen sind. Je
das Programm NORM von Schafer (1997), die Imputations- größer die Intraklassenkorrelation, desto stärker die Ver-
möglichkeiten in Mplus (Muthén und Muthén 2010) und die schätzung bei der Bestimmung der Standardfehler.
implementierten Routinen in R. Üblicherweise werden je nach Einen eleganten Weg bei der multivariaten
Menge der fehlenden Werte zwischen 5 und 50 vollständige Behandlung von hierarchischen Daten aus Klumpenstich-
Datensätze generiert, die anschließend simultan statistisch proben stellen mehrebenenanalytische Verfahren dar.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
345 14
Bei diesen Verfahren wird die hierarchische Struktur Genauigkeitsstandards („accuracy standards“) beziehen
der Daten direkt modelliert. Ihr großer Vorteil besteht sich vor allem auf den Begründungszusammenhang von
darin, dass sie adäquate Schätzungen der Standard- Evaluationen und sollen sichern, dass eine Evaluation auf-
fehler liefern und die gleichzeitige Modellierung von seiten der Abnehmer verwertbare Informationen liefert.
Effekten auf der Individual- und Clusterebene ermög- Eine Evaluation soll danach umfassend sein und möglichst
lichen. Der H LM-Ansatz (Bryk und Raudenbush 1987; viele Programmkomponenten in die Analyse einbeziehen.
1989; Raudenbush und Bryk 2002) löst die aufgezeigten Gleichzeitig sollten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens
Probleme, indem er die hierarchische Struktur der Daten eingehalten werden, um die Interpretierbarkeit der Ergeb-
nicht nur als Makel des Stichprobenprozesses begreift, nisse zu gewährleisten.
der eine Korrektur der Freiheitsgrade in Abhängig- Die JCSEE-Standards (zu weiteren Details s. Schiffler
keit von der Intraklassenkorrelation erzwingt, sondern und Hübner 2000) zielten ursprünglich auf größere,
die hierarchische Struktur selbst zum Gegenstand der flächendeckende Programme ab, können allerdings auch
Prüfung macht. Es handelt sich um einen regressions- als Richtlinien bei kleineren Evaluationsvorhaben heran-
analytischen Ansatz, wobei Personenmerkmale auf gezogen werden.
individuelle (Ebene 1), Klassen- (Ebene 2) und Schul-
variablen (Ebene 3) zurückgeführt werden. Eine einfache
deutschsprachige Einführung in das Verfahren der Mehr- 14.6 Beispiel für eine wissenschaftliche
ebenenanalyse findet man bei Lüdtke und Köller (2010). Evaluation
Interventions-
gruppe
Interventions-
gruppe
Kontroll-
gruppe
Gesamt-
stichprobe
Interventions-
gruppe
Kontroll-
gruppe
Kontroll-
gruppe
? Verständnisfragen
Fazit 1. Beschreiben Sie kurz, was unter einer Evaluation
In den angewandten Disziplinen der Psychologie, zu zu verstehen ist und welche Unterscheidungen
denen auch die Pädagogische Psychologie zählt, wird diesbezüglich vorgenommen werden können.
wissenschaftlich fundiertes Wissen genutzt, um in 2. Beschreiben Sie den idealtypischen Ablauf einer
verschiedenen praktischen Kontexten Zielvariablen wissenschaftlichen Evaluation.
zu optimieren. In pädagogisch-psychologischen 3. Beschreiben Sie ein Untersuchungsdesign, mit dem
Zusammenhängen zielen die Maßnahmen vor allem auf die sich Maßnahmen wissenschaftlich evaluieren lassen.
Förderung von Lernenden ab. Mit diesem Kapitel wurde 4. Nennen Sie typische methodische Probleme bei
14 der Versuch unternommen zu dokumentieren, welche wissenschaftlichen Evaluationen und beschreiben sie
Anforderungen an die Abläufe einer wissenschaftlichen diese kurz.
Evaluation solcher Maßnahmen gestellt werden, welche
Probleme auftreten können und welche Ansätze zu ihrer Vertiefende Literatur
Lösung existieren. Allein eine Evaluationsforschung, die 5 Chen, H.-T. (Chen 2005). Practical program evaluation. Thousand
sich an ihren eigenen, hoch gesetzten wissenschaftlichen Oaks: Sage.
5 Fend, H. (2008). Schule gestalten. Systemsteuerung, Schulentwicklung
Standards orientiert, kann aussagekräftige Ergebnisse
und Unterrichtsqualität. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
zur Effizienz von Interventionsprogrammen liefern. Dies 5 Wottawa, H., und Thierau, H. (2003). Lehrbuch Evaluation (3. Aufl.).
erfordert große Sorgfalt in den jeweiligen Schritten der Bern: Huber.
Evaluation und hohe Expertise aufseiten derjenigen,
die die Evaluation verantworten. Die angesprochenen
methodischen Herausforderungen (Umgang mit fehlenden Literatur
Werten, Umgang mit hierarchischen Daten) sollten in
diesem Zusammenhang deutlich gemacht haben, dass ein Abs, H. J., Maag Merki, K., & Klieme, E. (2006). Grundlegende Güte-
sehr hohes methodisches Know-how vonnöten ist, um zu kriterien für Schulevaluation. In W. Böttcher, H. G. Holtappels, &
validen Aussagen auf der Basis der generierten Daten zu M. Brohm (Hrsg.), Evaluation im Bildungswesen. Eine Einführung
in die Grundlagen und Praxisbeispiele (S. 97–108). Weinheim:
gelangen.
Juventa.
Gleichzeitig wurde aber auch argumentiert, dass Altrichter, H. (1999). Anmerkungen zur Diskussion mit Detlev Leutner.
potenzielle Restriktionen des Umfeldes, in dem eine In J. Thonhauser, & J.-L. Patry (Hrsg.), Evaluation im Bildungsbereich.
Evaluation stattfindet, nicht selten im Gegensatz zu Wissenschaft und Praxis im Dialog (S. 133–136). Innsbruck: Studien-
den wissenschaftlichen Ansprüchen des Evaluators verlag.
Bortz, J., & Döring, N. (2002). Forschungsmethoden und Evaluation für
stehen. Evaluationen werden demzufolge immer wieder
Human- und Sozialwissenschaftler (3. Aufl.). Berlin: Springer.
das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Bryk, A. S., & Raudenbush, S. W. (1987). Application of hierarchical linear
Auftraggeber und -nehmer sein. models to assessing change. Psychological Bulletin, 101, 147–158.
Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen
347 14
Bryk, A. S., & Raudenbush, S. W. (1989). Toward a more appropriate Little, R. J. A., & Rubin, D. B. (1987). Statistical analysis with missing data.
conceptualization of research on school-effects: A three-level New York: Wiley.
hierarchical linear model. In R. D. Bock (Hrsg.), Multilevel analysis of Luyten, H. (2006). An empirical assessment of the absolute effect of
educational data (S. 159–204). San Diego: Academic. schooling: Regression-discontinuity applied to TIMSS-95. Oxford
Campbell, D. T., & Kenny, D. A. (1999). A primer on regression artifacts. Review of Education, 32, 397–429.
New York: Guilford Press. Lüdtke, O., & Köller, O. (2010). Mehrebenenanalyse. In D. H. Rost (Hrsg.),
Campbell, D. T., & Stanley, J. C. (1970). Experimentelle und Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (4. Aufl., S. 530–535).
quasi-experimentelle Anordnungen in der Unterrichtsforschung. In Weinheim: Beltz.
K. Ingenkamp & E. Parey (Hrsg.), Handbuch der Unterrichtsforschung Lüdtke, O., Robitzsch, A., Trautwein, U., & Köller, O. (2007). Umgang mit
(S. 445–632). Weinheim: Beltz. fehlenden Werten in der psychologischen Forschung: Probleme
Chen, H.-T. (2005). Practical program evaluation. Thousand Oaks: Sage. und Lösungen. Psychologische Rundschau, 58, 103–117.
Clausen, M. (2002). Unterrichtsqualität. Eine Frage der Perspektive? Mayring, P. (2002). Einführung in die qualitative Sozialforschung (5. Aufl.).
Münster: Waxmann. Weinheim: Beltz.
Cliffordson, C., & Gustafsson, J.-E. (2008). Effects of age and schooling Meyer, H. (2004). Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Scriptor.
on intellectual performance: Estimates obtained from analysis of Mittag, W., & Hager, W. (2000). Ein Rahmenkonzept zur Evaluation psycho-
continuous variation in age and length of schooling. Intelligence, 36, logischer Interventionsmaßnahmen. In W. Hager, J.-L. Patry, & H.
143–152. Brezing (Hrsg.), Handbuch psychologischer Interventionsmaßnahmen.
Fend, H. (1986). „Gute Schulen – schlechte Schulen“. Die einzelne Schule als Standards und Kriterien (S. 102–128). Bern: Huber.
pädagogische Handlungseinheit. Die Deutsche Schule, 78, 275–293. Muthén, L. K., & Muthén, B. (2010). Mplus. Statistical analysis with latent
Fend, H. (2000). Qualität und Qualitätssicherung im Bildungswesen. variables. User’s guide (6. Aufl.). Los Angeles: Muthén & Muthén.
Wohlfahrtsstaatliche Modelle und Marktmodelle. In A. Helmke, W. Pedhazur, E. J. (1997). Multiple regression in behavioral research (3. Aufl.).
Hornstein, & E. Terhart (Hrsg.), Qualität und Qualitätssicherung im Fort Worth: Harcourt Brace College Publishers.
Bildungsbereich: Schule, Sozialpädagogik, Hochschule. Zeitschrift für Popper, K. (1971). Logik der Forschung (4. Aufl.). Tübingen: Mohr.
Pädagogik, 41, Beiheft, 55–72. Raudenbush, S. W., & Bryk, A. S. (2002). Hierarchical linear models.
Fries, S., Lund, B., & Rheinberg, F. (1999). Läßt sich durch gleichzeitige Applications and data analysis methods (2. Aufl.). Newbury Park:
Motivförderung das Training des induktiven Denkens optimieren? Sage.
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 13, 37–49. Rheinberg, F., & Krug, S. (Hrsg.). (1999). Motivationsförderung im Schulall-
Gruehn, S. (2000). Unterricht und Lernen. Münster: Waxmann. tag (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Hager, W. (2008). Evaluation von pädagogisch-psychologischen Rossi, P. H., & Freeman, H. E. (1993). Evaluation. A systematic approach
Interventionsmaßnahmen. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), (5. Aufl.). Newburry Park: Sage.
Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 721–732). Göttingen: Rossi, P. H., Freeman, H. E., & Hofmann, G. (1988). P rogramm-Evaluation.
Hogrefe. Einführung in die Methoden angewandter Sozialforschung. Stuttgart:
Hall, E., Hall, C., & Sirin, A. (1996). Professional and personal development Enke.
for teachers: The application of learning following a counselling Rost, D. H. (2005). Interpretation und Bewertung pädagogisch-psychologischer
module. British Journal of Educational Psychology, 66, 383–398. Studien. Weinheim: Beltz.
Hattie, J. A. C. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 Rost, J. (2000). Allgemeine Standards für die Evaluationsforschung. In W.
meta-analyses relating to achievement. Oxon: Routledge. Hager, J.-L. Patry, & H. Brezing (Hrsg.), Handbuch Evaluation psycho-
Hattie, J. A. C. (2012). Visible learning for teachers. Maximizing impact on logischer Interventionsmaßnahmen (S. 129–140). Bern: Huber.
learning. Oxon: Routledge. Rubin, D. B. (1987). Multiple imputation for nonresponse in surveys. New
Heckman, J. J., Moon, S. H., Pinto, R., Savelyev, P., & Yavitz, A. (2010). A York: Wiley.
new cost-benefit and rate of return analysis for the Perry Preschool Rutter, M., Maughan, B., Mortimer, P., & Ouston, J. (1980). Fünfzehn-
Program: A summary. In A. J. Reynolds, A. J. Rolnick, M. E. Englund, tausend Stunden. Schulen und ihre Wirkung auf die Kinder. Weinheim:
& J. A. Temple (Hrsg.), Childhood programs and practises in the first Beltz.
decade of life. A human capital integration (S. 366–380). New York: Sarnacki, R. E. (1979). An examination of test-wiseness in the cognitive
Cambridge University Press. test domain. Review of Educational Research, 49, 252–279.
Helmke, A. (2003). Unterrichtsqualität. Erfassen, bewerten, verbessern. Schafer, J. L. (1997). Analysis of incomplete multivariate data. New York:
Seelze: Kallmeyer. Wiley.
JCSEE. (1994). The program evaluation standards (2. Aufl.). Thousand Schafer, J. L., & Graham, J. W. (2002). Missing data: Our view of the state
Oaks: Sage. of the art. Psychological Methods, 7, 147–177.
Klauer, K. J. (1993). Denktraining für Jugendliche. Göttingen: Hogrefe. Scheerens, J., & Bosker, R. (1997). The foundations of educational
Klauer, K. J. (2001). Forschungsmethoden in der Pädagogischen Psycho- effectiveness. Oxford: Pergamon.
logie. In A. Krapp, & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psycho- Schiffler, A., & Hübner, S. (2000). Allgemeine Standards für die Evaluations-
logie. Ein Lehrbuch (S. 75–97). Weinheim: Beltz. praxis. Die Standards des „Joint Committee on Standards for
Konsortium Bildungsberichterstattung. (2006). Bildung in Deutschland. Educational Evaluation“ und ihre Anwendung auf praktische Aspekte
Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und bei der Evaluation von psychologischen Interventionsmaßnahmen. In
Migration. Bielefeld: Bertelsmann. W. Hager, J.-L. Patry, & H. Brezing (Hrsg.), Handbuch Evaluation psycho-
Konsortium Bildungsberichterstattung. (2008). Bildung in Deutschland logischer Interventionsmaßnahmen (S. 141–152). Bern: Huber.
2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen Scriven, M. (1991). Evaluation Thesaurus (4. Aufl.). Newbury Park: Sage.
im Anschluss an den Sekundarbereich I. Bielefeld: Bertelsmann. Stanat, P., Pant, H. A., Böhme, K., & Richter D. (2012). Kompetenzen
Köller, O. (2008). Forschungsansätze in der Pädagogischen Psychologie. von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangs-
In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch Pädagogische stufe in den Fächern Deutsch und Mathematik. Ergebnisse des
Psychologie (S. 697–711). Göttingen: Hogrefe. IQB-Ländervergleichs 2011. Münster: Waxmann.
Köller, O., Knigge, M., & Tesch, B. (Hrsg.). (2010). Sprachliche Kompetenzen Wottawa, H., & Thierau, H. (2003). Lehrbuch Evaluation (3. Aufl.). Bern:
im Ländervergleich. Münster: Waxmann. Huber.
349 15
Deutsche Schülerinnen und Schüler sind dumm! – PISA-Zeugnis 15.1 Was können Schüler? Das Interesse
für Kultusminister: Versetzung gefährdet. – Kinder besser als die an Schülerleistungen
Schulen. – Zehn Jahre Pisa: Die Bildungsschocker. – Für derlei
Schlagzeilen sorgten in Deutschland im letzten Jahrzehnt PISA und Studien wie das „Programme for International Student Assess-
andere Vergleichsstudien. Deren Ergebnisse führen in der Regel ment“ (PISA) oder die „Progress in International Reading
zu intensiven Bildungsdiskussionen und tragen an vielen Stellen Literacy Study“ (PIRLS) betrachten Bildungssysteme aus einer
dazu bei, unser Bildungssystem weiterzuentwickeln. Immer wieder ergebnisorientierten Perspektive. Von der Beantwortung der
werden solche Studien aber auch kritisiert, da sie beispielsweise Frage „Was können Schüler?“ werden Rückschlüsse auf die
einseitig von Wirtschaftsinteressen beeinflusst seien oder deutsche Frage, wie gut ein Schulsystem seinen Aufgaben gerecht wird,
Schüler aufgrund bestimmter Aufgabenformate benachteiligten. erwartet. So wie Leistungsbeurteilungen bei der (individuellen)
Das vorliegende Kapitel beschreibt zentrale Aspekte der Diagnostik von Schülern als Grundlage für Schlussfolgerungen
theoretischen Fundierung, der Testkonstruktion und der Inter- dienen, aufgrund derer Lehrende Lernprozesse unterstützen,
pretation der Ergebnisse von internationalen und nationalen können Ergebnisse aus Vergleichsstudien Aufschluss über die
Schulleistungsstudien und legt dar, welche Funktionen diese Qualität des Bildungssystems geben: Sie bringen Stärken und
Studien im Bildungssystem übernehmen können. 7 Abschn. 15.1 Schwächen im Vergleich zu anderen Staaten oder Gruppen
beleuchtet zunächst den historischen Zusammenhang, aus dem zutage (Benchmarkingfunktion) und liefern eine Datengrund-
Schulleistungsstudien entstanden sind. 7 Abschn. 15.2 betrachtet lage für Überlegungen zur Veränderung und Verbesserung
Schulleistungsstudien systematisch: Welche Varianten solcher (Monitoringfunktion; 7 Exkurs „Was können Erwachsene?“).
Studien gibt es und wie kann man sie klassifizieren? Welche Anders als bei individuellen Diagnosen (7 Kap. 13, Definition
Studien ziehen internationale und welche nationale Vergleiche? von Schmidt-Atzert und Amelang 2012) steht hier
Anhand dreier Beispiele wird in 7 Abschn. 15.3 ein Spektrum gewissermaßen das Bildungssystem als „Merkmalsträger“ im
von Schulleistungsstudien vorgestellt. Danach behandeln wir die Blickpunkt.
theoretischen Grundlagen und die verschiedenen Konzeptionen,
technische und methodische Voraussetzungen, wie Designs und
Stichproben sowie Besonderheiten der Datenerhebung und -auf- Exkurs
bereitung (7 Abschn. 15.4), und wenden uns Fragen der Aus-
Was können Erwachsene?
wertung und der Ergebnisdarstellung zu (7 Abschn. 15.5). Wie
Auch mit Erwachsenen werden Vergleichsstudien durchgeführt,
jeder Forschungszugang haben auch Schulleistungsstudien nur
um das Kompetenzniveau in einem bestimmten Bereich für
eine begrenzte Reichweite. Deshalb gehen wir auf ihre Grenzen in eine ganze Gesellschaft zu überprüfen. PIAAC, das Programme
7 Abschn. 15.6 ein und beschreiben verschiedene Ergänzungen for the International Assessment of Adult Competencies
und Erweiterungen im Design bzw. in den Stichproben von Schul- (OECD 2013; Rammstedt 2013), ist eine Studie der OECD, die
leistungsstudien, die den beschriebenen Problemen Rechnung in 24 Ländern speziell den Übergang von der Schule in das
Berufsleben und die Kompetenzen Erwachsener untersucht.
tragen. In diesem Zusammenhang wird auch thematisiert, wie
2011/2012 wurden dafür erstmalig Erwachsene im Alter von
Fragestellungen sich entwickeln: Schulleistungsstudien werden 16 bis 65 Jahren befragt. Die nächste Erhebungsrunde ist für
15 erweitert, um bestimmte Fragen aus der pädagogisch-psycho- 2021/22 geplant und PIAAC soll in regelmäßigen Abständen
logischen Forschung tiefergehend bearbeiten zu können. wiederholt werden, um gesellschaftliche Veränderungen in den
Darüber hinaus tragen Befunde aus der pädagogisch-psycho- untersuchten Bereichen Lesekompetenz, alltagsmathematische
Kompetenz und technologiebasiertes Problemlösen
logischen Forschung zur Weiterentwicklung der Studien bei
nachverfolgen zu können.
(7 Abschn. 15.7). Das Kapitel schließt mit einem Ausblick auf
aktuelle Trends bei Vergleichsstudien (. Abb. 15.1).
2019 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2019), 4. Jahr- Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2019), 8.
gang Jahrgang
2018 Programme for International Student Assessment (PISA) 2018
2016 Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2016
2015 Programme for International Student Assessment (PISA) 2015 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2015),
Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2015), 4. Jahrgang 8. Jahrgang
2012 Programme for the International Assessment of Adult
Competencies (PIACC)
Programme for International Student Assessment (PISA) 2012
2011 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2011), 4. Jahrgang Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2011),
Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2011 8. Jahrgang
2009 Programme for International Student Assessment (PISA) 2009
2008 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007), 4. Jahr- Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007),
gang 8. Jahrgang
2006 Programme for International Student Assessment (PISA) 2006
Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS) 2006
2005 Second Information Technology in Education Study III (SITES III) Third International Mathematics and Science Study 2003
PISA 2003 (TIMSS 2003)
PIRLS 2001 PIRLS – keine Beteiligung an der Replikation von IRLS – Teilen
PISA 2000 mit nationalen Ergänzungen und Erweiterungen der (International Reading Literacy Study)
Stichprobe, SITES II Civic Education Study (CIVICS) – ältere Population, (Second
Civic Education Study (CIVICS) Information Technology in Education Study) SITES I
1995 Third International Mathematics and Science Study (TIMSS; – Third International Mathematics and Science Study (TIMSS; –
Beteiligung an TIMSS II und TIMSS III und TIMSS-Video) keine Beteiligung an TIMSS I)
International Reading Literacy Study (IRLS) Languages in Education Study (LES)
Computers in Education Study (ComPed; Beteiligung an Computers in Education Study (ComPed; keine Beteiligung an
ComPed II und ComPed III) ComPed)
International Assessment of Educational Progress (IAEP
I-Studie)
1985 Study of Written Composition Second International Science Study (SISS)
Classroom Environment Study Second International Mathematics Study (SIMS)
15 1975 Six Subject Study – Beteiligung an First International Science Six Subject Study – keine Beteiligung an Französisch, Lesever-
Study (FISS), Leseverständnis Englisch, Civic Education ständnis, Literatur
1965 First International Mathematics Study (FIMS)
1967 publiziert (Husén 1967). Die Six-Subjects-Study, die CIVICS (Civic Education Study) wieder am internationalen
Englisch und Französisch als Fremdsprachen, Naturwissen- Geschehen. Mit systematischen und umfassenden
schaften, Literatur, Lesekompetenz und politischer Bildung nationalen Bildungsforschungsstudien wurde in den
untersuchte, erschien in den 1970er-Jahren (Thorndike 90er-Jahren begonnen (Baumert et al. 1996; Lehmann et al.
1973). Weitere Mathematik- und Naturwissenschafts- 1995). Eine „empirische Wende“ erfolgte erst seit Anfang
studien – die Second International Mathematics Study des neuen Jahrtausends, als Deutschland an der damals
(SIMS) und die Second International Science Study (SISS) – neuen OECD-Studie PISA teilnahm. Seit diesem Zeit-
wurden in den 1980er-Jahren veröffentlicht (Postlethwaite punkt wurde damit begonnen, die Qualität des deutschen
und Wiley 1992; Robitaille und Garden 1989). Bildungssystems regelmäßig, systematisch, fortlaufend und
Betrachtet man die Geschichte internationaler Schul- gestützt auf empirische Daten zu überprüfen.
leistungsstudien, so fällt auf, dass Deutschland auf die
Teilnahme an den ersten Studien weitgehend verzichtet
hat. Nur einzelne Bundesländer nahmen an FIMS und 15.1.3 Bildungsmonitoring heute
Teilen der Six-Subjects-Study teil. Erst in den 90er-Jahren
orientierte sich Deutschland mit der Beteiligung an den Eine wichtige Erkenntnis aus den im vorangegangenen
IEA-Studien TIMSS (Third International Mathematics Abschnitt angesprochenen Vergleichsstudien war, dass
and Science Study), RLS (Reading Literacy Study) und deutsche Schüler bezüglich ihres Kompetenzniveaus in
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
353 15
zentralen Basiskompetenzen einen deutlichen Abstand hängt es ab, welche Art von Stichprobe aus welcher Population
gegenüber der Weltspitze aufwiesen. Zugleich wurde gezogen werden muss, ob die Studien national oder inter-
deutlich, dass es an empirisch fundiertem Wissen über national angelegt sein müssen oder welche Domänen und
Erklärungszusammenhänge mangelte. So wurde in den Hintergrundvariablen betrachtet werden.
letzten Jahren damit begonnen, in Deutschland ein Je nach Fragestellungen einer Studie sind bestimmte Ver-
umfassendes und auf modernen Methoden basierendes gleichsperspektiven zur Bewertung der Testleistungen einer
Bildungsmonitoring aufzubauen. umschriebenen Gruppe anzulegen (z. B. Klauer 1987; Rhein-
berg 1998). Die Kompetenz einer Person oder einer Gruppe
Definition kann beispielsweise an der Kompetenz einer anderen
Der Begriff Bildungsmonitoring bezeichnet die Gruppe gemessen werden. Dies geschieht in internationalen
systematische und regelmäßige Erfassung von Vergleichsstudien wie PISA, wo jedem teilnehmenden
Indikatoren für die Qualität eines Bildungssystems oder Staat die Ergebnisse der Tests auf einer gemeinsamen Skala
dessen Teilsysteme. zurückgemeldet werden. Jeder Staat kann sich so einem
normorientierten Vergleich stellen. Diese Ergebnisse
informieren über relative Stärken und Schwächen eines
Ein Monitoring gibt Informationen über den Zustand eines Bildungssystems. Diese Daten können auch für ein Bench-
Systems und dient als Datenbasis für Bildungsberichte. marking verwendet werden, um zu klären, wie andere (etwa
Da Bildungsergebnisse Auskunft über die erreichte Quali- erfolgreichere) Staaten vorgehen. Über mehrere Messzeit-
tät geben und eventuell Nachsteuerungsbedarf anzeigen, punkte entsteht zusätzliches Steuerungswissen.
können sie zur Steuerung des Systems genutzt werden. Eine Einen kriteriumsorientierten Vergleich stellt man
wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Bildungs- an, wenn man die erreichten Kompetenzen an inhaltlich
monitoring besteht darin, gezielt Indikatoren zu identi- definierten Standards oder Bildungszielen misst, wie etwa
fizieren, die relevante Aspekte der Ergebnisqualität, also der den in Lehrplänen oder Bildungsstandards definierten
Outcomes, repräsentieren. Diese Indikatoren werden durch Wissensbeständen oder auch den in theoretischen Rahmen-
die Verwendung empirischer Verfahren erfasst. Hervor- konzeptionen beschriebenen Ansprüchen an eine Grund-
zuheben ist, dass einzelne Schulleistungsstudien nicht alle bildung („literacy“) in einer bestimmten Domäne. So
Aspekte des Bildungssystems erfassen und Vergleichsstudien wird beispielsweise in PISA über die inhaltlich begründete
nur einen Teil aller für das Bildungssystem relevanten Abstufung der Schwierigkeitsskala ermittelt, wie groß die
Indikatoren bereitstellen können; weitere Aspekte von Gruppe besonders schwacher oder besonders leistungs-
Bildungsqualität müssen über zusätzliche Zugänge und mit starker Schüler pro Land ist.
anderen Mitteln erfasst werden, beispielsweise können die Schließlich gibt es eine ipsative Perspektive, die
prozentualen Anteile von Schulabbrechern in vielen Staaten betrachtet, wie sich die Kompetenzen einer Person
über nationale Statistiken festgestellt werden. oder Gruppe über die Zeit verändern oder auch, wie
die Kompetenzen in einem Staat auf einer bestimmten
Klassenstufe sich über die Jahre voneinander unter-
15.2 Klassifikation von Vergleichsstudien scheiden (Trends). Trendanalysen geben Aufschluss,
ob und wie weit ergriffene Maßnahmen zur Beseitigung
Vergleichsstudien verwenden verschiedene Mess- von Schwächen (wie z. B. ein Leseförderprogramm oder
instrumente, darunter Fragebögen, Interviews und Quellen spezielle Unterstützung für Kinder mit Migrationshinter-
z. B. von statistischen Ämtern, zur Ermittlung von Hinter- grund) greifen.
grundinformationen. Vergleichsstudien können anhand Abhängig von den Fragestellungen lassen sich Ver-
einer Reihe von Kriterien definiert und eingeordnet werden. gleichsstudien nach weiteren Gesichtspunkten klassifizieren
Die vorliegenden Vorschläge zur Klassifikation (Cresswell (Seidel und Prenzel 2008).
et al. 2015; Kuger et al. 2016, Sälzer et al. 2017, Seidel und Die Stichproben von Vergleichsstudien unterscheiden
Prenzel 2008) stimmen in vielen Punkten überein. sich insofern, als entweder eine gesamte Population getestet
Der Kern einer Vergleichsstudie ist demnach die (beispielsweise bei Vergleichsarbeiten in einem Bundes-
Testkomponente: Schüler werden mit Testaufgaben land) oder eine Zufallsstichprobe aus einer umschriebenen
konfrontiert, die Kompetenz messen. Die Antworten der Population gezogen wird. Entsprechend variiert die Reich-
Person auf bestimmte Testaufgaben dienen als Indikator weite einer Studie bzw. die Generalisierbarkeit der Ergeb-
für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch außerhalb der nisse. Vergleichsstudien können eine Anzahl von Staaten,
Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder ein vergleich- einen bestimmten Staat und seine Untergliederungen
bares Problem lösen zu können. Aus der Testleistung eines (wie z. B. die kanadischen Provinzen oder die Länder der
Schülers oder einer Schülerin wird also auf das Potenzial Bundesrepublik Deutschland), eine bestimmte Region oder
bzw. die Kompetenz der Person geschlossen. ein Bundesland, eine Schulart oder eine bestimmte Gruppe
Das zentrale Kriterium zur Klassifikation von Vergleichs- von Schulen (beispielsweise Ganztagsschulen) umfassen
studien sind ihre Fragestellungen. Von den Fragestellungen (7 Exkurs „Kombinierte Vergleichsstudien“).
354 B. Drechsel et al.
die Lehrer über das Internet die Rohdaten sowie relevante 15.3.2 Eine Internationale Vergleichsstudie:
Klassen- und Schülerdaten (z. B. Klassengröße) ein. Die PISA
Auswertungen und Rückmeldungen der Ergebnisse auf
Schüler-, Klassen- und Schulniveau sind Sache der Länder PISA, das „Programme for International Student Assess-
und erfolgen per E-Mail. Beispielaufgaben zu VERA finden ment“, ist der zentrale Teil eines umfassenden Indikatoren-
sich u. a. unter 7 https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben. systems, das die Organisation für wirtschaftliche
VERA erlaubt mehrere Vergleichsperspektiven: Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) organisiert.
5 Normorientierter Vergleich: Die Vergleichsarbeiten PISA untersucht, wie gut junge Menschen am Ende der
ermöglichen eine Standortbestimmung durch den Ver- Pflichtschulzeit auf Herausforderungen der Wissensgesell-
gleich der Ergebnisse von Klassen untereinander und schaft vorbereitet sind. Die erste Erhebungsrunde fand im
mit den jeweiligen Landesergebnissen. Ein sog. fairer Jahr 2000 statt, seither wird PISA alle 3 Jahre durchgeführt.
Vergleich gibt zudem die Möglichkeit, das Klassen- An PISA nehmen die OECD-Mitgliedsstaaten teil, welche
ergebnis mit dem Ergebnis aus einer Klasse in Bezug die Referenz darstellen, an der sich alle teilnehmenden
zu setzen, deren Schülerschaft bezüglich ihrer Hinter- Staaten messen. PISA ist auch für Staaten interessant, die
grundbedingungen vergleichbar ist. selbst nicht der OECD angehören, aber ihre Bildungs-
5 Kriteriumsorientierter Vergleich: Dieser Vergleich wird ergebnisse am OECD-Standard beurteilen möchten. An
gezogen, indem die Leistungen der Klassen mit inhalt- PISA 2006 nahmen 57 Staaten teil, bei PISA 2018 waren
lich definierten Fähigkeitsniveaus verglichen werden. Die es 79.
Ergebnisse lassen sich auf Bildungsstandards sowie Lehr- Die OECD beauftragt in jeder Erhebungsrunde inter-
pläne und Kerncurricula der Grundschulen beziehen. national zusammengesetzte Konsortien mit der Durchführung
356 B. Drechsel et al.
von PISA. In den Teilnehmerstaaten wird PISA nach den das Abprüfen von Lehrplanstoff beschränkt und fokussiert
internationalen Vorgaben und Standards von nationalen bei den Untersuchungen drei Kompetenzbereiche, die in
Institutionen durchgeführt. In Deutschland hat die Kultus- der Wissensgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Jede
ministerkonferenz (KMK) die Durchführung und Bericht- Erhebungsrunde umfasst alle drei Kompetenzbereiche,
erstattung für jede Erhebungsrunde ausgeschrieben und in wobei bei jedem Durchgang ein Bereich vertieft untersucht
Folge nationale Konsortien mit Wissenschaftlerinnen und wird (. Abb. 15.2):
Wissenschaftlern unterschiedlicher Institute (z. B. Max- 5 Die Lesekompetenz, die in der ersten
Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin; Leibniz- PISA-Erhebungsrunde den Schwerpunkt bildete und
Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und seither regelmäßig getestet wird, wird als Schlüssel für
Mathematik (IPN), Kiel; oder Deutsches Institut für Inter- den Zugang zu Wissen schlechthin betrachtet, denn der
nationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt) mit der größte Teil des Wissens wird über Texte (unterschied-
Durchführung beauftragt. Ende 2010 wurde von der KMK licher Sorten) transportiert und erschlossen.
zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und 5 Die ebenfalls regelmäßig untersuchte mathematische
Forschung (BMBF) das „Zentrum für Internationale Bildungs- Kompetenz steht weniger für alltägliche Rechenfertig-
vergleichsstudien“ (ZIB) gegründet. Dieses Zentrum plant und keit, sondern für die Nutzung von Mathematik als
verbindet Forschungsarbeiten zu Large Scale Assessments in Werkzeug für die Modellierung von Zusammenhängen
drei Instituten (DIPF, IPN und TUM School of Education); es und für das Lösen von Problemen.
führt – mit Sitz an der TUM School of Education in München 5 Der dritte in jeder Runde erneut untersuchte Bereich
– regelmäßig PISA in Deutschland durch und stimmt sich der naturwissenschaftlichen Kompetenz trägt der
eng mit dem IQB in Berlin ab, das für die nationalen Schul- Tatsache Rechnung, dass Gesellschaft und Kultur von
leistungsstudien verantwortlich ist. den sich dynamisch weiterentwickelnden Naturwissen-
PISA ist vor allem darauf gerichtet, zentrale und grund- schaften und der Technik nachhaltig geprägt werden.
legende Kompetenzen zu erheben, die für die individuellen
Lern- und Lebenschancen und die persönliche wie beruf- Die PISA-Rahmenkonzeptionen für die drei Testbereiche
liche Entwicklung über die Lebensspanne ebenso bedeut- liefern die Grundlage für die Konstruktion der Tests. Das
sam sind wie für die gesellschaftliche, politische und Aufgabenmaterial wird in Test- und Forschungsinstituten
wirtschaftliche Weiterentwicklung. Die Zielgruppe von aus mehreren Ländern in Zusammenarbeit mit dem inter-
PISA sind Jugendliche im Alter von 15 Jahren. Diese Fest- nationalen PISA-Konsortium entwickelt. Darüber hinaus
legung wurde gewählt, da sich Jugendliche dieser Alters- haben alle teilnehmenden Staaten Gelegenheit, selbst Auf-
gruppe in den OECD-Staaten normalerweise noch alle im gaben einzureichen, die in den Test aufgenommen werden,
Pflichtschulsystem befinden, sich zugleich aber dem Ende wenn sie den Kriterien der Rahmenkonzeption ent-
der Pflichtschulzeit und dem Übergang in das Berufsleben sprechen. Die so entstandenen Aufgaben werden in einem
oder in weiterführende Bildungsgänge nähern. Feldtest erprobt. An der Hauptstudie nimmt in jedem Teil-
Welche Anforderungen die Testaufgaben stellen, nehmerstaat eine repräsentative Stichprobe von Schülern
15 ist in ausführlichen Testkonzeptionen beschrieben und teil. Die PISA-Ergebnisse werden zentral analysiert und
begründet, die von Expertenkommissionen in Hinblick schließlich in internationalen und nationalen Berichten ver-
auf die generelle Zielstellung von PISA ausgearbeitet öffentlicht (z. B. Klieme et al. 2010; OECD 2007a; OECD
wurden (z. B. OECD 2016). PISA verwendet eine 2007b; OECD 2010; Prenzel et al. 2007a, Reiss et al. 2016).
Literacy-orientierte Rahmenkonzeption, die sich nicht auf Auch PISA lässt unterschiedliche Vergleichsperspektiven zu:
Lernansätze, Ein-
Lernansätze, Lernansätze, stellung zu den
Leseengage- Einstellung zur Naturwissenschaf-
ment, -motivation Mathematik ten, kooperatives
und -strategien Problemlösen
(computerbasiert)
. Abb. 15.2 Jahr der Erhebungsrunde, Untersuchungsbereiche mit Schwerpunktdomäne. (PISA Broschüre – Die internationale Schulleistungs-
studie der OECD, OECD 2007, 7 http://www.oecd.org/pisa, mit freundlicher Genehmigung)
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
357 15
5 Die internationale Einordnung der Befunde eines für Mathematik (OECD 2003). Beide Rahmenkonzeptionen
Landes entspricht einem normorientierten Vergleich. beschreiben die Mathematikkompetenz aus einer inhalt-
5 Kompetenzstufen, die eine inhaltliche Beurteilung der lichen und einer prozessorientierten Sicht. Die KMK-
Kompetenzen enthalten, gestatten kriteriumsorientierte Bildungsstandards unterscheiden „mathematische Leitideen“
Vergleiche. und „mathematische Kompetenzen“ (Kultusminister-
5 Da PISA in aufeinander folgenden Erhebungsrunden konferenz 2004) und definieren Kompetenzstandards
durchgeführt wird, können ipsative Vergleiche gezogen und (vgl. auch Ehmke et al. 2006c).
die Ergebnisse für ein Land über die Zeit betrachtet werden.
15.4 Vergleichsstudien – Von der Idee zur mehreren Stichproben unterschiedlicher Alters- oder Jahr-
Testdurchführung gangsstufen und begleiten diese über mehrere Messzeit-
punkte oder Erhebungsrunden. Die Erhebungen in solchen
Die bisherigen Ausführungen illustrieren, dass es nicht komplexen Panelstudien können gewinnbringend mit quer-
„die“ Vergleichsstudie gibt, sondern sich das konkrete Vor- schnittlichen Designs ergänzt werden (vgl. auch Duncan
gehen in den einzelnen Studien deutlich unterscheidet. Was und Kalton 1987). Viele Vergleichsstudien verwenden auch
dies für den konkreten Forschungsprozess bedeutet und eine Kombination der beschriebenen Designs oder ver-
welche Arbeitsschritte im Rahmen der Planung und Durch- koppeln Teilstichproben einer querschnittlichen Studie mit
führung der meisten Vergleichsstudien anfallen, wird in Komponenten längsschnittlicher Designs.
den nächsten Abschnitten behandelt. Vergleichsstudien streben an, repräsentative Aus-
sagen über Kompetenzen und andere Merkmale in einer
Population zu treffen. Um den Aufwand einer Erhebung zu
15.4.1 Designs und Stichproben reduzieren, werden Stichproben von Personen (bzw. von
Schulen, s. unten) gezogen. Die Ziehung der Stichproben
Das Zentrum von Vergleichsstudien ist die Testkomponente. ist ein sehr bedeutsamer (und methodisch anspruchsvoller)
Hinzu kommen Daten zu Hintergrundvariablen, die mittels Schritt im Laufe der Realisierung einer Vergleichsstudie,
Fragebogen, Interview oder Beobachtung erfasst werden. da die Aussagekraft auf Populationsebene mit der Quali-
Gegenstand der Analysen sind Relationen zwischen diesen tät einer Stichprobe steht und fällt. Ein Sonderfall, in dem
Variablen. Stichproben keine Rolle spielen, sind Vollerhebungen wie
Die Entscheidung für ein quer- oder längsschnittliches beispielsweise flächendeckende Lernstandserhebungen, in
Design wirkt sich auf die Möglichkeiten der Interpretation denen alle Schüler einer Population in eine Vergleichsstudie
aus. Vergleichsstudien, die nur zu einem Messzeitpunkt einbezogen werden.
durchgeführt werden, liefern deskriptive Befunde, die zur In Vergleichsstudien werden aus verschiedenen
Standortbestimmung und Bestandsaufnahme beitragen. Will Gründen häufig komplexe Stichproben gezogen. Das
man solide Hinweise auf kausal bedeutsame Bedingungs- bedeutet, dass mehrere Arten der Stichprobenziehung mit-
faktoren erhalten, dann sind Längsschnittdesigns erforder- einander kombiniert werden müssen. Dies hat verschiedene
lich. . Tab. 15.3 gibt einen Überblick über die verschiedenen Gründe: Einfache Zufallsstichproben setzen voraus, dass
Möglichkeiten, eine Vergleichsstudie zu gestalten. es Listen sämtlicher Schüler gibt, die der Zielpopulation
Zwei der Designs sind querschnittlich angelegte angehören. Dies stellt vor allem bei altersbasierten Stich-
Studien, die wahlweise eine oder mehrere Zielgruppen proben ein Problem dar. Ebenso wichtig ist jedoch ein
(Alters- oder Jahrgangsstufen) einbeziehen, die entweder zweiter, praktischer Grund: Theoretisch können sich die in
einmal getestet werden oder die in mehreren Runden zu einer einfachen Zufallsstichprobe gezogenen Schüler geo-
jedem Erhebungszeitpunkt immer an neuen Stichproben in grafisch sehr weit und auf sehr viele verschiedene Schulen
der jeweiligen Population untersucht werden. Panelstudien verteilen. Der organisatorische Aufwand, der mit einer
15 verwenden längsschnittliche Designs. Dabei wird eine solchen Stichprobe verbunden wäre, ist kaum zu leisten.
Stichprobe aus einer Population über mehrere Messzeit- Stichproben in Vergleichsstudien werden deshalb strati-
punkte hinweg immer wieder getestet und befragt (ein- fiziert. Das heißt, die Zielpopulation wird in verschiedene
fache Panelstudien). Komplexe Panelstudien starten mit Teilstichproben (Strata) unterteilt. Man unterscheidet hier
. Tab. 15.3 Untersuchungsdesigns in Vergleichsstudien. (Modifiziert nach Seidel und Prenzel 2008, © 2008 by Hogrefe & Huber
Publishers (now Hogrefe Publishing), 7 https://www.hogrefe.com)
Querschnittlich
Eine Erhebung 1 ≥1 (z. B. Klasse 4, 8, 12) Zufallsstichproben für jede Population zu
jedem Erhebungszeitpunkt
In mehrjährigen Runden wiederkehrende >1 ≥1 Zufallsstichproben für jede Population zu
Erhebungen (Trend) jedem Erhebungszeitpunkt
Längsschnittlich
Einfaches Panel >1 1 Eine Zufallsstichprobe wird zu Beginn
gezogen und zu allen Erhebungszeit-
punkten erneut getestet/befragt
Komplexes Panel >1 ≥1 Mehrere Zufallsstichproben werden
gezogen und zu allen Erhebungszeit-
punkten erneut getestet/befragt
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
359 15
explizit und implizit stratifizierende Variablen. Um einen Beispiel
„sampling frame“, also die Listen dieser Teilstichproben,
zu erstellen, aus denen die Stichproben dann gezogen Stichprobenziehung bei PISA 2006
werden, wird die Zielpopulation unterteilt. Die Schulstich- Im ersten Schritt wurden 227 Schulen für den
probe wird nach Ländern geschichtet, d. h. separat für jedes internationalen Vergleich gezogen. In vier dieser Schulen
Land behandelt (explizit stratifiziert). Die Ziehung wird so gab es zum Testzeitpunkt keine Fünfzehnjährigen mehr.
angelegt, dass sich die gezogenen Schulen innerhalb der Für zwei dieser Schulen konnten Ersatzschulen ermittelt
Schichten proportional zur Zahl der unterrichteten Schüler werden. Insgesamt wurden Daten von Schülerinnen
je nach Schulart auf die unterschiedlichen Schulen verteilen und Schülern aus 225 Schulen ausgewertet, die
(implizit stratifiziert). Die Grundlage für die Stichproben- Teilnahmequote beträgt auf Schulebene somit 100 %.
ziehung sind die Angaben der statistischen Ämter eines Auf Schülerebene liegt die Teilnahmequote bei
Staates (in der Bundesrepublik beispielsweise die Angaben 92,3 %, weil meist wegen Krankheit oder fehlender
der 16 statistischen Landesämter; vgl. z. B. auch Carstensen Elterngenehmigungen Schülerinnen und Schüler
et al. 2007). nicht an der Erhebung teilnahmen. […] Vom Test
Innerhalb der stratifizierten Stichproben werden dann ausgeschlossene Schülerinnen und Schüler wurden
Klumpenstichproben gezogen, die sich dadurch aus- nicht in die Berechnung der Untersuchungs-
zeichnen, dass die zu testenden Personen in Gruppen beteiligung einbezogen; ihr Anteil lag bei 0,66 %. Den
zusammengefasst sind (7 Kap. 14). In Vergleichsstudien internationalen PISA-Regelungen folgend wurden
ist es gängige Praxis, mehrere Klumpenstichproben nach- Schülerinnen und Schüler innerhalb der Schulen
einander zu ziehen: Die primären Stichprobeneinheiten dann ausgeschlossen, wenn sie weniger als ein Jahr in
sind Schulen, die sekundären Stichprobeneinheiten sind Deutschland Deutschunterricht erhalten hatten oder
Schüler (vgl. auch Lohr 1999; Walter und Rost 2011). wenn ihnen aufgrund einer körperlichen, geistigen oder
Es werden Schulen gezogen, deren Zahl von der emotionalen Beeinträchtigung die Teilnahme am Test
angestrebten Genauigkeit der Stichprobenergebnisse nicht möglich war.
abhängt. In den Schulen werden Zufallsstichproben von (Zitiert nach Carstensen et al. 2007, S. 371).
Schülern gezogen. Das Beispiel PISA 2006 illustriert, wie
aus der laut „sampling frame“ vorgesehenen Stichprobe
eine realisierte Stichprobe wird. Eine definierte Zielpopulation sollte innerhalb der Staaten
Wie bereits ausgeführt, werden in Vergleichsstudien alters- möglichst vollständig ausgeschöpft werden. Von voll-
bzw. jahrgangsbasierte Stichproben gezogen (7 Abschn. 15.4.1). ständiger Ausschöpfung spricht man dann, wenn potenziell
In altersbasierten Stichproben entscheidet man sich alle Personen der Zielpopulation für die zu untersuchende
für eine Untersuchungspopulation, die das Lebens- Stichprobe ausgewählt werden können. Es gibt einige,
alter der Schüler als Kriterium nimmt. In diesen Studien wohldefinierte Ausschlussgründe. Ausgeschlossen werden
wird danach gefragt, welche Kompetenzen Jugendliche in der Regel Schüler, die aus körperlichen, geistigen oder
bis zu einem bestimmten Alter entwickeln, unabhängig seelischen Gründen nicht in der Lage sind, selbstständig
davon, auf welcher Klassenstufe sie sich zu diesem Zeit- den Test zu bearbeiten. Ein weiterer Grund kann sein, dass
punkt befinden. Diese Definition bringt es mit sich, dass Schüler die Testsprache nicht gut genug beherrschen, weil
sich Schüler der Stichprobe auf mehrere Klassenstufen sie gerade erst zugewandert sind. Neben diesen Gründen
verteilen, in Abhängigkeit davon, wie die Einschulungs- könnten sich (je nach Regelung) in manchen Ländern
praxis und die Regeln zur Klassenwiederholung in den teil- Schüler oder ganze Schulen weigern, an der Studie teilzu-
nehmenden Staaten sind. Ein Problem der altersbasierten nehmen. Um Verzerrungen der Stichproben, die durch
Stichproben tritt auf, wenn ein nennenswerter Anteil der diese Ursachen zustande kommen könnten, möglichst
Zielpopulation nicht (mehr) die Schule besucht. Dies ist für gering zu halten, werden in Vergleichsstudien auf Schul-
15-Jährige in einigen Staaten der Fall, beispielsweise in der ebene und auf der Ebene der Schüler jeweils Mindestaus-
Türkei (über 40 %), in Mexiko (über 35 %) oder Portugal schöpfungsquoten definiert. Diese Mindestquoten müssen
(über 10 %). Man kann vermuten, dass die Jugendlichen, erreicht werden, damit die Daten eines Landes berichtet
die aus diesem Grund nicht an PISA teilnehmen, zu den werden.
kompetenzschwächeren gehören. Das bedeutet, dass so das Die Wahrscheinlichkeit, in die Stichprobe aufgenommen
Kompetenzniveau der Population der 15-Jährigen in diesen zu werden, ist aufgrund der expliziten Stratifizierung nach
Staaten u. U. überschätzt wird. Schularten nicht für alle Schüler gleich. Die Stichprobe
360 B. Drechsel et al.
ist damit zwar zufällig gezogen, was aber nicht bedeutet, Expertengruppen unter Berücksichtigung des Forschungs-
dass sie repräsentativ für die Zielpopulation ist. Um diese standes erarbeitet werden. Dabei verspricht man sich auch,
Repräsentativität herzustellen, wird für jede Schülerin und der Gefahr zu entgehen, am Ende nur typisches Schulbuch-
jeden Schüler ein sog. individuelles Gewicht berechnet. wissen abzufragen, das Schüler sich kurzfristig angeeignet
Die Gewichte drücken aus, wie viele Schüler der haben. Vielmehr möchte man sie mit lebensnahen
Population jede Schülerin bzw. jeder Schüler repräsentieren Anforderungen konfrontieren, die eine flexible, situations-
soll. Das Gewicht gibt somit die Zahl der Jugendlichen in angemessene Anwendung von Wissen verlangen.
der Population je Person in der Stichprobe an. Die Aus- Die Erhebungen bei Vergleichsstudien beschränken
wertungen von Ergebnissen, auf die die so konstruierten sich nicht nur auf Tests (Kuger et al. 2016). Unter dem
Gewichte angewendet werden, beziehen sich auf die Fall- Begriff „Hintergrund- und Kontextmerkmale“ ver-
zahlen der zugrunde liegenden Population, und die bergen sich Merkmale, die mit den Bildungsergebnissen
Stichprobenergebnisse lassen sich auf diese Population ver- der Schüler (Outputs) assoziiert sind und deren Lern-
allgemeinern (vgl. auch Walter und Rost 2011). und Lebensumgebungen zugeordnet werden können
(Kontextfaktoren). Es werden Lern- und Entwicklungs-
bedingungen erhoben, die vor allem das Elternhaus, die
15.4.2 Theoretische Rahmenkonzeptionen Schule und den Unterricht charakterisieren (Prozess-
faktoren; 7 Abschn. 15.1.1). Mit der Erhebung von Hinter-
Die Rahmenkonzeption einer Vergleichsstudie beschreibt grundmerkmalen auf diesen unterschiedlichen Ebenen
die Anforderungen an die Konstruktion der Testverfahren können nicht nur aufschlussreiche Informationen über
und Fragebögen. Die Testkonzeptionen beziehen sich auf Bedingungen des Aufwachsens und diesbezügliche Unter-
die zugrunde liegende bildungstheoretische Auffassung schiede gewonnen werden. Die Erhebungen geben auch
und berücksichtigen den aktuellen Forschungsstand. Sie die Möglichkeit, die unter verschiedenen Bedingungen ent-
sind an der zu testenden Zielpopulation und den Zielen der wickelte Kompetenz von Schülern zu vergleichen, auf der
jeweiligen Studie orientiert. nationalen wie internationalen Ebene. Damit können auch
Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, Kompetenz- Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit bestimmte
messungen normativ zu verankern: Die IEA orientiert sich Lebensbedingungen (z. B. Merkmale der Herkunft) in den
beispielsweise an curricularen Vorgaben und prüft, inwieweit einzelnen Ländern systematisch mit Kompetenzunter-
diese von den Schülern erreicht werden. Aus der Sicht von schieden – also unterschiedlichen Chancen auf eine erfolg-
Schule erscheint ein curricularer Bezugspunkt als nahe- reiche Kompetenzentwicklung – verknüpft sind.
liegend, denn man hofft so zu erfahren, inwieweit die Lehr- In vielen Studien werden neben den teilnehmenden
pläne in Wissen und Können umgesetzt werden. Für den Schülern auch die Schulleitungen und/oder Lehrpersonen
internationalen Vergleich können die Überschneidungs- mittels Fragebögen befragt, um Prozessinformationen
bereiche der Curricula in den teilnehmenden Staaten der über die schulische und unterrichtliche Lernumgebung
Kompetenzmessung in einer bestimmten Jahrgangsstufe zu sammeln. Einen Einblick in die familiäre Situation und
15 zugrunde gelegt werden. Da in der Mathematik und in den das soziale Umfeld der Familie geben immer häufiger auch
Naturwissenschaften am ehesten international gemeinsame Fragebögen an die Eltern der Schüler.
curriculare Anforderungen vorliegen, sind diese Fächer
traditionell die Favoriten für internationale Vergleichs-
studien. Dennoch stellen sich auch bei diesen Fächern zahl- 15.4.3 Testkonstruktion und
reiche Probleme, die vor allem auf Unterschiede in der Itementwicklung
Organisation und Sequenzierung der nationalen Curricula
zurückzuführen sind. Die Testentwicklung erfolgt auf der Basis der Rahmen-
Unter anderem deshalb wird in neueren Vergleichs- konzeption und erfordert festgelegte Arbeitsschritte. Die
studien (wie in PISA) eine andere Vorgehensweise gewählt. zentralen Kriterien für die Aufgabenkonstruktion sind
Statt der Erfüllung bestehender Curricula steht bei Literacy- folgende:
orientierten Studien die Frage im Mittelpunkt, wie gut 5 Die Aufgaben müssen die bildungstheoretischen Grund-
Schüler eines bestimmten Lebensalters Kompetenzen gedanken der jeweiligen Testkonzeption verkörpern.
entwickelt haben, die für ein lebenslanges Lernen in der 5 Die Aufgaben müssen die in der Testkonzeption
Wissensgesellschaft und für die aktive Teilhabe am Leben unterschiedenen inhaltlichen Aspekte umsetzen und
einer Gesellschaft von Bedeutung sind. Nun steht diese repräsentieren.
Perspektive nicht unbedingt einer curricularen Sicht ent- 5 Die Aufgaben müssen eine reliable, valide und inter-
gegen – die Präambeln von Lehrplänen sprechen ja auch national vergleichbare Leistungsmessung ermöglichen.
vergleichbar anspruchsvolle Zielvorstellungen an. Allerdings
verfolgen die Literacy-orientierten Ansätze die Absicht, Die Aufgabenentwürfe werden in einem mehrstufigen
sich zu vergewissern, welche Kompetenzen relevant und Verfahren überprüft und weiterentwickelt (. Abb. 15.3).
anschlussfähig sind. Da solche Anforderungen nicht (wie bei Einzelne Schüler werden beispielsweise gebeten, Aufgaben
Lehrplänen) in kodifizierter Form vorliegen, müssen sie von zu bearbeiten und dabei „laut zu denken“. Es folgen erste
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
361 15
sein müssen. Die Übersetzungen werden nach fest-
geschriebenen Übersetzungsregeln angefertigt.
Aufgrund der z. T. großen organisatorischen Unter-
schiede zwischen den Schulsystemen der Staaten, die an
Vergleichsstudien teilnehmen, sind Anpassungen der
Fragebögen nötig. Beispielsweise gilt es, gegliederte und
nicht gegliederte Schulsysteme vergleichbar zu machen,
die Qualifikationsniveaus von Lehrkräften zu vergleichen
oder – beispielsweise für die Beschreibung des sozialen und
kulturellen Hintergrundes – Indikatoren für Wohlstand zu
finden. Diese Prozedur ist aufwändig und erfolgt unter der
Leitung der Organisatoren der Studie, die die Anpassungen
und Spezifikationen prüfen und auf Vergleichbarkeit
achten. Jede Anpassung, die im Fragebogen vorgenommen
wird, muss sorgfältig geprüft und genehmigt werden.
. Abb. 15.4 Design des internationalen Tests in PISA 2006. (Aus Prenzel, M., Carstensen, C. H., Frey, A., Drechsel, B. & Rönnebeck, S. (2007b).
PISA 2006 – Eine Einführung in die Studie. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichs-
studie (S. 49). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)
Eltern oder Lehrkräfte werden Datensätze erstellt, die nach Personenfähigkeiten und Aufgabenschwierigkeiten
zur zentralen Auswertung weitergegeben werden. Die differenzieren. Aus beiden ergibt sich die Lösungswahr-
Skalierung der Tests ist der erste und grundlegende Aus- scheinlichkeit für eine richtige oder falsche Bearbeitung der
wertungsschritt. Auf der Basis von Modellen der Item- einzelnen Aufgabe durch jede Person (Rost 2004; 7 Exkurs
Response-Theorie werden sog. Parameter bestimmt, die „Modelle der Item-Response-Theorie“).
Exkurs
Das Ziel der Skalierung ist es, die Antworten der Schüler 15.5 Auswertungsverfahren und Ergebnisse
auf die Testfragen so zu analysieren, dass sie auf einer (mit Beispielen)
gemeinsamen Skala betrachtet werden können und die
Kompetenzen der Jugendlichen verglichen werden können. Die in 7 Abschn. 15.3.2 beschriebenen Vergleichsperspektiven
Damit die Personen bzw. Personengruppen bezüglich der bestimmen, welche Ergebnisse ermittelt werden und ent-
gemessenen Kompetenz miteinander verglichen werden scheiden dementsprechend auch über die Auswertungsver-
können, muss eine Skala eindimensional sein. Außerdem fahren. Im Folgenden werden Auswertungsverfahren und
muss eine Skala möglichst messgenau sein, d. h. die Ergebnisse dargestellt, mit denen man bei der Auseinander-
anvisierte Kompetenz möglichst zuverlässig und präzise setzung mit Ergebnisberichten zu Vergleichsstudien häufig
erfassen. konfrontiert ist.
Die Fragebögen werden analog zum Vorgehen bei den
Testaufgaben skaliert (ebenfalls häufig unter Anwendung
von Modellen der Item-Response-Theorie). Die Analysen 15.5.1 Vergleiche von Gruppen
zur Dimensionalität und Zuverlässigkeit informieren über
die Qualität und die Eignung der Fragebogenskalen für die Wie bereits ausgeführt, steht in Vergleichsstudien meist eine
weiteren Auswertungen. normorientierte Perspektive im Vordergrund. In diesem
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
363 15
Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sich Vergleichs- Mittelwert zur exakten Betrachtung über die Zeit am
studien in erster Linie zum Vergleich der Ergebnisse von OECD-Mittel von PISA 2000 normiert. Die Lesekompetenz
Gruppen eignen und nur bedingt Aufschluss über die hat sich in den 15 Jahren seit PISA 2000 im Mittel der
Leistung oder die Bildungsergebnisse einzelner Individuen OECD-Staaten verringert. Deshalb liegt der OECD-Mittel-
(z. B. einzelner Schüler) geben (zur Individualdiagnostik wert in . Abb. 15.5 bei 493 Punkten. Der normierte Mittel-
7 Kap. 13). Zur Illustration zeigt . Abb. 15.5 die Ergebnisse wert bildet die Referenz für die Ergebnisse aller anderen
aus PISA 2015 zur Lesekompetenz. Teilgruppen (z. B. einzelner Staaten), die mit dem OECD-
Die Festlegung einer gemeinsamen Skala für die Mittelwert verglichen und beurteilt werden.
Testergebnisse erleichtert den Vergleich von Mittel- Neben dem arithmetischen Mittel sind weitere Kenn-
werten zwischen den Gruppen. Dabei bietet sich das werte der Verteilung der Leistungen für die Inter-
arithmetische Mittel für Vergleiche der im Durchschnitt pretation von Bedeutung. Ein typischer Kennwert für
von einer Teilgruppe erreichten Kompetenzwerte an. die Streuung ist die Standardabweichung. Um die Ver-
Diese sog. Kompetenzskalen werden häufig normiert, d. h. gleiche zwischen Gruppen auch in dieser Hinsicht zu
es gibt einen über alle beteiligten Gruppen berechneten erleichtern, normiert man Kompetenzskalen für Mittelwert
Durchschnittswert, der die Referenz für die einzelnen und Standardabweichung. Für das Beispiel PISA bedeutet
Teilgruppen bildet. In PISA beispielsweise liegt dieser dies: Die Standardabweichung aller Messwerte über die
normierte Mittelwert bei 500 Punkten und entspricht dem OECD-Staaten wird bei der Normierung der Skalen auf
OECD-Durchschnitt. Bei PISA 2006 wurde der OECD-
100 Punkte festgelegt.
Anmerkung: Prädiktorvariable ist HISEI. Der farblich gekennzeichnete Unterschied zum OECD-Durchschnitt bezieht sich auf
die Stärke des Zusammenhangs.
Tabellen mit Mittelwertvergleichen enthalten außerdem komplexer und unbekannter Inhalte sowie die Übertragung
Angaben über den sog. Standardfehler der Schätzung des von Konzepten und die Anwendung domänenspezifischer
Populationskennwertes. Mithilfe von Zufallsstichproben Prozesse auf unbekannte Situationen und Fragestellungen.
wird versucht, Aussagen über Merkmalsverteilungen in einer
Population (Grundgesamtheit) zu treffen (7 Abschn. 15.4.3).
Allerdings sind diese Schätzungen auf der Basis von Stich- Exkurs
proben immer fehlerbehaftet. Die Größe des Fehlers
wiederum lässt sich anhand der (gemessenen) Streuung in Was sind Kompetenzstufen?
der Stichprobe im Verhältnis zur Stichprobengröße schätzen. Verfahren zur Festlegung von Kompetenzstufen waren erstmals
Die angegebenen Standardfehler kann man auch nutzen, um in der TIMS-Studie angewendet und berichtet worden. Dieser
anhand der geschätzten Populationswerte zu prüfen, ob sich methodische Zugang wurde bei PISA weiter verfeinert (OECD
2002) und scheint inzwischen Routine zu sein. Beispielsweise
die Mittelwerte von zwei Gruppen überzufällig (mit einer ist die Festlegung von Kompetenzstufen derzeit auch das
Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %) unterscheiden. Verfahren der Wahl bei der Umsetzung der Bildungsstandards.
Eine Rangfolge der untersuchten Teilgruppen wird Hier wird eine Kompetenzstufe als Kriterium für das Erreichen
erzeugt, indem die teilnehmenden Gruppen anhand ihrer eines Standards (z. B. Minimal- oder Regelstandard) gesetzt. Es
Mittelwerte in einer Tabelle angeordnet werden. Diese wird inhaltlich begründet, warum diese Kompetenzstufe die
Minimalanforderung in einem Bereich darstellt.
Rangfolgen alleine bilden die Mittelwertunterschiede ab.
Anhand der Standardfehler für die Populationsschätzung
kann man jedoch erkennen, dass die Unterschiede in
den Stichprobenmittelwerten nicht immer substanzielle . Tab. 15.4 präsentiert exemplarisch die Kompetenzstufen-
Unterschiede (zwischen den Populationen) abbilden. Des- beschreibungen für die Lesekompetenz aus PISA 2015
halb werden geeignete statistische Verfahren zum Mittel- (Weis et al. 2016).
wertvergleich angewendet. In unserem Beispiel, den Analysiert man die Verteilung der Schüler auf den Stufen
internationalen Vergleichstabellen in PISA, werden ent- der Lesekompetenz, kann man einerseits Spitzengruppen und
sprechend drei Blöcke gebildet (OECD-Durchschnitt, ober- andererseits Schüler mit grundlegenden Leseschwierigkeiten
halb und unterhalb des OECD-Durchschnittes). Innerhalb identifizieren. . Abb. 15.6 zeigt exemplarisch die Anteile der
dieser Blöcke sind Unterschiede zwischen den Staaten Schüler in Prozent, deren Lesekompetenz unter oder auf
statistisch nicht mehr zuverlässig abzusichern. Folgt man Stufe I und auf Stufe V liegt, im internationalen Vergleich.
dieser Betrachtung, dann verbietet es sich, die Tabellen- Im Durchschnitt der OECD-Staaten gehören 20,1 % der
plätze entsprechend einer einfachen Rangfolge „durchzu- Schüler zu der Gruppe, deren Lesekompetenz unter und auf
nummerieren“. Kompetenzstufe I liegt. Die Kompetenzstufe V erreichen
8,3 % der 15-Jährigen. Etwas erfreulicher zeigt sich das
Bild für Deutschland: Die Lesekompetenz von 16,2 %
15.5.2 Kompetenzstufen der Schüler liegt auf und unter Stufe I, die Kompetenz-
15 stufe V hingegen erreichen 11,7 %. Die durchschnittlichen
In den aktuellen Vergleichsstudien werden Kompetenz- Werte der Jugendlichen in allen OECD-Staaten setzen sich
stufen („proficiency levels“) differenziert und anhand von aus sehr unterschiedlichen Mischungen von besonders
Aufgabenanforderungen inhaltlich beschrieben (7 Exkurs leistungsstarken oder leistungsschwachen 15-Jährigen
„Was sind Kompetenzstufen?“). Kompetenzstufen dienen zusammen: In einigen Staaten, wie beispielsweise Irland
in erster Linie der anschaulichen Charakterisierung oder Kanada, stehen relativ kleine Gruppen auf Stufe I und
dessen, wozu ein Schüler oder eine Schülerin mit einem darunter (10,2 bzw. 10,7 %) vergleichbar großen Anteilen
bestimmten Skalenwert in der entsprechenden Domäne in von Schülern gegenüber, die Stufe V erreichen (10,7 bzw.
der Lage ist. Kompetenzstufen sind eine wichtige Grund- sogar 14 %). Andere Konstellationen finden sich z. B. in
lage dafür, eine kriteriale Vergleichsperspektive einnehmen Frankreich, in denen vergleichsweise große Gruppen auf
zu können. In den Rahmenkonzeptionen wird hierzu meist Stufe I und darunter (21,5 %) mit nennenswerten Anteilen
eine bestimmte Kompetenzstufe als Standard oder Mindest- an 15-Jährigen auf Kompetenzstufe V einhergehen
niveau festgelegt (Mindestkriterium). Dieser Standard (12,5 %). In Italien steht einem im OECD-Vergleich durch-
sollte von allen Schülern erreicht werden, da den Schülern schnittlichen Anteil von 21 % auf Kompetenzstufe I und
unterhalb dieser Kompetenzstufe ungünstige Perspektiven darunter ein eher unterdurchschnittlicher Anteil von 5,7 %
für die weitere Bildungskarriere und die gesellschaft- auf Kompetenzstufe V gegenüber.
liche Teilhabe zugesprochen werden. Die Aufgaben im
unteren Bereich einer Kompetenzskala sind in einfache
und bekannte Kontexte eingebunden und verlangen im 15.5.3 Disparitäten
Wesentlichen nur eine direkte Anwendung bestimmter
Wissenselemente und ein Verständnis einfacher, allgemein Zu den wichtigsten Bildungszielen gehört der Anspruch,
bekannter Konzepte. Die Aufgaben im oberen Bereich der gerechte Chancen für alle Mitglieder einer Gesellschaft
Kompetenzskala verlangen hingegen die Interpretation herzustellen. Chancen zur Teilhabe an Bildungsangeboten
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
365 15
. Tab. 15.4 Kompetenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz in PISA 2015. (Nach Weis, M., Zehner, F., Sälzer, C., Strohmaier, A.,
Artelt, C. & Pfost, M. (2016). Lesekompetenz in PISA 2015: Ergebnisse, Veränderungen und Perspektiven. In K. Reiss, C. Sälzer, A. Schiepe-
Tiska, E. Klieme, & O. Köller (Hrsg.), PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation (S. 258). Münster: Waxmann. © Waxmann
Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)
Kompetenzstufe Wozu die Schülerinnen und Schüler auf der jeweiligen Kompetenzstufe im Allgemeinen in der Lage sind
VI Jugendliche auf dieser Stufe können Schlussfolgerungen, Vergleiche und Gegenüberstellungen detailgenau und
≥698 Punkte präzise anstellen. Dabei entwickeln sie ein volles und detailliertes Verständnis eines oder mehrerer Texte und
verbinden dabei unter Umständen gedanklich Informationen aus mehreren Texten miteinander. Hierbei kann
auch die Auseinandersetzung mit ungewohnten Ideen gefordert sein, genauso wie der kompetente Umgang mit
konkurrierenden Informationen und abstrakten Interpretationskategorien sowie hohe Präzision im Umgang mit zum
Teil unauffälligen Textdetails
V Jugendliche auf dieser Stufe können sowohl mehrere tief eingebettete Informationen finden, ordnen und heraus-
626–697 Punkte finden, welche davon jeweils relevant sind, als auch ausgehend von Fachwissen eine kritische Beurteilung oder Hypo-
these anstellen. Die Aufgaben dieser Stufe setzen in der Regel ein volles und detailliertes Verständnis von Texten
voraus, deren Inhalt oder Form ungewohnt ist. Zudem muss mit Konzepten umgegangen werden können, die im
Gegensatz zum Erwarteten stehen
IV Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, linguistischen oder thematischen Ver-
553–625 Punkte knüpfungen in einem Text über mehrere Abschnitte zu folgen, oftmals ohne Verfügbark
eit eindeutiger Kennzeichen im Text, um eingebettete Informationen zu finden, zu interpretieren und zu bewerten
oder um psychologische oder philosophische Bedeutungen zu erschließen. Insgesamt muss ein genaues Verständnis
langer oder komplexer Texte, deren Inhalt oder Form ungewohnt sein kann, unter Beweis gestellt werden
III Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, vorhandenes Wissen über die Organisation
480–552 Punkte und den Aufbau von Texten zu nutzen, implizite oder explizite logische Relationen (z. B. Ursache-Wirkungs-
Beziehungen) über mehrere Sätze oder Textabschnitte zu erkennen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu
lokalisieren, zu interpretieren und zu bewerten. Einige Aufgaben verlangen vom Leser/von der Leserin, einen
Zusammenhang zu begreifen oder die Bedeutung eines Wortes oder Satzes zu analysieren. Häufig sind die
benötigten Informationen dabei nicht leicht sichtbar oder Passagen des Textes laufen eigenen Erwartungen zuwider
II Jugendliche auf dieser Stufe können innerhalb eines Textabschnitts logischen und linguistischen Verknüpfungen
408–479 Punkte folgen, mit dem Ziel, Informationen im Text zu lokalisieren oder zu interpretieren; im Text oder über Textabschnitte
verteilte Informationen aufeinander beziehen, um die Absicht des Autors zu erschließen. Bei Aufgaben dieser Stufe
müssen unter Umständen auf der Grundlage eines einzigen Textbestandteils Vergleiche und Gegenüberstellungen
vorgenommen werden oder es müssen, ausgehend von eigenen Erfahrungen oder Standpunkten, Vergleiche
angestellt oder Zusammenhänge zwischen dem Text und nicht im Text enthaltenen Informationen erkannt werden
Ia Aufgaben dieser Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin, in einem Text zu einem vertrauten Thema
335–407 Punkte eine oder mehrere unabhängige, explizit ausgedrückte Informationen zu lokalisieren, das Hauptthema oder
die Absicht des Autors zu erkennen oder einen einfachen Zusammenhang zwischen den im Text enthaltenen
Informationen und allgemeinem Alltagswissen herzustellen. Die erforderlichen Informationen sind in der Regel leicht
sichtbar, und es sind nur wenige beziehungsweise keine konkurrierenden Informationen vorhanden. Der Leser wird
explizit auf die entscheidenden Elemente in der Aufgabe und im Text hingewiesen
Ib Jugendliche auf dieser Stufe können in einem kurzen, syntaktisch einfachen Text aus einem gewohnten Kontext,
262–334 Punkte dessen Form vertraut ist (z. B. in einer einfachen Liste oder Erzählung), eine einzige, explizit ausgedrückte Information
lokalisieren, die leicht sichtbar ist. Der Text enthält in der Regel Hilfestellungen für den Leser, wie Wiederholungen,
Bilder oder bekannte Symbole. Es gibt kaum konkurrierende Informationen. Bei anderen Aufgaben müssen einfache
Zusammenhänge zwischen benachbarten Informationsteilen hergestellt werden
unter Ib
≤261 Punkte
und auf Bildungserfolg sollten nicht von Merkmalen der Teilnehmerstaaten gleich hoch ausgeprägt? Solchen Fragen
sozialen Herkunft oder des ethnisch-kulturellen Hinter- zu Disparitäten wird in Vergleichsstudien nachgegangen.
grundes abhängen. Gegenstand der Betrachtung sind dabei Wie wird der Zusammenhang zwischen der sozialen
meistens allgemeine Merkmale der sozialen Herkunft und Herkunft und der Kompetenz analysiert und beschrieben?
die Disparitäten, die mit einem Migrationshintergrund ver- Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammenhang quanti-
bunden sind. Wie unterscheiden sich die Sozialschichtver- fizieren (vgl. auch Ehmke und Baumert 2007), beiden liegt
teilungen der 15-Jährigen zwischen den Teilnehmerstaaten ein regressionsanalytischer Ansatz zugrunde:
einer Vergleichsstudie? Erreichen Jugendliche aus Familien 5 den sozialen Gradienten und
mit einem höheren sozioökonomischen Status höhere 5 das Maß der aufgeklärten Varianz.
Kompetenzen in den getesteten Bereichen als Schüler, die
aus weniger privilegierten Verhältnissen stammen? Sind . Abb. 15.7 stellt die Steigungen der sozialen Gradienten
diese Unterschiede zwischen den Sozialschichten in allen für die OECD-Staaten bei PISA 2015 in Bezug auf die
366 B. Drechsel et al.
15 Türkei
Mexiko
40.0
41.7
0.6
0.3
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
naturwissenschaftliche Kompetenz dar. In allen Staaten (je nachdem, ob die Steigung der Gradienten vom
besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Her- Durchschnitt der OECD-Staaten abweicht oder nicht).
kunft von Schülern und ihrer Kompetenz, jedoch variiert Demnach bildet die Tschechische Republik zusammen
die Höhe des Zusammenhangs. Bei einem Vergleich mit Luxemburg, Frankreich, dem Vereinigten Königreich,
der Steigungen der sozialen Gradienten muss beachtet den Niederlanden und Belgien eine Gruppe von Staaten,
werden, dass das Niveau des sozioökonomischen Index in denen der Zusammenhang vergleichsweise am stärksten
in den Staaten unterschiedlich sein kann (Ehmke und ausgeprägt ist und signifikant über dem OECD-Durch-
Baumert 2007). Ebenfalls findet man zwischen den Staaten schnitt liegt. Deutschland befindet sich mit einer Steigung
beträchtliche Unterschiede in der naturwissenschaftlichen von 36 Punkten in der Gruppe von Staaten, für die der
Kompetenz (Prenzel et al. 2007c). soziale Gradient mit seiner Steigung im OECD-Durch-
Betrachtet man die Unterschiede in den Steigungen, schnittsbereich lokalisiert ist. Zu dieser Gruppe gehören
so lassen sich die Staaten hinsichtlich der Ausprägung u. a. auch einige der deutschen Nachbarländer (die Schweiz,
des sozialen Gradienten in drei Gruppen einteilen Österreich, Dänemark, Polen). Zu den Staaten, in denen
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
367 15
OECD-Staaten Perzentile
M (SE) SD (SE) 5% 10% 25% 75% 90% 95%
Kanada 527 (2.3) 93 (1.3) 366 404 466 591 642 671
Finnland 526 (2.5) 94 (1.5) 359 401 469 592 640 668
Irland 521 (2.5) 86 (1.5) 373 406 463 582 629 657
Estland 519 (2.2) 87 (1.2) 369 404 460 581 630 659
Korea 517 (3.5) 97 (1.7) 345 386 455 586 637 666
Japan 516 (3.2) 92 (1.8) 352 391 457 581 629 656
Norwegen 513 (2.5) 99 (1.7) 342 381 449 583 636 666
Neuseeland 509 (2.4) 105 (1.7) 327 368 439 584 643 674
Deutschland 509 (3.0) 100 (1.6) 334 375 442 581 634 664
Polen 506 (2.5) 90 (1.3) 349 386 446 570 617 644
Slowenien 505 (1.5) 92 (1.3) 346 382 444 570 621 648
Niederlande 503 (2.4) 101 (1.6) 330 368 434 577 630 658
Australien 503 (1.7) 103 (1.1) 324 365 435 576 631 662
Schweden 500 (3.5) 102 (1.5) 321 364 433 573 625 655
Dänemark 500 (2.5) 87 (1.2) 347 383 443 561 608 635
Frankreich 499 (2.5) 112 (2.0) 299 344 423 583 637 666
Belgien 499 (2.4) 100 (1.5) 323 360 429 573 623 650
Portugal 498 (2.7) 92 (1.1) 339 374 436 564 614 641
Vereinigtes Königreich 498 (2.8) 97 (1.1) 336 372 432 565 621 653
Vereinigte Staaten 497 (3.4) 100 (1.6) 326 364 430 568 624 655
Spanien 496 (2.4) 87 (1.4) 343 379 438 558 603 629
Schweiz 492 (3.0) 98 (1.7) 322 360 426 563 614 643
Lettland 488 (1.8) 85 (1.5) 341 374 431 548 595 621
Tschechische Republik 487 (2.6) 100 (1.7) 315 352 418 559 614 645
Österreich 485 (2.8) 101 (1.5) 308 347 417 559 611 641
Italien 485 (2.7) 94 (1.6) 323 359 421 552 602 631
Island 482 (2.0) 99 (1.7) 310 350 417 552 607 638
Luxemburg 481 (1.4) 107 (1.0) 299 336 405 561 616 647
Israel 479 (3.8) 113 (2.0) 284 326 401 562 621 655
Ungarn 470 (2.7) 97 (1.7) 306 338 399 541 593 620
Griechenland 467 (4.3) 98 (2.4) 296 334 400 539 590 618
Chile 459 (2.6) 88 (1.7) 310 342 398 521 572 599
Slowakische Republik 453 (2.8) 104 (1.8) 269 312 382 528 583 613
Türkei 428 (4.0) 82 (2.0) 291 322 372 487 535 561
Mexiko 423 (2.6) 78 (1.5) 292 321 370 478 523 549
OECD-Durchschnitt 493 (0.5) 96 (0.3) 326 364 428 561 613 642
OECD-Partnerstaaten
Singapur 535 (1.6) 99 (1.1) 362 400 470 607 657 686
Hongkong (China) 527 (2.7) 86 (1.5) 372 412 473 587 632 656
Macau (China) 509 (1.3) 82 (1.1) 365 399 456 566 610 635
Chinesisch Taipeh 497 (2.5) 93 (1.7) 331 371 437 563 611 638
Russische Föderation 495 (3.1) 87 (1.4) 350 381 434 556 608 637
B-S-J-G (China)* 494 (5.1) 109 (2.9) 304 346 420 573 630 661
Kroatien 487 (2.7) 91 (1.6) 334 367 424 553 603 632
Vietnam 487 (3.7) 73 (2.0) 367 393 438 537 580 605
Litauen 472 (2.7) 94 (1.5) 312 347 407 541 593 622
Malta 447 (1.8) 121 (1.5) 236 284 366 533 595 631
Uruguay 437 (2.5) 97 (1.6) 280 311 368 504 563 597
Rumänien 434 (4.1) 95 (2.1) 276 310 370 499 555 588
Vereinigte Arabische Emirate 434 (2.9) 106 (1.4) 258 295 359 509 572 605
Bulgarien 432 (5.0) 115 (2.6) 241 277 347 517 578 611
Costa Rica 427 (2.6) 79 (1.6) 298 326 374 480 530 560
Republik Trinidad und Tobago 427 (1.5) 104 (1.3) 256 291 353 502 561 596
Republik Montenegro 427 (1.6) 94 (1.2) 271 304 361 493 549 581
Kolumbien 425 (2.9) 90 (1.5) 278 308 361 489 542 572
Republik Moldau 416 (2.5) 98 (1.5) 253 289 349 485 541 574
Thailand 409 (3.3) 80 (1.7) 281 308 354 463 514 543
Jordanien 408 (2.9) 94 (1.8) 241 281 348 475 522 549
Brasilien 407 (2.8) 100 (1.5) 247 279 336 477 539 576
Albanien 405 (4.1) 97 (1.8) 244 279 340 472 528 561
Katar 402 (1.0) 111 (1.0) 221 256 321 483 547 581
Georgien 401 (3.0) 104 (1.8) 226 266 332 474 533 568
Peru 398 (2.9) 89 (1.6) 253 281 333 462 514 543
Indonesien 397 (2.9) 76 (1.8) 272 300 346 448 495 522
Tunesien 361 (3.1) 82 (1.9) 228 257 305 416 467 496
Dominikanische Republik 358 (3.1) 85 (1.9) 226 250 297 416 471 503
Republik Mazedonien 352 (1.4) 99 (1.2) 187 222 284 421 480 513
Algerien 350 (3.0) 73 (1.6) 232 258 301 397 443 472
Kosovo 347 (1.6) 78 (1.1) 215 243 294 403 447 471
Libanesische Republik 347 (4.4) 115 (2.6) 167 203 265 426 503 546
*B-S-J-G (China) bezieht sich auf vier Provinzen in China, die an der PISA-Studie teilgenommen haben: Peking, Shanghai, Jiangsu und Guangdong.
. Abb. 15.7 Soziale Gradienten der naturwissenschaftlichen Kompetenz im internationalen Vergleich. (Nach Müller, K. & Ehmke, T. (2016).
Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb. In K. Reiss, C. Sälzer, A. Schiepe-Tiska, E. Klieme & O. Köller (Hrsg.), PISA 2015. Eine Studie zwischen
Kontinuität und Innovation (S. 294). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)
368 B. Drechsel et al.
3
Die letzten Spalten der Tabelle in . Abb. 15.7 stellen
dar, welcher Varianzanteil im Kompetenzniveau durch den
1
Status aufgeklärt, so kann das Kompetenzniveau sehr genau
vorhergesagt werden. Das Maß der Varianzaufklärung zeigt,
0
dass in einigen Staaten bei vergleichbaren Steigungen des
sozialen Gradienten die Vorhersage der Kopplung stärker
-1
ist als in anderen. Das durchschnittliche Kompetenzniveau
geht nicht systematisch mit der Varianzaufklärung einher.
-2
Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein hohes Kompetenz-
niveau nur durch starke soziale Unterschiede erreicht
-3
werden kann. Eher deutet sich das Gegenteil an: Gerade in
Staaten, in denen der sozioökonomische Status einen unter-
durchschnittlichen Vorhersagewert für die Kompetenz -3 -2 -1 0 1 2 3
hat (wie etwa in Finnland, Japan und Kanada), erreichen Mathematische Kompetenz 2012
Jugendliche ein hohes Kompetenzniveau. . Abb. 15.8 Streudiagramm der mathematischen Kompetenz
Weitere Möglichkeiten, die Kopplung von sozialer Her- (mathematical literacy) zum Ende der 9. Klassenstufe sowie zum Ende
kunft und Kompetenzerwerb darzustellen, beziehen sich der 10. Klassenstufe auf Individualebene. (Aus Lehner et al. 2017)
auf andere Indikatoren der sozialen Herkunft, beispiels-
weise die EGP-Klassen (Erikson et al. 1979; vgl. auch Müller
und Ehmke 2016). Die im Zusammenhang mit PISA und Die erste Fragerichtung nutzt die Erhebungen zu zwei
PIRLS bekannt gewordene Berechnung relativer Chancen Messzeitpunkten, um die Entwicklung der mathematischen
(Odds Ratios) ist beispielsweise bei Stubbe et al. (2017) oder und der naturwissenschaftlichen Kompetenz im Verlauf
Ehmke und Baumert (2007) nachzulesen. eines Schuljahres zu beschreiben.
. Abb. 15.8 veranschaulicht die Verteilung der
mathematischen Kompetenz in der 9. und 10. Klassenstufe:
15.5.4 Analysen von Zusammenhängen und Ein Punkt entspricht dem Testwert eines Schülers. Die Punkte-
deren Grenzen wolke repräsentiert also die gesamte in PISA-I-plus getestete
Stichprobe von etwa 6000 Schülern. Die Abbildung präsentiert
Ein umfassendes Modell, das alle Bedingungen des eines der Hauptergebnisse der Studie: Die Punktewolke der
15 Kompetenzerwerbs in und außerhalb der Schule berück- Messwerte liegt größtenteils oberhalb der eingezeichneten
sichtigt, kann in einer Vergleichsstudie nie abgedeckt werden. Diagonalen. Für die Mehrheit der Schüler kann daher ein
Wenn dann auch noch mit Querschnittdesigns gearbeitet deutlicher Kompetenzzuwachs in der mathematischen
wird, können Vermutungen über beeinflussende Faktoren Kompetenz innerhalb eines Schuljahres festgestellt werden.
nicht empirisch fundiert zurückgewiesen oder bekräftigt 58 % der Zehntklässler erreichen einen höheren Wert beim
werden. Beispiele, in denen solche Ergebnisse durch kausale zweiten Messzeitpunkt. Allerdings weisen auch 8 % der
Interpretationen überstrapaziert werden, finden sich in der Schüler eine negative Entwicklung auf, d. h. sie verschlechtern
Literatur immer wieder, beispielsweise im thematischen sich im Verlauf eines Schuljahres. Für die verbleibenden 34 %
Bericht der OECD zur Vertrautheit mit Informations- können keine Veränderungen im Niveau der lebensbezogenen
technologien zu PISA 2003 (OECD 2005; vgl. hierzu auch Kompetenz in Mathematik festgestellt werden.
Wittwer und Senkbeil 2008). Einer der ersten Ansätze, mit Dieses Ergebnis wird zum Bezugspunkt für die zweite
den Restriktionen eines querschnittlichen Designs umzu- Fragerichtung, die über die Beschreibung von Ent-
gehen, wurde in der PISA-I-plus-Studie bei PISA 2003 wicklungen (generell und bei Teilgruppen) hinausgeht: Lässt
realisiert (Prenzel et al. 2006a) und in PISA 2012 wiederholt sich die Kompetenzentwicklung innerhalb eines Schuljahres
(Reiss et al. 2017). Der internationale Untersuchungsansatz unter Kontrolle verschiedener Bedingungen vorhersagen?
(querschnittlich) wurde jeweils durch ein längsschnittliches Sie nutzt die Information aus den beiden Messzeitpunkten,
Erhebungsdesign erweitert. Auf diese Weise konnten zwei um Bedingungsfaktoren für die Kompetenzentwicklung
übergeordnete Fragestellungen verfolgt werden: zur 10. Jahrgangsstufe zu analysieren. Die Grundstruktur
1. die Untersuchung von Veränderungen und Ent- von PISA legt es nahe, sich bei diesen Analysen auf einige
wicklungen im Verlauf eines Schuljahres und Bedingungsbereiche zu konzentrieren, nämlich auf das
2. die Identifizierung von Bedingungsfaktoren im Eltern- Elternhaus (Ehmke et al. 2006b, Kiemer et al. 2017), den
haus, im Unterricht und in der Schule, die Einfluss auf Mathematikunterricht (Kunter et al. 2006; Kuger et al. 2017)
die Kompetenzentwicklung der Schüler haben. und die Schule (Senkbeil 2006) sowie auf einige Merkmale
Nationale und internationale Schulleistungsstudien
369 15
auf der Individualebene (vgl. auch Prenzel et al. 2006b, Methodenforschung dar. Insbesondere eine international
Schiepe-Tiska et al. 2017). vergleichende Interpretation scheint problematisch zu sein
Einen weiteren Ansatz des Umgangs mit der Restriktion (vgl. Carstensen et al. 2008; Robitzsch et al. 2017). Ein Aus-
des querschnittlichen Designs bildet die Ziehung zusätz- weg zur konsistenten Beschreibung von Veränderungen
licher Stichproben. Die Ebene der Schulklasse hat sich in über die Zeit scheint in der Vereinfachung der Testdesigns
der Unterrichtsforschung beispielsweise als eine zentrale zu liegen: Werden in den Studien mehr gemeinsame Test-
Analyseeinheit erwiesen, die in den Blick genommen aufgaben verwendet, stabilisiert dies die Verknüpfbarkeit
werden muss, um Unterrichtsaspekte genauer betrachten zwischen den Erhebungsrunden.
zu können (z. B. Seidel et al. 2007). Auf der Grundlage von
Befunden aus Vergleichsstudien, die meist einzelne Schüler
einer Schule und damit keine kompletten Klassen unter- 15.5.6 Vergleichsstudien als politische
suchen, ist es daher nicht möglich, sich einen umfassenden Instrumente?
Überblick über das Unterrichtsgeschehen zu verschaffen
oder gar Verbesserungsvorschläge abzuleiten. In einer Die Bildungsdiskussion in Deutschland wurde durch TIMSS,
nationalen Erweiterung der Stichprobe wurde in Deutsch- PIRLS und PISA maßgeblich bestimmt und hat viele Anstöße
land seit PISA 2000 neben der Stichprobe der 15-Jährigen gegeben und Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt. Eine
auch immer eine Stichprobe von Neuntklässlern unter- umfassende öffentliche Bildungsdiskussion ist für die Weiter-
sucht. Seit PISA 2003 sind dies komplette 9. Klassen, deren entwicklung von Bildungssystemen von großem Wert. Sie
Ergebnisse auch mit Aussagen der jeweiligen Lehrperson regt das Nachdenken darüber an, welche Ziele von Schule
in Verbindung gebracht werden können. Dies schafft die und Unterricht im Vordergrund stehen sollen und inwieweit
Voraussetzung dafür, Fragestellungen zum Unterrichts- diese Ziele erreicht werden. Diese Überlegungen verhelfen
geschehen auch im Large-Scale-Format zu thematisieren. den an Schule und Unterricht Beteiligten dazu, sich ihrer
Allerdings sind auch hier die Möglichkeiten eingeschränkt, Ziele zu vergewissern und sich selbst in Frage zu stellen. Das
da die querschnittliche Anlage der Untersuchung keine öffentliche Interesse und das Bewusstsein für die Bedeutung
Aussage über die Wirkungen bestimmter Unterrichts- eines hochentwickelten und international konkurrenzfähigen
modelle erlaubt (Baumert et al. 2004). Bildungssystems eines Staates sind unabdingbar. Jedoch kam
Beide Beispiele verdeutlichen, dass internationale Ver- es in den letzten Jahren auch zu zahlreichen Fehl- oder Über-
gleichsstudien – so umfangreich sie auch gestaltet sind – spezi- interpretationen der Studienergebnisse. Die „Wie-PISA-zeigt-
fische Designs verfolgen und damit in der Aussagefähigkeit an Argumente“ sind schon beinahe sprichwörtlich geworden,
diese Designs gebunden sind. Am Beispiel von PISA haben sie verhelfen beliebigen Aussagen mit dem Verweis auf PISA
wir aber gezeigt, wie zumindest in Deutschland sinnvolle zu Glaubwürdigkeit. PISA-Befunde werden häufig selektiv
Erweiterungen vorgenommen werden, um die methodischen benutzt, vereinfacht und vorschnell kausal interpretiert. Ver-
Grundlagen für weiterführende Fragestellungen und belastbare deutlichen lässt sich dies an der Diskussion um die „richtige“
Ergebnisse zu legen. Diese Zusatzuntersuchungen sind für die Schulstruktur in Deutschland. Aus den hervorragenden
empirische Bildungsforschung von erheblicher Bedeutung. Ergebnissen für Finnland ist immer wieder der Schluss
gezogen worden, dass man Ergebnisse eines Staates verbessern
kann, indem man sich dem finnischen Beispiel anschließt. In
15.5.5 Trends Finnland, wie in einigen anderen Staaten, die bei PISA sehr
gut abschneiden, wird in einem Gesamtschulsystem unter-
Teilnehmende Staaten sind interessiert an der Veränderung richtet. Kritiker des gegliederten Schulsystems nehmen dies
von Kompetenzen und anderen Merkmalen über die Zeit, zum Anlass, eine Reform der Schulstruktur in Deutschland zu
nicht zuletzt als Erfolgskontrolle für gezielt ergriffene fordern. Es ist allerdings sehr leicht, für ein bestimmtes Ergeb-
Maßnahmen in bestimmten Bereichen. Untersuchungen nis in einem Staat das Gegenbeispiel eines anderen Staates zu
solcher Veränderungen über die Zeit werden als Trends finden: Es gibt auch Staaten mit hochdifferenzierten Schul-
bezeichnet. Studien wie PIRLS, TIMSS oder PISA tragen systemen, die bei PISA sehr gut abschneiden, beispielsweise
diesen Bedürfnissen Rechnung, indem sie, in regelmäßigen die Niederlande oder Belgien. Andererseits finden wir in
Erhebungsrunden durchgeführt, Aussagen zu Trends PISA auch Gesamtschulsysteme, in denen die Kompetenzen
machen. Dabei gilt es, die substanziellen Unterschiede der 15-Jährigen tendenziell unter dem OECD-Durchschnitt
zwischen zwei oder mehreren Erhebungsrunden heraus- liegen, beispielsweise Norwegen, die USA oder Italien.
zuarbeiten, wobei verschiedene Fehlerquellen, wie z. B. Wie die vorangegangenen Abschnitte zeigen, sind Ver-
Stichprobenfehler, Unterschiede zwischen den Erhebungs- gleichsstudien komplexe Studien, sodass auch die sach-
runden bezüglich der Ausschöpfung der Stichproben oder kundige Interpretation der Ergebnisse alles andere als
der Testadministration oder fehlende Daten durch das trivial ist. Gerade weil Vergleichsstudien keine Rezepte
Multi-Matrix-Design berücksichtigt werden müssen. Das oder Anleitungen geben, die erfolgreiche Entwicklungen im
Ausloten der Möglichkeiten und Grenzen von Trendana- Schulsystem garantieren, muss den Entscheidungsträgern
lysen in internationalen Vergleichsstudien mit komplexen im Bildungssystem die eingeschränkte Reichweite und Aus-
Testdesigns stellt derzeit eine große Herausforderung der sagekraft solcher Studien bewusst sein.
370 B. Drechsel et al.
Postlethwaite, T. N., & Wiley, D. E. (Hrsg.). (1992). Science achievement in schulartspezifischer Unterschiede sowie der Zusammensetzung
twenty-three countries: The IEA study of science II. Oxford: Pergamon Press. der Schülerschaft. In K. Reiss, E. Klieme, O. Köller, & P. Stanat
Prenzel, M. (Hrsg.). (2007). Studies on the educational quality of schools. (Hrsg.), PISA Plus 2012–2013. Zeitschrift für Erziehungswissen-
The final report on the DFG priority programme. Münster: Waxmann. schaften – Sonderheft 33, 151–176. Wiesbaden: Springer VS.
Prenzel, M., & Allolio-Näcke, L. (Hrsg.). (2006). Untersuchungen zur Schmidt-Atzert, L., & Amelang, (2012). Psychologische Diagnostik.
Bildungsqualität von Schule. Abschlussbericht des DFG-Schwerpunkt- Berlin: Springer
programms. Münster: Waxmann. Seidel, T. (2008). Stichwort: Schuleffektivitätskriterien. Zeitschrift für
Prenzel, M., & Blum, W. (Hrsg.). (2007). Entwicklung eines Testverfahrens Erziehungswissenschaft, 11(3), 348–367.
zur Überprüfung der Bildungsstandards in Mathematik für den Seidel, T., & Prenzel, M. (2008). Assessment in large scale studies.
Mittleren Schulabschluss – Technischer Bericht. Kiel: IPN. In J. Hartig, E. Klieme, & D. Leutner (Hrsg.), Assessment of
Prenzel, M., Carstensen, C. H., Schöps, K., & Maurischat, C. (2006). Die competencies in educational contexts. State of the art and future
Anlage des Längsschnitts bei PISA 2003. In M. Prenzel, J. Baumert, prospects (S. 263–268). Göttingen: Hogrefe & Huber.
W. Blum, et al. (Hrsg.), PISA 2003: Untersuchungen zur Kompetenz- Seidel, T., Prenzel, M., Wittwer, J., & Schwindt, K. (2007). Unterricht in
entwicklung im Verlauf eines Schuljahres (S. 29–62). Münster: den Naturwissenschaften. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert, W.
Waxmann. Blum, M. Hammann, E. Klieme, & R. Pekrun (Hrsg.), PISA 2006. Die
Prenzel, M., Baumert, J., Blum et al. (Hrsg.). (2006a). PISA 2003: Unter- Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichsstudie (S. 147–
suchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schul- 180). Münster: Waxmann.
jahres. Münster: Waxmann. Senkbeil, M. (2006). Die Bedeutung schulischer Faktoren für die
Prenzel, M., Artelt, C., Baumert, J., Blum, W., Hammann, M., Klieme, E., Kompetenzentwicklung in Mathematik und den Naturwissen-
et al. (Hrsg.). (2007a). PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten inter- schaften. In M. Prenzel, J. Baumert, W. Blum, et al. (Hrsg.), PISA
nationalen Vergleichsstudie. Münster: Waxmann. 2003: Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines
Prenzel, M., Carstensen, C. H., Frey, A., Drechsel, B., & Rönnebeck, S. Schuljahres (S. 277–308). Münster: Waxmann.
(2007b). PISA 2006 – Eine Einführung in die Studie. In M. Prenzel, Stanat, P., Böhme, K., Schipolowski, S., & Haag, N. (Hrsg.). (2015). IQB-
C. Artelt, J. Baumert (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten Bildungstrend 2015. Sprachliche Kompetenzen am Ende der 9. Jahr-
internationalen Vergleichsstudie (S. 31–60). Münster: Waxmann. gangsstufe im zweiten Ländervergleich. Münster: Waxmann.
Prenzel, M., Schöps, K., Rönnebeck, S., Senkbeil, M., Walter, O., Stanat, P., Pant, H. A., Böhme, K., & Richts, D. (Hrsg.). (2012).
Carstensen, C. H., & Hammann, M. (2007c). Naturwissenschaftliche Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten
Kompetenz im internationalen Vergleich. In M. Prenzel, C. Artelt, Jahrgangsstufe in den Fächern Deutsch und Mathematik. Ergebnisse
J. Baumert, W. Blum, M. Hammann, E. Klieme, & R. Pekrun (Hrsg.), des IQB-Ländervergleichs 2011. Münster: Waxmann.
PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichs- Stanat, P., Schipolowski, S., Rjosk, C., Weirich, S., & Haag, N. (Hrsg.).
studie (S. 63–106). Münster: Waxmann. (2016). IQB-Bildungstrend 2016. Kompetenzen in den Fächern
Rammstedt, B. (Hrsg.). (2013). Grundlegende Kompetenzen Erwachsener Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten
im internationalen Vergleich: Ergebnisse von PIAAC 2012. Münster: Ländervergleich. Münster: Waxmann.
Waxmann. Stubbe, T. C., Bos, W., & Schurig, M. (2017). Der Übergang von der
Reiss, K., Sälzer, Ch., Schiepe-Tiska, A., Klieme, E., & Köller, O. (Hrsg.). Primar- in die Sekundarstufe. In A. Hußmann, H. Wendt, W. Bos, A.
(2016). PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität und Innovation. Bremerich-Vos, D. Kasper, E.-M. Lankes, N. McElvany, T. C. Stubbe,
Münster: Waxmann. & R. Valtin (Hrsg.), IGLU 2016. Lesekompetenzen von Grundschul-
Reiss, K., Klieme, E., Köller, O., Stanat, P. (Hrsg.). (2017). PISA Plus 2012 kindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S. 235–250).
– 2013. Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Zeit- Münster: Waxmann.
schrift für Erziehungswissenschaft - Sonderheft, 33. 7 http://www. Thorndike, R. L. (1973). Reading comprehension education in fifteen
springer.com/series/12171 countries. International studies in evaluation III. Stockholm: Almqvist
15 Rheinberg, F. (1998). Bezugsnorm-Orientierung. In D. H. Rost (Hrsg.), Hand- & Wiksell.
wörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 39–43). Weinheim: Beltz. Walter, O., & Rost, J. (2011). Psychometrische Grundlagen von Large
Robitaille, D. F., & Garden, R. A. (Hrsg.). (1989). The IEA study of Scale Assessments. In L. Hornke, M. Amelang, & M. Kersting (Hrsg.),
mathematics II: Context and outcomes of school mathematics. Methoden Enzyklopädie der Psychologie. Themenbereich B:
Oxford: Pergamon Press. Methodologie und Methoden. Serie II: Psychologische Diagnostik
Robitzsch, A., Lüdtke, O., Köller, O., Kröhne, U., Goldhammer, F., & (Bd. 2). Göttingen: Hogrefe.
Heine, J. H. (2017). Herausforderungen bei der Schätzung von Weinert, F. E. (2001). Concepts of competence: A conceptual
Trends in Schulleistungsstudien. Eine Skalierung der deutschen clarification. In D. S. Rychen & L. H. Salganik (Hrsg.), Defining and
PISA-Daten. Diagnostica, 63, 148–165. selecting key competencies (S. 45–66). Seattle: Hogrefe & Huber.
Rost, J. (2004). Lehrbuch Testtheorie, Testkonstruktion (2. Aufl.). Bern: Weinert, S., Artelt, C., Prenzel, M., Senkbeil, M., Ehmke, T., Carstensen
Huber. C. H., & Lockl, K. (2019). Development of Competencies Across the
Sälzer, C. (2016). Studienbuch Schulleistungsstudien. Das Rasch-Modell in Life Course. In H. P. Blossfeld & H.-G. Roßbach (Hrsg.), Education as
der Praxis. Berlin: Springer Spektrum. a Lifelong Process. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Special
Sälzer, C., & Roczen, N. (2018). Die Messung von Global Competence Issue. Heidelberg: VS Verlag.
im Rahmen von PISA 2018. Herausforderungen und mögliche Weis, M., Zehner, F., Sälzer, C., Strohmaier, A., Artelt, C., & Pfost, M.
Ansätze zur Erfassung eines komplexen Konstrukts. Zeitschrift für (2016). Lesekompetenz in PISA 2015: Ergebnisse, Veränderungen
Erziehungswissenschaft, 21, 299–316. und Perspektiven. In K. Reiss, C. Sälzer, A. Schiepe-Tiska, E. Klieme
Sälzer, C., Schiepe-Tiska, A. & Prenzel, M. (2017). Internationale Schul- & O. Köller (Hrsg.), PISA 2015. Eine Studie zwischen Kontinuität
leistungsstudien. In: M. Gläser-Zikuda, M. Harring & C. Rohlfs (Hrsg.), und Innovation (S. 258). Münster: Waxmann.
Handbuch Schulpädagogik (S. 166–177). Münster: Waxmann. Wirth, J. (2008). Computer-based tests: Alternatives for test and item
Scheerens, J., & Bosker, R. J. (1997). The foundations of educational design. In J. Hartig, E. Klieme, & D. Leutner (Hrsg.), Assessment of
effectiveness. New York: Elsevier. competencies in educational contexts. State of the art and future
Schiepe-Tiska, A., Rönnebeck, S., Heitmann, P., Schöps, K., Prenzel, prospects (S. 235–252). Göttingen: Hogrefe & Huber.
M., & Nagy, G. (2017). Die Veränderung der naturwissenschaft- Wittwer, J., & Senkbeil, M. (2008). Is students‘ computer use at home
lichen Kompetenz von der 9. zur 10. Klasse bei PISA und den related to their mathematical performance at school? Computers &
Bildungsstandards unter Berücksichtigung geschlechts- und Education, 50, 1558–1571.
375 VI
Intervenieren
Inhaltsverzeichnis
16 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im
Kindergarten- und Einschulungsalter – 377
Marco Ennemoser und Kristin Krajewski
17 Training – 405
Stefan Fries und Elmar Souvignier
Pädagogisch-psychologische
Lernförderung im
Kindergarten- und
Einschulungsalter
Marco Ennemoser und Kristin Krajewski
Literatur – 401
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
379 16
Die Kinder eines Einschulungsjahrgangs bringen bereits Schultag mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen zum
am ersten Schultag sehr unterschiedliche Ausgangsvoraus- Unterricht an. Wie aus den Befunden verschiedener Längs-
setzungen mit. Diese Unterschiede haben einen nach- schnittstudien hervorgeht, können diese anfänglichen Rück-
haltigen Einfluss auf die weitere Schullaufbahn. Mit dem Ziel stände in den nachfolgenden Schuljahren nur noch bedingt
ungünstigen Entwicklungsverläufen frühzeitig vorzubeugen, aufgeholt werden (z. B. Klicpera und Gasteiger-Klicpera
wird in den letzten Jahren ein immer größeres Augenmerk 1993; Stern 2003).
auf Möglichkeiten der vorschulischen Prävention gerichtet. Die Erkenntnis, dass die Ursachen für spätere Lern-
Da das konventionelle Bildungsangebot in dieser Hinsicht schwierigkeiten bereits vor dem Schuleintritt zum Tragen
bislang wenig erfolgreich ist, bieten sich insbesondere kommen, hat das Augenmerk in den letzten Jahren
pädagogisch-psychologisch fundierte Förderansätze an. zunehmend auf Möglichkeiten der Prävention und damit auf
Diese stützen sich nicht nur auf solide theoretische Grund- vorschulische Bildungsprozesse gelenkt. Früh einsetzende
lagen, sondern können in vielen Fällen auch empirische Fördermaßnahmen sollen drohenden Entwicklungsrück-
Wirksamkeitsnachweise vorlegen. Das vorliegende Kapitel ständen vorbeugen und allen (insbesondere auch sozial
befasst sich mit der Frage, in welchen Lernbereichen die benachteiligten) Kindern eine gute Ausgangslage für den
Implementation von pädagogisch-psychologisch fundierten Anfangsunterricht in der Schule ermöglichen. Vor dem
Präventionsmaßnahmen besonders sinnvoll ist, welche Hintergrund der oben beschriebenen, eher ernüchternden
vorschulisch vorhandenen (Vorläufer-)Kompetenzen für Befunde gewinnt dabei zunehmend das Kriterium der
diesen Zweck vielversprechende Ansatzpunkte bieten, Evidenzbasierung an Bedeutung.
welche konkreten Förderansätze jeweils existieren und
welche empirischen Befunde bislang zur Wirksamkeit dieser Definition
Maßnahmen vorliegen (. Abb. 16.1).
Fördermaßahmen gelten als evidenzbasiert, wenn sie
nicht nur eine solide theoretische Fundierung aufweisen,
sondern darüber hinaus auch überzeugende empirische
Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen. Idealerweise liegen
mehrere empirische Untersuchungen vor, die bestimmten
methodischen Anforderungen genügen (7 Kap. 17, Fries
und Souvignier in diesem Band), sodass die Befunde
eine möglichst klare Aussage darüber erlauben, ob die
jeweilige Maßnahme tatsächlich wirksam ist.
Kompetenzaufbau ab, sie sind klar strukturiert und können, muss berücksichtigt werden, dass Prävention als
beinhalten standardisierte Durchführungsrichtlinien. Hier- Fachbegriff weiter gefasst wird als dies in der alltagssprach-
durch wird sichergestellt, dass die Förderpotenziale der lichen Begriffsverwendung der Fall ist. Einer gängigen
Maßnahmen nicht durch willkürliche Abweichungen und Einteilung zufolge können drei Stufen der Prävention
Ausschmückungen untergraben werden (Sicherung der unterschieden werden.
Treatment-Validität; Pressley und Harris 1994). Idealer-
weise liegen mehrere und aussagekräftige empirische Definition
Studien vor, die die Wirksamkeit des jeweiligen Förder- Drei Stufen der Prävention (vgl. von Suchodoletz 2007)
programms belegen. 1. Maßnahmen, die allen Personen einer bestimmten
Von anderen Fachdisziplinen im Bereich der Bildungs Population (z. B. allen Kindergartenkindern)
forschung wird der programmatische Aufbau pädagogisch- zuteilwerden, dienen der primären Prävention. Das
psychologischer Trainings gelegentlich kritisch bewertet. heißt, hier wird keine Auswahl danach getroffen, ob
Dabei wird häufig die Auffassung vertreten, dass durch die ein Kind im anvisierten Bereich einen besonderen
standardisierte Vorgehensweise individuelle Lernwege und Förderbedarf hat oder nicht.
Entfaltungsmöglichkeiten unterdrückt würden. Als alternative 2. Maßnahmen der sekundären Prävention beziehen
Ansätze werden vielfach „ganzheitliche“ Methoden oder demgegenüber nur Kinder ein, bei denen bereits ein
„selbstentdeckendes Lernen“ hervorgehoben, die individuellen gewisses Risiko für die Entstehung entsprechender
Entwicklungsbedürfnissen angemessen entgegen kämen. Probleme identifiziert wurde. Die betreffenden
Eine differenzierte Diskussion dieser Kontroverse würde Kinder weisen zwar noch keine substanziellen
den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen (vgl. hierzu Schwierigkeiten (beispielsweise im Sinne einer
Probst und Kuhl 2006). Insgesamt kann jedoch der Nutzen Rechenstörung) auf, es sind jedoch bereits
pädagogisch-psychologischer Trainingsprogramme angesichts ungünstige Ausgangsvoraussetzungen erkennbar
der internationalen Befundlage nicht grundsätzlich in Frage (z. B. fehlendes Zahlverständnis).
gestellt werden. Zudem kann ein global konstruktivistisches, 3. Der Begriff der tertiären Prävention bezieht sich
allein auf selbstentdeckendes Lernen ausgerichtetes Vorgehen schließlich auf Maßnahmen, die erst dann einsetzen,
unter präventiven Gesichtspunkten als ungeeignet gelten, da wenn bereits massive Probleme im jeweiligen
dies gerade für Kinder mit Lern- und Vorwissensdefiziten Bereich evident sind. Dies ist beispielsweise der Fall,
regelmäßig Überforderungen mit sich bringt (Grünke 2006; wenn eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine
Heward 2003; Krajewski und Ennemoser 2010). Rechenschwäche diagnostiziert wurde oder wenn
Da vorschulische Förderprogramme üblicherweise im klinischen Sinne von einer Erkrankung oder einer
mit präventiven Zielsetzungen verbunden sind, wird im Störung gesprochen werden kann.
Folgenden zunächst beleuchtet, was unter dem Begriff Prä-
vention zu verstehen ist und welche präventive Funktion
pädagogisch-psychologische Trainingsprogramme in
einem institutionellen Bildungskontext erfüllen (können). Bei den Trainingsprogrammen für das Kindergarten- und
Anschließend soll diskutiert werden, in welchen Lern- Einschulungsalter, die in diesem Kapitel behandelt werden,
handelt es sich naturgemäß eher um primär- und sekundär-
16 bereichen eine Prävention durch entsprechende Trainings-
programme besonders sinnvoll scheint. Hierbei werden präventive Maßnahmen, da sie Schwächen beziehungsweise
vier Bereiche vorgeschlagen, die für die weitere Bildungs- Störungen im schulischen Lernen vorbeugen sollen, die zu
laufbahn besonders wichtig sind. Jedem dieser Bereiche diesem Zeitpunkt noch gar nicht manifestiert sind. Tertiär-
wird ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem zunächst die präventive Maßnahmen fallen demgegenüber eher in den
Relevanz der jeweiligen Kompetenz für den Bildungserfolg Bereich der Therapie (schulischer Lernstörungen) und
begründet wird und anschließend geeignete Förderansätze können im Rahmen vorschulischer Fördersettings nicht
im Detail beschrieben werden. Dabei wird auch auf die geleistet werden.
jeweils vorliegende Befundlage zur Wirksamkeit der einzel-
nen Maßnahmen eingegangen.
16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte
beim Einsatz von
16.1.1 Die präventive Funktion pädagogisch-psychologischen
vorschulischer Fördermaßnahmen Trainingsprogrammen
Im Allgemeinen dienen vorschulische Fördermaßnahmen Unter den Begriff der primären Prävention könnten
dazu, Kinder auf die Schule und das spätere Leben vorzu- theoretisch sämtliche Maßnahmen gefasst werden, die im
bereiten. Insbesondere sollen sie Problemen in der späteren Kindergartenalltag durchgeführt werden, um Kinder auf die
Bildungslaufbahn vorbeugen, das heißt, sie verfolgen eine Schule beziehungsweise ganz allgemein auf das Leben in der
präventive Zielsetzung. Um die präventive Funktion vor- Gesellschaft vorzubereiten. Wie bereits eingangs dargestellt,
schulischer Fördermaßnahmen genauer definieren zu werden unsere konventionellen Bildungsangebote dieser
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
381 16
präventiven Zielsetzung jedoch nicht in vollem Umfang auch für vorschulische Trainings der exekutiven Funktionen
gerecht. Um die präventive Wirksamkeit vorschulischer keine hinreichende empirische Evidenz vor, aus der sich
Bildungsangebote sicherzustellen, scheint es daher sinn- überzeugend ableiten ließe, dass die Maßnahmen präventiv
voll, die konventionellen Routinen durch strukturierte wirksam sind, das heißt, dass sie sich auch tatsächlich
Fördermaßnahmen im Sinne pädagogisch-psychologischer positiv auf die spätere Schulleistungsentwicklung auswirken.
Trainings (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band) Anders verhält es sich mit Maßnahmen zur Förderung
zu ergänzen. des induktiven Denkens. Unter induktivem Denken wird das
Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Umfang Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten Beobachtungen
und in welchen Lernbereichen eine Ergänzung durch ent- verstanden (Klauer 1989). Das induktive Denken gilt als
sprechende Förderprogramme sinnvoll und zielführend eine zentrale Komponente der allgemeinen Intelligenz, die
ist. Nicht zuletzt angesichts der begrenzten Ressourcen des bekanntermaßen substanzielle Zusammenhänge mit der
vorschulischen Bildungssystems scheint es zwingend not- Schulleistung aufweist. Die Annahme, dass eine erfolgreiche
wendig, eine gewisse Priorisierung vorzunehmen. Grund- Förderung nicht nur spezifisch auf das induktive Denken
sätzlich ist es naheliegend, vorrangig solche Fähigkeiten und wirkt, sondern auch Transfereffekte auf das schulische Lernen
Fertigkeiten in den Blick zu nehmen, die für den weiteren nach sich zieht, ist daher theoretisch überaus plausibel.
Entwicklungsverlauf beziehungsweise die nachfolgende Zudem liegen inzwischen umfangreiche empirische Wirk-
Schullaufbahn besonders relevant sind und die – im Falle samkeitsnachweise vor, die diese Annahme bestätigen.
einer ungünstigen Entwicklung – zusätzliche Sekundär-
problematiken nach sich ziehen. Es sollten also Kompetenz- Sprachkompetenz
bereiche im Fokus stehen, die für die anschließende Ein Kompetenzbereich, der das Kriterium einer großen
Entwicklung eine besonders breite „Streuwirkung“ auf- Streuwirkung auf den späteren Schulerfolg in besonderem
weisen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sollten Umfang erfüllt, ist die Sprachkompetenz. Da die Sprache
theoretisch insbesondere die nachfolgend beschriebenen als wichtigstes Kommunikationsmedium auch das
drei Bereiche einen jeweils vielversprechenden Ansatzpunkt dominierende Medium der Wissensvermittlung darstellt, hat
für präventive Maßnahmen bieten. sie einen entsprechend nachhaltigen Einfluss auf die gesamte
schulische Leistungsentwicklung und zählt somit zu den
Allgemeine kognitive Fähigkeiten wichtigsten Ansatzpunkten für eine wirksame Prävention.
Mit Blick auf die geforderte Streuwirkung der Maßnahmen
bieten sich zunächst allgemeine kognitive Fähigkeiten und Bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten
Fertigkeiten als potenzielle Ansatzpunkte für eine Förderung Einen weiteren Ansatzpunkt für präventive Fördermaß
an. Diese haben auf breiter Front leistungslimitierende Einflüsse nahmen, die eine breite Streuwirkung erwarten lassen, stellen
auf den Lernprozess sind damit lerngegenstandsübergreifend sogenannte bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten für den
relevant. Naheliegend ist beispielsweise eine gezielte Förderung Erwerb der Kulturtechniken Schriftsprache und Mathematik
des Arbeitsgedächtnisses, das beim Lernen allgemein als dar. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten und Fertigkeiten,
eine Art „Flaschenhals“ gilt (Hasselhorn und Gold 2006). Die die zwar noch nicht im engeren Sinne als Lesen, Schreiben
präventiven Potenziale von Arbeitsgedächtnistrainings sind oder Rechnen zu bezeichnen sind, die aber eine wichtige
allerdings umstritten. So genügt es für den Zweck der Prä- Voraussetzung für deren Erwerb darstellen. Bezogen auf den
vention nicht nachzuweisen, dass nach der Förderung bessere Schriftspracherwerb ist dies vor allem die phonologische
Leistungen in verschiedenen Arbeitsgedächtnistests erzielt Bewusstheit, also die Einsicht in die Lautstruktur der Sprache.
werden. Vielmehr muss zudem sichergestellt sein, dass mit Analog hierzu werden für den mathematischen Kompetenz-
dem Training auch die gewünschten Transferwirkungen auf erwerb sogenannte mathematische Basiskompetenzen,
andere Lernbereiche erzielt werden. Insbesondere für den Vor- also grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen und
schulbereich konnte jedoch bislang nicht überzeugend belegt Mengen oder Größen, als zentrale Voraussetzung betrachtet
werden, dass sich eine Förderung des Arbeitsgedächtnisses (Krajewski und Ennemoser 2013). Die genannten Vorläufer-
auch tatsächlich in späteren Schulleistungen niederschlägt fertigkeiten entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit
(Melby-Lervåg und Hulme 2013). der Umwelt bereits vor dem Schuleintritt und sind in der
Ähnliche Einschränkungen gelten für Trainings zur Regel nicht, oder zumindest nicht in hinreichendem Umfang,
Förderung exekutiver Funktionen. Die unter diesen Begriff Gegenstand der formalen Instruktion im Unterricht. Das
gefassten kognitiven Regulations- und Kontrollmechanis- heißt, sie werden im Anfangsunterricht weitgehend voraus-
men (z. B. Hemmung von Denk- und Handlungsimpulsen, gesetzt oder implizit als „beiläufig erlernbar“ betrachtet. Für
Wechseln des Aufmerksamkeitsfokus, Aktualisieren von Kinder, die aufgrund fehlender Anregungen im sozialen
Informationen im Arbeitsgedächtnis; Drechsler 2007; Umfeld mit unzureichend entwickelten Vorläuferfertigkeiten
Miyake et al. 2000) haben ebenfalls einen substanziellen in die Schule kommen, hat dies weitreichende Konsequenzen.
Einfluss auf zukünftige Lernentwicklungen (z. B. Mischel Viele dieser Kinder gehen in den beiden wichtigsten Grund-
et al. 1988; Roebers et al. 2011; Krajewski und Simanowski schulfächern bereits mit Rückständen an den Start, die im
2017). Wie im Falle des Arbeitsgedächtnisses liegt jedoch Anfangsunterricht nicht gezielt ausgeglichen werden.
382 M. Ennemoser und K. Krajewski
16.1.3 Fazit
Ebenen der Sprachkompetenz (vgl. Weinert und
Ausgehend von der Argumentation, dass im Rahmen Grimm 2008)
vorschulischer Präventionsbemühungen vor allem 1. Die phonetisch-phonologische Ebene bezieht
Maßnahmen zu priorisieren sind, die – idealerweise nach- sich auf die Kenntnis des Lautsystems und die
weislich – eine breite Wirkung auf die spätere Schulleistung Verarbeitung lautlicher Information.
entfalten, sollte das Augenmerk vor allem auf folgende 2. Die morphologisch-syntaktische Ebene umfasst
vier Schwerpunkte gerichtet werden: induktives Denken, Regularitäten der Wort- und Satzbildung und damit
Sprache sowie jeweils spezifische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Grammatik.
den Erwerb der Schriftsprache (phonologische Bewusstheit) 3. Auf der lexikalisch-semantischen Ebene stehen
und der Mathematik (mathematische Basiskompetenzen). der Wortschatz sowie auch wortübergreifende
Die vorgeschlagene Fokussierung auf bestimmte Schwer- Bedeutungszusammenhänge im Vordergrund.
punkte bedeutet nicht, dass man andere Lernbereiche nicht 4. Die kommunikativ-pragmatische Ebene bezieht
ebenfalls für eine frühe Förderung in Erwägung ziehen oder sich schließlich auf den sachgerechten, situations-
als erstrebenswert betrachten kann. Wie bereits dargelegt, angemessenen Gebrauch von Sprache.
scheint es jedoch vor dem Hintergrund der begrenzten
finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen im
Bereich der frühkindlichen Bildung notwendig, eine klare Der Erwerb dieser Kompetenzen zählt zweifellos zu den
Abgrenzung vorzunehmen zwischen Kompetenzbereichen, wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Kindesalters. Defizite in
die im oben beschriebenen Sinne als „must have“ zu der Sprachkompetenz ziehen langfristige Beeinträchtigungen
bezeichnen sind, und solchen, die zusätzlich in den Fokus im späteren Bildungserfolg nach sich, was nicht zuletzt durch
genommen werden können, wenn die zuerst genannten die massiven Bildungsbenachteiligungen von Kindern mit
hinreichend gesichert sind. So kann etwa über Sinn und Migrationshintergrund dokumentiert wird (Baumert et al.
Unsinn der frühkindlichen Vermittlung von Chinesisch in 2001; Bos et al. 2007; Stanat 2003). Aber auch über den
hiesigen Bildungseinrichtungen trefflich diskutiert werden. Bildungserfolg hinaus stellt die Sprache eine zentrale Voraus-
Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis kommen setzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar.
jedoch auch ohne C hinesisch-Kenntnisse ganz gut zurecht, Die Unterstützung des Spracherwerbs zählt somit zu den
ohne in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teil- wichtigsten Zielen frühkindlicher Bildung und ihr gebührt
habe nennenswerte Einschränkungen in Kauf nehmen zu auch unter präventiven Gesichtspunkten besondere Beachtung.
müssen. Es handelt sich also um Kompetenzen, die eher
der Kategorie „nice to have“ zuzuordnen sind. Davon
abgesehen sollte bei der Entscheidung, welche und wie viele 16.2.1 Möglichkeiten einer effektiven
Fördermaßnahmen letzten Endes implementiert werden, Sprachförderung
schließlich auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen
fokussierten, formalen Förderangeboten und Freiräumen Vor dem geschilderten Hintergrund ist es erstaun-
beziehungsweise informellen Lerngelegenheiten berück- lich, wie wenig über die Wirksamkeit vorschulischer
sichtigt werden.
16 Fördermaßnahmen bekannt ist. Obwohl inzwischen eine
Vielzahl an Förderkonzepten existiert (vgl. Jampert et al.
2005), liegt bislang kein Programm vor, für das in einem
16.2 Sprachförderung in Kindergarten und hinreichenden Umfang empirische Wirksamkeitsnachweise
Vorschule existieren und das in diesem Sinne als „evidenzbasiert“
gelten kann (7 Abschn. 16.1). Darüber hinaus gelangen
Die Sprache ist ein extrem flexibles Kodiersystem, das es uns jüngste Begleitstudien zu verschiedenen Förderinitiativen in
einerseits ermöglicht, komplexe, abstrakte Informationen Deutschland vergleichsweise konsistent zu ernüchternden
„nach außen“ zu kommunizieren, und das uns umgekehrt Ergebnissen (z. B. Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Roos et al.
auch dabei hilft, Wahrgenommenes verbal „nach innen“ zu 2010; Wolf et al. 2011; für einen Überblick vgl. Lisker 2011).
kodieren, Informationen zu strukturieren, sie problemlösend Folglich ist es an dieser Stelle nicht möglich, ein bestimmtes
zu verarbeiten und in größere Zusammenhänge einzubetten. Förderprogramm im Sinne eines empirisch bewährten
Um Sprache in diesem Sinne nutzen zu können, muss jedoch „Gesamtpakets“ hervorzuheben. Allerdings lassen sich aus
das ihr zugrunde liegende Regelsystem erworben werden der internationalen Forschung Hinweise auf bestimmte
(vgl. Weinert und Lockl 2008). Die Kompetenzen, die hier- übergeordnete Prinzipien ableiten, die im Rahmen der vor-
bei aufgebaut werden müssen, lassen sich im Wesentlichen schulischen Sprachförderung vielversprechend sind. Ins-
auf vier Ebenen verorten. besondere kann es als vergleichsweise gesichert gelten,
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
383 16
dass große Förderpotenziale in der Art der sprachlichen Das dialogische Lesen stellt somit – wie die meisten
Interaktion mit dem Kind liegen. Richtungsweisend sind Sprachfördermaßnahmen für das Kindergartenalter – einen
in diesem Zusammenhang die inzwischen als klassisch zu impliziten Vermittlungsansatz dar (Polotzek et al. 2008;
bezeichnenden Arbeiten von Whitehurst und Kollegen zur 7 Exkurs „Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien“). Eine
Wirksamkeit des sogenannten dialogischen Lesens (dialogic Besonderheit besteht jedoch darin, dass das dialogische Lesen
reading; Whitehurst et al. 1988). im Grunde ausschließlich auf die konsequente Anwendung
sprachförderlicher Interaktionsprinzipien setzt (Ennemoser
Definition et al. 2013). Das heißt, der Förderansatz umfasst weder
Das dialogische Lesen basiert auf der konsequenten elaborierte Programmbausteine, die jeweils gezielt auf die
Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien, wie sie Vermittlung bestimmter Sprachkompetenzen (z. B. Plural-
auch im Rahmen der natürlichen Eltern-Kind-Interaktion bildung, Wortschatz) zugeschnitten sind, noch werden hier-
beobachtbar sind („Motherese“; Hoff-Ginsberg 1986; für bestimmte Übungsmaterialien vorgehalten, wie dies in
Weinert und Lockl 2008). Als Plattform für die Umsetzung verfügbaren Trainingsprogrammen üblicherweise der Fall
sprachförderlicher Dialoge wird die klassische ist (z. B. Penner 2005; Küspert und Schneider 2006). Neben
Vorlesesituation gewählt, die hierfür ideale Möglichkeiten der Vorlesesituation, die als Plattform für die Realisierung
bietet (Ennemoser 2008). Im Zuge des kommunikativen sprachförderlicher Interaktionen genutzt wird, gilt ledig-
Austauschs über möglichst interessante Inhalte erhalten lich die Vorgabe, dass sich die Auswahl der Bücher an den
Kinder die Gelegenheit, eher beiläufig neue Wörter zu Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren soll.
erlernen und aus dem „wohlgeformten“ Input intuitiv Was genau ist nun mit sprachförderlichen Inter-
sprachliche Regelmäßigkeiten abzuleiten (vgl. Ritterfeld aktionen im Sinne des dialogischen Lesens gemeint?
2000; Polotzek et al. 2008). Nach Ennemoser und Kollegen (2013) lassen sich die
von Whitehurst et al. (1988) beschrieben Interaktions-
Exkurs
prinzipien drei sprachstimulierenden Funktionen zuordnen Beispielsweise gelten Entscheidungsfragen für die Anregung
(. Tab. 16.1; Ennemoser et al. 2013): der Sprachproduktion als weniger geeignet, da sie gegebenen-
1. Anregung der kindlichen Sprachproduktion falls schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind.
2. Modellierung sprachlicher Äußerungen Dem vorzuziehen sind Ergänzungs- und offene Fragen
3. Verstärkung/Motivation. beziehungsweise W-Fragen (z. B. Wie…? Warum…?), deren
Beantwortung es erfordert, im Text enthaltene Wörter und
Die hierunter gefassten Maßnahmen sind allerdings keines- grammatische Strukturen zu reproduzieren oder diese auf
falls spezifisch dem Ansatz des dialogischen Lesens zuzu- alternative Weise auszudrücken. Vertiefende Nachfragen
ordnen. Vielmehr handelt es sich um Techniken, die in der auf die Äußerungen des Kindes halten den bereits initiierten
Forschung zu elterlichen Sprachlehrstrategien allgemein als Dialog aufrecht und können etwa dazu anregen, die wieder-
besonders geeignet gelten, um Kindern implizite Kennt- gegebenen Inhalte zu vervollständigen oder präziser sprach-
nisse über die formale Struktur der Sprache zu vermitteln lich zu elaborieren.
(Weinert und Lockl 2008). Im Rahmen des dialogischen Die durch Fragetechniken stimulierten sprachlichen
Lesens sollen diese Prinzipien lediglich systematisch Äußerungen der Kinder bieten der Förderkraft zum
angewendet werden. einen die Gelegenheit, den Sprachgebrauch konsequent
zu loben und zu verstärken, um ihnen Zutrauen in die
> Eine der wichtigsten Strategien zur Anregung der eigene sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu vermitteln. Zum
Sprachproduktion ist der gezielte Einsatz von Fragen anderen ermöglichen sie der Förderkraft, diese Äußerungen
(Arnold et al. 1994; Whitehurst et al. 1988), wobei gezielt zu modellieren. Die Modellierungstechniken
jedoch die Art der Fragen eine Rolle spielt. umfassen neben der lobenden Wiederholung korrekter
384 M. Ennemoser und K. Krajewski
. Tab. 16.1 Sprachförderliche Interaktionsmerkmale im Sinne des dialogischen Lesens und ihre jeweilige Funktion. (Ennemoser et al.
2013, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)
Funktion Maßnahme/Technik
Verbalisierungen gezielte Ergänzungen (Expansion) sowie Ergebnissen zufolge zeigen Kinder, deren Eltern eine Ein-
unterstützende bzw. korrektive Modellierungen bei Fehlern führung in die genannten Sprachlehrstrategien erhalten
(recasts). So greift die Förderkraft Äußerungen des Kindes haben, im Anschluss substanziell größere sprachliche
wiederholend auf und ändert diese gegebenenfalls gering- Kompetenzzuwächse, als eine Kontrollgruppe, in der die
fügig ab, um die verwendeten Wörter zu festigen und Eltern gemäß ihren üblichen Gewohnheiten vorlesen
grammatische Strukturen salient zu machen. Bei sprachlich (Whitehurst et al. 1988; Whitehurst et al. 1994). Inzwischen
unkorrekten Äußerungen wird auf eine explizite, tadelnde wurde das dialogische Lesen in verschiedenen Kontexten
Benennung von Fehlern (z. B. „Es heißt nicht Teppe, jenseits des häuslichen Eltern-Kind-Settings und auch bei
sondern Treppe!“) verzichtet. Stattdessen werden die älteren Kindern evaluiert. So wurde es erfolgreich im Klein-
Äußerungen aufgegriffen und in korrigierter Form wieder- gruppenformat in Kindergärten und Tagesstätten sowie als
holt, eventuell etwas erweitert und zum Anlass für weitere Maßnahme innerhalb des Head Start Programms1 eingesetzt
Nachfragen genommen. So könnte eine Förderkraft auf die (vgl. Lonigan und Whitehurst 1998; Whitehurst et al. 1994;
Aussage „Teppe nunterfallt!“ beispielsweise erwidern: „Ja, Whitehurst et al. 1999). Neben unausgelesenen Normalstich-
genau! Die Puppe ist die Treppe hinuntergefallen! Warum proben wurden auch für Risikokinder (Fielding-Barnsley
ist sie denn die Treppe hinunter gefallen?“. und Purdie 2003; Hargrave und Sénéchal 2000) sowie für
Da die genannten Modellierungstechniken direkt an Kinder mit Hörschädigungen positive Effekte gefunden
den sprachlichen Äußerungen des Kindes ansetzen, ent- (Fung et al. 2005; Dale et al. 1996). Die hierbei registrierten
faltet sich der anschließende Dialog jeweils ausgehend Fördererfolge betreffen eine breite Palette sprachlicher
vom individuellen Entwicklungsniveau des Kindes. Die Kompetenzen und reichen von einer Erweiterung des Wort-
Äußerungen des Kindes stellen gleichsam das Grund- schatzes über Zugewinne in der mittleren Äußerungslänge
16 gerüst dar, das im gemeinsamen Dialog weitergebaut und (mean length of utterances; MLU) beziehungsweise in
ausgestaltet wird. Hierbei werden durch die Modellierung den morphologisch-syntaktischen Fähigkeiten bis hin zu
im Idealfall Reize gesetzt, die in der Zone der nächsten verbesserten schriftsprachlichen Vorläuferkompetenzen
Entwicklung (Vygotskij 1934) liegen und die die weitere (vgl. Mol et al. 2008; Mol et al. 2009). Einschränkend ist
Sprachentwicklung optimal stimulieren. jedoch festzuhalten, dass das dialogische Lesen in vielen
Wie bereits erwähnt, spielen neben den spezifisch Studien nicht isoliert eingesetzt wurde, sondern mit
sprachbezogenen Interaktionsprinzipen auch allgemeine anderen Maßnahmen kombiniert war, sodass nicht ein-
motivationspsychologische Aspekte eine wichtige Rolle. deutig bestimmt werden kann, welcher Anteil der Förderer-
Hierzu zählen Lob und Bekräftigung der kindlichen folge ausschließlich dem dialogischen Lesen zugeschrieben
Äußerungen, die Beachtung der Interessen des Kindes und werden kann.
nicht zuletzt eine unterhaltsame Gestaltung der Förder- Für den deutschen Sprachraum waren lange Zeit keine
situation (vgl. auch Ritterfeld et al. 2006). Untersuchungen verfügbar, die das dialogische Lesen
im Sinne eines eigenständigen Förderansatzes evaluiert
c1 verbalem
a1 Gleichheit
b1 Merkmalen c2
a2 Verschiedenheit c3 geometr.-figuralem
b2 c4 numerischem
a3 Gleichheit und
Verschiedenheit c5
...
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
387 16
. Abb. 16.3 Aufgabenklassen
zum induktiven Denken nach
Klauer (1989, modifiziert, mit
freundlicher Genehmigung von
Hogrefe, Göttingen)
Aufgabenklasse Beispielaufgabe
- Klassen bilden
gleich Generalisierung
- Klassen ergänzen
gleich + - 4-Felderschema
verschieden - 6-Felderschema
- Folgen ergänzen
gleich Beziehungserfassung - Folgen ordnen
- einfache Analogie
gleich + - Matrizenaufgaben
verschieden Systembildung
- komplexe
Analogien
dass die anderen vier Fahrzeuge ein bestimmtes Merkmal zu sortieren, während bei der Beziehungsunterscheidung ein
gemeinsam haben (z. B. es handelt sich um Lastenfahr- Element identifiziert werden muss, das die ansonsten bereits
zeuge; Generalisierung). Alle anderen Fahrzeuge sind korrekte Größensortierung stört. Streng genommen müssen
also in diesem Punkt ähnlich bzw. gleich. Die theoretische also auch hier bei vielen Aufgaben sowohl Gleichheit als auch
Abgrenzung der beiden Aufgabentypen basiert demnach Verschiedenheit in irgendeiner Weise berücksichtigt werden.
im Wesentlichen darauf, welche Art Feststellung in der Die Gleichheit von Relationen wird neben Aufgaben zu Folgen-
Fragestellung ausdrücklich gefordert wird: Ähnlichkeit ergänzungen auch durch einfache Analogien erfasst. Hier muss
(Generalisierung) oder Unterschied (Diskrimination). beispielsweise erkannt werden, dass ein Fisch zum Aquarium
Die Aufgaben zur Kreuzklassifikation erfordern dem- eine ganz ähnliche Beziehung hat wie ein Vogel zum Käfig.
gegenüber explizit eine gleichzeitige Feststellung von Gleich- Analog zur Kreuzklassifikation hebt sich auch die
heit und Verschiedenheit von Merkmalen. Im Gegensatz zu Systembildung, also die Feststellung von Gleichheit und
den beiden anderen Aufgabentypen muss hier notwendiger- Verschiedenheit, von den beiden anderen Aufgaben-
weise mehr als ein Merkmal in den Vergleich einbezogen typen dadurch ab, dass mindestens zwei Vergleichs-
werden. So kann man beispielsweise bei vier vorliegenden dimensionen – in diesem Fall zwei verschiedene Arten von
Objekten einerseits feststellen, welche sich hinsichtlich Beziehungen – gleichzeitig berücksichtigt werden müssen.
ihrer Farbe gleichen beziehungsweise sich darin unter- Dies ist beispielsweise dann erforderlich, wenn bestimmte
scheiden (z. B. rot vs. gelb), und andererseits, welche dieser Anordnungen so ergänzt werden müssen, dass sie die
vier Objekte sich in ihrer Form gleichen – oder diesbezüg- erkennbaren Beziehungen zwischen bereits vorgegebenen
lich verschieden sind (z. B. rund vs. eckig). Es können also, Objekten systematisch fortführen beziehungsweise vervoll-
je nachdem welches der beiden Merkmale zugrunde gelegt ständigen. Ein einfaches Beispiel ist ein Vierfelderschema,
wird, unterschiedliche Klassen von Objekten gebildet in dem Fische abgebildet sind. Im Feld oben links befindet
werden, die sich sozusagen „überkreuzen“ (daher der Begriff sich ein großer Fisch. Rechts daneben sind zwei Fische dar-
Kreuzklassifikation, z. B. rot und rund, rot und eckig). gestellt, die genauso groß sind wie der im ersten Feld. Unten
links ist ebenfalls ein Fisch abgebildet, der jedoch wesent-
Aufgabenklassen zum Vergleich von Relationen lich kleiner ist. Wenn das Feld unten rechts frei ist, liegt die
Beim Vergleich von Relationen werden die Aufgabentypen Vermutung nahe, dass hier zwei kleine Fische hingehören.
Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen), Bezie Das „System“ besteht darin, dass von oben nach unten die
hungsunterscheidung (Verschiedenheit von Relationen) Relation „größer als“ gilt, während die Beziehung von links
und Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von nach rechts „eins weniger als“ heißen könnte (alternativ
Relationen) unterschieden (. Abb. 16.3). Eine typische Auf- wäre in diesem Fall auch „ist halb so viel wie“ plausibel).
gabe zur Beziehungserfassung besteht darin, mehrere Schwäne Mit einer zunehmenden Anzahl von Feldern können deut-
der Größe nach (d. h. entsprechend der Relation „größer als“) lich komplexere Matrizen gebildet werden.
388 M. Ennemoser und K. Krajewski
Trainingsprogramme zur Förderung des Aufgabe zielführend sind, sondern dass die Vorgehensweise
induktiven Denkens systematisch auf sehr viele verschiedene Problemstellungen
Die Förderung induktiven Denkens ist nicht allein als vor- angewendet werden kann. Um die Lösungsstrategien zu ver-
schulische Präventionsmaßnahme zu betrachten, sondern innerlichen und deren Übertragbarkeit auf andere Problem-
es werden auch im Grundschulalter und darüber hinaus stellungen zu erkennen, spielt die explizite Verbalisierung
noch bedeutsame Förderpotenziale gesehen. So gibt es der jeweiligen Vorgehensweise eine große Rolle. Dies
neben dem „Denktraining für Kinder I“ (Klauer 1989), wird im Training durch die Methode der verbalen Selbst-
das für Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren konzipiert instruktion gezielt unterstützt (Meichenbaum und
wurde, zwei weitere Programme mit älteren Zielgruppen. Goodman 1971). Hierbei fungiert die Förderkraft zunächst
Während das „Denktraining für Kinder II“ (Klauer 1991) als Modell, indem sie eine Lösungsstrategie anwendet und
den Altersbereich zwischen zehn und 13 Jahren abdeckt, die Vorgehensweise laut kommentiert. Anschließend soll das
richtet sich das „Denktraining für Jugendliche“ (Klauer Kind die Durchführung und die begleitende Verbalisierung
1993) schließlich speziell an Schüler mit Lernschwierig- schrittweise selbst übernehmen (sich sozusagen „selbst
keiten im Altersbereich zwischen 14 und 17 Jahren. instruieren“) und so zunehmend in die Lage versetzt
Die Trainingsaufgaben der drei Programmversionen werden, seine Problemlöseversuche eigenständig zu planen
sind sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf Schwierig- und zu regulieren. Leistungsstärkere Kinder, bei denen
keit und Abstraktionsniveau an die jeweilige Zielgruppe eine Modellierung durch die Förderkraft nicht erforder-
angepasst. Zudem unterscheiden sie sich hinsichtlich lich ist, können ihre Vorgehensweise auch direkt begleitend
der verwendeten Materialkomponenten. Während im verbalisieren (Methode des lauten Denkens) oder diese im
Denktraining I vorwiegend mit konkreten Materialien Nachhinein kommentieren (Selbstreflexion). Der Förder-
und bildlichen Darstellungen gearbeitet wird, ent- person kommt im Wesentlichen die Rolle zu, den Lösungs-
halten die Programmversionen für ältere Kinder zu prozess durch gezielte Fragen zu unterstützen (Methode des
gleichen Teilen verbale, numerische sowie figurale Auf- „gelenkten Entdeckenlassens“).
gaben (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band).
Davon abgesehen sind die Programme im Wesentlichen
identisch strukturiert. Die Durchführung kann sowohl 16.3.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit
als Einzelförderung als auch paarweise oder im Rahmen von Denktrainings
eines Gruppentrainings erfolgen. Im Verlauf von zehn
45-minütigen Sitzungen werden insgesamt je 120 Aufgaben Die Wirksamkeit der oben beschriebenen Programme zur
aus den sechs beschriebenen Aufgabenklassen bearbeitet. Förderung des induktiven Denkens wurde in zahlreichen
Für die einzelnen Sitzungen sind bestimmte inhaltliche Studien überprüft. Eine Meta-Analyse von Klauer und Phye
Schwerpunkte vorgesehen, um einen schrittweisen Auf- (2008), die auf den Ergebnissen von 74 Evaluationsstudien
bau und eine zunehmend flexiblere Anwendung der ver- basiert, liefert vergleichsweise eindrucksvolle Belege für
mittelten Strategien zu gewährleisten. Dieser Aufbau erfolgt die Effektivität der drei Denktrainings. Die Wirksamkeit
in drei Phasen. In den ersten Sitzungen wird zunächst die spiegelte sich nicht nur in den Ergebnissen von Intelligenz-
Grundstruktur der Aufgabenklassen erarbeitet und es tests wider (die einen substanziellen Anteil an induktiven
16 werden die Begriffe Eigenschaft und Beziehung eingeführt. Denkaufgaben enthalten), sondern es konnten darüber
Anschließend bildet die Einübung metakognitiver Kontroll- hinaus auch substanzielle Transfereffekte auf schulische
strategien einen Schwerpunkt. Das heißt, ergänzend zu Lernleistungen in verschiedenen Inhaltsbereichen registriert
den induktiven Strategien werden Strategien eingeübt, werden. Die vergleichsweise breiten Transferwirkungen
die darauf abzielen, die eigenen Problemlöseversuche zu belegen zugleich die Annahme, dass die trainierten
planen, zu überwachen und zu regulieren. Dies geschieht induktiven Denkprozesse tatsächlich ihren Niederschlag
anhand der Leitfragen: 1) „Was ist gesucht?“ 2) „Was kann in vielen anderen Lernbereichen finden. Interessanterweise
ich tun, um die Lösung zu finden? 3) Wie kann ich meine fielen diese Transfereffekte mit einer Effektstärke von knapp
Lösung kontrollieren?“ In den letzten Sitzungen liegt der 0.7 Standardabweichungen sogar noch größer aus als die
Schwerpunkt schließlich auf der Festigung und Auto- Effekte auf die Intelligenz, die etwa eine halbe Standard-
matisierung sowie der flexiblen Anwendung des Gelernten. abweichung betrugen. Zudem deuten die Befunde darauf
Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten sollen in hin, dass die gefundenen Effekte tatsächlich nachhaltig sind
jeder Sitzung 12 Aufgaben aus allen sechs Aufgabenklassen und im Falle der Intelligenz nach Abschluss des Trainings
bearbeitet werden. Generell steht dabei weniger das Ergeb- sogar geringfügig weiter zunehmen. Wie aus einer Studie
nis beziehungsweise die jeweilige Lösung als vielmehr die von Möller und Appelt (2001) hervorgeht, können die lang-
angewendete Lösungsstrategie im Fokus. So soll im Verlauf fristigen Effekte durch eine Auffrischung der geförderten
des Trainings zunehmend deutlich werden, dass die ver- Strategien (sog. Booster-Sitzung) sieben Monate nach
mittelten Strategien nicht nur bei der konkret vorliegenden Abschluss der Trainingsphase weiter verbessert werden.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
389 16
16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten Schreibenlernen vielfach bestätigt (z. B. Bradley und Bryant
des Schriftspracherwerbs 1985; de Jong und van der Leij 1999; Ennemoser et al. 2012;
Landerl und Wimmer 1994; Lundberg et al. 1980; Mann und
Zum Schulanfang bringen Kinder unterschiedliche Fähig- Liberman 1984; Lyytinen et al. 2004; Schneider und Näslund
keiten mit, die für den Erwerb der Lese- und Recht- 1993, 1999; Vellutino und Scanlon 1987; Schneider et al.
schreibkompetenz bedeutsam sind. Sie verfügen bereits 2000; Krajewski et al. 2008).
im Vorschulalter über sprachliche, auditive, visuelle und Allerdings wurde die Annahme, dass es sich bei der
motorische Fähigkeiten, auf die beim späteren Lesen- phonologischen Bewusstheit um eine Vorläuferfertigkeit
und Schreibenlernen zurückgegriffen werden muss. Eine des Schriftspracherwerbs handelt, im Forschungsverlauf
Schlüsselrolle kommt dabei der Einsicht in die Lautstruktur auch angezweifelt. In den betreffenden Arbeiten wurde
der Sprache zu, der sogenannten phonologischen Bewusst- argumentiert, dass sich die phonologische Bewusstheit erst
heit (Wagner und Torgesen 1987). Damit gemeint ist die durch die Auseinandersetzung mit dem alphabetischen
Fähigkeit, den sprachlichen „Lautstrom“ in kleinere Ein- Schriftsystem entwickelt und somit eher eine Folge als eine
heiten zerlegen und mit diesen Einheiten operieren zu Ursache für den ungestörten Schriftspracherwerb sei (z. B.
können. Sie äußert sich beispielsweise darin, dass ein Kind Morais et al. 1979). Der vermeintliche Widerspruch konnte
Reime erkennen, Wörter in Silben untergliedern oder einzeln durch eine differenziertere Betrachtung der phonologischen
vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenziehen Bewusstheit aufgelöst werden. So wird nun unterschieden
kann. Genau genommen handelt es sich also um eine meta- zwischen der phonologischen Bewusstheit im weiteren
sprachliche Fähigkeit, da sie sich nicht auf den semantischen Sinne und der phonologischen Bewusstheit im engeren
Gehalt (die Bedeutung) sprachlicher Äußerungen bezieht, Sinne (Skowronek und Marx 1989).
sondern allein auf formale Aspekte, nämlich das Wissen über
die lautliche Struktur der Sprache. Definition
Die unter den Begriff der phonologischen Bewusstheit Einteilung der phonologischen Bewusstheit nach
gefassten Fähigkeiten entwickeln sich – mit gewissen Ein- Skowronek und Marx (1989):
schränkungen – bereits vor dem Schuleintritt und haben Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn bezieht
nachgewiesenermaßen einen substanziellen Einfluss auf sich auf die Fähigkeit, den Lautstrom in größere
den späteren Schriftspracherwerb in der Schule (Ennemoser sprachliche Einheiten zu unterteilen und diese zu
et al. 2012). Insofern gilt die phonologische Bewusstheit als manipulieren. Sie ermöglicht es beispielsweise, Wörter
grundlegende Voraussetzung für den Erwerb unseres alpha- in Sätzen zu isolieren, sie in Silben zu zergliedern oder
betischen Schriftsystems, weshalb sie auch als spezifische Reime zu erkennen.
Vorläuferfertigkeit des Schriftspracherwerbs bezeichnet Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn
wird. bezeichnet die Einsicht, dass sich der Sprachfluss
in noch kleinere, abstrakte Einheiten – einzelne
Laute bzw. Phoneme – zerlegen lässt, weshalb sie
16.4.1 Die Bedeutung von phonologischer auch als phonemische Bewusstheit bezeichnet wird.
Bewusstheit und Buchstaben-Laut- Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ist
Zuordnung in der schriftsprachlichen beispielsweise erforderlich, um den Anlaut eines Wortes
Entwicklung identifizieren zu können, einzeln vorgesprochene Laute
zu einem Wort zusammenzuschleifen (Phonemsynthese)
In der Forschung wurden bereits früh Hinweise darauf oder ein Wort in seine Einzellaute zu zerlegen
gefunden, dass metasprachliche Fähigkeiten wie die phono- (Phonemanalyse).
logische Bewusstheit mit dem Lesen- und Schreibenlernen
in Verbindung stehen. Sowjetische Psychologen wiesen
bereits in den 1960er-Jahren auf Zusammenhänge zwischen Mit Blick auf das oben angesprochene Henne-Ei-Problem
der Fähigkeit, Wörter in Laute zerlegen zu können, und der wird heute davon ausgegangen, dass sich die phono-
späteren Leseleistung hin (Zhurova 1963; Elkonin 1963). logische Bewusstheit im weiteren Sinn grundsätzlich
Auch ältere, in der ehemaligen DDR entwickelte Förder- auch ohne spezielle Schriftsprachinstruktion im Kinder-
ansätze zur Überwindung von Lese-Rechtschreib-Schwierig- gartenalter entwickelt. Sie bezieht sich lediglich auf die
keiten basierten schon auf der Annahme, dass Probleme im Verarbeitung natürlicher, bedeutungstragender sprach-
Schriftspracherwerb primär auf mangelnden Fähigkeiten der licher Einheiten, die keinerlei Einsicht in das (abstrakte)
Lautanalyse, -artikulation und -unterscheidung beziehungs- alphabetische Schriftsystem erfordern. Die Entwicklung
weise einer Lautdifferenzierungs- und Wortaufgliederungs- der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn geht
schwäche basieren (Kossakowski 1962; Kossow 1972). In den dem Schriftspracherwerb voraus und kann somit tatsäch-
folgenden Jahrzehnten hat sich die internationale Forschung lich als Voraussetzung beziehungsweise als Vorläufer-
intensiv mit der phonologischen Bewusstheit befasst und fertigkeit für das Lesen- und Schreibenlernen bezeichnet
ihre Rolle als bedeutsame Voraussetzung für das Lesen- und werden. Demgegenüber erfordert die phonologische
390 M. Ennemoser und K. Krajewski
Bewusstheit im engeren Sinn den Umgang mit Phonemen, Wort) in eine lautliche Entsprechung zu übersetzen.
also mit abstrakten sprachlichen Einheiten, die keine Dieser Vorgang, der als phonologische Rekodierung
bedeutungstragende (sondern lediglich eine bedeutungs- bezeichnet wird, erfordert den Abruf gelernter
unterscheidende) Funktion haben. Grundsätzlich kann Buchstabe-Laut-Beziehungen sowie das „Zusammen-
sich zwar auch diese Fähigkeit bereits vor dem Schrift- schleifen“ der durch die vorliegende Buchstabensequenz
spracherwerb herausbilden; im Allgemeinen geschieht dies repräsentierten Einzellaute (phonologische Bewusstheit).
jedoch lediglich rudimentär. Der größte Entwicklungs- Das resultierende Klangbild kann dann mit dem mentalen
schub erfolgt erst mit der Einführung in das alphabetische Lexikon abgeglichen werden, wodurch – sofern eine
Prinzip. Die gelernten Buchstaben stehen nun als externe Übereinstimmung mit einem bekannten Wort gefunden
Repräsentanten für bestimmte Phoneme zur Verfügung wird – der Zugriff auf die Wortbedeutung erfolgen
(Buchstabe-Laut-Verknüpfung). Durch die Verknüpfung kann (Dekodierung). In diese basalen Leseprozesse des
eines Buchstabens mit dem zugehörigen Laut wird es für die Rekodierens und Dekodierens ist die phonologische
Kinder leichter, das betreffende Phonem als abstrakte, aus Bewusstheit unmittelbar involviert, das heißt, sie hat einen
dem Sprachfluss heraus isolierbare Einheit zu begreifen und direkten Einfluss auf die Effizienz dieser Prozesse.
es beispielsweise in einem gehörten Wort zu identifizieren. Auf indirektem Wege nimmt die phonologische
Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne entwickelt Bewusstheit damit auch Einfluss auf Verstehensprozesse
sich also erst im Wechselspiel mit der expliziten Schrift- oberhalb der Wortebene (z. B. Bildung lokaler und
sprachinstruktion (Küspert et al. 2007; Schneider 1997). globaler Kohärenz, Aufbau eines Situationsmodells; vgl.
van Dijk und Kintsch 1983). Denn insbesondere in frühen
> Für die Mobilisierung der in der phonologischen
Erwerbsphasen beeinflusst die Effizienz basaler Dekodier-
Bewusstheit liegenden Förderpotenziale hat
fertigkeiten das Leseverstehen noch maßgeblich (Perfetti
das Wechselspiel mit der Buchstabeninstruktion
1985). Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei das Arbeits-
weitreichende Konsequenzen, denn es macht deutlich,
gedächtnis ein. Der anfänglich mühevolle Vorgang der
dass eine Förderung der phonologischen Bewusstheit
phonologischen Rekodierung stellt eine große Belastung
(im engeren Sinne) sinnvollerweise an die Vermittlung
für das Arbeitsgedächtnis dar, sodass nur begrenzte
von Buchstabenkenntnissen gekoppelt werden sollte.
Ressourcen für das Leseverstehen zur Verfügung stehen.
Dies wird auch durch Befunde zur phonologischen Ver- Wenn der Rekodiervorgang durch eine gute phonologische
knüpfungshypothese bestätigt, aus denen hervorgeht, Bewusstheit erleichtert wird, werden Arbeitsgedächtnis-
dass die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung ressourcen für hierarchiehöhere Verstehensprozesse frei-
der phonologischen Bewusstheit durch die Verknüpfung gesetzt, was letztlich in einem besseren Leseverständnis
mit einem Buchstaben-Laut-Training deutlich verbessert resultiert.
werden kann (Hatcher et al. 1994; Schneider et al. 2000). Obwohl die phonologische Bewusstheit also (lediglich)
basale Leseprozesse beeinflusst, nimmt sie doch einen –
z Präventive Potenziale der phonologischen Bewusst- wenn auch nur indirekten – Einfluss auf das Leseverständ-
heit und ihre Grenzen nis. Dennoch greift ein rein phonologisch orientierter
In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Forschungs- Präventionsansatz speziell im Hinblick auf die lang-
16 arbeiten publiziert worden, die sich mit der Bedeutung der
phonologischen Bewusstheit befassen. Durch diese starke
fristige Leseverständnisentwicklung zu kurz. Diese Ein-
schätzung lässt sich mit dem „Simple View of Reading“
Fokussierung ist allerdings etwas aus dem Blick geraten, begründen (Gough und Tunmer 1986; Hoover und Gough
dass die in der phonologischen Bewusstheit liegenden 1990), dem zufolge das Leseverständnis ein Produkt aus
Präventionspotenziale für den Schriftspracherwerb auch Dekodierfertigkeit und Hörverstehen ist. Das heißt, sobald
klare Grenzen haben. Diese Grenzen werden besonders die Dekodierfertigkeiten hinreichend automatisiert sind
deutlich, wenn man sich zunächst vor Augen führt, (einzelne Wörter also zügig und ohne größere Mühen
welche kognitiven Prozesse (später in der Schule) am erlesen werden können), stellen sie keinen leistungs-
sinnentnehmenden Lesen eines Textes beteiligt sind, und limitierenden Faktor mehr dar. Stattdessen gewinnt nun
anschließend analysiert, welche dieser Prozesse durch eine das das Hör- beziehungsweise Sprachverständnis eine
gute phonologische Bewusstheit begünstigt werden. Aus immer größere Bedeutung. Genau genommen stellt das
einer solchen Analyse des Wirkmechanismus lässt sich Hörverstehen bereits von Anfang an die Obergrenze für
theoretisch differenziert ableiten, wo genau die Förder- das Leseverstehen dar (Marx und Jungmann 2000). Der
potenziale der phonologischen Bewusstheit liegen – und maßgelbliche Einfluss des Hörverstehens kann jedoch
wo sie an ihre Grenzen stoßen, sodass gegebenenfalls eine anfänglich noch gar nicht sichtbar werden, da mit dem
Ergänzung durch andere Maßnahmen sinnvoll ist. Schuleintritt zunächst einmal – notwendigerweise –
Im Erstunterricht geht es zunächst um den Erwerb der Erwerb des schriftsprachlichen Symbolsystems und
basaler Lesefertigkeiten; das Verstehen von Texten steht damit basaler Dekodierfertigkeiten im Vordergrund steht
hier noch im Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt bestehen (Ennemoser et al. 2012; 7 Exkurs „Einflüsse von phono-
die zentralen Herausforderungen etwa darin, eine vor- logischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf
gegebene Buchstabensequenz (d. h. ein geschriebenes das spätere Leseverständnis“).
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
391 16
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Wenn durch präventive Maßnahmen nachhaltig bessere
Potenziale phonologisch orientierter Fördermaßnahmen Ausgangsbedingungen für die Leseverständnisentwicklung
ziehen? Trainings der phonologischen Bewusstheit in der Schule geschaffen werden sollen, muss demnach
erleichtern den Einstieg in den Schriftspracherwerb. Sie neben der phonologischen Bewusstheit auch die all-
begünstigen den Erwerb des alphabetischen Prinzips gemeine Sprachkompetenz beziehungsweise das Hörver-
und damit insbesondere basale Prozesse der phono- stehen gezielt gefördert werden.
logischen Rekodierung und des Dekodierens. Vor allem Analog gelten diese Überlegungen für die Schreib-
in frühen Erwerbsphasen sollte sich dies auch in ver- kompetenz. Auch hier beschränkt sich das Einflusspotenzial
besserten Leseverständnisleistungen niederschlagen. Mit der phonologischen Bewusstheit auf den Erwerb des
stetig wachsenden Dekodierfertigkeiten sollte sich dieser abstrakten schriftsprachlichen Symbolsystems. Dies befähigt
Effekt jedoch zunehmend erschöpfen, da dann nicht mehr zwar zur „Übersetzung“ von sprachlich formulierten
die Effizienz des Dekodierens, sondern das vorhandene Inhalten in die Schriftsprache und erfüllt damit zweifellos
Sprachverständnis den leistungslimitierenden Faktor dar- eine außerordentlich wichtige Funktion. Es ersetzt jedoch
stellt. Im ungünstigen Fall ist ein Kind nun zwar in der nicht die Notwendigkeit einer angemessenen sprachlichen
Lage Wörter flüssig zu dekodieren, das Textverständnis Ausdrucksfähigkeit beziehungsweise der hierfür erforder-
bleibt aber dennoch auf einem unzureichenden Niveau, lichen lexikalischen und morphologisch-syntaktischen
weil das hierfür erforderliche Sprachverständnis fehlt. Kompetenzen (7 Abschn. 16.2).
Exkurs
Einflüsse von phonologischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf das spätere Leseverständnis
Ennemoser und Kollegen (2013) Ende der 1. Klasse. Diese beeinflussten anfänglichen Dekodierfertigkeiten.
analysierten die Daten zweier wiederum das in der 4. Klasse erfasste Im erst vier Jahre später erfassten
Längsschnittstudien, um die Einflüsse Leseverständnis. Die phonologische Leseverständnis klärten sie allerdings
der phonologischen Bewusstheit und Bewusstheit hatte somit einen ebenso viel Varianz auf wie die
der allgemeinen Sprachkompetenz indirekten Effekt auf das spätere Dekodierleistung in der 1. Klasse. Diese
auf die Lesekompetenzentwicklung in Leseverstehen. Demgegenüber hatten Befunde deuten darauf hin, dass die
der Schule zu untersuchen. In beiden die im Kindergartenalter erhobenen phonologische Bewusstheit einen
Studien erwies sich die phonologische sprachlichen Kompetenzen („oberhalb“ wichtigen, aber keinesfalls hinreichenden
Bewusstheit im Kindergarten als starker der phonologischen Ebene) zwar noch Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen
Prädiktor für die D
ekodierfertigkeiten am keinen signifikanten Einfluss auf die im Vorschulalter darstellt.
16.4.2 Möglichkeiten einer bewährt hatte (Lundberg et al. 1988). Das Training wird im
effektiven Förderung von letzten Kindergartenjahr durchgeführt und umfasst täg-
phonologischer Bewusstheit und liche Fördersitzungen über einen Zeitraum von 20 Wochen.
Buchstaben-Laut-Zuordnung Das Programm besteht aus spielerischen Übungen zu
beiden Bereichen der phonologischen Bewusstheit, die
Um Kindern den Einstieg in den Schriftspracherwerb systematisch aufeinander aufbauen (. Abb. 16.4). In den
zu erleichtern, sollten sie dazu in die Lage versetzt ersten Wochen stehen zunächst verschiedene Spiele zur
werden, den Sprachfluss in Sätze, Wörter, Silben (phono- phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn (Reimen,
logische Bewusstheit im weiteren Sinn) und schließlich Sätze und Wörter, Silben) auf dem Programm, bevor im
in einzelne Laute zerlegen (phonologische Bewusstheit Anschluss die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn
im engeren Sinn) sowie mit diesen Segmenten operieren immer stärker in den Fokus genommen wird (Anlaut,
zu können. Darüber hinaus sollten die Kinder Buch- Phonem). Die vorgeschalteten Lauschspiele dienen dazu,
staben kennenlernen und verstehen, dass die Einzellaute die Kinder für das genaue Hinhören zu sensibilisieren,
der gesprochenen Sprache verschiedenen schriftlichen indem ihre Aufmerksamkeit auf akustische Reize in ihrer
Zeichen – den Buchstaben – zugeordnet werden können Umgebung gelenkt wird.
(Buchstaben-Laut-Zuordnung). Wie dies konkret umgesetzt Im Bereich phonologische Bewusstheit im weiteren
werden kann, wird im Folgenden exemplarisch anhand von Sinn finden sich Reimspiele, die den Kindern verdeutlichen
zwei aufeinander aufbauenden Programmen dargestellt. sollen, dass Wörter klangliche Ähnlichkeiten aufweisen
können (sich reimen), was zugleich bedeutet, dass ein Wort
Förderung von phonologischer Bewusstheit in Teile untergliedert werden kann, die sich auch in anderen
Das Förderprogramm „Hören, lauschen, lernen“ (HLL; Wörtern wiederfinden (selbst wenn diese Wörter inhaltlich
Küspert und Schneider 2006) wurde in Anlehnung an ein nichts miteinander zu tun haben, z. B. Schnecke – Ecke). In
skandinavisches Training entwickelt, das sich zuvor im Übungen zu Sätzen und Wörtern sollen die Kinder unter
Rahmen einer viel beachteten Interventionsstudie empirisch anderem eine Vorstellung davon erhalten, dass Wörter
392 M. Ennemoser und K. Krajewski
16
. Abb. 16.4 Die drei Ziele früher schriftsprachlicher Förderung, exemplarisch dargestellt an den Förderprogrammen HLL („Hören, lauschen,
lernen“; Küspert und Schneider 2006) und HLL 2 („Hören, lauschen, lernen 2“; Plume und Schneider 2004)
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
393 16
nicht nur zu Sätzen, sondern auch zu neuen Wörtern gleich der entsprechende Buchstabe („A“) zugeordnet.
zusammengesetzt werden (z. B. „Schnee“ und „Mann“ Anschließend lernen die Kinder, dass diese Laute nicht nur
ergeben „Schneemann“) und umgekehrt manche Wörter in isoliert vorkommen, sondern tatsächlich in vielen Wörtern
kleinere Wörter zerlegt werden können („Fußball“ besteht enthalten sind. Zu diesem Zweck müssen etwa bildlich dar-
aus „Fuß“ und „Ball“). In den anschließenden Silbenspielen gestellte Objekte benannt, der Anlaut des entsprechenden
wird dieses Prinzip fortgeführt, wobei Wörter nun nicht Wortes identifiziert und dem richtigen Buchstaben
mehr in andere Wörter, sondern in Silben zerlegt und durch zugeordnet werden. Die umgekehrte Aufgabe besteht darin,
motorische Elemente wie Händeklatschen, Tanzen und Buchstaben bestimmten Objektbildern zuzuordnen, deren
Marschieren rhythmisch betont oder künstlich auseinander- Bezeichnung mit dem korrespondierenden Anlaut beginnt
gezogene Silben zu Wörtern zusammengesetzt werden (z. B. das A dem Apfel). Ziel des Ergänzungsprogramms
sollen (z. B. „Scho-ko-la-de“ zu „Schokolade“). HLL 2 ist es also, dass die Kinder das Zuordnungsprinzip
Der Bereich phonologische Bewusstheit im engeren zwischen Lauten und Buchstaben erkennen.
Sinn beinhaltet zunächst Übungen zur Identifikation des
Anfangslauts. Hier sind die Kinder herausgefordert, auf-
merksam auf den Anfang eines Wortes zu hören, um den 16.4.3 Evaluationsstudien zur
ersten Laut bestimmen zu können (z. B. Rrrrrreis →/r/). Wirksamkeit der Förderung von
Zudem lernen die Kinder – ähnlich wie bei den Silben –, phonologischer Bewusstheit und
dass Anfangslaute entfernt oder hinzugenommen werden Buchstaben-Laut-Zuordnung
können und dass dadurch neue Wörter mit anderer
Bedeutung entstehen (z. B. „rot“ – „B…rot“). Schließlich Die Wirksamkeit von Trainings der phonologischen Bewusst-
folgen die abstrakteren Aufgaben zur Phonemanalyse und heit kann als empirisch sehr gut belegt gelten. Zahlreiche Inter-
-synthese. Hier lauschen die Kinder beispielsweise einem ventionsstudien zeigen, dass die Fördermaßnahmen nicht nur
Kobold, der – wie ein Roboter – Wörter so ausspricht, als eine Verbesserung der phonologischen Bewusstheit bewirken,
seien sie in ihre Laute zerlegt (z. B./n/-/a/-/s/-/e/). Die Auf- sondern dass die Fördereffekte auch langfristig in verbesserten
gabe der Kinder besteht darin, die Einzellaute zu einem Schriftsprachkompetenzen resultieren (z. B. Lundberg et al.
Wort zu verbinden (Phonemsynthese). Umgekehrt sollen 1988; Schneider et al. 1997). Insbesondere konnte gezeigt
die Kinder Wörter in ihre Einzellaute zerlegen, das heißt, werden, dass diese Effekte auch bei Risikokindern zum Tragen
sie in lautierter Form aufsagen und dabei für jeden einzel- kommen, die eine schwache phonologische Informationsver-
nen Laut ein Klötzchen legen (Phonemanalyse). arbeitung und damit eine besonders ungünstige Ausgangslage
aufweisen (Schneider et al. 1999, 2000). Eine Förderung der
Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung phonologischen Bewusstheit ist demnach nicht nur als primär-
Um das Training der phonologischen Bewusstheit – wie sondern auch als sekundärpräventive Maßnahme wirksam und
in den vorangegangenen Abschnitten gefordert – mit führt zu einem substanziell verminderten Anteil von Kindern
der Vermittlung von Buchstaben-Laut-Zuordnungen mit Lese-Recht-Schreibschwierigkeiten. Allerdings deuten
zu verknüpfen, kann das Ergänzungsprogramm „Hören, die Befunde auch darauf hin, dass phonologisch orientierte
lauschen, lernen 2“ herangezogen werden (HLL 2; Fördermaßnahmen mit einem B uchstaben-Laut-Training
Plume und Schneider 2004). Das an eine amerikanische kombiniert werden sollten, da in diesem Fall mit deutlich
Trainingskonzeption von Ball und Blachman (1991) größeren Effekten zu rechnen ist (Ball und Blachmann 1991; Bus
angelehnte Programm wird in den letzten zehn Trainings- und van IJzendoorn 1999; Hatcher et al. 1994; Schneider et al.
wochen des HLL in dessen Durchführung integriert (Roth 2000).
1999). Das Training umfasst nicht das gesamte Alphabet, Auch für die in der einschlägigen Forschung lange Zeit
sondern konzentriert sich auf jene 12 Buchstaben, die im vernachlässigte Zielgruppe der Migrantenkinder liegen
deutschen Sprachgebrauch am häufigsten vorkommen inzwischen ermutigende Befunde vor (Armand et al. 2004;
(A, E, M, I, O, R, U, S, L, B, T, N). Die entsprechenden Stuart 1999, 2004; Blatter et al. 2013; Weber et al. 2007).
Buchstabe-Laut-Beziehungen werden in zwei Schritten ver- Grenzen phonologischer Trainings liegen darin, dass sie
deutlicht (. Abb. 16.4). Zunächst werden die Buchstaben lediglich den Erwerb des schriftsprachlichen Symbol-
anhand kurzer Geschichten eingeführt. Diese Geschichten systems begünstigen, aber naturgemäß nichts dazu bei-
sind allesamt dadurch gekennzeichnet, dass jeweils ein tragen können, das Hörverstehen zu verbessern, das – in
bestimmter markanter Laut eine zentrale Rolle spielt, der langfristiger Perspektive – die letztendliche Obergrenze für
anschließend von den Kindern nachgeahmt werden soll. So das Leseverstehen markiert. Frühe Präventionsmaßnahmen
geht es beispielsweise um einen Zahnarztbesuch, anlässlich sollten sich daher nicht lediglich auf eine Förderung der
dessen die Kinder laut/aaaaa/sagen müssen. Dem jeweils phonologischen Bewusstheit beschränken, sondern sich
fokussierten Laut wird in diesem Zusammenhang auch auch auf die Sprachkompetenz erstrecken.
394 M. Ennemoser und K. Krajewski
Exkurs
Exkurs
Die Förderung der Größenrepräsentation von Zahlen > Die Veranschaulichung der Zahlen sollte idealerweise
(Ebene 2) sollte zunächst über die Zuordnung von Zahl- anhand von Mengen erfolgen, die aus gleichen
wörtern beziehungsweise Ziffernzahlen zu abzählbaren Elementen bestehen. Diese sollten sich durch nichts
Mengen erfolgen (z. B. „drei“ steht für ▄ ▄ ▄, . Abb. 16.5). unterscheiden als allein durch ihre Anzahl (Krajewski
Wenn Kindern dies gelingt, kann sich der Größenvergleich und Ennemoser 2013).
von (An-)Zahlen anschließen (z. B. „drei sind weniger als
Wie die Veranschaulichungen in . Abb. 16.5 zeigen,
fünf“). Bevor schließlich zu Ebene 3 übergegangen werden
korrespondieren dargestellte Mengen (z. B. drei vs. fünf
kann, sollte sichergestellt sein, dass die Kinder sprachliche
Rechtecke) nur dann exakt mit der Flächen- oder Volumen-
Begriffe, die für die Beschreibung von Größenrelationen
ausdehnung beziehungsweise der „Größe“ der jeweiligen
wichtig sind (z. B. „sind zusammen genauso viel/groß/lang
Zahlen, wenn alle einzelnen Elemente der Mengen
wie“), sicher verwenden. So kann die Förderung schließlich
identisch und damit gleich groß sind (hier z. B. Recht-
darauf zielen, den Kindern bewusst zu machen, dass eine
ecke: ▄ ▄ ▄ vs. ▄ ▄ ▄ ▄ ▄). Nur in diesem Fall gibt die
(An-)Zahl nicht nur in kleinere (An-)Zahlen zerlegt und aus
Flächen- oder Volumenausdehnung der einzelnen Stück-
diesen wieder zusammengesetzt werden kann (z. B. „drei
zahlen auch das exakte Größenverhältnis der beiden zu ver-
und zwei sind zusammen genauso viele wie fünf“), sondern
gleichenden Zahlen wieder. Dies stellt ein sehr wichtiges
dass auch der Unterschied zwischen zwei Zahlen wieder
Prinzip dar, um Kindern im wörtlichen Sinne Einsicht in
eine Zahl ist und dass diese Zahl den Größenunterschied
die Größenverhältnisse der Zahlen und damit in die Zahl-
zwischen den beiden anderen Zahlen exakt angibt (z. B.
Größen-Verknüpfung (Ebene 2) sowie die Größenrelationen
„drei sind zwei weniger als fünf“; Ebene 3).
zwischen Zahlen (z. B. drei sind zwei weniger als fünf; Ebene
3) zu ermöglichen. Dennoch finden sich für den Kinder-
Die Bedeutung geeigneter Darstellungsmittel garten-, Vorschul- und Schuleingangsbereich nur wenige
Im Rahmen der Förderung ist es wichtig, die zu Materialien für die Beschäftigung mit Zahlen, die diesem
16 erkennenden Größenverhältnisse von Zahlen hinreichend Prinzip folgen. Die Auffassung, dass derart strukturiertes
salient zu machen. Dies gilt insbesondere für Kinder mit Material langweilig, nicht abwechslungsreich genug und
Schwächen im Bereich der Aufmerksamkeitsregulation damit nicht kindgerecht sein könnte, führt dazu, dass die
und des Arbeitsgedächtnisses. Aus diesem Grund ist eine Materialien tatsächlich nicht kindgerecht, weil nicht an der
sorgfältige Auswahl der Darstellungsmittel für die Zahlen kindlichen Entwicklung orientiert sind (7 Exkurs „Beispiel
erforderlich. für irreführende Darstellungsmittel“).
Exkurs
Grünke, M. (2006). Zur Effektivität von Fördermethoden bei Kindern Kossow. (1972). Zur Therapie der Lese-Rechtschreibschwäche. Berlin:
und Jugendlichen mit Lernstörungen. Kindheit und Entwicklung, Deutscher Verlag der Wissenschaften.
15, 239–254. Krajewski, K. (2007). Entwicklung und Förderung der vorschulischen
Hargrave, A. C., & Sénéchal, M. (2000). A book reading intervention Mengen-Zahlen-Kompetenz und ihre Bedeutung für die
with preschool children who have limited vocabularies: The mathematischen Schulleistungen. In G. Schulte-Körne (Hrsg.),
benefits of regular reading and dialogic reading. Early Childhood Legasthenie und Dyskalkulie: Aktuelle Entwicklungen in Wissen-
Research Quarterly, 15, 75–90. schaft, Schule und Gesellschaft (S. 325–332). Bochum: Winkler.
Hasselhorn, M., & Gold, A. (2006). Erfolgreiches Lernen als gute Krajewski, K. (2013). Wie bekommen die Zahlen einen Sinn: ein ent-
Informationsverarbeitung. In M. Hasselhorn & A. Gold (Hrsg.), wicklungspsychologisches Modell der zunehmenden Ver-
Pädagogische Psychologie – Erfolgreiches Lernen und Lehren. knüpfung von Zahlen und Größen. In M. von Aster & J. H. Lorenz
Stuttgart: Kohlhammer. (Hrsg.), Rechenstörungen bei Kindern: Neurowissenschaft, Psycho-
Hasselhorn, M., & Linke-Hasselhorn, K. (2013). Fostering early logie, Pädagogik (2. überarb. Aufl., S. 155–179). Göttingen:
numerical skills at school start in children at risk for mathematical Vandenhoeck & Ruprecht.
achievement problems: A small sample size training study. Inter- Krajewski, K., & Schneider, W. (2006). Mathematische Vorläufer-
national Education Studies, 6(3), 213–220. fertigkeiten im Vorschulalter und ihre Vorhersagekraft für die
Hatcher, P. J., Hulme, C., & Ellis, A. W. (1994). Ameliorating early reading Mathematikleistungen bis zum Ende der Grundschulzeit. Psycho-
failure by integrating the teaching of reading and phonological logie in Erziehung und Unterricht, 53, 246–262.
skills: The phonological linkage hypothesis. Child Development, Krajewski, K., & Schneider, W. (2009a). Early development of quantity
65, 41–57. to number-word linkage as a precursor of mathematical school
Heward, W. L. (2003). Ten faulty notions about teaching and learning achievement and mathematical difficulties: Findings from a four-
that hinder the effectiveness of special education. The Journal of year longitudinal study. Learning and Instruction, 19, 513–526.
Special Education, 36(4), 186–205. Krajewski, K., & Schneider, W. (2009b). Exploring the impact of phono-
Hoff-Ginsberg, E. (1986). Function and structure in maternal logical awareness, visual-spatial working memory, and preschool
speech: Their relation to the child’s development of syntax. quantity-number competencies on mathematics achievement
Developmental Psychology, 22, 155–163. in elementary school: Findings from a 3-year-longitudinal study.
Hofmann, N., Polotzek, S., Roos, J., & Schöler, H. (2008). Sprach- Journal of Experimental Child Psychology, 103, 516–531.
förderung im Vorschulalter - Evaluation dreier Sprachförder- Krajewski, K., & Ennemoser, M. (2010). Die Berücksichtigung begrenzter
konzepte. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 3, 291–300. Arbeitsgedächtnisressourcen in Unterricht und Lernförderung. In
Hoover, W. A., & Gough, P. B. (1990). The simple view of reading. H.-P. Trolldenier, W. Lenhard, & P. Marx (Hrsg.), Brennpunkte der
Reading and Writing: An Interdisciplinary Journal, 2, 127–160. Gedächtnisforschung (S. 337–365). Göttingen: Hogrefe.
Horn, J. L., & Cattell, R. B. (1966). Refinement and test of the theory Krajewski, K., & Ennemoser, M. (2013). Entwicklung und Diagnostik der Zahl-
of fluid and crystallized intelligence. Journal of Educational Größen-Verknüpfung zwischen 3 und 8 Jahren. In M. Hasselhorn, A.
Psychology, 57, 53–270. Heinze, W. Schneider, & U. Trautwein (Hrsg.), Diagnostik mathematischer
Hsieh, P., Acee, T., Chung, W., Hsieh, Y., Kim, H., Thomas, G. D., You, J., Levin, Kompetenzen. Tests & Trends N.F. 11 (S. 41–65). Göttingen: Hogrefe.
J. R., & Robinson, D. (2005). Is educational intervention research on the Krajewski, K. & Ennemoser, M. (2018). Diagnostik mathematischer
decline? Journal of Educational Psychology, 97, 523–529. Basiskompetenzen in Vorschule und zu Schulbeginn. In W.
Hulstijn, J. (2005). Theoretical and empirical issues in the study of Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Schuleingangsdiagnostik.
implicit and explicit second-language learning. Studies in Second Tests und Trends – Jahrbuch der pädagogisch-psychologischen
Language Acquisition, 27, 129–140. Diagnostik, N.F. Band 16 (S. 159–168). Göttingen: Hogrefe.
Jampert, K., Best, P., Guadatiello, A., Holler, D., & Zehnbauer, A. (2005). Krajewski, K., & Simanowski, S. (2017). Qualitätskriterien für Förder-
Schlüsselkompetenz Sprache: Sprachliche Bildung und Förderung im ansätze zur Prävention von Rechenschwäche. Frühförderung
Kindergarten – Konzepte, Projekte, Maßnahmen. Berlin: Verlag das interdisziplinär, 36(2), 93–105.
Netz Weimar. Krajewski, K., Nieding, G., & Schneider, W. (2007). Mengen, zählen,
Jordan, N. C., Glutting, J., & Ramineni, C. (2010). The importance of Zahlen: Die Welt der Mathematik verstehen (MZZ). Berlin: Cornelsen.
16 number sense to mathematics achievement in first and third Krajewski, K., Nieding, G., & Schneider, W. (2008). Kurz- und lang-
grades. Learning and Individual Differences, 20, 82–88. fristige Effekte mathematischer Frühförderung im Kindergarten
Kaufmann, L., & von Aster, M. (2012). Diagnostik und Intervention bei durch das Programm „Mengen, zählen, Zahlen“. Zeitschrift für Ent-
Rechenstörung. Deutsches Ärzteblatt, 109(45), 767–777. wicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 40, 135–146.
Klauer, K. J. (1989). Denktraining für Kinder I. Göttingen: Hogrefe. Krajewski, K., Simanowski, S., & Greiner, N. (2013). The impact of phono-
Klauer, K. J. (1991). Denktraining für Kinder II. Göttingen: Hogrefe. logical awareness for larger versus smaller units of spoken language
Klauer, K. J. (1993). Denktraining für Jugendliche. Göttingen: Hogrefe. on numerical development. Poster presented at the International
Klauer, K. J. (2001). Handbuch kognitives Training. Göttingen: Hogrefe. Society for Research in Child Development Biennial Meeting on
Klauer, K. J. (2011). Transfer des Lernens: Warum wir oft mehr lernen als 20th April in Seattle, Washington, USA.
gelehrt wird. Stuttgart: Kohlhammer. Kuhl, J., Sinner, D., & Ennemoser, M. (2012). Training quantity-number
Klauer, K. J., & Phye, G. (2008). Inductive reasoning: A training competencies in students with intellectual disabilities. Journal of
approach. Review of Educational Research, 78, 85–123. Cognitive Education and Psychology, 11, 128–142.
Klicpera, C., & Gasteiger-Klicpera, B. (1993). Lesen und Schreiben – Ent- Küspert, P., & Schneider, W. (2006). Hören, lauschen, lernen – Sprach-
wicklung und Schwierigkeiten. Die Wiener Längsschnittunter- spiele für Vorschulkinder (5. überarbeitete Aufl.). Göttingen:
suchungen über die Entwicklung, den Verlauf und die Ursachen von Vandenhoeck & Ruprecht.
Lese- und Schreibschwierigkeiten in der Pflichtschulzeit. Bern: Huber. Küspert, P., Weber, J., Marx, P., & Schneider, W. (2007). Prävention von
Köller, O. (in diesem Band). Evaluation pädagogisch-psychologischer Lese- Rechtschreibschwierigkeiten. In W. von Suchodoletz (Hrsg.),
Maßnahmen. In E. Wild, & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psycho- Prävention von Entwicklungsstörungen (S. 81–96). Göttingen:
logie. Heidelberg: Springer. Hogrefe.
Kossakowski, A. (1962). Wie überwinden wir die Schwierigkeiten beim Landerl, K., & Wimmer, H. (1994). Phonologische Bewusstheit als
Lesen- und Schreibenlernen, insbesondere bei Lese-Rechtschreib- Prädiktor für Lese- Rechtschreibfertigkeiten in der Grundschule.
schwäche (2. Aufl.). Berlin: Volk und Wissen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 8, 153–164.
Pädagogisch-psychologische Lernförderung …
403 16
Landerl, K., Bevan, A., & Butterworth, B. (2004). Developmental In M. R. Textor (Hrsg.), Kindergartenpädagogik – Onlinehandbuch.
dyscalculia and basic numerical capacities: A study of 8-9 year old 7 http://www.kindergartenpaedagogik.de/1726.html. Zugegriffen:
students. Cognition, 93, 99–125. 12. Febr. 2008.
Lisker, A. (2011). Additive Maßnahmen zur Sprachförderung im Kinder- Pressley, M., & Harris, K. R. (1994). Increasing the quality of educational
garten – Eine Bestandsaufnahme in den Bundesländern: Expertise im intervention research. Educational Psychology Review, 6, 191–208.
Auftrag des Deutschen Jugendinstituts. München: Verlag Deutsches Probst, H., & Kuhl, J. (2006). Weniger Ganzheitlichkeit ist mehr. In A.
Jugendinstitut. Fritz, R. Klupsch-Sahlmann, & G. Ricken (Hrsg.), Handbuch Kindheit
Lonigan, C. J., & Whitehurst, G. J. (1998). Relative efficacy of parent und Schule (S. 192–207). Weinheim: Beltz.
and teacher involvement in a shared-reading intervention Resnick, L. B. (1989). Developing mathematical knowledge. American
for preschool children from low-income backgrounds. Early Psychologist, 44, 162–169.
Childhood Research Quarterly, 13, 263–290. Ritterfeld, U. (2000). Welchen und wieviel Input braucht das Kind? In H.
Lundberg, I., Olofsson, A., & Wall, S. (1980). Reading and spelling skills Grimm (Hrsg.), Sprachentwicklung (Enzyklopädie der Psychologie,
in the first school years predicted from phonemic awareness skills CIII, Bd. 3, S. 403–432). Göttingen: Hogrefe.
in kindergarten. Scandinavian Journal of Psychology, 21, 159–173. Ritterfeld, U., Niebuhr, S., Klimmt, C., & Vorderer, P. (2006). Unter-
Lundberg, I., Frost, J., & Petersen, O. P. (1988). Effects of an extensive haltsamer Mediengebrauch und Spracherwerb: Evidenz für
program stimulating phonological awareness in preschool Sprachlernprozesse durch die Rezeption eines Hörspiels bei Vor-
children. Reading Research Quarterly, 23, 253–284. schulkindern. Zeitschrift für Medienpsychologie, 18, 60–69.
Lyytinen, H., Ahonen, T., Eklund, K., Guttorm, T., Kulju, P., Laakso, M.-L., Roebers, C. M., Röthlisberger, M., Cimeli, P., Michel, E., & Neuenschwander,
Leiwo, M., Leppänen, P., Lyytinen, P., Poikkeus, A.-M., Richardson, R. (2011). School enrolment and executive functioning: A
U., Torppa, M., & Viholainen, H. (2004). Early development of longitudinal perspective on developmental changes, the influence
children at familial risk for dyslexia – Follow-up from birth to of learning context, and the prediction of pre-academic skills.
school age. Dyslexia, 10, 146–178. European Journal of Developmental Psychology, 8(5), 526–540.
Mann, V. A., & Liberman, I. Y. (1984). Phonological awareness and verbal Roos, J., Polotzek, S., & Schöler, H. (2010). EVAS Evaluationsstudie
short-term memory. Journal of Learning Disabilities, 17, 592–599. zur Sprachförderung von Vorschulkindern. Abschlussbericht der
Marx, H., & Jungmann, T. (2000). Abhängigkeit der Entwicklung des Wissenschaftlichen Begleitung der Sprachfördermaßnahmen
Leseverstehens von Hörverstehen und grundlegenden Lese- im Programm „Sag’ mal was – Sprachförderung für Vorschul-
fertigkeiten im Grundschulalter: Eine Prüfung des Simple View kinder“. Unmittelbare und längerfristige Wirkungen von Sprach-
of Reading-Ansatzes. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und förderungen in Mannheim und Heidelberg. 7 http://www.
Pädagogische Psychologie, 32(2), 81–93. sagmalwasbw.de/media/WiBe%201/pdf/EVAS_Abschlussbericht_
Mayer, R. E. (2005). The failure of educational research to impact Januar2010.pdf. Zugegriffen: 10. Apr. 2012.
educational practice: Six obstacles to educational reform. In G. Roth, E. (1999). Prävention von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten:
D. Phye, D. H., Robinson, & J. R. Levin (Hrsg.), Empirical methods for Evaluation einer vorschulischen Förderung der phonologischen
evaluating educational interventions (S. 67–81). San Diego: Academic. Bewußtheit und der Buchstabenkenntnis. Hamburg: Kovac.
Meichenbaum, D. H., & Goodman, J. (1971). Training impulsive children Schneider, W. (1997). Rechtschreiben und Rechtschreibschwierig-
to talk to themselves: A means of developing self-control. Journal keiten. In F. E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie Pädagogische Psycho-
of Abnormal Psychology, 77, 115–126. logie (Bd. 3, S. 327–363). Göttingen: Hogrefe.
Melby-Lervåg, M., & Hulme, C. (2013). Is working memory training Schneider, W., & Näslund, J. C. (1993). The impact of early
effective? A meta-analytic review. Developmental Psychology, metalinguistic competencies and memory capacity on reading
49(2), 270–291. and spelling in elementary school: Results of the Munich
Mischel, W., Shoda, V., & Peake, P. K. (1988). The nature of adolescent longitudinal study on the Genesis of Individual Competencies
competencies predicted by preschool delay of gratification. (LOGIC). European Journal of Psychology of Education, 8, 273–288.
Journal of Personality and Social Psychology, 54, 687–696. Schneider, W., & Näslund, J. C. (1999). The impact of early phonological
Miyake, A., Friedman, N. P., Emerson, M. J., Witzki, A. H., & Howerter, A. processing skills on reading and spelling in school: Evidence from
(2000). The unity and diversity of executive functions and their the Munich Longitudinal Study. In F. E. Weinert & W. Schneider
contributions to complex “frontal lobe” tasks: A latent variable (Hrsg.), Individual development from 3 to 12: Findings from the
analysis. Cognitive Psychology, 41, 49–100. Munich longitudinal study (S. 126–147). Cambridge: Cambridge
Mol, S. E., Bus, A. G., de Jong, M. T., & Smeets, D. J. H. (2008). Added University Press.
value of dialogic parent-child book readings: A meta-analysis. Schneider, W., Küspert, P., Roth, E., Visé, M., & Marx, H. (1997). Short-
Early Education & Development, 19, 7–26. and long-term effects of training phonological awareness in
Mol, S. E., Bus, A. G., & de Jong, M. T. (2009). Interactive book reading kindergarten: Evidence from two German studies. Journal of
in early education: A tool to stimulate print knowledge as well as Experimental Child Psychology, 66, 311–340.
oral language. Review of Educational Research, 79, 979–1007. Schneider, W., Ennemoser, M., Roth, E., & Küspert, P. (1999). Kinder-
Morais, J., Cary, L., Alegria, J., & Bertelson, P. (1979). Does awareness of garten prevention of dyslexia: Does training in phonological
speech as a sequence of phones arise spontaneously? Cognition, awareness work for everybody? Journal of Learning Disabilities,
7, 323–331. 32(5), 429–437.
Möller, J., & Appelt, R. (2001). Auffrischungssitzungen zur Steigerung Schneider, W., Roth, E., & Ennemoser, M. (2000). Training phonological
der Effektivität des Denktrainings für Kinder I. Zeitschrift für skills and letter knowledge in children at risk for dyslexia: A
Pädagogische Psychologie, 15, 199–206. comparison of three kindergarten intervention programs. Journal
Penner, Z. (2005). Sprachkompetent für die Schule. Bern: Schulverlag. of Educational Psychology, 92(2), 284–295.
Perfetti, C. A. (1985). Reading ability. New York: Oxford University Press. Sinner, D. (2011). Prävention von Rechenschwäche durch ein Training
Plume, E., & Schneider, W. (2004). Hören, Lauschen, Lernen 2 – Sprach- mathematischer Basiskompetenzen in der ersten Klasse. Dis-
spiele mit Buchstaben und Lauten für Kinder im Vorschulalter. sertationsschrift. Universität Gießen.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Sinner, D., & Kuhl, J. (2010). Förderung mathematischer Basis-
Polotzek, S., Hofmann, N., Roos, J., & Schöler, H. (2008). Sprachliche kompetenzen in der Grundstufe der Schule für Lernhilfe. Zeit-
Förderung im Elementarbereich. Beschreibung dreier Sprach- schrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie,
förderprogramme und ihre Beurteilung durch Anwenderinnen. 42(4), 241–251.
404 M. Ennemoser und K. Krajewski
Skowronek, H., & Marx, H. (1989). The Bielefeld longitudinal study Vygotskij, L. S. (1934, neue dt. Übers. von Joachim Lompscher 2002).
on early identification of risks in learning to write and read: Denken und Sprechen. Weinheim: Beltz.
Theoretical background and first results. In M. Brambring, F. Lösel, Wagner, R., & Torgesen, R. (1987). The nature of phonological
& H. Skowronek (Hrsg.), Children at risk: Assessment, longitudinal processing and its causal rolein the acquisition of reading skills.
research, and intervention (S. 268–294). New York: De Gruyter. Psychological Bulletin, 101, 192–212.
Stanat, P. (2003). Schulleistungen von Jugendlichen mit Migrationshinter- Weber, J., Marx, P., & Schneider, W. (2007). Die Prävention von Lese-
grund: Differenzierung deskriptiver Befunde aus PISA und PISA-E. In Rechtschreibschwierigkeiten bei Kindern mit Migrationshinter-
J. Baumert, C. Artelt, E. Klieme, M. Neubrand, M. Prenzel, U. Schiefele, grund durch ein Training der phonologischen Bewusstheit.
et al. (Hrsg.), PISA 2000 – Ein differenzierter Blick auf die Länder der Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21, 65–76.
Bundesrepublik Deutschland (S. 243–260). Opladen: Leske + Budrich. Weinert, S., & Grimm, H. (2008). Sprachentwicklung. In R. Oerter & L.
Stanat, P., Becker, M., Baumert, J., Lüdtke, O., & Eckhardt, A. G. (2012). Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (6. Aufl., S. 502–534).
Improving second language skills of immigrant students: A field Weinheim: Beltz.
trial study evaluating the effects of a summer learning program. Weinert, S., & Lockl, K. (2008). Sprachförderung. In F. Petermann
Learning and Instruction, 22, 159–170. (Hrsg.), Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der
Stern, E. (2003). Früh übt sich: Neuere Ergebnisse aus der LOGIK-Studie Psychologie C/V/7) (S. 91–134). Göttingen: Hogrefe.
zum Lösen mathematischer Textaufgaben in der Grundschule. In A. Whitehurst, G. J., Falco, F. L., Lonigan, C., Fischel, J. E., DeBaryshe, B.
Fritz, G. Ricken, & S. Schmidt (Hrsg.), Handbuch Rechenschwäche – D., Valdez-Menchaca, M. C., et al. (1988). Accelerating language
Lernwege, Schwierigkeiten und Hilfen (S. 116–130). Weinheim: Beltz. development through picture book reading. Developmental
Stuart, M. (1999). Getting ready for reading: Early phoneme awareness Psychology, 24, 552–559.
and phonics teaching improves reading and spelling in inner- Whitehurst, G. J., Arnold, D. S., Epstein, J. N., Angell, A. L., Smith, M., &
city second language learners. British Journal of Educational Fischel, J. (1994a). A picture book reading intervention in day care
Psychology, 69, 587–605. and home for children from low-income families. Developmental
Stuart, M. (2004). Getting ready for reading: A follow-up study of inner Psychology, 30, 679–689.
city second language learners at the end of key stage I. British Whitehurst, G. J., Epstein, J. N., Angell, A. L., Payne, A. C., Crone, D.
Journal of Educational Psychology, 74, 15–36. A., & Fischel, J. E. (1994b). Outcomes of an emergent literacy
van Dijk, T. A., & Kintsch, W. (1983). Strategies of discourse intervention in head start. Journal of Educational Psychology, 86,
comprehension. New York: Academic. 542–555.
Vellutino, F. R., & Scanlon, D. M. (1987). Phonological coding, phono- Whitehurst, G. J., Zevenbergen, A. A., Crone, D. A., Schultz, M. D.,
logical awareness, and reading ability: Evidence from a longitudinal Velting, O. N., & Fischel, J. E. (1999). Outcomes of an emergent
and experimental study. Merrill-Palmer Quarterly, 33, 321–363. literacy intervention from Head Start through second grade.
von Aster, M. (2005). Wie kommen Zahlen in den Kopf? Ein Modell der Journal of Educational Psychology, 91, 261–272.
normalen und abweichenden Entwicklung zahlenverarbeitender Wolf, K. M., Felbrich, Stanat, P., & Wendt, W. (2011). EkoS – Evaluation
Hirnfunktionen. In M. von Aster & J. H. Lorenz (Hrsg.), Rechen- der kompensatorischen Sprachförderung: Abschlussbericht. Berlin,
störungen bei Kindern: Neurowissenschaft, Psychologie, Pädagogik AB Empirische Bildungsforschung der Freien Universität. 7 http://
(S. 13–33). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. www.isq-bb.de/uploads/media/ekos‐bericht‐3‐110216.pdf.
von Aster, M. G., & Shalev, R. S. (2007). Number development and Zugegriffen: 15. März 2010.
developmental dyscalculia. Developmental Medicine and Child Zhurova, L. E. (1963). The development of analysis of words into their
Neurology, 49, 868–873. sounds by preschool children. Soviet Psychology and Psychiatry,
von Suchodoletz, W. (2007). Möglichkeiten und Grenzen von Prä- 72, 17–27.
vention. In W. von Suchodoletz (Hrsg.), Prävention von Ent-
wicklungsstörungen (S. 1–9). Göttingen: Hogrefe.
16
405 17
Training
Stefan Fries und Elmar Souvignier
Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivationalen 17.1 Was ist ein Training?
und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden bestimmt. Es Begriffsbestimmung und
verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen Psychologie Klassifikation
spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich den Aufbau
und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum Ziel setzen. Von Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Inter-
solchen Trainingsverfahren handelt dieses Kapitel (. Abb. 17.1). ventionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar.
In diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainings-
verfahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch
relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen
gefördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert
werden, was ein 7 Training i. Allg. kennzeichnet und
anhand welcher Kriterien Trainingsverfahren klassifiziert
werden können. Da nicht vorausgesetzt werden kann,
dass jeder Leser sich schon einmal mit einem konkreten
pädagogisch-psychologischen Training befasst hat, wird
vor der Begriffsklärung ein exemplarisches Trainings-
programm im 7 Exkurs „Ein Training zur Förderung des
induktiven Denkens“ kurz skizziert und ausführlicher im
7 Abschn. 17.2.2 erklärt.
Am Beispiel des Denktrainings nach Klauer lassen sich
die drei zentralen Merkmale eines Trainings identifizieren:
5 die wiederholte Übung an spezifischen Aufgaben,
5 die Vermittlung von prozeduralem Wissen und
5 die Strukturiertheit der Maßnahme.
17 Exkurs
(Hager und Hasselhorn 2008). Trainings können darauf in bestimmten Funktionsbereichen zeigen, wird durch das
abzielen, bereits bestehende nichtdefizitäre Fertigkeiten weiter- Training versucht, diese zu minimieren oder aufzuheben. Dies
zuentwickeln. In einem solchen Fall spricht man von einer all- ist z. B. der Fall, wenn Kinder mit einer Aufmerksamkeits-
gemeinen Förderung. Das eingangs dargestellte Denktraining defizit-/Hyperaktivitätsstörung ein Aufmerksamkeits- (z. B.
(Klauer 1989, 1991, 1993; 7 Abschn. 17.2) wird meist mit Lauth und Schlottke 2009; 7 Abschn. 17.2) oder ein Arbeits-
dieser Trainingsintention eingesetzt. Hiervon lassen sich drei gedächtnistraining (vgl. Klingberg 2010) erhalten. Schließlich
weitere Trainingsintentionen abgrenzen, bei denen es jeweils gibt es noch den Fall, dass ein Training zur Rehabilitation
um bereits existierende oder zu vermeidende Fähigkeits- eingesetzt wird. Hier sollen Fähigkeiten und Fertigkeiten
und Fertigkeitsdefizite beim Trainierenden geht. Im Fall der wiederhergestellt werden, die aufgrund äußerer Einflüsse
präventiven Nutzung soll durch den Einsatz von Trainings beeinträchtigt wurden oder verloren gegangen sind. Zuletzt
sichergestellt werden, dass drohende Defizite nicht auftreten. sei noch angemerkt, dass die Systematisierung der Trainings-
Dies ist z. B. der Fall, wenn Kindergartenkinder, bei denen intentionen auch ausschließlich über den Präventionsbegriff
potenzielle Probleme hinsichtlich des späteren Erwerbs von erfolgen kann, indem zwischen Primärprävention (Nutzung
Lese- und Schreibkompetenzen diagnostiziert wurden, ein des Trainings vor dem Auftreten von Problemen) und
Training zur Förderung phonologischer Bewusstheit erhalten Sekundärprävention (Nutzung des Trainings nach dem Auf-
(Küspert und Schneider 2018; 7 Kap. 16). Andere Trainings treten erster Probleme) unterschieden wird (s. hierzu die ein-
werden dagegen kurativ eingesetzt. Wenn Schüler Defizite leitenden Bemerkungen im nachfolgenden 7 Kap. 18).
Exkurs
Wirksamkeitsüberprüfung
Aufgrund der praktischen Bedeutsamkeit verglichen werden. Der Vergleich mit keitsmerkmale (z. B. Offenheit für neue
und des zu betreibenden zeitlichen einem Placebotraining ist notwendig, Erfahrungen bei einem Training sozialer
und personellen Aufwandes sollten nur um etwaige Zuwendungs- oder Kompetenzen) beziehen. Dieser Befund
Trainingsverfahren eingesetzt werden, Neuheitseffekte als Alternativerklärungen spiegelt im Hinblick auf die höheren
für die ein Wirksamkeitsnachweis für Fortschritte der Trainingsgruppe Trainingseffekte bei Schülern mit
im Rahmen geeigneter empirischer ausschließen zu können. höheren Ausgangsleistungen den in der
Untersuchungen erbracht wurde. Es Der zweite Aspekt betrifft den Trainingsforschung häufig beobachteten
muss gezeigt werden, dass ein Training gezeigten Transfer. Die Wirksamkeit „Matthäus-Effekt“ – gemäß der Bibelstelle
auch tatsächlich jene Fähigkeiten des Trainings muss mit geeigneten Mt 25,29 „Denn wer hat, dem wird
und Fertigkeiten fördert, die es zu Messinstrumenten zu angemessenen gegeben, und er wird im Überfluss
fördern beansprucht. Idealiter erfolgt Testzeitpunkten nachgewiesen werden haben“ – wider. Ein Training ist nicht
eine solche Überprüfung unter der (Hasselhorn und Hager 2008). Die per se für jeden gleich wirksam und vor
Nutzung von experimentellen oder Leistungsverbesserungen sollten über dem Hintergrund des „ Matthäus-Effekts“
quasi-experimentellen Trainingsstudien. die spezifischen, im Training genutzten scheint es wichtig zu überprüfen, ob ein
Um zu aussagekräftigen Ergebnissen Aufgaben hinausgehen und sich auch Training tatsächlich seine Zielgruppe
zu gelangen, sind zwei Aspekte bei der noch längere Zeit nach dem Ende des erreicht.
Wirksamkeitsüberprüfung zentral (für Trainings in Follow-up-Messungen Für Trainingsautoren stellt sich meist
eine ausführliche Diskussion Hager nachweisen lassen. Darüber hinaus ist es die Problematik, dass die Wirksamkeits-
17 2008; Hager et al. 2000; Schmiedek 2016;
Simons et al. 2016). Der erste Aspekt
wünschenswert, dass der Nachweis der
Wirksamkeit eines Trainingsverfahrens
überprüfung im Feld erfolgen muss.
Dies bringt häufig mit sich, dass
ist das Untersuchungsdesign: Das zu mehrfach erbracht wird (Replikation). die methodischen Anforderungen
überprüfende Training muss seine Wirksamkeitsüberprüfungen können an Evaluationen pädagogisch-
Wirksamkeit im Vergleich zu geeigneten differenzielle Wirksamkeiten eines psychologischer Interventionen
Kontrollgruppen zeigen. Die Wirksamkeit Trainings zutage fördern. Hierunter (Hager et al. 2000) nur eingeschränkt
eines Trainings ist noch nicht gezeigt, versteht man, dass die Wirksamkeit eines realisiert werden können (z. B. hat man
wenn sich die Trainingsteilnehmer von Trainings beim Vorliegen bestimmter in vielen Untersuchungskontexten
Trainingsbeginn zu Trainingsende in individueller Voraussetzungen höher ist keine Möglichkeit, die Probanden
der trainierten Fertigkeit verbessern. als bei anderen Ausprägungen dieser randomisiert den verschiedenen
Ein solcher Befund könnte ja auch die Merkmale. So fanden Souvignier und Bedingungen zuzuweisen, weil z. B.
Konsequenz von Reifungseffekten sein. Lienert (1998), dass eine Förderung das Herausnehmen von Schülern aus
Um die Wirksamkeit eines Trainings zu räumlichen Denkens insbesondere bei dem Klassenverband nicht möglich ist).
belegen, sollte es mit unbehandelten solchen Schülern hohe Effekte bewirkte, Es erscheint daher angebracht, sich
Wartekontrollgruppen (Test gegen die zwar über ein vergleichsweise bei der Überprüfung der Wirksamkeit
Reifungseffekte), mit einem Alternativ- hohes Ausgangsniveau räumlicher neben methodischen Standards auch
training (das sind Trainings, die die Fähigkeiten verfügten, die sich in der daran zu orientieren, was im Feld
gleichen oder ähnliche Trainingsziele Auseinandersetzung mit dem konkreten machbar ist, solange die resultierenden
haben) und mit einem Placebotraining Trainingsmaterial aber eher schwer taten. Einschränkungen bei der Interpretation
(das sind Trainings, die nicht auf die Eine solche „optimale Passung“ kann sich von Untersuchungen angemessen
anvisierte Fertigkeit wirken sollen) natürlich auch auf bestimmte Persönlich- berücksichtigt werden.
Training
409 17
Adressaten und Zielgruppen Trainingsverfahren richten obwohl diese in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle
sich an unterschiedliche Adressaten (Personen, die an spielen (Landmann und Schmitz 2007; Benick et al. 2019). Wir
einem Training teilnehmen). So gibt es Trainingsver- tun dies zum einen, weil entsprechende Trainings ausführ-
fahren für Kinder, für Jugendliche, für Eltern, für Lehrer lich in 7 Kap. 3 dargestellt werden. Wir tun dies jedoch auch,
oder auch für Mitarbeiter in einem Unternehmen. In der weil – auf der Basis theoretischer Grundlagen selbstregulierten
Regel sind die Adressaten eines Trainings identisch mit Lernens – zunehmend metakognitive und selbstregulative
der Zielgruppe (denjenigen, bei denen in erster Linie Ver- Elemente in vielen Trainingsprogrammen integriert wurden.
änderungen angestrebt sind). Jedoch gibt es auch ver- Insbesondere im Bereich der Förderung des Lesens und des
schiedene Trainings oder Trainingsbausteine, bei denen Schreibens gibt es hierzu verschiedene Ansätze. Bei der Dar-
die eigentliche Zielgruppe indirekt erreicht werden soll. stellung der Trainingsverfahren wird deutlich werden, wie
Wenn z. B. in einem Elterntraining im Rahmen eines Auf- die Kombination mit dem Training selbstregulativer Fertig-
merksamkeitstrainings über Störungsmodelle informiert keiten erfolgt, sodass auch Rückschlüsse auf angemessene
wird (Lauth und Schlottke 2009), dann kommt dies nicht Vorgehensweisen beim Training selbstregulativer Fertig-
nur den Eltern, sondern vor allem deren Kindern zugute keiten gezogen werden können. Ausgeblendet werden
(7 Abschn. 17.2). im vorliegenden Kapitel die vielfältigen Trainings- und
Nach diesen einleitenden Klärungen zum Trainings- Interventionsmaßnahmen zur Förderung psychosozialer
begriff und zu klassifikatorischen Kriterien sollen nun – ent- Kompetenzen (7 Kap. 18).
lang unterschiedlicher Funktionsbereiche – verschiedene
Trainings mit ihren theoretischen Grundlagen, mit kurzen
Darstellungen zur Vorgehensweise sowie mit exemplarischen 17.2 Training kognitiver Grundfunktionen
empirischen Befunden dargestellt werden (für allgemeine Hin-
weise zur Evaluation von Trainingsverfahren 7 Exkurs „Wirk- Unter kognitiven Grundfunktionen versteht man jene Basis-
samkeitsüberprüfung“). Bei der Gliederung des Beitrags haben fähigkeiten der Informationsaufnahme, -verarbeitung und
wir uns daran orientiert, eine möglichst große Breite inhalt- -speicherung, wie sie sich insbesondere in Aufmerksamkeits-,
licher Funktionsbereiche abzubilden. Dem untergeordnet Denk- und Gedächtnisleistungen ausdrücken. Für diese
wurde die Frage der jeweiligen Trainingsintention, wenn- wichtigen kognitiven Lernvoraussetzungen existiert eine Viel-
gleich sich in den einzelnen Abschnitten Beispiele für all- zahl von Trainingsverfahren (für einen Überblick Klauer
gemeine, präventive und kurative Trainings finden. Wir stellen 2001a; oder auch Langfeldt und Büttner 2008; 7 Exkurs „Sind
ausschließlich Trainingsverfahren für Kinder und Jugend- kognitive Grundfunktionen trainierbar?“). Die meisten dieser
liche vor, da diese in der Regel eine breitere Implementierung Trainings richten sich an Kinder und Jugendliche, aber es gibt
erfahren haben als Trainingsverfahren für andere Adressaten. auch Trainingsverfahren für andere Adressatengruppen (z. B.
Bei den Funktionsbereichen verzichten wir bewusst auf die Oswald 1998). Im Folgenden gehen wir auf Trainingsverfahren
Darstellung von Trainings zur Förderung der Selbstregulation, für die Funktionsbereiche Aufmerksamkeit und Denken ein.
Exkurs
etwaiger Vortestunterschiede in der Nachtestung im Mittel 1. Man kann Merkmale der Situation verändern und z. B.
ein wenig mehr als eine halbe Standardabweichung besser zusätzliche Anreize in die Lernsituation einführen,
als Kinder und Jugendliche aus nicht trainierten oder mit welche das Lernen attraktiver und damit motivierender
einem Alternativtraining trainierten Gruppen. In 44 Unter- machen. Dieses Vorgehen zielt auf eine kurzfristige
suchungen wurden Follow-up-Erhebungen durchgeführt. Steigerung der Motivation ab und ist damit Bestand-
Die Ergebnisse sprechen für die Stabilität der Effekte. teil des Unterrichts (7 Kap. 6 und 11), nicht aber
Daneben gibt es eine Reihe von Untersuchungen, in eines Trainings und soll hier nicht weiter besprochen
denen die Wirksamkeit des Denktrainings für das Erlernen werden.
schulischer Inhalte untersucht wurde. Hierzu erhält 2. Der zweite Ansatzpunkt besteht in einer Veränderung
mindestens eine Gruppe von Schülern das Denktraining, von Personenmerkmalen. Bei diesem Vorgehen
während eine andere Gruppe nicht trainiert wird oder an wird durch geeignete Interventionen versucht, lern-
einem Alternativtraining teilnimmt. In der 2. Phase der relevante motivationale Dispositionen langfristig
Untersuchung bearbeiten die Schüler dann kürzere Unter- positiv zu beeinflussen. Hierfür existiert eine Reihe von
richtseinheiten. So nahmen z. B. in einer Untersuchung Trainingsverfahren (für einen Überblick Fries 2010;
von Klauer (1994) Schüler an einer Unterrichtsstunde zum Hascher et al. 2019; Rheinberg und Fries 2001, 2018;
Thema der Klassifikation von Tieren teil. Die im Unterricht Ziegler und Finsterwald 2008).
geforderten klassifikatorischen Leistungen sollten den zuvor
trainierten Schülern leichter fallen, da induktives Denken Wir beschränken uns nachfolgend auf die Darstellung
das Erkennen von Klassifikationen umfasst. Wie erwartet von Verfahren, die eine Veränderung eines zentralen
erzielten die zuvor trainierten Schüler deutlich bessere motivationalen Personenmerkmals, nämlich des
Leistungen (Klauer 1994). Über alle Studien hinweg, in denen 7 Leistungsmotivs (7 Kap. 7), zum Ziel haben.
die Einflüsse des Denktrainings auf schulisches Lernen unter-
sucht wurden (insgesamt 39 Vergleiche), liegen die mittleren Definition
Effektstärken bei d = 0,68 (Klauer 2014). Das Denktraining Motive sind zeitlich stabile Wertungs- und Verhaltens-
hat offenbar positive Wirkungen auf das Erlernen schul- dispositionen für thematisch abgrenzbare und zugleich
relevanter Lerninhalte. Allerdings stehen Studien aus, in allgemeine Klassen von Handlungssituationen.
denen die Wirkung des Denktrainings auf den Lernerfolg im Das Leistungsmotiv umfasst die Wertungs- und
normalen Schulunterricht untersucht wird. Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich,
Während das Denktraining nach Klauer wie auch wobei das Leitthema des Leistungsmotivs in der
einige weitere Trainingsansätze (z. B. Sydow und Schmude „Auseinandersetzung mit einem als verbindlich
2001) auf der gezielten Vermittlung einer Denkstrategie erachteten Gütemaßstab“ besteht. Wie bei Motiven
beruhen, gibt es andere Förderansätze, die auf eine Ent- i. Allg. wird auch beim Leistungsmotiv zwischen einer
wicklungsförderung hinauslaufen. Hier ist insbesondere Annäherungskomponente (Hoffnung auf Erfolg) und
der im deutschsprachigen Raum nach wie vor noch recht einer Meidungskomponente (Furcht vor Misserfolg)
wenig bekannte, von Adey und Shayer (2002) entwickelte unterschieden.
Ansatz zur kognitiven Akzellerierung durch das angeleitete
Bearbeiten kognitiver Konflikte im naturwissenschaftlichen
Unterricht zu nennen. Über einen Zeitraum von 2 Jahren Schon früh wurde in der Leistungsmotivationsforschung ver-
werden hier in einem 14-tägigen Rhythmus im Rahmen des sucht, das Leistungsmotiv durch gezielte Interventionen zu
17 regulären Unterrichts sog. „thinking science lessons“ mit verändern (DeCharms 1979; McClelland und Winter 1969).
dem Ziel durchgeführt, Denk- und Arbeitsweisen im Sinne Eine präzisere Differenzierung zwischen verschiedenen
formaler Operationen nach Piaget zu fördern. Ansatzmöglichkeiten für die Vorgehensweise lieferte jedoch
erst das Selbstbewertungsmodell der Leistungsmotivation
(Heckhausen 1975; Fries 2002; Rheinberg und Vollmeyer
17.3 Motivationstraining 2018). Im Selbstbewertungsmodell wird die erfolgszuver-
sichtliche oder misserfolgsängstliche Ausprägung des
Erfolgreiche Lernprozesse setzen einen gewissen Grad an Leistungsmotivs als Resultat dreier Prozesskomponenten
Motivation aufseiten des Lerners voraus. Lehrende stehen gesehen. Es sind dies:
somit vor dem Problem, wie sie eine ausreichende Bereit- 1. Ziel- und Anspruchsniveausetzung,
schaft zum Lernen bei den Lernenden sicherstellen können. 2. Ursachenzuschreibung und
Die aktuelle Motivation der Lernenden ist eine Funktion 3. Selbstbewertung.
aus Personenmerkmalen (hierunter fallen im Wesentlichen
die motivationsrelevanten Dispositionen; 7 Abschn. 7.2) Diese Prozesskomponenten beeinflussen sich gegenseitig
und Situationsmerkmalen (insbesondere den Anreizen). und stabilisieren sich dabei wechselseitig. Im Motivations-
Somit bestehen zwei Ansatzpunkte zur Motivierung training muss daher an allen drei Komponenten angesetzt
(Rheinberg und Fries 1998; 7 Abschn. 7.1): werden. Durch das Training soll eine erfolgszuversichtliche
Ausprägung des Leistungsmotivs erzielt werden. Konkret
Training
413 17
bedeutet das, dass misserfolgsängstliche Trainingsteil- ersetzt. Die Aufgaben haben jeweils einfache Schwierig-
nehmer entgegen ihrer bisherigen Verhaltenstendenzen keitsstaffelungen (z. B. Abstände bei Wurfspielen) und die
lernen sollen, Erfolge bzw. Misserfolge hängen zentral von der eigenen
5 sich realistische Ziele zu setzen (7 Exkurs „Realistische Anstrengung ab. An diesen Materialien werden die drei
Zielsetzungen fördern“), Prozesskomponenten einer erfolgszuversichtlichen Motiv-
5 erfolgszuversichtliche Ursachenzuschreibungen zu ausprägung eingeübt. Die Trainingsteilnehmer setzen sich
zeigen (Erfolge eher internal und Misserfolge eher vor der Bearbeitung der Aufgaben Ziele. Im Anschluss an die
variabel zu attribuieren) und Aufgabenbearbeitung benennen sie Gründe für ihr erfolg-
5 aus ihren Erfolgen mehr positive Selbstbewertungen zu reiches oder nicht erfolgreiches Abschneiden (Ursachen-
ziehen als negative Selbstbewertungen aus ihren Miss- zuschreibung). Abgeschlossen wird die Sequenz durch
erfolgen (positive Selbstbewertungsbilanz). Selbstbewertungsprozesse, die im Training z. B. durch das
Beantworten entsprechender Abfragen angeregt werden.
Ausgehend von diesem Modell wurden verschiedene Obwohl diese Trainingsverfahren eine dauerhafte Ver-
Evaluationsstudien mit Schülern durchgeführt (z. B. Krug änderung des Leistungsmotivs und damit eines Persönlich-
und Hanel 1976; Rheinberg und Günther 2017). Zu Beginn keitsmerkmals anstreben, ist es durchaus angemessen, den
kommen in diesen Motivationstrainings einfache Spiele wie Trainingsbegriff auf solche Interventionen anzuwenden: Im
z. B. das Ringwurfspiel oder das Labyrinthspiel zum Ein- Training wird prozedurales Wissen hinsichtlich motivations-
satz. Im Verlauf der Trainings werden die eher spielerischen förderlicher Anspruchsniveausetzungen, Ursachen-
Materialien immer mehr durch schulnahes Material zuschreibungen und Selbstbewertungen vermittelt und geübt.
Exkurs
Die auf der Basis des Selbstbewertungsmodells ent- in dem sie ihre veränderten Motivationsstrategien auch tat-
wickelten Motivationstrainings wurden in einzelnen sächlich anwenden können; so muss z. B. im schulischen
Studien evaluiert. Dabei zeigte sich, dass die trainierten Kontext Raum für eigene Anspruchsniveausetzungen
Schüler sich im Anschluss an das Training im Vergleich bestehen (Problem der Nachhaltigkeit; 7 Abschn. 17.5).
zu nicht trainierten Schülern günstigere Ziele setzen sowie Die bislang dargestellten Trainingsverfahren haben
Misserfolge stärker auf Anstrengung und weniger auf ausschließlich motivationale Förderziele. Man kann die
mangelnde Fähigkeit attribuieren. Auch die Ausprägung Motivationsförderung jedoch auch mit anderen Förderzielen
des Leistungsmotivs – gemessen mit dem LM-Gitter nach verbinden. So hat z. B. Fries (2002) ein Motivationstraining
Schmalt (1976) – wurde durch das Training in vorher- mit dem Denktraining nach Klauer (1991; 7 Abschn. 17.2)
gesagter Weise beeinflusst (Steigerung der Hoffnung auf kombiniert. Gerade die Motivationsförderung sollte hier-
Erfolg, Sinken der Furcht vor Misserfolg; Krug und Hanel von profitieren, weil gleichzeitig lernrelevante Kompetenzen
1976; Rheinberg und Günther 2017). Trotz dieser positiven vermittelt werden, durch welche die zusätzlich investierte
Evaluationsbefunde sollten weitere Evaluationsstudien Anstrengung auch in einem tatsächlichen Lernerfolg
zur Wirksamkeit von Motivationstrainings durchgeführt mündet. Das „Integrierte Training“ (Fries 2002) umfasst
werden. Insbesondere fehlen Untersuchungen, in denen 16 Lektionen und richtet sich an 10- bis 13-jährige Schüler.
langfristige Effekte des Trainings nachgewiesen werden Neben Trainingsmodulen, die ausschließlich das Denken
konnten. Es ist zu vermuten, dass gerade der langfristige bzw. die Motivation fördern, umfasst das Training sog.
Erfolg von Motivationstrainings in besonderer Weise davon integrierte Module. In diesen Modulen wird die Methode
abhängt, ob die trainierten Schüler auf ein Umfeld treffen, aus dem Motivationstraining übernommen, das Material
414 S. Fries und E. Souvignier
stammt hingegen aus dem Denktraining (7 Abschn. 17.2.2). Förderung des Leseverständnisses, des Rechtschreibens
Die Bearbeitung der integrierten Module erfolgt in 3 Schritten. und des Schreibens von Texten für Kinder im Schulalter
Im 1. Schritt legen die Teilnehmer fest, wie viele von ins- (zu Ansätzen zur vorschulischen Förderung von Vorläufer-
gesamt 6 Denkaufgaben sie anschließend korrekt lösen wollen kompetenzen für den Schriftspracherwerb vgl. 7 Kap. 16).
(Zielsetzung). Im 2. Schritt werden die 6 Denkaufgaben Dabei wird deutlich werden, dass viele Erkenntnisse und
eigenständig bearbeitet. Im 3. Schritt erfolgt die Leistungsfest- Prinzipien, die bislang beschrieben wurden, auch in diesen
stellung sowie im Anschluss daran eine Ursachenzuschreibung beiden Domänen zum Einsatz kommen.
(„Ich hatte Misserfolg, weil …“) und eine Selbstbewertung.
Innerhalb der integrierten Module werden also die für die
Motivförderung zentralen Übungen der realistischen Ziel- 17.4.1 Training des Leseverständnisses
setzung, der erfolgszuversichtlichen Ursachenzuschreibung
und der positiven Selbstbewertung direkt auf die Aufgaben des Übersichtsarbeiten über Ansätze zur Förderung des Lese-
induktiven Denkens bezogen. Empirische Untersuchungen verständnisses weisen übereinstimmend darauf hin, dass
belegen die Wirksamkeit des „Integrierten Trainings“ (Fries jenseits aller spezifischen Unterschiede vorliegender
et al. 1999; Fries 2002). Die Koppelung von Motivations- Trainingsmaßnahmen ein gemeinsames Ziel wirksamer
förderung mit anderen Trainingszielen erfolgt auch in anderen Programme darin besteht, Leser zum Überprüfen des
Trainingsverfahren. So wird in Verfahren zur Förderung eigenen Leseverstehens anzuleiten (Souvignier 2016). Ein
des Leseverständnisses mit den Teilnehmern das Setzen solchermaßen aktiv reflektierendes Lesen wird dadurch
realistischer Ziele geübt (Gold et al. 2006; 7 Abschn. 17.4) oder unterstützt, dass Schüler sich selbst Fragen zum Text
auf die motivationsfördernde Wirkung der Trainingsinhalte stellen und versuchen, wichtige Inhalte zusammenzufassen.
geachtet (Guthrie et al. 2004a; 7 Abschn. 17.4). Nicht zuletzt unter motivationalen Gesichtspunkten ist
Neben den skizzierten Programmen gibt es weitere es wichtig, dass Leser sich klar machen, dass sie selbst den
Trainingsverfahren, die sich auf spezifische Teilziele richten. Prozess des Leseverstehens positiv beeinflussen können.
Zu nennen sind hier insbesondere Reattribuierungstrainings Dieses zunächst schlicht anmutende Grundprinzip erfolg-
(Ziegler und Schober 2001; Ziegler und Finsterwald 2008) und reichen Lesens – Nachdenken über das, was man gelesen
Trainings zur Bezugsnormorientierung (Rheinberg und Krug hat – wird bei unterschiedlichen Förderansätzen in
2017). Auch weitere Motivationstheorien (7 Kap. 7) wurden für Anlehnung an je unterschiedliche theoretische Rahmen-
die Entwicklung von Fördermaßnahmen genutzt. So wurden konzepte mit abweichenden Nuancierungen umgesetzt. In
z. B. aus Kernannahmen der Selbstbestimmungstheorie (Ryan diesem Abschnitt sollen zwei Ansätze exemplarisch vor-
und Deci 2017) Förderansätze abgeleitet, bei denen Lehrkräfte gestellt werden, bevor eine Zusammenstellung zentraler
in der Gestaltung einer autonomieförderlichen Unterrichts- Komponenten von Programmen zur Förderung des Lese-
gestaltung unterwiesen werden (z. B. Cheon et al. 2018; Su und verständnisses vorgenommen wird.
Reeve 2011). Eine Metaanalyse zu verschiedenen Ansätzen Ein Grundmuster vieler Förderprogramme, das in
motivationaler Interventionen im Schulkontext bieten Einklang mit Theorien zum selbstregulierten Lernen
Lazowski und Hulleman (2016). Im Mittel ergaben sich für steht (Pintrich 2000; Zimmerman 2000), lässt sich in drei
die unterschiedlichen Interventionsansätze Effektgrößen von Punkten zusammenfassen:
d = ,49 für Selbstberichts- und Verhaltensmaße. 5 Lerner müssen über bereichsspezifische Strategien ver-
fügen. Beim Lesen sind das beispielsweise Strategien
wie „unklare Begriffe klären“, „Wichtiges zusammen-
17 17.4 Training kultureller fassen“, „Textaussagen auf Kohärenz prüfen“ oder „sich
Grundkompetenzen am Beispiel des Anwendungsbeispiele zu Textinhalten überlegen“.
Lesens und Schreibens 5 Der Einsatz dieser Strategien muss reflektiert und deren
Wirksamkeit muss überprüft werden. Der Leser muss
Bislang lag der Fokus dieses Kapitels auf überlegen, welche Strategie in einer gegebenen Situation
Trainingsmaßnahmen zur Förderung kognitiver Grund- hilfreich sein könnte, und es muss kontrolliert werden,
funktionen und der Motivation. Solche Inhalte zeichnen ob der Strategieeinsatz tatsächlich erfolgreich war, um
sich durch ihre bereichsübergreifende Bedeutung aus: Wir gegebenenfalls zu entscheiden, die Lernaufgabe in einer
können nur lernen, wenn unsere Aufmerksamkeit die Auf- alternativen Weise anzugehen.
nahme von Informationen zulässt, die dann im Gedächtnis 5 Das eigene Lernverhalten muss motivational unterstützt
verarbeitet werden. Wir initiieren nur dann (Lern-)Hand- werden, indem beispielsweise klare Ziele formuliert
lungen, wenn wir dazu motiviert sind. werden, indem ein Anwendungsbezug des Gelernten
In den folgenden Abschnitten wird dieser Blickwinkel deutlich gemacht wird oder indem Anreize gesetzt
verändert, indem kulturbezogene Grundkompetenzen werden.
wie Rechnen, Lesen und Schreiben ins Zentrum gerückt
werden. Weil in der Pädagogischen Psychologie vor allem Dieses Grundmuster aus dem Einsatz von Lesestrategien
die beiden zuletzt genannten Bereiche intensiv erforscht und einer motivationalen Unterstützung kann in der
wurden, fokussieren wir im Folgenden auf Programme zur Praxis auf deutlich unterschiedliche Weise umgesetzt
Training
415 17
werden. Bei dem deutschsprachigen Unterrichtsprogramm et al. 2004b) basiert hingegen stärker auf Überlegungen
„Wir werden Textdetektive“ (Gold et al. 2006; 7 Exkurs zum motivierten aktiven Lesen (7 Exkurs „Concept
„Textdetektive“) liegt der Fokus auf einer Anleitung zu Oriented Reading Instruction“). Beide Programme haben sich
strategieorientiertem Lesen. Der amerikanische Ansatz der als wirksame Maßnahmen zur Förderung des Leseverständ-
„Concept Oriented Reading Instruction CORI“ (Guthrie nisses erwiesen (z. B. Souvignier und Mokhlesgerami 2006).
Exkurs
Textdetektive
Das Programm „Wir werden generiert werden) und „Wichtiges und Reflexion über den Leseerfolg als
Textdetektive“ (Gold et al. 2006) zusammenfassen“ (wie komme ich zu Arbeitsroutine vorgegeben werden.
ist für Schüler der Klassenstufen 5 einer verkürzten Darstellung in eigenen Zur Unterstützung der nachhaltigen
und 6 konzipiert und umfasst etwa Worten?) erarbeitet werden. Vor dem Wirksamkeit des Programms wurde
28 Unterrichtsstunden. Eingebettet Hintergrund des Trainingsbausteins zur ein Wiederholungsprogramm
in die Rahmenhandlung einer individuellen Zielsetzung werden die entwickelt, das etwa 1 Jahr nach
Ausbildung zu Textdetektiven – in Schüler angeleitet zu reflektieren, ob Durchführung des Trainings zur
dieser Analogie wird der systematisch die neuen Strategien sich tatsächlich Auffrischung des Gelernten eingesetzt
planvolle Charakter erfolgreichen als hilfreich erweisen. Die so individuell werden kann (Trenk-Hinterberger
Lesens deutlich – werden den Schülern wahrgenommene Wirksamkeit der und Souvignier 2006). Bei diesem
7 Lesestrategien in Verbindung mit Strategien soll deren kontinuierliche strategiezentrierten Ansatz wird eine
Strategien zur motivationalen und Anwendung unterstützen. Schließlich Verbesserung der Lesemotivation
kognitiven Selbstregulation vermittelt. werden die Schüler in einem letzten durch die Wahrnehmung eines
Zunächst lernen die Schüler, dass Trainingsbaustein dafür sensibilisiert, die Kompetenzzuwachses angestrebt.
individuelle Erfolge davon abhängig Lesestrategien zielgerichtet einzusetzen. Insgesamt führte das Textdetektive-
sind, sich realistische Ziele zu setzen Sie lernen hier, sich nicht nach dem Programm zu Verbesserungen
(7 Abschn. 17.3). Anschließend folgt Prinzip „Viel hilft viel“, sondern adaptiv hinsichtlich des Lesestrategiewissens
ein umfangreicher Trainingsbaustein, in Abhängigkeit von der jeweiligen (d = 0,82), des Leseverständnisses
bei dem Lesestrategien wie „Überschrift Lesesituation zu verhalten. Alle Inhalte (d = 0,51) und der lesebezogenen
beachten“ (zur Bewusstmachung des Textdetektive-Programms werden Selbstwirksamkeit (d = 0,49) (Souvignier
vorhandenen Wissens), „Klären abschließend in Form eines „Leseplans“ und Mokhlesgerami 2006; für eine
von Textschwierigkeiten“ (Umgang strukturierend zusammengefasst, in ähnliche Befundlage zum Training siehe
mit unklaren Wörtern), „Verstehen dem die Schritte Zielformulierung, Souvignier und Trenk-Hinterberger
überprüfen“ (indem Fragen zum Text Strategieauswahl, Strategieregulation 2010).
Exkurs
Exkurs
(Eisenhower Professional Development Program) in den Dieses Drei-Stufen-Modell greift zentrale kritische Punkte
USA zeigte sich, dass sowohl die Zeitspanne als auch der Implementation wie Akzeptanz, adäquate Durchführung
der absolute zeitliche Umfang der Fortbildungen gute und Sicherung der Nachhaltigkeit auf. Auch die zeitliche
Prädiktoren dafür waren, ob Lehrkräfte langfristig einen Belastung der Lehrkräfte ist auf ein Minimum reduziert.
Zuwachs an professionellem Wissen und Veränderungen Grenzen eines derart primär materialgestützten Vor-
ihres Unterrichtshandelns berichteten (Garet et al. 2001). gehens liegen allerdings darin, dass die konkrete Anpassung
Bei der Implementation neuer Programme muss daher das an unterrichtliche Notwendigkeiten sowie die Reflexion
sensible Gleichgewicht zwischen zeitlicher Belastung und zur von Erfolgen und Schwierigkeiten alleine in der Ver-
Qualitätssicherung notwendiger Investition von Zeit gewahrt antwortung der Lehrkräfte liegen. Als sinnvolle Maßnahme
werden. Van Keer und Verhaeghe (2005) konnten zeigen, zur Optimierung von Implementationsprozessen sollten
dass im Anschluss an eine erste erfolgreiche Implementation daher mehrere Kollegen einer Einrichtung gemeinsam
eines Programms zur Leseverständnisförderung, bei der Fortbildungsmaßnahmen besuchen und die Einführung
eine intensive Begleitung der Lehrkräfte mit einem zeit- neuer Programme parallel betreiben. Die Ergebnisse der
lichen Umfang von 35 h stattfand, in einer zweiten Studie Studie von Garet et al. (2001) unterstreichen, dass Ver-
eine Reduzierung des Fortbildungsaufwands auf 13 h gelang. änderungen des Lehrerhandelns langfristig eher gelingen,
Dieser reduzierte Lehrgang umfasste drei 3-stündige Fort- wenn Lehrerteams gemeinsam an Fortbildungen teil-
bildungen zur Information über das Förderkonzept sowie nehmen. Eine solche gemeinsame Veränderung von Unter-
zur Illustration und Diskussion von Realisierungsmöglich- richtsroutinen macht zudem den gegenseitigen Austausch
keiten, denen später zwei 2-stündige intensive Reflexionen und die Reflexion von Erfahrungen wahrscheinlicher, die
von Unterrichtserfahrungen folgten. Dass eine solche idealerweise durch begleitendes Feedback wie in der Studie
Reduzierung der Fortbildungszeit als Anpassung an die von Van Keer und Verhaeghe (2005) unterstützt werden
Praxis (im Sinne einer Verbesserung der Akzeptanz) erst im sollten.
Anschluss an eine erste erfolgreiche Evaluation des Unter-
richtsprogramms erfolgte, entspricht dem wissenschaftlichen
Vorgehen in der Tradition von „Design-Experimenten“. Fazit
Ähnlich wie dies Gräsel und Parchmann (2004) für die „Top- Zusammenfassend lässt sich zur Implementation von
down“-Implementation vorliegender Unterrichtsprogramme Trainingsprogrammen feststellen, dass die Wirksamkeit
fordern, sollte zunächst in einem kontrollierten Rahmen von Fördermaßnahmen maßgeblich von der Qualität der
gesichert werden, dass ein Programm wirksam ist und Umsetzung bestimmt wird und dass eine systematische
sich in der Praxis generell bewährt. Erst dann wird es mög- Erforschung von Implementationsprozessen zu den
lich sein, Schritte zur Optimierung von Implementations- Desideraten der Trainings- und Unterrichtsforschung
prozessen durchzuführen. Bei der Implementation des gehört (Gräsel und Parchmann 2004; Hasselhorn
„Textdetektive-Programms“ zur Förderung des Lese-
et al. 2014; Philipp und Souvignier 2016). Wesentliche
verständnisses (7 Abschn. 17.4) wurde in diesem Sinne Faktoren, die bei einer erfolgreichen Implementation
sukzessive ein Drei-Stufen-Modell entwickelt und empirisch beachtet werden sollten, beziehen sich auf die Sicherung
überprüft (Souvignier und Trenk-Hinterberger 2010). der Akzeptanz gegenüber den neuen Konzepten, auf
5 In einer einführenden Lehrerfortbildung werden die Bereitstellung praxistauglicher Materialien und
theoretische Hintergründe zur Konzeption des eine Unterstützung der langfristigen Übernahme
Programms mit direktem Bezug zur Unterrichtspraxis von Trainingsprinzipien – auch über die konkreten
17 vermittelt, um die generelle Akzeptanz gegenüber der Programme hinaus – in den Förder- und Unterrichtsalltag.
Durchführung des Programms zu sichern.
5 Indem fertig konzipiertes Unterrichtsmaterial zur Ver-
fügung gestellt wird, soll die Durchführung des für viele ? Verständnisfragen
Lehrkräfte ungewohnten strategieorientierten Unter- 1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich
richts in einer theoriekonformen Weise ermöglicht Training aus?
werden. Dazu enthält das Lehrermanual nicht nur aus- 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am
gearbeitete Stundenentwürfe, sondern darüber hinaus besten evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in
explizite Hinweise auf die theoretische Fundierung der den Evaluationen des Denktrainings zentrale Aspekte
jeweiligen Unterrichtsinhalte. der Wirksamkeitsüberprüfung von Trainings-
5 Durch eine Wiederholungseinheit, die etwa 1 Jahr nach verfahren realisiert?
dem ursprünglichen Programm durchgeführt werden 3. Warum sollten vor dem Hintergrund des
soll, wird die nachhaltige Übernahme der Programm- Selbstbewertungsmodells der Leistungsmotivation
prinzipien in den weiteren Unterricht unterstützt. nur solche Trainings zu einer überdauernden
Lehrende und Schüler erfahren hier, dass grundlegende Veränderung der Effekte führen, in denen alle drei
Inhalte des Programms auch im weiteren Verlauf des Prozesskomponenten des Leistungsmotivs trainiert
Unterrichts und in anderen Fächern von Nutzen sind. werden?
Training
421 17
4. Welche Parallelen finden sich bei effektiven Glaser, C., Keßler, C., & Palm, D. (2011). Aufsatztraining für 5. bis 7.
Programmen zur Förderung des Leseverstehens auf Klassen. Göttingen: Hogrefe.
Gold, A., Rühl, K., Souvignier, E., Mokhlesgerami, J., & Buick, S. (2006).
der einen und des Schreibens auf der anderen Seite?
Wir werden Textdetektive (2. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck &
5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich Ruprecht.
im Hinblick auf die Implementation von Trainings- Graham, S. (2006). Writing. In P. Alexander & P. Winne (Hrsg.),
programmen nennen? Handbook of Educational Psychology (S. 457–478). Mahwah:
Erlbaum.
Gräsel, C., & Parchmann, I. (2004). Implementationsforschung oder: Der
Vertiefende Literatur
steinige Weg, Unterricht zu verändern. Unterrichtswissenschaft,
5 Klauer, K. J. (Hrsg.). (2001). Handbuch Kognitives Training (2. Aufl.).
33, 196–213.
Göttingen: Hogrefe.
Guskey, T. R. (1986). Staff development and the process of teacher
5 Langfeldt, H.-P., & Büttner, G. (Hrsg.). (2008). Trainingsprogramme
change. Educational Researcher, 15, 5–12.
zur Förderung von Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Weinheim:
Guthrie, J. T., Wigfield, A., Barbosa, P., et al. (2004a). Increasing reading
Beltz PVU.
comprehension and engagement through concept-oriented
reading instruction. Journal of Educational Psychology, 96, 403–
423.
Guthrie, J. T., Wigfield, A., & Perencevich, K. C. (2004b). Motivating
Literatur reading comprehension: Concept-oriented reading instruction.
Mahwah: Erlbaum.
Adey, P., & Shayer, M. (Hrsg.). (2002). Learning intelligence: Cognitive Hager, W. (2008). Evaluation von pädagogisch-psychologischen
acceleration across the curriculum from 5 to 15 years. Buckingham: Interventionsmaßnahmen. In W. Schneider & M. Hasselhorn
Open University Press. (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 721–732).
Barkley, R. A. (Hrsg.). (2014). Attention deficit hyperactivity disorder Göttingen: Hogrefe.
(4. Aufl.). New York: Guilford. Hager, W., & Hasselhorn, M. (1998). The effectiveness of the
Benick, M., Dignath, C., Weißenfels, M., Bellhäuser, H., & Perels, F. cognitive training for children from a differential perspective: A
(2019). Interventionen zur Förderung selbstregulierten Lernens. meta-evaluation. Learning and Instruction, 8, 411–438.
In H. Gaspard, U. Trautwein, & M. Hasselhorn (Hrsg.), Diagnostik Hager, W., & Hasselhorn, M. (2008). Pädagogisch-psychologische
und Förderung von Motivation und Volition (S. 177–192). Interventionsmaßnahmen. In W. Schneider & M. Hasselhorn
Göttingen: Hogrefe. (Hrsg.), Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 339–347).
Bereiter, C., & Scardamalia, M. (1987). The psychology of written Göttingen: Hogrefe.
composition. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Hager, W., Patry, J.-L., & Brezing, H. (Hrsg.). (2000). Handbuch Evaluation
Cheon, S. H., Reeve, J., Lee, Y. & Lee, J.-W. (2018). Why psychologischer Interventionsmaßnahmen. Standards und Kriterien.
autonomy-supportive interventions work: Explaining the
Bern: Huber.
professional development of teachers’ motivating style. Teaching Harris, K. R., & Graham, S. (1996). Making the writing process work:
and Teacher Education, 69, 43–51. Strategies for composition and self-regulation. Cambridge:
Cheung, A. C. K., & Slavin, R. E. (2016). How methodological features Brookline.
affect effect sizes in education. Educational Researcher, 45, 283–292. Hartig, J., & Klieme, E. (2006). Kompetenz und Kompetenzdiagnostik.
Clarke, D., & Hollingsworth, H. (2002). Elaborating a model of teacher In K. Schweizer (Hrsg.), Leistung und Leistungsdiagnostik (S. 127–
professional growth. Teaching and Teacher Education, 18, 947–967. 143). Berlin: Springer.
DeCharms, R. (1979). Motivation in der Klasse. München: MVG. Hascher, T., Fries, S., & Hagenauer, G. (2019). Grundlagen der
Döpfner, M., Schürmann, S., & Frölich, J. (2002). Therapieprogramm für Förderung von Motivation. In H. Gaspard, U. Trautwein, & M.
Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten Hasselhorn (Hrsg.), Diagnostik und Förderung von Motivation und
(THOP). Weinheim: PVU. Volition (S. 145–160). Göttingen: Hogrefe.
Endlich, D., Küspert, P., Lenhard, W., Marx, P., & Schneider, W. (2019). Hasselhorn, M., & Hager, W. (2008). Transferwirkungen kognitiver
Laute, Reime, Sprache – Würzburger Screening zur Früherkennung Trainings. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch der
von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Göttingen: Hogrefe. Pädagogischen Psychologie (S. 381–390). Göttingen: Hogrefe.
Ettrich, C. (1998). Konzentrationstrainings-Programm für Kinder. Bd. I: Hasselhorn, M., Köller, O., Maaz, K., & Zimmer, K. (2014).
Vorschulalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Implementation wirksamer Handlungskonzepte im Bildungs-
Fries, S. (2002). Wollen und Können. Münster: Waxmann. bereich als Forschungsaufgabe. Psychologische Rundschau, 65,
Fries, S. (2010). Motivation. In T. Hascher & B. Schmitz (Hrsg.), Hand- 140–149.
buch Pädagogische Interventionsforschung (S. 149–161). Wein- Hayes, J., & Flower, L. (1980). Identifying the organization of writing
heim: Juventa. processes. In L. Gregg & E. Steinberg (Hrsg.), Cognitive processes in
Fries, S., Lund, B., & Rheinberg, F. (1999). Läßt sich durch gleich- writing (S. 3–30). Hillsdale: Erlbaum.
zeitige Motivförderung das Training des induktiven Denkens Heckhausen, H. (1975). Fear of failure as a self-reinforcing motive
optimieren? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 13, 37–49. system. In I. G. Sarason & C. Spielberger (Hrsg.), Stress and anxiety
Garet, M. S., Porter, A. C., Desimone, L., Birman, B. F., & Yoon, K. S. (Bd. II, S. 117–128). Washington, D.C.: Hemisphere.
(2001). What makes professional development effective? Results Karbach, J., Schmiedek, F., & Hasselhorn, M. (2018). Kognitives Training.
from a national sample of teachers. American Edcational Research In D. Rost, J. R. Sparfeldt, & S. R. Buch (Hrsg.), Handwörterbuch
Journal, 38, 915–945. Pädagogische Psychologie (5. vollst. überarb. Aufl., S. 345–353).
Glaser, C., & Brunstein, J. C. (2007a). Förderung von Fertigkeiten zur Weinheim: PVU.
Überarbeitung narrativer Texte bei Schülern der 6. Klasse. Effekte Klauer, K. J. (1989). Denktraining für Kinder I. Göttingen: Hogrefe.
von Revisionsstrategien und selbstregulatorischen Prozeduren. Klauer, K. J. (1991). Denktraining für Kinder II. Göttingen: Hogrefe.
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21, 51–63. Klauer, K. J. (1993). Denktraining für Jugendliche. Göttingen: Hogrefe.
Glaser, C., & Brunstein, J. C. (2007b). Improving fourth-grade Klauer, K. J. (1994). Transferiert der Erwerb von Strategien des
students’ composition skills: Effects of strategy instruction and induktiven Denkens auf das Erlernen eines schulischen Lehr-
self-regulation procedures. Journal of Educational Psychology, 99, stoffs? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 8, 15–25.
297–310.
422 S. Fries und E. Souvignier
Klauer, K. J. (Hrsg.). (2001a). Handbuch Kognitives Training (2. Aufl.). Marx, P. (2007). Lese- und Rechtschreiberwerb. Paderborn: Ferdinand
Göttingen: Hogrefe. Schöningh.
Klauer, K. J. (2014). Training des induktiven Denkens – Fortschreibung Marx, E., & Klauer, K. J. (2007). Keiner ist so schlau wie ich I. Ein Förder-
der Metaanalyse von 2008. Zeitschrift für Pädagogische Psycho- programm für Kinder ab vier Jahren. Göttingen: Vandenhoeck &
logie, 28, 5–19. Ruprecht.
Klauer, K. J. (2001b). Trainingsforschung: Ansätze – Theorien – Ergeb- Marx, E., & Klauer, K. J. (2009). Keiner ist so schlau wie ich II. Ein Förder-
nisse. In K. J. Klauer (Hrsg.), Handbuch Kognitives Training (2. Aufl., programm für Kinder ab fünf Jahren. Göttingen: Vandenhoeck &
S. 5–66). Göttingen: Hogrefe. Ruprecht.
Kliegl, R., Smith, J., & Baltes, P. (1989). Testing the limits and the study Marx, E., & Klauer, K. J. (2011). Keiner ist so schlau wie ich III. Ein Förder-
of adult age differences in cognitive plasticity of a mnemonic skill. programm für Kinder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Developmental Psychology, 25, 247–256. McClelland, D. C., & Winter, D. G. (1969). Motivating economic
Kline, F. M., Deshler, D. D., & Schumaker, J. B. (1992). Implementing achievement. New York: Free Press.
learning strategy instruction in class settings: A research Möller, J., & Appelt, R. (2001). Auffrischungssitzungen zur Steigerung
perspective. In M. Pressley, K. Harris, & J. Guthrie (Hrsg.), der Effektivität des Denktrainings für Kinder. Zeitschrift für
Promoting academic competence and literacy in school (S. 361– Pädagogische Psychologie, 15, 199–206.
406). San Diego: Academic. Naumann, K., & Lauth, G. W. (2008). Konzentrations- und Aufmerksam-
Klingberg, T. (2010) Training and plasticity of working memory. Trends keitsförderung. In W. Schneider & M. Hasselhorn (Hrsg.), Hand-
in Cognitive Sciences, 14(7), 317–324. buch der Pädagogischen Psychologie (S. 404–415). Göttingen:
Knopf, M. (1993). Gedächtnistraining im Alter – Müssen ältere Hogrefe.
Menschen besser lernen können oder ihr Können besser kennen- Oswald, W. D. (Hrsg.). (1998). Das SIMA-Projekt: Gedächtnistraining – Ein
lernen? In K. J. Klauer (Hrsg.), Kognitives Training (S. 319–342). Programm für Seniorengruppen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Göttingen: Hogrefe. O’Donnell, C. L. (2008). Defining, conceptualizing, and measuring
Könen, T., Strobach, T. & Karbach, J. (2016). Working memory. In T. fidelity of implementation and its relationship to outcomes in
Strohbach & J. Karbach (Hrsg.), Cognitive Training (S. 59–68). K-12 curriculum intervention research. Review of Educational
Berlin: Springer. Research, 78, 33–84.
Krowatschek, D., Krowatschek, G., & Reid, C. (2017a). Marburger Palincsar, A. S., & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of
Konzentrationstraining (MKT) für Schulkinder (10. Aufl.). Dortmund: comprehension-fostering and comprehension-monitoring
Modernes Lernen. activities. Cognition and Instruction, 1, 117–175.
Krowatschek, D., Krowatschek, G., & Wingert, G. (2017b). Das Philipp, M., & Souvignier, E. (Hrsg.). (2016). Implementation von
Marburger Konzentrationstraining für Jugendliche (MKT-J) (4. Aufl.). Lesefördermaßnahmen. Perspektiven auf Gelingensbedingungen
Dortmund: Modernes Leben. und Hindernisse. Münster: Waxmann.
Krowatschek, D., Albrecht, S., & Krowatschek, G. (2019). Marburger Pintrich, P. R. (2000). The role of goal orientation in self-regulated
Konzentrationstraining (MKT) für Kindergarten, Vorschule und Ein- learning. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Hrsg.),
gangsstufe (5. Aufl.). Dortmund: Modernes Lernen. Handbook of self-regulation (S. 452–502). San Diego: Academic
Krug, S., & Hanel, J. (1976). Motivänderung: Erprobung eines theorie- Press.
geleiteten Trainingsprogrammes. Zeitschrift für Entwicklungs- Reuter-Liehr, C. (2001). Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung.
psychologie und Pädagogische Psychologie, 8, 274–287. Bochum: Winkler.
Küspert, P., & Schneider, W. (2018). Hören, Lauschen, Lernen – Rheinberg, F., & Fries, S. (1998). Förderung der Lernmotivation: Ansatz-
Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter (7. Aufl.). Göttingen: punkte, Strategien und Effekte. Psychologie in Erziehung und
Vandenhoeck & Ruprecht. Unterricht, 44, 168–184.
Landmann, M., & Schmitz, B. (Hrsg.). (2007). Selbstregulation erfolgreich Rheinberg, F., & Fries, S. (2001). Motivationstraining. In K. J. Klauer
fördern. Praxisnahe Trainingsprogramme für ein effektives Lernen. (Hrsg.), Handbuch Kognitives Training (S. 349–373). Göttingen:
Berlin: Kohlhammer. Hogrefe.
Langfeldt, H.-P., & Büttner, G. (Hrsg.). (2008). Trainingsprogramme zur Rheinberg, F., & Günther (2017). Ein Unterrichtsbeispiel zum lehrplan-
Förderung von Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Weinheim: Beltz abgestimmten Einsatz individueller Bezugsnormen. In F. Rhein-
PVU. berg & S. Krug (Hrsg.), Motivationsförderung im Schulalltag
Mit dem Beginn der Grundschulzeit wartet nicht nur die Schul- 18.1 Primärpräventive Förderkonzepte für
tüte mit ihren süßen Versprechungen auf die Schulanfänger. Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
Sie müssen sich die Aufmerksamkeit eines Lehrers mit oftmals
25 anderen Kindern teilen. Haben einige Kinder im Kinder- Nach dem Gesundheitsverständnis der WHO bezieht sich
garten möglicherweise noch den Umgang mit Schere und Stift Gesundheit nicht nur auf körperliches, sondern auch auf
aufgrund von Schwierigkeiten in der Feinmotorik vermieden, psychisches und soziales Wohlbefinden. Die Förderung
werden sie nun in diesen Bereichen herausgefordert und psychosozialer Kompetenzen fällt dementsprechend
benötigen die notwendige Frustrationstoleranz. Was bereits im in den Bereich der Gesundheitsförderung. Als primär-
Kindergarten galt, gilt in der Schule umso mehr. In der großen präventiv sind dabei Förderkonzepte einzustufen, die ein-
Gruppe einer Klasse wird verlangt, sich sozial kompetent zu gesetzt werden, bevor Probleme eingetreten sind. Davon
verhalten: eigene Emotionen wahrnehmen und regulieren, sind insbesondere sekundärpräventive Förderkonzepte
Perspektivenübernahme, positive Beziehungen eingehen abzugrenzen, die mit einer korrektiven Zielsetzung ein-
und halten, Regeln des Miteinanders einhalten, angemessene gesetzt werden, wenn bereits erste Probleme erkennbar
Konfliktlösestrategien zeigen etc. Die Anforderungen sind groß. sind, um eine weitere Stabilisierung oder Ausweitung dieser
Gleichzeitig bestimmt diese psychosoziale Seite des Lernens Probleme zu vermeiden.
auch einen nicht zu vernachlässigen Teil des Lernerfolgs Bei vielen der im Folgenden vorgestellten Förderkonzepte
und des Wohlbefindens in der Klasse. Doch auch außerhalb handelt es sich um universelle Präventionsmaßnahmen, die
der Schule sind psychosoziale Kompetenzen wichtig. Das sich prinzipiell an alle Kinder und Jugendlichen einer Alters-
folgende Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung in die gruppe wenden. Davon abzugrenzen sind primärpräventive
primärpräventive Förderung psychosozialer Kompetenzen. Förderkonzepte mit selektivem bzw. indiziertem Charakter.
Anschließend wird ein Überblick über verschiedene Förder- Bei der selektiven Prävention richten sich Maßnahmen an
konzepte gegeben. Abschließend wird auf besondere Aspekte bestimmte Gruppen, bei denen ein erhöhtes Problemrisiko
der Evaluation und Möglichkeiten zur Optimierung solcher besteht. So könnte man beispielsweise gezielt ein Gewaltprä-
Fördermaßnahmen eingegangen (. Abb. 18.1). ventionsprogramm für Jungen in bestimmten städtischen
Sozialräumen anbieten, wenn bekannt ist, dass dort das
Gewaltrisiko erhöht ist. Die indizierte Prävention richtet sich
dagegen an Kinder und Jugendliche, bei denen ein individuell
erhöhtes Problemrisiko besteht. So könnte man beispiels-
weise mithilfe eines Screening-Tests Kinder und Jugendliche
mit besonders niedrigen sozialen Kompetenzen identifizieren,
um mit ihnen gezielt ein Training zur Steigerung der sozialen
Kompetenzen durchzuführen (Heinrichs und Lohaus 2011).
Universelle Förderkonzepte haben den Vorteil, dass
alle Kinder und Jugendlichen einer Altersgruppe damit
erreicht werden. Der Nachteil besteht gleichzeitig darin,
dass auch relativ viele Kinder und Jugendliche in die Ziel-
gruppe eingeschlossen werden, bei denen kein Förderbedarf
besteht. Die entstehenden Kosten sind dadurch höher
als notwendig. Selektive und indizierte Prävention setzen
wiederum voraus, dass es möglich ist, eine umgrenzte Ziel-
gruppe zu identifizieren, was nicht immer gelingt. Hinzu
18 kommt, dass die Gefahr einer Stigmatisierung besteht,
wenn einige Kinder und Jugendliche an einem Programm
teilnehmen sollen und andere nicht. Da alle Förderansätze
mit spezifischen Problemen behaftet sind, lässt sich nur im
konkreten Anwendungsfall entscheiden, welcher Ansatz
jeweils geeignet ist.
In den nachfolgenden Abschnitten werden zunächst
Förderansätze dargestellt, die sich an einzelnen Problem-
bereichen (wie soziale Kompetenz, Abbau von Ängsten
etc.) orientieren. Es folgt die Darstellung von problem-
übergreifenden Förderansätzen. Anschließend werden
Förderansätze vorgestellt, die greifen, wenn Kinder und
Jugendliche mit kritischen Lebensereignissen konfrontiert
sind (z. B. der Scheidung der Eltern). In diesem Bereich
stehen verstärkt Ansätze der selektiven und indizierten Prä-
. Abb. 18.1 (Foto: Veit Mette, 7 www.veitmette.de) vention im Vordergrund.
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
427 18
18.1.1 Förderkonzepte für einzelne angeleitet werden, positive Rückmeldung über angemessenes
Problembereiche Verhalten zu geben. Damit soll der Transfer in den Alltag
erhöht werden. Zudem macht man sich damit den positiven
Es existiert eine Vielzahl an Förderprogrammen, die auf Effekt zunutze, dass die Umgebung von einer Verhaltens-
die Stärkung psychosozialer Kompetenzen in einzel- änderung ausgeht und soziale Interaktionen sich somit
nen Problembereichen ausgerichtet sind. Im Folgenden positiver gestalten. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn die
wird exemplarisch auf die Bereiche soziale Kompetenz, soziale Umgebung aufgrund von Etikettierungstendenzen
Aggression, Hyperkinetische Störungen, Depressionen und (z. B. „Er ist immer aggressiv“) ansonsten unangemessenes
Ängste, Sexualität sowie Alkohol-, Nikotin- und Drogen- Verhalten erwartet und sich dementsprechend verhält
konsum eingegangen. (Spence 2003).
(wie z. B. das Training mit sozial unsicheren Kindern von . Tab. 18.1 Klassifikation aggressiven Verhaltens nach Frick
Petermann und Petermann 2015). (1998)
Der überwiegende Teil der sozialen Kompetenztrainings
ist im Bereich der selektiven bzw. indizierten Prävention Offen Verdeckt
anzusiedeln. Es gibt jedoch auch Programme mit uni- Destruktiv Offene (Heimliche) Zerstörung
versell-präventiver Zielrichtung, was insofern sinnvoll ist, Aggressionen (z. B. des Eigentums anderer
als eine breit angelegte Stärkung sozialer Kompetenzen tätliche Angriffe)
für viele Lebensbereiche (wie Familie, Schule oder Beruf) Nicht Oppositionelles Normverletzungen (z. B.
hilfreich ist. Soziale Kompetenztrainings gibt es für ver- destruktiv Verhalten heimliche Regelverstöße)
schiedene Altersbereiche, angefangen vom Kindesalter.
Beispielhaft zu nennen ist dabei das Gruppentraining
sozialer Kompetenzen von Hinsch und Pfingsten (2015), Ähnlich wie bei der Förderung sozialer Kompetenzen
das in verschiedenen Varianten vom Grundschulalter bis werden auch bei Trainings zum Aggressionsabbau in
in das Jugend- und junge Erwachsenenalter einsetzbar der Regel verschiedene psychosoziale Dimensionen
ist (s. hierzu auch Jürgens und Lübben 2014). Wie bereits angesprochen (7 Kap. 12). Dazu gehören unter anderem
angeführt, werden darüber hinaus Elemente eines sozialen kognitive, affektive und verhaltensbezogene Elemente.
Kompetenztrainings in Programmen zu verschiedenen Betrachtet man zunächst die kognitive Ebene, so geht es
Problembereichen integriert. Kazdin et al. (1992) ver- um die Beeinflussung von Gedanken, die zur Auslösung
wendeten beispielsweise ein Problemlösetraining für und Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens beitragen.
soziale Situationen bei Kindern und Jugendlichen mit einer Besonders hervorzuheben sind dabei unangemessene
Störung des Sozialverhaltens, wobei bessere Effekte erzielt Attributionsmuster, mangelnde Problemlösekompetenzen
wurden, wenn es mit einem Elterntraining kombiniert war. und unzureichende Selbstkontrollmechanismen. Als unan-
Andere Problembereiche betreffen soziale Angst (Spence gemessenes Attributionsmuster gilt vor allem der feind-
et al. 2000), Stress (Beyer und Lohaus 2018) oder auch selige Attributionsfehler, der darin besteht, anderen
die Förderung der Lebenskompetenz (Silbereisen und Kindern oder Jugendlichen eine feindselige Absicht zu
Weichold 2014). unterstellen, auch wenn sie sich neutral verhalten. Es
Übersichtsarbeiten deuten darauf hin, dass sich im kommt dadurch in verstärktem Maße zu aggressiven Hand-
direkten Anschluss an Trainings sozialer Kompetenzen lungen, um der vermeintlichen Feindseligkeit zu begegnen
positive Effekte abbilden lassen (Beelmann et al 1994). (Crick und Dodge 1994). In Anti-Aggressionstrainings geht
Allerdings fallen die Langzeiteffekte ernüchternder es darum, die Attributionsmuster offen zu legen und alter-
aus. Neben der Generalisierung in den Alltag von native Verhaltensinterpretationen einzuüben.
Kindern und Jugendlichen stellt damit auch die zeitliche Im Bereich der Problemlösekompetenzen geht es
Generalisierung weiterhin eine Herausforderung dar darum, einseitige Problemlösungen durch den Einsatz
(Beelmann et al. 1994). aggressiven Verhaltens zu vermeiden. Viele aggressive
Kinder und Jugendliche verfügen über ein recht einseitiges
Aggression Verhaltensrepertoire und haben im Wesentlichen gelernt,
Die Vermeidung eines aggressiven Auftretens in sozialen sich mit aggressiven Verhaltensweisen durchzusetzen. In
Interaktionen gilt als Bestandteil sozialer Kompetenz und Trainingsmaßnahmen werden daher häufig Elemente von
kann daher auch im Rahmen sozialer Kompetenztrainings Problemlösetrainings eingesetzt. Ein weiterer Ansatzpunkt
bearbeitet werden. Es gibt darüber hinaus Präventions- und ist in unzureichenden Selbstkontrollmechanismen zu
Interventionsprogramme, die unmittelbar auf die Ver- sehen. Dazu gehört, dass betroffene Kinder und Jugend-
18 meidung aggressiven Verhaltens ausgerichtet sind. Nach liche nicht in hinreichendem Maße gelernt haben, Selbst-
Frick (1998) lassen sich aggressive Verhaltensweisen nach kontrollstrategien bei ausgelösten Emotionen (wie Ärger
den Dimensionen offen vs. verdeckt und destruktiv vs. oder Wut) einzusetzen. Hier hilft beispielsweise der Aufbau
nicht destruktiv klassifizieren (. Tab. 18.1). Grundsätz- von Selbstinstruktionstechniken (wie sich selbst zu sagen,
lich können alle Aggressionsbereiche Gegenstand von dass man ruhig bleibt). Mangelnde Selbstinstruktions-
Anti-Aggressionstrainings sein, wobei der Schwerpunkt in techniken spielen nicht nur bei der Auslösung, sondern
vielen Trainings auf den offenen Aggressionen in sozialen auch der Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens eine
Interaktionen liegt. Rolle.
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
429 18
Beispiel müssen. In manchen Trainings geht es also auch darum, die
Opfer von aggressiven Handlungen zu stärken.
Jannik rennt mit vielen anderen Kindern die Treppe zum Trainings zum aggressiven Verhalten gibt es vom
Pausenhof hinunter. Sie haben es eilig, die große Pause Kindesalter (z. B. Cierpka und Schick 2014a, b; Petermann
hat begonnen. Von der Seite wird Jannik von einem und Petermann 2012) bis in das Jugend- und Erwachsenen-
anderen Jungen angerempelt. Jannik schubst zurück, alter, wobei hier vor allem die indizierte Prävention im
sodass der Junge die letzten Treppenstufen hinunterfällt. Vordergrund steht (z. B. bei Personen, die bereits durch
Was ist in dieser Situation in Jannik vorgegangen? Warum Gewalttätigkeiten auffällig geworden sind).
musste er sich gleich aggressiv verhalten? Vielleicht
würden andere Kinder diese Situation ignorieren – Hyperkinetische Störungen
Jannik nicht. Er nimmt solche Situationen besonders Hyperkinetische Störungen sind durch eine Symptomtrias
wahr. Das Anrempeln interpretiert er schnell als charakterisiert, zu der Beeinträchtigungen im Bereich der Auf-
aggressive Handlung gegen seine Person (feindseliger merksamkeit, der Impulskontrolle und des Aktivitätslevels
Attributionsfehler). Er wird wütend. Es fällt ihm schwer, gehören. Je nach der Kombination dieser drei Haupt-
diese Wut zu unterdrücken (unzureichende Selbstkontroll- symptome werden verschiedene Subtypen unterschieden.
mechanismen), er schubst zurück (mangelnde Da eine mangelnde Impulskontrolle auch bei Aggressionen
Problemlösekompetenzen). An unterschiedlichen Stellen eine wichtige Rolle spielt, gibt es Überschneidungen, die zu
könnte Jannik lernen, einen anderen Weg einzuschlagen, teilweise ähnlichen Ansatzpunkten bei Präventions- und
damit die Situation nicht eskaliert: Er könnte weniger Interventionsmaßnahmen führen (z. B. durch das Erlernen
sensibel für solche Situationen sein (Wahrnehmung). von Selbstkontrolltechniken). Es ist eine multifaktorielle Ver-
Anstatt die Situation als Angriff zu interpretieren, könnte ursachung der hyperkinetischen Störungen anzunehmen,
er nach alternativen Erklärungen suchen (möglicherweise die sowohl genetische Dispositionen (wie ungünstige
war der Rempler ein Versehen, die Treppe ist eng und Temperamentsmerkmale oder Regulationsstörungen) als
alle wollen schnell nach draußen). Er könnte seine Wut auch psychosoziale Elemente (ungünstiges Erziehungsver-
zunächst unterdrücken, um die Situation zu klären halten) umfasst. Ein inkonsistentes Erziehungsverhalten und
(Selbstregulation). Er könnte dem anderen Jungen eine mangelnde Kontrolle seitens der Eltern kann zudem zur
sagen, dass es ihn gestört hat, und fragen, ob dieser es Aufrechterhaltung einer hyperkinetischen Störung beitragen
absichtlich gemacht hat (Erweiterung der Problemlöse- (Döpfner und Kinnen 2009).
kompetenz). Der Präventions- und Behandlungsansatz erfolgt
am günstigsten multimodal. Neben einem Training mit
dem Kind bzw. Jugendlichen werden auch die Bezugs-
Auf der affektiven Ebene geht es zum einen um Emotions- personen wie Eltern und Lehrer mit eingebunden (DuPaul
erkennung und -ausdruck und zum anderen um den und Stoner 2015). So bezieht beispielsweise das THOP
Aufbau eines empathischen Mitempfindens. Um die (Döpfner et al. 2013) sowohl die betroffenen Kinder und
Empfindungen und Intentionen anderer Personen zu Jugendlichen als auch deren Erziehungsberechtigte mit
erkennen, ist es beispielsweise wichtig, emotionale Signale in das Training ein. Dabei sind die familien- und die
zu verstehen. Gleichzeitig ist es für ein angemessenes Inter- kindzentrierten Interventionen aufeinander abgestimmt.
aktionsverhalten wichtig, auch selbst entsprechende Signale Neben einer Psychoedukation werden beispielsweise auch
zu kommunizieren. Dies lässt sich durch Übungen zum die positive Eltern-Kind-Interaktion gestärkt und operante
Gefühlserkennen sowie zu einem angemessenen Gefühls- Techniken eingeführt.
ausdruck trainieren. Weiterhin kann es sinnvoll sein, sich Konzentrations- und Selbstinstruktionstrainings verfolgen
gefühlsmäßig (oder auch kognitiv) in andere Personen unter anderem das Ziel, die Aufmerksamkeit und Impuls-
hineinzuversetzen, um die Folgen eines aggressiven kontrolle zu steigern. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang
Handelns nachvollziehen zu können. beispielsweise das Marburger Konzentrationstraining, das
Auf der Verhaltensebene steht die Erweiterung des Ver- für verschiedene Altersabschnitte vorliegt (Krowatschek et al.
haltensrepertoires im Zentrum, um Verhaltensalternativen 2016, 2017). Bei hyperkinetischen Störungen steht insgesamt
zum aggressiven Verhalten zu erlernen. Hier kann es unter die indizierte Prävention im Vordergrund, wobei die Über-
anderem darum gehen, prosoziales Verhalten einzuüben, um gänge in die Therapie fließend sind. Unterschiedliche Ansätze
dadurch die Integration in sozialen Gruppen zu erleichtern. lassen sich zudem im schulischen Kontext verfolgen, um
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass viele Elemente von eine Verbesserung in diesem Setting zu bewirken (s. DuPaul
Trainings zur sozialen Kompetenz gleichzeitig auch Elemente und Stoner 2015). So haben sich beispielsweise Belohnungs-
von Anti-Aggressionstrainings sind, wobei besondere systeme gerade bei Kindern und Jugendlichen mit einer hyper-
Schwerpunkte im Bereich der Aggression gesetzt werden. kinetischen Störung bewährt. Neben der gezielten positiven
Nicht zu vergessen ist, dass es neben aggressiven Kindern und Rückmeldung (soziale Verstärkung) bei erwünschtem Ver-
Jugendlichen auch deren potenzielle Opfer gibt, sodass auch halten sind dies beispielsweise T
oken-Systeme oder auch Ver-
die Opfer eines „Bullying“ in den Blick genommen werden haltensverträge (Domsch 2016).
430 A. Lohaus und H. Domsch
Beispiel
nicht. Dafür geben Jannik und seine Lehrerin jeweils
Gerade während der Stillarbeit wandert Jannik gehäuft getrennt voneinander eine Bewertung ab. Anschließend
durch den Klassenraum. Immer mit einer Ausrede für seine vergleichen sie, ob die Bewertungen übereinstimmen
Ausflüge parat, fällt es ihm schwer, ruhig auf dem Stuhl und besprechen mögliche Diskrepanzen. Schließlich
sitzen zu bleiben. Damit stört er nicht nur seine Mitschüler kann sich Jannik die vereinbarte Punktezahl in seinen
beim konzentrierten Arbeiten, er beendet die Aufgaben Punkteplan eintragen. Jannik soll so lernen, sein eigenes
auch selten in der vorgegebenen Arbeitszeit. Seine Verhalten besser zu beobachten (Selbstbeobachtung),
Lehrerin holt sich in Absprache mit den Eltern Hilfe bei der zu bewerten (Selbstevaluation) und ggf. zu belohnen
zuständigen Schulpsychologischen Beratungsstelle. Dafür (Selbstbelohnung). Ein wichtiger Schritt zu verbesserten
vereinbart sie einen Termin zur Unterrichtshospitation, Selbstregulationskompetenzen. Und bei Familienfesten
bei der der Schulpsychologe Jannik im Unterricht oder wichtigen Fußballtrainings gönnt er sich einen
beobachtet. Im Anschluss findet ein Gespräch zwischen Nachmittag hausaufgabenfrei!
Schulpsychologe, Lehrerin und Eltern statt, bei dem die
Beobachtungen zusammengetragen und Maßnahmen
abgesprochen werden. Die Eltern berichten, dass sie das In einer Metaanalyse von DuPaul und Eckert (1997)
unaufmerksame Verhalten ihres Sohnes zu Hause bei wurden verschiedene schulische Interventionen verglichen,
den Hausaufgaben erleben. Täglich käme es daher zu die sich in drei Bereiche gliedern ließen:
Konflikten. Nach einer halben Stunde lege Jannik den 1. Kontingenzmanagement: Bei diesem Ansatz wird
Stift zur Seite. „Unsere Lehrerin behauptet, wir sollen nur angemessenes Verhalten durch positive Konsequenzen
eine halbe Stunde an den Hausaufgaben sitzen. Die Zeit (z. B. Token-Systeme) verstärkt und unangemessenes
ist um!“ Durch sein ständiges Trödeln hat er jedoch fast Verhalten durch negative Konsequenzen reduziert.
nichts geschafft. In der Folge käme es immer wieder zu 2. Interventionen in der Lehrstrategie: Darunter wurden
Machtkämpfen zwischen Jannik und seinen Eltern, das sei besondere Lehrstrategien (z. B. Peer-Tutoring)
sehr anstrengend. gebündelt.
Gemeinsam einigt man sich darauf, dass Janniks 3. Kognitiv-verhaltensbezogene Interventionen: Dieser
Lehrerin ihm konkret benennt, welche Aufgaben er zu Ansatz enthält Interventionen wie beispielsweise
Hause zu erledigen hat. Die Diskussion um die halbe Problemlösestrategien oder Maßnahmen mit dem Ziel
Stunde Arbeitszeit entfällt dadurch, was bereits zu einer einer höheren Selbstkontrolle.
deutlichen Entspannung führt. Zudem vereinbaren
die Eltern einen Termin in der Schulpsychologischen Alle drei Ansätze zeigten deutliche Effekte, wobei
Beratungsstelle, um konkreter zu besprechen, wie Jannik diese bei verhaltensbezogenen Variablen größer aus-
in eine höhere Selbstständigkeit bei der Erledigung fielen als bei akademischen Variablen. Zudem zeigten
seiner Aufgaben begleitet werden kann. sich die ersten beiden Interventionsarten effektiver als
Für das schulische Setting wird vereinbart, mit einem kognitiv-verhaltensbezogene Interventionen. Einschränkend
Token-Programm anzufangen. Dafür bespricht seine muss jedoch bedacht werden, dass die von den Autoren vor-
Lehrerin mit Jannik genommene Einteilung artifiziell ist, da Maßnahmen häufig
5 eine konkrete Verhaltensweise, miteinander kombiniert werden. So kann beispielsweise ein
5 wie viele Punkte (Token) er für das Einhalten der Kontingenzmanagement-Ansatz auch mit dem Ziel ver-
Verhaltensweise wann erhält, wendet werden, die Selbstkontrolle zu trainieren.
5 wie viele Punkte er gegen welchen Preis eintauschen
18 kann. Ängste und Depressionen
Mit Ängsten sind fast alle Kinder im Laufe ihrer Ent-
Sie einigen sich darauf, dass Jannik bei der Stillarbeit
wicklung konfrontiert. Schon im Säuglingsalter lassen sich
ruhig auf seinem Stuhl sitzen bleiben soll. Schafft er
Ängste vor lauten Geräuschen oder – etwas später – vor
dies, kann er sich auf seinem Punkteplan anschließend
fremden Menschen identifizieren. Im Vorschulalter finden
einen Punkt eintragen. Zwanzig Punkte kann er gegen
sich Ängste vor der Trennung von Bezugspersonen ebenso
einen Hausaufgabenfrei-Gutschein eintauschen, den er
wie Ängste vor Fantasiegestalten (wie Geister oder Monster).
aufheben und bei Bedarf einlösen kann.
Im Schulalter werden die Ängste konkreter und beziehen
Janniks Lehrerin beginnt den Punkteplan zu
sich häufig auf Verletzungen, Krankheit oder Tod, aber
verändern, nachdem sich das Verhalten während der
auch auf eigenes Versagen in der Schule oder in den Augen
Stillarbeitsphasen deutlich verbessert hat. Sie trifft
der Gleichaltrigengruppe. Ängste sind evolutionsbiologisch
eine neue Verabredung mit Jannik: In der letzten
fundiert, indem sie eine Schutzfunktion in potenziellen
Stunde, die sie Jannik an einem Schulvormittag
Gefahrensituationen übernehmen. Sie bereiten Verhaltens-
unterrichtet, findet die Bewertung statt, ob er während
tendenzen vor, die in Flucht, Angriff oder Erstarren bestehen
der Arbeitsphasen gut sitzen bleiben konnte oder
können (Heinrichs und Lohaus 2011).
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
431 18
Nach Parritz und Troy (2018) kann ein gemeinsamer angesprochen. Einen wichtigen Bestandteil bilden dabei
Entwicklungspfad für das Entstehen von Ängsten und potenzielle Fehlinterpretationen von Körperreaktionen,
Depressionen vermutet werden. Die Gemeinsamkeit liegt Bewältigungsstrategien (z. B. Selbstkonfrontation mit angst-
darin, dass in beiden Fällen negative Emotionen über- auslösenden Situationen) und dysfunktionale Gedanken.
wiegen und Schwierigkeiten bestehen, negative Emotionen Speziell zur Prävention von Depressionen liegt weiterhin
zu regulieren. Daraus ergibt sich gleichzeitig ein wichtiger das vorrangig universelle Programm „Lust an realistischer
Ansatzpunkt für mögliche präventive Bemühungen: Es Sicht & Leichtigkeit im sozialen Alltag (LARS&LISA)“
kommt darauf an, frühzeitig mit negativen Emotionen von Pössel et al. (2004) vor. Es richtet sich in erster Linie
umgehen zu lernen und sie erfolgreich zu regulieren. an Jugendliche der 8. und 9. Klasse. Die Wahl der Ziel-
Wichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass gruppe ist vor allem dadurch begründet, dass die Prä-
Ängste sich auf der emotionalen Ebene äußern, dass valenzraten für Depressionen über das Jugendalter hinweg
aber auch die kognitive Ebene (durch angstauslösende deutlich ansteigen. Neben der Wissensvermittlung wird
Gedanken), die Verhaltens- (durch Flucht- oder Angriffs- das Setzen persönlicher (realistischer) Ziele thematisiert.
verhalten) und die körperliche Ebene (durch somatische Darüber hinaus finden sich Elemente zur kognitiven
Reaktionen wie Erhöhung der Herzfrequenz) involviert Umstrukturierung, zur Veränderung dysfunktionaler
sind. Diese verschiedenen Ebenen spielen auch bei Gedanken sowie Trainingselemente zum Einüben selbst-
Depressionen eine Rolle, wobei auf der kognitiven Ebene sicheren Verhaltens und zur Verbesserung sozialer
negative Gedanken in Bezug auf die eigene Person, die Kompetenzen. Mit dem Training sozialer Kompetenzen soll
Welt und die Zukunft bestehen. Auf der Verhaltensebene die soziale Einbindung von Jugendlichen unterstützt werden,
dominiert das Rückzugsverhalten und auf der körperlichen was einer Depressionsentwicklung entgegenwirken kann.
Ebene die Antriebslosigkeit. Im Rahmen der Prävention Neben den universellen Programmen, die teilweise auch
kann es also sinnvoll sein, nicht nur auf Emotions- indiziert oder selektiv eingesetzt werden können (z. B. in
regulationsstrategien zu fokussieren, sondern beispielsweise Mädchengruppen, weil internalisierende Symptomatiken
auch auslösende und aufrechterhaltende Kognitionen zu ab der Pubertät häufiger bei Mädchen vorkommen), gibt
thematisieren. Auch der Umgang mit Verhaltensreaktionen es Programme, die durch einen stärker therapeutischen
kann Gegenstand von Interventionsbemühungen sein. Anspruch charakterisiert sind (s. zusammenfassend Pössel
Besonders ist auf die Verhaltensebene zu achten, wenn z. B. und Hautzinger 2009; Melfsen und Warnke 2009).
soziale Ängste (Angst vor der negativen Bewertung durch
andere) begründet sind, da ein Kind oder Jugendlicher tat- Sexualität
sächlich Defizite in seinem Sozialverhalten aufweisen kann. Ein wichtiges Präventionsanliegen im Bereich der Sexuali-
Ein universelles Präventionsprogramm, das sowohl auf tät ist die Vermeidung von Schwangerschaften und von
Ängste als auch Depressionen gerichtet ist, liegt mit dem Infektionskrankheiten (wie HIV). Als mindestens genauso
Freunde-Programm von Barrett et al. (2003) vor. Es wird wichtig ist jedoch der Aufbau eines angemessenen Ver-
in Schulklassen durchgeführt und richtet sich an Schüler im hältnisses zu Fragen der Sexualität anzusehen. Hier geht
Altersbereich von sieben bis zwölf Jahren. Das Programm es darum, positive Einstellungen zur Sexualität zu ent-
integriert mehrere Ebenen, wobei es im kognitiven Bereich wickeln und in angemessener Weise sexuelle Beziehungen
darum geht, innere Gedanken zu erkennen und gegebenen- aufzubauen und gegebenenfalls aufrechtzuerhalten. Es geht
falls im positiven Sinne zu verändern. Im physischen also nicht nur um die biologischen, sondern auch um die
Bereich steht die Entwicklung eines Bewusstseins für psychosozialen Dimensionen von Sexualität. Es liegen für
Körpersignale und ihre Beeinflussung (z. B. durch Ent- diesen Problembereich nur wenige evaluierte Präventions-
spannungsübungen) im Vordergrund. Zusätzlich erfolgt programme vor, die sich überwiegend an das Jugendalter
das Einüben von Bewältigungsstrategien (wie Problem- richten. Es gibt zwar eine Vielzahl an Programmen und
lösefertigkeiten, graduelle Annäherung an angstauslösende Materialien (wie z. B. Aufklärungsbroschüren etc.), die sich
Ereignisse, Suche nach Unterstützung etc.). an verschiedene Altersgruppen wenden, der überwiegende
An etwas ältere Schüler (im Alter von 14 bis 18 Jahren) Teil wurde jedoch nicht systematisch evaluiert.
richtet sich das (vorrangig universell ausgerichtete) Ein breiter Zugang zum Thema Sexualität mit Ein-
Programm „Gesundheit und Optimismus (GO!)“ von Junge, bezug biologischer und psychosozialer Dimensionen wird
Neumer, Manz und Margraf (2002), das ebenfalls sowohl bei dem Medienpaket zur Sexualerziehung von Eichholz
Angst als auch Depression adressiert. Neben der Vermittlung et al. (1994) gewählt. Neben der Vermittlung einer Wissens-
von Basisinformationen werden auch hier die Ebenen basis finden sich hier Elemente zum Aufbau positiver Ein-
Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen und Verhalten stellungen zur Sexualität und zur Verhaltensbeeinflussung
432 A. Lohaus und H. Domsch
(wie z. B. in Form von Rollenspielen zur Kontaktaufnahme unterscheiden (Lohaus 1993). Zu den antezedenten
etc.). Ähnlich breit ist der Zugang beim LiZA-Programm Bedingungen gehören unter anderem frühe Einstellungen zum
(Liebe in Zeiten von Aids), das einen Schwerpunkt auf Suchtmittelkonsum, das Vorhandensein von Modellen (z. B.
die Aids-Prävention setzt, dabei jedoch gleichzeitig die Suchtmittelkonsum bei Eltern oder Geschwistern), eine erhöhte
Stärkung des Selbstwertgefühls, sozialer Kompetenzen und Risikobereitschaft und mangelnde Bewältigungsressourcen
der Kommunikationsfertigkeit thematisiert (Bayerisches (z. B. indem Alkohol und Drogen als Wege zur Problem-
Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2004). Ein bewältigung gesehen werden). In der Phase der Initiierung
weiteres Element ist auf Gruppendruck und Medien spielen das Angebot von Suchtmitteln durch Gleichaltrige,
gerichtet, um Jugendliche gegen Einflussnahmeversuche das Suchtmittelverhalten in der Gleichaltrigengruppe und das
und verzerrte Normwahrnehmungen zu wappnen. Ein Bedürfnis nach Anerkennung durch die Gleichaltrigengruppe
deutlich anderer Zugangsweg wird bei dem Programm eine entscheidende Rolle. Die Gleichaltrigengruppe ist auch
Peer Education von Backes und Schönbach (2002) gewählt, in der Phase der Stabilisierung wichtig, da sie den Substanz-
das sich an Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren richtet mittelkonsum weiter unterstützen und zu seiner Aufrecht-
und sie dazu befähigen soll, eigene Projekte zu sexualitäts- erhaltung beitragen kann. In diesen Phasen stehen also die
bezogenen Themen (wie Liebe oder Schwangerschaftsver- sozialen Funktionen des Suchtmittelkonsums im Vorder-
hütung) durchzuführen, ohne dass Erwachsene anwesend grund, während in der Phase der Habitualisierung zunehmend
sind und Hilfestellung leisten (Vierhaus 2009). die individuellen Funktionen im Vordergrund stehen. Dies
Insgesamt gibt es in diesem Bereich nur wenig bedeutet, dass das Suchtmittelverhalten sich weiter stabilisiert
standardisierte und evaluierte Programme, wobei ins- und zunehmend individuelle Bedürfnisse erfüllt, indem
besondere zum Vorschul- und Grundschulalter wenig vor- Abhängigkeiten vom Suchtmittel entstehen. Das Phasenmodell
zufinden ist. Hier dominieren ad hoc zusammengestellte ist in . Abb. 18.2 zusammengefasst.
Programmelemente, die z. B. in Unterrichtsreihen in der Das Phasenmodell verdeutlicht, dass eine Präventions-
Schule genutzt werden. Eine wissenschaftliche Evaluation arbeit zum Suchtmittelkonsum frühzeitig ansetzen kann, um
liegt in diesen Fällen nicht vor. bereits vor der Initiierung beispielsweise die Einstellung zu
Suchtmitteln in eine angemessene Richtung zu verändern
Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum oder um mangelnde Bewältigungsressourcen auszugleichen.
Vor allem im Jugendalter nimmt der Konsum legaler Diesen Weg beschreiten beispielsweise Lebenskompetenz-
und illegaler Substanzen zu. Legale Substanzen sind bei- trainings, die in Kombination mit einer Informationsver-
spielsweise Alkohol, Tabak oder Medikamente, illegale mittlung zum Substanzmittelkonsum eingesetzt werden.
Substanzen Cannabis oder Opiate. Will man im Bereich Hinzu kommen vielfach Elemente zur Stärkung der Wider-
des Substanzmittelkonsums präventiv tätig werden, dann ist standsmöglichkeiten gegen Einflussnahmeversuche durch
es zunächst wichtig, sich verschiedene Konsumphasen vor Gleichaltrige, um die sozialen Ressourcen für die Phase
Augen zu halten. So lassen sich beispielsweise der Initiierung zu stärken (z. B. Nein-sagen-Können beim
a) antezedente Bedingungen, die bereits vor dem Angebot von Substanzmitteln). Beispielhaft für diesen Ansatz
Konsumbeginn eine Rolle spielen, sind die Programme „Allgemeine Lebenskompetenzen
b) eine Phase der Initiierung, und Fertigkeiten (ALF)“ von Walden et al. (2000) sowie
c) der Stabilisierung und das Lebenskompetenzprogramm IPSY von Silbereisen
d) der Habitualisierung und Weichold (2014) zu nennen. Für Jugendliche, die sich
. Abb. 18.2 Phasenmodell des Suchtmittelkonsums. (In Anlehnung an Lohaus 1993, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
433 18
bereits in der Phase der Stabilisierung bzw. Habitualisierung Bewältigungsmechanismen zur Lösung von Alltagsproblemen
befinden, existieren Angebote zur Sekundärprävention, zurückgehen (Silbereisen 1997). Durch das Vorhanden-
um die Entstehung von Abhängigkeiten zu vermeiden. In sein eines Problemlöse- und Bewältigungspotenzials werden
einigen Suchtmittelbereichen (wie Alkoholkonsum) besteht Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufgebaut und damit die
das Präventionsziel nicht darin, einen Konsum grundsätz- Persönlichkeit gestärkt (Jerusalem und Meixner 2009). Die
lich zu vermeiden, sondern zu einem kontrollierten Konsum Lebenskompetenzprogramme basieren dementsprechend
zu gelangen. Eine weitere Zielrichtung, die ebenfalls teilweise auf einem ganzheitlichen Förderansatz, der davon ausgeht,
verfolgt wird, besteht darin, den Zeitpunkt der Initiierung dass sich die erfolgte Ressourcenstärkung positiv auf unter-
hinauszuzögern, da bei einem späteren Einstieg in den schiedliche Problembereiche auswirkt. Teilweise erfolgt eine
Substanzmittelkonsum die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es Verbindung mit problemspezifischen Elementen (z. B. zu
nicht zu einer Stabilisierung oder Habitualisierung kommt. Rauchen und Alkoholkonsum), um dadurch die Wirkung
Ein Beispiel für ein Programm, bei dem die Hinauszögerung auf einzelne Problembereiche weiter zu verstärken. Lebens-
eines Konsums eine wichtige Rolle spielt, ist „Be smart – Don’t kompetenzprogramme werden typischerweise universell ein-
start“ zur Primärprävention des Rauchens, das sich an Schüler gesetzt. Neben den bereits genannten substanzspezifischen
der Klassenstufen 6 bis 8 richtet. Das Programm wird in Form Lebenskompetenztrainings sind hier beispielsweise Programme
eines Wettbewerbs in Schulklassen durchgeführt, wobei alle wie Lions Quest („Erwachsen werden“) von Wilms und Wilms
Klassen, die nach Ablauf des Wettbewerbszeitraums (sechs (2004) oder das Programm „Klasse 2000“ zu nennen.
Monate) noch rauchfrei sind, ein Zertifikat erhalten und an Als problemübergreifend können auch Stressprä-
einer Preisverlosung teilnehmen (Hanewinkel 2007). ventionsprogramme für Kinder und Jugendliche aufgefasst
werden. Auch hier werden allgemeine Grundlagen für
den Umgang mit Problemen gelegt, die in verschiedenen
18.1.2 Problemübergreifende Kontexten genutzt werden können, um das individuelle
Förderprogramme Belastungserleben zu reduzieren. Die zentralen Programm-
elemente sind typischerweise darauf gerichtet,
Die bisher dargestellten Förderansätze sind auf einzelne a) stressauslösende Situationen zu erkennen,
Problembereiche (wie Ängste oder Substanzmittelkonsum) b) die Bewertung stressauslösender Situationen zu ver-
gerichtet. Eine andere Zielrichtung wird mit problemüber- ändern (kognitive Umstrukturierung),
greifenden Förderprogrammen eingeschlagen, bei denen c) das Bewältigungspotenzial zu erweitern und
es darum geht, die allgemeinen psychosozialen Ressourcen d) mit Stressreaktionen (wie beispielsweise Kopf- oder
zu stärken, damit Kinder und Jugendliche in die Lage ver- Bauchschmerzen) umgehen zu lernen.
setzt werden, verschiedenste Problemlagen im positiven
Sinne zu meistern, ohne auf unangemessene Bewältigungs- Es geht dabei nicht nur darum, angemessene Bewältigungs-
wege zurückgreifen zu müssen. Nach dem Konzept der formen zum Umgang mit individuellen Problemlagen zu
World Health Organization (WHO) ist lebenskompetent, erlernen, sondern auch in der Lage zu sein, die emotionalen,
kognitiven und verhaltensbezogenen Stressreaktionen zu
» „wer sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch
regulieren. Als Stresspräventionsprogramme stehen das
und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen
Programm „Bleib locker“ von K lein-Heßling und Lohaus
führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft,
(2012) für Grundschulkinder der 3. und 4. Klasse, das Anti-
erfolgreich Probleme löst sowie Gefühle und Stress
Stress-Training für Kinder von Hampel und Petermann (2017)
bewältigen kann“ (Jerusalem und Meixner 2009, S. 141).
und das SNAKE-Training („Stress nicht als Katastrophe
Die Idee dabei ist, dass viele Risikoverhaltensweisen erleben“, 7 Exkurs „Stress nicht als Katastrophe erleben –
von Kindern und Jugendlichen auf einen Mangel an SNAKE“) von Beyer und Lohaus (2018) zur Verfügung.
434 A. Lohaus und H. Domsch
Exkurs
18.1.3 Förderung des Umgangs mit sich auf chronische Erkrankungen (wie Diabetes mellitus
kritischen Lebensereignissen oder Asthma bronchiale). Ein angemessener Umgang mit
den Anforderungen der Erkrankung und eine gute psycho-
Als kritische Lebensereignisse werden einschneidende soziale Anpassung können entscheidend für den Krank-
Veränderungen im Leben eines Kindes oder Jugendlichen heitsverlauf sein. Dementsprechend gibt es mittlerweile für
bezeichnet, die eine umfassende Neuorientierung ver- viele Erkrankungsformen altersentsprechende Schulungs-
langen (wie der Neueintritt einer chronischen Erkrankung möglichkeiten (z. B. das Luftikurs-Programm für Kinder
oder Tod, Trennung oder Scheidung der Eltern). Bei der mit Asthma-Erkrankungen von Theiling et al. 2011, oder das
18 Konfrontation mit kritischen Lebensereignissen geht Neurodermitis-Verhaltenstraining für Kinder, Jugendliche
es darum, betroffenen Kindern und Jugendlichen die und deren Eltern von Scheewe et al. 2000). Die vorhandenen
Anpassung an die neu eingetretene Situation zu erleichtern Programme sind in der Regel darauf ausgerichtet, den
und Folgeprobleme zu reduzieren. Ein besonderes Problem Kindern und Jugendlichen ein altersangemessenes Wissen
stellen dabei abrupt eintretende kritische Lebensereignisse über ihre Erkrankung zu vermitteln sowie erforderliche
dar, da in diesen Fällen keine Vorbereitung erfolgen konnte medizinische Maßnahmen bzw. Verhaltensänderungen (z. B.
und daher erst im Nachhinein Maßnahmen greifen können, bei notwendigen Diäten) zu trainieren. Einen besonderen
um die psychosoziale Anpassung zu verbessern (Heinrichs Stellenwert nehmen dabei die Bewältigung der besonderen
und Lohaus 2011). Beim Umgang mit kritischen Lebens- Anforderungen, die die jeweilige Erkrankung stellt, sowie
ereignissen stehen daher indizierte Präventionsansätze im die Patienten-Compliance (Einhaltung der erforderlichen
Vordergrund, die sich an betroffene Kinder und Jugend- medizinischen Maßnahmen) ein. Teilweise wird – je nach
liche richten. Je nach Schwere der Auswirkungen können Alter der Patienten – auch das soziale Umfeld einbezogen.
auch therapeutische Interventionen erforderlich sein. Besondere Aufmerksamkeit unter den kritischen
Ein mögliches kritisches Lebensereignis, mit dem bereits Lebensereignissen, von denen Kinder und Jugend-
Kinder und Jugendliche konfrontiert sein können, bezieht liche betroffen sein können, haben Tod, Trennung oder
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
435 18
Scheidung der Eltern erhalten, da diese Ereignisse zu den Das Altersspektrum reicht dabei vom Vorschul- bis in das
gravierendsten gehören, mit denen Kinder und Jugend- Jugendalter (s. zusammenfassend Beelmann 2009).
liche konfrontiert sein können. Dementsprechend zeigen Kinder und Jugendliche können auch indirekt von
Metaanalysen (z. B. Amato 2001, 2010), dass bei betroffenen kritischen Lebensereignissen betroffen sein, die in erster Linie
Kindern ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von auf Personen ihres unmittelbaren sozialen Umfelds bezogen
Störungen besteht. Um den Risiken entgegenzuwirken, gibt sind. Ein Beispiel dafür sind psychische Erkrankungen eines
es verschiedene Trainingsprogramme, die in erster Linie als Elternteils (z. B. eine depressive Störung der Mutter, 7 Exkurs
Gruppenprogramme für betroffene Kinder konzipiert sind. „Kinder psychisch erkrankter Eltern“).
Exkurs
18.2 Primärpräventive Förderkonzepte für 5 die Verbesserung der Einfühlung in das Erleben des Kindes,
Eltern als Zielgruppe 5 die Bearbeitung unbewusster Wahrnehmungs- und
Erziehungstendenzen und
Der überwiegende Teil der bisher dargestellten 5 die Einübung sozialer und elterlicher Kompetenzen
Präventionsmaßnahmen richtete sich unmittelbar an
Kinder und Jugendliche. Wenn man auf das Erleben genannt. Es handelt sich um ein strukturiertes Eltern-
und Verhalten von Kindern und Jugendlichen Einfluss training, das sich an alleinerziehende Mütter von Kindern
nehmen will, kann es jedoch ebenso sinnvoll sein, auf das im Alter von 4 bis 6 Jahren richtet und von geschulten
soziale Umfeld zu fokussieren, um dadurch indirekt die Erzieherinnen durchgeführt wird. Das Training richtet sich
Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Wichtigste Ziel- also an Mütter in einer besonderen Problemlage und ver-
gruppe sind dabei die Eltern, da sie in der Regel als zentrale sucht, ihre Erziehungskompetenzen zu steigern und dabei
Bezugspersonen für ihre Kinder fungieren. Bei Fragen der gleichzeitig der besonderen Situation als alleinerziehende
Erziehung können Eltern sich an Erziehungsberatungs- Mutter Rechnung zu tragen.
stellen wenden. Hier wird oftmals auch mit speziellen Als problemübergreifendes Elternprogramm kann weiter-
Methoden wie z. B. der Gesprächspsychotherapie oder hin das Triple-P-Programm (Sanders et al. 2003) angesehen
der Familientherapie gearbeitet. Zudem bieten einige werden, dessen Besonderheit darin besteht, dass es fünf
Erziehungsberatungsstellen gezielte Elterntrainings an. Ebenen umfasst, die von der universellen Prävention (mit
Maßnahmen, die sich an Eltern richten, können in problem- allgemeinen Informationskampagnen und niederschwelligen
übergreifende und problemspezifische Elterntrainings unter- Angeboten) bis hin zu intensiver Betreuung im Sinne von
schieden werden. Bei problemübergreifenden Trainings sind indizierter Prävention reichen. Das Programm richtet sich
die Hauptzielrichtungen darin zu sehen, die Eltern-Kind- an Eltern von Kindern zwischen von 0 und 16 Jahren. Bei
Beziehung zu stärken und das Erziehungsverhalten der Eltern zu diesem Programm kann abhängig vom Schwergrad der
verbessern. So werden beispielsweise bei dem PALME-Training Erziehungsproblematik die Intensität des Programm-
(Präventives Elterntraining für alleinerziehende Mütter geleitet einsatzes variiert werden. Die fünf Ebenen des Triple-P-
von Erzieherinnen; Franz 2009) als zentrale Ziele Programms sind in der . Abb. 18.3 zusammengefasst.
5 die Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung, Von den problemübergreifenden sind die problemspezi-
5 die Stärkung der intuitiven Elternfunktionen, fischen Elterntrainings abzugrenzen, die auf bestimmte
436 A. Lohaus und H. Domsch
Ebene 2
Niedrigschwellige Angebote mit
allgemeinen Informationen zu
Triple P – Elterngespräche und Entwicklung und Erziehung
Vortragsreihe
Ebene 4
Intensives Elterntraining im Einzel-,
Gruppen- oder Selbsthilfeformat
Triple P – Elterntraining
. Abb. 18.3 Ebenenkonzept des Triple-P-Trainings. (In Anlehnung an Heinrichs und Lohaus 2011, Klinische Entwicklungspsychologie kompakt,
© 2011 Programm Psychologie Verlags Union in der Verlagsgruppe Beltz ∙ Weinheim Basel)
Interaktion lediglich als unidirektional zu verstehen, bei der Sowohl die Interaktion zwischen Gleichaltrigen als
die Schüler dem Lehrer bedingungslos ausgeliefert sind und auch ein positives Klassenklima wird durch ein gelingendes
entsprechend geformt werden. Jeder wird aus seinen eigenen classroom management (7 Kap. 5) unterstützt (Evertson
schulischen Erfahrungen erinnern, dass die Lehrer-Schüler- und Weinstein 2006). Unter classroom management wird
Interaktion sich in der Regel vielmehr als ein reziproker Prozess dabei das gesamte Lehrerverhalten gefasst, das darauf
darstellt (Minsel und Roth 1978). abzielt, Lernprozesse positiv zu gestalten. Dies schließt
Zudem sind Interaktionen mit den Gleichaltrigen mit ein, dass Schüler zu einem eigenverantwortlichen
(7 Kap. 12) hervorzuheben, die mit zunehmendem Alter und kooperativen Verhalten begleitet werden, was sich
noch einmal an Bedeutung gewinnen (Jerusalem und wiederum günstig auf den Lernprozess auswirkt.
Klein-Heßling 2002). Diese Interaktionen können sowohl Es gibt also unterschiedliche Möglichkeiten im Schul-
eine Ressource, die für die psychosoziale Entwicklung alltag, sich mit Aspekten psychosozialer Kompetenz aus-
förderlich ist, als auch eine Risikovariable darstellen. Im einanderzusetzen und dabei fachliches, emotionales und
letzteren Fall ist z. B. ein Jugendlicher herausgefordert, soziales Lernen zusammenzubringen (Greenberg et al.
sich gegen das Drängen seiner Freunde zum Drogen- 2003). Eine enge Verknüpfung kann auch z. B. mit spezi-
konsum zu positionieren. Wie weiter oben beschrieben, fischen Aufgabenstellungen verfolgt werden: Integriert in
gilt es daher, sowohl Ressourcen als auch Risiken, die sich den Fachunterricht wird anhand eines Textes in Deutsch
aus der Interaktion mit Gleichaltrigen ergeben können, über Werte und Moral diskutiert. Die Schüler erhalten
in Programmen zur Förderung psychosozialer Ent- die Aufgabe, eine schwierige Interaktion (z. B. einen Streit
wicklung (wie z. B. zum Umgang mit Drogen) in den Blick unter Freunden) aus unterschiedlichen Perspektiven
zu nehmen. In einem Klassenklima, in dem sowohl ein schriftlich zu beschreiben; anschließend findet ein Aus-
unterstützendes Lehrerverhalten als auch eine kollegiale tausch in der Klasse statt, um die Facetten sozialer Inter-
Schüler-Schüler-Interaktion wahrgenommen wird, kann
aktion zusammenzutragen und zu diskutieren. Die Klasse
sich eher eine positive soziale Selbstwirksamkeitserwartung entwickelt ein Theaterstück zum Thema „Mobbing“ etc.
bei den Schülern ausbilden. Diese ermöglicht, sozial Unterstützung finden Lehrer bei der Bearbeitung
kompetenter und selbstsicherer in schwierige soziale Inter- solcher Themen auch durch die Schulpsychologischen
aktionen zu treten und führt letztendlich zu einer höheren Dienste bzw. Beratungsstellen (Fleischer et al. 2007,
psychosozialen Gesundheit. 7 Exkurs „Schulpsychologie“).
Exkurs
Schulpsychologie
Schulpsychologen unterstützen alle an Seitdem Amokläufe auch an deutschen Durchschnitt pro ca. 7258 Schülerinnen
Schule Beteiligten mit psychologischem Schulen vorgekommen sind, ist das und Schüler einen Schulpsychologen. Die
Wissen, um letztendlich Kinder und Thema Krisenmanagement innerhalb der WHO empfiehlt ein Verhältnis von 5000:1.
Jugendliche in ihrer Entwicklung positiv zu Schulpsychologie noch einmal stärker in Obwohl die Anzahl der Planstellen für
beeinflussen und beim Erreichen adäquater den Vordergrund gerückt. Schulpsychologen in den letzten
Schulabschlüsse zu unterstützen. Das Dies schließt auch andere Formen Jahren zugenommen hat, liegt
Aufgabenfeld der Schulpsychologie ist der Krise, z. B. versuchter oder Deutschland noch immer deutlich
breit gefächert. Neben Diagnostik und vollzogener Suizid, Tod einer unterhalb der empfohlenen
Beratung können u. a. auch Fortbildungen, Mitarbeiterin, gewaltsame Übergriffe Relation.
Supervision von pädagogischen etc., ein. Die Anzahl an Schulpsychologen in einer
Fachkräften, Beteiligung an Schulent- Schulpsychologen sind in Deutschland Beratungsstelle schwankt stark (abhängig
18 wicklungsprozessen, Öffentlichkeits- oder leider immer noch Mangelware. Laut vom Bundesland sowie der Kommune
Projektarbeit (z. B. Implementierung eines einer Erhebung des Bundesverbandes bzw. dem Kreis). Dementsprechend
Präventionsprojekts an einer Schule) deutscher Psychologinnen und sind auch die Arbeitsbedingungen sehr
hinzugezählt werden. Psychologen (BDP 2018) gibt es im heterogen.
Klassenrat
Der Klassenrat ist ein Zeitfenster, werden können z. B. Konflikte in die Klasse betreffen. Denkbar ist
in dem die Klasse zum Besprechen der Klasse, die sich über die Woche beispielsweise, über gemeinsame
unterschiedlicher Themen angesammelt haben und in einem Unterrichtsprojekte zu entscheiden,
zusammenkommt. Oftmals wird die Klassenratsbuch festgehalten worden die Aufgabenverteilung in der Klasse
Gesprächsführung von einem Schüler sind. Ritualisiert werden die Konflikte zu regeln oder Positives aus der
übernommen. Neben der Vermittlung besprochen und Lösungen letzten Woche zu benennen. Damit
von Kommunikationskompetenzen ausgehandelt. lassen sich auch demokratische
nimmt die Lehrperson damit bewusst Darüber hinaus können auch andere Kommunikationsformen und
eine andere Position ein. Besprochen Themen besprochen werden, die Entscheidungsfindungen fördern.
Zur Förderung der Perspektivenübernahme sowie der In einer Metaanalyse von Durlak et al. (2011) wurden
moralischen Entwicklung wird von Lind (2015) aufbauend die Ergebnisse unterschiedlicher Evaluationsstudien zu
auf Kohlbergs Überlegungen zur moralischen Urteils- schulischen Interventionen und Programmen zum sozialen
bildung (Kohlberg 1995) die Diskussion über moralische und emotionalen Lernen zusammengetragen. Es zeigten
Dilemmata vorgeschlagen. Dabei wird den Schülern ein sich positive Einflüsse auf eine Reihe unterschiedlicher
ethisches bzw. moralisches Dilemma präsentiert, das einen Variablen, zu denen physische und mentale Gesundheit,
kognitiven Konflikt erzeugen soll. Am bekanntesten dürfte moralisches Urteil, Leistungsbereitschaft sowie schulische
das Heinz-Dilemma von Kohlberg (1995) sein. Der Ehe- Leistungen gehörten.
mann, Heinz, einer im Sterben liegenden Frau, versucht
ein Medikament zu bekommen, bei dem die Ärzte von
Heilungschancen ausgehen. Das ohnehin teure Medika- 18.3.2 Maßnahmen auf Schulebene
ment wird von dem Apotheker mit einem zehnfachen Auf-
schlag auf die Produktionskosten verkauft. Heinz bekommt Über das Schulprogramm legt eine Schule ihr Leitbild fest.
lediglich die Hälfte des Kaufpreises zusammen, der Apo- Oftmals werden auch Schwerpunkte gesetzt wie z. B. im Fall
theker besteht jedoch weiterhin auf seinem angesetzten einer sogenannten Gesundheitsfördernden Schule. Der
Preis. Heinz steht vor dem Dilemma, ob er das Medika- Aspekt der Gesundheitsförderung wird dabei als integrativer
ment stehlen soll oder nicht. Kohlberg verwendete unter Bestandteil des Schulalltags aufgefasst, der in unterschiedlichen
anderem dieses Dilemma zur Kategorisierung von Personen Kontexten kontinuierlich aufgegriffen wird. Gesundheits-
in seinem moralischen Stufenmodell. Dabei interessierten förderung wird dabei zum Bestandteil der Schulentwicklung,
ihn vor allem die Beweggründe und Begründungen für eine um prinzipiell den gesamten Lern- und Lebensraum Schule
entsprechende Entscheidung. In der Dilemmadiskussion gesundheitsförderlich zu gestalten. Neben den Schülern
setzt sich die Klasse mit einem solchen Dilemma aus- werden auch die Lehrer, das nicht lehrende Personal sowie die
einander. In der Diskussion werden die Schüler besonders Eltern einbezogen. Die Maßnahmen können strukturelle Ver-
angehalten, möglichst genaue Begründungen für ihren änderungen (wie eine Veränderung der Schulhofgestaltung)
Standpunkt zu liefern. Unterschiedliche Vorschläge zum und verhaltensbezogene Maßnahmen (wie Etablierung von
konkreten Vorgehen liegen vor (z. B. Blatt und Kohlberg Entspannungsmöglichkeiten in den Schulalltag) umfassen und
1975; Lind 2015). Eine Metaanalyse von Schläfli et al. (1985) sich an alle Personen richten, die am Alltagsleben in der Schule
deutet auf positive Effekte eines solchen Ansatzes hin. beteiligt sind. Durch den zielgruppenübergreifenden und
Daneben gibt es eine Reihe spezifischer Programme, die kontinuierlichen Charakter der Maßnahmen soll eine stärkere
im schulischen Setting durchgeführt werden können. Einige Beständigkeit der Maßnahmenwirkung erreicht werden
von ihnen, wie beispielsweise das Stresspräventionstraining (Lohaus und Domsch 2008).
SNAKE (Beyer und Lohaus 2018), wurden bereits benannt Die Einbindung von Schülern kann beispielsweise
(7 Exkurs „Stress nicht als Katastrophe erleben – SNAKE“). auch durch die schulübergreifende Implementierung eines
Der schulische Kontext wird gerne für solche Programme treitschlichter-Projekts (Jefferys-Duden 2008) erreicht
S
genutzt, da eine hohe Erreichbarkeit der Kinder und werden. Hierbei werden einige Schüler als Streitschlichter
Jugendlichen gewährleistet ist. Dies ist besonders bei eingesetzt, die bei Konflikten hinzugezogen werden
primärpräventiven Programmen sinnvoll. Neben der können. Einen zielgruppenübergreifenden Ansatz ver-
guten Erreichbarkeit ist zudem hervorzuheben, dass eine folgen auch Konzepte zur Reduktion von Aggression und
Implementierung im schulischen Setting mit Einbeziehung Gewalt in der Schule (7 Kap. 12). So umfasst das Gewaltprä-
von Lehrern vor allem auch Vorteile für die Nachhaltigkeit ventionsprogramm von Olweus (1991) Maßnahmen auf
eines Programms bringt. Interventionen können somit in a) der Schulebene,
den Schulalltag integriert werden, was sowohl den Transfer b) der Klassenebene und
als auch die zeitliche Generalisierung unterstützt. c) der individuellen Ebene.
440 A. Lohaus und H. Domsch
Auf der Schulebene werden beispielsweise Maßnah Maßnahmeneinsatz stattfindet, bevor überhaupt Probleme
menpakete zur Gewaltreduktion beschlossen, die alle Ebenen aufgetreten sind. So ist es nicht verwunderlich, dass sich
des Schulalltags umfassen können und an denen alle Akteure in Metaanalysen die mittleren Effektstärken primär-
im Schulbetrieb partizipieren. Auf der Klassenebene werden präventiver Programme auf einem deutlich niedrigeren
Regeln und Konsequenzen bei Nichtbeachtung verein- Niveau bewegten, als dies bei sekundärpräventiven
bart. Auch ein verstärkter Einsatz von kooperativen Lern- Programmen der Fall war (s. Pinquart und Silbereisen
methoden kann zu den Maßnahmen auf der Klassenebene 2004). Hinzu kommt, dass Follow-up-Erhebungen ver-
gehören. Auf der individuellen Ebene werden spezifische gleichsweise selten durchgeführt werden, sodass unklar ist,
Maßnahmen für Täter und Opfer von aggressiven Aktionen über welche Zeiträume gefundene Effekte stabil bleiben.
festgelegt (z. B. angemessene Strafen, Gespräche mit den Weiterhin werden in Evaluationsstudien häufig unter-
Eltern, Suche nach Unterstützungsmaßnahmen für die Opfer schiedliche Evaluationsmaße eingesetzt, wodurch die
von Gewalthandlungen etc.). Auch hier handelt es sich um Vergleichbarkeit stark eingeschränkt wird.
ein Schulentwicklungsprogramm, das jedoch stärker auf eine Dass die Wahl des Evaluationsmaßes einen entscheidenden
spezifische Problematik bezogen ist. Einfluss auf die Ergebnisse hat, wird schnell deutlich, wenn
man den Zugewinn an Wissen als Effektmaß betrachtet. Wenn
beispielsweise eine primärpräventive Maßnahme zu einem
18.3.3 Maßnahmen auf makrosozialen Themenbereich wie Depression oder Stress über mehrere
Ebenen Trainingssitzungen hinweg mit Kindern oder Jugendlichen
durchgeführt wird, wäre es eher verwunderlich, wenn kein
Durch den Aufbau gesundheitsförderlicher Netzwerke Wissenszuwachs einträte. Wenn dies als primäres Ergebnismaß
können auch Adressaten auf kommunaler Ebene einbezogen verwendet wird, ist es dementsprechend wahrscheinlich, dass
werden (wie Beratungseinrichtungen etc.). Zudem kann sich auch im primärpräventiven Bereich Programmeffekte
beispielsweise durch eine stärkere Stadtteilarbeit (Öffnung nachweisen lassen. Dies gilt insbesondere für universell aus-
der Schule im Nachmittagsbereich, gemeinsame Feste, gerichtete primärpräventive Programme, da hier der Nachweis
Aufführungen, Sprachkurse für Eltern etc.) die stadtteil- von Verhaltensänderungen voraussetzt, dass eine relevante
bezogene Einbindung einer Schule erhöht und so Schwer- Prävalenzrate von problematischen Verhaltensweisen vor dem
punkte wie die Förderung psychosozialer Kompetenzen Maßnahmeneinsatz existierte. Es überrascht daher nicht, dass
verfolgt werden. viele primärpräventive Maßnahmen eher auf vergleichsweise
Darüber hinaus sind unterschiedliche Ansätze unter Ein- „weiche“ Evaluationsmaße (wie Wissens- oder Einstellungs-
beziehung von Medien zu benennen. In Australien wurde änderungen) setzen, wobei unklar bleibt, inwieweit dadurch
beispielsweise im Rahmen des Triple-P-Ansatzes über das auch Veränderungen bei den angezielten Problemen erreicht
Fernsehen eine Erziehungskampagne ausgestrahlt (Sanders werden.
1999). Neben der Informationsweitergabe wurde damit auch Wünschenswert wäre es, die Effekte von primär-
das Ziel verfolgt, die Schwelle zur Teilnahme an Eltern- präventiven Maßnahmen über längere Zeiträume hinweg
trainings zu senken. Mittlerweile liefert auch das Internet zu betrachten, um so den Nachweis führen zu können,
eine Fülle an Informationen und bietet Beratungsangebote. dass dadurch problematisches Verhalten bis hin zu klinisch
Auf der einen Seite stellt sich dabei das Problem, dass die relevanten Störungen reduziert wird. Wenn sich belegen
Informationsquelle oftmals nicht eindeutig ist und auch ließe, dass durch frühzeitige primärpräventive Maßnahmen
falsche Informationen zu finden sind. Auf der anderen Seite längerfristig psychosoziale Probleme und die damit häufig
ergeben sich eine niedrigschwellige Informationsweitergabe verbundenen vergleichsweise teuren sekundärpräventiven
und die Möglichkeit zu einer anonymen Beratung. Dies Maßnahmen verhindert werden können, könnte die Bereit-
18 ist vor allem bei Themen, die von Jugendlichen als pein- schaft steigen, stärker in diesen Maßnahmenbereich zu
lich besetzt bewertet werden (z. B. Probleme in der Sexuali- investieren.
tät), von besonderem Vorteil. Schließlich finden sich im
Internet auch Lernmodule, die ein schrittweises Erarbeiten
eines Themenbereichs erlauben. Ein Beispiel hierfür stellt 18.5 Maßnahmen zur Optimierung von
das Internetmodul des Stresspräventionstrainings SNAKE Programmeffekten
(Beyer und Lohaus 2018; s. oben) dar.
Einen wichtigen Stellenwert bei der Optimierung von
Programmeffekten hat die Qualität der Implementation
18.4 Evaluation der Effekte von einer präventiven Maßnahme. Es ist sinnvoll, bei der
Programmen zur Förderung Implementation einer Maßnahme neben der summativen
psychosozialer Kompetenzen Evaluation der Programmeffekte auch eine formative
Evaluation vorzusehen, mit der die Implementations-
Ein zentrales Problem bei der Evaluation primär- qualität überwacht werden kann (z. B. durch Teilnehmer-
präventiver Maßnahmen ist darin zu sehen, dass es vielfach befragungen, Videoaufzeichnungen des Trainerverhaltens
schwierig ist, Programmeffekte nachzuweisen, wenn ein etc.). Vor allem, wenn eine kontinuierliche Überprüfung
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
441 18
der Prozessqualität stattfindet (durch Supervision etc.),
kann eine gleichbleibende Programmqualität gewährleistet auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die
werden. Aus den kontinuierlichen Prozessanalysen lassen Schulleistungen und letztendlich die psychische und
sich in der Regel auch Hinweise auf Verbesserungsmöglich- körperliche Gesundheit. Der Förderung psychosozialer
keiten ableiten. Kompetenzen kommt damit ein wichtiger Stellenwert
Des Weiteren ist der Frage nachzugehen, welche zu. Während in den USA durch große Programme wie
Merkmale erfolgreiche Programme aufweisen. Durlak z. B. das Head Start Programm (McKey et al. 1985) die
et al. (2010) benennen vier Eigenschaften, die Programme Diskussion und Forschung bezüglich einer frühen
zur Verbesserung sozialer Fähigkeiten erfüllen sollten: Förderung größere Ausmaße angenommen hat, werden
sequenziell, aktiv, fokussiert und explizit (SAFE). in Deutschland vergleichsweise kleinere Projekte
5 sequenziell: Programminhalte müssen schrittweise ver- durchgeführt. Wie das Kapitel aufzeigt, liegt auf der
mittelt werden und dabei aufeinander aufbauen. anderen Seite eine Vielzahl von universell, indiziert und
5 aktiv: Kinder und Jugendliche lernen besonders gut selektiv ausgerichteten präventiven Maßnahmen für
durch Ausprobieren und Handeln. Nach einem Input das Kindes- und Jugendalter vor, die sich entweder an
sollte daher immer auch die Möglichkeit des Aus- die Betroffenen selbst oder das soziale Umfeld richten.
probierens gegeben sein. Gerade beim Erlernen sozialer Zudem liegen im pädagogisch-psychologischen Bereich
Kompetenzen sind Rückmeldungen über das konkrete weitere Methoden und Maßnahmen vor, die sich in den
Verhalten und ggf. die Möglichkeit, durch erneutes Aus- Schulalltag integrieren lassen. Wünschenswert wäre,
probieren Erfolge zu sichern, besonders wichtig. dass einzelne Programme nicht punktuell und losgelöst
5 fokussiert: Den einzelnen Trainingsschritten muss aus- von anderen Maßnahmen durchgeführt werden,
reichend Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet werden – sondern die Förderung psychosozialer Kompetenzen
die Dosierung muss stimmen. beispielsweise als selbstverständlicher Bestandteil des
5 explizit: Die Ziele des Programms sollen möglichst gesamten schulischen Lernens angesehen und gelebt
genau formuliert und zudem transparent sein. Dies wird.
schafft Einigkeit und Transparenz bei allen Beteiligten,
welche Ziele durch die Maßnahme verfolgt werden.
? Verständnisfragen
Die Autoren weisen in einer Metaanalyse nach, dass 1. Welche Typen von Trainingsansätzen lassen sich
Programme mit diesen Merkmalen tendenziell höhere im Bereich sozialer Kompetenzen voneinander
Effektstärken aufweisen. unterscheiden?
Es lässt sich weiterhin konstatieren, dass es zur 2. Welches sind die Unterschiede zwischen
Optimierung von Programmeffekten sinnvoll ist, universellen, indizierten und selektiven
Einzelmaßnahmen in größeren Kontexten zu verankern, Präventionsmaßnahmen?
um dadurch die Effekte zu stabilisieren. Dazu können bei- 3. Wodurch ist gegründet, dass die Effektstärken bei
spielsweise Auffrischungssitzungen in gewissen Zeit- primärpräventiven Programmen häufig geringer sind
abständen gehören, um an zentrale Programmbotschaften als bei sekundärpräventiven Programmen?
zu erinnern. Dazu kann auch gehören, Einzelmaßnahmen 4. Welche Interventionsebenen lassen sich bei
in Kontexte wie Schulentwicklungsprojekte zu integrieren,
dem Triple P Programm als Elternprogramm
um dadurch einen größeren Einbindungskontext zu unterscheiden?
schaffen. So könnte beispielsweise ein Problemlöseansatz als 5. Wie könnte man vorgehen, wenn man die Moralent-
Bestandteil eines Stressbewältigungsprogramms vermittelt wicklung von Schülern fördern möchte?
werden, der danach dann in unterschiedlichen Unter-
richtskontexten wieder aufgegriffen wird (z. B. zur Lösung Vertiefende Literatur
mathematischer oder biologischer Problemstellungen). 5 Lohaus, A., & Domsch, H. (2009). Psychologische Förder- und
Zudem erweisen sich Trainingsansätze, die nicht nur die Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter.
Kinder und Jugendlichen selbst fokussieren, sondern auch Heidelberg: Springer.
ihre Bezugspersonen (Eltern, Lehrer, Peers) einbinden,
oftmals als erfolgswahrscheinlicher.
Literatur
Barrett, P. M., Webster, H., & Turner, C. (2003). Freunde für Kinder. Evertson, C. M., & Weinstein, C. S. (2006). Handbook of classroom
Gruppenleitermanual. München: Reinhardt. management: Research, practice, and contemporary issues. Mahwah:
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus. (2004). LiZA – Erlbaum.
Liebe in Zeiten von Aids. München. Fleischer, T., Grewe, N. Jötten, B., & Seifried, K. (2007). Handbuch Schul-
BDP. (2018). Versorgungszahlen 2018 – Schulpsychologinnen und psychologie. Psychologie für die Schule. Stuttgart: Kohlhammer.
Schulpsychologen. 7 https://www.bdp-schulpsychologie.de/ Franz, M. (2009). PALME – Präventives Elterntraining für alleinerziehende
aktuell/2018/180918_vergleichszahlen.pdf [Stand 10.01.2019]. Mütter geleitet von Erzieherinnen und Erziehern. Göttingen:
Beelmann, W. (2009). Tod, Trennung und Scheidung der Eltern. In Vandenhoeck & Ruprecht.
A. Lohaus & H. Domsch (Hrsg.), Psychologische Förder- und Inter- Frick, P. J. (1998). Conduct disorders and severe antisocial behavior. New
ventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter (S. 270–282). York: Plenum.
Heidelberg: Springer. Fridrici, M., & Lohaus, A. (2009). Stress prevention in secondary schools:
Beelmann, A., Pfingsten, U., & Lösel, F. (1994). Effects of training social Online versus face-to-face-training. Health Education, 109, 299–
competence in children: A meta-analysis of recent evaluation 313.
studies. Journal of Abnormal Child Psychology, 5, 265–275. Friedman, I. A. (1995). Student behaviour patterns contributing to
Beyer, A., & Lohaus, A. (2005). Stressbewältigung im Jugendalter. Ent- teacher burnout. Journal of Educational Research, 88, 281–289.
wicklung und Evaluation eines Präventionsprogramms. Psycho- Graziano, P. A., Reavis, R. D., Keane, S. P., & Calkins, S. (2007). The role of
logie in Erziehung und Unterricht, 52, 33–50. emotion regulation in children’s early academic success. Journal of
Beyer, A., & Lohaus, A. (2018). Stresspräventionstraining im Jugendalter School Psychology, 45, 3–19.
(2. überarbeitete Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Greenberg, M. T., Weissberg, R. P., O’Brien, M. U., Zins, J. E., Fredericks,
Blatt, M., & Kohlberg, L. (1975). The effect of classroom moral L., Resnik, H., et al. (2003). Enhancing school-based prevention and
discussion upon children’s level of moral judgment. Journal of youth development through coordinated social, emotional, and
Moral Education, 4, 129–161. academic learning. American Psychologist, 58, 466–474.
Bulotsky-Shearer, R., & Fantuzzo, J. (2004). Adjustment scales for Gumora, G., & Arsenio, W. F. (2002). Emotionality, emotion regulation
preschool intervention: Extendingvalidity and relevance across and school performance in middle school children. Journal of
multiple perspectives. Psychology in the Schools, 41, 725–736. School Psychology, 40, 395–413.
Cierpka, M. & Schick, A. (2014a). Faustlos – Kindergarten. Ein Curriculum Hampel, P., & Petermann, F. (2017). Cool bleiben – Stress vermeiden: Das
zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und zur Gewaltprä- Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim: Beltz.
vention. Göttingen: Hogrefe. Hanewinkel, R. (2007). “Be Smart – Don’t Start”. Ergebnisse des Nicht-
Cierpka, M. & Schick, A. (2014b). Faustlos – Grundschule. Ein Curriculum raucherwettbewerbs in Deutschland 1997–2007. Gesundheits-
zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und zur Gewaltprä- wesen, 69, 38–44.
vention. Göttingen: Hogrefe. Heinrichs, N., & Lohaus, A. (2011). Klinische Entwicklungspsychologie
Crick, N. R., & Dodge, K. A. (1994). A review and reformulation of kompakt: Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Wein-
social information-processing mechanisms in children’s social heim: Beltz.
adjustment. Psychological Bulletin, 115, 74–101. Hillenbrand, C. (2009). Schüler unter hohen Entwicklungsrisiken: Was
Cummings, E., & Davies, P. (1994). Maternal depression and child tun? Sonderpädagogische Förderung in NRW, 47, 6–19.
development. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 35, 73–112. Hinsch, R., & Pfingsten, U. (Hrsg.). (2015). Gruppentraining sozialer
Davis, H. (2003). Conceptualizing the role and influence of Kompetenzen (GSK). Weinheim: Beltz PVU.
student-teacher relationships on children’s social and cognitive Ihle, W., & Esser, G. (2002). Epidemiologie psychischer Störungen im
development. Educational Psychologist, 38, 207–234. Kindes- und Jugendalter: Prävalenz, Verlauf, Komorbidität und
Domsch, H. (2016). Aufmerksamkeit und Konzentrationsprobleme. In Geschlechtsunterschiede. Psychologische Rundschau, 53, 159–169.
K. Seifried, S. Drewes, & M. Hasselhorn (Hrsg.), Handbuch Schul- Jefferys-Duden, K. (2008). Das Streitschlichter-Programm (3. Aufl.).
psychologie (S. 185–196). Stuttgart: Kohlhammer. Weinheim: Beltz.
Döpfner, M., & Kinnen, C. (2009). Hyperkinetische Störung. In A. Lohaus Jerusalem, M., & Klein-Heßling, J. (2002). Soziale Kompetenz – Ent-
& H. Domsch (Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventions- wicklungstrends und Förderung in der Schule. Zeitschrift für
programme für das Kindes- und Jugendalter (S. 18–34). Heidelberg: Psychologie, 113, 164–175.
Springer. Jerusalem, M., & Meixner, S. (2009). Lebenskompetenzen. In A. Lohaus
Döpfner, M., Schürmann, S., & Fröhlich, J. (2013). Therapieprogramm für & H. Domsch (Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventions-
Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten, programme für das Kindes- und Jugendalter (S. 141–157). Heidel-
THOP (5. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union. berg: Springer.
18 Duckworth, A. L., & Seligman, E. P. (2005). Self-discipline outdoes IQ in
predicting academic performance of adolescents. Psychological
Junge, J., Neumer, S. P., Manz, R., & Margraf, J. (2002). Gesundheit und
Optimismus. GO! Trainingsprogramm für Jugendliche. Weinheim: Beltz.
Science, 16, 939–944. Jürgens, B., & Lübben, K. (2014). Gruppentraining sozialer Kompetenzen
DuPaul, G. J., & Eckert, T. L. (1997). The effects of school-based für Kinder und Jugendliche (GSK-KJ). Weinheim: Beltz.
interventions for attention deficit hyperactivity disorder: A Kazdin, A. E., Siegel, T. C., & Bass, D. (1992). Cognitive problem-solving
meta-analysis. School Psychology Review, 26, 5–27. skills training and parent management training in the treatment
DuPaul, J. A., & Stoner, G. (2015). ADHD in the schools: Assessment and of antisocial behavior in children. Journal of Clinical and Consulting
intervention strategies (3. Aufl.). New York: Guilford. Psychology, 60, 733–747.
Durlak, J. A., Weissberg, R. P., Dymnicki, A. B., Taylor, R. D., & Keller, G. (2011). Psychologie für den Schulalltag: Prävention und Erste
Schellinger, K. B. (2011). The impact of enhancing students’ social Hilfe. Bern: Huber.
and emotional learning: A meta-analysis of school-based universal Kienbaum, J. (2001). The socialization of compassionate behavior by
interventions. Child Development, 82, 405–432. child care teachers. Early Education and Development, 12, 139–153.
Durlak, J. A., Weissberg, R. P., & Pachan, M. (2010). A meta-analysis of Klein-Heßling, J., & Lohaus, A. (2012). Stresspräventionstraining für
after-school programs that seek to promote personal and social Kinder im Grundschulalter (3. überarb Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
skills in children and adolescents. American Journal of Community Kohlberg, L. (1995). Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt:
Psychology, 45, 294–309. Suhrkamp.
Eichholz, C., Niehammer, U., Wendt, B., & Lohaus, A. (1994). Medien- Krowatschek, D., Albrecht, S., & Krowatschek, G. (2017). Marburger
paket zur Sexualerziehung im Jugendalter. Göttingen: Verlag für Konzentrationstraining für Schulkinder (2. Aufl.). Dortmund:
Angewandte Psychologie. Borgmann.
Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter
443 18
Krowatschek, D., Krowatschek, G., Wingert, G., & Schmidt, C. (2016). Manual eines schulbasierten universalen Präventionsprogramms von
Das Marburger Konzentrationstraining für Jugendliche (2. Aufl.). Depression bei Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.
Dortmund: Borgmann. Remschmidt, H., & Mattejat, F. (1994). Kinder psychotischer Eltern.
Lind, G. (2015). Moral ist lehrbar – Wie man moralisch-demokratische Göttingen: Hogrefe.
Fähigkeiten fördern und damit Gewalt, Betrug und Macht mindern Remschmidt, H., & Walter, R. (1990). Psychische Auffälligkeiten bei Schul-
kann. Berlin: Logos. kindern. Eine epidemiologische Untersuchung. Göttingen: Hogrefe.
Lissmann, U., & Paetzold, B. (1982). Leistungsrückmeldung, Lernerfolg Röhrle, B., & Christiansen, H. (2009). Psychische Erkrankungen eines
und Lernmotivation. Weinheim: Beltz. Elternteils. In A. Lohaus & H. Domsch (Hrsg.), Psychologische
Lohaus, A. (1993). Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention im Förder- und Interventionsprogramme für das Kindes- und Jugendalter
Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe. (S. 259–269). Heidelberg: Springer.
Lohaus, A., & Domsch, H. (2008). Prävention und Gesundheits- Ryan, A., & Patrick, H. (2001). The classroom social environment and
förderung im Jugendalter. In F. Petermann & W. Schneider changes in adolescents’ motivation and engagement during
(Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie, Band C/V/7: Angewandte Ent- middle school. American Education Research Journal, 38, 437–460.
wicklungspsychologie (S. 607–634). Göttingen: Hogrefe. Sanders, M. R. (1999). Triple P-positive parenting program: Towards
Mattejat, F., & Lisofsky, B. (2013). Nicht von schlechten Eltern: Kinder an empirically validated multilevel parenting and family support
psychisch Kranker (4. Aufl.). Köln: Balance Buch + Medien. strategy for me prevention of behavior and emotional problems in
McKey, R. H., Condelli, L., Ganson, H., Barrett, B. J., McConkey, C., & children. Clinical Child and Family Psychology Review, 2, 71–90.
Plantz, M. C. (1985). The impact of head start on children, families Sanders, M. R., Markie-Dadds, C., & Turner, K. M. T. (2003). Theoretical,
and communities: Final report of the head start evaluation synthesis scientific and clinical foundations of the triple P-positive parenting
and utilization project. Washington, DC: CSR. program: A population approach to the promotion of parenting
Meichenbaum, D., & Goodman, J. (1971). Training impulsive children to competence. Parenting Research and Practice Monograph, 1, 1–21.
talk to themselves: A means of developing self-control. Journal of Scheewe, S., Warschburger, P., Clausen, K., Skusa-Freeman, B., & Peter-
Abnormal Psychology, 77, 115–129. mann, F. (2000). Neurodermitis-Verhaltenstrainings für Kinder,
Melfsen, S., & Warnke, A. (2009). Ängste. In A. Lohaus & H. Domsch Jugendliche und ihre Eltern. München: MMV-Quintessenz.
(Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Schläfli, A., Rest, J. R., & Thoma, S. J. (1985). Does moral education
Kindes- und Jugendalter (S. 48–59). Heidelberg: Springer. improve moral judgment? A meta-analysis of intervention studies
Minsel, W.-R., & Roth, S. (1978). Soziale Interaktion in der Schule. using the defining issues test. Review of Educational Research, 55,
München: Urban & Schwarzenberg. 319–352.
Mischo, C., & Rheinberg, F. (1995). Erziehungsziele von Lehrern und Silbereisen, R. K. (1997). Konsum von Alkohol und Drogen über die
individuelle Bezugsnormen der Leistungsbewertung. Zeitschrift für Lebensspanne. In R. Schwarzer (Hrsg.), Gesundheitspsychologie
Pädagogische Psychologie, 9, 139–152. (S. 189–208). Göttingen: Hogrefe.
Olweus, D. (1991). Bully / victim problems among schoolchildren: Silbereisen, R. K., & Weichold, K. (2014). Suchtprävention in der Schule:
Basic facts and effects of a school based intervention program. In Ipsy – Ein Lebenskompetenzprogramm für die Klassenstufen 5–7.
D. J. Pepler & K. H. Rubin (Hrsg.), The development and treatment of Göttingen: Hogrefe.
childhood aggression (S. 411–448). Hillsdale: Erlbaum. Spence, S. H. (2003). Social skills training with children and young
Parritz, R. H., & Troy, M. F. (2018). Disorders of childhood: Development people: Theory, evidence and practice. Child and Adolescent and
and psychopathology (3. Aufl.). Boston: Cengage. Mental Health, 8, 84–96.
Petermann, F., & Petermann, U. (2012). Training mit aggressiven Kindern Spence, S. H., Donovan, C., & Brechman-Toussaint, M. (2000). The treat-
(13. Aufl.). Weinheim: Beltz, Psychologie Verlags Union. ment of childhood social phobia: The effectiveness of a social
Petermann, U., & Petermann, F. (2015). Training mit sozial unsicheren skills training-based, cognitive-behavioural intervention, with and
Kindern. Weinheim: Beltz PVU. without parental involvement. Journal of Child Psychology and
Pfingsten, U. (2009). Soziale Kompetenzen. In A. Lohaus & H. Domsch Psychiatry and Allied Disciplines, 41, 713–726.
(Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Tausch, R., & Tausch, A.-M. (1973). Erziehungspsychologie. Göttingen:
Kindes- und Jugendalter (S. 158–174). Heidelberg: Springer. Hogrefe.
Pfingsten, U. (2015). Soziale Kompetenzen und Kompetenzprobleme. Theiling, S., Szczepanski, R., & Lob-Corzilius, T. (2011). Der „Luftiku(r)s“
In R. Hinsch & U. Pfingsten (Hrsg.), Gruppentraining sozialer für Kinder mit Asthma. Lengerich: Pabst.
Kompetenzen (S. 16–24). Weinheim: Beltz PVU. Vierhaus, M. (2009). Sexualität. In A. Lohaus & H. Domsch (Hrsg.),
Pinquart, M., & Silbereisen, R. K. (2004). Prävention und Gesundheits- Psychologische Förder- und Interventionsprogramme für das Kindes-
förderung im Jugendalter. In K. Hurrelmann, T. Klotz, & J. Haisch und Jugendalter (S. 200–211). Heidelberg: Springer.
(Hrsg.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (S. 63–71). Wagenbass, S. (2003). Wenn Eltern in ver-rückten Welten leben. Soziale
Bern: Huber. Psychiatrie, 3, 8–11.
Plück, J., Wieczorrek, E., Wolff Metternich, T., & Döpfner, M. (2006). Walden, K., Kröger, C., Kirmes, J., Reese, A., & Kutza, R. (2000). ALF –
Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten (PEP). Ein Allgemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten. Programm
Manual für Eltern- und Erziehergruppen. Göttingen: Hogrefe. für Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse mit Unterrichtsein-
Pössel, P., & Hautzinger, M. (2009). Depression. In A. Lohaus & H. heiten zu Nikotin und Alkohol. Baltmannweiler: Schneider Verlag
Domsch (Hrsg.), Psychologische Förder- und Interventionsprogramme Hohengehren.
für das Kindes- und Jugendalter (S. 37–47). Heidelberg: Springer. Wilms, H., & Wilms, E. (2004). Erwachsen werden. Life-Skills-Programm
Pössel, P., Horn, A. B., Seemann, S., & Hautzinger, M. (2004). Lust An für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. Handbuch für
Realistischer Sicht & Leichtigkeit im sozialen Alltag – LARS&LISA. Lehrerinnen und Lehrer. Wiesbaden: Lions Club International.
E1
Erratum zu:
Kapitel 10 in: E. Wild und J. Möller (Hrsg.),
Pädagogische Psychologie,
7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_10
445
Serviceteil
Glossar – 447
Stichwortverzeichnis – 455
Glossar
Karteikarten zum Trainieren der Glossarbegriffe und der englischen Beratung pädagogisch-psychologische (counseling, educational
Übersetzungen finden Sie auf der Website zum Lehrbuch unter psychological) Meist kurzfristige angelegte und prinzipiell freiwillige
7 http://www.lehrbuch-psychologie.springer.com. Beziehung, in der Berater vorwiegend mittels sprachlicher Interaktion
und unter Rückgriff auf pädagogisch-psychologisches Wissen ver-
Aktive Lernzeit (active learning time) Das Konzept der aktiven Lern- suchen, Personen oder Gruppen von Personen aus dem erzieherischen
zeit ist eng mit dem Konzept der Klassenführung verbunden. Um die in Feld in die Lage zu versetzen, ihr Problem zu lösen, um Entwicklungs-
formalen Lehr-Lehr-Settings anberaumte Zeit (z. B. eine Klassenstunde) prozesse zu optimieren.
möglichst vollständig für eine aktive Auseinandersetzung mit Lern-
inhalten nutzen zu können, müssen Lehrende vorausschauend handeln Bezugsgruppeneffekt (reference group effect) Big-Fish-Little-Pond-E
und durch die Organisation und Strukturierung des Unterrichts dafür ffekt
sorgen, dass die zur Verfügung stehende Lernzeit optimal genutzt wird.
Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Big-Fish-Little-Pond-Effect) Der BFLPE
Allgemeines pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge) Wissen beschreibt die negativen Auswirkungen der Leistungsstärke einer
über die Schaffung und Optimierung von Lehr-Lern-Situationen sowie Bezugsgruppe (z. B. Schulklasse) auf das Selbstkonzept einzelner
entwicklungspsychologisches und pädagogisch-psychologisches Schüler: Danach hat von zwei Schülern identischer Leistungsstärke mit
Grundwissen. einiger Wahrscheinlichkeit derjenige ein höheres Selbstkonzept, der sich
in der leistungsschwächeren Klasse befindet.
Angebots-Nutzungs-Modell (Model of the uptake of learning
opportunities) Dem Angebots-Nutzungs-Modell liegt die Auffassung Bildungssystem (educational system) Das Bildungssystem bezeichnet
zugrunde, dass Bildungsangebote Lerngelegenheiten darstellen, die das Gefüge aller schulischen Einrichtungen und Möglichkeiten des
von den Lernenden – in teilweise unterschiedlicher Weise – wahr- Erwerbs von Bildung in einem Staat. Es umfasst das Schulsystem als
genommen und genutzt wird. Das Modell drückt auch aus, dass den solches, seine angegliederten Bereiche, das Hochschulwesen und
Eingangsvoraussetzungen der Lerner (z. B. ihre Motivation, die die den Bereich der persönlichen Weiterbildung. Im Schulsystem werden
Wahrnehmung, Nutzung und Verarbeitung der Lernangebote durch die Qualifikationen erworben und bescheinigt, die für die berufliche Lauf-
Lernenden steuert) eine wichtige moderierende Funktion im Lehr- und bahn von Personen entscheidend sind. Es hat neben der Selektions-
Lernprozess zukommt. Neben schulischen Bildungsangeboten (Unter- funktion auch die Aufgabe, Chancengerechtigkeit herzustellen: Alle
richt), die im Zentrum des Modells stehen, berücksichtigt das Modell Mitglieder einer Gesellschaft sollen gerechte Bildungschancen erhalten
auch außerunterrichtliche und außerschulische Einflussfaktoren. unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft, ihrem
Geschlecht oder anderen Personenmerkmalen.
Appraisals (appraisals) Kognitive Bewertungsprozesse von
Anforderungssituationen, die unterschiedliche Emotionen hervorrufen Bindung Dieser Begriff bezieht sich zunächst auf die Interaktions-
und Handlungsweisen begründen. erfahrungen von Kindern in den ersten Lebensmonaten. Je nachdem,
wie prompt und feinfühlig (responsiv) die primären Bezugspersonen
Armut (poverty) Im engeren Sinne ist arm, wer nicht über genügend auf kindliche Signale reagieren, entwickelt sich eine sichere, unsichere,
Mittel zum physischen Überleben verfügt. Psychologisch entscheidend ambivalente oder diffuse Bindung. Aus bindungstheoretischer
und hierzulande relevant ist jedoch die relative ökonomische Sicht werden diese Beziehungserfahrungen als internale Arbeits-
Deprivation. Relative Armut bezieht sich auf die relative Einkommens- modelle gespeichert und prägen damit die Gestaltung nachfolgender
armut, auch relatives Armutsrisiko genannt, bei der das mittlere Ein- Beziehungen.
kommen einer betrachteten Gesellschaft die Referenzgröße darstellt.
Bullying (bullying) Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten
Basking in Reflected Glory (basking in reflected glory) „Sich im Glanze gefasst, bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt und über
anderer zu sonnen“ meint hier die Erhöhung des Selbstkonzepts durch einen längeren Zeitraum den schädigenden Handlungen von (einer
die Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken und prestigeträchtigen Gruppe von) Mitschülern ausgesetzt ist. Kennzeichnend ist dabei ein
Bezugsgruppe (z. B. Schulform). Ungleichgewicht der (physischen oder psychischen oder sozialen) Kräfte
von Täter/n und Opfer. Es werden in der Literatur drei Arten von Bullying
Beanspruchung (stress) Individuelle Reaktionen auf Belastungen; unterschieden: physisches, verbales und relationales Bullying.
unterschieden werden kann zwischen kurzfristigen Beanspruchungs-
reaktionen (z. B. positives/negatives Empfinden, verminderte Burnout (burnout) Der Begriff beschreibt ein psychologisches
Konzentration) und langfristigen Beanspruchungsfolgen (chronischer Syndrom, das meist in Folge langfristiger Beanspruchung auftritt. Es ist
Stress, Burnout). gekennzeichnet durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung
und ein Gefühl verminderter Leistungsfähigkeit.
Behavioristische Theorien (behaviorist learning theories) Waren
in den 1970er Jahren verbreitet und akzeptieren nur Aussagen über Chunking (chunking) Prozess des Bildens Bedeutung tragender
beobachtbares Verhalten als wissenschaftlich (Psychologie als Ver- Informationseinheiten im Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis, mit dessen
haltenswissenschaft). Intrapsychische (z. B. kognitive) Vorgänge werden Hilfe erklärt werden kann, weshalb Menschen trotz vergleichbarer
aus der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen. Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern können.
Belastungen (strain) Berufsbezogene und andere Umweltfaktoren, Clique (clique) Cliquen sind soziale Netzwerke, in die bestimmte
die auf eine Person einwirken. Unterschieden wird zwischen objektiven Personen eingebunden und von denen andere ausgeschlossen
Belastungen (wie z. B. Lärm als psychophysiologisch nachweisbare sind. Sie werden einerseits definiert über ihre Größe (typischerweise
Belastungsquelle) und subjektiven Belastungen (wie z. B. die individuelle 3–9 Personen) und andererseits darüber, dass ihre Mitglieder in der
Wahrnehmung und Interpretation von Arbeitsplatzbedingungen oder Regel untereinander befreundet sind.
finanziellen Härten).
448 Glossar
Cognitive-Load-Theorie (cognitive load theory) Betont vor allem die legende Sachverhalte (z. B. Prinzip des Unterdrucks) nicht präsentiert
Begrenztheit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses und begründet bekommen sondern sich selbst erarbeiten. Die Funktion des Lehrenden
instruktionale Maßnahmen (z. B. integrierte Darbietung von Bildern ist es, passende Materialien bereitzustellen und – je nach Ansatz – den
und Texten, Vorgabe von Lösungsbeispielen), durch die einerseits eine Entdeckungsprozess zu begleiten bzw. zu strukturieren.
unnötige Arbeitsgedächtnisbelastung minimiert und andererseits eine
fokussierte Informationsverarbeitung erleichtert wird. Epistemologische Überzeugungen (epistemological
beliefs) Subjektive Vorstellungen über die Beschaffenheit (d. h.
Constructivist View (constructivist view) Nach konstruktivistischem Objektivität, Richtigkeit oder Aussagekraft) von Wissen. Sie beeinflussen
Verständnis wird in der sozialen Interaktion zwischen Lernenden und Informationsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation und Lern-
Lehrenden geteiltes Wissen im gemeinsamen Diskurs mit Lehrenden leistung.
und Lernenden aufgebaut. Lernen ist demnach grundsätzlich als Ergeb-
nis von Ko-Konstruktionsprozessen zu verstehen, in deren Rahmen auch Erwartungseffekt (expectancy effect) Bezogen auf Unterrichtsprozesse
(implizite) Werte, Normen und Handlungsroutinen weitergegeben bzw. bezeichnet der Begriff ein Phänomen, bei dem eine Lehrkraft bestimmte
modifiziert werden. Überzeugungen über das Potenzial eines Schülers hat, und allein diese
Erwartungen dazu beitragen, dass sich der Schüler so verhält oder
Curriculares Wissen (curricular knowledge) Wissen über die in Lehr- Leistungen zeigt, wie die Lehrkraft es erwartet hat; vgl. Pygmalioneffekt.
plänen festgehaltene Anordnung von Inhalten und Lehrmaterialien.
Erwartungs-Wert-Modell (Expectancy-Value Model of
Deklaratives Wissen (declarative knowledge) Entspricht in etwa Motivation) Motivationspsychologisches Modell zur Erklärung
dem Begriff des „Faktenwissens“ im deutschen Sprachgebrauch – in leistungsbezogener Entscheidungsprozesse und Verhaltensweisen. Als
Abgrenzung zum Können (Beherrschung von Fertigkeiten), welches in zentrale Determinanten werden die subjektive Erfolgserwartung („Kann
der Psychologie als prozedurales Wissen bezeichnet wird. Deklaratives ich dieses Ziel erreichen?“) und der subjektive Wert des Handlungs-
Wissen kann sich auf „Wissen, dass“ über einzelne Fakten, aber auch ergebnisses („Ist mir das Ziel wichtig?“) angenommen.
über komplexe Zusammenhänge (z. B. Verständnis des Zusammenspiels
von ökologischen Faktoren) beziehen. Erziehung (education) Zielt auf eine Förderung der psychischen Ent-
wicklung Heranwachsender sowie die intergenerationale Transmission
Diagnostische Kompetenz (diagnostic competence) Hebt darauf von gesellschaftlich als relevant erachteten Wissensbeständen, Werten
ab, inwiefern Fachkräfte in der Lage sind, individuelle Lernstände (z. B. und Normen ab. Erziehungsziele und − praktiken variieren daher inter-
aktuelle Lesekompetenzen) und Lernvoraussetzungen (z. B. Wortschatz, kulturell und unterliegen historischen Wandlungsprozessen. Auch
Lesemotivation) korrekt (d. h. objektiv, reliabel und valide) einzu- wird in gängigen Definitionen der Selbsttätigkeit der zu Erziehenden
schätzen. Rechnung getragen, indem Erziehung immer nur als (absichtsvolles)
„Versuchshandeln“ charakterisiert wird.
Diagnostische Strategien (diagnostic strategies) Stellen je nach Frage-
stellung variierende methodische Vorgehensweisen im diagnostischen Erziehungsberatungsstellen (child guidance center) Die institutionelle
Prozess dar. Unterschieden wird zwischen Status- vs. Prozessdiagnostik; Erziehungsberatung obliegt dem achten Sozialgesetzbuch der Kinder-
normorientierte vs. kriteriumsorientierte Diagnostik und Modifikations- und Jugendhilfe. Es wird – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – meist
vs. Selektionsdiagnostik. von Erziehungsberatungsstellen in freier Trägerschaft (z. B. Diakonie,
AWO) geleistet. Um den vielfältigen Anlässen gerecht werden zu
Diagnostischer Prozess (diagnostic process) Begründete können, arbeiten in der Regel Fachkräfte mit unterschiedlicher
Zuschreibung eines Attributs oder einer Eigenschaft zu einer Expertise (z. B. Ärzte, Psychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter) im
bestimmten Beobachtungseinheit (z. B. einer Person, Gruppe oder Team zusammen (vgl. Interdisziplinarität). Die Inanspruchnahme der
Institution). Beratungsangebote ist grundsätzlich freiwillig und kostenlos.
Dimensionale Vergleiche (dimensional comparisons) Vergleiche der Explorations- und Neugierverhalten (exploring and inquisitive
Leistungsfähigkeit einer Person in einem Fach mit der Leistungsfähig- behavior) Kann sowohl bei Menschen als auch Tieren beobachtet
keit derselben Person in einem anderen Fach. werden und richtet sich auf die Erkundung neuer bzw. unbekannter
Umweltbereiche.
Effektstärke (effect size) Statistisches Maß, das aufzeigt, inwiefern
Unterschiede zwischen Populationen, Korrelationen, Prozentwert- Fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge) Wissen
differenzen o. Ä. nicht nur statistisch, sondern auch praktisch bedeut- darüber, wie fachliche Inhalte durch Instruktion vermittelt werden
sam sind. können.
Emotionale Intelligenz (emotional intelligence) Bezeichnet die Fähig- Fachwissen (content knowledge) Wissen über den zu unterrichtenden
keit, eigene Emotionen und die anderer wahrnehmen, verstehen und (Schul-)Stoff.
im Handlungsvollzug integrieren sowie eigene Emotionen sinnvoll
regulieren zu können. Familie (family) Gruppe von Menschen, die durch nahe und dauer-
hafte Beziehungen miteinander verbunden sind und (perspektivisch)
Emotionen (emotions) Mehrdimensionales Konstrukt, besteht aus einen erzieherischen/sozialisatorischen Kontext für die Entwicklung von
affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und motivationalen Kindern und Jugendlichen bereitstellt.
Komponenten.
Feedback (feedback) Rückmeldung, die den Lernenden über die
Emotionsregulation (emotion regulation) Zielgerichtete, bewusste Richtigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung im Anschluss
oder unbewusste Aktivitäten zur Aufrechterhaltung, Steigerung oder an eine bearbeitete Aufgabenstellung informiert oder die dem
Senkung der eigenen Emotionen oder der anderer Menschen. Lernenden inhaltliche und/oder strategische Informationen zu dessen
Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Rückmeldungen können
Entdeckendes Lernen (discovery learning) Hinter diesem didaktischen informativ sein (d. h. sachliche Informationen über Lücken und Ver-
Ansatz steht die Vorstellung, dass ein tieferes Verständnis erreicht und besserungsmöglichkeiten beinhalten) und Bewertungen enthalten,
das eigenständige Problemlösen gefördert wird, wenn Lernende grund- die je nach herangezogener Bezugsnorm (z. B. individuell vs. sozial)
449
Glossar
divergieren und damit auch in unterschiedlichem Maß motivierend sein mittagsbetreuung der Ganztagsschule) findet jedoch informelles Lernen
können. statt.
Flow (flow) Positives emotionales Erleben, wenn man in der Inhaltliche Klarheit (content clarity) Unterricht, in dem die inhaltlichen
Bearbeitung einer Aufgabe völlig aufgeht. Vertreter des Flow-Ansatzes Aspekte des Unterrichtsgegenstands sprachlich prägnant und verständ-
postulieren, dass Flow eine optimale Erlebensqualität darstellt, die lich, fachlich korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt und/oder ent-
Höchstleistungen begünstigt. wickelt werden. Dabei übernehmen variantenreiche Erklärungen und
Erläuterungen, die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unter-
Fremdwahrnehmungen (external perceptions) Einschätzungen schieden in Konzepten sowie die Verwendung und Verbindung unter-
anderer Personen (Eltern, Lehrer, Mitschüler) bezüglich der Eigen- schiedlicher Repräsentationsformen eine wichtige verständnisfördernde
schaften einer Person (eines Schülers, Elternteils etc.). Funktion.
Gruppe (group) Unter einer sozialen Gruppe versteht man zwei oder Intelligenz (intelligence) Fähigkeit eines Menschen zur Anpassung an
mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als auch von sich neuartige Bedingungen und zur Lösung neuer Probleme auf der Grund-
selbst als zu derselben Kategorie gehörig wahrgenommen werden: lage vorangehender Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext.
Die Mitglieder wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit (kognitive
Komponente) und dieses Wissen geht mit einer positiven oder Intelligenzforschung (intelligence research) Forschungsrichtung der
negativen Bewertung (evaluative Komponente) sowie positiven bzw. Psychologie, in der vor allem thematisiert wird, wie sich Personen rasch
negativen Gefühlen (emotionale Komponente) einher. mit neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fähigkeiten sie
bezüglich intellektueller Operationen wie Analysieren, Synthetisieren,
Handlungsphasenmodell (Rubicon Model of Action Phases) Hand- Generalisieren, Induzieren, Deduzieren, Abduzieren oder Abstrahieren
lungsphasenmodelle (wie das Rubikon-Modell von Heinz Heckhausen besitzen.
und Peter M. Gollwitzer) unterteilen eine Handlung in unterschiedliche
Phasen mit jeweils unterschiedlichen motivationalen und volitionalen Intelligenzmodelle (models of intelligence) Globale Intelligenz-
Prozessen. Meist wird zwischen (mindestens) einer Phase vor der Hand- modelle sehen Intelligenz als ganzheitliche und homogene Fähigkeit a.
lung (präaktional), während der Handlung (aktional) und nach der Hand- Hierarchische Intelligenzmodelle nehmen eine hierarchische Ordnung
lung (postaktional) unterschieden. von Intelligenzkomponenten an. Auf der obersten Ebene steht der
Generalfaktor „g“, der die allgemeine Intelligenz erfasst und in Teil-
Homophilie (homophily) Homophilie bezeichnet das Phänomen, komponenten aufgespaltet wird.
dass Kontakt zwischen ähnlichen Personen wahrscheinlicher ist als
Kontakt zwischen unähnlichen Personen. „Gruppenhomophilie“ Interdisziplinarität (interdisciplinarity) Bezeichnet die Bearbeitung
bedeutet, dass Mitglieder einer Gruppe einander ähnlicher sind als von Inhalten aus verschiedenen Disziplinen mit ihren je eigenen
Nicht-Gruppenmitglieder, „Freundschaftshomophilie“ bedeutet, dass theoretischen Perspektiven und forschungsmethodischen Zugängen.
Menschen auch ihre Freunde vorzugsweise unter solchen Personen Im Kinder- und Jugendhilfebereich ist das Grundprinzip der Zusammen-
wählen, die ihnen selbst auf relevanten Merkmalen ähnlich sind. arbeit zwischen den unterschiedlichsten fachlichen Richtungen unter
dem Begriff der „Komplexleistung“ im Sozialgesetzbuch (SGB IX) recht-
Hypermedia (hypermedia) Verschiedene Medien werden über analoge lich verankert.
oder elektronische Verknüpfungen miteinander in Beziehung gesetzt.
Intervention (intervention) Intervention (lat. dazwischentreten, sich
Hypertext (hypertext) Hierbei handelt es sich um Texte, die in nicht- einschalten) steht im Kontext der Pädagogischen Psychologie für das
linearer Form (meist über elektronische Verknüpfungen, sog. Hyperlinks) direkte Eingreifen in ein Geschehen, um ein unerwünschtes Phänomen
miteinander verbunden sind. zu beseitigen oder gar nicht erst entstehen zu lassen (z. B. Trainings-
interventionen).
I/E-Modell (Internal External Frame of Reference Model) Das
Internal-External-Frame-of-Reference-Modell beschreibt die Effekte Kanaltreue (channel loyalty) Bindung eines Medienrezipienten an ein
sozialer und dimensionaler Vergleiche auf fachbezogene Selbst- institutionalisiertes Informationsangebot wie z. B. eine Tageszeitung,
konzepte. einen Fernseh- oder Radiosender.
Implementation (implementation) Umsetzung von Prinzipien Klassenführung (classroom management) Unter dem Begriff der
oder Programmen in einen konkreten Kontext. Das Konzept der Klassenführung werden verschiedene Unterrichtsmerkmale gebündelt.
Implementation ist eng mit dem Transferbegriff verbunden. In der Zentral ist, dass Lernumgebungen so gestaltet werden, dass Lernen
Pädagogischen Psychologie ist wichtig, dass es sich dabei immer um störungsarm abläuft, die vorgegebene Lernzeit maximal ausgeschöpft
einen Transfer – beispielsweise von grundlagenwissenschaftlichen wird und die Lehrenden die Lernprozesse optimal begleiten und unter-
Erkenntnissen (Lern- oder Motivationstheorien) oder Trainings- stützen.
programmen – in einen Anwendungskontext wie z. B. schulischen
Unterricht handelt. Klumpenstichprobe (cluster sampling) Stichprobe, die aus mehreren
zufällig ausgewählten Teilmengen der Zielpopulation (z. B. mehrere
Informationsverarbeitungstheorie (information processing Schulen oder Schulklassen) besteht.
theory) Wissenschaftstheoretische Sichtweise, die (vor allem kognitive)
menschliche Prozesse als Informationsverarbeitungsprozesse inter- Kodalität (codality) Informationen können in unterschiedlicher
pretiert. Wichtige Gegenstandsbereiche sind die Repräsentation und Zeichenform repräsentiert werden, indem man analoge (z. B. Bilder,
Organisation von Wissen und Gedächtnis sowie die Prozesse, die sich lautmalerische Töne) oder abstrakte Zeichen (z. B. Buchstaben, Sprach-
auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden von Wissen beziehen. laute) verwendet.
Informelles Lernen (informal learning) Lernprozesse, die nicht Kognitive Aktivierung (cognitive activation) In Abgrenzung zu hand-
absichtlich herbeigeführt werden und vornehmlich außerhalb lungsorientierten Konzepten wird betont, dass der Wissenserwerb
formaler Bildungsinstitutionen (z. B. in der Familie) erfolgen. Auch in nicht von der sichtbaren Aktivität des Lerners (z. B. Experimentieren
institutionellen Bildungseinrichtungen (z. B. in der Pause, in der Nach- im Schülerlabor) abhängt sondern von dem Grad, indem er im Unter-
450 Glossar
richt zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bewertung eigener Tüchtigkeit vor dem Hintergrund des Gütemaßstabs
motiviert wird. Zur kognitiven Aktivierung der Lernenden kann die bildet den Anreiz der leistungsmotivierten Zielverfolgung.
Lehrperson beitragen, indem sie herausfordernde Aufgaben und Fragen
stellt, kognitive Widersprüche und Konflikte „provoziert“ und das Vor- Leistungszielorientierung (achievement goal
wissen und die Konzepte der Lernenden einbezieht. orientation) Motivationale Tendenz, eigene Stärken zu demonstrieren
bzw. eigene Schwächen zu verbergen. Das Leistungsverhalten wird vor-
Kompetenz (competence) Bereichsspezifische Fähigkeiten und nehmlich durch den Vergleich mit anderen bestimmt.
Fertigkeiten, Wissen und Strategien, die notwendig sind, um mit
Anforderungen eines Bereichs erfolgreich umgehen zu können. Bei Ver- Lernbegleitung (learning support) Die Qualität der Interaktion
gleichsstudien stehen Kompetenzen im Blickpunkt: Vergleichsstudien zwischen Lehrenden und Lernenden in der Begleitung, Unterstützung
erfassen bereichsspezifische Kompetenzen (z. B. Lesekompetenz) und und Rückmeldung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb einer
bereichsübergreifende Kompetenzen (z. B. Lernstrategien, Problem- Klassengemeinschaft sind Kennzeichen einer Lernbegleitung im Unter-
lösen). Aus den Antworten auf die Testfragen (Testleistung oder Per- richt. Ziel einer Lernbegleitung im Unterricht ist es, die Schüler zu einer
formanz) zu einem bestimmten Teilgebiet wird die Kompetenz in möglichst lang andauernden und intensiven Auseinandersetzung mit
diesem Bereich erschlossen. Lerninhalten anzuregen.
Kooperatives Lernen (cooperative learning) Bezeichnet die Lernen aus Lösungsbeispielen (learning from worked-out
Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen (einschließlich examples) Bezeichnet üblicherweise nicht (!) das Lernen mit Lösungs-
Tandems), um Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht (alleine) beispielen im traditionellen Unterricht oder in typischen Lehrbüchern.
die Qualität eines „Produktes“ oder einer Problemlösung im Vorder- Dort wird meist nach der Einführung eines Prinzips oder Gesetzes ein
grund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im Arbeitskontext, sondern das Beispiel gegeben, dann werden Aufgaben zum Bearbeiten präsentiert.
Lernen eines jeden Einzelnen. Beim Lernen aus Lösungsbeispielen wird die Phase des Beispielstudiums
verlängert, damit sichergestellt wird, dass die Lernenden ein Prinzip
Korrelation (correlation) Enge des Zusammenhangs zwischen oder Gesetz und dessen Anwendung verstanden haben, bevor sie selbst
Merkmalen. Dieser kann zwischen +1 (je mehr Merkmal A, desto mehr verständnisorientiert Aufgaben lösen. Komplexe Beispiele, bei denen
Merkmal B) und −1 (je mehr Merkmal A, desto weniger Merkmal B) eine Person aufzeigt, wie man ein Problem löst, werden meist Modelle
liegen. Unabhängig von deren Höhe dürfen Korrelationen nicht als genannt (Lernen von Modellen).
Kausalbeziehung interpretiert werden.
Lernen aus Texten (learning by text) Bei dieser Lernart wird den
Kovarianzanalyse (analysis of covariance) Die Kovarianzanalyse ist Lernenden schriftlicher und mündlicher Text dargeboten, den es
ein allgemeines lineares Modell mit einer kontinuierlichen abhängigen zunächst zu „verstehen“ gilt. Gelernt werden sollen dabei meist nicht
Variable und einem oder mehreren Prädiktoren. Sie ist eine Ver- der ganze Text in seinen einzelnen Aussagen, sondern die Kernaussagen
knüpfung von Varianzanalyse und Regressionsanalyse und prüft, des Textes und „naheliegende“ Schlussfolgerungen. Für das Lernen ist
ob Prädiktoren einen Effekt haben, wenn der Effekt einer Kovariate ein „Verstehen“ des Textes, im Vergleich z. B. zu einem oberflächlichen
kontrolliert wird. Auswendiglernen, ein günstige Bedingung. Für tiefes Verstehen muss
der Lernende sein Vorwissen mit der Textinformation in Verbindung
Kriteriale Vergleiche (criteria-based comparison) Vergleiche der bringen; dieser Prozess fördert auch die Speicherung im Langzeit-
eigenen Leistung mit einem vorliegenden Kriterium wie beispielsweise gedächtnis also Lernen.
Bildungsstandards, Kompetenzstufen oder Lehrplanvorgaben.
Lernen durch Tun (learning by doing) Diese Bezeichnung wird für
Kritische Lebensereignisse (critical life events) Hierunter werden im Detail ganz unterschiedliche Lernarrangements verwendet, die
außerordentliche Veränderungen im Leben von Personen verstanden aber alle gemeinsam haben, dass die Lernenden selbst Aufgaben
(wie Krankheit, Trennungen oder Arbeitslosigkeit), die stressbedingte bearbeiten bzw. Probleme lösen. Bisweilen ist diese Lernform durch
Langzeitfolgen hervorrufen können, sofern sie die (individuellen oder ein Versuch-Irrtum-Vorgehen gekennzeichnet; andererseits kann das
kollektiven) Bewältigungskapazitäten überschreiten. Kritische Lebens- Lernen durch Tun auch stark strukturiert und angeleitet sein, etwa
ereignisse werden von kumulativen „Mikrostressoren“ (daily hassles) in intelligenten tutoriellen Systemen, die die Lernaufgaben, Rück-
und normativen Entwicklungsaufgaben abgegrenzt. meldungen und Hilfen auf das spezifische Vorwissen des einzelnen
Lernenden abstimmen.
Kybernetik (cybernetics) Kybernetik (griech. Steuermannskunst) ist die
Wissenschaft von der Funktion komplexer Systeme, insbesondere der Lernen am Modell (observational learning) Beim Lernen von Modellen
Kommunikation und der Steuerung eines Regelkreises. (auch: Modelllernen) wird typischerweise eine Person beobachtet, die
ein exemplarisches Problem löst (Lernen aus Lösungsbeispielen). Die
Latente Variable (latent variable) Parameter in einem mathematischen Lernenden können dabei sehen, wie man beim Problemlösen sinn-
Modell, der nicht direkt beobachtet werden kann. Die latente Variable vollerweise vorgehen kann und wie Sackgassen und Schwierigkeiten
soll das infrage stehende psychologische Konstrukt repräsentieren – der überwunden werden können. Das „Modell-Lernen“ gilt als ein zentraler
Grad der Ausprägung wird anhand empirischer Daten geschätzt. Mechanismus für Sozialisationsprozesse (Kinder lernen am Modell
ihrer Eltern) und wurde in instruktionspsychologischen Ansätzen (z. B.
Lehrerüberzeugungen (teacher beliefs) Vorstellungen und Annahmen cognitive apprenticeship) systematisch zu nutzen versucht; häufig
von Lehrkräften über schul- und unterrichtsbezogene Phänomene und wird hiermit auch die Wirkung von Medien (z. B. aggressionsfördernde
Prozesse mit einer bewertenden Komponente. Wirkung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen) zu erklären versucht.
Leistungsmotiv (achievement motive) Zeitlich stabile Wertungs- und Lernstandserhebungen (measuring pupil achievements) Über-
Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich. Leistungsmotiviertes prüfen Lernergebnisse im Hinblick auf Standards, wie sie in den
Verhalten ist gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung mit einem länderübergreifenden Bildungsstandards bzw. den daran gekoppelten
als verbindlich erachteten Gütemaßstab. Leistungsmotiviertes Verhalten Anforderungen/Kerncurricula der Länder formuliert werden. Sie zielen
(z. B. etwas besonders gut machen wollen, etwas besser als andere darauf ab, nach vorgegebenen Aufgaben und Beurteilungsmaßstäben
machen wollen etc.) kann somit gelingen oder scheitern. Die Selbst- Aussagen über die zu fest definierten Zeitpunkten erreichten Lern-
451
Glossar
ergebnisse von Schülern und damit über erreichte Kompetenzniveaus Normative Entwicklungsaufgaben (normative developing
machen zu können. tasks) Beschreiben Anforderungen, die erwartbar in verschiedenen
Phasen der kindlichen Entwicklung auftreten (z. B. Identitätsfindung in
Lernstrategie (learning strategy) Handlungsplan zur Steuerung des der Adoleszenz) und bei unzureichender Bewältigung die Bearbeitung
eigenen Lernens. Weit verbreitet ist die Differenzierung in kognitive, nachfolgender Entwicklungsaufgaben beeinträchtigen können.
metakognitive und ressourcenbezogene Lernstrategien. Familienentwicklungsaufgaben bezeichnen analog die in verschiedenen
Phasen des Familienzyklus auftretenden, das ganze Familiensystem
Lerntagebücher (learning diaries) Standardisierte, strukturierte betreffenden Anforderungen.
Beobachtungsleitfäden, die die Aufmerksamkeit des Lerners mittels
offener und geschlossener Fragen auf wesentliche Aspekte des Lern- Objektivität (objectivity) Wesentliches Gütekriterium zur Beurteilung
prozesses lenken. Zur systematischen Beobachtung und Dokumentation diagnostischer Verfahren; bezeichnet den Grad, in dem Testergebnisse
von Lernverhalten haben sich neben standardisierten Lerntagebüchern unabhängig von der Durchführung, Auswertung und Interpretation
auch Portfolios und Lernprotokolle etabliert. sind.
Medialität (mediality) Art und Weise, mit der eine Information Online (online) Wissenserwerb kann online (Rezipienten sind aktuell
repräsentiert wird (z. B. als gedruckter Text, Audiofile, Bild, Film etc.). über das Internet verbunden) oder offline erfolgen (z. B. können sich
Studierende eine aufgezeichnete Vorlesung anhören, wann immer sie
Mediator (mediator variable) Mediatorvariablen vermitteln den Ein- dies tun wollen).
fluss einer Variablen auf eine andere Variable. Beispielsweise mediieren
unterschiedliche Freizeitinteressen die Effekte des Geschlechts auf die Ontogenese (ontogenetics) Entwicklung des Menschen von der
Lesekompetenz. Geburt bis ins hohe Alter.
Medien (media) Vermittler von Zeichen (z. B. Sprachlaute, Buch- Optimalklassen (optimal class size) Schulklassen, die sich im Vergleich
staben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder Objekten mit dem Ziel der zu anderen Klassen in verschiedenen Dimensionen positiv entwickelt
Informationsübertragung. haben, also z. B. eine durchschnittlich besonders positive kognitive und
motivationale Entwicklung zu verzeichnen haben.
Metaanalyse (meta-analysis) Eine Metaanalyse fasst verschiedenen
Untersuchungen zu einem wissenschaftlichen Forschungsgebiet Peer group (peer group) Unter einer sozialen Gruppe versteht man
zusammen. Durch die Zusammenfassung und systematische Ana- zwei oder mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als auch
lyse der im Forschungsgebiet vorhandenen, inhaltlich homogenen, von sich selbst als zu derselben Kategorie gehörig wahrgenommen
empirischen Einzelergebnisse, soll die übergreifende Effektgröße in werden: Die Mitglieder wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit
Bezug auf den Forschungsgegenstand (z. B. Wirksamkeit von Inter- (kognitive Komponente) und dieses Wissen geht mit einer positiven
ventionen zur Selbstregulation) geschätzt werden. oder negativen Bewertung (evaluative Komponente) sowie positiven
bzw. negativen Gefühlen (emotionale Komponente) einher. Bereits im
Metakognitives Wissen (meta-cognitive knowledge) Bezieht sich Kindesalter (z. B. in der Kita, der Schule) formieren sich Gruppen von (z.
auf das „Wissen über Wissen“ bzw. über eng mit Wissen verbundene B. gleichgeschlechtlichen) Gleichaltrigen. Im Jugendalter spielen peer
Phänomene. Dabei wird die Grenzziehung von Kognition und Meta- groups eine zentrale Rolle für die Identitätsentwicklung.
kognition von verschiedenen Autoren unterschiedlich vorgenommen.
Manche Autoren bezeichnen es z. B. als Metakognition, wenn Peerstatus (peer status) Der Peerstatus eines Kindes wird daraus
Lernende einen Problemlöseschritt, den sie vornehmen, mit einer errechnet, wie häufig bei soziometrischen Verfahren andere Kinder
Gesetzmäßigkeit (z. B. aus der Physik) begründen. Die Begründung angeben, dieses Kind zu mögen und mit ihm zusammen arbeiten
wird als Metastatement über eine eigene Aktion (prozedurales oder spielen zu wollen. Dieser Index bildet das Ansehen eines einzel-
Wissen) gesehen. Andere sehen diese Art der Begründungen als nen Kindes innerhalb der Klasse ab. Dabei werden zwei verschiedene
Selbsterklärungen an, die in einem Fachgebiet Verbindung zwischen Dimensionen berücksichtigt: die soziale Präferenz (social preference)
Prinzipien und Lösungsverfahren herstellen, sodass ihnen kein meta- und die soziale Beachtung (social impact) eines Kindes. Die soziale
kognitiver Status zugesprochen wird. Der Kern von Metakognition, und Präferenz leitet sich aus der Differenz zwischen der Anzahl der positiven
da besteht Einigkeit, bezieht sich aber auf das Wissen um Strategien-, und negativen Stimmen, die ein Kind erhalten hat, ab und beschreibt,
Aufgaben- und Personmerkmale sowie die Regulation der eigenen wie sehr ein Kind von den Gruppenmitgliedern gemocht wird. Die
Kognition. soziale Beachtung ergibt sich aus der Summe der positiven und
negativen Nennungen und bildet damit ab, wie stark ein Kind von den
Microteaching (microteaching) Eine Methode des Unterrichtstrainings Klassenkameraden wahrgenommen wird.
in der Lehreraus- und -fortbildung, bei der angemessenes Lehrerver-
halten systematisch eingeübt werden soll. Phylogenese (phylogenetics) Entstehung bzw. Entwicklung des
Menschen (und aller anderen Lebewesen) im Laufe der Evolution.
Modalität (modality) Hebt auf die Sinneskanäle ab, über die
Informationen aufgenommen werden (z. B. visuell vs. auditiv). Wird eine Piktogramme (pictogram) Sie benutzen meist vereinfachte bildhafte
Information (z. B. Tonfilm) über mehrere Sinneskanäle (hier: visuell und Darstellungen des darzustellenden Gegenstandes oder Sachverhaltes
akustisch) rezipiert, spricht man von einer multimodalen Informations- zur Informationsvermittlung.
verarbeitung.
Praktische Intelligenz (tacit knowledge) Fähigkeit, mit realen
Multimedia (multimedia) Der Begriff Multimedia ist nicht einheit- Problemen erfolgreich umzugehen.
lich definiert. Heute bezeichnet er normalerweise integrierte, inter-
aktive, digitale Informationsressourcen, in denen unterschiedliche Prävention (prevention) Als Prävention werden Maßnahmen
Medien (Multimedialität) in unterschiedlichen Kodierungsformen zusammengefasst, die der Vermeidung physischer oder psychischer
(Multikodalität) miteinander verknüpft sind. Die multimedialen Probleme dienen. Primärpräventive Maßnahmen werden eingesetzt,
Informationsressourcen müssen dabei in der Regel über verschiedene bevor Probleme eingetreten sind, während sekundärpräventive
Sinneskanäle (Multimodalität) durch die Rezipienten verarbeitet Maßnahmen mit einer korrektiven Zielsetzung eingesetzt werden, wenn
werden. bereits erste Probleme erkennbar sind, um eine weitere Stabilisierung
452 Glossar
oder Ausweitung zu vermeiden. Bei der tertiären Prävention geht es Ressourcen (resources) Ressourcen (franz. Mittel, Quelle) ermög-
darum, mögliche Folgeprobleme einzudämmen, die aus bereits ent- lichen die Realisierung von Handlungen oder Vorhaben. Hierzu zählen
standen Problemen erwachsen können. materielle oder immaterielle Mittel wir Betriebsmittel, Geldmittel,
Boden, Rohstoffe, Energie oder Personen. Im Rahmen der Selbst-
Projektive Verfahren (projective tests) Verfahren, bei denen mehr- regulation werden interne (z. B. Fähigkeiten, Konzentration, Selbst-
deutiges bzw. auslegungsfähiges Bildmaterial (z. B. Tintenkleckse, wirksamkeit) von externen Ressourcen (z. B. Lernumgebung, Literatur,
Zeichnungen von motivrelevanten Situationen) von den Probanden zu kollegiales Lernen) unterschieden.
interpretieren ist. Es wird angenommen, dass Einstellungen, Motive und
Persönlichkeitsmerkmale sich in diesen Interpretationen äußern bzw. Schema (schema) Kognitive Struktur, mit der Informationen inter-
auf das Bildmaterial „projiziert“ werden. Projektive Tests sind weniger pretiert und organisiert werden. Es resultiert aus Erfahrungen in wieder-
anfällig für gezielte Selbstdarstellungen als Fragebogen, aber auch holt vorkommenden (Problem-)Situationstypen (z. B. Probleme zur
weniger objektiv und reliabel. Berechnung der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens von
unabhängigen Ereignissen), die in abstrahierter Weise repräsentiert
Prozedurales Wissen (procedural knowledge) Entspricht in etwa dem werden. Ein Schema ist eine skelettartige Wissensstruktur, die mit den
Begriff des Könnens im deutschen Sprachgebrauch – in Abgrenzung zu Spezifika einer aktuellen Problemsituation angereichert wird (z. B. wird
(deklarativem) Wissen. Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, wie“, der Multiplikationssatz für unabhängige Ereignisse mit den konkreten
z. B., wie man bestimmte Aufgaben aus der Mathematik oder Physik Zahlen ausgefüllt und auf die konkreten Ereignisse bezogen). In einem
ausrechnet oder auch wie man eine bestimmte Maltechnik zum Einsatz Schema können deklaratives und prozedurales Wissen integriert
bringt (z. B. im Kunstunterricht). werden.
Prozessdiagnostik (process diagnostics) Im Zentrum steht die Schulentwicklung (school development) Systemischer und
Erfassung von Veränderungen (z. B. in Einstellungen oder Verhaltens- systematischer Prozess, in dem alle Beteiligten für die Schule vor Ort
weisen) über mehrere Zeitpunkte hinweg. gemeinsam Ziele aufstellen und versuchen, sie umzusetzen und zu
evaluieren mit dem Ziel, die Qualität der Schule zu verbessern. Schul-
Prüfungsangst (test anxiety) Unlustvolles emotionales Erleben von entwicklung ist kein eng umrissenes Projekt, sondern ein zielgerichteter
Aufgeregtheit, Nervosität und Unsicherheit vor und während Prüfungen Veränderungsprozess. Schulentwicklung realisiert sich in den Auf-
und ähnlichen Bewertungssituationen. Es wird typischerweise zwischen gabenbereichen Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung und
der „Worry-Komponente“ und der „Emotionality-Komponente“ von Organisationsentwicklung.
Prüfungsangst unterschieden.
Schulpsychologische Dienste (school counseling services) Sollen
Psychosoziale Risiken (psychosocial risks) Entwicklungsgefährdende die Arbeit von Bildungseinrichtungen durch psychologische Theorien,
Umweltbedingungen überwiegend im familiären Bereich, die die Erkenntnisse und Methoden in ihrem Entwicklungs-, Veränderungs-
Befriedigung grundlegender physischer und psychischer Bedürfnisse und Anpassungsprozess unterstützen. Schulpsychologische Beratung
verhindern. Hierunter fallen vor allem deprivierende Lebensumstände, kann sich an Einzelpersonen (Schüler, Lehrer, Eltern), Gruppen (Klassen,
psychische Erkrankungen mindestens eines Elternteils und Armut. Das Lehrergruppen, Elterngruppen) sowie die ganze Schule oder Schulnetz-
Risiko für eine ungünstige Entwicklung der Kinder steigt, je schwer- werke richten.
wiegender die Unterversorgungen ausfallen.
Selbsterklärungen (self-explanation) Erklärungen, die zum einen von
Pygmalioneffekt (pygmalion effects) Speziell auf die Interaktion einem Lernenden selbst generiert werden und die er zum anderen auch
zwischen Lehrern und Schülern bezogene Form der sich selbst primär an sich selbst richtet. Sie enthalten Information, die nicht direkt
erfüllenden Prophezeiung, bei der sich die Leistungen der Schüler ent- im Lernmaterial enthalten ist. Typisch dafür wäre ein Lernender, der sich
sprechend der Lehrererwartungen entwickeln; vgl. Erwartungseffekt. den Sinn eines Lösungsschritts (z. B. in Hinblick auf das Zwischenziel,
das damit erreicht wird) bewusst macht oder von den Spezifika einer
Randomisierung (randomization) Zufallsauswahl; bei der Zusammen- Problemstellung die strukturellen Merkmale abstrahiert, die für die Wahl
stellung von Stichproben werden Personen zufällig ausgewählt bzw. des korrekten Lösungswegs von Bedeutung sind.
auf verschiedene Untersuchungsgruppen aufgeteilt, sodass jedes
Individuum exakt die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, in eine Gruppe Selbstkonzept (self-concept) Einschätzung der eigenen Person; in der
aufgenommen zu werden. Pädagogischen Psychologie häufig als schulisches oder fachspezifisches
Selbstkonzept untersucht.
Reaktivität (reactivity) Maß zur Beschreibung von Reaktionen. In
der Sozialforschung unterscheidet man reaktive (z. B. teilnehmende Selbstwertgefühl (self-esteem) Gesamtheit der affektiven Ein-
Beobachtung) von nichtreaktiven (z. B. verdeckte Beobachtung) Ver- stellungen einer Person zu sich selbst.
fahren und meint damit das Ausmaß der Veränderung des zu unter-
suchenden Gegenstandes durch das angewendete Verfahren. Selbstwirksamkeitsüberzeugung (self efficacy) geht zurück auf Albert
Bandura. Konkrete Erwartung, dass eine Aufgabe oder Herausforderung
Regression zur Mitte (regression towards the mean) Phänomen, bei aus eigener Kraft trotz Hindernissen erfolgreich bewältigt werden kann.
dem extreme (weit vom Mittelwert abweichende) Ausprägungen einer
unabhängigen Variablen mit weniger extremen Ausprägungen (d. h. Self-Enhancement-Ansatz (self enhancement approach) Das zentrale
weniger vom Mittelwert abweichend) in der abhängigen Variablen Postulat lautet, dass günstige Selbstkonzepte zu einer positiven
einhergehen. Beispielsweise sind Kinder besonders hoch gewachsener Leistungsentwicklung beitragen.
Eltern im Mittel im Vergleich zu ihren Eltern kleiner.
Skill-Developement-Ansatz (skill development approach) Das
Reliabilität (reliability) Wesentliches Gütekriterium zur Beurteilung zentrale Postulat lautet, dass hohe Leistungen zu einer positiven Selbst-
diagnostischer Verfahren; gibt die Zuverlässigkeit eines Tests an. konzeptentwicklung beitragen.
Klassische Formen der Reliabilitätsermittlung beruhen im Wesentlichen
auf der Untersuchung der Stabilität einer Rangreihe von Personen über Sozial abweichendes Verhalten (deviance) Mit dem Begriff des
Itemstichproben oder Messzeitpunkte. sozial abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen wird
hervorgehoben, dass klinisch relevante „Verhaltensstörungen“ weder
453
Glossar
genetisch oder biologisch begründet sein müssen und der Grad der Strukturiertheit des Unterrichts (structured instruction) Strukturiert-
„Abweichung“ letztlich auf sozialen Konventionen beruht. In der heit des Unterrichts meint zum einen eine klare erkennbare Gliederung
aktuellen Literatur werden darunter meist aggressive, oppositionelle, des Unterrichts in einzelne Phasen und Abschnitte. Zum zweiten wird
gewalttätige, delinquente und kriminelle Verhaltensweisen gefasst. Um Strukturiertheit häufig als Konsistenz von Regeln, Erwartungen und
eine klinisch relevante Störung des Sozialverhaltens diagnostizieren zu Grenzen begriffen und drückt sich somit in einer effektiven Unterrichts-
können, gilt es Anzahl, Intensität und Dauer der Verhaltensprobleme und Klassenführung aus. Zum dritten wird der Begriff Strukturiert-
sowie damit einhergehende Beeinträchtigungen der kindlichen Ent- heit von Unterricht häufig kognitionspsychologisch verwendet, um
wicklung zu berücksichtigen. Eine sehr ungünstige Entwicklungs- Maßnahmen und Handlungen zu beschreiben, die der Verknüpfung des
prognose haben Kinder, bei denen Störungen sehr früh, sehr massiv und Vorwissens der Lernenden mit neuen Wissenselementen und einem
in vielfältigen Lebensbereichen auftreten. geordneten Aufbau von Wissen dienen (z. B. advanced organizer).
Soziale Kompetenz (social competence) Soziale Kompetenz bezieht Stressprävention (stress preventing) Bei der Stressprävention geht es
sich auf die Verfügbarkeit und Anwendung von Fertigkeiten, die es dem darum, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen, die sich einem
Handelnden ermöglichen, soziale Situationen zielführend und bedürf- Individuum stellen, und den Bewältigungsressourcen, die zum Umgang
nisgerecht zu bewältigen. Sie umfasst Fertigkeiten auf den Ebenen mit den Anforderungen vorhanden sind, herzustellen. In Stressprä-
Kognition, Emotion und Verhalten. ventionsprogrammen wird typischerweise ein multimethodaler Zugang
zur Stressprävention genutzt, der neben verhaltensorientierten auch
Soziale Vergleiche (social comparisons) Vergleiche der eigenen verhältnisorientierte Maßnahmen umfasst. Verhaltensorientierte
Leistung mit der Leistung anderer (z. B. der Mitschüler). Maßnahmen richten sich auf eine Verbesserung der individuellen Stress-
bewältigungskompetenzen, während verhältnisorientierte Maßnahmen
Sozialisation (socialisation) Wird zu analytischen Zwecken meist von an der Verbesserung der Lebensverhältnisse bzw. der Lebenssituation
Erziehung abgegrenzt, indem der Begriff auf Einstellungs- und Ver- ansetzen, um dadurch Stress zu reduzieren.
haltensänderungen abhebt, die auf das Lebensumfeld und die hier
stattfindenden Interaktionen mit relevanten Bezugspersonen zurück- Systemmonitoring (system monitoring) Zielt auf Informationen über
zuführen sind, obwohl diese keiner bewussten pädagogischen Absicht Organisationen (z. B. Bildungssysteme) ab. Dies impliziert eine stich-
folgen. Dennoch (oder gerade deshalb) können Sozialisationsprozesse probenbasierte Erhebung von Schülerleistungen zur Feststellung der
die Veränderung oder Stabilisierung von Personmerkmalen während Leistungsfähigkeit von Schulsystemen.
verschiedener Ausschnitte der Lebensspanne erheblich beeinflussen.
Temporale Vergleiche (temporal comparisons) Vergleiche der
Stage-Environment-Fit-Theorie (Stage-Environment Fit Theory) Diese eigenen aktuellen Leistung mit vorherigen Leistungen.
Theorie geht von der Erkenntnis aus, dass bestimmte Lern- bzw.
Erziehungsumwelten nicht generell für eine Person günstig oder Test (test) Verfahren zur Untersuchung eines empirisch abgrenz-
ungünstig sind, sondern dass die Passung mit einer Umwelt von der baren Merkmals (z. B. der Kompetenz) mit dem Ziel einer quantitativen
jeweiligen Entwicklungsphase („stage of development“) der Person Aussage über den relativen Grad der individuellen Ausprägung des
abhängt. Merkmals. Die Antworten der Person auf bestimmte Testaufgaben
dienen als Indikator für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch
Statusdiagnostik (status assessment) Im Zentrum steht die Fest- außerhalb der Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder ein
stellung der relativen Ausprägung eines interessierenden Konstrukts vergleichbares Problem lösen zu können. Aus der Testleistung eines
(z. B. Intelligenz) zu einem gegebenen Zeitpunkt. Zentral ist die Schülers wird also auf das Potenzial bzw. die Kompetenz der Person
Annahme, dass für das interessierende Konstrukt von einer relativen geschlossen.
(situations- und zeitüberdauernden) Stabilität auszugehen ist.
Training (training) Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
Stichprobe (sample) Um den Aufwand von Untersuchungen mit Tests begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter Ausübung von
zu reduzieren und dennoch repräsentative Aussagen treffen zu können, Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird, Fertigkeiten und Fähigkeiten
werden Stichproben von Personen gezogen. Um eine Stichprobe ziehen aufzubauen oder zu verbessern. Es gibt pädagogisch-psychologische
zu können, muss man zunächst die Population definieren, über die die Trainings für kognitive, motivationale, selbstregulative, soziale und
Stichprobe etwas aussagen soll. Kann man die Stichproben nicht durch emotionale Funktionsbereiche. Trainings können zur allgemeinen
eine völlig zufällige Auswahl treffen, muss entschieden werden, nach Förderung, zur Prävention, zur Rehabilitation und zur Behebung von
welchen Gesichtspunkten eine Stichprobenziehung optimiert wird. Defiziten eingesetzt werden.
In Vergleichsstudien werden häufig komplexe Stichproben gezogen,
d. h., dass verschiedene Arten der Stichprobenziehung miteinander Transfer (transfer) Transfer (lat. hinüberbringen) oder Lerntransfer
kombiniert werden müssen (z. B. die Ziehung einer Stichprobe von bezeichnet in der Pädagogischen Psychologie die Übertragung von
Schulen mit einer Ziehung von Schülern in den Schulen. durch Lernen erworbenes Wissen über konkrete Gegenstände oder
Zusammenhänge auf mehr oder weniger ähnliche (naher vs. weiter
Strategien (strategies) Allgemein versteht man unter Strategien das Transfer) Phänomene oder Anwendungsbereiche, indem diese ver-
planvolle Anstreben eines Ziels. Im Zusammenhang mit Lernverhalten allgemeinert oder abstrahiert werden.
spricht man entsprechend von Lernstrategien und bezeichnet damit
Verhaltensweisen und Gedanken, die Lernende aktivieren, um Prozesse Transmission View (transmission view) Lerntheoretische Über-
des Wissenserwerbs und ihre Motivation zu steuern. Durch den Einsatz zeugung im Sinne des Informationsverarbeitungsansatzes, wonach eine
von Lernstrategien können Lernende mithin ihr eigenes Lernen selbst fest umschriebene Menge an Informationen von der Lehrkraft effektiv
beeinflussen. an die Schüler „weitergegeben“ wird.
Stress (stress) Zustand der „Alarmbereitschaft“ eines Organismus, der Üben (practice) Zumeist eine Form des Lernens durch Tun, bei der
sich auf erhöhte Leistungsanforderungen einstellt, wenn die eigenen nicht die Erarbeitung von neuem Stoff angestrebt wird, sondern die
Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Anforderungen in der Umwelt Festigung und Automatisierung. Gegebenenfalls kann dabei noch
übertroffen bzw. in Frage gestellt werden. eine Feinabstimmung des Wissens erfolgen, etwa indem noch kleinere
Fehler korrigiert, Wissenslücken geschlossen oder die Auswahl jeweils
454 Glossar
effizienter Lösungsvarianten für verschiedene Problemtypen (Transfer!) WHO (World Health Organisation) Die Weltgesundheitsorganisation
optimiert werden. (World Health Organisation) ist Koordinationsbehörde der Vereinten
Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen. Eine
Unterricht (lesson) Abfolge von Lehr- und Lernsituationen, die von zentrale Aufgabe der WHO stellt die Entwicklung und weltweite Durch-
ausgebildeten Lehrpersonen in institutionalisierten Kontexten (Schule, setzung von Leitlinien, Standards (z. B. ICD) und Methoden in gesund-
Weiterbildung) absichtsvoll geplant und initiiert werden und die dem heitsbezogenen Bereichen dar.
Aufbau von Wissen sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten
der Lernenden dienen. Wissen (knowledge) Relativ dauerhaft (im LZG) gespeicherte Gedächt-
nisinhalte, deren Bedeutsamkeit durch soziale Übereinkunft festgelegt
Validität (validity) Das entscheidende Gütekriterium in der psycho- wird („Allgemeinwissen“). Vom Wissen eines bestimmten Menschen
logischen Diagnostik. Auf einer theoretischen Ebene geht es vorrangig ist in der Regel nur die Rede, wenn er Überzeugung von der Gültigkeit
darum, inhaltlich-psychologisch zu beurteilen und zu begründen, dieses Wissens besitzt.
inwiefern eine spezifische Messung geeignet ist das intendierte
Konstrukt abzubilden. Auf einer empirischen Ebene geht es ins- Wissenspsychologie (psychology of knowledge) Forschungs-
besondere darum, datengestützt zu demonstrieren, dass Kern- richtung der Psychologie, in der aus einer informationsverarbeitungs-
annahmen über die Eigenschaften einer Messung zutreffen. Ergebnisse theoretischen Sichtweise vor allem vier Themenbereiche analysiert
zur konvergenten und diskriminanten Validität helfen hier häufig auch werden: Erwerb von Wissen, Repräsentation und Organisation von
die Relevanz psychologischer Diagnostik zu unterstreichen. Wissen im Gedächtnis, Prozesse des Abrufs von Wissen, Anwendung des
Wissens beim Denken und Handeln.
455 A–E
Stichwortverzeichnis
– phonologische 389, 391 – kognitionspsychologische s. kognitions-
A Bezugsgruppe 221
Bezugsgruppeneffekt 198
psychologische Didaktik
didaktische Theorie 70
ACT*-Theorie 33 Bezugsnorm 165, 177, 202, 314 Differenzierung
Adoleszenz 195 – individuelle 165, 177, 202 – innere 96
Advance Organizer 73 – sachliche 165 digitale Medien 151
Advanced Progressive Matrices 39 – soziale 165, 202 digitale Medienkultur 134
Aebli, Hans 70 Bezugsnormorientierung 414 dimensionaler Vergleich 197
Aeblis PADUA Modell 71 Bezugsrahmenmodell 194 direkte Förderung
Aggression 127, 156 Bezugssystem – Hausaufgabe 243
aktive Lernzeit 121 – kriteriales 196 – Leistungsproblem 243
Aktivierung Big-Fish-Little-Pond-Effekt 197 – Lernprobleme 243
– kognitive 92 Big-Five 195 direkte Instruktion 76
Alleinerziehende 253, 257 Bild 138 Disziplin 120
Allgegenwärtigkeit 122 – informatives 139 Disziplinierung 122
Amotivation 128 – logisches 138 Disziplinierungsmaßnahme 122
Analphabet Bildungsmonitoring 353 – Festigkeit 122
– funktionaler 137 Bildungspanel 371 – Härte 122
Analphabetismus 137 Bildungsstandard 357 – Klarheit 122
anchored instruction 74 Bildungssystem 351 Dyskalkulie 325
Angebot-Nutzungs-Modell 77, 351 Bildungsungleichheit 241
Ängste 430 BIS (Berliner Intelligenzstruktur-Test) 39
Animation 140
Anlage-Umwelt-Debatte 28
Blended Learning 150, 151
Buchstaben-Laut-Zuordnung 391
E
Anregungsgehalt Effektivität 336
– Förderung 393
– häuslicher 240 – Akzeptanz 337
Bullying 302
Anspruchsniveau 206 – Durchführbarkeit 337
Burnout 281
Anspruchsniveausetzung 412 – Evaluation 336
Anstrengung 197 – Fernziel 337
Anti-Aggressionstraining 428
APM (Advanced Progressive Matrices) 39
C – Nahziel 337
– theoretische Fundierung 337
Appraisal 222 Capability Approach 258 Ein-Elternteil-Familie 250
Arbeitsgedächtnis 8, 136, 140, 142, 145 chronische Erkrankung von Kindern 255 Einschulung 314
Arbeitslosigkeit 257 – Entwicklungsverzögerung 255 Einzelfallanalyse 313
Armut 242 – Krankheitsmanagement 256 Elaboration 9
Assessment chunking 33 E-Learning 41
– formatives 96, 100 classroom management 438 Eltern
Attribution 220 Cognitive Apprenticeship 74 – psychisch gestörte, Erziehungskompetenz 256
Attributionsmuster 202, 428 Cognitive Load Theory 144 Eltern-Kind-Interaktion
Aufgabenorientierung 170 Computerspiel 157 – lernbezogene 243
Aufmerksamkeitsdefizitsstörung 410 Concept Map 40 Elterntraining 435
Aufmerksamkeitstraining 407 conceptual change 176, 278 Emotion 212
Aussöhnung Coping-Strategie 231 Emotionsregulation 215, 437
– integrative 73 – antizipative 215
– reaktive 215
Autonomieerleben 80
Autonomiegewährung 226 D Emotionsregulationsstrategie 231
Enthusiasmus 279
Autonomieunterstützung 244 darbietender Unterricht 73
Entscheidung 164, 277, 312, 314, 316, 322, 324
Daten 327
– bildungsbezogene 164
B – biografische 327
Denken
Entwicklungsverlauf 221
Entwicklungsverzögerung 255
Basisdimensionen guten Unterrichts 105 – induktives s. induktives Denken
epistemologische Überzeugung 5, 26
Basisemotion 213 – lautes 40, 321
– Entwicklungsphase 28
Basiskompetenz Denktraining 407
– relativer Wissensbegriff 28
– mathematische 381, 394 Depression 431
– Verantwortungsübernahme 28
basking-in-reflected-glory 198 Diabetes mellitus
Erkrankung der Eltern 256
Begabung 36 – juveniler 255
– Erblichkeit von Psychosen 256
Begleitung von Lernprozessen 126 Diagnostik 312, 314
– Erziehungskompetenz 256
Belastung 271 – kriteriumsorientierte 314
– körperliche 256
Berliner Didaktik 70 – normorientierte 314
– Pflege 256
Berliner Intelligenzstruktur-Test 31, 39 – pädagogisch-psychologische 312
– psychische 256
Berufsberatung 317 – psychologische 312
– psychisch gestört 256
Berufswahl 279 diagnostisches Verfahren 317
Erlebensqualität 164
Bewältigungsziel 171 Didaktik
Erwartungseffekt 274, 276
Bewusstheit Erwartungs-Wert-Modell 177, 204, 279
456 Stichwortverzeichnis
K – Überlappung 122
Krankheit 254
Lernmanagement-System 149
Lernmedien 135
Kausalattribution 222, 224 – Adaptationsphase 254 – computergestützte 141
Keller-Plan 98 – Anpassungphase 254 Lernmotivation 121, 164, 165, 205
KFT (Kognitiver Fähigkeits-Test) 39 – chronische, eines Elternteils 254 – an Oberzielen orientierte 165
Klassenarbeit 197 – chronische, eines Kindes 254 – dispositionale Merkmale 169
Klassenführung 120, 121 – Eltern 255 – extrinsische 165, 166, 168, 174
– classroom management 126 – familienstresstheoretischer Ansatz 254 – gegenstandszentrierte 167
– Regelsystem 126 – Kinder 255 – intrinsische 165, 166, 168, 174
– souveräne 126 kriterialer Vergleich 197 – leistungsbezogene 165
– Welleneffekt 121 kriteriales Bezugssystem 196 – selbstbewertungsbasierte 165
Klassenklima 128 kritisches Lebensereignis 249 – soziale 165
Klassenspiegel 196 Kurswahl 204 – tätigkeitszentrierte 167
Klassenzusammensetzung 78 Lernprozess
Kognition 220 – Begleitung 126
kognitionspsychologischen Didaktik 70
– Anwenden 71
L Lernstrategie 5, 11, 53, 229
– kognitive 47, 52, 94
Langeweile 219
– Durcharbeiten 71 – metakognitive 47, 52
Langzeitgedächtnis 9
– problemlösendes Aufbauen 71 – ressourcenorientierte 47, 52
Langzeitspeicher 9
– Üben 71 Lerntagebuch 52
lautes Denken 40
kognitive Aktivierung 8, 92 Lerntagebücher 53
Learning Analytics 152
kognitive Psychologie 29 Lernumgebung 11, 136
Lebensereignis
kognitive Überlastung 144 – computerbasierte 11
– kritisches 249, 434
kognitive Wende 191 – digitale 136
Lehramtstudierende 120
Kognitiver Fähigkeits-Test 39 Lernunterstützung
Lehrer 78, 120, 270
Kommunikationstechnologie 371 – emotional geprägte 96
– Kompetenz 78
Kompetenz 6, 273, 327, 351, 416 Lernzeit 127, 164
– Merkmal 78
– diagnostische 273, 327 – aktive 121
Lehrerbildung 282
– mathematische 356 – Management 126
Lehrerfrage 81
– metakognitive 416 Lernziel 171, 174
– High-Level-Fragen 81
– naturwissenschaftliche 356 Leseförderung 416
458 Stichwortverzeichnis
Vorläuferfertigkeit 381, 389, 394, 400 – deklaratives 4, 33, 272, 407 Wissensarten 4
Vorwissen 8, 14, 32, 137, 141, 144 – Experten 35 Wissenserwerb 4
– fachdidaktisches 273 Wissenspsychologie 28
– Fakten 33 Wohlbefinden 214
W –
–
Informationsverarbeitungstheorie 32
Kompilation 34
working self-concept 191
Wortflüssigkeit 30
Wahrnehmungsebene 143
– konditionales 57
Wahrnehmungsgeschwindigkeit 30
– konzeptuelles 34
Wahrnehmungsgesetz 139
Wartezeit 81
–
–
Messung 39
metakognitives 5
Z
Weiterbildung 317 Zahl-Größen-Kompetenz 394
– Nutzung 33
– berufliche 317 – Förderung 395
– pädagogisches 273
Wende Zahl-Größen-Verknüpfung 395
– Problemlösen 35
– kognitive 191 Zahlensinn 394
– Problemlösestrategie 33
Wert 222 Zahlverständnis 380, 396, 398
– prozedurales 4, 33, 34, 272, 407
Wertinduktion 225 Zeitreihenanalyse 56
– Schachspielen 33
Wertschätzung 128 Zensur 327
– situationales 34
Wissen 26, 28, 32, 39, 57, 272, 407 Zielorientierung 169, 170, 173, 280
– Speicherung 33
– Abruf 33 Zuckerkranheit s. Diabetes mellitus
– strategisches 34
– Aufnahme 33
– träges 7