Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
)
Praxishandbuch Arbeitsverträge für Unternehmer
De Gruyter Praxishandbuch
Arnim Powietzka (Hrsg.)
Praxishandbuch
Arbeitsverträge für
Unternehmer
Mit Geschäftsführer- und Vorstandsverträgen
ISBN 978-3-11-036400-2
e-ISBN (PDF) 978-3-11-036405-7
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039158-9
www.degruyter.com
Vorwort
Der Abschluss von Arbeitsverträgen ist für Arbeitgeber alltägliche Routine. Jedes
größere Unternehmen hat Muster und Vorlagen, die standardmäßig verwendet
werden. Um einheitliche Arbeitsverhältnisse zu erreichen, werden die Personalver-
antwortlichen häufig sogar verpflichtet, bestimmte Vorlagen zu verwenden. Das ist
sinnvoll und richtig. Wie jeder erfahrene Rechtsanwalt weiß, besteht das Problem mit
Mustern lediglich darin, dass sie in der Praxis nie passen. Jeder Fall ist anders und
weist Besonderheiten auf. Es gibt nicht „den richtigen Arbeitsvertrag“, der die pas-
senden und sinnvollen Regelungen sowohl für den tarifgebundenen Schichtarbeiter
am Fließband als auch für den AT-Angestellten der oberen Führungsebene oder den
Vertriebsmitarbeiter im Außendienst enthält.
Außerdem entwickelt sich die Rechtsprechung zu den einzelnen Vertragsklau-
seln mit immer rasanterer Geschwindigkeit weiter. Den mit der Vertragsgestaltung
befassten Mitarbeitern bleibt daher nichts anderes übrig, als mehrere Vertragsmuster
vorzuhalten und diese in immer kürzeren Abständen auf ihre Vereinbarkeit mit der
neueren Rechtsprechung zu überprüfen und ggf. anzupassen. Die Zeiten, in denen
man einen Muster-Arbeitsvertrag über Jahre hinweg nahezu unverändert verwenden
konnte, sind längst vorbei.
Fehler bei der Vertragsgestaltung können im Streitfall teuer werden. So mancher
Arbeitgeber hat vor den Arbeitsgerichten schon böse Überraschungen erlebt, wenn
er etwa im Rahmen der Überstundenklage des ausgeschiedenen Mitarbeiters erfah-
ren musste, dass die vereinbarte pauschale Abgeltung jeglicher Überstunden ebenso
unwirksam ist wie die Ausschlussfrist am Ende des Vertrags mit der Folge, dass Über-
stunden im Rahmen der dreijährigen Verjährungsfrist rückwirkend geltend gemacht
werden können.
Das vorliegende Handbuch führt den Praktiker der Vertragsgestaltung durch den
Dschungel der Rechtsprechung. Zu allen in der Praxis üblichen Klauseln – von der
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers über die Vergütung, vertragliche Nebenpflich-
ten, Regelungen zur Vertragsbeendigung, zur Aus- und Weiterbildung, nachvertrag-
lichen Pflichten bis hin zu den sog. „Schlussbestimmungen“ des Arbeitsvertrags –
wird erläutert, welche Anforderungen die Rechtsprechung stellt, welche Klippen es
zu umschiffen und welche „Fettnäpfe“ es zu vermeiden gilt und wie eine Klausel im
Arbeitsvertrag letztlich formuliert werden kann. Ausführlich werden Bezugnahme-
klauseln im Arbeitsvertrag – sei es auf Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder
einseitig vom Arbeitgeber gesetzte Regelungswerke (z. B. die klassische „Arbeitsord-
nung“) – dargestellt und die rechtlichen Anforderungen aufgezeigt. Darüber hinaus
werden Besonderheiten der Anstellungsverträge von Geschäftsführern und Vorstän-
den behandelt und mit zahlreichen Praxisbeispielen erläutert.
Das Handbuch ist von Praktikern – Rechtsanwälten und Unternehmensjuris-
ten – für Unternehmer und Personaler geschrieben, die sich mit der Arbeitsvertrags-
gestaltung zu befassen haben. Die Darstellung orientiert sich dabei an den Vorgaben
VI Vorwort
der Rechtsprechung. Wissenschaftliche Diskussionen, die sich nicht auf die Formu-
lierung der Arbeitsvertragsklauseln auswirken, werden nicht vertieft dargestellt. Die
Rechtslage ist mit dem Stand 29.02.2016 berücksichtigt.
Danken möchte ich an dieser Stelle vor allem allen Autoren, die mit ihrem beson-
deren Einsatz das Erscheinen dieses Handbuchs ermöglicht haben. Ein besonde-
rer Dank gilt dem de Gruyter Verlag für die stets tatkräftige Unterstützung und die
sorgfältige Arbeit des Lektorats. Besonders hervorzuheben ist neben der Arbeit der
Autoren vor allem die Mitarbeit von Frau Christina Krämer, Herrn Manuel Graulich
und Frau Rechtsreferendarin Katharina Joeres, die bei der Vorbereitung des Werkes,
der Erstellung der Gliederung und bei der Arbeit an dem Manuskript wertvolle Unter-
stützung geleistet haben. Ein besonderer Dank gilt Frau Martina Klemm, Frau Sabrina
Dendic, Frau Christiane Fichtner, Frau Katharina Jakob, Frau Maria Romanski und
Frau Helga Düttmann, die unermüdlich die Manuskripte der Autoren betreut haben.
Die Autorinnen und Autoren, der Herausgeber und der Verlag sind jederzeit offen
für Anregungen, Kritik und Verbesserungsvorschläge.
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis XXXI
Literaturverzeichnis XXXV
Bearbeiterverzeichnis XLI
Kapitel 1
Bedeutung für die unternehmerische Praxis 1
Kapitel 2
Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag 3
Kapitel 3
Arbeitsleistung 45
Kapitel 4
Vergütung 93
A. Allgemeines 93
B. Einzelne Vergütungsarten 104
C. Regulierte Vergütung 123
Kapitel 5
Nebenpflichten 141
A. Nebentätigkeiten 141
B. Wettbewerbsverbot 147
VIII Inhaltsübersicht
C. Arbeitsverhinderung 150
D. Urlaub 154
E. Annahme von Geschenken und Begünstigungen 166
F. Antidiskriminierung 169
G. Verpflichtung auf das Datengeheimnis 170
H. Datenschutzerklärung 172
I. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen,
Verschwiegenheitsklausel 173
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und
Telefon) 181
Kapitel 6
Beendigung des Arbeitsverhältnisses 193
Kapitel 7
Regelungen zur Aus- und Weiterbildung 257
A. Fortbildungsklauseln 257
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 263
Kapitel 8
Nachvertragliche Pflichten 277
Kapitel 9
Schlussbestimmungen 315
A. Zugangsfiktion 315
B. Schriftformklausel 320
C. Salvatorische Klausel 324
Inhaltsübersicht IX
D. Rechtswahlklausel 329
E. Gerichtsstandsvereinbarung 341
Kapitel 10
Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht 347
A. Einführung 347
B. Gegenstand der Bezugnahme 348
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 351
D. Formen der Inbezugnahme 358
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 361
F. Betriebsvereinbarung 395
G. Bezugnahme auf Arbeitsordnungen 400
H. Jeweiligkeitsklausel 401
I. Bezugnahme auf Beamtenrecht 405
J. Kirchenrecht 406
Kapitel 11
Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG 419
Stichwortverzeichnis 541
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis XXXI
Literaturverzeichnis XXXV
Bearbeiterverzeichnis XLI
Kapitel 1
Bedeutung für die unternehmerische Praxis 1
Kapitel 2
Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag 3
XII Inhaltsverzeichnis
Kapitel 3
Arbeitsleistung 45
Inhaltsverzeichnis XIII
d) Unangemessene Benachteiligung 48
3. Konzernversetzungsklausel 50
4. Ausübungskontrolle 51
5. Mitbestimmung des Betriebsrats 52
B. Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit 53
I. Allgemeine Erwägungen 53
II. Wirksamkeitsanforderungen 54
1. Gesetzliche Verbote 54
2. Form 55
3. Formulararbeitsverträge 55
a) Grundsätzliche Zulässigkeit von Vertragsstrafenklauseln in
Formulararbeitsverträgen 55
b) Überraschende Klausel, § 305c Abs. 1 BGB 56
c) Unangemessene Benachteiligung, § 307 Abs. 1 BGB 57
d) Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 S. 2 BGB 59
e) Verbot geltungserhaltender Reduktion 60
C. Überstunden 61
I. Allgemeine Erwägungen 61
II. Anordnung von Überstunden 62
1. Überstundenanordnung und Direktionsrecht 62
2. Überstundenanordnung und Gleichbehandlungsgrundsatz 62
3. Wirksamkeitsanforderungen an vertragliche
Überstundenanordnung 63
III. Ausgleich von Überstunden 64
1. Vorliegen einer objektiven Vergütungserwartung 65
2. Wirksamkeitsanforderungen an vertragliche Regelungen zum Ausgleich
von Überstunden 66
3. Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs 67
D. Kurzarbeit 68
I. Allgemeine Erwägungen 68
II. Wirksamkeitsanforderungen an Kurzarbeitsklauseln 70
III. Rechtsfolgen der Einführung von Kurzarbeit 72
E. Zurückbehaltungsrecht 73
I. Allgemeines 73
II. Hinweise zur Vertragsgestaltung 74
F. Arbeit auf Abruf 75
I. Allgemeine Erwägungen 75
II. Anwendungsbereich des § 12 TzBfG 76
1. Anforderungen bei Vollzeitkräften 76
2. Zulässigkeit bei Zeitarbeitnehmern? 76
III. Wirksamkeitsanforderungen an Arbeit-auf-Abruf-Klausel 77
1. Transparenzgebot 77
XIV Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4
Vergütung 93
A. Allgemeines 93
I. Der Begriff Vergütung 93
II. Die Vergütung als Arbeitsvertragsbestandteil 93
1. Arbeitgeber als Schuldner des Vergütungsanspruchs und Leistungen
Dritter 93
2. Ausnahmen: Vergütung ohne Arbeitsleistung 94
3. Verhältnis zu kollektivrechtlichen Regelungen 95
a) Mitbestimmung des Betriebsrats 95
b) Kollision von Regelungen 95
4. Nettolohnabrede 96
5. Steuern und Sozialabgaben 96
a) Lohnsteuer 97
b) Sozialversicherungsabgaben 97
c) Ausnahmen 97
6. Pfändung und Aufrechnung 98
a) Pfändung 98
Inhaltsverzeichnis XV
b) Aufrechnung 99
7. Ausschlussklauseln und Verjährung 100
a) Einseitige Ausschlussfristen 101
b) Zweiseitige Ausschlussfristen 101
aa) Einstufige Ausschlussfristen 101
bb) Zweistufige Ausschlussfristen 102
c) Weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen 102
d) Umfang des Ausschlusses 103
e) Verjährung 103
8. Gerichtliche Durchsetzung 103
B. Einzelne Vergütungsarten 104
I. Dienstwagen 104
1. Allgemein 104
2. Haftung für Beschädigung 105
3. Steuerrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Auswirkung 106
4. Car Allowance 106
II. Provision 107
III. Aus- und Fortbildungskosten (Rückzahlung) 108
IV. Variable Vergütung und Flexibilitätsinstrumente 108
1. Grundsatz: Was ist flexibel gestaltbar? 108
a) Transparenzgebot 108
b) Keine Entziehung erdienten Lohns 110
2. Feste Bonusklauseln 112
3. Zielvereinbarungen 114
4. Freiwilligkeitsvorbehalt 116
5. Widerrufs- und Änderungsvorbehalte 117
6. Bindungsklausel 118
7. Stichtagsregelung 119
8. Ermessensregelungen (§ 315 BGB) 121
9. Kürzung von Sonderzahlungen 122
a) Ruhendes Arbeitsverhältnis 122
b) Sonderfall: Kürzung bei Krankheit § 4a EFZG 123
C. Regulierte Vergütung 123
I. Mindestlöhne und § 138 BGB 124
1. Allgemeines 124
2. Anwendungsbereich 124
3. Arbeitszeit 125
4. Zulagen und Zuschläge 125
5. Sachleistungen 127
6. Anderslautende Vereinbarungen 128
7. Sittenwidrigkeit des Lohns 128
8. Mindestlohn außerhalb des Mindestlohngesetzes 129
XVI Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5
Nebenpflichten 141
A. Nebentätigkeiten 141
I. Rechtliche Erläuterungen 141
1. Begriff der Nebentätigkeit 141
2. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 142
3. Nebentätigkeit und Konkurrenz 143
4. Überwachungspflichten des Arbeitgebers 144
5. Hinweise für die Vertragsgestaltung 144
6. Rechtsfolgen eines Verstoßes 145
II. Klauselvorschlag 145
1. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 145
2. Widerrufsvorbehalt 146
B. Wettbewerbsverbot 147
I. Rechtliche Erläuterungen 147
1. Gesetzliche Grundlagen 147
2. Arbeitsrechtliche Konkretisierung 148
3. Gestaltungshinweise 149
4. Rechtsfolgen eines Verstoßes 149
II. Klauselvorschlag 150
C. Arbeitsverhinderung 150
I. Rechtliche Erläuterungen 150
1. Verhinderungsfälle und gesetzliche Vorgaben 150
a) Arbeitsverhinderung aus sonstigen, persönlichen Gründen 151
b) Arbeitsverhinderung wegen Krankheit 151
aa) Grundsätzliches zur Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall 151
bb) Dauer der Entgeltfortzahlung 152
2. Mitteilungspflichten 153
Inhaltsverzeichnis XVII
XVIII Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis XIX
Kapitel 6
Beendigung des Arbeitsverhältnisses 193
XX Inhaltsverzeichnis
I. Einführung 225
II. Wirksamkeit der Regelung 227
1. AGB-Kontrolle 227
2. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht und AGG 228
III. Klauseltypen 229
1. Altersgrenze 65 229
2. Regelaltersgrenze 230
3. Selbständige Altersgrenze 230
IV. Hinweis zur Vertragsgestaltung/Klauselmuster 231
C. Erwerbsminderung 231
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses
(insb. Kündigungsvereinbarungen) 233
I. Einführung 233
II. Vertragliche Umdeutungsklauseln 233
1. Umdeutung einer unwirksamen (fristlosen) außerordentlichen
Kündigung in eine ordentliche Kündigung 233
2. Umdeutung einer verspätet zugegangenen Kündigung in eine
Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt 235
III. Schriftformerfordernis 235
IV. Pflicht zur Angabe von Kündigungsgründen 237
V. Die außerordentliche Kündigung 238
1. Vertraglicher Ausschluss der außerordentlichen Kündigung 238
2. Vertragliche Einschränkung der außerordentlichen
Kündigungsgründe 239
3. Vertragliche Erweiterung der außerordentlichen
Kündigungsgründe 240
VI. Die ordentliche Kündigung 241
1. Vertraglicher Ausschluss der ordentlichen Kündigung 242
a) Beidseitiger Ausschluss 242
b) Einseitiger Ausschluss 243
2. Vereinbarung eines besonderen Kündigungsschutzes 243
VII. Vertragliche Regelung der Kündigungsfristen 244
1. Überblick über die gesetzlichen Regelungen 244
2. Kündigungsfristen bei Aushilfen 245
3. Kündigungsfristen in Kleinbetrieben 246
4. Einzelvertragliche Verlängerung der gesetzlichen
Kündigungsfristen 246
a) Grundlagen 246
b) Berechnung der Beschäftigungszeiten 247
5. Gleichbehandlungsklauseln 248
E. Probezeit 249
I. Grundlagen 249
Inhaltsverzeichnis XXI
Kapitel 7
Regelungen zur Aus- und Weiterbildung 257
A. Fortbildungsklauseln 257
I. Allgemeines 257
II. Inhalt einer Fortbildungsklausel 259
III. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats 260
IV. Sozial- und steuerrechtliche Aspekte 261
V. Klauselmuster 262
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 263
I. Grundlagen 263
1. Möglichkeiten der Klauselgestaltung 264
2. Gesetzliche Verbote 265
II. Gestaltung der Klausel 265
1. Zeitpunkt und Form des Abschlusses 265
2. Geldwerter Vorteil 266
3. Inhaltliche Ausgestaltung 267
a) Bindungsdauer 267
b) Auslöser der Rückzahlungspflicht 270
c) Bezifferung des Rückzahlungsbetrages 272
d) Zeitabhängige Reduzierung des Rückzahlungsbetrages 273
III. Darlegungs- und Beweislast 274
IV. Checkliste und Klauselmuster 274
Kapitel 8
Nachvertragliche Pflichten 277
XXII Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis XXIII
Kapitel 9
Schlussbestimmungen 315
A. Zugangsfiktion 315
I. Klauselzweck 315
II. Wirksamkeit einer Zugangsfiktionsklausel 316
1. Konstitutive Zugangsfiktion 317
2. Deklaratorische Zugangsfiktion 318
3. Tatsachenfiktion 318
4. Zugangsvermutung 319
III. Fazit 319
B. Schriftformklausel 320
I. Arten von Schriftformklauseln 320
II. Aufhebung des Schriftformerfordernisses 321
1. Individuell vereinbarte Arbeitsverträge 321
2. Formulararbeitsverträge 321
3. Vollständigkeitsklauseln 323
4. Tarifverträge 323
5. Musterklauseln 324
C. Salvatorische Klausel 324
I. Klauselzweck 324
II. Klauselarten 325
III. Wirksamkeit der einzelnen Klauselarten 326
1. Formulararbeitsverträge 326
2. Individuell vereinbarte Arbeitsverträge 327
IV. Fazit 328
D. Rechtswahlklausel 329
I. Bedeutung der Rechtswahl im Arbeitsrecht 329
II. Kollisionsrecht 330
III. Klauselgestaltung 331
1. Grundsätzliche Tragweite des Arbeitsvertragsstatuts 331
2. Teilrechtswahlklausel 334
3. AGB-Kontrolle 336
4. Grenzen 336
a) Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO 336
b) Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO 339
c) Art. 9 Rom I-VO 339
d) Art. 21 Rom I-VO (“ordre public”) 340
5. Konsequenzen für die Praxis 340
IV. Klauselmuster 341
E. Gerichtsstandsvereinbarung 341
I. Klauselzweck 341
XXIV Inhaltsverzeichnis
Kapitel 10
Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht 347
A. Einführung 347
B. Gegenstand der Bezugnahme 348
I. Tarifverträge 348
II. Betriebsvereinbarungen 349
III. Dienstvereinbarungen 350
IV. Arbeitsordnungen 350
V. Kirchenrecht 351
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 351
I. Auslegung von Willenserklärungen 352
II. Auslegung kollektivrechtlicher Vereinbarungen 352
III. AGB-Kontrolle eines Tarifvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder einer
Dienstvereinbarung? 354
1. Anwendbarkeit des § 305c BGB auf Bezugnahmeklauseln 355
2. Anwendbarkeit der Unklarheitenregelung nach § 307 Abs. 1 Satz 2
BGB 357
D. Formen der Inbezugnahme 358
I. Vertragliche Einbeziehung 358
II. Einbeziehung durch betriebliche Übung 358
III. Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz 360
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 361
I. Deklaratorische oder konstitutive Wirkung? 361
1. Einleitung 361
2. Konstitutive Wirkung 362
3. Deklaratorische Wirkung 363
4. Zulässigkeitsfragen 366
a) Globalverweisung 366
b) Teilverweisung 366
c) Bezugnahme auf einen branchenfremden Tarifvertrag 367
d) Bezugnahme auf einen nachwirkenden Tarifvertrag 369
e) Bezugnahme auf unwirksame Tarifverträge 369
f) Fragen der ergänzenden Vertragsauslegung 370
II. Arten der Bezugnahmeklauseln 371
Inhaltsverzeichnis XXV
Kapitel 11
Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG 419
XXVI Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis XXVII
XXVIII Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis XXIX
XXX Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis 541
Abkürzungsverzeichnis
§ Paragraph
€ Euro
% Prozent
a. A. anderer Ansicht
a. F. alte Fassung
Abl. Amtsblatt
Abs. Absatz
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AFG Arbeitsförderungsgesetz
AG Aktiengesellschaft
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
(AGB-Gesetz)
AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
AktG Aktiengesetz
Alt. Alternative
amtl. amtlich
AO Abgabenordnung
AP Arbeitsrechtliche Praxis
ArbG Arbeitsgericht
ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz
ArbRAktuell Arbeitsrecht aktuell (Zeitschrift)
ArbSchG Arbeitsschutzgesetz
ArbuR Arbeit und Recht (Zeitschrift)
ArbZG Arbeitszeitgesetz
ARGE Arbeitsgemeinschaft
Art. Artikel
AuA Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift)
AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
AuR Arbeit und Recht (Zeitschrift)
Az. Aktenzeichen
XXXII Abkürzungsverzeichnis
BGBl. Bundesgesetzblatt
BR-Drucks. Bundesrat-Drucksache
BSG Bundessozialgericht
BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts
BStBl. Bundessteuerblatt
BT-Drucks. Bundestag-Drucksache
BUrlG Bundesurlaubsgesetz
BVerfG Bundesverfassungsgericht
bzw. beziehungsweise
e. V. eingetragener Verein
eG eingetragene Genossenschaft
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EFZG Entgeltfortzahlungsgesetz
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
EStG Einkommenssteuergesetz
etc. et cetera
EU Europäische Union
EuGH Europäischer Gerichtshof
EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht
EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
EzA Entscheidungen zum Arbeitsrecht
EzAÜG Entscheidungssammlung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis XXXIII
HGB Handelsgesetzbuch
Hs. Halbsatz
i. d. F. in der Fassung
i. S. d. im Sinne des
i. V. m. in Verbindung mit
iGZ Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen
InsO Insolvenzordnung
Kap. Kapitel
KG Kommanditgesellschaft
krit. kritisch
KrV Die Krankenversicherung (Zeitschrift)
KSchG Kündigungsschutzgesetz
LAG Landesarbeitsgericht
LAGE Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte
LG Landgericht
Lkw Lastkraftwagen
LSG Landessozialgericht
LStDV Lohnsteuer-Durchführungsverordnung
NachweisG Nachweisgesetz
n. v. nicht veröffentlicht
NJOZ Neue juristische Online-Zeitschrift
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NJW-Spezial Neue juristische Wochenzeitschrift spezial
Nr. Nummer
NWB Neue Wirtschaftsbriefe
NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
NZA-RR Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht- Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht
NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht
o. ä. oder ähnlich
OHG Offene Handelsgesellschaft
OLG Oberlandesgericht
OVG Oberverwaltungsgericht
PBefG Personenbeförderungsgesetz
Pkw Personenkraftwagen
XXXIV Abkürzungsverzeichnis
S. Satz; Seite
SE Societas Europaea (Europäische Gesellschaft )
SG Sozialgericht
SGB Sozialgesetzbuch
SGB I Allgemeiner Teil
SGB II Grundsicherung für Arbeitsuchende
SGB III Arbeitsförderung
SGB IV Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
SGB V Gesetzliche Krankenversicherung
SGB VI Gesetzliche Rentenversicherung
SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung
SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe
SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
SGB X Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
SGB XI Soziale Pflegeversicherung
SGG Sozialgerichtsgesetz
sog. sogenannte(r)
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands
StGB Strafgesetzbuch
TVG Tarifvertragsgesetz
TzBfG Teilzeit- und Befristungsgesetz
u. a. unter anderem
u. ä. und ähnlich
UG Unternehmergesellschaft
Urt. Urteil
UStG Umsatzsteuergesetz
z. B. zum Beispiel
ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht
Ziff. Ziffer
ZPO Zivilprozessordnung
ZTR Zeitschrift für Tarifrecht
ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
zust. zustimmend
Literaturverzeichnis
Abeltshauser, Leistungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht: Zu den Sorgfalts- und
Loyalitätspflichten von Unternehmensleitern im deutschen und im US-amerikanischen
Kapitalgesellschaftsrecht, Köln 1998 (zit.: Abeltshauser)
Annuß/Thüsing, Kommentar zum Teilzeit- und Befristungsgesetz, 3. Auflage, Frankfurt 2012 (zit.:
Annuß/Thüsing/Bearbeiter)
Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht. Großkommentar zum gesamten Recht der Beendigung
von Arbeitsverhältnissen, 4. Auflage, München 2012 (zit.: Ascheid/Preis/Schmidt/Bearbeiter)
Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, 3. Auflage, München 2012 (zit.:
BeckOK-BGB/Bearbeiter)
Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, 7. Auflage, München 2015 (zit.: Bauer/Diller, Wettbewerbsverbot)
Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht, 5. Auflage, Köln 2014
(zit.: Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann/Bearbeiter)
Baumbach/Hueck, GmbHG, Kommentar, 20. Auflage, München 2013 (zit.: Baumbach/Hueck/
Bearbeiter)
Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, München 2015 (zit.: Beck’sches Steuer- und
Bilanzrechtslexikon/Bearbeiter)
Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz. Arbeits-, Zivil- und Steuerrecht. Kommentar, 6. Auflage,
München 2015 (zit.: Blomeyer/Rolfs/Otto/Bearbeiter)
Bosse/Massmann, Handbuch der Vorstandsvergütung, 2. Auflage, 2015 (zit.: Bosse/Massmann)
Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht. Kommentar, Köln 2013 (zit.: Clemenz/Kreft/Krause/
Bearbeiter)
Däubler, Tarifvertragsgesetz-Kommentar, 3. Auflage, Baden-Baden 2012 (zit.: Däubler/Bearbeiter)
Däubler/Bepler, Das neue Tarifeinheitsrecht, Baden-Baden 2016 (zit.: Däubler/Bepler/Bearbeiter)
Däubler/Bonin/Deinert, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht: Kommentar zu den §§ 305–310 BGB,
4. Auflage, München 2014 (zit.: Däubler/Bonin/Deinert/Bearbeiter)
Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht. Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen
Bezügen. Handkommentar, 3. Auflage, Baden-Baden 2013 (zit.: Däubler/Hjort/Schubert/
Wolmerath/Bearbeiter)
Dieterich, Festschrift für Marie Luise Hilger und Hermann Stumpf zum 70. Geburtstag, München 1983
(zit.: Bearbeiter in: FS für Hilger und Stumpf)
Dornbusch/Fischermeier/Löwisch, Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht, 6. Auflage, Köln 2014 (zit.:
Dornbusch/Fischermeier/Löwisch/Bearbeiter)
Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 12. Auflage, Köln
2015 (zit.: DLW/Bearbeiter)
Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz. Handkommentar, München 2015 (zit.: Düwell/Schubert/
Bearbeiter)
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 3. Auflage, München 2014/2015
(zit.: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Bearbeiter)
Espey/von Bitter, Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers und Absicherungsmöglichkeiten,
Augsburg 1983 (zit.: Espey/von Bitter)
Etzel/Bader/Fischermeier/Friedrich/Gallner/Griebeling/Klose/Kreft/Link/Lipke/Rachor/Rinck/
Rost/Spilger/Treber/Vogt/Weigand, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz
und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, 11. Auflage, Köln 2016 (zit.: KR/
Bearbeiter)
Fleischer/Goette, Münchener Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung (GmbHG), Band 2: §§ 35-52, 2. Auflage, München 2016 (zit.:
MüKo-GmbHG/Bearbeiter)
XXXVI Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis XXXVII
Küttner, Personalbuch 2015, 22. Auflage, München 2015 (zit.: Küttner/Bearbeiter, Personalbuch)
Lakies, Vertragsgestaltung und AGB im Arbeitsrecht, 2. Auflage 2011 (zit.: Lakies)
Leupold/Glossner, Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht, 3. Auflage, München 2013 (zit.: Leupold/
Glossner/Bearbeiter)
Liebers, Formularbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 3. Auflage 2015 (zit.: Liebers/Bearbeiter)
Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz. Kommentar, 3. Auflage, München 2012 (zit.: Löwisch/Rieble)
Lücke/Schaub, Beck’sches Mandatshandbuch Vorstand der AG, 2. Auflage, München 2010 (zit.:
Lücke/Schaub/Bearbeiter)
Maschmann, Mit Leistung aus der Krise: Mannheimer Arbeitsrechtstag, Baden-Baden 2010,
Mannheimer Schriften zum Unternehmensrecht, 2010 (zit.: Maschmann/Bearbeiter)
Maschmann/Sieg/Göpfert, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, München 2012 (zit.: MaSiG/
Bearbeiter)
Meinel/Heyn/Herms, Teilzeit- und Befristungsgesetz. Kommentar, 5. Auflage, München 2015 (zit.:
Meinel/Heyn/Herms)
Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 3. Auflage, München 2012 (zit.: Moll/Bearbeiter)
Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Auflage, München 2015 (zit.:
ErfK/Bearbeiter)
Natter/Groß, Arbeitsgerichtsgesetz. Handkommentar, 2. Auflage, Baden-Baden 2013 (zit.: Natter/
Groß/Bearbeiter)
Niebling, AnwaltKommentar AGB-Recht, 2. Auflage, Bonn 2014 (zit.: Niebling/Bearbeiter)
Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 74. Auflage, München 2015 (zit.: Palandt/Bearbeiter)
Polley, Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre – Eine rechtsvergleichende Untersuchung
am Beispiel der Geschäftsleitung von US-Corporation und deutscher GmbH, Baden-Baden 1993
(zit.: Polley)
Powietzka/Rolf, Bundesurlaubsgesetz. Kommentar, Köln 2012 (zit.: Powietzka/Rolf)
Preis, Der Arbeitsvertrag. Handbuch der Vertragsgestaltung, 5. Auflage, Köln 2015 (zit.: Preis/
Bearbeiter)
Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, Köln 2015 (zit.: Preis/Sagan/Bearbeiter)
Reiserer, Der Pensionsvertrag, Heidelberger Musterverträge, 3. Auflage, Frankfurt am Main 2006
(zit.: Reiserer)
Reiserer/Heß/Emmerich, Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Auflage, Frankfurt am Main 2008 (zit.:
Reiserer/Heß/Emmerich)
Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 7. Auflage, München 2015 (zit. Richardi, Arbeitsrecht in der
Kirche)
Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 14. Auflage, München 2014 (zit.: Richardi/Bearbeiter, BetrVG)
Richardi/Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht. Band 1: Individualarbeitsrecht,
3. Auflage, München 2009 (zit.: MünchArbR/Bearbeiter)
Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, München 2014
(zit.: BeckOK-SozR/Bearbeiter)
Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, München 2014
(zit.: BeckOK-ArbR/Bearbeiter)
Roth/Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 8. Auflage, München 2015 (zit.: Roth/Altmeppen)
Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 4:
Schuldrecht. Besonderer Teil II, 6. Auflage, München 2012 (zit.: MüKo-BGB/Bearbeiter)
Salfeld, Wettbewerbsverbot im Gesellschaftsrecht, Frankfurt am Main 1987 (zit.: Salfeld)
Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Auflage, München 2015 (zit.: Schaub/Bearbeiter,
Arbeitsrechts-Handbuch)
Schaub/Schrader/Straube/Vogelsang, Arbeitsrechtliches Formular- und Verfahrenshandbuch,
11. Auflage, München 2015 (zit.: Schaub/Schrader/Straube/Vogelsang/Bearbeiter)
XXXVIII Literaturverzeichnis
Literaturverzeichnis XXXIX
Bearbeiterverzeichnis
Florian Christ, Jg. 1975; Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen, Straßburg und Sydney; Wis-
senschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsrecht bei Clifford Chance LLP in Düsseldorf; Rechtsanwalt seit
2005; Fachanwalt für Arbeitsrecht; heute Partner und Geschäftsführender Gesellschafter bei der RB
Reiserer Biesinger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Heidelberg im Referat Arbeitsrecht; diverse
Vorträge und Veröffentlichungen zum Arbeitsrecht; Dozent für Arbeitsrecht in der Ausbildung von
Personalfachkaufleuten; Lehrbeauftragter für Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Hochschule der
Wirtschaft für Management Mannheim.
Werner Dörring, Jg. 1955, Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt a. M., Syndikusanwalt bei
der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH, Rechtsberatung bei M&A Projekten kommunaler Unternehmen und
Restrukturierungen, Vortragsveranstaltungen zur arbeitsrechtlichen Gestaltung der Netzausgliede-
rung im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes , Leitung Tarifvertragsverhandlungen, Dozent an der
Universität Mannheim.
Anna Köhn, Jg. 1983; Studium in Göttingen, Referendariat in Duisburg und Düsseldorf, Zulassung als
Anwältin 2012. Seit 2012 ist Anna Köhn Rechtsanwältin in der Sozietät ALTENBURG Fachanwälte für Ar-
beitsrecht, die mit Standorten in Berlin (2011), Hamburg (2013) und München (2009) auf die Beratung
und Vertretung von Unternehmen und öffentlichen Institutionen zu allen Bereichen des Arbeitsrechts,
insbesondere Arbeitsvertragsrecht, Kündigungsrecht, Betriebsverfassungsrecht, Restrukturierung,
Tarifrecht, Betriebsrentenrecht, Datenschutz und Compliance spezialisiert ist. Anna Köhn hält regel-
mäßig Vorträge zu aktuellen arbeitsrechtlichen Themen. Sie ist außerdem Dozentin an der Industrie-
und Handelskammer zu Berlin.
Arnim Powietzka, Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität Hei-
delberg; Rechtsanwalt seit 2000; Fachanwalt für Arbeitsrecht; 1998-2002 Wissenschaftlicher Mitar-
beiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, Prof. Dr. von Hoy-
ningen-Huene, Heidelberg; 2000-2005 Gleiss Lutz Rechtsanwälte in Stuttgart; seit 2005 RB Reiserer
Biesinger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH; Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg; Veröffent-
lichungen und Vorträge zum Arbeitsrecht
Isabelle Puhl, geboren 1985, Studium an der Bucerius Law School, Hamburg und der International
University of Singapore, Singapur. Referendariat in Hamburg und Berlin. Seit 2013 als Rechtsanwältin
im Arbeitsrecht in Berlin tätig, seit 2014 bei der internationalen Sozietät Dentons Europe LLP. Promo-
tion derzeit laufend.
Kerstin Reiserer, Dr. iur.; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg und Mün-
chen; Promotion zum Dr. iur. bei Prof. Dr. Heinrich; 1990-1991 Richterin beim Landgericht Mosbach;
1991-1992 Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialver-
sicherungsrecht bei Prof. Dr. Dr. von Hoyningen-Huene in Heidelberg; 1992-2005 tätig als Rechtsan-
wältin, ab 1999 auch Gesellschafterin einer überörtlichen, wirtschaftsberatenden Sozietät; seit 1996
Fachanwältin für Arbeitsrecht; 2005 Gründung der Kanzlei RB Reiserer Biesinger Rechtsanwälte in
XLII Bearbeiterverzeichnis
Heidelberg; Autorin und Referentin zahlreicher Veröffentlichungen, Vorträge, Seminare und Konferen-
zen; Lehrbeauftragte an der Universität Mannheim.
Jochen Riechwald, Jg. 1977; Rechtsanwalt und Senior Associate im Frankfurter Büro von Willkie Farr &
Gallagher LLP und auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Er berät insbesondere bei Umstrukturierungen,
Betriebserwerben, Personalabbauprogrammen, Betriebsübergängen und sämtlichen arbeitsrechtli-
chen Aspekten von Transaktionen und Übernahmen. Außerdem führt Jochen Riechwald arbeitsrecht-
liche Prozesse im Individual- und Kollektivarbeitsrecht.
Christian Rolf, Dr., Jg. 1970; Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Willkie Farr & Gallagher
LLP und ist auf Arbeits- und Dienstvertragsrecht spezialisiert und auf Rechtsstreitigkeiten, Restruktu-
rierungen, Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, Mitbestimmung, Mitarbeiterdatenschutz, Vergütung
von Führungskräften. Er berät bei Umstrukturierungen, Betriebserwerb, Personalabbauprogrammen,
Betriebsübergängen und Übernahmen einschließlich dem Recht der betrieblichen Altersversorgung.
Dr. Rolf unterstützt bei Verhandlungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Dr. Rolf wird von Euro-
money/Legal Media Group als führender Anwalt im Arbeitsrecht genannt und von Chambers Europe
empfohlen.
Verena Weiss-Bölz, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Mannheim; seit 2011
Rechtsanwältin in Heidelberg mit Schwerpunkt Arbeitsrecht; berufsbegleitende Promotion zum Dr.
iur. seit 2013; Veröffentlichungen und Vorträge zum Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, speziell
zur Scheinselbständigkeit.
Kapitel 1
Bedeutung für die unternehmerische Praxis
Seit der Einführung der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht im Jahr 2002 sind die Anforde- 1
rungen an die Gestaltung von Arbeitsverträgen drastisch gestiegen. Für praktisch jede
arbeitsvertragliche Regelung – von der Versetzungsklausel über den Freiwilligkeits-
vorbehalt bis hin zur Schriftformklausel – gibt es in der arbeitsgerichtlichen Recht-
sprechung inzwischen mehr oder weniger detaillierte Vorgaben, die es zu beachten
gilt. Die Zeiten, in denen man einigermaßen taugliche Muster-Arbeitsverträge im
Schreibwarenhandel erwerben konnte, sind längst vorbei. Ohne vertiefte Kenntnisse
der höchst- und instanzgerichtlichen Rechtsprechung ist keine Arbeitsvertragsklau-
sel mehr wirksam zu formulieren. Die Gestaltung von Arbeitsverträgen wird nicht
zuletzt dadurch erschwert, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
zur Kontrolle arbeitsvertraglicher Klauseln als uneinheitlich und durchaus wechsel-
haft erwiesen hat. In vielen Bereichen ist die arbeitsgerichtliche Praxis der AGB-Kon-
trolle – auch 14 Jahre nach der Erstreckung des AGB-Rechts auf das Arbeitsrecht –
noch immer von erheblicher Rechtsunsicherheit geprägt. Nur beispielhaft sei auf die
Schlangenlinien in der BAG-Rechtsprechung zum Freiwilligkeitsvorbehalt verwie-
sen.1
Das vorliegende Werk zeigt auf Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung, 2
welche rechtlichen Rahmenbedingungen für einzelne Vertragsklauseln gelten,
wie rechtssichere Regelungen formuliert werden können und welche Spielräume
bestehen, die für eine flexible Gestaltung genutzt werden können. Dazu werden im
Anschluss an einen allgemeinen Teil, der in komprimierter Form die Grundlagen der
AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht erläutert, die für die Praxis wichtigen Vertragsklauseln
besprochen. Dabei sind die einzelnen Klauseltypen nach Themenfeldern geordnet.
So werden Regelungen zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, zur Vergütung, zu
vertraglichen Nebenpflichten, zur Vertragsbeendigung, zur Aus- und Weiterbildung,
zu nachvertraglichen Pflichten sowie die Schlussbestimmungen des Arbeitsvertrags
jeweils im Zusammenhang dargestellt.
Der Gestaltung von Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag wird ein eigenes 3
Kapitel gewidmet. Der Bezugnahme auf einseitig vom Arbeitgeber änderbare Rege-
lungswerke „in ihrer jeweils geltenden Fassung“ hat das BAG enge Grenzen gesetzt2
und damit etwa dem in der Vergangenheit für nicht tarifgebundene Arbeitgeber wich-
tigen Instrument der Arbeitsordnung weitgehend den rechtlichen Boden entzogen.
Vor allem aber im Bereich tariflicher Arbeitsverhältnisse stellen sich insoweit kom-
1 S. dazu etwa Preis, NZA 2009, 281; Preis/Sagan, NZA 2012, 697; dies.; NZA 2012, 1077; Bauer/v.
Medem, NZA 2012, 894.
2 BAG, Urt. v. 11.02. 2009 – 10 AZR 222/08.
Powietzka
2 Kapitel 1 Bedeutung für die unternehmerische Praxis
plexe Fragen. Die Formulierung der Bezugnahme auf die Tarifbestimmungen (stati-
sche, kleine dynamische, große dynamische Verweisung oder Tarifwechselklausel)
hat nicht nur bei Umstrukturierungen und beim Betriebsübergang weitreichende
Bedeutung. Außerdem wollen im tariflichen Bereich auch arbeitsvertragliche Rege-
lungen etwa zur Vergütung oder zur Arbeitszeit gut durchdacht sein, damit tarifge-
bundene Arbeitgeber nicht durch konstitutive Vereinbarungen unbeabsichtigt über
die tariflichen Vorgaben hinaus weitergehende arbeitsvertragliche Ansprüche und
individuelle Abweichungen vom Tarifvertrag im Falle künftiger Tarifänderungen
begründen.
4 Schließlich werden auch die Verträge von Geschäftsführern und Vorstandsmit-
gliedern und die dafür geltenden rechtlichen Anforderungen ausführlich behandelt.
Auch hier gelten in der Regel die Vorgaben des AGB-Rechts, wobei sich jedoch im
Vergleich zu Arbeitsverhältnissen ein durchaus unterschiedlicher Regelungsbedarf
und zuweilen auch eine deutlich andere Akzentuierung der AGB-rechtlichen Judika-
tur zeigt.
5 Das Handbuch ist von erfahrenen Praktikern der arbeitsrechtlichen Vertragsge-
staltung für den Praktiker geschrieben. Daher werden wissenschaftliche Diskussio-
nen und Streitstände nicht vertieft, sondern es werden die rechtlichen Vorgaben für
die Klauselgestaltung auf Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung erläutert. Für
die jeweiligen Vertragsklauseln werden konkrete Formulierungsvorschläge gegeben,
die nach Einschätzung der Verfasser einer gerichtlichen Überprüfung – trotz aller
Unwägbarkeiten – standhalten sollten. Eine Garantie kann dafür aber selbstver-
ständlich nicht gegeben werden. Das Handbuch soll im Übrigen kein Sammelsurium
möglicher Formulierungen bieten – erst recht nicht von Formulierungen, die einer
AGB-Kontrolle letztlich nicht standhalten können. Daher haben die Autoren bewusst
davon abgesehen, für jede Klauselart eine Vielzahl an zulässigen oder unzulässigen
Beispielen und Mustern zu liefern, sondern konzentrieren die Darstellung auf wenige
Formulierungsvorschläge, die wirksam sind oder – ggf. unter bewusster Inkaufnahme
bestimmter rechtlicher Risiken – zumindest begründete Aussichten darauf bieten,
eine gerichtliche Überprüfung zu überstehen.
Powietzka
Kapitel 2
Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
1 ErfK/Preis, §§ 305–310 Rn. 1; BAG, Urt. v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, Rn. 48; BT-Drucks. 14/6857, S. 54;
ausführlich auch Lakies, Kap. 1 Rn. 31 ff. mwN zur Rspr.
2 BT-Drucks. 14/6857, S. 54; Lakies, Kap. 1 Rn. 35; kritisch Liebers/Reiserer, Kap. B Rn. 3, mit dem Hin-
weis, dass gerade die Einführung der AGB-Kontrolle zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit geführt
habe, da in vielen Bereichen immer noch nicht geklärt sei, ob früher übliche Klauseln noch zulässig
sind.
3 Lakies, Kap. 1 Rn. 30; Preis/Preis, Kap. I B Rn. 3.
4 BT-Drucks. 14/6857, S. 53 f.
Powietzka
4 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
a) Vorformulierte Vertragsbedingungen
5 Vertragsbedingungen sind dann „vorformuliert“, wenn sie bereits vor Vertrags-
schluss vorgelegen haben.6 Eine schriftliche Fixierung ist dafür nicht notwendig
(vgl. auch § 305 Abs. 1 S. 2 BGB), vielmehr genügt es, wenn die Vertragsbedingungen
im Kopf des Verwenders oder seines Abschlussgehilfen gespeichert sind.7 Mangels
Schriftformerfordernisses kann daher auch eine betriebliche Übung Gegenstand
einer AGB-Kontrolle sein.8
5 Zu den Besonderheiten bei Verbraucherverträgen i. S. v. § 310 Abs. 3 BGB siehe Rn. 26 ff.
6 Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 6; Lakies, Kap. 1 Rn. 51.
7 BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 331/11, Rn. 12; BGH, Urt. v. 19.5.2005 – III ZR 437/04, Rn. 17; BGH, Urt.
v. 10.3.1999 – VIII ZR 204/98, Rn. 10; Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 8.
8 MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 54; BAG, Urt. v. 27.8.2008 – 5 AZR 820/07, Rn. 20; vgl. auch BAG,
Urt. v. 5.8.2009 – 10 AZR 483/08.
9 Lakies, Kap. 1 Rn. 61.
10 BAG, Urt. v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05; Rn. 20; BGH, Urt. v. 11.12.2003 – VII ZR 31/03, Rn. 18.
11 BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, Rn. 56; BGH, Urt. v. 11.12.2003 – VII ZR 31/03, Rn. 17; BGH,
Urt. v. 28.9.2001 – VII ZR 388/00, Rn. 22.
12 Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 9; Hromadka, NJW 2002, 2523, 2524.
13 Z. B. Vertragsmuster eines Arbeitgeberverbands oder der IHK, vgl. auch Lakies, Kap. 1 Rn. 63.
14 Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 7; Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 9; BAG, Urt. v. 15.9.2009 –
3 AZR 173/08, Rn. 30.
Powietzka
A. Die Verwendung von AGB durch sog. „Formularverträge“ 5
15 BAG, Urt. v. 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, Rn. 14; MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 106.
16 Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 10; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 8; zu den Besonderhei-
ten des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB im Rahmen von Verbraucherverträgen siehe Rn. 26 ff.
17 Vgl. Rn. 12 f.
18 BGH, Urt. v. 17.2.2010 – VIII ZR 67/09, Rn. 18.
19 Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 11; BGH, Urt. v. 7.2.1996 – IV ZR 16/95, Rn. 17; vgl. aber Rn. 9 a. E.
20 BGH, Urt. v. 16.7.1998 – VII ZR 9/97, Rn. 8; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 59; Lakies, Kap. 1
Rn. 77.
21 BGH, Urt. v. 23.1.2003 – VII ZR 210/01, Rn. 47; MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 109 f.; Lakies, Kap. 1
Rn. 77.
Powietzka
6 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
dass sich der Verwender deutlich und ernsthaft zu Abänderungen bereit erklärt hat.22
Bei einem Lückentext darf die Lücke nicht nur der Konkretisierung der Vertragsklau-
sel dienen (z. B. persönliche Daten des Arbeitnehmers), sondern muss den inhaltli-
chen Kern notwendig ergänzen, um eine Individualabrede darzustellen.23 Daneben
kann auch dann ein Aushandeln vorliegen, wenn durch den Arbeitgeber unter-
schiedliche Angebotsalternativen mit verschiedenen Konditionen zur Auswahl
gestellt werden, wobei die zur Wahl stehenden Inhalte auch hier nicht unselbststän-
diger Art sein dürfen, damit wie bei den Lückentexten ein wirkliches Aushandeln vor-
liegt.24
22 BGH, Urt. v. 9.10.1986 – VII ZR 245/85, Rn. 11; BGH, Urt. v. 3.11.1999 – VIII ZR 269/98, Rn. 27; so auch
Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 8.
23 MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 110; BAG, Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 829/12, Rn. 31.
24 BGH, Urt. v. 6.12.2002 – V ZR 220/02, Rn. 6; Preis/Preis, Kap. I C Rn. 55.
25 BAG, Urt. v. 12.12.2013 – 8 AZR 829/12, Rn. 31.
26 Lakies, Kap. 1 Rn. 79; Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 18.
27 Lakies, Kap. 1 Rn. 88.
28 Siehe Rn. 26 f.
29 Siehe Rn. 27 f.
30 Näher dazu Rn. 32 f.
Powietzka
A. Die Verwendung von AGB durch sog. „Formularverträge“ 7
31 BGH, Urt. v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, Rn. 29; Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 23; Lakies, Kap. 1
Rn. 84.
32 Palandt/Grüneberg, § 305 Rn. 23; vgl. auch BGH, Urt. v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, Rn. 30.
33 Lakies, Kap. 1 Rn. 87; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 305 BGB Rn. 36.
34 ErfK/Preis, §§ 305–310 Rn. 24; zu den individuellen Vertragsabreden vgl. Rn. 7 f.
35 Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 9.
36 Vgl. BAG, Urt. v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, Rn. 27; BAG, Urt. v. 25.5.2005 –5 AZR 572/04, Rn. 57;
Lakies, Kap. 1 Rn. 85.
37 BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, Rn. 57; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 9.
38 Preis/Preis, Kap. I C Rn. 56.
39 MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 111; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 24; Preis/Preis, Kap. I C Rn. 84;
zum Vorrang der Individualabrede nach § 305b BGB siehe Rn. 20 ff.
Powietzka
8 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
1. Allgemeine Auslegungsgrundsätze
14 Durch eine Auslegung von AGB soll der Inhalt der in Streit stehenden Vertragsklau-
sel ermittelt werden, so dass dieser Inhalt im Anschluss daran einer AGB-Kontrolle
unterzogen werden kann. Die Auslegung richtet sich bei Formularverträgen nicht
nach den für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen §§ 133, 157 BGB,
sondern nach den Grundsätzen der objektiven Auslegung von Rechtssätzen.40
Eine AGB ist daher so auszulegen, wie sie von einem verständigen und redlichen
Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Ver-
kehrskreise verstanden wird.41 Es kommt dabei nicht auf die Verständnismöglich-
keiten des konkreten, sondern des durchschnittlichen Vertragspartners an, was
bei Arbeitsverträgen der nicht rechtskundige Arbeitnehmer ist.42
15 Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientie-
rende Auslegung von Klauseln in Formulararbeitsverträgen ist in erster Linie der Ver-
tragswortlaut.43 Ist der Wortlaut nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an,
wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten
Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redli-
cher Vertragspartner beachtet werden muss.44 Von Bedeutung für das Auslegungs-
ergebnis sind dabei der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie
die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten.45 Sofern
der Regelungszweck einzubeziehen ist, kann das aber nur für typische und von redli-
chen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten.46 Verständnismöglichkeiten, die theo-
retisch denkbar, aber fernliegend sind und nicht ernsthaft in Betracht kommen, sind
bei der Auslegung außer Betracht zu lassen.47 Verwendete Rechtsbegriffe sind in ihrer
juristischen Fachbedeutung zu verstehen, im Übrigen gilt der allgemeine Sprachge-
brauch.48
40 MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 118; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 12; ständige Rspr. des
BGH, vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2007 – VIII ZR 227/06, Rn. 23; a. A. Lakies, Kap. 1 Rn. 261, 268, der die Ausle-
gung nach §§ 133, 157 BGB vornimmt, aber ebenfalls einen objektiven Maßstab ansetzt.
41 Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 12; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 31.
42 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 31; BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, Rn. 13; BGH, Urt. v.
14.7.2004 – VIII ZR 339/03, Rn. 14.
43 BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, Rn. 13; BAG, Urt. v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 19.
44 BAG, Urt. v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 19; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 31.
45 BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, Rn. 36.
46 Lakies, Kap. 1 Rn. 263.
47 Palandt/Grüneberg, § 305 c Rn. 16.
48 MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 118.
Powietzka
A. Die Verwendung von AGB durch sog. „Formularverträge“ 9
Powietzka
10 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
3. E
rgänzende Vertragsauslegung
19 Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt immer dann in Betracht, wenn ein Vertrag
eine Lücke enthält. Grundsätzlich sind auch AGB in Fällen, in denen eine Lücke in
vorformulierten Verträgen nicht auf AGB-rechtlichen Einbeziehungs- oder Inhalts-
kontrollschranken beruht, einer ergänzenden Auslegung zugänglich.56 Besteht in
einem solchen Fall eine Lücke, die geschlossen werden muss, um den Regelungsplan
der Parteien zu verwirklichen, ist im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung ein
objektiv-generalisierender Maßstab zugrunde zu legen, der sich am Willen und Inte-
resse der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise auszu-
richten hat.57 Ist die Lücke im Vertragswerk dagegen durch Nichteinbeziehung oder
Unwirksamkeit von AGB entstanden, lässt die Rechtsprechung – wegen des Verbots
der geltungserhaltenden Reduktion58 (§ 306 Abs. 2 BGB) – nur in engen Grenzen
eine ergänzende Vertragsauslegung zu, und zwar dann, wenn das Festhalten am
Vertrag eine unzumutbare Härte nach § 306 Abs. 3 BGB59 darstellen würde.60 Dies
verlangt zumindest, dass die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel in AGB
keine angemessene, den typischen und schutzwürdigen Interessen des Klauselver-
wenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet.61 Es kommt
daher auf einen beiden Vertragsparteien möglichst gerecht werdenden Ausgleich
an.62
20 Nach § 305b BGB haben Individualabreden stets Vorrang vor AGB, sofern zwischen
ihnen ein Regelungswiderspruch besteht und die Individualabrede wirksam ver-
einbart wurde.63 Individualabreden i. S. v. § 305b BGB sind alle Vertragsbedingun-
gen, die nicht selbst AGB gem. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind, also gerade auch im Einzel-
nen ausgehandelte Vertragsbestimmungen nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB.64 Dabei fällt
die betriebliche Übung jedoch nicht unter den Begriff der Individualabrede i. S. d.
Powietzka
B. Umfang der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 11
§ 305b BGB.65 Die Vorschrift hat hauptsächlich Bedeutung für nach Vertragsschluss
zwischen den Parteien getroffene (mündliche oder konkludente) Vereinbarungen,
wobei die zeitliche Reihenfolge keinen Einfluss auf die Geltung des § 305b BGB hat.66
Grundsätzlich unerheblich ist auch, ob die Vertragsparteien eine Änderung der AGB
beabsichtigt hatten oder sich der Kollision mit den AGB überhaupt bewusst waren.67
Der erforderliche Regelungswiderspruch liegt dann vor, wenn die Individualverein-
barung durch die betreffende AGB-Klausel in ihrem Sinn und Zweck beeinträchtigt
oder ausgehöhlt wird.68 Bei § 305b BGB handelt es sich um keine Auslegungsregel,
denn vielmehr findet die Norm erst dann Anwendung, wenn eine Auslegung69 von
Individualabrede und AGB bereits stattgefunden hat und zu dem Ergebnis gelangt ist,
dass ein Regelungswiderspruch besteht.70
Der Grundsatz des Vorrangs der Individualabrede gilt auch zugunsten des Ver- 21
wenders.71 Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei derjenigen Partei, die sich auf
eine vorrangige Individualabrede beruft.72
Für Einmalbedingungen73 verweist § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht auf § 305b BGB. 22
Nichtsdestotrotz haben Individualvereinbarungen auch vor Einmalbedingungen
Vorrang. Dies ergibt sich bereits aus einer Auslegungsregel, wonach eine konkrete
Einigung grundsätzlich vorgeht, sofern diese zu Widersprüchen führt, so dass die
fehlende Verweisung auf § 305b BGB unschädlich ist.74
65 Palandt/Grüneberg, § 305b Rn. 2; BAG, Urt. v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, Rn. 41 f.; vgl. Kap. 9 Rn. 24
zum Verhältnis der betrieblichen Übung und der Individualabrede im Rahmen der Schriftformklau-
sel.
66 Lakies; Kap. 1 Rn. 99; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 305b Rn. 5.
67 BGH, Urt. v. 21.9.2005 – XII ZR 312/02, Rn. 15; MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 113.
68 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 305b Rn. 7.
69 Vgl. zur Auslegung von AGB Rn. 14 ff.
70 MüKo-BGB/Basedow, § 305b Rn. 2.
71 Palandt/Grüneberg, § 305b Rn. 1; MüKo-BGB/Basedow, § 305b Rn. 6.
72 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 305b Rn. 10.
73 Siehe Rn. 6 und 10.
74 Palandt/Grüneberg, § 310 Rn. 18; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 305b Rn. 2;
für die Anwendbarkeit des § 305b BGB Hümmerich/Boecken/Hümmerich/Ebeling, § 305b Rn. 3.
Powietzka
12 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
Verkehr empfiehlt, auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf
in Anspruch genommen werden kann. Dieser Anspruch kann von in § 3 UKlaG näher
bezeichneten Einrichtungen und Verbänden – insbesondere Verbraucherverbän-
den – geltend gemacht werden. Für Klagen nach dem UKlaG sind die Landgerichte
ausschließlich zuständig (§ 6 Abs. 1 UKlaG). Durch das Verbandsklageverfahren soll
verhindert werden, dass sich Rechtsunkundige von der Geltendmachung ihrer Rechte
abhalten lassen.75
24 Nach § 15 UKlaG findet das UKlaG jedoch keine Anwendung auf das Arbeits-
recht. Ohne diese Herausnahme aus dem Anwendungsbereich des UKlaG hätten
sich die zuständigen Landgerichte mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen befassen
müssen, was jedoch der Arbeitsgerichtsbarkeit vorbehalten ist.76 Zudem zweifelte der
Gesetzgeber an, ob es zweckmäßig sei, auf Arbeitnehmerseite andere Verbände als
Gewerkschaften für klagebefugt zu erklären.77
2. Regelfall: Individualverfahren
25 Da das Verbandsklageverfahren nach § 15 UKlaG auf das Arbeitsrecht keine Anwen-
dung findet, muss sich jeder Vertragspartner individuell gegen den Verwender (etwa-
iger) unwirksamer AGB wenden. Dabei wird bei dahingehenden Streitigkeiten zwi-
schen Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten
nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG eröffnet sein, da es sich regelmäßig um eine bürgerliche
Rechtsstreitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber handeln
wird. Diese Regelung des ArbGG begründet eine umfassende Zuständigkeit des
Arbeitsgerichts für alle individualrechtlichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis.78
Die Unwirksamkeit einer in seinem Formulararbeitsvertrag enthaltenen Klausel kann
der Arbeitnehmer aber auch als Einwand gegen vom Arbeitgeber klageweise verfolgte
Ansprüche geltend machen.79
Powietzka
B. Umfang der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 13
§ 310 Abs. 3 BGB sieht in verschiedener Hinsicht Modifikationen des AGB-Rechts für 26
sog. Verbraucherverträge vor.
Powietzka
14 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
digen beruflichen Tätigkeit handelt.87 Allerdings ist nicht zwingend jeder Arbeitge-
ber auch ein Unternehmer, und zwar dann nicht, wenn ein Arbeitgeber für private
Zwecke einen Arbeitnehmer (z. B. Gärtner; Zugehfrau) einstellt – dann ist er zwar
Arbeitgeber, aber nicht Unternehmer.88
Powietzka
B. Umfang der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 15
grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Dies hat
zur Folge, dass in der Regel jeder von einem Arbeitgeber vorformulierte Vertrag der
Inhaltskontrolle unterliegt und nicht nur dann, wenn die Absicht einer mindestens
dreimaligen Verwendung vorliegt.95 Dagegen besteht – wie im Rahmen von § 310
Abs. 3 Nr. 1 BGB – kein Schutz des Arbeitnehmers, wenn eine für den Einzelfall vorfor-
mulierte Klausel auf Vorschlag des Arbeitnehmers in den Vertrag einbezogen wurde.96
Das Merkmal des „Einflussnehmens“ entspricht dem „Aushandeln“ in § 305 33
Abs. 1 S. 3 BGB.97 Dabei muss der Verbraucher – also der Arbeitnehmer – bewei-
sen, dass er nicht die Möglichkeit einer Einflussnahme hatte.98 Auch hier gelten
die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast.99 Der Arbeitgeber
muss den Vortrag des Arbeitnehmers, er habe keine Einflussmöglichkeiten gehabt,
qualifiziert bestreiten, indem er konkret darlegt, wie er die Klauseln zur Disposition
gestellt hat und aus welchen Umständen daraus geschlossen werden kann, dass der
Arbeitnehmer die Vertragsklauseln freiwillig akzeptiert habe.100 Wie auch im Rahmen
von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB muss sich die Einflussnahmemöglichkeit auf eine konkrete
Klausel beziehen, so dass es bei deren Fehlen im Übrigen bei einer AGB-Kontrolle
verbleibt (vgl. auch hier den Wortlaut „soweit“).101
Powietzka
16 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
35 Nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB sind bei der Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsver-
träge einige Besonderheiten zu beachten. Zum einen ist § 305 Abs. 2 und 3 BGB nicht
anzuwenden. Damit findet bei Arbeitsverträgen keine Einbeziehungskontrolle
statt, so dass insbesondere kein ausdrücklicher Hinweis des Arbeitgebers auf die AGB
erfolgen und für den Arbeitnehmer nicht die zumutbare Möglichkeit der Kenntnis-
nahme bestehen muss. Der Schutz des Arbeitnehmers wird durch den Wegfall der
Einbeziehungskontrolle aber keineswegs geschmälert, denn an deren Stelle treten als
arbeitsrechtliche Besonderheit die Vorschriften des Nachweisgesetzes (NachwG).109
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG hat der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem
vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedin-
gungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem
Arbeitnehmer auszuhändigen. Allerdings ist dieser Nachweis der wesentlichen
Vertragsbedingungen keine Wirksamkeitsvoraussetzung hinsichtlich der Verein-
barung der verschiedenen Vertragsklauseln.110 Ob die Vertragsklauseln wirksam in
den Vertrag aufgenommen bzw. vereinbart wurden, richtet sich nach den allgemei-
nen Vorschriften der §§ 145 ff BGB.111 Danach ist eine Willensübereinstimmung der
Powietzka
B. Umfang der AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 17
Parteien notwendig, die auch stillschweigend erfolgen kann.112 Dies entspricht der
Rechtsprechung des BGH zur Einbeziehung von AGB in zwischen zwei Unternehmern
geschlossene Verträge, auf die § 305 Abs. 2 und 3 BGB ebenfalls keine Anwendung
findet (§ 310 Abs. 1 S. 1 BGB).113
Des Weiteren wird durch § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 BGB bestimmt, dass bei der Anwen- 36
dung der §§ 305 ff BGB auf Arbeitsverträge die im Arbeitsrecht geltenden Beson-
derheiten angemessen zu berücksichtigen sind. Diese Vorschrift wurde im Zuge
der Schuldrechtsmodernisierung deshalb eingefügt, da der Gesetzgeber das Schutz-
niveau im Arbeitsrecht dem des allgemeinen Zivilrechts anpassen wollte, sich jedoch
außerstande sah, für alle Einzelfälle der §§ 305 ff. BGB zu prüfen, ob sie tatsächlich
im Arbeitsrecht passend sind, und diese Prüfung der Rechtsprechung überlassen
wollte.114
Der Begriff „Besonderheiten des Arbeitsrechts“ stellt einen unbestimmten 37
Rechtsbegriff dar, der auslegungsbedürftig ist.115 Die Rechtsprechung legt diesem
Begriff grundsätzlich ein weites Verständnis zugrunde.116 Es sind nicht nur Beson-
derheiten innerhalb des Arbeitsrechts (z. B. Arbeitsverträge im kirchlichen Bereich,
befristete Verträge, Tendenzunternehmen etc.) gemeint, sondern auch Besonderhei-
ten gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht.117 Des Weiteren werden von diesen Beson-
derheiten sowohl solche rechtlicher als auch tatsächlicher Art erfasst.118
Rechtliche Besonderheiten können sich aus Gesetz, Richterrecht, Gewohn- 38
heitsrecht und aus Rechtsgrundsätzen oder -prinzipien ergeben.119 Bei Gesetzen
werden sowohl rein arbeitsrechtliche Sondernormen als auch solche Vorschriften
berücksichtigt, die sich in ihrer Anwendung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts beson-
ders auswirken.120
Beispiel
Der Ausschluss der Vollstreckbarkeit der Arbeitsleistung nach § 888 Abs. 3 ZPO ist eine im Arbeits-
recht geltende Besonderheit i. S. d. § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 BGB. Bei der Erbringung der Arbeitsleistung
handelt es sich grundsätzlich um eine nicht vertretbare Handlung, da der Arbeitnehmer verpflichtet
112 Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 611 Rn. 75b; MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 114.
113 Lakies, Kap. 1 Rn. 228 mwN zur Rspr. des BGH.
114 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 310 Rn. 31; vgl. auch Rn. 2.
115 Hümmerich/Reufels/Reufels, § 1 Rn. 155.
116 Vgl. Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn 54; Hümmerich/Reufels/Reufels, § 1 Rn. 156, 159.
117 BAG, Urt. v. 4.3.2004 – 8 AZR 328/03, Rn. 43 ff.; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/
Ulrici, § 310 Rn. 33.
118 BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, Rn. 21; BAG, Urt. v. 23.9.2010 – 8 AZR 897/08, Rn. 41; Suck-
ow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 54; Palandt/Grüneberg, § 310 Rn. 51; ablehnend hinsichtlich der
tatsächlichen Besonderheiten ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 11, der eine Berücksichtigung von tat-
sächlichen Besonderheiten nur dann anerkennt, wenn sie sich normativ widerspiegeln.
119 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 310 Rn. 31.
120 Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 54.
Powietzka
18 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
ist, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen, wenn die Parteien nicht etwas anderes verein-
bart haben (§ 613 BGB). Daher sind Vertragsstrafenvereinbarungen in Formulararbeitsverträgen nicht
nach § 309 Nr. 6 BGB generell unzulässig.121
I. S
chutzzweck
121 BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 896/07, Rn. 35; vgl. dazu Kap. 3 Rn. 33.
122 BAG, Urt. v. 1.3.2006 – 5 AZR 363/05, Rn. 33; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulri-
ci, § 310 Rn. 33; Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 54 mit dem Beispiel der zweistufigen Aus-
schlussfristen.
123 BT-Drucks. 14/6857, S. 54; BAG, Urt. v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03; MaSiG/Maschmann, Kap. B
Rn. 138.
124 Vgl. BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 896/07, Rn. 35 für eine Vertragsstrafenklausel; BAG, Urt. v.
25.5.2005 – 5 AZR 572/04 für eine zweistufige Ausschlussfrist.
125 Zu § 308 BGB siehe Rn. 99 ff.
126 MüKo-BGB/Basedow, § 310 Rn. 101.
127 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 310 Rn. 34.
Powietzka
C. Überraschende Klauseln, § 305c Abs. 1 BGB 19
128 BGH Urt. v. 8.10.1975 – VIII ZR 81/74, Rn. 19; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 305c BGB Rn. 4.
129 Zu § 310 Abs. 4 S. 2 BGB siehe Rn. 35 ff.
130 BAG, Urt. v. 29.11.1995 – 5 AZR 447/94, Rn. 20 f.; MüKo-BGB/Basedow, § 305c Rn. 1, 17; ErfK/Preis,
§§ 305–310 BGB Rn. 29; Lingemann, NZA 2002, 181, 186.
Powietzka
20 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
zu rechnen braucht.131 Die Prüfung einer Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB erfolgt somit
in drei Schritten. Zunächst ist festzustellen, welche berechtigten Vertragserwar-
tungen der Arbeitnehmer haben durfte. Im zweiten Schritt ist der Inhalt der streiti-
gen AGB-Klausel zu ermitteln. Schließlich ist festzustellen, ob zwischen den Vorstel-
lungen des Arbeitnehmers und dem Inhalt der Vereinbarung die Diskrepanz so groß
ist, dass eine überraschende Klausel im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB angenommen
werden kann.
47 Eine nur unübliche und unerwartete Klausel reicht dafür nicht aus, vielmehr
muss der Vereinbarung ein „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt“132
innewohnen. Das Überraschungsmoment ist dabei umso eher zu bejahen, je belas-
tender die Bestimmung ist,133 kann aber im Einzelfall zu verneinen sein, wenn auf
die Klausel besonders hingewiesen oder sie drucktechnisch (z. B. durch Fettdruck)
hervorgehoben wurde.134 Die Anforderungen an die Hinweisobliegenheit bestimmen
sich proportional zum Grad der Belastung der Klausel für den Arbeitgeber und der
Abweichung von den gewöhnlichen Vertragsbestimmungen. Der Überraschungsef-
fekt kann sich bereits aus der Stellung der Klausel im Vertrag ergeben, z. B. dann,
wenn die Klausel an ungewöhnlicher Stelle steht, an der sie der Vertragspartner nicht
zu erwarten braucht.135
48 Bei der Überprüfung ist ein objektiv-genereller Prüfungsmaßstab anzulegen,
bei dem alle Umstände, insbesondere das äußere Erscheinungsbild des Vertrages, zu
berücksichtigen sind. Besteht zwischen den Erwartungen des Vertragspartners und
dem tatsächlichen Vertragsinhalt ein deutlicher Widerspruch, so liegt eine über-
raschende Klausel laut BAG dann vor, wenn der Arbeitnehmer mit diesem Inhalt
unter den konkreten Umständen des Vertragsschlusses und nach der Gestaltung des
Arbeitsvertrages, insbesondere dessen äußerem Erscheinungsbild, berechtigter-
weise nicht zu rechnen brauchte.136
131 BAG Urt. v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, Rn. 16; BAG, Urt. v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, Rn. 59.
132 BAG, Urt. v. 29.11.1995 – 5 AZR 447/94, Rn. 22; BAG Urt. v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, Rn. 16; ErfK/
Preis, §§ 305–310 BGB, Rn. 29; MüKo-BGB/Basedow, § 305c Rn. 10.
133 BAG, Urt. v. 29.11.1995 – 5 AZR 447/94, Rn. 23; BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, Rn. 21; Suck-
ow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 65; Lakies, Kap. 1 Rn. 243.
134 BAG Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, Rn. 21; BAG Urt. v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, Rn. 16; MüKo-
BGB/Basedow, § 305c Rn. 8.
135 BGH Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 27; BAG Urt. v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, Rn. 16.
136 BAG, Urt. v. 23.2.2005 – 4 AZR 139/04, Rn. 59; BAG Urt. v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07, Rn. 16; BAG
Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 717/07, Rn. 24.
Powietzka
C. Überraschende Klauseln, § 305c Abs. 1 BGB 21
weise eingeführten Klauseln, mit denen der Arbeitnehmer zu rechnen hat. Im Rahmen
der dreistufigen Prüfung des § 305c Abs. 1 BGB ist deshalb zunächst festzustellen, ob
die Klausel gegen berechtigte Erwartungen des Arbeitnehmers verstößt. Abzustellen
ist dabei auf die konkreten Vorstellungen des individuellen Vertragsschließenden,
d. h. in der Regel auf die des Arbeitnehmers selbst, im Falle einer Stellvertretung
gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf die des Vertreters. Diese Erwartungen können sich sowohl
aus generellen als auch aus individuellen Umständen ergeben.
a) Generelle Umstände
§ 305c Abs. 1 BGB schützt die berechtigte Erwartung des Arbeitnehmers, dass die 50
Klauseln in seinem Arbeitsvertrag der vertragstypkonformen und gebräuchlichen
Rechtsgestaltung entsprechen. Entscheidend hierbei ist die Abweichung von den
üblichen Regelungen. Ob eine Regelung gebräuchlich oder unüblich ist, bestimmt
sich nach den Erkenntnismöglichkeiten des typischen durchschnittlichen Arbeitneh-
mers.137 Ungewöhnlich sind sowohl inhaltlich als auch formal nicht zu erwartende
Klauseln.
Der Inhalt einer Klausel ist ungewöhnlich, wenn er deutlich von den Gepflo- 51
genheiten der Arbeitsvertragspraxis abweicht.138 Um die jeweiligen Gepflogenheiten
bestimmen zu können, sind u. a. die branchenspezifischen Besonderheiten, die Posi-
tion, die Qualifikation und die Betriebsgröße zu beachten. Aufgrund dieser Gepflo-
genheiten hat der Arbeitnehmer eine berechtigte Vorstellung, welche Klauseln zu
erwarten sind. Weichen die Vereinbarungen davon deutlich ab und sind somit als
überraschend zu qualifizieren, so werden sie nicht Bestandteil des Formulararbeits-
vertrages, es sei denn der Arbeitgeber hat ausreichend und gesondert auf sie hinge-
wiesen.
Formal kann eine Klausel aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes, bspw. auf- 52
grund des äußeren Zuschnittes, der drucktechnischen Anordnung oder des Schrift-
bildes, überraschend sein.139 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitge-
ber die Vereinbarung an unerwarteter Stelle im Vertrag festhält, indem er sie bspw.
unter einer falschen oder missverständlichen Überschrift einordnet,140 unter der sie
der Arbeitnehmer nicht erwarten muss.
Beispiele
Von den Arbeitsgerichten entschiedene Anwendungsfälle für das Vorliegen überraschender Klauseln
aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes sind:
Powietzka
22 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
b) I ndividuelle Umstände
53 Die berechtigte Erwartung des Arbeitnehmers kann sich auch aus individuellen
Umständen ergeben. Geschützt wird hier das Vertrauen auf eine Vertragsgestaltung,
die dem Willen des Arbeitnehmers Rechnung trägt. Individuell unüblich ist eine
Regelung dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der geführten Vertragsverhandlun-
gen und im Vorfeld erfolgten Absprachen mit ihr nicht zu rechnen braucht.146 Dies
ist bspw. dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der Vertragsverhandlun-
gen bestimmte Vorstellungen zum Ausdruck bringt und der Arbeitgeber diesen nicht
widerspricht, anschließend aber im Vertrag etwas anderes regelt147 oder wenn der
Arbeitgeber zu verstehen gibt, dass er bestimmte Punkte im Vertrag als nicht rege-
lungsbedürftig ansehe und deshalb von einer Regelung Abstand nehme, im Vertrag
dann aber doch eine solche aufnimmt.148
54 In diesen Fällen wird die fragliche Klausel nur dann Bestandteil des Formularar-
beitsvertrages, wenn der Arbeitnehmer die Klausel vor Vertragsschluss zur Kenntnis
nimmt oder der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Vertragsschluss einen eindeuti-
gen Hinweis gibt.149
55 Bei der Frage, ob eine Klausel Bestandteil des Formulararbeitsvertrages geworden ist,
gelten die Regeln zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast.
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 23
IV. Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen des § 305c Abs. 1 BGB vor und handelt es sich somit um 58
eine überraschende Klausel, so wird diese nicht Bestandteil des Formulararbeitsver-
trages.
§ 307 BGB nimmt innerhalb der Inhaltskontrolle von AGB eine herausragende Stel- 59
lung als Kernregelung ein, auch wenn die Vorschrift als Auffangtatbestand und
Generalklausel erst nach den besonderen Klauselverboten der §§ 308, 309 BGB zu
prüfen ist. Hier ist zunächst gemäß § 309 BGB daraufhin zu prüfen, ob die Klausel
gegen ein Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit verstößt. Im zweiten Schritt ist
festzustellen, ob die Klausel mit den Klauselverboten mit Wertungsmöglichkeit im
Sinne des § 308 BGB in Einklang steht. Schließlich ist die Klausel am Maßstab des
150 Palandt/Grüneberg, § 305c Rn. 14; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 305c BGB Rn. 11.
151 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 305c BGB, Rn. 11.
152 Lakies, Kap. 1 Rn. 249; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn. 81.
Powietzka
24 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
§ 307 BGB und zwar zuerst anhand der Regelbeispiele des § 307 Abs. 2 BGB und dann
an § 307 Abs. 1 BGB zu überprüfen.
60 § 307 BGB enthält seit der Schuldrechtsreform in Abs. 1 S. 1 die Generalklausel
der Inhaltskontrolle und wurde ohne wesentliche Veränderungen aus § 9 AGBG über-
nommen. In § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist das ehemals in § 8 AGBG enthaltene Transpa-
renzgebot ausdrücklich normiert, das u. a. eine Entscheidung des EuGH153 umsetzt.
Regelungen zur Vermutung einer unangemessenen Benachteiligung sind in § 307
Abs. 2 BGB enthalten. Jedoch ist auch hier eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, ob
eine unangemessene Benachteiligung vorliegt. Die Regelbeispiele sind folglich wider-
legbar.154 § 307 Abs. 3 S. 1 enthält schließlich Einschränkungen der AGB-Kontrolle
und S. 2 normiert eine Ergänzung des Transparenzgebots.
61 Die Inhaltskontrolle gilt immer nur zugunsten des Vertragspartners des Ver-
wenders, nie zugunsten des Verwenders selbst.155 Der Schutzzweck der Inhaltskon-
trolle ist, den Verwendungsgegner vor unangemessenen Ergebnissen der einseitigen
Vertragsgestaltungsmacht des Verwenders zu schützen.156 Im Arbeitsrecht kommt als
Verwender grundsätzlich nur der Arbeitgeber in Betracht, so dass die Inhaltskont-
rolle im Arbeitsrecht dem Schutz des Arbeitnehmers dient.
62 Das in der Generalklausel in § 307 Abs. 1 S. 1 BGB enthaltene Verbot der unangemes-
senen Benachteiligung wird in § 307 Abs. 2 BGB durch Beispiele konkretisiert, indem
rechtliche Kriterien angegeben werden, bei deren Vorliegen „im Zweifel“ eine solche
Benachteiligung anzunehmen ist. Sofern Abs. 2 einschlägig ist, ist deshalb dieser
Sondertatbestand vorrangig zu prüfen. Die beiden Regelbeispiele haben ihrerseits
ebenfalls generalklauselartigen Charakter und stehen gleichrangig nebeneinander.157
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 25
partner des Verwenders geschützt werden soll, kommen nur für ihn nachteilige
Abweichungen in Betracht.
Um feststellen zu können, ob eine Abweichung vorliegt, muss zunächst das 64
einschlägige Vergleichsrecht bestimmt werden. Eine AGB-Klausel ist nach ständi-
ger Rechtsprechung des BGH dann unwirksam, wenn durch ihren Inhalt das „Leit-
bild“ abgeändert wird, das für den gewählten Vertragstyp in dispositiven Vorschrif-
ten niedergelegt ist.158 Die inhaltliche Änderung muss zu Lasten des Arbeitnehmers
gehen.159 Vor der Inhaltskontrolle der AGB-Klauseln ist deshalb eine Vertragswahl-
kontrolle durchzuführen. Durch die Festlegung der Vertragswahl wird das gesetzliche
Leitbild bestimmt, das dann als Maßstab für die Inhaltskontrolle dient.
Zum Leitbild gehörende gesetzliche Regelungen sind zunächst alle dispositi- 65
ven Gesetzesnormen. Bei Abweichungen von zwingenden Normen ist nicht § 307
Abs. 2 Nr. 1 BGB anwendbar, sondern § 134 BGB.160
Praxistipp
Da im Arbeitsrecht weite Teile zwingendes Recht sind, bleibt der Anwendungsbereich von § 307 Abs. 2
Nr. 1 BGB eher gering.
158 BGH, Urt. v. 24.9.1980 – VIII ZR 273/79; BGH, Urt. v. 20.5.2009 – XII ZR 94/07, Rn. 24; Palandt/
Grüneberg, § 307 Rn. 28; MüKo-BGB/Wurmnest, § 307 Rn. 65.
159 Vgl. BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 52; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 52.
160 BGH, Urt. v. 27.6.2007 – VIII ZR 149/06, Rn. 21; Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 29; Suckow/Striegel/
Niemann/Niemann, Rn. 92.
161 BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, Rn. 24; BAG, Urt. v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, Rn. 27;
BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 52; MüKo-BGB/Wurmnest, § 307 Rn. 68; Lakies, Kap. 1 Rn. 343.
162 BGH, Urt. v. 25.6.1991 – XI ZR 257/90, Rn. 17; BGH, Urt. v. 21.12.1983 – VIII ZR 195/82, Rn. 12; BGH,
Urt. v. 23.11.2006 – X ZR 16/05, Rn. 28; BGH, Urt. v. 27.6.2001 – VIII ZR 149/06, Rn. 22.
163 BAG, Urt. v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, Rn. 35; BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, Rn. 23; BAG,
Urt. v. 25.4.2007 – 5 AZR 627/06, Rn. 19.
Powietzka
26 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
164 Zust. Canaris, FS Ulmer, 2003, S. 1073, 1082; krit. zu dieser Differenzierung BeckOK-ArbR/Jacobs,
§ 307 BGB Rn. 50; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 55; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs, AGB-Recht
Rn. 222 ff.
165 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 50; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 55; Wolf/Lindacher/
Pfeiffer/Pfeiffer, AGB-Recht, § 307 Rn. 115.
166 Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 27; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 55; Suckow/Striegel/Niemann/
Niemann, Rn. 93.
167 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 51; Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 93.
168 Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 34.
169 BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 65; Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 97.
170 BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 64; Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 34; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307
BGB Rn. 54.
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 27
Beispiel
Arbeitsrechtlich besonders relevant ist eine Abweichung vom richterrechtlich entwickelten Grundsatz
der Haftungsverteilung im Arbeitsrecht.173
Durch die Abweichung der Regelung von den Gesetzesbestimmungen muss die Errei- 72
chung des Vertragszwecks gefährdet sein. Dies ist dann der Fall, wenn hinreichend
wahrscheinlich ist, dass durch die Klausel der Vertragszweck, der objektiv aufgrund
der Natur des Vertrages zu erwarten ist, nicht erreicht werden kann.174 Für eine
Gefährdung bedarf es mehr als nur der bloßen Möglichkeit einer Vereitelung. Eine
gänzliche Vereitelung des Vertragszweckes ist nicht erforderlich, sie wird aber von
§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ebenfalls erfasst.175
Sind die beiden Sondertatbestände des § 307 Abs. 2 BGB nicht einschlägig, so ist auf 74
die Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB zurückzugreifen. Gemäß § 307 Abs. 1 BGB
sind Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner
171 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 54; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 64; Palandt/Grüneberg,
§ 307 Rn. 34.
172 BGH, Urt. v. 24.10.2001 – VIII ARZ 1/01, Rn. 21.
173 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 54.
174 BGH, Urt. v. 20.6.1984 – VIII ZR 137/83, Rn. 24; BGH, Urt. v. 11.11.1992 – VIII ZR 238/91, Rn. 15;
BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 55; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 66.
175 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 55; BeckOK-BGB/Schmidt, § 307 Rn. 66; Palandt/Grüneberg,
§ 307 Rn. 36.
176 Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 33.
177 Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 102.
Powietzka
28 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benach-
teiligen.
75 Ob eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, hängt von einer Gesamtab-
wägung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände ab, die von Bedeutung für
die Klausel sind. Die rechtlich anerkannten Interessen der beiden Vertragspartner
müssen wechselseitig berücksichtigt und bewertet werden.178 Festzustellen sind zum
einen die Interessen des Arbeitgebers an der Aufrechterhaltung der AGB-Klausel und
zum anderen die Gründe, die aus Sicht des Arbeitnehmers für den Wegfall der Klausel
sprechen. Die widerstreitenden Interessen müssen im zweiten Schritt gegeneinan-
der abgewogen werden. Dabei ist auf einen generell-typisierenden Beurteilungs-
maßstab abzustellen. Nicht die konkret-individuellen Umstände sind maßgeblich,
sondern die typischerweise anzutreffende Interessenlage.179
76 Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist nach der ständigen Rechtspre-
chung des BGH unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertrags-
gestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners
durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu
berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.180
77 Das BAG hat folgende Maßstäbe für die Prüfung des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB auf-
gestellt. Danach ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses
des Arbeitnehmers unangemessen, die nicht durch begründete und billigenswerte
Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile aus-
geglichen wird.181 Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt
eine wechselseitige Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennen-
den Interessen voraus, wobei eine umfassende Würdigung beiderseitigen Positionen
unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu erfolgen hat.182
Grundrechtlich geschützte Rechtspositionen sind zu beachten.183 Zur Beurteilung
der Unangemessenheit ist ein genereller, typisierender, vom Einzelfall losgelöster
Maßstab anzulegen.184 Zu berücksichtigen sind Art und Gegenstand, Zweck und
besondere Eigenart des jeweiligen Geschäfts, die Stellung der Klausel im Gesamtver-
trag, Aspekte einer gerechten Risikoverteilung, die Verkehrssitte oder die Möglichkeit
einer Versicherung des vertraglichen Risikos sowie die den Vertragsschluss beglei-
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 29
tenden Umstände.185 Zu überprüfen ist, ob die Klausel bei der in Rede stehenden Art
des Rechtsgeschäfts generell und unter Berücksichtigung der typischen Interessen
der beteiligten Verkehrskreise eine unangemessene Benachteiligung des Vertrags-
partners ergibt.186
Beispiele
Von den Arbeitsgerichten entschiedene Fälle zu § 307 Abs. 1 S. 1 BGB:
– Arbeit auf Abruf: Bei einer Vereinbarung von Arbeit auf Abruf (§ 12 TzBfG) darf der Anteil der ab-
rufbaren Arbeitsleistung nicht mehr als 25 % der vereinbarten wöchentlichen Mindestarbeitszeit
betragen.187
– Ausschlussfristen: Einseitige Ausschlussfristen in vorformulierten Arbeitsverträgen, die nur zum
Ausschluss der Ansprüche des Arbeitnehmers führen, verstoßen gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.188
Zweiseitige Ausschlussfristen sind hingegen nicht generell unwirksam.189
– Rückzahlungsklauseln zu Aus- und Fortbildungskosten: Eine Rückzahlungsklausel, die einen
Mitarbeiter zur Rückzahlung der als Darlehen gewährten Studiengebühren verpflichtet, „wenn
das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendigt wird“ und nicht danach unterscheidet, ob der Grund der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Sphäre des Arbeitgebers oder der des Arbeitnehmers
zuzuordnen ist, ist nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, weil durch sie der Arbeitnehmer unan-
gemessen benachteiligt wird.190
Gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch 78
daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Das Transparenzgebot ist in langjähriger ständiger Rechtsprechung entwickelt 79
worden. Seit In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002
ist dieser Grundsatz im Gesetz in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich normiert. Damit
kam der deutsche Gesetzgeber der Forderung des EuGH, Art. 5 S. 1 der Richtlinie
93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen umzusetzen,
nach. Die Normierung sollte dabei keine inhaltliche Änderung des Grundsatzes mit
sich bringen, sondern diesen lediglich verdeutlichen und klarstellen.191
185 BAG, Urt. v. 8.8.2007 – 7 AZR 855/06, Rn. 16, 18; BAG, Urt. v. 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, Rn. 56;
BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 BGB Rn. 33; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 45 ff.
186 BAG, Urt. v. 8.8.2007 – 7 AZR 855/06, Rn. 16; BAG, Urt. v. 27.7.2005 – 7 AZR 486/04, Rn. 50; BAG,
Urt. v. 18.1.2006 – 7 AZR 191/05, Rn. 30; BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, Rn. 33.
187 BAG, Urt. v. 07.12.2005 – 5 AZR 535/04, Rn. 44.
188 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 29.
189 BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04.
190 BAG, Urt. v. 23.1.2007 – 9 AZR 482/06, Rn. 21.
191 BT-Drs. 14/6040, S. 154; BT-Drs. 14/7052, S. 188.
Powietzka
30 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
1. Beurteilungsmaßstab
82 Der Maßstab für die Prüfung des Transparenzgebots ist der aufmerksame und sorg-
fältige Vertragspartner und nicht der flüchtige Betrachter.195 Bei der Bewertung der
Transparenz ist auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durch-
schnittlichen Vertragspartners im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen.196
Die Regelung muss für den durchschnittlichen Arbeitnehmer verständlich sein. Auf
das Verständnis und die Erkenntnismöglichkeit des konkret betroffenen Arbeitneh-
mers kommt es aufgrund der typisierenden und generalisierenden Betrachtungs-
weise nicht an.197
192 BGH, Urt. v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, Rn. 23; BGH, Urt. v. 09.12.2009 – XII ZR 109/08, Rn. 22;
BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 29; Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 20; BeckOK-ArbR/Jacobs,
§ 307 BGB Rn. 57.
193 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 45; BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 29; BGH,
Urt. v. 9.12.2009 – XII ZR 109/08 Rn. 22; BGH, Urt. v. 8.10.1997 – IV ZR 220/96, Rn. 34; BeckOK-BGB/
Schmidt, § 307 Rn. 43.
194 BAG, Urt. v. 18.5.2011 – 10 AZR 206/10, Rn. 29; BAG, Urt. v. 20.3.2013 – 10 AZR 636/11, Rn. 25; BAG,
Urt. v. 16.1.2013 – 10 AZR 26/12, Rn. 20.
195 BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 717/07, Rn. 48; Palandt/Grüneberg, § 307 Rn. 23; BeckOK-ArbR/Ja-
cobs, § 307 Rn. 60.
196 BGH, Urt. v. 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, Rn. 24; BGH, Urt. v. 9.12.2009 – XII ZR 109/08, Rn. 22;
BGH, Urt. v. 21.7.2010 – XII ZR 189/08, Rn. 29.
197 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 307 Rn. 60.
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 31
2. E
inzelausprägungen
Im Rahmen des Transparenzgebot lassen sich drei Einzelausprägungen unterschei- 83
den: das Verständlichkeitsgebot, das Bestimmtheitsgebot und das Täuschungs-
verbot. Oftmals überschneiden sich diese drei Ausprägungen in der Praxis, so dass
eine ganz präzise Abgrenzung nur schwer möglich ist.
a) Verständlichkeitsgebot
Das Verständlichkeitsgebot ergibt sich direkt aus dem Wortlaut des § 307 Abs. 1 S. 2 84
BGB, der besagt, dass die Bestimmung klar und verständlich sein muss. Dies bedeu-
tet nicht nur, dass die Regelung klar formuliert sein muss, sondern auch, dass zusam-
mengehörende Regelungen im Zusammenhang erscheinen und nicht in anderen Teil-
regelungen versteckt werden.198 Diese Verpflichtung besteht jedoch nur im Rahmen
des Möglichen und Zumutbaren und darf den AGB-Verwender nicht überfordern.199
Der Arbeitgeber darf in der Gesetzessprache übliche Begriffe übernehmen.200 Das
Verständlichkeitsgebot begründet auch keine allgemeine Rechtsbelehrungspflicht
des Verwenders.201 Zudem führt die bloße Auslegungsbedürftigkeit einer Klausel
nicht zugleich zwingend zu ihrer Intransparenz.202
Sinn und Zweck des Verständlichkeitsgebots ist es, den Vertragspartner davor 85
zu schützen, aufgrund der Intransparenz daran gehindert zu werden, Verhandlungs-
möglichkeiten oder Marktchancen wahrzunehmen.203 In der Gefahr, dass er wegen
unklar abgefasster AGB seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene
Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.204
Beispiele
– Ausschlussfristen: Um dem Transparenzgebot zu genügen, bedarf es aufgrund der weitreichen-
den Folgen von Ausschlussfristen regelmäßig eines Hinweises auf die Rechtsfolge des Verfalls
der Ansprüche bei nicht fristgerechter Geltendmachung.205
Powietzka
32 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
b) B
estimmtheitsgebot
86 Das Bestimmtheitsgebot verlangt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen und
Rechtsfolgen einer Klausel so genau beschrieben und konkretisiert werden, dass für
den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen, der
Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen
kann und von deren Durchsetzung nicht abgehalten wird. Eine Klausel genügt dem
Bestimmtheitsgebot nur dann, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich
Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so
klar und präzise wie möglich umschreibt. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 33
liegt dagegen vor, wenn eine Klausel vermeidbare Unklarheiten und Spielräume ent-
hält.212
Beispiele
– Auflösende Bedingungen: Wird eine auflösende Bedingung im vorformulierten Arbeitsvertrag
vereinbart, so muss der Zeitpunkt der Auflösung hinreichend und eindeutig bestimmbar sein.213
– Versetzungsklauseln: Eine formularmäßige Versetzungsklausel verstößt nicht allein deshalb ge-
gen das Bestimmtheitsgebot, weil keine konkreten Versetzungsgründe genannt sind.214 Auch
müssen Versetzungsklauseln nicht zwingend Ankündigungsfristen oder den zulässigen Entfer-
nungsradius angeben.215
– Vertragsstrafen: Voraussetzung für die ausreichende Bestimmtheit einer Vertragsstrafenverein-
barung ist nicht nur, dass die sie auslösende Pflichtverletzung so klar bestimmt ist, dass sich der
Versprechende in seinem Verhalten darauf einstellen kann, sondern auch, dass die zu leistende
Strafe ihrer Höhe nach klar und bestimmt ist.216 Eine Vertragsstrafenklausel genügt nur dann
dem Bestimmtheitsgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, wenn das die Vertragsstrafe auslösende
Fehlverhalten des Arbeitnehmers präzise beschrieben ist. Dem steht eine sich vom Wortlaut lö-
sende und den Anwendungsbereich erweiternde Auslegung entgegen.217
– Erstattung von Weiterbildungskosten: Eine Rückzahlungsklausel muss nach Ansicht des BAG
zumindest Art und Berechnungsgrundlagen der ggf. zu erstattenden Kosten angeben, sonst
kann der Arbeitnehmer sein Rückzahlungsrisiko nicht ausreichend abschätzen. Erforderlich ist
die genaue und abschließende Bezeichnung der einzelnen Positionen (z. B. Lehrgangsgebühren,
Fahrt-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten), aus denen sich die Gesamtforderung zusam-
mensetzen soll, und die Angabe, nach welchen Parametern die einzelnen Positionen berechnet
werden.218
– Leistungsboni: Für die hinreichende Bestimmtheit eines Leistungsbonus genügen die Angaben,
dass nach billigem Ermessen über den Leistungsbonus zu entscheiden ist und welche Faktoren
in seine Bemessung einfließen. Dass sich der Arbeitgeber die Bestimmung der Leistung vorbe-
hält, macht die Vereinbarung nicht unklar.219
– Gratifikationen: Eine arbeitsvertragliche Klausel, nach der der Arbeitgeber jährlich jeweils neu
über die Höhe der Weihnachtsgratifikation entscheidet, verstößt nicht gegen das Bestimmt-
heitsgebot. Die mit der Regelung verbundene Ungewissheit ist regelmäßig hinnehmbar, insbe-
sondere in den Fällen, in denen eine Sonderzahlung freiwillig und nicht von der Erbringung einer
Gegenleistung abhängig ist.220
212 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04; BAG, Urt. v. 8.8.2007 – 7 AZR 605/06; BGH, Urt. v.
26.10.2005 – VIII ZR 48/05, Rn. 23; BGH, Urt. v. 5.11.2003 – VIII ZR 10/03, Rn. 26.
213 BAG, Urt. v. 27.10.1988 – 2 AZR 109/88, Rn. 52.
214 BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, Rn. 39 ff.
215 BAG, Urt. v. 13.4.2010 – 9 AZR 36/09, Rn. 32.
216 BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, Rn. 27; BAG, Urt. v. 21.4. 2005 – 8 AZR 425/04, Rn. 31.
217 BAG, Urt. v. 23.1.2014 – 8 AZR 130/13, Rn. 25.
218 BAG, Urt. v. 21.8.2012 – 3 AZR 698/10, Rn. 19; BAG, Urt. v. 6.8.2013 – 9 AZR 442/12, Rn. 13.
219 BAG, Urt. v. 15.5.2013 – 10 AZR 679/12, Rn. 25; BAG, Urt. v. 20.3.2013 – 10 AZR 636/11, Rn. 26.
220 BAG, Urt. v. 16.1.2013 – 10 AZR 26/12, Rn. 21 ff.
Powietzka
34 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
c) T
äuschungsverbot
87 Durch das Täuschungsverbot sollen irreführende Klauseln ausgeschlossen werden.
Der Vertragspartner wird durch eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder
missverständlich darstellt, entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemes-
sen benachteiligt.221 Durch täuschende Klauseln hat der Verwender die Möglichkeit,
berechtigte Ansprüche des Vertragspartners abzuwehren oder unberechtigte Pflich-
ten von ihm zu verlangen.222
88 Eine Täuschungsabsicht ist nicht erforderlich, es genügt eine objektive Eignung
zur Irreführung.223
Beispiele
– Doppelte Schriftformklausel: Unwirksam ist eine Schriftformklausel, wenn sie dazu dient, nach
Vertragsschluss getroffene Individualvereinbarungen zu unterlaufen, indem sie beim anderen
Vertragsteil den Eindruck erweckt, eine mündliche Abrede sei entgegen § 305b BGB unwirksam.
Solche Klauseln sind geeignet, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich auf die Rechte zu beru-
fen, die ihm auf Grund einer wirksamen mündlichen Vereinbarung zustehen würden.224
– Bonuszahlung: Ein Verstoß gegen das Täuschungsverbot liegt vor, wenn der Arbeitgeber in
einem von ihm vorformulierten Arbeitsvertrag sich zu einer Bonuszahlung verpflichtet und im
Widerspruch dazu in einer anderen Vertragsklausel einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers
auf eine Bonuszahlung ausschließt. Dadurch ist die Bonusregelung nicht insgesamt unwirksam,
sondern nur insoweit, als der Arbeitnehmer durch den Ausschluss eines Rechtsanspruchs auf
die Bonuszahlung benachteiligt wird.225
3. Besonderheiten im Arbeitsrecht
89 Die gemäß § 310 Abs. 4 S. 2, Hs. 1 BGB im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten sind
auch im Rahmen der Transparenzkontrolle zu beachten.
Beispiel
– Dynamische Verweisungen: Bezugnahmen auf bspw. Tarifverträge oder beamtenrechtliche Re-
gelungen226 sind im Arbeitsrecht gebräuchlich und entsprechen einer üblichen Regelungstech-
nik. Oftmals ist dies sogar ausdrücklich in arbeitsrechtlichen Gesetzen erlaubt.227
– Eine Regelung verstößt auch nicht deshalb gegen das Transparenzgebot, weil sie dynamisch
ausgestaltet ist. Auch dynamische Bezugnahmeklauseln entsprechen der üblichen Regelungs-
technik und dienen den Interessen beider Parteien. Dies ergibt sich aus der Zukunftsgerichtet-
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 35
heit von Arbeitsverhältnissen.228 Ausreichend ist, dass die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwen-
dung in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind.229 Das Bundesarbeitsgericht legt
eine Bezugnahme auf einen genau bestimmten Tarifvertrag sogar ohne ausdrückliche Regelung
als dynamische Bezugnahme aus, wenn keine Anhaltspunkte für eine abweichende Absicht der
Parteien bestehen.230
4. U mstandskontrolle
Die Umstandskontrolle gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB erlangt vor allem bei der Trans- 90
parenzkontrolle Bedeutung. Eine an sich unklare und intransparente Regelung kann
durch das Heranziehen der den Vertragsschluss begleitenden Umstände, wie
z. B. Erläuterungen vor oder nach Vertragsschluss231 oder besondere Kenntnisse des
Arbeitnehmers232 transparent und somit geheilt werden.233
§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB normiert die Schranken der Inhaltskontrolle. Danach gelten §§ 307 91
Abs. 1 und 2, 308, 309 BGB nur für Bestimmungen in AGB, durch die von Rechtsvor-
schriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.
Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB sind nicht nur die Geset- 92
zesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden
allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, d. h. auch alle ungeschriebenen Rechts-
grundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung
nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu
entnehmenden Rechte und Pflichten.234
Durch den Wortlaut des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB werden der Inhaltskontrolle in zwei- 93
erlei Hinsicht Schranken gesetzt:235
Zum einen unterliegen Klauseln, die lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholen, 94
sog. deklaratorische Klauseln, nicht der Inhaltskontrolle. Grund dafür ist einerseits,
dass an die Stelle der unwirksamen Klausel ohnehin die gesetzliche Regelung träte
228 BAG, Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 29; BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04; BAG, Urt. v.
6.11.2002 – 5 AZR 330/01.
229 BAG, Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 29.
230 BAG, Urt. v. 5.4.2006 – 4 AZR 390/05, Rn. 43; BAG, Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 29.
231 BAG, Urt. v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, Rn. 37.
232 Lakies Rn. 289; Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 48.
233 Nähere Ausführungen zu § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei Rn. 34.
234 BAG, Urt. v. 18.1.2012 – 10 AZR 612/10, Rn. 20; BAG, Urt. v. 24.10.2007 – 10 AZR 825/06; Rn. 24;
BAG, Urt. v. 11.11.2006 – 5 AZR 721/05, Rn. 18.
235 BT-Drucks. 7/3919, S. 22.
Powietzka
36 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
und andererseits sonst eine mittelbare Normenkontrolle drohen würde.236 Ist bei-
spielsweise ein Arbeitgeber aufgrund einer Klausel berechtigt, den Arbeitnehmer im
Betrieb einer anderen gleichwertigen Arbeit, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten
entspricht, zuzuweisen, so unterfällt diese Regelung nicht der Inhaltskontrolle, da
sie den Inhalt des § 106 GewO nahezu wörtlich wiedergibt.237 Das Transparenzgebot
setzt jedoch auch deklaratorischen Klauseln gemäß § 307 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 307 Abs. 1
S. 2 BGB Schranken. Zudem unterliegen Klauseln, die einen gesetzlich vorgegebenen
Rahmen ausfüllen (sog. normausfüllende Klauseln) oder ergänzen, der Inhalts-
kontrolle.238 Dies gilt auch dann, wenn die Klausel ausdrücklich als Erlaubnisnorm
ausgestaltet ist, weil auch in diesem Fall eine gesetzliche Regelung ergänzt wird.239
95 Zum anderen sind von der Inhaltskontrolle auch vertragliche Leistungsbe-
schreibungen und Preisabreden ausgenommen.240 Dies wird in Art. 4 Abs. 2 RL
93/13/EWG wesentlich deutlicher formuliert als in der deutschen Norm. Dort heißt es:
„Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegen-
stand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt
für die Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern
diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“ § 307 Abs. 3 S. 1 BGB dient damit
der Abgrenzung zweier Kontrollmechanismen, und zwar dem Wettbewerb und dem
Markt, geprägt von Angebot und Nachfrage, einerseits und der richterlichen Ange-
messenheitskontrolle andererseits.241 Auf funktionierenden Märkten bestimmen sich
die Preise durch den Wettbewerb und es ist gerade nicht Aufgabe des Gerichts, über
die §§ 305 ff. BGB den „gerechten Preis“ zu ermitteln.242 Auch das Verhältnis von Leis-
tung und Gegenleistung richtet sich in einer Marktwirtschaft grundsätzlich nach den
Gesetzen von Angebot und Nachfrage.243 Im Arbeitsrecht ist die Vergütung häufig kol-
lektiv durch Tarifverträge geprägt. Aus diesen Gründen sollen Vereinbarungen, die
sich am Markt orientieren, kontrollfrei sein. Der gerichtlichen Kontrolle sind daher
Powietzka
D. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB 37
die Leistungsbeschreibungen entzogen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten
Leistung festlegen.244
Leistungsbeschreibungen und Preisbestimmungen können jedoch gemäß § 307 96
Abs. 3 S. 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB bei einem Verstoß gegen das Transpa-
renzgebot unwirksam sein. § 307 Abs. 3 S. 2 BGB beruht auf der Erwägung, dass ein
Mindestmaß an Transparenz der Preisgestaltung einen funktionierenden Wettbewerb
erst ermöglicht.245 Nur so kann die Markttransparenz gewährleistet werden.246 Zudem
obliegt es dem Richter zu prüfen, ob eine Klausel den Vertragspartner unangemessen
benachteiligt. Ein Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wird jedoch
nur am Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) kontrolliert.247 Darüber hinaus steht
§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB einer Kontrolle der Hauptleistungspflichten nicht entgegen,
wenn diese durch Rechtsvorschriften bestimmt werden.248
Beispiele
Kontrollfrei im Arbeitsrecht sind Klauseln zu:
– Arbeitszeit, Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt, d. h. Abreden über den unmittelbaren Gegen-
stand der Hauptleistung und des dafür zu entrichtenden Entgelts249
– Abschluss, Änderung und Aufhebung eines Arbeitsvertrages250
– Umfang der geschuldeten Arbeitszeitdauer251
– Tätigkeitsbeschreibungen des Arbeitnehmers252
– Vereinbarter Ort einer Tätigkeit.253
Kontrollfähig dagegen sind:
– Preisnebenabreden, die zwar mittelbar Auswirkung auf den Preis haben, an deren Stelle aber bei
Unwirksamkeit eine dispositive gesetzliche Regelung treten kann254
– Einseitige Leistungsbestimmungsrechte im Bereich der Hauptleistungspflichten.255
244 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 46; Suckow/Striegel/Niemann/Niemann, Rn. 147.
245 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 44; MüKo-BGB/Wurmnest, § 307 Rn. 20.
246 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 37.
247 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 36.
248 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 44; BGH, Urt. v. 30.10.1991 – VIII ZR 51/91, Rn. 14; BGH
Urt. v. 9.7.1981 – VII ZR 139/80, Rn. 12.
249 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04, Rn. 44; BAG, Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 24; ErfK/
Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 36.
250 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 38.
251 BAG, Urt. v. 14.3.2007 – 5 AZR 630/06, Rn. 23.
252 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 38.
253 BAG, Urt. v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, Rn. 15.
254 BGH, Urt. v. 18.4.2002 – III ZR 199/01, Rn. 14; ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 40.
255 BAG, Urt. v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, Rn. 19.
Powietzka
38 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
97 Die besonderen Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB konkretisieren die in § 307 BGB
enthaltene Generalklausel.256 Ihnen kommt aber eine selbständige Bedeutung zu, da
sie die Unwirksamkeit selbst anordnen. 257
98 Zunächst sind die besonderen Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit gemäß
§ 309 BGB zu prüfen, daraufhin die besonderen Klauselverbote mit Wertungsmöglich-
keit i. S. d. § 308 BGB und zuletzt § 307 BGB. Eine Klausel, die nach ihrem Regelungs-
gehalt in den Anwendungsbereich der §§ 308, 309 BGB fällt, mit den in Betracht kom-
menden Einzelverboten aber nicht kollidiert, kann aus besonderen, von den §§ 308,
309 BGB nicht erfassten Gründen nach der Generalklausel des § 307 BGB unwirksam
sein. Die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB darf jedoch nicht zu einer Umgehung der in
den §§ 308, 309 BGB zum Ausdruck kommenden Regelungsabsicht führen.258 Ist die
Klausel dagegen aus tatbestandlichen Gründen nach den §§ 308, 309 BGB wirksam
und deshalb von den beiden Normen nicht erfasst, so kann anschließend eine
Inhaltskontrolle nach § 307 BGB erfolgen.259
Powietzka
E. Besondere Klauselverbote, §§ 308, 309 BGB 39
§ 309 BGB, der mit wenigen, nicht erheblichen Änderungen § 11 AGBG übernommen 104
hat, sieht im Gegensatz zu § 308 BGB keine Wertungsmöglichkeiten vor und enthält
deshalb auch keine entsprechenden unbestimmten Rechtsbegriffe.270 Die Unange-
messenheit und damit die Unwirksamkeit der Klausel tritt kraft gesetzgeberischer
Wirkung ein.271 Die Klauselverbote des § 309 BGB konkretisieren insbesondere § 307
Abs. 2 BGB, d. h. sie erfassen solche Klauseln, die nicht mit wesentlichen Grundge-
263 BAG, Urt. v. 27.7.2005 – 7 AZR 488/04, Rn. 27; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 308 Rn. 7
264 BAG, Urt. v. 27.7.2005 – 7 AZR 488/04, Rn. 32; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 308 Rn. 7
265 BAG, Urt. v. 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, Rn. 30; MüKo-BGB/Wurmnest, § 308 Rn. 5; ErfK/Preis,
§§ 305–310 BGB Rn. 53.
266 BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, Rn. 31; BeckOK-ArbR/Jacobs, § 308 Rn. 9; Suckow/Striegel/
Niemann/Niemann, Rn. 157.
267 BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 557/05, Rn. 31.
268 BAG, Urt. v. 7.12.2005 – 5 AZR 535/04, Rn. 39.
269 BAG, Urt. v. 30.7.2008 – 10 AZR 606/07, Rn. 17, str.
270 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 309 Rn. 1; Palandt/Grüneberg, 309 Rn. 1.
271 BeckOK-ArbR/Jacobs, § 309 Rn. 1.
Powietzka
40 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
107 § 306 Abs. 1 BGB ordnet die Aufrechterhaltung des Vertrags an, falls AGB ganz oder
teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind. Dies stellt eine
Abweichung des § 139 BGB dar, der vorsieht, dass Teilnichtigkeit grundsätzlich zur
Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt. Allerdings gilt dieser Grundsatz im Arbeitsrecht
nur sehr eingeschränkt, da die bloße Teilnichtigkeit bei Fortbestand des Arbeitsver-
trags nach § 139 Hs. 2 BGB der Regelfall ist, insbesondere wenn ein Verstoß gegen
arbeitnehmerschützende Normen vorliegt und daher anzunehmen ist, dass das
Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre.277 Dies
entspricht grundsätzlich dem Interesse des Arbeitnehmers. Müsste dieser um den
Bestand des mit seinem Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrags fürchten, wäre
die Effektivität der Inhaltskontrolle nicht gewährleistet. Daher ist auch die Ver-
einbarung der Gesamtnichtigkeit durch die Parteien nicht möglich ist (vgl. § 306a
BGB).278 An die Stelle der unwirksamen Vertragsbedingung treten nach § 306 Abs. 2
BGB die geltenden gesetzlichen Vorschriften, nach denen sich der Inhalt des Ver-
trags dann richtet.
108 Eine Gesamtunwirksamkeit des Vertrags ist nach § 306 Abs. 3 BGB nur ausnahms-
weise denkbar, wenn das Festhalten an diesem eine unzumutbare Härte für einen
Powietzka
F. Rechtsfolgen AGB-widriger Klauseln, § 306 BGB 41
der Vertragspartner darstellen würde. Dabei sind auch die nach § 306 Abs. 2 BGB
anstelle der unwirksamen Regelung geltenden gesetzlichen Vorschriften zu beach-
ten. Eine solche unzumutbare Härte liegt vor, wenn durch den Wegfall der AGB das
Vertragsgleichgewicht grundlegend gestört ist.279 Im Arbeitsrecht wird die Anwen-
dung des § 306 Abs. 3 BGB eher restriktiv gehandhabt, da eine Gesamtunwirksamkeit
den Interessen des Arbeitnehmers in aller Regel nicht gerecht wird und insbesondere
mit den Kündigungsschutzvorschriften kollidieren würde.280
Sofern eine Vertragsbedingung gegen die §§ 307 ff. BGB verstößt, so wird die Klausel 109
nicht durch eine geltungserhaltende Reduktion aufrechterhalten, sondern ist ins-
gesamt unwirksam.281 An ihre Stelle treten die gesetzlichen Vorschriften gem. § 306
Abs. 2 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion, durch die eine unzulässige Klausel
auf das gerade noch zulässige oder angemessene Maß zurückgeführt wird, ist unzu-
lässig, da dies dem Schutzzweck der §§ 307 ff. BGB – die Berücksichtigung der Inte-
ressen der anderen Vertragspartei – widersprechen würde und der Verwender ohne
Risiko bedenkenlos unwirksame Klauseln in den Vertrag aufnehmen könnte.282
Ausnahmsweise kann bei „Altverträgen“, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden, 110
eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht kommen. Im Jahr 2005 hat der 5.
Senat des BAG entschieden, dass eine ergänzende Vertragsauslegung zur Aus-
füllung der sich aus einer unwirksamen AGB ergebenden Vertragslücke in Betracht
kommt.283 Danach könne beispielsweise ein Widerrufsvorbehalt, der entgegen der
neueren Rechtsprechung keine sachlichen Gründe für einen Widerruf nenne, im kon-
kreten Fall dahin ausgelegt werden, dass jedenfalls ein Widerruf aus wirtschaftlichen
Gründen möglich sei.
In den neueren Entscheidungen schränken der 9. und 10. Senat eine ergänzende 111
Vertragsauslegung für Altverträge jedoch wieder ein. Eine ergänzende Vertragsaus-
Powietzka
42 Kapitel 2 Allgemeine Geschäftsbedingungen im Arbeitsvertrag
legung soll demnach nur dann stattfinden, wenn der Arbeitgeber innerhalb der vom
Gesetzgeber eingeräumten Übergangsfrist bis zum 31.12.2002 versucht hat, mit dem
Arbeitnehmer eine einvernehmliche Änderung der unwirksamen Klausel zu errei-
chen. Der Arbeitgeber hätte danach dem Arbeitnehmer ein entsprechendes Vertrags-
änderungsangebot unterbreiten müssen, durch welches die unwirksame Klausel
auf ein zumutbares Maß zurückgeführt worden wäre und welches der Arbeitnehmer
redlicherweise hätte annehmen müssen. Nur wenn sich der Arbeitnehmer zu einer
solchen Vertragsanpassung nicht bereit erklärt habe, wäre es eine unzumutbare
Härte für den Arbeitgeber, wenn zu seinen Lasten von der Unwirksamkeit der Klausel
ausgegangen würde.284 Nur in diesem Fall könne eine ergänzende Vertragsauslegung
erfolgen. Diese einschränkende Rechtsprechung ist abzulehnen. Es ist zum einen
bereits unklar, welche Vertragsänderungen ein Arbeitnehmer redlicherweise hätte
annehmen müssen, da eine Pflicht zur Annahme von angebotenen Vertragsänderun-
gen grundsätzlich nicht besteht. Zum anderen ist schwer nachvollziehbar, inwiefern
die Auslegung einer Vertragsbestimmung davon abhängig sein sollte, welche mögli-
chen Vertragsänderungen die Parteien nicht vereinbart haben. Die Praxis wird sich
aber darauf einrichten müssen, dass eine ergänzende Vertragsauslegung wohl auf
Ausnahmefälle beschränkt bleiben wird.
112 Ist eine Vertragsklausel dagegen nur in bestimmten Teilen unwirksam und enthält
sie neben der unwirksamen Bestimmung auch unbedenkliche Elemente, die inhalt-
lich und sprachlich vom unwirksamen Teil abtrennbar sind, bleibt die Klausel im
Übrigen wirksam, auch wenn die beiden Teile den gleichen Sachkomplex betref-
fen.285 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist die Teilbarkeit einer Bestimmung
durch Streichung des unwirksamen Teils zu ermitteln.286 Maßgeblich ist, ob die
Klausel mehrere sachliche Regelungen enthält und der unzulässige Teil sprachlich
eindeutig abgrenzbar ist, was nicht bei einem eindeutig einheitlichen Wortlaut der
Fall ist.287 Verbleibt nach „Wegstreichen“ der unwirksamen Teilregelung eine ver-
ständliche Regelung, bleibt diese bestehen (sog. blue-pencil-test).288 Dies ist immer
dann gegeben, wenn an sich nicht zusammengehörende AGB formal verbunden
werden.289 Jedoch darf die Schwelle zur geltungserhaltenden Reduktion nicht über-
284 BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 284/06, Rn. 36, 38; BAG, Urt. v. 11.02.2009 – 10 AZR 222/08, Rn. 36.
285 Palandt/Grüneberg, § 306 Rn. 7.
286 BAG, Urt. v. 30.9.2014 – 3 AZR 930/12, Rn. 36; BAG, Urt. v. 9.2.2011 – 7 AZR 91/10, Rn. 64; BAG, Urt.
v. 12.3.2008 – 10 AZR 152/07, Rn. 28.
287 BAG, Urt. v. 30.9.2014 – 3 AZR 930/12, Rn. 36; MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 146.
288 BAG, Urt. v. 30.9.2014 – 3 AZR 930/12, Rn. 36; BAG, Urt. v. 14.9.2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 27.
289 MaSiG/Maschmann, Kap. B Rn. 146.
Powietzka
F. Rechtsfolgen AGB-widriger Klauseln, § 306 BGB 43
schritten werden, was z. B. dann der Fall wäre, wenn eine Intransparenz (§ 307 Abs. 1
S. 2 BGB) aufgrund des Zusammenspiels mehrerer Klauseln besteht und diese durch
Streichung einzelner Klauseln beseitigt werden würde.290
Beispiel
– Die Teilunwirksamkeit spielt bspw. bei Stichtagsklauseln eine wichtige Rolle. Laut BAG kann
eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung dar-
stellt, in AGB nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am Ende des jewei-
ligen Bezugszeitraums abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde.
Eine derartige Stichtagsklausel benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen i. S. d. § 307
Abs. 1 BGB, da sie ihm bereits verdientes Arbeitsentgelt entziehen könne und ihn in unzulässiger
Weise an den Arbeitgeber binde.291
– In einer früheren Entscheidung hat der 10. Senat des BAG eine solche Klausel jedoch als teilbar
angesehen mit der Folge, dass die Klausel teilweise aufrechterhalten blieb. Der Senat war der
Ansicht, dass wenn das Wort „ungekündigt“ gestrichen werde, die Auszahlung des Bonus nur
noch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Abschluss des Geschäftsjahres voraussetze.
Die Klausel sei somit sprachlich teilbar und bei Streichung des Wortes „unkündbar“ bleibe als
verständliche Regelung immer noch die Bestimmung eines Stichtags übrig.292 Der verbliebene
Teil der Klausel sei wirksam.
– Im Jahr 2013 hat der derselbe Senat Abstand von dieser Rechtsprechung genommen. Er geht
nun davon aus, dass eine solche Klausel nicht teilbar ist. Begründet wird dies damit, dass die
Regelung mit dem Zusammenspiel von Bestand und besonderer Qualität („ungekündigt“) des
Arbeitsverhältnisses als Anspruchsvoraussetzung die Betriebstreue und Motivation des Ar-
beitnehmers verfolge. Die Erweiterung der Bestandsvoraussetzung lasse sich wegen der damit
verfolgten Ziele nicht sinnvoll aufspalten.293 Die daraus resultierende Unteilbarkeit der Klausel
habe zur Folge, dass die Vereinbarung insgesamt unwirksam sei.
290 ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn. 103 mwN zur Rspr.; zum Transparenzgebot vgl. Rn. 78 ff.; zum
Verbot der geltungserhaltenden Reduktion siehe Rn. 109.
291 BAG, Urt. v. 6.5.2009 – 10 AZR 443/08, Rn. 10; BAG, Urt. v. 13.11.2013 – 10 AZR 842/12, Rn. 23.
292 BAG, Urt. v. 6.5.2009 – 10 AZR 443/08, Rn. 11.
293 BAG, Urt. v. 13.11.2013 – 10 AZR 842/12, Rn. 27.
Powietzka
Kapitel 3
Arbeitsleistung
Der Arbeitgeber hat gemäß § 106 GewO das Recht Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleis- 1
tung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen, wenn und soweit Ort, Zeit und
Inhalt nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung,
einen anwendbaren Tarifvertrag oder durch das Gesetz festgelegt sind (sog. Direk-
tionsrecht). Die arbeitsvertraglich normierten Hauptleistungspflichten stellen somit
die Grenze des Direktionsrechts dar. Möchte der Arbeitgeber diese überschreiten, liegt
eine Vertragsänderung vor, die nur einvernehmlich bzw. mittels einer Änderungskün-
digung herbeigeführt werden kann.1
Das in § 106 S. 1 GewO normierte Direktionsrecht findet dort seine Grenze, wo es 2
zu einer dauerhaften Absenkung des qualitativen Niveaus der Arbeitsleistung führt.2
Möchte sich der Arbeitgeber also eine möglichst weitreichende Flexibilisierung 3
hinsichtlich der Art und des Ortes der Tätigkeit des Arbeitnehmers bewahren, ist es
empfehlenswert insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit des Arbeitnehmers lediglich
eine Vereinbarung zur „Berufsbeschreibung“ bzw. „Position“ des Arbeitnehmers zu
treffen und insbesondere von detaillierten Stellenbeschreibungen im Arbeitsvertrag
abzusehen. Auch hinsichtlich des Arbeitsortes sollten dann keine detaillierten Rege-
lungen bzw. gar keine Regelung getroffen werden, um eine möglichst weitreichende
Flexibilisierung für den Arbeitgeber zu ermöglichen.3
Zu beachten ist jedoch, dass die weitreichende Flexibilisierungsmöglichkeit 4
des Arbeitgebers hinsichtlich der Tätigkeit und/oder des Arbeitsorts der Arbeitneh-
mer durch eine möglichst offene bzw. gar keine arbeitsvertraglichen Regelungen
dazu führt, dass insbesondere die betriebsbedingten Kündigungsmöglichkeiten des
Arbeitgebers erheblich eingeschränkt werden. Denn je weiter Tätigkeit und Arbeitsort
geregelt sind, desto weiter ist auch der Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer im Rahmen
einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG.4 Darüber hinaus kann eine solche weite
arbeitsvertragliche Regelung dazu führen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer
Köhn/Puhl
46 Kapitel 3 Arbeitsleistung
II. Versetzungsklauseln
1. Allgemeine Erwägungen
5 Der Arbeitgeber hat außerdem die Möglichkeit sein Direktionsrecht durch sog. Ver-
setzungsklauseln auszugestalten bzw. insbesondere zu erweitern. Versetzungsklau-
seln können sowohl Änderungen in Bezug auf die Art der Tätigkeit als auch in Bezug
auf den Ort der Tätigkeit vorsehen. Versetzungsklauseln dienen somit dem Flexibili-
sierungs- und Anpassungsbedarf des Arbeitgebers, der dadurch auf Änderungen des
Tätigkeitsorts und -inhalts reagieren kann. Sofern die Klausel die Versetzung an ein
anderes Unternehmen bezweckt, spricht man von einer Konzernversetzungsklausel.
2. Wirksamkeitsanforderungen an Versetzungsklauseln
6 Versetzungsklauseln sind ein anerkanntes arbeitsvertragliches Mittel zur Flexibilisie-
rung der Arbeitsbedingungen und damit grundsätzlich zulässig.6 Werden sie jedoch
formularmäßig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vereinbart, unterlie-
gen sie den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB.
Köhn/Puhl
A. Tätigkeit, Arbeitsort und Versetzung 47
der Leistung des Verwenders und damit gerade nicht das Leistungsbestimmungsrecht
des Arbeitsgebers im Hinblick auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.9
Köhn/Puhl
48 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Belastungen insoweit erkennen lassen müssen, sofern dies nach den jeweiligen
Umständen möglich ist.14
12 Für Versetzungsklauseln ist anerkannt, dass das Transparenzgebot des § 307
Abs. 1 S. 2 BGB nicht zu einer Konkretisierungsverpflichtung des Arbeitgebers hin-
sichtlich etwaiger Gründe für die Versetzung und/oder etwaiger Tätigkeiten, auf die
der Arbeitnehmer versetzt werden soll, führt. Denn nach Ansicht des Bundesarbeits-
gerichts würde eine solche Konkretisierungsverpflichtung dem Bedürfnis des Arbeit-
gebers, auf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbare Veränderungen
reagieren zu können, nicht gerecht.15 Auch das Gesetz räumt dem Arbeitgeber in § 106
S. 1 GewO bereits ein sehr weitgehendes Bestimmungsrecht ein, in dem es „nur“ auf
das billige Ermessen des Arbeitgebers abstellt. Damit trägt auch das Gesetz der Gege-
benheit Rechnung, dass Arbeitsverträge nur eine rahmenmäßig umschriebene Leis-
tungspflicht festlegen können.16
13 Es ist daher grundsätzlich nicht erforderlich in der Versetzungsklausel etwaige
Änderungsgründe anzugeben. Auch die Zusammenfassung unter einen Oberbegriff
wie „sachlicher Grund“ ist nicht erforderlich, da dies nur zu Leerformeln führt, die
nicht mehr Klarheit verschaffen würden.17 Es ist aus Transparenzgesichtspunkten
auch nicht erforderlich, eine Ankündigungsfrist oder den zulässigen Entfernungs-
radius in der Versetzungsklausel festzuschreiben.18 Lediglich für den Fall besonders
schwerwiegender Änderungen (z. B. bei der Versetzung auf einen geringwertigeren
Arbeitsplatz) hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 11.04.2006
angedeutet, dass ggf. Änderungsgründe in der Klausel angegeben werden müssen,
jedoch keine abschließende Entscheidung dazu getroffen.19 Hier ist die weitere Ent-
wicklung der Rechtsprechung abzuwarten.
d) Unangemessene Benachteiligung
14 Geht die Versetzungsklausel über den materiellen Gehalt des § 106 GewO hinaus (sog.
echte Direktionsrechtserweiterung), ist sie einer Angemessenheitskontrolle gemäß
§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu unterziehen. Danach ist eine arbeitsvertragliche Bestimmung
unangemessen und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch die einseitige
Gestaltung versucht, eigene Interessen auf Kosten des Arbeitnehmers durchzusetzen,
ohne auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen.20 Nach der ständigen
14 BAG, Urt. v. 13.03.2007 – 9 AZR 433/06; BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 557/05.
15 BAG, Urt. v. 13.03.2007 – 9 AZR 433/06.
16 BAG, Urt. v. 13.03.2007 – 9 AZR 433/06; BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 557/05.
17 BAG, Urt. v. 13.03.2007 – 9 AZR 433/06.
18 BAG, Urt. v. 13.03.2007 – 9 AZR 433/06; BAG, Urt. v. 25.08.2010 – 10 AZR 275/09.; BAG, Urt. v.
13.04.2010 – 9 AZR 36/09; dazu auch Hromadka, NZA 2012, 233, 238; Preis, NZA 2015, 1, 3.
19 BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 557/05.
20 BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 557/05.
Köhn/Puhl
A. Tätigkeit, Arbeitsort und Versetzung 49
Praxishinweis
Arbeitgebern sei gleichwohl empfohlen bei der Formulierung von Versetzungsklauseln auf die Ge-
währleistung der Gleichwertigkeitsgarantie zu achten. Sinnvoll ist es daher den Begriff „gleichwer-
tig“ in der Klausel zu verwenden.26
Soweit sich der Arbeitgeber die einseitige Änderung des Einsatzortes vorbehält, sollte 16
die Versetzungsklausel örtlich auf den Betrieb oder das Unternehmen beschränkt
sein.27
21 BAG, Urt. v. 25.08.2010 – 10 AZR 275/09; BAG, Urt. v. 09.05.2006 – 9 AZR 424/05.
22 Däubler/Bonin/Deinert/Bonin, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 4. Auflage 2014, § 307 BGB Rn 188.
23 BAG, Urt. v. 25.08.2010 – 10 AZR 275/09.
24 Hümmerich/Reufels/Schiefer, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 2. Auflage 2011, S. 1004 Rn 3368.
25 Däubler/Bonin/Deinert/Bonin, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 4. Auflage 2014, § 307 BGB Rn 188
m. w. N.
26 MaSiG/Vetter, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht 2012, § 550 Rn 29.
27 MaSiG/Vetter, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht 2012, § 550 Rn 25; vgl. dazu auch LAG Düssel-
dorf, Urt. v. 17.12.2010 – 10 Sa 972/10.
Köhn/Puhl
50 Kapitel 3 Arbeitsleistung
3. Konzernversetzungsklausel
18 Eine konzernweite Flexibilität des Personaleinsatzes kann durch sog. Konzernver-
setzungsklauseln erreicht werden. Da die Versetzung innerhalb eines Konzerns
jedoch mit einem Arbeitgeberwechsel verbunden ist, ist die Zulässigkeit solcher Kon-
zernversetzungsklauseln umstritten. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu bisher keine
Entscheidung getroffen. In einer Entscheidung vom 13.04.2010 hat es die Frage viel-
mehr bewusst offen gelassen.30
Konzernversetzungen sind nicht vom allgemeinen Direktionsrecht des § 106 S. 1
GewO erfasst und unterliegen somit sowohl der Angemessenheits- als auch der
Transparenzkontrolle.31 Nach überwiegender Ansicht ist zumindest § 309 Nr. 10 BGB
auf Konzernversetzungsklauseln nicht anwendbar.32 § 309 Nr. 10 BGB verbietet Klau-
seln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Eintritt eines Dritten anstelle des
Verwenders in die Rechte und Pflichten eines Kauf-, Darlehens-, Dienst- oder Werk-
vertrags zulässt, soweit in der Bestimmung nicht der Dritte namentlich bezeichnet
wird oder dem anderen Vertragsteil das Recht eingeräumt wird, sich vom Vertrag zu
lösen.
19 Einige Stimmen zweifeln wegen der Intensität des Eingriffs in den Arbeitsvertrag
und wegen der Umgehung kündigungsschutzrechtlicher Vorschriften generell an der
Angemessenheit von Konzernversetzungsklauseln oder fordern, deren Zulässigkeit
vom Vorliegen hinreichend schwerwiegender Gründe, entsprechend den dringenden
betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, abhängig zu machen.33
Denn anders als eine unternehmensweite Versetzung geht mit der Konzernversetzung
Köhn/Puhl
A. Tätigkeit, Arbeitsort und Versetzung 51
Praxishinweis:
Arbeitgebern, die zugunsten der angestrebten Flexibilisierung gleichwohl nicht auf Konzernverset-
zungsklauseln verzichten möchten, sei empfohlen, diese sprachlich und inhaltlich deutlich von der
allgemeinen Versetzungsklausel, z. B. durch die Aufnahme in einem gesonderten Absatz, zu tren-
nen37. Denn nur so ist gewährleistet, dass eine unwirksame Konzernversetzungsklausel bei Anwen-
dung des blue-pencil-Tests gestrichen werden kann, ohne die gesamte Versetzungsklausel unwirk-
sam werden zu lassen. Darüber hinaus sollten nach Möglichkeit konkrete Gründe für die Versetzung
aufgenommen werden.
4. A usübungskontrolle
Zu beachten ist, dass die Versetzungsanordnung als einseitige Leistungsbestimmung 21
selbst unabhängig von der vertraglichen Gestaltung einer Billigkeitsprüfung gemäß
§ 106 GewO, § 315 BGB unterliegt (sog. Ausübungskontrolle). Sie muss daher billi-
gem Ermessen entsprechen. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn die wesentlichen
Umstände des Einzelfalls abgewogen und die beiderseitigen Interessen unter Beach-
tung von Verhältnismäßigkeit, Verkehrssitte, Zumutbarkeit sowie außervertraglichen
Vor- und Nachteilen, Einkommensverhältnissen und sozialen Lebensverhältnissen
angemessen berücksichtig worden sind.38 Im Rahmen der Ausübungskontrolle sind
Köhn/Puhl
52 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Wichtig:
Solange eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG nicht vorliegt, ist die individualvertrag-
liche Versetzung unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn eine wirksame arbeitsvertragliche Verset-
zungsklausel besteht und die Versetzung nach billigem Ermessen angeordnet wurde.44
Köhn/Puhl
B. Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit 53
(3) Der Vorbehalt des Arbeitgebers nach Absatz 2 erstreckt sich auch auf eine Beschäftigung bei einer
Tochtergesellschaft des Arbeitgebers, sofern dies aus dringenden wirtschaftlichen Gründen erforder-
lich ist.
I. A
llgemeine Erwägungen
Köhn/Puhl
54 Kapitel 3 Arbeitsleistung
25 Eine Vertragsstrafe im Sinne des § 343 BGB ist eine vertragliche Vereinbarung
dergestalt, dass der Schuldner (der Arbeitnehmer) für den Fall der Nichterfüllung
oder nicht ordnungsgemäßen Erfüllung einer vereinbarten Leistung eine regelmä-
ßig in Geld bestehende Leistung an den Gläubiger (den Arbeitgeber) verspricht.49 Als
unselbstständiges Sicherungsmittel ist die Vertragsstrafe akzessorisch zu arbeitsver-
traglichen Verbindlichkeiten. Sie setzt somit das Bestehen einer zu sichernden Haupt-
verbindlichkeit als Bezugspunkt voraus. Bei Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags oder
einer fehlenden Verbindlichkeit fällt auch die Vertragsstrafe ersatzlos weg.50
26 In Abgrenzung dazu werden selbstständige Strafversprechen für den Fall ver-
einbart, dass jemand eine Handlung vornimmt oder unterlässt, zu deren Vornahme
oder Unterlassung er rechtlich nicht verpflichtet ist, z. B. wenn sich der Arbeitnehmer
oder Arbeitgeber vorvertraglich für den Fall des Nichtabschlusses eines Arbeitsvertra-
ges verpflichtet eine bestimmte Summe zu zahlen.51
II. Wirksamkeitsanforderungen
1. Gesetzliche Verbote
28 Ein ausdrückliches gesetzliches Verbot der Vereinbarung einer Vertragsstrafe findet
sich nur für die Vereinbarung mit Auszubildenden im Rahmen eines Berufsausbil-
dungsverhältnisses. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 BBiG ist eine Vereinbarung über Vertrags-
strafen nichtig. Die gesetzliche Nichtigkeitsfolge erstreckt sich auch auf die in § 26
BBiG genannten Personen, wie Volontäre und Praktikanten.53 Sinn und Zweck der
Regelungen ist es einer Einschränkung der Entschlussfreiheit der Auszubildenden
bzw. der von § 26 BBiG erfassten Personengruppen durch finanzielle Belastungen vor-
zubeugen.54
Köhn/Puhl
B. Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit 55
Eine Vertragsstrafenklausel ist auch dann unwirksam, wenn sie der Sicherung 29
einer unwirksamen Hauptverbindlichkeit dient, z. B. der Arbeitnehmer zur Einhal-
tung von nicht wirksam vereinbarten Kündigungsfristen angehalten werden soll.55
Schließlich sind Vertragsstrafenklauseln gemäß § 622 Abs. 6 BGB unzulässig, die 30
das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers einseitig beeinträchtigen.56 Klauseln, die
die fristgerechte Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitnehmer mittels
einer Vertragsstrafe sanktionieren, sind daher unwirksam.57 Dies gilt jedoch nicht
für Vertragsstrafenklauseln wegen Nichtantritts der Arbeit. Denn nach Ansicht des
Bundesarbeitsgerichts tritt eine ungleiche Kündigungslage in diesem Fall nicht ein,
da in der Aufnahme einer solchen Vertragsstrafenklausel jedenfalls konkludent die
Vereinbarung getroffen werde, dass das ordentliche Kündigungsrecht für beide Par-
teien vor Arbeitsantritt ausgeschlossen ist.58
2. Form
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafenklausel unterliegt grundsätzlich keinen 31
besonderen Formerfordernissen, soweit eine bestimmte Form nicht arbeits- oder
tarifvertraglich vereinbart wurde.59 Eine Ausnahme gilt für die das nachvertragliche
Wettbewerbsverbot gemäß § 74 HGB sichernde Vertragsstrafe. Diese muss schrift-
lich vereinbart werden.
3. Formulararbeitsverträge
Wird eine Vertragsstrafenklausel formularmäßig vereinbart, unterliegt sie den Anfor- 32
derungen der §§ 305 ff. BGB. Besonderes Augenmerk ist dabei auf das Angemessen-
heits- und Transparenzgebot zu legen.
a) G
rundsätzliche Zulässigkeit von Vertragsstrafenklauseln in
Formulararbeitsverträgen
Gemäß § 309 Nr. 6 BGB ist eine Bestimmung, durch die dem Verwender für den Fall 33
der Nichtabnahme oder der verspäteten Abnahme einer Leistung, des Zahlungsver-
zugs oder für den Fall, dass sich der andere Teil vom Vertrag löst, die Zahlung einer
Köhn/Puhl
56 Kapitel 3 Arbeitsleistung
60 Birnbaum, NZA 2003, 944 ff.; von Koppenfels, NZA 2002, 598, 602; Däubler/Bonin/Deinert/Däub-
ler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, 4. Auflage 2014; § 309 Nr. 6 BGB Rn 6 ff.; LAG Hessen, Urt. v.
25.04.2003 – 17 Sa 1723/02; a. A. Lingemann, NZA 2002, 181, 191; ausführlich Grobys/Panzer/Schön-
hoft, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2014, § 166 Rn 12 ff.
61 BAG, Urt. v. 04.03.2004 – 8 AZR 196/03; BAG, Urt. v. 18.08.2005 – 8 AZR 65/05; BAG, Urt. v.
14.08.2007 – 8 AZR 973/06; BAG, Urt. v. 28.05.2009 – 8 AZR 896/07; BAG, Urt. v. 19.08.2010 – 8 AZR
645/09; BAG, Urt. v. 23.09.2010 – 8 AZR 897/08; BAG, Urt. v. 23.01.2014 – 8 AZR 130/13.
62 BAG, Urt. v. 04.03.2004 – 8 AZR 196/03.
63 BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 973/06; MaSiG/Windeln, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 2012,
§ 560 Rn 17.
64 BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 973/06.
Köhn/Puhl
B. Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit 57
Praxishinweis:
Arbeitgebern ist daher unbedingt zu raten, Vertragsstrafen drucktechnisch hervorzuheben und zu-
sätzlich das Wort „Vertragsstrafe“ in die Überschrift der jeweiligen Klausel aufzunehmen.65
Für den Fall, dass der Vertragstext eines Arbeitsvertrages durch ein einheitliches 36
Schriftbild gekennzeichnet ist, hat das BAG zwar in einem Urteil aus dem Jahr 2008
entschieden, dass es einer besonderen drucktechnischen Hervorhebung bzw. eines
besonderen Hinweises nicht bedarf. Denn das äußere Erscheinungsbild des Vertra-
ges führe dann nicht dazu, dass bei dem Arbeitnehmer bestimmte Erwartungen hin-
sichtlich des Vertragsinhaltes geweckt werden. Der Arbeitnehmer müsse vielmehr in
einem solchen Fall von vornherein den gesamten Vertragstext durchlesen, um den
Vertragsinhalt vollständig zu erfassen.66 Da es sich dabei, soweit ersichtlich, um eine
Einzelfallentscheidung handelt, wird an der Empfehlung die Vertragsstrafenklausel
drucktechnisch (z. B. durch Fettdruck) hervorzuheben und das Wort „Vertragsstrafe“
in die Überschrift der jeweiligen Klausel ausdrücklich aufzunehmen, jedoch festge-
halten.
Köhn/Puhl
58 Kapitel 3 Arbeitsleistung
nehmer wird auch nicht unangemessen benachteiligt, weil es an ihm liegt, seine
arbeitsvertraglichen Hauptpflichten zu erbringen. Der Arbeitgeber hat ein berechtig-
tes Interesse an der Einhaltung der arbeitsvertraglichen Hauptpflicht, während der
Arbeitnehmer in der Regel weder ein Recht noch ein schützenswertes Interesse daran
hat, den Arbeitsvertrag zu brechen.71
39 Eine unangemessene Benachteiligung liegt jedoch beispielsweise vor, wenn die
Vertragsstrafe dem Arbeitgeber primär eine neue Einnahmequelle eröffnen soll und
der Schöpfung neuer, vom Sachinteresse losgelöster Geldquellen dient72, oder wenn
der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners
durchsetzen will ohne von vornherein auch dessen Belange ausreichend zu berück-
sichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren.73
40 Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers kann auch aus der
Höhe der Vertragsstrafe folgen, denn besonders hohe Vertragsstrafen sind natur-
gemäß besonders belastend für den Arbeitnehmer. Die Höhe der Vertragsstrafe muss
daher das Gewicht des Vertragsverstoßes und die Sanktion in ein angemessenes Ver-
hältnis setzen.74
41 Auch wenn es somit stets auf den Einzelfall ankommt, hat sich in der Rechtspre-
chung des Bundesarbeitsgerichts faktisch eine Begrenzung der Vertragsstrafe auf
ein Bruttomonatsgehalt eingependelt.75 Im Einzelfall können sich jedoch Abwei-
chungen nach oben und unten ergeben. Insbesondere im Fall von Vertragsstrafen-
klauseln wegen Nichtantritts der Arbeit orientiert sich die Angemessenheit der Höhe
der Vertragsstrafe auch an der maßgeblichen Kündigungsfrist. Denn in der Länge
der Kündigungsfrist kommt zum Ausdruck, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeit-
geber Arbeitsleistungen vom Arbeitnehmer verlangen kann und welches Interesse er
an der Arbeitsleistung hat.76 Eine Vertragsstrafe von einem Bruttomonatsgehalt ist
daher im Regelfall unangemessen, wenn die tatsächlich einzuhaltende Kündigungs-
frist kürzer ist. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Arbeitsvertrags-
parteien eine Probezeit mit einer zweiwöchigen Kündigungsfrist vereinbart haben.
42 Ein besonderes Interesse des Arbeitgebers an der Erfüllung der vertraglich verein-
barten Tätigkeit kann im Einzelfall auch die Vereinbarung einer höheren Vertrags-
strafe rechtfertigen. Ein solches besonderes Interesse wird von der Rechtsprechung
bejaht, wenn das Interesse des Arbeitgebers an einem Sanktionsinstrument den Wert
der Arbeitsleistung, der sich in den Arbeitnehmerbezügen bis zur vertraglich zuläs-
Köhn/Puhl
B. Vertragsstrafe wegen Nichtantritts der Arbeit 59
Praxishinweis:
Empfehlenswert ist daher eine Klausel, die nach den Mindestkündigungsfristen differenziert und nur
in begründeten Ausnahmefällen die Grenzen eines Bruttomonatsgehalts überschreitet.
77 BAG, Urt. v. 04.03.2004 – 8 AZR 196/03; BAG, Urt. v. 18.12.2008 – 8 AZR 81/08; Günther/Nolde,
NZA 2012, 62, 66, wonach dies beispielsweise der Fall sein kann, wenn der Arbeitgeber einen auf dem
Arbeitsmarkt nur selten vertretenen Spezialisten für eine Tätigkeit einstellt, deren Erfüllung sich sein
Vertragspartner durch eine Konventionalstrafe hat sichern lassen.
78 Günther/Nolde, NZA 2012, 62, 64 m. w. N.
79 MaSiG/Windeln, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 2012, § 560 Rn 15.
80 Vgl. dazu unten Rn 47.
81 BGH, Urt. v. 03.07.2000 – II ZR 282/98, NZA 2000, 945.
82 BAG, Urt. v. 25.09.2008 – 8 AZR 717/07; BAG, Urt. v. 13.04.2010 – 9 AZR 36/09; BAG, Urt. v.
23.01.2014 – 8 AZR 130/13.
Köhn/Puhl
60 Kapitel 3 Arbeitsleistung
46 Unwirksam ist danach insbesondere ein pauschaler Verweis auf einen „Vertrags-
bruch“ oder die Nichteinhaltung des Vertrages. Denn solche Vereinbarungen zielen
regelmäßig auf die Absicherung aller arbeitsvertraglichen Pflichten ab und lassen
damit nicht erkennen, durch welche konkrete Pflichtverletzung die Vertragsstrafe
verwirkt wird.83
Praxishinweis:
Vertragsstrafenklauseln sollten daher unbedingt die unter Strafe gestellten Pflichtverletzungen und
die Höhe der Strafe so präzise wie möglich angeben.84
Köhn/Puhl
C. Überstunden 61
C. Ü
berstunden
I. A
llgemeine Erwägungen
Unter Überstunden versteht man die Leistung von Arbeit über den vertraglich festge- 49
legten Zeitraum hinaus.91 Typischerweise werden Überstunden bei vorübergehendem
Arbeitsbedarf angeordnet, dessen Erledigung aufgrund besonderer Dringlichkeit
keinen Aufschub duldet.92 In der arbeits- und tarifvertraglichen Praxis wird häufig
keine genaue Abgrenzung zwischen den Begriffen „Überstunde“ und „Mehrarbeit“
vorgenommen. Oftmals werden beide Begriffe sogar synonym verwendet.93 Auch die
gesetzliche Terminologie ist diesbezüglich uneinheitlich (vgl. u. a. § 37 Abs. 3 BetrVG,
§ 124 SGB IX, § 8 MuSchG, § 11 BUrlG, § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG). Nach überwiegender
Ansicht in Literatur und Rechtsprechung haben sich jedoch klare Definitionen beider
Begrifflichkeiten herausgebildet, die eine Abgrenzung ermöglichen. Danach ist unter
„Überstunde“ die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeits-
Köhn/Puhl
62 Kapitel 3 Arbeitsleistung
zeit zu verstehen. „Mehrarbeit“ liegt hingegen vor, wenn die gesetzlich zulässige
Höchstarbeit überschritten wird.94
94 BAG, Urt. v. 25.07.1996 – 6 AZR 138/94; BAG, Urt. v. 17.08.2011 – 5 AZR 406/10; Grobys/Panzer/Wah-
lig, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2014, § 153, Rn 2 ff. m.w.N; ErfK/Preis, 16. Auflage
2016, § 611 BGB Rn 486.
95 BAG, Urt. v. 03.06.2003 – 1 AZR 349/02, NZA 2003, 1155; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn
663.
96 ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn 663; ArbG Leipzig, Urt. v. 04.02.2003 – 7 Ca 6866/02
zur Unrechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Arbeitnehmers, der im Rahmen des
„Jahrhunderthochwassers“ nicht in dem vom Arbeitgeber geforderten Umfang Überstunden geleistet
hatte.
97 Grobys/Panzer/Wahlig, Stichwortkommentar, 2. Auflage 2014, § 153 Rn 11.
98 Fuhlrott, ArbRAktuell 2015, 141; Grobys/Panzer/Wahlig, Stichwortkommentar, 2. Auflage 2014,
§ 153 Rn 14.
Köhn/Puhl
C. Überstunden 63
99 BAG, Urt. v. 22.04.2009 – 5 AZR 133/08; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn 663.
100 Rosenau, NJW-Spezial 2010, 754.
101 Ausdrücklich offen gelassen von BAG, Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 331/11.
102 BAG, Urt. v. 17.08.2011 – 5 AZR 406/10.
103 Salomon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720, 1721; Däubler/Bonin/Deinert/Bonin, AGB-Kontrolle im
ArbR, 4. Auflage 2014, § 307 BGB Rn 182a; Klocke, RdA 2014, 223, 224.
104 Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann/Lingemann, Anwaltsformularbuch ArbeitsR, 5. Auflage
2014, M.21a Fußnote 28.
Köhn/Puhl
64 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Köhn/Puhl
C. Überstunden 65
den zulässigen Grenzen) pauschal abgelten111 oder aber durch Freizeit ausgleichen
möchte, empfiehlt es sich dringend den Ausgleich der Überstunden arbeitsvertraglich
zu regeln.
Köhn/Puhl
66 Kapitel 3 Arbeitsleistung
von der Anwendung des § 612 BGB aus, erstreckt sich die Erwartungshaltung aber
regelmäßig auf den finanziellen Ausgleich, sodass dringend zu einer entsprechenden
vertraglichen Regelung des Freizeitausgleichs zu raten ist.
118 Regelt die Klausel ausschließlich die Vergütung von Überstunden, nicht aber die Anordnungs-
befugnis des Arbeitgebers zur Leistung von Überstunden, handelt es sich nach Ansicht des Bundes-
arbeitsgerichts um eine Hauptleistungsabrede, die von der Inhaltskontrolle ausgenommen ist, BAG,
Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 331/11. Ob dies auch für eine Klausel gilt, die Anordnungsbefugnis und Ab-
geltungsregelung kombiniert, hat das Bundearbeitsgericht jedoch ausdrücklich offen gelassen, vgl.
dazu oben Rn 101.
119 BAG, Urt. v. 17.08.2011 – 5 AZR 406/10.
120 BAG, Urt. v. 01.09.2010 – 5 AZR 517/09; BAG, Urt. v. 17.08.2011 – 5 AZR 406/10; BAG, Urt. v.
22.02.2012 – 5 AZR 765/10; BAG, Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 331/11; BAG, Urt. v. 27.06.2012 – 5 AZR
530/11; LArbG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.08.2014 – 6 Sa 84/14, juris; LArbG Rheinland-Pfalz, Urt. v.
14.10.2014 – 7 Sa 85/14.
121 BAG, Urt. v. 22.02.2012 – 5 AZR 765/10.
122 BAG, Urt. v. 01.09.2010 – 5 AZR 517/09.
123 BAG, Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 331/11; HWK/Gotthard, 6. Auflage 2014, §§ 305 – 310 BGB, Rn 41.
Köhn/Puhl
C. Überstunden 67
Praxishinweis:
Es empfiehlt sich eine wirksame Ausschlussklausel in den Arbeitsvertrag aufzunehmen. Nur so kann
von vorneherein vermieden werden, dass Überstunden über einen längeren Zeitraum von den Arbeit-
nehmern angesammelt werden und sich der Arbeitgeber auf einmal massiven Ausgleichsansprüchen
der Arbeitnehmer ausgesetzt sieht.
124 Vgl. die Beispiele in Grobys/Panzer/Wahlig, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2014,
§ 153 Rn 22.
125 BAG, Urt. v. 16.05.2012 – 5 AZR 331/11.
126 Salomon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720, 1721 ff.; Grobys/Panzer/Wahlig, Stichwort Kommentar Ar-
beitsrecht, 2. Auflage 2014, § 153 Rn 22
127 Hohenstatt/Schramm, NZA 2007, 238, 242; Salomon/Hoppe/Rogge, BB 2013, 1720, 1721 ff.
128 Däubler/Bonin/Deinert/Bonin, AGB-Kontrolle im ArbR, 4. Auflage 2014, § 307 BGB, Rn 182c;
ErfK/Preis, 15. Auflage 2015, § 305–310 BGB Rn 92; Schramm/Kuhnke, NZA 2012, 127, 128.
129 BAG, Urt. v. 10.04.2013 – 5 AZR 122/12; BAG, Urt. v. 25.05.2005 – 5 AZR 566/04; BAG, Urt. v.
17.04.2002 – 5 AZR 644/00; BAG, Urt. v. 15.06.1961 – 2 AZR 436/60.
Köhn/Puhl
68 Kapitel 3 Arbeitsleistung
nehmer insbesondere nicht durch überobligatorische Arbeit nicht selbst über seinen
Vergütungsanspruch entscheiden kann.130 Die Darlegungs- und Beweislast für das
Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Arbeitnehmer als derjenige, der den
Anspruch geltend macht.131
68 Vereinbaren die Parteien die Abgeltung der Überstunden entweder durch Vergü-
tung oder durch Freizeitausgleich, steht dem Arbeitnehmer weder ein Anspruch auf
Freizeitausgleich noch ein Anspruch auf Vergütung zu. Es liegt dann vielmehr ein
Wahlrecht des Arbeitgebers vor, wie er die geleisteten Überstunden ausgleichen
möchte.132
Wichtig:
Der Ausgleichsanspruch der Arbeitnehmer besteht unabhängig davon, ob die zugrundeliegende Ar-
beitszeit den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes widerspricht, der Ausgleichsanspruch besteht da-
her insbesondere auch bei gesetzeswidriger Überarbeit.133
D. K
urzarbeit
I. A
llgemeine Erwägungen
130 BAG, Urt. v. 10.04.2013 – 5 AZR 122/12; Klocke, RdA 2014, 223.
131 BAG, Urt. v. 10.04.2013 – 5 AZR 122/12.
132 BAG, Urt. v. 04.05.1994 – 4 AZR 445/93.
133 BAG, Urt. v. 28.09.2005 – 5 AZR 52/05.
134 Müller/Deeg, ArbRAktuell 2010, 209; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 611 BGB, Rn 657.
Köhn/Puhl
D. Kurzarbeit 69
nach den §§ 95 ff. SGB III nicht dazu, dass der Arbeitgeber befugt ist Kurzarbeit einsei-
tig einzuführen.135
Es empfiehlt sich daher vorausschauend bereits in den Arbeitsvertrag eine ent- 70
sprechende Kurzarbeitsklausel aufzunehmen (sog. Vorratsvereinbarungen), da
es erfahrungsgemäß nach Abschluss des Arbeitsvertrages schwieriger ist, mit den
Arbeitnehmern eine entsprechende Zusatzvereinbarung zu schließen bzw. mit einem
hohen Organisationsaufwand verbunden ist. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, eine
einvernehmliche Regelung mit den Arbeitnehmern zu erzielen, verbleibt dem Arbeit-
geber oft nur die Möglichkeit die Arbeitsverhältnisse im Wege der Änderungskün-
digung anzupassen, was nicht zuletzt aufgrund des erforderlichen Abwartens der
individuellen Kündigungsfristen sowie der regelmäßigen Anwendbarkeit des Kündi-
gungsschutzgesetzes für den Arbeitgeber nicht praktikabel ist.136
Die Arbeitsvertragsparteien müssen Kurzarbeit nicht ausdrücklich vereinbaren. 71
Bereits eine konkludente Einigung, durch die der Arbeitnehmer entsprechend der
Weisung des Arbeitgebers tatsächlich widerspruchslos Kurzarbeit leistet, ist ausrei-
chend.137
Der Arbeitgeber trägt jedoch das Risiko der Zahlung von Annahmeverzugslohn, 72
wenn der Arbeitnehmer die konkludente Einigung bestreitet, so dass eine schriftliche
bzw. arbeitsvertragliche Vereinbarung von Kurzarbeit in jedem Fall vorzugswürdiger
ist.138
Neben dem Arbeitsvertrag kann Rechtsgrundlage für die Einführung von Kurzar- 73
beit auch eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag oder auch das Gesetz, § 19
KSchG, sein.139
Praxishinweis:
Besteht ein Betriebsrat, bedarf die Anordnung von Kurzarbeit, unabhängig vom Vorliegen einer wirk-
samen (arbeitsvertraglichen) Rechtsgrundlage, der Zustimmung des Betriebsrates. Denn der Be-
triebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein zwingendes Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der
Anordnung von Kurzarbeit.140
135 BAG, Urt. v. 12.10.1994 – 7 AZR 398/93; BAG, Urt. v. 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, NZA 2009, 689;
Hümmerich/Reufels/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 2. Auflage 2011, S. 782 Rn 2530.
136 Cohnen/Röger, BB 2009, 46, 47; Grobys/Panzer/Panzer-Herrmeier, Stichwort Kommentar Arbeits-
recht, 2. Auflage 2014, § 109 Rn 6.
137 ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 611 BGB Rn 657; LAG Düsseldorf, Urt. v. 14.10.1994 – 10 Sa 1194/94.
138 Bauer/Günther, BB 2009, 662, 664.
139 Grobys/Panzer/Panzer-Herrmeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2014, § 109 Rn
16 ff., wobei es den Tarifvertragsparteien aus Gründen der Kernbereichslehre untersagt ist, den Ar-
beitgebern die voraussetzungslose Einführung von Kurzarbeit zu gestatten, BAG, Urt. v 18.10.1994 – 1
AZR 503/93.
140 Preis/Lindemann, Der Arbeitsvertrag, 3. Auflage 2009, II. A 90, Rn 80 ff.
Köhn/Puhl
70 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Köhn/Puhl
D. Kurzarbeit 71
Köhn/Puhl
72 Kapitel 3 Arbeitsleistung
82 Die rechtmäßige Einführung von Kurzarbeit führt zur teilweisen Suspendierung der
Hauptleistungspflichten, d. h. dass der Arbeitnehmer ganz oder teilweise von der Ver-
pflichtung zur Arbeitsleistung befreit wird und zugleich entsprechend der Arbeits-
reduzierung seinen Vergütungsanspruch verliert.157 Die arbeitsvertraglichen Neben-
pflichten werden durch die Einführung von Kurzarbeit nicht berührt.158
83 Der Arbeitnehmer erhält als Ausgleich einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.159 In
Höhe des sich aus dem verminderten Vergütungsanspruch und dem Kurzarbeitergeld
zusammensetzenden Betrages behält der Arbeitnehmer seinen Zahlungsanspruch
gegen den Arbeitgeber.160 Dies hat insbesondere dann praktische Bedeutung, wenn
der Anspruch auf Kurzarbeitergeld nicht besteht oder später widerrufen wird.161
154 Cohnen/Röger, BB 2009, 46, 49; Bauer/Günther, BB 2009, 662, 664; HWK/Krause, 6. Auflage 2014,
§ 615 BGB Rn 24; Schaub/Linck, ArbeitsR-Hdb., 16. Auflage 2015, § 47 Rn 13; ErfK/Preis, 16. Auflage
2016, § 611 BGB Rn 662.
155 LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 07.10.2010 – 2 Sa 1230/10.
156 Müller/Deeg, ArbRAktuell 2010, 209.
157 BAG, Urt. v. 12.10.1994 – 7 AZR 398/93; BAG, Urt. v. 16.12.2008 – 9 AZR 164/08; Cohnen/Röger, BB
2009, 46, 48; Hümmerich/Reufels/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 3. Auflage 2015, S. 909
Rn 3012.
158 Cohnen/Röger, BB 2009, 46, 48.
159 Zu den Voraussetzungen vgl. §§ 95 ff. SGB III
160 BAG, Urt. v. 11.07.1990 – 5 AZR 557/89; BAG, Urt. v. 22.04.2009 – 5 AZR 310/08; Grobys/Panzer/
Panzer-Herrmeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2014, § 109 Rn 9; ErfK/Preis, 16. Auf-
lage 2016, § 615 BGB Rn 15.
161 BAG, Urt. v. 22.04.2009 – 5 AZR 310/08, NZA 2009, 913; ErfK/Preis, 15. Auflage 2015, § 615 BGB Rn 15.
Köhn/Puhl
E. Zurückbehaltungsrecht 73
E. Z
urückbehaltungsrecht
§ 273 und § 320 BGB gestehen dem Schuldner das Recht zu, die ihm obliegende Leis- 84
tung solange zurückzuhalten bis der Gläubiger die von ihm geschuldete Leistung
ebenfalls anbietet. § 320 BGB ist eine Sonderregel für die Hauptleistungspflichten in
gegenseitigen Verträgen, etwa bei Arbeitsverträgen die Erbringung der Arbeitsleis-
tung durch den Arbeitnehmer und die Zahlung des Arbeitsentgelts durch den Arbeit-
geber. Für alle weiteren (Neben)Pflichten sieht § 273 BGB vor, dass das Bestehen eines
fälligen auf einem einheitlichen Lebensverhältnisses beruhenden Gegenanspruchs
Voraussetzung für ein Zurückbehaltungsrecht ist.
I. Allgemeines
Der Arbeitgeber hat häufig ein besonderes Interesse, das Zurückbehaltungsrecht des 85
Arbeitnehmers auszuschließen. Vor allem bei Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses kann der Arbeitgeber Rückgabe der dienstlichen Unterlagen, Gegenstände und
ggf. eines an den Arbeitnehmer überlassenen Dienstwagen fordern.162 Der Arbeitneh-
mer kann dies mit dem Argument verweigern, dass der Arbeitgeber seinerseits die
Pflichten aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt hat, z. B. gestützt
auf den Anspruch auf Erteilung eines wohlwollenden qualifizierten Zeugnisses.
Tatsächlich wird dem Arbeitnehmer häufig aber schon kein Zurückbehal- 86
tungsrecht zustehen können. Soweit dem Arbeitnehmer Arbeitsmittel überlassen
sind, die er nur dienstlich nutzen darf, handelt er als Besitzdiener im Sinne des § 855
BGB; unmittelbarer Besitzer des dienstlichen Gegenstands bleibt in diesem Fall der
Arbeitgeber.163 Ist dem Arbeitnehmer dagegen die private Nutzung, etwa des Dienst-
wagens oder Mobiltelefons, erlaubt, kann er ein Zurückbehaltungsrecht an diesen
162 Zum Herausgabeanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses BAG Urt. v. 14.12.2011 – 10
AZR 283/10; MünchArbR/Wank, 3. Auflage 2009, § 106 Rn. 11 f.
163 BAG Urt. v. 17.09.1998 – 8 AZR 175/97.
Köhn/Puhl
74 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Gegenständen geltend machen.164 Umgekehrt kann der Arbeitgeber nach der Recht-
sprechung des Bundesarbeitsgericht an den Arbeitspapieren des Arbeitnehmers
kein Zurückbehaltungsrecht ausüben (vgl. auch § 39b Abs. 1 Satz 3, § 41 Abs. 1 Satz 4
EStG).165 Darüber hinaus besteht hinsichtlich des unpfändbaren Teils der Vergütung
des Arbeitnehmers kein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 394 BGB.
164 LAG Düsseldorf Urt. v. 12.02.1986 – 11 U 76/85; Preis/Preis, Der Arbeitsvertrag, 4. Auflage 2015, II
Z 20, Rn 25.
165 BAG Urt. v. 20.12.1958 – 2 AZR 336/56; Preis/Preis, Der Arbeitsvertrag, 4. Auflage 2015, II Z 20,
Rn 23.
166 Annuß, BB 2002, 458, 453; Grobys, DStR 2002, 1002, 1007. In diesem Fall dürfte dem Arbeitneh-
mer aber schon kein Zurückbehaltungsrecht zustehen, da er nur Besitzdiener ist.
Köhn/Puhl
F. Arbeit auf Abruf 75
I. A
llgemeine Erwägungen
Köhn/Puhl
76 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Praxishinweis:
Da die Abrufarbeit ein besonderes Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitszeit darstellt, sollte sie
im Arbeitsvertrag eigenständig im Abschnitt „Arbeitszeit“ geregelt und mit einer eigenständigen
Überschrift („Arbeitszeit/Abrufarbeit“) versehen werden. Andernfalls besteht die Gefahr eines Ver-
stoßes gegen das Verbot überraschender Klauseln gemäß § 305c Abs. 1 BGB.171
Praxishinweis:
Da eine verbindliche Entscheidung der Rechtsprechung noch aussteht, sollten sich Arbeitgeber si-
cherheitshalber auch bei Vollzeitarbeitsverhältnissen eng an den Vorgaben des § 12 TzBfG orientieren.
2. Z
ulässigkeit bei Zeitarbeitnehmern?
94 Umstritten ist, ob die Vereinbarung von Arbeit auf Abruf in Arbeitsverträgen mit Zeit-
arbeitnehmern zulässig ist. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7
Köhn/Puhl
F. Arbeit auf Abruf 77
NachwG trifft den Verleiher die Pflicht, die Arbeitszeit des Zeitarbeitnehmers anzu-
geben. Zudem dürfen nach § 11 Abs. 4 Satz AÜG die gesetzlichen Vorschriften zum
Annahmeverzug gemäß § 615 BGB nicht unterlaufen werden. Andernfalls könnte
der Verleiher das Beschäftigungsrisiko in verleihfreien Zeiten einseitig auf den Zeit-
arbeitnehmer verlagern. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass Arbeit auf Abruf
bei Zeitarbeitnehmern generell ausgeschlossen sei.176 Sofern etwa die beim Entleiher
tatsächlich geleistete Arbeitszeit geringer sei als die in den Tarifverträgen vereinbarte
regelmäßige Arbeitszeit des Zeitarbeitnehmers, sei der Verleiher verpflichtet dem Zeit-
arbeitnehmer in Höhe der Zeitdifferenz eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit
anzubieten, andernfalls schulde er (unabdingbar und ohne Nachleistungspflicht) die
vertraglich vereinbarte Vergütung.177
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit 95
von Arbeitszeitkonten bei Zeitarbeitnehmern, in der das Bundesarbeitsgericht auch
auf Abrufklauseln Bezug nimmt, ist die Vereinbarung einer unterschiedlichen
Dauer der Arbeitszeit während verleihfreien Zeiten aber grundsätzlich zuläs-
sig.178 Bedenklich wird die Aufspaltung der Dauer der Arbeitszeit für Überlassungen
und überlassungsfreie Zeiten aber dann, wenn eine solche Vertragsgestaltung dazu
dient, die Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Vergütung bei Annahmeverzug nach
§ 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG dadurch zu unterlaufen, dass für verleihfreie Zeiten eine unge-
wöhnlich kurze Arbeitszeit vereinbart wird.
1. Transparenzgebot
Klauseln zur Abrufarbeit unterliegen in Standardarbeitsverträgen dem Transparenz- 96
gebot des § 307 Abs. 1 BGB.179 Sie müssen deshalb klar und verständlich formuliert
sein, insbesondere sofern längere Bezugszeiträume oder ein flexibler Umfang der
abrufbaren Arbeitszeit bezweckt ist.
176 Schüren/Schüren, 4. Auflage 2010, § 11 AÜG Rn 51; Ulber, NZA, 232, 233.
177 Vgl. dazu Ulber, NZA 2009, 232, 233.
178 BAG Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12; Annuß/Thüsing/Jacobs, 3. Auflage 2012, § 12 TzBfG Rn 6;
Meinel/Heyn/Herms/Heyn, 5. Auflage 2015, § 12 TzBfG Rn 10.
179 MüKo-BGB/Müller-Glöge, 6. Auflage 2012, § 12 TzBfG Rn 9; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12 TzBfG
Rn 14.
Köhn/Puhl
78 Kapitel 3 Arbeitsleistung
3. B
esondere Gestaltungsgrenzen bei der Vereinbarung einer flexiblen
Arbeitszeitdauer
99 Nach der eindeutigen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7.12.2005 wird
den gesetzlichen Vorgaben des § 12 Abs. 1 Satz 2 TzBfG auch dann genüge getan, wenn
die Arbeitsvertragsparteien nur eine sog. Sockelarbeitszeit oder eine Bandbreitenre-
gelung mit Höchst- und Mindeststunden vereinbaren.184 Ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1
TzBfG scheidet aus, weil nach dieser Vorschrift nur die durchschnittliche wöchentli-
che und tägliche Arbeitszeit festgelegt werden muss. Unzulässig ist dagegen die Ver-
einbarung eines Höchststundensatzes, der es dem Arbeitgeber erlauben würde, in
beliebigem Umfang auch eine geringere Stundenzahl abzurufen.
100 Die Regelung zur flexiblen Arbeitszeitdauer muss jedoch den Anforderungen
des § 307 BGB genügen.185 Eine variable Erhöhung der wöchentlichen Mindest-
arbeitszeit ist deshalb nach dem Bundesarbeitsgericht nur bis zur Höhe von
25 % zulässig.186 Andernfalls könnte der Arbeitgeber das allein ihm obliegende Wirt-
Köhn/Puhl
F. Arbeit auf Abruf 79
schaftsrisiko entgegen § 615 BGB auf den Arbeitnehmer übertragen und ihn damit
unzumutbar benachteiligen. Umgekehrt dürfte auch eine Reduzierung der Arbeits-
zeit um 20 % von der vereinbarten Höchstarbeitszeit zulässig sein oder eine ent-
sprechende Bandbreitenregelung, die ausgehend von einer Durchschnittsarbeitszeit
Abweichungen nach oben und nach unten zulässt. Allerdings kann die Erhöhungs-
und Absenkungsspanne nur so miteinander kombiniert werden, dass sie insgesamt
eine Spanne von maximal 25 % erreicht.187
Je geringer die vereinbarte wöchentliche Höchst-, Mindest- oder Durchschnitts- 101
arbeitszeit ist, desto geringer ist auch die vom Arbeitgeber einseitig abrufbare flexi-
ble Arbeitsleistung. Bei der Vertragsgestaltung müssen Arbeitgeber insgesamt darauf
achten, dass die tariflich und gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten nicht über-
schritten werden.
Praxishinweis:
Aus Transparenzgründen sollte in die Klausel aufgenommen werden, dass sich die Vergütung für die
zusätzlich abgerufene Arbeitsleistung entsprechend der Höhe der durchschnittlichen Stundenver-
gütung erhöht und im Fall der Arbeitszeitverringerung entsprechend reduziert. Eine entsprechende
Klarstellung sollte zusätzlich in die Vergütungsregelung aufgenommen werden.
Der flexible Abruf von Mehrarbeit im Rahmen des § 12 TzBfG ist grundsätzlich nicht 102
an das Vorliegen konkreter Sachgründe gebunden, wie dies etwa für die AGB-Kont-
rolle vertraglicher Widerrufsvorbehalte vom Bundesarbeitsgericht anerkannt worden
ist.188 Vielmehr muss es grundsätzlich ausreichen, wenn betriebliche Erfordernisse
den Mehrbedarf an Arbeitskraft rechtfertigen. Eine weitergehende Konkretisierung
der Sachgründe stößt auf Schwierigkeiten und würde letztlich zu einer bloßen Leer-
formel führen.189
Praxishinweis:
Auf die Angabe von Sachgründen sollte verzichtet werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der
Arbeitgeber bei der Vertragsgestaltung nicht sämtliche Abrufgründe berücksichtigt und sodann an
die im Arbeitsvertrag genannten Gründe gebunden ist.
Köhn/Puhl
80 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Köhn/Puhl
F. Arbeit auf Abruf 81
Praxishinweis:
Eine Überstundenregelung kann zur Vereinbarung von Abrufarbeit im Arbeitsvertrag hinzutreten.
Für die Anordnung von Überstunden gelten in diesem Fall die Einschränkungen des § 12 TzBfG, ein-
schließlich der Mindestankündigungsfrist nicht. Allerdings muss der Arbeitgeber das Recht, Über-
stunden anzuordnen, gesondert vereinbaren, sodass es eindeutig von der Abrufarbeit abgegrenzt
werden kann. Zudem sollten Formulierungen in der Klausel zur Abrufarbeit vermieden werden, die auf
eine Überstundenklausel hindeuten, z. B. dergestalt dass die Abrufarbeit nur aufgrund „besonderer
betrieblicher Umstände“ anfällt.199
Bei dem Abruf der Leistung ist der Arbeitgeber an die Grundsätze des billigen Ermes- 107
sens gemäß § 106 GewO gebunden. Er muss vor dem Abruf die wesentlichen Umstände
des Einzelfalls abwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksich-
tigen. Die Interessen des Arbeitnehmers können durch familiäre, gesundheitliche
oder weitere berufliche Verpflichtungen, durch Freizeitinteressen, aber auch durch
die Abhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln betroffen sein.200 Zudem muss der
Arbeitgeber die rechtlichen Grenzen des Arbeitszeitgesetzes zum Schutz des Arbeit-
nehmers wahren, insbesondere die Ruhenszeit (§ 5 ArbZG) und die Höchstarbeitszeit
(§ 3 ArbZG) einhalten.
1. Ankündigungsfrist
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer die Lage der Arbeitszeit jeweils mindes- 108
tens vier Tage im Voraus mitteilen, sofern der anwendbare Tarifvertrag keine abwei-
chende kürzere Frist vorsieht. Die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer kürzeren
Ankündigungsfrist oder der Verzicht auf die Frist ist gemäß § 134 BGB unwirksam.201
Köhn/Puhl
82 Kapitel 3 Arbeitsleistung
109 Die Berechnung der Ankündigungsfrist richtet sich nach §§ 186 ff. BGB. Bei der
Berechnung der Frist sind deshalb auch Wochenendtage einzubeziehen, sodass bei
einem gewünschten Einsatz am Montag die Ankündigung bis spätestens Mittwoch
der Vorwoche erfolgen muss.202 Kommt der Arbeitgeber der Ankündigungsfrist nicht
nach, ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet (§ 12 Abs. 2 TzBfG).203
Nimmt der Arbeitnehmer das Arbeitsangebot gleichwohl an, ist die geleistete Arbeits-
zeit trotz zu kurzer Ankündigungsfrist auf das Arbeitszeitdeputat anzurechnen und
entsprechend zu vergüten.204 Lehnt der Arbeitnehmer das Angebot ab, entsteht
grundsätzlich auch keine Vergütungspflicht. Allerdings kann der Arbeitgeber in
Annahmeverzug geraten.205
202 Meinel/Heyn/Herms/Heyn, 5. Auflage 2015, § 12 TzBfG Rn 41; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12
TzBfG Rn 26.
203 ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12 TzBfG Rn 29.
204 Meinel/Heyn/Herms/Heyn, 5. Auflage 2016, § 12 TzBfG Rn 43.
205 Meinel/Heyn/Herms/Heyn, 5. Auflage 2016, § 12 TzBfG, Rn 45; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12
TzBfG, Rn 31.
206 Meinel/Heyn/Herms/Heyn, § 12 TzBfG, 5. Auflage 2015, Rn 31; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 12
TzBfG, Rn 13; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12 TzBfG, Rn 22; BT-Drucks. 10/2102, S. 25 zu § 4 BeschFG.
207 MüKo-BGB/Müller-Glöge, 6. Auflage 2012, § 12 TzBfG, Rn 13; ErfK/Preis, 16. Auflage 2016, § 12
TzBfG, Rn 22; Kramer/Keine, ArbRAktuell 2010, 233, 234.
Köhn/Puhl
F. Arbeit auf Abruf 83
Praxishinweis:
Sofern der Arbeitgeber sich vorbehalten will, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Einzelfall flexibel
auch für kürzere Zeiträume abzurufen, sollte diese Flexibilisierung sprachlich und inhaltlich abge-
trennt vereinbart werden, z. B. in einem eigenen Absatz. Nur so ist gewährleistet, dass eine unwirk-
same Klausel bei Anwendung des blue-pencil-Tests gestrichen werden kann, ohne dass die gesamte
Abrufklausel unwirksam wird. Zudem sollte das 3-Stunden-unterschreitende Abrufrecht des Arbeitge-
bers eingeschränkt werden, z. B. durch eine abschließende Benennung von Sachgründen.
Wird der Arbeitnehmer zu einem drei Stunden unterschreitenden Einsatz abgerufen, 112
hat er nach dem Schutzzweck des § 12 Abs. 1 TzBfG einen Vergütungsanspruch für drei
Stunden, auch wenn er nur eine kürzere Zeit arbeitet. Eines besonderen Leistungsver-
weigerungsrechts bedarf es daneben nicht.208
Durch Tarifverträge sind noch umfassendere Abweichungen von der Mindestarbeits- 113
zeit nach § 12 Abs. 1 TzBfG und der Ankündigungsfrist nach § 12 Abs. 2 TzBfG zulässig,
sofern der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit
und die Vorankündigungsfrist vorsieht.209
Die Regelung von Abrufarbeit unterliegt allenfalls dann dem Mitbestimmungsrecht 114
des Betriebsrats, wenn ein kollektiver Bezug der Maßnahme gegeben ist.210 Die
individuelle Festlegung der kapazitätsorientierten Arbeitszeit innerhalb des vertrag-
lich vereinbarten Rahmens ist nicht mitbestimmungspflichtig.211 Dagegen unterlie-
gen allgemeine Regelungen zur Einführung oder Gestaltung von Abrufarbeit der Mit-
bestimmungspflicht.212
Köhn/Puhl
84 Kapitel 3 Arbeitsleistung
G. A
rbeitszeitkonten
I. A
llgemeine Erwägungen
115 Arbeitszeitkonten ermöglichen den Parteien eine flexible Verteilung der Arbeitszeit
bei gleichbleibendem Entgelt.213 Es sind verschiedenste Formen des Arbeitszeitkon-
tos denkbar. Kurzzeitkonten ermöglichen eine variable Verteilung der Arbeitszeit
innerhalb z. B. eines Monats oder eines Jahres. Langzeitkonten können einen deut-
lich längeren Ausgleichszeitraum vorsehen, z. B. in der Form des sog. Lebensarbeits-
zeitkontos oder zur Aufsparung von Arbeitszeit für eine vorübergehende Freistellung,
z. B. die Wahrnehmung eines Sabbatical214 oder den früheren Renteneintritt.215
116 Bei einem Arbeitszeitkonto vereinbaren die Parteien, dass die zu leistende
Arbeitszeit nicht wöchentlich festgelegt ist, sondern in einem Ausgleichszeit-
raum erbracht wird. Dadurch können Arbeitgeber bei hohem Arbeitsaufkommen
teure Überstundenzuschläge vermeiden, während sie bei geringem Arbeitsaufkom-
213 Hierdurch unterscheiden sich Arbeitszeitkonten insbesondere vom flexiblen Abruf von Arbeits-
zeit, vgl. dazu bereits oben Ziffer VI.
214 Vgl. dazu ausführlich Böhm, ArbRB 2010, 289, 292.
215 Zur Unterscheidung Skorzyk/Klups/Jacobsen, BB Spezial 4, 2, zu BB 2007, Heft 15; Klemm, NZA
2006, 946, 947, Gaul/Koehler, ArbRB 2009, 272 f.
Köhn/Puhl
G. Arbeitszeitkonten 85
men nicht daran gebunden sind, die Arbeitnehmer zu beschäftigen.216 Anders als bei
der Abrufarbeit legt bei Arbeitszeitkonten nicht der Arbeitgeber die Lage der Arbeits-
zeit einseitig fest. Vielmehr vereinbaren die Parteien in der Regel gemeinsam eine
bestimmte Verteilung der Arbeitszeit oder es obliegt dem Arbeitnehmer im Wege einer
Gleitzeitabrede die Arbeitszeit frei einzuteilen.
Rechtlich zu unterscheiden ist zwischen der arbeitsrechtlich determinierten Fle- 117
xibilisierung der Arbeitszeit durch Zeitkonten und der sozialrechtlichen Folgen der
damit verbundenen Flexibilisierung. Letzteres ist nur bei Langzeitkonten rele-
vant, in denen der Arbeitnehmer zwar über einen längeren Zeitraum Entgelt erhält,
aber tatsächlich keine Arbeitsleistung erbringt. Die sozialversicherungsrechtliche
Behandlung von Langzeitkonten war jahrelang problematisch. Seit dem sog. Flexi-
I-Gesetz217 wird die sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung auch bei längeren
Zeiträumen der Nichtarbeit innerhalb der Grenzen des § 7 Abs. 1a SGB IV aber fingiert.
Das Arbeitsentgelt wird dazu erst verbeitragt, wenn der Arbeitnehmer sein Zeitgutha-
ben abruft. Durch das Flexi-II-Gesetz218 hat das durch ein Arbeitszeitkonto erlangte
Wertguthaben eine weitergehende Privilegierung erhalten, sofern die Voraussetzun-
gen des § 7b SGB IV erfüllt sind. Voraussetzung für die Privilegierung ist aber, dass
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine schriftliche Vereinbarung über Arbeits-
zeitkonto abgeschlossen wird, vgl. § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB IV. Darüber hinaus muss
der Arbeitgeber gemäß § 7d SGB IV Regelungen zur Insolvenzsicherung vorsehen.219
Köhn/Puhl
86 Kapitel 3 Arbeitsleistung
1. Z
eitarbeitnehmer
119 Umstritten ist, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Arbeitszeitkonten
in Verträgen mit Zeitarbeitnehmern zulässig sind. Es geht dabei insbesondere um
die Frage, ob Arbeitszeitkonten in Arbeitsverträgen mit Zeitarbeitnehmern mit § 11
Abs. 4 S. 2 AÜG vereinbar sind, wonach grundsätzlich der Verleiher das Risiko tragen
soll, den Zeitarbeitnehmer auch in verleihfreien Zeiten zu vergüten.222 Weitestgehend
Einigkeit besteht darin, dass Arbeitszeitkonten nicht dazu führen dürfen, dass das
wirtschaftliche Risiko des Verleihers der Nichtbeschäftigung in verleiherfreien
Zeiten auf den Zeitarbeitnehmer übertragen wird.223
120 Allerdings besteht insbesondere im Zeitarbeitsverhältnis ein Bedürfnis für eine
Flexibilisierung der Arbeitszeit. Da der Verleiher nach dem Gebot der Gleichbehand-
lung gemäß § 10 Abs. 4 AÜG gehalten ist, den Zeitarbeitnehmer in einem dem ver-
gleichbarer Stammarbeitnehmer beim Entleiherbetrieb entsprechenden zeitlichen
Umfang zu beschäftigen, kann die Arbeitszeit im Vorhinein nicht starr fixiert werden.
Denn die Dauer der Arbeitszeit kann je nach Entleiher unterschiedlich sein.224
121 Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht jüngst entschieden,
dass Arbeitszeitkonten auch bei Zeitarbeitnehmern grundsätzlich zulässig
sind.225 Allerdings hat auch das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgehalten,
dass das Arbeitszeitkonto nicht dazu eingesetzt werden darf, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG
zu umgehen und das vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Zeit-
arbeitnehmer abzuwälzen.226 Zudem sind nach der Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts Regelungen, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten
einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, unwirksam. Dies gelte unabhängig davon,
ob dem Zeitarbeitnehmer in verleihfreien Zeiten die vertraglich versprochene Vergü-
tung durchgängig gezahlt werde. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat
in der Folge bereits eine Arbeitszeitkontenregelung für unzulässig erklärt, bei der vor-
handene Plusstunden mit Minusstunden in einsatzfreien Zeiten einseitig verrechnet
wurden.227 Gleichwohl hat das LAG Berlin-Brandenburg klargestellt, dass ein Arbeits-
222 Thüsing/Pötters, BB 2012, 317; Schüren, BB 2012, 1411; Ulber, NZA 2009, 232.
223 BAG Urt. v. 16.04.2014, 5 AZR 483/12, juris, Rn. 24; BSG Urt. v. 21.07.2009 – B 7 AL 3/08 R, juris,
Rn 19 ff.; LAG Baden-Württemberg Urt. v. 29.04.2009 – 17 Sa 4/09, juris, Rn 21 ff.; LAG Rheinland-Pfalz
Urt. v. 24.04.2008 – 10 Sa 19/08, juris, Rn 49 ff.; Thüsing/Pötters, BB 2012, 317, 318; Thüsing/Mengel,
3. Auflage 2012, § 11 AÜG Rn 40; Schüren/Hamann/Schüren, 4. Auflage 2010, § 11 AÜG Rn 94, Ulber,
4. Auflage 2011, § 11 AÜG Rn 94, ErfK/Wank, 16. Auflage 2016, § 11 AÜG Rn 16.
224 So auch die Begründung des BAG in der Entscheidung vom 16.04.2014 – 5 AZR 483/12.
225 BAG Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12.
226 BAG Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12; Schüren, BB 2012, 1411.
227 LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14; in diese Richtung auch Schüren, BB
2012, 1411, 1412.
Köhn/Puhl
G. Arbeitszeitkonten 87
Köhn/Puhl
88 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Praxishinweis:
Sofern die Vergütung des Arbeitnehmers die Grenzen des Mindestlohngesetzes nicht eindeutig über-
steigt, sollte eine Tilgungsbestimmung dahingehend aufgenommen werden, dass die § 2 Abs. 2 Mi-
LoG unterfallenden Stunden stets zuerst abzubauen sind.
126 Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 1 MiLoG müssen die in einem bestimmten Monat
geleisteten Plusstunden innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten ausgeglichen
werden. Der Gesetzeswortlaut schreibt somit eine zukunftsbezogene Betrachtung
vor, die strenggenommen eine Verrechnung mit bereits entstandenen Minusstunden
ausschließt.234 Ob die Rechtsprechung einer solchen engen Auslegung folgen wird, ist
derzeit unklar. Jedenfalls sollten Arbeitgeber Negativsalden auf Arbeitszeitkonten so
gut wie möglich vermeiden.
Praxishinweis:
Unterliegt der Betrieb des Arbeitgebers starken saisonalen Schwankungen, erscheint es sinnvoll, den
Ausgleichszeitraum beginnend mit dem Saisonstart festzulegen. Dies ist von der Rechtsprechung
zwar bisher nicht entschieden, eröffnet dem Arbeitnehmer aber die Möglichkeit, zunächst Plusstun-
den anzusammeln, die in den folgenden 12 Monaten, außerhalb des Saisonbetriebs, abgebaut wer-
den können.
III. W
irksamkeitsanforderungen
1. Arbeitszeit
128 Bei Jahresarbeitszeitkonten legen die Vertragsparteien grundsätzlich nur Volumen
und Bezugszeitraum des Arbeitszeitkontos fest. Sofern absehbar für einen bestimm-
Köhn/Puhl
G. Arbeitszeitkonten 89
Praxishinweis:
Grundlage für Höhe und Umfang der Arbeitszeitkonten ist ihre Berechnung. Häufig werden entstan-
dene Arbeitszeitstunden unterschiedlich bewertet, je nachdem ob mit der Arbeitserbringung eine
geringere, z. B. bei Bereitschaftsdienst, oder eine besondere Belastung, z. B. bei Wochenend- oder
Nachtarbeit, des Arbeitnehmers einhergeht.241 Eine Berechnung der konkreten Arbeitszeit und der
Umrechnungsschlüssel für die erbrachten Zeitstunden sollte dem Arbeitsvertrag deshalb als Anlage
beigefügt werden.
Köhn/Puhl
90 Kapitel 3 Arbeitsleistung
132 Der Arbeitnehmer sollte wahlweise Einsicht in das Arbeitszeitkonto nehmen können
oder der Stand des Arbeitszeitkontos sollte ihm monatlich mitgeteilt werden. Sofern
der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Stand seines Arbeitszeitkontos vorbehaltlos
mitteilt, gilt der mitgeteilte Saldo nach der zweifelhaften Rechtsprechung des Bun-
desarbeitsgerichts als streitlos gestellt.242
Köhn/Puhl
G. Arbeitszeitkonten 91
ArbZG folgt, dass die Gleichsetzung von Vergütung und vergüteter Freizeit gesetzlich
anerkannt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Aufbau und 136
Abbau von Arbeitszeitkonten grundsätzlich nicht denselben Grundsätzen
folgen, da die Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto lediglich eine abstrakte Rechen-
einheit ist.247 Sofern Freizeitausgleich vereinbart wurde, ist es deshalb zulässig, wenn
der Arbeitnehmer weniger Freizeitausgleich erhält, als er z. B. im Rahmen einer Ruf-
bereitschaft zur Verfügung stand.
Praxishinweis:
Wegen der Dokumentationsfunktion von Arbeitszeitkonten darf der Arbeitgeber nicht einseitig kor-
rigierend auf ein Arbeitszeitkonto zugreifen.248 Die der Führung des Arbeitszeitkontos zugrunde lie-
gende Vereinbarung muss dem Arbeitgeber deshalb die Möglichkeit eröffnen, in das Arbeitszeitkonto
eingestellte Arbeitsstunden wieder zu streichen.
5. V ergütung
Die Vergütung des Arbeitnehmers bei Arbeitszeitkonten bemisst sich gleichbleibend 137
anhand der vereinbarten monatlichen oder wöchentlichen Durchschnittsarbeits-
zeit. Die entstehenden Minusstunden sollten als Vorschuss auf die monatliche Ver-
gütung geführt werden, was AGB-rechtlich grundsätzlich zulässig ist.249 Dadurch
erfolgt eine Verrechnung mit den laufenden Vergütungszahlungen des Arbeitneh-
mers. Sofern der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrags noch Minus-
stunden aufgebaut hat, können diese ggf. bereicherungsrechtlich zurückgefordert
werden, sofern die Klausel gemäß § 818 Abs. 3 BGB den Ausschluss der Entreicherung
vorsieht.250 Da die Rückforderung von Entgelt in der Praxis aber regelmäßig schwierig
ist, sollte darauf geachtet werden, nicht zu viele Minusstunden aufzubauen. Bestehen
bei Beendigung des Arbeitsvertrages noch Plusstunden, hat der Arbeitnehmer einen
Anspruch auf Abrechnung und Auszahlung bei Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses.251
247 BAG Urt. v. 17.03.2010 – 5 AZR 296/09; MüKo-BGB/Müller-Glöge, 6. Auflage 2012, § 611 BGB Rn
1056.
248 BAG Urt. v. 21.03.2012 – 5 AZR 676/11.
249 MüKo-BGB/Müller-Glöge, 6. Auflage 2012, § 611 BGB Rn 1058.
250 Wisskirchen/Bissels, NZA-Beilage 2006, 24, 27 f.; MüKo-BGB/Müller-Glöge, 6. Auflage 2012, § 611
BGB Rn 1056.
251 BAG Urt. v. 28.07.2010 – 5 AZR 521/09.
Köhn/Puhl
92 Kapitel 3 Arbeitsleistung
Praxishinweis
In der Praxis werden Jahresarbeitszeitkonten häufig als Ampelkonto ausgestaltet. Für beide Parteien
hat dies den Vorteil, dass sie umgehend darauf hingewiesen werden, sofern ein bestimmter Arbeits-
zeitrahmen über- oder unterschritten wird. Dies ermöglicht dem Arbeitgeber frühzeitig Maßnahmen
zur Regulierung der Arbeitszeit zu ergreifen, was beispielsweise erforderlich sein kann, um einen
Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz zu vermeiden.
IV. M
itbestimmung
138 Dem Betriebsrat steht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu,
sofern mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern Arbeitszeitkontenverträge abgeschlos-
sen werden. Allein das Überschreiten der Jahresarbeitszeit löst als solche aber noch
nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aus.252
Köhn/Puhl
Kapitel 4
Vergütung
A. A
llgemeines
I. D
er Begriff Vergütung
Vergütung lässt sich weiter dahin aufteilen, ob für Zeit (Monats-, Tages- oder Stun- 2
denlohn) oder Leistung (Akkordlohn, Prämienlohn) gezahlt wird. Eine besonders
starke Form der erfolgsabhängigen Entlohnung stellt die Provision dar.1 Soweit der
Vereinbarung eines leistungsabhängigen Lohns nicht ausdrückliche Verbote entge-
genstehen (§ 23 JArbSchG, § 4 MuSchG), ist die generelle Differenzierung meist ohne
größeren Wert.
Rolf/Riechwald
94 Kapitel 4 Vergütung
Praxistipp
In Konzernen können bestimmte Vergütungsteile durch die Konzernmutter gewährt werden. Damit
lässt sich jedenfalls in weiten Teilen die Geltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen ausschließen, was
die Gestaltung solcher Vergütungselemente vor allem bei Verfalls- und Stichtagsklauseln flexibler
macht.
Rolf/Riechwald
A. Allgemeines 95
diger Entgeltanspruch ist oder, wie das BAG früher vertrat, nur den arbeitsvertragli-
chen Vergütungsanspruch aufrechterhält.
Soweit die Vergütung gesetzlich oder tariflich geregelt ist, sperrt § 87 Abs. 1 BetrVG 9
umgekehrt eine Regelung durch die Betriebsvereinbarung.6 Allerdings erlauben
Tarifverträge im Wege von Öffnungsklauseln oft eine ergänzende Regelung durch
Betriebsvereinbarungen (§ 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG). Eine aufgrund einer solchen Öff-
nungsklausel geschlossene Betriebsvereinbarung wird aber unwirksam, wenn die
entsprechende tarifliche Regelung entfällt, etwa weil der Tarifvertrag ohne die Öff-
nungsklausel neu vereinbart wird.7 § 77 Abs. 3 BetrVG sperrt darüber hinaus Regelun-
gen durch eine Betriebsvereinbarung, wenn die Vergütung tarifüblich ist.
Rolf/Riechwald
96 Kapitel 4 Vergütung
4. N
ettolohnabrede
10 Enthält der Arbeitsvertrag keine anderweitige Regelung, ist der Arbeitslohn als Brut-
tolohn geschuldet.8 Der Arbeitgeber nimmt dann die gesetzlichen Abzüge vor. Mit
dem Abzug der Lohnsteuer „für Rechnung des Arbeitnehmers“ (§ 38 Abs. 3 S. 1 EStG)
tilgt der Arbeitgeber zwar die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, er erfüllt damit
aber nach Ansicht des BAG eine eigene steuerrechtliche Verpflichtung nach § 41a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.9
11 Wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer abführt, kann er gegenüber dem Arbeitneh-
mer Erfüllung nach § 362 BGB einwenden. Der Arbeitgeber schuldet nach § 28d SGB
IV weiter den sogenannten Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Die Besonderheit liegt
nun darin, dass der Arbeitgeber nach § 28g SGB IV einen Anspruch gegen den Arbeit-
nehmer auf Erstattung des vom Arbeitnehmer zu tragenden Teils des Gesamtsozial-
versicherungsbeitrags hat. Diesen Anspruch kann der Arbeitgeber nach § 28g S. 2 SGB
IV jedoch nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen. Ein unterbliebener
Abzug darf nach S. 3 der Vorschrift nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszah-
lungen nachgeholt werden und auch nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden
des Arbeitgebers unterblieben ist. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber den auf den
Arbeitnehmer entfallenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nur durch
Aufrechnung gegen die nächsten drei Gehaltszahlungen geltend machen kann. Diese
Vorschrift ist für den Arbeitgeber insbesondere dann problematisch, wenn der Arbeit-
nehmer ausgeschieden ist, da eine Aufrechnung dann nicht mehr möglich ist. Der
Arbeitgeber zahlt in diesen Fällen auch den auf den Arbeitnehmer fallenden Teil des
Gesamtsozialversicherungsbeitrags.
12 Arbeitgeber und Arbeitnehmer können im Arbeitsvertrag jedoch auch eine soge-
nannte Nettolohnabrede treffen. In diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, den
Nettolohn für die Zwecke der gesetzlichen Abzüge hochzurechnen, um die Abzüge
dann vornehmen zu können. Auf eine solche Nettolohnabrede deuten etwa unge-
kürzte dauernde Barauszahlungen des Lohns.10 Die Rückforderung zu viel gezahlten
Lohnes durch den Arbeitgeber ist ebenfalls auf den Bruttolohn gerichtet.11
Rolf/Riechwald
A. Allgemeines 97
a) Lohnsteuer
Schuldner der Lohnsteuer ist grundsätzlich der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss 14
jedoch die Lohnsteuer berechnen, vom Bruttolohn einbehalten und an das Finanz-
amt abführen. Dies gilt ebenso für die Kirchensteuer sowie den Solidaritätszuschlag.
Die Abführung der Lohnsteuer gehört dabei zu den arbeitsrechtlichen Fürsorgepflich-
ten des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber haftet daher für die korrekte Einhaltung und
Abführung der Lohnsteuer und kann für zu wenig einbehaltene und abgeführte Lohn-
steuer in Anspruch genommen werden, § 42d EStG. Erbringt ein Dritter Arbeitslohn,
spricht man von einer Lohnzahlung durch Dritte, § 38 Abs. 1 Satz 3 EStG.
b) Sozialversicherungsabgaben
Ebenso muss der Arbeitgeber auch die Gesamtsozialversicherungsbeiträge, also die 15
Summe der Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung
abführen. Auch hier muss der Arbeitgeber die Beiträge monatlich berechnen, einen
Beitragsnachweis erstellen, diesen sowie den Beitrag (sowohl den Arbeitgeber- als
auch den Arbeitnehmerbeitrag) an die Einzugsstelle (die Krankenkassen) abführen,
§§ 28d, 28e SGB IV. Beitragsschuldner der Sozialversicherungsbeiträge ist dabei allein
der Arbeitgeber. Hier ist zu beachten, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmeranteile
zur Sozialversicherung nur für die drei zurückliegenden Monate verlangen kann und
nur, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht. Ist das Arbeitsverhältnis beendet,
hat der Arbeitgeber keinen Rückerstattungsanspruch, § 28g S. 2 und 3 SGB IV. Auch
hier ist der Arbeitgeber nach seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, die Beiträge richtig
zu berechnen und abzuführen.
Zu beachten ist außerdem, dass der Kreis derjenigen, für die Lohnsteuer abzufüh- 16
ren ist, nicht zwingend mit dem Kreis derjenigen übereinstimmt, für die Sozialversi-
cherungsabgaben zu entrichten sind. Prominentestes Beispiel ist hier der Vorstand
einer AG oder der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH (mit beherrschender
Stellung), welche zwar steuerrechtlich Arbeitnehmer sind, aber nicht sozialversiche-
rungsrechtlich, sowie der umgekehrte Fall eines Kommanditisten, der zwar sozialver-
sicherungsrechtlich Arbeitnehmer sein kann, nicht aber lohnsteuerrechtlich.
c) Ausnahmen
In der Praxis wichtige steuer- sowie abgabenfreie Lohnbestandteile sind dabei im 17
Wesentlichen:
– Reisekostenersatz (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 2 EStG, R 9.5 Abs. 1 S. 5 LStR 2015),
– Pkw: € 0,30 (zzgl. € 0,02 für jede mitgenommene Person),
– Motorrad: € 0,20 (zzgl. € 0,01 pro mitgenommene Person),
– Moped und Mofa: € 0,20,
– Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge.
Rolf/Riechwald
98 Kapitel 4 Vergütung
a) Pfändung
19 Die Pfändung ist ein Mittel zur Zwangsvollstreckung. Nach §§ 828 ff. ZPO ist sie
möglich im Hinblick auf Vollstreckung wegen Geldforderungen. Meistens erfolgt sie
auf Betreiben von Dritten, welche Gläubiger des Arbeitnehmers sind. Der Arbeitneh-
mer ist dabei der Schuldner, der Arbeitgeber der Drittschuldner.
20 Zivilprozessuale Voraussetzung ist daher, dass der Gläubiger einen titulierten
Anspruch gegen den Arbeitnehmer hat, welcher mit einer Vollstreckungsklausel ver-
sehen wurde und dem Schuldner zugestellt ist, § 750 ZPO. Dann muss der Gläubiger
einen Antrag auf einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss stellen, in welchem
er konkretisiert, dass sich die Pfändung auf das Arbeitseinkommen des Arbeitneh-
mers richten soll. Arbeitseinkommen ist hierbei weit zu verstehen, es fallen daher
Rolf/Riechwald
A. Allgemeines 99
b) Aufrechnung
Hat der Arbeitgeber einen Zahlungsanspruch gegen den Arbeitnehmer, kann er 25
grundsätzlich seinen Anspruch gegen den Lohnanspruch des Arbeitnehmers auf-
rechnen (der häufigste Fall dürfte die Gehaltsüberzahlung oder Rückzahlung von
12 BAG, Urt. v. 12.9.1979 – 4 AZR 420/7 –; LAG Bremen, Urt. v. 30.8.2007 – 3 Sa 75/07 –.
13 BGH, Urt. v. 1.12.1982 – VIII ZR 279/81 –.
14 Durch Betriebsvereinbarung kann dies nicht geregelt werden, BAG, Urt. v. 18.7.2006 – 1 AZR 578/05
–.
Rolf/Riechwald
100 Kapitel 4 Vergütung
Prämien sein). In der Praxis seltener, aber natürlich auch möglich, ist die andere
Regelung, dass der Arbeitnehmer die Aufrechnung mit seinem Lohn gegen Ansprü-
che des Arbeitgebers erklärt.
26 Eine Aufrechnung scheidet natürlich aus, wenn die sich gegenüberstehenden
Forderungen nicht beide Geldforderungen sind, der Arbeitgeber also beispielsweise
die Herausgabe des Dienstwagens verlangt.
27 Die Aufrechnung erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Aufrechnungser-
klärung (§ 388 BGB), sie darf nicht unter einer Bedingung stehen. Sie darf nach § 388
S. 2 BGB weder unter einer Bedingung noch unter einer Zeitbestimmung stehen. Bei
einer Aufrechnung gegen den Lohnanspruch kann der Arbeitgeber grundsätzlich nur
gegen den Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers aufrechnen. Der Arbeitgeber muss
weiterhin die Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abführen.15
Praxistipp
Oft wird übersehen, dass auch bei der Aufrechnung nach § 394 BGB gilt, dass gegen Forderungen
insoweit nicht aufgerechnet werden kann, soweit sie unpfändbar sind. Daher finden auf die Aufrech-
nung dieselben Pfändungsgrenzen als auch die Bestimmungen über die unpfändbaren Entgeltbe-
standteile Anwendung.
7. A
usschlussklauseln und Verjährung
28 Unter Ausschlussfristen versteht man Fristen, innerhalb derer ein Anspruch (schrift-
lich) geltend gemacht werden muss. Lässt man diese Frist verstreichen, erlischt der
Anspruch. Ausschlussfristen dienen dem Zweck – gerade in Dauerschuldverhältnis-
sen wie Arbeits- oder Dienstverhältnissen –, schneller als die Verjährungsvorschrif-
ten (§§ 194 ff. BGB) für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zwischen den Parteien zu
sorgen. Anders als die Verjährung, welche eine rechtshemmende Einrede ist, handelt
es sich bei Ausschlussfristen um rechtsvernichtende Einwendungen.16
Praxistipp
Für die Praxis bedeutet dies, dass derjenige, der sich auf eine Verjährung beruft, dies aktiv – gege-
benenfalls in einem Gerichtsprozess – vortragen muss, d. h. ohne Vortrag wird das Gericht dies nicht
berücksichtigen. Eine Ausschlussfrist allerdings wird, soweit sie dem Gericht beispielsweise aus den
eingereichten Unterlagen erkennbar ist, auch ohne einen besonderen Vortrag berücksichtigt. Dies
dürfte vor allem in erstinstanzlichen Prozessen, in denen sich Arbeitnehmer nicht stets von einem
Rechtsanwalt vertreten lassen, von Bedeutung sein.
Rolf/Riechwald
A. Allgemeines 101
a) Einseitige Ausschlussfristen
Einseitige Ausschlussfristen sind solche, welche nur einseitig die Ansprüche des 30
Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, aber nicht auch die Ansprüche des Arbeitneh-
mers gegen den Arbeitgeber ausschließen. Solche einseitigen Ausschlussfristen sind
allerdings nach der Rechtsprechung des BAG unwirksam,17 da sie im Sinne von § 307
Abs. 1 S. 1 BGB einer ausgewogenen Vertragsgestaltung widersprechen. In Arbeitsver-
trägen kann man sie daher nicht mehr verwenden.18
b) Zweiseitige Ausschlussfristen
Der heutige Regelfall sind daher zweiseitige Ausschlussfristen, d. h. solche, die 31
sowohl Ansprüche des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers mit Fristablauf aus-
schließen.
Rolf/Riechwald
102 Kapitel 4 Vergütung
Muster
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis – mit Ausnahme von Ansprü-
chen, die aus vorsätzlicher Handlung resultieren – müssen innerhalb von drei Monaten nach Fällig-
keit gemäß § 199 Abs. 1 BGB schriftlich geltend gemacht werden. Wird der Anspruch nicht geltend
gemacht, verfällt er.
bb) Z
weistufige Ausschlussfristen
35 Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist muss nach einer erfolglosen Geltendmachung
des Anspruchs als erste Stufe noch eine Klage in einer zweiten Stufe erhoben werden,
damit der Anspruch nicht ausgeschlossen wird. Zweistufige Ausschlussfristen sind
mit den AGB-Bestimmungen des § 309 Nr. 13 BGB vereinbar.22
Praxistipp
Zweistufige Ausschlussfristen bereiten insbesondere bei Streitigkeiten nach Beendigung des Ar-
beitsverhältnisses Probleme. Hier reicht für die Wahrung der ersten Stufe (schriftliche Geltendma-
chung des Anspruchs) für solche Ansprüche, die während des Prozesses fällig werden und von dessen
Ausgang abhängen, die Erhebung der (fristgerechten) Kündigungsschutzklage. Nach neuerer Recht-
sprechung reicht dies ebenfalls für die zweite Stufe.23
Muster
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis – mit Ausnahme von An-
sprüchen, die aus vorsätzlicher Handlung resultieren – müssen innerhalb von drei Monaten nach Fäl-
ligkeit gemäß § 199 Abs. 1 BGB schriftlich geltend gemacht werden. Wird der Anspruch nicht geltend
gemacht, verfällt er.
2. Lehnt die andere Vertragspartei den Anspruch ab oder erklärt sich nicht innerhalb von einem Monat
nach Geltendmachung des Anspruchs, so muss der Anspruch innerhalb einer Frist von drei Monaten
nach schriftlicher Ablehnung oder dem Fristablauf durch die Gegenpartei gerichtlich geltend gemacht
werden, andernfalls verfällt er ebenfalls.
c) W
eitere Wirksamkeitsvoraussetzungen
36 Die AGB-Vorschriften stellen an die Wirksamkeit einer Klausel zu Ausschlussfris-
ten weitere Anforderungen. Insbesondere das Verbot überraschender Klauseln des
§ 305c Abs. 1 BGB gebietet hier zur Vorsicht. So darf die Ausschlussfrist nicht unter
einer sachfremden Überschrift stehen (Bsp. „Lohnberechnung und Zahlung“24 oder
„Schlussbestimmungen“).25
Rolf/Riechwald
A. Allgemeines 103
Praxistipp
Hier empfiehlt es sich, Ausschlussfristen grundsätzlich unter einer eigenen – am besten auch druck-
technisch hervorgehobenen – Überschrift im Arbeitsvertrag aufzunehmen. Auch die Rechtsfolge,
nämlich der Verfall des Anspruchs, muss ausdrücklich geregelt sein.
Hinsichtlich der zeitlichen Mindestdauer hat das BAG klargestellt, dass drei Monate 37
den absoluten Mindestzeitraum darstellen.26
e) Verjährung
Für die Verjährung im Arbeitsrecht gilt die allgemeine Frist, d. h. Ansprüche ver- 39
jähren in der Regelverjährung nach drei Jahren, § 195 BGB. Besonderheiten ergeben
sich nach § 61 Abs. 2 HGB für Ansprüche aus Wettbewerbsverstößen (Verjährung drei
Monate nach Kenntnis, jedenfalls aber immer nach fünf Jahren nach Abschluss des
Geschäfts) sowie § 18 a BerAVG für betriebliche Altersversorgung (30 Jahre).
8. Gerichtliche Durchsetzung
Bei einfachen Vergütungsregelungen (wie etwa dem Festlohn) ist die Durchsetzung 40
für den Arbeitnehmer relativ einfach. Er muss nur die Bruttovergütung einklagen.
Schwieriger ist eine Feststellungsklage zur Höhe der Bruttovergütung, die zwar
grundsätzlich zulässig ist,27 allerdings in der Praxis vor der Schwierigkeit steht, dass
etwaige Ausnahmetatbestände für die Fortzahlung der Vergütung in den Antrag auf-
genommen werden müssen. Kennt der Arbeitgeber die Höhe der Vergütung nicht,
muss er zunächst Auskunftsklage erheben. Es kommt dann zu einem Stufenverfah-
ren. Auskunft erteilt hat der Arbeitnehmer, wenn er in entschuldbarer Weise über
Bestehen und Umfang des Anspruchs auf Vergütung im Ungewissen ist und der
26 BAG, Urt. v. 31.8.2005 – 5 AZR 545/04 –; BAG, Urt. v. 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 –.
27 BAG, 28.9.2005 – 5 AZR 408/04 –.
Rolf/Riechwald
104 Kapitel 4 Vergütung
Arbeitgeber die Auskunft unschwer erteilen kann.28 Die Auskunft muss sich dabei auf
den Zeitraum beziehen, für den auch die Zahlung verlangt wird.
Praxistipp
Im Rahmen der Auskunftsklage wird der Hauptanspruch für die Vergütung geprüft. Bejaht das erst-
instanzliche Gericht den Hauptanspruch, ist die Berufung dagegen meist nicht möglich, weil der Be-
schwerdewert (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) in Höhe von 600,00 € nicht erreicht wird. Der Beschwerdewert
bestimmt sich in diesen Fällen nämlich nicht anhand des möglichen Vergütungsanspruchs, sondern
nach dem Wert des Interesses des Arbeitgebers, die Auskunft nicht erteilen zu müssen. Sofern der
Arbeitgeber kein besonderes Geheimhaltungsinteresse hat, ist auf Zeitaufwand und Kosten abzustel-
len, die bei der sorgfältigen Erteilung der geschuldeten Auskunft anfallen.29
41 Lässt sich die Auskunft unschwer erteilen, dürfte der Wert in der Regel unter 600,00 €
liegen. Der Arbeitgeber kann dann gegen die Auskunftserteilung kein Rechtsmittel
einlegen und muss die Frage des Bestehens des Anspruchs im Zahlungsverfahren
klären lassen.
B. E
inzelne Vergütungsarten
I. D
ienstwagen
1. Allgemein
42 In vielen Arbeitsverhältnissen wird dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber ein
Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt. Oftmals geschieht dies, da das Fahrzeug für
die Erbringung der Arbeitsleistung benötigt wird (wie beispielsweise im Vertrieb).
In vielen Fällen hat sich die Zurverfügungstellung eines Dienstwagens aber auch als
Incentive herausgestellt, was ab einer gewissen Hierarchie auch erwartet wird.
43 Ein Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf einen Dienstwagen, wenn dieser
bereits in seinem Arbeitsvertrag geregelt ist oder in einer gesonderten Dienstwagen-
vereinbarung. Die vertragliche Regelung sollte dabei den konkret geschuldeten Typ
des Dienstwagens oder eine Preisspanne vorsehen. In der Praxis dürfte es mittler-
weile der häufigste Fall sein, dass die Dienstwagen vom Arbeitgeber nicht gekauft,
sondern für einen bestimmten Zeitraum (in der Regel drei Jahre) geleased werden.
Daher sehen Dienstwagenregelungen heute oftmals Leasingraten und die entspre-
chenden Kilometerbeschränkungen pro Jahr vor.
44 Außerdem empfiehlt es sich, aufzunehmen, ob der Dienstwagen vom Arbeitneh-
mer auch privat genutzt werden darf. Dies dürfte mittlerweile in der Praxis ebenfalls
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 105
der Regelfall sein. Ist keine Regelung getroffen, darf der Dienstwagen grundsätzlich
nicht privat genutzt werden.
Praxistipp
Achtung: Auch die Fahrten des Arbeitnehmers von zu Hause zur Arbeit sind private Fahrten. Ist die
Privatnutzung daher nicht gestattet, ist auch dies nicht zulässig.
Wenn die Privatnutzung des Dienstwagens gestattet wird, beinhaltet dies auch gleich- 45
zeitig einen geldwerten Vorteil in Form eines Sachbezugs. Der Dienstwagen ist dann
ein Vergütungsbestandteil. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf
den Dienstwagen für all die Zeiträume hat, in denen er auch Entgelt vom Arbeitgeber
beanspruchen kann.
Praxistipp
Konkret bedeutet das, dass der Arbeitgeber den Dienstwagen in Fällen des Urlaubs, der Arbeitsunfä-
higkeit (allerdings nur bis zum Ende der Entgeltfortzahlungsfrist), Freistellung unter Fortzahlung der
Vergütung, während eines Beschäftigungsverbots in der Schwangerschaft oder während der Mutter-
schutzfristen nicht vom Arbeitnehmer herausverlangen kann.
Rolf/Riechwald
106 Kapitel 4 Vergütung
Beispiele
Beläuft sich der Listenpreis des Fahrzeugs auf 50.000,00 €, dann beträgt der geldwerte Vorteil, der
sich aus der privaten Nutzung ergibt, 500,00 € pro Monat. Auf diesen Betrag muss Lohnsteuer gezahlt
werden.
53 Wird der Dienstwagen auch für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz
genutzt, kommen noch 0,03 % des Listenpreises / Entfernungskilometer hinzu.
54 Für die Sozialversicherung gilt das oben Beschriebene entsprechend. Überlässt
der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Dienstwagen auch zur privaten Nutzung, so
ist der darin liegende Sachbezug als geldwerter Vorteil auch sozialversicherungs-
rechtlich beitragspflichtig. Die Methoden zur Ermittlung der Höhe ergeben sich dabei
auch hier nach der steuerrechtlichen Vorgabe.
4. Car Allowance
55 Als Alternative zur Stellung eines Dienstwagens kommt auch eine Car Allowance in
Betracht. Hierbei handelt es sich um einen zweckgebundenen Zuschuss des Arbeit-
gebers an den Arbeitnehmer, damit dieser sich selbst um das Thema Dienstwagen
kümmert. Bei einer Car Allowance handelt es sich um normalen steuer- und sozi-
alversicherungspflichtigen Bruttolohn. Die oben beschriebenen Besonderheiten zur
Wertermittlung spielen hier demnach keine Rolle.
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 107
Klauselmuster
Die Gesellschaft stellt dem Mitarbeiter einen Firmenwagen der Klasse [•] oder vergleichbar mit einer
monatlichen Brutto-Leasingrate bis zu maximal [•] € zur dienstlichen und privaten Nutzung zur Verfü-
gung. Kraftstoff-, Betriebs- und Unterhaltskosten trägt die Gesellschaft. Die Versteuerung des geld-
werten Vorteils für die private Nutzung trägt der Mitarbeiter. Der Mitarbeiter wird, unter Ausschluss
eines Zurückbehaltungsrechts, den ihm zur Verfügung gestellten Firmenwagen bei Beendigung die-
ses Vertrages unverzüglich an die Gesellschaft zurückgeben. Wenn und solange der Mitarbeiter auf
diesen Dienstwagen verzichtet, erhält er von der Gesellschaft einen monatlichen Bruttobetrag als
Car Allowance in Höhe von 1 % des Listenpreises eines [•], der sich anhand der Leasingrate von [•] €
ergibt.
Option: Widerrufsvorbehalt: Die Gesellschaft behält sich vor, die Überlassung des Firmenwagens zu
widerrufen, wenn und solange der PKW für dienstliche Zwecke seitens des Mitarbeiters nicht benötigt
wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Mitarbeiter nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses
von der Arbeitsleistung freigestellt wird. Im Falle der Ausübung des Widerrufs durch die Gesellschaft
ist der Mitarbeiter nicht berechtigt, eine Nutzungsentschädigung oder Schadensersatz zu verlangen.
II. P
rovision
Die Provision ist an sich im Handelsvertretervertrag angelegt und bedeutet, dass der 56
Arbeitnehmer für die Vermittlung von bestimmten Geschäftsabschlüssen eine Prämie
enthält. Im Arbeitsleben finden sich solche Regelungen vor allem bei Vertriebsmitar-
beitern. Für die Vermittlung einer Provision im Arbeitsvertrag gilt eine Besonderheit,
da nach § 65 HGB die für Handelsvertreter geltenden Bestimmungen der §§ 87 ff. HGB
unmittelbar gelten.35
Das BAG misst deshalb Provisionsvereinbarungen nicht an den Bestimmungen 57
der §§ 305 ff. BGB, soweit die Provisionsvereinbarung im Arbeitsvertrag den HGB-
Regelungen entspricht. Der Provisionsanspruch entsteht nach § 94 Abs. 4 und § 87a
Abs. 1 HGB grundsätzlich mit dem Geldeingang. Sieht der Arbeitsvertrag vor, dass Pro-
visionsansprüche zurückgezahlt werden müssen, gilt Folgendes: Provisionen können
grundsätzlich als Vorschuss gezahlt werden, so dass der Mitarbeiter sie zurückzahlen
muss, wenn die Voraussetzungen für die Entstehung des Provisionsanspruchs dann
nicht eintreten. Nach Ansicht des BAG ist eine solche Klausel wirksam, da dies den
Bestimmungen des HGB entspricht. Um Konflikte mit Mindestlohnbestimmungen zu
vermeiden, sollte allerdings neben der Provision ein nicht zurückzahlbarer Grundbe-
trag oder eine Mindestprovision vereinbart werden. Wenn eine Provision vereinbart
wurde, kann der Arbeitnehmer die Provision auch dann beanspruchen, wenn seine
Tätigkeit für das Zustandekommen des Geschäfts nur mitursächlich war. Bei mehre-
ren provisionsberechtigten Arbeitnehmern hat dann ggf. jeder den vollen Anspruch.36
Rolf/Riechwald
108 Kapitel 4 Vergütung
Praxistipp
Bestimmungen, die den Provisionsanspruch begrenzen oder ausschließen, müssen in den Arbeits-
vertrag selbst aufgenommen werden und sollten nicht in außerhalb des Arbeitsvertrags liegenden
Dokumenten stehen. Andernfalls droht die Unwirksamkeit wegen der Verletzung des Transparenzge-
botes (§ 307 Abs. 2 S. 1 BGB).
59 Zur Vergütung kann auch eine Beihilfe oder die Übernahme von Aus-und Fortbil-
dungskosten zählen. Der Arbeitnehmer erhält dann entweder einen Zuschuss oder
die Kosten der Fortbildung erstattet. Zu den damit verbundenen Fragen vgl. Kapitel 7.
a) Transparenzgebot
61 Variable Vergütungselemente lassen sich auf verschiedene Art und Weise unterteilen.
Eine wichtige Unterscheidung liegt darin, ob die Variabilität automatisch eintritt, weil
sie von äußeren Umständen oder von einer Entscheidung des Arbeitgebers abhängt:
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 109
Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil das BAG Instrumente zur Flexibili- 62
sierung von Vergütungselementen in Standardverträgen an den §§ 305 ff. BGB und
damit vor allem am Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB misst. Danach kann
sich eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers auch daraus ergeben,
dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Die entsprechende Klausel ist
dann unwirksam.
Bei den „harten“ Flexibilisierungen, die von äußeren Bedingungen / Umständen 63
abhängen, kommt es nur darauf an, ob die Bedingungen eintreten. Der Arbeitgeber
kann hier im Grunde sehr klare Vorgaben machen, etwa dahingehend, dass ein Bonus
nur gezahlt wird, wenn die Gesellschaft eine Dividende ausschüttet.38
Soll die Klausel dagegen nicht nur von äußeren Bedingungen abhängen, sondern 64
von einer Entscheidung des Arbeitgebers, prüft das BAG die Klausel an den §§ 305 ff.
BGB. Den Maßstab beschreibt das BAG wie folgt:
„Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheit-
lich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung
der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die
Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners
des Verwenders zu Grunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Ver-
tragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht
eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der
typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Ver-
tragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit
dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redli-
chen Geschäftspartnern verfolgte Zwecke gelten … Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsme-
thoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gem. § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders.
Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt voraus, dass die Auslegung einer
einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von
diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Ausle-
gung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die
Anwendung der Bestimmung nicht.“39
Rolf/Riechwald
110 Kapitel 4 Vergütung
„Der Senat hat die Unzulässigkeit eines Stichtags außerhalb des Bezugszeitraums damit begrün-
det, dass die Stichtagsklausel im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB stehe,
indem sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entziehe. Ein berechtigtes Interesse des
Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer Lohn für geleistete Arbeit gegebenenfalls vorenthalten zu können,
sei nicht ersichtlich.“42
66 Der Grundsatz, wonach bereits verdienter Lohn nicht von einseitigen Rechten des
Arbeitgebers abhängig gemacht werden kann, gilt nach Ansicht des BAG auch, wenn
die Klausel nicht der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegt. Denn solche
Klauseln können den Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB verletzen, wonach der
Arbeitnehmer für geleistete Arbeit Lohn erhält.43 Das BAG hatte eine Stichtagsklausel
aus diesen Erwägungen auch in einer Betriebsvereinbarung missbilligt.44 Die arbeits-
rechtliche Kommentarliteratur geht davon aus, dass Stichtagsklauseln bei jeglichen
Sonderzahlungen mit Entgeltbezug unzulässig sind.45
67 Mit der Entscheidung vom 13.5.201546 hat das BAG die Rechtsprechung weiterent-
wickelt. Zunächst heißt es wieder:
„Eine Sonderzahlung, die (auch) Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann
nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt innerhalb oder
außerhalb des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Bei
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 111
unterjährigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ergibt sich zum Fälligkeitszeitpunkt ein zeit-
anteiliger Anspruch auf die Sonderzahlung.“47
Das BAG hat in dieser Entscheidung aber auch klargestellt, dass sich bei mehrmaliger 68
Gewährung einer Sonderzahlung in unterschiedlicher Höhe zumindest ein Anspruch
des Arbeitnehmers auf eine Entscheidung über eine Sonderzahlung nach billigem
Ermessen ergibt:
„Hat der Arbeitgeber über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg vorbehaltlos jeweils zum Jahres-
ende eine als „Sonderzahlung“ bezeichnete Leistung in unterschiedlicher Höhe an einen Arbeitneh-
mer erbracht, darf der Arbeitnehmer daraus auf ein verbindliches Angebot im Sinne von § 145 BGB
auf Leistung einer jährlichen Sonderzahlung schließen, deren Höhe der Arbeitgeber einseitig nach
billigem Ermessen festsetzt.“48
Damit ist dann aber auch die Grenze erreicht. Denn umgekehrt erlaubt das BAG dem 69
Arbeitgeber Vergütungsbestandteile vollständig in das billige Ermessen nach § 315
BGB zu stellen (zu diesen Klauseln, unten 8.).
„Vielmehr sieht das Gesetz selbst einseitige Leistungsbestimmungsrechte vor (§ 315 BGB). Es geht
davon aus, dass vertragliche Regelungen diesen Inhalts einem berechtigten Bedürfnis des Wirt-
schaftslebens entsprechen können und nicht von vornherein unangemessen sind. Das Gesetz
ordnet ausdrücklich an, dass die Bestimmung mangels abweichender Vereinbarung nach billigem
Ermessen zu geschehen hat, dass der Gläubiger die Entscheidung des Schuldners gerichtlich über-
prüfen und gegebenenfalls durch Urteil treffen lassen kann. Gegen die mit dem einseitigen Bestim-
mungsrecht etwa verbundene Gefährdung des Gläubigers hat der Gesetzgeber also Vorkehrungen
getroffen.“49
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass darin ein Wertungswiderspruch liegen 70
könnte.50
Die Entwicklung der Rechtsprechung des BAG dürfte nicht abgeschlossen sein. Es 71
gelten derzeit aber die folgenden „Spielregeln“:
– Zahlungen, welche die erbrachte Arbeitsleistung abgelten, können nicht einsei-
tig entzogen werden.
– Hängt die Zahlung von äußeren Umständen ab, kommt es darauf an, ob diese ein-
treten, die Arbeitsvertragsparteien sind in der Gestaltung frei, es gibt allerdings
das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
– Der Arbeitgeber kann ein Zahlung nach § 315 BGB in sein billiges Ermessen
stellen. Es erfolgt dann eine Ausübungskontrolle.
Rolf/Riechwald
112 Kapitel 4 Vergütung
– Erbringt der Arbeitgeber mehrfach eine Sonderzahlung, kann sich daraus zumin-
dest ein Anspruch auf eine Sonderzahlung nach billigem Ermessen ergeben.
72 Die Frage, ob eine Zahlung die erbrachte Arbeitsleistung abgilt, behandelt das BAG
extrem streng. Der Arbeitgeber kann den Vergütungscharakter der Zahlung nicht
dadurch vermeiden, dass er die Zahlung falsch bezeichnet. Umgekehrt schließt das
BAG ohne Weiteres aus dem Wortlaut auf einen Vergütungscharakter, wobei schon
gefährlich ist, wenn die Zahlung „aus Dank“ für die Leistungen erfolgt. Weitere Indi-
zien liegen darin, dass die Sonderzahlung einen wesentlichen Teil der Vergütung aus-
macht, vom Erreichen quantitativer oder qualitativer Ziele oder vom Betriebsergeb-
nis im Bezugsraum abhängt.51 Der Arbeitgeber muss aus Gründen der Transparenz
also umkehrt eindeutig formulieren, dass die Zahlung für die Arbeitsleistung erfolgt.
Das ist etwa bei einer Halteprämie (Retention Bonus) der Fall, die dafür gezahlt wird,
dass der Arbeitnehmer nicht gekündigt hat, oder dem Weihnachtsgeld, das für weih-
nachtsbedingte erhöhte Aufwendungen in der Lebenshaltung gezahlt wird.
73 Nach diesen Spielregeln werden nachfolgend verschiedene Instrumente der vari-
ablen Vergütung untersucht.
2. Feste Bonusklauseln
74 Bei harten Bonusklauseln hängt der Bonus von äußeren Umständen ab, die weder im
Willen des Arbeitgebers noch des Arbeitnehmers stehen.
Klauselmuster
Tantieme (einfach):
Der Mitarbeiter erhält eine jährliche Tantieme mit einer Zielgröße in Höhe von 50 % des Festgehalts.
Die Tantieme ist abhängig von der Erreichung bestimmter Ziele der Unternehmensgruppe, die sich
aus dem jeweiligen Businessplan (Budget) ergeben. Werden die Ziele zu 100 % erreicht, so beträgt
die Tantieme 50 % des Festgehalts. Werden die Ziele nicht zu 100 % erreicht, besteht kein Anspruch
auf eine Tantieme. Die Tantieme wird im Fall ihrer Entstehung einen Monat nach der Feststellung der
Zielerreichung durch die Gesellschaft fällig.
75 Bei dieser Regelung hängt die Tantieme davon ab, ob die Gesellschaft die im Busi-
nessplan bestimmten Ziele erreicht.
Klauselmuster
EBITDA Zielerreichung:
Der Mitarbeiter erhält eine jährliche variable Vergütung, die sich nach dem Erreichen der EBITDA-
Zielvorgabe richtet:
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 113
Die EBITDA-Zielvorgabe entspricht jeweils dem normalisierten und vom Arbeitgeber im Rahmen des
für das jeweilige Geschäftsjahr genehmigten Budgets festgelegten Wert für die Unternehmens-Grup-
pe.
Das für die Bestimmung des Grades der Zielerreichung maßgebliche EBITDA-Ist ist das entsprechend
den bei der Ermittlung der EBITDA-Zielvorgabe angewandten Prinzipien normalisierte und um außer-
ordentliche Effekte (insbesondere um die Effekte neuer Akquisitionen und ungeplanter Veräußerun-
gen etc.) bereinigte EBITDA der Unternehmens-Gruppe. Dabei sind die für das jeweilige Geschäftsjahr
an die Mitarbeiter und Geschäftsführer zu zahlenden Boni jeweils als Rückstellungen EBITDA-min-
dernd zu berücksichtigen. Das EBITDA-Ist wird vom Arbeitgeber auf der Grundlage des testierten
konsolidierten Jahresabschlusses der Unternehmens-Gruppe für das entsprechende Geschäftsjahr
festgestellt.
Der Grad der Zielerreichung ist durch Gegenüberstellung der EBITDA-Zielvorgabe und des EBITDA-Ist
des jeweiligen Geschäftsjahres zu ermitteln:
Wird die EBITDA-Zielvorgabe zu 100 % erreicht, beträgt die variable Vergütung 7.000,00 € brutto.
Wird die EBITDA-Zielvorgabe zu 90 % (oder weniger) erreicht, besteht kein Anspruch auf eine variable
Vergütung. Liegt die Erreichung der EBITDA-Zielvorgabe über 90 % jedoch unter 100 %, erfolgt eine
lineare Anpassung der variablen Vergütung an den Wert der Zielerreichung.
Zur Erläuterung: Wird die EBITDA-Zielvorgabe für das jeweilige Geschäftsjahr der Gesellschaft zu 91 %
erreicht, beträgt die variable Vergütung 700,00 € brutto (bei 92 %: 1.400,00 € brutto, usw.).52
Wird die EBITDA-Zielvorgabe zu 120 % (oder mehr) erreicht, beträgt die variable Vergütung 14.000,00 €
brutto. Liegt die Erreichung der EBITDA-Zielvorgabe über 100 % jedoch unter 120 %, erfolgt eine linea-
re Anpassung der variablen Vergütung an den Wert der Zielerreichung.
Zur Erläuterung: Wird die EBITDA-Zielvorgabe z. B. zu 110 % erreicht, beträgt die variable Vergütung
10.500,00 € brutto (bei 115 %: 12.250,00 € brutto, usw.).
Praxistipp
Vorsicht ist bei der Verwendung von Begrifflichkeiten aus der Bilanz wie den gebräuchlichen Kenn-
ziffern „EBIT“, und „EBITDA“ geboten. Solche Begriffe sollten in einer Bonusvereinbarung (wie oben)
definiert werden. Denn es kann auch bei einem aus Sicht des Arbeitgebers möglicherweise klaren
Begriffs zu einem Streit um die Bedeutung kommen, was dann ggf. mit teuren Gutachten im Streitfall
geklärt werden muss. Es ist zwar möglich, die Bestimmung dem Arbeitgeber nach § 315 BGB zu über-
lassen, was aber zur Folge hat, dass die Begriffsbestimmung dann billigem Ermessen entsprechen
muss und vom Arbeitsgericht ggf. ersetzt werden kann.53
Fraglich ist, ob der Arbeitsvertrag vorsehen kann, dass die Bonuszahlung im Falle 76
einer fristlosen Kündigung entfällt. Verbreitet sind etwa Klauseln nach dem Muster:
„Liegt während der Dauer des Geschäftsjahres für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung nach § 626 BGB vor, hat der Mitarbeiter keinen
Anspruch auf die Tantieme. Bei ordentlicher Kündigung erhält der Mitarbeiter die Tantieme pro
rata auf Basis der bis dahin erreichten Ziele.“
Rolf/Riechwald
114 Kapitel 4 Vergütung
77 Die Rechtsprechung des BAG hat sich noch nicht endgültig dazu positioniert, ob
solche Verfallsklauseln im Fall der fristlosen Kündigung oder – wie im oben genann-
ten Beispiel – im Fall der fristlosen Kündbarkeit wirksam sind. Eine solche Regelung
hat starken Sanktionscharakter und soll den Mitarbeiter zu vertragsgerechtem Ver-
halten veranlassen. Nur unter diesem Gesichtspunkt könnte man sie halten.54
78 Andererseits hat der Mitarbeiter bis zum fristlosen Kündigungsgrund oder der
fristlosen Kündigung die geschuldete Arbeitsleistung erbracht. Eine solche Ver-
fallsklausel begegnet daher erheblichen Bedenken im Hinblick auf den oben dar-
gestellten Grundsatz des BAG, dass der Arbeitgeber die Vergütung für eine bereits
erbrachte Arbeitsleistung nicht mehr nachträglich entziehen kann.55
79 Vor diesem Hintergrund dürfte eine Klausel nur zulässig sein, wenn sie den Fall
erfasst, in dem die erbrachte Arbeitsleistung aufgrund des Kündigungsgrunds für den
Arbeitgeber praktisch wertlos ist. In diesem Fall wäre es aber eher naheliegend, dass
der Arbeitgeber mit einem Schadensersatzanspruch aufrechnet.
3. Zielvereinbarungen
80 Zielvereinbarungen sind variable Vergütungsbestandteile, bei der der Mitarbei-
ter einen Bonus erhält, wenn bestimmte Ziele erreicht werden. Diese Ziele können
entweder „harte“ Ziele oder „weiche“ Ziele sein, was den Zielvereinbarungen eine
gewisse Mittelstellung zwischen harten Bonusregelungen und ermessensabhängigen
Vergütungsbestandteilen einräumt.
– Harte Ziele sind meistens solche, die geschäftliche Kennzahlen der Gesellschaf-
ten aufnehmen (Gewinn, Gewinnsteigerung oder Umsatzsteigerung).
– Weiche Ziele sind solche, bei denen der Arbeitgeber eine gewisse Beurteilung
dahin hat, ob das Ziel erreicht wurde (Steigerung der Kundenzufriedenheit, Mit-
arbeiterzufriedenheit etc.).
81 Insofern lässt sich auch von messbaren Zielen und bewertungspflichtigen Zielen
sprechen. Unterschiede bestehen auch darin, wie es zu der Zielvereinbarung kommt.
Es finden sich Regelungen, bei der die Ziele vom Unternehmen einseitig vorgegeben
werden. In dem Fall gilt § 315 BGB und das Unternehmen muss die Ziele nach billigem
Ermessen bestimmen. Andere Regelungen sehen auch vor, dass die Ziele in regelmä-
ßigen Abständen (in der Regel jährlich) vereinbart werden. Eine Zielvereinbarung
sollte in diesem Fall aber vorsehen, dass der Arbeitgeber die Ziele einseitig nach billi-
gem Ermessen vorgeben kann, wenn es nicht zu einer Einigung kommt.
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 115
Praxistipp
Der Wert insbesondere bewertungspflichtiger Ziele in der Praxis ist mindestens zweifelhaft. Vorge-
setzte, welche meist die Zielbewertung am Ende des Jahres vornehmen müssen, werden in der Regel
nicht dazu tendieren, Mitarbeiter schlecht zu bewerten. In der Praxis häufig anzutreffen ist daher das
Phänomen, dass zumindest bei den bewertungspflichtigen Zielen eine hohe Zielerreichungsquote
erreicht wird. Harte Ziele sind dagegen ermessensunabhängig, können im Einzelfall aber den Mitar-
beiter benachteiligen, wenn sie nicht die individuellen Leistungen des Mitarbeiters reflektieren. Das
Ziel „Umsatzsteigerung um X %“ wird sämtliche Vertriebsmitarbeiter gleichermaßen betreffen, egal
welchen individuellen Beitrag sie zu einer Umsatzsteigerung beigetragen haben oder nicht.
In der Praxis kommt es meist zum Streit darüber, was gilt, wenn es nicht zu einer 82
Zielvereinbarung kommt. Das BAG hat zunächst festgestellt, dass eine nachträgliche
Bestimmung der Ziele ausscheidet.56 Nach Auffassung des BAG ist es vielmehr Pflicht
des Arbeitgebers, Ziele vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer innerhalb der Zielpe-
riode erreichen kann und ggf. – wenn die Zielvereinbarung vorsieht, dass die Ziele
gemeinsam festgelegt werden – mit ihm darüber zu verhandeln.57
Kommt es dann nicht zur Zielvereinbarung und ist die Zielvereinbarungsperi- 83
ode abgelaufen, liegt ein Leistungsstörungsfall vor. Enthält der Arbeitsvertrag eine
Regelung, wonach der Mitarbeiter entweder Ziele vorgegeben bekommt oder einver-
nehmlich vereinbart hat, kann das dazu führen, dass der Mitarbeiter die bei voller
Zielerreichung mögliche Vergütung nach §§ 280, 283, 252 BGB als Schadensatz verlan-
gen kann. Der Schaden ist der dann für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus,
den der Arbeitnehmer als entgangenen Gewinn liquidieren kann. Allerdings gilt hier
eine Einschränkung. Die Liquidation des entgangenen Gewinns stellt nach § 252 BGB
auf den gewöhnlichen Verlauf der Dinge ab. Der Arbeitgeber kann daher besondere
Umstände einwenden, wonach der Arbeitnehmer die Ziele gar nicht erreicht hätte,
selbst wenn diese ordnungsgemäß vorgegeben bzw. vereinbart worden wären. Das
Gericht kann allerdings die Beweiserleichterungsregelung des § 287 ZPO anwenden,
was den Vortrag für den Arbeitgeber erschwert.58
Der Arbeitgeber kann dieser Schadensersatzfalle in gewissem Umfang dadurch 84
entgehen, dass er in die Zielvereinbarung eine sogenannte Nachwirkungsklausel auf-
nimmt, wonach die Ziele der abgelaufenen Zielperiode auch für die nächste Periode
gelten, bis sie durch andere Ziele ersetzt sind. Allerdings besteht die Verhandlungs-
pflicht trotz Nachwirkungsklausel, wenn sich die Umstände maßgeblich geändert
haben und diese sich aufgrund der äußeren Umstände als nicht mehr erreichbar her-
ausstellen.59 Eine weitere Möglichkeit für den Arbeitgeber liegt darin, die Zielverein-
Rolf/Riechwald
116 Kapitel 4 Vergütung
barung jeweils auf eine Zielvereinbarungsperiode zu befristen.60 Sind die Ziele unklar
formuliert, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers.61
Beispiele
Der Mitarbeiter erhält einen jährlichen Bonus von maximal [●] €, der jedoch davon abhängt, das
jährliche Ziele erreicht werden. Die Ziele werden jährlich mit dem Mitarbeiter besprochen und ge-
meinsam in einer Zielvereinbarung vereinbart. Sollte eine Einigung über die Ziele bis zum Ablauf des
jeweils ersten Quartals nicht erreicht werden, wird der Arbeitgeber die Ziele nach billigem Ermessen
festlegen. Der Bonus hängt davon ab, dass die so vereinbarten oder festgelegten Ziele vollständig
(zu 100 %) erreicht werden. Soweit die jeweilige Zielvereinbarung Teilziele enthält, erhält der Mitar-
beiter den einen anteiligen Bonus für jedes vollständig (zu 100 %) erfüllte Teilziel. Der Arbeitgeber
wird das Erreichen der Ziele bis spätestens zum Ablauf des ersten Quartals des Folgejahres feststel-
len und dem Arbeitnehmer mitteilen. Soweit die Zielerreichung nicht quantitativ messbar ist, erfolgt
die Feststellung nach billigem Ermessen. Der Bonus gemäß der Zielerreichung wird innerhalb von
14 Bankarbeitstagen nach Feststellung des Jahresabschlusses nach Maßgabe der steuerlichen und
sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen gezahlt.
4. F reiwilligkeitsvorbehalt
85 Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist das stärkste Flexibilisierungsinstrument, weil der
Arbeitgeber sich damit vorbehalten möchte, eine bestimmte Leistung (in der Regel
eine Sonderzahlung) von seiner freien Entscheidung abhängig zu machen. Die
Klausel begegnet daher unter dem Gesichtspunkt des Transparenzgebots und dem
Grundsatz, dass der Lohn für erbrachte Arbeitsleistung nicht nachträglich entzo-
gen werden kann, den größten Bedenken. Der Freiwilligkeitsvorbehalt kommt daher
praktisch nur noch bei solchen Zahlungen in Betracht, die nicht mindestens auch die
erbrachte Arbeitsleistung abgelten sollen.62
86 Das BAG wendet außerdem bei der Gestaltung der Klausel einen extrem strengen
Maßstab an. Die Formulierung, dass die Leistung „freiwillig“ erbracht wird, bedeu-
tet keinen Freiwilligkeitsvorbehalt, sondern ist nach Ansicht des BAG lediglich ein
Hinweis darauf, dass der Arbeitgeber zur Zahlung nicht aufgrund anderer Rechts-
grundlagen verpflichtet ist.63 Erforderlich ist auch die Angabe, dass die Zahlung
„ohne Rechtsanspruch für die Zukunft“ erfolgt.
87 Weiter darf der Freiwilligkeitsvorbehalt nicht widersprüchlich formuliert sein.
Verwendet die Klausel Formulierungen, die auf einen Anspruch hindeuten („der Mit-
arbeiter erhält“, „der Arbeitgeber gewährt“), ist die Klausel widersprüchlich und der
Freiwilligkeitsvorbehalt ist unwirksam. Die Klausel darf schließlich nicht mehrdeutig
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 117
Beispiele
Die erbrachte Sonderzahlung ist freiwillig und der Mitarbeiter hat darauf keinen Anspruch. Durch die
Gewährung der Zahlung entsteht kein Anspruch auf diese oder vergleichbare Zahlungen in Zukunft.
Der Arbeitgeber behält sich vielmehr vor, jedes Jahr neu über diese oder vergleichbare Zahlungen zu
entscheiden.
Preis65 weist zu Recht darauf hin, dass der Betriebsrat darüber nach § 87 Abs. 1 89
Nr. 10 BetrVG eine Betriebsvereinbarung erzwingen könnte, die dann wiederum am
Maßstab zu messen wäre, dass einmal verdienter Lohn für die erbrachte Arbeitsleis-
tung nicht entzogen werden kann.66 Zum anderen kann die Praxis, Zahlungen vorbe-
haltlos zu leisten, dazu führen, dass der Arbeitnehmer entweder einen Anspruch auf
die Zahlung oder zumindest darauf erwirbt, dass der Arbeitgeber nach pflichtgemä-
ßem Ermessen über die Sonderzahlung entscheidet.67
Rolf/Riechwald
118 Kapitel 4 Vergütung
– Der Widerruf darf nicht grundlos erfolgen, sondern muss als Instrument der
Anpassung bei unsicheren Verhältnissen notwendig sein.
– Es muss zumindest die Richtung angegeben sein, aus der der Widerruf möglich
sein soll (wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten).
6. Bindungsklausel
95 Mit der Bindungsklausel behält sich der Arbeitgeber vor, eine bereits gewährte Son-
derzahlung zurückzuverlangen, wenn der Arbeitnehmer von sich aus das Arbeitsver-
hältnis kündigt. Die Zulässigkeit solcher Bindungsklauseln ist nicht abschließend
geklärt. Das BAG hat in der Entscheidung vom 18.1.201273 eine Klausel folgenden
Inhalts gebilligt:
Beispiele
Eine Gratifikation ist gleichzeitig Treueprämie. Soweit eine Weihnachtsgratifikation gezahlt wird, ist
sie zurückzuzahlen, wenn der Angestellte aufgrund eigener Kündigung oder aufgrund außerordent-
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 119
licher, verhaltensbedingter oder personenbedingter Kündigung des Arbeitgebers vor dem 31.3. des
auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres oder, sofern die Gratifikation eine Monatsvergütung
erreicht, bis zum 31.3. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres oder, sofern die Gratifikation
eine Monatsvergütung übersteigt, vor dem 30.6. des auf die Auszahlung folgenden Kalenderjahres
ausscheidet. Dies gilt nicht, wenn die Gratifikation den Betrag von 100,00 € nicht übersteigt.
Praxistipp
Das BAG hat aber bisher nicht entschieden, ob hier dieselben Grundsätze wie bei den Stichtags-
klauseln gelten. Vor dem Hintergrund, dass das BAG die Auffassung vertritt, dass dem Arbeitnehmer
der Lohn für die geleistete Arbeit nicht mehr entzogen werden kann, wäre es eigentlich konsequent,
die Rückzahlungsklausel auch nur auf solche Leistungen zu erstrecken, die ausschließlich die Be-
triebstreue honorieren und nicht auch zugleich die erbrachte Arbeitsleistung.
7. S
tichtagsregelung
Bei einer Stichtagsklausel kommt die Sonderzahlung nur zur Auszahlung, wenn das 97
Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt im ungekündigten Zustand besteht.
Das BAG misst diese Klauseln ohne Weiteres am Maßstab, dass die bereits erbrachte
Arbeitsleistung nicht mehr entzogen werden kann:
„Eine Sonderzahlung, die (auch) Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann
nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt innerhalb oder
außerhalb des Jahres abhängig gemacht werden, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde. Bei
unterjährigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ergibt sich zum Fälligkeitszeitpunkt ein zeit-
anteiliger Anspruch auf die Sonderzahlung.“75
Diese Grundsätze dürften auch dann gelten, wenn die Klausel nicht in einem Stan- 98
dardvertrag, der den § 305 ff. BGB unterliegt, vereinbart wird, sondern als Einzelver-
einbarung. Denn das BAG stützt sich im Grundsatz darauf, dass § 611 BGB verletzt
Rolf/Riechwald
120 Kapitel 4 Vergütung
wäre, wenn die bereits erdiente Vergütung wieder entzogen werden könnte.76 Die
Stichtagsklausel kommt daher nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber mit der
Zahlung ausschließlich die Betriebstreue honoriert.77
Beispiele
Besteht das Arbeitsverhältnis am 31.12. des jeweiligen Jahres ungekündigt, erhält der Mitarbeiter
eine Treueprämie in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes. Die Prämie soll ausschließlich die künftige
Betriebstreue des Arbeitnehmers honorieren.
99 Bei der Gestaltung von Stichtagsklauseln stellt sich weiter die Frage, ob man die Klau-
seln nach der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterscheiden muss. In der
Literatur79 wird verschiedentlich gefordert, dass der Stichtagsvorbehalt die Leistung
dann nicht ausschließen sollte, wenn die Kündigung nicht aus der Sphäre des Arbeit-
nehmers (ordentliche Eigenkündigung, verhaltensbedingte oder fristlose Kündigung
des Arbeitgebers) herrührt, sondern ausschließlich vom Arbeitgeber veranlasst ist,
wie es im Hauptfall der betriebsbedingten Kündigung der Fall ist. Das BAG80 fordert
dies jedoch nicht und hat auch eine Klausel für wirksam gehalten, die schlicht auf ein
„ungekündigtes“ Arbeitsverhältnis abstellt. Das BAG81 ging zuvor davon aus, dass die
Klausel, die auf ein „ungekündigtes Arbeitsverhältnis“ abstellt, nicht im Wege einer
geltungserhaltenden Reduktion aufrechterhalten werden kann, so dass die Klausel
lediglich den Bestand des Arbeitsverhältnisses verlangt82. Diese Frage dürfe sich aber
erledigt haben, weil das BAG inzwischen davon ausgeht, dass Zahlungen, welche die
Arbeitsleistung zumindest mit abgelten sollen, überhaupt nicht von einem Stichtag
abhängen können und umgekehrt, die Stichtagsklausel bei Treueprämien auch dann
zulässig ist, wenn sie auf den ungekündigten Bestand abstellt.
Rolf/Riechwald
B. Einzelne Vergütungsarten 121
Praxistipp
Wenn der Zweck nicht genannt wird, gilt zu Lasten des Arbeitgebers (§ 305a Abs. 2 BGB), dass die
Zahlung Entgeltcharakter hat. Die Stichtagsklausel ist dann nicht wirksam. Dringend abzuraten ist da-
von, bei Mischzahlungen, also solchen Zahlungen, die teilweise die Betriebstreue und teilweise die
erbrachte Arbeitsleistung honorieren, eine Stichtagsklausel aufzunehmen. Aus Gründen der Transpa-
renz muss für den Arbeitnehmer erkennbar werden, welcher Teil der Zahlung für was (Betriebstreue/
Arbeitsleistung) gezahlt wird. Die Stichtagsklausel kann dann nur denjenigen Teil der Zahlung betref-
fen, der ausschließlich für die Betriebstreue gezahlt wurde. In diesem Fall ist es besser, die Zahlung
auch bei der Gestaltung des Arbeitsvertrages zu trennen und den Anteil für die Honorierung der Be-
triebstreue als eigenständige Sonderzahlung zu formulieren.
„Vielmehr sieht das Gesetz selbst einseitige Leistungsbestimmungsrechte vor (§ 315 BGB). Es geht
davon aus, dass vertragliche Regelungen diesen Inhalts einem berechtigten Bedürfnis des Wirt-
schaftslebens entsprechen können und nicht von vornherein unangemessen sind. Das Gesetz
ordnet ausdrücklich an, dass die Bestimmung mangels abweichender Vereinbarung nach billigem
Ermessen zu geschehen hat, dass der Gläubiger die Entscheidung des Schuldners gerichtlich über-
prüfen und gegebenenfalls durch Urteil treffen lassen kann. Gegen die mit dem einseitigen Bestim-
mungsrecht etwa verbundene Gefährdung des Gläubigers hat der Gesetzgeber also Vorkehrungen
getroffen.“
Die Leistungsbestimmung entspricht dabei dem billigem Ermessen, wenn die wesent- 101
lichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemes-
sen berücksichtigt worden sind.84 Maßgeblich sind Verhältnisse im Zeitpunkt der
Entscheidung des Arbeitgebers. Die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte können
vertraglich zwar festgehalten werden (etwa die Ertragslage des Unternehmens und
die Leistung des Mitarbeiters), allerdings ist dies nicht zwingend erforderlich. Trifft
der Arbeitgeber eine Leistungsbestimmung „auf null“, muss er allerdings darlegen,
dass besondere Umstände vorlagen, die eine Zahlung trotz Leistung des Mitarbeiters
Rolf/Riechwald
122 Kapitel 4 Vergütung
nicht rechtfertigen.85 Dies kann etwa bei einem drastischen Gewinneinbruch der Fall
sein.86
102 Im Rahmen einer Ermessensregelung ist weiter zulässig, eine unverbindliche vor-
läufige Bestimmung zu treffen (mit dem Vorbehalt der Nachprüfung). Der Mitarbeiter
kann sich darauf dann nicht verlassen. Nach Ansicht des BAG87 handelt es sich dabei
ebenfalls um einen Fall von § 315 BGB. Der Fall betraf die folgende Gestaltung:
Beispiele
Ihr Bonus für das Geschäftsjahr X wird mit 10.000,00 € brutto vorläufig festgesetzt. Die vorläufige
Festsetzung steht unter dem Vorbehalt der Feststellung des Jahresabschlusses. Sollte sich die wirt-
schaftliche Situation der Gesellschaft danach im Vergleich zur derzeitigen prognostizierten Ergeb-
nissituation wesentlich verschlechtern, behalten wir uns vor, die Höhe des Bonus zu überprüfen und
ggf. zu verringern.
103 Bindung besteht bei solchen Vorbehalten dahin, dass der Arbeitgeber von der vor-
läufig festgesetzten Bonushöhe nur aus den im Vorbehalt genannten Gründen abwei-
chen kann.
104 Kommt es zu einem Streit über die Ausübung des Ermessens gelten die folgenden
„Spielregeln“: Der Arbeitgeber muss zunächst eine Leistungsbestimmung treffen. Der
Mitarbeiter kann dann gerichtlich kontrollieren lassen, ob die Leistungsbestimmung
dem billigen Ermessen entspricht. Das Gericht kann ggf. den Bonus dann auch selbst
festsetzen.88 Es gilt das Prinzip der abgestuften Darlegungslast: Der Arbeitgeber muss
die Richtigkeit der Beurteilung und des Ermessens darlegen. Der Arbeitnehmer muss
dann die Beurteilung oder zumindest Teile davon substantiiert bestreiten, was dazu
führt, dass der Arbeitgeber dann beweisen muss, dass eine Ermessenentscheidung
zutreffend ist und die Ermessensgrenzen einhält. Die Anforderungen an das Bestrei-
ten durch den Arbeitnehmer steigen, wenn die Arbeitgeberbeurteilung auf einer vom
Arbeitnehmer gegebenen Selbsteinschätzung basiert.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 123
Achtung
Bei Zahlungen, die auch die Betriebstreue honorieren, muss die Kürzung ausdrücklich vereinbart wer-
den.
„Ergibt die Auslegung des Arbeitsvertrags, dass es sich bei dem 13. Monatsgehalt um einen Vergü-
tungsbestandteil handelt, der Teil der Gegenleistung für die Tätigkeit des Arbeitnehmers, also in
das vertragliche Austauschverhältnis von Vergütung und Arbeitsleistung (§ 611 BGB) eingebunden
ist und mit dem kein weitergehender Zweck verfolgt wird, so entsteht kein Anspruch auf das 13.
Monatsgehalt für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, in denen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall i. S. von § 3 EFZG besteht.“
C. R
egulierte Vergütung
An sich gilt, dass die Vergütung, vorbehaltlich der tariflichen Vergütung, im Arbeits- 109
vertrag frei vereinbar ist.91 Auch die §§ 305 ff. BGB lassen eine Kontrolle der eigentli-
chen Vergütungsabrede mit Ausnahme des Transparenzgebotes (§ 307 Abs. 2 S. 1 BGB)
nicht zu. Die Vergütung braucht nicht angemessen zu sein. Davon existieren Ausnah-
men, die auch die Höhe der Vergütung kontrollierbar machen. Man spricht von regu-
lierter Vergütung. Regulierte Vergütung lässt sich wie folgt aufteilen:
Rolf/Riechwald
124 Kapitel 4 Vergütung
1. Allgemeines
110 Seit dem 1.1.2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn in der Höhe von
8,50 € pro Zeitstunde.92 Die Einführung erfolgte aufgrund Art. 1 des Tarifautonomie-
stärkungsgesetzes vom 11.8.2014 (BGBl I S. 1348), welches das Mindestlohngesetz
(MiLoG) in Kraft gesetzt hat. Das Bundesarbeitsministerium geht davon aus, dass
3.700.000 Arbeitsverhältnisse davon betroffen sind.
2. Anwendungsbereich
111 Der gesetzliche Mindestlohn gilt für alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer über
18 Jahre, unabhängig davon, ob sie Inländer sind oder aus dem Ausland kommen
und unabhängig davon, ob sie bei einem in- oder einem ausländischen Unternehmen
beschäftigt sind. Nicht unter den Anwendungsbereich fallen damit arbeitnehmerähn-
liche Personen93 wie auch Heimarbeiter. Weiter bestimmt § 22 MiLoG, dass Personen,
die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind sowie ehrenamtlich tätige (§ 22 Abs. 3)
und Personen unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung (§ 22 Abs. 2)
nicht in den Anwendungsbereich fallen. Für Praktikanten ist es komplexer. Prakti-
kanten im Sinne des § 26 des BBiG gelten als Arbeitnehmer, es sei denn, dass sie ein
in ihrer Ausbildung verpflichtendes Praktikum leisten, ein Praktikum von bis zu drei
Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Stu-
diums leisten, ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder
Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit
demselben Ausbildenden bestanden hat, oder an einer Einstiegsqualifizierung (§ 54a
SGB III) oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung (§§ 68 bis 70 BBiG) teilnehmen.
92 Eine erste Erhöhung kann frühestens zum 1.1.2017 erfolgen. Erforderlich ist, dass auf Vorschlag
der Mindestlohnkommission (§ 9 Abs. 1 MiLoG) die Bundesregierung eine entsprechende Rechtsver-
ordnung erlässt ( § 11 Abs. 1 MiLoG).
93 ErfK/Franzen, § 22 MiLOG, Rn 1.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 125
Eine weitere Ausnahme gibt es für Langzeitarbeitslose (ein Jahr oder länger ununter-
brochen arbeitslos), für welche der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten einer
Beschäftigung (§ 22 Abs. 4 MiLoG) nicht anwendbar ist.94
Praxistipp
Der deutsche Mindestlohn gilt auch für im Ausland angestellte Arbeitnehmer dann, wenn diese in
Deutschland arbeiten, unabhängig davon, ob nach Art. 8 Abs. 2 Rom-I-VO95 an sich das Recht des
Staates, in dem sie angestellt sind, gelten würde. Denn das MiLoG ist eine zwingende Eingriffsnorm
nach Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO. Das bedeutet, dass der Mindestlohn auch für Arbeitnehmer gilt, die im
Rahmen ihres ausländischen Arbeitsverhältnisses (zeitweise) in Deutschland tätig sind wie z. B.
LKW-Fahrer oder Binnenschiffer. Hier ist zu beachten, dass sich der Mindestlohn auf 8,50 € brutto
beläuft, aber nicht zwingend auf die deutschen Sozialversicherungsbeiträge abstellt. Unseres Erach-
tens bedeutet das, dass in Ländern mit einem niedrigeren Satz an Sozialversicherungsbeiträgen, der
„Netto“-Mindestlohn ggf. höher liegt als ein vergleichbarer eines deutschen Arbeitnehmers.
3. A
rbeitszeit
Der Mindestlohn muss pro Zeitstunde bezahlt werden. Das MiLoG stellt hier keine 112
eigene Definition auf, sondern verlässt sich auf die bislang anerkannten Kategorien
zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, d. h. der Mindestlohn muss für jede Stunde
bezahlt werden, die nach derzeitigen Kriterien auch vergütet werden muss. Maß-
geblich sind insoweit der Arbeitsvertrag, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und
gesetzliche Regelungen.
Praxistipp
Das bedeutet, dass insbesondere Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaften, wenn sich der Ar-
beitnehmer also an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten muss, um im Bedarfsfalle die
Arbeit aufzunehmen, Arbeitszeit auch im Sinne des MiLoG sind und daher nicht mehr mit weniger als
8,50 € brutto vergütet werden dürfen.96
Nicht unter den Mindestlohn fällt hingegen die Rufbereitschaft, wenn der Arbeitneh- 113
mer also frei ist, wo er sich aufhält und lediglich jederzeit erreichbar sein muss, um
auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können.
Rolf/Riechwald
126 Kapitel 4 Vergütung
demnach auf die bislang ergangene Rechtsprechung des EuGH zur AN-Entsende-RL
96/71/EG.97 Zulagen und Zuschläge dürfen auf den Mindestlohn angerechnet werden,
wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und
der Gegenleistung, die er dafür erhält, auf der anderen Seite nicht verändern.98
115 Nicht darunter jedenfalls fallen Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachts-
geld, auch eine „Streichung“ dieser Prämien und Umwidmung in Lohn ist durch eine
Änderungskündigung nicht möglich, solange jedenfalls nicht andernfalls der Fort-
bestand des Betriebs mit den vorhandenen Arbeitsplätzen gefährdet ist.99 Nach der
Rechtsprechung des BAG muss der Zweck der Leistung des Arbeitgebers mit dem
Zweck des Mindestlohns funktionell gleichwertig sein.100
Praxistipp
Es empfiehlt sich derzeit hier die von der Zollbehörde, welche für die Kontrolle der Einhaltung des
MiLoG zuständig ist, herausgegebene Beispielliste von anrechnungsfähigen und nicht-anrechnungs-
fähigen Zulagen und Zuschlägen zu beachten.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 127
Nicht anrechnungsfähige Zulagen und Zuschläge, deren Zahlung Folgendes voraus- 117
setzt, sind:
– mehr Arbeit pro Zeiteinheit (Akkordprämien),
– überdurchschnittliche qualitative Arbeitsergebnisse (Qualitätsprämien),
– Arbeit zu besonderen Zeiten (z. B. Überstunden, Sonn-, Feiertags- oder Nachtar-
beit),
– Arbeit unter erschwerten oder gefährlichen Bedingungen (z. B. Schmutzzulagen,
Gefahrenzulagen),
– alle sonstigen Zulagen und Zuschläge, die eine vertraglich nicht geschuldete
Zusatzleistung ausgleichen,
– Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung und sonstige vermögenswirksame
Leistungen,
– Aufwandsentschädigungen,
– dementsprechend auch (im Recht ausländischer Staaten oft vorgesehene) Ent-
sendezulagen, soweit sie der Erstattung bei dem entsandten Arbeitnehmer tat-
sächlich angefallener Entsendungskosten (z. B. Unterkunft, Verpflegung, Reise-
kosten) dienen.
5. Sachleistungen
Sachleistungen dürfen grundsätzlich nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, 118
da es sich aufgrund des zwingenden Charakters der §§ 1 und 20 MiLoG um Geldleis-
tungen handeln muss. Daher ist die Entlohnung durch Sachleistungen eigentlich
grundsätzlich nicht möglich. Auch Trinkgelder fallen nicht unter den Mindestlohn,
da diese nach § 107 Abs. 3 GewO gerade zusätzlich zu dem Lohn gezahlt werden. Eine
Ausnahme von diesem Grundsatz besteht ausschließlich für die Anrechenbarkeit
von Kost und Logis für Saisonarbeiter nach § 107 Abs. 2 GewO. Saisonarbeitnehmer
sind Arbeitnehmer, die befristet bei einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber
angestellt sind und Tätigkeiten ausüben, die aufgrund eines immer wiederkehren-
den saisonbedingten Ereignisses oder einer immer wiederkehrenden Abfolge sai-
sonbedingter Ereignisse an eine Jahreszeit gebunden sind, während der Bedarf an
Arbeitskräften den für gewöhnlich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf
in erheblichem Maße übersteigt. Eine Anrechnung kann jedoch auch hier nicht auto-
matisch, d. h. einseitig durch den Arbeitgeber erfolgen, es bedarf einer Vereinbarung
mit dem Arbeitnehmer. Hinsichtlich der Höhe der anrechenbaren Leistungen gibt es
zwei Grenzen.
Die Anrechnung der Sachleistungen darf in allen Fällen die Höhe des pfändba- 119
ren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen (§ 107 Abs. 2 S. 5 GewO, Pfändungsfrei-
grenze); dabei wird der für eine ledige, nicht unterhaltspflichtige Person maßgebliche
Betrag zugrunde gelegt.
Hinsichtlich einzelner Leistungen gelten neben dieser Grenze zusätzlich folgende 120
Höchstgrenzen:
Rolf/Riechwald
128 Kapitel 4 Vergütung
6. Anderslautende Vereinbarungen
121 Der Mindestlohn ist unabdingbar und daher sind Vereinbarungen, die den Anspruch
auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder aus-
schließen, insoweit unwirksam, § 3 MiLoG. Somit soll sowohl die Entstehung des
Anspruchs auf den Mindestlohn als auch dessen Durchsetzbarkeit gesichert werden.
Diese Unabdingbarkeit ist auch nicht tarifdispositiv, kann also auch in Tarifverträgen
nicht anders vereinbart werden.101 Insoweit soll der Schutz des Mindestlohns umfas-
send zu verstehen sein, so dass alle Regelungen, die den Anspruch auf Mindestlohn
unterschreiten, die Geltendmachung beschränken oder ausschließen, wegen Versto-
ßes nach § 134 BGB nichtig sind. Ansonsten bleibt die arbeitsvertragliche Abrede aber
bestehen.102
122 Welcher Lohn gelten soll, wenn die Lohnabrede wegen Verstoßes gegen § 3 MiLoG
gelten soll, ist noch streitig. Richtigerweise dürfte in diesem Fall schlicht der Mindest-
lohn in Höhe von 8,50 € brutto geschuldet sein.103
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 129
hältnis angenommen werden kann, werden sich kaum Arbeitnehmer finden, welche
bereit sind, zu einem solch niedrigen Lohn zu arbeiten bzw. werden ggf. durch Beitritt
in eine Gewerkschaft eine Tarifbindung herstellen können und somit ohnehin mehr
als einen sittenwidrigen Lohn verdienen.
1. Allgemein
Im Wesentlichen durch die Finanzmarktkrise in den letzten Jahren befeuert, hat der 127
europäische und der deutsche Gesetzgeber für bestimmte Gruppen von Geschäfts-
leitern und Mitarbeitern Regulierungen der Vergütung eingeführt bzw. konkretisiert.
Dies betrifft insbesondere den Bereich der Finanz- und Versicherungsdienstleistung
sowie Vorstände von (börsennotierten) Aktiengesellschaften. Hiermit soll exzessi-
ven Vergütungen, insbesondere über Boni und andere variable Vergütungssysteme,
welche einen Anreiz für besonders riskante und kurzfristig orientierte Handlungen
setzen, ein Riegel vorgeschoben werden. Hierbei finden sich Regeln für Aktiengesell-
105 Das BMAS veröffentlicht die aktuelle Liste der allgemeinverbindlichen Tarifverträge unter:
http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsrecht/Tarifvertraege/allgemeinverbindliche-tarifvertraege.
html
Rolf/Riechwald
130 Kapitel 4 Vergütung
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 131
§ 87 Abs. 2 AktG erleichtert nun dem Aufsichtsrat außerdem, die Vergütung auch 132
im Falle der Verschlechterung der Lage herabzusetzen. Das Gesetz gibt dem Aufsichts-
rat sogar eine Pflicht, indem herausgestellt wird, dass der Aufsichtsrat tätig werden
„soll“, § 87 Abs. 2 S. 1 AktG. Trotzdem bleibt die Herabsetzung eine Ausnahme und ist
daher restriktiv auszulegen.110
Hierbei geht die Absenkung bis auf eine angemessene Höhe der Vergütung. Auch 133
Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können herab-
gesetzt werden, allerdings nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der
Gesellschaft, § 87 Abs. 2 S. 2 AktG. Der Anstellungsvertrag wird im Übrigen durch eine
solche Herabsetzung nicht berührt, allerdings erhält das Vorstandsmitglied in § 87
Abs. 2 S. 4 AktG ein Sonderkündigungsrecht.
Die Herabsetzung erfolgt durch eine einseitige Erklärung, die der Aufsichtsrat für 134
die Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied abgibt. Es handelt sich dann um
ein einseitiges Gestaltungsrecht der Gesellschaft, dessen Ausübung durch Erklärung
gegenüber dem Vorstandsmitglied, § 315 Abs. 2 BGB, den Inhalt der Vergütungsver-
einbarung mit dem Vorstand unmittelbar ändert,111 d. h. der Anstellungsvertrag muss
ein solches Herabsetzungsrecht nicht ausdrücklich vorsehen bzw. dort bereits ange-
legt sein.
Bei Verstößen gegen § 87 AktG ist der Anstellungsvertrag nicht nach § 134 BGB 135
nichtig.112 Allerdings können sich die Aufsichtsratsmitglieder nach § 116 i. V. m. § 93
Abs. 3 AktG schadensersatzpflichtig machen, wenn sie die gesetzlichen Anforderun-
gen an die Angemessenheit und Strukturierung der Vergütung schuldhaft verletzen
und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht.113
Rolf/Riechwald
132 Kapitel 4 Vergütung
liche Lage, der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens berücksichtigt
werden sollen. Daneben sollen aber auch die Üblichkeit der Vergütung unter Berück-
sichtigung des Vergleichsumfelds und der sonst in dem Unternehmen üblichen Ver-
gütungsstruktur von Bedeutung sein. Nr. 4.2.3 stellt klar, dass zu den Gesamtbezügen
neben monetären Vergütungsbestandteilen auch die Versorgungszusagen, sonstige
Zusagen (insbesondere versprochene Abfindungen) sowie Nebenleistungen als auch
Leistungen von Dritten zählen.
138 Außerdem wird auch hier der Grundsatz betont, dass die Vergütungsstruktur auf
eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten ist und demnach neben
fixen auch variable Bestandteile enthalten soll. Dem Aufsichtsrat wird aufgegeben,
dass die variable Vergütung dabei grundsätzlich eine mehrjährige Bemessungsgrund-
lage haben soll und sowohl positive wie auch negative Entwicklungen berücksichtigt
werden sollen. Der Kodex gibt zwar keine betragsmäßige Höchstgrenze vor, die vari-
able Vergütung soll aber nicht uferlos sein, sondern einen Höchstbetrag ausweisen.
139 Weitere Höchstgrenzen – jedenfalls relativ im Hinblick auf die Gesamtvergü-
tung – sollen für Abfindungen (maximal zwei Jahresvergütungen bzw. nicht mehr
als die Restlaufzeit des Anstellungsvertrags) sowie für sog. Change-of Control Rechte
(150 % des Abfindungs-Caps) eingehalten werden.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 133
a) Anwendungsbereich
Die Bestimmungen gelten für alle Geschäftsleiter und Mitarbeiter von Instituten, 142
unabhängig vom jeweiligen Arbeitsvertragsstatut und damit sowohl für im Ausland
tätige Mitarbeiter deutscher Institute als auch für im Inland beschäftigte Arbeitneh-
mer ausländischer Institute (mit Ausnahme von ausländischen Instituten, die ihren
Sitz ebenfalls im Europäischen Wirtschaftsraum haben, da vermutet wird, dass dort
entsprechende Bestimmungen anwendbar sind).118
Persönlich ist die InstV anwendbar auf Geschäftsleiter sowie Mitarbeiter (§ 2 Abs. 6 143
InstV). Mitarbeiter sind dabei alle natürlichen Personen, deren sich das Institut bei
dem Betreiben von Bankgeschäften oder der Erbringung von Finanzdienstleistungen,
insbesondere aufgrund eines Arbeits-, Geschäftsbesorgungs- oder Dienstleistungs-
vertrags, bedient sowie auch solche, die auf der Basis eines Outsourcing-Vertrages
mit einem gruppenangehörigen Auslagerungsunternehmen unmittelbar an Dienst-
leistungen für das Institut zum Zweck des Betreibens von Bankgeschäften oder der
Erbringung von Finanzdienstleistungen beteiligt sind. Ausdrücklich nicht unter den
Mitarbeiterbegriff fallen jedoch Handelsvertreter im Sinne von § 84 Abs. 1 HGB.
Der Kreis ist somit weit gezogen und dürfte die überwiegende Anzahl von Arbeit- 144
nehmern eines Instituts umfassen. So sollen auch Mitarbeiter in den bloßen Servi-
cebereichen (Recht, Finanzen einschließlich Steuern und Budgetierung, Personal,
Vergütungspolitik, Informationstechnologie oder Wirtschaftsanalysen) darunter
fallen.119 Eine Festanstellung ist nicht notwendig, so dass auch Zeitarbeitnehmer
betroffen sind.120
Aus dem Anwendungsbereich heraus fallen nach § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6 KWG und 145
§ 1 Abs. 3 InstV Vergütungen, die durch einen Tarifvertrag geregelt werden oder die
im Geltungsbereich eines Tarifvertrags auf Grund einer arbeitsvertraglichen Bezug-
nahme auf die Tarifbedingungen gewährt werden oder die aufgrund eines Tarifver-
trags in einer Betriebsvereinbarung geregelt sind. Dabei sollte eine Öffnungsklausel
in einem Tarifvertrag ausreichend sein, eine genaue Regelung ist nicht erforderlich.121
Die über einen Tarifvertrag hinausgehende außertarifliche Vergütung fällt hingegen
in jedem Fall abermals unter die InstV.
Rolf/Riechwald
134 Kapitel 4 Vergütung
der Geschäftsleiter und Mitarbeiter sind danach insbesondere aus der (mehrjährigen)
Geschäftsplanung und -strategie über die einzelnen Ebenen abzuleiten. Die Ausle-
gungshilfe verlangt, dass die Vergütungsparameter zu Beginn eines Bemessungszeit-
raums festgelegt sein müssen.122
147 Auch dürfen die Vergütungsparameter während des Geschäftsjahres nachträglich
nicht mehr geändert werden. Unterjährig veränderte Rahmenbedingungen können
allenfalls bei der Ermittlung der variablen Vergütung nach Abschluss des Geschäfts-
jahres berücksichtigt werden. Die Festsetzung der Vergütungsparameter und die
Ermittlung der Zielerreichung müssen transparent und nachvollziehbar sein, um die
Kontrolle der Ausrichtung der Vergütungssysteme an den Strategien, insbesondere
durch den Vergütungskontrollausschuss, zu gewährleisten.123
148 Für den Vertriebsbereich ist das Vergütungssystem dann nicht angemessen und
begünstigt das Entstehen operationeller Risiken, wenn unter Vernachlässigung qua-
litativer Kriterien wie Kundeninteresse und -zufriedenheit ausschließlich Absatzziele
in den Vordergrund der Zielerreichung gestellt werden. Absatzziele sind aber nicht
per se unzulässig, sie dürfen nur nicht ausschließlich im Vordergrund stehen.124
122 Auslegungshilfe zur InstV der BaFin v. 1.1.2014 zu § 13; Merkelbach, WM 2014, 1990, 1991 unter
Hinweis darauf, dass dies in der Praxis fast unmöglich sein wird.
123 Merkelbach, WM 2014, Heft 42, 1990, 1991.
124 Auslegungshilfe zur InstV der BaFin v. 1.1.2014 zu § 5.
125 Merkelbach, WM 2014, 1990, 1992.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 135
Ausmaß der eingegangenen Risiken auf den Umfang des Bonuspools auswirken soll,
um Anreize zur Risikobegrenzung zu schaffen.126
Nicht zulässig ist die Festsetzung eines Bonuspools bei einem negativen Gesamt 151
erfolg des Instituts, insbesondere wenn dieser mit einem Verzehr des Unternehmens-
werts einhergeht. In diesem Fall sollen grundsätzlich keine variablen Vergütungen
gezahlt werden. Ausnahmen sind im Fall von Neueinstellungen und in besonderen Kri-
sensituationen bei einem sich unmittelbar und konkret abzeichnenden Umschwung
zur Anreizsetzung denkbar. In diesem Fall haben die Institute die Festsetzung des
Bonuspools plausibel, umfassend und für Dritte nachvollziehbar zu begründen und
von der BaFin genehmigen zu lassen.127
Praxistipp
Diese Vorgaben haben für die Vertragspraxis zur Folge, dass die variablen Vergütungsbestandteile
stets unter den ausdrücklichen Vorbehalt des Vorhandenseins eines Bonuspools für den Bemes-
sungszeitraum gestellt werden müssen oder jedenfalls die Ansprüche bei einer Reduzierung des vor-
handenen Bonuspools ebenso gekürzt werden können.
d) V ergütung
Das Fundamentalgebot der Regulierung findet sich in § 25a Abs. 1 Nr. 6 KWG i. V. m. 152
§ 5 InstV, wonach angemessene Vergütungssysteme geschaffen werden sollen, insbe-
sondere durch die Forderung, dass (1) Anreize für die Geschäftsleiter und Mitarbeiter,
unverhältnismäßig hohe Risiken einzugehen, vermieden werden müssen und (2) die
Vergütungssysteme nicht der Überwachungsfunktion der Kontrolleinheiten zuwider-
laufen dürfen.
Außerdem von neuer grundlegender Bedeutung und sehr hoher praktischer 153
Relevanz ist, dass nun eine Begrenzung der variablen Vergütung auf maximal 100 %
der fixen Vergütung vorgesehen ist.128 Diese Obergrenze kann durch Beschluss der
Anteilseigner des Instituts auf 200 % der fixen Vergütung angehoben werden, wenn
durch das höhere Verhältnis nicht die Einhaltung der Verpflichtungen des Instituts
nach den regulatorischen Vorgaben der EU-VO 575/2013, des KWG und der InstV
beeinträchtigt werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Eigenmittelver-
pflichtungen des Instituts zu legen sein soll, § 6 Abs. 4 InstV.129
Das Institut muss daher eine individuelle Obergrenze der variablen Vergütung 154
festlegen, verantwortlich hierfür ist nach § 3 Abs. 1 InstV die Geschäftsleitung des
Instituts bzw. für die variable Vergütung der Geschäftsleiter selbst das Aufsichtsor-
Rolf/Riechwald
136 Kapitel 4 Vergütung
gan, § 3 Abs. 2 InstV. Wird ein Beschluss über die Erhöhung der Obergrenze auf einen
Betrag zwischen 100 % und 200 % der fixen Vergütung gefasst, hat die dem Beschluss
zugrunde liegende Beschlussvorlage eine dezidierte Darlegung zu enthalten, dass die
erhöhte Obergrenze nicht die Eigenkapitalausstattung und insbesondere die allge-
meine Risikotragfähigkeit des Instituts gefährdet. Empfohlen wird außerdem, dass
diese Beschlussvorlage in der Weise aufzubereiten ist, dass sie zugleich als entspre-
chender Nachweis gegenüber der BaFin verwendet werden kann, § 6 Abs. 4 Inst.130
155 Hinsichtlich der Beschlussfassung schreibt § 25a Abs. 5 KWG vor, dass der
Beschluss einer Mehrheit von mindestens 66 % der abgegebenen Stimmen bedarf,
sofern mindestens 50 % der Stimmrechte bei der Beschlussfassung vertreten sind,
oder von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen. Anteilseigner, Eigentümer, Mit-
glieder oder Träger, die als Mitarbeiter oder Geschäftsleiter von einer höheren variab-
len Vergütung als nach S. 2 betroffen wären, dürfen ihr Stimmrecht weder unmittelbar
noch mittelbar ausüben.
156 Von elementarer Bedeutung ist daher, was die InstV unter „Vergütung“ versteht.
§ 2 Abs. 1 InstV regelt, dass Vergütung sämtliche finanziellen Leistungen, gleich
welcher Art und einschließlich der Leistungen für die Altersvorsorge, sämtliche Sach-
bezüge sowie Leistungen von Dritten sind, die im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit
bei dem Institut gewährt werden. Wiederum ausgenommen sind solche Leistungen,
die von dem Institut aufgrund einer allgemeinen, ermessensunabhängigen und ins-
titutsweiten Regelung gewährt werden und die keine Anreize schaffen, finanzielle
Risiken einzugehen.131
157 Schwierig wird es, von der fixen Vergütung die variable Vergütung abzugren-
zen. Nach § 2 Abs. 3 InstV soll variable Vergütung der Teil der Vergütung sein, dessen
Gewährung oder Höhe im Ermessen des Instituts steht oder von dem Eintritt ver-
einbarter Bedingungen abhängt. Ausdrücklich eingeschlossen sind außerdem die
ermessensabhängigen Leistungen zur Altersvorsorge.
158 Die in der Praxis relevanten Fallgruppen sind die folgenden:
– Konzernbonus: Ein Bonus, welcher vom Erfolg des gesamten Konzerns abhän-
gig ist und auch an die Mitarbeiter und Geschäftsleiter des Instituts ausbezahlt
wird, kann nach der BaFin dann keine variable Vergütung im Sinne der InstV
sein, wenn das Institut als Tochterunternehmen einer gemischten Gruppe ange-
hört, bei der das Mutterunternehmen kein Institut im Sinne von § 1 Abs. 1b KWG
ist und das Mutterunternehmen Geschäfte der gewerblichen Wirtschaft betreibt.
Der Konzernbonus darf nicht im Zusammenhang mit den Erfolgen oder Verpflich-
tungen des Instituts gezahlt werden, sondern nur als Bonus für den Gesamterfolg
des Konzerns. Der Konzernbonus muss außerdem für alle konzernangehörigen
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 137
Rolf/Riechwald
138 Kapitel 4 Vergütung
Erhöhung des Fixgehalts darstellt, liegt auf der Hand. Demnach hat dies in der
Praxis und Literatur auch zu heftiger Kritik geführt.135
Diese Kritik wird an dieser Stelle wohl berücksichtigt werden. So kann man dem
Konsultationsverfahren zu dem neuen Entwurf der EBA Guidelines on Sound
Remuneration Policies and Disclosures, auf welchen auch die InstV basiert,
entnehmen, dass hier diese strenge Auslegung von Zulagen wohl entfällt, aber
strenger Rechtfertigungs- und Dokumentationsbedarf bei den Instituten beste-
hen wird.136
– Halteprämien: Halteprämien unterfallen dem selben Problemkreis. Auch diese
werden von der BaFin in der Auslegungshilfe klar als garantierte variable Vergü-
tung bezeichnet.137 Auch hiergegen wurde in Literatur und Praxis starke Kritik
laut.138
In der Praxis wird es sich daher empfehlen, wenn das Institut in eine Lage gerät,
in der die Zahlung für Halteprämien für den Erhalt oder die wirtschaftliche Stabi-
lität des Instituts notwendig wird, diese mit der BaFin abzustimmen. Außerdem
steht natürlich stets der Weg offen, Halteprämien über Tarifverträge in das Insti-
tut einzuführen.
Rolf/Riechwald
C. Regulierte Vergütung 139
139 Diese findet nach der Auslegungshilfe der BaFin (zu § 20) auf Risk Taker nur Anwendung, wenn
deren variable Vergütung mindestens 50.000,00 € im Geschäftsjahr beträgt. Dies dürfte in der Praxis
jedoch auf die meisten Risk Taker zutreffen.
140 Auslegungshilfe zur InstV der BaFin v. 1.1.2014 zu § 20. Die BaFin geht in der Auslegungshilfe
unter zu § 19 davon aus, dass die zurückgehaltene Vergütung so ausgestaltet werden soll, dass auf die
zurückbehaltene Vergütung kein Anspruch auf die Zahlung, sondern nur auf fehlerfreie Ermittlung
bestehen darf. Es ist indes im Hinblick auf § 307 BGB fraglich, ob damit ein Anspruch ausschließbar
ist (Müller-Bonanni/Mehrens, NZA 2010, 792, 796). Zumindest als Insolvenzforderung dürfte die zu-
rückbehaltene Vergütung angemeldet werden können, da der Zweck „Liquidationsschutz der Bank“
in der Insolvenz nicht mehr greift.
Rolf/Riechwald
Kapitel 5
Nebenpflichten
A. N
ebentätigkeiten
I. R
echtliche Erläuterungen
Weiss-Bölz
142 Kapitel 5 Nebenpflichten
Beispiel
Beispiele für die erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers:
– Ein Schlosser nimmt eine Nebentätigkeit bei einem Gebäudereinigungsunternehmen auf und
wird dort körperlich und zeitlich so beansprucht, dass er seinen normalen Arbeitspflichten nicht
mehr genügt.6
– Entgegenstehende Wettbewerbsinteressen des Arbeitgebers liegen dann beispielsweise vor,
wenn der Arbeitnehmer, wie es in § 60 HGB heißt, ohne Einwilligung des Prinzipals in dem Han-
delszweig des Prinzipals ein Handelsgewerbe betreibt oder für eigene oder fremde Rechnung
Geschäfte macht. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses gilt nach den gesetzlichen Rege-
lungen ein Wettbewerbsverbot, welches ebenfalls bei der Ausgestaltung einer Nebentätigkeits-
klausel zu beachten ist.
Weiss-Bölz
A. Nebentätigkeiten 143
und den Umfang der Nebentätigkeit.10 In der Literatur wird hingegen gefordert, dass
Nebentätigkeiten nur dann unzulässig sind, wenn mit ihnen eine erhebliche Beein-
trächtigung der Arbeitskraft verbunden ist.11 Während des bestehenden Arbeitsver-
hältnisses gilt der Grundsatz, dass jede Konkurrenztätigkeit verboten ist.12
Weiss-Bölz
144 Kapitel 5 Nebenpflichten
Weiss-Bölz
A. Nebentätigkeiten 145
werden kann.18 Auch das Verbot, während des gesetzlichen Mindesturlaubs eine
dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit auszuüben (vgl. § 8 BUrlG),
beschränkt eine Nebentätigkeit des Arbeitnehmers.
Berücksichtigt werden muss ferner, dass die Arbeitskraft durch die Nebentätigkeit 12
nicht erheblich beeinträchtigt werden darf. Der Arbeitnehmer hat auch ohne beson-
dere Regelungen vertragliche Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber zu beachten und
darf diese nicht verletzen. Zu denken ist etwa an eine Nebentätigkeit während einer
zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung mit der Folge, dass durch die Nebentä-
tigkeit die Genesung nachhaltig verzögert wird.19
Über die gesetzlichen Pflichten hinaus bietet sich aber eine Nebentätigkeitsklausel 13
an, um zum einen dem Arbeitnehmer die Grenzen aufzuzeigen, zum anderen aber auch
in zulässiger Weise über die gesetzlichen Pflichten hinaus eine Regelung zu treffen.
II. Klauselvorschlag
Weiss-Bölz
146 Kapitel 5 Nebenpflichten
berechtigten Interessen des Unternehmens nicht beinträchtigen oder auch die Leis-
tung des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt wird. Es kann auch negativ formuliert
werden, dass die Einwilligung nur aus bestimmten, aufzuzählenden Gründen versagt
wird. Andernfalls wären Zweifel daran gegeben, ob die Klausel transparent genug ist,
wenn völlig offen bliebe, wann und nach welchen Maßstäben die Erlaubnis erteilt
würde. Demnach müssen sich aus der Vertragsklausel selbst bereits Maßstäbe für die
Entscheidung des Arbeitgebers erkennen lassen.23
Klauselmuster
1. Die Aufnahme einer Nebentätigkeit, gleich ob entgeltlich oder unentgeltlich, bedarf der vorheri-
gen schriftlichen Einwilligung des Arbeitgebers. Gleiches gilt für die Fortsetzung entsprechender
Nebentätigkeiten, die der Mitarbeiter bereits vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses ausgeübt
hat – [Alternativ können hier bereits bekannte und genehmigte Nebentätigkeiten, die der Arbeit‑
nehmer bereits bei Beginn der Tätigkeit übernimmt, aufgelistet werden].
2. Einer vorherigen schriftlichen Einwilligung bedarf auch eine direkte oder indirekte Beteiligung
an Unternehmen, wenn der Mitarbeiter durch seine Stellung oder Tätigkeit Einfluss auf die Ge-
schäftsbeziehung des Arbeitgebers zu diesem Unternehmen haben kann.
3. Der Arbeitgeber wird seine Zustimmung nur verweigern, wenn berechtigte Interessen des Unter-
nehmens beeinträchtigt sind oder die Nebentätigkeit die Wahrnehmung der dienstlichen Aufga-
ben wesentlich behindert.
2. W
iderrufsvorbehalt
16 Ergänzend zu dem oben aufgeführten Klauselmuster könnte auch ein Widerrufsvor-
behalt aufgenommen werden. Denn ohne ausdrücklichen Widerrufsvorbehalt ent-
fällt die erteilte Zustimmung nur dann, wenn sich die tatsächlichen Umstände sig-
nifikant geändert haben, die Anlass für den Arbeitgeber waren, die Zustimmung zu
erteilen.
Klauselmuster
Die Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden, wenn das Interesse des Unternehmens dies auch
unter Berücksichtigung der Belange des Mitarbeiters rechtfertigt.
17 Beachtet werden muss dabei allerdings, dass auch bei einem vereinbarten Wider-
rufsvorbehalt der Arbeitgeber von diesem Vorbehalt nicht willkürlich Gebrauch
machen kann. Es sollte demnach auch in der Vertragsklausel selbst bereits zum Aus-
druck kommen, dass ein Widerruf nur ausgesprochen wird, wenn billiges Ermessen
gewahrt wird.24 Die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers und Arbeitgebers
müssen insofern gegeneinander abgewogen werden.
Weiss-Bölz
B. Wettbewerbsverbot 147
B. W
ettbewerbsverbot
I. R
echtliche Erläuterungen
1. Gesetzliche Grundlagen
Ungeachtet der Tatsache, dass ein Nebentätigkeitsverbot besteht, ist der Arbeitneh- 18
mer nach den gesetzlichen Vorschriften auch verpflichtet, jegliche Konkurrenztätig-
keit während des Arbeitsverhältnisses zu unterlassen.
Das vertragliche Wettbewerbsverbot wird aus § 60 HGB abgeleitet, der nach 19
den gesetzlichen Regelungen unmittelbar nur für den Handlungsgehilfen Anwen-
dung findet, gleichwohl aber nach der Rechtsprechung auch auf das Arbeitsverhält-
nis angewendet wird.25 Das vertragliche Wettbewerbsverbot, das sich aus § 60 HGB
ergibt, steht anders als bei einer Nebentätigkeit nicht unter dem Zustimmungsvor-
behalt, sondern der Wettbewerb ist in diesen Fällen in jeglicher Hinsicht bereits per
Gesetz verboten. In zeitlicher Hinsicht gilt § 60 HGB allerdings nur für die rechtliche
Dauer des Arbeitsverhältnisses. Zu beachten ist, dass deshalb auch grundsätzlich
die Phase der Freistellung nach einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
vom Wettbewerbsverbot betroffen ist.26
Für den Fall, dass die Freistellung unwiderruflich und unter dem Vorbehalt 20
der Anrechnung anderweitigen Erwerbs erfolgt, entfällt das Wettbewerbsverbot.27
Andernfalls besteht das Wettbewerbsverbot grundsätzlich bis zum rechtlichen Ende
des Arbeitsverhältnisses weiter.
Das BAG hat in einer Entscheidung vom 25.04.199128 ausgeführt, dass die Wett- 21
bewerbsenthaltungspflicht nach § 60 HGB auch für die Dauer des Kündigungsschutz-
verfahrens gelten soll, dies wird allerdings von der Literatur zum Teil bestritten.29
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterliegt der Arbeitnehmer grund-
sätzlich keinen Wettbewerbsbeschränkungen, es sei denn es ist etwas anderes
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Zeit nach Beendigung des Arbeits-
verhältnisses vereinbart. Möchte man also ein über das Arbeitsverhältnis hinausge-
hendes Wettbewerbsverbot, bleibt nur die Möglichkeit, ein nachvertragliches Wett-
bewerbsverbot zu vereinbaren.30
25 BAG, Urt. v. 04.08.1987 – 2 AZR 226/87; BeckOK/Joussen, § 611 BGB Rn. 413.
26 BAG, Urt. v. 17.10.2012 – 10 AZR 809/11.
27 Vgl. BAG 06.09.2006 – 5 AZR 703/05; vgl. auch Anmerkung Bayreuther BAG, Urt. v. 17.10.2012–20
AZR 809/11.
28 BAG, Urt. v. 25.04.1991 – 2 AZR 624/90.
29 Vgl. etwa Leuchten, NZA 2011, 391 ff.
30 Vgl. zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot Kap. 8 Rn. 23.
Weiss-Bölz
148 Kapitel 5 Nebenpflichten
2. A
rbeitsrechtliche Konkretisierung
22 Obgleich während der Dauer des Vertragsverhältnisses wie bereits ausgeführt das
gesetzliche Wettbewerbsverbot nach § 60 HGB auch im Arbeitsverhältnis Anwendung
findet, bietet sich eine klarstellende Klausel im Arbeitsvertrag an.
23 Es ist allerdings davon abzuraten, lediglich die Vorschrift des § 60 Abs. 1 HGB in
den Vertrag aufzunehmen, da die Norm von der Rechtsprechung und Rechtslehre
konkretisiert und bezogen auf das Arbeitsverhältnis bewertet wurde. Insofern sind
immer die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber ein wirtschaftli-
ches Interesse daran haben muss, dass eine Wettbewerbstätigkeit untersagt werden
kann.
24 Zu beachten ist allerdings, dass es dem Arbeitnehmer während des Arbeitsver-
hältnisses unbenommen bleibt, sogenannte Vorbereitungsmaßnahmen für die
Gründung eines eigenen Unternehmens nach Vertragsende oder für ein Überwech-
seln zur Konkurrenz zu treffen.31 Diese Vorbereitungsmaßnahmen dürfen allerdings
für den Arbeitgeber keine Nachteile während des bestehenden Arbeitsverhältnisses
mit sich bringen. Insofern sind die Grenzen sehr eng, was noch als zulässige Vor-
bereitungsmaßnahme oder andererseits bereits als verbotene Wettbewerbstätigkeit
anzusehen ist. Hier ist immer eine Einzelfallprüfung erforderlich. Als Anhaltspunkt
kann aber gelten, dass für die Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen und Kon-
kurrenztätigkeit entscheidend ist, ob durch das Handeln bereits unmittelbar in die
Geschäfts- oder Wettbewerbsinteressen des Arbeitgebers eingegriffen wird.32
25 Das Nebentätigkeitsverbot kann auch die Beteiligung an einem Unternehmen
betreffen. Wenn kein Einfluss auf die Organe der betreffenden Gesellschaft möglich
ist, ist ein Ausschluss in der Klausel möglich. Entscheidend ist nämlich immer, ob der
Arbeitnehmer Einfluss auf die Unternehmensführung des Konkurrenten gewinnen
kann. Insofern sollte bei einer solchen Klausel darauf geachtet werden, dass nicht
jegliche Beteiligungen jedweder Art verboten werden, sondern eine Beschränkung
dahingehend erfolgt, dass kein Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft möglich
sein darf. Dann liegt ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse vor. Bei einer Beteiligung
an einem anderen Unternehmen ist zu beachten, dass eine reine Kapitalanlage zuläs-
sig ist, und keinen unzulässigen Wettbewerb darstellt.33
26 Besonders darzustellen ist dies anhand des folgenden Beispiels:
Beispiel
Ein BMW-Mitarbeiter begeht kein Verstoß gegen das Konkurrenzverbot, wenn er einige Porsche-Akti-
en erwirbt, weil er sich hiervon auf Dauer höhere Gewinne verspricht.
Weiss-Bölz
B. Wettbewerbsverbot 149
3. Gestaltungshinweise
Häufig kann auch ein Interesse des Arbeitgebers bestehen, das Konkurrenzverbot auf 27
solche Unternehmen auszudehnen, die mit dem Arbeitgeber in Geschäftsbeziehun-
gen stehen, aber nicht zwingend Wettbewerber sind. Zulässig ist ein Verbot in der
Weise, dass es verboten ist, sich an solchen Unternehmen zu beteiligen, weil hier
sonst die Gefahr einer Interessenkollision bestehen könnte.
Grundsätzlich können sich auch die Geschäftsfelder und räumlichen Gegeben- 28
heiten des Arbeitgebers ändern, sodass eine Klausel sinnvoll sein kann, wonach auch
bei Veränderungen des Tätigkeitsfelds oder des Umfangs in räumlicher Hinsicht das
Konkurrenzverbot sich jeweils immer nach dem aktuellen Geschäftszweig des Arbeit-
gebers richtet.
Unter Umständen kann es sich auch anbieten, bestimmte, dem Arbeitgeber 29
bereits bekannte Konkurrenztätigkeiten aus der Klausel herauszunehmen. Insbeson-
dere bei weniger wichtigen Geschäftsbereichen kann dies angezeigt sein.
Eine einmal erteilte Einwilligung ist grundsätzlich unwiderruflich.34 Es kann 30
allerdings ein Widerrufsvorbehalt in die Klausel aufgenommen werden, dessen
Ausübung billigem Ermessen entsprechen muss (vgl. § 315 BGB).
Weiss-Bölz
150 Kapitel 5 Nebenpflichten
II. Klauselvorschlag
Formulierungsmuster
Während des Bestehens des Arbeitsvertrages ist es dem Arbeitnehmer untersagt, direkt oder indirekt
(z. B. als Leiharbeitnehmer), als freier Mitarbeiter oder als Arbeitnehmer für ein mit dem Arbeitge-
ber im Wettbewerb stehendes Unternehmen zu arbeiten oder eigene unternehmerische Tätigkeiten
zu entfalten, die mit dem Arbeitgeber in Konkurrenz treten könnten. Während dieser Zeit ist es dem
Arbeitnehmer nicht gestattet, sich direkt oder indirekt (z. B. über Dritte) an einem im Wettbewerb zu
dem Arbeitgeber stehenden Unternehmen zu beteiligen. Ausgenommen hiervon sind bloße Finanzbe-
teiligungen in Höhe von bis zu 5 %.
C. A
rbeitsverhinderung
I. R
echtliche Erläuterungen
Weiss-Bölz
C. Arbeitsverhinderung 151
Weiss-Bölz
152 Kapitel 5 Nebenpflichten
Weiss-Bölz
C. Arbeitsverhinderung 153
somit der Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls.52 Eine weitere Vergütungs-
fortzahlung kann der Arbeitnehmer nur dann verlangen, wenn die erste Arbeitsunfä-
higkeit bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in welchem eine weitere Erkrankung zu
einer neuen Arbeitsunfähigkeit führt. Ansonsten sind auch die übrigen Grundsätze
von § 3 EfzG bei weiterer oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen.53
2. Mitteilungspflichten
Der Arbeitnehmer ist in jedem Fall gehalten, dem Arbeitgeber unverzüglich Mitteilung 44
zu machen, wenn er an der Arbeitsleistung verhindert ist. Hinsichtlich der Arbeitsun-
fähigkeit ergibt sich die Mitteilungspflicht bereits aus § 5 EfzG.
1. Arbeitsverhinderung allgemein
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Vorgesetzten jede Arbeitsverhinderung und ihre voraussichtli-
che Dauer unverzüglich nach Kenntnis, möglichst vor dem Zeitpunkt der erwarteten Arbeitsaufnahme
telefonisch anzuzeigen, sowie auf Verlangen des Arbeitgebers die Gründe der Arbeitsverhinderung
mitteilen. Ist der Arbeitnehmer hierzu selbst nicht in der Lage, hat er in gleicher Weise eine Informa-
tion des Arbeitgebers durch Dritte zu veranlassen. Der Mitarbeiter hat dabei auf besonders dringlich
zu erledigende Arbeiten hinzuweisen.
Weiss-Bölz
154 Kapitel 5 Nebenpflichten
Klauselmuster
Im Falle der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit erhält der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung nach
dem EfzG. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, muss der Arbeitnehmer eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spätestens an dem darauf folgenden Arbeitstag vorlegen. Aus die-
sem soll sich auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ergeben. Dauert die Arbeits-
unfähigkeit über die angegebene Zeit hinaus, hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich
zu unterrichten und unverzüglich ein Anschlussattest vorzulegen. Der Arbeitgeber kann im Einzelfall
auch eine frühere Vorlage des Attests verlangen.
D. U
rlaub
56 Preis/Stoffels II U 20 Rn. 5.
Weiss-Bölz
D. Urlaub 155
Weiss-Bölz
156 Kapitel 5 Nebenpflichten
1. Gesetzliche Vorgaben
54 Nach den Regelungen des BUrlG in § 1 hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalender-
jahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Grundsätzlich erlischt der Urlaubsan-
spruch mit Ablauf des Urlaubsjahres und nur ausnahmsweise geht der Urlaubsan-
spruch nach § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 BUrlG auf die ersten drei Kalendermonate des
Folgejahres über, wenn die Erfüllung des Urlaubsanspruchs aus dringenden
betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen im lau-
fenden Kalenderjahr nicht möglich war. Die Übertragung erfolgt dann kraft Gesetzes,
sodass es weder einer mitwirkenden Handlung des Arbeitgebers noch des Arbeitneh-
mers bedarf.59
2. Klarstellung im Arbeitsvertrag
55 Es kann allerdings häufig Streitigkeiten darüber geben, ob die Übertragungsvoraus-
setzungen vorgelegen haben, sodass zur Vermeidung etwaiger Streitigkeiten und Aus-
einandersetzungen eine Regelung im Arbeitsvertrag dienlich ist. Eine Regelung kann
sich auch deshalb anbieten, um Arbeitnehmer nicht zu motivieren, ihren restlichen
Jahresurlaub noch zum Jahresende zu nehmen, nur um den Verfall des Urlaubs zu
vermeiden. Insbesondere könnte eine generelle Übertragung im Kalenderjahr nicht
genommenen Urlaubs auf die nächsten drei Monate im Folgejahr unabhängig vom
Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Arbeitsvertrag vereinbart werden,
wovon in der Praxis auch häufig Gebrauch gemacht wird.
Klauselvorschlag
Der Urlaub ist spätestens zum 31. März des nachfolgenden Jahres zu nehmen.
Weiss-Bölz
D. Urlaub 157
die Bestimmungen des BUrlG auch für die Urlaubsbestandteile, die auf arbeitsver-
traglicher Grundlage beruhen.60
Klauselvorschlag
1. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindesterholungsurlaub von 20 Arbeits-
tagen (bezogen auf eine 5-Tage-Woche = 24 Werktage). Das Nähere bestimmt sich nach den Vor-
schriften des Bundesurlaubsgesetzes.
2. Zusätzlich zu diesem gesetzlichen Mindesturlaub erhält der Arbeitnehmer einen vertraglichen
Mehrurlaub von 8 Tagen. Für diesen vertraglichen Mehrurlaub gelten die nachfolgenden Rege-
lungen:
– …
– …
3. Mit der Urlaubserteilung erfüllt der Arbeitgeber zunächst den Anspruch des Arbeitnehmers auf
den gesetzlichen Mindesterholungsurlaub, dann einen gegebenenfalls bestehenden Anspruch
auf gesetzlichen Zusatzurlaub [danach gegebenenfalls tariflicher Mehrurlaub]. Erst nach voll-
ständiger Erfüllung des gesetzlichen [und gegebenenfalls des tariflichen] Urlaubsanspruchs
wird der vertragliche Mehrurlaub im Sinne des Abs. 2 erteilt.61
Mit dieser Klausel wird deutlich zwischen gesetzlichem Mindest- und Mehrurlaub dif- 57
ferenziert. Die Regelungen werden im Übrigen auch in getrennten Absätzen behan-
delt, sodass auch eine entsprechende Transparenz gegeben ist.
Empfehlenswert ist schließlich eine klare Tilgungsbestimmung, wenn in dem 58
Arbeitsvertrag vom BUrlG abweichende Regelungen für den arbeitsvertraglichen Meh-
rurlaub aufgenommen werden sollen und demnach eine Differenzierung zwischen
Mindest- und Mehrurlaub erfolgt.62 Das BAG hat aber entschieden, dass auch ohne
ausdrückliche Tilgungsbestimmung der Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeit-
nehmers und der Verpflichtung zur Arbeitsleistung grundsätzlich beide Ansprüche
zum Erlöschen bringt.63 Bei der hier vorgeschlagenen konkreten Differenzierungsre-
gel bietet sich zur Klarstellung aber eine Tilgungsbestimmung an. Beachtet werden
muss auch hierbei, dass vorformulierte Regelungen zum Urlaubsrecht in allgemeinen
Geschäftsbedingungen den § 305 ff. BGB unterfallen und den Anforderungen einer
AGB-Kontrolle entsprechend genügen müssen. Das BAG führt in seinen Entscheidun-
gen aus, dass die Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche,
die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, grundsätzlich frei regeln können.64
Es ist dabei allerdings nicht klar, ob das BAG damit uneingeschränkt zum Aus- 59
druck bringen wollte, dass Regelungen über den gesetzlichen Mehrurlaub generell
60 Vgl. BAG, Urt. v. 18.02.2014 – 9 AZR 765/12; BAG, Urt. v. 23.03.2010 – 9 AZR 128/09; BAG, Urt. v.
15.05.1991 – 5 AZR 440/90.
61 Vgl. dazu auch Powietzka/Fallenstein, NZA 2010, 673.
62 Polzer/Kafka, NJW 2015, 2289, 2292.
63 BAG, Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 760/10.
64 BAG, Urt. v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07, Powietzka/Rolf, BUrlG § 1 Rn. 2.
Weiss-Bölz
158 Kapitel 5 Nebenpflichten
der Inhaltskontrolle entzogen seien oder ob nur eine Einschränkung gesehen werden
kann. Um dieser Unsicherheit entgegenzutreten, sollten die Regelungen vorsorglich
allesamt den Angemessenheitsanforderungen einer AGB-Kontrolle standhalten.
IV. Q
uotelung des Urlaubsanspruchs bei Ein- oder Austritt im laufenden
Kalenderjahr
60 Häufig finden sich in der Praxis auch Regelungen, die eine Quotelung beim Ein- oder
Austritt im laufenden Kalenderjahr vorsehen. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, da
solche Klauseln vielfach auch unwirksam gestaltet sind. Die zwingenden Vorschrif-
ten des BUrlG müssen nämlich auch in diesem Zusammenhang eingehalten werden,
was vielfach nicht der Fall ist. Für den Mehrurlaub sind solche Regelungen hingegen
zulässig.
61 Beachtet werden muss dabei, dass der Arbeitnehmer nach Ablauf der 6-monati-
gen Wartezeit den vollen gesetzlichen Urlaubsanspruch erwirbt, etwaige Kürzungsre-
gelungen diesbezüglich sind demnach unwirksam, zumindest was den gesetzlichen
Mindesturlaub anbelangt. Weiter muss beachtet werden, dass eine Quotelung ohne
Differenzierung, wann ein Arbeitnehmer aus dem Vertragsverhältnis ausscheidet,
ebenfalls unzulässig ist. Denn das BUrlG sieht für den Fall des Ausscheidens des
Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis im zweiten Halbjahr eines Kalenderjah-
res vor, dass ein voller Urlaubsanspruch erworben wird. Dies ergibt sich aus dem
Umkehrschluss des § 5 Abs. 1 b) BUrlG, sodass entgegenstehende Regelungen eben-
falls unwirksam bzw. nach § 134 BGB nichtig sind.65 Es gilt hier das Unabdingbarkeits-
prinzip nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG. An ihre Stelle tritt die entsprechende Regelung
des BUrlG, wobei sich die Frage stellt, ob in diesen Fällen überhaupt eine sog. gel-
tungserhaltende Reduktion in Betracht kommt. Insbesondere aufgrund der Tatsache,
dass es der Klauselverwender in der Hand hat, konkrete und transparente Regelun-
gen zu gestalten, sollte eine geltungserhaltende Reduktion abgelehnt werden.
62 Trotz dieser Beschränkungen bestehen in der Praxis gleichwohl Möglichkeiten,
in gewisser (zulässiger) Weise eine Quotelung des Urlaubsanspruchs – insbesondere
hinsichtlich des Mehrurlaubs – zu regeln. So käme etwa folgende Formulierung in
Betracht:
Klauselvorschlag
Im Eintritts- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer, soweit der gesetzliche Mindesturlaub nicht unter-
schritten wird, für jeden vollen Beschäftigungsmonat im Betrieb Anspruch auf 1/12 des Jahresurlaubs.
Weiss-Bölz
D. Urlaub 159
Häufig hat der Arbeitgeber auch ein Interesse daran, Klauseln für den Fall vorzuse- 63
hen, dass häufige oder längerfristige Fehlzeiten des Arbeitnehmers bestehen oder
aber das Arbeitsverhältnis aus sonstigen Gründen ruht. Diese Zeiten können sich auf
den Urlaub auswirken, wobei bei einer etwaigen Regelung im Arbeitsvertrag wieder-
rum die strengen Regelungen der Rechtsprechung berücksichtigt werden müssen,
insbesondere die Tatsache, dass nur der zusätzliche Mehrurlaub von einer solchen
Kürzungsregelung wirksam betroffen sein kann.
Die Rechtsprechung ist bei der Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubs gerade 64
für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sehr streng und hat diese für unzu-
lässig erklärt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Kalenderjahres arbeits-
unfähig war.66
Beachtet werden muss dabei weiter, dass nach der Rechtsprechung des BAG auch 65
im Falle des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis ruht,
grundsätzlich der Urlaubanspruch entsteht.67 Kürzungsregelungen hinsichtlich des
Mindesturlaubs sind deshalb nach § 13 Abs. 1 Satz 1, 3 BUrlG, § 134 BGB unwirksam
und deshalb zu vermeiden. Wünscht der Arbeitnehmer einen längeren unbezahlten
Sonderurlaub, könnte deshalb erwogen werden, das Arbeitsverhältnis einvernehm-
lich schlicht durch Aufhebungsvertrag zu beenden und dem Arbeitnehmer eine Wie-
dereinstellungszusage zu unveränderten Bedingungen (unter Anrechnung der bishe-
rigen Betriebszugehörigkeit) zu geben.68
Wiederum anders stellt sich die Sachlage bei dem Mehrurlaub dar: Hier können 66
auch im Falle des ruhenden Arbeitsverhältnisses ohne weiteres Kürzungsregelungen
vorgesehen werden, die aber transparent sein müssen.
Klauselvorschlag
Der Mitarbeiter erhält einen Zusatzurlaub von … Arbeitstagen jährlich. Der Zusatzurlaub mindert sich
um 1/12 für jeden vollen Monat, in dem der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgelt- bzw. Entgelt-
fortzahlung hatte. Gleiches gilt für den Fall des Ruhens des Arbeitsverhältnisses.
Weiss-Bölz
160 Kapitel 5 Nebenpflichten
68 Das BUrlG enthält auch Regelungen dazu, dass der Arbeitnehmer während seines
Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten darf,
§ 8 BUrlG. Es besteht also bereits kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die
Pflicht des Arbeitnehmers, sich während des Urlaubs bestimmter Tätigkeiten zu
enthalten. Es besteht allerdings kein generelles Tätigkeitsverbot, sondern darunter
werden nur Erwerbstätigkeiten verstanden, die dem Urlaubszweck zuwider laufen.70
Dabei kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf Art und
Umfang der Tätigkeit sowie auf die daraus folgende körperliche, geistige und seeli-
sche Beanspruchung des Arbeitnehmers. Nicht verboten sind sogenannte Kontrast-
bzw. Ausgleichstätigkeiten71, wie beispielsweise die Arbeit auf einem Bauernhof.
69 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wäre demnach ein vertraglich festge-
haltenes generelles Verbot kritisch, da der Arbeitgeber hierfür kein berechtigtes Inter-
esse hat und der Arbeitnehmer im Übrigen auch selbst seinen Urlaub gestalten kann.
Auch im Hinblick auf Art. 12 GG sind anderweitige Erwerbstätigkeiten in dem oben
beschriebenen Umfang grundsätzlich zu respektieren und könnten auch arbeitsver-
traglich nicht verboten werden.
70 Das BUrlG enthält auch eine Regelung zur Höhe des Urlaubsentgelts, nämlich § 11
Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Danach richtet sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnitt-
lichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor Beginn
des Urlaubs erhalten hat (sog. modifizierte Referenzperiode). Auch hier können
bei dem übergesetzlichen Mehrurlaub wieder gewisse Modifikationen vereinbart
werden, sodass beispielsweise die Verlängerung des Referenzzeitraums unproblema-
tisch möglich ist. In der Praxis wird sich hierbei aber häufig ein Gleichlauf finden
lassen, da eine Differenzierung aufwändig und unpraktikabel ist.
VIII. Verfallklauseln
71 Wie bereits ausgeführt, ist der gesetzliche Urlaubsanspruch grundsätzlich auf das
laufende Kalenderjahr befristet (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). Eine Übertragung findet
grundsätzlich nur nach den im Gesetz vorgesehenen Fällen des § 7 Abs. 3 Satz 2–4
BUrlG statt. Eine weitergehende Gestaltung hinsichtlich des Verfalls eines etwaigen
Weiss-Bölz
D. Urlaub 161
Weiss-Bölz
162 Kapitel 5 Nebenpflichten
Klauselvorschlag
Abweichend von den gesetzlichen Vorgaben für den Mindesturlaub gilt für den über den gesetzlichen
Mindesturlaub hinausgehenden arbeitsvertraglichen Urlaubsanspruch, dass dieser nach Ablauf des
Kalenderjahres und im Falle der Übertragung spätestens nach Ablauf des Übertragungszeitraums am
31.03 des folgenden Kalenderjahres auch dann verfällt, wenn der Urlaub im Urlaubsjahr und/oder
bis zum 31.03 des folgenden Kalenderjahres wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht ge-
nommen werden konnte.
78 Der EuGH interpretiert Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG entgegen der bis-
herigen Rechtsprechung des BAG in der Weise, dass diese Vorschrift einzelstaatli-
chen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch
auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht
genommen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch Tod des Arbeitneh-
mers endet.76
79 Für das deutsche Urlaubsrecht bedeutet dies, dass sich zumindest ein noch nicht
erfüllter gesetzlicher Urlaubsanspruch mit dem Tode des Arbeitnehmers in einen
Urlaubsabgeltungsanspruch verwandelt und im Zeitpunkt des Todes des Arbeitneh-
mers unmittelbar bei dessen Erben entsteht.77
80 Da diese europarechtlichen Vorgaben wiederum nur den gesetzlichen Mindestur-
laub betreffen, kann beim Mehrurlaub durch entsprechende Gestaltung ein Anspruch
auf die Erben verhindert werden. Im Übrigen kann durch diese Klausel generell ein
Ausschluss der Abgeltung für Mehrurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
vorgesehen werden.
Klauselvorschlag
Der vertragliche Mehrurlaub erlischt mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses ersatzlos, wird also
nicht abgegolten und ist nicht vererblich.
X. A
usschlussfristen
Weiss-Bölz
D. Urlaub 163
bestimmten Zeitraum bestehen und deren Erfüllung während dieser Zeit stets ver-
langt werden kann, keine Anwendung.78
Der Urlaubsabgeltungsanspruch hingegen ist nach Aufgabe der Surrogatstheo- 82
79
rie als reiner Geldanspruch grundsätzlich auch von den generellen Ausschlussfris-
ten umfasst. Er entsteht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.80 Eine gesonderte
Regelung ist nicht erforderlich.81
Für den Fall, dass die Parteien in Streit stehen bzw. eine Kündigung ausgesprochen 83
wurde, wird häufig eine Freistellungsregelung im Arbeitsvertrag aufgenommen. Hier
ist zu beachten, dass eine Freistellung unter Anrechnung restlicher Urlaubsansprü-
che erfolgen kann, sodass sich auch hierzu eine Klausel anbietet.
Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einer Freistellungsabrede ist 84
grundsätzlich anzuerkennen, sodass ein Freistellungsvorbehalt auch im Arbeitsver-
trag getroffen werden kann. Wichtig ist allerdings der Hinweis, dass die Freistellung
unter Anrechnung auf etwaig noch offene Urlaubsansprüche erfolgt, da die Freistel-
lung des Arbeitnehmers nicht ohne weiteres auch eine Urlaubserteilung umfasst.82
Eine uneingeschränkte und nicht an eine erforderliche Interessenabwägung 85
gebundene jederzeitige Freistellung ist jedoch nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unzuläs-
sig.83
In § 5 Abs. 3 BUrlG ist ein Rückforderungsverbot für den Fall vorgesehen, dass von 86
einem Arbeitnehmer, dem in der ersten Jahreshälfte ein durch die bisher zurück-
gelegte Zeit im Kalenderjahr noch nicht gerechtfertigter Urlaub gewährt worden
ist, bei einem Ausscheiden vor dem 01.07.2015 das überzahlte Urlaubsentgelt nicht
zurückgefordert werden kann. Insofern handelt es sich um zwingende Vorschriften
des BUrlG, von den auch im Arbeitsvertrag nicht abgewichen werden darf (§ 13 Abs. 1
Weiss-Bölz
164 Kapitel 5 Nebenpflichten
Satz 3 BUrlG). Für die vom BUrlG nicht erfassten Fallgestaltungen kann allerdings
eine Rückforderung in Betracht kommen.
87 Wenn der Arbeitgeber keine vertraglichen Regelungen zu einem etwaigen Rück-
forderungsvorbehalt getroffen hat, könnte in der Gewährung des Urlaubs ein still-
schweigender Rückforderungsverzicht gesehen werden. Um dem zu begegnen, emp-
fiehlt sich eine Rückforderungsvereinbarung, auch wenn bei der Durchsetzung der
Rückforderung Problembereiche auftreten können, die nach § 374 BGB bei einer Auf-
rechnung Anwendung finden, insbesondere unter Berücksichtigung etwaiger Pfän-
dungsschutzvorschriften. Eine vertragliche Regelung zeigt dem Arbeitnehmer aber
klar auf, dass er mit einer Rückforderung zu rechnen hat, wenn er mehr Urlaub nimmt
als ihm zusteht.
88 Diskutiert wird auch, ob solche Rückzahlungsvereinbarungen den Arbeitnehmer
unangemessen i. S. v. § 307 BGB benachteiligen. Dem kann aber im Ergebnis nicht
gefolgt werden, weil § 5 Abs. 3 BUrlG bestimmte Anwendungsbereiche klar regelt und
im Übrigen die Parteien frei in der Gestaltung sind, insbesondere was den übergesetz-
lichen Mehrurlaub anbelangt. Insofern könnte sich etwa folgende Klausel anbieten:
Klauselmuster
Hat der Mitarbeiter im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Unternehmen mehr Urlaub erhalten als
ihm zusteht, so hat er das auf die überzähligen Urlaubstage erhaltene Urlaubsentgelt zurückzuzahlen.
Dies gilt nicht hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs, wenn die Überzahlung darauf beruht,
dass der Mitarbeiter nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte des Kalenderjahres ausscheidet.
XIII. U
rlaubsgeldabreden
Weiss-Bölz
D. Urlaub 165
Klauselvorschläge
a) Jeder Arbeitnehmer, der am 1.7. eines Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis
steht, erhält mit dem Monatsgehalt ein Urlaubsgeld von einem Monatsbeitrag.
b) Bei Urlaubsantritt erhält Herr/Frau ein zusätzliches Urlaubsentgelt in Höhe von … EUR je Urlaubs-
tag.
2. S tichtagsregelungen
Wie sich aus den Klauseltypen ergibt, können auch Stichtagsregelungen aufgenom- 90
men werden, wonach das Urlaubsgeld zu einem bestimmten Tag zu zahlen ist und der
Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen
muss. Bei Stichtagsregelungen ist aber zu beachten, dass nach der Rechtsprechung
Sonderzuwendungen nur vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu
einem Stichtag abhängig gemacht werden dürfen, wenn sie nicht (auch) die Arbeits-
leistung des Arbeitnehmers vergüten, sondern als „Treueprämie“ erwiesene oder als
Halteprämie künftige Betriebstreue honorieren sollen. In der vorliegenden ersten
Klausel (vgl. a)) ist das BAG85 zu dem Ergebnis gelangt, dass das Urlaubsgeld hier
nicht (auch) der Vergütung erbrachter Arbeitsleistungen dienen sollte. Die Anknüp-
fung in der Klausel an den genommenen Urlaubstag zeige, dass das Urlaubsgeld dem
Erholungszweck dienen soll und nicht die Vergütung der Arbeitsleistung zum Gegen-
stand hat.
3. Widerrufsvorbehalt
Da es sich beim Urlaubsgeld um eine rein zusätzliche Leistung des Arbeitgebers 91
handelt, ist zu empfehlen, auch hier einen entsprechenden Widerrufsvorbehalt auf-
zunehmen.
Klauselvorschlag
Der Arbeitgeber kann … das Urlaubsgeld aus (triftigen) wirtschaftlichen Gründen widerrufen, insbe-
sondere bei schlechtem Verlauf des Geschäftsjahres, bei Umgestaltung des Entgeltsystems oder bei
Belastung des Unternehmens mit zusätzlichen gesetzlichen oder tariflichen Leistungen.
4. V erfallsklausel
Im Übrigen ist weiter anzuraten, auch eine Verfallklausel für das Urlaubsgeld vor- 92
zusehen, damit der Erstreckung der Schultz-Hoff-Entscheidung auf arbeitsvertrag-
liche Urlaubsgeldansprüche vorgebeugt werden kann. Es kann hierbei ein unein-
geschränkter Verfall vereinbart werden, weil diese Regelungen nicht zu den durch
Weiss-Bölz
166 Kapitel 5 Nebenpflichten
Klauselmuster
Der Arbeitgeber erhält ein Urlaubsgeld in Höhe von 55 % eines Bruttomonatsgehalts, das jeweils am
Monatsende anteilig für die Anzahl der im betreffenden Monat gewährten Urlaubstage ausgezahlt
wird. Der Urlaubsgeldanspruch verfällt, wenn und soweit der Arbeitnehmer die entsprechenden Ur-
laubstage nicht spätestens bis zum Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verwirklicht. Das gilt auch
dann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht nehmen
kann, z. B. weil er während des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt ist.
5. R
ückzahlungsklausel
93 Schließlich kann auch eine Rückzahlungsklausel für den Fall des Ausscheidens vor
einem bestimmten Termin vorgesehen werden. Eine solche Gestaltung des Anspruchs
auf zusätzliches Urlaubsgeld ist aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit grund-
sätzlich gestattet.87 Insbesondere gilt das Rückforderungsverbot des § 5 Abs. 3 BUrlG
hierfür nicht, da der Erholungsurlaub nicht tangiert wird, sondern ausschließlich
das Urlaubsgeld betroffen ist. In Anlehnung an die richterrechtlichen Grundsätze zur
Rückzahlung von Weihnachtsgratifikationen sind hier allerdings gewisse Bindungs-
grenzen aufgestellt worden, wonach eine Rückzahlung bei sog. Kleingratifikationen
beispielsweise ausgeschlossen ist.88
I. R
echtliche Erläuterungen
Weiss-Bölz
E. Annahme von Geschenken und Begünstigungen 167
Die Regelung im Vertrag hat vor allem auch den Sinn und Zweck, den Arbeitneh- 95
mer zu sensibilisieren und eine Signalwirkung an den Arbeitnehmer zu senden, dass
ein Fehlverhalten in diesem Bereich ggf. sogar in strafrechtlicher Hinsicht bewertet
werden könnte. Gerade in kleinen oder mittleren Unternehmen, die keine eigene
Compliance-Abteilung oder einen Betriebsrat haben, bieten sich demnach individu-
alvertragliche Regelungen an. In größeren Unternehmen mit eigener Compliance-
Abteilung besteht ggf. eine Compliance-Richtlinie (COC), auf die im Arbeitsvertrag
dann verwiesen werden kann.
1. Nebenpflichtverletzung
Mit der Annahme von Geschenken kann der Arbeitnehmer bestimmte Nebenpflichten 96
aus seinem Arbeitsverhältnis verletzen. Die vertraglichen, aber auch die strafrechtli-
chen Grenzen werden vor allem dann überschritten, wenn die „Aufmerksamkeiten“
zu einer unlauteren Einflussnahme zu Gunsten eines bestimmten Geschäftspartners
werden. Dann besteht die Gefahr der Korruption. Es drohen hierbei strafrechtliche
Konsequenzen, der Arbeitnehmer kann aber damit auch eine verhaltensbedingte
(außerordentliche) Kündigung riskieren.89
Wie auch in anderen Fällen kommt es in der Rechtsprechung des BAG hierbei 97
aber nicht auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern entscheidend ist vielmehr,
ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit solchen Handlungen in erheblichem Maße
seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen seines Arbeitgebers und damit
Nebenpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB verletzt.90
2. Strafrechtliche Konsequenzen
Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass die strafrechtlichen Grenzen 98
im Hinblick auf die Vorteilsannahme vor allem aus § 299, §§ 331 ff. StGB zu entnehmen
sind. Hierbei ist insbesondere die Sozialadäquanz relevant, so dass entscheidend
ist, ob die Zuwendung der Höflichkeit entspricht und sowohl sozialüblich, als auch
unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes allgemein gebilligt werden kann oder
ob diese Grenze überschritten wird. Zu beachten ist dabei, dass bei Amtsträgern noch
schärfere Anforderungen gelten.91
Weiss-Bölz
168 Kapitel 5 Nebenpflichten
3. A
rbeitsvertragliche Regelungen
99 Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, dass die Vertragsparteien möglichst genau
festlegen, in welchem Maße die Annahme von Geschenken unschädlich ist und bes-
tenfalls, wie sich ein Arbeitnehmer zu verhalten hat, wenn ihm Geschenke angetra-
gen werden, deren Einordnung nicht ohne weiteres eindeutig ist. So kann z. B. ein
absolutes Verbot zur Annahme von Geschenken geschaffen werden oder ein rela-
tives Verbot, bei dem ein Gegenwert genau festgelegt wird.92 Weiterhin empfiehlt
es sich, dem Arbeitgeber die Angebote von Geschenken, Gefälligkeiten oder Zuwen-
dungen anzeigen zu müssen und diesbezüglich eine Pflicht des Arbeitnehmers im
Vertrag aufzunehmen. Auch kann eine Herausgabepflicht vorgesehen werden, ggf.
relativiert dadurch, dass der Herausgabepflicht nicht sozialadäquate Gelegenheits-
geschenke unterliegen, deren Wert nicht über 10/20/30 € im Jahr hinausgehen. Die
Anzeigepflicht sollte gleichwohl auch in diesem Fall bestehen bleiben.
100 Da in unterschiedlichen Branchen auch unterschiedliche Gegebenheiten über
die Höhe des Sozialadäquaten bestehen, empfiehlt sich auch deshalb eine vertrag-
liche Regelung. Dem Arbeitnehmer wird dadurch die Schwelle zur kündigungsrele-
vanten Pflichtverletzung klar aufgezeigt. In jedem Fall sollte allerdings das Schmier-
geldverbot als Ausgangspunkt beachtet werden. Gegen dieses verstößt, wer sich als
Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile versprechen
lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder geeignet sind, ihn in seinem
geschäftlichen Verkehr zu Gunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers
zu beeinflussen.93 Bei der Höhe kann auch auf § 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG zurückgegriffen
werden, sodass Arbeitnehmer Gelegenheitsgeschenke in Anlehnung an die Vorschrift
des EStG annehmen dürfen, die 35 € pro Jahr nicht überschreiten.
II. Muster einer Regelung zur Annahme von Geschenken und sonstigen Vorteilen
Klauselmuster
Der Mitarbeiter darf Geschenke oder andere Vorteile, die ihm von Dritten zugewandt werden und die
über ein sozial adäquates Maß [beispielsweise geringwertige Werbegeschenke; ggf. sogar konkreten
Maximalbetrag in Euro angeben]hinausgehen, nicht annehmen. Hat der Mitarbeiter Zweifel, ob es
sich um ein Geschenk im üblichen und sozial adäquaten Rahmen handelt, so hat er die Angelegenheit
der Geschäftsleitung anzuzeigen und ggf. eine Entscheidung hierüber einzuholen.
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, dem Arbeitgeber jegliche Angebote von Geschenken, Gefälligkeiten
oder Zuwendungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses anzuzeigen.
[Ggf., sofern im Unternehmen vorhanden: im Übrigen gelten die Vorschriften des Code of Conduct/
der unternehmensinternen Verhaltensrichtlinien.]
Weiss-Bölz
F. Antidiskriminierung 169
F. A
ntidiskriminierung
I. R
echtliche Erläuterungen
Das AGG wurde im August 2006 eingeführt und enthält ein Diskriminierungsverbot 101
aufgrund der dort genannten verpönten Merkmale. Es sind demnach Benachteiligun-
gen wegen aller in § 1 AGG genannten Merkmale verboten, also wegen der Rasse oder
wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.94
Entsprechend den Regelungen im AGG ist der Arbeitgeber nach § 12 AGG verpflich- 102
tet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierungen zu treffen. Aus
diesem Grund kann es sich anbieten, eine vertragliche Klausel in den Arbeitsvertrag
aufzunehmen, um dem Arbeitnehmer zum einen die Regelungen und Gebote des AGG
aufzuzeigen, zum anderen aber auch deshalb, dass der Arbeitgeber im Falle eines
Verstoßes darlegen kann, hier eine erforderliche Maßnahme zum Schutz vor Diskri-
minierung getroffen zu haben.
Es muss aber gleichwohl beachtet werden, dass allein eine Regelung im Arbeits- 103
vertrag nicht ausreichend ist, damit der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach dem
AGG in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Der Arbeitgeber ist nämlich auch
nach den gesetzlichen Regelungen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AGG) gehalten, die Mitarbeiter in
dieser Hinsicht entsprechend zu schulen. Arbeitgeber, die die vorbeugenden und prä-
ventiven Maßnahmen unterlassen, begeben sich in das Risiko, bei Diskriminierungs-
handlungen in ihrem Unternehmen für das Fehlverhalten der Arbeitnehmer zu Ver-
antwortung gezogen zu werden. Insofern ist eine dahingehende Regelung geboten,
sollte jedoch nicht die einzige Maßnahme zur Antidiskriminierung darstellen.
Klauselmuster
Das Unternehmen weist den Mitarbeiter hiermit ausdrücklich darauf hin, dass jede Diskriminierung
von Mitarbeitern und Dritten wegen ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer
Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihres Alters oder der sexuellen Identität, jede Be-
lästigung oder sexuelle Belästigung im Zusammenhang mit diesen Merkmalen verboten ist und von
dem Unternehmen nicht geduldet wird. Ein Verstoß des Mitarbeiters gegen das Diskriminierungsver-
bot stellt zugleich eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten des Mitarbeiters dar.
Weiss-Bölz
170 Kapitel 5 Nebenpflichten
I. R
echtliche Ausführungen
1. Gesetzliche Vorgaben
104 Das BDSG spielt im Arbeitsverhältnis eine wesentliche Rolle, so dass bei der Daten-
verarbeitung Beschäftigte nicht-öffentlicher Stellen auf das Datengeheimnis nach § 5
Satz 2 BDSG zu verpflichten sind. Nicht-öffentliche Stellen sind dabei gemäß § 2 Abs. 4
Satz 1 BDSG natürliche und juristische Personen, Gesellschaften und andere Perso-
nenvereinigungen des privaten Rechts, soweit sie nichtöffentliche Stellen i. S. d. § 2
Abs. 1 bis 3 BDSG sind oder hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung i. S. d.
§ 2 Abs. 4 Satz 2 BDSG wahrnehmen. Insofern ist eine solche Verpflichtung gesetzlich
vorgeschrieben. Mit der Verpflichtung wird der Zweck verfolgt, den bei der Daten-
verarbeitung beschäftigten Personen die besonderen Pflichten ausdrücklich aufzu-
erlegen und sie darauf hinzuweisen, so dass sich eine gesonderte Vereinbarung in
schriftlicher Form anbietet.
105 Da mit einer entsprechenden Vereinbarung der Schutzweck des BDSG erreicht
werden soll und hier besonders sensible Daten betroffen sind, sollte der Personen-
kreis, der bei der Datenvereinbarung beschäftigt ist, extensiv ausgelegt werden.95 Es
ist somit allein eine faktische Möglichkeit des Zugangs zu und der Verwendung von
personenbezogenen Daten ausreichend. Dies sollte bei einer entsprechenden Ver-
pflichtung berücksichtigt werden, insbesondere um nicht aufgrund einer fehlenden
Vereinbarung etwaige Verletzungen gesetzlicher Vorschriften begangen zu haben. Es
können also auch Boten und Mitarbeiter der EDV-Abteilung sowie Reinigungskräfte,
die für die Entsorgung von Unterlagen mit personenbezogenen Daten zuständig sind,
von der Regelung umfasst sein.96 Die Qualifizierung des Beschäftigungsverhältnisses
ist dabei unerheblich, es ist also nicht entscheidend, ob es sich um einen Arbeitneh-
mer, eine arbeitnehmerähnliche Person oder gar um einen freien Mitarbeiter handelt.
106 Nach dem Gesetzeswortlaut soll die Verpflichtung bei Aufnahme der Tätig-
keit erfolgen. Darunter wird in der Regel der Arbeitsbeginn beim Unternehmen zu
verstehen sein, kann jedoch auch erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses bei einem
Arbeitsplatzwechsel erfolgen. Insofern kann sich eine Regelung bei Abschluss des
Arbeitsvertrages bereits anbieten. Bestimmte Vorgaben ergeben sich ggf. auch aus
Compliance-Richtlinien entsprechender Unternehmen. Nach den gesetzlichen Rege-
lungen besteht das Datengeheimnis auch nach Beendigung der Tätigkeit fort.97
Weiss-Bölz
G. Verpflichtung auf das Datengeheimnis 171
2. H
inweise zur Vertragsgestaltung
Die Verpflichtungserklärung ist an keine besondere Form gebunden, aus Beweiszwe- 107
cken bietet sich aber auch hier eine schriftliche Erklärung an.
Da die Verpflichtung auf das Datengeheimnis gesetzlich vorgeschrieben und 108
besonders hervorgehoben sein sollte, ist davon abzuraten, diese in den Text des
Arbeitsvertrages einzufügen, da hier die Gefahr besteht, dass der Text überlesen wird.
Es bietet sich vielmehr an eine gesonderte Vereinbarung zu treffen, die zusammen
mit dem Arbeitsvertrag ausgehändigt wird. Bei der Übergabe sollte der Arbeitnehmer
im Übrigen auch nochmals mündlich auf die Verpflichtungen hingewiesen werden,
damit der Arbeitgeber seinen Pflichten aus dem BDSG gerecht wird. Es bietet sich
auch an, zusätzlich ein Merkblatt sowie ein Abdruck der einschlägigen Vorschriften
des Bundesdatenschutzgesetzes mit auszuhändigen.
II. Klauselvorschlag
Ein Muster für eine solche Verpflichtung auf das Datengeheimnis könnte etwa wie 109
folgt aussehen:
Klauselmuster
Verpflichtung auf das Datengeheimnis (§ 5 BDSG)
(Name und Geschäftsanschrift des Unternehmens)
verpflichtet
(Name und Privatanschrift des Mitarbeiters)
wie folgt auf das Datengeheimnis:
1. Gemäß § 5 Satz 2 BDSG verpflichtet sich der Mitarbeiter, das Datengeheimnis zu wahren, das
heißt, personenbezogene Daten, also Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhält-
nisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, nicht unbefugt zu erheben, zu
verarbeiten oder zu nutzen. Dies erfasst das unbefugte Beschaffen, Speichern, Verändern, Über-
mitteln, Sperren, Löschen sowie jegliche sonstige Verwendung personenbezogener Daten.
2. Das Datengeheimnis besteht auch nach der Beendigung der Tätigkeit des Mitarbeiters, zum Bei-
spiel durch Arbeitsplatzwechsel oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, fort.
3. Das Unternehmen fordert den Mitarbeiter auf, diese Verpflichtung gewissenhaft zu erfüllen.
4. Der Mitarbeiter wird darauf hingewiesen, dass Verstöße gegen das Datengeheimnis insbeson-
dere gemäß §§ 43, 44 BDSG strafbewehrt sind und mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft
werden können. Verstöße gegen das Datengeheimnis können auch Schadensersatzansprüche
gegenüber dem Mitarbeiter begründen und arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündi-
gung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen.
5. Die Möglichkeit des Mitarbeiters, sich bei Zweifeln über das Datengeheimnis an seinen Vorge-
setzten oder den betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu wenden, bleibt hiervon unberührt.
6. Die sich aus dem Arbeitsvertrag, sonstigen Vereinbarungen sowie gesetzlichen Regelungen er-
hebenden Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten bleiben von dieser Verpflichtung
unberührt.
Ort, Datum
(Unterschrift des Unternehmens)
Weiss-Bölz
172 Kapitel 5 Nebenpflichten
Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich die vorstehende Verpflichtung auf das Datengeheimnis
(§ 5 BDSG) erhalten, gelesen und verstanden habe.
Ort, Datum
(Unterschrift des Mitarbeiters)
H. D
atenschutzerklärung
I. R
echtliche Erläuterungen
1. Z
ustimmung zur Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe personenbezogener
Daten
110 Wie bereits ausgeführt, sind das Datenschutzgesetz und auch Daten generell im heu-
tigen Rechtsverkehr ein besonders sensibles Thema und nicht selten Gegenstand
zahlreicher Bespitzelungs- und Datenskandale.
111 Im BDSG ist im § 4 geregelt, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung per-
sonenbezogener Daten nur zulässig ist, soweit das BDSG oder eine andere Rechts-
vorschrift dies erlaubt. Die Anforderungen an diese Erklärung regelt § 4a BDSG.98
Danach muss eine Einwilligung schriftlich erteilt werden. Sofern die Einwilligung
zusammen mit anderen Erklärungen erteilt wird, so muss sie gesondert hervorgeho-
ben werden. Insofern ist es ratsam, auch hier eine explizite gesonderte Vereinba-
rung zum Arbeitsvertrag zu treffen. Die Einwilligung muss grundsätzlich auch frei-
willig sein, so dass die Erklärung nicht zeitgleich mit Abschluss des Arbeitsvertrags
abgegeben werden sollte.99
2. § 32 BDSG
112 Obgleich seit 01.09.2009 eine neue Vorschrift im BDSG aufgenommen wurde, konkret
§ 32 BDSG, wonach personenbezogene Daten eines Beschäftigen für Zwecke des
Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden können, wenn
dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses
oder für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist, sollte gleichwohl an
einer expliziten Einwilligung durch den Arbeitnehmer festgehalten werden. Die Rege-
lung des § 32 BDSG wird insgesamt nämlich als kritisch beurteilt, da viele vage Rechts-
98 Künftig sollten auch die Entwicklungen zur EU-Datenschutz-Grundverordnung, die Anfang 2018
in Kraft treten soll, beobachtet werden. Damit soll das Datenschutzrecht innerhalb Europas verein-
heitlicht werden. Die Grundverordnung, die am 14. April 2016 durch das EU-Parlament beschlossen
wurde, ist in allen Mitgliedstaaten nach einer entsprechenden Übergangsphase direkt geltendes
Recht. Informationen hierzu unter www.datenschutz-grundverordnung.eu.
99 Vgl. auch BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13; MaSiG/Göpfert, 1. Teil Rn. 253.
Weiss-Bölz
I. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Verschwiegenheitsklausel 173
II. Klauselvorschlag
Klauselmuster
Erklärung des Mitarbeiters zur Speicherung und Verwendung seiner Daten
Herr/Frau … stimmt hiermit der Speicherung, Verarbeitung und Übermittlung seiner/ihrer personen-
bezogenen Daten zu, soweit dies für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt. Konkretisieren
hinsichtlich des Zweckes der Verwendung der Daten, bspw. für Lohn- und Gehaltsabrechnung. Diese
Zustimmung umfasst auch die Weitergabe personenbezogener Daten an mit dem Arbeitgeber verbun-
dene Unternehmen, auch im Ausland, und die Speicherung sowie die Verarbeitung der personenbe-
zogenen Daten bei diesen Unternehmen.
Gesetzliche Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Verarbeitung oder Übermittlung personenbezoge-
ner Daten bleiben hiervon unberührt.
Ort, Datum
(Unterschrift des Mitarbeiters)
I. W
ahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen,
Verschwiegenheitsklausel
I. R
echtliche Ausführungen
Ebenso wie der Arbeitnehmer sich bei einer Nebentätigkeit auf das Grundrecht der 113
Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann, gewährleistet dieses Grundrecht
für den Arbeitgeber auch den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.101
Für den Arbeitgeber ist es oftmals sehr wichtig, dass exklusives Wissen und Betriebs-
geheimnisse im Betrieb verbleiben, da diese nicht selten sogar die Basis unterneh-
merischer Geschäftsmodelle darstellen und demnach für den Arbeitgeber ein großes
Potenzial darstellen.
Da der Arbeitgeber den Unternehmenszweck nicht allein, sondern nur mit den 114
Arbeitnehmern verwirklichen kann, ist es zur Erfüllung der Aufgaben der Arbeitneh-
mer auch erforderlich, dass diese gewisse Geheimnisse erfahren und bei ihrer Arbeit
einsetzen. Dadurch besteht natürlich auch die Gefahr eines Wissensabflusses durch
die Weitergebe von Informationen an Dritte während, aber insbesondere auch nach
Weiss-Bölz
174 Kapitel 5 Nebenpflichten
1. Gesetzliche Regelungen
116 Der Gesetzgeber hat das Interesse des Unternehmers erkannt, so dass es hierzu auch
zahlreiche gesetzliche Regelungen gibt, insbesondere was Immaterialgüterrechte
wie Patente, Gebrauchs- und Geschmacksmuster sowie Urheberrechte anbelangt.
Durch die gesetzlichen Vorschriften wird der Arbeitgeber also bereits in gewisser Hin-
sicht geschützt. So bestehen etwa folgende Regelungen:
119 – Diensterfindungen
Nach § 24 Abs. 2 ArbnErfG haben Arbeitnehmer Diensterfindungen so lange geheim
zu halten, wie diese noch nicht freigeworden sind. Frei geworden ist eine Dienster-
findung nach § 8 Satz 1 ArbnErfG dann, wenn der Arbeitgeber sie durch Erklärung
in Textform freigibt. Es kann sich demnach empfehlen, den Arbeitnehmer auf das
Erfordernis einer formgebundenen Freigabeerklärung aufmerksam zu machen. Etwa
durch die Aufnahme einer deklaratorischen Vertragsklauseln oder einem Informati-
onsschreiben. Verletzt der Arbeitnehmer dann die Geheimnispflicht, so können wie-
derum Schadensersatzansprüche entstehen.
Weiss-Bölz
I. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Verschwiegenheitsklausel 175
– Datengeheimnis 120
Nach § 5 Satz 2 BDSG sind Arbeitnehmer, die mit der Datenverarbeitung befasst sind,
auf das Datengeheimnis zu verpflichten, welches gemäß § 5 Satz 3 BDSG auch nach
Beendigung der Tätigkeit fortbesteht.104
Weiss-Bölz
176 Kapitel 5 Nebenpflichten
3. A
rbeitsvertragliche Regelungen
124 Da die gesetzlichen Regelungen aber meist nicht ausreichend sind im Verhältnis
Arbeitgeber – Arbeitnehmer sowie aufgrund der Tatsache, dass die Grenzen, wann
die gesetzlichen Regelungen greifen und wann nicht, oftmals nicht klar sind, sollten
in einem Arbeitsvertrag Verschwiegenheitsklauseln aufgenommen werden. Wie
auch bei den Nebentätigkeiten111 ist hier ebenfalls zu beachten, dass ohnehin eine
vertragsimmanente Nebenpflicht des Arbeitnehmers besteht, auf die Interessen des
Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Die Schweigepflicht des Arbeitnehmers stellt
demnach eine zentrale Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dar.112
125 Weil den Arbeitnehmer eine allgemeine Verschwiegenheitspflicht aber nur für
die Dauer des Arbeitsverhältnisses betrifft, also vom Abschluss des Arbeitsvertrags
bis zu seiner Beendigung, sollten und können auch nachvertragliche Geheimhal-
tungspflichten vereinbart werden.113
a) Geheimhaltungswille
126 In der Praxis muss weiter beachtet werden, dass nur solche Tatsachen die Verschwie-
genheitspflicht erfassen, die nach dem erkennbaren Willen des Arbeitgebers geheim
zu halten sind.114 Hieran fehlt es in der Praxis häufig, obgleich die Anforderungen
daran nicht hoch sind. Eine vertragliche Verschwiegenheitspflicht besteht bereits
dann, wenn sich der Geheimhaltungswille aus der Natur der geheim zuhaltenden
Sache ergibt.115 Ggfs. sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die Geheimhal-
tungsbedürftigkeit hinweisen, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen.
Weiss-Bölz
I. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Verschwiegenheitsklausel 177
würde, diese vertraulichen Angaben aber immer noch der weiterreichenden arbeits-
vertraglichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen können.
c) Whistleblowing
Die Offenbarung rechtswidriger Vorgänge, vor allem gegenüber öffentlichen Stellen, 128
Journalisten oder gar im Internet, kann eine Verletzung der arbeitsvertraglichen
Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB darstellen und die entsprechenden zivil-
rechtlichen Folgen nach sich ziehen. Dies wird derzeit häufig unter dem Stichwort
Whistleblowing diskutiert.
Das BAG hat sich zum Whistleblowing bereits geäußert und ausgeführt, dass sich 129
die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dahin zu konkretisieren hätten, dass
sich eine Anzeige nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des
Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellen dürfe. Als Indizien dafür könnten
sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder
ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen.118
Betont hat das BAG allerdings, dass der innerbetrieblichen Klärung nicht generell der
Vorrang gebühre. Es hat weitere Grundsätze aufgestellt, dass eine vorherige Meldung
und Klärung unzumutbar für den Arbeitnehmer sei, wenn er Kenntnis von Strafta-
ten erhalte, durch deren Nichtanzeige er sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen
würde. Entsprechendes solle bei schwerwiegenden Straftaten oder vom Arbeitgeber
selbst begangenen Straftaten gelten. Da eine Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwar-
ten sei, treffe den Arbeitnehmer nach Auffassung des BAG ebenfalls keine Pflicht zur
innerbetrieblichen Klärung.119 Einschränkend hat das BAG allerdings darauf hingewie-
sen, dass etwas anderes dann gelten dürfte, wenn nicht der Arbeitgeber, sondern ein
Mitarbeiter seine Pflichten verletzt oder sich strafbar gemacht habe. In solchen Fällen
erscheine es eher zumutbar vom Arbeitnehmer, auch wenn ein Vorgesetzter betroffen
sei, vor einer Anzeigenerstattung einen Hinweis an den Arbeitgeber zu verlangen.
Der EGMR hat ähnlich wie das BVerfG die Maßstäbe dahingehend angelehnt, 130
dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit120 erfasst sei, wenn ein Arbeitnehmer
aufgrund der illegalen Aktivitäten seines Arbeitgebers gegen diesen eine Strafanzeige
einreiche. Insofern müsse eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitneh-
mers, seiner freien Meinungsäußerung sowie der gegenüber dem Arbeitgeber beste-
henden Loyalitätspflicht erfolgen. Es sei generell von einem Vorrang einer innerbe-
trieblichen Lösung auszugehen, der nur in aussichtslosen Situationen durchbrochen
werden dürfte.121
Weiss-Bölz
178 Kapitel 5 Nebenpflichten
131 Für die Vertragsgestaltung ist demnach zu beachten, dass von Klauseln abzura-
ten ist, die den Eindruck erwecken, der Arbeitnehmer sei niemals berechtigt ohne
Zustimmung des Arbeitgebers Informationen an Dritte weiterzugeben. Insofern sollte
der Arbeitgeber vielmehr darauf hinwirken, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit
hat, Hinweise auf etwaige Missstände vertrauensvoll an eine Stelle im Unternehmen
wenden zu können, damit diese möglichst intern aufgearbeitet werden können.
4. Vertrauliche Angaben
132 Wie bereits ausgeführt, sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ohnehin geheim
zu halten. Dies schränkt den Arbeitgeber aber grundsätzlich nicht in seiner Befug-
nis ein, dass der Arbeitnehmer auch sog. vertrauliche Angaben gegenüber Dritten
nicht kommunizieren darf.122 Die unterliegen zwar nicht dem Geheimnisschutz, sie
werden aber von einer arbeitsvertraglichen Schweigepflicht erfasst und dürfen dem-
entsprechend vom Arbeitnehmer grundsätzlich auch nicht offenbart werden. Der
Begriff der vertraulichen Angaben wird im AktG in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geregelt.
Darunter versteht man solche Angaben, die dem Arbeitnehmer im Zusammenhang
mit dem Arbeitsverhältnis bekannt werden, deren Geheimhaltung dem erkennbaren
Willen und einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers entspricht.123 Der Arbeitge-
ber hat die Möglichkeit im Rahmen der Ausübung seines Direktionsrechts bestimmte
Angaben als geheim und vertraulich zu bezeichnen. Ein berechtigtes Interesse kann
sich in erster Linie aus wirtschaftlichen Zusammenhängen ergeben. Obgleich die
Verpflichtung vertrauliche Angaben geheim zu halten, sich bereits aus allgemeinem
Arbeitsrecht ergibt, bietet sich eine Klausel an, in dem das Pflichtenprogramm schrift-
lich fixiert ist und dem Arbeitnehmer in dieser Weise auch explizit vor Augen führt.
Weiss-Bölz
I. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Verschwiegenheitsklausel 179
voraus, so dass die Verletzung der Schweigepflicht nicht per se als Kündigungsgrund
in Betracht kommt.
Ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht von Betriebs- und Geschäfts- 135
geheimnissen stellt allerdings grundsätzlich einen wichtigen Grund im Sinne des
§ 626 BGB für eine außerordentliche Kündigung dar.126 Hier kann auch im Einzelfall
eine Abmahnung entbehrlich sein. Für den Arbeitnehmer ist der Verrat von Geschäfts-
und Betriebsgeheimnissen auch in strafrechtlicher Hinsicht problematisch, da eine
Bestrafung wegen Geheimnisverrats (§ 17 UWG) im Raume stehen kann, wobei es sich
dabei allerdings um ein Antragsdelikt handelt. Im Übrigen bestehen auch hier Unter-
lassungs- und Schadensersatzansprüche.
Weiss-Bölz
180 Kapitel 5 Nebenpflichten
138 Sofern Arbeitnehmer konzernweit tätig sind, kann ggfs. auch eine konzernweite
Verschwiegenheitsklausel in Betracht kommen. Grundsätzlich ist dabei zu beachten,
dass jedes Unternehmen für den Schutz seiner Wirtschaftsgeheimnisse selbst ver-
antwortlich ist. Insbesondere in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer unterneh-
mensübergreifend im Konzern eingesetzt wird, besteht ein erhöhtes Interesse an der
Einbeziehung verbundener Unternehmen in den arbeitsvertraglichen Geheimnis-
schutz. Dies ist auch gesetzlich anerkannt, wie sich aus § 5 Nr. 7 StGB ergibt. Bei der
Verletzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, das von einem Unternehmen
im Inland abhängig ist, das mit diesem einen Konzern bildet, ordnet das StGB die
Geltung des deutschen Strafrechts an.
139 Insofern ist eine Erweiterung der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht
auf Geheimnisse konzernmäßig verbundener Unternehmen in der Regel möglich.
Besteht allerdings keine vergleichbare enge rechtliche Verflechtung zwischen den
Unternehmen, so besteht grundsätzlich kein höheres Geheimhaltungsinteresse als
gegenüber jedem anderen Dritten.
140 Im Übrigen können auch Vertragsstrafeklauseln aufgenommen werden, die im
Falle der Zuwiderhandlung zum Tragen kommen. Durch eine solche Vertragsstrafen-
regelung wird im Übrigen ein gewisses Druckmittel zur ordnungsgemäßen Einhal-
tung des Vertrages ausgeübt. In jedem Fall sollte aber die Vertragsstrafe gesondert
hervorgehoben werden oder in einer separaten Klausel Vertragsstrafenregelungen
aufgenommen werden, da andernfalls Transparenzgesichtspunkte entgegenstehen
könnten.
Klauselmuster
1. Der/Die Mitarbeiter/in verpflichtet sich, über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der
Firma Stillschweigen zu bewahren. Hierzu zählen vor allen Einzelheiten über … [es folgt eine
abstrakte Umschreibung der geheimzuhaltenden Tatsachen]. Der/Die Mitarbeiter/in wird dar-
auf hingewiesen,dass Geheimnisverrat nach dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (§ 17
UWG) strafbar ist.
2. Die Schweigepflicht erstreckt sich auch auf Angelegenheiten anderer Firmen, mit denen das Un-
ternehmen wirtschaftlich oder organisatorisch verbunden ist.
3. Der/Die Mitarbeiter/in ist auch zur Geheimhaltung solcher Tatsachen verpflichtet, die ihm/ihr
von der Geschäftsleitung ausdrücklich als vertraulich bekannt gegeben werden oder deren Ge-
heimhaltungsbedürftigkeit sonst für ihn/sie erkennbar ist.
4. Der/Die Arbeitnehmer/in ist nicht berechtigt, sich eigenmächtig von der Schweigepflicht frei-
zustellen. Der Arbeitgeber wird ihn/sie ausdrücklich von der Geheimhaltungspflicht befreien,
soweit dies zur Wahrung überwiegender Interessen notwendig ist.
5. Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht kann eine Kündigung rechtfertigen sowie Scha-
densersatzpflichten auslösen.
6. Die Geheimhaltungspflicht besteht auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.129
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 181
J. N
utzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen
(E-Mail und Telefon)
I. R
echtliche Ausführungen
Heutzutage ist der Einsatz von Telekommunikationsmitteln im Rahmen eines Arbeits- 141
verhältnisses nicht mehr wegzudenken. Auch wenn die Arbeitsverhältnisse aufgrund
der Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung von unterschiedlichen Telekom-
munikationsmitteln des Arbeitgebers differenziert ausgestaltet sind, so dass generell
Telekommunikationsmittel des Arbeitgebers genutzt werden. Diese stehen im Eigen-
tum des Arbeitgebers,130 so dass dieser im Rahmen seines Direktionsrechts zum einen
die Nutzung dieser Telekommunikationsmitteln anweisen, zum anderen aber auch
über die konkrete Art und Weise der Nutzung entscheiden kann.131 Verbunden damit
ist eine Vielzahl von arbeits- und datenschutzrechtlichen Problemen, weshalb sich
eine Klausel im Arbeitsvertrag in jedem Fall anbietet. In Betracht kommen aber auch
Betriebsvereinbarungen, da der Betriebsrat zumindest bei der Einführung von tech-
nischen Überwachungseinrichtungen oder aber bei Fragen der Ordnung des Betriebs
ein Mitbestimmungsrecht hat.132 Ungeachtet dessen, dass der Arbeitgeber im Falle
einer konkreten Überlassung bestimmter Telekommunikationsmittel, bspw. einem
Diensthandy, eine gesonderte Regelung treffen kann, bietet sich eine allgemeine
Klausel im Arbeitsvertrag an.
130 Zur Herausgabe von Firmeneigentum siehe auch Kap. 8 Rn. 1 ff.
131 Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht/Hegewald Teil 8 B II.1 a) Rn. 12.
132 ErfK/Kania § 87 BetrVG Rn. 62; Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht/Hegewald Teil 8 B II.1 a)
Rn. 13.
133 Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht/Hegewald Teil 8 B II.1 a) Rn. 15.
Weiss-Bölz
182 Kapitel 5 Nebenpflichten
143 Streit besteht in der Praxis häufig dann, wenn keine Regelung im Vertrag oder
anderweitig existiert. Gerade im Bereich der Privatnutzung von E-Mail und Internet-
diensten werden verschiedene Ansichten vertreten. Einige Instanzgerichte sind der
Auffassung, dass die Privatnutzung des Internets eine sozialtypische Erscheinung
sei.134 Diese Ansicht will aus der sozialtypischen Erscheinung schließen, dass ohne
ein ausdrückliches Verbot durch den Arbeitgeber der Arbeitnehmer davon ausgehen
könne, er sei mit der Privatnutzung einverstanden, zumindest dulde er dies. Das BAG
hat dieser Ansicht vehement und ausdrücklich in seiner Entscheidung vom 07.07.2005
widersprochen.135 Das BAG führte vielmehr aus, dass nicht ersichtlich sei, woraus
sich eine Sozialadäquanz der privaten Internetnutzung ergeben solle, so dass nicht
von der Duldung oder Zustimmung einer Privatnutzung in diesen Fällen auszugehen
sei.136
144 Für den Arbeitgeber ist demnach von zentraler Bedeutung, ob eine Privatnutzung
generell ausgeschlossen oder ob eine Privatnutzung zumindest in Teilen gestattet
werden soll, um auch den Interessen des Arbeitnehmers und dem heutigen Arbeits-
leben gerecht zu werden. Etwaige Regelungen und Gestattungen einer Privatnutzung
haben aber weitreichende Folgen, insbesondere in arbeitsrechtlicher- und daten-
schutzrechtlicher Hinsicht, so dass sich der Arbeitgeber zuvor über die Konsequen-
zen bewusst sein sollte.
145 Es empfiehlt sich in jedem Fall eine Regelung, wie mit den Telekommunikations-
mitteln umzugehen ist, da Probleme bei einer „Nichtregelung“ auftauchen können
und insbesondere auch die Thematik einer betrieblichen Übung sodann auftreten
könnte. Durch etwaige Regelungen sind diese Probleme von Anfang an ausgeschlos-
sen und insbesondere wird einer betrieblichen Übung entgegengewirkt.
134 Vgl. LAG Köln, Urt. v. 11.02.2005 – 6 ARZ 36/05; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.07.2004 – 7 Sa
1243/03.
135 Vgl. BAG, Urt. v. 07.07.2005 – 2 AZR 581/04; ebenso LAG Hamm, Beschl. v. 07.04.2006 – 10 TABv
1/06.
136 Vgl. BAG, Urt. v. 07.07.2005 – 2 AZR 581/04.
137 Vgl. BAG, Beschl. v. 27.05.1986 – 1 ABR 48/84.
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 183
ausnahmsweise einer dienstlichen Nutzung gleich. Als Beispiel hierfür kann genannt
werden, wenn der Arbeitnehmer etwa Familienangehörige über das Telefon des
Arbeitgebers informiert, dass die Heimkehr aus dienstlichen Gründen etwas später
als geplant erfolge.138
Obgleich die Privatnutzung ausgeschlossen werden kann, hat der Arbeitnehmer 147
in dringenden Fällen ein Recht darauf, die Telekommunikationsmittel auch privat zu
nutzen. Dies folgt auch aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht des Arbeitgebers,
auf wesentliche Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Es muss sich
allerdings auch tatsächlich um Notsituationen handeln und die Nutzung darf sich
nicht auf die Freizeit verschieben lassen.
Klauselbeispiel:
Die Nutzung der betrieblichen Telekommunikationsanlagen (Telefon, Fax, Internet, E-Mail …) darf
ausschließlich zu dienstlichen Zwecken erfolgen. Eine private Nutzung durch den Arbeitnehmer ist
grundsätzlich nicht gestattet [ggfs. Ergänzung: Die dienstlich veranlasste Privatnutzung sowie die
Privatnutzung der Telekommunikationsanlagen in dringenden Fällen (Notsituationen, Pflichtenkolli‑
sionen und besonderer Eilfälle), sind hingegen zulässig, jedoch auf das unbedingt erforderliche Maß
zu beschränken].
Weiss-Bölz
184 Kapitel 5 Nebenpflichten
151 Hier spielt vor allen auch die Thematik der betrieblichen Übung eine Rolle,
denn die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass in solchen Fällen auch eine
betriebliche Übung entstehen könnte.140 Unter einer betrieblichen Übung versteht
die Rechtsprechung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen
des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine
Leistung oder Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden.141 Auch wenn an eine
betriebliche Übung hier hohe Anforderungen zu stellen sind, sollte durch eine kon-
krete Regelung eine betriebliche Übung verhindert werden. Allein bereits aufgrund
der Aufgabe der Rechtsprechung des BAG zu gegenläufigen betrieblichen Übungen142
ist eine Abkehr von einer verfestigten betrieblichen Übung in der Praxis nur schwer
möglich, ggfs. müsste eine Änderungskündigung ausgesprochen werden. Insofern ist
an Unternehmer zu empfehlen, eine konkrete Vereinbarung zu treffen.
152 Eine Missbrauchsgrenze kann ebenfalls eindeutig festgelegt werden, die dann in
einem etwaigen Streit des Verfahrens den Maßstab für die arbeitsrechtlichen Sank-
tionen von Pflichtverletzungen bestimmen kann. Der Umfang sollte ebenfalls mög-
lichst detailliert geregelt werden, damit dem Arbeitnehmer bewusst ist, was und in
welchem Umfang erlaubt sein soll. So können bspw. die Zeiten außerhalb der Arbeits-
zeit, also vor und nach Dienstschluss sowie Pausenzeiten dafür vorgesehen werden;
denkbar sind aber auch Klauseln, die ein maximales Zeitvolumen konkret aufzeigen.
153 Weiter beachtet werden muss bei einer (eingeschränkten) Gestattung der Pri-
vatnutzung, dass die Erlaubnis dann auch einen gewissen Bestandschutz genießt,
so dass der Arbeitgeber davon nicht ohne weiteres mehr wegkommt, ggfs. nur unter
Beachtung der Voraussetzungen für eine Änderungskündigung. Insofern bietet es
sich auch an, hier einen Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt aufzunehmen. Auf-
grund der jüngeren Rechtsprechung des BAG zu den Wirksamkeitsbedenken einer
Freiwilligkeitsvorbehaltsklausel sollte auf einen Widerrufsvorbehalt zurückgegriffen
und konkrete Gründe für einen Widerruf aufgenommen werden.143
Klauselvorschlag
1. Die im Betrieb vorhandenen Telekommunikationsmittel (Telefon, Internet und E-Mail … [Alterna‑
tiv ist auch eine differenzierte Behandlung der einzelnen Kommunikationsmitteln möglich]) dür-
fen grundsätzlich nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden. Eine private Nutzung durch den
Arbeitnehmer ist nur in angemessenem Umfang und nur außerhalb der Arbeitszeit, etwa in den
Pausen und nach Ende der täglichen Arbeitszeit, erlaubt. Die private Nutzung darf … Minuten pro
Tag aber nicht überschreiten.
140 Vgl. Küttner, Internet und Telefonnutzung, Rn. 4; Preis II I 10 Rn. 10; näher dazu auch Münchener
Anwaltshandbuch IT-Recht/Hegewald, Teil 8 B II.1 c) Rn. 59 ff.
141 Vgl. BAG, Urt. v. 24.06.2003 – 9 AZR 302/02; BAG, Urt. v. 27.06.2006 – 3 AZR 151/05.
142 BAG, Urt. v. 18.03.2009 – 10 AZR 281/08.
143 Vgl. dazu auch Kap. 4 Rn. 242.
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 185
2. Das Abrufen, Anbieten oder Verbreiten von rechtswidrigen Inhalten, insbesondere solchen, die
gegen strafrechtliche, persönlichkeitsrechtliche, lizenz- oder urheberrechtliche Bestimmungen
verstoßen, ist für alle Telekommunikationsanlagen streng verboten.
Das Abrufen, Anbieten oder Verbreiten von politischen, diskriminierenden, herabwürdigenden
oder verfassungsfeindlichen Inhalten, insbesondere rassistischer oder pornographischer Art ist
für alle Telekommunikationsanlagen streng verboten.
3. Die Erlaubnis zur privaten Nutzung erfolgt unter dem ausdrücklichen Vorbehalt eines jederzeit
möglichen Widerrufs. Das Recht auf private Nutzung kann widerrufen werden, wenn eine miss-
bräuchliche Nutzung (Abruf von Seiten mit pornographischem Inhalt, Überschreitung des Nut-
zungsumfangs, Herunterladen urheberrechtlich geschützter Dateien, Öffnung von Sicherheits-
risiken für die Firma, etwa durch Herunterladen von virenverseuchten Dateien, und ähnliches)
festgestellt wurde.
144 ErfK/Kania § 87 BetrVG Rn. 62; Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht/Hegewald Teil 8 B II.1 a)
Rn. 13.
Weiss-Bölz
186 Kapitel 5 Nebenpflichten
lungen zu dieser Thematik liegen trotz mehrfacher Ankündigung und Vorschläge der
Politik bislang (noch) nicht vor, so dass es bei den bisherigen Regelungen des BDSG
verbleibt.
158 Gemäß dem § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 3 Abs. 2 BDSG findet das BDSG zum Schutz der perso-
nenbezogenen Daten bei der automatisierten Verarbeitung von Daten auf alle nicht-
öffentlichen Stellen Anwendung, zu denen auch der private Arbeitgeber zählt.145 Die
Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist nach dem Recht-
fertigungserfordernis des § 4 Abs. 1 BDSG nur ausnahmsweise zulässig, soweit das
BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift dies erlaubt oder anordnet oder der Betrof-
fene eine an die strenge Form des § 4a BDSG gebundene Einwilligung erklärt hat (sog.
präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt).146
159 Bei einer verbotenen Privatnutzung der betrieblichen Kommunikationsmittel
finden keine telekommunikationsrechtlichen Spezialgesetze Anwendung, so dass
Rechtfertigungsvorschriften nur im BDSG zu finden sind. Zentrale Rechtfertigungs-
norm stellt hier der bereits erwähnte § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dar, auch wenn dieser auf-
grund seiner unbestimmten Rechtsbegriffe nicht unumstritten ist. Dieser unterwirft
jeglichen Umgang mit Mitarbeiterdaten sowohl einer offen formulierten Bindung an
„Zweck des Beschäftigungsverhältnisses“ als auch einer Verhältnismäßigkeitsabwä-
gung. Es muss also erforderlich sein, die Daten zu erheben, zu verarbeiten oder zu
nutzen. Das Informationsinteresse des Arbeitgebers muss insofern das Arbeitneh-
merinteresse überwiegen. Letztlich kommt es auf eine Abwägung der für jede Partei
bestehenden Grundrechte an, also das Kontrollinteresse des Arbeitgebers einerseits
sowie das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung anderer-
seits.147 Es können sich hierbei eine Vielzahl von Fragen stellen, die in jedem Einzel-
fall besonders zu berücksichtigen sind.
160 Im Ergebnis ist aber zu beachten, dass es grundsätzlich immer hilfreich ist, sich
eine Parallele zur schriftlichen oder telefonischen dienstlichen Kommunikation zu
ziehen.148
161 Inhaltlich ist bei der Kontrolle der Telekommunikation von Arbeitnehmern Fol-
gendes zu beachten: Die Kontrolle des Gesprächsinhalts von Telefonaten ist grund-
sätzlich als unzulässiger Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers am eigenen
Wort und das Fernmeldegeheimnis anzusehen.149 Umstritten ist, ob das Erfassen,
Speichern und Nutzen des E-Mail-Inhalts über § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG gerechtfertigt
sein kann. Vergleicht man die E-Mail-Kommunikation mit einem Telefonat, so muss
eine inhaltliche Kontrolle aus den oben genannten Gründen ausscheiden. Dagegen
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 187
Weiss-Bölz
188 Kapitel 5 Nebenpflichten
nur der Inhalt der Telekommunikation, sondern auch die Tatsache, dass jemand an
einem Vorgang der Telekommunikation beteiligt war. Insofern sind die Kontrollbe-
fugnisse des Arbeitgebers hier ohne ausdrückliche Einwilligung des Arbeitnehmers
sehr eingeschränkt.
167 Im Ergebnis soll nach dieser Ansicht die gesamte E-Mail Korrespondenz des
Arbeitnehmers dem Arbeitgeber entzogen sein. Denn um zwischen privaten und
geschäftlichen E-Mails zu unterscheiden, müsste der Arbeitgeber einzelne E-Mails
bereits kontrollieren und würde dann gegen das strafbewährte Fernmeldegeheimnis
verstoßen.152
168 Die in jüngerer Vergangenheit zunehmend vertretene Auffassung tritt demgegen-
über und ist der Auffassung, dass das BDSG hier Anwendung findet und der Arbeit-
geber die Vorgaben dieses Gesetzes zu beachten hat, der Arbeitgeber also gerade kein
Telekommunikationsanbieter ist, wenn er seinen Mitarbeitern die private Nutzung
der betrieblichen E-Mail-Zugänge erlaubt.153 Da der Arbeitgeber nach dieser Auffas-
sung nicht als Diensteanbieter i. S. v. von TKG zu qualifizieren ist, kann dieser auch
nicht gegen das Fernmeldegeheimnis gem. § 88 TKG verstoßen. Diese Auffassung
findet sich zunehmend auch in der jüngeren Rechtsprechung.154 Eine höchstrichterli-
che Rechtsprechung zu der Frage existiert allerdings nicht, wobei die Tendenzen der
Instanzrechtsprechung sowie auch der zunehmenden Literatur nach der hier vertre-
tenen Auffassung die besseren Argumente liefern. Zum einen spricht dafür, dass der
Wortlaut des TKG recht unbestimmt ist, so dass aus dem Grundsatz, dass bei unklar
formulierten Vorschriften diese zunächst verfassungskonform auszulegen sind und
eine praktische Konkordanz nur im Rahmen einer Abwägung möglich ist und nicht
auf Basis eines strikten Zugriffsverbots. Zum anderen verbleibt auch kein schutzloser
Raum, da die datenschutzrechtlichen Vorgaben des § 32 BDSG nach wie vor maßgeb-
lich sind, so dass eine interessengerechte Abwägung stattfinden kann. Insofern ist die
letztgenannte Auffassung vorzugswürdiger.
169 Bis zu einer abschließenden Entscheidung bleibt die erlaubte Privatnutzung aber
gleichwohl ein Risiko für den Arbeitgeber, insbesondere was Kontroll- und Überwa-
chungsrechte anbelangt. Um das Risiko zu minimieren, bietet sich auch hier eine
ausdrückliche Einwilligungserklärung des Arbeitnehmers an.
170 Dann sind nämlich über die bereits dargelegten gesetzlichen Grenzen hinaus
Kontrollen der dienstlichen und privaten Telekommunikation am Arbeitsplatz zuläs-
sig.155 Es kann insofern eine Ergänzung dahingehend erfolgen, dass der Arbeitgeber
berechtigt ist, die Nutzung der Telekommunikationsanlagen (Telefon, Internet und
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 189
Weiss-Bölz
190 Kapitel 5 Nebenpflichten
Weiss-Bölz
J. Nutzung von Kommunikationseinrichtungen im Unternehmen (E-Mail und Telefon) 191
Klauselmuster
Für den Fall der betrieblichen Abwesenheit hat der Arbeitnehmer eigenverantwortlich eine automa-
tisierte Antwort (Auto-Reply) an den Absender eingehender E-Mails einzurichten, die den Absender
über die Abwesenheit des Arbeitnehmers informiert und ein Hinweis auf den zuständigen Vertreter
und dessen Telefonnummer enthält. Bei unvorhergesehener Abwesenheit (z. B. Krankheit) ist der
Systemadministrator durch den Vorgesetzten zu informieren, der die Funktion Auto-Reply für den be-
troffenen E-Mail-Account für die entsprechenden Informationen für die Absender eingehender E-Mail
aktiviert.
Klauselvorschlag
Es dürfen keine betriebsfremden Programme sowie über externe Datenträger oder das Internet auf die
Festplatte des Computers kopiert bzw. auf dem PC installiert werden. Auf Virenkontrolle ist zu achten.
Das Auftreten einer Störung, insbesondere eines Computervirus ist unverzüglich dem Systemadmi-
nistrator [ggfs. anderweitige Zuständigkeit] mitzuteilen.
II. K
lauselvorschlag für eine arbeitsvertragliche Regelung zum Umgang mit
Telekommunikationsanlagen des Arbeitgebers
Aufgrund der (noch) streitigen Gesichtspunkte in diesem Bereich wird vorgeschlagen, 180
die Privatnutzung insgesamt zu untersagen, da andernfalls die unter I. 2b) aufgezeig-
ten Problematiken bestehen. Dies muss selbstverständlich auch tatsächlich gelten.
Weiss-Bölz
192 Kapitel 5 Nebenpflichten
Klauselvorschlag
1. Die Nutzung der betrieblichen Telekommunikationsanlagen (Telefon, Fax, Internet und E-Mail …)
darf ausschließlich zu dienstlichen Zwecken erfolgen. Eine private Nutzung durch den Arbeit-
nehmer ist grundsätzlich nicht gestattet. Die dienstlich veranlasste Privatnutzung sowie die Pri-
vatnutzung der Telekommunikationsanlagen in dringenden Fällen (Notsituationen, Pflichtenkol-
lisionen und besondere Eilfälle) sind hingegen zulässig, jedoch auf das unbedingt erforderliche
Maß zu beschränken.
2. Die Online-Medien dürfen nur mit der vom Arbeitgeber zugeteilten persönlichen Zugangsberech-
tigung (User-ID) genutzt werden. Diese und das zugehörige Passwort dürfen nicht an Dritte wei-
tergegeben werden, es sei denn der Arbeitgeber ordnet Gegenteiliges an.
3. Es dürfen keine betriebsfremden Programme und Dateien über externe Datenträger oder das
Internet auf die Festplatte des Computers kopiert bzw. auf den PC installiert werden. Auf Viren-
kontrolle ist zu achten. Das Auftreten einer Störung, insbesondere eines Computervirus, ist un-
verzüglich dem Systemadministrator mitzuteilen.
4. Das Abrufen, Anbieten oder Verbreiten von rechtswidrigen Inhalten, insbesondere solchen, die
gegen strafrechtliche, persönlichkeitsrechtliche, lizenz- oder urheberrechtliche Bestimmungen
verstoßen, ist für alle Telekommunikationsanlagen streng verboten.
5. Das Abrufen, Anbieten oder Verbreiten von politischen, diskriminierenden, herabwürdigenden
oder verfassungsfeindlichen Inhalten, insbesondere rassistischer oder pornografischer Art, ist
für alle Telekommunikationsanlagen streng verboten.
6. Für den Fall der betrieblichen Abwesenheit hat der Arbeitnehmer eigenverantwortlich eine au-
tomatisierte Antwort (Auto-Reply) an den Absender eingehender E-Mails einzurichten, die den
Absender über die Abwesenheit des Arbeitnehmers informiert und einen Hinweis auf den zustän-
digen Vertreter und dessen Telefonnummer enthält. Bei unvorhersehbarer Abwesenheit (z. B.
Krankheit) ist der Systemadministrator durch den Vorgesetzten zu informieren, der die Funktion
Auto-Reply für den betroffenen E-Mail-Account mit den entsprechenden Informationen für die
Absender eingehender E-Mails aktiviert.
7. Verstöße gegen diese Vorschriften können arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündi-
gung des Arbeitsverhältnisses haben.
Weiss-Bölz
Kapitel 6
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Aufgrund der Natur des Arbeitsverhältnisses als sog. Dauerschuldverhältnis ist dieses 1
darauf ausgelegt, ab seinem Beginn für einen längeren bzw. unbestimmten Zeitraum
fortzubestehen. Ohne gesonderte Regelungen im Arbeitsvertrag würde ein Arbeitsver-
hältnis mithin bis zum Tode des Arbeitnehmers fortbestehen, sofern die Arbeitsver-
tragsparteien nicht zuvor gesetzlich oder tarifvertraglich bestehende Beendigungs-
aktivitäten (insbesondere Kündigungen) entfalten. Für die Arbeitsvertragsgestaltung
bedeutet dies, dass Beendigungsregelungen nicht zwingend in einen Arbeitsvertrag
aufzunehmen sind. Allerdings liegt es vielfach im Interesse der Arbeitgeberseite,
vorzeitige Beendigungsmöglichkeiten oder auch zeitliche Begrenzungen des
Vertragszeitraumes bereits in den Arbeitsvertrag zu integrieren, um späteren Ablauf-
schwierigkeiten oder auch das Entstehen einer langfristigen Arbeitsvertragsbindung
unter Eintritt des gesetzlichen Kündigungsschutzes nach sechs Monaten Vertrags-
dauer zu verhindern. In der Praxis hat sich daher insbesondere etabliert, vor allem
neu eintretenden Arbeitnehmern zunächst nur eine befristete Beschäftigung anzu-
bieten. Eine solche Befristung muss zwingend bereits formal ordnungsgemäß in den
arbeitsvertraglichen Absprachen integriert sein. Zum anderen hat sich herausgestellt,
dass die Aufnahme rechtlich zulässiger Altersgrenzen und spezieller Beendigungsver-
einbarungen für den Fall von Erwerbsminderungen den personalrechtlichen Umgang
mit diesen betrieblich häufig auftretenden Lebenssachverhalten stark erleichtern.
Zuletzt ist aber auch eine transparente Wiedergabe der von den Parteien beabsichtig-
ten beidseitigen Kündigungsfristen bereits im Rahmen der Vertragsgestaltung anzu-
raten, um insoweit jeglichen Unklarheiten vorzubeugen.
Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses bringt vor allem für Arbeitgeber maßgeb- 2
liche Vorteile mit sich. Das mit einem Arbeitnehmer eingegangene Arbeitsverhältnis
endet zu einem nach Zeit oder Zweck festgelegten Zeitraum automatisch, ohne
dass es hierfür einer gesonderten Beendigungshandlung, insbesondere einer Kündi-
gung bedarf. Dies bedeutet vor allem, dass es auch nicht der sonstigen Vorbereitun-
gen und Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Kündigung bedarf. Sofern eine Befris-
tung wirksam vereinbart wurde, sind für die Beendigung weder Kündigungsfristen
noch Anhörungen (Betriebsrat, Integrationsamt u. a.) zu beachten. Noch wichtiger
ist allerdings, dass der Arbeitgeber für die Beendigung nach Ablauf der Befristung
keinen Kündigungsgrund benötigt und auch Sonderkündigungsschutztatbestände
(Schwerbehinderung, Mutterschutz u. a.) keine Rolle spielen. Sollte mithin die Befris-
tungsvereinbarung insbesondere unter Beachtung der verschiedenen Formvorschrif-
Christ
194 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
ten rechtlich wirksam abgeschlossen worden sein, kann sich der Arbeitnehmer in
aller Regel arbeitsrechtlich nicht mehr gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses zur Wehr setzen.
3 Ob und wann eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses möglich und wirksam
ist, bestimmt sich seit dem Jahre 2001 nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz
(TzBfG). Bereits zuvor war durch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung allerdings
anerkannt, dass die Befristung eines Arbeitsverhältnisses als atypische Konstella-
tion angesehen werden soll und unbefristete Arbeitsverhältnisse den „Normalfall“
darstellen sollten. Seit dem Inkrafttreten des TzBfG wird die Wirksamkeit einer
Befristung ausschließlich nach der gesetzlichen Regelung des § 14 TzBfG überprüft
(vgl. § 620 Abs. 3 BGB). Danach gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Arten befris-
teter Arbeitsverhältnisse, solche mit Sachgrund (§ 14 Abs. 1 TzBfG) und solche ohne
Sachgrund (§ 14 Abs. 2 TzBfG). Aus der Sicht der Arbeitgeber sowie in Bezug auf die
Arbeitsvertragsgestaltung bergen befristete Arbeitsverträge vor allem in formaler
Hinsicht verschiedene Wirksamkeitsrisiken. Die Praxis zeigt, dass insbesondere
Verstöße gegen das in § 14 Abs. 4 TzBfG normierte Schriftformerfordernis sowie ein
unbedachtes Verhalten vor Vertragsaufnahme oder nach Vertragsbeendigung einem
Arbeitnehmer relativ häufig die Möglichkeit geben, sich aufgrund des formal fehler-
haften Umgangs mit den Befristungsregelungen auf die Entfristung seines Arbeitsver-
hältnisses zu berufen.
4 Aus diesem Grund kommt der Vertragsgestaltung von befristeten Arbeitsverträ-
gen eine besonders hohe Bedeutung zu. Hierbei sind die rechtlichen Vorgaben der
Befristungsregelungen des TzBfG sorgfältig zu beachten. Neben der reinen Vertrags-
formulierung ist dem Arbeitgeber aber auch bewusst zu machen, dass dem tatsäch-
lichen Umgang mit dem befristet eingestellten Arbeitnehmer sowie der praktischen
Durchführung des befristeten Arbeitsverhältnisses eine besondere Bedeutung hin-
sichtlich der rechtlichen Wirksamkeit der Befristung zukommen.
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 195
Abs. 2, 2a oder 3 TzBfG entspricht. Zu beachten ist hierbei, dass die Arbeitsgerichte
im Falle eines Konfliktes über die Wirksamkeit einer Befristung ausschließlich den
letzten befristeten Arbeitsvertrag der Befristungskontrolle unterziehen, selbst wenn
dieser nur das Ende einer ganzen Kette von Befristungsabreden darstellt. Die Frage
der Wirksamkeit der früheren Befristungen stellt sich dann nicht mehr.
Für die Prüfung der Wirksamkeit einer Befristung im engeren Sinne spielt es 7
hingegen keine Rolle, ob es sich um eine sog. kalendermäßige Befristung oder eine
Zweckbefristung handelt. Der Unterschied dieser beiden Befristungsarten liegt ledig-
lich darin begründet, dass die kalendermäßige Befristung des Arbeitsverhältnisses
die Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zu einem bereits fest fixierten Datum festlegt.
Die reine Zweckbefristung (d. h. ohne Nennung eines Beendigungsdatums) macht
die Dauer des Arbeitsverhältnisses hingegen vom Eintritt eines Ereignisses (posi-
tiver Bedingungseintritt, z. B. Rückkehr einer erkrankten Kollegin) oder vom Wegfall
eines Umstandes (negativer Bedingungseintritt, z. B. Fertigstellung eines konkre-
ten Projektes) abhängig. Steht also die Wirksamkeit einer kalendermäßigen Befris-
tung oder einer Zweckbefristung im Streit, ist auch diese Rechtsfrage ausschließlich
anhand der oben bereits dargestellten Systematik zu prüfen. Die Wirksamkeit einer
solchen Befristung hängt also auch in diesen Fällen von der Frage ab, ob ein Sach-
grund nach § 14 Abs. 1 TzBfG diese legitimiert oder ob der gesetzliche Ausnahmefall
einer sachgrundlosen Befristung vorliegt.
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist, sofern kein gesetzlicher Ausnahmefall einer 8
sachgrundlosen Befristung vorliegt, dann wirksam, wenn ein sachlicher Grund nach
§ 14 Abs. 1 TzBfG vorliegt. Sachliche Gründe liegen nach der gesetzlichen Vorgabe ins-
besondere dann vor, wenn einer der acht im Gesetz genannten Unterfälle vorliegt.
Durch die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung „insbesondere“ wird deutlich,
dass grundsätzlich weitere im Gesetz nicht ausdrücklich genannte oder den Unter-
fällen zuordenbare Konstellationen denkbar sind. Bisher wurden alle von der Recht-
sprechung anerkannten Gründe einem der acht Unterfälle zugewiesen, insofern ist
die praktische Relevanz der nicht genannten Fälle verschwindend gering.
Nicht erforderlich ist es hingegen in der vertraglichen Vereinbarung selbst, vor- 9
behaltlich tarifvertraglicher Regelungen, den avisierten Befristungsgrund schriftlich
zu fixieren.1 Auch aus rein taktischen Gründen sollte bei der Vornahme einer Befris-
tungsvereinbarung im Regelfall auf die Angabe des Befristungsgrundes in dem
Vertrag verzichtet werden. Durch die Fixierung auf einen Befristungsgrund nimmt
sich der Arbeitgeber die Möglichkeit, im Falle eines späteren Befristungskonfliktes auf
1 Vgl. BAG, Urt. v. 08.12.1988 – 2 AZR 308/88; BAG, Urt. v. 26.07.2006 – 7 AZR 515/05.
Christ
196 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 197
ten prägt. So wird sich beispielsweise ein Architekturbüro schwer darin tun, einen
Mitarbeiter unter Berufung auf ein reguläres Bauprojekt nur befristet zu beschäftigen.
Anders mag dies freilich dann zu bewerten sein, wenn ein besonders herausragen-
des und im Arbeitsaufwand herausstechendes Bauprojekt bearbeitet werden soll und
nicht zu erwarten steht, dass derartige Großprojekte auch zukünftig wieder anfallen
werden.
Bei der Prüfung, ob die Befristung eines Projektarbeitsverhältnisses wirksam ist, 14
ist neben dem Befristungsgrund auch die Dauer der Befristung zu betrachten, da sich
die vereinbarte Dauer des Vertrages an der prognostizierten Dauer des Projektes ori-
entieren und von dieser nicht wesentlich abweichen soll.6 Dies bedeutet allerdings
nicht, dass sich der Zeitpunkt des Projektendes mit der Dauer der vereinbarten Befris-
tung vollkommen decken muss. Geringfügige Über- oder Unterschreitungen der
Befristungsdauer in Bezug auf das Projekt bzw. den prognostizierten Arbeitskräftebe-
darf sind zulässig.
Zu beachten ist, dass ein Arbeitnehmer auch dann keinen Anspruch auf Wei- 15
terbeschäftigung nach Befristungsablauf hat, sofern sich die zunächst wirksam zu
Vertragsbeginn erstellte Beschäftigungsprognose im Laufe des Vertrages als unzutref-
fend herausstellt. Ausschlaggebend für die Wirksamkeit der Befristung ist allein der
Umstand, ob die vom Arbeitgeber erstellte Beschäftigungsprognose zum Zeitpunkt
des Vertragsschlusses zutreffend war. Auch wenn sich diese im Nachhinein während
der Vertragslaufzeit als unzutreffend herausstellt, hat das BAG einen Weiterbeschäfti-
gungsanspruch des Arbeitnehmers bislang nicht anerkannt.7
2. B
efristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium (§ 14 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 TzBfG)
Die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium gemäß § 14 Abs. 1 16
Satz 2 Nr. 2 TzBfG wurde vom Gesetzgeber als sachlicher Grund für eine Befristung
vorgegeben, um den Übergang des Arbeitnehmers nach der Ausbildungsphase in
eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern. Dieser gesondert vorgesehene Sach-
grund ermöglicht es damit insbesondere, Hochschulabsolventen nach Erlangung
ihres Studienabschlusses befristet zu beschäftigen, auch wenn diese zuvor während
des Studiums oder davor bereits für dasselbe Unternehmen im Rahmen eines Arbeits-
verhältnisses tätig waren. Denn in diesen Fällen wäre der Abschluss einer sachgrund-
losen Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG regelmäßig nicht mehr möglich.
Als Ausbildung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG wird insbesondere eine 17
Berufsausbildung gemäß BBiG angesehen. Eine rein innerbetriebliche Fort- oder
Weiterbildungsmaßnahme oder Umschulung können hingegen nicht als Ausbildung
Christ
198 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
angesehen werden. Als Studium gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG ist jeder geord-
nete Ausbildungsgang an einer nach Hochschulrecht anerkannten Institution (insbe-
sondere Universität oder Fachhochschule) anzusehen, sofern diese einen staatlichen
oder staatlich anerkannten Abschluss vermittelt. Der gesetzliche Sachgrund erfor-
dert es allerdings nicht, dass diese Ausbildung oder das Studium vor Aufnahme der
befristenden Tätigkeit erfolgreich abgeschlossen wurde.8 Konfliktreich kann in der
Praxis mitunter die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „im Anschluss“ sein. Nach
der insoweit recht strikten Rechtsprechung kann ein Arbeitsvertrag nach § 14 Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 TzBfG nur dann wirksam befristet sein, wenn dieser als erster Arbeits-
vertrag nach dem Ende der Ausbildung oder des Studiums abgeschlossen wird.
Sollte der Arbeitnehmer hingegen zwischenzeitlich, auch nur kurzzeitig, ein ander-
weitiges Arbeitsverhältnis eingegangen sein, schließt dies eine Befristung nach § 14
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG aus.9 Allerdings gab es in der Rechtsprechung zumindest
Tendenzen dahingehend, von dieser strikten Vorgabe des Erstarbeitsvertrages dann
abzuweichen, wenn die fragliche Zwischenbeschäftigung nach der Ausbildung oder
dem Studium als kurzfristiger Gelegenheitsjob ausgestaltet war.10 Da es sich nach der
Rechtsprechung bei dem hier fraglichen Sachgrund ausschließlich um die Befristung
des ersten Arbeitsvertrags handeln darf, wird geschlossen, dass auch eine Vertrags-
verlängerung eines zunächst auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG gestützten befristeten
Vertrages nicht vorgenommen werden kann.
18 Einschränkend muss die Befristungsmöglichkeit im Anschluss an eine Ausbil-
dung oder ein Studium auch dann verstanden werden, wenn es sich bei der befristeten
Tätigkeit nicht um eine solche handelt, die den Übergang in ein unbefristetes Anstel-
lungsarbeitsverhältnis tatsächlich erleichtern könnte. Voraussetzung einer Befris-
tung ist mithin, dass durch die befristete Beschäftigung die Vermittlungschancen auf
dem Arbeitsmarkt tatsächlich verbessert werden können. Wird ein gerade ausgebil-
deter Elektrotechniker im Anschluss an seine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung
von einem Taxiunternehmer als Taxifahrer beschäftigt, wird sich dieser nicht auf den
Befristungsgrund nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG stützen können, sofern er den
Arbeitnehmer lediglich als Taxifahrer beschäftigt. Erforderlich ist es daher, dass der
befristet angestellte Mitarbeiter zumindest in einem Bereich beschäftigt wird, der mit
dem Inhalt der Ausbildung oder des Studiums in Zusammenhang steht.
19 Des Weiteren stellt sich oftmals die Frage, für welche Dauer ein Arbeitnehmer
nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TzBfG befristet im Anschluss an seine Ausbildung oder
sein Studium beschäftigt werden darf. Die Rechtsprechung hat hierzu keine festen
Zeitgrenzen vorgesehen. In der Literatur wird hierzu häufig vertreten11, dass zumin-
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 199
dest eine Befristungsdauer von zwei Jahren zulässig sein müsste, da insoweit auch
die sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG im Regelfall die gleiche Dauer
vorgibt und die gesetzgeberischen Motive beider Befristungsmöglichkeiten ähnlich
gelagert sind. Zu vertreten ist es aber auch, dass im Einzelfall eine Befristung an den
Anschluss eines Studiums sogar länger als zwei Jahre gestaltet sein kann, wenn die zu
erledigenden arbeitsvertraglichen Aufgaben sehr anspruchsvoll und schwierig gela-
gert sind und insoweit auch eine verlängerte Erprobungszeit sachlich zu begründen
ist.
Christ
200 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 201
4. Befristung wegen der Eigenart der Arbeitsleistung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG)
Die in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG gesetzlich geregelte Befristung wegen Eigenart der 26
Arbeitsleistung ist ein Überbegriff für Fälle, in denen in der Verfassung verbürgte
Rechte sowie Verschleißtatbestände eine Befristung des Arbeitsverhältnisses
rechtfertigen. Betroffen sind insbesondere der Kunst- oder Rundfunkfreiheit nach
Art. 5 Abs. 1, 3 GG unterliegende Bereiche sowie der professionelle Sport.
Zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG ist den Rundfunk-
anstalten die befristete Beschäftigung programmgestaltender Mitarbeiter ermöglicht,
um eine freie Programmplanung zu gewährleisten und auf sich ändernde Interessen
und wechselnde Informationsbedürfnisse des Publikums reagieren zu können.18 Diese
ständig notwendige Neuerung ist nicht immer unter Beibehaltung des federführen-
den Personals möglich, welches die Programme thematisch und inhaltlich bestimmt.
Als Befristungsgrund erforderlich ist also die Ausübung eines wesentlichen Einflus-
ses des Arbeitnehmers auf die Inhalte des Programms. Nicht erfasst sind Mitarbeiter
ohne programmgestaltende Aufgaben, also ohne oder mit sehr geringem Einfluss auf
den Programminhalt. Grundsätzlich nicht programmgestaltend sind etwa techni-
sches Personal, Nachrichtensprecher oder Mitarbeiter in der Verwaltung.19 Ausnah-
men sind im Einzelfall möglich, so können unter Umständen ein Kameramann oder
mit der Nachbearbeitung von Bildmaterial betrautes Personal entscheidenden inhalt-
lichen Einfluss auf das Programm nehmen.
Ähnlich verhält es sich im Geltungsbereich der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 27
GG, welche den befristeten Abschluss von Arbeitsverhältnissen vor allem mit Solo-
künstlern rechtfertigt. Der Grund hierfür liegt im Innovationsbedürfnis der Bühnen,
welche dem Publikum ein in thematischer und inhaltlicher Weise aber auch in per-
soneller Hinsicht abwechslungsreiches Programm anbieten müssen.20 Dies gilt ein-
geschränkt auch für Mitglieder von Tanzgruppen, Chören und Orchestern, bei denen
es auf individuelle Beiträge zur Gesamtleistung ankommt.21 Trägt ein gewisses Maß
an Routine und Einstimmung aufeinander der einzelnen Mitglieder zwar zur Qualität
bei, kann deren einzelne Leistung so bedeutsam sein, dass sie entscheidende Aus-
wirkungen auf die künstlerische Gesamtkonzeption hat. Die sachliche Rechtfertigung
fehlt bei Arbeitnehmern, die keinerlei künstlerische Leistung erbringen, etwa bei Mit-
Christ
202 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
arbeiten in der Verwaltung und dem technischen Bereich oder auch dem Abendper-
sonal. Es kommt mithin jeweils auf den Einfluss des Einzelnen auf das künstlerische
Gesamtkonzept an, so kann ein Bühnentechniker bei ausreichendem künstleri-
schem Spielraum, wie er etwa bei einer Chefmaskenbilderin gegeben ist, auch befris-
tet beschäftigt werden.22 Es muss nach einem Intendantenwechsel möglich sein das
künstlerische Konzept vollständig umzustrukturieren. Im Bereich der Bühnen geben
die hergebrachten Tarifverträge der Künstlergruppen entscheidende Indizien auf die
Zulässigkeit einer Befristung ab.
28 Bei wissenschaftlichen Mitarbeitern einer Parlamentsfraktion kann die
verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der freien Mandatsausübung eine
Befristung sachlich rechtfertigen.23 Zu dieser Unabhängigkeit zählt auch die Freiheit
nach einer Neukonstituierung des Parlaments das unterstützende wissenschaftliche
Personal selbst frei zu wählen und so den eigenen Ansprüchen und Wünschen anzu-
passen.
29 Verschleißtatbestände bilden schließlich eine eigene Fallgruppe und betreffen
primär den Bereich des professionellen Sports. Mit zunehmender Vertrautheit
zwischen Sportler und Trainer kann sich die Effektivität des Trainings vermindern.
Der Sportler würde also bei zu langer Dauer des Trainingsverhältnisses in der Ent-
faltung seines Potenzials gehemmt. Diese aus der Routine und Gleichförmigkeit der
Trainingsmethoden und des Trainingsablaufs ausfließende Folge kann durch einen
Trainerwechsel verhindert werden. Das mögliche Auftreten dieses Effektes rechtfer-
tigt mithin eine Befristung des Arbeitsverhältnisses.24 Eine sachliche Rechtfertigung
liegt gleichwohl nicht in Fällen vor in denen eine Befristung überhaupt nicht geeignet
ist einem solchen Fortschrittsabfall vorzubeugen, etwa wenn der Trainer denselben
Sportler ohnehin für eine kürzere Zeit als seine Vertragsspanne betreut.25 Dies kann
beispielsweise bei Trainern in speziellen Einrichtungen der Fall sein, die von Athleten
nur für kürzere Zeitabstände besucht werden. Ebenfalls sachliche Rechtfertigung für
eine Befristung könnte der Beliebtheitsgrad eines Trainers bei Fans – vor allem im
Bereich des Profifußballs – sein.26 Speziell die Rolle eines Fußballtrainers im profes-
sionellen Segment geht über die bloße objektivierbare Trainingsleistung hinaus und
wirkt sich jenseits des sportlichen Erfolgs auf das Vereinsbild in der Öffentlichkeit
und somit auch maßgeblich auf den kommerziellen Erfolg aus.
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 203
Christ
204 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 205
6. B
efristung aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1
Satz 2 Nr. 6 TzBfG)
Klauselmuster
(1) Das Arbeitsverhältnis beginnt am … Es endet auf Wunsch des Mitarbeiters am …, um dem Mitarbei-
ter den Antritt zum Wehrdienst zum … zu ermöglichen.
(2) Obwohl das Ergebnis der die Berufsausbildung abschließenden Prüfung eine Übernahme von
Frau/Herrn… an sich nicht ermöglichen, erhält sie/er aus sozialen Gründen von der Firma im Rahmen
eines befristeten Anstellungsverhältnisses vom … bis zum … die Möglichkeit eine sonst beschäfti-
gungslose Zeitspanne zu überbrücken und eine anderweitige Arbeitsstelle zu finden.
Die Befristung aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nach § 14 36
Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG umfasst die Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers, ins-
besondere zur Zeitüberbrückung sowie die Befristung aus sozialen Gründen. In der
Praxis spielen in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine untergeordnete
Rolle, da Arbeitnehmer oftmals keinen Einfluss auf die vom Arbeitgeber verwende-
ten Formularverträge haben und Fälle der Befristung aus sozialen Gründen praktisch
schlicht zahlenmäßig eher die Ausnahme sind.
Die Befristung auf den ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers hin ist grund- 37
sätzlich zulässig.38 Dieser Wunsch muss sich jedoch gerade auf die Befristung als
solche beziehen, das bloße Einverständnis mit dieser genügt nicht.39 Der Arbeitneh-
mer muss den Willen zur Befristung frei und unbeeinträchtigt gebildet haben und
müsste auch im Falle eines (theoretischen) Angebots einer unbefristeten Beschäfti-
gung auf die Befristung bestanden haben.40 Hieraus folgt auch, dass der Arbeitge-
ber keinerlei eigenes Interesse an der Befristung haben darf. Aufgrund dieser hohen
Anforderungen der Rechtsprechung an die freie Willensbildung des Arbeitnehmers
empfiehlt es sich, eine Befristung auf Arbeitnehmerwunsch hin zu vermeiden. Ist
dies untunlich sollte der Wunsch des Arbeitnehmers – entgegen der üblichen takti-
schen Erwägung den Befristungsgrund unbenannt zu lassen – zumindest ausdrück-
lich in der Vertragsurkunde aufgenommen werden.
Eine Befristung aus Gründen die in der Person des Arbeitnehmers liegen ist 38
weiterhin möglich, wenn dem Arbeitsverhältnis nur eine Überbrückungsfunktion
zukommt. Dies ist etwa bei einer Befristung bis zum Antritt einer anderen Arbeits-
stelle oder dem Beginn des Wehr- oder Zivildienstes der Fall. Ebenfalls so zu behan-
deln ist die bereits zeitlich bestimmte Aufnahme eines Studiums, welches ein Fortbe-
stehen des Arbeitsverhältnisses nicht erlauben würde. Bei Arbeitnehmern, die sich
bereits im Studium befinden, kann eine Befristung sachlich gerechtfertigt sein, etwa
Christ
206 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 207
Die zulässige Höchstdauer der Befristung wurde im Detail noch nicht höchst- 41
richterlich geklärt. Sie hat sich allerdings nach dem Befristungsgrund zu richten und
diesem angemessen zu sein.49
Der Arbeitgeber muss anhand nachprüfbarer Tatsachen darlegen und im 42
Bestreitensfall beweisen, dass das Arbeitsverhältnis überwiegend aufgrund sozialer
Gesichtspunkte abgeschlossen wurde und allein aufgrund der Interessen aus seiner
Sphäre nicht zustande gekommen wäre.50
Christ
208 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
49 Nach Maßgabe des § 14 Abs. 2, 2a, 3 TzBfG wird eine befristete Beschäftigung prinzipi-
ell auch ohne sachlichen Grund nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 ermöglicht. Die hiernach
befristeten Arbeitsverhältnisse sind jedoch stets nach dem Kalender befristet. Eine
Zweckbefristung ohne sachlichen Grund ist nicht möglich. Grundsätzlich darf der
Arbeitnehmer zuvor in keinem befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis mit
dem Arbeitgeber gestanden haben, damit die Möglichkeit der sachgrundlosen Befris-
tung eröffnet wird, Abs. 2 Satz 2. Entgegen des Wortlauts vertritt die neuere Rechtspre-
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 209
chung die Ansicht, dass eine Zeitspanne von drei Jahren seit Beendigung der letzten
Beschäftigung einer Neueinstellung gleichkommt.56
Es muss nicht in den Vertragstext aufgenommen werden, dass es sich um eine 50
sachgrundlose Befristung handelt. Viel mehr genügt das bloße Vorliegen der objekti-
ven Voraussetzungen und die Vereinbarung der Befristung selbst.
a) Das Vorbeschäftigungsverbot
Das befristete Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund kann nach Abs. 2 Satz 2 nur abge- 52
schlossen werden, wenn zuvor kein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber
bestanden hat. Der Grund für dieses Anschlussverbot besteht in dem gesetzgeberi-
schen Bestreben Befristungsketten vorzubeugen. Aufgrund dieses Normzwecks
geht das BAG davon aus, dass parallel zur Regelverjährungsfrist eine Beschäftigung,
die länger als drei Jahre zurückliegt, dem Abschluss eines befristeten Arbeitsverhält-
nisses nicht im Wege steht.57 Die in der Literatur hierzu geäußerte Kritik58 hat bis zu
einer Änderung des Gesetzes oder der Rechtsprechung nur eingeschränkt Bedeutung.
Instanzgerichte folgen jedoch in dieser Hinsicht nicht immer dem BAG59 und entspre-
chende Verfahren sind beim Bundesverfassungsgericht60 anhängig. Eine Vertragsge-
staltung in vollem Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtsprechung ist daher zumin-
dest risikobehaftet.
Das Anschlussverbot erstreckt sich auf jede Art von vorherigen Arbeitsverhält- 53
nissen, gleich ob diese befristet oder unbefristet waren und unabhängig von deren
Dauer.61 Auch eine vorherige Tätigkeit als Werkstudent62 oder ein Volontariat können
56 BAG, Urt. v. 06.04.2011 – 7 AZR 716/09. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sich in
seinen Entscheidungen vom 26.09.2013 und vom 21.02.2014 (Az. 6 Sa 28/13 und 7 Sa 64/13) wiederholt
offen gegen das BAG gestellt und eine zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbots aufgrund
des entgegenstehenden Gesetzeswortlauts abgelehnt.
57 BAG, Urt. v. 06.04.2011 – 7 AZR 716/09.
58 Vgl. z. B. Meinel/Heyn/Herms, TzBfG, § 14 Rn. 250.
59 LAG BW, Urt. v. 26.09.2013 – 6 Sa 28/13.
60 Verfassungsbeschwerde gegen LAG Nürnberg, Urt. v. 08.05.2013 – 4 Sa 565/12.
61 BAG, Urt. v. 06.11.2003 – 2 AZR 690/02.
62 BAG, Urt. v. 06.11.2003 – 2 AZR 690/02.
Christ
210 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 211
an die vorherige Tätigkeit voraus, muss also noch während der Laufzeit des beste-
henden Vertrages erfolgen.72 Geschieht dies nicht, handelt es sich um eine durch das
Anschlussverbot unzulässige Neubefristung. In dieser Hinsicht wohl unproblema-
tisch sind Fälle, in denen die Verlängerung unmittelbar auf das Auslaufen des Altver-
trags folgt73, auch wenn eine Unterbrechung durch einen Feiertag oder ein Wochen-
ende eintritt. Eine Veränderung der Vertragsbedingungen darf grundsätzlich nicht
mit der Verlängerung einhergehen.74 Dies gilt nicht, sofern der Arbeitgeber aufgrund
kollektivrechtlicher Bestimmungen oder einer geänderten Rechtslage zur Vertrags-
änderung angehalten ist75 oder die Gesamtheit der Arbeitsverträge auf gleiche Weise
umgestaltet wird. Unterließe der Arbeitgeber die letztgenannte Änderung wäre dies
gegebenenfalls sogar ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 TzBfG.
Ebenfalls zulässig sind Änderungen auf die der Arbeitnehmer einen Anspruch hat.76
Die einvernehmliche Änderung der Arbeitsbedingungen im laufenden befriste- 56
ten Arbeitsverhältnis stellt keine unzulässige Verlängerung dar, sofern die Befristung
selbst von den Änderungen unberührt bleibt.77 Sind also entsprechende Veränderun-
gen geboten, sollten diese während der Laufzeit des Altvertrages und vor der Ver-
längerung durchgeführt werden.
Wurde zunächst ein durch einen sachlichen Grund gerechtfertigtes befristetes 57
Arbeitsverhältnis abgeschlossen, kann sich an dieses ohne weiteres ein sachgrund-
los befristetes anschließen, sofern dieses bei Abschluss des mit Sachgrund befriste-
ten Arbeitsverhältnisses zulässig gewesen wäre. Das Arbeitsverhältnis darf hierbei
jedoch die Dauer von insgesamt zwei Jahren nicht überschreiten. Dies ist dem
Umstand geschuldet, dass der Arbeitgeber sich auf die sachlichen Befristungsgründe
nicht berufen muss, sofern eine Befristung nach Abs. 2 zulässig ist. Ein zunächst
begründet, dann unbegründet befristetes Arbeitsverhältnis ist also wie ein durchgän-
gig sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis zu behandeln.
Klauselmuster
(1) Der Mitarbeiter wird befristet für die Zeit vom … bis zum … zur Vertretung des beurlaubten … einge-
stellt. Das Unternehmen wird sich zur Wirksamkeit der Befristung nicht auf § 14 Abs. 2 TzBfG berufen.
(2) Das Arbeitsverhältnis wird auf die Dauer von drei Monaten auf Probe abgeschlossen und endet
spätestens mit Ablauf der Probezeit.
Christ
212 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
58 Eine Abweichung von § 14 Abs. 2 TzBfG zu Gunsten des Arbeitnehmers ist sowohl in
Form einer Einzelabrede als auch durch Tarifvertrag zulässig. Verzichtet der Arbeit-
geber darauf, sich zur Wirksamkeit der Befristung auf § 14 Abs. 2 TzBfG zu berufen, ist
dies für den Arbeitnehmer vorteilhaft und somit zulässig.78 Der Grund für den Vorteil
auf Arbeitnehmerseite liegt in dem erhöhten Risiko einer unwirksamen Befristung,
die im Verzichtsfall auf einen der Sachgründe aus Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 8 gestützt
werden muss. Die Abbedingung kann grundsätzlich sowohl ausdrücklich als auch
konkludent erfolgen.79 Der Verzicht kann auch dadurch geregelt werden, dass der
Arbeitgeber einen vorherigen Vertragsarbeitgeber als mit sich identisch gelten
lässt.80 Eine ausdrückliche Abbedingung hat den klaren Vorteil der Rechtssicher-
heit, wird allerdings selten vereinbart. Anders verhält es sich bei der konkludenten
Abbedingung, etwa durch die konkrete Benennung eines Befristungsgrundes. Wird
im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich auf ein Berufen auf Abs. 2 verzichtet, sondern
nur der Sachgrund der Befristung genannt, stellt dies zwar ein wesentliches Indiz81
für eine Abbedingung dar, schließt für sich genommen aber die Begründung einer
sachgrundlosen Befristung nicht aus. Hierzu müssen noch weitere Umstände treten,
die auf einen entsprechenden Willen der Parteien schließen lassen.82 Aus diesen
Umständen muss geschlossen werden können, dass die Befristung in ausschließli-
cher Abhängigkeit von dem Vorliegen eines sachlichen Grundes vereinbart wurde.83
Diese strengen Anforderungen haben zur Konsequenz, dass eine konkludente Abbe-
dingung in der Praxis eher die Ausnahme darstellt. Denkbar erscheint sie haupt-
sächlich im Bereich der Befristung aus sozialen Gründen nach Nr. 6, welche gerade
voraussetzt, dass das befristete Arbeitsverhältnis überwiegend aufgrund der entspre-
chenden Gründe geschlossen wurde.
59 Soll die sachgrundlose Befristung also ausgeschlossen werden, empfiehlt sich
eine entsprechend eindeutige Formulierung. Ist es hingegen gewünscht, sich im
Zweifel auf die sachgrundlose Befristung berufen zu können, obwohl mit großer
Wahrscheinlichkeit ein die Befristung rechtfertigender Grund vorliegt, so kann der
entsprechende Grund (sofern notwendig) regelmäßig genannt werden ohne den Weg
zur sachgrundlosen Befristung zu versperren. Keinesfalls notwendig ist es, sich bei
Einzelverträgen die Berufung auf die sachgrundlose Befristung nach Abs. 2 ausdrück-
lich vorzubehalten. Das bloße objektive Vorliegen der Voraussetzungen genügt.
60 Über die sachgrundlose Befristung kann auch im Rahmen von Tarifverträgen
dispositiv verfügt werden. Beispielsweise ist es möglich in einem Tarifvertrag eine
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 213
Christ
214 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
2. S
achgrundlose Befristung bei neu gegründeten Unternehmen (§ 14 Abs. 2a
TzBfG)
65 Der Gesetzgeber hat für den Fall der Neugründung eines Unternehmens ein hervorge-
hobenes Interesse an der befristeten Beschäftigung von Arbeitskräften gesehen und
trägt diesem in Form der Regelung des Abs. 2a Rechnung. Neugegründete Unterneh-
men können demnach in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ohne sachli-
chen Grund befristete Arbeitsverhältnisse bis zu einer Dauer von bis zu vier Jahren
abschließen und diese innerhalb der Gesamtdauer von vier Jahren beliebig oft verlän-
gern. Es bedarf zur Eröffnung des Abs. 2a allerdings einer tatsächlichen Neugrün-
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 215
Christ
216 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 217
IV. Schriftformerfordernis
Christ
218 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
tungsabrede dann aber nicht versteckt im Vertragstext sondern mit Rücksicht auf die
§§ 305c, 307 Abs. 1 S. 2 BGB möglichst hervorgehoben ersichtlich sein.
76 Bei kalendermäßigen Befristungen erstreckt sich das Formgebot nur auf die Tat-
sache der Vertragsbefristung an sich. Es muss also nur das Enddatum bzw. die Befris-
tungsdauer schriftlich festgehalten werden. Doch müssen die Parteien nicht schrift-
lich niederlegen, ob eine sachgrundlose Befristung oder eine solche mit Sachgrund
angestrebt ist. Ebenso wenig sind sie gehalten, einen Sachgrund für die Befristung
festzuhalten.108
77 Wichtig für die Praxis ist, dass die Schriftform bereits zum Zeitpunkt der Verein-
barung einer Befristung einzuhalten ist. Wird eine Befristungsabrede – zum Beispiel
im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs – zunächst mündlich und damit formnichtig
getroffen, führt die nachträgliche schriftliche Niederlegung der mündlich vereinbar-
ten Befristung mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags in der Regel nicht dazu, dass
die Befristung rückwirkend wirksam wird.
78 In der Praxis kommt es häufig vor, dass sich die Parteien zunächst mündlich auf
ein befristetes Arbeitsverhältnis einigen, der Arbeitnehmer die Arbeit aufnimmt und
erst nach Arbeitsantritt ein schriftlicher Arbeitsvertrag mit der Befristungsabrede
unterzeichnet wird. Wird der Arbeitgeber mit einem derartigen Fall konfrontiert,
könnte er zur Konfliktvermeidung das Arbeitsverhältnis vor Eingreifen des Kündi-
gungsschutzes kündigen oder eine „echte“ nachträgliche Befristungsabrede treffen.
Letzteres erreicht man dadurch, dass man z. B. das Befristungsende um einen Tag
verändert.
79 Allerdings bedarf eine solche nachträgliche Befristung wegen des Anschlussver-
bots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eines Sachgrunds, so dass insbesondere in Fällen
sachgrundloser Befristungen höchste Aufmerksamkeit darauf zu legen ist, die Befris-
tungsabrede bereits vor der Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers schriftlich und
somit formwirksam abzuschließen. Ist dies nicht der Fall und der Arbeitnehmer
nimmt auch nur für kurze Zeit seine Tätigkeit bereits unbefristet auf, ist eine spätere
nochmalige sachgrundlose Befristung nicht mehr möglich, da in diesem Fall das Vor-
beschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG entgegensteht.109
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 219
frühestens zwei Wochen nach Zugang einer schriftlichen Mitteilung des Arbeitge-
bers an den Arbeitnehmer über den Zeitpunkt der Zweckerreichung. Eine ordentli-
che Kündigung ist nach § 15 Abs. 3 bei befristeten Arbeitsverhältnissen nur möglich,
sofern sie vertraglich vereinbart wurde. Ist das befristete Arbeitsverhältnis für eine
Dauer von mehr als fünf Jahren oder gar auf Lebenszeit abgeschlossen worden, so
kann der Arbeitnehmer es nach fünf Jahren mit einer Kündigungsfrist von sechs
Monaten kündigen, § 15 Abs. 4. Wird das Arbeitsverhältnis trotz Ablauf der Frist oder
Erreichung des Zwecks mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt und der Arbeitgeber
widerspricht diesem nicht unverzüglich oder holt die Mitteilung über die Zweckerrei-
chung nach, so wird das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit verlängert, § 15 Abs. 5
TzBfG.
a) Der Zweck
Der Zweck ist möglichst klar und detailliert im Arbeitsvertrag festzuhalten. Anders 82
als bei der kalendarischen Befristung, die relativ mühelos auszugestalten ist, berei-
tet die Formulierung einer Zweckbefristung häufig Schwierigkeiten. Das befristende
Ereignis muss zweifelsfrei feststellbar und hinreichend bestimmt sein.110 Der
Befristungsgrund ist zu nennen und bedarf der Schriftform.111 Bei der Fixierung des
befristenden Ereignisses ist größte Sorgfalt geboten. Der BAG-Rechtsprechung nach
lässt sich etwa der Vereinbarung, dass das Arbeitsverhältnis mit der Wiederaufnahme
der Arbeit durch den vertretenen Arbeitnehmer enden soll, nicht entnehmen, dass
ein Ausscheiden des Vertretenen vor Wiederaufnahme der Tätigkeit ebenfalls been-
dende Wirkung haben soll.112 Hier ist neben der Zweckerreichung im Idealfall eine
kalendarische Befristung zu vereinbaren, deren Ablauf soweit absehbar nach Ein-
tritt der Zweckerreichung liegt.
Christ
220 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
(1) Der Arbeitnehmer … wird mit Wirkung vom … als Aushilfe für die Dauer der Erkrankung des Mit-
arbeiters … eingestellt. Das Arbeitsverhältnis endet zwei Wochen nach erfolgter Mitteilung über die
Wiederaufnahme der Arbeit durch Herrn …, spätestens jedoch zum …, ohne dass es einer Kündigung
bedarf.
(2) Das Arbeitsverhältnis wird für die Dauer der Schwimmbadsaison des Jahres … eingegangen.
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 221
beliebig erhöht werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass nicht ungewollt eine
Kündigungsfrist statt einer Auslauffrist vertraglich fixiert wird.117
Aufgrund der zahlreichen potenziellen Fehlerquellen sowohl bei Abschluss als 87
auch Beendigung eines ausschließlich zweckbefristeten Arbeitsverhältnisses ist von
dieser Form der Befristung abzuraten und eine zusätzliche Aufnahme einer hilfs-
weisen Zeitbefristung zu empfehlen.
2. Kündbarkeit
Das befristete Arbeitsverhältnis ist nach § 15 Abs. 3 grundsätzlich nur dann ordentlich 88
kündbar, wenn eine Kündigungsklausel einzelvertraglich vereinbart wurde oder
Teil eines geltenden Tarifvertrages ist. Andernfalls besteht weder für den Arbeitneh-
mer noch für den Arbeitgeber ein Kündigungsrecht und das Arbeitsverhältnis endet
erst durch Ablauf der kalendarischen Befristung oder die Erreichung des vereinbarten
Zwecks. Die Befristung wird in diesem Fall – meist unbeabsichtigter Weise – sowohl
zur Höchstbefristung als auch zur Mindestlaufzeit. Um dem entgegenzuwirken, ist
die Aufnahme einer Kündigungsklausel in den Arbeitsvertrag unerlässlich. Möglich
verbleibt andernfalls nur die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB.
Die Kündigungsklausel bedarf keiner besonderen Form. Bei ihrer Verwendung in 89
Formularverträgen unterliegt sie keinen übermäßigen Anforderungen.118 Die Kündi-
gung durch den Arbeitgeber muss den üblichen Anforderungen des allgemeinen und
besonderen Kündigungsschutzes entsprechend sein.
Hierbei sind aufgrund der kurzzeitigen Natur befristeter Arbeitsverhältnisse 90
häufig gewisse für den Arbeitgeber günstige Sonderbestimmungen bezüglich der
Kündigungsfrist zu beachten. Wurde für das befristete Arbeitsverhältnis eine Probe-
zeit ausdrücklich vertraglich vereinbart, kann das Arbeitsverhältnis innerhalb dieser
nach § 622 Abs. 3 BGB mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Handelt es
sich bei dem Arbeitnehmer um eine vorübergehende Aushilfe kann die Kündigungs-
frist innerhalb der ersten drei Monate nach § 622 Abs. 5 Nr. 1 BGB sogar vertraglich auf
null reduziert werden. Diese entfristete ordentliche Kündigung ist selbstverständlich
nur vorbehaltlich anderslautender Tarifbestimmungen möglich.
Zu beachten bleibt, dass sich die Kündigungsmöglichkeiten nie als für den Arbeit- 91
geber vorteilhafter darstellen dürfen als für den Arbeitnehmer, § 622 Abs. 6 BGB.
Besondere Kündigungsbestimmungen gelten bei befristeten Arbeitsverhältnissen 92
mit einer Länge von über fünf Jahren oder gar auf Lebenszeit einer Person. Nach
§ 15 Abs. 4 TzBfG wird dem Arbeitnehmer in diesen Fällen ein außerordentliches Kün-
digungsrecht eingeräumt, von welchem er nach Ablauf von fünf Jahren nach Arbeits-
antritt mit sechsmonatiger Kündigungsfrist Gebrauch machen kann. Dieses Kündi-
Christ
222 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
gungsrecht ist als den Arbeitnehmer begünstigende Regelung nach § 22 Abs. 1 TzBfG
nicht abdingbar und die Kündigungsfrist von sechs Monaten kann auch nicht durch
eine Vereinbarung verlängert werden. Eine Verkürzung der Kündigungsfrist steht als
Begünstigung des Arbeitnehmers hingegen zur Disposition der Parteien. Der Arbeit-
geber erhält kein gesondertes Kündigungsrecht.
93 Ein Arbeitsverhältnis auf Lebenszeit kann sich sowohl auf die Lebenszeit des
Arbeitnehmers, die des Arbeitgebers aber auch auf die Lebensspanne Dritter bezie-
hen.119 Im Falle einer kalendermäßigen Befristung ist auf die im Vertrag vorgesehene
Dauer des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Hierbei entscheidend ist die tatsächli-
che Bindung über eine Dauer von mehr als fünf Jahren. Der wiederholte Abschluss
aufeinanderfolgender Verträge mit einer Dauer von jeweils genau fünf Jahren ist
somit zulässig, selbst wenn die Verlängerung automatisch eintritt sofern der Arbeit-
nehmer nicht von einem Kündigungsrecht Gebrauch macht.120 Wird die Verlängerung
jedoch bereits zeitig auf den originären Vertragsschluss folgend vereinbart und nicht
erst kurz vor Ablauf der Vertragsdauer, liegt eine Umgehung der Regelung des § 15
Abs. 5 TzBfG vor.121 In diesem Fall wird der Arbeitnehmer tatsächlich auf längere Zeit
als fünf Jahre gebunden, der Anwendungsbereich des Abs. 5 bleibt eröffnet. Ebenso
zu behandeln ist der gleichzeitige Abschluss mehrerer inhaltsgleicher Verträge, die
sich zeitlich aneinanderreihen.
94 Die Kündigungsmöglichkeit entsteht mit dem Ablauf von fünf Jahren, eine vor-
herige Kündigung durch den Arbeitnehmer ist jedoch möglich und wird zu einer
das Arbeitsverhältnis nach fünf Jahren und sechs Monaten beendenden Kündigung
umgedeutet. Die Kündigung muss schriftlich erklärt werden, § 623 BGB. Anders als
bei einer ordentlichen Kündigung kann die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5
jederzeit, also nicht nur am 1. oder 15. eines jeden Monats ergehen.122
Christ
A. Befristung des Arbeitsverhältnisses 223
Christ
224 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
99 Nach § 17 TzBfG ist es dem Arbeitnehmer möglich die Unwirksamkeit einer Befris-
tung gerichtlich überprüfen zu lassen. Überprüfbar ist hierbei nur die Befristung des
Arbeitsverhältnisses insgesamt, nicht etwa auch einzelner befristeter Arbeitsbedin-
gungen.131 § 17 TzBfG findet in jedem Fall der Befristung, also sowohl der kalendermä-
ßigen als auch der Zweckbefristung sowie nach § 21 TzBfG auch im Fall auflösender
Bedingung Anwendung. Die Unwirksamkeit einzelner befristeter Vertragsbedingun-
gen hat hingegen im Rahmen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO zu
erfolgen.132 Nicht im Anwendungsbereich des § 17 liegen Streitigkeiten über das Ein-
treten des Befristungstatbestandes, also häufig das Erreichen des Vertragszweckes.
Nach neuerer Rechtsprechung des BAG soll die Frist des § 17 auch für Streitigkeiten
über den Eintritt auflösender Bedingungen gelten.133 Es ist insofern zu bezweifeln,
dass die bisherige Nichtanwendung des § 17 auf den Eintritt des Befristungstatbe-
stands auch in Zukunft beibehalten wird.
100 Der Arbeitnehmer hat Gelegenheit die Wirksamkeit einer Befristung innerhalb
einer Klagefrist von drei Wochen nach Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses
geltend zu machen, § 17 Satz 1 TzBfG. Diese Klagefrist erstreckt sich auf alle möglichen
Unwirksamkeitsgründe, durch Säumnis wird sogar die Nichtwahrung der Schriftform
präkludiert.134 Die Frist beginnt auch dann zu laufen, wenn der Arbeitnehmerstatus
noch nicht abschließend geklärt wurde.135 Fristbeginn ist bei der kalendermäßigen
Befristung der vertraglich fixierte Beendigungszeitpunkt. Bei Zweckbefristungen ist
nach aktueller Rechtsprechung des BAG wohl auf den Zeitpunkt der Zweckerreichung
nur abzustellen, sofern dieser dem Arbeitnehmer ordentlich nach § 15 Abs. 2 TzBfG
mitgeteilt wurde.136 Eine Sonderregelung für den Fall der Fortsetzung des Arbeits-
verhältnisses enthält S. 3. Diese nicht hinreichend mit § 15 Abs. 5 TzBfG im Einklang
stehende Regelung hat hauptsächlich zwei Anwendungsfälle. Zunächst greift sie,
wenn der Arbeitgeber der Fortsetzung des kalendarisch befristeten Arbeitsverhältnis-
ses zwar widersprochen hat, dies aber nur mündlich oder in Textform geschah. Ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht somit nicht, die Frist wird jedoch mangels
Christ
B. Altersgrenze 225
der Schriftform des Widerspruchs nicht in Gang gesetzt. Bei der Zweckbefristung
kann eine Erklärung nach § 17 Abs. 3 TzBfG erforderlich sein, wenn der Arbeitgeber
die nach § 15 Abs. 2 TzBfG erforderliche Mitteilung rechtzeitig getätigt hat, der Arbeit-
nehmer aber nach Ablauf der Auslauffrist seine Tätigkeit fortsetzt. Die Erklärung des
Arbeitgebers hat schriftlich zu erfolgen.
Im Rahmen der Befristungskontrollklage wird ausschließlich die Wirksamkeit 101
der Befristung des letzten abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses überprüft.137 Etwas
anderes gilt nur, wenn die zuletzt geschlossene Vereinbarung nur einen unselbst-
ständigen Annex zu einem zuvor geschlossenen Vertrag darstellt.138
Eine Vereinbarung zur Abbedingung des § 17 TzBfG ist nicht zulässig.139 Möglich 102
ist wohl die Vereinbarung über einen Klageverzicht nach Beendigung der Beschäfti-
gung und im Prozess in Form eines Vergleichs.
VII. Klauselmuster
Wie bereits oben erläutert, stellt die Formulierung einer wirksamen Befristungsklau- 103
sel an den Vertragsersteller keine besonders hohe Hürde dar. Es gilt im Grunde der
Merksatz „weniger ist mehr“, so dass Befristungsklauseln möglichst schlank gestal-
tet werden sollten, insbesondere ohne den Grund der Befristung zu nennen (soweit
keine tarifvertraglichen Regelungen hier andere Vorgaben machen).
Klauselmuster
Zeitbefristung (vorzugswürdig)
(5) Das Arbeitsverhältnis ist befristet und endet am [Beendigungsdatum].
(6) Das Arbeitsverhältnis ist auch vor Ablauf der Befristung ordentlich kündbar.
(alternativ) Zweckbefristung
Das Arbeitsverhältnis ist befristet und endet mit Fertigstellung des Projektes xy, spätestens am [Be-
endigungsdatum].
B. A
ltersgrenze
I. E
inführung
In den meisten auf Dauer geschlossenen Arbeitsverträgen findet sich eine Altersgren- 104
zenvereinbarung. Da Arbeitsverhältnisse nicht automatisch mit dem Eintritt in das
Christ
226 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
140 BAG, Urt. v. 28.09.1961 – 2 AZR 428/60; BAG, Urt. v. 20.12.1984 – 2 AZR 3/84; BAG, Urt. v.
20.11.1987 – 2 AZR 284/86.
141 Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II A 20 Rn. 3.
142 BAG, Urt. v. 08.08.2007 – 7 AZR 605/06, Rn. 18.
143 BAG, Urt. v. 14.08.2002 – 7 AZR 469/01; BAG, Urt. v. 27.07.2005 – 7 AZR 443/4, Rn. 25.
144 BAG, Urt. v. 18.06.2008 – 7 AZR 116/07, Rn. 21.
145 BAG, Urt. v. 27.07.2005 – 7 AZR 443/04, Rn. 30.
Christ
B. Altersgrenze 227
tung wegen des Alters ist nicht von der konkreten wirtschaftlichen Absicherung des
Arbeitnehmers bei Erreichung der Altersgrenze abhängig.146 Laut BAG bestehe durch
die gesetzliche Rentenversicherung ein geeignetes Altersversorgungssystem für
Arbeitnehmer, das nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ihren Lebens-
unterhalt sicherstelle. Da die sich aus der Beitragszahlung ergebende Versorgung
vorhersehbar sei und auch der Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand feststehe,
sei der Arbeitnehmer gehalten, seine Lebensplanung auf die zu erwartenden Versor-
gungsbezüge einzustellen.147
Allerdings ist eine Altersgrenze ohne finanzielle Absicherung oder auch bei 108
Abstellen auf eine Rente mit Abschlägen des Arbeitnehmers nicht zu rechtfertigen.
Das sind solche Altersgrenzen, die entgegen der Regelaltersgrenze der Rentenversi-
cherung einen vorgezogenen Zeitpunkt für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
bestimmen.148 Bestandteil des Sachgrundes der Befristung ist somit die Anbindung
an eine rentenrechtliche Versorgung beim Ausscheiden bei Erreichung der Alters-
grenze.149
1. AGB-Kontrolle 109
Eine Vereinbarung, durch die das Arbeitsverhältnis durch eine Altersgrenze beendet
wird, hält der AGB-Kontrolle stand. Eine solche Regelung ist nicht so ungewöhnlich
i. S. d. § 305c Abs. 1 BGB, dass der Arbeitnehmer nicht mit ihr zu rechnen braucht.150
Insbesondere unter den Überschriften „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“151,
„Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses“152 oder „Beginn und Ende der
Arbeitsteilzeit“153 ist eine Altersgrenzenvereinbarung nicht überraschend. Eine
weitere drucktechnische Hervorhebung ist hier nicht erforderlich.154 Notwendig ist
aber aufgrund der weitreichenden wirtschaftlichen Folgen, dass die Befristungsab-
rede den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den durchschnittli-
chen Arbeitnehmer hinreichend bestimmt erkennen lässt.155
Christ
228 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
B. Altersgrenze 229
bauend auf der EuGH-Rechtsprechung eine neue Möglichkeit der Altersbefristung mit
Mitarbeitern oberhalb der Regelaltersgrenze vorgesehen.159
III. Klauseltypen
1. Altersgrenze 65
Durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz wurde ab dem 1.1.2008 die stu- 114
fenweise Anhebung der Regelaltersgrenze gemäß § 35 S. 2 SGB VI vom 65. auf das
67. Lebensjahr angeordnet. In vielen Altverträgen, gleichgültig, ob Tarifverträge,
Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträge, sind noch Vertragsklauseln enthalten,
die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellen. Diese werden der aktuel-
len Rechtslage nicht mehr gerecht, da der Arbeitnehmer bei Erreichung des Beendi-
gungszeitpunktes die gesetzliche Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat. Deshalb
soll auf die Vereinbarungen, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 65.
Lebensjahr vorsehen, § 41 S. 2 SGB VI angewandt werden. 160 Dieser bestimmt, dass
Vereinbarungen grundsätzlich als auf die für den einzelnen Arbeitnehmer geltende
Regelaltersgrenze abgeschlossen gelten. Damit ist sichergestellt, dass ein möglicher
vorzeitiger Rentenanspruch nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führt, wenn
nicht der Arbeitnehmer einer solchen Auflösung im rentennahen Alter frühestens drei
Jahre im Voraus zugestimmt hat.161 An die Stelle der Altersgrenze 65 tritt demnach die
individuelle regelaltersgrenze des jeweiligen Arbeitnehmers.
In der Literatur wird die Anwendung des § 41 S. 2 SGB VI auf die Fälle der Alters- 115
grenze von 65 Jahren teilweise abgelehnt.162 Nach dieser Auffassung ist die Alters-
vereinbarung dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien eine Beendigung
zum Zeitpunkt des erstmaligen Bezugs einer Regelaltersgrenze vereinbaren wollten.
Ist die Auslegung nicht zielführend, kann auch an eine Störung der Geschäfts-
grundlage gedacht werden.163 Anders ist dies zu beurteilen bei Neuverträgen, die
nach dem 1.1.2008 geschlossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt war die Änderung des
Rentenversicherungsrechts in Kraft getreten und es ist davon auszugehen, dass den
Vertragsparteien die Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre bekannt ist. Wurde
dennoch die „Altersgrenze 65“ vereinbart, so liegt eine bewusste Abweichung von der
Regelaltersgrenze vor und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde unabhän-
gig von dieser Grenze vertraglich vereinbart. Eine solche Regelung ist grundsätzlich
unwirksam, denn der Arbeitnehmer scheidet zu einem Zeitpunkt aus dem Arbeits-
Christ
230 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verhältnis aus, zu dem er noch nicht durch Leistungen der gesetzlichen Rentenversi-
cherung abgesichert ist.164
2. Regelaltersgrenze
116 Vereinbaren die Vertragsparteien eine Klausel zur Altersgrenze, so endet das Arbeits-
verhältnis automatisch mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Regel-
altersgrenze vollendet. Eine solche Klausel ist mit § 41 S. 2 SGB VI vereinbar, weil die
Vorschrift lediglich Altersgrenzen vor Erreichen der Regelaltersgrenze betrifft.
117 Die Vereinbarung einer Altersgrenze stellt eine Befristung des Arbeitsvertrages
dar. Aus diesem Grund sollten die Parteien vorsorglich klarstellen, dass eine ordent-
liche Kündigung trotzdem möglich ist. Gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG ist ein befristetes
Arbeitsverhältnis nur dann ordentlich kündbar, wenn dies ausdrücklich im Arbeits-
vertrag oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart wurde.
3. Selbständige Altersgrenze
118 Die Vereinbarung einer Altersgrenze, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses führt, ohne dabei an Rentenansprüche des Arbeitnehmers gebunden zu sein,
ist grundsätzlich unzulässig. Altersgrenzenvereinbarungen sind gerade dadurch
gerechtfertigt, dass mit Erreichen der Regelaltersgrenze der Arbeitnehmer insoweit
wirtschaftlich abgesichert ist, als er ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf gesetzliche
Altersrente hat. Regelungen, die nicht an diese Altersgrenze anknüpfen sind unter
Berücksichtigung des Art. 12 Abs. 1 GG und der arbeitsrechtlichen Befristungskont-
rolle nur ausnahmsweise gerechtfertigt.165 Die von der Rechtsprechung zur Rechtfer-
tigung der Altersbegrenzung herangezogenen Gründe, wie die Personal- und Nach-
wuchsplanung, reichen hier für eine Rechtfertigung nicht aus.
119 Folgende Klausel ist demnach unzulässig:
Beispiel
Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des Monats, in dem der/die Arbeitnehmer/in das 58. Lebens-
jahr vollendet.
120 Auch eine Abfindungszahlung an den Arbeitnehmer oder die Aufstockung des
Arbeitslosengelds auf den Betrag des letzten Nettogehalts, ändert nichts an der
Unwirksamkeit der Vereinbarung.166 Die Unwirksamkeit der Klausel hat zur Folge,
Christ
C. Erwerbsminderung 231
dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande kam, das auch nicht ohne Kündi-
gung mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet.
In wenigen Ausnahmefällen ist eine Regelung einer Altersgrenze ohne Rück- 121
sicht auf die Regelaltersgrenze wirksam. Die Voraussetzung für eine solche Verein-
barung ist, dass die besonderen Anforderungen des Berufs die Beendigung zu einem
früheren Zeitpunkt erforderlich machen, wie dies beispielsweise bei Piloten bejaht
wurde,167 die zusätzlich durch eine besondere Übergangsversorgung wirtschaftlich
abgesichert sind.168
Eine Altersgrenze sollte in keinem Arbeitsvertrag fehlen. Dabei ist zu beachten, 122
dass die Vereinbarung aufgrund der Dynamik der Regelaltersgrenze kein konkretes
Lebensalter für die Beendigung des Arbeitsvertrages nennen sollte, sondern besser
auf das Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze gemäß § 35 SGB VI abstellen
sollte. Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass das Arbeitsverhältnis ordent-
lich kündbar bleibt.
Hiernach ergibt sich folgender Formulierungsvorschlag:
Klauselmuster
Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem
die/der Mitarbeiter/in die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer ent-
sprechenden Versorgungseinrichtung vollendet. Zuvor kann das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten
ordentlich gekündigt werden.
C. E
rwerbsminderung
167 BAG, Urt. v. 12.02.1992 – 7 AZR 100/91; BAG, Urt. v. 21.07.2004 – 7 AZR 589/03; Preis/Rolfs, Arbeits-
vertrag, II A 20 Rn. 28.
168 BVerfG, Urt. v. 25.11.2004 – 1 BvR 2459/04; BAG, Urt. v. 12.02.1992 – 7 AZR 100/91.
169 BAG, Urt. v. 15.03.2006 – 7 AZR 332/05; BAG, Urt. v. 14.10.2003 – 9 AZR 100/03.
Christ
232 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
hältnisses zur Folge haben170 und nur dann als auflösende Bedingung gestaltet sein,
wenn dem Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsanspruch auf einem freien Arbeits-
platz eingeräumt wird.171 Auch im Falle der Gewährung einer dauernden Erwerbsun-
fähigkeitsrente darf das Arbeitsverhältnis nicht enden, wenn der Arbeitnehmer frist-
gerecht Widerspruch gegen den Bescheid des Rentenversicherungsträgers erhoben
hat.172
125 Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
wurde ab dem 1.1.2001 wurde die Systematik der Berufs- und Erwerbsunfähigkeits-
rente aufgehoben. Es gibt nun nur noch eine einheitliche Erwerbsminderungsrente,
die keinen Berufsschutz mehr vermittelt, sondern alleine darauf abstellt, ob der Ver-
sicherte einer Tätigkeit mindestens sechs oder drei Stunden am Tag nachgehen kann.
126 § 43 SGB VI sieht eine zweistufige Erwerbsminderungsrente vor. Keine
Erwerbsminderungsrente erhält danach, wer noch ein Restleistungsvermögen von
sechs Stunden oder mehr hat. Volle Erwerbsminderungsrente wird dagegen bei einem
Restleistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von unter drei Stunden
gezahlt. Ein Anspruch auf halbe Erwerbsminderungsrente besteht bei einem Restleis-
tungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden.
127 Eine Klausel, die die Beendigung oder das Ruhen des Arbeitsverhältnisses sogar
bei nur teilweiser Erwerbsminderung vorsieht, begegnet in Anbetracht von § 81 SGB
IX erhöhten Wirksamkeitsbedenken. Zudem besteht die Gefahr, dass eine solche
Klausel von Arbeitsgerichten gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB als unangemes-
sene Benachteiligung der Arbeitnehmer gewertet werden könnte. Gleichwohl kann
die Aufnahme einer entsprechenden Vertragsregelung hilfreich sein, um für später
auftretende Fälle von Erwerbsminderungen zumindest eine argumentative Leitlinie
und in den Fällen von unbefristeten vollen Erwerbsminderungen eine wirksame
Beendigungsklausel zu haben.
128 Es eignet sich folgender Formulierungsvorschlag:
Klauselmuster
Der Arbeitsvertrag endet auch mit Ablauf des Monats, in dem ein Bescheid zugestellt wird, mit dem
der zuständige Sozialversicherungsträger bei dem Arbeitnehmer eine volle Erwerbsminderung fest-
stellt, bei späterem Beginn des entsprechenden Rentenbezugs jedoch erst mit Ablauf des dem Ren-
tenbeginn vorhergehenden Tages, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang einer schriftlichen
Unterrichtung des Arbeitnehmers durch die Arbeitgeberin über den Eintritt der auflösenden Bedin-
gung. Der Arbeitnehmer hat die Arbeitgeberin von der Zustellung des Rentenbescheids unverzüglich
zu unterrichten. Liegt im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine nach § 92 SGB IX
erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes noch nicht vor, endet das Arbeitsverhältnis mit Ab-
lauf des Tages der Zustellung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamtes. Gewährt der So-
zialversicherungsträger nur eine befristete Rente auf Zeit von unter zwei Jahren Dauer, so ruht der
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 233
Arbeitsvertrag für den Bewilligungszeitraum dieser Rente, längstens jedoch bis zum Eintritt eines
anderweitigen Beendigungsgrundes.
Eine Klausel, die die Beendigung oder das Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei teilwei- 129
ser Erwerbsminderung vorsieht, ist mit § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX nicht vereinbar. Zudem
benachteiligt eine solche Klausel den Beschäftigten gemäß § 307 Abs. 1 und Abs. 2 N.1
BGB unangemessen. Höchstens im Rahmen einer unbefristeten vollen Erwerbsmin-
derung könnte eine Klausel der Inhaltskontrolle standhalten.
Angesichts der hohen Anforderungen an eine solche Klausel und der Unsicher- 130
heit ihrer Wirksamkeit, wird von einer entsprechenden Vereinbarung abgeraten.
D. D
ie Kündigung des Arbeitsverhältnisses
(insb. Kündigungsvereinbarungen)
I. E
inführung
In der Praxis zählen Vereinbarungen in Zusammenhang mit der Kündigung längst 131
zu den gängigen Gestaltungsmechanismen eines Arbeitsvertrages. Im ersten Moment
verwundert dies, ist doch das geltende Kündigungsschutzrecht weitestgehend
zwingender Natur. Dennoch finden sich in der Vertragspraxis häufig Klauseln etwa
zu Kündigungsfristen sowie zur Regelung des außerordentlichen bzw. ordentlichen
Kündigungsrechts, insbesondere zum Ausschluss von Kündigungsrechten oder zur
Erweiterung außerordentlicher Kündigungsgründe, Regelungen für den Fall der Kün-
digung vor Dienstantritt173 und weitere Klauseln zur Regelung spezieller Fragestellun-
gen wie z. B. zur Umdeutung von Kündigungserklärungen oder Gleichbehandlungs-
klauseln.
Aufgrund des zwingenden Charakters des Kündigungsschutzrechts sind entspre- 132
chende vertragliche Vereinbarungen jedoch stets daraufhin zu überprüfen, ob sie
dem gesetzlichen Leitbild entsprechen und den Kündigungsschutz nicht unterlaufen.
1. U
mdeutung einer unwirksamen (fristlosen) außerordentlichen Kündigung in eine
ordentliche Kündigung
Der häufigste Anwendungsfall der Umdeutung nach § 140 BGB ist der Fall, dass eine 133
Vertragspartei eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, die sich in
der Folgezeit als unwirksam erweist. In Betracht kommt dann eine Umdeutung der
Christ
234 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 235
Eine Umdeutung ist dagegen ausgeschlossen, wenn sich der Kündigungserklä- 137
rende in der Kündigungserklärung durch (ggf. missverständliche) Äußerungen aus-
drücklich nur auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bezogen hat
oder – im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes – der Arbeitgeber im
Vorfeld der Kündigung den Betriebsrat nur zum Ausspruch einer außerordentliche
Kündigung angehört hat (vgl. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG).181
Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Kündigenden in Bezug auf 138
die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentli-
che Kündigung kann sich – trotz der herrschenden Ansicht, dass eine als „fristlos“
erklärte Kündigung den Beendigungswillen des Kündigenden bereits ausreichend
zum Ausdruck bringt – im Einzelfall dennoch als risikobehaftet gestalten. Dem kann
durch die Aufnahme einer Klausel in den Arbeitsvertrag begegnet werden, die den
mutmaßlichen Willen des Kündigenden ausdrücklich benennt und ihn so für den
Kündigungsempfänger erkenntlich macht. Hierzu eignet sich das folgende Klausel-
muster:
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Eine fristlose Kündigung gilt im Falle ihrer Unwirksamkeit als fristgemäße Kündigung zum nächst
zulässigen Termin.
2. U
mdeutung einer verspätet zugegangenen Kündigung in eine Kündigung zum
nächst zulässigen Zeitpunkt
Nicht notwendig sind solche Vereinbarungen, die eine dem Arbeitnehmer verspätet 139
zugegangene Kündigung in eine Kündigung zum nächsten zulässigen Termin umdeu-
ten wollen. Denn eine an sich wirksame Kündigung, die dem Arbeitnehmer verspätet
zugeht, beendet das Arbeitsverhältnis ohnehin zum nächst zulässigen Zeitpunkt.182
III. Schriftformerfordernis
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung (oder auch durch Auf- 140
lösungsvertrag) bedarf gemäß § 623 BGB der Schriftform. Der Schriftform unterliegt
damit
181 Zur Problematik der fehlenden Anhörung auch zu einer ordentlichen Kündigung vgl. BeckOK
ArbeitsR/Volkening, § 13 KSchG Rn 18; KR/Friedrich, § 13 KSchG Rn 103 ff.; zur entsprechenden Proble-
matik bei der Anhörung des Integrationsamtes vgl. BeckOK ArbR/Volkening, § 13 KSchG Rn 19.
182 Preis/Preis, Kündigungsvereinbarungen, II K 10 Rn 7; Ascheid/Preis/Schmidt/Linck, § 622 BGB
Rn 66 ff.
Christ
236 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
141 Um der Schriftform zu genügen, ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass der
Kündigende die Kündigungserklärung eigenhändig durch Namensunterschrift
oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet, § 623 BGB
i. V. m. § 126 Abs. 1 BGB. § 623 BGB schließt eine Erklärung der Kündigung durch elek-
tronische Form (§ 126a BGB) aus.183
Praxistipp
Der Schriftform genügen daher nicht, z. B. Kündigungen
– durch SMS;184
– durch E-Mail;185
– durch Telefax;186
die nur mit einer eingescannter Unterschrift unterzeichnet sind.187
Das BAG hat hingegen die Übergabe lediglich einer Kopie des ansonsten ordnungsgemäß unter-
zeichneten Kündigungsschreibens als die Schriftform wahrend angesehen, wenn dem Empfänger in
Anwesenheit des Kündigungserklärenden bei der Übergabe der Kopie eine sofortige Einsicht in das
unterschriebene Original möglich gewesen ist.188
Ebenfalls dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB entspricht der Abschluss eines gerichtlichen
Vergleichs.189
142 Das Erfordernis der Schriftform ist nach § 623 BGB eine zwingende Wirksamkeits-
voraussetzung für die Kündigungserklärung. Es kann weder durch Tarifvertrag oder
Betriebsvereinbarung noch durch eine individualvertragliche Regelung abbedungen
werden.190 Entsprechende arbeitsvertragliche Klauseln sind daher wirkungs- und
nutzlos.
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 237
Für die Wirksamkeit einer Kündigung – ob ordentlich oder außerordentlich – ist die 143
Angabe der Kündigungsgründe in der Regel nicht notwendig.191 Sinnvoll kann
eine Vereinbarung, die die kündigende Partei zur Angabe der Kündigungsgründe ver-
pflichtet, aber aus verfahrens- bzw. prozessökonomischen Gesichtspunkten sein.
Bei Kenntnis der genauen Kündigungsründe kann der betroffene Arbeitnehmer seine
Chancen in einem etwaigen Kündigungsschutzverfahren besser einschätzen und auf
diese Weise einen möglicherweise unnötigen Prozess vermeiden. Zum anderen ist der
Arbeitnehmer beim Erhalt einer außerordentlichen Kündigung nicht darauf ange-
wiesen, den Arbeitgeber um die Mitteilung der Gründe, die zu der außerordentlichen
Kündigung geführt haben, zu bitten (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB).
Teilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer trotz einer entsprechenden Vereinba- 144
rung die Kündigungsgründe nicht mit, so macht er sich diesem gegenüber scha-
densersatzpflichtig.192 Dagegen führt der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nicht
zwingend auch zu einer Unwirksamkeit der Kündigung, es sei denn, dass auch
dies ausdrücklich zum Gegenstand der Vereinbarung geworden ist.
Sieht die Vereinbarung ausdrücklich vor, dass die Kündigung im Falle eines Ver- 145
stoßes gegen die Mitteilungspflicht über den Kündigungsgrund auch unwirksam sein
soll, ist für den Kündigenden besondere Vorsicht geboten.
Fettnapf
Nach der Rechtsprechung des BAG hat die Angabe der Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben in
der Weise zu erfolgen, dass im Prozess nicht ernsthaft streitig werden kann, auf welchen Lebenssach-
verhalt die Kündigung gestützt war. Allein die Bezugnahme auf ein inhaltlich nicht näher umschriebe-
nes Gespräch reicht dafür nicht.193
Zur Vereinbarung einer Begründungspflicht bei Ausspruch einer Kündigung emp- 146
fiehlt sich das folgende Klauselmuster. Ein Verstoß führt lediglich zu einer Schadens-
ersatzpflicht des Kündigenden.
Christ
238 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) In der Kündigung sind die Kündigungsgründe anzugeben.
147 Soll ein Verstoß gegen die Pflicht zur Angabe der Kündigungsgründe darüber hinaus
auch die Unwirksamkeit der Kündigung mit sich ziehen, so muss diese weitrei-
chende Rechtsfolge ausdrücklich geregelt werden. In diesem Fall sollte sich der Ver-
tragsgestalter aber über die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an den Grad
der Genauigkeit des Begründungserfordernisses im Klaren sein.
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Die Kündigung hat unter der Angabe der Kündigungsgründe zu erfolgen. Fehlt die Angabe der
Kündigungsgründe, so ist die Kündigung unwirksam.
148 Nach der gesetzlichen Vorgabe soll eine außerordentliche Kündigung nur dann
rechtlich zulässig sein, wenn diese auf einen wichtigen Kündigungsgrund gestützt
werden kann. Ein wichtiger Grund liegt nur dann vor, wenn nach den Umständen des
Einzelfalles unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum vorgesehenen Zeitpunkt bzw. bis zum Ablauf der Kündi-
gungsfrist nicht mehr zumutbar ist. Der Gehalt des materiellen Kündigungsschutz-
rechts ist insoweit zwingend. Es stellt sich daher die berechtigte Frage, inwieweit
die grundsätzliche Unabdingbarkeit des § 626 BGB einem vertraglichen Ausschluss,
einer Einschränkung oder Erweiterung des außerordentlichen Kündigungsrechts ent-
gegensteht.
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 239
vertrag gebunden sein und die Möglichkeit haben, sich von dem Vertragsverhältnis
zu lösen. Aus diesem Grund ist der vertragliche Ausschluss des außerordentlichen
Kündigungsrechts unzulässig und nach § 134 BGB unwirksam.196
Der Grundsatz der Unabdingbarkeit des außerordentlichen Kündigungsrechts 150
umfasst auch die 2-wöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB.
Eine außerordentliche Kündigung kann nach der Vorgabe des § 626 Abs. 2 BGB nur
innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis der für sie maßgebenden
Tatsachen ausgesprochen werden. Hintergrund dieser Vorgabe ist, dass der Gekün-
digte so schnell wie möglich Klarheit darüber haben soll, ob der Kündigungsberech-
tigte den Pflichtenverstoß zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung macht.
Die enge Fristenvorgabe soll mithin der Rechtssicherheit dienen und stellt rechtlich
gesehen einen Verwirkungstatbestand dar. Sie kann weder durch Individualvereinba-
rung noch tariflich geändert oder gar ausgeschlossen werden.197
Christ
240 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
tigen Grundes an eine Verpflichtung des Kündigenden zur Zahlung einer Vertrags-
strafe oder Abfindung zu knüpfen.201
Beispiel
– Nach einer vertraglichen Ergänzung zum Arbeitsvertrag sollte der Entzug der Fahrerlaubnis bzw.
ein Fahrverbot von einem Monat den Arbeitgeber zum Ausspruch einer außerordentlichen Kün-
digung berechtigen. Tatsächlich wurde dem Arbeitnehmer aufgrund einer Trunkenheitsfahrt die
Fahrerlaubnis für die Dauer von drei Monaten entzogen, woraufhin ihm der Arbeitgeber fristlos
kündigte.
– Das LAG Nürnberg204 lehnt die Erweiterung des Rechts zur außerordentlichen Kündigung unter
Hinweis auf die entgegenstehenden zwingend festgelegten gesetzlichen Kündigungsfristen ab.
Diese dürften durch die bloße Festlegung eines Sachverhalts als wichtigen Grund nicht umgan-
gen werden. Jedoch könne eine solche Vereinbarung die Schwerpunkte einer im Rahmen des
§ 626 Abs. 1 BGB stets vorzunehmenden Interessenabwägung verlagern.
201 BAG, Urt. v. 8.8.1963 – 5 AZR 395/62 – DB 1963, 1543; BeckOK ArbR/Stoffels, § 626 BGB Rn 22;
Preis/Preis, II K 10 Rn 19.
202 BAG, Urt. v. 17.4.1956 – 2 AZR 340/55 – AP Nr 8 zu § 626 BGB; bestätigt durch BAG, Urt. v.
22.11.1973 – 2 AZR 580/72 – DB 1974, 878.
203 Beispiele einer unzulässigen Erweiterung des außerordentlichen Kündigungsrechts BAG, Urt. v.
22.11.1973 – 2 AZR 580/72 – DB 1974, 878 (Fehlbestände in einer Verkaufsstelle); BAG, Urt v. 15.3.1991 –
2 AZR 516/90 – DB 1992, 896 (außerordentliches Kündigungsrecht bei Wegfall der Förderung durch die
Bundesagentur für Arbeit); weitere Beispiele bei Preis/Preis, II K 10 Rn 20.
204 LAG Nürnberg, Urt. v. 26.4.2001 – 8 Sa 770/00 – BB 2001, 1906.
205 LAG Nürnberg, Urt. v. 26.4.2001 – 8 Sa 770/00 – BB 2001, 1906.
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 241
Praxistipp
Aufgrund der Unzulässigkeit einer Erweiterung des außerordentlichen Kündigungsrechts können ent-
sprechende Kündigungsvereinbarungen allenfalls im Rahmen einer Interessenabwägung Berücksich-
tigung finden. Dieses Ergebnis kann jedoch auf einfachere Weise dadurch erreicht werden, dass die
Vertragsparteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis besonders sorgfältig regeln und festschrei-
ben, welche Punkte als besonders wichtig für das Arbeitsverhältnis anzusehen sind.
Ähnliche Fragen nach zulässigen Möglichkeiten eines Ausschlusses, einer Beschrän- 158
kung oder Erweiterung stellen sich, wie bereits bei der außerordentlichen Kündigung,
auch im Rahmen des ordentlichen Kündigungsrechts.
Christ
242 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
a) Beidseitiger Ausschluss
160 Ein beidseitiger Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts ist aufgrund der
Vertragsautonomie grundsätzlich möglich.211 Die Gestaltungsmöglichkeiten sind
hier vielfältig: der Ausschluss kann für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses
(Klauselmuster 1), für eine begrenzte Zeit ab Vertragsbeginn (Klauselmuster 2), eine
bestimmte Zeitspanne (Klauselmuster 3) oder erst ab einem bestimmten Zeitpunkt
nach Beginn des Vertragsverhältnisses (Klauselmuster 4) vereinbart werden.212
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster 1:
(…) Das Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wird für beide Vertragsparteien
ausgeschlossen.
Klauselmuster 2:
(…) Das Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wird bis zum Ablauf des [Anzahl]
[Monats/Jahres] ab Vertragsbeginn für beide Vertragsparteien ausgeschlossen.
Klauselmuster 3:
(…) Das Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wird für den Zeitraum vom [Da‑
tum] bis [Datum] für beide Vertragsparteien ausgeschlossen.
Klauselmuster 4:
(…) Nach einer Beschäftigungsdauer von [Anzahl] [Monaten/Jahren] können die Vertragsparteien das
Arbeitsverhältnis nur außerordentlich aus wichtigem Grund kündigen. Das Recht zur ordentlichen
Kündigung ist ab diesem Zeitpunkt für beide Vertragsparteien ausgeschlossen.
161 Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts führt nach herrschender Auffas-
sung nicht zu einer unzulässigen und im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB unwirksamen
Knebelung des Arbeitnehmers.213 Handelt es sich um einen Vertrag, der für eine
längere Zeit als fünf Jahre oder sogar auf Lebenszeit abgeschlossen wurde, so räumt
§ 624 BGB dem Arbeitnehmer ein Kündigungsrecht nach dem Ablauf von fünf Jahren
mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ein. Trotz des Ausschlusses des Rechts
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 243
zur ordentlichen Kündigung verbleibt dem Arbeitnehmer somit die Möglichkeit, sich
entweder aufgrund eines wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB oder nach § 624
BGB vom Vertrag lösen. Wie das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626
BGB ist auch die Kündigungsbefugnis nach § 624 BGB zwingendes Kündigungsschutz-
recht und damit unabdingbar.214
b) Einseitiger Ausschluss
Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts ist grundsätzlich zulässig, wegen 162
der Regelung in § 622 Abs. 6 BGB aber nur zugunsten des Arbeitnehmers.215
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Das Recht zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitnehmer
wird [ggf. für den Zeitraum vom (Datum) bis (Datum)] ausgeschlossen.
Christ
244 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) a) Auf das Arbeitsverhältnis findet [mit Vertragsbeginn/mit Beschäftigungsbeginn/nach Ablauf
von (Anzahl) (Wochen/Monaten) nach Vertragsbeginn/Beschäftigungsbeginn] das Kündigungs-
schutzgesetz Anwendung.
b) Für den Fall, dass der Betrieb nicht mehr unter den Geltungsbereich des § 23 KSchG fallen sollte,
vereinbaren die Vertragsparteien, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes auf das Ar-
beitsverhältnis anzuwenden sind.
165 § 622 Abs. 2 BGB regelt die verlängerten Kündigungsfristen, die sich an der zuneh-
menden Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers, d. h. dem rechtlichen Bestand
seines Arbeitsverhältnisses, orientieren. Dabei werden vorangehende Ausbildungs-
zeiten berücksichtigt.220 Da es für die Beschäftigungsdauer allein auf den rechtlichen
Bestand des Arbeitsverhältnisses ankommt, haben tatsächliche Unterbrechungen
des Arbeitsverhältnisses (z. B. während der Elternzeit) hierauf keinen Einfluss.221 Die
verlängerten Kündigungsfristen gelten in der Regel nur für die Kündigung durch den
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 245
Arbeitgeber, bei der Kündigung durch den Arbeitnehmer bleibt es, vorbehaltlich einer
anderweitigen vertraglichen Regelung, bei der Grundkündigungsfrist.
Checkliste
Staffelung der verlängerten Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB:
Christ
246 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Mit Kündigungsfrist:
(…) Das Aushilfsarbeitsverhältnis kann von beiden Vertragsparteien mit einer Frist von [Anzahl] [Ta‑
gen/Wochen] gekündigt werden. Wird das Arbeitsverhältnis über die Dauer von drei Monaten fortge-
setzt, so richtet sich die Kündigungsfrist nach den gesetzlichen Vorschriften.
Ohne Kündigungsfrist (entfristete ordentliche Kündigung):
(…) Das Aushilfsarbeitsverhältnis kann in den ersten drei Monaten der Beschäftigung ohne Einhal-
tung einer Kündigungsfrist jederzeit ordentlich gekündigt werden.
3. Kündigungsfristen in Kleinbetrieben
169 Arbeitgeber, die in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, können
gemäß § 622 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BGB einzelvertraglich eine kürzere als die in § 622 Abs. 1
BGB genannte Kündigungsfrist vereinbaren, wenn die Kündigungsfrist insgesamt vier
Wochen nicht unterschreitet. Kleinunternehmern wird damit die Möglichkeit einge-
räumt, von den in § 622 Abs. 1 BGB festgelegten Kündigungsterminen abzuweichen.
170 Hierfür kann folgendes Klauselmuster empfohlen werden:
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Die Grundkündigungsfrist beträgt vier Wochen.
Christ
D. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Kündigungsvereinbarungen) 247
eine solche Vereinbarung in der Weise auszulegen, dass sich die vereinbarten Kündi-
gungsfristen an den gesetzlich festgelegten Kündigungsterminen orientieren, sofern
aus der Vereinbarung nicht ein anderweitiger Wille der Vertragsparteien erkennbar
ist. Prinzipiell ist es zulässig, dass der Arbeitgeber eine entsprechende Verlängerung
der Kündigungsfristen in von ihm gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen
regelt.227
Bei der Gestaltung einer entsprechenden Vereinbarung ist darauf zu achten, dass 172
nach § 622 Abs. 6 BGB für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeit-
nehmer keine längeren Fristen vereinbart werden dürfen als für die Kündigung
durch den Arbeitgeber. Aus diesem Grund sollte aus der Vereinbarung stets klar
hervorgehen, ob die verlängerten Kündigungsfrist für beide Vertragsparteien gelten
soll oder nur für eine arbeitgeberseitige Kündigung.228 Eine weitere Grenze bei der
Gestaltung einer einzelvertragliche Verlängerung der Kündigungsfristen ergibt sich
aus § 624 BGB, wonach der Arbeitnehmer an den Arbeitsvertrag höchstens für die
Dauer von fünfeinhalb Jahren gebunden werden darf. Vereinbaren die Parteien
dennoch eine längere Kündigungsfrist als die gesetzlich vorgegebene, so ist die Ver-
einbarung unwirksam mit der Folge, dass auf die gesetzlichen Kündigungsfristen
nach § 622 Abs. 1 und 2 BGB zurückzugreifen ist.229
Für eine einzelvertragliche Verlängerung der Kündigungsfristen eignet sich fol- 173
gendes Klauselmuster:
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Das Arbeitsverhältnis kann mit einer Frist von [Anzahl] [Monaten/Jahren] zum [Vierteljahresende/
Halbjahresende/Jahresende] gekündigt werden.
227 BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 896/07; BAG; Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 717/07 – NZA 2009, 370.
228 Preis/Preis, II K 10 Rn 59.
229 Preis/Preis, II K 10 Rn 61.
230 BeckOK BGB/Fuchs, § 622 Rn 9; Preis/Preis, II K 10 Rn 64.
Christ
248 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
wonach entsprechende Zeiten bei der Berechnung des Bestands des Arbeitsverhält-
nisses berücksichtigt werden sollen:231
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber/zur
X-GmbH werden auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit angerechnet.
175 Ebenso ohne Einfluss auf die Berechnung der Beschäftigungsdauer sind Zeiten, in
denen der Arbeitnehmer wegen Krankheit, Urlaub, Arbeitskampf oder Annahmever-
zug tatsächlich nicht beschäftigt war. Auch diese Zeiten zählen bei der Berechnung
der Beschäftigungsdauer dazu.232
176 Gemäß § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sollen bei der Berechnung der verlängerten Kündi-
gungsfrist Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des
Arbeitnehmers liegen, keine Berücksichtigung finden. Diese Vorschrift verstößt nach
Auffassung des EuGH gegen das Verbot der Altersdiskriminierung und damit gegen
geltendes europäisches Recht.233 Sie ist deshalb nicht anzuwenden.234
5. Gleichbehandlungsklauseln
177 Die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB gelten nach dem Wortlaut
der Vorschrift nur für eine Kündigung durch den Arbeitgeber. Kündigt nach einer
längeren Beschäftigungsdauer dagegen der Arbeitnehmer, so gilt für ihn die Grund-
kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines
Kalendermonats.
178 Im Einzelfall kann der Arbeitgeber durchaus ein berechtigtes Interesse235 haben,
seine Kündigungsfrist an die des Arbeitnehmers anzugleichen. Dies ist zulässig und
wirksam, solange für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitneh-
mer keine längere Frist vereinbart wird als für die Kündigung durch den Arbeitgeber
(§ 622 Abs. 6 BGB).236
179 Für die sog. Gleichstellungsabrede empfiehlt sich das folgende Klauselmuster:237
Christ
E. Probezeit 249
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(…) Das Arbeitsverhältnis kann von beiden Vertragsparteien ordentlich unter Einhaltung der für den
Arbeitgeber nach § 622 BGB gesetzlich geltenden Kündigungsfristen gekündigt werden.
E. P
robezeit
I. G
rundlagen
Während der ersten sechs Monate eines Beschäftigungsverhältnisses findet das 180
KSchG – unabhängig davon, ob die Parteien eine Probezeit vereinbart haben, – keine
Anwendung, § 1 Abs. 1 KSchG. Erst nach einem Bestand des Arbeitsverhältnisses in
demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung über länger als sechs
Monate ist die sog. Wartezeit erfüllt und das Kündigungsschutzgesetz anwendbar.
Von der Wartezeit zu unterscheiden ist hingegen die sog. Probezeit, deren Verein-
barung für die Dauer vom maximal sechs Monaten zulässig ist und die in erster Linie
dem Zweck dient, die kurze Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB zu vereinbaren.
Gemäß § 622 Abs. 3 BGB kann das Arbeitsverhältnis während einer vereinbarten Pro- 181
bezeit mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Die Vereinbarung der Pro-
bezeit ist längstens für die Dauer von sechs Monaten zulässig. Nach einer Beschäfti-
gungsdauer von sechs Monaten gilt die vierwöchige Grundkündigungsfrist des § 622
Abs. 1 BGB. Während der Probezeit kann die Kündigungsfrist durch einzelvertragliche
Vereinbarung verlängert werden. Dagegen ist eine individualvertraglich geregelte
Verkürzung der Kündigungsfrist auf weniger als zwei Wochen gemäß § 622 Abs. 3 BGB
i. V. m. § 622 Abs. 5 BGB unwirksam.238 Anstelle einer unwirksamen Verkürzungsver-
einbarung tritt dann die gesetzliche Regelung, wonach während der Probezeit eine
Kündigungsfrist von zwei Wochen gilt (§ 622 Abs. 3 BGB).
Folgendes Klauselmuster239 kann zur Vereinbarung einer Probezeit empfohlen 182
werden:
Christ
250 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
Probezeit
(1) Die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Innerhalb der Probezeit
kann das Arbeitsverhältnis von beiden Parteien mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.
(2) Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) bleibt unberührt.
F. K
ündigung vor Dienstantritt
183 Der Ausspruch einer ordentlichen wie auch außerordentlichen Kündigung ist nach
Vertragsschluss grundsätzlich jederzeit möglich – und damit auch bereits vor
Dienstantritt.240 Dies gilt allerdings nur, sofern die Parteien die Kündigungsmög-
lichkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluss einer
solchen Kündigung aus den Umständen ergibt.241 Für die ordentliche Kündigung ist
das Vorliegen von Kündigungsgründen in der Regel nicht notwendig. Denn das Kün-
digungsschutzgesetz ist mangels erfüllter Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG (Beste-
hen des Arbeitsverhältnisses ohne Unterbrechung für länger als sechs Monate) noch
nicht anwendbar.
184 Üblich sind vertragliche Regelungen am Anfang des Vertragstextes, wonach die
ordentliche Kündigung vor Beginn der Beschäftigung ausdrücklich ausgeschlos-
sen ist. Nicht möglich ist hingegen der alleinige Ausschluss der Kündigung durch
den Arbeitnehmer (einseitiger Kündigungsausschluss). Bei der Aufnahme einer Kün-
digungsausschlussklausel in den Arbeitsvertrag ist der Grundsatz nach § 622 Abs. 6
BGB zu beachten, wonach neben dem ausdrücklichen Benachteiligungsverbot des
Arbeitnehmers hinsichtlich der Länge der Kündigungsfristen, auch nicht die Kündi-
gungsbedingungen zulasten des Arbeitnehmers verschärft werden dürfen.242
185 Bei Bedarf können die Vertragsparteien den Kündigungsausschluss mit der Fest-
legung einer Vertragsstrafe verbinden, die der Arbeitnehmer leisten muss, wenn er
das Arbeitsverhältnis rechtswidrig und schuldhaft nicht oder nicht rechtzeitig auf-
nimmt.243
Christ
F. Kündigung vor Dienstantritt 251
Der Ausschluss der außerordentlichen Kündigung ist dagegen aufgrund der 186
Unabdingbarkeit des § 626 BGB nicht zulässig.244
Klauselmuster
Kündigung vor Dienstantritt
Eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ausge-
schlossen.
II. R
egelungen zur Kündigungsfrist
Haben die Vertragsparteien keinen ausdrücklichen Ausschluss des ordentlichen Kün- 187
digungsrechts vereinbart und ergibt sich ein entsprechender Ausschluss auch nicht
aus den Umständen des Einzelfalles, kann das Arbeitsverhältnis grundsätzlich auch
vor Dienstantritt gekündigt werden. In diesem Fall stellt sich jedoch regelmäßig die
Frage, wann die Kündigungsfrist zu laufen beginnt – bereits mit Zugang der Kün-
digungserklärung oder erst an dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitnehmer die Arbeit
vertragsgemäß aufgenommen hat.
In erster Linie kommt es für die Bestimmung, wann bei einer vor Dienstantritt 188
erklärten Kündigung die Kündigungsfrist in Gang gesetzt wird, auf die einzelvertrag-
lichen Vereinbarungen an.245
Haben die Parteien für den Fall einer vor Vertragsbeginn ausgesprochenen 189
ordentlichen Kündigung keine Vereinbarung über den Beginn der Kündigungsfrist
getroffen, so liegt eine Vertragslücke vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsausle-
gung zu schließen ist. Für die Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens und die
hierfür maßgebende Würdigung der beiderseitigen Interessen ist grundsätzlich auf
die konkreten Umstände des Falles abzustellen.246 Als Anhaltspunkte dafür, ob die
Parteien eine auf die Dauer der vereinbarten Kündigungsfrist beschränkte Realisie-
rung des Vertrages gewollt haben oder nicht, kann auf die einzelvertraglichen Ver-
einbarungen, z B. zur Länge der Kündigungsfrist und den Zweck der vorgesehenen
Beschäftigung (bspw. Vereinbarung einer Probezeit) zurückgegriffen werden. Verein-
baren die Parteien etwa eine kürzere als die gesetzlich vorgesehene Kündigungsfrist
oder soll das Arbeitsverhältnis zunächst der Erprobung dienen, so spricht dies gegen
die mutmaßliche Vereinbarung einer Realisierung des Arbeitsverhältnisses für diesen
Zeitraum und für einen Beginn des Laufs der Kündigungsfrist bereits mit Zugang der
Kündigung. Kann der mutmaßliche Wille der Vertragsparteien weder durch Vertrags-
auslegung noch durch ergänzende Vertragsauslegung eindeutig ermittelt werden,
Christ
252 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
soll nach der Rechtsprechung des BAG die Kündigungsfrist bei einer vor Dienstantritt
ausgesprochenen ordentlichen Kündigung im Zweifel bereits mit dem Zugang der
Kündigung beginnen.247
190 Eine vertragliche Regelung führt hier zur Rechtsklarheit und vermeidet eine
unsichere Einzelfallbeurteilung. Abhängig von dem Willen der Parteien, ob sie ein
Interesse an einer zumindest vorübergehenden Realisierung des Arbeitsverhältnisses
haben (Klauselmuster 1) oder nicht (Klauselmuster 2), empfiehlt sich jeweils das fol-
gende Klauselmuster:
Klauselmuster
Beendigung des Arbeitsvertrages
Klauselmuster 1:
(…) Bei einer ordentlichen Kündigung vor Diensteintritt beginnt der Lauf der Kündigungsfrist mit dem
Tag, der dem Tag der vertraglich vereinbarten Arbeitsaufnahme entspricht.
Klauselmuster 2:
(…) Bei einer ordentlichen Kündigung vor Diensteintritt beginnt der Lauf der Kündigungsfrist mit Zu-
gang der Kündigung.
G. F reistellungsvorbehalt
191 Während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer zur Erbrin-
gung seiner vertragsgemäßen Arbeit verpflichtet, sofern diese Pflicht nicht auf-
grund Arbeitsunfähigkeit oder Urlaubs des Arbeitnehmers bzw. Ruhens des Arbeits-
verhältnisses (z. B. während einer Elternzeit) ausnahmsweise entfällt. Daneben steht
dem Arbeitnehmer aber auch ein von der Rechtsprechung anerkannter Beschäfti-
gungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber zu, der in den §§ 611, 613 BGB i. V. m. § 242
BGB, Art. 1 und 2 GG verankert ist. Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von seiner
grundsätzlich bestehenden Arbeitspflicht einseitig frei, berührt dies somit auch den
Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers.
192 In der Rechtsprechung und Literatur sind die Einzelheiten, ob und inwieweit
eine einseitige Freistellung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber in einem unge-
kündigten bzw. gekündigten Arbeitsverhältnis zulässig ist, umstritten. Dennoch
finden sich in Arbeitsverträgen nicht selten vorformulierte Freistellungsklauseln, die
dem Arbeitgeber ein Recht zur einseitigen jederzeit möglichen Freistellung des Arbeit-
nehmers bzw. zu einer Freistellung ab dem, Zeitpunkt einer etwaigen Kündigung bis
zum Ablauf der Kündigungsfrist oder sogar bis zum rechtskräftigen Abschluss eines
247 BAG, Urt. v. 25.3.2004 – 2 AZR 324/03 – NZA 2004, 1089; BAG, Urt. v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05 –
NZA 2006, 1207.
Christ
G. Freistellungsvorbehalt 253
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung stellt zugleich 193
eine Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis dar.248 Er
kann sowohl als gesetzliches Leitbild i. S. v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB oder als eine der
Kardinalpflichten nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB Berücksichtigung finden. Daraus folgt
aber, dass ein genereller formularmäßiger Vorausverzicht des Arbeitnehmers auf
seinen Beschäftigungsanspruch ihn i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen
benachteiligen würde und daher unwirksam wäre.
Die Möglichkeit zur Freistellung kann für den Arbeitgeber indes durch das Vor- 194
liegen sachlicher, ggf. sogar wichtiger Gründe, eröffnet sein. Hierfür reicht nicht
jede sachliche Rechtfertigung aus, vielmehr muss der sachliche Grund von einigem
Gewicht sein, um als schutzwertes Interesse des Arbeitgebers den Beschäftigungs-
anspruch des Arbeitnehmers überwiegen zu können.249 Schützenswerte Arbeitgeber-
interessen in diesem Sinne können etwa sein:
– Wegfall der Vertrauensgrundlage zwischen den Vertragsparteien;
– Fehlende Einsatzmöglichkeit, z. B. aufgrund eines Auftragsmangels oder bei
Betriebsstillegung;
– Eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber, wenn er den
Arbeitnehmer einsetzt; (d. h., wenn der Einsatz des Arbeitnehmers neben den
Lohnkosten, weitere Kosten für den Arbeitgeber verursacht, ohne dass er hier-
durch einen wirtschaftlichen Nutzen erlangt.)
– Vorliegen einer ansteckenden Krankheit des Arbeitnehmers;
– Verdacht einer strafbaren Handlung;
– Gefahr oder Verdacht des Geheimnisverrats;
– Wichtige Gründe i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB. 250
Um dem Gebot transparenter Vertragsgestaltung als auch den durch das BAG auf- 195
gestellten Richtlinien gerecht zu werden, müssen die Voraussetzungen unter denen
eine einseitige Freistellung erfolgen darf, so konkret wie möglich, etwa in Form einer
Aufzählung der einzelnen Freistellungsgründe, gefasst werden.251 Eine Formulierung,
248 Preis/Preis, II F 10 Rn 9.
249 BAG, Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84.
250 Preis/Preis, II F 10 Rn 11.
251 Preis/Preis, II F 10 Rn 12.
Christ
254 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
wonach der Arbeitgeber bei Vorliegen „besonderer Gründe“ zur Freistellung des
Arbeitnehmers berechtigt sein soll, reicht wegen ihrer Unbestimmtheit nicht aus.252
196 Will sich der Arbeitgeber ein Recht zur Freistellung seines Mitarbeiters unabhän-
gig von einem Kündigungsausspruch einräumen, empfiehlt sich hierfür folgendes
Klauselmuster:
Klauselmuster
Freistellungsrecht bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis
Liegt ein sachlicher Grund, insbesondere ein grober Vertragsverstoß des Arbeitnehmers vor, der die
Vertrauensgrundlage beeinträchtigt, ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitnehmer unter Fortzah-
lung der Bezüge vorübergehend von seiner Arbeitspflicht freizustellen. Als grober Vertragsverstoß,
der die Vertrauensgrundlage beeinträchtigt, gilt z. B. Geheimnisverrat oder ein Verstoß gegen das
Wettbewerbsverbot (Konkurrenztätigkeit).
Christ
G. Freistellungsvorbehalt 255
Eine wirksame Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Pflicht zur Leistungser- 200
bringung führt regelmäßig nicht zum Wegfall der Entgeltzahlungspflicht des Arbeit-
gebers. Dieser gerät nach § 615 BGB in Annahmeverzug und verzichtet durch die
Freistellung auf das Angebot der Arbeitsleistung. Wird die Freistellung vertraglich
vereinbart, schließt dies einen Annahmeverzug und somit die Anwendbarkeit des
§ 615 BGB aus. Folglich kann auch die Anrechnung anderweitiger Verdienste nach
Abs. 2 nicht erfolgen. Damit diese auf die Vergütung angerechnet werden, bedarf es
einer eigenen vertraglichen Vereinbarung.255 Bei der Fixierung dieser ist es ratsam
sich ausschließlich auf den tatsächlich erzielten Verdienst nach § 615 Abs. 2 BGB
zu beschränken. Werden auch die böswillig unterlassenen Verdienste miteinbezogen,
könnte der Arbeitgeber dem Freigestellten eine Tätigkeit anbieten, die der Arbeitneh-
mer nur durch solch böswilliges Unterlassen ablehnen könnte. Dies ist dem Zweck
der Freistellung vollkommen entgegenlaufend.
Neben der Vereinbarung der Anrechnung anderweitiger Verdienste empfiehlt es 201
sich auch die Freistellung auf bestehenden Resturlaub anzurechnen. Dieser muss
ohnehin gewährt werden, und sollte vom Arbeitnehmer der Rechtsprechung des
BAG nach auch innerhalb der Kündigungsfrist genommen werden. Andernfalls ist
ein Urlaubsabgeltungsverlangen des Arbeitnehmers unter Umständen rechtsmiss-
bräuchlich. 256 Eine Anrechnungsklausel kann insofern auch unproblematisch in
Formularverträgen verwendet werden.257 Wurde eine Urlaubsanrechnung nicht ver-
einbart, besteht die Gefahr einer möglichen Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG.
Eine Anrechnung auf den Urlaub kann im Einzelfall ausgeschlossen sein. Betroffen
sind Fälle in denen der Arbeitnehmer zur Ablehnung des Urlaubs berechtigt ist,
etwa im Falle seiner Erkrankung (§ 9 BUrlG), oder wenn bereits eine feste anderwei-
tige Urlaubsplanung besteht. Zuletzt kann eine bloß widerrufliche Freistellung nicht
zu einer Anrechnung auf Resturlaub führen, hat der Arbeitnehmer doch damit zu
rechnen, dass seine Arbeitskraft jederzeit abgerufen werden kann.258 Eine freie und
unbeschwerte Urlaubsplanung ist somit nicht möglich. Daher sollte eine Freistel-
lung jedenfalls unwiderruflich erfolgen. Ohnehin ist es aufgrund der Möglichkeit
einer Ablehnung des Urlaubs aus hinreichenden persönlichen Umständen des Arbeit-
nehmers ratsam die Gewährung des Resturlaubs einvernehmlich individuell zu
vereinbaren.
In der unwiderruflichen Freistellung ist laut BAG eine Befreiung von eventuell 202
während dem Arbeitsverhältnis bestehenden Wettbewerbsverboten zu sehen.259 Soll
Christ
256 Kapitel 6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Klauselmuster
Freistellungsrecht bei gekündigtem Arbeitsverhältnis
Nach dem Ausspruch einer Kündigung, gleich durch welchen Vertragspartner, ist der Arbeitgeber be-
rechtigt, den Arbeitnehmer während der Dauer der Kündigungsfrist unter Fortzahlung seiner Bezüge
und unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und Freizeitguthaben freizustellen, wenn ein sachlicher
Grund, insbesondere ein grober Vertragsverstoß, der die Vertragsgrundlage beeinträchtigt, gegeben
ist. Als grober Vertragsverstoß, der die Vertrauensgrundlage beeinträchtigt, gilt z. B. Geheimnisverrat
oder ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot (Konkurrenztätigkeit).
Christ
Kapitel 7
Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
A. F ortbildungsklauseln
I. A
llgemeines
Die Weiterbildung von Arbeitnehmern ist sowohl für diese selbst als auch für ihre 1
Arbeitgeber bedeutsam, um mit den stetigen Veränderungen in der Arbeitswelt mit-
halten zu können und konkurrenzfähig zu bleiben. Sowohl die Bundesregierung als
auch die Europäische Union gehen davon aus, dass ein lebenslanges berufliches
Weiterlernen für eine dynamische, innovative wirtschaftliche Entwicklung aufgrund
neuer technischer Fortschritte, stärkerer Globalisierung der Märkte und der demo-
grafischen Entwicklung an Bedeutung gewinnt, was die Weiterbildungsbeteiligung
der 18- bis 64jährigen bestätigt, die im Jahr 2012 49 % betrug und damit so hoch wie
noch wie war.1
Die berufliche Fortbildung gehört nach § 1 Abs. 1 BBiG zu der Berufsbildung und 2
dient dazu, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen (Anpas-
sungsfortbildung) oder zu erweitern und beruflich aufzusteigen (Aufstiegsfortbil-
dung), § 1 Abs. 4 BBiG. Sie baut in der Regel auf einer bereits abgeschlossenen Berufs-
ausbildung und/oder einer entsprechenden Berufserfahrung auf und kann kurz- bis
langfristige Maßnahmen beinhalten.2
Beispiele für berufliche Fortbildungen sind Meisterkurse, der Erwerb von Füh- 3
rerscheinen, EDV-Schulungen, Technikerausbildungen, Lehrgänge von Banken und
Sparkassen, Fachanwaltslehrgänge und Ausbildungen zum Facharzt.3
In der Regel wird für die Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme eine geson- 4
derte Fortbildungsvereinbarung getroffen.4 Eine Fortbildungsklausel kann aber auch
in den Arbeitsvertrag integriert oder als Ergänzung zu diesem vereinbart werden.5
Aufgrund der Vielfältigkeit und des Umfangs der zu treffenden Regelungen empfiehlt
sich – insbesondere bei mittel- bis langfristigen Fortbildungen – der Abschluss eines
separaten Fortbildungsvertrages.
Powietzka
258 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
5 Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, ist für die Frage, ob der Arbeitgeber seine
Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme verpflichten kann,
die Reichweite des Direktionsrechts maßgeblich. Eine entsprechende Weisung des
Arbeitgebers ist zulässig, wenn die Teilnahme erforderlich ist, damit der Arbeitneh-
mer seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen kann.6 Daneben kann die
Teilnahme im Rahmen des Weisungsrechts dann angeordnet werden, wenn eine Fort-
bildung aufgrund von Veränderungen des Berufsbildes notwendig wird.7 Im Übrigen
hat der Arbeitnehmer nicht die Pflicht, aber auch nicht das Recht an Fortbildungs-
veranstaltungen teilzunehmen.8 Zur Klarstellung kann in den Arbeitsvertrag eine
entsprechende Klausel aufgenommen werden, die den Arbeitnehmer verpflichtet,
an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, wenn Änderungen in der Arbeitswelt
dies erforderlich machen; ebenso kann auch das Recht des Arbeitnehmers im Arbeits-
vertrag vereinbart werden, in einem bestimmten (zeitlichen) Umfang innerhalb eines
Jahres Fortbildungen seiner Wahl zu besuchen.9
Klauselmuster
Der Arbeitgeber verpflichtet sich, an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen, sofern sich die Anfor-
derungen seines Arbeitsplatzes, insbesondere aus technisch-organisatorischen oder Wettbewerbs-
gründen, verändern. Der Arbeitgeber trägt die Kosten der erforderlichen Fortbildungsmaßnahmen.
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer hat das Recht, jährlich [innerhalb von zwei Jahren/…] in Höhe von […] € an Fort-
bildungsveranstaltungen seiner Wahl [bis zu einer Maximaldauer von …] nach Zustimmung seines
unmittelbaren Vorgesetzten teilzunehmen. Der Arbeitgeber trägt die Kosten der besuchten Fortbil-
dungsveranstaltungen.
6 Daneben ergibt sich für manche Berufe eine Fortbildungspflicht10, aber auch ein
Recht zur Fortbildung aus dem Gesetz (z. B. Datenschutzbeauftragte – § 4f Abs. 3 S. 7
BDSG, Betriebsärzte – § 2 Abs. 3 ASiG, Rechtsanwälte/Fachanwälte – §§ 43a Abs. 6, 43c
Abs. 4 S. 2 BRAO), welches regelmäßig auch die Kostenübernahme durch den Arbeit-
geber regelt.
6 LAG Hessen, Urt. v. 11.4.2007 – 8 Sa 1279/06; Rn 28 für den Fall, dass die durch die Fortbildungs-
maßnahme zu erwerbenden Zertifikate den Arbeitnehmer erst zu seiner nach dem Arbeitsvertrag ge-
schuldeten Tätigkeit befähigen.
7 Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 1721.
8 MaSig/Mroß, Kap. 160 Rn 15.
9 Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 1722 ff.
10 MaSiG/Mroß, Kap. 160 Rn 10; Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Fortbildung Rn 16.
Powietzka
A. Fortbildungsklauseln 259
Checkliste
– Pflichten des Arbeitgebers:
– Ermöglichung der Teilnahme an der Fortbildung durch Freistellung unter Fortzahlung der
Vergütung/durch unbezahlte Freistellung/durch Gewährung von Urlaub
– Übernahme der Kosten (ganz oder teilweise); detaillierte Auflistung der Art der vom Arbeit-
geber übernommenen Kosten;15 Ausschluss des Kostenerstattungsanspruchs, falls ein Drit-
ter die Kosten übernimmt16
– Ggf. Zusage des beruflichen Aufstiegs nach erfolgreichem Abschluss der Maßnahme
– Pflichten des Arbeitnehmers:
– Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme
– Aufwendung aller Kräfte, um das Fortbildungsziel zu erreichen
– Rückzahlungsverpflichtung
– Sonstige Regelungen:
– Fortbildungsgegenstand, ggf. Fortbildungsplan als Anhang
– Zeitpunkt und Dauer der Maßnahme
– Klarstellung, dass die Fortbildungsmaßnahme auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers in
dessen Interesse erfolgt und für das berufliche Fortkommen von Nutzen sein wird17
Powietzka
260 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
10 Wird der Arbeitnehmer – wie in der Praxis üblich18 – für die Dauer der Fortbildung
unter Fortzahlung seiner Vergütung von der Erbringung der Arbeitsleistung frei-
gestellt, wandelt sich seine Pflicht zur Arbeitsleistung in die Pflicht um, an der
Fortbildungsmaßnahme teilzunehmen und sich zu bemühen, das Fortbildungsziel
zu erreichen.19 Ebenfalls ist eine unbezahlte Freistellung denkbar, durch die die
Hauptleistungspflichten des Arbeitsvertrages suspendiert werden und das Ruhen
des Arbeitsverhältnisses vereinbart wird.20 Daneben besteht auch die Möglichkeit,
dass der Arbeitnehmer an der Fortbildung nicht während der Arbeitszeit, sondern im
Rahmen seiner Freizeit teilnimmt, so dass eine Freistellung nicht notwendig wird.
Verpflichtet sich der Arbeitnehmer hierzu, ist dies als vertragliche Nebenpflicht zu
qualifizieren.21 Als weitere Gestaltungsmöglichkeit kann ein Arbeitsvertrag auch erst-
malig für die Dauer der Fortbildung geschlossen werden und eine Option zur Weiter-
beschäftigung nach (erfolgreichem) Abschluss der Maßnahme enthalten.22
18 Die Mehrheit der Fortbildungsaktivitäten findet ganz oder zumindest teilweise während der Ar-
beitszeit statt: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2014, S. 103,
abrufbar unter: http://www.bmbf.de/pub/bbb_2014.pdf.
19 MünchArbR/Natzel, § 323 Rn 10; Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Fortbildung Rn 6.
20 Vgl. auch MaSiG/Mroß, Kap. 160 Rn 25.
21 MünchArbR/Natzel, § 323 Rn 11.
22 Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Fortbildung Rn 4; vgl. im Rahmen der Rückzahlungsklauseln
auch Rn 35 und das entsprechende Klauselmuster Rn 43.
23 BAG, Urt. v. 5.3.2013 – 1 ABR 11/12, Rn 12.
24 ErfK/Kania, § 96 BetrVG Rn 8; BAG, Urt. v. 5.3.2013 – 1 ABR 11/12, Rn 15; BAG, Urt. v. 18.4.2000 – 1
ABR 28/99, Rn 29; zur Abgrenzung gegenüber den Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers nach § 81
Abs. 1 und 2 BetrVG: Richardi/Thüsing, Betriebsverfassungsgesetz, § 96 Rn 13 ff.
25 BAG, Urt. v. 18.4.2000 – 1 ABR 28/99, Rn 29 f.
Powietzka
A. Fortbildungsklauseln 261
und der Betriebsrat auch tatsächlich Teilnehmer vorgeschlagen hat.26 Können sich
Arbeitgeber und Betriebsrat nicht darüber einigen, welcher der Arbeitnehmer an der
Fortbildungsveranstaltung teilnehmen soll, entscheidet nach § 98 Abs. 4 S. 1 BetrVG
die Einigungsstelle. Die Gestaltung des Fortbildungsvertrages bleibt dagegen mitbe-
stimmungsfrei.27
Die §§ 81 ff. SGB III regeln die sozialrechtliche Förderung der beruflichen Weiterbil- 12
dung. Für Fortbildungsmaßnahmen in bestehenden Arbeitsverhältnissen sind
insbesondere die §§ 81 Abs. 5, 82 SGB III von Bedeutung. Neben der Bezuschussung
des Arbeitgebers zu dem von ihm zu zahlenden Arbeitsentgelt für die Ausfallzei-
ten während der Fortbildungsdauer nach den Voraussetzungen des § 81 Abs. 5 SGB
III enthält § 82 SGB III eine Arbeitnehmerleistung für solche Arbeitnehmer, die das
45. Lebensjahr bereits vollendet haben.28 Weiterbildungskosten im Sinne des SGB III
sind Lehrgangskosten, Fahrtkosten, Kosten für die auswärtige Unterbringung und
Verpflegung sowie Kinderbetreuungskosten, §§ 83 Abs. 1, 84 ff. SGB III. Abweichend
von den Voraussetzungen des § 82 S. 1 Nr. 1 SGB III können Arbeitnehmer, die das
45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, bei der beruflichen Weiterbildung durch
Übernahme der Weiterbildungskosten nach § 82 SGB III gefördert werden, wenn der
Arbeitgeber mindestens 50 % der Lehrgangskosten trägt und die Maßnahme vor dem
31. Dezember 2019 beginnt, § 131a SGB III. Eine weitere Möglichkeit der Bezuschus-
sung des Arbeitnehmers sieht das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfort-
bildung (AFBG) vor, falls die Fortbildung auf eine höher gestellte Berufstätigkeit (z. B.
Meister) vorbereiten soll.29 Wird der Arbeitnehmer nach den vorstehenden Normen
durch Dritte gefördert, hat er in der Höhe der Förderung keinen Kostenerstattungsan-
spruch gegen den Arbeitgeber.30
Steuerrechtlich kann der Arbeitnehmer Fortbildungskosten in tatsächlicher 13
Höhe als Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG geltend machen, sofern
der Arbeitgeber die Kosten nicht übernimmt und sie einen beruflichen Bezug auf-
weisen.31 Die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber stellt nur dann Arbeitslohn
Powietzka
262 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
und damit eine steuerpflichtige Leistung dar, wenn sie nicht im ganz überwiegenden
Interesse des Arbeitgebers erfolgt.32
V. Klauselmuster
Klauselmuster
Fortbildungsvereinbarung
(1) Der Arbeitnehmer belegt in der Zeit von […] bis […] die nachfolgend aufgeführte Fortbildungsver-
anstaltung: […]. Die Fortbildung findet an folgenden Tagen/Wochen […]/in verschiedenen Modulen
statt. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus dem beigefügten Fortbildungsplan.
(2) Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Teilnahme auf eigenen Wunsch des Arbeitnehmers
und im Interesse seiner beruflichen Fort- und Weiterbildung erfolgt und für sein berufliches Fortkom-
men von Nutzen sein wird.
(3) Ggf: Die Fortbildungsmaßnahme geht über die gewöhnliche berufliche Weiterbildung hinaus und
befähigt den Arbeitnehmer grundsätzlich, zusätzliche und/oder höherwertige Aufgaben zu überneh-
men.
Alternativ: Der Arbeitgeber verpflichtet sich zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer im Anschluss an die von
diesem erfolgreich (mindestens mit Note…) bestandene Bildungsmaßnahme eine Änderung seines
bestehenden Arbeitsvertrags unter folgenden Rahmenbedingungen angeboten werden kann:
Beginn: […]
Beschäftigung als: […]
Umfang der Tätigkeit: […h/Woche]
Gehalt: […€/Monat]
(4) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, regelmäßig an der in Abs. 1 genannten Fortbildungsmaßnah-
me teilzunehmen und alle Kraft aufzuwenden, um das Fortbildungsziel ordnungsgemäß und zügig zu
erreichen.
(5) Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer unter Fortzahlung der Vergütung von der
Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen, soweit es für die Teilnahme an der Fortbildung erforderlich
ist [ggf. Angabe einer bestimmten Anzahl von Tagen, an denen die Freistellung erfolgen soll, z. B. 20
Tage für Präsenzzeiten, 5 Tage für die Abschlussprüfung etc.]. Die Vergütung wird entsprechend dem
Durchschnittsverdienst der letzten 3 Monate berechnet. Fortbildungszeit, die über die ausfallende
Arbeitszeit hinausgeht, wird nicht vergütet. Der Mitarbeiter ist während der Fortbildungszeit in jeder
Hinsicht den übrigen Mitarbeitern gleichgestellt.
Ggf. alternativ zu Abs. 5: Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer von der Pflicht zur Ar-
beitsleistung freizustellen, soweit es für die Teilnahme an der Fortbildung erforderlich ist. Die Vergü-
tung wird für die Zeiten der Freistellung nicht fortgezahlt.
(6) Der Arbeitgeber übernimmt die Kosten der Fortbildungsmaßnahme vollständig/teilweise. Hierzu
gehören:
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 263
I. G
rundlagen
Übernimmt der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer die durch die Teilnahme an einer 15
Fortbildungsmaßnahme entstehenden Kosten,34 hat er die Erwartung, dass die
erworbenen Kenntnisse des Arbeitnehmers seinem Unternehmen in Form von qua-
lifizierter Arbeitsleistung zugutekommen und nicht einem Konkurrenten, zu dem
der Arbeitnehmer möglicherweise abwandern könnte.35 Vor diesem Hintergrund ist
es sinnvoll, Rückzahlungsklauseln vertraglich zu vereinbaren, die den Arbeitnehmer
bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor oder nach Abschluss der Fortbildungs-
maßnahme unter bestimmten Voraussetzungen zur Rückzahlung der Fortbildungs-
kosten verpflichten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass solche Rückzahlungsklauseln
zu einer Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit (Art. 12
GG) führen, da sie für den Arbeitnehmer einen Wechsel des Arbeitsplatzes erschwe-
ren.36 Die widerstreitenden Positionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind im
Rahmen einer zweistufigen Güter- und Interessenabwägung in einen angemesse-
Powietzka
264 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 265
2. Gesetzliche Verbote
Nach den §§ 12 Abs. 2 Nr. 1, 26 BBiG dürfen Auszubildende und Angehörige gleichge- 17
stellter Ausbildungsgänge nicht verpflichtet werden, für die Berufsausbildung eine
Entschädigung zu zahlen. Folglich sind mit diesen vereinbarte Rückzahlungsklau-
seln nichtig. Dies gilt jedoch nicht für eine berufliche Fortbildung oder Umschulung
nach § 1 Abs. 4, 5 BBiG.48 Unwirksam sind nach § 134 BGB auch Abreden über Kosten
von Bildungsmaßnahmen, die der Arbeitgeber zwingend zu tragen hat (z. B. Betriebs-
ratsschulung nach §§ 37 Abs. 6, 40 Abs. 1 BetrVG, Entgeltfortzahlung im Rahmen des
Bildungsurlaubs, Kosten nach § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG).49
46 BAG, Urt. v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07, Rn 32; BAG, Urt. v. 18.03.2008 – 9 AZR 186/07, Rn 8; Straube,
NZA-RR 2012, 505, 507.
47 BGH, Urt. v. 17.09.2009 – III ZR 207/08, Rn 19; BAG, Urt. v. 18.03.2008 – 9 AZR 186/07, Rn 8.
48 Dorth, RdA 2013, 287, 289; Liebers/Hahn, Kap. F.I.7. Rn 82; Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 735.
49 Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklausel Rn 4; für § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG andeu-
tend auch BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 5 AZR 339/92, Rn 59; a. A. Dorth, RdA 2013, 287, 291 mit der Begrün-
dung, dass die Beteiligung des Arbeitnehmers an den Fortbildungskosten i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG
einem billigenswerten Interesse des Arbeitnehmers entsprechen kann.
50 Vgl. zum Fortbildungsvertrag Rn 1 ff.
51 Tschöpe/Schmalenberg, Teil 2 A Rn 440; Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklau-
sel Rn 3; Lakies, ArbRAktuell 2012, 216, 216; BAG, Urt. v. 19.03.1980 – 5 AZR 362/78, Rn 38; BAG, Urt.
v. 09.12.1992 – 5 AZR 158/12, Rn 16; zuletzt aber offen gelassen: BAG, Urt. v. 13.12.2011 – 3 AZR 791/09,
Rn 28.
Powietzka
266 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
20 Grundsätzlich ist keine bestimmte Form für die Vereinbarung einer Rückzah-
lungsklausel gesetzlich vorgesehen. Allerdings empfiehlt sich für Beweiszwecke und
aus Gründen der Rechtssicherheit stets eine schriftliche Niederlegung, insbesondere
da nach der Rechtsprechung der Arbeitnehmer auf alle Folgen, die sich für ihn aus
einer solchen Abrede ergeben, klar und unmissverständlich hingewiesen werden
muss.52 Zudem ist die Rückzahlungsklausel eine wesentliche Vertragsbedingung
i. S. d. § 2 NachwG.53
2. Geldwerter Vorteil
21 Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit einer Rückzahlungsklausel und erste
Stufe der erforderlichen Güter- und Interessenabwägung ist, dass der Arbeitneh-
mer durch die Fortbildung einen geldwerten Vorteil erlangt.54 Der Arbeitnehmer soll
nämlich – insbesondere aufgrund der Einschränkung seiner verfassungsrechtlich
geschützten Berufsfreiheit – eine angemessene Gegenleistung für die mögliche
Rückzahlungsverpflichtung erhalten.55 Ein geldwerter Vorteil liegt vor, wenn die
Maßnahme die Entwicklung von Fähigkeiten und Kenntnissen zur Folge hat und der
Arbeitnehmer innerhalb oder auch außerhalb des Unternehmens seine Aufstiegs-
und Verdienstchancen verbessert, ihm also berufliche Möglichkeiten eröffnet
werden, die ihm vor Durchführung der Fortbildung nicht offen standen oder er das
erworbene Wissen für andere Beschäftigungsverhältnisse oder selbstständige Tätig-
keiten nutzen kann.56 Dagegen reicht es nicht aus, wenn die Fortbildungsmaßnahme
der bloßen Einarbeitung in einem neuen Arbeitsverhältnis dient, bereits vorhandene
Kenntnisse des Arbeitnehmers lediglich aufgefrischt werden oder vornehmlich inner-
betriebliche Vorteile bringt.57 Die Kosten der Maßnahme dürfen nicht nur im Interesse
des Arbeitgebers für seinen Geschäftsbetrieb aufgewendet werden.58 Ein geldwerter
Vorteil wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer die aus seiner
Fortbildung resultierenden Vorteile nicht nutzbar macht; es reicht aus, wenn die
objektive Möglichkeit gegeben ist, wozu ernsthaft in Betracht zu ziehende Chancen
52 BAG, Urt. v. 19.03.1980 – 5 AZR 362/78, Rn 38; so auch Lakies, ArbRAktuell 2012, 216, 216; Moll/
Bengelsdorf, § 49 Rn 257.
53 Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklausel Rn 3; Preis/Stoffels, Kap. II A 120 Rn 9.
54 MaSiG/Mroß, Kap. 160 Rn 36; Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 738.
55 BAG, Urt. v. 11.04.1990 – 5 AZR 308/89, Rn 18; Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 738.
56 BAG, Urt. v. 05.12.2002 – 6 AZR 539/01, Rn 16; BAG, Urt. v. 19.01.2001 – 3 AZR 621/08, Rn 34; Kütt-
ner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklausel Rn 9; MaSiG/Mroß, Kap. 160 Rn 36; Liebers/
Hahn, Kap. F.I.7. Rn 86; Lakies, Kap. 5 Rn 364.
57 BAG, Urt. v. 05.12.2002 – 6 AZR 539/01, Rn 16; zur Einarbeitung: BAG, Urt. v. 16.01.2003 – 6 AZR
384/01, Rn 24; Tschöpe/Schmalenberg, Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Teil 2 A Rn 442; Lakies, Ar-
bRAktuell 2012, 216, 217; zur Auffrischung bereits vorhandener Erkenntnisse: Hümmerich/Reufels/
Mengel, § 1 Rn 744 (TÜV-Schweißer-Zeugnis).
58 Lakies, ArbRAktuell 2012, 216, 217; BAG, Urt. v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07, Rn 34.
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 267
3. Inhaltliche Ausgestaltung
Auf der zweiten Stufe der Güter- und Interessenabwägung wird geprüft, ob die in 22
der Rückzahlungsklausel vereinbarten Modalitäten interessengerecht sind.61
a) Bindungsdauer
Der dem Arbeitnehmer zugutekommende geldwerte Vorteil muss mit der Dauer der 23
Bindung an den die Kosten übernehmenden Arbeitgeber in einem angemessenen
Verhältnis stehen.62
Die Rechtsprechung hat eine sogenannte „Faustformel“ entwickelt, durch die 24
eine angemessene Bindungsdauer im Verhältnis zur Dauer der Bildungsmaßnahme
bestimmt wird, sofern der Arbeitnehmer für diesen Zeitraum unter Fortzahlung der
Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wird.63
Powietzka
268 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
25 Dies sind jedoch nur richterrechtliche „Regelwerte“; es ist weiterhin eine Einzel-
fallbetrachtung notwendig und auch zulässig.69 Neben der Dauer der Fortbildungs-
maßnahme ist auch die Qualität der erworbenen Qualifikation maßgeblich, für
die die Dauer jedoch stets ein Indiz ist.70 Eine verhältnismäßig lange Bindung kann
auch bei einer kürzeren Dauer der Maßnahme gerechtfertigt sein, wenn der Arbeit-
geber ganz erhebliche Mittel aufwendet oder die Teilnahme an der Fortbildung dem
Arbeitnehmer überdurchschnittlich große Vorteile bringt.71 Eine Bindungsdauer von
5 Jahren ist wegen § 624 BGB jedoch die gesetzliche Höchstgrenze.72 Auch kann die
Höhe der Gesamtaufwendungen des Arbeitgebers alleine eine lange Bindung nicht
rechtfertigen, da vorrangig der geldwerte Vorteil des Arbeitnehmers zu bewerten ist.73
Im Umkehrschluss kann bei überdurchschnittlich langen Fortbildungsmaßnahmen
eine verhältnismäßig kurze Bindungsdauer angemessen sein, wenn durch den Arbeit-
geber wenig Mittel aufgewendet werden und der Arbeitnehmer nur geringe Vorteile
erlangt.74 Gliedert sich die Maßnahme in mehrere zeitlich getrennte Abschnitte, so sind
die Pausen für die Bestimmung der Dauer grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.75
26 Zugunsten des Arbeitnehmers wird von der Rechtsprechung ebenfalls berück-
sichtigt, wenn dieser während der Dauer der Fortbildungsmaßnahme nicht völlig
von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt wird, sondern teilweise seine
Arbeitspflicht erfüllt.76
27 Wurde eine unangemessen lange Bindungsdauer in eine vorformulierte Klausel
aufgenommen, so ist diese wegen des im AGB-Recht nach § 306 Abs. 2 BGB geltenden
Verbots der geltungserhaltenden Reduktion insgesamt nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB
unwirksam.77 Es kommt zu einem Wegfall der Zahlungspflicht.78 Eine Bindungsdauer
wird nur dann entsprechend § 139 BGB auf das zulässige Maß zurückgeführt, wenn es
69 BAG, Urt. v. 21.07.2005 – 6 AZR 452/04, Rn 21; BAG, Urt. v. 05.12.2002 – 6 AZR 539/01, Rn 17; Tschö-
pe/Schmalenberg, Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Teil 2 A Rn 443.
70 BAG, Urt. v. 14.01.2009 – 3 AZR 900/07, Rn 18; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn 592; Lakies,
Kap. 5 Rn 366.
71 BAG, Urt. v. 14.01.2009 – 3 AZR 900/07, Rn 18.
72 Preis/Stoffels, Kap. II A 120 Rn 40; Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklausel Rn
10; Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 747.
73 Moll/Bengelsdorf, § 49 Rn 260; BAG, Urt. v. 05.12.2002 – 6 AZR 539/01, Rn 19, das in der Höhe der
Gesamtaufwendungen kein Indiz für die Qualität der entstehenden beruflichen Vorteile sieht; vgl.
zum geldwerten Vorteil Rn 21.
74 Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn 595.
75 Preis/Stoffels, Kap. II A 120 Rn 41; vgl. zur Bestimmung der zeitlichen Lage durch den Arbeitgeber
Rn 30.
76 BAG, Urt. v. 15.05.1985 – 5 AZR 161/84, Rn 24 (16-monatige Ausbildung bei 22,2 % Arbeitsleistung
rechtfertigt eine 3-jährige Bindung); BAG, Urt. v. 21.07.2005 – 6 AZR 452/04 (3-jährige Weiterbildung
bei 75,1 % Arbeitsleistung rechtfertigt eine 2-jährige Bindung).
77 BAG, Urt. v. 14.01.2009 – 3 AZR 900/07, Rn 21 ff.; BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 610/05, Rn 29 f.
78 Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 753.
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 269
Powietzka
270 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
33 Daher sind solche Klauseln nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, die (auch) eine
Rückzahlungspflicht im Falle einer betriebsbedingten Kündigung oder sonstiger
Kündigungen aus Gründen, die vom Arbeitnehmer nicht beeinflusst werden können
(z. B. personenbedingte Gründe) und in der Sphäre des Arbeitgebers liegen, auslö-
sen.93 Durch solche Arbeitgeberkündigungen gibt dieser zu erkennen, dass er trotz der
aufgewandten Kosten nicht bereit, zumindest nicht in der Lage ist, dem Betrieb die
Qualifikation des Arbeitnehmers zu erhalten.94 Sofern man in der Sphäre des Arbeit-
gebers liegende Gründe eine Rückzahlungspflicht auslösen lassen würde, fände eine
unzulässige Abwälzung von Investitionsrisiken vom Arbeitgeber auf den Arbeitneh-
mer statt.95 Nach der Rechtsprechung ist auch eine Probezeitkündigung aufgrund
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 271
Powietzka
272 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
mers legitim.103 Allerdings ist eine Rückzahlungsklausel nur dann wirksam, wenn sie
eine Verpflichtung zur Beschäftigung enthält. Denn wenn kein Anspruch auf Begrün-
dung eines Arbeitsverhältnisses besteht, fehlt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, die
Kosten durch Betriebstreue abzugelten.104 Daneben fordert die Rechtsprechung, dass
zumindest rahmenmäßig bestimmt sein muss, zu welchen Bedingungen die spätere
Berufstätigkeit erfolgen soll, da ansonsten ein Verstoß gegen das Transparenzgebot
des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt.105 Dazu gehören Angaben zum Beginn des Ver-
tragsverhältnisses, zur Art und zum zeitlichen Umfang der Beschäftigung und zur
Anfangsvergütung.106
36 Die Rückzahlungsklausel muss alle Gründe, die zu einer Auslösung der Rück-
zahlungspflicht führen sollen, abschließend und ausdrücklich aufzählen; eine
beispielhafte Aufzählung ist ungenügend.107 Insbesondere kann aus den oben darge-
stellten Gründen108 nicht pauschal auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abge-
stellt werden.109 Die Klausel darf eben gerade nur solche Auslösungsgründe benen-
nen, die in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen.
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 273
Der Anspruch des Arbeitgebers ist immer auf die tatsächlich anfallenden 38
Kosten beschränkt, da eine Rückzahlungsvereinbarung ansonsten einer Vertrags-
strafenregelung gleichkommen würde.113 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der
Arbeitnehmer vor Abschluss der Fortbildungsmaßnahme aus dem Arbeitsverhältnis
ausscheidet.114 Dann sind die bis zum Ausscheiden tatsächlich angefallenen Kosten
zu ersetzen.115 Grundsätzlich kann ein Höchstbetrag vereinbart werden, dann darf
der Arbeitgeber aber keinen höheren Betrag fordern, wenn tatsächlich mehr Kosten
entstanden sind, aber auch nur die tatsächlich angefallenen Kosten, wenn diese den
Höchstbetrag unterschreiten.116 Die Vereinbarung eines Pauschalbetrages losgelöst
von den tatsächlichen Kosten ist aber stets unwirksam, vielmehr müssen Grund und
Höhe der Kosten im Rahmen des Möglichen angegeben werden.117
ückzahlungsklausel Rn 16; insbes. zu den Sozialabgaben: BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 160/05,
R
Rn 35.
113 BAG, Urt. v. 21.07.2005 – 6 AZR 452/04, Rn 23; BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 5 AZR 339/92; Rn 66.
114 Vgl. Rn 31.
115 BAG, Urt. v. 19.01.2011 – 3 AZR 621/08, Rn 41.
116 Küttner/Poeche, Personalbuch 2015, Rückzahlungsklausel Rn 16; Tschöpe/Schmalenberg, An-
waltshandbuch Arbeitsrecht, Teil 2 Rn 446; Dorth, RdA 2013, 287, 296.
117 Lakies, ArbRAktuell 2012, 216, 218; vgl. zur Bezifferung des Rückzahlungsbetrages Rn 37.
118 BAG, Urt. v. 23.4.1986 – 5 AZR 159/85, Rn 22; Tschöpe/Schmalenberg, Anwaltshandbuch Arbeits-
recht, Teil 2 A Rn 446; Lakies, Kap. 5 Rn 376 f.; Preis/Stoffels, Kap. II A 120 Rn 49.
119 Für die Entstehung des Rückzahlungsanspruchs ist die Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses der maßgebliche Zeitpunkt und nicht der Zugang der Kündigungserklärung, so das BAG, Urt. v.
18.11.2004 – 6 AZR 651/03.
120 Eine monatliche und nicht nur jährliche Reduzierung empfiehlt auch MaSiG/Mroß, Kap. 160 Rn
46, 52; ebenso Dorth, ArbRAktuell 2013, 287, 297.
121 BAG, Urt. v. 23.04.1986 – 5 AZR 159/85, Rn 23; offen gelassen: BAG, Urt. v. 15.09.2009 – 3 AZR
173/08, Rn 40.
Powietzka
274 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
40 Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechts-
wirksamkeit einer Rückzahlungsklausel trägt der Arbeitgeber.123 Da eine Rückzah-
lungsverpflichtung jedoch immer vor Beginn der Bildungsmaßnahme vereinbart
werden muss und daher in der Regel eine Zukunftsprognose notwendig sein wird,124
muss es ausreichen, wenn der Arbeitgeber Umstände darlegt und beweist, aus denen
sich ergibt, dass im Zeitpunkt der Vereinbarung der Rückzahlungsklausel ein entspre-
chender geldwerter Vorteil für den Arbeitnehmer mit überwiegender Wahrscheinlich-
keit, die im Anschluss vom Arbeitnehmer zu entkräften ist, erwartet werden konnte.125
Der Arbeitgeber genügt dieser Darlegungslast jedenfalls dann, wenn er substantiiert
vorträgt, dass der Arbeitnehmer durch die Weiterbildung eine anerkannte Qualifi-
kation erworben und ihm diese auch innerbetriebliche Vorteile gebracht hat, wobei
diese Vorteile auch in der Einstellung selbst liegen können.126
122 LAG Hamm, Urt. v. 09.03.2012 – 7 Sa 1500/11, Rn 43 ff., das für eine das Bruttomonatseinkommen
um ein Vielfaches übersteigende Rückforderungssumme nur eine monatliche Reduzierung als ange-
messen ansieht.
123 BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 5 AZR 339/92; ohne Begründung ablehnend Moll/Bengelsdorf; § 49 Rn
262.
124 Vgl. zum Zeitpunkt der Vereinbarung Rn 19.
125 BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 5 AZR 339/92, Rn 79; BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 5 AZR 715/93, Rn 36.
126 BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 5 AZR 339/92, Rn 80.
Powietzka
B. Fortbildungskosten und ihre Erstattung (Rückzahlungsklauseln) 275
Klauselmuster
Rückzahlungsvereinbarung
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, nach Abschluss der Fortbildung mindestens 3 Jahre lang für den
Arbeitgeber tätig zu sein. Sollte der Arbeitnehmer vor Ablauf dieser 3 Jahre nach Ende der Fortbil-
dungsmaßnahme kündigen, ohne dass er dafür einen wichtigen Grund hat oder kündigt ihm der Ar-
beitgeber innerhalb dieses Zeitraums aus wichtigem Grund oder aus einem Grund, der im Verhalten
des Arbeitnehmers liegt oder schließen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf den ausdrückli-
chen Wunsch des Arbeitnehmers einen Aufhebungsvertrag, so ist der Arbeitnehmer verpflichtet fol-
gende vom Arbeitgeber aufgewendeten Fortbildungskosten in Höhe von [insgesamt ca./maximal] […
€] zurückzuzahlen:
– gezahltes Entgelt für die Zeit der Freistellung (ca. …€)
– Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (ca. …€)
– Lehrgangsgebühren (ca. …€)
– Prüfungsgebühren (ca. …€)
– Kosten für Sachmittel (ca. …€)
– Reisekosten (…€/km, ca. …€)
– Verpflegungskosten (…€/Tag, ca. …€)
– Übernachtungskosten (…€/Tag, ca. …€)
– [evtl. Auflistung weiterer Kosten]
Der Rückzahlungsbetrag vermindert sich nach Beendigung der Fortbildung ratierlich für jeden vollen
Monat der Beschäftigung um 1/36 des gewährten Betrages. Der Rückzahlungsbetrag wird mit Zu-
gang der Kündigung sofort fällig und ist binnen 14 Tagen auf ein vom Arbeitgeber benanntes Konto
zurückzuzahlen [ggf. alternativ: Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Rückzahlungsforderung mit noch
ausstehenden Gehaltsforderungen des Arbeitnehmers unter Wahrung der geltenden Pfändungsfrei-
grenzen zu verrechnen.].
Eine Rückzahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers entsteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis
aus den in Abs. 1 genannten Gründen vor Abschluss der Fortbildungsmaßnahme beendet wird. Der
Arbeitnehmer ist dann zur Rückzahlung der durch den Arbeitgeber bereits erstatteten Beträge ver-
pflichtet.
Falls der Arbeitnehmer die Fortbildung aus Gründen die er zu vertreten hat, nicht erfolgreich beendet,
ist er zur Rückzahlung der durch den Arbeitgeber bereits erstatteten Beträge verpflichtet. Der Rück-
Powietzka
276 Kapitel 7 Regelungen zur Aus- und Weiterbildung
zahlungsanspruch entsteht mit dem endgültigen Abbruch der Fortbildung bzw. mit dem endgültigen
Nichtbestehen entweder einer Zwischenprüfung, sofern diese Voraussetzung für die Fortsetzung der
Fortbildung ist, oder der Abschlussprüfung. Ein Abbruch innerhalb einer Überlegungsfrist von […]
Wochen/Monaten nach Beginn der Fortbildung ist hierbei jedoch unschädlich. Eine ratierliche Min-
derung des Rückzahlungsbetrages erfolgt im Falle des endgültigen Abbruchs oder des endgültigen
Nichtbestehens nicht. Der Rückzahlungsbetrag wird mit dem endgültigen Abbruch der Fortbildung
oder dem endgültigen Nichtbestehen sofort fällig und ist binnen 14 Tagen auf ein vom Arbeitgeber
benanntes Konto zurückzuzahlen.
Der Arbeitnehmer bestätigt mit seiner Unterschrift, dass die Regelungen zu dieser Rückzahlungsver-
pflichtung mit ihm persönlich besprochen wurden und von ihm verstanden und ausdrücklich akzep-
tiert wurden.
Klauselmuster
Rückzahlungsvereinbarung
Der Vertragspartner verpflichtet sich, dem Unternehmen die von diesem für die Bildungsmaßnahme
aufgewendeten folgenden Kosten in Höhe von [insgesamt ca./maximal] [… €] zurückzuzahlen, wenn
nach erfolgreichem Abschluss der Bildungsmaßnahme aus Gründen, die der Vertragspartner zu ver-
treten hat, kein Arbeitsvertrag zwischen diesem und dem Unternehmen zustande kommt:
[Auflistung der Kostenart und der Berechnungsgrundlage, siehe vorheriges Klauselmuster]
Die Rückzahlungsverpflichtung besteht auch dann, wenn das zukünftige Arbeitsverhältnis vor Ablauf
von 3 Jahren durch eine nicht vom Unternehmen (Arbeitgeber) veranlasste Kündigung des Vertrags-
partners (Arbeitnehmer) oder aus einem Grund, der im Verhalten des Arbeitnehmers liegt oder durch
einen auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers geschlossenen Aufhebungsvertrag beendet
wird. Der Rückzahlungsbetrag vermindert sich nach Beendigung der Fortbildung ratierlich für jeden
vollen Monat der Beschäftigung um 1/36 des gewährten Betrages.
[Rückzahlungspflicht bei vorzeitigem Abbruch bzw. endgültigem Nichtbestehen der Bildungsmaß-
nahme, siehe vorheriges Klauselbeispiel]
Das Unternehmen verpflichtet sich zu prüfen, ob dem Vertragspartner im Anschluss an die von die-
sem erfolgreich (mindestens mit Note…) bestandene Bildungsmaßnahme ein Arbeitsplatz unter fol-
genden Rahmenbedingungen angeboten werden kann:
Beschäftigungsbeginn: […]
Beschäftigung als: […]
Umfang der Tätigkeit: […h/Woche]
Einstiegsgehalt: […€/Monat]
Dieses Angebot wird das Unternehmen dem Vertragspartner innerhalb von […] Tagen nach erfolgrei-
chem Abschluss der Bildungsmaßnahme unterbreiten. Erfolgt innerhalb der Frist kein Angebot durch
das Unternehmen, ist der Vertragspartner nicht zur Rückzahlung der in Abs. 1 genannten Kosten ver-
pflichtet. Ein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht nicht.
Powietzka
Kapitel 8
Nachvertragliche Pflichten
I. H
erausgabe von Firmeneigentum
1 BAG, Urt. v. 17.09.1998 – 8 AZR 175/97; BGH, Urt. v. 30.01.2015 – V ZR 63/13; Preis/Preis, Der Arbeits-
vertrag, II H 40, Rn. 6.
2 LAG Berlin, Urt. v. 26.05.1986 – 9 Sa 24/86.
Powietzka
278 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
der Fall sein. Aufgrund des Rechts zur auch privaten Nutzung kann dem Arbeitnehmer
dann für die Dauer des Arbeitsverhältnisses ein Besitzrecht (§ 986 BGB) zustehen,
das Herausgabeansprüchen des Arbeitgebers entgegensteht.3 Dieses Besitzrecht ent-
fällt mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so dass der Arbeitgeber dann wieder
gemäß § 985 BGB die Herausgabe verlangen kann.
4 Für diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer unmittelbarer Besitzer der Gegen-
stände ist oder dies zumindest zweifelhaft sein kann, empfiehlt sich eine Regelung im
Arbeitsvertrag, die dem Arbeitgeber das Recht zur jederzeitigen Herausgabe des Fir-
meneigentums bereits während des bestehenden Arbeitsverhältnisses erlaubt.4 Für
alle anderen Fälle, in denen der Arbeitnehmer (nur) Besitzdiener ist, hat die arbeits-
vertragliche Herausgabeklausel darüber hinaus eine klarstellende Funktion. Sie ver-
deutlicht dem Arbeitnehmer, dass er auf Aufforderung jederzeit zur Herausgabe des
Firmeneigentums verpflichtet bleibt.
5 In der Regel wird der Arbeitgeber spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnis-
ses indes nicht nur die in seinem Eigentum stehenden Gegenstände zurückfordern
wollen, sondern – unabhängig von der Eigentumslage – auch sämtliche Geschäfts-
unterlagen und vom Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seinem Verhältnis ange-
fertigte Aufzeichnungen, Notizen und Kopien und Dateien, die er beispielsweise für
bestimmte Vertriebsaktivitäten, Entwicklungsprojekte o. ä. selbst angefertigt hat. Für
vom Arbeitnehmer selbst angefertigte Dokumente ist es jedenfalls nicht eindeutig,
dass diese Eigentum des Arbeitgebers werden. Denkbar ist ein Eigentumserwerb
durch Verarbeitung gemäß § 950 BGB.5 Der Arbeitgeber wird daher häufig auch von
Karteien, Skizzen, Entwürfen, Zeichnungen, Mitschrieben und Computerdateien, die
der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Aufgaben erstellt hat, Eigentümer sein, so dass
Herausgabeansprüche gemäß § 985 BGB sowie §§ 861, 862 BGB gegeben sein dürften.
Im Regelfall wird dies jedoch dahinstehen können. Denn der Arbeitnehmer ist ent-
sprechend § 667 BGB verpflichtet, dem Arbeitgeber alles, was er zur Ausführung der
ihm übertragenen Arbeit erhalten und was er aus dem Arbeitsverhältnis erlangt
hat, herauszugeben. Zur Ausführung der übertragenen Arbeit in diesem Sinne erhal-
ten hat der Mitarbeiter alles, was ihm zum Zwecke der Durchführung des Arbeits-
verhältnisses vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden ist; aus dem Arbeits-
verhältnis erlangt ist jeder Vorteil, den der Arbeitnehmer aufgrund eines inneren
Powietzka
A. Herausgabe von Firmeneigentum und Unterlagen 279
Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis erhalten hat.6 Folglich ist der Arbeitge-
ber verpflichtet, selbst in seinem Eigentum stehende Gegenstände, Aufzeichnungen
usw., die er im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis erhalten oder erstellt hat,
an den Arbeitgeber herauszugeben. Die Verpflichtung umfasst auch die Übertragung
des Eigentums daran. Der Herausgabeanspruch des Arbeitgebers erstreckt sich bei-
spielsweise auch auf beruflich erlangte Daten, die der Arbeitnehmer auf seinen priva-
ten Smartphone gespeichert haben mag.7
Dem Arbeitgeber stehen damit auch bezüglich der nicht in seinem Eigentum 6
stehenden Gegenstände, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis in den
Besitz des Arbeitnehmers gelangt sind, weitreichende Herausgabeansprüche zu. Eine
arbeitsvertragliche Klausel dient auch insoweit überwiegend der Klarstellung und
daneben der rechtssicheren Regelung des Herausgabeanspruchs.
III. Zurückbehaltungsrechte
6 BAG, Urt. v. 14.12.2011 – 10 AZR 283/10; dies gilt beispielsweise auch für Bonusmeilen, die ein Ar-
beitnehmer im Rahmen eines Vielfliegerprogramms („Miles and More“) für dienstliche Reisen erlangt
hat, BAG Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 500/05.
7 Vgl. dazu Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765.
8 s. o. Rn. 2 f.
9 Näher dazu Kap. 3 Rn. 86.
Powietzka
280 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
IV. Klauselmuster
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, jederzeit auf entsprechende Aufforderung des Arbeitgebers, spä-
testens und unaufgefordert aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle Unterlagen, Gegen-
stände und Arbeitsmittel, die Eigentum des Unternehmens, verbundener Unternehmen oder Kunden
sind, sowie sämtliche Unterlagen, die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit angefertigt hat, ein-
schließlich sämtlicher Geschäftsdokumente, Notizen, Zeichnungen und Muster, an den Arbeitgeber
herauszugeben. Diese Verpflichtung bezieht sich gleichermaßen auf Originale, Kopien und Dateien,
gleich auf welchem Datenträger. Dem Arbeitnehmer steht an diesen Gegenständen kein Zurückbe-
haltungsrecht zu.
B. N
achvertragliche Verschwiegenheitspflicht
Powietzka
B. Nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht 281
I. Rechtliche Ausgangslage
Powietzka
282 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Powietzka
B. Nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht 283
ßende und daher unwirksame Wettbewerbsabrede. Zwar könne eine Kundenliste ein
Betriebsgeheimnis darstellen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein legitimes
Interesse habe. Eine Geheimhaltungsklausel dürfe jedoch nur soweit gehen, dass
dem Arbeitnehmer die unmittelbare Verwertung der Kundenliste, etwa durch Veräu-
ßerung an ein Konkurrenzunternehmen, verboten werde. Die Verwertung der Kun-
dendaten im Rahmen seiner eigenen Berufsausübung könne dem Arbeitnehmer
jedoch nicht verwehrt werden. Insbesondere könne dem Arbeitnehmer nicht verbo-
ten werden, die betreffenden Kunden für ein eigenes Unternehmen oder einen neuen
Arbeitgeber zu umwerben.
Ebenso betont das BAG im „Titandioxid“-Fall21 das Recht des Arbeitnehmers, bei 16
Fehlen einer den §§ 74 ff. HGB entsprechenden Wettbewerbsabrede im Wettbewerb zu
seinen ehemaligen Arbeitnehmer zu treten und auch in seinen Kundenkreis einzu-
dringen. Die nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht sei begrenzt auf das Verbot
einer Verwertung durch Weitergabe der geheim zuhaltenden Tatsachen: Diese Kennt-
nisse dürfe der Arbeitnehmer nicht veräußern und auf diese Weise für sich verwerten.
Die nachvertragliche Treuepflicht könne jedoch nicht dazu führen, dem Arbeitneh-
mer die Verwertung eigener Kenntnisse und seines beruflichen Erfahrungswis-
sens bei der Beratung und Vertretung eines Konkurrenzunternehmens zu versagen.
In der „Kantenbänder“-Entscheidung22 ging es schließlich um einen Entwick- 17
lungsleiter, der sich im Aufhebungsvertrag verpflichtet hatte, über alle ihm bekannt
gewordenen Geschäftsvorgänge, insbesondere technische Verfahrensabläufe,
Rezepturen, Werkzeugkonzeptionen, Kunden, Preise und Produkte, bezogen auf
die Produktion der Arbeitgeberin von Kantenbändern, auch nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses Stillschweigen zu bewahren. Die nach Gründung eines Kon-
kurrenzunternehmens von der Arbeitgeberin erhobene Unterlassungsklage blieb
erfolglos. Das BAG betonte erneut das Recht des Arbeitnehmers, sein im Arbeitsver-
hältnis erworbenes Erfahrungswissen einschließlich der Kenntnis von Betriebs- oder
Geschäftsgeheimnissen einzusetzen und in den Kundenkreis des Arbeitgebers einzu-
dringen. Zwar könnten die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren, dass der Arbeitneh-
mer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein bestimmtes Betriebsgeheimnis
des Arbeitgebers auf Dauer nicht für eine eigene berufliche Tätigkeit nutzt. Die dem
Entwicklungsleiter auferlegt nachvertragliche Schweigepflicht betreffe aber nicht ein
oder mehrere konkret festgelegte Betriebsgeheimnisse, sondern beziehe sich unter-
schiedslos auf alle Geschäftsvorgänge. Damit werde ihm jede berufliche Verwertung
seiner in diesem Geschäftsbereich erworbenen Kenntnisse verwehrt und die Grenze
zum entschädigungspflichtigen Wettbewerbsverbot überschritten.
Powietzka
284 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
III. F olgerungen
23 Siehe dazu auch Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 121; Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II V
20, Rn. 54.
24 Siehe dazu Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 122 ff.
25 Siehe auch Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II V 20, Rn. 54, wonach die Grenzlinie sehr schmal sein
kann und die Ergebnisse gerichtlicher Auseinandersetzungen hierüber „kaum vorhersehbar“ seien.
Powietzka
B. Nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht 285
Praxistipp
Von der Verwendung allgemein gehaltener Muster, die für sämtliche Arbeitsverträge einheitlich ver-
wendet werden, ist dagegen abzuraten. Weitgefasste „All-Klauseln“ werden in der Regel als unange-
messene Benachteiligung des Arbeitnehmers gemäß § 307 BGB unwirksam sein.27
IV. Klauselmuster
Da das BAG letztlich immer eine Abwägung anhand der Umstände des Einzelfalls 21
fordert, wird es nicht möglich sein, eine nachvertragliche Verschwiegenheitsklausel
zu formulieren, die mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern wirksam vereinbart werden
könnte. Auch sorgfältig formulierte Verschwiegenheitsabreden sind stets mit einer
nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit behaftet.29 Es schadet sicherlich nicht, die
Klausel zu Verschwiegenheitspflichten des Arbeitnehmers während des Arbeitsver-
hältnisses dahin zu ergänzen, dass die Pflicht zur Geheimhaltung auch nach Been-
digung des Arbeitsverhältnisses fortdauert.30 Im Streitfall wird diese Regelung aber
26 Siehe BVerfG, Beschl. v. 14.03.2006 – 1 BVR 2087/03; BAG, Urt. v. 26.09.1990 – 2 AZR 602/89.
27 ErfK/Preis, § 611 BGB, Rn. 714; Suckow/Striegel/Niemann/Striegel, Rn. 794; Preis/Rolfs, Der Ar-
beitsvertrag, II V 20 Rn. 58.
28 Suckow/Striegel/Niemann/Striegel, Rn. 797.
29 Ebenso Preis/Rolfs, Der Arbeitsvertrag, II V 20 Rn. 65.
30 Siehe dazu Kap. 5 Rn. 111 ff. und das Klauselmuster Kap. 5 Rn. 138.
Powietzka
286 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus über die
folgenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers gegenüber jedermann Stillschwei-
gen zu bewahren und diese auch im Rahmen einer späteren beruflichen Tätigkeit nicht zu verwerten
oder zu nutzen:
– Produktions- und Fertigungsverfahren
– Einkaufspreise und Kalkulationsgrundlagen
– Kunden- und Preislisten (…).
Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch gegenüber Mitarbeitern des Arbeitgebers, die mit den jeweili-
gen Vorgängen nicht unmittelbar betraut sind.
Sollte die nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fort-
kommen unverhältnismäßig beeinträchtigen, kann er vom Arbeitgeber die Freistellung von dieser
Verpflichtung verlangen. Der Arbeitnehmer wird darauf hingewiesen, dass Geheimnisverrat gemäß
§ 17 UWG strafbar ist. Außerdem kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtung zu
rechtlichen Konsequenzen wie z. B. einer (auch fristlosen) Kündigung und Schadensersatzansprü-
chen führen.
C. N
achvertragliche Wettbewerbsverbote
I. G
esetzliche Grundlagen
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 287
Powietzka
288 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
1. Regelung im Arbeitsvertrag
28 Trotz der strengen Formanforderungen muss das nachvertragliche Wettbewerbsver-
bot jedoch nicht in einer gesonderten Urkunde vereinbart werden. Die Wettbewerbs-
abrede kann auch in den schriftlichen Arbeitsvertrag aufgenommen werden,
sofern die Vorgaben des § 74 Abs. 1 HGB gewahrt sind, dem Arbeitnehmer also eine
vom Arbeitgeber unterzeichnete Urkunde des Vertrags übergeben wird.38 Wird die
Wettbewerbsklausel in den Arbeitsvertrag integriert, steht dies auch unter AGB-recht-
lichen Gesichtspunkten der wirksamen Einbeziehung nicht entgegen. Wettbewerbs-
verbote sind in der arbeitsrechtlichen Praxis durchaus üblich; es handelt sich daher
37 So BAG, Urt. v. 03.05.1994 – 9 AZR 606/92; ErfK/Oetker, § 74 HGB Rn. 9; einschränkend bei Aufhe-
bungsverträgen mit sofortiger Wirkung: Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 77.
38 Hümmerich/Reufels/Borgmann, Rn. 4254.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 289
nicht per se um eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB.39 Dies
gilt auch dann, wenn die Wettbewerbsklausel nicht besonders hervorgehoben und
nicht durch eine gesonderte Überschrift gekennzeichnet ist.40
Praxistipp
Eine überraschende und damit nicht wirksam vereinbarte Klausel kann aber gegeben sein, wenn die
nachvertragliche Wettbewerbsabrede unter einer irreführenden Überschrift „versteckt“ wird.41 Zur
Vermeidung unnötiger Zweifel empfiehlt es sich, die Wettbewerbsabrede durch die Überschrift „Wett-
bewerbsverbot“ oder „nachvertragliches Wettbewerbsverbot“ klar hervorzuheben.
2. S chriftform
Die Wahrung der von § 74 Abs. 1 HGB geforderten Schriftform richtet sich nach § 126 29
BGB. Erforderlich sind die schriftliche Fixierung der Vertragsbestimmungen und die
Unterschrift beider Parteien. Dabei müssen nicht zwingend beide Parteien auf der-
selben Urkunde unterschreiben; es genügt, wenn zwei gleichlautende Urkunden auf-
gesetzt werden und jede Partei die für die jeweils andere Partei bestimmte Urkunde
unterschreibt (§ 126 Abs. 2 BGB). Erforderlich sind jedoch die Original-Unterschriften.
Per Telefax oder als eingescanntes Dokument versandte E-Mails reichen nicht. Gemäß
§ 126a BGB kann die Schriftform indes auch durch ein elektronisches Dokument mit
qualifizierter elektronischer Signatur nach dem Signaturgesetz ersetzt werden. Ist die
Schriftform nicht eingehalten, ist das Wettbewerbsverbot gemäß § 125 BGB nichtig.42
3. Aushändigung
Über die gesetzliche Schriftform hinaus verlangt § 74 Abs. 1 HGB zur Wirksamkeit des 30
nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, dass dem Arbeitnehmer eine vom Arbeitge-
ber unterzeichnete, die vereinbarten Bestimmungen enthaltende Urkunde ausge-
händigt wird. Entgegen der früheren Rechtsprechung geht das BAG davon aus, dass
das Aushändigungserfordernis keine Formvorschrift sei, deren Verletzung zur Form-
nichtigkeit gemäß § 125 BGB führe. Es handle sich vielmehr um eine bloße Dokumen-
tationsregelung. Bei unterlassener Aushändigung der Urkunde habe der Arbeitneh-
mer, der durch die Vorschrift geschützt werden solle, ein Wahlrecht, ob er das Verbot
einhalte oder nicht. Der Arbeitgeber könne sich hingegen nicht auf die unterbliebene
Powietzka
290 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Aushändigung der Urkunde berufen.43 Aufgrund dieser für den Arbeitgeber ungüns-
tigen Rechtsfolgen ist strikt darauf zu achten, dass die Formerfordernisse (Schrift-
form und Aushändigung der Urkunde) nachweisbar (!) eingehalten sind. Die Aushän-
digung der Urkunde muss daher dokumentiert werden. Zu diesem Zweck sollte der
Arbeitgeber den Arbeitnehmer ein Empfangsbekenntnis unterzeichnen lassen.
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer bestätigt hiermit, dass er ein von der Arbeitgeberseite unterschriebenes Exemplar
des Arbeitsvertrags/der Vereinbarung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ausgehändigt er-
halten hat.
31 Verbreitet ist auch die Praxis, in den Arbeitsvertrag eine Klausel aufzunehmen, mit
der der Arbeitnehmer durch seine Unterschrift unter den Vertrag zugleich bestätigen
soll, ein Exemplar des Vertrags erhalten zu haben. Dadurch kann die Einhaltung der
Formvorschriften des § 74 Abs. 1 HGB jedoch nicht nachgewiesen werden, wenn es
sich dabei um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Denn nach § 309 Nr. 12b
BGB sind solche Bestätigungen bestimmter Tatsachen gegenstandslos.44 Erforderlich
wäre nach dieser Vorschrift ein gesondert unterschriebenes Empfangsbekenntnis.
Fettnapf
Besondere Vorsicht ist bei der Verlängerung befristeter Arbeitsverträge geboten. Wird ein ursprüng-
lich befristeter Vertrag, der ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot enthielt, mündlich oder konklu-
dent verlängert, ohne dass dabei die Wettbewerbsabrede schriftlich erneuert wird, so soll die Wett-
bewerbsabrede unwirksam sein. Selbst wenn die Parteien ihre Geltung (konkludent) über das Ende
der bisherigen Befristung hinaus verlängert hätten, so sei diese Vereinbarung mangels Schriftform
formnichtig.45
43 BAG, Urt. v. 23.11.2004 – 9 AZR 595/03; Preis/Stoffels, Der Arbeitsvertrag, II W 10, Rn. 29; kritisch
Diller, RdA 2006, 45.
44 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 217; Preis/Stoffels, Der Arbeitsvertrag, II W 10, Rn. 29.
45 So LAG Hamm, Urt. v. 14.02.2007 – 14 Sa 114/07; Preis/Stoffels, Der Arbeitsvertrag, II W 10, Rn. 29.
46 BAG, Urt. v. 13.09.1969 – 3 AZR 501/65.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 291
Dies ist gemäß § 74a Abs. 2 HGB dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit des
Abschlusses minderjährig ist oder wenn sich der Arbeitgeber die Erfüllung auf Ehren-
wort oder unter ähnlichen Versicherungen versprechen lässt.47 Nichtigkeit sieht das
Gesetz auch für Vereinbarungen vor, durch die ein Dritter an Stelle des Arbeitnehmers
die Verpflichtung übernimmt, dass sich der Arbeitnehmer nach der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränken werde. Zur Nich-
tigkeit führt auch der Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform.48 Nach der Recht-
sprechung des BAG ist auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ohne jegliche
Zusage einer Karenzentschädigung nichtig.49
Eine unverbindliche Wettbewerbsabrede führt hingegen lediglich dazu, dass 34
der Arbeitgeber ihre Einhaltung nicht erzwingen kann (siehe § 75d HGB). Der Arbeit-
nehmer hat indes ein Wahlrecht, ob er sich an das Wettbewerbsverbot hält und die
zugesagte Karenzentschädigung in Anspruch nimmt oder ob er sich von dem Wett-
bewerbsverbot löst. Hauptfall eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots ist die
Zusage einer nicht den gesetzlichen Vorgaben (§ 74 Abs. 2 i. V. m. § 74b und § 74c HGB)
entsprechenden Karenzentschädigung. Wettbewerbsverbote sind auch insoweit
unverbindlich, als sie nicht zum Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesse
des Arbeitgebers dienen (§ 74a Abs. 1 HGB). Weitere Verstöße, die zur Unverbind-
lichkeit führen, sind Wettbewerbsverbote, die unzulässiger Weise unter eine Bedin-
gung gestellt wurden50 oder eine vom Gesetz abweichende Verzichtsmöglichkeit zu
Gunsten des Arbeitgebers enthalten51.
Für den Arbeitgeber ist die Unverbindlichkeit eines Wettbewerbsverbots beson- 35
ders misslich: Er selbst kann die Wettbewerbsenthaltung nicht erzwingen und damit
Konkurrenztätigkeiten seines (ehemaligen) Mitarbeiters nicht verhindern. Der Arbeit-
nehmer hat jedoch ein Wahlrecht, ob er sich an die – nicht den gesetzlichen Vor-
gaben entsprechende – Wettbewerbsbeschränkung halten möchte. Hat er die Mög-
lichkeit einer lukrativen Tätigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen, wird er diese
im Zweifel annehmen. Hat er diese Möglichkeit nicht und ist daher für den bisheri-
gen Arbeitgeber „ungefährlich“, wird er sich für die Einhaltung des Verbots und die
Inanspruchnahme der Karenzentschädigung entscheiden, so dass der Arbeitgeber
eine Entschädigung für ein aus seiner Sicht wertlos gewordenes Wettbewerbsverbot
zahlen muss.
Powietzka
292 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Beispiel52
Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Lebensversiche-
rungen zu vermitteln.
Beispiel
Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nicht für ein Versicherungsunternehmen/die Versicherungsunter-
nehmen X und Y tätig zu werden.
38 Unterschiede ergeben sich vor allem dann, wenn ein Unternehmen eine breite Palette
von Produkten oder Dienstleistungen hat. Hier haben unternehmensbezogene
Wettbewerbsverbote eine erheblich weitergehende Wirkung als tätigkeitsbezogene
Verbote.
39 Beide Klauselarten haben Vor- und Nachteile. Bei tätigkeitsbezogenen Wettbe-
werbsverboten wird es häufig schwierig sein zu kontrollieren, welche Tätigkeit der
ehemalige Mitarbeiter bei einem Konkurrenzunternehmen ausübt. Das unterneh-
mensbezogene Verbot ist hier effektiver, da es dem Mitarbeiter jegliche Tätigkeit bei
einem Konkurrenzunternehmen verbietet.53
Praxistipp
Außerdem ist bei tätigkeitsbezogenen Verboten darauf zu achten, dass sie bei Änderungen der Tätig-
keit des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis anzupassen sind.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 293
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Ende seines Arbeitsverhältnis-
ses weder in selbstständiger, unselbstständiger oder anderer Weise für Unternehmen tätig zu wer-
den, die mit dem Arbeitgeber in direktem oder indirektem Wettbewerb stehen. Ebenso ist es dem Ar-
beitnehmer nicht gestattet, während der Laufzeit des Wettbewerbsverbots ein solches Unternehmen
zu errichten, zu erwerben oder sich daran unmittelbar oder mittelbar zu beteiligen. [Gegebenenfalls:
Als Wettbewerbsunternehmen gelten: …]
Powietzka
294 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
45 Ist das Unternehmen des Arbeitgebers in einen Konzern eingebunden, wird in der
Regel ein erhebliches Interesse daran bestehen, nicht nur die Betriebs- und Geschäfts-
geheimnisse sowie die Kundenbeziehungen des eigenen Unternehmens zu schützen,
sondern auch die der anderen Konzernunternehmen, in die der Arbeitnehmer häufig
ebenso Einblick erhalten wird. Auf der anderen Seite ist der Schutz eines Wettbe-
werbsverbots ebenso lückenhaft, wenn der Arbeitnehmer zwar nicht zu einem Unter-
nehmen wechseln darf, dass mit dem bisherigen Arbeitgeber in Wettbewerb steht,
ihm aber der Wechsel zu einem mit dem Wettbewerber konzernverbundenen Unter-
nehmen nicht untersagt werden kann.
46 So nachvollziehbar das Interesse des Arbeitgebers an einer konzernweiten
Geltung des Wettbewerbsverbots erscheinen mag, so wenig sollte er darauf hoffen,
dass ihm die Arbeitsgerichte mit einer erweiternden Auslegung der Wettbewerbsab-
rede „helfen“. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung orientiert sich bei der Ausle-
gung zu Recht am Wortlaut der Vereinbarung. Ist dort ein Konzernbezug nicht erkenn-
59 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 305; so auch BGH, Urt. v. 18.07.2005 – II ZR 159/03 für aus-
scheidende Gesellschafter einer Anwaltssozietät.
60 Vgl. LAG Nürnberg, Urt. v. 31.07.2001 – 6 Sa 408/01; ausführlich dazu Bauer/Diller, Wettbewerbs-
verbote, Rn. 251 ff.
61 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 327.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 295
bar, werden die Arbeitsgerichte ihn im Regelfall auch nicht in die Vereinbarung
„hineininterpretieren“. Untersagt die Wettbewerbsabrede dem Mitarbeiter eine Tätig-
keit (nur) für Konkurrenzunternehmen des Arbeitgebers, erstreckt sich der Schutz
somit nicht auf die mit dem Arbeitgeber konzernverbundenen Unternehmen.62
Ausnahmsweise kann auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein Wettbewerbs- 47
verbot konzernbezogen ausgelegt werden, wenn der Konzernbezug schon bei Ver-
tragsschluss erkennbar war, z. B. der Arbeitsvertrag eine konzernweite Versetzungs-
klausel aufweist.63 Eine konzernweite Auslegung eines Wettbewerbsverbots kann
auch dann geboten sein, wenn das Beschäftigungsverhältnis mit einer Konzernhol-
ding bestanden hat, die keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhält, sondern nur
Beteiligungen an den Tochterunternehmen.64
Praxistipp
Folglich sollte der Schutz auch konzernverbundener Unternehmen des Arbeitgebers ausdrücklich ge-
regelt werden, ebenso das Verbot, während der Dauer der Wettbewerbsbeschränkung eine Tätigkeit
bei mit Wettbewerbern verbundenen Unternehmen einzugehen.
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses
nicht in selbstständiger, unselbstständiger oder anderer Weise für Dritte oder mit diesen konzernver-
bundenen Unternehmen tätig zu werden, die mit dem Arbeitgeber oder einem mit dem Arbeitgeber
konzernverbundenen Unternehmen in direktem oder indirektem Wettbewerb stehen. Ebenso ist es
dem Arbeitnehmer untersagt, während der Laufzeit des Wettbewerbsverbots ein solches Unterneh-
men zu errichten, zu erwerben oder sich daran unmittelbar oder mittelbar zu beteiligen.
VII. B
edingte Wettbewerbsverbote
Powietzka
296 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Klauselmuster68
Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot wird wirksam mit Ablauf des zweiten Vertragsjahres der
Laufzeit dieses Vertrags/mit Beendigung der vereinbarten Probezeit.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 297
bleibt für den Arbeitnehmer keine Unklarheit: Spricht er eine Kündigung aus, ohne
dass der Arbeitgeber bis dahin die Option bzw. den Vorvertrag ausgeübt hätte, so
steht fest, dass der Arbeitnehmer an Wettbewerbstätigkeiten nicht gehindert ist.
Als unzulässige bedingte Wettbewerbsverbote hat das BAG auch vertragliche 52
Regelungen angesehen, wonach der Arbeitgeber berechtigt sein sollte, den örtlichen
oder sachlichen Umfang des Verbots vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einsei-
tig festzulegen72 oder wonach der Arbeitgeber vor oder nach Beendigung des Arbeits-
vertrags jederzeit auf die Wettbewerbsabrede verzichten könne.73 Auch ein Wettbe-
werbsverbot, dass davon abhängig gemacht wird, dass der Arbeitnehmer ordentlich
kündigt oder eine fristlose Entlassung verschuldet, ist unverbindlich.74
1. Gesetzliche Regelung
Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn sich der Arbeit- 53
geber verpflichtet, dem Arbeitnehmer für die Dauer des Verbots eine Entschädigung
zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der zuletzt bezo-
genen vertragsmäßigen Leistungen erreicht (so § 74 Abs. 2 HGB). § 74b HGB regelt
Einzelheiten der Karenzentschädigung. Danach ist diese am Schluss jedes Monats zu
zahlen (§ 74b Abs. 1 HGB). Bei Provisionen oder wechselnden Bezügen sind diese bei
der Berechnung der Entschädigung nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre in
Ansatz zu bringen. Bei kürzerem Bestand des Arbeitsverhältnisses kommt es auf die
gesamte Dauer des Vertrags an (§ 74b Abs. 2 HGB). Schließlich regelt § 74c HGB die
Anrechnung anderweitig erzielten Verdienstes des Arbeitnehmers auf die Karenzent-
schädigung. Ein Wettbewerbsverbot, dass keine den gesetzlichen Vorschriften ent-
sprechende Zusage der Karenzentschädigung enthält, ist unverbindlich. Der Arbeit-
nehmer hat demnach ein Wahlrecht, ob er sich von dem Wettbewerbsverbot löst oder
ob er sich daran hält und die (gesetzlich unzureichende) Karenzentschädigung in
Anspruch nimmt.
Praxistipp
In der Praxis scheitern erstaunlich viele Wettbewerbsvereinbarungen an einer nicht gesetzeskonfor-
men Zusage der Karenzentschädigung. Die Fehler, die dabei gemacht werden können, sind vielfältig,
die Rechtsprechung in diesem Bereich (zu Recht) streng.
Powietzka
298 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Fettnapf
Hier scheitern viele Wettbewerbsabreden, weil entweder versucht wird, unzulässiger Weise für den
Arbeitgeber günstigere Regelungen zu treffen oder – wesentlich häufiger – die Umschreibung der
gesetzlichen Mindestkarenzentschädigung unbewusst rechtlich unzutreffend wiedergegeben wird.
75 BAG, Urt. v. 18.01.2000 – 9 AZR 929/98; BAG, Urt. v. 03.05.1994 – 9 AZR 606/92. – Die Abgrenzung
hat hier kaum praktische Bedeutung, da das Wahlrecht des Arbeitnehmers für eine Einhaltung des
Wettbewerbsverbots bei einer Karenzentschädigung von EUR 0 sinnlos ist und er sich immer gegen
die Einhaltung des Verbots entscheiden wird.
76 Ebenso Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 437; MüKo/HGB-v.Hoyningen-Huene, § 74 Rn. 45;
vgl. auch BAG, Urt. v. 14.08.1975 – 3 AZR 333/74.
77 BAG, Urt. v. 28.06.2006 – 10 AZR 407/05; BAG, Urt. v. 31.07.2002 – 10 AZR 513/01; – kritisch dazu
Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 439 ff.; Grunsky, NZA 1988, 713, 715 f., Preis/Stoffels, Der Ar-
beitsvertrag, II W 10, Rn. 50.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 299
und der Wert von Aktienoptionen78. Gibt es neben dem monatlichen Grundgehalt
andere Vergütungsbestandteile, so ist deshalb eine Entschädigungszusage in Höhe
von 50 % des Grundgehalts unzureichend, das Wettbewerbsverbot daher unverbind-
lich.79
Die gesetzliche Regelung der §§ 74 Abs. 2, 74b HGB unterscheidet zwischen der 58
regelmäßigen, monatlichen Vergütung und „wechselnden Bezügen“. Bei der monat-
lichen Vergütung kommt es allein auf deren Höhe bei Beendigung des Arbeitsver-
hältnisses an.80 Demnach genügt es den gesetzlichen Anforderungen nicht, wenn
dem Arbeitnehmer eine Karenzentschädigung in Höhe des Durchschnitts des letzten
Vertragsjahres oder etwa der letzten drei Vertragsjahre versprochen wird.81 Denn bei
einer solchen Durchschnittsbetrachtung würden Gehaltserhöhungen, die im letzten
Vertragsjahr erfolgt sind, nur anteilig berücksichtigt. Aus demselben Grund ist bei-
spielsweise auch die Zusage der „Hälfte der zuletzt bezogenen Jahresvergütung“ nicht
ausreichend.82 Ebenso wenig genügt es den gesetzlichen Anforderungen, wenn dem
Arbeitnehmer die Hälfte der zuletzt „für ein Jahr“ bezogenen vertragsmäßigen Leis-
tungen als Entschädigung versprochen wird.83
Wechselnde Bezüge sind im Gegensatz dazu gemäß § 74b Abs. 2 HGB mit dem 59
Durchschnitt der letzten drei Jahre in Ansatz zu bringen, bei kürzerer Dauer des
Arbeitsverhältnisses mit dem Durchschnitt während des gesamten Vertragsverhält-
nisses. Die vertragliche Regelung der Karenzentschädigung muss im Hinblick auf
wechselnde Bezüge diese gesetzlichen Vorgaben zutreffend wiedergeben.
Fettnapf
Ein häufiger Fehler besteht darin, solche unregelmäßigen Vergütungsbestandteile aus der Karenz-
entschädigung auszunehmen, indem beispielsweise auf die zuletzt bezogene monatliche Vergütung
abgestellt wird.84
4. A
bstrakte Betrachtung
Besonders misslich für Arbeitgeber ist, dass derartige Fehler bei der Formulierung der 60
Zusage der Karenzentschädigung zwangsläufig zu Unverbindlichkeit des Wettbe-
werbsverbots führen. Es ist unerheblich, ob der Arbeitnehmer, dem beispielsweise
Powietzka
300 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
nur eine Entschädigung in Höhe der letzten monatlichen Bezüge versprochen wurde,
überhaupt andere, unregelmäßige Vergütungsbestandteile erhalten hat. Unerheblich
ist auch, ob beispielsweise das Abstellen auf die letzte durchschnittliche Jahresvergü-
tung für den Arbeitnehmer im konkreten Fall zu Nachteilen bei der Berechnung führt,
was beispielsweise nicht der Fall wäre, wenn im letzten Vertragsjahr keine Gehaltser-
höhung erfolgt wäre und/oder die variable Vergütung im letzten Vertragsjahr beson-
ders hoch gewesen wäre. Da nachvertragliche Wettbewerbsabreden in aller Regel All-
gemeine Geschäftsbedingungen sind, ist eine abstrakte Betrachtung anzustellen.
Das Wettbewerbsverbot ist schon dann unverbindlich, wenn es abstrakt geeignet ist,
den Arbeitnehmer schlechter als die gesetzliche Regelung zu stellen. Ob sich die Ver-
tragsklausel tatsächlich im konkreten Einzelfall für den Arbeitnehmer nachteilig aus-
wirkt, spielt keine Rolle.85
5. Unklarheitenregel
61 Zu berücksichtigen ist weiter, dass sich der Arbeitnehmer, der sich von einer solchen
Wettbewerbsabrede lösen will, gegebenenfalls auf die Unklarheitenregel des § 305c
Abs. 2 BGB berufen kann. Danach gehen Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des
Verwenders.86 Lässt die Vertragsklausel mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu und
bleiben nicht behebbare Zweifel, welcher Auslegung der Vorrang gebührt, so kann
sich der Arbeitnehmer auf die „arbeitnehmerfeindlichste“ Auslegung berufen, wenn
diese der AGB-Kontrolle nicht Stand hält.87 Schließlich hilft es dem Arbeitgeber im
Streitfall auch nicht, wenn neben der unzureichenden Entschädigungszusage ein all-
gemeiner Verweis auf die §§ 74 ff. HGB oder eine salvatorische Klausel im Arbeitsver-
trag enthalten ist. Denn typischerweise wird auf die §§ 74 ff. HGB nur verwiesen, soweit
die konkrete Wettbewerbsklausel keine anderweitigen Vereinbarungen enthält. Auch
die salvatorische Klausel kann aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduk-
tion nicht dazu führen, dass eine unzulässige Regelung im noch zulässigen Umfang
aufrechterhalten wird.88
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 301
Powietzka
302 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Klauselmuster
Für die Dauer dieses Wettbewerbsverbots erhält der Arbeitnehmer eine Entschädigung, die für jedes
Jahr des Verbots die Hälfte der von ihm zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen beträgt. An-
derweitiger Verdienst oder böswillig unterlassener Verdienst ist gemäß § 74c HGB auf die Entschädi-
gung anzurechnen.
66 Am Ende der Wettbewerbsklausel sollte ein umfassender Verweis auf die § 74 ff. HGB
stehen. Damit wird nochmals klargestellt, dass bezüglich der nicht ausdrücklich gere-
gelten Punkte die gesetzlichen Bestimmungen gelten, im Hinblick auf die Berechnung
der Karenzentschädigung also insbesondere die §§ 74 Abs. 2, 74b und 74c HGB.
Klauselmuster
Im Übrigen gelten die §§ 74 ff. HGB.
1. Gesetzliche Ausgangslage
67 Nach § 75a HGB kann der Arbeitgeber vor der Beendigung des Dienstverhältnisses
durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot verzichten mit der Wirkung,
dass er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur
Zahlung der Entschädigung frei wird.
68 Diese – zu Gunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingende – gesetzliche Rege-
lung bezweckt einen angemessenen Ausgleich der beiderseitigen Interessen der Ver-
tragsparteien: Dem Arbeitgeber wird das Recht eingeräumt, sich einseitig von der
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 303
Beispiel
Der Arbeitgeber erklärt am 30.06.2015 den Verzicht auf das vereinbarte nachvertragliche Wettbe-
werbsverbot. Der Arbeitnehmer kündigt am 30.12.2015 mit Wirkung zum 30.06.2016. – Mit Been-
digung des Arbeitsverhältnisses am 30.06.2016 ist der Arbeitnehmer frei, in Wettbewerb zu seinem
bisherigen Arbeitgeber zu treten. Da seit der Verzichtserklärung bereits ein Jahr vergangen ist, hat er
keinen Anspruch auf eine Karenzentschädigung.
Beispiel
Der Arbeitgeber erklärt am 30.12.2015 den Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Das
Arbeitsverhältnis endet zum 30.06.2016. – In diesem Fall ist der Arbeitnehmer ebenfalls berechtigt,
bereits ab dem 01.07.2016 in Konkurrenz zu seinem bisherigen Arbeitgeber zu treten, da dieser mit
sofortiger Wirkung auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verzichtet hat. Für den Zeitraum vom
01.07.2016 bis zum 30.12.2016 hat der Arbeitnehmer jedoch noch Anspruch auf die vereinbarte Ka-
renzentschädigung, da die gesetzliche Jahresfrist erst am 30.12.2016 abläuft.
2. V ertragliche Regelungen
In der Praxis finden sich immer wieder vertragliche Regelungen, mit denen Arbeitge- 69
ber diese gesetzliche Regelung des Verzichtsrechts zu ihren Gunsten zu modifizieren
versuchen. So stößt man auf Vertragsklauseln, die dem Arbeitgeber in zeitlicher Hin-
sicht ein Verzichtsrecht selbst noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein-
räumen. Genauso häufig finden sich Vertragsklauseln, die im Fall des Verzichts des
Arbeitgebers den Wegfall des Anspruchs auf die Karenzentschädigung nicht erst nach
Ablauf eines Jahres, sondern sofort, nach drei Monaten oder nach sechs Monaten vor-
Powietzka
304 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
sehen. Nach der Rechtsprechung des BAG führen solche Vertragsklauseln zur Unver-
bindlichkeit des Wettbewerbsverbots. Der Arbeitnehmer hat also ein Wahlrecht,
ob er sich an das Wettbewerbsverbot gegen Zahlung der Karenzentschädigung hält
oder ob er sich davon löst.97
Praxistipp
Bei der Gestaltung von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten sollte von einer vertraglichen Rege-
lung des Verzichtsrechts abgesehen werden. Wird „im Übrigen“ auf die Vorschriften der §§ 74 ff. HGB
verwiesen, gilt damit auch das Verzichtsrecht gemäß § 75a HGB.
70 Wer dennoch aus Gründen der Transparenz das Verzichtsrecht ansprechen möchte,
sollte sich möglichst eng an die gesetzliche Bestimmung des § 75a HGB halten:
Klauselmuster
Der Arbeitgeber kann vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf
das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung verzichten, dass er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Er-
klärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird.
X. K
unden-/Mandantenschutzklauseln
1. Berufsrechtliche Beschränkungen
71 In einigen freien Berufen untersagen spezielle berufsrechtliche Regelungen aus-
scheidenden Mitarbeitern, Kunden bzw. Mandanten des ehemaligen Arbeitgebers
abzuwerben. So bestimmte § 33 der Berufsordnung für Steuerberater in der bis 2010
geltenden Fassung, dass Steuerberater bei ihrem Ausscheiden aus einer Steuerbera-
tungsgesellschaft, einer Bürogemeinschaft, einem freien Mitarbeiterverhältnis oder
einem Anstellungsverhältnis alles zu unterlassen hatten, was darauf gerichtet ist,
ihre früheren Vertragspartner aus einem Auftrag zu verdrängen. Ein entsprechendes
Abwerbeverbot wurde bei Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern aus dem Verbot
der einzelfallbezogenen Mandatswerbung (§ 43b BRAO und § 52 WPO) hergeleitet.
Daher war für diese speziellen Berufsgruppen das gezielte Abwerben von Mandan-
ten aus berufsrechtlichen Gründen verboten.
97 BAG, Urt. v. 19.01.1978 – 3 AZR 573/77; BAG, Urt. v. 31.07.2002 – 10 AZR 558/01; – differenzierend:
Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 504 ff., die bei sofortigem oder verfrühtem Wegfall der Ent-
schädigungspflicht von einem verbindlichen Wettbewerbsverbot ausgehen, dem Arbeitnehmer aber
gemäß den gesetzlichen Regelungen einen Anspruch auf die Karenzentschädigung zugestehen.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 305
2. B eschränkte Mandantenschutzklausel
Vor diesem besonderen Hintergrund hat das BAG in ständiger Rechtsprechung sog. 72
„beschränkte Mandantenschutzklauseln“ auch ohne die Zusage einer Karenzent-
schädigung für zulässig gehalten. Unter „beschränkten Mandantenschutzklauseln“
werden vertragliche Regelungen verstanden, die dem Mitarbeiter nach seinem Aus-
scheiden das Abwerben von Mandanten untersagen. Das BAG hat darin eine ledig-
lich klarstellende Wiedergabe der ohnehin geltenden berufsrechtlichen Regelungen
gesehen. Da damit die berufliche Betätigung nicht über das ohnehin bestehende Maß
hinaus behindert werde, unterfielen diese vertraglichen Regelungen nicht den § 74 ff.
HGB98.
Daher werden bislang Vertragsregelungen wie die folgende von der Rechtspre- 73
chung auch ohne Karenzentschädigung für zulässig gehalten:
Klauselmuster99
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne die ausdrückli-
che Zustimmung der Sozietät für die Dauer von zwei Jahren keine Mandanten, gleich ob als Angestell-
ter oder Selbstständiger, anzusprechen oder abzuwerben, die während der letzten drei Jahre vor dem
Ausscheiden zu dem Mandantenkreis der Sozietät gehört haben.
Hervorzuheben ist, dass diese besondere Rechtsprechung sich stets nur auf die 74
besonderen Berufsgruppen – im Wesentlichen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
und Rechtsanwälte – beschränkte, in denen ein standesrechtliches Abwerbeverbot
gegeben war. In sämtlichen anderen Branchen stellt eine – auch beschränkte – Kun-
denschutzklausel stets eine Behinderung der weiteren beruflichen Tätigkeit des aus-
scheidenden Mitarbeiters dar, die ohne weiteres den §§ 74 ff. HGB unterfällt und daher
nur bei gesetzeskonformer Zusage einer Karenzentschädigung zulässig ist.
Ob an dieser besonderen Rechtsprechung zu „beschränkten Mandantenschutz- 75
klauseln“ festgehalten werden kann, wird kontrovers diskutiert. Die wettbewerbsbe-
schränkenden standesrechtlichen Regelungen im Bereich der freien Berufe werden
unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) immer restriktiver
behandelt. Die seit 01.01.2011 geltende Neufassung der Berufsordnung der Steuerbe-
rater enthält kein generelles Abwerbeverbot mehr. § 33 Abs. 1 der früheren Fassung
wurde aufgehoben. Geregelt ist nur noch das Verhalten bei Auflösung einer Sozie-
tät oder bei Ausscheiden eines Sozius. Hier sind gemäß § 26 der Berufsordnung der
Steuerberater die Auftraggeber darüber zu befragen, welcher Steuerberater künftig
das Mandat erhalten soll. Darüber hinaus gehende Abwerbeverbote bestehen nicht
mehr. Auch das Verbot der einzelfallbezogenen Werbung für Wirtschaftsprüfer in § 52
WPO wurde aufgehoben; stattdessen wird nun auf die allgemeinen Grenzen des UWG
Powietzka
306 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
3. Allgemeine Mandantenschutzklauseln
76 Unabhängig davon unterfallen sog. „allgemeine Mandantenschutzklauseln“ bzw.
„allgemeine Kundenschutzklauseln“ unstreitig den §§ 74 ff. HGB. Darunter sind Ver-
einbarungen zu verstehen, die dem ausgeschiedenen Mitarbeiter über das gezielte
Abwerben hinaus jegliche Betreuung von Mandanten des früheren Arbeitgebers
untersagen.
Beispiel101
Sie verpflichten sich, innerhalb von drei Jahren nach Beendigung des Dienstverhältnisses bei mir kei-
ne Tätigkeit, freiberuflich oder als Angestellter eines anderen Berufsangehörigen, für solche Auftrag-
geber auszuüben, die in den letzten drei Jahren vor Beendigung des Dienstverhältnisses zu meinem
Mandantenkreis gehörten; weiter nicht in die Dienste eines meiner Mandanten zu treten, der in den
letzten drei Jahren vor Beendigung des Dienstverhältnisses zu meiner Klientel zählt.
4. Mandantenübernahmeklauseln
78 Von Kunden- oder Mandantenschutzklauseln sind sog. Mandantenübernahmeklau-
seln zu unterscheiden. Diese verbieten dem ausscheidenden Mitarbeiter nicht, für
die Mandanten des bisherigen Arbeitgebers tätig zu werden, verpflichten ihn jedoch,
einen gewissen Honoraranteil aus diesen Mandaten abzuführen.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 307
Beispiel
Übernehmen Sie bei oder im Zusammenhang mit Ihrem Ausscheiden aus den Diensten meiner Praxis
unmittelbar oder mittelbar Mandate meiner Praxis, so werden Sie als Entschädigung für einen Zeit-
raum von fünf Jahren seit dem Ausscheiden einen Betrag in Höhe von 20 % Ihres Gesamtumsatzes mit
dem betreffenden Mandanten an mich abführen. Die Zahlungen sind jeweils am 01.03. eines Jahres
für den Jahresumsatz des vorangegangenen Kalenderjahres fällig.
Beispiel
Der Mitarbeiter ist verpflichtet, 20 % der Nettohonorare, die er innerhalb von zwei Jahren nach Been-
digung des Anstellungsvertrages mit Mandanten, die während des laufenden Anstellungsvertrages
von der Gesellschaft betreut wurden, verdient, an die Gesellschaft abzuführen. Die erzielten Hono-
rare sind der Gesellschaft pro Quartal durch Vorlage von Kopien der an die Mandanten übersandten
Rechnungen nachzuweisen. Von der vorstehenden Klausel erfasst werden nur diejenigen Mandanten,
welche vom Standort oder dem Mitarbeiter ganz oder teilweise betreut wurden.
Powietzka
308 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Praxistipp
Von der Verwendung von Mandantenübernahmeklauseln ist daher für die Praxis abzuraten. Besteht
Interesse an der Beschränkung zukünftiger Wettbewerbstätigkeiten, kann dies rechtssicher nur durch
nachvertragliche Wettbewerbsverbote, z. B. in Form einer allgemeinen Mandanten- oder Kunden-
schutzklausel, und die Zusage einer entsprechenden Karenzentschädigung erreicht werden.
XI. V
ertragsstrafe
1. Regelungsbedarf
82 Verstößt ein Arbeitnehmer gegen ein verbindliches Wettbewerbsverbot, kann der
(ehemalige) Arbeitgeber Unterlassungsansprüche geltend machen und diese ggf.
auch durch einstweilige Verfügung gerichtlich durchsetzen. Darüber hinaus kann
er Schadensersatz verlangen. Häufig wird es jedoch schwierig sein, den kausal auf
der Wettbewerbsverletzung beruhenden Schaden schlüssig darzulegen. Denn dazu
müsste erläutert werden, welcher Gewinn dem Arbeitgeber beispielsweise dadurch
entgangen ist, dass der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Konkurrenztätigkeit ein-
zelne Kunden abgeworben hat. Der Nachweis, dass der ehemalige Arbeitgeber ohne
die unzulässige Wettbewerbstätigkeit überhaupt weitere Geschäfte mit diesen Kunden
hätte abschließen können und welchen Gewinn er daraus erzielt hätte, wird häufig
nicht einfach zu führen sein. Der bloße Vergleich von Jahresergebnissen in Form von
Gewinn oder Verlust vor und nach Aufnahme der Wettbewerbstätigkeit wird – auch
unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 287 ZPO – nicht ausreichen.105
Zwar muss der Arbeitgeber für den Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer gegen das
Wettbewerbsverbot verstößt, die vereinbarte Karenzentschädigung nicht bezahlen
und kann eine bereits gezahlte Karenzentschädigung zurückfordern.106 Dennoch sind
die Sanktionen bei einem Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot häufig nicht so effek-
tiv, dass sie den Arbeitnehmer von einer unzulässigen Wettbewerbstätigkeit abschre-
105 BAG, Urt. v. 26.09.2012 – 10 AZR 370/10 zu einem Fall des unlauteren Abwerbens von Mitarbei-
tern.
106 BAG, Urt. v. 05.08.1968 – 3 AZR 128/67.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 309
2. Anforderungen an Vertragsstrafeklauseln
Die Rechtsprechung des BAG stellt jedoch für eine wirksame Vertragsstrafenregelung 83
sehr hohe Anforderungen mit der Folge, dass eine rechtssichere Gestaltung in diesem
Bereich kaum noch möglich ist.
107 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 921; Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäfts-
führers, S. 182.
108 BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 973/06.
109 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 927.
110 Vgl. BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 973/06.
Powietzka
310 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
b) H
öhe der Vertragsstrafe
87 In Bezug auf die Höhe der Vertragsstrafe kann entweder mit feststehenden Summen
gearbeitet oder an die vom Arbeitnehmer zuletzt bezogene Vergütung angeknüpft
werden (z. B. eine Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehalts oder eines bestimmten
Vielfachen der letzten Monatsvergütung). Unzulässig wäre es, die Höhe der Vertrags-
strafe der Festsetzung der Gerichte zu überlassen. Daher hat das BAG eine Vertrags-
strafenabrede für unwirksam erachtet, die „eine für jeden Einzelfall vom Gericht fest-
zusetzende Vertragsstrafe“ vorsah.111
88 Bei der Festlegung der Höhe der Vertragsstrafe ist vor allem zu beachten, dass
sie in einem angemessenen Verhältnis zum drohenden Schaden stehen muss.
Sie darf nicht der Schöpfung neuer, vom Sachinteresse des Arbeitgebers losgelöster
Geldforderungen dienen. Dies würde eine unzulässige Benachteiligung des Arbeit-
nehmers darstellen. 112 Eine Vertragsstrafe im Vertrag eines Versicherungsvermittlers,
die den dem Arbeitgeber drohenden Provisionsverlust durch die verbotswidrige Ver-
mittlung von Versicherungen auf eigene Rechnung um das Fünffache übersteigt, wird
daher unzulässig sein.113
89 Neben der Höhe des zu erwartenden Schadens kann auch das Verhältnis zum
letzten Gehalt des Mitarbeiters berücksichtigt werden. In Anlehnung an die Recht-
sprechung zu Vertragsstrafen wegen der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses
werden auch im Bereich der nachvertraglichen Wettbewerbsverbote Vertragsstrafen
in der Höhe eines Bruttomonatsgehalts weitgehend als zulässig angesehen, während
bei Übersteigen von drei Bruttomonatsgehältern erhebliche Bedenken geltend
gemacht werden.114 Das BAG hat jedoch bereits deutlich gemacht, dass ein Brutto-
monatsgehalt keineswegs als Höchstgrenze für Vertragsstrafenversprechen anzuse-
hen sei und insbesondere bei der Verletzung von Wettbewerbsverboten typischer-
weise erheblich höhere Schäden drohen als etwa bei der vorzeitigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer.115
90 Aufgrund der Besonderheiten des AGB-Rechts muss aber dafür Sorge getragen
werden, dass die vereinbarte Höhe der Vertragsstrafe in jeder Fallkonstellation,
in der die Vertragsstrafe verwirkt sein soll, angemessen sein muss. Andernfalls ist
die Vereinbarung der Vertragsstrafe insgesamt unwirksam.116 Eine überhöhte Ver-
tragsstrafenabrede kann nicht auf ein zulässiges Maß reduziert werden. Die in § 343
BGB vorgesehene Möglichkeit der Herabsetzung einer überhöhten Vertragsstrafe wird
von den Vorgaben des AGB-Rechts (Verbot der geltungserhaltenden Reduktion) ver-
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 311
drängt, zumal die Herabsetzung nach § 343 BGB eine wirksam vereinbarte Vertrags-
strafe voraussetzt.117 Aufgrund dieser Unwägbarkeiten ist bei der Gestaltung einer
Vertragsstrafeklauseln im Zweifel zu raten, den „sicheren Bereich“ von bis zu einem
Bruttomonatsgehalt nicht zu überschreiten, da andernfalls die gesamte Vertrags-
strafenregelung für unwirksam erachtet werden könnte. Ist diese Höhe der Vertrags-
strafe aufgrund der im Fall einer Verletzung des Wettbewerbs drohenden finanziellen
Schäden offensichtlich unzureichend, sollte die Höhe der drohenden Schäden mög-
lichst nachvollziehbar ermittelt und zur Grundlage der Vertragsgestaltung gemacht
werden. Damit sollte es möglich sein, im Streitfall die Gerichte von der Angemessen-
heit der Höhe der Vertragsstrafe zu überzeugen.
117 Siehe BAG, Urt. v. 04.03.2004 – 8 AZR 196/03; LAG Hamm, Urt. v. 03.11.2006 – 7 Sa 1232/06;
zu Fällen, in denen die Herabsetzung bei vorformulierten Wettbewerbsverboten in Betracht kommt,
ausf. Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 946 ff., Haas/Fuhlrott, NZA-RR 2010, 1; Winter, BB 2010,
2757.
Powietzka
312 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
führe, und wann demgegenüber ein einmaliger Vertragsverstoß gegeben sei, für den
nur eine einmalige Vertragsstrafe verwirkt sein solle. Insbesondere werde nicht deut-
lich, wie der geradezu typische Fall zu behandeln sei, dass der Arbeitnehmer für ein
Konkurrenzunternehmen tätig werde, indem er für dieses Tätigkeiten verrichte oder
diesem Kunden vermittle. Ob dann für jeden Einzelfall des Verstoßes eine Vertrags-
strafe von zwei oder mehr durchschnittlichen Bruttomonatseinkommen verwirkt sei
oder ob sich dies als dauerhafte Verletzung darstelle, so dass für jeden Monat, in dem
ggf. mehrere Vertragsverletzungen begangen würden, nur einmal die Vertragsstrafe
fällig werde, sei unklar. Dieselben Unklarheiten gebe es im Fall einer Beteiligung des
Arbeitnehmers an einem Konkurrenzunternehmen. Auch eine solche Beteiligung
erstrecke sich typischerweise über einen längeren Zeitraum.118
93 Damit hat das BAG die in der Vergangenheit üblichen Standardformulierungen
für nicht ausreichend erklärt. Eine genauere Erläuterung, was – in Abgrenzung zu
einem einmaligen Verstoß – als mehrfache Zuwiderhandlung und was als Dauer-
verstoß anzusehen sein soll, ist daher unabdingbar. Angesichts der vielgestaltigen
möglichen Fallkonstellationen ist es jedoch schwierig, eine für den Arbeitnehmer
verständliche und somit transparente Formulierung zu finden, die alle in Betracht
kommenden Wettbewerbsverstöße abdeckt.119 Eine dauerhafte Verletzung des Wett-
bewerbsverbots wird – wie vom BAG dargelegt – vor allem in den Fällen eines Arbeits-
oder Dienstverhältnisses mit einem Wettbewerber sowie bei einer Beteiligung an
einem Konkurrenzunternehmen gegeben sein. Hier soll die Vertragsstrafe dement-
sprechend für jeden Monat des Verstoßes einmal anfallen. Andere Fälle, in denen
der Arbeitnehmer mehrfach gegen das Verbot verstößt, sind dann im Umkehrschluss
als mehrfache Zuwiderhandlungen einzuordnen, so dass jeder Einzelverstoß erneut
zur Verwirkung der Vertragsstrafe führt. Klargestellt werden sollte außerdem, dass
mehrere Einzelverstöße innerhalb eines dauerhaften Dienst-, Arbeits- oder Gesell-
schafterverhältnisses nur einmal monatlich und nicht für jeden Einzelverstoß eine
Vertragsstrafe auslösen. Empfohlen wird etwa folgende Formulierung:
Klauselmuster120
Besteht die Verletzungshandlung in der kapitalmäßigen Beteiligung an einem Wettbewerbsunter-
nehmen oder der Eingehung eines Dauerschuldverhältnisses (z. B. Arbeits-, Dienst-, Handelsver-
treter- oder Beraterverhältnis), wird die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Monat, in dem die
Beteiligung oder das Dauerschuldverhältnis besteht, neu verwirkt (Dauerverstoß). Mehrfache Verlet-
zungshandlungen lösen jeweils gesonderte Vertragsstrafen aus, ggf. auch mehrfach innerhalb eines
Monats. Erfolgen dagegen einzelne Verletzungshandlungen im Rahmen eines Dauerverstoßes, sind
sie von der für den Dauerverstoß verwirkten Vertragsstrafe mit umfasst.
118 BAG, Urt. v. 14.08.2007 – 8 AZR 973/06; siehe dazu Diller, NZA 2008, 574; Schramm, NJW 2008,
1494; Niemann, RdA 2013, 92.
119 Anschaulich zu den damit verbundenen Problemen und Schwierigkeiten Diller, NZA 2008, 547.
120 Siehe Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rn. 963.
Powietzka
C. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote 313
Eine solche Formulierung sollte den Anforderungen des BAG wohl standhalten. Eine 94
Garantie, dass die Arbeitsgerichte auch darin noch vermeidbare Unklarheiten entde-
cken und die Vertragsstrafenklausel für unwirksam halten können, gibt es aber nicht.
Eine vollständige Vertragsstrafenregelung im Rahmen einer nachvertraglichen 95
Wettbewerbsabrede wird im Folgenden (unter Ziff. 12) dargestellt.
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung dieses Arbeitsver-
trags weder in selbstständiger, unselbstständiger oder sonstiger Weise für ein Unternehmen tätig zu
werden, das mit dem Arbeitgeber im direkten oder indirekten Wettbewerb steht oder mit einem Wett-
bewerbsunternehmen konzernverbunden ist. In gleicher Weise verpflichtet sich der Arbeitnehmer,
während der Dauer dieses Verbots kein solches Unternehmen zu errichten, zu erwerben oder sich
hieran unmittelbar oder mittelbar zu beteiligen. Das Wettbewerbsverbot gilt auch zu Gunsten der mit
dem Arbeitgeber konzernverbundenen Unternehmen.
Während der Dauer dieses Wettbewerbsverbots erhält der Arbeitnehmer eine Entschädigung, die für
jedes Jahr des Verbots die Hälfte der vom ihm zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen beträgt.
Auf die Entschädigung ist anderweitiger Verdienst sowie böswillig unterlassener Verdienst nach Maß-
gabe des § 74c HGB anzurechnen. Der Arbeitnehmer hat jeweils zum Monatsende unaufgefordert
schriftlich mitzuteilen, ob und in welcher Höhe er anderweitige Einkünfte bezieht. Auf Verlangen des
Arbeitgebers sind die Angaben zu belegen.
Für jede Handlung, durch die der Arbeitnehmer das Verbot schuldhaft verletzt, hat er eine Vertrags-
strafe in Höhe des letzten durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts zu zahlen. Besteht die Verlet-
zungshandlung in der kapitalmäßigen Beteiligung an einem Wettbewerbsunternehmen oder der
Eingehung eines Dauerschuldverhältnisses (z. B. Arbeits-, Dienst-, Handelsvertreter- oder Beraterver-
hältnis), wird die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Monat, in dem die kapitalmäßige Beteiligung
oder das Dauerschuldverhältnis besteht, neu verwirkt (Dauerverstoß). Mehrere Verletzungshandlun-
gen lösen jeweils gesonderte Vertragsstrafen aus, ggf. auch mehrfach innerhalb desselben Monats.
Erfolgen jedoch einzelne Verletzungshandlungen im Rahmen eines Dauerverstoßes, sind sie von der
für den Dauerverstoß verwirkten Vertragsstrafe mit umfasst. Bei Verwirkung mehrerer Vertragsstrafen
ist der Gesamtbetrag der zu zahlenden Vertragsstrafen auf das Sechsfache des letzten durchschnitt-
lichen Bruttomonatsgehalts begrenzt.
Die Geltendmachung von Schäden, die über die verwirkte Vertragsstrafe hinausgehen, bleibt vorbe-
halten, ebenso die Geltendmachung aller sonstigen gesetzlichen Ansprüche und Rechtsfolgen aus
einer Verletzung des Wettbewerbsverbots (z. B. Unterlassungsansprüche, Wegfall des Anspruchs auf
Karenzentschädigung für die Dauer des Verstoßes, etc.).
Im Übrigen gelten die Bestimmungen der §§ 74 ff.
________________ ________________
Arbeitgeber Arbeitnehmer
Powietzka
314 Kapitel 8 Nachvertragliche Pflichten
Der Arbeitnehmer bestätigt, eine von Seiten des Arbeitgebers im Original unterschriebene vollständi-
ge Fassung dieser Vereinbarung erhalten zu haben.
________________
Arbeitnehmer
Powietzka
Kapitel 9
Schlussbestimmungen
A. Z
ugangsfiktion
I. K
lauselzweck
1 St. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 3.11.1976 – VIII ZR 140/75, Rn 13.
2 Palandt/Ellenberger, § 130 BGB Rn 16 f.
3 BAG, Urt. v. 18.2.1977 – 2 AZR 770/75, Rn 24; BAG, Urt. v. 26.03.2015 – 2 AZR 483/14; ErfK/Müller-
Glöge, § 620 BGB Rn 54.
4 BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, Rn 17; BAG, Urt. v. 9.6.2011 – 6 AZR 687/09, Rn 21.
5 BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, Rn 15 ff. für den Fall, dass ein schwerbehinderter Arbeit-
nehmer weiß, dass seine Kündigung unmittelbar bevorsteht und der Personalabteilung eine falsche
Adresse mitteilt; BGH, Urt. v. 26.11.1997 – VIII ZR 22/97, Rn 17; Palandt/Ellenberger, § 130 BGB Rn 18.
Powietzka
316 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
3 Die Darlegungs- und Beweislast trägt derjenige, der sich auf den Zugang beruft;
dies gilt auch für die Rechtzeitigkeit des Zugangs.6 Nach diesen Grundsätzen obliegt
es dem Arbeitgeber den (rechtzeitigen) Zugang seiner Erklärung beim Arbeitnehmer
nachzuweisen. Da dies mit Schwierigkeiten z. B. auch durch Übermittlungsrisiken
verbunden sein kann, wäre eine Fiktionsklausel dahingehend für den Arbeitgeber
vorteilhaft, dass er nicht mehr den Beweis des Zugangs führen müsste und mögliche
Zugangshindernisse ausschließen könnte.7
Powietzka
A. Zugangsfiktion 317
1. K
onstitutive Zugangsfiktion
Beispiel
– Ein Schreiben des Arbeitgebers gilt drei Tage nach Versendung an die dem Arbeitgeber mitgeteil-
te Anschrift des Arbeitnehmers als zugegangen.
– Ein Schreiben des Arbeitgebers an die dem Arbeitgeber mitgeteilte Anschrift des Arbeitnehmers
gilt am Tag des ersten Zustellungsversuchs als zugegangen.
– Ein Schreiben des Arbeitgebers an die dem Arbeitgeber mitgeteilte Anschrift des Arbeitnehmers
gilt mit dem Datum der Aufgabe zur Post als zugegangen.
– Ein Schreiben des Arbeitgebers, welches in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen
wird, gilt in jedem Falle, unabhängig von der Uhrzeit des Einwurfes, als noch am Tag des Einwur-
fes zugegangen.
Powietzka
318 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
2. D
eklaratorische Zugangsfiktion
7 Bestimmungen in Formulararbeitsverträgen, die nur die Rechtsfolgen einer
Zugangsvereitelung durch den Arbeitnehmer regeln,21 haben einen rein deklaratori-
schen Charakter, da sie lediglich die geltende Rechtslage widerspiegeln.22
Beispiel
– Hat der Arbeitnehmer eine Änderung seiner Wohnanschrift nicht ordnungsgemäß gemeldet, so
gilt ein Schreiben des Arbeitgebers in dem Zeitpunkt als zugegangen, in dem sie den Arbeitneh-
mer unter der zuletzt angegebenen Anschrift erreicht hätte.
3. Tatsachenfiktion
9 Die folgenden Beispiele haben ihren Schwerpunkt im Bereich der Tatsachenfiktion
und fingieren nicht den Zugang als solchen.
Beispiel
– Ein Schreiben des Arbeitgebers gilt dann als zugegangen, wenn es unter Zeugen an die Haustür
des Arbeitnehmers geklebt wurde, sofern dieser keinen Briefkasten oder sonstige Öffnung an
seiner Haustür hat, um den Brief in den Hausflur zu werfen.
– Hat ein Postbote den ortsabwesenden Arbeitnehmer über einen Benachrichtigungszettel im
Briefkasten darüber informiert, dass ein Einschreibebrief zur Abholung bereit liegt, gilt der Ein-
schreibebrief von dem Tag an als zugegangen, an dem der Benachrichtigungszettel eingeworfen
wurde, auch wenn der Brief erst später von dem Arbeitnehmer abgeholt wird.
10 Im ersten Beispiel wird lediglich die äußere Seite der Haustür als „Machtbereich“
des Arbeitnehmers definiert, was grundsätzlich wirksam ist.25
Powietzka
A. Zugangsfiktion 319
Die zweite Klausel unterliegt als Tatsachenfiktion nur der Inhaltskontrolle des 11
§ 307 BGB. Durch diese Fiktion wird die Frist des § 4 KSchG jedoch stets verkürzt, so
dass hier eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegt.26
4. Zugangsvermutung
Beispiel
– Ein Schreiben des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer gilt diesem als mit dem normalen Postlauf
zugegangen, es sei denn, der Arbeitnehmer weist nach, dass der Zugang tatsächlich nicht oder
zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt ist.
Eine solche widerlegliche Zugangsvermutung ist ebenfalls nach § 308 Nr. 6 BGB 12
unwirksam, sofern sie auch Erklärungen mit besonderer Bedeutung nicht ausschließt,
obwohl der Wortlaut der Norm diesen Fall nicht direkt erfasst, diese Fälle aber sonst
dem absoluten Beweislaständerungsverbot des § 309 Nr. 12 BGB unterlägen und somit
strenger behandelt werden würden als die stärkere Zugangsfiktion.27
III. Fazit
26 Hümmerich/Reufels/Schiefer, § 1 Rn 1710, 1714 mit Hinweis auf die Entscheidung des BAG, Urt. v.
25.4.1996 – 2 AZR 13/95: Die Klagefrist des § 4 KSchG beginnt erst mit Aushändigung des Einschreibens
zu laufen, selbst wenn ein Benachrichtigungszettel in den Briefkasten geworfen wird.
27 MaSiG/Jochums, Kap. 610 Rn 17; Palandt/Grüneberg, § 308 Rn 36; MüKo-BGB/Wurmnest, § 308
Nr. 6 Rn 3.; Suckow/Striegel/Niemann/Suckow, Rn 972.
28 Vgl. Rn 4.
29 MüKo-BGB/Wurmnest, § 308 Nr. 6 BGB Rn 5.
Powietzka
320 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
sie wirksam sind30 – ebenfalls nur die geltende Rechtslage wiedergeben, erscheinen
Zugangsfiktionsklauseln als überflüssig.31 Daher kann von einer Aufnahme in einen
Formulararbeitsvertrag abgesehen werden.
16 In individuell ausgehandelten Arbeitsverträgen müssen Kündigungserklärungen
im Rahmen von Zugangsfiktionsabreden ausdrücklich ausgenommen werden,32 im
Übrigen sprechen die Beweislaständerung und die Rechtssicherheit für die Verein-
barung einer Zugangsfiktion, wobei mit dem Ausschluss der Kündigungserklärungen
auch hier die wohl praxisrelevantesten Fälle ausgenommen sind, so dass auch hier
von der Aufnahme einer entsprechenden Abrede abgesehen werden kann.
17 Stattdessen ist zu empfehlen, wichtige Schreiben durch einen Boten in den Brief-
kasten des Arbeitnehmers einwerfen zu lassen und den Boten anzuweisen, ein ent-
sprechendes Zustellungsprotokoll zu erstellen.33
B. S
chriftformklausel
I. A
rten von Schriftformklauseln
30 Vgl. Rn 7 f.
31 So auch Preis/Preis, Kap. II Z 10 Rn 23, 31.
32 Vgl Rn 6, 13.
33 So auch Moll/Melms, § 10 Rn 201 f.
34 Hümmerich/Boecken/Mestwerdt, § 127 BGB Rn 59; kritisch hierzu Preis/Preis, Kap. II S 30 Rn 5.
Powietzka
B. Schriftformklausel 321
zung. Welche der Klauseln von den Parteien gewollt ist, ist durch Auslegung nach
§§ 133, 157 BGB zu ermitteln.35
2. Formulararbeitsverträge
Im Rahmen von Formulararbeitsverträgen, für die die §§ 305 ff. BGB gem. § 310 Abs. 4 23
S. 2 BGB gelten, weicht die Rechtslage bei der einfachen Schriftformklausel nicht
von den bei individuell ausgehandelten Arbeitsverträgen geltenden Grundsätzen
ab.41 Der Vorrang der Individualabrede wurde im AGB-Recht sogar ausdrücklich in
§ 305b BGB kodifiziert. Auch durch eine betriebliche Übung kann das Formerforder-
nis abbedungen werden.42
Unterschiede ergeben sich jedoch bezüglich der doppelten Schriftformklau- 24
sel. Nach dem Urteil des BAG vom 20.5.200843 hängt die Wirksamkeit einer solchen
Powietzka
322 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
Klausel von der konkreten Ausgestaltung ab. Eine zu weit formulierte doppelte
Schriftformklausel hält einer Inhaltskontrolle nicht stand und ist nach § 307 Abs. 1
S. 1 BGB unwirksam, wenn sie bei dem Arbeitnehmer den Eindruck erweckt, dass eine
mündlich getroffene Abrede entgegen § 305b BGB nach § 125 S. 2 BGB unwirksam sei
und die Klausel den Vertragspartner damit unangemessen benachteiligt.44 Aufgrund
des im AGB-Recht geltenden und sich aus § 306 Abs. 2 BGB ergebenden Verbots
der geltungserhaltenden Reduktion ist eine solche Schriftformklausel insgesamt
unwirksam. Daher kann durch sie auch nicht die Entstehung einer betrieblichen
Übung verhindert werden.45 Die betriebliche Übung als solche ist zwar keine Indi-
vidualvereinbarung, da sie durch die Entstehung einer Vielzahl von Arbeitnehmern
gegenüber ein kollektives Element enthält und daher grundsätzlich nicht § 305b BGB
entgegensteht. Jedoch kennt das AGB-Recht keine Teilunwirksamkeit von Klauseln,
so dass das Schriftformerfordernis insgesamt entfällt. Dessen ungeachtet kann sich
der Arbeitgeber als Verwender eines Formulararbeitsvertrages nicht auf die Unwirk-
samkeit einer Schriftformklausel nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB berufen und bleibt an das
Schriftformerfordernis gebunden.46
25 Um einer Inhaltskontrolle standzuhalten und den Vertragsparteien Rechtsklar-
heit und Beweiserleichterungen zu verschaffen,47 muss die Klausel einen Passus
enthalten, der mündliche Abreden zulässt.48 Durch eine solche Klausel wird die
Entstehung einer betrieblichen Übung verhindert.49 Teilweise wird in der Literatur
vertreten, dass die betriebliche Übung ausdrückliche Erwähnung in der Schriftform-
klausel finden müsse, um einen eventuellen Verstoß gegen das Transparenzgebot
des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu vermeiden.50 Das BAG hat in seinen bisherigen Entschei-
dungen eine solche Ausgestaltung der Schriftformklausel jedoch nicht verlangt.51 Ein
ausdrücklicher Ausschluss von Ansprüchen aus betrieblicher Übung hat lediglich
eine klarstellende Funktion, da diese gerade keine individuelle Vereinbarung dar-
stellt und das Entstehen entsprechender Ansprüche somit durch die Klausel auch
nicht vom Schriftformerfordernis ausgenommen ist.52
26 Die Aufnahme einer einfachen Schriftformklausel, die zwar mündlich verein-
barte Vertragsänderungen und betriebliche Übungen nicht verhindern kann, hat
zumindest eine mahnende Funktion an die Vertragsparteien, dass eine schriftliche
Powietzka
B. Schriftformklausel 323
3. Vollständigkeitsklauseln
Eine ähnliche Funktion wie die Schriftformklauseln haben sog. Vollständigkeitsklau- 27
seln. Sie stellen fest, dass über die in dem schriftlichen Vertrag (einschließlich der
dort in Bezug genommenen Anlagen) keine weiteren (schriftlichen oder mündlichen)
Nebenabreden bestehen, der schriftlich ausgefertigte Vertrag also die vollständige
Einigung der Parteien wiedergibt. Damit soll zum einen ausgeschlossen werden, dass
sich eine Partei auf während der Vertragsverhandlungen gemachte Angebote oder
Zusagen beruft, die dann jedoch nicht Bestandteil des Arbeitsvertrags wurden. Die
Vollständigkeitsklausel enthält insoweit den Hinweis an den Arbeitnehmer, dass aus
den bisherigen Vertragsgesprächen nur das verbindlich vereinbart sein, was auch
Eingang in die schriftliche Vereinbarung gefunden hat. Zum anderen versucht der
Arbeitgeber sich durch die Vollständigkeitsklausel davor zu schützen, dass der Arbeit-
nehmer später mündliche Nebenabreden behauptet, die man – aus welchen Gründen
auch immer – bewusst nicht in den schriftlichen Vertrag aufgenommen habe, die
aber dennoch gelten sollten. Für die Wirksamkeit solcher Vollständigkeitsklauseln
gilt dasselbe wie für Schriftformklauseln. Gegen eine Individualvereinbarung beste-
hen keine Bedenken. In AGB ist jedoch der Vorrang der Individualabrede zu beachten
(§ 305b BGB). Er gilt unabhängig davon, ob die (ggf. streitige) Individualabrede vor
oder nach Abschluss der vorformulierten Schriftformklausel vereinbart wurde.54 Die
Vollständigkeitsklausel muss daher erkennen lassen, dass individuell getroffene Ver-
einbarungen gleichwohl ihre Wirksamkeit behalten, durch die Vollständigkeitsklau-
sel also nicht beseitigt werden.
4. Tarifverträge
Eine Inhaltskontrolle eines Formulararbeitsvertrages findet dann nicht statt, wenn 28
dieser Arbeitsvertrag auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt.55 Enthält der Tarifvertrag
eine Schriftformklausel, ist diese daher wirksam bzw. kann nach denselben Regeln
aufgehoben werden wie eine individuell vereinbarte Schriftformklausel.56
Powietzka
324 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
5. M
usterklauseln
29 Es empfehlen sich folgende Musterklauseln:
Klauselmuster
Einfache Schriftformklausel
Schriftformerfordernis
Dieser Vertrag einschließlich der in Bezug genommenen Anlagen enthält die vollständige Vereinba-
rung der Parteien. Weitere Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Ver-
trages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.
Klauselmuster
Doppelte Schriftformklausel
Schriftformerfordernis
Dieser Vertrag einschließlich der in Bezug genommenen Anlagen enthält die vollständige Vereinba-
rung der Parteien. Weitere Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Ver-
trages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das gilt auch für die Änderung und Ergänzung
dieser Klausel. Von dem Schriftformerfordernis ausgenommen sind individuelle Vertragsabreden.
30 Da in der Literatur teilweise Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Trans-
parenzgebotes nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen,57 kann aus Gründen der Rechtssi-
cherheit auch folgende Klausel Verwendung finden:
Klauselmuster
Doppelte Schriftformklausel
Schriftformerfordernis; Ausschluss
betrieblicher Übungen
Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das
gilt auch für die Aufhebung, Änderung und Ergänzung dieser Klausel. Von dem Schriftformerfordernis
ausgenommen sind individuelle Vertragsabreden. Das Entstehen eines Anspruchs aufgrund betrieb-
licher Übung ohne schriftliche Bestätigung ist ausgeschlossen.
C. S
alvatorische Klausel
I. K
lauselzweck
31 Durch die Aufnahme einer salvatorischen Klausel in einen Arbeitsvertrag soll die Gül-
tigkeit des Vertrages sichergestellt werden, sofern einzelne oder mehrere Bestim-
mungen des Vertrages unwirksam sind oder werden. Das Gesetz sieht in § 139 BGB
vor, dass Teilnichtigkeit grundsätzlich zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führt.
57 Vgl Rn 25.
Powietzka
C. Salvatorische Klausel 325
Allerdings gilt dieser Grundsatz im Arbeitsrecht nur sehr eingeschränkt, da die bloße
Teilnichtigkeit bei Fortbestand des Arbeitsvertrags nach § 139 Hs. 2 BGB der Regel-
fall ist, insbesondere wenn ein Verstoß gegen arbeitnehmerschützende Normen vor-
liegt und daher anzunehmen ist, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen
Teil vorgenommen worden wäre.58 Eine salvatorische Klausel soll darüber hinaus
für den Fall der Unwirksamkeit einzelner Vertragsbestandteile den Vertragsparteien
Schutz vor Rechtsnachteilen bieten.59
II. Klauselarten
Beispiel
– Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel. Eine solche Klausel ordnet lediglich die Teilnichtigkeit des
unwirksamen Vertragsbestandteils und die Wirksamkeit des übrigen Vertrages an.62 Sie führt
zum Wegfall der betroffenen Klausel und ist somit die einfachste Gestaltungsmöglichkeit.
– Ersetzungsklausel. Durch eine Ersetzungsklausel soll die unwirksame Vertragsbestimmung
nicht wegfallen, sondern durch eine neue Regelung ersetzt werden. Diese bestimmt sich da-
nach, was dem von den Vertragsparteien wirtschaftlich verfolgten Zweck am nächsten kommt.
Umgesetzt wird eine solche Ersetzung regelmäßig dadurch, dass sich die Vertragsparteien ver-
pflichten, eine wirksame neue Regelung zu vereinbaren.63
– Reduktionsklausel. Dieser Klauseltyp hat ebenfalls nicht den ersatzlosen Wegfall der unwirksa-
men Vertragsregelung zur Folge. Vielmehr soll diese auf ein angemessenes Maß zurückgeführt
werden.64
– Gesetzesverweisende Klausel. In einzelne Vertragsregelungen wird der Zusatz „im Rahmen des
rechtlich Zulässigen“, „soweit gesetzlich zulässig“ oder „sofern gesetzliche Regelungen nicht
entgegenstehen“ aufgenommen. Dadurch soll eine Unwirksamkeit bereits von vornherein ver-
mieden werden.65
58 BAG, Urt. v. 23.1.1990 – 3 AZR 58/88, Rn 38; ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 342; Palandt/Ellenberger, § 139
BGB Rn 3, 18, § 611 BGB Rn 21, 23.
59 Suckow/Striegel/Niemann/Striegel, Rn 762.
60 Vgl zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen Rn 33 ff.
61 Zu den verschiedenen Klauseltypen: Lakies, Kap. 5 Rn 387 ff.; Preis/Preis, Kap. II S 10 Rn 9 ff.;
Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 1 Rn 2744 ff.
62 Lakies, Kap. 5 Rn 389.
63 Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 1 Rn 2746.
64 Lakies, Kap. 5 Rn 391.
65 Preis/Preis, Kap. II S 10 Rn 26.
Powietzka
326 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
1. Formulararbeitsverträge
34 In der Rechtsprechung und Literatur wird die Zulässigkeit einer salvatorischen Klausel
in einem Formulararbeitsvertrag aufgrund der im AGB-Recht geltenden Grundsätze
sehr restriktiv gehandhabt. Von den oben beschriebenen Klauseltypen wird lediglich
die Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel als zulässig erachtet.66
35 Folgende rechtliche Gesichtspunkte sind bei den einzelnen Klauselarten zu
bedenken:
36 – Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel
Dieser Klauseltyp ist zulässig und kann in Formulararbeitsverträgen aufgenommen
werden, da er nur die in § 306 Abs. 1 BGB genannte Rechtsfolge wiedergibt.67 Sofern
eine AGB-Klausel unwirksam ist, berührt dies nicht die Wirksamkeit des übrigen Ver-
trages. Durch die Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel wird von § 139 BGB abgewichen,
wonach Teilnichtigkeit grundsätzlich zur Gesamtnichtigkeit eines Vertrages führt.68
37 – Ersetzungsklausel
Einer solchen Klausel steht § 306 Abs. 2 BGB entgegen, nach dem unwirksame
Vertragsbestandteile durch die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften ersetzt
werden.69 Eine Ersetzungsklausel würde bewirken, dass nicht, wie gesetzlich ange-
ordnet, dispositives Recht gelten würde. Der Verwender der Klausel müsste soweit
nicht das Risiko der Unwirksamkeit eines Vertragsbestandteils tragen.70 Da dies mit
dem wesentlichen Grundgedanken des AGB-Rechts nicht zu vereinbaren ist, handelt
es sich um eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB.71
38 Selbst wenn bereits im Vertragstext eine konkrete Ersatzregelung getroffen
wird, bestehen nach der Rechtsprechung „erhebliche Bedenken“ gegen die Zulässig-
keit einer solchen Klausel.72 Richtigerweise können hier keine anderen Grundsätze
gelten als bei einer einfachen und nicht konkret ausgestalteten Ersetzungsklausel, da
Powietzka
C. Salvatorische Klausel 327
auch hier die Rechtsfolge des § 306 Abs. 2 BGB umgangen und das Risiko der Unwirk-
samkeit eines Vertragsbestandteils nicht vom Klauselverwender getragen wird.73
– Reduktionsklausel 39
Hier greifen dieselben Erwägungen wie bei der Ersetzungsklausel. Wegen der Unver-
einbarkeit mit § 306 Abs. 2 BGB und der damit verbundenen Benachteiligung gem.
§ 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB ist auch dieser Klauseltyp unwirksam.74 Durch Reduktions-
klauseln soll eine geltungserhaltende Reduktion erreicht werden, die nach AGB-Recht
aber gerade ausgeschlossen ist.75
– Gesetzesverweisende Klausel 40
Die Unzulässigkeit dieser Klauselart, die bereits durch ihren Wortlaut („soweit
gesetzlich zulässig“) eine Unwirksamkeit einzelner Vertragsbestandteile bzw. des
Vertrages ausschließen will,76 ergibt sich aus dem Verstoß gegen das Transparenz-
gebot.77 Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB muss eine vorformulierte Klausel klar und ver-
ständlich sein. Dazu gehört auch, dass eine Partei ihre Rechte und Pflichten erkennen
kann, diese also klar und durchschaubar sind und rechtsunkundige Vertragspartner
nicht im Unklaren bleiben.78 Daneben würde auch das bei dem Verwender der AGB
liegende Formulierungsrisiko auf die andere Vertragspartei abgewälzt werden, da das
Verwenden einer unzulässigen Klausel risikolos möglich wäre, was den wesentlichen
Grundgedanken des AGB-Rechts (vgl. § 306 Abs. 2 BGB) zuwiderläuft.79
Powietzka
328 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
IV. Fazit
81 Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 1 Rn 2754 f., 2758 f., der in diesem Zusammenhang in der Regel
die Verwendung einer Reduktionsklausel empfiehlt, da aus dieser Ansprüche direkt aus dem Vertrag
geltend gemacht werden können und keine gerichtliche Durchsetzung wie bei der Ersetzungsklausel
notwendig wird; vgl zur Unzulässigkeit in Formulararbeitsverträgen Rn 34 ff.
82 Vgl zur zulässigen Gestaltungsmöglichkeit Rn 36.
83 Vgl. auch Liebers/Reiserer, Kap. B.I.1. Rn 59; MaSiG/Windeln, Kap. 490 Rn 22; Preis/Preis, Kap. II
S 10 Rn 11.
84 BGH, Urt. v. 24.9.2002 – KZR 10/01, Rn 14; BGH, Urt. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, Rn 8; Hümmerich/
Reufels/Borgmann, § 1 Rn 2751.
85 MaSiG/Windeln, Kap. 490 Rn 5, 14; vgl. zu den Gestaltungsmöglichkeiten Rn 32.
86 Preis/Preis, Kap. II S 10 Rn 34.
87 Vgl zu den Vor-und Nachteilen Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 1 Rn 2755, 2759; MaSiG/Windeln,
Kap. 490 Rn 32.
88 MaSiG/Windeln, Kap. 490 Rn 10.
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 329
wird so dann auch der Parteiwille am ehesten Beachtung finden, so dass eine solche
Klausel auch zweckmäßig ist.
Aufgrund der oben dargestellten Grundsätze kann in Formulararbeitsverträgen 44
nur die folgende Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel aufgenommen werden:
Klauselmuster
Salvatorische Klausel
Sollten einzelne oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, so wird
hierdurch die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen nicht berührt. Entsprechendes gilt für
den Fall einer Regelungslücke.
Klauselmuster
Salvatorische Klausel
Sollten einzelne oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, so wird
hierdurch die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen nicht berührt. Die Parteien sind sich da-
rüber einig, dass statt der unwirksamen Bestimmung die wirksame Regelung als vereinbart gilt, die
deren wirtschaftlichen Zweck am nächsten kommt. Entsprechendes gilt für den Fall einer Regelungs-
lücke.
D. R
echtswahlklausel
Die im Zuge der Globalisierung erfolgte weltweite Vernetzung der Nationen und die 46
dadurch entstehenden internationalen Verflechtungen auch und gerade im Bereich
der Wirtschaft führen zu einer zunehmenden grenzüberschreitenden Tätigkeit von
Unternehmen, die auch den länderübergreifenden Einsatz von Arbeitnehmern mit
sich bringt, so dass es zwangsläufig immer häufiger zu einem Aufeinandertreffen ver-
schiedener Rechtsordnungen kommt. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob in
einen Arbeitsvertrag eine Rechtswahlklausel aufgenommen werden soll, durch die
das auf den Vertrag anzuwendende Recht bestimmt wird.
Sinnvollerweise sollte eine Rechtswahl bei folgenden Sachverhaltskonstellati- 47
onen angedacht werden:90
89 Vgl. Rn 43.
90 Vgl. MaSiG/Maschmann, Kap. A Rn 19.
Powietzka
330 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
II. Kollisionsrecht
49 Weist ein Sachverhalt einen Auslandsbezug auf (Kollisionsfall) und ist deshalb die
Geltung verschiedener Rechtsordnungen denkbar, bestimmt sich das anzuwendende
Recht nach dem Internationalen Privatrecht (IPR, vgl. Art 3 EGBGB). Welche Rechts-
norm des IPR letztlich die Kollision auflöst, hängt im Vertragsrecht davon ab, wann
der betreffende Vertrag geschlossen wurde.92 Die für vertragliche Schuldverhält-
nisse maßgebliche Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) gilt nur für nach dem
17.12.2009 erfolgte Vertragsschlüsse (Art. 29, 28 Rom I-VO). Für alle vor diesem Datum
zustande gekommenen Verträge mit Auslandsberührung sind die Art. 27 ff. EGBGB
a. F. maßgeblich.93 Wurden oder werden solche Altverträge nach dem 17.12.2009 geän-
dert, unterfallen auch sie der Rom I-VO, sofern durch die Vertragsänderung eine hin-
reichend gewichtige inhaltliche Neuregelung erfolgt ist.94 Im Ergebnis kommt es im
Rahmen des Internationalen Arbeitsvertragsrechts auf eine Unterscheidung zwischen
den Normen des für Altverträge geltenden EGBGB und denen der Rom I-VO aber nicht
an, da diese im Wesentlichen wortgleich sind und die Rechtslage wenig divergiert.95
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 331
Die Rom I-VO bezweckt, dass einheitlich in der gesamten Europäischen Union96 50
im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts unabhängig von dem
Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem ein Anspruch geltend gemacht wird,
dasselbe Recht bestimmt wird.97 In Art. 2 Rom I-VO ist eine universelle Anwendung
der Verordnung vorgesehen, d. h. sie gilt für alle Sachverhalte mit Auslandsberüh-
rung, auch wenn die Kollisionsnormen in die Rechtsordnung eines Nicht-Mitglied-
staates führen sollten.98 Daneben bestehen auch keine persönlichen Anwendungs-
voraussetzungen. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Vertragsparteien
Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats der EU sind.99
Für Entsendungen bleibt das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) lex specia- 51
lis. In Erwägungsgrund Nr. 34 der Rom I-VO wird ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass die Kollisionsnormen für Individualarbeitsverträge die entsprechenden nationa-
len Entsendegesetze unberührt lassen (vgl. auch Art. 23, 9 Rom I-VO). Daher ist deut-
sches Recht auf bestimmten Sachgebieten (§ 2 AEntG) auf Arbeitsverhältnisse zwi-
schen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinem in Deutschland tätigen
Arbeitnehmer unabhängig von einer etwaigen Rechtswahl zwingend anzuwenden.100
III. Klauselgestaltung
96 Mit Ausnahme Dänemarks (vgl. Erwägungsgrund Nr. 46 der Rom I-VO i. V. m. Art. 1 Abs. 4 Rom
I-VO), wobei die Gerichte der Mitgliedsstaaten die Rom I-VO nach deren Art. 2 auch auf Sachverhalte
mit Bezug zu Dänemark anwenden, siehe dazu Schneider, NZA 2010, 1380, 1381.
97 Siehe Erwägungsgrund Nr. 6 der Rom I-VO.
98 BeckOK ArbR/Schönbohm VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn 10.
99 LAG Köln, Urt. v. 18.9.2013 – 5 Sa 201/13, Rn 59.
100 Vgl. auch Palandt/Thorn, Art. 8 Rom I Rn 6; HWK/Tillmanns, § 2 AEntG Rn 2; BAG, Urt. v.
14.8.2007 – 9 AZR 167/07, Rn 23; siehe zu den Eingriffsnormen i. S.d Art. 9 Rom I-VO Rn 71 ff.
101 MüKo-BGB/Martiny, Art. 8 Rom I-VO Rn 27; siehe auch Erwägungsgrund Nr. 11 der Rom I-VO, in
dem die freie Rechtswahl als „einer der Ecksteine des Systems der Kollisionsnormen im Bereich der
vertraglichen Schuldverhältnisse“ bezeichnet wird.
102 BeckOK ArbR/Schönbohm VO (EG) 593/2008 Art. 8 Rn 1; kritisch zu der bisher bestehenden ver-
tragsautonomen Begriffsbildung MünchArbR/Oetker, § 11 Rn 8; ebenso HWK/Tillmanns, Rom I-VO Rn
9, der ausführt, dass eine Übertragung der Rechtsprechung zu Art. 45 AEUV zwar nahe liegt, aber
nicht zwingend ist, da es keinen einheitlichen europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff gebe.
Powietzka
332 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.103 Ebenso ist auch der Arbeitneh-
merbegriff autonom zu bestimmen. Der EuGH legt dabei einen weiten Maßstab an und
definiert einen Arbeitnehmer i. S. d. Art. 45 AEUV, der die Freizügigkeit der Arbeit-
nehmer in der Europäischen Union gewährleistet, als jede Person, die eine tatsächli-
che und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen
so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich
darstellen.104 Es ist unerheblich, ob der Arbeitnehmer noch Auszubildender, Teil-
zeit- oder Vollzeitbeschäftigter ist.105 Art. 8 Rom I-VO erstreckt sich auch auf Fremd-
geschäftsführer106 einer GmbH, leitende Angestellte und Scheinselbstständige,
sofern sie tatsächlich die Kriterien für eine abhängige Beschäftigung erfüllen, sowie
auf Heimarbeiter.107 Daneben werden auch nichtige Arbeitsverträge über Art. 12
Abs. 1 lit. e) Rom I-VO und bereits in Vollzug gesetzte unwirksame Arbeitsverhältnisse
einbezogen.108 Arbeitsrechtliche Kollektivvereinbarungen werden dagegen nicht
von Art. 8 Rom I-VO erfasst.109
54 Der Grundsatz der freien Rechtswahl gestattet den Parteien, die auf den betreffen-
den Vertrag anzuwendende Rechtsordnung (Vertragsstatut110) unter Beachtung der
sich aus der Rom I-VO ergebenden Grenzen111 nach ihrem Belieben zu bestimmen. Das
Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung richten sich nach
dem von den Parteien gewählten Recht, Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO.
55 Die gewählte Rechtsordnung muss keinen sachlichen Bezug zur Vertrags-
durchführung aufweisen, kann also auch „neutral“ sein.112 Selbst bei einem reinen
Inlandsfall kann die Geltung eines ausländischen Rechts in den Grenzen des Art. 3
Abs. 3 Rom I-VO vereinbart werden.113 In einem solchen Fall wird der für die Anwend-
barkeit der Rom I-VO nach deren Art. 1 Abs. 1 erforderliche Auslandsbezug durch die
Wahl einer ausländischen Rechtsordnung hergestellt.114 Im Übrigen ergibt sich ein
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 333
Powietzka
334 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
in dem das Gericht seinen Sitz hat) oder die Bezugnahme auf einzelne Normen eines
bestimmten materiellen Rechts, insbesondere auf Tarifnormen und Betriebsvereinba-
rungen, sowie die Vereinbarung eines Erfüllungsortes oder das spätere Prozessver-
halten der Parteien (z. B. beiderseitige Behandlung der Sache nach ausländischem
Recht).125 Ebenfalls ein Indiz kann die enge Verknüpfung zweier Rechtsgeschäfte
sein, wonach eine konkludente Vereinbarung zugunsten des Vertragsstatuts des
Hauptvertrags erfolgt.126 Dagegen kommt der Vertragssprache lediglich unterstüt-
zenden Funktion zu.127 Unklarheiten führen zu einer Unwirksamkeit einer entspre-
chenden Abrede, da immer zu erkennen sein muss, welches (fremde) Recht von den
Parteien gewählt wurde.128 Im Falle einer unwirksamen Vereinbarung ist das anzu-
wendende Recht im Wege der objektiven Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom
I-VO zu bestimmen.129
57 Die Rechtswahl kann grundsätzlich formfrei erfolgen.130 Nach Art. 3 Abs. 5 i. V. m.
Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO ist die Einhaltung einer bestimmten Form nur dann erforder-
lich, wenn das zulässigerweise vereinbarte Recht oder das Recht des Ortes des Ver-
tragsschlusses für den Abschluss des Arbeitsvertrags ein Formerfordernis vorsieht.131
Im Übrigen empfiehlt sich eine schriftliche Niederlegung immer zu Beweiszwecken.
2. Teilrechtswahlklausel
58 Die Vertragsparteien sind nicht nur darin frei, ob sie eine Rechtswahl treffen und
welches Recht zur Anwendung gelangen soll, sie können auch die Reichweite der
Rechtswahl bestimmen. Neben der Erstreckung der Rechtswahlklausel auf den
gesamten Vertrag ist auch eine Teilrechtswahl zulässig, so dass eine Kombination
verschiedener Rechtsordnungen denkbar ist.132 Art. 8 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO verweist
vollumfänglich auf Art. 3 Rom I-VO, der in Abs. 1 S. 3 eine Teilrechtswahl ausdrücklich
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 335
zulässt.133 Der Schutz des Arbeitnehmers ist auch bei der nur teilweisen Rechtswahl
durch die Schranke des Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO gewährleistet.134 Allerdings darf
eine solche Aufspaltung der Rechtswahl nicht dazu führen, dass es bei der Behand-
lung einzelner Fragen zu Widersprüchen kommt.135 Daher ist eine Rechtswahl, die
sich nur auf bestimmte Teile des Vertrags erstreckt, nur dann sinnvoll, wenn die ver-
schiedenen Teile nicht voneinander abhängen.136 Wird lediglich eine Teilrechtswahl
getroffen, so ist das anwendbare Recht für den Teil, für den keine Rechtswahl vorliegt,
grundsätzlich nach den Regeln der objektiven Anknüpfung gem. Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom
I-VO zu bestimmen, wenn nicht durch die Teilrechtswahl genügend Anhaltspunkte für
eine konkludente Rechtswahl auch für die übrigen Vertragsteile vorliegen.137
In der Vergangenheit beschäftigten sich die Gerichte hauptsächlich im Rahmen 59
von Aktienoptionen und der betrieblichen Altersversorgung mit der Zulässigkeit
von Teilrechtswahlklauseln. Eine Rechtswahl hinsichtlich der betrieblichen Alters-
versorgung, die sich nur auf das in der Regel an das Arbeitsverhältnis anschließende
Versorgungsverhältnis beschränkt, ist möglich, da es sich um eine klar abgrenzbare
Rechtsbeziehung mit eigenständigem Inhalt handelt.138 Bezüglich der Gewährung
von Aktienoptionen („stock options“) durch eine Konzernmutter an die bei einem
ihrer Tochterunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer wird der Optionsvertrag zwar
als vom Arbeitsvertrag selbstständig angesehen,139 jedoch wird eine dahingehende
Teilrechtswahl zumindest bei einer durchaus üblichen gleichzeitigen Vereinbarung
eines Wettbewerbsverbots ohne Karenzentschädigung eher restriktiv gehandhabt.140
Powietzka
336 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
3. A
GB-Kontrolle
60 Eine Rechtswahlklausel kann auch in vorformulierte Individualarbeitsverträge auf-
genommen werden und so vom Klauselverwender (i. d. R. der Arbeitgeber) einseitig
gestellt werden. Allerdings wird eine solche Klausel dann keiner Inhaltskontrolle
nach §§ 307 ff. BGB unterzogen, da die Regelungen der Rom I-VO vorrangig sind,
diese keine Inhaltskontrolle vorsehen und dem Vertragspartner (i. d. R. der Arbeit-
nehmer) durch die einzuhaltenden Grenzen der Rechtswahlfreiheit ausreichenden
Schutz bieten.141 Es findet lediglich eine Einbeziehungskontrolle gem. §§ 305 Abs. 2,
306 BGB statt, sofern die Parteien deutsches Recht als anzuwendendes Recht gewählt
haben (Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO).142 Aufgrund der Unabhängig-
keit143 des Verweisungsvertrags von dem Arbeitsvertrag ist eine Einbeziehungskont-
rolle auch nicht nach § 310 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 BGB ausgeschlossen.144
4. Grenzen
61 Die Rechtswahlfreiheit145 der Parteien erfährt durch verschiedene Bestimmungen der
Rom I-VO Einschränkungen. Diese führen allesamt aber nicht zu einer Unwirksamkeit
der vorgenommenen Rechtswahl.146 Vielmehr werden durch die einschränkenden
Normen nur einzelne Vorschriften des objektiven Vertragsstatuts (Art. 8 Abs. 2 bis 4
Rom I-VO) für anwendbar erklärt, so dass im Übrigen das gewählte Recht maßgeblich
bleibt.147
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 337
Beispiel
Ein Arbeitnehmer erbringt gewöhnlich seine tatsächliche Arbeitsleistung in Deutschland.148 Der zwi-
schen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag unterfällt daher nach objektiver Anknüpfung deut-
schem Recht (Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO). Der Arbeitsvertrag enthält aber eine wirksame Rechtswahl-
klausel, die spanisches Recht auf das Arbeitsverhältnis für anwendbar erklärt. Dem Arbeitnehmer
darf dann nicht der Schutz des international zwingenden deutschen Rechts entzogen werden, so dass
trotz der Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden ist, sofern das spanischen Recht keine oder keine
gleichwertigen arbeitsrechtlichen Schutzbedingungen enthält.149
Die Prüfung des Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO erfolgt in drei Schritten.150 Demnach ist in 63
einem ersten Schritt das objektive Vertragsstatut, das für das betreffende Arbeits-
verhältnis gilt, nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO zu bestimmen. Danach ist zu ermit-
teln, welche Bestimmungen des nach objektiver Anknüpfung geltenden Rechts als
zwingend i. S. d. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO anzusehen sind. In einem dritten Schritt
ist sodann ein Günstigkeitsvergleich durchzuführen, bei dem die abbedungene und
die gewählte Rechtsordnung einander gegenüber gestellt werden.
Das objektive Vertragsstatut bestimmt sich nach Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO.151 64
Danach ist zunächst das Recht des Ortes der tatsächlichen Arbeitsleistung (lex loci
labori) maßgeblich (Art. 8 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO), selbst wenn der Arbeitnehmer vorrü-
bergehend an einen anderen Ort entsandt wird (Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO).152 Ist eine
Bestimmung nach Abs. 2 nicht möglich, so kommt das Recht des Staates zur Anwen-
dung, in dem die Niederlassung liegt, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art. 8
Abs. 3 Rom I-VO). Daneben legt Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO das sog. Ausweichstatut153
fest, das gilt, wenn der Arbeitsvertrag eine engere Verbindung zu einem Staat als dem
in den Abs. 2 oder 3 bezeichneten aufweist.
Zwingende Normen i. S. d. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO sind nicht-dispositive 65
Normen, die den Schutz der Arbeitnehmer bezwecken.154 Dies ist neben den arbeits-
rechtlichen Vorschriften auch das im Arbeitsverhältnis maßgebliche zwingende allge-
meine Vertragsrecht.155 Zu den zwingenden Normen zählen auch öffentlich-rechtliche
148 Vgl. zum Recht des gewöhnlichen Arbeitsorts (lex loci labori) Rn 64; MaSiG/Maschmann, Kap.
A Rn 26.
149 Siehe auch BT-Drucks. 10/504, S. 81.
150 Siehe BeckOK ArbR/Schönbohm, VO (EG) 593/2008 Art. 8 Rn 12 ff.; BAG, Urt. v. 19.3.2014 – 5 AZR
252/12 (B).
151 Ausführlich hierzu ErfK/Schlachter, E 2009/26/EG Art. 3 Rn 8 ff; MünchArbR/Oetker, § 11 Rn 28 ff.
152 MaSiG/Maschmann, Kap. A Rn 26.
153 MünchArbR/Oetker, § 11 Rn 35.
154 HWK/Tillmanns, Rom I-VO Rn 30.
155 ErfK/Schlachter, E 2009/26/EG Art. 3 Rn 19; BAG, Urt. v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), Rn 35, das als
Beispiel die Verjährungsregelungen nennt.
Powietzka
338 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
67 Ein Gesamtvergleich wird nach herrschender Meinung abgelehnt, da dieser nur wenig
praktikabel ist und den strukturellen Unterschieden der verschiedenen Rechtssys-
teme nicht gerecht wird.159 Überwiegend wird richtigerweise der Sachgruppenver-
gleich für vorzugswürdig gehalten.160 Dadurch soll – anders als bei einem Einzelver-
gleich – eine Zersplitterung des Arbeitsverhältnisses vermieden werden. Ein isolierter
Vergleich der einschlägigen Normen würde nach Art der Rosinentheorie zu einer
ungerechtfertigten Kumulation von Vorteilen führen, wenn verschiedene Ansprüche
zu prüfen sind, die zwar formal getrennt sind, aber funktional zusammenhängen.161
So könnte der betroffene Arbeitnehmer einen Schutzstandard erlangen, der über
demjenigen liegt, den die einschlägigen Rechtsordnungen tatsächlich gewähren.162
68 Bieten die Normen des gewählten Rechts keinen vergleichbaren Schutz, sind die
nach dem objektiven Vertragsstatut maßgeblichen Rechtsnormen anzuwenden.163 Im
Übrigen verbleibt es jedoch bei der Anwendung des gewählten Rechts.164
Powietzka
D. Rechtswahlklausel 339
Beispiel
Das Vertragsstatut unterliegt italienischem Recht – sei es durch eine getroffene Rechtswahl oder auf-
grund objektiver Anknüpfung. Gleichzeitig weist der Sachverhalt aber einen Bezug zum deutschen
Recht auf, z. B. wenn die Arbeit durch den Arbeitnehmer gewöhnlich oder vorübergehend in Deutsch-
land verrichtet wird.
Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO enthält eine Legaldefinition der Eingriffsnormen. Danach 72
ist eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat
als entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner
Powietzka
340 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
Beispiel
– § 14 Abs. 1 MuSchG; § 3 EFZG; Regelungen über den Kündigungsschutz der Betriebsverfassungs-
organe, bei Massenentlassungen und von Schwerbehinderten, Schwangeren und Müttern; § 15
BEEG; materiell-rechtliche Insolvenzvorschriften; AEntG175
– Nicht dagegen: §§ 1–14 KSchG; § 626 BGB; § 613a BGB; § 2 EFZG; § 8 TzBfG; Vorschriften des
AGG; Lohnwucher-Rechtsprechung nach § 138 BGB
172 BAG, Urt. v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07; BAG, Urt. v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94, Rn 37; HWK/Tillmanns,
Rom I-VO Rn 35; Deinert, RdA 2009, 144, 150.
173 DLW/Dörner, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, Kap. 1 Rn 953.
174 Siehe zu den Beispielen HWK/Tillmanns, Rom I-VO Rn 36 mwN zur Rechtsprechung.
175 Rn 51.
176 Siehe Erwägungsgrund Nr. 37 der Rom I-VO.
177 BAG, Urt. v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, Rn 41, 51; vgl. auch Deinert, RdA 2009, 144, 150.
178 MüKo-BGB/Martiny, Art. 21 Rom I-VO Rn 3; MünchArbR/Oetker, § 11 Rn 55.
179 Schneider, NZA 2010, 1380, 1382.
Powietzka
E. Gerichtsstandsvereinbarung 341
raten. In aller Regel kann der Schutzstandard, der sich aus dem Recht des Arbeitsor-
tes ergibt, nicht wirksam abbedungen oder reduziert werden. Die Wahl einer anderen
Rechtsordnung führt in der Praxis lediglich dazu, dass – je nach Durchführung
des Günstigkeitsvergleichs im Einzelfall – die Schutzbestimmungen der gewählten
Rechtsordnung und diejenigen des Rechts des Arbeitsortes kombiniert werden. Dies
führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit hinsichtlich des auf einzelne Sachge-
biete anwendbaren Rechts und birgt immer das Risiko, dass sich der Arbeitnehmer
im Sinne der „Rosinentheorie“ stets das für ihn günstigere Recht auswählen kann.
Rechtswahlklauseln erscheinen daher nur in seltenen Ausnahmefällen sinnvoll, 76
z. B. wenn das objektive Vertragsstatut nicht eindeutig zu bestimmen ist. Abgesehen
von diesen Ausnahmefällen sollten Rechtswahlklauseln nur als klarstellende Rege-
lung verwendet werden, die das am Beschäftigungsort ohnehin geltende Recht für
anwendbar erklären.
IV. Klauselmuster
Klauselmuster
Dieser Vertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.
E. G
erichtsstandsvereinbarung
I. K
lauselzweck
Powietzka
342 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
II. Z
ulässigkeit
1. Gerichtsstandsklauseln in Inlandsfällen
a) Örtliche Zuständigkeit
79 Ohne entsprechende Vereinbarung bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit eines
Gerichts nach den §§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. §§ 12 ff. ZPO.185 Daneben gibt es im
Arbeitsrecht die Besonderheit, dass u. a. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwi-
schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Arbeitsgericht zuständig ist, in dessen
Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich
verrichtet hat (Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes), § 48 Abs. 1a S. 1
ArbGG.186
80 Die Zuständigkeit eines nach diesen gesetzlichen Vorschriften örtlich unzustän-
digen Gerichts kann durch eine Gerichtsstandsvereinbarung begründet werden. Ein
vereinbarter Gerichtsstand kann neben die gesetzlich begründeten Gerichtsstände
treten oder als ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart werden, was im Zweifel
anzunehmen ist.187 Die ZPO setzt jedoch enge Grenzen für die Zulässigkeit einer
solchen Vereinbarung. Das Vereinbaren eines bestimmten Gerichtsstands ist nach
§ 38 ZPO, der aufgrund der in § 46 Abs. 2 ArbGG enthaltenen Verweisung auch in den
Verfahren vor den Arbeitsgerichten gilt,188 (nur) in den folgenden Sachverhaltskons-
tellationen zulässig:
– Beide Vertragsparteien sind Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen
Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen (§ 38 Abs. 1 ZPO);
182 Rn 79 ff.
183 Rn 84 ff.
184 Mävers, ArbRAktuell 2010, 87, 87.
185 Ausführlich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach der ZPO in arbeitsrechtlichen
Streitigkeiten MaSiG/Göpfert, Kap. 370 Rn 2 ff.; Germelmann/Matthes/Prütting/Germelmann, ArbGG,
§ 46 Rn 29 ff.; Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 3.
186 Vgl. ausführlich Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Schmitt, § 48 ArbGG Rn 20 ff.; Natter/Groß/
Pfitzer/Ahmad, ArbGG, § 48 Rn 20 ff.
187 Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 1.
188 BAG, Urt. v. 15.11.1972 – 5 AZR 276/72.
Powietzka
E. Gerichtsstandsvereinbarung 343
Powietzka
344 Kapitel 9 Schlussbestimmungen
b) Rechtswegzuständigkeit
84 Eine Besonderheit enthält § 2 Abs. 4 ArbGG hinsichtlich der Vereinbarung einer
Rechtswegzuständigkeit. Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen
Personen des Privatrechts und Personen, die kraft Gesetzes alleine oder als Mitglie-
der des Vertretungsorgans der juristischen Person zu deren Vertretung berufen sind,
kann abweichend von § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG auch der Rechtsweg zu den Arbeitsgerich-
ten vereinbart werden.196
Powietzka
E. Gerichtsstandsvereinbarung 345
Abweichen von diesen Normen ist nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 23
EuGVVO (Art 21 EuGVVO a. F.) zulässig:
– Die Vereinbarung wird nach Entstehung der Streitigkeit getroffen;
– Die Vereinbarung räumt dem Arbeitnehmer die Befugnis ein, andere als die in
den Art. 20 bis 22 EuGVVO angeführten Gerichte anzurufen.
Die vor dem Entstehen der Streitigkeit getroffene Vereinbarung kommt lediglich dem 86
Arbeitnehmer im Rahmen seines Aktivprozesses zugute, der Arbeitgeber darf sich
dagegen auf eine solche Klausel nicht berufen, aber eine Widerklage nach Art. 22
Abs. 2 EuGVVO anhängig machen, sofern der Arbeitnehmer vor dem vereinbarten
Gericht Klage erhebt.200 Der vereinbarte Gerichtsstand tritt neben die gesetzlich ein-
schlägigen Gerichtsstände und nicht an deren Stelle.201
III. Klauselmuster
In reinen Inlandsfällen empfiehlt sich nach dem oben Gesagten202 allenfalls die Auf- 87
nahme der folgenden Klausel in den Arbeitsvertrag, wodurch auch die von § 38 Abs. 2
und 3 ZPO geforderte Schriftform203 eingehalten wird.
Klauselmuster
Gerichtsstandsklausel
(1) Allgemeiner Gerichtsstand ist der Sitz der Gesellschaft. Der Sitz befindet sich in […].
(2) Für den Fall, dass der Arbeitnehmer keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, ver-
einbaren die Parteien, dass der Gerichtsstand [z. B. Sitz/Niederlassung der Gesellschaft] ist. Verlegt
der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland oder ist sein Wohnsitz
oder gewöhnlicher Aufenthalt zum Zeitpunkt der Klageerhebung unbekannt, ist Gerichtsstand eben-
falls […].
Soweit die EuGVVO Anwendung findet, kann die folgende Klausel in den Arbeitsver- 88
trag aufgenommen werden, die aber lediglich einen ergänzenden Charakter auf-
weist und damit nur dem Arbeitnehmer zugutekommt.204
Klauselmuster
Gerichtsstandsklausel
Gerichtsstand ist […].
200 Mävers, ArbRAktuell 2010, 87, 89; Junker, NZA 2005, 199, 201; Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 33.
201 Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 33.
202 Rn 79 ff.
203 Zum Schriftformerfordernis des § 38 ZPO Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 26, 30, der eine besondere
Hervorhebung in umfangreichen Formulararbeitsverträgen fordert.
204 Rn 86; Preis/Rolfs, Kap. II G 20 Rn 38.
Powietzka
Kapitel 10
Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
A. E
inführung
Dörring
348 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
I. T
arifverträge
Dörring
B. Gegenstand der Bezugnahme 349
II. Betriebsvereinbarungen
3 BAG, Urt. v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318; BAG, Urt. v. 4.08.1999 – 5 AZR 642/98, RdA
2000, 178.
4 EuGH (Große Kammer), Urt. v. 6.9.2011 − C-108/10 (Ivana Scattolon/Ministero dell‘Istruzione,
dell‘Università e della Ricerca), EuZW 2011, 798.
5 EuGH, Urt. v. 9.3.2006 – C 499/04 (Werhof/Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG), NZA 2006, 376;
ablehnend: BAG, Urt. v. 23.9.2009 – 4 AZR 331/08, NZA 2010, 513; EuGH, Urt. v. 18.7. 2013 – C-426/11
(Mark Alemo-Herron u. a./Parkwood Leisure Ltd), EuZW 2013, 747.
6 Rieble/Schul, RdA 2006, 339, 349; Preis, NZA 2010, 261.
7 a. A. Preis, NZA 2010, 361, 366.
Dörring
350 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
einem Betrieb geltende Regelung auf andere betriebsratslose Betriebe eines Unter-
nehmens oder eines Konzerns zu erstrecken.
10 Betriebsvereinbarungen sind nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB von einer Inhaltskont-
rolle nicht nur ausgenommen, sondern stehen nach Satz 4 der Vorschrift gesetzlichen
Regelungen nach § 307 Abs. 3 BGB gleich. Die Rechtsprechung unterzieht sie bei einer
schuldrechtlichen Inbezugnahme die Betriebsvereinbarungen keiner AGB-Kontrolle.
Da in all diesen Fällen allerdings die Betriebsvereinbarungen nicht in ihrem betrieb-
lichen oder personellen Bereich auf die von ihrer Regelung ohnehin erfassten Arbeit-
nehmer, sondern gerade auf Arbeitnehmer außerhalb dieses Regelungsbereiches aus-
gedehnt werden sollen, greift in diesen Fällen nicht die Richtigkeitsgewähr des § 310
Abs. 4 Satz 1 BGB, so dass hier immer eine AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff BGB durch-
zuführen ist.8 Gleichwohl ist sie ein gerade im Betriebsrentenrecht häufig verwandtes
Gestaltungsmittel.
11 Eine gänzlich andere Variante der Bezugnahme auf Betriebsvereinbarungen in
Fällen, in denen die Betriebsvereinbarung normative Geltung hat, stellen Öffnungs-
klauseln dar. Diese stellen arbeitsvertraglich getroffene Regelungen abänderbar
durch künftig geschlossene Betriebsvereinbarungen und stellen deshalb eine Aufhe-
bung des Günstigkeitsgrundsatzes dar, nach dem individualrechtliche Regelungen
kollektivrechtlichen Regelungen in analoger Anwendung von § 4 Abs. 3 TVG vorge-
hen, solange sie günstiger sind. Vor dem Hintergrund dieses massiven Eingriffes in
das Individualvertragsrecht stellt sich die Frage der Zulässigkeit dieses Gestaltungs-
mittels.
III. Dienstvereinbarungen
IV. Arbeitsordnungen
Dörring
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 351
dingungen. Soweit diese dem Arbeitgeber die Befugnis einräumen, einseitig Arbeits-
bedingungen auch zu Lasten des Arbeitnehmers zu ändern, dürften sie regelmäßig
einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB darstellen, wenn die Änderungsvereinbarung
dem Arbeitnehmer nicht unter Berücksichtigung seiner Interessen zumutbar ist.10
V. Kirchenrecht
C. A
uslegung von Willenserklärungen und anzuwendende
Maßstäbe
Bei dem Großteil der dargestellten Bezugnahmeobjekte, bis auf die einseitig vom 16
Arbeitgeber aufgestellte Arbeitsordnung, handelt es sich um kollektivrechtliche Rege-
lungen. Sowohl Tarifverträge als auch Betriebs- und Dienstvereinbarungen werden
als Kollektivvereinbarungen nicht Teil des Arbeitsverhältnisses, sondern wirken
normativ auf das Arbeitsverhältnis von außen ein (§ 4 Abs. 1 TVG, § 77 Abs. 4 BetrVG;
bei Dienstvereinbarungen öffentlich-rechtlicher Normenvertrag11). Ihr Charakter
wandelt sich, wenn sie nicht normativ auf das Arbeitsverhältnis einwirken, sondern
durch eine Bezugnahme vertraglich oder im Falle eines Betriebsübergangs Inhalt des
Arbeitsverhältnisses werden.
Dörring
352 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
17 Für Individualverträge gilt grundsätzlich ein anderer Auslegungsmaßstab als für nor-
mative kollektivrechtliche Regelungen. Bei Verträgen sind die Willenserklärungen,
die zum Vertragsschluss führen, unter Berücksichtigung aller Begleitumstände des
Einzelfalles bei Vertragsschluss auszulegen.12 Der Vertrag ist auf dieser Grundlage
nach § 157 BGB so auszulegen, wie die Gebote von Treu und Glaube und die Verkehrs-
sitte es erfordern. Folglich gilt hier ein individueller, auf den Einzelfall bezogener
Auslegungsmaßstab.
18 Arbeitsverträge stellen regelmäßig Allgemeine Geschäftsbedingungen dar, die
einer Vielzahl von Verträgen zu Grunde gelegt werden, so dass diese nach ihrem
objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich auszulegen sind. Hierbei sind der
objektivierte Maßstab der Interessen und die Verständnismöglichkeiten der durch-
schnittlich beteiligten Parteien zu Grunde zu legen.13 Anzulegen ist nicht eine indi-
viduelle, sondern eine generalisierende Betrachtungsweise. Abzustellen ist bei der
Auslegung nach § 157 BGB auf die typische Interessenlage der beiden Vertragspar-
teien, nicht auf deren individuelle Interessen.14
19 Kollektivrechtliche Vereinbarungen hingegen wirken wie Gesetze von außen auf Ver-
tragsverhältnisse ein und sind folglich wie Gesetze auszulegen. Hierbei ist zunächst
vom Wortlaut der Regelung anhand objektiver Maßstäbe auszugehen.15 Einzube-
ziehen ist, wie die Normunterworfenen den Normtext verstehen müssen.16 Erst in
zweiter Linie findet der Wille der Kollektivparteien Berücksichtigung, wenn mit der
objektiven Begriffsauslegung kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist.
20 Tarifverträge sind auf Grund der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien nur
auf Verstöße gegen die Verfassung, höherrangiges Recht oder die guten Sitten zu
überprüfen.17 Auch bei Betriebs- und Dienstvereinbarungen hat der Gesetzgeber hier
eine Gleichstellung mit dem Tarifvertrag bei der Anwendung des AGB-Rechts vorge-
nommen. Man kann Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen daher keiner
allgemeinen Billigkeitskontrolle unterziehen.18 Sie sind vielmehr nur auf Verstöße
Dörring
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 353
19 BAG, Urt. v. 4.8.1993 – 4 AZR 499/92, NZA 1994, 34; BAG, Urt. v. 25.2.2009 – 4 AZR 986/07, NZA
2009, 1304.
Dörring
354 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
III. A
GB-Kontrolle eines Tarifvertrages, einer Betriebsvereinbarung oder einer
Dienstvereinbarung?
20 BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607; BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 625/05, NZA
2007, 965; BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR536/04, NZA 2006, 607.
21 BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, Rn 24, 30.
22 Thüsing/Lambrich, RdA 2002, 193, 198f; Annuß, ZfA 2005, 405, 423; Bayreuther, DB 2007, 166;
Hanau, NZA 2005, 489.
23 Hümmerich/Reufels/Reufels § 1 Rn 1672.
24 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, Rn 53; a. A. JKOS/Oetker § 6 Rn 200; Grobys/
Panzer/Panzer-Heermeier „Bezugnahmeklausel“, Rn 22.
25 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, Rn 53.
26 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, Rn 35; HR/Reufels, § 1, Rn 1693.
Dörring
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 355
Dörring
356 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
BGB dazu, dass die für den Arbeitnehmer günstigere Variante greift. Dies ist bei Tarif-
verträgen regelmäßig die dynamische Geltung, weil hierdurch künftige Tariferhöhun-
gen mitumfasst werden.32 Ebenso sind Verweise auf Betriebsvereinbarungen deshalb
als dynamisch zu verstehen.33
30 Die Mehrheit der Literatur vertritt allerdings die Ansicht, dass durch die Inbe-
zugnahme eine kollektivrechtliche Regelung, wie etwa ein Tarifvertrag, Teil des
Arbeitsvertrages wird und damit im Zweifel nach individualrechtlichen Maßstäben
auszulegen ist. Der Arbeitgeber hat sich nach dieser Ansicht als Verwender nur das
Abschreiben des Tarifvertrages erspart, übernimmt allerdings als Verwender die Ver-
antwortung für die Formulierung des Tarifvertrages.34 Dem kann nicht gefolgt werden.
Diese Auffassung würde dazu führen, dass Tarifverträge entgegen der gesetzlichen
Vorgabe der Kontrollfreiheit bei Anwendung des AGB-Rechts im Fall einer Bezug-
nahme einer Kontrolle unterzogen werden. „Ein Auslegungsgrundsatz, wonach Tarif-
verträge im Zweifel zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer zu interpretieren wären,
würde die Tarifautonomie verletzen.“35 Unabhängig davon ob ein Tarifvertrag norma-
tiv oder durch vertragliche Bezugnahme gilt, erzeugt er die gleiche Wirkung. Das BAG
hat in einer neueren Entscheidung dies ausdrücklich klargestellt. und festgehalten,
dass das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG zur Beendigung des Arbeits-
verhältnisses keine Anwendung findet, wenn ein einschlägiger Tarifvertrag auf das
Arbeitsverhältnis anwendbar ist, der seinerseits eine Befristung oder eine auflösende
Bedingung vorsieht. Die einem Tarifvertrag zukommende Ausgewogenheit ist auch
dann gegeben, wenn der sonst normativ gültige Tarifvertrag durch vertragliche Inbe-
zugnahme Anwendung findet, zumindest wenn der Tarifvertrag insgesamt Anwen-
dung findet.36 Divergierende Kontrollmaßstäbe individualrechtlicher Art auf in Bezug
genommene Tarifverträge und kollektivrechtlicher Art bei normativ geltenden Tarif-
verträgen sind nicht hinnehmbar. Insofern handelt es sich bei der Entscheidung des
BAG vom 23.7.2014 um keine ergebnisorientierte Abweichung37 des BAG sondern um
die grundsätzliche Auslegung auch in Bezug genommener Kollektivvereinbarungen
nach kollektivrechtlichen Maßstäben.
Dörring
C. Auslegung von Willenserklärungen und anzuwendende Maßstäbe 357
38 BAG, Urt. v. 13. 3. 2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680 (equal pay Entscheidung des BAG zu Tarif-
verträgen der CGZP).
39 Lakies, Kapit. 1, Rn 207; ErfK/Preis §§ 305–310, Rn 15; Stoffels, ZfA, 2009, 861; Ulmer/Brandner/
Hensen/Fuchs, § 310, Rn 162; Däubler/Bonin/Deinert/Deinert, § 310, Rn 58a; Däubler/Hjort/Schubert/
Wolmerath/Boemke/Ulrici, § 310, Rn 24.
40 BAG, Urt. v. 28.06.2007 – 6 AZR 750/06, NZA 2007, 1049.
41 BT‑Drucks. 14/6857 S. 54.
Dörring
358 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
I. V
ertragliche Einbeziehung
35 Der Arbeitsvertrag bedarf zu seiner Wirksamkeit nicht der Einhaltung einer bestimm-
ten Form, sondern kann z. B. jederzeit auch mündlich geschlossen werden oder sogar
konkludent erfolgen.43 Insofern kann auch mündlich eine Bezugnahme auf einen
Tarifvertrag oder einen anderen kollektivrechtlichen Normenvertrag erfolgen.
36 Eine Bezugnahme kann auch durch eine betriebliche Übung erfolgen.44 Eine betrieb-
liche Übung kommt dadurch zustande, dass der Arbeitgeber durch mehrmaliges,
mindestens dreimaliges Verhalten dem Arbeitnehmer zu erkennen gibt, dass er
bestimmte Leistungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses auf Dauer erbringen will.
Nach der vom BAG vertretenen Vertragstheorie ist in der Leistung des Arbeitgebers
ein Angebot zur entsprechenden Änderung des Arbeitsvertrages zu sehen, das nach
§ 151 BGB durch den Arbeitnehmer auch stillschweigend durch Entgegennahme der
Dörring
D. Formen der Inbezugnahme 359
Leistung angenommen werden kann.45 Es genügt hierbei nicht, wenn einzelne Zah-
lungen auf Grund eines bestimmten Tarifvertrages geleistet werden.46 Der Arbeitge-
ber muss vielmehr durch sein nach außen gerichtetes Verhalten zu erkennen geben,
dass er den Tarifvertrag in Gänze auf alle Arbeitnehmer anwenden will.47 Bei einer
nur fehlerhaften Anwendung eines vermeintlich für den Arbeitgeber geltenden Tarif-
vertrages fehlt das Erklärungsbewusstsein des Arbeitgebers eine zusätzliche Leistung
erbringen zu wollen, zu der er nicht verpflichtet ist.48 Auch aus der Weitergabe von
Tariflohnerhöhungen in der Vergangenheit lässt sich nicht schließen, dass der Arbeit-
geber für die Zukunft in gleicher Weise verfahren will. Insbesondere ein nicht tarifge-
bundener Arbeitgeber will sich zunächst auch nicht an künftige Tariferhöhungen
binden.49 Zweifel sind darüber hinaus gegeben, ob der Arbeitgeber sich auf Dauer an
den in Bezug genommenen Tarifvertrag binden will, oder ob sein nach außen gerich-
tetes Verhalten besagt, dass er den Tarifvertrag anwenden will, in dessen Regelungs-
bereich er von der Branche und den örtlichen Gegebenheiten fällt.50 Aus der Anwen-
dung eines bestimmten Tarifvertrages kann weder beim tarifgebundenen Arbeitgeber,
noch beim tarifungebundenen Arbeitgeber ein Rechtsbindungswille an den durch
betriebliche Übung in Bezug genommenen Tarifvertrag auf Dauer abgeleitet werden.
Der tarifgebundene Arbeitgeber kann sich durch Verbandsaustritt jeweils der Tarifbin-
dung entziehen. Der tarifungebundene Arbeitgeber hat gerade durch seine Nichtbin-
dung deutlich gemacht, dass er sich nicht dauerhaft binden will. Hieraus kann aber
entgegen der Auffassung von Sutschet keine nach außen gerichtete Willenserklärung
gefolgert werden, den jeweils für den Betrieb gültigen Tarifvertrag in Bezug nehmen
zu wollen. Finden in einem Betrieb mehrere verschiedene Tarifverträge Anwendung,
dürfte der Tarifvertrag dann auch schwierig bestimmbar sein.
In diesem Fall kann nur davon ausgegangen werden, dass sich der Arbeitgeber an 37
den angewandten Tarifvertrag in seiner vorliegenden Form binden wollte. Unstrittig
dürfte sein, dass aus der Anwendung eines Tarifvertrages nur der Wille des tarifun-
gebundenen Arbeitgebers ablesbar ist, den Tarifvertrag in seiner aktuellen Fassung
anwenden zu wollen. Eine Verpflichtung, künftige Tarifsteigerungen weiterzugeben,
45 BAG, Urt. v. 21.6.2011 − 9 AZR 203/10, NZA 2011, 1338; Vertreter der Vertrauenshaftungstheorie
sehen in dem Verhalten des Arbeitgebers einen Vertrauenstatbestand, der wegen des Verbots wider-
sprüchlichen Verhaltens zu einer schuldrechtlichen Bindung führt(Canaris: Vertrauenshaftung im
deutschen Privatrecht, 1971, 372 ff; Hromodka, NZA 1984, 241, 244; Richardi in MünchArbR, § 12, Rn
19 f.) Vertreter der normativen Geltung gehen von einer normativen Rechtsetzungsbefugnis des Be-
triebsinhabers aus, welche normativ gilt und einseitig unter Wahrung der Billigkeit widerrufbar ist
(RAG, Urt.v. 7.9.1938 – RAG 40/38, RAGE 20, 129; Thüsing, NZA 2005, 718, 721; Bepler, RdA 2004, 226,
236; Bepler, RdA 2005, 323, 328).
46 MaSiG/Holthausen, „Bezugnahmeklausel“ Rn 10.
47 BAG, Urt. v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, NZA 2005, 1208, Nr. 4.
48 BAG, Urt. v. 21.1.2003 -3 AZR 35/02, NJOZ 2004, 3328; NZA 2004, 1119; Löwisch/Rieble, § 3, Rn 528.
49 BAG, Urt. v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, NZA 2005, 1208.
50 So ausdrücklich Sutschet, NZA 2008, 679, 687.
Dörring
360 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
erfolgt hieraus nicht.51 Dies gilt auch für den tarifgebundenen Arbeitgeber. Ein Teil
der Literatur geht bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber, der mehrere Male hinter-
einander die Tariferhöhungen weitergegeben hat, davon aus, dass hierin ein nach
außen gerichtetes Erklärungsverhalten zu sehen ist, auch in Zukunft Tariferhöhun-
gen weitergeben zu wollen.52 Eine solche Auslegung, dass der Arbeitgeber auf immer
und ewig an einen Arbeitgeberverband und dessen Tarifverträge gebunden sein soll,
würde aber gegen die positive Koalitionsfreiheit der organisierten Arbeitnehmer ver-
stoßen.53 Bei einer Inbezugnahme kollektivrechtlicher Regelungen durch betriebliche
Übung kann der Arbeitgeber nach der Vertragstheorie wie auch nach der Theorie der
Vertrauenshaftung nur an dem durch seine Handlung nach außen an die Arbeitneh-
mer gerichteten Erklärungswillen festgehalten werden, der sich darauf beschränkt,
den zurzeit bestehenden Kollektivvertrag zur Anwendung zu bringen. Daher kann
auch bei der Inbezugnahme eines Tarifvertrages durch betriebliche Übung gefolgert
werden, dass der Arbeitgeber den jeweils für ihn geltenden Tarifvertrag zur Anwen-
dung bringen will und die Klausel als Tarifwechselklausel interpretiert werden.54
38 Wendet der Arbeitgeber den Tarifvertrag in Gänze an, so führt dies auch dazu,
dass tarifvertragliche Ausschlussfristen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung
finden.55 Wurden bestimmte eigenständig geregelte Bereiche nicht angewandt, wie
zum Beispiel Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, so wurden diese Berei-
che auch nicht durch die betriebliche Übung einbezogen. Der Arbeitgeber ist durch
die Inbezugnahme durch betriebliche Übung nicht an künftige dynamische Entwick-
lungen der Kollektivnorm gebunden, es sei denn er hat vertraglich eine ausdrückliche
Zusage hinsichtlich der dynamischen Entwicklung getroffen. Er ist an die jeweils gel-
tenden Tarifverträge gebunden.
39 Der Arbeitgeber ist mittelbar auch an die Werteordnung des Grundgesetzes gebun-
den, hier insbesondere auch an den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1
GG. Der Arbeitgeber ist nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-
satz verpflichtet, seine Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage bei der Anwendung
selbst gesetzter Regeln gleich zu behandeln.56 Er verbietet dem Arbeitgeber sowohl
51 BAG, Urt. v. 3.11.2004 – 5 AZR 622/03, NZA 2005, 1208; BAG, Urt. v. 24.2.2016 – 4 AZR 990/13, BB
2016, 884.
52 JKOS/Oetker, § 6, Rn 217.
53 Sutschet, NZA 2008, 679, 686; Henssler in Festschrift 50 Jahre BAG 2004, 683, 697; Kania, NZA
Sonderbeil. zu Heft 3/20000, 45, 50.
54 So aber Sutschet, NZA 2008, 679, 685.
55 BAG, Urt. v. 19.1.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879.
56 MüKo/Müller-Glöge, § 611 BGB, Rn 1123.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 361
E. B
ezugnahme auf Tarifvertrag
Durch die Inbezugnahme eines Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis wird der 41
Tarifvertrag schuldrechtlich Teil des Arbeitsvertrages. Er wirkt nicht normativ auf das
Arbeitsverhältnis von außen ein, steht also nicht wie das Gesetz neben dem Arbeits-
vertrag, sondern ist Teil des Arbeitsvertrages. Die Inbezugnahme von Tarifverträgen
verstößt nicht gegen § 5 UrhG.59
1. Einleitung
Von einer bloß deklaratorischen Wirkung einer Vereinbarung ist immer dann aus- 42
zugehen, wenn durch die Vereinbarung eine ohnehin geltende Rechtslage wieder-
gegeben wird.60 Konstitutiv hingegen ist eine Klausel, wenn sie rechtsbegründende
Wirkung haben soll. Ob eine Klausel bloß deklaratorisch oder aber konstitutiv wirken
soll, hängt ausschließlich vom Parteiwillen ab und kann in der Regel aus dem mit der
Klausel verfolgten Zweck im Wege der Vertragsauslegung nach § 157 BGB geschlossen
werden. So ist man in der Vergangenheit immer dann von einer rein deklaratorischen
Wirkung einer Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag ausgegangen, wenn der
Tarifvertrag die ohnehin normativ bestehende Bindung von Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer an einen Tarifvertrag durch Verbands- bzw. Gewerkschaftszugehörigkeit wie-
dergegeben hat.
Dörring
362 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
43 Bis zum 14.12.2005 ist der 4. Senat des BAG in ständiger Rechtsprechung davon
ausgegangen, dass eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel bei bestehender
Tarifbindung des Arbeitgebers nur den Zweck verfolge, eine eventuell fehlende Tarif-
bindung des Arbeitnehmers zu ersetzen und ihn mit den in der Gewerkschaft orga-
nisierten Arbeitnehmern gleichzustellen.61 Entsprechend ist man bei bereits gewerk-
schaftlich organisierten Arbeitnehmern davon ausgegangen, dass die vertragliche
Inbezugnahme des Tarifvertrages rein deklaratorischer Natur sei.62
2. Konstitutive Wirkung
44 Diese früher vertretene Ansicht wird mittlerweile weder in der Literatur noch in der
Rechtsprechung länger vertreten,63 weil sie zu rechtlich nicht haltbaren, weil völlig
verschiedenen Ergebnissen führt, wenn sich Randbedingungen ändern. Überdies hat
diese Differenzierung nach der geänderten Rechtsprechung des BAG64 keine Grund-
lage mehr. Ist eine der Vertragsparteien oder sind beide Parteien nicht tarifgebun-
den, so müssen die Parteien eine konstitutive Wirkung gewollt haben, weil sonst
die Klausel keine Rechtswirkung entfaltet. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein
fremder Tarifvertrag in Bezug genommen wird, an den die Parteien bei normativer
Bindung nicht gebunden wären, weil sie fachlich oder örtlich nicht in den Wirkungs-
bereich des Tarifvertrages fallen. Sie ist auch dann gegeben, wenn beide Vertrags-
parteien wissen, dass eine Partei nicht tarifgebunden ist oder wenn die Tarifgebun-
denheit nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen war. Hiervon ist regelmäßig
auszugehen, weil die Frage des Arbeitgebers nach der Mitgliedschaft in der Gewerk-
schaft beim Einstellungsgespräch wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Koa-
litionsfreiheit des Arbeitnehmers nach Art. 9 Abs. 3 GG, Art 28 EU-GRCh unzulässig
ist.65 Sie ist darauf gerichtet, die Auswahlentscheidung unter den Bewerbern von der
Frage der Gewerkschaftszugehörigkeit abhängig zu machen. Dies stellt bereits eine
nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG unzulässige Maßnahme dar.66 In diesem Fall ist folglich
ebenso davon auszugehen, dass die Parteien die Bezugnahme konstitutiv vereinbart
haben.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 363
3. Deklaratorische Wirkung
Das Nachweisgesetz setzt die EU-Richtlinien 91/533/EWG um. Es verpflichtet den 45
Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 NachwG spätestens einen Monat nach dem vereinbarten
Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich
niederzulegen und die Niederschrift dem Arbeitnehmer unterschrieben auszuhändi-
gen. Die wesentlichen Inhalte der Niederschrift sind in § 2 Abs. 1 NachwG aufgelis-
tet und können nach Abs. 3 ersetzt werden durch den Hinweis auf die einschlägigen
Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen und ähnliche Regelungen, die für
das Arbeitsverhältnis gelten oder nach Abs. 4 in einem Arbeitsvertrag niedergelegt
werden. Wesentliche Änderungen hat der Arbeitgeber nach § 3 Satz 1 NachwG eben-
falls durch Niederschrift festzuhalten und unterschrieben innerhalb der Frist von
einem Monat dem Arbeitnehmer mitzuteilen. Satz 1 gilt nicht bei einer Änderung der
gesetzlichen Vorschriften, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und
ähnlichen Regelungen, die für das Arbeitsverhältnis gelten (§ 3 Satz 2 NachwG).
Das Nachweisgesetz selbst begründet keine Verpflichtung Arbeitsverträge schrift- 46
lich abzuschließen. Arbeitsverträge können grundsätzlich formfrei durch mündliche
Erklärung oder konkludent durch Arbeitsaufnahme und Zahlung einer Vergütung
geschlossen werden. Legt der Arbeitgeber aber die wesentlichen Arbeitsbedingungen
nicht schriftlich nieder, so ist das Verhalten des Arbeitgebers als Beweisvereitelung
anzusehen, da das Nachweisgesetz die erleichterte Beweisführung des Arbeitnehmers
intendiert.67 Es führt zu einer Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr im
Prozess.68 Im Hinblick auf tarifvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen genügt der
Arbeitgeber seiner Hinweispflicht hierauf bereits, wenn er auf den die Ausschluss-
frist beinhaltenden Tarifvertrag hinweist.69 Weist er hierauf nicht hin, so kann dies
zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers nach §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 2, 249
BGB führen.70 Der Arbeitgeber ist also gut beraten, Arbeitsverträge schriftlich abzu-
schließen.
Wird für das Arbeitsverhältnis generell ein bestimmter Tarifvertrag durch Bezug- 47
nahmeklausel zu Grunde gelegt, so empfiehlt es sich gleichwohl bestimmte Festle-
gungen auch im Arbeitsvertrag wiederzugeben, auch wenn sie im Tarifvertrag ent-
halten sind.
Werden bei einer dynamischen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag bestimmte 48
tarifvertragliche Leistungen und Gegenleistungen wie Entgelt, Urlaubsdauer, Arbeits-
zeit im Arbeitsvertrag in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geregelten Höhe
wiedergegeben, so handelt es sich, ohne dass weitere Anhaltspunkte im Arbeitsver-
67 Schaub/Linck, § 32, Rn 45; HWK/Kliemt, NachwG, Vorb. Rn. 42; MüKo-BGB/Müller-Glöge § 611,
Rn. 687; ErfK/Preis, NachwG, Einf. Rn. 22.
68 ErfK/Preis, NachwG, Einf. Rn 23.
69 BAG, Urt. v. 23.1.2002 – 4 AZR 56/01, NZA 2002, 800.
70 BAG, Urt. v. 29.5.2002 – 5 AZR 105/01, NZA 2002, 1360.
Dörring
364 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Klauselmuster
Dem Arbeitsvertrag liegen die Tarifverträge der ……Industrie in ihrer jeweiligen Fassung zu Grunde.
Bei der Wiedergabe tariflicher Ansprüche handelt es sich um deklaratorische Angaben, die tarifver-
traglichen Änderungen unterliegen.
Checkliste
Art und Ort der Tätigkeit mit Versetzungsvorbehalt
Höhe des tariflichen Entgelts
Arbeitszeit
Beginn des Vertrages
Kündigungsfristen
Urlaubsdauer
Sonderzahlungen
Abtretungsverbot
Nebentätigkeiten
71 BAG, Urt. v. 12.9.2006 – 9 AZR 675/05, NZA 2007, 218; BAG, Urt. v. 28.6.2001 – 6 AZR 114/00, NZA
2002, 331.
72 BAG, Urt. v. 10.7.2013 – 10 AZR 898/11, NZA 2014, 392.
73 BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 604/02, NZA 2004, 803; BAG, Urt. v. 12.3.2008 – 10 AZR 256/07,AP
BGB § 611 Nr. 6.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 365
Der Arbeitgeber kann nach § 106 Satz 1 GewO den Arbeitsort im Rahmen des Direk- 52
tionsrechts festlegen. Die Festlegung selbst unterliegt nur einer gerichtlichen Billig-
keitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.74 Der Arbeitgeber sollte bei der Bezeichnung
des Arbeitsortes deutlich machen, dass er sich den Einsatz auch an einem anderen
Ort vorbehält. Mit der Überschrift „Beginn der Tätigkeit“ macht der Arbeitgeber zum
Beispiel deutlich, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers auch an einem anderen Stand-
ort erfolgen kann und der angegeben Arbeitsort nur den Ort der Arbeitsaufnahme
bezeichnet.75
Vertragsmuster
Der Arbeitnehmer kann im Rahmen der vertraglich vereinbarten Tätigkeit im Tätigkeitsgebiet (Ver-
triebsgebiet xy) der Gesellschaft unter Wahrung der Grundsätze billigen Ermessens eingesetzt wer-
den. Der Arbeitsort zu Beginn der Tätigkeit ist … „
Bei der Gestaltung des Arbeitsvertrages werden beide Parteien auf die gesetzliche 53
Selbstverständlichkeit der Wahrung billigen Ermessens hingewiesen. Ein zu weit
gefasster Tätigkeitsbereich kann dem Arbeitgeber im Falle eines Personalabbaus
Schwierigkeiten dergestalt bereiten, den Kreis der in die Sozialauswahl einzubezie-
henden Mitarbeiter ausdehnen zu müssen oder so weit gefasst zu sein, dass eine
Abgrenzung unklar wird.76 Das BAG hat es in einer umstrittenen Entscheidung für
zulässig erachtet hinsichtlich des Arbeitsortes die umfassende Bestimmungsmög-
lichkeit des Arbeitsortes nach § 106 Abs. 1 GewO in einer Vertragsklausel zu wieder-
holen.77 Eine solche Klausel ist zulässig, da sie keine vom Gesetz abweichende AGB
darstellt. Streitigkeiten über die Billigkeit einer Versetzung sind dann aber häufig vor-
programmiert.
Bei der Höhe des Entgelts, des Urlaubs oder der Arbeitszeit sollte mit den Worten 54
„nach Tarifvertrag … zurzeit“ deutlich gemacht werden, dass sich die Höhe der tarif-
vertraglichen Leistungen und Gegenleistungen mit dem Tarifvertrag ändern kann.
Vertragsmuster
Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt nach § 6 TVöD zurzeit 39 Stunden.
Der Mitarbeiter hat tarifvertraglich nach § … des Tarifvertrages … einen Anspruch auf zurzeit 30 Tage
Urlaub.
74 BAG, Urt. v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181, Rn 19 f; BAG, Urt. v. 26.9.2012 – 10 AZR
311/11, NZA-RR 2013, 403, Rn 18.
75 BAG, Urt. v. 28.8.2013 – 10 AZR 569/12, NZA-RR 2014, 181.
76 Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 1 Rn 616.
77 BAG, Urt. v. 13. 4. 2010 – 9 AZR 36/09, NJOZ 2010, 2625.
Dörring
366 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
55 Bei der Höhe des Entgelts kommt es häufig zu Rechtsstreitigkeiten, ob sich die Par-
teien im Arbeitsvertrag mit der wiedergegebenen Eingruppierung und der Entgelt-
höhe unabhängig von der tarifvertraglich zutreffenden Eingruppierung auf eine
Entgelthöhe nach der angegebenen Entgeltgruppe verständigen wollten. Bei Arbeits-
verträgen innerhalb des öffentlichen Dienstes mit einer Bezugnahme auf Tarifver-
träge des öffentlichen Dienstes gehen die Parteien regelmäßig davon aus, dass der
Nennung der Entgeltgruppe keine konstitutive Wirkung zukommt, sondern sich die
Entgeltgruppe tarifvertraglich aus der Art der zugewiesenen Tätigkeit nach Tarifver-
trag ergibt.78
4. Zulässigkeitsfragen
a) Globalverweisung
56 Wird insgesamt auf den Tarifvertrag verwiesen an den der Arbeitgeber gebunden ist
oder im Falle einer fehlenden Bindung gebunden wäre, so greift die Richtigkeitsver-
mutung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, so dass eine AGB-Kontrolle von Tarifverträgen
auch dann nicht erfolgt, wenn sie durch Bezugnahme zum Inhalt des Arbeitsver-
hältnisses gemacht werden (Rn 30). Es ist keine AGB-Kontrolle durchzuführen. Der
in Bezug genommene Tarifvertrag ist auch entgegen einer teilweise in der Litera-
tur vertretenen Auffassung keiner Unklarheiten- oder Transparenzkontrolle zu
unterziehen (Rn 28 ff.). Wird hingegen auf einen branchenfremden Tarifvertrag ver-
wiesen, so greift diese Richtigkeitsvermutung nicht, da der andere Tarifvertrag vor
dem Hintergrund anderer ökonomischer und betrieblicher Rahmenbedingungen
geschlossen wurde. In diesem Fall ist eine Kontrolle nach dem AGB-Recht in vollem
Umfang durchzuführen.79
b) Teilverweisung
57 Fraglich ist, ob für den Fall, dass nur auf einen bestimmten Teil eines einschlägigen
Tarifvertrages, an den der Arbeitgeber bei normativer Bindung gebunden wäre Bezug
genommen wurde, die Richtigkeitsvermutung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB greift und
der Teilverweis ebenfalls keiner AGB-Kontrolle zu unterziehen ist. Sind Teilverweise
gesetzlich vorgesehen, um tariflich vom Gesetz abweichende Regelungen zuzulassen,
so ist eine solche Bezugnahme gerade gesetzlich erlaubt (z. B. § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB,
§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG; § 7 Abs. 3 ArbZG, § 4 Abs. 4 Satz 2 EFZG). Die Bezugnahme auf
eine solche Teil- oder Einzelverweisung stellt somit keine vom Gesetz abweichende
Regelung dar, die einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 BGB zu unterziehen wäre.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 367
Dörring
368 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
gen ist immer daran gebunden, dass die zuständigen sachlich und regional zuständi-
gen Tarifvertragsparteien in ihrem Bereich Regelungen treffen. Nur dann besteht die
Sachkenntnis in diesem Bereich über die zu regelnden Arbeitsbedingungen und eine
Mächtigkeit zur Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen. Bei der Inbezugnahme
branchenfremder Tarifverträge zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages
sind diese Tarifverträge immer einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht zu unter-
ziehen.
62 Wurde zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages der branchenmäßig
und regional einschlägige Tarifvertrag arbeitsvertraglich in Bezug genommen, so kann
es bei einem Branchenwechsel des Arbeitgebers oder nach einem Betriebsübergang
dazu kommen, dass die arbeitsvertragliche Inbezugnahme nicht mehr den einschlä-
gigen Tarifvertrag in Bezug nimmt. In diesen Fällen ist eine korrigierende ergänzende
Vertragsauslegung auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag nicht möglich. Das BAG
hatte eine solche korrigierende Auslegung in der Vergangenheit vorgenommen, wenn
der alte in Bezug genommene Tarifvertrag und der neu einschlägige Tarifvertrag von
derselben Gewerkschaft geschlossen worden waren.82 Diese Rechtsprechung hat das
BAG ausdrücklich nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform aufgegeben. Soweit vor
dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform sogenannte „Gleichstellungsabreden“
getroffen worden waren, bleiben diese rechtswirksam. Sie führen dazu, dass bei
einem Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers der in Bezug genommene Tarifver-
trag nur noch statisch fortgilt. Bei allen nach dem 31.12.2001 einzelvertraglich verein-
barten dynamischen Bezugnahmen auf einen bestimmten Tarifvertrag ist von einer
konstitutiven Bezugnahme des Tarifvertrages auszugehen, wenn der Arbeitgeber
nicht ausdrücklich seine eigene Tarifgebundenheit zur auflösenden Bedingung der
Vereinbarung gemacht hat.83
63 Im öffentlichen Dienst wurde sehr häufig im Arbeitsvertrag auf den BAT/BMTG-II
in seiner jeweils gültigen Fassung von einem tarifgebundenen Arbeitgeber Bezug
genommen. Der BAT/BMT-G II wurde durch den TVöD abgelöst und der BAT/BMTG-II
seit 2008 nicht mehr fortentwickelt. Hier haben sich für die Parteien die Rahmen-
bedingungen grundlegend seit Abschluss des Arbeitsvertrages in einer Weise verän-
dert, die beide Vertragsparteien damals nicht voraussehen konnten. Das BAG hat die
sich hieraus ergebende Regelungslücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung
geschlossen, weil redliche Vertragspartner in diesem Fall eine Nachfolgeregelung zur
Überleitung auf die ablösenden Tarifverträge vereinbart hätten.84
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 369
Dörring
370 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
samkeit eines Tarifvertrages diesen in Bezug genommen hätten. Ein nicht wirksamer
Tarifvertrag ist im Zweifel nicht Gegenstand einer Bezugnahmeklausel geworden.89
67 Das BAG hatte zunächst festgestellt, dass die seitens der Gewerkschaft CGZP
abgeschlossenen Tarifverträge mangels Tariffähigkeit der Gewerkschaft unwirksam
sind.90 Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG gilt der Grundsatz, dass Leiharbeitnehmern die
gleichen Arbeitsbedingungen einschließlich des gleichen Arbeitsentgelts zu gewäh-
ren sind, wie den Arbeitnehmern des Entleihers. Von diesem Grundsatz kann nach
§ 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG nur durch Tarifvertrag abgewichen werden. Den Parteien
musste es folglich bei der Vereinbarung der Bezugnahme auf die CGZP-Tarifverträge
gerade darauf ankommen, dass die Verträge wirksam sind. Das BAG hatte über die
Wirksamkeit von Ausschlussfristen in diesen Tarifverträgen zu befinden und fest-
gehalten, dass eine Ausschlussfristenregelung in einem unwirksamen CGZP-Tarif-
vertrag nicht kraft Bezugnahme als allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des
Arbeitsvertrags geworden ist. Es sei zwar zulässig auch normativ rechtsunwirksame
Tarifverträge in Bezug zu nehmen, liegen aber Anhaltspunkt vor, dass man nur einen
rechtswirksamen Tarifvertrag habe in Bezug nehmen wollen, so wurde keine wirk-
same Inbezugnahme vereinbart.91
89 BAG, Urt. v. 15.3.2006 – 4 AZR 75/05, NZA 2006, 690, Rn 26; Löwisch/Rieble, § 3, Rn 454.
90 BAG, Urt. v. 14.12.2010 – 1 ABR 19/10, NZA 2011, 289; BAG, Urt. v. 23.5.2912 – 1 ABR 67/11, NZA 2012,
625.
91 BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 371
Je nach den von den Parteien verfolgten Zielen sind unterschiedliche Formen der 71
Bezugnahme möglich. Es kann eine statische, eine kleine dynamische oder eine
große dynamische Bezugnahmeklausel in Betracht kommen. Ferner kann auch eine
sogenannte Gleichstellungsabrede getroffen werden.
1. Statische Bezugnahme
Bei einer statischen Bezugnahme soll ein bestimmter Tarifvertrag nur in seiner 72
zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen Form in den Arbeitsvertrag ein-
bezogen werden. Damit wird eine künftige Tarifentwicklung gerade ausgeschlossen.
Eine solche Klausel widerspricht normalerweise dem Interesse des Arbeitgebers,
seine Arbeitsbedingungen für künftige Entwicklungen einer sich ändernden Arbeits-
welt offen zu gestalten und alle Arbeitnehmer in sich ändernde Arbeitsbedingungen
mit einzubeziehen und gleich zu behandeln.92 Sie widerspricht normalerweise auch
den Interessen des Arbeitnehmers an künftigen Tarifentwicklungen zu partizipieren.
Sie kann in beiderseitigem Interesse dann ein Mittel der Wahl sein, wenn das Ein-
frieren eines Tarifstandes von den Parteien gerade gewünscht wird, um zum Beispiel
sich abzeichnende negative Entwicklungen im Tarifrecht in Anbetracht einer zeitlich
überschaubaren Dauer des Arbeitsverhältnisses auszuschließen.
Beispiel
Der Manteltarifvertrag der … Industrie Bezirk … in der Fassung vom … und der Entgelttarifvertrag der
… Industrie Bezirk … in der Fassung vom … sind Bestandteile dieses Arbeitsvertrages.
Bei der Formulierung der Klausel ist Vorsicht geboten. Wird auf einen bestimmten 73
Tarifvertrag Bezug genommen ohne den Zusatz „in der jeweils geltenden Fassung“
oder „der Anpassung an sich ändernde Tarifentwicklungen“, so spricht dies dafür,
dass eine statische Bezugnahme gewollt war.93 Wird beispielsweise die Vergütung
nach einer bestimmten Vergütungsgruppe eines Entgelttarifvertrages zugesagt, so
kann diese Zusage als statische oder dynamische Zusage interpretiert werden. In
diesem Fall greift die Unklarheitenregelung nach § 305c Abs. 2 BGB, so dass die für
den Arbeitnehmer günstigere Alternative, also die dynamische Bezugnahmeklausel,
als vereinbart gilt.94
92 Hümmerich/Reufels/Reufels, § 1, Rn 1625.
93 BAG, Urt. v. 19.9.2007 – 4 AZR 710/06, BeckRS 2008, 50271.
94 BAG, Urt. v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202.
Dörring
372 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Klauselmuster
Auf diesen Arbeitsvertrag finden die Tarifverträge der chemischen Industrie … in ihrer jeweils gültigen
Fassung Anwendung.
75 Vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der Umstrukturierung des öffentlichen
Dienstes ist allerdings dringend zu empfehlen eine Klausel zur Tarifsukzession zu
vereinbaren. Im öffentlichen Dienst wurde sehr häufig vereinbart, dass der BAT oder
der BMT-G II in seiner jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung
findet, ohne dass vereinbart worden war, dass die diese Tarifverträge ersetzenden
Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen. In diesem Fall tritt
eine Regelungslücke auf, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schlie-
ßen ist.
Klauselmuster
Ergänzung: Im Falle einer Ablösung dieses Tarifvertrages durch einen anderen Tarifvertrag findet
der ablösende Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Kommt es zu einer Ablösung durch
mehrere Tarifverträge, so findet der speziellere Tarifvertrag Anwendung, an den die meisten Arbeits-
verhältnisse des Betriebes gebunden sind.
95 BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR 384/09, NJOZ 2010, 2454; MSG/Holthausen „Bezugnahmeklausel“,
Rn. 20.
96 BAG, Urt. v. 15.4.2008 – 9 AZR 159/07, NZA-RR 2008, 586, Rn 60.
97 BGH, Urt. v. 8.11.2001 – III ZR 14/01, NJW 2002, 507.
98 JKOS/Oetker, § 6, Rn 217; Müller-Glöge, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 611,Rn
73; Thüsing/Lambrich, NZA 2002, 425, 439 ff; BAG, Urt. v. 15.4. 2008 – 9 AZR 159/07, NZA-RR 2008,
586, Rn 78.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 373
3. Gleichstellungsabrede
Die kleine dynamische Bezugnahmeklausel wurde vom BAG bis zur Ankündigung 76
einer Rechtssprechungsänderung mit Urteil vom 14.12.2005 immer entgegen ihres
Wortlauts als Gleichstellungsabrede ausgelegt, wenn der Arbeitgeber selbst tarifge-
bunden war. In diesem Fall wurde vom BAG als Regelungsziel seitens des Arbeitge-
bers anerkannt, dass es ihm darum gehe, einen Tarifvertrag auf alle Arbeitnehmer
anzuwenden und bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern die fehlende norma-
tive Bindung über die Gewerkschaftszugehörigkeit durch eine vertragliche Bindung
über die Bezugnahmeklausel zu ersetzen.99 Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers
musste ferner für den Arbeitnehmer erkennbar gewesen sein und damit zum vertrag-
lichen Hintergrund der Vereinbarung geworden sein.100
Diese Auslegung wurde vom BAG selbst auf Fälle einer großen dynamischen 77
Tarifwechselklausel angewandt.101 In allen Fällen, in welchen der Arbeitgeber selbst
nicht tarifgebunden war oder in welchen auf einen Tarifvertrag verwiesen wurde, der
sachlich oder örtlich nicht anwendbar war, konnte die Gleichstellung als Ziel nicht
anerkannt werden. In diesen Fällen wurde eine dynamische Bezugnahmeklausel ent-
sprechend ihres Wortlauts ausgelegt.
Die Auslegung hatte zur Folge, dass bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern 78
immer dann, wenn die Tarifbindung des Arbeitgebers durch Austritt aus dem Arbeit-
geberverband, durch Branchenwechsel des Arbeitgebers oder nach einem Betriebs-
übergang auf einen nicht oder anders tarifgebundenen Arbeitgeber endete, die ihrem
Wortlaut nach dynamische Bezugnahmeklausel eingefroren wurde und nur noch sta-
tisch fortgalt.
99 BAG, Urt. v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318; BAG, Urt. v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02; NZA
2003, 1207.
100 BAG, Urt. v. 11.12.2013 – 4 AZR 473/12, NZA 2014, 900, Rn 19.
101 BAG, Urt. v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154.
102 BAG, Urt. v.14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607.
103 BAG, Urt. v. 18.4. 2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 975.
Dörring
374 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
104 BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, Rn17 mit umfassendem Nachweis.
105 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 975, Rn 54 ff.
106 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 975, Rn 49; ausdrücklich den Empfängerhori-
zont des Arbeitnehmers hervorhebend BAG, Urt. v. 11.12.2013 – 4 AZR 473/12, NZA 2014, 900, Rn19;
a. A. BAG, Urt. v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207.
107 BAG, Urt. v. 19.10.2011 − 4 AZR 811/09, NJOZ 2012, 493; BAG, Urt. v. 16.05.2012 – 4 AZR 290/10,
BeckRS 2012, 74487.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 375
vertraglich vereinbart wird, indem die Tarifbindung des Arbeitgebers an den Tarif-
vertrag zur auflösenden Bedingung der dynamischen Fortgeltung gemacht wird.108
Klauselmuster
Gleichstellungsklausel
Zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer finden auf das Arbeitsverhältnis unabhängig von der Ge-
werkschaftszugehörigkeit des Mitarbeiters die jeweils für den Betrieb geltenden Tarifverträge An-
wendung, an die der Arbeitgeber durch Bestimmungen des Tarifvertragsgesetzes normativ gebunden
ist. Bei sich überlappenden Tarifverträgen findet der gesetzlich gültige Tarifvertrag Anwendung, bei
Zweifeln der Tarifvertrag, an den die meisten Arbeitnehmer im Betrieb gebunden sind. Dies ist zurzeit
der Tarifvertrag …vom …Erlischt die normative Tarifbindung des Arbeitgebers, so findet der zuletzt
angewandte Tarifvertrag in seiner zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung Anwendung, d. h. der Tarif-
vertrag wirkt nach Ablauf der Tarifbindung nach § 4 Abs. 5 TVG nach und nimmt an künftigen Tarifent-
wicklungen des Tarifvertrages nicht mehr teil.
Erläuterung:
Die Klausel bringt deutlich und klar die beabsichtigte Gleichstellung aller Beschäftigten unabhän-
gig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zum Ausdruck und verweist dynamisch auf die geltenden
Tarifverträge, an die der Arbeitgeber normativ auf Grundlage des TVG gebunden ist. Als Rechtsfolge
einer wegfallenden Tarifbindung des Arbeitgebers wird ebenfalls nur auf die statische Fortgeltung der
zuletzt geltenden tarifvertraglichen Regelung verwiesen, die dann nach § 4 Abs. 5 TVG abänderbar ist.
Im Falle der Tarifpluralität wird die gesetzliche Regelung des § 4a TVG übernommen, um im Zweifel
den Tarifvertrag anwendbar werden zu lassen, der für die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse im Betrieb
gilt. Eine solche Klausel würde auch dann Bestand haben, wenn das Tarifeinheitsgesetz aus verfas-
sungsrechtlichen Gründen scheitern würde.
4. G
roße dynamische Tarifwechselklausel
Unter einer großen dynamischen Tarifwechselklausel versteht man eine Bezugnah- 84
meklausel, die nicht nur zeitlich auf einen sich ändernden Tarifvertrag verweist,
sondern auch den sachlichen, fachlichen und örtlichen Anwendungsbereich an eine
sich ändernde Tarifbindung des Arbeitgebers anpasst. Eine solche Klausel bietet für
den Arbeitgeber die größtmögliche Flexibilität. Sie kann insbesondere bei Unter-
nehmensumstrukturierung das alte Tarifrecht durch ein neues Tarifrecht mit geän-
dertem Branchenbezug ersetzen. Eine solche Klausel kann für den Arbeitnehmer
nicht unproblematisch sein, weil der Inhalt des Arbeitsverhältnisses durch Anwen-
dung eines anderen Tarifrechts tiefgreifend umgestaltet werden kann, ohne dass sich
der Arbeitnehmer hiergegen zur Wehr setzen kann. Erfasst werden hierdurch auch
Fallkonstellationen der Ausgründung, z. B. von Kantinenbetrieben in Krankenhäu-
sern mit zum Teil erheblichen Tarifabsenkungen.
108 BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 975, Rn 26; Bepler in Beck’scher Online-Kom-
mentar TVöD, Anh. § 1 Exkurs: Tarifbindung und Tarifgeltung, Rn 27.
Dörring
376 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
a) Zulässigkeitsfragen
86 Bezugnahmeklauseln auf sich ändernde Tarifverträge oder sich ändernde fachliche
Tarifbindungen sind im Arbeitsrecht allgemein üblich und gehören zu den Beson-
derheiten des Arbeitsrechts nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. Es liegt in der Natur der
Sache, dass sich die Arbeitsbedingungen ändern können und tarifliche Regelungen
oder Tarifwerke auf die sich ändernden Arbeitsbedingungen reagieren und entspre-
chend geändert werden. Auch große dynamische Bezugnahmeklauseln sind daher
grundsätzlich zulässig.110
87 Der Bestimmtheitsgrundsatz ist auch bei einer solchen Klausel gewahrt, wenn
eindeutig zu ermitteln ist, an welchen Tarifvertrag der Arbeitgeber gebunden ist.
Erklärt der Arbeitgeber die Tarifverträge, an die er gebunden ist, zum Bestandteil des
Arbeitsverhältnisses, so handelt es sich nicht um eine überraschende Klausel i. S. d.
§ 305c Abs. 1 BGB. Sie ist auch nicht intransparent nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1
BGB, da bestimmbar ist, an welche Tarifverträge der Arbeitgeber in Zukunft gebun-
den sein wird. Das BAG verweist hier ausdrücklich darauf, dass es unerheblich ist,
welchen konkreten Inhalt ein Arbeitsvertrag haben wird. Dynamische Verweisungs-
klauseln entsprechen einer im Arbeitsrecht allgemein üblichen Regelungstechnik,
die im Interesse beider Parteien dazu dient das Arbeitsverhältnis offen für künftige
Entwicklungen zu gestalten. Auch eine Verweisung in einem in Bezug genommenen
Tarifvertrag auf einen anderen Tarifvertrag führt nicht zur Intransparenz der Rege-
lung, wenn der Inhalt des Tarifvertrages klar bestimmbar ist. Ein tarifvertraglich in
Bezug genommener anderer Tarifvertrag wird in diesem Fall Teil des verweisenden
Tarifvertrages und gilt nicht als eigenständiger Tarifvertrag fort. Beide Tarifverträge
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 377
Klauselmuster
Auf das Arbeitsverhältnis finden jeweils die fachlich und betrieblich bei normativer Tarifbindung des
Arbeitgebers geltenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Dies sind zurzeit
die zwischen der Gewerkschaft … und dem Arbeitgeberverband … geschlossene Tarifverträge vom …
Im Falle mehrerer in Betracht kommender Tarifverträge findet der Tarifvertrag Anwendung, an den die
Mehrheit der Arbeitnehmer gebunden ist. Entfällt die Tarifbindung des Arbeitgebers, so gelten die Ta-
rifverträge in der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung fort und können durch andere Abmachungen
ersetzt werden. Dies gilt im Falle eines Betriebsübergangs auf einen neuen Erwerber ebenso. Ist der
neue Erwerber tarifgebunden, so finden die für ihn geltenden Tarifverträge Anwendung. Bei mehreren
anwendbaren Tarifverträgen ist das jeweils der Tarifvertrag, an den die Mehrheit der Arbeitnehmer
im Betrieb gebunden ist.
111 BAG, Urt. v. 22. 2. 2012 − 4 AZR 8/10, NJOZ 2012, 1507
112 BAG, Urt. v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512, Rn 32 ff; HWK/Henssler, § 3 TVG, Rn 18.
113 Preis/Greiner II V 40 Rn 73.
114 Däubler/Bonin/Deinert/Däubler, § 305c BGB, Rn 45a.
115 Stoffels Rn 1133.
116 Palandt/Grüneberg, § 313, Rn 24, 25.
Dörring
378 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
b) E
rläuterung
90 Es besteht insoweit Übereinstimmung bei allen Klauselvorschlägen einer großen
dynamischen Tarifwechselklausel, die Tarifverträge, an die der Arbeitgeber gebun-
den ist, dynamisch in Bezug zu nehmen. Ferner sind Regelungen in die Klausel aufzu-
nehmen, die im Falle eines Wegfalls der Tarifbindung des Arbeitgebers und im Falle
eines Betriebsübergangs greifen.117
91 Angesichts der Neuregelung des Tarifeinheitsgesetzes sollte die Regelung des
§ 4a TVG im Falle einer Tarifpluralität aufgenommen werden. Den Arbeitgeber trifft
keine allgemeine Rechtsberatungspflicht vor Einführung bestimmter Klauseln,
auch wenn diese weitreichende Konsequenzen haben können.118
5. Tarifsukzession
92 In den vergangenen Jahren ist es sehr häufig zu tiefgreifenden Umstrukturierungen
gekommen, die dazu geführt haben, dass bestehende Tarifverträge nicht mehr wei-
tergeführt, sondern durch neue verbands- oder firmenbezogene Tarifverträge abge-
löst worden sind. In der Regel geschieht dies durch die zuvor am Tarifabschluss
beteiligten Tarifvertragsparteien, sodass bei normativer Bindung an den Tarifvertrag
tarifvertraglich eine ablösende Wirkung des alten Tarifvertrags durch den neuen ver-
einbart wird. Schwierig kann sich das Verhältnis gestalten, wenn die Tarifvertrags-
parteien wechseln, z. B. statt eines Arbeitgeberverbandes ein einzelner Arbeitgeber
einen Firmentarifvertrag schließt, wenn im Falle eines Betriebsübergangs ein anderer
Arbeitgeber mit einer anderen Tarifbindung in Erscheinung tritt, wenn auf Seiten der
Arbeitnehmer neue Tarifvertragsparteien neue Tarifverträge schließen oder wenn in
einem Betrieb im Falle der Tarifpluralität mehrere Tarifverträge nebeneinander für
unterschiedliche oder auch gleiche Arbeitnehmergruppen gelten. In den Fällen einer
arbeitsvertraglichen Inbezugnahme von Tarifverträgen sind solche Entwicklungen
von den vertragsschließenden Parteien in der Regel nicht vorhersehbar. Es muss sich
also immer um Fälle des Entstehens einer von den Vertragsparteien nicht planba-
ren Regelungslücke nach Vertragsschluss handeln. Es stellt sich die Frage nach
den Folgen der unterschiedlichen Fallkonstellationen und der rückwirkenden und
zukünftigen Vertragsgestaltung. Fälle der Tarifsukzession unterscheiden sich von
einem Tarifwechsel dadurch, dass eine Tarifsukzession kollektivrechtlich von beiden
Tarifvertragsparteien gemeinsam vollzogen wird.119 Bei einem Tarifwechsel hingegen
entscheidet der Arbeitgeber einseitig z. B. aus dem Arbeitgeberverband auszutreten
oder den Geschäftszweck zu ändern, so dass das Unternehmen einer anderen Branche
117 vergleiche die Vorschläge von Preis/Greiner II V Rn 18; MaSiG/Holthausen, 240 Rn 42; HWK/
Henssler, § 3 TVG, Rn 32b; Hümmerich/Reufels/Reufels, § 1 Rn 1723.
118 HWK/Gotthard, § 307 BGB, Rn 20; HWK/Henssler, § 3 TVG, Rn 18.
119 Greiner, NZA 2009, 877.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 379
120 Löwisch/Rieble: TVG Kommentar, 3. Aufl.2012, § 3, Rn 600; Greiner NZA 2009, 877, 880.
121 MüKo/Busche, § 157, Rn 27; Greiner, NZA 2009, 877, 881.
122 BAG, Urt. v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154.
123 BAG, Urt. v. 16.12.2006 – 5 AZR 888/08, NZA 2010, 401; BAG, Urt. v. 25.2.2015 – 5 AZR 481/13, NZA
2015, 943, Rn 18.
124 BAG, Urt. v. 16.8.1988 – 3 AZR 61/87, NZA 1989, 102.
125 BAG, Urt. v. 9.11.2005 – 5 AZR 128/05, NZA 2006, 202.
Dörring
380 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
126 Palandt/Ellenberger, § 157, Rn 2; Ohlendorf/Salamon, RdA 2006, 281; Busche in MüKo, § 157, Rn
27; Greiner, NZA 2009, 877, 881.
127 BAG, Urt. v. 10.11.2010 − 5 AZR 633/09, ZTR 2011, 150, Rn 19; in diesem Sinne schon Fieberg, NZA
2005, 1227, 1228.
128 BAG, Urt. v. 10.7.2013 – 10 AZR 898/11, NJOZ 2013, 1825, Rn 29.
129 BAG, Urt. v. 6.07.2011 – 4 AZR 496/09, BeckRS 2011, 77807; vgl. hierzu Melms/Kentner, NZA 2014,
127, 129.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 381
130 BAG, Urt. v. 24.3.2010 – 4 AZR 713/08, ZTR 2010, 462; Löwisch/Rieble § 4 TVG, Rn 115 ff; Henssler,
RdA 2011, 65, 66.
131 BAG, Urt. v. 24.9.1975 – 4 AZR 471/74, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 11.
132 BAG, Urt. v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736.
133 BAG, Urt. v. 29.11.1978 – 4 AZR 304/77, AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 12.
134 Däubler/Zwanziger, § 4, Rn 960.
135 BAG, Urt. v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, NZA 1991, 736.
136 BAG, Urt. v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068.
137 BAG, Urt. v. 12.12.2012 – 4 AZR 328/11, NJOZ 2014, 59.
Dörring
382 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Das BAG vertritt die
Ansicht, dass in diesen Fällen die entstandene Regelungslücke durch Verweis auf
die Vergütungsgruppe 15 Ü TVöD zu schließen ist und nicht durch die Vergütungs-
gruppe IV TV-Ärzte/VKA, der ab 1.8.2006 eingeführt wurde.138 Das BAG begründet
dies damit, dass für Chefärzte als außertarifliche Angestellte weder der TVöD noch
der TV-Ärzte tarifvertraglich gilt. Bei der Regelung des Entgelts durch Bezugnahme
auf eine bestimmte Entgeltgruppe der Tarifangestellten sei die zum Überleitungszeit-
punkt zum 1.10.2005 entstandene Vertragslücke nach dem damals in Kraft getretenen
Überleitungstarifvertrag zu schließen, der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. der Anlage 1
TVÜ-VKA, § 19 Abs. 2 TVÜ-VKA auf Vergütungsgruppe 15 Ü verweise.139 In einer nach-
folgenden Entscheidung zum gleichen Streitgegenstand bekräftigte das BAG in der
Sache zu Recht seine Entscheidung und setzte sich mit der Kritik auseinander.140 Zum
Zeitpunkt der Überleitung des BAT auf den TVöD gab es noch keinen vom Marburger
Bund geschlossenen TV-Ärzte, sondern nur den TVöD/K. Der Marburger Bund hatte
den BAT zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal gekündigt.141 Verständige Vertrags-
parteien hätten in diesem Fall folglich die Entgeltgruppe des zu diesem Zeitpunkt
ablösenden TVöD als ersetzenden Tarifvertrag gewählt. Mit dem Inkrafttreten des
TV-Ärzte zum 1.8.2006 ist keine weitere Regelungslücke entstanden, die zu schließen
gewesen wäre. Der TV-Ärzte konnte ferner den TVöD/K nicht als speziellerer Tarifver-
trag verdrängen. Beide Tarifverträge sind von der Sachnähe als gleichwertig anzuse-
hen.142 Die Regelung, dass der speziellere Tarifvertrag den sachlich ferner liegenden
Tarifvertrag verdrängt, ist darüber hinaus eine tarifvertragliche Kollisionsregel zur
Sicherung des Vorrangs des spezielleren Haustarifvertrages vor einem Verbandsta-
rifvertrag zur Lösung tarifvertraglicher Konkurrenzprobleme, die auf die Auslegung
einer Bezugnahmeklausel grundsätzlich keine Auswirkungen haben kann.143 Dem-
gegenüber ist hier der Zweck der Bezugnahmeklausel nach dem zwischen den Par-
teien geschlossenen Vertrag maßgeblich.144 Dies gilt auch dann, wenn der TV-Ärzte zu
einer höheren Vergütung als der TVöD führt. Bei der Festlegung welcher Tarifvertrag
nach den Methoden der ergänzenden Vertragsauslegung Anwendung findet, greift
das Günstigkeitsprinzip nicht.145 Als Vertragsmuster ist auf Rn 48 zu verweisen.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 383
Praxistipp
Es wird in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, das Problem der Tarifpluralität dadurch lö-
sen zu können, dass der Arbeitgeber sich im Falle der Tarifpluralität vertraglich ein Leistungsbestim-
mungsrecht einräumt, welcher Tarifvertrag gelten soll.
„Ist der Arbeitgeber an mehrere einschlägige Tarifverträge gebunden, bestimmt er durch Leistungs-
bestimmung nach § 315 BGB, welches Tarifwerk arbeitsvertraglich gelten soll.“146
Eine solche Klausel ist nicht zu empfehlen. Finden mehrere Tarifverträge nebenei- 100
nander Anwendung, so wird dem Arbeitgeber durch ein einseitiges Leistungsbestim-
mungsrecht die Möglichkeit eingeräumt, die Leistung durch Festlegung des Tarifver-
trages neu zu bestimmen. Eine solche Klausel ist nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam. Sie
ist darüber hinaus wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, weil
sie den Angemessenheitsmaßstab nicht konkretisiert und damit die Entwicklung der
Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer unkalkulierbar macht.147 In Anbetracht
der neueren Rechtsprechung des BAG sind Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge so
auszugestalten, dass sie im Falle mehrerer Tarifverträge, die in Bezug genommen sein
könnten, über eine klare Kollisionsregel definieren, welcher Tarifvertrag Anwendung
finden soll.148
Wenig hilfreich sind andere Vorschläge, statt das Problem in der Klauselgestal- 101
tung durch Formulierung der Tarifverträge so zu lösen, dass man in den Tarifverträ-
gen ein „Alles oder Nichts – Prinzip“ festlegt: “Dieser Tarifvertrag gilt nicht für alle
Arbeitnehmer der XY GmbH. Soweit bei der XY GmbH in bereits bestehenden Arbeits-
verhältnissen auf Grund individualrechtlicher Vereinbarung (konstitutive Bezugnah-
meklauseln etc.) das bisherige Tarifrecht oder Teile davon durch diesen Tarifvertrag
und ihn ergänzende Tarifverträge nicht abgelöst werden oder Mitarbeiter sich hierauf
berufen, gelten dieser Tarifvertrag und die ihn ergänzenden Tarifverträge insgesamt
nicht. Für diese Mitarbeiter wird der Rechtszustand zum 31.1.20xx eingefroren, das
heißt, es verbleibt bei den Regelung auf dem Niveau 20xx.“
Mit dem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes soll die Tarifeinheit im Betrieb 102
durch Gesetz wieder hergestellt werden. § 4a TVG sieht vor, dass im Falle der Tarif-
pluralität der Tarifvertrag Anwendung findet, dem die meisten Arbeitsverhältnisse
im Betrieb unterworfen sind. Das Gesetz dürfte für in der Vergangenheit geschlossene
Bezugnahmeklauseln keinerlei Auswirkung haben. Für zukünftige Vertragsgestaltun-
gen allerdings enthält es mit Abstellung auf das Mehrheitsprinzip eine sinnvolle und
handhabbare Gestaltungsvariante.149 In Anbetracht der starken Zweifel an der Ver-
Dörring
384 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
fassungsmäßigkeit des Gesetzes150 sollte das Mehrheitsprinzip bei der Gestaltung der
Vertragsklausel allerdings sicherheitshalber in die Klausel aufgenommen werden.
9. Differenzierungsklauseln
103 Bei Differenzierungsklauseln wird die Gewährung tarifvertraglicher Leistungsan-
sprüche von der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft abhängig gemacht. Tarifaußen-
seiter sollen von bestimmten Ansprüchen ausgeschlossen werden. Gewerkschaften
verfolgen mit Differenzierungsklauseln das Ziel, die Mitgliedschaft in einer Gewerk-
schaft für den Arbeitnehmer attraktiver zu machen. Für den Arbeitgeber stellt sich die
Frage, wie Bezugnahmeklauseln so gestaltet werden können, dass auch nicht tarif-
gebundene Arbeitnehmer die Leistung beanspruchen können, wenn der Arbeitgeber
die Leistungen gerade allen Arbeitnehmern gewähren will.
104 Zu unterscheiden sind einfache von qualifizierten Differenzierungsklauseln.
Bei einfachen Differenzierungsklauseln wird die Gewährung einer Leistung von der
Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ausdrücklich tarifvertraglich abhängig gemacht.
Da das Gesetz selbst die normative Geltung eines Tarifvertrages für den Arbeitneh-
mer nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 TVG von der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft
abhängig macht, sind einfache Differenzierungsklauseln rechtlich zulässig, wenn
sie nicht in den Umfang von Leistung und Gegenleistung eingreifen oder dieses Ver-
hältnis maßgeblich beeinflussen.151 Im Falle einer zulässigen Differenzierungsklausel
können Tarifaußenseiter auch keine Ansprüche aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbe-
handlungsgrundsatz geltend machen, da dieser auf Vereinbarungen zwischen Tarif-
vertragsparteien nicht anwendbar ist, weil solche Vereinbarungen keine strukturelle
Ungleichgewichtigkeit der Verhandlungspartner aufweisen.152
105 Qualifizierte Differenzierungsklauseln verbieten es dem Arbeitgeber eine
tarifliche Leistung an Tarifaußenseiter zu zahlen oder verpflichten ihn im Falle einer
Leistungsgewährung an alle Gewerkschaftsmitglieder in Form einer Spannenklau-
sel einen um eine bestimmte Spanne höheren Anspruch zu gewähren. Diese Klau-
seln stellen einen Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der nichtgebundenen
Arbeitnehmer dar, da sie einen Druck ausüben, der Gewerkschaft beizutreten und
sind daher nach Art 9 Abs. 3 Satz 2 GG rechtsunwirksam. Sie stellen außerdem einen
unzulässigen Eingriff in die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers und in dessen Koaliti-
onsfreiheit dar, weil sie ihn de facto verpflichten, seinen sozialen Gegenspieler zu
150 Hölscher, ArbRAktuell 2015, 7; Schliemann, NZA 2014, 1250; Däubler/Bepler, Rn 249, 250; Greiner
sieht das Gesetz als „Brandbeschleuniger“ im Existenzkampf der Gewerkschaften, RdA 2015, 36; Bep-
ler, NZA 2014 891; a. A. Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA-Beilage 1/2015, 3 ff.; BeckOK-ArbR/Giesen,
§ 4a TVG Rn 9.
151 BAG, Urt. v. 18.3.2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028; BAG, Urt. v. 22.9.2010 – 4 AZR 117/09, AP
GG Art. 9 Nr. 144; BAG 23.3.2011 – 4 AZR 366/09, NZA 2011, 920.
152 BAG, Urt. v. 21.5.2014 – 4 AZR 50/13, NZA 2015, 115.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 385
stärken.153 Durch die Unwirksamkeit einer einzelnen Klausel wird allerdings der Tarif-
vertrag nicht insgesamt unwirksam, solange der übrige Teil des Tarifvertrages ein in
sich zusammenhängendes Regelungswerk darstellt.154
Wird einzelvertraglich ein Tarifvertrag in Bezug genommen, in dem eine 106
bestimmte Leistung durch eine einfache zulässige Differenzierungsklausel von
der Mitgliedschaft in der Gewerkschaft abhängig gemacht wird, so ersetzt eine solche
Bezugnahmeklausel nur die fehlende Tarifgebundenheit, nicht die Gewerkschafts-
mitgliedschaft, so dass Tarifaußenseiter keinen Anspruch auf Gewährung dieser Leis-
tung haben.155 Aus der Bezugnahmeklausel ergibt sich kein besonderer Anspruch auf
Gleichbehandlung mit Gewerkschaftsmitgliedern aus dem arbeitsrechtlichen Gleich-
behandlungsgrundsatz.156
Vor diesem Hintergrund ist zu raten, den folgenden Zusatz der Bezugnahmeklau- 107
sel anzufügen:
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer wird so behandelt, als sei er Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft.157
Praxistipp
Ein entsprechender Zusatz zur Bezugnahmeklausel könnte nur durch eine tarifvertragliche Regelung
ausgehebelt werden, die dann allerdings wegen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG rechtsun-
wirksam wäre.158
153 BAG, Beschl. v. 29.11.1967 – GS 1/67, NJW 1968, 1903; BAG, Urt. v. 23.3.2011 – 4 AZR 366/09, NZA
2011, 920; Wiedemann, RdA 2007, 65, 67; Bauer/Arnold, NZA 2011, 945; Richardi, NZA 2010, 417; a. A.
wenn der Sondervorteil die Höhe der Gewerkschaftsbeiträge nicht überschreitet Däubler/Hensche, § 1
TVG, Rn 868 ff; Gamillscheg, NZA 2005, 146.
154 BAG, Urt. v. 16.11.2011 – 4 AZR 856/09, NZA-RR 2012, 308.
155 BAG, Urt. v. 18.3.2009 – 4 AZR 64/08, NZA 2009, 1028; BAG 22.9.2010 – 4 AZR 117/09, AP GG Art. 9
Nr. 144; a. A. Lobinger/Hartmann, RdA 2010, 235, 236 ff; Löwisch/Rieble, § 1 TVG, Rn 1864 f.
156 BAG, Urt. v. 22.9.2010 – 4 AZR 117/09, AP GG Art. 9 Nr. 144; Gieseler/Halfen-Kieper, AiB 2010, 75;
a. A. ErfK/Franzen § 1 TVG, Rn 62; Bauer/Arnold, NZA 2011,945, 948; Löwisch/Rieble § 3 TVG, Rn 229;
Hartmann/Lobinger NZA 2010, 421, 422.
157 Bauer/Arnold, NZA 2009, 1169, 1173.
158 Dornbusch/Fischermeier/Löwisch/Krebber, § 1 TVG, Rn 54.
Dörring
386 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
ein Jahr lang nicht zum Nachteil der Arbeitnehmers geändert werden. Dies gilt nach
Satz 3 dann nicht, wenn die Rechte und Pflichten beim neuen Inhaber durch Rechts-
normen eines anderen Tarifvertrages oder durch eine andere Betriebsvereinbarung
geregelt sind. Nach Satz 4 der Vorschrift können vor Ablauf der Jahresfrist nach Satz 2
die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebs-
vereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beidseitiger Tarifgebundenheit zwi-
schen dem Arbeitnehmer und dem neuen Inhaber im Geltungsbereich eines anderen
Tarifvertrages dessen Anwendung vereinbart wird.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 387
165 EuGH, Urt. v. 9.3.2006 – C 499/04 (Werhof/Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG), NZA 2006,
376, Rn 19 und 33.
166 BAG, Urt. v. 23.9.2009 – 4 AZR 331/08, NJW 2010, 1831; Thüsing, NZA 2006, 473, 474.
167 EuGH, Urt. v. 18.7.2013 – C-426/11 (Mark Alemo-Herron u. a. / Parkwood Leisure Ltd.).
Dörring
388 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
zeit möglich durch einen Verbandsaustritt eine zukünftige Bindung an einen Tarifver-
trag zu beenden. Eine Unterwerfung unter drittbestimmte tarifliche Regelungswerke
über Individualvertrag oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen im Wege von Lan-
destariftreuegesetzen hingegen wird nicht als Eingriff in die negative Koalitionsfrei-
heit und bei Außerkraftsetzung eigener geschlossener Tarifverträge nicht als Eingriff
in die positive Koalitionsfreiheit angesehen.168 In der Literatur und Rechtsprechung
mehren sich die Stimmen, die Zweifel an der Aufrechterhaltung der Rechtsprechung
des BAG bekunden,169 während einige Instanzgerichte sich der Auffassung des BAG
anschließen.170 Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit ist entgegen der Auffassung von
BAG und BVerfG nicht erst dann gegeben, wenn statusrechtlich ein Druck in Rich-
tung Ein- oder Austritt in Verbände ausgeübt, sondern bereits dann, wenn in die
Regelungsfreiheit eingegriffen wird, nach Art. 9 Abs. 3 GG Arbeits- und Wirtschafts-
bedingungen frei bestimmen zu können. Nur wenn ein Eingriff in das Grundrecht
zur Kenntnis genommen wird,171 kann in Abwägung der kollidierenden Grundrechte
von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein
Weg zurück zur Rechtsprechung des BAG zur Gleichstellungsklausel mit einer Siche-
rung des Status quo zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs gefunden werden. Diese
bestünde in einer das Grundrecht der Koalitionsfreiheit respektierenden Auslegung
von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.172 Das BAG hat mittlerweile auf die Kritik reagiert und wie
in der Literatur empfohlen die Frage dem EuGH erneut zur Entscheidung vorgelegt. 173
168 BAG, Urt. v. 23.9.2009 – 4 AZR 331/08, NJW 2010, 1831; BVerfG, Beschl. v. 11.7.2006 – 1 BvL 4/00,
NZA 2007, 42; in Kritik dieser Entscheidung Rieble, NZA 2007, 1.
169 Lobinger, NZA 2013, 945, 946; HWK/Henssler, § 3, Rn 30c; Grobys/Panzer/Panzer-Heemeier, „Be-
zugnahmeklausel“, Rn 35; Löwisch/Rieble, § 3 TVG, Rn 616 ff; Schiefer/Hartmann, BB 2013, 2614; LAG
Saarland, Urt. v. 9.04.2014 – 2 Sa 143/13 unter 2., BeckRS 2014, 69879; Preis/Sagan/Grau/Hartmann
§ 11 Rn 132 ff; LAG Sachsen, Urt. v. 25.7.2014 – 3 Sa 128/14 unter I b (2).
170 LAG Hessen, Urt. v. 10.12.2013 – 8 Sa 537/13, BeckRS 2014, 68584, Rn 115 ff; LAG Brandenburg,
Urt. v. 3.12.2014 – 24 Sa 1126/14; LAG Sachsen, Urt. v. 24.3.2015 – 1 Sa 541/14; Forst, DB 2013, 1847; Heu-
schmid, AuR 2013, 498; Haußmann, ArbRAktuell, 2013, 469; Willemsen/Grau, NJW 2014,12.
171 In diese Richtung in Kritik der EuGH-Entscheidung Jacobs/Frieling EuZW 2013, 737, 739.
172 In diese Richtung Suschet, RdA 2013, 28, 34; im Ansatz auch Lobinger, NZA 2013, 945, 947.
173 BAG, Beschl. v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14, BB 2015, 1651; Lingemann, ArbRAktuell 2015, 304.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 389
Gerade in Fällen des Betriebsübergangs kann es sehr häufig dazu kommen, dass 114
eine arbeitsvertragliche Inbezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag verweist als
auf den Tarifvertrag, der nach einem Betriebsübergang beim Erwerber normativ für
beide Parteien nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB Geltung beansprucht. Dieser Konflikt
zwischen Tarifvertrag und Individualvertrag wird nach § 4 Abs. 3 TVG dahingehend
gelöst, dass kraft des Günstigkeitsprinzips die für den Arbeitnehmer günstigere Rege-
lung gilt.174
Fraglich ist, ob bei der Inbezugnahme eines gesamten Tarifwerks ein individual- 115
rechtlicher Sachgruppenvergleich oder nur ein Gesamtvergleich des einen Tarifwerks
mit dem anderen Tarifwerk stattfinden kann. Der 4. Senat des BAG verfolgt hierbei in
ständiger Rechtsprechung den Weg des „Sachgruppenvergleichs“.175 Danach sind
unterschiedlich lange Arbeitszeiten mit den jeweils entsprechenden Entgeltbestand-
teilen in die Vergleichsbetrachtung einzubeziehen, die als Gegenleistung des Arbeit-
gebers für die zu erbringende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzusehen sind.
Das BAG lehnt damit zum einen eine rein subjektiv auf den Arbeitnehmer abstellende
Betrachtung als auch einen objektiven Gesamtvergleich beider Tarifwerke ab.176 Ver-
glichen werden Regelungsgruppen untereinander, wie z. B. Arbeitszeit und Arbeits-
entgelt, Urlaubsregelungen etc. Das BAG kommt vor diesem Hintergrund letztlich zu
keinen klaren und eindeutigen Ergebnissen und postuliert in Fällen, in denen kein
klares Ergebnis erzielbar ist, den Vorrang des normativ gültigen Tarifvertrags. Dies
wird damit begründet, dass der in Bezug genommene Tarifvertrag nicht normativ,
sondern nur individualrechtlich gelte. Der Tarifvertrag müsse damit aus prinzipiellen
Gründen nicht mehr als Tarifvertrag ausgelegt werden, sondern so, als ob er als Ein-
zelvertrag abgeschrieben worden sei.177
Dem ist entgegenzuhalten, dass der Sachgruppenvergleich in dieser Konstella- 116
tion nicht dem individualrechtlichen Regelungswillen der Parteien entspricht. Diese
wollen mit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme gerade vereinbaren, abweichend
vom normativ geltenden Tarifvertrag einen anderen Tarifvertrag zur Anwendung
zu bringen. Sie wollen damit erreichen, dass ein anderes Tarifwerk im Ganzen zur
Anwendung kommen soll.178 Der Vergleichsmaßstab des Sachgruppenvergleichs
führt je nach Sachgruppe zu unterschiedlichen Ergebnissen. Man kann bei einem
Vergleich zweier Tarifverträge „die Frage der Günstigkeit nicht je nach der Art des
streitigen Anspruchs und des Zeitpunkts der Geltendmachung von Fall zu Fall unter-
174 BAG, Urt. v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364; a. A. von Hoyningen-Huene, RdA 1974, 147
ff; Müller, NZA 1989, 449, 450.
175 BAG, Urt. v. 12.12.2012 – 4 AZR 328/11, NJOZ 2014, 59; BAG Urt. v. 15.4 2015 – 4 AZR 587/13, NZA
2015, 1274.
176 BeckOK ArbR/Giesen, TVG, § 4, Rn. 31–32.
177 Thüsing/Braun/Forst, 7. Kapitel, Rn 42; Dornbusch/Fischermeier/Löwisch/Bayreuther, S.§ 613a
BGB, Rn 76.
178 Zweifelnd an der Rechtsprechung des 4. Senats Bepler, RdA 2009, 65, 75.
Dörring
390 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
179 BAG, Urt. v. 24.9.2008 – 6AZR 76/07, NZA 2009, 154 Rn 27.
180 Löwisch/Rieble, § 4 TVG, Rn 543; Wiedemann/Oetker, § 3, Rn 291; ErfK/Franzen, § 4; a. A. JKOS/
Jacobs, Tarifvertragsrecht, 2. Aufl.2013, § 7 E III.d, Rn 211; Däubler/Bonin/Deinert/Däubler, § 305c,
Rn. 43; Staudinger/Schlosser, § 305c, Rn. 110.
181 ErfK/Franzen, § 4 TVG, Rn 37; Löwisch/Rieble, § 4 TVG, Rn 543.
182 EuGH, Urt. v. 6.9.2011 − C-108/10 (Ivana Scattolon/Ministero dell‘Istruzione, dell‘Università e
della Ricerca), NZA 2011, 1077, Leitsatz 2.
183 ErfK/Preis § 613a BGB Rn 125; PS/Grau/Hartmann § 11 Rn 123.
184 EuGH, Urt. v. 16.7.2009 –C-12/08, AP Nr. 5 zu Richtlinie 98/59/EG– Mono Car Styling Rn 61.
185 Sittard/Flockenhaus, NZA 2012, Rn 652; Winter, RdA 2013, 36, 38; a. A. Steffan, NZA 2012, 473,
475; offenlassend, weil nicht entscheidungserheblich BAG, Urt. v. 12.9.2013 – 6 AZR 512/12, NZA-RR
2014, 154, Rn 46; BAG, Urt. v. 22.5.2014 – 8 AZR 1069/12, NZA 2014, 1335.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 391
des Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern durch einen beim
Erwerber geltenden Tarifvertrag, an den auch der Arbeitnehmer gebunden ist, abge-
löst. Dies gilt auch, wenn dieser schlechtere Bedingungen enthält als der zuvor beim
Veräußerer geltende Tarifvertrag. Auch wenn die tarifvertraglichen Arbeitsbedingun-
gen zunächst nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden
sind und zu einem späteren Zeitpunkt durch einen Tarifvertrag, an den der Erwerber
gebunden ist, abgelöst werden, findet eine Ablösung der alten Tarifvertragsregelun-
gen durch die neuen beim Erwerber geltenden tarifvertraglichen Regelungen statt, da
die jetzt einzelvertraglich geltenden Regelungen aus ablösbaren tariflichen Reglun-
gen stammen.186
Gilt der Tarifvertrag des Veräußerers nur durch eine Bezugnahmeklausel auf ver- 118
traglicher Ebene, so wird er nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnis-
ses und wirkt damit nicht normativ. Er kann somit auch nicht nach § 613a BGB durch
einen anderen Tarifvertrag, der beim Erwerber gilt, abgelöst werden, auch dann
nicht, wenn der Arbeitnehmer durch Gewerkschaftsbeitritt nachträglich an diesen
Tarifvertrag gebunden sein sollte.187
Wurde beim Veräußerer mit dem Arbeitnehmer eine große dynamische Tarif- 119
wechselklausel vereinbart, so handelt es sich um eine Vereinbarung im Sinne des
§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB. Danach können Arbeitnehmer und Arbeitgeber bereits vor
Ablauf der Jahresfrist nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB die Rechte und Pflichten aus
einem normativ geltenden Tarifvertrag beim Veräußerer ändern, wenn der Tarifver-
trag nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifbindung im Geltungsbe-
reich eines anderen Tarifvertrags, dessen Anwendung zwischen Inhaber und Arbeit-
nehmer vereinbart wird. Der Abschluss der Vereinbarung muss nicht zeitlich nach
dem Betriebsübergang erfolgen. Er kann bereits vor einem Betriebsübergang getrof-
fen worden sein, wenn durch die Vereinbarung eine Ablösung der transformierten
Tarifnorm auch bezweckt wurde.188
Dörring
392 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
bedingten Gründen nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und kommt nur dann
in Betracht, wenn sie auf Grundlage eines umfassenden Sanierungskonzepts das
einzige Mittel ist, um eine Entstehung weiterer, betrieblicher nicht mehr auffangbarer
Verluste zu verhindern, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar
zu einer Schließung des Betriebs führen würden.190 Giesen vertritt die Auffassung,
dass der Ausspruch einer betriebsbedingten Änderungskündigung sozial gerechtfer-
tigt sei, wenn durch die Kündigung eine Gleichstellung mit tarifgebundenen Arbeit-
nehmern hergestellt werden soll.191 Dieser Zweck erfüllt die hohen Anforderungen an
den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung nicht und kommt daher nicht in
Betracht.192
12. Tarifeinheitsgesetz
121 Zum 10.7.2015 ist das Tarifeinheitsgesetz in Kraft getreten. Nach der Neuregelung des
§ 4a Abs. 2 TVG soll in Zukunft nur noch der Tarifvertrag im Betrieb „anwendbar“
sein an den die Mehrheit der Arbeitnehmer gebunden ist. Das Gesetz ist verfas-
sungsrechtlich äußerst umstritten193 und Gegenstand mehrere Klageverfahren vor
dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verletzung
der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 9 Abs. 3 GG für möglich erachtet. Es
hat allerdings mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem
Hintergrund zurückgewiesen, dass es bis Ende 2016 in der Hauptsache entscheiden
wird und die Beschwerdeführer nicht dargelegt haben, dass es bis zu diesem Zeit-
190 BAG, Urt. v. 27.9.2001 – 2 AZR 236/00, NZA 2002, 750; Reiserer/Powietzka, BB 2006, 1109.
191 Giesen, NZA 2006, 625, 631.
192 Möller, NZA 2006, 579; Preis, NZA 2010, 361, 364.
193 für die Verfassungsmäßigkeit Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, § 4a TVG Rn 9; Giesen/Kers-
ten, ZfA 2015, 201; Hufen, NZA 2014, 1237; Kempen, AuR 2011, 51; Papier/Krönke, ZfA 2011, 807; Scholz,
ZfA Sonderdruck aus Heft 4/2010; Scholz/Lingemann/Ruttloff, NZA-Beil. 2015, 3; Waas, AuR 2011, 93;
Bauer, DB 2014, 2715; Hromadka, NZA 2014, 1105; Wolf, SAE 1/2015, III; dagegen Bayreuther, NZA 2013,
1395; Bepler, Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentags, 2014, B 95; Däubler, Gutachten zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Tarifeinheitsgesetz, 2015; Däubler/Bepler, H, Rn 249, 250;
Dieterich, AuR 2011, 46 und NZA-Beil. 2011, Seite 84; Di Fabio, Gesetzlich auferlegte Tarifeinheit als
Verfassungsproblem, 2014; Fischer, NZA 2015, 662; Gaul, ArbRB 2015, 15; Greiner, NZA 2010, 743; Grei-
ner, NZA 2015, 769; Konzen/Schliemann, RdA 2015, 1; und Konzen, JZ 2010, 1036; Lehmann, BB 2015,
2229 [2232], BB 2015, 2293, [2303]; ErfK/Linsenmaier, Art. 9 GG Rn. 68 a; Löwisch, BB Die erste S. 2014,
Nr. 48; Mückl/Koddenbrock, GWR 2015, 6; Preis, Der Preis der Koalitionsfreiheit, 2014; Reichold,
Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines von BDA und DGB geplanten „Gesetzes zum Erhalt
der Tarifeinheit“, 2010; Richardi, NZA 2015, 915; Rieble/v. der Ehe, Verfassungsmäßigkeit eines Ge-
setzes zur Regelung der Tarifeinheit, 2010; Schliemann, NZA 2014, 1250; Hölscher, ArbRAktuell 2015,
7; Rüthers, ZRP 2015, 2; von Steinau-Steinrück/Reiter, Personalführung 2015, 38 [42]; vgl. auch die
Bedenken des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags WD 6-3000-255/14 – und in der
Rechtsprechung, vgl. BAGE 135, 80 = NZA 2010, 1068 = NJW 2011, 333 Ls. Rn. 54 ff. mwN; NZA 2010, 645
Rn. 75 ff.; dazu Schliemann, FS Hromadka, 2008, S. 359 [362 f.]; ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 71.
Dörring
E. Bezugnahme auf Tarifvertrag 393
punkt zu so gravierenden und schwer revidierbaren Nachteilen für sie kommen wird,
die eine Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren unabdingbar machen
würden.194
Sollte das Gesetz die verfassungsrechtliche Prüfung bestehen und in Kraft 122
bleiben, sollte man bei der Inbezugnahme wie oben ausgeführt darauf achten, dass
in der Regel der in Anlehnung an die gesetzliche Regelung normativ geltende Tarif-
vertrag in Bezug genommen wird.
Aus der Gesetzesformulierung, dass Minderheitstarifverträge neben dem Mehr- 123
heitstarifvertrag nicht mehr „anwendbar“ seien wird teilweise gefolgert, dass auch
eine vertragliche Inbezugnahme des Minderheitentarifvertrages unzulässig sei.195
Dem kann nicht gefolgt werden. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich kein
Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber hier direkt in das Grundrecht auf Vertrags-
freiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG eingreife wollte. Will der Arbeitgeber also entgegen der
Gesetzesintention den Minderheitentarifvertrag weiter in Bezug nehmen, so kann er
dies jederzeit tun.196 Zulässig ist es auch, dass der Arbeitgeber eine tarifvertragliche
Verpflichtung mit der Minderheitsgewerkschaft dergestalt vereinbart allen Arbeitneh-
mern der Minderheitsgewerkschaft über eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklau-
sel einzelvertraglich die Anwendung des tarifrechtlich normativ nicht anwendbaren
Tarifvertrages zuzusagen.197 Eine solche Vereinbarung entfaltet als Durchführungs-
bestimmung zum Tarifvertrag nur schuldrechtliche Wirkung zwischen den Tarif-
vertragsparteien. Sie wirkt nicht normativ und stellt damit auch keine tarifrechtlich
unwirksame Abbedingung oder Umgehung der gesetzlichen Kollisionsregel des § 4a
Abs. 2 TVG dar.198 Der Druck der Minderheitsgewerkschaft auf den Arbeitgeber, eine
solche Regelung zu praktizieren, dürfte sich verstärken. Für Gewerkschaften hat die
Anwendung des von ihnen ausgehandelten Tarifvertrages existentielle Bedeutung,
da kaum Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft bleiben dürften, die keine wirk-
samen Tarifverträge auszuhandeln vermag. Eine solche schuldrechtliche Verpflich-
tung ist auch erstreikbar.199
Neben dem Modell einer vertraglichen Inbezugnahme des Minderheitentarifver- 124
trages kann die Minderheitsgewerkschaft auch auf den Abschluss eines „schuldrecht-
lichen Normenvertrages“ abzielen, welcher ein zulässiges Gestaltungsmittel darstellt,
wenn er nicht als „Tarifvertrag“ bezeichnet wird.200 Das zeitlich nach dem Grundge-
194 BVerfG, Beschl. v. 6.10.2015 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15, NZA 2015, 1271.
195 Fischer, NZA 2015, 665, 666.
196 Greiner, NZA 2015, 769, 775; Däubler/Bepler, F, Rn 176.
197 Greiner, NZA 2015, 669, 775, 778; Richardi NZA 2014, 1233, 1235; Richardi NZA 2015, 915, 916;
Mückl, Koddenbrock, GWR 2015, 6, 10; Däubler/Bepler, F, Rn 176.
198 Greiner, NZA 2015, 669, 775, 778.
199 Däubler/Bepler, Rn 198. Däubler/Däubler, Einl. Rn 872; ErfK/Linsenmeier, Art 9 GG Rn 119; L
öwisch/
Rieble, Grundlagen Rn 448 und § 1 Rn 1017; a. A. Greiner NZA 2006, 1274, 1277 und NZA 2015, 769, 777.
200 Lehmann BB 2015, 2229, 2234.
Dörring
394 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
201 Lehmann, BB 2015, 2229, 2234; Löwisch, Tarifeinheit und due Auswirkungen auf das Streikrecht,
DB 2015, 1102 f.
202 BVerG, Beschl. v. 6.10.2015 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15, NZA 2015, 1271;Löwisch,
NZA 2015, 1369.
203 So aber Lehmann, BB 2015, 2293, 2298, 1. Beispiel
204 Lehmann, BB 2015, 2295, 2300.
205 BAG, Urt. v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154.
Dörring
F. Betriebsvereinbarung 395
F. B
etriebsvereinbarung
Nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG wirken Betriebsvereinbarungen auf alle Arbeitsverhält- 128
nisse von Arbeitnehmern im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn im Unterschied zu
Tarifverträgen kraft Gesetzes normativ. Vor diesem Hintergrund wird es allgemein
für überflüssig angesehen in Arbeitsverträgen mit normalen Arbeitnehmern Bezug-
nahmeklauseln auf eine oder mehrere Betriebsvereinbarungen abzuschließen.206
Einer Betriebsvereinbarung wird in einer solchen Konstellation nur deklaratorische,
keine konstitutive Bedeutung zukommen.207
Dem kann nicht in dieser Allgemeinheit gefolgt werden. Eine konstitutive Bezug- 129
nahme in einem Arbeitsvertrag kann dann Sinn machen, wenn eine Betriebsverein-
barung betriebsbezogen außerhalb ihres Regelungsbereiches Mitarbeiter anderer
Betriebe, vom personellen Geltungsbereich leitende Angestellte oder über beste-
hende Arbeitsverhältnisse hinaus Rentner erfassen soll.
Zuvor sollte man sich allerdings Gedanken machen, für welchen Zweck und in 130
welcher Form eine Bezugnahme auf eine Betriebsvereinbarung notwendig ist. Wird
eine bestimmte Regelung einer Gesamtbetriebsvereinbarung in einem Arbeitsver-
trag in Bezug genommen und geregelt, dass sich die hieraus ergebende Zahlung vom
Arbeitgeber geleistet wird, so ist eine solche Bezugnahme als konstitutive Verpflich-
tung zur Zahlung der Leistung unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen der
Betriebsvereinbarung zu verstehen.208 Sie entfaltet in diesen Fällen auch noch dann
Wirkung, wenn die Betriebsvereinbarung selbst nicht mehr besteht und kann nur
noch im Wege einer betriebsbedingten Änderungskündigung beendet werden, wofür
die Voraussetzungen in der Regel nicht gegeben sein werden.
Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen unterliegen nicht nach § 310 131
Abs. 4 Satz 1 BGB der AGB-Kontrolle,209 gleichgültig, ob es sich um Betriebsvereinba-
rungen in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten oder um freiwillige Betriebs-
vereinbarungen nach § 88 BetrVG handelt.210 Die bisherige Überprüfung von Betriebs-
vereinbarungen am Maßstab des § 75 Abs. 1 BetrVG, wonach Personen im Betrieb
nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln sind, bleibt hiervon
ausgenommen.211
Dörring
396 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Dörring
F. Betriebsvereinbarung 397
220 Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 35. EL 2014, „Arbeitsver-
träge“, Rn 224.
221 BAG, Urt. v. 30.1.1970 – 3 AZR 44/68, NJW 1970, 1620.
222 BAG, Urt. v. 30.1.1970 – 3 AZR 44/68, NJW 1970, 1620.
223 BAG, Urt. v. 20.11.1987 – 2 AZR 284/86, NZA 1988, 617; Richardi, NZA 1988, 185; Grobys/Panzer/
Panzer Heemeier, „Bezugnahmeklausel“, Rn 41.
224 Preis II O 10, Rn 5 m.w. Nachweis.
225 Däubler/Bonin/Deinert/Däubler, § 310, Rn 55.
Dörring
398 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Dörring
F. Betriebsvereinbarung 399
kaum davon gesprochen werden kann, dass die Regelung zweifelsfrei betriebsver-
einbarungsoffen sein soll. Auch das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
verlangt in seiner Ausprägung als Bestimmtheitsgebot, dass die Voraussetzungen
und der Umfang eines Änderungsrechts deutlich benannt werden, damit der Arbeit-
nehmer erkennen kann, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“.229 Die Entscheidung
wurde daher in der Literatur unterschiedlich aufgenommen. Die Vertreter des Ord-
nungsprinzips sahen sich in ihrer Grundauffassung bestätigt, dass Vertragsbedin-
gungen durch kollektivrechtliche Regelungen abgelöst werden können und glauben,
dass ein grundsätzlicher Kurswechsel des BAG eingeleitet sei.230 Die Entscheidung
des ersten Senats vom 5.3.2013 steht hier im Widerspruch zur Entscheidung des 10.
Senats.231 Dieser hatte darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber, der eine Sonderzah-
lung unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung stellen will, diesen
Vorbehalt ebenso wie einen Widerrufs- oder Freiwilligkeitsvorbehalt ausdrücklich
erklären muss, um dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zu genügen.
Bringt der Arbeitgeber die „betriebsvereinbarungsoffene“ Gestaltung nicht klar zum
Ausdruck, so kann dies ein durchschnittlich verständiger Arbeitnehmer nicht erken-
nen.232
Der 1. Senat des BAG hat in dieser Auseinandersetzung um die Möglichkeit einer 143
verschlechternden Ablösung einer Individualabrede durch Betriebsvereinbarung ein
unnötiges obiter dictum gefällt, das zur Entscheidung des Sachverhalts überflüssig
war, weil eine Individualabrede als Ablösungsgegenstand eigentlich nicht vorhanden
war. Der Schluss des 1.Senats, dass bei einer Verwendung von Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen der Arbeitnehmer immer davon ausgehen kann, dass der Arbeitgeber
die Arbeitsbedingungen vereinheitlichen will und sich daher vorbehält, dies durch
ablösende Betriebsvereinbarungen umzusetzen, verstößt gegen das Auslegungsgebot
des § 305c Abs. 2 BGB und das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.233 Ein
Teil der Stimmen der Literatur schließt sich dieser bewussten Kehrtwende des ersten
Senats an und begrüßt sie.234 Ein anderer Teil geht davon aus, dass der Gesetzgeber
dem Betriebsrat mit der Einräumung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates
wie z. B. über § 87 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 10 BetrVG, zugleich die Wertung verbunden habe,
dass in diesen Angelegenheiten die kollektivrechtliche Regelung durch einzelver-
tragliche Regelung nicht konterkariert werden dürfe, also in diesen Fällen ablösende
Dörring
400 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Klauselmuster
Später in Kraft tretende Betriebsvereinbarungen (Dienstvereinbarungen), die einzelvertragliche Re-
gelungen dieses Arbeitsvertrages abweichend regeln, gehen den Vereinbarungen dieses Arbeitsver-
trages vor. Dies gilt auch dann, wenn sie ungünstiger für den Arbeitnehmer sind.
Praxistipp
Es ist davor zu warnen Klauselgestaltungen zu wählen, in welchen vereinbart wird, dass auch bereits
bestehende Betriebsvereinbarungen den im Arbeitsvertrag getroffenen einzelvertraglichen Verein-
barungen vorgehen. Soweit diese Einzelvertragsabrede ausgehandelt wurde, hat diese nach § 305b
BGB Vorrang. Der Arbeitgeber kann sich wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire
contra factum proprium) auf entgegenstehende Klauseln nicht berufen.
145 Der Arbeitgeber verweist in Arbeitsverträgen häufig auf einseitig von ihm erlassene
Arbeitsordnungen, insbesondere, wenn es sich um betriebsratslose Betriebe handelt.
Dies dient der Sicherstellung einheitlicher Arbeitsbedingungen. Wird auf eine
bestimmte Arbeitsordnung verwiesen, die im Betrieb bekannt gemacht wurde, so ist
dies unproblematisch möglich. Eine solche Klausel verstößt regelmäßig nicht gegen
das Überraschungsverbot nach § 305c Abs. 1 BGB und hält einer Transparenzkontrolle
nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB stand, wenn sie entsprechend hervorgehoben im Ver-
tragstext deutlich gemacht wird.
146 Problematisch sind solche Klauseln immer dann, wenn auf die Arbeitsordnung
in der jeweiligen Form verwiesen wird, weil der Arbeitgeber sich in einem solchen
Fall die Möglichkeit verschafft, die Arbeitsordnung ohne jegliche Schranken jederzeit
auch zu Lasten der Arbeitnehmer abändern zu können und das sonst im Privatrecht
Dörring
H. Jeweiligkeitsklausel 401
Klauselmuster
Auf das Arbeitsverhältnis findet die Arbeitsordnung der … GmbH in ihrer Fassung vom … Anwendung,
die dem Vertrag beigefügt ist.
Praxistipp
Sollten Bezugnahmeklauseln auf einseitige Regelungswerke des Arbeitgebers vorhanden sein, so
sollten diese sofort durch Änderungsvereinbarungen auf den oben genannten Inhalt geändert wer-
den. Das BAG hat darauf hingewiesen, dass im Rechtsstreit diese Klauseln keinen Bestand haben
und auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung auf einen rechtlich statischen Inhalt korrigiert
werden können.241
H. J eweiligkeitsklausel
I. E
inleitung
Jeweiligkeitsklauseln sind im Arbeitsrecht weit verbreitet. Sie dienen in erster Linie 148
dazu, bestimmte Leistungen, die aktiven Arbeitnehmern erbracht werden, in gleicher
Form auch Betriebsrentnern zu erbringen. Sie haben eine besondere Bedeutung im
Betriebsrentenrecht, wenn es darum geht, bestimmte betriebliche Versorgungsord-
nungen für die Zukunft abänderbar gestalten zu können.
238 Preis, NZA 2010, 361, 361; ErfK/Preis, § 305 – 310, Rn 27; Stoffels, Anh. zu § 310, Rn 45; Däubler/
Bonin/Deinert/Deiner, § 305, Rn 45; Preis/Preis, II J 10, Rn 4; Lakies Rn 130.
239 BAG, Urt. v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428.
240 BAG, Urt. v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428, Rn 25.
241 BAG, Urt. v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428.
Dörring
402 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
II. A
llgemeine Jeweiligkeitsklauseln
III. Betriebsrentenrecht
151 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sind immer dann gegeben, wenn aus
Anlass des Arbeitsverhältnisses die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG genannten biometri-
schen Risiken des Alters, der Invalidität oder der Hinterbliebenenversorgung durch
Leistungen des Arbeitgebers gesichert werden. Hierbei kommt es nicht auf die Zweck-
setzung durch den Arbeitgeber an oder darauf, ob gleiche Leistungen auch an aktive
Arbeitnehmer erbracht werden, sondern darauf, ob die Leistungen Teil der Gesamt-
versorgungsleistung sind.246
152 Betriebsrentenansprüche werden durch einseitige Leistungszusagen des Arbeit-
gebers, durch Verweis auf Versorgungsregelungen Dritter, Betriebsvereinbarungen
oder Tarifverträge geregelt. Systeme der betrieblichen Altersversorgung haben übli-
cherweise eine sehr lange Laufzeit und müssen periodisch an sich ändernde arbeits-,
steuer- und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen, hinsichtlich der
Leistung an unterschiedliche Bezugsberechtigte (Lebenspartnerschaftsgesetz) und
242 BAG, Urt. v. 10.2.2009 – 3 AZR, 653/07, NZA 2009, 796, Rn 16; Schaub/Vogelsang, § 85 XIII, Rn 356.
243 BAG, Urt. v. 12.12.2006 – 3 AZR 476/05, RdA 2008, 116.
244 BAG, Urt. v. 10.2.2009 – 3 AZR, 653/07, NZA 2009, 796.
245 BAG, Urt. v. 13.5.1997 – 1 AZR 75/97, NZA 1998, 160; BAG, Urt. v. 10.2.2009 – 3 AZR 653/07, NZA
2009, 796.
246 BAG, Urt. v. 18.2.2003 – 3 AZR 81/02, NZA 2004, 98; BAG, Urt. v. 12.12.2006 – 3 AZR 476/05, RdA
2008, 1165.
Dörring
H. Jeweiligkeitsklausel 403
Dörring
404 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Klauselmuster
Dem Arbeitnehmer werden Ansprüche aus der Versorgungsordnung der … GmbH in ihrer jeweils gül-
tigen Fassung zugesagt. Änderungen der Versorgungsordnung, deren Ergänzung oder Beendigung
durch Betriebsvereinbarung oder Tarifverträge sind im Rahmen der von der Rechtsprechung aner-
kannten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes möglich. Sie gelten für
beide Parteien auch nach Ablösung des Arbeitsverhältnisses fort, soweit rechtswirksame Ansprüche
erworben worden sind.
158 Der Arbeitnehmer hat nach § 1a BetrAVG gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch
darauf, dass künftiges Entgelt in Höhe von bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze
zum Erwerb von Ansprüchen aus einer betrieblichen Altersversorgung im Wege der
Entgeltumwandlung verwendet wird. Der Arbeitgeber kann den Durchführungsweg
einseitig festlegen und hat bei bestehendem Betriebsrat die Mitbestimmungsrechte
des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu achten. Der Arbeitgeber ist nicht
verpflichtet, den Arbeitnehmer auf seinen Anspruch auf Entgeltumwandlung hin-
zuweisen.255 Der Arbeitgeber ist aber zur Anbietung eines Durchführungsweges der
betrieblichen Altersversorgung verpflichtet und sollte den Arbeitnehmer hierauf im
Rahmen seiner Fürsorgepflicht immer hinweisen.
Klauselmuster
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch nach § 1a BetrAVG auf Umwandlung seines Bruttoentgelts in
eine betriebliche Altersversorgung in Höhe von bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze der deut-
schen Rentenversicherung im Wege der Entgeltumwandlung. Die betriebliche Altersversorgung wird
über die … Versicherung (Direktversicherung iSd § 1b Abs. 2 BetrAVG) nach den AGB der Versicherung
durchgeführt. Er kann die Höhe und die Art der Entgeltumwandlung bis zum Ende eines Jahres für das
Folgejahr durch schriftliche Mitteilung gegenüber dem Arbeitgeber festlegen oder ändern.
253 BAG, Urt. v. 12.2.2013 – 3 AZR 414/12, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 61; BAG, Urt. v. 12.2.2013 – 3
AZR 636/10, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 62.
254 Blomeyer/Rolfs/Otto/Rolfs, Anhang § 1 BetrAVG, Rn 485a und 485b.
255 BAG, Urt. v. 21.1.2014 – 3 AZR 807/11, NJW 2014, 1982.
Dörring
I. Bezugnahme auf Beamtenrecht 405
Das Vertragsverhältnis im öffentlichen Dienst orientiert sich sehr häufig an den beam- 159
tenrechtlichen Regelungen. Teilweise haben die Tarifvertragsparteien sich in der Ver-
gangenheit einer eigenständigen Regelung enthalten und auf die jeweiligen beamten-
rechtlichen Regelungen verwiesen. Im Vertragsrecht des öffentlichen Dienstes finden
sich zur Regelung der Höhe der Vergütung256, der Festlegung der Arbeitszeit,257der
Urlaubsdauer, der Höhe des Urlaubsgeldes258 oder der Versorgung259 Verweise
auf entsprechende beamtenrechtliche Regelungen. Die aufgeführten Regelungsge-
genstände betreffen in den aufgeführten Sachverhalten Hauptleistungspflichten im
Arbeitsverhältnis.
Bei diesen Bezugnahmeklauseln handelt es sich regelmäßig um Allgemeine 160
Geschäftsbedingungen, auf welche die § 305 ff. BGB anwendbar sind. Bei einer
Bezugnahme auf Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis unterliegen
diese keiner Inhaltskontrolle nach § 307 ff. BGB nach dem Recht der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen. „Die aus dem Grundsatz der Privatautonomie folgende Kon-
trollsperre greift hier in gleicher Weise wie bei einer Preisbezifferung in allgemeinen
Geschäftsbedingungen, weil auch die vertragliche Festlegung preisbildender Fakto-
ren zum Kernbereich autonomer Vertragsgestaltung zähle und es nicht Aufgabe des
Zivilrichters sein kann, vertraglich festgelegte Bewertungs- und Preisfindungsmaß-
stäbe darauf zu überprüfen, ob sie zu einem „angemessenen“ Preis führen.“260
Verweisungen auf beamtenrechtliche Regelungen sind im öffentlichen Dienst 161
eine Besonderheit des Arbeitsrechts nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB.261 Sie sind weder
überraschend (§ 305c BGB) noch verstoßen sie gegen das Transparenzgebot des § 307
Abs. 1 Satz 2 BGB.262 Auch wenn sie dynamisch auf die entsprechenden Regelungen
des Beamtenrechts verweisen, entsprechen sie der üblichen Regelungstechnik und
dienen den Interessen beider Parteien, da sie das Arbeitsverhältnis auf die Zukunft
ausrichten.263 Bei einer Bezugnahme auf das Versorgungsrecht der Beamten ist es
unerheblich, wenn eine Verweisung auf das Beamtenversorgungsrecht auch weitere
Ausgestaltungen umfasst, die das Hauptleistungsrecht modifizieren. Da die Klauseln
nicht in einen Teil aufgespalten werden können, der die Hauptleistungspflicht regelt
Dörring
406 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
und in einen anderen Teil, der diese modifiziert, ist die Bezugnahmeklausel insge-
samt der Inhaltskontrolle entzogen.264 Der Verweis auf die jeweilige Beamtenversor-
gung enthält auch keinen Änderungsvorbehalt nach § 308 Nr. 4 BGB, da die Höhe der
Versorgung nicht von den Parteien, auch nicht von dem Arbeitgeber, sondern durch
Gesetz geregelt wird.265
J. K
irchenrecht
I. E
inleitung
264 BAG, Urt. v. 30.11.2010 – 3 AZR 798/08, NZA-RR 2011, 55, Rn 27 unter Aufgabe der älteren Recht-
sprechung BAG, Urt. v. 21.4.2009 – 3 AZR 285/07, NZA-RR 2010, 68.
265 BAG, Urt. v. 30.11.2010 – 3 AZR 798/08, NZA-RR 2011, 55, Rn 28.
266 Focus, 20.11.2014; Schaub/Linck, § 185 II, Rn 6.
267 BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387.
268 Vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 20013, 448, Rn 99.
269 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437.
270 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437, Rn 37 m. w. N.; BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR
179/11, NZA 2013, 448; ErfK/Schmidt, Art 4 GG, Rn 51.
Dörring
J. Kirchenrecht 407
Die Kirchen gehen in ihrem Selbstverständnis von einer „Dienstgemeinschaft“ zwi- 164
schen Kirche als Arbeitgeber und den Arbeitnehmern aus. Sie vertreten als Grundge-
danken die gemeinsam getragene Verantwortung aller im kirchlichen Dienst Tätigen,
unabhängig davon, ob sie „als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, leitend oder unter-
geordnet, verkündungsnah oder unterstützend – für den Auftrag der Kirche“ tätig
sind.271 Diese Ansicht tendiert dazu, bestehende Interessengegensätze zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch das Postulat eines gemeinsamen höheren Auf-
trages zu negieren. Gerade im karitativen Bereich der Kirche ist es in Folge der Kos-
teneinsparungen im Gesundheitsbereich zu drastischen Personalkosteneinsparun-
gen gekommen. Die Auseinandersetzungen um die Vergütung im Erziehungsbereich
zeigen sehr deutlich, dass es Interessengegensätze gibt, die nicht zu negieren sind.
Der Wettbewerbsdruck zwischen sozialen und karitativen Einrichtungen hat erheb-
lich zugenommen.272 Die katholische, wie auch die evangelische Kirche schließen
Streiks als Mittel der Durchsetzungen von Forderungen aus. Den Kirchen ist nach
Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV das Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der
für alle geltenden Gesetze eingeräumt. Dieses umfasst auch das Recht auf Koaliti-
onsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG. Eine von der Kirche verfolgte sozialpartnerschaft-
liche Konfliktlösung ohne Streiks ist damit grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Das
Streikrecht der Gewerkschaften ist ausgeschlossen, wenn stattdessen eine Kon-
fliktlösung über einen unparteiischen Schlichter unter organisatorischer Einbindung
der Gewerkschaften in einem fairen auf Ausgleich der Interessen ausgerichteten Ver-
fahren erfolgt und das Verhandlungsergebnis für beide Seiten verbindlich ist, ohne
dass das Ergebnis durch den Arbeitgeber abänderbar ist.273 Einzelne Gewerkschaften
haben gegen die Entscheidungen des BAG wegen des Ausschlusses des Streikrechts
bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt.274 In einer Sache wurde die Verfassungsbe-
schwerde als unzulässig abgewiesen. Die Beschwerde führende Gewerkschaft hatte
vor dem BAG Recht erhalten, fühlte sich allerdings durch die Entscheidungsgründe
des BAG275 durch den Ausschluss des Streikrechts im Dritten Weg unter den vom BAG
festgestellten Bedingungen in ihrem Recht auf Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3
271 BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387, Rn 42; Art. 1 Grundordnung des
kirchlichen Dienstes im Rahmen der kirchlichen Arbeitsverhältnisse v. 27.04.2015 der katholischen
Kirche; § 2der Richtlinien der Evangelischen Kirche in Deutschland nach Art. 9 Buchst. B Grundord-
nung v. 1.7.2005.
272 krit. Reichhold NZA 2013, 585, 586; vgl. hierzu Richardi, § 4 II.3., Rn 19.
273 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448, Rn 119; in diese Richtung auch Rehm, NZA
2011, 1211.
274 Aktenzeichen 2 BvR 2274/13, 2 BvR 2292/13 (http://www.Bundesverfassungsgericht.de/organisa-
tion; hier unter Verfahren, Entscheidungen 2015)
275 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448.
Dörring
408 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
GG verletzt. Das BVerfG begründete seine Entscheidung zutreffend damit, dass sich
eine Beschwer zur Begründung einer Verfassungsbeschwerde normalerweise nur
aus dem Tenor der Entscheidung, nicht aus der Urteilsbegründung ergeben könne.
Nur wenn eine angegriffen Vorschrift auf die Rechtstellung des Beschwerdeführers
aktuell unmittelbar einwirke und das Gesetz die Normadressaten mit Blick auf seine
eintretende Wirkung zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwinge
oder in seiner Rechtsstellung in Zukunft treffen wird, sei eine Verfassungsbeschwerde
ausnahmsweise zulässig. Dies wurde vom BVerfG nicht gesehen und auf die umfas-
senden laufenden Änderungen im Kirchenrecht verwiesen. 276
165 Bei den Arbeitsvertragsrichtlinien handelt es sich um kollektivrechtliche Rah-
menbedingungen zur Regelung der Begründung, des Inhalts und der Beendigung
der Arbeitsverhältnisse. Sie werden von paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern zusammengesetzten arbeitsrechtlichen Kommissionen auf der Grundlage
kirchenrechtlicher Regelungen in Kraft gesetzt.277 Unstrittig ist, dass es sich bei den
Arbeitsvertragsrichtlinien um keine Tarifverträge handelt, da sie nicht auf dem im
Tarifvertragsgesetz vorgegebenen Weg zwischen Koalitionen vereinbart werden.
166 Die Arbeitsvertragsrichtlinien entfalten somit auch keine normative Wirkung
wie Tarifverträge278, ihnen kann auch kirchenrechtlich keine normative Wirkung ver-
liehen werden.279 Sie können daher nur durch eine Inbezugnahme zur Grundlage
des Arbeitsverhältnisses werden. Da sie nur über die Inbezugnahme rechtswirksam
werden, wirken sie immer konstitutiv.280
III. Geltungsbereich
167 Die Selbstverwaltungsgarantie kommt nicht nur der verfassten Kirche und deren
selbständigen Teilen zugute, sondern allen Einrichtungen der Kirche, unabhängig von
der Rechtsform, in der sie betrieben werden. Auch von der Kirche getragene karita-
tive oder erzieherische Einrichtungen sind hiervon erfasst281 und werden deshalb
nach § 118 Abs. 2 BetrVG (§ 130 BetrVG für die verfasste Kirche als Körperschaft des
öffentlichen Rechts) auch aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsge-
setzes und nach § 112 BPersVG bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Regelun-
276 BVerfG, Beschl. v. 15.7.2015 – 2 BvR 2292/13, NZA 2015, 1117, 1118, 1121 Rn 75 ff.
277 Schaub/Linck, § 185 II., Rn 7; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 14 Rn 4, 13.
278 BAG, Urt. v. 19.4.2012 – 6 AZR 677/10, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 69.
279 BAG, Urt. v. 16.2.2012 − 6 AZR 573/10, NZA 2012, 1054, Rn 17; BAG, Urt. v. 24.6.2014 – 1 AZR 1044/12,
BeckRS 2014, 73230; a. A. Richardi, § 15, Rn 68 ff.
280 BAG, Urt. v. 22.2.2012 – 4 AZR 24/10, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 109.
281 BVerfG, Beschl. v. 25.3.1980 – 2 BvR 208/76, NJW 1980, 1895; BVerfG, Beschl. v. 4.6.1985 – 2 BvR
1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, NJW 1986,367; BVerfG, Beschl. v. 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, NZA
2014, 1387, Rn 92.
Dörring
J. Kirchenrecht 409
Die Inbezugnahme der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) erfolgt in der Regel durch 168
eine dynamische Verweisung wie folgt:
Klauselmuster
Für die Rechte und Pflichten gegenüber der Stiftung … gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) in
Anstalten und Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk – Innere Mission und Hilfswerk – der evan-
gelischen Kirche in Deutschland angeschlossen sind, in der jeweiligen Fassung.
Dörring
410 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
288 BAG, Urt. v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154, Rn 31; BAG, Urt. v. 10.12.2008 – 4 AZR 801/07,
NZA-RR 2010, 7; BAG, Urt. v. 24.9.2008 – 6 AZR 76/07, NZA 2009, 154; Wiedemann/Oetker, § 3 TVG, Rn
294; Däubler/Bonin/Deinert/Däubler, § 305c, Rn 44; Schaub/Linck, § 32, Rn 47a; Thüsing/Lambrich,
NZA 2002, 1361, 1364; Diehn, NZA 2004, 129, 134 f.
289 BAG, Urt. v. 14.1.2004 – 4 AZR 10/03, NJOZ 2004, 3643, III.
290 BAG, Urt. v. 18.11.2009 – 4 AZR 493/08, NJOZ 2009, 1303, Rn 21b.
Dörring
J. Kirchenrecht 411
291 zuletzt BAG, Urt. v. 19.8.2008 – 3 AZR 383/06, NZA 2009, 1275, Rn 39 ff; BAG, Urt. v. 10.12.2008 – 4
AZR 801/07, NZA-RR 2009, 7 Rn 58 ff; BAG, Urt. v. 18.11.2009 – 4 AZR 493/08, NJOZ 2010,1303 Rn 37.
292 von Hoyningen-Huene/van Endern, Anm. zu AP § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 2c.
293 Thüsing, Anmerkung zu BAG, Urt. v. 17.04.1996 – 10 AZR 558/95, AP BGB § 611 Kirchendienst
Nr. 24, III.1.; Hoyningen-Huene/van Endern, Anm. zu AP § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 4a.
294 Staudinger, Rieble, § 317 BGB, Rn 31; Soergel/Wolf, § 317 BGB, Rn 5.
295 BAG, Urt. v. 24.6.2014 – 1 AZR 1044/12, Rn 19.
Dörring
412 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
177 Anders als Tarifverträge sind die Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen als
Bezugnahmeobjekte nicht nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB von einer Inhaltskontrolle
nach den §§ 307 ff BGB kraft Gesetzes ausgenommen. In der Vergangenheit hat das
BAG die Auffassung vertreten, dass eine Inhaltskontrolle in Bezug genommener
Arbeitsvertragsrichtlinien dann unterbleiben kann, wenn die Arbeitsvertragsricht-
linien tarifvertragliche Regelungen des öffentlichen Dienstes ganz oder mit deren
wesentlichen Inhalt übernehmen.296 Dies wurde von einem Teil der Literatur darauf
gestützt, dass bei der Prüfung, ob die Arbeitsvertragsrichtlinien angemessen nach
§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind, diese als arbeitsrechtliche Besonderheit nach § 310 Abs. 4
Satz 2 BGB als angemessene Regelung anerkannt wurden.297 Ein anderer Teil der Lite-
ratur begründete dies mit der Selbstverwaltungsgarantie der Religionsgemeinschaf-
ten nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV und über den Gleichbehandlungs-
grundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG mit einer erweiternden Auslegung von § 310 Abs. 4
Satz 1 BGB.298 Diese Ansicht ist abzulehnen, da dem Gesetzgeber sehr wohl bewusst
war, dass es die Arbeitsvertragsrichtlinien als kollektivrechtliche Reglungen eigener
Art gibt und er bewusst davon Abstand genommen hat, sie wie Tarifverträge von einer
Inhaltskontrolle nach dem AGB – Recht auszunehmen.299 Der Gesetzgeber hat auch
bewusst bei bestimmten arbeitsrechtlichen Regelungen den Tarifvertragsparteien die
Möglichkeit einer Änderung gegeben, welche den paritätischen Kommissionen der
Kirchen nicht eingeräumt wird.300
178 Das BAG hat mittlerweile mit der Entscheidung des 6. Senats vom 22.7.2010 eine
Kehrtwendung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung vollzogen und ein Stück
weit auf die Kritik aus der Literatur reagiert. Es vertritt nunmehr die Auffassung, dass
die Arbeitsvertragsrichtlinien als Allgemeine Geschäftsbedingungen vom Arbeitge-
ber in den Vertrag eingeführt werden und damit grundsätzlich einer Inhaltskontrolle
nach §§ 307 ff. BGB zu unterziehen sind. Bei dieser Kontrolle sei als arbeitsrechtliche
Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Arbeitsvertragsrichtlinien im Verfahren
des Dritten Weges durch eine vom Arbeitgeber unabhängige paritätisch besetzte Kom-
mission geschaffen wurden. Sie seien unabhängig davon, ob sie ähnliche Regelungen
296 BAG, Urt. v. 17.11.2005 – 6 AZR 160/05, NZA 2006, 872, Rn 23; BAG, Urt. v. 19.11.2009 – 6 AZR
561/08, NZA 2010, 583, Rn 11; Hümmerich/Reufels/Reufels § 1 Rn 180; HWK/Gotthardt, § 310 BGB Rn
18.
297 Däubler/Bonin/Deinert/Däubler, § 310 BGB, Rn 41; Deinert, ZTR 2005, 461, 476; HWK/Gottwald,
§ 310 BGB, Rn18; ErfK/Preis, § 611 BGB, Rn 123.
298 Hoyningen-Huene, FS Richardi, 909, 923; Müller Vorbehr, NZA 2002,301, 304; Ritter, NZA 2005,
447, 448 f.; von Tilling, NZA 2007, 78, 79; Richardi, § 15, Rn 14, Rn 44.
299 Däubler, NZA 2001, 1329, 1334; Hümmerich/Reufels/Reufels § 1 Rn 180; BT-Drucks. 14/7052, 189.
300 BAG, Urt. v. 25.3.2009 – 7 AZR 710/07, NZA 2009, 1377; Kritik, Rn 44. Däubler, NZA 2001, 1329,
1334; Hümmerich/Reufels/Reufels § 1 Rn180; BT-Drucks an dieser Entscheidung Joussen, RdA 2010,
182, 187 ff; Thüsing, BB 2009, 1928; zur Uneinheitlichkeit zu Kirchenrechtsklauseln insgesamt Richar-
di, § 8, Rn 12 ff.
Dörring
J. Kirchenrecht 413
301 BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55.
302 BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 17 ff; Preis, NZA 2010,
361, 362.
303 BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 18.
304 BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 18.
305 BAG, Urt. v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428 Orientierungssatz 2.
Dörring
414 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
ten Kirchen als solchen zu, im katholischen Bereich dem jeweiligen Diözesanbischof,
im evangelischen Bereich der zuständigen Synode.306 Im Bereich der evangelischen
Kirche ist in § 3 des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes der Evangelischen Kirche in
Deutschland (Arbeitsrechtsregelungsgesetz – ARRG-EKD) vom 10.11.1988 i. d. F.
vom 12.11.2014 geregelt, dass die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission,
in Fällen der Anrufung des Schiedsausschusses dessen Entscheidung nach § 12 Abs. 6
ARRG-EKD verbindlich sind. Kirchenrechtlich besteht in diesem Fall keine Möglichkeit
der Synode, den Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission oder des Schiedsaus-
schusses nicht umzusetzen. Teilweise haben sich aber im Bereich der evangelischen
Kirche die Träger satzungsrechtlich das Recht vorbehalten, zwischen verschiedenen
anwendbaren Arbeitsvertragsrichtlinien auszuwählen, welche sie anwenden. Ein
solches Optionsrecht verlagert die Entscheidung über die anwendbaren Arbeitsver-
tragsrichtlinien dann nicht mehr an eine unparteiische Arbeitsrechtskommission,
sondern an den Arbeitgeber und ist mit dem „Dritten Weg“ nicht vereinbar.307 Solche
Klauseln sind wegen des Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB rechtsunwirksam.
183 Die katholische Kirche hat die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts vom 22.10.2014 zum Anlass genommen, die Grundrechtsordnung des kirch-
lichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (VVD Beschl. v. 27.4.2015)
und die Rahmenordnung für die Kommission zur Ordnung des diözesanen Arbeitsver-
tragsrechts (Rahmen-KODA-Ordnung) zu novellieren (VVD Beschl. v. 24.11.2014).308
Die Rahmen-KODA-Ordnung sieht in § 20 nach wie vor ein Letztentscheidungsrecht
des Bischofs vor, wenn ein Schlichtungsverfahren zu keinem Ergebnis geführt hat.
184 Richardi vertritt die Auffassung, dass entgegen der Ansicht des BAG von einem
„Zustimmungsverweigerungsrecht“ der Kirche auszugehen sei. Dieses könne die
Wirksamkeit der Bezugnahmeklausel nicht berühren, weil es im Falle der Ablehnung
einer Änderung beim bisherigen Vertragsinhalt bleibe.309 Dem kann nicht gefolgt
werden. Durch ein Letztentscheidungsrecht wird die Parität der Arbeitsrechtsrah-
menkommission ausgehebelt, da Entscheidungen bei drohender Kassation nicht oder
nicht in dieser Form getroffen werden können. Die Rechtsprechung hat völlig zu Recht
die Unabhängigkeit der Mitglieder der Arbeitsrechtskommission und die paritätische
Besetzung der Kommission zum Fundament der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit
des „Dritten Weges“ der Kirchen gemacht.310 Da das Streikrecht als Mittel der Kon-
fliktlösung im Dritten Weg ausgeschlossen werden kann, fordert die Rechtsprechung,
306 Dütz, NZA 2008, 1383, 1395; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 15 Rn 16 f.
307 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2012, 448, Rn 119.
308 Abrufbar unter http://www.dbk.de/ueber-uns/vdd/dokumente-vdd/; http://www.ekir.de/www/
ueber-uns/arbeitsrecht-die-wichtigsten-rechtsgrundlagen-9656.php.
309 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 15 Rn 18.
310 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448, Leitsatz, Rn 117; BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1
AZR 611/11, NZA 2013, 437, Orientierungssatz 2, Rn 56; ErfK/Schmidt, Art 4 GG, Rn 52; Deinert, ZTR
2005, 461, 466 ff.
Dörring
J. Kirchenrecht 415
311 BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2012, 448, Leitsatz, Rn 117.
312 ErfK/Schmidt, Art 4 GG, Rn 55; BAG, Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 611/11, NZA 2013, 437, Rn 60; BAG,
Urt. v. 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, NZA 2013, 448, Leitsatz, Rn 119; Krause, JA 2013, 944; Joussen, Anm.
AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 179 II.2., III.2.c); ders. bereits NZA 2007, 730, 733 ff mit dem Vorschlag
der Zwangsschlichtung im Streitfall.
313 BAG, Urt. v. 28. 6. 2012 − 6 AZR 217/11, NZA 2012, 1440, Rn 43 ff.
314 BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 55, Rn 18.
Dörring
416 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Dörring
J. Kirchenrecht 417
risch in die Kommission mit einzubinden. Das Verfahren muss jederzeit von jeder
Seite einberufen werden können. Im Falle einer Nichteinigung muss ein Schlich-
tungsverfahren vorgesehen werden. Die Schlichtungsstelle muss von einem Vorsit-
zenden geleitet werden, dessen Bestellungsverfahren seine Unabhängigkeit und
Neutralität gewährleistet. Die Beschlüsse der Kommission oder der Schlichtungs-
stelle müssen für beide Seiten verbindlich sein. Ein Letztentscheidungsrecht
zur Umsetzung dieser Beschlüsse muss ausgeschlossen sein. Die auf diesem Weg
beschlossenen Arbeitsvertragsrichtlinien sind nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen
die Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten
verstoßen.
Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, unterliegen die in Bezug genommenen 189
Arbeitsvertragsrichtlinien einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB. Für die Vergan-
genheit sollte Vertrauensschutz dahingehend gewährt werden, dass Bezugnahmen
auf die bestehenden Arbeitsvertragsrichtlinien als rechtswirksam angesehen werden.
Für die Formulierung künftig abzuschließender Arbeitsverträge kann es bei einem
Letztentscheidungsrecht der Schiedsstelle bei Satz 1 des Formulierungsvorschlages
verbleiben, wenn satzungsrechtlich oder kirchengesetzlich verbindlich die Koppelung
an Arbeitsvertragsrichtlinien nur an die Entscheidung der zuständigen Kommission
vereinbart wurden. Ist dies nicht gegeben, sollte den hier formulierten rechtlichen
Bedenken Rechnung getragen werden, indem auf die bestehenden Arbeitsvertrags-
richtlinien verwiesen wird und künftige Änderungen vom Vorliegen der gesetzlichen
Voraussetzung des § 308 Nr. 4 BGB und deren Feststellung durch das Schiedsgericht
der Arbeitsrechtskommission mit beschlussfähiger Mehrheit der Stimmen abhängig
gemacht wird.
Klauselmuster
Für das Dienstverhältnis gelten die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deut-
schen Caritasverbandes“/der Diakonie (AVR) in ihrer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen
Fassung. Dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin ist Gelegenheit zur Einsichtnahme in die AVR gegeben.
Änderungen der AVR gelten bei einem Letztentscheidungsrecht des Bischofs, wenn die Änderung der
Leistungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den Arbeitnehmer zumutbar
war. Sie ist zumutbar, wenn im Streitfall die Schiedskommission der Arbeitsrechtskommission dies
mit beschlussfähiger Mehrheit festgestellt hat.
Dörring
418 Kapitel 10 Bezugnahmeklauseln im Arbeitsrecht
Dörring
Kapitel 11
Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH
und AG
A. D
er GmbH-Geschäftsführer-Vertrag
1 Zur heute herrschenden Trennungstheorie vgl. zuletzt etwa BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06 –
NZA 2008, 168; BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 146/02 – NJW 2003, 351; BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR
109/94 – ZIP 1995, 1334; BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79 – NJW 1981, 757; BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II
ZR 161/79 – NJW 1980, 2415; BGH, Urt. v. 7.12.1961 – II ZR 117/60 – BGHZ 36, 142; BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II
ZR 126/52 – BGHZ 10, 187; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 GmbHG Rn 12 ff.; sowie zu deren Fol-
gen Seibt, NJW-Spezial 2004, 123; Grobys, NJW-Spezial 2005, 513; a. A. Einheitstheorie: Hachenburg/
Schilling, § 35 GmbHG Rn 40, jeweils m. w. N.
Reiserer/Polczynski
420 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 421
immer wieder der Vergleich mit dem Sozialversicherungs- und Steuerrecht heran-
gezogen, um die Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers, der keine oder nur
wenig Anteile an der Gesellschaft hat, zu begründen.
In der Rechtsprechung des BGH galt es dagegen bisher als eindeutig, dass das 7
Dienstverhältnis des Geschäftsführers kein Arbeitsverhältnis ist.5 Aus arbeitsrecht-
licher Sicht steht vielmehr der Geschäftsführer für die GmbH selbst und nimmt als
oberste Leitungsmacht Arbeitgeberfunktionen wahr.
Erstmalig hat das BAG in einem Urteil vom 26.5.19996 – bestätigt in einer neueren 8
Entscheidung vom 25.10.20077 – ausdrücklich festgestellt, dass das Dienstverhältnis
eines GmbH-Geschäftsführers auch ein Arbeitsverhältnis sein kann. Dies beurteile
sich insbesondere danach, ob der Geschäftsführer „arbeitsbegleitende oder verfah-
rensorientierte Weisungen“ erhalte. Auf den Umfang der Vertretungsmacht soll es
nach Meinung des BAG dagegen nicht ankommen. Damit hat der Senat für den Anstel-
lungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers erstmals auf Kriterien zurückgegriffen, die
bisher nur zur Beurteilung freier Mitarbeiterverhältnisse herangezogen worden sind.8
In einer weiteren Entscheidung vom 23.1.20039 hat der BGH einer differenzieren- 9
den Betrachtungsweise bei der Anwendung der arbeits- und sozialrechtlichen Rege-
lungen auf Geschäftsführer einer GmbH soweit zugestimmt, als ihr die Einschätzung
zugrunde liegt, dass der Geschäftsführer sich typischerweise in einer Doppelrolle
befinde und es maßgeblich von dem Umfang seiner Beteiligung an dem Unterneh-
men, der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages sowie dem Inhalt des Anstel-
lungsvertrages abhängt, ob seine Rolle als „konkreter Prinzipal“10 oder als arbeit-
nehmerähnliche Person im Vordergrund stehe.
Zur Frage des Arbeitnehmerstatus hat sich schließlich auch der EuGH in 10
einer neueren Entscheidung vom 11.11.2010 geäußert.11 In dem der Entscheidung
5 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – NJW 1984, 2366; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83 – NJW
1984, 2528; BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80 – NJW 1981, 2748; BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52 –
NJW 1953, 1465; Reiserer, EWiR 2003, 1171; Hümmerich, NJW 1995, 1177, 1178; für den stellvertretenden
Geschäftsführer: BAG, Urt. v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98 – NZA 1999, 987; für den Geschäftsführer einer
Vor-GmbH: BAG, Beschl. v. 13.5.1996 – 5 AZB 27/95 – NJW 1996, 2678; für den Geschäftsführer, dessen
Bestellung unterblieben ist: BAG, Beschl. v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96 – GmbHR 1997, 837; sowie die aus-
führliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen bei Hueck, ZfA 1985, 25.
6 BAG, Urt. v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98 – NZA 1999, 987; kritisch hierzu Reiserer, DStR 2000, 31, 32;
a. A.: BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98 – NZA 2000, 376; LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.4.2001 – 12 Sa
1761/00 – LAGE § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 43; OLG Frankfurt, Urt. v. 6.6.2005 – 18 U 140/04,
n. v.
7 BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06 – NZA 2008, 168.
8 Ausführlich hierzu Reiserer, DStR 2000, 31; zu den allgemeinen Abgrenzungskriterien zwischen
Dienst- und Arbeitsverhältnis Reiserer, BB 1998, 1258; dies., BB 2000, 94.
9 BGH, Urt. v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02 – NZA 2003, 439.
10 Vgl. RGZ 120, 300, 303.
11 EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – NZA 2011, 143 – Danosa; dazu Anm. Reiserer, DB 2011, 2262.
Reiserer/Polczynski
422 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 423
Reiserer/Polczynski
424 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Tätigkeit im Namen und auf Rechnung der Gesellschaft ausübt, so dass diese nicht
als selbständig i. S. d. § 13 BGB angesehen werden kann.22
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 425
Zulässig ist es auch, dass der Gesellschaftsvertrag die interne Zuständigkeit zum 20
Abschluss des Anstellungsvertrages von der Gesellschaftsversammlung auf einen
eingerichteten fakultativen Aufsichtsrat i. S. d. § 52 GmbHG überträgt28. Dabei reicht
es regelmäßig aus, wenn der Gesellschaftsvertrag die Zuständigkeit zur Bestellung
des Geschäftsführers auf das Gremium überträgt, da die Befugnis zum Abschluss
des Anstellungsvertrages hiervon mit erfasst wird. In diesem Fall ruht die Zustän-
digkeit der Gesellschafter und lebt erst dann wieder auf, falls das Gremium nicht
mehr besteht oder jedenfalls handlungsunfähig wird.
Reiserer/Polczynski
426 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
d) S
teuerliche Hinweise
24 Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für die Änderung des Gesellschaf-
ter-Geschäftsführer-Dienstvertrages hat auch steuerliche Konsequenzen. Denn
nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 16.5.199433 ist eine zivil-
rechtlich nicht wirksame Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer,
z. B. über Gehaltserhöhungen und Pensionszusagen, jedenfalls bei Gesellschafter-
Geschäftsführern auch steuerrechtlich nicht anzuerkennen, so dass die veränderten
Gehaltszahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen anzusehen wären. Dies
gilt für alle ab dem 1.1.1986 gezahlten Bezüge.
4. Fehlerhafter Anstellungsvertrag
27 Leidet der Anstellungsvertrag an einem rechtlichen Mangel, wie z. B. der fehlenden
Befugnis des für die Gesellschaft handelnden Vertretungsorgans zum Abschluss eines
Anstellungsvertrages, so spricht man von einem sog. faktischen oder fehlerhaften
Anstellungsverhältnis. Bis zur tatsächlichen Aufnahme der Geschäftsführertätig-
keit kann der Mangel ohne besondere Einschränkungen geltend gemacht werden; ab
diesem Zeitpunkt nur noch mit Wirkung ex tunc.35
33 OFD Köln, Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen v. 16.5.1994 – IV B7–S 2742–14/94 –
NZA 1995, 20.
34 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 GmbHG Rn 168; Grobys/Panzer/Kelber Geschäftsführer
Rn 41.
35 BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, § 6 GmbHG Rn 142.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 427
Die Rechtsprechung löst diesen Fall unter Heranziehung der im Arbeitsrecht wur- 28
zelnden Grundsätze zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis.36 Danach ist der Vertrag
trotz dessen, dass der Arbeitnehmer ohne Rechtsgrundlage tätig geworden ist, für die
Vergangenheit als voll wirksam zu behandeln.37 Der Arbeitnehmer hat also Anspruch
auf Arbeits- und Krankenvergütung sowie Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvor-
schriften. Einer praktisch schwer realisierbaren Rückabwicklung nach Bereiche-
rungsrecht (§§ 812 ff. BGB) bedarf es hier somit nicht. Diese Grundsätze, die nicht in
erster Linie der besonderen Schutzbedürftigkeit abhängig Beschäftigter Rechnung
tragen, sondern vielmehr auf die erhöhte Bestandsfestigkeit aller vollzogener Dauer-
schuldverhältnisse abstellen, gelten auch für das fehlerhafte Anstellungsverhältnis
des Geschäftsführers der GmbH.38
Hat also der Geschäftsführer seine Tätigkeit auf Grundlage des geltungslosen 29
Anstellungsvertrages aufgenommen und geschah dies mit Wissen des für den
Vertragsabschluss zuständigen Organs, ist diese Vereinbarung für die Dauer der
Geschäftsführertätigkeit so zu behandeln, als wäre sie mit allen Rechten und Pflich-
ten wirksam.39 Das Organmitglied, das seine Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH
bereits aufgenommen hat, hat somit einen Anspruch auf die vereinbarten Bezüge
und nicht nur auf die Vergütung in angemessener Höhe. Eine Rückabwicklung nach
Bereicherungsrecht kommt stattdessen nicht in Betracht. Nur wenn der Fehler des
Anstellungsvertrages bereits vor Dienstbeginn offenkundig wird und der fehler-
hafte Anstellungsvertrag somit gar nicht (so) zur Ausführung kommt, kann sich die
Gesellschaft auf den Vertragsmangel berufen und der Geschäftsführer aus dem feh-
lerhaften Anstellungsvertrag keine Rechte herleiten.
5. S
chadensersatzanspruch des GmbH-Geschäftsführers wegen Abberufung und/
oder Nichtbestellung
Der Abschluss eines Anstellungsvertrags stellt eine Ergänzung zu der Bestellung zum 30
Geschäftsführer durch die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG dar.
Denn der Anstellungsvertrag kommt nicht schon automatisch mit der Bestellung und
der Zustimmung durch den designierten Geschäftsführer zustande.40 Zwar ergeben
Reiserer/Polczynski
428 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
sich bereits aus der Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH eine ganze Fülle von
Rechten und Pflichten für diesen. Eine Regelung zur Vergütung des Geschäftsführers
und damit zusammenhängender Fragen wird allein durch die Bestellung allerdings
nicht getroffen.
31 Schließt die Gesellschaft mit dem designierten Geschäftsführer zunächst nur
einen Anstellungsvertrag, so ergibt sich hieraus noch kein klagbarer Anspruch
auch auf Bestellung zum Geschäftsführer.41 Unter Umständen kann der vermeint-
liche Geschäftsführer aber zu einer fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages
oder zur Geltendmachung von Schadensersatz gegenüber der Gesellschaft berechtigt
sein. 42
32 In einem vom BAG entschiedenen Fall43 sah der Dienstvertrag eines neuen desi-
gnierten Geschäftsführers zunächst eine halbjährige Einarbeitungszeit vor. Erst nach
deren Ablauf sollte eine Bestellung zum Geschäftsführer vorgenommen werden, was
ebenfalls in dem Anstellungsvertrag geregelt wurde. Entsprechend sollte auch die
Vergütung ab dem Zeitpunkt der Bestellung zum Geschäftsführer staffelweise steigen.
Die Gesellschaft entschied sich jedoch anders und sah zu dem vertraglich genann-
ten Zeitpunkt (und auch darüber hinaus) von einer Bestellung zum Geschäftsführer
sowie der staffelweisen Erhöhung der Vergütung ab. Der designierte Geschäftsfüh-
rer kündigte nach erfolgloser Abmahnung den Anstellungsvertrag außerordentlich
nach § 626 Abs. 1 BGB und machte die ihm entgangene und entgehende Vergütung als
Schadensersatz bei fristloser Kündigung nach § 628 Abs. 2 BGB geltend.
33 Das BAG hat die außerordentliche Kündigung des designierten Geschäftsführers
als berechtigt und wirksam angesehen. Sowohl die unterbliebene Bestellung als
auch die Vorenthaltung eines Teils der Dienstbezüge stellten insoweit einen an
sich geeigneten, wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Das BAG
bejahte ferner ein schuldhaftes Verhalten der Gesellschaft und sprach dem desig-
nierten Geschäftsführer die vertragliche Vergütung bis zum Ablauf der ordentlichen
Kündigungsfrist als Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB zu.
34 Dagegen verneinte der BGH – nur einige Wochen nach der oben genannten Ent-
scheidung des BAG – den geltend gemachten Schadensersatz des Geschäftsführers
einer GmbH aus § 628 Abs. 2 BGB, nachdem dessen Bestellung zum Geschäftsführer
mit sofortiger Wirkung nach § 38 Abs. 1 GmbHG durch die Gesellschafterversamm-
lung widerrufen wurde und der Geschäftsführer daraufhin seinen Anstellungsvertrag
fristlos kündigte.44 Die Abberufung als Geschäftsführer der Gesellschaft stellt
nach Ansicht des BGH, wenn der sofortige Widerruf nicht nach § 38 Abs. 2 GmbHG im
Gesellschaftsvertrag beschränkt ist, kein vertragswidriges Verhalten der Gesell-
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 429
schaft im Sinne des § 628 Abs. 2 BGB dar. Insoweit machte die Gesellschaft lediglich
von ihrem gesetzlich eingeräumten Recht Gebrauch.
Tatsächlich widersprechen sich die Urteile des BGH und des BAG. Sieht der Gesell- 35
schaftsvertrag keine Beschränkung der Zulässigkeit des Widerrufs nach § 38 Abs. 2
GmbHG auf den Fall vor, dass nur wichtige Gründe denselben notwendig machen
können, so ist ein Widerruf nach § 38 Abs. 1 GmbHG zu jeder Zeit möglich. Dann
aber kann die Abberufung des Geschäftsführers auch kein Auflösungsverschulden
im Sinne des § 628 Abs. 2 BGB darstellen. Der Rechtsprechung des BGH ist daher zuzu-
stimmen, wenn sie dem Geschäftsführer einen Schadensersatzanspruch wegen der
fristlosen Kündigung aus § 628 Abs. 2 BGB im Ergebnis nicht zuspricht.
Mit diesen Grundsätzen lässt sich dagegen das Urteil des BAG, welches die Nicht- 36
bestellung zum Geschäftsführer als ein vertragswidriges Verhalten im Sinne des
§ 628 Abs. 2 BGB ansieht, nicht in Einklang bringen. Ebenso wie die Vornahme der
Abberufung des Geschäftsführers steht nach der Grundkonzeption des GmbHG auch
die Nichtvornahme der Bestellung zum Geschäftsführer der Gesellschafterversamm-
lung – zumindest bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs oder der Verwerflichkeit –
frei.45 Insoweit kann von einem Auflösungsverschulden der Gesellschaft auch bei
Nichtvornahme der Bestellung keine Rede sein.
Reiserer/Polczynski
430 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 431
54 BAG, Beschl. v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10 – NZA 2011, 874; so auch: BAG, Beschl. v. 23.8.2011 – 10
AZB 51/10 – DB 2011, 2386; BAG, Beschl. v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12 – DB 2012, 2699; BAG, Beschl. v.
4.2.2013 – 10 AZB 78/12 – DB 2013, 521; BAG, Beschl. v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13 – GmbHR 2014, 137.
55 BAG, Beschl. v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14; BAG, Beschl. v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 – GmbHR 2015,
27.
56 BAG, Beschl. v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13 (Rn 23 m. w. N.) – GmbHR 2014, 137.
57 BAG, Beschl. v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 – GmbHR 2015, 27.
58 BAG, Beschl. v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14.
Reiserer/Polczynski
432 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
1. Dienstleistung
a) Aufgaben und Pflichten des Geschäftsführers
47 Aufgrund immer komplexer werdender wirtschaftlicher Zusammenhänge und
rechtlicher Anforderungen sind Geschäftsführer einem erheblichem Haftungsrisiko
ausgesetzt.61 Bei der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit ist zwischen Innen- und
Außenhaftung zu unterscheiden. Daneben besteht die Gefahr der Verletzung
strafrechtlicher Pflichten sowie die der Abberufung und Kündigung des Anstel-
lungsverhältnisses.
48 Trotz der erheblichen Haftungsgefahren werden Geschäftsführer in der Praxis
mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass das Gesetz den Umfang ihrer Pflichten nicht
abschließend regelt. Dies macht eine verallgemeinernde Pflichtenaufstellung beson-
ders schwierig. Neben gesetzlichen Pflichten ergeben sich nämlich Pflichten in der
Regel auch aus der Satzung, Gesellschafterbeschlüssen, dem Anstellungsvertrag,
der Treuepflicht und der konkreten Geschäftsleitungsaufgabe.62 Die Pflichten
59 BAG, Beschl. v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14; BAG, Beschl. v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 – GmbHR 2015,
27; sehr kritisch zu der Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der Arbeitsgerichte Geck/Fiedler, BB
2015, 1077 ff.
60 Siehe Rn 5 ff., 186 ff.
61 Vgl. Schneider/Ihlas, DB 1994, 1123.
62 BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, § 43 GmbHG Rn 44; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 69.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 433
können daher in Bezug auf jede Gesellschaft und jeden Geschäftsführer anders aus-
gestaltet sein. Dennoch sollen im Folgenden zumindest einige wesentliche Pflichten
der Geschäftsführer dargestellt werden.
Reiserer/Polczynski
434 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
werden. Dabei sei angemerkt, dass zahlreiche einzelne Pflichten mehreren Katego-
rien zugeordnet werden können. Überschneidungen sind jedoch nicht zu vermeiden.
bb) Legalitätspflichten/Sorgfaltspflichten
52 Der umfassende Bereich der „Legalitätspflichten“ beinhaltet Pflichten der Geschäfts-
führer aus verschiedenartigen Rechtsquellen. Geschäftsführer haben, allgemein aus-
gedrückt, die Pflicht, für die Rechtmäßigkeit der internen Organisations- und
Entscheidungsprozesse sowie des Geschäftsverhaltens nach außen zu sorgen.70
Nicht jedes rechtswidriges Verhalten der Gesellschaft stellt allerdings zwingend eine
Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführers dar.71 Entscheidend ist stets, ob der einzelne
Geschäftsführer Pflichten verletzt hat. Zu den Legalitätspflichten im Einzelnen:
53 Geschäftsführer sind zur Beachtung der Rechtsordnung verpflichtet. Sie ver-
letzen ihre entsprechenden Pflichten selbst dann, wenn sie im Innenverhältnis die
Interessen der Gesellschaft fördern wollen. Pflichtverletzungen liegen daher bei-
spielsweise auch dann vor, wenn zu Gunsten der Gesellschaft Wettbewerbsverstöße
(z. B. Preis- und Gebietsabsprachen), Bestechungen, umweltrechtliche Verstöße oder
Steuermanipulationen begangen werden.72
54 Im Rahmen der Beachtung der Rechtsordnung haben Geschäftsführer insbeson-
dere Vorschriften aus dem GmbHG zu beachten:
– Die Geschäftsführer haben eine Pflicht zur Eintragung der Gesellschaft in das
Handelsregister nach § 7 GmbHG unter Berücksichtigung der in § 8 GmbHG
genannten Inhalte der Anmeldung. Besondere Haftungsgefahr besteht nach § 9a
Abs. 1 GmbHG im Zusammenhang mit der nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugebenden
Versicherung, dass die vorgesehenen Geld- und Sacheinlagen bewirkt seien und
endgültig der Gesellschaft zur freien Verfügung stünden.73 § 57 Abs. 4 GmbHG
erstreckt diese Gründungshaftung auch auf Kapitalerhöhungen.
– Im Zusammenhang mit der Kapitalaufbringung und -sicherung enthält § 43
Abs. 3 GmbHG besondere Pflichten zur Kapitalerhaltung. Nach § 43 Abs. 3 S. 1 1.
Alt. GmbHG sind Geschäftsführer zum Ersatz verpflichtet, wenn sie den Bestim-
mungen des § 30 GmbHG zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stamm-
kapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft tätigen. Die Vorschrift enthält
damit ein Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen.74 Besondere Vorsicht ist
für Geschäftsführer auch bei der Akquisitionsfinanzierung und beim sog. “Cash-
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 435
Reiserer/Polczynski
436 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
§ 137 AO (Meldepflicht), §§ 90, 91, 93, 137, 200 AO (Auskunftspflichten) und §§ 149, 150
AO (Steuererklärungen), normiert.
57 Im Rahmen der Pflicht zur Beachtung der Rechtsordnung kommt auch eine straf-
rechtliche Verantwortung der Geschäftsführer aus diversen Quellen, z. B. dem
GmbHG, dem Außenwirtschaftsrecht, dem Kartellrecht, dem Umweltstrafrecht, dem
Bilanzrecht oder dem Steuerstrafrecht, in Betracht.
– So ahndet beispielsweise § 82 GmbHG falsche Angaben bei der Gründung und
im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen. Nach § 84
GmbHG kann eine Strafbarkeit im Falle der Nichtanzeige eines Verlustes in
Höhe der Hälfte des Stammkapitals, nach § 15a InsO für den Fall der fehlenden
Insolvenzantragsstellung bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in
Betracht kommen. Die Verletzung von Geheimhaltungspflichten kann nach
§ 85 GmbHG bestraft werden. Die §§ 331 ff. HGB enthalten Regelungen auf dem
Gebiet des Bilanzstrafrechts. Geschäftsführer können darüber hinaus die Tat-
bestände des Betruges, § 263 StGB, und der Untreue, § 266 StGB, erfüllen. Die
Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung kann
nach § 266a StGB geahndet werden, Verletzungen von Buchführungspflichten
nach § 283b StGB.
– Im Bereich des Umweltstrafrechts kommt eine strafrechtliche Verantwortung
der Geschäftsführer aus den §§ 324 ff. StGB wegen Gewässerverunreinigung, Luft-
verunreinigung, gesundheitsschädlichem Lärm, umweltgefährdender Abfallbe-
seitigung, unerlaubtem Betreten von Anlagen oder Giftgefährdung in Betracht.
– Eine strafrechtliche Verantwortung kann sich auch aus dem Außenwirtschafts-
gesetz, der Außenwirtschaftsverordnung oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz
ergeben.
– Steuerstraftaten, wie z. B. Steuerhinterziehung, Bannbruch oder Steuerhehle-
rei, können von den Geschäftsführern ebenfalls verwirklicht werden.
80 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 22.12.1983 – 6 U 137/83 – DB 1984, 447; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43
GmbHG Rn 339 ff.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 437
Reiserer/Polczynski
438 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
87 Götker, Rn 361.
88 Siehe oben Rn 54.
89 BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, § 43 GmbHG Rn 79 ff.; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 GmbHG
Rn 119; a. A. Ziemons, S. 33.
90 ThürOLG Jena, Urt. v. 1.9.1998 – 5 U 1816/97; NZG 1999, 121; a. A. BFH, Urt. .v. 14.9.1994 – I R 6/94 –
GmbHR 1995, 234.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 439
Reiserer/Polczynski
440 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 441
Reiserer/Polczynski
442 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
dd) Loyalitätspflichten
84 Die unter dem Begriff der „Loyalitätspflichten“ zusammengefassten Pflichten dienen
insbesondere der Vermeidung von Handlungen der Geschäftsführer, die auf Kosten
der Gesellschaft und des Allgemeinwohls vorgenommen werden würden. Geschäfts-
führer müssen in sämtlichen Angelegenheiten grundsätzlich zunächst das Wohl der
Gesellschaft verfolgen und eigene wirtschaftliche Ziele oder Vorteile ausblenden
bzw. unterordnen.114 Gesetzliche Normierungen von Loyalitätspflichten finden sich
beispielsweise in den §§ 35 Abs. 3, 43 Abs. 3, 43a, 47 Abs. 4 GmbHG oder § 181 BGB.
Abgesehen davon gibt es zahlreiche gesetzlich nicht geregelte Ausprägungen der
Loyalitätspflichten. Zu den Loyalitätspflichten im Einzelnen:
85 Praxisrelevanteste Ausprägung der Loyalitätspflichten ist ein umfassendes Wett-
bewerbsverbot der Geschäftsführer.115 Das Wettbewerbsverbot ist gesetzlich nicht
geregelt, leitet sich aber aus der gegenüber der Gesellschaft bestehenden allgemeinen
109 Zur Bedeutung, Einführung und den Folgen einer Ressortverteilung vgl. Reiserer/Heß-Emmerich/
Peters, S. 58 ff.
110 Scholz/Schneider, § 43 Rn 140 ff.
111 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 143; Hommelhoff, ZIP 1983, 383, 388 ff.
112 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 GmbHG Rn 41, 49.
113 Siehe unten Rn 175 f.
114 Vgl. BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87 – AG 1989, 354; BGH, Urt. v. 17.12.1985 – VI ZR 244/84 – BB
1986, 485; BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84 – DB 1986, 214.
115 Vgl. Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 153 ff.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 443
Treue- und Loyalitätspflicht her.116 Die Geschäftsführer dürfen ihre Befugnisse nicht
zu eigennützigen oder gesellschaftsfremden Zwecken missbrauchen.117 Ihnen ist es
untersagt, im eigenen oder fremden Namen im Geschäftsbereich der Gesellschaft
tätig zu werden.118 Das weitreichende Wettbewerbsverbot verbietet dabei u. a. die Mit-
wirkung als Geschäftsführer, Vorstandsmitglied oder in leitender Position in einem
anderen Unternehmen desselben Geschäftszweiges. Grundsätzlich erlaubt sind aller-
dings z. B. Minderheitsbeteiligung an Kapitalgesellschaften, Kommanditbeteiligun-
gen und stille Beteiligungen.119
Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass sich das Wettbewerbsverbot vollum- 86
fänglich auf den in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand erstreckt.
Zum Teil wird allerdings nur auf den Bereich der tatsächlichen Unternehmenstä-
tigkeit abgestellt.120
Im Falle der Verletzung des Wettbewerbsverbots kann die Gesellschaft Unter- 87
lassung verlangen. Der Gesellschaft stehen darüber hinaus die Rechte aus § 113
HGB analog zu.121 Sie kann Schadensersatz verlangen oder verlangen, dass der
Geschäftsführer die Geschäfte als für Rechnung der Gesellschaft eingegangen gelten
lässt. Obwohl diese Pflicht zur Gewinnherausgabe oft irreführend als „Eintritts-
recht“ bezeichnet wird, muss der Geschäftsführer lediglich das aus dem Geschäft
tatsächlich Erlangte herausgeben. Die Vertragsparteien im Außenverhältnis bleiben
unverändert.122
Das Wettbewerbsverbot gilt grundsätzlich nur während der Stellung als 88
Geschäftsführer.123 Nach Beendigung der Geschäftsführerstellung wirkt es in Form
einer Unterlassungspflicht insoweit fort, als dass Geschäftsführer Verträge nicht an
sich ziehen dürfen.124
Im Anstellungsvertrag lässt sich auch ein nachvertragliches Wettbewerbsver- 89
bot vereinbaren.125 Dieses ist nicht an die Voraussetzungen der §§ 74 ff. HGB, auch
116 St. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87 – BB 1989, 1637; BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR
246/84 – DB 1986, 214; BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82 – GmbHR 1983, 300; BGH, Urt. v. 11.10.1976 –
II ZR 104/75 – GmbHR 1977, 43.
117 Scholz/Schneider, § 43 Rn 151.
118 BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84 – DB 1986, 214.
119 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 165.
120 Vgl. BGH, Urt. v. 5.12.1983 – II ZR 242/82 – DB 1984, 495; BGH, Urt. v. 21.2.1978 – KZR 6/77 – DB
1978, 833; RG, Urt. v. 19.12.1924 – RGZ 109, 355; Scholz/Schneider, § 43 Rn 163.
121 Vgl. Scholz/Schneider, § 43 Rn 168
122 BGH, Urt. v. 5.12.1983 – II ZR 242/82 – DB 1984, 495.
123 Von der Osten, GmbHR 1989, 450, 453 ff.; Salfeld, 182 ff.
124 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – NJW 1984, 2366; BGH, Urt. v. 11.10.1976 – II ZR 104/75 – DB
1977, 158.
125 Siehe unten Rn 246 ff.
Reiserer/Polczynski
444 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
nicht analog, gebunden.126 Die Wertungsmaßstäbe der §§ 74 ff. HGB sind allerdings
jedenfalls bei Fremdgeschäftsführern zumindest mittelbar zu berücksichtigen.127
Anderenfalls kann das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nach § 138 BGB wegen
Sittenwidrigkeit nichtig sein.128
90 Geschäftsführer unterliegen des Weiteren dem Verbot der privaten Wahrneh-
mung von Geschäftschancen.129 Umstritten ist, ob es sich um einen reinen Bestand-
teil des Wettbewerbsverbots oder eine eigenständige Pflicht handelt.130
91 Geschäftsführer dürfen darüber hinaus auch keine Gesellschaftsressourcen zu
eigenen, unternehmensfremden Zwecken nutzen.131 In Betracht kämen u. a. das
Ausnutzen von Insiderinformationen, Annahme von Schmiergeldern, Inanspruch-
nahme von Darlehen oder verdeckte Gewinnausschüttungen.132
92 Als weitere Ausprägung der Loyalitätspflichten haben Geschäftsführer eine
umfangreiche Verschwiegenheitspflicht.133 Sie müssen über vertrauliche Angaben
und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen bewahren.134
ee) Befreiungsmöglichkeiten
93 Der Gesellschaftsvertrag kann zu Gunsten der Geschäftsführer umfangreiche Befrei-
ungen von Pflichten enthalten. Er kann beispielsweise, wie bereits erwähnt, vom
Verbot des Selbstkontrahierens aus § 181 BGB135 oder von gesetzlich nicht geregelten
Loyalitätspflichten, bspw. dem Wettbewerbsverbot, befreien.136
94 Von besonderer Bedeutung sind von Pflichten befreiende Gesellschafterbe-
schlüsse. Durch Gesellschafterbeschluss kann u. a. vom Verbot des Selbstkontrahie-
rens aus § 181 BGB entbunden werden.137 Im Einzelfall können Geschäftsführer durch
Gesellschafterbeschluss auch vom Wettbewerbsverbot befreit werden. Handelt es sich
um einen Gesellschafter-Geschäftsführer, ist eine Befreiung allerdings nur bei ent-
sprechender Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbe-
126 St. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 15.4.1991 – II ZR 214/89 – BB 1991, 1640; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR
229/83 – NJW 1984, 2366; BSG, Urt. v. 9.8.1990 – 11 RAr 119/88 – NZA 1991, 159.
127 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – NJW 1984, 2366; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.1.1993 – 16 U
73/92 – NJW-RR 1994, 35; OLG Hamm, Urt. v. 11.1.1988 – 8 U 142/87 – GmbHR 1988, 344.
128 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – NJW 1984, 2366.
129 Siehe unten Rn 165 f.
130 Vgl. BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82 – WM 1983, 498; BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84 –
WM 1985, 1443; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 GmbHG Rn 201; Weisser, S. 125 ff.; Polley, S. 161 ff.
131 Siehe unten Rn 167; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 199 f.
132 Vgl. BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65 – GmbHR 1968, 141; Abeltshauser, S. 355.
133 Siehe unten Rn 168 ff.
134 Espey/von Bitter, S. 43.
135 BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 215/58 – BB 1960, 1179.
136 Vgl. Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 185 ff.; BeckOK GmbHG/Wilhelmi § 13 Rn 212 ff.
137 BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 215/58 – BB 1960, 1179.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 445
138 Vgl. BeckOK GmbHG/Wilhelmi § 13 Rn 212 ff.; Abeltshauser, S. 366; Schießl, GmbHR 1988, 53, 55;
Timm, GmbHR 1981, 177, 182.
139 BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87 – WM 1989, 1335.
140 BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57 – BB 1960, 18; BGH, Urt. v. 15.10.1973 – II ZR 149/71 – GmbHR
1974, 132.
141 Liegt bei einer mehrgliedrigen Geschäftsführung eine Ressortverteilung vor, entbindet dies die
jeweils anderen Geschäftsführer nicht von ihrer Gesamtverantwortung. Vielmehr ist jeder Geschäfts-
führer in Bezug auf solche Bereiche, die nicht in seiner direkten Verantwortung stehen, zur Überwa-
chung und Information berechtigt und verpflichtet. Vgl. BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons § 43 Rn 220 ff.
142 Ganz h. M., vgl. nur BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 112/72 – WM 1975, 467; BGH, Urt. v. 25.6.2001 –
II ZR 38/99 – ZIP 2001, 1458; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG § 43 Rn 6; Hümmerich/Boe-
cken/Spirolke/Reiserer, § 4 Rn 27 ff. zum Haftungsmaßstab beim Geschäftsführer; Scholz/Schneider,
GmbHG, § 43 Rn 256.
143 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG § 43 Rn 6; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 257; a. A.
BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons § 43 Rn 295.2.
Reiserer/Polczynski
446 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
144 Streitstand ausführlich dargestellt von Lohr, NZG 2000, 1204; vgl. Espey/von Bitter, S. 33 u. 39;
Heisse, S. 121; Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 258 ff. m. w. N.
145 Siehe oben Rn 49 ff.; 52 ff.; 69 ff.
146 Siehe oben Rn 12 ff.
147 Beck´sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon/Rauh, Geschäftsführer Rn 1.
148 Siehe nur BeckOK HGB/Poll/Ruppelt, § 242 HGB Rn 5 f.; Wicke, GmbHG, § 41 Rn 7.
149 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Gros, § 264 Rn 19.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 447
Klauselmuster
Aufgaben und Pflichten
(1) Dem Geschäftsführer obliegt die Leitung und Überwachung der Gesellschaft im Ganzen.
(2) Der Geschäftsführer hat die ihm obliegenden Geschäfte der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns unter Wahrung der Interessen der Gesellschaft wahr-
zunehmen und die ihm nach Gesetz, Satzung, einer etwaigen Geschäftsführungsordnung in ihrer je-
weils gültigen Fassung sowie diesem Vertrag obliegenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Er hat
den Weisungen der Gesellschafterversammlung Folge zu leisten.
(3) Der Geschäftsführer nimmt die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers im Sinne der arbeits- und
sozialrechtlichen Vorschriften wahr.
(4) Der Geschäftsführer hat die steuerlichen Interessen der Gesellschaft zu wahren. Er ist verpflichtet,
innerhalb von 3 Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres die Bilanz und und die Gewinn- und Ver-
lustrechnung sowie den Anhang für das abgelaufene Geschäftsjahr unter Beachtung der handels- und
steuerrechtlichen Bilanzierungsregeln aufzustellen und diese nebst einem von ihm zu erstattenden
Geschäftsbericht jedem Gesellschafter unverzüglich zu übersenden. Die Pflichten nach § 42a GmbHG
bleiben hiervon unberührt. Mit der Übersendung des Jahresabschlusses und des Geschäftsberichts
hat der Geschäftsführer ferner eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, in der über die Fest-
stellung des Jahresabschlusses und des Gewinns sowie die Gewinnverwendung Beschluss zu fassen
ist. Die Einberufung der Gesellschafterversammlung hat schriftlich und rechtszeitig, mindestens aber
14 Tage vor der beabsichtigten Gesellschafterversammlung, zu erfolgen.
(5) Der Geschäftsführer hat die Gesellschafter außerdem monatlich über den Geschäftsverlauf, ins-
besondere den Umsatz, die Kosten, den Personalstand, den Auftragsbestand und etwaige außerge-
wöhnliche Geschäftsvorfälle schriftlich zu unterrichten.
Reiserer/Polczynski
448 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Praxistipp
Geschäftsführer-Dienstvertrag parallel zum Geschäftsführer-Bestellungsbeschluss
Eine Möglichkeit ist es den Geschäftsführer-Dienstvertrag erst dann abzuschließen, wenn die Ge-
sellschafterversammlung über die Bestellung einer Person zum Geschäftsführer bereits Beschluss
gefasst hat.
Alternativ kann der Anstellungsvertrag auch schon vor Beschlussfassung der Gesellschafterver-
sammlung von dem designierten Geschäftsführer unterschrieben werden. Die Gegenzeichnung durch
die Gesellschafter sollte dann aber erst nach dem Beschluss erfolgen.154
151 Zur Reichweite und Grenzen der unbeschränkten Organvertretungsmacht Fleischer, NZG 2005,
529.
152 Siehe oben Rn 66 f.
153 Zu etwaigen Schadensersatzansprüchen des designierten Geschäftsführers bei unterbliebener
Bestellung zum Geschäftsführer BAG, Urt. v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01 – NZA 2002, 1323; siehe dazu
Rn 30 ff.
154 Zur Geschäftsführerbestellung unter auflösender Bedingung BGH, Urt. v. 24.10.2005 – II ZR
55/04 – NJW-RR 2006, 182.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 449
Denkbar ist schließlich auch der Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrags unter der aufschie-
benden Bedingung der Bestellung zum Geschäftsführer. Die Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) ist in die-
sem Fall in den Vertrag mitaufzunehmen.
Klauselmuster
Geschäftsführung und Vertretung
(1) Der Geschäftsführer wird mit Wirkung ab dem …… als Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt.
(2) Der Geschäftsführer ist berechtigt und verpflichtet, die Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, des
Gesellschaftsvertrags, einer etwaigen Geschäftsführungsordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung und
der von der Gesellschafterversammlung erteilten Weisungen allein zu vertreten und die Gesellschaft
allein zu führen. Sofern weitere Geschäftsführer bestellt werden, so wird die Gesellschaft durch zwei
Geschäftsführer oder einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten.
(3) Der Geschäftsführer ist nach Maßgabe dieses Vertrags für das Geschäftsgebiet …… zuständig und
verantwortlich. Im Einzelnen umfasst das Geschäftsgebiet die Geschäftsbereiche:
……
Die Gesellschaft behält sich vor, die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit zu erweitern, zu vermin-
dern und auch abzuändern.
(4) Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
Reiserer/Polczynski
450 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
cc) G
enehmigungsbedürftige Geschäfte
113 § 37 Abs. 2 GmbHG erlaubt eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem
Geschäftsführer, wonach für die Vornahme einzelner Rechtsgeschäfte die Zustim-
mung der Gesellschafter erforderlich ist – auch wenn diese Einschränkung der
Geschäftsführungsbefugnis gegenüber dritten Personen keine rechtliche Wirkung
entfaltet. Eine entsprechende Regelung ist grundsätzlich sowohl als Bestandteil
der Satzung oder des Anstellungsvertrags möglich. Folgendes muss aber beachtet
werden:
Fettnapf
Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis
In der Satzung: Die Satzung kann festlegen, dass der Geschäftsführer vor der Vornahme bestimmter
außergewöhnlicher Rechtsgeschäfte die Zustimmung der Gesellschafter einholt.157
Im Anstellungsvertrag: Der Anstellungsvertrag kann ebenfalls eine Auflistung besonders außerge-
wöhnlicher Rechtsgeschäfte beinhalten, zu deren Vornahme der Geschäftsführer die Zustimmung der
Gesellschafter benötigt. Im Falle einer Divergenz zwischen dem Zustimmungskatalog der Satzung
und demjenigen des Anstellungsvertrages gilt der Vorrang der in der Satzung vereinbarten Regelung
gegenüber derjenigen im Anstellungsvertrag.158
Enthält der Anstellungsvertrag von der Satzung abweichende Regelungen und lag die Divergenz be-
reits bei Abschluss des Anstellungsvertrages vor, so ist die von der Satzung abweichende Bestim-
mung unwirksam.159
Ist die Divergenz dagegen erst nach Abschluss des Anstellungsvertrages entstanden, so wird die
vertragliche Bestimmung nicht ohne weiteres unwirksam. Dennoch gilt der oben genannte Grund-
satz, wonach der Satzung grundsätzlich Vorrang gegenüber dem Anstellungsvertrag einzuräumen
ist. Stellen die Regelungen der Satzung allerdings eine Beschränkung des Kernbereichs der dem
Geschäftsführer vertraglich eingeräumten Befugnisse dar, so steht diesem grundsätzlich das Recht
zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB zu. In diesem Rahmen kann der Geschäftsführer
zudem einen Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB verlangen.160
Bestimmungen des Anstellungsvertrages müssen aber nicht unbedingt immer eine Divergenz zu den
Regelungen der Satzung darstellen. Möglich ist auch, dass dem Geschäftsführer zusätzliche Bin-
dungen auferlegt werden, wie bspw. Zustimmungsvorbehalte bzgl. einzelner Rechtsgeschäfte oder
Informationspflichten gegenüber den Gesellschaftern. Entsprechende Einschränkungen enthalten
keine statutarische Wirkung, können aber bei Verletzung einen wichtigen Grund zur Abberufung als
Geschäftsführer darstellen (§ 38 GmbHG).161
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 451
Klauselmuster
Genehmigungsbedürftige Geschäfte
(1) Die Geschäftsführungsbefugnis umfasst die Vornahme aller Maßnahmen, die Gegenstand des ge-
wöhnlichen Geschäftsbetriebs der Gesellschaft sind, soweit nicht eine anderweitige Regelung durch
Satzung, eine etwaige Geschäftsführungsordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung, durch Gesell-
schafterbeschluss oder nach diesem Vertrag getroffen wurde.
(2) Für Maßnahmen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hin-
ausgehen, bedarf der Geschäftsführer der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung der
Gesellschafterversammlung. Dies gilt insbesondere für folgende Rechtsgeschäfte:
a) Erwerb, Veräußerung, Belastung oder sonstige Verfügung über Grundstücke und grundstücksglei-
che Rechte sowie die Verpflichtung zur Vornahme derartiger Rechtsgeschäfte;
b) Veräußerung und Stilllegung des Betriebes der Gesellschaft oder wesentlicher Teile hiervon;
c) Erwerb anderer Unternehmen sowie der Erwerb, die Änderung oder Aufhebung von – auch stillen –
Beteiligungen der Gesellschaft einschließlich des Erwerbs von Geschäftsanteilen der Gesellschaft
sowie der Abtretung eigener Geschäftsanteile der Gesellschaft; ferner die Stimmabgabe in Beteili-
gungsgesellschaften;
d) Errichtung und Schließung von Zweigniederlassungen; ferner Gründung, Veräußerung und Auflö-
sung von Tochtergesellschaften;
162 Bei Divergenz zwischen der vertraglichen Regelung und Bestimmungen der Satzung ist hier der
Grundsatz des Vorrangs der Satzungsregelungen gegenüber der im Anstellungsvertrag getroffenen
Bestimmungen zu beachten. Hierzu siehe Rn 113.
163 Durch den Anstellungsvertrag kann die Geschäftsführungsbefugnis im Vergleich zu Bestimmun-
gen in der Satzung zusätzlich eingeschränkt werden. Aus Sicht der Gesellschaft sollte hier aber beach-
tet werden, dass der Kernbereich der Geschäftsführungsbefugnisse nicht eingeschränkt wird, da dies
u. U. ein außerordentliches Kündigungsrecht des Geschäftsführers nach § 626 BGB sowie mögliche
Schadenersatzansprüche aus § 628 Abs. 2 BGB nach sich ziehen kann. Siehe Rn 216 f.
Reiserer/Polczynski
452 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
e) Anschaffungen, Investitionen, einschließlich der Vornahme von baulichen Maßnahmen, wenn die
Anschaffungs- oder Herstellungskosten …… EUR im Einzelfall oder …… EUR im Geschäftsjahr über-
steigen;
f) Übernahme von Bürgschaften und Garantien sowie Übernahme von Wechselverbindlichkeiten jeder
Art;
g) Inanspruchnahme oder Gewährung von Krediten oder Sicherheitsleistungen jeder Art, die …… EUR
übersteigen;
h) Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Verträgen, die die Gesellschaft im Einzelfall mit mehr als
…… EUR jährlich belasten;
i) Einstellung, Beförderung oder Entlassung von Arbeitnehmern, deren Vergütung …… EUR brutto jähr-
lich übersteigt;
j) Erteilung von Prokura und Generalvollmachten;
k) Erteilung und Erhöhung von Pensionszusagen sowie die Einführung und Änderung eines Systems
der betrieblichen Altersversorgung;
l) Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Lizenzverträgen der Gesellschaft;
Die Gesellschaft ist berechtigt, durch Satzung, eine etwaige Geschäftsführungsordnung in ihrer je-
weils gültigen Fassung oder/und durch Beschluss der Gesellschafterversammlung die vorstehende
Auflistung zu erweitert oder einzuschränken.
2. B
efristung
117 Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers unterliegt keinerlei Beschrän-
kungen bezüglich einer Befristung. Die einschränkenden Bestimmungen des TzBfG
kommen für den GmbH-Geschäftsführer nicht zur Anwendung.164 Auch der mehrfa-
che Abschluss eines befristeten Anstellungsvertrages mit demselben Geschäftsführer
ist möglich.
118 In der Praxis spielen Befristungsabreden für Anstellungsverträge von GmbH-
Geschäftsführern eine große Rolle. Da der Geschäftsführer sich nicht auf den allge-
meinen Kündigungsschutz des Kündigungsschutzgesetzes berufen kann165, versu-
chen Geschäftsführer gerne, durch die Vereinbarung einer Befristungsabrede ohne
vorzeitige Kündigungsmöglichkeit (Festlaufzeit) einen jedenfalls zeitlich beschränk-
ten Bestandsschutz zu erreichen.166
3. Vergütung
119 Der Geschäftsführer der GmbH erbringt seine Leistung in der Regel nur gegen Ver-
gütung, deren Höhe im Anstellungsvertrag festgelegt wird. Über das übliche Monats-
gehalt hinaus werden oft Sondervereinbarungen wie Gewinn- oder Umsatztantiemen,
164 So ausdrücklich BGH, Urt. v. 25.7.2002 – III ZR 207/01 – NJW 2002, 3104; Baumbach/Hueck/Zöll-
ner/Noack, GmbHG, § 35 Rn 35; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, § 6 Rn 175; kritisch Busch/Schön-
höft, DB 2007, 2650.
165 Siehe Rn 186 ff.
166 Klauselmuster zur Befristungsabrede mit Kündigungsregelung, s. Rn 223 ff.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 453
a) Vergütungsformen
aa) Feste und variable Vergütung
In der Praxis finden sich in Anstellungsverträgen mit GmbH-Geschäftsführern sehr 121
häufig Vergütungsvereinbarungen, die neben festen auch variable Vergütungsbe-
standteile beinhalten.171 Die Vorteile einer derartigen Regelung sind mannigfaltig
ebenso wie ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Durch die Koppelung der Bezüge an Leis-
tungen oder Erfolge wird der Anreiz des Bezugsberechtigten, zu derartigen Erfolgen
beizutragen, erhöht, da eine höhere Leistung unmittelbar eine höhere Vergütung zur
167 OLG Frankfurt, Urt. v. 22.12.2004 – 13 U 177/02 – GmbHR 2005, 550, 554 für die einfache GmbH.
168 Das VorstAG führte Änderungen des AktG herbei und betrifft vornehmlich die Ausgestaltung
der Vergütung von Mitgliedern eines AG-Vorstandes. Diskutiert wird jedoch auch, ob die Regelungen
auf die GmbH anzuwenden sind, was aufgrund der im Vergleich zu AG-Vorständen stärkeren Wei-
sungsgebundenheit von GmbH-Geschäftsführern gegenüber der Gesellschaft wohl abzulehnen ist,
vgl. Thiele/Rüden, DB 2009, Heft 41, S. 1 (Editorial) zur Frage der entsprechenden Anwendbarkeit des
§ 93 Abs. 2 Satz 3 AktG auf GmbH-Geschäftsführer. Gegen die Anwendbarkeit des § 87 AktG auf die
GmbH spricht auch, dass der neu eingeführte § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG ausdrücklich nur börsennotier-
te Gesellschaften in Bezug nimmt, vgl. Deilmann/Otte, GWR 2009, 261 und BT-Drs. 16/13433, S. 10;
ablehnend auch Feddersen/von Cube NJW 2010, 576, 577 f.; Lunk/Stolz NZA 2010, 121, 126 ff.; Auch
die Anwendbarkeit auf die Führungsebene unterhalb des Vorstandes wird diskutiert, aber zu Recht
ebenfalls abgelehnt, vgl. Krienke/Schnell, NZA 2010, 135 ff.
169 BGH, Urt. v. 20.1.1988 – IVa ZR 128/86 – BB 1988, 935.
170 BGH, Urt. v. 9.10.2000 – II ZR 75/99 – BB 2000, 2434; BGH, Urt. v. 9.3.1987 – II ZR 132/86 – BB
1987, 848.
171 Entsprechende Ausgestaltungen sind aber auch in Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern anzu-
treffen; siehe Kap. 4 Rn 232 ff.; MaSiG/Reiserer, Bonus- und Sonderzahlungen sowie Zielvereinbarung
(im Erscheinen); Reiserer, NZA-Beil. 2010, 39; Reiserer, NZA 2007, 1249.
Reiserer/Polczynski
454 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Folge hat. Der Gesellschaft wird auf diesem Wege die Möglichkeit eingeräumt, ihren
Geschäftsführer einen Teil der Unternehmenschancen und Risiken persönlich mittra-
gen zu lassen. So orientiert sich bei einem Erfolgsbezug der Vergütung deren Höhe im
Einzelnen automatisch an dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und stellt
damit ein Instrument der Entgeltflexibilisierung dar. Hinzu kommt, dass eine vom
Unternehmenserfolg abhängige Vergütung, insbesondere bei Fremdgeschäftsfüh-
rern, die Identifikation mit dem Unternehmen verstärken kann.
122 Allgemeinhin kann zwischen leistungs- und erfolgsbezogenen variablen Vergü-
tungsbestandteilen unterschieden werden. Während sich eine leistungsbezogene
Vergütung dadurch auszeichnet, dass die Vergütung an die individuelle Leistung
des Bezugsberechtigten anknüpft,172 steht bei der erfolgsbezogenen Vergütung der
durch den Bezugsberechtigten erreichte Erfolg, d. h. in der Regel die wirtschaftliche
Situation des Unternehmens, im Vordergrund.173 Im Rahmen eines Anstellungsver-
trags mit einem GmbH-Geschäftsführer wird üblicherweise eine erfolgsbasierende
Vergütung als variabler Vergütungsbestandteil vereinbart.
123 Eine weitere in der Praxis häufig anzutreffende Form der variablen Vergütung
im weitesten Sinne und als Abgrenzung zu einem festen Vergütungsbestandteil stellt
außerdem die Überlassung eines Dienstwagens174, zum Teil auch zur privaten Ver-
wendung sowie die Zahlung von Beiträgen zur betrieblichen oder privaten Altersver-
sorgung175 dar.
124 Im Folgenden werden die in Anstellungsverträgen mit GmbH-Geschäftsführern
gängigen Gestaltungsmöglichkeiten variabler Vergütungsbestandteile erläutert sowie
entsprechende Klauselmuster vorgeschlagen.
bb) Zielvereinbarung
125 Eine Zielvereinbarung stellt eine vertragliche Absprache zwischen Vergütungsberech-
tigten und –verpflichteten über bestimmte zu erreichende betriebliche Ziele dar.176
Als Instrument der Mitarbeiterführung und –motivation finden Zielvereinbarungen
in den letzten Jahren zunehmend Eingang in die Vergütungsabreden von Arbeitsver-
trägen mit Arbeitnehmern. Auf diese Weise räumen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern
die Möglichkeit ein, einen Teil der Unternehmenschancen und Risiken mitzutragen.
Denn regelmäßig werden Umsatz- und/oder Gewinnzahlen des Unternehmens
als Teilziele im Rahmen der Zielvereinbarung aufgenommen (Erfolgsbezug), so dass
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 455
Checkliste
Stufen der Zielvereinbarung179
1. Stufe: Rahmenvereinbarung
Die Rahmenvereinbarung regelt:
– dass überhaupt eine zielabhängige Vergütung gezahlt werden soll;
– die tatsächlichen Rahmenbedingungen der zusätzlichen Vergütung, d. h. unter welchen Voraus-
setzungen die Zielerreichung festgestellt wird und welche Boni gezahlt werden, sofern die Ziele
erreicht wurden;
– das Verfahren zur Bestimmung der innerhalb eines konkreten Zeitraums zu erreichenden Ziele.
2. Stufe: Konkrete Zielvereinbarung
In der konkreten Zielvereinbarung, die meist jährlich neu verhandelt wird, werden die zu erreichen-
den Ziele definiert und festgelegt.
177 Reiserer, NZA-Beil. 2010, 39, 41; Reiserer, NJW 2008, 609.
178 Allgemein zu Zielvereinbarungen: MaSiG/Reiserer, Zielvereinbarung (im Erscheinen); zu den
Grenzen von Zielvereinbarungen: de Beauregard/Schwimmbeck/Gleich, DB 2012, 2792, 2795.
179 Küttner/Griese, Personalbuch, Zielvereinbarung Rn 4.
Reiserer/Polczynski
456 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
3. Stufe: Feststellungsverfahren
Auf der letzten Stufe erfolgt schließlich die Ermittlung des Grades der individuellen Zielerreichung
und der entsprechenden konkreten Höhe der auszuzahlenden Boni.
cc) B
onus
130 Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Bonus“ existiert nicht. Allgemein kann als
Bonus ein zusätzlicher, in aller Regel variabler Vergütungsbestandteil bezeichnet
werden, der üblicherweise pro Kalender- oder Geschäftsjahr gezahlt wird und neben
eine vertraglich vereinbarte Festvergütung tritt.180
131 Ob überhaupt, unter welchen Voraussetzungen oder in welcher Höhe ein Bonus
gezahlt wird, kann bereits im Rahmen des Anstellungsvertrags geregelt werden; übli-
cherweise ist die Bonusregelung aber wesentlicher Teil einer Zielvereinbarung.181
132 Die generelle Regelung einer (geschäfts- oder kalender-)jährlichen Bonuszahlung
erfolgt in der Regel als Teil der Ziele-Rahmenvereinbarung. In der konkreten Zielfest-
setzung werden anschließend die zu erreichenden „harten“, sprich durch Zahlen veri-
fizierbaren, Ziele, wie Umsatz und/oder Gewinn des Unternehmens oder eines Unter-
nehmensteils bzw. so genannte „weiche“ Ziele, wie Personalführungskompetenz,
Kundenzufriedenheit oder Teamgeist, d h. Leistungskriterien, die einer individuellen
Bewertung zugänglich sind, (in der Regel jährlich neu) festgelegt. Die Auszahlung des
Bonus als sog. monetärer Leistungsanreiz182 knüpft an die Erreichung dieser Ziele an.
133 Denkbar sind aber auch Bonuszahlungen, die die Gesellschaft aufgrund Provi-
sions-183 oder Tantiemenvereinbarungen184 oder aufgrund Vereinbarungen über die
Übertragung von Geschäftsanteilen und Aktienoptionen185 leistet.
134 Entsprechende Vereinbarungen über flexible Bonuszahlungen werden bei der
GmbH zwischen der Gesellschafterversammlung bzw. dem mitbestimmungsrechtlich
einzurichtenden Aufsichtsrat und dem Geschäftsführer getroffen.186
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 457
Eine Prämie ist eine auf einen konkreten Erfolg bzw. eine konkrete Leistung 136
bezogene Vergütungsform. Erreicht der Geschäftsführer in einem Projekt ein für die
Gesellschaft besonders zufriedenstellendes Ergebnis, wie z. B. den erfolgreichen
Verkauf eines Tochterunternehmens, kann die Gesellschaft dies mit einer Prämie
als Sonderzuwendung belohnen. Stets erforderlich für eine Prämienzahlung ist
eine Vereinbarung über die Gewährung der Prämie für eine bestimmte Leistung des
Geschäftsführers („Normalleistung“). Das Verhältnis zwischen der vom Geschäfts-
führer messbar erbrachten Leistung und der vereinbarten „Normalleistung“ bildet
dann die Berechnungsgrundlage für die Höhe der Prämienzahlung.187
Dagegen sind Provisionen aus dem Recht des Handelsvertreters bekannt und in 137
den §§ 87–87c HGB geregelt. Die Provision ist eine in Prozent ausgedrückte Beteili-
gung des Provisionsberechtigten an dem Wert eines Geschäfts, deren Abschluss auf
dessen Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Grundlage der Zahlung bildet in der Regel
eine (im Anstellungsvertrag vereinbarte) Provisionszusage, die ggf. für Vertriebsge-
schäftsführer zur Anwendung kommt.
Gratifikationen stellen eine weitere neben das Fixgehalt tretende Sondervergü- 138
tung dar, die bei besonderen Gelegenheiten oder zu bestimmten Terminen ausgezahlt
wird (z. B. Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt, Jubiläen). Ein Anspruch des Geschäfts-
führers kann entweder durch eine entsprechende Vereinbarung im Anstellungsver-
trag oder aufgrund mehrfacher vorbehaltslos gewährter Zahlungen der Gesellschaft
begründet werden.188
ee) Tantieme
Weiterer monetärer Leistungsanreiz kann für den Geschäftsführer eine Bonuszahlung 139
aufgrund der Vereinbarung einer Tantieme sein. Im Regelfall werden im Anstellungs-
vertrag gewinnabhängige Tantiemen vereinbart.
Als Bemessungsgrundlage der Gewinntantieme sollte der handelsrechtliche 140
oder steuerrechtliche Jahresüberschuss mit bestimmten Modifikationen zugrunde
gelegt werden. Abzuraten ist von mehrdeutigen, unbestimmten Begriffen, wie z. B.
„Jahresgewinn“, „Bilanzgewinn“, „Gewinn gem. GoB“ o. Ä. als Bemessungsgrundla-
ge.189
Reiserer/Polczynski
458 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Praxistipp
Vereinbarung einer Gewinntantieme
Zu achten ist auf eine möglichst präzise Definition der Bemessungsgrundlage und der einzelnen Be-
zugsparameter für die Gewinntantieme, um im Streitfall Probleme bei der Tantiemenberechnung zu
vermeiden.
141 Umsatztantiemen sind grundsätzlich unüblich.190 Sie werden daher in der Regel
nicht anerkannt und insbesondere von der höchstrichterlichen Finanzgerichtsbarkeit
für Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften als verdeckte Gewinn-
ausschüttungen beurteilt.191
142 Rohgewinn-Tantiemen sind anzuerkennen, wenn sie wegen der berücksichtig-
ten Aufwendungen und der konkreten Kostenstruktur eher einer Gewinn-Tantieme
als einer Umsatztantieme gleichkommen.192 Vereinbarungen, die allein in einer
erfolgsabhängigen Vergütung bestehen (Nur-Tantieme oder Nur-Rohgewinntanti-
eme), werden bei Gesellschaftern mit einer Gesellschafterbeteiligung in der Regel in
eine verdeckte Gewinnausschüttung umqualifiziert. In Ausnahmesituationen (Grün-
dungsphase, vorübergehende wirtschaftliche Schwierigkeiten, Tätigkeit in stark risi-
kobehafteten Geschäftszweigen) kann eine zeitlich begrenzte Regelung allerdings
ganz oder teilweise anzuerkennen sein.193
143 Tantiemen dürfen sich wirtschaftlich nicht als verdeckte Gewinnausschüttungen
darstellen oder gar zu einer Gewinnabsaugung führen. Der BFH hat in seiner Recht-
sprechung daher Grundregeln für die Beurteilung der Angemessenheit einer
Gewinntantiemenvereinbarung mit Gesellschafter-Geschäftsführern aufgestellt,194
die von der Finanzverwaltung übernommen wurden.195 Zum einen soll in der Regel
eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen, soweit die Tantiemen sämtlicher
190 Sie sind zwar grundsätzlich denkbar, sollten aber möglichst vermieden werden, weil sie oftmals
nicht dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens dienen werden. Hintergrund ist, dass die Ver-
einbarung einer Umsatztantieme die Gefahr birgt, dass der Geschäftsführer Geschäfte zur Steigerung
des Umsatzes der Gesellschaft abschließt, diese aber nicht unbedingt auch dem wirtschaftlichen
Wohle der Gesellschaft dienen. Siehe hierzu Hümmerich/Reufels/Mengel, § 1 Rn 1497.
191 Zu Ausnahmefällen: BFH, Urt. v. 19.2.1999 – I R 105–107/97 – BB 1999, 885; z. B. in einer Auf-
bau- oder Umbauphase des Unternehmens, bei ausschließlicher Vertriebszuständigkeit, zeitlicher
Befristung und höhenmäßiger Begrenzung; BFH, Beschl. v. 12.10.2010 – I B 70/10 – n. v.; BFH, Beschl.
v. 17.9.2014 – I B 192/13 – n. v.; vgl. auch Hümmerich/Reufels/Borgmann, § 2 Rn 159; Abgrenzung zur
Gratifikation: BFH, Urt. v. 5.6.2002 – I R 69/01 – BB 2002, 2321.
192 BFH, Beschl. v. 26.1.1999 – I B 119/98 – BB 1999, 571; problematisch beispielsweise im Dienstleis-
tungsgeschäft.
193 Zu den Grundsätzen bei der Anerkennung von Tantiemenzusagen: BMF v. 1.2.2002 – BStBl I
2002, 219 – BeckVerw 031464; OFD Hannover, Verfüg. v. 16.4.2002 – S 2742 – 175 – StH 231 – BeckVerw
075263.
194 BFH, Beschl. v. 6.5.2004 – I B 223/03 – n. v.; BFH, Urt. v. 4.6.2003 – I R 24/02 – BB 2003, 2210; BFH,
Urt. v. 5.10.1994 – I R 50/94 – BB 1995, 966.
195 BMF, Schreiben v. 1.2.2002 – BMF IV A 2 – S 2742 – 4/02 – BStBl I S. 219 – BeckVerw 031464.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 459
Klauselmuster
Bezüge des Geschäftsführers
(1) Der Geschäftsführer erhält für seine Tätigkeit ein festes Jahresgehalt in Höhe von EUR [Betrag]. Die
Vergütung wird in 12 monatlichen Teilbeträgen zum jeweiligen Monatsende auf ein vom Geschäftsfüh-
rer zu benennendes Konto bargeldlos ausgezahlt.
196 BFH, Urt. v. 27.2.2003 – I R 46/01 – BB 2003, 1990; BFH, Urt. v. 27.2.2003 – I R 80, 81/01 – GmbHR
2003, 988; BFH, Urt. v. 4.6.2003 – I R 24/02 – BB 2003, 2210.
197 Vgl. etwa Sächsisches FG, Urt. 14.11.2013 – 6 K 701/12 – DstRE 2014, 544.
Reiserer/Polczynski
460 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
(2) Der Geschäftsführer erhält einen jährlichen Erfolgsbonus, dessen Höhe sich nach seinen persön-
lichen Aufgaben und Leistungen sowie der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft bemisst. Die Par-
teien werden in einer gesonderten schriftlichen Rahmenvereinbarung über eine Zielvereinbarung die
Einzelheiten zur Begründung des Erfolgsbonus` regeln.198
(3) Als Anerkennung für besondere Leistungen, die sich auf die Gesellschaft signifikant und nach-
haltig vorteilhaft auswirken und die bei Abschluss des Anstellungsvertrags nicht absehbar waren,
erhält der Geschäftsführer eine Sondervergütung. Die Höhe der Sondervergütung bemisst sich nach
dem erzielten wirtschaftlichen oder sonstigen Vorteil und wird von der Gesellschafterversammlung
in Abhängigkeit zur finanziellen Situation der Gesellschaft und unter Berücksichtigung der Angemes-
senheit der Gesamtbezüge des Geschäftsführers bestimmt. Die Sondervergütung beträgt jährlich
höchstens EUR [Betrag].199
(4) Der Geschäftsführer erhält zudem eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von EUR [Betrag]. Die Gra-
tifikation wird mit dem letzten Gehalt des Jahres gezahlt.
(5) Des Weiteren erhält der Geschäftsführer eine ergebnisabhängige Vergütung (Tantieme) in Höhe
von [Betrag] % des Jahresabschlusses der Handelsbilanz vor Verrechnung mit Verlustvorträgen und
vor Abzug der Körperschafts- und Gewerbesteuer. Die Bemessungsgrundlage für die Tantieme ist
nicht um Gewinnanteile stiller Gesellschafter, um die Tantieme selbst und um andere gewinnabhän-
gige Aufwendungen der Gesellschaft zu kürzen. Die Tantieme wird innerhalb eines Monats nach der
Feststellung des Jahresabschlusses fällig. Sie beträgt jährlich höchstens EUR [Betrag].
(6) Scheidet der Geschäftsführer während der Dauer des Geschäftsjahres aus den Diensten der Ge-
sellschaft aus, so hat er einen zeitanteiligen Anspruch auf die vorstehenden Bezüge.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 461
Klauselmuster
Dienstwagen
(1) Die Gesellschaft wird dem Geschäftsführer einen Dienstwagen folgender Kategorie zur Verfügung
stellen:
…. [Spezifizierung durch Kategorie, Marke, Typ, ggf. preisliche Obergrenze in €].
(2) Der Dienstwagen wird dem Geschäftsführer für die dienstliche Nutzung zur Verfügung gestellt.
Daneben wird ihm die Nutzung zu privaten Zwecken gestattet.
201 In dem vom BFH am 23.4.2009 entschiedenen Fall hielt der Gesellschafter-Geschäftsführer eine
Beteiligung von 65 % an der GmbH, vgl. BFH, Urt. v. 23.4.2009 – VI R 81/06 – DB 2009, 1571.
202 BFH, Urt. v. 11.2.2010 – VI R 43/09 – DB 2010, 762; zur Vertiefung vgl. Foerster, SteuK 2010, 228.
203 Zur Kündigungsfrist des Anstellungsverhältnisses s. Rn 181 f.
204 BGH, Urt. v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10 – NJW 2012, 1756; BGH, Urt. v. 25.2.1991 – II ZR 76/90 – NJW
1991, 1681.
205 Solche vertraglichen Vereinbarungen sind anders als bei Arbeitnehmern für Geschäftsführer zu-
lässig, vgl. Kap. 4 Rn 190 f.
Reiserer/Polczynski
462 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
(3) Die Kosten für die erforderlichen Wartungs-, Inspektions- oder Reparaturarbeiten trägt die Gesell-
schaft. Die Durchführung von Reparaturarbeiten bedarf jedoch – mit Ausnahme von Notreparaturen,
welche die Verkehrstauglichkeit erhalten sollen – der Zustimmung der Gesellschaft.
(4) Der Geschäftsführer wird darauf hingewiesen, dass die Nutzung zu privaten Zwecken einen geld-
werten Vorteil darstellt und daher wie übriges Einkommen ordnungsgemäß zu versteuern ist.
(5) Die Gesellschaft behält sich vor, sowohl die dienstliche Nutzung als auch die eingeräumte Mög-
lichkeit der Nutzung zu privaten Zwecken mit einer Frist von zwei Wochen zu widerrufen. Ein Widerruf
kommt jedoch nur aus folgenden Gründen in Betracht:
a) Wenn der Geschäftsführer den Dienstwagen vertragswidrig nutzt;
b) Wenn dem Geschäftsführer die Fahrerlaubnis für die Dauer von mindestens drei Monaten entzogen
wird;
c) Wenn der Anstellungsvertrag gekündigt wird und die Gesellschaft den Geschäftsführer danach be-
rechtigterweise von seiner Verpflichtung zur Dienstleistung freistellt;
d) Wenn seitens des Unternehmens aus wirtschaftlichen Gründen eine Veranlassung dafür besteht,
die Dienstwagennutzung zu widerrufen, ein solcher Grund ist insbesondere anzunehmen, wenn ….
[z. B., wenn der Jahresumsatz unter …. € fällt o. ä.].
c) B
etriebliche Altersversorgung
154 Einigen sich Gesellschaft und Geschäftsführer auf die Zusage einer betrieblichen
Altersversorgung206, so ist die Zahlung entsprechender Beiträge bzw. Zuschüsse durch
die Gesellschaft als Vergütungsbestandteil zu werten. Zur Regelung der betrieblichen
Altersvorsorge vereinbaren die Parteien in der Regel einen gesonderten Pensionsver-
trag. Als Leistungsarten kommen die direkte Pensionszusage in Form eines Ruhege-
haltes oder Hinterbliebenenversorgung sowie eine Direktversicherung in Betracht.207
155 Haben die Parteien grundsätzlich die Absicht gefasst, Regelungen zu einer
betrieblichen Altersversorgung zu treffen, kann folgende Absichtsklausel in den
Anstellungsvertrag aufgenommen werden:
Klauselmuster
Betriebliche Altersversorgung
Die Parteien werden in einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung die Einzelheiten zur Begrün-
dung einer betrieblichen Altersversorgung regeln.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 463
Regelung empfiehlt sich aus Gründen der Rechtssicherheit dennoch, da sich die
steuerlichen Höchstsätze z. B. bei Spesen für Verpflegung ändern können.
Klauselmuster
Spesen und Aufwendungsersatz
(1) Spesen und sonstige Aufwendungen des Geschäftsführers, die im Rahmen ordnungsgemäßer Er-
füllung dieses Vertrages für die Gesellschaft aufzubringen waren, werden dem Geschäftsführer von
Gesellschaft erstattet. Die Erstattung erfolgt, soweit nicht nachfolgend anderes geregelt ist, entweder
gegen Einzelnachweis oder pauschal gemäß den jeweils steuerlich zulässigen Höchstsätzen.
(2) Für Geschäftsreisen, die im Interesse der Gesellschaft erforderlich sind, kann der Geschäftsführer
den von der Gesellschaft, bereitgestellten Dienstwagen, soweit erforderlich, auch einen Mietwagen,
die Bahn oder das Flugzeug benutzen. Bei Fahrten mit der Bahn werden Fahrten der ersten Klasse
erstattet, bei Nutzung des Flugzeugs Tickets der Economy-Klasse und der Business-Klasse für Flüge
über sechs Stunden Dauer. Die Anmietung eines Mietwagens kann in der Größenordnung des Dienst-
wagens erfolgen.
(3) Erforderliche Hotelkosten werden von der Gesellschaft gegen Nachweis erstattet. Die Erstattung
von Verpflegungskosten erfolgt pauschal nach den steuerlich anerkannten Höchstsätzen.
(4) Die Gesellschaft stellt dem Geschäftsführer zu dienstlichen Zwecken ein mobiles Telefon zur Ver-
fügung, dessen Modell und finanzielle Konditionen von der Gesellschaft gewählt werden. Die private
Nutzung des Handys ist im angemessenen Umfang gestattet.
e) Ü berstunden
Der GmbH-Geschäftsführer schuldet der Gesellschaft grundsätzlich seine gesamte 157
Arbeitskraft. Weil die Arbeitszeitschutzbestimmungen des ArbZG für den Geschäfts-
führer nicht anwendbar sind (§ 2 Abs. 2 ArbZG), unterliegt weder die Lage der Arbeits-
zeit noch die Höchstdauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit gesetzlichen
Beschränkungen.
Gesonderte Überstundenvergütungen bzw. Zuschläge für Sonn- und Feiertagsar- 158
beit sowie für jede weitere Mehrarbeit aufgrund eines besonderen Arbeitseinsatzes
an einen Gesellschafter-Geschäftsführer stuft die Rechtsprechung des BFH nahezu
ausnahmslos als verdeckte Gewinnausschüttung ein.208 Denn entsprechende Ver-
einbarungen entsprechen grundsätzlich nicht dem, was ein ordentlicher und gewis-
senhafter Geschäftsleiter einer GmbH mit einem Fremdgeschäftsführer vereinbaren
würde.
208 BFH, Urt. v. 27.3.2012 – VIII R 27/09 – HFR 2012, 743; BFH, Urt. v. 14.7.2004 – I R 24/04 – GmbHR
2005, 109; BFH, Urt. v. 19.7.2001 – I B 14/00 – n.V.; BFH, Urt. v. 27.3.2001 – I R 40/00 – DB 2001, 1752;
BFH, Urt. v. 8.4.1997 – I R 66/96 – n. V.; BFH, Urt. v. 19.3.1997 – I R 75/96 – BB 1997, 1571; ausnahmswei-
se keine verdeckte Gewinnausschüttung BFH, Urt. v. 3.8.2005 – I R 7/05 – GmbHR 2005, 1632; vgl. auch
Gosch, Körperschaftssteuergesetz, § 8 Rn 1300, 1301.
Reiserer/Polczynski
464 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
159 Das nachfolgende Klauselmuster entspricht daher der gängigen Praxis, dass
sämtliche Mehr-, Sonntags- und Feiertagsarbeit des Geschäftsführers mit dessen
festen Jahresgehalt als abgegolten gilt.
Klauselmuster
Arbeitszeit
Der Geschäftsführer ist an eine bestimmte Arbeitszeit nicht gebunden. Er stellt sein ganzes Wissen
und Können uneingeschränkt der Gesellschaft zur Verfügung. Ein Anspruch auf Vergütung von Über-
stunden, Sonntags-, Feiertags- oder sonstiger Mehrarbeit besteht nicht.
f) Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall
160 Wird der Geschäftsführer ohne sein Verschulden „für eine verhältnismäßig nicht
erhebliche Zeit“ an seiner Dienstleistung gehindert, verliert er dadurch nicht den
Anspruch auf die vereinbarte Vergütung.209 Dies ergab sich bisher aus § 616 Abs. 1
BGB a. F. (der jetzige § 616 BGB n. F.), der nach ganz h. M. auch für den Geschäftsfüh-
rer galt, der nicht oder nicht wesentlich an der Gesellschaft beteiligt ist.210 Wann eine
solche „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ vorliegt, ist gesetzlich nicht geregelt.
Die Sechs-Wochen-Frist, von der § 3 Abs. 1 EFZG für alle Arbeitnehmer für den Krank-
heitsfall ausgeht, findet keine direkte Anwendung auf die GmbH-Geschäftsführer.211
Die Dauer des Gehaltsfortzahlungsanspruchs ist demnach beim Geschäftsführer
in jedem Fall einzeln zu prüfen, wobei die Sechs-Wochen-Frist des EFZG von Vielen
als Anhaltspunkt herangezogen wird.212
161 Um etwaige Streitigkeiten über die Dauer der Vergütungsfortzahlung zu vermei-
den, ist daher die Aufnahme einer entsprechenden Vereinbarung in den Anstel-
lungsvertrag zu empfehlen. Häufig wird dabei zusätzlich zu der Sechs-Wochen-Frist
vereinbart, dass daneben noch für einen weiteren Zeitraum nach Ablauf dieser Frist
ein Zuschuss zu den Leistungen der bestehenden Krankenversicherung an den
Geschäftsführer auszuzahlen ist.
Klauselmuster
Gehaltsfortzahlung bei Krankheit
(1) Wird der Geschäftsführer in der Ausübung seiner Tätigkeit durch Krankheit oder andere durch ihn
nicht verschuldete Gründe verhindert, erhält er für 6 Wochen sein Grundgehalt gemäß § … [Vergü-
tung] weiter.
(2) Dauert die Arbeitsunfähigkeit gemäß des vorstehenden Abs. 1 über die vorgesehene Dauer von
6 Wochen hinaus an, so erhält der Geschäftsführer ab Beginn der 7. Woche der Dienstunfähigkeit
209 Vgl. zur Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall auch Haase, GmbHR 2005, 1260.
210 Statt Vieler Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 114.
211 ErfK/Reinhard, § 1 EFZG Rn 2.
212 Vgl. Bauer, DB 1979, 2178, 2179 m. w. N.; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 114 m. w. N.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 465
und für die Dauer von 36 Monaten ab Beginn der Dienstunfähigkeit einen Zuschuss zum Kranken-
geld. Die Höhe des Zuschusses berechnet sich aus der Differenz zwischen dem monatlichen Netto-
Gehalt gemäß § … [Vergütung] und dem Krankengeld, das der Geschäftsführer vom Träger seiner
Krankenversicherung erhält. Der Geschäftsführer hat der Gesellschaft den Nachweis der Höhe sei-
nes Krankengeldes zu erbringen. Als Netto-Gehalt gilt das Brutto-Gehalt, vermindert um die von dem
Geschäftsführer abzuführenden gesetzlichen Abzüge; Sozialversicherungsbeiträge sind gesetzliche
Abzüge in diesem Sinne, unabhängig davon, ob die Beiträge vom Geschäftsführer selbst oder der
Gesellschaft abgeführt werden.
g) R eduzierung/Erhöhung
Anders als im Arbeitsverhältnis ist die vertragliche Vergütungsregelung im Dienst- 162
verhältnis des GmbH-Geschäftsführers nicht immer starr. Ausnahmsweise kann die
Gesellschaft einseitig von ihrem Geschäftsführer verlangen, bei wesentlicher Ver-
schlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse einer Gehaltsreduzierung zuzu-
stimmen. Für die schlechte wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sowie für den
Umstand, dass die Weitergewährung der Bezüge in der bisher gewährten Höhe für
die Gesellschaft zu einer groben Unbilligkeit führt, trägt allerdings die Gesellschaft
die Beweislast. Diese Rücksichtnahmepflicht, die sich für das Vorstandsmitglied
einer Aktiengesellschaft aus § 87 Abs. 2 AktG ergibt, begründet die Rechtsprechung
für den GmbH-Geschäftsführer mit der ihm obliegenden Treuepflicht.213 Auf die
Frage, inwieweit der Geschäftsführer durch seine geschäftsführenden Maßnahmen
die schlechte wirtschaftliche Situation der Gesellschaft (mit-)zuverantworten hat,
kommt es dabei nicht an.
Ein Anspruch des Geschäftsführers auf Erhöhung der vertraglich vereinbarten 163
Bezüge kommt dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht, und zwar in der Regel
nur bei unbefristeten Anstellungsverträgen.214 Diskutiert wird dies für Fremdge-
schäftsführer etwa bei völlig unerwartetem Wirtschaftswachstum der Gesellschaft,
insbesondere wenn der Teil der erfolgsabhängigen Vergütung vertraglich sehr gering
festgelegt wurde. Gerichtliche Entscheidungen liegen zu diesem Fragenkomplex –
soweit ersichtlich – nicht vor. Denn wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen
unter der Geschäftsführung eines Geschäftsführers so wesentlich verbessern, dass an
eine Gehaltsanpassung zu denken wäre, einigen sich die Parteien in der Regel ohne
Zwang auf eine entsprechende Gehaltssteigerung.
213 BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 88/91 – BB 1992, 1583; OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16.4.2003 – 5 U
12/03 – GmbHR 2004, 423 f., das § 87 AktG analog anwendet; ausführlich hierzu Scholz/Schneider/
Hohenstatt, GmbHG, § 35 Rn 369.
214 Scholz/Schneider/Hohenstatt, GmbHG, § 35 Rn 368
Reiserer/Polczynski
466 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
h) V
erjährung
164 Der Anspruch des Geschäftsführers auf Zahlung der Vergütung verjährt gemäß § 195
BGB in drei Jahren.215 Hiervon sind neben dem Gehaltsanspruch auch alle Ansprü-
che erfasst, die ein Entgelt für geleistete Dienste darstellen, wie etwa der Anspruch
auf Provision, Gewinnanteile, Karenzentschädigung, Urlaubsabgeltung, Ruhegehalt
o. Ä.
4. Nebenpflichten
a) Treuepflicht
165 Der Geschäftsführer hat bei der Ausübung seiner Tätigkeit sowohl gegenüber der
Gesellschaft als auch den jeweiligen Gesellschaftern Treuepflichten zu beachten.
Stets wird hierbei das Problem der Interessenkollision im Vordergrund stehen. So
soll der Geschäftsführer durch sein Tun den Erfolg seiner aktiven Förderpflicht nicht
gefährden, das Vertrauen der Mitgesellschafter/Mitgeschäftsführer nicht enttäuschen
oder missbrauchen und aus seiner Tätigkeit als Geschäftsführer keine persönlichen
wirtschaftlichen Vorteile ziehen.216
166 Geschäftsführer dürfen der Gesellschaft angebotene Geschäftschancen nicht
selbst wahrnehmen oder auf eigene Rechnung selbst oder durch Angehörige oder
Gesellschaften, an denen sie oder Angehörige beteiligt sind, verwerten.217 Von einer
Geschäftschance spricht man u. a., wenn ein Gesellschafterbeschluss gefasst wurde,
eine geschäftliche Möglichkeit tatsächlicher oder rechtsgeschäftlicher Natur wahrzu-
nehmen, die Gesellschaft ein Interesse an der Wahrnehmung geäußert hat, sie bereits
in Vertragsverhandlungen eingetreten ist, sie ein Angebot zur Wahrnehmung des
Geschäfts erhalten hat oder gegebenenfalls sogar schon dann, wenn sich lediglich
die Möglichkeit der Wahrnehmung eröffnet hat.218 Das Verbot endet nicht automa-
tisch mit der Beendigung der Geschäftsführerstellung. Auch im Anschluss dürfen
Geschäftsführer keine bereits zuvor bekannten Geschäftschancen an sich ziehen.219
167 Darüber hinaus dürfen Geschäftsführer auch keine Gesellschaftsressourcen zu
eigenen, unternehmensfremden Zwecken nutzen.220 In Betracht kämen u. a. das
Ausnutzen von Insiderinformationen, Annahme von Schmiergeldern, Inanspruch-
nahme von Darlehen oder verdeckte Gewinnausschüttungen.
215 Statt Vieler BeckOK GmbHG, Wisskirchen/Kuhn, § 6 Rn 126; für den Beginn der Verjährungsfrist
gilt § 199 BGB.
216 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 152.
217 BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84 – WM 1985, 1443; BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82 – WM
1983, 498; OLG Koblenz, Urt. v. 31.5.2012 – 6 U 350/12 – BeckRS 2012, 11480.
218 BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65 – GmbHR 1968, 141; vgl. Kap. 8 Rn 23 (entsprechend für Ar-
beitnehmer).
219 BGH, Urt. v. 11.10.1976 – II ZR 104/75 – DB 1977, 158.
220 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 200.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 467
Reiserer/Polczynski
468 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Wettbewerbsverbot
Für die Dauer dieses Anstellungsvertrages ist es dem Geschäftsführer nicht gestattet, in einem Un-
ternehmen tätig zu sein, welches mit der Gesellschaft in direktem oder indirektem Wettbewerb steht,
und zwar weder selbständig noch unselbständig, es zu beraten oder in irgendeiner Form zu unterstüt-
zen, ein solches Unternehmen zu errichten oder sich an solchen Unternehmen zu beteiligen, und zwar
weder unmittelbar noch mittelbar, weder gelegentlich noch gewerbsmäßig.
226 St. Rspr., BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87 – BB 1989, 1637; BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR
246/84 – BB 1986, 90; BeckOK HGB/Wetzel, § 60 Rn 4; zum Inhalt des vertraglichen Wettbewerbsver-
bots BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95 – BB 1997, 1913.
227 So BGH, Urt. v. 5.12.1983 – II ZR 242/82 – DB 1984, 495.
228 So Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 163; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn 42.
229 Vgl. zum Dispens auch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn 43.
230 Vgl. BFH, Urt. v. 18.12.1996 – I R 26/95 – NJW 1997, 1804; BFH, Urt. v. 30.8.1995 – I R 155/94 – NJW
1996, 950, wonach der Alleingesellschafter einer GmbH solange keinem gesetzlichen Wettbewerbsver-
bot unterliegt, als er der GmbH kein Vermögen entzieht, das zur Deckung des Stammkapitals benötigt
wird.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 469
d) N ebentätigkeit
Da der Geschäftsführer anders als ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft der Gesell- 175
schaft voll zur Verfügung stellen muss, verbleibt oft nur wenig Raum für Nebentä-
tigkeiten. Soweit diese mit seinen Aufgaben als Geschäftsführer vereinbar sind, darf
aber auch der GmbH-Geschäftsführer außerhalb des Unternehmensgegenstandes
tätig werden. Anders als im Arbeitsvertrag kann im Anstellungsvertrag des GmbH-
Geschäftsführers aber ein absolutes Nebentätigkeitsverbot aufgenommen werden.231
Dieses Nebentätigkeitsverbot kann auch die Veröffentlichung von Publikationen
sowie die Übernahme von Ehrenämtern umfassen. Werden durch die Nebentätig-
keit des Geschäftsführers aber weder die Tätigkeit als Geschäftsführer noch sonstige
berechtigte Interessen der Gesellschaft beeinträchtigt, so steht dem Geschäftsführer
auch bei einem absoluten Nebentätigkeitsverbot ein Anspruch gegen die Gesellschaft
zu, die Nebentätigkeit zu genehmigen.232
Aus diesem Grund empfiehlt sich folgendes Klauselmuster: 176
Klauselmuster
Nebentätigkeitsverbot
Die Aufnahme einer Nebentätigkeit, gleich ob entgeltlich oder unentgeltlich, bedarf der vorherigen
schriftlichen Zustimmung der Gesellschaft. Gleiches gilt für Veröffentlichungen und Vorträge, wel-
che den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft betreffen. Dies gilt auch für die Übernahme von Ämtern in
Aufsichtsgremien anderer Unternehmen und Ehrenämtern in Organisationen, wobei die zur Übernah-
me eines Amtes erteilte Zustimmung unter Beachtung etwaiger vom Geschäftsführer zu beachtender
Kündigungsfristen jederzeit widerruflich ist.
Reiserer/Polczynski
470 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Anschluss OLG Hamm, Urt. v. 1.2.2006 – 8 U 46/05 – NZG 2006, 430; OLG Köln, Urt. v. 21.2.1990 – 13 U
195/89 – GmbHR 1991, 156; ausführlich zu Kündigung und Abberufung Lunk, ZIP 1999, 1777.
236 BGH, Urt. v. 9.10.1989 – II ZR 16/89 – BB 1989, 2209 m. Anm. v. Schlechtriem, EWiR 1990, 17.
237 BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 225/54 – BGHZ 18, 205; BGH, Urt. v. 20.12.1982 – II ZR 110/82 – BGHZ
86, 177, 181; BGH, Urt. v. 28.1.1985 – II ZR 79/84 – GmbHR 1985, 256.
238 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83 – NJW 1984, 2528; OLG Stuttgart, Urt. v. 13.4.1994 – 2 U
303/93 – GmbHR 1995, 228; Gehrlein, BB 1996, 2257; Hümmerich/Reufels/Reufels, § 2 Rn 481.
239 BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85 – WM 1987, 71 m. Anm. v. Riegger, EWiR 1987, 53.
240 Vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1968 – II ZR 212/65 – WM 1968, 570; OLG Köln, Urt. v. 21.2.1990 – 13 U 195/89 –
GmbHR 1991, 156.
241 OLG Köln, Urt. v. 21.2.1990 – 13 U 195/89 – GmbHR 1991, 156; Scholz/Schneider/Hohenstatt,
GmbHG, § 35 Rn 428.
242 BGH, Urt. v. 27.3.1995 – II ZR 140/93 – BB 1995, 1102; BGH, Urt. v. 13.2.1984 – II ZR 2/83 – WM 1984,
532.
243 So zuletzt BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – DB 2001, 2438 zur (prozessualen) Vertretung der
Gesellschaft mit fakultativem Aufsichtsrat gegenüber ausgeschiedenen Geschäftsführern vgl. BGH,
Urt. v. 5.3.1990 – II ZR 86/89 – BB 1990, 729; BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 127/01 – BB 2004, 126.
244 Scholz/Schneider, GmbHG, § 52 Rn 12.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 471
ten, dass nach der Rechtsprechung des BGH eine Umdeutung nur dann vorgenom-
men werden kann, wenn nach der Sachlage anzunehmen ist, dass die ordentliche
Kündigung dem Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille in seiner
Erklärung für den Empfänger erkennbar zum Ausdruck kommt.245 Da die Kündigung
des Dienstvertrages eines Geschäftsführers in den ausschließlichen Zuständigkeits-
bereich der Gesellschafterversammlung fällt, ist es erforderlich, dass der Beschluss
der Gesellschafter ihren Willen zum Ausdruck bringt, es solle nicht nur eine fristlose,
sondern auch eine fristgemäße Kündigung ausgesprochen werden. Dieser Wille muss
sich darüber hinaus aus der dem Empfänger der Kündigungserklärung gegenüber
abgegebenen Erklärung ergeben.
Kündigt der Geschäftsführer, so kann er die Erklärung sowohl an einen Mit- 180
geschäftsführer, auch wenn Gesamtvertretungsbefugnis besteht,246 als auch an die
Gesellschafter richten.
b) Kündigungsfrist
Ist im Anstellungsvertrag eine bestimmte Kündigungsfrist nicht geregelt247 und beste- 181
hen feste Bezüge, die nach Monaten bemessen sind, so finden die Kündigungs-
fristen des § 622 BGB Anwendung.248 Nach ihrem Wortlaut ist diese Vorschrift
zwar nicht unmittelbar auf den GmbH-Geschäftsführer anwendbar, da sie lediglich
für Arbeitnehmer gilt. Dessen ungeachtet gebietet es die Interessenlage, auch dem
Geschäftsführer, der seine Arbeitskraft der Gesellschaft für eine Anzahl von Jahren
zur Verfügung gestellt hat, mit zunehmender Betriebszugehörigkeit steigende Kün-
digungsfristen zu gewähren.249 Dies gilt allerdings nur für den Fremdgeschäfts-
führer sowie für den nicht beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer, die
sich beide darauf eingestellt haben, die Geschäftsführertätigkeit auch beruflich aus-
zuüben und für ihren Lebensunterhalt ein Gehalt zu beziehen.250 Das OLG Düssel-
dorf hat die entsprechende Anwendung des § 622 BGB auf Anstellungsverträge von
GmbH-Geschäftsführern primär von der Frage abhängig gemacht, ob der betreffende
Geschäftsführer zumindest den wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft in den Dienst
der Gesellschaft gestellt und auch nicht durch eine Mehrheitsbeteiligung an der
245 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 8.9.1997 – II ZR 165/96 – NJW 1998, 76; BGH 14.2.2000 – II ZR 285/97 – BB
2000, 631; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 146.
246 Einhellige Ansicht, vgl. bereits BGH, Urt. v. 19.1.1961 – II ZR 217/58 – GmbHR 1961, 48; Scholz/
Schneider/Hohenstatt, § 35 Rn 430, 313.
247 Klauselmuster zur Vertragsdauer und Beendigung eines unbefristeten Anstellungsvertrages
vgl. Rn 222.
248 Str., so aber hM, vgl. Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 122 ff.
249 So auch Bauer/Gragert, ZIP 1997, 2177, 2180; a. A. Hümmerich, NJW 1995, 1177.
250 Zu § 622 BGB a. F. vgl. BGH, Urt. v. 29.1.1981 – II ZR 92/80 – BB 1981, 752 betr. Fremdgeschäftsfüh-
rer; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83 – NJW 1984, 2528 betr. Gesellschafter-Geschäftsführer.
Reiserer/Polczynski
472 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
c) Schriftform
183 Seit 1.5.2000 gilt für die Kündigung und die einvernehmliche Aufhebung von
Arbeitsverhältnissen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB.256 Soweit der GmbH-
Geschäftsführer in einem Arbeitsverhältnis steht, findet die Vorschrift daher Anwen-
dung.257 Es ist bisher umstritten, ob diese Schriftformklausel auch für die Kündigung
und die einvernehmliche Aufhebung des Dienstverhältnisses von GmbH-Geschäfts-
führern und AG-Vorständen gilt.258 Teilweise wird vertreten, dass sich jedenfalls bei
Fremdgeschäftsführern eine Anwendung des § 623 BGB aus den gleichen Erwägun-
gen rechtfertigt, die auch zur entsprechenden Anwendung der Kündigungsfristen
des § 622 BGB geführt haben.259 Hiergegen sprechen allerdings die Gesichtspunkte
der grammatikalischen, systematischen und teleologischen Auslegung. Gleichwohl
bleiben bis zur höchstrichterlichen Klärung Unwägbarkeiten, die nur durch die Ein-
haltung der Schriftform ausgeschlossen werden können.260 Im Übrigen empfiehlt sich
die Schriftform der Kündigung bereits aus Beweisgründen.261
251 OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.10.2003 – I-17 U 35/03 – NZG 2004, 478.
252 BGH, Urt. v. 9.3.1987 – II ZR 132/86 – BB 1987, 848; OLG Hamm, Urt. v. 27.1.1992 – 8 U 200/91 –
NJW-RR 1993, 493.
253 BAG, Urt. v. 25.3.2004 – 2 AZR 324/03 – NJW 2004, 3444 f.
254 KG Berlin, Beschl. v. 13.7.2009 – 23 U 50/09 –, GmbHR 2010, 37.
255 KG Berlin, Beschl. v. 13.7.2009 – 23 U 50/09 – GmbHR 2010, 37.
256 Zum Schriftformerfordernis bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses vgl. Kap. 6 Rn 132 ff.
257 BeckOK BGB/Fuchs, § 623 BGB Rn 2; MüKo-BGB/Henssler, § 623 Rn 6.
258 BeckOK ArbeitsR/Gotthardt, § 623 BGB Rn 2.
259 KR/Spilger, § 623 BGB Rn 41; a. A. Zimmer, BB 2003, 1175; MüKo-BGB/Henssler, § 623 Rn 6.
260 So auch Löw, BuW 2004, 78.
261 So auch Moll/Moll/Grobys, § 80 Rn 64.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 473
d) F reistellung
Der GmbH-Geschäftsführer kann jederzeit von seinen vertraglichen Dienstpflichten 184
freigestellt werden.262 Eine Einschränkung gilt nur dann, wenn der Widerruf der
Bestellung im Geschäftsführerdienstvertrag auf wichtige Gründe beschränkt wurde
(§ 38 Abs. 2 GmbHG). In diesem Fall ist es allerdings auch ausreichend, wenn die
Gesellschaft billigenswerte Gründe hat, die in der Regel dann bejaht werden, wenn
die Suspendierung dem Zweck dienen soll, vorliegende Tatsachen oder Vorwürfe auf
ihre Tragweite bzw. eine etwa erforderliche Abberufung zu überprüfen. Des Vorlie-
gens eines wichtigen Grundes bedarf es für die Suspendierung dagegen regelmäßig
nicht.263
Aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt sich dennoch die Aufnahme einer 185
Freistellungsklausel in den Anstellungsvertrag.
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
Im Fall der Kündigung behält sich die Gesellschaft das Recht vor, den Geschäftsführer bis zum Ablauf
der Kündigungsfrist von der Verpflichtung zur Dienstleistung freizustellen; etwaige noch offene Ur-
laubsansprüche sind in diesem Fall auf den Freistellungszeitraum anzurechnen.
262 A. A. Beckmann, NZA 2004, 1131, 1134 f., der stets das Vorliegen eines sachlichen Grundes für
erforderlich hält, ähnlich Wicke, GmbHG, Anhang § 6 Rn 15, der die Möglichkeit einer Freistellung
von einer Regelung im Anstellungsvertrag oder dem Bestehen eines schützenswerten Interesses der
Gesellschaft abhängig macht; zur Freistellung von Arbeitnehmer vgl. Kap. 6 Rn 183 ff.
263 LG Köln, Urt. v. 9.9.1997 – 3 O 406/97– GmbHR 1997, 1104; Reiserer/Heß-Emmerich/Peters, S. 88 f.
264 Einhellige Ansicht, BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 719/00 – NZA 2002, 854 m. Anm. v. Reiserer, AP
Nr. 8 zu § 14 KSchG 1969; vgl. i.Ü. statt vieler ErfK/Kiel, § 14 KSchG Rn 3.
265 BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09 –, DB 2010, 1518 m. Anm. v. Diller, NZG 2011, 254.
Reiserer/Polczynski
474 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
des BGH266 zwar eine Einschränkung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung
des Anstellungsvertrages, die jedoch die Bestellungs- und Abberufungsfreiheit der
Gesellschafterversammlung hinsichtlich der davon zu trennenden Organstellung nur
mittelbar berühre und daher zulässig sei. Darin sei keine Beeinträchtigung der Funk-
tionsfähigkeit der Gesellschaft zu sehen. Zur Begründung wird u. a. die Vorschrift des
§ 38 GmbHG angeführt, die weitere Einschränkungen der Abberufbarkeit zulässt. § 1
KSchG enthalte einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht, von welchem nicht
zu Lasten von Arbeitnehmern abgewichen werden könne; eine privatautonome Aus-
dehnung des Kündigungsschutzes über den gesetzlich geregelten Anwendungsbe-
reich hinaus sei aber zulässig.
188 Das nachfolgende Klauselmuster dient als Beispiel für die Einbeziehung der
materiellen Regeln des KSchG zugunsten des Geschäftsführers:
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(…) …
(…) Für die Kündigung gelten im Übrigen zugunsten des Geschäftsführers die Bestimmungen des
deutschen Kündigungsschutzrechts für Arbeitnehmer. Das Recht zur fristlosen Kündigung des Vertra-
ges aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften bleibt unberührt.
266 BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09 – DB 2010, 1518; auch zur Behandlung und Auslegung eines
Auflösungsantrages nach §§ 14 Abs. 2 S. 2, 9 Abs. 1 S. 2 KSchG in solchen Fällen.
267 Vgl. hierzu Schrader/Straube, GmbHR 2005, 904.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 475
wenn der Geschäftsführer vor seiner Bestellung in einem Arbeitsverhältnis zur Gesell-
schaft gestanden hatte und sich durch seine Bestellung zum Organ die Vertragsbedin-
gungen nicht wesentlich geändert hatten. Wurde in diesem Fall das Arbeitsverhältnis
nicht ausdrücklich aufgehoben, ging das BAG davon aus, dass das frühere Arbeits-
verhältnis während der Geschäftsführertätigkeit lediglich ruhte, also sachlich fort-
bestand, und nach Abberufung des Geschäftsführers ohne besondere Vereinbarung
wieder auflebte.268
Das BAG hat diese Grundsätze, die mit der besonderen Schutzbedürftigkeit des 192
Geschäftsführers begründet wurden, in den 90er-Jahren aufgegeben. Zunächst hat
der zeitweise zuständige Fünfte Senat in seiner Entscheidung vom 28.9.1995269 fest-
gestellt, dass im Zweifel mit der Geschäftsführerbestellung das bisherige Arbeits-
verhältnis aufgehoben werde. Auch die folgenden Entscheidungen des Zweiten
Senats führten weiter von der bisherigen Theorie vom „ruhenden Arbeitsverhältnis“
weg. Heute geht das BAG grundsätzlich davon aus, dass mit dem Abschluss eines
schriftlichen270 Geschäftsführerdienstvertrages das bisherige Arbeitsverhältnis im
Zweifel einvernehmlich beendet wird; es bestehe eine dahingehende tatsächliche
Vermutung.271 In der Entscheidung vom 5.6.2008272 betont das BAG zugleich, dass
der neue Vertrag die ausschließliche Grundlage der rechtlichen Beziehungen der Par-
teien darstellt, sofern nichts anderes vereinbart ist; die im Rahmen des bisherigen
Arbeitsverhältnisses vereinbarten Rechte und Pflichten würden durch den schriftli-
chen Geschäftsführerdienstvertrag konkludent aufgehoben.
Nach den Entscheidungen des BAG vom 19.7.2007273 gilt dies auch nach dem 193
Inkrafttreten der gesetzlichen Schriftform nach § 623 BGB für Aufhebungsverträge.
Durch den schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag wird das Schriftformerforder-
nis nach §§ 623, 126 BGB für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gewahrt.274 Der
Warnfunktion des § 623 BGB werde dadurch Genüge getan, dass dem Arbeitnehmer
durch die schriftliche Vertragsurkunde des Geschäftsführerdienstvertrages hinrei-
chend deutlich vor Augen geführt werde, dass die vertraglichen Beziehungen zu
268 BAG, Urt. v. 9.5.1985 – 2 AZR 330/84 – BB 1985, 1474; BAG, Urt. v. 27.6.1985 – 2 AZR 425/84 – DB
1986, 2132; BAG, Urt. v. 12.3.1987 – 2 AZR 336/86 – DB 1987, 2659; ausführlich hierzu Reiserer, DB 1994,
1822; Reiserer/Heß-Emmerich/Peters, S. 92 f.
269 BAG, Beschl. v. 28.9.1995 – 5 AZB 4/95 – ZIP 1996, 146.
270 Anders bei fehlender Schriftform infolge nur konkludenter Erweiterung des Arbeitsverhältnis-
ses, vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.1.2009 – 6 Ta 174/09 – NZA-RR 2009, 277.
271 BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06 – BB 2009, 612.
272 BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06 – BB 2009, 612.
273 BAG, Urt. v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06 – DB 2007, 2093; BAG, Urt. v. 19.7.2007– 6 AZR 875/06 – NJW-
Spezial 2007, 484.
274 Etwas anderes gilt dann, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag nur konkludent oder mündlich
abgeschlossen wird, so LAG Niedersachsen, Beschl. v. 5.3.2007 – 17 Ta 618/06 – NZA-RR 2007, 522;
ebenso Lembke, BB 2008, 393.
Reiserer/Polczynski
476 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
seinem Arbeitgeber nunmehr auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden.275 In
der Entscheidung vom 25.10.2007276 betont das BAG darüber hinaus für das Bestehen
des sog. „ruhenden Arbeitsverhältnisses“ die besondere Darlegungs- und Beweis-
last des Geschäftsführers. Behauptet ein gekündigter Geschäftsführer, es hätten zwei
Schuldverhältnisse bestanden, nämlich ein Geschäftsführerdienstverhältnis und ein
ruhendes Arbeitsverhältnis, hat er nach Auffassung des BAG die Tatsachen darzu-
legen, aus denen sich diese Verdopplung der Rechtsverhältnisse anlässlich seiner
Geschäftsführerbestellung ergeben soll.277
f) Besonderer Kündigungsschutz
aa) Mutterschutz/Elternzeit
194 Auf den besonderen Kündigungsschutz nach dem MuSchG kann sich nach der
Danosa-Entscheidung des EuGH278 eine (Fremd-)Geschäftsführerin berufen, wenn
sie dem unionsrechtlichem Arbeitnehmerbegriff unterfällt, d. h. Weisungen der
Gesellschaft unterworfen ist. Hintergrund hierfür ist, dass die maßgebliche Richtlinie
92/85/EWG bezüglich der Definition des Arbeitnehmerbegriffs an unionsrechtlichen
Vorstellungen anknüpft, während den meisten anderen arbeitsrechtlichen Richtli-
nien der Arbeitnehmerbegriff des jeweiligen Mitgliedsstaates zugrunde liegt.279
195 Liegen die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes
dagegen nicht vor, so gilt die bisher ganz überwiegende Meinung fort, dass der
besondere Kündigungsschutz des MuSchG280 sowie des BEEG für die Geschäfts-
führerin bzw. den Geschäftsführer der GmbH keine Anwendung findet.
bb) Schwerbehinderung
196 Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer lässt sich nicht
auf Organmitglieder übertragen.281 Das Bundessozialgericht hat diese Regel insoweit
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 477
v. 24.9.1985 – 6 O 106/85 – ZIP 1985, 1282; a. A. LG München I, Urt. v. 18.12.1991 – 3 O 6702/91 – n. v.;
zur Anrechenbarkeit des Geschäftsführers auf die Pflichtplatzzahl für Schwerbehinderte vgl. BVerwG,
Urt. v. 26.9.2002, NZA 2003, 1094.
282 BVerwG, Urt. v. 26.9.2002 – 5 C 53/01 – NZA 2003, 1094.
283 OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.10.2012 – I-6 U 47/12 – GmbHR 2012, 1347.
284 BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76 – BB 1978, 520; Janzen, NZG 2003, 468, 469 (zu Vorstandsmit-
gliedern); zur Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund bei Verletzung der Buchfüh-
rungspflichten sowie bei unheilbarem Zerwürfnis mit einem Mitgeschäftsführer vgl. BGH, Beschl. v.
12.01.2009 – II ZR 27/08 – BB 2009, 801.
285 BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89 – GmbHR 1990, 345; zur außerordentlichen Kündigung
generell Reiserer, BB 2002, 1199; Reiserer, DB 2006, 1787, 1788 ff.; vgl. FG München, Urt. v. 18.3.2005 –
8 K 4814/04 – n. v.
Reiserer/Polczynski
478 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
ren, nicht mehr zugemutet werden kann.286 Vorvertragliche Gründe, also Vorgänge,
die der Gesellschafterversammlung bereits bei der Bestellung bzw. bei Abschluss des
Anstellungsvertrages bekannt waren, rechtfertigen grundsätzlich keine fristlose Kün-
digung. Das gilt selbst dann, wenn ein möglicherweise wegen Mehrheitsmissbrauchs
rechtswidriger, aber nicht erfolgreich angefochtener Gesellschafterbeschluss über
den Abschluss des Anstellungsvertrages vorliegt.287
199 Das Recht zur Kündigung des Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund ist
unabdingbar. Es darf weder ganz beseitigt noch dadurch beschränkt werden, dass
die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung vertraglich auf wenige Gründe
reduziert oder durch eine Abfindungsregel unzulässig eingeschränkt wird.288
200 Die Angabe des Kündigungsgrundes ist zur Wirksamkeit der Kündigung nicht
erforderlich. Auf Verlangen des Geschäftsführers muss die Gesellschaft nach § 626
Abs. 2 S. 3 BGB aber den Kündigungsgrund schriftlich mitteilen. Aus der Kündigungs-
erklärung muss zudem hervorgehen, dass das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund
ohne Bindung an die vertraglich vereinbarten oder gesetzlichen Kündigungsfristen
beendet werden soll.289
201 Die Beweislast für die Tatsachen, die den wichtigen Grund tragen, trägt die
Gesellschaft. Beruft sich der Geschäftsführer auf Umstände, die sein Verhalten recht-
fertigen sollen, hat die Gesellschaft diese zu widerlegen und hierfür den Beweis zu
führen.290
202 Als wichtige Gründe kommen grundsätzlich nur solche Umstände in Betracht,
die in der Person des Geschäftsführers liegen. Dies sind meist Pflichtverletzungen
des Geschäftsführers wie Treuepflichtverletzungen oder strafbare Handlungen. In
Einzelfällen können aber auch objektive Umstände wie etwa die dauernde Arbeits-
unfähigkeit des Geschäftsführers wegen Krankheit eine außerordentliche Kündigung
rechtfertigen, ohne dass es hier eines Verschuldens des Geschäftsführers bedürfte.291
203 Als wichtiger Grund wurde von der Rechtsprechung bisher u. a. anerkannt:
286 BGH, Urt. v. 19.10.1987 – II ZR 97/87 – BB 1988, 88; vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.12.2007 – II ZR
289/06 – BB 2008, 955 m. Anm. v. Reiserer.
287 BGH, Urt. v. 12.7.1993 – II ZR 65/92 – BB 1993, 1681; m. Anm. v. Goette, DStR 1993, 1457.
288 BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 282/98 – NZA 2000, 945; Fortführung BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR
239/06 – NZG 2008, 471 zur vertraglichen Ausschlussmöglichkeit einer außerordentlichen Kündigung
eines Arbeitnehmers vgl. Kap. 6 Rn 141 f., 143 ff.
289 OLG Frankfurt, Urt. v. 19.1.1988 – 5 U 3/86 – GmbHR 1989, 254, 256.
290 BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 353/00 – GmbHR 2003, 33; LAG Köln, Urt. v. 21.4.2004 – 8 (13) Sa
136/03 – LAGReport 2005, 63; OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06 – AG 2007, 361; BAG, Urt. v.
19.12.1991 – 2 AZR 367/91 – n. v.; BAG, Urt. v. 6.8.1987 – 2 AZR 226/87 – NJW 1988, 438.
291 OLG Zweibrücken, Urt. v. 5.6.2003 – 4 U 117/02 – GmbHR 2003, 1206, 1207; vgl. auch Branden-
burgisches OLG, Urt. v. 9.5.2007 – 7 U 84/06 – n. v.; zur Weigerung über eine schwere Erkrankung
Auskunft zu geben.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 479
Beispiel
– Eigenmächtige Entnahme vom Konto der Gesellschaft zur Sicherung etwaiger künftiger Ansprü-
che gegen die Gesellschaft;292
– Verletzung der Auskunftspflicht gegenüber Gesellschaftern;293
– Verletzung der Pflicht zur Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft;294
– Beharrliche Nichtbefolgung von Gesellschafterweisungen;295
– Tiefgreifendes, die weitere Zusammenarbeit unmöglich machendes, auch nach außen zum Aus-
druck kommendes Zerwürfnis unter den Geschäftsführern, zu dem der Betroffene durch sein Ver-
halten mit beigetragen haben muss;296
– Stetige Widersetzung gegen die Interessen der Gesellschaft;297
– Illoyales Verhalten gegenüber dem Alleingesellschafter;298
– Begründeter Verdacht, auf betrügerische Weise Subventionen erschlichen zu haben;299
– Begründeter Verdacht einer (auch außerdienstlichen) strafbaren Handlung;300
– Überschreitung der Geschäftsführerbefugnis;301
– Unberechtigte Amtsniederlegung;302
– Verfolgung eigennütziger Interessen zum Nachteil der Gesellschaft;303
– Wettbewerb zur Gesellschaft, Verschweigen von Eigengeschäften;304
292 BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94 – BB 1995, 1844; OLG Köln, Urt. v. 28.6.1995 – 2 U 97/94 –
GmbHR 1996, 290.
293 BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94 – BB 1995, 975; bestätigt durch BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR
243/11 – NZG 2012, 940; OLG Hamm, Urt. v. 6.3.1996 – 8 U 154/93 – GmbHR 1996, 939; OLG München,
Urt. v. 23.2.1994 – 7 U 5904/93 – BB 1994, 735; OLG Frankfurt, Urt. v. 24.11.1992 – 5 U 67/90 – DB 1993,
2324.
294 BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94 – BB 1995, 975; bestätigt durch BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II
ZR 243/11 – NZG 2012, 940; BGH, Urt. v. 8.12.1994 – II ZR 9/94 – WM 1995, 709; OLG Bremen, Urt. v.
20.3.1997 – 2 U 110/96 – GmbHR 1998, 536.
295 OLG Frankfurt, Urt. v. 7.2.1997 – 24 U 88/95 – GmbHR 1997, 346, auch bei für die Gesellschaft
wirtschaftlich nachteiligen, aber rechtmäßigen Weisungen.
296 BGH, Urt. v. 17.10.1983 – II ZR 31/83 – WM 1984, 29; OLG Brandenburg, Urt. v. 5.12.2007 – 7 U
86/07 – n. v.; BGH, Beschl. v. 12.1.2009 – II ZR 27/08 – NZG 2009, 386; für die zweigliedrige Gesell-
schaft LG Hamburg, Urt. v. 17.5.2013 – 412 HKO 73/12 – GWR 2013, 295; LG Karlsruhe, Urt. v. 29.4.1998 –
O 120/96 KfH I – DB 1998, 1225; m. Anm. v. Morawietz, GmbHR 2000, 637; OLG Naumburg, Urt. v.
25.1.1996 – 2 U 31/95 – GmbHR 1996, 935; LG Karlsruhe, Urt. v. 29.4.1998, GmbHR 1998, 1225; m. Anm.
v. Wolf, GmbHR 1998, 1163.
297 BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, BB 1967, 731.
298 BGH, Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, BB 2000, 844.
299 BGH, Urt. v. 2.7.1984 – I ZR 16/84 – WM 1984, 1187.
300 BGH, Urt. v. 9.1.1967 – II ZR 226/64 – WM 1967, 251; OLG Celle, Urt. v. 5.5.2003 – 9 U 111/02 –
GmbHR 2003, 773; LAG Berlin, Urt. v. 30.6.1997 – 9 Sa 43/97 – GmbHR 1997, 839.
301 OLG Stuttgart, Urt. v. 27.2.1979 – 12 U 171/77 – WM 1979, 1296; einschränkend BGH, Urt. v.
25.2.1991 – II ZR 76/90 – GmbHR 1991, 197.
302 BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79 – BB 1980, 1397; OLG Celle, Urt. v. 31.8.1994 – 9 U 118/93 –
GmbHR 1995, 728; OLG Celle, Urt. v. 4.2.2004 – 9 U 203/03 – NZG 2004, 475.
303 BGH, Urt. v. 19.11.1990 – II ZR 88/89 – WM 1991, 97; OLG Köln, Urt. v. 28.6.1995 – 2 U 97/94 –
GmbHR 1996, 290.
304 OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.7.1988 – 10 U 157/87 – GmbHR 1988, 484.
Reiserer/Polczynski
480 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
204 Nicht als wichtiger Grund wurde von der Rechtsprechung bisher anerkannt:
Beispiel
– Vertrauensentzug durch die Gesellschafterversammlung, wenn dem Geschäftsführer nur Ge-
ringfügigkeiten und weder schuldhaftes Verhalten317 noch missbräuchliche Ausnutzung der Er-
werbschancen der Gesellschaft318 vorgeworfen werden können;
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 481
Reiserer/Polczynski
482 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
bb) V
ertraglich vereinbarte Kündigungsgründe
205 Die vertragliche Vereinbarung von Gründen, die eine außerordentliche Kündigung
rechtfertigen sollen, ist im Geschäftsführerdienstvertrag – anders als bei Arbeits-
verhältnissen331 – grundsätzlich zulässig. Die Wirksamkeit der außerordentlichen
Kündigung hängt dann nicht noch von einer Interessenabwägung ab, ob der kün-
digenden Gesellschaft ein Festhalten am Vertrag zuzumuten ist. Um aber durch die
Vereinbarung außerordentlicher Kündigungsgründe nicht die Mindestkündigungs-
fristen des § 622 BGB zu umgehen, führt die Kündigung zwar zu einer Beendigung
des Anstellungsverhältnisses, aber nur unter Einhaltung der zwingenden Fristen
des § 622 BGB.332 Ein Kündigungsgrund, der nur kraft Vereinbarung einen wichtigen
Grund darstellt, aber nicht die gesetzlichen Anforderungen des wichtigen Grundes
des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt, rechtfertigt deshalb zwar die Auflösung des Anstellungs-
verhältnisses, jedoch nur unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen.
206 Bei der Aufnahme wichtiger Gründe in den Anstellungsvertrag, die eine außeror-
dentliche Kündigung rechtfertigen sollen, ist darauf zu achten, dass diese möglichst
konkret formuliert werden.
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
Der Vertrag kann jederzeit aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ein wichtiger Grund, der die Ge-
sellschaft zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigt, liegt insbesondere vor,
wenn:
a) der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstößt;
b) die Gesellschaft liquidiert wird;
c) [weiterer konkret formulierter wichtiger Grund].
cc) A
bmahnungspflicht
207 Im Arbeitsrecht gilt seit langem der Grundsatz, dass die verhaltensbedingte Kündi-
gung eines Arbeitnehmers, gleich ob als ordentliche Kündigung oder als außeror-
dentliche Kündigung nach § 626 BGB ausgesprochen, grundsätzlich der vorherigen
Abmahnung bedarf.333 Ob eine solche Abmahnungspflicht auch für die Kündigung
des GmbH-Geschäftsführers wegen Verletzung der im Dienstvertrag niedergelegten
Pflichten besteht, ist umstritten. Bei der ordentlichen Kündigung des Geschäftsfüh-
rers spielt diese Fragestellung regelmäßig keine Rolle. Denn die ordentliche Kündi-
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 483
gung kann wegen der fehlenden Anwendbarkeit des KSchG (§ 14 Abs. 1 KSchG) stets
unter Beachtung der vereinbarten vertraglichen Kündigungsfrist ausgesprochen
werden. Eine verhaltensbedingte Kündigung, die in Anlehnung an die Grundsätze
des § 1 KSchG eines vorwerfbaren Sachverhaltes bedarf, ist im Fall der Kündigung des
Dienstvertrages des GmbH-Geschäftsführers nicht anzutreffen.334
In einer Entscheidung vom 10.9.2001 hat der Zweite Senat des BGH sein Urteil vom 208
14.2.2000 bestätigt, wonach die außerordentliche Kündigung des GmbH-Geschäfts-
führers wegen Verletzung der im Dienstvertrag niedergelegten Pflichten grund-
sätzlich nicht der vorherigen Abmahnung durch die Gesellschafterversammlung
bedarf.335 Da der Geschäftsführer nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft ist, sondern im
Innenverhältnis Arbeitgeberfunktionen erfüllt, bedarf es nach Auffassung des BGH
erst recht keiner Hinweise der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrates,
dass er sich an die Gesetze, an die Satzung und an die in seinem Dienstvertrag nieder-
gelegten Pflichten zu halten hat. Vielmehr hat er sich, so der BGH, ohne Abmahnung
und von sich aus im Rahmen seines Pflichtenkreises dem Standard eines ordentli-
chen Geschäftsmannes entsprechend zu verhalten. Nach der Einführung des § 314
Abs. 2 BGB im Rahmen der Schuldrechtsreform, wonach Pflichtverletzungen, die
einen wichtigen Grund darstellen, regelmäßig nur zur Fristsetzung zum Zwecke der
Abhilfe und zur Abmahnung, nicht dagegen gleich zum Ausspruch der fristlosen
Kündigung berechtigen, wird zum Teil vertreten, dass nun auch von der Notwen-
digkeit einer Abmahnung bei Geschäftsführern auszugehen sei. Da diese Vorschrift
keine arbeitsrechtliche Sonderregel, sondern Ausformung des allgemeinen Grundsat-
zes des mildesten Mittels ist, wird sie generell auch auf den Anstellungsvertrag des
GmbH-Geschäftsführers anzuwenden sein.336
dd) Kündigungserklärungsfrist
Das außerordentliche Kündigungsrecht geht verloren, wenn die Kündigungserklä- 209
rung nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB dem Geschäfts-
führer zugeht. Für die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist kommt es auf den
fristgerechten Zugang der Kündigungserklärung bei dem Kündigungsempfänger an.
Dabei trägt die Gesellschaft für den fristgerechten Zugang im Streitfall die Beweislast.
334 Zur ordentlichen Kündigung des GmbH-Geschäftsführers vgl. Reiserer, DB 1994, 1822; Reiserer,
DB 2006, 1787; Reiserer/Heß-Emmerich/Peters, S. 85 ff.
335 BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – ZIP 2001, 1957; BGH, Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 218/98 –
GmbHR 2000, 431; Anschluss OLG Hamm, Urt. v. 25.11.2009 – 8 U 61/09 – GmbHR 2010, 477.
336 Ausführlich hierzu Schneider, GmbHR 2003, 1; Teigelkötter, GmbHR 2001, 1160; befürwortend
auch Koch, ZIP 2005, 1621; Schuhmacher-Mohr, DB 2002, 1606; a. A. Trappehl/Scheuer, DB 2005, 1276;
vgl. auch Scholz/Schneider/Hohenstatt, § 35 Rn 462 ff. m.w.N; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, § 6
Rn 166.
Reiserer/Polczynski
484 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
210 Nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB beginnt die Zwei-Wochen-Frist mit dem Zeitpunkt,
in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsa-
chen Kenntnis erlangt. Die in der Rechtsprechung des BGH gestellten Anforderungen
an eine sichere und umfassende positive Kenntnis der maßgeblichen Gründe sind
noch nicht erfüllt, wenn tatsächliche Grundlagen des wichtigen Grundes noch auf-
klärungsbedürftig sind.337 Dabei ist positive und sichere Kenntnis der Tatsachen erfor-
derlich, die den wichtigen Grund ausmachen; bloßes Kennenmüssen genügt nicht.338
Insbesondere reicht nicht bereits der Verdacht unlauterer Machenschaften. Der
Gesellschafterversammlung muss der Kündigungssachverhalt bekannt sein, so dass
ihr eine Entscheidung möglich ist, ob das Anstellungsverhältnis vorzeitig beendet
werden soll.339
211 Umstritten war bisher, auf wessen Kenntnis es für die Kündigung des Geschäfts-
führers ankommt. Nach der gesetzlichen Regelung des § 626 Abs. 2 BGB kommt es auf
die Kenntnis derjenigen Person an, der im konkreten Fall das Recht zur Kündigung
zusteht. Obwohl für die Kündigung des Geschäftsführers grundsätzlich die Gesell-
schafterversammlung zuständig ist, erachten einige Stimmen in der einschlägigen
Literatur bereits die Kenntnis eines Gesellschafters340 oder jedenfalls die Kenntnis
einer zur Einberufung der Gesellschafterversammlung berechtigten Minderheit von
Gesellschaftern341 für ausreichend.
212 Richtigerweise bedarf es für den Fristbeginn aber der Kenntnis aller Gesell-
schafter von den Kündigungstatsachen.342 Dabei genügt nicht bereits die außerhalb
der Gesellschafterversammlung, sondern erst die nach dem Zusammentritt erlangte
Kenntnis.343 Auch brauchen sich die für die Kündigung des Anstellungsvertrages
zuständigen Gesellschafter die Kenntnis des Aufsichtsratsvorsitzenden344 oder eines
337 BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96 – BB 1998, 1808; BGH, Urt. v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/97 –
GmbHR 1998, 931; BGH, Urt. v. 26.2.1996 – II ZR 114/95 – NJW 1996, 1403; BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR
14/00 – ZIP 2001, 1957.
338 BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11 – NZG 2013, 615.
339 Ausführlich Lüders, BB 1990, 790; zur Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen vgl. BGH,
Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02 – GmbHR 2004, 182.
340 Densch/Kahlo, DB 1983, 813.
341 Wiesner, BB 1981, 1533.
342 BGH, Urt. v. 15.6.1998, BB 1998, 1608; bestätigt durch BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – ZIP
2001, 1957; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11 – NZG 2013, 615; so auch Harbarth, BB 2015, 707, 708.
343 So BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – ZIP 2001, 1957; OLG Koblenz, Urt. v. 31.5.2012 – 6 U
350/12 – DVP 2013, 43; BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BB 1998, 1808 in Abweichung von der
bisherigen Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 2.6.1996 – II ZR 101/96 – DStR 1997, 1338; strittig ist, ob diese Grund-
sätze auch für kleinere Gesellschaften gelten, vgl. Jaeger, S. 200; zur alleinstimmberechtigten Mitge-
sellschafterin BGH, Urt. v. 2.6.1997 – II ZR 101/96 – GmbHR 1997, 998; ausführlich und kritisch hierzu
auch Slabschi, ZIP 1999, 391; Reiserer, BB 2002, 1199; vgl. auch BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn,
§ 6 Rn 163 m. w. N.
344 BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – ZIP 2001, 1957.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 485
Reiserer/Polczynski
486 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Gesellschaft, die dem Geschäftsführer bei Abwägung aller Umstände die weitere
Tätigkeit für die Gesellschaft bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht
zumutbar macht.
217 Als wichtiger Grund wurde von der Rechtsprechung bisher anerkannt:
Beispiel
– Ungerechtfertigte fristlose Kündigung durch die Gesellschaft, wobei der Geschäftsführer hier
auch Schadensersatzansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB geltend machen kann;352
– Abberufung als Organ der Gesellschaft;353
– Beschränkung vertraglich eingeräumter Kompetenzen durch nachträgliche Satzungsände‑
rung;354
– Willkürliche Verweigerung der Entlastung oder das rechtswidrige Vorenthalten von Dienst
bezügen;355
– Weisungen an den Geschäftsführer zu gesetzeswidrigem Handeln durch die Gesellschafter
versammlung;356
– Unberechtigte und in beleidigender Form erhobene Vorwürfe durch einen Mitgeschäftsführer,
auch wenn sich die Gesellschafterversammlung dieses Verhalten nicht zu Eigen macht;357
– vertragswidrig nicht erfolgte Bestellung zum Geschäftsführer.358
218 Dagegen besteht Übereinstimmung, dass eine wirtschaftliche Krise des Unterneh-
mens für sich keinen Grund für eine fristlose Kündigung durch den Geschäftsführer
begründet, es sei denn, dass dem Geschäftsführer die erforderliche Unterstützung
der Gesellschafterversammlung versagt wird und der Geschäftsführer dadurch in
nicht absehbare Haftungsrisiken gerät.359
352 St. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 1.12.1993 – VIII ZR 129/92 – WM 1994, 387.
353 Scholz/Schneider/Hohenstatt, GmbHG, § 35 Rn 482 m. w. N., aber der Widerruf der Bestellung
stellt kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft i. S. d. § 628 Abs. 2 BGB dar, BGH, Urt. v.
28.10.2002 – II ZR 146/02 – NJW 2003, 351; a. A. BAG, Urt. v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01 – NZA 2002, 1323;
zum Schadensersatzanspruch des GmbH-Geschäftsführers wegen Abberufung und/oder Nichtbestel-
lung vgl. Rn 30 ff.
354 OLG Frankfurt, Urt. v. 17.12.1992 – 26 U 54/92 – GmbHR 1993, 288 m. Anm. v. Jasper.
355 BGH, Urt. v. 20.5.1985 – II ZR 165/84 – WM 1985, 1200; so auch OLG Köln, Beschl. v. 29.3.1996 – 16
W 20/96 – DB 1996, 1177; BGH, Urt. v. 19.10.1987 – II ZR 97/87 – WM 1988, 165.
356 H.M., vgl. Jaeger, S. 199.
357 BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91 – WM 1992, 733.
358 BAG, Urt. v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01 – GmbHR 2003, 105.
359 BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79 – NJW 1980, 2415.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 487
Klauselmuster
Vergütung360
(1) …
…
(6) Im Falle des Todes des Geschäftsführers werden die Bezüge nach [§ … Abs. …] an seine Erben,
soweit er einen Ehepartner, eingetragenen Lebenspartner oder Erben erster Ordnung hinterlässt,
als Gesamtgläubiger, für den Sterbemonat und die drei darauf folgenden Monate fortbezahlt. Die
Zahlung erfolgt auf das von dem Geschäftsführer für die Zahlung seiner Vergütung benannte Konto.
Mit dieser Zahlung wird die Gesellschaft in jedem Fall von ihrer Verpflichtung zur Leistung dieser
Zahlungen frei, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt von Erben des Geschäftsführers derartige
Ansprüche an sie herangetragen würden.
bb) Z eitablauf/Vertragsdauer
Ein Geschäftsführer-Anstellungsvertrag kann sowohl auf unbestimmte Zeit als auch 221
befristet geschlossen werden.361
Unbefristeter Geschäftsführer-Anstellungsvertrag
Soll der Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer für eine unbestimmte Zeit ein- 222
gegangen werden, empfiehlt sich eine eigenständige vertragliche Regelung zu den
ordentlichen Kündigungsfristen. Denn in Ermangelung einer vertraglichen Regelung
könnte Unsicherheit entstehen, ob die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 621
360 Vgl. Klauselmuster zur Regelung der Vergütung des Geschäftsführers, Rn 147.
361 Zur Befristung eines Arbeitsverhältnisses vgl. Kap. 6 Rn 2 ff.
Reiserer/Polczynski
488 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
BGB oder § 622 BGB anzuwenden sind.362 Die Vereinbarung einer langen Kündigungs-
frist (z. B. 12 Monate zum Ende des Jahres) schützt beide Vertragsparteien vor einem
kurzfristigen Wechsel.
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(unbefristet)
Das Dienstverhältnis beginnt am [Datum] und wird auf unbestimmte Dauer geschlossen. Der Vertrag
kann von jeder Partei mit einer Frist von [Anzahl] Monaten zum Ende eines Kalenderjahres/Kalender-
halbjahres/Quartals/Monats gekündigt werden.
Befristeter Geschäftsführer-Anstellungsvertrag
223 Das Anstellungsverhältnis kann aber auch mit einer zeitlichen Befristung versehen
werden.363 In diesem Fall endet es mit dem Ablauf der Zeit, für welches es eingegan-
gen worden ist, ohne dass es hierfür einer Kündigung bedarf. Möglich, jedoch keines-
falls zwingend, ist die Vereinbarung einer Option über eine Vertragsverlängerung.
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(befristet und ohne Verlängerungsoption)
Das Dienstverhältnis beginnt am [Datum] und wird für die Dauer von [Anzahl] Jahren geschlossen. Mit
Ablauf der Vertragsdauer endet der Vertrag, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(befristet und mit Verlängerungsoption)
(1) Das Dienstverhältnis beginnt am [Datum] und wird für die Dauer von zunächst [Anzahl] Jahren
geschlossen.
(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, [Anzahl] Monat(e) vor Ende der vertraglich vereinbarten
Laufzeit über einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses zu verhandeln.
alternativ:
(2) Die Gesellschafterversammlung verpflichtet sich, jeweils im ersten Quartal des letzten Jahres der
Bestellung zum Geschäftsführer über eine Verlängerung des Vertragsverhältnisses zu beschließen.
Die Gesellschaft wird den Geschäftsführer unverzüglich, spätestens jedoch bis zum [Tag, Monat] des
letzten Jahres der Bestellung, über ihre Entscheidung, ob und für welchen Zeitraum eine Verlänge-
rung des Vertragsverhältnisses beabsichtigt ist, in Kenntnis setzen. Der Geschäftsführer hat der Ge-
sellschaft anschließend innerhalb von zwei Wochen mitzuteilen, ob er der Verlängerung zustimmt.
Wird die Bestellung zum Geschäftsführer verlängert, so verlängert sich auch der Anstellungsvertrag
automatisch um die Dauer der Verlängerung der Geschäftsführerbestellung. Eine Veränderung des
Anstellungsvertrages zum Nachteil des Geschäftsführers scheidet für den Fall der Vertragsverlänge-
rung aus.364
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 489
Zu Missverständnissen führt dagegen eine Regelung, wonach sich der – an sich 224
befristete – Anstellungsvertrag automatisch verlängert, wenn nicht eine der Vertrags-
parteien das Vertragsverhältnis vor Ablauf der vertraglichen Laufzeit kündigt bzw.
mitteilt, dass sie einer Verlängerung nicht zustimmen wird:
Fettnapf
Vertragsdauer und Beendigung
(„befristet“ und mit Verlängerungsbedingung)
(1) Das Dienstverhältnis beginnt am [Datum] und wird für die Dauer von zunächst [Anzahl] Jahren
geschlossen.
(2) Das Vertragsverhältnis verlängert sich um weitere [Anzahl] Jahre/Monate, wenn es nicht mit einer
Frist von [Anzahl] Monaten zum Ende der vertraglich vereinbarten Laufzeit des Vertrages, von einer
Vertragspartei gekündigt wird.
oder auch:
(2) Das Vertragsverhältnis verlängert sich um weitere [Anzahl] Jahre/Monate, wenn nicht eine Ver-
tragspartei mit einer Frist von [Anzahl] Monaten zum Ende der vertraglich vereinbarten Laufzeit mit-
teilt, dass sie den Vertrag nicht verlängern will.
In der ersten Alternative würde das Vertragsverhältnis – trotz der vertraglich verein- 225
barten Befristung – nicht automatisch durch Zeitablauf enden. Vielmehr würde
sich der Anstellungsvertrag schon dann verlängern, wenn er nur nicht von einer Ver-
tragspartei außerordentlich gekündigt wird. Insofern könnte diese Klausel zu einem
Verständnis des Anstellungsvertrages als ein unbefristetes(!) Vertragsverhältnis mit
lediglich einer (außerordentlichen) Kündigungsmöglichkeit zum Ende der vertrag-
lichen Laufzeit führen. Auch im zweiten Fall kann es zu einer nicht beabsichtigten
Bindung der Parteien an den Anstellungsvertrag kommen, falls die Vertragsparteien
die Erklärung der Nichtverlängerung des Vertragsverhältnisses versäumen.
cc) Vertragsaufhebung/Abfindungsvereinbarung
Das Anstellungsverhältnis kann jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen durch 226
Abschluss eines Aufhebungsvertrages beendet werden. Hierbei gelten die gleichen
Zuständigkeitsregelungen wie für den Ausspruch der Kündigung.365 Zuständig ist
daher auf Seiten der Gesellschaft grundsätzlich die Gesellschafterversammlung.366
Reiserer/Polczynski
490 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
227 Der steuerliche Freibetrag für Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG ist zum 1.1.2006
entfallen;367 die Übergangsregelung ist ausgelaufen. Erhalten bleibt die ermäßigte
Besteuerung gem. §§ 24, 34 EStG (sog. Fünftelregelung).368
228 Üblicherweise werden Abfindungsvereinbarungen in Rahmen des Aufhebungs-
vertrages getroffen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, eine Abfindungsklausel
bereits bei Vertragsschluss in den Anstellungsvertrag mit aufzunehmen.369
229 Folgendes Klauselmuster dient als Beispiel für eine Abfindungsabrede im
Rahmen eines Anstellungsvertrages und kann etwa Bestandteil einer Klausel zur Ver-
tragsdauer des Anstellungsverhältnisses sein:
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(…) Für den Fall der ordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses durch die Gesellschaft verpflich-
tet sich die Gesellschaft, dem Geschäftsführer für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in
Höhe von [Anzahl] Bruttomonatsgehalt/-gehältern pro vollem Jahr der Beschäftigung zu zahlen. Die
Abfindung ist mit rechtskräftiger Beendigung des Dienstverhältnisses zur Zahlung fällig.
dd) V
ertragliche Altersgrenzen
230 Zu einer Beendigung des Anstellungsverhältnisses können, bei vertraglicher Ver-
einbarung im Rahmen eines befristeten Anstellungsvertrages370, auch der vorzei-
tige Altersrentenbezug als frühester Beendigungszeitpunkt sowie das Erreichen der
Altersgrenze als spätester Beendigungszeitpunkt führen.371
231 Entgegen einer allgemeinen Meinung endet ein Anstellungsverhältnis grundsätz-
lich nicht „automatisch“ mit Erreichen eines bestimmten Alters, der sog. Regelalters-
grenze nach § 35 SGB VI. Vielmehr bedarf es zur Beendigung des Anstellungsvertra-
ges aus diesem Grund grundsätzlich eines Beendigungsaktes, also einer Kündigung
oder eines Aufhebungsvertrages. Um dies zu umgehen, werden meist in den Anstel-
lungsverträgen Klauseln aufgenommen, wonach das Anstellungsverhältnis bei
Erreichen einer bestimmten Altersgrenze automatisch endet. Solche Klauseln
sind bei Anstellungsverträgen von GmbH-Geschäftsführern grundsätzlich zulässig.372
367 Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm v. 22.12.2005, BGBl I 2005, 3682.
368 Hierzu Hümmerich/Reufels/Reufels, § 2 Rn 273.
369 Eine sehr ausführliche und differenzierende Darstellung zu Abfindungsklauseln im Anstellungs-
vertrag mit einem GmbH-Geschäftsführer Hümmerich/Reufels/Reufels, § 2 Rn 253 ff.
370 Vgl. Rn 223 ff.
371 Zu Altersgrenzen in Arbeitsverträgen vgl. Kap. 6 Rn 98 ff.
372 So auch Bauer/von Medem, NZA 2012, 945, 952.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 491
Vorzeitiger Altersrentenbezug
Nach § 36 S. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente für langjährig 232
Versicherte, wenn sie zum einen das 67. Lebensjahr vollendet und zum anderen die
Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres ist die
vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente möglich (§ 36 S. 2 GB VI).
Gemäß § 41 S. 2 SGB VI gilt ein Arbeitsverhältnis, das eine Regelung enthält, die 233
eine Beendigung des Vertragsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu
einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelalters-
grenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, dem Arbeitnehmer gegenüber als
auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen. D. h. im Falle einer entspre-
chenden Regelung wird das Arbeitsverhältnis erst mit dem Erreichen der Regel-
altersgrenze beendet. Dies gilt nur ausnahmsweise dann nicht, wenn die Vereinba-
rung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von
dem Arbeitnehmer innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt bestätigt
worden ist.
Ob diese Maßstäbe auch für den Geschäftsführer einer GmbH gelten, ist bislang 234
nicht gerichtlich geklärt, muss aber zumindest differenzierend betrachtet werden.
Denkbar erscheint eine entsprechende Anwendung des § 41 S. 2 SGB VI zumindest
für den abhängigen Fremd- bzw. Minderheitsgeschäftsführer, da sich dieser –
ähnlich wie ein Arbeitnehmer – in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zur
Gesellschaft befindet.373 Für den nicht-abhängigen Geschäftsführer dürfte dagegen
eine Regelung, wonach der Anstellungsvertrag frühestens mit der Vollendung des
Lebensjahres enden kann, in dem die Voraussetzungen für den vorzeitigen Bezug der
Altersrente für langjährig Versicherte vorliegen, zulässig sein.
Reiserer/Polczynski
492 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung
(1) …375
(2) Im Übrigen endet das Anstellungsverhältnis
a) frühestens mit Ablauf des Monats, in dem der Geschäftsführer das Lebensjahr vollendet hat, das
Voraussetzung für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte ist;
das ist derzeit das 63. Lebensjahr;
b) spätestens mit Ablauf des Monats, in dem der Geschäftsführer die gesetzliche Regelaltersgrenze
erreicht; das ist derzeit das 67. Lebensjahr.
b) K eine Beendigungsgründe
aa) Abberufung/Amtsniederlegung des Geschäftsführers
236 Die Abberufung des Geschäftsführers aus der Organstellung376 kann durch die Gesell-
schaft jederzeit und ohne besondere Gründe erfolgen und führt nicht automatisch zur
Beendigung des Anstellungsvertrages.377 Das Gleiche gilt für die Amtsniederlegung
durch den Geschäftsführer.378 Vielmehr bedarf es neben der Beendigung der Organ-
stellung stets einer gesonderten Kündigung des Geschäftsführerdienstvertrages.379
237 Umgekehrt kann in der Kündigung oder Nichtverlängerung des Anstellungs-
verhältnisses ein konkludenter Widerruf der Bestellung zu sehen sein; zwingend
ist dies jedoch, insbesondere bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer, nicht.380
238 Diese Trennung der Beendigung der Organstellung von der Beendigung des
Anstellungsverhältnisses entspricht meist nicht den Interessen der Gesellschaft, die
in der dem Geschäftsführer eingeräumten Stellung des Geschäftsführers als Vertre-
tungsorgan der Gesellschaft einerseits und als deren Angestellter andererseits eine
Einheit sehen möchte. Aus diesem Grund findet sich in den Geschäftsführeranstel-
lungsverträgen häufig eine vertragliche Koppelung von Abberufung und Kündi-
gung (sog. Koppelungsklausel).
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 493
381 BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98 – NZG 1999, 1215; BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88 – NJW
1989, 2683; OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.6.1999 – 6 U 144/97 – GmbHR 2000, 378; OLG Köln, Urt. v.
6.12.1999 – 16 U 94/98 – GmbHR 2000, 432 m. Anm. v. Gitter, NZG 2000, 552; zur Bestellung des Ge-
schäftsführers unter einer auflösenden Bedingung vgl. BGH, Urt. v. 24.10.2005 – II ZR 55/04 – BB
2006, 14; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn 209 ff.; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/
Kuhn, § 6 Rn 145; Moll/Moll/Grobys, § 80 Rn 50 ff; kritisch zur Vereinbarkeit von Koppelungsklauseln
mit dem AGB-Recht, Graf von Westphalen, BB 2015, 834.
382 Formulierungsbeispiele bei Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809; Lohr, NZG 2001, 826.
383 Zur Kündigungsfrist vgl. Rn 181 f.
384 BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88 – NJW 1989, 2683; Anschluss OLG Hamm, Urt. v. 20.11.2006 –
8 U 217/05 – GmbHR 2007, 442; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809; Flatten, GmbHR 2000, 922; Lohr,
ZNotP 2003, 162; Graf von Westphalen, BB 2015, 834.
385 Formulierungsbeispiele bei Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809; Flatten, GmbHR 2000, 922.
386 BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88 – NJW 1989, 2683.
387 Zu den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages Hümme-
rich/Boecken/Spirolke/Reiserer, § 4Rn 179 ff.
388 Moll/Moll/Grobys, § 80 Rn 53.
389 Formulierungsbeispiel bei Lohr, NZG 2001, 826; kritisch zu Koppelungsklauseln in befristeten
Geschäftsführerverträgen Grobys/Glanz, NJW-Spezial 2007, 129.
Reiserer/Polczynski
494 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Vertragsdauer und Beendigung391
(…) Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung kann die Bestellung zum Geschäftsführer jeder-
zeit widerrufen werden. Die Abberufung gilt zugleich als ordentliche Kündigung des Anstellungsver-
hältnisses zum nächst zulässigen Zeitpunkt, ohne dass es eines Ausspruchs einer Kündigung durch
die Gesellschaft bedarf. Erfolgt die Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund, welcher
nicht zugleich einen wichtigen Grund nach § 626 BGB für die außerordentliche fristlose Kündigung
des Anstellungsvertrages darstellt, so endet das Anstellungsverhältnis erst mit Ablauf der gesetzli-
chen Kündigungsfrist ab Ende der Organstellung. Verlängert sich nach § 622 Abs. 2 BGB die Kündi-
gungsfrist für die Gesellschaft, so gilt dies auch für die Kündigung durch den Geschäftsführer. Satz 2
gilt entsprechend für den Fall der Niederlegung des Amtes durch den Geschäftsführer.
390 Die Koppelungsklausel ist in der Regel Teil einer Regelung zur Vertragsdauer und Beendigung
des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages.
391 Im Wesentlichen nach BeckOFV/Tomcic, 2.3.2 Geschäftsführervertrag (ausführlich), § 16 Abs. 3.
392 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG § 35 Rn 214; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6
Rn 118.
393 BeckOK GmbHG/Lorscheider, § 66 Rn 8; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 118.
394 Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 6 Rn 118.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 495
gekündigt werden, und zwar mit einer Frist von 3 Monaten zum Monatsende, sofern
nicht eine kürzere vertragliche Frist maßgeblich ist. Stellt der Geschäftsführer nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens seine Arbeitskraft weiterhin zum Zwecke der
Betriebsfortführung zur Verfügung, so mutiert er dadurch nicht zum Arbeitnehmer
des Insolvenzverwalters und eröffnet sich nicht auf diese Weise den Schutz des Kün-
digungsschutzgesetzes.395
395 LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.9.2008 – 10 Sa 162/08 – NZG 2009, 195 ff.
396 BAG, Urt. v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01 – NJW 2003, 2473 m. Anm. v. Wank, EWiR 2003, 621; OLG
Hamm, Urt. v. 18.6.1990 – 8 U 146/89 – GmbHR 1991, 466.
397 Dagegen differenzierend MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 613a Rn 82.
398 EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C-229/14 – NZA 2015, 861
399 Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von
Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen RL
77/187/EWG des Rates v. 14.2.1977.
400 So auch EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – NZA 2011, 143 – Danosa; hierzu Anm. Reiserer, BD
2011, 2262; vgl. Rn 10 f.
Reiserer/Polczynski
496 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
245 In den vergangen Jahren haben sog. Change of Control – Klauseln immer öfters
Eingang in Anstellungsverträge von Führungskräften und Organmitgliedern gefun-
den. Ziel solcher Klauseln ist es, Führungskräfte, Geschäftsführer und Vorstände
auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten an die Gesellschaft zu binden bzw. sie für
sich zu gewinnen. Im Falle eines Kontrollwechsels der Gesellschaft durch Änderun-
gen in der Gesellschafter- oder Aktionärsstruktur sollen dem Geschäftsführer oder
Vorstand bestimmte Leistungen zukommen, die ihn finanziell absichern sollen.401
Gängig in diesem Zusammenhang sind aber auch Regelungen, die dem Geschäfts-
führer für den Fall eines Gesellschafterwechsels ein vertragliches Sonderkündigungs-
recht in Verbindung mit einem Abfindungsanspruch einräumen.402
7. N
achvertragliche Pflichten
a) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot403
246 Ohne eine entsprechende Regelung im Anstellungsvertrag ist der GmbH-Geschäfts-
führer nach Beendigung seiner Amtszeit und Ausscheiden aus seinem Dienstverhält-
nis404 keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot unterworfen.405 Zwar hat der
Geschäftsführer auch nach seinem Ausscheiden gewisse Treuepflichten; aus ihnen
folgt jedoch kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Weder hat er weiterhin
die künftige Geschäftstätigkeit zu fördern noch ist er generell gehalten, durch eigene
geschäftliche Zurückhaltung wirtschaftliche Nachteile der GmbH zu vermeiden. Nur
ausnahmsweise lässt sich ein Wettbewerbsverbot für den Geschäftsführer aus seiner
Treuepflicht zur Gesellschaft herleiten, wenn der ehemalige Geschäftsführer Verträge,
welche die Gesellschaft während seiner Amtszeit geschlossen hat, an sich zieht.406
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 497
Checkliste
– Für die zeitliche Begrenzung orientiert sich der BGH an der Zwei-Jahres-Frist des § 74a Abs. 1
HGB als Obergrenze.410
– Der räumliche und gegenständliche Geltungsbereich des Wettbewerbsverbots darf nur entspre-
chend der berechtigten Interessen der Gesellschaft festgelegt werden.411
407 BGH, Urt. v. 15.4.1991 – II ZR 214/89, – BB 1991, 1640; OLG München, Urt. v. 19.11.2008 – 7 U
1882/08 – n. v.; auch bei sog. Fremdgeschäftsführern, BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – BB 1984,
1381; hierzu Sina, DB 1985, 902; Heidenhain, NZG 2002, 605; BSG, Urt. v. 9.8.1990 – 11 Rar 119/88 – NZA
1991, 159; a. A. LG Frankfurt, Urt. v. 20.4.1994 – 3/8 O 150/93 – GmbHR 1994, 803; zur Vereinbarung
eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots im Arbeitsverhältnis vgl. Kap. 8 Rn 286 ff.
408 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – BB 1984, 1381; OLG Düsseldorf, Urt. v. 8.1.1993 – 16 U 73/92 –
NJW-RR 1994, 35; OLG Hamm, Urt. v. 11.1.1988 – 8 U 142/87 – GmbHR 1988, 344; OLG Nürnberg, Urt. v.
25.11.2009 – 12 U 681/09 – GmbHR 2010, 141; bejahend auch für den Alleingesellschafter-Geschäfts-
führer: OLG München, Urt. v. 22.1.1997 – 7 U 4756/96 – BB 1997, 1015; zuletzt BGH, Urt. v. 20.1.2015 – II
ZR 369/13 – DStR 2015, 838 zu Kundenschutzklauseln zwischen GmbH und Gesellschaftern; Baum-
bach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn 197 m. w. N.; vgl. auch Goette in: FS für Wiedemann,
S. 873, der eine Karenzentschädigung entsprechend § 74 Abs. 2 HGB verlangt.
409 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn 198.
410 BGH, Urt. v. 18.7.2005 – II ZR 159/03 – NJW 2005, 3062; BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, § 6
Rn 101.
411 BeckOK GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, § 6 Rn 100.
Reiserer/Polczynski
498 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
– Obwohl nach feststehender Rechtsprechung des BGH beim Organvertreter grundsätzlich keine
Karenzentschädigung festgelegt werden muss,412 ist fraglich, ob der völlige Verzicht auf eine
finanzielle Kompensation jedenfalls an den ehemaligen Fremdgeschäftsführer zur Nichtigkeit
der Wettbewerbsklausel führt.413 Ausnahmsweise kann die finanzielle Kompensation (jedenfalls
beim Gesellschafter-Geschäftsführer) auch in einer einmaligen Abfindung bestehen.414 Für die
Höhe der Entschädigung ist generell die Bestimmung des § 74 Abs. 2 HGB maßgeblich.415 Aller-
dings ist in bestimmten Ausnahmefällen auch eine Reduzierung entsprechend dem Umfang des
Wettbewerbsverbotes denkbar.
250 Insgesamt bleibt somit festzuhalten, dass zwar die strengen Regeln der §§ 74 ff. HGB
auf das Wettbewerbsverbot eines GmbH-Geschäftsführers nicht unmittelbar ange-
wendet werden. Dennoch empfiehlt sich jedenfalls eine Orientierung an den Maßstä-
ben der §§ 74 ff. HGB, um damit das Risiko der Unwirksamkeit oder Unverbindlichkeit
der Wettbewerbsklausel zu minimieren.416
Praxistipp
Entsprechend der Regelung des § 75a HGB kann sich die Gesellschaft bis zum Ablauf der Organstel-
lung und Beendigung des Anstellungsverhältnisses jederzeit durch einen einseitigen Verzicht von
der Wettbewerbsvereinbarung lösen.417 Die in § 75a HGB vorgesehene einjährige Entschädigungs-
pflicht besteht hierbei für die Gesellschaft nicht.418 Wird im Anstellungsvertrag allerdings auf die
§§ 74 ff. HGB verwiesen, befreit ein zugleich mit der Kündigung des Anstellungsvertrages ausgespro-
chener Verzicht auf das Wettbewerbsverbot die Gesellschaft erst mit Ablauf eines Jahres gem. § 75a
HGB von ihrer Entschädigungspflicht.419 Nach Beendigung der Geschäftsführerstellung ist auch bei
Organvertretern ein einseitiger Verzicht der Gesellschaft und der Wegfall der vereinbarten Karenzent-
schädigung nicht mehr möglich.420
412 Vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 11/07 – WM 2008, 1226; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR
229/83 – BB 1984, 1381; BGH, Urt. v. 4.3.2002 – II ZR 77/00 – NZG 2002, 475; OLG München, Urt. v.
19.11.2008 – 7 U 1882/08 – n. v.
413 BVerfG, Beschl. v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – NJW 1990, 1469; OLG Hamm, Urt. v. 11.1.1988 – 8 U
142/87 – GmbHR 1988, 344,.
414 OLG Hamm, Urt. v. 11.1.1988 – 8 U 142/87 – GmbHR 1988, 344.
415 Scholz/Schneider, GmbHG, § 43 Rn 183; steuerliche Hinweise zur Konkurrenztätigkeit des Gesell-
schafter-Geschäftsführers, vgl. Hümmerich/Boecken/Spirolke/Reiserer, § 4 Rn 38 ff.
416 Weiterführende Hinweise bei Henssler, RdA 1992, 289; Thüsing, NZG 2004, 9: Menke, NJW 2009,
636; Fröhlich, GmbH-StB 2014, 59; Müller, GmbHR 2014, 964, jeweils mit umfangreichen Nachw. aus
der Rspr.
417 Zum Verzicht des Arbeitgebers vgl. Kap. 8 Rn 67 ff.
418 BGH, Urt. v. 4.3.2002 – II ZR 77/00 – NZG 2002, 475; BGH, Urt. v. 17.2.1992 – II ZR 140/91 – BB 1992,
723, m. Anm. v. Jäger, DStR 1995, 724 und v. Hoyningen-Huene, EWiR 2002, 521; OLG Düsseldorf, Urt. v.
22.8.1996 – 6 U 150/95 – BB 1996, 2377; ebenso Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 35 Rn 203;
a. A. noch OLG Hamm, Urt. v. 18.3.1991 – 8 U 277/90 – GmbHR 1991, 367, wo § 75a HGB sogar für den
Gesellschafter-Geschäftsführer entsprechend angewandt wurde.
419 BGH, Urt. v.25.6.1990 – II ZR 119/89 – ZIP 1990, 1196.
420 Grüll/Janert, S. 92 f.; a. A. offenbar OLG München, Urt. v. 28.7.2010 – 7 U 2417/10 – ArbR 2010, 458.
Ausführlich zur Thematik Roth/Altmeppen, § 6 Rn 88; Scholz/Schneider, § 43 Rn 183.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 499
Klauselmuster
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
(1) Der Geschäftsführer verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung dieses
Dienstverhältnisses weder eine Tätigkeit, noch eine Stellung, noch eine Beteiligung bei einem Un-
ternehmen im selben Geschäftszweig anzunehmen und/oder ein solches Unternehmen zu beraten,
soweit ein solches Konkurrenzunternehmen seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat.
(2) Für die Dauer des Wettbewerbsverbots erhält der Geschäftsführer als Entschädigung monatlich
nachträglich die Hälfte der von ihm zuletzt bezogenen vertragsmäßigen monatlichen Grundvergü-
tung, deren Höhe sich aus dem Durchschnitt der vor Beendigung des Dienstverhältnisses liegenden
drei Geschäftsjahre errechnet.
(3) Der Geschäftsführer muss sich auf die Entschädigung gem. Abs. 2 anrechnen lassen, was er wäh-
rend des Zeitraumes, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner
Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Unter den anzurechnenden Verdienst fällt
auch etwaiges vom Geschäftsführer bezogenes Arbeitslosengeld.
(4) Der Geschäftsführer verpflichtet sich, während der Dauer des Wettbewerbsverbots der Gesell-
schaft die Höhe seines Erwerbs auf Verlangen, in jedem Fall unaufgefordert am Schluss eines jeden
Kalendervierteljahres nachzuweisen.
(5) Der Geschäftsführer ist weiterhin verpflichtet, der Gesellschaft auf Verlangen schriftlich den neu-
en Dienstberechtigten/Vertragspartner zu benennen.
(6) Die Gesellschaft kann vor Beendigung des Anstellungsvertrages auf die Einhaltung des nachver-
traglichen Wettbewerbsverbots durch einseitige Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer verzich-
ten. In diesem Fall endet die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung gem. Abs. 2 mit Ablauf
von sechs Monaten nach Zugang der Verzichtserklärung.421
(7) Endet der Anstellungsvertrag aufgrund des Eintritts des Geschäftsführers in den vorzeitigen oder
endgültigen Ruhestand, so treten die Vereinbarungen zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot
nicht in Kraft.
421 Entsprechende Verkürzung der Frist in § 75a HGB wird von Jaeger, S. 81 für zulässig angesehen,
wenn sie die Frist zur ordentlichen Kündigung nicht unterschreitet.
422 Hümmerich/Reufels/Reufels, § 2 Rn 994; BeckOK GmbHG/Haas/Ziemons, § 43 Rn 187 m. w. N.;
zur Verschwiegenheitspflicht während der Dauer des Anstellungsverhältnisses vgl. Rn 168 ff.
Reiserer/Polczynski
500 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Verschwiegenheits- und Auskunftspflicht
(1) Der Geschäftsführer verpflichtet sich, über alle ihm im Rahmen seiner Tätigkeit zur Kenntnis ge-
langenden geschäftlichen Angelegenheiten und Vorkommnisse, die ihrer Natur nach vertraulich und
schutzwürdig sind, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Gesellschaft und mit der
Gesellschaft verbundener Unternehmen, Stillschweigen gegenüber Dritten zu bewahren, es sei denn,
der Geschäftsführer ist aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder gerichtlicher Anordnung zur Offen-
barung verpflichtet. Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch für die Regelungen dieses Vertrages sowie
für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis.
(2) Der Geschäftsführer hat der Gesellschaft während der Freistellung und auch nach Beendigung
dieses Vertrages Auskunft über Vorgänge, die seine Tätigkeit betreffen, zu erteilen.
8. R
ückgabe von Arbeitsmitteln
254 Während der Freistellungsphase, spätestens jedoch nach Beendigung des Anstel-
lungsverhältnisses besteht das berechtigte Interesse der Gesellschaft, in ihrem Eigen-
tum stehende Unterlagen und Arbeitsmittel, wie bspw. Akten, Geschäfts-Laptop, etc.,
zurückzuerhalten. Fällt das Recht zum Besitz (§ 985 BGB) weg, so kann die Gesell-
schaft Unterlagen, Arbeitsmittel und Ähnliches bereits nach dem sachenrechtlichen
Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) vom Geschäftsführer herausverlangen.426 Durch
Aufnahme einer Rückgabeklausel in den Anstellungsvertrag, wird zusätzlich ein
423 BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83 – NJW 1984, 2366; OLG Koblenz, Beschl. v. 5.3.1987 – 6 W
38/87 – DB 1987, 480; OLG Hamm, Urt. v. 7.11.1984 – 8 U 8/84 – GmbHR 1985, 158; statt vieler BeckOK
GmbHG/Haas/Ziemons, § 43 Rn 208 m. w. N.
424 Hümmerich/Reufels/Reufels, § 2 Rn 995; zur Pflicht einer Karenzentschädigung bei nachvertrag-
lichem Wettbewerbsverbot, vgl. Rn 248 f.
425 Zur Freistellung des Geschäftsführers vgl. Rn 184 f.
426 Vgl. entsprechend im Arbeitsverhältnis Kap. 8 Rn 1 f.
Reiserer/Polczynski
A. Der GmbH-Geschäftsführer-Vertrag 501
Klauselmuster
Rückgabe von Arbeitsmitteln
(1) Der Geschäftsführer hat mit der Freistellung, spätestens jedoch mit Beendigung dieses Vertrages,
alle in seinem Besitz befindlichen, die Gesellschaft betreffenden Unterlagen, Urkunden, Aufzeich-
nungen, Notizen, Entwürfe oder hiervon gefertigte Durchschriften, Abschriften oder Kopien ohne
Rücksicht auf den Adressaten unaufgefordert herauszugeben.
(2) Dieselbe Verpflichtung des Geschäftsführers besteht für sämtliche Sachen und Gegenstände, die
im Eigentum der Gesellschaft stehen, wie beispielsweise Dienstwagen, Laptop, Mobiltelefon, Schlüs-
sel und Ähnliches.
(3) Dem Geschäftsführer steht an diesen Gegenständen kein Zurückbehaltungsrecht zu.
9. S
chlussbestimmungen
Empfehlenswerte Schlussbestimmungen sind etwa die Klarstellung des Schicksals 255
eines etwaigen vor der Bestellung zum Geschäftsführer vorliegenden Arbeitsvertra-
ges, des Nichtbestehens von Nebenabreden, die Aufnahme eines Schriftformer-
fordernisses428 sowie einer salvatorische Klausel429 für den Fall, dass eine Bestim-
mung des Anstellungsvertrages unwirksam sein sollte.
Klauselmuster
Schlussbestimmungen
(1) Der bisher zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag vom [Datum] wird aufgehoben.430
(2) Dieser Vertrag einschließlich der in Bezug genommenen Anlagen enthält die vollständige Verein-
barung der Parteien. Weitere Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses
Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das gilt auch für die Änderung und Ergän-
zung dieser Klausel. Von dem Schriftformerfordernis ausgenommen sind individuelle Vertragsabre-
den.
Reiserer/Polczynski
502 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
(3) Sollten einzelne oder mehrere Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, so
wird hierdurch die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen nicht berührt. Entsprechendes gilt
für den Fall einer Regelungslücke.
B. D
er AG-Vorstands-Vertrag
431 EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – NZA 2011, 143 – Danosa; dazu Anm. Reiserer, DB 2011, 2262;
Hümmerich/Reufels/Reufels, § 3 Rn 28.
432 St. Rspr. des BGH, z. B. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52 – BGHZ 10, 187; BGH, Urt. v. 16.12.1953 –
II ZR 41/53 – BGHZ 12, 1; und ganz h. M. Schaub/Vogelsang, § 14 Rn 2 ff.; Hümmerich/Reufels/Reufels,
§ 3 Rn 28, jeweils m. w. N.; KölnKomm/Mertens/Cahn, § 84 AktG Rn 35; Henssler, RdA 1992, 289; für
Vorstandsmitglieder konzernabhängiger Aktiengesellschaften: Martens in: FS für Hilger und Stumpf,
S. 437; Säcker, BB 1979, 1321.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 503
Geschäftsführer, der wegen der Regelung in § 37 GmbHG den Weisungen der Gesell-
schafter unterworfen ist.433
Reiserer/Polczynski
504 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Beispiel
Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften auf AG-Vorstände:
– Die Grundsätze zur Haftungsbeschränkung bei innerbetrieblichem Schadensausgleich finden
keine Anwendung auf Vorstandsmitglieder;438
– Wird der Betrieb der Aktiengesellschaft oder ein abgrenzbarer Betriebsteil auf einen Dritten nach
§ 613a BGB übertragen, geht das Anstellungsverhältnis des Vorstandsmitgliedes nicht nach
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über;439
– Für die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses gilt, sofern nichts anderes verein-
bart ist, im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH zum Geschäftsführer der GmbH nach
ganz herrschender Meinung die Regelung des § 622 Abs. 1 BGB entsprechend.440 Unter Berück-
sichtigung der gesamten Tätigkeit des Vorstandsmitgliedes für das Unternehmen, ggf. auch aus
früherer Tätigkeit als Arbeitnehmer, verlängern sich die Fristen für die Kündigung des Anstel-
lungsvertrages des Vorstandsmitgliedes durch die Gesellschaft entsprechend § 622 Abs. 2 BGB.
Abweichende Vereinbarungen im Anstellungsvertrag des Vorstandsmitgliedes sind entspre-
chend § 622 Abs. 5 BGB unwirksam. Praktisch dürfte dies aufgrund der obligatorischen Befris-
tung des Vorstands-Anstellungsvertrages, der in der Regel einen Ausschluss der ordentlichen
Kündigung enthalten wird, nur eine geringer Rolle spielen;441
– Weder der allgemeine Kündigungsschutz nach den gesetzlichen Bestimmungen des KSchG (§ 14
Abs. 1 Nr. 1 KSchG)442, noch der besondere Kündigungsschutz nach § 85 SGB IX für schwerbe-
hinderte Menschen443 oder die Kündigungsschutzbestimmungen des MuSchG444 und des BEEG
finden auf Vorstandsmitglieder Anwendung;
– Obwohl die gesetzlichen Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht für Vorstandsmitglieder
gelten, steht jedem Vorstandsmitglied in angemessenem Umfang Erholungsurlaub unter Ent-
geltfortzahlung zu;445
438 BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 112/72 – WM 1975, 467 (für Geschäftsführer einer Genossenschafts-
bank); Henze/Born/Drescher, S. 127; Hümmerich/Reufels/Reufels, § 3 Rn 29; Schmidt/Schantz, NZS
2014, 5 (für den Vorstand einer gesetzl. Krankenversicherung); vgl. im Übrigen die Ausführungen zum
Haftungsmaßstab beim GmbH-Geschäftsführer in Rn 97 und Hümmerich/Boecken/Spirolke/Reiserer,
§ 4 Rn 27 ff.
439 Vgl. Rn 358; Henssler, RdA 1992, 289, 297; Hümmerich/Reufels/Reufels, § 3 Rn 29 m. w. N.; vgl.
BAG, Urt. v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01 – DB 2003, 942 (zum GmbH-Geschäftsführer).
440 Vgl. Rn 181 f.; 327; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 24; KölnKomm/Mertens/Cahn, AktG, § 84 Rn 38;
Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 6; vgl. auch Grobys, NJW-Spezial 2005, 513.
441 Klauselmuster zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung in Rn 328 f.
442 Vgl. zur gleichen Problematik beim GmbH-Geschäftsführer Rn 186 ff.; Ob beim Vorstand – wie
beim GmbH-Geschäftsführer (vgl. Rn 187) – die Möglichkeit der Einbeziehung der materiellen Regeln
des Kündigungsschutzgesetzes in den Anstellungsvertrag besteht, ist in der Rechtsprechung bislang
ungeklärt. Verneinend: Hümmerich/Reufels/Reufels, § 3 Rn 33; Hüffer/Koch, § 84 Rn 24.
443 Vgl. zur gleichen Problematik beim GmbH-Geschäftsführer Rn 196.
444 Vgl. zur gleichen Problematik beim GmbH-Geschäftsführer Rn 194 f., auch unter der Berücksich-
tigung der Danosa-Rechtsprechung des EuGH: EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – NZA 2011, 143 –
Danosa; dazu Anm. Reiserer, DB 2011, 2262; kritisch zur Übertragung der Danosa-Entscheidung auf
den im Gegensatz zum GmbH-Geschäftsführer weisungsunabhängigen Vorstand einer AG vgl. Gro-
bys/Panzer/Kelber, Vorstand, Rn 14.
445 KölnKomm/Mertens/Cahn, § 84 Rn 87; Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 53.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 505
– Schließlich kann sich das Vorstandsmitglied unter ganz engen Voraussetzungen auch auf den
aus dem Arbeitsrecht abgeleiteten Gleichbehandlungsgrundsatz446 – allerdings nur im Verhält-
nis zu anderen Vorstandsmitgliedern – sowie auf den gleichfalls aus dem Arbeitsrecht abgeleite-
ten Grundsatz der betrieblichen Übung berufen.447
446 BGH, Urt. v. 18.12.1954 – II ZR 281/53 – BB 1955, 166; zur Anwendbarkeit des AGG auf Vorstands-
mitglieder KölnKomm/Mertens/Cahn, AktG, § 84 Rn 35.
447 Zu weiteren Erwägungen und Einzelheiten im Zusammenhang mit Analogien zum Arbeitsrecht
vgl. die Ausführungen zum GmbH-Geschäftsführer Rn 5 ff.
448 Hümmerich/Boecken/Düwell/Pusch, § 84 AktG, Rn 35.
449 BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62 – NJW 1964, 1367; KölnKomm/Mertens/Cahn, § 84 Rn 48; Hüm-
merich/Boecken/Düwell/Pusch, § 84 AktG, Rn 35, wonach ein von einem unzuständigen Organ der AG
geschlossener Anstellungsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist.
450 BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99 – ZIP 2002, 216.
451 BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73 – BB 1975, 1502; vgl. BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90 – ZIP
1991, 869; ausführlich zu dem beschränkten Wirkungskreis des Personalausschusses Hüffer/Koch
§ 84 AktG, Rn 15 und § 107 AktG, Rn 28 m. w. N.
Reiserer/Polczynski
506 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
b) Vertragsänderung, Vertragsaufhebung
263 Eine Änderung des Inhalts des Anstellungsvertrags oder dessen Aufhebung ist
durch die Parteien jederzeit einvernehmlich möglich.456 Wie auch beim Abschluss
des Anstellungsvertrages handelt für die Aktiengesellschaft der Aufsichtsrat (§ 112
AktG). Über Fragen der Vorstandsvergütung wird der Aufsichtsrat nach Einführung
des VorstAG selbst zu entscheiden haben, da eine Übertragung der Entscheidung an
einen (Personal-)Ausschuss hier nicht zulässig ist.457
452 Vertiefend zum am 5.8.2009 in Kraft getretenen Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergü-
tung (VorstAG), s. Rn 299 ff.
453 KölnKomm/Mertens/Cahn, AktG, § 84 Rn 48.
454 Hümmerich/Boecken/Düwell/Pusch, § 84 AktG, Rn 36; Lingemann, BB 2009, 1918, 1922.
455 BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14 – NZG 2015, 792 m. Anm. v. Hippeli, jurisPR-HaGesR 7/2015
Anm. 2.
456 Haas/Ohlendorf, S. 26.
457 Siehe Rn 261 f.
458 Haas/Ohlendorf, S. 16; BGH, Urt. v. 27.1.1997– II ZR 213/95 – GmbHR 1997, 547 (für Geschäftsführer
einer GmbH).
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 507
3. Rechtsweg
Bei Streitigkeiten zwischen dem Vorstandsmitglied und der Aktiengesellschaft aus 265
dem Anstellungsvertrag sind die ordentlichen Gerichte zuständig. Die Zuständig-
keit der Arbeitsgerichte scheitert an § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG, wonach Personen in Betrie-
ben einer juristischen Person, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags
allein oder als Mitglied eines Vertretungsorgans zur Vertretung einer juristi-
schen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten.
Dass die neuere Rechtsprechung des BAG zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte 266
bei Klagen des GmbH-Geschäftsführers auch auf den Vorstand einer Aktiengesell-
schaft zu übertragen ist, ist wegen der Regelung in § 76 Abs. 1 AktG (Arbeitgeberfunk-
tion) nicht zu erwarten459.
1. Dienstleistung
a) Pflicht zur Leitung der Gesellschaft
Gemäß § 76 Abs. 1 AktG obliegt dem Vorstand als Kollegialorgan die Leitung der 267
Gesellschaft unter eigener Verantwortung. Der Begriff der Unternehmensleitung ist
dabei umfassend im Sinne einer generalklauselartigen ausschließlichen Allzu-
ständigkeit des Vorstands zu verstehen.
Seine Pflicht zur Geschäftsleitung und -führung hat der Vorstand mit der Sorgfalt 268
eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu erfüllen, §§ 76 Abs. 1,
93 Abs. 1 S. 1 AktG. Dabei hat er vor allem die Interessen der Gesellschaft zu wahren.
Dazu zählen die Wahrung des Interesses der Aktionäre an der Erhaltung des Grund-
kapitals sowie die gewinnorientierte Verwendung ihres Kapitalbeitrags, wobei eine
Rechtspflicht zur „Gewinnmaximierung“ im Interesse der Aktionäre nicht existiert.460
Bei seinen Entscheidungen muss der Vorstand neben den Aktionärsinteressen auch
die Interessen der Arbeitnehmer der Gesellschaft sowie diejenigen der Allgemeinheit
berücksichtigen.
Aus der Verwaltung des ihnen anvertrauten Vermögens bzw. eines Geschäftsbe- 269
reichs folgt eine besondere, organschaftliche Treuepflicht. Danach hat der Vor-
stand die Unternehmensinteressen in jedweder Weise wahrzunehmen und es zu
unterlassen, die Gesellschaft zu schädigen.461 Weitere Ausflüsse der Treuepflicht
sind die Verschwiegenheitspflicht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG)462, das Wettbewerbsver-
459 Etwa BAG, Beschl. v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 – GmbHR 2015, 27; BAG, Beschl. v. 3.12.2014 – 10
AZB 98/14; vgl. hierzu und zur Entwicklung der Rechtsprechung Rn 37 ff., 45 f.
460 Windbichler, § 27 Rn 22.
461 MüKo-AktG/Spindler, § 84 Rn 107.
462 Siehe Rn 310 ff.
Reiserer/Polczynski
508 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
bot während der Dauer des Anstellungsverhältnisses (§ 88 AktG)463 und das Verbot,
Geschäftschancen, die der Gesellschaft zustehen, für sich oder nahe stehende Perso-
nen wahrzunehmen.464
270 Das Gesetz überträgt dem Vorstand die Befugnis zur Geschäftsleitung ausschließ-
lich, zwingend und grundsätzlich umfassend. Daraus folgt, dass den Vertragspar-
teien bei der Gestaltung des Anstellungsvertrages diesbezüglich kein wesentli-
cher Spielraum eingeräumt ist.465
Beispiel
– Änderungen betreffend die Willensbildung innerhalb des Vorstandes, z. B. statt der gesetzlich
vorgesehenen Gesamtgeschäftsführung mit Einstimmigkeitserfordernis gem. § 77 Abs. 1 Satz 1
AktG etwa Gesamtgeschäftsführung mit mehrheitlicher Willensbildung466, können nach § 77
Abs. 1 Satz 2 AktG nur durch eine Satzung oder Geschäftsordnung des Vorstandes geregelt wer-
den. Zu beachten ist hierbei die in § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG subsidiäre Erlasskompetenz für eine
Geschäftsordnung des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat.467 Dagegen entfalten Regelungen
zur Willensbildung innerhalb des Vorstands, die lediglich Bestandteil eines Anstellungsvertra-
ges sind, für die Aktiengesellschaft keine bindende Wirkung. Es sollte vielmehr von entspre-
chenden Vereinbarungen abgesehen werden, weil sie auf der Seite des Vorstands bei Nichterfül-
lung zu Kündigungsrechten und Schadenersatzansprüchen führen können.468
– Zur Frage der Verteilung der Geschäftsführungsaufgaben gilt das Vorstehende entsprechend.469
– Gestaltungsspielraum besteht allenfalls für die Frage der beabsichtigten Ressortzuweisung, wo-
bei dem Aufsichtsrat hier das Letztbestimmungsrecht zusteht.470 Der Anstellungsvertrag kann
vorsehen, dass einem Vorstandsmitglied ein bestimmtes Ressort zugewiesen wird und er nicht
zur Übernahme eines anderen Ressorts verpflichtet ist. Zwar kann der Aufsichtsrat trotz der ver-
traglichen Regelung eine anderslautende Geschäftsordnung erlassen. In diesem Fall wäre der
Vorstand allerdings berechtigt, sein Amt niederzulegen, den Anstellungsvertrag aus wichtigem
Grund außerordentlich zu kündigen sowie als Rechtsfolge der außerordentlichen Kündigung et-
waige Schadenersatzansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB geltend zu machen.471
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 509
Reiserer/Polczynski
510 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
zur Ressortverteilung ergeben, die der Vorstand selbst oder der Aufsichtsrat erlassen
hat.481 Eine entsprechende Aufnahme der Ressortzuweisung kann auch – ausdrück-
lich oder durch Verweisung – in den Anstellungsvertrag aufgenommen werden. Die
Regelung ist zwar lediglich deklaratorisch, kann den Vorstand aber im Falle einer
späteren Änderung der Geschäftsordnung durch den Aufsichtsrat zur Niederlegung
seines Amtes und zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages aus
wichtigem Grund sowie zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach
§ 628 Abs. 2 BGB berechtigen.482
bb) Vertretungsmacht/Vertretungsbefugnis
277 Der Vorstand vertritt die Aktiengesellschaft gerichtlich und außergerichtlich (§ 78
Abs. 1 AktG). Nach § 82 Abs. 1 AktG ist seine Vertretungsmacht unbeschränkt und
unbeschränkbar.483 Parallel zu den Regelungen zur Geschäftsführungsbefugnis gilt
bei einem mehrköpfigen Vorstand als Grundregel die Gesamtvertretung, d. h. sämt-
liche Vorstandsmitglieder sind nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft
befugt (§ 78 Abs. 2 S. 1 AktG). Ist eine Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft
abzugeben – passive Vertretung – so genügt gemäß § 78 Abs. 2 S. 2 AktG die Abgabe
gegenüber einem Vorstandsmitglied.
278 Die Satzung oder der Aufsichtsrat kann, was in der Praxis der Regelfall ist, vom
gesetzlichen Leitbild der Gesamtvertretung abweichende Bestimmungen treffen,
die gemäß § 81 AktG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden sind. Häufig
finden sich Vertretungsregelungen, wonach die Gesellschaft durch zwei Vorstands-
mitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied und einen Prokuristen vertreten wird
bzw. dem Vorstandsvorsitzenden Einzelvertretungsbefugnis eingeräumt wird (vgl.
§ 78 Abs. 3 AktG).484
279 Eine Aufnahme entsprechender Vertretungsbestimmungen in den Anstellungs-
vertrag führt nicht zu einer Bindung des Aufsichtsrats, stattdessen aber zu Rechtsun-
sicherheit und ist daher nicht zu empfehlen. Parallel zur Aufnahme einer Regelung
zur Geschäftsführungsbefugnis würde auch die Aufnahme einer Vertretungsregelung
in den Anstellungsvertrag das Risiko etwaiger Kündigungs- und Schadensersatz-
ansprüche des Vorstandmitglieds in sich tragen.485 Eine vertragliche Regelung zur
Vertretung der Gesellschaft sollte sich daher auf einen Verweis auf die gesetzlichen
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 511
Reiserer/Polczynski
512 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Aufgaben und Pflichten; Vertretung490
1. Das Vorstandsmitglied führt in Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedern des Vorstands die Ge-
schäfte der Aktiengesellschaft unter Beachtung des jeweils gültigen Geschäftsverteilungsplans für
den Vorstand der Gesellschaft.
2. Das Vorstandsmitglied hat sein Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ge-
schäftsleiters zu führen und bei seiner Tätigkeit die Gesetze, die Satzung der Aktiengesellschaft, eine
vom Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft erlassene Geschäftsordnung einschließlich Geschäftsver-
teilungsplan für den Vorstand, die Beschlüsse des Aufsichtsrats sowie der Hauptversammlung und
diesen Anstellungsvertrag sowie den Deutschen Corporate Governance Kodex, sämtlich in der jeweils
gültigen Fassung, zu beachten.
3. Das Vorstandsmitglied vertritt die Aktiengesellschaft nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmun-
gen gerichtlich und außergerichtlich. Die Vertretungsbefugnisse des Vorstandsmitglieds richten sich
nach der Satzung der Aktiengesellschaft/der Geschäftsordnung für den Vorstand, die jederzeit geän-
dert werden kann.
4. Das Vorstandsmitglied nimmt die Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers im Sinne der arbeits-
und sozialrechtlichen Vorschriften wahr.
5. Das Vorstandsmitglied ist verpflichtet auf Wunsch des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft Organ-
stellungen (Vorstand/Geschäftsführer) in mit der Aktiengesellschaft verbundenen Unternehmen,
Aufsichtsratsmandate oder Mandate in einem vergleichbaren Kontrollgremium sowie ehrenamtliche
Funktionen in Verbänden, denen die Aktiengesellschaft angehört, zu übernehmen. Auf jederzeitige
Aufforderung der Aktiengesellschaft, spätestens jedoch mit der Beendigung dieses Anstellungsver-
trages, hat das Vorstandsmitglied diese Ämter, sofern rechtlich zulässig, niederzulegen bzw. auf drit-
te, von der Aktiengesellschaft zu benennende, Personen, zu übergeben.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 513
c) Verlängerungsklausel
Eine Verlängerungsklausel, nach der sich der Anstellungsvertrag jeweils für die 288
Dauer der Wiederbestellung, verlängert, ist nach § 84 Abs. 1 S. 5 AktG zulässig,
sofern der Fünfjahreszeitraum nicht überschritten wird.496 Fehlt eine solche Klausel
im Anstellungsvertrag, so ist für die Verlängerung ein Aufsichtsratsbeschluss erfor-
derlich, der gem. § 84 Abs. 1 S. 3 AktG frühestens ein Jahr vor Ablauf des Anstellungs-
vertrages wirksam gefasst werden kann. Wird der Anstellungsvertrag ohne aus-
drückliche Regelung praktisch weitergeführt, verlängert sich der Anstellungsvertrag
automatisch, soweit die Höchstdauer von fünf Jahren aus § 84 Abs. 1 S. 1, und 5 AktG
nicht überschritten wird.497 Keine unzulässige Umgehung des Verbots in § 84 Abs. 1
S. 3 AktG soll nach der Rechtsprechung des BGH dagegen die einvernehmliche Aufhe-
bung der Bestellung verbunden mit der Wiederbestellung als Vorstandsmitglied für
fünf Jahre früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestellung sein.498
494 OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.7.1973 – 8 U 74/73 – BB 1973, 1088; so auch Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn
25; Grobys/Littger, BB 2002, 2292, 2294; entsprechend zur Mindestdauer der Bestellung: Hüffer/Koch,
AktG, § 84 Rn 7.
495 Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 25.
496 Haas/Ohlendorf, S. 16; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 6, 20; Moll/Moll/Eckhoff, AktG, § 81 Rn 26.
497 Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 26; Hüffer/Koch, § 84 Rn 6; Vereinbarungen bei Bestellung, die eine
automatische Verlängerung der Amtszeit über die Höchstdauer von fünf Jahren vorsehen, sind nach
§ 134 BGB nichtig, vgl. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52 – BGHZ 10, 187; zur Problematik von Verträ-
gen zwischen Vorstand und Allein- oder Mehrheitsaktionär, die eine Wiederbestellung vorsehen, s.
Niewarra, BB 1998, 1961.
498 BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11 – NZG 2012, 1027; anders dagegen noch die Vorinstanz: OLG
Zweibrücken, Urt. v. 3.2.2011 – 4 U 76/10 – NZG 2011, 433; zu den Gestaltungsmöglichkeiten bei
vorzeitiger Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern vgl. Fleischer DB 2011, 861.
Reiserer/Polczynski
514 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
d) K
oppelungsklauseln
289 Koppelungsklauseln, wonach die Beendigung des Anstellungsverhältnisses an den
Widerruf der Organbestellung gekoppelt ist, sind – wie auch beim GmbH-Geschäfts-
führer499 – grundsätzlich zulässig.500
Klauselmuster
Präambel501
Herr/Frau [Name, Vorname] ist durch Beschluss des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft vom [Da‑
tum] für den Zeitraum vom [Datum] bis zum [Datum] zum Mitglied des Vorstands der Aktiengesell-
schaft bestellt worden. Dieser Anstellungsvertrag regelt das der Bestellung zugrundeliegende Dienst-
verhältnis abschließend.
bb) U
nbedingter Abschluss des Anstellungsvertrages und anschließender
Aufsichtsratsbeschluss über die Bestellung zum Vorstandsmitglied
293 Der unbedingte Abschluss eines Anstellungsvertrages vor einem Beschluss über
die Bestellung zum Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft begegnet hingegen
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 515
cc) A
nstellungsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung der Bestellung zum
Vorstandsmitglied
Der Anstellungsvertrag kann ferner unter den Vorbehalt der Bestellung zum Vor- 294
standsmitglied gestellt werden. In diesem Fall tritt er erst mit Wirksamwerden der
Bestellung503 in Kraft. Die Bestellung kann auch erst zu einem bestimmten zukünf-
tigen Termin erfolgen, an dem die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds als Organ der
Gesellschaft beginnen soll.504
Es empfiehlt sich folgendes Klauselmuster: 295
Klauselmuster
Präambel505
Herr/Frau [Name, Vorname] wird für den Zeitraum vom [Datum] bis zum [Datum] zum Mitglied des Vor-
stands der Aktiengesellschaft bestellt werden. Dieser Anstellungsvertrag regelt das der Bestellung
zugrundeliegende Dienstverhältnis abschließend vorbehaltlich der Bestellung.
dd) A
ufsichtsratsbeschluss über die Bestellung zum Vorstand unter der
aufschiebenden Bedingung des Abschlusses eines Anstellungsvertrages
Denkbar ist auch eine Bestellung des Vorstandsmitglieds unter der aufschieben- 296
den Bedingung des Abschlusses eines Anstellungsvertrages.506 Das heißt, erst mit
Abschluss des Anstellungsvertrages (Eintritt der Bedingung) wird die Bestellung zum
Organ der Gesellschaft wirksam. In diesem Fall ist der Vorbehalt in dem obigen Klau-
selmuster („vorbehaltlich der Bestellung“)507 ersatzlos zu streichen.
3. Vergütung
a) Allgemeines
Anders als im GmbH-Recht für den GmbH-Geschäftsführer bestanden für die Bemes- 297
sung von Vorstandsvergütungen bereits bei Einführung des Aktiengesetzes ausdrück-
Reiserer/Polczynski
516 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
508 Vgl. hierzu OLG München, Urt. v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07 – ZIP 2008, 1237.
509 BT-Drs. 16/12278 v. 17.03.2009, S. 1; vgl. auch Kap. 4 Rn 282 ff.
510 Ausführlich zu den Neuregelungen und Auswirkungen des VorstAG vgl. Lingemann, BB 2009,
1918; Deilmann/Otte, GWR 2009, 261; Jahn, GWR 2009, 135; Krienke/Schnell, NZA 2010, 135; Fleischer,
NZG 2009, 801.
511 BT-Drs. 16/12278 v. 17.3.2009, S. 1; vgl. auch Kap. 4 Rn 282 ff.
512 BT-Drs. 16/12278 v. 17.3.2009, S. 1. Dem entspricht es, dass nunmehr nach § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG
die Aufgaben nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und 2 AktG, also insbesondere die Festsetzung und
Herabsetzung der Gesamtbezüge, durch den Aufsichtsrat selbst erfolgen muss und nicht mehr
(endgültig) auf den Personalausschuss übertragen werden kann. Letzterer kann daher nur noch vor-
bereitend tätig werden, vgl. Rn 261 f. sowie Lingemann, BB 2009, 1918, 1922.
513 Ziffer 4.2.2 Deutscher Corporate Governance Kodex i. d. F. vom 26.5.2010; vgl. auch Kap. 4 Rn
290 ff.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 517
Reiserer/Polczynski
518 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
b) Betriebliche Altersversorgung
aa) Geltung des Betriebsrentengesetzes
305 Vorstandsmitglieder erhalten neben ihren regelmäßigen und variablen Bezügen
meist auch eine Pensionszusage, die sich regelmäßig auf eine Altersrente, eine Invali-
ditätsrente sowie eine Hinterbliebenenversorgung bezieht. Solche Ruhegeldverein-
barungen mit Vorstandsmitgliedern fallen gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG regelmäßig
in den Anwendungsbereich des Betriebsrentengesetzes. Eine Ausnahme gilt nur
dann, wenn das Vorstandsmitglied als Mehrheitsaktionär oder wegen seiner beson-
deren unternehmensleitenden Funktion als Unternehmer einzustufen ist.520 Die
Bestimmungen des BetrAVG sind bei ihrer generellen Anwendbarkeit zwingend und
können wie im Bereich der Arbeitnehmerzusagen auch für Vorstandsmitglieder nicht
vertraglich abbedungen werden.521 Dieser Grundsatz gilt v. a. auch für die gesetzlich
zwingenden Unverfallbarkeitsregelungen nach § 1b BetrAVG.522
bb) Insolvenzschutz
306 Laufende Ruhegeldansprüche und unverfallbare Anwartschaften sind nach § 7
BetrAVG insolvenzgesichert. Die Insolvenzsicherung ist nach § 7 Abs. 3 BetrAVG für
laufende Rentenleistungen auf das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit
maßgebenden monatlichen Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV begrenzt. Die Sicherungs-
höchstgrenze beträgt demnach in den alten Bundesländern für 2015 3 x 2.835 EUR =
8.505 EUR bzw. in den neuen Bundesländern 3 x 2.415 EUR = 7.245 EUR. Diese gesetz-
liche Insolvenzsicherung gilt auch für Vorstandsmitglieder, die nach § 17 Abs. 1 Satz 2
BetrAVG in den Anwendungsbereich des Betriebsrentengesetzes fallen. Vorstandsmit-
glieder, die wegen einer Unternehmerstellung nicht in den Anwendungsbereich des
Betriebsrentengesetzes fallen,523 haben keinen gesetzlichen Insolvenzschutz für ihre
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 519
Pensionszusagen. In diesen Fällen und für die Rentenleistung, die über die Siche-
rungshöchstgrenze nach § 7 Abs. 3 BetrAVG hinausgeht, ist aus Sicht des Vorstands-
mitgliedes eine vertragliche Absicherung erforderlich. In Betracht kommt hier v. a.
der Abschluss einer Rückdeckungsversicherung mit Einräumung eines erstrangigen
Pfandrechtes zugunsten des Vorstandsmitgliedes.524
Reiserer/Polczynski
520 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
ter Art noch in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft herabge-
setzt werden, § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG.
Klauselmuster
Bezüge des Vorstandsmitglieds
(1–4) …529
(5)
[Für nicht börsennotierte Aktiengesellschaft:]
Des Weiteren erhält der Vorstand eine ergebnisabhängige Vergütung (Tantieme) in Höhe von [Be‑
trag] % des in der Bilanz ausgewiesenen Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit der Akti-
engesellschaft im Sinne des § 275 HGB. Die Tantieme wird innerhalb eines Monats nach der Feststel-
lung des Jahresabschlusses fällig. Sie beträgt jährlich höchstens EUR [Betrag]. 530
[Für börsennotierte Aktiengesellschaft:]
Des Weiteren erhält der Vorstand eine ergebnisabhängige Vergütung (Tantieme) in Höhe von [Be‑
trag] % des in der Bilanz ausgewiesenen Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit der Ak-
tiengesellschaft im Sinne des § 275 HGB. Der Anspruch auf Zahlung der Tantieme setzt ein positives
Ergebnis der Geschäftstätigkeit im Sinne des § 275 HGB in den beiden Folgejahren voraus. In diesem
Fall entsteht der Anspruch auf die Tantieme mit Schluss des dritten Geschäftsjahres und wird mit der
Feststellung des Jahresabschlusses des dritten Geschäftsjahres fällig. Die Tantieme beträgt jährlich
höchstens EUR [Betrag].531
(6) Das Vorstandsmitglied nimmt an dem Aktienoptionsprogramm für Vorstandsmitglieder der Aktien-
gesellschaft vom [Datum] teil. Der Umfang der zuzuteilenden Aktienoptionen liegt im freien Ermessen
der Aktiengesellschaft.532
528 Rn 147.
529 Entsprechend dem Klauselmuster für die Bezüge des Geschäftsführers in Rn 147. Die Höhe der
Sondervergütung wegen besonderer Leistungen bestimmt beim AG-Vorstand der Aufsichtsrat (beim
GmbH-Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung).
530 Im Wesentlich nach Haas/Ohlendorf, S. 108.
531 Im Wesentlich nach Haas/Ohlendorf, S. 108. Gegenüber der Regelung für nicht börsennotierte
Aktiengesellschaften trägt die Klausel dem Gebot der Nachhaltigkeit und der mehrjährigen Bemes-
sungsgrundlage Rechnung. Die Tantieme soll also nur bei einer nachhaltig positiven Entwicklung des
Unternehmens gezahlt werden, vgl. Haas/Ohlendorf, S. 120.
532 Haas/Ohlendorf, S. 109 mit Erläuterungen auf S. 121 und mit Muster eines Aktienoptionspro-
gramms auf S. 251 ff.; Aktienoptionsprogramme gewinnen als Form der variablen Vergütung immer
mehr an Bedeutung. Hier wird auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen, etwa Liebers/Mauro-
schat, D Rn 1 ff.; Bosse/Massmann.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 521
(7) Der Aufsichtsrat wird regelmäßig, mindestens jedoch einmal jährlich, die Gesamtbezüge des
Vorstandsmitglieds unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage der Aktiengesellschaft, der in-
dividuellen Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds und der allgemeinen Geldentwertung
prüfen und ggf. die Gesamtbezüge nach billigem Ermessen anpassen. Der Aufsichtsrat ist berechtigt,
unter den Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AktG die Bezüge durch einseitige Erklärung herabzuset-
zen.533
(8) Scheidet das Vorstandsmitglied während der Dauer des Geschäftsjahres aus den Diensten der
Aktiengesellschaft aus, so hat er einen zeitanteiligen Anspruch auf die vorstehenden Bezüge.
4. N ebenpflichten
a) Pflicht zur Verschwiegenheit
Das AktienG nennt an einigen Stellen Nebenpflichten des Vorstands, die der Gesetz- 310
geber als besonders wesentlich erachtet hat.534 Hierzu zählt die Pflicht des Vorstands,
über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Aktiengesellschaft, insbesondere
über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die ihm durch seine Tätigkeit im Vor-
stand bekanntgeworden sind, Stillschweigen zu bewahren (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG).
Nur in wenigen Ausnahmefällen, z. B. innerhalb des Vorstands selbst, gegenüber
Aufsichtsratsmitgliedern oder Abschlussprüfern, die im Umfang ihres Auskunfts-
rechts nach § 320 Abs. 2 HGB vom Vorstand bestimmte Aufklärungen und Nachweise
verlangen können, gilt die Pflicht zur Verschwiegenheit nicht.535 Nach § 93 Abs. 1
Satz 4 AktG findet die Pflicht zur Verschwiegenheit gegenüber einer nach § 342b HGB
anerkannten Prüfstelle für Rechnungslegung, soweit diese eine Prüfung der Gesell-
schaft vornimmt, keine Anwendung.
Ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht kann nach § 93 Abs. 2 AktG zu 311
einer Schadensersatzhaftung des Vorstands gegenüber der Aktiengesellschaft, bei
einer unbefugten Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen sogar zu
einer Strafbarkeit nach § 404 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 AktG führen.
Die Pflicht zur Verschwiegenheit des Vorstands gilt, auch ohne eine ausdrück- 312
liche Regelung, über die Dauer der Organstellung bzw. des Anstellungsvertrages
hinaus.536 Die gesetzlich normierte Pflicht kann ferner weder durch Satzung, Anstel-
lungsvertrag oder eine Geschäftsordnung des Vorstands verschärft, gemildert oder
gar abbedungen werden, so dass die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in
einen Anstellungsvertrag stets nur deklaratorischer Natur sein kann.537 Dennoch
kann eine Verschwiegenheitsklausel im Anstellungsvertrag aus Sicht der Aktien-
Reiserer/Polczynski
522 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
gesellschaft sinnvoll sein, wenn sie die vom Gesetz nicht näher definierten Begriffe
„Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ konkretisiert.
313 Zur Regelung der Verschwiegenheitspflicht des Vorstands kann das Klauselmus-
ter zur Verschwiegenheitspflicht des GmbH-Geschäftsführers entsprechend herange-
zogen werden.
Klauselmuster
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
(1) …538
(2) Die Verschwiegenheitspflicht umfasst insbesondere den Kreis der Vertragspartner der Aktienge-
sellschaft, die mit ihnen gemachten Geschäfte und Umsätze, die strategischen Planungen der Aktien-
gesellschaft sowie Umsatz- und Ergebnisziele.539
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 523
Handlung Kenntnis erlangen oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssten. Ohne
Rücksicht auf die Kenntnisse der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder verjähren
die Ansprüche der Gesellschaft nach § 88 Abs. 3 S. 2 AktG spätestens in fünf Jahren
seit Entstehung des Anspruchs. Der Schadensersatzanspruch gibt der Gesellschaft die
Möglichkeit, den aus dem Geschäft erzielten Gewinn herauszuverlangen, § 88 Abs. 2
S. 2 AktG. Die Verpflichtung zur Fortzahlung der vereinbarten Bezüge wird durch den
Verstoß eines Vorstandsmitgliedes gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot dagegen
generell nicht berührt.542
Für ein Wettbewerbsverbot während der Dauer des Anstellungsvertrages emp- 317
fiehlt sich folgendes, der Klarstellung dienendes, Klauselmuster:
Klauselmuster
Wettbewerbsverbot
(1) Während der Dauer dieses Anstellungsvertrages gilt das Wettbewerbsverbot des § 88 AktG.
(2) …543
(3) Das Wettbewerbsverbot umfasst nicht den Erwerb börsennotierter Aktien, Options- oder Wandel-
anleihen, soweit der Erwerb nicht mehr als 1 % des Kapitals der betreffenden Unternehmen über-
steigt.544
(4) Bestehen Zweifel über den Umfang des Wettbewerbsverbots, so hat das Vorstandsmitglied mit
dem Aufsichtsrat eine schriftliche Klärung herbeizuführen.545
c) T
reuepflicht
Aus der organschaftlichen Treuepflicht folgt, dass sich der Vorstand als Treuhän- 318
der des ihm anvertrauten Vermögens und Geschäftsbereichs der Aktiengesellschaft546
bei der ihm durch das Gesetz (§ 76 Abs. 1 AktG) zugewiesenen Geschäftsleitungsauf-
gabe am Wohl der Aktiengesellschaft orientiert und nicht eigene wirtschaftliche
Nutzen verfolgt.547 In diesem Sinne ist er bei der Wahrnehmung der Aufgaben in
seinem Geschäftsbereich dazu verpflichtet, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit zu achten und Gesellschaftsressourcen nicht zu verschwenden.548
Neben dem gesetzlich konkretisierten Wettbewerbsverbot nach § 88 AktG als 319
Ausfluss der organschaftlichen Treuepflicht, ist jedes Vorstandsmitglied zur absolu-
ten und unabdingbaren Loyalität gegenüber der Aktiengesellschaft verpflichtet. Zur
Reiserer/Polczynski
524 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
d) Nebentätigkeit
321 Eine Nebentätigkeit des Vorstandsmitglieds stellt stets einen Eingriff in die absolute
und unabdingbare Loyalitätspflicht gegenüber der Aktiengesellschaft dar.551 Die
Wahrnehmung bedarf deshalb einer ausdrücklichen Einwilligung, d. h. der vorhe-
rigen Zustimmung nach § 183 BGB, des Aufsichtsrates, etwa in Form einer geson-
derten Nebentätigkeitsvereinbarung, die jedoch auch Teil des Vorstands-Anstellungs-
vertrages sein kann.552 Eine entsprechende Bestimmung enthält Ziff. 4.3.4 des DCGK,
wonach Vorstandsmitglieder Nebentätigkeiten, insbesondere Aufsichtsratsmandate
außerhalb des Unternehmens, nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats übernehmen
sollen. Eine generelle Einwilligung ohne Konkretisierung auf die bestimmte Art des
Geschäftes ist unwirksam (§ 88 Abs. 1 Satz 3 AktG). Eine nachträgliche Genehmigung
durch den Aufsichtsrat ist dagegen bedeutungslos, da dieser nach § 93 Abs. 4 Satz 2
AktG nicht über die nach § 88 Abs. 2 Satz 1 AktG entstandenen Schadensersatzansprü-
che der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied verfügen kann.553
322 Zur Regelung des Nebentätigkeitsverbots des Vorstands kann das Klauselmus-
ter aus dem Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers entsprechend herange-
zogen werden.554
549 Hümmerich/Boecken/Düwell/Pusch, § 93 Rn 5.
550 Zur entsprechenden Pflicht des GmbH-Geschäftsführers Rn 165 ff.; siehe auch Hümmerich/Boe-
cken/Düwell/Pusch, § 93 Rn 6 f.
551 Zur Loyalitätspflicht Rn 319.
552 Hümmerich/Boecken/Düwell/Pusch, § 93 Rn 5.
553 KölnKomm/Mertens/Cahn, AktG, § 88 Rn 17; MüHB-GesR IV/Wiesner, § 21 Rn 93 ff.
554 Entsprechend dem Klauselmuster zum Nebentätigkeitsverbot des GmbH-Geschäftsführers in
Rn 175 f.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 525
ges in einem Dienstverhältnis mit der Gesellschaft steht (sog. Doppelstellung des
Vorstands)555, führt ein Widerruf seiner Bestellung, der wegen § 84 Abs. 3 S. 1 AktG nur
aus wichtigem Grund erfolgen darf, nicht zwangsläufig auch zum Ende des Anstel-
lungsvertrages.556 Der Vergütungsanspruch aus dem Anstellungsvertrag besteht
somit auch nach Widerruf der Bestellung oder Amtsniederlegung grundsätzlich fort,
solange der Anstellungsvertrag nicht – zumindest konkludent – gekündigt wird.557
Zur Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten sollte der Beschluss des Aufsichts-
rates daher nicht nur den Widerruf der Bestellung, sondern auch die Kündigung
des Anstellungsvertrages umfassen. Wenn sich der Beschluss des Aufsichtsrates
nur auf den Widerruf der Bestellung bezieht, kann allerdings durch Auslegung ermit-
telt werden, dass die gesamte Rechtsbeziehung zu dem Vorstandsmitglied beendet
werden soll.558
Der Ausspruch der Kündigung obliegt wie der entsprechende Beschluss dem 324
Aufsichtsrat, kann aber einem seiner Mitglieder, einem anderen Vorstand oder
einem (Personal-)Ausschuss übertragen werden.559 Dabei ist allerdings zu beach-
ten, dass der Personalausschuss erst kündigen darf, wenn der Aufsichtsrat über den
Widerruf der Bestellung durch Beschluss entschieden hat.560 Eines besonderen Aus-
spruchs der Kündigung bedarf es nicht, wenn der zu Kündigende bei der Beschluss-
fassung anwesend ist.561
Reiserer/Polczynski
526 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
b) O rdentliche Kündigung
aa) Vorheriger Widerruf der Bestellung
325 Wegen der Vorgaben des Gesetzgebers nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG ist die ordentliche
Kündigung des Anstellungsvertrages durch die Gesellschaft regelmäßig nur zuläs-
sig, wenn zuvor oder gleichzeitig die Bestellung als Organ der Gesellschaft (aus
wichtigem Grund) widerrufen wird.562 Dieser Grundsatz gilt auch, wenn in befriste-
ten Anstellungsverträgen das Recht zur ordentlichen Kündigung vertraglich begrün-
det wird oder, wenn die Kündigung bereits vor Amtsbeginn ausgesprochen werden
soll.563
326 Zulässig ist es, dem Vorstandsmitglied im Anstellungsvertrag ein ordentliches
Kündigungsrecht unabhängig von dem Widerruf der Bestellung einzuräumen.564
bb) Kündigungsfrist
327 In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum GmbH-Geschäftsführer565 gelten
für die ordentliche Kündigung des Vorstands-Anstellungsvertrages, soweit ein
ordentliches Kündigungsrecht vereinbart wurde, die Kündigungsfristen in § 622 BGB
entsprechend.566
562 Str., vgl. Haas/Ohlendorf, S. 19; Lücke/Schaub/Lücke, § 2 Rn 270. Zur Wirksamkeit einer Vereinba-
rung im Anstellungsvertrag über die Weiterführung des Anstellungsverhältnisses als Arbeitsverhält-
nis nach Beendigung der Organstellung vgl. BAG, Urt. v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08 – NZA 2009, 1205
m. Anm. v. Barth, BB 2010, 128.
563 MünchGesR IV/Wiesner, § 21 Rn 84; Krieger, S. 181 f.; zu Kündigungsklauseln in Vorstandsverträ-
gen Steinbeck/Menke, DStR 2003, 940; Grobys/Littger, BB 2002, 2292.
564 MüHB-GesR IV/Wiesner, § 21 Rn 21; Haas/Ohlendorf, S. 18 f.
565 Vgl. Rn 181 ff.
566 Haas/Ohlendorf, S. 19, 164 m. w. N.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 527
Zur Regelung eines Ausschlusses der ordentlichen Kündigung während der Dauer 329
der Organstellung kann folgendes Klauselmuster empfohlen werden:
Klauselmuster
Kündigung
Während der Laufzeit des Anstellungsvertrages ist die ordentliche Kündigung des Vertrages ausge-
schlossen. Hiervon unberührt bleibt das Recht jeder Vertragspartei zur außerordentlichen Kündigung
dieses Vertrages.
Klauselmuster
Kündigung
Der Anstellungsvertrag kann von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
[Anzahl] Monaten zum Ende eines Monats ordentlich gekündigt werden. Das Kündigungsrecht der
Gesellschaft setzt voraus, dass die Bestellung zum Mitglied des Vorstandes zuvor oder gleichzeitig
widerrufen wird. Das Kündigungsrecht des Vorstandsmitglieds setzt voraus, dass das Vorstandsmit-
glied zum Beendigungszeitpunkt des Anstellungsverhältnisses gleichzeitig sein Amt als Mitglied des
Vorstands der Aktiengesellschaft niederlegt.
567 BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 41/53; s. auch MüHB-GesR IV/Wiesner, § 21 Rn 120; Moll/Moll/
Eckhoff, § 81 Rn 68.
568 Schüppen/Schaub/Schüppen/Schaub, § 22 Rn 155; MüHB-GesR IV/Wiesner, § 21 Rn 120.
Reiserer/Polczynski
528 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Klauselmuster
Kündigung
Der Anstellungsvertrag kann von dem Vorstandsmitglied unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
[Anzahl] Monaten zum Ende eines Monats ordentlich gekündigt werden. Das Kündigungsrecht setzt
voraus, dass das Vorstandsmitglied zum Beendigungszeitpunkt des Anstellungsverhältnisses gleich-
zeitig sein Amt als Mitglied des Vorstands der Aktiengesellschaft niederlegt.
c) A
ußerordentliche Kündigung
335 Die außerordentliche Kündigung des Vorstandmitglieds richtet sich ausschließlich
nach § 626 BGB. Das Kündigungsrecht darf weder ausgeschlossen noch auf bestimmte
Gründe beschränkt oder durch die Vereinbarung einer Abfindungszahlung für den Fall
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 529
574 BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 282/98 – NJW 2000, 2983 (zum GmbH-Geschäftsführer); Moll/Moll/
Eckhoff, § 81 Rn 65.
575 Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 51.
576 OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06 – AG 2007, 361.
577 OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06 – AG 2007, 361.
578 Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 66.
579 Vgl. Rn 289 und Rn 238 ff. (zum GmbH-Geschäftsführer).
580 Ausführlich zu den Regelungskompetenzen der Vertragsparteien im Zusammenhang mit der
außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB und den entsprechenden Nachweisen aus der Rspr.
siehe die gleichlaufenden Ausführungen mit Klauselmuster zum GmbH-Geschäftsführer in Rn 205 f.;
Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 66; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 52.
Reiserer/Polczynski
530 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
339 Wenn die Gesellschaft den Anstellungsvertrag unter Missachtung der Vorgaben
des § 626 BGB unberechtigterweise gekündigt hat, bleibt der Vergütungsanspruch
des Vorstandsmitgliedes bestehen. In diesem Fall ist das Gehalt gem. § 615 S. 1 BGB
aus Annahmeverzug fortzuzahlen, wobei für die Begründung des Annahmeverzuges
gem. § 295 BGB ein wörtliches Angebot des gekündigten Vorstandsmitgliedes genügt,
insbesondere, wenn die Gesellschaft trotz des Streits über die Wirksamkeit der Kün-
digung bereits einen anderen Vorstand bestellt hat.581 Ein solches wörtliches Angebot
kann nach der Rechtsprechung auch in der Klage auf Gehaltsfortzahlung gesehen
werden.582
340 Wichtige, von der Rechtsprechung anerkannte Gründe zur außerordentli-
chen Kündigung sind:
Beispiel
– Unberechtigte Amtsniederlegung;583
– Aufstellung irreführender oder gar falscher Bilanzen und voreilige Ausschüttung einer garantier-
ten Dividende vor Deckungseingang;584
– Überschreitung einer Kreditlinie;585
– Eingehen risikoreicher Rechtsgeschäfte ohne tragfähigen Grund;586
– Verbotener Wettbewerb und Inanspruchnahme von Betriebsmitteln oder Geschäftspersonal für
persönliche Zwecke;587
– Erstattenlassen privater Ausgaben auf Kosten der Aktiengesellschaft oder Buchung privater Aus-
gaben auf Geschäftskonten der Aktiengesellschaft;588
– Bilanz- und Warenlagermanipulation;589
– Mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat;590
– Wirtschaftlicher Niedergang des Betriebs mit Fehlen einer sinnvollen Beschäftigungsmöglich‑
keit;591
581 BGH, Urt. v. 28.10.1996 – II ZR 14/96 –, NJW-RR 1997, 537 (für GmbH-Geschäftsführer).
582 BGH, Urt. v. 28.10.1996 – II ZR 14/96 – NJW-RR 1997, 537 (für GmbH-Geschäftsführer).
583 OLG Celle, Urt. v. 4.2.2004 – 9 U 203/03 – NZG 2004, 475 (für GmbH-Geschäftsführer); OLG Celle,
Urt. v. 31.8.1994 – 9 U 118/93 – GmbHR 1995, 728 (für GmbH-Geschäftsführer); Moll/Moll/Eckhoff, § 81
Rn 66; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 44 f., 52.
584 BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69 – WM 1970, 1394.
585 BGH, Urt. v. 3.12.1973 – II ZR 85/70 – WM 1974, 131 (für Geschäftsführer einer eG); vgl. OLG Olden-
burg, Urt. v. 28.6.2001 – 1 U 132/00 – n. v. (für Vorstand einer Genossenschaft).
586 LG Duisburg, Urt. v. 26.9.2013 – 21 O 130/11 – Der Konzern 2014, 40.
587 BGH, Beschl. v. 19.6.1995 – II ZR 228/94 – DStR 1995, 1359 m. Anm. v.Goette; OLG Düsseldorf, Urt.
v. 24.2.2012 – I-16 U 177/10 – AG 2012, 511.
588 LG München, Urt. v. 19.2.2015 – 5 HKO 830/13 – ZIP 2015, 1537.
589 OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.2.1991 – 16 U 130/90 – WM 1992, 14 (für GmbH-Geschäftsführer).
590 OLG München, 14.3.2012 – 7 U 681/11 – AG 2012, 753; BGH, Beschl. v. 19.6.1995 – II ZR 228/94 –
DStR 1995, 1359 m. Anm. v. Goette; BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55 – WM 1956, 631; vgl. auch OLG
Oldenburg, Urt. v. 28.6.2001 – 1 U 132/00 – n. v. (für Vorstand einer Genossenschaft).
591 BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73 – WM 1975, 761 (für GmbH-Geschäftsführer); vgl. aber auch BGH,
Urt. v. 7.10.2004 – I ZR 18/02 – ZIP 2005, 534.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 531
– Weigerung des aus der Organstellung Ausgeschiedenen, bei längerer Vertragsdauer seine Tätig-
keit als Vertretungsorgan nach Wegfall von Hinderungsgründen wiederaufzunehmen oder unter
zumutbaren anderen Bedingungen weiterzuarbeiten oder beharrliches Unterlassen von Bemü-
hungen um eine Neueinstellung;592
– Verdacht einer Verfehlung, wenn wegen des darauf beruhenden Vertrauensverlustes eine Fort-
setzung des Dienstverhältnisses für die Gesellschaft unzumutbar ist;593
– Schaffung der Voraussetzungen einer Schmiergeldzahlung und Manipulation von Buchhaltungs-
unterlagen zugunsten des Vorstandsmitglieds sowie Annahme von Schmiergeldern;594
– Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach andauernder, erheblicher privater Verschul-
dung des Vorstandsmitglieds und vergeblicher Versuche einer Konsolidierung;595
– Der Formwechsel gem. §§ 190 ff. UmwG sowie die Verschmelzung stellen für die Gesellschaft
regelmäßig keinen wichtigen Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages des Vorstands-
mitgliedes dar.596
Keine Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung ist die vorherige Abmah- 341
nung.597 Ebenso bedarf es vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung keiner
vorherigen Anhörung des Vorstandmitglieds, es sei denn die Kündigung soll auf
einen bloßen Verdacht gestützt werden.598
bb) Kündigungserklärungsfrist
Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages 342
nur innerhalb einer Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen seit Kenntnis
vom wichtigen Grund erfolgen. Die Zwei-Wochen-Frist beginnt mit der Information
sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollek-
tiven Willensbildung bzw., wenn die Entscheidung über die Kündigung einem Aus-
schuss übertragen wurde, mit der Information dessen Mitglieder.599 Weder genügt die
592 BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76 – WM 1978, 319 (für GmbH-Geschäftsführer); BGH, Urt. v.
14.7.1966 – II ZR 212/64 – WM 1966, 968.
593 BGH, Urt. v. 13.7.1956 – VI ZR 88/55 – LM Nr. 8 zu § 626 BGB.
594 OLG München, Urt. v. 7.2.2007 – 7 U 4952/06 – AG 2007, 361.
595 OLG Köln, Urt. v. 20.9.2007 – 18 U 248/05 – n. v.
596 KölnKomm/Zöllner, § 365 AktG Rn 6, § 372 AktG Rn 6; a. A. Schmidt/Lutter/Decher, AktG, § 202
Rn 14; zu weiteren Beispielen, in denen ein wichtiger Grund zur Kündigung anerkannt oder nicht
anerkannt wurde, vgl. die gleichlaufenden Entscheidungen der Gerichte zum GmbH-Geschäftsführer,
Rn 203 f.
597 BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – NZG 2002, 46; BGH. Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 218/98 – NZG
2000, 546 (jeweils für GmbH-Geschäftsführer); BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – II ZR 71/06 – NZG 2007, 674;
kritisch zur grundsätzlichen Entbehrlichkeit der Abmahnung bei der außerordentlichen Kündigung
von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft nach der Schuldrechtsmodernisierung, Koch, ZIP
2005, 1621.
598 OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.7.2007 – I-9 U 3/07 – AG 2008, 166; Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 66.
599 BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96 – ZIP 1998, 1269; Anschluss: OLG München, Urt. v. 25.3.2009 –
7 U 4835/08 – NZG 2009, 665; BGH, Urt. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – NJW-RR 2002, 173 (jeweils für GmbH-
Reiserer/Polczynski
532 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
d) Freistellung
aa) Einseitige Freistellung
343 Im Anstellungsvertrag wird der Aktiengesellschaft i. d. R. die Möglichkeit zur einsei-
tigen Freistellung des Vorstandsmitglieds nach erfolgtem Widerruf der Bestellung
eingeräumt. Hiergegen bestehen keine Bedenken.
344 Problematisch ist dagegen die Vereinbarung einer Freistellungsbefugnis im
Vorfeld eines (beabsichtigten) Widerrufs der Bestellung, die auch als Suspendierung
oder Beurlaubung bezeichnet wird. Eine gesetzliche Regelung hierzu gibt es nicht.
Dennoch besteht hierfür jedenfalls dann ein praktisches Bedürfnis, wenn der Ver-
dacht eines wichtigen Grundes für eine Abberufung vorliegt und die Freistellung zum
Zwecke der ungehinderten Erforschung des Sachverhalts vorübergehend erfolgt.603
Die Einzelheiten zu dieser einseitigen Freistellung ohne vorherigen Widerruf der
Bestellung sind in Rechtsprechung und Literatur umstritten604
345 Für die Entscheidung über eine einseitige Freistellung des Vorstandsmitglieds
ist der Aufsichtsrat zuständig. Die Entscheidung kann entsprechend der Regelung
in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht auf einen Personalausschuss übertragen werden.605
Geschäftsführer); vgl. Janzen, NZG 2003, 468; MüKo BGB/Henssler, § 626 Rn 303; zu Fristproblemen
bei der außerordentlichen Kündigung von Vorstandsmitgliedern Schumacher-Mohr, ZIP 2002, 2245.
600 BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96 – ZIP 1998, 1269; Anschluss: OLG München, Urt. v. 25.3.2009 –
7 U 4835/08 – NZG 2009, 665.
601 BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96 – ZIP 1998, 1269; Anschluss: OLG München, Urt. v. 25.3.2009 –
7 U 4835/08 – NZG 2009, 665; BGH, Urt. 10.9.2001 – II ZR 14/00 – NJW-RR 2002, 173 (jeweils für GmbH-
Geschäftsführer); BGH, Urt. v. 26.2.1996 – II ZR 114/95 – NJW 1996, 1403; BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR
234/91 – NJW 1993, 463; OLG Köln, Urt. v. 26.11.1993 – 19 U 93/93 – DB 1994, 471 (für Geschäftsführer
einer eG); KölnKomm/Mertens/Cahn, § 84 Rn 175 ff.; MüHB-GesR IV/Wiesner, § 21 Rn 80; vgl. im Üb-
rigen die gleichlaufenden ausführlichen Ausführungen zum GmbH-Geschäftsführer oben Rn 211 ff.
602 OLG München, Urt. v. 14.7.2005 – 6 U 5444/04 – AG 2005, 776 zur Kenntnis des Aufsichtsratsvor-
sitzenden.
603 MüHB-GesR IV/Wiesner, § 20 Rn. 73.
604 LG München I, Beschl. v. 27.6.1985 – 5 HKO 9397/85 – AG 1986, 142; OLG München, Urt. v.
17.09.1985 – 7 W 1933/85 – AG 1986, 234; KG Berlin, Urt. v. 8.7.1983 – 14 U 256/83 – AG 1984, 24; vgl.
auch MüHB-GesR IV/Wiesner, § 20 Rn 73; Moll/Moll/Eckhoff, § 81 Rn 63; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 43.
605 MüHB-GesR IV/Wiesner, § 20 Rn 75.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 533
bb) Zeitablauf/Vertragsdauer
Der Anstellungsvertrag endet grundsätzlich nach dem Ablauf von fünf Jahren. Paral- 348
lel zur in § 84 Abs. 1 S. 1 AktG geregelten Höchstdauer der Bestellung zum Mitglied des
Vorstand von fünf Jahren beträgt auch die gesetzliche Höchstdauer für den Anstel-
lungsvertrag nach § 84 Abs. 1 S. 5 i. V. m. S. 1 AktG fünf Jahre.609 Eine Mindestdauer
des Anstellungsvertrages sieht das Gesetz nicht vor. Die Parteien können Verlänge-
Reiserer/Polczynski
534 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
rungsklauseln oder – jeweils für die Dauer einer Wiederbestellung zum Mitglied des
Vorstands – Koppelungsklauseln vereinbaren.610
cc) Vertragsaufhebung/Abfindungsvereinbarung
349 Der Anstellungsvertrag kann jederzeit durch einvernehmliche Vereinbarung zwi-
schen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied aufgehoben werden. Der Aufhe-
bungsvertrag kann auf Seiten der Gesellschaft vom Personalausschuss abgeschlos-
sen werden. Allerdings ist wie bei der Kündigung611 durch die Aktiengesellschaft zu
beachten, dass der Personalausschuss durch den verfrühten Abschluss eines Auf-
hebungsvertrages der ihm nicht zustehenden Entscheidung über den Widerruf der
Bestellung nicht vorgreifen darf.612
350 Wird der Anstellungsvertrag durch Aufhebungsvertrag vorzeitig beendet, verein-
baren die Parteien häufig Abfindungszahlungen der Aktiengesellschaft an das Vor-
standsmitglied. Die Abfindungsabrede kann entweder im Rahmen der Aufhebungs-
vereinbarung oder bereits im Anstellungsvertrag getroffen werden.613
b) Keine Beendigungsgründe
aa) Abberufung/Amtsniederlegung des Vorstandsmitglieds
351 Die Abberufung des Vorstandsmitglieds regelt § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG. Anders als
beim GmbH-Geschäftsführer darf der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmit-
glied nur widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Entsprechend der in der
Literatur und Rechtsprechung vorherrschenden Trennungstheorie führt die Beendi-
gung der Organstellung nicht zwingend auch zur Beendigung des Anstellungsvertra-
ges.614 Vielmehr verweist § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG in Bezug auf den Anstellungsvertrag
auf die allgemeinen Vorschriften, mithin die §§ 611 ff. BGB. Dennoch kann auch im
Widerruf die schlüssige Erklärung einer außerordentlichen Kündigung des Anstel-
lungsvertrages liegen.615
610 Zur Vertragsdauer und Befristung des Anstellungsvertrag (mit Klauselmuster) sowie der Mög-
lichkeit des Einsatzes von Verlängerungs- und Koppelungsklauseln vgl. Rn 289 ff.
611 Vgl. Rn 323 f.
612 Vgl. Rn 263; BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79 – WM 1981, 30; ausführlich MüHB-GesR IV/
Wiesner, § 21 Rn 127; Bauer, DB 1992, 1413, 1415.
613 Vgl. Klauselmuster zum GmbH-Geschäftsführer, dass hier entsprechend herangezogen werden
kann Rn 229.
614 Zur Trennungstheorie statt Vieler vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 2, 32 m. w. N.
615 Vgl. Rn 323; BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 88/53 – NJW 1954, 799; BGH, Urt. v. 26.10.1955 – VI ZR
90/54 – NJW 1955, 1917; Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn 32; zu den Voraussetzungen einer außerordentli-
chen Kündigung s. Rn 335 ff.
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 535
Das Vorstandsmitglied kann seinerseits durch eine einseitige Erklärung gegen- 352
über der Aktiengesellschaft vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG) sein Amt
als Organ der Aktiengesellschaft niederlegen.616 Ob für die Amtsniederlegung ein
wichtiger Grund erforderlich ist, ist umstritten, wird von der herrschenden Auffas-
sung jedoch abgelehnt, da das Vorstandmitglied zur Amtsführung sinnvollerweise
nicht gezwungen werden kann.617 Wie die Abberufung des Vorstandsmitglieds führt
auch dessen Amtsniederlegung nicht automatisch zu einer Beendigung des Anstel-
lungsvertrages (Trennungstheorie618). Möglich ist die Vereinbarung eines einseitigen
ordentlichen Kündigungsrechts des Vorstandsmitglieds bei gleichzeitiger Amtsnie-
derlegung.619 Eine unberechtigte Amtsniederlegung, etwa zur Unzeit620, kann aber
einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhält-
nisses darstellen.621
Reiserer/Polczynski
536 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
Betracht kommenden Person als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensange-
legenheiten unter einem Einwilligungsvorbehalt steht (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AktG),
ein Gericht oder eine Behörde gegen sie ein den Unternehmensgegenstand betreffen-
des Berufs- oder Gewerbeverbot verhängt hat (§ 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AktG) oder sie
wegen vorsätzlicher Begehung einer der Katalogstraftaten verurteilt wurde (§ 76 Abs. 3
Satz 2 Nr. 3 AktG). Das Vorliegen eines der genannten Ausschlussgründe während
der Amtszeit des Vorstandsmitglieds beendet seine Bestellung, ohne dass es hierfür
einer ausdrücklichen Abberufung bedarf.624 Der Wegfall der Bestellung führt nicht
zwingend auch zu einer automatischen Beendigung des Anstellungsverhältnis-
ses. Anders verhält es sich nur, wenn das Bestehen des Anstellungsvertrags an die
Bestellung zum Vorstandsmitglied mittels einer Koppelungsklausel verbunden ist.
c) G
esellschaftsrechtliche Veränderungen in der Aktiengesellschaft/
Betriebsübergang
356 Eine gesetzliche Regelung der Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Veränderun-
gen in der Aktiengesellschaft auf den Vorstandsanstellungsvertrag existiert nicht.
Ein Regelungsbedürfnis im Interesse beider Parteien – des Vorstandsmitglieds
und der Aktiengesellschaft – besteht jedoch insbesondere in den folgenden beiden
Konstellationen:625
Beispiel
– Die Aktiengesellschaft geht (z. B. durch Verschmelzung gem. §§ 2 ff. UmwG) in einem anderen
Rechtsträger auf.
– Gesellschaftsrechtlich betrachtet verliert die Aktiengesellschaft dadurch ihre Rechtspersönlich-
keit mit der Folge, dass auch die Organstellung des Vorstandsmitglieds dauerhaft entfällt.
– Denkbar ist aber auch die Situation, dass die Aktiengesellschaft ihr operatives Geschäft, entwe-
der ganz oder auch nur teilweise, auf einen anderen Rechtsträger verlagert.
– In dieser Konstellation besteht die Rechtspersönlichkeit der veräußernden Aktiengesellschaft
mitsamt den jeweiligen Organpositionen zwar fort. Allerdings reduziert sich mit dem Wegfall des
operativen Geschäfts der Aktiengesellschaft gleichzeitig auch das tatsächliche Aufgabengebiet
des Vorstandsmitglieds.
357 Eine unmittelbare Auswirkung auf den Anstellungsvertrag haben die genannten
gesellschaftsrechtlichen Veränderungen nicht. Insbesondere führen sie nicht zu
einer automatischen Beendigung des Anstellungsverhältnisses.626 Rechtsstreitigkei-
ten zwischen dem Vorstandsmitglied und der Aktiengesellschaft sind hier dennoch
nicht selten. Der Vorstand ist einerseits nicht dazu verpflichtet, Aufgaben und Tätig-
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 537
Klauselmuster
Vertragsdauer, Kündigung
(1) …630
(…) Erlischt bzw. entfällt das Amt des Vorstandsmitglieds als Vorstand aufgrund oder in Folge einer
Umwandlungs- und/oder Umstrukturierungsmaßnahme, hat die Aktiengesellschaft bzw. bei deren
rechtlichem Wegfall das aufnehmende Unternehmen das Wahlrecht, dem Vorstandsmitglied eine
Organstellung oder eine Leitungsposition zu vergleichbaren wirtschaftlichen Bedingungen bei einem
der beteiligten Unternehmen zuzuweisen oder diesen Anstellungsvertrag mit einer Frist von [Anzahl]
Monaten zum Monatsende zu kündigen. 631
Ergänzungsoption:
(…) Das Vorstandsmitglied ist in diesen Fällen berechtigt, diesen Anstellungsvertrag innerhalb von
[Anzahl] Wochen nach Zugang der Erklärung der Aktiengesellschaft mit einer Frist von [Anzahl]
Woche(n) zum Monatsende zu kündigen und als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes
eine Abfindung in Höhe von [Anzahl] % der durch die gegenüber dem Beendigungszeitpunkt gemäß
[§ …] vorfristigen Beendigung des Vorstandsanstellungsverhältnisses nicht mehr zur Entstehung und
Auszahlung gelangenden Entgelte zu verlangen. Eine solche vorfristige Beendigung liegt im Interesse
Reiserer/Polczynski
538 Kapitel 11 Geschäftsführer- und Vorstandsverträge bei GmbH und AG
der Aktiengesellschaft. Der Aufsichtsrat ist berechtigt, unter den Voraussetzungen des § 87 Abs. 2
AktG die Abfindung durch einseitige Erklärung herabzusetzen.632
7. N
achvertragliche Pflichten
a) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
360 Das gesetzliche Wettbewerbsverbot nach § 88 AktG endet mit der Beendigung der
Organstellung. Rechtsgrundlage für ein Wettbewerbsverbot nach diesem Zeitpunkt
kann nur die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes sein. Solche
nachvertraglichen Wettbewerbsverbote mit Vorstandsmitgliedern sind generell
zulässig. Obwohl die Schutzbestimmungen der §§ 74 ff. HGB hier nicht unmittelbar
Anwendung finden, sind nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
die Wertmaßstäbe, die für Wettbewerbsverbote mit Arbeitnehmern gelten, über § 138
BGB im Grundsatz auch bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit Vorstands-
mitgliedern zu beachten. Dies gilt insbesondere für die Dauer des nachvertraglichen
Wettbewerbsverbotes.633
8. Schlussbestimmungen
a) Rückgabe von Arbeitsmitteln/Rückzahlung von Vorschüssen und Darlehen
362 Wie der GmbH-Geschäftsführer ist auch das AG-Vorstandsmitglied nach Beendigung
seines Anstellungsverhältnisses verpflichtet, Unterlagen und Arbeitsmittel, wie
bspw. Akten, Geschäfts-Laptop, etc, die im Eigentum der Aktiengesellschaft stehen,
Reiserer/Polczynski
B. Der AG-Vorstands-Vertrag 539
b) Weitere Schlussbestimmungen
In der Praxis übliche und empfehlenswerte Schlussbestimmungen sind Klauseln zur 363
Klarstellung des Schicksals eines anderweitigen vor der Bestellung zum Vorstands-
mitglied bestehenden Arbeitsverhältnisses, zur Klarstellung des Nichtbestehens von
Nebenabreden, eine Schriftformklausel637 sowie eine salvatorische Klausel638, für
den Fall, dass eine Bestimmung des Anstellungsvertrages unwirksam sein sollte.639
636 Die Ausführungen und das Klauselmuster in Rn 254 für die Rückgabe von Arbeitsmitteln bzw.
Rückzahlung von Vorschüssen oder Darlehen zum GmbH-Geschäftsführer können hier entsprechend
herangezogen werden.
637 Zur Schriftformklausel mit Klauselmuster, siehe dort.
638 Zur salvatorischen Klausel mit Klauselmuster, siehe dort.
639 Hier kann das Klauselmuster zu den Schlussbestimmungen des GmbH-Geschäftsführer-Anstel-
lungsvertrags in Rn 255 entsprechend angewendet werden.
Reiserer/Polczynski
Stichwortverzeichnis
Die fetten Zahlen verweisen auf die Kapitel, die mageren Zahlen verweisen auf die Randnummern.
542 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 543
544 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 545
546 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 547
548 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 549
550 Stichwortverzeichnis
––Rechtsberatungspflicht 10 91 ––Leistungsbeschreibungen 2 95
––Störung der Geschäftsgrundlage 10 89 ––nachteilige Abweichungen 2 63 ff.
––Zulässigkeit 10 86 ff. ––Natur des Vertrages 2 70 f.
Grundsätze zum fehlerhaften ––normausfüllende Klauseln 2 94
Arbeitsverhältnis 11 28 ––Preisabreden 2 95
Günstigkeitsprinzip ––Rechtsgrundsätze 2 92
––Betriebsübergang 10 113 ––Regelbeispiele 2 62 ff.
––Betriebsvereinbarungen 10 133, 10 136 ––Schranken der 2 91 ff.
––Tarifeinheitsgesetz 10 126 ––Transparenzgebot 2 60
––unangemessene Benachteiligung 2 74 ff.,
H s. a. dort
Halbteilungsgrundsatz 11 143 ––Vergleichsrecht 2 64 ff.
Halteprämien 4 158 ––Verhältnis der Sondertatbestände 2 73
Handlungsorgan ––Vertragszweckgefährdung 2 72
––AG-Vorstand 11 271 ––Zweckmäßigkeitserwägungen 2 67
––GmbH-Geschäftsführer 11 2 Inlandsfall
Haustarifvertrag 10 98 ––Gerichtsstandsklauseln 9 79 ff.
Herausgabe ––Rechtswahlklausel 9 55
––Anstellungsvertrag 11 362 ff. ––Rom I-VO 9 69
––Arbeitsergebnisse 8 5 Insolvenz
––Arbeitsmittel auch zur privaten Nutzung 8 3 ––AG-Vorstand 11 306
––Besitzrecht 8 3 ––Anstellungsvertrag 11 243, 11 354
––Firmeneigentum 8 1 ff. ––GmbH-Geschäftsführer 11 62
––Geschäftsunterlagen 8 5 InstV 4 141 ff.
––GmbH-Geschäftsführer 11 254 ––Abfindungen 4 158
––Herausgabeanspruch 8 2 ––Antrittsprämie 4 158
––Muster 8 9 ––Anwendungsbereich 4 142 ff.
––Zurückbehaltungsrechte 8 7 f. ––besondere Institute 4 159 ff.
Höchstarbeitszeiten 5 9 ––Bonuspool 4 149 ff.
––Halteprämien 4 158
I ––Konzernbonus 4 158
Individualabrede ––Risk Taker 4 160
––AGB 2 12 f. ––Vergütung 4 152 ff.
––Begriff 2 20 ––Vergütungsparameter 4 146 ff.
––betriebliche Übung 2 20 ––Zulagen 4 158
––Beweislast 2 21 internationales Privatrecht 9 49
––Darlegungslast 2 21 Internet s. Kommunikationseinrichtungen
––Einmalbedingungen 2 22
––Vertragsbedingungen 2 7 J
––Zurückbehaltungsrecht 3 88 Jeweiligkeitsklausel 10 148 ff.
Individualarbeitsverträge ––allgemeine 10 149
––Arbeitnehmer 9 53 ––Betriebsrentenrecht 10 151 ff.
––EuGH 9 53 ––Betriebsrentner 10 148
––Rechtswahlklausel 9 53 ––Entgeltumwandlung 10 158
––salvatorische Klausel 9 41 ––künftige Leistungsänderung 10 154
Individualverfahren 2 25 ––Muster 10 157
Inhaltskontrolle 2 59 ff. ––Versorgungsordnung 10 155
––Arbeitsvertragsrichtlinien 10 177
––deklaratorische Klauseln 2 94
Stichwortverzeichnis 551
552 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 553
554 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 555
556 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 557
Tarifeinheitsgesetz ––Versetzungsklauseln 3 11
––Bezugnahme auf Tarifvertrag 10 121 ff. ––Verständlichkeitsgebot 2 84 f.
––Günstigkeitsprinzip 10 126 ––Vertragsstrafe 3 45
––Mehrheit der Arbeitnehmer 10 121 Transparenzkontrolle
––Minderheitentarifvertrag 10 127 ––Konzernversetzungsklausel 3 18
Tarifkonkurrenz 10 98 ––Umstandskontrolle 2 34
Tarifpluralität 10 98 ff. ––unangemessene Benachteiligung 2 78 ff.
Tarifsukzession 10 92 f. Treu und Glauben 2 80
Tarifverträge Treuepflicht
––Abrufarbeit 3 113 ––AG-Vorstand 11 269, 11 318
––Altersgrenze 6 107 ––GmbH-Geschäftsführer 11 165 ff.
––Befristung, sachgrundlose 6 60 ff. TzBfG 6 3, s. a. Befristung
––Begriff 10 3 ––Abrufarbeit 3 92 ff.
––Bezugnahme auf Tarifvertrag s. dort
––Bezugnahmeklauseln 10 2 ff. U
––Gerichtsstandsklauseln 9 83 überraschende Klauseln 2 42 ff.
––Organisationsgrad 10 4 ––Abweichung von Vertragserwartungen 2 45 ff.
––Schriftformklauseln 9 28 ––berechtigte Vertragserwartungen 2 49
––Tarifpluralität 10 98 ff. ––Beweislast 2 55 ff.
Tatsachenfiktion 9 9 ff. ––Bezugnahmeklauseln 10 28 ff.
Täuschungsverbot 2 87 ––Darlegungslast 2 55 ff.
Teilnichtigkeits-/Erhaltungsklausel 9 32 ––eindeutiger Hinweis 2 54
––Formulararbeitsverträge 9 36 ––entschiedene Anwendungsfälle 2 52
Teilrechtswahlklausel 9 58 ––Form 2 52
Teilunwirksamkeit von AGB 2 112 ––generelle Umstände 2 50 ff.
Teilverweisung 10 57 ––individuelle Umstände 2 53
Telefon s. Kommunikationseinrichtungen ––Inhalt 2 51
Thrombosol-Fall 8 14 ––nachvertragliche Wettbewerbsverbote 8 28
Titandioxid-Fall 8 16 ––negative Einbeziehungsvoraussetzung 2 42
Transfergesellschaft 4 5 ––Prüfungsmaßstab 2 48
Transparenzgebot ––Rechtsfolgen 2 58
––Abrufarbeit 3 96 ––Übertölpelungseffekt 2 47
––Auslegung 2 18 ––unerwartete Stelle 2 52
––Besonderheiten im Arbeitsrecht 2 89 ––Vertragsstrafe 3 34 ff.
––Bestimmtheitsgebot 2 86 ––Vertrauensschutz 2 43
––Beurteilungsmaßstab 2 82 Überstunden 3 49 ff.
––Bezugnahmeklauseln 10 142 ––Abrufarbeit 3 106
––Bindungsdauer 7 30 ––Anordnung 3 51 ff.
––Durchsetzung bestehender Rechte 2 81 ––Ausgleich von 3 59 ff.
––Einzelausprägungen 2 83 ff. ––Ausgleichsanspruch 3 67
––Inhaltskontrolle 2 60 ––Begriff 3 49
––irreführende Klauseln 2 87 ––betriebliche Erfordernisse 3 57
––Karenzentschädigung 8 55 ––Direktionsrecht 3 51
––Konzernversetzungsklausel 3 20 ––Gleichbehandlungsgrundsatz 3 52
––Schriftformklauseln 9 25 ––GmbH-Geschäftsführer 11 157
––Täuschungsverbot 2 87 ––Grenze 3 58
––Treu und Glauben 2 80 ––Muster 3 68
––unangemessene Benachteiligung 2 79 ––Notfälle 3 51
––variable Vergütung 4 61 ff. ––objektive Vergütungserwartung 3 61
558 Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis 559
560 Stichwortverzeichnis
––Nebentätigkeiten 5 8 ––Vorbereitungsmaßnahmen 5 24
––selbstständige Strafversprechen 3 26 ––Widerrufsvorbehalt 5 30
––Sicherungsfunktion 3 24 Whistleblowing 5 128 ff.
––Transparenzgebot 3 45 Widerruf 2 23
––überraschende Klausel 3 34 ff. Widerrufsvorbehalt
––unangemessene Benachteiligung 3 37 ff. ––Nebentätigkeiten 5 16
––Verschuldenserfordernis 3 47 ––Urlaubsgeld 5 91
––verschuldensunabhängige 3 43 ––variable Vergütung 4 90 ff.
––Wirksamkeitsanforderungen 3 27 ff. ––Wettbewerbsverbot 5 30
––Zulässigkeit 3 33 Willenserklärungen 9 1 ff.
Vertragszweckgefährdung
––Inhaltskontrolle 2 72 Z
Vertrauensschutz Zeitarbeitnehmer
––überraschende Klauseln 2 43 ––Abrufarbeit 3 94
Vertretung ––Arbeitszeitkonten 3 119 ff.
––AG-Vorstand 11 277 Zielvereinbarung
––GmbH-Geschäftsführer 11 105 ff. ––Anknüpfungspunkte 11 127
Vertretungsbedarf ––Anstellungsvertrag 11 125 ff.
––Befristungsketten 6 24 ––Checkliste 11 129
––kausaler Zusammenhang 6 25 ––Rechtsgrundlage 11 128
––Prognose 6 22 ––variable Vergütung 4 80 ff.
––Stammkraft 6 23 Zugang 9 2
––vorübergehender 6 20 Zugangsfiktion 9 1 ff.
Verwendungsabsicht 2 6 ––AGB 9 14
Vielzahl von Verträgen 2 6 ––deklaratorische 9 7
Vollständigkeitsklauseln 9 27 ––konstitutive 9 5
Vollzeitkräfte 3 92 ––Tatsachenfiktion 9 9 ff.
Vorbeschäftigungsverbot 6 52 ––Willenserklärungen 9 1 ff.
vorformulierte Vertragsbedingungen 2 5 ––Wirksamkeit 9 4 ff.
Vorratsvereinbarungen 3 70 ––Zugang 9 2
VorstAG 4 128 ff. ––Zugangsvereitelung 9 2
––AG-Vorstand 11 299 ––Zugangsvermutung 9 12
Zulagen
W ––InstV 4 158
Werbungskosten 7 13 ––Mindestlohn 4 114 ff.
Wettbewerbsfreiheit 8 23 Zulässigkeit
Wettbewerbsrecht ––Arbeitszeitkonten 3 118
––Betriebsgeheimnisse 5 117 f. ––Versetzungsklauseln 3 7
––GmbH-Geschäftsführer 11 58 ––Vertragsstrafe 3 33
Wettbewerbsverbot 5 18 ff. Zurückbehaltungsrecht 3 84 ff.
––AG-Vorstand 11 314 ––Arbeitsmittel 3 86
––GmbH-Geschäftsführer 11 85 ff., 11 171 ff. ––Arbeitspapiere 3 86
––Kündigung 5 32 ––Beendigung des Arbeitsverhältnisses 3 85
––Muster 5 33, 11 174 ––Herausgabe 8 7 f.
––nachvertragliches 5 21, 8 23 ff. ––Individualabrede 3 88
––Nebentätigkeiten 5 6 ––Klauselverbot 3 87
––Rechtsfolgen eines Verstoßes 5 31 ––Muster 3 88
––vertragliches 5 19 ff. ––Vertragsgestaltung 3 87
––Vertragsstrafe 3 31 Zuschläge 4 114 ff.
Stichwortverzeichnis 561