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EPREUVE D’ALLEMAND
(L’utilisation du dictionnaire n’est pas autorisée.)
Die 44-jährige Susanne Walder bleibt seit der Geburt ihrer Tochter zuhause. Der
ehemaligen Journalistin war die Entscheidung, Vollzeitmutter1 zu werden, ein
Herzenswunsch. Sie erzählt:
«Jeden Morgen kommt Norah zu mir ins Bett, und wir starten den Tag in aller
Ruhe zusammen: Wir kuscheln2, ich lese ihr etwas vor, wir reden. Dieses Ritual
genieβen3 wir beide sehr. Die Vormittage verbringt meine Tochter dann in der
5 Spielgruppe, und ich nutze die Zeit ohne sie für Einkäufe, mein
Fitnessprogramm, administrative Arbeiten für die Familie oder unser Haus –
oder einfach, um in Ruhe die Zeitung zu lesen. Die Zeit danach verbringen wir
wieder gemeinsam: Ich koche für uns Mittagessen, und dann steht je nach
Wochentag etwas anderes an: Schwimmkurs, Besuch von Freundinnen, wir
backen oder wir machen einen Ausflug in den Kinderzoo. Es sollte das Recht
jeder Mutter sein, das Lebensmodell zu wählen, das ihr und ihrer Familie am
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10 besten entspricht . Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Für mich war es ein
inneres Bedürfnis5, nach der Geburt unserer Tochter ganz für sie da zu sein.
Mein Mann fand die Entscheidung richtig. Norah nach acht Wochen
Mutterschaftsurlaub6 in fremde Hände zu geben, wäre für mich undenkbar
gewesen. Lange Zeit konnte ich mir nicht vorstellen, nicht mehr zu arbeiten. Ich
habe immer gern gearbeitet, war ehrgeizig7 und liebte meinen Job als
Unterhaltungschefin der ‹Schweizer Illustrierten›. Ich wollte erst mit 39 Mutter
geworden, und es war ein groβes Glück, als unser Wunsch in Erfüllung ging 8.
15 Die Emanzipation nur mit der beruflichen Selbstverwirklichung der Mütter
gleichzusetzen9, wäre ein Missverständnis10. Mein Selbstbild hat sich in den
letzten Jahren nicht verändert, der Blick von auβen vielleicht schon.
Zusammenfassend kann man sagen: Egal, wie sich Frauen entscheiden, sie
müssen sich immer rechtfertigen11. Das gilt für mich als Hausfrau ebenso wie für
die berufstätige Mutter. Wer sich beruflich voll engagiert, dem fehlen Zeit und
Energie für die Familie.
20 Mein Mann und ich – wir müssen beide Abstriche machen12: ich als Hausfrau in
Bezug auf meine Karriere, meine Unabhängigkeit und meine
Selbstbestimmtheit. Mein Mann kann in unserem traditionellen Rollenmodell
hingegen sich voll und ganz auf seine Karriere konzentrieren, weiter um die Welt
reisen. Aber er muss dafür auch auf sehr viel anderes verzichten: Gemeinsame
Zeit mit unserer Tochter ist oft aufs Wochenende reduziert. Nicht zuletzt dank
seines beruflichen Engagements kann ich unsere Tochter frei von finanziellen
Sorgen ganz nach meinem Instinkt und ihrem Wohlbefinden erziehen. Das
empfinde ich als groβes Privileg.
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Nach Franziska K. Müller und Stephanie Hess in annabelle.ch, Heft 09/14 (10.
Mai 2014)
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Worterklärungen:
1. die Vollzeitmutter: la mère à plein temps
2. kuscheln (kuschelte, hat gekuschelt): se blottir l’un contre l‘autre
3. genieβen (genoss, hat genossen): jouir de, savourer, prendre plaisir à, profiter
de
4. entsprechen (entsprach, hat entsprochen) : correspondre, satisfaire
5. das Bedürfnis: le besoin
6. der Mutterschaftsurlaub: le congé de maternité
7. ehrgeizig: ambitieux
8. in Erfüllung gehen (ging, ist gegangen) : se réaliser
9. mit der Selbstverwirklichung gleich/setzen (setzte … gleich, hat gleichgesetzt)
: mettre au même niveau avec l’épanouissement de sa personnalité
10. das Missverständnis,-se: le malentendu
11. sich rechtfertigen (rechtfertigte sich, hat sich rechtfertigt): se justifier
12. Abstriche machen: faire des concessions