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Reithmann .

Martiny
Internationales Vertragsrecht
.
Internationales
Vertragsrecht
Das internationale
Privatrecht
der Schuldverträge

begründet von
Dr. Christoph Reithmann

herausgegeben von
Prof. em. Dr. Dieter Martiny

9. neu bearbeitete Auflage

2022
.
Bearbeiter

Prof. Dr. Boris Dostal Prof. Dr. Oliver L. Knöfel


Rechtsanwalt und Fachanwalt für Europa-Universität Viadrina
Internationales Wirtschaftsrecht in Freiburg Frankfurt/Oder
Honorarprofessor
an der Universität des Saarlandes Prof. Dr. Peter Limmer
Notar in Würzburg
Prof. Dr. Anatol Dutta, M. Jur. (Oxford) Honorarprofessor an der
Universität München Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Dr. Philine Fabig Prof. Dr. Leander D. Loacker, M. Phil.


Rechtsanwältin und Fachanwältin Universität Zürich
für Internationales Wirtschaftsrecht in Of Counsel in Zürich
Hamburg
Prof. Dr. Peter Mankowski
Prof. Dr. Robert Freitag, Universität Hamburg
Maître en droit (Bordeaux)
Universität Erlangen-Nürnberg Prof. em. Dr. Dieter Martiny
Richter am OLG Nürnberg Europa-Universität Viadrina
Frankfurt/Oder
Prof. Dr. Stephan R. Göthel, LL.M.
(Cornell) Prof. Dr. Eva Inés Obergfell
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator Humboldt-Universität zu Berlin
in Hamburg
BSP Business and Law School Dr. Peter Stelmaszczyk,
in Berlin und Hamburg Maître en droit
(Paris 1 – Panthéon-Sorbonne)
Prof. Dr. Pascal Grolimund, LL.M. Bundesnotarkammer Brüssel
(Edinburgh)
Advokat in Basel Prof. Dr. Reinhold Thode
Titularprofessor an den Universitäten Richter am Bundesgerichtshof a.D.
Basel und Zürich Honorarprofessor
an der Universität Konstanz
Prof. em. Dr. Rainer Hausmann
Universität Konstanz PD Dr. Martin Zwickel,
Rechtsanwalt in München Maître en droit (Rennes 1)
Akademischer Oberrat an der
Dr. Martin Hiestand Friedrich-Alexander-Universität
Oberstaatsanwalt beim BGH Erlangen-Nürnberg
Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz, Berlin
Zitiervorschlag:
Bearbeiter in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht,
9. Aufl. 2022, Rz. … .

Bibliografische Information
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln
Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943
info@otto-schmidt.de
www.otto-schmidt.de
ISBN 978-3-504-45157-8
© 2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

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beständig und umweltfreundlich.
Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann
Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm
Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell
Printed in Germany
Vorwort

Bei der Gestaltung und rechtlichen Beurteilung von Verträgen mit Auslandsberührung stellen
sich vielfältige Probleme, für deren Bewältigung die neue Auflage dieses Werkes Hilfestellung
leisten will. Wichtigste Rechtsquelle ist nach wie vor die Rom I-Verordnung über das auf ver-
tragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Daneben trägt die Neuauflage auch zahl-
reichen anderen Vorschriften, Änderungen und Entwicklungen des internationalen und euro-
päischen sowie des nationalen in- und ausländischen Rechts Rechnung. Ebenso wurde die na-
tionale und internationale, insbesondere die europäische Rechtsprechung ausgewertet. Bei-
spielhaft erwähnt seien hier u.a. die EU-Vorschriften zur Digitalisierung und ihren Folgen, die
Rechtsprechung des EuGH im Polbud-Urteil, die Neuregelung der Arbeitnehmerentsendung,
von Güterrecht und Insolvenzrecht sowie der Brexit.
Der zweiteilige Aufbau des Werkes ermöglicht einen schnellen Zugriff auf das Wesentliche. Im
Vordergrund steht der Praxisnutzen: Zahlreiche Handlungsanleitungen und Zusammenfas-
sungen sowie Checklisten am Ende größerer Abschnitte sollen die Aufmerksamkeit des Lesers
auf besonders wichtige Punkte lenken. Die neue Gliederung des Werkes und auch die Verlin-
kung von Entscheidungen erleichtern einen intuitiven Zugriff auch bei einer Online-Benut-
zung.
Das Handbuch enthält im ersten Teil Kapitel zu Grundlagen der Vertragsgestaltung, Bestim-
mung und Geltungsbereich des Vertragsstatuts, zu außervertraglichen Schuldverhältnissen
(jeweils Martiny), zu Vertretungsverhältnissen sowie zu Gerichtsständen und Schiedsrecht (je-
weils Hausmann). Das fünfte Kapitel (zwingende Vorschriften) behandelt die Herangehens-
weise an die zahlreichen in- und ausländischen zwingenden Bestimmungen (neu bearbeitet
von Zwickel). Eingegangen wird auch auf die für viele Staaten nach wie vor relevanten Devi-
senvorschriften (Thode). Ein eigener Abschnitt widmet sich den Formvorschriften. Dabei
wird auch erörtert, wieweit ausländische Beurkundungsverfahren hinsichtlich der inländi-
schen Formvorschriften unterliegenden Zwecke als gleichwertig angesehen werden können
(neu bearbeitet von Stelmaszczyk).
Der zweite Teil des Werkes widmet sich in 31 Kapiteln einzelnen Vertragstypen. Der besseren
Zugänglichkeit wegen folgt die Gliederung nunmehr einer alphabetischen Reihenfolge. Auto-
renwechsel hat es in der 9. Auflage gegeben im Kapitel zum Handelsvertreter- und zum Ver-
tragshändlervertrag (neu bearbeitet von Fabig), zum Leasingvertrag (wieder aufgenommen
und neu bearbeitet von Dostal) sowie zum Versicherungsvertrag (Grolimund und – neu als
Co-Autor hinzugetreten – Loacker).
Das Werk erscheint weiterhin auch unter dem Namen von Christoph Reithmann, der sich von
der Mit-Herausgeberschaft zurückgezogen hat. Seit der noch von ihm allein verfassten ersten
Auflage von 1963 und trotz der Fülle nationaler, internationaler und europäischer Rechts-
änderungen hat das Grundanliegen des Werkes, die Bewältigung der unterschiedlichen Ver-
tragstypen mit Auslandsbezug vor dem Hintergrund zwingender Normen, nichts von seiner
Aktualität verloren.
Anregungen, Hinweise und konstruktive Kritik sind stets eine große Hilfe. Diese können dem
Verlag gern unter lektorat@otto-schmidt.de übermittelt werden.

Im September 2021 Dieter Martiny

VII
VIII
Inhaltsübersicht
Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Vertragstypenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX

Teil 1
Vertragsgestaltung und rechtliche Einordnung

§1 Grundlagen und Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


§2 Bestimmung des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
§3 Geltungsbereich des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
§4 Außervertragliche Schuldverhältnisse und Verschulden bei Vertragsverhand-
lungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
§5 Eingriffsnormen (international zwingende Bestimmungen), Berücksichtigung
ausländischer Devisenvorschriften, Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
§6 Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
§7 Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958

Teil 2
Die Vertragstypen und ihre Gestaltung

§8 Anlagenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215
§9 Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217
§ 10 Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226
§ 11 Arbeitsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1279
§ 12 Architektenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1364
§ 13 Bankverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373
§ 14 Bauverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1402
§ 15 Beförderungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406
§ 16 Bürgschaft, Garantie, Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1546
§ 17 Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1564
§ 18 Verträge über Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1576

IX
Inhaltsübersicht

Seite
§ 19 Finanzmarktverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1587
§ 20 Franchiseverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1640
§ 21 Grundstückskaufverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1662
§ 22 Grundstücksmiet- und Grundstückspachtverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1724
§ 23 Handelsvertreterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1745
§ 24 Joint Venture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1800
§ 25 Kaufverträge über bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1826
§ 26 Kauf durch Versteigerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1898
§ 27 Kommissionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1900
§ 28 Leasingverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1902
§ 29 Lizenzverträge/gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1961
§ 30 Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1985
§ 31 Speditionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1988
§ 32 Timesharingvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2006
§ 33 Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2030
§ 34 Urheberrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2067
§ 35 Verbraucherverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2152
§ 36 Versicherungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2199
§ 37 Vertragshändlerverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2229
§ 38 Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2282

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2287

X
Vertragstypenübersicht

Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitenzahl
Anlagenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215
Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217
Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226
Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1279
Architektenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1364
Asset Deal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2051
Bankvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373
Bauvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1402
Beförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406
Binnenschiffsfrachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1515
Brokervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1622
Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1546
Chartvertrag s. Gütertransport
CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1830
Darlehensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1564
Datenbankvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2133
Depotgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1396
Dienstleistungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1576
Diskontgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1398
Eisenbahngütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1457
Eisenbahnpersonenbeförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1539
Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1398
Filmvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2118
Finanzmarktvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1587
Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1619
Forfaitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1396
Frachtvertrag s. Binnenschiffsfrachtvertrag; Seefrachtvertrag; Gütertransport
Franchisevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1640
Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1551

XI
Vertragstypenübersicht

Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1961


Grundstückskaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1662
Grundstücksmietvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1724
Grundstückspachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1724
Gütertransport (Bahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1457
Gütertransport (multimodal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1519
Gütertransport (Straße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1447
Handelsvertretervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1745
Internetvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2135
Joint Venture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1800
Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1826
Kommissionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1900
Konnossement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1471
Künstlervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2138
Leasingvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1902
Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1961
Luftchartervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1467
Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1985
Mietvertrag s. Grundstücksmietvertrag
Multimodaler Gütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1519
Pachtvertrag s. Grundstückspachtvertrag
Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1559
Personenbeförderung (Bahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1539
Personenbeförderung (Luft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1532
Personenbeförderung (Schiff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1541
Personenbeförderung (Straße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1545
Seefrachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1469
Seepersonenbeförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1541
Share Deal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2033
Softwarevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2128
Speditionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1988
Straßengütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1447
Subunternehmervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2284

XII
Vertragstypenübersicht

Timesharing-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2006
Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2030
Urheberrechtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2067
Verbrauchervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2152
Verlagsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2110
Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2199
Versteigerungskaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1898
Vertragshändlervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2229
Vertriebsvertrag s. Handelsvertretervertrag; Vertragshändlervertrag
Warenkaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1830
Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2282
Wertpapiergeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399
Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1388

XIII
XIV
Abkürzungsverzeichnis

a.A. anderer Ansicht


a.a.O. am angegebenen Ort
ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich)
abgedr. abgedruckt
Abk. Abkommen
abl. ablehnend
ABl.EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
ABl.EU Amtsblatt der Europäischen Union
Abs. Absatz
abw. abweichend
A.C. Law Reports, Appeal Cases (England)
AcP Archiv für die civilistische Praxis
Acta.Jur. Acta Juridica Academiae Scientiarum Hungaricae (Ungarn)
Actes bzw. Actes et Actes et documents de la Conférence de La Haye de droit in-
documents ternational privé
ADSp Allgemeine deutsche Spediteurbedingungen
a.E. am Ende
AEDIPr Anuario Español de Derecho Internacional Privado
AEG Allgemeines Eisenbahngesetz
AEntG Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüber-
schreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäf-
tigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom 20.4.2009
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union idF
vom 9.5.2008
aF alte Fassung
AFG Arbeitsförderungsgesetz
Afr.J.Int.Comp.L. African Journal of International and Comparative Law
AfS Arkiv for Sjørett (Norwegen)
AG Aktiengesellschaft, Amtsgericht
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGBG Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen
AGBGB Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
AGS Anwaltsgebühren Spezial – Zeitschrift für das gesamte Ge-
bührenrecht und Anwaltsmanagement
AHKBl. Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland
AHKG Gesetz der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland
Air L. Air Law
AKB Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung
AktG Aktiengesetz
All E.R. The All England Law Reports (Großbritannien)
allg. allgemein
a.M. am Main
aM anderer Meinung

XV
Abkürzungsverzeichnis

A.M.C. American Maritime Cases


Am.J.Comp.L. The American Journal of Comparative Law (USA)
Am.J.Int.L. American Journal of International Law
Am.Rev.Int.Arb. The American Revue of International Arbitration (USA)
Am.U.L.Rev. American University Law Review
An.Der.Int. Anuario Español de Derecho Internacional (Spanien)
An.der.mar. Anuario de derecho marítimo (Spanien)
AnfG Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen ei-
nes Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens
Anh. Anhang
Anl. Anlage
Anm. Anmerkung
Ann.dr. Liège Annales de Droit de Liège
Ann.Fac. Istanbul Annales de la faculté de droit d´Istanbul
Ann.fr.dr.int. Annuaire français de droit international (Frankreich)
Ann.Inst.Dr.int. Annuaire de l´Institut de Droit International
AnwBl. Anwaltsblatt
AO Abgabenordnung
AöR Archiv des öffentlichen Rechts
AP Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (bis 1954 Zeit-
schrift: Arbeitsrechtliche Praxis)
ApoR Apotheke und Recht
App. Cour d´appel; Corte d´appello
ArbG Arbeitsgericht
Arb.Int. Arbitration International (England)
Arb.J. Arbitration Journal (USA)
ArbPlSchG Arbeitsplatzschutzgesetz
ArbuR Arbeit und Recht
Arch.Phil.Dr. Archive de philosophie de droit
arg. argumentum
Ariz.J.Int.Comp.L. Arizona Journal of International and Comparative Law
(USA)
ARSt. Arbeitsrecht in Stichworten
Art. Artikel
Asp.Mar.Law Cas. Aspinall´s Reports of Maritime Law Cases (1870–1940; Groß-
britannien)
AsylVerfG Asylverfahrensgesetz
AÜ Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von
Reisenden und ihrem Gepäck auf See
Aufl. Auflage
Aufs. Aufsatz
AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
ausf. ausführlich
Ausl. Ausland
AuslInvestmG Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile
und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen In-
vestmentanteilen
Avi. CCH Aviation Cases (USA)
AVRAG Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (Österreich)

XVI
Abkürzungsverzeichnis

AWD Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters


AWG Außenwirtschaftsgesetz
AWV Außenwirtschaftsverordnung
AWZ Ausschließliche Wirtschaftszone
BAG Bundesarbeitsgericht
BAGE Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Banca, Borsa Banca, borsa e titoli di credito (Italien)
BAnz. Bundesanzeiger
BauGB Baugesetzbuch
BauR Baurecht
BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht
BayObLGZ Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in
Zivilsachen
BayZ Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern
BB Der Betriebs-Berater
BBahn Die Bundesbahn
BBauG Bundesbaugesetz
BBG Bundesbeamtengesetz
BBl. Bundesblatt (Schweiz)
Bd. Band
BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
begr. begründet
Begr. Begründung
Beil. Beilage
Bek. Bekanntmachung
Bekl. Beklagte(r)
belg. belgisch
BenshS Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landes-
arbeitsgerichte, verlegt bei Bensheimer
BerDGesVölkR Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
bes. besonders
bestr. bestritten
betr. betreffend, betreffs
BetrAVG Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
BetrVG Betriebsverfassungsgesetz
BeurkG Beurkundungsgesetz
bfai-RI Bundesstelle für Außenhandelsinformation: BfA-Rechtsinfor-
mation
BFH Bundesfinanzhof
BG Schweizerisches Bundesgericht
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
BGH Bundesgerichtshof
BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BinSchG Binnenschifffahrtsgesetz
BJM Basler Juristische Mitteilungen
BKartA Bundeskartellamt
BKR Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht

XVII
Abkürzungsverzeichnis

BlIntPR Blätter für internationales Privatrecht (1926–1931)


BlStSozArbR Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht
BlZüRspr. Blätter für Zürcherische Rechtsprechung
BMWI Bundeswirtschaftsministerium
BNotO Bundesnotarordnung
BörsG Börsengesetz
BRAGO Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
BRAK-Mitt. Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer
BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung
BR-Drucks. Bundesrats-Drucksache
BRD Bundesrepublik Deutschland
Brit.Yb.Int.L. The British Yearbook of International Law
Brüssel I-VO s. EuGVO
Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die ge-
richtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstre-
ckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
Brüssel IIa-VO s. EuEheVO
Brüssel IIb-VO Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über
die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend
die elterliche Verantwortung und über internationale Kindes-
entführungen (Neufassung)
BSchVG Binnenschiffsverkehrsgesetz
BSG Bundessozialgericht
Bsp. Beispiel
BT-Drucks. Bundestags-Drucksache
BtG Betreuungsgesetz
BTL Bulletin des Transports et de la Logistique
BtPrax Betreuungsrechtliche Praxis
BuB Bankrecht und Bankpraxis, Loseblattwerk, 3 Bände, 1979 ff.
Bull. ASA Bulletin d´Association Suisse de l´Arbitrage
Bull.EG Bulletin der Europäischen Gemeinschaften
Bull.transp. Bulletin des transports
Bus.Lawyer The Business Lawyer (USA)
Bus.L.Rev. Business Law Review (Großbritannien)
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVFG Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und
Flüchtlinge
B.W. Burgerlijk Wetboek (Niederlande)
BWNotZ Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg
bzw. beziehungsweise
c. Chapter
C.A. Court of Appeal (England), Court of Appeals (USA)
CA Cour d´appel; Copyright Act
Cah.dr.europ. Cahiers de droit européen
Cal.L.Rev. California Law Review (USA)
Can.Bar.Rev. The Canadian Bar Review (Kanada)
Cass. Cour de cassation; Corte di cassazione

XVIII
Abkürzungsverzeichnis

Cass. civ. Cour de cassation, chambre civile


c.c. Code civil; Codice civile; Código civil
c.com. Code de commerce; Côdigo di comercio
CCZ Corporate Compliance Zeitschrift
CFILR Company Financial and Insolvency Law Review
ch. Chapter
Ch.com. Chambre commerciale
c.i.c. culpa in contrahendo
cif cost, insurance, freight
CIFL Unidroit Convention on International Leasing
CFL.Q. Child and Family Law Quarterly
CILSA Comparative and International Law Journal of South Africa
CIM Einheitliche Regeln über den Internationalen Eisenbahn-
frachtverkehr
Cir. Circuit
CISG United Nations Convention on Contracts for the Internatio-
nal Sale of Goods vom 11.4.1980
CLC Commercial Law Cases
C.L.E. Commercial Laws of Europe (England)
Clunet Journal du droit international (Frankreich)
CMI Comité Maritime International
CML Rev. Common Market Law Review
c. mon. fin. Code monétaire et financier
CMNi Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Gü-
terbeförderung in der Binnenschifffahrt
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im interna-
tionalen Straßengüterverkehr
Colum.J.Transnat.L. The Columbia Journal of Transnational Law (USA)
Colum.L.Rev. Columbia Law Review (USA)
Comp.Lab.L.J. Comparative Labor Law Journal (USA)
Cornell Int.L.J. Cornell International Law Journal
Cornell L.Rev. Cornell Law Review (USA)
COTIF Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr
COVuR COVID-19 und alle Rechtsfragen zur Corona-Krise
C.pr.c. Code de procédure civile; Codice di procedura civile
CR Computer und Recht
Cri Copyright Resources on the Internet
Ct. App Court of Appeal
C.trav. Code du travail
D. Dalloz; Recueil Dalloz/Sirey (Frankreich)
DAB Deutsches Architektenblatt
DAR Deutsches Autorecht
DAVorm. Der Amtsvormund
DB Der Betrieb
DCFR Draft Common Frame of Reference
DdA Droit d´auteur (Frankreich)
DDR Deutsche Demokratische Republik
Denver J.Int.L.& Policy Denver Journal of International Law and Policy
DepotG Depotgesetz

XIX
Abkürzungsverzeichnis

ders. derselbe
DesignG Designgesetz
DEuFamR Deutsches und Europäisches Familienrecht
dh. das heißt
Die AG Die Aktiengesellschaft
dies. dieselbe
DIP Droit International Privé
Dir.com.int. Diritto commerciale internazionale
Dir.com.scambi int. Diritto comunitario e degli scambi internazionali (Italien)
Dir.int. Diritto internazionale (Italien)
Dir.mar. Diritto marittimo (Italien)
DiRUG Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie
DSM-Richtlinie Richtlinie (EU) 2019/790 vom 17. April 2019 über das Urhe-
berrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Bin-
nenmarkt
Disp.prel. Disposizioni preliminari (Italien)
Diss. Dissertation
DIZPR Deutsches Internationales Zivilprozessrecht
DJ Deutsche Justiz
D.L.R. Dominion Law Reports (Kanada)
DM Deutsche Mark
DNotI-Report Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts
DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift
Dok. Dokument
DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)
D.P.C.I. Droit et pratique du commerce international (Frankreich)
DPJZ Deutsch-Polnische Juristen-Zeitschrift
DR Deutsches Recht
DRiZ Deutsche Richterzeitung
Dr. prat. com. int. Droit et pratique du commerce international
D.S. Recueil Dalloz/Sirey (Frankreich)
DSGVO Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 27.4. 2016 zum Schutz natürlicher Per-
sonen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum
freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/
EG (Datenschutz-Grundverordnung)
DStR Deutsches Steuerrecht
DStRE Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst
DSWR Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht
Dt. Denkschr. Deutsche Denkschrift
DtZ Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift
DVO Durchführungsverordnung
DWW Deutsche Wohnungswirtschaft
DZWiR Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EAG Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen
Kaufverträgen über bewegliche Sachen
ebd. ebenda
EBOR European Business Organization Law Review

XX
Abkürzungsverzeichnis

EBRG Gesetz vom 28.10.1996 über Europäische Betriebsräte (Euro-


päisches Betriebsräte-Gesetz)
ECC European Commercial Cases
ECE Economic Commission for Europe
ECFR European Company and Financial Law Review
ECLI European Case Law Identifier
E.D. Eastern District (Federal Courts, USA)
EFZG Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen
und im Krankheitsfall vom 26.5.1994
EG Europäische Gemeinschaften; EG-Vertrag
EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGHGB Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch
EGInsO Einführungsgesetz zur Insolvenzverordnung vom 5.10.1994
EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom
25.3.1957 idF vom 26.2.2001
EGZGB Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch
EJCCL European Journal of Commercial Contract Law
EKG Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweg-
licher Sachen
ELJZ Juristische Zeitschrift für Elsaß-Lothringen
EMLR Entertainment & Media Law Reports
Eng. England
engl. englisch
Ent.LR Entertainment Law Review
Entw. Entwurf
EPÜ Europäisches Patentübereinkommen
ERA Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Ak-
kreditive
ERA Forum Scripta iuris europaei – Europäische Rechtsakademie Trier
ErbStDV Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung
ER/CIM Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die inter-
nationale Eisenbahnbeförderung von Gütern
Erg. Ergebnis
ErgLfg. Ergänzungslieferung
ERI Einheitliche Richtlinien für das Inkasso von Handelspapieren
ErwG/ErwGr. Erwägungsgrund
ErwSÜ, ESÜ Haager Übereinkommen vom 13.1.2000 über den internatio-
nalen Schutz von Erwachsenen
ESZB Europäisches System der Zentralbanken
ETR Europäisches Transportrecht (Belgien)
EU Europäische Union
EuBagatellVO Verordnung (EG) Nr. 861/2007 vom 11.7.2007 zur Einfüh-
rung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forde-
rungen
EuBeweisVO Verordnung Nr. 1206/2001/EG vom 28.5.2001 über die Zu-
sammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten
auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handels-
sachen

XXI
Abkürzungsverzeichnis

EuEheVO Verordnung Nr. 1347/2000/EG vom 29.5.2000 über die Zu-


ständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesa-
chen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwor-
tung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten
EuErbVO Verordnung (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 über die Zu-
ständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und
Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur
Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
EuG Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
EuGH Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGüVO Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur
Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich
der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Aner-
kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen
des ehelichen Güterstands
EuGVO EG-Verordnung Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die ge-
richtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstre-
ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handels-
sachen
EuGVÜ s. GVÜ
EuInsÜ EG-Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 21.11.1995
EuInsVO Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 20.5. 2015 über Insolvenzverfahren
EuInsVO 2000 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000
über Insolvenzverfahren
EuLF The European Legal Forum
EuMahnVO Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines
Europäischen Mahnverfahrens
EuPartVO Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24.6.2016 zur
Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich
der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Aner-
kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen
güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften
EuR Europarecht
Eur.Rev.Priv.L. European Review of Private Law (Niederlande)
Eur.Transp.L. European Transport Law (Belgien)
EuÜ Europäisches Übereinkommen über die internationale Han-
delsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961
EuUntVO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 über die Zu-
ständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit
in Unterhaltssachen
euvr Zeitschrift für Europäisches Unternehmens- und Verbrau-
cherrecht.

XXII
Abkürzungsverzeichnis

EuVTVO Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004 zur Einfüh-


rung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestritte-
ne Forderungen
EuZ Zeitschrift für Europarecht
EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht
EuZustVO Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zu-
stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in
Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustel-
lung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verord-
nung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates
EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVO Eisenbahnverkehrsordnung
EVÜ Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht vom 19.6.1980
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemein-
schaft
EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
EWIV Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung
EWIV-AusfG Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Euro-
päische wirtschaftliche Interessenvereinigung
EWIV-VO Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985
über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Inte-
ressenvereinigung
EWR Europäischer Wirtschaftsraum
EWRA Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom
2.5.1992
EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
EzA Entscheidungen zum Arbeitsrecht, hrsg. von Stahlhacke
EZB Europäische Zentralbank
EZVerbrR Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht
f. für; folgende
F.2d Federal Reporter, Second Series (USA)
FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den An-
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
FamGB Familiengesetzbuch
FamRÄndG Familienrechtsänderungsgesetz
FamRB Familienrechts-Berater
FamRBint Familienrechts-Berater international
FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
F.Cas. Federal Cases (USA)
FernabsRL Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucher-
schutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz
FernUSG Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fern-
unterrichtsschutzgesetz)
Festg. Festgabe
Festschr. Festschrift
ff. folgende
FF Forum Familien- und Erbrecht

XXIII
Abkürzungsverzeichnis

FG Festgabe
FGG Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbar-
keit
FGPrax Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit
FinG Finanzgericht
FinVermV Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (Finanzanla-
genvermittlungsverordnung)
FIU Financial Intelligence Unit
FKVO Fusionskontrollverordnung
Fla.Int.L.J. Florida Journal of International Law
FLF Finanzierung Leasing Factoring
F.L.OGH Fürstlich Liechtensteinischer Oberster Gerichtshof
FlRG Flaggenrechtsgesetz
Fn. Fußnote
fob free on board
Foro it. Foro italiano
Forum Int. R. Forum Internationales Recht
FPR Familie Partnerschaft Recht
Franchise L.J. Franchise Law Journal
frz. Französisch
FS Festschrift
FSR Fleet Street Reports
F.Supp. Federal Supplement (USA)
FuR Familie und Recht; Film und Recht
GA Goltdammer´s-Archiv, Generalanwalt
Ga.J.Int.Comp.L. Georgia Journal of International and Comparative Law
(USA)
Gaz.Pal. Gazette du Palais (Frankreich)
GBG Grundbuchgesetz (Österreich)
GBl. Gesetzblatt
GBO Grundbuchordnung
GebrMG Gebrauchsmustergesetz
GEK Gemeinsames Europäische Kaufrecht
gem. gemäß
Geo J. Legal Ethics Georgetown Journal of Legal Ethics
GeoblockingVO Verordnung (EU) 2018/302 vom 28.2.2018 über Maßnahmen
gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen
der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des
Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden in-
nerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnun-
gen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der
Richtlinie 2009/22/EG
German Yb.Int.L. German Yearbook of International Law
GesRZ Der Gesellschafter (Zeitschrift für Gesellschafts- und Unter-
nehmensrecht) (Österreich)
GewO Gewerbeordnung
GG Grundgesetz
ggf. gegebenenfalls

XXIV
Abkürzungsverzeichnis

GGV Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemein-
schaftsgeschmacksmuster vom 12.12.2001 (Gemeinschafts-
geschmacksmusterverordnung)
Giur.it. Giurisprudenza italiana
GIW Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge (GBl. 1976 I
61; DDR)
GMAA German Marine Arbitration Association
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haf-
tung
GmbHR/GmbHRdsch. GmbH-Rundschau
GMV Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Gemein-
schaftsmarke vom 26.2.2009 (Gemeinschaftsmarkenverord-
nung)
GPR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union
GR-Charta Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom
7.12.2000
grds. grundsätzlich
GrEStDV Durchführungsverordnung zum Grunderwerbsteuergesetz
GrEStG Grunderwerbsteuergesetz
griech. griechisch
Gruchot Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begr. v. Gru-
chot (1857–1933)
GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GRUR Int. GRUR, Internationaler Teil
GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtspre-
chungs-Report
GS Gedächtnisschrift
GSV Verordnung (EG) Nr. 2100/94 vom 27.7.1994 über den ge-
meinschaftlichen Sortenschutz (Gemeinschaftssortenschutz-
verordnung)
gtai Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft
und Standortmarketing mbH
GuG Grundstücksmarkt und Grundstückswert
GüKG Güterkraftverkehrsgesetz
GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
GVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen vom 27.9.1968
GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
GwG Geldwäschegesetz
HalblSchG Halbleiterschutzgesetz
Hansa Hansa, Zentralorgan für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen
HansRGZ Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift
Harv.Int.L.J. Harvard International Law Journal (USA)
Harv.L.Rev. Harvard Law Review (USA)
HausTWG Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften
HAVE Haftung und Versicherung (Zeitschrift)

XXV
Abkürzungsverzeichnis

HbgR United Nations Convention on the Carriage of Goods by Sea


(Hamburg, 1978) (Hamburg Rules)
Heidelb. Jb. Heidelberger Jahrbücher
HGB Handelsgesetzbuch
HGÜ Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen
vom 30.5.2005
H.L. House of Lords (England)
h.M. herrschende Meinung
HmbSchRZ Hamburger Zeitschrift für Schifffahrtsrecht
HOAI Honorarordnung Architekten und Ingenieure
H.R. Hoge Raad (Niederlande)
HR Internationales Abkommen vom 25.8.1924 zur Vereinheitli-
chung von Regeln über Konnossemente (Haager Regeln)
HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung
hrsg. herausgegeben
HS/Halbs. Halbsatz
HVR Rechtsprechungssammlung zum Handelsvertreter- und Ver-
triebsrecht
HW Haus und Wohnung
IATA International Air Transport Association
IBR Immobilien- & Baurecht
ICC International Chamber of Commerce;
I.C.L.F.Rev. The International Contract – Law and Finance Review
(1980 ff.; Schweiz)
I.C.L.Q. The International and Comparative Law Quarterly (Großbri-
tannien)
ICSID International Centre for the Settlement of Investment Dis-
putes
i.d.F. in der Fassung
IDR Journal of International Dispute Resolution
i.d.R. in der Regel
i.E. im Ergebnis
i.e.S. im engeren Sinne
I.F.L.Rev. International Financial Law Review (England)
IHK Internationale Handelskammer
IHR Internationales Handelsrecht
IIC International Review of Industrial Property and Copyright
Law
IIR Internationales Insolvenzrecht
IJVO Internationale Juristenvereinigung Osnabrück
I.L.M. International Legal Materials (USA)
I.L.Pr International Litigation Procedure
I.L.R. International Law Reports
InsO Insolvenzordnung vom 5.10.1994
InsV EG-Verordnung Nr. 1346/2000 vom 29.5.2000 über Insol-
venzverfahren
Int.Am.L.R. International American Law Review (USA)
Int. ArbR Internationales Arbeitsrecht
Int.Arb.Rep. International Arbitration Report (USA)

XXVI
Abkürzungsverzeichnis

Int.Bus.Lawyer International Business Lawyer (England)


Int. Bus. L. J. International Business Law Journal
Int. Comp.L.Q. s. I.C.L.Q.
Int.Constr.L.Rev. The International Construction Law Review (England)
Int.Encycl.Comp.L. International Encyclopedia of Comparative Law
Int. Insolv. Rev. International Insolvency Review
Int. J. L. & Info. Tech. International Journal of Law and Information Technology
Int.Lawyer The International Lawyer (USA)
IPO Initial public offer
IPG Gutachten zum internationalen und ausländischen Privat-
recht
IPR Internationales Privatrecht
IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
IPRG Gesetz über das Internationale Privatrecht
IPRspr. Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internatio-
nalen Privatrechts
i.R.d. im Rahmen des/der
i.S. im Sinne
i.S.d. im Sinne des
IStR Internationales Steuerrecht
i.S.v. im Sinne von
ital. italienisch
i.Ü im Übrigen
i.V.m. in Verbindung mit
IWB Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht (früher: Interna-
tionale Wirtschaftsbriefe)
IWF Internationaler Währungsfond
IWRZ Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht
IZ Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr
(Schweiz)
IZPR Internationales Zivilprozessrecht
IzRspr. Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen
Privatrecht
JA Juristische Arbeitsblätter
JahrbIntR Jahrbuch für Internationales Recht
JbItalR Jahrbuch für Italienisches Recht
Jb.J.ZivRWiss Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler
J.B.L. Journal of Business Law (Großbritannien)
JBl. Juristische Blätter (Österreich)
JbOstR Jahrbuch für Ostrecht
JbPraxSchG Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit
J.Contemp.L. Journal of Contemporary Law (USA)
J.C.P. Juris-Classeur Périodique (Frankreich)
J.dr.aff.int. Journal de droit des affaires internationales (Frankreich)
J.Fam.L. Journal of Family Law
JFG Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwil-
ligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts
JIBFL Journal of International Banking and Financial Law
J.Int.Arb. Journal of International Arbitration (Schweiz)

XXVII
Abkürzungsverzeichnis

J.Int.Bank.L. Journal of International Bank Law (England)


J.Int.L.& Policy Journal of International Law and Policy
J.M.L.C. Journal of Maritime Law and Commerce (USA)
JNPÖ Jahrbuch für neue politische Ökonomie
J.O. Journal Officiel
JÖR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart
J. PIL Journal of Private International Law
JR Juristische Rundschau
J.T. Journal des Tribunaux (Belgien)
JurA Juristische Analysen
JurBüro Das juristische Büro
jurisPR-InsR juris PraxisReport Insolvenzrecht
JuS Juristische Schulung
JVEG Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmet-
scherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern
sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen,
ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten
(Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz)
JW Juristische Wochenschrift
J.W.T.L. Journal of World Trade Law (Schweiz, früher Großbritan-
nien)
JZ Juristenzeitung
KAGB Kapitalanlagegesetzbuch
Kap. Kapitel
KapVStG Kapitalverkehrssteuergesetz
KB Kings Bench Division (England)
KG Kammergericht Berlin
KGJ Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Berlin
King´s Coll.L.J. King´s College Law Journal
Kl. Kläger
KO Konkursordnung
Komm Kommentar
KonsG Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befug-
nisse (Konsulargesetz)
KostO Kostenordnung
K&R Kommunikation & Recht
KRG Kontrollratsgesetz
KrG Kreisgericht
krit. kritisch
KSchG Kündigungsschutzgesetz
KSÜ Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständig-
keit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstre-
ckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen
Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kin-
dern
KTS Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichts-
wesen
KultgSchG Kulturgüterschutzgesetz
KVO Kraftverkehrsordnung

XXVIII
Abkürzungsverzeichnis

KWG Gesetz über das Kreditwesen


LAG Landesarbeitsgericht; Lastenausgleichsgesetz
LES Liechtensteinische Entscheidungssammlung
Lfg. Lieferung
LFMR Law and Financial Markets Review
LFZG Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krank-
heitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz)
LG Landgericht
liecht. liechtensteinisch
LIEI Legal Issues of European Integration (Niederlande)
li. Sp. linke Spalte
LJZ Liechtensteinische Juristen-Zeitung
Lloyd´s Rep. Lloyd´s Law Reports (England)
LM Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen,
hrsg. v. Lindenmaier und Möhring
LMCLQ Lloyd´s Maritime and Commercial Law Quarterly (England)
L.Pol.Int.Bus. Law and Policy in International Business
L.Q.R. Law Quarterly Review
LS Leitsatz
LSG Landessozialgericht
LuftVG Luftverkehrsgesetz
LugÜ Übereinkommen von Lugano über die gerichtliche Zuständig-
keit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 3.10.2007
LZ Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933)
MaBV VO über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagen-
vermittler, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträ-
gerverordnung)
MAD Market Abuse Directive, Marktmissbrauchs-Richtlinie
MAR Market Abuse Regulation, Marktmissbrauchsverordnung
MarkenG Markengesetz
Marq. L. Rev. Marquette Law Review
m.a.W. mit anderen Worten
McGill L. J. McGill Law Journal (Kanada)
MDR Monatsschrift für Deutsches Recht
mE meines Erachtens
Mich. State J. Int. L. Michigan State Journal of International Law.
MiFID Markets in Financial Instruments Directive, Richtlinie 2004/
39/EG vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente
und Richtlinie 2014/65/EU vom 15.5.2014 über Märkte für
Finanzinstrumente
MiFIR Verordnung (EU) Nr. 600/2014 vom 15.5.2014 über Märkte
für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung
(EU) Nr. 648/2012 (Marktmissbrauchsverordnung)
MiLoG Mindestlohngesetz vom 11.8.2014
Minn. L. Rev. Minnesota Law Review
MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mit-
bestimmungsgesetz)
Mitt. Mitteilungen

XXIX
Abkürzungsverzeichnis

MittBayNotV Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins


MittEuGH Mitteilungen über den EuGH
MittRheinNotK Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer
MMR Multimedia und Recht
Mod.L.Rev. The Modern Law Review (England)
MoMiG Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Be-
kämpfung von Missbräuchen vom 28.10.2008
MRG Militärregierungsgesetz
MR-Int Medien & Recht International
MSA Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit und das an-
zuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minder-
jährigen vom 5.10.1961
MTO Multimodal Transport Operator
MÜ Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimm-
ter Vorschriften über die Beförderung im internationalen
Luftverkehr v. 28.5.1999
MUV Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl (Montanvertrag)
m.w.N. mit weiteren Nachweisen
Nachw. Nachweis
NAG Bundesgesetz, betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen und Aufhalter (Schweiz)
N.C.J.Int.L.Com.Reg. North Carolina Journal of International Law and Commercial
Regulation (USA)
NCPC Nouveau Code de procédure civile (Frankreich)
NdsRpfl. Niedersächsische Rechtspflege
Ned. Jur. Nederlandse Jurisprudentie
nF neue Fassung
NiemZ Zeitschrift für internationales Recht (1891–1901 – Zeitschrift
für internationales Privat- und Strafrecht; 1902–1909 – Zeit-
schrift für internationales Privat- und Öffentliches Recht;
begr. von Böhm, ab 1901 hrsg. v. Niemeyer)
N.I.L.R. Netherlands International Law Review (1975 ff.)
NIPR Nederlands Internationaal Privaatrecht
N.J. Nederlandse Jurisprudentie
NJOZ Neue Juristische Online Zeitschrift
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report
NLCC Le Nuove Leggi Civili Commentate
Nordic J.Int.L. Nordic Journal of International Law (ab 1986; Dänemark)
Nordisk TIR Nordisk Tidsskrift for International Ret (bis 1985; Dänemark)
NotBZ Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungs-
praxis
Nr. Nummer
NStG Nachrichten der Studiengesellschaft für privatrechtliche Aus-
landsinteressen
NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport
NSW Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes
NTIR Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht (bis 1974)

XXX
Abkürzungsverzeichnis

Nw.J.Int.L. & Bus. Northwestern Journal of International Law and Business


(USA)
N.Y.S., N.Y.S.2d West´s New York Supplement
NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht
NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
NZI Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
o.ä. oder ähnlich
ÖBA Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen (Öster-
reich)
OER Osteuropa Recht
OGAW Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
OGH/öOGH Oberster Gerichtshof (Österreich)
OGHBrZ Oberster Gerichtshof für die Britische Zone
OGHZ Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische
Zone in Zivilsachen
ÖH Österreichische Hefte für die Praxis des internationalen und
ausländischen Rechts (1956–1959)
OHG Offene Handelsgesellschaft
oJ ohne Jahr
ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung
OLG Oberlandesgericht
OLGE Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete
des Zivilrechts
OLG-NL OLG-Rechtsprechung Neue Länder
OLGR OLG-Report
OLGZ Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen
(1965–1994)
ÖNotZ Österreichische Notarzeitung
ÖNZ Österreichische Notariatszeitung
op. cit. opere citato
OR Bundesgesetz über das Obligationenrecht (Schweiz)
ORG Oberstes Rückerstattungsgericht
ÖRiZ Österreichische Richterzeitung
öst. österreichisch
öst. IPRG Bundesgesetz vom 15.6.1978 über das internationale Privat-
recht – IPR-Gesetz (Bundesgesetzblatt für die Republik Öster-
reich 1978, 1729)
OZöR Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
ÖZW Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
P Probate, Divorce and Admiralty (Law Reports; Großbritan-
nien)
Parker Sch.J.E.Eur.L. Parker School Journal of East European Law
PatG Patentgesetz
PECL Principles of European Contract Law
PharmR Pharma Recht (Zeitschrift)
PHI Produkthaftung International
poln. polnisch
poln. IPR-G Gesetz vom 4.2.2011: Internationales Privatrecht

XXXI
Abkürzungsverzeichnis

port. portugiesisch
Pressemitt. Pressemitteilung
preuß. preußisch
ProdHaftG Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkt-
haftungsgesetz) vom 15.12.1989
PSD Payment Services Directive
PucheltsZ Zeitschrift für französisches Zivilrecht, begr. von Puchelt
PVÜ Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen
Eigentums
Quartalshefte Quartalshefte der Girozentrale und Bank der österreichischen
Sparkassen
Q.B. Queen´s Bench Division (Law Reports)
QBD Queens Bench Division (England)
RabelsZ Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
(1927 ff.)
RADG Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz
RAG Reichsarbeitsgericht
RAGE Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts
RAGebO s. BRAGO
RAnwG Gesetz über die Anwendung des Rechts auf internationale zi-
vil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf
internationale Wirtschaftsverträge (Rechtsanwendungsgesetz)
(GBl. 1975 I 748; DDR)
Rass.arb. Rassegna dell arbitrato (Italien)
Rb Rechtbank
RBerG Rechtsberatungsgesetz
RBÜ Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur
und der Kunst
RdA Recht der Arbeit
RDG Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen
(Rechtsdienstleistungsgesetz)
RdTW Recht der Transportwirtschaft
RdW Österreichisches Recht der Wirtschaft
Rec. des Cours Recueil des Cours de l´Académie de droit international (Nie-
derlande)
Recht Das Recht
RegBegr. Begründung des Regierungsentwurfs
re. Sp. rechte Spalte
resp. respektive
Rev.arb. Revue de l´arbitrage (Frankreich)
Rev.belge dr.int. Revue belge de droit international
Rev. Centr. East. European L. Review of Central and East European
Rev.crit.d.i.p. Revue critique de droit international privé (Frankreich)
Rev.dr.aff.int. Revue de droit des affaires internationales (Frankreich)
Rev. dr. banc. fin. Revue de droit bancaire et financier
Rev.dr.int.dr.comp. Revue de droit international et de droit comparé (Belgien)
Rev. dr. transp. Revue de droit des transports
Rev.dr.unif. Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (Italien)
Rev.gén.dr.civil belge Revue générale de droit civil belge

XXXII
Abkürzungsverzeichnis

Rev.gén.dr.int.pub. Revue générale de droit international public (Frankreich)


Rev.hell.dr.int. Revue hellénique de droit international (Griechenland)
Rev.int.dr.comp. Revue internationale de droit comparé (Frankreich)
Rev.jur.com. Revue de jurisprudence commerciale (Frankreich)
Rev.Lamy dr.aff. Revue Lamy Droit des affaires
Rev.Marché Commun Revue du Marché Commun (Frankreich)
Rev. Ord. Advog. Revista da Ordem dos Advogados (Portugal)
Rev.Soc.L. Review of Socialist Law (Niederlande)
Rev.trim.dr.civ. Revue trimestrielle de droit civil (Frankreich)
Rev.trim.dr.com. Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économi-
que (Frankreich)
Rev.trim.dr.europ. Revue trimestrielle de droit européen
RFH Reichsfinanzhof
RG Reichsgericht
RGBl. Reichsgesetzblatt
RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RheinZ Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht des In- und
Auslandes
RiA AW-Recht im Außenhandel (seit 1973 Beil. zu „DDR-Außen-
wirtschaft“; bis 1967 Beil. zu „Außenhandel“; 1968–1973
„Recht in der Außenwirtschaft“ Beil. zu „Sozialistische Au-
ßenwirtschaft“; DDR)
Riv. arb. Rivista dell´ arbitrato (Italien).
Riv.dir.civ. Rivista di diritto civile (Italien)
Riv.dir.com. Rivista del diritto commerciale e del diritto generale delle
obbligazioni (Italien)
Riv.dir.com.int. Rivista di diritto del commercio internazionale (Italien)
Riv.dir.int. Rivista di diritto internazionale (Italien)
Riv.dir.int.priv.proc. Rivista di diritto internazionale privato e processuale (Italien)
Riv.dir.proc. Rivista di diritto processuale (Italien)
RiW Recht der internationalen Wirtschaft (1956–57)
RIW Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst
des Betriebs-Beraters (1975 ff.)
RKT Reichskraftwagentarif
RL Richtlinie
RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift
Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
Rom II-VO Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf
außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
(Rom II)
ROW Recht in Ost und West
Rpfleger Der deutsche Rechtspfleger
RRa ReiseRecht aktuell
Rs. Rechtssache
Rspr. Rechtsprechung
RVG Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz)
RVO Reichsversicherungsordnung

XXXIII
Abkürzungsverzeichnis

Rz. Randzahl
RzW Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht
S. Satz, Seite
s. siehe, section
s.a. siehe auch
SA s. SeuffArch.
SaBl. Sammelblatt für Rechtsvorschriften des Bundes und der Län-
der
SAE Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen
SBZ Sowjetisch besetzte Zone
ScheckG Scheckgesetz
SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren
SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen
SchVG Schuldverschreibungsgesetz
SchwbG Schwerbehindertengesetz
Schweiz. AG Schweizerische Aktiengesellschaft
schweiz. IPRG-Entw. Botschaft zum Bundesgesetz über das IPR (IPR-Gesetz) (BBl.
1983 I 263)
SchweizJahrbIntR Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht
SchwJZ Schweizerische Juristenzeitung
schwz. schweizerisch
S.Ct. Supreme Court
s.d. siehe dort
sec. section
SeeArbG Seearbeitsgesetz vom 20.4.2013
SeemannsG Seemannsgesetz vom 26.7.1957
SeuffArch. Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in
den deutschen Staaten
SEW Sociaal-Economische Wetgeving – Tijdschrift voor Europees
en economisch recht
SFS Svensk författningssamling
SGB Sozialgesetzbuch
SHSG Seehandelsschiffahrtsgesetz (DDR; GBl. 1976 I 109)
SJZ Süddeutsche Juristen-Zeitung
Slg. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung
der Rechtsprechung des Gerichtshofes
s.o. siehe oben
sog. sogenannter
SortSchG Sortenschutzgesetz
span. spanisch
Spiegelstr. Spiegelstrich
SpuRt Zeitschrift für Sport und Recht
SRZ Saarländische Rechts-Zeitschrift
S&S Schip en Schade
StAZ Das Standesamt
StBerG Steuerberatungsgesetz
Stbg Die Steuerberatung
st. Rspr. ständige Rechtsprechung
StuW Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

XXXIV
Abkürzungsverzeichnis

S.U. Sezioni Unite


s.u. siehe unten
Sydney L. Rev. Sydney Law Review
SZ Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes
in Zivil- und Justizverwaltungssachen
SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäi-
sches Recht
SZR Zeitschrift für Schweizerisches Recht
SZW/RSDA Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaft- und Finanzmarkt-
recht
Tex. Int. L.J. Texas International Law Journal
TranspR Transportrecht
TranspR-IHR Internationales Handelsrecht – Beilage zur Zeitschrift Trans-
portrecht
Trav.Com.fr.d.i.p. Travaux du Comité français de droit international privé
TRG Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lager-
rechts (Transportrechtsreformgesetz) vom 25.6.1998
Trib.com. Tribunal de commerce (Frankreich)
Trib.gr.inst. Tribunal de grande instance
TRIPS Übk. vom 15.4.1994 über handelsbezogene Aspekte der Rech-
te des geistigen Eigentums
tschech. tschechisch/tschechoslowakisch
tschech.IPRG Gesetz Nr. 91/2012 über das Internationale Privatrecht
TT-GVO Verordnung (EU) Nr. 316/2014 vom 21.3.2014 über die An-
wendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von Tech-
nologietransfer-Vereinbarungen
Tul.L.Rev. Tulane Law Review (USA)
TVR Tijdschrift Vervoer & Recht
TzBfG Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teil-
zeit- und Befristungsgesetz)
TzWrG Gesetz über die Veräußerung von Teilnutzungsrechten an
Wohngebäuden
u.a. und andere(s); unter anderem
u.ä. und ähnliche(s)
UAbs. Unterabsatz
Übk. Übereinkommen
UCC Uniform Commercial Code
UFITA Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht
UfR Ugeskrift for Retsvæsen (Dänemark)
U.Ill.L.Rev. University of Illinois Law Review (USA)
UINL Internationale Union des Lateinischen Notariats
UmstG Umstellungsgesetz
UMV Unionsmarkenverordnung
UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law
ung. ungarisch
UNIDO United Nations Industrial Development Organization
UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law
Unif.L.Rev. Uniform Law Review
Unterabs. Unterabsatz

XXXV
Abkürzungsverzeichnis

UNTS United Nations Treaties Series


UNÜ UN-Übk. über die Anerkennung und Vollstreckung auslän-
discher Schiedssprüche vom 10.6.1958
unveröff. unveröffentlicht
URDG ICC Uniform Rules for Demand Guarantees
UrhG Urheberrechtsgesetz
US United States Reports
USD US-Dollar
UStG Umsatzsteuergesetz
usw. und so weiter
u.U. unter Umständen
UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v. von; vom; versus
v.a. vor allem
VAG Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunterneh-
men (Versicherungsaufsichtsgesetz)
Va.J.Int.L. Virginia Journal of International Law
Va.J.Transnat.L. Vanderbilt Journal of Transnational Law (USA)
Var. Variante
VBlBW Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg
VEB Volkseigener Betrieb
VerbrKrG Verbraucherkreditgesetz
VermAnlG Gesetz über Vermögensanlagen
VermG Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögens-
gesetz)
VersPrax Die Versicherungspraxis
VersR Versicherungsrecht
vgl. vergleiche
vH vom Hundert
VO Verordnung
VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen
Vorbem. Vorbemerkung
VRÜ Verfassung und Recht in Übersee
VSSR Vierteljahresschrift für Sozialrecht
VuR Verbraucher und Recht
VVG Versicherungsvertragsgesetz
VW Versicherungswirtschaft
WA Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln
über die Beförderungsbedingungen im internationalen Luft-
verkehr
WährG Gesetz zur Neuregelung des Geldwesens (Währungsgesetz)
WarnRspr. Rechtsprechung des Reichsgerichts, hrsg. v. Warneyer
WBl. Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich)
WCT WIPO Copyright Treaty (WIPO-Urheberrechtsvertrag)
WG Wechselgesetz
WGO Die wichtigsten Gesetzgebungsakte in den Ländern Ost- und
Südosteuropas und in den ostasiatischen Volksdemokratien
(1959 ff.)
WGO-MfOR Monatshefte für Osteuropäisches Recht

XXXVI
Abkürzungsverzeichnis

WiB Wirtschaftsrechtliche Beratung


WIPO World Intellectual Property Organization
WiRO Wirtschaft und Recht in Osteuropa
WiVerw Wirtschaft und Verwaltung
W.L.R. The Weekly Law Reports (Großbritannien)
w. Nachw. weitere Nachweise
WM Wertpapier-Mitteilungen (1947 ff.)
WPg Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)
WpHG Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandels-
gesetz)
WPNR Weekblad voor Privaatrecht, Notariaat en Registratie (Nieder-
lande)
WpPG Wertpapierprospektgesetz
WPPT WIPO Performances and Phonograms Treaty (WIPO-Vertrag
über Darbietungen und Tonträger)
WpÜG Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
WRP Wettbewerb in Recht und Praxis
WuB Wirtschafts- und Bankrecht, Entscheidungssammlung zum
Wirtschafts- und Bankrecht
WuW Wirtschaft und Wettbewerb
WuW/E Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum
Kartellrecht (1957 ff.)
WvK Wetboek van Koophandel (Niederlande)
WZG Warenzeichengesetz
Yale L.J. The Yale Law Journal (USA)
Yb.Com.Arb. Yearbook Commercial Arbitration (Niederlande)
Yb.Eur.L. Yearbook of European Law (England)
Yb. Mar. L. Yearbook Maritime Law
Yb.PIL Yearbook of Private International Law
ZA Zentralamt
ZAG Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz; Zusatzabkommen von Gua-
dalajara
ZAkDR Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht
ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völker-
recht (1929 ff.)
ZAP Zeitschrift für die Anwaltspraxis
ZAR Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (1982 ff.)
ZAS Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Österreich)
z.B. zum Beispiel
ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft
ZBinnSch. Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen
ZBl. Zentralblatt für die juristische Praxis (Österreich)
ZBlJR Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt
ZErb Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis
ZESAR Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht
ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien
ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht
ZfBR Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht

XXXVII
Abkürzungsverzeichnis

ZfgesK, ZfK Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen


ZfIR Zeitschrift für Immobilienrecht
ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und
Rechtsvergleichung, früher: Zeitschrift für Rechtsvergleichung
(Österreich)
ZG Zivilgericht (Schweiz)
ZG Zollgesetz
ZGB Zivilgesetzbuch (DDR; Schweiz)
ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
ZGS Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht
ZHK Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht
(bis 1961)
ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschafts-
recht (ab 1962 ff.)
ZIAS Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und
Sozialrecht
Ziff. Ziffer
ZInsO Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht
ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (bis 1982: Zeitschrift für
Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis)
zit. zitiert
ZLR Zeitschrift für Luftrecht
ZLW Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen (1960 ff.)
ZMR Zeitschrift für Miet- und Raumrecht
ZNotP Zeitschrift für die Notarpraxis
ZPO Zivilprozessordnung
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht
z.T. zum Teil
ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
ZUM-RD Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungs-
dienst
zust. zustimmend
ZustG Zustimmungsgesetz
ZVersWiss. Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
ZVertriebsR Zeitschrift für Vertriebsrecht
ZVG Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung
ZVglRW/ZVglRWiss Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
ZVormW Zeitschrift für Vormundschaftswesen (Schweiz)
ZVP Zeitschrift für Verbraucherpolitik
ZZP Zeitschrift für Zivilprozess
ZZPInt Zeitschrift für Zivilprozess International
z.Zt. zur Zeit
ZZZ Schweizerische Zeitschrift für Zivil- und Zwangsvollstre-
ckungsrecht

XXXVIII
Literaturverzeichnis
Die hier aufgeführten Werke werden – soweit nicht anders angegeben – nur mit
Verfassername und Seite bzw. Randzahl zitiert.

I. Deutschland

1. Gesamtdarstellungen

Chr. v. Bar/P. Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, 2. Aufl. (2003), Bd. II (2019)

Drobnig, American-German Private International Law (1972)

Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (1986)


Frankenstein, Internationales Privatrecht, Bd. I (1926), Bd. II (1929), Bd. III (1934), Bd. IV
(1935)

Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2020)

Hausmann, Das Internationale Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl.


(2017)

v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2007)

Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2004)


Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch des Internationalen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. (2017)
Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (2006)

Lewald, Das deutsche Internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung (1931)
Linke/Hau, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2021)

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Handbuch des Inter-


nationalen Zivilver-fahrensrechts, Bd. I (1982), Bd. II/1 (1994), Bd. III/1 (1984), Bd. III/2
(1984)
Melchior, Die Grundlagen des deutschen Internationalen Privatrechts (1932)

Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2020)


Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl. (1976)
Neumeyer, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. (1930)
Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. I-IV (1910-1936)
Niemeyer, Das in Deutschland geltende Internationale Privatrecht (1894)
Nußbaum, Deutsches Internationales Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des
österreichischen und schweizerischen Rechts (1932)
Nußbaum, Grundzüge des Internationalen Privatrechts unter besonderer Berücksichtigung
des amerikanischen Rechts (1952)

Pirrung, Internationales Privat- und Verfahrensrecht nach dem Inkrafttreten der Neuregelung
des IPR (1987)

XXXIX
Literaturverzeichnis

Raape, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (1977)


Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd. I, 6. Aufl. (1977)
Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. (2017)
Riezler, Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht (1949)

v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, 2. Aufl. (1849)

Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. (2021)


Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivil-
prozessrechts, 2. Aufl. (2005)
Siehr, Internationales Privatrecht (2001)

Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, 3. Aufl. (1954)

Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. I (1887), Bd. II (1912)

2. Kommentare

Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. V,


4. Aufl. (2020) (zit.: Bearbeiter in BRHP)
Beck-online. Grosskommentar zum Zivilrecht (zit.: Bearbeiter in BeckOGK)
Beck’scher Online-Kommentar BGB (BeckOK BGB) siehe Bamberger/Roth/Hau/Poseck

Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, 16. Aufl. (2020)

Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht,


3. Aufl. (2018) (zit.: Bearbeiter in Ferrari, IntVertragsR bzw. Bearbeiter in Ferrari/Kienin-
ger/Mankowski)

Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. (2020)

Juris Praxiskommentar BGB, Bd. 6, Internationales Privatrecht und UN-Kaufrecht, 9. Aufl.


(2020)

Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. (2011)

Looschelders, Internationales Privatrecht (2004)

Magnus/Mankowski (Hrsg.), Rome I Regulation, 2017 (zit.: Bearbeiter in Magnus/Man-


kowski)
Magnus/Mankowski, European Commentaries on Private International Law: ECPIL, Bd. I-IV,
2015 ff.
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8. Aufl. (Internationales Privatrecht II, Interna-tionales Wirtschaftsrecht, Art. 25-248
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XL
Literaturverzeichnis

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Bearbeiter in NK)

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VO)
Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB-Kommentar, 16. Aufl. (2021) (Art. 3-47 EGBGB,
Rom I-VO, Rom II-VO) (zit.: Bearbeiter in PWW)

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Rauscher (Hrsg.), Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht – EuZPR/EuIPR, Bd. III
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1996)
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gesetzen: Looschel-ders, Einleitung zum IPR (2019); Hausmann, Voltz, Bausback, Art. 3-6
EGBGB (IPR – Allgemeiner Teil) (2013); Hausmann, Art. 3, 3a, 4, Anh. zu Art. 4 EGBGB
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renfels, Art. 7–12, 47, 48 EGBGB (Internationales Recht der natürlichen Personen und der
Rechtsgeschäfte) (2019); Mankowski, Art. 13–17b EGBGB (Internationales Eherecht)
(2010); Spellenberg, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen 1 (Europäisches Recht:
Brüssel IIa-VO) (2014); Spellenberg, Henrich, Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen
2 (Deutsches Recht: FamFG) (2016); Henrich, von Hein, Art. 19-24 EGBGB, Internationales
Kindschaftsrecht, Erwachsenenschutzübereinkommen (2018); Dörner, Art. 25, 26 EGBGB;
Anhang zu Art. 25 f. EGBGB: ausländische Rechte, 13. Bearbeitung (2007); Armbrüster, Eb-
ke, Magnus, Einleitung zur Rom I-VO; Art. 1-10 Rom I-VO (Internationales Vertragsrecht
1) (2016); Armbrüster, Hausmann, Magnus, Winkler von Mohrenfels, Art. 11-29 Rom I-VO;
Art. 46b, c EGBGB (Internationales Ver-tragsrecht 2) (2016); Fuchs, v Hoffmann, Thorn,
Art. 38-42 EGBGB (2001); Großfeld, Internationales Gesell-schaftsrecht, 14. Bearbeitung
(1998); Fezer, Koos, Internationales Wirtschaftsrecht (IPR des KartellR, Lauter-keitsR, Mar-
kenR, PatentR und UrheberR) (2019); Mansel, Art. 43-46 EGBGB, Internationales Sachen-
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Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 12 Bde. (23. Aufl. ab 2014)

Wengler, Internationales Privatrecht, 2 Bde. (1981)

3. Loseblattausgaben

Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 22 Bde. (Stand 2021)

Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 6 Bde. (61. Aufl.,


Stand 2021)

Ferid/Firsching/Hausmann, Internationales Erbrecht, 9 Bde. (Stand 2021)

XLI
Literaturverzeichnis

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4. Textausgaben

Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 20. Aufl. (2020)

Makarov, Quellen des Internationalen Privatrechts – Nationale Kodifikationen, 3. Aufl. (1978),


bearbeitet von Kropholler, Neuhaus und Waehler

Zweigert/Kropholler, Quellen des Internationalen Einheitsrechts, Bd. I (1971), Bd. II (1972),


Bd. III (1973)

II. England

Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 15. Aufl. (2017)

Dicey/Morris/Collins, On the Conflict of Laws, 2 Bde., 15. Aufl. (2012)

Ferrari (Hrsg.), Concise commentary on the Rome I Regulation, 2. Aufl. (2020)

Plender/Wilderspin, The European private international law of obligations, 5. Aufl. (2020)

III. Frankreich

Ancel/Deumier/Laazouzi, Droit des contrats internationaux, 2. Aufl. (2020)


Audit/d'Avout, Droit international privé, 8. Aufl. (2018)

Batiffol/Lagarde, Traité de droit international privé, Bd. I, 8. Aufl. (1993), Droit international
privé, Bd. II, 7. Aufl. (1983)

Loussouarn/Bourel/de Vareilles-Sommières, Droit international privé, 11. Aufl. (2020)

Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 12. Aufl. (2019)

IV. Niederlande

Calliess/Renner (Hrsg.), Rome Regulations, 3. Aufl. (2020)

V. Österreich

Czernich/Heiss (Hrsg.), EVÜ – Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (Wien 1999)

Koziol/Bydlinksi/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 5. Aufl. (2017)

Lurger/Melcher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (2020)

Rummel (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., Bd. I


(2000), Bd. II (2004)

XLII
Literaturverzeichnis

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Schwind, Handbuch des Österreichischen Internationalen Privatrechts (1975)
Schwind, Internationales Privatrecht – Lehr- und Handbuch (1990)

VI. Schweiz

Bucher (Hrsg.), Internationales Privatrecht, 10. Aufl. (2017)

Furrer, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (2013)

Grolimund/Loacker/Schnyder (Hrsg.), Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl.


(2021)

Müller-Chen/Widmer Lüchinger (Hrsg.), Zürcher Kommentar zum IPRG, 2 Bde., 3. Aufl.


(2018)

Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des Internationalen Privatrechts (1986)

Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des Internationalen Privatrechts, 3. Aufl.


(1961)

Schnitzer, Internationales Privatrecht, 4. Aufl., Bd. I (1957), Bd. II (1958)


Siehr, Das internationale Privatrecht der Schweiz (2002)

Vischer/Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. (2000)

VII. Rechtsvergleichung

Delaume, Transnational Contracts, Applicable Law and Settlement of Disputes, Bd. I-V
(Dobbs Ferrry, N.Y. 1975 ff.; Loseblatt)

Rabel, The Conf1ict of Laws, Bd. I, 2. Aufl. (1958), Bd. II, 2. Aufl. (1960), Bd. III, 2. Aufl.
(1964), Bd. IV (1958)

XLIII
XLIV
Teil 1
Vertragsgestaltung und rechtliche Einordnung

§1
Grundlagen und Vertragsgestaltung

A. Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . 1.1 IV. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.46


I. Einheitliches Sach- und Kollisions- V. Grundregeln (Principles) . . . . . . . . 1.47
recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 B. Internationales Vertragsrecht der
1. Einheitliches Sachrecht und Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . 1.48
Grundregeln . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.48
2. Einheitliches Kollisionsrecht . . . 1.3 II. Unionsrechtliche Regelung . . . . . . 1.52
II. EG-Übereinkommen über das auf 1. Vorrang der Verordnung . . . . . 1.52
vertragliche Schuldverhältnisse an-
2. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.55
zuwendende Recht vom 19.6.1980 1.4
III. Räumlicher Anwendungsbereich
1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4
und Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 1.60
2. Räumlicher Anwendungsbereich
IV. Universelle Anwendung (Art. 2
des EVÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.64
3. Intertemporales Recht . . . . . . . . 1.10
V. Sachlicher Anwendungsbereich
4. Anwendung des Übereinkom-
(Art. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.65
mens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.14
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 1.65
5. Auslegungsprotokolle zum EVÜ 1.15
2. Vertragliche Schuldverhältnisse 1.66
III. Europäisches Privatrecht . . . . . . . . 1.17
3. Zivil- und Handelssachen . . . . . 1.78
1. Europäisches Vertragsrecht . . . . 1.17
4. Verbindung zum Recht verschie-
2. Primäres Unionsrecht . . . . . . . . 1.18
dener Staaten (Art. 1 Abs. 1
a) Vorrang des Unionsrechts . . 1.18
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . 1.79
b) Unionsrechtsakte und Ab-
5. Ausnahmen des Art. 1 Rom I-
schluss von Staatsverträgen . 1.21
VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.83
c) Verhältnis zum nationalen
a) Grundsatz der Nichtanwen-
Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . 1.23
dung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.83
d) Verhältnis zu nationalen
b) Analoge Anwendung . . . . . . 1.87
Sachnormen . . . . . . . . . . . . . 1.24
c) Öffentlich-rechtliche Angele-
3. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . 1.25
genheiten . . . . . . . . . . . . . . . 1.91
4. Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.27
6. Ausgeschlossene Materien (Art. 1
a) Unionsrechtliche Richtlinien 1.27
Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . 1.92
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . 1.27
a) Personenstand, Rechts-, Ge-
bb) Fehlende Umsetzung . . 1.31
schäfts- und Handlungsfähig-
b) Einzelne Richtlinien . . . . . . 1.35
keit (Art. 1 Abs. 2 lit. a
aa) Verbraucherrecht . . . . . 1.35
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.92
bb) Dienstleistungen . . . . . . 1.39
b) Schuldverhältnisse aus einem
cc) Time-Sharing . . . . . . . . 1.40
Familienverhältnis (Art. 1
dd) Versicherungsrecht . . . . 1.41
Abs. 2 lit. b Rom I-VO) . . . . 1.93
ee) Arbeitsrecht . . . . . . . . . 1.42
c) Schuldverhältnisse aus ehe-
ff) Handelsvertreterrecht . . 1.43
lichen Güterständen, Testa-
gg) Anwaltsrecht . . . . . . . . . 1.44
menten und Erbrecht (Art. 1
5. Gemeinsamer Referenzrahmen Abs. 2 lit. c Rom I-VO) . . . . 1.97
und optionales Instrument . . . . 1.45

Martiny | 1
§ 1 Rz. | Grundlagen und Vertragsgestaltung

d) Verpflichtungen aus Wech- a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 1.129


seln, Schecks, Eigenwechseln b) Verordnungen . . . . . . . . . . . 1.130
und anderen handelbaren c) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . 1.131
Wertpapieren (Art. 1 Abs. 2 5. Versicherungsverträge . . . . . . . 1.138
lit. d Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.98 VII. Beziehung zum Übereinkommen
e) Schieds- und Gerichtsstands- von Rom (Art. 24 Rom I-VO) . . . . 1.139
vereinbarungen (Art. 1 Abs. 2 VIII. Verhältnis zu bestehenden interna-
lit. e Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.105 tionalen Übereinkommen (Art. 25
f) Gesellschaftsrecht, Vereins- Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.141
recht und Recht der juristi-
IX. Inkrafttreten und zeitliche An-
schen Personen (Art. 1 Abs. 2
wendbarkeit (Art. 29 Rom I-VO) . 1.145
lit. f Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.109
g) Vertreter (Art. 1 Abs. 2 lit. g C. Grundsätze und praktische Hinwei-
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.111 se zur Vertragsgestaltung . . . . . . . 1.149
h) Gründung von „Trusts“ I. Informationsbeschaffung . . . . . . . 1.149
(Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom I- II. Abschluss des Vertrages . . . . . . . . 1.156
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.114 III. Inhalt und Wirksamkeit des Vertra-
i) Schuldverhältnisse aus Ver- ges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.159
handlungen vor Vertrags- 1. Wirksamkeit des Vertrages . . . 1.159
abschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. i
2. Gesellschaftsrechtliche Genehmi-
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.120
gungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.161
j) Versicherungsverträge (Art. 1
Abs. 2 lit. j Rom I-VO) . . . . 1.121 3. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . 1.162
k) Beweis und Verfahren (Art. 1 4. Form- und Beweisfragen . . . . . 1.171
Abs. 3 Rom I-VO) . . . . . . . . 1.123 5. Geschäftspartner . . . . . . . . . . . 1.174
VI. Verhältnis zu anderen Unions- 6. Vertrags- und Verhandlungs-
rechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.125 sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.176
1. Weitergeltung anderen Unions- 7. Anwendbares Recht . . . . . . . . . 1.181
rechts (Art. 23 Rom I-VO) . . . . 1.125 8. Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . 1.184
2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . 1.127 IV. Vertragsdurchsetzung und Streiter-
3. Einheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1.128 ledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.185
4. Kollisionsnormen in Verordnun-
gen und Richtlinien . . . . . . . . . 1.129

A. Rechtsvereinheitlichung

I. Einheitliches Sach- und Kollisionsrecht


Quellen: Wiggers (Hrsg.), International commercial law – Source materials, 2. Aufl. (The Hague
2007).
Literatur (Auswahl): Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des internationalen
Wirtschaftsrechts (1996); Berger, International Arbitral Practice and the UNIDROIT Principles of In-
ternational Commercial Contracts, Am.J.Comp.L. 46 (1998), 129; Berger, Die Musterklauseln für die
UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, FS Wegen (2015), S. 377; Blaurock,
Übernationales Recht des Internationalen Handels, ZEuP 1993, 247; Blaurock, The Law of Transnatio-
nal Commerce in Ferrari (Hrsg.), The Unification of International Commercial Law (1998), S. 9; Boe-
le-Woelki, Die Anwendung der UNIDROIT-Principles auf internationale Handelsverträge, IPRax
1997, 161; Bonell, The UNIDROIT Principles and Transnational Law, Unif.L.Rev. 5 (2000), 199; Bo-
nell, Do We Need a Global Commercial Code?, Unif.L.Rev. 5 (2000), 469; Bonell, An International
Restatement of Contract Law, 3. Aufl. (Ardsley, NY, 2005); Bonell, Model Clauses for the Use of the
Unidroit Principles of International Commercial Contracts, Unif.L.Rev. 18 (2013), 473; Bonell, The

2 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.2 § 1

law governing international commercial contracts and the actual role of the Unidroit Principles, Unif.
L.Rev. 23 (2018), 15; Brödermann, UNIDROIT Principles of international commercial contracts
(2018); Brödermann, UNIDROIT Principles in Mankowski (Hrsg.), Commercial law (2019), S. 462;
Dennis, Modernizing and harmonizing international contract law, Unif.L.Rev. 19 (2014), 114; Ferrari
(Hrsg.), The Unification of International Commercial Law (1998); Jansen/Zimmermann (Hrsg.),
Commentaries on European contract laws (2018); Kronke, International uniform commercial law
Conventions: advantages, disadvantages, criteria for choice, Unif.L.Rev. 5 (2000), 13; Mankowski
(Hrsg.), Commercial Law (2019); Michaels, Privatautonomie und Privatkodifikation – Zu Anwendbar-
keit und Geltung allgemeiner Vertragsrechtsprinzipien, RabelsZ 62 (1998), 580; Schwenzer, Global
unification of contract law, Unif.L.Rev. 21 (2016), 60; Vogenauer (Hrsg.), Commentary on the UNI-
DROIT principles of international commercial contracts, 2. Aufl. (Oxford 2015); Weidemann, Lü-
ckenergänzung und richterliche Rechtsfortbildung nach Art. 1.6 II der UNIDROIT-Principles for in-
ternational commercial contracts (2001); Wichard, Die Anwendung der UNIDROIT-Prinzipien für
internationale Handelsverträge durch Schiedsgerichte und staatliche Gerichte, RabelsZ 60 (1996), 269.

1. Einheitliches Sachrecht und Grundregeln


Das materielle Vertragsrecht wird immer mehr vereinheitlicht oder zumindest angeglichen. 1.1
Dies geschieht zum einen auf der Ebene der EU (s. näher Rz. 1.17 ff.). Für einzelne Vertrags-
typen bestehen auch internationale staatsvertragliche Regeln, etwa im Kaufrecht (s. Rz. 25.4
ff.) und im Transportrecht (Rz. 15.100 ff.). In vielen Bereichen existieren überdies branchen-
spezifische einheitliche Vertragsbedingungen1.

Das Internationale Institut für Privatrechtsvereinheitlichung (UNIDROIT) hat seit 1994 1.2
Grundregeln für Internationale Handelsverträge (Principles of International Commercial
Contracts; PICC) aufgestellt und diese weiterentwickelt. Die letzte Fassung ist von 20162. Die
Prinzipien sind auf rechtsvergleichender Basis ausgearbeitet worden. Sie sind unterteilt in elf
Kapitel, die das allgemeine Vertrags- und Schuldrecht weitgehend abdecken und kommen
dann zur Anwendung, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben (vgl. Rz. 2.51).
Sie können auch dann herangezogen werden, wenn es um die Anwendung allgemeiner
Rechtsprinzipien, Lücken im nationalen Recht oder die Auslegung von Einheitsrecht geht. Die
Prinzipien genießen aber nicht den Charakter staatlichen oder staatsvertraglichen Rechts. Zu
den europäischen Grundregeln s. Rz. 1.17. Andere Grundregeln haben regionale, teils prakti-
sche, aber vor allem wissenschaftliche Bedeutung, s. zu den Europäischen Grundregeln
Rz. 1.47. Die Organisation pour l'harmonisation en Afrique du droit des affaires (OHADA)
treibt die Harmonisierung des Wirtschaftsrechts, insb. des Handels- und Kaufrechts, in Afrika
voran3. Es gibt auch Bemühungen um Principles of Asian Contract Law (PACL)4 sowie Prin-

1 Dennis, Unif.L.Rev. 19 (2014), 114 ff.; Schwenzer, Unif.L.Rev. 21 (2016), 60 ff.


2 Text: https://www.unidroit.org/instruments/commercial-contracts/unidroit-principles-2016. Deut-
sche Übersetzung bei Schulze/Zimmermann, Europäisches Privatrecht – Basistexte, 6. Aufl. 2020,
III 35.
3 Dazu Organisation pour l'harmonisation en Afrique du droit des affaires, Traité et actes uniformes
commentés et annotés (2018); Fontaine, L'harmonisation du droit des contrats dans les pays de
l'OHADA, FS Kronke (2020), S. 803; Monsenepwo, Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts in
Afrika durch die OHADA, RabelsZ 84 (2020), 97. – Zum OHADA-Kaufrecht s. Magnus ZEuP
2020, 645 (647 ff.).
4 Dazu Lee, Anwendungsvoraussetzungen und -bereich des Common European Sales Law: Im Ver-
gleich mit dem UN-Kaufrecht und den Principles of Asian Contract Law (2017).

Martiny | 3
§ 1 Rz. 1.2 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

ciples of Latin American Contract Law (PLACL)1. Ferner enthält Grundregeln das Restate-
ment of Nordic Contract Law (2016)2.

2. Einheitliches Kollisionsrecht
1.3 Auch das Kollisionsrecht ist teilweise vereinheitlicht worden. Dies geschieht zum einen auf
europäischer Ebene in Form von Verordnungen und Richtlinien (s. allgemein Rz. 1.25 ff.),
zum anderen durch Staatsverträge. Die Haager Konferenz hat in einzelnen Bereichen das Kol-
lisionsrecht ebenfalls vereinheitlicht (s. Rz. 1.46).

II. EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse


anzuwendende Recht vom 19.6.1980
Materialien: Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuld-
verhältnisse anzuwendende Recht, abgedruckt insbesondere ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 1 ff. Im Fol-
genden zitiert nach BT-Drucks. 10/503, S. 33 ff. = BR-Drucks. 224/83, S. 33 ff. = Pirrung, Internatio-
nales Privat- und Verfahrensrecht nach dem Inkrafttreten der Neuregelung des IPR (1987), S. 342.
Literatur zum Übereinkommensentwurf (Auswahl): Lando, The EC Draft Convention on the Law
Applicable to Contractual and Noncontractual Obligations – Introduction and Contractual Obliga-
tions, RabelsZ 38 (1974), 6; Lando/von Hoffmann/Siehr (Hrsg.), European Private International Law
of Obligations – Acts and Documents of an International Colloquium on the European Preliminary
Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations held in
Copenhagen on April 29–30, 1974 (1975); Siehr, Zum Vorentwurf eines EWG-Übereinkommens über
das Internationale Schuldrecht, AWD 1973, 569.
Literatur zum Übereinkommen vom 19.6.1980 (Auswahl):
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Kaye, The New Private International Law of Contract of the European Community (Aldershot 1993);
Pålsson, Romkonventionen (Stockholm 1998).
Monografien und Aufsätze: Ballarino (Hrsg.), La Convenzione di Roma sulla legge applicabile alle
obbligazioni contrattuali, Bd. 2 (Mailand 1994); Calvo Caravaca/Fernández de la Gándara (Hrsg.),
Contratos internacionales (Madrid 1997); Ehle, Wege zu einer Kohärenz der Rechtsquellen im Euro-
päischen Kollisionsrecht der Verbraucherverträge (2002); Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag
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(IPR-VertragsÜ) vom 11.6.1980, IPRax 1981, 37; Foyer, Entrée en vigueur de la Convention de Rome
du 19 juin 1980 sur la loi applicable aux obligations contractuelles, Clunet 118 (1991), 601; Gaude-
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tractuelles, Rev.int.dr.comp. – Numéro special Vol. 7 (1985), 287; Juenger, The European Convention
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len Vertragsrecht, RabelsZ 46 (1982), 57; Junker, Die einheitliche europäische Auslegung nach dem
EG-Schuldvertragsübereinkommen, RabelsZ 55 (1991), 674; Kassis, Le nouveau droit européen des
contrats internationaux (Paris 1993); Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge
zwischen Römer-EVÜ und EG-Richtlinien (2002); Klauser, EuGVÜ und EVÜ (Wien 1999); Kresbach,
Das europäische Schuldvertragsübereinkommen (Wien 1999); Lagarde, The European Convention on
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4 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.5 § 1

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trée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287; Martiny, Das
Römische Vertragsrechtsübereinkommen vom 19. Juni 1980, ZEuP 1993, 298; Morse, The EEC Con-
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Umsetzung der europäischen Übereinkommen von Rom und Brüssel in das Recht der Mitgliedstaaten
– Dargestellt am Beispiel Deutschlands und Dänemarks (1997); North, The E.E.C. Convention on the
Law Applicable to Contractual Obligations (1980) in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam/
New York/Oxford 1982), S. 3; Ost, EVÜ und fact doctrine – Konflikte zwischen europäischer IPR-Ver-
einheitlichung und der Stellung ausländischen Rechts im angelsächsischen Zivilprozess (1996); Pir-
rung, Die Einführung des EG-Schuldvertragsübereinkommens in die nationalen Rechte in von Bar
(Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht (1991), S. 21; Sacerdoti
(Hrsg.), La Convenzione di Roma sul diritto applicabile ai contratti internazionali, 2. Aufl. (Mailand
1994); Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Aufl. (Bari 2000); Wil-
derspin, Die Vergemeinschaftung des internationalen Schuldrechts (Rom I, Rom II) in Baur/Mansel
(Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002), S. 77.
S. auch die Literatur vor Rz. 1.17, Rz. 1.48.

1. Entstehung
Im Jahre 1972 hat die EG-Kommission den „Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf 1.4
vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“ vorgelegt1. Dieser
Vorentwurf wurde in einem Bericht von Giuliano/Lagarde und van Sasse van Ysselt erläutert2.
Später wurde das „Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen-
dende Recht“ von 19803 fertig gestellt. Hierzu wurde ein erläuternder Bericht von Giuliano
und Lagarde mitgeliefert (dazu Rz. 1.58). Das EVÜ wurde am 19.6.1980 in Rom zur Unter-
zeichnung aufgelegt.

Die Übernahme des EVÜ in das deutsche Recht erfolgte im Rahmen der (Teil-)Reform des 1.5
IPR von 19864. Der Bundestag beschloss die Reform, durch die das EVÜ als Art. 11, 12, 27–37
EGBGB inkorporiert, d.h. übernommen wurde, mit Gesetz vom 25.7.19865. Am gleichen Tag
wurde das Ratifikationsgesetz verabschiedet6. Das neue Kollisionsrecht trat am 1.9.1986 in
Kraft. Der Beitritt zum EVÜ erfolgte am 8.1.1987. Das EVÜ selbst war nicht direkt anwend-
bar7.

1 Deutscher Text: RabelsZ 38 (1974), 211; französ.: Rev.crit.d.i.p. 72 (1973), 209; engl.: Am.J.Comp.
L. 21 (1973), 583.
2 Französ. Text: Riv.dir.int.priv.proc. 9 (1973), 198 ff. = Lando/von Hoffmann/Siehr, S. 241 ff. = La
Convenzione di Roma, S. 507 ff.
3 Text: ABl. EG 1980 Nr. L 266, S. 1 = RabelsZ 46 (1982), 196 (deutsch-engl.) = BGBl. II 1986, 810
(deutsch-engl.-französ.) = Pirrung, S. 306 ff. (sechs Sprachen). Konsolidierte Fassung ABl. EU
2005 Nr. C 334, S. 1.
4 Dazu Böhmer, RabelsZ 50 (1986), 646 ff.; Pirrung in von Bar (Hrsg.), EG-Recht und IPR (1991),
S. 21 (46 ff.).
5 BGBl. I 1986, 1142 = IPRax 1986, 322 = RabelsZ 50 (1986), 663.
6 Gesetz zu dem Übk. v. 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
Recht v. 25.7.1986, BGBl. II 1986, 809.
7 Anders nur, ohne Begründung: OLG Karlsruhe v. 19.9.2013 – 12 U 85/13, IPRax 2014, 534 (m.
abl. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2014, 499).

Martiny | 5
§ 1 Rz. 1.6 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

2. Räumlicher Anwendungsbereich des EVÜ


1.6 Das EVÜ gilt für das europäische Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten einschließlich des ge-
samten Hoheitsgebiets der Französischen Republik1. Das Übereinkommen ist am 1.4.1991
in Kraft getreten. Bereits seit Inkrafttreten gilt es für Belgien, Dänemark, Deutschland2, Frank-
reich, Griechenland3, Italien, Luxemburg und das Vereinigte Königreich4. Ferner ist das Über-
einkommen in Kraft getreten für Irland (1.1.1992)5, die Niederlande (1.9.1991)6 sowie für Por-
tugal (1.10.1994) und Spanien (1.9.1993)7. Außerdem gilt es für Finnland (1.4.1999)8, Öster-
reich (1.12.1998)9 und Schweden (1.10.1998)10.

1.7 Die zehn anlässlich der Ost-Erweiterung der EU am 1.5.2004 beigetretenen Mitgliedstaaten
waren verpflichtet, dem EVÜ beizutreten11. Trotz der in Form einer Verordnung zu erwarten-
den Reform ist es am 15.4.200512 und anlässlich des EU-Beitritts von Bulgarien und Rumä-
nien erneut zu einem staatsvertraglichen Beitritt gekommen13. Dementsprechend ist das EVÜ
in Kraft getreten für Bulgarien (15.1.2008)14, Estland (1.10.2006)15, Lettland (1.5.2006)16,

1 Zur Streichung des früheren Art. 27 EVÜ s. Pirrung, FS Lorenz, S. 399 (402).
2 S. Bek. v. 12.7.1991, BGBl. II 1991, 871. Erklärt wurde der Vorbehalt, Art. 7 Abs. 1 EVÜ nicht
anzuwenden.
3 Luxemburger EWG-Übk. v. 10.4.1984 über den Beitritt Griechenlands zum EWG-Übk. über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, ABl. EG 1984 Nr. L 146, S.
1 = Pirrung, S. 369 = Rev.crit.d.i.p. 74 (1985), 178. Deutsche Ratifikation durch Gesetz v. 6.6.1988,
BGBl. II 1988, 562.
4 Zur Anwendung in England Plender in Lando/Magnus/Novak-Stief, Angleichung des materiellen
und des internationalen Privatrechts in der EU (2003), S. 25 ff.; Hartley, FS Jayme Bd. I, S. 297 ff.;
Hill, I.C.L.Q. 53 (2004), 325 ff.
5 Bek. v. 9.7.1992, BGBl. II 1992, 550.
6 Bek. v. 9.7.1992, BGBl. II 1992, 550.
7 Übk. von Funchal v. 18.5.1992 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen
Republik zu dem am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertrag-
liche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EG 1992 Nr. L 333, S. 1; BGBl. II 1995, 306;
Rev.crit.d.i.p. 82 (1993), 118.
8 BGBl. II 1999, 503.
9 Text ABl. EG 1997 Nr. C 15, S. 10 = BGBl. II 1998, 1422.
10 Text ABl. EG 1997 Nr. C 15, S. 10 = BGBl. II 1998, 1422.
11 Art. 5 Abs. 2 Beitrittsakte, BGBl. II 2003, 1418. – Übk. über den Beitritt v. 15.4.2005, ABl. EU
2005 Nr. C 169, S. 1.
12 Übk. über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern,
der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Repu-
blik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem am 19.6.1980 in Rom
zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende
Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übk. durch den
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften v. 14.4.2005, ABl. EG 2005 Nr. C 169, S. 1; BGBl. II
2006, 348. Dazu Wagner, NJW 2005, 1754 (1755).
13 Beschluss des Rates v. 8.11.2007 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens, ABl.
EU 2007 Nr. L 347, S. 1. – Dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (21).
14 BGBl. II 2008, 775.
15 BGBl. II 2007, 638.
16 BGBl. II 2007, 638.

6 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.12 § 1

Litauen (1.12.2006)1, Malta (1.1.2007)2, Polen (1.8.2007)3, Rumänien (15.1.2008)4, Slowakei


(1.8.2006)5, Slowenien (1.5.2006)6, Tschechien (1.7.2006)7, Ungarn (1.6.2006)8 und Zypern
(1.11.2006)9.

Das am 1.4.1991 in Kraft getretene Übereinkommen beansprucht keine Rückwirkung10. Es 1.8


ist nach seinem Art. 17 auf Verträge anzuwenden, die geschlossen worden sind, nachdem das
EVÜ für den jeweiligen Vertragsstaat in Kraft getreten ist. Da das EVÜ keinen einheitlichen
Zeitpunkt des Inkrafttretens kennt, muss das Inkrafttreten für jeden Staat gesondert beurteilt
werden11.

Für die Mitgliedstaaten der Rom I-VO ist diese an die Stelle des EVÜ getreten (Art. 24 Rom I- 1.9
VO), s. Rz. 1.139. Der Gedanke, das EVÜ, das nie förmlich aufgehoben wurde, nach dem Aus-
scheiden des Vereinigten Königreichs ihm gegenüber wieder anzuwenden, hat keinen Anklang
gefunden12 (zum Brexit Rz. 1.62).

3. Intertemporales Recht
Das deutsche „Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts“ vom 25.7.1986 ist 1.10
am 1.9.1986 in Kraft getreten13. Es hat erstmals das Internationale Vertragsrecht kodifiziert.
Dabei wurden die Bestimmungen des EVÜ als Art. 11, 12, 27–37 EGBGB in das deutsche
Recht eingefügt (dazu Rz. 1.5).

Eine eigene Übergangsbestimmung für vertragliche Schuldverhältnisse enthält das EGBGB 1.11
nicht. Somit gilt die allgemeine Vorschrift des Art. 220 Abs. 1 EGBGB:
„Auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge bleibt das bisherige internationale
Privatrecht anwendbar.“

Als abgeschlossener Vorgang gilt im Internationalen Vertragsrecht im Allgemeinen der Ver- 1.12
tragsschluss. Dies ergibt sich auch aus Art. 17 EVÜ, der ausdrücklich auf den Abschlusszeit-
punkt abstellt und eine Rückwirkung des Übereinkommens ausschließt. Dementsprechend ist
ein vor dem 1.9.1986 geschlossener und abgewickelter Vertrag unzweifelhaft ein abgeschlosse-
ner Vorgang14.

1 BGBl. II 2007, 638.


2 BGBl. II 2007, 638.
3 BGBl. II 2007, 638.
4 BGBl. II 2008, 775.
5 BGBl. II 2007, 638.
6 BGBl. II 2007, 638.
7 BGBl. II 2007, 638.
8 BGBl. II 2007, 638.
9 BGBl. II 2007, 638.
10 BGH v. 25.10.2005 – XI ZR 353/04, BGHZ 164, 361 = IPRax 2007, 43 (m. Aufs. Freitag, IPRax
2007, 24); BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016 = IPRspr. 2005
Nr. 13b.
11 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 70.
12 Dazu Mankowski, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6 f.).
13 Art. 7 § 2 des Gesetzes, BGBl. I 1986, 1142.
14 BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248; BGH v. 23.4.2002 –
XI ZR 136/01, ZIP 2002, 1155 = WM 2002, 1186 (Freistellungsvereinbarung); OLG Koblenz v.
15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367 (Darlehen); OLG Koblenz v.

Martiny | 7
§ 1 Rz. 1.13 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.13 Grundsätzlich gilt Entsprechendes, wenn das Geschäft noch nicht abgewickelt wurde. Haben
die Parteien für einen vor dem 1.9.1986 geschlossenen Vertrag eine Rechtswahl getroffen, so
gilt eine einmal wirksame Vereinbarung weiter, auch wenn gegen sie nach den jetzigen Art. 3 ff.
Rom I-VO Bedenken bestehen. Bei objektiver Anknüpfung kommt es gleichfalls zu keiner An-
knüpfungsänderung. Die Bestimmung des ursprünglichen Vertragsstatuts richtet sich viel-
mehr weiterhin nach altem Recht. Dagegen unterliegt eine erst nach dem 1.9.1986 getroffene
Rechtswahl neuem Recht. Fallen nämlich der Abschluss des materiell-rechtlichen Vertrages
und die Rechtswahl auseinander, so ist jeder Vertragsschluss gesondert zu beurteilen. – Zu
Dauerschuldverhältnissen s. 8. Aufl., Rz. 1.14, 1.15.

4. Anwendung des Übereinkommens


1.14 Die einheitliche Auslegung der Art. 27 ff. EGBGB, d.h. letztlich des EVÜ, wurde in Deutsch-
land in Art. 36 EGBGB geregelt, der auf Art. 18 EVÜ zurück ging1. Ebenso wie heute die
Rom I-VO beansprucht das EVÜ als „loi uniforme“ für sämtliche Vertragsverhältnisse, die
in ihren Anwendungsbereich fallen, universelle Geltung (Art. 2 EVÜ), vgl. Rz. 1.64.

5. Auslegungsprotokolle zum EVÜ


Literatur: Dutta/Volders, Was lange währt, wird endlich gut?, EuZW 2004, 556; Kropholler, Eine Aus-
legungskompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften für das Internationale Schuld-
vertragsrecht in Stoll (Hrsg.), Stellungnahmen und Gutachten zum Europäischen Zivilverfahrens- und
Versicherungsrecht (1991), S. 171; Pirrung, Zur Auslegung der Anknüpfungsnormen für Schuldver-
hältnisse in FS Lorenz ‘80 (2001), S. 399.
1.15 Um eine einheitliche Auslegung des EVÜ zu sichern, haben sich die Vertragsstaaten verpflich-
tet, dem Europäischen Gerichtshof eine Auslegungszuständigkeit zu übertragen2. Ein erstes
Protokoll v. 19.12.1988 regelt das Verfahren der einheitlichen Auslegung (EVÜ-Auslegungs-
prot.)3. Danach steht die Vorlage an den EuGH im Ermessen des nationalen Gerichts (Art. 2).
Das zweite Protokoll v. 19.12.1988 (EVÜ-Ausl.-Zust.-Prot.)4 überträgt dem EuGH die entspre-
chende Zuständigkeit. Das Verfahren des Gerichtshofs wurde ähnlich ausgestaltet wie das bei
der Auslegung des damaligen GVÜ, welches seinerseits dem Vorabentscheidungsverfahren

7.7.1989 – 2 U 1176/85, IPRspr. 1989 Nr. 46 = RIW 1989, 815 (Akkreditiv); OLG Bamberg v.
22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = RIW 1989, 221 (Alleinvertrieb); OLG Karlsruhe v.
15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367 (Darlehen); OLG München v.
5.7.1989 – 7 U 5947/88, IPRspr. 1989 Nr. 63 = RIW 1989, 743 (Transportvertrag); OLG Celle v.
24.10.1989 – 16 U 77/87, IPRspr. 1989 Nr. 196 = RIW 1990, 320 (Grundstückskauf); OLG Frank-
furt v. 3.12.1996 – 11 U 58/94, IPRspr. 1996 Nr. 122 = GRUR 1998, 141 (Schenkung).
1 Näher zur Entstehung der Norm 5. Aufl., Rz. 22.
2 S. die Gemeinsame Erklärung ABl. EG 1980 Nr. L 266, S. 17; BGBl. II 1986, 824. Näher Pirrung in
von Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR (1991), S. 64 ff.
3 Erstes Protokoll betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgeleg-
ten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1989 Nr. L 48, S. 1 = BGBl. II 1995, 916; Rev.crit.d.i.
p. 78 (1989), 414 Anm. Lagarde. – Neue Fassung ABl. EG 2005 Nr. C 334, S. 1. – Vgl. Jayme/
Kohler, IPRax 1989, 337 (343).
4 Zweites Protokoll zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am
19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhält-
nisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG
1989 Nr. L 48, S. 17 = BGBl. II 1995, 923. – Neue Fassung ABl. EU 2005 Nr. C 334, S. 1.

8 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.16 § 1

des Art. 267 AEUV ähnelte. Die einheitliche Auslegung wird in einem Bericht von Tizzano
erläutert1.

Deutschland hat beide Auslegungsprotokolle ratifiziert2. Der EuGH hat im Jahr 2004 die Zu- 1.16
ständigkeit zur Auslegung erhalten3. Als zuständige deutsche Stelle, welche eine Entscheidung
des Gerichtshofs bei divergierenden nationalen Entscheidungen beantragen kann4, wurde das
Bundesamt für Justiz bestimmt5. Zur einheitlichen Auslegung näher Rz. 1.55 ff.

III. Europäisches Privatrecht


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sches Privatrecht – Basistexte, 6. Aufl. 2020.
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chung und deutsches Recht (2000); Basedow, Europäische Wirtschaftsverfassung und europäisches Privat-
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rechts als Recht grenzüberschreitender Verträge (2001); Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschafts-
rechts (Loseblatt); K. Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 2. Aufl. 2016; Gandolfi
(Hrsg.), Code européen des contrats: Avant-projet (Mailand 2001); Gandolfi, Der Vorentwurf eines Euro-
päischen Vertragsgesetzbuchs, ZEuP 2002, 1; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, 3. Aufl.
2021; Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. IV Sekundärrecht – Verbraucher- und
Datenschutzrecht (Loseblatt); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 2. Aufl. 2012; Grundmann
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, Arbeits- und Schuldvertragsrecht (2000); Grundmann, General Principles of Private Law and Ius Com-
mune Modernum as Applicable Law? in Liber Amicorum Buxbaum (London, The Hague, Boston 2001),
S. 213; Grundmann, Harmonisierung, Europäischer Kodex, Europäisches System der Vertragsrechte, NJW
2002, 393; van Hoecke/Ost (Hrsg.), The harmonisation of European private law (Oxford 2000); Jamin/
Mazeaud (Hrsg.), L´harmonisation du droit des contrats en Europe (Paris 2001); Jansen/Zimmermann
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nungen im Europäischen Binnenmarkt (2002); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Kuipers,
EU Law and Private International Law: The Interrelationship in Contractual Obligations (Leiden 2012);
Kuipers, Bridging the Gap – The Impact of the EU on the Law Applicable to Contractual Obligations,
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Amicorum Siehr (The Hague 2000), S. 391; Lando/Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law I,
II (2000); Lando/Clive/Prüm/Zimmermann (Hrsg.), Principles of European Contract Law III (The Hague

1 Bericht über die Protokolle betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeich-
nung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch
den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1990 Nr. C 219, S. 1.
2 Gesetz zu den Protokollen v. 19.12.1988 betreffend die Auslegung des Übk. v. 19.6.1980 über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses
Übk. auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften v. 16.11.1995, BGBl. II 1995, 914.
Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481 (492).
3 S. Martiny, ZEuP 2006, 60 (92 ff.).
4 S. Art. 3 des Gesetzes zu den Protokollen v. 16.11.1995.
5 Anordnung zur Bestimmung der zuständigen Stelle nach Art. 3 des Ersten Protokolls betreffend
die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf ver-
tragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Ge-
meinschaften v. 12.12.2006, BGBl. II 2006, 1340.

Martiny | 9
§ 1 Rz. 1.16 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

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Kollisionsrecht (2017); Sonnenberger, Randbemerkungen zum Allgemeinen Teil eines europäischen
IPR in FS Kropholler (2008), S. 227; Staudinger, Die ungeschriebenen kollisionsrechtlichen Regelungs-
gebote der Handelsvertreter-, Haustürwiderrufs- und Produkthaftungsrichtlinie, NJW 2001, 1974; Sto-
ne, EU Private International Law, 4. Aufl. (Cheltenham 2018). – S. auch die Literatur vor Rz. 1.4.

1. Europäisches Vertragsrecht
1.17 Obwohl vielfach die Schaffung eines europäischen Schuldvertragsrechts verlangt wird, ist das
Vertragsrecht innerhalb der Europäischen Union regelmäßig noch nationales Recht. Das Uni-
onsrecht steht der Unterschiedlichkeit nationaler Privatrechte grundsätzlich nicht entgegen1.

1 EuGH v. 24.1.1991 – C-339/89, ECLI:EU:C:1991:28 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107 (124)
(Gewährleistung); EuGH v. 18.5.1993 – C-126/91, ECLI:EU:C:1993:191 (Yves Rocher), Slg. 1993,
I-2361 (2386 ff.) = ZIP 1993, 1028 (unlauterer Wettbewerb); EuGH v. 13.10.1993 – C-93/92, ECLI:
EU:C:1993:838 (CMC Motorradcenter), Slg. 1993, I-5009 (5021 f.) = ZIP 1993, 1818 (culpa in
contrahendo).

10 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.18 § 1

Nationale Normen können jedoch auf Grund des Vorrangs der Grundfreiheiten unanwendbar
sein (vgl. Rz. 1.19). Zwar hat man gemeinsame Prinzipien des Vertragsrechts zu ermitteln und
zusammenzustellen begonnen1, gleichwohl entwickelt sich ein europäisches Vertragsrecht nur
langsam. Verordnungen greifen nur vereinzelt ein, etwa für Online-Vermittlungsdienste und
Online-Suchmaschinen (zur Platform-to-Business VO Rz. 18.10) sowie das Transportrecht (s.
Rz. 15.302). Bislang erfolgte die Angleichung der nationalen Rechte weitgehend durch Richt-
linien auf dem Gebiet des Verbraucherrechts (s. Rz. 1.35 ff.). Die auf wissenschaftlicher Ebene
entwickelten einheitlichen Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (sog. Lando-Prin-
ciples) enthalten eine ausführliche Regelung des allgemeinen Vertragsrechts. Sie haben jedoch
keinen verbindlichen Charakter (vgl. Rz. 2.51). Ferner besteht ein privater Vorentwurf eines
Europäischen Vertragsgesetzbuchs2. Eine Mitteilung der Kommission zum Europäischen Ver-
tragsrecht von Juli 20013 und eine weitere Mitteilung von März 20034 lassen eine weitergehen-
de Vereinheitlichung als möglich erscheinen. Auch Resolutionen des Europäischen Parlaments
unterstützen eine weitere Vereinheitlichung des Vertragsrechts5. Ferner liegen Ergebnisse der
sog. Acquis-Group und für einen Gemeinsamen Referenzrahmen vor, s. Rz. 1.45. Zurückgezo-
gen wurde ein Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über ein Ge-
meinsames Europäisches Kaufrecht von 2011. Der VO-Vorschlag enthielt neben der eigentli-
chen Regelung der VO in einem Anhang das optionale „Gemeinsame Europäische Kaufrecht“
(GEK)6. Die Digitalisierung vertraglicher Beziehungen will eine Richtlinie über bestimmte
vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen
erfassen7 (s. Rz. 18.9).

2. Primäres Unionsrecht
a) Vorrang des Unionsrechts
Das primäre Unionsrecht hat Vorrang. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV)8 1.18
enthält aber ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

1 S. die Grundregeln des europäischen Vertragsrechts der Kommission für Europäisches Vertrags-
recht bei Lando/Beale I, II (deutsche Übersetzung ZEuP 2000, 675 ff.) sowie Lando/Clive/Prüm/
Zimmermann, Principles III (deutsche Übersetzung ZEuP 2003, 895 ff.); vgl. auch Riesenhuber,
Europäisches Vertragsrecht, S. 353 ff.
2 Französ. Text in Gandolfi, Code Européen des Contrats (2001); deutsche Übersetzung ZEuP 2002,
138 (365) sowie Schulze/Zimmermann, III 18. – Vgl. Sonnenberger, RIW 2001, 409 ff. – Zu einem
Vertragsgesetzbuch auch Lippstreu, S. 323 ff.
3 ABl. EG 2001 Nr. C 255, S. 1 = EuZW 2001, Beil. zu Heft 16 = ZEuP 2001, 963. – Dazu von Bar,
ZEuP 2001, 799 ff.; Leible, EWS 2001, 471 ff.; Sonnenberger, RIW 2002, 489 ff.; Staudenmayer, Eur.
Rev.Priv.L. 10 (2002), 249 ff.
4 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein kohärentes europäi-
sches Vertragsrecht, ABl. EG 2003 Nr. C 63, S. 1. – Dazu Schmidt-Kessel, RIW 2003, 481 ff.
5 Dazu Entschließung v. 3.9.2008, ZEuP 2009, 421 m.w.N. – S. auch von Bar, ZEuP 2002, 629 ff.
6 S. Stürner, Europ. VertragsR, § 3 Rz. 24 ff. sowie Stürner in der 8. Aufl., Rz. 6.187 ff.
7 Richtlinie (EU) 2019/770 v. 20.5.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstel-
lung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. EU 2019 Nr. L 136, S. 1. – Dazu Gesetz
zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digi-
taler Inhalte und digitaler Dienstleistungen v. 25.6.2021, BGBl. 2021 I 2123.
8 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, ABl. EU 2016 Nr. C 202, S. 49. –
Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags
zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 13.12.2007, ABl. EU 2007 Nr. C 306, S. 1;
BGBl. II 2008, 1039.

Martiny | 11
§ 1 Rz. 1.18 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

(AEUV)1 keine kollisionsrechtlichen Bestimmungen zum Internationalen Vertragsrecht2. In-


sofern gilt das Gleiche wie unter dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(EG)3. Nach wohl h.M. kann man dem EU-Vertrag auch – vom Gesellschaftsrecht einmal ab-
gesehen – keine versteckten Kollisionsnormen entnehmen4. Das Unionsrecht zwingt auch
nicht dazu, das Herkunftslandprinzip zur Grundlage einer kollisionsrechtlichen Regelung zu
machen5. Gleichwohl hat sowohl das unmittelbar von den Organen der Europäischen Union
erlassene Recht als auch das nationale Kollisionsrecht den Geboten des EU-Vertrags zu ent-
sprechen6. Dazu gehört vor allem der reibungslos funktionierende Binnenmarkt7. Einzelne
Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta finden auch auf die Beziehungen unter
Privaten Anwendung8.

1.19 Im Unionsrecht kommen in Betracht das Verbot der Diskriminierung auf Grund der Staats-
angehörigkeit (Art. 18 AEUV) sowie die – nach h.M. vorrangigen – einzelnen Grundfreihei-
ten des EG. Dabei handelt es sich um die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV), den freien
Personenverkehr mit der Freizügigkeit (Art. 45 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49
AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) sowie die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63
AEUV). Die Grundfreiheiten werden zunehmend dafür herangezogen, um Beschränkungen
des Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt entgegenzuwirken. Dies gilt auch für das Ar-
beitsrecht (s. Rz. 11.2 ff.).

1.20 Der Grundsatz der Parteiautonomie (Art. 3 Rom I-VO) ist mit dem Unionsrecht vereinbar9.
Aus dem Unionsrecht folgt aber nicht, dass ein bestimmtes unionsrechtliches Prinzip zur ge-
nerellen Grundlage des Kollisionsrechts gemacht werden müsste. Dies gilt insbesondere für
das Herkunftslandprinzip10. Vertreten wurde, aus den Produktfreiheiten – der Warenver-
kehrs- und der Dienstleistungsfreiheit – folge nicht nur das Herkunftslandprinzip11, sondern
auch das Günstigkeitsprinzip. Das Recht des Herkunftslandes müsse respektiert werden, zu-
gleich müsse die Berufung auf günstigeres Recht des Bestimmungslandes grundsätzlich ge-
währleistet sein. Die Regelanknüpfung nach europäischem Kollisionsrecht entspreche dem

1 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2012
Nr. C 326, S. 47.
2 Die Streitfrage, ob Art. 54 AEUV (ex-Art. 48 EGV) über die Gleichstellung von Gesellschaften
hinaus kollisionsrechtlichen Gehalt hat, dürfte im positiven Sinn geklärt sein, s. EuGH v. 5.11.2002
– C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering/Nordic Construction), Slg. 2002, I-9919 = ZIP
2002, 2037 = GmbHR 2002, 1137 = NJW 2002, 3164 = IPRax 2003, 65 (m. Aufs. W.-H. Roth,
IPRax 2003, 117).
3 Vertrag v. 25.3.1957 in der Fassung des Vertrages von Nizza v. 26.2.2001 (konsolidierte Fassung
ABl. EU 2016 Nr. C 202, S. 15).
4 Näher Sonnenberger, ZVglRW 95 (1996), 3 (8 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB
Rz. 29 ff., 91 ff.
5 Dazu Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (83 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 113.
6 von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 29 ff. – Nachw. bei Paefgen, ZEuP 2003, 270 ff. für
den Verbraucherschutz.
7 Dazu Roth, AcP 220 (2020) 458 (480 f.).
8 Rspr.-Nachw. bei Kohler/Seyr/Puffer-Mariette, ZEuP 2020, 366 (369 ff.).
9 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 f.); von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 19 f.
10 Roth, AcP 220 (2020) 458 (473 f.); Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (84 ff.). – S. auch Fezer/Koos,
IPRax 2000, 349 (350); Ahrens, CR 2000, 835 (838); Ohly, GRUR-Int. 2001, 899 (901); Paefgen,
ZEuP 2003, 271 f.
11 In diesem Sinne Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (13); Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 460; Drasch,
Herkunftslandprinzip, S. 244 ff.

12 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.23 § 1

aber; die Rechtswahlbeschränkungen für Verbraucher seien vom Schutz des Allgemeininteres-
ses abgedeckt1. Selbst wenn man diesen Ausgangspunkt akzeptiert, ändert daher der Vorrang
des Unionsrechts nichts an den Anknüpfungen der Rom I-VO.

b) Unionsrechtsakte und Abschluss von Staatsverträgen


Es besteht eine Kompetenz zum Erlass von Unionsrechtsakten zur „Förderung der Vereinbar- 1.21
keit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen“ nach Art. 81 AEUV2. Sie beruht
auf dem Lissabonner Vertrag3. Früher war der Erlass von Verordnungen für das Internationale
Vertragsrecht kaum von Bedeutung; dies hat sich jedoch mit der Reform des internationalen
Schuldrechts geändert (s. Rz. 1.25).

Ursprünglich sah der EG-Vertrag in Art. 293 EG (ex-Art. 220 EGV) nur den Abschluss von 1.22
Staatsverträgen insbesondere zur Ausübung der Rechte Einzelner (Unterabs. 1), zum Interna-
tionalen Gesellschaftsrecht (Unterabs. 3) und zur Erleichterung der Urteilsanerkennung
(Unterabs. 4) vor. Diese Bestimmung war Grundlage bei der Ausarbeitung des EVÜ. Die End-
fassung der Präambel des EVÜ nimmt allerdings bewusst nicht auf Art. 220 EGV Bezug4.
Vielfach wurde daher angenommen, das EVÜ sei kein Übereinkommen i.S.d. Art. 293 EG
(ex-Art. 220 EGV)5.

c) Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht


Im Verhältnis zum jeweiligen nationalen Kollisionsrecht genießt das Unionsrecht Vorrang6. 1.23
Grundsätzlich akzeptiert das Unionsrecht das Bestehen und die Verschiedenheit der nationa-
len Sach- und Kollisionsrechte. Die Anknüpfungen des nationalen Kollisionsrechts müssen ei-
ner unionsrechtlichen Überprüfung standhalten7. Sie dürfen insbesondere nicht im Wider-
spruch zu den Grundfreiheiten stehen. Die Unionsrechtskonformität für das deutsche Inter-
nationale Schifffahrtsregister wurde bejaht8. Der nationale ordre public (Art. 6 EGBGB) muss
den Vorgaben des Unionsrechts ebenfalls Rechnung tragen9. Im internationalen Schuldrecht
sind die ordre public-Klauseln in Art. 21 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO zu beachten, vgl.
Rz. 2.316.

1 Näher zum EVÜ Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 ff.).


2 Näher Leible in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 81 AEUV Rz. 29 ff.
3 Zum vorangegangenen Art. III-170 des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa
v. 18.7.2003 (ABl. EG 2003 Nr. C 169) näher Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485 ff.
4 Dies halten für unzulässig Schwartz/Mölls in von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum Vertrag
über die EU und zur Gründung der EG, 6. Aufl. 2004, Art. 293 EG Rz. 20, 71.
5 Pirrung in von Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 34 ff.
6 Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3681); Brödermann in Brödermann/Iversen, Rz. 6 ff., 419 ff.
7 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 ff.); Remien, RabelsZ 62 (1998), 627 (630 ff.).
8 EuGH v. 17.3.1993 – verb. C-72/91 u. 73/91, ECLI:EU:C:1993:97 (Sloman Neptun Schifffahrts
AG), Slg. 1993, I-887 = EuZW 1993, 288 = IPRax 1994, 199 (m. Aufs. Magnus, IPRax 1994, 178)
(Die Regelung des Seearbeitsrechts in § 21 Abs. 4 Flaggenrechtsgesetz zum Internationalen Schiff-
fahrtsregister bedeutet keine staatliche Beihilfe i.S.d. Art. 92 Abs. 1 EG. Auch Art. 117 EG steht
nicht entgegen).
9 Näher Martiny, Gemeinschaftsrecht, ordre public, zwingende Bestimmungen und Exklusivnor-
men in von Bar (Hrsg.), EG-Recht und IPR (1991), S. 211 ff.; Sonnenberger, ZVglRW 95 (1996), 3
(40 ff.).

Martiny | 13
§ 1 Rz. 1.24 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

d) Verhältnis zu nationalen Sachnormen


1.24 Primäres Unionsrecht setzt sich kraft seines Vorrangs gegenüber nationalem Sachrecht unmit-
telbar durch1. Auch nicht durch EU-Recht angeglichene Rechtsmaterien haben dem höherran-
gigen Unionsrecht zu entsprechen. Dies gilt namentlich für eigene zwingende Vorschriften
in den nationalen Sachnormen2. Auch hier kommen Verstöße gegen die Grundfreiheiten des
EG-Vertrags und das Diskriminierungsverbot in Betracht. Das bloße Bestehen strengerer Vo-
raussetzungen nach einem nationalen Recht als nach anderen Rechtsordnungen macht es aber
noch nicht unionsrechtswidrig3. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Verstoß gegen
Unionsrecht vorliegt4. Die Tragweite der Grundfreiheiten für das nationale Privatrecht ist frei-
lich noch vielfach ungeklärt5.

3. Verordnungen
1.25 Verordnungen der EU gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft (Art. 288
Abs. 2 AEUV). Soweit einheitliches europäisches Sachrecht eingreift, braucht ein auf nationa-
les Recht verweisendes Vertragsstatut nicht mehr ermittelt zu werden. Im Übrigen bilden sie
die Ausnahme, sind aber auch im Internationalen Vertragsrecht durchaus vorhanden6. Im
Transportrecht spielt vor allem die Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistun-
gen für Fluggäste eine große Rolle (s. Rz. 15.302 ff.)7. Zu erwähnen ist auch der gesetzliche

1 St. Rspr. seit EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:66 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251;
Remien, JZ 1994, 349 (352); Stürner, Europ. VertragsR § 7 Rz. 2 ff.; Magnus in Staudinger, Einl.
Rom I Rz. 9.
2 Basedow, EU Private Law, S. 175 ff.
3 Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (84).
4 Dazu Roth, ZEuP 1994, 5 ff.; Mülbert, ZHR 159 (1995), 2 ff.
5 S. EuGH v. 24.10.1978 – Rs. 15/78, ECLI:EU:C:1978:184 (Société Générale Alsacienne de Banque/
Koestler), Slg. 1978, 1971 (Deutsche Regeln über Termingeschäfte waren nicht diskriminierend
und vereinbar mit Art. 59, 60 EGV a.F.); EuGH v. 24.1.1991 – C-339/89, ECLI:EU:C:1991:28 (Alst-
hom Atlantique/Sulzer), Slg. 1991, I-107 (Sachmängelgewährleistung des Verkäufers. Unabding-
barkeit nach französ. Recht war wegen bestehender Rechtswahlfreiheit keine verbotene Maßnah-
me gleicher Wirkung i.S.d. Art. 29 EG [ex-Art. 34 EGV]); EuGH v. 30.3.1993 – C-168/91, ECLI:
EU:C:1993:115 (Christos Konstantinidis), Slg. 1993, I-1191 = IPRax 1994, 113 (m. Aufs. Böhmer,
IPRax 1994, 80 und Benicke/Zimmermann, IPRax 1995, 141) = ZEuP 1995, 89 Anm. Pintens
(Transliterationsverpflichtung des deutschen Rechts bei Namensführung eines griech. Gewer-
betreibenden war gemeinschaftsrechtswidrig im Hinblick auf Art. 43 EG [ex-Art. 52 EGV]);
EuGH v. 1.7.1993 – C-20/92, ECLI:EU:C:1993:280 (Hubbard/Hamburger), Slg. 1991, I-3777 =
IPRax 1994, 203 (m. Aufs. Kaum, IPRax 1994, 180) (Verpflichtung des Ausländers zur Stellung
von Prozesskostensicherheit [§ 110 ZPO a.F.] war Verstoß gegen Art. 12, 49, 50 EG [ex-Art. 6, 59,
60 EGV]); EuGH v. 10.2.1994 – C-398/92, ECLI:EU:C:1994:52 (Mund & Fester/Hatrex Internatio-
naal Transport), Slg. 1994, I-467 = IPRax 1994, 439 (m. Aufs. Geiger, IPRax 1994, 415) = ZEuP
1995, 250 Anm. Schlosser = NJW 1994, 1271 (Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Arrestgrundes
der Auslandsvollstreckung [§ 917 Abs. 2 ZPO a.F.] unter Berufung auf Art. 12 EG [ex-Art. 6
EGV] i.V.m. Art. 293 EG [ex-Art. 220 EGV] und das EuGVÜ); EuGH v. 10.5.1995 – C-384/93,
ECLI:EU:C:1995:126 (Alpine Investments/Minister van Financien), Slg. 1995, I-1141 = EuZW
1995, 404 Anm. Reich (niederländ. Verbot der Telefonwerbung [cold calling] für Finanzdienstleis-
tungen kein Verstoß gegen Art. 49 Abs. 1 EG [ex-Art. 59 Abs. 1 EGV – Dienstleistungsfreiheit]).
6 Näher Brödermann in Brödermann/Iversen, Rz. 304 ff.
7 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und
Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder
großer Verspätung von Flügen, ABl. EU 2004 Nr. L 46, S. 1.

14 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.27 § 1

Forderungsübergang im Zusammenhang mit Leistungen der Sozialen Sicherheit (s. Rz. 3.304).
In Vorbereitung ist eine gesonderte Verordnung über die Drittwirkungen der Forderungs-
abtretung1 (s. Rz. 3.294). Besondere Verordnungen betreffen das Geoblocking2 (s. Rz. 35.54),
Crowdfunding (Schwarmfinanzierung)3, Online-Plattformen (Online-Vermittlungsdienste)4
(s. Rz. 18.10) sowie die Portabilität5. Im Übrigen sind Verordnungen bislang vor allem im In-
ternationalen Verfahrensrecht erlassen worden (vgl. den extensiv ausgelegten Art. 81 AEUV)6.

Verordnungskollisionsrecht genießt Vorrang vor nationalen Kollisionsnormen (vgl. auch Art. 3 1.26
Nr. 1 EGBGB)7. Das EU-Kollisionsrecht für das internationale Schuldrecht findet sich auf-
geteilt vor allem in mehreren Verordnungen, die jeweils untereinander abzugrenzen sind. Das
Schuldrecht ist insbesondere in zwei Verordnungen geregelt, der Rom I-VO (s. Rz. 1.48 ff.)
und der Rom II-VO (s. Rz. 4.1 ff.). In der Wissenschaft ist die Schaffung einer Rom 0-VO zur
einheitlichen Regelung von Grundfragen – bislang folgenlos – diskutiert worden8.

4. Richtlinien
a) Unionsrechtliche Richtlinien
aa) Allgemeines
Die Privatrechtsangleichung innerhalb der EU erfolgt bisher hauptsächlich durch Richtlinien9. 1.27
Heute wird die Rom I-VO von zahlreichen in nationales Recht umzusetzenden Richtlinien
(vgl. Art. 115 AEUV), insbesondere solche verbraucherschützender Natur (vgl. Art. 169
AEUV), flankiert. Kollisionsrechtliche Fragestellungen werden dadurch nicht obsolet, da es
einer nationalen Umsetzung bedarf. Einheitlichkeit tritt nur in begrenztem Umfang ein; zum
einen werden in bestimmtem Umfang höhere nationale Schutzstandards nicht berührt und
zum anderen können die Richtlinien selbst mehrere Optionen zulassen10 (vgl. Rz. 5.51 f.).
Möglich ist auch, dass ein Mitgliedstaat den Anwendungsbereich des Schutzes ausdehnt und
dies als Eingriffsnorm auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten durchgesetzt wird11.

1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Dritt-
wirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht COM (2018) 96 final.
2 Verordnung (EU) 2018/302 v. 28.2.2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking
und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder
des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Ver-
ordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU
2018 Nr. L I 60, S. 1.
3 Verordnung (EU) 2020/1503 v. 7.10.2020 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für
Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 und der Richtlinie (EU) 2019/
1937, ABl. EU 2020 Nr. L 347, S. 1. – Dazu Freitag/Wolf, WM 2021, 1009 ff.
4 Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer
von Online-Vermittlungsdiensten v. 20.6.2019, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 57.
5 Verordnung (EU) 2017/1128 zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von On-
line-Inhaltediensten im Binnenmarkt v. 14.6.2017, ABl. EU 2017 Nr. L 168, S. 1.
6 Übersicht bei Leible in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 81 AEUV Rz. 22 ff.
7 S. von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 45.
8 S. nur Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013); Leible, Auf dem
Weg zu einer Rom 0-Verordnung?, FS Martiny (2014), S. 429.
9 S. die Übersichten bei Leible in Schulte-Nölke/Schulze, S. 353 ff.; Grundmann, NJW 2000, 14 ff.;
Stürner, Europ. VertragsR, § 8 Rz. 1 ff.
10 Vgl. von Hoffmann, ZfRV 36 (1995), 45 (46 ff.); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 4 ff.
11 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), RIW 2013, 874 = IPRax 2014, 174
(m. Aufs. Lüttringhaus, IPRax 2014, 146) (Bulgarisches Handelsvertreterrecht gegenüber Belgien).

Martiny | 15
§ 1 Rz. 1.28 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.28 Eine Reihe dieser Richtlinien beschränkt sich auf das Sachrecht und enthält keine eigenen
Kollisionsnormen. Bei ihnen stellt sich dann vor allem die Frage nach den Konsequenzen ei-
ner fehlenden Umsetzung. Allerdings hat der EuGH im Ingmar-Fall auch die zwingenden
sachrechtlichen Bestimmungen der Handelsvertreterrichtlinie von 1986 durchgesetzt und ih-
nen damit kollisionsrechtliche Bedeutung beigemessen (s. Rz. 5.47 ff.).
EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB Ltd./Eaton Leonard Technologies
Inc.), Slg. 2000, I-9305 = EuZW 2001, 51 Anm. Reich = IPRax 2001, 225 (m. Aufs. Jayme, IPRax 2001,
191) = RIW 2001, 133 (m. Aufs. Freitag/Leible, RIW 2001, 287) = ZIP 2000, 2108:
Handelsvertretervertrag zwischen engl. Handelsvertreter mit Niederlassung in England und kaliforn.
Unternehmen über Vertrieb im Vereinigten Königreich und Irland. Trotz Wahl kaliforn. Rechts den in
der Handelsvertreterrichtlinie festgeschriebenen Ausgleichsanspruch wegen des Schutzes des Handels-
vertreters, der Wettbewerbsgleichheit und des „starken Gemeinschaftsbezuges“ zugebilligt.

1.29 Diese Lösung ist auf vielfache Kritik gestoßen1. Soweit das Ergebnis hingenommen wird, wird
teilweise eine eigene Kategorie (ungeschriebenen) europäischen Kollisionsrechts angenom-
men2. Von anderen wird eine Sonderanknüpfung als international zwingendes Recht für zu-
lässig gehalten3. Wieder andere wollen den Mindeststandard der jeweiligen Richtlinie gegen
die Wahl eines Drittstaatenrechts durchsetzen, wenn der Vertrag einen engen Zusammenhang
mit dem Gebiet eines Mitgliedstaates aufweist4. Zur Schließung der Schutzlücke wird z.T. eine
Analogie zu Art. 46b EGBGB (früher Art. 29a EGBGB) vorgeschlagen5 (s. näher Rz. 35.113).

1.30 Andere Richtlinien betreffen ausdrücklich auch das Kollisionsrecht. Dies war insbesondere
im Versicherungsrecht der Fall. Hier geht nunmehr freilich Art. 7 Rom I-VO vor (s. Rz. 36.8).
Eine ganze Reihe von Richtlinien will hingegen in erster Linie eine sachrechtliche Angleichung
herbeiführen. Gleichzeitig enthalten sie jedoch einseitig ausgerichtete Kollisionsnormen, wel-
che das Verhältnis zum Recht eines Drittstaates regeln6. Gesichert werden soll insbesondere,
dass ein Verbraucher den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz nicht verliert, wenn drittstaat-
liches Recht vereinbart wird. Die fehlende Abstimmung solcher Regeln mit den bilateralen
Kollisionsnormen des EVÜ – insbesondere mit dem für Verbraucherverträge geltenden Art. 5
EVÜ (Art. 29 EGBGB) – wurde mit Recht kritisiert7. Nunmehr ist zwar Art. 6 Rom I-VO
weiter gefasst. Konflikte mit dem nach Art. 23 Rom I-VO vorrangigen Richtlinienrecht sind
aber nicht völlig ausgeschlossen, s. Rz. 5.98 ff., Rz. 35.96 ff.

bb) Fehlende Umsetzung


1.31 Sind die Richtlinien der EU vom nationalen Gesetzgeber nicht fristgerecht in nationales Recht
umgesetzt worden, so stellt sich die Frage, ob sie gleichwohl zur Anwendung kommen. Dies
wurde früher vor allem für Verbraucherverträge praktisch (s. Rz. 5.52). Grundsätzlich kann
einzelnen Richtlinienvorschriften in den Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu-

1 S. nur Freitag/Leible, RIW 2001, 287 ff.; Schwarz, ZVglRW 101 (2002), 45 ff.; Sonnenberger, IPRax
2003, 104 (109 f.); Kühne in FS Wegen (2015), S. 451 (456 ff.). – Vgl. auch Roth, AcP 220 (2020),
458 (504 f.).
2 Dazu Pfeiffer in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 25 ff.;
Leible in NK, Art. 9 Rom I Rz. 13.
3 Vgl. zu Art. 34 EGBGB Staudinger, NJW 2001, 1974 ff.
4 Nemeth/Rudisch, ZfRV 42 (2001), 179 (182 f.)
5 Leible in NK, Art. 46b EGBGB Rz. 54.
6 Vgl. von Hoffmann, ZfRV 1995, 45 (47 f.); Martiny, ZEuP 1995, 67 (69 ff.).
7 S. Jayme/Kohler, IPRax 1994, 401 (407); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 11 ff.

16 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.33 § 1

kommen, wenn sie unbedingt und „hinreichend bestimmt“ sind und sie keiner nationalen
Ausführungsbestimmung bedürfen1. Zwar haben deutsche Gerichte in der Vergangenheit ver-
schiedentlich Verbraucherschutzrichtlinien unmittelbare Wirkungen beigemessen2 und auch
im Schrifttum fand diese Auffassung z.T. Beifall3. Nach Auffassung des EuGH entfalten jedoch
Richtlinien unter Privaten keine unmittelbare, sog. „horizontale“ Drittwirkung4. Dies gilt insb.
für nicht umgesetzte Richtlinien5.

Der Gerichtshof hat lediglich Schadensersatzansprüche gegen den Staat zugelassen. Voraus- 1.32
setzung dafür ist, dass die Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleiht, die Vorschriften inhaltlich
bestimmbar sind und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtumsetzung und dem ent-
standenen Schaden besteht6.

Damit scheidet eine unmittelbare Durchsetzung von Richtlinien aus7. Gleichwohl stellt sich 1.33
die Frage, ob gegenüber einer richtlinienwidrigen Rechtsordnung die Richtlinie kollisions-
rechtlich als zwingendes Recht durchgesetzt werden kann. Dies wurde teilweise bejaht. Der

1 W. Schneider in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rz. 91.
2 S. jeweils zur Richtlinie über Haustürwiderrufsgeschäfte von 1985 (§§ 312 ff. BGB), etwa OLG
Celle v. 28.8.1990 – 20 U 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 41 = EuZW 1991, 401 (m. Aufs. Herber) = IPRax
1991, 334 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305); LG Wiesbaden v. 14.8.1990 – 8 S 74/90, IPRspr.
1990 Nr. 40 = MDR 1991, 156; LG Weiden v. 27.10.1995 – 2 O 816/95, IPRspr. 1995 Nr. 35 =
NJW-RR 1996, 438; LG Dresden v. 23.6.1998 – 10 O 4115/97, IPRspr. 1998 Nr. 146 = NZM 1998,
825.– Abl. etwa LG Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 =
VuR 1994, 262 Anm. Tonner (Time-Sharing-Vertrag); Mankowski, RIW 1995, 364 (368 f.); Son-
nenberger, ZvglRW 95 (1996), 3 (34 f.); Klauer, S. 150 ff.
3 So etwa Reich, VuR 1989, 158 ff.; Reich, EuZW 1991, 203 (209); Reich, VuR 1992, 189 (190). Näher
dazu Iversen in Brödermann/Iversen, Rz. 830 ff. m.w.N.
4 EuGH v. 26.2.1986 – Rs. 152/84, ECLI:EU:C:1986:84 (Marshall/Southampton Health Authority),
Slg. 1986, 723 = NJW 1986, 2178 = RIW 1986, 739 (Frauendiskriminierung wegen unterschiedli-
chen Rentenalters. Anwendung der Richtlinie über Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts
gegenüber engl. staatlicher Stelle).
5 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 (Faccini Dori/Recreb Srl), Slg. 1994, I-3325 =
EuZW 1994, 498 = JZ 1995, 149 Anm. Heß = ZIP 1994, 1187 (Fernunterrichtsvertrag in Italien.
Richtlinie über Haustürgeschäfte v. 20.12.1985 entfaltete keine horizontale Direktwirkung); EuGH
v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88 (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1296 = NJW 1996, 1401
= ZIP 1996, 870 (Verbraucherkredit in Spanien. Verbraucherkreditrichtlinie v. 22.12.1986 hatte
mangels Umsetzung keine Wirkung gegenüber Kreditgeber); EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 u. C-9/
90, ECLI:EU:C:1991:428 (Francovich, Bonifaci/Italienische Republik), Slg. 1991, I-5357 = ZIP
1991, 1610 = NJW 1992, 165 (Nichtumsetzung der Richtlinie über den Arbeitnehmerschutz bei
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von 1980 in Italien. Keine direkte Anwendung); EuGH v.
8.10.1996 – C-178/94, ECLI:EU:C:1996:375 (Dillenkofer/Deutschland), Slg. 1996, I-4845.
6 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 (Faccini Dori/Recreb Srl), Slg. 1994, I-3325 =
EuZW 1994, 498 = JZ 1995, 149 Anm. Heß = ZIP 1994, 1187 (Fernunterrichtsvertrag in Italien.
Richtlinie über Haustürgeschäfte v. 20.12.1985 entfaltete keine horizontale Direktwirkung); EuGH
v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88, (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1296 = NJW 1996, 1401
= ZIP 1996, 870 (Verbraucherkredit in Spanien. Verbraucherkreditrichtlinie v. 22.12.1986 hatte
mangels Umsetzung keine Wirkung gegenüber Kreditgeber); EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 u. C-9/
90, ECLI:EU:C:1991:428, (Francovich, Bonifaci/Italienische Republik), Slg. 1991, I-5357 = ZIP
1991, 1610 = NJW 1992, 165 (Nichtumsetzung der Richtlinie über den Arbeitnehmerschutz bei
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von 1980 in Italien. Schadensersatzhaftung des Staates we-
gen Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen); EuGH v. 8.10.1996 – C-178/94, ECLI:
EU:C:1996:375 (Dillenkofer/Deutschland), Slg. 1996, I-4845.
7 Stürner, Europ. VertragsR, § 8 Rz. 123 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 46b EGBGB Rz. 32.

Martiny | 17
§ 1 Rz. 1.33 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Forumstaat soll sich gegenüber dem ausländischen Recht auf die eigene Umsetzung berufen
können. Im Wege einer sog. mittelbaren Anwendung soll das richtlinienkonforme Recht und
damit der Inhalt der Richtlinie als zwingende Norm des Forumstaates (früher Art. 34 EGBGB,
Art. 7 Abs. 2 EVÜ) durchgesetzt werden1. Auf diese Weise wird zugleich eine mittelbare hori-
zontale Richtlinienwirkung erreicht. Dies wurde verschiedentlich für die Richtlinie über Haus-
türgeschäfte angenommen (näher Rz. 35.89 ff.). Diese Lösung widerspricht jedoch der nur
eingeschränkten unionsrechtlichen Richtlinienwirkung und könnte zudem dazu führen, dass
die Einstufung als Eingriffsnorm uneinheitlich erfolgt (s. aber Rz. 5.45 ff.).

1.34 Andere haben lediglich eine Überprüfung anhand des ordre public (Art. 6 EGBGB) zugelas-
sen. Der inländische Richter würde gegen seine Verpflichtung zur Unionstreue verstoßen,
wenn er richtlinienwidriges mitgliedstaatliches Recht anwenden würde2. Auch dieser Weg,
welcher die Verletzung von Grundwerten des inländischen Rechts voraussetzt bzw. einen „eu-
ropäischen ordre public“ durchsetzen will, ist aber fragwürdig. Art. 21 Rom I-VO bietet jeden-
falls keinen Anhaltspunkt für ein solches Vorgehen.

b) Einzelne Richtlinien
aa) Verbraucherrecht
1.35 Zur Schaffung eines Europäischen Verbraucherrechts ist eine Reihe von Richtlinien ergangen,
die auch für grenzüberschreitende Verträge Bedeutung erlangt haben:
1.36 – Die zum 13.6.2014 aufgehobene Richtlinie über den Verbraucherschutz von außerhalb Ge-
schäftsräumen geschlossenen Verträgen von 19853 enthielt keine kollisionsrechtlichen
Vorgaben. Vgl. Rz. 35.2.
– Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen von 19934 war bis
31.12.1994 in nationales Recht umzusetzen. Nach Art. 6 Abs. 2, der in Deutschland in
Art. 46b EGBGB umgesetzt wurde, darf dem Verbraucher nicht der in der Richtlinie vor-
gesehene Schutz vorenthalten werden, indem das Recht eines Drittlandes vereinbart wird5.
Vgl. Rz. 35.3. Missbrauchsverbot und Transparenzgebot der Richtlinie werden auch auf die
Rechtswahl nach der Rom I-VO bezogen (Rz. 35.83).
– Ferner gilt eine Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der
Garantien für Verbrauchsgüter vom 25.5.19996. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie, der in
Deutschland über Art. 46b EGBGB umgesetzt wird, schützt den Verbraucher vor der Wahl
drittstaatlichen Rechts (s. Rz. 35.3).

1 S. insb. Jayme, IPRax 1990, 220 (222); Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303 (325). Ferner Deinert, Jb.J.
ZivRWiss 1997, 257 ff.; Krebber, ZvglRW 97 (1998), 132 ff.
2 So Iversen in Brödermann/Iversen, Rz. 1019 ff., 1076 ff. Anders etwa LG Düsseldorf v. 12.4.1994 –
10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1995, 364) = VuR
1994, 262 Anm. Tonner (Time-Sharing-Vertrag).
3 Richtlinie 2005/29/EG, Text ABl. EG 1985 Nr. L 372, S. 31. – Kommentar von Micklitz in Grabitz/
Hilf, A 2.
4 Richtlinie 93/13/EWG, ABl. EG 1993 Nr. L 95, S. 29. Geändert durch Art. 1 Verbraucherschutz-
Richtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11.2019, ABl. EU 2019, L 328, S. 7. – Kommentiert in Wolf/Linda-
cher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, S. 2433 ff.
5 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 1994, 405 (407); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 19 ff.
6 Richtlinie 1999/44/EG, Text ABl. EG 1999 Nr. L 171, S. 12. – Kommentar von Magnus in Grabitz/
Hilf, A 15.

18 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.39 § 1

– Art. 12 Abs. 2 der aufgehobenen Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistun-
gen vom 17.6.2002 schützte den Verbraucher vor der Vereinbarung drittstaatlichen
Rechts1 (vgl. Rz. 35.3).
– Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge vom 23.4.20082 erfasst den
Konsumentenkredit (vgl. Rz. 35.3). Ihr Vorgänger, die Verbraucherkreditrichtlinie von
1986 i.d.F. von 19903, äußerte sich nicht zum anwendbaren Recht.

Die „Omnibus-Richtlinie“ v. 27.11.2019 hat das Verbraucherrecht modernisiert4. Sie enthält 1.37
aber keine Kollisionsnormen, da die kollisionsrechtlichen Funktionen inzwischen von Art. 6
Rom I-VO erfüllt werden. Das gilt auch für die vorangegangene Verbraucherrechte-Richtlinie
2011/83/EU vom 25.10.20115.

Die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 1.38
20.5.1997 zielte hauptsächlich auf eine Angleichung des Sachrechts ab6. Sie ist mit Wirkung
vom 13.6.2014 aufgehoben worden7. Nach ihrem Art. 12 Abs. 2, der sich in Deutschland in
Art. 46b EGBGB niedergeschlagen hatte, verliert der Verbraucher nicht den durch die Richt-
linie gewährten Schutz, indem das Recht eines Drittlandes vereinbart wird (s. Rz. 35.2). Eine
Richtlinie v. 25.11.2015 hat eine Änderung des Pauschalreiserechts herbeigeführt (vgl. § 651a
BGB)8. Kollisionsrechtlich findet Art. 46c EGBGB über den Schutz der Reisenden gegenüber
Vermittlern ohne Niederlassung in der EU oder im EWR Anwendung (s. Rz. 15.88).

bb) Dienstleistungen
Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 17.7.20009 will zwar keine zu- 1.39
sätzlichen Kollisionsnormen schaffen (Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-RL), statuiert jedoch das
Herkunftslandprinzip (Art. 3 E-Commerce-RL). Sie ist in §§ 1 ff. TMG umgesetzt worden10.
Die Vorschriften für Verbraucherverträge werden allerdings vom Herkunftslandprinzip des

1 ABl. EG 2002 Nr. L 271, S. 16. – Vgl. dazu Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (463 f.); Heiss, IPRax
2003, 100.
2 Richtlinie 2008/48/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 133, S. 66.
3 Richtlinie 87/102/EWG, ABl. EG 1987 Nr. L 42, S. 48 und ABl. EG 1990 Nr. L 61, S. 14.
4 Richtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und
der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union,
ABl. EU 2019 Nr. L 328, S. 7.
5 Die Richtlinie 2011/83/EU betrifft die Rechte der Verbraucher, die Abänderung der Richtlinie 93/
13/EWG (missbräuchliche Klauseln) und der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkauf) sowie
die Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG (Haustürgeschäfte) und der Richtlinie 97/7/EG (Fern-
absatz von Finanzdienstleistungen), ABl. EU 2011 Nr. L 304, S. 64. – Geändert durch Art. 4 Ver-
braucherschutz-Richtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11. 2019, ABl. EU 2019, L 328, S. 7.
6 Richtlinie 97/7/EG, Text ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. – Kommentar von Micklitz in Grabitz/Hilf,
A 3.
7 Art. 31 Abs. 1 RL 2011/83/EU v. 25.10.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 304, S. 64.
8 Richtlinie (EU) 2015/2302 v. 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. EU
2015 Nr. L 326, S. 1.
9 Richtlinie 2000/31/EG, Text: ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1. – Kommentar von Marly in Grabitz/
Hilf, A 4.
10 Dazu näher Martiny in MünchKomm, nach Art. 9 Rom I-VO Anh. III, Telemediengesetz Rz. 1 ff.

Martiny | 19
§ 1 Rz. 1.39 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

§ 3 Abs. 1 und 2 TMG ausgenommen (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 TMG). Die Dienstleistungsrichtlinie1


soll am bestehenden kollisionsrechtlichen Zustand nichts ändern. Dies ordnet ihr Art. 3 Abs. 2
ausdrücklich an. Vgl. auch Rz. 18.6 ff. Zwar besteht eine Richtlinie betreffend die Bereitstel-
lung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen von 2019 (s. Rz. 18.9). Für den digitalen
Binnenmarkt werden aber zunehmend Verordnungen erlassen, s. Rz. 1.25.

cc) Time-Sharing
1.40 Dem Verbraucherschutz beim Time-Sharing dient die Richtlinie vom 14.1.2009 über den
Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilnutzungsverträgen, Ver-
trägen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen2. Da-
nach kommt es für den Schutz vor Nicht-EU-Recht bei Immobilien auf die Belegenheit, im
Übrigen auf die Ausübung bzw. Ausrichtung der Tätigkeit des Unternehmers an (Art. 12
Abs. 2 Time-Sharing-RL). Dem Erwerber soll der durch die Richtlinie gewährte Schutz nicht
durch die Vereinbarung ausländischen Rechts vorenthalten werden, wenn die Immobilie in
einem Mitgliedstaat belegen ist (Art. 9 Time-Sharing-RL)3. Dies wird in Deutschland über
Art. 46b Abs. 4 EGBGB durchgesetzt. Vgl. Rz. 32.47 ff.

dd) Versicherungsrecht
1.41 Eine ganze Reihe von Richtlinien hat nicht nur sachrechtliche, sondern auch kollisionsrecht-
liche Auswirkungen. So hat die Zweite Direktversicherungsrichtlinie vom 22.6.1988 auch das
Internationale Versicherungsrecht in der EU vereinheitlicht. Die deutsche Regelung fand sich
in Art. 7–14 EGVVG, die durch Art. 7 Rom I-VO ersetzt worden sind (s. näher Rz. 36.10 ff.).

ee) Arbeitsrecht
1.42 Bisherige Richtlinien betreffen u.a. den Betriebsübergang und die Einsetzung eines Europä-
ischen Betriebsrats (s. Rz. 11.141, Rz. 11.150 ff.). Die Richtlinie über die Entsendung von Ar-
beitnehmern will sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer nicht die Arbeitsbedingungen versagt
werden, welche an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung vorübergehend erbracht wird, für Tä-
tigkeiten der gleichen Art gelten4 (vgl. Rz. 11.24).

ff) Handelsvertreterrecht
1.43 Das Handelsvertreterrecht ist durch die Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter vom 18.12.1986 angegli-
chen worden (s. Rz. 23.7).

1 Richtlinie 2006/123/EG v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU 2006 Nr. L


376, S. 36. – Näher Kampf, IPRax 2008, 101 ff.
2 Richtlinie 2008/122/EG vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf be-
stimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte so-
wie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. EU 2009 Nr. L 33, S. 10.
3 Richtlinie 2008/122/EG, ABl. EU 2009 Nr. L 33, S. 10.
4 Art. 3 Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung
von Dienstleistungen v. 16.12.1996, in der durch die Richtlinie (EU) 2018/957 v. 28.6.2018 geän-
derten Fassung, ABl. EU 2018 L 173, S. 16.

20 | Martiny
A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.46 § 1

gg) Anwaltsrecht
Das Anwaltsrecht ist im Zuge der Liberalisierung der Dienstleistungen angeglichen worden 1.44
(vgl. Rz. 10.1 ff.).

5. Gemeinsamer Referenzrahmen und optionales Instrument


In welcher Rechtsform ein Gemeinsamer Referenzrahmen (Common Frame of Reference) mit 1.45
einheitlichen vermögensrechtlichen Regeln geschaffen werden könnte, ist noch offen1. Zwar
wurde ein wissenschaftlicher Entwurf erstellt2. Ihm folgten jedoch keine Taten. Das Verhältnis
zur Rom I-VO, das in Art. 22 Rom I-VO Entw. 2005 noch angesprochen wurde, ist weiterhin
ungeklärt3. Dies gilt auch für das ursprünglich geplante sog. optionale Instrument4. Erwä-
gungsgrund 14 stellt lediglich fest, dass dann, wenn die Gemeinschaft in einem geeigneten
Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standard-
bestimmungen, festlegen sollte, in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden kann, dass die
Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden.

IV. Staatsverträge
Einzelne Staatsverträge behandeln Teilbereiche und -aspekte des Internationalen Vertrags- 1.46
rechts. Typisch sind Übereinkommen, welche bestimmte Sachgebiete mithilfe materiell-recht-
licher Regeln vereinheitlichen. Solche Staatsverträge, welche in erster Linie Einheitsrecht
schaffen und in unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht umgesetzt werden (s. Rz. 1.1),
genießen auf Grund der allgemeinen Regel des Art. 3 Nr. 2 EGBGB Vorrang vor dem nationa-
len Kollisionsrecht5 und auch vor der Rom I-VO (zu Art. 25 Rom I-VO s. Rz. 1.141). Die An-
wendbarkeit des Staatsvertrages und von Einheitsrecht darf daher nicht mit der Ermittlung
des Vertragsstatuts vermischt werden6. Kollisionsrechtliche Probleme entstehen dabei vor al-
lem im Anwendungsbereich der Übereinkommen und bezüglich des Verhältnisses von Staats-
vertrag und nationalem Recht, insb. bei der Lückenfüllung. Solche Lücken sind, sofern die

1 S. Entschließung des Europäischen Parlaments zum CFR v. 3.9.2008, ZEuP 2009, 421 f. Näher
Kötz, S. 13 ff.
2 S. von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private
law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) (Interim Outline Edition 2008; Outline Editi-
on 2009). – Dazu Eidenmüller ua., Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privat-
recht, JZ 2008, 529; Zimmermann/Jansen, Was ist und wozu der DCFR?, NJW 2009, 3401.
3 S. Mankowski, CFR und Rechtswahl in Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen
(2009), S. 389; Martiny, Common Frame of Reference und Internationales Vertragsrecht, ZEuP
2007, 212 ff. – Vgl. auch Remien, Zweck, Inhalt, Anwendungsbereich und Rechtswirkung des Ge-
meinsamen Referenzrahmens, GPR 2008, 124; Stürner, Europ. VertragsR, § 3 Rz. 14.
4 Leible, NJW 2008, 2561 f.; Wagner, IPRax 2008, 377 (380); Leible, Rom I und Rom II, S. 36 ff. –
Zum Optionalen Instrument s. Busch, Kollisionsrechtliche Weichenstellungen für ein optionales
Instrument im europäischen Vertragsrecht, EuZW 2011, 655; Fornasier, „28.“ vs. „2. Regime“ –
kollisionsrechtliche Aspekte eines optionalen europäischen Vertragsrechts, RabelsZ 76 (2012) 401;
Gebauer, Europäisches Vertragsrecht als Option, GPR 2011, 227 ff.; Herresthal, Ein europäisches
Vertragsrecht als Optionales Instrument, EuZW 2011, 7; Stürner, Kollisionsrecht und Optionales
Instrument, GPR 2011, 236; Lippstreu, S. 306 ff.
5 Vgl. Blaurock, Übernationales Recht des Internationalen Handels, ZEuP 1993, 247 (253 ff.); Kegel/
Schurig, S. 74 ff. m.w.N.
6 So aber z.B. noch zu Art. 27 ff. EGBGB OLG Jena v. 26.5.1998 – 8 U 1667/97 (266), IPRspr. 1999
Nr. 25 = TranspR-IHR 2000, 25 Anm. Herber (CISG).

Martiny | 21
§ 1 Rz. 1.46 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Konvention nicht auf eine bestimmte nationale Rechtsordnung verweist, grundsätzlich unter
Zuhilfenahme der Rom I-VO zu schließen. Die einzelnen, von der Haager Konferenz, UNCI-
TRAL und UNIDROIT ausgearbeiteten Staatsverträge werden im jeweiligen Zusammenhang
behandelt.

V. Grundregeln (Principles)
1.47 Nicht bindende Grundregeln (Principles) sind auf dem Gebiet des Vertragsrechts vor allem
von UNIDROIT entwickelt worden (s. Rz. 1.2), sie bestehen jedoch für das Sachrecht auch auf
europäischer Ebene (s. Rz. 1.17). Kollisionsrechtliche Grundregeln gibt es nur ausnahmsweise.
Dazu gehören die nicht bindenden Haager „Principles on the Choice of Law in International
Commercial Contracts“ vom 19.3.20151. Sie sollen, soweit ihre Heranziehung zweckmäßig ist,
gegenüber der Rom I-VO als Ergänzung wirken.

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung

Literatur zur Verordnung (Auswahl): Ancel/Deumier/Laazouzi, Droit des contrats internationaux,


2. Aufl. 2020; Bonomi, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, Yb.
PIL 10 (2008), 165; Boschiero (Hrsg.), La nuova disciplina comunitaria della legge applicabile ai con-
tratti (Roma I) (Turin 2009); Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen „Ro-
me I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles (Zürich 2008); Clausnitzer/Woopen, In-
ternationale Vertragsgestaltung: die neue EG-Verordnung für grenzüberschreitende Verträge (Rom I-
VO), BB 2008, 1798; Einsele, Auswirkungen der Rom I-Verordnung auf Finanzdienstleistungen, WM
2009, 289; Ferrari (Hrsg.), Concise commentary on the Rome I Regulation, 2. Aufl. (Cambridge 2020);
Francq, Le règlement „Rome I“ sur la loi applicable aux obligations contractuelles, Clunet 136 (2009),
41; Garcimartín Alférez, The Rome I Regulation, EuLF 2008, I-77; Guinchard (Hrsg.), Rome I and
Rome II in Practice (Cambridge 2020); Kenfack, Le règlement (CE) no. 593/2008 du 17 juin 2008 sur
la loi applicable aux obligations contractuelles („Rome I“), Clunet 136 (2009), 3; Kronke/Melis/Kuhn
(Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (2017); Kühne, Rechtswahl und Eingriffs-
normen in der Rechtsprechung des EuGH, FS Wegen (2015), S. 451; Lagarde/Tenenbaum, De la con-
vention de Rome au règlement Rome I, Rev.crit.d.i.p. 97 (2008), 727; Lando/Nielsen, Rom I-forordnin-
gen, UfR 2008, 234; Lando/Nielsen, The Rome I Regulation, CML Rev. 45 (2008), 1687; Leible, Rom I
und Rom II (2009); Leible/Lehmann, Die Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse an-

1 Text: http://www.hcch.net sowie RabelsZ 79 (2015), 654. – S. Basedow, Soft Law im Kollisionsrecht
- Anmerkungen zu den Haager Grundsätzen über die Rechtswahl, FS Schnyder (2018), S. 3; Boele-
Woelki, Party autonomy in litigation and arbitration in view of the Hague principles on choice of
law in international commercial contracts, Rec. des cours 379 (2015), 35; Girsberger, Die Haager
Prinzipien über die Rechtswahl in internationalen kommerziellen Verträgen, SZIER 2014, 545;
Kadner Graziano, Solving the Riddle of Conflicting Choice of Law Clauses in Battle of Forms Si-
tuations: The Hague Solution, Yb.PIL 14 (2012), 71; Lando, The Draft Hague Principles on the
Choice of Law in International Contracts and Rome I in A Commitment to Private International
Law – Essays in honour of van Loon (Antwerpen 2013), S. 299; Neels, The Nature, Objective and
Purposes of the Hague Principles on Choice of Law in International Contracts, Yb.PIL 15 (2013/
2014), 45; Martiny, Die Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Con-
tracts, RabelsZ 79 (2015), 624; Pfeiffer, Die Haager Prinzipien des internationalen Vertragsrechts,
FS Magnus (2014), S. 499; Rühl, Die Haager Grundregeln über Rechtswahlklauseln in internatio-
nalen Handelsverträgen, FS Kronke (2020), S. 485; Schwartze, Weltweit einheitliche Standards für
die Wahl des Vertragsstatuts, FS Kirchner (2014), S. 315; Symeonides, The Hague Principles on
Choice of Law for International Contracts: Some Preliminary Comments, Am.J.Comp.L. 61
(2013), 873.

22 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.48 § 1

zuwendende Recht („Rom I“), RIW 2008, 528; Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Ver-
ordnung? (2013); Magnus, Die Rom I-Verordnung, IPRax 2010, 27; Magnus, Rom I und der EuGH –
für die Auslegung der Rom I-VO bereits relevante EuGH-Rechtsprechung, FS Coester-Waltjen (2015),
S. 555; Mankowski, Die Rom I-Verordnung, IHR 2008, 133; Mankowski, Interessenpolitik und euro-
päisches Kollisionsrecht: rechtspolitische Überlegungen zur Rom I- und zur Rom II-Verordnung
(2011); Martiny, Neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737; Martiny, Neuanfang
im Europäischen Internationalen Vertragsrecht mit der Rom I-Verordnung, ZEuP 2010, 747; Martiny,
Europäisches Internationales Schuldrecht – Rom I- und Rom II-Verordnungen in der Bewährung,
ZEuP 2015, 838; Martiny, Europäisches Internationales Schuldrecht : Feinarbeit an Rom I- und Rom
II-Verordnungen, ZEuP 2018, 218; McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Con-
tractual Obligations (Oxford 2015); Nourissat u.a., Le nouveaux droit des contrats internationaux,
Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 61; Pfeiffer, Neues Internationales Vertragsrecht, EuZW 2008, 622; Plen-
der/Wilderspin, The European private international law of obligations, 5. Aufl. (London 2020); Reiher,
Der Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht (2010); Rieländer, Treuhandverträge
über Geschäftsanteile, IPRax 2020, 224; Rudolf, Europäisches Kollisionsrecht für vertragliche Schuld-
verhältnisse – Rom I-VO, ÖJZ 2011, 149; Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches
Schuldvertrags-IPR, EuZW 2011, 776; Solomon, The Private International Law of Contracts in Europe,
Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709; Solomon, Die Rom I-Verordnung in der deutschen ordentlichen Gerichts-
barkeit, ZVglRWiss 115 (2016), 586; Ubertazzi, Il regolamento Roma I sulla legge applicabile alle obb-
ligazioni contrattuali (Mailand 2008); Wagner, Der Grundsatz der Rechtswahl und das mangels
Rechtswahl anwendbare Recht (Rom-I-Verordnung), IPRax 2008, 377; Wagner, Normenkonflikte zwi-
schen den EG-Verordnungen Brüssel I, Rom I und Rom II und transportrechtlichen Rechtsinstrumen-
ten, TranspR 2009, 103; Wurmnest, European private international law and member state treaties with
third states (2019).
Literatur zum Grünbuch und zum Verordnungsentwurf (Auswahl): Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neu-
es Internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I-Verordnung (2007); Fran-
zina (Hrsg.), La legge applicabile ai contratti nella proposta di regolamento „Roma I“ (Mailand 2006);
Kieninger, Der Rom-I-Vorschlag, EuZ 2007, 22; Lagarde, Remarques sur la proposition de règlement
de la Commission européenne sur la loi applicable aux obligations contractuelles (Rome I), Rev.crit.d.
i.p. 95 (2006), 331 (auch in Schulze [Hrsg.], New Features in Contract Law [2007], S. 277); Lando/
Nielsen, The Rome I Proposal, J.PIL 3 (2007), 29; Magnus/Mankowski, The Green Paper on a Future
Rome I Regulation – on the Road to a Renewed European Private International Law of Contracts,
ZvglRW 103 (2004), 131; Mankowski, Das Grünbuch zur Rom I-Verordnung, ZEuP 2003, 483; Man-
kowski, Der Vorschlag für die Rom-I-Verordnung, IPRax 2006, 101; Martiny, Europäisches Internatio-
nales Vertragsrecht in Erwartung der Rom I-Verordnung, ZEuP 2008, 79; Max Planck Institute for
Comparative and International Private Law, Comments on the European Commission´s Proposal for
a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractual obliga-
tions (Rome I), RabelsZ 71 (2007), 225; Roth, On the way to a Rome I Regulation, CML Rev. 43
(2006), 913.

I. Entstehung
Das EVÜ war vor allem wegen der inzwischen erfolgten materiell-rechtlichen, aber auch in- 1.48
ternationalverfahrensrechtlichen Rechtsangleichung und -vereinheitlichung in der Gemein-
schaft reformbedürftig1. An verschiedenen Stellen waren auch Klarstellungen und Nachbesse-
rungen notwendig geworden. Ferner sind die Rechtswahlbeschränkungen und Anknüpfungen
des Richtlinienrechts vielfach andere Wege gegangen als das Übereinkommen, so dass Span-
nungen unter den einzelnen Lösungen entstanden waren (vgl. Rz. 1.17 ff.). Einzelne Reform-

1 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (378). S. bereits Sonnenberger, ZVglRW 100 (2001), 107 (117 ff.);
Martiny, ZEuP 2001, 308 (332 ff.).

Martiny | 23
§ 1 Rz. 1.48 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

vorschläge lagen seit längerem vor1. Ferner sollte der Inhalt des EVÜ entsprechend dem Uni-
onsrecht in eine Verordnung überführt werden, so dass in Zukunft keine schwerfälligen Ratifi-
kationsverfahren mehr notwendig sind und eine einheitliche Auslegung erfolgen kann2 (vgl.
Rz. 1.55).

1.49 Die Revision des EVÜ wurde zunächst durch ein Grünbuch von Januar 2003 vorbereitet3, zu
dem eine Reihe von Stellungnahmen einging. Ein Vorschlag für eine Verordnung über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) wurde am 15.12.2005 von der
EU-Kommission vorgelegt4. Die Originalsprache des Entwurfs war französisch. Dazu ergingen
zahlreiche Stellungnahmen. Die zuständige Brüsseler Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit im ersten
Halbjahr 2006 auf5. In den Verhandlungen des Rats wurde die endgültige Fassung ausgearbeitet.

1.50 Im April 2007 wurde eine politische Einigung über zahlreiche Vorschriften erzielt. In der
zweiten Hälfte des Jahres 2007 fand eine Abstimmung mit dem Europäischen Parlament statt.
Schließlich wurde die VO in erster Lesung vom Europäischen Parlament angenommen6 und
eine legislative Entschließung verabschiedet7. Am 29.11.2007 hat das Parlament 70 Änderun-
gen zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag angenommen8. Der Rat Justiz und Inneres
hat den Kompromiss am 7.12.2007 politisch gebilligt. In der ersten Hälfte 2008 wurde der
Text redaktionell überarbeitet. Die englische Ursprungsfassung wurde in die anderen Spra-
chen der Mitgliedstaaten übersetzt. Der Rat hat der Verordnung am 6.6.2008 förmlich zuge-
stimmt. Die Verordnung wurde am 17.6.2008 vom Präsidenten des Europäischen Rats und
des Europäischen Parlaments unterschrieben und trägt daher dieses Datum9.

1 Europäische Gruppe für Internationales Privatrecht, Vorschläge für eine Revision des Europä-
ischen Schuldvertragsübereinkommens, IPRax 2001, 64 f. (französ. Fassung) = Rev.crit.d.i.p. 89
(2000), 929. – Vgl. auch Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (470).
2 Kessedjian, Liber Amicorum Siehr, S. 329 (334 f.); Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (470). – S. Akti-
onsplan des Rates und der Kommission v. 3.12.1998, ABl. EG 1999 Nr. C 19, S. 1 = IPRax 1999,
288. Vgl. dazu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454 (456).
3 Grünbuch über die Umwandlung des Übk. von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktua-
lisierung (KOM[2002], 654 endgültig v. 14.1.2003). – S. dazu Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum
internationalen Vertragsrecht (2004), mit Text als Anh. II; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Marti-
ny, ZEuP 2003, 590 ff.
4 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertrag-
liche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005), 650 endgültig v. 15.12.2005,
IPRax 2006, 193. Text auch bei Ferrari/Leible, S. 245 ff.
5 Zum Folgenden s. Wagner, IPRax 2008, 377 f.
6 Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 29.11.2007 im Hinblick
auf den Erlass der Verordnung (EG) Nr. .../2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über
das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) – Erste Lesung (15832/07).
7 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 29.11.2007 zu dem Vorschlag für eine
Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhält-
nisse anzuwendende Recht (Rom I) (KOM[2005]0650 – C6-0041/2005 – 2005/0261 [COD]) (Ver-
fahren der Mitentscheidung: erste Lesung).
8 S. Rechtsausschuss – Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Par-
laments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
(KOM[2005]0650 – C6-0041/2005 – 2005/0261 [COD]) v. 21.11.2007 (A6-0450/2007) Bericht-
erstatter C. Dumitrescu.
9 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwen-
dende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 Nr. 177, S. 6; Berichtigung der Verordnung, ABl. EU 2009
Nr. L 309, S. 87.

24 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.54 § 1

Der Entwurf hatte eine lebhafte Debatte ausgelöst1. Im Vergleich zum Entwurf wurde eine 1.51
ganze Reihe von Änderungen vorgenommen, so bezüglich der Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO)
sowie der objektiven Anknüpfung (Art. 4 Rom I-VO). Ursprünglich nicht vorgesehene Regeln
für Beförderungsverträge (Art. 5 Rom I-VO) und Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO)
wurden entwickelt. Beim Verbrauchervertrag wurde die Rechtswahl zugelassen (Art. 6 Rom I-
VO). Keinen Anklang fanden die Vorschriften des Entwurfs über die rechtsgeschäftliche Stell-
vertretung, die gestrichen wurden. Die Bestimmungen über die Eingriffsnormen wurden tief-
greifend verändert.

II. Unionsrechtliche Regelung


1. Vorrang der Verordnung
Die VO ist direkt anwendbar und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das nationale Kolli- 1.52
sionsrecht (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV; Art. 29 Rom I-VO)2. Dieses kann daher grundsätzlich
nicht weiter bestehen. Anderes gilt nur für nicht von der Verordnung abgedeckte Fragen3. We-
gen der unmittelbaren Anwendbarkeit der Rom I-VO war eine entsprechende Änderung des
deutschen Internationalen Vertragsrechts notwendig. Die zuvor geltenden Art. 27–37 EGBGB
wurden zum 17.12.2009 aufgehoben4. Die der Umsetzung von Richtlinien dienende Vorschrift
des Art. 29a EGBGB wurde durch Art. 46b EGBGB ersetzt.

Allerdings lässt Art. 7 Rom I-VO in zwei Fällen für Versicherungsverträge zu, dass der natio- 1.53
nale Gesetzgeber eine ergänzende Regelung bezüglich des anwendbaren Rechts trifft. Dies gilt
zum einen für Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO. Ferner enthält Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO noch
eine besondere Regelung für die Pflichtversicherung. Danach kann ein Mitgliedstaat ganz all-
gemein vorschreiben, dass auf den Versicherungsvertrag das Recht des Mitgliedstaats anzu-
wenden ist, der die Versicherungspflicht verlangt. Da auch die Art. 7–15 EGVVG beseitigt
wurden, fand der zuvor in Art. 12 EGVVG geregelte Pflichtversicherungsvertrag in Art. 46d
(früher Art. 46c) EGBGB einen neuen Standort (s. Rz. 36.56 ff.).

Die Kompetenz zum Erlass der Verordnung lässt sich auf Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV (ex- 1.54
Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 lit. b EGV) stützen5. Danach besteht zwar nur eine Zuständigkeit
zur Förderung der „Vereinbarkeit der Kollisionsnormen“, doch wird dies überwiegend weit
ausgelegt6. Während das EVÜ als loi uniforme auch Sachverhalte mit Drittstaatsbezug erfasst
hat, könnte man daran denken, die Kompetenz zum Verordnungserlass nur für ein Binnen-
marktkollisionsrecht anzunehmen. Allerdings geht die Kommission zutreffend davon aus,
dass auch eine Außenkompetenz der EU für Drittstaatensachverhalte besteht7. Dementspre-
chend kann, wie schon bislang, das Internationale Vertragsrecht durch universell geltende
Kollisionsnormen gestaltet werden, vgl. Rz. 1.65.

1 S. nur Mankowski, IPRax 2006, 101 (110 ff.); Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Ver-
tragsrecht für Europa (2007).
2 Pfeiffer, EuZW 2008, 622.
3 Zu Italien Malatesta, Riv.dir.int.priv.proc. 2018, 318 ff.; zu Österreich Heindler, ZfRV 2019, 264 ff.
4 Art. 1, 3 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verord-
nung (EG) Nr. 593/2008 v. 25.6.2009, BGBl. I 2009, 1574.
5 Wagner, IPRax 2008, 377 (378).
6 Zur Problematik näher Jayme, IPRax 2001, 65; Remien, CML Rev. 38 (2001), 53 (73 ff).; Ehle,
S. 102 ff.; Plender/Wilderspin, Rz. 1–018 ff.
7 In diesem Sinne auch schon Basedow in Baur/Mansel, S. 38 ff.; Ehle, S. 109 ff. (226 f.).

Martiny | 25
§ 1 Rz. 1.54 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

2. Auslegung
Literatur: Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zum Gebot der übergreifenden systematischen Aus-
legung nach Erwägungsgrund 7 Rom I-VO, IPRax 2020, 385; Kadner Graziano/Reymond, Court of
Justice of the European Union in Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in Practice (Cambrigde
2020), S. 11; Kieninger, Die Rolle des EuGH nach Inkrafttreten der „Rom“-Verordnungen, FS Scheuing
(2011), S. 110; Köck, Die einheitliche Auslegung der Rom I-, Rom II- und Brüssel I-Verordnung im
europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht (2014); Lemaire, Interrogations sur la por-
tée juridique du préambule du règlement Rome I, D. 2008, 2157; Lüttringhaus, Übergreifende Begriff-
lichkeiten im europäischen Zivilverfahrens- und Kollisionsrecht, RabelsZ 77 (2013), 31; Würdinger,
Das Prinzip der Einheit der Schuldrechtsverordnungen im Europäischen Internationalen Privat- und
Verfahrensrecht, RabelsZ 75 (2011), 102.
1.55 Für die Auslegung der Rom I-VO gelten die allgemeinen Grundsätze für die Auslegung von
Verordnungen. Vielfach wird es einer Klärung durch den EuGH bedürfen. Vorlageberechtigt
sind Gerichte, die eine Klärung für erforderlich halten. Zur Vorlage verpflichtet sind Gerichte,
deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können (Art. 267
AEUV)1.

1.56 Die VO sagt nichts dazu, nach welchen Grundsätzen sie im Einzelnen auszulegen ist und wie
Lücken zu füllen sind. Dabei kann in erheblichem Umfang an die Auslegung des EVÜ ange-
knüpft werden. Häufig stellt der EuGH auch klar, dass seine Auslegung des Übereinkommens
auch für die Rom I-VO Geltung beansprucht. In erster Linie ist eine autonome Auslegung
vorzunehmen. Die Rom I-VO ist losgelöst von den Regeln eines nationalen Rechts auszule-
gen2. Im Übrigen sind die Grundsätze der grammatischen, systematischen, historischen
und teleologischen Auslegung in der gemeinschaftlichen Ausprägung anzuwenden3. Gibt
die VO selbst nicht genügend Aufschluss, so ist gleichwohl eine autonome Qualifikation der
Begriffe auf rechtsvergleichender Grundlage erstrebenswert4.

1.57 Der Zusammenhang mit anderen europäischen Kollisionsnormen ist zu wahren. Viele Be-
griffe tauchen auch in der Rom II-VO auf; unnötige Divergenzen und Widersprüche sollten
vermieden werden. Über die jeweiligen Ausschlusstatbestände hinaus sollten möglichst keine
Lücken eintreten. Soweit die gleichen Begriffe wie in der Brüssel Ia-VO verwendet werden, ist
zu prüfen, ob der Inhalt des in prozessrechtlichem Zusammenhang verwendeten Begriffs auch
für die Rom I-VO herangezogen werden kann5. Dies ist insbesondere bei aufeinander abge-
stimmten Regelungen wie Art. 6 Rom I-VO (früher Art. 29 EGBGB bzw. Art. 5 EVÜ) und
Art. 17 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 EuGVO, zuvor Art. 13 GVÜ) zum Verbrauchervertrag der
Fall6. Es handelt sich vor allem um Begriffe wie „vertraglicher Anspruch“7 (s. Rz. 1.66),

1 Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (386); Pfeiffer, EuZW 2008, 622.
2 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 28-29 (Nikiforidis) = NZA 2016, 1389 =
RIW 2016, 811 Anm. Mankowski = IPRax 2018, 207 (m. Aufs. W-H. Roth, IPRax 2018, 177). S.
auch Martiny, ZEuP 2013, 838 (840 ff.).
3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 f.; von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 57 ff.
4 Näher zum EVÜ Reinhart, RIW 1994, 445 (447 ff.).
5 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62); Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 (36 ff.) – Ebenso
bereits zum EVÜ BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (384), NJW 1994, 262 =
IPRax 1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) = JZ 1994, 363 Anm. Fischer.
6 Anders zum Begriff der „Dienstleistung“, OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, IPRspr.
1994 Nr. 23 = NJW-RR 1994, 1132 = RIW 1994, 420 m. abl. Anm. Mankowski.
7 Vgl. EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = JZ
2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356).

26 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.59 § 1

„Dienstleistung“1 (s. Rz. 18.1 ff.), „dingliches Recht“2 (s. Rz. 21.1 ff.) „Verbraucher“3 (s.
Rz. 35.34 ff.) und „Ausrichten“4 (s. Rz. 35.42 ff.). Allerdings darf keine schematische Übernah-
me von Ergebnissen erfolgen. Funktion und Schutzzweck der jeweiligen kollisionsrechtlichen
und zuständigkeitsrechtlichen Regelungen sind zu beachten. Dies gilt erst recht für Einzelhei-
ten und gesetzliche Ausnahmen5.

Die Intentionen des Verordnungsgebers gehen teilweise aus den vorangestellten Erwägungs- 1.58
gründen hervor. Besondere Bedeutung besitzt nach wie vor der „Bericht über das Überein-
kommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ von M. Giu-
liano und P. Lagarde6. Dieser Bericht gibt Auskunft über die Intentionen der Schöpfer der
Konvention und soll den Gerichten der Vertragsstaaten die Anwendung des EVÜ erleichtern7.
Er ist als Auslegungshilfe gedacht, obwohl er keine bindende Wirkung hat. Der Bericht ist
daher für unverändert gebliebene Reglungen, selbst wenn man ihm im Detail nicht immer
folgt, doch eine Quelle ersten Ranges8 und ein wesentliches Hilfsmittel für die historische Aus-
legung9. Ein weiterer Bericht erläutert die Änderungen anlässlich des Beitritts von Österreich,
Finnland und Schweden10. Zu der Rom I-VO gibt es keinen solchen Bericht. Soweit sich die
Rechtsprechung in den Nachbarländern geäußert hat, ist auch diese bei der Auslegung heran-
zuziehen11. Entsprechendes gilt für das ausländische Schrifttum12.

Inhaltlich sollte sich die Auslegung stets an den zwei großen Aufgaben des internationalen Ver- 1.59
tragsrechts – Konfliktlösung und Konfliktvermeidung – orientieren13. Erstere setzt klare und
handhabbare Regeln für die Streitentscheidung durch den Richter und Schiedsrichter voraus.
Letzteres heißt, den Parteien bei der Vertragsgestaltung Einheitlichkeit, Kalkulierbarkeit der Ri-

1 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 39 ff., NJW 2019, 2991 = IPRax
2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18); Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (388 f.).
2 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 37 f., NJW 2019, 2991 = IPRax 2020,
40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18).
3 Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (389 ff.).
4 Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (390 ff.).
5 S. EuGH 3.10.2019 – C-208/18, ECLI:EU:C:2019:825 (Petruchová) Rz. 62-66, RIW 2019, 810
Anm. Mankowski = Anm. Pfeiffer LMK 2020, 425951 (Verbraucher und Finanzinstrumente).
6 ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 1 ff. Ebenfalls in BT-Drucks. 10/503, 33 ff. = BR-Drucks. 224/83, 33 ff. =
Pirrung, S. 342 ff. Die griech. Fassung des Berichts findet sich in ABl. EG 1987 Nr. C 199, die span.
und portugies. Fassung in der span. bzw. portugies. Ausgabe von ABl. EG 1992 Nr. C 327.
7 Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22.
8 Vgl. von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 60.
9 Junker, RabelsZ 55 (1991), 674 (680 f.).
10 Erläuternder Bericht über das Übk. über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finn-
land und des Königreichs Schweden zu dem am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten
Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und
Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übk. durch den Gerichtshof, ABl. EG 1997 Nr. C 191,
S. 11.
11 von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 66. – Ebenso schon zum EVÜ Siehr, BerDGesVölkR 27
(1986), 126; Reinhart, RIW 1994, 445 (450, 452).
12 S. die Rspr.-Länderberichte in Guinchard S. 41 ff. sowie Hinweise in den Berichten von Martiny,
ZEuP 2018, 218 ff. (zuletzt).
13 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (110).

Martiny | 27
§ 1 Rz. 1.59 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

siken und Voraussehbarkeit der Ergebnisse zu sichern. Dementsprechend ist auf die Vorher-
sehbarkeit des Rechts und die Rechtssicherheit in den Vertragsbeziehungen zu achten1.

III. Räumlicher Anwendungsbereich und Mitgliedstaaten


1.60 Der territoriale Anwendungsbereich der VO erstreckt sich auf die Mitgliedstaaten. Er ist je-
doch enger als der des EVÜ. Art. 24 Abs. 1 Rom I-VO stellt klar, dass es bezüglich der An-
wendbarkeit der VO auf Art. 299 EU-Vertrag (ersetzt durch Art. 355 AEUV) ankommt. Die
Rom I-VO gilt dementsprechend für die französischen überseeischen Departements, die Azo-
ren, Madeira und die Kanarischen Inseln (vgl. Art. 355 Abs. 1 AEUV). Für die in Anh. II zum
EU-Vertrag aufgeführten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete gilt lediglich das besonde-
re Assoziierungssystem. Der EU-Vertrag gilt für die Ålandinseln (Art. 355 Abs. 4 AEUV),
nicht jedoch für die Färöer (Art. 355 Abs. 5 lit. a AEUV).
1.61 Nicht alle der nunmehr 27 Mitgliedstaaten der EU werden automatisch von der Rom I-VO
erfasst. Im Sinne der Rom I-VO bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ nur die Mitgliedstaa-
ten, auf die die Verordnung anwendbar ist (Art. 1 Abs. 4 S. 1 Rom I-VO)2. Zu den Mitglied-
staaten, auf die die VO anwendbar ist, zählt entsprechend dem Protokoll über die Position Dä-
nemarks3 dieser Staat nicht. Dänemark ist daher grundsätzlich kein Mitgliedstaat i.S.d. VO4.
Es kommt daher zu einer differenzierten Integration, d.h. einer räumlich eingeschränkten Gel-
tung kollisionsrechtlicher Unionsakte nach Art. 81 AEUV5. Für die kollisionsrechtlichen Rege-
lungen in den der Rechtsangleichung dienenden Richtlinien gibt es dagegen keine Einschrän-
kungen6. Irland hat sich, gestützt auf seine opt in-Möglichkeit, gleichfalls an der VO beteiligt7.
1.62 Das Vereinigte Königreich, das während seiner EU-Mitgliedschaft eine Sonderstellung ge-
noss8, hatte von seiner opt in-Möglichkeit Gebrauch gemacht9. Es war daher Mitgliedstaat
i.S.d. Rom I-VO. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU („Brexit“) endete
allerdings die Anwendung der Rom I-VO durch das Vereinigte Königreich mit dem Ende der
Übergangsphase zum 31.12.202010. Nach dem Austritt findet die Rom I-VO noch für Verträge

1 Zu Art. 4 EVÜ EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I-9687 =
IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski u.
Aufs. Martiny, GPR 2011, 48) (Beförderungsvertrag); EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:
C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = RIW 2015, 221 (Speditionsvertrag).
2 Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO nennt hingegen alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks.
3 Art. 2 Protokoll (Nr. 22) über die Position Dänemarks zum AEUV.
4 S. Erwägungsgrund 46.
5 Näher Dohrn, S. 159 ff. (179 ff.).
6 Lando/Nielsen, J. PIL 3 (2007), 29 (49 f.).
7 S. Erwägungsgrund 44.
8 Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands zum AEUV.
9 S. Entscheidung der Kommission v. 22.12.2008 über den Antrag des Vereinigten Königreichs auf
Annahme der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzu-
wendende Recht (Rom I), ABl. EU 2009 Nr. L 10, S. 22.
10 Art. 126 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nord-
irland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft v. 17.10.2019, ABl.
EU 2019 Nr. C I 384, S. 1.– Dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (99 f.); Terhechte, Struk-
turen und Probleme des Brexit-Abkommens, NJW 2020, 425 (426). – Zur Zukunft Rüscher, Ver-
tragsanpassungen als Reaktion auf den Brexit nach deutschem, englischem, französischem, italie-
nischem und spanischem Recht sowie nach UN-Kaufrecht, EuZW 2018, 937; Rühl, Im Schatten
des Brexit-Abkommens, NJW 2020, 443; Wagner, IPRax 2021, 2 (9). – S. auch von Hein in Münch-
Komm, Art. 3 EGBGB Rz. 57.

28 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.66 § 1

Anwendung, die vor dem Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020) abgeschlossen wurden1. In-
haltlich gilt die Rom I-VO im Vereinigten Königreich freilich mit Änderungen als nationales
„retained EU law“ weiter2.

Die Beschränkung auf Mitgliedstaaten i.S.d. VO im Gegensatz zum größeren Kreis der EU- 1.63
Mitgliedstaaten macht Probleme, soweit es auf den Bezug zu einem Mitgliedstaat ankommt.
Art. 1 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO enthält daher eine Erweiterung für die das unabdingbare Unions-
recht schützende Rechtswahlbeschränkung des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. Dort bezeichnet der
Begriff alle Mitgliedstaaten. Auch bezüglich des belegenen Risikos i.S.d. Art. 7 Rom I-VO ist
eine Erweiterung erfolgt.

IV. Universelle Anwendung (Art. 2 Rom I-VO)


Art. 2 Rom I-VO enthält den Grundsatz der universellen Anwendung. Das nach dieser Ver- 1.64
ordnung bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mit-
gliedstaats ist. Im Interesse des Handels und des Privatrechtsverkehrs auch mit Drittstaaten
kann ebenfalls das Recht von Nicht-EU-Staaten vereinbart werden, es kann aber auch wegen
der engen Verbindung des Sachverhalts mit dieser Rechtsordnung zur Anwendung kommen3.
Der Sachverhalt braucht überhaupt keine Beziehung zu einem anderen EU-Staat aufzuweisen
und kann sich allein auf Nichtmitgliedstaaten beziehen4. Für die Anwendbarkeit der VO
kommt es folglich nicht darauf an, ob es sich um einen Mitgliedstaat handelt5. Insofern hat
der Brexit aus deutscher Sicht nichts geändert6.

V. Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 1 Rom I-VO)


1. Allgemeines
Die Art. 3 ff. Rom I-VO zielen auf schuldrechtliche Austauschverträge ab. Nach Erwägungs- 1.65
grund 7 sollen der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen der Verordnung
mit der Brüssel I-VO und der Rom II-VO im Einklang stehen. Wegen der nur lückenhaften
Rechtsprechung und der anderen Problemlage in der Brüssel Ia-VO bzw. EuGVO ist dieser
Hinweis allerdings nur von beschränkter Bedeutung7.

2. Vertragliche Schuldverhältnisse
Die Vorschriften der Rom I-VO sind auf vertragliche Schuldverhältnisse (contractual obliga- 1.66
tions; obligations contractuelles) anzuwenden. Vorausgesetzt wird nur, dass es sich um einen
Sachverhalt handelt, der eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist (Art. 1

1 Art. 66 lit. a Austrittsabkommen (vorige Fn.). Dazu Mankowski, Brexit und Internationales Privat-
und Zivilverfahrensrecht, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6).
2 The Law Applicable to Contractual Obligations and Non-Contractual Obligations (Amendment
etc) (EU Exit) Regulations 2019, Statutory Instruments 2019 Nr. 834.
3 S. etwa im Verhältnis zur Schweiz BAG v. 24.6.2020 – 5 AZR 55/19 (A) Rz. 78, RIW 2021, 151 =
ZIP 2020, 2359.
4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62). – So bereits zum EVÜ Deutsche Denkschrift, BT-
Drucks. 10/503, 23 f.; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (112); Ehle, S. 32 f.
5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529); Bonomi, IPRax 2017, 184.
6 Wagner, IPRax 2021, 2 (9).
7 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529).

Martiny | 29
§ 1 Rz. 1.66 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Abs. 1 Rom I-VO)1. Eine Möglichkeit einer Abwahl der kollisionsrechtlichen Regelung der
Rom I-VO durch Parteivereinbarung ist nicht vorgesehen2. Auf die Staatsangehörigkeit oder
den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien kommt es ebenso wenig an wie auf die von der VO
berufene lex causae (vgl. Rz. 1.65).

1.67 Die Rom I-VO verwendet den Vertragsbegriff in zweierlei Weise. Zum einen geht es um den
(sachrechtlichen) Hauptvertrag, zum anderen um den (kollisionsrechtlichen) Verweisungsver-
trag. Eine eigentliche Definition des Vertrages findet sich jedoch nicht3. Der Begriff des ver-
traglichen Schuldverhältnisses ist autonom auszulegen4. Insoweit gilt das Gleiche wie für Art. 7
Nr. 1 Brüssel Ia-VO5. Qualifikationsprobleme sind bislang nur vereinzelt aufgetreten, da der
Anwendungsbereich des Vertragsstatuts im Einzelnen umschrieben und weit gefasst wird
(Art. 12 Rom I-VO). Auch die Folgen nichtiger Verträge werden erfasst. Für die sachenrecht-
liche Einigung nach deutschem Recht gilt die Rom I-VO jedoch nicht, da es sich dabei um
kein Schuldverhältnis handelt6. Die VO lässt erkennen, dass ein Vertrag regelmäßig auf einer
bindenden Willenseinigung der Parteien beruht (Art. 10 Rom I-VO). Es muss sich nach den
Maßstäben des europäischen Zuständigkeitsrechts (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO; ex-Art. 5 Nr. 1
EuGVO) um eine freiwillige privatautonome Selbstbindung handeln7. Dass das nationale
Sachrecht einen stillschweigend geschlossenen Vertrag fingiert, genügt nicht8. Dass der Ver-
trag nicht wirksam sein muss, ergibt sich schon daraus, dass auch die Voraussetzungen und
Folgen solcher Vereinbarungen von der Verordnung erfasst werden9. Im Einzelnen ist freilich
zweifelhaft, inwieweit sich der Vertragsbegriff des Internationalen Verfahrensrechts und der
des Internationalen Vertragsrechts wirklich decken10 (zur Auslegung Rz. 1.57).

1.68 Bei der Übertragung durch Blockchain geht es um Datensätze für virtuelle Gegenstände oder
um solche der realen Welt. Die Einordnung der vielgestaltigen Transaktionen macht Schwie-
rigkeiten. Häufig kommt keine Anwendung der Regeln der Rom I-VO, sondern derjenigen
des Internationalen Sachenrechts bzw. des sich immer mehr entwickelnden Internationalen
Digitalrechts in Betracht11.

1 Ebenso früher Art. 1 Abs. 1 EVÜ. – Zum VO-Entwurf Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 ff.
2 Vgl. zum EVÜ Hogan, Contracting out of the Rome Convention, L.Q.R. 108 (1992), 12.
3 Näher Micklitz in Schulte-Nölke, S. 64 ff.; Abel, S. 68 ff.
4 Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (22 ff.). – So bereits Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (292 f.);
Mankowski, IPRax 2003, 127 (128 ff.).
5 Dazu EuGH v. 24.11. 2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 25 = NJW 2021,
144 Anm. R. Wagner = IPRax 2021, 369 m. Aufs. Wurmnest, IPRax 2021, 341. – Vorlage durch
BGH v. 11.12.2018 – KZR 66/17, RIW 2019, 227 = ZIP 2019, 1140.
6 Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22.
7 S. EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 (Frahuil/Assitalia), Slg. 2004, I-1543 Rz. 24 =
EuZW 2004, 351; EuGH v. 21.1.2016 – C-359/14, ECLI:EU:C:2016:40, Rz. 44 (Ergo), NJW 2016,
1005 = IPRax 2017, 400 (m. Aufs. Martiny, IPRax 2017, 360); EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15,
ECLI:EU:C:2016:559, Rz. 24 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber
IPRax 2017, 356); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-
448/16, ECLI:EU:C:2018:160 Rz. 60 (flightright), NJW 2018, 2105 = IPRax 2019, 421 (m. Aufs.
Lobach, IPRax 2019, 391); Dutta, IPRax 2009, 294 ff. – Krit. Voß, IPRax 2021, 236 (237 f.).
8 Mansel, Liber amicorum Portale (2019), S. 56 (70 ff.) zum transaktionsvorbereitenden Beratungs-
vertrag.
9 Ebenso Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (31).
10 Dazu m.w.N. Voß, IPRax 2021, 236 (237 ff.).
11 Dazu Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 603; Paulus in BeckOGK, Art. 1 Rom I-
VO Rz. 40 ff. (Stand 1.6.2021).

30 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.72 § 1

Blockchain-Netzwerke in dezentralisierten Datenbanken unterfallen den Regeln für Schuld- 1.69


verträge1. Dies gilt auch für offene Netzwerke, wie sie bei Kryptowährungen (z.B. Bitcoins)
verwendet werden2. Smart Contracts, sich selbst ausführende Programme, werden in Bezug
auf digitale Güter sowie Finanztransaktionen verwendet. Sie können selbst Verträge darstellen
(sog. echte smart contracts), die von Art. 1 Rom I-VO erfasst werden3. Der Vertragsabschluss
und die -durchführung durch automatisiert abgeschlossene Verträge unterfallen dem Ver-
tragsstatut4.

Vertragliche Schuldverhältnisse sind nicht nur solche aus dem vereinbarten Leistungsaus- 1.70
tausch zwischen den Parteien wie Erfüllungsansprüche. Sie umfassen auch Sekundäransprü-
che aus Vertrag5, etwa auf Vertragsauflösung, Schadensersatz wegen Vertragsverletzung,
Rückerstattung des zu viel gezahlten Kaufpreises nach Minderung oder Vertragsstrafe6. Einen
umfangreichen Katalog enthält Art. 12 Rom I-VO, der den Geltungsbereich des auf den Ver-
trag anzuwendenden Rechts klarstellt. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Ver-
trages sind keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Verordnung7. Die Rückabwick-
lung nichtiger Verträge ordnet die Rechtsprechung zum Europäischen Prozessrecht als ver-
tragliche Streitigkeit ein (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). Im Kollisionsrecht ergibt sich eine Über-
lappung zwischen Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO und Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO (s. Rz. 3.99).

Einseitige Verpflichtungen werden in der VO nicht angesprochen8. Es ist jedoch anzuneh- 1.71
men, dass auch einseitige Rechtsgeschäfte mit verpflichtender Wirkung erfasst werden9.
Grundsätzlich fällt jede schuldvertragliche Verpflichtung unter die Rom I-VO, soweit die Ver-
ordnung ihre Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausschließt10 (vgl. Rz. 1.83 ff.).

Die Einordnung der Gewinnzusage nach § 661a BGB sowie nach § 5j österreichisches KSchG 1.72
hat die Rechtsprechung mehrfach beschäftigt11. Der EuGH hat für die vertragliche Zuständig-

1 A.S. Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570 ff.). Vgl. auch Wendehorst in MünchKomm, Art. 43
EGBGB Rz. 304 ff.
2 Bertoli, Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 581 (599); Martiny, IPRax 2018, 553 (558 f.).
3 Rühl in Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts (2019), S. 147 (153); Stürner,
Europ. VertragsR, § 32 Rz. 66 ff.; Paulus in BeckOGK, Art. 1 Rom I-VO Rz. 42 (Stand 1.6.2021).
4 Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 551.
5 EuGH v. 8.3.1988 – Rs. 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 (Arcado), Slg. 1988, 1539 = NJW 1989, 1424 =
RIW 1988, 987 (m. Anm. Schlosser, RIW 1989, 139) = IPRax 1989, 227 (m. Aufs. Mezger, IPRax
1989, 207).
6 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16, ECLI:EU:C:2017:472 (Kareda), NJW 2018, 845 = ZIP 2017, 1734;
Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 37.
7 Bitter, IPRax 2008, 96 (98); von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 9.
8 Zur Anwendbarkeit auf einseitige Leistungsversprechen wie Patronatserklärungen Reuter, RIW
2018, 339 (343 f.).
9 Lehmann in Ferrrari/Leible, S. 17 (30 f.). – Ebenso schon Mankowski, IPRax 2003, 127 (129). –
Anders C. U. Wolf, IPRax 2000, 477 (479).
10 So schon für das EVÜ Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (241); Briggs, Choice of
Choice of Law?, LMCLQ 2003, 12 (25 ff.).
11 Dazu Blobel/Rösler, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Gewinnmitteilungen
aus dem Ausland, JR 2006, 441 ff.; Jordans, Zur rechtlichen Einordnung von Gewinnzusagen,
IPRax. 2006, 582 ff.; Lorenz, Gewinnmitteilungen aus dem Ausland: Kollisionsrechtliche und in-
ternationalzivilprozessuale Aspekte von § 661a BGB, NJW 2000, 3305; Martiny, Einseitige ver-
pflichtende Rechtsgeschäfte und Gewinnzusagen im Internationalen Privat- und Prozessrecht in
Rozprawy prawnicze – Księga pamiątkowa Profesora Maksymiliana Pazdana (Krakau 2005),
S. 189; Mörsdorf-Schulte, Autonome Qualifikation der isolierten Gewinnzusage, JZ 2005, 770;

Martiny | 31
§ 1 Rz. 1.72 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

keit nach Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO) verlangt, dass der
Unternehmer eine rechtliche Verpflichtung eingeht, indem er ein verbindliches Angebot
macht, das hinsichtlich seines Gegenstands und seines Umfangs so klar und präzise ist, dass
eine Vertragsbeziehung entstehen kann1. Das Schrifttum nimmt häufig eine vertragliche Qua-
lifikation unter der Rom I-VO an2. Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Klä-
gerin mehrere Gewinnmitteilungen i.S.d. § 661a BGB aus Österreich zugegangen waren3. Eine
vertragliche Qualifikation scheiterte nach Ansicht des Gerichts daran, dass die Haftung nicht
an ein Versprechen des Versenders, der sich ja in Wirklichkeit nicht binden will, anknüpft.
Auch eine Annahme der „Zusage“ der Leistung ist nicht vonnöten4. Letztlich gehe es um die
Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das durch eine geschäftsähnliche Handlung
begründet wurde5. Deliktisch sei die Haftung – anders als früher in Einklang mit einem erheb-
lichen Teil des Schrifttums erwogen6 – indes nicht7. Zwar solle wettbewerbswidriges Verhalten
unterbunden werden. Doch bestehe eine Nähe zu einseitigen Rechtsgeschäften. Ferner würden
Erfüllungsansprüche begründet. Die Gewinnzusage sei kollisionsrechtlich eigentlich ebenso
zu behandeln wie einseitige Rechtsgeschäfte. Für diese würden die damaligen Art. 3, 4 EVÜ8
an sich entsprechend gelten9. Die Anwendung vertragsrechtlicher Grundsätze auch auf § 661a
BGB würde aber – so das Gericht – wegen der Rechtswahlmöglichkeit zu gänzlich unange-
messenen Ergebnissen führen; eine Haftung nach § 661a BGB läge dann praktisch in den
Händen des Versenders, der sich durch die Gestaltung der Gewinnzusage – Berufung nicht-
deutschen (oder nichtösterreichischen) Rechts – freizeichnen könnte. Vielmehr komme eine
Einordnung als international zwingende Norm in Betracht (s. Rz. 5.107). Der Anwendung

Oberhammer/Slonina, Grenzüberschreitende Gewinnzusagen im europäischen Prozess- und Kolli-


sionsrecht, FS Yessiou-Faltsi (2007), S. 419 ff.; Schäper, Gewinnzusagen: materiell-rechtliche, inter-
national verfahrensrechtliche und kollisionsrechtliche Untersuchung des Anspruchs aus § 661a
BGB (2010); Slonina, Haftung aus Gewinnzusagen in IPR und IZPR zwischen Verbraucherschutz
und Lauterkeitsrecht, RdW 2006, 748; Tamm/Gaedtke, Rechtsdurchsetzungschancen bei Ansprü-
chen aus Gewinnzusagen, IPRax 2006, 584 ff.; Schwartze, Die Bestimmung des auf grenzüber-
schreitende Gewinnzusagen anwendbaren Rechts nach Rom I und Rom II, FS Koziol (Wien 2010),
S. 407. – W. Nachw. bei Martiny, ZEuP 2006, 60 (64 ff.).
1 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 (Ilsinger), Slg. 2009, I-3961 = EuZW 2009,
489 Anm. Berg/Reuß = RIW 2009, 485 = IHR 2010, 36 (m. Aufs. Bach, IHR 2010, 17).
2 Heiderhoff in Rauscher, Art. 6 Rom I-VO Rz. 39; Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 63.
3 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz,
NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm.
Schäfer.
4 Damit hatte der EuGH für seine Qualifikation als vertraglich i.S.d. Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1
EuGVÜ argumentiert. S. dazu EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 (Engler), Slg.
2005, I-481 = IPRax 2005, 239 (m. Aufs. Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219) = NJW 2005, 811.
Vgl. auch Martiny, ZEuP 2006, 60 (65); Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481 (488).
5 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz,
NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm.
Schäfer.
6 So etwa Leible, IPRax 2003, 28 (33); Felke/Jordans, IPRax 2004, 409 (411 f.). Für außervertraglich
auch Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34; Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO
Rz. 163; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 8.
7 Anders insofern BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 (90 ff.) = ZIP 2003, 685 bezüg-
lich Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ.
8 Bzw. Art. 27, 28 EGBGB, heute Art. 3, 4 Rom I-VO.
9 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz,
NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm.
Schäfer.

32 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.75 § 1

deutschen zwingenden Rechts entnimmt das Gericht sodann auch die Bestimmung des beim
Verbraucher liegenden Erfüllungsorts (vgl. §§ 269, 270 BGB).

Grundsätzlich finden sich die lediglich auf die Parteien bezogenen Wirkungen vertraglicher 1.73
Beziehungen auch im internationalen Vertragsrecht wieder. Die Rechtswahl bezieht sich auf
die Parteien; vertragsfremde Dritte sind nicht einbezogen. Dementsprechend bedarf es für
Forderungsabtretung und gesetzlichen Forderungsübergang eigener Kollisionsregeln (s.
Art. 14, 15 Rom I-VO). Gleichwohl gibt es zahlreiche Konstellationen, in denen Dritte zumin-
dest in die Auswirkungen vertraglicher Vereinbarungen der Parteien mit einbezogen sind.
Schwierigkeiten machen auch Direktansprüche von Dritten, die sie gegen eine der Vertrags-
parteien richten können. Hier ist dann zunächst eine Entscheidung zwischen einer vertragli-
chen und einer außervertraglichen Einordnung zu treffen.

Durchgriffsansprüche bei Vertragsketten werfen besondere Probleme auf1. Problematisch ist 1.74
die Einordnung des Regresses des Letztverkäufers wegen Vertragswidrigkeit gegenüber dem
in der Verkaufskette vorhergehenden Verkäufer. In Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufricht-
linie ist er unterschiedlich ausgestaltet worden (vgl. § 478 BGB). Eine Einordnung als vertrags-
rechtlich oder als deliktisch kommt in Betracht2. Im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung
zur internationalen Zuständigkeit für die Produkthaftung, die auch für die französische ver-
tragsrechtliche Konstruktion3 den Deliktsgerichtsstand für maßgeblich hielt4, wird auch mate-
riell-rechtlich für eine deliktische Qualifikation plädiert5. Daran kann man aber zweifeln, da
die Abgrenzung der Gerichtsstände nach Art. 7 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 EuGVO) nicht unbe-
dingt mit dem Anwendungsbereich des EVÜ gleichzusetzen ist. Vertragsrechtlich eingeordnet
wird der Direktanspruch des Subunternehmers6.

Außer vertraglichen können auch gesetzliche Ansprüche entstehen (s. Rz. 1.70). Folge einer 1.75
Vertragsverletzung können insb. neben vertraglichen Ansprüchen auch deliktische Ansprü-
che sein, es kann aber auch ganz generell um die Einordnung eines Verhaltens bzw. eines An-
spruchs gehen7. Dann stellt sich die nicht einfach zu beantwortende Frage nach dem Verhält-
nis zwischen der Zuständigkeit in vertraglichen Angelegenheiten (Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel
Ia-VO) und der für deliktische Ansprüche (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO). So hat der EuGH etwa
einen Schadensersatzanspruch wegen des Abbruchs einer Geschäftsbeziehung als vertraglich
bewertet8. Eine zu weite Auslegung des Vertragsbegriffs im Zuständigkeitsrecht kann zu einer
Überdehnung der Vertragszuständigkeit und zu Lasten der Zuständigkeit in Deliktsachen ge-
hen (allgemein zur Auslegung s. Rz. 1.55). Die vielfachen Bemühungen des EuGH zur Ab-
grenzung der Zuständigkeiten sind daher nicht nur wegen der Unsicherheit bezüglich der Ab-

1 Dazu Martiny, ZEuP 2008, 70 (83 f.); Martiny, FS Magnus, S. 483 (493 ff.).
2 Vertraglich, Gebauer, FS Martiny, S. 336 ff.; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10. – Vgl.
Wind, Der Lieferanten- und Herstellerregress im deutsch-italienischen Rechtsverkehr (2006).
3 Zu dieser s. Sonnenberger/Dammann, Franz. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. VI
63.
4 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte), Slg. 1992, I-3967 = JZ 1995, 90 m.
Anm. Pfeifer.
5 Dutta, ZHR 171 (2007), 79, 94 ff.; Weller in Calliess/Renner, Art. 1 Rome I Rz. 17.
6 von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10.
7 Zur deliktischen Haftung des Halters für ungarische Mautgebühren Zwirlein/Forschner, IPRax
2021, 221 (226). – Vgl. auch AG München v. 3.4.2020 – 191 C 8294/19, MDR 2020, 726.
8 So zu Art. L 442-6 franz. c. comm., EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Grana-
rolo), NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P.
Huber, IPRax 2017, 356).

Martiny | 33
§ 1 Rz. 1.75 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

grenzungskriterien problematisch1. Nach Ansicht des Gerichts hat eine Klage schon dann ei-
nen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zum Gegenstand, wenn eine Auslegung des
Vertrags der Parteien unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das Verhalten, das der Kläger
dem Beklagten vorwirft, rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist2. Dies ist u.a. der Fall bei
einer Klage wegen der Verletzung eines Wettbewerbsverbots, das auf den Bestimmungen eines
Vertrags oder auf Rechtsvorschriften beruht, welche aufgrund dieses Vertrags anwendbar
sind3. Beruft sich der Kläger hingegen auf die gesetzlichen Regeln über die Haftung aus uner-
laubter Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung, d.h. auf einen Verstoß gegen die
gesetzliche Verpflichtung, und ist es nicht unerlässlich, den Inhalt des mit der anderen Partei
geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das vorgeworfene Verhalten recht-
mäßig oder rechtswidrig ist, da diese Verpflichtung unabhängig vom Vertrag besteht, so be-
steht eine eigenständige Haftung. Die unerlaubte Handlung oder eine ihr gleichgestellte Hand-
lung bzw. Ansprüche aus einer solchen Handlung können dann Gegenstand der Klage im Sin-
ne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sein4. Dies ist bei einem kartellrechtlichen Unterlassungs-
anspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung der Fall5.
1.76 Eine eindeutige Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen,
die von Art. 2 Rom II-VO erfasst werden, ist bislang nicht herausgearbeitet worden. Insbeson-
dere sind die Konsequenzen aus der Zuständigkeitsabgrenzung noch nicht deutlich6. Im Hin-
tergrund der Gerichtsstandsfrage steht daher auch die Frage, wie weit internationales Zivilver-
fahrensrecht und Internationales Vertragsrecht vom selben Begriff der vertraglichen Angele-
genheit ausgehen können7.
1.77 Sachenrechtliche Verträge werden nicht von Art. 1 Rom I-VO erfasst8. Hier geht es im All-
gemeinen um Rechtsverhältnisse mit dinglichen Wirkungen, die Rechte und Rechtspositionen
– oft auch mit Wirkungen gegenüber Dritten – begründen, übertragen, beseitigen oder ver-
ändern. So wird etwa der nach Auslandsrecht allein aufgrund Kaufvertrages erfolgende Eigen-
tumsübergang nicht erfasst9. Das Gleiche gilt für die dinglichen Wirkungen des Treuhandver-
trages10. Abgrenzungsfragen können bei Vereinbarungen unter Miteigentümern auftauchen11.

1 Dazu näher J. F. Hoffmann, Die Gerichtsstände der EuGVVO zwischen Vertrag und Delikt, ZZP
128 (2015), 465; Mankowski, Ein eigener Vertragsbegriff für das europäische Internationale Ver-
braucherprozessrecht?, GPR 2020, 281; Pfeiffer, Deliktsrechtliche Ansprüche als Vertragsansprü-
che im Brüsseler Zuständigkeitsrecht, IPRax 2016, 111; Rieländer, Zur Qualifikation außervertrag-
licher Ansprüche zwischen Vertragsparteien im europäischen IZVR und IPR, RIW 2021,103.
2 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 32 = NJW 2011, 144
Anm. R. Wagner. – Inhaltlich einschränkend zur früheren Entscheidung EuGH v. 13.3.2014 – C-
548/12, EU:C:2014:148 (Brogsitter) Rz. 25 = RIW 2014, 305 = IPRax 2016, 149 (m. Aufs. Pfeiffer,
IPRax 2016, 111).
3 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 32. Im Anschluss an
EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16, EU:C:2017:472 (Kareda) Rz. 30-33 = RIW 2017, 504.
4 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 33.
5 S. EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 33.
6 Dazu Rieländer, RIW 2021,103 (111 f.).
7 Dazu Mankowski, GPR 2020, 281 ff.
8 Ferrari in Ferrari, IntVertragsR Art. 3 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Stadinger, 2016, Art. 1 Rom I-
VO Rz. 28.
9 Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 28.
10 Wilhelm, IPRax 2012, 392 (393).
11 Dazu EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr), RIW 2019, 364 = IPRax 2020, 40
(m. Aufs. Thomale, IPRax 2020, 18); Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2019, 85; Scraback, Die Woh-
nungseigentümergemeinschaft zwischen Brüssel Ia- und Rom I-VO, GPR 2020, 13.

34 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.80 § 1

3. Zivil- und Handelssachen


Es muss sich um eine Zivil- und Handelssache handeln. Auch hierbei geht es um einen auto- 1.78
nom auszulegenden Begriff1. Zu den Handelssachen gehört das zivilrechtliche Privatrecht mit
wirtschaftlichen Bezügen2. Insoweit besteht Übereinstimmung mit Art. 1 Brüssel Ia-VO und
Art. 1 Rom II-VO3. Von der Rom I-VO sind solche Schuldverhältnisse ausgenommen, die im
Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse entstehen, selbst wenn sie vor
Zivilgerichten zu verhandeln sind4. Entscheidend ist, ob auch ein Privater die betreffende Tä-
tigkeit ausüben könnte oder nicht5. Werden Behörden fiskalisch oder nicht-hoheitlich tätig,
sind für hieraus entstehende vertragliche und außervertragliche Ansprüche die Vorschriften
der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO anwendbar. Das Beziehen vertraglicher Leistungen durch
staatliche Stellen ist regelmäßig privatrechtlich einzuordnen6. Das Eingreifen einer staatlichen
Gebührenordnung ändert nichts an der zivilrechtlichen Natur7. Auch die Beitreibung der Ta-
gesparkscheingebühr durch eine Gesellschaft für einen gekennzeichneten Parkplatz auf einer
öffentlichen Verkehrsfläche ist noch zivilrechtlich8.

4. Verbindung zum Recht verschiedener Staaten (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO)


Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO sieht die Anwendung der VO vor für Sachverhalte, die eine Verbin- 1.79
dung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen (in any situation involving a choice between
the laws of different countries; dans les situations comportant un conflit de lois)9. Wie sich
vor allem aus der englischen und französischen Fassung der VO ergibt, bedarf es aber keiner
besonderen Umstände, die als „Verbindung“ anzusehen sind. Entscheidend ist vielmehr, dass
überhaupt in Frage steht, welche Rechtsordnung anzuwenden ist. Auch eine „internationale
Situation“ wird – anders als noch von Art. 1 EVÜ-Entw. 197210 – nicht verlangt, vgl. auch
Rz. 2.137 ff. Ein Streit, ob schottisches oder englisches Recht gilt, ist nicht ausgeschlossen11.

Die Rom I-VO ist ebenso wie das EVÜ großzügiger als Art. 1 des Haager Übk. v. 15.6.1955 1.80
(Rz. 25.88). Danach genügt die bloße Erklärung der Parteien über die Anwendung eines
Rechts oder die Zuständigkeit eines Richters noch nicht, um einem Vertrag internationalen

1 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62).


2 Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 17.
3 Vgl. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529 f.).
4 Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 3. – Zum EuGVÜ EuGH v. 16.12.1980 –
Rs. 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 (Niederlande/Rüffer), Slg. 1980, 3807 = RIW 1981, 711 = IPRax
1981, 169 (m. Aufs. Schlosser, IPRax 1981, 154); EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:
C:2002:656 (Steenbergen/Baten), Slg. 2002, I-10489 = IPRax 2004, 237 (m. Aufs. Martiny, IPRax
2004, 195).
5 Zu Art. 1 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:97 (Sonntag/Waid-
mann), Slg. 1993, I-1963 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (m. Aufs. Heß, IPRax 1994, 10) =
ZEuP 1995, 846 m. Anm. Kubis; BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 270 (279) = NJW
2003, 3488.
6 Weller in Calliess/Renner, Art. 1 Rome I Rz. 10, 11; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1
Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20.
7 OLG Hamburg v. 18.5.2017 – 4 U 194/16, IPRspr. 2017 Nr. 55 = NJW-RR 2017, 1465 (Rechts-
anwaltsgebühr).
8 EuGH v. 25.3.2021 – C-307/19, ECLI:EU:C:2021:236 (Obala i lučice) Rz. 73.
9 Vgl. allgemein de Nova, Wann ist ein Vertrag „international“?, FS Ferid (1978), S. 307; Delaume,
What is an International Contract?, I.C.L.Q. 28 (1979), 258.
10 Dazu Siehr, AWD 1973, 569 (571 f.).
11 Vgl. zum EVÜ Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (231 f.).

Martiny | 35
§ 1 Rz. 1.80 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Charakter zu geben. Die Wahl ausländischen Rechts ist nur dann zulässig, wenn das Rechts-
verhältnis eine Auslandsberührung enthält1, d.h. Elemente, die eine Verbindung zu einer aus-
ländischen Rechtsordnung aufzeigen. In reinen Inlandsfällen ohne räumliche oder persönliche
Anknüpfung mit dem Ausland soll daher keine Rechtswahl zulässig sein.

1.81 Hingegen wird man annehmen dürfen, dass als Auslandsberührung für die Art. 1 ff. Rom I-
VO die Wahl eines ausländischen Rechts ausreicht2. Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 Rom I-
VO (früher Art. 27 Abs. 3 EGBGB), die in solchen Fällen inländische zwingende Normen
durchsetzen will, setzt nämlich eine gültige Rechtswahl voraus3. Ferner lässt sich dieser Vor-
schrift im Umkehrschluss eine großzügige Haltung gegenüber der Auslandsberührung ent-
nehmen4, vgl. Rz. 2.137 ff.

1.82 Die einfachste Form des Auslandsbezuges ist, wenn jede Vertragspartei ihren gewöhnlichen
Aufenthalt oder ihre Geschäftsniederlassung in einem anderen Staat hat. Der Auslandsbezug
kann aber in vielfältiger Weise erscheinen5. Präzise Formeln für eine Auslandsberührung und
insbesondere für ihr Fehlen konnte man bislang nicht finden. Die Auslandsberührung kann
außer im Abschlussort in der Person der Vertragspartner liegen (Staatsangehörigkeit), ferner
in objektiven vertragsimmanenten Kriterien, insbesondere darin, dass bei Vertragserfüllung
Wertbewegungen ausgelöst werden, die den Bereich einer Rechtsordnung überschreiten6. Fer-
ner kann im Ausland belegenes Vermögen betroffen sein. Schließlich kann das eigentliche Ge-
schäft auch mit Verträgen zusammenhängen, die ihrerseits mit dem Ausland verbunden sind7.
Es genügt auch, wenn der Auslandsbezug erst nach Vertragsabschluss eintritt8.

5. Ausnahmen des Art. 1 Rom I-VO


a) Grundsatz der Nichtanwendung
1.83 Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO9 zählt eine Reihe von Angelegenheiten auf, für welche die VO nicht
gilt. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO.

1.84 Bestimmte Bereiche sind vom Anwendungsbereich der besonderen Kollisionsnormen für ver-
tragliche Schuldverhältnisse ausgenommen. Dabei handelt es sich um Rechtsverhältnisse, die
trotz ihres Bezugs zum vertraglichen Schuldrecht anderen Rechtsgebieten zuzuordnen sind
oder aufgrund ihrer besonderen Natur anderen kollisionsrechtlichen Regeln unterliegen10.

1 Vgl. Wagner, ZZP 131 (2018), 183 (196 ff.).


2 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107
(111 f.); Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 5; Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10.
3 Vgl. auch Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (232 f.)
4 Sandrock, RIW 1986, 841 (847).
5 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-64). – Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 42; Sandrock,
RIW 1986, 841 (846).
6 S. näher Simitis, JuS 1966, 211 ff.; Trinkner, Anm. zu LAG Düsseldorf v. 16.5.1972 – 8 Sa 126/72,
AWD 1973, 31 (33 f.).
7 Vgl. von Hoffmann in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam 1982), S. 221 (223). – S. schon
OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46 (Kaufvertrag über Ware aus Übersee.
Zwei Hamburger Kaufleute vereinbarten ein engl. Schiedsgericht und engl. Recht [Bedingungen der
London Cattle Food Trade Association]: „Die Vereinbarung des engl. Rechts überschreitet nicht die
Grenzen, die der Parteiautonomie gesteckt sind, wenn ein Vertragsstatut festgelegt wird.“).
8 Näher Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (234).
9 Ähnlich früher Art. 37 EGBGB in Anlehnung an Art. 1 Abs. 2–4 des EVÜ.
10 So zu Art. 37 EGBGB BT-Drucks. 10/504, 84.

36 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.89 § 1

Die Aufzählung der ausgeschlossenen Materien in Art. 1 Rom I-VO hat zur Wirkung, dass die 1.85
Verordnung hierauf nicht anzuwenden ist. Die Vorschrift hat insoweit den Charakter einer
„Ausschlussnorm“1. Für die genannten Materien ist grundsätzlich das nationale Kollisions-
recht einschlägig, soweit nicht einzelne Staatsverträge oder andere unionsrechtliche Regeln
eingreifen. Solche ausdrücklichen Bestimmungen bestehen z.B. im internationalen Wert-
papierrecht (vgl. Rz. 1.98). Der Ausschluss bedeutet also nur, dass diese Sonderbestimmungen
auch weiterhin heranzuziehen sind. Besondere Kollisionsnormen bestehen auch für die famili-
en- und erbrechtlichen Fragen (Rz. 1.193 ff.) sowie für die Rechts-, Geschäfts- und Hand-
lungsfähigkeit (Rz. 1.92, Rz. 6.1057 ff.).

Die Bestimmungen der Verordnung können auch in ausgeschlossenen Materien angewendet 1.86
werden. Dass damit die Regeln unionsrechtlichen Ursprungs auch außerhalb der Verordnung
liegende Sachverhalte erfassen können, ist vom Standpunkt der Verordnung aus unbedenklich.
Der Bericht Giuliano/Lagarde bezeichnet ein solches Verfahren für das EVÜ als möglich2.

b) Analoge Anwendung
Greifen für den Ausschlusstatbestand keine besonderen Vorschriften ein, so stellt sich die Fra- 1.87
ge nach den anstelle der Art. 3 ff. Rom I-VO anzuwendenden Regeln. Als Lösung bieten sich
vor allem an die Weitergeltung der bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze
oder eine analoge Anwendung der Rom I-VO.

Bei auftretenden Lücken kommt eine analoge Anwendung einzelner Bestimmungen der VO 1.88
in Betracht. Zu einem Analogieschluss kann es dann kommen, wenn auch bei Anwendung
der anerkannten Auslegungsgrundsätze eine anders nicht zu schließende, unbeabsichtigte Lü-
cke bleibt. Eine Analogie ist im Rahmen der Grundsätze des europäischen Rechts möglich.

Unter dem EVÜ wurde teilweise die analoge Anwendung anderer Übereinkommensbestim- 1.89
mungen abgelehnt3. Dies hatte besondere Bedeutung in den sog. Gran Canaria-Fällen, in de-
nen die wirtschaftlichen Verbindungen auf das Land des Verbrauchers hindeuteten (vgl.
Rz. 35.53). Hier wurde für bestimmte Vertriebsgestaltungen eine analoge Anwendung des ver-
braucherschützenden Art. 5 Abs. 2 EVÜ (Art. 29 Abs. 1 EGBGB) vorgeschlagen4. Man konnte
annehmen, dass sich eine Analogie wegen der damaligen staatsvertraglichen Herkunft der
Norm verbot. Tatsächlich enthielt das EVÜ aber kein Analogieverbot5. Auch das ganze Aus-
legungsinstrumentarium des EuGH, mit dem er bislang dem dynamischen Charakter des Uni-
onsrechts zu entsprechen versucht hat, sprach gegen eine solche methodische Beschränkung.
Mit Recht hatte sich daher die Auffassung durchgesetzt, dass ein Analogieschluss grundsätz-
lich möglich ist6. Das gilt erst recht für die Rom I-VO7. Eine solche Analogie muss allerdings

1 Zum alten Recht Jayme, IPRax 1986, 265 (266).


2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45.
3 So Taupitz, BB 1990, 642 (648 f.); Mankowski, IPRax 1991, 305 (309); Junker, IPRax 1993, 1 (8);
Sonnenberger, ZEuP 1996, 382 (389).
4 So z.B. Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz (1993), S. 166 ff.; Klingsporn, WM 1994,
1093 (1095 f.); Klauer, S. 227 ff. S. auch Martiny, ZEuP 1993, 298 (301 f.).
5 Dazu näher Klauer, S. 227 ff.
6 So etwa Kohte, EuZW 1990, 150 (156); Klingsporn, WM 1994, 1093 (1100); Reinhart, RIW 1994,
445 (450).
7 Magnus in Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 125.

Martiny | 37
§ 1 Rz. 1.89 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

im Einzelfall geboten und mit einer einheitlichen europäischen Auslegung vereinbar, d.h. auch
für die anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten akzeptabel sein.

1.90 Die Lösung muss sich an Sinn und Zweck der Ausschlussregelung orientieren. Das nationale
Recht darf sich an den Grundsätzen der Verordnung orientieren, soweit dies geboten ist. Eine
inhaltliche Missbilligung ist mit dem Ausschluss der vertragsrechtlichen Regeln in Art. 1
Rom I-VO nicht stets verbunden; allerdings kann ebenso wenig behauptet werden, die Art. 3 ff.
Rom I-VO würden immer die richtige Lösung ermöglichen. Daher ist nach der Materie zu
differenzieren. Insbesondere in dem Internationalen Vertragsrecht zuzuordnenden Bereichen
kommt dann, wenn die Art. 3–22 Rom I-VO zur Lösung der jeweiligen Sachfrage inhaltlich
geeignet scheinen, eine analoge Anwendung dieser Normen in Betracht. Dies gilt vor allem
dort, wo sie allgemeine kollisionsrechtliche Prinzipien wie den Grundsatz der Parteiautono-
mie zum Ausdruck bringen1.

c) Öffentlich-rechtliche Angelegenheiten
1.91 Ausgenommen sind nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Rom I-VO (ebenso Art. 1 Abs. 1 S. 2
Rom II-VO) Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Für die
Abgrenzung kann man sich an den für die Brüssel Ia-VO verwendeten Kriterien orientieren.
Entscheidend ist die Rechtsbeziehung der Parteien, nicht die gerichtliche Zuständigkeit2. Die
Beteiligung einer staatlichen Stelle schließt die zivilrechtliche Natur noch nicht aus3.

6. Ausgeschlossene Materien (Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO)


a) Personenstand, Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. a
Rom I-VO)
1.92 Nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO4 ist die Verordnung nicht anzuwenden auf den Personen-
stand sowie die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, vor-
behaltlich des Art. 13 (dazu Rz. 6.1140 ff., Rz. 6.1236 ff.). Rechts-, Geschäfts- und Handlungs-
fähigkeit werden gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich nach dem Personalstatut des Be-
troffenen beurteilt; näher Rz. 6.1057 ff., Rz. 6.1190 ff.

b) Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis (Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO)


1.93 Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO5 schließt vertragliche Schuldverhältnisse bezüglich familienrecht-
licher Fragen vom Anwendungsbereich der Verordnung aus (ähnlich Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom II-
VO). Nach Erwägungsgrund 8 umfassen Familienverhältnisse die Verwandtschaft in gerader Li-
nie, die Ehe, die Schwägerschaft und die Verwandtschaft in der Seitenlinie. Ähnlich wie beim
EVÜ sollte das gesamte Familienrecht aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert werden6.

1 Vgl. BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = IPRax 1988, 26 (m.
Aufs. Basedow, IPRax 1988, 15) = RIW 1987, 215 (trotz des Ausschlusses in Art. 37 Nr. 1 EGBGB
wurden die allgemeinen Grundsätze auf die Gültigkeit von Rechtswahl- und Gerichtsstandsklausel
in einem Orderkonnossement angewendet).
2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62).
3 Garcimartín Alférez, EuLF, 2008, I-61 (I-63).
4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. a EVÜ. Ähnlich Art. 2 Abs. 2 EuGVO/LugÜ.
5 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. b EVÜ.
6 So zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 42.

38 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.98 § 1

Entgegen Art. 1 Abs. 2 EVÜ-Entw. 1972 sind Schenkungen nicht generell ausgeschlossen. 1.94
Auch Schenkungen innerhalb der Familie werden erfasst, soweit diese nicht unter das Famili-
enrecht fallen.

Die Bezugnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO auf Verhältnisse, die mit der Ehe oder an- 1.95
deren Familienverhältnissen vergleichbare Wirkungen entfalten, zielt auf gleichgeschlecht-
liche Lebensgemeinschaften ab1. Ob ihnen tatsächlich solche Wirkungen zukommen, soll
nach Erwägungsgrund 8 nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich das angerufene Ge-
richt befindet, ausgelegt werden. Dies deutet auf die lex fori hin2.

Nach der herkömmlichen Systematik des deutschen IPR werden vertragliche Vereinbarungen 1.96
dem jeweiligen Statut der geregelten Sachfrage zugeordnet, also z.B. der Güterrechtsvertrag
dem Ehegüterstatut (s. Art. 27 lit. d EuGüVO), der Erbvertrag dem Erbstatut (s. Art. 25 Eu-
ErbVO)3, ein die gesetzliche Unterhaltspflicht konkretisierender Unterhaltsvertrag dem Unter-
haltsstatut des Haager Unterhaltsprotokolls4. Folglich sind die Art. 3 ff. Rom I-VO auf diese
Verhältnisse nicht anzuwenden, auch soweit keine besondere Ausschlussbestimmung vorhan-
den ist. Soweit in familien- und erbrechtlichen Fragen Parteiautonomie zugelassen ist, haben
dies der europäische und der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet (z.B. in Art. 14
Abs. 2–4, 15 Abs. 2, 25 Abs. 2 EGBGB). Es ist nicht ausgeschlossen, sich bei Auslegung dieser
Kollisionsnormen in einzelnen Fragen (z.B. Gültigkeit der Rechtswahl) an den Lösungen zu
orientieren, die im Internationalen Vertragsrecht entwickelt wurden.

c) Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, Testamenten und Erbrecht (Art. 1


Abs. 2 lit. c Rom I-VO)
Nach Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom I-VO gilt die Verordnung nicht für Schuldverhältnisse aus ehe- 1.97
lichen Güterständen, aus Güterständen aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese
Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, und aus
Testamenten und Erbrecht. Ausgeschlossen sind daher Eheverträge sowie die entsprechenden
Vereinbarungen im Rahmen von Lebenspartnerschaften iS der EuGüVO sowie der EuPartVO
(dazu Rz. 6.781 ff.). Auch Vereinbarungen im Rahmen von nichtehelichen Lebensgemein-
schaften, die als familienrechtlich zu qualifizieren sind, fallen nicht unter die Verordnung5.
Erbverträge werden gleichfalls nicht erfasst. Für sie gilt Art. 25 EuErbVO.

d) Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren


Wertpapieren (Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO)
Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO6 betrifft wertpapierrechtliche Verpflichtungen; er schließt aus 1.98
dem Anwendungsbereich Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks und Eigenwechseln aus
(ebenso Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Der Bericht Giuliano/Lagarde nennt dafür mehrere
Gründe: Zum einen eigneten sich die Bestimmungen des EVÜ nicht für diese Art von Schuld-
verhältnissen. Zum anderen sei der größte Teil dieser Materie bereits in den Genfer Abkom-

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530). Näher Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623).
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530).
3 Thorn in Palandt, Art. 25 EuErbVO Rz. 2.
4 Staudinger in MünchKomm, Art. 1 HUP Rz. 35.
5 Anders Spickhoff in BRHP, Art. 1 Rom I-VO Rz. 36; Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 1.
6 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ bzw. Art. 37 Nr. 1 EGBGB (ähnlich Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom II-
VO). Vgl. auch Born, Europäisches Kollisionsrecht des Effektengiros (2014).

Martiny | 39
§ 1 Rz. 1.98 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

men geregelt, denen mehrere EU-Mitgliedstaaten angehören. Schließlich würden diese Ver-
bindlichkeiten z.T. als außervertragliche Schuldverhältnisse angesehen1.

1.99 Zu den bestehenden internationalen Regelungen gehören vor allem die Genfer Abkommen
vom 7.6.1930 und 19.3.1931 über das einheitliche Wechsel- und Scheckrecht und über Bestim-
mungen auf dem Gebiet des internationalen Wechsel- und Scheckprivatrechts2. Schlechthin
ausgenommen sind allerdings nur Wechsel (bills of exchange; lettres de change), Schecks (che-
ques; chèques) und Eigenwechsel (promissory notes; billets à ordre). Für sie gelten die eigen-
ständigen Kollisionsnormen in Art. 91–98 WG sowie Art. 60–66 ScheckG3. Eine Absage an
die Parteiautonomie liegt im Ausschluss durch Art. 1 Rom I-VO nicht4.

1.100 Verpflichtungen aus Inhaberpapieren und Orderpapieren („anderen handelbaren Wert-


papieren“ [other negotiable instruments; instruments négociables]) sind dagegen nur inso-
weit ausgeschlossen, als die Verpflichtungen aus der Handelbarkeit entstehen. Ob ein Doku-
ment als handelbares Papier einzustufen ist oder nicht, wird nicht von der Rom I-VO geregelt.
Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sind auch insoweit uneinheitlich. Bei der Norm-
anwendung wird man zu unterscheiden haben. Für die Definition der Handelbarkeit selbst ist
eine einheitliche Auslegung möglich; hierfür könnte der EuGH einen einheitlichen Begriff
entwickeln5. Im Kern geht es um Umlauffähigkeit6 bzw. ob die verbriefte Forderung mit der
Übertragung des Papiers übergeht7. Nach dem EVÜ sollte über die Einordnung des einzelnen
Papiers das am Gerichtsstand geltende Recht einschließlich des dort geltenden Kollisions-
rechts entscheiden8. Nunmehr dürfte es allein auf die Rom I-VO ankommen9. Keine handel-
baren Wertpapiere sind Kryptowährungen wie etwa Bitcoins10.

1.101 In Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO sind die Auswirkungen der spezifisch wertpapierrechtlichen
Funktionen dieser Papiere gemeint. Darunter sind nach der Begründung zum früheren Art. 37
EGBGB „alle schuldrechtlichen Verpflichtungen aus dem Wertpapier zu verstehen, die im In-
teresse der Verkehrsfähigkeit besonders ausgestaltet sind, etwa die durch die Übertragung des
Papiers zustande kommenden Verpflichtungen sowie der weitgehende Ausschluss von Ein-
wendungen“. Die Handelbarkeit hat zur Folge, dass das Recht beim Orderpapier durch Indos-
sament, beim Inhaberpapier durch Besitzübergabe übertragen werden kann. Verträge über
den Kauf solcher Papiere unterliegen aber der Rom I-VO11.

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 43.


2 RGBl. II 1933, 377 (444) und 537 (594).
3 Näher dazu Magnus in Staudinger, Art. 1 Anh. I Rom I-VO; Martiny in MünchKomm, Art. 1
Rom I-VO Rz. 35 ff.
4 BGH v. 5.10.1993 – XI ZR 200/92, IPRspr. 1993 Nr. 43 = RIW 1994, 419 = IPRax 1994, 452 (m.
Aufs. Straub, IPRax 1994, 432) (zu Art. 37 Nr. 1 EGBGB).
5 von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 32. – So schon zum EVÜ Schultsz, The Concept of
Characteristic Performance and the Effect of the E. E. C. Convention on Carriage of Goods in
North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 185 (188). – Anders
Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, (1995), S. 128 f.
6 Mankowski, TranspR 2008, 417 (421 f.).
7 Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 65.
8 So wohl auch Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 43; Nemeth in Czernich/Heiss, Art. 1
EVÜ Rz. 33; von Hoffmann in Soergel, Art. 37 EGBGB Rz. 35. – Krit. Morse, Yb. Europ. L. 2
(1982), 107 (113).
9 Mankowski, TranspR 2008, 417 (418 ff.); Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 67.
10 Stürner, Europ. VertragsR, § 32 Rz. 74.
11 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-63).

40 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.106 § 1

Für handelbare Wertpapiere ist für die genannten Verpflichtungen eine direkte Anwendung 1.102
der Art. 3 ff. Rom I-VO ausgeschlossen. Diese gelten insbesondere nicht für Wertpapiere (La-
deschein, Lagerschein und Konnossement). Da für diese keine besonderen gesetzlichen Kolli-
sionsnormen vorhanden sind, unterliegen sie weiterhin den Grundsätzen, die von Rechtspre-
chung und Lehre entwickelt worden sind1. Es ist aber zulässig, in der Rom I-VO enthaltene
allgemeine Grundsätze heranzuziehen2. Zu Rekta- und Namenspapieren s. Rz. 15.163 ff.

Nach Erwägungsgrund 9 sollen unter Schuldverhältnisse aus Wechseln, Schecks, Eigenwech- 1.103
seln und anderen handelbaren Wertpapieren auch Konossemente fallen, soweit die Schuldver-
hältnisse aus dem Konnossement aus dessen Handelbarkeit entstehen. Dazu Rz. 15.158 ff.

Die Abtretung eines nicht in handelbarer Urkunde verkörperten Anspruchs richtet sich 1.104
nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 3 ff., insb. Art. 14 Rom I-VO. Ist nämlich ein An-
spruch übertragbar, das Dokument, aus dem er sich ergibt, jedoch nicht handelbar, so sind
Verträge über dieses Dokument nicht ausgeschlossen. Daraus ergibt sich nach dem Bericht
Giuliano/Lagarde, dass Konnossemente und ähnliche, i.V.m. Beförderungsverträgen aus-
gestellte Dokumente, Schuldverschreibungen, Schuldscheine, Bürgschaften, Indemnitätsbriefe,
Hinterlegungsscheine, Lagerscheine und Lagerempfangsscheine nur soweit ausgeschlossen
werden, als sie als handelbare Papiere angesehen werden können3.

e) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO)


Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO4 ebenfalls 1.105
vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen5. Vgl. Rz. 7.1 ff. Der Ausschluss von
Gerichtsstands- und Schiedsklauseln ist vom deutschen Standpunkt aus richtig, weil solche
Klauseln in den Zusammenhang des Internationalen Verfahrensrechts gehören. Die Zuläs-
sigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen unterliegt weiterhin Art. 25 Brüssel Ia-
VO (früher Art. 23 EuGVO). Für die Problematik des Zustandekommens und der Wirksam-
keit (dazu Rz. 7.41 ff., Rz. 7.292 ff.) bedeutet der Ausschluss nichts. Die Verordnung verbietet
nicht, die Gerichtsstandsvereinbarung weiterhin (auch) als materiell-rechtlichen Vertrag anzu-
sehen und zur Bestimmung des auf ihn anzuwendenden Rechts auf die Kollisionsnormen für
Schuldverhältnisse zurückzugreifen6.

Entsprechendes gilt für Schiedsklauseln. Ihr Ausschluss betrifft nach dem Bericht Giuliano/ 1.106
Lagarde nicht nur die verfahrensrechtlichen Aspekte, sondern auch das Zustandekommen, die

1 S. bereits BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = RIW 1987, 215 =
WuB VII A. § 38 ZPO 1.87 abl. Anm. Abraham (Streitig war, ob Rechtswahl- und Gerichtsstands-
klauseln in im Kleindruck wiedergegebenen Konnossementsbedingungen des Verfrachters wirk-
sam waren. Die Art. 27 ff. EGBGB wurden nicht direkt angewendet, da es sich – angeblich – um
Verpflichtungen i.S.d. Art. 37 Nr. 1 EGBGB handelte: „Hierzu gehören zweifellos jene Verpflich-
tungen, die aus der Übertragungsfunktion des Indossaments eines Orderkonnossements folgen,
wie die Verpflichtung des Verfrachters zur Herausgabe der Güter oder zur Leistung von Schadens-
ersatz gem. § 606 HGB wegen Verlustes oder Beschädigung der Güter.“ Gleichwohl den allgemei-
nen Rechtsgedanken des Art. 31 Abs. 1 EGBGB (heute Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) angewendet;
Recht von Sri Lanka für maßgeblich gehalten).
2 Leible in NK, Art. 1 Rom I-VO Rz. 59.
3 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 43.
4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. d EVÜ.
5 Dazu krit. Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1692 ff.).
6 S. schon Sandrock, RIW 1986, 841 (845 f.).

Martiny | 41
§ 1 Rz. 1.106 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Rechtsgültigkeit und die Wirkungen dieser Vereinbarungen1. Der Ausschluss nach Art. 1
Abs. 2 lit. e Rom I-VO steht auch einer analogen Anwendung der Rom I-VO entgegen2. Ist
die Schiedsklausel Bestandteil eines Vertrages, so erstreckt sich der Ausschluss vom Anwen-
dungsbereich der Verordnung nur auf die Klausel selbst und nicht auf den gesamten Vertrag.
Dieser Ausschluss hindert aber nicht, Zustandekommen und Wirksamkeit nach vertragsrecht-
lichen Grundsätzen zu beurteilen (näher dazu Rz. 7.41 ff.), und auch nicht, die genannten
Klauseln bei stillschweigender Rechtswahl zu berücksichtigen (dazu Rz. 2.86 ff.).

1.107 Auch ein Schiedsgericht muss das in der Sache anwendbare Recht bestimmen (näher
Rz. 7.438 ff.)3. Im Bericht Giuliano/Lagarde heißt es dazu, der Ausschluss in Art. 1 Abs. 2 lit. d
EVÜ (nunmehr Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO) betreffe lediglich die Schiedsvereinbarung und
nicht den Hauptvertrag selbst4. Der bei der Reform der deutschen Internationalen Schieds-
gerichtsbarkeit neu gefasste § 1051 Abs. 1 ZPO gestattet ausdrücklich eine subjektive Rechts-
wahl. Bei der objektiven Anknüpfung soll das Recht desjenigen Staates zum Zuge kommen,
mit dem der Gegenstand des Verfahrens die „engsten Verbindungen“ aufweist. Im Laufe der
Gesetzgebungsarbeiten setzte sich – entgegen dem Ausgangspunkt der Reformkommission –
eine Bezugnahme auf die damaligen Art. 3 ff. EGBGB durch5; das Schiedsverfahrensrecht soll-
te mit ihnen übereinstimmen. Dies hat sich freilich im Gesetz selbst nicht bzw. nur ansatzwei-
se niedergeschlagen6. Folglich besteht Unsicherheit, ob ein Schiedsgericht im Rahmen der
ZPO alle7 bzw. nur einige Vorschriften der Art. 3 ff. Rom I-VO direkt oder entsprechend he-
ranzuziehen hat oder ob sie den Schiedsrichter gar nicht binden8. Entgegen der Begründung
des Regierungsentwurfs9 bezieht sich die Äußerung im Bericht Giuliano/Lagarde nur auf die

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44.


2 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, RIW 2021, 233 = SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 50.
3 S. Basedow, Vertragsstatut und Arbitrage nach neuem IPR, JbPraxSchG 1 (1987), 3; Handorn, Das
Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (2005); Junker, Deut-
sche Schiedsgerichte und Internationales Privatrecht, FS Sandrock (2000), S. 443; Kulpa, Das an-
wendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005); Martiny,
Die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch das Schiedsgericht in FS Schütze (1999),
S. 529; Sandrock, Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach § 1051 Abs. 2 der deutschen
ZPO in der Fassung des SchiedsVG von 1997, Mélanges Sturm II (Liège 1999), S. 1645; Sandrock,
Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach § 1051 Abs. 2 ZPO, RIW 2000, 321; Schütze, Die
Bestimmung des anwendbaren Rechts im Schiedsverfahren und die Feststellung seines Inhalts in
Law of International Business and Dispute Settlement – Liber Amicorum Böckstiegel (2001),
S. 715; Solomon, Das vom Schiedsgericht in der Sache anzuwendende Recht nach dem Entwurf
eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, RIW 1997, 981; Vocke, Die Bestim-
mung des anzuwendenden materiellen Rechts in internationalen Handelsschiedsverfahren im
Lichte des deutschen Schiedsverfahrensrechts v. 1.1.1998 (2002); Wagner, Rechtswahlfreiheit im
Schiedsverfahren, FS. Schumann (2002), S. 535.
4 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44.
5 S. BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit – The New
German Arbitration Law (1998), S. 260 f. – Dazu Berger, Das neue deutsche Schiedsverfahrens-
recht, DZWiR 1998, 45 (52); Berger, Das neue Recht, Entstehungsgeschichte und Leitlinien des
neuen deutschen Schiedsverfahrensrechts in Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichts-
barkeit (1998), S. 21 f.
6 Vgl. Solomon, RIW 1997, 981 ff.; Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen
Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005), S. 340 ff.
7 So Weigand, Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht, WiB 1997, 1273 (1276).
8 So Kronke, Internationale Schiedsverfahren nach der Reform, RIW 1998, 257 (262 f.).
9 S. bei Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 260 ff.

42 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.108 § 1

Beurteilung des Vertrages durch ein staatliches Gericht1. Die Kollisionsregeln des EVÜ bean-
spruchten daher für ein Schiedsverfahren keine Anwendung2. Das Gleiche gilt für die Rom I-
VO (näher Rz. 7.443 ff.)3.

Nach der Gesetzesbegründung liegt hingegen in der Maßgeblichkeit der „engsten Verbindung“ 1.108
eine Bezugnahme auf die damaligen Art. 3 ff. EGBGB, auf welche die gesetzliche Regelung
„der Sache nach“ abstelle4. Folglich sei die engste Verbindung nach dem Maßstab des Art. 28
EGBGB (heute Art. 4 Rom I-VO) zu bestimmen5. Diese Bestimmung beschränkt sich jedoch
nicht auf die Niederlegung eines Prinzips, sondern enthält eine differenzierende Regelung.
Daher ist zweifelhaft, ob lediglich das Grundprinzip der engsten Verbindung i.S.d. damaligen
Art. 28 Abs. 1 EGBGB (nunmehr Art. 4 ff. Rom I-VO) gemeint ist6 oder auch die Konkretisie-
rungen sowie die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO heranzuziehen sind7. Ins-
besondere die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung wird bejaht8. Andere ziehen die

1 Anders BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit
(1998), S. 261.
2 Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 4; Sandrock, RIW 1992, 785 ff.; Schlosser, Bald neues Recht der
Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland?, RIW 1994, 723 (727); Solomon, RIW 1997, 986 ff.; Junker,
FS Sandrock (2000), S. 443 (451 ff.); Kessedjian, Liber Amicorum Siehr, S. 329 (338 f.); Martiny,
ZEuP 1999, 246 (247 ff.); Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 22 f.
– Anders Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 4. Aufl. (2007), Rz. 175. Unentschieden
Kronke, RIW 1998, 257 (262); Sandrock, RIW 2000, 321 ff.
3 S. etwa Thorn/Thon, Der Auslandsbezug im IPR in FS Kronke (2020), S. 569 (576 ff.).– Näher
Babić, Rome I Regulation: binding authority for arbitral tribunals in the European Union?, J. PIL
13 (2017), 71; Bělohlávek, Determining the law governing obligations in arbitration and the appli-
cability of the Rome I Regulation, NIPR 2020, 634; Grimm, Applicability of the Rome I and II
Regulations to International Arbitration, SchiedsVZ 2012, 189; Hausmann, Anwendbares Recht
vor deutschen und italienischen Schiedsgerichten in FS von Hoffmann (2011), S. 977; Mayer, Le
choix de loi dans la jurisprudence arbitrale in Corneloup/Joubert (Hrsg.), Le règlement commu-
nautaire „Rome I“ et le choix de loi dans les contrats (Paris 2011), S. 423 (428 f.); Nueber, Noch-
mals: Schiedsgerichtsbarkeit ist vom Anwendungsbereich der ROM I-VO nicht erfasst, SchiedsVZ
2014, 186; Schack, Sonderkollisionsrecht für private Schiedsgerichte? in FS. Schütze (2014), S. 511;
Schilf, Römische IPR-Verordnungen: kein Korsett für internationale Schiedsgerichte, RIW 2013,
678; Plender/Wilderspin, Rz. 5.035 (für England); Brödermann/Wegen in PWW, Art. 1 Rom I
Rz. 21; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I Rz. 40. – Anders Mankowski, Schiedsgerichte und die
Rom I-VO, RIW 2018, 1; McGuire, Grenzen der Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahrensrecht?,
SchiedsVZ 2011, 262; Czernich, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Schiedsverfahren,
WiBl 2013, 554.
4 BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtbarkeit (1998), S. 262;
Berger, DZWiR 1998, 45 (52).
5 Berger, DZWiR 1998, 45 (52 f.9; Lörcher in Lörcher/Lörcher, Das Schiedsverfahren – national/in-
ternational – nach neuem Recht, 2. Aufl. (2001), Rz. 196. – Dagegen Vocke, Die Bestimmung des
anzuwendenden materiellen Rechts in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2002),
S. 137 ff.
6 So wohl Solomon, RIW 1997, 984.
7 Zu Art. 28 EGBGB für Letzteres BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der
Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 262; Weigand, WiB 1997, 1273 (1277); Lörcher in Lörcher/Lör-
cher, Rz. 196 ff. – Dagegen Kronke, RIW 1998, 257 (263).
8 So Begr. RegE, BT-Drucks. 13/5274, 52 (53) = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgericht-
barkeit (1998), S. 262; Weigand, WiB 1997, 1273 (1277); Osterthun, Das neue deutsche Recht der
Schiedsgerichtsbarkeit, TranspR 1998, 177 (183); Lörcher in Lörcher/Lörcher, Rz. 197 ff. – Anders
Kronke, RIW 1998, 257 (263).

Martiny | 43
§ 1 Rz. 1.108 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

internationalvertragsrechtliche Anknüpfungsregel hingegen nur zur Konkretisierung des


schiedsrichterlichen Ermessens heran1. Da sich der Wortlaut des § 1051 Abs. 2 ZPO lediglich
auf die Nennung der engsten Verbindung beschränkt und eine Verweisung auf die gesetzli-
chen Kollisionsnormen weder vorgeschrieben noch inhaltlich geboten ist, besteht keine unbe-
dingte Bindung an diese Normen2. Ein Schiedsgericht kann sich daher zwar an diesen
Maßstäben orientieren, ist aber nicht in jedem Fall an sie gebunden3.

f) Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und Recht der juristischen Personen (Art. 1 Abs. 2


lit. f Rom I-VO)
1.109 Die Rom I-VO gilt nicht für das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristi-
schen Personen, wie z.B. die Errichtung, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Ver-
fassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die
persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Schulden der Ge-
sellschaft, des Vereins oder der juristischen Person (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO4). Insoweit
ist die Anwendung auf verschiedene Fragen bezüglich juristischer Personen und Vereinigun-
gen ohne Rechtspersönlichkeit ausgeschlossen5. Damit wird vor allem auf das internationale
Gesellschaftsrecht verwiesen6, dazu näher Rz. 6.1 ff. Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 1
Abs. 2 lit. d Rom II-VO.

1.110 Der Ausschluss gilt für alle jene Rechtsakte (Verträge, Verwaltungsakte, Registrierung), die
zum Gesellschaftsrecht – das autonom zu verstehen ist7 – gehören. Gemeint sind die „organi-
satorischen Aspekte“8, nicht das Innenverhältnis einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
Hingegen fallen nach dem Bericht Giuliano/Lagarde alle Rechtshandlungen oder Vorverträge,
deren einziges Ziel in der Begründung von Verpflichtungen zwischen den interessierten Par-
teien (den Gründern) im Hinblick auf die Errichtung einer Gesellschaft besteht, in den An-
wendungsbereich9. Treuhandverträge werden regelmäßig erfasst10. Treuhandverträge über die
Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft (Treuhandbeteiligungsverträge)
sind nicht vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen11. Eine vertragsrechtliche
Einordnung gilt idR für Blockchain-Netzwerke ohne eigene Gesellschaftsgründung12.

1 Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtbarkeit (1998), S. 22 f.


2 Ebenso Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623). Im gleichen Sinne für Art. 27 ff. EGBGB Kulpa, Das an-
wendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005), S. 346 f.
(351 f.).
3 Ebenso im Erg. Kulpa (vorige Fn.), S. 353.
4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ, der als Art. 37 Nr. 2 EGBGB übernommen wurde. Parallelvor-
schrift in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO.
5 Früher Art. 37 Nr. 2 EGBGB bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ.
6 Vgl. BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027 = EWiR 1995, 1187
(Geimer).
7 Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (32 f.). – S. Renner/Hesselbarth, Unternehmensverträge und die
Rom I-Verordnung, IPRax 2014, 117; Rödter, Das Gesellschaftskollisionsrecht im Spannungsver-
hältnis zur Rom I- und II-VO (2014).
8 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 33, NJW 2019, 2991 = IPRax 2020,
40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020, 18).
9 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44.
10 Wilhelm, IPRax 2012, 392 (394).
11 EuGH v. 3.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C:2019:827 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rie-
länder, IPRax 2020, 224 u. Aufs. Mock, ZEuP 2020, 672).
12 A.S. Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570 ff.).

44 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.115 § 1

g) Vertreter (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO)


Nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO1 ist aus dem Anwendungsbereich der VO die Frage aus- 1.111
geklammert, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er vorgibt zu handeln, oder ob
das Organ einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person diese Gesellschaft,
diesen Verein oder diese juristische Person gegenüber Dritten binden kann2.

Die Stellvertretung ist nach der herkömmlichen deutschen Systematik keine vertragsrechtliche 1.112
Frage, sondern gehört zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (vgl. Art. 8 EGBGB). Gegen-
stand des Ausschlusses ist aber nur der genannte Teilaspekt aus dem Verhältnis zwischen dem
Vertretenen und dem Dritten.

Die vertraglichen Beziehungen unter den Parteien (also insb. das Grundverhältnis zwischen 1.113
Geschäftsherrn bzw. Vertretenem und Stellvertreter) werden von dem Ausschluss nicht erfasst,
weil sie gegenüber anderen vertraglichen Schuldverhältnissen keine wesentlichen Besonder-
heiten aufweisen3. Zur Vertretungsmacht s. Rz. 6.1 ff.; zur Vollmacht näher Rz. 6.381 ff.

h) Gründung von „Trusts“ (Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom I-VO)


Literatur: de Barros Fritz, Die Anwendung der Rom I-VO auf die Errichtung eines „express inter
vivos trust“, RIW 2020, 734; Czermak, Der express trust im IPR (1986); Kötz, Zur Anknüpfung des
unter Lebenden errichteten trust, IPRax 1985, 205; Kötz, Die 15. Haager Konferenz und das Kollisi-
onsrecht des trust, RabelsZ 50 (1986), 562; Leithold, Die kollisionsrechtliche Qualifikation des zur
Nachlassplanung verwendeten inter vivos trust, FamRZ 2015, 709; Merkel, Die Qualifikation des eng-
lischen Trusts im deutschen internationalen Privatrecht (2020); Pirrung, Zur Ratifikation des Trust-
Übereinkommens, FS Heldrich (2005), S. 925; Rauscher, Konten deutscher Erblasser bei Banken in
New York, FS Lorenz ´80 (2001), S. 525; Schütt, Vorweggenommene Erbfolge unter der Rom I-Verord-
nung (2018); Wittuhn, Das IPR des trust (1987).
Ausgeschlossen sind ferner die Gründung von „Trusts“ sowie die dadurch geschaffenen 1.114
Rechtsbeziehungen zwischen den Verfügenden, den Treuhändern und den Begünstigten (Art. 1
Abs. 2 lit. h Rom I-VO)4. Gemeint ist der „trust“ i.S.d. Common-Law-Länder. Die gleicharti-
gen Institutionen des kontinentalen Rechts fallen dagegen unter die Rom I-VO, da sie norma-
lerweise vertraglichen Ursprungs sind. Der Richter hat allerdings die Möglichkeit, sie den In-
stitutionen des Common Law gleichzustellen, soweit sie die gleichen Merkmale aufweisen5.
Wegen des Ausschlusses des trust nahm man unter dem EVÜ vielfach an, dass die bisherigen
Grundsätze weiter galten6. Inzwischen wird bezüglich der schuldrechtlichen Aspekte für eine
entsprechende Anwendung der Grundsätze der Rom I-VO plädiert7.

Ein trust inter vivos bzw. living trust zeichnet sich dadurch aus, dass ein „settlor“ durch 1.115
Rechtsgeschäft unter Lebenden – theoretisch durch einseitigen Willensakt, in der Praxis regel-

1 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. f EVÜ bzw. Art. 37 Nr. 3 EGBGB.


2 Näher zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45. – Zwar wäre eine Erweiterung des Anwen-
dungsbereichs der Rom I-VO um die Stellvertretung wünschenswert gewesen (Martiny, ZEuP
2001, 308 (334 ff.)). Der Vorschlag der Kommission in Art. 7 des Entwurfs konnte jedoch nicht
überzeugen; näher Mankowski, IPRax 2006, 101 (108 f.); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 ff.; Spel-
lenberg in Ferrari/Leible (2007), S. 151 (153 ff.).
3 Begr. BT-Drucks. 10/504, 84 f.; Stürner in Erman, Art. 1 Rom I-VO Rz. 11.
4 Für die Anwendung auf die Vermögensübertragung bei Gründung de Barros Fritz, RIW 2020, 734 ff.
5 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45.
6 Jayme, IPRax 1986, 265 (266).
7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 313.

Martiny | 45
§ 1 Rz. 1.115 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

mäßig durch Vertrag – einen Dritten, den „trustee“, berechtigt und verpflichtet, das trust-Gut
zugunsten eines Begünstigten (beneficiary) oder bestimmter Zwecke zu verwalten bzw. darü-
ber zu verfügen. Unter der Fülle der Gestaltungen ist vor allem der Totten trust zu erwähnen,
der einem Bankvertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall entspricht1. Der trust ist dem
deutschen Recht nicht bekannt. Man kann jedoch gewisse Parallelen zu juristischen Personen
(Stiftungen) ziehen und ihn in einen Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Institutio-
nen stellen (vgl. Art. 7 Nr. 6 Brüssel Ia-VO). Dementsprechend qualifiziert man den trust häu-
fig gesellschaftsrechtlich2. Die funktionelle Verwandtschaft mit der Treuhand dürfte jedoch
größer sein, so dass eher eine schuldrechtliche Qualifikation des trust inter vivos in Betracht
kommt3. Auch die Rechtsprechung hat den trust mehrfach schuldrechtlich qualifiziert, insb.
den Totten trust des US-Rechts4.

1.116 Das für die Verpflichtung des trustee maßgebliche Recht kann durch Rechtswahl bestimmt
werden5. Mangels einer Rechtswahl ist in entsprechender Anwendung des Art. 4 Abs. 2
Rom I-VO auf die charakteristische Leistung des trustee abzustellen. Dies führt zum Recht
seines gewöhnlichen Aufenthalts bzw. seiner geschäftlichen Niederlassung6. Für die engste
Verbindung kommen auch der Ort der trust-Verwaltung sowie die Belegenheit des trust-Ver-
mögens in Betracht7.

1.117 Für den Fall, dass eine trust-Bestellung deutschem Recht unterliegt, hat der BGH in einem
obiter dictum die Unwirksamkeit der trust-Bestellung angenommen; allerdings hielt er eine
Umdeutung in eine Treuhandvereinbarung nach deutschem Recht für möglich8.

1.118 Im Einzelnen können sich beim trust schwierig abzugrenzende Beziehungen unter den Betei-
ligten ergeben. Das Verhältnis zwischen Begünstigtem und trustee ist jedenfalls schuldrecht-

1 Rauscher, FS Lorenz ‘80, S. 542 ff.; Czermak, S. 82 ff. (140 ff.).


2 Nachw. bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 309.
3 Leithold, FamRZ 2015, 709 (712); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 312. – So auch Czermak,
S. 149 ff. (204 ff.); Wittuhn, S. 120 ff. m.w.N.
4 BGH v. 15.4.1959 – V ZR 5/58, IPRspr. 1958/59 Nr. 49 = RabelsZ 25 (1960), 313 Anm. Knauer =
NJW 1959, 1317 (Amerikan. Erblasserin hatte in New York Banksparkonten mit Vermerk „in
trust for ...“ angelegt. Für die Frage, ob der Begünstigte die Forderung erworben oder behalten
hatte, war nach allen denkbaren Anknüpfungspunkten – Parteiwille, Schuldnerwohnsitz, Erfül-
lungsort, Heimatstaat der Erblasserin oder der Bank – das New Yorker Recht maßgebend); BGH
v. 10.6.1968 – III ZR 15/66, IPRspr. 1968–69 Nr. 160 = WM 1968, 1170 (Amerikan. Erblasserin
hatte durch Sparvertrag mit New Yorker Bank Totten trust begründet. Ob dieses Guthaben der
Erblasserin im Todeszeitpunkt zustand und einen Nachlassgegenstand darstellte, wurde nach dem
am Banksitz geltenden Recht beurteilt, dem sich die Erblasserin mit Abschluss des Sparvertrages
unterworfen habe).
5 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 310.
6 Zu Art. 28 EGBGB Wittuhn, S. 139.
7 Dafür primär unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 lit. b und lit. c Rom I-VO, Kindler in Münch-
Komm, IntGesR Rz. 314.
8 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, ZIP 1984, 1405 = GmbHR 1985, 86 = IPRax 1985, 221 (m.
Aufs. Kötz, IPRax 1985, 205). Vgl. auch schweiz. BG v. 29.1.1970, BGE 96 II, 79 = Clunet 103
(1976), 695 Anm. Lalive = SchweizJahrbIntR 27 (1971), 223 Anm. Vischer (US-Amerikaner errich-
tete Trust durch Übertragung von Wertpapieren auf schweiz. Bank. Begünstigter war seine ge-
schiedene Ehefrau. Im Todesfall sollten seine Kinder erben. Die Vereinbarung enthielt aus schweiz.
Sicht Elemente des Auftrags, der Vereinbarung über eine fiduziarische Eigentumsübertragung, der
Schenkung sowie des Vertrages zugunsten Dritter und wurde als gemischter schuldrechtlicher Ver-
trag qualifiziert. Wegen engster räumlicher Beziehung zum schweiz. Recht dieses angewendet).

46 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.122 § 1

lich einzuordnen und folgt dem trust-Statut1. Für das Verhältnis zwischen settlor (Erblasser)
und Begünstigtem ist nach den Regeln über die Schenkung zu verfahren2. Sachenrechtliche
Fragen unterstehen der lex rei sitae3.

Das Haager „Übereinkommen über das auf trusts anzuwendende Recht und über ihre An- 1.119
erkennung“ vom 1.7.19854 gilt seit dem 1.1.1992 für Australien, Italien und das Vereinigte
Königreich, ferner für Kanada (1.1.1993), Liechtenstein (1.4.2006), Luxemburg (1.1.2004),
Malta (1.3.1996), Monaco (1.9.2008), die Niederlande (1.2.1996), Panama (1.12.2018), die
Schweiz (1.7.2007) sowie Zypern (1.6.2017). Es bezieht sich auf trusts inter vivos und auf sol-
che, die durch letztwillige Verfügung errichtet wurden, wenn sie bestimmte Merkmale erfüllen
(Art. 2). Der trust muss freiwillig errichtet und schriftlich bestätigt worden sein (Art. 3). Das
anwendbare Recht wird in erster Linie durch Rechtswahl (Art. 6), hilfsweise durch die engste
Verbindung (Art. 7) bestimmt. Nach den Regeln der Konvention geschaffene trusts sind anzu-
erkennen (Art. 11)5.

i) Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Vertragsabschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. i


Rom I-VO)
Schuldverhältnisse, die aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags entstehen, fallen un- 1.120
ter Art. 12 der Rom II-VO. Sie sind daher vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenom-
men worden (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO)6. S. Rz. 4.39 ff.

j) Versicherungsverträge (Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO)


Die Rom I-VO gilt grundsätzlich für Versicherungsverträge. Es besteht jedoch ein Ausschluss 1.121
nach Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO für einen speziellen Fall der betrieblichen Altersversorgung.
Sie betrifft Versicherungsverträge aus von anderen Einrichtungen als den in Art. 2 der Richt-
linie 2002/83/EG über Lebensversicherungen von 20027 genannten Unternehmen durch-
geführten Geschäften. Dabei geht es um Geschäfte, deren Zweck darin besteht, den unselbst-
ständig oder selbstständig tätigen Arbeitskräften eines Unternehmens oder einer Unterneh-
mensgruppe oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe im Todes- oder Er-
lebensfall oder bei Arbeitseinstellung oder bei Minderung der Erwerbstätigkeit oder bei ar-
beitsbedingter Krankheit oder Arbeitsunfällen Leistungen zu gewähren.

Der deutsche Gesetzgeber hat davon abgesehen, für diesen Fall, der auf einen Wunsch Schwe- 1.122
dens zurückgeht, eine nationale Kollisionsnorm zu schaffen, s. Rz. 36.60.

1 Czermak, S. 210.
2 Näher Czermak, S. 157 ff. (166 ff., 210 ff.).
3 Czermak, S. 212 ff.
4 Engl. u. französ. Text: RabelsZ 50 (1986), 698; deutsche Übersetzung: IPRax 1987, 52 sowie bei
Schulze/Zimmermann, II 30.
5 Zum Inhalt näher Kötz, RabelsZ 50 (1986), 564 ff.
6 So auch Erwägungsgrund 10. Näher Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (34 ff.). – Krit. zum Entwurf
Mankowski, IPRax 2006, 101.
7 Richtlinie 2002/83/EG v. 5.11.2002 über Lebensversicherungen, ABl. EG 2002 Nr. L 345, S. 1.
Nicht mehr in Kraft seit 31.12.2015.

Martiny | 47
§ 1 Rz. 1.123 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

k) Beweis und Verfahren (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO)


1.123 Vorbehaltlich des Art. 18 Rom I-VO ist die Verordnung auch nicht auf den Beweis und auf
das Verfahren anwendbar (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO)1. Vgl. Rz. 3.176 ff. Eine Parallelvorschrift
findet sich in Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO.

1.124 Dies wirft hinsichtlich des Verfahrens keine Zweifelsfragen auf, da Verfahrensfragen ohnehin
nicht dem Vertragsstatut unterliegen. Der Ausschluss des Beweises erfolgte sowieso vor-
behaltlich des Art. 18 Rom I-VO, der bestimmte Beweisfragen regelt. Somit gelten die Normen
des Internationalen Vertragsrechts für den Beweis, soweit dies angeordnet ist.

VI. Verhältnis zu anderen Unionsrechtsakten


1. Weitergeltung anderen Unionsrechts (Art. 23 Rom I-VO)
1.125 Das Verhältnis zu anderen Unionsrechtsakten wird von Art. 23 Rom I-VO geregelt2. Mit Aus-
nahme von Art. 7 berührt die Rom I-VO nicht die Anwendung von unionsrechtlichen Vor-
schriften, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse
enthalten. Die gesonderte Nennung des Art. 7 stellt klar, dass die Rom I-VO insoweit das frü-
here Richtlinienrecht in Versicherungssachen abgelöst hat, s. Rz. 1.41. Eine Liste der Unions-
rechtsakte enthält die VO – anders als noch der Entwurf von 2005 – nicht3. Eine Parallelvor-
schrift findet sich in Art. 27 Rom II-VO.

1.126 Erwägungsgrund 40 betont, dass die Aufteilung der Kollisionsnormen auf zahlreiche Rechts-
akte sowie Unterschiede zwischen diesen Normen vermieden werden sollten. Die Rom I-VO
sollte jedoch der Aufnahme von Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse in uni-
onsrechtlichen Vorschriften über besondere Gegenstände nicht entgegenstehen4. Sie soll die
Anwendung anderer Rechtsakte nicht ausschließen, die Bestimmungen enthalten, die zum rei-
bungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen, soweit sie nicht in Verbindung mit
dem Recht angewendet werden können, auf das die Regeln der Verordnung verweisen. Die
Anwendung der Vorschriften im anzuwendenden Recht, die durch die Bestimmungen der
Rom I-VO berufen wurden, soll auch nicht die Freiheit des Waren- und Dienstleistungsver-
kehrs, wie sie in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr5 ausgestaltet ist, be-
schränken.

2. Entstehungsgeschichte
1.127 Vorläufer der Bestimmung ist Art. 20 EVÜ über den Vorrang des Unionsrechts6. Danach be-
rührt das EVÜ nicht die Anwendung der Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnis-
se auf besonderen Gebieten, die in Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften
oder in dem in Ausführung dieser Akte harmonisierten innerstaatlichen Recht enthalten sind
oder enthalten sein werden. In Deutschland wurde dies in der allgemeinen Vorschrift des
Art. 3 Abs. 2 S. 2 EGBGB a.F. (nunmehr Art. 3 Nr. 1 EGBGB) umgesetzt. Danach blieben

1 Früher Art. 14 EVÜ.


2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65). Vorläufer ist Art. 20 EVÜ.
3 Zu Art. 22 lit. a Rom I-VO-Entw. i.V.m. Anh. I s. Mankowski, IPRax 2006, 101 (112); Leible/Leh-
mann, RIW 2008, 528 (531).
4 So auch Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-66).
5 ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1.
6 Vgl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531).

48 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.129 § 1

Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften unberührt. Bei der Reform des
EVÜ war zunächst gem. Art. 23 Rom I-VO-Entw. 2005 ein Verzeichnis der Rechtsakte in ei-
nem Anhang I vorgesehen1. In der endgültigen Fassung der Rom I-VO wurde zwar auf eine
solche Aufzählung aus Praktikabilitätsgründen verzichtet, dennoch kann sie einen Anhalts-
punkt dafür bilden, welche Rechtsakte von Art. 23 Rom I-VO erfasst werden sollen2. Aller-
dings haben die ursprünglich nicht genannten Verbraucherschutzrichtlinien durch die spätere
Zulassung der Rechtswahl in Art. 6 Rom I-VO besondere Bedeutung gewonnen.

3. Einheitsrecht
Es wird vorausgesetzt, dass materielles Einheitsrecht Vorrang hat. Die Anwendung von Ein- 1.128
heitsrecht kann sich aus internationalen Übereinkommen (s. Rz. 1.142) oder aus europäischen
Verordnungen (s. Rz. 1.130) ergeben. Dass in Staatsverträgen niedergelegtes Einheitsrecht Vor-
rang hat, hat namentlich für das Recht des Warenkaufs und das Transportrecht Bedeutung.
Auch unionsrechtliche Verordnungen haben Vorrang. Dies gilt etwa für das Transportrecht.

4. Kollisionsnormen in Verordnungen und Richtlinien


a) Grundsatz
Verordnungen und Richtlinien gehören zum sekundären Unionsrecht (Art. 288 AEUV). Beide 1.129
stehen im Rang unter dem primären Unionsrecht. Verordnungen und Richtlinien sind als
gleichwertig anzusehen. Kollisionen innerhalb des sekundären Unionsrechts werden grds.
nach der lex specialis- und der lex posterior-Regel gelöst. Das heißt, speziellere Normen ge-
hen den allgemeinen (lex specialis derogat legi generali), das später gesetzte Recht geht dem
früher gesetzten (lex posterior derogat legi priori) vor. Die Rom I-VO regelt die Beziehung der
Rom I-VO zu den übrigen Verordnungen bzw. Richtlinien jedoch in Art. 23 Rom I-VO selbst.
Danach berührt die Rom I-VO grundsätzlich die Anwendung von Vorschriften des Unions-
rechts nicht, die in besonderen Bereichen (particular matters; domaines particuliers) Kollisi-
onsnormen (conflict-of-law rules; règlent les conflits de lois) für vertragliche Schuldverhält-
nisse (contractual obligations; en matière d’obligations contractuelles) enthalten. Es gilt der
Vorrang des spezielleren Rechts3. Insofern sanktioniert die Vorschrift aber auch die beste-
hende kollisionsrechtliche Zersplitterung, insbesondere durch die unterschiedliche nationale
Umsetzung von Richtlinien4. Ähnlich wie bei Art. 25 Rom I-VO ist umstritten, ob einheitliche
Sachnormen (z.B. transportrechtliche Verordnungen) ohne weiteres direkt anwendbar5 oder
ob ihre statutistischen Anwendungsnormen als Kollisionsregeln anzusehen sind6.

1 Darin waren enthalten: Richtlinie 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig
aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern; Richtlinie 96/71/EG v.
16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleis-
tungen; Zweite Richtlinie „Schadenversicherung“ (Richtlinie 88/357/EWG v. 22.6.1988, geändert
und ergänzt durch die Richtlinien 92/49/EWG und 2002/13/EG); Zweite Richtlinie „Lebensver-
sicherung“ (Richtlinie 90/619/EWG v. 8.1.1990, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/96/
EWG und 2002/12/EG).
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531).
3 Wagner, TranspR 2009, 103 (106); Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1.
4 Krit. Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 2.
5 Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 4. Verneinend offenbar Hoffmann in Calliess/Renner, Art. 25
Rome I Rz. 4.
6 Mankowski in Magnus/Mankowski, Art. 23 Rome I Rz. 11; Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 23
Rom I-VO Rz. 18 (Stand 1.12.2020).

Martiny | 49
§ 1 Rz. 1.130 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

b) Verordnungen
1.130 Art. 23 Rom I-VO spricht von „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ und meint damit in
erster Linie die unmittelbar wirkenden europäischen Verordnungen. Die Rom I-VO regelt das
Verhältnis zur Rom II-VO nicht im Speziellen. Eine solche Regelung erscheint letztlich auch
nicht notwendig. Die von der Rom II-VO erfassten Gegenstände fallen grds. nicht in den An-
wendungsbereich der Rom I-VO, deren sachlicher Anwendungsbereich gem. Art. 1 lediglich
„vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ einbezieht. Für die c.i.c. ist nun
geklärt, dass diese der Rom II-VO und nicht der Rom I-VO unterfallen soll, s. Rz. 4.39 ff. Die
c.i.c wird nicht nur in Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO aufgeführt, sondern darüber hinaus nimmt
Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO auch „Schuldverhältnisse aus Vertragsverhandlungen vor Ab-
schluss eines Vertrages“ ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Die sachli-
chen Anwendungsbereiche beider Verordnungen überschneiden sich somit nicht, soweit die
Rom II-VO reicht.

c) Richtlinien
1.131 Vom Begriff „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ in Art. 23 Rom I-VO sind auch Richt-
linien erfasst1. Das wirkt sich vor allem für das Verbraucherrecht aus, das noch eine Reihe
von Richtlinien-Kollisionsnormen enthält2 (vgl. Rz. 1.35 ff.). Hierbei handelt es sich um Richt-
linien, welche in Art. 46b Abs. 3 EGBGB aufgezählt bzw. in Art. 46b Abs. 4 EGBGB genannt
werden (näher Rz. 35.111 ff.). Die Klauselrichtlinie ist auch für die Kontrolle von Rechtswahl-
klauseln herangezogen worden, s. Rz. 2.23 ff.

1.132 Im Einzelnen geht es um:


– die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Ver-
braucherverträgen3;
– die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu
bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter4;
– die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über
den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richt-
linie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG5;
– die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über
Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates6;
– die Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über
den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilnutzungsverträgen,
Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen7.

1 Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (112 f.).


2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-66). – Zum Rückgang des Richtlinienkollisionsrechts
Roth, AcP 220 (2020) 458 (488 f.).
3 ABl. EG 1993 Nr. L 95, S. 29.
4 ABl. EG 1999 Nr. L 171, S. 12.
5 ABl. EG 2002 Nr. L 271, S. 16.
6 ABl. EU 2008 Nr. L 133, S. 66.
7 ABl. EU 2009 Nr. L 33, 10. Sie trat an die Stelle der Richtlinie 94/47/EG v. 26.10.1994 zum Schutz
der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnut-
zungsrechten an Immobilien, ABl. EG 1994 Nr. L 280, S. 83.

50 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.135 § 1

Gestrichen wurde die Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Ver- 1.133
tragsabschlüssen im Fernabsatz1. Im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 wurde u.a. die Kul-
turgüterrichtlinie2 genannt. Diese sieht in Art. 3 einen Anspruch auf Rückgabe von unrecht-
mäßig verbrachten Kulturgütern vor. Allerdings hat nicht der Eigentümer einen solchen An-
spruch, sondern lediglich der Staat, so dass das Vorliegen eines „vertraglichen Schuldverhält-
nisses“ eher fraglich und eine öffentlich-rechtliche Qualifikation des Anspruchs nahe liegen-
der erscheint. Dies hätte zur Folge, dass der Anspruch aus Art. 3 der Kulturgüterrichtlinie von
vornherein nicht vom Anwendungsbereich der Rom I-VO erfasst wäre3, vgl. Rz. 5.94 f.

Der Anhang I zum Rom I-VO-Entw. 2005 nannte auch die inzwischen reformierte Richtlinie 1.134
96/71/EG von 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung
von Dienstleistungen4. Danach sind nach h.M. die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu
tragen, dass den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern der Mindestschutz auf den
in der Richtlinie genannten arbeitsrechtlichen Gebieten zuteil wird. Hierbei handelt es sich
nach h.M. um zwingende Bestimmungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO5, deren Anwendung
von der Kollisionsnorm des Art. 8 Rom I-VO unberührt bleiben soll. Eine solche Sichtweise
untermauert auch Erwägungsgrund 34, der das Verhältnis von Art. 8 Rom I-VO und den Ein-
griffsnormen des Staates, in dem Arbeitnehmer im Einklang mit der Entsenderichtlinie seine
Arbeit grenzüberschreitend verrichtet, zugunsten der betroffenen Eingriffsnormen regelt, in-
dem er festlegt, dass die Anwendung der letzteren von Art. 8 Rom I-VO unberührt bleiben
soll, näher Rz. 11.25. Der Erlass der Entsenderichtlinie steht im Einklang mit Art. 23 Rom I-
VO6.

Die E-Commerce-Richtlinie7 wurde im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 genannt8. Nach 1.135
Art. 3 dieser Richtlinie hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass die Dienste der Informa-
tionsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter er-
bracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden Vorschriften innerstaatlichen Vorschrif-
ten entsprechen. Umstritten ist, ob es sich hierbei um eine Kollisionsnorm handelt9. Dies ist

1 ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19.


2 Richtlinie 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, ABl. EG 1993 Nr. L 74, S. 74. – Nunmehr Richtlinie
2014/60/EU v. 15.5.2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mit-
gliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012
(Neufassung), ABl. EU 2013 Nr. L 159, S. 1.
3 So auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531).
4 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Er-
bringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, S. 1. Geändert durch Richtlinie (EU)
2018/957 v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitneh-
mern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU 2018 Nr. L 173, S. 16. – S. Weller
in Calliess/Renner, Art. 23 Rome I Rz. 5.
5 Vgl. Erwägungsgrund 34.
6 EuGH v. 8.12.2020 – C-620/18, ECLI:EU:C:2020:1001 (Ungarn/Parlament und Rat), NZA 2021,
113 Rz. 178.
7 Richtlinie 2000/31/EG v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informati-
onsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1.
8 Diese wird auch als Beispiel für die Parallelvorschrift des Art. 27 Rom II-VO im Erwägungs-
grund 35 der Rom II-VO genannt.
9 Vgl. ausführlich Drexl in MünchKomm, Art. 6 Rom II-VO Rz. 66 ff.; Martiny in MünchKomm,
Art. 9 Rom I-VO Anh. III Telemediengesetz.

Martiny | 51
§ 1 Rz. 1.135 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

jedoch abzulehnen; die Richtlinie will keine zusätzlichen Regelungen des Internationalen Pri-
vatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts schaffen1. Folglich ist sie nicht unter Art. 23
Rom I-VO zu subsumieren, da dieser Kollisionsnormen auf einem speziellen Gebiet voraus-
setzt.

1.136 Auch die Bedeutung der Dienstleistungsrichtlinie2 ist zu klären (vgl. dazu auch Rz. 18.6).
Nach Art. 3 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie betrifft sie nicht die Regeln des internationa-
len Privatrechts, insbesondere die Regeln des auf vertragliche und außervertragliche Schuld-
verhältnisse anzuwendenden Rechts, einschließlich der Bestimmungen, die sicherstellen, dass
die Verbraucher durch die im Verbraucherrecht ihres Mitgliedstaats niedergelegten Verbrau-
cherschutzregeln geschützt sind. Dem Wortlaut der Vorschrift nach greift die Richtlinie daher
nicht in das Internationale Vertragsrecht ein. Dies wird auch von Art. 17 Nr. 15 der Dienst-
leistungsrichtlinie gestützt, wonach Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie auf Bestimmungen
betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse, einschließlich der Form von
Verträgen, die nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts festgelegt werden, keine
Anwendung findet.

1.137 Besonders geregelt ist die Durchsetzung der Pauschalreiserichtlinie (Art. 46c EGBGB)3. Da-
bei geht es um die Haftung von Reiseveranstaltern und Vermittlern (s. Rz. 15.88 ff.).

5. Versicherungsverträge
1.138 Art. 23 Rom I-VO nennt den die Versicherungsverträge betreffenden Art. 7 Rom I-VO aus-
drücklich als Ausnahme (Rz. 1.125). Er berührt daher die Anwendung von Vorschriften des
Unionsrechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhält-
nisse enthalten. Im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 wurden sowohl die Zweite Richtlinie
„Schadenversicherung“4 als auch die Zweite Richtlinie „Lebensversicherung“5 genannt. Für
diese kehrt die letzte Fassung der Rom I-VO in Art. 23 das Vorrangverhältnis für Art. 7
Rom I-VO jedoch um. Schließlich heißt es dort: „Mit Ausnahme von Art. 7 berührt diese Ver-
ordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ...“. Daher setzt sich
die VO gegen das bedeutungslos gewordene Richtlinien-IPR durch6.

1 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09 und C-161/10, ECLI:EU:C:2011:685 (eDateAdvertising), Slg.


2011, I-10269 = ZIP 2011, 2224 = IPRax 2013, 247 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2013, 215) =
NJW 2012, 137 (m. Aufs. Brand, NJW 2012, 127) = EuZW 2011, 962 (m. Aufs. Heinze, EuZW
2011, 947).
2 Richtlinie 2006/123/EG v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU 2006 Nr. L
376, S. 36.
3 Richtlinie (EU) 2015/2302 v. 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur
Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. EU
2015 Nr. L 326, S. 1.
4 Richtlinie 88/357/EWG v. 22.6.1988, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/49/EWG und
2002/13/EG, ABl. EG 1988 Nr. L 172, S. 1.
5 Richtlinie 90/619/EWG v. 8.1.1990, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/96/EWG und
2002/12/EG, ABl. EG 1990 Nr. L 330, S. 50.
6 Perner, IPRax 2009, 218 (219); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 7 (Stand
1.12.2020).

52 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.141 § 1

VII. Beziehung zum Übereinkommen von Rom (Art. 24 Rom I-VO)


Art. 24 Rom I-VO regelt die Beziehung zum Übereinkommen von Rom (EVÜ). Danach tritt 1.139
die Rom I-VO in den Mitgliedstaaten an die Stelle des Übereinkommens, außer hinsichtlich
der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten, die in den territorialen Anwendungsbereich dieses
Übereinkommens fallen und für die aufgrund der Anwendung von Art. 355 AEUV (ex-
Art. 299 EGV) die Rom I-VO nicht gilt (Art. 24 Abs. 1 Rom I-VO). Wegen der universellen
Anwendbarkeit der Rom I-VO wenden sie die Mitgliedstaaten auch im Verhältnis zu Däne-
mark an1. Art. 24 Rom I-VO und die frühere völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber Däne-
mark stehen nicht entgegen2. Dagegen ist umgekehrt mit einer Weiteranwendung des EVÜ
durch dänische Gerichte zu rechnen3, vgl. Rz. 1.61. Der Gedanke, nach dem Ausscheiden des
Vereinigten Königreichs ihm gegenüber das EVÜ wieder anzuwenden, hat keinen Anklang
gefunden4 (zum Brexit Rz. 1.62).

Soweit die Rom I-VO die Bestimmungen des Übereinkommens von Rom ersetzt, gelten Be- 1.140
zugnahmen auf dieses Übereinkommen als Bezugnahmen auf die Rom I-VO (Art. 24 Abs. 2
Rom I-VO).

VIII. Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen (Art. 25


Rom I-VO)
Art. 25 Rom I-VO betrifft das Verhältnis der Verordnung zu bestehenden internationalen 1.141
Übereinkommen (vgl. Rz. 1.146). Die Rom I-VO berührt nicht die Anwendung der interna-
tionalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der An-
nahme dieser Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldver-
hältnisse enthalten (Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO). Nach Erwägungsgrund 41 sind die internatio-
nalen Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren. Die Verord-
nung darf sich nicht auf internationale Übereinkommen auswirken, denen ein oder mehrere
Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Rom I-VO angehören5. Staatsverträge mit
Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse („lay down conflict-of-law rules relating
to contractual obligations“; „règlent les conflits de lois en matière d´obligations contractuel-
les“) sind solche, welche die Rechtsanwendung regeln. Praktische Bedeutung hat dies für an-
dere Mitgliedstaaten etwa für das Haager Kaufrechts-Übk. von 1955 (Rz. 25.88) und das Haa-

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623); Spickhoff in BRHP, Art. 24
Rom I-VO Rz. 2; Hoffmann in Calliess/Renner, Art. 24 Rome I Rz. 3; Leible in NK, Art. 24 Rom I-
VO Rz. 4; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 72; Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 24
Rom I-VO Rz. 2 (Stand 1.12.2020). – Im Ergebnis ebenso aus Praktikabilitätsgründen Lando/Niel-
sen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.). Anders OLG Koblenz v. 19.9.2012 – 2 U 1050/11, IPRax
2015, 255 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2015, 222 [224]) = IHR 2014, 65 abl. Anm. Piltz = IPRspr.
2012 Nr. 53.
2 Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 24 Rom I-
VO Rz. 8 (Stand 1.12.2020). – Anders Brödermann/Wegen in PWW, Art. 25 Rom I-VO Rz. 2.
3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Pfeiffer,
EuZW 2008, 622 (623); Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.).
4 Wagner, IPRax 2021, 2 (9); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 25 Rom I-VO Rz. 11 (Stand
1.12.2020). Dazu auch Mankowski EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6 f.).
5 Um den Zugang zu den Rechtsakten zu erleichtern, soll die Kommission anhand der Angaben der
Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der betreffenden Übk. im Amtsblatt der EU veröffentlichen.

Martiny | 53
§ 1 Rz. 1.141 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

ger Vertreter-Übk. von 1978 (Rz. 6.381, Rz. 23.120), die unter den Vertragsstaaten weiter gel-
ten1. Dies gilt auch für innereuropäische Fälle2.

1.142 Es besteht ein Vorrang des materiellen Einheitsrechts. Übereinkommen, welche nur bezüg-
lich ihres Anwendungsbereichs Kollisionsnormen, im Übrigen aber Einheitsrecht enthalten,
wie das CISG, das Factoring-Übereinkommen sowie die transportrechtlichen Staatsverträge,
sind nach einer Auffassung in Art. 25 Rom I-VO ebenfalls gemeint3. Den Normen, welche
den räumlichen Anwendungsbereich sachrechtlich vereinheitlichender Staatsverträge (etwa
im Transportrecht) definieren, wird eine kollisionsrechtliche Natur zugeschrieben4. Für beste-
hende Staatsverträge gelangt die Gegenauffassung, welche Art. 25 Rom I-VO nur für eigent-
lich kollisionsrechtliche Regelungen, welche zur Anwendung des Rechts eines Staates führen,
heranziehen will5, letztlich zum gleichen Ergebnis6. Materielles Einheitsrecht, dessen Anwen-
dung von sog. statutistischen Kollisionsnormen abhängt, soll danach auch ohne besonderen
Anwendungsbefehl, also unabhängig von den Vorschriften der Rom I-VO, zur Anwendung
kommen7. Allerdings führt letztere Auffassung dazu, dass es für künftige Staatsverträge wei-
terhin bei einer nationalstaatlichen Kompetenz bleibt8, während die weitere Auffassung die
Rechtssetzungskompetenz der EU auch für Einheitsrecht untermauert9.

1.143 Die Rom I-VO hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den
ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen,
soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind (Art. 25 Abs. 2 Rom I-
VO). Diese Bestimmung ist allerdings enger als es zunächst scheint, da sie schon dann keine
Anwendung findet, wenn auch andere Staaten Vertragsstaaten sind.

1.144 Es besteht eine eigene Verordnung, nach welchen Verfahren und unter welchen Bedingungen
die Mitgliedstaaten in Einzel- und Ausnahmefällen in eigenem Namen Übereinkünfte mit
Drittländern über sektorspezifische Fragen aushandeln und abschließen dürfen, die Bestim-
mungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht enthalten (vgl.

1 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (66); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Leible/
Lehmann, RIW 2008, 528 (531 f.); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); Dostal, ZVertriebsR 2019, 207.
2 von Hein in Rauscher, Art. 25 Rom I-VO Rz. 8, 10. – Krit. und für eine teleologische Reduktion
Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227 (233).
3 OLG Köln v. 17.2.2017 – 19 U 101/16, IPRspr. 2017 Nr. 113 = IHR 2018, 71 (74); Garcimartín
Alférez, ELF 2008, I-61 (I-65); Jayme/Nordmeier, IPRax 2008, 503 (507 f.); Magnus, IPRax 2010,
30 f.; von Hein in Rauscher, Art. 25 Rom I-VO Rz. 3; Spickhoff in BRHP, Art. 25 Rom I-VO Rz. 2;
Stürner in Erman, Art. 25 Rom I-VO Rz. 1; Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 25 Rom I-VO
Rz. 4; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 5 Rom I-VO Rz. 12; Thorn in Rauscher, Art. 4
Rom I-VO Rz. 13. – Unentschieden Leible in NK, Art. 25 Rom I-VO Rz. 7.
4 So Thorn in Rauscher, Art. 5 Rom I-VO Rz. 10.
5 Wagner, TranspR 2009, 103 (107); Schilling, EuZW 2011, 778 ff.; Dostal, ZVertriebsR 2019, 207 f.;
Nehne, S. 160; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 1 Rom I-VO Rz. 9; Hoffmann in Calliess/Renner,
Art. 25 Rome I Rz. 4. – Anders Kampf, RIW 2009, 299 (Vorrang der Rom I-VO).
6 von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundär-
recht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts in FS Schröder (2012), S. 29 (35 ff.).
7 Wagner, TranspR 2009, 103 (107) m.w.N.
8 Wagner, TranspR 2009, 103 (107).
9 So Thorn in Rauscher, Art. 5 Rom I-VO Rz. 10.

54 | Martiny
B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.147 § 1

auch Erwägungsgrund 42)1. Für künftige Staatsverträge der Mitgliedstaaten ist die Kompetenz
zum Abschluss auf die Gemeinschaft übergegangen2. Nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO hat-
ten die Mitgliedstaaten der Kommission bis spätestens 17.6.2009 die weiter geltenden Über-
einkommen nach Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO zu übermitteln3. Nach Art. 26 Abs. 1 S. 2 Rom I-
VO besteht auch eine Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten für Kündigungen.

IX. Inkrafttreten und zeitliche Anwendbarkeit (Art. 29 Rom I-VO)


Das Inkrafttreten und die Anwendbarkeit werden von Art. 29 Rom I-VO geregelt4. Nach Un- 1.145
terabs. 1 tritt die Rom I-VO am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt
der Europäischen Union in Kraft. Unterabs. 2 bestimmt, dass die Rom I-VO ab 17.12.2009
gilt, mit Ausnahme des Art. 26, der ab dem 17.6.2009 gilt.

Art. 28 Rom I-VO beschäftigt sich mit der zeitlichen Anwendbarkeit der VO. Danach wird die 1.146
Rom I-VO auf Verträge angewandt, die ab dem 17.12.2009 geschlossen werden. Das „ab“
ersetzt infolge einer Berichtigung das ursprüngliche „nach“5. Inhaltlich entspricht diese Rege-
lung Art. 17 EVÜ. Zur Regelung in der Übergangsvorschrift des Art. 220 EGBGB, der für die
Rom I-VO nicht zur Anwendung kommt, s. Rz. 1.11. Art. 28 Rom I-VO gilt auch für Dauer-
schuldverhältnisse wie Arbeits- oder Mietverträge6. Dementsprechend unterliegt etwa ein frü-
her geschlossener Verbrauchervertrag weiterhin Art. 29 EGBGB a.F.7, ein Arbeitsvertrag
Art. 30 EGBGB a.F.8. Eine Rechtswahl richtet sich nach Art. 27 EGBGB a.F.9.

Eine Regelung des Abschlusszeitpunkts findet sich in der Verordnung nicht. Dies spricht an 1.147
sich für die Maßgeblichkeit des jeweiligen (nationalen) Sachrechts. Dafür wollte man z.T., um
eine Rückwirkung des neuen Rechts auszuschließen, das Vertragsstatut noch nach den alten
Regeln des EVÜ bestimmen10. Die hM strebte dagegen eine möglichst einheitliche Auslegung
an und wollte die als solche bereits in Kraft getretene Rom I-VO (Art. 10) heranziehen11. Der

1 Verordnung (EG) Nr. 662/2009 v. 13.7.2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung
und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische
Fragen des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts,
ABl. EU 2009 Nr. L 200, S. 25.
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531 f.).
3 Mitteilungen nach Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) – Verzeichnis der Übereinkommen, ABl. EU
2010 Nr. C 343, S. 3. – Dazu näher Martiny, ZEuP 2013, 838 (861).
4 Zum Entwurf Mankowski, IPRax 2006, 101 (113).
5 Berichtigung in ABl. EU 2009 Nr. L 309, S. 87. – Dazu näher Freitag in Rauscher, Art. 28/29
Rom I-VO Rz. 3.
6 BAG v. 25.4.2013 – 2 AZR 960/11, NZA 2014, 280 (LS); LAG Nürnberg v. 25.9.2013 – 2 Sa 172/
12, IPRspr. 2013 Nr. 72; LAG Hamm v. 3.4.2014 – 17 Sa 999/13, IPRspr. 2014 Nr. 75 (LS); Leible/
Lehmann, RIW 2008, 528 (531); Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 5 Rom I-VO Rz. 17.
7 Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 6 Rom I-VO Rz. 12.
8 BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 698/15, IPRspr. 2017 Nr. 103 = NZA 2017, 1051; Staudinger in Ferrari,
IntVertragsR, Art. 8 Rom I-VO Rz. 9; von Hein in Rauscher, Art. 8 Rom I-VO Rz. 16. – Dies ver-
kennt Thume, VersR 2009, 1342 f.
9 BAG v. 12.12.2017 – 3 AZR 305/16 Rz. 27-29, RIW 2018, 456 = NZA 2018, 1499.
10 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531); Bruck/Möller/Dörner, VVG (9. Aufl. 2013), Art. 28 Rom I-
VO Rz. 2. Ebenso noch Leible in NK, Art. 28 Rom I-VO Rz. 3. – Für das EVÜ wollte auf die lex
fori abstellen Kaye, The new private international law of contract of the European Community
(1993), S. 353. Unentschieden Czernich/Heiss, Art. 17 EVÜ Rz. 5.
11 Dazu noch Pfeiffer, EuZW 2008, 622.

Martiny | 55
§ 1 Rz. 1.147 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

EuGH hält Art. 10 Rom I-VO freilich nicht für einschlägig1. Dafür, wie eine sachrechtlich ein-
heitliche Bestimmung des Abschlusszeitpunkts, die von einigen schon früher ebenfalls befür-
wortet wurde2, erfolgen soll, gibt es allerdings wenig Anhaltspunkte3. Der EuGH befand, dass
ein vor dem 17.12.2009 begründetes Arbeitsverhältnis nur dann in den Anwendungsbereich
der Rom I-VO fällt, wenn es durch gegenseitiges Einvernehmen der Vertragsparteien, das sich
ab diesem Zeitpunkt manifestiert hat, in einem solchen Umfang geändert wurde, dass davon
auszugehen ist, dass ab diesem Zeitpunkt ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wurde4. Das zu
prüfen, ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts. Im gegebenen Fall verneinte das BAG eine sol-
che Vertragsänderung, da es lediglich zu Vertragsverlängerungen gekommen war, und blieb
bei der Anwendung des alten Rechts5.

1.148 Unter dem Vertragsschluss ist der Konsens der Parteien zu verstehen6. Auf den Zeitpunkt von
Genehmigungsvorbehalten oder aufschiebende sowie auflösende Bedingungen kommt es im
Interesse von Rechtsklarheit und Vertrauensschutz nicht an7. Entsprechendes gilt für eine fa-
kultative Beurkundung.

C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung

Literatur: von Bernstorff, Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft, 7. Aufl. 2012; von Bernstorff, Der
Exportvertrag mit praxisnahen Erläuterungen zu Vertragsklauseln Deutsch – Englisch, 4. Aufl. 2020;
von Bernstorff (Hrsg.), Praxishandbuch Internationale Geschäfte (2020); Bortolotti, Drafting and Ne-
gotiating International Commercial Contracts – A Practical Guide, 3. Aufl. (ICC Publication No. 788E,
2017); Brenner, Vertragsgestaltung für Exporteure (2017); Brödermann, Risikomanagement in der in-
ternationalen Vertragsgestaltung, NJW 2012, 971; Cordero-Moss (Hrsg.), Boilerplate Clauses, Interna-
tional Commercial Contracts and the Applicable Law (Cambridge 2011); Däubler, Auslandsarbeit un-
ter deutschem Recht, FS Birk (2008), S. 27; Detzer, Fallstricke bei Verträgen mit ausländischen
Vertriebspartnern, FS Thume (2008), S. 23; DiMatteo, International contracting: law and practice,
4. Aufl. (Alphen aan den Rijn 2016); DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International Sales
Law: Contract, Principles & Practice, 2. Aufl. 2021; Döser, Anglo-amerikanische Vertragsstrukturen in
deutschen Vertriebs-, Lizenz- und sonstigen Vertikalverträgen, NJW 2000, 1451; Döser, Einführung in
die Gestaltung internationaler Wirtschaftsverträge, JuS 2000, 246, 456, 663, 773, 1075, 1178, JuS 2001,
40; Döser, Vertragsgestaltung im internationalen Wirtschaftsrecht (2001); Fontaine/de Ly, Drafting in-
ternational contracts: an analysis of contract clauses (Leiden 2006); Göthel, Vertragsgestaltung bei in-
ternationalen Joint Ventures, BB 2014, 1475; Hök, Zur Vertragsredaktion und -auslegung im grenz-
überschreitenden Geschäft, ZAP 2007, 1361; Holler, Vertragsgestaltung gegenüber tschechischen

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 30 (Nikiforidis) = NZA 2016, 1389 =


RIW 2016, 811 Anm. Mankowski = IPRax 2018, 207 (m. Aufs. W-H. Roth, IPRax 2018, 177). –
Vorlage von BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 962/13 (A), IPRspr. 2015 Nr. 62 = RIW 2015, 313 = NZA
2015, 542.
2 Spickhoff in BRHP, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2 (Zeitpunkt der Annahmeerklärung); Thorn in Palandt,
Art. 28 Rom I-VO Rz. 2.
3 Krit. Lehmann/Ungerer, YbPIL 19 (2017/2018) 53 (58 f.).
4 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 32-39 (Nikiforidis), NZA 2016, 1389.
5 BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 698/15, IPRspr. 2017 Nr. 103 = NJW 2017, 3547 = NZA 2017, 1051 Rz.
20; BAG v. 26.4.2017 – 5 AZR 962/13, IPRspr. 2017 Nr. 105 = RIW 2017, 611 = IPRax 2018, 86
(m. Aufs. Siehr IPRax 2018, 44).
6 Thorn in Palandt, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2.
7 Schulze/Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 28 Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 28
Rom I-VO Rz. 2.– Anders Brödermann/Wegen in PWW, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2.

56 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.149 § 1

Geschäftspartnern, WiRO 2007, 353; International Trade Centre, Cross-border contracting (2018);
Kinsella (Hrsg.), Digest of Commercial Laws of the World – Forms of Commercial Agreements, Bd. I
u. II (Dobbs Ferry, N.Y.; Loseblatt); Kornicker, Risiken bei der Gestaltung von Verträgen im interna-
tionalen Wirtschaftsrecht: unter besonderer Berücksichtigung der Risiken angelsächsischer Vertrags-
gestaltung in Kornicker, Risiko und Recht (Basel 2004), S. 57; Kötz, Der Einfluss des Common Law
auf die internationale Vertragspraxis, FS Heldrich (2005), S. 771; Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Hand-
buch Internationalen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2017; Lembcke, Mindestanforderungen an die Ver-
tragsgestaltung bei osteuropäischen Großbauprojekten der Weltbankgruppe, WiRO 2006, 321; Lund-
mark, Die detaillierte Natur anglo-amerikanischer Kaufverträge, FS Sandrock (2000), S. 623;
Lundmark, Common law-Vereinbarungen – Wortreiche Verträge, RIW 2001, 187; Maier-Reimer, Eng-
lische Vertragssprache bei Geltung deutschen Rechts, AnwBl. 2010, 13; Maier-Reimer, Vertragssprache
und Sprache des anwendbaren Rechts, NJW 2010, 2545; Mallmann, Rechtswahlklauseln unter Aus-
schluss des IPR, NJW 2008, 2953; Mankowski, Überlegungen zur sach- und interessengerechten
Rechtswahl für Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs, RIW 2003, 2; Nienaber, Vertrags-
gestaltung bei internationalem Industrie- und Anlagenbau (2004); Ostendorf, International sales
terms, 4. Aufl. 2022; Ostendorf, Englisches Recht in der Vertragsgestaltung (2021); Ostendorf/Kluth
(Hrsg.), Internationale Wirtschaftsverträge, 2. Aufl. 2017; Pfeiffer, Flucht ins schweizerische Recht? Zu
den AGB-rechtlichen Folgen der Wahl schweizerischen Rechts, FS von Westphalen (2012), S. 555;
Piltz, Gestaltung internationaler Lieferverträge in Piltz (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Inter-
nationales Wirtschaftsrecht (2017), S. 1414; Piltz/Heckeroth/Wiebusch, Vertragsgestaltung im Export-
geschäft (2011); Pinnells/Eversberg, Internationale Kaufverträge optimal gestalten (1997); Salger,
Grundlegende Hinweise mit Formulierungsvorschlägen zur Gestaltung internationaler Verträge, in
Piltz (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Internationales Wirtschaftsrecht (2017), S. 1364; San-
drock (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung I, II (1980); Schäuble, Internationales
Schuldvertragsrecht in der notariellen Praxis, BWNotZ 2015, 2; Schütze (Hrsg.), Münchener Vertrags-
handbuch Bd. II: Wirtschaftsrecht I, 7. Aufl. 2015; Schütze (Hrsg.), Münchener Vertragshandbuch
Bd. III: Wirtschaftsrecht II, 7. Aufl. 2015; Schütze/Weipert/Rieder (Hrsg.), Münchener Vertragshand-
buch Bd. IV: Wirtschaftsrecht III (englischsprachig), 8. Aufl. 2018; Tauber, Kreditsicherheiten im Aus-
landsgeschäft, Bank-Praktiker 2008, 186; Triebel/Vogenauer, Englisch als Vertragssprache, 4. Aufl.
2021; Vorpeil, Exportverträge in der Praxis, IWB 2015, 65; Vorpeil, Rechtswahlklauseln bei internatio-
nalen Verträgen, IWB 2020, 438; Voser/Boog, Die Wahl des Schweizer Rechts: was man wissen sollte,
RIW 2009, 126; Waehler, Gedanken zur Vertragsgestaltung in Lange/Prollius (Hrsg.), Praxis des Ost-
westhandels (1977), S. 149; Walz, Angloamerikanische Vertragsgestaltung und deutsches Recht, Notar
2015, 111; von Westphalen, Von den Vorzügen des deutschen Rechts gegenüber anglo-amerikanischen
Vertragsmustern, ZVglRW 102 (2003), 53; Yelpaala/Rubino-Sammartano/Campbell, Drafting and En-
forcing Contracts in Civil and Common Law Jurisdictions (Deventer 1986). S. auch die Literaturanga-
ben vor den einzelnen Randnummern dieses Teils sowie vor den anderen Kapiteln.

I. Informationsbeschaffung
Der Abschluss und die Abwicklung von Rechtsgeschäften mit ausländischen Partnern werfen 1.149
in der Praxis häufig bestimmte Probleme auf. Viele Risiken, etwa der Zahlungssicherung, sind
zunächst einmal nicht anders als bei Inlandsgeschäften. Vor Schematismus ist aber zu warnen,
mit Neuem und Unbekanntem ist stets zu rechnen, etwa in Bezug auf Wirksamkeitsvorausset-
zungen und Kreditsicherheiten. Wegen der Vielfalt der Rechtsordnungen, Branchen, Inhalte
und Zielsetzungen von Verträgen können hier nur einige Punkte genannt werden, die bei den
Vertragsverhandlungen und der Vertragsgestaltung beachtet werden sollten. Die wichtigsten
Fragen sind, um welche Art von Geschäft (Vertragstyp) es geht (Rz. 1.162), welche auslän-
dische Rechtsordnung berührt wird (Rz. 1.152 f., Rz. 1.169) und welche Rechtsfragen betrof-
fen sind (Rz. 1.159 ff.). Einige allgemeine Aspekte werden hier vorweg behandelt; wegen der
Einzelheiten und der einschlägigen Fachliteratur wird auf die Ausführungen zum jeweiligen
Vertragstyp bzw. Einzelproblem verwiesen.

Martiny | 57
§ 1 Rz. 1.150 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.150 Kommt es auf Auslandsrecht an, so ist die ausländische Rechtslage sorgfältig zu ermitteln.
Das gilt vor allem dann, wenn das ausländische Recht das Vertragsstatut stellt, aber auch,
wenn sich ausländisches zwingendes Recht entgegen einer Rechtswahl auswirken kann. Stets
ist die Möglichkeit von Rechtsänderungen zu beachten. Kommt inländisches Recht zur An-
wendung, so ist zu prüfen, wie weit bei Auslandssachverhalten Modifikationen der Rechtslage
eintreten bzw. zusätzliche Vereinbarungen notwendig sind. Dies ist etwa bei der Auslands-
arbeit der Fall1.

1.151 Informationen zum ausländischen Recht und zur Gestaltung von Außenhandelsverträgen sind
von einer Reihe von Institutionen und Verbänden erhältlich2. Sie sind oft nicht nur in gedruck-
ter Form, sondern auch im Internet zugänglich. Insofern sind zu Fragen des Einheitsrechts und
des internationalen Handelsrechts internationale Organisationen zu nennen, wie die UN-
Kommission für internationales Handelsrecht (United Nations Commission on International
Trade Law, UNCITRAL)3, vgl. Rz. 25.4. Von Bedeutung sind auch die Wirtschaftskommission
der Vereinten Nationen für Europa (Economic Commission for Europe, ECE)4 sowie das In-
ternational Trade Centre (ITC)5. Von Bedeutung für einzelne Verträge und Klauseln ist vor
allem die Internationale Handelskammer in Paris (International Chamber of Commerce,
ICC)6. Auch eine Reihe internationaler Verbände spielt eine Rolle, so etwa für Bauvorhaben der
Internationale Dachverband der beratenden Ingenieure (International Federation of Consulting
Engineers, Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils, FIDIC)7. Ein reichhaltiges Infor-
mationsangebot liefert ebenfalls der europäische Verband der Maschinen-, Elektro-, Elektronik-
und Metallwarenindustrie Orgalime (Organisation de liaison des industries métalliques et élect-
roniques Européennes; European Engineering Industries Association) in Brüssel8.

1.152 Umfangreiche Angebote liefern auch nationale Institutionen und Verbände. In Deutschland
findet man Informationen zur Exportkontrolle und zum Import beim Bundesamt für Wirt-
schaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)9. Informationen und Publikationen zu den Auslands-
märkten, aber auch zum Auslandsrecht und einzelnen Vertragstypen (Länderberichte und
Länderinformationen) bietet die Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirt-
schaft und Standortmarketing mbH (GTAI; Nachfolger der Bundesagentur für Außenwirt-
schaft; bfai)10 an.

1.153 Vor allem länderspezifische Informationen erhält man bei den deutschen Auslandshandels-
kammern (AHK). Sie bestehen in allen Ländern, die für die deutsche Wirtschaft von besonde-
rem Interesse sind11. Auch einzelne inländische Industrie- und Handelskammern (IHK) ver-
fügen über Material. Branchenspezifische Rechtsinformationen liefern die jeweiligen nationa-
len Fachverbände wie der VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer)12. Ein-

1 Vgl. Däubler, FS Birk, S. 27 ff.


2 Zur Informationsbeschaffung s. auch Ostendorf/Kluth, § 1 C.
3 http://www.uncitral.org/.
4 http://www.unece.org/.
5 https://www.intracen.org/. – S. Cross-border contracting (2018).
6 http://www.iccwbo.org/.
7 http://www.fidic.org/.
8 http://www.orgalime.org/.
9 http://www.bafa.de/bafa/de/.
10 http://www.gtai.de/. – S. die jeweiligen Länderinformationen, insb. zu Vertragsrecht und Siche-
rungsmitteln, in der Reihe „Recht kompakt“.
11 Übersicht: http://www.ahk.de/.
12 http://www.vdma.org/.

58 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.157 § 1

zelne wissenschaftliche Institutionen und Universitätsinstitute und -lehrstühle bieten ebenfalls


Informationen an. Fachbibliotheken ermöglichen häufig auch online-Recherchen zu Rechts-
fragen, z.B. die Peace Palace Library in den Haag1.

Hauptinformationsquelle ist zunehmend das Internet, in dem eine Vielzahl von Informatio- 1.154
nen zugänglich ist. Auch hier kommt es auf den Anbieter an. Insoweit kommen die genannten
internationalen, europäischen und nationalen Stellen in Betracht. Größere Einrichtungen bie-
ten entweder über das Internet selbst frei oder gegen Bezahlung Materialien in unterschiedli-
chen Sprachfassungen vollständig oder in Auszügen an oder informieren jedenfalls, wo sie er-
hältlich sind. Auch hier wird die Recherche erleichtert, wenn man sich auf die einzelnen Ebe-
nen, Branchen und Vertragstypen konzentriert. So verfügt die Internationale Handelskammer
in Paris (ICC) für einzelne Geschäftstypen über umfangreiche Anleitungen (guides), Regeln
(rules), Formulare (model forms) und Musterverträge (model contracts; model clauses). Zahl-
reiche Vertragsbedingungen für Bauverträge sind bei der FIDIC zugänglich. Muster und Füh-
rer für unterschiedliche Im- und Exportgeschäfte bietet auch Orgalime an.

Länderinformationen zum Dienstleistungs- und Verbraucherrecht der EU- und EWR-Staa- 1.155
ten sind im Internet zugänglich in einem „Portal 21“ der Bundesministerien für Wirtschaft
und Energie sowie der Justiz und für Verbraucherschutz2.

II. Abschluss des Vertrages


Es versteht sich von selbst, dass zuverlässige Informationen bereits vor Vertragsverhandlun- 1.156
gen von großem Wert sind3. Eine Reihe von Rechtsfragen stellt sich schon in diesem Stadium.
Gegebenenfalls ist bereits eine Geheimhaltungsvereinbarung (non-disclosure agreement;
NDA) angebracht. Damit wird Stillschweigen über Vertragsverhandlungen, Verhandlungs-
ergebnisse oder vertrauliche Unterlagen vereinbart4.

In manchen Rechtsordnungen darf vorvertragliche Korrespondenz nicht zur Vertragsausle- 1.157


gung herangezogen werden. Teilweise ist auch der Nachweis einer nicht im schriftlichen Ver-
trag enthaltenen mündlichen Nebenabrede vor Gericht unzulässig. Die parol evidence rule
des anglo-amerikanischen Rechts verbietet grundsätzlich den Nachweis von Nebenabreden
und kann damit einschneidende Folgen haben5 (vgl. Rz. 3.111). In der anglo-amerikanischen
Vertragspraxis werden zudem häufig sog. merger clauses oder entire agreement clauses (Voll-
ständigkeitsklauseln) verwendet6, um die Vollständigkeit und Endgültigkeit einer schriftlichen
Vereinbarung abzusichern. Teilweise wird der eigentliche Vertragsabschluss („closing“) geson-
dert betrachtet7.

1 http://www.ppl.nl/.
2 Informationsangebot zu Dienstleistungen in Europa, http://www.portal21.de/. Das Internetportal
wurde nach Art. 21 der Dienstleistungsrichtlinie benannt und wird vom Bundesamt für Verbrau-
cherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und von Germany Trade & Invest betrieben.
3 Vgl. Grau/Markwardt, Internationale Verträge (2011), S. 53 ff.; Heussen/Pischel (Hrsg.), Hand-
buch Vertragsgestaltung und Vertragsmanagement, 5. Aufl. 2021.
4 S. etwa International Trade Center, https://www.intracen.org/.
5 Dazu Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 30.
6 Dazu Vorpeil, IWB 2018, 188 (198); DiMatteo, Merger clauses, in DiMatteo/Janssen/Magnus/
Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 793; Ostendorf/Kluth, § 11 B. – S. auch
Art. 2.1.17 UNIDROIT-Principles 2016.
7 Zum closing in der anglo-amerikanischen Praxis Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas,
INT Rz. 42e ff.

Martiny | 59
§ 1 Rz. 1.158 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.158 Mit einer Absichtserklärung (Letter of Intent) drücken die Vertragsparteien oder auch nur
eine von ihnen ihr Interesse an Verhandlungen und am Abschluss eines Vertrages aus. Inhalt
und Umfang sind recht verschieden1. Ein Letter of Intent, der lediglich eine Ankündigung
und eine Zusammenfassung geklärter Punkte enthält, entfaltet keine Bindungswirkung2. Wer-
den jedoch Erklärungen mit Bindungswillen, z.B. die Festlegung von Zeitplänen oder eine
Kostenübernahme, und die Verpflichtung zum Abschluss eines Hauptvertrages vereinbart,
dann entfaltet der Letter of Intent Bindungswirkung (zur Anknüpfung s. Rz. 33.83 ff.). Bei
Großaufträgen geht der Vertragsunterzeichnung oft eine solche Absichtserklärung voraus,
bzw. ist sie Teil einer Due-Diligence-Prüfung (s. Rz. 33.3 ff.). Handelt der Geschäftspartner für
einen anderen, so ist auch die Vertretungsmacht zu überprüfen (vgl. Rz. 6.381 ff.).

III. Inhalt und Wirksamkeit des Vertrages


1. Wirksamkeit des Vertrages
1.159 Zu überprüfen ist nicht nur der zivilrechtliche Vertragsabschluss, sondern auch die öffentlich-
rechtliche Zulässigkeit, insb. welche behördlichen Genehmigungen nach in- und/oder aus-
ländischem Recht erforderlich sind3. Insofern wird des Öfteren die Erfüllung bestimmter
rechtlicher Voraussetzungen gesondert bestätigt4 (zur Third Party Legal Opinion s.
Rz. 10.33 ff.). Unterschiedliche zwingende europäische und/oder ausländische Normen kön-
nen zu beachten sein. So spielen kartellrechtliche Beschränkungen für Vertriebsverträge eine
erhebliche Rolle. Zoll- und Steuerrecht sind gegebenenfalls zu berücksichtigen.

1.160 Das Devisenrecht hat zwar innerhalb der EU an Bedeutung verloren. Im Übrigen kann je-
doch mit devisenrechtlichen Beschränkungen zu rechnen sein (dazu Rz. 5.156 ff.). Beim Er-
werb von Betrieben, Teilen von Betriebsvermögen sowie Geschäftsanteilen (Aktien) ist stets zu
prüfen, ob ein solches Geschäft kartellrechtlich unbedenklich ist oder einer Genehmigung
bzw. Benachrichtigung einer ausländischen Wettbewerbsbehörde bedarf (vgl. Rz. 5.121). Bei
Ausbleiben der erforderlichen Genehmigung bzw. der Benachrichtigung kann das Geschäft
später von der Wettbewerbsbehörde in Frage gestellt werden; möglicherweise drohen noch an-
dere Sanktionen.

2. Gesellschaftsrechtliche Genehmigungen
1.161 Bei Geschäften mit Gesellschaften ist nicht nur die Vertretungsmacht ihrer Organe zu über-
prüfen (dazu Rz. 6.141 ff.). In manchen Rechtsordnungen gelten Rechtsgeschäfte, deren Wert
einen bestimmten Prozentsatz der Bilanzaktiva einer juristischen Person überschreitet, als
Großgeschäfte und bedürfen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung (Aktionärsver-
sammlung) bzw. in bestimmten Fällen des Aufsichtsrates der Gesellschaft. Unterbleibt eine
solche förmliche im Voraus abgegebene Zustimmung, so kann das Geschäft später von den

1 Dazu Ostendorf/Kluth, § 17 C.
2 Vgl. Döser, JuS 2000, 246 (253 f.).
3 S. zu Eingriffsnormen Rz. 5.1 ff. sowie bei den einzelnen Vertragstypen. – Zu den jeweiligen au-
ßenhandelsrechtlichen, unions- und völkerrechtlichen Regeln für die einzelnen Geschäftszweige
und Transaktionen s. auch Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschafts-
recht, 2. Aufl. 2017.
4 Zur Vorlage einer Legal Opinion bzw. Opinion of Counsel vgl. Döser, JuS 2000, 456 (459); Maier-
Reimer, Nochmals: Third Party Legal Opinion und das Verbot der Vertretung widerstreitender In-
teressen, NJW 2014, 2613 ff. – Zur vorgeschriebenen Registrierung von Vertriebspartnern Detzer,
FS Thume, S. 23 (26).

60 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.165 § 1

Gesellschaftern (Aktionären) gerichtlich angefochten werden. Um dieses Risiko auszuschlie-


ßen, sollte die Vorlage entsprechender Dokumente verlangt werden.

3. Vertragsinhalt
Je nach Vertragsgegenstand und -typ stellen sich unterschiedliche Rechtsfragen und sind un- 1.162
terschiedliche Hilfsmittel zugänglich. Die Quellen zu manchen Vertragstypen – insbesondere
Kauf- und Vertriebsverträgen – sind verhältnismäßig gut erschlossen. Über einzelne Institu-
tionen und spezielle Handbücher ist ein schneller Zugriff auf Informationen möglich. Vielfach
stehen Formulare (model forms, standard forms), Allgemeine Geschäftsbedingungen (general
conditions), Vertragsmuster (model contracts) oder Musterklauseln (model contract clauses)
zur Verfügung, die nach entsprechender Überprüfung in Gänze, teilweise oder jedenfalls für
die Vorbereitung eines individuellen Vertrages herangezogen werden können1. Auch einzelne
IHK bieten fremdsprachige Musterverträge an. Gedruckt findet man sie vielfach in Werken
zur Vertragsgestaltung (z.B. Münchener Handbuch der Vertragsgestaltung), in Handbüchern
zu bestimmten Vertragstypen oder einer Branche. Teilweise sind auch Verzeichnisse dieser
Muster veröffentlicht worden2.

Internationale, europäische und nationale Institutionen sowie Verbände und deutsch-auslän- 1.163
dische Handelskammern bieten häufig Regelwerke für einzelne Vertragstypen oder Klauseln
selbst oder über einen Verlag an (vgl. Rz. 1.151 ff.). Zu nennen ist etwa das International
Trade Centre (ITC)3 sowie die Internationale Handelskammer in Paris (ICC). Für Bauvor-
haben sind insbesondere die Muster der FIDIC zu erwähnen (s. Rz. 14.1). Hierbei handelt es
sich um Allgemeine Bedingungen, wobei die auf das konkrete Projekt zugeschnittenen Verein-
barungen noch in „Besonderen Bedingungen“ festzuhalten sind.

Zu den Anbietern unter den europäischen Verbänden gehört orgalime, zu den nationalen Ver- 1.164
bänden etwa der VDMA. Auch manche Verlage bieten spezielle Muster für Auslandsverträge
an, z.B. der Deutsche Fachverlag (Fachmedien Recht und Wirtschaft) in der Serie „Heidelber-
ger Musterverträge“4. Ferner finden sich Vertragsformulare in den Datenbanken kommerziel-
ler Anbieter (z.B. LexisNexis, Westlaw). Einzelne Vertragsmuster sind über das Internet zu-
gänglich5. Auch hier gilt, dass Qualität ihren Preis hat. Überprüfungen der Terminologie sind
anhand von deutsch-ausländischen Übersetzungen und Vertragsmustern in Büchern oder Ar-
tikeln, teilweise auch über das Internet möglich.

Zwar gibt es bestimmte Üblichkeiten für den Aufbau internationaler Wirtschaftsverträge6. 1.165
Was im Einzelnen geregelt werden muss, bestimmt sich aber vor allem nach dem individuel-
len Vertrag und dem Vertragstyp. Schon die Überschrift des Vertrages kann eine Klarstellung
enthalten, worum es gehen soll7 (z.B. Handelsvertretervertrag und nicht nur „Vertriebsver-

1 Nachw. bei Detzer, FS Thume, S. 23 f. – Krit. von Westphalen, ZVglRW 102 (2003), 53 ff.
2 Zu den in gedruckter Form und im Internet vorhandenen Vertragsmustern s. den Leitfaden
„Fundstellen von Musterverträgen für den Geschäftsverkehr mit dem Ausland“, 2. Aufl. 2009, der
Industrie- und Handelskammer zu Lübeck, Geschäftsbereich International.
3 International Trade Centre, Model Contracts for Small Firms (2010); International Trade Centre,
Cross-border contracting (2018), S. 23 ff.
4 Z.B. Stadler, Internationale Lieferverträge, Heidelberger Musterverträge, 4. Aufl. 2014.
5 S. etwa bei International Trade Centre, http://www.tradeforum.org/Juris-International-Web-Site/.
6 Dazu Ostendorf/Kluth, § 2.
7 Zur Präambel (Recitals) Döser, JuS 2000, 456 f.; Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT
Rz. 32.

Martiny | 61
§ 1 Rz. 1.165 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

trag“, damit deutlich wird, dass es sich nicht um einen Eigenhändlervertrag handelt); in vielen
Ländern gibt es mehrere Arten von Handelsvertretern (vgl. Rz. 23.89 ff.). Es ist klarzustellen,
was gewollt ist. Spezifische Risiken verlangen spezifische Klauseln, z.B. Fragen des Im- und
Exports, Preis und Zahlungsbedingungen, Währungsfragen. Eine salvatorische Klausel
(saving clause bzw. severability clause), wonach der restliche Vertragsinhalt trotz Unwirksam-
keit eines Teils gültig sein soll, empfiehlt sich regelmäßig1. Eine Klausel über die Auslegung
des Vertrages selbst kann angebracht sein.

1.166 In der internationalen Vertragspraxis werden bestimmte englischsprachige Standardklauseln


(Boilerplate Clauses) immer wieder verwendet2. Diese entstammen vielfach dem anglo-ame-
rikanischen Recht. Zu beachten ist, dass bei ihrer Auslegung ihre Herkunft zu berücksichtigen
ist. Welche Wirkung sie letztlich haben, bestimmt allerdings das jeweils maßgebliche Vertrags-
statut3.

1.167 Die Rechte und Pflichten der Parteien sollten möglichst genau beschrieben werden. Dies gilt
bei Lieferung und Werkvertrag auch für die Abnahme. Eine Klarstellung bezüglich Gewähr-
leistung und Haftung ist angebracht4. Die Voraussetzungen und Folgen von Pflichtverletzun-
gen (z.B. Verzug) können im Einzelnen geregelt werden. Dazu gehören etwa der Rücktritt
vom Vertrag und Ansprüche auf Schadensersatz (gegebenenfalls Vertragsstrafen)5. Auch die
Produkthaftung sollte gegebenenfalls näher geregelt werden.

1.168 Die Laufzeit des Vertrages sollte, wenn möglich, bestimmt werden. Bei unbefristeter Ver-
tragsdauer sind gegebenenfalls Einschränkungen durch zwingende Vorschriften über die Kün-
digung zu beachten. Die Rechtsfolgen einer Vertragsbeendigung sollten geregelt werden. Bei
einzelnen Verträgen, wie bei Vertriebshändlern (insbesondere Handelsvertretern) kann unab-
dingbar ein Ausgleichsanspruch vorgeschrieben sein. Hier sollte ein noch verbleibender Rege-
lungsspielraum ausgenutzt werden (vgl. Rz. 23.160 ff.). Vertragliche Wettbewerbsabreden
sollten auf ihre Zulässigkeit hin überprüft und präzisiert werden.

1.169 Nach Möglichkeit sollten länderspezifische Klauseln verwendet werden6. Des Öfteren werden
Vertragstexte, die für inländische Verhältnisse entwickelt wurden, auch für Auslandsverträge
verwendet. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange außenwirtschaftliche und länderspezi-
fische Besonderheiten berücksichtigt werden. Insbesondere ist das Bestehen in- und vor allem
ausländischen zwingenden Rechts zu prüfen. Im Übrigen verlangen bestimmte länderspezi-
fische Risiken Vorsorge. Daher wurden vielfach besondere Lieferbedingungen für das Ausland
verwendet. Aber auch für Auslandsverträge entwickelte Verträge und Muster sind nicht pau-
schal und ohne Änderungen in allen Ländern verwendbar. Häufig besteht eine besondere Fas-

1 Vgl. Döser, JuS 2000, 663 (664); Ostendorf/Kluth, § 11 D; Triebel/Vogenauer S. 148 f. – S. aber zur
möglichen Unwirksamkeit Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 40.
2 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 105 ff. – Dazu auch Ostendorf/
Kluth, § 2A II.
3 Dazu DiMatteo, S. 59 ff. – S. die länderspezifischen Untersuchungen der Klauseln zu: Entire agree-
ment, No waiver, No oral amendments, Severability, Conditions/essential terms, Sole remedy, Sub-
ject to contract, Material adverse change, Liquidated damages, Indemnity, Representations and
warranties, Hardship und Force majeure bei Cordero-Moss (Hrsg.), Boilerplate Clauses (Oxford
2011).
4 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 97 ff.– Zu anglo-amerikanischen
Haftungserklärungen Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 33 ff.
5 Triebel/Vogenauer, S. 134 ff. – Zu Leistungsstörungen vgl. Döser, JuS 2000, 663 f.
6 Zu „gefährlichen Ländern“ beim Vertrieb Detzer, FS Thume, S. 23 (29 ff.).

62 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.173 § 1

sung für die Verwendung in EU/EWR-Staaten. In jedem Fall ist zumindest eine Überprüfung
des Vertragsentwurfs notwendig.

Anglo-amerikanische Verträge sind regelmäßig besonders umfangreich. Es werden (im Hin- 1.170
blick auf dominierendes Fallrecht und weit reichende Vertragsfreiheit) alle Eventualitäten ge-
regelt1. Eine Klausel über die Vertragsauslegung kann angebracht sein (vgl. auch Rz. 3.106 ff.).
Zu beachten ist, dass äußere Umstände für die Vertragsauslegung oft nicht oder nur sehr be-
grenzt herangezogen werden dürfen. Wenn die Vertragsformulierung keine Zweifel aufwirft,
wird der Vertrag nach der „four corners“ rule des Common Law aus sich selbst heraus aus-
gelegt.

4. Form- und Beweisfragen


Das ausländische Recht stellt des Öfteren strengere Anforderungen an die Form als das 1.171
deutsche Recht (vgl. Rz. 5.102; zum Warenkauf Rz. 25.54). Darüber hinaus haben sich bei ei-
nigen ausländischen Behörden – vor allem Zoll- und Steuerbehörden – in der Praxis Abläufe
entwickelt, welche bestehende Formvorschriften noch weiter verschärften. Auch wenn eine
solche Behördenpraxis keine Rechtsquelle im eigentlichen Sinne darstellt, ist sie doch für eine
schnelle und konfliktlose Geschäftsabwicklung (z.B. die Zollfreigabe) von Bedeutung. In man-
chen Ländern bedürfen viele Arten von Verträgen zwischen deutschen und ausländischen Un-
ternehmen grundsätzlich der Schriftform. Die Nichtbeachtung der Schriftform hat die Un-
wirksamkeit des außenwirtschaftlichen Geschäftes zur Folge. Ferner können negative steuerli-
che Folgen eintreten.

Der Austausch von Mitteilungen per E-Mail ist zwar weit verbreitet. Regelmäßig ersetzt er 1.172
aber die Schriftform nur, wenn dabei speziell registrierte Digitalsignaturen verwendet werden.
Es empfiehlt sich deshalb, bei Geschäften mit dem ausländischen Partner den Vertrag (auch)
in herkömmlicher Papierform zu erstellen, unterschreiben zu lassen und Originalausfertigun-
gen des Vertrages auszutauschen. Zweifelsfragen können durch eine vertragliche Klarstellung
vermieden werden2. Der Vertrag kann vorsehen, dass die Kommunikation bei seiner Abwick-
lung auch per E-Mail oder über andere elektronische Kommunikationsmittel erfolgen kann.

Die notarielle Form der Verträge spielt vor allem für Immobiliengeschäfte (vgl. Rz. 21.39 ff.) 1.173
und gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen eine Rolle (vgl. Rz. 5.202 ff.). Manchmal findet sie
aber im Ausland seltener Anwendung als in Deutschland. Beispielsweise können Geschäfts-
anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Immobilien ohne Heranziehung ei-
nes Notars veräußert bzw. belastet werden. Bei dieser Art von Verträgen kann die einfache
Schriftform genügen. Die Wirksamkeit des Vertrages bzw. des Eigentumsüberganges aufgrund
Vertrages kann von der Eintragung des Geschäftes durch eine Behörde oder ein Gericht ab-
hängen. Eine solche Eintragung kann für die Übertragung von Geschäftsanteilen und bei Im-
mobiliengeschäften notwendig sein.

1 Dazu Lundmark, FS Sandrock, S. 623 ff.; Lundmark, RIW 2001, 187 ff.; Krümmel in Röhricht/von
Westphalen/Haas, INT Rz. 27 ff.
2 Zu Schriftformvereinbarungen Ostendorf/Kluth, § 11 C. – S. auch Art. 2.1.218 UNIDROIT-Princi-
ples 2016.

Martiny | 63
§ 1 Rz. 1.174 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

5. Geschäftspartner
1.174 Die Feststellung der Identität des Geschäftspartners, d.h. der Person und eine genaue Be-
stimmung des Geschäftspartners bei Abschluss eines außenwirtschaftlichen Vertrages ist an
sich eine Selbstverständlichkeit. Name (genaue handelsrechtliche Firmenbezeichnung), An-
schrift, Rechtsform, gesetzlicher Vertreter (Überblick über die Handelsgesellschaften
Rz. 6.187 ff.), Sitz und Niederlassung sollten aufgeführt werden. Das kann in einer eigenen
Vertragsbestimmung, die Begriffe wie Vertragsparteien, Käufer und Verkäufer, näher bezeich-
net, geschehen. Vollmachten bedürfen der Überprüfung (Rz. 6.381 ff.). Das ausländische Fir-
menrecht lässt teilweise zu, dass mehrere Gesellschaften mit ähnlichen Firmennamen beste-
hen. Folglich können dieselben oder miteinander bekannte Personen Inhaber mehrerer Ge-
sellschaften sein, deren Firmennamen sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Sol-
len Ansprüche aus einem gestörten Vertragsverhältnis durchgesetzt werden, so ist entschei-
dend, mit welcher Gesellschaft der Vertrag tatsächlich abgeschlossen wurde. Unliebsame
Überraschungen können auch drohen, wenn nicht beachtet wird, ob im gegebenen Fall mit
der Mutter- oder der Tochtergesellschaft bzw. mit welcher Tochtergesellschaft in welchem
Land kontrahiert wurde.

1.175 Bei staatlichen Partnern können besondere Beschränkungen (Einschränkungen der Rechts-
stellung, Genehmigungserfordernisse, Fehlen der Gerichtsbarkeit) in Betracht kommen, wel-
che die Wirksamkeit oder Durchsetzbarkeit des Geschäfts gefährden.

6. Vertrags- und Verhandlungssprache


1.176 Die Verwendung einer oder mehrerer Sprachen kann vereinbart werden. Die Wahl der Ver-
handlungssprache kann Bedeutung für das Zustandekommen von vertraglichen Vereinbarun-
gen und für die Vertragsauslegung haben1 (vgl. Rz. 3.3 ff., Rz. 3.113). Der Vertrag kann in
einer oder mehreren Sprachen abgefasst werden (Vertragssprache). Bestehen mehrere
Sprachfassungen, so ist festzulegen, welcher Wortlaut gelten soll. Das kann die deutsche Fas-
sung sein. Möglich ist aber auch eine Festlegung, dass beide Fassungen gleichberechtigt gelten
sollen (vgl. Rz. 3.114). Andernfalls ist klarzustellen, welche Fassung das Original und welche
die Übersetzung sein soll.

1.177 Bei der Verwendung von Fremdsprachen sind exakte Übersetzungen und der richtige Ge-
brauch der ausländischen Terminologie von größter Bedeutung2. Des Öfteren stehen mehr-
sprachige Fassungen oder zuverlässige Übersetzungen zur Verfügung. Bereits vorliegende For-
mulare und Musterverträge in fremder Sprache können herangezogen werden. Ist eine Über-
setzung aus dem Deutschen anzufertigen, so ist zunächst zu überprüfen, welche Terminologie
in der Ausgangssprache benutzt worden ist (deutsche, österreichische, schweizerische oder
auch europarechtliche Terminologie). Das deutsche Wort muss nicht immer dasselbe bedeu-
ten. Auch in der Zielsprache kommen häufig mehrere Alternativen in Betracht (z.B. englische,
US-amerikanische oder europarechtliche Terminologie).

1.178 Die tatsächliche Verwendung der ausländischen Terminologie in Rechts- und Vertragspraxis
kann heute mithilfe des Internets wesentlich leichter überprüft werden als früher. Auch

1 Germain/DiMatteo, Language and translation issues, in DiMatteo/Jansssen/Magnus/Schulze, S. 16


ff. – Nachw. zur Sprachproblematik bei Döser, JuS 2000, 246 (247 ff.); Krümmel in Röhricht/von
Westphalen/Haas, INT Rz. 12 ff.
2 Walz, Notar 2015, 111 ff.– Zu Fehlerquellen Triebel/Vogenauer, S. 23 ff.

64 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.182 § 1

Rechtswörterbücher in der Zielsprache können eine gute Hilfe sein. Ohne Fach- bzw. Rechts-
kenntnisse ist der Übersetzer oder Dolmetscher regelmäßig nicht in der Lage, eine richtige
Übersetzung zu liefern. Es ist sicher zu stellen, dass nicht nur „translatorese“ produziert wird,
das im Konfliktfall nicht stand hält1.

Zahlreiche Bücher über deutsch-ausländische Rechtssprachen mit Übersetzungsbeispielen ste- 1.179


hen zur Verfügung. Die Verlässlichkeit der Angaben in deutsch-ausländischen Rechtswörter-
büchern ist freilich nicht immer gegeben. Amtliche Übersetzungen von Staatsverträgen, ande-
re Sprachfassungen von Verordnungen und Richtlinien sind manchmal eine Hilfe. Auch eine
Überprüfung über das europäische System IATE (Inter Active Terminology for Europe) des
Übersetzungszentrums der EU in Luxemburg2 kann hilfreich sein.

Allerdings ist Vorsicht gegenüber fremdsprachigen Standardklauseln angebracht (s. Rz. 1.166). 1.180
Über die richtige Auslegung eines fremdsprachigen Ausdrucks entscheidet letztlich das Ver-
tragsstatut (die lex causae)3.

7. Anwendbares Recht
Teilweise gilt Einheitsrecht bereits kraft Gesetzes (z.B. CISG, Transportrechtskonventionen). 1.181
Ist das der Fall, so bedarf es keiner Vereinbarung. Stattdessen ist zu prüfen, ob die Geltung des
Einheitsrechts ausgeschlossen werden soll und kann (opting out; vgl. Rz. 25.40 ff. zum CISG).
Allerdings kann die Anwendung des Einheitsrechts über seinen Anwendungsbereich hinaus
vereinbart werden4. Im Übrigen ist regelmäßig eine Rechtswahlklausel angebracht5. Sie kann
im Konfliktfall langwierige Streitigkeiten über das anwendbare Recht und erhebliche Nachteile
vermeiden. Zur Zweckmäßigkeit der Wahl einer bestimmten Rechtsordnung ist jedoch keine
generelle Aussage möglich. Sie muss in jedem Einzelfall analysiert werden6. Vor der Wahl ei-
ner Rechtsordnung, von der man nur eine vage Vorstellung hat (etwa als „neutrales“ Recht),
ist zu warnen7. Das gilt auch für das schweizerische Recht8. Auch die Tücken des deutschen
AGB-Rechts sind zu bedenken9.

Zunächst einmal ist festzustellen, ob freie Rechtswahl möglich und erlaubt ist (Parteiautono- 1.182
mie). Das ist vom inländischen Standpunkt aus meist der Fall, allerdings können einzelne
zwingende Vorschriften zu beachten sein. Wenn Wirksamkeit ebenfalls aus der Sicht des Aus-
lands angestrebt wird, ist die Zulässigkeit der Rechtswahl und das Bestehen von zwingendem
Recht auch aus der Sicht des jeweiligen ausländischen Rechts zu prüfen. Entscheidend ist, ob
die konkrete Vertragsgestaltung nach der gewählten Rechtsordnung wirksam und sinnvoll ist
(s. etwa für Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträge Rz. 23.1 ff., Rz. 37.1 ff.).

1 S. auch Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 17.


2 https://iate.europa.eu/.
3 Näher Magnus, Fremdsprachige Verträge unter deutschem Vertragsstatut – Auslegungsregeln für
internationale Verträge, FS Schwenzer (Bern 2011), S. 1153 ff.
4 Vorpeil, IWB 2020, 438 (446 f.) zum CISG.
5 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 114 ff.
6 Näher dazu Mankowski, RIW 2003, 2 ff.; Mallmann, NJW 2008, 2953 ff.
7 Vorpeil, IWB 2020, 438 (440).
8 Vorpeil, IWB 2020, 438 (441). – Dazu Pfeiffer, FS von Westphalen, S. 555 ff.; Voser/Boog, RIW
2009, 126 ff.
9 Vorpeil, IWB 2020, 438 (440).

Martiny | 65
§ 1 Rz. 1.183 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.183 Die Wahl des anzuwendenden Rechts ist mit der Vertragssprache und dem verwendeten
rechtlichen Begriffsapparat sinnvoll zu verknüpfen. Beim Zugrundelegen deutscher Vertrags-
muster oder -vorlagen ist ihre Verwendbarkeit für Fälle mit Auslandsberührung unbedingt zu
prüfen. Insbesondere solche Rechtsinstitute wie die Einbeziehung von AGB, Eigentumsvor-
behalt und Pfandrechte haben im ausländischen Recht teilweise andere Inhalte und Folgen als
im deutschen Recht.

8. Sicherheiten
1.184 Welche Sicherheiten in Betracht kommen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Dazu gehö-
ren die Art des zu sichernden Geschäfts, die Art der Sicherung sowie die Rechtsordnung, vor
der sie Bestand haben sollen. Im allgemeinen sind dingliche und persönliche Sicherheiten zu
unterscheiden1. Bei Mobiliarsicherheiten ist zu prüfen, ob sie im Ausland anerkannt werden
und insolvenzfest sind (vgl. Rz. 25.140 ff.). Teilweise ist Eintragung erforderlich. Persönliche
Sicherheiten wie Bürgschaften und Garantien sind auch bei Geschäften mit Auslandsberüh-
rung häufig (vgl. Rz. 16.1 ff.). Besondere Sorgfalt ist notwendig für die Formulierung des Si-
cherungszwecks, die Durchsetzbarkeit (z.B. „auf erstes Anfordern“), für Formfragen, aber
auch im Hinblick auf mögliche Beschränkungen für die Abgabe wirksamer Erklärungen durch
verheiratete Personen (z.B. Ehegattenbürgschaften, vgl. Rz. 6.792).

IV. Vertragsdurchsetzung und Streiterledigung


1.185 Auch für den Konfliktfall ist Vorsorge zu treffen2. Hier kommt es darauf an, ob noch die Er-
füllung bzw. eine Durchführung des Vertrages gesichert werden soll oder es nur um eine Re-
gelung zur Absicherung für Sekundäransprüche wie Schadensersatz gehen soll. Verhandlungs-
klauseln sichern die Pflicht zu Verhandlungen etwa bei Änderungen oder Schwierigkeiten.

1.185a Sowohl das europäische, das deutsche als auch das ausländische Recht lassen bei grenzüber-
schreitenden Verträgen im Allgemeinen zu, dass der Gerichtsstand für mögliche Streitigkei-
ten im Vertrag bestimmt wird (vgl. die Klauselbeispiele Rz. 7.198 ff.). Gesetzliche Beschrän-
kungen bestehen vielfach für Verbraucher, Versicherungsnehmer und Arbeitnehmer, teilweise
auch für Vertriebsmittler (vgl. Rz. 7.121 ff.). Die Gerichtsstandswahl ist eine entscheidende
Weichenstellung dafür, ob eine Rechtswahlklausel am Gerichtsort überhaupt honoriert wird.
Die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands ist zwar grundsätzlich vorteilhaft. Aller-
dings sind die Konsequenzen für einen effektiven Rechtsschutz zu überlegen3. Möglicherweise
können inländische Gerichtsentscheidungen im Staat des Vertragspartners nicht oder nur
schwer anerkannt und vollstreckt werden4. Die inländische Partei kann auch bei einer Klage
gegen die ausländische Partei vor einem deutschen Gericht zunächst mit möglicherweise zeit-
raubenden Problemen der Zustellung der Klageschrift und anderer Prozessdokumente kon-
frontiert sein. Die Vereinbarung eines ausschließlichen inländischen Gerichtsstandes kann der
deutschen Partei zudem den Zugang zu den ausländischen Gerichten versperren. Ist eine Ge-
richtsstandsvereinbarung unzweckmäßig und unterblieben, so kann jede der Parteien bei Not-

1 Vgl. Tauber, Bank-Praktiker 2008, 186 ff.


2 Zu Streiterledigungsklauseln International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 114
ff.; Ostendorf/Kluth, § 14. – Umfassender Überblick bei Bachofner/Grolimund u.a., Streitbeilegung,
in Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, S. 1091 ff.
3 Vgl. auch Döser, JuS 2000, 663 (665 f.). – Zur möglichen Unbeachtlichkeit nach ausländischem
Recht Detzer, FS Thume, S. 23 (25 f.).
4 Näher Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 ff. m.w.N.

66 | Martiny
C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.188 § 1

wendigkeit gegen die andere Partei im Heimatland des Beklagten klagen und im Falle des Ob-
siegens vollstrecken.

Eine Schiedsvereinbarung kann in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) 1.186


oder in Form einer Klausel in einem Vertrag (Schiedsklausel) geschlossen werden (vgl. § 1029
Abs. 2 ZPO; Klauselbeispiele in Rz. 7.498 ff.). Für Schiedsgerichtsklauseln bestehen vielfache
Muster. Zugang zu ihnen findet man regelmäßig in der gleichen Weise wie zu anderen Ver-
tragsmustern. Schiedsgerichte können nach den Regeln des Schiedsgerichtshofs der Interna-
tionalen Handelskammer (International Court of Arbitration) gebildet werden. Schiedsgerich-
te bestehen häufig auch bei Außenhandelskammern, so z.B. das Schiedsgericht der Deutsch-
Polnischen Industrie- und Handelskammer. In der Schiedsvereinbarung kann sogleich auf die
jeweilige Schiedsordnung Bezug genommen werden. Die Schiedsvereinbarung erlaubt regel-
mäßig einen Einfluss auf den Ort des Verfahrens, die Zusammensetzung des Gerichts und das
Verfahren. Auch hier sind aber Beschränkungen zugunsten der schwächeren Vertragspartei zu
beachten (s. Rz. 19.131 ff. [Finanzmarktverträge], Rz. 7.377 ff. [Verbraucherverträge]).

Schiedssprüche können sowohl im Ausland als auch in Deutschland aufgrund von entspre- 1.187
chenden völkerrechtlichen Verträgen (insb. des New Yorker Abkommens von 1958) anerkannt
und vollstreckt werden, vgl. Rz. 7.227 ff.

Zunehmend finden auch Schlichtung (conciliation) und Mediation Verbreitung. Eine ent- 1.188
sprechende Vereinbarung kann geschlossen werden (s. Rz. 7.216 ff.). Hierfür bestehen Muster
internationaler, bilateraler, aber auch nationaler Organisationen1.

1 S. etwa die mehrsprachigen Mediationsklauseln der ICC, http://www.iccwbo.org/. Zugang zu


Klauseln auch über das International Mediation Institute.

Martiny | 67
§2
Bestimmung des Vertragsstatuts

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) . . . 2.1 III. Nachträgliche Rechtswahl . . . . . . . 2.126


I. Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 1. Änderung der Rechtswahl . . . . 2.126
1. Grundsatz der Parteiautonomie 2.1 2. Formgültigkeit und Rechte Drit-
2. Rechtswahl der Parteien . . . . . . 2.8 ter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.131
3. Rechtswahlvereinbarung . . . . . 2.15 IV. Zwingende Vorschriften . . . . . . . . 2.135
a) Grundlage des Verweisungs- 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2.135
vertrages . . . . . . . . . . . . . . . 2.15 2. Fehlender Auslandsbezug . . . . 2.137
b) Zustandekommen des Ver- 3. Binnenmarktsachverhalt . . . . . 2.141
weisungsvertrages (Art. 3 4. Andere Vorschriften . . . . . . . . . 2.145
Abs. 5 Rom I-VO) . . . . . . . . 2.20
V. Zusammenfassung mit Handlungs-
c) Inhalts- und Transparenz-
anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.147
kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 2.23
d) Form des Verweisungsvertra- B. Mangels Rechtswahl anzuwenden-
ges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.32 des Recht (Art. 4 Rom I-VO) . . . . 2.155
4. Mangel objektiver Beziehung . . 2.34 I. System der objektiven Anknüpfung 2.155
5. Teilweise Rechtswahl . . . . . . . . 2.38 II. Vertragsspezifische Anknüpfung . 2.157
6. Veränderung des gewählten 1. Auflistung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.157
Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.46 2. Warenkauf (Art. 4 Abs. 1 lit. a
7. Wahl außerstaatlichen Rechts . 2.47 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . 2.159
a) Kollisionsrechtliche Unzuläs- 3. Dienstleistungsverträge (Art. 4
sigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.47 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) . . . . . . 2.160
b) Allgemeine Rechtsgrundsätze, 4. Grundstücksverträge (Art. 4
Vertragsgrundregeln . . . . . . 2.49 Abs. 1 lit. c Rom I-VO) . . . . . . 2.161
c) Lex Mercatoria . . . . . . . . . . 2.53 5. Kurzfristige Miet- und Pachtver-
d) „Rechtsordnungslose Verträ- träge (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-
ge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.63 VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.163
e) Verweisung auf Völkerrecht 2.64 6. Franchiseverträge (Art. 4 Abs. 1
8. Stabilisierungs- und Versteine- lit. e Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.165
rungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . 2.66 7. Vertriebsverträge (Art. 4 Abs. 1
a) Art der Klauseln . . . . . . . . . 2.66 lit. f Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.166
b) Kollisionsrechtliche Wirkung 2.72 8. Kauf durch Versteigerung (Art. 4
9. Offenlassen der Rechtswahl im Abs. 1 lit. g Rom I-VO) . . . . . . 2.167
Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.75 9. Multilaterales System (Art. 4
II. Stillschweigende Rechtswahl . . . . . 2.77 Abs. 1 lit. h Rom I-VO) . . . . . . 2.168
1. Maßgeblichkeit des Parteiwillens 2.77 III. Gemischte Verträge . . . . . . . . . . . . 2.170
2. Hinweise auf den stillschweigen- 1. Arten der gemischten Verträge 2.170
den Willen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.82 2. Vertrag mit andersartiger Ne-
a) Indizwirkung . . . . . . . . . . . 2.82 benleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.173
b) Gerichtsstandsklausel . . . . . 2.86
3. (Typen-) Kombinationsvertrag 2.174
c) Schiedsklausel . . . . . . . . . . . 2.92
4. Austauschvertrag mit anders-
d) Verhalten im Rechtsstreit . . 2.100
typischer Gegenleistung . . . . . . 2.175
e) Einheitlicher Erfüllungsort . 2.108
f) Bezugnahme auf ein Recht . 2.111 5. Typenverschmelzungsvertrag . 2.176
g) Vertragssprache . . . . . . . . . 2.116 IV. Anknüpfung nach der charakteristi-
h) Formulare und Allgemeine schen Leistung (Art. 4 Abs. 2
Geschäftsbedingungen . . . . 2.117 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.177
i) Vertragspraxis der Parteien 2.124

68 | Martiny
Bestimmung des Vertragsstatuts | § 2

1. Herstellung der engsten Verbin- b) Vertragsverbindung . . . . . . . 2.233


dung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.179 c) Zusammengesetzte Verträge 2.234
a) Begriff der charakteristischen d) Angelehnte Verträge . . . . . . 2.235
Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.179 e) Sicherungsverträge . . . . . . . 2.236
b) Zeitpunkt des Vertrags- f) Ausfüllen von Rahmenverträ-
abschlusses . . . . . . . . . . . . . . 2.188 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.237
2. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . 2.189 g) Vorbereitung des Hauptver-
3. Lokalisierung der charakteristi- trages . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.239
schen Leistung . . . . . . . . . . . . . . 2.192 4. Gemischte Verträge . . . . . . . . . . 2.242
4. Einzelne Fälle der charakteristi- VI. Engste Verbindung (Art. 4 Abs. 4
schen Leistung . . . . . . . . . . . . . . 2.193 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243
5. Gemischte Verträge im Rahmen 1. Maßgeblichkeit der engsten Ver-
von Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I- bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243
VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.200 a) Begriff der engsten Verbin-
a) Einordnung des Vertrages . . 2.200 dung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243
b) Vertrag mit andersartiger Ne- b) Gesamtheit der Umstände . 2.249
benleistung . . . . . . . . . . . . . . 2.201 2. Abtrennbarkeit eines Vertrags-
c) (Typen-) Kombinationsver- teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.251
trag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.202 3. Hinweise auf die engste Verbin-
d) Austauschvertrag mit anders- dung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.252
typischer Gegenleistung . . . 2.203 a) Indizwirkung . . . . . . . . . . . . 2.252
e) Typenverschmelzungsvertrag 2.205 b) Gewöhnlicher Aufenthalt,
6. Nichtbestimmbarkeit der charak- Niederlassung . . . . . . . . . . . 2.256
teristischen Leistung . . . . . . . . . 2.206 c) Staatsangehörigkeit . . . . . . . 2.259
7. Mehrfach erfasste Verträge (Art. 4 d) Beteiligung der öffentlichen
Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO) . . . . . . 2.211 Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.263
a) Arten der Verträge . . . . . . . . 2.211 e) Währung . . . . . . . . . . . . . . . 2.264
b) Vertrag und Vertragsbestand- f) Abschlussort . . . . . . . . . . . . 2.265
teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.213 g) Mitwirkung eines Notars
c) Maßgeblicher Beurteilungs- oder Richters . . . . . . . . . . . . 2.270
gegenstand . . . . . . . . . . . . . . 2.214 h) Mitwirkung eines Maklers . 2.272
d) Vertragstyp und charakteris- i) Favor negotii . . . . . . . . . . . . 2.273
tische Leistung . . . . . . . . . . . 2.216 j) Hypothetischer Parteiwille . 2.274
e) Anknüpfung nach der engs- k) Recht der Flagge . . . . . . . . . 2.275
ten Verbindung . . . . . . . . . . 2.217 VII. Revisibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.276
f) Arten mehrfach erfasster ge- VIII. Zusammenfassung mit Handlungs-
mischter Verträge . . . . . . . . 2.218 anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.277
aa) Einordnung gemischter
C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19
Verträge . . . . . . . . . . . . . 2.218
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.285
bb) Vertrag mit andersartiger
Nebenleistung . . . . . . . . 2.219 I. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen
cc) (Typen-) Kombinations- Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.285
vertrag . . . . . . . . . . . . . . 2.220 II. Gewöhnlicher Aufenthalt von Ge-
dd) Verträge mit anderstypi- sellschaften, Vereinen und juristi-
scher Gegenleistung . . . 2.221 schen Personen (Art. 19 Abs. 1 Un-
ee) Typenverschmelzungsver- terabs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.287
trag . . . . . . . . . . . . . . . . 2.222 III. Gewöhnlicher Aufenthalt natürli-
V. Engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 cher Personen (Art. 19 Abs. 1 Un-
Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.223 terabs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.290
1. Funktion der engeren Verbindung 2.223 1. Maßgeblichkeit des gewöhnli-
2. Ausweichklausel . . . . . . . . . . . . 2.226 chen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . 2.290
3. Zusammenhängende Verträge . 2.231 2. Geschäftliche Tätigkeit . . . . . . . 2.291
a) Mehrere Verträge . . . . . . . . . 2.231 3. Hauptniederlassung . . . . . . . . . 2.293

Martiny | 69
§ 2 | Bestimmung des Vertragsstatuts

4. Nicht berufliche Tätigkeit . . . . 2.295 E. Staaten ohne einheitliche Rechts-


IV. Andere Niederlassung (Art. 19 ordnung (Art. 22 Rom I-VO) . . . . 2.305
Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 2.297 I. Rechtsspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.305
V. Zeitpunkt (Art. 19 Abs. 3 Rom I- II. Innerdeutsches Kollisionsrecht . . . 2.311
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.299 F. Ordre public (Art. 21 Rom I-VO) 2.316
D. Rück- und Weiterverweisung
(Art. 20 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.300

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Bestimmung des Vertragsstatuts | § 2

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Allgemeiner Geschäftsbedingungen im internationalen geschäftsmännischen Verkehr (2012); Schnitzer,
Die funktionelle Anknüpfung im internationalen Vertragsrecht, Festg. Schönenberger (1968), S. 387;
Schröder/Wenner, Internationales Vertragsrecht: das Kollisionsrecht der transnationalen Wirtschaftsver-

Martiny | 71
§ 2 Rz. 2.1 | Bestimmung des Vertragsstatuts

träge, 2. Aufl. 1998; Schulze, Die Kodifikation des Vertragsstatuts im IPR (Basel/Frankfurt 1980); von der
Seipen, Akzessorische Anknüpfung und engste Verbindung im Kollisionsrecht der komplexen Vertrags-
verhältnisse (1989); Siehr, Die Parteiautonomie im internationalen Privatrecht, FS Keller (1989), S. 485;
Siehr, Anspruchskonkurrenz und IPR, FS Honsell (Zürich 2002), S. 189; Siehr, Objektive Anknüpfung im
Internationalen Vertragsrecht in Reichelt (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR (Wien
2007), S. 69; Simitis, Aufgaben und Grenzen der Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht, JuS
1966, 209; Späth, Die gewerbliche Erbensuche im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr (2008); Spickhoff,
Anspruchskonkurrenzen, Internationale Zuständigkeit und Internationales Privatrecht, IPRax 2009, 128;
Spickhoff, Die Rechtswahl und ihre Grenzen unter der Rom I-VO in Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäi-
sche Kollisionsrechtsvereinheitlichung (2012), S. 117; Spickhoff, Reichweite und Grenzen der Rechtswahl
im Internationalen Schuld- und Sachenrecht in Spickhoff (Hrsg.), Symposium Parteiautonomie im Euro-
päischen Internationalen Privatrecht (2013), S. 29; Steindorff, Das Offenlassen der Rechtswahl im IPR
und die Nachprüfung ausländischen Rechts durch das Revisionsgericht, JZ 1963, 200; Steiner, Die still-
schweigende Rechtswahl im Prozess der subjektiven Anknüpfungen im deutschen Internationalen Privat-
recht (1998); Steinle, Konkludente Rechtswahl und objektive Anknüpfung nach altem und neuem deut-
schen Internationalen Vertragsrecht, ZVglRW 93 (1994), 300; H. Stoll, Das Statut der
Rechtswahlvereinbarung – eine irreführende Konstruktion, FS Heini (Zürich 1995), S. 429; U. Stoll, Die
Rechtswahlvoraussetzungen und die Bestimmung des auf internationale Schuldverträge anwendbaren
Rechts nach den allgemeinen Kollisionsregeln des US-amerikanischen UCC und des deutschen Rechts
(1986); Stürner, Europäisches Vertragsrecht (2021); Symeonides, Party Autonomy in Rome I and II from
a Comparative Perspective in Convergence and Divergence in Liber Amicorum Siehr (Zürich, den Haag
2010), S. 513; Symeonides, Party autonomy in Rome I and II: an outsider´s perspective, NIPR 2010, 191;
Thorn/Thon, Der Auslandsbezug im IPR, FS Kronke (2020), S. 569; Urlaub, Einseitig verpflichtende
Rechtsgeschäfte im internationalen Privatrecht (2010); Vischer, Veränderungen des Vertragsstatuts und
ihre Folgen, FS Keller (1989), S. 547; Vogenauer, Regulatory Competition Through Choice of Contract
Law and Choice of Forum in Europe, Eur.Rev.Priv.L. 2013, 13; Vorpeil, Rechtswahlklauseln bei interna-
tionalen Verträgen, IWB 2020, 438; Wagner, Der Grundsatz der Rechtswahl und das mangels Rechtswahl
anwendbare Recht (Rom-I-Verordnung), IPRax 2008, 377; W. Weitnauer, Der Vertragsschwerpunkt
(1981); Wenner, „Rechtswahlblüten“, FS Werner (2005), S. 39; Wenner, Internationales Vertragsrecht,
3. Aufl. 2013; Windmöller, Die Vertragsspaltung im Internationalen Privatrecht des EGBGB und des
EGVVG (2000). S. außerdem die Lehrbücher und die Kommentare zu Art. 1 ff. Rom I-VO bzw. Art. 27 ff.
EGBGB a.F. Zur Rom I-VO s. ferner vor Rz. 1.48, zum EVÜ s. vor Rz. 1.4.

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO)

I. Parteiautonomie
1. Grundsatz der Parteiautonomie
2.1 Die Beziehungen zwischen den Parteien eines schuldrechtlichen Vertrages werden grundsätz-
lich nach dem Recht beurteilt, von dessen Regelungen die Parteien ausgingen (Vertragssta-
tut). Das Prinzip der freien Rechtswahl findet sich in Art. 3 Rom I-VO. Parteiautonomie be-
steht auch für außervertragliche Schuldverhältnisse (Art. 14 Rom II-VO; dazu Rz. 4.5 ff.) so-
wie in eingeschränkter Form im Güterrecht (Art. 22 EuGüVO), für die Ehescheidung (Art. 5
Rom III-VO), ferner im Erbrecht (Art. 22 EuErbVO)1. Wenngleich die Rechtswahlfreiheit un-

1 Näher Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht in Ar-
nold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts (2016), S. 23 ff.; Maultzsch, Partei-
autonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohä-
renz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016), S. 153;
Hilbig-Lugani, Parteiautonomie im Zusammenspiel des neueren Europäischen Kollisionsrechts,
DNotZ 2017, 739 ff.

72 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.5 § 2

terschiedlich stark ausgeprägt ist, kann man von einem allgemeinen Grundsatz des europäi-
schen Kollisionsrechts sprechen1.

Nach Art. 3 Rom I-VO muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus 2.2
den Vertragsbestimmungen oder aus anderen Umständen ergeben. Die Parteien können die
Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil treffen (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO).
Die Rechtswahl ist abänderbar. Die Formgültigkeit des Vertrags und Rechte Dritter werden
durch eine nach Vertragsschluss erfolgende Änderung der Bestimmung des anzuwendenden
Rechts aber nicht berührt (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO).

Die aus einem Vertrag entspringenden Rechtsbeziehungen entstehen deshalb, weil sie gewollt 2.3
sind. Inhalt und Umfang der vertraglichen Bindung werden durch die Vereinbarung der Par-
teien bestimmt. Die einzelnen Rechtsordnungen geben den Parteien in ihrem materiellen
Recht weiten Spielraum. Die sachrechtliche Parteifreiheit (Privatautonomie) wird zwar durch
zwingende Vorschriften eingeschränkt. Solche Einschränkungen sind aber doch die Ausnah-
me; die Regel bildet die Parteifreiheit. Davon ist auch im Kollisionsrecht auszugehen. Die dort
herrschende Freiheit der Rechtswahl wird allgemein als (kollisionsrechtliche) Parteiautono-
mie bezeichnet2.

Die Rechtsfolgen einer vertraglichen Abmachung sind nach der jeweiligen Rechtsordnung oft 2.4
sehr verschieden; die unterschiedlichen Regelungen beruhen nicht nur auf einer anderen Be-
wertung von Parteiinteressen, sondern auch – und dies häufiger – auf einer „langen Rechts-
geschichte ohne alle Absicht, heutige Interessen zu beurteilen“3. Auf solche Regelungen stellen
sich die Vertragsparteien ein, danach treffen sie ihre Kalkulationen und richten die Vertrags-
klauseln ein.

Bei ausschließlicher Inlandsberührung gehen die Parteien von den Regelungen des inländi- 2.5
schen Rechts aus. Bei Auslandsberührung tun sie dies nicht in jedem Fall. Die Anwendung
des Inlandsrechts ist nicht mehr selbstverständlich. Sie wird den Vertragsparteien nur dann
gerecht, wenn sie bei ihren vertraglichen Abmachungen davon ausgingen. Sonst muss das
Recht Anwendung finden, dessen Vorschriften die – oft nicht bewusste – Grundlage der ver-
traglichen Abmachungen bildeten, dessen Auswirkungen auf ihre vertraglichen Beziehungen
sie voraussehen konnten. „Jede Rechtswahl ist ein Stück kaufmännischer Kalkulation, häufig
genug Grundlage der Verteilung der Versicherungslast, damit Spiegelbild wirtschaftlicher Ge-
gebenheiten“4. Die Anwendung des vereinbarten Rechts dient dem Gesichtspunkt der „Ge-
rechtigkeit der einzelnen im Verhältnis zueinander“5. Folglich gibt die Parteiautonomie den
Vertragspartnern die Möglichkeit, eine individuelle Lösung für die Rechtsanwendung zu
finden6. Sie ist mehr als eine Verlegenheitslösung7.

1 Schmitz, S. 108 ff.


2 Kroll-Ludwigs, S. 48 f. – Vgl. Junker, IPRax 1993, 1 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I
Rz. 26 ff.
3 Basedow, RabelsZ 75 (2011) 32 ff.
4 Gamillscheg, AcP 157 (1958/59), 303 (316).
5 BGH v. 17.12.1959 – VII ZR 198/58, BGHZ 31, 367 (371).
6 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (188). – Vgl. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 62; Magnus in Stau-
dinger, Art. 3 Rom I Rz. 28.
7 Anders aber Kegel/Schurig, S. 653, weil ein allgemein einleuchtender Ausgleich der Parteiinteressen
nicht möglich sei. – S. dazu auch Kühne, Liber amicorum Kegel (2002), S. 65 (66 f.); Leible, FS
Jayme I, S. 485 ff.

Martiny | 73
§ 2 Rz. 2.6 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.6 Nach Erwägungsgrund 11 bildet die freie Rechtswahl der Parteien einen der Ecksteine des
Systems des internationalen Schuldvertragsrechts. Ihre Rechtfertigung findet die Partei-
autonomie darin, dass sie nicht nur Partei- und Verkehrsinteressen dient, sondern regelmäßig
auch die Rechtssicherheit schafft, die vor allem im internationalen Handel notwendig ist1.
Die Versuche ausschließlich zwingender objektiver Anknüpfungen sind gescheitert. Generelle
Anknüpfungsregeln können nicht alle denkbaren Interessen und Fallgestaltungen erfassen
und schließlich ist der Wunsch, etwa ein besonders weit entwickeltes oder vertrautes Recht zu
wählen, legitim2. Der Parteiautonomie sind allerdings Grenzen gesetzt. So ist etwa einer
Rechtswahl dann die Beachtung zu versagen, wenn sie offensichtlich dem Missbrauch der
wirtschaftlich übermächtigen Partei dient3. Die Auswirkungen einer Rechtswahl sind insoweit
begrenzt, als sie viele Bereiche nicht erfassen können (etwa entgegenstehendes international
zwingendes Recht, sachenrechtliche oder prozessuale Regeln) und die praktische Rechtsdurch-
setzung noch nicht garantieren4. Eine Rechtswahl darf aber nicht deshalb unbeachtet bleiben,
weil sich eine der Parteien nachträglich von ihr lösen möchte und auch das Gericht die ur-
sprüngliche Wahl ausländischen Rechts für unzweckmäßig hält5.

2.7 Der Schutz der schwächeren Vertragspartei hat auch Eingang in das IPR gefunden. Hier
muss zwar grundsätzlich die lex causae den Schutz des Schwächeren übernehmen. In einigen
Fällen, insbesondere bei Verbrauchern und Arbeitnehmern, ist es jedoch geboten, auch die
Rechtswahlfreiheit bzw. deren Folgen zu begrenzen. Das geltende Recht enthält daher Sonder-
regelungen für den Arbeitsvertrag (Art. 8 Rom I-VO), für bestimmte Verbraucherverträge
(Art. 6 Rom I-VO, Art. 46b EGBGB), aber auch für Transportverträge (Art. 5 Rom I-VO) so-
wie Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO)6. Die Grenzen der Rechtswahl ergeben sich also
aus den Art. 5 ff. Rom I-VO. Im Übrigen hat sich keine generelle kollisionsrechtliche Lösung
für den Schutz der schwächeren Vertragspartei herausgebildet7. Allerdings können zwingende
inländische und europäische Normen bei fehlender Auslandsberührung ohnehin nicht aus-
geschaltet werden (Art. 3 Abs. 3, 4 Rom I-VO). Ferner wird international zwingendes Inlands-
recht auch gegen ein ausländisches Vertragsstatut nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchgesetzt
(s. Rz. 5.59 ff.). Ähnliche Tendenzen finden sich ebenfalls in anderen Rechtsordnungen8.

2. Rechtswahl der Parteien


2.8 Art. 3 Rom I-VO geht vom Grundsatz der Parteiautonomie aus und befindet sich insoweit in
Übereinstimmung mit der früheren deutschen Rechtsprechung. Die Vorschrift folgt insoweit

1 Roth, AcP 220 (2020), 458 (487 f.).


2 Näher zu den Parteierwartungen Vogenauer, Eur.Rev.Priv.L. 2013, 13 ff.
3 Simitis, JuS 1966, 209 (214 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27 ff. (Stand
1.6.2021)
4 Vgl. Oschmann, Faktische Grenzen der Rechtswahl, Festg. Sandrock (1995), S. 25 ff.
5 Anders LG Karlsruhe v. 8.6.1999 – O 12/98 KfH I, IPRspr. 1999 Nr. 32A = IPRax 2002, 532 abl.
Anm. Jayme.
6 Vgl. Junker, IPRax 1993, 3 ff.; Schmitz, S. 271 ff.; Campo Comba, The law applicable to cross-bor-
der contracts involving weaker parties in EU private international law (2021).
7 Krit. zur Wahl der unterschiedlichen Ansätze Boskovic, D. 2008, 2175 ff. – S. auch schon Juenger,
RabelsZ 46 (1982), 57 (68).
8 Zu eigenen schweiz. zwingenden Normen s. Mächler-Erne/Wolf-Mettier in Basler Komm, Art. 18
IPRG Rz. 1 ff., zu fremden Mächler-Erne/Wolf-Mettier in Basler Komm, Art. 19 IPRG Rz. 1.– S.
auch Mindach, Russische Föderation: Weitere Teilnovelle des Zivilgesetzbuches ändert IPR, WiRO
2014, 53 ff.

74 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.12 § 2

Art. 3 EVÜ. Das Prinzip der freien Rechtswahl war schon zuvor in den Rechten der EU-Mit-
gliedstaaten1 und in anderen Rechtsordnungen anerkannt2. Haben die Parteien eine Rechts-
wahl getroffen, so ist das vereinbarte Recht Vertragsstatut. Für die Schiedsgerichtsbarkeit ist
dieser Grundsatz in § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO niedergelegt (s. Rz. 7.452).

Von zentraler Bedeutung sind die in der Praxis verwendeten Rechtswahlklauseln3. Diese 2.9
Klauseln lassen sich nach Inhalt und Umfang in unterschiedlicher Weise systematisieren4. Zu
nennen ist die Art des Zustandekommens durch Individualvereinbarung oder AGB (s.
Rz. 2.15 ff.), ihr umfassender oder nur teilweiser Geltungsanspruch (Rz. 2.38 ff.), ihr Zeit-
punkt (Rz. 2.126 ff.) sowie die Art der gewählten Rechtsordnung (Rz. 2.305). Wichtige Fragen
sind dabei das wirksame Zustandekommen (Rz. 2.220 ff.) sowie teilweise auch die Form
(Rz. 2.32 ff.). Bezüglich Zweckmäßigkeit und Gültigkeit ist der beabsichtigte Vertrag bzw. Ver-
tragstyp von besonderer Bedeutung (s. dazu in Teil 2 sowie die Handlungsanleitung in
Rz. 2.147 ff.).

Die Rechtswahl geht auf ein bestimmtes Recht als maßgebliche Rechtsordnung. Anerkannt 2.10
ist, dass es sich dabei um eine kollisionsrechtliche Verweisung handelt. Die (kollisionsrecht-
liche) Parteiautonomie verleiht den Parteien die Befugnis, das auf einen internationalen
Schuldvertrag anwendbare Recht zu bestimmen, und zwar im Grundsatz unter Einschluss der
zwingenden Normen des Privatrechts5 (vgl. Rz. 2.122 ff.). Die Parteien wählen eine be-
stimmte Rechtsordnung und treffen nicht etwa nur eine „räumliche Einordnung“ bzw. legen
einen Ort fest6.

Über die Zulässigkeit der Rechtswahl entscheidet nicht ein nach objektiven Gesichtspunkten be- 2.11
stimmtes primäres Schuldstatut, sondern das Kollisionsrecht des Forums. Diese Kollisionsnor-
men – heute Art. 3 ff. Rom I-VO – gestatten den Parteien also, die Rechtsordnung zu wählen,
nach der ihr Vertrag beurteilt werden soll7. Das gewählte Recht ist den Parteien somit nicht ob-
jektiv vorgegeben, sondern nur anwendbar, weil sie es wollen. Damit ist die Annahme überwun-
den, eine an sich zuständige Rechtsordnung, das „primäre Statut“, solle über die Rechtswahl
entscheiden8. Auch die Auffassung von einer nur materiell-rechtlichen Verweisung ist heute
überwunden9. Gleiches gilt für die Annahme, es sei etwa nach dem „Gesetz der charakteristi-
schen Leistung“ zunächst zu ermitteln, welche Rechtsordnung über die Rechtswahl in casu zu
entscheiden habe. Sie, nicht die lex fori, sei zu befragen, ob der Parteiwille zu respektieren sei10.

Die Parteien dürfen sich über eine gesamte Rechtsordnung hinwegsetzen und sich einer ande- 2.12
ren zuwenden. Dagegen besteht die materiell-rechtliche Vertragsfreiheit lediglich in der Be-
fugnis, nachgiebige Bestimmungen des materiellen Rechts durch eine abweichende Vertrags-

1 Dazu Bericht Giuliano/Lagarde, S. 47 f.


2 Rechtsvergleichend Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32 (33 ff.); Basedow, Rec. des Cours 360 (2013),
165 ff. S. auch Symeonides, Liber Amicorum Siehr, S. 513 ff.; Symeonides, Codifying choice of law
around the world (New York 2014); Übersicht ferner bei Vischer/Huber/Oser, Rz. 41 ff.
3 Beispiele für zweckmäßige Rechtswahlklauseln bei Kindler in Czernich/Geimer, S. 3 (25 f.); Osten-
dorf/Kluth, § 13.
4 S. Mankowski, FS Martiny, S. 449 ff.; Vorpeil, IWB 2020, 438 ff.
5 Wagner, IPRax 2008, 377 (378); Roth, AcP 220 (2020) 458 (508 f.).
6 Junker, IPRax 1993, 2. Anders aber Mincke, IPRax 1985, 313 (316 f.).
7 Jayme, FS W. Lorenz (1991), S. 435 (438 f.); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (700 f.).
8 Vgl. Lewald, S. 200 ff.
9 Vgl. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 64.
10 Schnitzer, Bd. I S. 175; Bd. II S. 629.

Martiny | 75
§ 2 Rz. 2.12 | Bestimmung des Vertragsstatuts

abrede zu ersetzen. Würde nur sie anerkannt, so müsste zuvor gesagt werden, welche Rechts-
ordnung dafür maßgeblich ist.

2.13 Zwar können die Parteien auch eine materiell-rechtliche Verweisung im Rahmen der maß-
gebenden Rechtsordnung vornehmen1, nur sind sie regelmäßig nicht darauf beschränkt.
Grundsätzlich ist ihre Verweisung kollisionsrechtlich zu verstehen. In einer Reihe von Fällen
wird man der Parteivereinbarung aber nur materiell-rechtliche Wirkungen zubilligen können,
so beim Ausschluss künftiger Bestimmungen des gewählten Rechts (Rz. 2.66). In diesen Fällen
können sich die Parteien somit von vornherein nicht den entsprechenden zwingenden Vor-
schriften durch eine Rechtswahl entziehen.

2.14 Die Parteien können sich darauf beschränken, dass eine oder mehrere Rechtsordnungen nicht
zur Anwendung kommen sollen (negative Rechtswahl)2. Das Vertragsstatut ist dann im Wege
einer objektiven Anknüpfung zu bestimmen. Ist die Rechtsordnung abgewählt worden, welche
nach den Anknüpfungsregeln des Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO zur Anwendung käme, so ist das
Vertragsstatut nach den übrigen Kriterien der engsten Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO)
zu ermitteln3.

3. Rechtswahlvereinbarung
Literatur: Baumert, Abschlusskontrolle bei Rechtswahlvereinbarungen, RIW 1997, 805; Heiss, Inhalt-
skontrolle von Rechtswahlklauseln in AGB nach europäischem Internationalem Privatrecht?, RabelsZ 65
(2001), 634; Jayme, Inhaltskontrolle von Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, FS
W. Lorenz (1991), S. 435; Mankowski, Rechtswahlklauseln in Luftbeförderungs-AGB auf dem Prüfstand,
RRa 2014, 118; Rieländer, Die Inhalts- und Transparenzkontrolle von Rechtswahlklauseln im EU-Kollisi-
onsrecht, RIW 2017, 28; Rieländer, Treuhandverträge über Geschäftsanteile, IPRax 2020, 224; Rühl, The
unfairness of choice-of-law clauses, CML Rev. 55 (2018) 201; Tiedemann, Kollidierende AGB-Rechts-
wahlklauseln im österreichischen und deutschen IPR, IPRax 1991, 424.– Weitere Literatur vor Rz. 3.1.

a) Grundlage des Verweisungsvertrages


2.15 Zu trennen sind der beabsichtigte oder geschlossene (Haupt-)Vertrag und der Verweisungs-
vertrag (vgl. Art. 3 Abs. 1, 5 Rom I-VO). Angelpunkt der subjektiven Anknüpfung ist der Ver-
weisungsvertrag. Obwohl dies nicht ausdrücklich bestimmt ist, hängt die Gültigkeit der einen
Vereinbarung nicht von der anderen ab4. Das gilt auch wenn – wie regelmäßig – die Rechts-
wahl nur als Klausel des (Haupt-)Vertrages auftritt5. Hat jede der Vertragsparteien ihr Recht
für anwendbar erklärt (etwa in AGB oder auf einem Briefbogen), so kollidieren die Klauseln
und führen zu keiner Rechtswahl. Doch kann darin i.d.R. nicht das Zustandekommen des
Hauptvertrages scheitern. Es fehlt nur an einer gültigen Rechtswahl; das anwendbare Recht ist
dann nach objektiven Kriterien zu bestimmen6, näher Rz. 2.22.

1 Näher dazu Kondring, IPRax 2007, 241 (243 f.). S. schon Wengler, ZfRV 23 (1982), 11 (14).
2 Vischer/Huber/Oser, Rz. 147; Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 19.
3 Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 67.
4 Diese „severability“ stellt ausdrücklich klar Art. 7 Hague Principles on Choice of Law in Interna-
tional Commercial Contracts von 2015.
5 Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347 (349); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (698); von Hoffmann/Thorn,
§ 10 Rz. 27; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166. – Krit. zur Trennung von Rechtswahl
und Hauptvertrag Micklitz in Schulte-Nölke/Schulze (2002), S. 39 (71 ff.).
6 Kost, S. 60; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 37. – Bejahend Hau in Wolf/Lindacher/
Pfeiffer, IntGV Rz. 26 ff.

76 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.18 § 2

An Zustandekommen und Wirksamkeit des Verweisungs- und des Hauptvertrages werden 2.16
grundsätzlich die gleichen Anforderungen gestellt (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO; früher Art. 3
Abs. 4 EVÜ, Art. 27 Abs. 4 EGBGB. – Zum Zustandekommen des Hauptvertrages s. Rz. 3.3 ff.;
zur Wirksamkeit des Verweisungsvertrages Rz. 2.23 ff.). Allerdings bestehen schon aufgrund
der VO Beschränkungen für die Wirkungen der Rechtswahl in Verträgen mit Reisenden, Kon-
sumenten, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern, weil hier ein Schutz der schwächeren
Partei notwendig ist (Art. 5–8 Rom I-VO). Die für die sachrechtliche Privatautonomie beste-
henden Einschränkungen wirken sich für den internationalen Vertrag häufig als Beschrän-
kung der Parteiautonomie oder als besondere objektive Anknüpfung aus. Dabei besteht Unsi-
cherheit, wieweit die für das Sachrecht entwickelten Schutzinstrumente auch auf die Ebene
des kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrages übertragen werden dürfen1 (vgl. Rz. 3.3 ff.).
Das Richtlinienrecht will die Problematik mit einer Rechtswahlbeschränkung in den Griff be-
kommen (Art. 46b EGBGB), s. Rz. 35.96 ff.

Da die Rechtswahl Vertragscharakter hat (vgl. Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO) und die gewählte 2.17
Rechtsordnung über die Gültigkeit des Verweisungsvertrages entscheiden soll (dazu Rz. 3.87),
muss der bloße Anschein, „die Erklärung als Faktum“2, zu dieser Rechtsordnung führen. So-
dann ist nach ihr zu prüfen, ob eine gültige Verweisung zustande gekommen ist3. Aus der
rechtlichen Selbständigkeit von Verweisungs- und Hauptvertrag folgt, dass eine gültige
Rechtswahl auch dann vorliegen kann, wenn der Hauptvertrag nach der vereinbarten Rechts-
ordnung nichtig ist4. Für den Fall der Ungültigkeit der Rechtswahl kann vereinbart werden,
dass das gewählte Recht gleichwohl durch (materiell-rechtliche) Verweisung einbezogen oder
dies ausgeschlossen wird5.

Der Verweisungsvertrag darf unter einer Bedingung geschlossen werden6. Das anzuwendende 2.18
Recht kann auch von einem Dritten – sogar durch Los7 – bestimmt werden. Ferner ist es
möglich, die Bestimmung des anzuwendenden Rechts einer der Vertragsparteien zu überlas-
sen (optionale oder alternative Rechtswahl)8. In der Praxis wird eine solche Wahl häufig mit
einer Gerichtsstandsklausel (vgl. Rz. 7.115) oder einer Schiedsgerichtsvereinbarung (dazu
Rz. 7.397 ff.) verbunden9.

1 Vgl. Micklitz in Schulte-Nölke/Schulze, S. 39 (64 ff.).


2 Kropholler, IPR, S. 295 f. Ähnlich von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 79 („Faktum einer Rechts-
wahl“). Vgl. auch Tiedemann, IPRax 1991, 424 (425 f.).
3 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166 f.
4 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166. – Ebenso schon OLG Köln v. 29.10.1958 – 2 U 73/58,
IPRspr. 1958–59 Nr. 42 = RzW 1959, 46 (Für Rechtsanwaltsvertrag deutsches Recht vereinbart.
Rechtswahl trotz Nichtigkeit der Honorarvereinbarung beachtlich); Hausmann in Staudinger,
Art. 10 Rom I Rz. 37. – S. näher Marsch, S. 57 ff.
5 Vorpeil, IWB 2020, 438 (445 f.),
6 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (452).
7 Kegel/Schurig, S. 653. Vgl. BGH v. 3.10.1956 – IV ZR 210/54, IPRspr. 1956/57 Nr. 197 = WM
1956, 1432 (1434).
8 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (452); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–055; Magnus in Staudinger,
Art. 3 Rom I Rz. 54.
9 S. OLG München v. 27.3.1974 – 7 U 1406/73, IPRspr. 1974 Nr. 26 (Kaufvertrag. Engl. Recht sollte
gelten bei Anrufen des Schiedsgerichts durch den deutschen Käufer, deutsches Recht hingegen bei
Anrufen durch den engl. Verkäufer); Rösler in Dutta, S. 277 (281 f.).

Martiny | 77
§ 2 Rz. 2.19 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.19 Die englische Rechtsprechung hat solchen „floating choice-of-law clauses“, mit denen das Ver-
tragsstatut erst später bestimmt wird, zwar früher mehrfach die Anerkennung versagt1. Tat-
sächlich bleibt die Frage des anwendbaren Rechts aber gar nicht vollständig offen2. Bis zur
Ausübung des Wahlrechts ist das Vertragsstatut nämlich nach den Grundsätzen der objekti-
ven Anknüpfung zu bestimmen (Art. 4 ff. Rom I-VO)3. Eine Klausel, wonach das Recht des
jeweiligen Beklagten gelten soll, führt dazu, dass die Frage der Rechtsanwendung bis zur Ver-
fahrenseinleitung offen bleibt. Nach der Wahl gelten die Regeln für die nachträgliche Rechts-
wahl, auch für den Schutz Dritter4. Ob die Rechtswahl auf den Zeitpunkt des Vertragsschlus-
ses zurückwirkt, ist eine Frage der Auslegung5.

b) Zustandekommen des Verweisungsvertrages (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO)


2.20 Die lex fori bestimmt, wieweit eine Rechtswahl der Parteien überhaupt zulässig ist. Das Zu-
standekommen des Verweisungsvertrages ist aber nicht einfach der lex fori zu unterwerfen.
Diese steht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht fest und wäre zudem vielfach eine
ungeeignete Anknüpfung. Ferner könnten dann, wenn man Haupt- und Verweisungsvertrag
unterschiedlichen Regeln unterstellt, zusammengehörige Vorgänge auseinander gerissen wer-
den, indem das Zustandekommen des einen Vertrages bejaht, das des anderen hingegen ver-
neint würde. Daher muss die Frage grundsätzlich gleich beantwortet werden, ob es sich nun
um den Verweisungs- oder den Hauptvertrag handelt6 (s. Rz. 2.15 ff.).

2.21 Klarheit für das Zustandekommen will Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO schaffen. Danach sind auf das
äußere Zustandekommen (existence) und die innere Wirksamkeit der Einigung (validity of
the consent; validité du consentement des parties) der Parteien über das anzuwendende Recht
Art. 10 Rom I-VO (Einigung und materielle Wirksamkeit), Art. 11 Rom I-VO (Form von
Rechtsgeschäften) und Art. 13 Rom I-VO (Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit) anzu-
wenden. Somit beurteilt sich das Zustandekommen der Rechtswahl oder einer ihrer Bestim-
mungen nach dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung
wirksam wäre (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)7. Ergibt sich jedoch aus den Umständen, dass es
nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach diesem Recht zu be-
stimmen, so kann sich diese Partei für die Behauptung, sie habe der Rechtswahl nicht zuge-
stimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts berufen (Art. 10 Abs. 2
Rom I-VO). Insofern gelten also die gleichen Regeln wie für den Hauptvertrag8. Für eine Rei-
he anderer Fragen fehlt es jedoch an einer solchen Anordnung. Insofern bietet sich an, Art. 3

1 S. Danilowicz, „Floating“ Choice-of-Law Clauses and their Enforceability, Int.Lawyer 20 (1986),


1005; Beck, Floating Choice of Law Clauses, LMCLQ 1987, 523; Pierce, Post-formation Choice of
Law in Contract, Mod.L.Rev. 50 (1987), 176.
2 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (453). – So auch Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–054. – Anders
Wengler, ZfRV 23 (1982), 11 (25).
3 Rösler in Dutta, S. 277 (285).
4 Rösler in Dutta, S. 277 (285).
5 Kropholler, IPR, S. 465.
6 Unter Betonung der besonderen Stellung der AGB-Rechtswahlklausel verlangt eine positive Klau-
selkenntnis, Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 23 f.
7 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724; LG Nürnberg-Fürth
v. 22.4.2016 – 16 O 8856/12, IPRax 2021, 284 mit Aufs. Schlosser, IPRax 2021, 267; Magnus in
Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 167; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 11.
8 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 89; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 19; Magnus
in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 171; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 34.

78 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.23 § 2

Rom I-VO als kollisionsrechtliche Entscheidungsnorm anzusehen, also die Lösung dieser Vor-
schrift selbst zu entnehmen1.

Besondere Probleme werfen kollidierende Rechtswahlklauseln auf, wenn an sich eine Rechts- 2.22
wahl zustande gekommen ist, die Vertragsklauseln bzw. AGB der Parteien aber zu unter-
schiedlichen Rechten führen (zur Verwendung von AGB s. Rz. 3.42 ff.). Hat jede der Vertrags-
parteien ihr Recht für anwendbar erklärt, so widersprechen sich die Klauseln. Mangels einer
speziellen Regelung ist die Lösung solcher Fälle umstritten2. Nach einer Auffassung findet
eine Einzelbetrachtung der jeweiligen Klauseln nach den von ihr bezeichneten Rechtsordnun-
gen statt. Es setzt sich diejenige durch, nach der eine Rechtswahl zustande gekommen ist3.
Dies würde freilich diejenige Rechtsordnung bevorzugen, welche der sog. Theorie des letzten
Wortes folgt. Andere wollen daher eine Gesamtbetrachtung vornehmen4. Nach diesem Ansatz
der h.M. kommt es vor allem wegen fehlender Rechtssicherheit mangels Konsenses zu keiner
Rechtswahl5; das anwendbare Recht ist dann nach objektiven Kriterien zu bestimmen6. Eine
weitere Auffassung will es dabei nicht bewenden lassen und nach dem objektiv bestimmten
Recht (i.d.R. Art. 4 Rom I-VO) prüfen, ob nach dieser Rechtsordnung nicht doch eine Verwei-
sung zustande gekommen ist7. Hierfür kann man sich sowohl auf das Prinzip der engsten Ver-
bindung als auch auf das Vertrauen der Parteien in ihre Rechtswahl berufen. Gilt danach die
Restgültigkeitstheorie und ist keine der Rechtswahlklauseln wirksam einbezogen worden,
bleibt es bei der objektiven Anknüpfung.

c) Inhalts- und Transparenzkontrolle


Eine Rechtswahl kann auch durch AGB erfolgen8. Da der Verweisungsvertrag seinerseits ein 2.23
Vertragsverhältnis bildet, stellt sich bei einer durch AGB erfolgenden Rechtswahl die Frage
nach einer Einschränkung bzw. Überprüfung der AGB-Verwendung (vgl. dazu Rz. 3.42 ff.
zum Sachrecht). Beispielsweise kann eine Rechtswahlklausel so verschleiert sein, dass dies
nicht mehr mit dem sachrechtlichen Transparenzgebot (vgl. die Unklarheitenregel in § 305c
Abs. 2 BGB) vereinbar ist. Die Rechtswahlklausel könnte auch eine überraschende Klausel
darstellen (vgl. § 305c Abs. 1 BGB) oder im Lichte der Generalklausel des § 307 BGB als un-
angemessene Benachteiligung der anderen Vertragspartei erscheinen. Für eine Überprüfung

1 Vgl. E. Lorenz, RIW 1992, 697 ff.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 90. – S. auch Stankewitsch,
S. 415 ff.
2 In erster Linie auf die Übereinstimmung der Lösungen in den Rechtsordnungen, auf die verwiesen
wird, stellt ab Art. 6 Abs. 1 lit. b Hague Principles on the Choice of Law in International Contracts
2015. – Dazu Kadner Graziano, Yb.PIL 14 (2012), 71 ff.; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz.
47.
3 S. Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347 (348); Tiedemann, IPRax 1991, 424 (426).
4 C. A. Schneider, S. 326 ff.
5 Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (359); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 47; Wend-
land in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 293 (Stand 1.6.2021); C. A. Schneider, S. 326 ff. für die
direkte Kollision.
6 Dazu Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (359); Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 74; Magnus
in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 174; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 44; Spellenberg in
MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 204. – So wohl auch von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO
Rz. 43.
7 Dutta, ZVglRW 104 (2005), 461 (471 ff.); Möll, S. 232.
8 Roth, IPRax 2013, 515 (519 ff.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 285 (Stand
1.6.2021).

Martiny | 79
§ 2 Rz. 2.23 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der Rechtswahl kommen mehrere Wege in Betracht. Bezüglich der richtigen Anknüpfung sol-
cher Einschränkungen besteht erhebliche Unsicherheit.

2.24 Denkbar wäre, auf die Rechtswahlklausel stets die nationalen Normen über AGB als Vor-
schriften der lex fori anzuwenden. Folglich wäre dann auch die Vereinbarung ausländischen
Rechts regelmäßig an den inländischen Schutzvorschriften des BGB zu messen. Damit könn-
ten das Überraschungsverbot (§ 305c Abs. 1 BGB)1, die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2
BGB2 und die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB3 stets durchgesetzt werden und einer Rechts-
wahl Grenzen setzen. Hiergegen spricht aber, dass es sich insoweit um Sachnormen eines in-
ternen Rechts handelt, welche bei einer Vereinbarung ausländischen Rechts grundsätzlich
nicht zum Zuge kommen. Ferner enthalten die Art. 3 ff. Rom I-VO durchaus eigene Wertun-
gen, wann eine Rechtswahl zulässig sein soll. Diese dürfen nicht durch die genannten nationa-
len Sachnormen korrigiert werden4. Immer wieder auftauchenden Tendenzen, auf Auslands-
recht verweisende Klauseln einer vorgeschalteten generellen Inhaltskontrolle nach deutschem
Recht zu unterwerfen, ist daher grundsätzlich nicht zu folgen5. Das die Rechtswahl erlaubende
Unionskollisionsrecht ist gegenüber dem nationalen Sachrecht vorrangig und kann von die-
sem nicht eingeschränkt werden. Bedenklich ist auch, einen formularmäßigen Ausschluss des
Ausgleichsanspruchs des ausländischen Handelsvertreters bei Anwendung deutschen Rechts
(§ 92c HGB) einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu unterwerfen6. Das deut-
sche Sachrecht kann nicht die kollisionsrechtlich angeordnete Anwendbarkeit deutschen
Rechts in Frage stellen.

2.25 Eine eigenständige Missbrauchs- und Transparenzkontrolle auf unionsrechtlicher Basis


hat sich bezüglich der Rechtswahl jedenfalls für Verbrauchersachen nach der sog. Amazon-
Rechtsprechung durchgesetzt7 (s. Rz. 35.83). Sie wird gestützt auf der Klauselrichtlinie vom
5.4.19938. Freilich wirft die Kombination von Rom I-VO und Klauselrichtlinie erhebliche

1 So etwa zum früheren § 3 AGBG OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 =
IPRspr. 1994 Nr. 23 = RIW 1994, 420 abl. Anm. Mankowski; OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U
162/00, IPRspr. 2001 Nr. 22b. – S. auch OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 179/95, IPRspr. 1996
Nr. 144 = IPRax 1997, 118 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) = RIW 1996, 681 (m. Aufs. Man-
kowski, RIW 1996, 1001) (Börsentermingeschäft).
2 So wohl Schütze, DWiR 1992, 89 (92) zu § 5 AGBG.
3 So zu § 9 AGBG OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, IPRspr. 1989 Nr. 41 = RIW 1989, 646 =
IPRax 1990, 236 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216); OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U 162/
00, IPRspr. 2001 Nr. 22b. – Ebenso für das Transparenzgebot des § 9 AGBG, LG Stuttgart v.
23.5.1990 – 5 S 427/89, IPRspr. 1990 Nr. 36 = NJW-RR 1990, 1394 (Kauf auf Freizeitveranstaltung
auf Gran Canaria). Wohl auch Schütze, DWiR 1992, 92.
4 Junker, RIW 1999, 809 (817); Rieländer, RIW 2017, 28 ff.; C. Rühl, Rechtswahlfreiheit und Rechts-
wahlklauseln in AGB (1999), S. 198 ff.; Schmitz, S. 154 ff.
5 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (208 f.). Dazu auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 35,
176 f. m.w.N.
6 OLG München v. 20.11.2002 – 7 U 5609/01, NJW-RR 2003, 471 = EWiR 2002, 485 (Emde). –
Dazu näher Eberl, RIW 2002, 305 ff.; Mankowski, MDR 2002, 1352 ff.; Wauschkuhn/Meese, RIW
2002, 301 ff.
7 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Ama-
zon) Rz. 71, NJW 2016, 2727 = RIW 2016, 681 m. Anm. Breckheimer; EuGH v. 3.10.2019 – C-
272/18, ECLI:EU:C:2019:827 Rz. 58 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rieländer, IPRax
2020, 224 u. Aufs. Mock, ZEuP 2020, 672) (Wahl deutschen Rechts); zust. Wendland in BeckOGK,
Art. 3 Rom I-VO Rz. 288.5 (Stand 1.6.2021).
8 Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Ver-
braucherverträgen.

80 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.25 § 2

Schwierigkeiten bezüglich ihrer Rechtfertigung, ihrer Konsequenzen und Grenzen auf1. Der
Spezialitätsgrundsatz des Art. 23 Rom I-VO kann für ein Eingreifen der Richtlinie angeführt
werden (s. Rz. 1.125). Allerdings beschäftigt sich die Richtlinie selbst mit sachrechtlichen
Klauseln und nicht mit Rechtswahlklauseln2. Der EuGH nimmt an, dass eine Rechtswahl in
AGB zwar grundsätzlich zulässig ist, jedoch einer Einzelfallprüfung (Art. 4 Abs. 1 Klausel-
richtlinie) unterliegt3. Die Rechtswahl darf daher nicht missbräuchlich sein (Art. 3 Abs. 1
Klauselrichtlinie)4. Ferner besteht das Gebot der Transparenz (Art. 5 Klauselrichtlinie)5. Folg-
lich kann eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlosse-
nen Vertrag enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das
Recht des Unternehmers anwendbar ist, missbräuchlich sein. Das ist dann der Fall, wenn sie
den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei
nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er
nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden
Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre. Dies
wurde für einen Online-Kaufvertrag angenommen6. Entsprechend wurde für einen Treuhand-
vertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung verfahren7. Die Tragweite dieser
Rechtsprechung für andere Fälle des Abschlusses mit schutzbedürftigen Parteien (z.B. Arbeit-
nehmern) ist noch ungeklärt8. Ein weiterer Kontrollgesichtspunkt kommt ins Spiel, wenn
AGB spezielle Rechtslagen der Union nicht nennen. So ist teilweise auch Rechtswahlkauseln
im Bereich der Rom I-VO für die Flugbeförderung die Wirksamkeit versagt worden (s.
Rz. 15.63). Beanstandet wird unter anderem, wenn eine Rechtswahlkausel nur auf internatio-
nale Übereinkommen, nicht aber auch auf die Fluggastrechte-VO Bezug nimmt9. Dabei stellt
sich allerdings noch die Frage nach den Grundlagen und Grenzen einer kollisionsrechtlichen
Informationspflicht, die in der Rom I-VO nicht vorgesehen ist10.

1 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (207 ff.); Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 29b ff.; Rie-
länder in Leuschner, Rechtswahl Rz. 49 ff.
2 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (216 f.); Rieländer, IPRax 2020, 224 (230); Calliess in Calliess/Ren-
ner, Art. 3 Rome I Rz. 29b.
3 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Ama-
zon) Rz. 64.
4 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Ama-
zon) Rz. 67.
5 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Ama-
zon) Rz. 68.
6 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Ama-
zon), IPRax 2017, 483 (m. Aufs. W.H. Roth, IPRax 2017, 449) = NJW 2016, 2727 = RIW 2016, 681
m. Anm. Breckheimer. – Ähnlich auch für die ausschließliche Vereinbarung niederländischen
Rechts unter Ausschluss des CISG, BGH v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 = IPRax 2013,
557 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2013, 515) (für Arzneimittelkaufvertrag bei niederländischer Ver-
sandapotheke).
7 EuGH v. 3.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C:2019:827 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rie-
länder, IPRax 2020, 224; m. Aufs. Mock ZEuP 2020, 672).
8 Dazu Rieländer, IPRax 2020, 224 (231); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 27d.
9 OLG Köln v. 29.1.2021 – 9 U 184/20, NZV 2021, 196 m. zust. Anm. Staudinger = VuR 2021, 263
m. zust. Anm. Tonner (Ryanair); LG Frankfurt a.M. v. 3.7.2020 – 2-24 O 100/19, NZV 2020, 532
(LS) Anm. Ebling; LG Köln v. 17.7.2020 – 25 O 212/19, NZV 2020, 617 (LS) Anm. Plottek.– Zu-
rückhaltender aber OLG Frankfurt v. 13.12.2018 – 16 U 15/18, TranspR 2019, 358 = IPRax 2019,
241 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2019, 208) (easyjet).
10 Krit. daher Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (219 ff.); Calliess in
Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 29c; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 52.

Martiny | 81
§ 2 Rz. 2.26 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.26 Da eine Verankerung der Missbrauchs- und Transparenzkontrolle in der Grundnorm des
Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO nicht erfolgt ist, wird bezweifelt, dass diese Bestimmung Grundlage
für den EuGH-Ansatz bilden kann1.

2.27 Eine weitere Möglichkeit zur Rechtfertigung einer Klauselkontrolle besteht darin, die Bezug-
nahme auf in- oder ausländische AGB auch im Hinblick auf die Rechtswahl nach dem ge-
wählten in- oder ausländischen Sachrecht (d.h. der beabsichtigten lex causae) zu beurteilen.
Bei einer Vereinbarung deutschen Rechts käme dann § 307 BGB zum Zuge2; Verweisungsver-
trag und Hauptvertrag würden insofern gleichgeschaltet3. Damit würde der Ansatz des Art. 3
Abs. 5 Rom I-VO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO erweitert4. Freilich bezieht sich die Rom I-
VO lediglich auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der „Einigung“ der Parteien5.
Der öst. OGH hat im Amazon-Fall argumentiert, die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel sei
zwar grundsätzlich nach dem gewählten luxemburgischen Recht zu beurteilen. Dieses Recht
ist aber, da Luxemburg EU-Staat ist, richtlinienkonform auszulegen. Das Fehlen eines Hinwei-
ses auf den Schutz durch die zwingenden Bestimmungen des Verbraucherrechts führt daher
auch nach diesem Recht zur Qualifikation der Klausel als missbräuchlich. Dies hatte zur Folge,
dass die Klausel - als „unverbindlich“ bzw. „nichtig“ - nicht anzuwenden war6.

2.28 Denkbar wäre auch, Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO – wonach sich der Kunde für das Zustande-
kommen des Vertrages auf das Recht seines Aufenthaltsorts berufen kann – über den Wort-
laut der Vorschrift hinaus heranzuziehen7. Auf diese Weise könnte dann die inhaltliche Wirk-
samkeit einer Rechtswahlklausel bei einem deutschen gewöhnlichen Aufenthalt des Kunden
einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterworfen werden8. Allerdings bezieht sich die Vor-
gabe der Rom I-VO auf die Einigung der Parteien und stellt keine Grundlage für eine AGB-
Kontrolle dar9.

2.29 Richtigerweise ist die Überprüfung von AGB grundsätzlich in Einklang mit den allgemeinen
kollisionsrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen. Dementsprechend ist zu unterscheiden. So-
weit es um die Frage geht, welche inhaltlichen Anforderungen an das äußere Zustandekom-
men einer stillschweigenden Rechtswahlvereinbarung zu stellen sind, ist die „eindeutige“
(clearly demonstrated) stillschweigende Rechtswahl – und damit auch die Transparenz einer

1 Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Rieländer, RIW 2017, 28 ff.; Rühl in BeckOGK, Art. 6 Rom I-VO
Rz. 249 (Stand 1.7.2019).
2 So schon Wolf, ZHR 153 (1989), 300 (302).
3 S. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 = ZIP 1993, 1881 = NJW 1994, 262 = IPRax
1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) = JZ 1994, 363 Anm. Fischer (Wirksamkeit der
Vereinbarung österreich. Rechts wurde nach diesem Recht [§ 864a ABGB] geprüft).
4 Dazu Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (210 ff.).
5 Rieländer, IPRax 2020, 224 (230).
6 ÖOGH v. 14.12.2017 – 2 Ob 155/16g, JBl 2018, 464 = VuR 2018, 225.
7 Dagegen auch Roth, IPRax 2013, 515 (521); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz.
198; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 291 (Stand 1.6.2021). – S. Rühl, CML Rev. 55
(2018) 201 (212 f.).
8 So etwa zum früheren § 9 AGBG OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 =
IPRspr. 1994 Nr. 23 = RIW 1994, 420 abl. Anm. Mankowski. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 26.5.1995
– 17 U 240/94, IPRspr. 1995 Nr. 145 = IPRax 1997, 115 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) RIW
1995, 769; OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U 162/00, IPRspr. 2001 Nr. 22b, wo die Geltung
deutschen Sachrechts zunächst mit Art. 29 EGBGB begründet wurde.
9 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (212 f.).

82 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.31 § 2

Rechtswahlklausel – nach bislang h.M. allein nach der speziellen kollisionsrechtlichen Rege-
lung, nämlich dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, zu beurteilen1. Diese Norm
muss entscheiden, ob die Rechtswahlklausel noch kollisionsrechtlich honoriert werden kann.

Soweit es allerdings um die Art und Weise der Einbeziehung von AGB (Einbeziehungskon- 2.30
trolle i.S.d. §§ 305 Abs. 2 – 306 BGB), also das eigentliche Zustandekommen der Vereinbarung
geht, ist zunächst einmal das Vertragsstatut Ausgangspunkt. Das gewählte Recht muss dem-
entsprechend entscheiden, ob eine Rechtswahlklausel in AGB wirksam in die Rechtswahlver-
einbarung einbezogen wurde (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)2. Dies gilt auch im elektronischen
Rechtsverkehr3. Sodann kommt für die Einbeziehungskontrolle (etwa für die Überraschungs-
kontrolle nach § 305c Abs. 1 BGB) aber auch die Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2
Rom I-VO zum Zuge (vgl. Rz. 3.3 ff.)4. Ein Kunde kann sich gegen die Einbeziehung über-
raschender Rechtswahlklauseln auf das entgegenstehende Recht seines gewöhnlichen Aufent-
halts berufen. Eine Rechtswahl kommt hier gar nicht erst zustande (s. Rz. 3.21). Freilich ist
eine Rechtswahlklausel bei Auslandsbezug im Allgemeinen nicht überraschend5. Bei fehlen-
dem oder zu vernachlässigendem Auslandsbezug wird bei der Vereinbarung ausländischen
Rechts jedoch häufig eine überraschende Klausel angenommen6. Soweit man eine Rechtswahl
an den Transparenzanforderungen für AGB (§ 305c Abs. 1 BGB) hat scheitern lassen7, ist
die Zulässigkeit einer solchen Kontrolle bezweifelt worden und eine Rechtswahl zudem nicht
als intransparent angesehen worden8.

Die inhaltliche Angemessenheit einer Vereinbarung ausländischen Rechts richtet sich allein 2.31
nach den Art. 3 ff. Rom I-VO bzw. sonstigen einschlägigen Kollisionsnormen. Insbesondere
der in den Art. 6, 8 Rom I-VO vorgeschriebene Günstigkeitsvergleich zeigt, dass dort eine
wirksame Rechtswahl vorausgesetzt wird9. Weitere Beschränkungen ergeben sich aus Art. 6
Rom I-VO. Eine für den Arbeitnehmer oder Verbraucher nachteilige Rechtswahl sollte daher
nicht schon über § 307 BGB oder eine entsprechende ausländische Sachnorm ausgeschaltet
werden. Vor der Amazon-Rspr. dominierte daher die Auffassung, dass eine zusätzliche Inhalt-

1 Jayme, FS W. Lorenz, S. 435 (438 f.); W. Lorenz, IPRax 1994, 429 (431); Hausmann in Staudinger,
Art. 10 Rom I Rz. 35; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 198. – Anders LG Stutt-
gart v. 23.5.1990 – 5 S 427/89, IPRspr. 1990 Nr. 36 = NJW-RR 1990, 1394.
2 LG Nürnberg-Fürth v. 22.4.2016 – 16 O 8856/12, IPRax 2021, 284 m. Aufs. Schlosser, IPRax 2021,
267; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 80. – Anders AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C
260/96, IPRspr. 1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524 (lex fori).
3 Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (210); Junker, RIW 1999, 809 (817).
4 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 176; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 90.
5 BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (383) = ZIP 1993, 1881 = IPRspr. 1993 Nr. 37 =
NJW 1994, 262; OLG Düsseldorf v. 4.10.2018 – I-12 I 46/17, RdTW 2018, 473 = ZIP 2018, 2378 =
IPRspr. 2018 Nr. 341 (poln. Spediteur); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 176; Rieländer in
Leuschner, Rechtswahl Rz. 32. – Anders LG Hamburg v. 2.9.2014 – 327 O 187/14, IPRax 2015,
348 (m. Aufs. Pfeiffer, IPRax 2015, 320) (Wahl englischen Rechts durch Luxemburger Paypal-On-
line-Bezahldienst überraschend).
6 Nachw. bei Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 288 (Stand 1.6.2021).
7 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 = IPRax 2013, 557 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax
2013, 515) (für Arzneimittelkaufvertrag bei niederländischer Versandapotheke); AG Bremen v.
5.12.2013 – 9 C 337/13, RRa 2014, 95 (Luftbeförderung).
8 Mankowski, RRa 2014, 118 (121 ff.).
9 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 51, 52; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 286
(Stand 1.6.2021).

Martiny | 83
§ 2 Rz. 2.31 | Bestimmung des Vertragsstatuts

skontrolle der Rechtswahl selbst nicht geboten ist1. Sie kann auch nicht auf das Recht am
Aufenthaltsort einer schweigenden Partei (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO) gestützt werden2 (s. aber
Rz. 2.16).

d) Form des Verweisungsvertrages


2.32 Für die Form verweist Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO auf Art. 11 Rom I-VO. Die Form der Rechts-
wahl ist unabhängig von der des Hauptvertrages zu beurteilen3. Anders als das EGBGB und
die europäischen Verordnungen in Familien- und Erbsachen sehen die Art. 3 ff. Rom I-VO
keine besondere Form für die Rechtswahl vor4. Dies gilt auch für Arbeits-, Versicherungs- und
Verbraucherverträge5. Eine Rechtswahl kann auch durch Erklärungen im elektronischen Ge-
schäftsverkehr erfolgen. Insbesondere mit der Zulässigkeit der stillschweigenden Rechtswahl
wäre eine Formbedürftigkeit nicht zu vereinbaren. Die Verweisung auf Art. 11 Rom I-VO
zeigt, dass es ausreicht, wenn die Form der lex loci actus oder der lex causae eingehalten wird6.
Sieht nur das Recht des Abschlussortes für eine Rechtswahl eine besondere Form vor, so ist
das unbeachtlich. Der Grundsatz der Freiheit der Rechtswahl muss – außer für Verbraucher-
verträge (Rz. 35.94) – Vorrang haben.

2.33 Schon früher war anerkannt, dass der kollisionsrechtliche Verweisungsvertrag auch dann kei-
ner besonderen Form bedarf, wenn der Hauptvertrag formbedürftig ist7. Das Gleiche ist für
Art. 3 Rom I-VO anzunehmen8. Dies hat vor allem für Grundstückskaufverträge Bedeutung,
für die im Sachrecht häufig besondere Formvorschriften bestehen (vgl. § 311b BGB).

1 Jayme, FS W. Lorenz, S. 435 (438 f.); Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347; Grundmann, IPRax 1992,
1 f.; Mankowski, MDR 2002, 1352 (1354); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 98. – An-
ders etwa OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, IPRspr. 1995 Nr. 145 = IPRax 1997, 115
(m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) = RIW 1995, 769 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1996, 1001). – Für
eine „allgemeine Missbrauchskontrolle“, offenbar nach dem Maßstab der lex causae, Heiss, Ra-
belsZ 65 (2001), 634 ff. Offenbar ebenfalls für eine Inhaltskontrolle Klauer, Das europäische Kolli-
sionsrecht der Verbraucherverträge (2002), S. 296 ff.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 94, 98.
3 BGH v. 22.1.1997 – VIII ZR 339/95, IPRax 1998, 479 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax 1998, 462) = WM
1997, 1713 (interlokal); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (198 f.); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I
Rz. 179.
4 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 44; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 180. –
Formfreiheit der Rechtswahl sieht auch Art. 5 der Haager Principles on Choice of Law in Interna-
tional Commercial Contracts von 2015 vor.
5 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 9.
6 Vgl. OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001,
1051 (Eckert) (Isle of Man).
7 BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 (191), IPRspr. 1970 Nr. 10 = MDR 1970, 404 (für
Kaufvertrag über niederländ. Eigentumswohnung formlos deutsches Recht gewählt. Gültige
Rechtswahl; Formnichtigkeit des Hauptvertrages); BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57,
337 (338 f.) IPRspr. 1971 Nr. 11 = MDR 1972, 403 (Kaufvertrag über italien. Grundstück formlos
deutschem Recht unterstellt. Danach war er formnichtig); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, BGHZ
73, 391 = IPRspr. 1979 Nr. 7 = NJW 1979, 1773 (Kaufvertrag über span. Grundstück stillschwei-
gend deutschem Recht unterstellt).
8 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 33; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I Rz. 9; Magnus in Stau-
dinger, Art. 3 Rom I Rz. 179.

84 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.36 § 2

4. Mangel objektiver Beziehung


Die Parteien können ein neutrales Recht wählen, zu dem keine Bezüge räumlicher, wirt- 2.34
schaftlicher oder rechtlicher Art bestehen1. Z.B. können ein deutsches und ein türkisches Un-
ternehmen schweizerisches Recht vereinbaren2. Zur Gültigkeit der Rechtswahl ist auch nicht
erforderlich, dass etwa der Gerichtsstand oder der Sitz des Schiedsgerichts in diesem Land
liegt. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Parteivereinbarung zu machen,
wenn objektive Beziehungen (z.B. Abschluss- oder Erfüllungsort, Wohnsitz oder Staatsange-
hörigkeit der Kontrahenten) zum gewählten Recht fehlen, ist daher nicht gerechtfertigt3.

Früher sprach man hier z.T. von „missbräuchlicher Anknüpfung“ und verweigerte der Rechts- 2.35
wahl die Beachtung4. Doch handelt es sich in den dafür zitierten Fällen meistens um die An-
wendung zwingender Vorschriften, die weitgehend unabhängig vom Schuldstatut zu beurtei-
len sind (s. Rz. 5.5 ff.). Soweit aber eine Einschränkung der Parteifreiheit gemacht wird, muss
ohnehin eingeräumt werden, dass eine wirtschaftliche Beziehung zum gewählten Recht ausrei-
chend ist und etwa räumliche Kriterien nicht ausschlaggebend sein können5. Diese wirt-
schaftliche Beziehung kann aber sehr verschieden sein und ist oft nicht ohne weiteres er-
kennbar. Bei Kettenverträgen des internationalen Handels kann es für den Verkäufer ange-
bracht sein – um Ansprüchen des Käufers nur so weit ausgesetzt zu sein, als er selbst Rück-
griff gegen seinen Lieferanten nehmen kann –, das Recht zu vereinbaren, nach dem sich der
Kaufvertrag mit seinem Lieferanten richtet. In diesem Vertrag kann wiederum das Recht des
Vormannes des Lieferanten vereinbart sein; so kann ein wirtschaftliches Interesse an der Ver-
einbarung eines Rechts bestehen, zu dem der letzte Vertrag der Kette nicht die geringsten Be-
ziehungen hat. Für Transportverträge wiederum kann ein Interesse bestehen, das Recht zu
wählen, nach dem sich die Transportversicherung richtet. Ferner kann es sinnvoll sein, ein
nationales Recht zu vereinbaren, das besonders gut ausgebildet ist oder das als Grundlage für
die internationalen Formularbedingungen diente, die dem Vertrag zugrunde gelegt wurden6.
Ein gefordertes „anerkennenswertes Interesse“ am vereinbarten Recht7 wird daher nur selten
fehlen.

Auch in anderen Ländern hat man häufig ein „intérêt légitime“, „bona fide intention“, „a real 2.36
connection with the contract“ gefordert. Auch hier handelt es sich meistens darum, zwingen-
de Rechtssätze zur Anwendung zu bringen. Rabel nennt dies im Zusammenhang mit der Ge-
setzesumgehung „a crude method of protection of some true or imagined domestic public
interest by the theory of fraud“8. Vor Inkrafttreten des IPRG erkannte das schweizerische Bun-
desgericht die Wahl der Parteien „auf jeden Fall dann an, wenn ihr ein vernünftiges Interesse

1 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-68); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (192 f.); Magnus in Stau-
dinger, Art. 3 Rom I Rz. 42. – Ebenso schon E. Lorenz, RIW 1987, 569; Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80
(1991), 287 (301); Mankowski, RIW 2003, 2 (4 f.).
2 OLG München v. 18.12.1985 – 7 U 4049/84, IPRspr. 1985 Nr. 35 = IPRax 1986, 178 (LS) Anm.
Jayme. – Zur Vereinbarung des Rechts der Isle of Man für Time-Sharing-Verträge in Spanien LG
Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 = VuR 1994, 262
Anm. Tonner; Mankowski, RIW 1995, 364 (366).
3 Vgl. schon Simitis, JuS 1966, 209 (212 f.).
4 Für eine „Missbrauchskontrolle“ auch Heiss, RabelsZ 65 (2001), 634 (651 f.).
5 Vgl. dazu Vischer/Huber/Oser, Rz. 81 ff.
6 Sandrock, RIW 1986, 841 (850); Mankowski, RIW 2003, 2 (6 f.).
7 So noch Bendref, RIW 1980, 388; Kegel in Soergel, 11. Aufl., vor Art. 7 EGBGB Rz. 332.
8 Rabel, II 2 S. 402.

Martiny | 85
§ 2 Rz. 2.36 | Bestimmung des Vertragsstatuts

an der Anwendung des gewählten Rechts zugrunde liegt“1. Nach dem geltenden Internationa-
len Vertragsrecht mit seiner differenzierten Anerkennung der Parteiautonomie ist jedenfalls
kein „anerkennenswertes Interesse“ mehr notwendig2.

2.37 Eine Begrenzung der Rechtswahl durch das Verbot der Gesetzesumgehung (fraus legis) spielt
praktisch keine Rolle3. Die deutsche Rechtsprechung war mit der Annahme einer missbräuch-
lichen Rechtswahl schon bislang zurückhaltend. Insbesondere können Ausländer, die ihren
Wohnsitz in der Bundesrepublik haben und hier einen Vertrag schließen, die Anwendung
deutschen Rechts vereinbaren, selbst wenn sie damit in ihrem Heimatstaat geltendes zwingen-
des Recht umgehen4.

5. Teilweise Rechtswahl
Literatur: Aubart, Die Behandlung der dépeçage im europäischen Internationalen Privatrecht (2013);
Ekelmans, Le dépeçage du contrat dans la Convention de Rome in Mélanges Vander Elst I (1986),
S. 243; Klumb, Teilrechtswahl in standardisierten Kreditverträgen, ZBB 2012, 449; Lagarde, Le dépeça-
ge dans le droit international privé des contrats, Riv.Dir.Int. Priv.Proc. 11 (1975), 649.
2.38 Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil davon
treffen (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Nach dieser auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ zurückgehenden
Regel dürfen die Parteien von ihrer Rechtswahl Teile der vertraglichen Beziehungen oder auch
nur einzelne Teilfragen herausnehmen (sog. dépeçage). Das Vertragsstatut des Teils, für den
keine Rechtswahl getroffen wurde, wird aufgrund objektiver Anknüpfung (Art. 4 Rom I-VO)
bestimmt5. Die Parteien können aber auch für abtrennbare Teile des Vertrages die Anwen-
dung verschiedener Rechtsordnungen vereinbaren6, so etwa für den Ablauf ihrer Beziehungen
(Zustandekommen und Erfüllung)7 und die verschiedenen Elemente des Vertrages, z.B. die
Form (s. aber Rz. 5.225)8. Auch für Schadensersatzansprüche kann nachträglich noch ein an-
deres Recht vereinbart werden als dasjenige, welches für die Wirksamkeit des Vertrages gilt9.
Da die teilweise Rechtswahl sich nicht auf die Fälle ausdrücklicher Rechtswahl beschränkt und

1 Schweiz. BG v. 23.3.1965, BGE 91 II, 44 = RabelsZ 1966, 329 = AWD 1965, 480; schweiz. BG v.
30.3.1976, BGE 102 II, 143 (146). Zust. Schnitzer, Rec. des Cours 1968, I, 541 (587 f.). Gegen dieses
Erfordernis Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 27; Kren Kostkie-
wicz in ZürchKomm, Art. 116 IPRG Rz. 14.
2 Leible, FS Jayme I, S. 485 (486 ff.); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 27; Magnus in Staudinger, Art. 3
Rom I Rz. 42. Vgl. auch Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7 (Rechtswahl indiziert Interes-
se).
3 Näher Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 42.
4 BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, MDR 1977, 221 = NJW 1977, 1011 Anm. Jochem = JZ 1977,
438 Anm. Kühne (Geltung deutschen Rechts für die Bürgschaft eines in Deutschland ansässigen
Niederländers vereinbart).
5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 192 (Stand 1.6.2021). – Zu Art. 27 EGBGB OLG
Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, IPRspr. 1995 Nr. 36 = NJW-RR 1996, 1145 (Wahl span.
Rechts für Grundstückskauf nur auf Form bezogen).
6 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (458 ff.) (gespaltene Rechtswahl). – S. von Hoffmann, IPRax 1989,
261 (262); Kondring, IPRax 2007, 241 (244); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 10.
7 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 39; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 104, 109.
8 Offen gelassen in BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 (242) = NJW 1969, 1760 (Anm.
Wengler, NJW 1969, 2237; Samtleben, NJW 1970, 378).
9 OLG Frankfurt v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRspr. 1992 Nr. 31 = IPRax 1992, 314 m. Aufs. Bun-
gert (Grundstückskauf).

86 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.40 § 2

eine stillschweigende Rechtswahl möglich ist1, kann der Vertrag auch in Bezug auf bestimmte
Wirksamkeitsvoraussetzungen stillschweigend verschiedenen Rechten unterstellt werden2.
Doch ist hier Vorsicht geboten. Der Parteiwille wird sich im Allgemeinen darauf richten, nur
ein Recht zu vereinbaren und eine Spaltung zu vermeiden3.

Aus der Zulässigkeit der teilweisen Rechtswahl folgt, dass aus ihrem Vorliegen nicht ohne wei- 2.39
teres auf eine Rechtswahl für den ganzen Vertrag geschlossen werden darf. Haben sich die
Parteien nämlich über das anwendbare Recht nur in einer Einzelfrage geeinigt, so darf man
ihnen nicht die Möglichkeit nehmen, es für den Rest bei einer objektiven Anknüpfung nach
Art. 4 Rom I-VO zu belassen4. Gleichwohl wird man häufig aus der teilweisen Rechtswahl auf
das für den Rest geltende Recht schließen dürfen, wenn es genügend Anhaltspunkte für einen
dahin gehenden stillschweigenden Parteiwillen gibt5. Hinzu kommt, dass im Interesse einheit-
licher Vertragsabwicklung und -beurteilung die Aufspaltung des Vertragsverhältnisses eher
die Ausnahme bilden sollte.

Voraussetzung einer teilweisen Rechtswahl ist stets, dass die Teilfrage abspaltbar ist. Dies setzt 2.40
eine gewisse Selbständigkeit voraus. Die einzelnen Fragen dürfen nur dann verschiedenen
Rechtsordnungen unterworfen werden, wenn keine widersprüchlichen Ergebnisse eintreten
und sich die jeweiligen Teile sachgerecht – notfalls durch Anpassung – miteinander verbinden
lassen6. Es ist zwar nicht generell verboten, die jeweiligen Pflichten der Vertragsparteien un-
terschiedlichen Rechten (z.B. dem ihres Sitzes) zu unterwerfen7. Widersprüchliche Ergebnisse
würden aber etwa dann eintreten, wenn die Auflösung eines gegenseitigen Vertrages zwei ver-
schiedenen Rechtsordnungen unterworfen wird8. Teilweise wird eine Unzulässigkeit bereits
für synallagmatische Verpflichtungen (z.B. Lieferung und Zahlung) angenommen9. Ist eine
teilweise Rechtswahl ungültig, so kommt es für die Folgen auf die konkrete Gestaltung an.
Wurde eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen und nur ein Teil unzulässig abgespalten, so
bleibt es bei dieser Rechtswahl, die nunmehr den ganzen Vertrag erfasst. Erst dann, wenn kei-
nerlei gültige Rechtswahl vorliegt, ist auf eine objektive Anknüpfung nach Art. 4 ff. Rom I-VO
zurückzugreifen10. In der Rechtsprechung spielte die teilweise Rechtswahl bislang nur selten

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49.


2 Vgl. BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170 = DB 1968, 844.
3 S. etwa BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248 (Grundstücks-
kauf. Die Klausel „Käufer und Vermittler erklären diesen Vertrag nach den in Spanien geltenden
Gesetzen auch ohne notarielle Beurkundung als für beide Seiten rechtsverbindlich und unwider-
ruflich“ bezog sich nicht nur auf die Form, sondern den gesamten Vertrag); Kropholler, IPR, S. 462;
Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 193 (Stand 1.6.2021).
4 Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49.
5 Vgl. Gamillscheg, ZfA 14 (1983), 307 (328).
6 Schmitz, S. 238 ff. – Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49.
7 Spickhoff in BRHP, Art. 3 Rom I-VO Rz. 30; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 109. Ebenso
schon W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (272); Vischer/Huber/Oser, Rz. 97. – Anders aber Jayme, FS
Kegel (1987), S. 253 (263).
8 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (302); Ferid, Rz. 6–26.
9 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 169 f.
10 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 21 (für Fall der Perplexität). Vgl. auch Lagarde, Rev.crit.d.
i.p. 80 (1991), 287 (302).

Martiny | 87
§ 2 Rz. 2.40 | Bestimmung des Vertragsstatuts

eine Rolle. Gelegentlich wurde jedoch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses1 oder das
Formstatut abgespalten2.

2.41 Da es sich um unterschiedliche Rechtsfragen und zwei selbständige Verträge handelt, können
Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung auf verschiedene Rechtsordnungen Bezug
nehmen3. Ebenso können Haupt- und Schiedsvertrag verschiedenen Rechten unterworfen
werden4.

2.42 Sind für einen Vertrag zwei Rechtsordnungen vereinbart worden, so ist die Parteierklärung
auszulegen. Dabei wird man im Zweifel nur eine Rechtswahl und eine damit verbundene ma-
teriell-rechtliche Verweisung anzunehmen haben5. Auch hierfür spricht die Vermeidung von
Zersplitterungen. Eine kollisionsrechtliche Verweisung in der Teilfrage ist zwar aufgrund der
Parteiautonomie möglich, doch können zwingende gesetzliche Bestimmungen dadurch nicht
umgangen werden, da deren Anwendung überwiegend nicht vom vereinbarten Recht abhängt
(vgl. Art. 3 Abs. 3, 4, Art. 9 Rom I-VO). Damit fehlt der Teilverweisung die einschneidende
Bedeutung. Früher wollte man z.T. der Teilverweisung nur materiell-rechtliche Wirkung zubil-
ligen mit der Folge, dass die zur Beantwortung der Teilfrage berufene Rechtsordnung sich nur
insoweit entfalten kann, als das primär gewählte Vertragsstatut dies zulässt6. Eine solche Ein-
schränkung verlangt Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO jedoch nicht.

2.43 Im Zusammenhang mit der Teilverweisung wird oft eine weitere Unterscheidung getroffen,
nämlich zwischen „Rechtswahl“ und „Vereinbarung von Einzelbestimmungen eines bestimm-
ten Rechts“. Während im ersteren Fall das vereinbarte Recht als Ganzes anwendbar sei, handle
es sich im letzteren Fall lediglich um die Aufnahme von Einzelbestimmungen eines Gesetzes
in den Vertrag, wie wenn diese Bestimmungen in die Vertragsurkunde hineingeschrieben
worden wären. Diese Unterscheidung begegnet auch in anderen Ländern häufig, z.B. zwischen
„reference“ und „incorporation“ im englischen Recht. Ihre Handhabung ist schwierig, weil zu
ermitteln ist, was die Parteien gewollt haben. So liegt denn die praktische Bedeutung der „in-
corporation“ vorwiegend darin, dass die ausländische Regelung Bestandteil des Vertrages
bleibt, auch wenn sie geändert oder aufgehoben wird7.

2.44 Die Parteien treffen manchmal Vereinbarungen, wonach die zwingenden Vorschriften einer
auf das Rechtsverhältnis anzuwendenden Rechtsordnung beachtet werden sollen. Dabei han-

1 BAG v. 23.4.1998 – 2 AZR 489/97, IPRspr. 1998 Nr. 52 = NZA 1998, 813.
2 BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 (338) = IPRspr. 1971 Nr. 11 = NJW 1972, 395
(Anm. Jayme, NJW 1972, 1618) (Grundstückskauf deutschem Recht aufgrund stillschweigender
Rechtswahl unterstellt. Italien. Ortsform [Art. 11 Abs. 1 EGBGB] angeblich stillschweigend aus-
geschlossen); OLG Hamburg v. 9.1.1975 – 6 U 11/72, IPRspr. 1975 Nr. 27 = VersR 1975, 826
(Wahl mehrerer Rechtsordnungen im Konnossement); OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94,
IPRspr. Nr. 36 = NJW-RR 1996, 1145 (Grundstückskauf); LG Aurich v. 11.7.1973 – 2 O 751/70,
IPRspr. 1973 Nr. 10 = AWD 1974, 282 (Grundstückskauf. Formelles Zustandekommen des Vertra-
ges kanad. Wirksamkeit hingegen deutschem Recht unterstellt). Die Maßgeblichkeit des Ortsform-
statuts hält überhaupt für unabdingbar E. Lorenz, RIW 1992, 697 (704 f.) m.w.N.
3 OLG Hamburg v. 8.3.1973 – 6 U 171/72, IPRspr. 1973 Nr. 131 = AWD 1974, 278 (Vereinbarung
der Zuständigkeit libanes. Gerichte und der Anwendung engl. Rechts); Thorn in Palandt, Art. 3
Rom I-VO Rz. 10.
4 BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (323) = NJW 1964, 591.
5 Kropholler, IPR, S. 463 f. Unentschieden Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 110.
6 Simitis, JuS 1966, 209 (213). – Nunmehr für Zulässigkeit Vischer/Huber/Oser, Rz. 94 ff.
7 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-056 ff.; Plender/Wilderspin, Rz. 6–010.

88 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.46 § 2

delt es sich regelmäßig um Fälle, in denen davon ausgegangen wird, dieses Recht komme
(möglicherweise) zwingend zur Anwendung. Ein solches Zurückweichen vor zwingendem
Recht bedeutet regelmäßig keine Vereinbarung der Rechtsordnung, welcher diese Rechtsnor-
men angehören1. Zwingendes Recht wird ohnehin weitgehend nach anderen Grundsätzen als
nach dem Parteiwillen angeknüpft2. Die Bedeutung einer solchen Vereinbarung erschöpft sich
häufig allein darin, dass bei Vertragsschluss auf das Bestehen solcher Vorschriften aufmerk-
sam gemacht wurde und man bei Teilnichtigkeit wenigstens die nicht betroffenen Teile des
Geschäfts weitergelten lassen möchte.

So kommt z.B. eine Verweisung auf schweizerisches Recht auch dann zum Tragen, wenn es 2.45
einschränkend heißt, „soweit nicht deutsches Recht zwingend vorgeschrieben ist“3. Wird deut-
sches Recht vereinbart, gleichzeitig aber eine Klausel eingefügt, „soweit nicht US-amerikani-
sches Recht zwingend entgegensteht“, so schränkt dies eine Rechtswahl im Allgemeinen nicht
ein4. Vereinbaren die Parteien, dass trotz der Geltung einer bestimmten (z.B. deutschen)
Rechtsordnung die Beachtung eines anderen ausländischen zwingenden Rechts vorgehen soll,
so ist fraglich, ob damit nur solche Vorschriften gemeint sind, die international zwingend
sind, also sich gegenüber einer Rechtswahl durchsetzen, oder auch solche erfasst werden, die
im ausländischen internen Recht nicht dispositiv sind. Wegen der Vereinbarung eines grund-
sätzlich maßgeblichen Rechts als Vertragsstatut ist im Zweifel Ersteres anzunehmen. Damit
setzt sich die Rechtswahl so weit durch, wie das nach der zwingende Normen enthaltenden
Rechtsordnung kollisionsrechtlich möglich ist. Auf jeden Fall bleibt es bei der Anwendung des
vereinbarten Rechts, wenn die andere Rechtsordnung in Wirklichkeit keine zwingenden Nor-
men enthält5.

6. Veränderung des gewählten Rechts


Die kollisionsrechtliche Verweisung unterwirft die Parteien einer geltenden Rechtsordnung 2.46
mit allen ihren zukünftigen Änderungen6, einschließlich ihrer intertemporalen Vorschriften7.
Soll im Einzelfall eine bestimmte Regelung unverändert gelten, so muss sie durch materiell-
rechtliche Verweisung in das Rechtsgeschäft aufgenommen werden8, d.h. die intertemporalen
Normen des gewählten Rechts entscheiden über die Möglichkeit des Ausschlusses von späte-
ren Änderungen. Zwar spricht der Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit gegen die Anwendung
der geänderten Vorschriften, da die Parteien nicht von ihnen, sondern von den früher gelten-
den ausgegangen sind. Doch würde dann eine Rechtswahl bestehen bleiben, die auf ein Recht

1 Vgl. BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, WM 1985, 1378 = AP Nr. 23 IPR-Arbeitsrecht.


2 Näher Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 81 ff.; von Hein
in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 302 ff.
3 Vgl. BGH v. 23.10.1980 – III ZR 62/79, ZIP 1981, 158 = IPRspr. 1980 Nr. 3 für ein Darlehen.
4 OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRspr. 1981 Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (Anm. Jayme,
IPRax 1983, 105) für einen Händlervertrag; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 107.
5 S. LG München I v. 19.12.1982 – 24 O 4056/78, IPRspr. 1982 Nr. 11 (LS) = IPRax 1983, 244 (LS)
Anm. Jayme (Für Anstellungsvertrag mit Geschäftsführer einer malays. Gesellschaft sollte das
„zwingende anwendbare und nicht abdingbare Recht des Staates Malaysia“ gelten; im Übrigen
deutsches Recht. Mangels zwingenden malays. Kündigungsschutzrechts nur Anwendung deut-
schen Rechts).
6 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (194). – Ebenso schon Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (300). S.
auch Vischer, FS Keller, S. 547 ff.
7 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (302); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 44.
8 Sumampouw, RabelsZ 1966, 334 (343); Kropholler, IPR, S. 443.

Martiny | 89
§ 2 Rz. 2.46 | Bestimmung des Vertragsstatuts

geht, das nicht (mehr) in Geltung ist (vgl. Rz. 2.66 ff.). Zudem läge dem die Vorstellung zu-
grunde, dass die gewählten Vorschriften stets zu einem Teil des Vertrages würden. Das ist aber
nicht der Fall; die Vertragsparteien wählen eine Rechtsordnung. Wollen die Parteien einzelne
Vorschriften als Vertragsklauseln in ihren Vertrag aufnehmen, so können sie das zwar tun, ob
sie aber künftigen Gesetzesänderungen entgehen, bestimmt das gewählte Recht. Schließlich
dient es in der Regel auch den Interessen der Parteien, neue Gesetzgebungsakte und in der
Wirkung ähnliche Ergebnisse der Rechtsprechung zu berücksichtigen. Nur wenn bei revolu-
tionären Umgestaltungen des gewählten Rechts oder bei einem Souveränitätswechsel radikale
Änderungen eintreten, sind die Parteien nicht an ihrer Rechtswahl festzuhalten1.

7. Wahl außerstaatlichen Rechts


Literatur: Bälz, Islamic Law as Governing Law under the Rome Convention, Rev.dr.unif. NS 6 (2001),
37; Bälz, Das islamische Recht als Vertragsstatut?, IPRax 2005, 44; Bälz, Islamische Finanzierungen in
Deutschland? in Schneider/Hanstein (Hrsg.), Leipziger Beiträge zur Orientforschung – Beiträge zum
Islamischen Recht V (2006), S. 225 ff.; Basedow, Lex Mercatoria und Internationales Schuldvertrags-
recht, FS Horn (2006), S. 229; Basedow, Lex mercatoria and the Private International Law of Contracts
in Economic Perspective in Basedow/Kono, An Economic Analysis of Private International Law
(2006), S. 57; Berger, The Creeping Codification of the Lex Mercatoria, 2. Aufl. (Alphen aan den Rijn
2010); Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts
– zu den methodischen und praktischen Grundlagen der Lex Mercatoria (1996); Berger, Lex Mercato-
ria Online, RIW 2002, 256; Berger, Die Musterklauseln für die UNIDROIT Principles of International
Commercial Contracts, FS Wegen (2015), S. 377; Blase, Die Grundregeln des Europäischen Vertrags-
rechts als Recht grenzüberschreitender Verträge (2001); Blaurock, Übernationales Recht des interna-
tionalen Handels, ZEuP 1993, 247; Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privat-
unternehmen (1971); Böckstiegel, Das anwendbare Recht bei öffentlich-rechtlich geprägten
Staatsaufträgen, AWD 1973, 117; Booysen, Völkerrecht als Vertragsstatut internationaler privatrecht-
licher Verträge, RabelsZ 59 (1995), 245; Catranis, Probleme der Nationalisierung ausländischer Unter-
nehmen vor internationalen Schiedsgerichten, RIW 1982, 19; P. Fischer, Bemerkungen zur Lehre von
Alfred Verdross über den „quasi-völkerrechtlichen Vertrag“ im Lichte der neuesten Entwicklung, FS
Verdross (1980), S. 379; Goldman, The Applicable Law: General Principles of Law – The Lex Mercato-
ria in Lew (Hrsg.), Contemporary Problems in International Arbitration (London 1986), S. 113; Gold-
man, Nouvelles réflexions sur la Lex Mercatoria in Études de droit international en l´honneur de Lali-
ve (Basel 1993), S. 241; Grundmann, General principles of private law and ius commune modernum
as applicable law? in Liber Amicorum Buxbaum (London, The Hague 2000), S. 213; von Hoffmann,
„Lex mercatoria“ vor internationalen Schiedsgerichten, IPRax 1984, 106; von Hoffmann, Grundsätzli-
ches zur Anwendung der „lex mercatoria“ durch internationale Schiedsgerichte, FS Kegel (1987),
S. 215; Juenger, Lex mercatoria und Eingriffsnormen, FS Rittner (1991), S. 233; Kappus, „Lex mercato-
ria“ in Europa und Wiener UN-Kaufrechtskonvention 1980 (1990); Kappus, „Lex mercatoria“ als Ge-
schäftsstatut vor staatlichen Gerichten im deutschen internationalen Schuldrecht, IPRax 1993, 137;
Kipp/Zweigert, Verträge zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Partnern, BerDGesVölkR Heft 5
(1964), 133, 217; Kondring, Nichtstaatliches Recht als Vertragsstatut vor staatlichen Gerichten – oder
Privatkodifikationen in der Abseitsfalle?, IPRax 2007, 241; Lagarde, Approche critique de la lex mer-
catoria in Etudes Goldman (Paris 1982), S. 125; Leible/Wilke, Funktionale Überlegungen zur kollisi-
onsrechtlichen Wahl nichtstaatlicher Regelwerke, FS Kronke (2020), S. 297; W. Lorenz, Die Lex Merca-
toria – Eine internationale Rechtsquelle?, FS Neumayer (1985), S. 407; Mann, The Theoretical
Approach Towards the Law Governing Contracts Between States and Private Firms, Rev.belge dr.int.

1 Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 35; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 53 (frü-
heres Recht gilt weiter). – Mit der Störung der kollisionsrechtlichen Geschäftsgrundlage argumen-
tieren Lüderitz, FS Keller, S. 459 (469 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 117 (Stand
1.6.2021).

90 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.48 § 2

11 (1975), 562; Nueber, Lex Mercatoria und internationales Schiedsverfahren in Binder/Eichel (Hrsg.),
Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts (2013), S. 261; Reimann, Zur Lehre vom „rechts-
ordnungslosen“ Vertrag (1970); Roth, Zur Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts, FS Jayme I (2004),
S. 757; Schäfer, Die Wahl nichtstaatlichen Rechts nach Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs einer Rom I VO,
GPR 2006, 54; Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut (2005); Schinkels, Die (Un-)
Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Wahl der UNIDROIT Principles nach Rom I, GPR 2007, 106;
Schlesinger/Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze als Sachnormen in Schiedsgerichtsverfahren, Ra-
belsZ 28 (1964), 4; Spickhoff, Internationales Handelsrecht vor Schiedsgerichten und staatlichen Ge-
richten, RabelsZ 56 (1992), 116; Stein, Lex mercatoria – Realität und Theorie (1995); J. Stoll, Verein-
barungen zwischen Staat und ausländischen privaten Investoren, RIW 1981, 808; J. Stoll,
Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor (1982); Teichert, Lückenfüllung im CISG
mittels UNIDROIT-Prinzipien (2007); Toth, Lex mercatoria in theory and practice (Oxford 2014);
Triebel/Petzold, Grenzen der lex mercatoria in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, RIW 1988,
245; Verdross, Gibt es Verträge, die weder dem innerstaatlichen Recht noch dem Völkerrecht unterlie-
gen?, ZfRV 6 (1965), 129; Wälde, Transnationale Investitionsverträge, RabelsZ 42 (1978), 28; Wegen/
Asbrand, Nichtstaatliches Recht als Gegenstand einer Rechtswahlklausel?, RIW 2016, 557; Weick, Zur
Problematik eines „transnationalen Rechts“ des Handels- und Wirtschaftsverkehrs, FS Traub (1994),
S. 451; Weise, Lex mercatoria (1990); Woitge, Die Wählbarkeit nichtstaatlicher Regelwerke europäi-
schen Ursprungs im internationalen Vertragsrecht (2015); Zumbansen, Lex mercatoria – Zum Gel-
tungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), 637. – S. auch Literatur vor Rz. 7.438.

a) Kollisionsrechtliche Unzulässigkeit
Vor allem im Rahmen der „Internationalisierung“ von Verträgen stellt sich die Frage, wieweit 2.47
Schuldverträge außerstaatlichem Recht unterstellt werden können. Praktisch wird die Frage
insbesondere für Verträge zwischen staatlichen und privaten Parteien, für die der Staat häufig
sein Recht durchzusetzen versucht. Dabei handelt es sich regelmäßig um Verträge über größe-
re Investitions- oder Entwicklungsvorhaben bzw. Verträge über Rohstoffabbau. Da der Staat
als Gesetzgeber die Rechtsordnung seinen Interessen anpassen kann, wird versucht, solchen
Verträgen erhöhten Bestandsschutz zu sichern und sie den Fesseln des nationalen IPR, des
materiellen Privatrechts oder überhaupt einer Rechtsordnung zu entziehen1. Hier bestehen
unterschiedliche, facettenreiche Ansätze, die vor allem in der Schiedsgerichtspraxis Widerhall
gefunden haben2. Vor die staatlichen Gerichte gelangen entsprechende Streitigkeiten selten.
Allerdings wird die Zulassung der Wahl nichtstaatlichen Rechts zunehmend auch für andere
Verträge gefordert.

Ob die Rechtswahl sich auch auf religiöses Recht beziehen darf, hat die englische Rechtspre- 2.48
chung für das islamische Recht thematisiert und verneint. Der Court of Appeal versagte einer
unbestimmten Bezugnahme auf die Sharia zutreffend den Charakter einer eigenständigen
Rechtswahl, die zur Anwendung zweier Rechtsordnungen geführt hätte3. Vertragsstatut war
lediglich das englische Recht. In England war auch darüber zu befinden, ob eine Schiedsver-
einbarung, die eine Beth Din-Schiedsgerichtsbarkeit vorsah, der Halacha (jüdischem Recht)

1 Beispiele bei Böckstiegel, AWD 1973, 117 (118 f.); Wälde, RabelsZ 42 (1978), 28 (82 f.).
2 Vgl. Kondring, IPRax 2006, 425 (426 f.).
3 Shamil Bank of Bahrain v. Beximco Pharmaceuticals Ltd., [2004] 1 W.L.R. 1784 (CA) (Kredit-
geschäft zwischen einer Bank aus Bahrain und einer pakistan. Gesellschaft mit folgender Klausel:
„Subject to the principles of the Glorious Sharia’a, this agreement shall be governed by and con-
strued in accordance with the laws of England“). – S. auch Bälz, IPRax 2005, 44 ff. – Vgl. ferner
Mankowski, RIW 2005, 481 (491).

Martiny | 91
§ 2 Rz. 2.48 | Bestimmung des Vertragsstatuts

unterstellt werden konnte. Dies wurde verneint; das EVÜ gestatte lediglich die Wahl des
Rechts eines Landes1.

b) Allgemeine Rechtsgrundsätze, Vertragsgrundregeln


2.49 Die Parteien eines internationalen Vertrages verweisen häufig auf allgemeine Rechtsgrund-
sätze (general principles of law)2. Wird ein nationales Recht gewählt und (als Korrektiv) zu-
sätzlich auf allgemeine Rechtsgrundsätze Bezug genommen, so ist das unbedenklich. Eine sol-
che (materiell-rechtliche) Verweisung kann sich nur im Rahmen dieses Rechts entfalten. Es
geht dabei auch nicht so sehr um die Lösung einzelner Rechtsfragen, als vielmehr um die
Grundsätze der Bindung an den Vertrag. Für zulässig – zumal in Verträgen zwischen Staaten
und Privaten – wird aber auch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf allgemeine Rechts-
grundsätze gehalten, welche die Anwendung der nationalen Rechtsordnungen ausschaltet3.
Nach anderer Ansicht handelt es sich lediglich um eine materiell-rechtliche Verweisung4.

2.50 Obwohl diese allgemeinen Rechtsgrundsätze keinen hohen Konkretisierungsgrad aufweisen,


handelt es sich doch um eine Rechtsordnung, wenn auch keine nationale. Für Privatpersonen
werden allerdings Einschränkungen verlangt5. In Verträgen unter Privaten besteht wegen der
Möglichkeit, auf ein neutrales Recht auszuweichen, regelmäßig kein Bedürfnis für eine Ver-
weisung auf solche Rechtsgrundsätze, zumal hier nicht der Vorteil der staatlichen Seite kom-
pensiert zu werden braucht6.

2.51 In neuerer Zeit sind mehrfach allgemeine Grundregeln des Vertragsrechts aufgezeichnet
worden. Verweisen die Parteien auf solche Prinzipien, so ergänzen sie das anwendbare natio-
nale Recht. Dieses wird von den jeweiligen Grundsätzen verdrängt, soweit es keine entgegen-
stehenden zwingenden Normen enthält7. Für die Vereinbarung derartiger Regeln stellt sich
die Frage, ob dies in Form einer kollisionsrechtlichen Verweisung möglich ist. Bezüglich der
UNIDROIT-Principles (Rz. 1.2), die eine Vereinbarung durch die Parteien ausdrücklich vor-
sehen8, wurde unter der Herrschaft des EVÜ eine kollisionsrechtliche Verweisung teilweise be-
fürwortet9 (zur Schiedsgerichtsbarkeit Rz. 7.474). Andere haben wegen des nichtstaatlichen,
unverbindlichen Charakters und der Lückenhaftigkeit der Grundsätze lediglich eine materiell-
rechtliche Verweisung angenommen10. Ferner wird ein praktisches Bedürfnis für eine kollisi-

1 Halpern v. Halpern, [2007] All ER 478 (CA) = ZEuP 2008, 618 Anm. Heidemann. – Zust. Wend-
land in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 102.3 (Stand 1.6.2021).
2 Zum Begriff Kötz, RabelsZ 34 (1970), 663 (671 f.).
3 von Hoffmann in Soergel, Art. 27 EGBGB Rz. 28. – Vgl. ablehnend Wengler, ZfRV 23 (1982), 11
(24 ff.); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–049.
4 Heiss in Czernich/Heiss, Art. 3 EVÜ Rz. 45.
5 Näher Zweigert, BerDGesVölkR 5 (1964), 194 (199 ff.).
6 Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 548 ff.
7 Vgl. Michaels, RabelsZ 62 (1998), 580 ff.
8 S. Preamble UNIDROIT-Principles 2016; Bonell, Model Clauses for the Use of the Unidroit Prin-
ciples of International Commercial Contracts, Unif. L.Rev.18 (2013), 473.
9 Zum alten Recht Boele-Woelki, IPRax 1997, 166 ff.; Boele-Woelki in von Hoffmann (Hrsg.), Euro-
pean Private International Law (1998), S. 67 (81); Leible, ZVglRW 97 (1998), 286 (312 ff.); Leible,
FS Jayme I, S. 485 (490 f.); Wichard, RabelsZ 60 (1996), 282 ff.; Vischer/Huber/Oser, Rz. 120 ff. –
Für die Schiedsgerichtsbarkeit Bonell, ZfRV 37 (1996), 156 f.
10 Kessedjian, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 657 f.; Teichert, S. 186 ff.; von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 77.

92 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.52 § 2

onsrechtliche Verweisung verneint. Es ist allerdings möglich, zu vereinbaren, dass die UNI-
DROIT-Principles ergänzend etwa zum CISG gelten sollen1. Auch die Grundregeln des euro-
päischen Vertragsrechts (Rz. 1.17) können von den Parteien vereinbart werden. Darin wurde
z.T. gleichfalls eine kollisionsrechtliche Vereinbarung gesehen2. Letztlich handelt es sich aber
bei solchen Prinzipien lediglich um eine private Aufzeichnung. Andere argumentieren hier
daher ebenfalls, dass Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO (anders als § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO für die
Schiedsgerichtsbarkeit; dazu Rz. 7.455) nur die Wahl staatlichen Rechts gestatte3. Der Ver-
ordnungsentwurf wollte noch eine Rechtswahl für anerkannte Regeln grundsätzlich zulassen
(Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO-Entw.)4. Danach hätten die UNIDROIT-Vertragsrechtsregeln sowie
die Europäischen Vertragsrechtsregeln, nicht aber die Grundsätze der lex mercatoria gewählt
werden können5. Die Endfassung der VO enthält jedoch – nicht zuletzt wegen der drohenden
Abgrenzungsschwierigkeiten – keine solche Aussage mehr6. Erwägungsgrund 13 stellt ledig-
lich fest, dass die Verordnung die Parteien nicht daran hindert, in ihrem Vertrag auf ein nicht-
staatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen („incorpo-
rate by reference“). Zugelassen ist mithin auch weiterhin eine materiell-rechtliche Verwei-
sung7. Entsprechendes gilt für eine Vereinbarung des Draft Common Frame of Reference
(DFCR)8, vgl. Rz. 1.45. Auch eine direkte kollisionsrechtliche Rechtswahl von im gegebenen
Fall nicht anwendbarem staatsvertraglichen Einheitsrecht (z.B. CISG) ist – anders als nach
den Haager Principles9 – nicht möglich10. Keine kollisionsrechtliche Wahl liegt folglich in der
Vereinbarung des CISG als Vertragsstatut11 (vgl. Rz. 25.26).

In Erdölkonzessionsverträgen ist häufig eine mehrstufige Rechtswahlvereinbarung getroffen 2.52


worden. Nach der entsprechenden Klausel gelten in erster Linie die Grundsätze des Rechts des
Konzessionsstaates, soweit sie mit den Grundsätzen des Völkerrechts übereinstimmen; hilfs-
weise kommen die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Anwendung, so wie sie von internatio-

1 Vorpeil, IWB 2020, 438 (447).


2 Krit. Busch/Hondius, ZEuP 2001, 223 (225 ff.).
3 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 87 (Stand 1.6.2021). – Für eine Erweiterung de lege
ferenda Leible/Wilke, FS Kronke, S. 297 ff.
4 Näher dazu Mankowski, IPRax 2006, 101 (102); Schäfer, GPR 2006, 54 ff.; Kondring, IPRax 2007,
241 (244 f.); Martiny, ZEuP 2007, 212; Lando/Nielsen, J. PIL 2007, 29 (34); Wagner, IPRax 2008,
377 (380 f.). – Krit. auch Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (335 f.).
5 Dagegen sogar für die kollisionsrechtliche Wählbarkeit der lex mercatoria, Lando/Nielsen, J. PIL
2007, 29 (30 ff.).
6 Dazu Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (533); Mankowski, IHR 2008, 133 (136); Wagner, IPRax
2008, 377 (379 f.). – Krit. zur Streichung Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1696 ff.).
7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-67); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); Wagner, IPRax 2008,
377 (380); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (189 f.); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 15;
Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 56; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 87
(Stand 1.6.2021).
8 Leible, Rom I und Rom II, S. 31. Vgl. auch Pfeiffer, ZEuP 2008, 679 (681 f.).
9 Art. 3 Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015. – Krit. dazu
Schmitz, S. 226 ff.
10 Ughetto, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 63 (64); Wegen/Asbrand, RIW 2016, 557 (559); Magnus in
Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 62.
11 Kroll-Ludwigs, S. 58; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 188.

Martiny | 93
§ 2 Rz. 2.52 | Bestimmung des Vertragsstatuts

nalen Schiedsgerichten angewendet werden. Internationale Schiedsgerichte haben diese Klau-


sel für wirksam gehalten, ihr aber unterschiedliche Wirkungen beigemessen1.

c) Lex Mercatoria
2.53 Verschiedentlich wird davon ausgegangen, der internationale Handelsverkehr unterliege heute
nicht mehr den Normen des nationalen Rechts, sondern einem außerstaatlichen internationa-
len Handelsrecht bzw. transnationalem Recht2. Dies gilt vor allem für die Lehre von der lex
mercatoria, die freilich in den Einzelheiten sehr umstritten ist (zu autonomistischen Theorien
s. auch Rz. 7.466). Den Inhalt der lex mercatoria bilden einheitliche Regeln, die im interna-
tionalen Handel zur Anwendung kommen. Was außer internationalen Handelsbräuchen im
Einzelnen dazu gehört, wird nicht einheitlich bestimmt. Herangezogen werden nach einer
weiten Auffassung auch Einheitsrecht schaffende Staatsverträge, allgemeine Rechtsgrundsätze,
Völkerrecht, die Vertrags-Formularpraxis, Regeln internationaler Organisationen und inter-
national übliche Klauseln3. Nach einer engeren Auffassung besteht die lex mercatoria aus all-
gemeinen Grundsätzen und Gebräuchen, die im Rahmen des internationalen Handels spon-
tan entstehen oder entwickelt werden, ohne dass dabei auf ein spezielles nationales Recht Be-
zug genommen wird4. Die Rechtssatzqualität dieses vor allem von Schiedsgerichten formulier-
ten „droit en formation“ ist angesichts mangelnder staatlicher Fundierung sowie der Lücken-
haftigkeit und Problematik der Rechtssetzung umstritten5. Hinzu kommt die z.T. fragwürdige
Ableitung konkreter und kohärenter Rechtsregeln6.

1 British Petroleum Co. (BP) v. Libya, v. 10.10.1973/1.8.1974 (Schiedsrichter Lagergren), I.L.R. 53


(1979), 293 = Yb.Com.Arb. 5 (1980), 143 (Verstaatlichung in Libyen. Dän. Kollisionsrecht ange-
wendet, da Ort des Schiedsverfahrens in Dänemark. Rechtswahlklausel gültig. In erster Linie An-
wendung der Grundsätze des libyschen Rechts, soweit vereinbar mit Grundsätzen des Völker-
rechts; wenn nicht, Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze. Die libysche Enteignungsgesetz-
gebung verletzte den Konzessionsvertrag. Libyen wurde zu Schadensersatz verurteilt); Texaco
Overseas Petroleum Co. (TOPCO) and California Asiatic Oil Co. (CALASIATIC) v. Libya, v.
19.1.1977 (Schiedsrichter Dupuy), I.L.R. 53 (1979), 389 = Yb.Com.Arb. 4 (1979), 177 = Clunet
104 (1977), 350 = RIW 1977, 502 (Zusammenfassung) (Verstaatlichung in Libyen. Die Gültigkeit
der Rechtswahl für einen „internationalized contract“ regelte das internationale öffentliche Recht.
Libysches Recht war mit den Grundsätzen des internationalen Rechts zu kombinieren. Stabilisie-
rungsklausel als wirksam angesehen. Die Enteignungsgesetzgebung verletzte den Konzessionsver-
trag, der als weiterbestehend angesehen wurde. Libyen wurde zur „restitutio in integrum“ ver-
urteilt); Libyan American Oil Co. (LIAMCO) v. Libya, v. 12.4.1977 (Schiedsrichter Mahmassani), I.
L.R. 62 (1982), 140 = Yb.Com.Arb. 6 (1981), 89 = I.L.M. 20 (1981), 1 (Verstaatlichung in Libyen.
Rechtswahlklausel gültig. Libysches Recht umfasste die libysche Gesetzgebung, islam. Recht, Ge-
wohnheitsrecht, Naturrecht und Billigkeit. Die Nationalisierung wurde nicht als rechtswidrig an-
gesehen und verletzte den Konzessionsvertrag nicht. Libyen wurde lediglich zur Zahlung einer
Entschädigung verurteilt). – W. Nachw. bei Catranis, RIW 1982, 19 ff.
2 Berger, RIW 2002, 256 ff.
3 Vgl. dazu Lando, I.C.L.Q. 34 (1985), 748 ff.
4 Goldman in Lew, S. 113 (116). Einheitsrecht schließt auch aus Kappus, IPRax 1993, 137 (138).
5 Bejahend etwa Goldman, Études en l’honneur de Lalive, S. 247 ff.; Blaurock, ZEuP 1993, 247
(262 ff.) Zumindest für eine Ähnlichkeit Gaillard, Arb.Int. 17 (2001), 65 ff. – Gegen die Einord-
nung als eigenständige Rechtsordnung Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (125 ff.9; Mankowski,
RIW 2003, 2 (12 f.); von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 75 ff.; Kegel/Schurig, S. 127 f. Als Teil des Völ-
kerrechts ordnet sie ein Booysen, RabelsZ 59 (1995), 245 (252 f.).
6 Näher Lorenz, FS Neumayer, S. 407 ff.

94 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.58 § 2

In der Frage, welchen Rang die lex mercatoria im Verhältnis zu den anderen Rechtsquellen 2.54
einnimmt, lassen sich trotz aller Unklarheiten und Nuancen drei Hauptrichtungen unterschei-
den1. Nach der weitestgehenden Auffassung ist die lex mercatoria ein eigenständiges Regelsys-
tem, das über den nationalen Rechtsordnungen steht und für internationale Sachverhalte Vor-
rang beansprucht oder doch – sozusagen als lex fori des internationalen Schiedsrichters –
mangels anderer Parteivereinbarung gilt. Für die Lückenfüllung, die dann notwendig wird,
wenn sich noch keine internationalen Handelsbräuche bzw. Rechtssätze der lex mercatoria ge-
bildet haben, wird nicht auf nationales Recht zurückgegriffen; vielmehr sind allgemeine
Rechtsgrundsätze anzuwenden2.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, der lex mercatoria gleichen Rang wie den staatlichen 2.55
Rechtsordnungen einzuräumen. Die lex mercatoria steht dann gleichberechtigt neben den natio-
nalen Rechten, ist wählbares „Recht“ i.S.d. Art. 3 ff. Rom I-VO3. Bei der Lückenfüllung kann
durch kollisionsrechtliche Anknüpfung auf nationales Recht, d.h. ein so bestimmtes Vertragssta-
tut, zurückgegriffen werden. Dagegen lässt die restriktivste Auffassung die nationalen Rechtsord-
nungen dominieren. Die für internationale Transaktionen entwickelten Bräuche und Einheits-
regeln dienen danach lediglich zur Füllung von Lücken des nationalen Rechts. Sie sind subsidiä-
rer Natur und kommen bei Widerspruch zu zwingendem staatlichen Recht nicht zum Zuge.

Für die Rechtswahl ist zunächst zu beantworten, ob überhaupt noch ein (nationales oder su- 2.56
pranationales) Kollisionsrecht vorgeschaltet werden muss oder ob man auf direktem Wege
(„voie directe“) zur lex mercatoria vorstoßen kann. Wird Letzteres bejaht, so kommt es auf die
Anwendungsvoraussetzungen der lex mercatoria an. Ferner ist ein Problem, ob allein die lex
mercatoria als lex causae anzusehen ist. Schwierigkeiten macht dabei, dass die lex mercatoria
auf der einen Seite – anders als nationales Recht – nicht räumlich begrenzt ist und sich daher
schlecht den üblichen Anknüpfungsmethoden unterwerfen lässt, auf der anderen Seite aber
inhaltlich lückenhaft ist4.

Nach der Vorrangtheorie gilt die lex mercatoria per se für internationale Sachverhalte. Sie 2.57
findet direkte Anwendung, ohne dass ein Kollisionsrecht befragt werden müsste. Grundlage
dafür ist entweder die Rechtswahl durch die Parteien oder die Rechtsanwendung durch ein
Schiedsgericht5. Ein anwendbares nationales Recht ist für einen solchen „direct approach“
nicht mehr zu ermitteln. Diese Auffassung ist für die staatliche Gerichtsbarkeit inakzeptabel,
weil sie das nationale materielle Recht und das Kollisionsrecht einfach beiseite schieben wür-
de6. Auch für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist sie bedenklich.

Nach der Gleichstellungstheorie ist die Vereinbarung der lex mercatoria als Vertragsstatut mög- 2.58
lich; andere Rechtsordnungen gelten dann nicht7. Es bestehen lediglich ähnliche Schranken (ord-
re public; Sonderanknüpfung) wie allgemein bei der Anwendung fremden Rechts. Bei Fehlen ei-

1 Vgl. Nachw. bei Martiny, RabelsZ 50 (1986), 730 ff. (Rezension).


2 Ähnlich IHK-Schiedsspruch Nr. 3540/1980, Yb.Com.Arb. 7 (1982), 124 = Clunet 108 (1981), 914
Anm. Derains, wo allerdings die Rechtslage nach den berührten Rechtsordnungen ebenfalls ge-
prüft wurde.
3 Für Letzteres Kappus, IPRax 1993, 137 (139 ff.).
4 Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (143 ff.); Bucher in Schwind, S. 49 ff.
5 Vgl. Goldman in Lew, S. 113 (116 f.); Goldman, Études en l’honneur de Lalive, S. 241 (252 ff.).
6 Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (145).
7 So z.B. Coing, La détermination de la loi contractuelle en droit international privé allemand in
Klein/Vischer (Hrsg.), Colloque de Bâle sur la loi régissant les obligations contractuelles (Basel/
Frankfurt 1983), S. 29 (49 ff.); Weise, S. 141.

Martiny | 95
§ 2 Rz. 2.58 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ner ausdrücklichen Vereinbarung ist auch an eine stillschweigende Wahl der lex mercatoria zu
denken1. Keine Klarheit besteht freilich darüber, ob mangels einer Parteiabrede die lex mercatoria
auch aufgrund objektiver Anknüpfung Vertragsstatut sein kann2. Würde man dies uneinge-
schränkt bejahen, so träte die gleiche Folge wie nach der Vorrangtheorie ein; das nationale Recht
würde verdrängt. Denkbar wäre aber auch – ähnlich wie bei internationalen Staatsverträgen –,
einen eigenständigen Anwendungsbereich in sachlicher und persönlicher Hinsicht zu definieren.
Innerhalb dieses Anwendungsbereichs käme dann die lex mercatoria zur Geltung und wäre vom
nationalen Recht abgrenzbar. Schließlich könnte man neben der lex mercatoria ein nationales
Recht ermitteln und dieses dann durch die lex mercatoria ergänzen oder korrigieren3.

2.59 Während diese verschiedenen Lösungswege mit Unsicherheiten belastet sind, ist die Rechtslage
nach der Subsidiaritätstheorie klar: Die lex mercatoria kann sich nicht gegen zwingendes na-
tionales Recht durchsetzen. Vertragsstatut ist stets ein nationales, staatliches Recht4. Die Ver-
einbarung der lex mercatoria hat nur die Bedeutung einer materiell-rechtlichen Verweisung5.
Die Parteien müssen sich innerhalb der vom Vertragsstatut vorgegebenen Grenzen bewegen.
Für das EVÜ wurde dementsprechend vertreten, das Übereinkommen erlaube eine Verein-
barung nichtstaatlichen Rechts nicht. Folglich sollen auch bei einer solchen Vertragsgestaltung
die für eine objektive Anknüpfung geltenden Regeln zur Anwendung kommen. Die so be-
stimmte Rechtsordnung entscheidet sodann, welche Wirkung der Vereinbarung zukommt6.

2.60 Diese restriktive Auffassung lässt sich aber nicht vollständig halten, da internationale Schieds-
gerichte zunehmend statt eines nationalen Rechts die lex mercatoria anwenden, und zwar auch
dann, wenn sie keinen Billigkeitsschiedsspruch, sondern eine Entscheidung nach Rechtsgrund-
sätzen zu fällen haben (s. Rz. 7.466 ff.). Insbesondere Schiedsgerichte der IHK haben mehrfach
in dieser Weise entschieden7 (s. Rz. 7.471). Hinzu kommt, dass immer mehr Rechtsordnungen
aufgrund internationaler Staatsverträge und nationaler Vorschriften bereit sind, solche Schieds-
sprüche hinzunehmen (vgl. § 1051 Abs. 1 ZPO). Es ist daher damit zu rechnen, dass derartige
Schiedssprüche von den staatlichen Gerichten nicht aufgehoben, sondern für vollstreckbar er-
klärt werden (vgl. § 1061 ZPO). Dies ist in Österreich8, aber auch in Frankreich geschehen9.

1 So etwa Kappus, IPRax 1993, 137 (141).


2 Bejahend Kappus, IPRax 1993, 137 (141 f.). Ähnlich für „besondere Umstände“ wie Verträge mit
staatlichen Partnern Weise, S. 140 ff.
3 Vgl. Bucher in Schwind (1996), S. 11 (53).
4 von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 77.
5 Diedrich, RIW 2009, 384; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 59; Magnus in Staudinger,
Art. 3 Rom I Rz. 59 f.; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95 (Stand 1.6.2021). – Ebenso
Veltins, Umfang und Grenzen von Rechtswahlklauseln, JbPraxSchG 3 (1989), 126; Mankowski,
RIW 2003, 2 (13 f.); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 28.
6 In diesem Sinne Rigaux, Cah.dr.europ. 1988, 306 (318 f.); Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287
(300 f.). S. auch Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–049 f.
7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 96 (Stand 1.6.2021). Nachw. bei Lorenz, FS Neumay-
er, S. 407 (410 ff.).
8 ÖOGH v. 18.11.1982 – 8 Ob 520/82, RIW 1983, 868 Anm. Seidl-Hohenveldern = IPRax 1984, 97
(Anm. von Hoffmann, IPRax 1984, 106) = Yb.Com.Arb. 9 (1984), 159 Anm. Melis (Türk. Gesell-
schaft war Handelsvertreter der französ. Gesellschaft „Norsolor“ für die Türkei. Schiedsgericht der
IHK sprach dem Handelsvertreter wegen unrechtmäßiger Vertragsauflösung Schadensersatz zu.
Der Schiedsspruch, der sich auf die lex mercatoria und den Grundsatz von Treu und Glauben
stützte, war wirksam).
9 S. etwa den Fall „Compania Valenciana“, in dem die von den Parteien gebilligte Anwendung der
lex mercatoria hingenommen wurde, Cass. civ. 22.10.1991, Rev.arb. 1992, 457 Anm. Lagarde =

96 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.63 § 2

Damit wird mittelbar ein Sonderrecht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit akzeptiert. 2.61
Auf der anderen Seite lebt dieses Sonderrecht von der staatlichen Anerkennung der Schieds-
gerichtsbarkeit und der Parteiautonomie. Ferner steht die Bewährungsprobe, nämlich der zu
erwartende Konflikt mit zwingenden Normen des nationalen Rechts noch aus1. Welchen Weg
man auch immer einschlagen mag, dem staatlichen Richter kann man eine direkte Anwen-
dung der lex mercatoria aufgrund objektiver Anknüpfung nicht gestatten. Er hat sich an das
Kollisionsrecht der lex fori zu halten2.

Dieses Kollisionsrecht kann jedoch eine Parteivereinbarung honorieren. Es ist daher nicht von 2.62
vornherein ausgeschlossen, sich jedenfalls bei der Einschaltung der internationalen Schieds-
gerichtsbarkeit eine Verweisung auf Regeln der lex mercatoria vorzustellen. Der internationale
Schiedsrichter wird aufgrund einer Schiedsklausel, also einer Vereinbarung der Parteien, tätig.
Diese ermächtigt ihn nicht ohne weiteres dazu, die lex mercatoria durchzusetzen; liegt aber
eine Parteivereinbarung im Hinblick auf die Rechtsanwendung und die Geltung der lex mer-
catoria vor, so ist die Anwendung der lex mercatoria hinzunehmen3.

d) „Rechtsordnungslose Verträge“
Es gibt Fälle, in denen die Vertragsparteien alle Fragen, die sich aus dem Vertrag ergeben, ver- 2.63
traglich regeln oder etwa noch offene Fragen nach einem (nationalen) Handelsbrauch beant-
wortet wissen wollen. Für sie ist angenommen worden, ein Schuldstatut liege überhaupt nicht
vor4. Der allein maßgebende Satz „pacta sunt servanda“ werde der lex fori entnommen. Ande-
ren erscheint dies, den Vertrag selbst, unabhängig von jedem positiven Recht, als Rechtsquel-
le anzusehen, ein Unding5. Tatsächlich würde der Abschluss „rechtsordnungsloser Verträge“6
freie, nicht an ein objektives Recht gebundene Parteivereinbarungen voraussetzen. Verträge
außerhalb jeder Rechtsordnung gibt es jedoch nicht, auch soweit sie auf international übliche
Handelsklauseln Bezug nehmen7. Der Abschluss rechtsordnungsloser Verträge ist daher abzu-
lehnen8. Die Rechtswahl kann sich nach h.M. nur auf eine Rechtsordnung beziehen, die etwai-

Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 113 Anm. Oppetit = Clunet 119 (1992), 177 Anm. Goldman; Cour d’appel
Paris v. 13.7.1989, Rev.crit.d.i.p. 79 (1990), 305 m. abl. Anm. Oppetit = Clunet 117 (1990), 431 m.
zust. Anm. Goldman. Dazu Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (128 f.); Berger, Lex mercatoria in
der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, IPRax 1993, 281 ff. – S. auch Blaurock,
ZEuP 1993, 247 (264 ff.); Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3678); Weise, S. 148 ff.
1 Zu zwei Lösungsmöglichkeiten, nämlich der Entwicklung eines Mindeststandards von internatio-
nalisierungsfähigen Eingriffsnormen sowie der Beachtung nationaler staatlicher Normen durch
die Schiedsgerichte s. Juenger, FS Rittner, S. 233 (246 ff.). Vgl. auch Lando, I.C.L.Q. 34 (1985),
763 ff.
2 Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (133 f.); Blaurock, ZEuP 1993, 247 (264); von Bar/Mankowski, I
§ 2 Rz. 77; von Hein in MünchKomm, Einl. Rz. 292; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 60.
Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (144). Anders Goldman, Études en l’honneur de
Lalive, S. 241 (255).
3 S. Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (134) ff. m.w.N.
4 Wengler, ZVglRW 54 (1941), 168 (121).
5 Vgl. Sumampouw, Anm. zu BGE 91 II 44, RabelsZ 30 (1966), 334 (347).
6 Vgl. Kipp, BerDGesVölkR 5 (1964), 154 ff.
7 Bonell, RabelsZ 42 (1978), 494 ff.; J. Stoll, RIW 1981, 808 (809); Sandrock/Steinschulte in Sandrock,
I Rz. A 202; Kropholler, IPR, S. 443 f.
8 Mankowski, RIW 2005, 481 (492); Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 548 ff.;
Merkt, S. 125 ff.; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 4.

Martiny | 97
§ 2 Rz. 2.63 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ge Vertragslücken ergänzt und deren zwingende Vorschriften gelten1. Entsprechendes gilt für
die Auffassung, der auf der Maxime „pacta sunt servanda“ beruhende Vertrag schaffe unter
bestimmten Voraussetzungen eine eigenständige „lex contractus“2. Art. 3 Rom I-VO äußert
sich nicht ausdrücklich zu diesen Fragen. Auch für das früher geltende EVÜ wurde aber ver-
treten, dass rechtsordnungslose Verträge unzulässig seien3; die Abwahl staatlichen Rechts wird
einer fehlenden Rechtswahl gleichgestellt4.

e) Verweisung auf Völkerrecht


2.64 In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen
Verweisung auf das internationale öffentliche Recht bzw. das Völkerrecht. Verträge des Staa-
tes mit ausländischen Privatpersonen unterliegen grundsätzlich dem Internationalen Ver-
tragsrecht. Insbes. Investitionsverträge zwischen Staaten und Privatunternehmen werden aber
teilweise Völkerrecht unterstellt. Erreicht werden soll, dass solche „quasi-völkerrechtlichen“5,
„beschränkt völkerrechtlichen“6 oder „völkerrechtlichen Verträge besonderer Art“7 nicht ein-
seitig geändert werden können8. Die Gesetzesänderung bzw. die Nichtberücksichtigung des
Vertrages durch den staatlichen Vertragspartner wäre eine Völkerrechtsverletzung. Diese
Theorien haben zwar in einigen internationalen Schiedsgerichtsurteilen Zustimmung (vgl.
Rz. 7.466), jedoch auch Widerspruch gefunden9. Sie stehen vor dem Problem, befriedigend
erklären zu müssen, ob und in welchem Umfang Private als Völkerrechtssubjekt auftreten
können10 und wie es zu der angestrebten Maßgeblichkeit von Völkerrechtsnormen kommen
soll11. Die Wirkung einer Verweisung auf Völkerrecht bzw. internationales öffentliches Recht
ist daher zweifelhaft12. Soweit die Verweisung auf Völkerrechtssätze kollisionsrechtlich keinen
Bestand hat, kann sie aber als materiell-rechtliche Verweisung Beachtung finden13.

2.65 Fehlt eine Rechtswahl, so folgt der Vertrag mit einem Staat den allgemeinen Regeln des inter-
nationalen Schuldrechts (vgl. Rz. 2.263), wenn er einen rein privatrechtlichen Inhalt hat. Weist

1 Zweigert, BerDGesVölkR 5 (1964), 194 (209); Simitis, JuS 1966, 209 (213); Mann, Rev.belge dr.int.
11 (1975), 562 (566); Reimann, S. 42 ff.; Vischer/Huber/Oser, Rz. 148. – Für eine „Koexistenz“ des
internationalisierten Vertrages mit nationalen Rechtsregeln tritt ein Weick, FS Traub, S. 451
(463 ff.).
2 So aber Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 (131).
3 Vgl. näher Carbone, Riv.dir.int.priv.proc. 19 (1983), 279 ff.; zum EVÜ-Entw. 1972 Foyer, Clunet
103 (1976), 597 ff.
4 So Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (301); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 110
(Stand 1.6.2021): rechtliches nullum.
5 So Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 ff.
6 Dazu Böckstiegel, S. 295 ff. (303 ff.).
7 Fischer, FS Verdross, S. 379 (397).
8 Mann, Rev.belge dr.int. 11 (1975), 562 (564 f.).
9 Simitis, JuS 1966, 209 (213); Sornarajah, The Myth of International Contract Law, J.W.T.L. 15
(1981), 187 (202 ff.).
10 Bejahend Kipp, BerDGesVölkR 5 (1964), 150 f.; Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 (130). Abl. Stoll,
RIW 1981, 810.
11 Die Vereinbarung von Völkerrecht hält möglich, weil das Völkerrecht auch ein „privatrechtliches
Standbein“ habe, Booysen, RabelsZ 59 (1995), 252 ff. – Abl. Catranis, RIW 1982, 22 ff.
12 Schlesinger/Gündisch, RabelsZ 28 (1964), 4 (25); Simitis, JuS 1966, 209 (213); für die Zulässigkeit
bei Verträgen zwischen Staat und Privaten Mann, Rev.belge dr.int 11 (1975), 562 (564 f.); für die
Zulässigkeit von Vereinbarungen Privater Schröder/Wenner, Rz. 81 ff.
13 Böckstiegel, FS Beitzke (1979), S. 443 (455); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 64.

98 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.68 § 2

er auch öffentlich-rechtliche Elemente auf, so kommt auch das Recht der beteiligten Staaten,
ferner die Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgrundsätze und des Völkerrechts in Betracht1.

8. Stabilisierungs- und Versteinerungsklauseln


Literatur: N. David, Les clauses de stabilité dans les contrats pétroliers, Clunet 113 (1986), 79; Fiedler,
Stabilisierungsklauseln und materielle Verweisung im internationalen Vertragsrecht (2001); Merkt, In-
vestitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln (1990); W. Peter, Arbitration and Renegotiation of In-
ternational Investment Agreements (Dordrecht 1986); Sandrock, „Versteinerungsklauseln“ in Rechts-
wahlvereinbarungen für internationale Handelsverträge, FS Riesenfeld (1983), S. 211; Sandrock,
Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis (1995), S. 29; Titi, Les clauses de stabilisation
dans les contrats d´investissement, Clunet 141 (2014), 541; Vischer, Veränderungen des Vertragssta-
tuts und ihre Folgen, FS Keller (Zürich 1989), S. 547; Weil, Les clauses de stabilisation ou intangibilité
insérées dans les accords de développement économique in Mélanges Rousseau (1974), S. 301.

a) Art der Klauseln


Ist in einem Vertrag zwischen einem Privaten und einem staatlichen Partner die Anwendung 2.66
der Rechtsordnung des staatlichen Partners ganz oder teilweise vorgesehen, so kann dieser
später das geltende Recht (sogar rückwirkend) modifizieren und damit die Rechtsstellung der
anderen Partei einseitig verschlechtern. Dagegen versuchen sich private Vertragsparteien des
Öfteren durch Vertragsklauseln zu sichern. Solche Klauseln sind von großer Vielfalt. Sie lassen
sich nach ihrer Technik unterscheiden in solche, die auf eine „Versteinerung“ bzw. ein „Ein-
frieren“ des Rechtszustandes oder eine Nichtanwendung oder sogar den Nichterlass von Än-
derungen abzielen2.

In Versteinerungsklauseln (freezing clauses; clauses de gel de la loi) wird festgelegt, dass das 2.67
vereinbarte Recht mit dem Inhalt gilt, den es zu einem bestimmten Zeitpunkt (insbesondere
bei Vertragsabschluss) hat3. Spätere Änderungen des gewählten Rechts sollen unbeachtlich
sein. Dies gilt auch für Rechtsänderungen, die sich Rückwirkung beilegen. Solche Klauseln
sind als materiell-rechtliche Verweisung innerhalb der Grenzen der lex causae unbedenklich4.
Die Parteien können z.B. im Rahmen des Vertragsstatuts festlegen, dass das Warenkaufrecht
in seiner Fassung vor Inkrafttreten des UN-Kaufrechts gelten soll (s. Rz. 25.41). Die Über-
gangsbestimmungen der lex causae entscheiden darüber, ob die frühere Vereinbarung hono-
riert wird. Solange keine zwingenden Normen dieses Rechts verletzt werden, steht der Wirk-
samkeit nichts entgegen. Jedenfalls für Geschäfte unter Privaten ist eine materiell-rechtliche
Verweisung auch ein ausreichendes Mittel zur Wahrung der Parteiinteressen.

In einer sog. Stabilisierungsklausel (stabilization clause; clause de stabilisation) wird verein- 2.68
bart, dass vertraglich eingeräumte Rechte nicht einseitig verändert werden dürfen und dass
spätere Rechtsänderungen den Vertrag bzw. die Konzession nicht betreffen5. Nichtanwen-

1 S. näher Böckstiegel, AWD 1973, 117 (120 f.).


2 S. umfassend Merkt, S. 39 ff., der „Stabilisierungsklauseln“ als Oberbegriff verwendet. Zu anderen
Einteilungen Fiedler, S. 76 ff. Zu weiteren Techniken s. Ebenroth/Bader, Wirksame Staatenbindung
in internationalen Investitionsverträgen, WM 1991, 661 ff.
3 Merkt, S. 41; Fiedler, S. 59. Klauselbeispiel bei Sandrock/Steinschulte in Sandrock, I Rz. A 35.
4 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (462); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 10.
5 Klauselbeispiele bei Merkt, S. 255 f. sowie bei Sandrock, FS Riesenfeld, S. 211 (217 f.). – Vgl. auch
Mankowski, FS Martiny, S. 449 (462 ff.).

Martiny | 99
§ 2 Rz. 2.68 | Bestimmung des Vertragsstatuts

dungsklauseln (non-application clauses; clauses de inopposabilité) bestimmen, dass nach-


trägliche Rechtsänderungen nicht auf den Vertrag anzuwenden sind1.

2.69 Teilweise wird der Begriff der Stabilisierungsklausel nur auf das „Einfrieren“ der staatlichen
Gesetzgebung und die Souveränitätseinschränkung bezogen2, während der Schutz der pri-
vaten Vertragspartei vor den Auswirkungen der Gesetzgebung als Unberührbarkeitsklausel
(clause of nonintervention; clause d’intangibilité) bezeichnet wird3. Der Unterschied zu einer
einfachen Versteinerungsklausel besteht darin, dass keine pauschale Verweisung auf einen be-
stimmten Rechtszustand erfolgt, sondern bereits bestimmte Rechtsänderungen ausgeschlossen
werden. Doch sind die Übergänge fließend4.

2.70 Stabilisierungsklauseln finden sich vor allem in Verträgen über die Rohstofferschließung, hin-
gegen kaum in internationalen Kreditverträgen5. Die Problematik der Zulässigkeit und Wir-
kungen solcher Klauseln (Vertretungsmacht der Staatsvertreter, Einschränkung der staatlichen
Handlungsfreiheit und Souveränität) kann hier nicht näher vertieft werden. Einigkeit dürfte
jedoch darüber bestehen, dass über die Wirksamkeit von Stabilisierungsklauseln grundsätzlich
die lex causae entscheidet6. Ist lediglich das Recht des staatlichen Partners anwendbar, so be-
stimmt allein diese Rechtsordnung7. Werden – wie meist – gleichzeitig allgemeine Rechts-
grundsätze oder völkerrechtliche Grundsätze für anwendbar erklärt, so kommt es zunächst
darauf an, ob man eine kollisionsrechtliche Verweisung auf solche Prinzipien für zulässig hält
(dazu Rz. 2.47 ff.). Bejaht man dies, so gelangt man auf dieser Grundlage im Allgemeinen zur
Gültigkeit der Stabilisierungsklauseln.

2.71 Stabilisierungsklauseln finden im Regelfall vor den Gerichten des rechtsetzenden Staates keine
Anerkennung. Wurde aber ein internationales Schiedsgericht vereinbart, so besteht die Aus-
sicht auf Schadensersatz, zumindest aber auf Entschädigung, da diese Klauseln mehrfach als
wirksam angesehen wurden8.

1 Näher Merkt, S. 43 f.; Fiedler, S. 65 f.


2 Nur für Verträge zwischen Privaten und Staat, Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 115
(Stand 1.6.2021).
3 Weil, Mélanges Rousseau, S. 301 (308 ff.); Fiedler, S. 62 f.
4 Vgl. Merkt, S. 44 ff.; Peter, S. 137 f. (140 f.).
5 U. Bosch, Vertragliche Regelungen in internationalen Kreditverträgen als risikopolitisches Instru-
ment in Krümmel (Hrsg.), Internationales Bankgeschäft (1985), S. 117 (124 f.).
6 David, Clunet 113 (1986), 79 (83); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 116 (Stand
1.6.2021).
7 David, Clunet 113 (1986), 79 (84); Peter, S. 142 f.
8 S. Saudi Arabia v. Arabian American Oil Co. (ARAMCO), v. 29.8.1958, I.L.R. 27 (1963), 117 (Kon-
zessionsvertrag. Nichts stehe dem entgegen, dass der Staat im Rahmen seiner Souveränität unent-
ziehbare Konzessionsrechte verleihe); Texaco Overseas Petroleum Co. (TOPCO), California Asiatic
Oil Co. (CALASIATIC) v. Libya, v. 19.1.1977 (Schiedsrichter Dupuy), I.L.R. 53 (1979), 389 = Yb.
Com.Arb. 4 (1979), 177 (Konzessionsvertrag mit Libyen. Die Stabilisierungsklausel verletzte nicht
die Souveränität); Libyan American Oil Co. (LIAMCO) v. Libya, v. 12.4.1977 (Schiedsrichter Mah-
massani), I.L.R. 62 (1982), 40 = Yb.Com.Arb. 6 (1981), 89 (Konzessionsvertrag mit Libyen. Die
Stabilisierungsklausel befand sich im Einklang mit der Unverletzlichkeit des Vertrages und der
Nicht-Rückwirkung von Gesetzen); Agip S.p.a. v. Gouvernement de la République Populaire du
Congo, v. 30.11.1979 (ICSID), Yb.Com.Arb. 8 (1983), 133 = Rev.crit.d.i.p. 71 (1982), 92 (Verstaatli-
chung. Stabilisierungsklausel verletzte nicht die Souveränität und war wirksam); Kuwait v. Ame-
rican Independent Oil Co. (AMINOIL), v. 24.3.1982 (Schiedsrichter Reuter), I.L.R. 66 (1984), 518 =
I.L.M. 21 (1982), 976 (Stabilisierungsklausel im Konzessionsvertrag anerkannt).

100 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.75 § 2

b) Kollisionsrechtliche Wirkung
Nach einer Resolution des Institut de droit international soll bei einem Versteinerungswillen 2.72
der Parteien das abgeänderte oder aufgehobene Recht grundsätzlich als Vertragsbestimmung
weitergelten, es sei denn, dass die Abänderung oder Aufhebung durch zwingende Normen
erfolgt wäre1.
Problematisch ist aber, ob sich die Parteien auch weitergehend von den Fesseln der staatlichen 2.73
Rechtsordnung befreien können, d.h. ob die „Versteinerung“ auch als kollisionsrechtliche Ver-
weisung möglich ist2. Dabei wird die bezeichnete Rechtsordnung lediglich in ihrem „versteiner-
ten“ Rechtszustand gewählt, was später erlassene Vorschriften der lex causae bestimmen, soll un-
erheblich sein. Hierfür spricht die von Art. 3 Rom I-VO in größtmöglicher Weise gewährte Frei-
heit der Rechtswahl. Allerdings konzentriert sich bei der Versteinerung die Rechtswahl nur auf
eine Rechtsordnung. Ein bestimmter Ausschnitt aus ihr soll auf kollisionsrechtlichem Wege in-
tertemporal fixiert werden. Anders als bei der nachträglichen Rechtswahl geht es nicht um die
Wahl unter mehreren Rechtsordnungen. Es werden auch nicht, wie bei der Teilverweisung für
verschiedene Rechtsfragen, einzelne Rechtsregeln unterschiedlicher Herkunft ausgeschlossen
oder miteinander kombiniert. Stattdessen findet eine Art Teilung innerhalb der gewählten Rechts-
ordnung statt. Die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen, welche das Fundament für die nach-
trägliche und teilweise Rechtswahl bildet, kann daher kaum als Argument ins Feld geführt wer-
den. Vielmehr wird der Vertrag über das Gesetz gestellt. Das Kollisionsrecht würde eine Lösung
ermöglichen, die in keiner der berührten Rechtsordnungen so zulässig wäre. Auch die Freiheit
der Rechtswahl ist aber, wie Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO zeigen, nicht grenzenlos. Die Verstei-
nerungsklausel kann sich daher nur materiell-rechtlich im Rahmen der lex causae auswirken.
Auch eine Stabilisierungsklausel ist vielfach nicht als kollisionsrechtliche Rechtswahl angese- 2.74
hen worden. Die lex causae, d.h. gegebenenfalls das aufgrund objektiver Anknüpfung bestimm-
te Recht, entscheidet über ihre Wirkung3. Eine gewisse Eingrenzung wird dann erreicht, wenn
man die Stabilisierungsklausel in erster Linie als intertemporale Rechtswahl (sog. statische kol-
lisionsrechtliche Verweisung) versteht4. Zunächst wird eine ausländische Rechtsordnung als lex
causae gewählt. Das intertemporale, nicht das internationale Privatrecht dieser lex causae ent-
scheidet sodann über die Zulässigkeit der Verweisung. Ist die Stabilisierung aber nach dieser
Rechtsordnung zulässig, so soll es dabei trotz etwaiger späterer Rechtsänderungen bleiben.

9. Offenlassen der Rechtswahl im Prozess


Da das Kollisionsrecht nach deutscher Auffassung in allen Verfahrensstadien von Amts wegen 2.75
anzuwenden ist, gilt dies auch für die Art. 3 ff. Rom I-VO5. Es gibt allerdings Fälle, in denen

1 Art. 8 Baseler Resolution des Institute de Droit international von 1991, IPRax 1991, 429 m. Bericht
Jayme = RabelsZ 56 (1992), 560 (547) (Bericht Rigaux) = Ann.Inst.Dr.int. 64 II (1992), 382. Krit.
Bericht Schwind, ZfRV 33 (1992), 101 (106).
2 So Sandrock, FS Riesenfeld, S. 211 (220 ff.); Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27. – Ablehnend
von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 201; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 51; Wendland in
BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 114 (Stand 1.6.2021).
3 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 202.– Abl. für das EVÜ Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287
(303). Anders Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 28.
4 S. Merkt, S. 186 ff.
5 Vgl. BGH v. 7.4.1993 – XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305 = EWiR 1993, 671 (Otte); BGH v.
21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027; BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/
98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306) = NJW-RR 1999,
813; OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329.

Martiny | 101
§ 2 Rz. 2.75 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auf die Ermittlung des Schuldstatuts deshalb verzichtet werden kann, weil alle in Betracht
kommenden Rechtsordnungen zum gleichen Ergebnis führen. Ein Gericht darf aber selbst-
verständlich nur dann feststellen, nach deutschem und ausländischem Recht greife etwa ein
Anspruch nicht durch, wenn das ausländische materielle Recht auch wirklich ermittelt und
geprüft worden ist1.

2.76 Ist eines der in Betracht kommenden Rechte das deutsche, so hält die Rechtsprechung eine
wahlweise Feststellung für die Berufungsinstanz für unzulässig2. Grund dafür ist die für Aus-
landsrecht ausgeschlossene Revisibilität (vgl. §§ 545, 560 ZPO)3. Dagegen ist bei rechtlichen
oder tatsächlichen Zweifeln das Offenlassen in erster Instanz unbedenklich und bei den Revi-
sionsgerichten häufig4. Ebenso ist es zulässig, die Frage, welche von zwei Kollisionsnormen
anzuwenden ist, offen zu lassen, wenn beide zum gleichen Recht führen5.

II. Stillschweigende Rechtswahl


1. Maßgeblichkeit des Parteiwillens
2.77 Fehlt ein ausdrücklich geäußerter Parteiwille, so kann gleichwohl eine stillschweigende
Rechtswahl vorliegen, an die dann anzuknüpfen ist (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO)6. Sie ist
vertraglicher Natur und erfordert eine tatsächliche Willensübereinkunft (d.h. einen realen
Parteiwillen), während bei der objektiven Anknüpfung gerade keine rechtsgeschäftliche Eini-
gung vorliegt7. Folglich geht es hier um eine ergänzende Vertragsauslegung, nicht um eine
objektive Interessenabwägung8.

2.78 Die stillschweigende Rechtswahl kann als anfängliche Rechtswahl bereits zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses oder später als nachträgliche Rechtswahl getroffen werden. In beiden Fällen
ergibt sie sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles oder aus typischen Umständen.
Zur Ermittlung des tatsächlichen Willens sind alle Umstände in Betracht zu ziehen9. Für eine
bestimmte Rechtswahl spricht insbesondere eine Häufung aussagekräftiger Indizien. Da diese
teilweise die gleichen sind wie die bei der objektiven Anknüpfung, sind die Grenzen zwischen

1 BGH v. 16.6.1969 – VII ZR 119/67, IPRspr. 1968/69 Nr. 3 = WM 1969, 1140.


2 Zu dieser Streitfrage von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 328.
3 Dazu BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = ZIP 2013, 2173 = NJW 2013, 3656; BAG
v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, RIW 2020, 702 Anm. Mankowski (m. Aufs. Benecke, RdA 2020, 366).
– Krit. von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 335 f.
4 Z.B. BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, IPRspr. 1980 Nr. 41 = ZIP 1981, 31 = WM 1981, 32
(Gläubigeranfechtung); BGH v. 25.1.1991 – V ZR 258/89, IPRspr. 1991 Nr. 3 = NJW 1991, 2214
(Grundstückskauf).
5 von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 328.
6 Stillschweigende Rechtswahl erkennt auch an Art. 5 der Haager Principles on Choice of Law in
International Commercial Contracts von 2015.
7 Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Zum EVÜ Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (309). – Erklärungs-
bewusstsein verlangt Hartenstein, Die Privatautonomie im IPR (2000), S. 116 ff.
8 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 32.
9 BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, IPRspr. 1997 Nr. 27 = RIW 1997, 426; BGH v. 14.1.1999 – VII
ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = RIW 1999, 537 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax
2001, 306); BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936. – S. zu
einer sachrechtlichen Vereinbarung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung EuGH v. 14.7.2016 –
C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wen-
delstein = IPRax 2017, 396 m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356.

102 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.81 § 2

beiden fließend1. Früher wurde oft nicht ernsthaft geprüft, ob die Parteien überhaupt einen
bewussten Rechtswahlwillen hatten und diesen auch äußern wollten2. Dagegen verlangt Art. 2
des Haager Kaufrechtsabk. vom 15.6.1955, dass sich der stillschweigende Parteiwille aus „élé-
ments décisifs“ oder „unzweifelhaft“ aus den Umständen ergibt. Art. 116 Abs. 2 schweiz.
IPRG fordert sogar, dass die Rechtswahl „eindeutig“ ist.

Nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO muss sich die Rechtswahl „eindeutig“ (clearly demonstrated; 2.79
de façon certaine; früher nur mit „reasonable certainty“ bzw. „hinreichender Sicherheit“) „aus
den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben“3. Daher genü-
gen vage Anhaltspunkte nicht; vielmehr muss sich die Rechtswahl mit Bestimmtheit ergeben4.
Die Berücksichtigung eines bloß hypothetischen, nicht zum Ausdruck gelangten Willens ist
ausgeschlossen5. Es müssen konkrete Umstände ersichtlich sein, die für einen realen Parteiwil-
len sprechen6. Nur durch eine Prüfung sowohl der objektiven Umstände als auch der subjekti-
ven Voraussetzungen kann verhindert werden, dass eine stillschweigende Vereinbarung – die
allzu oft auf die lex fori bezogen wird – vorschnell bejaht wird. Nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO
dürfte eine nahezu absolute Sicherheit erforderlich sein. Der Wortlaut der Vorschrift lässt
auch zu, dass sich die Umstände aus Fakten ergeben, die außerhalb des Vertrages liegen7.

Die Maßstäbe für die Auslegung des stillschweigenden Parteiwillens sind direkt aus Art. 3 2.80
Abs. 1 Rom I-VO zu entwickeln. Insofern kommt es zu keinem Vorgriff auf die (möglicher-
weise) vereinbarte Rechtsordnung oder zu einem Rückgriff auf die Sachnormen der lex fori8.
Fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine stillschweigende Rechtswahl, so ist das
Vertragsstatut aufgrund objektiver Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO zu ermitteln. Eine
Zwischenstufe ist nicht vorgesehen9. Die Ermittlung des konkludenten Parteiwillens darf auch
nicht mit der Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO vermischt wer-
den10.

Eine stillschweigende Vereinbarung einer Rechtsordnung, nach welcher der Vertrag nichtig 2.81
ist, ist nicht grundsätzlich auszuschließen11. Kennen die Vertragsparteien diese Folge, so gilt
dies jedenfalls dann, wenn sie auf die Einhaltung der beiderseitigen Verpflichtungen vertraut
haben. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn den Parteien die Formungültigkeit des
Hauptvertrages bewusst war12. Hierfür spricht, dass der Verweisungsvertrag nicht von den

1 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (116 f.).


2 Vgl. Kreuzer, IPR des Warenkaufs, S. 54 ff.
3 Dazu Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1799); Wagner, IPRax 2008, 377 (379).
4 Dies betonte schon Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (303 f.).
5 Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Ebenso bereits Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981),
215 (243); Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (309 f.); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 13.
6 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Solomon, ZVglRW 115 (2016), 586 (588).
7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 137 ff. (Stand 1.6.2021).
8 S. schon OLG Hamburg v. 4.10.2001 – 6 U 122/99, IPRspr. 2001 Nr. 45 = TranspR 2002, 120;
BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, NZA 2008, 761 = RIW 2008, 644. – Vgl. Jayme, FS Lorenz
(1991), S. 435 (438); E. Lorenz, RIW 1992, 697 ff.
9 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 32. Krit. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (80).
10 Dies verkennt etwa OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31.
11 Ebenso OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484
(Grundstückskauf).
12 BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 (193) = IPRspr. 1970 Nr. 10 (Vorvertrag über den
Verkauf einer in den Niederlanden gelegenen Eigentumswohnung zwischen zwei Deutschen.
Deutsches Recht wegen stillschweigender Vereinbarung angewendet; Vertrag formnichtig wegen

Martiny | 103
§ 2 Rz. 2.81 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Nichtigkeitsgründen des Hauptvertrages berührt wird (Rz. 2.15), die oftmals dem Schutz einer
Partei dienen. Denn „wer ein Recht wählt, wählt dessen Schutz“1.

2. Hinweise auf den stillschweigenden Willen


a) Indizwirkung
2.82 Da die stillschweigende Rechtswahl gerade nicht ausdrücklich erfolgt ist, muss sie bestimmten
tatsächlichen Umständen (Indizien) entnommen werden. Solche Hinweise können sich ein-
mal aus einzelnen Vertragsbestimmungen, also Formulierungen, Klauseln etc., zum anderen
aber auch aus sonstigen Tatsachen, z.B. dem Verhalten der Parteien, sowie bestimmten Be-
gleitumständen des Vertragsschlusses bzw. der Vertragsabwicklung ergeben2. Der VO-Entw.
2005 nannte das Verhalten der Parteien noch gesondert. Da es aber ohnehin umfasst wird
und diese Erweiterung zu neuen Zweifeln führen könnte, wurde sie wieder gestrichen3. Gewis-
se äußere Umstände haben als Hinweis auf den stillschweigenden Parteiwillen in der Recht-
sprechung seit langem besondere Bedeutung erlangt4. Als typische Umstände, die auch nach
geltendem Recht bedeutsam sind, sind anerkannt:
2.83 – Die Vereinbarung eines einheitlichen Gerichtsstandes oder Schiedsgerichts sowie eines ge-
meinsamen Erfüllungsortes (s. Rz. 2.86 ff. bzw. Rz. 2.92 f.);
– übereinstimmendes Prozessverhalten hinsichtlich des anzuwendenden Rechts (Rz. 2.100 ff.);
– Verweisung auf Vorschriften eines bestimmten Rechts oder Bezugnahme auf Usancen
(Rz. 2.111);
– die Benutzung von AGB oder Formularen, die auf einer Rechtsordnung aufbauen
(Rz. 2.117 f.).

2.84 Auch dass die Parteien ihre Beziehungen früher einem bestimmten Recht unterworfen haben,
kann als Indiz für ihren Willen berücksichtigt werden (Rz. 2.124). Ferner kommen, meist in
Zusammenhang mit anderen Hinweisen auf eine Rechtsordnung, als schwache Indizien der
Ort des Vertragsabschlusses5, die Vertragswährung6 und -sprache in Betracht. Die lex rei sitae
kann bei Grundstücksgeschäften von Bedeutung sein. – Über Relevanz und Gewicht dieser
Hinweise im Einzelnen s. bei Rz. 2.252 ff.

§ 311b [früher § 313] BGB); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, BGHZ 73, 391 = NJW 1979, 1773
(Privatschriftlicher Kauf eines span. Grundstücks. Stillschweigende Wahl deutschen Rechts ange-
nommen, wonach Formnichtigkeit des Kaufvertrages eintrat, die jedoch in analoger Anwendung
von § 311b Abs. 1 S. 2 [früher § 313 S. 2] BGB geheilt wurde).
1 Kegel/Schurig, S. 657. – Einschränkend aufgrund der lex validitatis-Regel Abend, S. 297 ff.
2 Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (379).
3 Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Krit. zur Streichung Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687
(1698 ff.).
4 Näher dazu Steiner, S. 81 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 49 ff.; Wendland in
BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 141 ff. (Stand 1.6.2021).
5 BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (1937); BAG v.
15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 44 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Ar-
beitsvertrag); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 174 (Stand 1.6.2021).
6 BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 46 = RIW 2017, 233 = NZA 2017,
502 (Arbeitsvertrag).

104 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.86 § 2

Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob eine stillschweigende Rechtswahl rechtsfehlerhaft 2.85
angenommen wurde. Hierfür ist insbesondere die Verletzung anerkannter Auslegungsregeln,
Denkgesetze oder Erfahrungssätze oder die Außerachtlassung wesentlichen Auslegungsstoffs
von Bedeutung1. Ist dagegen eine solche Auslegung des Vertrages möglich, so bindet sie das
Revisionsgericht2.

b) Gerichtsstandsklausel
Während der VO-Entwurf noch ausdrücklich (und zu weitgehend) anordnete, dass die Verein- 2.86
barung eines Gerichtsstandes in einem Mitgliedstaat die Wahl seines Rechts vermuten lasse3,
heißt es nunmehr nur noch im Erwägungsgrund 12, dass eine Vereinbarung zwischen den Par-
teien, dass ein Gericht oder mehrere Gerichte eines Mitgliedstaats für Streitigkeiten aus einem
Vertrag ausschließlich zuständig sein sollen, bei der Feststellung, ob eine Rechtswahl eindeutig
getroffen wurde, einer der zu berücksichtigenden Faktoren sein sollte4 (näher zu Gerichts-
standsvereinbarungen Rz. 7.1 ff.). Die vertragliche Vereinbarung eines einheitlichen und aus-
schließlichen Gerichtsstandes ist ein sehr starker Hinweis – aber auch nicht mehr – auf das
Recht dieses Gerichts5. Die Parteien gehen normalerweise davon aus, das als zuständig verein-
barte Gericht werde am besten sein eigenes Recht anwenden und sie beabsichtigen daher auch
die Geltung dieses Rechts oder rechnen doch damit. Eine Gerichtsstandsvereinbarung spricht
daher regelmäßig für eine stillschweigende Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO6. Da-
bei sollte es keinen Unterschied machen, ob sich der Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat be-
findet oder nicht7. Fakultativer oder optionaler Gerichtsstand reichen nicht aus8. Es genügt

1 BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = NJW-RR 1997, 686.
2 BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170 = NJW 1968, 1572; BGH v. 3.3.1976 –
VIII ZR 251/74, IPRspr. 1976 Nr. 134 = RIW 1976, 447 (448); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77,
BGHZ 73, 391 = IPRspr. 1979 Nr. 7 = NJW 1979, 1773; BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98,
IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000,
1115 Anm. Sandrock; BAG v. 10.4.1975 – 2 AZR 128/74, IPRspr. 1975 Nr. 30b = RIW 1975, 521.
3 Vgl. Lando/Nielsen, J. PIL 2007, 29 (34 f.); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532 f.); Mankowski,
IHR 2008, 133 (134). – Krit. dazu Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (335).
4 Dazu Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-67); Wagner, IPRax 2008, 377 (379).
5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 142 f. (Stand 1.6.2021). – Art. 5 S. 2 der Haager
Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 stellt ausdrücklich
klar, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung einer Rechtswahl nicht gleich kommt.
6 BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, IPRspr. 1991 Nr. 171 = NJW 1991, 1420 (Konnossement); BGH v.
13.6.1996 – IX ZR 172/95, IPRspr. 1996 Nr. 36 = IPRax 1998, 108 (m. Aufs. Ahrens IPRax 1998,
93) = ZIP 1996, 1291 = NJW 1996, 2569; OLG Hamburg v. 15.10.1992 – 6 U 229/91, IPRspr. 1992
Nr. 67 = TranspR 1993, 111; OLG Frankfurt v. 18.3.1997 – 5 U 229/95, ZIP 1997, 1782 = IPRspr.
1997 Nr. 33 = RIW 1998, 477; BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 741/13, RIW 2014, 691 = IPRax 2015,
342 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2015, 309); Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (310 f.); Ughetto,
Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 63 (64); Kropholler, IPR, S. 460; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO
Rz. 7. Ebenso Plender/Wilderspin, Rz. 6.039; Heiss in Czernich/Heiss, Art. 3 EVÜ Rz. 10. – Vgl.
auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Eine Gerichtsstandsklausel allein lässt nicht ausreichen
E. Lorenz, RIW 1992, 697 (702). Zusätzliche Indizien verlangt auch Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80
(1991), 287 (303).
7 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624).
8 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 149 (Stand
1.6.2021).

Martiny | 105
§ 2 Rz. 2.86 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auch nicht, wenn der Gerichtsstand nicht vereinbart, sondern nur auf einer Rechnung benannt
wird1.

2.87 Überhaupt muss eine Vereinbarung vorliegen. Ist sie nicht oder nicht gültig zustande gekom-
men, so kann sie bei der Ermittlung des Parteiwillens nicht berücksichtigt werden2. Daher be-
deutet es keinen Hinweis auf die Geltung deutschen Rechts, wenn der Kläger in Deutschland
Klage erhebt, obwohl er nach einer (nicht ausschließlichen) Gerichtsstandsvereinbarung auch
im Ausland hätte klagen können3. Man wird aber die Ursache der Unwirksamkeit nicht außer
Acht lassen können. Ist noch ein Konsens vorhanden, so kann Indizwirkung bestehen4.

2.88 Zu beachten ist, dass eine Gerichtsstandsklausel stets nur ein Hinweis auf den stillschweigen-
den Parteiwillen ist5. Sprechen andere Bestimmungen des Vertrages oder die Gesamtheit der
Umstände dagegen, so kann die Gerichtsstandsvereinbarung durchaus einmal außer Betracht
bleiben6. Die Rechtsprechung hat einer Gerichtsstandsvereinbarung insbesondere dann keine
Bedeutung zugemessen, wenn sie erst nach Vertragsschluss erfolgte7.

2.89 Fraglich ist, ob die Parteien mit der Änderung einer ursprünglich getroffenen Gerichtsstands-
vereinbarung auch eine Änderung des gewählten Rechts durch nachträgliche Rechtswahl vor-
nehmen8. Man wird dies von den Umständen des Einzelfalles abhängig machen. Grundsätz-
lich ist es aber möglich, weil hier die gleichen Erwägungen wie für die ursprüngliche Verein-
barung gelten.

2.90 Wird vereinbart, dass eine Partei wahlweise an einem von mehreren Gerichtsständen klagen
könne, dann ist dies kein Indiz für das anzuwendende Recht. Es muss vielmehr – mangels
anderer Anhaltspunkte für einen stillschweigenden Parteiwillen – der Schwerpunkt des

1 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 77. – Ebenso schon BGH v. 7.5.1969 – VIII ZR 142/68,
IPRspr. 1968/69 Nr. 31 = DB 1969, 1053 (Lieferung [Holz] von Brüssel nach Deutschland. Ein nur
formularmäßiger Gerichtsstandsvermerk [„lieu de juridiction“] auf Fakturen des Verkäufers ge-
nügt nicht).
2 OLG Hamm v. 26.2.2004 – 2 U 195/02, IPRspr. 2004 Nr. 36 (formungültige Gerichtsstandsverein-
barung); Mankowski, IPRax 2015, 309 (310 f.). – Ebenso für fehlende Indizwirkung von Schieds-
klauseln von Hülsen, AWD 1967, 267. Berücksichtigt, obwohl ohne rechtl. Wirkung von Hessi-
sches LAG v. 19.12.2012 — 6 Sa 728/12, IPRspr. 2012 Nr. 70.
3 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 14; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 78. – Anders
offenbar BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, ZIP 1986, 366 = IPRax 1986, 292 (m. abl. Aufs. Schack,
IPRax 1986, 272).
4 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 145 (Stand 1.6.2021).
5 S. BAG v. 5.5.1955 – 2 AZR 55/53, IzRspr. 1954–57 Nr. 115 = JZ 1955, 512 (Arbeitsvertrag mit
Kaliwerkleiter in der DDR; Gerichtsstand Berlin; Anwendung der Berliner Pensionsbestimmungen
als am Gerichtsort geltendes Recht kommt nicht in Betracht, „weil die Parteien zur Zeit des Ver-
tragsabschlusses an eine Spaltung des Rechts in Deutschland noch gar nicht gedacht haben“.).
6 KG v. 22.6.1994 – Kart U 939/94, IPRspr. 1994 Nr. 21b = VuR 1995, 35 (Gerichtsstand Hamburg,
AGB dän. Ferienhausanbieters). S. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49.
7 So schon vor dem EVÜ BAG v. 13.5.1959 – 1 AZR 258/57, BAGE 7, 362 = IPRspr. 1958/59 Nr. 51
(Leiter der Regensburger Zweigstelle der österreich. Donaudampfschifffahrtsgesellschaft; nachträg-
liche Gerichtsstandsvereinbarung [Wien] nicht berücksichtigt); OLG Düsseldorf v. 29.9.1970 – 6
U 230/69, IPRspr. 1970 Nr. 15 = WM 1971, 168 (170) (Stahlblechlieferung aus den USA nach
Deutschland; spätere Vereinbarung der Zuständigkeit der Düsseldorfer Gerichte. US-amerikan.
Recht angewendet).
8 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (120).

106 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.92 § 2

Rechtsverhältnisses ermittelt werden1. Entsprechend ist es, wenn die Gerichte am Sitz des je-
weiligen Beklagten zuständig sein sollen2. Gerichtsstandsvereinbarungen können auch mit ei-
nem Wahlrecht eines Teiles hinsichtlich des anwendbaren Rechts verbunden sein3.

Dass die Parteien ihre vertraglichen Beziehungen dem Recht unterstellen wollen, das in dem 2.91
Land gilt, in dem die für ihre Streitigkeiten gewählte rechtsprechende Gewalt ihren Sitz hat,
nimmt auch die schweizerische Rechtsprechung an4. Allerdings wird die Gerichtsstandsver-
einbarung vielfach nur als eines unter mehreren Indizien angesehen5.

c) Schiedsklausel
Literatur: Lüthge, Die kollisionsrechtliche Funktion der Schiedsgerichtsvereinbarung (1975); Thomas,
Arbitration Agreements as a Signpost of the Proper Law, LMCLQ 1984, 141.
Große Bedeutung kommt der Vereinbarung eines Schiedsgerichts zu (näher zur Vereinbarung 2.92
Rz. 7.202 ff.). Häufig stellen (nationale und internationale) Verbände ständige Schiedsgerichte
zur Verfügung. In solchen Fällen besteht ein starker Hinweis auf das am Sitz des Schieds-
gerichts geltende Recht, der regelmäßig die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl
rechtfertigt6. Im Hinblick darauf wird im internationalen Handel häufig auf eine ausdrück-
liche Rechtswahl verzichtet7.

1 S. bereits BGH v. 3.7.1959 – I ZR 184/57, IPRspr. 1958/59 Nr. 53 (Filmauswertungsvertrag; Ge-


richtsstand des Kl. nach Wahl in Rom oder München; deutsches Recht wegen übereinstimmenden
Prozessverhaltens angewendet); LG Freiburg v. 6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A
(Alleinvertriebsvertrag. Zuständigkeit französ., aber nach Wahl des Kl. auch deutschen Gerichts;
es komme darauf an, bei welchem Gerichtsstand das Schwergewicht liege; französ. Recht ange-
wendet).
2 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934.
3 S. etwa OLG Bremen v. 16.11.1967 – 2 U 82/67, IPRspr. 1966/67 Nr. 221 (Frachtvertrag, dessen
eine Klausel lautete: „Alle Streitigkeiten sind nach finn. oder deutschem Recht durch die Gerichte
des betreffenden Landes nach Wahl des Verfrachters zu entscheiden.“).
4 Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 41; Kren Kostkiewicz in Zürch-
Komm, Art. 116 IPRG Rz. 58.
5 Schweiz. BG v. 11.2.2005, BGE 131 III 289 (292 f.); Vischer/Huber/Oser, Rz. 172.
6 S. BGH v. 19.12.1968 – VII ZR 83 u. 84/66, IPRspr. 1968/69 Nr. 254 = AWD 1970, 31; OLG Düs-
seldorf v. 19.3.1996 – 20 U 178/94, IPRspr. 1996 Nr. 121 = ZUM 1998, 61 (Lizenzvertrag; deut-
sches Recht); OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, IPRspr. 1978 Nr. 189 = RIW 1979, 482
Anm. Mezger (Geschäftsbedingungen des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V. und Hinweis
auf das Schiedsgericht des Waren-Vereins); OLG Hamm v. 25.1.1993 – 8 U 250/91, IPRspr. 1993
Nr. 30 = NJW-RR 1993, 1445 (poln. Schiedsgericht; poln. Recht); BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/
73, IPRspr. 1974 Nr. 42b = DB 1975, 63 (Arbeitsvertrag mit malays. Tochtergesellschaft; Verein-
barung Hamburger Schiedsgericht; stillschweigende Wahl deutschen Rechts); Deutsches See-
schiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohnvereinbarung; deut-
sches Recht); Schiedsgericht Hamburger freundschaftliche Arbitrage v. 29.12.1998, IPRspr. 1998
Nr. 214 = RIW 1999, 394; SchiedsG Handelskammer Hamburg v. 21.3.1996 – ((k.Az.)), IPRspr.
1996 Nr. 212a = NJW 1996, 3229; Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (310 f.); von Bar/Mankowski,
IPR II, § 1 Rz. 131; Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 15; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-
VO Rz. 7. Ebenso Plender/Wilderspin, Rz. 6.032 ff.; vgl. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Zu-
rückhaltender E. Lorenz, RIW 1992, 697 (702).
7 Vgl. Deutscher Rat für IPR, RabelsZ 1959, 151 ff. – Art. 5 S. 2 der Haager Principles on Choice of
Law in International Commercial Contracts von 2015 stellt aber ausdrücklich klar, dass eine
Schiedsvereinbarung einer Rechtswahl nicht gleich kommt.

Martiny | 107
§ 2 Rz. 2.93 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.93 Grund dafür ist, dass nationale institutionelle Schiedsgerichte häufig das Recht ihres Ta-
gungsortes anwenden. Da das den Parteien regelmäßig bekannt ist, kann der Schiedsklausel
eine stillschweigende Rechtswahl entnommen werden. Nach a.A. ist dies eine Fiktion. Die
Schiedsklausel soll keine Bedeutung für den Parteiwillen haben, sondern nur subsidiär zu be-
rücksichtigen sein, wenn auch eine anderweitige objektive Anknüpfung des Vertrages nicht
möglich ist1. Diese Auffassung findet jedoch in den Art. 3 ff. Rom I-VO keine Stütze. Richtiger
als die Schiedsklausel lediglich als subsidiären objektiven Anknüpfungspunkt zu beachten,
dürfte sein, in ihr einen starken Hinweis auf eine (subjektive) Rechtswahl zu sehen und nach-
zuprüfen, ob dem der tatsächliche Parteiwille entspricht2. Nach deutschem Zivilprozessrecht
hat das Schiedsgericht mangels Rechtswahl auf die engste Verbindung abzustellen (§ 1051
Abs. 2 ZPO; vgl. Rz. 7.462).

2.94 Die Vereinbarung eines bestimmten Schiedsgerichts kann jedoch andere Gründe haben als die
stillschweigende Wahl des Rechts des Forums. Daher wird diese Regel dann durchbrochen,
wenn die Schiedsklausel keinen Zusammenhang mit den sonstigen Vertragsmodalitäten oder
der Frage des anwendbaren Rechts erkennen lässt. Dies ist u.U. der Fall, wenn das streitige
Rechtsverhältnis zu einem anderen Land eine sehr starke, zum Recht des Schiedsverfahrens
aber sonst keine Beziehung hat3. Dafür gibt es aber kaum Beispiele4.

2.95 Eine Rechtswahl ist nicht anzunehmen, wenn der Tagungsort des Schiedsgerichts im Ermes-
sen der Parteien oder des Schiedsgerichts liegt, wenn mehrere Orte zur Wahl stehen oder das
schiedsgerichtliche Verfahren jeweils am Sitz der beklagten Partei stattfinden soll5. Keinen
Hinweis gibt auch die Vereinbarung der Zuständigkeit der IHK in Paris6. Das Schiedsgericht
der Internationalen Handelskammer in Paris entscheidet die ihm unterbreiteten Rechtsstrei-
tigkeiten nicht nach französischem Recht, sondern dem aufgrund der Grundsätze des IPR zu
ermittelnden nationalen Recht7.

2.96 Die von der IHK empfohlene Standard-Schiedsklausel sieht vor, dass die sich aus dem Ver-
trag ergebenden Streitigkeiten nach der Vergleichs- und Schiedsgerichtsordnung der IHK von
einem oder mehreren Schiedsrichtern endgültig entschieden werden (s. Rz. 7.500). Hinsicht-
lich der „bei der Sachentscheidung anwendbaren Rechtsregeln“ bestimmt die IHK-Schieds-
gerichtsordnung von 2012 idF von 2021 in Art. 21 Abs. 1:
„Die Parteien können die Rechtsregeln, die das Schiedsgericht bei der Entscheidung in der Sache über
die Streitigkeit anwenden soll, frei vereinbaren. Fehlt eine solche Vereinbarung, so wendet das Schieds-
gericht diejenigen Rechtsregeln an, die es für geeignet erachtet.“

1 Lüthge, S. 158 ff.


2 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–064 (je nach den Umständen).
3 Mezger, AWD 1964, 204; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 154 (Stand 1.6.2021). –
Zum engl. Recht Thomas, LMCLQ 1984, 141 ff.; Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–062 ff.
4 S. Compagnie Tunisienne de Navigation S.A. v. Compagnie d’Armement Maritime S.A., [1971] A.
C. 572, 590, 600, HL (1970) (Öltransportvertrag zwischen tunes. und französ. Gesellschaft. Die
vorgenommene Wahl eines Schiedsgerichts in London allein hätte noch nicht die Anwendung
französ. Rechts ausgeschlossen, zu dem der Vertrag die engsten Beziehungen aufwies. Wegen aus-
drücklicher Rechtswahl französ. Recht angewendet).
5 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 81.
6 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-064; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 81. – Ebenso für das
Schiedsgericht der deutsch-französ. Handelskammer OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86,
IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 652; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 158 (Stand
1.6.2021).
7 S. OLG Stuttgart v. 23.5.1960 – 2 U 3/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 25 = AWD 1960, 246.

108 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.100 § 2

Der Schiedsrichter ist also nicht an die Art. 3 ff. Rom I-VO gebunden, vielmehr wendet er das 2.97
Recht an, welches er für geeignet (appropriate; appropriée) hält. Die angewendete Kollisions-
norm wird häufig aufgrund einer vergleichenden Betrachtung des internationalen Vertrags-
rechts der im konkreten Fall berührten Länder sowie der Staatsvertragspraxis ermittelt1. Im
Einzelnen sind viele Fragen des anwendbaren materiellen Rechts und Kollisionsrechts in der
Schiedsgerichtsbarkeit noch ungelöst2 (vgl. Rz. 7.438 ff.).

Nehmen die Parteien auf einen Vertrag Bezug, den eine von ihnen mit einem Dritten ge- 2.98
schlossen hat, und ist in diesem eine Schiedsklausel enthalten, so soll diese Klausel ihre Indiz-
wirkung für eine stillschweigende Rechtswahl auch zwischen ihnen entfalten. Die stillschwei-
gende Rechtswahl wird inkorporiert3.

Der Schiedsklausel kommt diese Bedeutung jedenfalls dann nicht zu, wenn sie zwischen den 2.99
(zweiten) Vertragspartnern unwirksam ist4. Entscheidend für die stillschweigende Rechtswahl
ist nämlich ihre Schiedsvereinbarung. Ist sie aber ungültig, dann ist sie auch nicht zu berück-
sichtigen. Wollte man anders entscheiden, so käme es nicht auf die Vereinbarung an, sondern
auf das bloße Faktum der Bezeichnung in- oder ausländischer Schiedsrichter5.

d) Verhalten im Rechtsstreit
Literatur: Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten im deut-
schen, österreichischen und schweizerischen IPR (1986); Mansel, Kollisions- und zuständigkeitsrecht-
licher Gleichlauf der vertraglichen und deliktischen Haftung, ZVglRW 86 (1987), 1; Schack, Keine
stillschweigende Rechtswahl im Prozess!, IPRax 1986, 272.
Gehen die Parteien während des Rechtsstreits übereinstimmend von der Anwendung eines 2.100
bestimmten Rechts aus, so ist das ein starker Hinweis auf dieses Recht6. Dies gilt nicht nur für

1 Umfangreiche Nachw. bei Lorenz, FS Neumayer, S. 407 (414 ff.). Zu Bestrebungen, den Schieds-
richtern genauere Regeln an die Hand zu geben, s. Lando, Conflict-of-Law Rules for Arbitrators,
FS Zweigert (1981), S. 157.
2 S. dazu etwa Derains, Possible Conflict of Laws Rules and the Rules Applicable to the Dispute in
Sanders (Hrsg.), UNCITRAL’s Project for a Model Law on International Commercial Arbitration
(Deventer 1984), S. 169; Lando, The Law Applicable to the Merits of the Dispute in Lew (Hrsg.),
Contemporary Problems in International Arbitration (London 1986), S. 101 = Arb.Int. 2 (1986),
104; Blackaby in Redfern and Hunter on international arbitration, 6. Aufl. (Oxford 2015); Wagner,
Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahren, FS Schumann (2001), S. 535.
3 BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 41b = AWD 1967, 108 (Anspruch des engl.
Verfrachters gegen den deutschen Empfänger auf Liegegeld. Verfrachter und Befrachter schlossen
einen Chartervertrag, in dem u.a. ein Londoner Schiedsgericht vereinbart wurde. Auf den Char-
tervertrag nahmen die Konnossemente in vollem Umfang Bezug. Da dadurch die Rechtsbeziehun-
gen des Verfrachters zum Empfänger entsprechend denen zwischen Verfrachter und Befrachter
gestaltet wurden, wurde engl. Recht angewendet).
4 S. von Hülsen, AWD 1967, 267 (268); a.A. wohl BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64 (vorige Fn.).
Fehlende Indizwirkung nur bei Willensmängeln nach Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO
Rz. 156 (Stand 1.6.2021).
5 Anders als hier auch OLG Hamburg v. 8.5.1969 – 6 U 189/68, IPRspr. 1971 Nr. 158a = WM 1969,
709 (711): Vereinbarung eines jugoslaw. Schiedsgerichts war auch ohne gültigen Schiedsvertrag
eine stillschweigende Rechtswahl.
6 BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 47 = RIW 2017, 233 = NZA 2017,
502 (Arbeitsvertrag); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 17.
Anders von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 37, die dem Prozessverhalten lediglich eine das Vorbringen
einschränkende Präklusionswirkung zugestehen.

Martiny | 109
§ 2 Rz. 2.100 | Bestimmung des Vertragsstatuts

die lex fori1, spielt aber hauptsächlich für die Anwendung deutschen Rechts eine Rolle. Ins-
besondere aus einer Argumentation auf dem Boden des BGB bzw. des HGB wird häufig der
Schluss gezogen, dass die Parteien die Geltung deutschen Rechts vereinbart haben2. Eine sol-
che Rechtswahl ist möglich, muss sich allerdings „eindeutig“ aus den Umständen ergeben3.
Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Parteien die Anwendbarkeit deutschen Rechts
während des Rechtsstreits „übereinstimmend und ohne Vorbehalt“4 zugrunde gelegt haben.
Dritte kann sie jedenfalls nicht binden5.

2.101 Die Bezugnahme kann in der ausdrücklichen Erklärung liegen, dieses Recht solle anwendbar
sein, aber auch im bloßen Anführen von Vorschriften einer Rechtsordnung. So herrschend
diese Regel auch ist, so dürftig erscheint oft die übliche Begründung, dass im Prozessverhal-
ten ein starker Hinweis auf den anfänglichen (oder nachträglichen) Willen der Parteien liege,
sich diesem Recht zu unterstellen6. Im Anwaltsprozess ist dies – selbst wenn die Prozessvoll-
macht die Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen deckt7 – zuweilen eine reine
Fiktion8. Bei der Vertretung durch einen Anwalt im Prozess hängt die Wirksamkeit einer still-
schweigenden Rechtswahl nämlich auch von der Vertretungsmacht ab9.

2.102 Nach geltendem Recht genügt das Prozessverhalten als solches nicht für eine objektive An-
knüpfung. Es begründet keine enge Verbindung i.S.d. Art. 4 Rom I-VO10. Demnach kann das
Prozessverhalten lediglich für eine stillschweigende und damit rechtsgeschäftliche Rechtswahl
nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO von Bedeutung sein11. Z.T. wird verlangt, dass die Rechts-

1 BGH v. 17.1.1966 – VII ZR 54/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 5 (französ. Recht); OLG Hamburg v.
10.11.1989 – 14 U 111/88, IPRspr. 1989 Nr. 233b (niederländ. Recht); OLG Hamm v. 13.10.1998 –
19 U 59/98, IPRspr. 1998 Nr. 158 = RIW 1999, 787 (Minnesota).
2 ZB BGH v. 18.1.1988 – II ZR 72/87, BGHZ 103, 84 (86) = IPRspr. 1988 Nr. 18 = ZIP 1988, 358 =
NJW 1988, 1592 (Edelmetallkauf); BGH v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, IPRspr. 1990 Nr. 44 =
NJW 1991, 1292 (Warenkauf); BGH v. 28.1.1992 – XI ZR 149/91, IPRspr. 1992 Nr. 30 = NJW 1992,
1380 = ZIP 1992, 475 (Scheck); BGH v. 5.10.1993 – XI ZR 200/92, IPRspr. 1993 Nr. 43 = ZIP 1993,
1706 = IPRax 1994, 452 (m. krit. Aufs. Straub, IPRax 1994, 432) (Wechsel); BGH v. 20.9.1995 – VIII
ZR 52/94, BGHZ 130, 371 = IPRspr. 1995 Nr. 31; BGH v. 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140, 167
= IPRspr. 1998 Nr. 48 = MDR 1999, 355 m. Anm. van Bühren = NJW 1999, 950; OLG Düsseldorf v.
11.11.1993 – 18 U 102/93, IPRspr. 1993 Nr. 46; OLG Düsseldorf v. 11.11.1993 – 18 U 44/93, RIW
1994, 774 = IPRax 1995, 402 Bericht Kronke (Straßengütertransport); LG Berlin v. 19.3.1996 – 102
O 261/95, IPRspr. 1996 Nr. 32 = IPRax 1998, 97 (m. Aufs. Gebauer, IPRax 1998, 79).
3 Zum früheren Recht Sandrock, RIW 1986, 841 (847 f.); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703).
4 So BGH v. 6.3.1995 – II ZR 37/94, IPRspr. 1995 Nr. 143 = IPRax 1996, 264 (m. Aufs. Schack,
IPRax 1996, 247) = WM 1995, 859 (861) (Zeitchartervertrag); OLG Hamburg v. 1.12.2016 – 6 U
145/14, IPRspr. 2016 Nr. 94 = TranspR 2018, 395 (Seefrachtvertrag). Dagegen verlangt grundsätz-
lich ein Abweichen von einer früheren ausdrücklichen Rechtswahl oder einen früheren gericht-
lichen Hinweis Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (313).
5 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285 (Vertrag zugunsten
Dritter).
6 Vgl. Flessner, RabelsZ 34 (1970), 547 (566); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 82.
7 Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (13).
8 Ein zu geringes Problembewusstsein konstatiert OLG Köln v. 2.10.1992 – 19 U 28/92, ZIP 1992,
1482 = IPRax 1994, 213 (m. zust. Aufs. Piltz, IPRax 1994, 191).
9 Dazu Schack, NJW 1984, 2736 (2739); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 83.
10 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 162.
11 Piltz, IPRax 1994, 191 (193). Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.6.1992 – 6 U 235/91, ZIP 1992, 1460 =
IPRspr. 1992 Nr. 35 (LS) = WM 1992, 1898 (abweichende nachträgliche Rechtswahl). S. auch
Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (8 f.).

110 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.106 § 2

anwendung im Prozess ausdrücklich zur Sprache gekommen ist1. Wünschenswert ist jeden-
falls, dass die Frage der Rechtsanwendung dem Gebot richterlicher Aufklärung entsprechend
(vgl. § 139 ZPO) zur Sprache gebracht wird.

Zurückhaltend ist auch das Schweizerische Bundesgericht, das in der übereinstimmenden Be- 2.103
rufung der Parteien auf ein Recht eine stillschweigende Rechtswahl nur dann sieht, wenn wei-
tere Umstände eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen2. Notwendig nach ihm ist insbeson-
dere – wie auch sonst für eine Rechtswahl –, dass beide Parteien im Bewusstsein, dass die
Frage des anwendbaren Rechts sich stellt, den Willen äußern, ihre Beziehungen einem be-
stimmten Recht zu unterwerfen. Dies kommt einer nachträglichen Rechtswahl (Rz. 2.126)
gleich.

Da die Berufung auf ein bestimmtes Recht nicht selten aus Unkenntnis oder aufgrund der 2.104
Annahme der zwingenden Geltung dieses Rechts erfolgt, ist bedeutsam, ob sich das Gericht
auch über übereinstimmendes Prozessverhalten der Parteien hinwegsetzen kann. Dies ist im-
mer dann möglich, wenn die Einigung nicht bindend ist. Bindend ist sie aber nur, wenn sie
nicht nur Ausdruck der Überzeugung, sondern des Willens der Parteien ist3. Liegt ein Wille
der Parteien vor, so handelt es sich um eine reale Rechtswahl. Andernfalls ist nur eine – mög-
licherweise irrige – Rechtsansicht geäußert worden4.

Einen zuverlässigen Schluss aus dem Prozessverhalten kann man auch nur dann ziehen, wenn 2.105
die Frage des anwendbaren Rechts überhaupt nicht streitig gewesen ist und die Parteien,
„ohne den mindesten Zweifel zu äußern“, von der Anwendung eines Rechts ausgingen. Ist
einmal Streit darüber entstanden, so wird man – außer wenn es später zu einer wirklichen
Einigung kommt – das Prozessverhalten der Parteien nicht mehr berücksichtigen können5.
Eine vorsorgliche Argumentation auf der Basis deutschen Rechts genügt für eine stillschwei-
gende Rechtswahl keinesfalls6.

Praktische Bedeutung gewinnt das Prozessverhalten vor allem dann, wenn die Parteien an der 2.106
widerspruchslosen Hinnahme der Anwendung eines bestimmten (meist des deutschen)
Rechts festgehalten werden. Früher hat man für die Revisionsinstanz vielfach angenommen,

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532).


2 S. schweiz. BG v. 27.4. 2004, BGE 130 III 417 (423). – Vgl. auch Amstutz/Wang/Silvan Gohari in
Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 44; Kren Kostkiewicz in ZürchKomm, Art. 116 IPRG Rz. 50 ff.
3 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 82; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 179
(Stand 1.6.2021).
4 BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjel-
land, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000, 115 Anm. Sandrock („beiderseitiger Ge-
staltungswille“ für nachträgliche Änderung der Rechtswahl verlangt); OLG Köln v. 26.6.1986 – 1
U 12/86, NJW 1987, 1151 (Erörterung der Forderungsabtretung nach deutschem Recht in der ers-
ten Instanz nicht als Rechtswahl – die aber ohnehin nicht wirksam gewesen wäre – gewertet. Fran-
zös. Recht angewendet); OLG Düsseldorf v. 18.12.2008 – 5 U 88/08, 5 U 88/08, NJW-RR 2009,
1380 (Argumentation mit deutschem Recht für in Türkei abgegebenes Schuldanerkenntnis); E. Lo-
renz, RIW 1992, 697 (702); Kropholler, IPR, S. 300, 460. – Näher Schack, NJW 1984, 2736
(2737 ff.).
5 S. BGH v. 7.5.1969 – VIII ZR 142/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 31 = WM 1969, 772; LG Freiburg v.
6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A, S. 113 f.
6 Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (11 ff.). – Anders BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, NJW-RR 1986,
456 = ZIP 1986, 366 = IPRax 1986, 292 (m. abl. Aufs. Schack, IPRax 1986, 272) (Obwohl in der
Berufungsbegründung gerügt wurde, dass nicht – wie vereinbart – österreich. Recht angewendet
worden war, stillschweigende Wahl deutschen Rechts durch Prozessverhalten angenommen).

Martiny | 111
§ 2 Rz. 2.106 | Bestimmung des Vertragsstatuts

die Parteien hätten sich von Anfang an oder doch im Laufe des Rechtsstreits auf die Anwen-
dung deutschen Rechts geeinigt1. Bei Fehlen einer wirklichen Rechtswahl ist es aber vor dem
Tatrichter selbst noch möglich, sich auf ein anderes Recht zu berufen2. Mangels entsprechen-
der Parteivereinbarung kann das Berufungsgericht daher ein anderes Recht anwenden als das
erstinstanzliche Gericht3.

2.107 Manchmal hat man einer Partei aber bereits in der Berufungsinstanz verwehrt, sich nunmehr
auf eine andere Rechtsordnung zu stützen4.

e) Einheitlicher Erfüllungsort
2.108 Nach Art. 3 ff. Rom I-VO kann die Vereinbarung eines gemeinsamen Erfüllungsortes oft als
stillschweigende Wahl des dort geltenden Rechts gewertet werden5 (zur Erfüllungsortverein-
barung s. Rz. 7.65). Haben die Parteien einen bei gegenseitigen Verträgen einheitlichen Erfül-
lungsort vereinbart, so ist nämlich daran zu denken, dass sie damit eine Vereinbarung über
das anwendbare Recht treffen wollten6. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn weitere
Umstände in dieselbe Richtung weisen7. Gleiches gilt, wenn der vereinbarte Erfüllungsort mit
dem Ort, an dem tatsächlich geleistet werden soll, nichts zu tun hat. Hat z.B. eine Berliner
Baufirma den Bau eines Tunnels in Rumänien übernommen und ist dabei Berlin als Erfül-
lungsort vereinbart, so ist darin eine Rechtswahl zu sehen8. Deutsches Recht ist dann Schuld-
statut, nicht wegen subsidiärer Anknüpfung an den Erfüllungsort, sondern an den stillschwei-
genden Parteiwillen9. Zur Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO s.
Rz. 3.195 ff.

2.109 Als selbständiger Anknüpfungspunkt kommt der Erfüllungsort nicht mehr in Frage10. Er
kann allenfalls als Einzelumstand für die enge Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO in
Betracht kommen.

2.110 Dagegen war der Erfüllungsort früher nach ständiger Rechtsprechung ein eigenständiger, sub-
sidiärer Anknüpfungspunkt, wenn sich ein hypothetischer Parteiwille nicht ermitteln ließ,

1 S. BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, IPRspr. 1984 Nr. 121 = NJW 1984, 2762 = ZIP 1984, 1405 =
IPRax 1985, 221 (Anm. Kötz, IPRax 1985, 205).
2 OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 7 U 122/67, IPRspr. 1973 Nr. 6 = AWD 1973, 558 (In erster Instanz
wurde auf der Basis deutschen Rechts argumentiert. Berufungsgericht wandte US-amerik. Recht
an).
3 OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329.
4 OLG Hamburg v. 2.10.1969 – 6 U 10/69, IPRspr. 1968/69 Nr. 48A = VersR 1970, 1125 (einseitiger
Übergang von deutschem zu belg. Recht nicht mehr gestattet); OLG Hamburg v. 21.7.1977 – 6 U
30/77, IPRspr. 1977 Nr. 40 = VersR 1978, 918 (Bezugnahme auf deutsches Recht in der ersten
Instanz wurde als bindend angesehen). Unklar: OLG Köln v. 12.5.1975 – 1 U 183/74, OLGZ 1975,
454 = IPRspr. 1975 Nr. 12 = RIW 1976, 373 (trotz Versuchs, von deutschem zu italien. Recht zu
kommen, auf ursprüngliche Wahl deutschen Rechts geschlossen).
5 Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7. Bedenklich ist es, der bloßen Versendung eines Gutach-
tens in das Land des Auftraggebers Bedeutung beizumessen, so aber OLG Köln v. 26.8.1994 – 19
U 282/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1994, 970 (Vertrag mit schweiz. Werkunternehmer).
6 Kropholler, IPR, S. 460. – Unentschieden von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 35.
7 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 34; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 96.
8 Beispiel aus Raape, S. 485. Zust. insoweit Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (311).
9 Vgl. auch Kreuzer, IPR des Warenkaufs, S. 203 ff.
10 Schröder, IPRax 1987, 90 (91).

112 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.112 § 2

d.h. ein Überwiegen eines von mehreren widersprechenden Hinweisen nicht feststellbar war1.
Diese Rechtsprechung ist überholt.

f) Bezugnahme auf ein Recht


Die Verwendung von juristisch-technischen Klauseln deutet auf das Recht hin, auf das diese 2.111
Klauseln abgestellt sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestimmte Rechtsbegriffe oder für
ein Recht typische Klauseln verwendet werden2. Weisen die Formulierungen jedoch nicht auf
typische ausländische Rechtseinrichtungen hin, sondern können sie ebenso gut als analoger
sprachlicher Ausdruck für auch dem deutschen Recht geläufige Einrichtungen angesehen wer-
den, so haben sie keine Aussagekraft3. Gleiches gilt, wenn der Klausel nur eine isolierte Bedeu-
tung zukommt4.

Nehmen die Parteien auf einzelne Vorschriften eines bestimmten Rechts Bezug, so wird im 2.112
Regelfall eine stillschweigende Rechtswahl anzunehmen sein5. Dies gilt auch bei der Verwen-
dung von AGB6. Allerdings wird insofern teilweise die „Eindeutigkeit“ der Rechtswahl bezwei-
felt7. Doch kann die Bezugnahme auf die deutsche VOB eine stillschweigende Wahl deutschen
Rechts sein8. Darin kann eine Vereinbarung deutschen Rechts für das gesamte Vertragsver-
hältnis und nicht nur für die Gewährleistung liegen9. Ähnlich deutet die Bezugnahme auf ein-

1 Näher zur Überwindung dieser auf Savigny zurückgehenden Auffassung Schwander, Zur heutigen
Rolle des Erfüllungsortes im IPR, Conflits et harmonisation – Mélanges von Overbeck (Fribourg
1990), S. 681 ff.
2 BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, IPRspr. 2003 Nr. 30 = NJW 2003, 2605 = ZIP 2003, 1388
(Begriffe deutschen Bürgschaftsrechts); OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 =
RIW 1993, 415 (Kauf niederländ. Grundstücks in von niederländ. Notar angefertigtem Kaufver-
tragsformular dem niederländ. Recht unterstellt).
3 BGH v. 22.11.1955 – I ZR 218/53, BGHZ 19, 110 = IPRspr. 1954/55 Nr. 22.
4 OLG Hamburg v. 4.10.2001 – 6 U 122/99, IPRspr. 2001 Nr. 45 = TranspR 2002, 120 (US-ame-
rikan. Versicherungsbedingungen und engl. „to-follow“-Klausel. Deutsches Recht angewendet).
5 BGH v. 10.5.1996 – V ZR 154/95, IPRspr. 1996 Nr. 34 = NJW-RR 1996, 1034 (deutsches WEG);
BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = RIW 1999, 537 = EWiR 1999, 353 (Wen-
ner) (deutsche VOB); OLG Düsseldorf v. 26.10.1995 – 18 U 27/95, IPRspr. 1995 Nr. 54 = TranspR
1996, 152; OLG Saarbrücken v. 11.06.2015 – 4 U 109/14, IPRspr. 2015 Nr. 29 (Darlehen; franz.
Verbraucherrecht); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 91 (nur bei Eindeutigkeit).
6 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, IPRspr. 1996 Nr. 160 = NJW 1997, 397 = ZIP 1996, 2184
(deutsches Bürgschaftsformular); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 12. – Die Rechtspre-
chung hat mehrfach dän. Ferienhaus-AGB nach deutschem Recht beurteilt, da diese Bedingungen
den Anforderungen des deutschen Rechts genügen wollten; s. AG Rostock v. 4.2.1997 – 45 C 114/
95, IPRspr. 1997 Nr. 30 = RRa 1997, 163; AG Hamburg v. 7.7.1999 – 17A C 88/99, IPRspr. 1999
Nr. 121 = NJW-RR 2000, 352.
7 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 93. – Eine nur „beiläufige“ Nennung einer slowakischen
Bestimmung hielt für nicht ausreichend OLG Oldenburg v. 28.2.2012 – 13 U 67/10, IHR 2013, 63
Anm. Magnus = IPRax 2014, 434 (m. krit. Aufs. Sonnenberger, IPRax 2014, 400) = IPRspr. 2012
Nr. 29. Nicht genügend Hinweis in AGB auf deutsche Beförderungsbedingungen, öOGH v.
24.4.2020 – 7 Ob 184/19p, ZfRV 2020, 182 m. zust. Anm. Ofner.
8 BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski,
IPRax 2001, 306) = RIW 1999, 537; BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, IPRspr. 2003 Nr. 30 =
NJW 2003, 2605 = ZIP 2003, 1388; OLG Hamm v. 20.1.2004 – 21 U 102/02, IPRspr. 2004 Nr. 18 =
NJOZ 2004, 1357; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 12.
9 BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = WM 2015, 53 = NJW-RR 2015, 302.

Martiny | 113
§ 2 Rz. 2.112 | Bestimmung des Vertragsstatuts

zelne Artikel des Code civil auf die Wahl französischen Rechts hin1. Wird deutsches Tarifver-
tragsrecht zugrunde gelegt, spricht dies für die Geltung deutschen Arbeitsrechts2.
2.113 Dies gilt dann nicht, wenn sich die angezogenen Normen ohnehin zwingend durchsetzen und
ihre Erwähnung die Frage nach dem privatrechtlichen Vertragsstatut unberührt lässt3. Dies ist
etwa bei einer Bezugnahme auf zwingende Preisvorschriften4 oder auf deutsches Mutter-
schutzrecht5 der Fall.
2.114 Vor allem in englischer Sprache abgefasste Verträge enthalten häufig eine Interpretationsklau-
sel, wonach der Vertrag im Sinne einer bestimmten Rechtsordnung ausgelegt werden soll (sog.
construction clause). Formulierungen wie „shall be construed in accordance with German
law“, „are to be construed in accordance with English law“ haben nicht nur (sachrechtliche)
Bedeutung für die Auslegung des Vertrages, sondern weisen auf die Rechtsordnung hin, wel-
cher der Vertrag kollisionsrechtlich unterstehen soll. Im Regelfall ist daher die in Bezug ge-
nommene Rechtsordnung anzuwenden, ohne dass noch zusätzliche Hinweise auf eine Wahl
dieses Rechts vorliegen müssten6.
2.115 Jedenfalls im Verhältnis zu England und den USA dürfte eine solche „construction clause“
wohl stets eine ausdrückliche Rechtswahl bedeuten7 und nicht bloß eine stillschweigende Ver-
einbarung darstellen8.

g) Vertragssprache
2.116 Die Sprache allein, in der die Vertragsverhandlung geführt und ein schriftlicher Vertrag abge-
schlossen worden ist, gibt nur einen schwachen Hinweis auf die Rechtsordnung, in deren Gel-
tungsbereich diese Sprache Vertragssprache ist9. Regelmäßig kann dem Gebrauch der deut-

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. S. auch BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 =
IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000,
1115 Anm. Sandrock („Vergleich i.S.d. Art. 2044 ff. Code civil“; französ. Recht).
2 S. BAG v. 7.7.1960 – 2 AZR 483/59, IPRspr. 1960/61 Nr. 26 = AP Nr. 2 zu § 124 GewO (Zimmer-
polier in Indien); BAG v. 4.8.1960 – 2 AZR 447/58, IPRspr. 1960/61 Nr. 27 (Bezugnahme auf die
deutsche Tarifordnung für Filmschaffende). – Entsprechend für die stillschweigende Vereinbarung
US-amerikan. Rechts BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, IPRspr. 2001 Nr. 52 = IPRax 2003, 258
(m. Aufs. Franzen, IPRax 2003, 239) = NZA 2002, 734.
3 Vgl. BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (Nichtverein-
barung von HOAI irrelevant); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 146 (Sozialrecht).
4 Wenner, Internationale Architektenverträge, Baurecht 1993, 257 (269).
5 BAG v. 9.5.1959 – 2 AZR 474/58, BAGE 7, 357 = IPRspr. 1958/59 Nr. 50 (SAS-Angestellter in
Deutschland; Bezugnahme auf deutsches Mutterschutzrecht, Sozialversicherungs- und Feiertags-
recht unmaßgeblich).
6 Schröder, Auslegung und Rechtswahl, IPRax 1985, 131 f.
7 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 89; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 160
(Stand 1.6.2021). – Ebenso zum engl. Recht W. Lorenz, IPRax 1989, 24. Eine ausdrückliche Wahl
kaliforn. Rechts nimmt auch an OLG München v. 25.2.1988 – 29 U 2759/86, IPRspr. 1988 Nr. 155 =
IPRax 1989, 42 (m. zust. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1989, 22).
8 So E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7. – S. aber OLG
München v. 22.6.1983 – 7 U 5522/82, IPRspr. 1983 Nr. 129b = IPRax 1984, 319 (m. zust. Anm.
Jayme, IPRax 1984, 303) (Liefervertrag. „This agreement shall be construed under the laws of the
State of Iowa“ (nur) als stillschweigende Vereinbarung des Rechts von Iowa gewertet).
9 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98. – Bedeutungslos für die objektive Anknüpfung nach
LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95, IPRspr. 1997 Nr. 31; LG Hamburg v. 18.2.1999 – 302
S 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 30 = RIW 1999, 391.

114 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.117 § 2

schen Sprache kein stillschweigender Parteiwille entnommen werden1, insb. dann, wenn die
Sprache am Sitz beider Parteien gesprochen wird2. Zwar führen die Gerichte die Vertragsspra-
che häufig unterstützend an3. Selbst für die objektive Anknüpfung ist der Wert dieses Kriteri-
ums aber begrenzt4. Zudem kann bei Berücksichtigung der Sprache leicht die Grenze zur Phi-
lologie überschritten werden (vgl. OLG Düsseldorf 29.9.1970: „Die Parteien haben den Ver-
trag in englischer Sprache geschlossen und sich dabei der amerikanischen Rechtschreibung
[favor] bedient“5).

h) Formulare und Allgemeine Geschäftsbedingungen


Bei Formularen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen treffen verschiedene Umstände 2.117
zusammen: die Benutzung einer Sprache sowie für ein Recht typischer Klauseln, Verwen-
dung und Aufstellung des Formulars durch einen Vertragspartner oder eine Organisation.
Häufig hat die Partei, die ein Formular für ihre Vertragsabschlüsse bereithält (etwa eine
Versicherungsgesellschaft), dieses Formular selbst entworfen. Die Verwendung dieses For-
mulars kann dann die stillschweigende Vereinbarung des am Niederlassungsort geltenden
Rechts bedeuten6. Oft stammt das Formular aber auch von einer Handelskammer oder ei-
nem Verband und baut auf einer nationalen Rechtsordnung auf. Dann deutet die Verwen-
dung des Formulars auf das Recht dieses Verbandes hin7. Im Übrigen wird häufig ange-
nommen, das am Ort des Unternehmens geltende Recht sei auch als Vertragsrecht gewollt8.
In der Regel wird daher eine stillschweigende Rechtswahl anzunehmen sein9. Das gilt

1 OLG Koblenz v. 8.9.2000 – 11 U 288/00, IPRspr. 2000 Nr. 130 = VuR 2001, 257 Anm. Mankowski;
KG v. 6.3.2003 – 2 U 198/01, ZIP 2003, 1538 = IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093.
2 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285; BAG v. 15.12.2016 –
6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 43 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag).
3 So etwa für die stillschweigende Rechtswahl BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000
Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 1115 Anm. San-
drock (Vergleich in französ. Sprache); OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996
Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484; OLG Karlsruhe v. 21.2.2006 – 15 U 5/04, IPRspr. 2006 Nr. 8 (LS) =
TranspR 2007, 203; KG v. 21.2.2008 – 19 U 60/07, NJW-RR 2009, 195 (Teppichkauf in deutscher
Sprache).
4 Vgl. Siehr in Reichelt, S. 69 (75); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64.
5 WM 1971, 168 (170) = IPRspr. 1970 Nr. 15.
6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Ebenso OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, IPRspr. 1994
Nr. 140 = RIW 1994, 877 (Warenkauf); Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-060. Zurückhaltender
Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (312).
7 AG Rostock v. 4.2.1997 – 45 C 114/95, IPRspr. 1997 Nr. 30 = RRa 1997, 163; von Bar/Mankowski,
IPR II, § 1 Rz. 144; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 34. Grundsätzlich ablehnend und nur bei zu-
sätzlichen Indizien Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 16.
8 S. von Hoffmann, AWD 1970, 247 (248).
9 OLG Karlsruhe v. 30.3.1979 – 15 U 153/78, IPRspr. 1979 Nr. 159 = RIW 1979, 642 (LS) (Bestel-
lung des ausländ. Käufers auf Formular des deutschen Verkäufers. Stillschweigende Vereinbarung
deutschen Rechts); OLG Hamburg v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, IPRspr. 1985 Nr. 36 = RIW 1986,
462 (Österreich. Verkäufer schließt Vertrag mit deutschem Käufer auf der Grundlage der Auf-
tragsbedingungen des Verbandes deutscher Exporteure. Deutsches Recht angewendet). Anders
OLG Hamburg v. 29.10.1958 – 5 U 25/58, IPRspr. 1958/59 Nr. 43 = AWD 1958, 249 (deutsch-
französ. Kauf [Graugerste]). Aus der Verwendung eines bestimmten Formulars [deutsch-nieder-
länd. Vertrag Nr. 3] allein könne kein Schluss auf das anwendbare Recht gezogen werden. Wegen
deutschen Schiedsgerichts deutsches Recht angewendet).

Martiny | 115
§ 2 Rz. 2.117 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auch dann, wenn die AGB ihrerseits auf die Geschäftsbedingungen eines nationalen Ver-
bandes verweisen1.

2.118 Werden die deutschen Allgemeinen Spediteurbedingungen (ADSp) vereinbart (dazu näher
Rz. 31.8 ff.), so spricht das für eine stillschweigende Wahl deutschen Rechts2. Wird dagegen
auf ausländische Speditionsbedingungen Bezug genommen, so kommt ausländisches Recht
zur Anwendung3. Von Bedeutung kann auch die Bezugnahme auf Standards wie die deut-
schen DIN-Normen sein4. Zu beachten ist allerdings, dass es sich um technische Standards
handeln kann, welche ohnehin als Erfüllungsmodalitäten i.S.d. Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO oder
Sicherheitsregeln nach Art. 17 Rom II-VO einzuhalten sind. Dann ist die Bezugnahme auf sie
nur ein schwaches Indiz für eine stillschweigende Rechtswahl5.

2.119 Teilweise gleiche Ergebnisse werden erzielt, wenn eine stillschweigende Rechtswahl zwar nicht,
wohl aber eine objektive Kollisionsnorm des Inhalts angenommen wird, dass Massenverträge
dem Recht des Sitzes des Unternehmens unterstehen, welches sie ständig abschließt6. Solche
auf Uniformität gerichteten Erwägungen finden zwar ihren Platz bei der objektiven Anknüp-
fung, können aber eine stillschweigende Rechtswahl nicht ausschließen.

2.120 Genügen kann auch eine formularmäßige Bezugnahme auf einen anderen Vertrag zwi-
schen einer Partei und einem Dritten. Eine in diesem Vertrag liegende stillschweigende
Rechtswahl wird damit in die nunmehrigen vertraglichen Beziehungen inkorporiert7.

1 OLG Köln v. 26.6.1986 – 1 U 12/86, IPRspr. 1986 Nr. 38 = NJW 1987, 1151 (Bezugnahme auf AGB,
die ihrerseits auf die Richtlinien der französ. Damenbekleidungsindustrie verwiesen. Stillschweigen-
de Vereinbarung französ. Rechts). – S. bereits BGH: v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, IPRspr. 1960/61
Nr. 40 = JZ 1963, 167 (Für Kauf [Aprikosenkerne] Formular der General Produce Broker’s Associa-
tion verwendet. Engl. Recht angewendet); BGH v. 19.12.1968 – VII ZR 83 u. 84/66, IPRspr. 1968/69
Nr. 254 = AWD 1970, 31 (Warenlieferung ins Ausland aufgrund Geschäftsbedingungen des Waren-
vereins der Hamburger Börse. Vereinbarung deutschen Rechts angenommen); BGH v. 3.3.1976 –
VIII ZR 251/74, IPRspr. 1976 Nr. 134 = RIW 1976, 447 (Alleinverkauf von Deutschland nach Bel-
gien. Vereinbarung deutschen Rechts wegen AGB des deutschen Unternehmers).
2 BGH v. 25.10.1995 – I ZR 230/93, IPRspr. 1995 Nr. 53 = TranspR 1996, 118; OLG München v.
29.10.1982 – 23 U 2110/82, RIW 1983, 957; OLG Hamburg v. 28.9.1989 – 6 U 88/89, 6 U 89/89,
IPRspr. 1989 Nr. 193 = RIW 1991, 61; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 161 (Stand
1.6.2021). – Nach ADSp 2017 Nr. 30.1 gilt ausdrücklich deutsches Recht.
3 LG Frankfurt v. 14.6.1968 – 3/3 O 24/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 41 = AWD 1969, 233 (schweiz.
Recht); LG München I v. 24.11.1998 – 16 HKO 21973/97, IPRspr. 1998 Nr. 50 = TranspR 1999,
300 (österreich. Recht).
4 Pulkowski, IPRax 2001, 306 (309); anders Freitag in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Aufl.
2012, Rz. P 17.
5 Mankowski in Leible, Grünbuch, S. 63 (77 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 162
(Stand 1.6.2021).
6 Vgl. Vischer/Huber/Oser, Rz. 200.
7 RG v. 24.11.1928 – I 68/28, RGZ 122, 316 = IPRspr. 1929 Nr. 61 (Anspruch des engl. Verfrachters
gegen den Empfänger auf außergewöhnliche Löschkosten. Im Konnossement wurde Bezug ge-
nommen auf die Bestimmungen des Chartervertrages zwischen Befrachter und Verfrachter. Da
auf diesen Vertrag engl. Recht anzuwenden war, sollte es auch für die Haftung des Empfängers
gegenüber dem Verfrachter gelten); BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 41b =
AWD 1967, 267 (Liegegeldanspruch des Verfrachters gegen den Empfänger. Wegen Bezugnahme
auf den Chartervertrag im Konnossement, für den stillschweigend engl. Recht galt, auch auf die
Beziehungen zwischen Verfrachter und Empfänger engl. Recht angewendet). Vgl. von Hülsen,
AWD 1967, 267.

116 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.125 § 2

Sind mehrere Verträge wirtschaftlich verbunden und liegen einem von ihnen Allgemeine Ge- 2.121
schäftsbedingungen zugrunde, so bedeutet dies noch nicht notwendig einen Hinweis auch auf
das Recht des anderen Vertrages (zum angelehnten Vertrag s. Rz. 2.235). Gelten etwa Liefer-
bedingungen für Einzellieferungen im Rahmen eines Alleinvertriebsvertrages, so lässt sich für
den zugrunde liegenden und vorher geschlossenen Vertriebsvertrag aus den Lieferbedingun-
gen allein noch nichts folgern1. Ob nämlich angesichts eines unerwünschten Zerreißens der
gegenseitigen Beziehungen dem Kauf oder dem agenturähnlichen Verhältnis2 für die erstrebte
einheitliche Anknüpfung das Übergewicht zugemessen wird, ist eine davon unabhängige Wer-
tungsfrage3, näher Rz. 37.150 ff.

Der Schluss aus der Verwendung von Formularen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen 2.122
darf also nicht dazu dienen, weitergehende kollisionsrechtliche Erwägungen zu verdecken.

Die Regel, dass das Recht der Partei maßgeblich ist, welche allgemein aufgrund des Formulars 2.123
kontrahiert, passt nicht auf Formulare von internationalen Organisationen. Das Gleiche
gilt, wenn es sich um international gebräuchliche Formulare handelt wie im Seeverkehr4. In
diesen Fällen sagt das Formular nichts über das anwendbare Recht aus5. Entsprechendes gilt,
wenn die international verwendeten Bedingungen die Frage des anwendbaren Rechts gerade
offen lassen wie die IATA-Beförderungsbedingungen6.

i) Vertragspraxis der Parteien


Die Tatsache, dass die Parteien einen früheren Vertrag einer bestimmten Rechtsordnung un- 2.124
terstellt oder ihn nach diesem Recht abgewickelt haben, kann ebenfalls einen Hinweis auf das
Vertragsstatut des späteren Vertragsverhältnisses geben. Aus der früheren Vertragspraxis
kann der Richter dann, wenn die tatsächlichen Umstände keine Änderung der Haltung der
Parteien erkennen lassen, annehmen, ihr Vertrag solle dem gleichen Recht unterliegen wie
früher7.

Ein weiterer Umstand ist die ausdrückliche Wahl des anzuwendenden Rechts für Rechtsbezie- 2.125
hungen ähnlicher Art zwischen den gleichen Parteien. Hier kann man annehmen, der in Fra-

1 Graupner, AWD 1970, 55.


2 Für letzteres Kren Kostkiewitsch in ZürchKomm, Art. 117 IPRG Rz. 193.
3 Anders OLG Frankfurt v. 21.3.1961 – 5 U 137/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 33 = AWD 1961, 236 (fran-
zös. Eigenhändler eines deutschen Unternehmens. Wegen der den Lieferungen zugrunde liegen-
den deutschen Lieferbedingungen deutsches Recht ohne weiteres auf den Eigenhändlervertrag an-
gewendet).
4 S. von Hoffmann, AWD 1970, 247 (249); a.A. Vischer/Huber/Oser, Rz. 201 bei regelmäßiger Ver-
wendung der Formularbedingungen.
5 So schon LG Hamburg v. 23.4.1954 – 62 O 31/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 34 = MDR 1954, 422 (See-
frachtvertrag. Verwendung eines engl.-amerikan. Formulars und die Benutzung der engl. Sprache
belanglos). Vgl. auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 92.
6 LG Hamburg v. 7.9.1977 – 5 O 24/77, IPRspr. 1977 Nr. 33 = RIW 1977, 652.
7 BGH v. 14.11.1996 – I ZR 201/94, IPRspr. 1996 Nr. 38 = NJW 1997, 1150; BGH v. 7.12.2000 – VII
ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (Architektenvertrag folgt der konkludenten
Wahl im Bauvertrag); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 152; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl
Rz. 13; Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49; Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-061. – Einschränkend, falls
die frühere Rechtswahl keine ausdrückliche war, Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (312).

Martiny | 117
§ 2 Rz. 2.125 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ge stehende Vertrag habe stillschweigend der gleichen Rechtsordnung unterstellt werden sol-
len1. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf den früheren Vertrag ausdrücklich verwiesen
wird2. Einzellieferungsverträge, die zur Ausfüllung eines Rahmenvertrages geschlossen wer-
den, können ebenfalls dem für den Rahmenvertrag gewählten Recht unterstehen3.

III. Nachträgliche Rechtswahl


Literatur: U. Bauer, Grenzen nachträglicher Rechtswahl durch Rechte Dritter im Internationalen Pri-
vatrecht (1992); Jaspers, Nachträgliche Rechtswahl im internationalen Schuldvertragsrecht (2002);
Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993); Spickhoff, Nachträgliche Rechtswahl,
IPRax 1998, 462.

1. Änderung der Rechtswahl


2.126 Die Wahl des anzuwendenden Rechts durch die Parteien kann sowohl im Augenblick des Ver-
tragsabschlusses als auch zu jedem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Rechtswahl kann jeder-
zeit durch eine Vereinbarung der Parteien geändert werden (ebenso wie das EVÜ Art. 3 Abs. 2
S. 1 Rom I-VO)4.

2.127 Kommen die Vertragsparteien überein, ihre Rechtsbeziehungen nicht mehr nach dem ur-
sprünglich von ihnen vereinbarten, sondern nach einem anderen Recht zu beurteilen, so liegt
darin eine Änderung der Rechtswahl. Eine solche Vertragsänderung ist wie jede andere Ände-
rung des materiellen Vertragsinhalts auch im Rahmen der Parteiautonomie zuzulassen5. Da
die Grenzen der Parteiautonomie betroffen sind, entscheiden, wie aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-
VO zu entnehmen ist, über die Zulässigkeit der Änderung die Kollisionsnormen der lex fori
(Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO). Die Änderung der Rechtswahl braucht daher weder vom Kollisions-
recht des ursprünglich noch von dem des später vereinbarten Rechts akzeptiert zu werden6.

2.128 Die nachträgliche Rechtswahl kann gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich, aber auch
stillschweigend erfolgen7. Sie ist mit ex nunc- oder mit ex tunc-Wirkung möglich8. Gewollt ist

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Ebenso für sukzessive Verträge Schnelle, S. 139 f. Vgl. auch Man-
kowski, FS Martiny, S. 449 (467).
2 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 170 (Stand 1.6.2021).
3 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34; LG Karlsruhe v. 10.11.1998 – O
149/97 KfH I, IPRspr. 1998 Nr. 35 = NJW-RR 1999, 1284; Mankowski, FS Martiny, S. 449 (466 f.).
4 Wagner, IPRax 2008, 377 (380); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 202 (Stand 1.6.2021).
5 So schon vor dem EVÜ BGH v. 6.12.1956 – VII ZR 39/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 23c = WM 1957,
132; OLG München v. 3.11.1988 – 24 U 814/87, IPRspr. 1988 Nr. 31 = RIW 1989, 650; Raape,
Nachträgliche Vereinbarung des Schuldstatuts, FS Boehmer (1954), S. 111 ff.; Schnitzer, Rec. des
Cours 1968 I, 541 (568 f.).
6 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 119; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 119. – S.
auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50.
7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 208 (Stand 1.6.2021). So schon BGH v. 19.1.2000 –
VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002,
30) = JZ 2000, 115 Anm. Sandrock; OLG Stuttgart v. 11.10.2006 – 5 U 108/06, IPRspr. 2006 Nr. 15
(LS) = WM 2007, 447.
8 Rückwirkung bejahten z.B. BGH v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, IPRspr. 1990 Nr. 44 = NJW
1991, 1292 (Kaufvertrag); OLG München v. 22.9.1993 – 7 U 2175/93, IPRspr. 1993 Nr. 48 =
TranspR 1993, 433 (Seefrachtvertrag). – Zulässigkeit einer ex tunc-Vereinbarung verneinend von
Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 176.

118 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.130 § 2

im Allgemeinen, dass die nachträgliche Rechtswahl auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses
zurückwirkt1. Dies ist auch die einfachste Lösung, welche eine intertemporale Rechtsspaltung
nach Möglichkeit vermeidet und die Probleme des Statutenwechsels auf ein Minimum redu-
ziert. Dass damit nachträglich Rechte und Pflichten der Parteien geändert werden können, ist
grundsätzlich hinzunehmen und zwingt nicht dazu, der Vereinbarung keine kollisionsrecht-
liche, sondern nur eine materiell-rechtliche Bedeutung beizumessen2. Allerdings ist eine Klar-
stellung in der Rechtswahlklausel nützlich, ob eine Rückwirkung (insb. auf den ursprüng-
lichen Vertragsschluss) beabsichtigt ist3.

Eine nachträgliche Rechtswahl ist auch dann zulässig, wenn die Parteien bei Vertragsschluss 2.129
eine Rechtswahl nicht getroffen haben und dies erst nachträglich tun. Auch insoweit gestattet
Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO eine Vereinbarung. Es handelt sich entweder um eine Klarstel-
lung der Rechtsordnung, von der die Parteien bei Abschluss des Vertrages ausgegangen sind,
oder um eine wirkliche Neuvereinbarung, eine Vertragsänderung4. In beiden Fällen ist die
nachträgliche Rechtswahl zu beachten und wirkt regelmäßig auf den Zeitpunkt des Vertrags-
schlusses zurück5. Eine solche Vereinbarung unterliegt den allgemeinen Voraussetzungen für
das Zustandekommen von Verträgen (s. Rz. 2.20 ff.), berührt aber eng die Berücksichtigung
des Prozessverhaltens der Parteien (s. Rz. 2.100 f.). Es gelten die gleichen Vorschriften wie für
eine ursprüngliche Rechtswahl (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO)6. Eine nachträgliche Rechtswahl er-
kennt auch das schweizerische Recht an (Art. 116 Abs. 3 schweiz. IPRG).

Welche Wirkungen die nachträgliche Rechtswahl für den Hauptvertrag äußert, lässt die 2.130
Rom I-VO ebenso offen wie die Frage der Rückwirkung7. Ist der Hauptvertrag unter dem zu-
erst gewählten Recht ungültig, dagegen nach dem später vereinbarten gültig, so besteht bis
zur späteren wirksamen Rechtswahl kein rechtsgültiger Vertrag. Sollte die nachträgliche
Rechtswahl ex tunc erfolgt sein, so ist der Vertrag aber als von Anfang an gültig zu behandeln.
Wird der Vertrag hingegen nach dem später gewählten Recht ungültig, so beeinträchtigt dies
die Wirksamkeit der Rechtswahl selbst nicht. Mit der nachträglichen Rechtswahl wird aber
der Hauptvertrag hinfällig8.

1 BGH v. 22.1.1997 – VIII ZR 339/95, IPRax 1998, 479 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax 1998, 462) = WM
1997, 1713 (interlokal); Thorn, IPRax 2002, 349 (361); Lüderitz, FS Keller, S. 459 (462); Steiner,
S. 71 f.; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I
Rz. 124; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 214 (Stand 1.6.2021). – Ebenso Art. 116
Abs. 3 S. 2 schweiz. IPRG. Anders OLG Frankfurt v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRspr. 1992 Nr. 31 =
IPRax 1992, 314; LG Essen v. 20.6.2001 – 44 O 144/00, IPRspr. 2001 Nr. 29 = RIW 2001, 943 =
IPRax 2002, 396 (m. Aufs. Krapfl, IPRax 2002, 380); W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (273).
2 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 115;
Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 202 (Stand 1.6.2021). – Anders aber von Bar/Man-
kowski, IPR II, § 1 Rz. 176.
3 Vorpeil, IWB 2020, 438 (446).
4 Vgl. OLG Hamburg v. 25.4.1996 – 6 U 208/95, IPRspr. 1996 Nr. 149 = TranspR 1996, 430.
5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 214 (Stand 1.6.2021). Ebenso bereits nach altem
Recht Gamillscheg, AcP 157 (1958/59), 303 (314); BAG v. 27.8.1964 – 5 AZR 364/63, IPRspr.
1964/65 Nr. 68 = NJW 1965, 319; OLG Bremen v. 26.8.1976 – 2 U 71/76, IPRspr. 1976 Nr. 8 =
VersR 1978, 277.
6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50.
7 Vgl. Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1982), 215 (245 f.)
8 Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (121).

Martiny | 119
§ 2 Rz. 2.131 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2. Formgültigkeit und Rechte Dritter


2.131 Eine besondere Regelung ist für die Formgültigkeit des Vertrages nach Art. 11 Rom I-VO und
die Rechte Dritter notwendig. Beide werden durch eine Änderung der Bestimmung des anzu-
wendenden Rechts nach Vertragsabschluss nicht berührt (Art. 3 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO). In-
soweit wird der Rechtszustand nach dem alten Statut respektiert. Der Vorbehalt bezüglich der
Form wird dann bedeutsam, wenn die neue lex causae die Formgültigkeit abweichend von
dem früher geltenden Recht beurteilt. Die nachträgliche Rechtswahl soll daher Zweifeln an
der Formgültigkeit des Vertrages vor der Vereinbarung entgegenwirken1. Stellt also das später
vereinbarte Recht strengere Anforderungen, so wird der Vertrag nicht nachträglich formnich-
tig2. War hingegen der Vertrag ursprünglich wegen Formmangels nichtig, so kann ihm die
nachträgliche Rechtswahl rückwirkend Wirksamkeit verleihen, wenn die neue lex causae ge-
ringere Anforderungen stellt; es kommt zu einer Heilung durch Statutenwechsel3.

2.132 Aufgrund des ursprünglichen Vertrages der Parteien können Dritte bereits Rechte erworben
haben (z.B. der Begünstigte aus einem Vertrag zugunsten Dritter, Bürge). Solche Rechtsposi-
tionen (rights of third parties; droits des tiers) sollen – ähnlich wie nach Art. 116 Abs. 3 S. 2
schweiz. IPRG – durch eine spätere Änderung der Rechtswahl nicht beeinträchtigt werden4.
Dies ist nach h.M. als Beeinträchtigungs- bzw. Verschlechterungsverbot zu verstehen5. Wie
es sich auswirkt, sagt die VO allerdings nicht. Für die Beurteilung ist zunächst ein Vergleich
zwischen der Rechtsstellung des Dritten nach der früher und nach der später vereinbarten
Rechtsordnung vorzunehmen. Genießt der Dritte nach der nachträglich vereinbarten Rechts-
ordnung eine schlechtere Rechtsstellung als nach dem früher vereinbarten Recht, so bleibt für
sein Verhältnis zu den Vertragsparteien das frühere Vertragsstatut maßgeblich; gegebenenfalls
hat die spätere Rechtswahl nur Wirkungen inter partes. Ihre Wirkungen werden kollisions-
rechtlich auf die Parteien des Hauptvertrages beschränkt6. Maßgeblich dafür ist der Gedanke,
dass sich die Position des Dritten nicht ohne seine Mitwirkung verschlechtern darf. Für den
Vergleich der Rechtspositionen stellen sich ähnliche Fragen wie nach dem Günstigkeitsprinzip
des Art. 8 Rom I-VO (s. Rz. 11.43).

2.133 Zwar ist unbestritten, dass die Rechtsposition des Dritten unter Rückgriff auf das jeweilige
Sachrecht zu bestimmen ist, doch ist weitgehend ungeklärt, wie sich kollisions- und sachrecht-
licher Schutz im Einzelnen zueinander verhalten. Auch welche Rechtspositionen Dritter ge-
schützt sind, ist nicht näher bestimmt. In Betracht kommen vor allem solche, welche sich di-
rekt aus einem Hauptvertrag ergeben (beispielsweise aus einem echten Vertrag zugunsten
Dritter7), aber auch solche, welche zwar auf einem eigenständigen Rechtsverhältnis beruhen,
jedoch vom Hauptvertrag beeinflusst werden (z.B. Bürge und Pfandgläubiger8).

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50.


2 Kropholler, IPR, S. 465; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 98; Magnus in Staudinger,
Art. 3 Rom I Rz. 126.
3 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 217 (Stand 1.6.2021).
4 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50.
5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 223 (Stand 1.6.2021). – S. zum EVÜ W. Bauer,
S. 115; Möllenhoff, S. 51 ff.
6 W. Bauer, S. 159; Möllenhoff, S. 134; Kropholler, IPR, S. 465.
7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 221 (Stand 1.6.2021). – Für unentziehbare Rechts-
positionen W. Bauer, S. 65 f. (110).
8 Die Beispiele des Bürgen und des Pfandgläubigers nennt Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287
(304 f.). S. auch W. Bauer, S. 67 f. Dagegen weisen den Schutz des Bürgen allein dem Sachrecht zu
St. Lorenz, RabelsZ 59 (1995), 320 (324) (Rezension); Kegel/Schurig, S. 656.

120 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.137 § 2

Rechte Dritter können auch dann berührt werden, wenn es zu einer Abtretung gekommen ist. 2.134
Klagt nämlich ein Zessionar eine Kaufpreisforderung ein, die ihm zur gerichtlichen Geltend-
machung abgetreten worden ist, so gestattet man ihm noch im Prozess mit dem Käufer zu
vereinbaren, welcher Rechtsordnung der mit dem Zedenten geschlossene Kaufvertrag unter-
liegen soll1. Der Zessionar nimmt also als Rechtsnachfolger eine nachträgliche Rechtswahl vor.
Diese darf aber nicht dazu führen, dass die Rechtsstellung des Verkäufers nachträglich ge-
schmälert wird2.

IV. Zwingende Vorschriften


1. Allgemeines
Durch die Rechtswahl geben die Vertragsparteien zu erkennen, dass sie von den Regeln der 2.135
gewählten Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit ausgehen (soweit nicht teilweise Rechtswahl
vorliegt; s. Rz. 2.25). Dabei ist zunächst gleichgültig, ob diese vereinbarten Rechtsnormen ver-
traglich abbedungen werden können oder ob ihnen zwingender Charakter zukommt. Die Par-
teien wollen diese Rechtsregeln ja nicht ausschließen, sondern legen sie, oft ohne nach ihrer
(zwingenden oder dispositiven) Rechtsnatur zu fragen, ihren Dispositionen zugrunde, s.
Rz. 5.1 ff.

Der zwingende Charakter einer Rechtsnorm wird jedoch deutlich, wenn die Parteien sie abbe- 2.136
dingen oder ohne ausdrückliche Abbedingung etwas anderes vereinbaren. Hier (also bei der
Anwendung der zwingenden Vorschrift gegen den Parteiwillen) hat die Frage nach der An-
wendung international zwingender Normen im Internationalen Privatrecht ihre größte Be-
deutung (s. näher Rz. 5.14 ff.). In erster Linie drängen bestimmte zwingende Vorschriften der
lex fori ohne Rücksicht auf das für den Vertrag anwendbare Recht zur Anwendung. Dies ist in
Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO für Eingriffsnormen gesetzlich geregelt (dazu Rz. 5.59 ff.). Der ordre
public (Art. 21 Rom I-VO) kommt bei untragbaren inhaltlichen Abweichungen des auslän-
dischen Rechts zum Tragen. Er spielt aber im Internationalen Vertragsrecht eine vergleichs-
weise geringe Rolle. Die Rechtswahl selbst kann jedenfalls nicht am ordre public scheitern3.

2. Fehlender Auslandsbezug
Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO will auch einfachen zwingenden, d.h. nicht dispositiven Normen in 2.137
sog. Binnensachverhalten zur Durchsetzung verhelfen4. Danach ist zwar eine Rechtswahl
nicht ausgeschlossen, wenn der Vertrag bereits in einem Land offensichtlich lokalisiert ist. Sie
ist jedoch in ihren Wirkungen beschränkt5. Die Parteien können die Bestimmungen, von de-
nen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, d.h. zwingende Bestimmungen,
nicht abbedingen. Das gilt etwa für das zwingende deutsche AGB-Recht (§§ 305-310 BGB)6.

1 OLG Frankfurt v. 14.8.1984 – 5 U 14/84, ZIP 1985, 107 = IPRspr. 1984 Nr. 26 = RIW 1984, 919.
2 Vgl. auch Möllenhoff, S. 82 ff.
3 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (139 f.) = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke,
IPRax 1998, 263 = NJW 1997, 1697; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudin-
ger, Art. 3 Rom I Rz. 23. – Anders LG Berlin v. 9.11.1994 – 22 O 319/94, IPRspr. 1994 Nr. 42 =
NJW-RR 1995, 754.
4 So Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.6.2021). – Zweifel am Konzept bei
Böhle, ZEuP 2019, 72 (81 ff.).
5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534). – S. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50 f.
6 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 19.

Martiny | 121
§ 2 Rz. 2.137 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO1. Eine die kollisionsrechtliche
Verweisung ermöglichende, ausreichende Auslandsberührung wird also allein durch die Ver-
einbarung des ausländischen Rechts noch nicht hergestellt. Die Parteien bleiben auch an das
einfache zwingende Recht des Staates, zu dem das Rechtsverhältnis allein Beziehungen auf-
weist, gebunden2. Sie können sich lediglich in diesem Rahmen bewegen; es kommt zu einem
„law mix“3. Die Verweisung auf das fremde Recht hat insoweit nur die Wirkung einer mate-
riell-rechtlichen Verweisung4. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO stellt somit einen Kompromiss dar zwi-
schen der strengen Auffassung, die bei Inlandssachverhalten überhaupt keine Rechtswahl zu-
lassen will, und der großzügigeren, wonach auch in solchen Fällen eine Rechtswahl unbe-
schränkt möglich sein soll5. Die Vorschrift ist allseitiger Natur6. Maßgeblicher Zeitpunkt ist
die Rechtswahl7.

2.138 Für die Beurteilung der Lokalisierung liefern vor allem die Umstände wichtige Hinweise,
welche nach den Art. 4 ff. Rom I-VO für die objektive Anknüpfung maßgeblich sind (wie z.B.
Aufenthaltsort und Niederlassung)8. Auch bei einem Internet-Auftritt kommt es insoweit auf
die realen Verhältnisse an9. Welche Umstände eine ausreichende Verbindung zur gewählten
Rechtsordnung herstellen, hängt vor allem von der Art des abgeschlossenen Geschäfts ab. Je-
denfalls sind solche Elemente ausreichend, die im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach
Art. 4 Rom I-VO heranzuziehen sind, wie insbesondere der gewöhnliche Aufenthalt des Leis-
tenden sowie grenzüberschreitende Dienstleistungen bzw. Güterbewegungen10. Allerdings ge-
nügt nicht schon der geplante Export der Kaufsache11. Nicht ausreichend ist auch – obwohl
dies nicht mehr im Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO erscheint – die Vereinbarung eines
ausländischen Gerichtsstandes12. Im internationalen Handel muss genügen, wenn das abge-
schlossene Geschäft seinerseits mit einem internationalen Vertrag eng zusammenhängt („Ver-

1 Näher Wagner, IPRax 2008, 377 (380).


2 Von einem „Einbettungsstatut“ sprechen Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 25, 26a; Magnus
in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 131, 145.
3 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (204 f.); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624 f.).
4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-64 f.); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 143; Wend-
land in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 242 (Stand 1.6.2021). Für eine „Zwischenstellung“ Pfeiffer,
EuZW 2008, 622 (624 f.). – Eine „beschränkt kollisionsrechtliche Verweisung“ nimmt an Fiedler,
Stabilisierungsklauseln (2001), S. 202. Für eine materiell-rechtliche Verweisung bereits Gamill-
scheg, ZfA 14 (1983), 307 (327); Sandrock, RIW 1986, 841 (846).
5 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 24.
6 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–046; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 134.
7 R. Magnus, ZEuP 2018, 507 (535 f.); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 118; Magnus in
Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 142.
8 S. etwa BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (384) = IPRspr. 1993 Nr. 37 = IPRax
1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) (Sitz der Parteien sowie Vertragsleistungen in
Deutschland und Österreich); BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (130) = IPRspr.
1997 Nr. 34 = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263) (Abschlussort und Wohnanlage
in Spanien, Sitz der Parteien Isle of Man und Deutschland).
9 Dazu Magnus in Graf/Paschke/Stober, S. 19 (25).
10 LG Hamburg v. 31.5.1990 – 302 O 113/90, IPRspr. 1990 Nr. 37 = RIW 1990, 1020 (Auftrag zur
Vornahme von Devisentermingeschäften an Gesellschaft mit faktischem Inlandssitz. Vereinbarung
engl. Rechts unwirksam); Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (573).
11 OLG Nürnberg v. 22.2.2017 – 12 U 812/15, IPRspr. 2017 Nr. 87 = TranspR 2017, 382; Thorn in
Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 5.
12 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 137.

122 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.139 § 2

tragskette“)1. Es muss jedoch einen aktuellen Bezug geben2. Ausreichen kann die Verknüp-
fung eines inländischen Kreditvertrages mit „Back-to-back“-Swaps mit ausländischen Ban-
ken3. Ein bloßes Interesse an der Anwendung eines ausländischen Rechts – weil dieses z.B.
besonders gut entwickelt ist – genügt hingegen nicht4. Das gleiche gilt für die bloße Verwen-
dung eines internationalen englischsprachigen Formulars5.

Problematisch ist, wenn die gesamten oder nahezu alle Bezüge eines Vertragsverhältnisses auf 2.139
das Inland hinweisen, der Abschlussort hingegen im Ausland liegt. Solche Fälle betreffen vor
allem eine ausländische Vertragsanbahnung, etwa bei einem ausländischen Vertragsschluss,
aber anschließender Vertragsabwicklung im Inland, z.B. in einem Vertrag mit deutschen Tou-
risten (frühere Gran Canaria-Fälle). Ob dann der Abschlussort allein ausreicht, ist umstrit-
ten6. Man könnte die Schranke des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO eingreifen lassen7. Eine andere
Ansicht lehnt eine Beschränkung ab, weil der Auslandsbezug als ausreichend angesehen wird8.
Vermittelnd wird die Vorschrift jedenfalls dann angewendet, wenn „der Einklang von Ab-
schlussort und Rechtswahl bewusst herbeigeführt worden ist“9. Für eine liberalere Auslegung
des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO spricht, dass sich ein ausreichender räumlicher Bezug nur schwer
definieren lässt. Auch die Festlegung des Ortes, der rechtlich als Abschlussort gelten soll, kann
Schwierigkeiten aufwerfen und zu Ungereimtheiten führen (z.B. Abschluss nur durch Boten
oder Stellvertreter). Zudem zeigen verschiedene Vorschriften, dass der Abschlussort durchaus
nicht irrelevant ist (Art. 11 Abs. 1–3 Rom I-VO). Ferner ist Ansatzpunkt der besonderen
Schutzvorschriften für Arbeitnehmer, Versicherungsnehmer und Verbraucher (Art. 6–8

1 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (72 f.); Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (574 f.); Rieländer
in Leuschner, Rechtswahl Rz. 21. – Einschränkend für Verbraucherverträge Mäsch, Rechtswahl-
freiheit und Verbraucherschutz, 1993, 107 ff.
2 Er soll bei einer erst später eintretenden Syndizierung fehlen, so Wenzel, Rechtsfragen internatio-
naler Konsortialkreditverträge, 2006, 406 ff.
3 Dexia Crediop SpA v. Comune di Prato, [2017] EWCA Civ 428 m. insoweit zust. Aufs. Ostendorf,
IPRax 2018, 630.
4 Ostendorf, IPRax 2018, 630 (632); Spickhoff in BRHP, Art. 3 Rom I-VO Rz. 34. – Vgl. auch Dias,
ZEuP 2019, 603 (615 ff.).
5 Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (573 f.). Anders Dexia Crediop SpA v. Comune di Prato,
[2017] EWCA Civ 428 m. insoweit abl. Aufs. Ostendorf, IPRax 2018, 630 (Finanztransaktion unter
italienischen Parteien; Zinsswap nach ISDA Master Agreement). – Zust. Böhle, ZEuP 2019, 72 (78,
90). Abl. Mansel, FS Grunewald (2021), S. 731 (736 f.); krit. Hartley, FS Kohler (2018) S. 171 (176);
s. auch Martiny, ZEuP 2018, 218 (226).
6 Verneinend von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 30.
7 R. Magnus, ZEuP 2018, 507 (532 f.); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 206.– S. z.B. für Art. 27
EGBGB OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, NJW-RR 1989, 1018 = IPRax 1990, 236 (m. Aufs.
Lüderitz, IPRax 1990, 216) (Verkaufsveranstaltung in Spanien, inländ. Auftragsbestätigung); LG
Hamburg v. 21.2.1990 – 2 S 82/89, IPRspr. 1990 Nr. 29 = IPRax 1990, 239 (m. Aufs. Lüderitz,
IPRax 1990, 216) (Verkaufsveranstaltung auf Gran Canaria, inländ. Auftragsbestätigung); LG
Hamburg v. 29.3.1990 – 2 S 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 30 = NJW-RR 1990, 695 (Verkaufsveranstal-
tung auf Gran Canaria, inländ. Auftragsbestätigung).
8 So etwa OLG Celle v. 28.8.1990 – 20 U 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 41 = RIW 1991, 421 = IPRax 1991,
334 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305) (Kauf auf Freizeitveranstaltung in Spanien); LG Hil-
desheim v. 11.2.1991 – v. 11.12.1991 – 7 S 236/91, IPRspr. 1992 Nr. 28 = IPRax 1993, 173 (m.
Aufs. Langenfeld, IPRax 1993, 155) (Kauf während Ausflugsfahrt auf Gran Canaria); Taupitz, BB
1990, 642 (648); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 111; Magnus in Staudinger, Art. 3
Rom I Rz. 139.
9 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 26.

Martiny | 123
§ 2 Rz. 2.139 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Rom I-VO) nicht der Ausschluss der Rechtswahl selbst, sondern ein Günstigkeitsvergleich
bzw. die Beschränkung des Art. 46b EGBGB.

2.140 Die Staatsangehörigkeit soll nach manchen für den Auslandsbezug ebenfalls nicht genügen1.
Die Staatsangehörigkeit ist im Internationalen Vertragsrecht kein Anknüpfungspunkt. Es
kommt im Allgemeinen nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt an. Folgt man dem, so ist zwar
zwei in Deutschland wohnenden Ausländern der Rückgriff auf ihr Heimatrecht nicht ver-
wehrt. Sie können sich jedoch nicht den deutschen zwingenden Vorschriften entziehen.

3. Binnenmarktsachverhalt
2.141 Eine besondere Absicherung unionsrechtlicher Standards gegenüber der Wahl drittstaatlichen
Rechts enthält Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO2. Diese Binnenmarkt- oder auch Drittstaatenklausel ist
nach dem Vorbild des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO formuliert worden, vgl. Rz. 2.137 ff. Es geht
dabei um Binnenmarktsachverhalte (sog. reine Binnenmarktkollisionsfälle), also Verträge,
welche lediglich mehrere Mitgliedstaaten, d.h. das Unionsgebiet berühren. Sind alle anderen
Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem oder mehreren Mitglied-
staaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die
Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitglied-
staat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung ab-
gewichen werden kann. Die Vorschrift greift nur dann ein, wenn das Recht eines Drittstaats
vereinbart wird, also eines Nichtmitgliedstaats der Rom I-VO (vgl. Rz. 1.62). Allerdings zählt
Dänemark hier zu den Mitgliedstaaten3 (Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO).

2.142 Es genügt nicht irgendein Bezug, vielmehr kommt es darauf an, dass alle anderen Elemente
des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem einzigen oder in mehreren Mitglied-
staaten belegen sind. Ebenso wie in Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO sind EU-interne Sachverhalte
gemeint4. Die Vorschrift greift auch dann ein, wenn die Elemente des Sachverhalts zum Zeit-
punkt der Rechtswahl in mehreren Mitgliedstaaten belegen sind. Die Mitgliedstaaten der EU
werden daher ähnlich wie ein einziger Staat behandelt5. Bei Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO handelt
es sich wegen der Begrenzung auf „alle anderen Elemente des Sachverhalts“ um eine verhält-
nismäßig enge Bestimmung, die auf die fehlende Drittstaatenbeziehung reagiert. Gemeint
sind Bestimmungen des Unionsrechts, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen

1 So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 30; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 140 (i.d.R. allein
nicht ausreichend); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 20. Die ausländ. Staatsangehörigkeit
nur einer der Parteien lassen nicht genügen E. Lorenz, RIW 1987, 569 (575); Wendland in Beck-
OGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 237 (Stand 1.6.2021). Zurückhaltend von Bar/Mankowski, IPR II, § 1
Rz. 206.
2 Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO-Entw. 2005 war noch weiter gefasst. Danach sollte die Anwendung der
zwingenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts von der Wahl des Rechts eines Drittstaats
durch die Parteien unberührt bleiben, wenn diese Bestimmungen im konkreten Fall anwendbar
wären. Daher entstand die Frage, wieweit das „Richtlinienkollisionsrecht“ auf diesem Wege durch-
gesetzt werden könnte. Näher Mankowski, IPRax 2006, 101 (102 f.); Solomon, Verbraucherverträge
in Ferrari/Leible S. 89 (106 ff.).
3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–046; Wendland in
BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 262 (Stand 1.6.2021).
4 Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 19. – Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (380).
5 Mankowski, IHR 2008, 133 (135).

124 | Martiny
A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.146 § 2

werden kann. Es geht also um nichtdispositive Vorschriften1, etwa aufgrund von Handelsver-
treter-, Zahlungsverzug- oder Pauschalreiserichtlinie2.

Die Rechtsfolge des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO ist eindeutig. Die Rechtswahl ist an sich gültig. 2.143
Es kommt aber zu einer Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts, bei Richtlinien in
der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form. Maßgeblich ist daher
das Umsetzungsrecht der jeweiligen lex fori3. Es braucht sich also nicht um den Staat zu han-
deln, mit dem der Sachverhalt am engsten verbunden ist4. Angesichts der Tatsache, dass die
jeweilige Umsetzung der Richtlinie zumindest ähnlich sein dürfte, dient diese Lösung der Ver-
einfachung. Eine überschießende Umsetzung der Richtlinie, die beispielsweise mehr Schutz
gewährt, wird von Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO nicht mehr abgedeckt5.

Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO bezieht sich auf alle Arten von Verträgen, nicht etwa nur auf Ver- 2.144
braucherverträge i.S.d. Art. 6 Rom I-VO oder Arbeitsverträge i.S.d. Art. 8 Rom I-VO6. Im Un-
terschied zu den kollisionsrechtlichen Regeln der Richtlinien, welche bei der Wahl eines dritt-
staatlichen Rechts im Allgemeinen auf einen „engen Zusammenhang“ abstellen, ist Art. 3
Abs. 4 Rom I-VO die engere Vorschrift7. Sie kommt lediglich dann zur Anwendung, wenn es
überhaupt keinen Auslandsbezug gibt. Die Normen des Richtlinienrechts sind daher unbe-
rührt geblieben8. Die Vorschrift weist insofern Anklänge an die Ingmar-Entscheidung auf, als
sie Unionsrecht gegen eine Wahl drittstaatlichen Rechts durchsetzt (vgl. Rz. 5.47 ff.). Aller-
dings hat der EuGH in der „Ingmar“-Entscheidung das Unionsrecht sogar durchgesetzt, ob-
wohl im gegebenen Fall ein Zusammenhang mit dem gewählten US-amerikanischen Recht
der ausländischen Partei bestand9. Das genaue Verhältnis von Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO zu
Art. 9 sowie zu Art. 25 Rom I-VO ist noch ungeklärt10.

4. Andere Vorschriften
Bestimmten zwingenden Schutzvorschriften wollen die Art. 6 Rom I-VO, Art. 49b EGBGB 2.145
(Verbraucherverträge), Art. 7 Rom I-VO, Art. 49c EGBGB (Versicherungsverträge) und Art. 8
Rom I-VO (Arbeitsvertrag) Geltung verschaffen. Erwägungsgrund 23 erläutert, dass bei Ver-
trägen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, die schwächere Partei durch
Kollisionsnormen geschützt werden sollte, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Re-
geln. Hierauf ist bei den einzelnen Vertragstypen einzugehen.

Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann auch bestimmten international zwingenden Normen 2.146
eines anderen Staates Wirkung verliehen werden, wenn und soweit diese Eingriffsnormen
nach dem Recht dieses Staates anzuwenden sind, auch wenn es nicht das Vertragsstatut ist
(vgl. Rz. 5.124 ff.).

1 Mankowski, IHR 2008, 133 (135 f.).


2 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 22.
3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Pfeiffer, EuZW
2008, 622 (625).
4 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (204 f.).
5 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 267 (Stand
1.6.2021).
6 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27.
7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65).
8 Mankowski, IHR 2008, 133 (135 f.).
9 Mankowski, IPRax 2006, 101 (103); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65).
10 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65).

Martiny | 125
§ 2 Rz. 2.147 | Bestimmung des Vertragsstatuts

V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


2.147 Die Prüfung einer Rechtswahlvereinbarung hängt davon ab, welche Bestimmungen für sie
gelten, sodann kommt es auf die Zulässigkeit und die Wirksamkeit der Vereinbarung an.
2.148 a) Zunächst ist zu klären, ob es sich um eine Materie handelt, für welche eine Rechtswahl
nach den Art. 3 ff. Rom I-VO gestattet ist. Dafür ist zu prüfen, ob für den Fragenkomplex
Einheitsrecht (wie etwa das UN-Kaufrecht) vorgeht (Art. 3 Nr. 2 EGBGB) oder ob die Ma-
terie von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen ist. In diesen Fällen kommen die Art. 3 ff.
Rom I-VO gar nicht bzw. nicht unmittelbar zur Anwendung. Ferner können Modifikatio-
nen eintreten für Beförderungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge (Art. 5, 6 und 8 Rom I-
VO). Letzteres gilt auch für Versicherungsverträge, außer für die Rückversicherung (Art. 7
Rom I-VO).
2.149 b) Im Anwendungsbereich der Art. 3 ff. Rom I-VO stellt sich vor allem die Frage, ob eine aus-
drückliche Rechtswahl der Parteien vorliegt (Art. 3 Rom I-VO). Dafür genügt etwa die
Klausel „Es gilt deutsches Recht“. Sodann ist zu prüfen, ob die Rechtswahl nach dem in
Aussicht genommenen Recht zustande gekommen ist (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1
Rom I-VO) oder ob sich die andere Partei bezüglich ihres Verhaltens (vor allem des
Schweigens) auf entgegenstehendes Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes berufen
kann (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO). Die innere Gültigkeit des Vertragsschlusses (etwa Irrtum)
richtet sich allein nach dem gewählten Recht. Eine Rechtswahlklausel in AGB muss einer
Missbrauchs- und Transparenzkontrolle standhalten.
2.150 c) Wurde keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen, so kann gleichwohl eine stillschweigen-
de Rechtswahl „eindeutig“ getroffen worden sein (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Erforder-
lich ist neben darauf hindeutenden äußeren Umständen ein entsprechender rechtsgeschäft-
licher Wille.
2.151 Als Hinweise kommen insbesondere in Betracht:
– eine Gerichtsstandsvereinbarung,
– eine Schiedsklausel,
– das übereinstimmende Prozessverhalten der Parteien,
– eine Erfüllungsortvereinbarung,
– die Bezugnahme auf ein Recht,
– ein Vertragsschluss nach Formularen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche
auf einer bestimmten Rechtsordnung aufbauen.
2.152 d) Ist die Rechtswahl anfänglich oder nachträglich erfolgt (Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO)?
Beides ist möglich; doch ist zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt die Rechtswahl ein-
greift.
2.153 e) Betrifft die Rechtswahl das ganze Vertragsverhältnis oder nur einen Teil davon (Art. 3
Abs. 1 S. 3 Rom I-VO)? Eine teilweise Rechtswahl ist bei Abtrennbarkeit der Frage zulässig.
2.154 f) War der Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden? Wenn
ja, dann bleiben trotz anders lautender Rechtswahl die zwingenden Bestimmungen jenes
Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, unberührt (Art. 3
Abs. 3 Rom I-VO). Handelt es sich um einen bloßen Binnenmarktsachverhalt i.S.d. Art. 3
Abs. 4 Rom I-VO?

126 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.156a § 2

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO)

I. System der objektiven Anknüpfung


Die Rom I-VO will das richtige Vorgehen bei der Bestimmung des Vertragsstatuts klarstel- 2.155
len1. Sie hat zwar die komplizierte Struktur des vorherigen Art. 4 EVÜ vereinfacht. Inhaltlich
sollte sich aber nichts daran ändern, dass das Recht zur Anwendung kommt, mit welchem der
Sachverhalt am engsten verbunden ist2. Die engste Verbindung ist daher keineswegs nur eine
Leerformel3. Erwägungsgrund 16 stellt fest, dass die Kollisionsnormen ein hohes Maß an Be-
rechenbarkeit aufweisen sollten, um zum allgemeinen Ziel dieser Verordnung, nämlich zur
Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum, beizutragen. Dennoch sollten die Gerichte
über ein gewisses Ermessen verfügen, um das Recht bestimmen zu können, das zu dem Sach-
verhalt die engste Verbindung aufweist. Gesondert genannt werden in Art. 4 Rom I-VO der
Warenkauf (Abs. 1 lit. a), Dienstleistungen (Abs. 1 lit. b), Miete und Pacht unbeweglicher Sa-
chen (Abs. 1 lit. c, d), Franchiseverträge (Art. 1 lit. e), Vertriebsverträge (Abs. 1 lit. f), der
Kauf auf Versteigerungen (Abs. 1 lit. g) sowie Verträge über Finanzinstrumente (Abs. 1 lit. h).
Zumeist handelt es sich dabei um Konkretisierungen bzw. Festlegungen der charakteristischen
Leistung4. Der Lageort unbeweglichen Vermögens und der Schutz des Schwächeren spielen
ebenfalls eine Rolle. Die charakteristische Leistung als solche wird erst an zweiter Stelle ge-
nannt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO). Danach folgt hilfsweise die Anknüpfung nach der engsten
Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). – Zur Schiedsgerichtsbarkeit s. Rz. 7.462 ff.

Zu bestimmen ist, ob vom Vorliegen nur eines einzigen Vertrages ausgegangen werden kann 2.156
oder ob mehrere vertragliche Verpflichtungen bestehen5. Zwar richtet sich nach dem Vertrags-
statut, ob ein Vertrag zustande gekommen ist, und damit letztlich nach dem anwendbaren
Sachrecht (Art. 10 Rom I-VO). Gleichwohl sollten die Voraussetzungen dafür, ob nur ein ein-
ziger Vertrag gegeben ist oder ob mehrere anzunehmen sind, einheitlich bestimmt werden.
Die Tatsache, dass mehrere Verpflichtungen in einer Urkunde enthalten sind, reicht noch
nicht aus, von einem einzigen Vertrag auszugehen. Sind die einzelnen Verpflichtungen aber
miteinander verknüpft und aufeinander bezogen, so spricht das für nur einen einzigen Ver-
trag. Im Einzelnen können hier schwierige Abgrenzungsfragen entstehen6. Der Zusammen-
hang zweier Verträge kann nach Art. 4 Abs. 3 Rom-I-VO berücksichtigt werden (s.
Rz. 2.231 ff.).

Das EVÜ erlaubte bei komplexen Vertragsverhältnissen eine ausnahmsweise kollisionsrecht- 2.156a
liche Abspaltung (dépeçage) einzelner Bestandteile (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EVÜ; Art. 28 Abs. 1
S. 2 EGBGB). Als Beispiel wurden aus mehreren Verpflichtungen und Ansprüchen zusam-
mengesetzte Vertragsverhältnisse genannt7. Allerdings blieb die Tragweite dieser Ausnahme

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (381 f.). – Rechtsvergleichend
Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 6 ff.
2 Wagner, IPRax 2008, 377 (380 f.).
3 Anders aber Mankowski, IPRax 2006, 101 (103).
4 Mankowski, IPRax 2006, 101 (103 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (382).
5 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 96. – Vgl. auch Lando/Nielsen, C.M.L. Rev. 45 (2008),
1687 (1703 f.).
6 Vgl. zu Verträgen über geistiges Eigentum Torremans, J.PIL 4 (2008), 397 (406 ff.); Fawcett/Torre-
mans, Rz. 14.55 ff.
7 Bericht Giuliano/Lagarde über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht, ABl. 1980, Nr. C 282, S. 1 (23).

Martiny | 127
§ 2 Rz. 2.156a | Bestimmung des Vertragsstatuts

unklar1. Eine Abspaltung ist nach der Rom I-VO nicht vorgesehen und nicht zulässig2 (s. auch
Rz. 2.251).

II. Vertragsspezifische Anknüpfung


1. Auflistung
2.157 Soweit die Parteien keine Rechtswahl gem. Art. 3 Rom I-VO getroffen haben, bestimmt sich
das auf den Vertrag anzuwendende Recht unbeschadet der Art. 5 bis 8 nach Art. 4 Rom I-VO.
In erster Linie kommt es auf die Liste in Abs. 1 an, die acht „spezifizierte Verträge“ (speci-
fied; catégories définies) in einer „Aufzählungslösung“ nennt3. Eine solche Auflistung findet
sich auch in ausländischen Gesetzen4. Zwar wird der maßgebliche Zeitpunkt nicht ausdrück-
lich genannt. Aus der Regelung bezüglich des gewöhnlichen Aufenthalts in Art. 19 Abs. 3
Rom I-VO ergibt sich jedoch, dass es auch hier auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
ankommen muss5, s. Rz. 2.299. Im Entwurf von 2005 war auch eine Anknüpfung für Verträge
über geistiges Eigentum vorgesehen, die aber aufgrund der dagegen gerichteten Kritik wieder
gestrichen wurde6. Die ursprünglich vorgesehene Regelung für Beförderungsverträge ist ent-
fallen, da dafür in Art. 5 Rom I-VO eine eigene Regelung geschaffen wurde7.

2.158 Zweck der typisierten Regelanknüpfungen ist es, mehr Rechtssicherheit zu schaffen8. Der Preis
für die Sicherheit einer Anknüpfungsliste ist allerdings das Auftreten zahlreicher Qualifikati-
onsprobleme9. Diese müssen ernst genommen werden, da teilweise erhebliche Anknüpfungs-
unterschiede bestehen. Die Regeln für spezifische Verträge kommen dann nicht zur Anwen-
dung, wenn es für den konkreten Vertrag keine gesonderte Kollisionsnorm gibt sowie in Fäl-
len, in denen mehrere spezifische Kollisionsnormen in Betracht kommen10. Offenbar soll
dann, wenn es um „Elemente“ eines Vertrages geht, zunächst die charakteristische Leistung
(Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) zu ermitteln sein, wenn für den Zusammenhang mehrerer Verträge
sogleich nach der engsten Verbindung gesucht werden darf11. Wird in einem Vertragsverhält-

1 S. nur EuGH v. 6.10.2009 – C-133-08, ECLI:EU:C:2009:617 (Intercontainer Interfrigo/Balkenende


Oosthuizen), Slg. 2009, I-9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = Rev.
crit. dr. i. p. 99 (2010), 199 Anm. Lagarde = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski = IHR 2010, 128
(m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89) = GPR 2011, 48 Anm. Martiny.
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415); Nourissat in Corne-
loup/Joubert (2011), S. 205 (208 ff.); Mansel, FS Grunewald (2021), S. 731 (732); Magnus in Stau-
dinger, Art. 4 Rom I Rz. 96; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 21. – Anders Mankowski,
IHR 2010, 89 (90 ff.); Mankowski, FS Spellenberg, S. 261 (267 ff.); Wilhelmi, RIW 2016, 253 (258)
(für Derivate).
3 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (382). – Zum Entwurf Mankowski, IPRax 2006, 101 (103 f.).
4 S. etwa Art. 1211 Abs. 2 russ. ZGB III; Art. 117 Abs. 2 schweiz. IPRG.
5 Wagner, IPRax 2008, 377 (385).
6 Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO Entw. 2005. – Näher European Max-Planck Group for Conflict of
Laws in Intellectual Property (CLIP), Intellectual Property and the Reform of Private International
Law, IPRax 2007, 284 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 (385) sowie Max-Planck-Institut, RabelsZ 71
(2007), 225 (263 ff.).
7 Näher Wagner, TranspR 2008, 221 (222 f.)
8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625); Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1700 ff.).
9 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (382).
10 Wagner, IPRax 2008, 377 (382).
11 Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1703).

128 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.162 § 2

nis ein „smart contract“ verwendet (s. Rz. 1.69), so ist auch hier zu prüfen, ob eine Zuordnung
zu einem der spezifizierten Vertragsverhältnisse möglich ist1.

2. Warenkauf (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO)


Kaufverträge über bewegliche Sachen unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer 2.159
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO). Dazu Rz. 25.108 ff. Ande-
re Kaufverträge werden hiervon nicht erfasst2.

3. Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO)


Dienstleistungsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen ge- 2.160
wöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO; s. Rz. 18.1 ff.). Nach Erwägungs-
grund 17 sollten die Begriffe „Erbringung von Dienstleistungen“ und „Verkauf beweglicher
Sachen“ so ausgelegt werden, wie bei der Anwendung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 44/
2001, d.h. der EuGVO (nunmehr Art. 7 Brüssel Ia-VO), soweit der Verkauf beweglicher Sa-
chen und die Erbringung von Dienstleistungen unter jene Verordnung fallen. Franchiseverträ-
ge und Vertriebsverträge sind zwar Dienstleistungsverträge, unterliegen jedoch besonderen
Regeln. Dazu unten Rz. 20.1 ff., Rz. 37.1 ff.

4. Grundstücksverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO)


Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht unbe- 2.161
weglicher Sachen zum Gegenstand haben, unterliegen dem Recht des Staates, in dem die un-
bewegliche Sache belegen ist (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO)3. Während das Recht des Belegen-
heitsortes (die lex rei sitae) für die Anknüpfung von Schuldverträgen über Mobilien grund-
sätzlich unerheblich ist, spielt es für Verträge über dingliche und obligatorische Rechte an
Grundstücken eine bedeutende Rolle. Soweit der Vertrag nämlich ein dingliches Recht an ei-
ner unbeweglichen Sache (a contract relating to a right in rem in immovable property; le
contrat ayant pour objet un droit réel immobilier) oder Miete oder Pacht unbeweglicher Sa-
chen (a tenancy of immovable property; un bail d’immeuble) zum Gegenstand hat, so weist er
die engsten Verbindungen zu dem Staat aus, in dem das Grundstück belegen ist. Dies gilt
auch und gerade für Verpflichtungsgeschäfte4.

Grund dafür ist neben der Unverrückbarkeit des Grundstücks vor allem, dass die Leistung im 2.162
Belegenheitsland (i.d.R. unter Beachtung seiner Form-, Register- und Bodenverkehrsvor-
schriften) erbracht wird und damit das gleiche Recht wie für sachenrechtliche Vorgänge zur
Anwendung kommen soll. Dies gilt insbesondere für den Grundstückskauf (Rz. 21.1 ff.), aber
auch für Grundstücksmiete und -pacht (Rz. 22.1 ff.). Ebenso ist für die Grundstücksschen-
kung zu entscheiden5. Dagegen gilt die Regel des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO nach h.M. nicht

1 Rühl in Braegelmann/Kaulartz, S. 147 (159); Stürner, Europ. VertragsR, § 32 Rz. 72.


2 Wagner, IPRax 2008, 377 (382).
3 Im Anschluss an Art. 4 Abs. 3 EVÜ, der seinerseits auf Art. 6 EVÜ-Entw. 1972 zurückgeht (vgl.
auch Art. 119 schweiz. IPRG).
4 OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992 Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (notarieller
Grundstückskauf unter Deutschen in Italien unterlag deutschem Recht); Schröder, IPRax 1985,
145 (147).
5 S. zum EVÜ OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs.
Koch, IPRax 2008, 417).

Martiny | 129
§ 2 Rz. 2.162 | Bestimmung des Vertragsstatuts

für Verträge über die Errichtung und Instandsetzung von Gebäuden, auch nicht, soweit sie
einen Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek begründen (Rz. 14.1 ff.). Das glei-
che gilt für Zahlungsverpflichtungen der Miteigentümer eines Wohngebäudes1. Im Übrigen
kann die gesetzliche Anknüpfungsregel widerlegt sein, wenn sonstige Umstände eine Verbin-
dung zu einer anderen Rechtsordnung nahe legen2. Dass eine Partei ihre Niederlassung in ei-
nem anderen Staat hat, reicht dafür nicht aus3.

5. Kurzfristige Miet- und Pachtverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO)


2.163 Ungeachtet des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO unterliegt die Miete oder Pacht unbeweglicher
Sachen für höchstens sechs aufeinander folgende Monate zum vorübergehenden privaten
Gebrauch dem Recht des Staates, in dem der Vermieter oder Verpächter seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat, sofern der Mieter oder Pächter eine natürliche Person ist und seinen gewöhn-
lichen Aufenthalt in demselben Staat hat (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO). Ähnlich wie bei
der Zuständigkeitsregel des Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO soll hier angesichts der Kürze der Ver-
tragsdauer nicht die Belegenheit den Ausschlag geben4. Dazu Rz. 22.10 ff.

2.164 Die Anwendung ausländischen Mietrechts erscheint wegen des nur schwachen Auslandsbezu-
ges unangemessen5. Während früher als Abhilfe die Anwendung der Ausweichklausel vor-
geschlagen wurde (s. Rz. 2.211), wurde nach altem Recht nach dem Muster der Zuständig-
keitsvorschrift in Art. 22 Nr. 1 EuGVO (nunmehr Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) eine teleologi-
sche Reduktion gefordert6. Der Belegenheit einer Forderung kommt für die Bestimmung des
Schuldstatuts keine Bedeutung zu7.

6. Franchiseverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO)


2.165 Franchiseverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Franchisenehmer seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO). Insoweit handelt es sich um die
Klarstellung einer umstrittenen Frage8. Näher dazu Rz. 20.12 ff.

7. Vertriebsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO)


2.166 Vertriebsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Vertriebshändler seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO). Dies war unter dem EVÜ umstrit-
ten9. Näher zum Handelsvertreter in Rz. 23.1 ff., zum Vertragshändler (Eigenhändler) s.
Rz. 37.1 ff.

1 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 38, NJW 2019, 2991 = IPRax 2020,
40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18).
2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53.
3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.3.1997 – 24 U 102/94, IPRspr. 1997 Nr. 37 = NJW-RR 1998, 1159.
4 Vgl. Max-Planck-Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (263).
5 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (383).
6 So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 55; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 164.
7 LG München I v. 11.2.1965 – 6 O 803/62, IPRspr. 1964/65 Nr. 43 = RzW 1965, 375 (Vereinbarung
eines Erfolgshonorars für in Deutschland lokalisierte Wiedergutmachungsansprüche).
8 Wagner, IPRax 2008, 377 (383).
9 Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (383).

130 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.170 § 2

8. Kauf durch Versteigerung (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO)


Verträge über den Kauf beweglicher Sachen durch Versteigerung unterliegen dem Recht des 2.167
Staates, in dem die Versteigerung abgehalten wird, sofern der Ort der Versteigerung bestimmt
werden kann (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO). Dazu Rz. 26.1 ff.

9. Multilaterales System (Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO)


Eine Sonderregel besteht für Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen 2.168
werden, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumen-
ten i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 der Richtlinie 2004/39/EG nach nicht diskretionären Regeln und
nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammenführt oder das Zusammenführen fördert. Sol-
che Verträge unterliegen diesem Recht (Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO). Dies führt regelmäßig
zum Recht des Börsenplatzes bzw. des Staates, der die Aufsicht über dieses System führt1.
Dazu Rz. 19.63 ff.

Nach Erwägungsgrund 18 sollten unter multilateralen Systemen solche Systeme verstanden 2.169
werden, in denen Handel betrieben wird, wie die geregelten Märkte und multilateralen Han-
delssysteme i.S.d. Art. 4 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente2, und zwar ungeachtet dessen, ob sie
sich auf eine zentrale Gegenpartei stützen oder nicht.

III. Gemischte Verträge


1. Arten der gemischten Verträge
Gemischte Verträge sind im Kollisionsrecht – ähnlich wie im Sachrecht3 – solche, bei denen 2.170
zwar nur ein einheitlicher Vertrag vorliegt, sich aber mindestens eine der Parteien zu mehre-
ren verschiedenartigen (gleichwertigen) Hauptleistungen bzw. (mindestens) einer Nebenleis-
tung verpflichtet oder die Leistung und die Gegenleistung verschiedenen Vertragsarten ange-
hören oder aber mehrere Vertragstypen miteinander verschmolzen werden4. Des Öfteren ist
zweifelhaft, ob man für atypische und gemischte Vertragsverhältnisse noch eine charakteristi-
sche Leistung ermitteln kann oder auf die engere oder engste Verbindung ausweichen muss.
Daher wird das gleiche Ergebnis oft auf unterschiedliche Weise begründet. Auch die Übergän-
ge zu zusammenhängenden Verträgen sind fließend (vgl. Rz. 2.231 ff.). Die im Sachrecht ver-
breitete Kombinationsmethode, die zur Anwendung unterschiedlicher Regeln auf den Vertrag
führt5, ist im internationalen Vertragsrecht, wo sie sogar die Anwendung unterschiedlicher
Rechtsordnungen zur Folge haben kann, von zweifelhaftem Wert. Die angestrebte einheitliche

1 Wagner, IPRax 2008, 377 (384 f.). Näher Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69); Garcimartín
Alférez, The Special Provisions on Financial Market Contracts in Cashine Ritaine/Bonomi (Hrsg.),
Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles
(Genf 2008), S. 161 ff.
2 ABl. EU 2004 Nr. L 145, S. 1. Geändert durch Richtlinie 2008/10/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 76, S.
33. Inzwischen aufgehoben durch RL 2014/65/EU vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstru-
mente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. EU 2014 L Nr. 173,
S. 349.
3 S. Martiny, FS von Hoffmann, S. 283 (292 ff.).
4 Dazu von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 329; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 35 ff.
5 S. Martiny, FS von Hoffmann, S. 283 (285 ff.).

Martiny | 131
§ 2 Rz. 2.170 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Anknüpfung mit möglichst einheitlicher Rechtsanwendung lässt vielmehr eine weitgehende


Verwendung der Absorptionsmethode als plausibel erscheinen.

2.171 Bei der gesetzestechnischen Einordnung gemischter Verträge lassen sich im Wesentlichen drei
unterschiedliche Konstellationen unterscheiden. (1) Es handelt sich um einen spezifizierten
Vertragstyp i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO. Hinzu kommt aber noch ein nicht-spezifizierter
Vertragsbestandteil. (2) Weitere Fälle betreffen mehrere Bestandteile, die unterschiedlichen
spezifizierten Vertragstypen zuzuordnen sind (s. Rz. 2.218 ff.). (3) Schließlich kann es um Be-
standteile nicht in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO genannter Vertragstypen bzw. Verträge gehen (s.
Rz. 2.188 ff.).

2.172 Der Fall, dass ein Vertragsbestandteil vom Katalog des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO erfasst
wird, der andere hingegen nicht, ist nicht besonders gesetzlich geregelt. Auch hier dürfte auf
das Schwergewicht des Vertrages abzustellen sein (vgl. Rz. 2.177). Liegt es auf dem spezifi-
zierten Vertragsbestandteil, so kommt es zu einer Anknüpfung daran. Scheitert diese Anknüp-
fung, so ist grundsätzlich die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu er-
mitteln1. Ist das nicht möglich, so ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustel-
len (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). Möglicherweise wird sich noch eine unionsrechtliche Systema-
tik gemischter Verträge entwickeln. In Anlehnung an sachrechtliche Einteilungsversuche las-
sen sich die Verträge jedenfalls in mehreren Gruppen zusammenfassen.

2. Vertrag mit andersartiger Nebenleistung


2.173 Beim Vertrag mit andersartiger (atypischer oder vertragstypischer) Nebenleistung werden
etwa zusätzlich zu einem Verkauf einer beweglichen Sache noch erhebliche Dienstleistungen
erbracht. Gehört die von einer Partei zu erbringende Hauptleistung einem in Art. 4 Abs. 1
Rom I-VO genannten Vertragstyp an, hat sie daneben aber noch eine andersartige Nebenleis-
tung zu erbringen, so darf die unselbständige Nebenleistung nicht entscheiden. Maßgeblich
ist (insoweit mit dem Absorptionsprinzip übereinstimmend) allein das Statut der bedeutende-
ren Hauptleistung2; eine Subsumtion unter Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO ist nicht ausgeschlossen
(s. Rz. 2.243 ff.). Die Übergänge zu anderen gemischten Verträgen sind fließend3.

3. (Typen-) Kombinationsvertrag
2.174 Beim (Typen-) Kombinationsvertrag schuldet eine Partei mehreren Vertragstypen entspre-
chende und im Wesentlichen gleichwertige Hauptleistungen. Hier wird die vom Schuldner zu
erbringende Leistung zumeist auch die charakteristische sein, also auf nur eine Rechtsordnung
hinweisen4. Man wird aber regelmäßig nicht mehr nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO anknüpfen
können, da es sich um eigene Bestandteile des Vertrages handelt und Art. 4 Abs. 2 Alt. 2
Rom I-VO anzuwenden haben (s. Rz. 2.111). Weist der Vertrag zu mehreren Rechtsordnungen
Bezüge auf, so ist eine Abweichung von Abs. 1 möglich. Es ist die engste Beziehung für das
gesamte Vertragsverhältnis individualisierend zu ermitteln5. Überwiegt freilich eine der Leis-
tungen deutlich, so bleibt eine Anknüpfung nach Abs. 2 möglich6. Als mehreren Typen ent-

1 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 104.


2 Vgl. zum alten Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 38.
3 Vgl. Stimmel, GRUR-Int. 2010, 783 (785).
4 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 331; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 39.
5 S. schon Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (732).
6 Vgl. Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I Rz. 80; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 41.

132 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.177 § 2

sprechender Vertrag, der dem Recht des Gastwirts unterliegt, wird etwa der Beherbergungs-
vertrag angesehen1, der allerdings als Dienstleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) einzustu-
fen sein dürfte.

4. Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung


Tauschen die Parteien Leistungen aus, welche verschiedenen typischen Verträgen zuzurechnen 2.175
sind (sog. Austauschverträge mit anderstypischer Gegenleistung), so greift Art. 4 Abs. 1
Rom I-VO ein, wenn eine Leistung einem spezifizierten Vertrag entspricht. Steht die andere
außerhalb des Katalogs, so kommt die Ermittlung der charakteristischen Leistung in Be-
tracht. Bei einem Kauf dürfte es auch bei der Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens beim
Kraftfahrzeugkauf bleiben2. Häufig wird aber ein Fall einer Mehrfacherfassung nach Art. 4
Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO vorliegen (s. Rz. 2.211). Überwiegt keine der Vertragsleistungen, so ist
individualisierend die engste Verbindung für das gesamte Vertragsverhältnis zu bestimmen
(Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). Entsprechendes gilt, wenn beide Leistungen dem gleichen Vertrags-
typ angehören; eine Vertragsspaltung scheidet aus3.

5. Typenverschmelzungsvertrag
Für den Typenverschmelzungsvertrag ist zu prüfen, ob eine der Parteien die für das Vertrags- 2.176
verhältnis nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO maßgebende Leistung und die andere nur eine farb-
lose Geldleistung erbringt4. Das wird bei Dienstleistungen häufig der Fall sein; das Recht des
Dienstleistungserbringers gilt. Greift Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nicht ein, so ist die charakteris-
tische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu ermitteln. Lässt sie sich nicht feststellen, so
ist die engste Verbindung des Vertragsverhältnisses nach anderen Kriterien zu suchen (Art. 4
Abs. 4 Rom I-VO).

IV. Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)
Nach der Rom I-VO ist, wie Erwägungsgrund 19 klarstellt, das anzuwendende Recht zunächst 2.177
nach der für die Vertragsart spezifizierten Regel des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO zu bestimmen5.
Kann der Vertrag nicht einer dieser Vertragsarten zugeordnet werden oder sind die Bestand-
teile des Vertrags durch mehr als eine der spezifizierten Vertragsarten abgedeckt, so soll der
Vertrag dem Recht des Staates unterliegen, in dem die Partei, welche die für den Vertrag cha-
rakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2
Rom I-VO). Besteht ein Vertrag aus einem Bündel von Rechten und Verpflichtungen, die
mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, so soll die charak-
teristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt bestimmt werden. Der Grundsatz
der charakteristischen Leistung gilt daher für alle Verträge, welche in den Anwendungsbereich
der Art. 3 ff. Rom I-VO fallen, d.h. nicht von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen sind, und für
die nicht die speziellen Regeln des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO bzw. die besonderen Vorschriften

1 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I Rz. 80 („typengemischt“). – Ebenso nach Art. 28 EGBGB LG Ham-
burg v. 30.1.1991 – 5 O 335/87, IPRspr. 1991 Nr. 33.
2 von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 149.
3 Anders noch LG Dortmund v. 8.4.1988 – 12 O 477/87, IPRax 1989, 51 m. Anm. Jayme (gegen-
seitige Vertriebsrechte).
4 Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64.
5 Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (535 f.).

Martiny | 133
§ 2 Rz. 2.177 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der Art. 5–8 Rom I-VO eingreifen1. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO hat insofern die Funktion einer
Auffangregel.

2.178 Bei den spezifizierten Verträgen kommt eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leis-
tung dann in Betracht, wenn – wie bei einem gemischten Vertrag – mehrere der aufgezählten
Anknüpfungen zur Anwendung kämen. Nicht zulässig wäre es freilich, einzelne gesondert
geregelte Vertragstypen (z.B. Vertriebsverträge) unter Berufung auf die generellere Kategorie
(z.B. Dienstverträge) der spezielleren Anknüpfungsregel zu entziehen2. Auch hier kann aber
auch eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO in Betracht kommen. Lässt sich
bei einem solchen Vertrag keine charakteristische Leistung bestimmen, so ist die engste Ver-
bindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO maßgeblich.

1. Herstellung der engsten Verbindung


a) Begriff der charakteristischen Leistung
2.179 Nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO weist ein Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat auf,
in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Hauptverwaltung hat. Der
Grundsatz der charakteristischen Leistung soll also die engste Verbindung konkretisieren und
objektivieren3.

2.180 Der Begriff der charakteristischen Leistung (the performance which is characteristic of the
contract; la prestation caractéristique) wird nicht definiert. Der Bericht Giuliano/Lagarde zum
EVÜ lässt aber keinen Zweifel daran, dass damit das Konzept der Vertragstypenlehre ge-
meint ist, wie es seit längerem von Lehre und Rechtsprechung zahlreicher Länder entwickelt
wurde4. Führend war dabei das schweizerische Bundesgericht, das sich erstmals im Jahre 1945
auf dieses Konzept stützte5, das vor allem von F. A. Schnitzer entwickelt worden ist6. Nach
dieser Lehre ist auf einen Vertrag das Recht der Partei anzuwenden, welche die charakteristi-
sche Leistung erbringt. Grundgedanke ist, dass nicht äußere Umstände, die – wie Abschlussort
oder Staatsangehörigkeit – nichts mit der Natur des Schuldverhältnisses zu tun haben, die
Rechtsanwendung bestimmen sollen. Vielmehr soll die Eigenart des jeweiligen Rechtsver-
hältnisses, genau genommen die charakteristische Verpflichtung, den Ausschlag geben. Das
Anknüpfungsmerkmal ist dem Vertrag selbst zu entnehmen7. Maßgeblich ist das, was für ei-
nen Vertrag typisch ist.

2.181 Die Bestimmung des Charakteristikums des Vertragsverhältnisses führt zur Bildung bestimm-
ter vertragstypischer Anknüpfungen. Dies bietet gegenüber einer individualisierenden An-
knüpfung den Vorteil größerer Einfachheit, Klarheit und Voraussehbarkeit der Ergebnisse.
Während die Differenzierung nach der Eigenart der Verträge der Einzelfallgerechtigkeit dient,
nützt das Aufstellen fester Kollisionsregeln der Rechtssicherheit.

1 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 97.


2 Azzi, D. 2008, 2169 (2172).
3 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53.
4 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52 ff.
5 Schweiz. BG v. 27.2.1945, SchweizJahrbIntR 5 (1948), 113 (114). – Näher Kren Kostkiewicz in
ZürchKomm, Art. 117 IPRG Rz. 12 ff.
6 Dazu Gunst, S. 60 ff. – S. auch den Überblick über die Rspr. bei Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3
(1981), 402 (406 ff.).
7 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52.

134 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.184 § 2

Die charakteristische Leistung wird häufig berufsmäßig erbracht; der Leistende ist i.d.R. stär- 2.182
ker betroffen1. Sie führt daher regelmäßig zu der Rechtsordnung, mit der das Vertragsverhält-
nis am engsten verbunden ist. Die charakteristische Leistung knüpft nämlich an die Funktion
an, welche die fragliche Rechtsbeziehung im wirtschaftlichen und sozialen Leben kennzeich-
net2. Da im Ergebnis die Geschäfte und Leistungen eines gewerblichen Unternehmens nach
dem Recht seiner Niederlassung beurteilt werden, wird ferner erreicht, dass – mangels Rechts-
wahl – alle von ihm mit seinen Kunden geschlossenen Verträge grundsätzlich einer einzigen
Rechtsordnung unterliegen3. Dieses sog. Uniformitätsinteresse4 wurde früher schon häufiger
unter dem Aspekt des „Massenvertrages“, also des massenweisen Abschlusses durch eine Par-
tei, herangezogen5.

Charakteristisch ist für einen Schuldvertrag diejenige Leistung (z.B. von Waren oder Diens- 2.183
ten), die ihn von anderen Verträgen unterscheidet6. Regelmäßig gibt diese Leistung dem Ver-
trag seinen Namen. Die charakteristische Leistung wird i.d.R. entgeltlich erbracht. Die Geld-
leistung ist hingegen unspezifisch und wenig aussagekräftig, nämlich nur das Entgelt für be-
stimmte, sehr verschiedenartige Leistungen7. Stehen sich eine Geld- und eine Natural-(Nicht-
geld-)Leistung gegenüber, so wird das Vertragsverhältnis i.d.R. durch die Leistung der Partei
charakterisiert, welche die Naturalleistung zu erbringen hat8. Nicht entscheidend ist dagegen,
welche Leistung rechtlich stärker normiert ist oder leichter zu Rechtsstreitigkeiten Anlass ge-
ben kann. Zwar trifft dies auf die charakteristische Leistung teilweise zu. Die vertragliche Re-
gelung der charakteristischen Leistung als die verwickeltere bedarf vielfach der Ergänzung
durch die Rechtssätze am Niederlassungsort des Leistenden9. Die Regelungsintensität in einem
der zur Auswahl stehenden materiellen Rechte kann aber für die kollisionsrechtliche Frage
nicht maßgeblich sein. Ferner wäre dieses Argument bei gleicher Regelungsintensität nur eine
Bestätigung des Satzes, dass jede Partei i.d.R. an der Anwendung ihres Rechts interessiert ist10.

Die Abgrenzung nach der Geldleistung genügt aber dann nicht, wenn nur Geldleistungen 2.184
(entgeltliches Darlehen) oder Sachleistungen (Tausch) ausgetauscht werden. Ferner können
die gegenseitigen Leistungspflichten sehr komplex sein oder es werden Geld- und Nichtgeld-
leistungen nebeneinander erbracht. Hier ist dann der Inhalt der Verpflichtungen in Bezug auf
berufliche Typizität, Risikotragung und größeres wirtschaftliches Gewicht näher zu unter-
suchen. Wird Geld gegen Geld hingegeben, tritt also die Leistung, die nur das Entgelt für eine
andere spezifische Leistung bildet, zurück11. Bei unentgeltlichen Verträgen erbringt i.d.R. nur
eine Seite eine (Haupt-) Leistung, z.B. bei der Gebrauchsleihe. Folglich gilt das Recht dieser
Partei (ebenso für die Leihe z.B. Art. 20 Nr. 9 jugosl. IPRG von 1982). In einseitig verpflich-

1 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (308).


2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52.
3 Vgl. Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.).
4 Zum Begriff Weitnauer, S. 165 ff.
5 Vgl. LG Karlsruhe v. 21.1.1955 – 2 T 174/54, IPRspr. 1956/57 Nr. 28a (Bankdarlehen aufgrund
schweiz. Bank-AGB).
6 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (307 f.).
7 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52.
8 Wagner, IPRax 2008, 377 (381). – Zum EVÜ Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (308).
9 Vgl. Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3 (1981), 402 (410).
10 Weitnauer, S. 164 f.
11 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152 (Stand 1.2.2021). – Vgl. C. Schulze, Kodifikation
des Vertragsstatuts (1980), S. 106 f.

Martiny | 135
§ 2 Rz. 2.184 | Bestimmung des Vertragsstatuts

tenden Verträgen ist grundsätzlich nur der Schuldner zu einer charakteristischen Leistung
verpflichtet; diese ist es folglich, die das Vertragsverhältnis prägt1.

2.185 Die von Art. 4 Rom I-VO verlangte Anknüpfung an das Charakteristikum des Vertragstyps
ermöglicht es, bestimmte Regeln für einzelne Vertragstypen im Voraus aufzustellen. Verträge
der gleichen Funktion und mit der gleichen Interessenlage teilen folglich das gleiche kollisi-
onsrechtliche Schicksal; ihre Besonderheiten prägen die Kollisionsregel2. Voraussetzung ist al-
lerdings, dass auf die richtige Leistung abgestellt wird und die Vertragskategorien genügend
differenzieren. Gegebenenfalls lassen sich innerhalb des einzelnen Vertragstyps (z.B. beim
Kauf) wieder Untertypen bilden. Die Einordnung des Vertragstyps unterliegt für diesen kolli-
sionsrechtlichen Zweck dem IPR der lex fori (dazu Rz. 2.189).

2.186 Die Lehre von der charakteristischen Leistung ist nicht ohne Kritik geblieben3. Sie ist heute
aber in vielen kontinentaleuropäischen Kodifikationen verankert. Diese enthalten häufig de-
taillierte Anknüpfungskataloge (z.B. Art. 1211 russ. ZGB III; Art. 117 Abs. 2 schweiz. IPRG).
Auch darf das Konzept nicht schematisch angewendet werden. Zwar ist eine ihrer Begründun-
gen, jedes Rechtsverhältnis erfülle eine bestimmte gesellschaftliche Funktion, so dass das
Recht dessen gelte, der diese Funktion ausübe (funktionelle Anknüpfung), nicht grundsätzlich
falsch. Die Annahme, dies sei stets das Recht des Leistenden, insbesondere des Verkäufers,
nicht aber das des Kunden, kann aber nicht befriedigen, wenn das Kriterium des Leistens an-
dere Gesichtspunkte (z.B. Art der Gegenleistung, Schutz) völlig verdrängen würde. Die cha-
rakteristische Leistung bevorzugt nämlich die Nicht-Geldleistung und benachteiligt deshalb
bestimmte Vertragsparteien wie Verbraucher, weil diese stets die Geldleistung erbringen4. Da-
her bedarf es dann, wenn es – wie bei Verbraucherverträgen – inopportun ist, die gewerbliche
Leistung generell zu bevorzugen, einer anderen Anknüpfung, wie sie nunmehr von Art. 6
Rom I-VO zur Verfügung gestellt wird. Anderes gilt auch dann, wenn die sog. Ausweichklau-
sel (Rz. 2.226) zum Zuge kommt. Dann ist zu berücksichtigen, dass andere Umstände als die
Leistung eine engere Verbindung begründen (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO). Ferner ist oft unbe-
friedigend, wenn die charakteristische Leistung nur für einen einzelnen Schuldvertrag be-
stimmt wird. Dies ist vor allem dann unzweckmäßig, wenn der Vertrag in einem engeren Zu-
sammenhang mit einem anderen Vertragsverhältnis steht (s. Rz. 2.231 ff.).

2.187 Nach früherem Recht war der Grundsatz der charakteristischen Leistung als Vermutung für
die engste Verbindung ausgestaltet. Das Konzept einer widerlegbaren Vermutung hat sich je-
doch letztlich als inhaltsleer erwiesen5. Art. 4 Rom I-VO ist daher nicht mehr als Ver-
mutung, sondern als gewöhnliche Kollisionsregel ausgestaltet worden. Folglich ist einfach zu
prüfen, welches die charakteristische Leistung ist. Dabei sind Umstände, die im Übrigen eine
enge Verbindung herstellen können (Rz. 2.252 ff.), für die Bestimmung der charakteristischen
Leistung nicht heranzuziehen. Dies gilt jedoch nur so lange, als diese Umstände nicht das
Übergewicht erlangen und auf eine noch engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO
hinweisen6. Ferner kann die charakteristische Leistung dann nicht maßgeblich sein, wenn sich
eine solche Leistung nicht ermitteln lässt, s. Rz. 2.206.

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52; vgl. auch Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.).
2 Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52 f.
3 S. insbesondere Jessurun d’Oliveira, Am.J.Comp.L. 25 (1977), 303 ff.; Gunst, S. 103 ff. W. Nachw.
bei Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (127 ff.); Kaye, S. 187 ff.
4 Vgl. Gunst, S. 115 ff.; Weitnauer, S. 197 ff.
5 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 14 Rome I Rz. 172. Vgl. Ferrari in Ferrari/Leible, S. 65 ff.
6 Zum EVÜ Ferid, Rz. 6–47.

136 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.190 § 2

b) Zeitpunkt des Vertragsabschlusses


Das aufgrund objektiver Anknüpfung anzuwendende Recht ist – wie bereits aus dem Wortlaut 2.188
der Vorschrift hervorgeht – für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu ermitteln (vgl.
Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO), vgl. Rz. 2.2991. Spätere, für eine objektive Anknüpfung relevante
Veränderungen beeinflussen die Verpflichtung zur charakteristischen Leistung und damit das
Schuldstatut nicht. Ein Statutenwechsel scheidet aus, das Vertragsstatut ist grundsätzlich un-
wandelbar2. Andernfalls wäre die objektive Anknüpfung durch einen drohenden Statuten-
wechsel stets gefährdet3. Verlegt lediglich eine die charakteristische Leistung erbringende Par-
tei ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Land, so führt dies ebenso wenig zu einer
Änderung des Vertragsstatuts wie ein Staatsangehörigkeitswechsel4. Schon bislang wurde an-
genommen, dass, wenn Vertragsbeziehungen jahrzehntelang auf der Grundlage des Rechts
des Niederlassungsortes abgewickelt wurden, eine Sitzverlegung das Vertragsstatut nicht ohne
weiteres ändert5.

2. Qualifikation
Auch die Anknüpfung an die charakteristische Leistung kann Qualifikationsprobleme aufwer- 2.189
fen. So ist zu bestimmen, ob es sich um einen Vertragstyp handelt, auf den die jeweilige Art
der Anknüpfung überhaupt Anwendung findet6. Zum anderen ist zu ermitteln, was die cha-
rakteristische Leistung des konkreten Vertragsverhältnisses ist. Dies ist häufig ohne den Rück-
griff auf eine bestimmte Rechtsordnung nicht möglich.

Für die Anwendung der speziellen Kollisionsnormen (Art. 5–8 Rom I-VO) auf den einzel- 2.190
nen Vertrag ist von der lex fori aus, also von den Art. 3 ff. Rom I-VO aus, zu qualifizieren,
welcher Kollisionsnorm der Vertrag zu unterstellen ist7, z.B. ob ein Arbeits- oder ein Handels-
vertretervertrag vorliegt8. Sind in inländischen Kollisionsnormen Rechtsbegriffe enthalten, so
sind diese so weit zu fassen, dass auch stark abweichende ausländische materiell-rechtliche
Regelungen darunter fallen9. Im Übrigen gilt das Gebot der einheitlichen Auslegung der Kolli-
sionsnormen auch hier. Es kommt daher auf die verordnungsautonome europäische Aus-
legung der Begriffe, nicht etwa auf ihren Gehalt nach nationalem Sachrecht an10.

1 So wohl auch Wagner, IPRax 2008, 377 (385).


2 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 24. – Vgl. Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (8 f.).
3 Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53.
4 OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, IPRspr. 1994 Nr. 2 = IPRax 1996, 33 (m. Aufs. Otto, IPRax
1996, 22) = RIW 1994, 513 (Auftragsverhältnis in Mauretanien); Lüderitz, FS Keller, S. 459 (468 f.);
Merschformann, S. 141. Ebenso für den nicht geplanten „zufälligen“ Aufenthaltswechsel Schnelle,
S. 137. Im gleichen Sinne für Art. 117 schweiz. IPRG, schweiz. BG v. 21.11.2006, BGE 133 III, 90
(94 ff.).
5 BGH v. 7.12.1979 – I ZR 157/77, IPRspr. 1979 Nr. 175 = GRUR-Int. 1980, 230 (Verlagsvertrag.
Verlegung des Verlagssitzes änderte nichts am deutschen Vertragsstatut).
6 Vgl. BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027 = EWiR 1995, 1187
(Geimer) (Garantie- oder Gesellschaftsvertrag); BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003,
1582 (Warenkauf, Geschäftsbesorgung oder Kommission).
7 S. auch schweiz. BG v. 3.12.1962, BGE 88 II, 471 (Alleinvertretungsvertrag); schweiz. BG v.
3.7.2001, BGE 127 III, 553 (556) (Überweisungsauftrag). Anders OLG Saarbrücken v. 3.8.1966 – 3
U 135/63, IPRspr. 1966/67 Nr. 55a.
8 Vgl. Gamillscheg, JZ 1958, 747; Sandrock, RIW 1986, 841 (850 f.).
9 S. Kegel/Schurig, S. 346 ff.
10 Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 26, 111.

Martiny | 137
§ 2 Rz. 2.191 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.191 In engem Zusammenhang hiermit steht die Frage, welches Recht im Rahmen der objektiven
Anknüpfung die Regeln für die Ermittlung des vertraglich Gewollten zur Verfügung stellt.
Denn nicht immer liegen die tatsächlichen Verhältnisse offen zutage. Auch für diese – bloß
kollisionsrechtlich bedeutsame – Auslegung soll die lex fori gelten1. Widersprüche zum letzt-
lich maßgeblichen Schuldstatut sollten aber vermieden werden.

3. Lokalisierung der charakteristischen Leistung


2.192 Die charakteristische Leistung wird im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, die
diese Leistung zu erbringen hat, lokalisiert. Damit ist dieser Ort der eigentliche Anknüpfungs-
punkt. Die charakteristische Leistung dient lediglich dazu, den Ort zu bestimmen und irrele-
vante Verbindungen auszuschalten2. Das Recht dieses Staates beansprucht grundsätzlich den
Vorrang gegenüber dem Staat, in dem die Leistung tatsächlich zu erbringen ist, bzw. in dem
der Vertrag erfüllt wird. Auf den Erfüllungsort für die charakteristische Leistung kommt es
mithin nicht an3. Der gewöhnliche Aufenthalt gilt in erster Linie für Verträge von Privatper-
sonen, da für Berufs- und Gewerbetätigkeit die Niederlassung maßgeblich ist. Der gewöhnli-
che Aufenthalt (habitual residence; résidence habituelle) wird von Art. 19 Rom I-VO näher
beschrieben, s. Rz. 2.285 ff.

4. Einzelne Fälle der charakteristischen Leistung


2.193 Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO enthält, anders als noch Art. 4 EVÜ (Art. 28 EGBGB) einen Katalog
von Vertragstypen und legt für diesen fest, welches Recht jeweils maßgeblich ist. Vielfach ist
das maßgebliche Recht das der charakteristischen Leistung. Die Anknüpfung einer ganzen
Reihe einzelner Vertragstypen wird in Teil 2 (Rz. 8.1 ff.) detailliert dargestellt4. An dieser Stelle
sollen nur einige Leitlinien und Beispiele wiedergeben werden. Die Bestimmung der charakte-
ristischen Leistung hat Schnitzer einmal anschaulich zusammengefasst5:
„Es ist nun sehr einfach, festzustellen, welche Partei die charakteristische Leistung übernimmt. Das ist
diejenige, die verkauft, vermittelt, versichert, die einen Dienst oder einen Transport übernimmt. Die
Gegenseite zahlt bei allen diesen Vertragskategorien ein Entgelt. Die Geldleistung ist also nicht cha-
rakteristisch für die einzelne Vertragskategorie. Bei unentgeltlichen Verträgen übernimmt nur die eine
Seite eine Leistung. Bei einseitigen Leistungsversprechen ist dieses das Kriterium der Rechtskategorie ...
Diese Leistung wird dort übernommen, wo die betreffende Person ihren Wohnsitz, ihre gewerbliche
Niederlassung hat. Auf diese Weise werden auch für diejenigen, die gewerbsmäßig oder berufsmäßig
eine solche Tätigkeit ausüben, alle ihre Akte einheitlich demselben Recht unterstellt.“

2.194 Danach bildet für Veräußerungsverträge die Veräußerung die charakteristische Leistung.
Dazu gehört insbesondere der nunmehr allerdings gesondert geregelte Fahrniskauf
(Rz. 25.106). Entsprechendes gilt für den Kauf von Rechten6, für bestimmte Verträge über ge-
werbliche Schutzrechte und den Know-how-Vertrag7, s. unten Rz. 29.1 ff., Rz. 34.12 ff. Bei

1 S. BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr, 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455 (Übertragung
eines Zeichenrechts oder Lizenzgewährung).
2 Vgl. Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3 (1981), 402 (404).
3 Solomon, Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709 (1714 f.).
4 Weitere Vertragstypen bei Martiny in MünchKomm Art. 4 Rom I-VO Rz. 174 ff.
5 Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.).
6 Wagner, IPRax 2008, 382 (386).
7 Näher Martiny in MünchKomm, Art. 4 Rom I-VO Rz. 249 ff.

138 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.196 § 2

Verträgen auf Gebrauchsüberlassung ist die Leistung der den Gebrauch überlassenden Partei
vertragstypisch, z.B. bei Mobiliarmiete1 und Leihe2. Der einfache Leasingvertrag (operating
leasing) über Mobilien untersteht mangels Rechtswahl dem Recht des Leasinggebers, da dieser
die vertragstypische Leistung der Gebrauchsüberlassung erbringt3 (Rz. 28.115 ff.). Charakte-
ristisch für auf Erbringen von Dienstleistungen oder Tätigkeiten gerichtete Verträge ist die
Leistung des zum Tätigwerden Verpflichteten4. Dieser Gesichtspunkt ist maßgeblich für Mak-
ler (Rz. 30.1), Kommissionäre (Rz. 27.1) Handelsvertreter (Rz. 23.1 ff.), Eigenhändler
(Rz. 37.1), nach früher umstrittener Auffassung auch für den Franchisenehmer (Rz. 20.1) so-
wie für Geschäftsbesorgung5 und Werkvertrag (Rz. 38.1). Entsprechendes gilt für das Abhal-
ten von Kursen, Lehrgängen oÄ6. Verträge auf Sicherung oder die Übernahme eines Risikos
sind gekennzeichnet durch die Leistung des Sicherers oder der Partei, die das Risiko trägt.
Hierzu gehören auch Bürgschaft und Garantie (Rz. 16.1 ff.).

Beim Verwahrungsvertrag erbringt die charakteristische Leistung der Verwahrer. Daher gilt 2.195
aus diesem Grund, wenn nicht schon Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO eingreift7, grundsätzlich
das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. am Niederlassungsort des Verwahrers8. Ent-
sprechendes gilt für die Hinterlegung und Lagerhaltung sowie ähnliche Vertragsgestaltungen9.

Da die charakteristische Leistung vom Gastwirt oder Hotelier erbracht wird, richtet sich der 2.196
Gastaufnahme- bzw. Beherbergungsvertrag nach dem Recht am Ort des gewöhnlichen Auf-
enthalts bzw. Betriebssitzes10. Das ergibt sich aber regelmäßig schon aus Art. 4 Abs. 1 lit. b
Rom I-VO (Dienstleistung)11. Das Recht des Betriebssitzes gilt auch für die Haftung des Gast-
wirts hinsichtlich eingebrachter Sachen12. Bei Pauschalreisen kann Art. 6 Rom I-VO (Verbrau-
cherverträge) zum Zuge kommen (s. Rz. 15.75 ff.). Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für die
bloße Beherbergung in ausländischen Hotels (vgl. Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO).

1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 300 (Stand 1.2.2021).


2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (535 f.).
3 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 4 Rom I Anh. Rz. 42; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO
Rz. 315 (Stand 1.2.2021).
4 S. BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM 1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm.
Mankowski) (Beratervertrag); schweiz. BG v. 14.7.2006, BGE 132 III, 609 (615) (Recht des Ange-
wiesenen).
5 BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003, 1582 (Verwertung von Gurken); OLG Frankfurt
v. 17.12.1997 – 13 U 81/96, IPRspr. 1997 Nr. 45 = RRa 1998, 78 (Hotelverwaltung und -repräsen-
tanz für Anlage auf Mauritius).
6 AG Heidelberg v. 13.7.1984 – 26 C 104/83, IPRax 1987, 25 (Anm. Boll, IPRax 1987, 11).
7 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 8.
8 LG Aachen v. 9.9.1998 – 4 O 479/97, IPRspr. 1998 Nr. 38 = RIW 1999, 304 (Anlage von Termin-
geld); österreich. OGH v. 18.1.2007 – 6 Ob 276/06s, ZfRV 2007, 71; Köhler in BeckOGK, Art. 4
Rom I-VO Rz. 428 (Stand 1.2.2021). – Vgl. auch Art. 117 Abs. 3 lit. d schweiz. IPRG.
9 S. schon KG v. 16.7.1985 – 5 U 6165/83, IPRspr. 1985 Nr. 30 (LS) = ZUM 1986, 550 (Vertrag über
die Archivierung des Nachlasses eines ausländ. Schriftstellers in einem deutschen Archiv unter-
stand deutschem Recht. Klage des Erben auf Herausgabe von Manuskripten blieb erfolglos).
10 LG Hamburg v. 30.1.1991 – 5 O 335/87, IPRspr. 1991 Nr. 33 (italien. Recht für Hotelaufenthalt in
Italien); Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 431 (Stand 1.2.2021).
11 Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 25; Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 10.
12 Österreich. OGH v. 24.9.1975 – 1Ob161/75, ÖJZ 1976, 208.

Martiny | 139
§ 2 Rz. 2.197 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.197 Die Schenkung beweglicher Sachen unterliegt der Rechtsordnung am Aufenthaltsort des
Schenkers1, jedenfalls, solange es nicht um die eherechtlichen Schranken unter Ehegatten
geht2. Der Schenker erbringt die charakteristische Leistung i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO3.
Auch andere Rechtsordnungen stellen auf das Recht des Schenkers ab (z.B. Art. 1211 Abs. 2
Nr. 2 russ. ZGB III). Bei der Grundstücksschenkung ist der auf die Belegenheit hinweisende
Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO zu beachten (vgl. Rz. 2.161).

2.198 Die Schenkung auf den Todesfall, bei der die Zuwendung erst nach dem Erbfall vollzogen
werden soll, untersteht nach h.M. dem Erbstatut4. Dies gilt auch für die EuErbVO (Erbvertrag
i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO)5. Das Erbstatut entscheidet auch, ob eine Schenkung von
Todes wegen überhaupt zulässig ist6.

2.199 Bei Gefälligkeitsverhältnissen liegt der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses am Aufenthalts-


ort des Gefälligen, da dieser die charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)7.
Für den (entgeltlichen oder unentgeltlichen) Auftrag, der freilich häufig schon unter Art. 4
Abs. 1 lit. b Rom I-VO fallen wird8, gilt daher das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des
Beauftragten9.

5. Gemischte Verträge im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO


a) Einordnung des Vertrages
2.200 Bei der Anknüpfung gemischter Verträge nach der charakteristischen Leistung ist zu unter-
scheiden. Für nicht von Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO erfasste Verträge ist grundsätzlich nur die
charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO zu ermitteln10. Ist das nicht
möglich, so ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustellen (Art. 4 Abs. 4

1 Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 74. – Ebenso schon OLG Düsseldorf v. 7.7.1983 – 21 W
20/83, IPRspr. 1983 Nr. 49 = IPRax 1984, 270 (m. abl. Aufs. Fudickar, IPRax 1984, 253) = FamRZ
1983, 1229 (Schenkung des türk. Bräutigamvaters an türk. Brautvater. Deutsches Recht als Aufent-
haltsrecht angewendet). – Zur Schenkung nach katalanischem Recht IPG 2012-14 Nr. 20 (Ham-
burg), rumän. Recht IPG 2009-11 Nr. 17 (Hamburg).
2 Zu Letzteren Nordmeier, Schenkungen unter Ehegatten im Internationalen Privatrecht, IPRax
2014, 411. S. auch Kühne, FamRZ 1969, 371; Abel, S. 120.
3 OLG Köln v. 8.4.1994 – 20 U 226/92, IPRspr. 1994 Nr. 32 = NJW-RR 1994, 1026 (Brautgeld);
Gunst, S. 174; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 311; Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 24;
Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 246.
4 Lorenz in BRHP Art. 25 a.F. EGBGB Rz. 42; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 292 (Stand
1.2.2021). – Zum alten Recht Abel, Die Qualifikation der Schenkung (1997), S. 143. Offen gelassen
in BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, IPRspr. 1983 Nr. 16 = WM 1983, 411 = IPRax 1984, 330
(LS) Anm. Firsching.
5 Dutta in MünchKomm, Art. 3 EuErbVO Rz. 10.
6 OLG Düsseldorf v. 16.8.1996 – 7 U 209/95, IPRspr. 1996 Nr. 118 = NJW-RR 1997, 109 (Italien).
7 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 401.
8 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 8. – Anders wegen Unentgeltlichkeit Köhler in BeckOGK,
Art. 4 Rom I-VO Rz. 427 (Stand 1.2.2021).
9 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = RIW
2005, 144 (m. Aufs. Dutta, RIW 2005, 98) = IPRspr. 2004 Nr. 22 (Treuhandvertrag); OLG Hamm
v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, IPRspr. 1994 Nr. 2 = RIW 1994, 513 = IPRax 1996, 33 (m. Aufs. Otto,
IPRax 1996, 22); OLG Hamm v. 29.1.1997 – 31 U 145/96, IPRspr. 1997 Nr. 28 = NJW-RR 1997,
1007 (Platzierung von Fußballwetten); Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 378.
10 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98.

140 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.204 § 2

Rom I-VO); s. Rz. 2.243 ff. Ferner kann auf eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3
Rom I-VO abzustellen sein. Auch für die Anknüpfung außerhalb des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO
stehender Verträge ist ihre Einteilung in mehrere Gruppen nützlich. Für von Art. 4 Abs. 1
Rom I-VO mehrfach erfasste Verträge besteht eine besondere Regelung in Art. 4 Abs. 2 Alt. 2
Rom I-VO, s. Rz. 2.211 ff.

b) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung


Gehört bei einem Vertrag mit andersartiger Nebenleistung (Rz. 2.173) die von einer Partei zu 2.201
erbringende Hauptleistung einem nicht von Abs. 1 erfasste Vertragstyp an, hat sie daneben
aber noch eine andersartige (atypische oder vertragstypische) Nebenleistung zu erbringen, so
gilt allein das Statut der bedeutenderen Hauptleistung1. Beispielsweise kann die Übertra-
gung von Know-how untergeordneter Teil eines Patentlizenzvertrages sein2. Anzuknüpfen ist
nach Art. 4 Abs. 2–4 Rom I-VO.

c) (Typen-) Kombinationsvertrag
Schuldet bei einem (Typen-)Kombinationsvertrag (s. Rz. 2.174) eine Partei mehreren Ver- 2.202
tragstypen entsprechende und im Wesentlichen gleichwertige Hauptleistungen, so wird die
vom Schuldner zu erbringende Leistung auch die charakteristische sein, also auf nur eine
Rechtsordnung verweisen3. Vor allem dann, wenn eine der Leistungen deutlich überwiegt,
bleibt eine Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO möglich4. Selbst bei Bezügen zu meh-
reren Rechtsordnungen ist gleichwohl die engste Beziehung für das gesamte Vertragsverhält-
nis zu ermitteln5.

d) Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung


Beim Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung (s. Rz. 2.175) liefert etwa ein Li- 2.203
zenznehmer, statt Geld zu zahlen, in Lizenz hergestellte Waren liefern. Auch wenn sich letzte-
res unter Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO subsumieren lässt, dürfte das Vertragsverhältnis ins-
gesamt außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO stehen. Dann ist die
Vertragsleistung maßgeblich, die (wie hier die Patentlizenz) überwiegt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-
VO)6. Die andere hat eher Entgeltcharakter und könnte auch durch eine Geldleistung ersetzt
werden.

Überwiegt keine der Vertragsleistungen, so ist individualisierend die engste Verbindung für 2.204
das gesamte Vertragsverhältnis zu bestimmen (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO)7. Auch dann, wenn
beide Leistungen dem gleichen Vertragstyp angehören, kommt es zu keiner Vertragsspaltung8.

1 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98. – S. Ancel in Cashin Ritaine/Bonomi, Nr. 165; auch
von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 38.
2 S. schon Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (730 f.).
3 Vgl. von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 39.
4 S. für das alte Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 41.
5 Vgl. Kreuzer, FS von Caemmerer, 1978, S. 705 (732).
6 In diesem Sinne Schweiz. BG v. 1.10.1968, BGE 94 II 355 = AWD 1970, 130 (Zusammenfassung);
von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 48, 505.
7 Ebenso für das alte Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 49.
8 Anders noch LG Dortmund v. 8.4.1988 – 12 O 477/87, IPRax 1989, 51 m. Anm. Jayme (gegen-
seitige Vertriebsrechte).

Martiny | 141
§ 2 Rz. 2.204 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Ein Beispiel dafür ist, dass die Parteien gegenseitig Vertriebspflichten für ihre Produkte über-
nehmen1. Genannt sei auch der Lizenztausch, bei dem als Gegenleistung für die Einräumung
einer Lizenz eine andere Lizenz überlassen wird2.

e) Typenverschmelzungsvertrag
2.205 Beim Typenverschmelzungsvertrag (s. Rz. 2.176) ist zu prüfen, ob gleichwohl eine der Parteien
die das Vertragsverhältnis charakterisierende Leistung und die andere nur eine farblose Geld-
leistung erbringt3. Andernfalls ist die engste Verbindung des Vertragsverhältnisses nach ande-
ren Kriterien zu suchen. Bei der gemischten Schenkung beweglicher Sachen kommt es da-
rauf an, ob die Unentgeltlichkeit überwiegt. Dann ist die Leistung des Schenkenden die cha-
rakteristische4. Überwiegt hingegen das Element des Kaufs, dann finden die dafür geltenden
Regeln Anwendung5. Freilich deuten das Recht des Schenkers und das Recht des Verkäufers
regelmäßig in die gleiche Richtung. Für die Schenkung von Grundstücken und dinglichen
Rechten daran ist hingegen die lex rei sitae maßgeblich (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO), sofern
kein anderes Recht vereinbart wurde6. Dies gilt auch für die gemischte Schenkung, wenn das
Schenkungselement überwiegt7.

6. Nichtbestimmbarkeit der charakteristischen Leistung


2.206 Die Regeln der Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO sind nicht anzuwenden, wenn kein spezifizierter
Vertragstyp vorliegt und sich auch keine charakteristische Leistung bestimmen lässt. Nach
Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO gilt dann die Generalklausel. Es ist daher das Recht anzuwenden, zu
dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist8. Fälle, in denen das anwendbare Recht nicht
bestimmt werden kann (cannot be determined; ne peut être déterminée) sind solche, in denen
eine Untersuchung des konkreten Vertragsinhalts nicht erkennen lässt, welcher Leistung we-
gen ihres charakteristischen Inhalts der Vorrang gegeben werden kann. Ein solches Ergebnis
ist einmal möglich bei gewissen Vertragstypen, vor allem aber bei atypischen, individuell ge-
stalteten Verträgen9 (zu letzteren auch Rz. 2.170 ff.).

2.207 Daher spricht man auch von einer individualisierenden Schwerpunktbestimmung10. In die-
sen Fällen ist auf andere Umstände als auf die in den Vermutungen genannten zurückzugrei-
fen wie z.B. den Erfüllungsort. Auch eher marginale Kriterien wie Abschlussort oder Vertrags-
sprache können eine Rolle spielen11. Da die Parteien im Allgemeinen nicht gezwungen sind,

1 Geisler, S. 191 f.
2 Geisler, S. 192 f.
3 von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 45.
4 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 331; Looschelders, IPR, Art. 28 EGBGB Rz. 31.
5 Looschelders, IPR, Art. 28 EGBGB Rz. 31.
6 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 263. – Zu Art. 28 EGBGB OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U
18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs. Koch, IPRax 2008, 417).
7 von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 160, 161.
8 Wagner, IPRax 2008, 377 (386). – Ebenso schon Bericht Giuliano/Lagarde, S. 54.
9 S. etwa OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 1012 (Deut-
sches und französ. Unternehmen übertrugen sich gegenseitig den Vertrieb ihres jeweiligen Fer-
tigungsprogramms im anderen Land).
10 So LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (LS) Anm. Jayme (Tausch deutschen
Grundbesitzes gegen brasilian. Ländereien durch Vertrag vor deutschem Notar vereinbart. Deut-
sches Recht angewendet); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 64.
11 S. von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 64.

142 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.211 § 2

sich bestimmter Vertragstypen zu bedienen, können sie einen Vertrag sui generis schließen.
Auch in einem solchen Fall ist die kollisionsrechtliche Bedeutung der einzelnen Verpflichtun-
gen zu ermitteln. Möglicherweise lässt sich feststellen, welches die charakteristische (insb. die
nicht in Geld bestehende) Leistung ist. Dann ist nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu verfahren.
Lässt sich jedoch keine charakteristische Leistung ermitteln, so kommt es auf die engste Ver-
bindung i.S.d. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO an1.

Schwierigkeiten ergeben sich auch dann, wenn die charakteristische Leistung von zwei oder 2.208
mehr Vertragsparteien erbracht wird, ohne dass diese sich zu einer höheren Organisations-
form (Gesellschaft) zusammengeschlossen haben. So ist etwa denkbar, dass zwei Personen als
Verkäufer oder Werkunternehmer auftreten und ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten
besitzen. In diesen Fällen ist eine gespaltene Anknüpfung des Vertrages nach Möglichkeit zu
vermeiden. Vielmehr ist dann die engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu su-
chen2. Ebenso ist beim Spiel unter Privatpersonen zu verfahren. Dies führt regelmäßig zum
Ort der Durchführung3.

Beim Tausch stehen sich zwei gleichartige Leistungen gegenüber, so dass die Leistung einer 2.209
Partei die der anderen nicht von vornherein überwiegt. Eine charakteristische Leistung nur
einer Partei lässt sich folglich nicht feststellen4. Gleichwohl ist der Vertrag nicht in Einzelver-
pflichtungen aufzuspalten, vielmehr ist nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die engste Verbin-
dung des Vertrages abzustellen5. Teilweise lässt sie sich nach dem Gewicht der Leistungen er-
mitteln6. Bildet nämlich eine Leistung die Hauptleistung und die andere lediglich das Entgelt,
so gilt das Recht dessen, der diese Leistung erbringt.

Beim Grundstückstausch ist Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO nicht anwendbar, da kein Vertrag 2.210
an nur einem Grundstück vorliegt; die Hinweise auf die lex rei sitae heben sich gegenseitig
auf7. Doch kann man den Schwerpunkt im Zweifel beim beurkundenden Notar suchen8.

7. Mehrfach erfasste Verträge (Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO)


a) Arten der Verträge
Eine Sonderregelung besteht für mehrfach erfasste Verträge, bei denen die Bestandteile eines 2.211
Vertrages durch mehrere zum Katalog der spezifizierten Leistungen gehörende Elemente, d.h.

1 Vgl. schon OLG Köln v. 29.2.1984 – 13 U 228/83, IPRspr. 1984 Nr. 23b = RIW 1985, 495; LG
Köln v. 27.7.1983 – 23 O 400/81, IPRspr. 1984 Nr. 23a = IPRax 1984, 161 (LS) Anm. Jayme (Deut-
sches Unternehmen sicherte im Libanon ansässigem Geschäftsmann zu, er werde Verkaufsleiter
einer in Saudi-Arabien zu gründenden Firma. Auf Gehaltsansprüche nach Nichtgründung der Fir-
ma deutsches Recht angewendet, da Absicherung von Deutschland aus geplant war).
2 Dörner, Anm. zu BGH v. 9.10.1986, JR 1987, 201.
3 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 520; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 162. – Nä-
her Martiny, Spiel und Wette im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, FS Lorenz ‘80
(2001), S. 375 (383).
4 Gunst, S. 187 ff.; Geisler, S. 187 f.; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 63 f. – Zu Kompensations-
geschäften s. näher Geisler, S. 189 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 4 Rom I-VO Rz. 346.
5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Wagner, IPRax 2008, 377 (386); Azzi, D. 2008, 2169
(2174).
6 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (67). Für eine Gesamtabwägung Stürner in Erman, Art. 4
Rom I-VO Rz. 47.
7 Geisler, S. 189 (für Art. 28 Abs. 3 EGBGB).
8 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 31; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 129.

Martiny | 143
§ 2 Rz. 2.211 | Bestimmung des Vertragsstatuts

mehr als einen der Buchstaben a-h des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, abgedeckt werden. Hier droht
bei gleichzeitiger Anwendung unterschiedlicher, sich teilweise widersprechender Regeln, eine
Überlappung. Daher kommen die Regeln für spezifische Verträge in Fällen, in denen Be-
standteile des Vertrages (elements of the contract, éléments du contrat) von mehreren spezi-
fischen Kollisionsnormen erfasst werden, nicht zur Anwendung (Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-
VO)1. Dies ist insbesondere bei gemischten Verträgen der Fall (s. Rz. 2.170 ff.). Insofern
kommt es nicht auf das Ergebnis der Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO an, sondern
es genügt bereits eine Mehrfacherfassung des Vertrages. Die bloße Tatsache, dass ein Vertrag
innerhalb des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO einmal unter eine allgemeinere Kategorie und des Wei-
teren unter eine noch speziellere der gleichen Vorschrift – beispielsweise Dienstleistung und
Vertrieb – fällt, ist aber sicherlich nicht gemeint2. Hier ist lediglich auf die speziellere abzu-
stellen und nur diese, also etwa für den Vertrieb, heranzuziehen (Rz. 2.173).

2.212 Gemäß Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO ist die charakteristische Leistung zu ermitteln. Besteht
ein Vertrag aus einem „Bündel von Rechten und Verpflichtungen“, die mehr als einer der spe-
zifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, so ist die charakteristische Leistung des
Vertrags nach ihrem Schwerpunkt zu bestimmen (Erwägungsgrund 19)3. Dies wird etwa für
einen Vertrag über die Herstellung und Lieferung patentierter Ware angenommen4. Art. 4
Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO stellt also nicht sogleich auf die engste Verbindung des Art. 4 Abs. 4
Rom I-VO ab5.

b) Vertrag und Vertragsbestandteile


2.213 Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO setzt voraus, dass ein Vertrag vorliegt. Insofern gelten die glei-
chen Maßstäbe wie bei einer einfachen Anwendung des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO (s. Rz. 2.156).
Es kommt allerdings auf die „Bestandteile des Vertrags“ an. Der Zusammenhang der Bestim-
mung lässt erkennen, dass es um die Teile des Vertrages geht, welche die für die Anknüpfung
des Vertrages relevanten Leistungsverpflichtungen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO betreffen.
Dabei wird es sich regelmäßig um die Hauptpflichten der Parteien handeln. Ähnlich wie für
Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO können beliebige Nebenpflichten nicht genügen. Andernfalls würde
nahezu jede Nebenpflicht den Vertrag der alleinigen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-
VO entziehen6 (s. Rz. 2.201). Handelt es sich um mehrere Verträge im Rechtssinne, dann greift
– falls Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO angewendet werden kann – Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO
nicht ein. Der Zusammenhang dieser mehreren Verträge kann aber über Art. 4 Abs. 3 Rom I-
VO als engere Verbindung berücksichtigt werden (dazu Rz. 2.231 ff.).

c) Maßgeblicher Beurteilungsgegenstand
2.214 Bei der Überwindung einer an den einzelnen Bestandteilen eines Vertrages orientierten Beur-
teilung kommt es darauf an, was an ihre Stelle treten soll. Eine isolierte Anknüpfung der ein-
zelnen Leistungen mit Vertragsspaltung ist nicht zulässig (s. Rz. 2.156a). Denkbar wäre – etwa
für einen Kaufvertrag, der auch Dienstleistungselemente enthält –, sich einfach für die am

1 Wagner, IPRax 2008, 377 (382).


2 Azzi, D. 2008, 2169 (2172): Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 49; Magnus in Staudinger, Art. 3
Rom I Rz. 17, 30, 100.
3 S. Lando/Nielsen, C.M.L.Rev. 45 (2008), 1687 (1703).
4 de Miguel Asensio, Yb.PIL 10 (2008), 199 (209).
5 Krit. Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani, S. 105 (122).
6 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 31.

144 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.216 § 2

aussagekräftigsten gehaltene Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, also entweder die
Kauf- oder Dienstleistung, zu entscheiden. Dann käme es nur auf eine der Anknüpfungen an.
Man wird aber annehmen müssen, dass zwar so für untergeordnete Nebenpflichten verfahren
werden darf (s. Rz. 2.201), sich Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO im Übrigen aber kein solcher vor-
geschalteter Schwergewichtstest entnehmen lässt1. Als stattdessen maßgebliches Kriterium
drängt sich die engste Verbindung auf2. Dies ist freilich nicht die Lösung des Art. 4 Abs. 2
Alt. 2 Rom I-VO, der auf die charakteristische Leistung abstellt.

Nach Erwägungsgrund 19 kann dann, wenn ein Vertrag aus einem Bündel von Rechten und 2.215
Verpflichtungen (a bundle of rights and obligations, un faisceaux de droits et obligations) be-
steht, die mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, die cha-
rakteristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt (having regard to its centre of
gravity, par rapport à son centre de gravité) bestimmt werden. Dementsprechend dürfte auf
den dominierenden Teil des Vertragsverhältnisses abzustellen sein; der weniger wichtige Teil
bleibt außer Betracht3. Als Maßstab bieten sich der Umfang der Leistungen und ihr wirt-
schaftlicher Wert an4. Folgt man diesem Ansatz, so wird sich im Ergebnis oft eines der in
Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO spezifizierten Vertragsverhältnisse durchsetzen. Auch hier kann aber
wohl mangels charakteristischer Leistung noch Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO in Betracht kommen
(s. Rz. 2.223 ff.).

d) Vertragstyp und charakteristische Leistung


Zwar werden viele, keineswegs aber alle Verträge des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nach der cha- 2.216
rakteristischen Leistung angeknüpft. Art. 4 Abs. 1 lit. c (Grundstücksgeschäfte), lit. g (Verstei-
gerungskauf) und lit. h Rom I-VO (multilaterale Systeme) stellen auf andere Anknüpfungs-
punkte ab (Belegenheit, Versteigerungsort, Recht des multilateralen Systems)5. Daher ist es
nicht ganz einleuchtend, dass, obwohl für einen Vertragstyp eine Anknüpfung nach der cha-
rakteristischen Leistung im Grundsatz als ungeeignet angesehen wird, dies anders sein soll,
nur weil ein weiteres Element hinzutritt. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Grundstücksver-
käufer verpflichtet sich zugleich, auf dem Grundstück vor Übergabe noch bestimmte, nicht
ganz unerhebliche Arbeiten vorzunehmen6. Dann führt die Anknüpfung des Grundstücks-
geschäfts zum Lageort des Grundstücks (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO), während für die
Dienstleistung der gewöhnliche Aufenthalt des Dienstleistenden (Verkäufers) maßgeblich ist
(Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Befinden sich gewöhnlicher Aufenthalt des Verkäufers und
Grundstück in unterschiedlichen Staaten, so fallen die Anknüpfungsergebnisse auseinander.
Angesichts dessen wollte der Verordnungsgeber auf einen dritten, allgemeineren Anknüp-
fungspunkt ausweichen. Das allgemeinere Element ist allerdings die engste Verbindung7
(Rz. 2.177). Man könnte daher annehmen, dass in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO,

1 Möglicherweise anders Tang, MLR 71 (2008), 785 (794); Tang, J.PIL 4 (2008), 35 (54).
2 In diesem Sinne für das schweizerische Recht Kren Kostkiewicz, Liber Amicorum Siehr (2000),
S. 361 (373). – Ebenso Art. 1211 Abs. 10 russ. ZGB III.
3 So Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (45). – Anders wohl Villani in Boschiero (2009), S. 149
(170 f.). – Zweifelnd Kenfack, Clunet 136 (2009), 3 (26).
4 So Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (47).
5 Bonomi, Yb.PIL 10 (2008), 165 (174).
6 Nach Lando/Nielsen, C.M.L. Rev. 45 (2008), 1687 (1703). – Dazu auch Magnus in Staudinger,
Art. 3 Rom I Rz. 31, 101.
7 S. auch Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (46). – Für einen „proper law“ oder „center of
gravity approach“ Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani, S. 105 (122).

Martiny | 145
§ 2 Rz. 2.216 | Bestimmung des Vertragsstatuts

denen nicht das Konzept der charakteristischen Leistung zugrunde liegt, die Regel des Art. 4
Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO erst gar nicht herangezogen wird. Eine solche teleologische Reduktion
der Vorschrift wäre freilich sehr weitgehend. Im Regelfall dürfte wohl eine Schwerpunkt-
betrachtung (Rz. 2.212) ausreichen, um ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Im Beispiel
der Grundstücksarbeiten wird man daher allein auf die Grundstücksbelegenheit abstellen
können1.

e) Anknüpfung nach der engsten Verbindung


2.217 Auch für Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO steht bei Scheitern der Anknüpfung nach der charak-
teristischen Leistung noch die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zur Ver-
fügung2. Entsprechendes gilt für die engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO.

f) Arten mehrfach erfasster gemischter Verträge


aa) Einordnung gemischter Verträge
2.218 Gemischte Verträge im sachrechtlichen Sinne können unter Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO
(Nichterfassung) oder unter die einschränkend auszulegende Alt. 2 (Mehrfacherfassung; s.
Rz. 2.211 ff.) fallen. Die Einordnung unter eine der Alternativen ist insoweit nicht von Belang,
als für beide die gleiche Rechtsfolge, nämlich eine Anknüpfung nach der charakteristischen
Leistung, angeordnet wird. Für beide müssen aber sachgerechte Lösungen gefunden werden.
Dies setzt eine genauere Analyse voraus. Die Verordnung unterscheidet auch für Art. 4 Abs. 2
Alt. 2 Rom I-VO nicht zwischen den Arten der gemischten Verträge.

bb) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung


2.219 Ein Beispiel für einen Vertrag mit andersartiger Nebenleistung sind erhebliche Dienstleistun-
gen zusätzlich zu einem Verkauf einer beweglichen Sache (vgl. Rz. 2.173). Verweisen beide auf
den gleichen Schuldner, so kommt es auf dessen Leistung an. Wenn hier noch eine Subsumti-
on des Vertrages unter eine einzige der Alternativen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO möglich ist,
so kommt Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO gar nicht erst zum Zuge (Rz. 2.212). Andernfalls ist
eine Schwerpunktbetrachtung erforderlich.

cc) (Typen-) Kombinationsvertrag


2.220 Für den (Typen-)Kombinationsvertrag (Rz. 2.174) dürfte regelmäßig Art. 4 Abs. 2 Alt. 2
Rom I-VO über mehrfach abgedeckte Verträge heranzuziehen sein. Die Lösung ist unproble-
matisch, wenn die charakteristischen Leistungen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des
Schuldners verweisen3. Das ist etwa beim Kauf einer beweglichen Sache mit Montagever-
pflichtung (Dienstleistung) der Fall (Art. 4 Abs. 1 lit. a, b Rom I-VO)4. Bei unterschiedlicher
Anknüpfung bedarf es hingegen einer genaueren Untersuchung. Verkauft etwa der Unterneh-
mer im Rahmen eines einzigen, nicht abtrennbaren Vertriebsvertrages auch Fremdwaren an
seinen Händler, so unterliegt der Vertrieb dem Recht des Händlers (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-

1 Magnus, IPRax 2010, 27 (34).


2 Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415).
3 Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64.
4 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Tang, J.PIL 4 (2008), 35 (54); Ringe in jurisPK, Art. 4
Rom I-VO Rz. 56.

146 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.223 § 2

VO), während es für den Kauf auf das Recht des Unternehmers (Verkäufers) ankommt (Art. 4
Abs. 1 lit. a Rom I-VO)1. Auch hier dürfte freilich für die Anknüpfung eine Schwerpunkt-
betrachtung vorgenommen werden2. Die charakteristische Lösung ist dann regelmäßig die
des Händlers, nur selten die des Unternehmers.

dd) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung


Bei Verträgen mit anderstypischer Gegenleistung (Rz. 2.175) ist die Vertragsleistung maß- 2.221
geblich, die überwiegt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)3. Die andere hat eher Entgeltcharakter und
könnte auch durch eine Geldleistung ersetzt werden4. Ein Beispiel ist ein Warenkauf, dessen
Gegenleistung in der Erbringung von Diensten besteht. Dies führt zunächst einmal für den
Kauf zum Recht des Verkäufers (lit. a), für die Dienstleistung hingegen zum Recht des Käufers
(lit. b)5. Hier ist nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO nach der charakteristischen Leistung für
den ganzen Vertrag zu fragen. Für die Anknüpfung muss eine Schwerpunktbetrachtung erfol-
gen6.

ee) Typenverschmelzungsvertrag
Sind die Bestandteile eines Typenverschmelzungsvertrages (dazu Rz. 2.176) unter mehrere 2.222
Anknüpfungsfälle des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO zu subsumieren, so ist nicht ausgeschlossen,
dass Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO zum Zuge kommt. Dann ist bei der Anknüpfung eine
Schwerpunktbildung vorzunehmen7. Die charakteristische Leistung sowie gegebenenfalls die
engste Verbindung sind zu bestimmen. Freilich wird häufig die weite Kategorie der Dienstleis-
tung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) zur Anwendung kommen (vgl. Rz. 2.160).

V. Engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO)


1. Funktion der engeren Verbindung
Erwägungsgrund 20 stellt klar, dass dann, wenn ein Vertrag eine offensichtlich engere Ver- 2.223
bindung zu einem anderen als dem in Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO genannten Staat auf-
weist, diese Anknüpfungen nicht gelten. Maßgeblich ist die Gesamtheit der Umstände (Art. 4
Abs. 3 Rom I-VO). Diese Vorschrift, die auf Art. 4 Abs. 5 S. 2 EVÜ zurückgeht8, schränkt also
die Regeln über die spezifizierten Verträge sowie die anderen Anknüpfungskriterien (gewöhn-
licher Aufenthalt des Schuldners, charakteristische Leistung, Grundstücksbelegenheit) ein.

1 Beispiel von B. Ancel in Cashin Ritaine/Bonomi, S. 77 (92).


2 Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64. Vgl. auch Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 56. – Mit
dem Schutz des Händlers argumentiert Magnus, IPRax 2010, 25 (34); Magnus in Staudinger, Art. 3
Rom I Rz. 32.
3 S. auch öOGH v. 9.3.1993 – 4 Ob 512/93, ZfRV 34 (1993) 213 (LS) = ZfRV 35 (1994) 32 Anm.
Hoyer; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 49 (Darlehen überwiegt Bierbezugsverpflichtung).
4 Auf Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO stellen ab von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 363.
5 Plender/Wilderspin, Rz. 7–057.
6 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 57.
7 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 56; Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64.
8 Dazu EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I-9687 = IPRax 2010,
236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski = IHR 2010,
128 m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89 = GPR 2011, 48 Aufs. Martiny (Beförderungsvertrag);
EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 =
TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag).

Martiny | 147
§ 2 Rz. 2.223 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Entsprechende Regelungen enthalten Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO für Beförderungsverträge (dazu
Rz. 15.66 ff.), Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 Rom I-VO für Versicherungsverträge (s. Rz. 36.36)
sowie Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO für Arbeitsverträge (vgl. Rz. 11.72 ff.), nicht hingegen Art. 6
Rom I-VO für Verbraucherverträge1.

2.224 Grund für diese Norm ist, dass die gewöhnlichen Anknüpfungsregeln nicht für alle in Be-
tracht kommenden Vertragsgestaltungen zum richtigen Ergebnis führen können. Dies liegt
zum einen an der Fülle der möglichen vertraglichen Vereinbarungen und tatsächlichen Um-
stände, zum anderen an den unterschiedlichen Bedingungen, in die sich solche Vereinbarun-
gen einfügen. Daher muss dem Gericht ein ausreichender Spielraum bleiben, um im Einzelfall
von den genannten Anknüpfungen abweichen zu können2. Von der Grundregel kann daher
dann abgewichen werden, wenn sie ihren Zweck, auf die Rechtsordnung hinzuweisen, zu der
die engste Verbindung besteht, nicht mehr erfüllt3. Somit ist Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO von ent-
scheidender Bedeutung. Wird die Vorschrift nämlich weit ausgelegt, so schränkt dies die
Reichweite der Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO erheblich ein. So findet
z.B. das Konzept der charakteristischen Leistung umso weniger Anwendung, je eher der Rich-
ter eine engere Verbindung konstatiert4. Wird sie dagegen zu eng angewandt, kann dies wegen
der starren Anknüpfungen zu unzuträglichen Anknüpfungen führen5. Der ursprüngliche VO-
Entwurf wollte ganz auf eine Ausweichklausel verzichten. Dies stieß jedoch wegen des drohen-
den Mangels an Flexibilität auf lebhaften Widerspruch6. Nunmehr ist zwar wieder eine Aus-
weichklausel enthalten, es ist aber mit dem Zusatz „offensichtlich“ verdeutlicht worden, dass
sie wirklich nur ausnahmsweise zum Zuge kommen soll7. In erster Linie erfolgt eine Prüfung
der Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO. Die für die Ausweichklausel spre-
chenden Umstände müssen daher besonderes Gewicht haben8.

2.225 Maßgeblich ist die Gesamtheit der Umstände (the circumstances as a whole; l’ensemble des
circonstances)9. Welche Umstände in Betracht kommen, sagt die Verordnung nicht. Sicher ist
jedenfalls, dass es andere Umstände sein müssen als die, auf denen die jeweilige Regel-
anknüpfung beruht. Gemeint sind mithin konkrete Indizien für das einzelne Rechtsverhält-
nis10. Zweckmäßig dürfte es sein, auf die gleichen Kriterien zurückzugreifen, die auch für die
engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO Verwendung finden (dazu Rz. 2.243 ff.). Aus

1 Rspr.-Länderübersicht zur Anwendung der Auseichklauseln bei Guinchard in Guinchard (Hrsg.),


Rome I and Rome II in practice (Cambridge 2020), S. 625 (649 ff.).
2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 54 f.
3 Vgl. allgemein Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 33
(1992), 168 (175 f., 183 f.); Kreuzer, FS Zajtay, S. 295 (316 f.).
4 Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (130); Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-078 ff.
5 Vgl. Kaye, S. 183, 187.
6 Dazu Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (338 ff.); Mankowski, IPRax 2006, 101 (104 f.); Lando/
Nielsen, J. PIL 2007, 29 (35 ff.); Max-Planck-Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (256 ff.); Wagner,
IPRax 2008, 377 (381 f.).
7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-70); Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (338); Leible/
Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Mankowski, IHR 2008, 133 (136 ff.).
8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625 f.).
9 Zu Art. 4 Abs. 5 EVÜ EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I-
9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Man-
kowski = IHR 2010, 128 m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89 = GPR 2011, 48 Aufs. Martiny (Beför-
derungsvertrag); EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt),
RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag).
10 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-70).

148 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.227 § 2

diesen Umständen muss sich ergeben, dass die engere Verbindung besteht, während zu der
Rechtsordnung, auf welche die Regelanknüpfung hinweist, nur schwächere – z.B. flüchtigere,
den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht entsprechende – Beziehungen vorhanden sind. In
der Praxis hat sich gezeigt, dass die Ausweichklausel für die Rechtsprechung häufig das Ein-
fallstor für eine Anknüpfung nach früher maßgeblichen Anknüpfungspunkten und -maximen
(z.B. Erfüllungsort, Akzessorietät) ist1. Erfolgt die Erfüllung des Vertrages in einem anderen
Land als dem des gewöhnlichen Aufenthalts des die spezifizierte oder charakteristische Leis-
tung Erbringenden, so rechtfertigt dies allein noch keine Abweichung von der Regelanknüp-
fung2. In einem Fall, in dem es um die Urheberrechte eines deutschen Fotografen an Werbefo-
tos ging, wurde allerdings argumentiert, der Vertrag weise engere Verbindungen zu Frank-
reich auf, da die Fotos dort hergestellt und veröffentlicht wurden3.

2. Ausweichklausel
Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO erkennt an, dass der Vertrag mit einer anderen Rechtsordnung enger 2.226
verbunden sein kann als durch die vertragsspezifische Anknüpfung oder die charakteristische
Leistung. Diese Regelung geht zurück auf die Rechtsprechung des schweizerischen BG. Da-
nach ist die charakteristische Leistung nur so lange der entscheidende Gesichtspunkt, als nicht
„konkrete Umstände die räumliche Verknüpfung mit einem anderen Recht nahe legen“4. Die
Ausweichklausel soll dann zum Zuge kommen, wenn die Umstände des Falles auf ein anderes
Recht hindeuten, zu dem offensichtlich eine noch engere Verbindung besteht5. Diese Um-
stände haben größeres Gewicht als das Anknüpfungsmerkmal der jeweiligen Anknüpfung6.
Schon früh hat man versucht, subjektive und objektive Ausnahmen von der Regelanknüpfung
herauszuarbeiten7. Heute enthält das schweizerische IPRG in Art. 15 eine generelle „Ausnah-
meklausel“8.

Die Ausweichklausel (escape clause; clause d’échappement) des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO dient 2.227
als Korrektur der Regelanknüpfungen9. Bei ihrer Anwendung gibt es Fälle, in denen die indi-
vidualistische Methode die richtige ist. So ist insbesondere dann zu verfahren, wenn keine
Interessen feststellbar sind, die zu typischen Anknüpfungen drängen10. Freilich ist es keines-
wegs ausgeschlossen, auch einzelne Fallgruppen zu entwickeln und für sie wieder typische
Anknüpfungsregeln zu entwerfen11. Dafür besteht schon angesichts der begrenzten Reichweite
der Anknüpfungen des Art. 4 Rom I-VO ein dringendes Bedürfnis. Andere meinen dagegen,

1 Näher Blaurock, FS Stoll (2001), S. 463 ff. (zu England und Frankreich); Mankowski, ZEuP 2002,
804 (819 ff.); Mankowski, IPRax 2003, 464 (466 ff.); Siehr in Reichelt, S. 69 (73 ff.).
2 Nachw. bei Martiny in Calvo Caravaca/Carrascosa Gonzaléz, S. 11 ff.; Siehr in Reichelt, S. 69 (76).
3 Noch zu Art. 28 Abs. 5 EGBGB BGH v. 24.9.2014 – I ZR 35/11, NJW 2015, 1690 = GRUR-Int.
2015, 375 m. Anm. Katzenberger – Hi Hotel II.
4 Schweiz. BG v. 10.6.1952, BGE 78 II, 190 (191).
5 Zum Begriff näher Merschformann, S. 178 ff. Zum europäischen Kollisionsrecht Remien in Leible/
Unberath, S. 223 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung Nadelmann, Am.J.Comp.L. 33 (1985), 297 ff.
6 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 338; Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–078 ff.; Magnus in Stau-
dinger, Art. 4 Rom I Rz. 128.
7 S. Vischer/Huber/Oser, Rz. 264 ff. Dazu auch Gunst, S. 71 ff. Für die Herausarbeitung von Fall-
gruppen ebenfalls Merschformann, S. 208 ff.
8 Zum EVÜ näher Geisler, S. 98 ff.
9 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 159 (Stand 1.2.2021). Vgl. Kreuzer, FS Zajtay, S. 295
(303).
10 Vgl. Solomon, Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709 (1719). – Ferner Sandrock, RIW 1986, 841 (851).
11 Vgl. Kreuzer, FS Zajtay, S. 295 (324 f.); Blaurock, FS Stoll (2001), S. 477 f.

Martiny | 149
§ 2 Rz. 2.227 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO erlaube nur eine einzelfallbezogene Abwägung der Anknüpfungs-
punkte1.

2.228 Von der Regelanknüpfung sowie der Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung kann
etwa dann abgewichen werden, wenn bestimmte Verträge mit Angehörigen ausländischer
Streitkräfte geschlossen werden (s. Rz. 2.262). Die Grundstücksbelegenheit kann z.B. bei ei-
nem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien in einem anderen Staat als maßgeb-
licher Gesichtspunkt für einen Mietvertrag zurücktreten (vgl. Rz. 22.6 ff.). Auch ein Beför-
derungsvertrag kann von anderen Elementen als der Rechtsordnung des Niederlassungsorts
geprägt sein. In den Niederlanden ging man dann zu Art. 4 Abs. 5 EVÜ über, wenn der Sitz
der die charakteristische Leistung erbringenden Partei keinen „reellen Anknüpfungswert“
mehr hat2.

2.229 Ferner soll die Einschaltung Dritter im Lande des Vertragspartners darauf hinweisen, dass zu
diesem die engste Verbindung besteht. Auf diese Weise wird bei inländischer Vertrags-
abwicklung das inländische Recht berufen, ohne dass auf eine inländische Zweigniederlas-
sung abgestellt wird. So wurde etwa dann argumentiert, wenn die Voraussetzungen für Ver-
braucherverträge im Übrigen nicht erfüllt sind3. In anderen Fallgestaltungen deuten die sons-
tigen Umstände eher auf die Belegenheit hin4.

2.230 Auch für die engere Verbindung nennt die Verordnung keinen Zeitpunkt. Da die Ausweich-
klausel den Grundsatz der engsten Verbindung durchsetzen soll, scheint eine gleiche Haltung
wie gegenüber Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO geboten (vgl. Rz. 2.157, Rz. 2.188). Nach dem
EVÜ wurde die nachträgliche Veränderung auch hier für berücksichtigungsfähig gehalten5.
Danach könnten bei den Anknüpfungen – insbesondere nach der charakteristischen Leistung
– nachträgliche Veränderungen vor allem dann in Betracht kommen, wenn sich die für die
Regelanknüpfung maßgeblichen Umstände ändern6. Allerdings spricht auch hier der in Art. 19
Abs. 3 Rom I-VO genannte Zeitpunkt für den Vertragsschluss, s. Rz. 2.299.

3. Zusammenhängende Verträge
a) Mehrere Verträge
2.231 Die Geschäftsbeziehungen unter den Parteien brauchen nicht stets der gleichen Rechtsord-
nung zu unterstehen. So kann beispielsweise bei Bankgeschäften unter zwei Banken inländi-

1 Schulte, ZEuP 2021, 460 (471). Krit. auch Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 45. – Vgl. zum
EVÜ Mankowski, VersR 2002, 1177 (1183 f.); Mankowski, ZEuP 2002, 804 (811 ff.).
2 So im Balenpers-Arrest niederländ. H.R. v. 25.9.1992, N.J. 1992 Nr. 750. Dazu Rammeloo, Die
Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und Abs. 5 EVÜ, IPRax 1994, 243; Vlas, IPRax 1995, 194 (196). – W.
Nachw. bei Mankowski, IPRax 2003, 464 (469).
3 S. Kohte, EuZW 1990, 150 (151 f.).
4 LG Köln v. 22.1.1992 – 26 O 142/91, IPRspr. 1992 Nr. 29 = VuR 1992, 156 (Vermietung nieder-
länd. Ferienwohnungen deutschem Recht unterstellt); KG v. 22.6.1994 – Kart U 939/94, IPRspr.
1994 Nr. 21b = VuR 1995, 35 (Dän. Ferienhausanbieter bediente sich seines deutschen Tochter-
unternehmens [das einen ähnlichen Namen hatte] für die „Abwicklung“ von Ferienhausverträgen.
Deutsches Recht wegen engerer Verbindung angewendet). – Dagegen nicht für den Bauvertrag,
BGH v. 25.2.1999, IPRspr. 1999 Nr. 110 = IPRax 2001, 331 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306).
5 Merschformann, S. 141. Ebenso Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (310 f.), der zwar grundsätz-
lich analog Art. 4 Abs. 2 EVÜ vom Abschlusszeitpunkt ausgeht, aber Veränderungen etwa von
Lieferungs- oder Zahlungsort für relevant hält.
6 Schnelle, S. 137 f.

150 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.233 § 2

sches Recht gelten, wenn die inländische Bank tätig wird, während sie in einem anderen Fall
nur Auftraggeber ist und folglich mit der Anwendung ausländischen Rechts rechnen muss
(vgl. Rz. 13.20 ff.). Auch in Geschäftsbeziehungen unter Spediteuren kann es zum Rollen-
tausch kommen1. Gleichwohl besteht hier kein Anlass zum Abweichen von den Regeln der
Art. 4 Abs. 1 (spezifizierte Verträge) und Abs. 2 (charakteristische Leistung) bzw. Art. 5 Abs. 1
Rom I-VO; für die aufeinander folgenden Verträge gilt eben unterschiedliches Recht, weil die
Leistungen verschieden sind.

Ein Abweichen von der für die einzelne Vertragsart maßgeblichen Regelanknüpfung und ein 2.232
Abstellen auf die engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) kann aber dann in Betracht
kommen, wenn Verträge untereinander in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen2. Dies
ist insb. dort der Fall, wo die Einzelverträge der Parteien ein größeres Ganzes bilden. Bereits
bei Zweipersonenverhältnissen kann die Anknüpfung an die charakteristische Leistung, die
grundsätzlich nur den Einzelvertrag im Auge hat, zur Anwendung verschiedener Rechte füh-
ren. Sind aber, wie in modernen Vertragsverhältnissen und Finanzierungsformen (Anlagen-
bau, Leasing, Factoring, Garantie), drei oder noch mehr Personen durch mehrere Einzelver-
träge zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Zweck verbunden, so führt eine unterschiedli-
che Anknüpfung fast zwangsläufig zu Spannungen und Anpassungsproblemen. Ein Teil der
Probleme kann sicherlich nur mit den Mitteln des anwendbaren Rechts gelöst werden. Der
Beitrag des Kollisionsrechts besteht darin, Zusammenhänge nicht zu zerreißen. Erwägungs-
grund 20 nennt ausdrücklich die enge Verbindung mit einem anderen Vertrag3. Eine solche
Kette von Verträgen (chaîne de contrats) kann etwa dann vorliegen, wenn ein Speditionsver-
trag von einem Hauptspediteur mit einem anderen Spediteur abgeschlossen wird4. Im Einzel-
nen ist zu unterscheiden:

b) Vertragsverbindung
Bei der bloß äußerlichen Vertragsverbindung besteht das Vertragsverhältnis in Wirklichkeit 2.233
aus mehreren selbständigen Verträgen. Sind sie rechtlich voneinander unabhängig, so ist das
Vertragsstatut grundsätzlich für jeden Vertrag gesondert zu bestimmen. Dies gilt insbeson-
dere für Verträge, die lediglich gleichzeitig in einer Urkunde geschlossen werden5. Ist kein
Wille der Parteien feststellbar, Verträge einer einzigen Rechtsordnung zu unterwerfen, so ist
ihr äußeres Zusammentreffen allein kein Grund, sie international-privatrechtlich einheitlich
zu behandeln. Eine solche rechtliche Selbständigkeit wird vielfach bei Gegengeschäften beste-
hen. So kann ein Exportvertrag unabhängig vom gleichzeitig abgeschlossenen Gegenkauf ab-
gewickelt werden6.

1 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, WM 1987, 355 = RIW 1987, 217.


2 Corneloup in Corneloup/Joubert (2011), S. 285 (293 ff.); Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani,
S. 105 (122). – Zur Rolle des Art. 28 Abs. 5 EGBGB s. Mankowski, IPRax 2003, 464 (471); Geisler,
S. 260 ff. (285).
3 Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536).
4 Dazu EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014,
437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag). – Problematisch ist freilich, wie weit das auch für
Verträge mit Dritten gilt. Hier wird man darauf abstellen müssen, dass diese vertragliche Bezie-
hung mit einbezogen ist; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2015, 1 (30).
5 Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (319).
6 Vgl. Niggemann, Gestaltungsformen und Rechtsfragen bei Gegengeschäften, RIW 1987, 169 (177).

Martiny | 151
§ 2 Rz. 2.234 | Bestimmung des Vertragsstatuts

c) Zusammengesetzte Verträge
2.234 Werden mehrere zwar rechtlich selbständige Verträge geschlossen, die aber von den Parteien
dergestalt miteinander verknüpft wurden, dass sie ein einheitliches Ganzes bilden, so ist auf
den Zweck des zusammengesetzten Vertrages abzustellen und eine Aufspaltung nach den ein-
zelnen Leistungen möglichst zu vermeiden. Meist wird eine qualitative Bewertung der einzel-
nen Vertragsverhältnisse ermöglichen, den engsten Zusammenhang der gesamten Vertrags-
beziehung zu einer Rechtsordnung zu finden1.

d) Angelehnte Verträge
2.235 Verträge, die lediglich untergeordnete Hilfsfunktionen erfüllen und zur Vorbereitung, notwen-
digen Ergänzung, Erfüllung oder Abänderung des Hauptvertrages dienen (angelehnte Verträ-
ge), unterstehen i.d.R. dem Recht des Hauptvertrages2. Dies gilt insbesondere für Auftrag
und Geschäftsbesorgung. Eine Ruhegehaltsvereinbarung wurde früher regelmäßig dem Statut
des Arbeitsvertrages unterstellt3. Eine Option in einem Verlagsvertrag untersteht seinem
Recht4. Selbständig zu beurteilen sind jedoch die Ausführungsgeschäfte des Kommissionärs
(vgl. Rz. 27.5), die vermittelten Verträge des Handelsvertreters (s. Rz. 23.133) und die des
Maklers (vgl. Rz. 30.6).

e) Sicherungsverträge
2.236 Verträge, welche die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus einem anderen Vertrag sichern und
einen engen Zusammenhang mit dem gesicherten Geschäft aufweisen, sind i.d.R. demselben
Recht zu unterstellen. Dies gilt etwa für das Vertragsstrafeversprechen (Rz. 3.173), aber auch
für eine Nebenabrede, mit der die Verpflichtung zur Beibringung einer Bankgarantie über-
nommen wird5. Sind jedoch Dritte beteiligt, wie bei Bürgschaft und Garantie, so bestimmt das
Statut der Hauptverpflichtung regelmäßig nicht mehr das Statut des von ihnen geschlossenen
Sicherungsvertrages6 (Rz. 16.1 ff.). Ob die Rückversicherung dem Recht der Erstversicherung
folgt (s. Rz. 36.54), ist umstritten.

f) Ausfüllen von Rahmenverträgen


2.237 Werden die Beziehungen der Parteien in einem Rahmenvertrag allgemein geregelt, erfolgt die
Abwicklung des Vertragsverhältnisses aber durch Einzelverträge, so erleichtert es die Rechts-
anwendung, wenn beide Vertragsverhältnisse demselben Recht unterliegen7. Folglich ist der
Zusammenhang zwischen den Vertragsverhältnissen vielfach dazu benutzt worden, um eine
bestimmte Anknüpfung zu rechtfertigen. Stellt man in den Vordergrund, dass der Rahmen-
vertrag den Hauptzweck des Vertrages vorgibt, so spricht dies dafür, dem dafür maßgeblichen
Recht Übergewicht zu geben. Insbesondere gilt dann im Interesse einer einheitlichen Anknüp-
fung das Statut des Rahmenvertrages grundsätzlich auch für später abgeschlossene Einzelver-

1 Vgl. Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (733).


2 Vgl. Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (318 f.); Kegel/Schurig, S. 665; Vischer/Huber/Oser, Rz. 271.
3 BAG v. 18.12.1967 – 3 AZR 458/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 52 = DB 1968, 713 (Ruhegeldverein-
barung an Arbeitsvertrag angelehnt).
4 BGH v. 22.11.1955 – I ZR 218/53, BGHZ 19, 110 (113) = IPRspr. 1954–55 Nr. 22.
5 Finger, AWD 1969, 486 (489); Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 151.
6 S. Siehr in Reichelt, S. 69 (75); Geisler, S. 236 ff.
7 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (466 f.).

152 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.241 § 2

träge. Einzellieferungen an Vertragshändler unterliegen aus dieser Sicht dem Recht des Rah-
menvertrages1 (näher Rz. 37.146 ff.). Doch kann dann, wenn der Rahmenvertrag eine große
Nähe zum Kaufvertrag aufweist, die Lieferung auch Verkäuferrecht unterworfen werden2. Fer-
ner kann Einheitskaufrecht eingreifen, s. Rz. 25.8.

Aber auch umgekehrt kann man die Leistung des Einzelvertrages (die Lieferung) in den Vor- 2.238
dergrund stellen. Die für ihn maßgebliche Rechtsordnung beherrscht dann ebenfalls den Rah-
menvertrag3. Regelmäßig ist aber eine getrennte Anknüpfung von Rahmen- und Ausfüh-
rungsvertrag geboten4. Dem Zusammenhang unter den Verträgen ist lediglich auf der Ebene
des Sachrechts Rechnung zu tragen.

g) Vorbereitung des Hauptvertrages


Des Öfteren schließen die Parteien einen Vertrag zur Vorbereitung eines späteren Vertragsver- 2.239
hältnisses. Fehlt es an einer Rechtswahl hierfür, so kommt es für die objektive Anknüpfung
darauf an, ob zwischen diesen Geschäften ein enger Bezug besteht oder der zunächst geschlos-
sene Vertrag isoliert angeknüpft werden kann. So wurde für den Vorvertrag hinsichtlich eines
– nicht zustande gekommenen – Grundstückskaufs auf das Statut des geplanten Grundstücks-
geschäfts kein Bezug genommen5.

Ein Vorvertrag wird aber regelmäßig genauso angeknüpft wie der beabsichtigte Hauptver- 2.240
trag6. Anders ist es, wenn er in den einzelnen Verpflichtungen wesentliche Abweichungen
vom beabsichtigten Hauptvertrag aufweist oder in engem Zusammenhang mit anderen Ver-
trägen unter den Parteien steht. Bei Grundstücksgeschäften ist der Hinweis auf die lex rei sitae
nicht so stark wie sonst7.

Auch bei der Absichtserklärung (Letter of Intent) kommt eine Anknüpfung an das Statut 2.241
des geplanten Geschäfts in Betracht8 (s. Rz. 33.18 zum Unternehmenskauf, Rz. 33.83 zum As-
set Deal). Dies gilt auch für Ansprüche aus culpa in contrahendo9 (Art. 12 Rom II-VO). Eben-
so zu verfahren ist bei Vorvereinbarungen zur Sicherung der Vertraulichkeit.

1 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 = TranspR-IHR 1999, 37 (still-
schweigende Rechtswahl); LG Karlsruhe v. 10.11.1998 – O 149/97 KfH I, IPRspr. 1998 Nr. 35 =
NJW-RR 1999, 1284. – Für grundsätzliche Unabhängigkeit hingegen Schurig, IPRax 1994, 27
(29 f.).
2 S. IPG 1984 Nr. 18 (Köln), S. 156 f.
3 So für den Vertriebsvertrag Cass. civ. v. 15.5.2001, Rev.crit.d.i.p. 91 (2002), 86 m. zust. Anm. La-
garde.
4 OLG Düsseldorf v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, IPRspr. 1996 Nr. 37 = NJW-RR 1997, 822 (Vertrags-
händlervertrag); Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 190 (Stand 1.2.2021).
5 BGH v. 23.6.1967 – V ZR 109/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 28 = WM 1967, 1042 (Anzahlung auf einen
nicht zustande gekommenen Kaufvertrag über französ. Grundstück unter Deutschen. Bereiche-
rungsansprüche deutschem Recht aufgrund hypothetischen Parteiwillens unterstellt).
6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 192 (Stand 1.2.2021). Vgl. OLG Hamm v. 8.3.1993 – 8
U 251/90, IPRspr. 1993 Nr. 20; OLG Frankfurt v. 10.1.2001 – 23 U 77/95, IPRspr. 2001 Nr. 23
(Grundstückskauf). – Zurückhaltender bei Anwendung der Ausweichsklausel Geiben, S. 375 ff.
7 Für regelmäßige Anknüpfung nach der Grundstücksbelegenheit Geiben, S. 358 f.
8 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 174.– Zum engl. und niederl. Sachrecht Visser,
EJCCL 2020, 31 (35 f.).
9 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 174.

Martiny | 153
§ 2 Rz. 2.242 | Bestimmung des Vertragsstatuts

4. Gemischte Verträge
2.242 Bei gemischten Verträgen (Rz. 2.170 ff.) können die Regeln über spezifizierte Verträge (Art. 4
Abs. 1 Rom I-VO) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, so dass es nach Art. 4 Abs. 2
Alt. 2 Rom I-VO auf die charakteristische Leistung ankommt (s. Rz. 2.211 ff.). Auch im Übri-
gen ist grundsätzlich die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu ermitteln.
Ist das nicht möglich, ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustellen (s.
Rz. 2.243 ff.). Ferner kann eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO zu berück-
sichtigen sein. Dies gilt für typische (Austausch-)Verträge mit andersartiger Nebenleistung
(Rz. 2.201). Ebenso ist es beim (Typen-)Kombinationsvertrag (Rz. 2.202) sowie beim Typen-
verschmelzungsvertrag (Rz. 2.205).

VI. Engste Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO)


1. Maßgeblichkeit der engsten Verbindung
a) Begriff der engsten Verbindung
2.243 Art. 4 Rom I-VO liegt der Grundsatz der engsten Verbindung zugrunde1. Die engste Verbin-
dung spielt nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO allerdings nur noch eine Rolle als Auffangregel
bzw. als „Lückenbüßer“2. Es kommt auf sie lediglich dann an, wenn weder ein spezifizierter
Vertragstyp vorliegt, noch die charakteristische Leistung bestimmt werden kann. Dagegen
hatte das EVÜ das Prinzip der engsten Verbindung durch mehrere Vermutungen zu konkreti-
sieren versucht3. Griffen sie nicht ein, so war die Generalklausel anzuwenden4. Dieses Vor-
gehen führte teilweise zu Verwirrung.

2.244 Der Begriff der engsten Verbindung (the law of the country with which the contract is most
closely connected; la loi du pays avec lequel le contrat présente les liens les plus étroits) wird
vom Gesetz nicht näher erläutert und bleibt vage5. Der Text macht nur deutlich, dass es auf
die Verbindungen ankommt, die der Vertrag aufweist. Ferner lässt das Gesetz erkennen, dass
ein Vertrag enge Verbindungen zu mehreren Rechtsordnungen haben kann. Weggefallen ist
die Regelung des Falles, wonach ein Teil noch engere Verbindungen mit einem anderen Staat
aufweisen kann (s. Rz. 2.156a). Erforderlich ist also die Suche nach den betreffenden Kriterien,
ihre Abwägung und Bewertung. Die engste Verbindung führt dann zu dem Recht des Landes,
in dem der Vertrag bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles seinen Schwerpunkt hat6.
Dabei geht es letztlich nicht um den Zusammenhang mit einem Gebiet oder Raum, sondern
um die Bezüge zu einer Rechtsordnung7.

2.245 Die engste Verbindung in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO muss zu einem Resultat führen. Eine wei-
tere Stufe der Anknüpfung ist nicht vorhanden. Auch die Ausweichklausel kommt nicht mehr
zum Zuge8. In einem „primären Bereich“ erfasst sie solche Verträge mit Auslandsberührung,

1 So zu Art. 4 EVÜ EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt),


RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag).
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536). – Vgl. auch Wagner, IPRax 2008, 377 (382).
3 Der Grundsatz der engsten Verbindung des Art. 28 Abs. 1 EGBGB, der auf Art. 4 Abs. 1 EVÜ
beruhte, fand sich bereits in Art. 4 EVÜ-Entw. 1972.
4 Kropholler, IPR, S. 446, 451; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 140.
5 Krit. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (72 ff.); Horlacher/Cornell, Int.L.J. 27 (1994), 173 (184 ff.).
6 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30.
7 Vgl. Schnitzer, Rec. des Cours 1968 I, 541 (572).
8 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (67); Wagner, IPRax 2008, 377 (381 f.).

154 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.248 § 2

für die keine besondere gesetzliche Regelung besteht. Diese Rechtsverhältnisse, z.B. Tauschver-
träge, unterliegen von vornherein der Prüfung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. Die Vorschrift
hat insofern die Funktion eines Auffangtatbestandes.

Verträge, die einer der Anknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO unterliegen, werden nur 2.246
dann nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO beurteilt, wenn eine noch engere Beziehung zu einer ande-
ren Rechtsordnung besteht. Insofern besteht für das Konzept der engen Verbindung ein „se-
kundärer Anwendungsbereich“1. Der Grundsatz der engeren Verbindung wirkt dann als wei-
tere Stufe der Anknüpfung und als Korrektiv (Rz. 2.227). Während Art. 4 Abs. 1 und 2
Rom I-VO nämlich eine Regelanknüpfung vorschreiben, kann über die enge Verbindung bei
bestimmten Gestaltungen oder auch nur im Einzelfall eine andere Anknüpfung gewählt wer-
den. Die Vorschrift kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn die Verordnung nicht selbst
– wie für Beförderungsverträge (Art. 5 Rom I-VO), Verbraucherverträge (Art. 6 Abs. 1
Rom I-VO), Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO) und Arbeitsverträge (Art. 8 Abs. 2
Rom I-VO) – das anwendbare Recht näher bestimmt.

Die Rom I-VO hat den Stellenwert der engsten Verbindung präzisiert. Von ihr ist nicht aus- 2.247
zugehen. Erst dann, wenn – wie Erwägungsgrund 21 erläutert – das bei Fehlen einer Rechts-
wahl anzuwendende Recht weder aufgrund der Zuordnung des Vertrags zu einer der spezifi-
zierten Vertragsarten noch als das Recht des Staates bestimmt werden kann, in dem die Partei,
welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat, soll der Vertrag dem Recht des Staates unterliegen, zu dem er die engste Ver-
bindung aufweist. Bei der Bestimmung dieses Staates soll u.a. berücksichtigt werden, ob der
betreffende Vertrag in einer sehr engen Verbindung zu einem oder mehreren anderen Verträ-
gen steht, vgl. auch Rz. 2.231 ff.

Bemerkenswert ist, dass die gesetzliche Regelung den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur 2.248
in Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO (früher Art. 28 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 EGBGB) nennt, hingegen
nicht allgemein für die Bestimmung der engsten Verbindung, vgl. Rz. 2.299. Dementspre-
chend erwähnt der Bericht Giuliano/Lagarde zum EVÜ, dass für die Ermittlung der engsten
Verbindung auch nach Vertragsschluss eingetretene Umstände berücksichtigt werden kön-
nen2. Früher hat man z.T. angenommen, dass auch eine nachträgliche Veränderung der maß-
geblichen Umstände im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu berücksichtigen ist3. Gleich-
wohl wird man im Allgemeinen einen Statutenwechsel infolge veränderter Umstände aus-
schließen können4. Dafür lassen sich die Bindung an den Vertrag und die Verhinderung von
Manipulationen anführen5. Aufgrund einer Gesamtabwägung ist nach Möglichkeit einheitlich
anzuknüpfen6. Bei einer tiefgreifenden Änderung der Umstände kann aber – insb. bei lang-
fristigen Verträgen – ein Bedürfnis für eine Änderung des anwendbaren Rechts entstehen.
Der Schutz des Vertrauens der Parteien kann bei unterlassener Rechtswahl nicht den höchsten
Rang erhalten; eine vertragliche Bindung liegt hier nur bezüglich des Hauptvertrages vor.

1 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–072.


2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52.
3 Lüderitz, FS Keller, S. 459 (465, 471); Merschformann, S. 84 ff.
4 Ausdrücklich für Vertragsschluss Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 218 (Stand 1.2.2021)
m.w.N.
5 Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten (1986), S. 21.
6 Merschformann, S. 87 f.

Martiny | 155
§ 2 Rz. 2.249 | Bestimmung des Vertragsstatuts

b) Gesamtheit der Umstände


2.249 Welchen Umständen die engste Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu entnehmen ist,
sagt das Gesetz nicht. Aus dem Katalog des Art. 4 Abs. 1 sowie aus Abs. 2 Rom I-VO geht
hervor, dass wesentliche Umstände die charakteristische Leistung sowie die Grundstücksbele-
genheit sind. Nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO kann es noch andere Umstände geben. In Betracht
kommen vor allem Eigenheiten des Vertrages und Verhältnisse der Parteien. Es muss sich also
um Hinweise von einigem Gewicht handeln (dazu Rz. 2.252 ff.). Sie müssen ferner – im Un-
terschied zu Art. 3 Rom I-VO – außerhalb des Willens der Parteien liegen. Nicht ein ver-
muteter Parteiwille ist maßgeblich, sondern die objektiven Gegebenheiten entscheiden1. Ein
einzelner Hinweis wird häufig nicht ausreichen. Dementsprechend ist anzunehmen, dass es
auch für Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die Gesamtheit der Umstände (the circumstances as a
whole; l’ensemble des circonstances) ankommt2. Die Grenzen der Kriterien für die engste Ver-
bindung zur stillschweigenden Rechtswahl sind dabei fließend3.

2.250 Die Interessen der Parteien sind zu ermitteln und abzuwägen4. Die Interessen, die dabei ab-
zuwägen sind, sind allein solche international-privatrechtlicher Natur. Das Sachrecht hat hier
grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Parteiinteresse muss auf die Anwendung einer
Rechtsordnung ohne Rücksicht auf ihren jeweiligen Inhalt gerichtet sein5.

2. Abtrennbarkeit eines Vertragsteils


2.251 Die Abtrennbarkeit eines Vertragsteils wird von der Rom I-VO nicht mehr ausdrücklich gere-
gelt (vgl. Rz. 2.156a). Als Beispiel für die nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EVÜ (Art. 28 Abs. 1 S. 2
EGBGB) ausnahmsweise erlaubte Abspaltung (dépeçage) einzelner Bestandteile waren ins-
besondere aus mehreren Verpflichtungen und Ansprüchen zusammengesetzte Vertragsver-
hältnisse genannt worden6. Eine Abspaltung ist zwar eine denkbare Lösung für gemischte Ver-
träge; sie führt aber zur Anwendung mehrerer Rechtsordnungen, damit zu Reibungen und zu
potentiellen Widersprüchen7. Sie ist von der Rom I-VO auch für gemischte Verträge nicht vor-
gesehen und nicht zulässig (s. Rz. 2.156a)8. Das nach Art. 4 Rom I-VO ermittelte Recht ist für
den ganzen Vertrag maßgeblich.

3. Hinweise auf die engste Verbindung


a) Indizwirkung
2.252 Bei der Ermittlung der engsten Verbindung handelt es sich um eine objektive, d.h. vom Par-
teiwillen unabhängige Anknüpfung. Gleichwohl werden für diese Anknüpfung vielfach die

1 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–073; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 146.


2 Ebenso Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 147.
3 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 199 (Stand 1.2.2021).
4 Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (318 f.); Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46.
5 Henrich, JZ 1961, 262; a.A. Marsch, S. 80 ff. – Anders auch BGH v. 19.10.1960 – VIII ZR 27/60,
IPRspr. 1960/61 Nr. 28 = NJW 1961, 25 (Lieferung [Wein] von Bordeaux nach Deutschland. Da
die Parteien mit den Bestimmungen des deutschen Weingesetzes rechnen mussten, nach dem die
Einfuhr von nicht verkehrsfähigen Weinen verboten war, wurde deutsches Recht angewendet).
6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 55.
7 Eine ausnahmsweise Entflechtung bewerten positiv Vischer/Oser, Rz. 257.
8 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415); Nourissat in Corne-
loup/Joubert, S. 208 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I, Rz. 96. – Anders Mankowski, IHR
2010, 89 (90 ff.); Mankowski, FS Spellenberg, S. 261 (267 ff.).

156 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.255 § 2

gleichen Faktoren herangezogen, welche auch für eine stillschweigende Rechtswahl von Be-
deutung sind1. Das geltende Recht legt jedoch eine genauere Trennung von stillschweigender
Rechtswahl und objektiver Anknüpfung nahe. In der folgenden – hauptsächlich an der Recht-
sprechung orientierten – Übersicht sind daher im Wesentlichen nur noch die Hinweise auf-
geführt, die für eine objektive Anknüpfung in Frage kommen. Soweit Einzelumstände eine
stillschweigende Rechtswahl rechtfertigen können, sind sie in Rz. 2.82 ff. aufgezählt.

In jedem Einzelfall treffen zahlreiche Hinweise zusammen, die auf den Zusammenhang mit 2.253
einer bestimmten Rechtsordnung hindeuten. Ihre Häufung wird meist eine klare Bestimmung
des Vertragsstatuts ermöglichen. Die Hinweise sind aber nicht schematisch aneinander zu rei-
hen, vielmehr auf ihre Relevanz hin zu untersuchen. Die Beziehungen zum Vertrag und den
damit verfolgten Zwecken sind letztlich ausschlaggebend. Daher sind für bestimmte Vertrags-
typen einzelne Umstände von besonderer Bedeutung; man kann dies mit der „kollisions-
rechtlichen Eigenart“ solcher Verträge begründen2. Solche typischen Hinweise sind z.B.
beim Arbeitsvertrag der Arbeitsort, beim Anwaltsvertrag der Ort der Zulassung des Anwalts,
beim Lizenzvertrag das Land, in dem die Lizenz ausgeübt werden soll (s. darüber im Teil 2 bei
den einzelnen Vertragstypen). Weitere Hinweise, die bei anderen Verträgen von großer Wich-
tigkeit sind, müssen u.U. hinter die typischen zurücktreten.

Deuten mehrere Umstände – sich widersprechend – auf verschiedene Rechtsordnungen, so 2.254


müssen die Hinweise einander gegenübergestellt und nach den Einzelheiten des Falles gegen-
einander abgewogen werden3. Von Bedeutung ist dafür, dass einige Umstände als starkes
oder nur schwaches Indiz angesehen werden. Von überragender Bedeutung sind für Schuld-
verträge Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln, die Vereinbarung eines gemeinsamen Erfül-
lungsortes sowie ein eindeutiges Prozessverhalten der Parteien. Insbesondere das Prozessver-
halten setzt sich meist gegenüber anderen Hinweisen durch. Diese Hinweise kommen für eine
stillschweigende Rechtswahl in Betracht (Rz. 2.82 ff.). Von minder großer Bedeutung sind vor
allem Abschlussort, Vertragssprache und -währung sowie die gemeinsame Staatsangehörig-
keit. Sie und andere Umstände werden als zuverlässiges Indiz meist nur dann angesehen,
wenn sie durch andere unterstützt werden.

Unter dem EVÜ wurde vorgeschlagen, bezüglich der Art der Hinweise und der jeweiligen ob- 2.255
jektiven Anknüpfung zu differenzieren4. Geht es um das Eingreifen der Ausweichklausel, also
die Ermittlung einer von den Vermutungen abweichenden engeren Beziehung (Art. 4 Abs. 3
Rom I-VO), so sollen nur „objektive“, auf den Leistungsaustausch bezogene Umstände zählen.
Dagegen will man z.T. „subjektive“ Kriterien (Abschlussort, Staatsangehörigkeit, Vertrags-
sprache) insoweit unberücksichtigt lassen5. Letztere sollen nur dann Beachtung finden, wenn
es um die im Einzelfall notwendige Ermittlung der engsten Verbindung geht (Art. 4 Abs. 4
Rom I-VO). Die Tendenz, auf diese Weise die Regelanknüpfungen zu verstärken, ist sicherlich
billigenswert. Insbesondere dürfen die Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO
nicht durch eine Aneinanderreihung letztlich irrelevanter Gesichtspunkte beiseite geschoben
werden. Bedenklich an dieser Vorgehensweise ist freilich die drohende Gefahr von Wertungs-
widersprüchen zwischen Fällen innerhalb und solchen außerhalb der regelmäßigen Anknüp-
fungen sowie das Risiko eines zu schematischen Vorgehens.

1 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 148.


2 Gamillscheg, AcP 157 (1958), 303 (340).
3 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 200 (Stand 1.2.2021).
4 So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64.
5 Anders etwa Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46.

Martiny | 157
§ 2 Rz. 2.256 | Bestimmung des Vertragsstatuts

b) Gewöhnlicher Aufenthalt, Niederlassung


2.256 Der gewöhnliche Aufenthalt (bei gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit die Niederlassung)
gibt einen Hinweis auf das an diesem Ort geltende Recht. Seine Relevanz ergibt sich auch da-
raus, dass ihm das Gesetz nicht nur für einzelne spezifizierte Verträge (Art. 4 Abs. 1 Rom I-
VO) sowie die charakteristische Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO), sondern in anderen Vor-
schriften ebenfalls Bedeutung beimisst (Art. 5, 6 und 7 Rom I-VO, Art. 46b Abs. 2 Nr. 1
EGBGB). Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien kann zur Anwendung des
Aufenthaltsrechts führen und sich gegen andere Kriterien durchsetzen1. Dies ist beispielswei-
se bei der Miete einer ausländischen Ferienwohnung der Fall, wenn beide Vertragsparteien
ihren Aufenthalt im Inland haben2.

2.257 Haben die Parteien ihren Aufenthalt in verschiedenen Ländern, so widersprechen sich die
Hinweise. Dies kann aber i.d.R. nicht dazu führen, auf die jeweiligen Verbindlichkeiten der
Vertragsparteien verschiedenes Recht anzuwenden. Die sich widersprechenden Hinweise he-
ben sich vielmehr auf, es sei denn, der Hinweis auf den Aufenthaltsort (die Niederlassung)
eines Vertragspartners überwiegt. Letzteres ist regelmäßig der Fall, wenn eine der Parteien die
für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt (s. dazu Rz. 2.177 ff.).

2.258 Hierher gehören z.B. Verträge, die die Berufstätigkeit eines Kontrahenten betreffen und ei-
ner staatlichen oder standesrechtlichen Kontrolle unterliegen, also Verträge mit Ärzten (s.
Rz. 18.19), Apothekern, Rechtsanwälten (s. Rz. 10.1 ff.) und Architekten (s. Rz. 12.1 ff.). Ge-
bührenforderungen von Notaren unterliegen ebenfalls dem Recht ihrer Niederlassung3. Oft
wird freilich schon die Einordnung als Dienstleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) zu einer
Lösung führen (s. Rz. 18.1 ff.).

c) Staatsangehörigkeit
Literatur: Kraatz, Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Forderungen und Schuldtitel aus Vertrags- und
Schadenersatzrecht gegen Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutsch-
land, NJW 1987, 1126.
2.259 Die Staatsangehörigkeit ist zwar ein Umstand für die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4
Rom I-VO. Doch müssen sich andere Umstände von einigem Gewicht gegen die gemeinsame
Staatsangehörigkeit durchsetzen. Allerdings wird oft eine stillschweigende Rechtswahl vorlie-
gen4 und braucht die Lösung für alle Vertragstypen nicht die gleiche zu sein. Vor allem das
Reichsgericht hat der Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien noch erhebliche Bedeutung zu-
gemessen5.

1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 203 (Stand 1.2.2021); Magnus in Staudinger, Art. 4
Rom I Rz. 152. Unterstützend für stillschweigende Rechtswahl angeführt von OLG Nürnberg v.
22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484.
2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53.
3 S. IPG 1976 Nr. 11 (Heidelberg): Gebührenforderung eines schweiz. Notars für die Beurkundung
unterlag schweiz. Recht.
4 Gemeinsame Staatsangehörigkeit unterstützend angeführt von OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U
2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484.
5 Nachw. 3. Aufl. Rz. 67.

158 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.262 § 2

Heute verleiht man diesem Gesichtspunkt oft kein entscheidendes Gewicht mehr oder erklärt 2.260
ihn überhaupt für unmaßgeblich1. Die Kollisionsnormen des internationalen Vertragsrechts
stellen statt auf die Staatsangehörigkeit auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab; das Unionsrecht
untersagt sogar eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV).
Nunmehr unterliegt die Miete unbeweglicher Sachen für höchstens sechs aufeinander folgen-
de Monate zum vorübergehenden privaten Gebrauch dem Recht des Staates, in dem der Ver-
mieter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Mieter eine natürliche Person ist und
seinen gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hat (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO)2. Die
Berücksichtigung der gemeinsamen Staatsangehörigkeit scheint am ehesten berechtigt, wenn
Privatleute untereinander Geschäfte abschließen (z.B. Auftrag, Darlehen3, Vorverträge über
die Veräußerung oder die Miete von Ferienwohnungen4) oder eine gewisse persönliche Ver-
bundenheit oder doch wenigstens ein stark personales Element vorhanden ist (u.U. bei Ar-
beits-, Handelsvertreter- und Maklerverträgen)5. Beispielsweise wird man einen Vertrag über
die Miete einer österreichischen Ferienwohnung unter zwei Deutschen dem deutschen Recht
unterstellen, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben6. Darüber hinaus
sollte die gemeinsame Staatsangehörigkeit im internationalen Geschäftsverkehr nicht den
Ausschlag geben7.

Ein Abstellen auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit gibt auch nur dann Sinn, wenn noch 2.261
eine signifikante Beziehung der Staatsangehörigen zum Heimatstaat besteht, insbesondere
wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt im Heimatstaat befindet. Fehlt dagegen eine solche Be-
ziehung zum Heimatstaat, so kommt der gemeinsamen Staatsangehörigkeit nur geringes Ge-
wicht zu. Die Rechtsprechung knüpft daher bei in Deutschland lebenden Ausländern häufig
allein an den gewöhnlichen Aufenthalt an8.

Häufig werden Angehörigen der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte 2.262


besondere Leistungen, z.B. Versicherungen, angeboten. In diesen Fällen sind die Verträge oft
auf deren besondere Verhältnisse zugeschnitten. Vertragspartner ist regelmäßig eine Gesell-
schaft aus einem Entsendestaat, die Vertragsparteien besitzen häufig die Staatsangehörigkeit

1 Vgl. OLG Hamm v. 28.1.1994 – 29 U 147/92, IPRspr. 1994 Nr. 136 = NJW-RR 1995, 187 (Praxis-
übernahme unter niederländ. Zahnärzten nach deutschem Recht); OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5
U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 143.
2 Im Anschluss an die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.
3 Dazu näher Geisler, S. 232 f. – Unbeachtlich aber in KG v. 6.3.2003 – 2 U 198/01, ZIP 2003, 1538
= IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093.
4 Vgl. OLG Köln v. 12.9.2000 – 3 U 16/00, IPRspr. 2000 Nr. 26 (Eigenheim in Niederlanden).
5 OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 67 = RIW 1995, 1033 Anm. Man-
kowski (Time-Sharing-Vertrag). S. aber OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992
Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (Grundstückskauf).
6 So über Art. 28 Abs. 5 EGBGB Kropholler, IPR, S. 473.
7 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 210 (Stand 1.2.2021) (untergeordnete Bedeutung).
Nach von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64 relevant nur für die engste Verbindung, nicht aber
die Ausweichklausel (nach altem Recht).
8 S. bereits OLG Düsseldorf v. 7.7.1983 – 21 W 20/83, IPRspr. 1983 Nr. 49 = FamRZ 1983, 1229 =
IPRax 1984, 270 (m. abl. Aufs. Fudickar, IPRax 1984, 253) (Schenkung des türk. Bräutigamvaters
an türk. Brautvater. Deutsches Recht als Aufenthaltsrecht angewendet); LG Hamburg v. 15.10.1975
– 5 O 67/75, IPRspr. 1975 Nr. 14 (Darlehensvertrag zwischen zwei in der BRD ansässigen Portu-
giesen. Deutsches Recht angewendet). Dies gilt erst recht bei unterschiedlicher Staatsangehörig-
keit, wo es bei der Regelanknüpfung bleibt, vgl. auch OLG Celle v. 29.4.1987 – 9 U 84/86, IPRspr.
1987 Nr. 18 (LS) = NJW-RR 1987, 1190 (türk.-griech. Darlehen).

Martiny | 159
§ 2 Rz. 2.262 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der jeweiligen Mutterländer. Hier bestehen so geringe Bezugspunkte zur deutschen Rechtsord-
nung, dass ein Abweichen von der Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in Be-
tracht kommen kann. In den entsprechenden Fällen ist daher ausländisches Recht anzuwen-
den1.

d) Beteiligung der öffentlichen Hand


Literatur: von Hoffmann, Staatsunternehmen im IPR, BerDGesVölkR 25 (1984), 35.
2.263 Heute wird zunehmend für eine strikte Gleichbehandlung von Staatsunternehmen und Privat-
unternehmen plädiert. Die Beteiligung eines Staatsunternehmens stellt keine engere Verbin-
dung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO dar und ändert nichts an der üblichen Vertragsanknüp-
fung2. Früher nahm man bei Verträgen mit dem Staat und öffentlichen Körperschaften regel-
mäßig einen Hinweis auf die Rechtsordnung, von dem dieser öffentliche Verband seine
Rechtsfähigkeit herleitet, an. Dieser Hinweis auf die engste Verbindung war aber bei rein pri-
vatrechtlichen Geschäften nicht zwingend und musste in jedem Fall gegen die anderen vor-
handenen Hinweise abgewogen werden3. Nach anderen unterlagen diese Verträge grundsätz-
lich dem Recht des Staates4. Die ältere Rechtsprechung entschied von Fall zu Fall5.

e) Währung
2.264 Die Vereinbarung, dass Geldleistungen in einer bestimmten Währung bemessen oder gezahlt
werden sollen, bedeutet nur einen schwachen Hinweis auf das Recht dieser Währung6. Die
Wahl der Währung wird häufig von Fragen der Wertbeständigkeit, der Konvertibilität und
von sonstigen Devisenbestimmungen beeinflusst. Aus der vereinbarten Währung lassen sich

1 LG Frankfurt v. 3.7.1964 – 3/3 O 33/63, IPRspr. 1964–65 Nr. 39 (Kanad. Handelsvertreter verkauf-
te für amerikan. Unternehmen Lebensmittel an amerikan. Soldaten in Spanien. Amerikan. Recht
angewendet); LG Zweibrücken v. 1.2.1983 – 3 S 91/82, IPRspr. 1983 Nr. 23 = RIW 1983, 454 (Ge-
sellschaft in Ramstein schloss Kreditkaufverträge mit amerikan. Soldaten. Trotz Gerichtsstandsver-
einbarung amerikan. Recht angewendet); IPG 1980/81 Nr. 10 (Freiburg) (Französ. Unteragent mit
Niederlassung in Konstanz vermittelte für französ. Versicherer Kfz-Versicherungen an französ.
Soldaten. Französ. Recht für maßgeblich gehalten).
2 KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRspr. 1996 Nr. 25 = IPRax 1998, 280 (283) (Beteiligung des russ.
Fiskus unerheblich); von Hoffmann, BerDGesVölkR 25 (1984), 35 (57 f.); Merschformann, S. 235 f.;
Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 211 (Stand 1.2.2021).
3 Vgl. Borchers, Verträge von Staaten mit ausländischen Privatpersonen (1966), S. 35 ff.; Gamill-
scheg, RabelsZ 27 (1962/63), 585 (591).
4 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30.
5 KG v. 26.11.1954 – 6 U 1199/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 28 (Mietvertrag über ein Auto mit einer
Dienststelle der deutschen Luftwaffe in Paris. Deutsches Recht angewendet); OLG Hamburg v.
8.5.1969 – 6 U 189/68, IPRspr. 1971 Nr. 158a = WM 1969, 709 (711) (Schiedsvertrag mit jugoslaw.
staatlichen Unternehmen. Unter anderem deswegen jugoslaw. Recht angewendet); OLG Koblenz v.
10.10.1972 – 6 U 520/68, IPRspr. 1974 Nr. 1a = OLGZ 1975, 379 (Vermittlung von Waffenkäufen
an die Republik Portugal. Auf Maklervertrag portugies. Recht angewendet); OLG Frankfurt v.
18.1.1979 – 1 U 227/77, IPRspr. 1979 Nr. 10b (Patronatserklärung durch Körperschaft des öffent-
lichen Rechts. Deutsches Recht angewendet).
6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 212 (Stand 1.2.2021). Unerheblich etwa die Verein-
barung Schweizer Franken in deutsch-französ. Vertrag, OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86,
IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 652. S. auch LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95,
IPRspr. 1997 Nr. 31; LG Hamburg v. 18.2.1999 – 302 S 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 30 = RIW 1999,
391.

160 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.267 § 2

daher nur unter besonderen Umständen Rückschlüsse auf das anzuwendende Recht ziehen1.
Es ist auch fragwürdig, einem späteren Übergang von einer ausländischen zur inländischen
Währung besondere Bedeutung beizumessen2. Gleichwohl wird die Vereinbarung einer be-
stimmten Währung teilweise sogar für den Nachweis einer stillschweigenden Rechtswahl mit
herangezogen3.

f) Abschlussort
Hat sich der Abschlussort – insbesondere bei einem Distanzvertrag – so weit verflüchtigt, dass 2.265
seine Bestimmung Schwierigkeiten macht, so kann er einen Hinweis auf das Recht, von dem
die Parteien ausgegangen sind, nicht geben. Erst recht gilt dies für den Vertragsschluss im
Flugzeug oder im fahrenden Zug. Auch bei einem Vertragsschluss auf hoher See kann der
„Abschlussort“ i.d.R. keinen Hinweis auf das Schuldstatut geben.

Als selbständiger Anknüpfungspunkt spielt der Abschlussort in Deutschland schon seit lan- 2.266
gem keine Rolle mehr. Da er keinen Aufschluss über die Niederlassung der Parteien oder die
Abwicklung des Vertrages gibt, gilt er als „äußerlicher, oft durch Zufälligkeiten bestimmter
Nebenumstand“4. In anderen Ländern dient der Abschlussort dagegen häufig als subsidiärer
Anknüpfungspunkt, wenn die den Vertragsinhalt charakterisierende Leistung nicht festgestellt
werden kann.

Während nun einige Entscheidungen den Abschlussort überhaupt nicht berücksichtigen wol- 2.267
len5, nehmen zahlreiche Urteile – im Zusammenhang mit anderen Umständen – auf den Ort
der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses Bezug6. Im Allgemeinen beseitigt ein
ausländischer Abschlussort die Maßgeblichkeit des Rechts der charakteristischen Leistung

1 Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999), S. 95 f. – Vgl. etwa OLG Hamm v. 28.1.1994 –


29 U 147/92, IPRspr. 1994 Nr. 136 = NJW-RR 1995, 187; LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/
95, IPRspr. 1997 Nr. 31.
2 Anders aber OLG Köln v. 26.8.1994 – 19 U 282/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1994, 970 (Vertrag
mit schweiz. Werkunternehmer).
3 So etwa OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484;
OLG Frankfurt v. 14.9.1999 – 5 U 30/97, IPRspr. 1999 Nr. 34 = TranspR 2000, 260; von Bar/Man-
kowski, IPR II, § 1 Rz. 160; BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 46 =
RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag). – Anders BGH v. 26.10.1989 – VII ZR 153/88,
IPRspr. 1989 Nr. 172 = NJW-RR 1990, 183 (deutsches Recht trotz Schweizer Franken); OLG Celle
v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31 (US-Dollar); OLG Brandenburg v. 29.11.2000 – 13
U 110/00, IPRspr. 2000 Nr. 28 = NJ 2001, 257 Anm. Ehlers (DM).
4 So schon RG v. 12.10.1905 – VI 3/05, RGZ 61, 343 (345) (Rückbürgschaft. Keine Anknüpfung an
den luxemburg. Abschlussort). S. auch RAG v. 20.7.1935 – RAG 61/35, RAGE 15, 247 = IPRspr.
1935–44 Nr. 142 = JW 1935, 3665 (Vertrag über Dienstleistung in den USA. Abschlussort muss
„als unerheblich außer Betracht bleiben“; amerikan. Recht angewendet).
5 ZB BGH v. 30.3.1976 – VI ZR 143/74, IPRspr. 1976 Nr. 2 = NJW 1976, 1581 (Luftbeförderung
zwischen Zypern und der Türkei durch türk. Fluggesellschaft. Abschlussort in der BRD als „rein
zufällig“ außer Betracht gelassen); OLG Düsseldorf v. 4.8.1961 – 2 U 66/61, IPRspr. 1960/61
Nr. 152 = AWD 1961, 295 (Lizenzvertrag; Abschlussort in Deutschland; französ. Recht angewen-
det); OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 67 = RIW 1995, 1033 Anm.
Mankowski (Time-Sharing-Vertrag; Abschlussort in Spanien; deutsches Vertragsstatut).
6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 207 (Stand 1.2.2021) (schwaches Kriterium). Nach von
Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64 relevant nur für die engste Verbindung, nicht aber für die Aus-
weichklausel (nach altem Recht).

Martiny | 161
§ 2 Rz. 2.267 | Bestimmung des Vertragsstatuts

nicht1. Für die stillschweigende Rechtswahl ist die Bedeutung erst recht zweifelhaft2, obwohl
der Abschlussort auch dafür manchmal herangezogen wird3.

2.268 Nunmehr enthält Art. 4 Abs. 1 lit. g, h Rom I-VO eine eigene Regelung für Finanztransaktio-
nen (s. Rz. 19.1 ff.). Im Übrigen gibt der Ort des Vertragsschlusses dann einen starken Hin-
weis auf das dort geltende Recht, wenn der Vertrag an einer Börse geschlossen wurde4. Art. 3
Abs. 3 des Haager Abkommens vom 15.6.1955 unterstellt dementsprechend Börsengeschäfte
und Käufe auf Versteigerungen dem Recht des Landes, in dem die Börse sich befindet oder die
Versteigerung erfolgt.

2.269 Das Gleiche galt für Vertragsabschlüsse auf Märkten und Messen. Der Hinweis auf das Recht
des Markt-(Messe-)Ortes verliert jedoch immer mehr an Gewicht5. Schon das Reichsgericht
befand, er gehe „zurück auf die kleineren Verhältnisse früherer Zeiten“6. Er kann sich regel-
mäßig nicht gegen die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung durchsetzen7.

g) Mitwirkung eines Notars oder Richters


2.270 Kommt der Vertrag unter Mitwirkung einer amtlichen Stelle zustande, so liegt darin ein Hin-
weis auf das Recht, auf dem die amtliche Eigenschaft dieser Stelle beruht8. Allerdings wird
dies eher für eine stillschweigende Rechtswahl als für die engste Verbindung i.S.d. Art. 4
Rom I-VO in Betracht kommen. Dies gilt für Rechtsgeschäfte, die vor dem Richter vorgenom-
men werden, wie gerichtliche Vergleiche9. Ebenso gilt dies für Verträge, die von einem Richter
oder einem Notar beurkundet werden, nicht aber für Verträge, bei denen lediglich die Unter-
schriften vom Richter oder Notar beglaubigt werden10.

1 S. BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM 1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm.
Mankowski) (Beratervertrag; westdeutsches Recht trotz Vertragsschluss in DDR angewendet);
Siehr in Reichelt, S. 69 (75).
2 Nicht berücksichtigt von OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31 (Dominikan.
Republik).
3 OLG München v. 22.1.1997 – 7 U 4121/96, IPRspr. 1997 Nr. 55 = RIW 1997, 507 (Schuldaner-
kenntnis; „bewusst alles auf Deutschland abgestellt“); BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr.
2016 Nr. 103 Rz. 44 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag; unterstützend).
4 Merschformann, S. 214 f.
5 Schnitzer, Festg. Schönenberger (1968), S. 387 (399 f.).
6 RG v. 27.5.1924, WarnRspr. 1925 Nr. 32.
7 LG Aachen v. 3.4.1990 – 41 O 198/89, IPRspr. 1990 Nr. 31 = RIW 1990, 491. S. auch BGH v.
19.10.1960 – VIII ZR 27/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 28 = NJW 1961, 25; LG Hamburg v. 6.6.1972 –
80 O 300/71, IPRspr. 1972 Nr. 10 = AWD 1973, 557 (Kauf. Fachmesse in Frankfurt). Für eine
Berücksichtigung nur bei sofortiger Abwicklung Merschformann, S. 213.
8 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 60.
9 Roden, Zum Internationalen Privatrecht des Vergleichs (1994), S. 95.
10 OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 = RIW 1993, 415 (Deutsch-niederländ.
Grundstückskauf vor niederländ. Notar. Niederländ. Recht stillschweigend gewählt). Vgl. auch
OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992 Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (vor italien.
Notar geschlossener Vertrag unterlag italien. Recht). Ebenso schon LG Hamburg v. 20.4.1977 – 5
O 13/77, IPRspr. 1977 Nr. 16 = RIW 1977, 787 (Grundstückskauf vor span. Notar; span. Recht
angewendet); LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (LS) Anm. Jayme (Deutsch-
brasilian. Grundstückstausch vor deutschem Notar; deutsches Recht angewendet). Gegen dieses
Indiz aber Hegmanns, Probleme mit Kaufverträgen über im Ausland gelegene Grundstücke, Mit-
tRheinNotK 1987, 1 (2 f.).

162 | Martiny
B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.274 § 2

Zusammen mit anderen Umständen kann wohl auch die Zuziehung eines Rechtsanwalts zum 2.271
Vertragsschluss von Bedeutung sein1.

h) Mitwirkung eines Maklers


Die Einschaltung von Maklern kann u.U. auf das Recht des Orts hindeuten, an dem der Mak- 2.272
ler seine Berufstätigkeit ausübt2. Das gilt freilich nicht für Gelegenheitsmakler. Der Hinweis
ist umso stärker, je größere wirtschaftliche Bedeutung der Einschaltung des Maklers zu-
kommt, und ist bei solchen Geschäften besonders stark, die üblicherweise oder nach gesetzli-
chen Bestimmungen nur unter Einschaltung von Maklern abgeschlossen werden3.

i) Favor negotii
Bei der objektiven Anknüpfung ist grundsätzlich außer Acht zu lassen, ob der geschlossene 2.273
Vertrag nach dem Vertragsstatut gültig ist4. Art. 4 Rom I-VO stellt lediglich auf die kollisions-
rechtlich maßgebliche engere Verbindung und nicht auf den Inhalt bestimmter Sachnormen,
geschweige denn auf die Wirksamkeit des einzelnen Rechtsgeschäfts ab. Es besteht auch kein
Anlass, die Unwirksamkeitsgründe des gewöhnlich zur Anwendung kommenden Rechts
durch eine Änderung der Anknüpfung zu konterkarieren5. Die Rechtsprechung hat unter al-
tem Recht zuweilen auf den Inhalt der beteiligten Rechtsordnungen abgestellt und diejenige
bevorzugt, nach der das Rechtsgeschäft Bestand hat6.

j) Hypothetischer Parteiwille
Der hypothetische Parteiwille war bis zur Reform von 1986 nach h.M. maßgeblicher Anknüp- 2.274
fungspunkt für die objektive Anknüpfung. Nach geltendem Recht ist er kein Anknüpfungs-
punkt mehr7. Insbesondere darf die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung nicht mit
der Begründung beiseite geschoben werden, dies entspreche dem mutmaßlichen Willen der

1 OLG Köln v. 19.4.1963 – 9 U 137/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 26 = AWD 1965, 94 (Auseinanderset-
zung über Vermögenswerte. Unter anderem wegen Hinzuziehens eines schwed. Rechtsanwalts
schwed. Recht angewendet). Unerheblich in OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989
Nr. 181 = NJW 1990, 652. – Für stillschweigende Rechtswahl berücksichtigt das Aushandeln durch
französ. Anwälte BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m.
Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock.
2 OLG Köln v. 12.9.2000 – 3 U 16/00, IPRspr. 2000 Nr. 26 (deutscher Makler für niederländ. Grund-
stück).
3 OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, IPRspr. 1978 Nr. 189 = RIW 1979, 482 Anm. Mezger
(Verkauf von Fruchtkonserven aus Italien nach Hamburg unter Einschaltung italien. Maklers.
Deutsches Recht angewendet); LG Hamburg v. 10.6.1974 – 62 O 165/73, IPRspr. 1974 Nr. 154
(Verkauf von Bohnen nach Frankreich unter Einschaltung französ. Maklers. Deutsches Recht an-
gewendet).
4 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30; Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46.
5 S. auch Schnelle, S. 106 f. zu Art. 28 Abs. 5 EGBGB. Dagegen für ein Eingreifen der lex-validitatis-
Regel im Rahmen der General- und der Ausweichklausel des Art. 28 EGBGB Abend, S. 314 ff.
6 BGH v. 27.4.1977 – VIII ZR 184/75, IPRspr. 1977 Nr. 17 = WM 1977, 793 (794) (Kaufvertrag).
Ebenso Marsch, S. 77 f., 94.
7 Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (320); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 13. Übersehen von
OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1995, 1033 m. krit. Anm.
Mankowski (Time-sharing-Vertrag). Terminologisch unrichtig auch OLG Köln v. 16.10.1992 – 19
U 118/92, IPRax 1994, 210 (m. krit. Aufs. Piltz, IPRax 1994, 191) = RIW 1993, 143.

Martiny | 163
§ 2 Rz. 2.274 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Parteien. Der subjektive mutmaßliche Wille der Parteien begründet auch keine engere Verbin-
dung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO1. Auf der anderen Seite darf aber bei der Bestimmung der
engen bzw. engeren Verbindung auch die Interessenlage der Parteien in Betracht gezogen wer-
den (s. Rz. 2.250).

k) Recht der Flagge


2.275 Bei Verträgen über Schiffe gibt das Recht der Flagge einen starken Hinweis, aber nur für Ver-
träge, welche die Veräußerung oder Belastung des Schiffes zum Gegenstand haben, nicht für
Charterverträge und Frachtverträge (s. Rz. 15.246). – Zum Seearbeitsrecht s. Rz. 11.83 ff.

VII. Revisibilität
2.276 Die Bestimmung des anwendbaren Rechts aufgrund objektiver Anknüpfung unterliegt als
Rechtsfrage der Nachprüfung des Revisionsgerichts2. Es handelt sich um die richtige Anwen-
dung der Art. 4–8 Rom I-VO. Dabei sind Tat- und Rechtsfrage zu trennen. Nur die „Vorfra-
ge“, worauf der rechtsgeschäftliche Wille der Vertragsparteien überhaupt gerichtet war, ist
nach der Rechtsprechung weitgehend dem Tatrichter vorbehalten, der durch Anwendung der
Auslegungsregeln des deutschen Rechts zu entscheiden habe3. Dagegen gehöre zwar nicht die
Ermittlung der tatsächlichen Umstände, wohl aber die Überprüfung der aus den einzelnen
Umständen im Hinblick auf das anzuwendende Recht zu ziehenden Schlüsse zu den Aufgaben
des Revisionsgerichts4. Der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt nach neuerer
Rechtsprechung auch, ob die Vorinstanz alle Umstände berücksichtigt hat, welche für die Be-
stimmung des vertraglichen Schwerpunktes von Bedeutung sein können. Das Revisions-
gericht kann daher beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Maßgeblichkeit der charakte-
ristischen Leistung außer Acht lässt5.

VIII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung

2.277 a) In erster Linie ist zu untersuchen, ob für den Fragenkomplex Einheitsrecht (wie etwa das
UN-Kaufrecht) vorgeht (Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 3 Nr. 2 EGBGB) oder ob die Mate-
rie von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen ist. In solchen Fällen kommen die Art. 3 ff.
Rom I-VO nicht unmittelbar zur Anwendung.
2.278 b) Liegt keine ausdrückliche und auch keine stillschweigende Rechtswahl der Parteien vor (s.
Hinweise Rz. 2.82 ff.), so empfiehlt sich für die objektive Anknüpfung im Allgemeinen fol-
gende Vorgehensweise:
2.279 Fällt das Vertragsverhältnis unter die allgemeine Vorschrift des Art. 4 Rom I-VO? Das ist
der Fall, wenn es sich um einen Schuldvertrag handelt, der keinen Sonderregeln wie Art. 5
(Beförderungsvertrag), Art. 6 (Verbraucherverträge), Art. 7 (Versicherungsvertrag) oder
Art. 8 Rom I-VO (Arbeitsvertrag) unterliegt.

1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 217 (Stand 1.2.2021). Anders wohl Gamillscheg, ZfA 14
(1983), 307 (330 ff.).
2 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 38 (Stand 1.2.2021).
3 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr. 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455.
4 BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170.
5 Vgl. bereits BGH v. 9.10.1986 – II ZR 241/85, ZIP 1987, 175 – RIW 1987, 148 = JR 1987, 198
Anm. Dörner.

164 | Martiny
C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) | Rz. 2.285 § 2

Maßgeblich ist das Recht, zu dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist. Zur Ermitt- 2.280
lung der engsten Verbindung ist zunächst zu prüfen, ob eine der Regeln des Art. 4 Abs. 1
Rom I-VO eingreift:
– Verträge im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO führen im Allgemeinen zum Recht des 2.281
charakteristisch Leistenden.
– Grundstücksverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO): Grundsätzlich gilt das Recht des Bele-
genheitsortes.
– Sonst kommt es auf die charakteristische Leistung an (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO): Grund-
sätzlich gilt das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. der Niederlassung derjenigen
Partei, welche diese Leistung erbringt.
Hilfsweise gilt das Recht der engsten Verbindung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. 2.282
c) Sind die Voraussetzungen einer der Anknüpfungen der Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO er- 2.283
füllt, so gilt grundsätzlich die von ihnen bezeichnete Rechtsordnung. Weist der Vertrag je-
doch engere Verbindungen mit einem anderen Staat auf (Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3
Rom I-VO), so gilt das Recht dieses Staates.
Greifen dagegen die Anknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nicht ein und lässt sich 2.284
auch keine charakteristische Leistung bestimmen (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO), so kommt es
nach der Generalklausel des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die engste Verbindung des Ver-
tragsverhältnisses an. Dafür werden die Interessen der Parteien und die näheren Umstände
des Vertragsverhältnisses herangezogen.

C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO)

Literatur: Baetge, Auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis des gewöhnlichen
Aufenthalts, FS Kropholler (2008), S. 77; Hilbig-Lugani, Divergenz und Transparenz: Der Begriff des
gewöhnlichen Aufenthalts der privat handelnden natürlichen Person im jüngeren EuIPR und EuZVR,
GPR 2014, 8; Mansel, Gesellschaften, Unternehmen und Kaufleute und ihr Niederlassungsaufenthalt
im internationalen Vertragsrecht, FS Prütting (2018), S. 51.

I. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts


Die Rom I-VO stellt vielfach auf den gewöhnlichen Aufenthalt (habitual residence; résidence 2.285
habituelle) ab, so insb. in Art. 4 Rom I-VO (mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht), Art. 5
Rom I-VO (Beförderungsverträge), Art. 6 Rom I-VO (Verbraucherverträge), Art. 7 Rom I-VO
(Versicherungsverträge) und Art. 11 Rom I-VO (Form). Der gewöhnliche Aufenthalt wird in
Art. 19 Rom I-VO definiert. Art. 23 Rom II-VO enthält eine entsprechende Regelung1. Die
Verordnung unterscheidet insoweit zwischen natürlichen Personen und anderen Personen so-
wie einer beruflichen und nichtberuflichen Tätigkeit. Der gewöhnliche Aufenthalt wird auch
für Unternehmen als Oberbegriff verwendet, ähnlich wie das die Brüssel Ia-VO bezüglich des
Wohnsitzes tut (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO)2. Darüber hinaus wird er von Art. 19 Rom I-VO
nicht näher definiert. Der gewöhnliche Aufenthaltsort von Gesellschaften, Vereinen und juris-
tischen Personen ist der Ort ihrer Hauptverwaltung (Art. 19 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO). Der ge-

1 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (385).


2 Früher Art. 59, 60 EuGVO. – Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (104).

Martiny | 165
§ 2 Rz. 2.285 | Bestimmung des Vertragsstatuts

wöhnliche Aufenthaltsort einer beruflich tätigen natürlichen Person ist der Ort ihrer Haupt-
niederlassung (Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO).

2.286 Wird der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen
Niederlassung geschlossen oder sind diese für die Erfüllung gemäß dem Vertrag verantwort-
lich, so steht der gewöhnliche Aufenthaltsort dem Ort gleich, an dem sich die Zweigniederlas-
sung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO). Ferner wird
der Zeitpunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts festgelegt; der Zeitpunkt des
Vertragsschlusses ist maßgebend (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO).

II. Gewöhnlicher Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischen


Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I-VO)
2.287 Für die Zwecke der Verordnung ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften,
Vereinen und juristischen Personen (companies and other bodies) der Ort ihrer Hauptver-
waltung (Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO). Dies deckt sich inhaltlich mit der früheren Regelung in
Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB. Auf die Hauptverwaltung kommt es
auch in Art. 63 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (u.a.) an1.

2.288 Art. 19 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO enthält – ähnlich wie Art. 63 Brüssel Ia-VO, der sich auf den
Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen bezieht2 – keine Definition, was unter Ge-
sellschaft, Verein und juristischer Person zu verstehen ist. Dass die Aufzählung untechnisch
zu verstehen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Während z.B. die französische Fassung
ebenso wie die deutsche „société, associaton ou personne morale“ nennt, spricht die englische
lediglich von „a body corporate or incorporate“. Für eine weite Auslegung des Gesellschafts-
begriffs spricht auch der Zweck der Vorschrift3. Jede Personenvereinigung oder Vermögens-
masse, die sich selbst vertraglich verpflichten kann, muss nämlich irgendwo lokalisiert wer-
den, damit eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung vorgenommen werden
kann.

2.289 Auch bei der Bestimmung des Ortes der Hauptverwaltung (place of central administration;
le lieu où elle a établi son administration centrale) ist zu berücksichtigen, dass es um die Er-
mittlung der engsten Verbindung eines Vertragsverhältnisses geht. Es entscheidet der effektive
Verwaltungssitz4. Dies ist im Allgemeinen der Ort, an dem die Willensbildung und die ge-
schäftliche Oberleitung durch den oder die gesetzlichen Vertreter erfolgt5.

III. Gewöhnlicher Aufenthalt natürlicher Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1


Rom I-VO)
1. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts
2.290 Der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer
beruflichen Tätigkeit handelt (acting in the course of his business activity; l’exercice de son

1 Vgl. auch Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69).


2 Dazu Staudinger in Rauscher, Art. 60 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff.
3 Stürner in Erman, Art. 19 Rom I-VO Rz. 3.
4 Mankowski, IHR 2008, 133 (139).
5 Thorn in Rauscher, Art. 19 Rom I-VO Rz. 9. – S. zu Art. 60 EuGVO BGH v. 27.6.2007 – XII ZB
114/06, GmbHR 2007, 1048 m. Anm. Römermann = MDR 2007, 1333 = NJW-RR 2008, 551; BAG
v. 23.1.2008 – 5 AZR 60/07, NJW 2008, 2797.

166 | Martiny
C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) | Rz. 2.293 § 2

activité professionnelle), ist der Ort ihrer Hauptniederlassung (principal place of business;
établissement principal; Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Rom I-VO). Auf die Hauptniederlassung
kommt es auch in Art. 63 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO (ex-Art. 60 Abs. 1 lit. c EuGVO) für
Gesellschaften an. Die frühere Regelung in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2 S. 1
EGBGB stellte zunächst auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Für in Ausübung einer berufli-
chen oder gewerblichen Tätigkeit einer Partei geschlossene Verträge kam es auf den Staat an,
in dem sich die Hauptniederlassung dieser Partei befindet (Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB = Art. 4
Abs. 2 S. 2 EVÜ).

2. Geschäftliche Tätigkeit
Für die geschäftliche Tätigkeit ist in erster Linie die Hauptniederlassung maßgeblich; hilfswei- 2.291
se entscheidet die Niederlassung, von der aus die Leistung zu erbringen ist. Tritt eine Partei
im Internet auf und wird der Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen, so än-
dert das grundsätzlich nichts an der Maßgeblichkeit des Rechts des Aufenthaltsortes1. Es
kommt auf die realen Verhältnisse an, nicht auf den Ort, an dem eine Internetseite in das
Netz gestellt oder wahrgenommen wird. Auch das Verwenden einer „deutschen“ Internet-
Adresse führt noch nicht zur Anwendung deutschen Rechts2. Denkbar ist allerdings, dass das
Angebot aus anderen Gründen eine engste Beziehung zur deutschen Rechtsordnung auf-
weist3.

Was als berufliche Tätigkeit zu verstehen ist, bestimmt Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO nicht näher. 2.292
Auf die berufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit stellen auch die Zuständigkeitsvorschrift des
Art. 17 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 Abs. 1 EuGVO/LugÜ4) sowie die für das anzuwendende
Recht maßgebliche Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ab (dazu Rz. 35.34 ff.). Diese Vor-
schriften bezwecken den Schutz des Letztverbrauchers und weichen zu diesem Zweck von den
gewöhnlichen Zuständigkeits- bzw. Anknüpfungsregeln ab. Bei Art. 4 ff. Rom I-VO geht es
ebenfalls um die Abgrenzung von geschäftlicher und Privatsphäre. Sinn und Zweck der Be-
stimmung ist die richtige Anknüpfung der Geschäftstätigkeit. Nicht der Aufenthalt der Ver-
tragspartei soll entscheiden, sondern der Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit. Dement-
sprechend ist der Begriff der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit untechnisch zu verste-
hen. Alles, was nicht der Privatsphäre zugerechnet werden kann, fällt unter die geschäftliche
Tätigkeit (s. näher Rz. 35.34 ff.).

3. Hauptniederlassung
Bei beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit ist grundsätzlich das Recht am Ort der Hauptnie- 2.293
derlassung (principal place of business; principal établissement) maßgeblich. Der Begriff der
Niederlassung wird bislang z.B. im Einheitskaufrecht (Art. 1 Abs. 1, Art. 10 CISG) und in
Zuständigkeitsvorschriften verwendet (vgl. § 21 ZPO; Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO [ex-Art. 5
Nr. 5 EuGVO/LugÜ])5. Hier geht es darum, für eine berufliche, geschäftliche oder sonstige
wirtschaftliche Tätigkeit die engste Verbindung eines Vertragsverhältnisses zu einer bestimm-

1 Junker, RIW 1999, 809 (818); Sonnenberger, ZVglRW 100 (2001), 107 (129); Magnus in Graf/
Paschke/Stober, S. 26. – Vgl. auch Martiny, ZEuP 1999, 246 (259).
2 Vgl. Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1214); Mehrings, CR 1998, 613 (617).
3 Vgl. Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1214); Mehrings, CR 1998, 613 (617).
4 Dazu Geimer in Geimer/Schütze, Art. 17 EuGVO Rz. 35 ff.
5 Dazu näher Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO Rz. 367 ff.

Martiny | 167
§ 2 Rz. 2.293 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ten Rechtsordnung zu ermitteln. Somit ist eine weite Auslegung des Niederlassungsbegriffs
angebracht.

2.294 Von einer Niederlassung kann man im Allgemeinen dann sprechen, wenn eine solche sachli-
che Ausstattung vorliegt, die eine nach außen gerichtete geschäftliche Tätigkeit ermöglicht
(z.B. Geschäftsräume). Die Niederlassung muss eine Geschäftsführung besitzen und insbeson-
dere Geschäfte abschließen können. Ferner muss sie für eine gewisse Dauer bestehen; eine
nur kurzfristige Präsenz (z.B. Messebesuch) genügt nicht. Sind mehrere Niederlassungen vor-
handen, so ist diejenige von ihnen die Hauptniederlassung, die den Mittelpunkt der geschäft-
lichen Tätigkeit bildet1. Kennzeichnend dafür ist, dass von hier aus die Aufsicht und Leitung
erfolgen.

4. Nicht berufliche Tätigkeit


2.295 Mehrfach kommt es in der VO auch auf den gewöhnlichen Aufenthalt von natürlichen Per-
sonen an, welche nicht beruflich tätig sind, insbesondere von Verbrauchern und Versiche-
rungsnehmern. Der gewöhnliche Aufenthalt gilt in erster Linie für Verträge von Privatper-
sonen, da für Berufs- und Gewerbetätigkeit die Niederlassung maßgeblich ist (dazu
Rz. 2.290 ff.). Der Begriff wird vor allem von den Haager Übereinkommen und anderen inter-
national-privatrechtlichen Staatsverträgen als Anknüpfungspunkt verwendet. Er findet sich
auch in Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO [ex-Art. 5
Nr. 5 EuGVO]), der Brüssel IIa-VO sowie im Einheitskaufrecht (Art. 10 lit. b CISG).

2.296 Bei seiner Auslegung ist zu beachten, dass hier nicht das Personalstatut einer Person zu be-
stimmen, sondern die engste Verbindung für ein Vertragsverhältnis zu ermitteln ist. Dafür
kann man sich aber an dem aus den tatsächlichen Verhältnissen ersichtlichen Daseinsmittel-
punkt der Vertragspartei orientieren2. Zu verlangen ist also, dass der Aufenthalt – im Gegen-
satz zum bloß schlichten Aufenthalt – auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Ein Messebesuch
oder ein Ferienaufenthalt genügen grundsätzlich nicht. Tatsächliche Umstände, wie z.B. das
Anmieten einer Wohnung, geben Hinweise darauf, wie eng die Verbindung der Person mit
ihrem Aufenthaltsort ist. Die Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts hat früher
die Kritik hervorgerufen, es werde möglicherweise ein Recht angewendet, das überhaupt keine
Verbindung mit dem Vertrag aufweise3. Dem kann aber über Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO begeg-
net werden.

IV. Andere Niederlassung (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO)


2.297 Wird der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sons-
tigen Niederlassung (operations of a branch, agency or any other establishment; dans le cadre
de l’exploitation d’une succursale, d’une agence ou de tout autre établissement) geschlossen
oder ist für die Erfüllung (performance is the responsibility; la prestation doit être fournie)
gemäß dem Vertrag eine solche Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung ver-
antwortlich, so steht der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts dem Ort gleich, an dem sich die
Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet (Art. 19 Abs. 2 Rom I-
VO). Die erste Alternative dieser Bestimmung („Abschluss im Betrieb“) ist ähnlich gefasst
wie Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 5 EuGVO). Die Brüssel Ia-VO kennt in ihren

1 Stürner in Erman, Art. 19 Rom I-VO Rz. 3. – Vgl. auch Mankowski, IPRax 2006, 101 (112).
2 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69).
3 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (131); Weitnauer, S. 198.

168 | Martiny
D. Rück- und Weiterverweisung (Art. 20 Rom I-VO) | Rz. 2.299 § 2

Zuständigkeitsvorschriften Zweigniederlassungen und „sonstige Niederlassungen“, z.B. für die


Zuständigkeit der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO). Ebenso ist es in Versicherungs-
sachen (Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) und in Verbrauchersachen (Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-
VO). Auch das Haager Kaufrechts-Übk. von 1955 (Rz. 25.21) enthält in Art. 3 Abs. 2 eine Vor-
schrift, die auf die Zweigniederlassung abstellt. Im UN-Kaufrecht findet sich eine entsprechen-
de Bestimmung in Art. 10 lit. a CISG (Rz. 25.88).

Inhaltlich deckt sich die zweite Alternative des Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO („Verantwortlichkeit 2.298
für die Erfüllung“) mit der bisherigen Regelung in Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2
S. 2 EGBGB. Die Zweigniederlassung muss für die Erfüllung verantwortlich sein (performance
is the responsibility of such a branch; la prestation doit être fournie). Auch der Begriff der
„sonstigen Niederlassung“ wird nicht definiert. Die Auslegung muss sich vor allem am Zweck
der Vorschrift orientieren. Es soll vermieden werden, dass Verträge dem Recht der Hauptnie-
derlassung unterworfen werden, obwohl die geschäftliche Aktivität an einem anderen Ort er-
folgt1. Oft ist der anderen Vertragspartei gar nicht bekannt, wo sich die Hauptniederlassung
befindet; sie rechnet dementsprechend auch nicht mit der Anwendung des Rechts dieses Or-
tes. Auf der anderen Seite muss verhindert werden, dass jede vorübergehende Tätigkeit, z.B.
im Zusammenhang mit einem Vertragsabschluss, bereits zu einer Lokalisierung an diesem
Ort führt. Daher sind hauptsächlich Zweigniederlassungen gemeint, auf die anstelle der
Hauptniederlassung abgestellt wird. Die Zweigniederlassung setzt einen Mittelpunkt geschäft-
licher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt. Dieser
Mittelpunkt muss eine Geschäftsführung haben und sachlich so ausgestattet sein, dass er in
der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das
Stammhaus zu wenden brauchen2.

V. Zeitpunkt (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO)


Die VO legt auch den maßgeblichen Zeitpunkt fest. Für die Bestimmung des gewöhnlichen 2.299
Aufenthalts ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (time of the conclusion of the contract; le
moment de la conclusion du contrat) maßgebend (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO). Der gewöhnli-
che Aufenthalt ist wiederum der beherrschende Anknüpfungspunkt. Daraus ist zu schließen,
dass es in den jeweiligen Bestimmungen, die auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellen, auf
diesen Zeitpunkt ankommt, s. Rz. 2.157, Rz. 2.188, Rz. 2.227, Rz. 2.248.

D. Rück- und Weiterverweisung (Art. 20 Rom I-VO)

Literatur: von Hein, Der Renvoi im europäischen Kollisionsrecht in Leible/Unberath (Hrsg.), Brau-
chen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S. 341; Mallmann, Rechtswahlklauseln unter Ausschluss
des IPR, NJW 2008, 2953; Rugullis, Die Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB – Sachnorm oder
Gesamtverweisung?, ZVglRW 106 (2007), 217; Sandrock, Rück- und Weiterverweisungen im interna-
tionalen Schuldvertragsrecht, FS Kühne (2009), S. 881.

1 Vgl. OLG Nürnberg v. 18.2.1993 – 12 U 1663/92, IPRspr. 1993 Nr. 31. Daher wird z.T. argumen-
tiert, in Wirklichkeit entscheide hier nicht mehr die charakteristische Leistung, sondern die
Marktbezogenheit, so Gunst, S. 171 ff. (179 f.).
2 Zu Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO EuGH v. 25.2.2021 – C-804/19, ECLI:EU:C:2021:134 (Markt24) Rz.
47 = NJW 2021, 1152 = RIW 2021, 297; EuGH v. 20.5.2021 – C-913/19, ECLI:EU:C:2021:399 Rz.
52 (CNP) = NJW 2021,1863 = RIW 2021, 425.

Martiny | 169
§ 2 Rz. 2.300 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.300 In Art. 20 Rom I-VO heißt es, dass unter dem nach der VO anzuwendenden Recht eines Staa-
tes die in diesem Staat geltenden Sachvorschriften zu verstehen sind, soweit in dieser Verord-
nung nichts anderes bestimmt ist1. Eine parallele Vorschrift enthält Art. 24 Rom II-VO. Die
Regelung des deutschen nationalen Kollisionsrechts in Art. 4 EGBGB kommt nicht zur An-
wendung (zur Schiedsgerichtsbarkeit s. Rz. 7.452).

2.301 Art. 20 Rom I-VO ordnet eine Sachnormverweisung an2. Ausdrücklicher und stillschweigender
Parteiwille beziehen sich mithin nur auf das gewählte materielle Recht. Auch andere Kodifika-
tionen ordnen ausdrücklich einen Ausschluss des renvoi an, so etwa Art. 1190 Abs. 1 russ. ZGB,
Art. 14, 116 ff. schweiz. IPRG. Das Haager Kaufrechts-Übereinkommen vom 15.6.1955 bezieht
die Rechtswahl ebenfalls nur auf die Sachnormen (loi interne) des gewählten Rechts (Art. 2
Abs. 1). Eine vertragliche Vereinbarung, wonach die Regeln des IPR „ausgeschlossen sind“, ist
im Rahmen der Rom I-VO überflüssig3. Erfolgt sie gleichwohl, so ist sie im Allgemeinen dahin
gehend auszulegen, dass sich die Rechtswahl lediglich auf die Sachnormen beziehen soll4.

2.302 Zwar ist denkbar, dass die Parteien ausdrücklich vereinbaren, ihr Vertrag solle dem Recht unter-
stehen, das ein Gericht in dem von ihnen bestimmten Staat anwenden würde, also eine Gesamt-
verweisung auch auf das Kollisionsrecht des bezeichneten Staates vornehmen5. Die Haager Prin-
ciples on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 gestatten dies aus-
drücklich (Art. 8). Im Regelfall liegt den Parteien freilich nichts ferner als das, weil sie die mate-
riellen (sachrechtlichen) Bestimmungen des gewählten Rechts zur Anwendung bringen wollen6.

2.303 Für die Rom I-VO wird vielfach angenommen, die Parteien könnten wegen der Unbeachtlich-
keit des renvoi nicht auf Kollisionsnormen, sondern nur unmittelbar auf die Sachnormen des
gewählten Rechts verweisen7. Andere wollen hingegen kein Verbot einer ausdrücklichen Ver-
einbarung auch des Kollisionsrechts annehmen8, da die schuldvertragliche Gesamtverweisung
keine Missbräuche erwarten lässt. Die Vereinbarung eines bestimmten Kollisionsrechts
kann sogar geboten sein, wenn die Regelung vertraglicher Streitigkeiten einem internationalen
Schiedsgericht überlassen wird, das – anders als ein staatliches Gericht – über kein per se an-
wendbares Kollisionsrecht der lex fori verfügt9, vgl. Rz. 7.438 ff. Auf der anderen Seite sieht
man vielfach keine Notwendigkeit für eine solche Rechtswahl vor den staatlichen Gerichten.
Ferner lege die heutige Fassung des Art. 20 Rom I-VO ebenfalls nahe, dass nur Sachnormen
gewählt werden können10.

1 Früher galten die inhaltlich gleichen Art. 15 EVÜ bzw. Art. 35 Abs. 1 EGBGB.
2 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (195); Magnus in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 4.
3 Vorpeil, IWB 2020, 438 (444).
4 Näher Mankowski, RIW 2003, 2 (7 f.).
5 Vischer/Huber/Oser, Rz. 140.
6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69.
7 So Rugullis, ZVglRW 106 (2007), 217 ff.; Mallmann, NJW 2008, 2953 ff.; Rühl, FS Kropholler,
S. 187 (195); von Hein in Leible/Unberath, S. 368 f.; Nehne, S. 311; Schmitz, S. 247 ff.; Spickhoff in
BRHP, Art. 20 Rom I-VO Rz. 3; Leible in NK, Art. 20 Rom I-VO Rz. 5; von Hein in Rauscher, Art. 3
Rom I-VO Rz. 65; Stürner in Erman, Art. 20 Rom I-VO Rz. 2. – Unentschieden Mankowski, IHR
2008, 133 (135).
8 Sandrock, FS Kühne, S. 881 (893); Freitag in Rauscher, Art. 20 Rom I-VO Rz. 2; Hausmann in
Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 12; Jarass in Calliess/Renner, Art. 20 Rome I Rz. 14. – S. auch Kro-
pholler, IPR, S. 170 (441).
9 Schröder, IPRax 1987, 90 (92).
10 Dagegen für die Zulässigkeit Brödermann/Wegen in PWW, Art 3 Rom I-VO Rz. 7, Art. 20 Rom I-
VO Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 12.

170 | Martiny
E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) | Rz. 2.306 § 2

Rück- und Weiterverweisung sind auch bei objektiver Anknüpfung eindeutig ausgeschlos- 2.304
sen1. Nach Art. 4 Rom I-VO wird die Rechtsordnung ermittelt, mit welcher der Vertrag die
engsten Beziehungen aufweist. Enthalten die Kollisionsnormen dieser Rechtsordnung andere
Anknüpfungspunkte als die Rom I-VO, so könnte es zu einem renvoi kommen. Dies würde
aber dem Sinn der objektiven Anknüpfung widersprechen, eine auch im Einzelfall angemesse-
ne Zuordnung des Vertrages zu einer bestimmten Rechtsordnung zu finden. Rück- und Wei-
terverweisung sind nach schweizerischem Recht ebenfalls ausgeschlossen (Art. 14 Abs. 1,
116 ff. schweiz. IPRG).

E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO)

I. Rechtsspaltung
Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO2 betrifft Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (sog. Rechtsspal- 2.305
tung). Grundsatz ist die Verselbständigung der Gebietseinheit. Umfasst nämlich ein Staat
mehrere Gebietseinheiten, von denen jede für vertragliche Schuldverhältnisse ihre eigenen
Rechtsnormen hat, so gilt jede Einheit als Staat. Das Kollisionsrecht des ausländischen Staates
ist im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 3 EGBGB ebenso ausgeschaltet wie sein interlokales Recht.
Folglich kann bei ausdrücklicher oder stillschweigender Rechtswahl das Recht der jeweiligen
Gebietseinheit gewählt werden, z.B. englisches Recht3. Entsprechendes gilt für die objektive
Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO. Hat die Vertragspartei, welche die charakteristische Leis-
tung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt beispielsweise in Schottland, so wird davon aus-
gegangen, dass der Vertrag seine engsten Verbindungen mit dem schottischen Recht aufweist4.
Ebenso ist mit Nichtvertragsstaaten, z.B. den Einzelstaaten der USA, zu verfahren. Führt da-
her etwa die Anknüpfung eines Anwaltsvertrages zum Recht von New York, so ist nicht mehr
zu prüfen, ob dieses Recht eine interlokale Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Ein-
zelstaates ausspricht5.

Eine Rechtswahl, die sich lediglich auf das Recht des Gesamtstaats (z.B. „US-amerikanisches“ 2.306
Recht) bezieht, obwohl in der Materie nur einzelstaatliches Recht besteht, ist unklar6. In erster
Linie ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob gleichwohl ein bestimmter Einzelstaat aus-
drücklich oder stillschweigend gemeint war7, s. Rz. 3.103. Ist das nicht der Fall, könnte man
die Vereinbarung als unwirksam betrachten und objektiv anknüpfen8. Zweckmäßiger ist es je-
doch, den Parteiwillen so weit wie möglich zu honorieren und die engste Verbindung zu su-
chen. Diese kann sich z.B. aus dem gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei ergeben9. Dement-
sprechend kann man ähnlich wie nach (dem nicht anwendbaren) Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB

1 Schröder, IPRax 1987, 90 (91 f.)


2 Früher Art. 35 Abs. 2 EGBGB, der Art. 19 Abs. 1 EVÜ entsprach. Parallelvorschrift in Art. 25
Abs. 1 Rom II-VO.
3 Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1806); Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 9. Ebenso schon Bericht Giuliano/Lagarde, S. 71.
5 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 4.
6 Zur Problematik der Vereinbarung „amerikanischen“ Rechts OLG München v. 15.2.1980 – 23 U
3398/79, IPRspr. 1981 Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (m. Aufs. Jayme, IPRax 1983, 105).
7 Heinze, FS Kropholler, S. 105 (120); Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3.
8 So Staudinger, IPRax 2005, 129 f.; Leible in NK, Art. 22 Rom I-VO Rz. 10; Thorn in Palandt,
Art. 22 Rom I-VO Rz. 3.
9 Gebauer in Calliess/Renner, Art. 22 Rome I Rz. 6 (ggf. auch Erfüllungsort).

Martiny | 171
§ 2 Rz. 2.306 | Bestimmung des Vertragsstatuts

zunächst nach dem ausländischen interlokalen Privatrecht – soweit vorhanden – eine Zuord-
nung vornehmen1. Die Anwendung des interlokalen Privatrechts der gewählten Rechtsord-
nung lässt sich als konkludent zum Ausdruck gekommener Parteiwille rechtfertigen2. Fehlt
ein interlokales Privatrecht, so ist ähnlich wie nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB die engste Ver-
bindung festzustellen3. Für die Ermittlung der jeweiligen Teilrechtsordnung können die Wer-
tungen der Art. 4, 5, 6 Abs. 2 und 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO herangezogen werden4. Denkbar
ist auch, die engste Beziehung allein auf der Grundlage der VO zu ermitteln.

2.307 Eine Gebietseinheit (territorial unit; unité territoriale) ist ein Teil innerhalb des Staates. Be-
sondere Voraussetzungen wie eigene Gesetzgebungsorgane oder Rechtsprechung (wie z.B. bei
den australischen Einzelstaaten) bestehen an sich nicht, sprechen aber für das Vorliegen einer
solchen Einheit. Entscheidend ist eine funktionale Betrachtung: Es soll das Recht zur Anwen-
dung kommen, das in diesem Teil des Staates tatsächlich gilt.

2.308 Erforderlich ist, dass die Gebietseinheit über eigene „Rechtsnormen“ (rules of law in respect
of contractual obligations; règles en matière d’obligations contractuelles; norme in materia
d’obbligazioni contrattuali) verfügt. Es müssen keine gesetzlichen Vorschriften vorhanden
sein. Vielmehr genügt es, wenn das Vertragsrecht auf Richterrecht beruht. Einer selbständigen
Behandlung der Gebietseinheit steht auch nicht entgegen, wenn im ausländischen Staat in ei-
nigen Einzelfragen einheitliches Recht (z.B. US-amerikanisches Bundesrecht) gilt.

2.309 Nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB, der allgemeinen Vorschrift über die Rechtsspaltung, wird bei einer
Verweisung auf das Recht eines Staates mit mehreren Teilrechtsordnungen dieses Recht be-
fragt, welche der Teilrechtsordnungen anzuwenden ist. Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO ist dem-
gegenüber eine Sonderregelung für vertragliche Schuldverhältnisse, welche der allgemeinen
Vorschrift vorgeht5. Für Schuldverträge, die nicht den Art. 3 ff. Rom I-VO unterstehen, ist die
Regelung des Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO analog anzuwenden, da sie sachnäher ist als die des
Art. 4 Abs. 3 EGBGB.

2.310 Nach Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO ist ein Staat, in dem verschiedene Gebietseinheiten ihre eige-
nen Rechtsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse haben, nicht verpflichtet, die VO auf
Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden6. Eine Paral-
lelvorschrift findet sich in Art. 25 Abs. 2 Rom II-VO. Erfasst werden Situationen, in denen
Verbindungen mit mehreren Gebietseinheiten desselben Staates (z.B. England und Schott-
land), aber mit keinem anderen ausländischen Staat bestehen. Hier ergeben sich lediglich in-
terlokale Rechtsanwendungsprobleme; der Vertragsstaat ist folglich nicht verpflichtet, die Kol-
lision durch die Anwendung des EVÜ zu lösen7. Für Deutschland hat diese Vorschrift keine
Bedeutung8.

1 Vgl. Heinze, FS Kropholler, S. 105 (120 f.).


2 Gebauer in Calliess/Renner, Art. 22 Rome I Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 8.
3 Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 22 Rom I-VO Rz. 2;
Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 8. – Anders Staudinger, IPRax 2005, 129 f.
4 Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3. – Vgl. auch Eichel in Leible/Unberath (2013), S. 397
(408 f.).
5 Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 12. – So bislang schon Kropholler, IPR, S. 459.
6 Ebenso Art. 19 Abs. 2 EVÜ, der nicht in das EGBGB übernommen worden war.
7 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 71.
8 S. von Hoffmann, IPRax 1984, 10 (12).

172 | Martiny
E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) | Rz. 2.313 § 2

II. Innerdeutsches Kollisionsrecht


Infolge der Wiedervereinigung (3.10.1990) und der (Wieder-)Einführung des BGB im Gebiet 2.311
der früheren DDR (Art. 230 EGBGB) bestehen zwischen Ost- und Westdeutschland nur noch
in wenigen Fällen Rechtsunterschiede (vgl. Art. 232 EGBGB). In ihnen stellt sich die interlo-
kale Frage, ob das ost- oder das westdeutsche Recht anzuwenden ist1. Eine besondere gesetzli-
che Regelung besteht hierfür nicht. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Einigungs-
vertrag nicht zwei verschiedene, sondern lediglich ein einheitliches interlokales Privatrecht
voraussetzt. Hierfür gelten heute – soweit dies überhaupt noch praktisch werden sollte –
grundsätzlich die Art. 3 ff. Rom I-VO in entsprechender Anwendung2. Folglich kommen die
Vorschriften über die Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) ebenso zur Anwendung wie die spezifi-
zierte Anknüpfung und der Grundsatz der Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung
(Art. 4 Rom I-VO)3. Gleiches gilt für die Sonderregelung für Verbraucherverträge (Art. 6
Rom I-VO). Die Bestimmung über Arbeitsverhältnisse in Art. 8 Rom I-VO gilt ebenfalls ana-
log4. Zwingendes westdeutsches Recht wird in entsprechender Anwendung des Art. 9 Rom I-
VO durchgesetzt5.

Für vor dem Einigungsvertrag geschlossene Verträge (sog. Altfälle) stellt sich die grundsätzli- 2.312
che Frage, welches Kollisionsrecht anzuwenden ist. Nach der Lehre vom gespaltenen Kollisi-
onsrecht haben die Gerichte der neuen Bundesländer aus Gründen des Vertrauensschutzes
weiterhin die bisherigen Kollisionsnormen, d.h. das Rechtsanwendungsgesetz der DDR (§§ 12 ff.
RAG), anzuwenden. Dagegen will die Lehre vom einheitlichen Kollisionsrecht die vor der
Wiedervereinigung entwickelten (westdeutschen) interlokalen Regeln heranziehen6. Die Recht-
sprechung tendiert ebenfalls dazu, die oben geschilderten neuen Grundsätze auch auf bereits
vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten geschlossene Verträge anzuwenden7.

Die analoge Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO (früher Art. 27 ff. EGBGB) bedeutet aus 2.313
westdeutscher Sicht keine Änderung. Folgt man der Lehre vom einheitlichen Kollisionsrecht,
so ist lediglich dann, wenn die Art. 3 ff. Rom I-VO in Fällen mit Auslandsberührung zum
früheren Recht der ehemaligen DDR führen, die intertemporale Norm des Art. 236 § 1
EGBGB zu beachten8.

1 Vgl. Fischer, Deutsch-deutsche Vertragsschlüsse zwischen Wende und Einheit, IPRax 1995, 161.
2 Zu Art. 3 ff. EGBGB s. BGH v. 1.12.1993 – IV ZR 261/92, BGHZ 124, 270 (272 f.) = NJW 1994,
582 = JZ 1994, 468 Anm. Thode = IPRax 1995, 114 (m. Aufs. Dörner, IPRax 1995, 89) (zum Erb-
recht).
3 Zu Art. 28 EGBGB BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 (370 f.) = NJW 1995, 318.
4 Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 8 Rom I Rz. 31. Bei weiterhin bestehenden Unterschieden stellt
die Rechtsprechung auf den tatsächlichen Arbeitsort ab.
5 Zu Art. 34 EGBGB BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 (374) = NJW 1995, 318.
6 Offen gelassen von OLG Rostock v. 13.5.1993 – 1 U 247/92, OLG-NL 1994, 12 (14).
7 BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 = NJW 1995, 318 (Handelsvertretervertrag
von 1988/1989 mit DDR-Außenhandelsbetrieb dem GIW unterstellt. Wegen fehlender westdeut-
scher devisenrechtlicher Genehmigung aber nichtig); BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM
1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm. Mankowski) (Im Januar 1990 geschlossener
Beratervertrag mit DDR-Hochschule. Westdeutsches Recht angewendet. Außenhandelsmonopol
der DDR nicht beachtet.); OLG Naumburg v. 14.10.1993 – 2 U 129/92, ZIP 1993, 1732 = IPRax
1995, 172 (m. Aufs. Fischer, IPRax 1995, 161) (Verkauf zwischen Bonner Verkäufer und DDR-
Konsumgenossenschaft westdeutschem Recht unterstellt. Anknüpfung dahingestellt. Außenhan-
delsmonopol der DDR nicht beachtet.). So wohl auch Fischer, IPRax 1995, 161 f.
8 So allgemein Thorn in Palandt/Archiv, Art. 236 EGBGB Rz. 6, 7.

Martiny | 173
§ 2 Rz. 2.314 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.314 Danach bleibt für vor dem Wirksamwerden des Beitritts abgeschlossene Vorgänge das bisheri-
ge Internationale Privatrecht maßgeblich. Das anzuwendende Recht ist nach den Regeln des
Rechtsanwendungsgesetzes zu ermitteln. Nur in diesen Fällen wird also ein kollisionsrecht-
licher Vertrauensschutz gewährt.

2.315 Zur Rechtslage vor der IPR-Reform (1.9.1986) s. 6. Aufl., Rz. 204 ff.

F. Ordre public (Art. 21 Rom I-VO)

2.316 Art. 21 Rom I-VO betrifft die öffentliche Ordnung im Staat des angerufenen Gerichts. Die
Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts kann im Einzel-
fall versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des
Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist1. Insofern ist zu beachten, dass
parallele Vorschriften in Art. 26 Rom II-VO sowie im internationalen Verfahrensrecht vor-
handen sind (insbesondere Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO [ex-Art. 34 Nr. 1 EuGVO])2.
Zwar darf der einzelne Mitgliedstaat von seinem nationalen ordre public Gebrauch machen,
doch setzt ihm hierbei das Unionsrecht Grenzen3. Im Ergebnis spielt der ordre public im In-
ternationalen Vertragsrecht nur eine sehr untergeordnete Rolle4.

1 Roth, AcP 220 (2020) 458 (509 f.).


2 Vgl. Rühl, FS Kropholler, S. 187 (207 f.).
3 EuGH v. 11.5.2000 – C-38/98, ECLI:EU:C:2000:225 (Renault), Slg. 2000, I-2973 = NJW 2000,
2185 = IPRax 2001, 338 (m. Aufs. Heß, IPRax 2001, 301) (zum GVÜ). – Näher Thoma, Die Euro-
päisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public (2007).
4 Kasuistik bei Thorn in Rauscher, Art. 21 Rom I-VO Rz. 17 ff. – Rspr.-Länderübersicht bei Guin-
chard in Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in practice (Cambridge 2020), S. 625 (656 ff.).

174 | Martiny
§3
Geltungsbereich des Vertragsstatuts

A. Zustandekommen des Vertrages . . . 3.1 C. Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . 3.103


I. Einheitsrecht und Rechtsanglei- I. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.103
chung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 II. Hauptvertrag (Art. 12 Abs. 1 lit. a
II. Zustandekommen des Hauptvertra- Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.106
ges (Art. 10 Rom I-VO) . . . . . . . . . . 3.3 III. Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . 3.113
1. Maßgeblichkeit des Vertragssta- D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche . . 3.116
tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3
I. Schuldrechtliche Wirkungen . . . . . . 3.116
2. Bewertung des Schweigens . . . . . 3.7
II. Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.120
3. Bestätigungsschreiben . . . . . . . . 3.19
III. Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.122
4. Sprachrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . 3.24
IV. Währung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.126
5. Zeitpunkt und Ort des Vertrags-
schlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.36 V. Schuldner-, Gläubigermehrheit . . . 3.130
6. Vertragliche Regelung des Zustan- VI. Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . 3.132
dekommens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.40 VII. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . 3.133
III. Verwendung Allgemeiner Geschäfts- E. Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . 3.134
bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.42 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.134
1. Rechtsvereinheitlichung und -an- II. Voraussetzungen der Leistungsstö-
gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.42 rungen (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-
2. Bezugnahme auf AGB bei Aus- VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.137
landsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . 3.43 1. Unmöglichkeit, Verzug . . . . . . . . 3.137
3. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . 3.51 2. Störung der Geschäftsgrundlage 3.143
a) Einbeziehung von AGB . . . . 3.51 3. Mahnung, Fristsetzung . . . . . . . . 3.144
b) Sonderanknüpfung der An-
4. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . 3.145
nahme von AGB . . . . . . . . . 3.53
c) Inlandsgeschäfte . . . . . . . . . 3.57 III. Einzelne Folgen der Leistungsstö-
d) Andere Fälle . . . . . . . . . . . . . 3.59 rungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.146
aa) Bestehender Vertrag . . . 3.59 1. Schuldbefreiung, Vertragsanpas-
bb) Kenntnis der AGB und sung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.146
ihrer Geltung . . . . . . . . . 3.61 2. Rücktritt und Vertragsauflösung 3.152
cc) Laufende Geschäftsver- 3. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . 3.153
bindung . . . . . . . . . . . . . 3.63 4. Zinsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 3.161
dd) Vertragsschluss im Dritt- 5. Einreden, Zurückbehaltungsrecht 3.168
staat . . . . . . . . . . . . . . . . 3.64 6. Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . 3.173
4. Einbeziehung von AGB nach F. Beweis und gesetzliche Vermutun-
deutschem Sachrecht . . . . . . . . . 3.65 gen (Art. 18 Rom I-VO) . . . . . . . . . 3.176
5. Inhaltskontrolle von AGB . . . . . 3.73
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.176
6. Ungewöhnlichkeit einzelner Klau-
II. Beweisgegenstand und Beweislast
seln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.77
(Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . 3.177
7. Auslegung, Form . . . . . . . . . . . . . 3.80
III. Beweismittel für den Beweis von
B. Materielle Wirksamkeit . . . . . . . . . . 3.83 Rechtsgeschäften (Art. 18 Abs. 2
I. Wirksamkeit des Vertrages . . . . . . . 3.83 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.181
II. Wirksamkeit des Verweisungsvertra- G. Erlöschen des Schuldvertrages . . . . 3.185
ges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.87 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.185
III. Wirksamkeit des Hauptvertrages . . 3.91 II. Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.189
IV. Gläubigeranfechtung . . . . . . . . . . . . 3.101

Martiny | 175
§ 3 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

1. Maßgeblichkeit des Vertragssta- 1. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.253


tuts (Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I- 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . 3.256
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.189 3. Verhältnis Zedent – Zessionar . . 3.258
2. Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . 3.192 4. Maßgeblichkeit des Forderungs-
a) Materiell-rechtliche Bedeu- statuts für das Verhältnis Zessio-
tung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.192 nar – Drittschuldner . . . . . . . . . 3.261
b) Prozessuale Bedeutung . . . . 3.195 a) Zweck des Art. 14 Abs. 2
aa) Europäische Gerichts- Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . 3.261
stands- und Vollstre- b) Geltungsbereich des Forde-
ckungsverordnung . . . . 3.195 rungsstatuts . . . . . . . . . . . . 3.262
(1) Zuständigkeit am Erfül- 5. Übertragung zu Sicherungszwe-
lungsort . . . . . . . . . . . . 3.197 cken, Sicherungsrechte . . . . . . . 3.271
(2) Warenkauf . . . . . . . . . . 3.199 a) Übertragung zu Sicherungs-
(3) Dienstleistungen . . . . . . 3.201 zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . 3.271
bb) Kollisionsrechtliche Er- aa) Sicherungsabtretung . . 3.271
füllungsortbestimmung 3.204 bb) Vorausabtretung . . . . . 3.274
cc) Internationale Zuständig- cc) Globalabtretung . . . . . . 3.276
keit nach nationalem b) Pfandrechte und andere Si-
Recht . . . . . . . . . . . . . . . 3.215 cherungsrechte . . . . . . . . . . 3.277
3. Erfüllungsmodalitäten (Art. 12 IV. Zession dinglich gesicherter Forde-
Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . 3.216 rungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.278
4. Währung, Ersetzungsbefugnis . . 3.223 V. Einziehungsermächtigung . . . . . . . 3.286
III. Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO) . 3.225 VI. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.287
1. Gleiches Schuldstatut . . . . . . . . . 3.225
L. Drittwirkungen der Forderungs-
2. Verschiedene Statute . . . . . . . . . 3.226
abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.288
3. Verschiedene Währungen . . . . . 3.231
I. Rom I-VO und Zessionswirkungen 3.288
IV. Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.233
II. Drittwirkungen und Mehrfachabtre-
V. Erlass, Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . 3.234 tung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.290
H. Verjährung, Ausschlussfrist, Verwir- III. Drittwirkungs-VO . . . . . . . . . . . . . . 3.294
kung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-
M. Gesetzlicher Forderungsübergang
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236
(Art. 15 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 3.295
I. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236
I. Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . 3.295
1. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236
II. Maßgeblichkeit des Zessionsgrund-
2. Hemmung und Neubeginn . . . . 3.239
statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.296
II. Ausschlussfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.240
III. Subsidiäre Verpflichtungen . . . . . . 3.299
III. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.241
IV. Ablösungsrecht eines Dritten . . . . . 3.307
J. Umgestaltung des Schuldverhältnis-
N. Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom I-
ses, Schuldanerkenntnis und Ver-
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.308
gleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.242
I. Bloße Abänderung . . . . . . . . . . . . . . 3.242 O. Schuld- und Vertragsübernahme . . 3.312
II. Ersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.243 I. Schuldübernahme . . . . . . . . . . . . . . 3.312
III. Schuldanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . 3.245 1. Privative Schuldübernahme . . . . 3.315
a) Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . 3.315
IV. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.248
b) Altschuldner und Überneh-
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 mer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.317
Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.249 c) Gläubiger und Übernehmer 3.318
I. Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . 3.249 2. Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . 3.319
II. Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . 3.250 II. Vertragsübernahme . . . . . . . . . . . . . 3.320
III. Anknüpfung der Forderungsüber-
tragung (Art. 14 Rom I-VO) . . . . . . 3.253

176 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | § 3

A. Zustandekommen des Vertrages

Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Hennemann, Zugang von Erklärungen im


europäischen Vertragsrecht, ZEuP 2013, 565; Jansen/Zimmermann, Vertragsschluss und Irrtum im
europäischen Vertragsrecht: Textstufen transnationaler Modellregelungen, AcP 210 (2010), 196; Luig,
Der internationale Vertragsschluss (2003); Schlechtriem, Kollidierende Geschäftsbedingungen im in-
ternationalen Vertragsrecht in Festg. Herber (1999), S. 36; Troiano, Formation of Contracts under EC-
Directives in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 97;
Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht
(2004).
Literatur zum Internationalen Privatrecht: K. F. Beckmann, Die Bedeutung der Vertragssprache im
internationalen Wirtschaftsverkehr, RIW 1981, 79; Dreißigacker, Sprachenfreiheit im Verbraucherver-
tragsrecht (2002); Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handels-
verkehr, ZVglRW 77 (1978), 161; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990);
Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formanforderungen im IPR, IPRax 1999, 142; Gade, All-
gemeine Geschäftsbedingungen im internationalen und europäischen Privatrecht (2014); von Hoff-
mann, Vertragsannahme durch Schweigen im Internationalen Schuldrecht, RabelsZ 36 (1972), 510;
Jayme, Sprachrisiko und IPR beim Bankverkehr mit ausländischen Kunden, FS Bärmann (1975),
S. 509; Kieninger, AGB-Kontrolle von grenzüberschreitenden Geschäften im unternehmerischen Ver-
kehr, FS Blaurock (2013), S. 177; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr (2009); Kondring, Flucht
vor dem deutschen AGB-Recht bei Inlandsverträgen: Gedanken zu Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO und
§ 1051 ZPO, RIW 2010, 184; Kost, Konsensprobleme im internationalen Schuldvertragsrecht (1995);
Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, RabelsZ 67
(2003), 448; Lagarde, The Scope of the Applicable Law in the E.E.C. Convention in North (Hrsg.),
Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Linke, Sonderanknüpfung der Wil-
lenserklärung?, ZVglRW 79 (1980), 1; Lorenz, Konsensprobleme bei international-schuldrechtlichen
Distanzverträgen, AcP 159 (1960/61), 193; Petzold, Das Sprachrisiko im deutsch-italienischen Rechts-
verkehr, JbItalR 2 (1989), 77; Pfeiffer, Rechtswahlvereinbarung und Transparenzkontrolle, FS E. Lorenz
(2014), S. 843; Reinhart, Verwendung fremder Sprachen als Hindernis beim Zustandekommen von
Kaufverträgen, RIW 1977, 16; Reinhart, Zum Sprachenproblem im grenzüberschreitenden Handels-
verkehr, IPRax 1982, 226; Schlechtriem, Das „Sprachrisiko“ – ein neues Problem?, FS Weitnauer
(1980), S. 129; Schlechtriem, Deutsche Grundsätze zum „Sprachrisiko“ als „Datum“ unter italie-
nischem Vertragsstatut, IPRax 1996, 184; Schwarz, Das „Sprachrisiko“ im internationalen Geschäfts-
verkehr – ein deutsch-portugiesischer Fall, IPRax 1988, 278; Spellenberg, Fremdsprache und Rechts-
geschäft, FS Ferid (1988), S. 463; Spellenberg, Doppelter Gerichtsstand in fremdsprachigen AGB,
IPRax 2007, 98; Stankewitsch, Entscheidungsnormen im IPR als Wirksamkeitsvoraussetzungen der
Rechtswahl (2003); Suttorp, Vertragsabschluss im internationalen elektronischen Rechtsverkehr: unter
besonderer Berücksichtigung von AGB (2013); Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016;
Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020.
Literatur zur Rechtsvergleichung/zum ausländischen Recht: Basse, Das Schweigen als rechtserhebli-
ches Verhalten im Vertragsrecht – Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung
von England, Schottland und Deutschland (1986); Becker, International Telex Contracts, J.W.T.L. 17
(1983), 106; Bierekoven, Der Vertragsabschluss via Internet im internationalen Wirtschaftsverkehr
(2001); Bischoff, Der Vertragsschluss beim verhandelten Vertrag (2001) (betr. USA); Bülow, Das kauf-
männische Bestätigungsschreiben im amerikanischen Recht, AWD 1974, 519; Doerfert, How to con-
clude a contract – Bemerkungen zum Vertragsschluss nach deutschem und englischem Recht, JA
1998, 435; Ehricke, Das Recht des Vertragsschlusses im dänischen Recht, RIW 1989, 178; Feldhaus,
Angebot und Annahme im englischen Versicherungsrecht, VersR 1982, 928; International Chamber
of Commerce, Formation of Contracts and Precontractual Liability (Paris 1990); Jayme/Götz, Ver-
tragsschluss durch Telex – Zum Abschlussort bei internationalen Distanzverträgen, IPRax 1985, 113;
Knetsch, Der Vertragsschluss im neuen französischen Schuldrecht in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Re-
form des französischen Vertragsrechts (2018), S. 61; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015;
Lewis, The Formation and Repudiation of Contracts by International Telex, LMCLQ 4 (1980), 433;

Martiny | 177
§ 3 Rz. 3.1 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

von Mehren, The Formation of Contracts, Int.Encycl.Comp.L. Vol VII Ch. 9 (1992); Neumayer, Ver-
tragsschluss durch Kreuzofferten?, FS Riese (1964), S. 309; Owsia, Formation of Contract – A Com-
parative Study under English, French, Islamic and Iranian Law (London 1993); Pfister, Rechtswirkun-
gen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens nach österreichischem Recht, RIW 1977, 530;
Schlesinger (Hrsg.), Formation of Contracts, 2 Bde. (New York/London 1968); J. Schmidt, Der Ver-
tragsschluss: ein Vergleich zwischen dem deutschen, französischen, englischen Recht und dem CESL
(2013); Schulze, Formation of contract, in DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International
Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 255; Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 41.

I. Einheitsrecht und Rechtsangleichung


3.1 Fehleinschätzungen bezüglich des Zustandekommens des Vertrages resultieren nicht zuletzt
daraus, dass die einzelnen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Zustan-
dekommens aufweisen und dies von den Parteien nicht in Betracht gezogen wird. Einheitli-
ches Recht besteht bisher lediglich im UN-Kaufrecht (Rz. 25.1, Rz. 25.49 ff.). Eine weitere Ver-
einheitlichung der Regeln über den Vertragsabschluss wird von UNIDROIT angestrebt (vgl.
Rz. 1.2)1. Eine Regelung findet sich in Art. 2.1.1. ff. UNIDROIT-Principles 2016; Art. 2:101 ff.
PECL; Art. II.-4:101 ff. DCFR. Das UN-Übereinkommen über den elektronischen Vertrags-
schluss bei internationalen Verträgen von 2005 ist am 1.3.2013 in Kraft getreten2.

3.2 Das europäische Privatrecht hat den Vertragsschluss in mehrfacher Weise angeglichen. Dies
gilt vor allem für mit Verbrauchern außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge,
Vertragsabschlüsse im Fernabsatz sowie den Verbraucherschutz im Fernabsatz (s. Rz. 1.35 ff.).
Ferner sind die Regeln über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce)3 und die Be-
stimmungen für elektronische Signaturen4 angeglichen worden.

1 Luig, S. 7 ff.
2 UN Convention on the Use of Electronic Communications in International Contracts v.
23.11.2005. Vertragsstaaten sind Aserbaidschan (1.4.2019), Bahrain (1.1.2021), Benin (1.6.2020),
Dominikan. Republik (1.3.2013), Fidschi (1.1.208), Honduras (1.3.2013), Kamerun (1.5.2018), Ki-
ribati (1.11.2020), Kongo (1.8.2014), Mongolei (1.7.2021), Montenegro (1.4.2015), Paraguay
(1.2.2019), Russland (1.8.2014), Singapur (1.3.2013) und Sri Lanka (1.2.2016). – Dazu Hettenbach,
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Verwendung elektronischer Mitteilungen
bei internationalen Verträgen (2008); Messinger, Rechtsunsicherheiten bei internationalen elektro-
nischen Handelsgeschäften: ihre Reduktion unter Berücksichtigung des deutschen, US-amerikani-
schen und internationalen Vertragsrechts (2014).
3 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte
rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Ge-
schäftsverkehrs im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl.
EG 2000 Nr. L 178, S. 1. – In Deutschland umgesetzt durch das Telemediengesetz (TMG) v.
26.2.2007 (BGBl. I 2007, 179 mit Änderungen). – Vgl. Martiny in MünchKomm, nach Art. 9
Rom I-VO, Anh. III – Telemediengesetz.
4 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.1999 über gemein-
schaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. EG 2000 Nr. L 13, S. 12. – In
Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen
(Signaturengesetz – SigG) v. 16.5.2001 (BGBl. I 2002, 876).

178 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.6 § 3

II. Zustandekommen des Hauptvertrages (Art. 10 Rom I-VO)


1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts
Ob ein Vertrag wirklich zustande gekommen ist, wird im internationalen Geschäftsverkehr 3.3
oft zu wenig beachtet. Dabei geht es regelmäßig um den äußeren Vertragsabschlusstat-
bestand, d.h. das zum Vertragsabschluss führende oder den Vertragsabschluss modifizierende
Verhalten der Parteien1. In Frage steht das Zustandekommen zweier Verträge, des Verwei-
sungsvertrages (vgl. Rz. 2.20 ff.) und des Hauptvertrages. Verbunden damit sind häufig
Schwierigkeiten um die Geltung von AGB, das Zustandekommen von Gerichtsstandsverein-
barungen und Schiedsverträgen.

Mit der Einigung und der materiellen Wirksamkeit des Vertrages beschäftigt sich Art. 10 3.4
Rom I-VO. Für das Zustandekommen des Hauptvertrages stellt Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO in
erster Linie auf das Recht ab, welches anzuwenden gewesen wäre, wenn der Vertrag wirksam
wäre (sog. hypothetisches oder präsumtives Vertragsstatut). Nur dann, wenn es nach den
Umständen nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach diesem
Recht zu bestimmen, kann sich diese Partei nach dem Recht des Staates ihres gewöhnlichen
Aufenthaltsorts darauf berufen, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt (Art. 10 Abs. 2
Rom I-VO).

Das Zustandekommen des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen beurteilt sich grund- 3.5
sätzlich nach dem Vertragsstatut, d.h. dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag
oder die Bestimmung wirksam wäre. Entstehung und Wirkung unterliegen daher dem glei-
chen Recht. Vertragsstatut ist das nach den Regeln über die Ermittlung des Vertragsstatuts
(Art. 3–8 Rom I-VO) geltende Recht. Diese Rechtsordnung kann aufgrund ausdrücklicher
oder stillschweigender Rechtswahl der Parteien, aber auch aufgrund objektiver Anknüpfung
berufen sein2, s. Rz. 2.1 ff. Eine Rechtswahlvereinbarung (Verweisungsvertrag) braucht also
nicht zustande gekommen zu sein. Wurde jedoch eine solche Vereinbarung getroffen oder an-
getragen, so kommt es auf das darin vorgesehene Recht an. Es genügt daher, wenn die ein
Vertragsangebot machende Partei in ihr Angebot eine Rechtswahlklausel aufnimmt, damit
dieses Recht angewendet wird3.

Das Vertragsstatut bestimmt, wer als Vertragspartei in Betracht kommt4. Es gilt ferner für die 3.6
Regeln über Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB). Das Vertragsrecht entscheidet daher
etwa über eine schlüssige Annahme5, die Rechtzeitigkeit der Annahme6 und den Dissens7.
Dazu gehört auch die Frage, ob jemand einen Vertrag im eigenen oder im fremden Namen

1 Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5.


2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 12.
3 KG v. 21.1.1998 – 11 U 6378/97, IPRspr. 1998 Nr. 138 = VuR 1999, 138 Anm. Mankowski; Lagarde
in North, S. 50 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 33. Anders LG Duisburg v.
17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, IPRspr. 1996 Nr. 148 = RIW 1996, 774 (775). – Krit. zur „bootstraps
rule“ Kaye, The New Private International Law of Contract of the European Community (Alders-
hot 1993), S. 270 ff.
4 Näher Mankowski, IPR in Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze,
2. Aufl. 2005, Rz. 24.
5 OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = RIW 1996, 778; Hausmann in Stau-
dinger, Art. 10 Rom I Rz. 17.
6 OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (m. Aufs. Gei-
mer, IPRax 1999, 152) (Schweden).
7 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 15 m.w.N.

Martiny | 179
§ 3 Rz. 3.6 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

geschlossen hat1. Ihm unterliegen bereits vorkonsensuale Fragen wie die Bindungswirkung
des Angebots (vgl. § 145 BGB)2 sowie die freie Widerruflichkeit des noch nicht angenom-
menen Angebots nach Common Law3. Das Erfordernis einer vertraglichen Gegenleistung
(consideration) nach Common Law wird zwar vielfach als Frage der materiellen Wirksamkeit
angesehen4. Da es aber letztlich nicht auf den inneren Konsens abzielt, dürfte es jedoch ledig-
lich als Frage des Zustandekommens einzuordnen sein5. Andere zählen es nur zur Form6. Das
Widerrufsrecht des Verbrauchers steht dagegen einem Rücktrittsrecht näher und ist zur
Wirksamkeit des Vertrages zu zählen (s. Rz. 3.91). Zu Zeitpunkt und Ort s. Rz. 3.46 ff.

2. Bewertung des Schweigens


3.7 Ob einem bestimmten Verhalten rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommt, wird von den ein-
zelnen Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet. Nach deutschem Recht gilt Stillschwei-
gen u.U. als Annahme. Geht einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Ge-
schäften für andere mit sich bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von je-
mand zu, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, so ist er nach § 362 Abs. 1 S. 1 HGB ver-
pflichtet, unverzüglich zu antworten. Sein Schweigen gilt als Annahme des Antrages.

3.8 Anders ist es im französischen Recht, wo ein „silence circonstancié“ vorliegen muss, um eine
Annahme zu bejahen7. Nach englischem Recht gelten nur unbedeutende Ausnahmen von der
Grundregel, dass Schweigen den Adressaten nicht bindet8. Wegen dieser Unterschiede ist von
großer Bedeutung, welches Recht hierfür maßgeblich ist.

3.9 Wenn etwa ein französischer Spediteur auf ein Angebot eines Deutschen nicht antwortet, so
wird er nicht verpflichtet; es kommt kein Vertrag zustande9. Allerdings sind hier Ausnahmen
denkbar, etwa dann, wenn der Spediteur ständige Geschäftsbeziehungen zu einem deutschen
Kunden unterhält, für die geschlossenen Verträge stets deutsches Recht vereinbart wurde und
das unbeantwortete Angebot zeitlich und sachlich in den Bereich dieser ständigen Geschäfts-
beziehung fällt.

1 OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, IPRspr. 1995 Nr. 25 = RIW 1997, 70 (Speditionsver-
trag); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 16.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 16.
3 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001, 1051
(Eckert) (Isle of Man).
4 OLG München v. 25.1.2001 – 6 U 2684/96, IPRspr. 2001 Nr. 25 = RIW 2001, 864 = ZUM 2001,
439; OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724; Mankowski,
RIW 1996, 382 (383); Kost, S. 113 f.
5 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–107 ff.; Gebauer in BeckOGK, Art. 11 Rom I-VO Rz. 60 (Stand
1.6.2021); Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I
Rz. 20.
6 Kreße, RIW 2014, 96 (101 ff., 106); Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 12; Spellenberg in Münch-
Komm, Art. 11 EGBGB Rz. 172 (Seriositätsindiz).
7 Vgl. Sonnenberger/Dammann, Französ. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. II 20 ff.;
Kost, S. 188 f.
8 S. Marsh, Comparative Contract Law – England, France, Germany (Aldershot 1994), S. 69; Kost,
S. 184 ff.
9 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 21.

180 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.14 § 3

Grundsätzlich entscheidet das Vertragsstatut auch über die Bedeutung des Schweigens1. Das 3.10
Verhalten einer Partei wird aber unter gewissen Voraussetzungen nach dem Recht ihres ge-
wöhnlichen Aufenthalts beurteilt (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO). Dabei handelt es sich um eine
einzelfallweise Sonderanknüpfung im Wege einer Mitberücksichtigung aus Billigkeitsgrün-
den2. Mit der Wirkung des Verhaltens (effect of his conduct; l’effet du comportement) meint
Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO den Erklärungswert und vor allem die Folgen des Schweigens für
den äußeren Vertragsabschlusstatbestand. Allerdings bezieht sich der Ausdruck „Verhalten“
nicht nur auf das Schweigen, sondern auf das gesamte aktive und passive Verhalten der betref-
fenden Partei3.

Von der Beurteilung des Schweigens nach dem Vertragsstatut wird eine Ausnahme gemacht, 3.11
wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die lex causae anzu-
wenden (it appears from the circumstances that it would not be reasonable ...; s’il résulte des
circonstances qu’il ne serait pas raisonnable ...). Dann kann sich die Partei, die das Zustande-
kommen bestreitet, für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, auf das Auf-
enthaltsrecht berufen (rely; se référer)4.

Somit gilt für die Frage, ob eine Annahme vorliegt, wenn eine Partei auf einen Antrag nur 3.12
geschwiegen hat, gegebenenfalls das Recht des Adressaten (d.h. regelmäßig das Recht seines
gewöhnlichen Aufenthalts bzw. seiner gewerblichen Niederlassung)5. Steht also das hypotheti-
sche Vertragsstatut (das oft das Recht des Absendenden ist) auf dem Standpunkt, unter den
gegebenen Umständen sei das Schweigen des Adressaten als Annahme zu deuten, so kommt
bei einer abweichenden Haltung des Rechts des Schweigenden – seinem „Umweltrecht“ – kein
Vertrag zustande.

Dieses Umweltrecht des Schweigenden, nicht jedoch sein „Heimatrecht“6, ist maßgeblich. 3.13
Rück- und Weiterverweisung sind bei der Sonderanknüpfung – wie auch sonst (Rz. 2.230 ff.)
– ausgeschlossen.

Zu beachten ist jedoch stets der Vorrang des Vertragsstatuts. Führt bereits nach diesem 3.14
Recht das Schweigen nicht zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung, so bedarf es keines Rück-
griffs auf Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO; die Vorschrift besitzt lediglich Veto-Wirkung7. Auf keinen
Fall genügt es für die Wirksamkeit eines Vertrages, wenn er lediglich nach dem Recht des Auf-
enthaltsortes, nicht aber nach dem des Vertragsstatuts zustande gekommen ist8. Nur dann,

1 Zum Schweigen nach marokkan. Recht KG v. 2.2.2006 – 2 U 101/01, ZIP 2006, 1579 = IPRspr.
2006 Nr. 6 = RIW 2006, 865. Zum niederl. Recht IPG 2002 Nr. 1 (Köln); zum österreich. Recht
IPG 2000/2001 Nr. 2 (Passau).
2 So treffend Linke, ZVglRW 79 (1980), 1 (54).
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 239; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I
Rz. 45 ff.
4 Die Aufnahme einer solchen Bestimmung in das EVÜ erfolgte nicht ohne Schwierigkeiten; für
Art. 2 Abs. 4 EVÜ-Entw. 1972 hatten noch zwei Alternativen zur Wahl gestanden. Dazu Siehr,
AWD 1973, 569 (574 f.); Linke, ZVglRW 79 (1980), 1 (51 ff.) m.w.N. Eine ähnliche Regelung ent-
hält Art. 123 schweiz. IPRG.
5 Zur Gleichstellung von Aufenthalt und Sitz Fischer, S. 343 f.
6 So aber noch missverständlich BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976,
534.
7 Schwenzer, IPRax 1988, 86, (88); Spellenberg in MünchKomm Art. 10 Rom I-VO Rz. 256; Thorn in
Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4.
8 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60.

Martiny | 181
§ 3 Rz. 3.14 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wenn das Zustandekommen nach dem Vertragsstatut zu bejahen ist, kommt es zu der kumu-
lativen Anwendung von Vertragsstatut und Aufenthaltsrecht1.

3.15 „Gerechtfertigt“ ist die Anwendung des Aufenthaltsrechts, wenn sie unter Abwägung der In-
teressen der Parteien und des Rechtsverkehrs angemessen ist. Dabei kommt es auf den Einzel-
fall, insbesondere auf die Umstände von Vertragsanbahnung und Vertragsschluss2, die bishe-
rigen Gepflogenheiten und Geschäftsbeziehungen der Parteien3, aber auch international übli-
che Handelsusancen an4. Die Berufung auf das Recht des Aufenthaltsortes ist umso mehr ge-
rechtfertigt, je weniger Bezüge zu der das Vertragsstatut bildenden Rechtsordnung bestehen5.
Letztlich beruht die Entscheidung dieser Frage auf Billigkeitsgründen6. Dementsprechend ist
eine Sonderanknüpfung an das Recht des Schweigenden in erster Linie beim internationalen
Distanzvertrag gerechtfertigt7. Dort ist es billig, dass das Verhalten des Adressaten nach sei-
nem Umweltrecht und nicht nach einem Recht, das er weder kannte, noch kennen musste,
beurteilt wird. Allerdings kann ein solches Vertrauen bei internationaler Tätigkeit nicht schüt-
zenswert sein8.

3.16 Anderes gilt insbesondere für Inlandsgeschäfte. Tritt eine Partei bei Abschluss eines Geschäfts
(also nicht bloß anlässlich von Vorverhandlungen) gegenüber der anderen Vertragspartei in
dem Staat geschäftlich auf, in dem diese ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort (bzw. ihre geschäft-
liche Niederlassung) besitzt, oder in einem Drittstaat, so kann sie sich grundsätzlich nicht auf
ihr Aufenthaltsrecht berufen9. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn eine Partei bei
einem Vertragsabschluss, bei dem beide anwesend sind, schweigt10. Als Auftreten im Inland ist
aber noch nicht anzusehen, wenn die ausländische Partei ein Angebot ins Inland sendet11.

3.17 Fraglich ist, ob sich die Wirkungen des Schweigens in einem solchen Fall nur nach dem Ver-
tragsstatut bestimmen oder – im Interesse der Sicherheit des inländischen Rechtsverkehrs –
nach dem Recht des Landes, in dem das Geschäft getätigt wird. Jedenfalls dann, wenn deut-
sches Recht die lex causae ist und sich beide Parteien während des zu bewertenden Verhaltens
im Inland befinden, ist deutsches Recht maßgeblich. Dies kann für Verkehrsgeschäfte mit ei-
ner Analogie zu Art. 13 Rom I-VO begründet werden12.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 57.


2 Dazu Kost, S. 236 ff.
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 277 f. (der hauptsächlich danach unterschei-
det, ob eine Rechtswahl getroffen wurde oder nicht); Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 16;
Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4. – Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60; OLG
Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = NJW-RR 1997, 182; Kost, S. 246 ff.
4 Kost, S. 251 ff.; Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 30.
5 Vgl. Weller in BeckOGK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 40, 55 (Stand 1.10.2020).
6 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 29.
7 So auch Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 12.
8 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 31.
9 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 72. – Großzügiger Spellenberg in MünchKomm,
Art. 10 Rom I-VO Rz. 253, 268 f., für den im Vordergrund steht, ob der Kunde die Internationali-
tät des Geschäfts erkennen konnte.
10 Vgl. Buchmüller, NJW 1977, 501 (Anm.).
11 S. Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514); Hepting, RIW 1975, 457 (460); Drobnig, FS Mann, S. 591
(602 f.). – Anders BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154 (Italien.
Kunde aus Rom beauftragte schriftlich deutschen Spediteur. Abschlussort in Deutschland ange-
nommen; ADSp angewendet).
12 Vgl. bereits Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514).

182 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.21 § 3

Der Schweigende muss nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO behaupten, er habe nicht zugestimmt. 3.18
Er braucht sich nicht ausdrücklich auf Rechtsvorschriften seines gewöhnlichen Aufenthalts-
ortes zu „berufen“, muss aber geltend machen, dass sein Verhalten nicht als Zustimmung an-
gesehen werden kann1. Es genügt, wenn er sich für seinen Standpunkt, dass der Vertrag nicht
zustande gekommen ist, auf diese Rechtsordnung stützen kann2.

3. Bestätigungsschreiben
Nach deutschem Recht besteht u.U. die Pflicht, einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben 3.19
zu widersprechen. Erfolgt kein Widerspruch, so gilt der bestätigte Vertragsinhalt selbst dann,
wenn mündlich etwas anderes vereinbart wurde. Das Schweigen hat also modifizierende Wir-
kungen. Andere Rechtsordnungen und internationale Übereinkommen kennen diesen Rechts-
grundsatz nicht oder messen ihm häufig nur geringere Bedeutung zu3. Wird der auslän-
dischen Vertragspartei eines deutschen Kaufmannes ein solches Bestätigungsschreiben über-
sandt und schweigt sie dazu, so ist zu entscheiden, welche Rechtsordnung für die Bedeutung
des Schweigens gilt. In Betracht kommt das Vertragsstatut oder eine Sonderanknüpfung, insb.
an das Recht am Niederlassungs- bzw. Aufenthaltsort der schweigenden Partei. Fallen beide
Rechtsordnungen zusammen oder kommen beide zur selben Lösung, so entsteht im Ergebnis
kein Konflikt. Anders ist es jedoch, wenn eine Differenz besteht.

Das geltende deutsche Recht enthält keine ausdrückliche Bestimmung zum Bestätigungs- 3.20
schreiben. Auch insoweit ist zunächst vom Vertragsstatut auszugehen (Art. 10 Abs. 1 Rom I-
VO)4. Doch ist anzunehmen, dass sich die Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO über die
Wirkungen des Verhaltens einer Partei auch auf das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestä-
tigungsschreiben bezieht5. Entsprechendes gilt, wenn das ausländische Recht – weitergehend
als das deutsche – auch den Privatmann an ein Bestätigungsschreiben bindet6.

Die Billigung einer nachträglichen einseitigen Vertragsänderung (etwa durch die Beilage 3.21
vertragsändernder AGB) durch Schweigen wird im Ausland teilweise als mindestens ebenso
ungewöhnlich empfunden wie die Wertung von Schweigen als Zustimmung beim Vertrags-
schluss selbst. Auch in diesen Fällen ist eine Abweichung vom Vertragsstatut zugunsten des
Umweltrechts angebracht. Ferner steht das Vertragsstatut häufig nicht zweifelsfrei fest, son-

1 OLG Düsseldorf v. 20.6.1997 – 7 U 196/95, IPRspr. 1997 Nr. 40 = RIW 1997, 780; BAG v.
19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag); Hausmann in Staudinger, Art. 10
Rom I Rz. 60.
2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 255. – Vgl. Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-
VO Rz. 11; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4.
3 Näher Kröll/Hennecke, RabelsZ 67 (2003), 477 ff. Vgl. auch Art. 2.1.12 UNIDROIT-Princi-
ples 2016, Art. 2:210 PECL; dazu Luig, S. 160 ff. Ferner Art. II.-4:210 DCFR.
4 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (137) = ZIP 1997, 848 = NJW 1997, 1697;
Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 106.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 286; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 14; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 107;
H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. § 305 BGB Rz. 18; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer,
IntGV Rz. 20. – S. bereits Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 29. Ebenso OLG
Karlsruhe v. 11.2.1993 – 4 U 61/92, IPRspr. 1993 Nr. 136 = DZWiR 1994, 70 Anm. Chillagano-
Busl = EWS 1994, 365 (Schweigen des italien. Käufers band ihn); OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U
99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = NJW-RR 1997, 182.
6 OLG Schleswig v. 19.9.1989 – 3 U 213/86, IPRspr. 1989 Nr. 48 (Deutscher Kunde schwieg gegen-
über dän. Werft).

Martiny | 183
§ 3 Rz. 3.21 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

dern ist ungewiss. Schließlich zeigt gerade das Bestätigungsschreiben, dass es sich um keinen
eindeutig abgeschlossenen Vorgang handelt. Eine Unterscheidung zwischen vertragsbegrün-
dendem und -modifizierendem Bestätigungsschreiben wäre wiederum kaum praktikabel. Die
isolierte Anknüpfung an das Recht der schweigenden Partei kommt insbesondere dann in Be-
tracht, wenn ihr das Bestätigungsschreiben im Lande ihrer Niederlassung zugegangen ist.

3.22 In anderen Fällen – vor allem bei Inlandsgeschäften – kann diese Rechtsordnung nicht zum
Zuge kommen. Wenn etwa die schweigende Partei gegenüber der anderen Partei in dem Staat,
in dem diese ihre Niederlassung besitzt, beim Vertragsabschluss auftritt und ihr dort das Be-
stätigungsschreiben zugeht, gilt das Vertragsstatut.

3.23 Fraglich ist, ob man die Berufung auf das heimatliche Recht auch noch in anderen Fällen aus-
schließen muss, so etwa wenn sich die Parteien in laufenden Geschäftsbeziehungen befunden
und ihre Vertragsbeziehungen stets einem ausdrücklich oder mutmaßlich vereinbarten Recht
unterworfen haben1. Schließlich ist möglich, dass der Schweigende während der Vertragsver-
handlungen zum Ausdruck gebracht hat, über die Handelsbräuche im anderen Land unter-
richtet zu sein. Auch dann ist eine Sonderanknüpfung zweifelhaft.

4. Sprachrisiko
3.24 Unter dem „Sprachrisiko“ versteht man im Allgemeinen die Frage, wer die Folgen zu tragen
hat, wenn bei einer rechtsgeschäftlichen Erklärung oder der Hinnahme von AGB eine Partei
den Inhalt der jeweiligen Erklärung aus sprachlichen Gründen nicht versteht oder missver-
steht2. Dieses Problem taucht im internationalen Geschäftsverkehr, aber auch im Inland bei
vertraglichen Beziehungen mit sprachunkundigen Ausländern auf. Dabei ist danach zu unter-
scheiden, welche Rechtsordnung über die Folgen von Missverständnissen oder des Nichtver-
stehens zu befinden hat und welche Regeln dieses Sachrecht – namentlich das deutsche3 – für
diese Fälle aufstellt.

3.25 Wer das Sprachrisiko trägt, entscheidet grundsätzlich die Rechtsordnung, die über das Zustan-
dekommen des Vertrages und die Wirksamkeit der Willenserklärung entscheidet, d.h. das
Vertragsstatut4. Allerdings kann Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO zum Zuge kommen5. Vertreten
wird freilich auch, das Sprachrisiko sei ebenso wie das Schweigen generell gesondert anzu-
knüpfen6. Auch bei deutschem Vertragsstatut sei daher das Recht am gewöhnlichen Aufent-
haltsort (bzw. der geschäftlichen Niederlassung) des Sprachunkundigen maßgebend, wenn
dieser außerhalb des Landes liegt, in dem die Parteien auftraten und den Vertrag schlossen.

1 Dafür Ebenroth, ZVglRW 77 (1978), 161 (186); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 73.
2 Freitag, IPRax 1999, 148 ff.; Dreißigacker, S. 17 ff.; Kling passim.
3 Überblick bei Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 71 ff. m.w.N. – Zum ital. Recht
IPG 2007/2008 Nr. 4 (Köln).
4 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), NZA 2014, 1076 = RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag); OLG
Stuttgart v. 16.6.1987 – 2 U 291/86, RIW 1989, 56 = IPRax 1988, 293 (m. Aufs. Schwarz, IPRax
1988, 278); AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C 260/96, IPRspr. 1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524
(niederländ. AGB); Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 134 ff.; Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (393 f.);
Dreißigacker, S. 45 ff.; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 47; Hausmann in Staudinger,
Art. 10 Rom I Rz. 112; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 79.
5 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 115.
6 Schurig, IPRax 1994, 27 (32); Fischer, S. 342 f.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 799. Grund-
sätzlich auch Petzold, JbItalR 2 (1989), 77 (95 f.). Anklänge auch bei BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR
252/12 (B), RIW 2014, 534 = IPRax 2015, 562 Rz. 64 (Arbeitsvertrag).

184 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.27 § 3

Entsprechendes gelte für Distanzverträge1. Bei Inlandsgeschäften, d.h. wenn der Sprachun-
kundige in der Bundesrepublik auftritt und die lex causae deutsches Recht ist, besteht aller-
dings weitgehend Einigkeit, dass aus Gründen des Verkehrsschutzes in jedem Fall deutsches
Recht gelten muss2. Die Lehre vom „Sprachenstatut“ würde freilich in anderen Fällen zu einer
weiteren Zersplitterung der Regeln über den Vertragsabschluss führen und Verkehrsinteressen
nicht genügend berücksichtigen; sie hat sich daher mit Recht nicht durchgesetzt3. Für eine
Sonderanknüpfung wird zwar angeführt, ähnlich wie beim Schweigen könne dem Erklären-
den nicht zugemutet werden, dass ein strengeres Recht als das seines Aufenthaltsortes seiner
Erklärung weitergehende Wirkungen beilege4. Die Abspaltung der Sprachproblematik dürfte
jedoch zu schwierigen Abgrenzungs- und Eingrenzungsfragen führen, die dafür sprechen, die
dabei auftauchenden Fragen allein auf der Ebene des Sachrechts zu lösen. Die Frage der
sprachlichen Verständigung ist nach den jeweiligen Regeln des Vertragsstatuts zu lösen5.

Das Richtlinienrecht beschäftigt sich nur teilweise mit der Sprachenfrage6. Z.T. wird lediglich 3.26
verlangt, der Anbieter müsse die Sprache der maßgeblichen Informationen und Vertrags-
bedingungen angeben7, gelegentlich findet sich aber auch eine detaillierte Regelung über die
zu verwendende Sprache. Dies gilt insbesondere für Time-Sharing-Verträge (§§ 483 ff. BGB)8.
Der Zwang zur Benutzung einer bestimmten Sprache wird als Formerfordernis i.S.d. Art. 11
Rom I-VO eingeordnet9.

Soweit AGB verwendet werden, wird für die Beurteilung der Sprachenfrage auch das sach- 3.27
rechtliche Transparenzgebot (vgl. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) fruchtbar gemacht10. Das deutsche
Sachrecht enthält insoweit keine allgemeine gesetzliche Regelung. Grundsätzlich unterfällt das
Sprachrisiko den Sachnormen über Angebot und Annahme, die Auslegung sowie über den
Irrtum. Insofern besteht eine Parallele zur Unterschrift unter eine nicht gelesene Urkunde11.

1 Näher Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514 ff.); a.A. Stoll, FS Beitzke, S. 759 (767).
2 So auch Kling, S. 127 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 115. Gegen eine „Theorie
der Ortssprache“ jedoch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (102).
3 Vgl. Beckmann, S. 154 ff. (158 ff.); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 105 ff.
4 Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (396); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 115.
5 Spellenberg, IPRax 2007, 98 (99). – Vgl. OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 =
RIW 1993, 415 (Deutscher unterschrieb niederländ. Grundstückskaufvertrag).
6 Näher Downes/Heiss, Sprachregulierungen im Vertragsrecht – Europa- und internationalprivat-
rechtliche Aspekte, ZVglRW 98 (1999), 28; Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formanfor-
derungen im IPR, IPRax 1999, 142; Kallenborn, Das Sprachproblem bei Vertragsabschlüssen mit
ausländischen Verbrauchern (1997); Mankowski, Verbraucherschutzrechtliche Widerrufsbeleh-
rung und Sprachrisiko, VuR 2001, 359; Micklitz, Zum Recht des Verbrauchers auf die eigene Spra-
che, ZEuP 2003, 635; Rott, Informationspflichten in Fernabsatzverträgen als Paradigma für die
Sprachenproblematik im Vertragsrecht, ZVglRW 98 (1999), 382.
7 Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. g RL Fernabsatz von Finanzdienstleistungen. – S. dazu Heiss, Die Richtlinie
über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher aus Sicht des IPR und des IZVR,
IPRax 2003, 100 (103 f.).
8 Umsetzung von Art. 4 Time-Sharing-RL v. 29.10.1994. Ebenso Art. 4 Abs. 3 Time-Sharing-RL v.
14.1.2009.
9 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 74.
10 Vgl. Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (405 ff.); Wurmnest in MünchKomm, § 307 BGB Rz. 64.
11 Vgl. OLG München v. 16.11.1987 – 3 W 3109/87, WM 1988, 1408 (keine Anfechtung bei nicht
verstandener Bürgschaftserklärung). Einschränkend Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-
VO Rz. 216.

Martiny | 185
§ 3 Rz. 3.27 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Allerdings trägt der Ausländer nicht stets das Sprachrisiko. Insbesondere kann sich nach Treu
und Glauben eine Aufklärungspflicht ergeben, wenn der deutschsprachige Geschäftspartner
erkennt, dass der andere wegen seiner Sprachunkundigkeit Erklärungen nicht verstand oder
nicht von einer Einbeziehung von AGB ausgehen musste. Es kommt auf die Umstände des
einzelnen Falles an. Entscheidend ist, wie der Ausländer auftritt1. Die Rechtsprechung lässt
häufig genügen, wenn sich der Ausländer in zumutbarer Weise Kenntnis vom Inhalt der AGB
verschaffen konnte2.

3.28 Greifen die §§ 305 ff. BGB ein, so muss grundsätzlich ein Hinweis auf die AGB gegeben wer-
den und die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestehen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB). Hier
genügt nicht immer ein Hinweis in deutscher Sprache. Musste der AGB-Verwender erkennen,
dass der Ausländer die deutsche Sprache nicht oder nicht hinreichend beherrscht, so muss der
Hinweis in einer Art und Weise erfolgen, die dem ausländischen Kunden verständlich ist.
Doch genügt i.d.R. ein Hinweis in der tatsächlich verwendeten Verhandlungssprache3. Eben-
so ist es grundsätzlich bei der Widerrufsbelehrung des Verbrauchers (vgl. § 355 Abs. 2 BGB)4.

3.29 Die Möglichkeit der Kenntnisnahme kann durch eine Übersetzung, die Erläuterung durch ei-
nen Dolmetscher oder eine andere Person geschaffen werden. Es reicht jedoch aus, wenn der
AGB-Text in der Verhandlungssprache abgefasst ist5. Für die Geltung von AGB im Rahmen
des § 305 BGB kann der ausländische Kunde auch dann, wenn ihm das Verständnis der Ge-
schäftsbedingungen Schwierigkeiten bereitet, keine Übersetzung verlangen. Insbesondere
dann, wenn die deutsche Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache gewählt wurde,
muss sich der Kunde die AGB entgegenhalten lassen.

3.30 Wählen die Parteien die deutsche Sprache, „so akzeptiert der ausländische Partner damit den
gesamten deutschsprachigen Vertragsinhalt einschließlich der zugrunde liegenden AGB. Als-
dann ist es ihm zuzumuten, sich vor Abschluss des Vertrages selbst die erforderliche Überset-

1 LG Köln v. 16.4.1986 – 10 O 10/86, WM 1986, 821 (Bürgschaftsvertrag. Dass der griech. Bürge
nur mit Mühe Deutsch verstand sowie weder in deutscher noch in griech. Sprache lesen und
schreiben konnte, genügte nicht für die Anfechtung [wegen Irrtums] seiner in deutscher Sprache
abgefassten und von ihm unterschriebenen Bürgschaftserklärung). – Näher Jayme, FS Bärmann,
S. 509 (517 f.)
2 So OLG München v. 20.3.1975 – 24 U 314/75, IPRspr. 1975 Nr. 11 = RIW 1976, 446 (Darlehen;
Geltung der AGB der Banken. Der sprachunkundige griech. Kunde habe sich den ihm inhaltlich
unbekannten AGB unterworfen, weil sie im Inland branchenüblich seien und er sich Kenntnis von
ihrem Inhalt hätte verschaffen können). – Anders OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 5 U 534/91, IPRspr.
1992 Nr. 72 = IPRax 1994, 46 (m. abl. Aufs. Schurig, IPRax 1994, 27) = RIW 1992, 1019 (Lieferung
eines Motorkreuzers von niederländ. Hersteller an seinen deutschen Alleinvertriebshändler. Hin-
weis auf Eigentumsvorbehalt in niederländ. Sprache genügte nicht, da Händlervertrag in deut-
scher Sprache abgefasst).
3 Mankowski, VuR 2001, 359 (364 ff.); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 120; Hau in
Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. Vgl. OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR
2002, 1722 (ADSp galten für italien. Kunden). Gegen eine „Theorie der Verhandlungssprache“
jedoch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (103).
4 LG Köln v. 8.3.2002 – 32 S 66/01, VuR 2002, 250 = EWiR 2002, 801 (Anm. Mankowski) (Verhand-
lungen auf Poln.; Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache genügte nicht).
5 S. dazu H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. zu § 305 BGB Rz. 13 ff.; Hau in Wolf/Linda-
cher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. Gegen eine „Theorie der Vertragssprache“ Spellenberg, IPRax 2007, 98
(102 f.).

186 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.33 § 3

zung zu verschaffen. Andernfalls muss er den nicht zur Kenntnis genommenen Text der Ge-
schäftsbedingungen gegen sich gelten lassen“1.

Tritt für den Sprachunkundigen ein Bevollmächtigter auf, der die deutsche Sprache be- 3.31
herrscht oder diesen Eindruck erweckt, so muss sich der Sprachunkundige dessen Verhalten
zurechnen lassen2. Dies gilt auch, wenn ein Sprachkundiger als Dolmetscher tätig wird. Aller-
dings kann der Ausländer seine Willenserklärung dann wegen Inhaltsirrtums anfechten (§ 119
Abs. 1 Alt. 1 BGB), wenn diese auf einer Täuschung durch den Dolmetscher beruht3.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der Verhandlungs- und Vertragssprache. 3.32
Auch hierfür gelten die Regeln des Vertragsstatuts4. Vertragssprache ist die Sprache, in der der
Vertrag geschlossen wurde; Verhandlungssprache diejenige, in der Verhandlungen mündlich
oder schriftlich geführt wurden. Haben sich die Parteien auf eine bestimmte Sprache geeinigt,
so sind Erklärungen regelmäßig in dieser Sprache abzugeben. Benutzt eine Partei eine andere
Sprache, so kann sich die andere darauf berufen, dass sie die Erklärung bzw. ihr übersandte
AGB nicht verstanden hat5.

Anderes gilt dann, wenn der Geschäftspartner diese Sprache ebenfalls verstand6. Ferner wird 3.33
man im internationalen Handel auch die Kenntnis der Weltsprache Englisch (sowie gegebe-
nenfalls Französisch oder Spanisch) voraussetzen können7. Andere lehnen zwar eine Oblie-

1 So BGH v. 10.3.1983 – VII ZR 302/82, BGHZ 87, 112 (115) = RIW 1983, 454 = WM 1983, 527
(Ausländ. Kunden traten vom Kauf eines Fertighauses zurück. Gegen die aufgrund der AGB ver-
langte Abstandszahlung wendeten sie erfolglos Sprachschwierigkeiten ein). Entsprechend BAG v.
19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag). Eine „Sprachobliegenheit“ lehnt
ab Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 107 ff.
2 OLG Bremen v. 22.6.1973 – 1 U 40/73, IPRspr. 1973 Nr. 8 = AWD 1974, 104 (Iraner eröffnete
Depotkonto bei deutscher Bank; Bevollmächtigter verhandelte in deutscher Sprache; Unterwer-
fung unter Bank-AGB angenommen; Iraner berief sich erfolglos auf Unkenntnis der deutschen
Sprache); Jayme, FS Bärmann, S. 509 (522); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 117; Hau
in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38.
3 BGH v. 27.10.1994 – IX ZR 168/93, NJW 1995, 190; BGH v. 15.4.1997 – IX ZR 112/96, NJW 1997,
3231 (Bürgschaftserklärung von Iranerin); Mankowski, VuR 2001, 359 (365 f.).
4 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 111 ff., 131.
5 So schon: OLG Frankfurt v. 28.4.1981 – 5 U 119/80, ZIP 1981, 630 = RIW 1981, 411 = NJW 1982,
1949 (LS) (Kaufvertrag. Verhandlungssprache war Deutsch. Abweichendes Bestätigungsschreiben
in italien. Sprache nach dem EAG nicht berücksichtigt); OLG Frankfurt v. 28.1.1987 – 17 U 64/85,
IPRspr. 1987 Nr. 15 = EWiR 1987, 631 (Anm. Thamm) (Deutsch-engl. Warenkauf; Verhandlungs-
sprache Engl. Deutschsprachige AGB nicht berücksichtigt.); Hausmann in Staudinger, Art. 10
Rom I Rz. 118. Ebenso für CISG OLG Düsseldorf v. 21.4.2004 – 15 U 88/03, IPRspr. 2004 Nr. 24 =
IHR 2005, 24 (Verhandlungssprache Englisch, deutschsprachiger Hinweis auf deutsche AGB).
6 Schütze, DB 1978, 2305. Vgl. auch Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 110.
7 Vgl. Reinhart, RIW 1977, 16 (20); Drobnig, FS Mann, S. 591 (595); Schütze, DWiR 1992, 90; Stad-
ler, S. 86. – S. aber OLG Düsseldorf v. 2.11.1973 – 16 U 68/73, IPRspr. 1973 Nr. 136 = AWD 1974,
103 (Gerichtsstandsklausel in AGB des deutschen Käufers. Verhandlungssprache mit dem nieder-
länd. Verkäufer waren Deutsch und Niederländ. Auf Rückseite des Auftragsscheins waren AGB
des Käufers in Engl., Französ. und Italien. abgedruckt. AGB nicht berücksichtigt, da nicht in den
Verhandlungssprachen abgefasst). Gegen eine „Theorie der Weltsprache“ jedoch Hau in Wolf/Lin-
dacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38 f.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 115. Anders
auch Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 121 (nur wenn branchentypisch). Abl. für Ver-
braucher Mankowski, VuR 2001, 359 (363).

Martiny | 187
§ 3 Rz. 3.33 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

genheit ausreichender Fremdsprachenkenntnisse ab1. Doch muss sich die Vertragspartei auch
nach dieser Auffassung zurechnen lassen, wenn sie den Anschein genügender Sprachkennt-
nisse erweckt hat2.

3.34 Die Rechtsprechung nimmt teilweise auch eine Erkundigungspflicht an3 oder lässt es genügen,
dass in der Verhandlungssprache auf anderssprachige Geschäftsbedingungen hingewiesen
wurde4.

3.35 Wurde in einer anderen Sprache verhandelt und später nur ein auf Deutsch abgefasster Ver-
trag unterzeichnet, so steht das einem wirksamen Zustandekommen nicht entgegen5. Aller-
dings werden Zusätze, die nicht Verhandlungsgegenstand waren, nicht zum Vertragsgegen-
stand6. Ist ein Vertrag zweisprachig abgefasst, so sind (mangels anderweitiger Festlegung) für
den Vertragsinhalt beide Sprachen in gleicher Weise maßgeblich7. Liegen zweisprachige, in-
haltlich voneinander abweichende AGB-Fassungen vor, so kann angenommen werden, dass
nur die mit der Verhandlungssprache übereinstimmende Fassung Vertragsinhalt geworden
ist8.

5. Zeitpunkt und Ort des Vertragsschlusses


3.36 Grundsätzlich bestimmt das Vertragsstatut, ob ein Angebot vorliegt und ob es angenommen
wurde. Dies gilt auch bei einem Vertragsschluss durch elektronische Kommunikationsmittel9.
Wird ausnahmsweise isoliert angeknüpft, so ist nach dem Recht des Antrags zu beurteilen, ob
ein Angebot vorliegt. Nach dem Recht der Annahme richtet sich dann, ob das Angebot ange-
nommen wurde. Damit ist die Frage beantwortet, ob ein Vertrag vorliegt, aus dem die Parteien
verpflichtet sind.

1 Näher Kling, S. 538 ff.


2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 82 ff.
3 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, IPRspr. 1995 Nr. 40 = NJW-RR 1996, 1271 = IPRax 1996,
197 (m. Aufs. Schlechtriem, IPRax 1996, 184) (Vertragssprache Italien.; Abtretungsanzeige auf
Engl. und Französ. nach italien. Recht berücksichtigt).
4 OLG München v. 4.4.1974 – 24 U 930/73, IPRspr. 1974 Nr. 151 = NJW 1974, 2181 (Gerichts-
standsklausel; Verhandlungssprache war Italien; italien. Kunde bestätigte in italien. Sprache gehal-
tenen Hinweis, dass die – beigefügten, aber nicht übersetzten – AGB der deutschen Vertragspartei
gelten sollten); OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (m. Aufs. Kohler, IPRax
1991, 299) (Gerichtsstandsklausel); OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 4 U 61/92, IPRspr. 1993
Nr. 136 = DZWiR 1994, 70 Anm. Chillagano-Busl (Deutscher Verkäufer bestätigte gegenüber ita-
lien. Abnehmer mit der engl. Klausel „General Conditions P.T.O.“ und vermerkte auf seinen Rech-
nungen „We delivered at terms of payment and delivery of the convention of the cotton weavers
trade – Basic terms of the German Textile Industry – actually valid“. Erfüllungsortregelung der
auf der Rückseite in Deutsch abgedruckten AGB kam zur Anwendung). – Ebenso für den kauf-
männischen Verkehr, Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38.
5 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 = IPRax 2015, 562 Rz. 51 (Arbeitsvertrag).
6 OLG Stuttgart v. 16.6.1987 – 2 U 291/86, RIW 1989, 56 = IPRax 1988, 293 (m. Aufs. Schwarz,
IPRax 1988, 278) (Deutsch-portugies. Kauf; Verhandlungssprache Engl.).
7 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 37. – Zum versteckten Dissens bei mehrspra-
chigen Schiedsklauseln OLG Hamburg v. 16.1.1981 – 11 U 86/79, ZIP 1981, 170 = IPRspr. 1981
Nr. 200 = IPRax 1981, 180 (LS) Anm. von Hoffmann = RIW 1982, 283.
8 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRspr. 1996 Nr. 147 = NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m.
Aufs. Koch, IPRax 1997, 406) (Deutsch-engl. AGB; Verhandlungssprache Engl., das maßgeblich
war).
9 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 19.

188 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.40 § 3

Nicht entschieden ist damit, durch welchen Akt der Vertrag im Einzelnen perfekt wurde, 3.37
etwa durch die Unterschrift des Annahmebriefes, durch die Abgabe des Annahmebriefes bei
der Post, dadurch, dass der Postbote den Brief in den Briefkasten des Antragenden wirft oder
dass dieser den Brief liest. Auch über diese Frage gehen die Rechtsordnungen sehr auseinan-
der: Nach deutschem Recht ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Annahmeerklärung
dem Antragenden zugeht (§ 130 Abs. 1 BGB), d.h. in dessen Briefkasten oder elektronische
Mailbox gelangt. Nach englischem Recht gilt dagegen der Zeitpunkt, in dem die Annahme-
erklärung zur Post gegeben wird, als Zeitpunkt des Vertragsschlusses1. Auch das US-ame-
rikanische Recht folgt der „mailbox rule“2. Wo es auf diesen Zeitpunkt ankommt, etwa für
den Beginn der Verjährungsfrist, ist stets auf das Schuldstatut des Vertrages abzustellen.

Von der Frage, durch welchen Einzelakt der Vertrag perfekt geworden ist, wird teilweise auch 3.38
die Bestimmung des Orts des Vertragsschlusses (locus contractus) abhängig gemacht. Diese
Ortsbestimmung kann von Bedeutung für die Anwendung von Formvorschriften sein. Die
Einhaltung der Form der lex loci actus genügt nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 Rom I-VO (wie nach
den meisten Rechtsordnungen).

Für den Vertragsschluss unter Personen, die sich in verschiedenen Staaten befinden (Distanz- 3.39
verträge), enthält Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO eine besondere Bestimmung. Ein solcher Vertrag
ist formgültig, wenn er die Formerfordernisse des Rechts, welches auf das seinen Gegenstand
bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts eines der Staaten der Vertragspar-
teien erfüllt. Danach genügt also entweder die Einhaltung der lex causae oder des Rechts der
jeweiligen Vertragspartei. Die Vertragspartei braucht keinen gewöhnlichen Aufenthalt in die-
sem Staat zu haben; schlichter Aufenthalt, ein Sichbefinden genügt. Rück- und Weiterverwei-
sung sind auch hier ausgeschlossen3, s. Rz. 5.244 ff.

6. Vertragliche Regelung des Zustandekommens


Die Parteien können, soweit dies das maßgebliche materielle Recht zulässt, selbst vereinbaren, 3.40
wann der Vertrag geschlossen ist. So bestimmen etwa die ECE-Bedingungen (Rz. 25.102)
Nr. 730 in Art. 2:
„Der Vertrag gilt als geschlossen, wenn der Verkäufer nach Eingang einer Bestellung, gegebenenfalls
innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist, eine schriftliche Annahmeerklärung abgesandt hat.
Hat der Verkäufer bei Abgabe eines schriftlichen Angebots eine Annahmefrist gesetzt, so gilt der Ver-
trag als geschlossen, wenn der Käufer vor Fristablauf eine schriftliche Annahmeerklärung abgesandt
hat.“
Maßgeblich ist also die „Entäußerungstheorie“. Dagegen gilt nach den ECE-Formularbedin-
gungen Nr. 188 und Nr. 574 für den Verkäufer nur dann die „Entäußerungstheorie“, wenn er
in der Position des Annehmenden ist, nicht aber, wenn er der Offerent ist. In diesem letzteren
Falle gilt zu seinen Gunsten die „Empfangstheorie“4.

1 Marsh, Comparative Contract Law – England, France, Germany (Aldershot 1994), S. 69; vgl. auch
Triebel/Illmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012,
Rz. III 19.
2 S. zum Kauf § 2–204 ff. UCC; vgl. ferner Elsing/Van Alstine, US-Amerikanisches Handels- und
Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, Rz. 189.
3 Thorn in Palandt, Art. 11 Rom I-VO Rz. 2; Weller in BeckOGK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 11 (Stand
1.10.2020).
4 Vgl. Lorenz, AcP 159 (1960), 193 (221 f.); Lorenz, ZHR 126 (1964), 152.

Martiny | 189
§ 3 Rz. 3.41 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.41 Ist der Vertrag aber noch nicht geschlossen, so sind diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen
nur anwendbar, wenn die Parteien über ihre Geltung eine entsprechende Vereinbarung getrof-
fen haben. Die Problematik verschiebt sich bei solchen Formularen also nur dahin gehend,
nach welchem Recht sich das Zustandekommen einer vereinbarungsgemäßen Verweisung auf
den im Formular vorgesehenen Modus des Vertragsschlusses richtet. Das Kollisionsrecht der
lex fori muss beantworten, wie es zu einer Verweisung auf das Formular kommt.

III. Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen


Literatur zum Internationalen Privatrecht: Aden, Auslegung und Revisibilität ausländischer AGB
am Beispiel der Schiedsverfahrensordnung der internationalen Handelskammer, RIW 1989, 607; Atz-
podien/Müller, Die FIDIC-Standardbedingungen als Vorlage für europäische AGB im Bereich des In-
dustrieanlagen-Vertragsrechts, RIW 2006, 331; Berger, Die Einbeziehung von AGB in internationale
Kaufverträge, FS Horn (2006), S. 3; Boll, Ausländische AGB und der Schutz des inländischen kauf-
männischen Kunden, IPRax 1987, 11; Bomsdorf/Finkelmeier, Allgemeine Geschäftsbedingungen im
internationalen Handel, RIW 2021, 350; Dannemann, The „Battle of the Forms“ and the Conflict of
Laws in Essays in Honour of F. Reynolds (London 2000), S. 199; Drobnig, AGB im internationalen
Handelsverkehr, FS Mann (1977), S. 591; Dutta, Kollidierende Rechtswahlklauseln in allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen, ZVglRW 104 (2005), 461; Hau, AGB im internationalen Geschäftsverkehr
(IntGV) in Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, S. 25; Hepting, Die ADSp im
internationalen Speditionsverkehr, RIW 1975, 457; Kieninger, AGB-Kontrolle von grenzüberschreiten-
den Geschäften im unternehmerischen Verkehr, FS Blaurock (2013), S. 177; Kröll/Hennecke, Kollidie-
rende Allgemeine Geschäftsbedingungen in internationalen Kaufverträgen, RIW 2001, 736; Kronke,
Zur Verwendung von AGB im Verkehr mit Auslandsberührung, NJW 1977, 992; Landfermann, AGB-
Gesetz und Auslandsgeschäfte, RIW 1977, 445; Leuschner (Hrsg.), AGB-Recht im unternehmerischen
Rechtsverkehr (2021); Maidl, Ausländische AGB im deutschen Recht (2000); Müller/Otto, Allgemeine
Geschäftsbedingungen im internationalen Wirtschaftsverkehr (1994) (auch zu Frankreich, Belgien,
Schweiz, Luxemburg, Italien, Spanien, Portugal, Österreich, England); Nörenberg, Internationale Ver-
träge und AGB, NJW 1978, 1082; Otto, AGB und IPR (1984); C. Rühl, Rechtswahlfreiheit und Rechts-
wahlklauseln in AGB (1999); Schütze, Praktizierte Lieferbedingungen im internationalen Geschäfts-
verkehr, DWiR 1992, 89; Sieg, Allgemeine Geschäftsbedingungen im grenzüberschreitenden
Geschäftsverkehr, RIW 1997, 811; Sieg, Internationale Gerichts- und Schiedsklauseln in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen, RIW 1998, 102; Stadler, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen
Handel (2003); Staudinger, Die Kontrolle grenzüberschreitender Versicherungsverträge anhand des
AGBGB, VersR 1999, 401; Stoll, Internationalprivatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner
Geschäftsbedingungen, FS Beitzke (1979), S. 759; Ungnade, Die Geltung von AGB der Kreditinstitute
im Verkehr mit dem Ausland, WM 1973, 1130; Weller, Stillschweigende Einbeziehung der AGB-Ban-
ken im internationalen Geschäftsverkehr?, IPRax 2005, 428; M. Wolf, Auslegung und Inhaltskontrolle
von AGB im internationalen kaufmännischen Verkehr, ZHR 153 (1989), 300; Wuschkoschitz, Rechts-
wahlklauseln in AGB in Dach-Schriftenreihe; Rechtswahlklauseln (2005), S. 27. S. auch oben vor
Rz. 3.1 sowie unten vor Rz. 35.1 (Verbraucherschutz).
Literatur zum ausländischen Recht: Mehrere Länder/Rechtsvergleichung: Aden, Battle of forms:
konkurrierende AGB im multilateralen Rechtsvergleich (2021); Baier, Europäische Verbraucherverträ-
ge und missbräuchliche Klauseln: die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche
Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland, Italien, England und Frankreich (2004); Hellwege,
Allgemeine Geschäftsbedingungen in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Eu-
ropäischen Privatrechts I (2009), S. 28; Jacobs, The Battle of the Forms – Standard Term Contracts in
Comparative Perspective, I.C.L.Q. 34 (1985), 297; Leuschner, Grenzen der Vertragsfreiheit im Rechts-
vergleich, ZEuP 2017, 335; Leuschner (Hrsg.), AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr
(2021); Magnus, Incorporation of standard terms, in DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), In-
ternational Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 295; Marter, Die abstrakte Klauselkontrolle in Deutschland,
England und Frankreich (2017); Schlechtriem, Die Kollision von Standardbedingungen beim Vertrags-
schluss, FS Wahl (1973), S. 67.

190 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.41 § 3

Einzelne Länder:
Belgien: Reichard/De Vel, Vereinbarung und Inhalt von Lieferbedingungen in Belgien, AWD 1973,
184.
China: Liu, Die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und formularmäßigen Ver-
tragsklauseln im deutsch-chinesischen Vergleich (2016).
England: Bodenheimer, Allgemeine Geschäftsbedingungen im Unternehmensverkehr im englischen
und deutschen Recht (2012); Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln
in Verbraucherverträgen im englischen und deutschen Recht (2005); Horler, Die Entwicklung der
Rechtsprechung zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: ein Vergleich des englischen und
deutschen Rechts (2012); Ponick, Die Richtlinien über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträ-
gen und ihre Umsetzung im Vereinigten Königreich (2003); Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in
AGB nach englischem und internationalem Privatrecht (1977); Sobich, AGB-Kontrolle in Großbritan-
nien, RIW 2000, 675; Sobich, Verfahrensrechtliche Kontrolle „unfairer“ AGB in Großbritannien, RIW
1998, 684.
Frankreich: Barfuss, Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Vertrag nach fran-
zösischem Recht, RIW 1975, 319; Gardette, Die Behandlung der „unangemessenen“ Klauseln nach
dem französischen „AGB“-Gesetz (2005); Gräser, Missbräuchliche Vertragsklauseln im unternehmeri-
schen Geschäftsverkehr in Frankreich und Deutschland (2013); Niggemann, Zustandekommen des
Kaufvertrages, Einbeziehung und Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Witz/
Bopp (Hrsg.), Französisches Vertragsrecht für deutsche Exporteure (1989), S. 20; Niggemann, AGB-
Kontrolle im kaufmännischen Geschäftsverkehr nach der Reform des französischen Code Civil?, RIW
2018, 658; Schmidt/Niggemann, Die Vereinbarung von AGB durch stillschweigende Annahme nach
französischem Recht, AWD 1974, 309; Sonnenberger, Das französische Recht der Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen (conditions générales), RIW 1990, 165; Witz/Wolter, Missbräuchliche Vertrags-
klauseln auf dem Prüfstand der französischen Gerichte, ZEuP 1993, 360.
Italien: Bonell, Die AGB nach italienischem Recht, ZVglRW 78 (1979), 1; Kieninger, Die Kontrolle
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Verkehr, ZEuP 1996, 468; Patti, Die Um-
setzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland
und in Italien in Klauselrichtlinie, Mobiliarsicherheiten, Strafverfolgung (2005), S. 3; Rausch, Das
Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Italien (2004); Scarso, Unternehmer als Vertragspar-
teien, ZEuP 2001, 379; Scheerer, Die AGB im deutsch-italienischen Rechtsverkehr unter besonderer
Berücksichtigung der AGB der Kreditinstitute, AWD 1974, 181; Wurmnest, Die Fortentwicklung des
italienischen AGB-Rechts vor dem Hintergrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, ZEuP 2004, 971.
Niederlande: Nieper, Algemene voorwaarden, ZEuP 1999, 732.
Österreich: Höss, Die Einbeziehung von AGB beim Vertragsabschluss im Internet: Grundlagen für
den österreichisch-deutschen Online-Rechtsverkehr (2007); Lehofer/Mayer, Geschäftsbedingungen in
Österreich und in der Europäischen Union (1998).
Polen: Harłacz, Die Bedeutung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Handelsverkehr zwischen
Deutschland und Polen nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (2012); Heidenhain, Das
Verbraucherschutzrecht in Polen und in der Europäischen Union (2001); Karasek-Wojciechowicz, Die
Sanktionierung missbräuchlicher Vertragsklauseln sowie die Vertragsrückabwicklung am Beispiel Po-
lens, OER 2020, 129; Zoll/Diemer-Benedict, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Po-
len, RIW 1997, 1001.
Russland: Aladyev/Aden, Vertragsabschluss, AGB und "Battle of Forms" nach russischem Recht, RIW
2016, 497.
Schweiz: Kramer/Probst/Perrig, Schweizerisches Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Bern
2016); Perrig, Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – Zugänglichkeitsregel in
Brunner/Schnyder/Eisner-Kiefer (Hrsg.), Allgemeine Geschäftsbedingungen nach neuem Schweizer
Recht (Zürich 2014), S. 169.
Spanien: Albiez Dohrmann, Einbeziehungsvoraussetzungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen
im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern, FS Westermann (2008), S. 31;

Martiny | 191
§ 3 Rz. 3.41 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Cabanas/Vestweber, Das neue spanische Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZVglRW 97


(1998), 454; Fischer, Das neue Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen in Spanien und die Um-
setzung der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, RIW 1998, 689;
Hettich, Spaniens Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen (2007).
Tschechische Republik: Wefing, Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Tschechischen Republik,
WiRO 1995, 451.
Türkei: Aydin, Die Berücksichtigung des Verbraucherschutzes bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen
im deutschen und türkischen Recht (2007); Bozbel, Allgemeine Geschäftsbedingungen im türkischen
Recht, RIW 2004, 183; Süzel/Aden, „Battle of Forms“ im türkischen AGB-Recht, RIW 2017, 111; Uslu-
baş, Das türkische AGB-Recht im Unternehmensverkehr, IWRZ 2017, 163.
USA: Bülow, Die Konkurrenz von Standardbedingungen beim Vertragsschluss im amerikanischen
Recht, AWD 1973, 510; von Hippel, Zur richterlichen Kontrolle unlauterer Geschäftsbedingungen in
den Vereinigten Staaten, RabelsZ 33 (1969), 564; Munz, Allgemeine Geschäftsbedingungen in den
USA und Deutschland im Handelsverkehr (1992); Petzinger, „Battle of Forms“ und Allgemeine Ge-
schäftsbedingungen im amerikanischen Recht, RIW 1988, 673.

1. Rechtsvereinheitlichung und -angleichung


3.42 Einheitliche Regeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten insbesondere im
Rahmen des UN-Kaufrechts (Rz. 25.49 ff.). Direkt anwendbar sind die Vorgaben der EU-VO
zu Online-Vermittlungsdiensten1. Ferner sind die nationalen Vorschriften durch EU-Richt-
linien für Verbraucherverträge angeglichen worden2 (näher Rz. 35.1 ff.). Einzelne Bestimmun-
gen zu AGB enthalten auch die Europäischen Grundregeln des Vertragsrechts3 sowie der
Draft Common Frame of Reference4.

2. Bezugnahme auf AGB bei Auslandsgeschäften


3.43 Allgemeine Geschäftsbedingungen finden im internationalen Handel weite Verbreitung. Ent-
steht ihretwegen Streit, so regelmäßig darüber, ob sie für den geschlossenen Vertrag gelten.
Die deutsche Rechtsprechung ist in dieser Frage bekanntlich großzügig. Meist wird eine „still-
schweigende Unterwerfung“, eine Unterwerfung kraft Handelsbrauchs oder bei gewissen
Verträgen trotz Unkenntnis der AGB angenommen, der Kunde habe wissen müssen, dass der
Vertrag nur unter Zugrundelegung der üblichen AGB abgeschlossen werde. Andere Rechts-
ordnungen stellen hingegen z.T. strengere Anforderungen an den Nachweis, dass die AGB
Vertragsbestandteil geworden sind5.

3.44 Belgien: Nach belgischem Recht erfolgt die Einbeziehung von AGB durch Bekanntgabe an
den Vertragspartner sowie die Annahme der Einbeziehung durch den Verwender6. Unter

1 Art. 3 ff. Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerb-
liche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten v. 20.6.2019, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 57.
2 Stempel, Der lange Weg zur Teilvereinheitlichung der AGB-Kontrolle in Europa, ZEuP 2017, 102.
– Überblick bei Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. Rz. 87 ff.
3 Insb. Art. 2:209, 4:110.
4 S. Art. II.-1:109, II.-4:209, II.-8:103.
5 Vgl. Nörenberg, NJW 1978, 1082 (1084 ff.). – Rechtsvergleichend zu ausländ. Schutzvorschriften
vor unbilligen AGB Kost, S. 180 ff.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009),
S. 333 ff.; Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 1 ff.; Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen,
Einl. Rz. 105 ff. m.w.N. – Zur Einbeziehung nach niederländ. Recht IPG 2005/2006 Nr. 5 (Osna-
brück), nach dem Recht von New South Wales IPG 2012-14 Nr. 3 (Hamburg).
6 Dazu IPG 2009-11 Nr. 7 (Köln).

192 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.50 § 3

Kaufleuten bedeutet das Schweigen auf eine Auftragsbestätigung oder Faktur grundsätzlich
Einverständnis mit den abgedruckten AGB1. Auf ungewöhnliche Klauseln muss jedoch hinge-
wiesen werden; ein bloßes Mitsenden genügt nicht2.

England: Dem Kunden müssen die AGB vor oder bei Vertragsschluss so zugänglich gemacht 3.45
werden, dass er die Möglichkeit hatte, von ihnen Kenntnis zu nehmen3.

Frankreich: Die AGB müssen vom Vertragspartner ausdrücklich angenommen werden. 3.46
Gleichgestellt wird zuweilen der Fall, dass der Kunde sie bei ordentlicher Sorgfalt hätte kennen
müssen4.

Italien: Einseitig von einer Partei vorbereitete AGB werden Vertragsinhalt, sobald der Kunde 3.47
sie vor dem Abschluss kannte oder bei Anwendung ordentlicher Sorgfalt gekannt haben
müsste (Art. 1341 Abs. 1 c.c.). Einige besonders lästige und gefährliche Abreden bedürfen je-
doch einer schriftlichen Billigung (Art. 1341 Abs. 2 c.c.)5. Hierunter fallen z.B. Haftungs-
beschränkungen6.

Österreich: AGB werden dann Vertragsinhalt, wenn vor Vertragsschluss auf sie Bezug genom- 3.48
men wurde und der Geschäftspartner die Möglichkeit gehabt hat, vom Inhalt der Bedingun-
gen Kenntnis zu nehmen (vgl. § 863 ABGB). „Wissen müssen“ genügt regelmäßig nicht7. Un-
gewöhnliche Bestimmungen, auf die nicht besonders hingewiesen wurde, werden nicht Ver-
tragsinhalt, wenn der Kunde mit ihnen nicht zu rechnen brauchte (§ 864a ABGB)8.

Schweiz: Nach schweizerischer Auffassung beruhen AGB grundsätzlich auf rechtsgeschäftli- 3.49
cher Übereinkunft9. Ein Hinweis auf die AGB genügt regelmäßig, wenn er im Angebot erfolgt.
Bei Branchenüblichkeit von AGB gelten gegenüber Kaufleuten geringe Anforderungen10.

Angesichts der Rechtsunterschiede und Unklarheiten sollte der deutsche Vertragspartner 3.50
nach Möglichkeit eine ausdrückliche Vereinbarung seiner AGB anstreben. Erfolgt keine aus-
drückliche Abrede, so muss er damit rechnen, dass sich der ausländische Geschäftspartner auf
ihm günstigeres ausländisches Recht beruft.

1 Nachw. in IPG 1979 Nr. 10 (Hamburg), S. 118.


2 Näher dazu Reichard/DeVel, AWD 1973, 184 ff.
3 Triebel/Illmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rz. III 30 f.
Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 2 ff. Zur Haftungsbeschränkung Leu-
schner, ZEuP 2017, 335 (351).
4 Sonnenberger, RIW 1990, 167. Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 18 ff. Zur
Haftungsbeschränkung Leuschner, ZEuP 2017, 335 (345).
5 Dazu IPG 2007/2008 Nr. 3 (Köln). – S. Bonell, ZVglRW 78 (1979), 8 ff.
6 Vgl. Pfister, AWD 1965, 221 ff.
7 S. Riedler in Schwimann (Hrsg.), ABGB, 4. Aufl. (Wien 2014), § 864a ABGB Rz. 12. Differenzie-
rend Stadler, S. 163 ff. – Schweigen zu AGB auf Rechnungen ließ nicht genügen OLG Karlsruhe v.
9.10.1992 – 15 U 67/92, IPRspr. 1992 Nr. 199 = NJW-RR 1993, 567.
8 Näher Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 33 f. Zur Haftungsbeschränkung Leuschner,
ZEuP 2017, 335 (357).
9 Kramer/Probst/Perrig, Rz. 3.
10 Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 44 ff. Zur Haftungsbeschränkung Leu-
schner, ZEuP 2017, 335 (364).

Martiny | 193
§ 3 Rz. 3.51 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3. Anwendbares Recht
a) Einbeziehung von AGB
3.51 Für die Einbeziehung von AGB in den Vertrag ist zunächst das anwendbare Recht zu bestim-
men. Bereits auf dieser Stufe kann die Bedeutung von AGB für die Rechtswahl zu prüfen sein
(s. Rz. 2.23). Wurde die Geltung von AGB ausdrücklich vereinbart, so gilt für das Aufstellen
und die Einbeziehung der Geschäftsbedingungen das Vertragsstatut1. Dies ergibt sich aus
Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO.

3.52 Hat eine Partei zu den Geschäftsbedingungen der anderen geschwiegen, so ist ebenfalls zu un-
terscheiden, welches Recht für ihre Einbeziehung gilt und ob auch die AGB nach dem anzu-
wendenden Recht gelten.

b) Sonderanknüpfung der Annahme von AGB


3.53 Widerspricht eine Partei der Einbeziehung von AGB in den Vertrag nicht, so ist auch hier
Ausgangspunkt das Vertragsstatut (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)2. Doch kann sich die schwei-
gende Partei bezüglich der Wertung ihres Verhaltens nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auf das
Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen3.

3.54 Ob das Schweigen einer Partei zu den AGB der anderen deren Einbeziehung herbeiführt, be-
stimmt also nicht immer das Vertragsstatut. Wird der Vertrag im Korrespondenzweg (also als
sog. Distanzvertrag) geschlossen, so ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort der nicht
widersprechenden Partei zu berücksichtigen. Diese Sonderanknüpfung erfasst den häufigsten
Fall, dass ein ausländischer Kunde von seiner ausländischen Niederlassung aus eine deutsche
Vertragspartei beauftragt oder von ihr beliefert wird. Dann ist zwar regelmäßig deutsches
Recht Vertragsstatut; die AGB des deutschen Teils gelten jedoch dann nicht, wenn das Recht
am Niederlassungsort des Ausländers entgegensteht4.

3.55 Nicht völlig geklärt ist dabei freilich, welche konkreten Fragen das ausländische Recht zu be-
antworten hat. Man wird wohl darauf abstellen müssen, ob nach ihm eine Pflicht zum Wider-
spruch gegenüber den AGB bestand und ob der Kunde wissen musste, dass er hätte wider-
sprechen müssen. Kann jedoch verlangt werden, dass der Kunde eine stillschweigende Ein-
beziehung der AGB kraft Verkehrssitte kennen musste, so kann er sich regelmäßig auch nicht
auf eine Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO berufen5.

3.56 Hat der AGB-Verwender die Geschäftsbedingungen einem Bestätigungsschreiben beigefügt,


so gelten die Regeln über das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben (Rz. 3.19 ff.).

1 Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (357); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3; Haus-
mann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 22.
2 Weller, IPRax 2004, 428 (429 f.); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 80.
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 244; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 14; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4.
4 S. Hepting, RIW 1975, 457 (462); Drobnig, FS Mann, S. 591 (604 f.); Kronke, NJW 1977, 992 f.;
Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (121 f.); abschwächend als bloße „Berücksichtigung“ Schütze, DB
1978, 2301. Differenzierend Stoll, FS Beitzke, S. 759 (763 ff.): Für AGB ohne Rechtswahlklauseln
gelte nur das Vertragsstatut; bei Rechtswahlklauseln komme es hingegen zu einer Sonderanknüp-
fung.
5 Weller, IPRax 2005, 428 (430) (für Bank-AGB).

194 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.60 § 3

c) Inlandsgeschäfte
Da Art. 10 Rom I-VO vom Vorrang des Vertragsstatuts ausgeht, kommt es nicht stets zu einer 3.57
Sonderanknüpfung an das Aufenthaltsrecht. Die für eine gesonderte Anknüpfung maßgeb-
lichen Fallgruppen müssen präzisiert werden, da das anzuwendende Recht voraussehbar sein
muss und nicht vollständig Einzelfallentscheidungen überlassen bleiben kann1. Die Rechtspre-
chung fragte früher danach, ob der Ausländer nach den Umständen des Einzelfalles damit
rechnen durfte, sein Verhalten werde nach den Regeln seines „Heimatrechts“ beurteilt2.

Das Aufenthaltsrecht einer Partei, der gegenüber die AGB gelten sollen, bleibt nach wohl h.M. 3.58
dann unberücksichtigt, wenn ein Inlandsgeschäft geschlossen wurde3. Ein solches Geschäft
liegt vor, wenn der Vertrag, in den die AGB einbezogen werden sollen, in dem Staat abge-
schlossen wird, in dem der Verwender der AGB seine geschäftliche Niederlassung hat. Tritt
der Kunde regelmäßig im Inland geschäftlich auf, so muss er mit einer Bewertung seines Ver-
haltens nach dem Recht des Abschlussortes rechnen. Das Verkehrsinteresse setzt sich hier
analog Art. 13 Rom I-VO gegenüber dem Individualinteresse des Kunden durch4. Der Ab-
schlussort liegt aber noch nicht deshalb im Inland, weil hier das Angebot bzw. der Auftrag des
Kunden eintrifft5.

d) Andere Fälle
aa) Bestehender Vertrag
Außer Inlandsgeschäften sind noch weitere Fälle denkbar, in denen sich der Kunde für die 3.59
Einbeziehung von AGB in den Vertrag nicht auf sein Aufenthaltsrecht berufen kann. Hierüber
besteht im Schrifttum jedoch keine Einigkeit.

Vertragsänderungen und insb. die nachträgliche Einbeziehung von AGB in einen abgeschlos- 3.60
senen Vertrag sind nach vielfach vertretener Ansicht allein nach dem Statut des bestehenden
Vertrages zu beurteilen6. Dies wird teilweise auf Fälle beschränkt, in denen im Rahmen eines
Dauerschuldverhältnisses Einzelvereinbarungen geschlossen werden7. Die Rechtsprechung
macht diese Einschränkung regelmäßig nicht8. Tatsächlich ist die Interessenlage ähnlich wie
im vorkonsensualen Stadium. Deshalb wird auch hier eine Sonderanknüpfung geboten sein9.

1 Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 28 ff.


2 BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154; BGH v. 7.7.1976 – I ZR
51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976, 534.
3 Drobnig, FS Mann, S. 591 (605); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 125 m.w.N.
4 Vgl. Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (121); Hepting, RIW 1975, 457 (463); Buchmüller, NJW 1977,
501.
5 Weitergehend möglicherweise OLG Frankfurt v. 16.1.1979 – 5 U 125/78, IPRspr. 1979 Nr. 29 =
RIW 1979, 278 (Schweiz. Spediteur beauftragte die beklagte deutsche Spedition).
6 So insb. Drobnig, FS Mann, S. 591 (606) m.w.N.
7 Hepting, RIW 1975, 457 (463).
8 S. BGH v. 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 = IPRspr. 1971 Nr. 133 = NJW 1972, 391
Anm. Geimer, Schmidt-Salzer; OLG Nürnberg v. 11.10.1973 – 8 U 22/72, IPRspr. 1973 Nr. 12A =
AWD 1974, 405 mit krit. Anm. Linke; LG Mainz v. 10.12.1971 – HO 46/71, IPRspr. 1971 Nr. 135 =
AWD 1972, 298 Anm. Ebsen/Jayme.
9 Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 Fn. 84).

Martiny | 195
§ 3 Rz. 3.61 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

bb) Kenntnis der AGB und ihrer Geltung


3.61 Auch wenn ein Distanzvertrag geschlossen wird, kann einer Partei allgemein bekannt sein,
dass die AGB einer bestimmten Branche gelten und das Schweigen darauf nach dem Vertrags-
statut zu ihrer Einbeziehung in den Vertrag führt. In diesen Fällen lässt die Rechtsprechung
das Recht am Aufenthaltsort des Kunden regelmäßig außer Acht1.

3.62 Weiß eine Partei im Einzelfall, dass ihr Vertragspartner Verträge nur auf der Grundlage be-
stimmter AGB abzuwickeln pflegt, so ist fraglich, ob man von der Sonderanknüpfung abwei-
chen und somit das Verhalten nach dem Vertragsstatut bewerten soll2 oder ob man gleichwohl
das Schweigen nach dem Aufenthaltsrecht der Partei bewerten soll, der gegenüber die AGB
verwendet wurden3. Für die erste Lösung spricht die Kenntnis des Kunden.

cc) Laufende Geschäftsverbindung


3.63 Eine laufende Geschäftsverbindung kann gegen eine Sonderanknüpfung sprechen4. Sie wird
aber nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Kunde einmal im Lande des AGB-Verwen-
ders geschäftlich aufgetreten ist oder dort gelegentlich geschäftliche Kontakte hatte. Die da-
raus zu ziehenden Folgen sollte man dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts überlassen.
Das bloße Bestehen einer laufenden Geschäftsverbindung schließt eine Sonderanknüpfung
gleichfalls nicht grundsätzlich aus5.

dd) Vertragsschluss im Drittstaat


3.64 Gibt die Partei, der gegenüber die AGB verwendet werden, ihre Erklärung in einem anderen
als ihrem Aufenthalts- bzw. Niederlassungsstaat ab, so kann sie sich auf eine Sonderanknüp-
fung an ihr Recht nicht berufen. Dies gilt insbesondere für Vertragsschlüsse in Drittstaaten6.
Hier kann der Kunde billigerweise nicht mehr erwarten, sein Verhalten werde nach seinem
Recht beurteilt. Schließt etwa ein italienischer Kaufmann mit einem deutschen Spediteur ein
Speditionsgeschäft in Belgien ab, so kann er sich weder auf das belgische Recht des Abschlus-
sortes noch auf das italienische Recht seines Niederlassungsortes berufen, sondern unterliegt
dem Vertragsstatut, das hier regelmäßig das deutsche Recht sein wird. Das deutsche materielle
Recht hat dann zu entscheiden, ob die ADSp gelten.

4. Einbeziehung von AGB nach deutschem Sachrecht


3.65 Ist für die Einbeziehung der AGB deutsches Sachrecht maßgeblich, so finden grundsätzlich
die dafür entwickelten Regeln der deutschen Rechtsordnung Anwendung7. Danach ist zu-
nächst zu unterscheiden, ob die vor allem Verbraucher schützenden §§ 305 ff. BGB gelten

1 Nachw. bei Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 73 ff.


2 Offen gelassen in BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, NJW 1976, 2075.
3 Dafür Hepting, RIW 1975, 457 (463 f.); wohl auch Buchmüller, NJW 1977, 501.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 73; Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 35; Rieländer
in Leuschner, Rechtswahl Rz. 72.
5 OLG Frankfurt v. 12.10.1982 – 5 U 25/82, ZIP 1982, 1331 = IPRspr. 1982 Nr. 18 = RIW 1983, 59
(Österreich. Käufer, deutscher Verkäufer. Einbeziehung der AGB nach österreich. Recht geprüft
und bejaht. Längere Geschäftsbeziehungen lediglich für das Kennenmüssen berücksichtigt).
6 Vgl. auch Fischer, S. 347 f.
7 Überblick bei Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 72 ff.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10
Rom I-VO Rz. 212 ff.

196 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.68 § 3

oder nicht (vgl. § 310 BGB)1. Falls das zu bejahen ist, unterliegt das Einbeziehen § 305 Abs. 2
BGB. Danach sind ein Hinweis (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB), die Möglichkeit der Kenntnisnahme
(§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und Einverständnis erforderlich.

Für den kaufmännischen Geschäftsverkehr gelten ähnliche Grundsätze. Bei ausdrücklicher 3.66
Anerkennung der AGB durch den ausländischen Kunden sind sie im Allgemeinen wirksam
vereinbart2.

Hat der ausländische Kunde die AGB nicht ausdrücklich angenommen, so ist für die Recht- 3.67
sprechung entscheidender Gesichtspunkt für das Einbeziehen von AGB die Kenntnis oder das
Kennenmüssen3. Weiß der Kunde, dass die AGB gelten, so ist er grundsätzlich ebenso wie
eine deutsche Vertragspartei zu behandeln. Mangels Widerspruchs gelten die AGB im Ge-
schäftsverkehr unter den allgemeinen Voraussetzungen4. Auch eine frühere ständige Verwen-
dung in einer laufenden Geschäftsbeziehung kann genügen5.

Ist dem Kunden die Existenz und die Geltung der AGB nicht bekannt, so ist grundsätzlich 3.68
darauf Rücksicht zu nehmen, dass es sich um einen Ausländer handelt6. Insbesondere kann er
nicht stets wie ein Deutscher behandelt werden. Ist der ausländische Vertragspartner bran-
chenfremd, z.B. nicht Spediteur, so ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, er müsse etwa
wissen, dass deutsche Spediteure ausschließlich nach den ADSp arbeiten. Es bedarf in vielen
Fällen vielmehr eines ausdrücklichen Hinweises, dass die ADSp Inhalt des Vertrages sein sol-
len7 (näher zum Speditionsvertrag unter Rz. 31.1 ff.). Auch dann, wenn ein Vertrag aufgrund
detaillierter Ausschreibungsbedingungen geschlossen wird, werden die AGB nicht kraft Unter-
werfung Vertragsinhalt8.

1 Nörenberg, NJW 1978, 1082 (1086 f.); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 41.
2 Näher Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 30; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 213 f.
3 BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154 (Italien. Spediteur beauf-
tragte schriftlich deutschen Spediteur, der stets auf die ADSp verwiesen hatte. Die ADSp galten);
OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, IPRspr. 2015 Nr. 205 = RdTW 2016, 219 = EWiR 2015, 623
Anm. Mankowski (Hinweis auf AGB genügte). Vgl. OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01,
NJW-RR 2002, 1722 (Italien. Kunde wurde auf ADSp hingewiesen); LG München I v. 29.5.1995 –
21 O 23363/94, IPRspr. 1995 Nr. 146 = IPRax 1996, 266 (m. Aufs. Trunk, IPRax 1996, 249) =
NJW 1996, 401.
4 BGH v. 10.3.1971 – I ZR 87/69, IPRspr. 1971 Nr. 21b = VersR 1971, 619 (Türk. Kaufmann lagerte
Kühlaggregate bei deutschem Spediteur ein und wusste aus Geschäftsbeziehungen, dass die ADSp
zugrunde liegen. ADSp galten); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 86.
5 BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568) =
NJW-RR 2005, 1518 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035) (Erfüllungsortklausel).
6 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 42.
7 BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976, 534 = NJW 1976, 2075 (Anm.
Buchmüller, NJW 1977, 501) (Belg. Kunde eines deutschen Spediteurs); OLG Saarbrücken v.
22.7.1953 – 3 U 10/53, IPRspr. 1952/53 Nr. 39 = NJW 1953, 1832 (Deutsche Speditionsfirma han-
delte im Auftrag einer französ. Firma; Vertrag saarländ. Recht unterstellt. Wegen fehlenden Hin-
weises auf die ADSp diese nicht angewendet); OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRspr.
1998 Nr. 162 (Frachtführer); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 89.
8 BGH v. 16.1.1981 – I ZR 84/78, IPRspr. 1981 Nr. 152 = IPRax 1981, 218 (LS) Anm. von Hoff-
mann = NJW 1981, 1905 (Deutscher Spediteur beteiligte sich an Ausschreibung über Seetransport
nach Italien. Das Geschäft wurde für die italien. Interventionsstelle abgewickelt; ADSp galten
nicht).

Martiny | 197
§ 3 Rz. 3.69 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.69 Die AGB werden aber ohne Kenntnis ihres Inhalts und ohne besonderen Hinweis kraft still-
schweigender Unterwerfung Vertragsbestandteil, wenn der Vertragspartner des Spediteurs
wissen muss, dass dieser ausschließlich nach branchenüblichen AGB, insbesondere den
ADSp arbeitet. Dies gilt insbesondere für einen im Inland ansässigen Kaufmann. Aber auch
ausländische Spediteure mit eigener Niederlassung in Deutschland, die hier Aufträge ver-
geben, müssen sich die ADSp entgegenhalten lassen1.

3.70 Für ausländische Spediteure, die vom Ausland aus Geschäftsbeziehungen mit deutschen Spe-
diteuren unterhalten, nimmt die Rechtsprechung das Gleiche an. Auch bei internationaler
Ausrichtung einer Spedition gelten die ADSp2. Es wird vorausgesetzt, dass ihr bekannt ist,
dass Speditionsgeschäften regelmäßig AGB zugrunde liegen3. Entsprechendes gilt für auslän-
dische Spediteur-Bedingungen4.

3.71 Während auf einige besonders verbreitete AGB nach deutschem Recht nicht aufmerksam ge-
macht werden muss, ist bei anderen mangels einer ausdrücklichen Vereinbarung oft ein Hin-
weis auf ihre Geltung notwendig5. Dies gilt nicht nur im Anwendungsbereich der §§ 305 ff.
BGB. Ob die widerspruchslos hingenommene Verweisung auf die AGB zu ihrer Einbeziehung
führt, hängt von der Branchenüblichkeit, der Deutlichkeit des Hinweises, der Art der Ver-
tragsbeziehung und dem Verhalten des Kunden ab.

3.72 Entsprechend verfährt man mit den deutschen Bank-AGB. Im Geschäftsverkehr zwischen in-
und ausländischen Banken ist mit ihrer Geltung zu rechnen. Eine ausländische Bank muss
sich daher die deutschen Bedingungen entgegenhalten lassen6. Banken, die häufig geschäftli-
che Kontakte mit deutschen Banken unterhalten, erklären daher stillschweigend ihr Einver-
ständnis, dass die verkehrsüblichen AGB in die Geschäftsbeziehungen mit einbezogen sind7
(näher zum Bankvertrag unter Rz. 13.1 ff.).

1 BGH v. 5.6.1981 – I ZR 64/79, IPRspr. 1981 Nr. 40 = RIW 1982, 55 = IPRax 1982, 77 (LS) Anm.
von Hoffmann (Schweiz. Speditionsfirma mit eigener Spedition in der BRD, die Aufträge in die
BRD vergab, musste mit Geltung der ADSp rechnen).
2 OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 4596/73, IPRspr. 1974 Nr. 35 = VersR 1975, 129 (Ausländ.
Transportunternehmen beauftragte deutschen Spediteur; ADSp angewendet); OLG Düsseldorf v.
21.6.1990 – 18 U 59/90, IPRspr. 1990 Nr. 172 = RIW 1990, 752. – Vgl. auch Kost, S. 155 f.
3 OLG Frankfurt v. 23.4.1980 – 17 U 105/79, IPRspr. 1980 Nr. 46 = RIW 1980, 666 (Speditionsauf-
trag brit. Unternehmens an deutschen Spediteur; ADSp galten); OLG Hamburg v. 31.10.1985 – 6
U 117/85, TranspR 1986, 440 = VersR 1986, 808 Anm. Lau (Inhaber italien. Spedition mit interna-
tionaler Geschäftsausrichtung musste wissen, dass der deutsche Empfangsspediteur auf der
Grundlage der ADSp tätig wird); OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, TranspR 1996, 40 =
RIW 1997, 70 (niederländ. Spediteur); OLG Schleswig v. 25.5.1987 – 16 U 27/87, IPRspr. 1987
Nr. 129 = NJW-RR 1988, 283 (dän. Spedition); OLG Düsseldorf v. 4.10.2018 – I-12 I 46/17,
RdTW 2018, 473 = ZIP 2018, 2378 = IPRspr. 2018 Nr. 341 (poln. Spediteur); Hau in Wolf/Linda-
cher/Pfeiffer, IntGV Rz. 43; Hausmannn in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 87. Abl. als zu weit-
gehend Fischer, Verkehrsschutz, S. 339 f.
4 S. OLG Köln v. 29.10.1993 – 3 U 8/93, RIW 1994, 599 = IPRax 1994, 465 (LS) m. krit. Bericht
Kronke; OLG Bremen v. 11.5.1995 – 2 U 133/94, IPRspr. 1995 Nr. 49 = VersR 1996, 868.
5 Für grundsätzliche Verpflichtung zur Zugänglichmachung im internationalen Handel Bomsdorf/
Finkelmeier, RIW 2021, 350 (357). Wohl auch Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 30.
6 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 43; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 88.
7 BGH v. 4.3.2004 – IX ZR 185/02, IPRspr. 2004 Nr. 23 = IPRax 2005, 446 m. zust. Aufs. Weller
(Angolan. Nationalbank musste deutsche Bank-AGB gegen sich gelten lassen). Ebenso schon
BGH v. 18.6.1971 – I ZR 83/70, IPRspr. 1971 Nr. 15 = NJW 1971, 2126 abl. Anm. Schmidt-Salzer;
NJW 1972, 681 zust. Anm. Pleyer/Ungnade = JR 1972, 25 Anm. Kollhosser (Deutsche Bank über-

198 | Martiny
A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.76 § 3

5. Inhaltskontrolle von AGB


Vorschriften, die den schwächeren Vertragsteil gegen wirksam einbezogene Formularbedin- 3.73
gungen schützen, welche die stärkere Partei festsetzt, betreffen nicht mehr das Zustandekom-
men, sondern die Wirksamkeit des Vertrages1. Sie unterliegen dem dafür maßgeblichen
Recht, d.h. dem Vertragsstatut (vgl. Rz. 35.24 ff. zu Art. 6 Rom I-VO).

Nach deutschem Recht sind solche Klauseln z.T. an besonderen Vorschriften (§§ 305 ff. BGB) 3.74
zu messen. Auch im Übrigen werden sie nur anerkannt, wenn sie mit Treu und Glauben (§ 242
BGB) vereinbar sind. Die Gerichte prüfen, ob die AGB eine angemessene und sachgerechte
Regelung der Vertragsbeziehungen enthalten. Führt die richterliche Inhaltskontrolle zum Er-
gebnis, dass eine Klausel eine grob einseitige Regelung trifft, so wird sie nicht beachtet und
das Vertragsverhältnis ohne sie abgewickelt. Hierbei handelt es sich um materielle Regeln des
Vertragsstatuts2.

Das deutsche Recht sieht eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB auch für den nichtkaufmän- 3.75
nischen Bereich vor (vgl. § 310 BGB). Die Begründung einer solchen Kontrolle auch mit der
verfassungsrechtlichen Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) rechtfertigt es jedoch noch nicht,
§ 307 BGB als stets anzuwendende inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO
einzustufen3. Ein deutsches Gericht hat auch entsprechende ausländische gesetzliche Bestim-
mungen (z.B. § 879 österreich. ABGB4) zu beachten5. Gleiches gilt für von der Rechtspre-
chung aufgestellte Regeln, etwa bei Geltung englischen Rechts für die Unwirksamkeit von
Freizeichnungen entwickelte „fundamental breach doctrine“6. Im internationalen Geschäfts-
verkehr sind bei der Inhaltskontrolle nach §§ 307, 310 Abs. 1 BGB auch die jeweiligen Ge-
wohnheiten und Gebräuche des kaufmännischen Verkehrs für den einzelnen Geschäftszweig
maßgeblich7.

Auf der Grundlage ausländischen Rechts formulierte AGB, die von einem ausländischen Un- 3.76
ternehmen im Inland verwendet werden, sind nach der Rechtsprechung nicht revisibel, da sie

sandte niederländ. Bank regelmäßig Depotauszüge mit Hinweis auf deutsche Bank-AG. Da die
niederländ. Bank sich nach den Geschäftsbedingungen erkundigen und gegebenenfalls hätte wi-
dersprechen müssen, Geltung der AGB angenommen.); BGH v. 9.3.1987 – II ZR 238/86, ZIP 1987,
693 = WM 1987, 530 = IPRspr. 1987 Nr. 16 (Überweisungsauftrag einer französ. Bank an eine
deutsche Bank. Vertragsstatut deutsches Recht. Deutsches Recht aufgrund Nr. 26 der damaligen
Bank-AGB angewendet).
1 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 94; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 175 f.; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 6, 8.
2 S. Jayme, Anm. zu BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, NJW 1972, 1618 (1619); Drobnig, FS Mann,
S. 591 (596); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 49; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hen-
sen, Anh. § 305 BGB Rz. 33.
3 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 96; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 24.
4 Dazu Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 35 ff.
5 Boll, IPRax 1987, 11 (12); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 59; Hausmann in Staudinger,
Art. 10 Rom I Rz. 96. – Dabei ist jeweils zu prüfen, wie weit die Inhaltskontrolle geht. Dies gilt
etwa für das engl. Recht (Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 2 ff.), das franz. Recht (Rie-
länder in Leuschner, Länderberichte Rz. 18 ff.), das niederländ. Recht (IPG 2000/2001 Nr. 7 [Pas-
sau]), das schweiz. Recht (Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 49 ff.). Zu Art. 8 schweiz.
UWG vgl. Scheffler, IPRax 1995, 20 (22).
6 Dazu Wathes (Western) Ltd. v. Austins (Menswear) Ltd., [1976] 1 Lloyd’s Rep. 14 (C. A.) = RIW
1976, 592. S. auch Stoll, FS Beitzke, S. 759 (772 f.).
7 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 95; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 80.

Martiny | 199
§ 3 Rz. 3.76 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

als Bestandteil einer ausländischen Rechtsordnung angesehen werden1. Die Gerichte prüfen
jedoch, ob ein Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 21 Rom I-VO) vorliegt2. Der
revisionsgerichtlichen Prüfung unterliegt ferner, ob es sich um in- oder ausländische AGB
handelt3. Dass die Bedingungen ausländische sind, wird vermutet, wenn ausländische Verwen-
der sie formulieren und benutzen4. Außerdem müssen die Tatsacheninstanzen eine verfah-
rensrechtlich nicht zu beanstandende Auslegung vorgenommen haben. Das Ergebnis der Aus-
legung ist allerdings ebenso wie ausländisches Recht der freien Nachprüfung durch das Revisi-
onsgericht entzogen (vgl. § 545 Abs. 1, § 560 ZPO)5.

6. Ungewöhnlichkeit einzelner Klauseln


3.77 Nach deutscher Rechtsprechung ist zwar eine Einigung dahin gehend, dass die von einem Ver-
tragspartner aufgestellten AGB gelten sollen, genügend, ohne dass der andere Vertragsteil sie
im Einzelnen zu kennen braucht6. Der „Unterwerfungswille“ bezieht sich aber nur auf solche
Bedingungen, mit denen er billiger- und gerechterweise rechnen konnte. Diese „Ungewöhn-
lichkeits-Regel“, die auch andere Rechte kennen (vgl. § 864a österreich. ABGB), könnte man
dem Umweltrecht des Kunden oder dem Vertragsstatut unterstellen. Ist der Kunde etwa Fran-
zose, so kann aber das, was inhaltlich ungewöhnlich ist, sinnvoll nur vom vereinbarten (deut-
schen) Recht beantwortet werden. Die Ungewöhnlichkeitsregel dient insofern einer indirek-
ten Kontrolle von Klauseln und hat somit mehr mit der Gültigkeit von AGB zu tun als mit
der „Unterwerfung“ unter sie.

3.78 Soweit aber die Regel, dass überraschende Klauseln nicht in den Vertrag einbezogen werden
(§ 305c Abs. 1 BGB), in erster Linie auf die Transparenz, die Art und Weise der Einbeziehung
abzielt, geht es um das Zustandekommen des Vertrages7. Folglich gehört eine solche „Über-
raschungskontrolle“ als Teil der Einbeziehungskontrolle zu den Fragen, für die sich eine Par-
tei auf das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts berufen kann (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO;
vgl. Rz. 2.30)8.

1 BGH v. 21.1.1971 – II ZR 147/68, IPRspr. 1971 Nr. 1 = AWD 1971, 294 (keine Revisibilität der
AGB eines französ. Frachtführers); BGH v. 11.6.1986 – VIII ZR 153/85, NJW-RR 1987, 43 = WM
1986, 1115 (AGB eines DDR-Außenhandelsbetriebes); BGH v. 22.2.1994 – VI ZR 309/93, IPRspr.
1994 Nr. 1 = NJW 1994, 1408 (Chartervertrag). – A.A. Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 f.); Teske,
EuZW 1991, 149 ff. unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung.
2 Vgl. BGH v. 3.2.1966 – II ZR 19/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 1 = DB 1966, 936 (Freizeichnungsklau-
seln in den Konnossementsbedingungen des Centraal Bureau voor de Rijn-en Binnenvaart ver-
neint; kein Verstoß gegen Art. 30 EGBGB a.F.).
3 BGH v. 19.9.1990 – VIII ZR 239/89, BGHZ 112, 204 (210) = IPRax 1991, 329 (m. Aufs. Man-
kowski, IPRax 1991, 305) = IPRspr. 1990 Nr. 2.
4 Näher BGH v. 6.11.1991 – VIII ZR 241/90, IPRspr. 1991 Nr. 5 = NJW 1992, 1032.
5 BGH v. 14.1.1986 – X ZR 54/84, DB 1986, 1063 = ZIP 1986, 653; BGH v. 19.9.1990 – VIII ZR
239/89, BGHZ 112, 204 (210) = IPRax 1991, 329 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305) =
IPRspr. 1990 Nr. 2; BGH v. 22.2.1994 – VI ZR 309/93, IPRspr. 1994 Nr. 1 = NJW 1994, 1408 =
EWiR 1994, 453 (Anm. Thode).
6 Z.B. BGH v. 9.2.1970 – VIII ZR 97/68, AWD 1970, 182.
7 Mankowski, RIW 1993, 454 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 103.
8 OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 = RIW 1994, 420 m. insoweit zust.
Anm. Mankowski = WiB 1994, 650 m. insoweit zust. Anm. Lenz (Vereinbarung engl. Rechts in
einem Börsentermingeschäft mit einem deutschen Kunden war überraschend und unwirksam);
Thorn, IPRax 1997, 98 (104); Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1211); Junker, RIW 1999, 809 (817); Hau
in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 13; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 103.

200 | Martiny
B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.82 § 3

Handelt es sich nur darum, dass der Kunde sich über die Tragweite des Geschriebenen geirrt 3.79
hat oÄ, so liegt ein Willensmangel vor, für den ohnehin das Schuldstatut maßgeblich ist
(Rz. 3.94).

7. Auslegung, Form
Die Auslegung von AGB folgt dem Vertragsstatut1. Die sog. Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 3.80
BGB), wonach Unklarheiten von Klauseln – insbesondere von Haftungsausschlüssen – zu Las-
ten des Aufstellers gehen2 (England: contra proferentem rule; Italien: Art. 1370 c.c.; Öster-
reich: aus § 915 ABGB abgeleitet), ist also dem Recht zu entnehmen, das für den Inhalt des
Hauptvertrages gilt3.

Geht es um die Auslegung einer Rechtswahlklausel, stellt sich zunächst einmal eine kollisions- 3.81
rechtliche Frage. Folglich ist auch hier die maßgebliche Regelung die des Art. 3 Rom I-VO,
nicht eine in- oder ausländische Sachnorm. Folgt man dem, so kann § 305c Abs. 2 BGB inso-
weit nicht zum Zuge kommen4. Allerdings bedarf es dann einer anderen Regelung, um einen
entsprechenden Schutz zu gewährleisten.

Soweit einzelne Rechtsordnungen eine bestimmte Form für besonders belastende Klauseln 3.82
vorsehen (Italien: Art. 1341 c.c.), ist dies, wie auch sonst (Rz. 3.80 sowie Rz. 5.202 ff.), als
Frage der Form nach Art. 11 Rom I-VO zu behandeln5.

B. Materielle Wirksamkeit

Literatur: Belser, Die Inhaltskontrolle internationaler Handelsverträge durch internationales Recht –


Ein Blick auf die Schranken der Vertragsfreiheit nach UNIDROIT principles, Jb.J.ZivRWiss 1998, 73;
G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Girsberger/Mráz, Sittenwidrigkeit
der Finanzierung von internationalen Waffengeschäften, IPRax 2003, 545; Goltz, Motivirrtum und
Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag – Rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung
des französischen, schweizerischen, italienischen und deutschen Rechts (1973); Harke, Das Irrtums-
recht des portugiesischen Código Civil, ZEuP 2003, 541; Jurcova/Csach, Unfair Contract Terms Pro-
tection in Slovakia, OER 2020, 163; Karasek-Wojciechowicz, Die Sanktionierung missbräuchlicher Ver-
tragsklauseln sowie die Vertragsrückabwicklung am Beispiel Polens, OER 2020, 129; Kötz, Die
Ungültigkeit von Verträgen wegen Gesetz- und Sittenwidrigkeit – Eine rechtsvergleichende Skizze, Ra-
belsZ 58 (1994), 209; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Kramer, Der Irrtum beim Ver-
tragsschluss (Zürich 1998); Lagarde, The Scope of the Applicable Law in the E.E.C. Convention in
North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Lebrecht, Richterliche

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 193.


2 Eine contra proferentem rule enthalten auch Art. 4.6 UNIDROIT-Principles 2016 sowie Art. II.-
8:103 DCRF.
3 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 808; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 25. –
S. bereits OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585
(Schiedsklausel nach schweiz. Recht); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 63; H. Schmidt
in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. § 305 BGB Rz. 32.
4 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 63.
5 LG Zweibrücken v. 5.3.1974 – 3 S 135/73, IPRspr. 1974 Nr. 148 = NJW 1974, 1060 (AGB des deut-
schen Kunden wurden nicht Vertragsbestandteil, weil der italien. Verkäufer die Gerichtsstands-
klausel nicht schriftlich bestätigt hatte; vgl. aber nunmehr Art. 25 Brüssel Ia-VO).

Martiny | 201
§ 3 Rz. 3.82 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Vertragsgerechtigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Eine Studie zum französi-


schen und zum deutschen Recht (2020). – Vgl. auch die Literatur vor Rz. 3.1.

I. Wirksamkeit des Vertrages


3.83 Die materielle Wirksamkeit des Vertrages unterliegt im Allgemeinen nationalem Recht. Das
Einheitskaufrecht spart die Frage aus (s. Rz. 25.30 ff.). Sie wird jedoch von den UNIDROIT-
Prinzipien 2016 (Rz. 3.1) angesprochen1, ferner gibt es Überlegungen dazu im Rahmen eines
künftigen europäischen Vertragsrechts2. Die Zulässigkeit bestimmter Vertragsklauseln ist für
Verbraucherverträge durch eine nach Art. 46b EGBGB zu beachtende europäische Richtlinie
angeglichen worden (s. Rz. 35.97).

3.84 Die materielle Wirksamkeit des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen beurteilen sich
nach dem Recht, das nach der Rom I-VO anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Be-
stimmung wirksam wäre (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO).

3.85 Mit materieller Wirksamkeit (material validity; validité au fond) ist der gesamte Bereich des
Vertragsschlusses gemeint, welcher nicht als Frage des Zustandekommens oder der Form ein-
geordnet werden kann. Zu diesem „inneren Konsens“ gehören insb. Willensmängel wie Irr-
tum, Drohung oder arglistige Täuschung. Auch ob ein Scheingeschäft vorliegt, entscheidet das
Schuldstatut3.

3.86 Zu beachten ist auch hier, dass Verweisungs- und Hauptvertrag zwei selbständige Verträge
sind (vgl. Rz. 2.15 ff.). Die Wirksamkeit des einen hängt nicht von der des anderen ab4.

II. Wirksamkeit des Verweisungsvertrages


3.87 Zur Wirksamkeit des Verweisungsvertrages heißt es in Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO:
„Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Einigung der Parteien über das anzuwendende
Recht finden die Artikel 10, 11 und 13 Anwendung.“

3.88 Die Verweisung in Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO, der Art. 3 Abs. 4 EVÜ entspricht, bezüglich der
Wirksamkeit der Einigung der Parteien (validity of the consent of the parties; validité du con-
sentement des parties) führt zu Art. 10 Rom I-VO. Diese Vorschrift erklärt ihrerseits für den
Hauptvertrag das Vertragsstatut für maßgeblich. Somit unterliegt insoweit auch die Rechts-
wahlvereinbarung diesem Statut5. Dies gilt etwa für eine Anfechtung wegen Irrtums oder arg-
listiger Täuschung6. Dabei ist unerheblich, ob die Rechtswahl nur eine Vertragsklausel des
Hauptvertrages bildet oder unabhängig von ihm geschlossen wird7. – Zum Zustandekommen
des Verweisungsvertrages s. Rz. 2.20 ff.

1 Art. 3.1.1 ff. UNIDROIT-Prinzipien 2016. – S. Belser, Jb.J.ZivRWiss 1998, 73 ff.


2 Dazu Art. II.-7:201 ff. DCFR. – S. schon Storme, Harmonisation of the law on (substantive) validi-
ty of contracts (illegality and immorality), FS Drobnig (1998), S. 195 ff.
3 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 24.
4 Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 45; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 25.
5 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001, 1051
(Anm. Eckert) (Isle of Man); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 294 (Stand 1.6.2021).
6 E. Lorenz, RIW 1992, 697 (701); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 294 (Stand
1.6.2021).
7 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 1.

202 | Martiny
B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.93 § 3

Die Regelung des Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO kann analog anzuwenden sein, wenn es sich um 3.89
einen Verweisungsvertrag auf einem anderen Gebiet, aber in einer von Art. 1 Rom I-VO aus-
geschlossenen Materie handelt (vgl. Rz. 1.87). So hat die Rechtsprechung schon früher die
nicht ausdrücklich zugelassene Rechtswahl für Order-Konnossemente gestattet1.

Welche Kriterien für eine stillschweigende Rechtswahl entscheidend sind, ist dagegen eine Fra- 3.90
ge, die dem Kollisionsrecht der lex fori überlassen bleibt. Sie ist in Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-
VO geregelt2, s. Rz. 2.282 ff.

III. Wirksamkeit des Hauptvertrages


Die Wirksamkeit des Hauptvertrages unterliegt dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der 3.91
Vertrag oder die in Frage stehende Vertragsklausel wirksam wäre, also dem Vertragsstatut.
Dies gilt gleichermaßen für Irrtum3, Drohung und arglistige Täuschung4. Art. 10 Abs. 1
Rom I-VO erfasst auch Fälle, in denen die Rechtsgültigkeit nur einer Vertragsklausel ange-
fochten wird5. Zur Wirksamkeit des Vertrages zählt auch das Widerrufsrecht des Verbrau-
chers. Es wird – vorbehaltlich der Sondervorschriften für Verbrauchergeschäfte – von Art. 10
Abs. 1 Rom I-VO erfasst6.

Die Anwendung der Vorschriften des Vertragsstatuts dient dem Entscheidungseinklang und 3.92
der Praktikabilität, weil sie gestattet, diese Frage nach dem gleichen Recht zu beurteilen, nach
dem auch die Vertragswirkungen und die Vertragsauslegung beurteilt werden. Den Vertrags-
parteien wird die Anwendung der Vorschriften des Vertragsstatuts am ehesten gerecht. Auch
jemandem, der gegen seinen Willen in einen Vertrag hineingeraten ist, ist zuzumuten, sich
zumindest in der Art und Weise der Beseitigung (Anfechtung) des Hauptvertrages nach dem
Recht dieses Vertrages zu richten7.

Eine Korrektur durch das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erklärenden erfolgt 3.93
nicht. Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO zielt auf Fälle ab, in denen das äußere Verhalten einer Person
betroffen ist. Die Vorschrift gilt daher lediglich für die Frage, ob überhaupt eine rechts-

1 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = RIW 1987, 215 (Wirksam-
keit der Rechts- und Gerichtsstandsklausel dem Recht Sri Lankas unterstellt).
2 E. Lorenz, RIW 1992, 697 (701); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 6 ff.
3 OLG Düsseldorf v. 9.6.1994 – 13 U 173/92, IPRspr. 1994 Nr. 35A = NJW-RR 1995, 1396 (Irrtum
nach türk. Recht); LG Bonn v. 20.1.1999 – 16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879;
Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 69.– Zum Irrtum nach belg. Recht, IPG 2009-
11 Nr. 11 (Köln).
4 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 = TranspR-IHR 1999, 37. Vgl. für
die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach span. Recht AG Wuppertal v. 12.6.1992 – 32 C
410/90, IPRspr. 1992 Nr. 36 = VuR 1993, 55 Anm. J. Schröder (zu wenig Kaschmir im Gewebe).
5 Vgl. zu Art. 8 EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60.
6 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (138) = ZIP 1997, 848 = IPRspr. 1997 Nr. 34;
Mankowski, RIW 1996, 386; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 24.
7 Kost, Konsensprobleme, S. 105 ff. – Ebenso schon OLG Frankfurt v. 24.6.1964 – 7 U 213/61,
IPRspr. 1964/65 Nr. 37 (Irrtumsanfechtung nach austral. Recht); OLG Oldenburg v. 5.11.1975 – 8
U 31/74, IPRspr. 1975 Nr. 15 (Nichtigerklärung des Vertrages nach niederländ. Bürgschaftsstatut);
LG Aurich v. 11.7.1973 – 2 O 751/70, IPRspr. 1973 Nr. 10 = AWD 1974, 282 (Anfechtung wegen
Irrtums nach deutschem Vertragsstatut).

Martiny | 203
§ 3 Rz. 3.93 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

geschäftliche Erklärung erfolgt ist, nicht für ihre Gültigkeit1. Zwar ist für Verträge mit Ver-
brauchern früher verschiedentlich anders argumentiert worden, insbesondere um ein Wider-
rufsrecht für Haustürgeschäfte zu begründen2. Die Wirksamkeit eines Vertrages kann jedoch
nicht unter Berufung auf das Umweltrecht in Frage gestellt werden3. – Zum Sprachrisiko
Rz. 3.24.

3.94 Die Regeln des deutschen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) und wegen
Täuschung und Drohung (§ 123 BGB) sind zwingendes Recht, hinter dem starke Billigkeits-
grundsätze stehen. Auf die Anwendung der §§ 119, 123 BGB in Fällen, in denen fremdes
Recht vereinbart ist, kann der deutsche Richter aber verzichten4.

3.95 Im Einzelnen bestehen bzgl. der Willensmängel freilich Unterschiede. Das englische Recht ist
z.B. trotz des Misrepresentation Act 1967 (c. 7) hinsichtlich der Beachtung des Geschäftsirr-
tums erheblich zurückhaltender als das deutsche Recht5. Das US-amerikanische Recht lässt im
Allgemeinen eine Lösung vom Vertrag wegen falscher Angaben (misrepresentation) und Arg-
list (fraud) zu6. Nach einigen Rechtsordnungen wird der Vertrag nicht schon durch einseitige
Willenserklärung, sondern grundsätzlich erst durch Gerichtsurteil vernichtet (vgl. Art. 1441 ff.
ital. c.c.)7. Ein solches Gestaltungsurteil kann auch ein deutsches Gericht erlassen, da es sich
um ein materiell-rechtliches Erfordernis handelt8.

3.96 Wenn das Vertragsstatut entsprechende Bestimmungen nicht kennt, so ist ausnahmsweise der
Einfluss von Irrtum, Drohung und Täuschung nach inländischem Recht zu beurteilen. Glei-
ches gilt, wenn das fremde Recht keine Vorschriften enthält, die den Mindesterfordernissen
zum Schutz des Bedrohten oder arglistig Getäuschten entsprechen. Die Anfechtung wegen
Drohung hängt, „auch bezüglich der Frage, welch einzelne Tatbestände durch sie erfasst wer-

1 Fischer, Verkehrsschutz, S. 341 f.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 247; Stürner
in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 15. Dagegen auch für die Bedeutung von Willensmängeln Thorn
in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5.
2 S. etwa LG Gießen v. 14.12.1994 – 4 O 528/93, IPRspr. 1994 Nr. 28 = IPRax 1995, 395 (m. abl.
Aufs. Mäsch, IPRax 1995, 371) = NJW 1995, 406 (m. abl. Aufs. Beise, NJW 1995, 1724) (Widerruf
eines Time-Sharing-Vertrages); LG Stuttgart v. 13.7.1995 – 19 O 21/95, IPRspr. 1995 Nr. 30 =
RIW 1996, 425 (m. abl. Anm. Mankowski, RIW 1996, 382) (Time-Sharing-Vertrag); LG Dort-
mund v. 31.1.1996 – 5 O 15/95, IPRspr. 1996 Nr. 28 = VuR 1996, 208 (m. Aufs. Mankowski, VuR
1996, 392) (Time-Sharing-Vertrag); Reich, VuR 1989, 158 (161). Abl. dazu Mankowski, RIW 1995,
364 (366).
3 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (138) = IPRspr. 1997 Nr. 34 = IPRax 1998,
285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 45; Stürner in
Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5, 13, 15. – Anders OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, NJW-
RR 1989, 1018 = IPRax 1990, 236 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216) (Verkauf von Bettwäsche
in Spanien nach span. Recht an deutsche Touristen. Das damalige AGBG angewendet).
4 So schon Wahl, Das Zustandekommen von Schuldverträgen und ihre Anfechtung wegen Willens-
mangel, RabelsZ 3 (1929), 775 (788 f.).
5 Vgl. Giesen, Zur Konstruktion englischer Vertragsvereinbarungen, JZ 1993, 16 ff.; Goodhart, Mis-
take and Frustration in English Contract Law, FS Simonius (1955), S. 99. Zur „innocent misrepre-
sentation“ nach kanad. Recht s. IPG 1984 Nr. 9 (Freiburg).
6 S. IPG 1975 Nr. 6 (Köln). Zu Irrtum und Täuschung in Florida s. IPG 1985/86 Nr. 13 (Passau).
7 Zu arglistiger Täuschung und Irrtum nach span. Recht s. IPG 1985/86 Nr. 9 (Freiburg); IPG 2003/
2004 Nr. 1 (Jena).
8 LG Hamburg v. 30.11.1977 – 5 O 104/77, IPRspr. 1977 Nr. 23 = RIW 1980, 517 (Erbbaurechtsver-
trag, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach italien. Recht); Hausmann in Staudinger,
Art. 10 Rom I Rz. 25.

204 | Martiny
B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.98 § 3

den, als Einrichtung zum Schutz des freien Willens so sehr mit den sittlichen Anschauungen
des heimischen Rechts zusammen, dass eine nicht unerhebliche Abweichung eines fremden
Rechts unerträglich erscheint“1. Art. 21 Rom I-VO greift aber nur dann ein, wenn die Be-
handlung der Willensmängel nach ausländischem Recht zu Ergebnissen führt, die mit wesent-
lichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sind2.

Grundsätzlich bestimmt das Vertragsstatut auch über die Zulässigkeit des Vertragsinhalts (zu 3.97
zwingenden Normen, insb. im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 und 4 und Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO,
s. aber Rz. 2.137 ff., Rz. 5.59 ff.). Dies ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, der ganz all-
gemein auf die Wirksamkeit des Vertrages abstellt. Als Nichtigkeitsgründe kommen vor al-
lem solche des Zivilrechts in Betracht3. Dies können etwa sein ein Verstoß gegen ein gesetzli-
ches Verbot4, Sittenwidrigkeit5, Übervorteilung (Läsion)6 oder Formmängel. Die Sittenwidrig-
keit wegen Missbrauchs der Privatautonomie betrifft in erster Linie das Verhältnis der Ver-
tragsparteien zueinander und ist auch anderen Rechtsordnungen bekannt; § 138 BGB ist keine
Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO7, vgl. Rz. 5.14 ff. Die Vorschrift ist früher aber
teilweise als Grundlage für eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischen Eingriffs-
rechts herangezogen worden8.

Ein auf Bestechung gerichteter Vertrag kann nach dem Vertragsstatut nichtig sein9. Bei der 3.98
Sittenwidrigkeitsprüfung nach deutschem Recht (§ 138 BGB) ist gegebenenfalls zu berücksich-
tigen, dass es sich um einen Auslandssachverhalt handelt, also die ausländischen sozialen Ver-

1 Wahl, RabelsZ 3 (1929), 775 (788).


2 Stürner/Hemler in BeckOGK, Art. 21 Rom I-VO Rz. 53 (Stand 1.10.2020). – Vgl. zum alten Recht
LAG Düsseldorf v. 6.12.1985 – 4 Sa 89/82, RIW 1987, 61 (Anfechtung eines Vergleichs mit dem
saudi-arab. Arbeitgeber wegen Drohung mit Ausweisung. Ordre public-Verstoß dahingestellt, da
widerrechtliche Drohung nicht bewiesen).
3 Zur Nichtigkeit nach franz. Recht Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (42 ff.).
4 Vgl. OLG Celle v. 24.10.1989 – 16 U 77/87, IPRspr. 1989 Nr. 196 = RIW 1990, 320 (Angabe fal-
schen Rechtsgrundes gem. Art. 1276 span. c.c.); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 157 ff. – S. auch OLG Köln v. 27.11.1991 – 2 U 23/91, IPRspr. 1991 Nr. 48 = OLGZ 1993, 193
(Weiterverkauf von Fußballkarten).
5 BGH v. 24.7.2003 – IX ZR 131/00, NJW 2003, 3486 = IPRax 2005, 150 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax
2005, 125; Staudinger, IPRax 2005, 129) = IPRspr. 2003 Nr. 200 (Anwaltshonorar); Kegel/Schurig,
S. 611; BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, NJW 2018, 2412 = ZIP 2018, 1455 (Grundstücksgeschäft);
Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 149; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 3. – Zu den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach poln. Recht IPG 2007/
2008 Nr. 7 (Köln).
6 LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95, IPRspr. 1997 Nr. 31 (Türkei); Hausmann in Staudin-
ger, Art. 10 Rom I Rz. 30.– Zum Lösungsrecht nach italien. Recht IPG 2012-14 Nr. 6 (München),
nach Art. 21 schweiz. OR, IPG 2012-14 Nr. 14 (Hamburg).
7 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 226 (Stand 1.2.2021).– So zu Art. 34 EGBGB BGH
v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (139) = IPRspr. 1997 Nr. 34 = IPRax 1998, 285 (m.
Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263) = NJW 1997, 1697 = Rev.crit.d.i.p. 87 (1998), 610 Anm. Lagarde =
RIW 1997, 875 (Time-Sharing-Vertrag nach dem Recht der Isle of Man).
8 Dazu Roth, AcP 220 (2020) 458 (521 f.).
9 OLG Hamburg v. 8.2.1991 – 1 U 134/87, NJW 1992, 635 = RIW 1993, 327 (strafbare Bestechung
nach syr. Recht). S. auch Piehl, Bestechungsgelder im internationalen Wirtschaftsverkehr (1991);
Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht: eine Studie zu den rechtsgeschäftlichen Auswirkungen
der Korruption im internationalen Rechtsverkehr (2014); Weller, Perspektiven des Europäischen
Kollisionsrechts: private enforcement durch internationales Privatrecht? Wirkungen von Korrupti-
on auf internationale Verträge, GewArch Beilage WiVerw Nr. 2/2014, S. 130.

Martiny | 205
§ 3 Rz. 3.98 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

hältnisse anders sind1. Diese Berücksichtigung der ausländischen Rechtswirklichkeit ist frei-
lich kein Freibrief für vom deutschen Recht gedeckte Korruption2. Der BGH hat versucht, der
Vermittlung von Regierungsaufträgen durch Bestechungsgelder dadurch einen Riegel vor-
zuschieben, indem er die entsprechende Vereinbarung für nichtig erklärte. Das Fordern und
Entgegennehmen von Bestechungsgeldern durch ausländische Amtsträger sei jedenfalls inso-
weit zu missbilligen, als diese dadurch gegen die Rechtsordnung ihres Heimatlandes verstie-
ßen. Die Verletzung solcher Rechtsnormen bedeute auch eine Verletzung allgemein gültiger
sittlicher Grundsätze3. Nunmehr ist zu berücksichtigen, dass die Regeln zur Korruptions-
bekämpfung verschärft worden sind4.

3.99 Die Nichtigkeitsfolgen unterliegen nach Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO ebenfalls dem Ver-
tragsstatut (zur Bereicherung s. Rz. 4.17 ff.). Dieses Recht regelt daher auch die Rückabwick-
lung eines Schuldverhältnisses5. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich um vertrags-
rechtliche oder außervertragliche Ansprüche handelt6. Es ist anzunehmen, dass die Rom I-VO
insoweit im Verhältnis zur Rom II-VO lex specialis ist, s. Rz. 4.20.

3.100 Ist eine bestimmte Vertragsgestaltung nach dem Vertragsstatut unwirksam, so richtet sich die
Möglichkeit einer Umdeutung in ein erlaubtes Geschäft bzw. zulässigen Vertragstyp nach den
Regeln dieses Rechts7. Es bestimmt auch, ob die Unwirksamkeit einzelner Klauseln den gan-
zen Vertrag nichtig macht8.

IV. Gläubigeranfechtung
Literatur: Hohloch, Gläubigeranfechtung international, IPRax 1995, 306; Jung, Die nationale und in-
ternationale Gläubigeranfechtung nach deutschem und französischem Recht (2005); Koch, Gläubige-
ranfechtung der Schenkung eines ausländischen Grundstücks, IPRax 2008, 417; Kubis, Internationale
Gläubigeranfechtung, IPRax 2000, 501; Schmidt-Räntsch, Die Anknüpfung der Gläubigeranfechtung
außerhalb des Konkursverfahrens (1984); Schwind, Auf der Suche nach einem allgemeinen Anfech-
tungsstatut, IPRax 1986, 249.

1 OLG Hamburg v. 5.10.1979 – 11 U 190/78, IPRspr. 1979 Nr. 2A = ZIP 1980, 1088 (Die von einem
Schiedsgericht angenommene Verpflichtung, im Iran Schmiergelder einzusetzen, um einen vorzei-
tigen Löschplatz zu erhalten, verstieß nicht gegen den deutschen ordre public).
2 S. nunmehr auch das OECD-Übk. zur Bekämpfung der Bestechung ausländ. Amtsträger v.
17.12.1997 und das deutsche Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) v.
10.9.1998, BGBl. II 1998, 2327. – Dazu Krause/Vogel, Bestechungsbekämpfung im internationalen
Geschäftsverkehr, RIW 1999, 488; Raeschke-Kessler, Korruption und internationales Vertragsrecht,
FS Lüer (2008), S. 39.
3 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268 = RIW 1985, 653 (abl. Anm. Knapp, RIW 1986,
999) = IPRax 1987, 110 (Anm. Fikentscher/Waibl, IPRax 1987, 86) (Provisionsvereinbarung über
die Vermittlung von Regierungsaufträgen in Nigeria für sittenwidrig erklärt).
4 S. Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen v. 31.10.2003 gegen Korruption v.
27.10.2014, BGBl. II 2014, 762.
5 Vgl. Stürner in Erman, Art. 12 Rom I Rz. 17.
6 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (328); Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 78.
7 Vgl. BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, ZIP 1984, 1405 = RIW 1985, 154 (Umdeutung des Trust
in Treuhänderbestellung). Die Maßgeblichkeit von Art. 10 Rom I-VO im Zusammenhang mit
Willensmängeln betont Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 4.
8 BGH v. 23.7.1997 – VIII ZR 134/96, IPRspr. 1997 Nr. 43 = NJW 1997, 3309 (Kartellrechtsverstoß);
OLG Hamm v. 15.11.1994 – 29 U 70/92, IPRspr. 1995 Nr. 185 = RIW 1995, 681 (682).

206 | Martiny
C. Vertragsauslegung | Rz. 3.102 § 3

Bei der Gläubigeranfechtung nach dem AnfG und entsprechenden Einrichtungen des auslän- 3.101
dischen Rechts (actio pauliana) geht es zum einen um die Benachteiligung des Gläubigers,
zum anderen aber um ein bestimmtes rechtsgeschäftliches Handeln des Schuldners gegen-
über Dritten1. Nach § 19 AnfG kommt es auf das Recht an, dem die Wirkungen der angefoch-
tenen Rechtshandlung unterliegen. Dies entspricht dem Statut des angefochtenen Erwerbs-
aktes2. Rück- und Weiterverweisung dürften nicht ausgeschlossen sein3.

Soweit für den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen auf das dingliche Geschäft abgestellt 3.102
wird und zudem ein späterer Statutenwechsel berücksichtigt werden soll4, führt dies im Ergeb-
nis zur jeweiligen Belegenheit. Da das Anfechtungsrecht aber vom Bestehen einer geschützten
Forderung abhängt und deren Befriedigung dient, war nach a.A. das für den Anspruch des
Gläubigers maßgebliche Recht signifikanter5. Früher nannte die Rechtsprechung als mögli-
chen Anknüpfungspunkt neben der Gläubiger-Schuldner-Beziehung noch den Sitz des
Schuldners, der den Mittelpunkt seines Vermögens bildet6, oder stellte auf die „wesentlichen
Verhältnisse“ ab7. In Österreich wurde auf den Ort der Befriedigungsverletzung abgestellt8. –
Zur Insolvenzanfechtung s. § 339 InsO.

C. Vertragsauslegung

Literatur: Andrews, „The devil is in the detail“: Procedural and substantive aspects of the interpreta-
tion of written contracts in England, FS Gottwald (2014), S. 23; Baaij/Cabrelli/Macgregor (Hrsg.), In-
terpretation of commercial contracts in European private law (2020) (England, Finnland, Frankreich,
Griechenland, Italien, Kroatien, Niederlande, Polen, Portugal, Schottland, Schweden, Spanien, Südafri-
ka); Ferrari, Le juge national et l´interprétation des contrats internationaux, Rev.int.dr.comp. 53
(2001), 29; von Hoffmann, Zur Auslegung von Formularbedingungen des internationalen Handelsver-
kehrs, AWD 1970, 247; Kötz, Vertragsauslegung – eine rechtsvergleichende Skizze in FS Zeuner
(1994), S. 219; Lando, The Interpretation of Contracts in the Conflict of Laws, RabelsZ 38 (1974), 388;
Magnus, Fremdsprachige Verträge unter deutschem Vertragsstatut in FS Schwenzer (2011), S. 1153;

1 Näher Junker in MünchKomm, Art. 1 Rom II-VO Rz. 19 f. – Zum französ. Recht IPG 2005/2006
Nr. 1 (Saarbrücken).
2 OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs. Koch, IPRax
2008, 417) (Grundstücksschenkung und -übertragung nach österreich. Recht); Kubis, IPRax 2000,
506; Schmidt-Räntsch, S. 129 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 1 Anh. III Rom I Rz. 19. – S. auch
OLG Düsseldorf v. 25.8.1999 – 12 U 186/94, IPRspr. 1999 Nr. 33 = IPRax 2000, 534 (m. Aufs.
Kubis, IPRax 2000, 501) (Deutscher Darlehensnehmer übertrug Grundstück auf Ibiza nach span.
Recht auf seinen Sohn. Gläubigeranfechtung nach span. Recht beurteilt).
3 OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436.
4 So Hohloch, IPRax 1995, 306 (309).
5 So auch LG Berlin v. 22.6.1994 – 28 O 588/93, IPRspr. 1994 Nr. 42 = NJW-RR 1994, 1525 = IPRax
1995, 323 (m. abl. Aufs. Hohloch, IPRax 1995, 306).
6 S. näher BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (322) = IPRspr. 1980 Nr. 41 = IPRax
1981, 130 (m. Aufs. Großfeld, IPRax 1981, 116); Hanisch, ZIP 1981, 569 ff. Unentschieden auch
LG Hamburg v. 11.7.1991 – 302 O 83/91, IPRspr. 1991 Nr. 56 = ZIP 1991, 1507 = EWiR 1992, 315
(Henckel); IPG 1987/88 Nr. 50 (Passau).
7 BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 196/97, IPRspr. 1998 Nr. 229 = NJW 1999, 1395 (1396).
8 ÖOGH v. 27.2.1985 – 3 Ob 584/84, ÖJZ 1985, 724 = IPRax 1986, 244 (m. Aufs. Schwind, IPRax
1986, 249) (Unter Berufung auf die stärkste Beziehung des § 1 IPRG auf den Ort der Liegenschaft
abgestellt. Trotz deutschen Wohnsitzes der Beteiligten österreich. Recht angewendet). Auf den Ort
des Schaden verursachenden Verhaltens stellt ab Schwind, IPRax 1986, 251.

Martiny | 207
§ 3 Rz. 3.102 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Maier-Reimer, Vertragssprache und Sprache des anwendbaren Rechts, NJW 2010, 2545; Sandrock, Zur
ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht (1966);
Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in AGB nach englischem und internationalem Privatrecht
(1977); Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999); Smits,
Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 121; Spagnolo, Contract interpretation, in DiMatteo/Janssen/Magnus/
Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 739; Triebel, Auslegung von Rückversiche-
rungsbedingungen in englischer Sprache bei Geltung deutschen Rechts in Liber amicorum Winter
(2007), S. 619; Triebel/Balthasar, Auslegung englischer Vertragstexte unter deutschem Vertragsstatut,
NJW 2004, 2189; Triebel/Vogenauer, Englisch als Vertragssprache, 4. Aufl. 2021; Vogenauer, Auslegung
von Verträgen in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privat-
rechts I (2009), S. 135; Weick, Zur Auslegung von internationalen juristischen Texten in Freundesgabe
Söllner (1990), S. 607.

I. Rechtswahl
3.103 Auf die Auslegung des Verweisungsvertrages (Rz. 2.15 ff.) selbst ist nicht das von Art. 12 Abs. 1
lit. a Rom I-VO bezeichnete Recht (lex causae) anzuwenden, da es ja gerade um dessen Geltung
geht. Eine Lösung besteht darin, die lex fori anzuwenden, soweit es sich um die Frage handelt, auf
welches Recht überhaupt verwiesen wird, weil in diesem Fall das Vertragsstatut noch nicht fest-
steht1. Vorzugswürdig ist allerdings – soweit möglich – die Entwicklung einheitlicher Auslegungs-
maßstäbe, die auf Parteiwille und Üblichkeit Rücksicht nehmen, aus der Rom I-VO heraus2.

3.104 Wie die Rechtsprechung schon früher annahm3, sind die Regeln der lex fori insoweit anzu-
wenden, als es um die Frage geht, ob eine Rechtswahl vorliegt und auf welches Recht über-
haupt verwiesen wurde4. Für die Art. 3 ff. Rom I-VO ist aber ein einheitlicher Auslegungs-
maßstab zu entwickeln5. Richtet sich eine Rechtswahl auf „europäisches“ Recht, obwohl dieses
bezüglich des Vertragsgegenstandes noch nicht vereinheitlicht wurde, so ist die am nächsten
berührte Rechtsordnung gewählt. Das kann auch das deutsche Recht sein6. Bezieht sich die
Rechtswahl lediglich auf „amerikanisches“ Recht, ohne die jeweilige Teilrechtsordnung zu be-
zeichnen (vgl. Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO), so ist die Rechtswahl deswegen nicht nichtig, son-
dern auslegungsfähig (Rz. 2.306)7.

3.105 Für die Auslegung des Verweisungsvertrages gilt im Übrigen der Grundsatz, dass ein schuld-
rechtlicher Vertrag hinsichtlich sämtlich damit zusammenhängender Fragen möglichst einer
einzigen Rechtsordnung zu unterwerfen ist. Zu einer Teilverweisung (Rz. 2.38 ff.) kommt es
nur ausnahmsweise8.

1 v. Hoffmann in Soergel, Art. 27 EGBGB Rz. 34. – Anders v. Bar, IPR II (1991) Rz. 539 Fn. 596 (die
möglicherweise gewählte lex causae). – Unentschieden OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91,
RIW 1993, 934.
2 Leible in Ferrari/Leible, S. 41 (42 f.). – Allein für verordnungsautonome Auslegung von Hein in
Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 9; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 66.
3 RG v. 20.2.1929 – I 203/28, IPRspr. 1929 Nr. 35 (Seeversicherung. Das Formular verwies auf ita-
lien., ein handschriftlicher Zusatz auf französ. Recht. Deutsches Recht entschied, dass der Zusatz
[und mithin französ. Recht] galt).
4 Ferrari in Magnus/Mankowski, Art. 12 Rome I Rz. 12; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 28.
5 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–048; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 66.
6 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 (deutsch-chines. Vertriebsvertrag).
7 OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, IPRspr. 2000 Nr. 175 = NJW-RR 2000, 1367. Dazu auch
Jayme/Kohler, IPRax 2001, 512. – Vgl. auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 48.
8 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 74 ff. – S. bereits BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69,
BGHZ 57, 337 = IPRspr. 1971 Nr. 11 = NJW 1972, 385 (Anm. Jayme, NJW 1972, 1618).

208 | Martiny
C. Vertragsauslegung | Rz. 3.111 § 3

II. Hauptvertrag (Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO)


Zur Auslegung bestimmt Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO1, dass das nach der Verordnung auf 3.106
einen Vertrag anzuwendende Recht insb. für seine Auslegung maßgebend ist.

Die Auslegung eines Schuldvertrages gehört zum Geltungsbereich des auf den Vertrag anzu- 3.107
wendenden Rechts (lex causae)2. Die Vereinbarung eines eigenständigen Auslegungsstatuts
durch teilweise Rechtswahl ist zwar möglich, aber nur ausnahmsweise anzunehmen3. Ein
deutsches Gericht ist gehalten, die Vorschriften und Grundsätze des ausländischen Rechts
von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Wendet es stattdessen einfach die Grundsätze
der deutschen lex fori an oder lässt es nicht erkennen, ob es deutschem oder ausländischem
Recht folgt, so liegt ein Revisionsgrund vor4. Die in- und ausländischen Auslegungsmethoden
sind nicht immer deckungsgleich. Abweichungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Bin-
dung an den Wortlaut einer Erklärung sowie bezüglich des Heranziehens von außerhalb einer
Urkunde liegenden Umständen.

Folgt die Auslegung einer Urkunde ausländischem Recht, so unterliegt dessen Auslegung und 3.108
Anwendung allerdings nicht der revisionsgerichtlichen Überprüfung (§ 545 Abs. 1, § 560
ZPO)5. Wohl aber kann sich aus deutschem Verfahrensrecht eine Pflicht des Gerichts ergeben,
sich bei der Auslegung einer in einer fremden Sprache abgefassten Vertragsklausel sachver-
ständig beraten zu lassen. Beruht ein Urteil auf einem entsprechenden Verfahrensmangel,
kann das zur Aufhebung führen6.

Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass „Auslegungsregeln“ häufig nicht lediglich der 3.109
Erforschung des wahren Parteiwillens dienen. Englische Gerichte lieben es z.B., bestimmte
Rechtsfolgen, die sie an Verträge zu knüpfen für richtig halten, als von den Parteien still-
schweigend vereinbart anzusehen (implied terms)7. Dies wird als Auslegungsregel ausgegeben,
in Wirklichkeit handelt es sich um Fragen der Vertragswirkung8.

Im englischen Recht werden der „ejusdem-generis-Regel“ folgend allgemein gefasste Haftungs- 3.110
ausschlussklauseln (wie z.B. „causes of any kind“) sehr eng ausgelegt; so werden die Parteien –
oder derjenige, der das Formular entwirft – zu genauer Aufzählung gezwungen.

Wenn weiterhin das englische Recht nicht gestattet, einen vorvertraglichen Briefwechsel zur 3.111
Auslegung einer Vertragsurkunde heranzuziehen, so zwingt es die Parteien, sich in der Ur-

1 Dies entspricht Art. 10 Abs. 1 lit. a EVÜ bzw. Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB.
2 OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585 (Schieds-
gerichtsvereinbarung); AG Geldern v. 17.8.2011 – 4 C 27/09, IPRspr. 2011 Nr. 44 = IHR 2012, 190
Anm. Piltz (Preisabrede nach niederl. Recht); AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C 260/96, IPRspr.
1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524 (niederländ. AGB); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12
Rom I-VO Rz. 14.
3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 35.
4 BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248.
5 BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, ZIP 2013, 2173 = NJW 2013, 3656.
6 BGH v. 16.10.1986 – III ZR 121/85, NJW 1987, 591.
7 Vgl. Giesen, Zur Konstruktion englischer Vertragsvereinbarungen, JZ 1993, 16 (19).
8 S. Joseph Constantine S. Line v. Imperial Smelting Corp., [1942] AC 154 (House of Lords): „In
short, in ascertaining the meaning of the contract and its application to the actual occurences, the
court has to decide, not what the parties actually intended, but what as reasonable men they
should have intended.“

Martiny | 209
§ 3 Rz. 3.111 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

kunde selbst vollständig und klar auszudrücken1. Auch die Reichweite der US-amerikanischen
parol evidence-Rule unterliegt dem Vertragsstatut2. Danach dürfen zur Auslegung eines
Schriftstücks außerhalb der Urkunde liegende Umstände nicht berücksichtigt werden, wenn
das Schriftstück die vollständigen Abreden enthält und der Wortlaut unzweideutig ist (s.
Rz. 1.157).

3.112 Die gleichen „Auslegungsregeln“ können allgemeine Lieferbedingungen enthalten. Hiernach


muss der Vertrag schriftlich geschlossen sein. Die gesamte vorvertragliche Korrespondenz
wird ungültig und darf nicht zur Auslegung unklarer Vertragsbedingungen herangezogen wer-
den3. Dem Vertragsstatut folgt auch die Regel, wonach Unklarheiten zu Lasten des Verfassers
einer formularmäßigen Vertragsbestimmung gehen4 (vgl. Rz. 3.80). – Es gibt auch Bestrebun-
gen, die Regeln über die Auslegung internationaler Schuldverträge zu vereinheitlichen5.

III. Sprachgebrauch
3.113 Ist ein bestimmtes Recht Schuldstatut, so heißt dies noch nicht, dass sich die Bedeutung einer
Wortfassung notwendigerweise nach dem Sprachgebrauch im Geltungsbereich dieses Rechts
beurteilt. Die gleichen Worte können in verschiedenen Gebieten durchaus Verschiedenes be-
deuten. So heißt „to ship“ im englischen Sprachgebrauch „to place on board“, im amerikani-
schen aber sowohl „to load on a train“ als auch „to place on board“6.

3.114 Insbesondere kann dann, wenn in Vertragsbedingungen aus einer anderen Rechtsordnung
stammende Begriffe verwendet werden, dieser fremde Hintergrund berücksichtigt werden7.
Das Reichsgericht hat wiederholt in Fällen, in denen es den Vertrag nach deutschem Recht
beurteilte, die Bedeutung bestimmter englisch-sprachiger Klauseln zutreffend nach eng-
lischem Wortgebrauch beurteilt8.

1 St. Pierre v. South American Stores, [1937] 3 All E.R. 349 (C.A.) (Engl. Gesellschaft schloss mit
einem in Paris domizilierten Chilenen einen Pachtvertrag über chilen. Grundstücke und unter-
stellte diesen Vertrag chilen. Recht („all parties to the lease elected domicile in Chile“). Mit Recht
wurde in diesem Fall die erwähnte „Auslegungsregel“ nicht angewandt und die Verwendung vor-
vertraglicher Korrespondenz zugelassen, wie dies auch das chilen. Recht erlaubt.
2 OLG München v. 25.1.2001 – 6 U 2684/96, IPRspr. 2001 Nr. 25 = RIW 2001, 864 (kaliforn. Recht);
OLG Düsseldorf v. 24.1.2006 – 20 U 59/05, IPRspr. 2006 Nr. 93 = ZUM 2006, 326 (Urheberrechts-
vertrag nach New Yorker Recht); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 20.
3 Pfuhl, ROW 1958, 1 (2).
4 OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585 (Schiedsklausel
nach schweiz. Recht).
5 S. Art. 4.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016.
6 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11.
7 OLG Hamburg v. 22.12.1994 – 6 U 71/94, IPRspr. 1994 Nr. 57 = VersR 1996, 229 („condition“
nach engl. Versicherungsrecht); LG Hamburg v. 23.4.1954 – 62 O 31/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 34 =
MDR 1954, 422 (Schiffsmaklervertrag deutschem Recht unterstellt. Das in engl. Sprache gehaltene
Vertragsformular wurde aber nach engl. Recht ausgelegt); Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I-
VO Rz. 30; Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 13 (Stand 1.10.2020).
8 RG v. 22.5.1897 – I 451/96, RGZ 39, 65 (67) (Penalty clause in Chartervertrag Warnemünde-Lon-
don. Verpflichtung des Charterers unterlag deutschem Recht, aber: „Gerade dieser Satz aber nötigt
dazu, für die Ermittlung der Bedeutung und Tragweite der einzelnen Klauseln der Charterpartie
auf die englische Rechtsauffassung zurückzugehen.“); RG v. 24.3.1909 – I 196/08, RGZ 71, 9 (Koh-
lentransport von Schottland nach Frankreich. Das Recht des französ. Bestimmungshafens be-
herrschte die Konnossemente. Die Klausel „current price“ aber wurde nach engl. Sprachgebrauch
ausgelegt. Ebenso wurde für die Klausel „freight and all other conditions as per charterparty“ der

210 | Martiny
D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.119 § 3

Der Grundsatz, dass fremdsprachige Begriffe im Lichte einer fremden Rechtsordnung zu ver- 3.115
stehen sind, wird dann durchbrochen, wenn die Vertragsparteien mit dem Begriff überein-
stimmend etwas anderes verbunden haben1. Bei der Wahl der englischen Sprache (etwa in
einem Formular) ist problematisch, dass die Parteien möglicherweise nicht Begriffsinhalte des
englischen Rechts inkorporieren wollen, sondern nur Vorstellungen insb. des deutschen
Rechts in der Fremdsprache Englisch ausdrücken wollen. Daher ist Zurückhaltung geboten,
wenn die Vertragspartner aus einem anderen als dem anglo-amerikanischen Rechtskreis
stammen2. Für das deutsche Recht wird teilweise dafür plädiert, bei der Auslegung vorrangig
den Hintergrund und die Sprachkenntnisse der Parteien zu berücksichtigen3. Auf diesem
Wege sollte aber keine zusätzliche Unsicherheit geschaffen werden.

D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche

I. Schuldrechtliche Wirkungen
Das Vertragsstatut regelt den Inhalt des Vertrages, bestimmt also die Rechte und Pflichten der 3.116
Parteien. Grundsätzlich beansprucht das für den ganzen Vertrag bzw. den maßgeblichen Teil
geltende Vertragsstatut umfassende Geltung. Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO, der einige Fragen be-
sonders nennt, enthält – wie aus der Formulierung „insbesondere“ deutlich wird – nur eine
beispielhafte Aufzählung4. Das Vertragsstatut bestimmt grundsätzlich,
– was zu leisten ist (vertragsgemäße Erfüllung), 3.117
– wer zu leisten hat (richtiger Schuldner),
– an wen zu leisten ist (richtiger Gläubiger),
– wann zu leisten ist (Fälligkeit),
– an welchem Ort zu leisten ist (Erfüllungsort).

Vielen Rechtsordnungen ist die deutsche Einteilung in kausale und abstrakte Rechtsgeschäf- 3.118
te unbekannt oder sie wird dort im Einzelfall anders getroffen. Daher muss das Schuldstatut
darüber entscheiden, ob ein Rechtsgeschäft kausal oder abstrakt ist5.

Soweit ein Vertrag auch sachenrechtliche Wirkungen äußert, bestimmen sie sich grundsätz- 3.119
lich nach der lex rei sitae (s. Rz. 25.140 ff., Rz. 21.28 ff.). Die vertragliche Rechtswahl gilt
grundsätzlich nur für das Verpflichtungsgeschäft. Dagegen kann das Erfüllungsgeschäft (ins-

engl. Sprachgebrauch herangezogen); RG v. 7.11.1928 – I 159/28, RGZ 122, 233 = IPRspr. 1929
Nr. 32 (Auf Seeversicherungsvertrag deutsches Recht angewendet. Die „Institute Time Clauses“
wurden aber nach der engl. Praxis ausgelegt).
1 OLG München v. 22.9.1993 – 7 U 2175/93, IPRspr. 1993 Nr. 48 = TranspR 1993, 433 („Indemnity
clause“ in Seefrachtvertrag). Vgl. auch OLG Frankfurt v. 10.1.2001 – 23 U 77/95, IPRspr. 2001
Nr. 23 („Caparra confirmatoria“ als Anzahlung).
2 Näher Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 33 ff.
3 Triebel/Vogenauer, Rz. 560 ff.; Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 42l ff.
4 Ebenso Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 21.
5 So etwa Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7. Ebenso Kegel/Schurig, S. 761 für die Schuld-
übernahme.

Martiny | 211
§ 3 Rz. 3.119 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

besondere eine Rechtsübertragung) als solches einer anderen Rechtsordnung unterliegen als
das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft1.

II. Vertragstyp
3.120 Ist das anwendbare Recht bestimmt, so entscheidet das Vertragsstatut auch, welchem Ver-
tragstyp die Vereinbarung sachrechtlich zuzuordnen ist2. Danach ist beispielsweise zu ermit-
teln, ob es sich um Kauf, Werkvertrag oder Werklieferungsvertrag handelt3.

3.121 Die Ermittlung des Vertragstyps setzt oft eine Auslegung des Vertrages voraus (dazu
Rz. 3.103 ff.). Von der Bestimmung des Vertragstyps nach dem anzuwendenden Recht ist die
Qualifikation im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu unterscheiden (s. Rz. 2.189 ff.).

III. Handelsrecht
Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Magnus, Die Gestalt eines Europäischen
Handelsgesetzbuches, FS Drobnig (1998), S. 57; Unidroit, Principles of International Commercial
Contracts (Rom 2016).
Literatur zum ausländischen Recht/zur Rechtsvergleichung: Assmann/Bungert, Handbuch des US-
amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts I (2001); Baum (Hrsg.), Handbuch ja-
panisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2011); Elsing/Van Alstine, US-amerikanisches Handels-
und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Fischer/Fischer, Spanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl.
2005; Fischler/Vogel, Schwedisches Handels- und Wirtschaftsrecht mit Verfahrensrecht, 3. Aufl. 1978;
Gotzen, Niederländisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2000; Heinemann/Peeters, Belgi-
sches Handels- und Wirtschaftsrecht (1999); Kindler, Italienisches Handels- und Wirtschaftsrecht,
2. Aufl. 2014; Kort, Zum Begriff des Kaufmanns im deutschen und französischen Handelsrecht, AcP
193 (1993), 453; Kuglarz, Handels- und Unternehmensrecht in Polen in Horn/Pleyer (Hrsg.), Han-
delsrecht und Recht der Kreditsicherheiten in Osteuropa (1997), S. 6; Löber/Wicke/Huzel, Handels-
und Wirtschaftsrecht in Spanien, 2. Aufl. 2008; Marek/Bohata, Quellen des tschechischen Handels-
rechts, WiRO 2003, 39; Nelson, (Hrsg.), Digest of Commercial Laws of the World, 7 Bde. (Dobbs Fer-
ry, N.Y.; Loseblatt); Scheftelowitz, Israelisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1984); Schmidt-Tedd,
Kaufmann und Verbraucherschutz in der EG (1987); Schütze, Handels- und Wirtschaftsrecht von Sin-
gapur und Malaysia (1987); Schwarz/Pálinkás, Neues tschechisches Handelsgesetzbuch in der Praxis,
RIW 2001, 273; Sester, Brasilianisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2021; Sonnenberger/
Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008; Vogenauer (Hrsg.), Englisches
Handels- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2021; Wagner/Demühl/Plüss, Handels- und Wirtschaftsrecht
in der Schweiz und in Liechtenstein, 3. Aufl. 2006; Wagner/Mann, Die Kaufmannseigenschaft auslän-
discher Parteien im Zivilprozess, IPRax 2013, 122; Weber/Barbukova/Geiling, Tschechisches Handels-
recht, 6. Aufl. (Prag 1996).

1 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr. 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455 (Auf Übertragung
eines Warenzeichens französ., auf das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft deutsches Recht
angewendet). Vgl. Merkt, Internationaler Unternehmenskauf durch Erwerb der Wirtschaftsgüter,
RIW 1995, 533 (534 f.).
2 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7.
3 S. etwa BGH v. 27.4.1977 – VIII ZR 184/75, IPRspr. 1977 Nr. 17 = WM 1977, 793 (794) (Kauf
oder Kommissionsvertrag nach türk. Recht); OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr.
1988 Nr. 163 = MDR 1989, 360 = IPRax 1990, 105 (m. Aufs. Prinzing, IPRax 1990, 83) (Kauf-
oder Werklieferungsvertrag nach schweiz. Recht); LG Karlsruhe v. 28.5.1982 – 7 O 429/80, IPRspr.
1982 Nr. 15A = RIW 1982, 668 (französ. Vertragsstatut; Handelsvertreter- oder Vertragshändler-
vertrag); LG Aschaffenburg v. 5.7.1983 – 1 HKO 162/80, IPRspr. 1983 Nr. 44 = TranspR 1984, 82
Anm. Trappe (italien. Vertragsstatut; Löschen einer Ladung durch Seehafenspediteur).

212 | Martiny
D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.125 § 3

Nach dem Vertragsstatut richtet sich grundsätzlich, ob handelsrechtliche Sondervorschriften 3.122


anzuwenden sind1. In der EU verfügen einige Länder wie Deutschland über eine eigenständige
Handelsrechtskodifikation (Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg). In Österreich gilt
seit 1.1.2007 das Unternehmensgesetzbuch (UGB). Andere Staaten haben eine ursprünglich vor-
handene eigene Kodifikation aufgegeben (Italien, Niederlande) bzw. sind auf dem Wege dazu.
Schließlich besitzen manche Länder keine gesonderte Handelsrechtskodifikation (Dänemark,
Großbritannien, Polen, Schweiz, Ungarn)2. Trotz Fehlens einer handelsrechtlichen Kodifikation
kann aber gleichwohl der Kaufmannsbegriff Verwendung finden3. In den Vereinigten Staaten gilt
der Uniform Commercial Code, der – mit mehr oder weniger großen Abweichungen – von allen
Einzelstaaten (außer Louisiana) übernommen worden ist4. Er hat insbesondere für das Kaufrecht
und die Kreditsicherung Bedeutung.– Zu ausländischen Handelsgesellschaften s. Rz. 6.187 ff.
Setzen handelsrechtliche Vorschriften die Kaufmannseigenschaft voraus, so ist zu entschei- 3.123
den, wie diese anzuknüpfen ist. Diese Frage ist außerordentlich umstritten5. Vielfach wird ein
eigenes Sachstatut gebildet und es wird auf das Recht am Ort der gewerblichen Niederlassung
des Betroffenen abgestellt6.
Diese Anknüpfung ist insofern zweifelhaft, als es um die Anwendung besonderer Rechtssätze 3.124
des Vertragsstatuts geht und sich die Kaufmannsbegriffe der verschiedenen Rechtsordnungen
keineswegs entsprechen. Abweichende Maßstäbe des Niederlassungsrechts können zu Spannun-
gen mit dem Vertragsstatut führen. Daher kann man nicht einfach dem Handelsrecht eines be-
stimmten Sachrechts den Kaufmannsbegriff einer anderen Rechtsordnung vorschalten. Schließ-
lich würde niemand an eine Sonderanknüpfung denken, wenn eine Rechtsordnung bestimmte
Aktivitäten – ohne Verwendung des Kaufmannsbegriffs – einfach beschreibt und besonderen
Regeln unterwirft. Daher dürfte vom Vertragsstatut auszugehen und sodann zu prüfen sein, ob
die Kaufmannseigenschaft des Niederlassungsortes derjenigen der lex causae entspricht7. Bei
ausländischer Eintragung im Handelsregister muss das Vertragsstatut entscheiden, ob dies einer
von ihm verlangten Eintragung funktional äquivalent ist8. Andernfalls wird die Berufs- oder Ge-
werbeausübung nach der lex causae beurteilt. Auch dies wird jedoch bezweifelt; eine einheitliche
Regel für die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft lasse sich nicht ermitteln9.
Zum Handelsbrauch vgl. Rz. 25.99. 3.125

1 Augenhofer in Calliess/Renner, Art. 12 Rome I Rz. 21; Leible in NK Art. 12 Rom I-VO Rz. 14.
2 Näher dazu Vékás, Über das europäische Verbrauchervertragsrecht und die Herausforderungen
bei der Umsetzung, FS Kronke (2020), S. 1273 (1279 f.); Schmidt-Tedd, S. 214 ff.
3 Zum dän. Recht IPG 1980/81 Nr. 9 (Hamburg).
4 Vgl. Harrer/Wiegmann in Assmann/Bungert, I Rz. 3 ff.; Elsing/Van Alstine, S. 83.
5 Nachw. bei van Venrooy, S. 1 ff.; Krimphove in Soergel, IHR Rz. 74 ff.– Zum Kaufmann nach fran-
zös. Recht IPG 2005/2006 Nr. 11 (Köln).
6 LG Hamburg v. 12.11.1957 – 2 OH 5/56, IPRspr. 1958–59 Nr. 22 (Schiedsvertrag. Kaufmanns-
eigenschaft eines Unternehmens nach französ. Recht seiner gewerblichen Niederlassung beurteilt);
LG Essen v. 20.6.2001 – 44 O 144/00, IPRspr. 2001 Nr. 29 = IPRax 2002, 396 = RIW 2001, 943;
Wolff, S. 149; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 217.
7 Wegen Nichtabtrennbarkeit allein für das Vertragsstatut Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14;
Krimphove in Soergel, IHR Rz. 79, 105, 110 (Sachrecht der Hauptfrage).
8 Remien in PWW, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14 (Substitution).
9 van Venrooy, S. 28 ff. unterscheidet nach den einzelnen Sachnormen und unterstellt dem Recht
am Niederlassungsort §§ 346, 354, 355 Abs. 1, §§ 358, 366 Abs. 1, § 369 Abs. 1 S. 1 HGB; der lex
causae § 347 Abs. 1, §§ 348, 349, 350, 352, 353, 362, 368 Abs. 1, § 369 Abs. 1 S. 1 HGB; der lex
cartae sitae § 363 Abs. 1 S. 1 und 2 HGB. Die Bestimmung des § 367 Abs. 1 S. 1 HGB soll nur für
deutsche Kaufleute gelten.

Martiny | 213
§ 3 Rz. 3.126 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

IV. Währung
Literatur: Alberts, Der Einfluss von Währungsschwankungen auf Zahlungsansprüche nach deut-
schem und englischem Recht (1986); Black, Foreign currency claims in the conflict of laws (Oxford
2009); W. Braun, Vertragliche Geldwertsicherung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr
(1982); Breckheimer/Zeidler, Absicherung von Währungs- und Inflationsrisiken in langfristigen Ver-
trägen angesichts der anhaltenden Euro-Krise, BB 2012, 2902; Fuchs, Zur rechtlichen Behandlung der
Eurodevisen, ZVglRW 95 (1996), 283; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Gruber,
Geldwertschwankungen und handelsrechtliche Verträge in Deutschland und Frankreich (2002); Mai-
er-Reimer, Fremdwährungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Mastrandrea, The impact of currency
exchange fluctuations on construction claims, Int. Constr. L. Rev. 2012, 293; Reinhuber, Grundbegriffe
und internationaler Anwendungsbereich von Währungsrecht (1995); Remien, Die Währung von Scha-
den und Schadensersatz, RabelsZ 53 (1989), 245; Robertz, Wertsicherungs- und Preisanpassungsklau-
seln im Außenwirtschaftsverkehr (1985); Roth, Aufwertung und Abwertung im IPR, BerDGesVölkR
20 (1979), 87; Vorpeil, Kurs- und Wertsicherungsklauseln im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr,
IWB 4 Deutschland Gr. 6 (1992), S. 267.
3.126 Grundsätzlich bestimmt das Schuldstatut, in welcher Höhe und in welcher Währung eine
Geldschuld geschuldet wird1. Indem das Schuldstatut festlegt, in welcher Währung geschuldet
wird, verweist es (durch materiell-rechtliche Verweisung) auf das Währungsrecht des eigenen
oder eines fremden Staates. Dieses maßgebliche Recht ist das Währungsstatut2. Für wäh-
rungspolitische Vorschriften gelten jedoch vielfach Besonderheiten, dazu Rz. 5.115 ff.

3.127 Ist deutsches Recht Währungsstatut, so kann die Schuldwährung im internationalen Handel
grundsätzlich frei vereinbart werden3. Ist eine Schuldwährung nicht vereinbart worden, so
kommt es bei vertraglichen Ansprüchen grundsätzlich auf den Zahlungsort an. Ist die Schuld
in der Bundesrepublik zu zahlen, so ist mangels anderer Bestimmung in deutscher Währung,
d.h. in Euro zu zahlen. Ist eine ausländische Währung vereinbart, so kann § 244 BGB eingrei-
fen (s. Rz. 3.223).

3.128 Wird ein in ausländischer Währung vereinbarter Kaufpreis mit einem in Euro umgerechneten
Betrag eingeklagt und tritt der Schuldner dem nicht entgegen, so bleibt dieser Betrag nach der
Rechtsprechung auch dann maßgeblich, wenn der Devisenkurs inzwischen gefallen ist4.

3.129 Ist im Ausland zu erfüllen, so wird unter Berufung auf den Erfüllungsort angenommen, dass
mangels anderer Vereinbarung mit den Zahlungsmitteln des Erfüllungsortes zu leisten ist (vgl.
§§ 269, 270 BGB, § 361 HGB)5.

1 So OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = MDR 1989, 360 = IPRax
1990, 105 (m. Aufs. Prinzing, IPRax 1990, 83); Reinhuber, S. 72 f.; Grothe, S. 96 ff.; Omlor in Stau-
dinger, § 244 BGB Rz. 142; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 6.
2 Darunter versteht man grundsätzlich die Normen, welche ein Geldschuldverhältnis nicht schuld-
rechtlich, sondern geld- und währungsrechtlich ausgestalten. – Zur uneinheitlichen Verwendung
dieses Begriffs Grothe, S. 97 ff. sowie Martiny in MünchKomm, nach Art. 9 Rom I-VO Anh. I
Rz. 4.
3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 111. – Die frühere Genehmigungspflicht für Fremdwäh-
rungsverbindlichkeiten nach § 3 WährungsG, § 49 AWG ist beseitigt worden (Art. 9 §§ 1,
13 Euro-Einführungsgesetz v. 9.6.1998, BGBl. I 1998, 1242).
4 Vgl. bereits LG Hamburg v. 24.5.1978 – 17 S 179/77, RIW 1980, 64.
5 Deutsches Seeschiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohn unter-
lag deutschem Recht, war aber in Kopenhagen in dän. Kronen zu zahlen).

214 | Martiny
D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.132 § 3

V. Schuldner-, Gläubigermehrheit
Sowohl auf der Schuldner- als auch auf der Gläubigerseite können mehrere Personen beteiligt 3.130
sein1. Im Allgemeinen wird es dem Parteiwillen entsprechen, dass die Verpflichtungen aller
dem gleichen Recht unterliegen2. Das für die Verpflichtung maßgebende Statut bestimmt,
wie die Rechtsstellung eines von mehreren Gesamtschuldnern zu beurteilen ist3. Es regelt
etwa die Verpflichtung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger und wie weit seine Ver-
pflichtung von der eines anderen Schuldners abhängt4. Entsprechendes gilt für die Gläubiger-
mehrheit5.

Das Vertragsstatut regelt auch, welche Wirkung die Leistung hat, wenn nur einer der Gesamt- 3.131
schuldner die Schuld tilgt. Soweit Rückgriffsansprüche gegen die anderen bestehen, unterlie-
gen sie, wie nunmehr Art. 16 Rom I-VO bestimmt, grundsätzlich dem Recht der getilgten
Schuld (dazu näher Rz. 3.321). Das gilt auch, soweit sie auf Bereicherungsrecht (Rückgriffs-
kondiktion) gestützt werden6. Zu Bereicherungsansprüchen näher Rz. 3.308.

VI. Vertrag zugunsten Dritter


Beim echten Vertrag zugunsten Dritter räumt der Hauptvertrag (das Deckungsverhältnis) 3.132
zwischen dem Gläubiger (Versprechensempfänger) und dem Schuldner (Versprechender) ei-
nem Dritten (Begünstigten) ein eigenes Forderungsrecht ein7 (vgl. Art. 5.2.1 ff. UNIDROIT-
Principles 2016). Im Verhältnis zwischen Gläubiger und Drittem entsteht ein Valutaverhältnis.
Die Zulässigkeit und die Wirkung einer solchen Drittbegünstigung richten sich nach dem Sta-
tut des Hauptvertrages8. Mangels Rechtswahl ist nach der charakteristischen Leistung zu fra-
gen (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)9. Erhält etwa ein Dritter einen Anspruch auf Lieferung einer
Kaufsache, so ist dafür das Statut des Kaufvertrages maßgeblich. – Zum Bereicherungsaus-
gleich s. Rz. 4.31 ff.

1 Rechtsvergleichend Meier, Gläubigermehrheiten in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Hand-


wörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 761.
2 Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (646).
3 Ebenso für akzessorische Haftung für Rechtsanwaltshonorar OLG Hamburg v. 18.5.2017 – 4 U
194/16, IPRspr. 2017 Nr. 55 = NJW-RR 2017, 1465.
4 Näher Mankowski, IPRax 1998, 122 (124).
5 BGH v. 6.5.1997 – IX ZR 136/96, IPRspr. 1997 Nr. 37 = NJW 1997, 2233; OLG Celle v. 16.9.1998
– 14a (6) U 281/96, IPRspr. 1998 Nr. 76 = IPRax 1999, 113 (LS) Bericht Jayme (Oder-Konto).
6 Vgl. Hay, Ungerechtfertigte Bereicherung im internationalen Privatrecht (1978), S. 32.
7 Vgl. von Bernstorff, Großbritannien – Neues Gesetz zum Vertrag zugunsten Dritter, RIW 2000,
435; W. Lorenz, Reform des englischen Vertragsrechts, JZ 1997, 105; H.-F. Müller, Die Einführung
des Vertrages zugunsten Dritter in das englische Recht, RabelsZ 67 (2003), 140; Smits, Contract
law, 2. Aufl. 2017, S. 245 ff.; Vogenauer, Vertrag zugunsten Dritter in Basedow/Hopt/Zimmermann
(Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009), S. 1681.
8 W. Lorenz, FS Zweigert (1981), S. 199 (218); Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 25 (Stand
1.10.2020).
9 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285 (Haftung für Ver-
gütungsansprüche von Arbeitnehmern); KG v. 18.2.2019 – 22 U 138/17, VersR 2019, 748 (Mitver-
sicherung).

Martiny | 215
§ 3 Rz. 3.133 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

VII. Auskunftsanspruch
3.133 Der Anspruch auf Auskunft unterliegt derselben Rechtsordnung wie der Hauptanspruch, den
er betrifft. Dies gilt auch für Ansprüche auf Rechnungslegung1.

E. Leistungsstörungen

Literatur zu Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Brunner, Force majeure and hardship under
general contract principles (Austin ua. 2009); Fischer, Die Unmöglichkeit der Leistung im internatio-
nalen Kauf- und Vertragsrecht (2001); Leible, Die Regelung des Leistungsverzugs im gemeinschaftli-
chen Sekundärrecht in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht
(2002), S. 151; Lein, Die Verzögerung der Leistung im europäischen Vertragsrecht (2014); Remien,
Folgen von Leistungsstörungen im europäischen Vertragsrecht der EG-Richtlinien und Verordnungen
in Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 139;
Vogenauer, Hardship clauses und verwandte Klauseln in internationalen Handelskäufen, IWRZ 2021,
3, 57, 118; Weick, Force Majeure, ZEuP 2014, 281.
Literatur zum Internationalen Privatrecht: Bälz, Ausländische Wirtschaftssanktionen als Leistungs-
hindernis in internationalen Verträgen, NJW 2020, 878; Berger, Force Majeure Clauses and their Rela-
tionship with the Applicable Law, General Principles of Law and Trade Usages, in Bortolotti (Hrsg.),
Hardship and force majeure in international commercial contracts (2018), S. 137; Birk, Schadensersatz
und sonstige Restitutionsformen im IPR (1969); Böckstiegel, Vertragsklauseln über nicht zu vertreten-
de Risiken im internationalen Wirtschaftsverkehr, RIW 1984, 1; Gössl, In- und ausländische Corona-
Regelungen im grenzüberschreitenden Handel, ZVglRW 120 (2021), 23; von Hoffmann, Staatsunter-
nehmen im IPR, BerDGesVölkR 25 (1984), 35; Jayme/Gebauer, Zahlung einer „caparra“ nach italie-
nischem Recht als Verzugsschaden iSd. § 286 Abs. 1 BGB, IPRax 1994, 98; Khadjavi-Gontard/Haus-
mann, Zurechenbarkeit von Hoheitsakten und subsidiäre Staatshaftung bei Verträgen mit
ausländischen Staatsunternehmen, RIW 1980, 533; Kost, Konsensprobleme im internationalen
Schuldvertragsrecht (1995); Lagarde, The Scope of Applicable Law in the E.E.C. Convention in North
(Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Maier-Reimer, Fremdwäh-
rungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Mann, Staatsunternehmen in internationalen Handelsbezie-
hungen, RIW 1987, 186; N. C. Neumann, Internationale Handelsembargos und privatrechtliche Ver-
träge (2001); Nolting, Hoheitliche Eingriffe als Force Majeure bei internationalen Wirtschaftserträgen
mit Staatsunternehmen?, RIW 1988, 511; Pédamon, Hardship in transnational commercial contracts
(Zutphen 2013); Plate, Force Majeure und Hardship in grenzüberschreitenden Langzeitverträgen
(2005); Plate, Die Gestaltung von „force majeure“-Klauseln in internationalen Wirtschaftsverträgen,
RIW 2007, 42; Säcker, Die kollisionsrechtliche Verweisung auf Prinzipien europäischen oder interna-
tionalen Vertragsrechts in grenzüberschreitenden Schuldverträgen in ihrer Bedeutung für vertragliche
Hardship-Klauseln, FS Beys (Athen 2003), S. 1391; Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in AGB nach
englischem und internationalem Privatrecht (1977); Schnyder, IPR der Leistungsstörungen in Koller
(Hrsg.), Leistungsstörungen (St. Gallen 2008), S. 101; Schwenzer/Muñoz, Duty to Re-negotiate and
contract adaptation in case of hardship, Unif.L.Rev. 24 (2019), 149 = IHR 2020,150; Spahl, Die positive
Forderungsverletzung und der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im internationalen Privatrecht
und internationalen Zivilprozessrecht (2001); Wagner, Anwendbares Recht für zivilrechtliche Scha-
densersatzansprüche aufgrund von Virusinfektionen, COVuR 2020, 738.
Literatur zur Rechtsvergleichung/zum ausländischen Recht: Bälz, Force Majeure im internationalen
Wirtschaftsrecht – Lehren aus dem Arabischen Frühling, FS Wegen (2015), S. 355; Berman, Force Ma-
jeure and the Denial of an Export Licence under Soviet Law: A Comment on Jordan Investments Ltd.

1 BGH v. 7.11.1963 – VII ZR 188/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 172 = WM 1964, 83 (Auskunftsanspruch
nach Statut eines Bereicherungsanspruchs beurteilt). Näher Martiny, IPRax 1981, 118 (119). Für
hilfsweise Gewährung nach der lex fori Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7a.

216 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.135 § 3

v. Soiuznefteksport, RabelsZ 24 (1959), 449; Bollenberger, Gewinnabschöpfung bei Vertragsbruch,


ZEuP 2000, 893 (Eng.); Caytas, Der unerfüllbare Vertrag – Anfängliche und nachträgliche Leistungs-
hindernisse und Entlastungsgründe im Recht der Schweiz, Deutschlands, Österreichs, Frankreichs,
Italiens, Englands, der Vereinigten Staaten, im Völkerrecht und im internationalen Handelsrecht (Wil-
mington 1984); Draetta, Force Majeure Clauses in International Trade Practice, Rev.dr.aff.int. 1996,
547; Flessner, Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, ZEuP 1997, 255; Flessner, Geldersatz und
Naturalherstellung im europäischen Vertragsrecht in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 141; Fried-
mann, Specific Performance or Damages, FS Mestmäcker (1996), S. 1025; Gesang, Force majeure und
ähnliche Entlastungsgründe im Rahmen der Lieferungsverträge über Gattungsware (1980); Horn
(Hrsg.), Adaption and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance (Deventer
1985); Horn/Fontaine/Maskow/Schmitthoff, Die Anpassung langfristiger Verträge (1984); Inzitari,
Nochmals zum Inflationsschaden beim Verzug mit Geldschulden in der italienischen Rechtsprechung,
RIW 1979, 741; Kaden, Zufall und höhere Gewalt im deutschen, schweizerischen und französischen
Recht, RabelsZ 31 (1967), 606; Klauss-Hartung, Mitverschulden bei Vertragsbruch im US-amerikani-
schen, englischen und deutschen Recht (1991); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Krä-
mer, Die Berechnung des Nichterfüllungsschadens bei der Sachmängelhaftung im amerikanischen
Recht des Warenkaufs, RIW 1994, 123; Kurkela, (Hrsg.), Comparative Report on Force Majeure in
Western Europe (Jyväsylässä 1982); Leuschner, Die Zulässigkeit vertraglicher Haftungsbeschränkun-
gen in Deutschland und Polen, OER 2016, 206; Leuschner, Grenzen der Vertragsfreiheit im Rechtsver-
gleich, ZEuP 2017, 335; Magnus, Comparative Report on the Law of Damages in Magnus (Hrsg.),
Unification of Tort Law – Damages (The Hague 2001), S. 185; Mankowski, Die Behandlung von Kos-
ten außergerichtlicher Rechtsverfolgung im Internationalen Privatrecht, RIW 2011, 420; Philippe/Her-
ring, Vertragsanpassungs- und Härteklauseln in Langzeitverträgen – belgisches Recht im internationa-
len Vergleich, RIW 2001, 270; Rauh, Legal Consequences of Force Majeure under German, Swiss,
English and United States´ Law, Denver J.Int.L.&Policy 25 (1996), 151; Reiter, Vertrag und Geschäfts-
grundlage im deutschen und italienischen Recht (2002); Remien, Leistungsstörungen nach der Réfor-
me du droit des contrats in deutscher und europäischer Sicht, in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform
des französischen Vertragsrechts (2018), S. 181; Rusch, Gewinnabschöpfung bei Vertragsbruch, ZEuP
2002, 122 (Eng.); Schackel, Der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses bei Nichterfüllung von
Verträgen, ZEuP 2001, 248; Schlechtriem, Schadensersatz und Schadensbegriff, ZEuP 1997, 232;
Schmid, Die positive Vertragsverletzung im System des schweizerischen und des europäischen Privat-
rechts in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 1021; Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 209 ff.; Trost,
Anpassung langterminierter Außenhandelsverträge durch ein Schiedsverfahren nach Einheitlichen
Richtlinien der Internationalen Handelskammer, ZVglRW 79 (1980), 290; Vaagt, Vertragsverletzung –
Grundzüge des dänischen Schuldrechts, RIW 1990, 887.

I. Allgemeines
In Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO, der den Geltungsbereich des auf den Vertrag anzuwendenden 3.134
Rechts umreißt, heißt es, dass das nach der Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende
Recht maßgebend ist. Dies gilt insbesondere für die Folgen der vollständigen oder teilweisen
Nichterfüllung dieser Verpflichtungen, in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch
sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse, einschließlich der Schadensbemessung, soweit
diese nach Rechtsnormen erfolgt (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO).

Ausgangspunkt für die Behandlung der Leistungsstörungen ist das Vertragsstatut. Die Partei- 3.135
en können durch entsprechende Vertragsklauseln Vorsorge treffen1. Zu zwingenden Normen
(insb. im Rahmen des Art. 9 Rom I-VO) s. Rz. 5.1 ff. Im Einzelfall können auch Ansprüche

1 Dazu Berger in Bortolotti, S. 137 ff.; Vorpeil, Force Majeure und Hardship-Klauseln in internatio-
nalen Verträgen, IWB 2019, 898 ff.

Martiny | 217
§ 3 Rz. 3.135 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

aus Deliktsrecht und aus anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen entstehen. Insoweit stellen
sich Abgrenzungsfragen zu den vertraglichen Ansprüchen, s. Rz. 1.73, Rz. 1.75, Rz. 4.1.

3.136 Die Corona- bzw. COVID-19-Pandemie von 2020 berührt nahezu alle Lebensbereiche und
hat zu einer Unzahl staatlicher Beschränkungen und rechtlicher Regelungen geführt1. Diese
sowie ihre Folgen wirken sich häufig auf vertragliche Beziehungen aus, insb. als Leistungsstö-
rungen (Unmöglichkeit, Wegfall der Geschäftsgrundlage, force majeure)2. Dabei ist einzugren-
zen, wieweit sie nach den Regeln des Vertragsrechts im Rahmen der gewöhnlichen Anknüp-
fungen nach Art. 3 ff. Rom I-VO beurteilt werden können. In Betracht kommt auch eine Ein-
ordnung als inländische Eingriffsnorm nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO3, ferner als ausländische
Eingriffsnorm iSd. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO4. Einer Einordnung bedarf es auch im Einheits-
recht, insbesondere dem CISG (s. Rz. 25.61). Die vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass
der COVID-19-Pandemie in Art. 240 EGBGB sind zwingendes Recht; von ihnen kann nicht
zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden (Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB). Die Leistungs-
verweigerungsrechte und Kündigungsbeschränkungen des Art. 240 EGBGB gelten für Verträ-
ge nach deutschem Recht. Ob diese Schuldnerschutzbestimmungen als Frage der Leistungs-
störungen einzuordnen sind (so zutreffend Rz. 5.75) oder als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9
Rom I-VO angesehen werden können5, ist umstritten.

II. Voraussetzungen der Leistungsstörungen (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO)


1. Unmöglichkeit, Verzug
3.137 Das Recht der Leistungsstörungen (nach deutschem Recht Pflichtverletzung, insbesondere
Unmöglichkeit und Verzug) ist weitgehend unvereinheitlicht6. Allerdings findet sich eine eige-
ne einheitsrechtliche Regelung im UN-Kaufrecht (s. Rz. 25.65 ff.). Ferner sind die Vorschriften
über den Verzug in der EU teilweise angeglichen worden7.

3.138 Die Voraussetzungen und grundsätzlich auch die Wirkungen der Leistungsstörungen richten
sich nach dem Vertragsstatut8. Dazu gehört etwa die Voraussetzung des Verschuldens9. Dies
ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO.

1 S. Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (25 ff.); Michaels, www.conflictoflaws.net/corona.


2 Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017. – Vgl. auch Wagner, COVuR 2020, 738 (740).
3 Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017.
4 Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017; Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (35 ff.).
5 Dafür Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (34).
6 Zu „breach of contract“ nach kaliforn. Recht IPG 2012-14 Nr. 9 (Köln). Zum Verzug nach türk.
Recht, IPG 2012-14 Nr. 8 (Hamburg).
7 Richtlinie 2011/7/EU v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
(Neufassung), ABl. EU 2011 Nr. L 48, S. 1. – Dazu Schauer/Gruber in Mankowski (Hrsg.), Com-
mercial Law, 2019, S. 1303 ff.
8 BGH v. 14.7.1993 – I ZR 204/91, BGHZ 123, 200 (207) = RIW 1994, 66 = MDR 1994, 675 (Stra-
ßengütertransport, positive Vertragsverletzung); OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, MDR 1993,
315 = RIW 1993, 415 (Verzug nach niederländ. Recht); OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/
95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329 (Verzug nach österreich. Recht); LG Bonn v. 20.1.1999 –
16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879 (Unmöglichkeit nach engl. Recht); Kost, S. 105 f.;
von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 816; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7.
9 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, NJW-RR 2006, 1694 = RIW 2006, 948; BGH v. 25.10.2007 – I ZR
151/04, NJW-RR 2008, 840.

218 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.143 § 3

Wegen der vielfältigen Risiken im internationalen Handel wird die Haftung insbesondere bei 3.139
Kaufverträgen häufig beschränkt, z.B. durch die Klausel „Richtige und rechtzeitige Selbstbelie-
ferung vorbehalten“1. Ob ein solcher Haftungsausschluss wirksam vereinbart wurde, ent-
scheidet das Schuldstatut2.

Grundsätzlich hat sich jede Partei rechtzeitig um etwa notwendige behördliche Genehmigun- 3.140
gen zu bemühen3. Erhält ein Importeur keine Einfuhrgenehmigung nach deutschem Außen-
wirtschaftsrecht und kann er daraufhin einen Kaufvertrag gegenüber seinem Abnehmer nicht
erfüllen, so ist der Vertrag nach deutschem Recht gleichwohl gültig, solange nicht die verbote-
ne Einfuhr als solche Vertragsgegenstand ist. Auch objektive Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1
BGB) liegt nicht vor4.

Die Schiedsgerichtspraxis geht im Allgemeinen ebenfalls davon aus, dass jede Partei verpflich- 3.141
tet ist, die für die Erfüllung ihrer Vertragspflichten erforderlichen Genehmigungen (z.B. für
Im- und Export) zu beschaffen. Die Versagung dieser Genehmigungen stellt grundsätzlich kei-
nen Fall höherer Gewalt dar5. Ein auf instabilen politischen Verhältnissen beruhendes zeitwei-
liges Erfüllungshindernis kann jedoch einer dauernden Unmöglichkeit gleichstehen6.

Nach spanischem Recht kann eine endgültige Zahlungsverweigerung zu einer Vertragsauflö- 3.142
sung führen7. Nach US-amerikanischem Recht kann Schadensersatz bereits bei sich abzeich-
nender Vertragsverletzung verlangt werden (anticipatory breach; § 2–610 UCC). Es kann die
eigene Leistung verweigert und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt werden, wenn
die andere Partei ganz offensichtlich mit der Erfüllung in Verzug geraten wird8.

2. Störung der Geschäftsgrundlage


Geschäftsgrundlage sind nach st. Rspr. die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen 3.143
Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von
ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei vom Vorhandensein oder dem künfti-
gen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung
aufbaut (vgl. § 313 BGB). Ob eine Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt, ent-

1 Dazu Liesecke, WM 1978 Beil. 3, 46 f. – Nach deutschem Recht als auflösende Bedingung ein-
zuordnen, Westermann in MünchKomm, § 158 BGB Rz. 14.
2 OLG Hamburg v. 9.1.1975 – 6 U 11/72, IPRspr. 1975 Nr. 27 = Hansa 1976, 1659 (Chartervertrag;
Haftungsausschluss nach deutschem Recht); Birk, S. 28.
3 Vgl. Art. 6.1.14 und 6.1.15 UNIDROIT-Principles 2016.
4 S. BGH v. 8.6.1983 – VIII ZR 77/82, ZIP 1983, 1088 = WM 1983, 841 = IPRax 1984, 91 (Anm.
W.-H. Roth, IPRax 1984, 76) (Einfuhrkontingent für Hemden aus Korea erschöpft. Schadens-
ersatzanspruch des deutschen Käufers gegen deutschen Importeur wegen dauernden subjektiven
Unvermögens bejaht).
5 Vgl. Böckstiegel, RIW 1984, 1 (7); Nolting, RIW 1988, 511 (512 f.) je m.w.N.
6 Vgl. BGH v. 11.3.1982 – VII ZR 357/80, BGHZ 83, 197 = ZIP 1982, 704 = RIW 1982, 441 (Werk-
lieferungsvertrag über Tierkörperverwertungsanlage. Wegen der andauernden Unruhen im Iran
wurde die deutsche Seite von ihrer Montagepflicht wegen Unmöglichkeit frei [§ 275 BGB a.F.].
Anspruch auf Restpreis für Materiallieferung auf Analogie zu § 645 Abs. 1 S. 1 BGB gestützt).
7 OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867.
8 Vgl. auch Harrer/Wiegmann in Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-,
Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts I (2001), Rz. 62 ff.; Elsing/van Alstine, US-amerikanisches
Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, S. 94 ff.

Martiny | 219
§ 3 Rz. 3.143 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

scheidet das Vertragsstatut1. Ihm unterliegt etwa, welche Folgen eine nachträgliche Änderung
der Kalkulationsgrundlage hat. Auch eine grundlegende Umwälzung im Ausland mit Import-
verboten kann eine Störung der Geschäftsgrundlage herbeiführen2.

3. Mahnung, Fristsetzung
3.144 Ob und wie gemahnt werden muss, regelt das Vertragsstatut3. Gleiches gilt für eine etwaige
Fristsetzung. Sind für gewisse Rechtshandlungen Fristen einzuhalten, so richtet sich die Frist-
berechnung ebenfalls nach dem Vertragsstatut.

4. Verschulden
3.145 Ob Verschulden Voraussetzung für einen Anspruch wegen einer Leistungsstörung ist, be-
stimmt das Schuldstatut4. Es regelt auch, welcher Verschuldensgrad beachtlich ist, bzw. welche
Sorgfaltspflichten bestehen. Die Berücksichtigung von Mitverschulden unterliegt ebenfalls
dem Schuldstatut5.

III. Einzelne Folgen der Leistungsstörungen


1. Schuldbefreiung, Vertragsanpassung
3.146 Ob eine Leistungsstörung schuldbefreiende Wirkung hat, entscheidet grundsätzlich das
Schuldstatut. Nach ihm richtet sich auch, wer die Leistungsgefahr trägt (s. Rz. 6.125).

- Hardship-Klauseln
3.147 Die Abwicklung langfristiger internationaler Verträge kann in Frage gestellt sein, wenn das ur-
sprüngliche Gleichgewicht der Verpflichtungen durch nicht vorhersehbare, spätere tiefgreifen-
de Veränderungen gestört wird, die außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten der Parteien lie-
gen (vgl. Art. 6. 2. 1 ff. UNIDROIT-Principles 2016). Durch Umstände wie Geldwertänderun-
gen, Einfuhrbeschränkungen, Zollerhöhungen usw. wird die Vertragserfüllung oft zwar nicht
unmöglich, wohl aber für einen Teil außergewöhnlich kostspielig. Ferner kann die Gegenleis-
tung entwertet sein. Einige Rechtsordnungen lassen dann eine Auflösung oder gerichtliche An-
passung des Vertrages wegen veränderter Geschäftsgrundlage zu (z.B. Art. 1467 ital. c.c.; Art. 388
griech. ZGB). Auch in das französische Recht hat die „clause de hardship“ Eingang gefunden.

1 LG Bonn v. 20.1.1999 – 16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879 (engl. Recht); IPG 1976
Nr. 7 (Bonn) (Kaufvertrag; höhere Gewalt und Wegfall der Geschäftsgrundlage nach niederländ.
Recht).
2 BGH v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, ZIP 1984, 452 = IPRax 1986, 154 (Anm. Mülbert, IPRax 1986,
140) = NJW 1984, 1746 (Deutsche Brauerei hatte iran. Importeur Dosenbier geliefert. Wegen der
mangelhaften Lieferung verpflichtete sich die Brauerei in einem Vergleich, der deutschem Recht
unterlag, zu Schadensersatz. Insbesondere räumte sie für künftige Bierlieferungen einen Vorzugs-
preis ein. Nach der islam. Revolution wurde jedoch die Alkoholeinfuhr verboten. Im Ergebnis
wurde eine Anpassung des Vertrages vorgenommen; das Risiko aus den nicht mehr durchführ-
baren Importen wurde unter den Vertragsparteien zur Hälfte aufgeteilt). S. auch BGH v. 7.3.1962
– VIII ZR 9/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 18 = AWD 1962, 112 (Warenkauf; Wegfall der Geschäfts-
grundlage nach deutschem Schuldstatut geprüft). Vgl. Wieling, JuS 1986, 272 ff.
3 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 9.
4 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 817. Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (156).
5 Ebenso schon OLG Düsseldorf v. 29.9.1970 – 6 U 230/69, IPRspr. 1970 Nr. 15, S. 55.

220 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.151 § 3

Im internationalen Handel sind Hardship-Klauseln üblich, die im Allgemeinen folgende Mög- 3.148
lichkeiten vorsehen1: In erster Linie eine Anpassung des Vertrages durch Parteiverhandlun-
gen, bei Nichteinigung Vertragsanpassung mit Hilfe eines Dritten (auch des Schiedsrichters)
und schließlich die Aufhebung des Vertrages2. Die Wirksamkeit solcher Klauseln richtet sich
nach dem Schuldstatut. Derartige Klauseln sind in vielen international verbreiteten Formula-
ren enthalten3. Verfahrensmäßig wird häufig vereinbart, dass zunächst Neuverhandlungen der
Parteien stattfinden müssen, ehe ein Schiedsrichter eingeschaltet werden kann4. Andere An-
passungsklauseln betreffen spezielle Situationen für einzelne Vertragstypen5.

- Force majeure
Einige Rechte kennen einen eigenen Begriff der höheren Gewalt (force majeure)6. § 293 Abs. 1 3.149
DDR-GIW sah Umstände als „unabwendbare Gewalt“ an, „wenn sie bei Vertragsabschluss
weder voraussehbar waren noch bei Beachtung der im internationalen Handel üblichen Sorg-
falt abgewendet werden konnten“7. Rechtsfolgen sind, soweit noch eine Beseitigung des Hin-
dernisses in Betracht kommt, zunächst ein Ruhen der Leistungspflichten, sodann nach den
Umständen Freiwerden, Kündigungs- und Rücktrittsrechte. Zum CISG s. Rz. 25.61.

Wenn ein Schiedsgericht der IHK zu entscheiden hat, ist zu beachten, dass es u.U. besonders 3.150
streng am Grundsatz pacta sunt servanda festhalten wird. Ein Ereignis rechtfertigt nur dann
eine schuldbefreiende „force majeure“, wenn es unvorhersehbar (d.h. im Zeitpunkt seines Ein-
tretens gab es keinen besonderen Grund zur Annahme, dass es eintreten würde) und „irrésis-
tible“ (unabwendbar) war, d.h. für den Schuldner war es absolut unmöglich, den Vertrag zu
erfüllen8. Viele internationale Wirtschaftsverträge enthalten eigene Force majeure-Klauseln9,
die die Hinderungsgründe aufzählen10.

Exportverbote werden häufig angeführt, um damit eine „force majeure“ für den Verkäufer zu 3.151
begründen. Ist er ein Staatsunternehmen, so stellt sich die Frage, ob er sich – wie ein Privat-
unternehmen – auf Staatseingriffe seines Heimatstaates berufen kann oder sie sich zurechnen
lassen muss11. Ausländische Gerichte und Schiedsgerichte haben beim Wegfall von Export-
genehmigungen mehrfach eine Leistungsbefreiung angenommen12.

1 Dazu Vorpeil, IWB 2019, 898 ff.; Vogenauer, IWRZ 2021, 57 ff.
2 Vgl. auch Art. 6.2.3 UNIDROIT-Principles 2016. – Dazu Vogenauer, IWRZ 2021, 3 (8 f.),
3 Beispiele für Klauseln auch D.P.C.I. 1 (1975), 512 ff.; International Trade Centre, Cross-border
contracting (2018), S. 93 ff.– Zu den FIDIC-Vertragsbedingungen für Ingenieurarbeiten sowie
zum ORGALIME-Wartungsvertragsmuster Böckstiegel, RIW 1984, 1 ff.
4 Zur entsprechenden Klausel der IHK s. Böckstiegel, RIW 1984, 1 (5 f.).
5 Zu Material Adverse Changes Vogenauer, IWRZ 2021, 112 (115 ff.).
6 Zu Art. 1218, 1231-1 franz. c.c. Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (54).
7 Vgl. auch Art. 7.1.7 UNIDROIT-Principles 2016.
8 Dazu Schiedssprüche Nr. 2216 und 2139 aus 1974, Clunet 102 (1975), 917 (929). Zur höheren
Gewalt bei Staatseingriffen in Staatshandelsländern s. Böckstiegel, NJW 1975, 1577 (1580 f.),
m.w.N.
9 Dazu International Trade Centre, Cross-border contracting (2018) S. 95 ff.; Ostendorf/Kluth § 10.
10 S. „ICC-Klausel über höhere Gewalt“. – Zur long form Vogenauer, IWRZ 2021, 112 (114 f.).
11 Grundsätzlich für Ersteres von Hoffmann, BerDGesVölkR 25 (1984), 35 (60 ff.).
12 S. Czarnikow Ltd. v. Rolimpex, [1978] 2 All ER 1043 (House of Lords 1978) (Poln. Außenhandels-
unternehmen Rolimpex verkaufte an engl. Käufer Zucker. Nach Missernte in Polen wurde die Ex-
portgenehmigung widerrufen. Rolimpex wurde von seiner Leistungspflicht frei und brauchte nicht
Schadensersatz wegen Vertragsbruchs zu leisten); Jordan Investments Ltd v. Sojusnefteksport, Ra-
belsZ 24 (1959), 540 = I.C.L.Q. 8 (1959), 416 = Am.J.Int.L. 53 (1959), 800 (Sowjet. Außenhandels-

Martiny | 221
§ 3 Rz. 3.152 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

2. Rücktritt und Vertragsauflösung


Literatur: Hornung, Die Rückabwicklung gescheiterter Verträge nach französischem, deutschem und
nach Einheitsrecht (1998); Huzel, Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung im spanischen Recht
(1993); Kleinschmidt, Einheit und Vielfalt im romanischen Rechtskreis am Beispiel der Vertragsaufhe-
bung, FS Kronke (2020), S. 989; Kurzynsky-Singer, Rücktritt und Vertragsaufhebung nach russischem
Recht, WiRO 2009, 138; Seifert, Rücktritt wegen Nichterfüllung nach dem Vertragsrecht arabischer
Staaten, RIW 1998, 464.
3.152 Das Vertragsstatut bestimmt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein vertraglich verein-
barter oder gesetzlicher Rücktritt vom Vertrag möglich ist1. Das Gleiche gilt für eine fristlose
Kündigung2. Manche Rechte, insbesondere das belgische und das französische Recht3, verlan-
gen statt der Ausübung eines einseitigen Rücktrittsrechts eine richterliche Vertragsauflösung4.
Soweit nach dem Schuldstatut eine solche Vertragsauflösung notwendig ist, kann sie auch ein
deutsches Gericht durch Gestaltungsurteil aussprechen5. Dies kommt etwa in Betracht für
eine Vertragsauflösung nach französischem6 oder spanischem Recht7.

3. Schadensersatz
- Art und Umfang
3.153 Nach dem Schuldstatut richtet sich gem. Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO, ob wegen einer Leis-
tungsstörung Schadensersatz verlangt werden kann. Dazu gehört auch die Frage, welche Art
von Schäden ausgeglichen werden sollen (z.B. Folgeschäden) und worauf der Anspruch ge-
richtet ist, z.B. auf Naturalherstellung, Geldersatz, Ersatz des immateriellen Schadens8. Auch
die Schadensbemessung (assessment of damages; l’évaluation du dommage) richtet sich nach
dem Vertragsstatut9. Dies gilt allerdings nur, soweit sie nach Rechtsnormen (rules of law; rè-
gles de droit) erfolgt, in den Grenzen der dem jeweiligen Gericht durch sein Prozessrecht ein-
geräumten Befugnisse. Diese Bestimmung stellt einen Kompromiss dar, weil nach einigen
Rechtsordnungen Fragen der Schadensbemessung zum Prozessrecht gezählt werden (z.B. bei

schiedskommission v. 19.6.1958) (Sowjet. Staatsunternehmen Sojusnefteksport verkaufte Rohöl an


israel. Käufer. Nach israel. Angriff auf Ägypten zog das sowjet. Außenhandelsunternehmen die
Exporterlaubnis zurück. Schadensersatzanspruch des Käufers abgelehnt; höhere Gewalt angenom-
men).
1 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 818. – Zu Art. 1224 ff. franz. c.c. Sonnenberger, ZEuP 2017, 6
(56 f.).
2 OLG München v. 8.2.2006 – 7 U 3800/04, IPRspr. 2006 Nr. 30 = RIW 2006, 706 (jugoslaw. Ver-
tragshändler).
3 Zu 1178 franz. c.c. (Art. 1184 a.F.) Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (42 f.).
4 Vgl. Landfermann, S. 31 ff.; IPG 1999 Nr. 10 (Hamburg).
5 Helmreich, S. 145 ff.; Kost, S. 119; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 10; IPG 1967/68 Nr. 3
(München).
6 S. etwa LG Freiburg v. 6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A.
7 S. OLG Celle v. 31.3.1987 – 16 U 96/84, IPRspr. 1988 Nr. 17 = RIW 1988, 137 (Grundstückskauf);
OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867 (Grundstückskauf);
LG Hamburg v. 10.4.1974 – 5 O 67/73, IPRspr. 1974 Nr. 14 = RIW 1975, 351; LG Hamburg v.
20.4.1977 – 5 O 13/77, IPRspr. 1977 Nr. 16 = RIW 1977, 787 (Grundstückskauf).
8 OLG München v. 8.2.2006 – 7 U 3800/04, IPRspr. 2006 Nr. 30 = RIW 2006, 706; von Bar/Man-
kowski, IPR II, § 1 Rz. 822.
9 Zur Vereinbarung von pauschalem Schadensersatz nach ital. Recht, IPG 2012-14 Nr. 4 (Tübin-
gen).

222 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.156 § 3

der Festsetzung durch eine Jury)1. Für einen in Deutschland anhängigen Schadensersatzpro-
zess setzt die Vorschrift offenbar keine Schranken2. Ein deutsches Gericht ist zwar an die pro-
zessualen Vorschriften der §§ 286, 287 ZPO gebunden3, hat im Übrigen aber zunächst einmal
die lex causae anzuwenden. Ist dies das ausländische Recht, so ist festzustellen, ob es Regeln
des materiellen Rechts enthält, die auch in Deutschland angewendet werden können (z.B. ein
Höchstbetrag). In diesem Rahmen kann auch unter der Herrschaft eines ausländischen Rechts
die Schadensbemessung erfolgen.

- Verzugsschaden
Auch die Bemessung des Verzugsschadens richtet sich nach dem Vertragsstatut4. Der Schaden 3.154
wird häufig in Form von Verzugszinsen pauschaliert, ohne dass der Schaden im Einzelnen
nachgewiesen werden muss. So ist es im deutschen Recht, ähnlich in Frankreich, Italien,
Österreich und der Schweiz5. Die Vorschriften über den Zahlungsverzug sind durch eine
Richtlinie angeglichen worden6.

Ob der Schuldner für eine Geldentwertung oder den Kursschaden, den der Gläubiger bei 3.155
Währungsveränderungen nach Eintritt der Fälligkeit erleidet, einstehen muss, entscheidet
ebenfalls das Vertragsstatut7. Anders als in manchen anderen Rechten gehören nach deut-
schem und schweizerischem Recht zum Verzugsschaden auch diejenigen Vermögensnachteile,
die dem Gläubiger während des Verzuges durch eine eintretende Geldentwertung entstehen8.
Voraussetzung ist allerdings, dass es dem Gläubiger bei rechtzeitiger Zahlung voraussichtlich
gelungen wäre, den erhaltenen Geldbetrag wertbeständig anzulegen9.

Ob etwa eine Kaufpreisforderung in inländischer Währung bemessen war oder in einer aus- 3.156
ländischen Währung, ist gleichgültig. „Dass sich der Schaden in fremder Währung ausgewirkt
hat, kommt nur als Maßstab für die Bemessung der Höhe der Schuld des Ersatzpflichtigen in
Frage. Die in der Fremdwährung ermittelten Schadensbeträge bilden Rechnungsfaktoren für
die Feststellung des vom Schuldner in der Währung seines Landes zu leistenden Schadens-
ersatzes“10. Entscheidend ist nur, dass diese Währung in der Zeit zwischen Eintritt des Zah-
lungsverzuges und tatsächlicher Zahlung einen Wertverlust erlitten hat. Der Wertverlust zwi-
schen Abschluss des Vertrages und Eintritt der Zahlungsfälligkeit bleibt hierbei aber außer

1 Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 65; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (154 f.). – Für die
Schadenshöhe (quantification) halten die Anwendung der lex fori für möglich Dicey/Morris/Col-
lins, II Nr. 32–154.
2 Näher Siehr, BerDGesVölkR 27 (1986), 45 (114 f.).
3 LG Saarbrücken v. 9.3.2012 – 13 S 51/11, IPRax 2014, 180 (m. zust. Aufs. Eichel, 156 ff.); Stürner
in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11.
4 Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (81 f.); Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 30 (Stand
1.10.2020).
5 S. nur Art. 1231-6 n.F. franz. c.c.
6 Richtlinie 2011/7/EU v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl.
EU 2011 Nr. L 48, S. 1. – Dazu Schauer/Gruber in Mankowski (Hrsg.), Commercial Law, 2019, S.
1303 ff. Länderinformationen zur Umsetzung u.a. bei http://www.gtai.de/.
7 Vischer/Huber/Oser, Rz. 973.
8 Vgl. die Nachw. bei Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2051 f.).
9 S. auch RG v. 22.11.1923 – I 102/23, RGZ 107, 212; RG v. 24.9.1924 – I 586/23, RGZ 109, 16 (21);
RG v. 4.1.1938 – I 128/37, JW 1938, 946. Ferner schweiz. BG v. 10.10.1934, BGE 60 II, 340.
10 BGH v. 11.2.1958 – VIII ZR 34/57, WM 1958, 533.

Martiny | 223
§ 3 Rz. 3.156 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Betracht. Nach deutschem Recht kommt daher ein Schadensersatzanspruch in Betracht, wenn
während des Schuldnerverzuges der Geldwert der geschuldeten Währung gesunken ist1.

- Währung
3.157 Welche Schuldwährung für Schadensersatzansprüche aus Vertragsverletzungen gilt, ist nicht
völlig geklärt2. Teils geht man vom Schuld-(Vertrags)statut aus3. Das Schuldstatut kann aber
anordnen, dass in anderer als in der vereinbarten (Schuld-)Währung zu leisten ist4.

3.158 So nimmt man die Währung des Staates, in dessen Gebiet der Vermögensschaden tatsächlich
eingetreten ist, zum Ausgangspunkt5. Die UNIDROIT-Principles lassen eine alternative Scha-
densberechnung entweder in der Währung zu, in der die Zahlungspflicht ausgedrückt war,
oder in der Währung, in welcher der Schaden erlitten wurde6. Nach deutschem Recht steht es
den Parteien grundsätzlich frei zu vereinbaren, ob der Schadensersatz in in- oder auslän-
discher Währung geleistet werden soll. Fehlt eine solche Vereinbarung, so tendiert die Recht-
sprechung dazu, Schadensersatz in inländischer Währung zuzusprechen, auch wenn sie nicht
die Schuldwährung war7.

3.159 Vertragliche Schadensersatzansprüche gehören nach der deutschen Rechtsprechung nicht zu


den Forderungen, die von vornherein auf eine bestimmte Währung lauten. Geschuldet wird
nicht ein bestimmter Währungsbetrag, sondern Wertersatz8.

3.160 Dass sich der Schaden in einer fremden Währung ausgewirkt hat, kommt nur als Maßstab für
die Bemessung der Schuld in Betracht. Die in fremder Währung ermittelten Schadensbeträge bil-
den lediglich Rechnungsfaktoren für die Feststellung des zu gewährenden Schadensersatzes. So
kann ein Geschädigter, obwohl der Schaden in fremder Währung entstanden ist, auch dann Zah-
lung in deutscher Währung verlangen, wenn sich der Schuldner nicht dagegen gewendet hat9.

1 S. BGH v. 18.2.1976 – VIII ZR 162/74, RIW 1976, 229 (Kursverlust bei einer Dollarschuld). Eben-
so zum niederländ. Recht H.R. v. 8.12.1972, N.J. 1973 Nr. 377, Anm. Czapski, AWD 1974, 49
(Kursverlust bei einer Kaufpreisforderung in französ. Francs).
2 Vgl. Nachw. bei Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2054 f.); Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (264 ff.).
3 So auch Vischer/Huber/Oser, Rz. 972. – Dagegen für eine Gleichbehandlung vertraglicher und au-
ßervertraglicher Ansprüche Grothe, S. 323 ff. (Währung des Schadens).
4 LG Hamburg v. 16.11.1973 – 66 O 16/73, IPRspr. 1973 Nr. 20 = AWD 1974, 410 (Schadensersatz-
anspruch aus Verletzung einer Lieferverpflichtung, die griech. Recht unterlag, in griech. Währung
bemessen, obwohl Kaufpreis in US-Dollar ausgedrückt war). – Dafür, dass vertraglicher Schadens-
ersatz u.U. auch in anderer Währung zu leisten ist, auch Vischer/Monnier in ZürchKomm, Art. 147
IPRG Rz. 13.
5 Vischer/Huber/Oser, Rz. 972.
6 Vgl. Art. 7.4.12 UNIDROIT-Principles 2016. – Dazu Grothe, S. 318 f. S. auch Art. III.-3:713 DCFR.
7 S. Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (253 ff.); Drobnig, S. 256 m.w.N. – S. bereits RG v. 8.4.1921 – II
497/20, RGZ 102, 60 (62) (Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des in Deutschland an-
sässigen dän. Verkäufers unterlag deutschem Recht. Schuldwährung waren dän. Kronen. Scha-
densersatz in deutscher Währung bemessen).
8 BGH v. 10.7.1954 – VI ZR 102/53, BGHZ 14, 212 (217) = JZ 1955, 161 Anm. Kegel. – Von der
Währung des Gläubigervermögens geht aus Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (266 ff.).
9 BGH v. 9.2.1977 – VIII ZR 149/75, IPRspr. 1977 Nr. 11 = WM 1977, 478 (479) (Schadensersatz-
anspruch wegen Handelns ohne Vertretungsmacht unterlag deutschem Recht. Schaden war in
französ. Währung entstanden. „Obgleich der Schaden in Frs entstanden ist, kann der Kläger je-
denfalls dann Zahlung in deutscher Währung verlangen, wenn, wie hier, der Schuldner keine Ein-
wendungen erhebt.“).

224 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.161 § 3

4. Zinsanspruch
Literatur: Bachner/Lemanska, Zinsen bei Zahlungsverzug nach der Umsetzung der Richtlinie 2000/
35/EG in Deutschland, Österreich und Polen in Liebscher (Hrsg.), Harmonisierung des Wirtschafts-
rechts in Deutschland, Österreich und Polen (2008), S. 151; Bälz, Zinsverbote und Zinsbeschränkun-
gen im internationalen Privatrecht, IPRax 2012, 306; Berger, Der Zinsanspruch im Internationalen
Wirtschaftsrecht, RabelsZ 61 (1997), 313; Bilda, Zinsrecht in Spanien und Deutschland (1994); Bon-
sau/Feuerriegel, Die Probleme der Bestimmung von Fälligkeitszinsen im UN-Kaufrecht, IPRax 2003,
421; Brand, Das internationale Zinsrecht Englands (2002); Faust, Zinsen bei Zahlungsverzug, RabelsZ
68 (2004), 511; Grothe, Der Verzugszins bei Fremdwährungsforderungen nach griechischem und
deutschem Recht, IPRax 2002, 119; Grube, Verzugszinsen in Spanien, RIW 1992, 634; Gruber, Die
kollisionsrechtliche Anknüpfung der Verzugszinsen, MDR 1994, 759; Grunsky, Anwendbares Recht
und gesetzlicher Zinssatz in FS Merz (1992), S. 147; Hau, Richterrecht, Gesetzesrecht, Europarecht –
Zur Fortentwicklung des englischen Vertragsrechts am Beispiel des gesetzlichen Zinsanspruchs,
ZVglRW 98 (1999), 260; Kindler, Zur Anhebung des gesetzlichen Zinssatzes in Italien, RIW 1991, 304;
Königer, Die Bestimmung der gesetzlichen Zinshöhe nach dem deutschen Internationalen Privatrecht
– Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Art. 78 und 84 I UN-Kaufrecht (CISG)
(1997); Krüger, Zur Zinsproblematik nach türkischem Recht, WM 2000, 1469; Krüger, Zum isla-
mischen Zinsverbot in Vergangenheit und Gegenwart, FS Welser (Wien 2004), S. 579; Maiwald, Das
Zinsverbot des Islam und die islamischen Banken, RIW 1984, 521; Mann/Kurth, Haftungsgrenzen
und Zinsansprüche in internationalen Übereinkommen, RIW 1988, 251; Ostendorf, Verzugszinsen im
englischen Recht, RIW 2020, 93; Rau, Flexibler gesetzlicher Zinsfuß und Zinstableau in Spanien, RIW
1984, 654; Rauscher, Sonderregelungen zum Verzugszins im spanischen Recht, RIW 1997, 879; San-
drock, Verzugszinsen vor internationalen Schiedsgerichten: insbesondere Konflikte zwischen Schuld-
und Währungsstatut, JbPraxSchG 3 (1989), 64; Sandrock, Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie
und Praxis (1995), S. 495; Schmitz, Zinsrecht – Eine Studie zum Recht der Zinsen in Deutschland und
in Mitgliedstaaten der Europäischen Union (1994); Strömer/Le Fevre, Gesetzliche Zinsen in Frank-
reich, EuZW 1992, 210; Szécsényi, Verzugszinsen nach Verurteilung zur Leistung in Fremdwährung,
IPRax 1997, 196 (Ung.); Vogler, Zinsrecht in den Niederlanden (2002); Wessels, Zinsrecht in Deutsch-
land und England (1992).
Verzugszinsen sind materiell-rechtlich zu qualifizieren1. Welches Recht für die Entstehung 3.161
und die Höhe des Zinsanspruchs gilt, ist jedoch umstritten. Nach h.M. folgen vertragliche
Forderungen dem Schuldstatut2. Das gilt insbesondere für Fälligkeitszinsen3 (vgl. § 353
HGB) und Verzugszinsen4 (vgl. §§ 288, 247 BGB). Beispielsweise wird der Zinssatz nach ita-

1 Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (79) m.w.N. So auch Cerina, Interest as Damages in Interna-
tional Commercial Arbitration, Am.Rev.Int.Arb. 4 (1993), 255 (262 ff.).
2 Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 24; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO
Rz. 90. – Vgl. auch OLG Hamm v. 8.3.1991 – 12 UF 308/90, IPRspr. 1991 Nr. 78 = FamRZ 1991,
1319 (Morgengabe nach iran. Recht).
3 LG Frankfurt/M. v. 12.1.1994 – 3/8 O 208/91, IPRspr. 1994 Nr. 22 = RIW 1994, 778.
4 OLG Frankfurt v. 19.12.1996 – 16 U 47/95, IPRspr. 1996 Nr. 10 = NJW-RR 1997, 810 (Schweiz);
Grube, RIW 1992, 637; Grothe, IPRax 2002, 119 (120); Bonsau/Feuerriegel, IPRax 2003, 421 (424);
Königer, S. 66 ff.; Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO
Rz. 12. Ebenso schon BGH v. 30.6.1964 – VI ZR 88/63, WM 1964, 879 (881) (Verzugszinsen nach
Vertragsstatut beurteilt); OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46, S. 160
(Zinsanspruch aus Kaufvertrag nach engl. Recht, das auf deutschen Handelsbrauch verwies); OLG
Karlsruhe v. 15.12.1965 – 1 U 30/65, IPRspr. 1964/65 Nr. 194 = WM 1966, 1312 (Abstraktes
Schuldversprechen in Brasilien. Höchstgrenze der Monats- und Verzugszinsen nach brasilian.
Recht bestimmt).

Martiny | 225
§ 3 Rz. 3.161 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

lienischem Recht durch Dekret festgesetzt1. Die Rechtsprechung greift auch auf das Vertrags-
statut zurück, um die Zinshöhe nach Art. 78 CISG zu bestimmen2 (s. Rz. 25.78).

3.162 Lautet die Vertragswährung auf eine harte Währung, ist Vertragsstatut aber das Recht eines
Landes mit hoher Inflationsrate, so kann Letzteres auch einen erhöhten Zinssatz vorsehen.
Dann besteht die Gefahr, dass dem Verzugsschuldner eine übermäßige Last auferlegt wird
und der Gläubiger einen ungerechtfertigten Gewinn macht, wenn er den wirtschaftlichen Be-
dingungen des Inflationslandes gar nicht ausgesetzt ist. Freilich treten diese Spannungen nicht
auf, wenn die ausländische Rechtsordnung (wie z.B. das türkische Recht) dann, wenn nicht
die heimische, sondern eine ausländische Währung vereinbart wurde, einen wesentlich nied-
rigeren Zinssatz als für Verbindlichkeiten in heimatlicher Währung vorsieht. Hier trifft bereits
das Sachrecht eine Vorkehrung gegen eine übermäßige Belastung. Ferner kann der gesamte
Verzugsschaden nach der lex causae liquidierbar sein.

3.163 Allerdings wird verschiedentlich auch eine andere kollisionsrechtliche Anknüpfung vor-
geschlagen; die Höhe der Verzugszinsen soll sich nach dem Recht der Vertragswährung rich-
ten3. Dieser Ansatz führt jedoch zu anderen Nachteilen. So würden trotz ihres inneren Zusam-
menhanges Leistungsstörungen, Schadensberechnung und Verzugszins unterschiedlichen
Rechten unterworfen4. Ferner können Schwierigkeiten bei der Bestimmung der maßgeblichen
Währung auftreten.

3.164 Eine vermittelnde Auffassung will es daher grundsätzlich bei der Maßgeblichkeit des Vertrags-
statuts belassen, auch wenn dieses einen höheren oder einen niedrigeren Zinssatz als das
Recht der geschuldeten Währung vorsieht. In bestimmten Konstellationen soll jedoch das
Recht der geschuldeten Währung das Ergebnis des Vertragsstatuts korrigieren5. Zu einer He-
rabsetzung auf das Niveau des Rechts der geschuldeten Währung kommt es dann, wenn der
Gläubiger im Geltungsbereich dieses Rechts lebt oder unternehmerisch tätig ist und sich zu
niedrigeren Kosten als im Geltungsbereich des Vertragsstatuts refinanzieren kann. Dagegen
soll eine Heraufsetzung auf das Niveau des Rechts der geschuldeten Währung erfolgen, wenn
der niedrigere Zinssatz und die Schadensersatzregelung des Vertragsstatuts nicht zum Ersatz
des Verzugsschadens führen.

3.165 Auch Prozesszinsen wegen Rechtshängigkeit (vgl. § 291 BGB) wird man nach dem Vertrags-
statut zu bestimmen haben, weil die Rechtshängigkeit zwar den Anspruch auslöst, aber nichts

1 Art. 1284 c.c. – Zu anderen Staaten Bonsau/Feuerriegel, IPRax 2003, 424 f. Zu England, Frankreich
und New York, s. Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (72 ff.). Ferner Angaben zum gesetzlichen
Zinssatz bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr im Internetangebot von Germany Trade & In-
vest (gtai).
2 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, IPRspr. 1986 Nr. 42 = IPRax 1988, 99 (m. zust. Aufs.
Schwenzer, IPRax 1988, 86) (Speditionsvertrag. Verzugszinsen nach engl. Vertragsstatut zugespro-
chen); OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = IPRax 1990, 105 (m. Aufs.
Prinzing, IPRax 1990, 83) = RIW 1989, 221 (Alleinvertriebsvertrag. Verzugszinsen nach schweiz.
Recht).
3 Grunsky, FS Merz, S. 147 (152); Berger, RabelsZ 61 (1997), 313 (326 ff.); Königer, S. 135 f. – Dage-
gen Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7.
4 Nur Schadensersatz, nicht aber Verzugszinsen will in grenzüberschreitenden Fällen gewähren Gru-
ber, MDR 1994, 759 (760).
5 Näher Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (81 ff.).

226 | Martiny
E. Leistungsstörungen | Rz. 3.170 § 3

an seiner materiell-rechtlichen Natur ändert1. Nach a.A. handelt es sich um eine der lex fori
folgende prozessuale Frage2.

Die englische Rechtsprechung hat jedenfalls vor Ratifikation des EVÜ daran festgehalten, dass 3.166
das Bestehen des Zinsanspruches vom Schuldstatut, seine Höhe jedoch von der lex fori be-
stimmt wird3.

Die Vorschriften über Zinsansprüche sind in den einzelnen Rechtsordnungen sehr verschie- 3.167
den gefasst. UU können auch Ansprüche auf Zinseszinsen entstehen4. Dagegen geht das isla-
mische Recht von einem grundsätzlichen Zinsverbot aus.

5. Einreden, Zurückbehaltungsrecht
Literatur: Eujen, Die Aufrechnung im internationalen Verkehr zwischen Deutschland, Frankreich
und England (1975); Magnus, Zurückbehaltungsrecht und IPR, RabelsZ 38 (1974), 440.
Ob einer Forderung materiell-rechtliche Einreden entgegenstehen, bestimmt grundsätzlich 3.168
das für sie geltende Statut. So richtet sich die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach dem
Vertragsstatut5.

Für die Einrede der Vorausklage gilt das Bürgschaftsstatut (dazu Rz. 16.12). Einreden sind 3.169
auch für die Aufrechnung von Bedeutung. Unterstehen Haupt- und Gegenforderung ver-
schiedenen Rechtsordnungen (s. Rz. 3.238), so bestimmt das Recht der Hauptforderung, ob
eine einredebehaftete Forderung aufgerechnet werden kann. Dagegen ist das Statut der Gegen-
forderung dafür maßgeblich, ob ihr eine Einrede entgegensteht6.

Bei schuldrechtlichen Zurückbehaltungsrechten geht es darum, ob der Schuldner die Erfül- 3.170
lung unter Berufung auf einen eigenen Gegenanspruch verweigern kann. Solche Zurückbehal-
tungsrechte unterliegen dem Schuldstatut. Gilt für beide Ansprüche dasselbe Recht, so ist das
gemeinsame Statut anwendbar7.

1 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12; IPG 1978 Nr. 4 (Göttingen) zum kanad. Recht. –
Vgl. auch Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 24.
2 S. LG Aschaffenburg v. 7.7.1953 – O 249/51, IPRspr. 1952/53 Nr. 38 (Deliktischer Schadensersatz-
anspruch nach luxemburg. Recht; Prozesszinsen nach deutschem Recht); LG Frankfurt/M. v.
12.1.1994 – 3/8 O 208/91, IPRspr. 1994 Nr. 22 = RIW 1994, 778 (Maklervertrag nach dän. Recht
beurteilt; Prozesszinsen nach deutschem Recht).
3 Miliangos v. George Frank (Textiles) Ltd. (Nr. 2), [1976] 3 W.L.R. 477 (Q.B.) = RIW 1977, 168
(Kauf nach schweiz. Recht. Zinshöhe nach engl. Recht bestimmt; dabei jedoch auf die schweiz.
Verhältnisse abgestellt). – Dazu auch Königer, S. 69 f. – Gegen ein Weitergelten offenbar Kaye, The
new private international law of contract of the European Community (Aldershot 1993), S. 300.
4 Zum belg. Recht s. IPG 1975 Nr. 2 (München), S. 15 ff. Zu Verzugszinsen nach span. Recht s. IPG
1973 Nr. 11 (Hamburg). Keinen ordre public-Verstoß sieht hierin OLG Hamburg v. 26.1.1989 – 6
U 71/88, IPRspr. 1990 Nr. 236 = RIW 1991, 152 (Schiedsspruch).
5 IPG 1980/81 Nr. 14 (Freiburg) zum französ. Recht. S. bereits RG v. 25.5.1928 – II 578/27, IPRspr.
1928 Nr. 13 = JW 1928, 2013 (Kauf von Gesellschaftsanteilen; Einrede der Nichterfüllung nach
deutschem Vertragsstatut).
6 OLG Frankfurt v. 4.7.1967 – 5 U 202/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 35 (Hauptforderung unterstand
deutschem, Gegenforderung niederländ. Recht. Nach niederländ. Recht stand der Forderung die
Einrede des gerichtlich eingeräumten Zahlungsaufschubs entgegen).
7 OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, IHR 2017, 120 = IPRax 2019, 314 (317); IPG 1975
Nr. 5 (München) (Grundstückskauf span. Recht unterstellt. Zurückbehaltungsrecht nach span.
Schuldrecht); Kegel/Schurig, S. 755; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 778.

Martiny | 227
§ 3 Rz. 3.171 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.171 Unterliegt jeder der beiden Ansprüche einem anderen Recht, so kommt es nach h.M. auf das
Recht desjenigen Anspruchs an, dessen Erfüllung verweigert wird (Hauptforderung). Bereits
das RG hat – ebenso wie bei der Aufrechnung – zutreffend auf das Recht des Hauptanspruchs
abgestellt1.

3.172 Nach der Gegenansicht soll aus Gründen des Schuldnerschutzes das Recht der Aktivforderung
(Gegenforderung) maßgeblich sein2. Vertreten wurde auch, das Recht am Niederlassungsort
des Zurückbehaltenden solle entscheiden3.

6. Vertragsstrafe
Literatur: Berger, Vertragsstrafen und Schadenspauschalierungen im Internationalen Wirtschaftsver-
tragsrecht, RIW 1999, 401; Berger, Vertragsstrafenklauseln im englischen Recht, RIW 2016, 321;
Brendler, Die Vertragsstrafe und ihre Grenzen – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deut-
schen und englischen Rechts (2019); Cannarsa, Contractual Penalties in French Law, Eur.Rev.Priv.L.
23 (2015), 283; DiMatteo, Behavioural Case for Contractual Penalties under the Common Law, Eur.
Rev.Priv.L. 23 (2015), 327; Doralt, Penalty Clauses in Commercial Contracts, FS Koziol (Wien 2020),
S. 17 (England, Frankreich, Italien, Österreich); Gebauer/Huber (Hrsg.), Rechtsdurchsetzung durch
Vertragsstrafe und Aufrechnung (2018) (China, Common Law, Frankreich, Polen); Jaffe/Jaffe, Stipula-
ted Damage Provisions in France and the United States, Am.J.Comp.L. 33 (1985), 637; Kronke, Ver-
tragsstrafe, pauschalierter Schadensersatz und Verwandtes im transnationalen Vertragsrecht, FS Lin-
dacher (2017), S. 253; Le Goff, Die Vertragsstrafe in internationalen Verträgen zur Errichtung von
Industrieanlagen (2005); Leible, Die richterliche Herabsetzung von Vertragsstrafen im spanischen
Recht, ZEuP 2000, 322; Matthies, Die Vertragsstrafe im französischen, deutschen und englischen
Recht mit Blick auf die Angleichung der Rechtssysteme (2000); Patti, Penalty Clauses in Italian Law,
Eur.Rev.Priv.L. 23 (2015), 309; Steltmann, Die Vertragsstrafe in einem europäischen Privatrecht (2000)
(betr. Frankreich, England, Schweden).
3.173 Die Vertragsstrafe untersteht dem Statut der Hauptverpflichtung, deren vertragsgemäße Erfül-
lung sie sichern soll, da sie – selbst bei nachträglicher Vereinbarung – nur eine besondere Ver-
tragsklausel darstellt4. Dies gilt insbesondere für die Gültigkeit des Strafversprechens, seine
Voraussetzungen und Wirkungen5. Zum Verbrauchervertrag s. Rz. 35.1 ff.

3.174 Selbst dort, wo keine Vertragsstrafe zulässig ist, wird doch regelmäßig eine Schadensersatz-
pauschalierung (z.B. „liquidated damages“ nach amerikanischem Recht, vgl. § 2–718 UCC)
gestattet. Auch der pauschalierte Schadensersatz unterliegt der lex causae6.

1 RG v. 14.3.1908, LZ 1908, 451 Nr. 38 (Kaufvertrag); RG v. 26.6.1913 – II 189/13, LZ 1914, 283


(Liefervertrag). Ebenso Kegel/Schurig, S. 755; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 778.
2 So Magnus, RabelsZ 38 (1974), 440 (447).
3 So Eujen, S. 130.
4 OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 1012; Lagarde, Rev.
crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333); Berger, RIW 1999, 401 (402); Stürner in Erman, Art. 12 Rom I
Rz. 12.
5 Ebenso schon OLG Koblenz v. 3.6.1976 – 9 U 795/75, IPRspr. 1976 Nr. 139 (Grundstückskauf.
Span. Recht galt für Vertragsstrafevereinbarung); LG Aachen v. 7.2.1984 – 41 O 200/83, IPRax
1985, 45 (LS) Anm. Jayme (Warenkauf; Konventionalstrafe des belg. Verkäufers i.H.v. 20 % der
Rechnungssumme für wirksam gehalten, aber fälschlich nicht nach belg. Recht geprüft); IPG 1976
Nr. 7 (Köln) (Vertragsstrafe nach niederländ. Recht). Zu den Niederlanden auch IPG 2002 Nr. 3
(Osnabrück).
6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 95.

228 | Martiny
F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) | Rz. 3.177 § 3

Ist die Höhe der Vertragsstrafe übermäßig, so kann sie nach den meisten Rechtsordnungen 3.175
herabgesetzt werden (etwa Art. 1231-5 Abs. 2 n.F. franz. c.c.; Art. 1384 italien. c.c.; Art. 1154
span. c.c.)1. Die Herabsetzung unangemessener Vertragsstrafen gem. § 343 BGB, § 348 HGB
ist, da sie wegen ihres zwingenden Schutzzweckes zum deutschen ordre public (Art. 21
Rom I-VO) zu rechnen ist, aber auch dann möglich, wenn das Schuldstatut sie nicht kennt2.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Vertragsstrafe wesentlich höher ist als etwa eine nach
deutschem Recht mögliche Schadensersatzpauschale3.

F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO)

Literatur: Blanchard, Die prozessualen Schranken der Formfreiheit – Beweismittel und Beweiskraft
im EG-Schuldvertragsübereinkommen in deutsch-französischen Vertragsfällen (2002); Coester-Walt-
jen, Internationales Beweisrecht (1983); Eichel, Die Anwendbarkeit von § 287 ZPO im Geltungs-
bereich der Rom I- und der Rom II-Verordnung, IPRax 2014, 156; Frey, Anwendung ausländischer
Beweismittelvorschriften durch deutsche Gerichte, NJW 1972, 1602; Heinemann, Die Beweislastvertei-
lung bei positiven Forderungsverletzungen – Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berück-
sichtigung des französischen Rechts (1988); Mankowski, Die Darlegungs- und Beweislast für die Tat-
bestände des Internationalen Verbraucherprozess- und Verbrauchervertragsrechts, IPRax 2009, 474;
Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten europäischen Kollisionsrecht,
IPRax 2010, 285.

I. Allgemeines
Das Vertragsstatut ist auch insoweit maßgeblich, als es für vertragliche Schuldverhältnisse ge- 3.176
setzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt, so Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO4.
Grundsätzlich sind die Vorschriften der Rom I-VO auf den Beweis und das Verfahren (evi-
dence and procedure; la preuve et la procédure) nicht anzuwenden (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO),
vgl. Rz. 1.123. Art. 18 Rom I-VO ist somit eine Ausnahmevorschrift, die keine umfassende
Regelung der Beweislast oder der Beweismittel beabsichtigt. Vielmehr wurden nur einige für
vertragliche Schuldverhältnisse besonders wichtige Fragen herausgegriffen. Im Übrigen geht
die Rom I-VO davon aus, dass Beweisfragen in weitem Umfang der lex fori unterliegen5. Al-
lerdings enthält Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO noch eine Erweiterung der zulässigen Beweisarten.
Grundsätzlich sind nämlich auch alle Beweisarten nach einem der in Art. 11 Rom I-VO be-
zeichneten Rechte, nach denen das Rechtsgeschäft formgültig ist, zulässig.

II. Beweisgegenstand und Beweislast (Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO)


Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO erklärt für gesetzliche Vermutungen und die Beweislast das Ver- 3.177
tragsstatut für maßgeblich. Allerdings wird dies nur für Fragen hinsichtlich vertraglicher

1 Der Europarat hat mit Entschließung v. 20.1.1978 eine Angleichung des Rechts der Vertragsstrafe
empfohlen. S. Rev.dr.unif. 1978 II, 222.
2 Nußbaum, IPR, S. 235; Wolff, S. 66; Raape/Sturm, I S. 213; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO
Rz. 12; a.A. Frankenstein, II S. 232; Rau, RIW 1978, 23 (26).
3 OLG Hamburg v. 23.12.1902 – Lorenzen/Kelly, NiemZ 14 (1904), 79 = OLGE 6 (1903), 231 (Dän.
Recht Vertragsstatut. Ermäßigung der Vertragsstrafe nach der lex fori).
4 Die Vorschrift entspricht Art. 14 Abs. 1 und 2 EVÜ, der seinerseits auf Art. 19 EVÜ-Entw. 1972
zurückgeht.
5 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.

Martiny | 229
§ 3 Rz. 3.177 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Schuldverhältnisse angeordnet, d.h. es muss sich grundsätzlich um Bestimmungen im Ver-


tragsrecht handeln1. Außervertragliche Schuldverhältnisse werden also grundsätzlich nicht er-
fasst (vgl. dazu Art. 22 Rom II-VO). Freilich muss das Gleiche wie für Verträge auch dann
gelten, wenn etwa Bereicherungsansprüche nach Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO geltend ge-
macht werden. Dies verlangt eine einheitliche Abwicklung des Schuldverhältnisses.

3.178 Gesetzliche Vermutungen (presumptions of law; présomptions légales) sind solche, die auf-
grund gesetzlicher Anordnung bestimmte Sachverhalte unwiderleglich oder widerlegbar für
vertragliche Schuldverhältnisse annehmen2. Gleichgestellt sind richterrechtliche Regeln3. Sol-
che Regeln haben materiell-rechtlichen Gehalt und legen damit die Vertragspflichten der Ver-
tragsparteien fest. Dazu gehört z.B. Art. 1731 franz. c.c., wonach vermutet wird, dass der Mie-
ter die Mietsache „en bon état“ erhalten und sie in diesem Zustand zurückzugeben hat4. Ent-
sprechendes gilt für Fiktionen; auch sie unterstehen dem Vertragsstatut5.

3.179 Die Beweislast (burden of proof; charge de la preuve) betrifft vor allem die Frage, wen das
Risiko der Nichtnachweisbarkeit einer Tatsache betrifft. Ausländische Rechte enthalten ebenso
wie das deutsche Recht eine Reihe von Bestimmungen über die Beweislast hinsichtlich des
Verschuldens oder der Nichterfüllung (vgl. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Dem Vertragsstatut unter-
liegt z.B. die Regel des Art. 1231-1 n.F. franz. c.c., wonach der Schuldner zu Schadensersatz
verpflichtet ist, wenn er nicht nachweist, dass die Nichterfüllung der Verpflichtung auf einem
ihm nicht anzulastenden Grund beruht6. Auch die Beweislast, dass zum Zwecke der Erfüllung
geleistet wurde, richtet sich nach dem Schuldstatut7. Es entscheidet ferner darüber, ob als Er-
füllung angenommen wurde8. Der Anscheinsbeweis betrifft die Frage, wann ein bestimmtes
Geschehen den Schluss auf weitere Tatsachen erlaubt. Er wird zwar teilweise als Frage der Be-
weiswürdigung angesehen und dementsprechend der lex fori unterstellt9. Wegen seiner engen
Verknüpfung mit dem materiellen Recht ist er jedoch nach dem Vertragsstatut zu beurtei-
len10.

3.180 Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO meint jedoch nur materiell-rechtliche Beweislastregeln. Davon zu
unterscheiden sind Beweisvorschriften verfahrensrechtlicher Art, insb. solche, welche die
Auswirkungen des prozessualen Verhaltens der Parteien betreffen11. Dazu gehört z.B. die Ant-
wort auf die Frage, ob nichtbestrittenes Vorbringen als zugestanden gilt. Solche Regeln sind

1 Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.


2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 18 Rom I-VO Rz. 25.
3 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 18 Rom I-VO Rz. 2; Spellenberg in MünchKomm, Art. 18
Rom I-VO Rz. 25.
4 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.
5 Stürner in Erman, Art. 18 Rom I-VO Rz. 4.
6 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68; IPG 1980/81 Nr. 14 (Freiburg), S. 122 f.; Gaudemet-
Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (282).
7 OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867 (span. Recht). –
Vgl. IPG 1970 Nr. 3 (Hamburg), S. 21.
8 OLG Kiel v. 25.5.1903, OLGE 7, 154 (Verkauf von Stroh nach England; Beweislast, dass Annahme
nicht als Erfüllung gem. § 363 BGB gelten sollte, nach Vertragsstatut [damals: Verkäuferrecht] be-
urteilt).
9 Thole, IPRax 2010, 285 (287); Stürner in Erman, Art. 18 Rom I-VO Rz. 4.
10 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 18 Rom I-VO Rz. 6. – Ebenso Coester-Waltjen, Rz. 353 f.; Mag-
nus in Staudinger, Art. 18 Rom I Rz. 25.
11 So ausdrücklich Art. 19 Abs. 1 EVÜ-Entw. 1972.

230 | Martiny
F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) | Rz. 3.184 § 3

der lex fori zu entnehmen1. Ausländische Beweislastregeln sind aber selbst dann materiell-
rechtlich zu qualifizieren, wenn das ausländische interne Recht sie prozessual einordnet2.

III. Beweismittel für den Beweis von Rechtsgeschäften (Art. 18 Abs. 2 Rom I-
VO)
Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO beschäftigt sich speziell mit dem Beweis eines Vertrages oder eines 3.181
anderen Rechtsgeschäfts. Zulässig sind danach nicht nur alle Beweisarten (modes of proof;
modes de preuve) der lex fori, sondern grundsätzlich auch der für die Form maßgeblichen
Rechtsordnung3. Damit kann der Beweis alternativ auf die lex fori oder das Formstatut (nach
Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich lex causae und lex loci actus bzw. für Verbraucherver-
träge Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO) gestützt werden. Dies steht in Einklang mit der die Partei-
erwartungen schützenden französischen Lehre vom „maximum des preuves“.

Folglich kann für die Beweisbarkeit eines Rechtsgeschäfts im Allgemeinen auf diejenige 3.182
Rechtsordnung zurückgegriffen werden, nach deren Formvorschriften es errichtet wurde. Vo-
raussetzung dieser Erleichterung ist allerdings, dass das Rechtsgeschäft nach dem Formstatut
gültig ist4. Daher muss der inländische Richter auch ausländische Beweisarten akzeptieren,
die in seinem Recht nicht oder nicht so vorgesehen sind. Dies gilt beispielsweise für den Zeu-
gen- oder Urkundenbeweis5. Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO zielt aber lediglich auf eine Erleichte-
rung des Beweises ab; es dürfen nicht strengere Beweisvorschriften des Formstatuts angeführt
werden, um einen der lex fori genügenden Nachweis auszuräumen.

Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO beschränkt jedoch die alternative Anwendung des Formstatuts im 3.183
Interesse der lex fori. Vorausgesetzt wird nämlich, dass der Beweis in dieser Art vor dem ange-
rufenen Gericht erbracht werden kann (can be administered; puisse être administré). Es
kommt darauf an, ob das Beweismittel nach der lex fori zulässigerweise in der Beweisaufnahme
verwendet werden kann. Ausgeschlossen ist es dann, wenn das Beweisverfahrensrecht der lex
fori entgegensteht. So kann z.B. in Deutschland eine Partei nicht als Zeuge, wohl aber als Par-
tei vernommen werden (§ 445 ZPO)6. Ausgeschlossen ist ferner, dass innerhalb einer bestimm-
ten Verfahrensart, die – wie der deutsche Urkundenprozess nur bestimmte Beweismittel zulässt
(vgl. § 595 ZPO) – nach der lex fori unzulässigen Beweismittel eingeführt werden7. Werden
Rechte in öffentliche Register eingetragen, so kann die mit der Registerführung betraute Stelle
solche Beweisarten zurückweisen, die in ihrem eigenen Recht nicht vorgesehen sind8.

Die Rom I-VO regelt die Beweiskraft der Rechtsgeschäfte nicht (s. Rz. 5.299 ff.). Die Frage, 3.184
in welchem Maße eine Urkunde ein hinreichender Beweis für die darin enthaltenen Verpflich-
tungen ist, sowie das Problem der zulässigen Beweisarten gegen die Richtigkeit und Vollstän-
digkeit einer Urkunde, ist damit offen geblieben9.

1 Ebenso zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.


2 von Hein in Rauscher, Art. 18 Rom I-VO Rz. 1; Magnus in Staudinger, Art. 18 Rom I Rz. 23.
3 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624).
4 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69.
5 Akzeptierte Rechnung nach belg. Recht, OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 =
NJW-RR 1997, 182.
6 Leible in NK, Art. 18 Rom I-VO Rz. 11.
7 BT-Drucks. 10/504, 82.
8 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69.
9 Anders noch Art. 19 EVÜ-Entw. 1972. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69.

Martiny | 231
§ 3 Rz. 3.185 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

G. Erlöschen des Schuldvertrages

I. Allgemeines
3.185 Bezüglich des Erlöschens des Schuldverhältnisses heißt es in Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO1, dass
das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht insbesondere maßgebend
ist für die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen sowie die Verjährung und
die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-
VO). Ferner gilt dieses Recht für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags (Art. 12 Abs. 1 lit. e
Rom I-VO).

3.186 Mithin bestimmt grundsätzlich das Vertragsstatut über die Tatbestände, die das Erlöschen ei-
nes Anspruchs oder des gesamten Schuldverhältnisses herbeiführen. Dazu gehören insbeson-
dere die vier Erlöschensgründe des BGB, nämlich: Erfüllung (die allerdings in Art. 12 Abs. 1
lit. b Rom I-VO gesondert erwähnt wird), Hinterlegung, Aufrechnung und Erlass. Unterliegen
die Verpflichtungen verschiedenen Rechtsordnungen, so gilt für ihr Erlöschen das Recht, dem
die jeweilige Verpflichtung untersteht.

3.187 Soweit nach dem Vertragsstatut einseitige rechtsgeschäftliche Aufhebungsakte möglich sind,
gehören sie ebenfalls in diesen Zusammenhang. Zu nennen sind die Anfechtung bei Willens-
mängeln (Rz. 3.94 ff.), die Wandlung im Gewährleistungsrecht (Rz. 25.130 ff.), der Rücktritt
(Rz. 3.152) und die Kündigung2. – S. aber zum arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz
Rz. 11.136 ff.

3.188 Bei der Konfusion unterliegen i.d.R. nur die Folgen dem Schuldstatut. Ob sich Gläubiger und
Schuldner in einer Person vereinigen, bestimmt das für das betreffende Verhältnis maßgeb-
liche Ehe-, Erb- oder Gesellschaftsrecht3.

II. Erfüllung
Literatur: Atamer, Erfüllung und ihre Surrogate in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwör-
terbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 432; Bajons, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes,
FS Geimer (2002), S. 15; Buchwitz, Handelsklauseln und Erfüllungsort im materiellen Recht und
IZVR, IHR 2013, 108; Emde, Heimatgerichtsstand für Handelsvertreter und andere Vertriebsmittler?,
RIW 2003, 505; Gsell, Autonom bestimmter Gerichtsstand am Erfüllungsort nach der Brüssel I-Ver-
ordnung, IPRax 2002, 484; Hau, Die Kaufpreisklage des Verkäufers im reformierten europäischen Ver-
tragsgerichtsstand, JZ 2008, 974; Hau, Gerichtsstandsvertrag und Vertragsgerichtsstand beim inner-
europäischen Versendungskauf, IPRax 2009, 44; Heß, Vertragspflichten ohne Erfüllungsort?, IPRax
2002, 376; Junker, Der Gerichtsstand für internationale Verträge nach der Brüssel I-Verordnung im
Licht der neueren EuGH-Rechtsprechung, FS Martiny (2014), S. 761; Kadner Graziano, Der Gerichts-
stand des Erfüllungsortes in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F., RIW 2016, 14; Magnus, Die Vertragsmäßigkeit
der Leistung in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2000),
S. 113; Magnus, Das UN-Kaufrecht und die Erfüllungsortzuständigkeit in der neuen EuGVO, IHR

1 Früher Art. 10 EVÜ bzw. Art. 32 EGBGB.


2 BGH v. 14.11.1996 – I ZR 201/94, IPRspr. 1996 Nr. 38 = NJW 1997, 1150 (Kündigung von Ver-
lagsvertrag nach deutschem Recht); OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRspr. 1980
Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (Anm. Jayme, IPRax 1983, 105) (Kündigung eines Importeurvertrages
mit amerikan. Kfz-Importeur unterlag deutschem Recht entsprechend dem Vertragsstatut); LG
München I v. 11.2.1965 – 6 O 803/62, IPRspr. 1964/65 Nr. 43 = RzW 1965, 375 (nach amerikan.
Recht konnte ein Rechtsberatungsvertrag jederzeit gekündigt werden).
3 Ferrari in Magnus/Mankowski, Art. 12 Rome I Rz. 26.

232 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.192 § 3

2002, 45; Mankowski, Ein Erfüllungsortsbegriff unter Art. 5 Nr. I lit. b EuGVVO – ein immer größer
werdendes Rätsel?, IHR 2009, 46; Markus, Tendenzen beim materiellrechtlichen Vertragserfüllungsort
im internationalen Zivilverfahrensrecht (Basel 2009); Mumelter, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes
im europäischen Zivilprozessrecht (Wien 2007); Ostendorf, Internationale Zuständigkeit durch Erfül-
lungsortvereinbarung in AGB (2015); Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 193 ff.; Wais, Der Europäi-
sche Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013); Wipping, Der europäische Gerichts-
stand des Erfüllungsortes (2008).

1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts (Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO)


In der den Geltungsbereich des Vertragsstatuts regelnden Vorschrift des Art. 12 Rom I-VO 3.189
heißt es:
„(1) Das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend
für
a) ...
b) die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen ...
(2) In Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Falle mangelhafter Erfül-
lung zu treffenden Maßnahmen ist das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksich-
tigen.“

Nach dieser Regelung, gilt für die Erfüllung grundsätzlich das Vertragsstatut. Dieses bestimmt 3.190
etwa, ob eine Zahlung als schuldtilgende Leistung anzusehen ist1. Es gilt ferner für die Leis-
tungszeit, insb. die Fälligkeit (vgl. § 271 BGB)2. Die Stundung unterliegt ebenfalls dem Ver-
tragsstatut3. – Zu Ansprüchen „aus Vertrag“ s. Rz. 1.66 ff.

Das Vertragsstatut entscheidet auch, ob der Schuldner die Gefahr der Versendung (s. § 270 3.191
BGB) trägt4. Das Vertragsstatut ist ferner zu befragen, ob Teilleistungen zulässig sind. Gleiches
gilt für die Frage, ob der Schuldner persönlich zu leisten hat oder ob auch die Erfüllung durch
einen Dritten befreiende Wirkung hat5. Die Haftung für die Hilfsperson richtet sich ebenfalls
nach dem Schuldstatut6.

2. Erfüllungsort
a) Materiell-rechtliche Bedeutung
Nach der für das Vertragsstatut geltenden Rechtsordnung richtet sich ebenfalls, wie der Erfül- 3.192
lungsort bestimmt wird7. Findet auf einen internationalen Warenkauf die CISG Anwendung, so

1 BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 129/96, IPRspr. 1997 Nr. 38 (LS) = NJW 1997, 2322.
2 BGH v. 14.4.1969 – III ZR 66/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 1 = AWD 1969, 329 (Darlehen; Fälligkeit
nach schweiz. Darlehensstatut).
3 OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = RIW 1989, 221.
4 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 36.
5 Siehr, AWD 1973, 569 (583). Wohl auch BGH v. 23.1.2020 – IX ZR 94/19, WM 2020, 466 = ZIP
2020, 426.
6 So bereits BGH v. 27.3.1968 – VIII ZR 10/66, BGHZ 50, 32 = IPRspr. 1968/69 Nr. 26 (Versen-
dungskauf. Haftung des Erfüllungsgehilfen dem deutschen Vertragsstatut unterstellt).
7 BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, WM 2003, 2157; BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRspr.
2005 Nr. 109 = NJW-RR 2005, 1518 = IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006,
568); Mankowski, IPRax 2003, 464 (468).

Martiny | 233
§ 3 Rz. 3.192 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wird der Erfüllungsort nach Einheitsrecht ermittelt (s. Rz. 3.199 f., Rz. 25.65 ff., Rz. 25.76). Der
Leistungsort liegt nach Art. 6.1.6 UNIDROIT-Principles 2016 für Zahlungsverpflichtungen am
Niederlassungsort des Gläubigers, sonst beim Schuldner (vgl. auch Art. III.-2:101 DCFR).

3.193 Nach deutschem Recht ist der Erfüllungsort für die Verpflichtungen jedes Vertragsteils geson-
dert zu bestimmen. Dies gilt auch für gegenseitige Verträge, so dass sich für die wechselseiti-
gen Verpflichtungen je nach Sachlage unterschiedliche Erfüllungsorte ergeben können. Der
Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche richtet sich nach der zugrunde liegenden Vertrags-
pflicht, aus deren Verletzung die Schadensersatzpflicht erwachsen sein soll1.

3.194 Der Erfüllungsort einer Geldschuld ist mangels anderweitiger Vereinbarung grundsätzlich die
gewerbliche Niederlassung des Schuldners (§§ 269, 270 Abs. 4 BGB)2. So ist es ebenfalls nach
dem Recht Belgiens und Luxemburgs. Nach englischem, französischem (Art. 1343-4 c.c.), ita-
lienischem (Art. 1182 Abs. 3, 1498 Abs. 3 c.c.) und niederländischem Recht kommt es jedoch
auf den Sitz des Gläubigers an3. Ebenso ist es in der Schweiz (Art. 74 Abs. 2 Nr. 1 schweiz.
OR)4. – Zur Erfüllungsortvereinbarung Rz. 7.65.

b) Prozessuale Bedeutung
aa) Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung
3.195 Der Erfüllungsort besitzt auch besondere Bedeutung für die internationale Zuständigkeit.

3.196 Eine eigenständige Regelung der Erfüllungsortzuständigkeit enthält die EU-Verordnung


Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO)5.
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen
Mitgliedstaat verklagt werden:
1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden,
vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfül-
lungsort der Verpflichtung
– für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem
Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
– für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach
dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a);
...

1 OLG Hamburg v. 9.7.1976 – 1 U 138/75, IPRspr. 1976 Nr. 125b m.w.N.


2 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 115 (m. Aufs. Geimer, IPRax
1994, 82) (Erfüllungsort für Provisionsanspruch des deutschen Handelsvertreters gegen italien.
Unternehmer in Italien).
3 Spellenberg, ZZP 91 (1978), 38 (59); Schack, Erfüllungsort, Rz. 259, 267 f., 287.
4 Näher Markus, S. 16 ff.
5 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Aner-
kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 Nr. L
351, S. 1. Zuvor galt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 (EuGVO).

234 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.199 § 3

(1) Zuständigkeit am Erfüllungsort


Nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO) besteht eine Zuständigkeit 3.197
am Erfüllungsort. Der Erfüllungsort wird für zwei Fälle, den Warenkauf und Dienstleistun-
gen, näher umschrieben. Grundgedanke ist, dass dem Kläger ein Wahlgerichtsstand am Ort
der vertragscharakteristischen Leistung zur Verfügung stehen soll1. Dies gilt für alle vertragli-
chen Ansprüche; die gesonderte Erfüllungsortbestimmung für jede einzelne streitige Ver-
pflichtung ist entfallen2. Die Regelung in Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 lit. b
EuGVO) definiert den Erfüllungsort und ersetzt die Lösung der Rechtsprechung, welche die-
sen Ort früher nach der lex causae bestimmt hat (s. Rz. 3.204). Auf das Vertragsstatut kommt
es nicht mehr an3. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO
bleibt es allerdings bei der bisherigen, bereits unter dem EuGVÜ entwickelten, Lösung4.

Der Begriff der vertraglichen Streitigkeiten ist, wie bereits nach dem EuGVÜ (s. Rz. 3.216), 3.198
einheitlich auszulegen5. Vorausgesetzt wird, dass die Leistung „nach dem Vertrag“ (en vertu
du contrat) erbracht wird. Die VO erläutert nicht, wie diese Formulierung zu verstehen ist.
Bei der erforderlichen einheitlichen Auslegung ist zu bestimmen, was als Vertrag i.S.d. Vor-
schrift angesehen werden kann. Dies ist grundsätzlich eine Willenseinigung der Parteien; die
Selbstbindung einer Partei kann aber genügen (s. Rz. 1.66 ff.). Für Klagen, die nach nationa-
lem Recht deliktsrechtlicher Natur sind (z.B. bei einem Wettbewerbsverstoß), kann gleichwohl
die Zuständigkeit des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO in Anspruch genommen werden, wenn
das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen
werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen6.

(2) Warenkauf
Der Begriff des Warenkaufs (vente de marchandises) ist einheitlich i.S.d. Verordnung zu be- 3.199
stimmen. Hierfür kann vergleichend die Definition von Art. 1 CISG herangezogen werden;
die VO macht allerdings nicht die Einschränkungen des UN-Kaufrechts7. Der Verbraucher-
kauf wird daher erfasst, soweit nicht die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO eingreifen. Für den Waren-
kauf kommt es in erster Linie auf den Ort an, an dem die Ware geliefert worden ist (Art. 7
Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). Damit ist der tatsächliche Lieferort gemeint, d.h. der Ort, an dem

1 OLG Köln v. 14.3.2005 – 16 U 89/04, IPRspr. 2005 Nr. 102 = RIW 2005, 778; Hau, IPRax 2000,
358 f.; Bajons, FS Geimer, S. 15 (42 f.).
2 Gsell, IPRax 2002, 484 (485); Magnus, ZEuP 2002, 523 (541); Piltz, NJW 2002, 793.
3 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, MDR 2006, 1063 = NJW 2006, 1806.
4 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 (Falco), Slg. 2009, I-3327 = NJW 2009,
1865 = IPRax 2009, 509 (m. Aufs. Brinckmann, IPRax 2009, 487). – Ebenso BGH v. 1.6.2005 –
VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568) = NJW-RR 2005,
1518 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035); Eltzschig, IPRax 2002, 492; Magnus, ZEuP 2002, 523 (541).
Krit. Hau, IPRax 2000, 359 f.
5 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo) Rz. 19, NJW 2016, 3087 = JZ
2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 354 [356]);
Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 14.
6 EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 (Brogsitter), ZIP 2014, 843 = EuZW 2014,
383 m. Anm. Sujecki = NJW 2014, 1648. Näher Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633 ff. S.
auch EuGH v. 24.11. 2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) = NJW 2021, 144 Anm.
R. Wagner.
7 Magnus, IHR 2002, 45 (47 f.); Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 58.

Martiny | 235
§ 3 Rz. 3.199 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

der Käufer die Ware als vertragsgemäße (wenngleich möglicherweise mängelbehaftete) Leis-
tung tatsächlich annimmt1. Ist (noch) nicht geliefert worden, so entscheidet der vertraglich
vereinbarte Erfüllungsort2. Diese Regel gilt jedoch nur dann, wenn sich der Erfüllungsort in
einem Mitgliedstaat i.S.d. EuGVO befindet. Ist das nicht der Fall, so greift die Grundregel des
Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO wieder ein3. Der Begriff des Lieferortes (place of delivery; lieu
de livraison des biens) ist i.S.d. Verordnung einheitlich zu bestimmen4. Dafür ist nicht auf die
lex causae5 und auch nicht auf die lex fori zurückzugreifen6. Vielmehr ist ein Begriff des Lie-
ferortes i.S.d. Verordnung zu entwickeln. Angesichts fehlender inhaltlicher Vorgaben des Uni-
onsrechts und unterschiedlicher Fallgestaltungen werden freilich sehr unterschiedliche Lösun-
gen vertreten7.

3.200 Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass bei einem vertraglichen Bereitstellen der Ware beim
Verkäufer (Holschuld) sich der Erfüllungsort dort befindet8. Hat der Verkäufer die Ware zum
Käufer zu transportieren (Bringschuld), liegt der Erfüllungsort bei diesem9. Schwierigkeiten
macht vor allem die vereinbarte Versendung (Schickschuld). Hier war umstritten, wieweit für
dem Einheitskaufrecht unterliegende Käufe eine abweichende Lösung entwickelt werden
kann. Teilweise wollte man die maßgeblichen Bestimmungen des CISG mit heranziehen. Er-
schöpft sich die Verpflichtung des Verkäufers mit der Übergabe an den Beförderer bzw. die
Transportperson, so sei dies dann der Lieferort (vgl. Art. 31 lit. a CISG)10; bei weitergehenden
Verpflichtungen könne der Lieferort auch beim Käufer liegen11. Der EuGH hat jedoch den
Erfüllungsort auch bei Versendungskäufen nach dem Ort bestimmt, an dem der Käufer die
tatsächliche Verfügungsgewalt über die gelieferte Sache erlangt oder sie nach dem Vertrag
hätte erlangen müssen (Bestimmungsort)12. Dies führt i.d.R. zu einem Gerichtsstand am Sitz

1 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606; Thorn, IPRax 2004, 356.
2 Magnus, IHR 2002, 45 (47 f.); Magnus, ZEuP 2002, 523 (541).
3 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606; Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO
Rz. 93.
4 Gsell, IPRax 2002, 484 (486 ff.).
5 Anders LG München II v. 23.3.2004 – 1 O 6972/02, IPRax 2005, 143 (m. krit. Aufs. Kienle, IPRax
2005, 113). – Für die lex causae bei Nichtlieferung Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO
Rz. 118.
6 Die CISG-Regeln (Art. 31) zieht heran Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). – Vgl. auch Rauscher, FS
Heldrich, S. 943 ff.
7 Näher Mankowski, IHR 2009, 46 ff., der eine Anlehnung an Art. 31 CISG empfiehlt; Markus,
S. 155 ff.
8 Hau, JZ 2008, 974 (975 m.w.N.).
9 Hau, JZ 2008, 974 (975 f. m.w.N.).
10 OLG München v. 17.4.2008 – 23 U 4589/07, IPRax 2009, 69 (m. abl. Aufs. Hau, IPRax 2009, 44);
OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (m. abl. Aufs. Hau, IPRax 2009, 44); ita-
lien. Cass. v. 27.9.2006 – Nr. 20887, ZEuP 2008, 165 Anm. Rüfner, italien. Cass. v. 14.6.2007 – n.
13891, IHR 2009, 74; Bajons, FS Geimer, S. 15 (52, 64); Piltz, IHR 2006, 53 (56); Mumelter, S. 184.
– Grds. für Niederlassungsort des Verkäufers Gsell, IPRax 2002, 484 (491).
11 Hau, IPRax 2000, 354 (358).
12 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08, ECLI:EU:C:2010:90 (Car Trim/Key Safety Systems), Slg. 2010, I-
1255 = NJW 2010, 1059 Anm. Piltz = ZIP 2010, 1194; BGH v. 9.7.2008 – VIII ZR 184/07, NJW
2008, 3001 = ZfRV 2008, 165 m. zust. Anm. Ofner (Vorlagebeschluss); Hau, JZ 2008, 974 (977 ff.);
Junker, FS Martiny, S. 761 (771 ff.); Wipping, S. 108 ff.; Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO
Rz. 80.

236 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.202 § 3

des Käufers1. Bei Verwendung der FOB-Klausel ist vertraglich vereinbarter Lieferort der Ver-
schiffungshafen2. Bei mehrfachen Lieferorten kommt es auf die „Hauptlieferung“ an3.

(3) Dienstleistungen
Für Dienstleistungen kommt es in erster Linie auf den tatsächlichen, in zweiter Linie auf den 3.201
vertraglichen Erbringungsort an (Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). Auch hier wird voraus-
gesetzt, dass sich dieser Ort in einem Mitgliedstaat befindet. Der Begriff der Dienstleistung
(fourniture de services) wird von der VO nicht näher erläutert. Er ist einheitlich i.S.d. Verord-
nung zu bestimmen4. Das Unionsrecht verwendet diesen Begriff häufig (vgl. nur Art. 57
AEUV; ex-Art. 50 EGV). Auf diesen sehr weiten Gebrauch kann hier allerdings nur sehr be-
grenzt Bezug genommen werden. Dienstleistungen sind Tätigkeiten, die in der Regel gegen
Entgelt erbracht werden5, wenngleich nicht notwendig als Geldzahlung6 (s. auch Rz. 18.14).
Dazu gehören gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten7,
etwa die des Rechtsanwalts8. Als Dienstleistung ist auch ein Werkvertrag9 oder ein Vertriebs-
vertrag einzuordnen10. Ein Lizenzvertrag, mit dem der Inhaber eines Immaterialgüterrechts
seinem Vertragspartner das Recht zu einer entgeltlichen Nutzung einräumt, ist kein Vertrag
über die Erbringung von Dienstleistungen11.

Der Erbringungsort (lieu de fourniture des services) ist i.S.d. Verordnung einheitlich zu be- 3.202
stimmen12. Dafür ist weder auf die lex causae noch auf die lex fori abzustellen. Vielmehr ist
ein Erbringungsortbegriff im Rahmen der Verordnung zu entwickeln. Man wird auf den Ort
abzustellen haben, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden ist oder hät-

1 Krit. Hausmann in Staudinger, IntVertrVerfR Rz. 87b.


2 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606, 2007; Ferrari, IPRax 2007, 61 (66).
3 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05, ECLI:EU:C:2007:262 (Color Drack/Lexx International), Slg. 2007,
I-3699 = EuZW 2007, 370 Anm. Leible/Reinert = NJW 2007, 1799 Anm. Piltz; Junker, FS Martiny,
S. 761 (771 ff.).
4 OLG Köln v. 14.3.2005 – 16 U 89/04, IPRspr. 2005 Nr. 102 = RIW 2005, 778; Leible in Rauscher,
Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 66.
5 EuGH v. 14. 7. 2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo) Rz. 37-40, NJW 2016, 3087 =
JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356);
Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 67.
6 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 (Corman-Collins), EuZW 2014, 181 m. zust.
Anm. Lenzing = RIW 2014, 145. – Dazu Wais, GPR 2014, 165 ff. – S. auch Hau, ZVertriebsR 2014,
79 ff.
7 Vgl. Hau, IPRax 2000, 354 (359); Bajons, FS Geimer, S. 15 (64).
8 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035) = EuZW 2006,
318.
9 Gsell, IPRax 2002, 484 (485).
10 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 (Wood Floor), Slg. 2010, I-2121 = NJW 2010,
1189 (Handelsvertreter); EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 (Corman-Collins),
EuZW 2014, 181 m. zust. Anm. Lenzing; Bajons, FS Geimer, S. 15 (55 f.); Kindler, FS Sonnenber-
ger, S. 433 (441); Hau, ZVertriebsR 2014, 80 f.
11 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 (Falco), NJW 2009, 1865.
12 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, IPRspr. 2006 Nr. 109 = NJW 2006, 1806 (m. Aufs. Berg, NJW
2006, 3035) = EuZW 2006, 318; vgl. Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 73.

Martiny | 237
§ 3 Rz. 3.202 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

te erbracht werden müssen1. Dies führt regelmäßig zu dem Ort, an dem der Dienstleistende
seine Tätigkeit ausübt2, z.B. zum Ort der Kanzlei des Rechtsanwalts3.

3.203 Ist eine Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten zu erbringen, so kommt es auf den Ort
an, an dem der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt4. Beim Lufttransport kann auf mehrere Teil-
strecken abgestellt werden5. Ist die streitige vertragliche Verpflichtung eine geographisch un-
begrenzt geltende Unterlassungsverpflichtung, so kann nach Ansicht des EuGH ein Erfül-
lungsort nicht bestimmt werden6. Dann soll – wenig überzeugend – die besondere Zuständig-
keitsregel des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 EuGVO) überhaupt nicht zur An-
wendung kommen.

bb) Kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung


3.204 Im Luganer Übereinkommen von 2007 wird der Erfüllungsort ebenso bestimmt wie in Art. 7
Nr. 1 Brüssel Ia-VO7. Die frühere kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung ist damit
grds. überwunden.

3.205 Zwar wurden die Begriffe „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ (matière contractuel-
le) von der Rechtsprechung autonom interpretiert8; dies galt jedoch nicht für den Erfüllungs-
ort selbst.

3.206 Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes steht dem Kläger auch dann zur Verfügung, wenn das
Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den
Parteien streitig ist9.

1 Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 74. – Unentschieden zu einer möglichen Rangfolge
zwischen rechtlichem und tatsächlichem Erfüllungsort, BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW
2006, 1806.
2 Vgl. Bajons, FS Geimer, S. 15 (64); Gsell, IPRax 2002, 484 (491) (Niederlassungsort).
3 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (m. krit. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035).
4 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (Rechtsanwalt; Terminwahrnehmung oder sons-
tige Tätigkeit).
5 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 (flightright) Rz. 73,
NJW 2018, 2105 = IPRax 2019, 421 (m. Aufs. Lobach, IPRax 2019, 391); BGH v. 12.5.2020 – X ZR
10/19, RIW 2020, 701 = TranspR 2021, 23.
6 Noch zum EuGVÜ EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 (Besix/Wasserreinigungs-
bau), Slg. 2002, I-1699 = NJW 2002, 1407 = IPRax 2002, 392 (m. Aufs. Heß, IPRax 2002, 376) =
EWiR 2002, 519 (abl. Mankowski).
7 Luganer Übk. über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 30.10.2007, ABl. EU 2007 Nr. L 339, S. 3.
8 EuGH v. 22.3.1983 – Rs. 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 (Peters/ZNAV), Slg. 1983, 987 (1002) = IPRax
1984, 85 (m. Aufs. Schlosser, IPRax 1984, 65); EuGH v. 8.3.1988 – Rs. 9/87, ECLI:EU:C:1988:127
(Arcado/Haviland), Slg. 1988, 1539 (1554) = NJW 1989, 1424 = IPRax 1989, 227 (m. Aufs. Mezger,
IPRax 1989, 207). Nach a.A. ist die lex causae maßgeblich, so Holl, WiB 1995, 463 m.w.N. Nicht als
„von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung“ wird die Direkt-
klage des Endabnehmers gegen den Hersteller nach französ. Recht angesehen; EuGH v. 17.6.1992 –
C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte/TMCS), Slg. 1992, I-3967 = JZ 1995, 90 Anm. Peifer.
9 EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79 (Effer), Slg. 1982, 825 = IPRax 1983, 31 (Anm.
Gottwald, IPRax 1983, 13) = RIW 1982, 280 (Patentanwaltsvertrag. Erfüllungsort in der BRD);
BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, IPRspr. 1982 Nr. 139 = NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (Anm.
Stoll, IPRax 1983, 52) (Abschlussentscheidung zu EuGH v. 4.3.1982, Patentanwaltsvertrag deut-
schem Recht unterstellt. Erfüllungsort in Deutschland).

238 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.210 § 3

- Maßgebliche Verpflichtung
Auch soweit sich der Erfüllungsort nach Einheitsrecht richtet, ist dies für die Gerichtsstands- 3.207
bestimmung nach dem Grundtatbestand des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO, der freilich i.d.R.
nicht mehr eingreift, maßgeblich1 (vgl. Rz. 25.75 ff.). Dabei wird in Kauf genommen, dass dies
den Kläger begünstigt und zu seiner Niederlassung führt2.
Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO bezieht sich jedoch nicht auf jede beliebige vertragliche Ver- 3.208
pflichtung. Vielmehr ist die Verpflichtung heranzuziehen, welche dem vertraglichen An-
spruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt. Handelt es sich um Verpflichtungen,
die an die Stelle weggefallener oder verletzter Pflichten getreten sind, so ist der Erfüllungsort
der ursprünglichen Verpflichtung maßgeblich.
Macht der Kläger z.B. Ansprüche auf Schadensersatz geltend oder beantragt er die Vertrags- 3.209
auflösung aus Verschulden des Gegners, so ist maßgebliche Verpflichtung weiterhin diejenige,
deren Nichterfüllung behauptet wird (die sog. Primärverpflichtung)3. Wird die Klage auf meh-
rere Verpflichtungen gestützt, die sich aus einem einzigen Vertrag ergeben, so ist zunächst zu
beachten, dass es auf die Primärverpflichtung ankommt. Im Übrigen richtet sich die Zustän-
digkeit nach dem Grundgedanken, dass Nebensächliches der Hauptsache folgt. Bei mehreren
streitigen Verpflichtungen entscheidet die Hauptpflicht4.
Für Arbeitnehmer besteht ein einheitlicher Gerichtsstand für Ansprüche aus einem individu- 3.210
ellen Arbeitsvertrag5 (Art. 20, 21 Brüssel Ia-VO). Der Arbeitnehmer kann am Ort des ge-

1 Zum alten Recht BGH v. 11.12.1996 – VIII ZR 154/95, ZIP 1997, 519 = IPRspr. 1996 Nr. 171 =
NJW 1997, 870; BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003, 1582 (Kaufpreisklage); OLG
Celle v. 11.11.1998 – 9 U 87/98, IPRspr. 1998 Nr. 160 = IPRax 1999, 456 (m. Aufs. Gebauer, IPRax
1999, 432); OLG München v. 3.12.1999 – 23 U 4446/99, IPRspr. 1999 Nr. 151 = RIW 2000, 712;
LG München I v. 29.5.1995 – 21 O 23363/94, IPRspr. 1995 Nr. 146 = IPRax 1996, 266 (m. Aufs.
Trunk, IPRax 1996, 249).
2 EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:268 (Custom Made Commercial/Stawa), Slg.
1994 I-2913 = IPRax 1995, 31 (m. abl. Aufs. Jayme, IPRax 1995, 13) = JZ 1995, 244 (zust. Anm.
Geimer, NJW 1995, 183) (Deutsch-engl. Werklieferungsvertrag. Erfüllungsort für die Kaufpreis-
zahlung nach Art. 59 Abs. 1 Einheitliches Kaufgesetz bestimmt. Danach war Erfüllungsort für die-
se Verpflichtung die Niederlassung des deutschen Verkäufers).
3 EuGH v. 6.10.1976 – Rs. 14/76, ECLI:EU:C:1976, 134 (De Bloos), Slg. 1976, 1497 = NJW 1977,
470 (Klage belg. Alleinvertriebshändlers gegen französ. Lieferanten auf gerichtliche Auflösung des
Vertrages und Schadensersatz. Maßgebend für die Zuständigkeit waren die ursprünglichen Pflich-
ten des Lieferanten). Ebenso OLG Koblenz v. 23.2.1990 – 2 U 1795/89, ZIP 1991, 1098 = IPRspr.
1990 Nr. 228 = IPRax 1991, 241 (m. Aufs. Hanisch, IPRax 1991, 215); OLG München v. 3.12.1999
– 23 U 4446/99, IPRspr. 1999 Nr. 151 = RIW 2000, 712.
4 EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 (Shenavai/Kreischer), Slg. 1987, 239 = RIW
1987, 213 = NJW 1987, 1131 zust. Anm. Geimer (Honorarklage eines Architekten aus Deutsch-
land gegen den in den Niederlanden wohnhaften Auftraggeber. Für den Erfüllungsort war die ver-
tragliche Verpflichtung maßgeblich, die konkret den Gegenstand der Klage bildete, also die am
Wohnsitz des Beklagten zu erfüllende Geldschuld. Auf den Ort der Architektenleistung kam es
nicht an); EuGH v. 5.10.1999 – Rs. 420/97, ECLI:EU:C:1999:483 (Leathertex/Bodetex), Slg. 1999,
I-6747 = NJW 2000, 721 = IPRax 2000, 402 (m. Aufs. Hau, IPRax 2000, 354) (Der belg. Handels-
vertreter Bodetex verlangte von der italien. Leathertex Provisionen sowie Entschädigung wegen
Nichteinhaltung der Kündigungsfrist. Unterschiedliche Erfüllungsorte in Belgien (Entschädigung)
und Italien (Provision) wurden in Kauf genommen); BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRax.
1994, 115 (m. Aufs. Geimer, IPRax 1994, 82) = NJW 1993, 2753 = RIW 1993, 846.
5 Näher Junker, Internationale Zuständigkeit für Arbeitssachen nach der Brüssel I-Verordnung in
Grenzüberschreitungen – FS Schlosser (2005), S. 299 ff.

Martiny | 239
§ 3 Rz. 3.210 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wöhnlichen Arbeitsorts klagen; in Ermangelung dessen am Ort der einstellenden Niederlas-


sung. Im Anschluss an die frühere Rechtsprechung fällt unter diese Regelung auch der ange-
stellte Handelsvertreter (Reisende)1. Diese Zuständigkeitskonzentration zum Schutz des sozi-
al Schwächeren ist ausdrücklich als Ausnahme eingestuft und nicht auf Ansprüche auf Zah-
lung eines Architektenhonorars ausgedehnt worden2.

- Erfüllungsortvereinbarung
3.211 Zweifelhaft ist, ob für die Erfüllungsortvereinbarung die spezielle Erfüllungsortfestlegung des
Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht gilt, und es vielmehr bei der allgemeinen kollisionsrecht-
lichen Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO bleibt3. Trotz der
Gefahr einer Umgehung der Formerfordernisse für Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25
Brüssel Ia-VO) geht die h.M. davon aus, dass eine bloße Erfüllungsortvereinbarung auf einer
anderen Konzeption als eine Zuständigkeitsvereinbarung beruht4. Der Erfüllungsort i.S.d.
Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 EuGVO) kann daher formfrei vereinbart werden,
ohne dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO gewahrt werden müssten5.
3.212 Ob dies auch dann gilt, wenn nicht der Ort bestimmt wird, an welchem der Schuldner die
ihm obliegende Leistung zu erbringen hat, sondern ein bestimmter Gerichtsstand festgelegt
werden soll, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 23 EuGVO)
vorliegen (sog. abstrakte Erfüllungsortvereinbarung), war lange streitig. Nunmehr ist aner-
kannt, dass lediglich prozessual gemeinte, „abstrakte“ Erfüllungsortvereinbarungen, die nicht
den Ort festlegen, an dem der Schuldner die ihm obliegende Leistung tatsächlich zu erbringen
hat, sondern nur einen Gerichtsstand bestimmen sollen, nicht formlos möglich sind. Sie müs-
sen vielmehr den Formerfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO entsprechen6.
3.213 Vorausgesetzt wird jedenfalls, dass das Vertragsstatut eine solche Vereinbarung gestattet7. Ver-
langt es seinerseits eine bestimmte Form, so genügt freilich auch die Wahrung der Ortsform
(Art. 11 Abs. 1, 2 Rom I-VO). Zu beachten ist, dass nach deutschem Recht eine Erfüllungsort-
vereinbarung durch stillschweigende Unterwerfung unter AGB erfolgen kann, wenn in diesen
eine Festlegung des Erfüllungsortes enthalten ist8.

1 S. EuGH v. 26.5.1982 – Rs. 133/81, ECLI:EU:C:1982:199 (Ivenel/Schwab), Slg. 1982, 1891 = IPRax
1983, 173 (m. Aufs. Mezger, IPRax 1983, 153).
2 EuGH v. 15.1.1987 – Rs. 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 (Shenavai/Kreischer), Slg. 1987, 251 = RIW
1987, 213.
3 So BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, MDR 2006, 46 = IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer,
IPRax 2006, 568) = NJW-RR 2005, 1518 (m. krit. Aufs. Berg, NJW 2006, 3055).
4 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO Rz. 73 ff.
5 Noch zum GVÜ EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89/97 =
IPRax 1981, 89 (Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75) = WM 1980, 720 zust. Anm. Schütze = RIW
1980, 726 (Deutsch-italien. Darlehensvertrag. Mündliche Vereinbarung deutschen Erfüllungs-
ortes); BGH v. 7.7.1980 – III ZR 15/82, IPRspr. 1980 Nr. 137b = IPRax 1981, 93 (Anm. Spellen-
berg, IPRax 1981, 75) = RIW 1980, 725 (Folgeentscheidung zu EuGH v. 17.1.1980 – Zelger).
6 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG), Slg. 1997, I-911 = NJW 1997, 1431 =
IPRax 1999, 31 (m. Aufs. Kubis, IPRax 1999, 10) = JZ 1997, 839 Anm. Koch = RIW 1997, 415
Anm. Holl; Abschlussentscheidung BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, IPRspr. 1997 Nr. 150 = IPRax
1999, 34 (Erfüllungsortvereinbarung in deutsch-französ. Zeitchartervertrag).
7 Gottwald in MünchKommZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 42. – Vgl. auch Eltzschig, IPRax 2002, 494.
8 BGH v. 17.10.1984 – I ZR 130/82, IPRspr. 1984 Nr. 146 = MDR 1985, 467 = NJW 1985, 560 (Kla-
ge deutschen Speditionsunternehmens gegen niederländ. Firma. Stillschweigende Unterwerfung
unter die ADSp angenommen, die in § 65 a.F. einen inländ. Erfüllungsort vorsahen); OLG Hamm
v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, IPRspr. 2015 Nr. 205 = RdTW 2016, 219.

240 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.217 § 3

Ferner nimmt die Rechtsprechung zuweilen eine stillschweigende Erfüllungsortvereinbarung 3.214


an und schafft damit über einen einheitlichen Leistungsort im Ergebnis einen Klägergerichts-
stand. Dies gilt z.B. für Bauverträge1. Entsprechende Ergebnisse werden erzielt, indem etwa
bei einem Architektenvertrag ein gemeinsamer Erfüllungsort am Ort der Baustelle und Bau-
aufsicht angenommen wird2. Teilweise wird sogar bei Zug-um-Zug-Leistung aus der Natur
des Schuldverhältnisses ein gemeinsamer Erfüllungsort abgeleitet3.

cc) Internationale Zuständigkeit nach nationalem Recht


Die nach dem IPR der lex fori erfolgende Bestimmung des Erfüllungsortes für die einzelne 3.215
Verpflichtung ist nach h.M. auch für die internationale Zuständigkeit nach deutschem Recht
(vgl. § 29 ZPO) maßgeblich4. Dort, wo nach kollisionsrechtlich oder einheitsrechtlich be-
stimmtem materiellen Recht zu leisten ist, besteht auch eine Zuständigkeit.

3. Erfüllungsmodalitäten (Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO)


Trotz der grundsätzlichen Geltung des Vertragsstatuts für die Erfüllung ist dieses Statut für 3.216
einige Fragen nicht die geeignete Anknüpfung. Nach Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO ist in Bezug
auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Falle mangelhafter Erfüllung
zu treffenden Maßnahmen das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksich-
tigen (ähnlich Art. 125 schweiz. IPRG). Sinn dieser – nach ihrem systematischen Standort für
alle Verträge geltenden5 – Bestimmung ist es, Konflikte zwischen der lex causae und dem da-
von abweichenden Recht des Erfüllungsortes zu vermeiden6.

Was unter „Art und Weise der Erfüllung“ (manner of performance; les modalités d’exécuti- 3.217
on) zu verstehen ist, wird gesetzlich nicht näher erläutert. Dieser Begriff ist im Interesse des
Entscheidungseinklanges möglichst einheitlich für alle Mitgliedstaaten zu bestimmen. Die
Tatsache, dass die Rom I-VO keine eigenständige Definition enthält, ist kein Argument dafür,
den Begriff einfach nach der jeweiligen lex fori auszulegen7. Im Anschluss an das frühere
Recht wird man darunter insbesondere solche Handlungen zu verstehen haben, die nach dem
Vertrag oder dem auf ihn anzuwendenden Recht zur Erfüllung notwendig sind. Die Erfül-

1 OLG Köln v. 23.2.1983 – 16 U 136/82, IPRspr. 1983 Nr. 133 = RIW 1984, 314 (Werklohnanspruch
deutschen Unternehmers gegen niederländ. Kunden. Stillschweigende Erfüllungsortvereinbarung
auf den in der BRD gelegenen Ort des Bauvorhabens).
2 BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 = EWiR 2001, 625
(Wenner).
3 S. OLG Stuttgart v. 12.2.1981 – 10 U 195/80, IPRspr. 1981 Nr. 157 = NJW 1982, 529 = RIW 1982,
591 (Kaufpreisanspruch gegen den französ. Käufer. Stuttgart sei der gemeinsame Erfüllungsort für
beide Vertragsparteien, „denn hier ist die vertragstypische Leistung der Übergabe der Kaufsache
zu erbringen, Zug um Zug gegen Leistung des Kaufpreises“).
4 BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (347) = IPRspr. 1992 Nr. 229 = IPRax 1994,
204 (m. Aufs. Basedow, IPRax 1994, 183) = MDR 1993, 473; BGH v. 7.11.2012 – VIII ZR 108/12,
ZIP 2013, 44 = NJW-RR 2013, 309; BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 328/95, IPRspr. 1997 Nr. 154 =
NZA 1997, 1182; Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). Anders Schack, Erfüllungsort, Rz. 223 ff.
5 Junker, Int.ArbR im Konzern (1992), S. 295.
6 Sachnorm für internationale Sachverhalte, Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO
Rz. 194.
7 E. Lorenz, RdA 1989, 220 (224); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 184. Anders
aber zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 65.

Martiny | 241
§ 3 Rz. 3.217 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

lungsmodalitäten betreffen also weniger den Inhalt der Verpflichtung als vielmehr lediglich
die „äußere Abwicklung der Erfüllung“1.

3.218 Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO kommt es nicht auf den verein-
barten, sondern auf den tatsächlichen Erfüllungsort an. Die jeweiligen Handlungen sind also
im Hinblick auf das Recht des Ortes auszuführen, an dem sie tatsächlich vorgenommen wer-
den (ebenso Art. 125 schweiz. IPRG)2.

3.219 Zu den Erfüllungsmodalitäten gehören insbesondere die Einzelheiten der Prüfung der Ware
und die im Falle einer Zurückweisung der Ware zu treffenden Maßnahmen (the steps to be
taken; les mesures à prendre); beispielsweise die Aufbewahrung nicht angenommener Liefe-
rungen (vgl. auch Rz. 25.134 ff.). Dagegen gehört der Inhalt der Verpflichtung wie der Haf-
tungsmaßstab nicht dazu3. Auch Schritte wie die Mahnung zum In-Verzug-Setzen, das Erhe-
ben der Einrede der Nichterfüllung sind nicht gemeint; insoweit bleibt es beim Vertragssta-
tut4.

3.220 Wohl aber gehören die Regelung von Geschäftszeiten sowie die Auswirkungen von Feiertags-
regelungen auf die Erfüllung hierher5. Es ist jedoch nicht an Erfüllungshindernisse gedacht,
die sich z.B. aus Preis-, Devisen- oder Bewirtschaftungsvorschriften ergeben können. Solche
zwingenden Vorschriften kann der Richter nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO und den Grundsät-
zen für die Beachtung ausländischer international zwingender Normen berücksichtigen6. Be-
sonderheiten gelten etwa für Ablieferungsmodalitäten beim Speditionsvertrag oder die Lö-
schung bei Seefrachtverträgen. Handelsbräuche am Erfüllungsort sind zu beachten
(Rz. 25.99). Zu den Erfüllungsmodalitäten wird teilweise auch die Frage gerechnet, in welcher
Währung zu zahlen ist7 (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts s. Rz. 3.126).
Mangels einer besonderen Abrede wird regelmäßig in der Währung des Ortes zu zahlen sein,
an dem die Schuld zu begleichen ist8. Dies bestimmen manche Rechte ausdrücklich, so z.B.
Art. 84 schweiz. OR9. Zur Ersetzungsbefugnis s. Rz. 3.223.

3.221 Das Recht des Erfüllungsortes ist nach Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO nicht anzuwenden, sondern
lediglich zu „berücksichtigen“ (regard shall be had; on aura égard). Die VO erläutert nicht
näher, was damit gemeint ist. Nach dem Bericht Giuliano/Lagarde bedeutet es, dass das Ge-
richt prüfen kann, ob dieses Recht für die Art und Weise der Vertragserfüllung maßgeblich
ist, und dass es dieses Recht ganz oder teilweise anwenden kann10. Im Verordnungstext ist
freilich von Ermessen keine Rede; die Berücksichtigung des Rechts des Erfüllungsortes ist

1 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694; BGH v. 25.10.2007 –
I ZR 151/04, IPRspr. 2007 Nr. 43 = NJW-RR 2008, 840.
2 Ebenso etwa von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 836; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 82;
Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 8.
3 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694.
4 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 90.
5 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694. – Zum EVÜ Bericht
Giuliano/Lagarde, S. 66; Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333).
6 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 85, 87. – Anders Kegel/Schurig, S. 613.
7 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 86 (für Zahlungs-, nicht für Schuldwährung). – Ebenso
Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333) mit dem Bedauern, dass das EVÜ keine besondere
Bestimmung wie Art. 147 schweiz. IPRG enthält.
8 Art. 6.1.10 UNIDROIT-Principles 2016; Dasser in Basler Komm, Art. 147 IPRG Rz. 18.
9 Dazu Vischer/Huber/Oser, Rz. 874.
10 Ferrari in Ferrari, Art. 12 Rom I-VO Rz. 31.– Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 66.

242 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.223 § 3

zwingend vorgeschrieben1. Grundsätzlich ist jedenfalls vom Vertragsstatut auszugehen. Doch


sind die danach geltenden Regeln im Hinblick auf die Sachrechtsvorschriften des Erfüllungs-
orts zu modifizieren, soweit diese für die Rechte und Pflichten der Parteien anderes bestim-
men2.

Man kann ferner annehmen, dass es den Parteien weiterhin freisteht, die Art und Weise der 3.222
Erfüllung einem bestimmten Recht, und zwar als sog. Nebenstatut, auch einer anderen
Rechtsordnung als dem Vertragsstatut zu unterstellen3.

4. Währung, Ersetzungsbefugnis
Literatur: Birk, Die Umrechnungsbefugnis bei Fremdwährungsforderungen im IPR, AWD 1973, 425;
Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Grothe, Das währungsverschiedene Substitutions-
recht in Euro, ZBB 2002, 1; Maier-Reimer, Fremdwährungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Renn-
pferdt, Die internationale Harmonisierung des Erfüllungsrechts für Geldschulden (1993).
Die meisten Rechtsordnungen erlauben, dass nicht nur in der vereinbarten fremden Währung 3.223
(Schuldwährung; money of account), sondern auch in einer anderen Währung (Zahlungswäh-
rung; money of payment) gezahlt werden kann4. So gestattet § 244 Abs. 1 BGB dem Schuldner
(vorbehaltlich ausdrücklicher abweichender Vereinbarung) die Zahlung von Geldschulden in
Euro5. Die Einordnung dieser Vorschrift, welche dem Schuldner, nicht aber dem Gläubiger6,
ein Wahlrecht einräumt, ist umstritten. Nach früher h.M. ist sie unabhängig vom Schuldstatut
auf alle in der Bundesrepublik zu zahlenden Geldschulden anzuwenden. Es handelt sich da-
nach um eine versteckte Kollisionsnorm7 oder doch um eine unmittelbar anwendbare Sach-
norm8, deren Zweck die Erleichterung und Regulierung des Zahlungsverkehrs ist. Es hat sich
jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass es hier lediglich um den Inhalt der Verpflichtung
geht. Daher gelangt § 244 BGB nur dann zur Anwendung, wenn deutsches Recht Schuldsta-
tut ist9. Lehnt man die Durchsetzung als international zwingende Norm ab, so stellt sich die

1 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 93.


2 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 41 (Ermessen bezüglich Art und Weise). – Vgl. Junker, Int.
ArbR im Konzern (1992), S. 299 f.; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 5.
3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 98. – Vgl. BGH v. 7.7.1980 – III ZR 76/78, IPRspr. 1980
Nr. 137b = IPRax 1981, 93 (zust. Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75).
4 Näher zu den Begriffen, die sich nicht völlig decken, Grothe, S. 6 f., der für den Umfang der ge-
schuldeten Währungseinheiten noch den Begriff der Berechnungswährung einführt.
5 In Frankreich ist Zahlungswährung für die Geldsummenschuld grds. der Euro (Art. 1343-3 n.F. c.
c.)
6 LG Braunschweig v. 15.1.1985 – 6 S 218/84, WM 1985, 394 = MDR 1985, 495.
7 LG Stuttgart v. 14.3.1957 – 10 O 228/53, IPRspr. 1956/57 Nr. 29 (Darlehensstatut niederländ.
Recht. § 244 BGB angewendet). Ebenso König, EuR 1975, 305; Drobnig, S. 258; Kegel/Schurig,
S. 1120. Anders Schnelle, Die objektive Anknüpfung von Darlehensverträgen im deutschen und
amerikanischen IPR (1992), S. 154 ff.: An den Sitz des Gläubigers gesondert anzuknüpfende Fra-
ge.
8 Gegen diesen Ansatz Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 51.
9 Birk, AWD 1973, 425 (434); Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2050 f.); Grothe, S. 133 ff. (148 f.);
Grothe, ZBB 2002, 1 ff.; Reinhuber, Grundbegriffe und internationaler Anwendungsbereich von
Währungsrecht (1995), S. 101 f.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 813; Grothe in BRHP, § 244
BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 9; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18;
Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23.

Martiny | 243
§ 3 Rz. 3.223 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Frage, ob sie wenigstens als Erfüllungsmodalität i.S.d. Art. 12 Abs. 2 nach dem Recht des Er-
füllungsortes Beachtung finden kann1. Auch dies wird weitgehend abgelehnt2.

3.224 Für den Währungskurs maßgeblicher Zeitpunkt ist die tatsächliche Zahlung, nicht die Fällig-
keit3. Während man früher auf eine Geldschuld, deren Erfüllungsort im Ausland liegt, § 244
BGB nicht angewendet hat4, wird heute bei einem ausländischen Zahlungsort in der Euro-
Zone eine Anwendung befürwortet5.

III. Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO)


Literatur: Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung
des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005); Berger, Der Aufrechnungsvertrag (1996); Birk, Auf-
rechnung bei Fremdwährungsforderungen und IPR, AWD 1969, 12; Dageförde, Aufrechnung und in-
ternationale Zuständigkeit, RIW 1990, 873; Gäbel, Neuere Probleme zur Aufrechnung im IPR (1983)
(betr. USA); Gebauer/Huber (Hrsg.), Rechtsdurchsetzung durch Vertragsstrafe und Aufrechnung
(2018) (China, Common Law, Frankreich, Polen); Gottwald, Die Prozessaufrechnung im europäischen
Zivilprozess, IPRax 1986, 10; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Gruber, Die Aufrech-
nung von Fremdwährungsforderungen, MDR 1992, 121; Gruschinske, Das europäische Kollisionsrecht
der Aufrechnung unter besonderer Beachtung des Insolvenzfalles (2008); Heinrich, Rechtsvergleichen-
de Aspekte der Verrechnung als Kreditsicherheit, SZW/RSDA 1990, 266; Hellner, Set-off in Ferrari/
Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009), S. 251; von Hoffmann, Aufrechnung und Zurückbehaltungs-
recht bei Fremdwährungsforderungen, IPRax 1981, 155; Janert, Die Aufrechnung im internationalen
Vertragsrecht (2002); Jud, Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht, IPRax 2005, 104; Kannen-
gießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998); Lieder, Die Aufrech-
nung im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 78 (2014), 809; Magnus, Internationale
Aufrechnung in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 209; Mag-
nus, Aufrechnung und Gesamtschuldnerausgleich in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales
Vertragsrecht für Europa (2007), S. 201; Magnus, Set-off and the Rome I Proposal, Yb. PIL 8 (2006),
113; Vorpeil, Aufrechnung bei währungsverschiedenen Forderungen, RIW 1993, 529; Vorpeil, Aufrech-
nungsausschlussklauseln nach englischem Recht, RIW 1993, 718; Zimmermann, Aufrechnung in Ba-
sedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 19.

1. Gleiches Schuldstatut
3.225 Die Aufrechnung bewirkt das Erlöschen zweier Forderungen, nämlich der Forderung, mit
der aufgerechnet wird (Aktiv- oder Gegenforderung) und der Forderung, gegen die aufgerech-

1 So etwa Grundmann in MünchKomm, § 245 BGB Rz. 97 (Erfüllungsmodalität); Spickhoff in


BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23. Mit Einschränkungen Spellenberg in MünchKomm, Art. 12
Rom I-VO Rz. 189.
2 So Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 142; Freitag in Rau-
scher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18.
3 BGH v. 22.5.1958 – II ZR 281/56, IPRspr. 1958/59 Nr. 100 = NJW 1958, 1390 (Fremdwährungs-
schuld in niederländ. Währung); OLG Köln v. 5.2.1971 – 3 U 165/70, IPRspr. 1971 Nr. 117 =
AWD 1971, 485 (Anspruchshöhe in belg. Währung beziffert. Umrechnung nicht nach Verzugs-,
sondern Zahlungszeitpunkt). Ebenso schon RG v. 24.1.1921 – II 13/20, RGZ 101, 312 (315). So
auch Birk, AWD 1973, 425 (429).
4 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934 (936); Deutsches
Seeschiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohnvereinbarung
deutschem Recht unterstellt. Zu zahlen war in Kopenhagen in dän. Kronen). – Anders Kegel/Schu-
rig, S. 1120.
5 So Grothe, ZBB 2002, 1 ff.

244 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.228 § 3

net wird (Passiv- oder Hauptforderung). Das Bestehen der Forderungen wird nach ihrem je-
weiligen Statut beurteilt. Gilt für beide das gleiche Schuldstatut, so entscheidet dieses1. Das
folgt aus Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO, der das Erlöschen der Verpflichtungen dem Vertrags-
statut unterwirft. Die Aufrechnung ist stets materiell-rechtlich einzuordnen2. Nur die prozes-
suale Zulässigkeit der Aufrechnung richtet sich nach der lex fori3. Die Voraussetzung der
„Entscheidungsreife“ des italienischen Rechts (Art. 1243 c.c.) dürfte materiell-rechtlich ein-
zuordnen sein4.

2. Verschiedene Statute
Art. 17 Rom I-VO
Aufrechnung
Ist das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart, so gilt für die Aufrechnung das Recht,
dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.

Die materiell-rechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung richtet sich nach dem Schuldstatut der 3.226
Forderung, die zum Erlöschen gebracht werden soll5. Art. 17 Rom I-VO hat der Auffassung,
dass die Aufrechnung nach den Statuten beider Forderungen zulässig sein muss (sog. Kumu-
lationstheorie)6 eine Absage erteilt. Schon bislang hatte man im Interesse des Gläubigerschut-
zes ganz überwiegend auf das Statut der Passiv- oder Hauptforderung abgestellt7.

Danach wird beurteilt, ob der Schuldner aufrechnen kann statt bar zu zahlen. Dieses etwaigen 3.227
Vorteils wegen kann ihm zugemutet werden, sich nach einem anderen Recht als nach dem für
seine Forderung maßgeblichen zu richten. Bestand, Höhe und Fälligkeit der Aktivforderung
betreffen Vorfragen. Sie werden daher nach ihrem eigenen Statut beurteilt8. Für die Anwend-
barkeit des Art. 17 Rom I-VO ist nicht erforderlich, dass beide Forderungen schuldvertragli-
cher Natur sind. Es reicht aus, wenn die Hauptforderung einem Schuldverhältnis entstammt9.

Welches Recht den Aufrechnungsvertrag beherrscht, wird nicht von Art. 17 Rom I-VO gere- 3.228
gelt und ist weitgehend ungeklärt. Rechtswahl ist möglich10. Häufig wird ein solcher Vertrag
im Rahmen anderer Vertragsverhältnisse (z.B. eines Kontokorrentverhältnisses) abgeschlossen
und ist dann akzessorisch anzuknüpfen11. Für den isolierten Aufrechnungsvertrag sind meh-

1 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRspr. 1993 Nr. 139 = IPRax 1994, 115 (m. Aufs. Geimer,
IPRax 1994, 82) = NJW 1993, 2753; Kegel/Schurig, S. 754.
2 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (207 f.).
3 BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, IPRspr. 1979 Nr. 162 = NJW 1979, 2477; Lieder, RabelsZ 78
(2014), 809 (836 f.). Zur Aufrechnung im Insolvenzfall s. § 338 InsO.
4 OLG Düsseldorf v. 28.5.2004 – 17 U 20/02, IHR 2004, 203 = IPRspr. 2004 Nr. 37 m.w.N.
5 S. nur BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 152/04, IPRspr. 2006 Nr. 13 = ZIP 2006, 1740 = NJW 2006, 3631.
– Dem gleichen Prinzip folgt etwa Art. 148 Abs. 2 schweiz. IPRG.
6 So EuGH v. 10.7.2003 – C-87/01, ECLI:EU:C:2003:400 (Kommission/CCRE), Slg. 2003, I-7617 (ei-
ne Forderung unterstand belg. Recht, die andere Unionsrecht); vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485
(493); Martiny, ZEuP 2006, 60 (83); Martiny, ZEuP 2008, 79 (102).
7 Gäbel, S. 32 ff.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 915; Kegel/Schurig, S. 753; Spellenberg in
MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 2.
8 LG Saarbrücken v. 2.7.2002 – 8 O 49/02, IHR 2003, 27; Doehner in NK, Art. 17 Rom I-VO Rz. 8.
9 Magnus in Staudinger, Art. 17 Rom I-VO Rz. 15; Thorn in Palandt, Art. 17 Rom I-VO Rz. 1. –
Anders Spellenberg in MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 9.
10 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (213).
11 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (214).

Martiny | 245
§ 3 Rz. 3.228 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

rere Lösungen denkbar. Man könnte an die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO
denken1. Aber auch die Anwendung des Rechts der Forderung, die wirtschaftlich überwiegt,
nämlich derjenigen, mit der auch eine einseitige Aufrechnung vollzogen werden könnte2 oder
aber eine distributive Beurteilung jeder der Forderungen nach ihrem eigenen Recht3 wird vor-
geschlagen. Sind beide Forderungen nicht durchsetzbar, so ist nach anderen Kriterien zu su-
chen, welche die engste Verbindung begründen (vgl. Art. 148 Abs. 3 schweiz. IPRG). Allein
auf das Recht dessen abzustellen, der die Aufrechnung initiiert hat4, dürfte nicht ausreichen.

3.229 Das Recht der Hauptforderung entscheidet grundsätzlich auch darüber, wie die Aufrechnung
erfolgt und welche Wirkung sie hat. Im deutschen Recht ist eine besondere Aufrechnungs-
erklärung erforderlich (§ 388 BGB)5. Ebenso ist es im schweizerischen Recht (Art. 124 OR).
Diese Aufrechnungserklärung ist erforderlich, wenn deutsches oder schweizerisches Recht
Schuldstatut der Forderung ist, gegen die aufgerechnet wird. Das französische Recht verlangt
nunmehr auch für die Legalaufrechnung (compensation légale) eine Aufrechnungserklärung
(Art. 1347 Abs. 2 n.F. c.c.)6. Eine Legalaufrechnung kennt auch das kalifornische Recht7. Das
italienische Recht unterscheidet eine (materiell-rechtlich einzuordnende) gerichtliche und
eine gesetzliche Aufrechnung8. Hier ist näher zu bestimmen, gegen welche Forderung auf-
gerechnet wird. Erfolgt die Aufrechnung durch richterlichen Gestaltungsakt, so kann man
darauf abstellen, wer einen entsprechenden Antrag auf Aufrechnung stellt. Die Forderung des
Gegners ist dann die Passivforderung, auf die es ankommt9. Bei der reinen Legalkompensati-
on ist danach zu fragen, wer sich zuerst auf die Aufrechnung beruft bzw. damit verteidigt; die
Forderung des anderen Teils (regelmäßig die Klageforderung) ist die maßgebliche Passivforde-
rung10.

3.230 In den Rechten, in denen eine Aufrechnungserklärung materiell-rechtlich nicht erforderlich


ist, muss doch im Prozess geklärt werden, dass aufgerechnet wird. Im anglo-amerikanischen
Recht wird die Aufrechnung (set-off) als Einrichtung des Prozessrechts angesehen11. Sie unter-
liegt daher vom angelsächsischen Standpunkt aus der lex fori12. Trotzdem müssen die Rechts-
regeln über die Aufrechnung von deutschen Gerichten stets materiell-rechtlich qualifiziert wer-
den. Solche Aufrechnungsvorschriften finden Anwendung, wenn für die Forderung, gegen die
aufgerechnet wird, englisches Recht als Schuldstatut gilt; dabei bleiben rein technische Verfah-
rensvorschriften (z.B. über die Art und Weise des Vorbringens im Prozess) außer Betracht13.
Der prozessualen Einordnung der Aufrechnung wurde teilweise eine „hypothetische“ Rück-

1 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629); Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (213 f.).
2 Gäbel, S. 197 f.
3 So zum alten Recht Berger, S. 453 ff. (469 ff.).
4 So aber Gäbel, S. 199 f.
5 Ebenfalls Art. 8.3 UNIDROIT-Principles 2016, Art. 13:104 PECL, Art. III.-6:105 DCFR.
6 Sonnenberger, ZEuP 2017, 778 (849 f.).
7 Näher Gäbel, S. 107 ff. (125 ff.).
8 Dazu BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 266/13, ZIP 2014, 1883 = NJW 2014, 3156 = RIW 2014, 526 =
JZ 2015, 46 (Anm. Mankowski) = EWiR 2014, 775 (Anm. Schroeter/Nemeczek); Kannengießer,
S. 3 ff. – Zur Legalaufrechnung IPG 2009-11 Nr. 8 (Köln).
9 Mankowski, IHR 2008, 151.
10 Magnus, Yb. PIL 8 (2006), 113 (119); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629); von Bar/Mankowski, IPR II,
§ 1 Rz. 917; Spellenberg in MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 15.
11 Dazu Kannengießer, S. 57 ff. (engl. Recht); IPG 1969 Nr. 4 (Köln); zur Abgrenzung vom „counter-
claim“ Habscheid, FS Neumayer (1986), S. 264 ff.
12 Anders für die Rom I-VO Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–160.
13 Stürner in Erman, Art. 17 Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 17 Rom I-VO Rz. 1.

246 | Martiny
G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.232 § 3

verweisung des Common Law entnommen1. Unterliegt die Hauptforderung etwa US-ame-
rikanischem Recht, wäre mithin eine Rückverweisung auf die deutsche lex fori anzunehmen.
Das dürfte aber nicht sachgerecht sein2. Heute steht auch Art. 20 Rom I-VO, der Rück- und
Weiterverweisung ausdrücklich ausschließt, entgegen. Daher ist auch in Deutschland der ma-
teriell-rechtliche Gehalt des ausländischen Rechts anzuwenden.

3. Verschiedene Währungen
Gelten für Haupt- und Gegenforderung verschiedene Währungen und ist deutsches Recht 3.231
Schuldstatut der Hauptforderung, so fehlt es nach h.M. grundsätzlich an der Gleichartigkeit
i.S.d. § 387 BGB3. Andere lassen dagegen bei frei konvertiblen Währungen eine Aufrechnung
zu4. Die Gleichartigkeit entfalle nicht wegen der unterschiedlichen Bezeichnung (vgl. Art. 8.2
UNIDROIT-Principles 2016). Dies wird auch in Österreich5 und der Schweiz6 angenommen.
Vor allem angesichts der Kapitalverkehrsfreiheit des Unionsrechts (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56
EGV) beginnt sich diese großzügigere Auffassung durchzusetzen.

Hat der Schuldner die Ersetzungsbefugnis nach § 244 BGB (Rz. 3.223), so entfällt die Un- 3.232
gleichartigkeit in jedem Fall. Er kann dann gegen eine Forderung in Inlandswährung mit einer
Forderung in Auslandswährung ebenso aufrechnen, wie er eine Schuld in Auslandswährung
in deutscher Währung zahlen könnte7. Da die Aufrechnungsbefugnis erst mit der Aufrech-
nungserklärung entsteht, erfolgt die Umrechnung nach dem Kurs im Zeitpunkt des Zuganges
der Aufrechnungserklärung8. Soweit der Schuldner von der ihm durch § 244 BGB gleichfalls

1 Habscheid, FS Neumayer (1985), S. 268 ff.; Kegel/Schurig, S. 754.


2 S. Gäbel, S. 134 ff.; Kannengießer, S. 129 f.; Magnus in Staudinger, Art. 17 Rom I Rz. 16.
3 KG v. 29.6.1988 – 24 U 6446/87, IPRspr. 1988 Nr. 140 = NJW 1988, 2181 (Keine Aufrechnung mit
Forderung in US-Dollar oder Schweizer Franken gegen DM-Forderung); KG v. 6.3.2003 – 2 U
198/01, ZIP 2003, 1538 = IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093 (Peseten gegen DM zugelassen
wegen Übergangs zum Euro); OLG Hamm v. 9.10.1998 – 33 U 7/98, NJW-RR 1999, 1736; LG
Hamburg v. 16.11.1973 – 66 O 16/73, IPRspr. 1973 Nr. 20 = AWD 1974, 410 (Wegen Ungleich-
artigkeit von Drachmen und US-Dollars keine Aufrechnung nach deutschem Recht); LG Hamburg
v. 19.6.1980 – 21 O 10/80, IPRspr. 1980 Nr. 19 = IPRax 1981, 174 (Anm. von Hoffmann, IPRax
1981, 155) (im Ausland zu zahlende echte Valutaschuld in argentin. Pesos war einem DM-Zah-
lungsanspruch nicht gleichartig und somit nicht aufrechenbar); Spickhoff in BRHP, Art. 17 Rom I-
VO Rz. 5; Schlüter in MünchKomm, § 387 BGB Rz. 32; Grüneberg in Palandt, § 387 BGB Rz. 9.
4 So etwa OLG Koblenz v. 3.5.1991 – 2 U 1645/87, IPRspr. 1991 Nr. 174 = RIW 1992, 59 (Aufrech-
nung mit DM-Forderung gegen Lire-Forderung gestattet); Birk, AWD 1969, 15 f.; Kegel/Schurig,
S. 652; Wagner in Erman, § 387 BGB Rz. 12. Differenzierend Maier-Reimer, NJW 1985, 2049
(2051); von Hoffmann, IPRax 1981, 156 (Gleichartigkeit, wenn am Erfüllungsort beider Forderun-
gen volle Konvertibilität besteht); Frigge, Externe Lücken und Internationales Privatrecht im UN-
Kaufrecht (1994), S. 104 (Umrechnungskurs zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklä-
rung); Doehner in NK, Art. 17 Rom I-VO Rz. 9; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 121.
5 ÖOGH v. 21.3.2001 – 3 Ob 172/00s, ZfRV 43 (2002), 75.
6 Für die Gleichartigkeit nach Art. 120 OR: schweiz. BG v. 26.10.1937, BGE 63 II 383 (391 f.) (Gegen
Forderung in Schweizer Franken Aufrechnung mit Peseten und engl. Pfunden für zulässig gehalten).
7 Grothe, S. 575; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 121. Vgl. OLG Frankfurt v. 27.10.1966 – 11 U
42/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 33 = NJW 1967, 501; OLG Hamburg v. 7.12.1978 – 6 U 62/78, VersR
1979, 833 (834). Einen inländ. Erfüllungsort verlangt OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91,
IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934.
8 BGH v. 7.4.1992 – X ZR 119/90, IPRax 1994, 366 (m. Aufs. Grothe, IPRax 1994, 46) = WM 1993,
2011 (Beklagter rechnet gegen Dollar-Forderung mit DM-Forderung auf). Ebenso Meyer-Collings,
ZAkDR 1942, 235 f.; Vorpeil, RIW 1993, 529 (534); Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 127.

Martiny | 247
§ 3 Rz. 3.232 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, gegenüber einer unechten Valutaschuld mit einer auf
Euro lautenden Schuld aufzurechnen, gilt für die Umrechnung der Kurs im Zeitpunkt des Zu-
gangs der Aufrechnungserklärung.

IV. Hinterlegung
3.233 Ob und mit welcher Wirkung der Schuldner schuldbefreiend hinterlegen kann, entscheidet
das Schuldstatut1. Das Recht des Hinterlegungsortes ist jedoch für die Modalitäten der Hinter-
legung heranzuziehen.

V. Erlass, Aufhebung
3.234 Wird eine Forderung erlassen, so richtet sich die Frage, ob ein einseitiger Verzicht des Gläu-
bigers möglich oder – wie nach deutschem Recht (§ 397 BGB) – als Erlöschensgrund ein Ver-
trag erforderlich ist, nach dem Recht, das die erlassene Forderung beherrscht2. Im Übrigen
kann der Erlassvertrag aufgrund einer Rechtswahl einem eigenen Statut unterstehen3. Fehlt
sie, so ist regelmäßig das Statut der bisherigen Verpflichtung maßgebend4. Doch folgt das Ge-
schäft, das den Grund für den Erlass abgibt – etwa eine Schenkung –, seinem eigenen Statut5.

3.235 Mangels einer entgegenstehenden Rechtswahl unterliegt auch ein Vertrag, der einen früheren
aufhebt (Aufhebungsvertrag), dem ursprünglichen Schuldstatut. Das gilt jedenfalls dann,
wenn durch ihn keine neuen Verpflichtungen der Parteien begründet werden sollen6 (vgl.
Rz. 3.243).

H. Verjährung, Ausschlussfrist, Verwirkung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO)

I. Verjährung
Literatur (Auswahl): Internationales Privatrecht: Budzikiewicz, Unterbrechung der Verjährung
durch Auslandsklage, ZEuP 2010, 415; Hay, Die Qualifikation der Verjährung im US-amerikanischen
Kollisionsrecht, IPRax 1989, 197; Kegel, Die Grenze von Qualifikation und Renvoi im internationalen
Verjährungsrecht (1962); Leible, Verjährung im Internationalen Vertragsrecht in Liber amicorum Berg

1 OLG Stettin v. 1.12.1925 – 4 U 30/25, IPRspr. 1926/27 Nr. 38 = JW 1926, 385 (Darlehen. Wirkung
der Hinterlegung bei einem poln. Gericht nach deutschem Schuldstatut beurteilt); Raape, S. 531;
Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 62. – Gegen das Vertragsstatut möglich nach Art. 12
Abs. 2 Rom I-VO; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11.
2 OLG Hamm v. 23.2.1999 – 19 U 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 43 = RIW 1999, 621; von Bar/Man-
kowski, IPR II, § 1 Rz. 824; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 74. – Offen geblieben in
BGH v. 25.1.1991 – V ZR 258/89, IPRspr. 1991 Nr. 3 = NJW 1991, 2214.
3 BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, ZIP 2002, 1155 = WM 2002, 1186. – Als Folge von Art. 148
Abs. 3 schweiz. IPRG wird allein das für das Erlassgeschäft geltende Recht für maßgeblich gehal-
ten, Girsberger in ZürchKomm, Art. 148 IPRG Rz. 68, 70.
4 OLG Karlsruhe v. 15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367.
5 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 440.
6 OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (170); Thorn in
Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3. – Anders öOGH v. 11.5.1976 – 5 Ob 531/76, ÖJZ 1976, 518
(Aufhebung eines engl. Recht unterstehenden Vertrages über die Miete von Rennwagen österreich.
Recht unterworfen).

248 | Martiny
H. Verjährung, Ausschlussfrist, Verwirkung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO) | Rz. 3.237 § 3

(2011), S. 234; Linke, Die Bedeutung ausländischer Verfahrensakte im deutschen Verjährungsrecht, FS


Nagel (1987), S. 209; Looschelders, Anpassung und Substitution bei der Verjährungsunterbrechung
durch unzulässige Auslandsklage, IPRax 1998, 296; Oppermann, Internationale Handelsschieds-
gerichtsbarkeit und Verjährung (2009); Otte, Verfolgung ohne Ende – ausländische Verjährungshem-
mung vor deutschen Gerichten, IPRax 1993, 209; Sandrock, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und
Verjährung nach deutschem Recht in Liber Amicorum Böckstiegel (2001), S. 671; Schack, Wirkungs-
statut und Unterbrechung der Verjährung im IPR durch Klageerhebung, RIW 1981, 301; Schütze, Pro-
bleme der Hemmung der Verjährung durch Erhebung einer Klage im Ausland vor einem staatlichen
Gericht oder Schiedsgericht im deutschen internationalen Privat- und Prozessrecht, FS G. H. Roth
(2011), S. 791; Wolf, Verjährungshemmung auch durch Klage vor einem international unzuständigen
Gericht?, IPRax 2007, 180.
Rechtsvergleichung/Ausländisches Recht: Asam, Rechtsfragen der Verjährung kaufvertraglicher An-
sprüche im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, JbItaIR 5 (1992), 59; Asam, Die Verjährung kauf-
rechtlicher Ansprüche im italienischen Recht, RIW 1992, 798; Bohata, Neugestaltung des tsche-
chischen Zivilrechts – Verjährung und Präklusion, WiRO 2012, 105; Conrads, Verjährung im
englischen Recht (1996); Fötschl, Das neue dänische Verjährungsrecht, RIW 2011, 696; Kleinschmidt,
Das neue französische Verjährungsrecht, RIW 2008, 590; Lichtenstein, Die zivilrechtliche Verjährung
nach dem Recht der VR China RIW 2009, 824; Remien (Hrsg.), Verjährungsrecht in Europa (2011);
Zimmermann, Verjährung in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europä-
ischen Privatrechts II (2009), S. 1637; Zoll, Die Abdingbarkeit der Verjährung im polnischen Gewähr-
leistungsrecht in Tuora-Schwierskott (Hrsg.), Rechtsentwicklung im Rahmen der deutsch-polnischen
Beziehungen (2015), S. 160.

1. Anknüpfung
Das Einheitliche Kaufrecht regelt die Verjährung von Kaufpreisforderungen nicht1. Das an- 3.236
wendbare Recht richtet sich daher nach den Kollisionsnormen der lex fori, d.h. dem nach den
Art. 3 ff. Rom I-VO bestimmten Vertragsstatut2 (s. Rz. 25.35). Doch kann im Ausland die
UN-Verjährungskonvention von 1974 eingreifen, s. Rz. 25.84.

Kollisionsrechtlich gilt für die Verjährung Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO3. Die Verjährung 3.237
eines Anspruchs ist eine materiell-rechtliche Frage und richtet sich nach der lex causae, d.h.
dem Statut, das das Rechtsverhältnis beherrscht4. Im Internationalen Vertragsrecht gilt das
den Anspruch beherrschende Vertragsstatut für die gesamte Ausgestaltung der Verjährung5.
Ungewöhnlich lange oder zu kurze Verjährungsfristen können den ordre public (Art. 21
Rom I-VO) berühren6.

1 ÖOGH 10.5.2017 – 30b55/17k, IHR 2017, 147.


2 Dagegen will mangels Rechtswahl auf das Recht der Schuldnerniederlassung abstellen Stoll, FS Fe-
rid (1988), S. 495 (507 ff.).
3 Früher Art. 10 Abs. 1 lit. d EVÜ bzw. Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB.
4 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, RIW 1987, 217 = IPRax 1988, 99 (m. Aufs. Schwenzer,
IPRax 1988, 86); OLG Brandenburg v. 29.11.2000 – 13 U 110/00, IPRspr. 2000 Nr. 28 = NJ 2001,
257 Anm. Ehlers (österreich. Recht); Schack, RIW 1981, 301 ff.; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-
VO Rz. 13. – Zur Verjährung nach schweiz. Recht IPG 2012-14 Nr. 12 (Hamburg).
5 BGH v. 7.6.1960 – VIII ZR 109/59, IPRspr. 1960–61 Nr. 23 = NJW 1960, 1720.
6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 124 f. – Zu Art. 134 Abs. 1 Nr. 6 schweiz. OR
s. Otte, IPRax 1993, 209 ff.

Martiny | 249
§ 3 Rz. 3.238 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.238 Das Vertragsstatut gilt auch, wenn das Ausland die Verjährung (wie nach Common Law)1 ver-
fahrensrechtlich einordnet und der dortigen lex fori unterwirft2. Die ausländische verfahrens-
rechtliche Einordnung ist unerheblich; ihr kann keine versteckte Rückverweisung auf das in-
ländische Recht entnommen werden, die zudem nach Art. 20 Rom I-VO unzulässig wäre3.

2. Hemmung und Neubeginn


3.239 Nicht nur Beginn und Dauer, sondern auch die Hemmung und der Neubeginn der Verjährung
unterliegen in ihren Voraussetzungen und Wirkungen diesem Statut4. Nach materiellem Recht
kann die Verjährung infolge von Prozesshandlungen wie die Klageerhebung gehemmt werden
(vgl. § 204 Abs. 1 BGB). Wird die Klage in einem anderen Staat erhoben als in demjenigen,
dessen Recht die lex causae bildet, so taucht ein Substitutionsproblem auf. Es ist umstritten,
wann die ausländische Prozesshandlung ausreicht. Nach deutschem Recht wird vielfach ver-
langt, dass das zu erwartende ausländische Urteil nach europäischem Zivilprozessrecht oder
§ 328 ZPO voraussichtlich im Inland anerkannt werden wird5. Entsprechendes gilt für die Un-
terbrechungswirkung ausländischer Urteile6 und von Beweissicherungsverfahren7. Nach an-
derer, vordringender Auffassung besteht kein solches Erfordernis8 oder es werden geringere
Anforderungen an die Anerkennung gestellt9. Als Mindesterfordernisse werden insb. genannt,
die Zustellung der Klage an den Beklagten, die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts nach
seinem Recht sowie keine Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public10.

II. Ausschlussfrist
3.240 Möglich ist, dass ein Schuldverhältnis durch nichtrechtsgeschäftliche Tatbestände erlischt. Für
sie gilt im Grundsatz ebenfalls das Vertragsstatut, so z.B. für Zeitablauf und Präklusionsfristen
(Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO). Mit den Rechtsverlusten, die sich aus dem Ablauf von Fristen

1 England folgt seit einiger Zeit jedoch dem kontinentalen lex causae-Ansatz im Foreign Limitation
Periods Act 1984 (c. 16), Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–161. Zu Tendenzen in den USA zur Über-
windung der prozessualen Qualifikation Hay, IPRax 1989, 197 ff.
2 RG v. 6.7.1934 – II 102/34, RGZ 145, 121 (128 f.) = IPRspr. 1934 Nr. 29; Stürner in Erman, Art. 12
Rom I-VO Rz. 14. – Zur Verjährung einer Honorarforderung nach span. Recht IPG 2007/2008
Nr. 2 (Bayreuth).
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 126; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I
Rz. 71. Anders Kegel/Schurig, S. 409 f. (637).
4 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 32; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 131.
5 RG v. 8.7.1930 – II 542/29, RGZ 129, 385 (389) (Klageerhebung in Norwegen genügte nicht); OLG
Düsseldorf v. 9.12.1977 – 16 U 48/77, IPRspr. 1977 Nr. 8 = NJW 1978, 1752 (Klageerhebung in
Belgien genügte); LG Deggendorf v. 24.11.1981 – O 411/81, TranspR 1983, 46 = IPRax 1983, 125
(m. abl. Aufs. Frank, IPRax 1983, 108) (Klageerhebung in Österreich); Kegel/Schurig, S. 636.
6 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14. Näher dazu Martiny in Hdb. IZVR, III 1 Rz. 427 ff. –
Zum schweiz. Zahlungsbefehl BGH v. 17.4.2002 – XII ZR 182/00, MDR 2002, 1142 = NJW-RR
2002, 937.
7 LG Hamburg v. 15.9.1998 – 410 O 44/95, IPRax 2001, 45 (m. krit. Aufs. Spickhoff, IPRax 2001, 37)
(keine Wirkung wegen ausschließender inländ. Zuständigkeit).
8 Frank, IPRax 1983, 109 f.; Linke, FS Nagel, S. 209 (221 ff.); Budzikiewicz, ZEuP 2010, 415 (433)
(wirksame Klageerhebung und Möglichkeit der Verteidigung); Spellenberg in MünchKomm,
Art. 12 Rom I-VO Rz. 139 ff. (mit Einschränkungen für Zustellung und Klageerhebung).
9 Nur, soweit es um den Schutz von Individualinteressen geht (insb. die Zustellung und Ladung),
Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 33; Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12.
10 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 67.

250 | Martiny
J. Umgestaltung des Schuldverhältnisses, Anerkenntnis, Vergleich | Rz. 3.242 § 3

ergeben (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO), ist, wie der englische Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 lit. d
EVÜ erkennen lässt, vor allem die ähnlich wie eine Ersitzung konzipierte „prescription“ des eng-
lischen Rechts gemeint, die von der „limitation of actions“ (Verjährung) zu unterscheiden ist.

III. Verwirkung
Literatur: Girsberger, Verjährung und Verwirkung im internationalen Obligationenrecht (1989); Ke-
gel, Verwirkung, Vertrag und Vertrauen in FS Pleyer (1986), S. 513; Will, Verwirkung im IPR, RabelsZ
42 (1978), 211.
Auch ob ein Anspruch wegen Verwirkung nicht mehr geltend gemacht werden kann, be- 3.241
stimmt grundsätzlich das Vertragsstatut1. Zwar wurde verlangt, man müsse bei der Bewer-
tung des Verhaltens der Parteien ihr Umweltrecht in Betracht ziehen2. Hiergegen wird freilich
zutreffend eingewandt, dies habe auf sachrechtlicher Ebene zu geschehen, so dass allein die
lex causae gelte3. Eine Berücksichtigung auch auf kollisionsrechtlichem Wege ist in Art. 10
Abs. 2 Rom I-VO nicht vorgesehen. Sie würde zudem zu einer Sonderanknüpfung und damit
zu einer weiteren Zersplitterung führen. Das Umweltrecht ist daher allein auf der Ebene des
materiellen Rechts zu berücksichtigen. Einer ausländischen verfahrensrechtlichen Einordnung
der Verwirkung kann auch hier keine versteckte Rückverweisung auf das inländische Recht
entnommen werden4. Dem Vertragsstatut unterliegt gleichfalls der Rechtsmissbrauch5.

J. Umgestaltung des Schuldverhältnisses, Schuldanerkenntnis und Vergleich

Literatur: Berger, Neuverhandlungs-, Revisions- und Sprechklauseln im internationalen Wirtschafts-


vertragsrecht, RIW 2000, 1; Berger, Internationale Investitionsverträge und Schiedsgerichtsbarkeit –
Äquivalenzstörungen, Neuverhandlungsklauseln und Vertragsanpassung, ZVglRW 102 (2003), 1; Ber-
ger/Arntz, Die Anerkennung von Verhandlungsklauseln durch die englische Rechtsprechung, RIW 2015,
25; Geldsetzer, Einvernehmliche Änderung und Aufhebung von Verträgen (1993); Hoyer, Die Novation
im österreichischen IPR, ZfRV 1968, 288; Jarrosson, Le contrat de transaction dans les relations com-
merciales internationales, Rev.crit.d.i.p. 86 (1997), 657; Roden, Zum Internationalen Privatrecht des Ver-
gleichs (1994); Schulte, Die Anknüpfung von Schuldanerkenntnissen nach der Rom-I-VO, ZEuP 2021,
460; Wittwer, Außergerichtliches Schadensanerkenntnis: eine kollisionsrechtliche und rechtsvergleichen-
de Betrachtung der OGH-Entscheidung vom 16.5.2018, 2 Ob 71/18g in FS C. Huber, 2020, S. 571.

I. Bloße Abänderung
Wird der ursprüngliche Vertrag von den Parteien in Einzelheiten abgeändert (z.B. Kaufpreis- 3.242
höhe), soll er im Übrigen aber weiterbestehen, so gilt – mangels einer anderen Rechtswahl –
das ursprüngliche Vertragsstatut6.

1 OLG Frankfurt v. 24.6.1981 – 17 U 139/79, IPRspr. 1981 Nr. 20 = RIW 1982, 914; AG Traunstein v.
2.11.1973 – C 338/72, IPRspr. 1973 Nr. 13; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 170.
Vgl. auch OLG Hamburg v. 22.11.1988 – 3 U 249/87, IPRspr. 1988 Nr. 32 = Bericht IPRax 1989, 247.
2 Näher Will, RabelsZ 42 (1978), 222 ff.
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 171. So auch für die Schweiz Girsberger in
ZürchKomm, Art. 148 IPRG Rz. 76. Krit. zu einer analogen Anwendung des früheren Art. 31 Abs. 2
EGBGB Frigge, Externe Lücken und Internationales Privatrecht im UN-Kaufrecht (1994), S. 140 ff.
4 Anders Kegel/Schurig, S. 409 f. (637).
5 Schütze, WM 1982, 226 (228). Vgl. Hemler in BeckOGK, Art. 21 Rom I-VO Rz. 54 (Stand 1.6.2021).
6 ÖOGH v. 14.9.1955 – 1 Ob 297/55, SZ 28 Nr. 200 (Änderung eines Vertretervertrages durch Ver-
gleich nach österreich. Recht); öOGH v. 11.5.1976 – 5 Ob 531/76, ÖJZ 1976, 518 (Erweiterung der

Martiny | 251
§ 3 Rz. 3.243 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

II. Ersetzung
3.243 Wird ein Vertrag geschlossen, der das alte Schuldverhältnis ersetzt, so ist zu unterscheiden.
Ob das alte Vertragsverhältnis aufgrund der Novation untergegangen ist, bestimmt nach über-
wiegender Auffassung das Statut des ursprünglichen Vertrages1.

3.244 Für das neu vereinbarte Schuldverhältnis kann ein anderes Recht vereinbart werden als das
für den ursprünglichen Vertrag geltende. Fehlt es an einer ausdrücklichen Rechtswahl, so
kann das Statut der alten Verbindlichkeit kraft stillschweigender Rechtswahl weitergelten. Ist
auch ein stillschweigender Wille nicht ersichtlich, so ist das Schuldstatut der neuen Verbind-
lichkeit selbständig zu bestimmen2.

III. Schuldanerkenntnis
3.245 Das Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag, durch den das Bestehen eines Schuldverhältnisses
anerkannt wird (§ 781 BGB)3. Dafür ist nach deutschem Recht grundsätzlich (vgl. aber § 350
HGB) Schriftform erforderlich4. Nach französischem Recht ist die besondere Form des
Art. 1376 n.F. c.c. einzuhalten5. Das Schuldbekenntnis gem. Art. 17 OR der Schweiz verlangt
hingegen keine besondere Form6. Nach türkischem Recht kommt jedoch die Beweisvorschrift
des Art. 288 ZPO zum Zuge7.

3.246 Auch für das Schuldversprechen bzw. Schuldanerkenntnis (vgl. §§ 780 ff. BGB) ist eine
Rechtswahl zulässig8. Das bloß kausale Schuldversprechen bezieht sich auf die Verpflich-
tung aus einem bestimmten Geschäft und wird von der h.M. regelmäßig akzessorisch ange-
knüpft (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO)9. Es folgt insbesondere dem Forderungsstatut10. Andere
wollen hingegen grundsätzlich auf die charakteristische Leistung des Anerkennenden ab-
stellen11. Das abstrakte (konstitutive) Schuldversprechen begründet unstreitig eine selbstän-
dige Verpflichtung12. Diese richtet sich – mangels engerer Verbindung (Art. 4 Abs. 3

Miete eines Rennwagens nach engl. Schuldstatut). – Ebenso der inzwischen aufgehobene § 45 S. 2
österreich. IPRG.
1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 181.
2 OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (170) (Loan
Facility Agreement); Rabel, II 2 S. 446 f.; Hoyer, ZfRV 1968, 291 f.; Thorn in Palandt, Art. 10
Rom I-VO Rz. 3.
3 Zum ital. Recht IPG 2007/2008 Nr. 4 (Köln).
4 Zur Schriftform in Western Australia IPG 2015-17 Nr. 3 (Hamburg).
5 IPG 1980/81 Nr. 10 (Freiburg).
6 IPG 1980/81 Nr. 21 (München).
7 IPG 1979 Nr. 16 (Hamburg).
8 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 529 (Stand 1.2.2021).
9 OLG Düsseldorf v. 14.1.2003 – 4 U 158/01 – I-4 U 158/01, IPRspr. 2003 Nr. 26 = VersR 2003,
1324; OLG München v. 18.1.2018 – 23 U 57/17, NJOZ 2018, 1390 = IPRspr. 2018 Nr. 54 (öster-
reich. Recht); IPG 1980–81 Nr. 10 (Freiburg) (Schuldanerkenntnis aus Handelsvertretervertrag,
französ. Recht unterworfen).
10 OLG Düsseldorf v. 14.1.2003 – 4 U 158/01, VersR 2003, 1324; LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O
138/94, NJW-RR 1995, 183 = IPRspr. 1994 Nr. 142; Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 75;
Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 119.
11 Schulte, ZEuP 2021, 460 (471).
12 Eine kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen kausalem und abstraktem Anerkenntnis leh-
nen für die Regulierungszusage einer Versicherung ab, öOGH v. 16.5.2018 – 2 Ob 71/18g, ZfRV
2018, 189 = ZEuP 2021, 460 m. zust. Anm. Schulte; Wittwer, FS C. Huber, S. 571 (574 ff.).

252 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.248 § 3

Rom I-VO)1 – nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schuldners (Abs. 2)2.
Das Schuldstatut entscheidet über die Bedeutung der Erklärung3.

Da das Schuldanerkenntnis nicht der gleichen Rechtsordnung zu unterliegen braucht wie die 3.247
anerkannte Forderung, kann bei einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis vereinbart wer-
den, auf Einwendungen aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis ein anderes Recht an-
zuwenden. Das ist auch für einen Kaufvertrag möglich, der nach ausländischem Recht gleich-
zeitig das dingliche Erfüllungsgeschäft bildet4.

IV. Vergleich
Der Vergleich beseitigt einen Streit oder eine Unsicherheit bezüglich der Verpflichtungen der 3.248
Parteien. Wegen dieses Zusammenhanges gilt mangels einer ausdrücklichen oder stillschwei-
genden Rechtswahl5 das ursprüngliche Schuldstatut grundsätzlich auch für den Vergleich6.
Für Prozessvergleiche, denen nach deutschem Recht eine Doppelnatur zukommt, gilt bezüg-
lich der schuldrechtlichen Seite des Vergleichs das Forderungsstatut, bezüglich der prozessua-
len die lex fori7.

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO

Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Böhm, Die Sicherungsabtretung im UNI-


CITRAL-Konventionsentwurf „Draft convention on assignment in receivables financing“ (2000); Da-
nielewsky/Lehmann, Die UNCITRAL-Konvention über internationale Forderungsabtretungen und
ihre Auswirkungen auf Asset-Backed-Securities-Transaktionen, WM 2003, 221; Ferrari, The Uncitral
Draft Convention on Assignment in Receivables Financing in Liber amicorum Siehr (The Hague

1 OLG München v. 2.5.2012 – 7 U 4830/11, IPRspr. 2012 Nr. 32 (LS) (Umdeutung formnichtigen
Wechsels); Solomon, ZVglRW 115 (2016), 586 (599 f.).– So auch für die Regulierungszusage Witt-
wer, FS C. Huber, S. 571 (574 ff.).
2 Wenzel, Rechtsfragen internationaler Konsortialkreditverträge (2006), S. 430; Thorn in Rauscher,
Art. 4 Rom I-VO Rz. 119.
3 OLG Düsseldorf v. 18.12.2008 – 5 U 88/08, 5 U 88/08, NJW-RR 2009, 1380. – S. bereits LG Mün-
chen I v. 22.12.1980 – 32 O 3400/78, IPRspr. 1980 Nr. 13A = IPRax 1982, 117 (LS) Anm. Jayme
(Erklärung gegenüber New Yorker Anwalt [„Den Rest Deiner Rechnungen werde ich so bald als
möglich begleichen“] als Schuldversprechen nach New Yorker Recht gewertet).
4 S. schon BGH v. 30.10.1970 – V ZR 58/67, IPRspr. 1970 Nr. 17 = NJW 1971, 320 (Verkauf belg.
Grundstücks. Schuldanerkenntnis über in Wirklichkeit höheren Kaufpreis aufgrund stillschwei-
gender Rechtswahl deutschem Recht unterstellt).
5 Dazu BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hoh-
loch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock; OLG Mün-
chen v. 22.1.1997 – 7 U 4121/96, IPRspr. 1997 Nr. 55 = RIW 1997, 507; LG Aachen v. 14.5.1993 –
43 O 136/92, IPRspr. 1993 Nr. 141 = RIW 1993, 760; Roden, S. 86 ff.
6 OLG Schleswig v. 19.9.1989 – 3 U 213/86, IPRspr. 1989 Nr. 48; OLG Köln v. 21.11.2012 – 16 U
126/11, IPRspr. 2012 Nr. 272 = IHR 2014, 140 Anm. Eckardt; Roden, S. 93 ff. (angelehnter Vertrag
gem. Art. 28 Abs. 1 EGBGB); Geisler, Die engste Verbindung im IPR (2001), S. 197 f.; Spellenberg
in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 182. – Dagegen für akzessorische Anknüpfung an das
dem Vergleich zugrunde liegende Geschäft von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 53. Eher
für Selbständigkeit Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 74.
7 Roden, S. 96. Vgl. dazu auch OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 10b;
IPG 1974 Nr. 39 (München), S. 404 ff.

Martiny | 253
§ 3 Rz. 3.248 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

2000), S. 179; Heine, Das Kollisionsrecht der Forderungsabtretung: UNCITRAL-Abtretungskonventi-


on und Rom I-Verordnung (2012); Kieninger, Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Abtre-
tung in Basedow/Remien/Wenckstern (Hrsg.), Europäisches Kreditsicherungsrecht (2010), S. 147;
Kuhn, Materielle Rechtsvereinheitlichung und IPR – Das internationale Zessionsrecht im UNICI-
TRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung, FS Siehr (Zürich 2001), S. 93; Rudolf, Einheits-
recht für internationale Forderungen (2006); H. Schmidt, Das Übereinkommen der Vereinten Natio-
nen über die Abtretung von Forderungen im Internationalen Handel, IPRax 2005, 93; Schütze,
Zession und Einheitsrecht (2005); Selke, Ein optionales europäisches Zessionsrecht? (2014); Stoll, Kol-
lisionsrechtliche Aspekte des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Abtretungen im interna-
tionalen Handel, FS Sonnenberger (2004), S. 695.
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C.c.) im deutschen IPR, FS Neumayer (1985), S. 31; von Bar, Abtretung und Legalzession im neuen
deutschen IPR, RabelsZ 53 (1989), 462; F. Bauer, Die Forderungsabtretung im IPR: schuld- und zu-
ordnungsrechtliche Anknüpfungen (2008); Bode, Die Wirksamkeit einer Forderungsübertragung ge-
genüber Dritten vor dem Hintergrund der internationalen Forderungsfinanzierung (2007); Courdier-
Cuisinier, La cession conventionnelle de contrat en matière international, Clunet 136 (2009), 471; Ein-
sele, Das Internationale Privatrecht der Forderungszession und Schutz, ZVglRW 90 (1991), 1; Flessner,
Privatautonomie und Interessen im internationalen Privatrecht, am Beispiel der Forderungsabtretung,
FS Canaris II (2007), S. 545; Flessner, Die internationale Forderungsabtretung nach der Verordnung
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Rom I-Verordnung, FS Kühne (2009), S. 703; Flessner, Between Articles 14 and 27 of Rome I: How to
interpret a European Regulation on Conflict of Laws? in Westrik/van der Weide (Hrsg.), Party Auto-
nomy in International Property Law (2011), S. 207; Flessner/Verhagen, Assignment in European Pri-
vate International Law – Claims as property and the European Commission´s „Rome I Proposal“
(2006); Hartley, Choice of Law Regarding The Volontary Assignment of Contractual Obligations un-
der the Rome I Regulation, Int. Comp. L. Q. 60 (2011) 29; von Hoffmann, Die Forderungsübertra-
gung, insbesondere zur Kreditsicherung im IPR in Hadding/Schneider (Hrsg.), Die Forderungsabtre-
tung, insbesondere zur Kreditsicherung, in ausländischen Rechtsordnungen (1999), S. 3; von
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längerter Eigentumsvorbehalt“ und Mehrfachzession im österreichischen Internationalen Privatrecht,
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hitani (Hrsg.), Japanese and European Private International Law in Comparative Perspective (2008),
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abtretung anzuwendende Recht im Licht der BIICL-Studie, IPRax 2012, 289; Kieninger/Siegman, Ab-
tretung und Legalzession in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa,
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tour sur la loi applicable à l´opposabilité des transferts conventionnels de créances in Mélanges Bé-
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Europäischen Kollisionsrecht – Unter besonderer Berücksichtigung des spanischen Rechts (2001);
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und Drittwirkung im internationalen Kreditsicherungsgeschäft, WM 2011, 1499; Mäsch, Abtretung
und Legalzession im Europäischen Kollisionsrecht in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationa-
len Vertragsrecht (2004), S. 193; Schwenke, Factoring im deutsch-französischen Rechtsverkehr (2006);
Sonnenberger, Affacturage (Factoring) und Zession im deutsch-französischen Handelsverkehr, IPRax
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forderung aus einem CISG unterliegenden Kaufvertrag und der anschließenden Legalzession im
grenzüberschreitenden Verhältnis Käufer-Verkäufer-Factor-Warenkreditversicherung, IPRax 2014,
400; Stadler, Der Streit um das Zessionsstatut – eine endlose Geschichte?, IPRax 2000, 104; Stoll, An-

254 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.249 § 3

knüpfung bei mehrfacher Abtretung derselben Forderung, IPRax 1991, 223; Struycken, The Proprieta-
ry Aspects of International Assignment of Debts and the Rome Convention, Art. 12, LMCLQ 24
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besondere zur Kreditsicherung, in der Bundesrepublik Deutschland und in ausländischen Rechtsord-
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neuen französischen Rechts vor dem Hintergrund des deutschen Rechts und der Principles of Euro-
pean Contract Law in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2018),
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deutscher Kreditinstitute durch Zession von in der Schweiz oder Österreich belegenen Forderungen
sowie durch Bürgschaften von Schweizern und Österreichern (1973); de Ly, Les clauses de cession
dans les contrats commerciaux internationaux, Rev.dr.aff.int. 1996, 799; D. Mühl, Sicherungsübereig-
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Übertragung von Forderungen aus Rektapapieren, RabelsZ 1933, 791; Wulfken/Berger, Internationaler
Forderungshandel vor dem Hintergrund der Verschuldungskrise, RIW 1988, 585. – S. auch die Litera-
tur zur Forderungssicherung vor Rz. 25.140, Rz. 16.1.

I. Rechtsvereinheitlichung
Das Abtretungsrecht ist im UNCITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung vom 3.249
31.1.2002 vereinheitlicht worden1. Die (noch) nicht in Kraft getretene Konvention ist auf in-

1 Uncitral Convention on the Assignment of Receivables in International Trade v. 12.12.2001 (CA-


RIT); engl. Text ZEuP 2002, 782 ff.; I.L.M. 41 (2002), 776 sowie bei Bode, nach S. 326; Hausmann
in Staudinger, Art. 14 Rom I Anh. II. Deutsche Übersetzung bei Schulze/Zimmermann, Europäi-
sches Privatrecht II, 6. Aufl. (2020) II.35. Kommentierung bei Hausmann in Staudinger, Art. 14
Rom I Anh. II.

Martiny | 255
§ 3 Rz. 3.249 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

ternationale Abtretungen sowie auf internationale vertragliche Forderungen anwendbar. Sie


enthält Sachnormen über die Wirksamkeit der Abtretung (Art. 8, 9 UNCITRAL-Übk.), den
Übergang von Sicherheiten (Art. 10 UNCITRAL-Übk.), das Verhältnis zwischen Zedent und
Zessionar (Art. 11–13 UNCITRAL-Übk.), die Rechte und Pflichten des Schuldners (Art. 15–
21 UNCITRAL-Übk.) sowie die Rechte Dritter (Art. 22–25 UNCITRAL-Übk.). Ferner enthält
das Übereinkommen eigene Kollisionsnormen für Forderungen, für welche die Konvention
nicht gilt, die aber in ihren Anwendungsbereich fallen (Art. 26–28 UNCITRAL-Übk.). – Im
Übrigen besteht Einheitsrecht für den Factoringvertrag, s. Rz. 13.73. Die Forderungsabtretung
ist auch in Art. 9.1.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016 geregelt1.

II. Ausländisches Recht


3.250 Die Forderungsabtretung weist in den einzelnen Rechtsordnungen zahlreiche Unterschiede
auf2. Die Abtretung ist regelmäßig nicht wie nach deutschem Recht abstrakt (sog. Trennungs-
system), vielmehr bilden Abtretung und Grundgeschäft eine Einheit3. So ist die Abtretung
(cession des créances) nach französischem Recht nicht abstrakt (vgl. Art. 1321, 1689 ff. c.c.).
Nach englischem Recht erfolgt ein assignment. Zahlreiche Rechte, insbesondere das französi-
sche und das luxemburgische, verlangen eine förmliche Benachrichtigung des Schuldners
(signification, Art. 1690 c.c.), die mangels in öffentlicher Urkunde erfolgter Abtretung als Ab-
tretungsanzeige durch den Gerichtsvollzieher (huissier) zu erfolgen hat4. Die „signification“ –
ursprünglich als eine Art Übertragungsakt für Forderungen gedacht – ist nach heutiger fran-
zösischer Auffassung ein Publizitätserfordernis5. Eine Ausnahme vom Erfordernis der „signifi-
cation“ besteht bei der Kreditgewährung an Unternehmen. Für die Abtretung zugunsten eines
Kreditinstituts genügt die Eintragung in eine zu übergebende Liste (bordereau)6. Ob diese Er-
leichterung auch zugunsten deutscher Kreditinstitute eingreift, ist ungeklärt7. Das belgische
Recht verlangt nur noch eine Mitteilung an den Schuldner oder eine Anerkennung durch ihn
(Art. 1690 c.c.)8. Das niederländische Recht verlangt ebenfalls eine Anzeige an den Schuldner
(Art. 3:94 N.B.W.)9. Ebenso ist es in Italien (Art. 1264 Abs. 1 c.c.)10. Nach schweizerischem
Recht ist die Notifikation der Zession hingegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung11.

1 Dazu Brödermann, RIW 2004, 721 (733 f.); Courdier-Cuisinier, Clunet 136 (2009), 471 ff. – Zu
„assigment of rights“ s. auch Art. III.-5.101 ff. DCFR.
2 S. Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009), S. 1183 ff. – Zur Abtretung nach
kaliforn. Recht IPG 2012-14 Nr. 9 (Köln).
3 Dazu Mangold, S. 85 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 15; Hübner in BeckOGK,
Art. 14 Rom I-VO Rz. 13 (Stand 1.2.2021).
4 Dazu F. Bauer, S. 69 ff.
5 Dazu Blaise/Desgorces in Hadding/Schneider, S. 245 (253).
6 Art. L 313–23 ff. C.mon.fin. (früher Loi Dailly v. 2.1.1981, dazu Mezger, RIW 1981, 213 ff.). –
Näher F. Bauer, S. 74 f.; Sonnenberger/Dammann, Französ. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl.
2008, Rz. VII 101 ff.
7 Gerth, WM 1984, 793 (794).
8 Ob Schriftform erforderlich ist, ist umstritten. Verneinend Roels, La cession et la mise en gage de
créances en droit belge suite à la loi du 6 juillet 1994, Rev.dr.aff.int. 1995, 31 (34 f.). Bejahend
Foriers/Grégoire in Hadding/Schneider, S. 135 (139). – Näher zur Zession IPG 2012-14 Nr. 5
(Hamburg).
9 Zur Anzeige s. Reehuis in Hadding/Schneider, S. 469 (472).
10 Dazu OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, IPRspr. 1995 Nr. 40 = IPRax 1996, 197 (m. Aufs.
Schlechtriem, IPRax 1996, 184) = NJW-RR 1996, 1271.
11 Stauder/Stauder-Bilicki in Hadding/Schneider, S. 767 (773 f.).

256 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.253 § 3

Während die Zession nach BGB grundsätzlich keiner bestimmten Form bedarf, ist in zahlrei- 3.251
chen ausländischen Rechten Schriftform vorgeschrieben (z.B. Frankreich, Art. 1322 c.c.; für
das „legal assignment“ in England1). Das Schriftformerfordernis des Art. 165 Abs. 1 schweiz.
OR bezieht sich lediglich auf die Erklärung des Zedenten2. Das italienische Recht verlangt
grundsätzlich keine Form3. Ebenso ist es in Österreich4.

Die Sicherungszession ist auch nach ausländischen Rechten im Allgemeinen zulässig. Sie ist 3.252
jedoch häufig beschränkt5:
– Die Abtretung künftiger Forderungen ist zuweilen untersagt6.
– Der Globalabtretung aller aus dem Geschäftsbetrieb entstandenen Forderungen sind oft
dadurch Schranken gesetzt, dass die übertragenen Forderungen genau bezeichnet werden
müssen7.
– Der Abspaltung von Verfügungsbefugnis und Einziehungsrecht vom Gläubigerrecht
sind gelegentlich Grenzen gesetzt.

III. Anknüpfung der Forderungsübertragung (Art. 14 Rom I-VO)


1. Anknüpfung
Art. 14 Rom I-VO betrifft ein komplexes Mehrpersonenverhältnis8. Die Forderungsabtre- 3.253
tung ist aber nicht umfassend geregelt. Vielmehr beschäftigt sich Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO
explizit nur mit dem Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar, während Abs. 2 einige Fragen
aufzählt, für welche es im Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner auf das Forderungs-
statut ankommt. Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO unterstellt das Verhältnis zwischen Zedent und
Zessionar aus der Übertragung einer Forderung gegen den Schuldner dem Recht, das für den
Vertrag zwischen Zedent und Zessionar gilt. Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO stellt klar, dass die
„Übertragung“ die vollkommene Übertragung von Forderungen ebenso wie die Übertragung
von Forderungen zu Sicherungszwecken sowie von Pfandrechten oder anderen Sicherungs-
rechten an Forderungen umfasst. Das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt (For-
derungsstatut), bestimmt ihre Übertragbarkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und
Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehal-
ten werden kann sowie die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner (Art. 14
Abs. 2 Rom I-VO). Nicht angesprochen werden die Wirkungen der Abtretung gegenüber
Dritten, namentlich anderen Gläubigern9; zur Drittwirkung Rz. 3.288. Im Hintergrund der
Kontroversen steht, dass nach ausländischem Sachrecht vielfach die Forderung bereits mit Ab-
schluss des schuldrechtlichen Abtretungsvertrages vom Zedenten auf den Zessionar übergeht

1 Carl in Hadding/Schneider, S. 197 (201).


2 Nachw. in IPG 1984 Nr. 18 (Köln), S. 159.
3 Dolmetta/Portale in Hadding/Schneider, S. 339 (344).
4 Apathy in Hadding/Schneider, S. 509 (514) (anders bei formbedürftigem Grundgeschäft).
5 Nachw. bei Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 83. – Zum russ. Recht, IPG 2009-11 Nr. 10
(Hamburg).
6 S. zu den Niederlanden Joustra, The Voluntary Assignment of Future Claims, IPRax 1994, 395
(396); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 14.1 (Stand 1.2.2021).
7 Zur Bestimmbarkeit nach poln. Recht IPG 2007/2008 Nr. 6 (Köln).
8 Hervorgegangen aus Art. 12 EVÜ, in Deutschland Art. 33 Abs. 1, 2 EGBGB.
9 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78); Leible/Lehmann, RIW 2008, 540; Mankowski, IHR
2008, 133 (150); F. Bauer, S. 29 ff., 301; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 9.

Martiny | 257
§ 3 Rz. 3.253 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

(kausale Forderungszession). Da das deutsche Recht auch hier Verpflichtungs- und Ver-
fügungsgeschäft trennt, war dagegen aus seiner Sicht eine Konzentration auf die Verfügung,
d.h. die Abtretung selbst, nahe liegend. Dem stand auch der Wortlaut des EVÜ nicht ent-
gegen, das sich in Art. 12 Abs. 1 auf die „Verpflichtungen“ zwischen Zedent und Zessionar
beschränkte1. Für andere Ansätze verläuft hingegen die Grenzlinie nicht so sehr oder gar nicht
zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft, als vielmehr zwischen der der Partei-
autonomie zugänglichen (obligatorischen und dinglichen) Beziehung zwischen Zedent und
Zessionar (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) sowie den Wirkungen gegenüber dem Schuldner (Art. 14
Abs. 2 Rom I-VO) und sonstigen Dritten2.

3.254 Art. 14 Rom I-VO ist nur schwer ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entnehmen, da die Vor-
schrift nicht nur auf die Beziehung zwischen Zedent und Zessionar sowie das Forderungssta-
tut, mithin unterschiedliche Statute, abstellt, sondern sich außerdem noch bezüglich der Dritt-
wirkungen, welche Bezüge zur Übertragung der Forderung aufweist, nicht festlegt (dazu
Rz. 3.288). Je nachdem, ob man sich hierfür auf das Forderungsstatut oder auf andere Ge-
sichtspunkte – namentlich den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten – stützt, ergeben sich
unterschiedliche Folgen und Spannungen zwischen den einzelnen Anknüpfungen.

3.255 Nach der Überprüfungsklausel des Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO sollte die Kommission bis zum
17.6.2010 einen Bericht dazu vorlegen, ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegen-
gehalten werden kann, und über den Rang dieser Forderung gegenüber einem Recht einer an-
deren Person3. Dem Bericht sollte gegebenenfalls ein Vorschlag zur Änderung der VO sowie
eine Folgenabschätzung der einzuführenden Bestimmungen beigefügt werden. Diese Frist ist
nicht eingehalten worden. Stattdessen hatte die Kommission ein Gutachten des British Insti-
tute of International and Comparative Law (BIICL) in Auftrag gegeben, das mehrere Alterna-
tiven vorschlug4. Inhaltlich geht es vor allem darum, ob der Parteiautonomie größerer Raum
zu gewähren ist oder das Forderungsstatut oder aber der gewöhnliche Aufenthaltsort des Ze-
denten eine größere bzw. die ausschlaggebende Rolle spielen sollte5. Erst 2018 folgte ein VO-
Vorschlag zur Drittwirkung, Rz. 3.294.

2. Anwendungsbereich
3.256 Art. 14 Rom I-VO bezieht sich auf die Forderungsübertragung. Dies umfasst, wie sich aus
dem englischen und dem französischen Wortlaut ergibt, auch die vertragliche Subrogation
(voluntary assignment and contractual subrogation; cession de créances et subrogation con-
ventionnelle). Die Vorschrift gilt daher auch für die vertragliche Subrogation des französi-
schen Rechts, bei welcher der Forderungsübergang auf den leistenden Dritten eine Erklärung
des Gläubigers voraussetzt (Art. 1346-1 n.F. c.c.)6.

1 So auch bei deutschem Zessionsgrundstatut Mangold, S. 216 f.


2 Näher Einsele, ZVglRW 90 (1991), 1 (17 ff.); Stadler, S. 700 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14
Rom I Rz. 11 ff.
3 Dazu Flessner, FS Kühne, S. 703 ff.; Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91 ff.; Leible/Müller, IPRax 2012,
491 ff.
4 Dazu Kieninger, IPRax 2012, 289 ff.; Martiny, ZEuP 2013, 838 (855).
5 S. Reformvorschläge des Deutschen Rats für IPR Sonnenberger, IPRax 2012, 370 f. (englisch IPRax
2012, 371 f.); Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. pr. 101 (2012), 676 f. (französische Fassung, 678 f.).
6 Labonté, S. 132; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 36, 92; Kieninger in Ferrari, IntVer-
tragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3.

258 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.258 § 3

Der Begriff „Übertragung“ umfasst die „vollkommene“ Übertragung von Forderungen (out- 3.257
right transfer of claims; transfert de créances purs et simples). Aus dem deutschen Recht wird
damit die Forderungsabtretung (§ 398 BGB) erfasst1. Abgedeckt ist auch eine Übertragung
von Forderungen als Sicherheit (transfer of claims by way of security; transfert de créances à
titre de garantie). Dies ergibt sich aus Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO; s. näher Rz. 3.271. Erfasst
werden auch Pfandrechte an Forderungen, s. Rz. 3.277. Die abgetretene Forderung braucht
nicht rechtsgeschäftlichen Ursprungs zu sein. Auch Ansprüche aus gesetzlichen Schuldver-
hältnissen (z.B. Delikt, ungerechtfertigte Bereicherung) werden schon aus Praktikabilitäts-
gründen erfasst2.

3. Verhältnis Zedent – Zessionar


Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO erfasst „das Verhältnis“ (relationship; relations) von Zedent und 3.258
Zessionar. Der Begriff „Verhältnis“ stellt klar, dass die Vorschrift auch auf die dinglichen As-
pekte (the property aspects; aspects de droit réel) des Vertrages anwendbar ist, wenn eine
Rechtsordnung (wie die deutsche) dingliche bzw. verfügungsrechtliche und schuldrechtliche
Aspekte trennt. Beide fallen einheitlich unter Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO3. Insofern kann man
von einem Abtretungsstatut4 bzw. genauer von einem Zessionsgrundstatut sprechen5. Aller-
dings meint „Verhältnis“ nach Erwägungsgrund 38 nicht jedes beliebige, zwischen dem Ze-
denten und dem Zessionar bestehende Verhältnis. Insbesondere soll sich der Begriff nicht auf
die der Übertragung einer Forderung vorgelagerten Fragen erstrecken, sondern sich aus-
schließlich auf die Aspekte beschränken, die für die betreffende Forderungsübertragung un-
mittelbar von Bedeutung sind. Nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO ist bei Abtretung einer Forde-
rung für die Verpflichtungen zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger das Recht
maßgeblich, dem der Vertrag zwischen ihnen unterliegt. Die Verpflichtung zwischen Zedent
und Zessionar, das Grundgeschäft (z.B. ein Forderungskauf, aber auch eine Schenkung oder
ein Gesellschaftsvertrag), unterliegt also nicht dem Forderungsstatut, sondern untersteht ih-
rem eigenen Recht6. Das Verpflichtungsgeschäft kann auch ein Sicherungsvertrag sein, der
einer Forderungsabtretung zur Sicherheit zugrunde liegt7. Art. 14 Rom I-VO beschäftigt sich
lediglich mit der Abtretung selbst. Das für ein der Abtretung zugrunde liegende Kausal-
geschäft maßgebliche Recht ist nach den Art. 3 ff. Rom I-VO, d.h. aufgrund Rechtswahl oder
objektiver Anknüpfung, zu ermitteln8. Beispielsweise kann es sich um einen Forderungskauf
handeln, für den dann die Regeln des internationalen Kaufrechts gelten. Diese Rechtsordnung
regelt insbesondere die Haftung des Zedenten für Verität und Bonität der abgetretenen Forde-

1 Flessner, IPRax 2009, 35 (37).


2 OLG Düsseldorf v. 19.7.2018 – 6 U 122/16, IPRspr. 2018 Nr. 27; Freitag in Rauscher, Art. 14
Rom I-VO Rz. 29; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 3a; Hübner in BeckOGK, Art. 14
Rom I-VO Rz. 10 (Stand 1.2.2021); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5. –
Zum Entwurf Max Planck Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (321 ff.). – Ebenso schon von Bar, Ra-
belsZ 53 (1989), 462 (467); Mangold, S. 124 f.
3 S. Erwägungsgrund 38; Flessner, IPRax 2009, 35 (37).
4 Flessner, IPRax 2009, 35 (38): Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 6 f.
5 F. Bauer, S. 103; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 43 ff.
6 Kaiser, S. 179; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34.
7 Lorenz in Czernich/Heiss, Art. 12 EVÜ Rz. 14; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34,
88.
8 Öst. OGH v. 17.7.2018 – 1 Ob 63/18y, ZfRV 2018, 238; Flessner, IPRax 2009, 35 (41). – Zu Art. 33
EGBGB BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, ZIP 2004, 2007 = NJW-RR 2005, 206 = WM 2004,
2066.

Martiny | 259
§ 3 Rz. 3.258 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

rung. Entsprechendes gilt auch für die Abtretung nichtvertraglicher, insbesondere deliktischer
Forderungen1.

3.259 Auch für die Verfügungswirkung der Abtretung kommt es auf das für das Verhältnis von
Zedent und Zessionar maßgebliche Vertragsstatut an, das nach den Art. 3 ff. Rom I-VO zu
bestimmen ist2. Damit hat sich im Ergebnis die schon bislang von einer Mindermeinung ver-
tretene Auffassung, wonach der Begriff der „Verpflichtungen“ (obligations) nicht nur das
Kausalgeschäft, sondern das gesamte Innenverhältnis zwischen Zedent und Zessionar umfasst,
durchgesetzt. Folglich wird davon dann inter partes auch der Forderungsübergang als sol-
cher erfasst3. Der auf das Forderungsstatut abstellende Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO ist nur noch
ein Ausnahmetatbestand für die dort speziell genannten Fragen4.

3.260 Nicht durchgesetzt hat sich die Ansicht, wonach die Übertragung der Forderung als solche
nicht von Art. 14 Rom I-VO erfasst wird. Danach soll Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO lediglich die
schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar erfassen. Die Übertragung
durch Forderungsabtretung soll als solche hingegen einem eigenen Übertragungsstatut, näm-
lich dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung (d.h. nicht
notwendigerweise des Zedenten) unterliegen5. Die bislang h.M. in Deutschland beschränkte
den Anwendungsbereich des Abs. 1 auf das Verpflichtungsgeschäft6 (6. Aufl., Rz. 326 ff.).
Dagegen wurde für die Art und Weise der Übertragung der Forderung das Forderungsstatut
herangezogen7. Dieses Statut entschied auch, ob der Zessionar überhaupt Inhaber der Forde-
rung geworden ist8, ferner, welche Auswirkungen die Unwirksamkeit des Kausalgeschäfts auf
die Abtretung hat, also wie weit das Abstraktionsprinzip reicht9. Welche Reichweite nunmehr
das Verhältnis von Zedent und Zessionar nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO im Einzelnen hat, ist
noch ungeklärt.

1 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, NJW-RR 1996, 1271; OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U
1441/92, RIW 1996, 151 = IPRspr. 1995 Nr. 34; OLG Düsseldorf v. 13.5.1998 – 11 U 24/97, VersR
2000, 460 = IPRspr. 1998 Nr. 54 (Bereicherungsanspruch); AG München v. 8.12.1992 – 242 C
16867/92, IPRspr. 1992 Nr. 63; von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (469); Stürner in Erman, Art. 14
Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I Rz. 3.
2 Zu den „dinglichen Aspekten“ in Erwägungsgrund 38 Flessner, IPRax 2009, 35 (38).
3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (540); Mankowski,
IHR 2008, 133 (150); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36; Hausmann in Staudinger,
Art. 14 Rom I Rz. 35. – Zum EVÜ Einsele, ZVglRW 90 (1991), 1 ff.; Kaiser, S. 219 f.; Stadler,
S. 714 f.
4 Einsele, RabelsZ 60 (1996), 417 (430).
5 F. Bauer, S. 292 f. (301 ff.). Primär soll es auf den Mittelpunkt der Interessen nach Art. 3 Abs. 1
EuInsVO ankommen.
6 Ebenso von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (303 f.); Peltzer, RIW 1997, 893 ff.; Kropholler,
IPR, § 52 VIII 1.
7 OLG Karlsruhe v. 28.1.1993 – 9 U 147/91, RIW 1993, 505 = IPRspr. 1993 Nr. 25; Mangold, S. 215.
8 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs.
Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998 Nr. 39 (Sittenwidrig-
keit der Globalzession); BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, ZIP 2004, 2007 = NJW-RR 2005,
206 = RIW 2004, 857 (m. insoweit zust. Aufs. Freitag, RIW 2005, 25) = IPRax 2005, 342 (m. Aufs.
Unberath, IPRax 2005, 308) (hypothekarisch gesicherte Darlehensforderung); von Bar, RabelsZ 53
(1989), 462 (470 f.).
9 BGH v. 26.11.1990 – II ZR 92/90, ZIP 1991, 98 = NJW 1991, 1414 = IPRax 1992, 43 (m. Aufs. von
Bar, IPRax 1992, 20) = EWiR 1991, 161 (Ebenroth) = IPRspr. 1990 Nr. 49; von Hoffmann/Höpping,
IPRax 1993, 302 (303); Mangold, S. 215; Mangold in Hommelhoff/Jayme/Mangold, S. 90 f.; Kro-
pholler, IPR, § 52 VIII 1.

260 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.263 § 3

4. Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts für das Verhältnis Zessionar –


Drittschuldner
a) Zweck des Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO
Nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO gilt das Recht der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut) 3.261
für das Verhältnis Zessionar – Drittschuldner; die Vorschrift führt insoweit eine Reihe von
Einzelfragen auf. Sie nennt insb. das Verhältnis zwischen neuem Gläubiger und Schuldner,
ferner die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten
werden kann sowie die befreiende Wirkung einer Leistung des Schuldners. Die Forderungs-
übertragung hat insoweit zu keinen Veränderungen geführt, vielmehr gilt für die Forderung
das für sie maßgebliche Recht weiter. Man kann daher insofern von einer „rechtsobjektbezo-
genen Anknüpfung“ sprechen1.

b) Geltungsbereich des Forderungsstatuts


Die Übertragbarkeit der Forderung wird, wie Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO für die Wirkung 3.262
gegenüber dem Schuldner ausdrücklich anordnet, nach dem (Schuld-)Statut der abgetretenen
Forderung beurteilt2. Unstreitig fällt hierunter die Frage, ob dem Schuldner gegenüber über-
haupt eine Wirkung eintreten kann3. Die Übertragbarkeit wird aber nicht näher erläutert4.
Als Stütze für eine generelle Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts kann der Begriff nicht
(mehr) verwendet werden. Eine einengende Auslegung will ihn auf Gründe beschränken, in
denen eine Veränderung der Gläubigerstellung zu einer für den Schuldner nicht tragbaren
Veränderung seiner Leistungspflicht führt oder sein Vertrauen darauf, mit wem er auf die For-
derung einwirken darf, in Frage steht5.

Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO kann nicht generell für Abtretungsverbote herangezogen werden. 3.263
Vielmehr dürfte eine differenzierende Betrachtung geboten sein. Wenn ein Abtretungsverbot
zwischen Gläubiger und Schuldner vereinbart wurde, bezweckt es in erster Linie den Schutz
des Schuldners gegen unwillkommenen Gläubigerwechsel6. Es ist deshalb grundsätzlich nach
dem Forderungsstatut zu beurteilen7. Dies gilt an sich für vertragliche Abtretungsverbote
nach § 399 BGB sowie deren Beschränkungen (vgl. § 354a HGB)8. Soweit das vertragliche
Abtretungsverbot aber auch „dingliche“ Wirkung besitzt, indem es – wie § 399 BGB – die
verbotswidrige Abtretung schlechthin für unwirksam erklärt, wird vertreten, diese Wirkung
nicht mehr nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO, dem Abtretungsstatut, eintreten zu lassen9.

1 von Bar/Mankowski, I § 7 Rz. 41.


2 Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 67; OLG Hamburg v. 28.4.1992 – 7 U 59/91,
IPRspr. 1992 Nr. 56 = NJW-RR 1993, 40 (Abtretung scheiterte an § 67 Abs. 2 VVG); OLG Mün-
chen v. 5.11.1997 – 7 U 2989/97, NJW-RR 1998, 549 = IPRspr. 1997 Nr. 52; öOGH v. 28.4.2011 –
1 Ob 58/11b, ÖJZ 2011, 836 = IPRax 2012, 364 (m. Aufs. Kieninger, IPRax 2012, 366); Bette, WM
1994, 1909 (1913).
3 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 43.
4 Erfolglose Ergänzungsvorschläge bei Max Planck Institut, RabelsZ 71 (2007), 321 ff. Gegen das
Konzept überhaupt F. Bauer, S. 134 ff.
5 F. Bauer, S. 137.
6 Näher zu Abtretungsverboten Ostendorf/Kluth, § 12.
7 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 32; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 44;
Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 20 (Stand 1.2.2021). – In diesem Sinne auch Kienin-
ger/Sigman in Ferrari/Leible, S. 179 (191 f.).
8 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45.
9 Flessner, IPRax 2009, 35 (42).

Martiny | 261
§ 3 Rz. 3.264 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.264 Wollen gesetzliche Abtretungshindernisse verhindern, dass die Abtretung den Inhalt der ge-
schuldeten Leistung verändert (so § 399 Alt. 1 BGB), so können sie ebenfalls dem kollisions-
rechtlichen Schuldnerschutz nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO und dem Forderungsstatut zuge-
ordnet werden1. Bezwecken sie dagegen, dem Gläubiger den Vermögenswert der Forderung,
also letztlich der geschuldeten Leistung, zu sichern (so bei Lohn-, Unterhalts- und Schmer-
zensgeldansprüchen), so spielt der Schuldnerschutz keine Rolle. Solche Beschränkungen un-
terstehen nach einer Auffassung dem Abtretungsstatut des Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO2. Nach
a.A. entscheidet das Forderungsstatut3. Für Letzteres spricht, Veränderungen der Forderungs-
zuordnung zu beschränken4. Die Abtretbarkeit einer Lohnforderung wurde in einem Entsen-
dungsfall dem Recht des Aufnahmelandes unterstellt5.

3.265 Soweit Abtretungshindernisse einem öffentlichen Interesse entspringen, ist die Einordnung
zum Abtretungs- oder zum Forderungsstatut zweifelhaft, so etwa bei berufs- und datenschutz-
rechtlichen Abtretungsverboten für Honorarforderungen (z.B. die Einschränkung nach § 49b
Abs. 4 S. 2 BRAO). Für diese Abtretungsverbote soll sogar eine Qualifikation als „Eingriffs-
normen“ nach Art. 9 Rom I-VO in Betracht kommen6 (vgl. Rz. 5.15 ff.). Damit würde sich
das Abtretungsverbot als Eingriffsnorm des eigenen Rechts durchsetzen (Art. 9 Abs. 2 Rom I-
VO)7.

3.266 Der Inhalt der Forderung bestimmt sich nach der Zession ebenso wie vorher nach dem
Schuldstatut der abgetretenen Forderung (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO). Die Zession ändert den
Inhalt der Forderung nicht8. Was der Zessionar vom Schuldner fordern kann, richtet sich da-
her weiterhin nach dem Statut der abgetretenen Forderung9. Dazu gehört nicht nur die Fällig-
keit sowie das Vorhandensein von Einreden10, sondern auch, ob der Schuldner dem Zessionar
die Bereicherungseinrede (§ 821 BGB) entgegenhalten kann11.

3.267 Das Forderungsstatut regelt ferner, ob der Zessionar vom Schuldner nur den Betrag verlangen
darf, den er selbst dem Zedenten für die Forderung bezahlt hat (lex Anastasiana)12. Der

1 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45.
2 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45.
3 Kaye, S. 323; Lorenz in Czernich/Heiss, Art. 12 EVÜ Rz. 22 f. Krit. dazu F. Bauer, S. 135 ff.
4 Für das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsor des Zedenten Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-
VO Rz. 33.
5 EuGH v. 12.2.2015 – C-396/13, ECLI:EU:C:2013:811 (Sähköalojen ammattiliitto), EuZW 2015,
308 m. Anm. Bayreuther = NZA 2015, 345 = ZEuP 2016, 708 krit. Anm. Perner. – Dazu auch
Martiny, ZEuP 2015, 838 (851).
6 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45; Hübner in Beck-
OGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 22 (Stand 1.2.2021); Renner/Kindt in Calliess/Renner, Art. 14 Rome I
Rz. 31.
7 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); F. Bauer, S. 154 f. (157).
8 OLG Hamburg v. 4.5.2017 – 6 U 133/16, IPRspr. 2017 Nr. 98 = TranspR 2018, 149. – Zu Art. 33
EGBGB BGH v. 28.9.2000 – VII ZR 460/97, ZIP 2000, 2103 = MDR 2001, 84 m. Anm. Hahn =
NJW-RR 2001, 307; OLG Stuttgart v. 20.3.1989 – 5 U 156/88, RIW 1991, 159 = IPRax 1990, 233
(m. Aufs. Ackmann/Wenner, IPRax 1990, 209).
9 OLG Stuttgart v. 20.3.1989 – 5 U 156/88, IPRspr. 1989 Nr. 253 = IPRax 1990, 233 (m. Aufs. Ack-
mann/Wenner, IPRax 1990, 209) = RIW 1991, 159; LG Hamburg v. 1.8.1991 – 302 O 269/90,
IPRspr. 1991 Nr. 57.
10 Zu den Einreden des Schuldners nach italien. Recht IPG 2005/2006 Nr. 9 (Bochum).
11 W. Lorenz, FS Zweigert (1981), S. 199 (220).
12 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 48.

262 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.270 § 3

Schuldner kann sich durch die Zahlung der Erwerbssumme an den Zessionar von seiner
Schuld befreien.

Alt- und Neugläubiger können nicht ohne Mitwirkung des Schuldners durch nachträgliche 3.268
Rechtswahl vereinbaren, dass die Forderung gegen Letzteren einem anderen Recht unterliegen
soll1. Ein Eingriff Dritter in ein Schuldverhältnis, der weitreichende Auswirkungen auf den
Forderungsinhalt und zudem eine Verschlechterung des Schuldnerschutzes zur Folge haben
kann, ist nicht möglich2. Hingegen kann dann, wenn der Zessionar vom Zedenten entspre-
chend ermächtigt wurde, im Einziehungsprozess gegen den Schuldner noch eine andere
Rechtsordnung vereinbart werden. Die bloße Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung ge-
nügt hierfür aber i.d.R. nicht3.

Das Publizitätserfordernis einer förmlichen Benachrichtigung des Schuldners (s. Rz. 3.250) 3.269
ist ein Wirksamkeitserfordernis. Es wird nicht als Formerfordernis eingeordnet4. Daher gilt
nicht der Satz „locus regit actum“ (Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO), sondern allein das Wirkungs-
statut5. Da es sich um eine Voraussetzung handelt, unter der die Abtretung dem Schuldner
entgegengehalten werden kann, fällt sie unter Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO6. Die Schuldnerben-
achrichtigung unterliegt folglich dem Forderungsstatut7. Hat die Benachrichtigung durch den
Gerichtsvollzieher zu erfolgen, so richtet sich das einzuschlagende Verfahren nach dem Recht
desjenigen Staates, dessen Organe tätig werden sollen8.

Die befreiende Wirkung einer Leistung des Schuldners an den alten Gläubiger (vgl. § 407 3.270
BGB) dient dem Schuldnerschutz. Sie erfolgt daher nach dem Schuldstatut der abgetretenen
Forderung (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO)9. Bei der Aufrechnung mit einer dem Schuldner gegen
den Zedenten zustehenden Forderung gegenüber dem Zessionar handelt es sich ebenfalls um
eine den Schuldnerschutz betreffende Frage10.

1 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (468); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 6; Stürner in
Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 4, 5a.
2 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, IPRax 1985, 221 (Anm. Kötz, IPRax 1985, 205) = RIW 1985,
154 = ZIP 1984, 1405; BGH v. 26.9.1989 – XI ZR 178/88, BGHZ 108, 353 (360, 362) = ZIP 1990,
569 = IPRspr. 1989 Nr. 59 = IPRax 1991, 338 (m. Aufs. Kronke/Berger, IPRax 1991, 316); OLG
Köln v. 26.6.1986 – 1 U 12/86, NJW 1987, 1151 = IPRax 1987, 239 (m. Aufs. Sonnenberger, IPRax
1987, 221).
3 Anders OLG Frankfurt v. 14.8.1984 – 5 U 14/84, ZIP 1985, 107 = RIW 1984, 919.
4 OLG Köln v. 25.5.1994 – 2 U 143/93, IPRax 1996, 270 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1996, 257) = ZIP
1994, 1791. Anders Koziol, DZWiR 1993, 356.
5 Aubin, FS Neumayer, S. 31 (40); von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 11; Beuttner, S. 94; Man-
gold, S. 135 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 49.
6 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 35; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 49. –
Dagegen für das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Forderungsinhabers F. Bauer, S. 296
(„Übertragungsstatut“).
7 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, NJW-RR 1996, 1271 = RIW 1997, 153 (italien. Recht);
Aubin, FS Neumayer, S. 31 (44); Kieninger, Mobiliarsicherheiten, S. 109; Spickhoff in BRHP, Art. 14
Rom I-VO Rz. 9; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5.
8 Aubin, FS Neumayer, S. 31 (40 ff.); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 23 (Stand
1.2.2021).
9 Moshinsky, L.Q.R. 109 (1992), 621; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 51; Hübner in
BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 24 (Stand 1.2.2021). – Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462
(471).
10 OLG Oldenburg v. 28.2.2012 – 13 U 67/10, IHR 2013, 63 Anm. Magnus = IPRax 2014, 434 (m.
Aufs. Sonnenberger, IPRax 2014, 400) = IPRspr. 2012 Nr. 29.

Martiny | 263
§ 3 Rz. 3.271 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

5. Übertragung zu Sicherungszwecken, Sicherungsrechte


a) Übertragung zu Sicherungszwecken
aa) Sicherungsabtretung
3.271 Bei der Sicherungszession wird eine Forderung zur Sicherheit abgetreten. Manche Rechtsord-
nungen verbieten insbesondere eine Vorausabtretung zu Sicherungszwecken entweder ganz
oder schränken sie ein bzw. unterwerfen sie besonderen Förmlichkeiten (s. Rz. 3.252). Die ei-
ner Sicherungszession zugrunde liegende Sicherungsabrede berührt das Verhältnis zwischen
altem und neuem Gläubiger und unterliegt dem für ihr Verhältnis geltenden Recht (Art. 14
Abs. 1 Rom I-VO)1. Nach Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO umfasst der Begriff „Übertragung“ auch
die Übertragung von Forderungen zu Sicherungszwecken (transfers of claims by way of secu-
rity and; transferts de créances à titre de garantie). Die Vorschrift will eine kollisionsrechtliche
Gleichbehandlung von Abtretung, Sicherungsabtretung und Sicherungsrechten erreichen2.
Dementsprechend ist die Sicherungsabtretung des deutschen Rechts erfasst3.

3.272 Die mit einer Sicherungsabtretung zusammenhängenden Fragen waren schon bislang umstrit-
ten. Auch hier stellte sich zunächst einmal die Frage nach dem für den Forderungsübergang als
solchen maßgeblichen Recht. Ferner wurde diskutiert, ob und in welchem Umfang es in diesen
Fällen einer Sonderanknüpfung bedarf. Im Wesentlichen wurden drei unterschiedliche Mei-
nungen vertreten. Eine erste Auffassung argumentierte: Da bei der Vorausabtretung das Statut
der abgetretenen Forderung im Allgemeinen noch nicht endgültig feststeht und zudem eine
einheitliche Behandlung aller abgetretenen Forderungen (insb. aus Weiterverkauf) erreicht
werden müsse, sei auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Niederlassungsort des
Zedenten abzustellen4. Diese Rechtsordnung soll dann für die Wirksamkeit der Forderungs-
übertragung gelten. Zum Teil wird auch der Vorrang zwischen mehreren konkurrierenden Zes-
sionaren dem Niederlassungsrecht des Zedenten unterworfen. Eine zweite Meinung ging hin-
gegen vom Verhältnis Zedent-Zessionar aus (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO); sie beurteilte dann
auch die Zulässigkeit der Sicherungsabtretung wie die genügende Bestimmtheit des Zessions-
gegenstandes nach diesem Recht. Es ergab sich mithin eine Übereinstimmung mit dem für die
Sicherungsabrede maßgeblichen Recht5. Für die überwiegende Meinung in Deutschland war
dagegen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Forderung zur Sicherung abge-
treten werden kann, ein Problem der „Übertragbarkeit“ der Forderung. Diese richtete sich aber
nach dem Schuldstatut der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut)6. Nur für den Schuld-
nerschutz sollte – wie von Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO vorgesehen – das Forderungsstatut gelten7.

3.273 Hiergegen spricht außer der Änderung durch Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO, dass Beschränkungen
der Sicherungsabtretung sowie besondere Publizitätserfordernisse das Vermögen des Abtre-
tenden transparent und für die Gläubiger zugänglich halten sollen. Schuldnerinteressen sind

1 Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 43 (Stand 1.2.2021); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I
Rz. 3.
2 F. Bauer, S. 32.
3 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 2.
4 Kaiser, S. 105 (224 ff.). – S. auch Stoll, IPRax 1991, 225 ff.; Moshinsky, L.Q.R. 109 (1992), 609 ff.
5 Stadler, IPRax 2000, 104 (107).
6 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs.
Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998 Nr. 39 (Sittenwidrig-
keit der Globalzession); von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (474 f.); Kaiser, S. 206 m.w.N.; von West-
phalen, Exportfinanzierung, S. 220; Kieninger, S. 110.
7 Kaiser, S. 207, 222.

264 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.275 § 3

nicht betroffen. Gibt man die Anknüpfung an das Forderungsstatut auf, so ist freilich nicht
eindeutig, worauf abzustellen ist. Teilweise will man das Abtretungsstatut, d.h. das Statut der
Sicherungsabrede (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) befragen1. Nach a.A. ist das Forderungsstatut
(Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO) maßgeblich2. Nach einer weiteren Auffassung soll das Recht am
gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vollrechtsinhabers der Forderung entscheiden3. Bezüglich
der Drittwirkungen kommt auch hier das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten
in Betracht (s. Rz. 3.288).

bb) Vorausabtretung
Die Zulässigkeit der Vorausabtretung künftiger Forderungen wurde vor der Rom I-VO überwie- 3.274
gend nach dem Forderungsstatut beurteilt, da sie zur „Übertragbarkeit“ i.S.d. Art. 14 Abs. 2
Rom I-VO gezählt wurde4. Soweit Vorausabtretungen eingeschränkt werden, geschieht dies im
Interesse des Rechtsverkehrs und des Abtretenden selbst. Die Gläubiger des Zedenten sollen,
was dessen Außenstände als Haftungsobjekte angeht, nicht von vornherein chancenlos sein; der
Abtretende soll vor einer Weggabe künftigen Vermögens geschützt werden. Der Schuldner der
Forderung wird mit der Forderung erst ab ihrer Entstehung konfrontiert und gegen Ungewiss-
heit über den wahren Forderungsinhaber (seinen Gläubiger) nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO ge-
schützt. Die Zulässigkeit der Vorausabtretung wird z.T. deshalb nunmehr nach dem Abtretungs-
statut (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) beurteilt5. Andere stellen dagegen auf den Übertragungsakt
und den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung ab6. Auch hier ist be-
züglich der Drittwirkungen an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten zu denken.

Der verlängerte Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretung der Forderungen aus Weiterver- 3.275
äußerung stellt für den Verkäufer dann eine Kreditsicherheit dar, wenn der Eigentumsvorbehalt
selbst nach dem Situsrecht der Ware erlischt. Da die Abtretbarkeit künftiger Forderungen nicht
von allen Rechtsordnungen gestattet wird7, ist die Anknüpfung des verlängerten Eigentumsvor-
behalts von erheblicher praktischer Bedeutung. Auch insoweit wurde zum Teil eine gesonderte
Anknüpfung an den Schuldnerwohnsitz vertreten8. Man gelangte dann zum Recht des Nieder-
lassungsorts des Vorbehaltskäufers (Zedent). Vorteil ist eine einheitliche Anknüpfung, die nicht
vom jeweiligen Forderungsstatut abhängt und daher voraussehbar ist. Andere hielten gleichwohl
an der Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts (aus dem Verhältnis Vorbehaltsverkäufer zum
Käufer) fest9. Anzustreben ist eine gleiche Anknüpfung wie bei der Vorausabtretung überhaupt.

1 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); von Bar/Mankowski, IPR II, § 3 Rz. 887. – Ebenso Hausmann in
Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 88. Wohl auch Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 42
(Stand 1.2.2021).
2 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34.
3 F. Bauer, S. 166 („Übertragungsstatut“).
4 Kieninger, RabelsZ 62 (1998), 678 (699). – Vgl. auch Kieninger/Sigman in Ferrari/Leible, S. 190 f.
5 Flessner, IPRax 2009, 35 (43); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 89; Hübner in Beck-
OGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 44 (Stand 1.2.2021).
6 F. Bauer, S. 163 f. („Übertragungsstatut“).
7 Zur Nichtzulässigkeit nach italienischem Recht s. IPG 2015-17 Nr. 26 (Köln).
8 LG Hamburg v. 20.11.1980 – 5 O 521/79, IPRspr. 1980 Nr. 53; Stoll, IPRax 1991, 225 ff. (auch für
die Globalzession); Kaiser, S. 202 ff.
9 BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 (380 ff.) = MDR 1991, 145 = IPRax 1991,
248 (m. insoweit abl. Aufs. Stoll, IPRax 1991, 223 [obiter]); Basedow, ZEuP 1997, 615 (620 f.); von
Bar/Mankowski, IPR II, § 3 Rz. 60; Thorn in Palandt, Art. 43 EGBGB Rz. 8. Unentschieden Kie-
ninger, S. 108 f.

Martiny | 265
§ 3 Rz. 3.276 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

cc) Globalabtretung
3.276 Auch die richtige Anknüpfung der Globalabtretung ist problematisch (vgl. Rz. 3.252). Wo
sachrechtliche Einschränkungen für die Globalabtretung gelten, sollen sie der Offenhaltung
des Vermögens für alle Gläubiger dienen und den Abtretenden davor schützen, sich mit sei-
nem Vermögen einem einzigen Gläubiger auszuliefern. Die Zulässigkeit der Globalabtretung
war nach überwiegender Meinung in Deutschland zu Art. 12 EVÜ (Art. 33 EGBGB) eine Fra-
ge der „Übertragbarkeit“ der Forderung i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO und dem Forderungs-
statut unterworfen1. Heute wird z.T. allein Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO (Abtretungsstatut) für
maßgeblich gehalten2. Andere stellen auch hier auf den Übertragungsakt und den gewöhnli-
chen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung ab3.

b) Pfandrechte und andere Sicherungsrechte


3.277 Nach Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO umfasst die „Übertragung“ auch eine Übertragung von Pfand-
rechten oder anderen Sicherungsrechten an Forderungen (pledges or other security rights
over claims; les nantissements ou autres sûretés sur les créances). Aus dem deutschen Recht
wird daher die Verpfändung der Forderung (§ 1279 BGB) erfasst4. Dass von einer „Übertra-
gung“ und nicht von einer „Bestellung“ von Rechten die Rede ist, steht nicht entgegen5. Auch
die Bestellung eines Nießbrauchs an der Forderung (§§ 1068, 1074 BGB) wird wegen des en-
gen Zusammenhanges erfasst, obwohl sie keine eigentliche Sicherung darstellt6.

IV. Zession dinglich gesicherter Forderungen


3.278 Wird eine dinglich gesicherte Forderung abgetreten, so ist zu unterscheiden: Für die Übertra-
gung der Forderung kommt es auf das nach Art. 14 Rom I-VO maßgebliche Recht an, für den
Übergang des dinglichen Rechts auf die Rechtsordnung des belasteten Grundstücks (lex rei
sitae)7.

3.279 Ist der Schuldner im Ausland (etwa in Frankreich) wohnhaft und unterliegt die Forderung
französischem Recht, ist die Forderung aber auf einem deutschen Grundstück dinglich gesi-
chert, so gibt es keine Schwierigkeiten, wenn die Forderung durch eine Grundschuld gesichert
ist. Die Forderung wird nach französischem Sachrecht (mit Signifikation) abgetreten, die
Grundschuld nach deutschem Recht durch schriftliche Abtretungserklärung und Briefüber-
gabe (§§ 1192, 1154 BGB). Es handelt sich um zwei selbständige Verfügungsgeschäfte8.

3.280 Schwieriger ist es, wenn die Forderung durch eine Hypothek gesichert ist, Forderungs- und
Hypothekenstatut aber auseinander fallen. Hier gilt der materiell-rechtliche Grundsatz der
Akzessorietät. Nach § 1153 BGB geht mit der Forderungsübertragung die Hypothek auf den

1 S. OLG Hamburg v. 22.5.1996 – 5 U 278/95, WM 1997, 1773 = IPRspr. 1996 Nr. 43. – Vgl. auch
BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax
2000, 104) = IPRspr. 1998 Nr. 39.
2 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 46 (Stand 1.2.2021).
3 F. Bauer, S. 166 („Übertragungsstatut“).
4 Flessner, IPRax 2009, 35 (37); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 2.
5 Flessner, IPRax 2009, 35 (37).
6 Flessner, IPRax 2009, 35 (37); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 20.
7 Vgl. zum alten Recht von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (473); Ferid, Rz. 7–46.
8 Vgl. auch von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (15 f.).

266 | Martiny
K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.286 § 3

Zessionar über. Wenn die Forderungsabtretung nach dem maßgeblichen Sachrecht zwar kei-
ner Form, wohl aber der Benachrichtigung des Schuldners bedarf, so bewirkt die Zession zwar
den Übergang der Forderung, aber nicht den Übergang der Hypothek.

Nach deutschem Sachenrecht geht das dingliche Recht nur dann mit der Forderung über, 3.281
wenn die Zession die Sacherfordernisse des § 1154 BGB wahrt. Erfüllt die Forderungsabtre-
tung diese Anforderungen (schriftliche Erteilung der Abtretungserklärung und Briefübergabe)
nicht, so geht mangels wirksamer Abtretung das dingliche Recht nicht auf den Zessionar über.
Die Vorschrift des § 1153 BGB kann hier nicht angewendet werden. Die Hypothek wird zur
Eigentümergrundschuld1. Da es aber unbillig wäre, wenn der Eigentümer diese behalten dürf-
te, ist er schuldrechtlich verpflichtet, sie in gehöriger Form abzutreten. Andere wollen hier mit
einer Anpassung helfen und lassen die unwirksam abgetretene Hypothek übergehen, sei es in
entsprechender Anwendung der § 401 Abs. 1, § 412 BGB2, sei es, indem § 1153 BGB Vorrang
eingeräumt wird3.

Sind umgekehrt die Erfordernisse der inländischen lex rei sitae gewahrt, aber nicht die des 3.282
ausländischen Forderungsstatuts (z.B. mangels signification), so kann die Hypothek nicht
übergehen, da die Forderung nicht wirksam übertragen wurde4. Nach a.A. erwirbt der Zessio-
nar die persönliche Forderung gleichwohl in analoger Anwendung des § 1138 BGB5.

Ist der Schuldner in Deutschland wohnhaft, die Forderung aber auf einem ausländischen 3.283
(z.B. französischen) Grundstück dinglich gesichert, so gilt Folgendes:

Die Forderungsabtretung unterliegt dem Forderungsstatut und ist i.d.R. nach deutschem 3.284
Recht zu beurteilen. Die hypothekenrechtliche Vorschrift des § 1154 BGB (Schriftform der
Abtretungserklärung und Briefübergabe) kann aber nicht gelten, da sie auf den Fall einer
durch eine Hypothek auf einem inländischen Grundstück gesicherten Forderung abstellt. Eine
bestimmte Form ist also für die Zession nicht erforderlich.

Ob durch eine solche Zession auch das dingliche Recht an dem ausländischen Grundstück 3.285
übergeht, bestimmt die jeweilige lex rei sitae6. Deshalb ist es ratsam, für die Zession die Erfor-
dernisse des Rechts des belasteten Grundstücks einzuhalten.

V. Einziehungsermächtigung
Bei einer Einziehungsermächtigung wird dem Ermächtigten (etwa einer Bank) die Befugnis 3.286
zur Einziehung im eigenen Namen übertragen. Es geht nur um einen Forderungsausschnitt;
Inhaber der Forderung selbst bleibt der ursprüngliche Gläubiger. Kollisionsrechtlich wird die-
se Abspaltung eines Gläubigerrechtes wie eine Abtretung behandelt, so dass für die Erteilung

1 M. Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl. 1957, S. 666.


2 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 634 (Anpassung).
3 S. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (474). – Unentschieden von Hoffmann in Hadding/Schneider,
S. 3 (16); Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 634.
4 von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (16); M. Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl. 1957, S. 666;
Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 82. Im Ergebnis auch von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462
(474).
5 Kreuzer in MünchKomm, 3. Aufl. 1998, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rz. 47; Mansel in Staudinger,
Art. 43 EGBGB Rz. 635.
6 Kreuzer in MünchKomm, 3. Aufl. 1998, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rz. 47.

Martiny | 267
§ 3 Rz. 3.286 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

der Einziehungsermächtigung nach früher h.M. ebenfalls das Forderungsstatut galt1. Die Be-
fugnis zur Ermächtigungserteilung kann dagegen einem anderen Recht unterliegen2. Im Übri-
gen ist das Statut des der Einziehungsermächtigung zugrunde liegenden Vertrages maßgeb-
lich3. Als Teilberechtigung wird die Einziehungsermächtigung jedenfalls inter partes von
Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO erfasst4, s. oben Rz. 3.258. Für die Drittwirkungen kommt auch hier
das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Ermächtigenden in Betracht.

VI. Form
3.287 Die Form der Forderungsabtretung unterliegt Art. 11 Rom I-VO. Nach Art. 11 Abs. 1 Rom I-
VO genügt anstelle der Form der lex causae5 auch die Beachtung der lex loci actus, soweit
nicht über dingliche Rechte verfügt wird6. Bezüglich der lex causae wirken sich die Meinungs-
unterschiede bezüglich der richtigen Anknüpfung der Abtretung aus. Während nach der bis-
lang h.M. insoweit das Forderungsstatut maßgeblich war7, stellen andere Auffassungen vor al-
lem auf das für das Verhältnis von Zessionar und Zedenten geltende Recht (Grundgeschäft)8
oder auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten ab. Teilweise wird zur Vermeidung von
Qualifikationsschwierigkeiten eine alternative Anknüpfung abgelehnt und nur auf das für die
Übertragung maßgebliche Recht abgestellt9.

L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung

Literatur: Dickinson, Tough Assignments: the European Commission’s Proposal on the Law Appli-
cable to the Third-Party Effects of Assignments of Claims, IPRax 2018, 337; Einsele, Die Forderungs-
abtretung nach der Rom I-Verordnung: sind ergänzende Regelungen zur Drittwirksamkeit und Priori-
tät zu empfehlen?, RabelsZ 74 (2010), 91; Hemler, Der Verordnungsvorschlag über das auf die
Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, GPR 2018, 185; L. Hübner, Die
Drittwirkungen der Abtretung im IPR, ZEuP 2019, 41; Kieninger, Das Statut der Forderungsabtretung
im Verhältnis zu Dritten, RabelsZ 62 (1998), 678; Kieninger, Das auf die Drittwirkungen der Abtre-
tung anwendbare Recht, NJW 2019, 3353; Leible/Müller, Die Anknüpfung der Drittwirkung von For-
derungsabtretungen in der Rom I-Verordnung, IPRax 2012, 491; Lengersdorf/Wernert, Kollisions-
rechtliche Implikationen bei der Mehrfachabtretung von Forderungen, EWS 2020, 30; Mankowski,
Der Kommissionsvorschlag zum Internationalen Privatrecht der Drittwirkung von Zessionen, RIW
2018, 488; Stefer, Drittwirkung der Abtretung, IPRax 2021, 155; Zahn, Das auf die Drittwirkung von
Forderungsabtretungen anwendbare Recht, GPR 2020, 218.

1 BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 250; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ
125, 196 = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549 = IPRax 1995, 168 (m. Aufs. Gottwald, IPRax 1995,
157) = EWiR 1994, 401 (Anm. Hanisch); OLG Koblenz v. 14.1.2004 – 9 U 677/00, IPRspr. 2004
Nr. 35 = JbItalR 17 (2004), 282; Kropholler, IPR, § 52 VIII 1.
2 BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (205) = ZIP 1994, 547 (Konkursverwalter);
Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 91.
3 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 91.
4 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 23.
5 OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 = EWiR 1996, 305 (Anm. Otte); Haus-
mann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 77.
6 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (472 f.); von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (304); Hübner
in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 47 (Stand 1.2.2021).
7 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (472 f.).
8 So Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 78.
9 F. Bauer, S. 297 ff. (305).

268 | Martiny
L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung | Rz. 3.289 § 3

I. Rom I-VO und Zessionswirkungen


Bei der Drittwirkung geht es um die Verfügungswirkung der Forderungsübertragung und die 3.288
Frage nach der Gläubigerstellung, die vor allem bei der Mehrfachabtretung praktisch wird
(zur Forderungsabtretung Rz. 3.249). Die Materie ist komplex, da sie die Beziehungen mehre-
rer Beteiligter, nämlich die Dreiecksbeziehung von Gläubiger (Abtretender), Zessionar (Abtre-
tungsempfänger) und Schuldner, sowie unterschiedliche Zeitpunkte und Wirkungen auch für
weitere Betroffene und Interessierte (insb. Gläubiger des Zedenten, weitere Zessionare) be-
trifft. Für die Anknüpfung zur Auswahl stehen vor allem das zwischen Zedent und Zessionar
geltende Recht (Vertrags- bzw. Abtretungsstatut), ferner das auf die abgetretene Forderung
anwendbare Recht (Forderungsstatut), und schließlich das am Aufenthaltsort des Zedenten
geltende Recht oder gar das Wohnsitzrecht des Schuldners (debitor cessus)1. Teilweise hat
man jedenfalls die Wirkung der Abtretung gegenüber Dritten nach derjenigen Rechtsordnung
beurteilt, welcher der zwischen Zessionar und Zedent abgeschlossene Abtretungsvertrag un-
terliegt (Zessionsgrundstatut)2.

Die nicht gesondert geregelte Drittwirkung der Forderungsabtretung fällt nach h.M. nicht in 3.289
den Anwendungsbereich des Art. 14 Rom I-VO. Vielmehr ist die Frage bislang auf europäi-
scher Ebene ungeregelt geblieben3. Die einstweilen bestehende Lücke ist mit nationalem Kolli-
sionsrecht zu füllen4. Für diese Auslegung des Art. 14 Rom I-VO können die mangelnde Eini-
gung im Rat sowie der Überprüfungsauftrag des Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO angeführt werden.
Nach der abgelehnten a.A. wird die Frage der Drittwirkungen hingegen von Art. 14 Rom I-
VO erfasst5. Gegenstand einer EuGH-Vorlage war, ob die Rom I-VO auf die Zessionswirkun-
gen gegenüber Dritten bei einer Mehrfachabtretung überhaupt anwendbar ist6. Hier war eine
luxemburgischem Recht unterliegende Forderung zur Sicherheit zuerst an eine deutsche, so-
dann aber nochmals – nach luxemburgischem Recht ordnungsgemäß angezeigt – an eine lu-
xemburgische Bank abgetreten worden. Nach dem EuGH-Urteil gilt für die Drittwirkungen
der Abtretung und somit auch für die Wirksamkeit einer Mehrfachbetretung einstweilen na-
tionales, deutsches IPR weiter.

1 Sinay-Cyterman, Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 35 (42); Pardoel, S. 357 und passim.


2 So Flessner/Verhagen, S. 32 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 71 ff. – Abl. etwa
Mäsch in Leible, S. 193 (198 ff.).
3 Lagarde/Tenenbaum, Rev.crit.dr.int.pr. 97 (2008), 727 (776 f.); Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227
(230 ff.); Garcimartín Alférez in Ferrari/Leible, S. 217 (247); Bauer in Calliess, Art. 14 Rome I
Rz. 42; Kieninger in Ferrari, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3.
S. EuGH v. 9.10.2019 – C-548/18, ECLI:EU:C:2019:848 (BGL BNP Paribas) Rz. 38, NJW 2019,
3368 (m. zust. Aufs. Kieninger NJW 2019, 3353) = RIW 2019, 725 m. Anm. Mankowski = EuZW
2019, 939 Anm. C. Schmitt = IPRax 2021, 173 (m. Aufs. Stefer IPRax 2021, 155); zust. Lengersdorf/
Wernert EWS 2020, 30 ff.
4 Garcimartín Alférez, EurLegForum 2008, I-61 (I-78;); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629;); Magnus,
IPRax 2010, 27 (42); Leible/Müller, IPRax 2012, 414; Labonté, Forderungsabtretung International,
2015, S. 127; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11, 12; Thorn in Palandt,
Art. 14 Rom I-VO Rz. 1.
5 Flessner, IPRax 2009, 35 (38 f.); Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91; Mann/Nagel, WM 2011, 1499
(1500 ff.); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 38 ff.
6 OLG Saarbrücken v. 8.8.2018 – 4 U 109/17, ZIP 2019, 437 = WM 2018, 2323 = EWiR 2018, 735
m. Anm. Mankowski. Abschlussentscheidung OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP
2020, 1315 = WM 2020, 982 m. Anm. Cranshaw, EWiR 2020, 415. – Näher Hübner, ZEuP 2019,
41 (51 f.).

Martiny | 269
§ 3 Rz. 3.290 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

II. Drittwirkungen und Mehrfachabtretung


3.290 Von einer Mehrfachabtretung spricht man dann, wenn der Gläubiger seine Forderung mehr-
fach abgetreten hat. Dann stellt sich zunächst einmal die Frage, ob und wann die erste Abtre-
tung wirksam geworden ist. Ferner ist insb. für Prioritätskonflikte zu entscheiden, wieweit die
folgenden Abtretungen wirksam bzw. unwirksam sind. Die Unwirksamkeit der nachfolgenden
Abtretung ergibt sich regelmäßig aus dem Prioritätsgrundsatz des nationalen Zessionsrechts.
Für die Beurteilung der Mehrfachzession, welche die Wirksamkeit der Übertragung der For-
derung betrifft, wirken sich die unterschiedlichen Auffassungen zur Anknüpfung der Forde-
rungsabtretung aus.

3.291 Für die früher auf Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO abstellende Auffassung war eine Entscheidung
zwischen mehreren Statuten notwendig, wenn nämlich unterschiedliche Rechtsordnungen
zwischen Zedent und Zessionar(-en) vereinbart worden sind. Insofern wurde für die Mehr-
fachabtretung auf das davon unberührt gebliebene Forderungsstatut ausgewichen1. Die auf
den Zedentenwohnsitz abstellende Meinung wollte die danach maßgebliche Rechtsordnung
auch hier heranziehen2. Für die Auffassung, welche auf ein eigenes Übertragungsstatut, näm-
lich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung abstellt, soll
dies auch hier gelten3. Für die bisher h.M. war die Mehrfachabtretung und das Verhältnis der
miteinander konkurrierenden Zessionare ein Problem der „Übertragbarkeit“ der Forderung.
Das Rangverhältnis unter konkurrierenden Abtretungen, insbesondere die Frage, ob bei einer
mehrfachen Zession die Erste gültig ist, wurde folglich (allein) vom Statut der abgetretenen
Forderung bestimmt4. Auch der Schuldnerwohnsitz zur Zeit der ersten gültigen Zession sollte
außer Betracht bleiben5.

3.292 Obwohl die deutsche Vorschrift des den Art. 12 EVÜ umsetzenden Art. 33 a.F. EGBGB mit
Inkrafttreten der Rom I-VO aufgehoben worden ist, kann sie gleichwohl als früheres deut-
sches Kollisionsrecht herangezogen werden6. Allerdings war die Frage der Mehrfachabtretung
nicht eindeutig geregelt und umstritten7. Dieser Meinungsstreit setzt sich nach der EuGH-
Entscheidung von 2019 fort. Die Meinungen hierzu entsprechen teilweise den in der Vergan-
genheit bezüglich der Forderungsübertragung als solcher vertretenen Auffassungen. Eine Auf-
fassung will grundsätzlich die am Aufenthaltsort des Zedenten geltende Rechtsordnung he-

1 Stadler, IPRax 2000, 104 (109); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 75 (wenn anders keine
Lösung erreicht werden kann).
2 Kieninger, RabelsZ 62 (1998), 678 (703.).
3 F. Bauer, S. 292 f. (301 ff.). Primär soll es auf den Mittelpunkt der Interessen nach Art. 3 Abs. 1
EuInsVO ankommen.
4 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = MDR 1999, 369 = NJW 1999, 940 = IPRax
2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998
Nr. 39; von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (470); von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (303);
Kropholler, IPR, § 52 VIII 1. Ebenso Vischer/Huber/Oser, Rz. 1056. Ebenso schon vor dem EVÜ
BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 = ZIP 1990, 1080 = MDR 1991, 145 (380 ff.) =
IPRax 1991, 248 (m. insoweit zust. Aufs. Stoll, IPRax 1991, 223) = NJW 1991, 637 = IPRspr. 1990
Nr. 48.
5 Anders Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (336 f.); Sinay-Cyterman, Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 35
(40 ff.); Kaiser, S. 208 ff. (224 ff.) (Niederlassung des Zedenten); Kassis, Le nouveau droit européen
des contrats internationaux (Paris 1993), S. 423.
6 Krit. Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 32 (Stand 1.2.2021).
7 Dazu Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91 ff.; Mann/Nagel, WM 2011, 1500 ff.; Hausmann in Staudinger,
Art. 14 Rom I-VO Rz. 55 ff.; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 38 ff. (Stand 1.2.2021).

270 | Martiny
L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung | Rz. 3.293 § 3

ranziehen1 und spricht sich für die Anwendung des Zedentenstatuts im Zeitpunkt der Ver-
fügung aus2. Dafür werden die Voraussehbarkeit und Transparenz der Rechtsanwendung an-
geführt. Nach Aufhebung des Art. 33 Abs. 2 a.F. EGBGB bestehe keine Bindung mehr an diese
Vorschrift und die zu ihr ergangene Rspr3. Da sich die Frage der Forderungsinhaberschaft
häufig in der Insolvenz des Zedenten stelle, bringe die Anknüpfung an das Sitzrecht des Ze-
denten zudem einen harmonischen Gleichlauf mit dem Insolvenzstatut, das gemäß Art. 3, 7
EuInsVO im Regelfall der Übereinstimmung von Sitz und Mittelpunkt der hauptsächlichen
Interessen4 (dazu Rz. 6.686) ebenfalls zu diesem Recht führt5. Die h.M. unter dem EGBGB
hatte am Ausgangspunkt einer Verfügung über die Forderung festgehalten und knüpfte die
Verfügung über die Forderung insgesamt an das Statut der abgetretenen Forderung an. Auch
für die Drittwirkungen sollte daher das Forderungsstatut gelten6. Die h.M. zu Art. 33
Abs. 2 a.F. EGBGB erfasste nicht nur das Verhältnis zum Schuldner, sondern auch die Frage,
unter welchen Voraussetzungen die Zession sonstigen Dritten, insbesondere Gläubigern des
Zedenten, entgegengehalten werden konnte7. Dementsprechend greift man auch heute auf
den Rechtsgedanken des Art. 33 Abs. 2 a.F. EGBGB bzw. die Grundsätze der aufgestellten
Rspr. zurück8 und stützt sich auf das Forderungsstatut9.

Eine Anknüpfung an das Forderungsstatut ermöglicht eine einheitliche Beurteilung aller 3.293
Drittwirkungen für die einzelne Forderung. Dagegen spricht für eine Anknüpfung an den ge-
wöhnlichen Aufenthalt des Zedenten die Übereinstimmung dieser Lösung mit der UNCI-
TRAL-Konvention. Ferner ermöglicht sie es, im Falle einer Abtretung mehrerer Forderungen
ein einziges Recht anzuwenden, das für Dritte ermittelbar und vorhersehbar ist10. Ferner ist
eine Festlegung des anwendbaren Rechts zum Zeitpunkt einer Vorausabtretung möglich. Zu
Schwierigkeiten kann aber die Abspaltung von Fragen der Drittwirkungen führen; sie können
einem anderen Recht unterstehen als die Forderung selbst. Ferner deckt sich auch nach dieser

1 In diesem Sinne bereits Rabel, Conflict of Laws Bd. III, S. 413 ff.; Kieninger, RabelsZ 62 (1998),
678 (702 ff.); Kieninger/Schütze, IPRax 2005, 200 (202 ff.); Struycken, LMCLQ 24 (1998), 345 ff.;
Mäsch in Leible, S. 193 (202 ff.).
2 Kieninger, NJW 2019, 3353 (3356); Hübner, ZEuP 2019, 41 (52); Keller, WuB 2020, 51 (53); Hüb-
ner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 37 (Stand 1.2.2021). Wohl auch Mankowski, RIW 2019,
728 (729).
3 Hübner, ZEuP 2019, 41 (52).
4 Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 37 (Stand 1.2.2021). – S. auch Kindler in Münch-
Komm, Art. 3 EuInsVO Rz. 14.
5 Mankowski, IPRax 2012, 298 (300 ff.); Mankowski NIPR 2018, 26 (43 ff.).
6 von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 12; Kaiser, S. 223; Kieninger, S. 109 f.; Bode, S. 291 ff.
7 BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 (379 f.) = NJW 1991, 637; BGH v. 26.7.2004
– VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 206 (208); v. Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (467 f.); v. Hoffmann/
Höpping, IPRax 1993, 302 (303 f.); Basedow, ZEuP 1997, 615 (623). Vgl. auch OLG Saarbrücken v.
8.8.2018 – 4 U 109/17, ZIP 2019, 437 = WM 2018, 2323 (2326).
8 Schroeter/Maier-Lohmann, EWiR 2020, 33 (34); i.E. auch Reuter, GWR 2020, 32: analoge Anwen-
dung von Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO.
9 OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP 2020, 1315 = WM 2020, 982 (985 ff.) m. Anm.
Cranshaw, EWiR 2020, 415. Im Anschluss an BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, BGHZ 87, 19
(21); BGH v. 11.04.1988 – II ZR 272/87, BGHZ 104, 145 (149); BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/
89, BGHZ 111, 376 (378); BGH v. 26.11.1990 – II ZR 92/90, NJW 1991, 1414 = ZIP 1991, 98;
BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, NJW 1999, 940 = ZIP 1999, 101. – In Bezug auf Schiedsverein-
barungen auch BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 Rz. 23.
10 Für bestimmte Finanztransaktionen wird dies jedoch bestritten, dazu Lagarde/Tenenbaum, Rev.
crit.d.i.p. 97 (2008), 727 (777.).

Martiny | 271
§ 3 Rz. 3.293 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Auffassung das auf die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar an-
wendbare Recht nicht mit dem für die Abtretungswirkungen maßgeblichen Recht, so dass
auch insoweit Spannungen auftreten können. Hält man eine Anknüpfung an den gewöhnli-
chen Aufenthaltsort des Zedenten für hinnehmbar, so führt dies bei der ersten Abtretung re-
gelmäßig zum gleichen Ergebnis wie eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort
des Forderungsrechtsinhabers.

III. Drittwirkungs-VO
3.294 Nach ganz überwiegender Auffassung wird das auf die Drittwirkung von Forderungsübertra-
gungen anwendbare Recht nicht von der Rom I-VO erfasst (s. Rz. 3.289). Zur Schließung die-
ser Lücke des Unionskollisionsrechts hat die Kommission 2018 einen Verordnungsvorschlag
über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht vorgelegt1,
der vom Rat im Juni 2021 mit Änderungen gebilligt worden ist2. Inhaltlich entscheidet sich
der Drittwirkungs-VO-E nicht für eine einzige Anknüpfung, sondern präsentiert eine Kom-
promisslösung mit einer Mischung aus drei unterschiedlichen Anknüpfungen. Vorgesehen ist
eine Grundanknüpfung der Drittwirkung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Zedenten
(Art. 4 Abs. 1 VO-E), ferner aber auch sektoriell die Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts für
bestimmte Forderungen (Art. 4 Abs. 2 VO-E) und in bestimmtem Umfang die Geltung des
ausdrücklich gewählten Rechts (Art. 4 Abs. 3 VO-E)3. Der Drittwirkungs-VO-E soll universell
anwendbar sein (Art. 3 VO-E). Der Geltungsbereich des anwendbaren Rechts wird definiert
(Art. 5 VO-E). Eingriffsnormen sind zu beachten (Art. 6). Vom Anwendungsbereich des Ent-
wurfs sind ausgeschlossen die Übertragung von Finanzinstrumenten, einschließlich Wert-
papieren und Derivaten (Art. 1 Abs. 1 lit. a VO-E), die Übertragung von Kryptowerten (Art. 1
Abs. 1 lit. ab VO-E) sowie die Übertragung von Forderungen in nicht immaterieller Form, die
jedoch in einem Zertifikat verbrieft oder im Effektengiro verbucht sind (Art. 1 Abs. 1 lit. aa
VO-E). Forderungen aus allen Kryptowerten in fallen den Anwendungsbereich der Verord-
nung, mit Ausnahme von Forderungen aus Kryptowerten, die als übertragbare Wertpapiere
(Art. 1 Abs. 2 lit. g VO-E), Geldmarktinstrumente oder Anteile an einem Organismus für ge-
meinsame Anlagen gelten (Art. 1 Abs. 2 lit. h VO-E). Der Vorrang bei einer Mehrfachüber-
tragung derselben Forderung, bei der die Drittwirkung der einen Übertragung dem Recht des
Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten und die Drittwirkung der anderen Über-
tragung dem Recht der übertragenen Forderung unterliegt, bestimmt sich nach dem Recht,
das auf die Drittwirkung der Forderungsübertragung anzuwenden ist, die als Erste nach dem
Recht der übertragenen Forderung Dritten gegenüber wirksam wurde (Art. 1 Abs. 4 VO-E).

1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Dritt-
wirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018) 96 final. – Dazu Hüb-
ner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 53 ff. (Stand 1.2.2021).
2 S. Presidency, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on the law
applicable to the third-party effects of assignments of claims - General approach, 28.5.2021.
3 Näher Hemler, GPR 2018, 185 ff.; L. Hübner, ZEuP 2019, 41 ff.; Mankowski, RIW 2018, 488 ff.;
Martiny in MünchKomm, Art. 14 Rom I-VO Rz. 50 ff.; Renner/Kindt in Calliess/Renner, Art. 14
Rome I Rz. 59 ff.

272 | Martiny
M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) | Rz. 3.298 § 3

M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO)

Literatur: von Bar, Abtretung und Legalzession im neuen deutschen IPR, RabelsZ 53 (1989), 462;
Beemelmans, Das Statut der cessio legis, der action directe und der action oblique, RabelsZ 29 (1965),
511; C. H. Behrens, Gesamtschuldnerausgleich und sonstige Regressansprüche im Europäischen Kolli-
sionsrecht nach der Rom I-, Rom II- und EG-Unterhaltsverordnung (2013); Birk, Die Einklagung
fremder Rechte (action oblique, azzione surrogatoria, acción subrogatoria) im IPR, ZZP 82 (1969), 70;
Birk, Lohnfortzahlungsgesetz und Auslandsbeziehungen, DB 1973, 1551; Eichenhofer, Internationales
Sozialrecht und Internationales Privatrecht (1987); Klein, Das Verhältnis der Kollisionsnormen in der
VO (EG) 1408/71 zum Internationalen Arbeitsrecht in EGBGB und EVÜ (2005); Posch, Zur Anknüp-
fung der notwendigen Zession bei der Forderungseinlösung gem. § 1422 ABGB, IPRax 1986, 188;
Schack, Subrogation und Prozessstandschaft, Ermittlung ausländischen Rechts im einstweiligen Ver-
fügungsverfahren, IPRax 1995, 158; Stoll, Rechtskollisionen bei Schuldnermehrheit in FS Müller-Frei-
enfels (1986), S. 631; Wandt, Zum Rückgriff im IPR, ZVglRW 86 (1987), 272.

I. Ausländisches Recht
Der gesetzliche Forderungsübergang (cessio legis), bei dem ein anderer Gläubiger einrückt, ist 3.295
auch anderen Rechtsordnungen bekannt (legal subrogation; subrogation légale)1. Auslöser ist
meist die Zahlung einer fremden Schuld, insb. durch den Versicherer, s. §§ 116 ff. SGB X, § 86
VVG (früher § 67 VVG); vgl. zur Subrogation Art. 1252 franz. c.c., Art. 1205 italien. c.c.

II. Maßgeblichkeit des Zessionsgrundstatuts


Der gesetzliche Forderungsübergang wird von Art. 15 Rom I-VO geregelt2. Hier hat eine Person 3.296
(„Gläubiger“) eine vertragliche Forderung gegen eine andere Person („Schuldner“) und ein Drit-
ter ist verpflichtet, den Gläubiger zu befriedigen, oder hat ihn befriedigt. Das für die Verpflich-
tung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht (Zessionsgrundstatut bzw. Dritt-
leistungsstatut) bestimmt, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers
gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehung maßgebenden Recht geltend machen kann.
Dies bezieht sich auf vertragliche Forderungen (contractual claims; des droits en vertu d’un 3.297
contrat)3. Für den Übergang nichtvertraglicher – insb. deliktischer – Forderungen gilt
Art. 19 Rom II-VO. Nunmehr wird ausdrücklich nicht nur die Verpflichtung zur Befriedigung
(duty to satisfy; l’obligation de désintéresser le créancier), sondern auch die Schuldtilgung
selbst, die Erfüllungswirkung, genannt.
Art. 16 Rom I-VO will Fälle erfassen, in denen die Verpflichtung des den Gläubiger befriedi- 3.298
genden Schuldners den Verbindlichkeiten der anderen Schuldner gegenüber gleichrangig ist.
Ist die Verpflichtung des Dritten hingegen gegenüber der des (Haupt-)Schuldners subsidiär,
so greift Art. 15 Rom I-VO ein4. Dies gilt etwa für die Bürgschaft (s. Rz. 16.14). Die Gleich-
oder Nachrangigkeit ist nach dem Statut der in Frage stehenden Verbindlichkeit (Hauptforde-
rung) zu beurteilen5.

1 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 9 (Stand 1.2.2021).


2 Der Vorläufer in Art. 13 EVÜ (Art. 33 Abs. 3 S. 1 EGBGB) ist seinerseits aus Art. 17 EVÜ-Entw.
1972 (dazu Siehr, AWD 1973, 569 [583]) hervorgegangen.
3 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67.
4 So Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (634, 656); Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3
(Stand 1.2.2021).
5 Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 15; Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3
(Stand 1.2.2021).

Martiny | 273
§ 3 Rz. 3.299 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

III. Subsidiäre Verpflichtungen


3.299 Für die Berechtigung des Dritten (d.h. des Neugläubigers) zur Geltendmachung der Forde-
rung ist nach Art. 15 Rom I-VO die Rechtsordnung maßgeblich, die für die Verpflichtung des
Dritten gegenüber dem alten Gläubiger maßgeblich ist (Zessionsgrundstatut bzw. Drittleis-
tungsstatut). Ein gesetzlicher Forderungsübergang ist also dann zu beachten, wenn er vom
Zessionsgrundstatut (auch Drittleistungs- oder Kausalstatut genannt) angeordnet wird1. Auf
das Recht der Forderung, die von der Legalzession ergriffen wird (Forderungsstatut), kommt
es insoweit nicht an.

3.300 Tilgt beispielsweise ein Versicherer die Schuld aufgrund eines Versicherungsvertrages mit dem
Schuldner, so erfolgt zum Ausgleich ein gesetzlicher Forderungsübergang auf ihn nach dem
Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt2. Ein weiterer Anwendungsfall des gesetzli-
chen Forderungsübergangs ist die Zahlung des Bürgen (s. Rz. 16.14). Hier ist also die vertrag-
liche Beziehung Gläubiger-Dritter maßgeblich3. Das Zessionsgrundstatut ist maßgeblich für
die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Dritte zur Geltendmachung der Forderung berech-
tigt ist4. Auch die Möglichkeit eines teilweisen gesetzlichen Forderungsübergangs bzw. einer
Subrogation ist nach dem auf den Forderungsübergang anzuwendenden Recht zu beurteilen5.

3.301 Welchen Inhalt die übergegangene Forderung hat, bestimmt das Forderungsstatut, d.h. das
für die Beziehung zwischen ursprünglichem Gläubiger und Schuldner geltende Recht6. Diese
Rechtsordnung entscheidet beispielsweise darüber, ob dem neuen Gläubiger die Einrede der
Verjährung entgegengehalten werden kann7. Der gesetzliche Forderungsübergang greift nicht
in den Bestand der Forderung ein8.

3.302 Der Dritte kann gegenüber dem Gläubiger, aber auch – wie der Haftpflichtversicherer – ge-
genüber dem Schuldner zur Leistung verpflichtet sein9. Dritter, auf den eine Forderung über-
gegangen ist, kann auch ein Sozialversicherungsträger oder der Staat als Dienstherr sein10;
dass der Forderungsübergang von einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift angeordnet wur-
de, schadet nicht11. Dies entspricht dem bisherigen Rechtszustand12.

3.303 Während bei der Forderungsabtretung über Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO Schuldnerschutzvor-
schriften nach dem Forderungsstatut zum Zuge kommen können, ist davon in Art. 15 Rom I-

1 Einsele, WM 2009, 289 (298 f.); Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 2.
2 BGH v. 12.2.1998 – I ZR 5/96, IPRspr. 1998 Nr. 46 = NJW 1998, 3205; Thorn in Palandt, Art. 15
Rom I-VO Rz. 4.
3 Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (276).
4 Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 7. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67.
5 Spickhoff in BRHP, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3.– Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67.
6 Behrens, S. 158 ff. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67.
7 Thorn in Palandt, Art. 15 Rom I-VO Rz. 5.
8 H. Keller, S. 164.
9 Wandt, ZVglRW 86 (1987), 272 (279).
10 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 17a.
11 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 12 (Stand 1.2.2021). Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989),
462 (479 f.).
12 BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 211/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 31b = NJW 1966, 1620 (nach französ.
Recht eingetretener Übergang der Ansprüche auf die französ. Streitkräfte); OLG Oldenburg v.
18.11.1983 – 6 U 53/83, IPRspr. 1983 Nr. 34 = NdsRpfl. 1984, 69 (Ersatzpflicht deutscher Ver-
kehrsteilnehmer für im Bundesgebiet verletzten niederländ. Soldaten; Übergang auf niederländ.
Staat).

274 | Martiny
M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) | Rz. 3.304 § 3

VO nicht ausdrücklich die Rede. Früher hatte man im Allgemeinen die Übertragbarkeit der
Forderung und den Schuldnerschutz (Bestimmungen wie § 407 BGB, Erforderlichkeit einer
Anzeige an den Schuldner) nach dem Forderungsstatut beurteilt1. Nach geltendem Recht
kann man sich darauf stützen, dass die Forderung nach dem für die Beziehung von Gläubiger
und Schuldner geltenden Recht geltend zu machen ist. Im Übrigen kommt eine (Teil-)Analo-
gie zu Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO in Betracht. Der Wortlaut des Art. 15 Rom I-VO, der die
Berechtigung des Dritten in den Vordergrund stellt, steht jedenfalls einer Berücksichtigung
des Schuldnerschutzes nach dem Forderungsstatut nicht entgegen2. Auch die Übertragbarkeit
der Forderung ist eine Frage des Forderungsstatuts3. Nach a.A. kann auch das Zessionsgrund-
statut eine Forderung verfügbar machen4.

- EU-Regelung für die Soziale Sicherheit


Für den Forderungsübergang im Zusammenhang mit Leistungen der Sozialen Sicherheit gilt 3.304
innerhalb der EU die Sonderregelung in Art. 85 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom
29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit5.
Art. 85 Verordnung (EG) Nr. 883/2004
Ansprüche der Träger
(1) Werden nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Leistungen für den Schaden gewährt,
der sich aus einem im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen Ereignis ergibt, so gilt für
etwaige Ansprüche des verpflichteten Trägers gegen einen zum Schadenersatz verpflichteten Dritten
folgende Regelung:
a) Sind die Ansprüche, die der Leistungsempfänger gegen den Dritten hat, nach den für den ver-
pflichteten Träger geltenden Rechtsvorschriften auf diesen Träger übergegangen, so erkennt jeder
Mitgliedstaat diesen Übergang an;
b) hat der verpflichtete Träger gegen den Dritten einen unmittelbaren Anspruch, so erkennt jeder
Mitgliedstaat diesen Anspruch an.
(2) Werden nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Leistungen für einen Schaden gewährt,
der sich aus einem im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen Ereignis ergibt, so gelten ge-
genüber der betreffenden Person oder dem zuständigen Träger die Bestimmungen dieser Rechtsvor-
schriften, in denen festgelegt ist, in welchen Fällen die Arbeitgeber oder die von ihnen beschäftigten
Arbeitnehmer von der Haftung befreit sind.
Abs. 1 gilt auch für etwaige Ansprüche des verpflichteten Trägers gegenüber einem Arbeitgeber oder
den von diesem beschäftigten Arbeitnehmern, wenn deren Haftung nicht ausgeschlossen ist.
(3) ...

1 Vgl. Beemelmans, RabelsZ 29 (1965), 511 ff.; Kegel/Schurig, S. 758 f.; IPG 1965/66 Nr. 7 (Ham-
burg). Auch Art. 17 Abs. 2 EVÜ-Entw. 1972 hatte die Übertragbarkeit sowie die Rechte und
Pflichten des Schuldners dem Forderungsstatut überlassen.
2 So auch von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (21 f.); Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-
VO Rz. 17 (Stand 1.2.2021).
3 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 21 (Stand 1.2.2021); Stürner in Erman, Art. 15
Rom I-VO Rz. 6.
4 Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 24 ff. – Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462
(478 f.).
5 ABl. EU 2004 Nr. L 166, S. 1, ber. ABl. EU Nr. L 2004, S. 1 und ABl. EU 2007 Nr. L 204, S. 30.

Martiny | 275
§ 3 Rz. 3.305 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.305 Art. 85 Koordinierungs-VO ist unmittelbar geltendes Unionsrecht1. Die Vorschrift geht nach
Art. 23 Rom I-VO den allgemeinen internationalvertragsrechtlichen Regeln, aber auch dem
nationalen IPR vor2. Sie regelt Fälle, in denen ein Träger Leistungen für einen Schaden (Invali-
dität, Tod) gewährt hat, der sich aus einem in einem anderen EU-Staat eingetretenen Ereignis
(z.B. Arbeits- oder Verkehrsunfall) ergibt. Die Vorschrift erfasst nicht nur Arbeitnehmer und
Selbständige, sondern auch Beamte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte (Art. 2 Abs. 2 Koor-
dinierungs-VO). Allerdings ist die Anwendung auf Sondersysteme für Beamte und ihnen
gleichgestellte Beschäftigte ausgeschlossen3. Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt
sich im Übrigen auf die in Art. 4 Koordinierungs-VO näher umschriebenen Leistungen der
Sozialen Sicherheit.

3.306 Art. 85 Koordinierungs-VO gestattet dem leistenden Träger, gegen Dritte (Schädiger) vorzuge-
hen. Sind Schadensersatzansprüche des Leistungsempfängers gegen den Dritten auf den Trä-
ger übergegangen, so richtet sich der Übergang nach dem sog. Sozialrechtsstatut, d.h. dem
Recht des Trägers (z.B. französischem Sozialversicherungsrecht)4. Auch hier gilt mithin die
das Verhältnis zwischen Gläubiger und leistendem Träger regelnde Rechtsordnung, also das
Zessionsgrundstatut5. Ein solcher Übergang ist in allen EU-Staaten anzuerkennen (Art. 85
Abs. 1 Koordinierungs-VO)6. Der Schädiger und sein Versicherer können sich aber nicht da-
rauf berufen, ein Regress sei nach dem auf den Schadensersatzanspruch anwendbaren Recht
(Forderungsstatut) ausgeschlossen oder beschränkt7. Ebenso ist es, wenn dem Träger Direkt-
ansprüche gegen den Dritten zustehen. Art. 85 Abs. 2 Koordinierungs-VO lässt dieses Recht
auch über Haftungsbefreiungen entscheiden8. Der Schadensersatzanspruch selbst unterliegt
seinem eigenen Recht, z.B. dem Deliktsstatut9. Der Forderungsübergang kann daher nur
die entstandenen Schadensersatzansprüche erfassen, führt also zu keinem Mehr an Ansprü-
chen10.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20; Junker in MünchKomm, Art. 19 Rom II-VO
Rz. 19 ff. m.w.N. – Ebenso zum früheren Art. 93 VO Nr. 1408/71 BGH v. 7.11.2006 – VI ZR 211/
05, NJW 2007, 1754; BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20.
3 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20. – Vgl. BGH NJW 1966, 1620 = IPRspr. 1966–67
Nr. 31 (zu Art. 52 EWG-VO Nr. 3).
4 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20 ff.
5 EuGH v. 2.6.1994 – C-428/92, ECLI:EU:C:1994:222 (DAK/Lærerstandens Brandforsikring), Slg.
1994, I-2259 = JZ 1994, 1113 Anm. Fuchs (dän. Regressbeschränkung; zu § 116 SGB X); Kegel/
Schurig, § 18 VII 2; IPG 1978 Nr. 7 (Köln); IPG 1979 Nr. 14 (Köln).
6 Zum Rückgriff des Krankenversicherungsträgers nach belg. Recht IPG 2000/2001 Nr. 40 (Köln).
7 S. EuGH v. 2.6.1994 – C-428/92, ECLI:EU:C:1994:222 (DAK/Lærerstandens Brandforsikring), Slg.
1994, I-2259 = JZ 1994, 1113.
8 BGH v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, NJW 2007, 1754 (Österreich); BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/
07, BGHZ 177, 237 = MDR 2008, 1210 = VersR 2008, 1358 (Niederlande). – Zu § 4 LFZG s. LG
München I v. 10.4.1981 – 9 O 3473/78, IPRspr. 1981 Nr. 32 = IPRax 1982, 78 (LS) Anm. Jayme;
Birk, DB 1973, 1554 f.
9 von Hoffmann in Soergel, Art. 33 EGBGB Rz. 25. – Anders Eichenhofer, Internationales Sozial-
recht, 1987, S. 201.
10 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 27 (Stand 1.2.2021). – So zu Art. 52 EWG-VO Nr. 3
BGH v. 10.11.1977 – III ZR 79/75, IPRspr. 1977 Nr. 29 = VersR 1978, 231 (in BGHZ 70, 7 nicht
abgedruckt).

276 | Martiny
N. Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom I-VO) | Rz. 3.309 § 3

IV. Ablösungsrecht eines Dritten


In bestimmten Fällen eines drohenden Rechtsverlustes ist ein Dritter berechtigt, anstelle des 3.307
Schuldners den Gläubiger zu befriedigen (§ 268 BGB). Als Folge seiner Drittleistung kommt
es zu einem gesetzlichen Forderungsübergang. Ähnliche Befugnisse bestehen auch nach aus-
ländischem Recht wie die Einlösung mit nachfolgendem gesetzlichem Forderungsübergang
gem. Art. 110 OR1 und die eine Mittelstellung einnehmende notwendige Zession nach § 1422
ABGB2. Solche Fälle werden nicht von Art. 15 Rom I-VO erfasst3. Hier besteht keine besonde-
re Beziehung zwischen dem ablösenden Dritten und dem Altgläubiger, an die angeknüpft
werden könnte. Folglich untersteht die Legalzession allein dem Recht, welchem die erfüllte
Forderung unterliegt4. Sieht das Forderungsstatut keine Legalzession vor, so kann für den
Rückgriff des Drittleistenden gegen den Schuldner das Recht herangezogen werden, welches
für ihre Beziehungen gilt5.

N. Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom I-VO)

Literatur: C.H. Behrens, Gesamtschuldnerausgleich und sonstige Regressansprüche im Europäischen


Kollisionsrecht nach der Rom I-, Rom II- und EG-Unterhaltsverordnung (2013); Kühn, Die gestörte
Gesamtschuld im Internationalen Privatrecht (2014); Magnus, Aufrechnung und Gesamtschuldner-
ausgleich in Ferrari/Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht (2007), S. 201; S. Meier, Schuldner-
mehrheiten im europäischen Vertragsrecht, AcP 211 (2011), 435; Stoll, Rechtskollisionen bei Schuld-
nermehrheit in FS Müller-Freienfels (1986), S. 631.
Verschiedentlich haften mehrere Personen für dieselbe Forderung zusammen als Schuldner 3.308
(Schuldnermehrheit)6. Begleicht eine von ihnen die Schuld, so rückt sie kraft Gesetzes in die
Gläubigerstellung ein (vgl. § 426 Abs. 2 BGB für den Gesamtschuldner). International-privat-
rechtlich ist dann zu entscheiden, nach welcher Rechtsordnung ein Übergang der Forderung
stattfindet bzw. eine Berechtigung des Zahlenden entsteht und wie der Ausgleich unter den
Schuldnern durchzuführen ist.

Art. 16 S. 1 Rom I-VO stellt klar, dass sich der Forderungsübergang ebenfalls nach dem Statut 3.309
richtet, das für die Verpflichtung des in Anspruch Genommenen gegenüber dem Gläubiger
maßgeblich ist7. Häufig kann offen bleiben, ob ein Forderungsübergang nach Art. 15 oder
Art. 16 Rom I-VO erfolgt. Art. 16 Rom I-VO verlangt, dass mehrere Personen „dieselbe“ For-

1 Sie folgt nach schweiz. Auffassung dem Recht, dem die zu tilgende Forderung unterliegt (Art. 146
Abs. 1 Halbs. 2 IPRG). S. Dasser in Basler Komm, Art. 146 IPRG Rz. 10.
2 S. Posch, Zur Anknüpfung der notwendigen Zession bei der Forderungseinlösung gem. § 1422
ABGB, IPRax 1986, 188 ff. Zu weiteren Fällen, in denen keine Verpflichtung zur Tilgung, sondern
nur ein Interesse daran besteht (Art. 1346 n.F. [früher 1251 Nr. 1, 4] franz. c.c.; Art. 1203-3 italien.
c.c.), s. Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (276 f.).
3 Behrens, S. 147; Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 2.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 19. – Ebenso zum alten Recht Wandt, ZVglRW 86
(1987), 272 (301); von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (482 f.). Nach a.A. entscheidet die Rechtsord-
nung, welche den Dritten zur freiwilligen Leistung veranlasst (Recht der betreffenden Sicherheit),
Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 37.
5 Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (483).
6 Dazu auch Art. 11.1.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016.
7 Ebenso Art. 20 Rom II-VO. – Art. 13 Abs. 2 S. 2 EVÜ bzw. Art. 33 Abs. 3 S. 2 EGBGB verwies
lediglich auf die allgemeine Regelung der Legalzession.

Martiny | 277
§ 3 Rz. 3.309 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

derung (the same claim; la même obligation) zu erfüllen haben. Damit ist wohl nicht gemeint,
dass die verschiedenen Schuldner aus demselben Rechtsgrund haften müssen1.

3.310 Unterliegen die Verpflichtungen aller Schuldner der gleichen Rechtsordnung, so ist regel-
mäßig das Innenverhältnis der Schuldner dem gleichen Recht zu unterwerfen wie das Außen-
verhältnis zum Gläubiger. Der Rückgriff des leistenden Schuldners gegen einen Mitschuldner
unterliegt daher dem Schuldstatut des Leistenden2. Er kann einen Teil der ihm von dieser
Rechtsordnung auferlegten Bürde regressweise nach der gleichen Rechtsordnung wieder ab-
wälzen. Bislang machte man eine Ausnahme, wenn die Mitschuldner durch ein besonderes
Rechtsverhältnis (insbesondere eine vertragliche Beziehung wie Auftrag oder Dienstvertrag)
miteinander verbunden waren. Dann soll sich der Forderungsübergang nach dem für dieses
Rechtsverhältnis maßgeblichen Recht richten3. Hier besteht nämlich eine engere Beziehung zu
dem Rechtsverhältnis unter den Schuldnern als zu der getilgten Forderung. Daher ist der For-
derungsübergang in diesen Zusammenhang einzuordnen. Art. 16 Rom I-VO enthält aller-
dings keine solche Ausnahme, so dass ungeklärt ist, ob eine Abweichung möglich ist.

3.311 Gelten für die Verpflichtungen der Schuldner verschiedene Rechte, so ist Art. 16 Rom I-VO
gleichwohl anwendbar4. Welche Einwendungen die anderen Schuldner erheben können, ist
nunmehr in Art. 16 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich geregelt5. Sie dürfen bei der sog. gestörten
Gesamtschuld dem Regress nehmenden Schuldner diejenigen Verteidigungsmittel (defences;
les droits) entgegenhalten, die ihnen gegenüber dem Gläubiger zugestanden haben6. Dazu ge-
hört etwa eine Aufrechnung7. Voraussetzung ist, dass dies gemäß dem auf ihre Verpflichtung
gegenüber dem Gläubiger anzuwendenden Recht zulässig (to the extent allowed; dans la me-
sure prévue par la loi) wäre. Die Geltendmachung erfolgt durch eine Einrede8.

O. Schuld- und Vertragsübernahme

Literatur: von Bar, Kollisionsrechtliches zum Schuldbeitritt und zum Schuldnerwechsel, IPRax 1991,
197; Baum, Schuldübernahme in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europä-
ischen Privatrechts II (2009), S. 1377; Braun, Der Schuldbeitritt zu Sicherungszwecken nach türki-
schem und deutschem Recht (2014); Girsberger, Übernahme und Übergang von Schulden im schwei-
zerischen und deutschen IPR, ZVglRW 88 (1989), 31; Juhász, Die Vertragsübernahme im neuen
ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuch, Jb. OstR 2017, 43; Selke, Die Anknüpfung der rechtsgeschäftli-
chen Vertragsübernahme, IPRax 2013, 205; Siedel, Kollisionsrechtliche Anknüpfung vertraglicher und
gesetzlicher Schuldübernahme (1995); Weller, Persönliche Sicherheiten, in Kronke/Melis/Kuhn, Hand-
buch Internationales Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2017, S. 1054; Zweigert, Das Statut der Vertragsüber-
nahme, RabelsZ 23 (1958), 643.

1 Zum EVÜ Stoll, FS Müller-Freienfels (1986), S. 631 (633).


2 Behrens, S. 172 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 8 (für selbständige Ausgleichs-
ansprüche); Hübner in BeckOGK, Art. 16 Rom I-VO Rz. 27 (Stand 1.2.2021); Thorn in Palandt,
Art. 16 Rom I-VO Rz. 4.
3 Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (643); vgl. auch Meyer, Der Regress im Internationalen Privat-
recht (Zürich 1982), S. 31, 58.
4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78 f.).
5 Die Parallelvorschrift des Art. 20 Rom II-VO enthält keinen solchen Zusatz.
6 Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 9. – Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (111).
7 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (346); Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 9.
8 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (221); Mankowski, IHR 2008, 133 (151); Hausmann in Staudin-
ger, Art. 16 Rom I Rz. 9.

278 | Martiny
O. Schuld- und Vertragsübernahme | Rz. 3.315 § 3

I. Schuldübernahme
Die Rom I-VO hat die Schuldübernahme (transfer of obligations; cession de dettes) ebenso 3.312
wie das EVÜ ungeregelt gelassen1, so dass es an einer speziellen Kollisionsnorm fehlt. Daher
ist eine Lösung im Einklang mit den Art. 3 ff. Rom I-VO zu entwickeln.

Infolge der Schuldübernahme tritt ein Schuldnerwechsel oder lediglich ein Schuldbeitritt 3.313
ein. Durch eine solche Schuldübernahme ändert sich das Statut der übernommenen Schuld
nicht2. Dagegen kann die Schuldübernahme selbst einem anderen Recht als dem des ur-
sprünglichen Vertrages unterliegen. Ihr Statut entscheidet, ob sie kausal oder abstrakt ist3. Das
einer Schuldübernahme zugrunde liegende Geschäft folgt seinem eigenen Recht4.

Besondere Anknüpfungsprobleme wirft der Direktanspruch des Subunternehmers gegen den 3.314
Auftraggeber auf, wie er vom französischen Recht (action directe) gewährt wird5. Zwar wird
der Direktanspruch z.T. als Recht sui generis qualifiziert, doch ist von einer Beurteilung nach
der Rom I-VO auszugehen6. Grundlage des Anspruchs ist der Subunternehmervertrag selbst.
Möglich wäre, allein auf das Vertragsverhältnis zwischen General-/Hauptunternehmer und
Subunternehmer abzustellen und letzterem stets einen Anspruch zu geben, wenn das für sei-
nen Vertrag maßgebliche Recht ihn gewährt7. Man kann aber nicht allein auf den Subunter-
nehmervertrag abstellen, da der Auftraggeber an ihm nicht beteiligt ist und er andernfalls mit
einem für ihn fremden Recht konfrontiert werden könnte. Eine weitere Lösung besteht darin,
das für den Hauptvertrag geltende Recht, das Generalunternehmervertragsstatut, entscheiden
zu lassen8. Zwar könnte dann ein Dritter, der Subunternehmer, berechtigt sein, aber doch nach
einem Recht, das auch sonst für die Verpflichtungen des Auftraggebers gilt und ihn nicht über-
raschen kann. Vertreten wird aber auch eine Einschränkung. Daher kommt ein Direkt-
anspruch nur dann in Betracht, wenn ihn das Statut des Subunternehmervertrages gewährt,
aber auch das für den Hauptvertrag maßgebliche Recht einen solchen Anspruch kennt9.

1. Privative Schuldübernahme
a) Befreiung
Durch die privative Schuldübernahme tritt ein neuer Schuldner (Übernehmer) an die Stelle 3.315
des Altschuldners, der dadurch befreit wird (so z.B. Art. 1327-2 franz. c.c.). Nach deutschem

1 Hausmann in Staudinger, Art. 16 Anh. Rom I Rz. 1. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.
2 von Bar, IPRax 1991, 197 (199 f.); Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11.
3 Kegel/Schurig, S. 761.
4 Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7.
5 Zum französ. Gesetz v. 31.12.1975 s. Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht
– der Subunternehmer als Quasi-Verbraucher im europäischen Kollisionsrecht (2004), S. 87 ff.;
Hök, Handbuch des internationalen und ausländischen Baurechts, 2. Aufl. 2012, § 36 II Rz. 94 ff.
6 Piroddi, International Subcontracting in EC Private International Law, Yb. PIL 7 (2005), 289 ff.;
Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht (2004), S. 189 ff.
7 So, aber vorbehaltlich Zulassung nach der lex fori Piroddi, Yb. PIL 7 (2005), 289 (322). – S. auch
Martiny, FS Magnus, S. 483 (496 f.).
8 Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht (2004), S. 229 ff. (321 f.). – Offenbar
für eine akzessorische Anknüpfung des Subunternehmeranspruchs, wenn das Recht des Hauptver-
trages (ebenfalls) zu einem Anspruch führt, Piroddi, Yb. PIL 7 (2005), 316 ff.
9 Jayme, Subunternehmervertrag und Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsüberein-
kommen (EuGVÜ), FS Pleyer (1986), S. 371 (378). S. auch die Diskussion in Hök, Handbuch des
internationalen und ausländischen Baurechts, 2. Aufl. 2012, § 14 II Rz. 7 ff.

Martiny | 279
§ 3 Rz. 3.315 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Recht kann sie extern durch Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer (§ 414 BGB) oder
intern zwischen Altschuldner und Übernehmer (§ 415 BGB) erfolgen.

3.316 In beiden Fällen entscheidet das Statut der übernommenen Schuld darüber, ob der Altschuld-
ner durch das Übernahmegeschäft frei wird, ob es dazu einer Genehmigung des Gläubigers
bedarf und was der Neuschuldner an den Gläubiger zu leisten hat1. Insoweit ist die privative
Schuldübernahme auch international-privatrechtlich passives Gegenstück der Abtretung2.

b) Altschuldner und Übernehmer


3.317 Soweit es bei der internen Schuldübernahme um das Verhältnis zwischen Alt- und Neu-
schuldner geht, also insbesondere um die Verpflichtung des Neuschuldners, die Schuld zu be-
gleichen, ist grundsätzlich selbständig an das Statut des Vertrages anzuknüpfen, aufgrund des-
sen die Schuldübernahme erfolgt3. Besteht kein Zusammenhang damit, so gilt mangels
Rechtswahl das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der Niederlassung des Neuschuld-
ners4. Die Verpflichtung des eintretenden Neuschuldners ist die den Vertrag prägende typi-
sche Leistung.

c) Gläubiger und Übernehmer


3.318 Die externe Schuldübernahme zwischen Gläubiger und Neuschuldner untersteht wegen der
neuen selbständigen Verpflichtung grundsätzlich ihrem eigenen Vertragsstatut5. Daher ist
mangels Rechtswahl grundsätzlich das Recht des Ortes der Niederlassung des Übernehmers
maßgeblich6. Möglich ist aber auch, dass im Einzelfall eine so enge Beziehung zur übernom-
menen Schuld besteht, dass deren Statut gilt. Nach anderen unterliegt die externe Schuldüber-
nahme grundsätzlich dem Statut der übernommenen Schuld7.

2. Schuldbeitritt
3.319 Durch eine kumulative Schuldübernahme (Schuldbeitritt) tritt dem bestehenden Schuldver-
hältnis ein neuer Schuldner bei, der eine selbständige Verpflichtung übernimmt. Rechtswahl
ist zulässig8. Die Verpflichtung des Altschuldners richtet sich weiterhin nach dem bisherigen
Schuldstatut9. Da die Verpflichtung des Beitretenden eine Art vertragliche Garantie durch ein-

1 LG Hamburg v. 26.9.1990 – 5 O 543/88, IPRspr. 1990 Nr. 42 = IPRax 1991, 400 (Anm. Reinhart,
IPRax 1991, 376). In diesem Sinne auch Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 12; Thorn in
Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7.
2 S. bereits RG v. 13.6.1932 – IV 111/32, JW 1932, 3810 (3811) („In der Tat unterliegt die Schuld-
übernahme als Schuldnerwechsel demjenigen Recht, das für die Schuld selbst maßgebend ist.“).
3 Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13. – Zum EVÜ Girsberger, ZVglRW 88 (1989), 31 (38);
Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993), S. 96.
4 von Bar, IPRax 1991, 197 (199 f.); Leible in NK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29.
5 Girsberger, ZVglRW 88 (1989), 31 (36 f.); Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Drit-
ter (1993), S. 91; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1081.
6 Leible in NK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29.
7 Vgl. von Bar, IPRax 1991, 197 (199).
8 OLG Koblenz v. 10.10.1991 – 5 U 795/90, IPRspr. 1991 Nr. 44 = RIW 1992, 491; OLG Köln v.
21.3.1997 – 19 U 180/96, IPRspr. 1997 Nr. 36 = RIW 1998, 148 (niederländ. Ehegatte; vgl. dazu
Martiny, ZEuP 1999, 246 [254]); von Bar, IPRax 1991, 197 (198); Möllenhoff, Nachträgliche
Rechtswahl und Rechte Dritter (1993), S. 97 f.
9 Weller in Kronke/Melis/Kuhn, Rz. H 696.

280 | Martiny
O. Schuld- und Vertragsübernahme | Rz. 3.322 § 3

seitig verpflichtenden Vertrag darstellt, ist für die objektive Anknüpfung (entsprechend Art. 4
Abs. 2 Rom I-VO) maßgeblich das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der Niederlas-
sung des beitretenden Schuldners1. Doch kann hier wegen eines engen Zusammenhanges im
Einzelfall das Statut der übernommenen Schuld auch für den Übernahmevertrag gelten (ent-
sprechend Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO)2.

II. Vertragsübernahme
Die rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme bzw. Abtretung des Vertrages (assignment of con- 3.320
tract; cession des contrat), bei der ein Dritter vollständig in die Stellung einer Vertragspartei
einrückt, ist in einigen Ländern gesetzlich geregelt3. Sie ist kollisionsrechtlich grundsätzlich
nicht in Abtretung und privative Schuldübernahme aufzuspalten, sondern einheitlich anzu-
knüpfen4. Fehlt es an einer Rechtswahl (die wie immer möglich ist)5, so folgt sie dem Recht,
das für den übernommenen Vertrag gilt6. Diese Rechtsordnung entscheidet, ob eine Vertrags-
übernahme überhaupt möglich und wirksam ist.

Das meist zugrunde liegende Kausalgeschäft ist dagegen selbständig nach den Regeln über 3.321
Schuldverträge anzuknüpfen. Ob überhaupt ein wirksames Kausalgeschäft vorliegen muss,
entscheidet jedoch das Statut des Übernahmevertrages. Kennt die Rechtsordnung, welcher der
zu übertragende Vertrag unterliegt, das Institut der Vertragsübernahme nicht, so bleibt es bei
einer Anknüpfung an die übernommene Schuld; die Lösung ist dem Sachrecht zu überlassen7.
Auch der gesetzliche Vertragsübergang unterliegt grundsätzlich dem Recht des übernomme-
nen Vertrages8. Dafür spricht das Vertrauen in das Vertragsstatut.

Durch die Vertragsübernahme ändert sich das Schuldstatut des übernommenen Vertrages 3.322
nicht9. Ob die Vertragsübernahme Wirkungen auf den übernommenen Vertrag hat, unterliegt
dessen Statut. Zur Vertragsübernahme im Arbeitsrecht s. Rz. 11.141.

1 BGH v. 11.11.2010 – VII ZR 44/10, ZIP 2011, 338 = NJW-RR 2011, 130 = IPRspr. 2010 Nr. 44;
OLG München v. 18.1.2018 – 23 U 57/17, NJOZ 2018, 1390; Weller in Kronke/Melis/Kuhn, Rz. H
698; Hausmann in Staudinger, Art. 16 Anh. Rom I Rz. 3a.
2 OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, IPRspr. 1996 Nr. 161 = TranspR 1997, 113 (Ablader
beim Seetransport); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13.
3 S. Art. 1216–1216-3 franz. c.c. (dazu Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 [53]), Art. 1406–1410 italien. c.
c., Art. 6.2.3.14 niederländ. B.W. S. auch Art. 9.3.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016.
4 Eine gesetzliche Regelung fehlt, Selke, IPRax 2013, 205 (211).
5 S. von Bar, IPRax 1991, 197 (200).
6 S. von Bar, IPRax 1991, 197 (200); Kegel/Schurig, S. 761 f.; Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO
Rz. 15; Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13.
7 von Hoffmann in Soergel, Art. 33 EGBGB Rz. 47. Ebenso Vischer/Huber/Oser, Rz. 1090; Dasser in
Basler Komm, Erg. zu Art. 146 IPRG Rz. 17.
8 LAG Köln v. 6.4.1992 – 3 Sa 824/91, IPRspr. 1992 Nr. 69a = RIW 1992, 933; von Bar, IPRax 1991,
197 (200 f.); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 15.
9 Selke, IPRax 2013, 205 (210).

Martiny | 281
§4
Außervertragliche Schuldverhältnisse und Verschulden bei
Vertragsverhandlungen

A. Anknüpfung der außervertraglichen III. Geschäftsführung ohne Auftrag


Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 (Art. 11 Rom II-VO) . . . . . . . . . . . . . 4.33
B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO) . . . 4.5 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.33
I. Zulässigkeit und Voraussetzungen der 2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 4.34
Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Auf-
II. Inlands- und Binnenmarktsachverhal- enthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.36
te . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 4. Ort der Geschäftsführung . . . . . . 4.37
III. Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11 5. Engere Verbindung . . . . . . . . . . . 4.38
C. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . 4.12 IV. Verschulden bei Vertragsverhandlun-
gen (Art. 12 Rom II-VO) . . . . . . . . . . 4.39
I. Gemeinsame Grundsätze . . . . . . . . . . 4.12
1. Einordnung als außervertragliches
1. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12
Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . 4.39
2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 4.13
2. Begriff des Verschuldens bei Ver-
3. Gemeinsamer gewöhnlicher Auf- tragsverhandlungen . . . . . . . . . . . 4.40
enthalt (Art. 10 Abs. 2, Art. 11
3. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.46
Abs. 2, Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom II-
a) Maßgeblichkeit des Vertrags-
VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.15
statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.46
4. Offensichtlich engere Verbindung b) Anknüpfung nach Art. 12
(Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Abs. 2 Rom II-VO . . . . . . . . 4.49
Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO) . . 4.16
D. Reichweite des für außervertragliche
II. Ungerechtfertigte Bereicherung
Schuldverhältnisse maßgeblichen
(Art. 10 Rom II-VO) . . . . . . . . . . . . . 4.17
Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.53
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.17
I. Geltungsbereich des anzuwendenden
2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 4.19
Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.53
3. Gemeinsamer gewöhnlicher Auf-
II. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.55
enthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.22
III. Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.56
4. Objektive Anknüpfung der unge-
rechtfertigten Bereicherung . . . . . 4.23 IV. Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.57
5. Mehrpersonenverhältnisse . . . . . . 4.24 E. Gesetzlicher Forderungsübergang
6. Engere Verbindung . . . . . . . . . . . . 4.32 und mehrfache Haftung . . . . . . . . . . 4.58

Allgemeine Literatur: Brière, Le règlement (CE) no. 864/2007 du 11 juillet 2007 sur la loi applicable
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282 | Martiny
Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c. | § 4

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Martiny | 283
§ 4 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

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tragsverweigerung als vorvertragliche Pflichtverletzung – Zum internationalen Privatrecht des Diskri-
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Das internationale Privatrecht der culpa in contrahendo nach den EG-Verordnungen „Rom I“ und
„Rom II“, RIW 2008, 193; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz (2010); Man-
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Deutschland und England im Lichte der Verordnung Rom II, JZ 2008, 272; Sprenger, Internationale
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cial parties take pre-contractual liability into consideration?, EJCCL 2020, 31.

284 | Martiny
A. Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse | Rz. 4.3 § 4

A. Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse

Im Zusammenhang mit vertraglichen Beziehungen können auch außervertragliche Schuldver- 4.1


hältnisse entstehen, die nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch bezüglich der Zuständig-
keit anderen Regeln unterliegen (zur Abgrenzung Rz. 1.75). Ansprüche aus ungerechtfertigter
Bereicherung dienen dem Ausgleich von unberechtigten Vermögensverschiebungen, Ansprü-
che aus Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio) sind in erster Linie auf den Aus-
gleich freiwilliger Vermögensopfer („Aufwendungen“) gerichtet. Ansprüche aus Verschulden
bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) entstehen als Folge von Pflichtverletzun-
gen. Soweit sie nicht durch Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO ausgeschlossen sind (vgl. zu Art. 1 Abs. 2
Rom I-VO Rz. 1.92 ff.), werden seit dem 11.1.2009 alle außervertraglichen Schuldverhältnisse
von der Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
erfasst1. Intertemporal kommt es auf das schadensbegründende Ereignis (Handlung, Ursache),
nicht auf den Eintritt der Rechtsverletzung an2. Der Begriff des Schadens ist verordnungs-
autonom zu verstehen. Nach der Rom II-VO umfasst er sämtliche Folgen einer ungerechtfer-
tigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder eines Verschuldens bei Ver-
tragsverhandlungen (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO). Diese Zusammenfassung recht unterschiedli-
cher Schuldverhältnisse ist freilich vor allem ein „semantischer Kunstgriff“3, um sie in einer
gesetzlichen Regelung bündeln zu können. Die Verordnung gilt für alle Mitgliedstaaten mit
Ausnahme Dänemarks (Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO)4. Nach dem Austritt des Vereinigten König-
reichs aus der EU hat die Rom II-VO noch für schadensbegründende Ereignisse Anwendung
gefunden, die vor dem Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020) eingetreten waren5. Die VO ist
universell anwendbar; das von ihr bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es
nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist (Art. 3 Rom II-VO).

Abgesehen von Art. 14 Rom II-VO, der die Rechtswahl betrifft, umschreiben die „gemein- 4.2
samen Vorschriften“ der Art. 15 bis 22 Rom II-VO die Anknüpfung sowie die Reichweite
und Grenzen des nach den Art. 3 bis 13 Rom II-VO auf außervertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendenden Rechts6. Einzelaspekte unterliegen danach besonderen Anknüpfungen. Einige
Fragen nach dem Umfang des Statuts stellen sich gleichermaßen für vertragliche Schuldver-
hältnisse. Die Rom II-VO ist daher den entsprechenden Bestimmungen des EVÜ nachgebildet
worden und entspricht insofern weitgehend der Rom I-VO.

Bei den Verweisungen der Rom II-VO handelt es sich um Sachnormverweisungen (Art. 24 4.3
Rom II-VO; Parallelvorschrift: Art. 20 Rom I-VO), vgl. Rz. 2.300 ff. Der Ausschluss von Rück-
und Weiterverweisung vereinfacht die Bestimmung des anwendbaren Rechts und sichert die
in den eigenen Anknüpfungsregeln zum Ausdruck kommenden Wertungen gegenüber abwei-

1 Näher G. Wagner, IPRax 2008, 1 (17).


2 EuGH v. 17.11.2011 – C-412/10, ECLI:EU:C:2011:747 (Homawoo), Slg. 2011, I-11622 = NJW
2012, 441; von Hein, ZEuP 2009, 6 (11).
3 Junker in MünchKomm, Art. 2 Rom II-VO Rz. 4.
4 Rspr.-Länderberichte in Guinchard, S. 41 ff.
5 Art. 66 lit. b Austrittsabkommen (Rz. 1.62). Dazu Mankowski, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit,
3 (7).
6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das
auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 Nr. L
199, S. 40.

Martiny | 285
§ 4 Rz. 4.3 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

chenden Anknüpfungen anderer Rechtsordnungen ab. Die Vereinbarung auch des Kollisions-
rechts des gewählten Rechts dürfte hier ebenfalls unzulässig sein1 (vgl. Rz. 2.203).

4.4 Art. 25 Abs. 1 Rom II-VO entspricht dem Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO und bewirkt eine kollisi-
onsrechtliche „Verselbständigung“ von Gebietseinheiten, vgl. Rz. 2.305 ff. Das jeweilige
staatliche interlokale Privatrecht ist daher ausgeschlossen. Die Vorschrift gilt sowohl für eine
Rechtswahl der Parteien als auch für die objektive Anknüpfung. Art. 25 Abs. 2 Rom II-VO
nimmt rein interlokale Konflikte vom Anwendungsbereich der Rom II-VO aus (ebenso Art. 22
Abs. 2 Rom I-VO). Sachverhalte, die nur Verbindungen zu mehreren Gebietseinheiten dessel-
ben Staates aufweisen, unterstehen damit allein den interlokalen Kollisionsregeln des betref-
fenden Staates.

B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO)

I. Zulässigkeit und Voraussetzungen der Rechtswahl


4.5 Art. 14 Rom II-VO gestattet es den Beteiligten eines außervertraglichen Schuldverhältnisses,
das anwendbare Recht selbst zu bestimmen2. Nur im Bereich des Wettbewerbsrechts (Art. 6
Abs. 4 Rom II-VO) sowie des geistigen Eigentums (Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO) ist keine Rechts-
wahl zulässig. Als subjektive Anknüpfung ist die Rechtswahl im Zusammenhang mit den ob-
jektiven Anknüpfungen der Art. 4 ff. Rom II-VO zu sehen. Letztere kommen zum Zuge, wenn
die Parteien das anwendbare Recht nicht vereinbart haben. Die Rechtswahl geht demnach al-
len anderen Anknüpfungen vor und kann – auch für einen Gleichlauf von vertraglichen und
außervertraglichen Verpflichtungen – zweckmäßig sein3. Eine vertragliche Rechtswahlklausel
kann sich auch auf außervertragliche Schuldverhältnisse bzw. Streitigkeiten beziehen4 oder
diese ausdrücklich ausschließen5.

4.6 Bei der Rechtswahl handelt es sich um einen kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag6. Die
Vereinbarung außerstaatlichen Rechts ist möglich, hat jedoch nur die Wirkung einer mate-
riell-rechtlichen Verweisung im Rahmen des gewählten staatlichen Rechts7. Nach welchem
Recht sich Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung richten, regelt
die Rom II-VO nicht ausdrücklich. Es empfiehlt sich eine inhaltliche Anlehnung an Art. 3
Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO, nach denen für die vertragliche Beziehung das gewählte Recht
zugleich das Statut der Rechtswahlvereinbarung ist8 (s. Rz. 2.15 f.). Eine Anknüpfung an die
lex fori scheidet damit aus9.

4.7 Die Parteien können die Rechtswahl ausdrücklich oder stillschweigend treffen. Bei der still-
schweigenden Rechtswahl muss das Parteiverhalten (zumeist im Prozess) zweifelsfrei den

1 Spickhoff in BRHP, Art. 24 Rom II-VO Rz. 2. – Anders Boscheinen-Duursma in Soergel, Art. 24
Rom II-VO Rz. 222; Junker in MünchKomm, Art. 24 Rom II-VO Rz. 9.
2 Näher zur Rechtswahl B. A. Koch in Czernich/Geimer, S. 151 ff.
3 Näher Jacobs, IPRax 2015, 293 ff.
4 Dazu Vorpeil, IWB 2020, 438 (439, 445).
5 Vorpeil, IWB 2020, 438 (448).
6 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 14 ff.
7 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (9 f.); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 5.
8 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (13); Schaub in PWW, Art. 14 Rom II Rz. 3; Thorn in
Palandt, Art. 14 Rom II Rz. 11.
9 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 25 f.

286 | Martiny
B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO) | Rz. 4.11 § 4

Rechtswahlwillen erkennen lassen1. Insofern gelten die zu Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO2 ent-
wickelten Maßstäbe auch hier, vgl. Rz. 2.64 ff. Teilweise wird für eine restriktivere Haltung
plädiert3.

Die Rechtswahl kann grundsätzlich nur nachträglich, d.h. durch eine Vereinbarung nach Ein- 4.8
tritt des schadensbegründenden Ereignisses, erfolgen (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. a Rom II-VO).
Dann, wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, ist sie jedoch auch vor
Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses möglich (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b Rom II-
VO). Voraussetzung ist eine nicht präzisierte „frei ausgehandelte Vereinbarung“ (agreement
freely negotiated; par un accord librement négocié)4. Im Interesse der Praktikabilität sollte
eine Rechtswahl auch durch AGB möglich sein5. Die überwiegende Auffassung verneint hier
jedoch unter Berufung auf Art. 3 Abs. 2 Klausel-Richtlinie ein freies Aushandeln und schließt
eine Rechtswahl per AGB aus6. Im Übrigen kann eine vorherige Rechtswahl für vertragliche
Ansprüche auch lediglich mittelbar – über die akzessorische Anknüpfung nach der Rom II-
VO (s. Rz. 4.16) – für außervertragliche Ansprüche Bedeutung erlangen.

II. Inlands- und Binnenmarktsachverhalte


Besteht der nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO erforderliche Auslandsbezug allein in der Wahl 4.9
eines fremden Rechts (und einer etwaigen Gerichtsstandsvereinbarung), handelt es sich im
Übrigen aber um einen reinen Inlandssachverhalt, so erfasst die Vereinbarung nur die dis-
positiven Vorschriften der gewählten Rechtsordnung. Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO gesteht der
Rechtswahl lediglich eine materiell-rechtliche Wirkung zu. Diese Regelung entspricht Art. 3
Abs. 3 Rom I-VO (vgl. Rz. 2.137 ff.). Die (intern) zwingenden Vorschriften des durch objekti-
ve Anknüpfung ermittelten Statuts bleiben anwendbar7.

Bei reinen Binnenmarktsachverhalten kann die Wahl eines Drittstaatenrechts die (zwingen- 4.10
den) Vorschriften des Unionsrechts nicht ausschalten (Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO), vgl.
Rz. 2.141 ff. Dies entspricht Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. Für zwingende Bestimmungen in umge-
setzten Richtlinien stellt sich die Frage, welche Vorschriften anzuwenden sind. In Betracht
kommt eine Anwendung der Umsetzungsvorschriften der lex fori8, beispielsweise bezüglich
der Produkthaftungsrichtlinie9.

III. Rechte Dritter


Als Vereinbarung zwischen den Beteiligten eines außervertraglichen Schuldverhältnisses darf 4.11
die Rechtswahl nicht zu Lasten Dritter wirken, Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO. Parallelvor-

1 Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II Rz. 6. Eine Rechtswahl durch Prozessverhalten schließt ganz aus
Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (6 f.).
2 Früher Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ; Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB.
3 Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO Rz. 5.
4 Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (13 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (7 f.); Wendelstein in
Soergel, Art. 14 Rom II-VO Rz. 21.
5 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 36; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 9
(Einzelfallprüfung angebracht).
6 Leible, RIW 2008, 257(260); von Hein, ZEuP 2009, 6 (29); Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO
Rz. 4; Wendelstein in Soergel, Art. 14 Rom II-VO Rz. 22.
7 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 13.
8 Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 14.
9 Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO Rz. 9.

Martiny | 287
§ 4 Rz. 4.11 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

schrift ist insoweit Art. 3 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO (vgl. Rz. 2.131 ff.). Der wichtigste Fall betrifft
die Pflicht des Haftpflichtversicherers, den vom Versicherten geschuldeten Schadensersatz zu
leisten1. Hierfür ist das Statut des Versicherungsvertrags maßgeblich. Auch ein Direkt-
anspruch nach Art. 18 Rom II-VO kann durch nachträgliche Rechtswahl nicht begründet wer-
den2. Die Vorschrift gilt aber auch für andere außervertragliche Schuldverhältnisse.

C. Objektive Anknüpfung

I. Gemeinsame Grundsätze
1. Anknüpfung
4.12 Die objektive Anknüpfung der einzelnen außervertraglichen Schuldverhältnisse ist für die je-
weiligen Ansprüche gesondert geregelt. Allerdings kann es von der insoweit maßgeblichen
Grundanknüpfung Abweichungen geben. Dies ist für die ungerechtfertigte Bereicherung
(Art. 10 Rom II-VO), die Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) und das Ver-
schulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO) teilweise in gleicher Weise geregelt.
Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte (Akzessorietät, gemeinsamer gewöhnlicher Aufent-
halt und engere Verbindung) werden daher vorweg behandelt.

2. Akzessorische Anknüpfung
4.13 Ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis ist nach Art. 10 Abs. 1 und Art. 11
Abs. 1 Rom II-VO ein verbindlicher Anknüpfungspunkt. „Rechtsverhältnisse“ (relationships;
relations) in diesem Sinn sind nicht nur Schuldverträge, sondern auch gesetzliche Sonderbe-
ziehungen bzw. Schuldverhältnisse3. Was unter einem „bestehenden“ Rechtsverhältnis (exis-
ting relationship; relation existante) zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem
Wortlaut. Aus der Regelung der VO und dem Erwägungsgrund 10 geht aber hervor, dass ein
schuldvertragliches Rechtsverhältnis unabhängig von einem (wirksamen) Vertragsschluss be-
stehen kann. Es entsteht, sobald sich Pflichten – d.h. nicht notwendig (Primär-)Leistungs-
pflichten – für die Parteien ergeben. Es dauert an, solange Pflichten zwischen den Parteien
fortbestehen. Damit sind vor- und nachvertragliche Verhältnisse sowie nichtige Verträge abge-
deckt4.

4.14 Dem Anliegen der Rom II-VO, der akzessorischen Anknüpfung für Art. 10 Rom II-VO mög-
lichst große Bedeutung einzuräumen, kommt diese weite Auslegung entgegen. Ob eine Ein-
schränkung in zeitlicher Hinsicht besteht, ist umstritten. Die akzessorische Anknüpfung kann
erfolgen, wenn das maßgebliche Rechtsverhältnis gleichzeitig entsteht5.

1 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 49.


2 Leible, RIW 2008, 257 (262); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt,
Art. 14 Rom II-VO Rz. 12.
3 Brière, Clunet 135 (2008), 31 (50); Fehrenbacher in PWW, Art. 10 Rom II-VO Rz. 2 f.
4 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 18.
5 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 18. – Anders Wendelstein in Soergel, Art. 10 Rom
II-VO Rz. 27.

288 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.17 § 4

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2,


Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom II-VO)
Haben die Parteien bei Entstehung des Schuldverhältnisses – d.h. im Zeitpunkt des die Ver- 4.15
mögensverschiebung auslösenden Ereignisses oder des „schadensbegründenden Ereignisses“
(der Geschäftsvornahme) – ihren gewöhnlichen Aufenthalt (habitual residence; résidence ha-
bituelle) i.S.d. Art. 23 Rom II-VO in demselben Staat, kommt nach Art. 10 Abs. 2 und Art. 11
Abs. 2 Rom II-VO dessen Recht zur Anwendung.

4. Offensichtlich engere Verbindung (Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12


Abs. 2 lit. c Rom II-VO)
Die Anknüpfungen außervertraglicher Schuldverhältnisse – akzessorische Anknüpfung, ge- 4.16
meinsamer gewöhnlicher Aufenthalt und Grundanknüpfung – stehen unter dem Vorbehalt
einer offensichtlich engeren Verbindung (manifestly more close connection; des liens manifes-
tement plus étroits) zu dem Recht eines anderen Staates. Zwar ist die Formulierung dieser
Berichtigungsklausel nicht so restriktiv wie in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 2.215). Doch
sind die Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO im Interesse einer einheitlichen und vorher-
sehbaren Rechtsanwendung ebenfalls eng auszulegen1. Da die VO die akzessorische Anknüp-
fung – als wichtigen Fall der Auflockerung – schon bei den einzelnen Grundanknüpfungen
gesondert regelt, dürften die Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO nur wenige Fälle erfas-
sen. In Betracht kommt etwa eine akzessorische Anknüpfung der freiwilligen Tilgung fremder
Schulden an das Statut dieser Verbindlichkeit (s. Rz. 4.38). Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO ist in
diesem Fall nicht anwendbar, weil das „Rechtsverhältnis“ zwischen dem Geschäftsherrn und
einem Dritten (Zahlungsempfänger, und nicht dem zahlenden Geschäftsführer) besteht2.

II. Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO)


1. Allgemeines
Die ungerechtfertigte Bereicherung (unjust enrichment; enrichissement sans cause) gleicht 4.17
Vermögensverschiebungen aus (§§ 812 ff. BGB)3. Im Einzelnen bestehen freilich nach Voraus-
setzungen und Umfang erhebliche Unterschiede4. Die Verordnung bestimmt:
Art. 10 Rom II-VO
Ungerechtfertigte Bereicherung
(1) Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung, einschließlich
von Zahlungen auf eine nicht bestehende Schuld, an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechts-
verhältnis – wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung – an, das eine enge Verbindung mit
dieser ungerechtfertigten Bereicherung aufweist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsver-
hältnis unterliegt.
(2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden und haben die Parteien zum
Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das die ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge hat, ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden.

1 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. Aufs. Looschelders, IPRax 2014,
406) (Erbensucher); Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 31.
2 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 22.
3 Als „unjust enrichment“ geregelt in Art. VII.-1:101 ff. DCFR.
4 Zu den Formen des französischen Rechts Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (64 ff.).

Martiny | 289
§ 4 Rz. 4.17 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

(3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden, so ist das Recht
des Staates anzuwenden, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist.
(4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus un-
gerechtfertigter Bereicherung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in
den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.

4.18 Es besteht eine dreistufige Anknüpfungsleiter mit akzessorischer Anknüpfung, gemeinsamem


gewöhnlichen Aufenthalt und Bereicherungseintritt1. Korrekturen finden bei einer engeren
Verbindung statt. Der Begriff der „ungerechtfertigten Bereicherung“ ist verordnungsautonom
auszulegen2.

2. Akzessorische Anknüpfung
4.19 Als ersten Fall nennt die VO, dass ein außervertragliches Schuldverhältnis aus ungerechtfer-
tigter Bereicherung, einschließlich Zahlungen auf eine nicht bestehende Schuld, an ein zwi-
schen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis wie einen Vertrag oder eine unerlaubte
Handlung anknüpft. Weist dieses Rechtsverhältnis eine enge Verbindung mit der ungerecht-
fertigten Bereicherung auf, so ist das Recht anzuwenden, dem das Rechtsverhältnis unterliegt
(Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO).

4.20 Die Leistungskondiktion ist grundsätzlich akzessorisch anzuknüpfen3. Auf Grund von Art. 27
Rom II-VO gilt für nichtige Verträge vorrangig Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO, mithin das
Vertragsstatut4, s. Rz. 3.99. Eine eigenständige Bedeutung hat Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO aber
in Bezug auf Altfälle für Italien und das Vereinigte Königreich sowie für die Staaten, die der
Europäischen Union am 1.5.2004 beigetreten sind und einen Vorbehalt gegen Art. 10 Abs. 1
lit. e EVÜ eingelegt hatten.

4.21 Eine deliktsakzessorische Anknüpfung der Eingriffskondiktion ist ebenfalls möglich, obwohl
der (schuldhafte) Eingriff in fremde Rechtsgüter das Schuldverhältnis der unerlaubten Hand-
lung und das der ungerechtfertigten Bereicherung gleichzeitig entstehen lässt5. Dem Zweck
der Vorschrift entsprechend ist von einem (vor-)bestehenden Rechtsverhältnis i.S.d. Art. 10
Abs. 1 Rom II-VO auszugehen6. Im Übrigen werden der Ort des Bereicherungseintritts
(Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO) und der Ort des Schadenseintritts (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO)
regelmäßig zusammenfallen, so dass auch über die Grundanknüpfung Gleichklang erzielt
wird7.

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt


4.22 Kann das anzuwendende Recht nicht nach Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden und
haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das die ungerechtfertigte Be-

1 Vgl. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (10 f.).
2 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 8 (Stand 1.8.2018); Wendelstein in Soergel, Art. 10
Rom II-VO Rz. 4.
3 Ebenso Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7.
4 Sendmeyer, IPRax 2010, 500 (vertragliche Qualifikation); Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO
Rz. 5; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 4. – Vgl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 531; G.
Wagner, IPRax 2008, 1 (11).
5 Stürner in Erman, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 31.
6 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 8.
7 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 19.

290 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.25 § 4

reicherung zur Folge hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht
dieses Staates anzuwenden (Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO), s. Rz. 4.15.

4. Objektive Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung


Das deutsche internationale Bereicherungsrecht in Art. 38 EGBGB orientiert sich am deut- 4.23
schen materiellen Bereicherungsrecht. Art. 10 Rom II-VO geht hingegen nicht von den Unter-
scheidungen des deutschen Sachrechts aus. Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO unterwirft Bereiche-
rungsansprüche vielmehr einheitlich dem Recht des Ortes, an dem die Bereicherung einge-
treten ist (country in which the unjust enrichment took place; pays dans lequel l’enrichisse-
ment s’est produit). Der Wortlaut lässt offen, ob hierunter der Ort der vermögensverschieben-
den Handlung zu verstehen ist oder der Ort, an dem die Vermögensverschiebung eintritt1.
Insgesamt drängt die Rom II-VO den Handlungsort als Anknüpfungspunkt zurück. Daher ist
Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO im Sinne einer Anknüpfung an den Ort des Bereicherungseintritts
zu verstehen2. Dieser Ort fällt häufig mit dem Aufenthaltsort des Bereicherungsschuldners zu-
sammen. Ob bei der Eingriffskondiktion eine Anknüpfung an den Belegenheitsort des betrof-
fenen Rechtsguts oder Vermögens möglich ist, ist ungeklärt3.

5. Mehrpersonenverhältnisse
Eine besondere Regelung für Mehrpersonenverhältnisse enthält die Rom II-VO nicht. Daher 4.24
sind die einzelnen Beziehungen nach einer der Anknüpfungen des Art. 10 Rom II-VO zu be-
urteilen. Bei der Beteiligung mehrerer kommt es in erster Linie auf das Leistungsstatut (Art. 10
Abs. 1 Rom II-VO) an, vorausgesetzt, eine Zuwendung kann einer bereits bestehenden Leis-
tungsbeziehung zugeordnet werden. Im Übrigen kommt bei Fehlen eines gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalts (Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO) im Allgemeinen – vorbehaltlich der Aus-
weichklausel – das Recht am Ort des Bereicherungseintritts zur Anwendung (Art. 10 Abs. 3
Rom II-VO)4. Erfasst wird auch der Verwendungsanspruch des § 1041 österreich. ABGB5.

Bei Zahlung auf eine fremde Schuld entscheidet über deren Bestand und Höhe, aber auch 4.25
ihre Tilgung, das Statut dieser Schuld (Rz. 3.190). Dabei ist nach den einzelnen Ausgleichs-
und Rückgriffsansprüchen zu unterscheiden. Mangels einer cessio legis (vgl. Art. 19 Rom II-
VO) können Bereicherungsansprüche des Dritten gegen den befreiten Schuldner entstehen.
Der Anspruch des Zahlenden gegen den Schuldner unterliegt gem. Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO
dem Statut der getilgten Forderung6. Zahlt ein Dritter auf eine vermeintlich eigene Schuld, so
ist der Bereicherungsanspruch gegen den wirklichen Schuldner nach dem Statut der begliche-
nen (vermeintlichen) Schuld zu beurteilen7 (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO). Begleicht ein Dritter

1 Zum Zusammenhang mit dem Deliktsrecht G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11).


2 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (66 f.); Späth, S. 324; Junker in MünchKomm, Art. 10
Rom II-VO Rz. 28; Fehrenbacher in PWW, Art. 10 Rom II-VO Rz. 5; Wendelstein in Soergel,
Art. 10 Rom II-VO Rz. 44 (für nichtgegenständliche Bereicherung).
3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (66 f.).
4 Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 21 ff.
5 Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641).
6 Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 47 f.; Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO
Rz. 43 (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt, Art. 10
Rom II-VO Rz. 9.
7 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. – Unentschieden Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10
Rom II-VO Rz. 49.

Martiny | 291
§ 4 Rz. 4.25 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

demgegenüber freiwillig und bewusst fremde Schulden, so richten sich auch Bereicherungs-
ansprüche des auf die fremde Schuld zahlenden Dritten gegen den Gläubiger in erster Linie
nach dem zwischen beiden bestehenden oder angenommenen Schuldverhältnis, weil es sich
dabei um eine Sonderbeziehung handelt. Dies gilt auch für vertragliche Ansprüche. Im Übri-
gen folgen sie dem Recht, das auf die vermeintlich getilgte Verbindlichkeit anwendbar ist1.

4.26 In Anweisungsfällen weist der Anweisende den Angewiesenen an, an einen Dritten zu leisten.
Dies ist insb. bei der Banküberweisung der Fall. Auch kollisionsrechtlich ist nach der Art des
Mangels das Deckungsverhältnis zwischen Anweisendem („Zahler“) und Angewiesenem
(Zahlungsdienstleister bei einem Bankvertrag), das Valutaverhältnis zwischen Anweisendem
und Begünstigtem (z.B. ein Kauf) sowie das Zuwendungsverhältnis zwischen (vermeintlich)
Angewiesenem und Begünstigtem zu unterscheiden.

4.27 Über Ansprüche aus einem fehlerhaften Deckungsverhältnis zwischen Anweisendem und
Angewiesenem (z.B. einem Zahlungsdienstevertrag nach §§ 657f ff. BGB) entscheidet das
hierfür maßgebliche Recht, d.h. das zwischen den Parteien geltende Vertragsstatut2. Beim Ak-
kreditiv (Rz. 13.57) ist das i.d.R. das Recht der angewiesenen Akkreditivbank, d.h. das Statut
des zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrages3.

4.28 Entsprechendes gilt für die Beziehung des Anweisenden gegenüber dem bereicherten Dritten
(Anweisungsbegünstigtem) im Valutaverhältnis4. Auch hier findet der Bereicherungsaus-
gleich nach dem unter den Beteiligten geltenden Recht statt. Z.B. kann der Akkreditivauftrag-
geber (Käufer) gegen den Begünstigten (Verkäufer) nach dem Recht des zugrunde liegenden
Warengeschäfts, also des von ihnen geschlossenen Kaufvertrages vorgehen5.

4.29 Praktisch wichtig, aber umstritten ist die Behandlung der Ansprüche im Zuwendungsverhält-
nis zwischen (vermeintlich) Angewiesenem und Begünstigtem. Dabei geht es regelmäßig da-
rum, ob der Angewiesene einen direkten Zugriff gegen den Begünstigten (Zahlungsempfän-
ger) hat. Solche Ansprüche des Angewiesenen gegen den bereicherten Anweisungsbegünstig-
ten richten sich bei bestehender abstrakter Verpflichtung nach dem Statut dieser Verpflich-
tung, also dem Deckungsverhältnis6, z.B. für die Akkreditivbank (Käuferbank) nach dem Ak-
kreditivstatut7.

4.30 Wird bei fehlender oder fehlerhafter Anweisung lediglich gezahlt oder geliefert (z.B. bei irr-
tümlicher Zuvielüberweisung), so kann man auch hier das Deckungsverhältnis für maßgeb-
lich halten, d.h. auf das Recht der Verpflichtung des Angewiesenen abstellen8. Der Zahlungs-
empfänger wäre dann allerdings einem für ihn fremden Recht ausgesetzt. Nach a.A. handelt
es sich hier um keine Leistungskondiktion mehr, sondern um eine bloße Wertverschiebung,

1 Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7. – Vgl. Einsele, JZ 1993, 1025 (1026).
2 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 48 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 10
Rom II-VO Rz. 9.
3 So zum alten Recht Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 793.
4 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9.
5 So zum alten Recht Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 792 f.; Lorenz in Staudinger, § 812 BGB
Rz. 125.
6 Vgl. Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 54: Über Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO.
7 Näher Lorenz, FS Zweigert, S. 199 (223 f.); Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 793; v. Hoff-
mann/Fuchs in Staudinger, Art. 38 EGBGB Rz. 27.
8 Vgl. Schlechtriem in von Caemmerer, S. 75.

292 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.33 § 4

für welche die Grundsätze der „Bereicherung in sonstiger Weise“ gelten sollen1. Dementspre-
chend wird auf den Ort des Bereicherungseintritts nach Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO abgestellt2.

Im Falle eines echten Vertrages zugunsten Dritter (dazu Rz. 3.132) kommt es darauf an, wel- 4.31
ches der Rechtsverhältnisse fehlerhaft ist. Dementsprechend entscheidet das Deckungsverhält-
nis die Frage, ob der Versprechensempfänger (Gläubiger) einer Kondiktion des Versprechen-
den (Schuldners) ausgesetzt ist3. Das zwischen Gläubiger und begünstigtem Drittem bestehen-
de Valutaverhältnis bestimmt, ob der Dritte (Begünstigter) die faktische Leistung des Verspre-
chenden an den Versprechensempfänger herauszugeben hat4. Für die Direktkondiktion des
Versprechenden im Falle der Unwirksamkeit des Deckungsverhältnisses ist ebenfalls das an-
wendbare Recht zu bestimmen. Ansprüche gegen den Dritten als faktischen Leistungsempfän-
ger unterliegen dem Statut des Deckungsverhältnisses5. Grund dafür ist, dass die Begüns-
tigung des Dritten auf diesem Vertragsverhältnis beruht und der Bereicherungsausgleich ihm
folgen muss.

6. Engere Verbindung
Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis 4.32
aus ungerechtfertigter Bereicherung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen
als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen
Staates anzuwenden (Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO), s. Rz. 4.16. So wurde etwa für die Hinterle-
gung des Betrages aus einer mehrfach abgetretenen Forderung argumentiert. Die den Berei-
cherungsanspruch begründende Hinterlegung war durch eine deutsche Treuhänderin in ei-
nem deutschen Insolvenzverfahren bei einem deutschen Amtsgericht erfolgt6. Daher wurde
deutsches statt luxemburgisches Recht angewendet.

III. Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO)


1. Allgemeines
Art. 11 Rom II-VO 4.33
Geschäftsführung ohne Auftrag
(1) Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein zwi-
schen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis – wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung
– an, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist, so ist das Recht
anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt.

1 So zum alten Recht: BGH v. 25.9.1986 – VII ZR 349/85, ZIP 1986, 1375 = IPRax 1987, 186 m. abl.
Aufs. Jayme = NJW 1987, 185; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315
(1316).
2 Leible/Lehmann, RIW 2007, 372; Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 49 (Art. 10 Abs. 2
oder 3) (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt, Art. 10
Rom II-VO Rz. 9.
3 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 51 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 10
Rom II-VO Rz. 9.
4 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9.
5 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 51 (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10
Rom II-VO Rz. 8; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9.
6 OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP 2020, 1315 = WM 2020, 982 m. Anm. Cranshaw,
EWiR 2020, 415.

Martiny | 293
§ 4 Rz. 4.33 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

(2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden und haben die Parteien zum
Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden.
(3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden, so ist das Recht
des Staates anzuwenden, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist.
(4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Ge-
schäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in
den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
Die Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio; gestion d’affaires) spielt auch in an-
deren Rechtsordnungen als Regressinstrument eine Rolle (vgl. §§ 677 ff. BGB)1. Insbesondere
können Aufwendungsersatzansprüche des Geschäftsführers entstehen2. Der Begriff der Ge-
schäftsführung ohne Auftrag ist verordnungsautonom auszulegen. Von Art. 11 Rom II-VO
werden sowohl die berechtigte als auch die unberechtigte Geschäftsführung erfasst3. Eine
Rechtswahl ist möglich (s. Rz. 4.5). Art. 11 Rom II-VO nennt mehrere Stufen der objektiven
Anknüpfung, nämlich eine akzessorische Anknüpfung (Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO), eine An-
knüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO) sowie
an den Ort der Geschäftsführung (Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO). Ferner enthält die Vorschrift in
Abs. 4 eine Ausweichklausel4. In erster Linie ist nach einer Anknüpfung an ein bestehendes
Rechtsverhältnis zu suchen. In zweiter Linie kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der
Parteien in demselben Staat an. Umfasst werden grundsätzlich alle bei einer Geschäftsführung
ohne Auftrag möglichen Ansprüche5.

2. Akzessorische Anknüpfung
4.34 Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein
zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis wie einen Vertrag oder ein deliktisches
Schuldverhältnis an, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag auf-
weist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt (Art. 11 Abs. 1
Rom II-VO), s. Rz. 4.12. Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag kommt eine akzessorische
Anknüpfung etwa dann in Betracht, wenn der Geschäftsführer seine Befugnisse aus einem be-
stehenden Auftragsverhältnis überschreitet6. Das Schuldverhältnis darf aber nicht erst durch
die Geschäftsführung begründet werden7. Ein bloß hypothetisches Vertragsverhältnis genügt
nicht8.

4.35 Anders als nach Art. 39 Abs. 2 EGBGB ist der Rückgriff des leistenden Dritten gegen den
Schuldner bei der freiwilligen Tilgung einer fremden Schuld ungeregelt geblieben. Im Hinblick

1 Dazu Ranieri, S. 1782 ff. – Als „benevolent intervention in another’s affairs“ geregelt in Art. V.-
1:101 ff. DCFR. Zum französischen Recht Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (62 ff.).
2 Zum Aufwendungsersatzanspruch nach österr. Recht s. IPG 2015-17 Nr. 5 (Konstanz), nach türki-
schem Recht s. IPG 2000/2001 Nr. 16 (Hamburg).
3 Jakob/Picht in Rauscher, Art. 11 Rom II-VO Rz. 7.
4 Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 43 f. (Stand 1.8.2018).– Vgl. G. Wagner, IPRax
2008, 1 (11).
5 Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (643 f.).
6 Brière, Clunet 135 (2008), 31 (50); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 5.
7 Späth, S. 276.
8 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. zust. Aufs. Looschelders, IPRax
2014, 406) (Erbensucher); Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 24 (Stand 1.8.2018).

294 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.38 § 4

auf die Tilgungswirkung der Leistung liegt eine Anknüpfung an die getilgte Schuld nahe1. Da
man hierfür wegen der fehlenden Parteiidentität Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO wohl nicht heran-
ziehen kann2, wird teilweise eine erweiternde Auslegung vorgeschlagen3. Andere denken an
die Ausweichklausel des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO4. Allerdings wird teilweise vorrangig auf
den Vornahmeort des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO abgestellt5.

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt


Kann das anzuwendende Recht nicht nach Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden und 4.36
haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses6 ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden
(Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO), s. Rz. 4.15.

4. Ort der Geschäftsführung


Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag ist bei der objektiven Anknüpfung im Übrigen nach 4.37
Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO grundsätzlich das Recht am Ort der Geschäftsvornahme (country
in which the act was performed; pays dans lequel la gestion d’affaires s’est produite) anzuwen-
den7. Hierbei wird man auf den Beginn der Geschäftsführung, d.h. den ersten Geschäftsfüh-
rungsort, abzustellen haben8. Bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort ist frag-
lich, ob ein „Haupterfolgsort“ ermittelt werden kann9. Die Hilfeleistung auf hoher See ist –
anders als noch nach dem Rom II-VO-Vorschlag – ungeregelt geblieben10.

5. Engere Verbindung
Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis 4.38
aus Geschäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen
als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen
Staates anzuwenden (Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO), s. Rz. 4.16. Dies wird für die Tilgung frem-
der Schulden angenommen11, s. Rz. 4.25.

1 Stürner in Erman, Art. 11 Rom II-VO Rz. 13.


2 Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 6.
3 Nehne, IPRax 2012, 136 (139); Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 31 (Stand 1.8.2018);
Stürner in Erman, Art. 11 Rom II-VO Rz. 13.
4 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12); Fischer, FS Spellenberg, S. 151 (165); Thorn in Palandt, Art. 11
Rom II-VO Rz. 6.
5 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. abl. Aufs. Looschelders, IPRax
2014, 406) (Erbensucher); Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 8, 27 („geschäftsführer-
freundlich“).
6 Für den Zeitpunkt der Geschäftsführung Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (65). Für den
Zeitpunkt der gemachten Aufwendungen G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11).
7 Für den Handlungsort Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (643).
8 Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 18; Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO
Rz. 39 (Ort des Erfolgs der Geschäftsführung) (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-
VO Rz. 8.
9 Vgl. Späth, S. 266 f. – Für den Erfolgsort Looschelders, IPRax 2014, 406 (410); Schinkels in Beck-
OGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 40 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 8.
10 Dazu Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 21 ff.; Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom
II-VO Rz. 42 (Stand 1.8.2018).
11 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12). – Vgl. auch Sonnentag, ZVglRW 105 (2006), 305.

Martiny | 295
§ 4 Rz. 4.39 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

IV. Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO)


1. Einordnung als außervertragliches Schuldverhältnis
4.39 Art. 12 Rom II-VO
Verschulden bei Vertragsverhandlungen
(1) Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags, unab-
hängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht, ist das Recht anzuwenden, das
auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre.
(2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden, so ist das anzuwendende
Recht
a) das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, unabhängig davon, in welchem Staat das
schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind, oder,
b) wenn die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, das Recht dieses Staates, oder,
c) wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass das außervertragliche Schuldverhältnis
aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags eine offensichtlich engere Verbindung mit einem
anderen als dem in den Buchstaben a oder b bezeichneten Staat aufweist, das Recht dieses anderen
Staates.
Es muss sich um ein außervertragliches Schuldverhältnis handeln1. Die Rom II-VO ordnet
das Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) als außervertragliches
Schuldverhältnis ein und enthält spezifische Anknüpfungsregeln. Die allgemeinen Vorschrif-
ten der Rom II-VO für die Ermittlung und den Geltungsbereich des anwendbaren Rechts
(Art. 15 Rom II-VO) kommen ebenfalls zur Anwendung. Diese Regelung erfolgte im An-
schluss an die Rechtsprechung des EuGH zur Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (nun-
mehr Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO). In der Sache „Tacconi“ ordnete der EuGH nämlich den
Abbruch von Vertragsverhandlungen deliktisch ein2. Dies entspricht der Tendenz vieler
Rechtsordnungen, solche Ansprüche in ihrem Sachrecht nicht als vertragsähnlich, sondern
deliktsrechtlich anzusehen3. Die in Deutschland zuvor vorherrschende Unterscheidung zwi-
schen den dem Vertragsstatut unterstellten transaktionsbezogenen Pflichten (insb. Informati-
ons- und Beratungspflichten) und deliktisch verstandenen Schutzpflichtverletzungen (Schutz-
und Obhutspflichten) hat sich in der VO nicht niedergeschlagen4. Zweifel an dieser Einord-
nung können aber letztlich zurückstehen, da die Rom II-VO für die Anknüpfung in weitem
Umfang wieder auf das Vertragsstatut Bezug nimmt5. Die Haftung des Gutachters gegenüber
Dritten ist nicht genannt, wird aber z.T. hier ebenfalls eingeordnet (s. Rz. 4.48).

1 Zum ausländischen Recht von Hein, GPR 2007, 54 ff.; Ranieri, S. 1345 ff.
2 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 (Tacconi), Slg. 2002, I-7357 = NJW 2002,
3159 = IPRax 2003, 143 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2003, 127) = EuZW 2002, 655.
3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (639); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12 f.); Ersoy, S. 76 ff. – Für
die internationale Zuständigkeit wurde Verbrauchervertragsakzessorität angenommen. Die Klage
eines Verbrauchers aus deliktischer zivilrechtlicher Haftung für die Verletzung vorvertraglicher
Beratungs- und Warnpflichten fiel für die Bestimmung des zuständigen Gerichts unter die Ver-
brauchersachen, wenn sie untrennbar mit einem zwischen dem Verbraucher und dem Gewer-
betreibenden tatsächlich geschlossenen Vertrag verbunden war (EuGH v. 2. 4. 2020 – C-500/18,
ECLI:EU:C:2020:264 (Reliantco Investment und Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala
Bucureşti), RIW 2020, 353 = IPRax 2021, 268 m. Aufs. Voß IPRax 2021, 236).
4 Näher von Hein, GPR 2007, 54 ff. m.w.N.
5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 530 („Pirouette“); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).

296 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.42 § 4

2. Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen


Das „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ ist als autonomer Begriff zu verstehen und 4.40
kann daher, wie bereits Erwägungsgrund 30 hervorhebt, nicht zwangsläufig im Sinne eines
nationalen Rechts ausgelegt werden1. Es geht um Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor
Abschluss. Ein vertragliches Schuldverhältnis kann man regelmäßig mit dem Zustandekom-
men des Vertrages annehmen. Vorausgesetzt werden Verhandlungen vor Vertragsabschluss.
„Verhandlungen“ („dealings“, „tractations“) ist als autonomer Begriff zu verstehen2. Würde
man an die Aufnahme von Verhandlungen keine strengen Maßstäbe stellen, so würde bereits
ein bloßer geschäftlicher Kontakt genügen. Art. 12 Rom II-VO soll aber nur für außervertrag-
liche Schuldverhältnisse gelten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verhandlungen
vor Abschluss eines Vertrags stehen (Erwägungsgrund 30).

Inhaltlich soll die Haftung nach Art. 12 Rom II-VO die Verletzung von Aufklärungs- und 4.41
Offenlegungspflichten sowie den Abbruch von Vertragsverhandlungen einschließen (Erwä-
gungsgrund 30). Der treuwidrige Abbruch von Vertragsverhandlungen ist daher erfasst3.
Auch der Verrat von während der Verhandlungen preisgegebenen Geheimnissen ist abge-
deckt4. Die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten ist nicht ausgeschlossen5; nach
anderen ist hier eine vertragliche Einordnung möglich6.

Die Vertragsverhandlungen müssen nicht unbedingt zwischen dem Anspruchsteller und dem 4.42
Anspruchsgegner stattgefunden haben. Auch Verhandlungen mit Dritten können genügen.
Vorausgesetzt wird jedoch, dass die Verhandlungen dem Anspruchsgegner zugerechnet wer-
den können. Ob dies letztlich der Fall war, muss dann das anwendbare Recht entscheiden. Für
die Eigenhaftung von Vertretern, Sachwaltern und anderen am Vertragsschluss beteiligten,
aber letztlich vertragsfremden Personen (vgl. § 311 Abs. 3 BGB) könnte man an eine akzesso-
rische Anknüpfung an den verhandelten Vertrag denken7. Wegen der Eigenständigkeit des in-
soweit bestehenden Schuldverhältnisses kommt eine Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 1
Rom II-VO wohl nicht in Betracht8; es wird jedoch für eine selbständige Anknüpfung nach
Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO (Schadenseintritt bzw. gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt) plä-
diert9. Eine auf die Ausweichklausel (Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO) gestützte Maßgeblichkeit
des Vertragsstatuts wird angenommen, wenn der Dritte aktiv an den Verhandlungen bzw. am
Vertragsschluss beteiligt war und ihm das insoweit anzuwendende Recht zugerechnet werden
kann10.

1 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 18 (Stand 1.8.2018). Näher Lüttringhaus, RIW
2008, 193 (195 ff.).
2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 530.
3 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 16.
4 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
5 Garcimartín, EuLF 2007, I-77 (I-89); von Hein, GPR 2007, 54 (59); Lüttringhaus, RIW 2008, 193
(195 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO
Rz. 12. – Anders Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
6 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
7 Krit. dazu Mansel, FS Schlosser, S. 545 (553).
8 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 53 f. (Stand 1.8.2018). – Vgl. Junker in Münch-
Komm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 19.
9 Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (198); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5.
10 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 55 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 12
Rom II-VO Rz. 5. Im Ergebnis ähnlich Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 28, 32.

Martiny | 297
§ 4 Rz. 4.43 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

4.43 Es geht um Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, unabhängig davon, ob der Vertrag
tatsächlich geschlossen wurde oder nicht. Dabei ist das Recht anzuwenden, das auf den Ver-
trag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre
(Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO).

4.44 Verstöße Privater gegen Antidiskriminierungsvorschriften können in recht unterschiedli-


chen Zusammenhängen und in verschiedener Weise erfolgen sowie eine Fülle unterschiedli-
cher Sanktionen nach sich ziehen1. Bei der vorvertraglichen Vertragsverweigerung kommt
eine Einordnung als culpa in contrahendo2, aber auch eine Unterstellung unter das Vertrags-
statut3 oder das Deliktstatut4 in Betracht. Bei der Diskriminierung im Rahmen eines bestehen-
den Vertragsverhältnisses bietet sich eine Zuordnung zum Vertragsstatut an. Betroffen sind
insb. Arbeitsverhältnisse5 sowie Dienstleistungs-, Verbraucher- und Versicherungsverträge.
Allerdings ist wegen des grundlegenden Charakters des Nichtdiskriminierungsgebots auch
eine Einordnung als Eingriffsnorm nicht ausgeschlossen6. Bezüglich ausländischen Sachrechts
sind ordre public-Verstöße möglich.

4.45 Der Schaden ist als autonomer Begriff zu verstehen, s. Rz. 4.1. Er bezieht sich auf sämtliche
Folgen eines Verschuldens einer culpa in contrahendo (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO)7. Erfasst
wird in erster Linie der Vermögensschaden. Nach dem Wortlaut sind Personenschäden nicht
ausgeschlossen. Doch sollen in den Fällen, in denen einer Person während der Vertragsver-
handlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Art. 4 Rom II-VO oder andere einschlägige
Bestimmungen dieser Verordnung zur Anwendung gelangen (Erwägungsgrund 30). Damit
wird eine Körperverletzung im Rahmen der Vertragsanbahnung (z.B. Ausrutschen im Kauf-
haus) nicht von Art. 12 Rom II-VO erfasst, sondern deliktisch eingeordnet8. Hier geht es um
das Integritätsinteresse und die Verletzung von Obhuts- und Verhaltenspflichten9.

3. Anknüpfung
a) Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts
4.46 Auch bei der culpa in contrahendo besteht eine mehrstufige Anknüpfungsleiter10. Anzuwen-
den ist in erster Linie das Recht, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewe-
sen wäre (Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO). Folglich kommt es grundsätzlich zu einer akzessori-
schen Anknüpfung11; das Vertragsstatut ist maßgeblich. Dieses ist regelmäßig nach den
Art. 3 ff. Rom I-VO zu ermitteln12.

1 Kocher, FS Martiny, S. 411 ff.; Lüttringhaus, S. 11 ff.


2 Dazu Kocher, FS Martiny, S. 411 (423 ff.).
3 Kocher, FS Martiny, S. 411 (423 ff.).
4 So bei mangelndem Transaktionsbezug Lüttringhaus, S. 115.
5 Dazu Lüttringhaus, S. 154 ff.
6 Kocher, FS Martiny, S. 411 (414 ff.); Lüttringhaus, S. 191 ff.
7 S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14); Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 92 (Stand
1.8.2018).
8 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (196 ff.); Kadner Graziano,
RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 18, 33.
9 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 2.
10 S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).
11 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64 f.); Späth, S. 248 (für Erbensuche).
12 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (198); Thorn in Palandt,
Art. 12 Rom II-VO Rz. 5.

298 | Martiny
C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.50 § 4

Es kommt nicht darauf an, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht (Art. 12 4.47
Abs. 1 Rom II-VO). Er braucht überhaupt nicht zustande gekommen und kann auch unwirk-
sam gewesen sein. Vor allem beim Abbruch von Vertragsverhandlungen ist das Statut des in-
tendierten Vertrages, d.h. ein hypothetisches Vertragsstatut, zu ermitteln1. Der Verhandlungs-
ort ist nicht entscheidend2. Problematisch ist es, eine hypothetische Rechtswahl für das inten-
dierte Vertragsverhältnis anzunehmen, wenn diese noch nicht erfolgt war. Insoweit kann nur
eine objektive Anknüpfung in Betracht kommen3. Sie wird vielfach zum Recht am Aufent-
haltsort der die charakteristische Leistung erbringenden Partei führen4.

Die Einordnung der Haftung des Gutachters gegenüber vertragsfremden Dritten ist um- 4.48
stritten5. Eine vertragsrechtliche Qualifikation könnte sie akzessorisch dem Vertragsverhältnis
zwischen Gutachter und Auftraggeber zuweisen6. Eine nichtvertragliche Qualifikation dürfte
sich vor allem deshalb durchsetzen, da die deutsche Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwir-
kungen für Dritte dem Ausland regelmäßig unbekannt ist7. In Betracht kommt eine delikti-
sche Einordnung der Haftung8. Vorgeschlagen wird auch, die Gutachterhaftung als der c.i.c.
nahe stehendes, außervertragliches, unmittelbares Schuldverhältnis zwischen Gutachter und
Drittem anzusehen. Maßgeblich soll das nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO bestimmte hypothe-
tische Vertragsverhältnis sein9. – Zur außervertraglichen Haftung für eine Legal Opinion s.
Rz. 10.33 ff.

b) Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO


Wenn das anzuwendende Recht nicht nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden kann, 4.49
so ist es nach anderen Kriterien zu ermitteln (Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO). Daraus folgt, dass
die Bestimmung nach Abs. 1 Vorrang haben soll. Gemeint sind offenbar Fälle, in denen kein
Vertragsstatut ermittelt werden kann10; freilich ist noch ungeklärt, welche Fälle im Einzelnen
erfasst werden sollen11. Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO nennt drei Anknüpfungsregeln; das Verhält-
nis der Unterabsätze zueinander ergibt sich aus der Vorschrift12.

In erster Linie ist das anzuwendende Recht die Rechtsordnung des Staates, in dem die Parteien 4.50
zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom II-VO), s. Rz. 4.15. Der Eintritt des

1 Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (640); Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
2 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
3 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733).
4 Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5.
5 Nachw. bei Martiny, FS Magnus, S. 483 (492 f.). S. auch Ebke, Das Internationale Privatrecht der
Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers nach der Rom I-VO und der Rom II-VO, ZvglRW 109
(2010), 397.
6 Dem Vertragsstatut wird entnommen, ob Dritte als Leistungsempfänger einbezogen sind, s. Leible
in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 15.
7 Schinkels, JZ 2008, 274 ff.
8 Näher Dutta, IPRax 2009, 297 ff. – Für den sog. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wurde
schon früher weitgehend eine deliktische Qualifikation vorgeschlagen; s. von Bar/Mankowski, I § 4
Rz. 557.
9 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 57 (Stand 1.8.2018).
10 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). – Krit. dazu Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO
Rz. 30.
11 Näher Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 29 ff.
12 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).

Martiny | 299
§ 4 Rz. 4.50 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

schadensbegründenden Ereignisses (the event giving rise to the damage; le fait générateur du
dommage) ist als autonomer Begriff zu verstehen. Auch der gewöhnliche Aufenthalt ist auto-
nom auszulegen (s. Art. 23 Rom II-VO, der Art. 19 Rom I-VO entspricht).

4.51 In zweiter Linie ist das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, maßgeblich
(Art. 12 Abs. 2 lit. a Rom II-VO). Dies ist nach dem Wortlaut unabhängig davon, in welchem
Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.
„Schaden“ ist als autonomer Begriff zu verstehen (s. Rz. 4.1). Gemeint ist der Erfolgsort1.

4.52 Ferner besteht eine Ausweichklausel. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das
außervertragliche Schuldverhältnis eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen
als dem in den Buchstaben a oder b bezeichneten Staat aufweist, so gilt das Recht dieses ande-
ren Staates (Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Die Verbindung muss offensichtlich enger sein,
vgl. Rz. 4.16. Es kommt auf die Gesamtheit der Umstände an, die eine offensichtlich engere
Verbindung zu dem Staat aufweisen2. Die Ausweichklausel des Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO
bezieht sich nicht auf die vertragsakzessorische Anknüpfung nach Abs. 1.

D. Reichweite des für außervertragliche Schuldverhältnisse maßgeblichen


Rechts

I. Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts


4.53 Ebenso wie Art. 12 Rom I-VO umschreibt Art. 15 Rom II-VO die sachliche Reichweite des
nach Art. 4 bis 14 Rom II-VO zur Anwendung kommenden Rechts (vgl. Rz. 3.116 f.). Die
Vorschrift erfasst alle außervertraglichen Schuldverhältnisse. Angesichts der unterschiedlichen
Qualifikation einzelner Rechtsfragen (etwa der Verjährung) in den Mitgliedstaaten soll die
(nicht abschließende) Auflistung in Art. 15 lit. a-h Rom II-VO eine einheitliche Anwendung
der Vorschriften gewährleisten.

4.54 Der Geltungsbereich des Schuldstatuts ist umfassend3. Zu ihm gehören sowohl die anspruchs-
begründenden (Art. 15 lit. a Rom II-VO) als auch die anspruchsausschließenden und -be-
schränkenden Voraussetzungen (Art. 15 lit. b Rom II-VO), die Rechtsfolgen des außervertrag-
lichen Schuldverhältnisses, insb. Gegenstand, Umfang und Art der geschuldeten Leistung
(Art. 15 lit. c Rom II-VO) einschließlich der gerichtlichen Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung
(Art. 15 lit. d Rom II-VO), die Übertragbarkeit des Anspruchs (etwa im Wege der Erbfolge
oder Abtretung) (Art. 15 lit. e Rom II-VO), die Person des Anspruchsberechtigten und des
Anspruchsgegners (Art. 15 lit. f Rom II-VO), die Haftung für andere (Art. 15 lit. g Rom II-
VO) sowie das Erlöschen des Anspruchs, einschließlich der Verjährung und Verfristung
(Art. 15 lit. h Rom II-VO). Soweit in Art. 15 Rom II-VO von Schaden die Rede ist, bezieht
sich dieser Begriff auch hier auf alle außervertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 2 Abs. 1
Rom II-VO).

1 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).


2 Dazu Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64).
3 Näher Junker in MünchKomm, Art. 15 Rom II-VO Rz. 4 ff.

300 | Martiny
E. Gesetzlicher Forderungsübergang und mehrfache Haftung | Rz. 4.58 § 4

II. Form
Art. 21 Rom II-VO über die Form einseitiger Rechtsgeschäfte entspricht Art. 11 Abs. 3 4.55
Rom I-VO (vgl. Rz. 5.252 ff.). Für einseitige Rechtshandlungen1, die ein außervertragliches
Schuldverhältnis betreffen (z.B. begründen oder beenden), gilt das nach den Art. 4 bis 14
Rom II-VO anwendbare Recht (lex causae) oder das Recht des Vornahmeortes (lex loci actus).
Diese alternative Anknüpfung soll die Formgültigkeit begünstigen2. Freilich ist die praktische
Bedeutung von Art. 21 Rom II-VO gering.

III. Beweis
Die Regelung über den Beweis in Art. 22 Rom II-VO ist Art. 18 Rom I-VO nachgebildet (vgl. 4.56
Rz. 3.176 ff.). Gesetzliche Beweisvermutungen und die Verteilung der Beweislast richten sich
grundsätzlich nach dem gem. Art. 4 bis 14 Rom II-VO ermittelten Recht (Art. 22 Abs. 1
Rom II-VO). Mit dieser materiell-rechtlichen Qualifikation ergänzt Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO
die allgemeine Bestimmung des Art. 15 Rom II-VO. Art. 22 Abs. 2 Rom II-VO betrifft nur die
zum Beweis von Rechtshandlungen – nicht von Tatsachen – zulässigen Beweisarten, d.h. Be-
weismittel3. Der Vorbehalt zugunsten der lex fori begrenzt die alternative Anknüpfung.

IV. Eingriffsnormen
Die Bestimmung des Art. 16 Rom II-VO entspricht Art. 9 Abs. 1 und 2 Rom I-VO. Die Vor- 4.57
schrift betrifft nur Eingriffsnormen (overriding mandatory provisions; dispositions impérati-
ves dérogatoires) der lex fori. „Zwingend“ i.S.d. Art. 16 Rom II-VO sind im Anschluss an die
EuGH-Rechtsprechung4 „nationale Vorschriften [...], deren Einhaltung als so entscheidend für
die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden
Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen
Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis
vorgeschrieben ist“5, s. Rz. 5.1 ff. Die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen ist – anders
noch als im Entwurf der Rom II-VO – ungeregelt geblieben6. Wie diese Lücke zu füllen ist, ist
noch ungeklärt7. Der ordre public ist in Art. 26 Rom II-VO gesondert geregelt8.

E. Gesetzlicher Forderungsübergang und mehrfache Haftung

Befriedigt eine Person die Forderung des Gläubigers, ohne hierzu verpflichtet zu sein, handelt 4.58
es sich um einen Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag, und für Aufwendungsersatzansprü-
che greift Art. 11 Rom II-VO ein (Rz. 4.33 ff.). Besteht für den Dritten hingegen eine Ver-

1 Weiter zu verstehen als „Rechtsgeschäft“, Gebauer in BeckOGK, Art. 21 Rom II-VO Rz. 3 (Stand
1.2.2021).
2 Junker in MünchKomm, Art. 21 Rom II-VO Rz. 1.
3 Junker in MünchKomm, Art. 22 Rom II-VO Rz. 12.
4 Rz. 30 des Urteils EuGH v. 23.11.1999 – verb. C-369/96 und 376/96, ECLI:EU:C:1999:575 (Arbla-
de und Leloup), Slg. 1999, I-8453 = NJW 2000, 1553. – Näher Junker in MünchKomm, Art. 16
Rom II-VO Rz. 10 ff.
5 Dazu Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (71 f.).
6 S. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (644); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (15).
7 Näher Junker in MünchKomm, Art. 16 Rom II-VO Rz. 23 ff.
8 Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (16).

Martiny | 301
§ 4 Rz. 4.58 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

pflichtung, den Gläubiger zu befriedigen, gilt für seine Berechtigung zum Rückgriff gegen den
Schuldner der Art. 19 Rom II-VO über den gesetzlichen Forderungsübergang („subrogation“).
Der wichtigste Anwendungsfall des Art. 19 Abs. 1 Rom II-VO ist der Rückgriff des Versiche-
rers gegen den Ersatzpflichtigen (vgl. § 86 VVG, § 116 SGB X)1. Das Statut des Versicherungs-
vertrags (Zessionsgrundstatut) bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Forderung des
Geschädigten gegen den Ersatzpflichtigen auf den Versicherer übergeht2. Der Inhalt der For-
derung, ihre Übertragbarkeit und Schuldnerschutzvorschriften richten sich nach dem gem.
Art. 4 bis 14 Rom II-VO ermittelten Recht (Forderungsstatut). Eine gleich lautende Parallel-
vorschrift findet sich in Art. 15 Rom I-VO3, s. Rz. 3.295 ff.

4.59 Art. 20 Rom II-VO enthält eine besondere Regelung für den Ausgleich zwischen gleichrangig
Verpflichteten (multiple liability; responsabilité multiple), etwa Mittätern einer unerlaubten
Handlung. Art. 20 Rom II-VO entspricht Art. 16 S. 1 Rom I-VO4, vgl. Rz. 3.308.

1 S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (15 f.); Hübner in BeckOGK, Art. 19 Rom I-VO Rz. 4 (Stand
1.2.2021). Zu anderen Fällen Junker in MünchKomm, Art. 19 Rom II-VO Rz. 4 f.
2 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (71); Thiede in Soergel, Art. 19 Rom II-VO Rz. 11.
3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (638).
4 Früher Art. 13 EVÜ (Art. 33 Abs. 3 EGBGB). Vgl. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (638); G. Wagner,
IPRax 2008, 1 (16).

302 | Martiny
§5
Eingriffsnormen (international zwingende Bestimmungen),
Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften,
Formvorschriften

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 d) Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO 5.29


I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 e) Art. 23 Rom I-VO . . . . . . . . 5.30
II. Entstehungsgeschichte des Art. 9 f) Verhältnis zur Rom II-VO,
Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 insb. Art. 16 Rom II-VO . . . 5.34
III. Überblick über den Regelungsgehalt III. Rechtsfolgen des Art. 9 Rom I-VO . 5.35
des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . 5.11 IV. Sperrwirkung des Art. 9 Rom I-VO
IV. Beschränkung der Bindungswirkung und materiell-rechtliche Berücksich-
des Art. 9 Rom I-VO auf staatliche tigung von Eingriffsnormen . . . . . . 5.36
Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.13 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.36
B. Allgemeine Fragen der Anwendung 2. Materiell-rechtliche Berücksichti-
des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . 5.14 gung der Eingriffsnormen . . . . . 5.37
a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 5.37
I. Grundsatz der restriktiven Aus-
b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . 5.39
legung und Anwendung des Art. 9
Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.14 V. Vorgaben des Primärrechts für die
Anwendung des Art. 9 Rom I-VO . 5.40
II. Anwendungsbereich des Art. 9
1. Primärrechtliche Grenzen der An-
Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15
wendung von Eingriffsnormen . 5.40
1. Definition der „Eingriffsnorm“
2. Unionsrechtliche Pflicht zur
gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO . . . 5.15
Durchsetzung von Eingriffsnor-
a) Regelungsprogramm des
men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.41
Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . 5.15
a) Verpflichtung zur Durchset-
b) Internationaler Geltungs-
zung unionsrechtlicher Ein-
anspruch . . . . . . . . . . . . . . . 5.16
griffsnormen . . . . . . . . . . . . 5.41
c) Schutz qualifizierter öffent-
b) Keine Verpflichtung zur An-
licher Interessen . . . . . . . . . . 5.17
wendung der Eingriffsnor-
d) Einwirkung auf vertragliche
men anderer EU-Mitglied-
Schuldverhältnisse . . . . . . . . 5.18
staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.44
2. Zwingende Privatrechtsvorschrif-
3. Insbesondere: Eingriffsnormen
ten als Eingriffsnormen . . . . . . . 5.19
und Unionsprivatrecht . . . . . . . . 5.45
a) Ausnahmsweise Berücksichti-
a) Einführung . . . . . . . . . . . . . 5.45
gung zwingenden Sonderpri-
b) Verpflichtung zur Anwen-
vatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 5.19
dung von Vorschriften des
b) Vorrang kollisionsrechtlicher
Unionsprivatrechts nach den
Sondervorschriften . . . . . . . 5.21
Grundsätzen der „Ingmar-
c) Kriterien für die Berücksich-
Entscheidung“ des EuGH . . 5.47
tigung privatrechtlicher Ein-
c) Mindestharmonisierung und
griffsnormen . . . . . . . . . . . . 5.22
internationale Durchsetzung
3. Geltung des Art. 9 Rom I-VO
strengeren nationalen Rechts 5.51
auch für Eingriffsnormen des Ver-
d) Keine Durchsetzung der lex
tragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.23
fori bei richtlinienwidriger
4. Abgrenzungsfragen und Konkur- lex causae . . . . . . . . . . . . . . . 5.52
renzen im Übrigen . . . . . . . . . . . 5.25
VI. Art. 9 Rom I-VO und Völkerrecht . 5.53
a) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO . . 5.25
b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO . . . 5.26 VII. Eingriffsnormen und Verfahrens-
c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO . . . 5.28 recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.54

Zwickel/Thode/Stelmasczcyk | 303
§ 5 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

1. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . 5.54 12. Schutz des schwächeren Vertrags-


2. Bedeutung für die Wirksamkeit teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.98
von Gerichtsstandsvereinbarun- a) Arbeitsverträge . . . . . . . . . . 5.98
gen und Schiedsabreden . . . . . . 5.56 b) Verbraucherverträge . . . . . . 5.106
3. Inländische Eingriffsnormen und aa) Allgemeines . . . . . . . . . 5.106
Anerkennung von Gerichtsurtei- bb) Gewinnzusagen gem.
len und Schiedssprüchen . . . . . . 5.58 § 661a BGB . . . . . . . . . 5.107
cc) Fernunterricht . . . . . . . 5.108
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9
dd) Pauschalreisen . . . . . . . 5.109
Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . 5.59
13. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.110
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.59
14. Transport- und Beförderungsver-
1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.59
träge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.111
2. Anwendungsvoraussetzungen . . 5.60
15. Urhebervertragsrecht . . . . . . . . . 5.113
a) Allgemeine Voraussetzungen 5.60
16. Versicherungsverträge . . . . . . . . 5.114
b) Erfordernis hinreichenden
Inlandsbezugs . . . . . . . . . . . 5.61 17. Währungs- und Devisenrecht . . 5.115
3. Rechtsfolgen der Anwendung von 18. Wettbewerbs- und Kartellrecht . 5.121
Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . 5.62 D. Forumsfremde Eingriffsnormen,
II. Einzelne Eingriffsnormen des deut- Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . . 5.124
schen Rechts (A–Z) . . . . . . . . . . . . . 5.63 I. Regelungskonzept und Vorausset-
1. Allgemeines Vertragsrecht . . . . . 5.63 zungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 5.124
2. Außenhandel, Embargomaßnah- 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.124
men, Finanzsanktionen . . . . . . . 5.64 a) Regelungskonzept . . . . . . . . 5.124
3. Bank- und Kapitalmarktrecht, b) Rechtspolitische Einordnung
Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . 5.66 und Perspektiven des Art. 9
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 5.66 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . 5.126
b) Überweisungsvertrag . . . . . 5.67 2. Anwendungsvoraussetzungen . . 5.127
c) Wertpapier-, Depot- und a) Allgemeine Voraussetzungen 5.127
Börsengeschäfte . . . . . . . . . 5.69 b) Keine Beschränkung auf Ver-
d) Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . 5.74 botsnormen . . . . . . . . . . . . 5.128
4. Corona: Bestimmungen zur Be- c) Eingriffsnormen des „Erfül-
wältigung der COVID-19-Pande- lungsortes“ . . . . . . . . . . . . . 5.131
mie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.75 d) Kompatibilität der auslän-
5. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 5.77 dischen Wertung mit inländi-
schen policy-Erwägungen . 5.137
6. Diskriminierungsschutz . . . . . . . 5.78
3. Rechtsfolgen der Anwendung des
7. Erwerbs- und Berufstätigkeit . . . 5.79
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . 5.140
a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . 5.79
b) Rechtsanwälte und Steuerbe- 4. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3
rater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.80 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.143
c) Architekten und Ingenieure 5.86 II. In der Regel mit inländischen Wer-
d) Bauträger . . . . . . . . . . . . . . . 5.87 tungen verträgliche ausländische
e) Öffentliches Preisrecht für Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . 5.144
Arzneimittel . . . . . . . . . . . . 5.89 1. Bodenverkehrsvorschriften . . . . 5.144
8. Grundstücksbezogene Vorschrif- 2. Erwerbs- und Berufstätigkeit . . . 5.145
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.90 3. Regelungen des Bank- und Kapi-
a) Regelungen des Grundstücks- talmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . 5.146
verkehrs, Verwertungs- 4. Kartellrechtliche Vorschriften . . 5.147
regelungen . . . . . . . . . . . . . . 5.90 5. Außenhandelsrecht . . . . . . . . . . 5.148
b) Soziales Mietrecht . . . . . . . . 5.92 6. Schutz ausländischer Kulturgüter 5.151
9. Handelsvertreterverträge . . . . . . 5.93 7. Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . 5.153
10. Kulturgüterschutz . . . . . . . . . . . . 5.94 III. Mit inländischen Wertungen unver-
11. Medienrecht, Mobilfunk . . . . . . 5.96 trägliche ausländische Eingriffsnor-
men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.154

304 | Zwickel/Thode/Stelmasczcyk
Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften | § 5

E. Checkliste zur Prüfung von Ein- 2. Voraussetzungen des Art. VIII


griffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.155 Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkom-
F. Berücksichtigung ausländischer De- men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.199
visenvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 5.156 3. Rechtsfolge des Art. VIII
I. Das deutsche Internationale Devi- Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen . 5.200
senrecht: ein Überblick . . . . . . . . . . 5.156 4. Autonomes internationales Devi-
II. Das IWF-Abkommen . . . . . . . . . . . . 5.158 senrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.201
1. Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . 5.158 G. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 5.202
2. Rechtsentwicklung in den Mit- I. Form des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . 5.202
gliedstaaten des IWF . . . . . . . . . 5.160 1. Formerfordernisse i.S.d. Art. 11
III. Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.203
(b) S. 1 IWF-Abkommen in der Bun- 2. Beurkundung als Formerforder-
desrepublik Deutschland . . . . . . . . . 5.161 nis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.206
1. Devisenkontrakt (exchange con- 3. Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.213
tract) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.161 II. Verpflichtungsverträge . . . . . . . . . . 5.219
a) Begriffsbestimmung in der 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.219
Rechtsprechung . . . . . . . . . . 5.161 2. Form des Schuldstatuts . . . . . . . 5.221
b) Kreis der erfassten Geschäfte 5.165 a) Bestimmung durch Rechts-
c) Abkommenskonforme Be- wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.221
griffsbestimmung . . . . . . . . 5.171 b) Teilrechtswahl . . . . . . . . . . . 5.225
2. Berührung der Währung eines c) Nichtigkeit als Folge der
Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . 5.172 Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 5.234
3. Devisenkontrollbestimmungen . 5.176 3. Form des Ortes (lex loci actus) . 5.239
4. Abkommenskonformität . . . . . . 5.180 a) Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO . . 5.239
5. Verstoß gegen abkommenskonfor- b) Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO
me Devisenkontrollbestimmun- (Distanzverträge) . . . . . . . . 5.244
gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.181 c) Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO
6. Unklagbarkeit (unenforceability) 5.182 (einseitige Rechtsgeschäfte) 5.252
a) Problemübersicht . . . . . . . . 5.182 d) Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO
b) Bisherige Rechtsprechung: (Verbraucherverträge) . . . . . 5.255
Einordnung als Sachurteils- e) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO
voraussetzung . . . . . . . . . . . 5.184 („Sofern-Klausel“) . . . . . . . . 5.256
IV. Reformvorschlag: Einordnung als 4. Heilung formnichtiger Verträge . 5.260
unvollkommene Verbindlichkeit . . . 5.189 III. Verfügungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . 5.270
1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.189 1. Anwendung von Art. 11 EGBGB 5.270
2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Un- 2. Verfügungsgeschäfte über in
klagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.190 Deutschland belegene Grundstü-
3. Berücksichtigung im Prozess . . . 5.191 cke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.278
4. Darlegungs- und Beweislast . . . . 5.192 3. Abtretung von GmbH-Geschäfts-
5. Verjährungshemmung im Pro- anteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.279
zess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.193 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 5.279
6. Akzessorische Sicherungsrechte . 5.194 b) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 5.284
c) Entwicklungen . . . . . . . . . . 5.288
V. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . 5.195
d) Konsequenzen für die Praxis 5.289
1. Anwendungsvoraussetzungen . . 5.195
4. Beteiligungen an ausländischen
2. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.196 Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 5.294
VI. Zusammenfassung mit Handlungs- IV. Beweiskraft der Vertragsurkunde . . 5.299
anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.198
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.299
1. Anwendbares internationales De-
2. Regeln des Urkundenrechts . . . . 5.301
visenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.198
3. Echtheit der Urkunde . . . . . . . . . 5.303
4. Protokollurkund . . . . . . . . . . . . . 5.310

Zwickel/Thode/Stelmasczcyk | 305
§ 5 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

a) Wahrheitsvermutung (§ 415 b) Statusrelevante Maßnahmen


ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.310 im Gesellschaftsrecht . . . . . 5.373
b) Urkundlich bezeugter Vor- c) Abtretung von GmbH-Ge-
gang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.319 schäftsanteilen . . . . . . . . . . 5.374
5. Vermerkurkunden . . . . . . . . . . . 5.323 aa) Ausgangspunkt . . . . . . 5.374
a) Erscheinungsformen . . . . . . 5.323 bb) Obiter dicta des BGH im
b) Beglaubigungsvermerk . . . . 5.325 Beschluss v. 13.2.2020 . 5.378
c) „Öffentlich beglaubigte cc) Frühere Rechtsprechung
Form“ (§ 129 BGB) . . . . . . . 5.327 des BGH . . . . . . . . . . . . 5.380
d) „Einbringung der Urkunde“ dd) Änderung der gesetzli-
in das inländische Verfahren 5.336 chen Rahmenbedingun-
e) Notarielle Prüfpflicht und gen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.382
Einreichungszuständigkeit ee) Beschluss des BGH vom
(§ 378 Abs. 3 FamFG, § 15 17.12.2013 . . . . . . . . . . 5.384
Abs. 3 GBO) . . . . . . . . . . . . 5.340 ff) Historische Formzwecke
f) Online-Handelsregister- des § 15 Abs. 3 GmbHG 5.387
anmeldungen nach dem Di- gg) Normativ-dynamische
RUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.344 Auslegung im Lichte ak-
V. Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.347 tueller Entwicklungen . 5.388
1. Methode der Substitution . . . . . 5.347 hh) Konsequenzen für die
a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 5.347 Praxis . . . . . . . . . . . . . . 5.403
b) Zweistufige Prüfung . . . . . . 5.350 3. Nachweis des Vertrags im Rechts-
c) Präzisierung des Prüfungs- verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.404
maßstabs der Substituierbar- 4. Verwendung der Urkunde im in-
keit (1. Stufe) . . . . . . . . . . . . 5.353 ländischen Verfahren . . . . . . . . . 5.412
d) Präzisierung des Prüfungs- 5. Nachweiserleichterung durch Be-
maßstabs der Gleichwertig- scheinigungen . . . . . . . . . . . . . . 5.417
keit (2. Stufe) . . . . . . . . . . . . 5.356 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . 5.417
aa) Allgemein . . . . . . . . . . . 5.356 b) Erweiterung des § 21 BNotO 5.420
bb) Status der Urkundsper- c) Rechtliche Würdigung der
son . . . . . . . . . . . . . . . . 5.358 Vertretungsmacht durch den
cc) Verfahren der Mitwir- ausstellenden Notar . . . . . . 5.422
kung des Notars . . . . . . 5.359 d) Bescheinigungen auslän-
2. Auslegung von Formerforder- discher Notare . . . . . . . . . . 5.425
nissen des materiellen Rechts . . 5.362 VI. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.429
a) Verfügungsgeschäfte über in
Deutschland belegene Grund-
stücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.362

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306 | Zwickel/Thode/Stelmasczcyk und Zwickel


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Mankowski, Der Vorschlag für die Rom I-Verordnung, IPRax 2006, 101; Mankowski, Verbraucherkre-
ditverträge und europäisches IPR: Internationale Zuständigkeit und Eingriffsrecht, ZEuP 2008, 845;
Mankowski, Die Rom I-Verordnung – Änderungen im europäischen IPR für Schuldverträge, IHR
2008, 133; Mankowski, Die Rom I-Verordnung, EuZ 2009, 2; Mankowski, Politik und missliebige dritt-
staatliche Eingriffsnormen, RIW 2019, 180; Mankowski, Rom I-VO und Schiedsverfahren, RIW 2011,
30; Mankowski, Schiedsgerichte und die Verordnungen des europäischen Internationalen Privat- und
Verfahrensrechts, FS von Hoffmann (2011), S. 1012; Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisions-
recht 2008: Fundamente der Europäischen IPR-Kodifikation, IPRax 2009, 1; Max Planck-Institut für
ausländisches und internationales Privatrecht, Comments on the European Commission´s Green Pa-
per on the conversion of the Rome Convention of 1980 on the law applicable to contractual obliga-
tions into a Community instrument and its modernisation, RabelsZ 68 (2004), 1; Max Planck-Institut
für ausländisches und internationales Privatrecht, Comments on the European Commission´s Pro-
posal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractu-
al obligations (Rome I), RabelsZ 71 (2007), 225; Maultzsch, Forumsfremde Eingriffsnormen im
Schuldvertragsrecht zwischen Macht- und Wertedenken, FS Kronke (2020), S. 363; Maultzsch, Grie-
chische Spargesetze und Internationales Privatrecht der Rom I-Verordnung, EuZA 2017, 241;
Maultzsch, Rechtswahl und ius cogens im Internationalen Schuldvertragsrecht, RabelsZ 75 (2011), 60;
Melcher in Gössl (Hrsg.), Politik und Internationales Privatrecht (2017), S. 129 (140 ff.); Pfeiffer, Neues

Zwickel | 307
§ 5 Rz. 5.1 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Internationales Vertragsrecht – Zur Rom I-Verordnung, EuZW 2008, 622; Prieß/Schaper, Erfüllung
oder Nichterfüllung – Zur Durchsetzbarkeit vertraglicher Ansprüche bei entgegenstehendem auslän-
dischem Embargo, in Ehlers/Wolffgang (Hrsg.), Recht der Exportkontrolle (2015), (2015), S. 267; Re-
mien, Drittstaatliche Handelsvertreter und die Richtlinie 86/653 in den Fängen der nationalen selbst-
beschränkten Sachnorm und der Eingriffsnormenregelung des Art. 9 Rom I-VO – Bemerkungen zu
EuGH Rs. C-507/15 – AGRO, FS Kronke (2020), S. 459; Renner, Ordre public und Eingriffsnormen:
Konvergenzen und Divergenzen zwischen IPR und IZVR, in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im In-
ternationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016), S. 359; W.-H. Roth, Öffent-
liche Interessen im internationalen Privatrechtsverkehr, AcP 220 (2020), 458; Rühl, Die Wirksamkeit
von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH,
IPRax 2007, 294; Schacherreiter, Der missglückte Legal Transplant des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO – Eine
Kritik an der Regelung fremder Eingriffsnormen im europäischen internationalen Vertragsrecht,
ZEuP 2015, 497;Schnyder, Keine Berührungsangst des Schweizerischen Bundesgerichts im Umfang
mit Eingriffsnormen, FS Siehr (2010), S. 87; Siehr, Deutsche Arbeitsverträge mit der Republik Grie-
chenland und Gehaltskürzungen nach griechischem Recht, RdA 2014, 206; Thon, Forumfremde Ein-
griffsnormen und Außenpolitik im IPR, IPRax 2019, 301; Thon, Transnationaler Datenschutz: Das
Internationale Datenprivatrecht der DS-GVO, RabelsZ 84 (2020), 24; Thorn/Grenz, The Effect of over-
riding mandatory rules on the arbitration agreement, in Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflict of Laws in In-
ternational Arbitration (2010), S. 187; Weller/Thomale/Zwirlein, Brexit: Statutenwechsel und Acquis
communautaire, ZEUP 2018, 892; Wilderspin, The Rome I Regulation: Communitarisation and mo-
dernisation of the Rome Convention, ERA Forum 2008, 259.

A. Einführung

I. Grundlagen
5.1 Art. 9 Rom I-VO regelt die Berücksichtigung zwingender Normen, die unabhängig vom Ver-
tragsstatut Anwendung finden. Auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite bestehen hinsichtlich
der kollisionsrechtlichen Behandlung solcher „international zwingender Bestimmungen“
oder „Eingriffsnormen“ (im Folgenden ist mit Art. 9 Rom I-VO nur von „Eingriffsnormen“
zu sprechen) erhebliche Unklarheiten.
Eingriffsnormen sind vom sog. einfach zwingenden Recht i.S.d. sachrechtlichen ius cogens
zu unterscheiden. Dieses ist ausschließlich dem Vertragsstatut zu entnehmen und kann von
den Parteien abgewählt werden. Solche unabdingbaren Vorschriften dienen primär dem pri-
vaten Interessenausgleich und setzen der Privatautonomie Schranken.
Demgegenüber sind Eingriffsnormen nur solche Vorschriften, die vom Erlassstaat aus all-
gemeinen wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen politischen Erwägungen für so bedeutsam
gehalten werden, dass er sie auch im konkreten Vertragsverhältnis durchsetzen will und dies
gerade unabhängig von und ggf. entgegen dem auf den Vertrag anwendbaren Recht (vgl. auch
die Legaldefinition der Eingriffsnormen in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, dazu Rz. 5.15 ff.).

5.2 Naturgemäß fiel es den Gerichten im In- und Ausland seit jeher leicht, Eingriffsnormen des
eigenen Rechts gegen das Vertragsstatut zur Anwendung zu bringen und so inländischen Ge-
rechtigkeitsvorstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Es versteht sich von selbst, dass die
Staaten ihre eigenen fundamentalen öffentlichen Interessen unabhängig von der Frage des auf
die privatrechtlichen Beziehungen der Parteien anwendbaren Rechts schützen wollen und
dass eine gänzliche Loslösung der Parteien von grundlegenden staatlichen Wertungen allein
aufgrund Rechtswahl Gerechtigkeitsdefizite verursachen kann.

308 | Zwickel
A. Einführung | Rz. 5.4 § 5

Demgegenüber stieß die Berücksichtigung ausländischer bzw. forumsfremder Eingriffsnor- 5.3


men (auch solcher des Vertragsstatuts, dazu Rz. 5.23 ff.) schon immer auf Bedenken; die Zahl
der Gerichtsentscheidungen, die ausländischen Eingriffsnormen im Inland echte Rechtswir-
kungen zugesprochen haben, ist dementsprechend gering. Für das deutsche Recht sind na-
mentlich die Entscheidungen des BGH in Sachen „Borax“1, „Borsäure“2 und „nigerianische
Masken“3 zu nennen, vergleichbare Entscheidungen der Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten
sind rar4. Die deutsche Rechtsprechung begründet ihre bisherige grundsätzliche Weigerung,
ausländische Eingriffsnormen als Recht anzuwenden, traditionell mit dem Territorialitäts-
prinzip, wonach kein Staat ausländisches öffentliches Recht anwenden müsse5. Diese Sicht-
weise, die an der Qualifikation von Eingriffsnormen als Vorschriften des öffentlichen Rechts
ansetzt, greift freilich zu kurz, da es allein um die Anerkennung der zivilrechtlichen Wirkun-
gen ausländischer Normen geht, die etwa im deutschen Recht über den Hebel der General-
klausel des § 134 BGB herbeigeführt werden können. Diese privatrechtlichen Wirkungen der
Eingriffsnormen aber, die sich aus einem kombinierten zivil- und öffentlich-rechtlichen Ge-
samttatbestand ergeben, sind nach herkömmlichen Ansätzen zur Abgrenzung von privatem
und öffentlichem Recht dem Zivilrecht im weiteren Sinne zuzurechnen6. Entscheidend ist,
dass ausländische Eingriffsnormen rechtspolitische Interessen ihres Erlassstaates transportie-
ren, die mit den inländischen nicht zwingend übereinstimmen und diesen auch widerspre-
chen können7. Das zeigt besonders plastisch der Fall der früheren einseitigen Handelsembar-
gen der USA gegenüber Libyen, dem Iran und Kuba, die extraterritoriale Wirkung auch für
nicht-amerikanische (und damit auch für europäische) Unternehmen zeitigen sollten und die
die EU mit der gegenläufigen VO 2271/968 konterte, mit der sie die Befolgung der US-Embar-
gos ihrerseits untersagte (Nachw. Rz. 5.149).

Vor dem Hintergrund der kollisionsrechtlichen Dispositivität des einfachen ius cogens und 5.4
der unabdingbaren Natur von Eingriffsnormen und der unterschiedlichen Behandlung beider
Normgruppen bedarf es naturgemäß der in Erwägungsgrund 37 zur Rom I-VO angesproche-
nen Abgrenzung zwischen einfach und international zwingenden Vorschriften. Diese ist
schon deswegen nicht einfach, weil staatliches Recht stets öffentliche Interessen verfolgt. Be-
sondere Schwierigkeiten ergeben sich spätestens seit dem Inkrafttreten der Rom I-VO ferner
daraus, dass die Rom I-VO ein möglichst einheitliches, unionsrechtliches Anknüpfungssystem
schaffen will. Dieses aber wird in Frage gestellt, soweit über Art. 9 Rom I-VO und entgegen
der lex causae nationale Standards durchgesetzt werden. Jede Derogation vom europäisch be-

1 BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822.
2 BGH v. 24.5.1962 – II ZR 199/60 (Borsäure), NJW 1962, 1436 (1437) = MDR 1962, 719 Anm.
Sieg.
3 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575
(Anm. Mann, NJW 1972, 2179).
4 Vgl. die Nachw. bei Kunda, Internationally Mandatory Rules of a third country in the European
contract conflict of laws (2007), S. 64 ff.
5 Etwa BGH v. 11.2.1953 – II ZR 51/52, BGHZ 9, 34; BGH v. 22.11.1953 – V ZR 86/52, BGHZ 12,
79; BGH v. 17.12.1959 – VII ZR 198/58, BGHZ 31, 367 (371); BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73,
BGHZ 64, 183; BGH v. 4.6.2002 – XI ZR 301/01, NJW 2002, 2389 (2390).
6 Wie hier etwa von Bar/Mankowski, I § 4 Rz. 52 ff.; Benzenberg, S. 60 f.; Kuckein, S. 29 ff., 32 ff.;
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, jew. m.w.N. zur Gegenauffassung.
7 Nachw. vorstehende Fn. sowie etwa Beulker, S. 25 ff.
8 VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterrito-
rialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder
sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. EG 1996 Nr. L 309, 1.

Zwickel | 309
§ 5 Rz. 5.4 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

stimmten Vertragsstatut stellt einen aus unionsrechtlicher Sicht grundsätzlich unerwünschten


Störfaktor dar, der dem Vereinheitlichungsgedanken der Verordnung zuwiderläuft. Art. 9
Rom I-VO ist daher restriktiv auszulegen und anzuwenden. Besondere Bedeutung kommt in
diesem Zusammenhang der 2013 ergangenen Entscheidung „Unamar“1 zu, die sich zwar
noch auf das EVÜ bezieht2, vom EuGH indes explizit auch mit Sicht auf die Rom I-VO erlas-
sen wurde3. Insbesondere hat der EuGH in Übereinstimmung mit der bereits vorliegenden
nationalen Rechtsprechung4 und dem ganz überwiegenden Schrifttum5 den Grundsatz der
restriktiven Anwendung von Eingriffsnormen bereits mehrfach bestätigt6 (näher Rz. 5.14).

II. Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I-VO


5.5 Das i.R.d. Vorbereitung der Schaffung der Rom I-VO (hierzu auch Rz. 1.48 ff.) von der Kom-
mission als Konsultationsgrundlage vorgelegte Grünbuch aus dem Jahre 20037 enthielt meh-
rere Fragen zu Erwünschtheit und Ausgestaltung spezieller Regelungen über Eingriffsnormen
in einem künftigen europäischen Instrument8.

5.6 Nach Beendigung des Konsultationsprozesses hielt die Kommission eine Regelung der The-
matik für erforderlich und präsentierte 2005 in ihrem ersten Vorschlag für die Rom I-VO9
mit Art. 8 VO-E einen ersten, an Art. 7 EVÜ angelehnten Entwurf, der bereits die gleiche
Gliederung wie die endgültige Fassung des Art. 9 Rom I-VO10 enthielt. Die Definition der
Eingriffsnormen in Art. 8 Abs. 1 des ersten VO-E, die derjenigen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO
fast wörtlich entspricht, entnahm die Kommission bewusst11 dem Urteil des EuGH vom
23.11.1999 in Sachen „Arblade und Leloup“12. Art. 8 Abs. 2 VO-E entsprach weitgehend
Art. 7 Abs. 2 EVÜ und dem späteren Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO und sollte die „Anwendung“
der Eingriffsnormen der lex fori gestatten. Art. 8 Abs. 3 des Vorschlags schließlich befasste

1 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lütt-
ringhaus, IPRax 2014, 146).
2 Zur Rechtslage nach dem EVÜ s. 8. Aufl., Rz. 5.5 f.
3 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lütt-
ringhaus, IPRax 2014, 146) Rz. 48.
4 Ausdrücklich BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016 (257 f.).
5 von Hoffmann, IPRax 1989, 261 (265); Taupitz, BB 1990, 642 (649); Sonnenberger, FS Fikentscher
(1998), S. 283 ff.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 ff.; Freitag/Leible, ZIP 1999, 1296 (1299); Freitag,
NJW 2018, 430; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45
(49); Pfeiffer, FS Geimer (2002), S. 821 (829); Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (171);
Bitterich, GPR 2006, 161 (163); von Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 16.
6 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lütt-
ringhaus, IPRax 2014, 146) Rz. 49; EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikifo-
ridis), NJW 2017, 141 m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2018, 177.
7 KOM(2002), 654 endgültig.
8 Speziell zur Eingriffsnormenproblematik insb. Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 ff.
9 KOM(2005), 650 endgültig. Hierzu etwa Chong, J. PIL 2006, 27; Dickinson, J. PIL 2007, 53; Dut-
son, JIBFL 2006, 300; Mankowski, IPRax 2006, 101; Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007), 225; Thorn in Ferrari/Leible, S. 129.
10 Zur Begründung des Vorschlags vgl. KOM(2005), 650 endgültig, S. 8.
11 Vgl. die Begründung des Vorschlags, KOM(2005), 650 endgültig, S. 8.
12 Rz. 30 des Urteils EuGH v. 23.11.1999 – verb. C-369/96 und 376/96, ECLI:EU:C:1999:575 (Arbla-
de und Leloup), NZA 2000, 85.

310 | Zwickel
A. Einführung | Rz. 5.9 § 5

sich mit forumsfremden Eingriffsnormen und entsprach fast wörtlich dem bisherigen Art. 7
Abs. 1 EVÜ1.

Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurden die Definition der Eingriffsnormen und die 5.7
Befugnis der Mitgliedstaaten zur Anwendung eigener Eingriffsnormen praktisch allgemein
anerkannt, während es sich bei der Thematik der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen
(neben der Anknüpfung von Zessionen) um die wohl umstrittenste Regelung der geplanten
Rom I-VO handelte. Die diesbezüglichen Kontroversen zwischen Kommission und den im
Rat vertretenen Mitgliedstaaten haben nicht nur den Erlass der Verordnung erheblich ver-
zögert; die Existenz des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ist auch einer der zentralen Gründe, die das
Vereinigte Königreich dazu veranlasst hatten, den „Beitritt“ zur Rom I-VO zunächst in Frage
zu stellen2 – und dies trotz des Umstandes, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auf Druck Großbri-
tanniens im Wesentlichen auf englischen Vorbildern beruht.

Die Kommission hatte Art. 8 Abs. 3 VO-E damit begründet, nur die Berücksichtigung auslän- 5.8
discher Eingriffsnormen könne bei alternativen Gerichtsständen die Rechtseinheit in der Uni-
on wahren. Zudem rechnete sie mit weitgehender Akzeptanz der Regelung, weil selbst solche
Mitgliedstaaten, die Vorbehalt gegen Art. 7 Abs. 1 EVÜ eingelegt hatten, ausländische Ein-
griffsnormen keineswegs generell unberücksichtigt ließen (zum deutschen und engl. Recht s.
8. Aufl., Rz. 5.5). Schließlich erschien es der Kommission in einem „echten europäischen
Rechtsraum als wesentlich“, Eingriffsnormen zumindest anderer Mitgliedstaaten zu berück-
sichtigen, ohne dass sich indes eine derartige Beschränkung im Vorschlag niedergeschlagen
hätte.

Der Vorschlag stieß bei manchen Mitgliedstaaten (v.a. Vereinigtes Königreich3, aber auch 5.9
Deutschland und Luxemburg) auf erbitterten Widerstand. Teils sollten Beschränkungen der
Parteiautonomie durch Eingriffsnormen begrenzt werden, teils wurden Einbußen an Rechts-
sicherheit befürchtet4. In der Folge enthielt das erste „Kompromisspaket“ des Rates aus dem
Frühjahr 2007 keinen konkreten Vorschlag für eine Regelung der Problematik ausländischer
Eingriffsnormen, da man sich unter den Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Linie ei-
nigen konnte5. Später präsentierten der deutsche Vorsitz des Rates für das erste Halbjahr 2007
und der portugiesische Vorsitz für das zweite Halbjahr 2007 gemeinsam einen Vermerk über
die im Ausschuss des Rates für Zivilrecht gefundenen Ergebnisse6, der lediglich einen vorläu-

1 „Weist der Sachverhalt eine enge Verbindung zu einem anderen Staat auf, kann den Eingriffsnor-
men dieses Staates ebenfalls Wirkung verliehen werden. Bei der Entscheidung, ob diesen Normen
Wirkung zu verleihen ist, berücksichtigt das Gericht Art und Zweck dieser Normen nach Maßgabe
der Begriffsbestimmung in Abs. 1 sowie die Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nicht-
anwendung für das mit der betreffenden Eingriffsnorm verfolgte Ziel sowie für die Parteien erge-
ben würden.“
2 Nachträglich hatte die Kommission die Rom I-VO auf Antrag des Vereinigten Königreichs auf
dieses erstreckt (vgl. die Entscheidung v. 22.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 10, 22). Zur Situation
nach dem Brexit s. Rz. 1.62 f.
3 Kritisch insb. Dickinson, J. PIL 2007, 53 ff.; Dutson, JIBFL 2006, 300 (301 f.); James, LFMR 2008,
113. Den Kommissionsvorschlag begrüßend etwa Stone, EU Private International Law, 2006, 310 f.;
Chong, J. PIL 2006, 27 ff. Vgl. auch Dicey/Morris/Collins, Nachtrag 2008 zur 14. Aufl., Rz. 32–132.
4 Corneloup, J.C.P. G 2008, I 205, 21 (24) sowie Dickinson, J. PIL 2007, 53 ff.; Dutson, JIBFL 2006,
300 (301 f.); James, LFMR 2008, 113.
5 Vgl. Ratsdokument 8022/07 ADD 1 v. 30.3.2007, endgültige überarbeitete Fassung v. 13.4.2007,
Ratsdokument 8022/07 ADD 1 REV 1.
6 Dokument 11150/07.

Zwickel | 311
§ 5 Rz. 5.9 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

figen und nicht näher begründeten Vorschlag für einen Art. 8 Abs. 3 enthielt, der mehrere
Formulierungsvarianten zur Auswahl stellte1. Hinzu kamen unterschiedliche Kompromissvor-
schläge einzelner Mitgliedstaaten, insbesondere Schwedens, die aber im Ausschuss des Rates
für Zivilrecht keine Zustimmung fanden. Auch im Europäischen Parlament wurde die Proble-
matik ausländischer Eingriffsnormen kontrovers behandelt. Zunächst verzichtete auch der Be-
richterstatter des Rechtsausschusses2 auf einen eigenen Regelungsvorschlag, um einen Kom-
promiss mit dem Rat zu ermöglichen. Der endgültige Bericht des Rechtsausschusses3 sah
demgegenüber eine vollständige Streichung des Art. 8 Abs. 3 und damit der Regelung über die
Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen vor, um Übereinstimmung mit der Parallel-
norm des Art. 16 Rom II-VO zu erzielen. Die legislative Entschließung des Europäischen Par-
laments vom 29.11.20074 enthält – offenbar nach Abstimmung zwischen Parlament und Rat –
den endgültigen Verordnungswortlaut.

5.10 Bedauerlicherweise werden die genauen Hintergründe der endgültigen Textfassung wohl
dauerhaft unklar bleiben, da sie weder in den Gesetzgebungsunterlagen noch in den Erwä-
gungsgründen erörtert werden. Doch fällt auf und folgt aus der Entstehungsgeschichte der
Norm, dass sich Art. 9 Rom I-VO im Wesentlichen am englischen Vorbild orientiert. Dieses
ist insbesondere5 durch die berühmte „Ralli-Entscheidung“ des Court of Appeal aus dem Jah-
re 19206 geprägt. Die zentrale Aussage dieses Urteils, wonach ein Vertrag unwirksam sei,
wenn seine Durchführung dem Recht des Erfüllungsorts widerspricht7, ist fast wörtlich in den
Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO eingeflossen. Trotz aller Nähe zum englischen Recht ist
die Rom I-VO als Unionsrechtsakt autonom anhand der Auslegungsgrundsätze des europäi-
schen Rechts zu interpretieren. Dem englischen Vorbild kommt gleichwohl erhebliche Bedeu-
tung für das Normverständnis zu.

III. Überblick über den Regelungsgehalt des Art. 9 Rom I-VO


5.11 Art. 9 Rom I-VO regelt die Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen für das Inter-
nationale Vertragsrecht8 unionsweit (mit Ausnahme Dänemarks) einheitlich.

5.12 Die Binnensystematik des Art. 9 Rom I-VO ergibt sich bereits aus der Reihenfolge seiner
Absätze: Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert einheitlich für die gesamte Bestimmung den Begriff
der Eingriffsnormen. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gestattet den Mitgliedstaaten die Durchsetzung

1 „Den Eingriffsnormen des Staates, in dem der Vertrag [die durch den Vertrag begründeten Ver-
pflichtungen] erfüllt werden soll [sollen] oder erfüllt worden ist [sind], [oder des Staates, in dem
die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,] kann Wirkung verliehen werden, soweit diese
Eingriffsnormen den Vertrag [die Erfüllung des Vertrages] unrechtmäßig werden lassen. Bei der
Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser
Normen (...) sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwen-
dung (...) ergeben würden.“
2 Vorläufiger Bericht v. 28.8.2007, PE 393.566v01-00, S. 23.
3 Endgültiger Bericht v. 21.11.2007, Dokument A6-0450/2007.
4 Dokument P6_TA(2007)0560.
5 Ausf. zum engl. Recht Kuckein (2008); Lehmann/Ungerer, YbPIL 19 (2017/2018), 53, 62 f.
6 Ralli Bros. v. Compania Naviera Sota y Aznar [1920] 2 K.B. 287 (C.A.).
7 „A contract [...] is [...] invalid in so far as [...] the performance of it is unlawful by the law of the
country where the contract is to be performed [...].“
8 Für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält Art. 16 Rom II-VO eine Parallelvorschrift, die
allerdings ausschließlich die Anwendung international zwingender Bestimmungen der lex fori ge-
stattet.

312 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.14 § 5

der Eingriffsnormen ihres eigenen Rechts, d.h. der lex fori, auch gegen ein ausländisches
Vertragsstatut. Dagegen regelt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Voraussetzungen, unter denen Ein-
griffsnormen des am Erfüllungsort geltenden Rechts „Berücksichtigung finden“ können.
Die Behandlung von Eingriffsnormen des Vertragsstatuts wird von Art. 9 Rom I-VO nicht
explizit angesprochen, doch lassen Historie, Telos und Systematik des Art. 9 Rom I-VO sowie
Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO insoweit allein den Schluss zu, dass derartige Eingriffsnormen nur
unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO (bei Identität von lex fori und lex
causae) bzw. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO (bei Geltung des Vertragsstatuts am vertraglichen Erfül-
lungsort) berufen werden (ausf. dazu Rz. 5.23 f.).

IV. Beschränkung der Bindungswirkung des Art. 9 Rom I-VO auf staatliche
Gerichte
Unbestritten können die staatlichen Gerichte der EU-Mitgliedstaaten in- und ausländischen 5.13
Eingriffsnormen über Art. 9 Rom I-VO zur Durchsetzung verhelfen. Problematisch erscheint
die Beachtlichkeit des Art. 9 Rom I-VO für nichtstaatliche Spruchkörper, insbesondere für
Schiedsgerichte. Die Diskussion hängt freilich nur scheinbar mit der generellen Frage zusam-
men, ob der Anwendungsbefehl der Rom I-VO generell allein für staatliche Gerichte oder
aber auch für nichtstaatliche Spruchkörper gilt (dazu ausf. Rz. 7.443 ff.). Auf diese Frage
kommt es in Bezug auf Eingriffsnormen deswegen nicht an, weil nicht Art. 9 Rom I-VO, son-
dern der jeweilige Erlassstaat darüber entscheidet, ob eine Bestimmung als international zwin-
gend anzusehen ist (dazu Rz. 5.17). In Bezug auf Eingriffsnormen des deutschen Rechts (Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO) ist § 1051 ZPO die Wertung zu entnehmen, dass der deutsche Gesetzgeber
im sachlichen Anwendungsbereich des § 1051 ZPO den Eingriffsnormen des deutschen
Rechts vor inländischen Schiedsgerichten gerade keinen international zwingenden Anwen-
dungsbefehl zuschreibt (wie hier Rz. 7.446). Eine solchermaßen reduzierte Bedeutung der in-
ländischen Eingriffsnormen in Abhängigkeit von der staatlichen oder nichtstaatlichen Natur
des Spruchkörpers ist deswegen tragbar, weil die Bundesrepublik diejenigen Bestimmungen,
die ihr besonders wichtig sind, weiterhin öffentlich-rechtlich durchsetzen wird. Eingriffsnor-
men anderer Rechte als der lex fori müssen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO selbst von staatli-
chen Gerichten nicht beachtet werden, so dass Schiedsgerichte ohne weiteres entscheiden kön-
nen, diese generell außer Acht zu lassen.

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO

I. Grundsatz der restriktiven Auslegung und Anwendung des Art. 9 Rom I-VO
Bei Anwendung des Art. 9 Rom I-VO ist nach allg.M. im Schrifttum1 sowie nach der deut- 5.14
schen obergerichtlichen Judikatur2 äußerste Zurückhaltung geboten. So weist Erwägungs-
grund 37 zur Rom I-VO ausdrücklich auf das Gebot der restriktiven Anwendung des Art. 9
Rom I-VO hin. Der EuGH hat mehrfach, zuletzt in der Rechtssache Nikiforidis, das Gebot

1 Mankowski, IPRax 2006, 101 (109 f.); Mankowski, IHR 2008, 133 (147); d’Avout, D. 2008, 2165
(2167 f.); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 2; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 2;
Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 6.
2 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 14.

Zwickel | 313
§ 5 Rz. 5.14 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

der restriktiven Anwendung und Auslegung des Art. 9 Rom I-VO betont1. Die Gründe hierfür
sind vielfältig: Die Berücksichtigung in- oder ausländischer Eingriffsnormen stellt neben der
Berufung auf den Vorbehalt des ordre public (Art. 21 Rom I-VO) ein zentrales Einfallstor für
rechtspolitische Wertungen der Mitgliedstaaten in das einheitliche Kollisionsrecht der Rom I-
VO dar2. Bei Art. 9 Rom I-VO handelt es sich zwar um eine Öffnungsklausel, die es den Mit-
gliedstaaten (bzw. deren Gerichten) ermöglicht, das an sich einheitliche Anknüpfungssystem
zugunsten der Wertungen des nationalen Rechts einzuschränken. Die Anwendung von Art. 9
Rom I-VO trägt aber den Keim der Rechtszersplitterung und -unsicherheit in sich. Zugleich
schränkt Art. 9 Rom I-VO die durch Art. 3 Rom I-VO grundsätzlich gewährte Parteiautono-
mie ein.

II. Anwendungsbereich des Art. 9 Rom I-VO


1. Definition der „Eingriffsnorm“ gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO
a) Regelungsprogramm des Art. 9 Rom I-VO
5.15 Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert Eingriffsnormen als Vorschriften, „deren Einhaltung von
einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere
seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie unge-
achtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle
Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ Diese auf den Kom-
missionsvorschlag (dazu Rz. 5.6) und damit auf die EuGH-Entscheidung in Sachen „Arblade
und Leloup“ (Nachw. in Rz. 5.6) zurückgehende Fassung fordert das Vorliegen eines „öffent-
lichen Interesses“ des Erlassstaates an der international zwingenden Durchsetzung der betref-
fenden Norm. Die Formulierung stimmt damit in begrüßenswerter Weise3 mit dem bisheri-
gen Verständnis der Eingriffsnormen im deutschen Kollisionsrecht (ehemals Art. 34 EGBGB)
überein (Nachw. in der 8. Aufl., Rz. 5.5). Ferner beendet die Verordnung durch die Verwen-
dung des Begriffs „Eingriffsnorm“ die unter dem EVÜ bestehende Begriffswirrung zwischen
einfach und international zwingenden Bestimmungen4. Daraus folgt auch für die Rom I-VO
unzweifelhaft, dass nicht alle einfach zwingenden Vorschriften zugleich zu den Eingriffsnor-
men zählen, was auch Erwägungsgrund 37 verdeutlicht.
Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Qualifikation von Eingriffsnormen zu stellen sind,
folgt Art. 9 Rom I-VO – auch nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 EVÜ5 – einem
zweistufigen Regelungsprogramm6.

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; noch zum
EVÜ: EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 49;
zustimmend Mankowski, EWiR 2014, 11.
2 Die Parallelität beider Vorschriften stellt auch Erwägungsgrund 37 der Rom I-VO heraus.
3 So auch Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 103 (2004), 131 (178); Mankowski, IPRax 2006, 101
(109); Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007),
225, (314 [Rz. 139]); krit. Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (135). Anders etwa Wilderspin, ERA Fo-
rum 2008, 259 (272).
4 Dazu Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (172 ff.).
5 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 46-48.
6 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141 Rz. 41; Freitag
in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (176); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136).

314 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.18 § 5

b) Internationaler Geltungsanspruch
In einem ersten Schritt ist anhand des nationalen Rechts (im Fall des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO 5.16
der lex fori, im Fall des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO des Rechts des ausländischen Erlassstaates)
festzustellen, ob die in Betracht kommende Vorschrift überhaupt i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-
VO international zwingende Anwendung begehrt, d.h. Geltung unabhängig vom Vertrags-
statut beansprucht.

c) Schutz qualifizierter öffentlicher Interessen


Bejahendenfalls ist sodann in einem zweiten Schritt auf der Ebene des Unionsrechts zu prü- 5.17
fen, ob die von der Vorschrift verfolgten öffentlichen Interessen so gewichtig sind, dass die
betreffende Vorschrift die Öffnungsklausel des Art. 9 Rom I-VO passieren kann1. Die Mit-
gliedstaaten haben bei der Bestimmung des Charakters einer Vorschrift als Eingriffsnorm ei-
nen erheblichen Ermessensspielraum, während der EuGH nur dazu in der Lage ist, allgemei-
ne Grenzen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO festzulegen und Missbräuche zu verhindern2. Aller-
dings ist erneut darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich eng auszule-
gen ist und daher keinesfalls leichtfertig einfach zwingende Vorschriften zu Eingriffsnormen
„hochstilisiert“ werden dürfen (dazu bereits Rz. 5.14).
Im Übrigen setzt die Legaldefinition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich beim Zweck
der betreffenden Bestimmung an, indem sie darauf abstellt, ob die Vorschrift „entscheidend
für die Wahrung des öffentlichen Interesses“ ihres Erlassstaates ist. Diese Formulierung ent-
spricht weitgehend dem bisherigen Meinungsstand im deutschen Recht (Nachw. in der 8.
Aufl., Rz. 5.5), wo ebenfalls darauf abgestellt wurde, ob die betreffende Vorschrift primär all-
gemein ordnungspolitische Interessen verfolge oder in erster Linie den Interessenausgleich
Privater bezwecke.

d) Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse


Art. 9 Rom I-VO dient der Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse, nicht aber dazu, 5.18
Ansprüche oder Rechte ohne vertraglichen Geltungsgrund i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO zu
begründen oder durchzusetzen. Sollen einer Partei eines Vertrages daher ex lege Ansprüche
oder Rechte gegenüber einem Dritten zugewiesen werden, die ihr nach der lex causae nicht
zustehen bzw. soll umgekehrt der Dritte aus einem für ihn fremden Vertrag berechtigt werden,
ist primär zu klären, ob die gewünschte „Drittwirkung“ überhaupt als „vertraglich“ i.S.d. Art. 1
Rom I-VO eingeordnet werden kann. Verneinendenfalls kommt nicht in Betracht, außerver-
tragliche Schuldverhältnisse über den Hebel des Art. 9 Rom I-VO in den Anwendungsbereich
des Europäischen Internationalen Vertragsrechts zu ziehen. Insoweit ist vielmehr eine An-
knüpfung der betreffenden Ansprüche bzw. Rechte und Pflichten nach der Rom II-VO oder –
soweit der sachliche oder zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-VO nicht eröffnet ist –
nach nationalem Recht vorzunehmen. Das gilt namentlich für Ansprüche aus Verträgen mit
Schutzwirkung für Dritte3, die ebenso unter die Rom II-VO fallen wie solche aus culpa in
contrahendo (Art. 12 Rom II-VO). Verfehlt ist daher etwa die Rechtsprechung der französi-

1 Näher Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (174 ff.); Mankowski, IPRax 2006, 321 (331);
Bitterich, GPR 2006, 161 (164); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136).
2 Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136). Für eine vollständige unionsrechtliche Kontrolle Bitterich,
GPR 2006, 161 (165).
3 Dutta, IPRax 2009, 293.

Zwickel | 315
§ 5 Rz. 5.18 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

schen Cour de Cassation1, wonach ein Subunternehmer (sous-traitant) von dem im Ausland
ansässigen Auftraggeber eines in Frankreich zu errichtenden Bauwerkes (maître d’ouvrage)
unabhängig von dem auf General- und Subunternehmervertrag anwendbaren Recht Erfüllung
seiner gegen den Generalunternehmer gerichteten Forderungen nach den französischen Sub-
unternehmerschutzbestimmungen2 verlangen kann (sog. „action directe“). Der nach franzö-
sischem Recht bestehende Anspruch des Subunternehmers gegen den Auftraggeber beruht
nicht auf einer vertraglichen Willenseinigung dieser Parteien, sondern auf (wenn auch unge-
schriebener) gesetzlicher Anordnung. Bei der action directe kann es sich daher allenfalls um
einen (außervertraglichen) Anspruch sui generis handeln, der nach der Rom II-VO anzu-
knüpfen ist3, falls man ihn nicht gar prozessrechtlich einordnet4. In Bezug auf § 661a BGB,
der einen Anspruch aus Gewinnzusagen anordnet, spricht ebenfalls viel für eine Zuordnung
zur Rom II-VO und, bei vorliegendem Vertrag zwischen den Parteien, für vertragsakzessori-
sche Anknüpfung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO (näher dazu Rz. 5.107).

2. Zwingende Privatrechtsvorschriften als Eingriffsnormen


a) Ausnahmsweise Berücksichtigung zwingenden Sonderprivatrechts
5.19 Art. 9 Rom I-VO erfasst damit in erster Linie öffentlich-rechtliche Normen mit Privatrechts-
wirkung5.
Probleme bereitet aber auch unter Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO die im bisherigen Recht insbeson-
dere zu den Widerrufsrechten des deutschen Rechts6 sowie im Verbraucherkreditrecht (das
von der französischen Cour de Cassation7 anders als vom BGH8 als international zwingend
angesehen wurde)9 abundant diskutierte Frage10, ob auch Vorschriften des Privatrechts als
Eingriffsnormen qualifiziert werden können.

5.20 Im Schrifttum wird vereinzelt vertreten, privatrechtliche Bestimmungen seien vom Anwen-
dungsbereich des Art. 9 Rom I-VO generell ausgeschlossen, da es insoweit an dem von Art. 9
Abs. 1 Rom I-VO besonders betonten „öffentlichen“ Interesse des Erlassstaates fehle11. Dem

1 Französ. Cass., ch. mixte, v. 30.11.2007 – 06-14006, IBR 2008, 428 (Anm. Berlioz J.C.P. É 2008
Nr. 1201, 23; d’Avout, J.C.P. G Nr. II 10000, 31).
2 Gesetz n° 75-1334 v. 31.12.1975 relative à la sous-traitance.
3 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13.1 (Stand 1.2.2021); ausf. Pulkowski,
Subunternehmer und Internationales Privatrecht (2004), S. 189 ff. m.w.N.; d’Avout, J.C.P. G 2008
Nr. II 10000, 31 (33 f.); Boyault/Lemaire, D. 2008, S. 753 ff.
4 Hök, ZfBR 2008, 741 ff. Unentschieden Martiny, BauR 2008, 241 (249 f.).
5 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 26 (Stand 1.2.2021).
6 Dazu insb. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 = ZIP 1993, 1881 = MDR 1994,
248.
7 Etwa französ. Cass. v. 23.5.2006 – 03-15.637, Rev.crit.d.i.p. 96 (2007), 85 (m. Anm. Mankowski,
ZEuP 2008, 845).
8 BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016. Zustimmend insb. Man-
kowski, RIW 2006, 321.
9 Die Qualifikation des Verbraucherkreditrechts als Eingriffsnorm befürwortend Loacker, Der Ver-
brauchervertrag im internationalen Privatrecht (2006), S. 179 f.; Hoffmann/Primaczenko, IPRax
2007, 173 ff.; ablehnend Mankowski, ZEuP 2008, 845, jew. m.w.N.
10 Nachw. zur Rom I-VO in den vorigen Fn., zum bisherigen Recht vgl. 6. Aufl. Rz. 403 ff. sowie 8.
Aufl. Rz. 5.5.
11 Benzenberg, S. 170; Lecourt, J.C.P. G 2008, I 161, 29; d’Avout, D. 2008, 2165 (2167). Ähnlich Freitag
in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (178 f.).

316 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.21 § 5

ist zu widersprechen und davon auszugehen, dass – wenn auch nur in ganz seltenen Ausnah-
mefällen – auch Vorschriften des Privatrechts zu den Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1
Rom I-VO zählen können, soweit sie fundamentale öffentliche Interessen verfolgen1. Aus
Wortlaut und Historie des Art. 9 Rom I-VO folgt, dass Vorschriften des einfachen Privat-
rechts, die ausschließlich den Interessenausgleich Privater bezwecken, nicht zu den Eingriffs-
normen zählen2. Vorschriften des Privatrechts können aber ausnahmsweise weitergehende,
allgemeine öffentliche Interessen transportieren. Öffentlich- und privatrechtliche Instrumen-
tarien sind nicht allein im Wirtschaftsrecht, sondern ganz allgemein häufig austauschbar und
eng miteinander verschränkt. Zunehmend wird das Privatrecht selbst zum Instrument wert-
bezogener, ordnungspolitischer Steuerung (sog. Materialisierung des Privatrechts)3. Das Wirt-
schaftsprivatrecht dient so, gemeinsam mit dem öffentlichen Wirtschaftsrecht, der Konstituie-
rung der Wirtschaftsordnung eines Staates. Schließlich wird gerade im europäischen Recht
häufig nicht ähnlich trennscharf zwischen privatem und öffentlichem Recht differenziert wie
im deutschen, so dass die aus dem deutschen Recht bekannten Demarkationslinien auf die
autonom auszulegende Rom I-VO von Vornherein nicht übertragbar sind4. Deutlich zeigt sich
dies z.B. an der Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie5, die zugunsten entsandter Arbeitnehmer
auch genuin privatrechtliche Materien wie Mindestlöhne für verbindlich erklärt6 (Rz. 5.103).

b) Vorrang kollisionsrechtlicher Sondervorschriften


Allerdings ist in systematischer Hinsicht zu bedenken, dass die Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO 5.21
für die dort normierten Bereiche des Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzrechts einen aus
Sicht des Unionsgesetzgebers offenbar als ausreichend erachteten kollisionsrechtlichen Schutz
bestimmter Parteien sicherstellen und auch die Art. 5 und Art. 7 Rom I-VO für die dort gere-
gelten Materien kollisionsrechtliche Sondervorschriften vorsehen, die den Interessen der Par-
teien Rechnung tragen sollen. Soweit diese Bestimmungen eingreifen, muss ein Rückgriff auf
Art. 9 Rom I-VO daher ausscheiden und es bedarf eines solchen auch nicht7. Anderes gilt
außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Normen. Die EU hat dort gerade keinen Hand-
lungsbedarf gesehen und daher auf die Schaffung typisierender Schutznormen verzichtet. Das
schließt jedoch im Einzelfall den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO zur Durchsetzung nationaler
Standards nicht aus, falls die typisierenden Schutzmechanismen der Rom I-VO nicht ausrei-
chen, um solche Vorschriften des nationalen Rechts gegen das Vertragsstatut zu implementie-

1 Wie hier etwa Mankowski, IPRax 2006, 101 (109 f.) (zu Art. 8 des Kommissionsvorschlags); Man-
kowski, IHR 2008, 133 (147); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (132 ff.).
2 So zu Art. 9 Rom I-VO explizit auch BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA
2012, 1152 Rz. 14 m. Nachw. zur früheren Rechtsprechung.
3 Canaris, AcP 200 (2000), 273; Wagner, AcP 206 (2006), 352 (422 ff.); Auer, Materialisierung, Flexi-
bilisierung, Richterfreiheit (2003), S. 10 ff.; Hager, Strukturen des Privatrechts in Europa (2012),
S. 11 ff.; zur Materialisierung der Eingriffsnormen Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (81).
4 Wie hier Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12.
5 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Er-
bringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, 1 geändert durch Richtlinie 2018/957/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG
über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl.
EU 2018 Nr. L 173, 16.
6 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34 (Stand 1.2.2021).
7 Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 23; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 3; wohl auch Martiny in MünchKomm, Art. 9
Rom I-VO Rz. 16.

Zwickel | 317
§ 5 Rz. 5.21 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ren, die von den nationalen Gesetzgebern als konstituierende Bestandteile der öffentlichen
Ordnung verstanden werden1. Insbesondere ist zu beachten, dass Art. 9 Rom I-VO gerade
eine Durchbrechung der sonstigen Anknüpfungen der Rom I-VO gestattet, was letztlich zu
einem relativen Vorrang des Art. 9 Rom I-VO führt.

c) Kriterien für die Berücksichtigung privatrechtlicher Eingriffsnormen


5.22 Auch wenn hinsichtlich der restriktiven Grundlinie einer Berücksichtigung von Privatrechts-
vorschriften als Eingriffsnormen mittlerweile weitgehend Einigkeit herrscht2, sind die Krite-
rien, die zu einer zwingenden Durchsetzung privatrechtlicher Vorschriften im Rahmen des
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO führen können, noch immer unklar. Aktuell lassen sich drei Mei-
nungsrichtungen unterscheiden. Die wohl überwiegende Meinung3 stellt auf den Primär-
zweck der Norm ab. Nur, wenn die Norm lediglich sekundär den individuellen Schutz der
Vertragsparteien im Blick hat, vorrangig aber öffentlichen Interessen dient, kommt eine Qua-
lifikation als Eingriffsnorm in Frage. Großzügiger ist die Auffassung, die – auf der Linie des
BGH zur Qualifikation von Verbraucherschutzvorschriften4 und des BAG zur Qualifikation
zwingenden Arbeitsvertragsrechts als Eingriffsnormen5 – lediglich danach fragt, ob die Privat-
rechtsnormen nicht nur im Reflex auch öffentliche Interessen schützen6. Zudem wird vor-
geschlagen, sich für die Abgrenzung einfach zwingenden Privatrechts zu privatrechtlichen
Eingriffsnormen an der sog. Sonderrechtstheorie zu orientieren und nur solche Vorschriften
als von Art. 9 Rom I-VO umfasst anzusehen, die einem Hoheitsträger „besondere Durchset-
zungsbefugnisse verleihen“7.

5.22a Die Rechtsprechung des EuGH ist im Hinblick auf die Abgrenzungskriterien zwingenden Pri-
vatrechts von privatrechtlichen Eingriffsnormen nur mäßig erhellend. In der Rechtssache Ing-
mar8 interpretierte der EuGH die vertragsrechtliche Vorschrift des Handelsvertreteraus-
gleichs, aufgrund des dahinterstehenden Zwecks der Vereinheitlichung der Wettbewerbs-
bedingungen, als Eingriffsnorm. In der Entscheidung „Unamar“ hat es der EuGH für möglich
gehalten, Normen des privaten, über die Vorgaben der Handelsvertreterrichtlinie hinaus-
gehenden belgischen Handelsvertreterrechts gegebenenfalls zu den Eingriffsnormen zu zäh-
len. Freilich hat er die Schwelle hierfür zu Recht sehr hoch gelegt, indem er verlangt, dass „das

1 Wie hier Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I
Rz. 25 ff.; Staudinger in Schulze, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8. A.A. Thorn in Ferrari/Leible, S. 129
(140).
2 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2004, 174 Rz. 52; Doehner
in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12 ff.; Magnus
in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 58 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; Thorn in
Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 5.
3 Doralt/Nietner, AcP 215 (2015), 855 (857); Mankowski, IPRax 1996, 405 (409); W.-H. Roth AcP
220 (2020), 458 (511); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in Staudinger (2016),
Art. 9 Rom I Rz. 59 ff.; Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Spickhoff in BRHP, Art. 9
Rom I-VO Rz. 14; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8.
4 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 30 ff = MDR 2006, 737.
5 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225; BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012,
1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18-21.
6 Brand IPRax 2013, 12; Remien in PWW, Art. 9 Rom I-VO Rz. 3 ff.; Thorn in Palandt, Art. 9
Rom I-VO Rz. 8.
7 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (90).
8 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108; EuGH v.
26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225.

318 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.24 § 5

angerufene Gericht substantiiert feststellt, dass der Gesetzgeber des Staates dieses Gerichts es
im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie [der Handelsvertreterrichtlinie] für unerlässlich
erachtet, dem Handelsvertreter in der betreffenden Rechtsordnung einen Schutz zu gewähren,
der über den in der genannten Richtlinie [der Handelsvertreterrichtlinie] vorgesehenen hi-
nausgeht, und dabei die Natur und den Gegenstand dieser zwingenden Vorschriften berück-
sichtigt“1.Immerhin klingt mit dem Wort „unerlässlich“ aber an, dass öffentliche Interessen
ganz im Vordergrund stehen müssen und es nicht ausreichend sein kann, wenn diese „nicht
nur als Reflex“ mitverfolgt werden. Zu eng, weil zu stark an der allgemeinen und für Art. 9
Rom I-VO nicht maßgeblichen Abgrenzung2 von öffentlichem und privatem Recht orientiert,
erscheint angesichts der oben beschriebenen Überlappungen von öffentlichem und privatem
Recht die Auffassung, die sich an die Sonderrechtstheorie anlehnen will. Im Ergebnis ver-
bleibt, soweit sich keine Anhaltspunkte im Wortlaut oder den Gesetzesmaterialien finden, mit-
hin nur eine Prüfung darauf, ob vorrangiges Telos der Norm die Verfolgung öffentlicher In-
teressen v.a. politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art ist.3

3. Geltung des Art. 9 Rom I-VO auch für Eingriffsnormen des Vertragsstatuts
Umstritten ist, ob die allgemeinen Kollisionsnormen der Rom I-VO nicht nur das einfach 5.23
zwingende Recht der lex causae berufen, sondern auch die dort geltenden Eingriffsnormen4,
oder ob das Eingriffsrecht der lex causae ebenfalls nur unter den Voraussetzungen des Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO angewandt bzw. berücksichtigt werden darf5. Dieser Streit bestand bereits
unter Geltung von EGBGB und EVÜ6: So hatten Teile des deutschen Schrifttums, insbesonde-
re aber die überwiegende Meinung in England, Frankreich und Belgien die sog. Schuldstatut-
und Kumulationstheorie (zu dieser 6. Aufl., Rz. 472 m.w.N.) vertreten. Danach sollen bereits
die einfachen Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts die lex causae in ihrer Ge-
samtheit einschließlich ihrer Eingriffsnormen berufen. Demzufolge wären die Eingriffsnor-
men einer ausländischen lex causae folglich auch dann anzuwenden, wenn die Voraussetzun-
gen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht vorliegen. Demgegenüber wurde für das bisherige Recht
jedenfalls in Deutschland ganz überwiegend angenommen, dass Eingriffsnormen von den
Verweisungsvorschriften des einfachen Kollisionsrechts von vornherein nicht erfasst werden
und Eingriffsnormen der lex causae im Inland folglich nur unter denselben Bedingungen be-
achtlich sind wie solche von Drittstaaten.

Für die grundsätzlich ausschließliche Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf Eingriffsnor- 5.24
men gleich welcher Provenienz – und damit gegen die Geltung der Schuldstatuttheorie im
Rahmen der Rom I-VO – sprechen bereits Wortlaut und Systematik des Art. 9 Rom I-VO. Die
Vorschrift erwähnt in Abs. 2 die Eingriffsnormen „des Rechts des angerufenen Gerichts“ (d.h.

1 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 52; zustim-
mend Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (147 f.).
2 Stürner in Erman, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12.
3 In diesem Sinne für Art. 16 Rom II-VO auch EuGH v. 31.1.2018 – C-149/18, ECLI:EU:C:2019:84
(da Silva Martins), EuZW 2019, 134: „Wortlaut, allgemeine Systematik, Telos, Entstehungszusam-
menhang“.
4 So Lando/Nielsen, CMLR 2008, 1719; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 129 ff.;
Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35; Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42.
5 So (noch zum Kommissionsentwurf) Mankowski, IPRax 2006, 101 (110); Thorn in Ferrari/Leible,
S. 129 (145 f.); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 4; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-
VO Rz. 42 f.; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15.
6 Umfassende Nachw. in der 7. Aufl., Rz. 646.

Zwickel | 319
§ 5 Rz. 5.24 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

der lex fori), in Abs. 3 diejenigen „des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Ver-
pflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“. Eine weitere, dritte Kategorie von
Eingriffsnormen ist nicht vorgesehen. Das ist auch nicht verwunderlich, sondern konsequent:
Der europäische Gesetzgeber wollte den Einfluss des Eingriffsrechts durch Art. 9 Rom I-VO –
zu Recht – eindämmen und hat bereits für Eingriffsnormen am Erfüllungsort bewusst enge
Voraussetzungen aufgestellt und lediglich der lex fori einen vergleichsweise weiten Spielraum
eröffnet. Die Anwendung von Eingriffsnormen sonstiger Staaten führte zu einer weiteren un-
botmäßigen Einflussnahme auf das an sich einheitlich zu bestimmende Vertragsstatut und die
Rechtswahlfreiheit. Zudem sind Eingriffsnormen von den Verweisungsnormen der Rom I-VO
allenfalls dann umfasst, wenn sie privatrechtlicher Natur sind und damit gleichsam eine ein-
fach und international zwingende Doppelnatur aufweisen. Öffentlich-rechtliche Normen un-
terliegen dagegen von Vornherein nicht dem Anknüpfungssystem der Rom I-VO, da diese
nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 explizit nicht auf öffentliches Recht anzuwenden ist.
Auch ist zu bedenken, dass die Eingriffsnormen der lex causae jedenfalls dann, wenn das an-
wendbare Recht im Wege der Rechtswahl festgelegt wurde, häufig keinen anerkennenswerten
Bezug zum Vertrag aufweisen. Im Fall der Rechtswahl wird ihre Geltung von den Parteien
auch kaum je gewollt sein, da die Parteien für die lex causae in der Regel nicht wegen ihrer
öffentlich-rechtlichen Vorgaben, sondern aus anderen Gründen optieren, ganz abgesehen da-
von, dass öffentlich-rechtliche (Eingriffs-)Normen von Vornherein nicht zur Wahl der Partei-
en stehen. Objektiv bestünde für eine Berufung der Eingriffsnormen der lex causae allenfalls
Anlass, wenn ein enger Bezug des Sachverhalts zu ihnen vorliegt, der indes durch Art. 9 Abs. 3
Rom I-VO näher und abschließend konkretisiert wird.

4. Abgrenzungsfragen und Konkurrenzen im Übrigen


a) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO
5.25 Eine gegenüber Art. 9 Rom I-VO vorrangige Spezialregelung enthält Art. 11 Abs. 5 Rom I-
VO in Bezug auf international zwingende Formvorschriften für schuldrechtliche Grund-
stücksverträge1. Formvorschriften der lex rei sitae für Immobilienverträge, die unabhängig
von dem auf den Vertrag anwendbaren Recht Geltung beanspruchen, sind gem. Art. 11 Abs. 5
Rom I-VO entgegen den die Formanforderungen grundsätzlich erleichternden Anknüpfungen
des Art. 11 Rom I-VO zwingend zu beachten. Für die international zwingende Durchsetzung
derartiger Formanforderungen bedarf es nicht des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 9
Rom I-VO2. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO lässt den internationalen Geltungswillen der Formvor-
schrift deswegen genügen, weil die von der Rom I-VO nicht umfassten sachen- und grund-
buchrechtlichen Bestimmungen der lex rei sitae im Zweifel ohnedies die Nichteinhaltung der
für das schuldrechtliche Geschäft geltenden Formanforderungen sanktionieren werden.

b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO


5.26 Kumulativ anzuwenden sind die Art. 9 Rom I-VO und Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, wobei denklo-
gisch die Anwendung von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO gegenüber derjenigen des Art. 9 Rom I-
VO vorrangig ist3. Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO können die Parteien bei Sachverhalten, die
objektive Bezüge allein zu einem einzigen Staat aufweisen (sog. homonom verknüpfte Sach-
verhalte), nicht von den einfach zwingenden Bestimmungen des Rechts desjenigen Staates ab-

1 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 29.


2 Ebenso Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 29.
3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 18.

320 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.29 § 5

weichen, zu dem der Sachverhalt die objektiven Bezüge aufweist. In derartigen Konstellationen
unterliegt das Schuldverhältnis zwingend kraft objektiver Anknüpfung (gem. Art. 4, 5, 6, 7
oder 8 Rom I-VO) dem Recht des betreffenden Staates. Einer gleichwohl getroffenen „Rechts-
wahl“ kommt lediglich die Wirkung einer sachrechtlichen Verweisung zu, die zwar vom dis-
positiven Recht, nicht aber vom ius cogens des objektiv ermittelten Vertragsstatuts derogieren
kann. Soweit privatrechtliche Vorschriften (i.S.d. Definition des Anwendungsbereichs der
Rom I-VO gem. deren Art. 1) des objektiven Vertragsstatuts zugleich als Eingriffsnormen
i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu qualifizieren sein sollten (zur ausnahmsweisen Anwendbar-
keit von Art. 9 Rom I-VO auf schuldrechtliche Vorschriften Rz. 5.19 f.), setzen sie sich folglich
bereits gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO gegen die „Rechtswahl“ durch, ohne dass es auf das Vor-
liegen der Voraussetzungen der Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Rom I-VO ankäme1.

Anders liegt es, wenn der reine Binnensachverhalt in einem (aus inländischer Sicht) auslän- 5.27
dischen Staat lokalisiert ist und folglich dessen Recht kraft objektiver Anknüpfung gilt. Hier
erlaubt Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO die Berufung von Eingriffsnormen der lex fori2. Dennoch
wird es hierzu praktisch nie kommen, da bei Sachverhalten, die einen ausschließlichen Bezug
zu einem fremden Staat aufweisen, i.d.R. schon kein inländisches Forum bestehen wird. Jeden-
falls aber hat das Inland wohl nie ein überragendes Interesse an einem Eingriff in einen aus-
schließlich im Ausland belegenen Vertrag. Bei einem reinen Inlandssachverhalt mit Bezug al-
lein zum deutschen Recht kommt eine Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen über
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht in Betracht, da der Erfüllungsort hierfür im Ausland liegen
müsste, was indes die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO ausschließen würde. Sonstige,
nicht schuldvertragsrechtliche Bestimmungen des Rechts des Staates, der gem. Art. 3 Abs. 3
Rom I-VO das Vertragsstatut stellt, d.h. Vorschriften seines öffentlichen Rechts im weitesten
Sinne, wie auch die Eingriffsnormen der lex fori oder dritter Staaten, kann hingegen gem.
Art. 9 Rom I-VO Wirkung verliehen werden; insoweit gelten keine Besonderheiten.

c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO


Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO gestaltet die zivilrechtlichen Mindeststandards des Unionsprivatrechts 5.28
bei reinen Binnenmarktsachverhalten, die ausschließlich Bezüge zum Recht von EU-Mitglied-
staaten haben3, rechtswahlfest aus. Zur Durchsetzung des Unionsprivatrechts bedarf es daher
keines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO, so dass dieser ausgeschlossen ist. Dagegen kann auch
in einem reinen Binnenmarktsachverhalt unabhängig von den bereits durch das Unionspri-
vatrecht normierten Aspekten – insbesondere im Fall der Mindestharmonisierung – nationa-
les Recht gegen die lex causae durchgesetzt werden; näher dazu Rz. 5.48 ff.

d) Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO


Zum Konkurrenzverhältnis s. bereits allgemein Rz. 5.21 sowie speziell zum kollisionsrecht- 5.29
lichen Verbraucherschutzrecht (Art. 6 Rom I-VO) Rz. 35.24 ff., zum kollisionsrechtlichen Ar-
beitnehmerschutzrecht (Art. 8 Rom I-VO) Rz. 11.19 ff.

1 Allg. M., Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 6; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I
Rz. 18.
2 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 18.
3 Gemäß Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO kommt es insoweit nicht darauf an, ob die Rom I-VO auch in
dem betreffenden Mitgliedstaat gilt.

Zwickel | 321
§ 5 Rz. 5.30 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

e) Art. 23 Rom I-VO


5.30 Gemäß Art. 23 Rom I-VO lässt die Rom I-VO die Anwendung sonstiger Vorschriften des Uni-
onsrechts unberührt, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuld-
verhältnisse enthalten. Diese zweifelhafte1 Regelung soll den Vorrang spezieller Kollisionsnor-
men des Unionsrechts in Form von Verordnungen und Richtlinien vor dem allgemeinen Re-
gime der Rom I-VO sicherstellen.

5.31 Nach ganz herrschender Ansicht schreibt Art. 23 Rom I-VO auch den Fortbestand der Kolli-
sionsnormen der in Art. 46b Abs. 3 EGBGB genannten Verbraucherschutzrichtlinien fest2.
Soweit das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht in Umsetzung der genannten Richtlinienkollisi-
onsnormen den gemeineuropäischen Standard rechtswahlfest ausgestaltet, tritt Art. 9 Rom I-
VO hinter die speziellen Richtlinienkollisionsnormen zurück. Liegen die in Art. 46b EGBGB
genannten Voraussetzungen für die international zwingende Anwendung der Richtlinien
nicht vor und führen auch Art. 6 Rom I-VO sowie Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO nicht zur Geltung
des Richtlinienrechts, kann dieses nicht über Art. 9 Rom I-VO gegen ein ausländisches Ver-
tragsstatut durchgesetzt werden, da die Art. 3, Art. 6 und Art. 23 Rom I-VO (i.V.m. den be-
treffenden Richtlinien) abschließend regeln, unter welchen Voraussetzungen das Richtlini-
enrecht gegen eine ausländische lex causae durchzusetzen ist.

5.32 Seit der Entscheidung des EuGH in Sachen „Ingmar GB“3 ist unklar, ob Art. 23 Rom I-VO
auch ungeschriebene Richtlinienkollisionsnormen i.S.d. „Ingmar GB“-Rechtsprechung
bzw. die in Umsetzung dieser Vorgaben explizit oder implizit geschaffenen mitgliedstaatlichen
Kollisionsnormen erfasst. Auch das Urteil „Unamar“4 hat keine Klarheit gebracht, da es sich
allein mit der international zwingenden Durchsetzung des überschießenden nationalen Rechts
befasste. Allerdings spricht einiges dafür, dass insoweit nicht Art. 23 Rom I-VO, sondern Art. 9
Rom I-VO anzuwenden ist5.

5.33 Die neueren Richtlinien des Unionsprivatrechts, die nach Inkrafttreten der Rom I-VO erlas-
sen worden sind, enthalten keine speziellen Kollisionsnormen mehr. Insoweit ist davon aus-
zugehen, dass das „normale“ Anknüpfungssystem der Rom I-VO, namentlich die Art. 3 Abs. 4
und Art. 6 Rom I-VO, abschließend sein soll und – vorbehaltlich expliziter kollisionsrecht-
licher Sonderregelungen – insbesondere eine auf Art. 9 Rom I-VO gestützte Durchsetzung der
Richtlinien gegenüber drittstaatlicher lex causae ausscheidet6. Für die Verbraucherrechte-
richtlinie7 hat der europäische Gesetzgeber diesen Grundsatz in den Erwägungsgründen 10
und 58 zur Richtlinie sogar explizit festgeschrieben. Die Hypothekarkredit-Richtlinie8 ent-

1 Krit. etwa auch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (7, 21).


2 Wie hier Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 9; Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 18 ff.;
Martiny in MünchKomm, Art. 23 Rom I-VO Rz. 8; Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 9;
Thorn in Palandt, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1.
3 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108, Slg. 2000, I-
9325; EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225.
4 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174.
5 Ebenso Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 15;
Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 6.
6 Ausführlich wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 29.
7 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rech-
te der Verbraucher etc., ABl. Nr. L 304/64.
8 Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.2.2014 über Wohn-
immobilienkreditverträge für Verbraucher etc., ABl. Nr. L 60/34.

322 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.36 § 5

hält weder eine Regelung noch eine Erläuterung ihres internationalen Anwendungsbereichs.
Art. 41 der Richtlinie ordnet lediglich an, dass die Richtlinienvorgaben nicht zu Lasten der
Verbraucher abbedungen werden dürfen. Sowohl die Formulierung der Norm als auch der
Vorrang der Rom I-VO sprechen dafür, dass der Regelung allein sachrechtlicher Gehalt zu-
kommt.

f) Verhältnis zur Rom II-VO, insb. Art. 16 Rom II-VO


Keine ernstlichen Abgrenzungsprobleme bestehen zwischen Art. 9 Rom I-VO und der 5.34
Rom II-VO. Dies gilt insbesondere für die international-deliktsrechtliche Parallelnorm des
Art. 16 Rom II-VO, die für den Anwendungsbereich der Rom II-VO die Beachtlichkeit von
Eingriffsnormen – wenn auch nur solcher der lex fori – normiert. Gegenstand der Einwirkung
der Eingriffsnorm ist im Rahmen des Art. 9 Rom I-VO ein schuldvertraglicher Anspruch bzw.
ein schuldvertragliches Recht. Art. 16 Rom II-VO befasst sich hingegen mit Eingriffen in das
Deliktsstatut. Demzufolge können über Art. 9 Rom I-VO keinesfalls Ansprüche begründet
werden, die aus Sicht des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO nicht schuldvertraglicher Natur sind, vgl.
bereits Rz. 5.18.

III. Rechtsfolgen des Art. 9 Rom I-VO


Hinsichtlich der Rechtsfolgen unterscheiden Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Rom I-VO zwischen der 5.35
„Anwendung“ (application) von Eingriffsnormen der lex fori und der „Wirkungsverleihung“
(effect may be given; effet pourra être donné) forumsfremder Eingriffsnormen. Auf die Aus-
wirkungen dieser bewussten Differenzierung ist im Zusammenhang mit den Einzelerläuterun-
gen des Art. 9 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 5.59 ff. sowie Rz. 5.124 ff.) einzugehen.

IV. Sperrwirkung des Art. 9 Rom I-VO und materiell-rechtliche


Berücksichtigung von Eingriffsnormen
1. Grundsatz
Art. 9 Rom I-VO gestattet die Anwendung bzw. Wirkungsverleihung von Eingriffsnormen 5.36
nur ausnahmsweise unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen. Liegen diese
nicht vor, weil die Eingriffsnorm weder der lex fori noch dem Recht des Erfüllungsortes ent-
stammt, entfaltet Art. 9 Rom I-VO grundsätzlich Sperrwirkung. Eingriffsnormen, die nicht
die Voraussetzungen des Art. 9 Rom I-VO erfüllen, kann nicht durch eine Sonderanknüpfung
„Wirkung verliehen“ werden1.
Die Sperrwirkung betrifft, wie in Rz. 5.23 f. ausführlich erläutert, grundsätzlich auch und ins-
besondere öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen des Vertragsstatuts.

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; d’Avout, D.


2008, 2165 (2168); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Mankowski, EuZ 2009, 2 (10); Staudinger,
AnwBl. 2008, 8 (12); Leible, Rom I und Rom II, S. 66; Freitag, IPRax 2009, 109 (115) m.w.N.; Do-
ehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 52; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 123 f.; Mar-
tiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 113 f.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 30;
Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42 f.; von Hein in MünchKomm, Einl.
IPR Rz. 313; a.M. wohl Siehr, RdA 2014, 206 (209); Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“
des europäischen IPR (2013), S 264 ff.; a.A. für Handelsvertreterverträge Rz. 23.174.

Zwickel | 323
§ 5 Rz. 5.37 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

2. Materiell-rechtliche Berücksichtigung der Eingriffsnormen


a) Grundlagen
5.37 Handelt es sich weder um eine Eingriffsnorm der lex fori noch um eine solche des Erfüllungs-
orts oder ist ihre Anwendung mit inländischen Wertungen inkompatibel, ist eine Anwendung
derselben als Rechtsvorschrift unzulässig1. In der Rechtssache Nikiforidis2 hat der EuGH aber
bestätigt, dass eine materiell-rechtliche Berücksichtigung von Eingriffsnormen weiterhin zu-
lässig ist. Die Rom I-VO harmonisiere nur das Kollisionsrecht und nicht die Sachrechte der
Mitgliedsstaaten.

5.38 Im Grundsatz ist der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Nikiforidis zuzustimmen. Zwei-
fel sind aber im Hinblick auf die Reichweite einer solchen materiell-rechtlichen Berücksichti-
gung forumsfremder Eingriffsnormen angebracht3. So wird man, in Abweichung zur Recht-
sprechung des EuGH, davon auszugehen haben, dass Art. 9 Rom I-VO im Grundsatz auch
eine materiell-rechtliche Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen sperrt4. Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO beinhaltet bereits ein Ermessen hinsichtlich der Wirkungsverleihung fo-
rumsfremder Eingriffsnormen. Auch eine materiell-rechtliche Berücksichtigung kann daher
Rechtsfolge des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sein5. Dem würde aber eine stets gegebene Möglich-
keit zu materiell-rechtlicher Berücksichtigung zuwiderlaufen6.
Eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ist daher nur möglich soweit sich das betreffende
Eingriffsrecht tatsächlich auf die Möglichkeit der Vertragserfüllung auswirkt. So sind behörd-
liche Maßnahmen anderer Staaten aufgrund von Eingriffsgesetzen als Leistungshindernisse
im Unmöglichkeitsrecht (tatsächliche Unmöglichkeit) und im Rahmen der Störung der Ge-
schäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf tatsächlicher Ebene des materiellen Sachrechts zu berück-
sichtigen. Voraussetzung hierfür ist aber stets, dass der anzuwendenden forums- und statuts-
fremden Rechtsordnung ausreichender tatsächlicher Einfluss auf die Vertragserfüllung zu-
kommt. Es muss folglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer Rechtsdurchsetzung vorlie-
gen7.

b) Einzelfälle

5.39 – In der Rechtssache Nikiforidis8, in der einem an einer griechischen Schule in Deutschland
tätigen Lehrer die Vergütung auf Grundlage der griechischen Spargesetze gekürzt werden
sollte, spielte sich die Sachverhaltskonstellation ausschließlich in Deutschland ab, so dass

1 Freitag, NJW 2018, 430; Führich, MDR 2019, 1285 (1286); Mäsch, JuS 2019, 386; Maultzsch, FS
Kronke (2020), S. 363 (368); Tonner/Führich, RRa 2018, 58 (60).
2 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; Vorlage des
BAG: Beschl. v. 25.2.2015 – 5 AZR 962/13, NZA 2015, 542 = RIW 2015, 313.
3 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368).
4 Freitag, NJW 2018, 430; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368); a.A. Mankowski, IPRax 2016,
485 (489 ff.).
5 W.-H. Roth, AcP 220 (2020), 458 (522).
6 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 155 (Stand 1.2.2021); Maultzsch, FS Kron-
ke (2020), S. 363 (369); a.A. W.-H. Roth, AcP 220 (2020), 458 (520 ff.).
7 Freitag, NJW 2018, 430, 433; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (370); Maultzsch, EuZA 2017,
241, 254 f.
8 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141.

324 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.41 § 5

ein hinreichender faktischer Einfluss Griechenlands auf die betroffenen Arbeitsverträge


nicht feststellbar war1.
– Auch für das argentinische Zahlungsmoratorium für Staatsanleihen hat der BGH ein Leis-
tungsverweigerungsrecht mangels Möglichkeit der Durchsetzung der entsprechenden Be-
stimmungen verneint2.
– Für den Fall der Nichtbeförderung eines israelischen Staatsangehörigen durch eine ara-
bische Fluggesellschaft wird im deutschen Recht, das die Wertungen des Eingriffsrechts
nicht teilt, von der Rechtsprechung hingegen, wegen eines Zwischenstopps in Kuwait und
des damit verbundenen Einflusses des Boykottgesetzes Kuwaits, ein Fall der tatsächlichen
Unmöglichkeit angenommen3.
– Umstritten ist, ob sog. blocking statutes (Rz. 5.149) des Forumstaates eine materiell-rechtliche
Berücksichtigung der faktischen Durchsetzung blockierter Normen ausschließen können4.

V. Vorgaben des Primärrechts für die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO
1. Primärrechtliche Grenzen der Anwendung von Eingriffsnormen
Der EuGH hat in der Entscheidung „Unamar“5 den bereits zuvor anerkannten Grundsatz6 be- 5.40
stätigt, dass das Unionsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten begrenzt, bei Binnenmarktsach-
verhalten, d.h. im Rechtsverkehr zwischen EU-Mitgliedstaaten, in- oder ausländische Ein-
griffsnormen gegenüber dem aufgrund objektiver oder subjektiver Anknüpfung berufenen
Vertragsstatut durchzusetzen. Diese Einschränkungen resultieren insbesondere aus den
Grundfreiheiten des AEUV sowie den (europäischen) Grundrechten. Bei Binnenmarktsach-
verhalten darf auf Art. 9 Rom I-VO nur insoweit zurückgegriffen werden, als das Ergebnis
der Anwendung der Eingriffsnorm im zwingenden Interesse des Gemeinwohls desjenigen
Mitgliedstaates liegt, dessen Gerichte in den Vertrag eingreifen, was in jedem Einzelfall sehr
sorgfältig zu prüfen ist.

2. Unionsrechtliche Pflicht zur Durchsetzung von Eingriffsnormen


a) Verpflichtung zur Durchsetzung unionsrechtlicher Eingriffsnormen
Es versteht sich von selbst, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Eingriffsnormen des EU- 5.41
Rechts gegen das Vertragsstatut durchzusetzen; ein Ermessen der Mitgliedstaaten besteht in-
soweit nicht. Im Hinblick auf die Art und Weise der Durchsetzung ist allerdings nach der
Rechtsqualität der europäischen Eingriffsnorm zu differenzieren:

1 So auch die Anschlussentscheidung BAG v. 26.4.2017 – 5 AZR 962/13, IPRax 2018, 86 und Siehr,
IPRax 2018, 44; W.-H. Roth, IPRax 2018, 177.
2 BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, NJW 2015, 2328; Müller, RIW 2015, 294; Sandrock, RIW 2016,
549 (552 f.); Weller/Grotz, JZ 2015, 989.
3 OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591 m. Aufs. Thon, IPRax 2019, 301 und
Mankowski, RIW 2019, 180; OLG München v. 24.6.2020 – 20 U 6415/19, MDR 2020, 1368; krit.
Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317, 318.
4 Abl. Bälz, NJW 2020, 878 (880); Mankowski, IPRax 2016, 485 (491); zust. Gernert, IPRax 2020,
329 (332); diff. Lieberknecht, IPRax 2018, 573 (576).
5 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 46.
6 So auch BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110 (119) = MDR 2003, 683. Ausf. Fetsch,
S. 87 ff.; Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-
VO Rz. 29.

Zwickel | 325
§ 5 Rz. 5.42 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.42 Soweit die betreffende Eingriffsnorm des Unionsrechts in einer unmittelbar geltenden Ver-
ordnung oder Entscheidung enthalten ist, ist sie zugleich Bestandteil der innerstaatlichen
Ordnung derjenigen Mitgliedstaaten, an die sie adressiert ist. Sie ist daher über Art. 9 Abs. 1,
Abs. 2 Rom I-VO als Eingriffsnorm der lex fori durchzusetzen. Das gilt insbesondere für die
europäischen Embargovorschriften und Finanzsanktionen (dazu Rz. 5.64 f.) sowie für die
Preisregelungen im Bereich der Bankenentgelte sowie des Roamings (dazu Rz. 5.97).

5.43 Ist eine unionsrechtliche Eingriffsnorm lediglich in einer Richtlinie oder in einer ausnahms-
weise ausfüllungsbedürftigen Verordnung (etwa in der EU-Kulturgüterschutzverordnung1,
die die unionsweite Durchsetzung nationalen Kulturgüterschutzrechts bezweckt2) enthalten,
bedarf sie der Umsetzung in das nationale Recht. Dem unbedingten internationalen Geltungs-
anspruch der betreffenden europäischen Vorgabe ist hier durch Qualifikation der einschlägi-
gen mitgliedstaatlichen Umsetzungsnorm als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO
Rechnung zu tragen. Dabei hängt es vom Einzelfall ab, ob die betreffende Eingriffsnorm als
solche der lex fori über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO oder als forumsfremde gem. Art. 9 Abs. 3
Rom I-VO berufen wird.

b) Keine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen anderer EU-


Mitgliedstaaten
5.44 Gelegentlich wird eine allgemeine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen an-
derer EU-Mitgliedstaaten postuliert3. Die These wird mit dem Binnenmarktprinzip, dem
Grundsatz der Unionstreue bzw. dem gegenseitigen Respekt der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3
EUV) und dem Gedanken einer „akzessorischen Funktionssicherung“ der international-zivil-
prozessualen Vorschriften der Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO begründet. Dem ist mit gro-
ßen Teilen der Literatur4 und dem EuGH5 zu widersprechen. Bei Art. 9 Rom I-VO handelt es
sich um eine Öffnungsklausel, die vom Unionsgesetzgeber für Ausnahmefälle geschaffen wur-
de, um den Mitgliedstaaten die Durchsetzung ihrer Eingriffsnormen zu ermöglichen. Aus der

1 Früher Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates v. 9.12.1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern,
ABl. EG 1992 Nr. L 395, 1, nunmehr Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates vom 18.12.2008
über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifizierte Fassung), ABl. EU 2009 Nr. L 39, 1.
2 Während die Art. 1 ff. der Verordnung die Ausfuhr geschützten Kulturgutes vom Vorliegen einer
öffentlich-rechtlichen Genehmigung abhängig machen und deren Einzelheiten und die gemein-
schaftsweite Wirkung derartiger Entscheidungen regeln, überlässt Art. 9 die effektive Umsetzung
der VO im Übrigen – und damit auch diejenige der zivilrechtlichen Folgen von Verstößen – der
Regelung durch die Mitgliedstaaten. Näher dazu in Rz. 5.94.
3 Armbrüster, VersR 2006, 1 (4); Bonomi, Yb. PIL 1 (1999), 215 (240); Steindorff, EuR 1981, 426
(428); Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 205 (237); Roth, RabelsZ 35 (1991), 623 (663); Struycken,
Rec. des Cours 232 (1992), 260 (339 ff.); Höpping, Auswirkungen der Warenverkehrsfreiheit auf
das IPR (1997), S. 256; Fetsch, S. 319 ff.; Wördemann, International zwingende Normen im inter-
nationalen Privatrecht des europäischen Versicherungsvertrages (1997), S. 363 f.; für Pflicht zur
Rücksichtnahme W.-H. Roth, IPRax 2018, 177 (186).
4 Wie hier etwa Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (295); Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 (736); von Wil-
mowski, RabelsZ 62 (1998), 1 (26 ff.); Mankowski, VersR 1999, 821 (824); Beulker, S. 142 ff.; Ku-
ckein, S. 62 f.; von Bar/Mankowski, I § 4 Rz. 117 f.; Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 140 (Stand 1.2.2021); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 32; Sonnenberger in
MünchKomm (5. Aufl. 2010), Einl. IPR Rz. 216; unklar Royla, Grenzüberschreitende Finanz-
marktaufsicht in der EG (2000), S. 159.
5 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141 m. Aufs. W.-
H. Roth, IPRax 2018, 177.

326 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.47 § 5

Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I-VO, insbesondere des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO folgt
unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber die Norm möglichst eng ausgelegt wissen will und allen-
falls die Eingriffsnormen der lex fori sowie diejenigen des am Erfüllungsort geltenden Rechts
als „Störfaktoren“ zulässt. Vor diesem Hintergrund muss eine Anwendung des Art. 9 Rom I-
VO ausscheiden, die letztlich zu einer Kumulation denkbarer Eingriffsnormen sämtlicher EU-
Mitgliedstaaten führte. Eine Pflicht zur Anwendung der Eingriffsnormen eines anderen Mit-
gliedstaats kann nur in der zwischen Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO liegenden
Fallkonstellation gelten, in der die Eingriffsnormen der lex fori und die forumsfremden Ein-
griffsnormen inhaltlich vergleichbare Regelungen enthalten, es aber für eine Anwendung des
Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO am Inlandsbezug (s. Rz. 5.61) fehlt1.

3. Insbesondere: Eingriffsnormen und Unionsprivatrecht


a) Einführung
Besondere Grundsätze bei der Anwendung von Eingriffsnormen gelten für diejenigen Berei- 5.45
che des Vertragsrechts, die Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen der EU sind. Zu-
nächst ist zu beachten, dass es auf Art. 9 Rom I-VO nach dem Gesagten (Rz. 5.25 ff.) nur
ankommt, wenn der betreffende europäische Rechtsakt nicht bereits durch Art. 3 Abs. 4, Art. 6
Rom I-VO oder spezielle Kollisionsnormen durchgesetzt wird. Im Übrigen sind drei Pro-
blemstellungen zu unterscheiden. Erstens ist zu klären, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet
sind, über Art. 9 Rom I-VO die einfach zwingenden Vorschriften privatrechtsangleichender
Richtlinien, die keine speziellen Kollisionsnormen enthalten, international durchzusetzen.
Zweitens geht es um die Frage, ob im Anwendungsbereich einer zivilrechtsangleichenden
Richtlinie, die dem Konzept der Mindestharmonisierung folgt, ein Mitgliedstaat befugt ist, sei-
ne richtlinienkonforme lex fori gegen eine ebenfalls richtlinienkonforme lex causae durch-
zusetzen. Drittens ist fraglich, ob die Mitgliedstaaten zur Durchbrechung einer von einem an-
deren Mitgliedstaat gestellten lex causae gar verpflichtet sind, wenn letztere die unionsrecht-
lichen Vorgaben zu Unrecht nicht oder nicht korrekt umsetzt.

Vorauszuschicken ist den folgenden Ausführungen der Hinweis, dass die geschilderten Proble- 5.46
me, die in der Vergangenheit eine ganze Flut an Gerichtsentscheidungen und wissenschaftli-
chen Stellungnahmen hervorgerufen hatten2, zwischenzeitlich ganz erheblich an praktischer
Bedeutung verloren haben.

b) Verpflichtung zur Anwendung von Vorschriften des Unionsprivatrechts nach den


Grundsätzen der „Ingmar-Entscheidung“ des EuGH
Die in Art. 46b Abs. 3 EGBGB genannten Richtlinien des europäischen Verbraucherschutz- 5.47
rechts enthalten spezielle Kollisionsnormen, die die internationale Anwendung des harmoni-
sierten Rechts sicherstellen sollen, wenn weder die allgemeine verbraucherschützende Kollisi-
onsnorm des Art. 6 Rom I-VO noch die Binnenmarktklausel des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO ein-
greift. Voraussetzung der Durchsetzung der Richtlinien ist jeweils, dass der Vertrag in den An-
wendungsbereich der Richtlinie fällt und einen „engen Zusammenhang“ zum Gebiet der Uni-
on oder des EWR aufweist und die Parteien das Recht eines Drittstaates gewählt haben. In

1 Remien, FS Kronke (2020), S. 459 (465); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 142.1
(Stand 1.2.2021).
2 Nachw. 6. Aufl., Rz. 417 ff. sowie Fetsch, S. 87 ff.

Zwickel | 327
§ 5 Rz. 5.47 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Bezug auf diese Sonderregelungen, die nach Art. 23 Rom I-VO auch nach Inkrafttreten der
Rom I-VO fortgelten und Art. 9 Rom I-VO vorgehen, ist auf Rz. 5.30 zu verweisen.

5.48 Demgegenüber fehlen entsprechende ausdrückliche Kollisionsregelungen in einigen älteren


zivilrechtsharmonisierenden Richtlinien, namentlich in der Handelsvertreter-Richtlinie1.
Für derartige Richtlinien stellt sich die Frage, ob ihnen trotz Ermangelung ausdrücklicher Kol-
lisionsnormen ein ungeschriebenes Prinzip der zwingenden Anknüpfung zugrunde liegt. Dies
hätte zur Folge, dass auch der durch diese Richtlinien geschaffene unionsrechtliche Mindest-
standard durch die Wahl eines drittstaatlichen Rechts nicht abbedungen werden könnte. Der
EuGH hat diese Frage in der Sache „Ingmar GB“2 für die Handelsvertreter-Richtlinie für den
Fall bejaht, dass der Handelsvertreter in der Union ansässig bzw. tätig ist und die Parteien die
Geltung eines drittstaatlichen Rechts vereinbart haben3. In derartigen Konstellationen sei es
nicht gestattet, durch Wahl eines drittstaatlichen Rechts von den zwingenden Vorschriften der
dem Schutz des Handelsvertreters dienenden Normen der Richtlinie abzuweichen. Begründet
wurde diese Entscheidung zum einen mit der (äußerst zweifelhaften) Schutzbedürftigkeit des
Handelsvertreters, zum anderen mit dem Wunsch des europäischen Gesetzgebers, Wett-
bewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden4. Im Ergebnis führt dies zu einer zwin-
genden Anknüpfung des nicht-dispositiven unionsrechtlichen Mindeststandards bei einem
substantiellen Bezug des Vertrages zum Gebiet der EU5.

5.49 Diese Rechtsprechungsgrundsätze gelten auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO fort6. Zwar
enthält die Rom I-VO insbesondere mit Art. 3 Abs. 4 sowie Art. 6 und Art. 8 bereits Vor-
schriften, die sich mit der internationalen Durchsetzung zwingender Standards des richtlini-
enbasierten Unionsprivatrechts befassen. Dennoch stehen diese Regelungen der EuGH-Recht-
sprechung nicht entgegen, da letztere nur solche Fälle erfasst, in denen nach Auffassung des
EuGH kollisionsrechtliche Schutzlücken existieren. Es ist im Einzelfall durch den EuGH zu
ermitteln, ob einer Bestimmung des Unionsprivatrechts tatsächlich fundamentale öffentliche
Bedeutung zukommt, was im Zweifel seit Inkrafttreten der Rom I-VO nicht der Fall sein wird.
Insbesondere für die jüngeren Richtlinien des Privatrechts wird man davon ausgehen müssen,
dass der europäische Gesetzgeber für diese eine spezielle Kollisionsnorm geschaffen hätte,
wenn er der Auffassung gewesen wäre, dass die Rom I-VO insoweit nicht hinreichende Ge-
währ für die Durchsetzung des Unionsrechts bietet.

1 Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mit-
gliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EG 1986 Nr. L 382, 17.
2 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108; EuGH v.
26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225.
3 Nemeth/Rudisch, ZfRV 42 (2001), 182 f.; Michaels/Kamann, EWS 2001, 309; Freitag/Leible, RIW
2001, 291 ff.; Staudinger, NJW 2001, 1974 ff.; Reich, EuZW 2001, 52; Pfeiffer, FS Geimer (2002),
S. 821 (831 f.); Kreuzer/Wagner in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Bearb.
2001), Rz. R 213. Teilw. a.M. Backert, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz im Mosaik der Son-
deranknüpfungen des deutschen internationalen Schuldvertragsrechts (2000), S. 203 ff.
4 Krit. Michaels/Kamann, EWS 2001, 305; Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff.
5 Etwa Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff.; vgl. auch OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax
2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294 und Anm. Thume, IHR 2006, 169).
6 EuGH v. 16.2.2017 – C-507/15, ECLI:EU:C:2017:129 (Agro), IWRZ 2017, 229; wie hier insb. auch
Kieninger, FS Kropholler (2008), S. 499 ff.; Martiny, ZEuP 2010, 777; Schacherreiter, ZEuP 2015,
497; W.-H. Roth, FS Spellenberg (2010), 317 ff.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 40;
kritisch Fabig, IHR 2019, 1 (3).

328 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.51 § 5

Fraglich ist im Übrigen, ob die Umsetzung der Vorgaben des EuGH i.R.d. Art. 9 Rom I-VO 5.50
dergestalt zu erfolgen hat, dass das die betreffenden Richtlinienbestimmungen umsetzende
nationale Recht als Eingriffsnorm qualifiziert wird1 oder ob von der Öffnungsklausel des
Art. 23 Rom I-VO zugunsten spezieller Richtlinienkollisionsnormen Gebrauch zu machen ist.
Dabei sprechen die besseren Argumente dafür, die Problematik außerhalb des Art. 9 Rom I-
VO zu lösen. So geht der EuGH ersichtlich davon aus, dass diejenigen privatrechtsangleichen-
den Richtlinien, die keine expliziten Kollisionsnormen enthalten, zumindest implizit i.R.d. De-
finition ihres räumlichen Anwendungsbereichs auch ihren internationalen Geltungswillen
festlegen2. Diese ungeschriebenen Kollisionsnormen aber entsprechen ihrer Struktur nach ge-
rade den durch Art. 46b EGBGB umgesetzten ausdrücklichen Richtlinienkollisionsnormen,
nicht aber derjenigen des Art. 9 Rom I-VO. Denn während Eingriffsnormen strukturell unila-
teralistisch der Durchsetzung der Interessen ihres Erlassstaates dienen, geht es in den „Ing-
mar“-Konstellationen um die Schaffung eines marktabgrenzenden, allseitigen Kollisionsrechts
i.S.v. Rechtswahlbeschränkungen bei substantiellem Unionsbezug3. So sollte etwa auf den
Handelsvertretervertrag stets diejenige der Umsetzung der Richtlinie dienende mitgliedstaatli-
che Rechtsordnung Anwendung finden, zu der der Sachverhalt den engsten Bezug aufweist.
Das wird zwar i.d.R. die lex fori sein, ohne dass dies freilich zwingend wäre, da etwa auch vor
deutschen Gerichten über den Ausgleichsanspruch des englischen Handelsvertreters gegen
seinen amerikanischen Auftraggeber gestritten werden kann. Diese Rechtsfolge aber lässt sich
nur durch Analogie zu Art. 46b EGBGB erreichen. Qualifizierte man die der Umsetzung der
materiell-rechtlich zwingenden Richtlinienvorschriften dienenden Bestimmungen des natio-
nalen Rechts als Eingriffsnormen, so wären sie je nachdem, ob der Vertrag einen engen Bezug
zur lex fori oder aber zu einem anderen Mitgliedstaat aufweist, entweder über Art. 9 Abs. 2
Rom I-VO oder über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO durchzusetzen. Letzteres aber erscheint auch
deswegen äußerst problematisch, weil Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO an sich auf Verbotsgesetze zu-
geschnitten ist und die Anwendung ausländischen Eingriffsrechts in das Ermessen des Ge-
richts stellt. Schließlich steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, dass die Kom-
mission in Art. 3 Abs. 5 ihres Entwurfs eine möglicherweise für „Ingmar“-Konstellationen ge-
dachte spezielle marktabgrenzende Sonderregelung vorgeschlagen hatte, die nicht in die End-
fassung der Rom I-VO übernommen wurde. Diese von der Kommission als „Umgehungsver-
bot“4 bezeichnete Regelung dürfte gerade den Zweck verfolgt haben, die geschriebenen und
ungeschriebenen Richtlinienkollisionsnormen zu ersetzen. Demzufolge erscheint es plausibel,
dass mit Streichung des zunächst als abschließend gedachten Katalogs der von der Rom I-VO
aufgehobenen speziellen Richtlinienkollisionsnormen auch Art. 3 Abs. 5 des ursprünglichen
Kommissionsentwurfs entfallen ist.

c) Mindestharmonisierung und internationale Durchsetzung strengeren nationalen


Rechts
Zahlreiche, insbesondere ältere Richtlinien des Unionsprivatrechts, aber etwa auch die Hypo- 5.51
thekarkredit-Richtlinie, folgen dem Konzept der Mindestharmonisierung. Umstritten war, ob
ein Mitgliedstaat, der den Richtlinienstandard in zulässiger Weise überbietet, die strengeren

1 So explizit OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax
2007, 294 und Anm. Thume, IHR 2006, 169).
2 Ausf. Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff.
3 Zu dieser Charakterisierung insb. Sonnenberger, IPRax 2003, 108 (111); vgl. auch Freitag/Leible,
RIW 2001, 291 ff.
4 KOM(2005), 650 endgültig, S. 6.

Zwickel | 329
§ 5 Rz. 5.51 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

nationalen Normen als Eingriffsnormen gegen eine weniger weitgehende, mit dem Richtlini-
enstandard aber ebenfalls vereinbare lex causae eines anderen Mitgliedstaates durchsetzen
darf. Für eine solche Befugnis spricht entscheidend, dass die mindestharmonisierenden
Richtlinien den Mitgliedstaaten gerade die Möglichkeit einräumen, strengere innerstaatliche
Vorschriften zu erlassen. Damit liegt die Kompetenz zur Setzung weitergehender nationaler
Schutzstandards bei den Mitgliedstaaten, womit auch das Recht verbunden ist, die strengere
innerstaatliche Vorschrift bei grenzüberschreitenden Sachverhalten als Eingriffsnorm durch-
zusetzen1. Der EuGH hat die Befugnis der Mitgliedstaaten in der Entscheidung „Unamar“
(wenn auch noch zu Art. 7 EVÜ, Art. 34 EGBGB) im Grundsatz ausdrücklich anerkannt2.
Die Gestattung, strengere nationale Schutzstandards auch international zwingend durchzuset-
zen, unterliegt freilich den bereits geschilderten Begrenzungen durch die Grundfreiheiten
und -rechte (Rz. 5.40) und wird sich im Bereich des harmonisierten Zivilrechts nur selten
rechtfertigen lassen3. Eine Rechtfertigung wäre nur möglich, wenn die beschränkende Maß-
nahme zur Wahrung wichtiger Interessen des Allgemeinwohls des betreffenden Mitgliedstaa-
tes zwingend erforderlich ist. Hierfür aber müsste letzterer nachweisen, dass der von der Uni-
on gesetzte Mindeststandard unzureichend ist und im Interesse der geschützten Partei zwin-
gend die weitergehenden nationalen Schutzstandards einzuhalten und international durch-
zusetzen sind. Nun hat der Unionsgesetzgeber in der betreffenden Richtlinie bereits entschie-
den, welches Regelungsniveau auf europäischer Ebene unabdingbar ist, wobei er regelmäßig
von einem hohen Schutzniveau ausgeht4. Vor diesem Hintergrund wird es dem Mitgliedstaat
kaum gelingen, die überragende Wichtigkeit und Bedeutung seiner über diesen Standard hi-
nausgehenden Regelungen darzulegen5. Hinzu kommt, dass Vorschriften des Privatrechts
überhaupt nur ausnahmsweise zu den Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zählen,
wenn sie besondere öffentliche Belange verfolgen. Das indes ist bei den meisten rein verbrau-
chervertraglichen Vorschriften nicht der Fall (ausf. bereits Rz. 5.19 f.).

d) Keine Durchsetzung der lex fori bei richtlinienwidriger lex causae


5.52 Die Durchsetzung nationalen Rechts gegenüber anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen
kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das nach der Rom I-VO bestimmte Vertragsstatut
unionsrechtswidrig ist, weil der ausländische Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht bzw. nicht
ordnungsgemäß umgesetzt hat6. Eine zwingende Durchsetzung der richtlinienkonformen lex
fori verstieße hier gegen das Verbot der horizontalen Drittwirkung des Unionsrechts zwi-
schen Privatpersonen. Der EuGH verweigert in ständiger Rechtsprechung den Unionsbürgern
in zivilrechtlichen Streitigkeiten mit anderen Privatpersonen die unmittelbare Berufung auf

1 BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 (258 f.) = ZIP 2006, 1016; Freitag, Der Einfluss
des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht (2000),
S. 418 ff.; Bitterich, Die Neuregelung des Internationalen Verbrauchervertragsrechts in Art. 29a
EGBGB (2003), S. 283 (289); Nemeth/Rudisch, ZfRV 2001, 179 (182); Pfeiffer, FS Geimer (2002),
S. 821 (835); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (71); Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (148).
2 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 41 ff.
3 Leible/Sosnitza, K&R 1998, 284 (288 f.); Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3679 f.); Michaels/Kamann,
EWS 2001, 307 f. Weitergehend Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 471 ff.
4 Vgl. für den Verbraucherschutz Art. 114 Abs. 3 AEUV Allerdings handelt es sich hierbei wohl um
politische Programmsätze, die außerhalb von Fällen offensichtlichen Ungenügens der unions-
rechtlichen Regulierung kaum justiziabel sein dürften.
5 Sehr zurückhaltend daher auch die Formulierung in EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:
C:2013:663 (Unamar), Rz. 52, IPRax 2014, 174.
6 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 43.

330 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.53 § 5

Richtlinienrecht1, weil dies „bedeutete, dass der Gemeinschaft die Befugnis zuerkannt würde,
mit Richtlinien unmittelbare Wirkung zu Lasten des Bürgers Verpflichtungen anzuordnen,
obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen
ist“. Diese Position wurde vom EuGH in der Entscheidung „El Corte Inglès“ ausdrücklich für
den Bereich des Verbraucherschutzrechts bestätigt2. Gerechtigkeitslücken entstehen durch
die hier vertretene Auffassung nicht: Soweit diejenige Partei, die durch die Richtlinie begüns-
tigt werden sollte, nach dem Gesagten zivilrechtlich schutzlos gestellt wird, stehen ihr unions-
rechtlich begründete Schadensersatzansprüche gegen denjenigen Mitgliedstaat zu, der die be-
treffende Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat3. Für die hier vertretene
Ansicht spricht auch das systematische Argument, dass Art. 16 der Richtlinie über den Fern-
absatz von Finanzdienstleistungen eine eigenständige Regelung der Problematik enthält: Da-
nach dürfen „die Mitgliedstaaten auf Anbieter, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind,
der diese Richtlinie noch nicht umgesetzt hat und nach dessen Recht keine den Verpflichtun-
gen dieser Richtlinie entsprechenden Verpflichtungen bestehen, nationale Bestimmungen an-
wenden, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen“. Nach dieser speziellen Vor-
schrift dürfen die Mitgliedstaaten ein richtliniengemäßes mitgliedstaatliches Recht (im Wege
der Sonderanknüpfung) berufen4. Außerhalb des Anwendungsbereiches dieser Richtlinie
bleibt es bei den dargelegten Grundsätzen.

VI. Art. 9 Rom I-VO und Völkerrecht


Grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien wie das Unionsrecht (dazu Rz. 5.40 ff.) kann das 5.53
Völkerrecht die Anwendung bzw. Wirkungsverleihung von Eingriffsnormen positiv oder ne-
gativ beeinflussen; insoweit gelten die betreffenden Ausführungen entsprechend. Insbesondere
verpflichtet Art. VIII Abschn. 2b des Abkommens über den Internationalen Währungsfonds5
seine Mitgliedstaaten zur Durchsetzung ausländischer Devisenvorschriften, während Art. 3
des UNESCO-Kulturgüterabkommens6 seine Mitgliedstaaten anhält, Im- und Export auslän-
dischen Kulturguts weitestgehend zu untersagen (dazu Rz. 5.94 f.). In beiden Fällen wurde mit
Inkrafttreten des jeweiligen Ratifikationsgesetzes eine inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO geschaffen, die die inländischen Gerichte dazu verpflichtet, ausländische
Devisen- bzw. Aus- oder Einfuhrverbote unabhängig von dem auf den Vertrag anwendbaren
Recht zu beachten. Eines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bedarf es insoweit nicht. In
Art. 25 Rom I-VO hat der europäische Gesetzgeber explizit den Vorrang der völkerrechtlichen
Verträge kollisionsrechtlichen Gehalts der EU-Mitgliedstaaten anerkannt.

1 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292, Rz. 22 ff. (Facchini Dori/Recreb), ZIP 1994,
1187 = EuZW 1994, 498.
2 EuGH v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88, ZIP 1996, 870 (El Corte Inglès), NJW 1996,
1401.
3 Auf diesen Ausweg verweisen auch Michaels/Kamann, JZ 1997, 607; Magnus in Staudinger (2016),
Art. 9 Rom I Rz. 43.
4 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2002, 462 (463).
5 Übereinkommen v. 30.4.1976 über den Internationalen Währungsfonds, BGBl. II 1978, 13.
6 Übereinkommen v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswid-
rigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. II 2007, 626, für Deutschland in
Kraft getreten am 29.2.2008.

Zwickel | 331
§ 5 Rz. 5.54 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

VII. Eingriffsnormen und Verfahrensrecht


1. Beweislastverteilung
5.54 Weder Art. 9 Rom I-VO noch die Erwägungsgründe zur Verordnung oder die Gesetzgebungs-
historie geben Aufschluss über die mit der „Wirkungsverleihung“ von Eingriffsnormen ver-
bundenen prozessualen Probleme, d.h. insbesondere der objektiven und subjektiven Beweis-
last und des Beweismaßes. Auch Art. 18 Rom I-VO hilft nicht weiter, da die Bestimmung ih-
rem Wortlaut nach nur Rechtsfragen des Beweises in Bezug auf die nach der Rom I-VO ermit-
telte lex causae normiert, während Eingriffsnormen gerade nicht vom Verweisungsumfang
der einfachen Kollisionsnormen der Rom I-VO umfasst werden. Im Ergebnis sind die Ant-
worten auf die aufgeworfenen prozessualen Fragen daher im Grundsatz der jeweiligen lex fori
zu entnehmen.

5.55 Im deutschen Recht sind Eingriffsnormen sowohl der lex fori als auch ausländischer Rechte
von Amts wegen zu beachten. Ihre Beachtlichkeit hängt nicht von entsprechendem Parteivor-
trag ab1. Allerdings setzt die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen durch das Gericht vo-
raus, dass dieses überhaupt Kenntnis von der Existenz der betreffenden Bestimmung hat, die
es nur aufgrund eigener Sachkunde oder entsprechenden Parteivortrags erlangen kann. Im
Hinblick auf die Ermittlung des Inhalts der Eingriffsnorm sowie ihrer tatsächlichen Vorausset-
zungen gelten gem. § 293 ZPO Amtsermittlungsgrundsatz und Freibeweisverfahren, d.h. das
Gericht hat sich vom Vorliegen der Norm und ihren Voraussetzungen nach pflichtgemäßem
Ermessen zu überzeugen. Dabei kann es sich der Hilfe derjenigen Partei bedienen, die in Be-
zug auf die betreffende Eingriffsnorm die objektive Beweislast trägt und diese zur Mitwirkung
an der Sachverhaltsaufklärung auffordern. Die objektive Beweislast für die (Un-)Erweislichkeit
der Existenz einer ausländischen Eingriffsnorm und des Vorliegens ihrer Tatbestandsvorausset-
zungen trägt nach allgemeinen Grundsätzen diejenige Partei, die von den Rechtsfolgen der
Eingriffsnorm materiell-rechtlich profitiert. Die Frage nach der Revisibilität der Anwendung
ausländischen Rechts (§ 545 Abs. 1 ZPO) und damit der Anwendung forumsfremder Eingriffs-
normen ist umstritten2. Der BGH lässt die Verfahrensrüge nur für die fehlerhafte Ermittlung
ausländischen Rechts, nicht aber eine Revision der richtigen Anwendung desselben zu3.

2. Bedeutung für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und


Schiedsabreden
5.56 Inländische Eingriffsnormen, die sich auf einen konkreten Vertrag auswirken, werden in der
Praxis unzweifelhaft nur von inländischen staatlichen Gerichten durchgesetzt. Eine derartige
Durchsetzung erfordert eine Internationale Zuständigkeit im Inland, die entweder auf den ge-
setzlichen Zuständigkeitsregeln, insb. denjenigen der Brüssel Ia-VO oder auf Parteiabrede be-
ruhen kann. Aus inländischer Sicht problematisch ist dagegen die Vereinbarung der (aus-
schließlichen) Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts, wenn eine objektive gesetzliche Zu-
ständigkeit im Inland besteht und möglich, absehbar bzw. gar sicher ist4, dass das prorogierte

1 Wie hier Kunda, S. 249 ff. (264); Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 126.
2 Abl. Sturm, JZ 2011, 74; Heßler in Zöller, § 545 ZPO Rz. 8; befürwortend Hess/Hübner, NJW 2009,
3132.
3 BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656; BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014,
1244.
4 Zum Streit vgl. Rühl, IPRax 2007, 294 ff; für einschränkende Auswirkung der Eingriffsnormen auf
Fälle der „bezweckten, missbräuchlichen Gesetzesumgehung“: Basedow, FS Magnus (2014), 337
(352).

332 | Zwickel
B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.58 § 5

ausländische Gericht sich seinerseits über die inländischen Eingriffsnormen hinwegsetzen


wird. Hier fragt sich, ob die inländische Eingriffsnorm zur Unwirksamkeit der Gerichtsstands-
abrede führt, bei der es sich gem. Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO um einen eigenständigen pro-
zessualen Vertrag handelt. Die Beachtlichkeit der inländischen Eingriffsnormen für die Ge-
richtsstandsabrede richtet sich jedenfalls nicht nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, da Art. 1 Abs. 2
lit. e Rom I-VO Gerichtsstandsvereinbarungen (ebenso wie Schiedsabreden) vom sachlichen
Anwendungsbereich der Rom I-VO insgesamt ausnimmt. Auch die für Gerichtsstandsabreden
grundsätzlich maßgebliche Brüssel Ia-VO normiert nur Mindestvoraussetzungen der Wirk-
samkeit von Prorogationen und gestattet in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO in Bezug auf die
„materielle Unwirksamkeit“ der Abrede explizit den Rückgriff auf das nationale Recht1. Die
deutsche Rechtsprechung nimmt insoweit (auf ungeklärter rechtlicher Grundlage) an, dass
Gerichtsstandsabreden, die dazu führen, dass inländische Eingriffsnormen in concreto vom
ausländischen Gericht voraussichtlich nicht beachtet werden, unwirksam sind, so dass die ob-
jektiven, gesetzlichen Zuständigkeitsnormen eingreifen2.

In Bezug auf die Bedeutung von Eingriffsnormen für die (Un-)Wirksamkeit von Schiedsabre- 5.57
den ist entsprechend dem in Rz. 5.56 Gesagten davon auszugehen, dass auch eine Schieds-
abrede, die bewirkt, dass ein Schiedsgericht über den Streit entscheidet, das die inländische
Eingriffsnorm nicht beachtet, unwirksam ist mit der Folge, dass die staatlichen Gerichte nach
den für sie einschlägigen Zuständigkeitsregeln angerufen werden können und müssen3.

3. Inländische Eingriffsnormen und Anerkennung von Gerichtsurteilen und


Schiedssprüchen
Eingriffsnormen können sich auch auf die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Entschei- 5.58
dungen bzw. von Schiedssprüchen auswirken. Denkbar ist zum einen, dass dem ausländischen
Urteil bzw. Schiedsspruch die Anerkennung deswegen zu verweigern ist, weil das Gericht bzw.
Schiedsgericht international zwingende Bestimmungen des Anerkennungsstaates nicht ange-
wandt hat. Zum anderen könnte ein Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public
des Anerkennungsstaates daraus folgen, dass das ausländische staatliche Gericht bzw. Schieds-
gericht zwingende Bestimmungen eines anderen Staates berücksichtigt hat, die mit den Wert-
vorstellungen des Anerkennungsstaates unvereinbar sind. Insoweit ist auf die einschlägige in-
ternational-zivilprozessuale bzw. schiedsverfahrensrechtliche Fachliteratur zu verweisen4.

1 Ausführlich zu der Thematik Freitag, FS Magnus (2014), 419 ff.


2 BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, ZIP 1984, 1461 = MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 (zu Ge-
richtsstandsvereinbarung); BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, BB 2012, 3103 Rz. 4 (zu Gerichts-
standsvereinbarung).
3 Ausf. zuletzt Commandeur/Gößling, SchiedsVZ 2014, 12; s. auch Rühl, IPRax 2007, 294 ff. und
(mit pragmatischem Ansatz der gerichtlichen Modifikation der Schiedsklauseln) Kleinheister-
kamp, ICLQ 67 (2018), 903 (922 ff.).
4 Ausf. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 ff.; Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationa-
len Schiedsverfahren (2005).

Zwickel | 333
§ 5 Rz. 5.59 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO

I. Allgemeines
1. Grundlagen
5.59 Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO berechtigt die Mitgliedstaaten, die Eingriffsnormen ihres eigenen
Rechts gegen das Vertragsstatut durchzusetzen. Eine Verpflichtung, Eingriffsnormen vor-
zuhalten, besteht außerhalb unions- und völkerrechtlicher Verpflichtung (dazu Rz. 5.41 ff.,
Rz. 5.53) hingegen nicht, so dass es sich bei Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO um eine Öffnungsklausel
handelt, die den Mitgliedstaaten die Option eröffnet, das einheitliche Anknüpfungssystem
der Rom I-VO ausnahmsweise zugunsten nationaler öffentlicher Interessen i.S.d. Art. 9 Abs. 1
Rom I-VO zu durchbrechen.

2. Anwendungsvoraussetzungen
a) Allgemeine Voraussetzungen
5.60 Allgemeine Voraussetzungen der Anwendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO sind neben der
Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO gem. Art. 1 Rom I-VO das Vorliegen einer
Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO (dazu ausf. Rz. 5.15 ff.), die der lex fori ent-
stammt.

b) Erfordernis hinreichenden Inlandsbezugs


5.61 Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO macht (ebenso wenig wie früher Art. 34 EGBGB
und Art. 7 Abs. 2 EVÜ, anders dagegen der frühere Art. 7 Abs. 1 EVÜ) die Anwendung von
Eingriffsnormen der lex fori nicht ausdrücklich vom Vorliegen eines engen Bezugs des Vertra-
ges zum Gebiet des Gerichtsstaates abhängig. Im früheren Recht entsprach das Erfordernis
eines derartigen Inlandsbezugs der ganz überwiegenden Auffassung in Schrifttum und
Rechtsprechung1. Auch unter der Rom I-VO ist nach ganz h.M. von einer Fortgeltung dieses
Erfordernisses auszugehen2. Zwar schreibt die Rom I-VO dieses Erfordernis nicht vor. Auf-
grund der Funktion des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO als Öffnungsklausel obliegt es (vorbehaltlich
der Erfüllung der sonstigen Kriterien der Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO) freilich dem deut-
schen Recht, festzulegen, ob und in welchen Konstellationen es seine Vorschriften internatio-
nal durchsetzen will3. Das deutsche Recht kann folglich den internationalen Geltungswillen
seiner Eingriffsnormen vom Vorliegen eines hinreichenden Inlandsbezugs abhängig machen.
Eine gewisse Indizwirkung für das Vorliegen eines Inlandsbezugs entfalten die Zuständigkeits-
regeln der Brüssel Ia-VO (Art. 4 ff.), die die Zuständigkeit des mitgliedstaatlichen Gerichts
begründen4.

1 Nachw. 7. Aufl., Rz. 563 ff.


2 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18; Bitterich, GPR
2006, 161 (165); Kohler, FS Kronke (2020), 253 (258); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24;
Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 82; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 124 ff.; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15; gegen eine derartige Anforderung im EU-
Kollisionsrecht Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 232 (Stand 1.2.2021).
3 Zur Bedeutung der Auslegung in diesem Zusammenhang Hoffmann/Bierlein ZEuP 2020, 47 (64 f.);
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 124.
4 Magnus, IPRax 2010, 27 (41) Fn. 213; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 11.

334 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.64 § 5

Des Inlandsbezugs bedarf es insbesondere für eine sinnvolle Eingrenzung des Art. 9 Rom I-
VO sowie für die Vorhersehbarkeit des Rechts; dies dürfte auch völkerrechtlich geboten sein1.

3. Rechtsfolgen der Anwendung von Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO


Gemäß Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO sind Eingriffsnormen der lex fori „anzuwenden“. Diese For- 5.62
mulierung stellt klar, dass das Gericht die Eingriffsnormen in Einklang mit den Vorgaben des
inländischen Gesetzgebers befolgen muss. Diese Rechtsfolge ist unproblematisch und selbst-
verständlich, da der Befehl zur Befolgung der Eingriffsnorm von der auch für das erkennende
Gericht zuständigen und für dieses verbindlichen Legislativinstanz stammt. Da forumeigene
Eingriffsnormen insgesamt vom Anwendungsbereich des Vertragsstatuts ausgenommen sind,
bestimmt die lex fori auch über die Rechtsfolgen der Anwendung der Eingriffsnorm, d.h. bei
sog. unvollständigen Eingriffsnormen, die nur Ge- oder Verbote enthalten, über deren Aus-
wirkungen auf den Vertrag bzw. einzelne seiner Bestandteile etwa im Sinne der Nichtigkeit,
Reduktion etc2. Soweit Eingriffsnormen nur zu einem teilweisen Eingriff in den Vertrag füh-
ren, insb. indem sie die Teilunwirksamkeit oder -undurchführbarkeit anordnen, ergibt sich
aus dem Vertragsstatut, wie sich dieser Umstand auf den Vertrag insgesamt auswirkt3.

II. Einzelne Eingriffsnormen des deutschen Rechts (A–Z)


1. Allgemeines Vertragsrecht
Eine abschließende Auflistung aller Eingriffsnormen des deutschen Rechts ist nicht möglich. 5.63
Besonders bedeutsam sind aber die nachfolgend genannten international zwingenden Nor-
men.
Grundsätzlich nicht zu den Eingriffsnormen zählen die allgemeinen, individualschützenden
Regeln des Vertragsrechts, namentlich die §§ 138, 242 und 313 BGB. Gleiches gilt für verbrau-
cherschützende Widerrufs- oder Rückgaberechte sowie die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB)4.

2. Außenhandel, Embargomaßnahmen, Finanzsanktionen


Das Außenhandelsrecht enthält öffentlich-rechtliche Regelungen der Ein- und Ausfuhr von 5.64
Waren, Dienstleistungen und Kapital. Die allgemeinen deutschen Bestimmungen des Außen-
wirtschaftsrechts finden sich in §§ 4 ff. des 2013 grundlegend reformierten Außenwirt-
schaftsgesetzes (AWG)5, den Ausführungsbestimmungen der §§ 74 ff. der (ebenfalls 2013 neu
gefassten) Außenwirtschaftsverordnung (AWV)6 sowie dem Kriegswaffenkontrollgesetz7. Die-
se Vorschriften werden durch das Außenwirtschaftsrecht der EU überlagert und ergänzt, das
zahlreiche handels- und fiskalpolitische Sanktionen in Form von Embargen gegen Staaten
und/oder Finanzsanktionen gegen Staaten, Personen und Organisationen erlassen hat; stetig

1 Dazu Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15.


2 So auch Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 87 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 9
Rom I-VO Rz. 51 ff.
3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 87 a.E.; a.A. Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-
VO Rz. 88 (Stand 1.2.2021).
4 Pfeiffer, NJW 2012, 1169.
5 In der Fassung des Außenwirtschaftsgesetzes v. 6.6.2013, BGBl. I 2013, 1482.
6 In der Fassung der Außenwirtschaftsverordnung v. 2.8.2013, BGBl. I 2013, 2865.
7 Ausführungsgesetz zu Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaf-
fen).

Zwickel | 335
§ 5 Rz. 5.64 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

aktualisierte Auflistungen der einschlägigen Verordnungen und Rechtsakte finden sich insb.
auf den Internetseiten der Deutschen Bundesbank (Finanzsanktionen)1 sowie des Bundes-
amtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Finanzsanktionen, Embargen)2. Für den Bereich
der Kriegswaffenkontrolle ist ferner die „Dual Use-Verordnung“ zu nennen, die die Ausfuhr
von Gütern mit zivilem und militärischem Verwendungszweck regelt3.

5.65 Die betreffenden EU-Verordnungen enthalten öffentlich-rechtliche Verbote, deren Verletzung


vom deutschen Sachrecht i.d.R. zivilrechtlich über § 134 BGB sanktioniert wird4. Ferner sind
Verträge, die nach den Bestimmungen des AWG der Genehmigung durch die zuständigen Be-
hörden bedürfen, gem. § 15 Abs. 1 AWG bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend un-
wirksam, bei Verweigerung der erforderlichen Genehmigung wird die Unwirksamkeit endgül-
tig5. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die in §§ 4 ff. AWG, §§ 74 ff. AWV und den ein-
schlägigen EU-Regelungen enthaltenen Verbote geradezu idealtypische Eingriffsnormen dar-
stellen6.

3. Bank- und Kapitalmarktrecht, Anlegerschutz


a) Allgemeines
5.66 Die Diskussion um die Bedeutung von Eingriffsnormen im privaten Bankvertragsrecht hat
infolge der weitgehenden Sachrechtsharmonisierung durch die EU im Bereich der Verbrau-
chergeschäfte sowie der Ausweitung des sachlichen und situativen Anwendungsbereichs des
kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes durch Art. 6 Rom I-VO, der nunmehr unzweifel-
haft auch isolierte Darlehensverträge erfasst, sowie durch die Binnenmarktklausel des Art. 3
Abs. 3 Rom I-VO und die gem. Art. 23 Rom I-VO fortbestehenden speziellen Richtlinienkolli-
sionsnormen im Verbraucherschutzrecht dramatisch an Bedeutung verloren. Insbesondere
stellt nach dem in Rz. 5.19 ff. Gesagten das private Verbraucherdarlehensvertragsrecht kein
Eingriffsrecht dar. Im Übrigen wird, wie im Folgenden darzulegen ist, für sonstige Bereiche
des privaten Bankvertragsrechts teilweise der Eingriffsnormcharakter einzelner Vorschriften
des deutschen Rechts bejaht, doch ist auch hier erhebliche Zurückhaltung geboten. Zur ein-
griffsrechtlichen Behandlung der im Bankvertragsrecht besonders bedeutsamen Vorschriften
des Währungs- und Devisenrechts vgl. Rz. 5.115 ff., zu derjenigen von Außenhandels- und
Finanzembargos und Finanzsanktionen vgl. Rz. 5.64 f.

1 https://www.bundesbank.de/de/service/finanzsanktionen/finanzsanktionen-609138.
2 https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/embargos_node.html.
3 Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates v. 5.5.2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die
Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit dop-
peltem Verwendungszweck, Abl. EU Nr. L 134, 1.
4 Vgl. zum früheren Recht Metschkoll, Eingriffe in Außenhandelsverträge (1992), S. 77 ff.; Neu-
mann, Internationale Handelsembargos und privatrechtliche Verträge (2001), S. 222 ff.; Bittner,
RIW 1994, 459; Oeter, IPRax 1996, 76 m.w.N.
5 Näher Metschkoll, Eingriffe in Außenhandelsverträge (1992), S. 77 ff.; Neumann, Internationale
Handelsembargos und privatrechtliche Verträge (2001), S. 228.
6 BGH v. 23.10.1980 – III ZR 62/79, ZIP 1981, 158 = RIW 1981, 194 = IPRax 1982, 116 (LS) Anm.
von Hoffmann = IPRspr. 1980 Nr. 25; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 28; Magnus in Stau-
dinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 183 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 65; Thorn
in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35 ff.

336 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.69 § 5

b) Überweisungsvertrag
Art. 3 der Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft1 ver- 5.67
pflichtet in der EU ansässige Zahlungsdienstleister, für grenzüberschreitende Zahlungen in
Euro bis zu einem Betrag von 50 000 Euro „die gleichen Gebühren zu erheben wie für ent-
sprechende Zahlungsvorgänge, die es innerhalb des Mitgliedstaates, in dem es niedergelassen
ist, in Euro tätigt“. Diese Regelung des öffentlichen Preisrechts gilt unabhängig davon, welches
Recht auf den Vertrag Anwendung findet. Allerdings bedarf es insoweit keines Rückgriffs auf
Art. 9 Rom I-VO und Art. 3 ist daher als Eingriffsnorm zu qualifizieren, soweit das Zah-
lungsinstitut in einem Mitgliedstaat ansässig ist. Auf drittstaatliche Institute ist die Verord-
nung von vornherein nicht anwendbar, so dass auch insoweit ihre Berufung über Art. 9
Rom I-VO ausscheidet.

Die Direkthaftung (§ 675z S. 4 BGB) des schadensverursachenden zwischengeschalteten Insti- 5.68


tuts ist nach der Rom II-VO anzuknüpfen, da es sich entweder von vornherein um eine ge-
setzliche Haftung im engere Sinne handelt2 bzw. um eine solche aus Vertrag mit Schutzwir-
kung für Dritte3, die gleichfalls nicht unter die Rom I-VO fällt4.

c) Wertpapier-, Depot- und Börsengeschäfte


Die wertpapierrechtlichen Wohlverhaltensregeln nach §§ 63 ff. WpHG, die insb. die unions- 5.69
rechtlichen Vorgaben der MiFID-Richtlinien5 umsetzen, sind im Rahmen des vertraglichen
Finanzkommissionsgeschäfts zwischen Finanzdienstleistungsunternehmen und ihren Kunden
zwingend zu beachten. Bei den einschlägigen Bestimmungen handelt es sich primär um auf-
sichts-, d.h. öffentlich-rechtliche Vorgaben, die der Herstellung bzw. Sicherung eines funktio-
nierenden Kapitalmarktes dienen sollen. Die Regelungen haben indes unbestritten auch er-
hebliche privatrechtliche Implikationen für Finanzkommissionsgeschäfte über Wertpapiere.
So sind die von den Parteien bei Abschluss eines Vertrages abgegebenen Erklärungen im Lich-
te der aufsichtsrechtlichen Normen auszulegen und die Finanzdienstleister haben sich bei
Ausführung der Verträge zumindest aufsichtsrechtlich an die Vorgaben des WpHG zu halten,
so dass öffentlich-rechtliche Pflichtenverstöße bei Geltung deutschen Vertragsrechts im Zwei-
fel als vertragliche Pflichtverletzungen anzusehen sein werden6. Zum Teil wird daher vertre-
ten, bei den Wohlverhaltensregeln handele es sich um Eingriffsnormen, die unabhängig vom

1 Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 über
grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG)
Nr. 2560/2009, ABl. EG 2009 Nr. L 266, 11.
2 So Zetzsche in MünchKomm, § 675z BGB Rz. 27.
3 So Omlor in Staudinger (2016), § 675z BGB Rz. 22.
4 Ausf. Dutta, IPRax 2009, 293 (294 ff.); Martiny in MünchKomm, Art. 1 Rom I-VO Rz. 17; a.A.
etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 1 Rom I-VO Rz. 38.
5 Vgl. die Richtlinien MiFID I (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG
und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG, ABl. Nr. L 145, S. 1) sowie MiFID II (Richt-
linie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Fi-
nanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. Nr. L
173, S. 349).
6 Näher dazu Rothenhöfer in Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl.
2020, Vor §§ 63 ff. WpHG Rz. 10 ff.

Zwickel | 337
§ 5 Rz. 5.69 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Vertragsstatut anzuwenden seien1. Diese Sichtweise ist abzulehnen, den §§ 63 ff. WpHG
kommt nicht die Eigenschaft von Eingriffsnormen zu. Jedenfalls der europäische Gesetz-
geber erachtet es ausweislich der einschlägigen Vorgaben von MiFID I und MiFID II 2 ledig-
lich als erforderlich, dass die Mitgliedstaaten die unionsrechtlichen Vorgaben aufsichts- und
ggf. strafrechtlich umsetzen und absichern; privatrechtliche Sanktionen sieht das Unionsrecht
bei Verstößen gegen die Wohlverhaltensregeln gerade nicht vor. Zwar hindert das Fehlen einer
unionsrechtlichen Pflicht die Mitgliedstaaten nicht daran, dennoch vertragsrechtliche Sanktio-
nen vorzusehen, die der Sache nach auch geboten sind. Zudem entscheidet das nationale
Recht grundsätzlich selbst, welche seiner Bestimmungen es für so bedeutend erachtet, dass es
sie als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO ansieht. Freilich fehlt es insoweit
an einem erkennbaren Willen des nationalen Gesetzgebers, die §§ 63 ff. WpHG mit einer
zwingenden privatrechtlichen Wirkung zu versehen, deren Ausarbeitung letztlich Rechtspre-
chung und Wissenschaft überlassen blieb. All dies spricht dafür, im internationalen Kontext
mit dem Gesetzgeber auf die Wirkmacht des Aufsichtsrechts zu vertrauen und den Individual-
schutz dem Vertragsstatut zu überlassen.

5.70 Vertreten wird ferner, dass es sich bei dem Insiderhandelsverbot der Art. 14 i.V.m. Art. 8–11
MAR3 um eine Eingriffsnorm handelt4. Auch dem ist zu widersprechen. Die einschlägigen
Vorgaben des europäischen Sekundärrechts verlangen keinerlei zivilrechtliche Konsequenzen,
sondern sehen allein verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen vor. Auf der Ebene des
deutschen Privatrechts sind die vertragsrechtlichen Konsequenzen von Verstößen gegen
Art. 14 MAR zudem außerordentlich unklar und schließen eine zwingende Durchsetzung aus:
Im vertraglichen Bereich relevant werden können die Verstoßfolgen wohl primär im Anwen-
dungsbereich des Art. 14 lit. a MAR, der das Tätigen von Insidergeschäften verbietet. In prak-
tischer Hinsicht zu bedenken ist, dass der Vertragspartner des Insiders an der Börse regel-
mäßig nicht zu ermitteln sein wird und sich die Frage des Eingriffscharakters der Normen
daher in praxi kaum stellt. Zudem kommt im Vertragsverhältnis zwischen dem Insider und
seinem Vertragspartner nicht ernstlich in Betracht, bei einem Verstoß gegen Art. 14 MAR die
Nichtigkeit des Vertrages anzunehmen, da es sich um ein einseitiges Verbotsgesetz handelt,
das sich allein an den Insider wendet. Der Fall der Kollusion von Insider und Vertragspartner
dürfte vertragsrechtlich wenig bedeutsam sein, weil dann jedenfalls keine Schädigung des Ver-
tragspartners in Rede steht, sondern allenfalls die vom Insiderhandelsverbot rechtlich ge-
trennt (in Art. 12 MAR) geregelte Frage der Marktmanipulation. Insbesondere aber greift
Art. 14 MAR in diesen Fällen von Vornherein nicht ein, da sein Schutzzweck nicht berührt ist
und kein Geschäft „unter Verwendung der Insiderinformation“ vorliegt. Eine Anordnung der
Nichtigkeit gem. § 134 BGB wäre hier auch wenig hilfreich, weil § 817 S. 2 BGB im Zweifel die
Rückabwicklung ausschlösse. Welche Bestimmungen damit überhaupt international durch-
gesetzt werden sollen, ist nicht ersichtlich.

1 Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 569; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 41;
Floer, Internationale Reichweite der Prospekthaftung (2002), S. 107; nach altem Recht evtl. auch
Einsele, JZ 2008, 477 (487 f.), die von einer „Sonderanknüpfung“ der §§ 31 ff. WpHG a.F. spricht.
2 Art. 51 MiFID I, Art. 70 MiFID II.
3 Marktmissbrauchsverordnung „MAR“, Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Par-
laments und des Rates v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchs-Verordnung) etc.,
ABl. Nr. L 173, 1; vgl. auch die flankierende Marktmissbrauchsrichtlinie „MAD“ (Richtlinie 2014/
57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über strafrechtliche Sanktionen
bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie), ABl. Nr. L 173, S. 179.
4 Einsele, RabelsZ 81 (2017), 783 (795); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 77; Magnus
in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 176.

338 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.75 § 5

Für das Verbot der Marktmanipulation gem. Art. 15 i.V.m. Art. 12 ff. MAR kommt eine 5.71
Qualifikation als Eingriffsnorm ebenfalls nicht in Betracht, da hier in der Praxis ausschließlich
eine außervertragliche Haftung des Manipulators, nicht aber die Beeinflussung vertraglicher
Abreden in Betracht kommt1.

Im Hinblick auf den internationalen Anwendungsbereich des Gesetzes zur Regelung von öf- 5.72
fentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen
(WpÜG) und damit auch hinsichtlich der Voraussetzungen und des Inhaltes freiwilliger
Übernahmeangebote und von Pflichtangeboten sind zunächst die §§ 1 und 2 WpÜG zu be-
achten. Danach gelten die Bestimmungen des WpÜG für alle Angebote zum Erwerb von
Wertpapieren, die von Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien mit
Sitz im Inland ausgegeben wurden und die an einer Börse innerhalb des EWR gehandelt wer-
den. Damit ist das WpÜG unabhängig von dem für das Übernahmeangebot bzw. den Er-
werbsvertrag maßgeblichen Recht als Eingriffsrecht anzuwenden2. Das Gleiche muss auch für
die im WpÜG statuierten Verhaltenspflichten gelten.

Gemäß § 5 Abs. 1 DepotG darf ein Verwahrer von Wertpapieren i.S.d. § 1 Abs. 1 DepotG, die 5.73
zur Sammelverwahrung zugelassen sind, derartige Wertpapiere einer Wertpapiersammelbank
zur (Weiter-)Verwahrung anvertrauen, falls der Hinterleger nicht Sonderverwahrung verlangt.
Dem Verwahrer steht nach § 5 Abs. 4 DepotG diese Befugnis zur Weitergabe der Papiere zur
Sammelverwahrung jedoch nicht zu, soweit sich die Sammelverwahrstelle im Ausland befin-
det und sie nicht den besonderen Erfordernissen des § 5 Abs. 4 Nr. 1–4 DepotG genügt. Diese
Regelung gilt unabhängig von dem auf den Depotvertrag zwischen Hinterleger und Verwahrer
anwendbaren Recht und ist damit als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO anzuse-
hen3.

d) Geldwäsche
Das Geldwäschegesetz (GwG)4 sieht für Verpflichtete i.S.d. § 2 ein Risikomanagement (§§ 4 ff. 5.74
GwG) sowie Sorgfalts-, Melde-, Mitwirkungs- und Verschwiegenheitspflichten vor (§§ 10 ff.,
43 ff., 52 ff. GwG). Diese Verpflichtungen gelten unabhängig vom Vertragsstatut und sind als
Eingriffsnormen über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen5. Die in § 18 ff. GwG vorgese-
hene Pflicht zur Eintragung ins Transparenzregister trifft hingegen nur Unternehmen mit Sitz
im Inland6.

4. Corona: Bestimmungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie


Die COVID-19-Pandemie wirkt sich vielfach auch auf das Vertragsrecht aus (s. Rz. 3.136)7. 5.75
Hinsichtlich der Zuordnung der entsprechenden Rechtsregeln zu den Eingriffsnormen lässt

1 A.A. Einsele, RabelsZ 81 (2017), 783 (795); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78.
2 So bereits zum alten Recht Hahn, RIW 2002, 743 f.; Schuster, Die internationale Anwendung des
Börsenrechts (1996), S. 559 ff.; a.A. wohl Dürig, RIW 1999, 748 ff. Zu Art. 9 Rom I-VO vgl. Doeh-
ner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 41; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 177.
3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 175.
4 Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GWG) v.
23.6.2017, BGBl. 2017 I S. 1822.
5 Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78.
6 Kieninger, ZfPW 2018, 121 (127).
7 Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (25 ff.); Michaels/Olbing, https://conflictoflaws.net/2020/corona/.

Zwickel | 339
§ 5 Rz. 5.75 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sich zwischen öffentlich-rechtlichen Vorschriften mit ordnungspolitischen Zwecken und pri-


vatrechtlichen Rechtsregeln unterscheiden: Die deutschen öffentlich-rechtlichen Regeln und
Maßnahmen zur unmittelbaren Seuchenbekämpfung in der COVID-19-Pandemie (Rechts-
akte nach §§ 28, 28a, 28b InfektionsschutzG1) verfolgen unmittelbar öffentliche Belange. Sie
stellen, soweit sie (z.B. durch Veranstaltungsverbote, usw.) Auswirkungen auf Verträge haben,
Eingriffsnormen dar und führen regelmäßig zu Leistungsstörungen2. Diese folgen aber dem
Vertragsstatut (s. Rz. 3.136).

5.76 Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob auch die in Art. 240 EGBGB enthaltenen Regelun-
gen aus Anlass der COVID-19-Pandemie als Eingriffsnormen anzusehen sind. Art. 240
EGBGB beinhaltet spezielle Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrechte, von denen nicht
zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden darf (Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB). Trotz
ihres zwingenden Charakters dienen diese Vorschriften aber ausschließlich dem Interessen-
ausgleich unter Privatpersonen. Fundamentale öffentliche Interessen, wie sie im Ausnahmefall
hinter Privatrechtsnormen stehen können (s. Rz. 5.19 ff.), sind nicht erkennbar, dient Art. 240
EGBGB doch lediglich der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pande-
mie3 und nicht unmittelbar deren Beendigung selbst. Soweit in der Gesetzesbegründung4 da-
rauf abgestellt wird, Ziel der zivilrechtlichen Regelungen des Art. 240 EGBGB sei es, Verbrau-
cher und Kleinstunternehmer nicht von Leistungen der Grundversorgung abzuschneiden5, ist
dies allenfalls ein Reflex der Anwendung besonderer zivilrechtlicher Instrumente zur Abmil-
derung der Folgen der Corona-Pandemie. Die Vorschrift hat nicht die „Umsetzung staatlicher
Gewährleistungspflicht im Bereich der Daseinsvorsorge“ zum Ziel6. Auch der beschränkte
persönliche Anwendungsbereich der einzelnen Instrumente des Art. 240 EGBGB7 spricht ge-
gen einen internationalen Geltungsanspruch derselben und damit auch gegen eine Einord-
nung des Art. 240 EGBGB als Eingriffsnorm8.

5. Datenschutz
5.77 Zu den Eingriffsnormen sind die Bestimmungen über den Datenschutz zu zählen9. Dies gilt
insbesondere für die Verbote der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)10. Die DSGVO re-
gelt in Art. 3 ihren Anwendungsbereich unabhängig vom Vertragsstatut (Sonderkollisions-
norm)11 in Anknüpfung an das Niederlassungs- und an das Marktortprinzip. Das weite
Marktortprinzip des Art. 3 Abs. 2 DSGVO12 führt auch für Datenverarbeitungen nicht in der

1 Infektionsschutzgesetz v. 20.7.2020 (BGBl. I S. 1045).


2 Baldus/Fuenteseca Degeneffe/Jansen et. al., GPR 2020, 258 (268); Thume, BB 2020, 1419 (1421);
Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017.
3 BT-Drs. 19/18110, S. 1: „wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen“.
4 BT-Drs. 19/18110, S. 1 f.
5 BT-Drs. 19/18110, S. 2, 4.
6 So aber Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (32).
7 S. dazu im Detail Scholl, WM 2020, 773.
8 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 226.1 (Stand 1.2.2021); Stürner in Erman,
Art.9 Rom I-VO Rz. 17; a.A. Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (25 ff.); S. Lorenz in Schmidt,
COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2020, § 1 Rz. 65; ähnlich für die italienischen Be-
stimmungen Piovesani, IPRax 2021, 401 (405).
9 Remien in PWW, Art. 9 Rom I-VO Rz. 16, 29; kritisch Steinrötter, MMR 2013, 691 (693).
10 Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext 2020, 187 f.
11 Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (72 f.); Thon, RabelsZ 84 (2020), 35 (39 f.).
12 S. dazu ausführlich Ernst in Paal/Pauly, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 3 DS-GVO Rz. 13 ff.

340 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.80 § 5

Union niedergelassener Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter zu einem weit ausgedehn-


ten zwingenden Anwendungsbereich der DSGVO. Die Normen der DSGVO sind jedoch
schon über Art. 23 Rom I-VO vorrangig anzuwenden. Eines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO
bedarf es nicht1. Die zum Teil – auch aufgrund zahlreicher Öffnungsklauseln der DSGVO –
weiter maßgeblichen Regeln des BDSG (s. § 1 Abs. 4, 5 BDSG)2 sind aber, bei Vorliegen der
Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, Eingriffsnormen3.

6. Diskriminierungsschutz
§ 19 AGG (zivilrechtliches Benachteiligungsverbot) und § 21 AGG (Ansprüche des Benachtei- 5.78
ligten) sind doppelfunktionale Vorschriften, die zugleich öffentliche und private Belange ver-
folgen. Vorrangig haben sie aber das v.a. auch grundrechtlich verankerte Ziel der Vermeidung
von Diskriminierungen. Es handelt sich mithin um Eingriffsnormen4. Das Erfordernis des
Inlandsbezugs ist in diesem Bereich weit auszulegen, um jegliche, vom deutschen Territorium
ausgehende Diskriminierung zu vermeiden. Ein Inlandsbezug liegt daher immer dann vor,
wenn entweder in Deutschland tatsächlich gehandelt wird, wenn das Verhalten eine ökonomi-
sche Chance in Deutschland betrifft oder in Zusammenhang mit einem auf Deutschland aus-
gerichteten Markverhalten steht5. Eine Anknüpfung über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO kommt
aber nur für den Teil der Umsetzungsvorschriften in Betracht, der über die dem AGG zugrun-
deliegenden Richtlinien hinausgeht; für den Bereich der Übereinstimmung mit den Richtlini-
en ist Art. 23 Rom I-VO maßgeblich (s. Rz. 5.30 ff.).

7. Erwerbs- und Berufstätigkeit


a) Allgemein
Viele Berufe und Dienstleistungen unterliegen öffentlich-rechtlichen, den Beruf oder das Ge- 5.79
werbe regelnden Vorschriften, die entweder die Aufnahme der Berufstätigkeit oder ihre Aus-
führung betreffen. Gewerberechtliche Vorschriften dienen als ordnungspolitische Regelun-
gen der Durchsetzung eines bestimmten wirtschaftspolitischen Ziels und sind nach allg.M.
daher auf Gewerbetreibende, die im Inland ihr Gewerbe ausüben, als zwingende Vorschriften
anwendbar6.

b) Rechtsanwälte und Steuerberater


International zwingend war nach früher h.M. Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, der die rechtsberaten- 5.80
de Tätigkeit im Inland von der Erteilung einer Erlaubnis abhängig machte und bei Verstößen

1 Melcher in Gössl, Politik und Internationales Privatrecht (2017), 129 (140 ff.); Thon, RabelsZ 84
(2020), 35 (38 ff.); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.2.2021); a.A. Piltz
in Gola, Datenschutz-Grundverordnung (2017), Art. 3 DSGVO Rz. 40.
2 Däubler, RIW 2018, 405 (411).
3 Piltz in Gola, Datenschutz-Grundverordnung (2017), Art. 3 DSGVO Rz. 43 ff.
4 Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (63 f.); Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317 (323); Thon IPRax
2019, 301 (305); Kocher, FS Martiny (2014), 411 (415); Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Dis-
kriminierungsschutz – Das internationale Privatrecht der Diskriminierung, 2020, S. 275 ff.; a.A.
Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.2.2021).
5 Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (66).
6 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 32; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 130;
Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42.

Zwickel | 341
§ 5 Rz. 5.80 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

die zivilrechtliche Unwirksamkeit des betreffenden Vertrages bewirkte1. Durch das RDG2
wurde das Berufsrecht der Rechtsdienstleistungen indes erheblich dereguliert. Danach ist hin-
sichtlich der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zwischen gerichtlichen und außerge-
richtlichen Dienstleistungen zu differenzieren. In Bezug auf außergerichtliche Rechtsdienst-
leistungen folgt aus § 3 RDG, dass diese nur in dem durch das RDG gesetzten Rahmen ge-
stattet, im Übrigen aber verboten sind. Da gem. § 1 Abs. 1 S. 2 RDG der Zweck des RDG
darin besteht, „die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifi-
zierten Rechtsdienstleistungen zu schützen“, sind die Verbote des RDG ebenso wie die frühe-
ren des RBerG als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu qualifizieren3. Voraus-
setzung ist aber ein hinreichender Inlandsbezug. Das RDG ist nach seinem § 1 Abs. 2 auf
Rechtsdienstleistungen, die ausschließlich aus einem anderen Staat erbracht werden, interna-
tional nur anwendbar, wenn ihr Gegenstand deutsches Recht ist. § 1 Abs. 1 S. 1 RDG stellt auf
die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland
ab4. Für Rechtsdienstleister wie z.B. Inkassobüros oder Legal Tech-Anbieter ist daher maß-
geblich, ob sie einen inländischen Sitz haben oder eine Beratung zum deutschen Recht leis-
ten5.

5.81 Unmittelbare Einschränkungen der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsdienstleistungen erge-


ben sich nur noch aus den §§ 78 ff. ZPO, die in Verfahren vor den LG oder höheren Instanzen
die Einschaltung eines Rechtsanwalts verlangen (§ 78 ZPO) bzw. im Parteiprozess die Vertre-
tungsbefugnis auf einen engen Personenkreis beschränken (§ 79 ZPO). Auch wenn diese Vor-
schriften verfahrensrechtlich zu qualifizieren sind, da sie allein die Vertretungsbefugnis der
Rechtsdienstleister regeln und regeln sollen6, folgt doch aus einer Gesamtschau von RDG und
§§ 78 ff. ZPO sowie aus einem Erst-Recht-Schluss zu den Verboten des RDG, dass die schuld-
rechtlichen Verträge, die der Erbringung prozessualer Rechtsdienstleistungen zugrunde liegen
und die gegen die §§ 78 ff. ZPO verstoßen, jedenfalls im Umfang des Verstoßes nichtig sind.
Diese ungeschriebene Verbotsnorm in Bezug auf gerichtliche Rechtsdienstleistungen ist
ebenfalls als Eingriffsnorm zu qualifizieren. Anwendbar sind die betreffenden Eingriffsnor-
men aufgrund des auf den deutschen Rechtsverkehr bezogenen Schutzzwecks des RDG aus-
schließlich auf Rechtsdienstleistungen, die im Inland zu erbringen sind.

5.82 Soweit das ehemalige RBerG die Inkassotätigkeit i.S.d. gerichtlichen Beitreibung von Forde-
rungen im Inland zugelassenen Anwälten vorbehielt und damit ausländische Inkassobüros
vom inländischen Markt ausschloss, war dies nach der Entscheidung des EuGH „Reisebüro
Broede“ mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar7. Unproblematisch unionsrechtskonform ist
jedenfalls die Regelung der § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG, § 79 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, die die Zulassung
zum inländischen Inkassogeschäft allein von einer Registrierung abhängig macht. Internatio-
nal zwingend sind die Vorschriften freilich nur insoweit, als sie die Ausübung der Tätigkeit
auf deutschem Boden untersagen, wobei darauf abzustellen ist, von wo aus die Inkassotätigkeit

1 Implizit OLG Hamm v. 15.6.1999 – 4 U 10/99, RIW 2000, 58 (Anm. Budzikiewicz, IPRax 2001,
218; Armbrüster, RIW 2000, 583); Spellenberg in MünchKomm, vor Art. 11 EGBGB Rz. 165; Mag-
nus in Staudinger, Art. 38 EGBGB Rz. 91.
2 Vgl. Art. 20 S. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BGBl. I 2007, 2840.
3 Ahrens, FS Geimer (2017), 1 (14); Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I-VO Rz. 159; Thorn
in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 43.
4 Zum Zusammenspiel der beiden Regelungen s. ausf. de Barros Fritz, IPRax 2020, 499 (502 ff.).
5 Differenzierend de Barros Fritz, IPRax 2020, 499 (502 ff.).
6 Vgl. RegBegr. zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BT-Drucks. 16/3655, 33.
7 EuGH v. 12.12.1996 – C-3/95, ECLI:EU:C:1996:487 (Reisebüro Broede), EuZW 1997, 53.

342 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.85 § 5

tatsächlich ausgeübt wird. Nicht relevant sind hingegen der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Auf-
enthalt des Schuldners und der handels- bzw. gesellschaftsrechtliche Sitz des Inkassounterneh-
mens.

Das durch § 4a RVG eingeschränkte Verbot von Erfolgshonorarvereinbarungen für die Tä- 5.83
tigkeit von Rechtsanwälten gem. § 49b Abs. 2 BRAO zählt nach ganz h.M. ebenfalls zu den
Eingriffsnormen1. Ebenso wird man im Hinblick auf die Tätigkeit von Steuerberatern auch
für die Parallelvorschrift des § 9a StBerG entscheiden müssen. Auch das für gerichtlich tätige
Anwälte geltende Gebührenunterbietungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO dürfte zu den Ein-
griffsnormen zählen.

Erforderlich für die Anwendung dieser Eingriffsnormen ist wie stets ein hinreichender In- 5.84
landsbezug des Sachverhalts. Dieser wird durch den inländischen Ort der Zulassung bzw. der
Ausübung der Berufstätigkeit und damit den Anwendungsbereich des betreffenden Standes-
rechts vermittelt. Bei Mehrfachzulassungen in verschiedenen Staaten entscheidet der Ort der
konkreten Berufsausübung im Einzelfall. Vereinbart daher ein sowohl in den USA als auch in
Deutschland zugelassener Rechtsanwalt mit seinem Mandanten die Zahlung eines Erfolgs-
honorars in dem kraft Rechtswahl amerikanischem Recht unterliegenden Mandatsvertrag, so
ist § 49b Abs. 2 BRAO gleichwohl anzuwenden, wenn die geschuldete anwaltliche Tätigkeit in
Deutschland zu erbringen ist2. Umstritten ist die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf deut-
sche Rechtsanwälte, die ein Mandat mit Auslandsbezug ausüben, insbesondere indem sie vor
ausländischen Gerichten oder in Bezug auf eine sonst im Ausland anhängige oder zu ver-
ortende Streitigkeit tätig werden. Auch wenn das deutsche Standesrecht die Tätigkeit sämtli-
cher inländischer Berufsträger reguliert, soll es doch allein die Rechtspflege im Inland normie-
ren. Inländische Tätigkeiten mit Bezug zu einer fremden Jurisdiktion sollten daher allein dem
Recht des betreffenden ausländischen Staates unterliegen3.

Mit der Vereinbarkeit der berufsrechtlichen Honorarregelungen mit dem EU-Kartellrecht hat 5.85
sich der EuGH in den Entscheidungen „Gebhard“4 und „Arduino“5, mit der Vereinbarkeit
von Mindesthonorarregeln mit der Dienstleistungsfreiheit in der Sache „Cipolla“6 befasst.
Demzufolge beschränken international zwingende Mindesthonorarregelungen die Niederlas-
sungsfreiheit, wenn sie für sämtliche Anwaltsdienstleistungen gelten, die zugunsten von im
Erlassstaat ansässigen Mandanten erbracht werden, denn durch die betreffenden Regelungen
werde es ausländischen Berufsträgern erschwert, im Wege des Preiswettbewerbs auf dem be-
treffenden Markt zu konkurrieren. Derartige Beschränkungen könnten indes gerechtfertigt
sein, soweit sie aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten und auch geeignet sind,
das erstrebte Ziel zu erreichen und keine unverhältnismäßigen Folgen zeitigen. Dies hält der

1 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 33; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 160;
Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 43; a.A. Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9
Rom I-VO Rz. 28.
2 Vgl. OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, IPRax 2002, 399 (Anm. Krapfl, IPRax 2002, 380) =
JuS 2001, 818 Anm. Hohloch.
3 Etwa Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 20; a.A. (noch zu Art. 34 EGBGB) Heß, NJW 1999,
2485 (2486); Krapfl, IPRax 2002, 380 (382); anders Bendref, AnwBl. 1998, 309 (310); von Hoff-
mann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 47.
4 EuGH v. 30.11.1995 – C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411 (Gebhard), NJW 1996, 579.
5 EuGH v. 19.2.2002 – C-35/99, ECLI:EU:C:2002:97 (Arduino), NJW 2002, 882.
6 EuGH v. 5.12.2006 – verb. Rs. C-94/04 und C-202/04, ECLI:EU:C:2006:758 (Cipolla), NJW 2007,
281 = BB 2007, 462. Dazu u.a. Mailänder, NJW 2007, 883; Lange, EWS 2007, 170; Wolf, DStR
2007, 131; Lörcher, BRAK 2008, 2; Kern, ZEuP 2008, 413.

Zwickel | 343
§ 5 Rz. 5.85 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

EuGH für den Fall der Mindesthonorare für denkbar, da Mindesthonorare einen ruinösen
Preiswettbewerb der Anwälte auf Kosten der Qualität der Rechtsdienstleistungen und damit
zu Lasten der Verbraucher verhindern können. Allerdings habe das jeweilige nationale Ge-
richt das Vorliegen dieser Voraussetzungen jeweils im Einzelfall sorgfältig zu überprüfen1. Der
EuGH geht in der Entscheidung „Cipolla“ von der unionsrechtlichen Zulässigkeit des Verbots
von Erfolgshonoraren aus.

c) Architekten und Ingenieure


5.86 Der BGH hat die Bestimmungen der HOAI2 über die Vergütung von Architekten und Inge-
nieuren früher als „zwingendes Preisrecht des öffentlichen Rechts“ und damit als Eingriffsnor-
men durchgesetzt3. Die Literatur hatte den Eingriffsnormcharakter teilweise mit dem Argu-
ment abgelehnt, die Regelungen dienten primär dem privaten Interessensausgleich4. Nach gel-
tendem Recht kommt eine Durchsetzung der HOAI-Vorschriften als Eingriffsnormen nicht
mehr in Betracht. Der EuGH hat 2019 Mindest- und Höchstsätze der HOAI für mit der Nie-
derlassungsfreiheit unvereinbar erklärt5, so dass schon daran die Durchsetzung als Eingriffs-
norm der lex fori scheitert6. Mit Wirkung vom 1.1.2021 wurde daher die HOAI neu gefasst7.
Sie enthält jetzt keinerlei zwingendes Preisrecht mehr, sondern unverbindliche Honoraremp-
fehlungen8. Als Eingriffsnormen kommen die Regelungen der HOAI daher künftig nicht
mehr in Frage.

d) Bauträger
5.87 Für den Vertrag über den Erwerb neu zu errichtender Häuser und Eigentumswohnungen
spielt die aufgrund von § 34c GewO erlassene Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV)
eine wichtige Rolle. Die §§ 3, 7 MaBV untersagen dem Bauträger, während der Bauphase vom
Erwerber Anzahlungen ohne Sicherheit entgegenzunehmen. Ferner ist dem Bauträger gem.
§ 12 MaBV verboten, von den §§ 2–8 MaBV abweichende Vereinbarungen zu treffen. Gegen
die §§ 3, 7, 12 MaBV verstoßende Vereinbarungen des Bauträgers sind wegen Verstoßes gegen
§ 134 BGB nichtig9.

1 EuGH v. 5.12.2006 – verb. Rs. C-94/04 und C-202/04, ECLI:EU:C:2006:758, Rz. 68 f. (Cipolla),
NJW 2007, 281 = BB 2007, 462.
2 Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure v. 17.9.1976,
BGBl. I 1976, 2805 (3616).
3 BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110 = MDR 2003, 683 (Anm. Quack, ZfBR 2003,
419; Anm. Wenner, ZfBR 2003, 421; Anm. Kilian/Müller, IPRax 2003, 436). Zuvor bereits BGH v.
7.12.2000 – VII ZR 404/99, MDR 2001, 686 = NJW 2001, 1936 (1937); a.A. insb. Kilian/Müller,
IPRax 2003, 436 ff.
4 S. dazu ausführlich die 8. Aufl. in Rz. 5.69 ff. m.w.N.
5 EuGH v. 4.7.2019 – C-377/17, ECLI:EU:C:2019:562, NJW 2019, 2529; Wessel, MDR 2019, 1349;
zur zeitlichen Fortgeltung der HOAI für Altfälle Kluth, NJW 2020, 1471.
6 OLG Celle v. 17.7.2019 – 14 U 188/18, NJW 2019, 3593; a.A. OLG Hamm v. 23.7.2019 – 21 U 24/
18, NJW 2020, 247; s. auch den Vorlagebeschluss des BGH: BGH v. 14.5.2020 – VII ZR 174/19,
NJW 2020, 2328.
7 Erste Verordnung zur Änderung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure v.
2.12.2020, BGBl. I 2020, 2636.
8 BR-Drucks. 539/20, S. 1.
9 Vgl. BGH v. 22.12.2000 – VII ZR 310/99, BGHZ 146, 250 (257 f.) = ZIP 2001, 245 = MDR 2001,
503 = NJW 2001, 818; BGH v. 22.3.2007 – VII ZR 268/05, BGHZ 171, 364 = ZIP 2008, 322 =
MDR 2007, 882 = NJW 2007, 1947 Rz. 19.

344 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.89 § 5

Die überwiegende Meinung zum bisherigen Recht hielt die Vorschriften der MaBV für inter- 5.88
national zwingend i.S.d. Art. 34 EGBGB1, unter Art. 9 Rom I-VO ist die Rechtslage umstrit-
ten2. Schwierig zu beurteilen ist die Frage, welcher Anknüpfungspunkt für die Feststellung des
notwendigen Inlandsbezugs maßgeblich ist. Da die MaBV mit ihren Regelungen auf der
GewO beruht, spricht viel dafür, wie bei allen anderen gewerblichen Vorschriften den maß-
geblichen Anknüpfungspunkt in der gewerblichen Niederlassung des Bauträgers im Inland zu
sehen3. Umstritten ist allerdings, ob kumulativ weitere Voraussetzung ist, dass das Bauvor-
haben im Inland durchgeführt wird. Das OLG Hamm ist davon ausgegangen, die MaBV sei
auf alle Bauträger mit Sitz im Inland anwendbar, gleich ob das Bauvorhaben im In- oder Aus-
land durchgeführt wird4. Diese Entscheidung ist abzulehnen; die besseren Argumente spre-
chen dafür, die §§ 3, 7, 12 MaBV nur dann als international zwingend anzusehen, wenn das
Bauvorhaben im Inland ausgeführt werden soll5. Die MaBV ist aufgrund der Verordnungs-
ermächtigung in § 34c GewO erlassen worden und soll mit gewerberechtlichen Mitteln dazu
beitragen, Missstände im Bauträgergeschäft zu beseitigen und hierdurch den Erwerber zu
schützen6. Demzufolge ist die MaBV nach ihrem § 1 nur für inländische Gewerbetreibende
maßgeblich. Aufgrund des dem öffentlichen Recht zugrundeliegenden Territorialitätsprinzips
kann die MaBV zudem lediglich die Gewerbeausübung im Inland regeln, während die ge-
werbliche Tätigkeit inländischer Unternehmen im Ausland vom betreffenden ausländischen
Gewerberecht geregelt wird. Vor diesem Hintergrund kommt eine international zwingende
Durchsetzung der MaBV auf Gewerbetätigkeit im Ausland (erst recht) nicht in Betracht. Um-
gekehrt findet die MaBV Anwendung, soweit ein ausländischer Bauträger im Inland gewerb-
lich tätig wird.

e) Öffentliches Preisrecht für Arzneimittel


Das öffentliche Preisrecht der § 78 AMG, §§ 1, 3 AMPreisVO bindet nach Ansicht des Ge- 5.89
meinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes auch ausländische Anbieter, soweit
diese im Inland Arzneimittel abgeben7, was auch in § 78 Abs. 1 S. 4 AMG klargestellt ist. Ver-
stöße gegen die AMPreisV führen bei Geltung deutschen Vertragsstatuts über § 134 BGB zur
Teilnichtigkeit rechtswidriger Preisabreden8, soweit diese die zulässigen Höchstpreise über-
schreiten, nicht indes, soweit eine Unterschreitung der Preiskorridore nach der AMPreisV
vorliegt9. Der 1. Zivilsenat des BGH hatte in seiner Vorlageentscheidung an den GmS-OGB –
wenn auch recht apodiktisch – für eine Einstufung der AMPreisV als „einseitige Kollisionsnor-

1 Nachw. 6. Aufl., Rz. 426.


2 Für international zwingenden Charakter etwa Stürner in Erman, Art. 9 Rom I-VO Rz. 14; a.A.
Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 25.
3 So auch Reithmann in Reithmann/Meichssner/von Heymann, Kauf vom Bauträger, 7. Aufl. 1995,
Rz. A 63 ff.; Brych/Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 4. Aufl. 2004, Rz. 80.
4 OLG Hamm v. 7.2.1977 – 22 U 93/76, NJW 1977, 1594 = RIW 1977, 781 Anm. Ahrens = Mitt-
BayNot 1977, 1982 Anm. Lichtenberger: Sitz des Bauträgerunternehmens in Bremen, Bauvorhaben
in Spanien, Werbung des Bauträgers um deutsche Kunden im Inland.
5 Wie hier Rz. 14.5 sowie Lichtenberger, MittBayNot 1977, 183 ff.; Magnus in Staudinger (2016),
Art. 9 Rom I Rz. 168. A.A. Reithmann, FS Ferid (1988), S. 363 (367 ff.); von Hoffmann in Soergel,
Art. 34 EGBGB Rz. 50 (zur früheren Rechtslage).
6 BR-Drucks. 179/75, 4.
7 GmS-OGB v. 22.8.2012 – GmS-OGB 1/10, NJW 2013, 1424 ff.
8 LG Hamburg v. 28.12.2010 – 313 O 214/10, BeckRS 2012, 08427.
9 OLG Köln v. 22.6.2012 – 20 U 27/12, VersR 2013, 1300 (1301).

Zwickel | 345
§ 5 Rz. 5.89 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

men“ plädiert1, so dass auch fremdem Recht unterliegende Preisabreden unwirksam sind,
wenn sie die öffentlich-rechtlichen Vorgaben missachten.

8. Grundstücksbezogene Vorschriften
a) Regelungen des Grundstücksverkehrs, Verwertungsregelungen
5.90 Inländische zwingende Vorschriften über den Grundstücksverkehr gelten für schuldrecht-
liche Verträge, die ein inländisches Grundstück zum Gegenstand haben, unabhängig davon,
welchem Recht diese Verträge unterliegen. Zu den über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO aufgrund
ihrer Belegenheit gesondert anzuknüpfenden Vorschriften gehören vor allem die Vorschriften
des Baugesetzbuches2 und des Grundstücksverkehrsgesetzes. Die Begründung für die Sonde-
ranknüpfung, die meist als selbstverständlich empfunden wird, liegt vor allem in der ord-
nungspolitischen Steuerung des Bodenverkehrs und dem durch die Belegenheit im Inland ge-
botenen notwendigen Inlandsbezug3. Der Belegenheitsgrundsatz und der Schutz des inner-
staatlichen Bodenverkehrs verbietet zugleich die Anwendung der inländischen Regelungen
des Grundstücksverkehrs auf im Ausland belegene Grundstücke.

5.91 Zum in § 1149 BGB enthaltenen Verbot von Verfallvereinbarungen in Zusammenhang mit
der Bestellung von Hypotheken und Grundschulden wird vertreten, es handele sich hierbei
um eine international zwingende Vorschrift, die unabhängig von dem auf die Verfallverein-
barung anwendbaren Recht gelte, falls das betreffende Grundstück im Inland belegen sei4.
Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Schon die Nähe des § 1149 BGB zu den Vor-
schriften über die Verwertung von Grundpfandrechten gebietet es, die Vorschrift entspre-
chend Art. 43 Abs. 1 EGBGB rechtswahlfest an die lex rei sitae anzuknüpfen, obwohl Verfall-
vereinbarungen schuld- und keine sachenrechtlichen Rechtsgeschäfte darstellen5. Das ent-
spricht dem Willen des historischen Gesetzgebers, der § 1149 BGB als notwendige Ergänzung
der dinglichen Verwertungsregelungen des BGB sah6.

b) Soziales Mietrecht
5.92 Zentrale Vorschriften des deutschen Rechts zum Schutz von Mietern können über Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO unabhängig von dem auf den Mietvertrag anzuwendenden Recht durch-
gesetzt werden, soweit der Vertrag sich auf inländischen Wohnraum bezieht7. Zu nennen
sind die Kündigungsregeln des BGB-Mietrechts, die BGB-Vorschriften über die Mieterhöhung
(§§ 557–561 BGB), die sog. „Mietpreisbremse“ (§§ 556d–556g BGB), das Wohnungsbin-
dungsgesetz, und wohl auch Vorkaufsrechte nach § 577 BGB, § 57 SchuldRAnpG, § 20

1 So auch Dettling, PharmR 2003, 401 (408); Mand, PharmR 2008, 582 (583 ff.).
2 Insbesondere Genehmigungsvorschriften, öffentlich-rechtliche Vorkaufsrechte etc.
3 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 152;
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24.
4 Insb. Reithmann, DNotZ 2003, 463; wohl auch Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 53; unent-
schieden Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I
Rz. 154.
5 Unstr., vgl. Lieder in MünchKomm, § 1149 BGB Rz. 2.
6 Mot. III S. 680 (bei Mugdan, Bd. 3, S. 379 f.).
7 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 155;
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24;
Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 26; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 8; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 54.

346 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.94 § 5

VermG, etc. Zwar dienen solche Vorschriften auch dem Schutz des schwächeren Vertragsteils,
so dass z.T. an der Qualifikation als Eingriffsnorm gezweifelt wird1. Gleichwohl sind gerade
im sozialen Mietrecht ordnungspolitische und verbraucherschützende Zwecke eng miteinan-
der verwoben und können nicht getrennt werden. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt das all-
gemeine wirtschafts- und sozialpolitische Ziel der Versorgung der Bevölkerung mit angemes-
senem bzw. angemessen bepreistem Wohnraum in weiten Teilen mit privatrechtlichen Mit-
teln. Im Übrigen bedarf es des Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO, weil der gebotene Mieter-
schutz in vielen Fällen nicht bereits über Art. 6 Rom I-VO sichergestellt wird: Zum einen ist
Art. 6 Rom I-VO auf den passiven Verbraucher zugeschnitten, während es im Mietrecht ten-
denziell um aktive Verbraucher geht, die sich zu Wohnzwecken in einen anderen Staat auf
den dortigen Wohnungsmarkt begeben. Zum anderen ist die Beschränkung des Art. 6 Rom I-
VO auf B2C-Geschäfte im Mietrecht unangemessen, da sie dem Umstand keine Rechnung
trägt, dass insb. Mietverträge häufig auf C2C-Basis abgeschlossen werden. Der internationale
Geltungswille der erfassten Vorschriften ist auf inländische Wohnräume beschränkt, während
Verträge über Wohnräume im Ausland vom deutschen Gesetzgeber nicht reguliert werden
sollten2. Im Übrigen entspricht es dem Schutzzweck der genannten Bestimmungen, sie nur
dann zur Geltung zu berufen, wenn die lex causae nicht bereits für einen hinreichenden
Schutz sorgt, so dass in Parallele zu den Art. 6, Art. 8 Rom I-VO von der Geltung des Güns-
tigkeitsprinzips auszugehen ist3.

9. Handelsvertreterverträge
Nach der an anderer Stelle (Rz. 5.47 ff. und Rz. 23.156 ff.) näher erörterten Rechtsprechung 5.93
des EuGH zum internationalen Anwendungsbereich der Handelsvertreter-Richtlinie sind die
in das nationale (deutsche) Recht umgesetzten Bestimmungen der Richtlinie, jedenfalls soweit
sie den Schutz des Handelsvertreters bezwecken und nicht dispositiv sind, über Art. 23
Rom I-VO gegenüber dem Recht eines Drittstaates außerhalb von EU und EWR auch gegen
das gewählte Recht anzuwenden (s. Rz. 5.47). Dies betrifft insbesondere den nachvertraglichen
Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gem. § 89b HGB. Die Mitgliedstaaten müssen si-
cherstellen, dass dieser Anspruch nicht durch die Wahl eines Drittstaatenrechts entzogen
wird, sofern der Sachverhalt hinreichend eng mit dem Binnenmarkt verknüpft ist4.

10. Kulturgüterschutz
Der Kulturgüterschutz soll sicherstellen, dass für die kulturelle Identität eines Staates beson- 5.94
ders bedeutsame Güter nicht oder nicht ohne Genehmigung der zuständigen Behörden frei
gehandelt und insb. nicht außer Landes geschafft werden. Wie allgemein im Außenhandels-
recht wird der Kulturgüterschutz primär öffentlich-rechtlich gewährleistet. Die Ein- und Aus-
fuhr von Kulturgütern ist mittlerweile zu großen Teilen durch unmittelbar anwendbares EU-
Recht geregelt: Die VO (EG) 116/20095 schützt das in den Anwendungsbereich der Verord-

1 Schubert, RIW 1987, 729 (731); neuerdings auch Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 258
(Stand 1.2.2021).
2 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 155;
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8.
3 Lurger, IPRax 2001, 55 f.; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38 Fn. 79; Magnus in Staudinger
(2016), Art. 9 Rom I Rz. 155.
4 Staudinger, NJW 2001, 1974; zu diesen Voraussetzungen s. im Einzelnen Rz. 23.148 ff.
5 Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates v. 18.12.2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifi-
zierte Fassung), ABl. EU 2009 Nr. L 39, 1.

Zwickel | 347
§ 5 Rz. 5.94 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

nung fallende nationale Kulturgut der Mitgliedstaaten durch ein unionsweites Ausfuhrverbot.
Durch die VO (EU) 2019/8801 wird die Einfuhr von Kulturgut, das illegal aus Herkunftsstaa-
ten ausgeführt wurde, geregelt. Weitere Verordnungen regeln die Ein- bzw. Ausfuhr von syri-
schen2 und irakischen3 Kulturgütern. Im deutschen Recht ist der Schutz inländischer Kul-
turgüter im 2016 neu gefassten Kulturgüterschutzgesetz (KultgSchG)4 geregelt, das zugleich
die EU-Kulturgüterrückgaberichtlinie5 umsetzt. Die entsprechenden Ausfuhrverbote im Kul-
turgüterschutzrecht sind als Eingriffsnormen ohne Rücksicht auf das den Ausfuhrvertrag be-
herrschende Recht durchzusetzen6.

5.95 Auch das von Deutschland ratifizierte UNESCO-Kulturgüterschutzabkommen von 19707


wurde durch das KultgSchG umgesetzt. Es ordnet in seinem Art. 3 u.a. an, dass Einfuhr, Aus-
fuhr und Übereignung von Kulturgut als rechtswidrig gelten, wenn sie im Widerspruch zu
den Bestimmungen stehen, die von den Vertragsstaaten in dem Übereinkommen angenom-
men worden sind. Auch diese Vorgaben sind Eingriffsnormen.

11. Medienrecht, Mobilfunk


5.96 Im Medienrecht wurde die Pflicht zur Löschung rechtswidriger Inhalte i.S.v. § 1 NetzDG als
Eingriffsnorm angesehen8. Das Herkunftslandprinzip für den freien Verkehr von Telemedien
der §§ 3 Abs. 1 und 2 TMG hat der EuGH nicht als Eingriffsnorm qualifiziert9.

5.97 Die EU hat im Bereich des Mobilfunks öffentliches Preisrecht erlassen, das selbstverständlich
unabhängig vom Vertragsstatut gelten soll und von inländischen Gerichten daher über Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen ist. Das betrifft die Roaming-Verordnung (EU) Nr. 531/
2012 vom 13.6.2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (Neu-
fassung)10, deren Art. 7 ff. zwingende Höchstbeträge für Roaming-Entgelte anlässlich des in-
nereuropäischen Einsatzes von Mobiltelefonen enthalten.

1 Verordnung (EU) 2019/880 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.4.2019 über das Ver-
bringen und die Einfuhr von Kulturgütern, ABl. EU Nr. L 151, 1.
2 Verordnung (EU) Nr. 1332/2013 des Rates v. 13.12.2013 zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien, ABl. EU 2013 Nr. L 335,
3.
3 Verordnung (EG) Nr. 1210/2003 des Rates v. 7.7.2003 über bestimmte spezifische Beschränkungen
in den wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu Irak und zur Aufhebung der Verordnung
(EG) Nr. 2465/1996, ABl. EG 2003 Nr. L 169, 6.
4 Gesetz zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts v. 31.7.2016, BGBl. I 2016, 1914; zur Reform
des KultgSchG Elmenhorst/Heimann, NJW 2016, 3398.
5 Richtlinie (EU) Nr. 2014/60 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über die
Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern
und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, ABl. EU 2014 Nr. L 159, 1.
6 Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes (1994), S. 95 ff.;
Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen
auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970 (2008), S. 210 ff.; Doehner in
NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 184.
7 Übereinkommen v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswid-
rigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. II 2007, 626, für Deutschland in
Kraft getreten am 29.2.2008.
8 LG Frankenthal v. 8.3.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928.
9 EuGH v. 29.10.2010 – C-161/10, C-509/09, ECLI:EU:C:2010:656, BeckRS 2012, 80039; ausf.
Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 272 m.w.N.
10 ABl. 2012 Nr. L 172, S. 10.

348 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.100 § 5

12. Schutz des schwächeren Vertragsteils


a) Arbeitsverträge
Es ist grundsätzlich denkbar, über Art. 8 Rom I-VO hinaus gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO 5.98
arbeitsrechtliche Vorschriften des deutschen Rechts anzuwenden. In Betracht kommt dies
nach den in Rz. 5.19 ff., Rz. 11.102 ff. geschilderten Grundsätzen indes nur ausnahmsweise,
falls der betreffenden arbeitsrechtlichen Bestimmung über den reinen Privatausgleich hinaus
ein weitergehender ordnungspolitischer Charakter zukommt, dessen Vorliegen durch die Exis-
tenz behördlicher Durchsetzungsmechanismen indiziert wird1.

International zwingend (umfassende Darstellung Rz. 11.114 ff. und Rz. 11.139) sind die Rege- 5.99
lungen über Massenentlassungen gem. §§ 17 ff. KSchG, den besonderen Kündigungsschutz
für Betriebsverfassungsorgane sowie den Mutter- und Schwerbehindertenschutz2. Im letzt-
genannten Bereich hat das BAG jedoch § 168 SGB IX nicht als international zwingend ange-
sehen3. Ebenso gelten die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes betreffend Höchstarbeitszei-
ten für sämtliche Tätigkeiten im Inland4, im Anwendungsbereich des SeeArbG ist die Frage
umstritten5. Eingriffsrechtlich zu qualifizieren ist auch der Anspruch auf Elternzeit gem.
§§ 15 ff. BEEG6. Der besondere Kündigungsschutz des § 18 BEEG ist laut BAG jedenfalls
dann keine Eingriffsnorm, wenn der die Elternzeit beanspruchende Arbeitnehmer seinen ge-
wöhnlichen Arbeitsort nicht im Inland hat7. International zwingend ist § 20 MuSchG betref-
fend den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld.

Hinsichtlich der Ansprüche der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung nach dem EFZG ist zu 5.100
differenzieren. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG
zählt nach Ansicht des BAG zu den Eingriffsnormen8. Der gebotene Inlandsbezug soll indes
nur bestehen, wenn auf das Arbeitsverhältnis deutsches Sozialversicherungsrecht anwendbar
ist, da die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung im Wesentlichen der Entlas-
tung der Sozialkasse diene9. Maßgeblich ist demzufolge, ob der Arbeitnehmer im konkreten
Fall Anspruch auf Sozialleistungen hätte, falls es nicht zur Lohnfortzahlung nach § 3 EFZG

1 Vgl. BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042; BAG v. 24.3.1992 – 9
AZR 76/91, ZIP 1992, 1158 = NZA 1992, 1129; BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, ZIP 1993,
850 = MDR 1993, 1213 = IPRax 1994, 123 (Anm. Mankowski, IPRax 1994, 88); Junker, IPRax
1989, 69 (74); Mankowski, RabelsZ 53 (1989), 487 (512 f.); Mankowski, IPRax 1996, 409.
2 So zu Art. 34 EGBGB BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042;
ebenso zu Art. 9 Rom I-VO etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35; Magnus in Staudinger
(2011), Art. 8 Rom I-VO Rz. 197 f.; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50.
3 BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 720/14, NZA 2016, 473.
4 So zu Art. 34 EGBGB und zum ehem. SeemannsG BAG v. 12.12.1990 – 4 AZR 238/90, NZA 1991,
386 (387).
5 Franzen, Anm. zu BAG v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94, EzA Art. 30 EGBGB Nr. 3 m.w.N.
6 So zum früheren BErzG auch LAG Hessen v. 16.11.1999 – 4 Sa 463/99, AR-Blattei ES 920 Nr. 7
Internationales Arbeitsrecht Anm. Mankowski; Junker, RIW 2001, 94 (104); a.A. Oetker in Mün-
chener Handbuch zum Arbeitsrecht (2021), § 13 Rz. 120.
7 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225.
8 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18–21. Ebenso bereits
zu Art. 34 EGBGB BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, MDR 2002, 950 = NZA 2002, 735 = SAE
2002, 253 (krit. Anm. Junker, SAE 2002, 258). A.M. noch Vorinstanz LAG Hessen v. 16.11.1999 –
4 Sa 463/99, IPRax 2001, 461 (krit. Anm. Benecke, IPRax 2001, 449) = AR-Blattei ES 920 Nr. 7
Internationales Arbeitsrecht krit. Anm. Mankowski, zust. Junker, RIW 2001, 94 (103 f.).
9 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18 ff.

Zwickel | 349
§ 5 Rz. 5.100 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kommt. Für Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten sind insoweit die Vorgaben des
europäischen Sozialversicherungsrechts maßgeblich. Dagegen hält das BAG § 2 EFZG, der
den Arbeitnehmern auch an gesetzlichen Feiertagen einen Lohnanspruch verschafft, nicht für
eine Eingriffsnorm1. Es fehle an der für die Qualifizierung als Eingriffsnormen erforderlichen
Ausrichtung der Norm an Allgemeininteressen, da der Feiertagsschutz bereits durch das Feier-
tagsrecht gewährleistet werde. § 2 EFZG diene daher allein dem privaten Interessenausgleich.

5.101 Keinen international zwingenden Charakter haben die deutschen Bestimmungen des all-
gemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG sowie nach §§ 65 ff. SeeArbG (zu Art. 9
Rom I-VO etwa Rz. 11.138)2. Ebenfalls nicht international zwingend sind die Vorschriften
über die Urlaubsabgeltung3 sowie den Überstundenausgleich4. Das BAG hat zudem die inter-
national zwingende Durchsetzung der Bestimmungen des ehemaligen SeemannsG betreffend
die Höhe der Heuer, die Urlaubsvergütung und das Verpflegungsgeld für den Urlaub abge-
lehnt5.

5.102 Umstritten ist die international zwingende Anwendung des § 613a BGB betreffend den Be-
triebsübergang. Das BAG hat § 613a für nicht international zwingend gehalten, da die Vor-
schrift im Wesentlichen den Interessenausgleich zwischen Privaten regele6.

5.103 Das die Entsende-Richtlinie7 umsetzende Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)8 gestaltet


zahlreiche Vorschriften des deutschen Arbeitsrechts unter der Voraussetzung, dass der betrof-
fene Arbeitnehmer ins Inland entsandt wird, so aus, dass für die entsandten Arbeitnehmer
zwingend ein „harter Kern“ arbeitnehmerschützender Vorschriften des Aufnahmestaats gilt9.
Die Entsende-Richtlinie verweist für die Durchsetzung auf die nationalen Umsetzungsvor-
schriften (Art. 3). Diese Umsetzungsvorschriften haben Eingriffscharakter und genießen Vor-
rang vor dem Arbeitsvertragsstatut des Art. 8 Rom I-VO. Ob die Vorschriften zu allgemeinen
Arbeitsbedingungen (§ 2 AEntG), tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen (§ 3 AEntG) sowie
ggf. zusätzlichen Arbeitsbedingungen (§ 13b AEntG) als Eingriffsnormen der lex fori (Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO) zu behandeln sind oder ob ihnen (teilweise) nach Art. 23 Rom I-VO Vor-

1 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 17.
2 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 36; Magnus in Staudinger (2016), Art. 8 Rom I Rz. 202;
Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 51. Noch zum alten Recht zum allg. Kündigungsschutz
BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042; zu § 63 SeemannsG BAG
v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042.
3 BAG v. 21.3.1985 – 6 AZR 565/82, NZA 1986, 25.
4 Vgl. Mankowski, IPRax 1996, 409.
5 BAG v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94 u.a., MDR 1995, 1241 = IPRax 1996, 416 (Anm. Mankowski,
IPRax 1996, 405) = EzA Art. 30 EGBGB Nr. 3 Anm. Franzen.
6 BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, ZIP 1993, 850 = MDR 1993, 1213 = IPRax 1994, 123 (Anm.
Mankowski, IPRax 1994, 88).
7 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Er-
bringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, 1, geändert durch Richtlinie 2018/957/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG
über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl.
EU 2018 Nr. L 173, 16.
8 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regel-
mäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen v. 20.4.2009, BGBl. I 2009,
799.
9 Grundlegend noch zum alten Recht BAG v. 25.6.2002 – 9 AZR 405/00, BAGE 101, 357. Zur
Rom I-VO vgl. etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 8 Rom I Rz. 200 f.; Martiny in Münch-
Komm, Art. 8 Rom I-VO Rz. 117; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50.

350 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.104 § 5

rang zukommt, ist streitig (dazu ausführlich Rz. 11.25 m.w.N. und Rz. 5.30 ff.). Der EuGH hat
mit Verweis auf den kollisionsrechtlichen Gehalt des Art. 3 Entsende-Richtlinie zu Recht an-
genommen1, es komme ausschließlich Art. 23 Rom I-VO zur Anwendung. Teils wird für eine
Anwendung des Art. 9 Rom I-VO plädiert2 oder eine Kombination dergestalt für richtig ge-
halten, dass Art. 23 Rom I-VO die Entsenderichtlinie erfasst und eine Durchsetzung der Ein-
griffsnormen über Art. 9 Rom I-VO erzwingt3. Viel spricht jedoch dafür, Art. 23 Rom I-VO
für die Entsende-Richtlinie in Ansatz zu bringen und Art. 9 Rom I-VO nur für eine überschie-
ßende Durchsetzung der Eingriffsnormen des AEntG anzuwenden4.
Infolge der aus der international zwingenden Anwendung des AEntG resultierenden Ein-
schränkung der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit ist jedenfalls eine restriktive An-
wendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geboten. Insbesondere hat der EuGH in der Entschei-
dung „Bundesdruckerei“ festgehalten, dass es unverhältnismäßig wäre, auch die Entlohnung
solcher Arbeitnehmer dem deutschen Recht zu unterstellen, die von ihrem ausländischen Ar-
beitgeber rein vorübergehend im Inland beschäftigt werden und für die deswegen die hier
herrschenden allgemeinen Lebenshaltungskosten ohne Relevanz sind5.

Das zum 1.1.2015 in Kraft getretene Mindestlohngesetz (MiLoG)6 zählt zweifellos zu den 5.104
Eingriffsnormen (ebenso Rz. 11.123)7. Nach § 20 MiLoG trifft die Verpflichtung zur Zahlung
des Mindestlohns explizit Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland in Bezug auf ihre im In-
land beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Regierungsbegründung hält
insoweit fest, dass diese zu den international zwingenden Bestimmungen i.S.d. § 2 Nr. 1
AEntG zähle8. Auch insoweit ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei rein vorübergehender
Beschäftigung im Inland zu beachten (ebenso Rz. 11.124)9. Im Hinblick auf die allgemeinen
zivilrechtlichen Anforderungen an Mindestlöhne ist Art. 9 Rom I-VO dagegen nicht anzu-
wenden10: Das BAG hält Vergütungsabreden, nach denen der Arbeitnehmer nicht wenigstens
2/ des in der betreffenden Branche üblichen Entgelts erhalten soll, für sittenwidrig i.S.d. § 138
3
Abs. 2 BGB (sog. Lohnwucher)11. Die zivilrechtliche Sittenwidrigkeit, die über § 291 Abs. 1
Nr. 3 StGB auch strafrechtlich sanktioniert ist, kann nicht gegen ausländischem Recht unter-

1 EuGH v. 8.12.2020 – C-620/18, ECLI:EU:C:2020:1001 Rz. 178 (Ungarn/Parlament und Rat), NZA
2021, 113; EuGH v. 8.12.2020 – C-626/18, ECLI:EU:C:2020:1000, Rz. 133 (Polen/Parlament und
Rat), BeckRS 2020, 33946.
2 Krebber, IPRax 2013, 474 (476 f.).
3 Generell für eine Kombination Deinert, FS Martiny (2014), S. 277 (291); Knöfel in BeckOGK,
Art. 8 Rom I-VO Rz. 71 (Stand 1.2.2021).
4 Für Vorrang des Art. 23 Rom I-VO auch Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 232 (Stand
1.2.2021); in diesem Sinne auch EuGH v. 8.12.2020 – C-626/18, ECLI:EU:C:2020:1000, Rz. 130 ff.
(Polen/Parlament und Rat), BeckRS 2020, 33946.
5 EuGH v. 18.9.2014 – C-549/13, ECLI:EU:C:2014:2235, Rz. 24 ff., 34 (Bundesdruckerei GmbH/
Stadt Dortmund), NZA 2014, 1129.
6 Mindestlohngesetz v. 11.8.2014, BGBl. I 1348.
7 FG Berlin-Brandenburg v. 16.1.2019 – 1 K 1161/17, NZA-RR 2019, 230 m. Anm. Sura; Sittard,
NZA 2015, 78 f.
8 BT-Drucks. 18/1558, 42.
9 Ausf. Sittard, NZA 2015, 78 ff.
10 Näher Bayreuther, NZA 2010, 1157 ff.
11 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 436/08, BAGE 130, 338 = MDR 2009, 1117 = NZA 2009, 837 Rz. 17;
vgl. auch BAG v. 17.10.2012 – 5 AZR 792/11, BAGE 143, 212 = ZIP 2013, 474 = MDR 2013, 471 =
NZA 2013, 266 Rz. 19.

Zwickel | 351
§ 5 Rz. 5.104 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

liegende Arbeitsverträge eingewandt werden, weil die Entsende-Richtlinie abschließend die


Anforderungen an Eingriffsnormen im Entsendebereich normiert.

5.105 Nicht zu den Eingriffsnormen zählt nach Auffassung des BAG der Anspruch auf Teilzeitarbeit
nach § 8 TzBfG1.

b) Verbraucherverträge
aa) Allgemeines
5.106 Der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz wird überwiegend durch Art. 6 Rom I-VO sowie
durch mehrere Richtlinienkollisionsnormen sichergestellt, die gem. Art. 23 Rom I-VO auch
nach Inkrafttreten der Rom I-VO fortgelten (dazu Rz. 5.19 ff., Rz. 5.30). Insoweit ist grund-
sätzlich auf die betreffende Erläuterung insb. der Art. 6, Art. 23 Rom I-VO zu verweisen (nä-
her Rz. 35.1 ff.), nachstehend sind nur einige Restfragen zu erörtern.

bb) Gewinnzusagen gem. § 661a BGB


5.107 Gemäß § 661a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilun-
gen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck er-
weckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leis-
ten. Diesbezüglich ist bereits streitig, ob Gewinnzusagen überhaupt dem Anwendungsbereich
der Rom I-VO unterfallen. Materiell-rechtlich qualifiziert der BGH den Anspruch aus der Ge-
winnzusage als Anspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das an eine geschäftsähn-
liche Handlung anknüpft2. Der EuGH hat in seiner Entscheidung in der Sache „Engler“ fest-
gestellt, dass Ansprüche aus Gewinnzusagen zu den vertraglichen Ansprüchen i.S.d. Art. 5
Nr. 1 EuGVÜ zählen3. In der Rechtssache „Ilsinger“4 hat der EuGH diesen Grundsatz für die
Brüssel Ia-VO bestätigt und bei tatsächlicher Warenbestellung den Verbrauchergerichtsstand
des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO bejaht. Will man dieser nicht unkritischen vertraglichen
Qualifikation der Gewinnzusagen5 folgen, stellt sich weiter die Frage, ob § 661a BGB als inter-
national zwingende Norm anzusehen ist. Kollisionsrechtlich hatte sich der BGH vor Inkraft-
treten der Rom I-VO aber zudem dafür ausgesprochen, Ansprüche aus § 661a BGB gem.
Art. 34 EGBGB durchzusetzen6. Viel spricht aber dafür, davon auszugehen, dass § 661a BGB
gerade keine Eingriffsnorm darstellt7. Die Vorschrift schützt, wie sich an der Rechtsfolge der
Verpflichtung zur Leistung des Preises zeigt, hauptsächlich Individualinteressen8. Der zugleich

1 BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, BAGE 125, 24 = MDR 2008, 694 = NZA 2008, 761 Rz. 76 ff.
2 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 26 = MDR 2006, 737 (Jordans, IPRax 2006,
582; Anm. Lorenz, NJW 2006, 472; Schäfer, JZ 2006, 522).
3 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33, Rz. 44 ff. (Engler), NJW 2005, 811.
4 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 (Ilsinger), RIW 2009, 485 = EuZW 2009, 489
m. Anm. Reuß/Beig.
5 Für Tendenz zu (ggf. auch vertragsakzessorischer) deliktischer Anknüpfung auch Staudinger in
Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34.
6 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 30 ff = MDR 2006, 737 = IPRax 2006, 602
(Anm. Jordans, IPRax 2006, 582; Anm. Lorenz, NJW 2006, 472; Schäfer, JZ 2006, 522).
7 Bergmann in Staudinger (2016), § 661a BGB Rz. 65; Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO,
Rz. 283; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; a.A. Lorenz IPRax 2002, 192, 196; Lorenz, NJW
2006, 472 (474); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 39; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9
Rom I-VO Rz. 180; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19.
8 Gegen eine Qualifikation als Eingriffsnorm auch Fetsch, RIW 2002, 936 (939); Martiny in Münch-
Komm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 93; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48.

352 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.111 § 5

verfolgte wettbewerbsrechtliche Zweck der Unterbindung unlauterer Gewinnzusagen ist blo-


ßes gesetzgeberisches Motiv, das sich im Tatbestand der Vorschrift nicht niedergeschlagen hat.

cc) Fernunterricht
Die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG)1 5.108
sind nicht international zwingend2. Der die zwingende internationale Durchsetzung der Ver-
braucherschutzvorschriften des FernUSG früher regelnde § 11 FernUSG wurde durch Art. 2
des Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und
für Sachen vom 29.5.19993 ersatzlos gestrichen. Anders als früher z.T. behauptet4 handelt es
sich bei der Aufhebung des § 11 FernUSG nicht um ein Versehen. In der Regierungsbegrün-
dung zum Entwurf des IPR-Gesetzes von 1999 heißt es ausdrücklich, die Verbraucher seien
im Bereich des FernUSG kollisionsrechtlich ausreichend über Art. 29 EGBGB (nunmehr
durch Art. 6 Rom I-VO) geschützt5. Diese Position wurde auch nach der diesbezüglichen
Rückfrage des Bundesrates6 ausdrücklich beibehalten und zudem auf die Bedeutungslosigkeit
des § 11 FernUSG in der Rechtspraxis verwiesen7.

dd) Pauschalreisen
Bei den §§ 651a ff. BGB handelt es sich nicht um Eingriffsnormen. Vielmehr stellen diese, 5.109
ebenso wie die Rspr. zur Ferienhausmiete im Ausland8, lediglich privatschützendes Verbrau-
cherprivatrecht dar.

13. Sozialrecht
Auch Vorschriften des Sozialrechts können auf privatrechtliche Verträge, insb. auf Arbeitsver- 5.110
träge einwirken. Zu nennen sind etwa die Bestimmungen des deutschen Rechts zum Lohn-
abzugsverfahren in § 28e Abs. 1 S. 1, § 28g S. 2–4 SGB IV, die das BAG freilich zu Unrecht
auch zugunsten ausländischer Sozialversicherungsträger anwenden wollte9. Zu den Einzelhei-
ten zwingenden Rechts im Rahmen von Arbeitsverträgen Rz. 11.114 ff.

14. Transport- und Beförderungsverträge


Art. 5 Rom I-VO enthält für Beförderungsverträge lediglich eine gegenüber Art. 4, z.T. auch 5.111
gegenüber Art. 3 Rom I-VO vorrangige Spezialregelung für die objektive und subjektive An-
knüpfung bestimmter Verträge. Die Bestimmung sperrt damit keinesfalls den Rückgriff auf
Art. 9 Rom I-VO, der indes nur zurückhaltend anzuwenden ist. So enthält das Transportrecht

1 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht v. 24.8.1976, BGBl. I 1976, 2525, zuletzt
geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 20.9.2013, BGBl. I 2013, 3642.
2 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 4 Rom I Rz. 315; Martiny in MünchKomm, Art. 4
Rom I-VO Rz. 80.
3 BGBl. I 1999, 1026.
4 Magnus in Staudinger (2002), Art. 34 EGBGB Rz. 92; anders nunmehr Magnus in Staudinger
(2016), Art. 9 Rom I Rz. 315.
5 BT-Drucks. 14/343, 19.
6 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 14/343, 20 f.
7 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/343, 22.
8 Staudinger, NZM 2011, 257 (251 f.).
9 BAG v. 12.10.1977 – 5 AZR 443/76, NJW 1978, 1766.

Zwickel | 353
§ 5 Rz. 5.111 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

des HGB in den § 449 Abs. 4, § 451h Abs. 3 sowie § 466 Abs. 5 HGB mehrere Eingriffsnor-
men1. Gemeinsame Voraussetzung aller drei Vorschriften ist das Vorliegen eines Verbraucher-
vertrages, bei dem der Ort der Aufnahme des Gutes und derjenige seiner Ablieferung im In-
land liegen. In diesem Fall kann im Interesse des Verbrauchers nicht von den zwingenden
Bestimmungen der jeweiligen Transportrechtsmaterie abgewichen werden. Bezweckt wird mit
den Regelungen zum einen der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz der deutschen Auftrag-
geber. Zum anderen werden Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischen Spedi-
teuren bei Transporten im Inland vermieden, indem auch für Kabotagetransporte auslän-
discher Transporteure in Deutschland die zwingenden deutschen Vorschriften gelten. Soweit
die § 449 Abs. 4, § 451h Abs. 3, § 466 Abs. 5 HGB vertragliche Regelungen in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Spediteure betreffen, sind der Vorrang des Art. 6 Rom I-VO und
ggf. der Art. 23 Rom I-VO, Art. 46b EGBGB (dazu Rz. 5.19 ff., Rz. 5.30 f.) zu beachten2.

5.112 Eine weitere international zwingende Regelung enthält § 452d Abs. 3 HGB in Bezug auf mul-
timodale Transportverträge, für die die §§ 452 ff. HGB erstmals gesetzliche Regelungen ent-
halten. Danach sind Vereinbarungen in multimodalen Transportverträgen, die die für eine
Teilstrecke zwingend geltenden Vorschriften eines von der Bundesrepublik Deutschland ratifi-
zierten internationalen Übereinkommens ausschließen sollen, unwirksam. Die Vorschrift soll
nach Ansicht des Gesetzgebers den Vorrang völkerrechtlicher Abkommen der Bundesrepublik
wahren, der aufgrund von § 452d Abs. 2 HGB andernfalls gefährdet wäre3. Art. 6 EGHGB in
der Fassung des Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts von 20134 ist, wie sich insbesonde-
re an der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 6 Abs. 1 a.E. EGHGB zeigt, eine Sonderkollisions-
regelung des deutschen Rechts, die nicht dem Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Rom I-
VO unterfällt5.

15. Urhebervertragsrecht
5.113 Für Nutzungsverträge über Urheberrechte enthält § 32b UrhG eine Eingriffsnorm6. Die
Vorschrift sieht vor, dass die §§ 32, 32a UrhG zwingende Anwendung finden, wenn auf den
urheberrechtlichen Nutzungsvertrag mangels einer Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden
wäre oder der Vertrag maßgebliche Nutzungshandlungen im räumlichen Geltungsbereich die-
ses Gesetzes zum Gegenstand hat. Damit sind bei Vorliegen des in § 32b UrhG legaldefinier-
ten Inlandsbezuges die Bestimmungen über die angemessene Vergütung des Urhebers für die
Einräumung von Nutzungsrechten bzw. die Erlaubnis der Werknutzung (§ 32 Abs. 1 S. 1
UrhG), den Anspruch des Urhebers auf Anpassung des Vertrages bei nicht angemessener
Vergütung (§ 32 Abs. 1 S. 3 UrhG) und über die weitere Beteiligung i.S.d. § 32a UrhG inter-
national zwingend ausgestaltet. Aus § 32b Nr. 1 UrhG folgt insbesondere, dass Nutzungsver-
träge, die sowohl Nutzungshandlungen im In- wie auch im Ausland umfassen, insgesamt, d.h.
ebenfalls bezüglich der ausländischen Nutzungshandlungen, zwingend dem deutschen Recht

1 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 170;
Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 10.
2 Ausf. Staudinger, IPRax 2001, 186 ff.
3 RegBegr. zum TRG, BT-Drucks. 13/8445, 105; näher Basedow, TranspR 1999, 58; Looks, VersR
1999, 31; Rabe, TranspR 2000, 189.
4 BGBl. I 2013, 831.
5 Magnus in Staudinger (2016), Art. 5 Rom I Rz. 170; Martiny in MünchKomm, Art. 5 Rom I-VO
Rz. 116.
6 Vgl. Obergfell, K&R 2003, 118 ff.; von Welser in Wandtke/Bullinger, UrhR, 5. Aufl. 2019, § 32b
UrhG Rz. 1 ff.

354 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.116 § 5

unterliegen, falls der Vertrag aufgrund seiner engen Bezüge zum deutschen Recht diesem bei
objektiver Anknüpfung unterläge1. Umgekehrt sichert § 32b Nr. 2 UrhG zwingend die An-
wendung deutschen Rechts auf die vertragliche Vereinbarung von Nutzungshandlungen in
Deutschland2. Näher zu Eingriffsnormen im internationalen Urhebervertragsrecht vgl.
Rz. 34.121 ff.

16. Versicherungsverträge
Zunächst ist zu beachten, dass eine unbesehene und ausufernde Anwendung des Art. 9 5.114
Rom I-VO auf Direktversicherungen über Risiken innerhalb von EU und EWR das durch
Art. 7 Rom I-VO gebildete Schutzkonzept konterkarieren würde3. Entsprechendes gilt für das
Verhältnis des Art. 9 Rom I-VO zu Art. 6 Rom I-VO im Hinblick auf den Verbraucherschutz,
da sich dieser im Versicherungsvertragsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 7
Rom I-VO nach Art. 6 Rom I-VO richtet. Man wird daher allenfalls drittschützende und pri-
mär öffentlichen Interessen dienende Vorschriften der Sonderanknüpfung zuführen kön-
nen4, zu den Einzelheiten ausf. Rz. 36.65 ff.

17. Währungs- und Devisenrecht


Währungs- und devisenrechtliche Vorschriften zählen nach allg.M. zu den paradigmatischen 5.115
Eingriffsnormen5. Gleichwohl ist ihre Bedeutung aus Sicht des Inlands seit langer Zeit infolge
der relativen Stabilität der inländischen Währung sowie der einschlägigen unionsrechtlichen
Vorgaben äußerst gering. Zur praktisch bedeutsameren Frage der Beachtlichkeit auslän-
dischen Devisenrechts ausführlich Rz. 5.156.

Gegenstand des Devisenrechts ist die Behandlung ausländischer Währungen im Inland6. Im 5.116
Kern geht es dabei um Beschränkungen bzw. Verbote der Ein- bzw. Ausfuhr ausländischer
Währungen, die amtliche Festlegung von Wechselkursen etc. Art. 63 AEUV gewährleistet für
den EU-Binnenmarkt sowie gegenüber Drittstaaten in Gestalt der Kapital- und Zahlungsver-
kehrsfreiheit grundsätzlich den ungehinderten grenzüberschreitenden Geldfluss. Diese Frei-
heiten können zwar gem. Art. 64–66 AEUV zum Schutz der öffentlichen Ordnung ausnahms-
weise beschränkt werden, doch sind entsprechende Eingriffe aus deutscher Sicht rar. § 1 Abs. 1
S. 1 AWG postuliert die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs und die §§ 54 ff. AWV
enthalten nur geringfügige Ausnahmen. Zu nennen sind namentlich das Londoner Schulden-
abkommen von 19537 sowie der flankierende § 54 AWV, die die Altschulden der Bundesrepu-
blik aus der Zeit vor Ende des Zweiten Weltkriegs einer international zwingenden Regelung

1 So zum alten Recht Obergfell, K&R 2003, 118 (125).


2 Einschränkend Obergfell, K&R 2003, 118 (125), für den Fall, dass die Nutzungshandlung in
Deutschland lediglich ein bloßer „Reflex“ eines zahlreiche Länder umfassenden Nutzungsvertrages
ist.
3 Vgl. Roth, IPRax 1994, 164 (167); Roth, Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse im euro-
päischen und internationalen Versicherungsvertragsrecht, in Reichert-Facilides (Hrsg.), Aspekte
des internationalen Versicherungsvertragsrechts im europäischen Wirtschaftsraum (1994), S. 1
(37).
4 Hahn, Die „europäischen“ Kollisionsnormen für Versicherungsverträge (1992), S. 104 ff.
5 BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 = MDR 1995, 348 (374) = NJW 1995, 318.
(jeweils zum Devisenrecht). Vgl. auch Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 30; Ebke in Staudinger
(2016), Anh. Art. 9 Rom I Rz. 2; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19.
6 Schefold in Schimansky/Bunte/Lwoswki (Hrsg.), Bankrechtshandbuch, 5. Aufl. 2017, § 117 Rz. 2.
7 Abkommen v. 27.2.1953 über deutsche Auslandsschulden, BGBl. 1953 II, 333.

Zwickel | 355
§ 5 Rz. 5.116 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

zuführen. Im Übrigen verpflichtet Art. VIII Abschnitt (2) des IWF-Übereinkommens die Mit-
gliedstaaten des Internationalen Währungsfonds dazu, zulässige Devisenbeschränkungen an-
derer Vertragsstaaten auch im Inland zu berücksichtigen, dazu näher Rz. 5.156 ff.

5.117 Unter dem Begriff des Währungsrechts ist die Summe sämtlicher öffentlich-rechtlicher Vor-
schriften zu verstehen, die die Geldverfassung eines Währungsgebietes konstituieren1. Hierzu
zählen namentlich Kompetenzregeln, Bestimmungen über die äußerliche und innerliche Aus-
gestaltung von Geldmünzen und -scheinen (im Sinne ihrer Stückelung, ihres Aussehens und
Materials), etc. Insoweit ist zu beachten, dass im Eurogebiet die Zuständigkeit für währungs-
politische Maßnahmen gem. Art. 3 Abs. 1 lit. c, Art. 119 Abs. 2 AEUV exklusiv bei der Union
liegt, wobei die Art. 127 ff. AEUV die Kompetenzen der EU sowie der Mitgliedstaaten und
ihrer jeweils zuständigen Organe normieren, während die Art. 282–284 AEUV Zuständigkei-
ten und Organisation der Europäischen Zentralbank (EZB) näher ausführen. Die insoweit ein-
schlägigen Bestimmungen sind im Internationalen Vertragsrecht weitestgehend ohne Rele-
vanz. Anderes gilt für diejenigen geschriebenen oder ungeschriebenen Bestimmungen des
Währungsrechts, die sich auf vertraglich begründete Geldschulden auswirken, da diese not-
wendig in einer bestimmten Währung denominiert sein müssen (sog. Schuldwährung), die
gemeinsam mit dem Betrag der Schuld den Umfang der zu verschaffenden Kaufkraft definiert.
In diese Kategorie fallen insbesondere die anlässlich von Währungsumstellungen erlassenen
Bestimmungen. Regelmäßig wird – wie auch anlässlich der Einführung des Euro2 – angeord-
net, dass sämtliche Verbindlichkeiten, die in der alten Währung denominiert sind, auto-
matisch unter Zugrundelegung eines bestimmten Wechselkurses in die neue Währung über-
führt werden und dass die Währungsumstellung die Geldschulden im Übrigen nicht berührt,
insbesondere nicht in Fortfall kommen lässt (sog. rekurrenter Anschluss)3. Die einschlägigen
Bestimmungen knüpfen notwendig an die Währung, nicht an das für die Geldschuld maßgeb-
liche Recht an und sind damit als Eingriffsnormen zu qualifizieren, wobei freilich die Euro-
einführungsverordnungen den kollisionsrechtlichen Vorgängerregelungen des Art. 9 Rom I-
VO als leges speciales vorgingen.

5.118 Währungsrechtlich motiviert sind auch Vorschriften, die die physischen Ausprägungen einer
Währung in Form der amtlich emittierten gesetzlichen Zahlungsmittel mit einem gesetzli-
chen Annahmezwang versehen mit der Folge, dass der Geldschuldner eine in der betreffen-
den Währung denominierte Verbindlichkeit im jeweiligen Währungsgebiet stets bar durch
Leistung von Geldmünzen bzw. -scheinen erfüllen darf. Im Eurogebiet ist ein derartiger An-
nahmezwang in Bezug auf die Euro-Banknoten nicht explizit normiert, doch schreiben
Art. 128 AEUV und die Euro-Einführungsverordnung 974/984 fest, dass die Euro-Banknoten,
in vermindertem Umfang auch die Euro-Geldmünzen5, im Eurogebiet „gesetzliche Zahlungs-

1 Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999), S. 12 ff.; Hahn/Häde, Währungsrecht, 2. Aufl.


2010, § 2 Rz. 2; Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte (2010),
S. 78 f.; K. Schmidt in Staudinger (1997), Vorbem. §§ 244 ff. BGB Rz. A 48.
2 Insbesondere durch die Verordnung (EG) 1103/97 über bestimmte Vorschriften im Zusammen-
hang mit der Einführung des Euro v. 17.6.1997, ABl. Nr. L 162, S. 1.
3 Die Euroeinführungsverordnung 1103/97 hatte die Vertragskontinuität allerdings in die Dispositi-
on der Parteien gestellt.
4 Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3.5.1998 über die Einführung des Euro, ABl. Nr. L 139,
S. 1.
5 Diese werden überhaupt nur in Art. 11 S. 2 der Euro-Einführungsverordnung 974/98 (nicht dage-
gen im AEUV) als gesetzliche Zahlungsmittel genannt und Art. 11 S. 3 der Verordnung begrenzt
die Annahmepflicht auf höchstens fünfzig Stück.

356 | Zwickel
C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.120 § 5

mittel“ sind. Aus der Eigenschaft der amtlichen Euro-Geldmittel als gesetzliche Zahlungsmit-
tel wird ganz überwiegend ein Annahmezwang abgeleitet1. Allerdings steht der Annahme-
zwang unzweifelhaft zur Disposition der Parteien, die (selbstverständlich) auch unbare Zah-
lung oder Zahlung in fremder oder gar privater Währung verabreden dürfen. Darüber hinaus
sind die Grenzen von Treu und Glauben zu beachten, so dass ein Gläubiger aufgrund von
Praktikabilitätserwägungen und Diebstahlsgefahren keineswegs unbegrenzt Zahlung großer
Geldbeträge in Geldscheinen akzeptieren muss. Infolge der Abdingbarkeit des Annahme-
zwangs wird man diesen nicht als Eingriffsnorm einstufen können.

Entgegen früher häufig vertretener Ansicht2 ist die in § 244 BGB normierte Ersetzungsbefugnis 5.119
bei nicht effektiven Fremdwährungsschulden nicht als Eingriffsnorm zu qualifizieren; diese
erfordert vielmehr die Geltung deutschen Rechts als lex causae3. Eine eingriffsrechtliche Qualifi-
kation des § 244 BGB käme insb. in Betracht, wenn die Norm währungsrechtlicher Natur wäre
und den geschilderten Annahmezwang zugunsten von physischen Euro-Geldmitteln absichern
sollte. Eine solche Fundierung der deutschrechtlichen Norm erscheint bereits in Anbetracht der
ausschließlichen währungsrechtlichen Kompetenz der Union sehr fragwürdig. Jedenfalls aber
kann § 244 BGB zum Schutz der inländischen Währung nicht ernstlich beitragen. Denn die
Ersetzungsbefugnis steht noch weiter zur Disposition der Parteien als der für amtliche Euro-
Geldmittel geltende Annahmezwang, da die Parteien durch Vereinbarung effektiver Fremdwäh-
rungsschulden oder sonstiger Festlegungen der Zahlungswährung auch im Inland den Euro
gänzlich abbedingen und damit „schwächen“ können. Auch kann § 244 BGB kaum ernstlich
den Schutz der inländischen Zahlungsbilanz bewirken, weil dieser sich nur durch zwingende
öffentlich-rechtliche Transferbeschränkungen bewerkstelligen lässt. Die Norm als reine Schuld-
nerschutzregelung international zwingend durchzusetzen kommt ebenso wenig in Betracht.

Den meisten modernen Währungen und auch dem Unionsrecht liegt das Prinzip des (wäh- 5.120
rungsrechtlichen) Nominalismus zugrunde, wonach der Umfang einer Geldschuld grundsätz-
lich im Zeitpunkt der Begründung der Schuld beziffert wird und sich spätere Veränderungen
des Geldwertes infolge Inflation (oder Deflation) nicht auf den Umfang der Zahlungspflicht
auswirken, sondern allenfalls über Sekundäransprüche (über das Verzugsrecht, Schadens-
ersatzansprüche oder die Störung der Geschäftsgrundlage) berücksichtigungsfähig sind. Das
PrKG setzt diesen schuldrechtlichen Grundsatz voraus, indem es ein System des grundsätzli-
chen Verbots mit Legalausnahmen4 von vertraglichen Wertsicherungsabreden etabliert5. Auch

1 Vgl. Ohler, JZ 2008, 317 (321); Grundmann in MünchKomm, § 245 BGB Rz. 50; Herrmann, Wäh-
rungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, 2010, S. 314 ff.
2 OLG München v. 16.9.1987 – 24 W 117/87, IPRax 1988, 291; LG Braunschweig v. 15.1.1985 – 6 S
218/84, MDR 1985, 495 = NJW 1985, 1169; Böse, Der Einfluss zwingenden Rechts auf internatio-
nale Anleihen, 1963, S. 69; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit als Ausnahme-
bereiche der EG-Grundfreiheiten, 2004, S. 71; Kegel/Schurig, IPR § 23 III 4.
3 Wie hier OLG Frankfurt v. 27.10.1966 – 11 U 42/66, NJW 1967, 501 (503); Reinhuber, Grund-
begriffe und internationaler Anwendungsbereich von Währungsrecht, 1995, S 101 f.; Grothe,
Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 134 f.; Birk, RIW 1973, 425 (434); von Hoffmann, FS
Firsching (1985), S. 125 (140); Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2050 f.); Grothe, ZBB 2002, 1 (2 f.);
Gruber, MDR 1992, 121 f.; von Bar/Mankowski, IPR I, 2003, § 4 Rz. 11; Ferrari in Ferrari, IntVer-
tragsR, Art. 12 Rom I-VO Rz. 37; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18; Grothe in BRHP,
§ 244 BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger (2016), § 244 BGB Rz. 142; Leible in NK, Art. 12 Rom I-
VO Rz. 15 a.E.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 12 Rom I Rz. 117; Spellenberg in MünchKomm,
Art. 12 Rom I-VO Rz. 189; Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23.
4 Kirchhoff, DNotZ 2007, 913.
5 Omlor in Staudinger (2016), § 244 BGB Rz. 104.

Zwickel | 357
§ 5 Rz. 5.120 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

wenn die Norm nicht unmittelbar das währungspolitische, sondern das allgemeine wirt-
schaftspolitische Ziel inländischer Preisstabilität verfolgt1, handelt es sich dabei dennoch um
ein übergeordnetes, stabilitätsförderndes Interesse. Die Bestimmungen des PrKG sind daher
Eingriffsnormen i.S.d. § 9 Abs. 2 Rom I-VO2.

18. Wettbewerbs- und Kartellrecht


5.121 Die Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs dienen dem Ziel der Durchsetzung fundamen-
taler wirtschafts- und ordnungspolitischer Zwecke des jeweiligen Marktstaates. Soweit sie da-
her bestimmte vertragsrechtliche Verhaltensweisen untersagen, weil sie kartell- oder fusions-
kontrollrechtlich bedenklich oder gar verbindlich untersagt sind oder sonst zu einer unzuläs-
sigen Beschränkung des Wettbewerbs führen, sind sie in aller Regel international zwingend.
Bei den öffentlich-rechtlichen Kartellverbotsnormen handelt es sich um geradezu prototypi-
sche Eingriffsnormen3. Im Binnenmarkt gelten vorrangig das unionsrechtliche Kartellverbot
(Art. 101 AEUV) und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung
(Art. 102 AEUV) als unabhängig von der Rom I-VO anwendbare Eingriffsnormen. Art. 101
Abs. 2 AEUV schreibt die Nichtigkeit vertraglicher Kartellabsprachen für das unionsrechtliche
Kartellverbot explizit vor, eine Parallelregelung gilt im Bereich der Zusammenschlusskontrolle
gem. Art. 7 Abs. 4 FKVO. Diese europäischen Anordnungen sind von den inländischen Ge-
richten als Bestandteil der hiesigen lex fori gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen4. Zu
beachten sind die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen der einschlägigen Bestimmungen,
die im Regelfall eine spürbare Binnenmarktrelevanz im Sinne einer Auswirkung auf den
EU-Binnenmarkt voraussetzen, vgl. Art. 101, 102 AEUV, Art. 1 ff. FKVO.

5.122 Bei Vorliegen einer Inlandsauswirkung ohne spürbare Binnenmarktrelevanz erfolgt die
Durchsetzung der deutschen Kartellverbote über die Sonderkollisionsnorm des § 185 Abs. 2
GWB5. Diese beinhaltet mit dem sog. Auswirkungsprinzip, das überwiegend als sachgerechte
Anknüpfung für internationale Kartellsachverhalte angesehen wird6, die Vorgabe, dass das na-
tionale Kartellrecht bei allen Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung findet, die sich auf
dem deutschen Markt auswirken. Unerheblich ist dabei, dass die Veranlassung des Kartellver-
stoßes in einem Drittstaat lag7.

5.123 Zu den Eingriffsnormen zählen auch die Bestimmungen des GWB im Bereich des Ver-
gaberechts8, die sich unabhängig von dem im Anschluss an die Vergabe geschlossenen Ver-
trag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer durchsetzen9.

1 S. dazu die 8. Aufl., Rz. 5.85.


2 Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 19; Magnus in Staudinger (2016), Art. 12 Rom I Rz. 112; Martiny
in MünchKomm, Anh. I zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 24; Omlor in Staudinger (2016), § 1 PrKG Rz. 44;
Grothe, WM 2002, 22 (27 ff.).
3 Allg. M., vgl. Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 182.
4 Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31 f.
5 Zur Abgrenzung von Art. 101 f. AEUV und deutschem Kartellrecht s. § 22 GWB.
6 EuGH v. 6.9.2017 – C-413/14, ECLI:EU:C:2017:632 (Intel/Kommission), EuZW 2017, 850; Becker/
Kammin, EuZW 2011, 503 (506); Junker, NJW 2007, 3675 (3679).
7 BGH v. 29.5.1979 – KVR 2/78, BGHZ 74, 322 (324 ff.) = NJW 1979, 2613.
8 Remien, BauR 2019, 893 (896).
9 OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, BauR 2008, 1503.

358 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.126 § 5

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO

I. Regelungskonzept und Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO


1. Grundlagen
a) Regelungskonzept
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO normiert die Voraussetzungen, unter denen Eingriffsnormen auslän- 5.124
discher Staaten Wirkung verliehen werden kann. Aus der Entstehungsgeschichte der Vor-
schrift (dazu Rz. 5.5 ff.) ergibt sich, dass der Verordnungswortlaut im Wesentlichen darauf
abzielt, die Bedeutung forumsfremder Eingriffsnormen möglichst weitgehend einzuschrän-
ken, um die rechtspolitischen Interessen der lex fori zu wahren und weitergehende Störungen
des einheitlichen Anknüpfungssystems der Verordnung sowie Eingriffe in die Parteiautono-
mie zu begrenzen.

Obwohl eindeutige Aussagen der an der Gesetzgebung beteiligten Organe über das seit jeher 5.125
umstrittene dogmatische Konzept der Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen
nicht vorliegen, ist davon auszugehen, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO jedenfalls in den Grund-
zügen auf der bisher für überwunden geglaubten „Machttheorie“ beruht1, die ausländische
Eingriffsnormen nur insoweit berücksichtigen will, wie diese vom Erlassstaat auch tatsächlich
durchgesetzt werden können2.

b) Rechtspolitische Einordnung und Perspektiven des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO


Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, der an die Stelle von Art. 7 Abs. 1 EVÜ und der im deutschen Recht 5.126
zu der Problematik entwickelten ungeschriebenen Grundsätze tritt, zählt zu den rechtspoli-
tisch umstrittensten3 und redaktionell unklarsten der gesamten Rom I-VO (vgl. auch Rz. 5.9)4.
Kritisiert wird insbesondere, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO führe durch eine Anlehnung an die
„Machttheorie“ zu inakzeptablen Folgen, ermögliche den Mitgliedstaaten durch Berufung auf
inländische Policy-Erwägungen eine beliebige Handhabung forumsfremder Eingriffsnormen5
und stehe im Widerspruch zu den nationalen Kollisionsrechten der Anwendung international
zwingender Vorschriften6. Die im Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO restriktivere Aus-
gestaltung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO behindert überdies den angestrebten internationalen
Entscheidungseinklang7. Die Vorschrift ist insgesamt letztlich ein Rückschritt hinter eine ge-
genüber ausländischen Wertungen tolerantere bisherige Praxis.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass teilweise versucht wird, den Anwendungsbereich des
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu erweitern, etwa indem auf EU-Ebene eine Pflicht der Mitgliedstaa-
ten zur Anwendung forumsfremder Eingriffsnormen (s. dazu Rz. 5.44)8 oder eine Sonderan-

1 Wie hier Freitag, IPRax 2009, 109 (116); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Maultzsch, FS Kronke
(2020), S. 363 (365).
2 Vgl. Kegel, FS Lewald (1953), S. 259 (279).
3 Wie hier etwa Mankowski, IHR 2008, 133 (148 f.); Freitag, IPRax 2009, 109 (116); d’Avout, D.
2008, 2165 (2167); Kohler, FS Kronke (2020), S. 253; Fabig, IHR 2019, 1 (3).
4 Ausf. Freitag, IPRax 2009, 109 (110).
5 Mankowski, IHR 2008, 133 (148 f.); Freitag, IPRax 2009, 109 (116).
6 Schacherreiter, ZEuP 2015, 497 (515).
7 Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO. S. dazu Freitag, IPRax 2009, 109 (113); W.-H. Roth, AcP 220
(2020), 458 (527); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 92 (Stand 1.2.2021).
8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 625.

Zwickel | 359
§ 5 Rz. 5.126 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

knüpfung1 forumsfremder Eingriffsnormen befürwortet wird. Dem ist jedoch zu widerspre-


chen, würde eine solche Auffassung doch eindeutig der Entstehungsgeschichte und dem Telos
der Norm entgegenstehen (s. Rz. 5.5 ff.).
Die derzeitige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO hat freilich den unbestreitbaren Vorteil,
die Anzahl der beachtlichen Eingriffsnormen zu reduzieren und damit dem einheitlichen Kol-
lisionsrecht sowie dem Parteiwillen (im Fall der Rechtswahl) zur Durchsetzung zu verhelfen.
Allerdings wirft die verunglückte Formulierung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO mit einer Kom-
bination aus einem engen Tatbestand bei weitem Rechtsfolgeermessen2 und dem problemati-
schen Begriff des Erfüllungsorts zahlreiche Zweifelsfragen auf, die zu Rechtsunsicherheit füh-
ren.
Ob sich der Brexit, wegen „Wegfalls der politischen Geschäftsgrundlage“, unmittelbar und
ohne Tätigkeit des Unionsgesetzgebers auf die restriktive Auslegung des Art. 9 Abs. 3 Rom-I-
VO auswirken kann3, erscheint aus Gründen der Gewaltenteilung zweifelhaft4. Es muss daher,
trotz aller Kritik, bei den engen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO
bleiben.

2. Anwendungsvoraussetzungen
a) Allgemeine Voraussetzungen
5.127 Voraussetzung der Wirkungsverleihung zugunsten forumsfremder Eingriffsnormen sind zu-
nächst die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO sowie die Qualifikation der
betreffenden ausländischen Vorschrift als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO (dazu
Rz. 5.15 ff.). Darüber hinaus schränkt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Zulässigkeit der Wirkungs-
verleihung weitergehend ein, indem er nur Eingriffsnormen des Rechts des Erfüllungsortes
erfasst und auch nur solche, die die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Zu-
sätzlich kommt nur die Beachtung solcher Eingriffsnormen in Betracht, deren Wertungen mit
den inländischen Wertvorstellungen kompatibel sind.

b) Keine Beschränkung auf Verbotsnormen


5.128 Nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO kann in Abweichung vom Vorschlag der Kommission, der
eine derartige Beschränkung nicht vorgesehen hatte (zur Genese der Vorschrift s. Rz. 5.5 ff.),
dafür aber in wörtlicher Anlehnung an die englische „Ralli“-Rechtsprechung (Nachw. in
Rz. 5.10), nur solchen forumsfremden Eingriffsnormen Wirkung verliehen werden, „die die
Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen“5. Nach dem Wortlaut der Vorschrift
scheint die Beachtlichkeit forumsfremder Eingriffsnormen damit auf Verbotsnormen redu-
ziert, da nur dann, wenn ein Vertrag ganz oder teilweise unwirksam ist, auch seine Erfüllung
unrechtmäßig erscheint.

1 Remien, FS Kronke (2020), S. 459 (466) und Remien, FS v. Hofmann (2011), S. 334 (342 ff.); Wel-
ler/Thomale/Zwirlein, ZEUP 2018, 892 (911 f.).
2 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (365 f.).
3 Weller/Thomale/Zwirlein, ZEUP 2018, 892 (911 f.).
4 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (370); für geringe Auswirkungen des Brexit auf die Rom I-
VO auch Ungerer, NJW 2021, 1270.
5 In der französ. Sprachfassung: „lois de police qui rendent l’exécution du contrat illégale“, in der
engl. Version: „mandatory provisions [which] render the performance of the contract unlawful“.

360 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.132 § 5

Nicht anzuwenden ist Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nach seinem Wortlaut jedenfalls auf Bestim- 5.129
mungen, die nicht unmittelbar erfüllungsrelevante Informationspflichten, Lösungsrechte
und Sekundäransprüche zugunsten einer Vertragspartei vorsehen1.

Unklar ist demgegenüber die Behandlung von Eingriffsnormen, die die Erfüllung des Vertra- 5.130
ges nicht deswegen untersagen, weil sie den Vertrag als solchen für unwirksam erklären, son-
dern allein die Erfüllung wegen ihres Umfangs oder ihrer Art für rechtswidrig erklären, d.h.
den Vertrag modifizieren. Allerdings wird man annehmen können, dass die Durchführung
eines Vertrages in unmodifizierter Form im Zweifel zu einer partiellen Unrechtmäßigkeit der
Erfüllung führt. Probleme bereiten gleichwohl Vorschriften zu Höchstarbeitszeiten, Mindest-
löhnen etc. Insoweit scheint Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO aufgrund seiner Formulierung eine Un-
terscheidung nach zwingenden Höchst- und Mindeststandards zu erfordern. Denn nur dieje-
nige Partei, die mehr leistet, als sie von Rechts wegen leisten darf, nimmt eine unrechtmäßige
Erfüllungshandlung vor, während derjenige, der weniger leistet als gesetzlich geschuldet, über-
haupt nicht und damit auch nicht unrechtmäßig erfüllt. Eine derartige Differenzierung ist
freilich abzulehnen und Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO in allen Fällen anzuwenden, in denen die
Vertragserfüllung positiv bzw. negativ gegen eine Eingriffsnorm verstößt2. Andernfalls zeitigte
Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO willkürliche und sinnwidrige Ergebnisse, indem er untersagte, der
schutzwürdigen Partei die ihr nach der betreffenden Eingriffsnorm zustehenden Rechte bzw.
Ansprüche zu gewähren.

c) Eingriffsnormen des „Erfüllungsortes“


Gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO sind nur die Eingriffsnormen „des“ Staates zu beachten, in 5.131
dem „die Verpflichtungen“ der Parteien zu erfüllen sind bzw. bereits erfüllt wurden3. Diese An-
knüpfung dürfte einerseits insbesondere die englische Rechtsprechung aufnehmen, die bislang
nur ausländische Eingriffsnormen des Erfüllungsortes überhaupt berücksichtigt hat4 und ande-
rerseits an Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO angelehnt sein, der für die Zwecke des Zuständigkeitsrechts
ebenfalls an den vertraglichen Erfüllungsort anknüpft und diesen für Leistung und Gegenleis-
tung einheitlich am Ort der Sach- bzw. Dienstleistung verortet. Die Bestimmung des Erfüllungs-
ortes i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO wirft im Wesentlichen zwei zentrale Fragen auf, die eng
miteinander verschränkt sind: Erstens gilt es zu klären, nach welchen Maßstäben der Erfüllungs-
ort zu bestimmen ist, zweitens darum, wie mit Fällen multipler Erfüllungsorte umzugehen ist.

Zum Teil wird angenommen, der Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sei nicht auto- 5.132
nom-unionsrechtlich, sondern unter Rückgriff auf die lex causae zu ermitteln5; denkbar wäre

1 Etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 45; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I
Rz. 112 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 119.
2 Wie hier Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 45; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I
Rz. 112; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 67; a.A. Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-
VO Rz. 119.
3 Engl. Fassung: „law of the country where the obligations arising out of the contract have to or
have been performed“, französ. Fassung: „lois de police du pays dans lequel les obligations décou-
lant du contrat doivent être ou ont été exécutées“.
4 Grundlegend die Entscheidung des Court of Appeal in Sachen „Ralli“: Ralli Bros. v. Compania
Naviera Sota y Aznar [1920] 2 K.B. 287 (C.A.), ausf. Analyse auch der späteren Rechtsprechung
bei Kuckein, S. 238 ff.
5 Harris in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rom I Regulation, 269 (315 ff.); grundsätzlich auch Spickhoff in
BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29.

Zwickel | 361
§ 5 Rz. 5.132 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

freilich auch, an die lex fori oder gar an das Verständnis der Rechtsordnung anzuknüpfen, der
die anzuwendende Eingriffsnorm entstammt1. Der Rückgriff insbesondere auf das Vertrags-
statut scheint deswegen nahezuliegen, weil der Begriff des Erfüllungsortes letztlich nur unter
Rückgriff auf ein nationales Sachrecht zweifelsfrei und kohärent bestimmt werden kann – die
Probleme der Auslegung des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO, der bekanntlich einem auto-
nomen Begriffskonzept folgt, sind zahlreich. Freilich liegen den Vorschriften über den Erfül-
lungsort in den nationalen Rechten z.T. rein sachrechtliche Gerechtigkeitserwägungen zu-
grunde, insb. indem die Gefahrtragung in Bezug auf Verzögerungs- und Verlustrisiken inter
partes verteilt wird, z.T. werden auch prozessuale Ziele verfolgt, weil viele nationale Rechte
ebenfalls eine Zuständigkeit am Erfüllungsort kennen. Für die Zwecke der Rom I-VO kann es
auf beides nicht ankommen: Zuständigkeitsrechtliche Erwägungen sind aus der Rom I-VO
schon deswegen auszublenden, weil sie bereits Gegenstand der Brüssel Ia-VO sind. Privat-
rechtliche Gefahrtragungsregeln sind für Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO deswegen irrelevant, da sie
sich gem. Art. 12 Rom I-VO nach dem Vertragsstatut bestimmen. Hinzu kommt die Selbst-
verständlichkeit, dass Tatbestandsmerkmale unionsrechtlicher Normen grundsätzlich unions-
rechtlich-autonom zu interpretieren sind. Hinzu treten die hinter Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO
stehenden rein faktischen Aspekte der tatsächlichen Durchsetzbarkeit von Eingriffsnormen
durch ihren Erlassstaat i.S.d. Machttheorie (dazu Rz. 5.125).

5.133 Demzufolge bedarf es eines autonom unionsrechtlichen Verständnisses des Erfüllungsortes


i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, das freilich seinerseits Gegenstand unterschiedlicher Deutungen
ist. Denkbar wäre insbesondere, sich für die Zwecke des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO an Art. 7
Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu orientieren2, zumal Erwägungsgrund 7 zur Rom I-VO einen weit-
gehenden Gleichlauf zwischen EuIPR und EuIZPR fordert. Ein solches Verständnis des Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO überzeugt insbesondere deswegen nicht, weil es Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-
VO primär darum geht, die Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Interesse der
Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung von komplexen sach- und kollisionsrecht-
lichen Erwägungen und Beweisfragen zu entlasten, die erst auf der nachgelagerten materiell-
rechtlichen Prüfungsebene thematisiert werden sollen. Eine derartige Vermischung zwischen
zuständigkeits- und materiell-rechtlicher Ebene droht i.R.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gerade
nicht. Darüber hinaus handelte man sich mit einer Übertragung des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-
VO sämtliche Probleme ein, die die Erfüllungsortzuständigkeit mit sich bringt. Namentlich
bestehen zum einen teils dramatische Unsicherheiten bei Anwendung des Art. 7 Nr. 1 lit. b
Brüssel Ia-VO, zum anderen käme man zu einem gespaltenen Verständnis des Erfüllungsortes
in Abhängigkeit davon, ob man sich im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-
VO (Kauf- und Dienstleistungsverträge) oder des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (sonstige
Verträge sowie Verträge, für die lit. b nicht passt) bewegt3.

5.134 Entscheidend müssen freilich Telos und Historie des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sein, der im
Wesentlichen auf der „Machttheorie“ beruht (Rz. 5.125). Mit anderen Worten sollen nur sol-
che Eingriffsnormen beachtlich sein, bei denen der Erlassstaat tatsächlich die Vertragserfül-
lung verhindern oder erschweren kann. Das spricht dafür, bei bereits erfolgter Erfüllung
grundsätzlich den tatsächlichen Erfüllungsort für maßgeblich zu erachten. Bei noch ausste-
hender Erfüllung wiederum kann es nur darum gehen, zu ermitteln, wo die Erfüllung nach

1 Vgl. zu diesen Möglichkeiten Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 100.
2 So Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; evtl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528
(543).
3 Wie hier etwa Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 118; Staudinger in Ferrari, IntVer-
tragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.

362 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.137 § 5

dem Vertrag, d.h. nach der lex causae, tatsächlich vorzunehmen sein wird1. Wenn z.T. ange-
nommen wird, bei noch nicht erfülltem Vertrag sei der Rückgriff auf das Vertragsstatut tun-
lichst zu vermeiden und vorrangig der Vertrag bzw. seine Auslegung zu beachten2, so geht das
schon deswegen fehl, weil die Vertragsauslegung eine rechtliche Operation ist, die gem. Art. 12
Abs. 1 lit. a Rom I-VO nach dem Vertragsstatut zu erfolgen hat. Bei der Vertragsauslegung ist
primär zu ermitteln, wo der Schuldner seine relevante Erfüllungshandlung tatsächlich vorneh-
men wird, was im Zweifel gerade am rechtlichen Erfüllungsort der Fall sein dürfte.

Das hier vertretene Verständnis des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann zu einer Mehrzahl von 5.135
Erfüllungsorten führen, da im Zweifel für jede Verpflichtung getrennt der tatsächliche, ggf.
auch der rechtliche Erfüllungsort zu ermitteln ist3. So kann etwa bei einem Flug auch auf den
Ort der Zwischenlandung abgestellt werden4.

Wie in Rz. 5.23 f. ausführlich dargelegt spielt die Herkunft der Eingriffsnormen keine Rolle, 5.136
d.h. auch Eingriffsnormen des forumsfremden Vertragsstatuts sind nach Art. 9 Abs. 3
Rom I-VO anzuknüpfen.

d) Kompatibilität der ausländischen Wertung mit inländischen policy-Erwägungen


Gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO „kann“ ausländischen Eingriffsnormen unter den in der 5.137
Vorschrift genannten Voraussetzungen Wirkung verliehen werden. Diese Formulierung stellt
die Wirkungsverleihung in das Ermessen der nationalen Gerichte oder Gesetzgeber, wofür
auch andere Sprachfassungen5 des ersten Satzes sprechen. Andererseits scheint der Wortlaut
des Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO auch eine Verpflichtung zur Wirkungsverleihung nahezule-
gen, da bei der Entscheidung darüber, ob der ausländischen Eingriffsnorm Wirkung zu ver-
leihen „ist“, ihre Natur, Rechtsfolgen wie auch die Folgen der Berücksichtigung bzw. Nicht-
Berücksichtigung zu beachten „sind“6. Hintergrund dieser Diskrepanz dürfte sein, dass Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO ein zweistufiges Regelungsprogramm enthält: Bei der Entscheidung über
das „Ob“ der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen sind die in Art. 9 Abs. 3 S. 2
Rom I-VO genannten Umstände zwingend zu berücksichtigen, während das Gericht, wenn
es dieser Verpflichtung ordnungsgemäß nachgekommen ist, über ein weites rechtsfolgenseiti-
ges Ermessen bei der Beurteilung der Verträglichkeit der ausländischen Eingriffsnorm mit

1 Freitag, IPRax 2009, 109 (114); Schacherreiter, ZEuP 2015, 497 (510); Doehner in NK, Art. 9
Rom I-VO Rz. 46; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 62 ff., 64; im Grundsatz auch Magnus
in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 103 ff. Wohl auch Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-
VO Rz. 118.
2 So Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 105.
3 Freitag, IPRax 2009, 109 (114); Hellner, JPIL 2009, 447 (465); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 47; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 106 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9
Rom I-VO Rz. 118.
4 OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591; Freitag, NJW 2018, 430 (432); Man-
kowski, RIW 2019, 180.
5 Engl. Fassung: „effect may be given“, französ. Fassung: „effet pourra être donné“.
6 Französ. Fassung: „Pour décider si effet doit être donné à ces lois de police, il est tenu compte de
leur nature et de leur objet, ainsi que des conséquences de leur application ou de leur non-applica-
tion.“ Weniger deutlich die engl. Fassung: „In considering whether to give effect to those provisions,
regard shall be had to their nature and purpose and to the consequences of their application or
non-application“.

Zwickel | 363
§ 5 Rz. 5.137 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

den inländischen Wertungen und damit auch hinsichtlich der Anwendung überhaupt ver-
fügt1.

5.138 Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Gericht „Art und Zweck der Eingriffsnorm sowie
die Rechtsfolgen ihrer Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung“ zu bedenken. Diese
dem Art. 7 Abs. 1 EVÜ entnommene Formulierung stellt zunächst klar, dass die Wirkungs-
verleihung keinem Automatismus folgt, sondern auf einer wertenden Entscheidung des Ge-
richts beruht, bei der die für und gegen die Wirkungsverleihung sprechenden Argumente um-
fassend abzuwägen sind. Auch wenn der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO insoweit nicht
eindeutig ist, kommt eine Wirkungsverleihung immer dann in Betracht, wenn das inländische
Gericht die ausländische Wertentscheidung teilt2. An einer derartigen Konkordanz fehlt es
insbesondere, wenn der inländische oder europäische Gesetzgeber explizite Abwehrregelungen
getroffen hat, wie sie namentlich im Recht der Außenhandelsembargen in Form der EU-Blo-
cking-Regulation sowie des § 7 AWV bestehen (dazu Rz. 5.149).

5.139 Keine eindeutige Aussage enthält Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu der Frage, ob das Gericht die
Entscheidung über die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit der ausländischen Eingriffsnorm
nach nationalen Maßstäben oder aufgrund einer genuin europäischen policy-Wertung vor-
zunehmen hat. Insoweit ist zu differenzieren. Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts und
dessen Geltung in sämtlichen Mitgliedstaaten sind selbstverständlich zwingende Vorgaben
des Unionsrechts zu beachten. Demgegenüber kann und muss der Richter seine Entscheidung
über die Anwendung oder Nichtanwendung ausländischer Eingriffsnormen dort, wo es an
unionsrechtlichen Wertungen fehlt, auf nationalstaatliche policy-Erwägungen stützen. Inso-
weit verfügen die nationalen Gerichte über einen europarechtlich nicht überprüfbaren Ermes-
sensspielraum3.

3. Rechtsfolgen der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO


5.140 Anders als Eingriffsnormen der lex fori, die gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO „anzuwenden“ sind,
ist forumsfremden Eingriffsnormen lediglich „Wirkung zu verleihen“. Diese Regelung erklärt
sich daraus, dass das erkennende Gericht an forumsfremde Eingriffsnormen a priori nicht ge-
bunden ist, sondern nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, ob es die ausländischen Ein-
griffsnormen überhaupt berücksichtigt (Rz. 5.124 f.). Demzufolge darf die lex fori darüber
entscheiden, ob die Eingriffsnorm im Inland ebenso anzuwenden ist wie in ihrem Erlassstaat
oder ob bzw. in welcher Art und Weise sie im Inland zu modifizieren ist. So erläutert der
Bericht von Giuliano/Lagarde zu Art. 7 Abs. 1 EVÜ, der in Bezug auf forumsfremde Eingriffs-
normen ebenfalls den Begriff der „Wirkungsverleihung“ verwendet hatte, dass „die Worte
‚Wirkung verleihen‘ den Richter vor die sehr schwierige Aufgabe stellen, die zwingenden Be-
stimmungen mit dem Recht in Einklang zu bringen, das bei dem gegebenen Sachverhalt nor-
malerweise auf den Vertrag anzuwenden ist“4.

1 Wie hier Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628). Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144); Benzenberg, S. 150 f.;
Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50 f.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 116 ff.;
Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 120 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 31; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48 f.
2 Freitag, IPRax 2009, 109 (111); Mankowski, IPRax 2016, 485 (486); Maultzsch, FS Kronke (2020),
S. 363 (366); OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591.
3 Dickinson, J. PIL 2007, 53 (63 ff.); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144), jew. zu Art. 8 Abs. 3
Rom I-VO i.d.F. des Kommissionsvorschlags.
4 ABl. EG 1980 Nr. C 282, 1, 26.

364 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.142 § 5

In jedem Fall verlangt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, dass die ausländische Eingriffsnorm als 5.141
Rechtsnorm beachtet wird, d.h. ihr sind Rechtswirkungen selbst dann zuzuerkennen, wenn
sie von ihrem Erlassstaat nicht effektiv durchgesetzt wird1. Denkbar sind insoweit im Wesent-
lichen zwei Ansätze zur Berücksichtigung anwendbarer ausländischer Eingriffsnormen im In-
land: Zum einen können diese im Wege der Sonderanknüpfung (direct application) berufen
und damit auch im Inland so angewandt werden wie im Erlassstaat, zum anderen kommt eine
materiell-rechtliche Berücksichtigung (indirect application) dergestalt in Betracht, dass die
vom Inland geteilten Wertungen der Eingriffsnorm im Rahmen der Anwendung des Vertrags-
statuts, d.h. auf der Ebene des Sachrechts durchgesetzt werden. Zwischen beiden Ansätzen
hatten die Mitgliedstaaten nach einhelliger Auffassung zum EVÜ die Wahl2. Während das
Schrifttum zum früheren deutschen Recht überwiegend eine Sonderanknüpfung befürwortet
hatte, präferierten die deutsche und englische Rechtsprechung eine rein sachrechtliche Be-
rücksichtigung3. So ging der BGH davon aus, dass Verstöße gegen ausländische Eingriffsnor-
men, deren Wertungen vom Inland geteilt werden, (bei deutschem Vertragsstatut) zur Sitten-
widrigkeit des Vertrages gem. § 138 BGB führen können. Dies sei der Fall, wenn die betreffen-
de ausländische Vorschrift mittelbar auch deutsche Interessen schützt4, wenn es um Vorschrif-
ten geht, die Interessen schützen, die allgemein von allen Völkern geteilt werden5, oder wenn
eine Verletzung allgemein gültiger sittlicher Grundsätze vorliegt6.

Zum Teil wird auch für die Rom I-VO den Gerichten ein freies Wahlrecht eingeräumt7, für 5.142
das spricht, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dem Rechtsanwender ein Ermessen einräumt. Frei-
lich soll das Gericht zwischen beiden Möglichkeiten der Wirkungsverleihung abwägen und
wie folgt differenzieren: Wird die ausländische Eingriffsnorm vollinhaltlich akzeptiert, weil
das inländische Recht die ausländische Wertungen teilt, sprechen die besseren Gründe für
eine echte Sonderanknüpfung, bei der auch die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Ein-
griffsnorm dem Recht des Erlassstaates zu entnehmen sind, soweit dieses entsprechende Rege-
lungen enthält8. Anders liegt es, wenn die ausländische Norm nur modifiziert angewandt wird
oder sie im Inland gar für unerträglich gehalten wird, sich die Nichtbeachtung ihrer prakti-
schen Durchsetzung durch den Erlassstaat aber verbietet. Hier kommt nur eine – ggf. modifi-
zierte – Anwendung i.R.d. lex causae in Betracht.

1 Ebenso Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628).


2 Ebenso Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144 f.).
3 Nachw. 7. Aufl., Rz. 651.
4 BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822 = AWD 1960,
102.
5 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575
(Anm. Mann, NJW 1972, 2179).
6 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83 (Bestechung), BGHZ 94, 268 = MDR 1985, 825 = NJW 1985,
2405 = IPRax 1987, 110 (Anm. Fikentscher/Waibel, IPRax 1987, 86); OLG Hamburg v. 8.2.1991 –
1 U 134/87, NJW 1992, 635 (Sittenwidrigkeit eines Kaufvertrages, der unter Bestechung eines syr.
Beamten zustande kommen sollte).
7 Etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 51; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 123; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 49; Spickhoff in BRHP, Art. 9
Rom I-VO Rz. 32.
8 Ebenso etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 121; Thorn in Rauscher, Art. 9
Rom I-VO Rz. 78 ff., 80.

Zwickel | 365
§ 5 Rz. 5.143 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO


5.143 Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gestattet die Wirkungsverleihung nur ausnahmsweise unter den in
der Vorschrift genannten Voraussetzungen. Liegen diese nicht vor, ist von einer Sperrwirkung
des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auszugehen (dazu Rz. 5.36). Zulässig ist die Berücksichtigung
forumsfremder Eingriffsnormen i.R.d. des Vertragsstatuts auf materiell-rechtlicher Ebene (da-
zu Rz. 5.37 f.) stets, soweit der Erlassstaat sein Eingriffsrecht tatsächlich durchsetzt und damit
faktisch die Vertragserfüllung verhindert oder erschwert1. So sind behördliche Maßnahmen
anderer Staaten aufgrund von Eingriffsgesetzen als tatsächliche Leistungshindernisse mate-
riell-rechtlich zu berücksichtigen.

II. In der Regel mit inländischen Wertungen verträgliche ausländische


Eingriffsnormen
1. Bodenverkehrsvorschriften
5.144 Vorschriften, die den Grundstücksverkehr regeln, haben zumeist agrar-, siedlungs- oder len-
kungspolitische bzw. -rechtliche Funktionen. Wenn das betroffene Grundstück in dem Land
liegt, dessen Eingriffsnormen in Frage stehen und die mit der Vorschrift geschützten Interes-
sen bzw. Wertungen auch von der Bundesrepublik Deutschland geteilt werden, kommt eine
Anwendung von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auf schuldrechtliche Verträge in Betracht, die sich
auf die betreffenden ausländischen Immobilien beziehen. Dies dürfte bei Vorschriften der Fall
sein, bei denen entweder vergleichbare Regelungen im Inland vorhanden sind (etwa Grund-
stücksverkehrsgesetz, BauGB) oder ein sonstiger Zweck verfolgt wird, der aus Sicht der lex
fori anerkennenswert erscheint2.

2. Erwerbs- und Berufstätigkeit


5.145 Ausländischen zwingenden Vorschriften über die Aufnahme und Ausübung eines Berufes
kann Wirkung verliehen werden, wenn die Berufsausübung im Ausland erfolgen soll, da der
Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dann dort belegen ist und jeder Staat grundsätz-
lich ein legitimes Interesse an der Regelung des Berufsrechts hat3. Eine Wirkungsverleihung
kommt selbstverständlich nicht in Betracht, wenn die ausländische Vorschrift gegen die
Grundfreiheiten des AEUV verstößt oder sonst auf im Inland nicht akzeptierten, grundlegend
verfehlten Wertungen beruht. Ebenso wenig kann ausländischen Eingriffsnormen im Bereich
des Arbeitsrechts Wirkung verliehen werden, wenn dadurch im Inland tätigen Arbeitnehmern
der zwingende Schutz des deutschen Rechts entzogen werden soll (näher Rz. 5.154).

1 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 121; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO
Rz. 78 ff.
2 LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (Tauschvertrag über brasilian. Grundstück;
brasilian. Verfügungsbeschränkung über Grundstücke begründe einen Rechtsmangel, so dass der
Käufer Rücktritt erklären könne). AM IPG 1980/81 (1980) Nr. 4 (München), S. 40: Keine Anwen-
dung der schweiz. Genehmigungsvorschriften von Kauf und Übereignung schweiz. Grundstücke
bei einem deutschen Recht unterliegenden Kaufvertrag zwischen deutschen Vertragsparteien, da
der Schweiz die Möglichkeit fehle, die Regelung in Bezug auf das schuldrechtliche Geschäft durch-
zusetzen. Näher Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 49;
Lorenz, RIW 1987, 580.
3 OLG Stuttgart v. 30.11.1969, IPRspr. 1969/61 Nr. 213 (Rechtsberatungsverbot des Rechts von New
York angewendet und Honorarklage mangels Gültigkeit des Mandatsvertrages abgewiesen); Kreu-
zer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 49.

366 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.148 § 5

3. Regelungen des Bank- und Kapitalmarktrechts


Ausländische Vorschriften zur Regelung des Börsenverkehrs sind unabhängig von der lex 5.146
causae auf die Geschäfte an ausländischen Börsen anzuwenden. Anknüpfungspunkt ist die
Börse1. Friktionen ergeben sich hieraus nur selten, da das Börseninnengeschäft gem. Art. 4
Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Zweifel dem Recht des Börsenplatzes unterliegt und eine Rechts-
wahl hier ungebräuchlich ist. Auch ausländische Anlegerschutzvorschriften können anzu-
wenden sein, wenn die Erfüllung des Geschäftes in dem Land erfolgt (bzw. erfolgen soll), des-
sen Vorschriften angewendet werden sollen, und der mit der Anlegerschutzvorschrift verbun-
dene Interessenschutz auch von der lex fori geteilt wird. Dies gilt etwa für Regelungen im aus-
ländischen Recht, die dem Anleger verbieten, seinen Wertpapiererwerb mit Fremdmitteln zu
finanzieren2, und für die Anknüpfung von Verhaltens- und Lauterkeitsregelungen des US-
amerikanischen Rechts3.

4. Kartellrechtliche Vorschriften
Ob ausländische kartellrechtliche Vorschriften, die ebenso wie Art. 101 Abs. 2 AEUV und 5.147
Art. 7 Abs. 4 FKVO4 die Unwirksamkeit kartellrechtswidriger Absprachen oder nicht geneh-
migter bzw. genehmigungsfähiger Zusammenschlüsse anordnen, von inländischen Gerichten
im Rahmen der Entscheidung über vertragsrechtliche Streitigkeiten angewendet werden kön-
nen, war früher umstritten5. Hebel für eine Berücksichtigung ausländischer Kartellrechtsver-
bote ist nunmehr Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, dessen Voraussetzungen (insb. das Vorliegen des
Erfüllungsortes im ausländischen Staat der einschlägigen kartellrechtlichen Norm) im Einzel-
fall zu prüfen sind6. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO entfaltet Sperrwirkung für die Heranziehung
ausländischer Kartellrechtsnormen außerhalb seines Anwendungsbereiches7. Es ist daher
auch nicht denkbar, § 185 Abs. 2 GWB, wie teilweise gefordert8, als allseitige Kollisionsnorm
auszubauen. Möglich bleibt allein eine Anwendung ausländischen Kartellrechts als tatsäch-
liche Einwirkung auf Verträge nach den in Rz. 5.37 ff. dargestellten Grundsätzen.

5. Außenhandelsrecht
Der BGH hat ausländische Handelsverbote vor Inkrafttreten der Rom I-VO zwar nicht durch 5.148
Sonderanknüpfung angewendet, aber im Einzelfall im Rahmen des deutschen Sachrechts über
§§ 138, 242, 826 BGB berücksichtigt9. In manchen Fällen hat die Rechtsprechung die Berück-

1 Seit RG v. 10.5.1884 – Rep. I. 114/84, RGZ 12, 34; RG v. 4.4.1928, IPRspr. 1929 Nr. 31.
2 So Linder, ZHR 142 (1978), 342 (359 ff.); Martiny in MünchKomm, 4. Aufl. 2006, Art. 34 EGBGB
Rz. 102; vgl. auch Stürmer, RIW 1984, 239.
3 Göthel, IPRax 2001, 411 ff.
4 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmens-
zusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. Nr. L 24, 1.
5 S. 8. Aufl., Rz. 5.135.
6 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 123 f.
7 Fezer/Koos in Staudinger (2019), Int. WirtschaftsR, Rz. 67.
8 Martinek, Das internationale Kartellprivatrecht (1987), S. 94.
9 BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822 = AWD 1960,
102: US-Embargo; BGH v. 24.5.1962 – II ZR 199/60 (Borsäure), NJW 1962, 1436 (1437) = MDR
1962, 719 Anm. Sieg: US-Embargo; BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken),
BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575 (Anm. Mann, NJW 1972, 2179): nigerianisches Ausfuhrver-
bot für Kulturgüter; BGH v. 29.3.2001 – I ZR 182/98 (russisches Außenhandelsmonopol), BGHZ
147, 178 = MDR 2002, 49.

Zwickel | 367
§ 5 Rz. 5.148 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sichtigung ausländischer Verfügungsverbote indes auch abgelehnt1. Maßgeblich für die jewei-
lige Entscheidung im Einzelfall war stets die konkrete Vereinbarkeit der ausländischen Ein-
griffsnorm mit deutschen Wertvorstellungen. Teilte das deutsche Recht die durch die auslän-
dische Norm geschützten Interessen nicht, so kam allenfalls eine Berücksichtigung der auslän-
dischen Einfuhr- oder Ausfuhrbestimmungen im Rahmen des materiellen Rechts in Betracht,
insb. im Rahmen der §§ 275, 313 BGB. Diese setzte allerdings voraus, dass die ausländische
Vorschrift auch durchgesetzt werden konnte.

5.149 Ausländische Wirtschaftssanktionen, die extraterritoriale Anwendung beanspruchen, sind


zwar in der Regel international zwingendes Recht. Ihre Anwendung im Rahmen des Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO scheitert jedoch oft schon am Fehlen einer Rechtsnorm, etwa wenn die
Sanktion ausschließlich auf Basis eines politischen Beschlusses erfolgt. Auch haben auslän-
dische Wirtschaftssanktionen, mangels Geltung am Erfüllungsort, vielfach keine Auswirkung
auf die Erfüllung des Vertrags2 bzw. stehen im Widerspruch zu inländischen Wertungen3.Eine
Anerkennung der US-Embargen aus den Jahren 1996 gegen Kuba4, den Iran und Libyen5 so-
wie der seit 2012 gegen den Iran bestehenden und 2018 wiederaufgelebten Sanktionen6, die
auch nicht-amerikanischen Unternehmen den Geschäftsverkehr mit den genannten Ländern
untersagen und bei Verstößen z.T. drastische Sanktionen in den USA vorsehen (Einfrieren
von Geldern, Bußgelder, etc.), scheidet innerhalb der EU bereits infolge der VO (EG)
Nr. 2271/96 (sog. Blocking-Regulation)7 aus. Gemäß Art. 4 der Verordnung werden die auf-
grund der im Anh. zu Art. 1 der VO genannten Maßnahmen der USA innerhalb der EU nicht
anerkannt. Art. 5 der VO untersagt mitgliedstaatlichen Unternehmen die Befolgung der US-
Embargen. Auch diese Gegenmaßnahmen (sog. blocking statutes) verlangen von den mit-
gliedstaatlichen Gerichten die international zwingende Anwendung unabhängig von dem auf
den Außenhandelsvertrag anwendbaren Recht. Ob Art. 5 der Blocking-VO ein striktes Befol-
gungsverbot8 der US-Embargen beinhaltet oder wie im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO

1 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73 (August Vierzehn), BGHZ 64, 183 (188 ff.); OLG Hamburg v.
6.5.1993 – 6 U 3/93, RIW 1994, 686 Anm. Mankowski; OLG Naumburg v. 19.5.1993 – 2 U 495/92,
WM 1994, 906: Außenhandelsmonopol der DDR; BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, MDR 1995,
427 = WM 1995, 124: Ausfuhrmonopol der DDR.
2 OLG Hamburg v. 6.6.2019 – 11 U 257/18, IPRax 2020, 359; LG Hamburg v. 28.11.2018 – 319 O
265/18, IPRax 2020, 631 m. Aufs. Gernert, IPRax 2020, 329; LG Hamburg v. 3.12.2014 – 401 HKO
7/14, VersR 2015, 1024 m. Anm. Looschelders = RIW 2015, 458 m. Aufs. Mankowski, RIW 2015,
405.
3 Bälz, NJW 2020, 878 (882 f.).
4 Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act, vgl. United States Code, Title 22, ch.
32, sec. 6021 ff., sog. „Helms-Burton-Act“. Dazu Gebauer, IPRax 1997, 145 ff.; Gernert, IPRax
2020, 170 ff.; Griessbach, RIW 1997, 275 ff.; Kress/Herbst, RIW 1997, 630 ff.
5 Iran and Libya Sanctions Act of 1996, vgl. ch. 31, sec. 535, 550, 560 Code of Federal Regulations.
6 S. die in der Delegierten VO (EU) Nr. 2018/1100 v. 6.6.2018 zur Änderung des Anhangs der Ver-
ordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen An-
wendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich da-
raus ergebenden Maßnahmen, ABl. EU 2018 Nr. LI 199, 1 bezeichneten Rechtsakte; s.
Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309.
7 VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterrito-
rialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder
sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. EG 1996 Nr. L 309, 1.
8 Gernert, IPRax 2020, 170 (177); Lieberknecht, IPRax 2018, 573 (576); Mankowski, IPRax 2016,
485 (489); Mankowski, RIW 2019, 184; Plath, EuZW 2020, 375.

368 | Zwickel
D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.150 § 5

eine materiell-rechtliche Berücksichtigung1 tatsächlicher Auswirkungen ausländischer Ein-


griffsnormen zulässt, ist streitig.

Darüber hinaus erklärt § 7 AWV in der Fassung von 2013 (Nachw. in Rz. 5.64) sog. Boykott- 5.150
Erklärungen für nichtig2. Damit soll vertraglichen Absprachen zwischen der AWV unterlie-
genden Unternehmen und ausländischen Staaten gegengesteuert werden, aufgrund derer sich
die Unternehmen zur Beachtung von Ausfuhrverboten und sonstigen Sanktionen des betref-
fenden ausländischen Staates verpflichten, mit denen dieser einen Drittstaat oder dortige Un-
ternehmen bzw. Personen sanktionieren will. So verlangen beispielsweise US-amerikanische
Kreditinstitute von ihren ausländischen Geschäftspartnern, die über sie den Zahlungsverkehr
in US-Dollar abwickeln wollen, dass diese die Einhaltung der Vorgaben des Office for Foreign
Asset Control (OFAC) betreffend Finanzsanktionen gegenüber bestimmten Staaten, Organisa-
tionen und Personen einhalten und dies auch im Sinne einer Garantie zusichern. Faktisch
führt dies zu einer Beachtung der US-amerikanischen Finanzsanktionen auch durch nicht-
amerikanische Banken und damit zu einer Ausweitung des Anwendungsbereiches der US-
Sanktionen. Die Nichtigkeitsfolge des § 7 AWV ist richtiger Ansicht nach international zwin-
gend auch gegen das Vertragsstatut durchzusetzen3. Unstreitig dürfte sein, dass derartige Un-
terwerfungsklauseln grundsätzlich i.R.d. auf den jeweiligen Vertrag anwendbaren Sachrechts
zu beachten und entsprechend zu behandeln sind4. Damit variieren je nach Ausgestaltung der
konkreten Klausel auch die Rechtsfolgen. Soweit etwa die EU Gegenmaßnahmen gegen US-
Embargen erlassen hat oder das ausländische Eingriffsrecht zwingenden Bestimmungen der
lex fori widerspricht, ist eine Unterwerfungsklausel unabhängig von dem auf den Vertrag an-
wendbaren Recht unwirksam. Im Übrigen sind derartige Klauseln auszulegen. So kann die
Einhaltung der Ausfuhr- oder Embargobestimmungen eines betroffenen Landes zur Bedin-
gung für das Zustandekommen bzw. die Durchführung des Geschäftes gemacht werden. Das
dürfte unproblematisch zulässig sein5. Ebenso kann wie in dem geschilderten Beispiel einer
Vertragspartei einseitig das Risiko des Verstoßes gegen die betreffenden ausländischen Vor-
schriften mit entsprechenden haftungsrechtlichen Folgen zugewiesen werden. Das ist nur so
lange akzeptabel, wie die Beachtung des betreffenden ausländischen Außenhandelsrechts
nicht gegen § 138 BGB (bei deutschem Vertragsstatut) oder den inländischen ordre public
(bei ausländischer lex causae) verstößt6. Dies wird nur der Fall sein, wenn die ausländischen
Bestimmungen ganz erheblich von den inländischen Wertvorstellungen abweichen, nicht da-
gegen, wenn es lediglich an einem positiven Wertungsgleichklang zwischen in- und auslän-
dischem Recht fehlt.

1 Bälz, EuZW 2020, 416 (417).


2 Ausf. Bälz, NJW 2020, 878 (882 f.); Abicht, Die Parteiautonomie im Schatten der Unterwerfungs-
klauseln (1991); Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen (1993), S. 158 ff.;
Hentzen, US-amerikanische Exportkontrollen (1988), S. 150 ff.; Kreuzer, Ausländisches Wirt-
schaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 89 ff.
3 Prieß/Schaper in Ehlers/Wolffgang (Hrsg.), Recht der Exportkontrolle (2015), S. 267, 276; Martiny
in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 65, 68.
4 Nachw. etwa bei Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 303.
5 Vgl. Mankowski, RabelsZ 61 (1997), 214 (218 f.).
6 Wie hier Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 303.

Zwickel | 369
§ 5 Rz. 5.151 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

6. Schutz ausländischer Kulturgüter


5.151 Der Schutz ausländischer Kulturgüter wird im Allgemeinen auch im Inland als schützenwertes
Interesse angesehen, so dass ein Wertungsgleichklang besteht. Ausländische Vorschriften
zum Schutz der eigenen Kulturgüter, etwa Ausfuhrverbote, etc. sind daher auch im Inland
anzuwenden, wenn eine hinreichend enge Beziehung zu dem Erlassstaat besteht1.

5.152 Auf europäischer Ebene wird der Kulturgüterschutz durch die EU-Kulturgüterschutzverord-
nung geregelt (Nachw. Rz. 5.94). Da diese unmittelbar in sämtlichen Mitgliedstaaten gilt und
zudem in Art. 2 Abs. 3 vorsieht, dass Entscheidungen des zuständigen Mitgliedstaates über
die Ausfuhr im gesamten Unionsgebiet anzuerkennen sind, handelt es sich um eine über Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzende (inländische) Eingriffsnorm.

7. Devisenrecht
5.153 Art. VIII Abschnitt 2b IWF-Übereinkommen2 sieht vor, dass Ansprüche aus Devisenkontrak-
ten, die gegen die Devisenbestimmungen eines Mitglieds des IWFÜ verstoßen, in den anderen
Mitgliedstaaten des IWFÜ nicht „klagbar“ bzw. durchsetzbar sind. Es handelt sich damit um
eine völkervertragliche Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Devisenvorschriften.
Zu den Einzelheiten Rz. 5.156 ff.

III. Mit inländischen Wertungen unverträgliche ausländische Eingriffsnormen


5.154 Soweit eine ausländische Eingriffsnorm mit inländischen Wertungen inkompatibel ist, kann
sie nach dem Rz. 5.124 ff. Gesagten nicht über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gegen das Vertrags-
statut durchgesetzt werden. So liegt es namentlich im Anwendungsbereich expliziter Abwehr-
vorschriften im Außenhandelsrecht in Bezug auf die EU Blocking-Regulation (dazu Rz. 5.149)
sowie § 7 AWV (dazu Rz. 5.150). Darüber hinaus ist es ausländischen Staaten, die sich in einer
schwierigen finanziellen Situation befinden, nicht gestattet, die Erfüllung ihrer Zahlungs-
pflichten aus privatrechtlichen Verträgen, die sie im Rahmen ihres fiskalischen Handelns ge-
schlossen haben, unter Berufung auf den Staatsnotstand oder im Wege der gesetzlichen oder
administrativen Enteignung zu verweigern. Die deutsche Rechtsprechung hat diese Grundsät-
ze mit Bezug auf fremdem Recht unterliegende Anleihen mehrfach anerkannt, da sich ein
Staat in Ermangelung eines neutralen Staateninsolvenzrechts nicht einseitig von seinen Ver-
bindlichkeiten befreien dürfe (näher Rz. 9.21 m.w.N.). In Bezug auf andere Verträge, insb.
auch Arbeitsverträge, gilt nichts anderes3.

1 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575
(Anm. Mann, NJW 1972, 2179): Ausfuhrverbot von Nigeria im Rahmen von § 138 BGB angewen-
det. Vgl. auch Sandrock in Sandrock (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie und Pra-
xis (1995), S. 191 ff. Zur Rechtsprechung in Österreich Reichelt/Smolka, IPRax 1997, 290 ff.
2 Übk. v. 30.4.1976 über den Internationalen Währungsfonds, BGBl. II 1978, 13.
3 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141.

370 | Zwickel
E. Checkliste zur Prüfung von Eingriffsnormen | Rz. 5.155 § 5

E. Checkliste zur Prüfung von Eingriffsnormen

Schritt 1: 5.155
Prüfung des Vorliegens
berücksichtigungsfähi-
ger Eingriffsnormen
Allgemeine Vorausset- – Zwingender Charakter?
zungen? – Internationaler Geltungsanspruch? [Rz. 5.16]
– Schutz qualifizierter öffentlicher Interessen? [Rz. 5.17]
– Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse? [Rz. 5.18]
Privatrechtsvorschrif- Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen [Rz. 5.19 ff.].
ten?
Vorschriften des Ver- Ausschließliche Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf Eingriffsnor-
tragsstatuts? men gleich welcher Provenienz [Rz. 5.23 f.].
Schritt 2: – Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO
Klärung von Vorrang- – Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO
fragen
[Rz. 5.25 ff.] – Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO
– Art. 6 und 8 Rom I-VO
– Art. 23 Rom I-VO
– Art. 16 Rom II-VO
Schritt 3: Eingriffsnorm der Forumsfremde Eingriffs- Materiell-rechtliche
Berücksichtigung der lex fori? norm? Berücksichtigung?
Eingriffsnorm [Rz. 5.59 ff.] [Rz. 5.124 ff.] [Rz. 5.36 ff.]
Besondere Vorausset- Inlandsbezug Ausschließlich Eingriffs- Grundsatz:
zungen? [Rz. 5.61] normen des Erfüllungs- Sperre durch Art. 9
ortes [Rz. 5.131 ff.] Rom I-VO
Kompatibilität mit inländi- Ausnahme:
schen policy-Erwägungen Tatsächlicher Ein-
[Rz. 5.137 ff.] fluss des Erlassstaa-
tes
Rechtsfolgen? Anwendung als Wirkungsverleihung: Berücksichtigung
Rechtsvorschrift: im Rahmen der An-
– Sonderanknüpfung wendung lex cau-
– Rechtsfolgen [Rz. 5.141 f.] sae [Rz. 5.36 ff.].
bestimmen sich – Materiell-rechtliche Be-
nach der lex rücksichtigung
fori [Rz. 5.62] [Rz. 5.141]
– Ausnahme
Auswirkung
der lex fori nur
für einen Ver-
tragsteil: Lex
causae be-
stimmt über
Auswirkung
auf Gesamtver-
trag [Rz. 5.62].

Zwickel | 371
§ 5 Rz. 5.155 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften

Literatur zum Devisenrecht: Ebke, Internationales Devisenrecht (1991), zit.: Ebke, IntDevR; San-
drock, Internationale Kredite und die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Teil I, WM 1994, 405;
Teil II, WM 1994, 445; umfangreiche Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I-VO vor
Rz. 1 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 1.
Literatur zum IWF-Abkommen: Ebenroth/Müller, Der Einfluss ausländischen Devisenrechts auf zi-
vilrechtliche Leistungsverpflichtungen unter besonderer Berücksichtigung des IWF-Abkommens,
RIW 1994, 269; Ebenroth/Woggon, Keine Berücksichtigung ausländischer Kapitalverkehrsbeschrän-
kungen über Art. VIII Abschnitt 2 (b) IWF-Abkommen, IPRax 1994, 276; Ebke, Kapitalverkehrskon-
trollen und Internationales Privatrecht nach der Bulgarien-Entscheidung des Bundesgerichtshofs,
WM 1994, 1357; Fuchs, Auf dem Weg zur engen Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-
Abkommen, IPRax 1995, 82; umfangreiche Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I-VO
vor Rz. 1 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 9.

I. Das deutsche Internationale Devisenrecht: ein Überblick


5.156 Das Internationale Devisenrecht umfasst die Kollisionsnormen des autonomen und des inter-
nationalen Einheitsrechts, die darüber bestimmen, ob, unter welchen Voraussetzungen und
mit welchen Rechtsfolgen Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs
und des internationalen Kapitalverkehrs auf Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte im in-
ternationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr anzuwenden sind1 (Näheres in
Rz. 5.195 ff.). Von besonderer praktischer Bedeutung vor allem im Verhältnis zu Staaten, die
nicht Mitglieder der EU sind2, ist das Abkommen über den Internationalen Währungsfonds
(IWF-Abkommen)3, dem nach dem Beitritt einiger mittel- und osteuropäischer Staaten nach
der Auflösung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe 190 Staaten angehören4. Das IWF-
Abkommen hat als internationales Einheitsrecht Vorrang vor den autonomen Regelungen des
Internationalen Devisenrechts. Devisenkontrollbestimmungen sind nur in den Fällen nach
dem autonomen Internationalen Devisenrecht5 zu beurteilen, in denen die Beachtung auslän-
discher Devisenkontrollbestimmungen in Frage steht, die von Nichtmitgliedstaaten des IWF
erlassen worden sind oder die nicht dem IWF-Abkommen unterliegen6 (vgl. hierzu auch
Rz. 5.195 ff.).

1 Ebke, JZ 1991, 336; Ebke, IntDevR, S. 35, 312–334; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 17–19.
2 Zu den rechtlichen Besonderheiten des Zahlungs- und Kapitalverkehrs innerhalb der EU vgl. etwa
Ebke, IntDevR, S. 102–116; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 3a, Martiny in Münch-
Komm. Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 51-52.
3 Für die BRD in Kraft seit dem 14.8.1952 (BGBl. II 1952, 728); Zustimmungsgesetz v. 18.7.1952
(BGBl. II 1952, 637, 645), Änderungsgesetz v. 23.12.1968 (BGBl. II 1968, 1225), Änderungsgesetz
v. 9.1.1978 (BGBl. II 1978, 13); auch Abk. von Bretton Woods genannt.
4 Vgl. hierzu www.imf.org.
5 Zu den autonomen Regelungen vgl. Ebke, IntDevR, S. 312–324; Unteregge, S. 59–153; Martiny in
MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 5 ff.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 1
f., 5, 81 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48 ff.
6 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12; mit einem Fall dieser Art musste
sich das hanseatische OLG nach der sog. Bulgarien-Entscheidung des BGH (BGH v. 8.11.1993 – II
ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 m. Anm. Eben-
roth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Besprechungsaufsatz
K. Schmidt, ZGR 1994, 665) befassen; vgl. dazu Ebke, RIW 1993, 626; Ebke, WM 1994, 1363; Eben-
roth/Müller, RIW 1994, 272–275.

372 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.159 § 5

Während Altverträge weiterhin den Regelungen des EGBGB unterliegen, erlangt für Verträge 5.157
nach dem 17.12.2009 Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO im Bereich der Europäischen Union besondere
Bedeutung. Anstelle einer allgemeinen Umschreibung der zwingenden Vorschriften in Art. 34
EGBGB enthält Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO eine Legaldefinition der zwingenden Vorschriften (vgl.
Rz. 5.15 f.)1. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gestattet die Anwendung der Eingriffsnormen der lex fori
unabhängig vom Vertragsstatut (vgl. Rz. 5.1 f.). Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO steht es im Er-
messen des Gerichts, Eingriffsnormen eines Staates Wirkung zu verleihen, sofern die durch den
Vertrag begründeten Verpflichtungen in diesem erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind
und diese Normen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen (vgl. Rz. 5.27 ff.).

II. Das IWF-Abkommen


1. Rechtsquelle
Die maßgebliche Vorschrift des IWF-Abkommens, Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 lautet in ihrer 5.158
völkerrechtlich allein verbindlichen Fassung2 wie folgt:
Exchange contracts which involve the currency of any member and which are contrary to the ex-
change control regulations of that member maintained or imposed consistently with this agreement
shall be unenforceable in the territories of any member ...3

Diese Vorschrift ist sowohl einheitsrechtliche Kollisionsnorm als auch Sachnorm4. Als kollisi- 5.159
onsrechtliche Sonderanknüpfungsregel verpflichtet sie Gerichte und Verwaltungsbehörden
eines Mitgliedstaates, abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen eines anderen
Mitgliedstaates in der Weise Geltung zu verschaffen, dass sie nicht bei der Durchsetzung von
Verpflichtungen mitwirken, die gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen
verstoßen5. Sie ist auch Sachnorm, weil sie selbst die Rechtsfolge (shall be unenforceable; vgl.
Näheres zur dieser Rechtsfolge in Rz. 5.182 ff.) unabhängig von der Sanktion des auslän-
dischen Rechts und des maßgeblichen Vertragsstatuts für den Fall anordnet, dass ihre Voraus-
setzungen vorliegen6. Ihre Geltung kann in der Bundesrepublik nicht deshalb ausgeschlossen
werden, weil sie nicht Teil des gewählten (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO) oder des objektiv ange-
knüpften Schuldstatuts ist (Art. 4 Rom I-VO)7. Abkommenskonforme Devisenkontrollbestim-

1 Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8 f.; Ebke in Staudinger, Art. 9 Rom I Rz. 45 ff.
2 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (83) = MDR 1992, 180 = IPRax 1992, 377 (m.
Anm. Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A. § 38 ZPO 2.92); BGH v. 8.11.1993 – II
ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm.
Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2).
3 Die deutsche Übersetzung hat folgenden Wortlaut: „Aus Devisenkontrakten, welche die Währung
eines Mitglieds berühren und den von diesem Mitglied in Übereinstimmung mit diesem Überein-
kommen aufrechterhalten oder eingeführten Devisenkontrollbestimmungen zuwiderlaufen, kann
in den Hoheitsgebieten der Mitglieder nicht geklagt werden ...“, BGBl. II 1978, 13 (34–35).
4 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 177–180; Unteregge, S. 31 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu
Art. 9 Rom I Rz. 16 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 11.
5 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 10; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 10.
6 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, RIW 1991, 2; Ebke, IntDevR, S. 177–180; Ebke in Staudinger, Anh. zu
Art. 9 Rom I Rz. 16; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 11.
7 Vgl. Pfeiffer, EuZW 2008, 622; Leible/Lehmann, RIW 2008, 525 und Clausnitzer/Woopen, BB 2008,
1798; noch zu Art. 27 und Art. 28 EGBGB: Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 181; Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 10, 16; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-
VO Rz. 10.

Thode | 373
§ 5 Rz. 5.159 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

mungen können nicht mithilfe des kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB, Art. 21
Rom I-VO) in ihrer Geltung eingeschränkt werden1. Art. 8 Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen
wird auch in der Schiedsgerichtsbarkeit angewendet2.

2. Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten des IWF


5.160 Die vom IWF mit Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erstrebte Vereinheitlichung
des internationalen Devisenrechts ist weitgehend missglückt3. Die Mitgliedstaaten, die bei
der Auslegung und Anwendung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen keiner
wirksamen Kontrolle durch den IWF unterliegen4, haben teilweise erheblich divergierende
Auslegungsgrundsätze entwickelt (vgl. Rz. 5.182 ff.). Die Gerichte wichtiger kapitalexportie-
render Mitgliedsländer, wie beispielsweise die Gerichte New Yorks und Großbritanniens, ha-
ben durch die restriktive Auslegung des Begriffs „exchange contracts“ die Anwendung des
Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf grenzüberschreitende Handels- und Kredit-
verträge nahezu vollständig ausgeschlossen5. Mit dieser Auslegung haben sie den Anwen-
dungsbereich der Vorschrift, die in erster Linie die Zahlungsbilanzen der Erlassstaaten schützt,
zurückgedrängt und sich die Möglichkeit eröffnet, das dem Gläubiger durchweg günstigere
autonome Kollisionsrecht anzuwenden6. Im Unterschied zu dieser Rechtsprechung wird der
Begriff „exchange contracts“ von den deutschen Gerichten weit ausgelegt7, so dass auslän-
dische abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen im Regelfall von deutschen Ge-
richten zu Lasten der Gläubiger durchgesetzt werden8. Durch zwei Entscheidungen hat der
BGH9 die Anwendung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Zahlungen für
laufende Transaktionen beschränkt und einen durch die bisherige Rechtsprechung der deut-
schen Gerichte bedingten Wettbewerbsnachteil Deutschlands beseitigt10. Die aufgezeigten
Auslegungsdivergenzen bereiten in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bei der Einschätzung
des devisenrechtlichen Risikos grenzüberschreitender Handels- und Kreditverträge. Vertrags-
parteien und Rechtsanwälte müssen bei der Vertragsgestaltung und im Streitfall dieses Risiko

1 Die Einzelheiten sind umstritten, vgl. Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 181–184; Ebke in Stau-
dinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 14; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 10
ff.
2 Vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Ebke in Staudinger, Anh. zu
Art. 9 Rom I Rz. 21.
3 Ebke, RIW 1991, 3 ff.; Ebke, JZ 1992, 785; Ebke, RIW 1993, 614; Ebke, WM 1994, 1358; Ebke, Int-
DevR, S. 206–228; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624 f.; Ehricke, RIW 1991, 366–369; Sandrock, WM
1994, 409–411.
4 Ebke, RIW 1991, 7 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12.
5 Vgl. Ebke, RIW 1991, 7 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, 15 sowie
Seuß, S. 20–30.
6 Ebke, RIW 1993, 614 m.w.N.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 15.
7 Vgl. BGH v. 11.3.1970 – VIII ZR 147/68, NJW 1970, 1002 und BGH v. 21.12.1976 – III ZR 83/74,
WM 1977, 332; vgl. auch BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337) = WM 1971,
411; BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ehricke, RIW 1991, 368.
8 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12.
9 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2) sowie
BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994,
581 (m. Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; und Anm. Ebenroth/Woggon, EWiR 1994, 471); Gei-
mer, LM Internationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82;
Näheres zu diesen Entscheidungen vgl. Rz. 5.163.
10 Ebke, WM 1994, 1358 (1368) m.w.N.

374 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.163 § 5

auf der Grundlage der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Mitgliedstaaten zu Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen abschätzen, die im Streitfall international zuständig sein
können.

III. Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen in der


Bundesrepublik Deutschland
1. Devisenkontrakt (exchange contract)
a) Begriffsbestimmung in der Rechtsprechung
Durch die von den Gerichten entwickelten Auslegungsgrundsätze und durch die Diskussion 5.161
in der Literatur hat sich in der Bundesrepublik folgende Rechtslage entwickelt:

Die traditionelle Rechtsprechung der deutschen Gerichte legt den Begriff des Devisenkon- 5.162
trakts im Hinblick auf den Schutzzweck des Abkommens, den Devisenbestand oder die Wäh-
rung eines Mitgliedstaates zu schützen1, weit aus2 (zur Weiterentwicklung der ursprünglichen
Auslegung durch den BGH vgl. Rz. 5.163). So werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-
Abkommen sämtliche vertraglichen Verpflichtungen erfasst, die sich auf die Zahlungsbilanz
des Erlassstaates auswirken3. Für die Anwendbarkeit des Abkommens genügt es, dass auf
Grund der vertraglichen Vereinbarung der Parteien Zahlungen oder Transfers in fremder
oder in eigener Währung vorgesehen waren4, ohne Unterscheidung zwischen Verträgen des
grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs und Verträgen über Zahlungen für laufende Trans-
aktionen. So wurden beispielsweise internationale Kreditverträge unabhängig von ihrer Lauf-
zeit und Höhe als Devisenkontrakte aufgefasst (vgl. hierzu Rz. 5.170).

In zwei Entscheidungen hat der BGH in Übereinstimmung mit der Judikatur anderer wichti- 5.163
ger kapitalexportierender Länder5 den Anwendungsbereich der Vorschrift unter zwei Ge-
sichtspunkten eingeschränkt. In der sog. Bulgarien-Entscheidung6 hat der II. Zivilsenat des
BGH den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Zahlungen für laufende Transaktionen
i.S.v. Art. XXX (d) IWF-Abkommen7 beschränkt und damit einen im neueren Schrifttum be-
klagten8, durch die bisherige Rechtsprechung bedingten Wettbewerbsnachteil Deutschlands
beseitigt9. Der XI. Zivilsenat des BGH hat die Entscheidung des II. Senates dahingehend er-

1 BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337) = WM 1971, 411; BGH v. 8.3.1979 – VII
ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ehricke, RIW 1991, 368.
2 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 229; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9
Rom I Rz. 23 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, jeweils m.w.N.
3 Ebke, IntDevR, S. 229; Unteregge, S. 34; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO
Rz. 10 jeweils m.w.N.
4 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 14.
5 Ebke, WM 1994, 1358; Fuchs, IPRax 1995, 85; von Bar/Mankowski, Rz. 116.
6 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2 – 1.94;
Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665).
7 Nach Art. XXX (d) IWF-Abkommen sind Zahlungen für laufende Transaktionen Zahlungen, die
„nicht der Übertragung von Kapital dienen“, vgl. Ebke, IntDevR, S. 231; Ebke in Staudinger, Anh.
zu Art. 9 Rom I Rz. 25–27.
8 Ebke, JZ 1991, 342; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, ZVglRW 92 (1993), 116; Ebke, WM 1994, 1358; Eh-
ricke, RIW 1991, 366 f.; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624; Ebenroth/Woggon, IPRax 1993, 153;
Fuchs, IPRax 1995, 85.
9 Ebke, WM 1994, 1358; Fuchs, IPRax 1995, 85; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 4.

Thode | 375
§ 5 Rz. 5.163 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

gänzt, dass ausländische Kapitalverkehrskontrollen nicht von der Vorschrift erfasst werden.
Der II. Senat, dem der XI. Senat gefolgt ist, hat im Unterschied zu der traditionellen Aus-
legung der Vorschrift erstmals den Versuch einer systematischen und teleologischen Aus-
legung der Vorschrift unternommen1. Nach der einschränkenden Auslegung der beiden Sena-
te ist Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Kapitalverkehrsverträge und auf Ver-
träge des laufenden Zahlungsverkehrs, die von einer Kapitalverkehrskontrollvorschrift des Er-
lassstaates erfasst werden, nicht anwendbar2.

5.164 Die Abgrenzung3 zwischen Geschäften des laufenden Zahlungsverkehrs und Geschäften des
Kapitalverkehrs ist durch die Entscheidung des II. Senates nur teilweise geklärt4. Der Senat
hat „Auslandsinvestitionen“, die den Charakter „größerer langfristiger Kapitalanlagen“ haben,
dem Kapitalverkehr5 zugeordnet6.

b) Kreis der erfassten Geschäfte


5.165 Über den Kreis der erfassten Geschäfte besteht in der Praxis und Wissenschaft keine Einig-
keit7. Auf der Grundlage der extensiven Auslegung des Merkmals „exchange contracts“ hat die
Rechtsprechung mehrere Fallgruppen gebildet, auf die das Abkommen anwendbar ist8: Leis-
tungen von Waren und Dienstleistungen gegen Zahlungsmittel, Austausch von Zahlungsmit-
teln gegen andere Zahlungsmittel, unentgeltliche Zuwendung von Waren und Dienstleistun-
gen sowie Zahlungsmitteln, Sicherungen der genehmigungspflichtigen Hauptschuld9, Ver-
pflichtungen aus Wertpapieren10 und außervertragliche schuldrechtliche Ansprüche, die im
Ergebnis der Erfüllung des genehmigungspflichtigen Geschäftes gleichkommen.

5.166 Danach ist das Abkommen praktisch auf den gesamten internationalen Waren- und Dienstleis-
tungsverkehr anwendbar11. Die Geltung des Abkommens ist beispielsweise bejaht worden für
Warenkaufverträge, Grundstückskaufverträge, Lizenzverträge, Handelsverträge12, Scheck-13

1 Vgl. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 277 mit zustimmender Würdigung sowie Ebke, WM 1994,
1359 ff. mit zutreffender Kritik Thode, WuB VII B 2. – 1.94.
2 Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 4, 26.
3 Brauchbare Abgrenzungskriterien für die Praxis bietet die beispielhafte Aufzählung der Zahlungen
für laufende Transaktionen in Art. XXX (d) Nr. 1–4 IWF-Abkommen.
4 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25–27.
5 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 229: Aufnahme langfristiger Kredite im Ausland (vgl. Rz. 5.170), Transfers
von Bankguthaben ins Ausland zu Investitionszwecken, Direktinvestitionen, portfolio investments
sowie den Abschluss von Lebensversicherungen.
6 Ebke, WM 1994, 1358 (1367); Fuchs, IPRax 1995, 85; Thode, WuB VII B 2. – 1.94.
7 Ebke, IntDevR, S. 229; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 31; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12 bis 17.
8 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619 mit der unzutreffenden Fallgruppe der Tauschgeschäfte; eine Er-
läuterung der Fallgruppen findet sich bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 28–32;
Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17–19.
9 Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17.
10 Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 18.
11 Ebke, IntDevR, S. 229 f.; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; weitere Beispiele finden sich bei Martiny
in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17–19.
12 Vgl. zu den einzelnen Verträgen: Ebke, IntDevR, S. 230; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu
Art. 9 Rom I-VO Rz. 17 jeweils m.w.N.
13 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 230; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 18 jeweils
m.w.N.

376 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.169 § 5

und Wechselverbindlichkeiten1 sowie für die klassische Form des Devisengeschäfts, den Aus-
tausch von Zahlungsmitteln gegen Zahlungsmittel2. Kaufpreissichernde Bürgschaften und Ga-
rantien werden von dem Abkommen erfasst, wenn sie mit der genehmigungspflichtigen
Hauptschuld eng verbunden sind3. In der Bulgarien-Entscheidung4 hat der BGH klargestellt,
dass ein Vertrag über die Erhöhung einer Kommanditeinlage und damit eine Gesellschafts-
beteiligung ein „exchange contract“ sein kann, wenn es sich nicht um eine langfristige Betei-
ligung handelt5. Tausch- und Gegengeschäfte werden von der Vorschrift nicht erfasst6.

Die Frage, ob der Schuldner gegen die Forderung seines Gläubigers mit einer Gegenforde- 5.167
rung, die abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen widerspricht, wirksam die
Aufrechnung erklären kann, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Das LG Karlsruhe7 hat
die Aufrechnung im Ergebnis zutreffend als unzulässig angesehen8. Eine Prozessaufrechnung
mit einer unklagbaren Gegenforderung ist deshalb unzulässig, weil die Aufrechnung im Hin-
blick auf die fehlende Sachurteilsvoraussetzung unzulässig ist9.

Das in Erfüllung eines „exchange contracts“ Geleistete kann nicht nach den Grundsätzen der 5.168
ungerechtfertigten Bereicherung zurückgefordert werden, weil kein rechtsgrundloser Erwerb
vorliegt. Auf Grund der prozessualen Qualifikation der Unklagbarkeit liegt kein rechtsgrund-
loser Erwerb vor10.

Außervertragliche Ansprüche gelten als „exchange contracts“, wenn sie im Ergebnis zu einer 5.169
Erfüllung des verbotenen Geschäftes führen. So sind Ansprüche aus unerlaubter Handlung
wegen Nichterfüllung des verbotenen Geschäftes und Ansprüche aus ungerechtfertigter Berei-
cherung, mit denen das auf ein verbotenes Geschäft Geleistete zurückgefordert wird, nicht
durchsetzbar (Näheres zur Rechtsfolge vgl. Rz. 5.168)11. Nicht erfasst werden von dem Ab-

1 BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994,
581 m. Anm. Thode, WuB VIII B 2 – 1.94; Ebenroth/Waggon, EWIR 1994, 471; Geimer, LM Inter-
nationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82.
2 OLG Düsseldorf v. 28.9.1989 – 6 U 258/88, ZIP 1989, 1387 = WM 1989, 1842 (Anm. Thode, WuB
VII B 2. – 1.90: ägypt. Pfund gegen DM-Scheck).
3 Vgl. die Nachw. der Rspr. bei Ebke, IntDevR, S. 230; bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I
Rz. 29 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17, 27; mit begründe-
ter Kritik an den bisherigen Versuchen, die akzessorischen Sicherungsrechte mit der Rechtsfigur
der Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung zu erfassen Ebke, IntDevR, S. 288–292.
4 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2 – 1.94;
Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665).
5 Ebke, WM 1994, 1360 (1367); damit hat der BGH die hierzu im Schrifttum vertretene Ansicht
bestätigt, vgl. Ebke, IntDevR, S. 230; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 26 und Martiny
in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17.
6 Ebke, IntDevR, S. 230; a.A. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 19; unzu-
treffend Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619.
7 LG Karlsruhe v. 24.8.1984 – O 15/84 KfH II, RIW 1986, 385 m. zust. Anm. Lober.
8 Vgl. die berechtigte Kritik in der Begründung der Entscheidung bei Ebke, IntDevR, S. 292; Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 33.
9 Ebke, IntDevR, S. 292 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 42.
10 Vgl. etwa BGH v. 21.12.1976 – III ZR 83/76, IPRspr. 1976, Nr. 118, 341 (343) = WM 1977, 332;
vgl. hierzu Ebke, IntDevR, S. 286 m.w.N. der Entscheidungen von Instanzgerichten; Ebke in Stau-
dinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 34.
11 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 35; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 21.

Thode | 377
§ 5 Rz. 5.169 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kommen die der lex rei sitae unterliegenden dinglichen Rechtsgeschäfte, wie die Auflassung
und die Bestellung von Grundpfandrechten, da die Rechtswirkungen unmittelbar eintreten1.

5.170 Internationale Kreditverträge hat die Rechtsprechung bisher unabhängig von ihrer Höhe
und Laufzeit als „exchange contracts“ eingeordnet2; die gewichtigen Einwände des Schrift-
tums3 gegen diese Rechtsprechung haben die Gerichte bisher nicht berücksichtigt. Nach der
Bulgarien-Entscheidung des BGH4, die langfristige Auslandsinvestitionen dem Kapitalverkehr
zugeordnet und diese Geschäfte aus dem Anwendungsbereich des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1
IWF-Abkommens ausgenommen hat, ist das Abkommen auf langfristige Kredite nicht mehr
anwendbar5. Dieser Auffassung hat sich auch das OLG Frankfurt in einem Prozess über Inha-
berschuldverschreibungen des argentinischen Staates angeschlossen, in denen der argenti-
nische Staat sich unter Berufung auf einen Staatsnotstand (Zahlungsunfähigkeit) weigerte, die
Ansprüche eines Privatgläubigers auf Rückzahlung zu erfüllen6. Erfasst werden von dem Ab-
kommen allerdings Zahlungen auf Kreditzinsen und Zahlungen in mäßiger Höhe für Tilgun-
gen von Krediten7.

c) Abkommenskonforme Begriffsbestimmung
5.171 Maßgebliche Stimmen im neueren Schrifttum schlagen auf der Grundlage einer vertrags-
autonomen Auslegung des Abkommens vor, die bisherige Deutung des Begriffes „exchange
contracts“ als Devisenkontrakt durch die Auslegung als Austauschvertrag zu ersetzen, um
eine dem Zweck des Abkommens entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs des
Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen zu erreichen8. Nach dieser zutreffenden Aus-
legung werden von dem Merkmal „exchange contracts“ gegenseitige Verträge sowie Vertrags-
verhältnisse erfasst, in denen Leistung und Gegenleistung in einer finalen oder kausalen

1 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 22.
2 Vgl. OLG München v. 25.1.1989 – 15 U 4470/87, WM 1989, 1282 (Anm. Thode WuB VII B 2. –
1.89, Besprechungsaufsatz Ebke, JZ 1991, 335); weitere Nachw. aus der Rspr. bei Ebke, IntDevR,
S. 230 f. sowie differenzierend Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16.
3 Vgl. etwa Ebke, JZ 1991, 339 f.; Ebke, RIW 1993, 622 f.; Ebke, JZ 1992, 784; Ebenroth/Neiss, RIW
1991, 619 ff.; Ebke, IntDevR, S. 230 f. (243 f.) m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I
Rz. 25.
4 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2).
5 Ebke, WM 1994, 1368; Fuchs, IPRax 1995, 85; Thode, WuB VII B 2 – 1.94; Ebke in Staudinger,
Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25 f., 31.
6 OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, ZIP 2006, 1902 = WM 2007, 929 = IPRax 2007, 331 (m.
Anm. Cranshaw, DZWiR 2007, 133); Cranshaw, JurisPR-InsR 26/2006 Anm. 3; Mankowski, WuB
VII C Art. VIII IWF-Übereinkommen 1.07; Schefold, Moratorien ausländischer Staaten und aus-
ländisches Devisenrecht, IPRax 2007, 313; zur Frage der Wiederherstellung eines status quo ante
nach Wegfall eines Staatsnotstands, der ex ante nicht erkennbar war, vgl. Sester, NJW 2006, 2891;
AG Frankfurt v. 5.4.2007 – 31 C 1721/06 (Verurteilung Argentiniens zur Zahlung von Verzugszin-
sen wegen Annahmeverzugs hinsichtlich der Zinscoupons) (vgl. hierzu Kolling, BKR 2007, 481
[486]).
7 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 (Anm. Thode, WuB VII A.
§ 38 ZPO 2.92); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 31; Martiny in MünchKomm, Anh.
II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16.
8 Ebke, IntDevR, S. 240–243; Ebke, RIW 1993, 610 f.; Ebke, WM 1994, 1360; Ebke in Staudinger,
Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 15;
Ebenroth/Woggon, IPRax 1993, 153.

378 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.173 § 5

Wechselbeziehung zueinander stehen1. Danach ist es für einen „exchange contract“ ausrei-
chend, wenn der Leistungsempfänger etwas aufwendet, um die Leistung zu erhalten oder weil
er die Leistung erhalten hat. Die Auslegung des Begriffes „exchange contracts“ als Austausch-
vertrag hat zur Folge, dass unentgeltliche Zuwendungen von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1
IWF-Abkommen nicht erfasst werden2.

2. Berührung der Währung eines Mitgliedstaates


Das Merkmal „involves the currency of any member“ ist unpräzise, eine offizielle Stellungnah- 5.172
me des Exekutivdirektoriums des IWF liegt nicht vor3. Die Auslegung des Begriffes in der
deutschen Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Vornehmlich die ältere Rechtsprechung4 hat
sich der von F. A. Mann5 vertretenen Mindermeinung angeschlossen. Nach dieser Ansicht ist
die Währung eines Mitgliedstaates nur dann berührt, wenn die gerichtliche Durchsetzung ei-
nes „exchange contracts“ nachteilige Wirkungen für die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates
hat6. Nach dieser Auslegung werden Devisenkontrollvorschriften, die nicht den Abfluss von
Devisen regeln, sondern dem Devisenzufluss dienen, wie beispielsweise Zwangsumtauschvor-
schriften, von dem Abkommen nicht erfasst7.

Nach der im Schrifttum herrschenden Ansicht8, der sich deutsche Gerichte zunehmend ange- 5.173
schlossen haben9, wird die Währung eines Mitgliedstaates stets dann berührt, wenn die ver-
einbarte Transaktion sich auf die Zahlungsbilanz in irgendeiner Weise, sei es negativ oder
positiv, auswirkt10. Danach werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auch
Devisenkontrollbestimmungen erfasst, die den Devisenzufluss regeln11. Diese Ansicht steht
im Unterschied zu der Mindermeinung im Einklang mit dem Schutzzweck des Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen, der auch den Schutz derartiger Bestimmungen be-
zweckt12. Nach dieser Auffassung kommt es weder auf die im Vertrag gewählte Schuld- oder
Zahlungswährung noch auf die Staatsangehörigkeit des Schuldners an. Nach zutreffender An-
sicht ist es unerheblich, ob eine der Parteien des „exchange contracts“ in dem Erlassstaat an-
sässig ist (vgl. Rz. 5.175). Maßgeblich ist die wirtschaftliche Verknüpfung des Sachverhalts

1 Ebke, RIW 1993, 617; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36.
2 Zur Anwendbarkeit des Abk. nach der traditionellen kontinentaleuropäischen Begriffsbestim-
mung vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 14; zur Unanwendbarkeit
nach der Auslegung als Austauschvertrag vgl. Ebke, IntDevR, S. 241 und Ebke, RIW 1993, 617;
Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 19.
3 Ebke, IntDevR, S. 246.
4 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 247; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38.
5 Vgl. z.B. F. A. Mann, Der Internationale Währungsfonds und das Internationale Privatrecht, JZ
1953, 442 (444); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38; Martiny in MünchKomm, Anh.
II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 34.
6 Ebke, IntDevR, S. 246 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38.
7 Ebke, IntDevR, S. 247.
8 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 247; eingehend Seuß, S. 48–72; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9
Rom I Rz. 38 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23.
9 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 39.
10 Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 39; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23–24, jeweils m.w.N.
11 Ebke, IntDevR, S. 248.
12 Ebke, IntDevR, S. 248.

Thode | 379
§ 5 Rz. 5.173 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

und der Vertragsparteien mit dem Währungsgebiet eines Mitgliedstaates. Die Währung eines
Mitgliedstaates ist dann berührt, wenn der „exchange contract“ aus dem Erlassstaat erfüllt
wird oder wenn der Gläubiger Leistung aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat verlangt,
die den Devisenkontrollbestimmungen dieses Staates über den Devisenzufluss unterliegt1.

5.174 Umstritten ist die Beurteilung der Fälle, in denen in einem Erlassstaat ansässige Gläubiger
oder Schuldner Transaktionen vereinbaren, die weder aus einem noch in einen Erlassstaat
erfolgen sollen2. Nach einer Ansicht, die ausschließlich auf die Auswirkungen der Transakti-
on auf die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates und nicht auf die Gebietsansässigkeit einer
der Parteien in diesem Staat abstellt, greift das IWF-Abkommen in diesen Fällen nicht ein3.
Soll beispielsweise der in einem Erlassstaat ansässige Schuldner nur mit dem Vermögen au-
ßerhalb des Erlassstaates haften, ist nach dieser Ansicht die Währung des Erlassstaates nicht
berührt4. Nach einer anderen Ansicht ist es unerheblich, aus welchem Vermögen der „ex-
change contract“ erfüllt werden soll, maßgeblich für die Anwendbarkeit des Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen ist allein, ob der Schuldner oder der Gläubiger im Erlass-
staat ansässig ist5. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, weil die Gebietsansässigkeit einer der
Vertragsparteien in einem Erlassstaat als Abgrenzungskriterium nicht geeignet ist. Verein-
baren die Parteien, von denen eine in einem Erlassstaat ansässig ist, dass ein „exchange con-
tract“ nur außerhalb des Erlassstaates zu erfüllen ist, dann wirkt sich die Transaktion nicht
auf dessen Zahlungsbilanz aus. Schließt dagegen ein Staatsangehöriger eines Erlassstaates, der
im Ausland ansässig ist, mit einem Angehörigen dieses Staates einen „exchange contract“, der
aus dem Erlassstaat erfüllt werden soll oder zumindest erfüllt werden darf, wirkt sich die Er-
füllung aus dem Erlassstaat auf dessen Zahlungsbilanz aus6.

5.175 Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst nicht Devisenkontrollbestimmungen von
Staaten, die nicht oder nicht mehr Mitglied des IWF sind7. Mitgliedstaaten müssen allerdings
Devisenkontrollbestimmungen anerkennen, die ein anderer Mitgliedstaat mit Wirkung für ei-
nen Nichtmitgliedstaat erlassen hat8. Devisenkontrollbestimmungen eines IWF-Mitgliedstaa-
tes, der es entgegen seiner Verpflichtung aus Art. XX 2 (a) IWF-Abkommen unterlassen hat,
Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen in sein nationales Recht zu transformieren, sind
von den anderen Mitgliedstaaten ebenfalls zu beachten9. Nicht anwendbar ist Art. VIII

1 Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 40; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23.
2 Zum Stand der Diskussion vgl. etwa Unteregge, S. 38 f. sowie Martiny in MünchKomm, Anh. II zu
Art. 9 Rom I-VO Rz. 25 und Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 40.
3 Ebke, IntDevR, S. 248 f.
4 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 25 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu
Art. 9 Rom I Rz. 40.
5 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 25.
6 Eine derartige Fallkonstellation lag möglicherweise der Entscheidung des OLG München v.
25.1.1989 – 15 U 4470/87, WM 1989, 1282 (m. Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.89), zugrunde:
Kreditaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland durch einen österreich. Deviseninländer; das
OLG hatte nicht geklärt, ob der Kredit aus Mitteln in der Bundesrepublik oder aus Mitteln in
Österreich zurückgeführt werden sollte.
7 Ebke, IntDevR, S. 258; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 5, 6, 81.
8 Ebke, IntDevR, S. 258; ein Bsp. sind die alliierten Devisengesetze, die auf Grund des Deutschland-
vertrages als Bundesrecht weitergelten.
9 Ebke, IntDevR, S. 259; als Beispiele nennt Ebke Australien, Mexiko und Schweden; Ebke in Stau-
dinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 15, 19.

380 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.178 § 5

Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Devisenkontrollbestimmungen von Mitgliedstaaten,


wenn der Gerichtsstaat selbst nicht Mitglied des IWF ist1.

3. Devisenkontrollbestimmungen
Das Abkommen definiert den Begriff der Devisenkontrollbestimmungen (exchange control 5.176
regulations) nicht; die übrigen Vorschriften enthalten keine brauchbaren Hinweise auf seine
Bedeutung2. Gewichtige Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffes enthält die Entschei-
dung des Exekutivdirektoriums des IWF aus dem Jahre 19603. Der maßgebliche Passus lautet
in deutscher Übersetzung wie folgt4:
Leitlinie für die Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme eine Beschränkung von Zahlungen und
Transfers für laufende Transaktionen gem. Art. VIII Abschnitt 2 darstellt, ist, ob sie eine unmittelbare
staatliche Beschränkung der Verfügbarkeit oder des Gebrauchs von Devisen als solchen beinhaltet.

Durch diese Entscheidung ist klargestellt, dass Devisenkontrollbestimmungen i.S.d. Art. VIII 5.177
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nur Beschränkungen sind, die die allgemeine Verfügbarkeit
oder die konkrete Verwendung von Devisen betreffen5. Danach sind Handelsbeschränkungen
keine Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs, unabhängig davon, ob
sie unmittelbar dem Schutz der Devisenbestände des Erlassstaates dienen sollen6. Währungs-
rechtliche Bestimmungen, wie beispielsweise Regelungen über gesetzliche Zahlungsmittel oder
das Verbot, effektive Fremdwährungsschulden zu vereinbaren, gehören nicht zu Beschränkun-
gen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs7. Entsprechendes gilt für sog. cours-force-
Regelungen und prescription-Vorschriften sowie Preiskontrollen8. Bestimmungen, die die Er-
füllung von Importverträgen aus devisenrechtlichen Gründen von einer Preisprüfung abhängig
machen, werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst9.

Umstritten ist die Frage, ob Beschränkungen aus Gründen der nationalen oder internatio- 5.178
nalen Sicherheit als Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs i.S.d.
Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen anzusehen sind10. Nach der in der deutschen
Kommentarliteratur vertretenen Ansicht, dass Devisenkontrollbeschränkungen i.S.d. Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nur Vorschriften sind, die die Bewegung von Geld, Ver-
mögen oder Dienstleistungen zum Schutz der Zahlungsbilanz eines Landes zwingend regeln11,

1 Ebke, IntDevR, S. 259 f.


2 Ebke, IntDevR, S. 252 mit einer Analyse der relevanten Vorschriften des Abkommens.
3 Ebke, IntDevR, S. 252 f. m. Nachw. der Fundstelle.
4 Übernommen von Ebke, IntDevR, S. 252.
5 Ebke, IntDevR, S. 253; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 41.
6 Ebke, IntDevR, S. 253; Seuß, S. 107–109 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42;
Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 29.
7 Ebke, IntDevR, S. 253; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 34, jeweils m.w.N.
8 Ebke, IntDevR, S. 58 f. (S. 253); Seuß, Exterritoriale Geltung von Devisenkontrollbestimmungen.
Art. VIII 2b S. 1 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (1991), S. 90 f.;
Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom
I-VO Rz. 34.
9 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 30.
10 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 253–255; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 33,
jeweils m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42.
11 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9
Rom I Rz. 42.

Thode | 381
§ 5 Rz. 5.178 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

fallen politisch motivierte Beschränkungen aus Gründen der nationalen oder internationalen
Sicherheit nicht unter das Abkommen1. Die Gegenansicht vertritt hingegen eine weite Aus-
legung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen. Danach gehören neben währungs-
und wirtschaftspolitisch motivierten Beschränkungen auch Beschränkungen des laufenden in-
ternationalen Zahlungs- und Überweisungsverkehrs, die aus Gründen der nationalen oder in-
ternationalen Sicherheit erlassen worden sind, zu den Beschränkungen i.S.d. Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen, wenn diese Vorschriften auch dazu bestimmt sind, die
Zahlungsbilanz des Erlassstaates zu schützen2.

5.179 Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapi-


talverkehrs Beschränkungen i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind3, hat der
BGH dahin gehend entschieden, dass derartige Vorschriften von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1
IWF-Abkommen nicht erfasst werden4.

4. Abkommenskonformität
5.180 Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst nur Devisenkontrollbestimmungen, die
in Übereinstimmung mit dem Abkommen nach dem Beitritt des Erlassstaates aufrechterhal-
ten oder später nach dem Beitritt mit Genehmigung des IWF eingeführt worden sind5. Das
Abkommen schützt abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen auch dann, wenn
sie mit anderen internationalen Abkommen und Regelungen unvereinbar sind6. Die Frage, ob
die mit Devisenkontrollvorschriften befassten Gerichte die Abkommenskonformität einer
Vorschrift selbst beurteilen dürfen oder ob sie eine Stellungnahme des IWF einholen müssen,
ist umstritten7. Das Abkommen enthält keine Ermächtigung für die Organe des IWF, Aus-
legungsfragen in Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen zu klären. Es fehlt auch eine Be-
fugnis der Organe, das IWF-Abkommen verbindlich für die nationalen Gerichte und Verwal-
tungsbehörden auszulegen8. Im Hinblick auf diese Regelungslage sind die Gerichte und Ver-
waltungsbehörden zwar nicht verpflichtet, allerdings berechtigt, eine Auskunft des IWF ein-
zuholen9. Da die Beurteilung der Abkommenskonformität regelmäßig beachtliche Schwierig-
keiten bereitet und mit hinreichender Verlässlichkeit durch den nationalen Richter kaum
möglich ist, sollten die Gerichte im Regelfall eine Stellungnahme des IWF auch dann ein-
holen, wenn sie nach nationalem Recht nicht dazu verpflichtet sind10. Ob und unter welchen
Voraussetzungen deutsche Gerichte nach nationalem Recht dazu verpflichtet sind, eine Stel-
lungnahme einzuholen, ist bisher ungeklärt.

1 Ebke, IntDevR, S. 254; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 33.
2 Ebke, IntDevR, S. 255.
3 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 256–258; Seuß, S. 91–94; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 31.
4 BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994,
581 (m. Anm. Thode WuB VII B 2 – 1.94 und Anm. Ebenroth/Woggon), EWiR 1994, 471; Geimer,
LM Internationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82.
5 Ebke, IntDevR, S. 264; Seuß, S. 94; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16.
6 Ebke, IntDevR, S. 265 m.w.N.
7 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 265–268 m.w.N.
8 Ebke, IntDevR, S. 268 m.w.N.
9 Ebke, IntDevR, S. 268.
10 Ebke, IntDevR, S. 268–273; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 44 f. unter Hinweis auf
die für den nationalen Richter kaum überwindlichen Schwierigkeiten, die Abkommenskonfor-
mität verlässlich zu beurteilen.

382 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.183 § 5

5. Verstoß gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen


Die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind dann erfüllt, 5.181
wenn der „exchange contract“ gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung
verstößt; auf das Verschulden der Parteien oder ihre Kenntnis der Bestimmung kommt es
nicht an1. Die in Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen vorgesehene Rechtsfolge tritt
unabhängig davon ein, welche Sanktionen der Erlassstaat bei Verstößen gegen die Bestim-
mung vorgesehen hat2. Ob der „exchange contract“ gegen eine Devisenkontrollbestimmung
verstößt, ist nach dem Recht des Erlassstaates zu beurteilen und nicht nach dem Recht des
Forums3. Die Frage, ob die Devisenkontrollbestimmung mit dem IWF-Abkommen vereinbar
ist, beurteilt sich nach dem IWF-Abkommen und dem sekundären Recht des IWF4.

6. Unklagbarkeit (unenforceability)
a) Problemübersicht
Die in Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen angeordnete Rechtsfolge „unenforceable“ 5.182
des allein maßgeblichen englischen Textes (vgl. Rz. 5.158) ist in der im Bundesgesetzblatt ab-
gedruckten deutschen Übersetzung mit „unklagbar“ übersetzt worden. Die Einordnung des
auf den aktionsrechtlichen Vorstellungen des anglo-amerikanischen Rechtskreises beruhen-
den Begriffes der „unenforceability“5 in die kontinentalen Rechtsordnungen hat sich nicht nur
in Deutschland als schwierig erwiesen6. Nach dem traditionellen anglo-amerikanischen
Rechtsverständnis ist „unenforceability“ als Verteidigung (defense) ein prozessuales Gestal-
tungsrecht, das nicht von Amts wegen, sondern auf die Einrede der Partei hin zu berücksich-
tigen ist, die aus der Einrede Rechte herleiten will7. Danach folgt die Rechtsfolge im Unter-
schied zu der herkömmlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte nicht schon aus einem
objektiven Verstoß des „exchange contracts“ gegen eine abkommenskonforme Devisenkon-
trollbestimmung, sie tritt erst ein, wenn der Schuldner unter den Voraussetzungen des
Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen das prozessuale Gestaltungsrecht ausübt.

Die prozessuale Einordnung dieser Rechtsfigur als Sachurteilsvoraussetzung durch die deut- 5.183
sche Rechtsprechung8 ist im Schrifttum auf beachtliche Kritik gestoßen (Näheres hierzu in
Rz. 5.189 ff.)9, weil diese Rechtsprechung vor allem den Gläubiger im Vergleich zur Rechtspre-
chung des anglo-amerikanischen Rechtskreises prozessual erheblich benachteiligt und weil
zahlreiche Folgeprobleme mit der Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung nicht oder nur
unzureichend gelöst werden können (Näheres dazu in Rz. 5.189). In zwei Entscheidungen ha-

1 Ebke, IntDevR, S. 275; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 44 f.


2 Ebke, IntDevR, S. 275; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47.
3 Ebke, IntDevR, S. 276; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 37.
4 Ebke, IntDevR, S. 276; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 37.
5 Vgl. Ehricke, RIW 1991, 370; Ebke, IntDevR, S. 276–277; Seuß, S. 114–117; Ebke in Staudinger,
Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48.
6 Ebke, IntDevR, S. 278; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48 f.
7 Ebke, IntDevR, S. 276 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
8 Vgl. die Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49–51; Martiny in Münch-
Komm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
9 Vgl. etwa Ebke, WM 1994, 1172 ff. mit eingehender Darstellung des Diskussionsstandes; Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO
Rz. 39.

Thode | 383
§ 5 Rz. 5.183 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ben der II. Zivilsenat1 und der IX. Zivilsenat2 des BGH unter Hinweis auf die kritischen Stel-
lungnahmen im Schrifttum angedeutet, dass sie ihre bisherige Rechtsprechung zur Einord-
nung der Rechtsfolge „unenforceable“ als Sachurteilsvoraussetzung zukünftig überprüfen wer-
den, wenn die Frage entscheidungserheblich sein sollte3. Die bisherige Rechtsprechung der
deutschen Gerichte begründet im internationalen Vergleich einen wesentlichen Nachteil für
Deutschland als Forum für internationale Finanzierungsverträge und sonstige „exchange con-
tracts“4. Die dem Gläubiger nachteiligen Folgen der bisherigen Rechtsprechung sind ein ent-
scheidendes Hindernis für eine Gerichtsstandsvereinbarung oder für eine Schiedsgerichtsver-
einbarung in „exchange contracts“ zugunsten des Forums Deutschland.

b) Bisherige Rechtsprechung: Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung


5.184 Nach der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum und einhelliger Ansicht in der
Rechtsprechung berührt der Verstoß eines „exchange contract“ gegen eine abkommenskonfor-
me Devisenkontrollbestimmung die Wirksamkeit des Vertrages nicht5. Nach der ständigen
Rechtsprechung des BGH6, der die Instanzgerichte folgen7, bedeutet „Unklagbarkeit“ das Feh-
len einer Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens ein-
schließlich der Revisionsinstanz zu beachten ist8, unabhängig davon, ob sich eine Partei darauf
beruft9. Soweit die Voraussetzungen der Unklagbarkeit vorliegen, ergeht kein Sachurteil, die
Klage ist als unzulässig abzuweisen10.

1 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94;
Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665).
2 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm.
Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993, 1169).
3 Vgl. Thode, WuB VII B 2. – 1.94 (Anm. zur Entscheidung des II. Senates II ZR 216/92); Thode,
WuB VII A. § 38 ZPO 2.92 (Anm. zur Entscheidung des IX. Senates IX ZR 250/90).
4 Näheres hierzu Ebke, WM 1993, 1170–1172; Ebke, IntDevR, S. 319–321.
5 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 279; Ebke, WM 1994, 1169; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 39, jeweils m.w.N. der Rspr. und Literatur.
6 BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095 (Anm.
Roth, ZZP 104 [1991], 458–466 und Anm. Thode, WuB VII B 1. Art. 5 EuGVÜ 1.91); BGH v.
14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Fuchs,
IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993, 1169);
BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax
1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2); die bei-
den letztgenannten Entscheidungen distanzierend zur bisherigen Rspr., vgl. Rz. 5.182; zum Nachw.
der älteren Rspr. vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 279 f.; Ebke, RIW 1993, 624; Ebke, WM 1994, 1170;
Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9
Rom I-VO Rz. 39.
7 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 279; Ebke, WM 1994, 1009; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art.
9 Rom I Rz. 51.
8 Ebke, WM 1993, 1169 (1175).
9 Grundlegend BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330);
bestätigt BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095
Anm. Roth; Ebke, IntDevR, S. 283; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in
MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
10 Ebke, IntDevR, S. 268 (283); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in Münch-
Komm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.

384 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.186 § 5

Die Prüfung von Amts wegen bedeutet keine Amtsermittlung, sie beschränkt sich auf den 5.185
von den Parteien unterbreiteten oder offenkundigen Prozessstoff1. Die Partei, die sich mit
dem Einwand der Unklagbarkeit nach Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen gegen
einen Anspruch verteidigen will, muss schlüssig darlegen, dass der Anspruch mit den Devi-
senkontrollbestimmungen eines anderen Mitgliedstaates unvereinbar ist2. Anschließend ob-
liegt es dem Gläubiger, seinerseits durch eine schlüssige Gegendarstellung Zweifel an der Ver-
einbarkeit des Anspruchs mit den Devisenkontrollbestimmungen auszuräumen3. Das Gericht
hat die Parteien gem. § 139 Abs. 2 ZPO auf Bedenken hinzuweisen4.

Im kontradiktorischen Verfahren trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Vo- 5.186
raussetzungen der Sachurteilsvoraussetzung. Verbleiben Zweifel an der Zulässigkeit der Klage,
trägt der Kläger den Nachteil daraus, dass er die Voraussetzungen des von ihm erstrebten
Sachurteils nicht darzulegen oder zu beweisen vermochte5. Dieses Ergebnis widerspricht der
Rechtsprechung der Mitgliedstaaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises und dem Wort-
laut der maßgeblichen englischen Fassung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen,
die dem Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für seine Voraussetzungen auferlegt6. Die
Rechtsprechung nimmt auf der Grundlage der prozessualen Einordnung der Unklagbarkeit
konsequent als maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen oder das Fehlen der Sachurteils-
voraussetzung den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an; die letzte mündliche
Verhandlung kann auch die Verhandlung in der Revisionsinstanz sein7. Unerheblich sind der
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses8, der Zeitpunkt der Klageerhebung9, der Zeitpunkt der Er-
füllung des Anspruchs10 oder der Zeitpunkt der Vollstreckung11. Diese Grundsätze haben zur
Folge, dass ein ursprünglich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unklagbarer Vertrag klag-
bar wird, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ein Verstoß gegen ab-
kommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen nicht mehr vorliegt12. Diese Situation

1 Ebke, IntDevR, S. 268 (283); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in Münch-
Komm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
2 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, IntDevR,
S. 283.
3 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, IntDevR,
S. 283.
4 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); BGH v.
31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095 Anm. Roth;
Ebke, IntDevR, S. 283.
5 Ebke, IntDevR, S. 283 f.
6 Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, JZ 1991, 338; Ebke, WM 1993, 1171.
7 BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz.
53; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44; Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke,
WM 1993, 1170.
8 Grundlegend BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337 f.) = NJW 1971, 983 =
IPRspr. 1971 Nr. 116b, S. 362 (363 f.); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9
Rom I Rz. 53 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44, beide m.w.N.
9 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz.
53; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.
10 Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53.
11 Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53.
12 BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337 f.) = NJW 1971, 983 = IPRspr. 1971
Nr. 116b, S. 362 (363 f.); Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, RIW 1993, 624; Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO
Rz. 44.

Thode | 385
§ 5 Rz. 5.186 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kann dadurch eintreten, dass die ausländische Devisenkontrollbestimmung vor der letzten
mündlichen Verhandlung entfällt1, der Vertrag bis zu diesem Zeitpunkt nachträglich geneh-
migt wurde2 und der Gläubiger oder der Schuldner in devisenrechtlich erheblicher Weise sei-
ne Staatsangehörigkeit wechselt oder seinen Wohnsitz verlegt3. Nicht anders ist der Fall zu
beurteilen, in dem der Erlassstaat zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Mitglied des IWF
war und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung dem IWF nicht mehr angehört4.
Tritt der ausländische Gläubiger im laufenden Gerichtsverfahren den Anspruch gegen seinen
Schuldner an einen Gebietsansässigen im Lande des Schuldners ab, ist Art. VIII Abschn. 2
(b) S. 1 IWF-Abkommen nicht anwendbar5.

5.187 Höchstrichterlich nicht entschieden und im Schrifttum umstritten ist die Frage der nachträg-
lichen Unklagbarkeit eines Vertrages, der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unbedenk-
lich war, jedoch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegen abkommenskonfor-
me Devisenkontrollbestimmungen verstößt6. Auf Grund der prozessualen Konzeption der
Unklagbarkeit, die bisher von den deutschen Gerichten vertreten wird, kann es nicht darauf
ankommen, ob der Vertrag bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unklagbar war. Maß-
geblich ist auch in diesem Fall der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung7. Dieser
Grundsatz führt dazu, dass auch Verträge von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen
erfasst werden, die vor dem Beitritt eines Staates zum IWF abgeschlossen worden sind und
auf Grund von abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen dieses Staates nach-
träglich unklagbar werden8. Dieses Ergebnis begründet vor allem für Vertragsparteien, deren
Vertrag von einer Rechtsordnung eines der Staaten der ehemaligen Sowjetunion erfasst wird,
ein unkalkulierbares Risiko, weil viele Staaten der ehemaligen Sowjetunion dem IWF beigetre-
ten sind oder beitreten werden9.

5.188 Die Einordnung der Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung hat unmittelbar Folgen für die
Hemmung der Verjährung in einem internationalen Zivilprozess. Die Frage, ob die Klage vor
einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland die Verjährung hemmen kann und welche Fol-
gen der Stillstand des Verfahrens vor einem innerstaatlichen Gericht hat, richtet sich nach deut-
schem Recht10. Das für die Forderung maßgebliche Vertragsstatut11 entscheidet darüber, ob die

1 Ebke, WM 1993, 1170 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in
MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.
2 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.
3 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.
4 Ebke, IntDevR, S. 282 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55.
5 BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520 = IPRspr. 1979 Nr. 139, S. 473 (474); Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55.
6 Ebke, WM 1993, 1169 (1170) m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in
MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44, jeweils m. Nachw. des Diskussionsstandes im
Schrifttum.
7 So auch Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR,
S. 282; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu
Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.
8 Vgl. Ebke, WM 1993, 1169 (1171); Ebke, IntDevR, S. 282 m.w.N.
9 Ebke, WM 1993, 1171; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 57.
10 Ebke, IntDevR, S. 284 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 79.
11 Art. 12 Abs. 1 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, vgl. hierzu Rz. 3.236; sowie Spellenberg in MünchKomm,
Art. 12 Rom I-VO Rz. 101.

386 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.189 § 5

nach deutschem Recht eingetretenen Hemmungswirkungen die Verjährung hemmen können1.


Aufgrund der prozessualen Einordnung der Unklagbarkeit ergeht im deutschen Zivilprozess ein
klagabweisendes Prozessurteil2. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass eine Unterbre-
chung der Verjährung nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. eintritt3. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB würde
eine Hemmung der Verjährung die Folge der Unklagbarkeit der Forderung sein4.

IV. Reformvorschlag: Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit


1. Einführung
In der seit 1990 erschienenen Literatur ist die Einordnung des Merkmals „unenforceable“ auf 5.189
wachsende Kritik gestoßen5. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind erste Hinweise
enthalten, die auf eine mögliche Änderung der bisherigen Rechtsprechung hindeuten6. Zwei
Senate des BGH7 haben sich in obiter dicta von der bisherigen Rechtsprechung distanziert
und auf eine mögliche Korrektur der Rechtsprechung i.S.d. Vorschläge von Ebke8 hingewie-
sen9. Von der Literatur wird vor allem beanstandet, dass die sich aus der prozessualen Einord-
nung ergebenden Konsequenzen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes der Unklagbar-
keit10, der Berücksichtigung von Amts wegen11, der Darlegungs- und Beweislast12, der Verjäh-

1 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41.


2 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
3 Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41.
4 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41.
5 Vgl. etwa Bross, WM 1993, 83 f.; Ebke, IntDevR, S. 202–311; Ebke, JZ 1991, 335; Ebke, RIW 1991, 2;
Ebke, WM 1993, 1169; Ebke, WM 1994, 1357; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48 ff.;
Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624; Fuchs, IPRax 1992, 362; Seuß, S. 114 passim; Thode, ZBB 1993, 53
(54); Thode, RabelsZ 56 (1992), 382 (385); Martiny, Int.Lawyer 26 (1992), 255 (257); Ebke in Staudin-
ger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 63 ff.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.
6 OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 (1943) (Anm. Reith-
mann, WuB VII B 2. – 1.93); zu den Einzelheiten dieser Entscheidung s. Ebke, RIW 1993, 631, die
Revision gegen diese Entscheidung hat zu der sog. Bulgarien-Entscheidung des II. Zivilsenats des
BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 geführt, NJW 1994, 390 =
IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. –
1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665).
7 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm.
Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993,
1169); BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 =
IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. –
1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665); zur Entscheidung des Berufungsgerichts
(OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 [1943]) vgl. Anm.
Reithmann, WuB VII B 2. – 1.93.
8 Ebke, IntDevR, S. 276 ff. (283 ff.); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 74 ff.
9 Ebke, WM 1993, 1169; Thode, WuB VII B 2. – 1.94.
10 Ebke, IntDevR, S. 296–305; Ebke, RIW 1991, 6 f.; Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, WM 1993, 1169
(1175 f.); Ebenroth/Weiss, RIW 1991, 624; Seuß, S. 120–125; der tendenziell polemische Versuch
von Gehrlein, die herkömmliche prozessuale Einordnung gegen die fundierte Kritik zu verteidigen,
ist insgesamt missglückt: Ausschluss der Klagbarkeit einer Forderung kraft IWF-Übereinkommen,
DB 1995, 129; zu den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185; zum Reformvorschlag
vgl. Rz. 5.189 ff.
11 Ebke, IntDevR, S. 276–283; Ebke, RIW 1991; Ebke, WM 1993, 1174 f.
12 Ebke, IntDevR, S. 284; Ebke, JZ 1991, 338; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1172); zu
den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185 f.; zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.192.

Thode | 387
§ 5 Rz. 5.189 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

rung1 und der akzessorischen Sicherungsrechte2 zu einer international uneinheitlichen Aus-


legung vor allem im Vergleich zu den wichtigen kapitalexportierenden Staaten des anglo-ame-
rikanischen Rechtskreises führt3. Die Literatur beklagt zu Recht, dass diese Konsequenzen, die
sich im Vergleich mit der anglo-amerikanischen Rechtsprechung insgesamt gläubigerfeindlich
und damit nachteilig für die kapitalexportierenden Staaten auswirken, einen beachtlichen
Wettbewerbsnachteil der Bundesrepublik als Finanzplatz und als Forum für Streitigkeiten aus
„exchange contracts“ begründen4. Der Reformvorschlag, den Begriff „unenforcable“ mate-
riell-rechtlich als unvollkommene Verbindlichkeit und prozessual als Einrede einzuord-
nen, führt zu der wünschenswerten Angleichung der Rechtslage nach deutschem Recht an die
Rechtsprechung der Gerichte des anglo-amerikanischen Rechtskreises5.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Unklagbarkeit


5.190 Der auf Grund der prozessualen Einordnung maßgebliche Zeitpunkt, die letzte mündliche
Verhandlung, benachteiligt vor allem den Gläubiger in den Fällen, in denen ein Staat nach
Abschluss eines „exchange contracts“ und vor der letzten mündlichen Verhandlung eine ab-
kommenskonforme Devisenkontrollbestimmung erlässt oder dem IWF-Abkommen beitritt6.
Dagegen erlaubt die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit im Gegensatz zur tradi-
tionellen prozessualen Einordnung eine differenzierende Lösung, die das berechtigte Vertrau-
en des Gläubigers auf die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs aus einem „exchange contract“
schützt, der beim Abschluss des Vertrages devisenrechtlich unbedenklich war7. Wird die bei
Abschluss des Vertrages dem Anspruch entgegenstehende abkommenskonforme Devisenkon-
trollbestimmung aufgehoben, der Vertrag nachträglich genehmigt oder tritt der Erlassstaat
nachträglich aus dem IWF aus, entfällt der Mangel der Unklagbarkeit mit der Folge, dass der
Gläubiger aus dem „exchange contract“ erfolgreich klagen kann, sofern der Vertrag wirksam
ist und dem Anspruch nicht andere Einwendungen oder Einreden entgegenstehen8. Wird hin-
gegen nach Abschluss eines „exchange contracts“ von einem Mitgliedstaat eine abkommens-
konforme Devisenkontrollbestimmung eingeführt oder wird der Erlassstaat Mitglied des IWF,
wird das begründete Vertrauen des Gläubigers auf die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs
nach der traditionellen Rechtsprechung der deutschen Gerichte nicht geschützt (vgl.
Rz. 5.186 f.). Das für einen Gläubiger in dieser Situation untragbare Ergebnis lässt sich mithil-
fe der Rechtsfigur der unvollkommenen Verbindlichkeit in der Weise vermeiden, dass in die-
sen Fällen als maßgeblicher Zeitpunkt nicht die letzte mündliche Verhandlung, sondern der

1 Ebke, IntDevR, S. 284 f.; Ebke, JZ 1991, 338 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1177);
zu den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185 f.; zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.193.
2 Ebke, IntDevR, S. 288–292; Ebke, WM 1993, 1169 (1172); zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.194.
3 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1172).
4 Vgl. BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, Int-
DevR, S. 283.
5 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1177 f.); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I
Rz. 74 ff.
6 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, WM 1993, 1169 (1170 f., 1173, 1176); Ebenroth/
Neiss, RIW 1991, 624 f.; lediglich Gehrlein, DB 1995, 129 (133 f.) wertet dieses Ergebnis als sach-
gerecht.
7 Ebke, IntDevR, S. 303 f.; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Ebke, RIW 1991, 6 f.
8 Ebke, IntDevR, S. 303 f.; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Ebke, RIW 1991, 6 f.

388 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.193 § 5

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zugrunde gelegt wird1. Diese Lösung ist, wie Ebke nach-
gewiesen hat, mit dem IWF-Abkommen vereinbar2.

3. Berücksichtigung im Prozess
Die wünschenswerte Angleichung der deutschen Rechtsprechung an die Praxis der IWF-Mit- 5.191
gliedstaaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises3 wird nur dadurch erreicht, dass die Un-
klagbarkeit als unvollkommene Verbindlichkeit im Prozess als verzichtbare Einrede der Un-
zulässigkeit der Klage angesehen wird4. Diese Lösung eröffnet dem Schuldner die Möglich-
keit, selbst zu entscheiden, ob er sich auf das Gegenrecht der Unklagbarkeit berufen oder ob
er den „exchange contract“ trotz eines Verstoßes gegen eine abkommenskonforme Devisen-
kontrollbestimmung gegen sich gelten lassen will.

4. Darlegungs- und Beweislast


Die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit, die im Prozess nur auf die Einrede des 5.192
Schuldners zu berücksichtigen ist5, führt zu einer Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
zu Lasten des Schuldners, die dem Wortlaut des Abkommens und der Rechtspraxis in den
USA entspricht6. Bei einer Einordnung als prozesshindernde Einrede ist die Unklagbarkeit im
Prozess nur zu beachten, wenn der Schuldner als Beklagter oder im Falle der Prozessaufrech-
nung mit einer unklagbaren Forderung der Kläger die Einrede geltend macht. Der Schuldner
trägt nach deutschem Prozessrecht die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen
der von ihm erhobenen Einrede, verbleibende Zweifel an dem Vorliegen dieser Voraussetzun-
gen gehen zu seinen Lasten7.

5. Verjährungshemmung im Prozess
Die Einordnung der Unklagbarkeit als unvollkommene Verbindlichkeit führt auch hinsichtlich 5.193
der Verjährungshemmung im Prozess zu einer im Vergleich mit den Folgen der traditionellen
Rechtsprechung (vgl. Rz. 5.188) günstigeren Rechtsposition des Klägers, die zu einer interna-
tional einheitlicheren Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen beiträgt8.
Die Einrede führt, wenn der Schuldner die Einrede der Unklagbarkeit erfolgreich geltend
macht, zu einer Abweisung der Klage als derzeit unbegründet mit der Folge, dass die Klage
die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmt. Diese verjährungsrechtlichen Folgen ent-

1 OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 (1943) in einem obiter
dictum; Ebke, IntDevR, S. 304 f.; auf der Grundlage der prozessualen Einordnung Ebenroth/Neiss,
RIW 1991, 614 und Unteregge, S. 54–56 sowie Gehrlein, DB 1995, 129 (132 ff.); vgl. hierzu die
berechtigte Kritik von Ebke, WM 1993, 1173, dass der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der
prozessualen Einordnung unvereinbar ist.
2 Ebke, IntDevR, S. 233–237 (302 f.); Ebke, RIW 1991, 5–7; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Martiny
in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44; a.A. nur Gehrlein, DB 1995, 129 (133).
3 Ebke, JZ 1991, 338 m.w.N.
4 Ebke, IntDevR, S. 277; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174).
5 Ebke, IntDevR, S. 283 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Ebke in Staudinger,
Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 59.
6 Ebke, IntDevR, S. 283 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Ebke in Staudinger,
Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 59 f.; a.A. lediglich Gehrlein DB 1995, 129 (133).
7 Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Fuchs, IPRax 1992, 362; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I
Rz. 59 f.
8 Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1171).

Thode | 389
§ 5 Rz. 5.193 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sprechen der Zielsetzung des Abkommens; der Gläubiger soll nur daran gehindert werden,
seinen Anspruch während der Dauer eines Verstoßes gegen eine abkommenskonforme Devi-
senkontrollbestimmung durchzusetzen. Da die Unklagbarkeit typischerweise zeitlich begrenzt
ist1, wird dem berechtigten Interesse des Gläubigers an der Hemmung der Verjährung und
der späteren Durchsetzung seines Anspruchs nach dem Wegfall der Unklagbarkeit nur genügt,
wenn die Klage durch Sachurteil als derzeit unbegründet abgewiesen wird2.

6. Akzessorische Sicherungsrechte
5.194 Der traditionellen Rechtsprechung ist es bisher nicht gelungen, auf der Grundlage der prozes-
sualen Einordnung des Begriffes „unenforceable“ eine tragfähige Begründung dafür zu ent-
wickeln, dass akzessorische Sicherungs- und Hilfsgeschäfte sowie dingliche Sicherheiten3, die
der Sicherung einer unklagbaren Forderung dienen, ebenfalls nicht durchsetzbar sind4. Nach
dem Sinn und Zweck des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind auch derartige
Geschäfte, die zur Sicherung einer unklagbaren Forderung dienen, unklagbar i.S.d. Art. VIII
Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen5. Die prozessuale Einordnung bietet für dieses abkom-
menskonforme Ergebnis im Unterschied zur Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit
keine tragfähige Grundlage. Die Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung bezieht sich nur
auf den der Klage zugrunde liegenden „exchange contract“. Eine Erstreckung der Sachurteils-
voraussetzung dieser Klage auf die Klage auf der Grundlage einer Sicherung für einen „ex-
change contract“ lässt sich deshalb nicht begründen, weil die Sicherungs- und Hilfsgeschäfte
selbst keine „exchange contracts“ sind. Die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit
führt unmittelbar dazu, dass Sicherungs- und Hilfsgeschäfte, die der Sicherung einer derartigen
Verbindlichkeit dienen, nicht durchsetzbar sind, weil die Unvollkommenheit der gesicherten
Forderung einer Durchsetzung der zu ihrer Sicherung begründeten Forderung entgegensteht6.

V. Autonomes Recht
1. Anwendungsvoraussetzungen
5.195 Die Beachtung ausländischer Devisenvorschriften7, die nicht dem IWF-Abkommen unterlie-
gen, richtet sich nach dem autonomen internationalen Devisenrecht (vgl. Rz. 5.156)8. Von
dem Abkommen nicht erfasst werden Devisenvorschriften von Nichtmitgliedstaaten des IWF9
(vgl. Rz. 5.156), Regelungen eines Mitgliedstaates zur Kontrolle von Kapitalbewegungen (vgl.
Rz. 5.162, Rz. 5.169), Geschäfte des Kapitalverkehrs (vgl. Rz. 5.162, Rz. 5.170) und erbrecht-

1 Ebke, WM 1993, 1177.


2 Ebke, WM 1993, 1169 (1171); zur vergleichbaren Situation einer Abweisung einer Klage auf
Grund mangelnder Fälligkeit vgl. BGH v. 27.10.1994 – VII ZR 217/93, MDR 1995, 469 = NJW
1995, 399 m.w.N. sowie BGH v. 11.2.1999 – VII ZR 399/97, MDR 1999, 671 = NJW 1999, 1867.
3 Hierzu gehören: Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen, Schuldübernahmen, Vereinbarungs-
darlehen, Wechsel- und Scheckverbindlichkeiten, Bürgschaften, Garantieverträge, Sicherungsüber-
eignungen, Grundschulden, Hypotheken u.a.; vgl. Ebke, IntDevR, S. 288–292, 306 m.w.Bsp.
4 Ebke, IntDevR, S. 288–292; Ebke, WM 1993, 1172; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 62;
a.A. lediglich Gehrlein, DB 1995, 129 (133).
5 Ebke, IntDevR, S. 306.
6 Ebke, IntDevR, S. 305–308.
7 Zur Begriffsbestimmung vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I Rz. 48; Ebke in
Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81 f.
8 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81 f.
9 Ebke, IntDevR, S. 312 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81.

390 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.198 § 5

liche Ansprüche1 sowie familienrechtliche Unterhaltsansprüche2. Soweit die Anwendung des


IWF-Abkommens eröffnet ist, hat Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen Vorrang vor
dem autonomen internationalen Devisenrecht (vgl. Rz. 5.156, Rz. 5.195). Ausländisches Devi-
senrecht, das nicht vom IWF-Abkommen erfasst wird, ist nur zu beachten, wenn eine ge-
schriebene oder ungeschriebene Kollisionsnorm des autonomen Rechts deren Beachtung
vorschreibt. Der internationale Geltungsanspruch einer ausländischen Norm genügt allein
nicht für eine Anwendung der ausländischen Norm im Inland oder für ihre materiell-recht-
liche Berücksichtigung im internen Vertragsrecht in den Fällen, in denen als Vertragsstatut
das deutsche Recht berufen ist.

2. Rom I-VO
Die kollisionsrechtliche Beachtlichkeit ausländischer und inländischer Devisenvorschriften 5.196
nach dem autonomen internationalen Devisenrecht unterliegt für Verträge nach dem
17.12.2009 den Regelungen der Rom I-VO. Die bis dahin weitgehend ungeklärte3 kollisions-
rechtliche Beachtlichkeit ausländischer und inländischer zwingender Devisenvorschriften
wird durch Art. 9 Rom I-VO geregelt (vgl. Rz. 5.26 f.).

Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 des IWF-Abkommens ist eine Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 5.197
Rom I-VO (vgl. Rz. 5.66, Rz. 5.153). Mit dem Inkrafttreten des Ratifikationsgesetzes zum IWF-
Abkommen wurde eine inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geschaffen
(vgl. Rz. 5.66, Rz. 5.153). Die Regelung verpflichtet die inländischen Gerichte, ausländische De-
visenverbote unabhängig von dem Recht zu beachten, das auf den Vertrag anwendbar ist.

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Anwendbares internationales Devisenrecht

a) Bei Verträgen, die grenzüberschreitende Transaktionen vorsehen, ist die Frage zu klären, 5.198
ob (s. Rz. 5.156, Rz. 5.195)
– das vorrangig vor dem autonomen internationalen Devisenrecht geltende IWF-Abkom-
men (unten 2., 3.) oder
– das autonome internationale Devisenrecht anwendbar ist (unten 4.).
b) Das IWF-Abkommen ist nur anwendbar unter folgenden Voraussetzungen:
– Devisenkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates des IWF (s. Rz. 5.156, Rz. 5.172 ff.);
– Devisenbestimmungen, die dem IWF-Abkommen unterliegen (s. Rz. 5.172 ff.);
– Berührung der Währung eines Mitgliedstaats des IWF (s. Rz. 5.172).
c) Das autonome internationale Devisenrecht ist anwendbar unter folgenden Voraussetzungen:
– Devisen- oder Kapitalkontrollbestimmungen eines Staates, der nicht oder nicht mehr
Mitglied des IWF ist (s. Rz. 5.173, Rz. 5.175);
– Kapitalkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates (s. Rz. 5.176);

1 Ebke, IntDevR, S. 313; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81.
2 Ebke, IntDevR, S. 313; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81.
3 Hierzu grundlegend Ebke, IntDevR, S. 312–334 sowie Unteregge, S. 59–153.

Thode | 391
§ 5 Rz. 5.198 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

– Geschäfte des Kapitalverkehrs (s. Rz. 5.195);


– erbrechtliche Ansprüche (s. Rz. 5.195);
– familienrechtliche Ansprüche (s. Rz. 5.195).

2. Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen


5.199 a) Devisenkontrakt
aa) Grundsatz: ein Devisenkontrakt liegt vor, wenn es sich um einen Austauschvertrag (2)
handelt, der Zahlungen für laufende Transaktionen (1) vorsieht.
(1) Die Vereinbarung über Zahlungen oder den Transfer von Valuta:
– Vereinbarung der Parteien über die Zahlung oder den Transfer in ausländischer
oder eigener Währung (s. Rz. 5.162);
– Zahlungen für laufende Transaktionen im Unterschied zu Geschäften des Kapital-
verkehrs (s. Rz. 5.162 f.).
(2) Der Austauschvertrag:
– gegenseitiger Vertrag oder
– ein Vertragsverhältnis, in dem Leistung und Gegenleistung in einer finalen oder
kausalen Wechselbeziehung stehen (s. Rz. 5.165, Rz. 5.171).
bb) Einem Devisenkontrakt stehen gleich:
– Ansprüche aus unerlaubter Handlung wegen Nichterfüllung des verbotenen Geschäftes;
– Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, mit denen das auf ein verbotenes
Geschäft Geleistete zurückgefordert wird (s. Rz. 5.169).
cc) Keine Devisenkontrakte sind:
– dingliche Rechtsgeschäfte, deren Rechtswirkungen unmittelbar eintreten (s. Rz. 5.169);
– langfristige Kreditverträge und Verträge über langfristige Auslandsinvestitionen (s.
Rz. 5.170).
b) Berührung der Währung eines Mitgliedstaates
aa) Die vereinbarte Transaktion wirkt sich auf die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates
positiv oder negativ aus (s. Rz. 5.173);
bb) unerheblich ist die Schuld- oder Zahlungswährung, die Staatsangehörigkeit der Ver-
tragsparteien und die Gebietsansässigkeit einer Partei im Erlassstaat der Devisenkon-
trollbestimmung (s. Rz. 5.173 f.).
c) Devisenkontrollbestimmungen
aa) Devisenkontrollbestimmungen liegen vor, wenn sie unmittelbar die allgemeine Verfüg-
barkeit oder die konkrete Verwendung von Devisen beschränken (s. Rz. 5.176).
bb) Umstritten sind Bestimmungen aus Gründen der nationalen oder internationalen Si-
cherheit (s. Rz. 5.178).
cc) Keine Devisenkontrollbestimmungen sind Beschränkungen des internationalen Kapi-
talverkehrs (s. Rz. 5.179).

392 | Thode
F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.200 § 5

d) Abkommenskonformität der Devisenkontrollbestimmungen


aa) Die Abkommenskonformität ist gegeben, wenn (s. Rz. 5.180)
– Devisenkontrollbestimmungen nach dem Beitritt des Erlassstaates zum IWF in
Übereinstimmung mit dem Abkommen aufrechterhalten werden oder wenn
– Devisenkontrollbestimmungen nach dem Beitritt mit Genehmigung des IWF einge-
führt werden.
bb) Die Feststellung der Abkommenskonformität lässt sich in Zweifelsfällen verlässlich
nur auf Grund einer Auskunft des IWF treffen (s. Rz. 5.180).
e) Verstoß gegen abkommenskonforme Kontrollbestimmungen (s. Rz. 5.181)
aa) Beurteilungsgrundlage: das Recht des Erlassstaates;
bb) objektiver Verstoß unabhängig vom Verschulden oder der Kenntnis der Parteien;
cc) die Sanktion des Abkommens tritt ein unabhängig von den Sanktionen des Erlassstaates.

3. Rechtsfolge des Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen

a) Die Rechtsfolge wird durch die Rechtsprechung bisher als Sachurteilsvoraussetzung einge- 5.200
ordnet (vgl. aber unten c) (s. Rz. 5.183).
b) Die Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung hat folgende Konsequenzen:
– die Voraussetzung ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen;
– im kontradiktorischen Verfahren trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür,
dass die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abk. nicht vorliegen;
– bei einem Verzichtsurteil und bei einem Versäumnisurteil gegen den Kläger trägt der
Beklagte die Darlegungs- und Beweislast (s. Rz. 5.186);
– der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen oder Fehlen der Sachurteilsvoraussetzung
ist die letzte mündliche Verhandlung und nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
(s. Rz. 5.186);
– die Hemmung durch das klagabweisende Prozessurteil endet sechs Monate nach der
rechtskräftigen Entscheidung (s. Rz. 5.188).
c) Hingegen hat die Einordnung der Rechtsfolge als prozessuale Einrede einer unvollkom-
menen Verbindlichkeit (Tendenz der neueren BGH-Rspr.) folgende Konsequenzen (s.
Rz. 5.189):
– die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind nur auf die
Einrede des Schuldners hin zu prüfen (s. Rz. 5.191);
– der Schuldner trägt in allen Verfahren die Darlegungs- und Beweislast für die Voraus-
setzungen (s. Rz. 5.192);
– der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen oder Fehlen der Voraussetzungen ist der
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (s. Rz. 5.190);
– die Klage führt, wenn sie auf Grund der Einrede als derzeit unbegründet abgewiesen
wird, zur Hemmung der Verjährung (s. Rz. 5.193).

Thode | 393
§ 5 Rz. 5.200 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Autonomes internationales Devisenrecht

5.201 a) Das autonome internationale Devisenrecht ist nur anwendbar, soweit das IWF-Abkommen
nicht gilt (vgl. oben 1.c) (s. Rz. 5.195).
b) Die kollisionsrechtliche Beachtlichkeit ausländischer Devisenvorschriften unterliegt Art. 9
Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 5.196 ff.).

G. Formvorschriften

Literatur (allgemein): Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG, 8. Aufl. 2020; Frenz/Miermeister, BNotO,


5. Aufl. 2020; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020; Goette, Auslandsbeurkundun-
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2020, 391; Hertel in Staudinger, BeurkG (2017); Hertel in Staudinger, BGB, Buch 1: Allgemeiner Teil:
§§ 125 – 129 BGB (2017); Hertel in Meikel, GBO, Einl. G, Internationale Bezüge im Grundbuchver-
kehr, 12. Aufl. 2021; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, zu § 415 ZPO; König/Steffes-Hollän-
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Reithmann, Beurkundung, Beglaubigung, Bescheinigung durch inländische und ausländische Notare,
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vatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 7 Form von Rechtsgeschäften, 3. Aufl. 2017; Schaub in
Bauer/Schaub, GBO, Allgemeiner Teil, K. Internationale Bezüge im Grundstücksrecht, 4. Aufl. 2018;
Schreiber in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, zu § 415 ZPO; Schulze in Ferrari/Kienin-
ger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, zu
Art. 11 Rom I-VO; Spellenberg in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, zu Art. 11
EGBGB; Spellenberg in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 13, 8. Aufl. 2021, zu Art. 11 Rom I-
VO; Stürner in Erman, BGB, Bd. II, 16. Aufl. 2020, zu Art. 11 EGBGB; Stelmaszczyk, Beurkundung
einer GmbH-Gründung im Ausland, GWR 2018, 103; Stelmaszczyk/Kienzle, Die Onlinegründung der
GmbH nach dem DiRUG, GmbHR 2021, 849; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbH digital – Online-Grün-
dung und Online-Verfahren für Registeranmeldungen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zum DiRUG, ZIP 2021, 765; Stürner, Die notarielle Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, DNotZ
1995; Süß in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2015; v. Hein in
Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einleitung zum Internationalen Privatrecht;
J. Weber, GmbH-Gründung und Auslandsbeurkundung, MittBayNot 2018, 215; Wicke, Auslands-
beurkundung: Eintragung einer deutschen GmbH nach Beurkundung der Gründung durch schweize-
rischen Notar aus dem Kanton Bern, GmbHR-Kommentar, GmbHR 2018, 380; Winkler, BeurkG,
19. Aufl. 2019; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, EGBGB/IPR: Internationales Recht der natürli-

394 | Thode und Reitmann/Stelmaszczyk


G. Formvorschriften | Rz. 5.201 § 5

chen Personen und der Rechtsgeschäfte (2019), zu Art. 11 EGBGB; Winkler von Mohrenfels in Stau-
dinger, EGBGB/IPR: Internationales Vertragsrecht 2 (2016), zu Art. 11 Rom I-VO.
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ermöglicht privatschriftliche Verfügungen über Geschäftsanteile, NZG 2007, 60; Altmeppen, GmbHG,
10. Aufl. 2021; Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019; Bayer, Übertragung von GmbH-Geschäfts-
anteilen im Ausland nach der MoMiG-Reform, GmbHR 2013, 897; Böttcher/Blasche, Die Übertragung
von Geschäftsanteilen deutscher GmbHs in der Schweiz vor dem Hintergrund der Revision des
Schweizer Obligationenrechts, NZG 2006, 76; Bungert, Der internationale Anwendungsbereich von
§ 15 Abs. 3 und 4 GmbHG, DZWiR 1993, 494; Großfeld/Berndt, Die Übertragung deutscher GmbH-
Anteile im Ausland, RIW 1996, 632; Heckschen, Auslandsbeurkundung: Ausländischer Notar kann
unter eingeschränkten Voraussetzungen Gesellschafterliste einreichen, BB-Kommentar, BB 2014, 466;
Herrler, Zuständigkeit des ausländischen Notars zur Einreichung der Gesellschafterliste – (k)ein Vehi-
kel zur Klärung der Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung, GmbHR 2014, 225; Herrler, Offene Fra-
gen rund um die Gesellschafterliste: Einreichungszuständigkeit, registergerichtliches Prüfungsrecht
und Publizitätswirkungen, GmbHR 2013, 617; Kindler, Geschäftsanteilsabtretungen im Ausland und
notarielle Pflicht zur Einreichung der Gesellschafterliste, RIW 2011, 257; König/Götte/Bormann, Das
Formstatut für die dingliche Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen nach geltendem und künftigem
Recht, NZG 2009, 881; Kort, Gesellschafterliste, Gesellschafterstellung und gutgläubiger Anteilserwerb,
GmbHR 2009, 172; Lieder/Ritter, Neues aus Karlsruhe zur Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung?,
notar 2014, 187; Link, Formerfordernisse des § 15 GmbHG bei internationalen Transaktionen, BB
2014, 579; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt,
GmbHG, 3. Aufl. 2017; Münchener Kommentar zum GmbHG, Bd. 1, 3. Aufl. 2018; Odendahl, Die
Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen vor ausländischen Notaren RIW 2014, 189; Peters, Ist die Be-
urkundung von GmbH-Geschäftsanteilsübertragungen in der Schweiz Rechtsgeschichte?, DB 2010,
97; Reithmann, Mitwirkung des ausländischen Notars bei der Geschäftsanteilsabtretung nach dem
MoMiG (Form des Verpflichtungs- und des Verfügungsgeschäfts), GmbHR 2009, 699; Schervier, Beur-
kundung GmbH-rechtlicher Vorgänge im Ausland, NJW 1992, 593; Scholz, GmbHG, Bd. 1, 12. Aufl.
2018; Süß, Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen vor dem Basler Notar, DNotZ 2011, 414; Süß in
Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2015; Wicke, GmbHG,
4. Aufl. 2020; Wicke, Einreichung der GmbH-Gesellschafterliste durch ausländischen Notar?, DB
2013, 1099; Wicke, Die Bedeutung der Beurkundung im GmbH-Recht ZIP 2006, 977; Winkler, Über-
tragung eines GmbH-Geschäftsanteils, Rpfleger 1978, 44; Wolfsteiner, Auslandsbeurkundung der Ab-
tretung von Geschäftsanteilen an einer deutschen GmbH, DNotZ 1978, 532.
An ausländischen Gesellschaften: Bungert, Der internationale Anwendungsbereich von § 15 Abs. 3
und 4 GmbHG, DZWiR 1993, 494; Depping, Beurkundungspflicht bei der Übertragung von Anteilen
an ausländischen Kapitalgesellschaften, GmbHR 1994, 386; Dutta, Formfragen bei Schuldverträgen
über ausländische Gesellschaftsanteile, RIW 2005, 98; Gätsch/Schulte, Notarielle Beurkundung bei der
Veräußerung von Anteilen an ausländischen Gesellschaften mbH in Deutschland, ZIP 1999, 1909;
Kalss, Grenzüberschreitendes zur Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen, in FS Priester (2007),
S. 353; Kralik, Auslandsbeurkundung bei Abtretung von österreichischen Geschäftsanteilen, IPRax
1990, 255; Link, Formerfordernisse des § 15 GmbHG bei internationalen Transaktionen, BB 2014,
579; Merkt, Vertragsform beim Kauf von Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, ZIP 1994,
1417; Reithmann, Formerfordernisse bei Verträgen über Beteiligungen an ausländischen Gesellschaf-
ten für Grundstücke im Ausland, NZG 2005, 873; Schönherr, Kann ein deutscher Notar die Übertra-
gung von Geschäftsanteilen einer österreichischen GmbH rechtswirksam beurkunden?, GesRZ 1985,
60; Wagner, Abtretung von Geschäftsanteilen einer österreichischen GmbH, DNotZ 1985, 80; Wrede,
Zur Beurkundungspflicht bei der Übertragung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesell-
schaft, GmbHR 1995, 365.
Literatur zu umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen: Herrler, Beurkundung von statusrele-
vanten Rechtsgeschäften im Ausland, NJW 2018, 1787; Hushahn, Grenzüberschreitende Formwechsel
im EU/EWR-Raum – die identitätswahrende statuswechselnde Verlegung des Satzungssitzes in der
notariellen Praxis, RNotZ 2014, 137; Klein, Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesell-
schaften, RNotZ 2007, 565; Kleba, Die grenzüberschreitende Spaltung von Kapitalgesellschaften aus

Reitmann/Stelmaszczyk | 395
§ 5 Rz. 5.201 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

deutscher Sicht, RNotZ 2016, 273; Lieder, Auslandsbeurkundung umwandlungsrechtlicher Struktur-


maßnahmen, ZIP 2018, 1517; Limmer, Grenzüberschreitende Umwandlungen, ZNotP 2007, 242; Stel-
maszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda – Teil 1; Der Konzern
2021, 1; Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda – Teil 2, Der
Konzern 2021, 48; Stelmaszczyk, Der grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften
nach geltendem und künftigem Recht – Teil 1, notar 2021, 107; Stelmaszczyk, Der grenzüberschreiten-
de Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach geltendem und künftigem Recht – Teil 2, notar 2021,
146; Stelmaszczyk, Beurkundung einer inländischen Verschmelzung im Ausland, RNotZ 2019, 177;
Tebben, Zur Substitution der notariellen Beurkundung bei Umwandlungsvorgängen, GmbHR 2018,
1190.

I. Form des Rechtsgeschäfts


5.202 Erfordernisse, die an ein Rechtsgeschäft zu stellen sind, sind in den materiellen Vorschriften
der nationalen Rechte begründet. Dort ist auch deren Durchsetzung, z.B. mit der Sanktion der
Nichtigkeit nach § 125 BGB, begründet. Die Rom I-VO begründet weder Formvorschriften
noch die Sanktion bei Nichtanwendung, sondern schränkt dies bei solchen Erfordernissen
ein, die in Art. 11 Rom I-VO als „Formvorschriften“ bezeichnet werden. Diese Vorschrift ist
autonom und damit unionsrechtlich auszulegen1.

1. Formerfordernisse i.S.d. Art. 11 Rom I-VO


5.203 Es geht darum, welche Erfordernisse „europaübergreifend“ als weniger wichtig (oder doch als
austauschbar) erscheinen. Darunter fallen Erfordernisse, welche die schriftliche Abfassung der
Erklärung und die Beiziehung einer Urkundsperson verlangen. Es geht um den Schutz des
Erklärenden vor Übereilung und Irrtum, aber auch um die Sicherung des Rechtsverkehrs. Die-
se Erfordernisse fallen jedenfalls unter Art. 11 Rom I-VO. Sie sind an die Abgabe der Erklä-
rung gebunden und zu unterscheiden von Erfordernissen, von denen der Zugang der abge-
gebenen Erklärung abhängig gemacht wird, oder auch das Zustandekommen eines Vertrages
durch mehrere Erklärungen.

5.204 Die Meinung2, Formvorschriften seien (jedenfalls bei Verträgen mit Auslandsberührung)
grundsätzlich abdingbar, wird gerade durch die Existenz des Art. 11 Rom I-VO widerlegt.
Diese Vorschrift will die Anwendung von Formvorschriften nicht grundsätzlich ausschließen,
sondern detailliert regeln: Sollen alle Vertragserfordernisse eines Vertrages oder eines Teils des
Vertrages durch Rechtswahl abbedungen werden, so schließt dies auch die Formerfordernisse
des ausgeschlossenen Rechts ein. Was Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO unter „Teil eines Vertrages“
versteht, regelt die Rom I-VO nicht. Jedenfalls muss es sich um einen abspaltbaren Teil des
Vertrages handeln (s. Rz. 5.226).

5.205 Es geht aber immer um den Vertrag (oder einen Teil desselben), nicht um den Teil einer ge-
wählten oder abgewählten Rechtsordnung. Art. 11 Rom I-VO bedeutet keinesfalls eine grund-
sätzliche Negierung von Erfordernissen, wenn diese als „Formerfordernisse“ bezeichnet wer-
den. Vielmehr lässt diese Bestimmung eines von mehreren Formerfordernissen genügen. An-
stelle des Erfordernisses des einen Rechts kann die Erfüllung des Erfordernisses des anderen
Rechts genügen, unter den Voraussetzungen des Art. 11 Rom I-VO.

1 Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 11 Rom I-VO Rz. 8; eingehend zur unionsautonomen Aus-
legung der ROM I-VO Martiny in MünchKomm, Vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 24 ff.
2 Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 11 Rom I-VO Rz. 6.

396 | Reitmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.211 § 5

2. Beurkundung als Formerfordernis


Das Erfordernis der notariellen Beurkundung (vgl. § 128 BGB) verlangt das materielle Recht 5.206
für einzelne Vertragstypen, z.B. für den schuldrechtlichen Vertrag, der zur Übertragung eines
Grundstücks (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB) oder eines GmbH-Geschäftsanteils (§ 15 Abs. 4 S. 1
GmbHG) verpflichtet, indem es „notarielle Beurkundung“ (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB) oder „no-
tarielle Form“ (§ 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG) verlangt1. Den Inhalt dieser „Form“ bestimmt das
BGB nicht selbst (auch nicht in § 128 BGB), sondern nimmt auf das Beurkundungsgesetz Be-
zug.

In diesen Bestimmungen ist die materiell-rechtliche Wirkung der Beurkundung geregelt. 5.207
Dem Verfahren der Beurkundung kommt darüber hinaus auch beweisrechtliche Bedeutung
zu: Die im Verfahren der Beurkundung erstellte Urkunde erbringt nach § 415 ZPO „vollen
Beweis“ über Abschluss und Inhalt des beurkundeten Vertrages.

Den Begriff der „Beurkundung“ enthielten schon die Landesgesetze und dem folgend das 5.208
Reichsrecht (FGG von 1879) und meinten damit das Verfahren der Niederlegung von wahr-
genommenen Tatsachen in einem Protokoll (§§ 168 ff. FGG).

Die Durchführung dieses Verfahrens blieb bis Ende 1969 (teilweise) landesrechtlich geregelt. 5.209
Das Beurkundungsgesetz brachte eine bundesweite Verfahrensregelung, folgte aber der bishe-
rigen Unterscheidung darin, dass es das Verfahren der Beurkundung von „Willenserklärun-
gen“ (im 2. Abschnitt des Gesetzes) getrennt von der Beurkundung „anderer Erklärungen als
Willenserklärungen“ und „sonstiger Tatsachen oder Vorgänge“ im 3. Abschnitt regelte.

In beiden Fällen wird eine „Niederschrift“ über den wahrgenommenen Vorgang von der Ur- 5.210
kundsperson aufgenommen. Handelt es sich um Willenserklärungen, ist eine „Verhandlung“
vorgeschrieben und muss eine „Niederschrift über die Verhandlung“ aufgenommen werden
(§ 8 BeurkG).

Durch das Gesetz der Bundesregierung zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie2 (Di- 5.211
RUG)3 wird mit Wirkung zum 1.8.2022 erstmals eine notarielle Distanzbeurkundung von
Willenserklärungen in das deutsche Recht eingeführt (sog. „Beurkundung mittels Video-
kommunikation“). Dafür wird der neu geschaffene Unterabschnitt 3 in den die Beurkundung
von Willenserklärungen regelnden Abschnitt 2 des BeurkG eingefügt. Zentrale Norm ist
§ 16b BeurkG n.F., der die originär „elektronische Niederschrift“ einführt und dabei in Abs. 1
S. 2 die subsidiäre Anwendbarkeit der Vorschriften über die (papiergebundene) Niederschrift

1 Oder auch „notariell aufgenommen“ in § 55 Abs. 1 GmbHG. Diese Bestimmung verlangt, dass die
Übernahmeerklärung bei der Kapitalerhöhung einer GmbH „notariell aufgenommen“ ist, lässt
aber auch die „notariell beglaubigte Erklärung“ genügen. Dies ist einer der wenigen Fälle, in denen
Beglaubigung statt Beurkundung im Vertragsrecht genügt.
2 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 zur Änderung
der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im
Gesellschaftsrecht, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 80.
3 BGBl. 2021 I, 3338. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Digitalisierungs-
richtlinie (DiRUG-RegE) ist abgedruckt unter BT-Drucks. 19/28177. Der DiRUG-RegE wurde am
10.6.2021 mit nur geringfügigen Änderungen vom Deutschen Bundestag verabschiedet (vgl. Be-
schlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/30523). Nachdem der Bundesrat am
25.6.2021 beschlossen hatte, von der Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen (vgl. BR-
Drucks. 524/21 (Beschluss)), konnte das Gesetz am 13.8.2021 im Bundesgesetzblatt verkündet
werden.

Reithmann/Stelmaszczyk | 397
§ 5 Rz. 5.211 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

anordnet. Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst für die Beibehaltung der bewährten Grund-
sätze des notariellen (Präsenz-) Beurkundungsverfahrens entschieden und überführt diese in
den §§ 16a bis 16e BeurkG n.F. funktionsäquivalent in die digitale Welt1.

5.212 Zur Anwendung kommt das Online-Verfahren nach § 2 Abs. 3 S. 1 GmbHG n.F. i.V.m. § 16a
Abs. 1 BeurkG n.F. allerdings nur bei der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags zur Grün-
dung einer GmbH und einer UG (haftungsbeschränkt) sowie bei im Rahmen der Gründung
der Gesellschaft gefassten Gesellschafterbeschlüssen (wie z.B. Beschlüsse zur Bestellung der
ersten Geschäftsführer). Dass das Online-Verfahren auch verfahrensrechtlich nach § 16a Abs. 1
BeurkG n.F. nur bei Gründungsverfahren nach § 2 Abs. 3 S. 1 GmbHG n.F. zulässig ist, unter-
streicht die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Öffnung des On-
line-Verfahrens für alle notariellen Verfahren2. Angesichts divergierender Zwecke der notariel-
len Form, die in anderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Erb-, Familien- und Immobilienrecht,
durch ein Online-Verfahren nicht in gleichem Maße gewährleistet werden könnten, ist diese
Entscheidung sachgerecht3.

3. Verhandlung
5.213 Im Laufe der Rechtsentwicklung wird immer deutlicher, dass es bei der Beurkundung als
Formerfordernis nicht nur um die Speicherung eines Vorgangs geht (Beweisfunktion). Ist der
wahrgenommene Vorgang eine Willenserklärung, so kommt es nicht nur auf die Äußerung
der Erklärung an, sondern auch darauf, dass diese Erklärung mit rechtsgeschäftlichem Wil-
len geäußert wurde. Dies verlangt der in § 8 BeurkG genannte Begriff der „Verhandlung“.

5.214 Zur Mitwirkung der Notarin oder des Notars4 in der Verhandlung gehört zunächst, (im Regel-
fall) die mündlich geäußerte Erklärung in den schriftlichen Ausdruck umzuwandeln. Die
mündliche Verhandlung birgt Unsicherheiten, die Schriftsprache andererseits hat den Nach-
teil, dass sie den wirklichen Willen verdecken oder verfälschen kann5. Das Beurkundungsver-
fahren zielt darauf, die Vorzüge der mündlichen und der schriftlichen Äußerung zu verbinden
und die Nachteile beider zu vermeiden. Damit soll eine Diskrepanz zwischen dem Willen des
Erklärenden und seiner Erklärung vermieden werden.

5.215 Darüber hinaus geht es darum, ob die mit der Erklärung erstrebte Rechtsfolge eintritt. Das
Beurkundungsgesetz bringt dies dadurch zum Ausdruck, dass es den Notar gem. § 17 BeurkG
dazu verpflichtet, „den Willen der Beteiligten zu erforschen und ... die Beteiligten über die
rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren“ (Beratungs- und Belehrungsfunktion). Dies
gilt bei der Beurkundung von Willenserklärungen (§ 8 BeurkG) sowohl für Verträge, die Ver-
pflichtungen unter den Vertragsteilen begründen (Verpflichtungsverträge; dazu Rz. 5.219 ff.)
wie für Verträge, die auf die unmittelbare Zurechnung eines Rechts gehen (Verfügungsverträ-
ge; Rz. 5.270 ff.).

1 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 112 ff.; dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021,
849 Rz. 37 sowie Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (766).
2 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113.
3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113; zust. Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (766);
ausführlich zum Anwendungsbereich des neuen Online-Verfahrens Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR
2021, 849 Rz. 12 ff.
4 Sofern nachfolgend von „Notar“ oder „Notaren“ gesprochen wird, sind damit gleichermaßen die
weiblichen Urkundspersonen sowie solche des dritten Geschlechts gemeint.
5 Im Einzelnen Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 8. Aufl. 2001,
Rz. 2 ff.

398 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.220 § 5

Wie die Belehrung im Einzelnen zu erfolgen hat, welche Rechtsfolgen eintreten (oder nicht 5.216
eintreten), muss dem Einzelfall überlassen bleiben. Beurkundung verlangt aber stets ein Ver-
fahren, das dem Erklärenden Gelegenheit gibt, Fragen zu stellen und der Urkundsperson Ge-
legenheit bietet, diese zu beantworten; dies ist in § 8 BeurkG als „Verhandlung“ bezeichnet1.

Dieses im Laufe der Rechtsentwicklung geprägte Verständnis der Beurkundung als „Verhand- 5.217
lung“ wird mit der Einführung der Online-Beurkundung von Willenserklärungen durch das
DiRUG ausdrücklich bestätigt und zugleich in das digitale Zeitalter überführt. Denn die On-
line-Beurkundung der GmbH-Gründung ist gem. § 16a Abs. 1 BeurkG n.F. ausschließlich
über das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem zulässig,
dessen wichtigste Eigenschaft die Ermöglichung einer sicheren Videokommunikation zwi-
schen dem Notar und den Beteiligten ist (§ 78p Abs. 2 Nr. 1 BnotO n.F.)2.

Allein mithilfe der Videokommunikation lassen sich, so die Gesetzesbegründung, „die Form- 5.218
zwecke der Beurkundungspflicht auch in einem digitalen Beurkundungsverfahren ohne kör-
perliche Anwesenheit der Beteiligten weitgehend funktionsäquivalent abbilden“3. Und weiter
heißt es in der Begründung: „[A]uch zur Durchführung der Verlesung der Niederschrift (§ 13
BeurkG) und der damit untrennbar verbundenen persönlichen Beratung und Belehrung der
Beteiligten durch die Notarin oder den Notar sind andere Formen der Fernkommunikation
nicht gleichermaßen geeignet. Entsprechendes gilt für die sorgfältige Erforschung des Willens
der Beteiligten und die umfassende Ermittlung des der Beurkundung zugrundeliegenden
Sachverhalts (§ 17 Abs. 1 BeurkG), die notwendige Voraussetzung einer interessengerechten
Umsetzung des Willens der Beteiligten in der notariellen Urkunde sind.“4

II. Verpflichtungsverträge
1. Grundsatz
Bei der Rechtsberatung über Verträge mit Auslandsberührung ist zu bedenken, ob Formvor- 5.219
schriften beachtet werden müssen. Nach weit über Europa hinausgehender Rechtstradition
wird einerseits auf das Recht, dem der Vertrag unterliegt (Schuldstatut), abgestellt, anderer-
seits auf das Recht des Ortes, an dem der Vertrag geschlossen wird (lex loci actus).

In Bezug auf Verpflichtungsverträge ist dieser Grundsatz für den deutschen Richter (und 5.220
ebenso für die Richter der Mitgliedstaaten der Rom I-VO) als bindendes Recht der Rom I-VO
konkretisiert. Auszugehen ist zunächst vom Schuldstatut, das durch Rechtswahl (Art. 3
Rom I-VO), oder mangels einer Rechtswahl nach Art. 4 ff. Rom I-VO, bestimmt wird.

1 Die über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift bezeugt, dass eine Verhandlung stattfand,
nicht aber notwendig den Gang der Verhandlung im Einzelnen.
2 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 115 f.; dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849
Rz. 40; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (769).
3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113; zust. Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (769);
weitergehend zum Videokommunikationssystem Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849
Rz. 38 ff.
4 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 115.

Reithmann/Stelmaszczyk | 399
§ 5 Rz. 5.221 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

2. Form des Schuldstatuts


a) Bestimmung durch Rechtswahl
5.221 Das Schuldstatut kann bei schuldrechtlichen Verträgen durch Rechtswahl bestimmt werden.
Eine Rechtswahl ist unverzichtbar bei Unternehmensverträgen, die oft Verpflichtungen der
unterschiedlichsten Art begründen, für die ohne Rechtswahl unterschiedliches Schuldstatut
gelten könnte mit unterschiedlichen Formerfordernissen. Darüber hinaus wird die Rechtswahl
oft eingesetzt, um Formvorschriften zu vermeiden.

5.222 Neben Sonderregelungen bei einzelnen Vertragstypen (Art. 5 ff. Rom I-VO) setzt Art. 3 Abs. 3
Rom I-VO der freien Rechtswahl Grenzen: „Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum
Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht ge-
wählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestim-
mungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen
werden kann“. Dies entspricht dem früheren Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F.1.

5.223 Fraglich kann allerdings sein, was unter „alle anderen Elemente“ zu verstehen ist. Für reine
Inlandsverträge ist Rechtswahl jedenfalls nicht möglich.

5.224 Bei Verträgen mit Auslandsberührung wird häufig eine Rechtswahlvereinbarung mit dem Zu-
satz „unter Ausschluss des internationalen Privatrechts“ eingefügt. Zwar ist die Befürch-
tung, dass eine Rück- oder Weiterverweisung zu unübersichtlichen Folgen führen könnte, un-
begründet. Der deutsche Richter hat den Vertrag nach dem gewählten Sachrecht zu entschei-
den; Gleiches gilt für Richter anderer Mitgliedstaaten der Rom I-VO. Aber auch, wenn der
Vertrag zur Entscheidung außerhalb der Mitgliedstaaten kommt, wird in aller Regel aufgrund
weithin geltender (geschriebener und ungeschriebener) kollisionsrechtlicher Grundsätze
nichts anderes gelten2.

b) Teilrechtswahl
5.225 Die Rechtswahl kann „für den ganzen Vertrag oder für einen Teil desselben“ (Art. 3 Abs. 1
S. 3 Rom I-VO) getroffen werden. Es geht um die Wahl einer Rechtsordnung für das Schuld-
statut, die ihre Formvorschriften auf den Vertrag (oder einen Teil des Vertrages) zur Geltung
bringt. Dies kann praktisch dazu führen, Teile des Vertrages vom Formerfordernis zu befrei-
en.

5.226 Voraussetzung ist aber, dass dieser Teil abspaltbar ist. Art. 11 Rom I-VO definiert den Begriff
„Teil des Vertrages“ nicht. Ob ein abspaltbarer „Teil des Vertrages“ vorliegt, ist durch verord-
nungsautonome Auslegung zu ermitteln. Nach einer verbreiteten Formel zu Art. 3 Abs. 1
S. 3 Rom I-VO dürfen einzelne Teile oder bestimmte Fragen eines Vertrags verschiedenen
Rechtsordnungen unterworfen werden, wenn sie sich in einer Weise miteinander verbinden

1 Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F. sah vor: „Ist der sonstige Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur
mit einem Staat verbunden, so kann die Wahl des Rechts eines anderen Staates – auch wenn sie
durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Staates ergänzt ist – die
Bestimmungen nicht berühren, von denen nach dem Recht dieses Staates durch Vertrag nicht ab-
gewichen werden kann (zwingende Bestimmungen)“.
2 Die Tatsache, dass „mittlerweile die Mehrzahl von Verträgen mit internationalen Bezügen solche
Klauseln (auch in Formularbüchern) enthalten“, bringt wohl mehr eine allgemeine kritische Ten-
denz dem Kollisionsrecht gegenüber zum Ausdruck, Mallmann, NJW 2008, 2953.

400 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.229 § 5

lassen, dass keine widersprüchlichen Ergebnisse eintreten1. Einzelheiten sind gleichwohl un-
geklärt2. Da es bei der Teilrechtswahl des Schuldstatus im Hinblick auf Art. 11 Rom I-VO in
der Sache darum geht, durch die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung deren Formvor-
schriften auf einzelne Teile oder bestimmte Fragen eines Vertrags zur Anwendung zu bringen,
dürften vor allem die Parteiautonomie, aber auch die Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit3
für die Beurteilung der Abspaltbarkeit maßgeblich sein.

Schuldrechtliche Verträge umfassen vertraglich übernommene Verpflichtungen oft sehr un- 5.227
terschiedlicher Art, sowohl zwischen den Vertragsparteien untereinander als auch gegenüber
Außenstehenden. Häufig sind neben Verpflichtungen im gleichen Vertragswerk auch Ver-
fügungsgeschäfte enthalten. Diese sind zwar mit Verpflichtungen oft kausal verbunden, sind
aber (nach dem im deutschen Recht geltenden Trennungs- und Abstraktionsprinzip) trenn-
bar. Auch Verpflichtungsgeschäfte untereinander bilden nicht stets eine untrennbare Einheit.
Dies ist nur dann der Fall, wenn sie nach dem Willen der Vertragsteile miteinander „stehen
und fallen“ sollen4. Zwar kann diese von der deutschen Rechtsprechung5 entwickelte Formel
zur Bestimmung des Umfangs der Beurkundungspflicht aufgrund der verordnungsautono-
men Auslegung nicht unbesehen auf die Möglichkeit einer Teilrechtswahl im Hinblick auf
Art. 11 Rom I-VO übertragen werden. Doch dürfte bei einer solchen Verknüpfungsabrede der
maßgebliche Parteiwille in aller Regel auf ein einheitliches Schuldstatut und die durch dieses
Schuldstatut bestimmte Form des Rechtsgeschäfts gerichtet sein, was der Annahme einer Teil-
rechtswahl entgegensteht.

Praktisch wird dies im Falle des Kaufs eines Unternehmens. Handelt es sich um den Erwerb 5.228
eines Unternehmens, das in der Form der GmbH & Co. KG errichtet ist, so soll in aller Regel
mit dem Anteil an der Kommanditgesellschaft auch der Geschäftsanteil an der (persönlich
haftenden) GmbH erworben werden. Es kann dann grds. nicht davon ausgegangen werden,
dass die Parteien für die Verpflichtung zur Übertragung des GmbH-Geschäftsanteils ein ande-
res Schuldstatut vereinbaren wollten als für die Verpflichtung zur Übertragung des Komman-
ditanteils. Wegen der erstgenannten Verpflichtung unterliegt der ganze Verpflichtungsvertrag
bei deutschem Schuldstatut der Beurkundungspflicht nach § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG. Enthält
das anzuwendende Schuldstatut eine Nichtigkeitssanktion (wegen Nichterfüllung des Former-
fordernisses), so ist diese Sanktion auf alle in dem Vertrag vereinbarten Verpflichtungen anzu-
wenden.

Verfügungsgeschäfte bilden mit dem Verpflichtungsgeschäft (und auch untereinander) 5.229


i.d.R. keine rechtliche Einheit; jedoch kann dies vereinbart werden etwa durch Einfügung ei-
ner Bedingung, welche die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts vom Verpflichtungsgeschäft

1 Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 69 m.w.N.


2 Vgl. Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 70; Wendland in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 3
Rom I-VO Rz. 198; Kropholler, IPR § 52 II 3b.
3 Martiny in MünchKomm, Vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 28.
4 So bildet in einem Grundstückskaufvertrag die Verpflichtung, das Eigentum an einem Grundstück
zu übertragen, mit der Verpflichtung, den Kaufpreis zu bezahlen, eine untrennbare Einheit, nicht
aber immer ein in der gleichen Urkunde niedergelegter Mietvertrag. Im Einzelnen Reitmann/Al-
brecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 8. Aufl. 2001, Rz. 81 ff.
5 BGH v. 6.12.1979 – VII ZR 313/78, BGHZ 76, 43 (49) = NJW 1980, 829; BGH v. 6.11.1980 – VII
ZR 12/80, BGHZ 78, 348 = NJW 1981, 274; BGH v. 11.11.1983 – V ZR 211/82, BGHZ 89, 41 =
NJW 1984, 973; BGH v. 22.7.2010 – VII ZR 246/08, BGHZ 186, 345 = DNotZ 2011, 196; vgl.
Grziwotz in Erman, § 311b BGB Rz. 51 ff.; Ruhwinkel in MünchKomm, § 311b BGB Rz. 55 f.

Reithmann/Stelmaszczyk | 401
§ 5 Rz. 5.229 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

abhängig macht. Hinsichtlich der Übertragung des Eigentums an einem Grundstück ist dies
ausgeschlossen; die Auflassung unter Bedingung wäre unwirksam (§ 925 Abs. 2 BGB).

5.230 Die Rechtswahl auf Formvorschriften dergestalt zu beschränken, dass die Parteien isoliert für
die Form ein Recht wählen, das von dem durch das Schuldstatut bestimmten Formstatut ab-
weicht, wurde von der Rechtsprechung abgelehnt1. Eine gespaltene Rechtswahl für die Form
des Vertrages einerseits und für seinen Inhalt und seine Durchführung andererseits würde
nach Auffassung des BGH der natürlichen Betrachtungsweise widersprechen2. Tatsächlich
wird man bei einer stillschweigenden Rechtswahl kaum annehmen können, dass die Parteien
eine vom Schuldstatut abweichende, isolierte Wahl des Formstatuts wollen3. Gleiches gilt erst
recht, wenn die Partien das Schuldstatut durch ausdrückliche Rechtswahl bestimmen. Gegen
eine direkte, von den Möglichkeiten des Art. 11 Rom I-VO unabhängige Wahl des Formsta-
tuts sprechen aber auch systematische und teleologische Erwägungen. Art. 11 Rom I-VO er-
möglicht bereits die Anwendung zweier verschiedener Formstatute, so dass die gesonderte
Rechtswahl eines dritten Formstatuts im Rahmen von Art. 11 Rom I-VO abzulehnen ist. Zu-
dem steht der Gedanke der Einheit des Rechtsgeschäfts einer Trennung von Form und Inhalt,
die über die von Art. 11 Rom I-VO ausdrücklich zugelassene Trennung hinausgeht, entgegen4.
Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO lässt die Trennung von Wirkungsstatut und Formstatut lediglich als
gesetzliche Folge der tatsächlichen Vornahme des Rechtsgeschäfts an einem bestimmten Ort
zu; darüber hinaus ist die Vereinbarung eines gesonderten Formstatuts unwirksam. Sie kann
auch nicht mit der Zulässigkeit einer Teilrechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO be-
gründet werden5.

5.231 Der BGH6 hat trotz Vereinbarung italienischen Schuldstatuts deutsches Formrecht angewen-
det (und kam damit zur Unwirksamkeit des Vertrags). Im vom BGH entschiedenen Fall wurde
auf einen privatschriftlichen Vorvertrag zwar italienisches Ortsrecht (das keine Beurkundung
verlangt) angewendet, aber in der Klausel „Für die in dieser Bestellung übernommenen Ver-
pflichtungen gilt deutsches Recht“ die Abwahl des Ortsstatuts gesehen7.

1 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = DNotZ
2005, 306 (308); BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760 (Anm. Samt-
leben, NJW 1970, 378): Der BGH ließ die Frage, ob die Parteien, auch wenn sie ihre Rechtsbezie-
hung allgemein dem deutschen Recht unterwerfen, die Form abbedingen können, allerdings im
Ergebnis mangels Entscheidungserheblichkeit offen; vgl. auch BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69,
BGHZ 57, 337 = NJW 1972, 385 (Anm. Jayme, NJW 1972, 1618); LG Aurich v. 11.7.1993 – 2 G
751/70, IPRspr. 1973 Nr. 10; OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, DNotI-Report 1996, 55.
2 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = DNotZ
2005, 306 (308).
3 Vgl. Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 75; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11
EGBGB Rz. 78.
4 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 208 und Art. 11 Rom I-VO Rz. 101.
5 Ebenso Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 101; a.A. Spellenberg in Münch-
Komm, Art. 11 EGBGB Rz. 77; Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 116 f.
6 BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 = NJW 1972, 385 (Costruzione Lago Maggiore).
7 Dazu mit Recht kritisch Jayme, NJW 1972, 1618; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11
Rom I Rz. 105; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 78 ff. BGH v. 4.7.1969 – V ZR
69/66, BGHZ 52, 239 (242) = NJW 1969, 1760 lässt diese Frage offen, weil eine entsprechende
Vereinbarung nicht behauptet war (krit. Anm. von Wengler, NJW 1969, 2337 und Samtleben,
NJW 1970, 378).

402 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.238 § 5

Dem Bestreben, inländische Formvorschriften durch Teilrechtswahl zu umgehen, setzt jeden- 5.232
falls bei reinen Binnensachverhalten Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO Grenzen. Die beratende Praxis
vermeidet diese Frage und sucht andere Wege.

Wird die Rechtswahl aus Gründen der Übersichtlichkeit einheitlich auf schweizerisches Recht 5.233
getroffen (gerade wenn Gesellschaftsbeteiligungen oder Grundstücke in mehreren Ländern
betroffen sind), so kommt auf die Verpflichtung zur Übertragung der Geschäftsanteile (auch
an einer deutschen GmbH) Schweizer Recht zur Anwendung, anders auf das Verfügungs-
geschäft (s. Rz. 5.270 f.).

c) Nichtigkeit als Folge der Rechtswahl


Die Wahl des Schuldstatuts kann auch zu Rechtsfolgen führen, die von den Vertragsparteien 5.234
nicht beabsichtigt sind. Als allseitige Kollisionsnorm verlangt Art. 11 Rom I-VO (wenn nicht
der Form der lex loci actus genügt ist) die Anwendung der Formvorschrift des Schuldstatuts
auf Schuldverträge, gleich ob das Objekt der schuldvertraglichen Verpflichtung sich im Inland
oder im Ausland befindet.

Das gewählte (aber auch das ohne Rechtswahl nach Art. 4 ff. Rom I-VO anwendbare) Schuld- 5.235
statut bringt auch dessen Formvorschriften zur Anwendung. Die Formvorschrift des § 311b
Abs. 1 S. 1 BGB z.B. gilt für Grundstücke, wo auch immer belegen, ebenso die Vorschrift des
§ 311b Abs. 3 BGB für die Verpflichtung, „sein gegenwärtiges Vermögen oder einen Bruchteil
seines gegenwärtigen Vermögens zu übertragen“ ohne Rücksicht darauf, wo dieses Vermögen
belegen ist. So kann die Verpflichtung zur Verschmelzung oder zur Umwandlung nach dieser
Vorschrift beurkundungspflichtig sein, wenn deutsches Schuldstatut vereinbart ist1.

In der deutschen Rechtsprechung geht es um die Anwendung des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB auf 5.236
Verträge über ausländische Grundstücke. Ist deutsches Schuldstatut vereinbart, die vor-
geschriebene Form aber nicht eingehalten, so kann diese Vereinbarung (wenn der Vertrag im
Inland geschlossen wurde) zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 125 S. 1 BGB führen. Dies
hat der BGH2 hinsichtlich von Grundstücken in Spanien, Italien und den Niederlanden mehr-
mals entschieden, ebenso das OLG Düsseldorf und das OLG München3.

Zu bedenken ist dabei auch, dass durch die Wahl des deutschen Schuldstatuts zugleich die 5.237
Sicherung von Leistung und Gegenleistung erreicht werden soll. Bei Tauschverträgen kann es
z.B. darum gehen, den lastenfreien Eigentumsübergang nicht nur am inländischen, sondern
auch am eingetauschten ausländischen Grundstück zu sichern.

Anders ist es aber wohl bei umfangreichen Vertragswerken, die (trotz zahlreicher Auslands- 5.238
beziehungen) deshalb dem inländischen Schuldstatut unterstellt werden, weil die Rechtsfolgen
nach ausländischen Rechtsordnungen in der Eile der Schlussverhandlungen nicht in allen Ein-
zelheiten übersehen werden können. Wenn dabei eine Beteiligung an einer ausländischen Ge-

1 Dies alles kann nur für das Verpflichtungsgeschäft gelten. Das Verfügungsgeschäft ist jedenfalls
für jede einzelne Gesellschaft nach deren Gesellschaftsstatut zu beurteilen (s. Rz. 5.294).
2 BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760 (Spanien); BGH v. 22.12.1971 –
V ZR 130/68, NJW 1972, 715 (Italien); BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 = NJW
1970, 999 (Niederlande).
3 Für Eigentumswohnungen OLG Düsseldorf v. 14.8.1980 – 23 U 205/79, NJW 1981, 529 (Spanien);
OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 (Spanien).

Reithmann/Stelmaszczyk | 403
§ 5 Rz. 5.238 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sellschaft1 oder ein ausländisches Betriebsgrundstück eine nur untergeordnete Rolle spielt,
wird manchmal erwartet, dass schon durch den Eigentumsübergang im Ausland eventuelle
Schwierigkeiten behoben werden. Wenn sich aber ein Vertragsteil vor Eintritt der Heilung
vom Vertrag lösen will, muss der Vertrag nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen (wenigstens
vom deutschen Richter) für nichtig erklärt werden.

3. Form des Ortes (lex loci actus)


a) Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO
5.239 Entsprechend der rechtshistorischen Entwicklung und mit Rücksicht auf zahlreiche fremde
Rechtsordnungen mit ähnlichen Bestimmungen gelten Formerfordernisse des Schuldstatuts
bei Auslandsberührung oft nicht: Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO erklärt den Vertrag für „formgül-
tig“, wenn er „die Formerfordernisse des Rechts des Staates, in dem er geschlossen wird, er-
füllt“; es genügt neben der Form des Schuldstatuts bei Verträgen zwischen Personen, die sich
„zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in demselben Staat befinden“, die Form des Abschlus-
sortes.

5.240 Mit Berufung darauf werden Formvorschriften für schuldrechtliche Verpflichtungsverträge


durch den „Gang in das Ausland“ umgangen. Allerdings tritt damit nicht Formfreiheit ein.
Vielmehr sind die Formvorschriften der ausländischen lex loci actus anzuwenden. Der Gang
in das Ausland wird zumeist mit der Einsparung von Beurkundungskosten begründet, aber
auch damit, dass die im Beurkundungsverfahren in Deutschland vorgeschriebene Vorlesung
oft erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Bei umfangreichen Vertragswerken mit zahlreichen
„Anlagen“ könne der inländische Notar das Vorlesungserfordernis der §§ 13 ff. BeurkG nur
schwer einhalten.

5.241 Ist nach Art. 11 Rom I-VO die Form der lex loci actus kollisionsrechtlich ausreichend, so er-
übrigt sich zu fragen, ob diese Form „gleichwertig“ der nach deutschem Recht vorgeschriebe-
nen Form ist. So kann sogar Schriftlichkeit genügen, obwohl das inländische Recht Beurkun-
dung vorschreibt.

5.242 Jedoch gilt dies nur für Verpflichtungsgeschäfte, nicht für Verfügungsgeschäfte (s. dazu
Rz. 5.270 ff.). So unterliegt die Form der Verfügung über GmbH-Geschäftsanteile nach § 15
Abs. 3 GmbHG dem autonomen Kollisionsrecht. Art. 11 Rom I-VO ist nach ganz herrschen-
der Auffassung auf die Anteilsübertragung nicht anwendbar2. Zwar ist die Begründung nicht
ganz einheitlich: Teilweise wird darauf verwiesen, dass die Rom I-VO grundsätzlich keine Ver-
fügungsgeschäfte erfasse (vgl. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO)3. Teilweise wird angenommen, dass

1 Handelt es sich um die Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft, so ist allerdings fraglich,
ob der Verpflichtungsvertrag über diese Beteiligung unter § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG fällt. Während
§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB Grundstücke in aller Welt ohne Rücksicht auf ihre Belegenheit umfasst, ist
§ 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG nur mit Einschränkung anzuwenden (auf Geschäftsanteile an „ähnlichen
Gesellschaften“).
2 Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 34 ff., 40; Spellenberg in MünchKomm,
Art. 11 EGBGB Rz. 11; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in
Staudinger, Art. 4 Rom I-VO Rz. 226; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 536 ff.; 592 ff.; Ser-
vatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 22a; Süß, DNotZ 2011, 414 (415 in Fn. 4); vgl. auch
Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 138.
3 Süß, DNotZ 2011, 414 (415 in Fn. 4); vgl. auch Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom
I Rz. 138.

404 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.247 § 5

sich der Ausschluss des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO für das Gesellschaftsrecht auch auf Ver-
fügungsgeschäfte über GmbH-Geschäftsanteile erstrecke1. Ferner wird dieses Ergebnis auf
eine teleologische Auslegung der Art. 11 und Art. 14 Rom I-VO gestützt2. Einigkeit besteht
jedenfalls darin, dass Anteilsübertragungen aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO aus-
genommen sind.

Voraussetzung für die Anwendung der lex loci actus auf das Verpflichtungsgeschäft ist, dass 5.243
die in Frage kommende Rechtsordnung das genannte Rechtsgeschäft kennt; andernfalls
spricht man von Formenleere3.

b) Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO (Distanzverträge)


Bei „Verträgen zwischen Personen ..., die oder deren Vertreter zum Zeitpunkt des Vertrags- 5.244
schlusses (sich) in verschiedenen Staaten befinden“ wird, um Schwierigkeiten einer Bestim-
mung des Abschlussortes zu vermeiden, darauf abgestellt, wo sich die Vertragsteile (und zwar
jeder Einzelne von ihnen) „befinden“ (also auf den schlichten Aufenthalt), alternativ auf den
gewöhnlichen Aufenthalt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in Art. 19 Rom I-VO
definiert. In Frage kommt somit das Recht aller Staaten, in denen eine der Vertragsparteien
(oder deren Vertreter) ihren gewöhnlichen oder auch ihren schlichten Aufenthalt (zum Zeit-
punkt des Vertragsschlusses) hat. Es kommen danach als leges loci actus mindestens so viele
Rechte in Frage als Vertragspartner am Distanzvertrag beteiligt sind. Wenn nur der Formvor-
schrift eines der in Frage kommenden Staaten genügt ist, gilt der Vertrag als formgültig. Da-
mit ist die Durchsetzung von Formvorschriften bei Distanzverträgen sehr eingeschränkt, und
auch der Schutz eines minder erfahrenen Vertragspartners ausgehebelt.

- Vertragsparteien
Art. 11 Rom I-VO stellt dabei ab auf Personen, zwischen denen ein Vertrag geschlossen wird 5.245
und nennt sie „Vertragsparteien“. „Vertragspartei“ ist, wer mit Rechtsfolgewillen eine rechts-
geschäftliche Erklärung abgibt, gleich ob er damit eine Verpflichtung eingeht oder die Ver-
pflichtung eines anderen entgegennimmt.

Wo das Sachrecht die Einhaltung von Formvorschriften verlangt, stellt es auf den Gegenstand 5.246
der eingegangenen Verpflichtung ab, so in § 311b Abs. 1 S. 1 BGB auf die Verpflichtung,
„das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben“, in § 518 Abs. 1 S. 1
BGB darauf, ob eine „Leistung schenkungsweise versprochen wird“, in § 15 Abs. 4 S. 1
GmbHG „auf die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Abtretung eines Geschäftsanteils“.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verpflichtungserklärung im eigenen oder in frem- 5.247
dem Namen abgegeben wird. Art. 11 Abs. 1 und 2 Rom I-VO4 stellen alternativ sowohl auf
den Geschäftsherrn als auch auf den Vertreter ab, sowohl auf den Aufenthalt des Vertretenen
als auch auf den Aufenthalt des Vertreters. Die Alternativanknüpfung ist damit (anders die
frühere Regelung des EGBGB) erweitert.

1 Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I
Rz. 226; Servatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 22a.
2 Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 36 ff., 40.
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 150.
4 Nach Art. 11 Abs. 3 EGBGB dagegen bleibt der Aufenthaltsort des Vertretenen außer Betracht.
Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 165; Spellenberg in MünchKomm,
Art. 11 EGBGB Rz. 149; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 31.

Reithmann/Stelmaszczyk | 405
§ 5 Rz. 5.248 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.248 Es ist aber nicht jeder, der ein Vertragswerk unterschrieben hat, als „Vertragspartei“ unter
Art. 11 Rom I-VO zu fassen. Ein in einer einheitlichen Urkunde niedergelegtes Vertragswerk
enthält neben vertraglichen Regelungen oft auch Bestimmungen anderer Art, z.B. Eintra-
gungsbewilligungen zum Grundbuch oder Anmeldungen zum Handelsregister, dazu vollstre-
ckungsrechtliche Rechtsgeschäfte (z.B. Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung), aber
auch Erklärungen tatsächlicher Art. Als Vertragspartei i.S.d. Art. 11 Rom I-VO können nur
solche Personen gelten, die an der Begründung oder Änderung schuldrechtlicher Verpflich-
tungen mitwirken.

- „Favor negotii“
5.249 Vertragspartei ist nicht nur derjenige, der eine Verpflichtung eingeht, sondern auch derjenige,
welcher sie entgegennimmt. Wo das Sachrecht Formbedürftigkeit nicht nur für eine Ver-
pflichtung, sondern für den „Vertrag“ anordnet, geht es nicht nur um den Schutz dessen, der
eine Verpflichtung eingeht (favor gerentis), sondern auch um den Schutz desjenigen, der eine
Verpflichtung entgegennimmt. Beide Vertragsteile sollen sich „problemlos über die Vorausset-
zungen und die Folgen des Vertrags informieren können“1. Dies (favor negotii) wird als eine
(ungeschriebene) allgemeine Regel des Kollisionsrechts angesehen.

5.250 Bedenken dagegen können bestehen bei Formvorschriften, die ausschließlich den Schutz eines
der Vertragsteile bezwecken wie beim Schenkungsversprechen den Schutz des Schenkers vor
Übereilung. Hält sich der Empfänger des Schenkungsversprechens im Ausland auf, so verbie-
tet eine auf favor negotii gestützte Auslegung des Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO, einem Schenker,
der das Versprechen übereilt abgegeben hat, den Schutz des § 518 BGB zu gewähren, wenn
das Recht des Staates, in dem der Beschenkte sich gerade aufhält, für den Schenkungsvertrag
eine Form nicht vorschreibt, obwohl das Recht des Aufenthalts des Schenkers diesen Schutz
vorsieht.

5.251 Ähnliche Bedenken bestehen hinsichtlich einer Bürgschaftserklärung, für die § 766 S. 1 BGB
die Schriftform vorschreibt, während die Annahmeerklärung des anderen Vertragsteils form-
frei möglich ist2.

c) Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO (einseitige Rechtsgeschäfte)


5.252 Während Art. 11 EGBGB von „Rechtsgeschäften“ schlechthin spricht, enthält Art. 11 Abs. 3
Rom I-VO eine gesonderte Vorschrift über „einseitige Rechtsgeschäfte, die sich auf einen ge-
schlossenen oder zu schließenden Vertrag beziehen.“ Wenn es dessen Formerfordernisse er-
füllt, ist das einseitige Rechtsgeschäft formgültig. Daneben genügt es aber auch, wenn das
Formerfordernis der lex loci actus erfüllt ist, also das Erfordernis „des Rechts des Staates, in
dem dieses Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist“ oder in dem „die Person, die das
Rechtsgeschäft vorgenommen hat, zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat-
te.“

1 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 31.


2 BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, ZIP 1993, 424 = MDR 1993, 532 = NJW 1993, 1126, hat (unter
der Geltung des Art. 11 EGBGB) im Falle einer von einem deutschen Notar beurkundeten Bürg-
schaftserklärung, von der eine Kopie an den ausländischen Wohnsitz des anderen Vertragsteils per
Telefax übermittelt wurde, zwar die Übermittlung per Telefax als nicht der Form des § 766 BGB
genügend angesehen, die Entscheidung aber an das OLG zurückverwiesen, um eine Formgültig-
keit nach der lex loci actus zu prüfen.

406 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.259 § 5

Damit sind alle in Frage kommenden Möglichkeiten umfasst. Auch auf den schlichten Aufent- 5.253
halt („Befinden“) abzustellen, wie in Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO, scheint hier nicht erforderlich.

Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO betrifft materiell-rechtliche Erklärungen, insbesondere Vertrags- 5.254
angebot, Vertragsannahme, auch Mahnung, Fristsetzung, Kündigung, aber nicht Verfahrens-
erklärungen, z.B. im Grundbuch- oder Registerverfahren, die häufig im Zusammenhang mit
vertraglichen Erklärungen zu deren Durchführung abgegeben werden. Hierfür gilt die lex fori.

d) Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO (Verbraucherverträge)


Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO stellt für Verbraucherverträge (Definition in Art. 6 Rom I-VO) auf 5.255
das Recht des Staates ab, „in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Im
Grunde geht es dabei um den Schutz des schwächeren Vertragsteils, der meist „Verbraucher“
ist; der Schutz des schwächeren Vertragsteils sollte aber weiter gehen. Auch über das Verbrau-
cherrecht hinaus sollte jeder geschützt werden, der einmal im Leben ein Haus oder eine Eigen-
tumswohnung erwirbt. Im deutschen Sachrecht ist dies über den Verbraucherschutz hinaus
durch die Beurkundungspflicht des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB gesichert, vor allem aber durch die
strenge Anwendung der (Belehrungs-) Pflichten des Notars in § 17 BeurkG und in den dazu
ergangenen Richtlinien der Notarkammern.

e) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO („Sofern-Klausel“)


Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO schließt die Form der lex loci actus aus für „Verträge, die ein ding- 5.256
liches Recht an einer unbeweglichen Sache oder die Miete oder Pacht an einer unbeweglichen
Sache zum Gegenstand haben“; die angefügte „Sofern-Klausel“ nimmt dieser Bestimmung
aber (zumindest nach ihrer Auslegung im deutschen Kollisionsrecht) die praktische Bedeu-
tung.

Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO weist auf Formvorschriften der lex rei sitae hin („Formvorschriften 5.257
des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist“), unter der Beschränkung: „sofern
diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates a) unabhängig davon gelten, in welchem
Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem Recht dieser Vertrag unterliegt, und b) von
ihnen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“

Hier kommt § 311b Abs. 1 S. 1 BGB (für Grundstückskaufverträge) sowie § 550 BGB (für 5.258
Mietverträge über Wohnraum, die für längere Zeit als ein Jahr geschlossen werden), in Frage.
Im ersten Fall hält die kollisionsrechtliche Lehre das „Sofern-Erfordernis“ nicht für gegeben,
also Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO hinsichtlich § 311b Abs. 1 S. 1 BGB nicht für anwendbar1 und
macht auch keine Ausnahme hinsichtlich Bauträgerverträgen2. Dies bedarf der kritischen
Überprüfung.

Wenn ausländisches Recht Schuldstatut ist, kommt es darauf an, welches Gewicht die als 5.259
Schuldstatut anwendbare Rechtsordnung der Formvorschrift beimisst.

1 S. Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 Rom I Rz. 143; Spellenberg in MünchKomm,
Art. 11 Rom I-VO Rz. 74; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 18, 32; Bischoff in NK, Art. 11
EGBGB Rz. 49.
2 Dazu Reithmann, FS Ferid (1988), S. 363.

Reithmann/Stelmaszczyk | 407
§ 5 Rz. 5.260 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Heilung formnichtiger Verträge


5.260 Ist weder dem Erfordernis des Schuldstatuts noch einem der in Art. 11 Rom I-VO genannten
leges loci actus genügt, so sind (wie die anderen Vorschriften des Schuldstatuts) dessen Form-
vorschriften und die daraus folgenden Sanktionen anzuwenden, aber auch die Bestimmungen,
nach denen diese Sanktionen nicht eingreifen oder später (rückwirkend oder ex nunc) wegfal-
len und damit der Vertrag „geheilt“ wird. Die „Heilung“ wird in den Kommentaren zu Art. 11
Rom I-VO behandelt, gehört aber nicht dem Kollisionsrecht, sondern dem Sachrecht an, das
die Sanktion anordnet.

5.261 Nach dem anwendbaren Sachrecht ist auch zu beurteilen, ob eine auf den formnichtigen Ver-
trag erbrachte Leistung zurückgefordert werden kann1, etwa (bei deutschem Schuldstatut)
nach § 812 BGB.

5.262 Die Folgen der Nichtigkeit des Vertrages sind nach dem Schuldstatut zu beurteilen (Art. 12
Abs. 1 lit. e Rom I-VO). Meist geht es darum, dem Vertrag die gerichtliche Durchsetzung zu
verweigern; das Schuldstatut kann aber auch andere „mildere“ Rechtsfolgen vorsehen. Die
kollisionsrechtliche Literatur2 schlägt für den Fall, dass unterschiedliche Sanktionen nach ver-
schiedenen möglicherweise anwendbaren Rechtsordnungen in Frage kommen, vor, stets die
mildere Sanktion anzuwenden.

5.263 Dieser (meist zu familienrechtlichen Fällen begründeten) Meinung kann bei schuldrechtlichen
Verträgen nicht zugestimmt werden; hier kommt es auf das Schuldstatut an:

5.264 Das Schuldstatut des Vertrages bestimmt die Voraussetzungen der Heilung. Die mangels Ein-
haltung der Schriftform nichtige Bürgschaftserklärung kann nach § 766 S. 3 BGB geheilt wer-
den, „soweit der Bürge die Haftungsverbindlichkeit erfüllt“. Das mangels Beurkundung nich-
tige Schenkungsversprechen wird geheilt durch „Bewirkung der versprochenen Leistung“
(§ 518 Abs. 2 BGB); die mangels Beurkundung nichtige Verpflichtung zur Veräußerung eines
Grundstücks wird „gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung im Grundbuch erfolgen“
(§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB). Eine mangels Beurkundung nichtige Verpflichtung zur Abtretung
eines GmbH-Geschäftsanteils wird „durch den (…) Abtretungsvertrag“ gültig (§ 15 Abs. 4
S. 2 GmbHG).

5.265 Die Heilung des Verpflichtungsgeschäfts ist nicht notwendigerweise von einem formgülti-
gen Erfüllungsgeschäft abhängig. So wird ein nichtiger Verbraucher-Darlehensvertrag „gül-
tig, wenn der Darlehensnehmer das Darlehen empfängt oder in Anspruch nimmt“ (§ 494
Abs. 2 S. 1 BGB).

5.266 In all den genannten Fällen geht es trotz abweichender Formulierung darum, dass die ver-
sprochene Leistung tatsächlich bewirkt ist. Dies hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten
ab. So verlangt die Heilung nach § 311b Abs. 1 S. 2 BGB nicht stets „Auflassung und Eintra-
gung im Grundbuch“, sondern begnügt sich vielmehr bei im Ausland gelegenen Grundstü-
cken mit vergleichbaren Tatbeständen. Hinsichtlich von in Spanien gelegenen Grundstücken

1 Rückforderungsanspruch nach portugiesischem Recht als dem Schuldstatut beurteilt, LG Bonn v.


25.1.2002 – 10 O 164/01, IPRax 2003, 65.
2 Zu Art. 11 EGBGB: Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 199 ff.; Spellenberg
in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 69 ff.; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 10.

408 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.270 § 5

und Eigentumswohnungen hat der BGH1 auf das Vorliegen einer escritura abgestellt (ähnlich
OLG München und OLG Frankfurt2).

Der Möglichkeit einer Heilung wird entgegengehalten3, dass ein der Erfüllung einer unwirk- 5.267
samen Verpflichtung dienendes Verfügungsgeschäft selbst unwirksam sein kann. Dies sei vor
allem dann gegeben, wenn die lex rei sitae (wie z.B. in Spanien) schuldrechtliches und ding-
liches Geschäft nicht trennt.

Für die Frage der Heilung ist aber beides gesondert zu betrachten: Heilung setzt nicht stets 5.268
ein „heilendes Rechtsgeschäft“ voraus. Zweck der Heilungsvorschriften ist es, eine Rückforde-
rung aus Gründen der Rechtssicherheit auszuschließen.

Oft umfassen Verträge zwischen Gesellschaften (neben vielen anderen Punkten) auch die 5.269
Übertragung von Anteilen an mehreren ausländischen Tochtergesellschaften und an mehreren
Betriebsgrundstücken im Ausland4. Für deren tatsächlichen Übergang auf den Erwerber
kommt es praktisch für jedes einzelne Objekt darauf an, wie die Behörden des betreffenden
Landes den Übergang (auch den steuerlich oft entscheidenden Zeitpunkt des Übergangs) be-
urteilen. Für jedes einzelne Land ist gesondert die Frage zu stellen, ob aus Gründen der Praxis
eine getrennte Beurkundung des betreffenden Verfügungsgeschäfts (oder dessen Wieder-
holung in dem betreffenden Land) angebracht scheint5 (Rz. 5.433).

III. Verfügungsgeschäfte
1. Anwendung von Art. 11 EGBGB
Die Rom I-VO betrifft „vertragliche Schuldverhältnisse“ (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO), d.h. Ver- 5.270
träge, durch die Verpflichtungen unter Personen begründet oder verändert werden, nicht aber
Rechtsgeschäfte, die eine unmittelbare Zuordnung von Gegenständen zu einer Person bewir-
ken (Verfügungsgeschäfte). Praktisch geht es vor allem um die Zuordnung der Herrschaft
über Grundstücke und über Gesellschaftsbeteiligungen, aber auch von Urheberrechten (Herr-
schaftsrechte).

1 BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760; ebenso BGH v. 9.3.1979 – V
ZR 85/77, NJW 1979, 1773 (Kauf über 1/220tel Miteigentum am Grundstück, verbunden mit Son-
dereigentum an einem erst zu errichtenden Appartement). Dagegen hat OLG Düsseldorf v.
14.8.1980 – 23 U 205/79, NJW 1981, 529 in einem ähnlich gelagerten Fall eines privatschriftlichen
Vertrages (gleichfalls über 1/220tel Grundstücksanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an ei-
nem erst zu errichtenden Appartement) Heilung durch einen (nach 26 Monaten) nachfolgenden
Vertrag nicht anerkannt, solange das Wohnungseigentum nicht (durch Beschluss der Miteigentü-
mer) begründet ist.
2 OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 lehnt Heilung mangels Besitzeinräu-
mung ab; OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 1 O 57/93, IPRspr. 1994 Nr. 67; OLG Frankfurt v.
30.11.1994 – 13 U 180/93, RIW 1995, 1033 Anm. Mankowski, lehnt Heilung mangels escritura ab.
3 Eberl, MittBayNot 2000, 515; Süß, DNotZ 2005, 190. Fetsch, GmbHR 2008, 138 behandelt den Fall
der Abtretung des Anteils an einer englischen private limited company, die er als ähnlich der deut-
schen GmbH der Vorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG unterwirft.
4 Dazu Reithmann, NZG 2005, 873.
5 Eine Frage, die wohl am besten durch einen in dem betreffenden Land tätigen Rechtsanwalt zu
beurteilen ist, auch wenn dieser weniger auf Kollisionsrecht als auf das dortige Grundstücks- und
Gesellschaftsrecht spezialisiert ist.

Reithmann/Stelmaszczyk | 409
§ 5 Rz. 5.271 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.271 Die Rechtsordnung, die das Recht begründet, bestimmt das Ausmaß dieses Rechts (Wir-
kungsstatut); sie bestimmt auch, ob das Recht vererblich und übertragbar ist. Dies muss auch
entscheidend sein für die Frage, wie die Übertragung zu erfolgen hat, sowie für eine dafür
etwa vorgeschriebene Form.

5.272 Das Wirkungsstatut entscheidet, ob für die Begründung oder Änderung des Rechts ein Ho-
heitsakt und/oder ein Rechtsgeschäft nötig ist und welcher Tatbestand erfüllt sein muss, damit
diese Änderung eintritt. Nach diesem Wirkungsstatut kann ein Verpflichtungsgeschäft auch
unmittelbare („dingliche“) Rechtswirkungen haben, es kann aber auch der Abschluss eines
besonderen Verfügungsgeschäfts verlangt sein.

5.273 Dass es hinsichtlich der Verfügung (oder der verfügenden Wirkung eines Verpflichtungs-
geschäfts) auf das Wirkungsstatut ankommt, ist bei Verträgen über Grundstücke nicht zwei-
felhaft1. Bei Verfügungen über Rechte, die zum Schutz des Urhebers als Ausschlussrechte ge-
währt werden, muss das Gleiche gelten. Inhalt und Übertragung solcher Schutzrechte sind
nach der Rechtsordnung zu beurteilen, welche dieses Recht gewährt (lex loci protectionis)2.

5.274 Für die Durchführung, Begründung oder Änderung der Sachherrschaft über einen Gegen-
stand ist oft ein Rechtsgeschäft notwendig. Dies kann ein Vertrag sein wie bei einem Ver-
fügungsgeschäft über den Geschäftsanteil nach § 15 Abs. 3 GmbHG, ein Versammlungs-
beschluss wie bei einer Satzungsänderung (§ 53 Abs. 1 GmbHG) oder auch ein körperschaftli-
cher Organisationsakt wie der Verschmelzungsvertrag als Voraussetzung für die Übertragung
des Vermögens der übertragenden Rechtsträger auf den übernehmenden Rechtsträger (§ 4
Abs. 1 UmwG). Dem Beschluss oder Vertrag legt das anwendbare Sachrecht die beabsichtigte
Rechtswirkung nur dann zu, wenn bestimmte Formerfordernisse eingehalten sind (§ 15 Abs. 3
bzw. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG oder § 6 UmwG). Bei Auslandsberührung sieht Art. 11 Abs. 1
EGBGB als Anknüpfung für das Formstatut alternativ das Wirkungsstatut (Geschäftsform)
und den Abschlussort (Ortsform) vor (ebenso wie Art. 11 Rom I-VO für Verpflichtungsver-
träge).

5.275 Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass der Alternative bei gleichlautendem Wortlaut unter-
schiedliche Interessen zugrunde liegen. Bei Verpflichtungsverträgen kommt es darauf an,
dem geäußerten Willen der Vertragsteile möglichst Durchsetzung zu verschaffen; Sanktionen
wegen Nichterfüllung von Formerfordernissen müssen hier zurücktreten (favor gerentis). Bei
Verfügungsgeschäften ist dagegen auf die Wirkung nach außen zu achten (erga omnes).

5.276 Dazu macht Art. 11 EGBGB in seinem Abs. 4 eine Ausnahme für Verfügungen über „Sa-
chen“:
„Ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht an einer Sache begründet oder über ein solches
Recht verfügt wird, ist nur formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts erfüllt, das
auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist.“

5.277 Der Anwendungsbereich der alternativen Formstatute der lex causae (Art. 11 Abs. 1 Alt. 1
EGBGB) und der lex loci actus (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB) ist ebenso wie die Ausnahme
des Art. 11 Abs. 4 EGBGB zwar im Einzelnen nach wie vor umstritten, hat jedoch in jüngerer

1 Mansel in Staudinger (2015), Art. 43 EGBGB Rz. 1105.


2 Vgl. zur lex loci protectionis im Internationalen Immaterialgüterrecht Drexl in MünchKomm, Art.
8 Rom II-VO Rz. 6 ff.

410 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.281 § 5

Zeit gerade hinsichtlich der für die Praxis relevanten Verfügungsgeschäfte des Liegenschafts-
und Gesellschaftsrechts an Konturen gewonnen.

2. Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke


Für Verfügungsgeschäfte über ein in Deutschland belegenes Grundstück sind nach einhelliger 5.278
Meinung1 gem. Art. 11 Abs. 4 EGBGB i.V.m. Art. 43 Abs. 1 EGBGB allein das deutsche Sa-
chenrecht und dessen Formerfordernisse maßgeblich. Die Beachtung der Ortsform nach
Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB genügt insoweit nicht. Für die Auflassung kommt es somit allein
auf die Anforderungen des § 925 Abs. 1 BGB an. Dies hat der BGH in einem Beschluss vom
13.2.20202 betreffend die Auflassung eines in Deutschland belegenen Grundstücks vor einem
Schweizer Notar mit Amtssitz in Basel bestätigt, wenngleich unter Heranziehung der falschen
Kollisionsnorm. Sein Verweis auf Art. 9 Abs. 6 EVÜ geht gleich in doppelter Hinsicht fehl3.
Erstens ist das EVÜ für ab dem 17.12.2009 geschlossene Verträge durch die Rom I-VO abge-
löst worden, die aufgrund ihrer universellen Anwendbarkeit (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Rom I-VO)
von deutschen Gerichten auch auf Sachverhalte mit Bezug zu Drittstaaten wie der Schweiz
anzuwenden ist. Zweitens gilt die Rom I-VO ebenso wie das EVÜ ausschließlich für vertragli-
che Schuldverhältnisse (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 1 Abs. 1 EVÜ), nicht aber für Ver-
fügungsgeschäfte wie die Auflassung über ein Grundstück.

3. Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen


a) Überblick
Im Hinblick auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen kommt es darauf an, ob die auf 5.279
„Sachen“ beschränkte Regel des Art. 11 Abs. 4 EGBGB auch auf Verfügungen über Gesell-
schaftsbeteiligungen angewendet werden kann. Dafür tritt insb. Süß im Wege der Analogie
mit ausführlicher Begründung ein4.

Der Gesetzgeber des EGBGB hat von einer Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts 5.280
abgesehen, die Reformen haben dies der Entwicklung überlassen. Die Rechtsprechung hat nur
einige Teilfragen angeschnitten, wollte aber dem Gesetzgeber nicht vorgreifen.

Der Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht wollte diese Frage zugunsten 5.281
des Gründungsstatuts entscheiden5. Die Literatur ist weiterhin gespalten. Den hergebrachten
Grundsätzen des Kollisionsrechts stehen die Erfordernisse des Gesellschaftsrechts, insb. die
der Publizität gegenüber. Dies hat Hertel im Staudinger (Bearbeitung 2004) herausgestellt
und in den Neubearbeitungen von 2012 und 2017 vertieft6. Die kollisionsrechtlichen Argu-
mente hat Winkler von Mohrenfels im Staudinger (Bearbeitung 2019) zusammengefasst7. Er

1 Vgl. nur Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 220; Mansel in Staudinger
(2015), Art. 43 EGBGB Rz. 1105 jew. m.w.N.
2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670.
3 Hierauf weisen Ransiek, jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3 sowie Lehmann/Krysa, RIW 464 (465) zu
Recht hin.
4 Süß in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, Rz. 112; Süß, DNotZ 2011,
414 (417); ebenso Herrler, NJW 2018, 1787; dagegen: Winkler von Mohrenfels in Staudinger,
Art. 11 EGBGB Rz. 284.
5 Wagner/Timm, IPRax 2008, 81.
6 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 852 ff.
7 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 258 ff.

Reithmann/Stelmaszczyk | 411
§ 5 Rz. 5.281 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

wendet mit der kollisionsrechtlichen Literatur die in anderem Zusammenhang entstandene


Regel der Alternative von lex causae und leges loci actus auch auf gesellschaftsrechtliche Fra-
gen an.

5.282 Diese Frage ist von großer praktischer Bedeutung für das Recht der GmbH. In der Bundes-
republik Deutschland bestehen über eine Million Gesellschaften, die nach dem GmbHG ge-
gründet und im deutschen Handelsregister eingetragen sind. Jedenfalls dann, wenn die Gesell-
schaft auch ihren Verwaltungssitz im Inland hat, ist deutsches Recht als Gesellschaftsstatut
anwendbar. Für die Gründung (§ 2 GmbHG), die Änderung der Satzung (§ 53 GmbHG) und
die Umwandlung (§ 6 UmwG, ggf. i.V.m. § 125 S. 1, § 176 oder § 177 UmwG) verlangt das
deutsche Recht die Mitwirkung des Notars, aber auch für die Verfügung über einen Geschäfts-
anteil (§ 15 Abs. 3 GmbHG)1. Ob in diesen Fällen die Mitwirkung eines ausländischen No-
tars nach Art. 11 EGBGB genügt, ist nach wie vor umstritten.

5.283 Eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage kann in den bisherigen BGH-Entscheidun-
gen noch nicht gesehen werden, auch nicht in der Entscheidung vom 16.2.19812. Hier hatte
der BGH über die Rechtswirksamkeit eines satzungsändernden Beschlusses der Gesellschafter
einer deutschen GmbH zu entscheiden. Dafür verlangt das deutsche Recht in § 53 Abs. 2 S. 1
GmbHG notarielle Beurkundung. Die Bedeutung der Entscheidung liegt in den Ausführun-
gen über die Gleichwertigkeit. Der BGH hat in diesem Fall die Mitwirkung des Züricher No-
tars als gleichwertig mit der eines deutschen Notars anerkannt. Diese Frage hat der BGH in
seiner Entscheidung vom 22.5.19893 über die Abtretung eines Geschäftsanteils an einer deut-
schen GmbH vor einem Schweizer Notar in einem obiter dictum ohne nähere Prüfung ange-
schnitten (und dabei die Entscheidung vom 16.2.1981 zitiert), aber nicht eingehend behandelt.
Auch in der Entscheidung vom 17.12.20134 hat der BGH auf die Entscheidung von 1981 hin-
gewiesen. Hier handelt es sich um eine Frage des Registerrechts, darum, ob das Registergericht
eine von einem Baseler Notar eingereichte Gesellschafterliste zu den Registerakten nehmen
muss. Um Transparenz über die Anteilseigner einer GmbH zu schaffen, hat das MoMiG5 diese
Liste eingeführt: Im Falle jeder Veränderung in der Person der Gesellschafter, vor allem also
im Falle der Veränderung durch Abtretung des Geschäftsanteils, hat der Notar, der an der Ver-
änderung mitgewirkt hat, die Liste zu unterzeichnen und zum Handelsregister einzureichen
(§ 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG). In diesem Fall hat der Notar in Basel, der einen Vertrag über die
Abtretung eines Geschäftsanteils an einer deutschen GmbH beurkundet hatte, eine von ihm
gefertigte Liste bei dem Registergericht eingereicht. Der BGH entschied, dass diese Liste „nicht
schon deshalb zurückgewiesen werden darf, weil sie von einem Notar mit dem Sitz in Basel/
Schweiz eingereicht worden ist“. Der BGH bejahte die Zuständigkeit des Baseler Notars zur
Erstellung der Liste, ließ aber die Frage der Rechtswirksamkeit der Beurkundung des Vertra-
ges dahingestellt.

1 Ausführlich Süß in Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, Rz. 101 ff.
2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = GmbHR 1981, 238 = ZIP 1981, 402 = DNotZ 1981,
451.
3 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, ZIP 1989, 1054 = GmbHR 1990, 25 = WM 1989, 1221. Dazu
kritisch Goette, FS Boujong (1996), S. 130 (132).
4 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 413 = ZIP 2014, 317 = GmbHR
2014, 248; dazu kritisch Herrler, GmbHR 2014, 225; Seebach, DNotZ 2014, 403; Lieder/Ritter, no-
tar 2014, 187.
5 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v.
23.10.2008, BGBl. 2008 I, 2009.

412 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.288 § 5

b) Ausgangspunkt
Auszugehen ist von § 125 S. 1 BGB, der ein Rechtsgeschäft des materiellen Rechts mit der 5.284
Sanktion der Nichtigkeit belegt, wenn es „der durch Gesetz vorgeschriebenen Form erman-
gelt“. Eine dieser Formen ist in § 128 BGB als „notarielle Beurkundung eines Vertrages“ ge-
nannt (aber nicht definiert).

Diese Sanktion schränkt das Kollisionsrecht in Art. 11 EGBGB dadurch ein, dass es genügen 5.285
lässt, wenn den Erfordernissen eines von mehreren in Frage kommenden Formstatuten ge-
nügt ist (alternativ lex causae/leges loci actus). Ob und inwieweit diese Alternative auf Ver-
fügungsgeschäfte überhaupt oder jedenfalls auf Verfügungsgeschäfte des Gesellschaftsrechts
zutrifft, ist sehr umstritten. Die kollisionsrechtlichen Argumente stellt Winkler von Mohren-
fels1 im Staudinger umfassend dar. Dagegen steht die ausführliche Darlegung praktischer Er-
fordernisse durch Hertel2.

Bei den Verfügungsgeschäften über Geschäftsanteile an inländischen Gesellschaften geht es 5.286


um die Einschränkung der Sanktion des § 125 S. 1 BGB durch die vom Kollisionsrecht eröff-
nete Alternative. Die beratende Praxis versucht von dieser Alternative durch Verlegung des
Abschlussortes in das Ausland (vor allem nach Basel/Stadt oder Bern) Gebrauch zu machen.
Bezweckt ist neben einer Vermeidung der dem deutschen Notar zwingend vorgeschriebenen
Gebühren auch die Vermeidung der dem deutschen Notar vorgeschriebenen Verlesung der
Niederschrift.

Die Niederschrift ist oft sehr umfangreich und kann Verpflichtungsgeschäfte und Verfügungs- 5.287
geschäfte enthalten. Hinsichtlich des Verpflichtungsgeschäfts kann eine (nach § 15 Abs. 4 S. 1
GmbHG vorgeschriebene) Beurkundungspflicht durch Rechtswahl umgangen werden, was
aber für das oft in der gleichen Niederschrift enthaltene Verfügungsgeschäft sehr zweifelhaft
ist (s. Rz. 5.233, Rz. 5.270 ff.).

c) Entwicklungen
Die kollisionsrechtliche Frage (Alternative lex causae/leges loci actus) wird von den deut- 5.288
schen Gerichten oft vernachlässigt. Der BGH3 hat sie in der Entscheidung von 1981 offen ge-
lassen und hat darauf abgestellt, dass das Rechtsgeschäft jedenfalls den Erfordernissen der lex
causae im Einzelfall „gleichwertig“ war. In seiner Entscheidung von 2013 hat der BGH4 die
Verweisung auf die Ortsform bezeichnenderweise gar nicht mehr erwähnt. Es hat den An-
schein, als wollten sich die deutschen Gerichte weiterhin die Möglichkeit offenhalten, auch bei
Abtretungen von GmbH-Geschäftsanteilen im Ausland zumindest auf einer notariellen Beur-
kundung der Vereinbarung nach § 15 Abs. 3 GmbHG zu bestehen5. Im Wege der sich an-
schließenden Auslegung wird sodann auf die „Gleichwertigkeit“ mit den Regelungen des ma-
teriellen Rechts abgestellt nach der Methode der Substitution (dazu s. Rz. 5.347 ff.). Zwar hat
auch diese Methode ihre Schwächen und ist sie noch nicht in allen Einzelheiten höchstrichter-
lich geklärt. Doch erlaubt es die Methode der Substitution den deutschen Gerichten, den
Normzweck des in Frage stehenden Formerfordernisses normativ-dynamisch im Lichte der

1 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 258 ff.


2 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 852 ff.
3 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 8/80, BGHZ 86, 77 Rz. 42.
4 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, DNotZ 2014, 457 = ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248.
5 Süß in Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, Rz. 111.

Reithmann/Stelmaszczyk | 413
§ 5 Rz. 5.288 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu bestimmen und


eine Gleichwertigkeitsprüfung auf der Grundlage der aktuellen Rechtslage unter Einbeziehung
öffentlich-rechtlicher Pflichten der Urkundsperson im In- und Ausland-vorzunehmen.

d) Konsequenzen für die Praxis


5.289 Bei der Vertragsberatung stellt sich die Frage, ob bei einer späteren Entscheidung über einen
dem Richter vorgelegten Vertrag die Sanktion der Nichtigkeit anzuwenden ist oder vermieden
werden kann, weil die Beurkundung gleichwertig sei.

5.290 Bei der Vertragsgestaltung ist der sicherste Weg zu wählen. Es empfiehlt sich, Verfügungs-
und Verpflichtungsgeschäfte getrennt zu sehen, weil ein formnichtiges Verfügungsgeschäft in
keinem Fall geheilt werden kann (s. Rz. 5.433).

5.291 Ist das Verfügungsgeschäft wirksam, so kann es ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft1


heilen (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG). Sind in der Vertragsurkunde sowohl Verpflichtungen wie
auch Verfügungen aufgeführt, sollte jedenfalls zum Ausdruck kommen, ob es sich um unter-
schiedliche Verträge, also nicht um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt.

5.292 Bei dem Verfügungsgeschäft der Abtretung von Geschäftsanteilen an deutschen Gesellschaften
ist jedenfalls die Beurkundung durch einen deutschen Notar der sicherste Weg, um das Er-
fordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG zu erfüllen. Dazu raten auch Süß vom deutschen Notarins-
titut, aber auch beratende Rechtsanwälte wie Göthel (in der Darstellung des share deal in die-
sem Buch).

5.293 Beurkundet der deutsche Notar in einer Urkunde neben dem Verfügungsgeschäft auch das
Verpflichtungsgeschäft, so wirkt sich das nicht notarkostenerhöhend aus. Denn nach dem
GNotKG fällt dieselbe Gebühr an, ganz gleich ob in der Urkunde nur das Verpflichtungs-
geschäft oder nur das Verfügungsgeschäft oder beide Geschäfte beurkundet werden.

4. Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften


5.294 Verträge zwischen Unternehmen enthalten oft auch Verpflichtungen zur Übertragung von Be-
teiligungen an ausländischen Gesellschaften. Für den Verpflichtungsvertrag gilt nach der
Rom I-VO als Schuldstatut das vereinbarte Recht.

5.295 Oft ist für die Übertragung ein Verfügungsvertrag erforderlich. Das Gesellschaftsstatut be-
stimmt grundsätzlich auch die Formerfordernisse, die dafür aufgestellt sind.

5.296 Auch fremde Rechtsordnungen stellen Formerfordernisse für das übertragende Geschäft auf,
wie dies das deutsche Recht in § 15 Abs. 3 GmbHG vorschreibt. Nach einigen ausländischen
Rechten genügt es auch, die Formerfordernisse der lex loci actus zu erfüllen2.

5.297 Wenn das ausländische Recht überhaupt keine Regel aufstellt, ist jedenfalls zum Nachweis des
Übergangs des Geschäftsanteils die Errichtung einer Protokollurkunde zu empfehlen (s.

1 U.U. kann ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft durch ein formwirksames Verfügungsgeschäft


sogar dann geheilt werden, wenn beide in der gleichen Niederschrift enthalten sind (s. Rz. 5.433).
2 Winkler von Mohrenfels gibt eine Übersicht über 173 ausländische Rechte, Winkler von Mohrenfels
in Staudinger (2013), Art. 11 EGBGB Anlage.

414 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.303 § 5

Rz. 5.404), eventuell auch beschränkt auf einzelne Verfügungsgeschäfte1. Dies kann u.U. auch
der Heilung eines eventuell unwirksamen Verpflichtungsvertrages dienen. Für diese Heilung
verlangt zwar § 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG einen „nach Maßgabe des vorigen Absatzes geschlosse-
nen Abtretungsvertrag“. Nach hier vertretener Auffassung ist dies der Substitution zugänglich;
wie in anderen Fällen der Heilung muss es auf die Wirkung des heilenden Tatbestandes an-
kommen, nicht auf deren rechtliche Qualifizierung.

Für jedes einzelne Land ist die Frage zu stellen, ob nach dessen Recht eine getrennte Beurkun- 5.298
dung des betreffenden Verfügungsgeschäfts (oder eine Wiederholung) in dem betreffenden
Land als angebracht erscheint.

IV. Beweiskraft der Vertragsurkunde


1. Allgemein
Die vorgehenden Abschnitte betreffen die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Willenserklä- 5.299
rungen und damit des Vertrags. Willenserklärungen können mündlich, schriftlich und kon-
kludent geäußert werden, sie können in einem sachlichen Substrat (Papierurkunde oder elek-
tronisches Dokument) gespeichert werden. Das Substrat tritt als Original oder als Ausfer-
tigung in den Rechtsverkehr. Im Folgenden geht es um dieses Substrat, die Vertragsurkunde.

Auch hier wird von „Form“ gesprochen. Die Regeln dafür haben aber nichts zu tun mit den 5.300
für die Willenserklärung geltenden Formerfordernissen, deren Nichteinhaltung § 125 BGB
mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt. Hier geht es nicht um die Willenserklärung, sondern
um das Substrat, in dem diese niedergelegt ist. Die Voraussetzungen und Wirkungen dafür
sind an die Verwendung des Substrats geknüpft.

2. Regeln des Urkundenrechts


Hierfür enthält die ZPO im 9. Titel ihres 2. Buches („Beweis durch Urkunden“) Vorschriften. 5.301
Sie werden über das Verfahren der ZPO hinaus in anderen Verfahren vor inländischen Ge-
richten und Behörden angewendet2 und beweisen (bei berichtenden Urkunden), dass der vom
Notar in der Urkunde niedergelegte Bericht tatsächlich vom ausstellenden Notar stammt. Da-
neben können sie nachweisen (bei Protokollurkunden), dass der Bericht des Notars inhaltlich
wahr ist.

Diese Regeln sind von Formvorschriften des materiellen Rechts zu unterscheiden. Sie werden 5.302
deshalb hier als Regeln des Urkundenrechts bezeichnet3.

3. Echtheit der Urkunde


Die ZPO unterscheidet öffentliche Urkunden von Privaturkunden. 5.303

1 Soweit dies durch eine Beurkundung im Ausland erfolgen soll, ist die Vorlage einer Protokoll-
urkunde, die auch im Inland den Beweis des § 415 ZPO erbringt (Rz. 5.321 f.) zu empfehlen. Eine
Privaturkunde, auch mit notarieller Beglaubigung der Unterschriften, kann wohl nicht ausreichen.
2 Für die VwGO ordnet § 98 VwGO die entsprechende Anwendung ausdrücklich an. Für das
VwVfG s. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 26 VwVfG Rz. 34; a.A. Herrmann in BeckOK
VwVfG, 1.7.2021, § 26 VwVfG Rz. 31.1 (freie Beweiswürdigung).
3 Reithmann, Allgemeines Urkundenrecht (1972); Reithmann in FS Martiny (2014), S. 515.

Reithmann/Stelmaszczyk | 415
§ 5 Rz. 5.304 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.304 Für die Echtheit von Privaturkunden bestehen keine gesetzlichen Regelungen: „Die Echtheit
einer nicht anerkannten Privaturkunde ist zu beweisen“ (§ 440 Abs. 1 ZPO). Die Regel des
§ 440 Abs. 2 ZPO (Zurechnungsvermutung) gilt dagegen auch für Privaturkunden: „Steht die
Echtheit der Namensunterschrift fest ..., so hat die über der Unterschrift ... stehende Schrift
die Vermutung der Echtheit für sich“. Dabei kommt es auf das Erscheinungsbild der Urkunde
an. „Inwiefern Streichungen, Radierungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel die
Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Ge-
richt nach freier Überzeugung“ (§ 419 ZPO).

5.305 Diese Regel gilt für alle Urkunden, ob im In- oder Ausland ausgestellt. Als Verfahrensregel ist
sie nach der lex fori anzuwenden.

5.306 Hinsichtlich der Echtheit der öffentlichen Urkunde stellt die ZPO in §§ 437, 4381 auf das
Erscheinungsbild der vorliegenden Urkunde ab: Die Vermutung der Echtheit (§ 437 Abs. 1
ZPO) gilt für Urkunden, die von einem inländischen Notar „errichtet sich darstellen“. Bei aus-
ländischen Urkunden nennt § 438 ZPO in Abs. 1 zunächst die „Umstände des Falles“, lässt
aber in Abs. 2 Legalisation durch einen Konsul oder Gesandten des Bundes genügen.

5.307 Den Beweis der Echtheit der Urkunde begründet bereits die Apostille nach dem Haager Über-
einkommen vom 5.10.19612.

5.308 Das Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 ist Teil des inländischen Verfahrensrechts. Es
muss auf alle Urkunden, die vor inländischen Gerichten und Behörden vorgelegt werden, an-
gewendet werden, gleich ob sie als Protokollurkunden über den Vorgang des Vertragsschlusses
und den Vertragsinhalt berichten (Beurkundung) oder in Form der Vermerkurkunde die
Echtheit einer Unterschrift verifizieren (Unterschriftsbeglaubigung, s. Rz. 5.323 ff.).

5.309 Die Apostille hat die gleiche Wirkung wie die Legalisation, d.h. sie beweist die Echtheit der
Urkunde, geht aber nicht darüber hinaus3. Sie weist keinesfalls alle Erfordernisse des § 415
ZPO nach, vor allem weist sie nicht die persönliche Wahrnehmung des Ausstellers nach, die
§ 415 ZPO verlangt. Für die Praxis ist darauf hinzuweisen, dass die inzwischen von einigen
Staaten erteilten elektronischen Apostillen (e-Apostillen) von den deutschen Registergerich-
ten und Behörden aufgrund nachvollziehbarer rechtlicher Bedenken4 nicht anerkannt werden
und das geltende deutsche Recht keine (weitere) Erleichterung für den Nachweis der Echtheit
ausländischer elektronischer öffentlicher Dokumente vorsieht5. Aus diesem Grund ist die

1 Die Voraussetzungen der §§ 437, 438 ZPO sind nicht mit denen identisch, die § 415 ZPO für eine
„öffentliche Urkunde“ stellt. Eine Urkunde, die dieser Definition nicht genügt, sollte nicht als „öf-
fentliche Urkunde“ bezeichnet werden, sie kann als „amtliche Urkunde“ gelten.
2 Haager Übereinkommen v. 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der
Legalisation, BGBl. 1965 II, 875. Das Übereinkommen definiert zwar den Begriff der öffentlichen
Urkunde nicht, bestimmt aber u.a., dass „notarielle Urkunden“ als öffentliche Urkunden angese-
hen werden (Art. 1 Abs. 2c).
3 Knothe in Bauer/Oefele, Grundbuchordnung, 13. Aufl. 2013, Rz. 631/633.
4 Dazu Forschner/Kienzle, DNotZ 2020, 724 (726 ff.).
5 Die für inländische öffentliche elektronische Dokumente geltende Echtheitsvermutung nach den
§ 371a Abs. 3 S. 2 und § 371b S. 2 ZPO i.V.m. § 437 ZPO findet auf ausländische öffentliche elek-
tronische Dokumente keine Anwendung, und eine analoge Anwendung des § 438 Abs. 2 ZPO auf
ausländische öffentliche elektronische Dokumente scheidet bereits deshalb aus, weil es hierfür an
einem öffentlichen Legalisationsverfahren entsprechend § 13 KonsG fehlt, s. dazu Kienzle, NJW
2019, 1712 (1713 f.).

416 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.315 § 5

Apostille zur Vorlage vor deutschen Registergerichten und Behörden weiterhin physisch auf
der papiergebundenen Urkunde anzubringen.

4. Protokollurkunden
a) Wahrheitsvermutung (§ 415 ZPO)
Als wichtigstes Formerfordernis nennt das materielle Recht die „Beurkundung“ als Mitwir- 5.310
kung einer Urkundsperson, nicht nur bei der Äußerung, sondern auch bei der Niederlegung
der Erklärung. Beurkundung erfüllt zwei Aufgaben: Zum einen erfüllt sie Erfordernisse, die
das materielle Recht (§ 125 ff. BGB) für bestimmte Rechtsgeschäfte vorschreibt; zum anderen
bringt die so errichtete Urkunde „vollen Beweis“ des berichteten Vorganges in allen gericht-
lichen und behördlichen Verfahren (§ 415 ZPO). Es geht damit um die Wahrheit des in der
Protokollurkunde enthaltenen Berichts der Urkundsperson.

§ 415 ZPO definiert zunächst den Begriff der „öffentlichen Urkunde“ als „Urkunde, die von 5.311
einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit
öffentlichem Glauben versehenen Person aufgenommen“ ist. Soweit sie über einen von der
Urkundsperson wahrgenommenen Vorgang berichtet, erbringt sie „vollen Beweis dieses Vor-
gangs“ (§ 415 ZPO).

Ein nach dem 2. Abschnitt des Beurkundungsgesetzes errichtetes Protokoll zählt zu den „öf- 5.312
fentlichen Urkunden“ nach § 415 ZPO1.

Der vom Notar in der Niederschrift niedergelegte Bericht über den von ihm wahrgenom- 5.313
menen Vorgang tritt als Protokollurkunde in den Rechtsverkehr und erbringt „vollen Beweis“
des berichteten „Vorgangs“ (§ 415 ZPO). Der Bericht umfasst die geäußerten Erklärungen,
gleich ob diese auf einen Rechtserfolg gerichtet sind (Willenserklärungen) oder nicht. § 415
ZPO umfasst alle Erklärungen, unabhängig auch davon, ob das materielle Recht für die
Rechtswirkung der Erklärung die Einhaltung einer bestimmten „Form“ (i.S.d. § 125 BGB)
vorschreibt.

Auch Verfahrenserklärungen, z.B. Eintragungsbewilligungen in Grundbuch- und Register- 5.314


verfahren, denen eine materiell-rechtliche Wirkung nicht zukommt, sind vom „vollen Beweis“
nach § 415 ZPO umfasst, wenn sie in einer Protokollurkunde (z.B. im Rahmen eines Grund-
stückskaufvertrages) niedergelegt sind. Sie können auch die Verfahrenserklärung im Verfah-
ren nachweisen. Auch wenn die in der Urkunde niedergelegte Willenserklärung formnichtig
nach § 125 BGB sein sollte, kann die Urkunde den Nachweis der in der gleichen Vertrags-
urkunde gespeicherten Verfahrenserklärungen nach § 415 ZPO erbringen2.

Während die Rechtswirksamkeit eines Vertrages davon abhängt, dass Formerfordernisse des 5.315
materiellen Rechts (nach Maßgabe des Kollisionsrechts) erfüllt sind, kommt es für die Ver-
wendung der Urkunde vor inländischen Gerichten darauf an, ob die vorgelegte Urkunde den
Erfordernissen des § 415 ZPO genügt.

1 Aber auch ein Vermerk (z.B. der Beglaubigungsvermerk bei der Unterschriftsbeglaubigung, der
nach § 40 BeurkG errichtet ist), stellt eine „öffentliche Urkunde“ i.S.d. § 415 ZPO dar, nicht aber
das Schriftstück, zu dem der Unterzeichner sich im Beglaubigungsverfahren bekannt hat
(Rz. 5.323).
2 Schreiber in MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 25 f., 27.

Reithmann/Stelmaszczyk | 417
§ 5 Rz. 5.316 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.316 Hier kommt es auf das Erscheinungsbild der vorgelegten Urkunde an. In § 415 ZPO ist der
Begriff der „vorgeschriebenen Form“ eigenständig auszulegen. Dabei kommt es darauf an,
dass die in den Rechtsverkehr getretene Urkunde einen Bericht des Notars über den von ihm
wahrgenommenen Vorgang darstellt, etwa beginnend mit den Worten „beurkunde ich die
vor mir abgegebenen Erklärungen“, also eine Protokollurkunde darstellt.
5.317 In der Praxis wird bei Urkunden, die aus dem Ausland stammen, zunächst geprüft, ob das in
der Urkunde gespeicherte Rechtsgeschäft materiell-rechtlich rechtswirksam ist. Ist dies der Fall
und steht die Echtheit der Urkunde (meist durch eine Apostille) fest, so geht die Praxis i.d.R.
davon aus, dass die Urkunde auch die Anforderungen des § 415 ZPO erfüllt, zumal dann, wenn
sie von einem „lateinischen“1 Notar in Protokollform errichtet ist. Dies kann aber nicht gelten,
wenn die vorgelegte Urkunde den Anforderungen des § 415 ZPO offensichtlich nicht genügt.
5.318 Auch wenn ein in der Urkunde niedergelegter Vertrag den kollisionsrechtlichen Anforderun-
gen genügt (z.B. als private Schrifturkunde) und deshalb materiell-rechtlich wirksam ist, kann
die vorgelegte Privaturkunde den Nachweis des Vertragsabschlusses nicht erbringen, selbst
dann nicht, wenn die Unterschriften der Beteiligten notariell beglaubigt sind. Der Beglaubi-
gungsvermerk weist nur den Vorgang der Unterzeichnung (oder die Anerkennung der Un-
terschrift) nach, nicht aber den Vorgang des Vertragsabschlusses.

b) Urkundlich bezeugter Vorgang


5.319 In der Protokollurkunde berichtet der Notar dagegen über den wahrgenommenen Vorgang
des Vertragsabschlusses sowie über Zeit und Ort, an dem er den Vorgang wahrgenommen
hat. Auch auf diesen Bericht erstreckt sich der „volle Beweis“ der Protokollurkunde2. Darüber,
ob der urkundliche Bericht über den Vertrag den „ganzen Vertrag“ vollständig umfasst, sagt
§ 415 ZPO nichts.
5.320 Bei einer von einem inländischen Notar errichteten Protokollurkunde geht die Praxis davon aus,
dass der Notar nicht nur über den Vorgang berichtet, sondern auch bei der Formulierung der
Erklärungen mitgewirkt hat. Dies kann eine tatsächliche Vermutung begründen: Der BGH3
spricht von der „Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung notarieller Urkunden“ und führt
mit Recht aus, dass diese Vermutung „im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Beurkundungs-
erfordernis“ steht: „Dementsprechend erstreckt sich, wenn der Vertrag beurkundet worden ist,
die Vermutung auf die vollständige (und richtige) Wiedergabe der getroffenen Vereinbarungen“.
5.321 Anders ist es bei Urkunden von im Ausland bestellten Notaren. Der ausländische Notar ist
an das dem deutschen Notar auferlegte Verfahren der Beurkundung nicht gebunden. Er er-

1 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 729 ff.


2 In der Vermerkurkunde (Unterschriftsbeglaubigung) gilt dagegen § 415 ZPO nur für den Beglau-
bigungsvermerk. § 40 BeurkG verlangt zwar (durch eine Soll-Vorschrift) die Angabe des Tages der
Ausstellung des Beglaubigungsvermerks. Der Beglaubigungsvermerk hat die Beweiskraft des § 415
ZPO dafür, dass und wann der Notar den Beglaubigungsvermerk unterzeichnet hat. Damit ist
aber nichts gesagt über den Zeitpunkt, an dem die im beglaubigten Schriftstück genannten Erklä-
rungen abgegeben wurden. Darauf kann es aber (besonders in steuerlicher Hinsicht) ankommen.
3 BGH v. 1.2.1985 – V ZR 180/83, DNotZ 1986, 78. In diesem Fall ging es darum, ob der Verkäufer
vertragliche Zusicherungen bezüglich bestimmter Größen der verkauften Wohnungen abgegeben
habe. Da derartige Zusicherungen dem Beurkundungserfordernis unterlegen hätten, ist zu ver-
muten, dass der Notar sie in der Urkunde aufgenommen hätte, wenn sie Gegenstand der notariel-
len Verhandlung gewesen wären. Dementsprechend begründet der Urkundentext eine Vermutung
gegen die Zusicherung der Wohnungsgröße.

418 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.328 § 5

richtet die Urkunde nach den Vorschriften des für ihn geltenden Beurkundungsrechts. Wird
die Urkunde im Inland verwendet, so stellt sich die Frage, ob auch hier eine Vermutung der
Vollständigkeit angenommen werden kann.

Nach hier vertretener Auffassung kann die Vermutung der Vollständigkeit nur dann auch auf 5.322
die ausländische Urkunde angewendet werden, wenn die Mitwirkung der Urkundsperson nach
ausländischem Beurkundungsrecht in vergleichbarer Weise wie in einer Verhandlung nach
deutschem Beurkundungsrecht verbindlich vorgeschrieben und institutionell gesichert ist.

5. Vermerkurkunden
a) Erscheinungsformen
Im inländischen Grundbuch- und Registerverfahren werden häufig Privaturkunden vorgelegt, 5.323
auf denen ein ausländischer Notar die Unterschrift des Ausstellers in Form eines Vermerks
beglaubigt hat. Soweit es sich um Urkunden mit materiell-rechtlichem Inhalt handelt, wird
die rechtliche Wirksamkeit nach materiellem Recht (einschließlich des Kollisionsrechts) beur-
teilt, z.B. bei Schriftstücken, die eine Vollmacht speichern. Die Rechtswirksamkeit wird nach
den für die Vollmachtserteilung und Vollmachtsausstellung maßgebenden kollisionsrecht-
lichen Vorschriften beurteilt.

Soweit es sich um Verfahrenserklärungen handelt, steht eine materiell-rechtliche Wirksamkeit 5.324


nicht in Frage. Die Verwendung der Urkunde im inländischen Verfahren richtet sich, gleich wo
die Urkunde ausgestellt ist, nach den Vorschriften, die die lex fori für das Verfahren bereithält.

b) Beglaubigungsvermerk
Stammt der Vermerk von einem ausländischen Notar, kommt es für die Echtheit des Ver- 5.325
merks und damit der vorgelegten Urkunde praktisch auf Legalisation oder Apostille an (dazu,
insb. zur Problematik der e-Apostille, Rz. 5.309). Diese verifizieren den Notar als Aussteller
des Beglaubigungsvermerks (§ 438 ZPO).

Das so beglaubigte Schriftstück1 bleibt Privaturkunde. Auch für dieses begründet § 440 Abs. 2 5.326
ZPO die Vermutung der Echtheit des über der Unterschrift stehenden Textes ohne Rücksicht
darauf, wo das Schriftstück gefertigt wurde. § 440 Abs. 2 ZPO gehört dem allgemeinen Ur-
kundenrecht an, das stets Anwendung findet, wenn die Urkunde vor einem inländischen Ge-
richt oder einer inländischen Behörde verwendet wird (lex fori, Rz. 5.308).

c) „Öffentlich beglaubigte Form“ (§ 129 BGB)


In vielen Fällen kann die Verifizierung des Notars (als des Ausstellers des Beglaubigungsver- 5.327
merks) genügen. Für die Verwendung als Eintragungsbewilligung im Grundbuchverfahren
verlangt aber § 29 GBO „öffentlich-beglaubigte Form“ und verweist damit auf § 129 BGB,
ebenso § 12 HGB für die Anmeldung zum Handelsregister.

§ 129 BGB bestimmt in Abs. 1 Satz 1: „Ist durch Gesetz für eine Erklärung öffentliche Beglau- 5.328
bigung vorgeschrieben, so muss die Erklärung schriftlich abgegeben und die Unterschrift des

1 Art. 1 des Haager Übereinkommens v. 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkun-
den von der Legalisation umfasst ausdrücklich „amtliche Bescheinigungen, die auf Privaturkunden
angebracht sind“ und nennt dabei Beglaubigungen von Unterschriften (Art. 1 Abs. 2d).

Reithmann/Stelmaszczyk | 419
§ 5 Rz. 5.328 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Erklärenden von einem Notar beglaubigt werden“. Damit bestimmt das inländische Verfah-
rensrecht für die vorgelegte Urkunde ein Formerfordernis. Für die Anwendung (oder Nicht-
anwendung) dieses Erfordernisses sagt das Kollisionsrechts nichts. Hier kann von der (in an-
derem Zusammenhang entwickelten) Methode der Substitution ausgehend der Gedanke der
Gleichwertigkeit Bedeutung gewinnen. Es geht darum, ob die vom ausländischen Notar er-
richtete Vermerkurkunde dem in § 129 BGB genannten Erfordernis („durch einen Notar be-
glaubigt“) gleichgestellt werden kann (Rz. 5.347).

5.329 § 129 BGB meint damit zunächst den nach der Bundesnotarordnung ernannten inländischen
Notar. Ob im Ausland bestellte Notare dem gleichgestellt werden können, ist nach den Regeln
der Substitution zu beurteilen1. Es kommt darauf an, ob der ausländische Notar dem in
§ 129 BGB genannten inländischen Notar nach Status und Verfahren substituiert werden
kann (Rz. 5.347 f.). Dies setzt voraus, dass auch der ausländische Notar wie der inländische
Notar als Organ der Rechtspflege handelt. Deshalb ist die Beglaubigung der Unterschrift
durch eine Person, die nicht der Aufsicht und Kontrolle der Rechtspflege unterliegt, nicht sub-
stituierbar i.S.d. § 129 BGB.

5.330 Bei der im Rahmen der Substitution geforderten Gleichwertigkeit des Verfahrens kommt es
auf den Umfang der Mitwirkung der Urkundsperson an. Anders als bei der Errichtung einer
Protokollurkunde ist eine konsultative Mitwirkung des Notars bei der Errichtung einer Ver-
merkurkunde (z.B. Unterschriftsbeglaubigung) grundsätzlich nicht gefordert. Eine Verhand-
lung sieht das Beurkundungsgesetz hier nicht vor. Trotzdem ist auch in diesem Verfahren eine
Mitwirkung der Urkundsperson gefordert, die über die Verifizierung der Erklärung hinaus-
geht2. Der Notar hat die Urkunde darauf zu prüfen, ob Gründe bestehen, seine Amtstätigkeit
zu versagen (§ 40 Abs. 2 BeurkG), auch darauf, ob die Erklärung wirklich ernst gemeint ist
und nicht etwa nur einen Entwurf darstellt.

5.331 Wie jede Bezeugung muss auch die Bezeugung der Fertigung oder Anerkennung einer Unter-
schrift auf einer persönlichen Wahrnehmung des Notars beruhen. Diese ist nicht gegeben,
wenn der Notar eine ihm vorliegende Unterschrift verifiziert, ohne die Erklärung persönlich
wahrgenommen zu haben. Hertel3 nennt hier die Fernbeglaubigung, die Beglaubigung nach
Unterschriftsvergleich und die Beglaubigung nach Drittbestätigung durch andere Personen.

5.332 Das Schriftstück, auf das sich die Unterschrift bezieht, muss persönlich von der Urkundsper-
son wahrgenommen werden. Liegt dieses Schriftstück dem Notar nicht vor, ist das Erfordernis
des § 129 BGB nicht erfüllt4.

1 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 157 fordert „zumindest, dass die Beglaubigung von
einer mit entsprechender öffentlicher Befugnis ausgestatteten Urkundsperson vorgenommen wur-
de“, „dass die Beglaubigung nach dem maßgeblichen ausländischen Verfahrensrecht wirksam vor-
genommen wurde“ und „dass das ausländische Recht dieser Beglaubigungsform ebenfalls Beweis-
kraft und Echtheitsvermutungen ähnlich §§ 416, 418, 440 Abs. 2 ZPO zumisst“.
2 Beschränkt auf Evidenzkontrolle, Limmer in Frenz/Miermeister, BNotO, § 40 Rz. 19 ff.; Winkler,
BeurkG, § 40 BeurkG Rz. 41 ff.
3 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 158.
4 Hertel verlangt, ausländische Unterschriftsbeglaubigungen zurückzuweisen, wenn weder das aus-
ländische Beurkundungsrecht persönliche Leistung oder Anerkennung der Unterschrift vor dem
Notar generell erfordert, noch sich (etwa aus dem Beglaubigungsvermerk) ergibt, dass die Beglau-
bigung (auch ohne gesetzliches Erfordernis) nach Leistung oder Anerkennung der Unterschrift
vor dem Notar erfolgte. Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 158.

420 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.336a § 5

Wie die Erklärung geäußert wurde, ob durch Unterzeichnung oder durch andere Mittel des Be- 5.333
kennens zum Schriftstücks (mündlich oder konkludent), ist gleichgültig. Obwohl § 40 BeurkG
die Alternative „Unterschrift vollzogen“ oder „anerkannt“ nennt und bestimmt, dass der Ver-
merk angibt, welche Alternative vorliegt, kann die Angabe der Alternative nicht zu den tragen-
den Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts gezählt werden: Das Wort „Anerkennung“
umfasst auch die schriftliche Anerkennung durch Unterzeichnung. Was § 415 ZPO mit „vollem
Beweis“ ausstattet, ist der Vorgang des Bekennens zu dem vorliegenden Schriftstück.

Praktisch muss es (wie in § 437 ZPO) auf das Erscheinungsbild der Urkunde ankommen: 5.334
Wenn aus dem vorliegenden Beglaubigungsvermerk eine persönliche Wahrnehmung des No- 5.335
tars ersichtlich ist, steht der „Anerkennung“ des vom ausländischen Notar errichteten Beglau-
bigungsvermerks i.d.R. nichts entgegen, z.B. wenn er die Worte „subscribed before me“ ent-
hält. Hier muss sich der Rechtsverkehr auf die Angabe des ausländischen Notars im Beglaubi-
gungsvermerk verlassen. Dies wird auch mit dem Erfahrungssatz begründet, dass öffentliche
Behörden und Notare die für sie maßgebenden Zuständigkeiten und Formvorschriften beach-
ten1. Dies gilt insbesondere, wenn der Status des Notars in der Apostille nach Art. 3 des Haa-
ger Übereinkommens angegeben ist.

d) „Einbringung der Urkunde“ in das inländische Verfahren


Von der Errichtung der Urkunde zu unterscheiden ist die Einbringung der Urkunde in das 5.336
inländische Verfahren. Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister sind gem. § 12
Abs. 1 S. 1 HGB „elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen“. Nach § 12 Abs. 2
S. 1 HGB sind auch Dokumente „elektronisch einzureichen“. Ist ein „notariell beurkundetes
Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift einzureichen, so ist ein mit einem ein-
fachen elektronischen Zeugnis (§ 39a des Beurkundungsgesetzes) versehenes Dokument zu
übermitteln (§ 12 Abs. 2 S. 2 HS 2 HGB). Das Handelsregisterverfahren verlangt mithin eine
„elektronische Einbringung“. Dies setzt einen Medienwechsel (von der Papierurkunde zum
elektronischen Dokument) voraus. Grund hierfür ist, dass nach geltendem Recht eine unmit-
telbare öffentliche Beglaubigung in elektronischer Form nicht möglich ist, da nur die Beglau-
bigung von Unterschriften, nicht aber von elektronischen Signaturen zulässig ist2 (zu den Än-
derungen durch das DiRUG s. Rz. 5.344).

Zur elektronischen Einbringung der Anmeldung einer Eintragung in das Handelsregister 5.336a
hat der BGH jüngst entschieden, dass die Anmeldungserklärung nur dann in der nach § 12
Abs. 1 S. 1 HGB vorgeschriebenen elektronischen Form beim Registergericht eingereicht
wird, wenn sie gem. § 12 Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis
eines Notars gemäß § 39a BeurkG versehen ist3. Die Übermittlung mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gem. § 126a BGB reiche nicht aus, da
diese Vorschrift lediglich die bei der Erstellung der elektronischen Erklärung einzuhaltende
Form regelt, nicht aber, welche Form bei der anschließenden elektronischen Übermittlung
dieser Erklärung zu wahren ist4. Diese Frage werde für die elektronische Übermittlung von
Eintragungsanmeldungen an das Registergericht von § 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 HS. 2
HGB beantwortet. Hinsichtlich des Zusammenspiels von § 12 Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB und

1 Hertel in Meikel, GBO (2021) Einl. G Rz. 370 mit ausführlichen Literaturhinweisen.
2 Krafka in MünchKomm HGB (2021), § 12 HGB Rz. 18.
3 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 13 = WM 2021, 1440.
4 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 18 = WM 2021, 1440.

Reithmann/Stelmaszczyk | 421
§ 5 Rz. 5.336a | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

§ 12 Abs. 1 S. 1 HGB stellt der BGH zunächst klar, dass § 12 Abs. 2 HGB nicht nur auf Doku-
mente anwendbar ist, die als Anlagen zur Anmeldung einzureichen sind, sondern auch auf
die Anmeldung selbst1. Weiter führt der BGH aus: „Dass § 12 Abs. 1 HGB bereits Regelungen
zur Anmeldungserklärung und deren Einreichung enthält, lässt nicht den Schluss zu, dass die-
se Regelungen abschließend und die weiteren Formvorschriften des § 12 Abs. 2 HGB auf die
Anmeldungserklärung nicht anwendbar sein sollten. Vielmehr erfordert die Funktion des
Handelsregisters, insbesondere die mit einer dortigen Eintragung verbundene Publizitätswir-
kung, eine besondere Richtigkeitsgewähr bei der elektronischen Übermittlung der Anmel-
dung, die allein durch § 12 Abs. 1 S. 1 HGB nicht sichergestellt wäre. Die nach § 12 Abs. 1 S. 1
HGB vorgeschriebene öffentliche Beglaubigung der Anmeldung dient lediglich dem Nachweis,
dass diese Erklärung von einer bestimmten Person abgegeben wurde. Sie besagt aber noch
nichts darüber, ob diese (öffentlich beglaubigte) Anmeldungserklärung in Papierform auch
inhaltlich mit dem Dokument übereinstimmt, das anschließend elektronisch bei Gericht ein-
gereicht wird. Dieser „Medienwechsel“ von der Anmeldung in Papierform zur Anmeldung in
elektronischer Form erfordert eine zusätzliche Bestätigung der inhaltlichen Übereinstimmung
des Papierdokuments mit dem elektronisch übermittelten Dokument. Hierfür bedarf es in
Anbetracht der Publizitäts-, Verkehrsschutz- und Informationsfunktion des Handelsregisters
einer besonderen Richtigkeitsgewähr, für die die Bestätigung durch einen unabhängigen Trä-
ger eines öffentlichen Amtes gem. § 39a BeurkG geboten ist.“2.

5.337 Für den notwendigen Medienwechsel gestattet § 39a Abs. 1 S. 1 BeurkG dem deutschen Notar
die „Errichtung von Beglaubigungen und Zeugnissen in elektronischer Form“3. Wie das elek-
tronische Dokument erstellt wird, regelt § 39a BeurkG nicht. In der Praxis werden im Sig-
naturprogramm meist nur kurze Vermerkurkunden (Abschrifts- und/oder Unterschrifts-
beglaubigungen) erstellt, während längere Vermerke regelmäßig in Papierform errichtet und
dann eingescannt werden4. Die beglaubigte Abschrift der Originalerklärung wird i.d.R. im
Format PDF/A oder TIFF erstellt5. § 39a Abs. 1 S. 2 BeurkG verlangt vom deutschen Notar,
„das hierzu erstellte Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu ver-
sehen“. Der gemäß § 39a Abs. 2 S. 1 BeurkG erforderliche Nachweis der Notareigenschaft
kann durch ein Attribut der Notareigenschaft als Bestandteil des qualifizierten Zertifikats er-
bracht werden6. Ausschließlich der Notar kann die relevanten Daten mithilfe seiner persönli-
chen Signaturkarte und der dazugehörigen PIN mit einer qualifizierten elektronischen Sig-
natur mit Notarattribut versehen7. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht dabei –
bildlich gesprochen – der herkömmlichen Unterschrift, das Notarattribut dem Siegel.

1 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 19 = WM 2021, 1440.


2 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 19 = WM 2021, 1440.
3 Zur elektronischen Beglaubigung Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 132 ff. Im Falle des
OLG Schleswig v. 13.12.2007 – 2 W 198/07, IPRax 2009, 79 (Buchstabe d) handelte es sich nicht
um die Anmeldung (Erhöhung einer Kapitaleinlage) selbst, sondern um die dieser Anmeldung
beigefügten Unterlagen.
4 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 140.
5 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 141; Krafka in MünchKomm HGB (2021), § 12 HGB
Rz. 20, jew. mit dem Hinweis, dass ebenso wie bei der Papierform auch eine Reinschrift erstellt
werden kann (auch die elektronische Abschrift muss nur textgleich, nicht bildgleich sein).
6 Büttner, JurPC Web-Dok. 117/2016, Abs. 28 f.; Eickelberg, NZG 2015, 81 (83); zur sicheren Ge-
währleistung, dass das Notarattribut nur von Amtsträgern eingesetzt werden kann, s. § 2a DONot
sowie Bettendorf/Apfelbaum, DNotZ 2008, 19 (30 ff.) und Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15
(17), jew. m.w.N.
7 Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (16).

422 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.339 § 5

In einem abschließenden Schritt ist die auf diese Weise hergestellte elektronische Urkunde 5.338
beim Registergericht „elektronisch einzureichen“. Hierzu übermittelt der Notar zusammen
mit der Handelsregisteranmeldung einen XML-Strukturdatensatz mit Hilfsdaten an das Ge-
richt1. Dies ermöglicht eine automatisierte Übertragung der anzumeldenden Daten in das
elektronische Handelsregister, was seit Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs durch
das EHUG2 zu einer spürbaren Beschleunigung des Eintragungsverfahrens geführt hat. Der
Notar verschickt die Daten über sein Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach
(EGVP) an das Gericht, welches den Eingang unter Angabe des genauen Zeitpunkts automati-
siert bestätigt3. Das EGVP basiert auf dem technischen OSCI-Standard und ermöglicht eine
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die eine umfassende Vertraulichkeit gewährleistet4. Die nota-
rielle Signatur erlaubt dem Gericht nicht nur die sichere Feststellung der Urheberschaft der
übermittelten Daten5, sondern sorgt durch die Übermittlung von Hash-Werten auch dafür,
dass das Gericht die Daten darauf überprüfen kann, ob sie auf dem Weg zwischen Notar und
Gericht verändert wurden6.

Für das Grundbuchverfahren hat das ERVGBG7 vom 11.8.2009 mit § 135 GBO eine Rechts- 5.339
grundlage geschaffen, wonach die jeweilige Landesregierung durch Rechtsverordnung die
elektronische Antragstellung zum Grundbuch zulassen kann, und zwar auch zunächst nur
für einzelne Grundbuchämter (§ 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GBO)8. Dabei kann die Rechtsverord-
nung die Notare verpflichten, ihre Anträge, Eintragungsbewilligungen und andere Eintra-
gungsunterlagen in elektronischer Form mit strukturierten Daten einzureichen (§ 135 Abs. 1
S. 1 Nr. 1 GBO). Von dieser Ermächtigung machen die Bundesländer mittlerweile in zuneh-
mendem Maße Gebrauch.

1 XML ist ein Dateiformat, das es Computersystemen ermöglicht, die übermittelten Daten auto-
matisch auszulesen und weiterzuverarbeiten; vgl. Büttner, JurPC Web-Dok. 117/2016, Abs. 28 f.;
Eickelberg, NZG 2015, 81 (84).
2 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmens-
register (EHUG) v. 10.11.2006 (BGBl. 2006 I, 2533).
3 Bei dem EGVP handelt es sich um eine Software, die gleichsam das „Botenfach“ bei den Gerichten
ersetzt und deutschlandweit funktioniert; Eickelberg, NZG 2015, 81 (83 f.). Zudem verfügt inzwi-
schen jeder Notar über ein von der Bundesnotarkammer eingerichtetes besonderes elektronisches
Notarpostfach, vgl. § 78n BNotO i.d.F. des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Nota-
riatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotar-
kammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, BT-Drucks. 18/10607.
4 Eickelberg, NZG 2015, 81 (83 f.); Mödl/Schmidt, ZIP 2008, 2332 (2334).
5 Eickelberg, NZG 2015, 81 (84); Jeep/Wiedemann, NJW 2007, 2439 (2441); Bormann/Apfelbaum,
RNotZ 2007, 15 (16 f.).
6 Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (16); Eickelberg, NZG 2015, 81 (84). Bei den Hash-Werten
handelt es sich um einen aus der TIFF- oder PDF/A-Datei errechneten Wert, welcher einmalig ist,
und sich bei jeder Veränderung der Datei seinerseits verändert. Dieser Wert wird mit dem sog.
privaten Schlüssel verschlüsselt und kann ausschließlich mit dem öffentlichen Schlüssel entschlüs-
selt werden. Die rechtssichere Zuordnung erfolgt durch sog. Trust Center (bei Notaren i.d.R. die
Bundesnotarkammer) als vertrauenswürdige Dritte. Das gesamte Verfahren unterliegt strengen Si-
cherheitsvorgaben. So werden etwa die Signaturkarten (und damit die mathematischen Schlüssel)
– wie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verlangt – regelmäßig aus-
getauscht und weiterentwickelt.
7 Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grund-
buchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, register- und kostenrechtlicher Vor-
schriften (BGBl. 2009 I 2713).
8 Vgl. Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 139.

Reithmann/Stelmaszczyk | 423
§ 5 Rz. 5.340 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

e) Notarielle Prüfpflicht und Einreichungszuständigkeit (§ 378 Abs. 3 FamFG, § 15


Abs. 3 GBO)
5.340 Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Ein-
richtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer v. 1.6.20171 hat
der Gesetzgeber die notarielle Prüfpflicht und Einreichungszuständigkeit für Registersa-
chen (mit Ausnahme der Genossenschafts- und Partnerschaftsregistersachen) in § 378 Abs. 3
FamFG gesetzlich konkretisiert2.

5.341 Gemäß § 378 Abs. 3 S. 1 FamFG ist die Handelsregisteranmeldung vor ihrer Einreichung
beim Registergericht von einem Notar auf Eintragungsfähigkeit zu prüfen. Die Pflicht zur
Durchführung einer notariellen Eintragungsfähigkeitsprüfung ist registerverfahrensrecht-
licher Natur und besteht unabhängig vom Beglaubigungserfordernis des § 12 Abs. 1 S. 1
HGB3.Die Prüfung erfolgt nicht zugunsten der Beteiligten, sondern ausschließlich im öffent-
lichen Interesse; sie ist zugleich formelle Eintragungsvoraussetzung, d.h. ohne Prüfung
durch den Notar kann das Registergericht die Eintragung im Handelsregister nicht vorneh-
men4. Eine (rechtswidrig) ohne notarielle Eintragungsfähigkeitsprüfung vorgenommene Ein-
tragung ist gleichwohl wirksam. Zuständig ist ausschließlich der im Inland bestellte Notar. Im
Ausland ansässige Notare sind im deutschen Recht institutionell unerfahren5 und vermögen
die mit der notariellen Prüfpflicht verfolgten Ziele der materiellen Richtigkeitsgewähr, des
Verkehrsschutzes sowie der Entlastung der Registergerichte nicht zu erfüllen6. Inhaltlich be-
zieht sich die Eintragungsfähigkeitsprüfung auf den rechtlichen Gehalt und die zutreffende
Formulierung der Anmeldung; außerhalb der Anmeldung liegende Umstände, wie z.B. Fragen
der Vertretungsmacht, werden von der Prüfpflicht nicht erfasst7. Der Notar muss die Vornah-
me und das Ergebnis der Prüfung grundsätzlich in Form eines notariellen Vermerks i.S.v. §§
39, 39a BeurkG bescheinigen8.

5.342 Die Anmeldung ist nach § 378 Abs. 3 S. 2 FamFG bei einem Notar zur Weiterleitung an das
Registergericht einzureichen. Die Anmeldung kann mithin nicht von den Beteiligten selbst
beim Registergericht eingereicht werden; zuständig für die Einreichung ist ausschließlich der
(inländische) Notar9.

1 BGBl. 2017 I, 1396.


2 Vgl. hierzu ausf. Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145; J. We-
ber, RNotZ 2017, 427, jew. m.w.N.
3 Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (491 f.) m.w.N.
4 Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (146); Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (492) mit Hinweis
auf die Stellungnahme des BR, BR-Drucks. 602/16(B), 14 f. und 17.
5 Vgl. für das Bayer, GmbHR 2013, 897 (913).
6 So zutr. Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (146); ebenso J. Weber, RNotZ 2017, 427 (432) zur
Parallelvorschrift des § 15 Abs. 3 GBO.
7 Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (495 f.); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (435); Eickelberg/Böttcher,
FGPrax 2017, 145 (147).
8 So zutr. J. Weber, RNotZ 2017, 427 (436); Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (497 f.); Eickelberg/
Böttcher, FGPrax 2017, 145 (147), jeweils mit Hinweis auf Entbehrlichkeit des Prüfvermerks in
Fällen, in denen die Anmeldung nach §§ 6 ff. BeurkG beurkundet wurde oder der Notar bereits
den Entwurf der Anmeldung gefertigt hat und dies hinreichend deutlich aus der Urkunde hervor-
geht; s. – mit Formulierungsvorschlägen – auch das Rundschreiben der BNotK Nr. 5/2017 v.
23.5.2017, S 7.
9 Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (147); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (435).

424 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.346 § 5

Eine der Regelung des § 378 Abs. 3 S. 2 FamFG entsprechende notarielle Prüfpflicht hat der 5.343
Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 GBO eingeführt1. Danach sind die zu einer Eintragung erforderli-
chen Erklärungen vor ihrer Einreichung für das Grundbuchamt von einem Notar auf Eintra-
gungsfähigkeit zu prüfen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Erklärung von einer öffentlichen
Behörde abgegeben wird.

f) Online-Handelsregisteranmeldungen nach dem DiRUG


Das DiRUG (dazu Rz. 5.211) führt mit Wirkung zum 1.8.2022 nicht nur die notarielle Dis- 5.344
tanzbeurkundung von Willenserklärungen für GmbH-Gründungen ein, sondern schafft erst-
mals auch die Möglichkeit, sämtliche Handelsregisteranmeldungen von Einzelkaufleuten,
Kapitalgesellschaften und Zweigniederlassungen der vorgenannten Rechtsformen sowie EU-/
EWR-Kapitalgesellschaften vollständig online vorzunehmen (§ 12 Abs. 1 S. 2 HGB n.F.)2.

In technischer Hinsicht ist das Online-Beglaubigungsverfahren weitgehend mit dem Verfah- 5.345
ren zur Beurkundung von Willenserklärungen für die Online-Gründung der GmbH identisch.
Auch im Online-Beglaubigungsverfahren ist gem. § 40a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BeurkG n.F. zwin-
gend das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem nach § 78p
BnotO n.F. zu nutzen, was auch die Identifizierung nach § 16c BeurkG n.F. einschließt (§ 40a
Abs. 4 S. 2 BeurkG n.F.)3. Öffentlich beglaubigt wird nach § 129 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. die
qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden, was nach § 40a Abs. 1 S. 1 BeurkG n.F.
ausschließlich im Wege der Anerkennung erfolgen kann4. Der in der Papierwelt nach § 40
Abs. 1 BeurkG daneben mögliche Vollzug der Unterschrift in Gegenwart eines Notars kommt
bei der öffentlichen Beglaubigung einer qualifizierten elektronischen Signatur hingegen nicht
in Betracht, da der Notar das Anbringen einer elektronischen Signatur nicht sinnlich nach-
vollziehen kann5. Der Notar bestätigt durch den Beglaubigungsvermerk nebst seiner qualifi-
zierten elektronischen Signatur, dass die vor ihm mittels Videokommunikation erschienene
und eindeutig identifizierte Person die auf ihren Namen lautende qualifizierte elektronische
Signatur anerkannt hat6.

An der Einreichung der Anmeldung zum Handelsregister ändert sich hingegen nichts. Diese 5.346
muss auch weiterhin gem. § 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB elektronisch beim
Registergericht eingereicht werden. Handelsregisteranmeldungen sind gem. § 378 Abs. 3
FamFG auch weiterhin von einem (inländischen) Notar auf Eintragungsfähigkeit zu prüfen
und bei einem (inländischen) Notar zur Weiterleitung an das Registergericht einzureichen.

1 Dazu J. Weber, RNotZ 2017, 427.


2 Dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 77 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765
(775). Auf die durch das DiRUG daneben geschaffene Möglichkeit der Präsenzbeglaubigung einer
qualifizierten Signatur nach § 40a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BeurkG n.F. soll hier aus Raumgründen nicht
näher eingegangen werden.
3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849
Rz. 78; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775).
4 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849
Rz. 78; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775).
5 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775).
6 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 78.

Reithmann/Stelmaszczyk | 425
§ 5 Rz. 5.347 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

V. Substitution
1. Methode der Substitution
a) Ausgangspunkt
5.347 Substitution wird als Methode teleologischer Normauslegung auf den verschiedensten
Rechtsgebieten immer dann angewendet, „wenn Rechtsnormen auf Rechtserscheinungen Be-
zug nehmen, ohne ausdrücklich zu sagen, ob darunter auch entsprechende fremdrechtliche
Vorgänge zu verstehen sind“1. Neben manchen anderen Fragen geht es darum, ob die durch
deutsche Normen vorgegebene notarielle Beurkundung oder Beglaubigung auch durch im
Ausland bestellte Notare möglich ist und unter welchen Voraussetzungen. Wie Winkler von
Mohrenfels2 ausführt, ist „entscheidend für die positive oder negative Beantwortung der Sub-
stitutionsfrage, ob der nach ausländischem Recht beurteilte Rechtsvorgang bzw. Rechtsbegriff
den Zweck der Formvorschrift in gleicher Weise zu erfüllen vermag wie der entsprechende
inländische Rechtsvorgang bzw. Rechtsbegriff“. Beide Rechtsinstitute müssen im Sinne der
Formvorschrift äquivalent sein. Hierbei sind die Wirkungen und die Funktion der Institute
miteinander zu vergleichen.

5.348 Die solchermaßen definierte Methode der Substitution bedarf für ihre praktische Handhab-
barkeit der Präzisierung.

5.349 Methodisch hat die Prüfung der Substitution einer nach dem deutschen Recht vorgeschriebe-
nen notariellen Beurkundung oder Beglaubigung stets mit der Ermittlung der konkreten
Normzwecke der betroffenen Formpflicht zu beginnen. In einem zweiten Schritt ist zu fra-
gen, ob die so ermittelten Formzwecke durch die Auslandsbeurkundung gleichermaßen er-
füllt werden können3. Das bedeutet, dass die inländischen und ausländischen Rechtsinstitute
der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung nicht abstrakt zu vergleichen sind, sondern
immer in Bezug auf die Erfüllung der konkreten Normzwecke der in Frage stehenden Form-
pflicht.

b) Zweistufige Prüfung
5.350 Für die Frage, ob die konkreten Normzwecke einer in Frage stehenden Formpflicht durch eine
Auslandsbeurkundung gleichermaßen erfüllt werden können, hat sich im kollisionsrecht-
lichen Schrifttum eine zweistufige Prüfung herausgebildet4:

5.351 Zunächst muss die inländische Rechtsnorm substituierbar sein, d.h. die inländische Rechts-
norm muss es nach ihrem Regelungszweck überhaupt zulassen, dass eine ausländische Rechts-
handlung bzw. ein ausländisches Rechtsinstitut unter das maßgebliche normative Tatbestands-
merkmal subsumiert wird. Insoweit wird auch von der „Substitutionsoffenheit“ einer inlän-
dischen Rechtsnorm5 bzw. von der „Statthaftigkeit der Substitution“6 gesprochen. In der Sa-
che beschreiben die unterschiedlichen Begrifflichkeiten denselben Prüfungsschritt: Eine Aus-

1 von Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 247 ff.
2 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 196.
3 Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (180); Stelmaszczyk, GWR 2018, 103 (104).
4 Lieder, ZIP 2018, 805 (810); Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183);
v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252 f.
5 So etwa Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1191 f.) m.w.N.
6 So etwa Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); v. Hein in MünchKomm, Bd.
12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252.

426 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.355 § 5

legung des zu substituierenden normativen Tatbestandsmerkmals einer inländischen Rechts-


vorschrift kann ergeben, dass dieses von vornherein ausschließlich durch eine inländische
Rechtshandlung bzw. ein inländisches Rechtsinstitut erfüllt werden kann1.

Ist eine inländische Rechtsnorm mit Blick auf ihren Regelungszweck grundsätzlich substitu- 5.352
ierbar, ist im zweiten Schritt danach zu fragen, ob die ausländische Rechtshandlung der inlän-
dischen Rechtshandlung gleichwertig ist (Gleichwertigkeitsprüfung)2.

c) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Substituierbarkeit (1. Stufe)


Nach verbreiteter Auffassung ist davon auszugehen, dass die inländischen Rechtsnormen des 5.353
Privatrechts der Substitution prinzipiell zugänglich sind3. Das deutsche Zivilrecht sei im Inte-
resse des internationalen Rechtsverkehrs grundsätzlich substitutionsoffen ausgestaltet. Für
einen Ausschluss der Substitution soll es daher gewichtiger Gründe bedürfen, die auf dem be-
sonderen Regelungszweck der betroffenen inländischen Rechtsnorm beruhen müssen4. Wie
jedoch Tebben aufgezeigt hat, gilt ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis für „verfahrens-
gebundene Rechtsvorgänge“, d.h. Behördenakte und Handlungen von Privaten, bei denen
Behörden in einem wie auch immer ausgestalteten Verfahren mitzuwirken haben, in dieser
Allgemeinheit nicht5. Vielmehr erfordern diese Vorgänge regelmäßig eine wertungsoffene
Einzelprüfung unter Würdigung sowohl der je nach Norm unterschiedlichen Verfahrensver-
bundenheit des in Rede stehenden Rechtsvorgangs als auch des Zwecks der betreffenden Ge-
samtnorm6.

Das Ergebnis dieser Prüfung ist lediglich dann vorgegeben, wenn der Gesetzgeber ausdrück- 5.354
lich die Mitwirkung einer inländischen öffentlichen Stelle oder die Einhaltung der Formalien
im Inland vorschreibt. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber den Ausschluss der Substituier-
barkeit explizit angeordnet. Zu dieser Fallgruppe gehören z.B. die Regelungen des Art. 13
Abs. 4 S. 1 EGBGB und des Art. 17 Abs. 3 EGBGB für die Eingehung bzw. die Scheidung der
Ehe sowie die Vorschrift des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO über die Beurkundung einer Vollstre-
ckungsunterwerfung.

Aus dem Fehlen einer solchen expliziten Anordnung des Gesetzgebers darf indes nicht der 5.355
voreilige Schluss gezogen werden, dass in allen anderen Fällen verfahrensgebundener Rechts-

1 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183);
Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Weller, ZGR 2014, 865 (876); Mansel, FS Kropholler (2008),
353 (367); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Kropholler, IPR,
§ 33 II 1.
2 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183);
Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1191); Weller, ZGR 2014, 865 (877); Mansel, FS Kropholler (2008),
353 (368); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 255; Kropholler, IPR,
§ 33 II 2.
3 Vgl. (zu § 337 InsO) BAG v. 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, NJW 2016, 345 Rz. 46; ferner allgemein v.
Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Mansel, FS Kropholler (2008), 353
(367).
4 v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Kropholler, IPR, § 33 II 1.
5 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192) mit Hinweis auf Ferid, GRUR Int. 1973, 472 (475); vgl. Stel-
maszczyk, RNotZ 2019, 177 (183 f.).
6 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192) mit Hinweis auf Ferid, GRUR Int. 1973, 472 (477); vgl. Stel-
maszczyk, RNotZ 2019, 177 (183 f.).

Reithmann/Stelmaszczyk | 427
§ 5 Rz. 5.355 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

vorgänge die in Rede stehende Formvorschrift prinzipiell substituierbar wäre1. Anerkanntes


Beispiel für eine nicht substituierbare bzw. geschlossene Formvorschrift ist § 925 Abs. 1 S. 2
BGB, wonach für die Entgegenahme der Auflassung eines Grundstücks „jeder Notar“ zustän-
dig ist. Es entsprach auch schon vor der Entscheidung des BGH2 v. 13.2.2020 (dazu unter
Rz. 5.363) der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum und der obergerichtlichen Recht-
sprechung, dass dies nur ein inländischer Notar sein kann, auch wenn dies im Gesetz keinen
expliziten Ausdruck gefunden hat3. Das Gesetz will damit nämlich die Schaffung einer nach
deutschem Recht rechtsfehlerfreien und unzweideutigen Grundlage für den Vollzug der Eigen-
tumsumschreibung im Grundbuch gewährleisten4. Dass früher auch die Amtsgerichte all-
gemein zur Entgegennahme der Auflassung berufen waren und heute die Auflassung auch
wirksam in einem gerichtlichen Vergleich oder in einem rechtskräftig bestätigten Insolvenz-
plan erklärt werden kann, zeigt, dass das Gesetz den Notar in der Wahrnehmung seiner Ur-
kundstätigkeit als Außenstelle der Justiz einordnet5. Diese Funktion kann er nur deshalb
wahrnehmen, weil er als öffentlicher Amtsträger für die Beurkundung von Rechtsvorgängen
und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt ist (§ 1 BNotO),
was u.a. die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz voraussetzt (§ 5
BNotO). Ausländische Urkundspersonen sind hingegen in keiner Weise institutionell als
Rechtspflegeorgane in das System der vorsorgenden Rechtspflege deutschen Rechts eingebun-
den und verfügen gerade nicht über institutionell gesicherte Kenntnisse im deutschen Recht,
weshalb eine Gleichwertigkeit im Sinne der Substitutionsprüfung bei § 925 Abs. 1 S. 2 BGB
von vornherein ausscheidet6.

d) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Gleichwertigkeit (2. Stufe)


aa) Allgemein
5.356 Grundlegend für den Prüfungsmaßstab der Gleichwertigkeit ist die Entscheidung des BGH7
v. 16.2.1981. Die Entscheidung hatte die Änderung eines GmbH-Gesellschaftsvertrags zum
Gegenstand und betraf das Formerfordernis der notariellen Beurkundung gem. § 53 Abs. 2
S. 1 GmbHG, mithin eine Frage des materiellen Rechts. Die Bedeutung dieser Entscheidung
liegt darin, dass sie die für die Gleichwertigkeit maßgebenden Gesichtspunkte präzisierte.
Nach Auffassung des BGH ist Gleichwertigkeit gegeben, „wenn die ausländische Urkundsper-
son nach Vorbild und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notares ent-
sprechende Funktion ausübt und für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu be-
achten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht“8.

1 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184).
2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3 /16, NJW 2020, 1670 (Ls.)
3 Lieder, ZIP 2018, 805 (811); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); Tebben, GmbHR 2018, 1190
(1192); Thorn in Palandt, Art. 11 EGBGB Rz. 10; Ruhwinkel in MünchKomm, 8. Aufl. 2020, § 925
BGB Rz. 14; BayObLG DNotZ 1978, 58 (62); OLG Köln Rpfleger 1972, 134; KG NJW-RR 1986,
1462.
4 Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Ruhwinkel in Münch-
Komm, 8. Aufl. 2020, § 925 BGB Rz. 15.
5 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184).
6 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184).
7 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160.
8 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160.

428 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.360 § 5

Maßgeblich ist nach dem BGH mithin der Status der im Ausland bestellten Urkundsperson 5.357
(persönliche Gleichwertigkeit) und das von dieser zu beachtende Verfahren der Mitwirkung
(sachliche Gleichwertigkeit).

bb) Status der Urkundsperson


Für den Status des inländischen Notars entscheidend ist zunächst seine Stellung als Organ 5.358
der Rechtspflege, die Einordnung der Urkundsperson in das System der Rechtspflege. Im
Rahmen der vorsorgenden Rechtspflege stellt das deutsche Recht ein Netz von unabhängigen
rechtskundigen Urkundspersonen gebietsdeckend zur Verfügung. Durch die Übernahme die-
ser Aufgabe und ihre Einordnung in die Rechtspflege ist die Stellung des deutschen Notars im
Rechtsleben und seine Funktion in der Rechtspflege bestimmt (§ 1 BNotO)1. Die ausländische
Urkundsperson muss demnach eine vergleichbare unabhängige Stellung auf dem Gebiet der
vorsorgenden Rechtspflege innehaben. Zudem muss sie über ein abgeschlossenes Vollstudi-
um der Rechtswissenschaften verfügen (vgl. § 5 BNotO). Dies ist bei ausländischen Notaren
schon allein deshalb unerlässlich, weil von ihnen – soweit man die Substituierbarkeit der in
Frage stehenden Formvorschrift unterstellt – die Einarbeitung in ein fremdes Recht und der
Umgang mit fremden Rechtsprinzipien verlangt wird2.

cc) Verfahren der Mitwirkung des Notars


Neben dem Status des Notars kommt es auf das von ihm zu beachtende Verfahren an. Der 5.359
BGH3 verlangt, „dass für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten ist, das
den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht“. Der BGH nennt
dafür beispielhaft
– Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars
– Identitätsfeststellung der Beteiligten
– Verhandlungsniederschrift
– Vorlesen der Niederschrift
– Genehmigung und Unterzeichnung durch die Beteiligten
– Siegel und Unterzeichnung durch den Notar.

Diese Voraussetzungen entnahm der BGH einem Gutachten aus dem Jahr 19714, und erachte- 5.360
te die Gleichwertigkeit – und damit das Formerfordernis des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG – durch
die Mitwirkung eines Züricher Notars als erfüllt. Allerdings behandelte das Gutachten eine
ganz andere Frage, nämlich, welche Voraussetzungen allgemein das Züricher Recht an Be-
glaubigungen stellt. Daraus kann, wie Goette5 ausführt, „nicht ohne weiteres geschlossen wer-
den, dass auch für alle anderen nach dem Gesellschaftsstatut erforderlichen Formerfordernisse
Gleichwertigkeit bejaht werden kann“.

1 S. Reithmann, Vorsorgende Rechtspflege (1989).


2 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1524 f.) mit einer Bewertung für Notare in den Kantonen Basel-Stadt,
Bern und Zürich.
3 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160.
4 IPG 1971 Nr. 41.
5 Goette, FS Boujong (1996), 130 (141).

Reithmann/Stelmaszczyk | 429
§ 5 Rz. 5.361 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.361 Für die sachliche Gleichwertigkeit kommt es ganz entscheidend darauf an, in welcher Vor-
schrift des deutschen Rechts die Mitwirkung des Notars verlangt wird. Dies kann eine Bestim-
mung des materiellen Rechts, aber auch eine Bestimmung des Verfahrensrechts sein. Es kann
sich um einen Vertrag, einen körperschaftlichen Organisationsakt oder auch um einen Be-
schluss handeln.

2. Auslegung von Formerfordernissen des materiellen Rechts


a) Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke
5.362 Die Entscheidung des BGH von 1981 betraf eine Frage des materiellen Rechts. Der Auslegung
von Formerfordernissen des materiellen Rechts bedarf es vor allem bei Verfügungsgeschäften
im Liegenschafts- und Gesellschaftsrecht.

5.363 Mit Beschluss v. 13.2.2020 hat der BGH1 entschieden, dass eine zur Übertragung des Eigen-
tums an einem Grundstück notwendige Auflassung nach Maßgabe des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB
nur durch die gleichzeitig anwesenden Beteiligten vor einem im Inland bestellten Notar wirk-
sam erklärt werden kann2. Im vorliegenden Fall sollte ein hälftiger Miteigentumsanteil an ei-
nem in Deutschland belegenen Grundstück übertragen werden. Der Vertrag wurde durch ei-
nen Schweizer Notar mit Amtssitz in Basel beurkundet. Nach Ansicht des V. Zivilsenats ge-
nügt die Einigung der Parteien den Anforderungen des § 925 Abs. 1 BGB nicht und hat das
Grundbuchamt den Eintragungsantrag daher zu Recht zurückgewiesen. Mit der Entscheidung
schließt sich der BGH der schon bisher ganz herrschenden Meinung (s. Rz. 5.355) an, wonach
die in § 925 Abs. 1 S. 1 BGB für die Auflassung bestimmte Form im Fall des Abs. 1 S. 2 nur
durch Erklärung bei gleichzeitiger Anwesenheit der Beteiligten vor einem im Inland bestellten
Notar gewahrt werden kann.

5.364 In seiner Begründung weist der Senat zwar darauf hin, dass der Wortlaut von § 925 Abs. 1
S. 2 BGB keine klaren Anhaltspunkte für die Frage der Substitution liefere3. Doch spreche die
Entstehungsgeschichte der Norm eindeutig gegen eine Zuständigkeit von im Ausland bestell-
ten Notaren zur Entgegennahme der Auflassungserklärung4. Der Wille des historischen Ge-
setzgebers stehe zudem einer analogen Anwendung des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB auf auslän-
dische Notare entgegen5. Zudem veranlassten weder der Normzweck noch Gesichtspunkte
der unionsrechtskonformen Auslegung eine Erstreckung des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB auf Ur-
kundspersonen im Ausland6.

5.365 Bemerkenswert ist zunächst in rechtsdogmatischer Hinsicht, dass der BGH bereits die Sub-
stituierbarkeit des Formerfordernisses aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB ablehnt. Die Frage nach der
Gleichwertigkeit der ausländlichen Rechtshandlung durch den Schweizer Notar mit der inlän-
dischen Rechtshandlung stellt sich daher nicht mehr7. Damit schließt sich der Senat der im
Schrifttum vertretenen Auffassung zur zweistufigen Prüfung an, die zwischen der Frage der

1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670.


2 Bislang hatte der BGH lediglich entschieden, dass die durch einen amerikanischen „notary public“
beurkundete Auflassung den Formerfordernissen des § 925 Abs. 1 BGB nicht entspricht, s. BGH
v. 10.8.1968 – III ZR 15/66, DNotZ 1969, 300.
3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020 1670 (1672).
4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020 1670 (1672).
5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1672 f.).
6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673 bzw. 1673 f.).
7 Lieder, NZG 2020, 1081 (1085); insoweit auch zust. Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (465 f.).

430 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.368 § 5

Substituierbarkeit einer inländischen Formvorschrift und der Frage der Gleichwertigkeit einer
ausländischen Rechtshandlung bzw. eines ausländischen Rechtsinstituts unterscheidet (s.
Rz. 5.350 ff.).

Die Ausführungen des BGH zum Wortlaut der Norm stützen zudem die im jüngeren Schrift- 5.366
tum vertretene Auffassung zur „wertungsoffenen Auslegung“ der Substituierbarkeit inländi-
scher Formvorschriften (s. Rz. 5.353 ff.). Zu Recht betont der BGH, dass lediglich in Ausnah-
mefällen explizit eine Beurkundung nur durch einen deutschen Notar zugelassen ist (Vollstre-
ckungsunterwerfung gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), oder umgekehrt ausdrücklich klargestellt
wird, dass auch ein im Ausland bestellter Notar tätig werden kann (Belehrung gem. § 8 Abs. 3
S. 2 GmbHG)1. In aller Regel wird lediglich das Formerfordernis ohne nähere Hinweise zur
Zulässigkeit einer Substitution normiert, jedoch ohne dass sich hierdurch Rückschlüsse auf
die Frage der Substitutionsoffenheit der betreffenden Norm ergeben.

Gleichermaßen bemerkenswert ist die ausführliche teleologische Begründung, mit welcher 5.367
der BGH die Substituierbarkeit des Formerfordernisses aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB ablehnt.
Maßgeblich für den generellen Ausschluss der Auslandsbeurkundung ist die Gewährleistung
der materiellen Richtigkeit der vor dem Notar abgegebenen Erklärungen. Hierzu betont der
Senat, dass der Gesetzgeber für einen auf die Übertragung des Eigentums an einem Grund-
stück gerichteten dinglichen Vertrag bewusst hohe formelle Anforderungen aufgestellt habe2.
Aufgrund des Zusammenspiels mit § 925a BGB werde durch die Befassung des Notars ge-
währleistet, dass ein wirksames schuldrechtliches Grundgeschäft vorliege und das Verfügungs-
geschäft mit diesem übereinstimme3. Zudem habe der Notar die „materielle Richtigkeit der
Auflassungserklärungen“ zu prüfen und nach § 21 GBO das Grundbuch zwecks Prüfung der
Eintragungsfähigkeit der Erklärungen einzusehen4. Verfahrensrechtlich werde die Pflicht des
Notars zur Vorprüfung und damit zur „Gewähr der Richtigkeit und Verlässlichkeit des
Grundbuchs“ durch § 15 Abs. 3 S. 1 GBO abgesichert5. Damit spricht der Senat die Filter-
und Kontrollfunktion des Notars im Zusammenhang mit der Eintragung von Rechtsände-
rungen im Grundbuch explizit an.

Obgleich die Auflassung selbst keine notarielle Beurkundung der Parteierklärungen voraus- 5.368
setzt, sondern nur die „gleichzeitige Anwesenheit beider Teile“ vor dem Notar, sind die Eintra-
gungsunterlagen nach § 29 GBO durch notarielle Urkunden nachzuweisen. Für ihre Errich-
tung sind die Verfahrensregelungen der §§ 6 ff. BeurkG einzuhalten6. Dementsprechend stellt
der Senat heraus, dass der Notar im Rahmen der Grundstücksübertragung die Beteiligten
gem. § 17 BeurkG „über Inhalt und Tragweite der beabsichtigten Auflassung zu belehren“ hat7
(Belehrungsfunktion). Dass die Beteiligten an ihre Auflassungserklärung vor dem Notar
nach § 873 Abs. 2 BGB nur gebunden sind, wenn sie notariell beurkundet ist, soll gewährleis-

1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1672).


2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); dazu Herrler, NotBZ 2020, 391 (392).
3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673) mit Hinweis auf J. Weber, in BeckOGK
BGB, 1.2.2021, § 925a BGB Rz. 2; s. dazu auch Lieder, NZG 2020, 1081 (1085); Herrler, NotBZ
2020, 391 (392).
4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673).
5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); zust. Lieder, NZG 2020, 1081 (1085);
kritisch Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (466); Ransiek, in jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3.
6 Bloße Unterschriftsbeglaubigung gem. § 40 BeurkG genügt ebenso wenig wie ein Tatsachenpro-
tokoll nach § 36 BeurkG; s. dazu Herrler, NotBZ 2020, 391 (392) m.w.N.
7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); s. dazu Lieder, NZG 2020, 1081 (1086).

Reithmann/Stelmaszczyk | 431
§ 5 Rz. 5.368 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ten „dass nicht übereilt und leichtfertig über die Rechte an Grund und Boden verfügt wird“1
(Übereilungsschutz).

5.369 Die materielle Richtigkeitsgewähr und die Belehrungsfunktion haben die fachliche Expertise
der Notare zur Voraussetzung. Die inländischen Notare stellen die Einhaltung der „materiell-
rechtlichen Vorgaben“ (vgl. § 925 Abs. 2, § 925a BGB) und der „grundbuchtechnischen Vor-
gaben“ sicher2. Im Ausland bestellte Notare verfügen typischerweise nicht über die hierfür er-
forderlichen Kenntnisse des deutschen Rechts3. Besonders betont der Senat in diesem Zusam-
menhang auch die Sicherung verbraucherschützender Ziele, „nämlich den Schutz der Betei-
ligten vor unüberlegten, weil zum Beispiel gar nicht geschuldeten, Auflassungen und die Un-
terrichtung über zwischenzeitliche Verfügungen durch Einsichtnahme in das Grundbuch
(…)“4.

5.370 Die Erreichung dieser Ziele ist nur bei inländischen Notaren gewährleistet und zudem institu-
tionell abgesichert; nur diese sind den durch das BeurkG begründeten Pflichten unterworfen5.
Dementsprechend betont der Senat, dass die Ahndung etwaiger Pflichtverstöße seitens staatli-
cher Stellen (Notaraufsicht bzw. Dienstaufsicht des Auswärtigen Amtes) nur den inländischen
Notaren gegenüber durchgesetzt werden könne6. Auch die Sicherstellung der behördlichen
Aufsicht als „Grundvoraussetzung für die Übertragung der Zuständigkeit für die Entgegen-
nahme der Auflassung auf Notare und Konsularbeamte“7 spreche gegen die Zulässigkeit einer
Auslandsbeurkundung. Darüber hinaus unterliegen nur inländische Notare den im öffent-
lichen Interesse liegenden steuerrechtlichen Anzeigepflichten nach § 18 Abs. 1 S. 1 GrEStG
sowie der Amtshaftung nach § 19 BNotO8.

5.371 Bemerkenswert sind schließlich die Ausführungen des BGH zum Unionsrecht. Zwar könne, so
der Senat, die in § 925 Abs. 1 S. 2 BGB normierte Begrenzung der Zuständigkeit für die Ent-
gegennahme der Auflassung auf inländische Notare eine Beschränkung des freien Dienstleis-
tungsverkehrs darstellen. Doch wäre diese aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit
und Gesundheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des EVÜ; ähnlich Art. 56 AEUV) gerecht-
fertigt9. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass „[d]em Grundbuch (…) in bestimmten Mit-
gliedstaaten, die das lateinische Notariat kennen, darunter auch Deutschland, unter anderem
im Rahmen von Grundstückstransaktionen entscheidende Bedeutung zu[kommt]. […] [E]ine
Verfügung über ein Grundstück und insbesondere die Übertragung des Eigentums an einem
Grundstück nach § 873 Abs. 1 BGB [setzt] neben der Einigung der Beteiligten über die Ver-
fügung die Eintragung in das Grundbuch voraus, so dass die Verfügung erst mit der Eintra-
gung wirksam wird. Die ordnungsgemäße Führung des Grundbuchs ist auch in Deutschland

1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); vgl. Lieder, NZG 2020, 1081 (1086); Herr-
ler, NotBZ 2020, 391 (392).
2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); s. dazu Lieder, NZG 2020, 1081 (1086).
3 Lieder, NZG 2020, 1081 (1086); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); J. Weber, in BeckOGK BGB,
1.2.2021, § 925 Rz. 68; a.A. Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (466); vgl. Ransiek, in jurisPR-IWR 4/
2020 Anm. 3.
4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673).
5 Lieder, NZG 2020, 1081 (1087); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392).
6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673).
7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673).
8 Lieder, NZG 2020, 1081 (1087); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392).
9 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673 f.); zust. Lieder, NZG 2020, 1081 (1088 f.);
Herrler, NotBZ 2020, 391 (392 f.); zweifelnd Ransiek, in jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3; Lehmann/
Krysa, RIW 2020, 464 (466).

432 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.373 § 5

ein wesentlicher Teil der vorsorgenden Rechtspflege. Sie soll die ordnungsgemäße Rechts-
anwendung und die Rechtssicherheit von Verfügungen zwischen Privatpersonen gewährleisten
und gehört damit zu den Aufgaben und Zuständigkeiten des Staates. Die Verpflichtung der an
der Auflassung eines in Deutschland belegenen Grundstücks Beteiligten, diese Auflassung ent-
weder vor einem deutschen Konsularbeamten im Ausland oder vor einem in Deutschland be-
stellten Notar im Inland zu erklären, soll sicherstellen, dass die notwendige Einigung über den
Eigentumsübergang tatsächlich erfolgt, technisch richtig und in Übereinstimmung mit dem In-
halt des Grundbuchs erklärt und dem Grundbuchamt unverzüglich zur Eintragung zugeleitet
wird. Der aus der unüberlegten und unrichtigen Auflassung eines Grundstücks folgenden Ge-
fährdung der Interessen der Beteiligten, aber vor allem der Gefährdung der Richtigkeit des
Grundbuchs, soll der Notar durch entsprechende Hinweise an die Beteiligten, notfalls aber
auch dadurch entgegenwirken, dass er die Entgegenahme der Auflassungserklärung ablehnt.“1

„Dieses Schutz- und Sicherungskonzept des Gesetzgebers setzt vertiefte Kenntnisse des deut- 5.372
schen Sachrechts, insbesondere auch des Abstraktionsprinzips und seiner Wirkungsweise,
und weiter voraus, dass die zuständigen staatlichen Stellen bei Fehlern (…) auf die Notare ein-
wirken können2. Diese Bedingungen liegen bei im Ausland bestellten Notaren schon deshalb
nicht vor, weil diese nicht die Pflichten der im Inland bestellten Notare treffen (…), und weil
sie nicht der Notar- oder Dienstaufsicht der deutschen staatlichen Stellen unterliegen, die da-
mit außerstande wären, die Einhaltung der Vorschriften zur Gewährleistung der Richtigkeit
des Grundbuchs sicherzustellen3.“ Da eine Auflassung im Ausland vor einem deutschen Kon-
sularbeamten möglich sei, alternativ die Erteilung einer Vollmacht zwecks Beurkundung in
Deutschland, sei eine mögliche Beschränkung verhältnismäßig4.

b) Statusrelevante Maßnahmen im Gesellschaftsrecht


Die vom V. Zivilsenat in seinem Beschluss v. 13.2.2020 mit Blick auf die Formzwecke des 5.373
§ 925 Abs. 1 S. 2 BGB angeführten Argumente lassen sich, wie Lieder5 aufgezeigt hat, weit-
gehend auf die Gründung von GmbH (§ 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und AG (§ 23 Abs. 1 S. 1
AktG) sowie umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen (§ 6 ggf. i.V.m. § 125 S. 1, §§ 176,
177 UmwG) übertragen. Ausschlaggebend sind hierfür die Parallelen zwischen Verfügungs-
geschäften im Grundstücksrecht und statusrelevanten Maßnahmen im Gesellschafts- und
Umwandlungsrecht. Bei diesen statusrelevanten Maßnahmen fehlt es nach der überwiegen-
den Auffassung im Schrifttum – und entgegen zweier Entscheidungen des KG v. 24.1.20186
bzw. 26.7.20187 – gleichermaßen an der Substituierbarkeit der inländischen Formvorschrif-
ten durch eine ausländische Urkundsperson. Dafür streiten u.a. die Gewährleistung materiel-
ler Rechtmäßigkeit, die Belehrungs- und Warnfunktion, die fachliche Expertise inländischer

1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674).


2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674).
3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674).
4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674).
5 Lieder, NZG 2020, 1081 (1085 ff.).
6 KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, RNotZ 2018, 267 = NJW 2018, 1828; dazu kritisch Cramer, DStR
2018, 746; Heckschen, DB 2018, 685; Herrler, NJW 2018, 1787; König/Steffes-Holländer, DB 2018,
625; Lieder, ZIP 2018, 805; Mayer/Barth, IWRZ 2018, 128; Richter/Knauf, BB 2018, 660; Stel-
maszczyk, GWR 2018, 103; J. Weber, MittBayNot 2018, 215; Wicke, GmbHR 2018, 380.
7 KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, RNotZ 2019, 236 = DNotZ 2019, 141 (m. Anm. Diehn) = DStR
2018, 2533 (m. Anm. Heinze); dazu kritisch Heckschen, GWR 2018, 393; Lieder, ZIP 2018, 1517;
Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177; Tebben, GmbHR 2018, 1190.

Reithmann/Stelmaszczyk | 433
§ 5 Rz. 5.373 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Notare, die Filter- und Kontrollfunktion, die behördliche Aufsicht sowie die Unverzichtbarkeit
der Prüfungs- und Belehrungspflichten1.

c) Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen


aa) Ausgangspunkt
5.374 Im Hinblick auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen wird im kollisionsrechtlichen
Schrifttum eine von den Formerfordernissen bei statusrelevanten Maßnahmen des Gesell-
schaftsrechts weitgehend losgelöste Diskussion geführt.

5.375 Es ist offensichtlich, dass in Fällen mit Auslandsberührung besondere Umstände zu beachten
sind. Dies ist traditionell Gegenstand des Kollisionsrechts. Das Kollisionsrecht beschränkt die
Durchsetzung von Formvorschriften durch die alternative Zulassung von Wirkungsstatut und
Ortsrecht und schränkt damit § 125 BGB ein. Dies ist bei Verpflichtungsgeschäften durch Art. 11
Rom I-VO zwingend bestimmt, bei Verfügungsgeschäften indes nicht (s. Rz. 5.233, Rz. 5.270 ff.)2.

5.376 Neben den Regeln des Kollisionsrechts stehen die Auslegungsregeln des materiellen Rechts.
Die Methode der materiell-rechtlichen Auslegung (Substitution) konkurriert mit dem Kolli-
sionsrecht, das in manchen Fällen der z.B. im Gesellschaftsrecht gebotenen Publizität nicht
immer gerecht wird.

5.377 Dies gilt vor allem in den Fällen der Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen. Hier muss im
Ergebnis das Interesse der Publizität vorgehen3. Für Verpflichtungsgeschäfte sei der deutsche
Richter an die Entscheidung des Gesetzgebers der Rom I-VO gebunden, nicht aber im Falle
des Verfügungsgeschäfts. Hier kann darauf abgestellt werden, ob eine ausländische Beurkun-
dung noch unter die „notarielle Form“ des § 15 Abs. 3 GmbHG gefasst werden kann. In jün-
gerer Zeit sind einige Entwicklungen zu verzeichnen, die es bei der Substitution des Beurkun-
dungserfordernisses aus § 15 Abs. 3 GmbHG zu beachten gilt.

bb) Obiter dicta des BGH im Beschluss v. 13.2.2020


5.378 So führte der V. Zivilsenat des BGH in seinem bereits zitierten Beschluss v. 13.2.20204 aus,
dass in Abhängigkeit von den Formzwecken der deutschen Sachnorm dem Formerfordernis
des deutschen Sachrechts nicht nur mit der Beurkundung durch einen inländischen Notar,
sondern auch durch einen im Ausland bestellten genügt werden könne5. Dies sei im Gesell-
schaftsrecht anerkannt. Das für die Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils geltende Former-
fordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG könne mittels Beurkundung durch einen Schweizer Notar
erfüllt werden, wenn diese der Beurkundung durch einen inländischen Notar gleichwertig sei6.
Die Gleichwertigkeit sei für einen in Basel bestellten Notar anerkannt7.

1 Lieder, NZG 2020, 1081 (1085 ff.).


2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = GmbHR 1981, 238 = DNotZ 1981,
451.
3 So bereits Vorauflage, Rz. 5.324.
4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670.
5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671) mit Hinweis auf BGH v. 16.2.1981 – II ZB
8/80, BGHZ 80, 76 (78) und BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 Rz. 13 ff. sowie
BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, NJW-RR 1989, 1259 (1261).
6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671) mit Hinweis auf BGH v. 17.12.2013 – II
ZB 6/13, BGHZ 199, 270 Rz. 23.
7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671).

434 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.381 § 5

Es ist zunächst festzuhalten, dass diese obiter dicta des V. Zivilsenats zum Gesellschaftsrecht 5.379
aufgrund des rein grundstücksrechtlichen Sachverhalts nicht entscheidungserheblich und da-
mit rechtlich ohne Belang waren. Darüber hinaus begegnen sie auch in der Sache erheblichen
Bedenken. Denn wie Lieder1 herausgearbeitet hat, stellt der V. Zivilsenat die Aussagen des II.
Zivilsenats zur Auslandsbeurkundung im Gesellschaftsrecht mit Blick auf dessen frühere
Rechtsprechung verkürzt und mit Blick auf die noch nicht höchstrichterlich entschiedenen
statusrelevanten Maßnahmen in unzulässiger Weise verallgemeinernd dar.

cc) Frühere Rechtsprechung des BGH


Das gilt insb. für den pauschalen Verweis auf Entscheidungen des II. Zivilsenats, aus denen 5.380
der V. Zivilsenat auf die Gleichwertigkeit der Auslandsbeurkundung für die Abtretung von
GmbH-Geschäftsanteilen nach § 15 Abs. 3 GmbHG schließt. Nicht verfangen kann bereits
der Hinweis auf die Leitentscheidung v. 16.2.19812, denn diese betraf keine Anteilsabtretung,
sondern eine Änderung des Gesellschaftsvertrags3. Daher bezogen sich die Ausführungen
des II. Zivilsenats gerade nicht auf den vom V. Zivilsenat in Bezug genommenen § 15 Abs. 3
GmbHG, sondern auf die Formvorschrift des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Da es für die Substitu-
tion nach inzwischen ganz h.M. auf die konkreten Normzwecke des in Frage stehenden Form-
erfordernisses ankommt (s. Rz. 5.349) und beide Vorschriften unterschiedliche Formzwecke
verfolgen4, lassen sich die Ausführungen des BGH zu § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG nicht ohne
Weiteres auf § 15 Abs. 3 GmbHG übertragen5.

Denselben Bedenken begegnet auch das BGH-Urteil v. 22.5.1989, in welchem der II. Zivil- 5.381
senat – ebenfalls nur beiläufig – bemerkte, dass die Beurkundung durch einen schweizerischen
Notar das Formerfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG erfülle6. Eine Begründung liefert der Se-
nat nicht; vielmehr verweist er schlicht auf die Entscheidung vom 16.2.1981. Das mag daran
liegen, dass es sich auch hierbei um ein bloßes obiter dictum handelte. Auf die Wirksamkeit
der Auslandsbeurkundung kam es gar nicht an, weil die Unwirksamkeit der Übertragung der
Kommanditanteile, die Gegenstand des Urteils waren, zugleich zur Unwirksamkeit der damit
verbundenen GmbH-Anteilsabtretung führte. Die nicht näher begründeten Bemerkungen des
II. Zivilsenats in seinem Urteil vom 22.5.1989 bieten mithin ebenso wenig eine belastbare
Grundlage für die Annahme, dass Auslandsbeurkundungen von GmbH-Anteilsabtretungen
wirksam seien7.

1 Lieder, NZG 2020, 1081 (1082 ff.).


2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = GmbHR 1981, 238 = DNotZ 1981,
451.
3 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083) mit dem Hinweis, dass die Ausführungen des BGH in BGHZ 80,
76 zu § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG überdies auch inhaltlich unzutreffend waren.
4 Zu den Formzwecken des § 15 Abs. 3 GmbHG s. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Reichert/
Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 16 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG,
§ 15 GmbHG Rz. 1; Wicke, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 20; zu den Formzwecken des § 53 Abs. 2
S. 1 GmbHG vgl. Harbarth in MünchKomm GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 68; Zöllner/Noack in
Baumbach/Hueck, § 53 GmbHG Rz. 71; Wicke, GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 13.
5 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083).
6 BGH v. 22.5.1988 – II ZR 211/89, ZIP 1989, 1054 = GmbHR 1990, 25 = WM 1989, 1221.
7 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083); kritisch auch Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 149.

Reithmann/Stelmaszczyk | 435
§ 5 Rz. 5.382 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

dd) Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen


5.382 Hinzu kommt, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Auslandsbeurkun-
dung von Anteilsübertragungen im Jahre 2008 gerade in Bezug auf die Schweiz bekanntlich in
doppelter Hinsicht verändert haben1. Zum einen hat der Schweizer Gesetzgeber das Beurkun-
dungserfordernis für die Abtretung von Stammanteilen an schweizerischen GmbH aufgeho-
ben, so dass nach Art. 785 Abs. 1 OR seitdem die Schriftform genügt. Zum anderen ist die
Gesellschafterliste durch das MoMiG in dreifacher Weise aufgewertet worden: Zunächst
knüpft die Legitimation der Gesellschafter gegenüber der GmbH nach § 16 Abs. 1 S. 1
GmbHG unmittelbar an die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste nach § 40
GmbHG an. Weiterhin ist der Notar nach § 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG unmittelbar zur Einrei-
chung der Liste verpflichtet, wenn er wie im Fall der Anteilsübertragung an Veränderungen
im Gesellschafterbestand mitwirkt. Schließlich ist die Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 3
GmbHG Rechtsscheinträger und Legitimationsgrundlage für einen gutgläubigen Erwerb von
GmbH-Anteilen. Als Folge mehren sich in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung2 und im
Schrifttum3 die Zweifel an einer Übertragbarkeit der Aussagen des BGH in seiner Entschei-
dung vom 16.2.1981 auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen – und damit an der Sub-
stituierbarkeit des Formerfordernisses nach § 15 Abs. 3 GmbHG.

5.383 Mit der Aufwertung der Gesellschafterliste ist anerkanntermaßen die Gewährleistung einer
(zumindest eingeschränkten) materiellen Richtigkeitsgewähr verbunden4. Denn ungeachtet
der konkurrierenden Einreichungszuständigkeit des Geschäftsführers nach § 40 Abs. 1
GmbHG und der damit verbundenen Einschränkung der Gewähr für die Listenrichtigkeit hat
der nach § 40 Abs. 2 GmbHG zur Einreichung der Gesellschafterliste berufene Notar für die
Richtigkeit der einzureichenden Gesellschafterliste einzustehen. Der Pflicht zur Einreichung
einer der wahren Rechtslage entsprechenden Gesellschafterliste zum Handelsregister wird der
Notar aber nur gerecht, wenn er im Rahmen der Beurkundung der Abtretung auch deren ma-
terielle Wirksamkeit zu gewährleisten hat. Im Ergebnis haben sich die an die Substitution des
Formerfordernisses aus § 15 Abs. 3 GmbHG zu stellenden Anforderungen durch die Aufwer-
tung der Gesellschafterliste erhöht. Auch diese Entwicklung übergeht der V. Zivilsenat mit sei-
nen pauschalen Aussagen zur Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung einer GmbH-Anteils-
übertragung.

ee) Beschluss des BGH vom 17.12.2013


5.384 Schließlich kann der V. Zivilsenat seine obiter dicta zur Wirksamkeit der Auslandsbeurkun-
dung einer GmbH-Anteilsübertragung auch nicht auf den Beschluss des BGH v. 17.12.20135
stützen. Denn der II. Zivilsenat beschränkt seine Aussagen in dieser Entscheidung auf die
Kompetenz des im Ausland bestellten Notars zur Einreichung der Gesellschafterliste. Diese
können nicht auf die Problematik der Substitution des materiellen Beurkundungserfordernis-

1 Dazu und zum Folgenden Lieder, NZG 2020, 1081 (1083 f.); Lieder/Ritter, notar 2014, 187.
2 LG Frankfurt a.M. v. 7.10.2009 – 3-13 O 46/09, ZIP 2010, 88 = NJW 2010, 683.
3 Bayer, DNotZ 2009, 887 (890 ff.); Braun, DNotZ 2009, 585 (588); Gerber, GmbHR 2010, 97
(98 f.); Hermanns, RNotZ 2010, 38 (41 f.); Süß, DNotZ 2011, 414 (420 ff.).
4 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 31; Bayer, GmbHR 2013, 897 (904 ff.);
Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191 ff.); König/Götte/Bormann,
NZG 2009, 881 (882).
5 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457 = ZIP 2014, 317 = GmbHR
2014, 248.

436 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.387 § 5

ses übertragen werden1. Der Senat hat allein über den Umfang des registergerichtlichen Prü-
fungsrechts im Listenaufnahmeverfahren nach § 40 GmbHG entschieden. Zu einer inhalt-
lichen Prüfung der Gesellschafterliste ist das Registergericht gerade nicht verpflichtet2.

Zudem beschränkt der II. Zivilsenat die Prüfung der formalen Voraussetzungen der Listenein- 5.385
reichungskompetenz auf eine negative Evidenzkontrolle3. Danach darf das Registergericht
die eingereichte Liste zurückweisen, wenn offensichtlich kein Geschäftsführer oder Notar, son-
dern ein unbefugter Dritter handelt. Ein ausländischer Notar stehe einem Unbefugten in die-
sem Sinne nicht ohne Weiteres gleich, da diesem nicht nach jedem erdenklichen Umstand die
Kompetenz zur Listeneinreichung fehle4. Das Registergericht habe folglich nur zu prüfen, ob
die Auslandsbeurkundung offensichtlich unwirksam sei, der Auslandsnotar also unter keinem
erdenklichen Umstand zur Listeneinreichung berechtigt war.

Damit hat der II. Zivilsenat zwar grundsätzlich an der Prämisse der Gleichwertigkeit fest- 5.386
gehalten, jedoch die Frage, ob die Beurkundung der GmbH-Anteilsübertragung durch einen
Notar mit Amtssitz in Basel-Stadt einer Beurkundung durch einen deutschen Notar gleich-
wertig ist, entgegen der Bemerkung des V. Zivilsenats offengelassen5.

ff) Historische Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG


Für die Substituierbarkeit des Formerfordernisses der notariellen Beurkundung aus § 15 Abs. 3 5.387
GmbHG kommt es mithin nach wie vor auf dessen konkrete Formzwecke an. Der historische
Gesetzgeber bezweckte mit dem Beurkundungserfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG in erster
Linie, die Mitgliedschaft in der GmbH als grundsätzlich dauerhaftes und durch die persönli-
che Verbundenheit der Gesellschafter geprägtes Verhältnis auszugestalten und den spekulati-
ven Handel mit Geschäftsanteilen durch die Erschwerung ihrer Übertragung zu verhindern
(Erschwernisfunktion)6. Daneben erkannte der historische Gesetzgeber angesichts der feh-
lenden (adäquaten) Verbriefung von GmbH-Geschäftsanteilen das Bedürfnis der Beteiligten
nach einem authentischen Nachweis über die Tatsache der Anteilsübertragung (Beweis- und
Klarstellungsfunktion)7. Ob das Beurkundungserfordernis nach dem Willen des historischen
Gesetzgebers auch dem Schutz vor Übereilung (Warnfunktion) dienen sollte, wird uneinheit-
lich beurteilt8.

1 Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189).
2 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457.
3 Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189).
4 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457 (459).
5 Die mit dem Beschluss verbundenen praktischen Probleme und rechtsdogmatischen Verwerfun-
gen werden u.a. von Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189 f.) und Herrler, GmbHR 2014, 225 erör-
tert.
6 Vgl. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG
Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 16; Wicke, GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 12.
7 Vgl. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG
Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 17; Wicke, GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 1.
8 Dagegen Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 18 („bloßer Rechts-
reflex“); dafür: OLG Stuttgart v. 7.7.1989 – 9 U 13/89, DB 1989, 1817; Altmeppen, GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 66; Servatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 21; Wicke, GmbHG, § 15
GmbHG Rz. 12.

Reithmann/Stelmaszczyk | 437
§ 5 Rz. 5.388 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

gg) Normativ-dynamische Auslegung im Lichte aktueller Entwicklungen


5.388 Allerdings sind die für die Substitution maßgeblichen Normzwecke eines konkret in Frage ste-
henden Formerfordernisses stets normativ im Lichte der aktuell geltenden materiellen und
verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu bestimmen1. Dieses normativ-dynamische Ele-
ment der materiell-rechtlichen Formerfordernisse des deutschen Sachrechts wurde im Schrift-
tum bislang noch nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. Jedoch ist die normativ-dyna-
mische Auslegung der Beurkundungserfordernisse die notwendige Konsequenz der stetig zu-
nehmenden Prüfungspflichten der deutschen Notare im öffentlichen Interesse, die zuletzt vor
allem im Bereich der Geldwäscheprävention nach dem GwG ihren Niederschlag gefunden ha-
ben. Die normativ-dynamische Auslegung wird bei genauerem Zusehen auch vom BGH in
seinem Beschluss v. 13.2.2020 bestätigt. Denn der Senat legt großen Wert auf eine ausführliche
Erörterung der vom deutschen Notar im Rahmen des Beurkundungserfordernisses aus § 925
Abs. 1 S. 2 BGB – nach aktuellem Recht – zu erfüllenden verfahrensrechtlichen Pflichten, um
dessen fehlende Substituierbarkeit durch eine Auslandsbeurkundung zu begründen (s. dazu
Rz. 5.367 ff.).

5.389 Tatsächlich gewinnt gerade die Einhaltung geldwäscherechtlicher Pflichten durch den deut-
schen Notar zunehmend an Bedeutung. Im Zuge der Umsetzung der Änderungsrichtlinie2 zur
4. EU-Geldwäscherichtlinie3 zum 1.1.20204 hat der deutsche Gesetzgeber in § 10 Abs. 9 S. 4
Alt. 1 i.V.m. § 11 Abs. 5a S. 1 GwG ein spezielles geldwäscherechtliches Beurkundungsver-
bot bei Erwerbsvorgängen nach § 1 GrEStG eingeführt, solange dem beurkundenden Notar
keine schlüssige Dokumentation der Eigentums- und Kontrollstruktur zur Feststellung der
Identität der wirtschaftlich Berechtigten der an einem Rechtsakt beteiligten Rechtsformen
nach § 3 Abs. 2 und Abs. 3 GwG (d.h. juristische Personen und sonstige Gesellschaften ein-
schließlich der GbR, Trusts und Stiftungen) vorgelegt wird. Die Dokumentation der Eigen-
tums- und Kontrollstruktur hat der Notar der Zentralstelle für Finanztransaktionsunter-
suchungen (FIU) sowie den Strafverfolgungsbehörden auf deren Verlangen zur Verfügung zu
stellen (§ 11 Abs. 5a S. 2 GwG). Inzwischen wurde die Vorschrift des § 11 Abs. 5a GwG durch
das Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz5 mit Wirkung zum 1.8.2021 wort-
gleich nach § 12 Abs. 4 GwG n.F. übertragen6. Zu den Erwerbsvorgängen nach § 1 GrEStG

1 So zutreffend Herrler, NotBZ 2020, 391 (393).


2 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.5.2018 zur Änderung
der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der
Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG
und 2013/36/EU, ABl. EU 2018 Nr. L 156, S. 43.
3 Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 zur Verhin-
derung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinan-
zierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des
Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. EU 2015 Nr. L 141, S. 73.
4 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie
vom 12.12.2019, BGBl. 2019 I, S. 2602; dazu ausf. Reuter, NZG 2020, 178 sowie Thelen, Geld-
wäscherecht in der notariellen Praxis, 2021.
5 Gesetz zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie
(EU) 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 zur Nutzung von Fi-
nanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen
schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz), BGBl. 2021 I, 2083,
dazu John, NZG 2021, 957.
6 Der Verweis in § 10 Abs. 9 S. 4 GwG wurde entsprechend redaktionell angepasst.

438 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.391 § 5

zählt – unabhängig davon, ob der Vorgang steuerbar oder gar steuerpflichtig ist – neben dem
Verkauf einer inländischen Immobilie insb. auch die Übertragung von Anteilen an einer Ge-
sellschaft, zu deren Vermögen unmittelbar oder mittelbar eine inländische Immobilie gehört1,
und damit auch die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen. Das spezielle Beurkundungsver-
bot nach dem GwG spricht vor allem deshalb gegen die Substituierbarkeit des Beurkundungs-
erfordernisses nach § 15 Abs. 3 GmbHG, weil der deutsche Gesetzgeber dieses in überschie-
ßender Umsetzung der Änderungsrichtlinie statuiert hat, so dass ein vergleichbar strenges Be-
urkundungsverbot in den anderen Mitgliedstaaten der Union nicht besteht.

Daneben ist in Umsetzung der Änderungsrichtlinie auch eine weitere, im öffentlichen Interes- 5.390
se bestehende Meldepflicht des Notars nach dem GwG hinzugetreten. Zur Bekämpfung von
Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung haben Notare nunmehr nach Maßgabe des § 23a
Abs. 1 S. 1 GwG der registerführenden Stelle Unstimmigkeiten unverzüglich zu melden, die
sie zwischen den im Transparenzregister zugänglichen Angaben über die wirtschaftlich Betei-
ligten und den ihnen zur Verfügung stehenden Angaben und Erkenntnissen über die wirt-
schaftlich Berechtigten feststellen (sog. Unstimmigkeitsmeldung an das Transparenzregister).
Die Meldepflicht, mit der die Datenqualität des Transparenzregisters verbessert werden soll2,
gilt für den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 lit. a
aa) GwG) ebenso wie im Hinblick auf Zusammenschlüsse oder Übernahmen (§ 2 Abs. 1 Nr.
10 lit. d GwG). Damit wird die notarielle Mitwirkung bei GmbH-Anteilsveräußerungen vom
sachlichen Anwendungsbereich der Meldepflicht nach § 23a Abs. 1 S. 1 GwG ausdrücklich
erfasst. Weitere Meldepflichten gelten für den deutschen Notar bei Erwerbsvorgängen nach
§ 1 GrEStG – wiederum in überschießender Umsetzung der Änderungsrichtlinie – gem. § 43
Abs. 2 S. 2 Alt. 2, Abs. 6 GwG i.V.m. der Verordnung zu den nach dem Geldwäschegesetz
meldepflichtigen Sachverhalten im Immobilienbereich (GwGMeldV-Immobilien)3 ,so etwa,
wenn die erforderliche Dokumentation der Eigentums- und Kontrollstruktur zur Feststellung
der Identität der wirtschaftlich Berechtigten endgültig nicht vorgelegt wird oder falsche Anga-
ben gemacht werden (§ 4 Abs. 1 Alt. 2 bzw. Abs. 2 GwGMeldV-Immobilien). In diesen und
den weiteren von der Verordnung genannten Fällen4 muss der Notar den Sachverhalt elektro-
nisch über das goAML-Web-Portal5 der FIU melden.

Sowohl das geldwäscherechtliche Beurkundungsverbot als auch die erweiterten Meldepflich- 5.391
ten sind im öffentlichen Interesse bestehende Pflichten, auf deren Einhaltung zwar gegen-
über inländischen Notaren hingewirkt werden kann, nicht aber gegenüber im Ausland bestell-
ten Notaren. In der Praxis ist daher die Gefahr besonders greifbar, dass Kriminelle vor allem
deshalb den Weg zu einem Notar im Ausland suchen werden, um die – strengeren – Prü-
fungs- und Transparenzstandards in Deutschland zu unterlaufen6. Völlig zu Recht sieht der
BGH in seinem Beschluss vom 13.2.2020 die fehlende Sicherstellung der behördlichen Auf-

1 Thelen, Geldwäscherecht in der notariellen Praxis, 2021, Kap. D Rz. 371.


2 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/13827, S. 91.
3 BGBl. 2020 I , 1965. Die Begründung zur GwGMeldV-Immobilien ist abrufbar unter BAnz. AT
7.9.2020, B1.
4 In den §§ 3 bis 6 GwGMeldV-Immobilien findet sich ein umfangreicher Katalog an Sachverhalten,
die vom beurkundenden Notar stets an die FIU zu melden sind. Die Verordnung knüpft dabei an
verschiedene Umstände an, in deren Zusammenhang Geldwäschepraktiken nach bisherigen Er-
fahrungen und Erkenntnissen auftreten oder eine Rolle spielen, dazu ausführlich Thelen, Geld-
wäscherecht in der notariellen Praxis, 2021, Kap. E Rz. 451 ff.
5 Abrufbar unter https://goaml.fiu.bund.de/Home (Stand: 10.8.2021).
6 Vgl. hierzu auch Herrler, NotBZ 2020, 391.

Reithmann/Stelmaszczyk | 439
§ 5 Rz. 5.391 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sicht als ein entscheidendes Argument gegen die Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung einer
Auflassung nach § 925 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 5.370). Nichts anderes kann für die Aus-
landsbeurkundung einer Geschäftsanteilsabtretung nach § 15 Abs. 3 GmbHG gelten.

5.392 Gleiches gilt für die steuerlichen Anzeigepflichten des deutschen Notars nach § 54 Abs. 1
EStDV und § 18 GrEStG. Diese im öffentlichen Interesse an der Gewährleistung des Steuer-
aufkommens bestehenden Pflichten drohen bei einer Auslandsbeurkundung leerzulaufen. Sie
sind für die Frage der Substituierbarkeit des Beurkundungserfordernisses nach § 15 Abs. 3
GmbHG von großer Bedeutung. Die Beurkundung des Abtretungsvertrages über GmbH-Ge-
schäftsanteile ist ein verfahrensgebundener Rechtsvorgang, bei dem der inländische Notar als
Außenstelle der Justiz in einem durch den deutschen Gesetzgeber näher ausgestalteten Verfah-
ren mitzuwirken hat. In dieser Funktion sind dem Notar im öffentlichen Interesse liegende
steuerliche Mitteilungspflichten überantwortet, deren Einhaltung der deutsche Staat im Rah-
men der Dienstaufsicht und mit Mitteln der Disziplinargewalt überwacht. Ausländische Ur-
kundspersonen sind hingegen in keiner Weise institutionell als Rechtspflegeorgane in das Sys-
tem der vorsorgenden Rechtspflege deutschen Rechts eingebunden. Sofern die steuerlichen
Anzeigepflichten für sie überhaupt gelten, unterliegt ihre Einhaltung durch einen Notar im
Ausland jedenfalls keiner effektiven behördlichen Aufsicht1.

5.393 Auf den Formzweck der materiellen Richtigkeitsgewähr, der spätestens mit dem MoMiG Ein-
zug in die Beurkundung des Abtretungsvertrags nach § 15 Abs. 3 GmbHG gehalten hat, wurde
bereits hingewiesen (s. Rz. 5.383). Zu Recht hat auch der V. Zivilsenat in Bezug auf § 925 Abs. 1
S. 2 BGB kein Wort darüber verloren, ob eine Substitution nicht ausnahmsweise doch statthaft
sein kann, wenn der ausländische Notar im Einzelfall über Kenntnisse des deutschen Rechts
verfügt. Denn eine solche Differenzierung würde nicht nur kaum lösbare Abgrenzungsschwie-
rigkeiten mit sich bringen, sondern gleichermaßen dem Formzweck der materiellen Richtig-
keitsgewähr – auch nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 GmbHG – zuwiderlaufen. Es führt daher
kein Weg an einer typisierenden Betrachtung vorbei, die bei einer ausländischen Urkundsper-
son einen institutionellen Mangel an Kenntnissen im deutschen Recht diagnostiziert.

5.394 Selbst wenn der Beratungs- und Warnfunktion der notariellen Mitwirkung nach dem Willen
des historischen Gesetzgebers keine eigenständige Bedeutung bei der Statuierung der Beur-
kundungspflicht nach § 15 Abs. 3 GmbHG zugesprochen werden sollte (str., s. Rz. 5.387),
kann jedoch nicht verkannt werden, dass für die Errichtung der notariellen Urkunde über die
Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen nach heute geltendem Recht das Verfahren nach den
§§ 6 ff. BeurkG über die Beurkundung von Willenserklärungen einzuhalten ist, welches eine
Belehrung der Parteien nach § 17 BeurkG einschließt. Die in dieser Verfahrensvorschrift nie-
dergelegten Pflichten sind vom Notar zwingend zu erfüllen2. Dies hebt auch der BGH3 in sei-
nem Beschluss v. 13.2.2020 hervor – mit Recht. Bei § 17 BeurkG handelt es sich anerkannter-
maßen um die magna charta des Beurkundungsverfahrens4 und damit um das Kernstück des
Beurkundungsgesetzes5. Der deutsche Notar ist unbedingt verpflichtet, die zu beurkundenden

1 Vgl. Heinze, NZG 2017, 371 (373).


2 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 230.
3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673).
4 Winkler, Rpfleger 1978, 44 (45); Schmitz-Valckenberg, DNotZ 1994, 495 (496); Diehn, DNotZ
2019, 146 (148 f.); Winkler, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1.
5 So ausdrücklich Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO, § 17 BeurkG Rz. 1; dem folgend BGHZ 203,
280 Rz. 29: „Kernregelung des Beurkundungsgesetzes“; vgl. weiter Armbrüster in Armbrüster/
Preuß/Renner, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1; Diehn, DNotZ 2019, 146 (148 f.).

440 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.398 § 5

Dokumente ordnungsgemäß zu prüfen und die Beteiligten sorgfältig über die mit dem Rechts-
geschäft verbundenen rechtlichen Risiken zu belehren. Zweifelsfrei kommt den Vertragspartei-
en bei der Beurkundung des Abtretungsvertrags über GmbH-Gesellschaftsanteile eine Bera-
tung durch den Notar zugute.

Die Beurkundungsbedürftigkeit dient in der heutigen Praxis – zumindest auch – dem Schutz 5.395
der Parteien, die durch den Notar umfassend beraten werden. Das Argument, § 15 Abs. 3
GmbHG diene nicht den Zielen „Beratung und Warnung“, da diese nicht in den Gesetzes-
materialen des historischen Gesetzgebers angelegt seien1, überhöht in unzulässiger Weise die
historische Auslegung gegenüber den anderen anerkannten Auslegungsmethoden, insbeson-
dere gegenüber der teleologischen Auslegung.

Die Frage, welchen Sinn und Zweck eine Norm verfolgt, kann nicht allein damit beantwortet 5.396
werden, welchen Zweck der historische Gesetzgeber der Norm ursprünglich beimaß. Vielmehr
ist darauf abzustellen, welchen Sinn und Zweck eine Norm im Rechtsverkehr aktuell objektiv
erfüllt. Denn dieses Telos würde der demokratisch legitimierte Gesetzgeber der Norm zuord-
nen, wenn er sie heute neu erließe. Es ist somit durchaus denkbar, dass sich der „Zweck“ einer
Norm aufgrund geänderter Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit wandelt. Dieses Verständ-
nis ist mit Blick auf die Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG angesichts der in jüngerer Zeit
stetig an Bedeutung gewinnenden Pflichten zur Geldwäscheprävention geradezu zwingend,
da die Erfüllung dieser Normzwecke der notariellen Mitwirkung durch den Gang ins Ausland
letztlich ins Belieben der Parteien gestellt werden könnte2. Es greift aber gleichermaßen für
die klassischen Formzwecke der Beratungs- und Warnfunktion. Ganz in diesem Sinne be-
gründet der BGH in seinem Beschluss v. 13.2.2020 die fehlende Substituierbarkeit der Beur-
kundungspflicht nach § 925 Abs. 1 S. 2 BGB zwar auch mit einer historischen Auslegung;
zugleich stützt der Senat seine Entscheidung jedoch maßgeblich auf eine teleologische Aus-
legung des Formerfordernisses im Lichte der aktuell geltenden materiellen und verfahrens-
rechtlichen Rahmenbedingungen (dazu ausf. Rz. 5.367 ff.).

Der historische Befund, welcher Zweck einer Norm im Jahr 1892 zuerkannt wurde, kann da- 5.397
her gegenüber dem heute von dieser Norm im Rechtsverkehr tatsächlich erfüllten und im
Rahmen einer teleologischen Auslegung ermittelten „Zweck“ überlagert, zumindest aber er-
gänzt werden.

In der Praxis erfüllt das Beurkundungserfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG heute zumindest 5.398
auch eine Beratungs- und Warnfunktion. Gesellschaftsanteile machen oftmals einen Großteil
des Vermögens der Parteien aus, weshalb die Beurkundungsbedürftigkeit einen Warneffekt
auf die Parteien hat und diese vor Übereilung schützt. Außerdem besteht nicht selten ein Ver-
handlungsungleichgewicht zwischen den Parteien, etwa wenn institutionelle Anleger beteiligt
sind oder sich Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter gegenüberstehen. Der Notar berät
die Parteien neutral über die Konsequenzen und den Ablauf der Transaktion und sorgt somit
für ein „level playing field“ zwischen den Beteiligten. Hinzu kommt der Beratungsbedarf für
die rechtssichere Abwicklung der Transaktion, um ungesicherte Vorleistungen der Parteien zu
vermeiden, wofür in der Praxis mit einer von der Kaufpreiszahlung abhängigen bedingten Ab-
tretung gearbeitet werden kann (zu der sich der Veräußerer schuldrechtlich verpflichtet).

1 So etwa Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15


GmbHG Rz. 18.
2 Vgl. Herrler, NotBZ 2020, 391 (393).

Reithmann/Stelmaszczyk | 441
§ 5 Rz. 5.399 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.399 Die Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung von Anteilsabtretungen wird von Teilen des
Schrifttums1 damit zu begründen versucht, dass auf die notariellen Prüfungs- und Beleh-
rungspflichten verzichtet werden könne. Dieser Begründungsversuch geht jedoch fehl2. Denn
die überindividuellen Schutzfunktionen des § 15 Abs. 3 GmbHG – insb. materielle Richtig-
keitsgewähr, Geldwäscheprävention, Gewährleistung des Steueraufkommens – stehen schlicht
nicht zur Disposition der Beteiligten.

5.400 Zwar hatte der II. Zivilsenat des BGH das in früheren Entscheidungen anders gesehen. Nach
dem zutreffenden Hinweis von Lieder3 weist die Rechtsprechung des III. Zivilsenats jedoch
inzwischen in die entgegengesetzte Richtung, und zwar selbst dann, wenn die betreffenden
Verfahrensvorschriften (im konkreten Fall: § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG) allein den indivi-
duellen Interessen der Beteiligten zu dienen bestimmt sind4. Bezeichnenderweise geht der V.
Zivilsenat in der Entscheidung vom 13.2.20205 auf die Möglichkeit eines Verzichts auf das
Formerfordernis des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB durch das Aufsuchen eines ausländischen Notars
mit keinem Wort ein. Es muss daher auch im Zusammenhang mit der Auslandsbeurkundung
eines Abtretungsvertrags über GmbH-Geschäftsanteile dabei bleiben, dass die im überindivi-
duellen Interesse stehenden Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG der Verfügungsmacht der
Beteiligten entzogen sind6.

5.401 Die Substituierbarkeit der Formvorschrift des § 15 Abs. 3 GmbHG durch eine Auslands-
beurkundung wird auch nicht von den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vorgegeben7.
Zwar hat der EuGH es bekanntlich abgelehnt, die notarielle Beurkundung als hoheitliche Tä-
tigkeit i.S.d. Art. 51 AEUV zu qualifizieren8 und damit aus dem Anwendungsbereich der pri-
märrechtlich gewährleisteten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von vornherein he-
rauszunehmen. Zugleich hat der Gerichtshof aber bestätigt, dass mit einer notariellen Tätig-
keit Ziele verfolgt werden, die im Allgemeininteresse liegen. Das gilt insbesondere für die bei

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 97; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art.
11 EGBGB Rz. 289; Benecke, RIW 2002, 280 (285); Kröll, ZGR 2000, 111 (135 ff.); Stenzel,
GmbHR 2014, 1024 (1031).
2 Im Ergebnis ebenso Armbrüster in Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 24; Cra-
mer in Scholz, GmbHG, § 2 GmbHG Rz. 10; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO, § 17 BeurkG
Rz. 16; Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz 76, 497; Winkler, BeurkG, § 17 GmbHG Rz. 1;
Beckmann/Fabricius, GWR 2016, 375 (377); Diehn, DNotZ 2019, 146 (149 f.); Dignas, GmbHR
2005, 139 (142 f.); Goette, DStR 1996, 709 (712 f.); Lieder, ZIP 2018, 805 (812 f.); Lieder, ZIP 2018,
1517 (1524); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (188 f.); Stelmaszczyk, GWR 2018, 103 (106).
3 Lieder, ZIP 2018, 805 (813).
4 BGH v. 7.2.2013 – III ZR 121/12, NJW 2013, 1451 (1452) = ZIP 2013, 981.
5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670.
6 Winkler, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1; Diehn, DNotZ 2019, 146 (149 f.); Goette, DStR 1996, 709
(713); Herrler, GmbHR 2014, 225 (229 f.); Reithmann, DNotZ 2003, 603 (604).
7 Vgl. zu § 6 UmwG: Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (189); zur
GmbH-Gründung: Lieder, ZIP 2018, 805 (809 f., 814); Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 GmbHG
Rz. 20 a.E.; Heinze in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 2 GmbHG Rz. 56a; a.A. J. Hoffmann
in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 80; tendenziell auch Stenzel,
GmbHR 2014, 1024 (1031).
8 EuGH v. 24.5.2011 − C-54/08, ECLI:EU:C:2011:339 (Kommission/Deutschland), NJW 2011, 2941
Rz. 104 ff.; = DNotZ 2011, 462; bestätigt durch EuGH v. 10.9.2015 – C-151/14, ECLI:EU:
C:2015:577 (Kommission/Lettland ua), EuZW 2015, 764 Rz. 55, 59, 76; EuGH v. 9.3.2017 – C-
342/15 ECLI:EU:C:2017:196, (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 54 = DNotZ 2017, 458; kritisch H.
Roth, EuZW 2015, 734 (738 f.).

442 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.403 § 5

Umwandlungsvorgängen so bedeutsame Rechtssicherheit von Rechtsgeschäften zwischen Pri-


vatpersonen. Dieses Regelungsziel stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar,
der geeignet ist, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch notarrechtliche Sonder-
vorschriften zu rechtfertigen, soweit Beschränkungen zur Erreichung des verfolgten Ziels ge-
eignet und erforderlich sind1.

Mit Urteil v. 9.3.2017 in der Rs. Piringer hat der EuGH zudem ausdrücklich die Gewährleis- 5.402
tung von Rechtssicherheit bei Grundstückstransaktionen, die Funktionsfähigkeit des Grund-
buchs und allgemein den Schutz der vorsorgenden Rechtspflege unter Beteiligung von Nota-
ren als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt2. Zugleich betont der Ge-
richtshof, dass die Tätigkeit des Notars „wichtig und notwendig“ sei, weil „er sich der Ord-
nungsmäßigkeit der geplanten Transaktion vergewissert und die Geschäftsfähigkeit […] über-
prüft“3. Daher sei auch eine ausschließliche Zuständigkeit inländischer Notare, die
öffentliches Vertrauen genießen und über die der betreffende Mitgliedstaat eine besondere
Kontrolle ausübt, für die Beglaubigung von Urkunden über die Begründung oder Übertra-
gung von Rechten an Liegenschaften geeignet und erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des
Grundbuchsystems sowie die Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten zwischen Pri-
vatpersonen sicherzustellen4. Nichts anderes kann für die notarielle Beurkundung bei der Ab-
tretung von GmbH-Geschäftsanteilen gelten5.

hh) Konsequenzen für die Praxis


Angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheiten ist den Gesellschaftern anzuraten, für die 5.403
Beurkundung des Verfügungsvertrages über die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen ei-
nen inländischen Notar aufzusuchen, um das Erfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG sicher zu
erfüllen (näher dazu bereits Rz. 5.289 ff.). Andernfalls droht die Nichtigkeitssanktion des
§ 125 BGB.

1 EuGH v. 24.5.2011 − C-54/08, ECLI:EU:C:2011:339 (Kommission/Deutschland), NJW 2011, 2941


Rz. 98; bestätigt und nochmals hervorgehoben durch EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15 ECLI:EU:
C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 60; ebenso BVerfG v. 19.6.2012 − 1 BvR 3017/09,
BVerfGE 131, 130 Rz. 46 = NJW 2012, 2639 Rz. 46; BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG),
BGHZ 196, 271 Rz. 30 f. = ZIP 2013, 886; BGH v. 24.11.2014 – NotZ (Brfg) 5/14, BGH NJW-RR
2015, 310, Rz. 11 = DNotZ 2015, 227; BGH v. 20.7.2015 – NotZ (Brfg) 13/14, NJW 2015, 3034
Rz. 22 f., 29 = DNotZ 2015, 944 (m. Anm. Rachlitz).
2 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 59 (m. zust.
Anm. Böttcher) = DNotZ 2017, 458 (m. zust. Anm. Raff); ebenso Waldhoff, EuZW 2017, 382
Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (494); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (432).
3 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 64.
4 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 69.
5 So auch Bormann/Stelmaszczyk, FS 25 Jahre DNotI, 2018, 415 (424 f.); Diehn/Rachlitz, DNotZ
2017, 487 (494); Lieder, ZIP 2018, 805 (809); Raff, DNotZ 2017, 458 (462); Stelmaszczyk, RNotZ
2019, 177 (189 f.) s. hierzu auch den Beschluss des BGH v. 20.7.2015 – NotZ (Brfg) 13/14, NJW
2015, 3034, in dem der BGH im Hinblick auf § 11a S. 3 und 4 BNotO klarstellt, dass Beschränkun-
gen für die Tätigkeit eines ausländischen Notars weder die verfassungsrechtliche Berufsfreiheit
nach Art. 12 GG noch die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und Dienst-
leistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) beeinträchtigen. Stattdessen seien Beschränkungen im Hinblick
auf übergeordnete Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. Das betreffe insb. die Funktionsfähigkeit
der vorsorgenden Rechtspflege. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg,
s. BVerfG v. 15.10.2015 – 1 BvR 2329/15, NJW 2016, 1010.

Reithmann/Stelmaszczyk | 443
§ 5 Rz. 5.404 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

3. Nachweis des Vertrags im Rechtsverkehr


5.404 Zunächst geht es um die Frage, ob eine vom materiellen Recht vorgeschriebene Beurkundung
auch durch eine von einem ausländischen Notar errichtete Protokollurkunde erfüllt werden
kann, also eine Frage der Auslegung einer Formvorschrift des materiellen Rechts. Die Metho-
de der Substitution kann ebenso zur Anwendung kommen hinsichtlich den Regeln des Ur-
kundenrechts, insb. bei der Auslegung von §§ 415, 418 ZPO. Während die Rechtswirksamkeit
des Vertrags nach materiellem Recht zu beurteilen ist (§ 125 BGB), gelten für die Verwendung
der Urkunde im Rechtsverkehr §§ 415, 418 ZPO. Auch diese Vorschriften können im Wege
der Substitution ausgelegt werden.
5.405 Bei Vertragsurkunden ist die rechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, die nach § 125 BGB
zu beurteilen ist, von der Beweiswirkung im Rechtsverkehr (die § 415 ZPO unterliegt) zu unter-
scheiden. Gleichwohl wird in der Praxis bei Urkunden, die aus dem Ausland stammen, zunächst
nur geprüft, ob das in der Urkunde gespeicherte Rechtsgeschäft materiell-rechtlich wirksam ist.
5.406 Ist dies der Fall und steht die Echtheit der Urkunde (meist durch eine Apostille) fest, so geht
die Praxis i.d.R. davon aus, dass die Urkunde auch die Anforderungen des § 415 ZPO erfüllt,
zumal dann, wenn sie von einem „lateinischen“ Notar1 in Protokollform errichtet ist.
5.407 Dies kann aber nicht gelten, wenn die vorgelegte Urkunde den Anforderungen des § 415 ZPO
offensichtlich nicht genügt, z.B. wenn eine Privaturkunde vorgelegt wird. Zwar kann ein Ver-
trag auch in einer Privaturkunde niedergelegt werden. Die Privaturkunde weist aber nur die
Abgabe der Erklärungen nach, nicht das Zustandekommen des Vertrages. Ihr Beweiswert ist
niedriger als der einer notariellen Protokollurkunde2. Dies gilt auch dann, wenn die Unter-
schriften der privaten Aussteller auf der Privaturkunde notariell beglaubigt sind.
5.408 Eine Protokollurkunde, auch wenn sie von einem ausländischen Notar errichtet ist, kann da-
gegen im Rahmen der Substitution zu § 415 ZPO vollen Beweis des protokollierten Vertrages
erbringen. Dies kann wichtig sein bei der Erstellung einer Liste nach § 40 GmbHG.
5.409 Handelt es sich darum, nachzuweisen, wem ein Vertragsgegenstand zu Eigentum zusteht, so
kann sich der Rechtsverkehr i.d.R. auf ein Register verlassen. Wenn ein solches fehlt, wie z.B.
hinsichtlich der Geschäftsanteile an einer GmbH, ist der Rechtsverkehr darauf angewiesen,
auf den Erwerbsvorgang abzustellen. Für die rechtliche Wirksamkeit dieses Verfügungsver-
trags verlangt § 15 Abs. 3 GmbHG die Einhaltung des Erfordernisses der Beurkundung. Ob
dies auch bei Auslandsbeurkundung eingehalten werden muss, ist eine Frage des Kollisions-
rechts (Rz. 5.279 ff., Rz. 5.373 ff.).
5.410 Davon zu unterscheiden ist der Nachweis des Vorgangs des Vertragsschlusses. Hier kann es
auf die nach § 40 GmbHG errichtete Liste der Gesellschafter ankommen. Grundlage dieser
Liste ist der Vorgang der Abtretung der Gesellschaftsanteile. Mit der Aufnahme der Liste in
das Handelsregister sind rechtliche Wirkungen verbunden, wenn auch nicht die Vermutung
einer materiell-rechtlichen Wirksamkeit. Der BGH hat auch die von einem Baseler Notar3 er-

1 Im Einzelnen Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 729 ff. zur Organisation des Notariats.
2 Zu § 415 ZPO Huber in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 3; Preuß in Prütting/Gehrlein,
12. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 18; Schreiber in MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 9, 10.
3 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248. Der BGH stellt auf die for-
melle Einreichungszuständigkeit ab, die auch ein ausländischer Notar haben kann, nicht aber auf
die kollisionsrechtliche Frage der Rechtswirksamkeit der Beurkundung durch den ausländischen
Notar, erwähnt aber die vom BGH entwickelten Grundsätze der Gleichwertigkeit.

444 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.416 § 5

stellte Liste über den Vorgang des Verfügungsgeschäfts jedenfalls als Grundlage der zum Han-
delsregister einzureichenden Liste anerkannt.

Insoweit ist die von dem Baseler Notar errichtete Protokollurkunde der von einem deutschen 5.411
Notar i.S.v. § 415 ZPO errichteten Protokollurkunde gleichzustellen. Sie erbringt vollen Beweis
über den berichteten Vorgang des Verfügungsgeschäfts. Anders ist es aber, wenn dieses Ver-
fügungsgeschäft nur in einer Privaturkunde niedergelegt ist. Auch die notarielle Beglaubigung
der Unterschrift des Ausstellers unter dieser Privaturkunde erbringt nicht den Beweis des Ver-
tragsschlusses. Die Beglaubigung macht die Privaturkunde nicht zu einer Protokollurkunde
(Rz. 5.318).

4. Verwendung der Urkunde im inländischen Verfahren


Bei Verfahrenserklärungen (z.B. der Eintragungsbewilligung im Grundbuchverfahren, § 29 5.412
GBO) kommt die materielle Rechtswirksamkeit (§ 125 BGB) nicht in Betracht. Es geht um
die Verwendung der urkundlich niedergelegten Verfahrenserklärung im Verfahren.

§ 29 GBO verlangt eine „öffentliche“ oder „öffentlich beglaubigte“ Urkunde. Dabei geht es um 5.413
das grundsätzliche Erfordernis des § 415 ZPO. Der Nachweis durch öffentliche Urkunde
wird durch ein Protokoll über einen vom Notar wahrgenommenen Vorgang erbracht.

Ist das Protokoll von einem ausländischen Notar errichtet, so kann es u.U. einer von einem 5.414
deutschen Notar errichteten Protokollurkunde gleichgestellt werden (Substitution bei § 415
ZPO).

§ 29 GBO lässt neben der öffentlichen Urkunde auch die „öffentlich beglaubigte“ Urkunde 5.415
genügen. In der Regel wird im inländischen Grundbuchverfahren eine Vermerkurkunde vor-
gelegt, in der der Notar im Beglaubigungsvermerk bezeugt, dass der Unterzeichner sich zu
dem vorliegenden Text bekannt hat. Auch hier kann eine ausländische Vermerkurkunde genü-
gen, wenn sie nach Status und Verfahren der Urkundsperson dem vom deutschen Notar gefer-
tigten Beglaubigungsvermerk gleichwertig ist (Rz. 5.329).

Dabei ist das Verfahren des § 40 Abs. 1 BeurkG zu beachten. Eine Unterschrift soll nur beglau- 5.416
bigt werden, wenn sie in Gegenwart des Notars vollzogen oder anerkannt wird. Das Erforder-
nis der persönlichen Wahrnehmung, obwohl in § 40 BeurkG nur als Soll-Vorschrift bezeich-
net, gehört zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts. Die persönli-
che Wahrnehmung ist für alle Urkunden erforderlich, die § 415 ZPO mit voller Beweiskraft
ausstattet. Voraussetzung ist eigene Wahrnehmung der berichteten Willenserklärungen (§ 415
ZPO) bzw. der wahrgenommenen Tatsachen (§ 418 ZPO)1. Fehlt es daran, so gilt die Ver-
mutung der §§ 415, 418 ZPO nicht.

1 Ausnahme § 418 Abs. 3 ZPO: „Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung ..., der Ur-
kundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den
Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unab-
hängig ist.“ Darunter können Zeugnisse des Standesbeamten fallen.

Reithmann/Stelmaszczyk | 445
§ 5 Rz. 5.417 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5. Nachweiserleichterung durch Bescheinigungen


a) Grundsätze
5.417 Handelt für eine Gesellschaft ein Vertreter, so geht es zunächst um dessen Vertretungsmacht,
sei es nach der Satzung der Gesellschaft, sei es gemäß erteilter Vollmacht. Diese „Quelle“ der
Vertretungsmacht kann durch ein Register (z.B. das Handelsregister nach § 8 HGB) oder
durch eine Urkunde über den Gesellschaftsvertrag, aber auch durch eine Urkunde über die
Erteilung einer Vollmacht nachgewiesen werden. Der Nachweis über diesen „Vorgang“ wird
im inländischen Rechtsverkehr, insb. vor inländischen Gerichten und Behörden, nach der lex
fori beurteilt. Diese Urkunde kann nach § 415 ZPO „vollen Beweis des berichteten Vorgangs“
erbringen, auch dann, wenn der Vorgang im Ausland stattfand.

5.418 Hinsichtlich der Verwendung der Urkunden im Grundbuchverfahren weisen die Kommentare
zur Grundbuchordnung umfangreiche Rechtsprechung nach. § 29 GBO verlangt den Nachweis
durch „öffentliche oder öffentlich-beglaubigte“ Urkunden. Auch hier ist von den Vorschriften der
ZPO über die Verwendung von Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) auszugehen. Urkunden, die „von ei-
ner mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskrei-
ses in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind“, begründen, wenn sie über eine von der
Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Urkundsperson
beurkundeten Vorgangs (§ 415 ZPO). Dieser volle Beweis gilt auch für „öffentliche Urkunden“,
die einen anderen als den in § 415 ZPO bezeichneten Inhalt haben, aber auch hier nur dann,
wenn das Zeugnis auf eigener Wahrnehmung der Urkundsperson beruht (§ 418 Abs. 3 ZPO).

5.419 In allen Fällen setzt die Beweiskraft der §§ 415, 418 ZPO voraus, dass der Aussteller der Ur-
kunde (der Berichterstatter über den beurkundeten Vorgang) diesen persönlich wahrgenom-
men hat. Soweit sich die Rechtsprechung zu § 29 GBO damit ausführlich befasst, geht sie von
diesen Bestimmungen der ZPO aus. Da es an einer persönlichen Wahrnehmung der Urkunds-
person (insb. hinsichtlich von Vertretungsbescheinigungen auf der Grundlage von auslän-
dischen Registern häufig fehlt, scheitert oft die Verwendung der Bescheinigung in der Praxis1).
In Frage kommt aber auch die Bescheinigung nach § 21 BNotO. Diese Bescheinigung beruht,
anders als Zeugnisurkunden, nicht ausschließlich auf den persönlichen Wahrnehmungen der
Urkundsperson. § 21 BNotO verlangt vom Notar nicht, dass er die tatsächlichen Vorausset-
zungen seines Berichts (z.B. die Eintragung im Handelsregister) persönlich wahrgenommen
hat. Verlangt ist aber, dass sich der Notar darüber informiert und daraus die rechtlichen Fol-
gerungen für die Vertretungsmacht des Vertreters zieht2.

b) Erweiterung des § 21 BNotO


5.420 Die Möglichkeiten des § 21 BNotO wurden durch das Gesetz zur Übertragung von Aufgaben
im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare3 erweitert: „Die Notare sind ferner da-
für zuständig, Bescheinigungen über eine durch Rechtsgeschäft begründete Vertretungsmacht
auszustellen“ (§ 21 Abs. 3 BNotO).

5.421 Während der Bescheinigung nach § 21 Abs. 1 BNotO die gleiche Beweiskraft wie einem Zeug-
nis des Registergerichts zugebilligt wird (§ 21 Abs. 1 S. 2 BNotO), fehlt eine solche Bestim-

1 Zuletzt OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, ZIP 2014, 2033 = DNotZ 2014, 626; OLG
Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NotBZ 2015, 155.
2 Schippel/Görk, BNotO, 10. Aufl. 2021, § 21 BNotO Rz. 11.
3 BGBl. I 2013, 1800, in Kraft seit 1.9.2013.

446 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.425 § 5

mung hinsichtlich der Vollmachtsbescheinigung (nach § 21 Abs. 3 BNotO). Aber auch der
Vollmachtsbescheinigung ist eine Richtigkeitsvermutung zuzubilligen. Dies wurde für das
Grundbuchverfahren durch Einfügung in § 34 GBO klargestellt.

c) Rechtliche Würdigung der Vertretungsmacht durch den ausstellenden Notar


Als Gegenstand der Bescheinigung nennt § 21 BNotO die Vertretungsmacht. Ob Vertretungs- 5.422
macht besteht, ist nach materiellem Recht zu beurteilen, bei Auslandsberührung nach dem kol-
lisionsrechtlich anwendbaren Recht, d.h. bei der satzungsgemäßen Vertretungsmacht nach
dem Gesellschaftsstatut, bei der durch Vollmacht erteilten Vertretungsmacht nach dem Voll-
machtsstatut. Der Notar muss in seiner Bescheinigung die von ihm zugrunde gelegten Tatsa-
chen als Grundlagen seiner Bescheinigung ausführen: „Der Notar darf die Bescheinigung nur
ausstellen, wenn er sich Gewissheit verschafft hat, die auf Einsichtnahme in das Register oder
in eine beglaubigte Abschrift hiervon beruhen muss“. Um eine Überprüfung des Fortbestands
der Vertretungsmacht zu ermöglichen, hat er „den Tag der Einsichtnahme in das Register oder
den Tag der Ausstellung der Abschrift in der Bescheinigung anzugeben“ (§ 21 Abs. 2 BNotO).

Das Gleiche gilt für die Vollmachtsbescheinigung: „Der Notar darf die Bescheinigung nur aus- 5.423
stellen, wenn er sich zuvor durch Einsichtnahme in eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte
Vollmachtsurkunde über die Begründung der Vertretungsmacht vergewissert hat“ (§ 21 Abs. 3
BNotO). Auch die Frage des Fortbestands der Vertretungsmacht unterliegt der Prüfung
durch den Aussteller der Bescheinigung. Erleichtert wird diese Prüfung durch § 172 Abs. 2
BGB: „Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde zurückgegeben oder
für kraftlos erklärt wird“. Dies gilt allerdings nur dann, wenn nach den Regeln des Kollisions-
rechts auf die Wirkung der Vollmacht deutsches Recht angewendet wird, was sich nach Art. 8
EGBGB bemisst (s. dazu Hausmann, Rz. 6.381 ff.).

In der Regel wird die Vollmachtsurkunde in Urschrift oder in Ausfertigung vorgelegt. Die 5.424
Ausfertigung vertritt die Urschrift im Rechtsverkehr (§ 47 BeurkG). Diese Vorschrift kommt
bei Verwendung der Urkunde im inländischen Rechtsverkehr als lex fori stets zur Anwen-
dung; s. dazu Hausmann, Rz. 6.185 ff.

d) Bescheinigungen ausländischer Notare


Häufig werden auch in inländischen Verfahren Bescheinigungen vorgelegt, die von auslän- 5.425
dischen Notaren erstellt sind, meist als „certificate“ eines notary public bezeichnet. Im Falle des
OLG Nürnberg1 ging es um einen notary public aus England, im Falle des OLG Naumburg2 um
einen notary public aus Irland. Als Quelle waren dort Dokumente der dortigen Registerbehör-
den genannt, die auch im Inland als öffentliche Urkunden angesehen werden. Letztlich wurden
diese Bescheinigungen aber zurückgewiesen, weil sie den Erfordernissen der §§ 415, 418 ZPO
nicht genügen können; es fehlte an einer persönlichen Einsicht und Überprüfung durch den
notary public. Eine Anerkennung nach § 21 BNotO wurde angeschnitten, aber nicht behandelt3.

1 OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, ZIP 2014, 2033 = DNotZ 2014, 626.
2 OLG Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NotBZ 2015, 155.
3 Die GBO erhält in §§ 31 ff. besondere Nachweiserleichterungen. Nach hier vertretener Auffassung
genügt es, für den Nachweis der Vertretungsberechtigung auch im Grundbuchverfahren auf § 21
BNotO abzustellen. In den vorgenannten Entscheidungen wurde dieser auf Bescheinigungen, die
auf ausländischen Registern beruhen, nicht angewendet.

Reithmann/Stelmaszczyk | 447
§ 5 Rz. 5.426 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.426 Für diese Frage muss es darauf ankommen, ob die Nachweiserleichterungen des § 21 BNotO
auch für Bescheinigungen, die von ausländischen Notaren errichtet sind, gelten. Dies ist eine
Frage der Substitution.

5.427 Die rechtliche Würdigung umfasst zunächst die Frage, welches materielle Recht kollisions-
rechtlich anwendbar ist. Vollmachtsstatut ist bei der auf Gesellschaftsvertrag beruhenden Ver-
tretungsmacht das auf die Gesellschaft anwendbare Gesellschaftsstatut, das auch für den no-
tary public ohne weiteres ersichtlich ist. Es sollte auch in der Bescheinigung erwähnt werden,
um eine Nachprüfung zu ermöglichen.

5.428 Bei der auf Vollmacht beruhenden Vertretungsmacht kommt es auf das Vollmachtsstatut1 an
(Art. 8 EGBGB, s. dazu Hausmann, Rz. 6.381 ff.). Danach sind die Wirkungen der Vollmacht,
insb. deren Widerruflichkeit, zu beurteilen.

VI. Hinweise
5.429 Zur Rechtswahl hinsichtlich des auf den Vertrag anwendbaren Rechts nennt Art. 11 Rom I-
VO das von den Parteien gewählte Recht. Dabei können die Parteien die Rechtswahl für den
ganzen Vertrag oder für einen Teil desselben treffen (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Diese
Bestimmung sagt aber nicht, was unter dem „ganzen Vertrag“ oder einem „Teil des Vertrages“
zu verstehen ist.

5.430 Es geht um den „Vertrag“, nicht um die Urkunde, in der der Vertrag niedergelegt ist. Diese
Urkunde enthält oft sowohl Verpflichtungen (Rz. 5.219 ff.) als auch Rechtsgeschäfte, welche
die unmittelbare Zuteilung eines Gegenstands betreffen (Verfügungsgeschäfte; Rz. 5.270 ff.).
Die Rechtswahl kann nur die Verpflichtungsgeschäfte betreffen. Die Rom I-VO gilt nur für
vertragliche Schuldverhältnisse, nicht für Verfügungsgeschäfte.

5.431 Bei der Vertragsgestaltung ist darauf zu achten, dass die Nichtigkeitssanktion des § 125 BGB
vermieden wird. Die Rom I-VO begrenzt deren Durchsetzung durch die Alternative des
Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO: Es genügt, wenn den Erfordernissen eines von mehreren in Frage
kommenden Formstatuten (lex causae oder leges loci actus) genügt ist. Dies gilt für Verpflich-
tungsgeschäfte, nicht aber für Verfügungsgeschäfte (Rz. 5.242).

5.432 Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft werden nach dem das deutsche Recht beherrschen-
den Trennungs- und Abstraktionsprinzip in der Regel als getrennte Verträge gesehen. Im Ein-
zelfall kann eine ausdrückliche Bestimmung in diesem Fall angebracht sein, um zu verhin-
dern, dass die Nichtigkeit des einen Vertrages auf den anderen Vertrag durchschlägt.

5.433 Dies kann auch für die Heilungsmöglichkeit wichtig sein: Der nichtige Verpflichtungsvertrag
kann durch das Verfügungsgeschäft geheilt werden (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG), sogar dann,
wenn beide Verträge in der gleichen Urkunde niedergelegt sind. In dem vom OLG Frankfurt
am 16.12.2012 entschiedenen Fall2 war ein Teil der Verpflichtung (ein Sanierungskonzept)

1 Schilken erwähnt dazu die Regelung nach österreichischem, schweizerischem, französischem, ita-
lienischem, englischem und spanischem Recht, Schilken in Staudinger (2019), Vorbem. zu § 164
BGB Rz. 100 ff.
2 OLG Frankfurt v. 21.2.2012 – 11 U 97/11, ZIP 2012, 1125 = GmbHR 2012, 513 m. Anm. Heinze =
MittBayNot 2012, 401. Winkler weist in der Anm. (MittBayNot 2012, 404) darauf hin, dass die
Heilung erst eintritt, wenn das Verfügungsgeschäft wirksam wird, also erst dann, wenn eine etwai-
ge Bedingung (z.B. Kaufpreiszahlung) eingetreten ist.

448 | Reithmann/Stelmaszczyk
G. Formvorschriften | Rz. 5.434 § 5

zwar aufgeführt, aber nicht mit der Niederschrift vorgelesen worden. Dies machte die Ver-
pflichtung unwirksam (§ 125 BGB), berührte aber den Beweis (§ 415 ZPO) der in der Urkun-
de gespeicherten Vorgänge nicht. Die Unwirksamkeit konnte durch das in der gleichen Ur-
kunde enthaltene Verfügungsgeschäft geheilt werden.

Diese Fragen sind nach materiellem Recht zu beantworten. Die Verwendung der im Vertrag 5.434
gespeicherten Urkunde bestimmt aber die lex fori (unabhängig von der materiell-rechtlichen
Würdigung des in der Urkunde gespeicherten Vertrages). Dabei kommt es auf die Gestaltung
der speichernden Urkunde an. Höhere Beweiskraft als einer eine Willenserklärung speichern-
den Privaturkunde (§ 416 ZPO) kommt einer Urkunde zu, in der ein Berichterstatter (Ur-
kundsperson) über einen Vertragsabschluss berichtet (Protokollurkunde)1; im Einzelnen s.
Rz. 5.310 ff., Rz. 5.404 ff.

1 Reithmann in FS Martiny (2014), S. 515.

Reithmann/Stelmaszczyk | 449
§6
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

A. Vertretungsmacht bei Handels- dd) Auswirkungen des Bre-


gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 xit . . . . . . . . . . . . . . . . 6.49
I. Bestimmung des Gesellschaftssta- e) Schranken der Niederlas-
tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 sungsfreiheit . . . . . . . . . . . 6.50
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 aa) Öffentliche Ordnung . 6.50
2. Anknüpfungstheorien . . . . . . 6.2 bb) Rechtsmissbrauch . . . 6.52
a) Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . 6.2 cc) Zwingende Gründe des
b) Gründungstheorie . . . . . . 6.6 Gemeinwohls . . . . . . . 6.54
c) Kombinations- und Diffe- dd) Vorschriften außerhalb
renzierungslehren . . . . . . . 6.8 des Gesellschaftsrechts 6.57
d) Stellungnahme . . . . . . . . . 6.9 4. Vorrang von Staatsverträgen . 6.58
3. Einschränkung der Sitztheorie 5. Reformen des deutschen mate-
durch die Niederlassungsfrei- riellen und internationalen Ge-
heit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.11 sellschaftsrechts . . . . . . . . . . . 6.62
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 6.11 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . 6.62
b) Inhalt der Niederlassungs- b) Änderungen durch das Mo-
freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 6.12 MiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.63
c) Die Entwicklung der EuGH- c) Referentenentwurf zum in-
Rechtsprechung . . . . . . . . . 6.13 ternationalen Gesellschafts-
aa) Die „Daily-Mail“-Ent- recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.66
scheidung von 1988 . . 6.13 aa) Gründungsrecht als
bb) Die „Centros“-Entschei- Grundsatzanknüpfung 6.66
dung von 1999 . . . . . . 6.15 bb) Grenzüberschreitende
cc) Die „Überseering“-Ent- Verlegung des Satzungs-
scheidung von 2002 . . 6.19 sitzes . . . . . . . . . . . . . . 6.68
dd) Die „Inspire Art“-Ent- cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . 6.69
scheidung von 2003 . . 6.22 II. Einzelprobleme der Anknüpfung
ee) Die „Cartesio“-Entschei- des Gesellschaftstatuts . . . . . . . . . 6.70
dung von 2008 . . . . . . 6.26 1. Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 6.70
ff) Die „Vale“-Entschei- a) Ermittlung des tatsächlichen
dung von 2012 . . . . . . 6.31 Verwaltungssitzes . . . . . . . 6.70
gg) Die „Kornhaas“-Ent- b) Beweislast . . . . . . . . . . . . . 6.74
scheidung von 2015 . . 6.33 c) Doppelsitz . . . . . . . . . . . . . 6.77
hh) Die „Polbud“-Entschei- d) Verbundene Unternehmen 6.78
dung von 2017 . . . . . . 6.34 e) Rück- oder Weiterverwei-
d) Konsequenzen für das deut- sung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.79
sche internationale Gesell- 2. Gründungstheorie . . . . . . . . . 6.83
schaftsrecht . . . . . . . . . . . . 6.36 a) Ermittlung des Gründungs-
aa) Verpflichtung auf eine statuts . . . . . . . . . . . . . . . . 6.83
„europarechtliche Grün- b) Rück- oder Weiterverwei-
dungstheorie“? . . . . . . 6.36 sung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.84
bb) Beschränkung auf die III. Anfängliches Auseinanderfallen
Vermeidung bestimmter von Verwaltungssitz und Sat-
Auswirkungen der Sitz- zungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.85
theorie . . . . . . . . . . . . 6.43 1. Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 6.85
cc) Fortgeltung der Sitz- a) Geltungsbereich . . . . . . . . 6.85
theorie in Drittstaatsfäl- b) Inländischer Verwaltungs-
len . . . . . . . . . . . . . . . . 6.46 sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.87

450 | Hausmann
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6

c) Ausländischer Verwaltungs- cc) Wechsel-/Scheckfähig-


sitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.91 keit . . . . . . . . . . . . . . . 6.140
2. Gründungstheorie . . . . . . . . . . 6.93 3. Vertretungsmacht . . . . . . . . . . 6.141
IV. Probleme der Sitzverlegung . . . . . 6.95 4. Partei- und Prozessfähigkeit . . 6.148
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 6.95 a) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . 6.148
a) Kollisions- und Sachrecht . 6.95 aa) Allgemeines . . . . . . . . 6.148
b) Wegzug und Zuzug . . . . . . 6.97 bb) Lex fori . . . . . . . . . . . . 6.150
2. Verlegung des Sitzes einer in cc) Lex causae . . . . . . . . . . 6.151
Deutschland gegründeten Ge- dd) Alternative Anknüp-
sellschaft ins Ausland . . . . . . . 6.98 fung . . . . . . . . . . . . . . . 6.153
a) Kein Einfluss der Niederlas- b) Prozessfähigkeit . . . . . . . . . 6.154
sungsfreiheit . . . . . . . . . . . 6.98 5. Personengesellschaften . . . . . . 6.155
b) Verlegung nur des Verwal- a) Handelsgesellschaften . . . . 6.155
tungssitzes . . . . . . . . . . . . . 6.101 b) Bürgerlich-rechtliche Gesell-
aa) Kollisionsrecht . . . . . . 6.101 schaften . . . . . . . . . . . . . . . 6.156
bb) Sachrecht . . . . . . . . . . . 6.103 VII. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.157
c) Verlegung auch des Sat- 1. Gesetzliche Rechtsschutznor-
zungssitzes . . . . . . . . . . . . . 6.109 men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.157
d) Verlegung nur des Satzungs- a) Art. 13 Rom I-VO . . . . . . . 6.157
sitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.113 b) § 50 Abs. 2, § 55 ZPO . . . . 6.162
3. Verlegung des Sitzes einer im 2. Persönliche Haftung von Ge-
Ausland gegründeten Gesell- sellschaftern und Organvertre-
schaft nach Deutschland . . . . . 6.114 tern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.164
a) Verlegung nur des Verwal- a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 6.164
tungssitzes . . . . . . . . . . . . . 6.114 b) Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . 6.165
aa) Gründung in einem aa) Gesellschafterhaftung . 6.165
EU-/EWR-Mitglied- bb) Handelndenhaftung . . 6.166
staat . . . . . . . . . . . . . . . 6.114 cc) Rechtsscheinhaftung . . 6.167
bb) Gründung in einem c) Gründungstheorie . . . . . . . 6.168
Drittstaat . . . . . . . . . . . 6.118 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . 6.168
b) Verlegung auch des Sat- bb) Ausnahmen . . . . . . . . . 6.170
zungssitzes . . . . . . . . . . . . . 6.122 (1) Deliktsrecht . . . . . . . . . 6.172
c) Verlegung nur des Satzungs- (2) Insolvenzrecht . . . . . . . 6.174
sitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.123 (3) Rechtsscheinhaftung . . 6.176
4. Sitzverlegung von einem Dritt- 3. Inländische Zweigniederlassun-
staat in einen anderen . . . . . . . 6.124 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.179
V. Grenzüberschreitender Formwech- 4. Notarielle Bestätigung . . . . . . . 6.184
sel von Gesellschaften . . . . . . . . . . 6.125 VIII. Die gesetzliche Vertretung von
VI. Reichweite des Gesellschaftssta- Handelsgesellschaften und ihr
tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.126 Nachweis im ausländischen Recht 6.187
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 6.126 1. Europäische Rechtsvereinheitli-
2. Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 6.127 chung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.187
a) Allgemeine Rechtsfähigkeit 6.127 a) Europäische Wirtschaftliche
b) Fähigkeit zur Errichtung Interessenvereinigung
von Zweigniederlassungen 6.132 (EWIV) . . . . . . . . . . . . . . . 6.187
aa) Sitztheorie . . . . . . . . . . 6.132 b) Europäische Aktiengesell-
bb) Gründungstheorie . . . 6.133 schaft (SE) . . . . . . . . . . . . . 6.189
c) Besondere Rechtsfähigkei- c) Europäische Privatgesell-
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.136 schaft (SPE) . . . . . . . . . . . . 6.192
aa) Allgemeines . . . . . . . . . 6.136 2. EU-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . 6.197
bb) Beteiligung an anderen a) Rechtsvereinheitlichung . . 6.197
Gesellschaften . . . . . . . 6.137 b) Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . 6.199

Hausmann | 451
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

aa) Vertretungsberechtigte m) Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . 6.304


Organe . . . . . . . . . . . . 6.200 aa) Vertretungsberechtigte
bb) Nachweis der Vertre- Organe . . . . . . . . . . . . 6.305
tungsmacht . . . . . . . . . 6.205 bb) Nachweis der Vertre-
c) England . . . . . . . . . . . . . . . 6.206 tungsmacht . . . . . . . . 6.311
aa) Vertretungsberechtigte 3. Sonstige Staaten . . . . . . . . . . . 6.312
Organe . . . . . . . . . . . . 6.207 a) Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.312
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.218 Organe . . . . . . . . . . . . 6.313
d) Frankreich . . . . . . . . . . . . . 6.223 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.315
Organe . . . . . . . . . . . . 6.224 b) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . 6.316
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.232 Organe . . . . . . . . . . . . 6.318
e) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . 6.233 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.323
Organe . . . . . . . . . . . . 6.234 c) Liechtenstein . . . . . . . . . . . 6.326
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.242 Organe . . . . . . . . . . . . 6.327
f) Niederlande . . . . . . . . . . . . 6.243 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.335
Organe . . . . . . . . . . . . 6.244 d) Russische Föderation . . . . 6.336
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.249 Organe . . . . . . . . . . . . 6.337
g) Österreich . . . . . . . . . . . . . 6.250 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.348
Organe . . . . . . . . . . . . 6.251 e) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . 6.349
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.256 Organe . . . . . . . . . . . . 6.350
h) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.257 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.355
Organe . . . . . . . . . . . . 6.258 f) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.356
bb) Nachweis der Vertre- aa) Vertretungsberechtigte
tungsmacht . . . . . . . . . 6.265 Organe . . . . . . . . . . . . 6.357
i) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . 6.266 bb) Nachweis der Vertre-
aa) Vertretungsberechtigte tungsmacht . . . . . . . . 6.366
Organe . . . . . . . . . . . . 6.267 IX. Zusammenfassung mit Hand-
bb) Nachweis der Vertre- lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.371
tungsmacht . . . . . . . . . 6.274 1. Sonderanknüpfung . . . . . . . . . 6.371
j) Slowakische Republik . . . . 6.276
2. Bestimmung des Gesellschafts-
aa) Vertretungsberechtigte
statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.372
Organe . . . . . . . . . . . . 6.277
3. Anwendungsbereich der Grün-
bb) Nachweis der Vertre-
dungstheorie . . . . . . . . . . . . . . 6.373
tungsmacht . . . . . . . . . 6.283
k) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . 6.285 4. Konsequenzen der Sitztheorie 6.376
aa) Vertretungsberechtigte 5. Reichweite des Gesellschaftssta-
Organe . . . . . . . . . . . . 6.286 tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.379
bb) Nachweis der Vertre- 6. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.380
tungsmacht . . . . . . . . . 6.294 B. Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.381
l) Tschechische Republik . . . 6.296 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.381
aa) Vertretungsberechtigte
II. Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1
Organe . . . . . . . . . . . . 6.297
EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.389
bb) Nachweis der Vertre-
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 6.389
tungsmacht . . . . . . . . . 6.303
2. Einseitige Rechtswahl . . . . . . . 6.391

452 | Hausmann
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6

3. Allseitige Rechtswahl . . . . . . . 6.396 4. Inhalt und Umfang der Voll-


III. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . 6.398 macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.449
1. Sonderanknüpfung der Voll- 5. Form der Vollmacht . . . . . . . . 6.452
macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.398 a) Geschäftsrecht . . . . . . . . . . 6.452
2. Anknüpfungen nach Art. 8 b) Ortsrecht . . . . . . . . . . . . . . 6.456
Abs. 2-4 EGBGB . . . . . . . . . . . 6.403 6. Dauer und Erlöschen der Voll-
a) Allgemeine Grundsätze . . . 6.403 macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.462
aa) Vorrang vor der An- a) Ablauf der gesetzlichen Gül-
knüpfung an den Ge- tigkeitsdauer . . . . . . . . . . . 6.462
brauchsort der Voll- b) Tod, Insolvenz oder Ge-
macht . . . . . . . . . . . . . 6.403 schäftsunfähigkeit des Ver-
bb) Erkennbarkeit der An- tretenen . . . . . . . . . . . . . . . 6.464
knüpfung . . . . . . . . . . . 6.404 c) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . 6.465
cc) Sachnormverweisung . 6.406 d) Beendigung des Innenver-
b) Ausübung einer unterneh- hältnisses . . . . . . . . . . . . . . 6.466
merischen Tätigkeit durch 7. Duldungs- und Anscheinsvoll-
den Bevollmächtigten, macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.467
Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.407 8. Verfügungsermächtigung . . . . 6.472
c) Vom Arbeitgeber bevoll- VI. Geschäftsstatut des Hauptvertra-
mächtigter Arbeitnehmer, ges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.473
Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.411 1. Zulässigkeit der Stellvertretung 6.473
d) Anknüpfung sonstiger 2. Erfordernis einer Spezialvoll-
Dauervollmachten, Abs. 4 . 6.414 macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.475
3. Recht des Gebrauchsorts der 3. Offenbarung des Vertretungs-
Vollmacht, Abs. 5 . . . . . . . . . . 6.416 verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 6.476
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.416
4. Zurechnung von Willensmän-
b) Bestimmung des Gebrauch-
geln und bösem Glauben . . . . 6.478
sorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.423
c) Abweichende Bestimmung 5. Vertretung ohne Vertretungs-
durch den Vollmachtgeber 6.426 macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.480
d) Hilfsanknüpfung an den ge- a) Geschäftsstatut . . . . . . . . . 6.480
wöhnlichen Aufenthalt des b) Vollmachtstatut . . . . . . . . . 6.485
Vollmachtgebers . . . . . . . . 6.428 VII. Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . 6.491
4. Sonderanknüpfungen im Hin- 1. Haager Übereinkommen über
blick auf den Gegenstand der das auf die Stellvertretung an-
Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . 6.429 zuwendende Recht von 1978 . 6.491
a) Grundstücksvollmacht, 2. Genfer Übereinkommen über
Abs. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.429 die Stellvertretung beim inter-
b) Börsenvollmacht, Abs. 7 . . 6.437 nationalen Warenkauf von
c) Prozessvollmacht . . . . . . . . 6.438 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.499
d) Vollmacht zur Ausstellung VIII. Zusammenfassung mit Hand-
von Konnossementen . . . . 6.440 lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.501
e) Vorsorgevollmacht . . . . . . . 6.441 1. Neuregelung in Art. 8 EGBGB 6.501
f) Kapitänsvollmacht . . . . . . . 6.442 2. Bestimmung des Vollmachtsta-
IV. Bestimmung des gewöhnlichen tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.502
Aufenthalts, Abs. 8 . . . . . . . . . . . . 6.443 3. Reichweite des Vollmachtsta-
V. Reichweite des Vollmachtstatuts . 6.445 tuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.510
1. Abgrenzung vom Geschäftssta- 4. Geschäftsstatut des Hauptver-
tut des Hauptvertrags . . . . . . . 6.445 trages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.514
2. Erteilung und Gültigkeit der C. Verfügungsbefugnis des Insolvenz-
Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . 6.446 verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.515
3. Auslegung der Vollmacht . . . . 6.448 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.515

Hausmann | 453
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

1. Territorialitätsprinzip contra 2. Auslandswirkungen des inlän-


Universalitätsprinzip . . . . . . . 6.515 dischen (Haupt-)Insolvenzver-
2. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . 6.519 fahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.590
a) EuInsVO 2000 . . . . . . . . . . 6.519 a) Universalitätsprinzip . . . . 6.590
b) EuInsVO 2015 . . . . . . . . . . 6.520 aa) Beschlagnahme . . . . . 6.590
aa) Entstehung und Inhalt 6.520 bb) Sicherungsmaßnahmen 6.592
bb) Ziele . . . . . . . . . . . . . . 6.521 b) Einzelzwangsvollstreckung
cc) Anwendungsbereich . . 6.522 im Ausland trotz Inlands-
dd) Verhältnis zu Staatsver- insolvenz . . . . . . . . . . . . . . 6.594
trägen . . . . . . . . . . . . . 6.530 c) Anrechnung von Erlösen
ee) Verhältnis zum auto- aus ausländischen Insol-
nomen Recht . . . . . . . 6.531 venzverfahren . . . . . . . . . . 6.599
c) Autonomes Recht . . . . . . . 6.532 3. Rechtsstellung des inländischen
aa) Entstehungsgeschichte 6.532 Insolvenzverwalters bezüglich
bb) Gesetz zur Neuregelung des Auslandsvermögens . . . . . 6.601
des Internationalen In- a) Befugnisse des Insolvenzver-
solvenzrechts (IIR-G) . 6.535 walters . . . . . . . . . . . . . . . . 6.601
3. Haupt- und Nebeninsolvenzver- b) Mitwirkung des Schuldners
fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.536 und der Gläubiger . . . . . . 6.606
a) Sekundärinsolvenz . . . . . . 6.536 4. Besonderheiten von Partikula-
b) Partikularinsolvenz . . . . . . 6.538 rinsolvenzverfahren . . . . . . . . 6.608
II. Inländisches Insolvenzverfahren a) Einschränkung des Univer-
mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . 6.539 salitätsprinzips . . . . . . . . . 6.608
1. Voraussetzungen der Eröffnung b) Voraussetzungen der Eröff-
eines (Haupt-) Insolvenzverfah- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.609
rens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.539 aa) Internationale Zustän-
a) Internationale Zuständig- digkeit . . . . . . . . . . . . . 6.609
keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.539 bb) Rechtsschutzinteresse . 6.614
aa) Europäisches Insolvenz- cc) Deckung der Verfah-
recht . . . . . . . . . . . . . . 6.539 renskosten . . . . . . . . . 6.616
(1) Verhältnis zum auto- c) Beschränkung auf das In-
nomen Zuständigkeits- landsvermögen . . . . . . . . . 6.617
recht . . . . . . . . . . . . . . 6.539 d) Befugnisse des Insolvenzver-
(2) Mittelpunkt der haupt- walters . . . . . . . . . . . . . . . . 6.618
sächlichen Interessen III. Ausländisches Insolvenzverfahren
des Schuldners (COMI) 6.541 mit Inlandsbezug . . . . . . . . . . . . . 6.619
(a) Gesellschaften . . . . . . . 6.542 1. Universalitätsprinzip . . . . . . . 6.619
(b) Natürliche Personen . . 6.551 2. Gegenstand der Anerkennung 6.620
(3) Maßgeblicher Zeit- a) Eröffnungsentscheidung . 6.620
punkt . . . . . . . . . . . . . 6.553 b) Entscheidungen zur Durch-
(4) Annexzuständigkeiten 6.556 führung und Beendigung ei-
(a) EuInsVO 2000 . . . . . . 6.556 nes Insolvenzverfahrens . . 6.625
(b) EuInsVO 2015 . . . . . . 6.560 c) Sonstige, mit dem Insol-
(c) Qualifikation von insol- venzverfahren eng zusam-
venznahen Klagen . . . 6.564 menhängende Entscheidun-
(5) Örtliche Zuständigkeit 6.579 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.627
bb) Autonomes Insolvenz- d) Sicherungsmaßnahmen . . 6.628
recht . . . . . . . . . . . . . . 6.580 3. Voraussetzungen der Anerken-
cc) Kompetenzkonflikte . . 6.585 nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.630
b) Insolvenzfähigkeit . . . . . . . 6.586 a) Europäisches Insolvenz-
c) Eröffnungsgründe . . . . . . . 6.588 recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.630
d) Antragsbefugnis . . . . . . . . 6.589 aa) Anerkennung der Eröff-
nungsentscheidung . . 6.630

454 | Hausmann
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6

bb) Anerkennung sonstiger aa) Autonomes Insolvenz-


insolvenzrechtlicher recht . . . . . . . . . . . . . . 6.668
Entscheidungen . . . . . 6.633 bb) Europäisches Insolvenz-
cc) Ordre public-Vorbehalt 6.634 recht . . . . . . . . . . . . . . 6.671
b) Autonomes Insolvenzrecht 6.637 e) Sicherungsmaßnahmen des
aa) Grundsatz . . . . . . . . . . 6.637 vorläufigen Verwalters . . . 6.674
bb) Internationale Zustän- 7. Konkurrierende Insolvenzver-
digkeit . . . . . . . . . . . . . 6.640 fahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.676
cc) Wirksamkeit und Uni- a) Europäisches Insolvenz-
versalität der Entschei- recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.676
dung . . . . . . . . . . . . . . 6.641 aa) Konkurrierende Haupt-
dd) Vereinbarkeit mit dem verfahren . . . . . . . . . . . 6.676
inländischen ordre pu- bb) Haupt- und Sekundär-
blic . . . . . . . . . . . . . . . . 6.642 verfahren . . . . . . . . . . . 6.681
ee) Ausschluss sonstiger b) Autonomes Insolvenzrecht 6.683
Anerkennungshinder- aa) Konkurrierende Haupt-
nisse . . . . . . . . . . . . . . . 6.644 verfahren . . . . . . . . . . . 6.683
4. Rechtswirkungen der Anerken- bb) Haupt- und Sekundär-
nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.645 verfahren . . . . . . . . . . . 6.684
a) Erstreckung der Wirkungen IV. Reichweite des Insolvenzstatuts . . 6.686
des Hauptinsolvenzverfah- 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 6.686
rens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.645 a) Grundsatz: Lex fori concur-
aa) Allgemeines . . . . . . . . . 6.645 sus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.686
bb) Beschlagnahme des In- aa) Allseitige Kollisions-
landsvermögens . . . . . 6.648 norm . . . . . . . . . . . . . . 6.686
cc) Unzulässigkeit der Ein- bb) Qualifikation . . . . . . . . 6.688
zelzwangsvollstreckung 6.649 cc) Reichweite: Verfahrens-
dd) Schranken der Wir- recht und materielles
kungserstreckung . . . . 6.652 Recht . . . . . . . . . . . . . . 6.689
b) Erstreckung der Wirkungen dd) Sachnorm- oder Ge-
sonstiger, mit einem Haup- samtverweisung? . . . . . 6.695
tinsolvenzverfahren zusam- b) Durchbrechung durch Son-
menhängender Entschei- deranknüpfungen . . . . . . . 6.697
dungen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.653 2. Dingliche Sicherungsrechte von
c) Wirkungen eines auslän- Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . 6.698
dischen Partikularinsolvenz- a) Europäisches Insolvenz-
verfahrens im Inland . . . . . 6.654 recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.698
5. Vollstreckung insolvenzrecht- b) Autonomes Insolvenzrecht 6.704
licher Entscheidungen . . . . . . . 6.655 3. Eintragungspflichtige Rechte
a) Europäisches Insolvenz- des Schuldners . . . . . . . . . . . . 6.707
recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.655
4. Vertragsverhältnisse . . . . . . . . 6.709
b) Autonomes Insolvenzrecht 6.658
a) Abwicklung schwebender
6. Anerkennung der Befugnisse Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . 6.709
des ausländischen Insolvenzver- b) Immobilienverträge . . . . . . 6.711
walters bezüglich des Inlands- c) Arbeitsverhältnisse . . . . . . 6.715
vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . 6.660
5. Insolvenzaufrechnung . . . . . . . 6.719
a) Allgemeine Voraussetzung
6. Insolvenzanfechtung . . . . . . . . 6.723
für die Anerkennung . . . . . 6.660
b) Verwaltungs- und Ver- 7. Insolvenzbedingtes Erlöschen
fügungsbefugnis . . . . . . . . 6.662 von Forderungen . . . . . . . . . . . 6.733
c) Prozessführungsbefugnis . . 6.666 a) Zwangsvergleich/Insolvenz-
d) Unterbrechung inländischer plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.733
Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 6.668 b) Restschuldbefreiung . . . . . 6.737
V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.741

Hausmann | 455
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

1. Öffentliche Bekanntmachung 6.741 aa) Anknüpfungsleiter . . . 6.812


2. Eintragung in öffentliche Regis- bb) Gemeinsamer gewöhnli-
ter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.744 cher Aufenthalt, Nr. 1 6.813
3. Leistung an den Schuldner . . . 6.748 cc) Letzter gemeinsamer ge-
4. Gutgläubiger Erwerb . . . . . . . 6.751 wöhnlicher Aufenthalt,
a) Eingetragene Rechte . . . . . 6.751 Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . 6.814
b) Nicht eingetragene Rechte 6.753 dd) Gemeinsames Heimat-
recht, Nr. 3 . . . . . . . . . 6.815
VI. Zusammenfassung mit Hand-
ee) Sonstige gemeinsame
lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.754
engste Verbindung,
1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 6.754
Nr. 4 . . . . . . . . . . . . . . 6.818
2. Inländisches Insolvenzverfah- ff) Rück- und Weiterver-
ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.757 weisung . . . . . . . . . . . 6.821
3. Ausländisches Insolvenzverfah- gg) Wandelbarkeit des Ehe-
ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.763 wirkungsstatuts . . . . . 6.823
4. Reichweite des Insolvenzstatuts 6.768 d) Rechtswahl, Art. 14 Abs. 1
5. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.770 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . 6.824
D. Beschränkungen bei verheirateten III. Güterrechtliche Beschränkungen 6.828
Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.781 1. Eigentumszuordnung . . . . . . . 6.828
I. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . 6.781 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . 6.828
II. Allgemeine Beschränkungen durch b) Gütergemeinschaft . . . . . . 6.830
die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.786 c) Errungenschaftsgemein-
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 6.786 schaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.833
d) Aufgeschobene Güter-
2. Beschränkungen im Rechtsver-
gemeinschaft . . . . . . . . . . . 6.837
kehr mit Dritten . . . . . . . . . . . 6.787
e) Zugewinngemeinschaft . . 6.838
a) Beschränkungen der Ge-
f) Gütertrennung . . . . . . . . . 6.845
schäftsfähigkeit . . . . . . . . . 6.787
g) Anknüpfung . . . . . . . . . . . 6.846
b) Verpflichtungsbeschränkun-
h) Kundbarmachung der Ei-
gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.790
gentumszuordnung . . . . . 6.847
aa) Normzweck . . . . . . . . 6.790
bb) Schenkung . . . . . . . . . 6.791 2. Verfügungsbeschränkungen . . 6.849
cc) Bürgschaft/Schuldüber- a) Verfügung über das Gesamt-
nahme . . . . . . . . . . . . . 6.792 gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.849
dd) Abzahlungskauf . . . . . 6.793 b) Verfügung über eigenes Ver-
ee) Arbeitsvertrag . . . . . . 6.794 mögen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.855
c) Verfügungsbeschränkungen 6.795 c) Verfügungsbeschränkungen
aa) Ehewohnung und Haus- im Grundbuchverkehr . . . 6.857
rat . . . . . . . . . . . . . . . . 6.795 3. Erwerbsbeschränkungen . . . . 6.862
bb) Immobilien . . . . . . . . . 6.797 4. Anknüpfung des Güterrechts . 6.864
cc) Legalhypothek . . . . . . 6.798 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . 6.864
d) Beschränkungen der Schlüs- b) Allgemeines . . . . . . . . . . . 6.867
selgewalt . . . . . . . . . . . . . . 6.800 aa) Anwendungsbereich der
3. Beschränkungen bei Verträgen EuGüVO . . . . . . . . . . . 6.867
zwischen Ehegatten . . . . . . . . 6.802 (1) Persönlicher Anwen-
a) Schenkung . . . . . . . . . . . . . 6.802 dungsbereich . . . . . . . 6.867
b) Gesellschaftsvertrag . . . . . 6.805 (2) Sachlicher Anwen-
4. Anknüpfung der allgemeinen dungsbereich . . . . . . . 6.868
Ehewirkungen . . . . . . . . . . . . . 6.806 (3) Zeitlicher Anwendungs-
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.806 bereich . . . . . . . . . . . . 6.869
b) Verhältnis von Art. 14 bb) Ausgenommene Berei-
EGBGB zur EuGüVO . . . . 6.809 che . . . . . . . . . . . . . . . 6.870
c) Objektive Anknüpfung, c) Objektive Anknüpfung . . . 6.871
Art. 14 Abs. 2 EGBGB . . . 6.812 aa) Ab dem 29.1.2019 ge-
schlossene Ehen . . . . . 6.871

456 | Hausmann
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6

(1) Allgemeines . . . . . . . . . 6.871 (h) Versteckte Rückverwei-


(2) Anknüpfungsleiter, sung . . . . . . . . . . . . . . . 6.923
Art. 26 Abs. 1 EuGüVO 6.875 (i) Ausschluss des Renvoi 6.924
(a) Erster gemeinsamer ge- d) Rechtswahl, Art. 22 EuGü-
wöhnlicher Aufenthalt 6.875 VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.927
(b) Gemeinsame Staats- aa) Allgemeines . . . . . . . . 6.927
angehörigkeit . . . . . . . 6.879 (1) Normzweck . . . . . . . . . 6.927
(c) Gemeinsame engste Ver- (2) Verhältnis von Art. 22
bindung . . . . . . . . . . . . 6.882 EuGüVO zu Art. 15
(3) Ausweichklausel, Art. 26 Abs. 2 EGBGB . . . . . . 6.929
Abs. 3 EuGüVO . . . . . 6.883 (3) Vereinbarung der
(a) Recht am letzten ge- Rechtswahl . . . . . . . . . 6.930
wöhnlichen Aufenthalt (a) Zulässigkeit und mate-
der Ehegatten . . . . . . . 6.883 rielle Gültigkeit . . . . . . 6.930
(b) Rückwirkung . . . . . . . . 6.886 (b) Ausdrückliche und still-
(c) Schranken . . . . . . . . . . 6.887 schweigende Rechts-
bb) Vor dem 29.1.2019 ge- wahl . . . . . . . . . . . . . . . 6.931
schlossene Ehen . . . . . 6.891 (4) Maßgeblicher Zeit-
(1) Allgemeines . . . . . . . . . 6.891 punkt . . . . . . . . . . . . . . 6.933
(2) Ehewirkungsstatut bei (5) Allgemeine Schranken 6.934
Eheschließung, Art. 15 bb) Wählbare Rechte . . . . 6.936
Abs. 1 EGBGB . . . . . . . 6.893 (1) Weitreichende Partei-
(a) Gemeinsames Heimat- autonomie . . . . . . . . . . 6.936
recht . . . . . . . . . . . . . . 6.893 (2) Gewöhnlicher Aufent-
(b) Gemeinsamer gewöhnli- halt eines oder beider
cher Aufenthalt . . . . . . 6.895 Ehegatten . . . . . . . . . . 6.937
(c) Andere gemeinsame (3) Staatsangehörigkeit ei-
engste Verbindung . . . 6.896 nes oder beider Ehegat-
(d) Mittelbare Rechtswahl ten . . . . . . . . . . . . . . . . 6.939
nach Art. 14 Abs. 2 oder cc) Einigung und materielle
Abs. 3 EGBGB a.F. . . . 6.897 Wirksamkeit . . . . . . . . 6.942
(3) Unwandelbarkeit . . . . . 6.898 dd) Formgültigkeit der
(a) Grundsatz . . . . . . . . . . 6.898 Rechtswahl . . . . . . . . . 6.943
(b) Ausnahmen . . . . . . . . . 6.900 (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.943
(4) Rück- und Weiterver- (2) Europäische Mindest-
weisung . . . . . . . . . . . . 6.905 form . . . . . . . . . . . . . . 6.945
(a) Gesamtverweisung (3) Strengere Formvor-
durch Art.15 Abs. 1 schriften nach nationa-
EGBGB . . . . . . . . . . . . 6.905 lem Recht . . . . . . . . . . 6.948
(b) Annahme der deutschen (a) Gemeinsamer gewöhnli-
Verweisung . . . . . . . . . 6.906 cher Aufenthalt der
(c) Rückverweisung auf das Ehegatten in einem Mit-
Wohnsitz-/Aufenthalts- gliedstaat . . . . . . . . . . . 6.948
recht . . . . . . . . . . . . . . 6.907 (b) Gewöhnlicher Aufent-
(d) (Partielle) Rückverwei- halt der Ehegatten in
sung auf die lex rei sitae 6.911 verschiedenen Mitglied-
(e) Rückverweisung kraft staaten . . . . . . . . . . . . . 6.950
beweglicher Anknüp- (c) Gewöhnlicher Aufent-
fung . . . . . . . . . . . . . . . 6.914 halt nur eines Ehegatten
(f) Rückverweisung kraft in einem Mitgliedstaat 6.952
abweichender Qualifika- ee) Formgültigkeit von Ehe-
tion . . . . . . . . . . . . . . . 6.917 verträgen . . . . . . . . . . . 6.954
(g) Rückverweisung kraft (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.954
Rechtswahl . . . . . . . . . 6.918

Hausmann | 457
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(2) Europäische Mindest- 2. Materiell-rechtliche Verein-


form . . . . . . . . . . . . . . 6.956 barungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1006
(3) Strengere Formvor- a) Erwerbsbeschränkungen . 6.1006
schriften nach nationa- b) Verfügungs- und Verpflich-
lem Recht . . . . . . . . . . 6.957 tungsbeschränkungen . . . . 6.1008
(4) Zusätzliche Formerfor- 3. Schutzvorschriften für den in-
dernisse des Güter- ländischen Rechtsverkehr . . . 6.1010
rechtsstatuts . . . . . . . . 6.958 a) Sachenrechtlicher Schutz . 6.1010
ff) Wirkungen einer wäh- aa) Allgemein . . . . . . . . . . 6.1010
rend der Ehe getroffe- bb) Verfügung über inländi-
nen Rechtswahl . . . . . 6.960 sche Grundstücke . . . 6.1011
(1) Allgemeines . . . . . . . . 6.960 cc) Verfügung über beweg-
(2) Wirkung ex nunc . . . . 6.961 liche Sachen und Forde-
(3) Wirkung ex tunc . . . . 6.963 rungen . . . . . . . . . . . . 6.1015
gg) Publizität der Rechts- dd) Weitergehender Schutz
wahl . . . . . . . . . . . . . . 6.967 nach ausländischem
hh) Aufhebung und Ände- Güterrecht . . . . . . . . . 6.1017
rung der Rechtswahl . 6.968 b) Güterrechtlicher Schutz . . 6.1018
e) Vorrang des Rechts des La- aa) Schutz in ab dem
georts . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.969 29.1.2019 geschlossenen
f) Intertemporales Kollisions- Ehen, Art. 28 EuGüVO 6.1018
recht in Altehen . . . . . . . . 6.973 (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.1018
5. Rechtsvereinheitlichung . . . . . 6.974 (2) Anwendungsbereich . 6.1020
a) Haager Ehewirkungsabkom- (3) Voraussetzungen des
men von 1905 . . . . . . . . . . 6.974 Schutzes . . . . . . . . . . . 6.1021
b) Haager Ehegüterrechts- (4) Rechtsfolgen des guten
abkommen von 1978 . . . . 6.975 Glaubens . . . . . . . . . . 6.1026
c) Deutsch-iranisches Nieder- bb) Schutz in vor dem
lassungsabkommen von 29.1.2019 geschlossenen
1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.976 Ehen, Art. 16 EGBGB 6.1029
d) Deutsch-französischer (1) Schutz durch das Güter-
Wahlgüterstand der Zuge- rechtsregister . . . . . . . 6.1029
winngemeinschaft von 2010 6.978 (2) Schutz gegen Beschrän-
IV. Einfluss des Vertrags- und Bele- kungen der Schlüssel-
genheitsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . 6.983 gewalt . . . . . . . . . . . . . 6.1037
1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 6.983 (3) Schutz gegen sonstige
2. Güterrecht und Sachenrecht . 6.985 Beschränkungen durch
die Ehe . . . . . . . . . . . . 6.1039
3. Güterrecht und Gesellschafts-
recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.991 VI. Zusammenfassung mit Hand-
4. Güterrecht und Vertragsrecht 6.995 lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1043
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.995 1. Allgemeine Beschränkungen
b) Unbenannte Ehegatten- durch die Ehe . . . . . . . . . . . . . 6.1043
zuwendungen . . . . . . . . . . 6.996 2. Güterrechtliche Beschränkun-
c) Ehegatteninnengesellschaft 6.999 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1049
d) Ehegatten als Gesamtschuld- 3. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.1055
ner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1000 E. Beschränkungen bei jugendlichen
e) Ehegatten als Gesamtgläubi- Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1057
ger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1001 I. Anknüpfung der Geschäftsfähig-
5. Persönliche Ehewirkungen und keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1057
Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . 6.1002 1. Sonderanknüpfung an die
V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1005 Staatsangehörigkeit . . . . . . . . 6.1057
1. Wahl des deutschen Rechts . . 6.1005 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 6.1057
b) Mehrstaater . . . . . . . . . . . . 6.1059

458 | Hausmann
Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6

c) Staatenlose . . . . . . . . . . . . . 6.1062 cc) Familiengerichtliche


d) Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . 6.1063 Genehmigung . . . . . . . 6.1125
e) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1064 d) Anwendbares Recht . . . . . . 6.1128
2. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . 6.1065 aa) Schutzmaßnahmen . . . 6.1128
3. Rück- oder Weiterverweisung . 6.1067 (1) Gleichlaufprinzip . . . . 6.1128
II. Reichweite des Geschäftsfähigkeits- (2) Ausweichklausel . . . . . 6.1131
statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1069 (3) Wirkungen von Schutz-
maßnahmen . . . . . . . . 6.1133
1. Volljährigkeit . . . . . . . . . . . . . . 6.1069
bb) Vertretung Minderjäh-
2. Geschäftsfähigkeitsstufen . . . . 6.1076
riger kraft Gesetzes . . . 6.1134
3. Volljährigerklärung und Eman- (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.1134
zipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1078 (2) Elterliche Verantwor-
4. Heirat macht mündig . . . . . . . 6.1080 tung kraft Gesetzes . . . 6.1137
5. Teilgeschäftsfähigkeit . . . . . . . 6.1083 (3) Elterliche Verantwor-
6. Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . 6.1086 tung kraft Verein-
III. Einfluss des Wirkungsstatuts . . . . 6.1088 barung . . . . . . . . . . . . . 6.1141
1. Erfordernis und Grad der Ge- (4) Wechsel des gewöhnli-
schäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 6.1088 chen Aufenthalts des
2. Besondere Geschäftsfähigkeiten 6.1092 Kindes . . . . . . . . . . . . . 6.1143
a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1092 (5) Ausübung der elterli-
b) Wechsel- und Scheckrecht . 6.1093 chen Verantwortung . . 6.1146
c) Börsenrecht . . . . . . . . . . . . 6.1094 cc) Familiengerichtliche
d) Familien- und Erbrecht . . . 6.1095 Genehmigung . . . . . . . 6.1148
3. Folgen mangelnder Geschäfts- dd) Allgemeine Vorschrif-
fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1096 ten . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1152
ee) Übergangsrecht . . . . . . 6.1154
4. Verfügungsmacht . . . . . . . . . . 6.1102
e) Anerkennung und Vollstre-
IV. Gesetzliche Vertretung Minderjäh- ckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1156
riger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1103
3. Autonomes deutsches Kollisi-
1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . 6.1103 onsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1157
a) Staatsverträge . . . . . . . . . . . 6.1103
V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1160
b) EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . 6.1109
1. Mangelnde Geschäftsfähigkeit 6.1160
2. Haager Kinderschutzüberein-
a) Art. 13 Rom I-VO . . . . . . . 6.1160
kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1110
b) Voraussetzungen des Ver-
a) Vertragsstaaten . . . . . . . . . 6.1110
kehrsschutzes . . . . . . . . . . . 6.1161
b) Anwendungsbereich . . . . . 6.1113
aa) Aufenthalt der Vertrags-
aa) Räumlicher Anwen-
partner in demselben
dungsbereich . . . . . . . . 6.1113
Staat . . . . . . . . . . . . . . 6.1161
bb) Persönlicher Anwen-
bb) Gutgläubigkeit des
dungsbereich . . . . . . . . 6.1114
Drittkontrahenten . . . 6.1163
cc) Sachlicher Anwen-
cc) Verkehrsgeschäft . . . . . 6.1167
dungsbereich . . . . . . . . 6.1115
c) Wirkungen des Verkehrs-
(1) Elterliche Verantwor-
schutzes . . . . . . . . . . . . . . . 6.1171
tung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1115
aa) Gültiger Vertrag . . . . . 6.1171
(2) Schutzmaßnahmen . . . 6.1116
bb) Ungültiger Vertrag . . . 6.1173
(3) Vertretung von Kindern
kraft Gesetzes . . . . . . . 6.1118 2. Mängel der gesetzlichen Vertre-
dd) Zeitlicher Anwendungs- tung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1174
bereich . . . . . . . . . . . . . 6.1119 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.1174
c) Internationale Zuständig- b) Voraussetzungen des Ver-
keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1120 kehrsschutzes . . . . . . . . . . . 6.1177
aa) Vorrang der EuEheVO 6.1120 aa) Rechtsgeschäft unter
bb) Zuständigkeiten nach Anwesenden im Ho-
dem KSÜ . . . . . . . . . . . 6.1123 heitsgebiet desselben
Staates . . . . . . . . . . . . . 6.1177

Hausmann | 459
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Gutgläubigkeit des 2. Autonomes Recht . . . . . . . . . . 6.1224


Drittkontrahenten . . . 6.1179 a) Anknüpfung . . . . . . . . . . . 6.1224
c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . 6.1181 aa) Anwendungsbereich
VI. Zusammenfassung mit Hand- von Art. 24 EGBGB . . 6.1224
lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1182 bb) Voraussetzungen der
1. Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . 6.1182 Anordnung von Betreu-
2. Gesetzliche Vertretung . . . . . . 6.1185 ung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1226
cc) Wirkungen der Betreu-
3. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.1189
ung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1227
F. Beschränkungen bei geistig behin- dd) Reform . . . . . . . . . . . . 6.1228
derten volljährigen Personen . . . 6.1190 b) Internationale Zuständig-
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1190 keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1229
1. Gesetzliche Beschränkungen . 6.1190 III. Entmündigung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1231
2. Gerichtliche Beschränkungen 6.1192 1. Inländische Entmündigung . . 6.1231
II. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1194 2. Ausländische Entmündigung . 6.1232
1. Haager Erwachsenenschutz- a) Haager Erwachsenenschutz-
übereinkommen von 2000 . . . 6.1194 übereinkommen . . . . . . . . 6.1232
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.1194 b) Autonomes Recht . . . . . . . 6.1234
b) Anwendungsbereich . . . . . 6.1195 aa) Entmündigung von
c) Internationale Zuständig- Deutschen . . . . . . . . . 6.1234
keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1201 bb) Entmündigung von
d) Anwendbares Recht . . . . . 6.1204 Ausländern . . . . . . . . . 6.1235
aa) Reichweite des ErwSÜ 6.1204 IV. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1236
bb) Schutzmaßnahmen . . 6.1205 1. Beschränkungen der Geschäfts-
(1) Grundsatz: Lex fori . . 6.1205 fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1236
(2) Ausweichklausel . . . . . 6.1206 a) Gesetzliche Beschränkun-
(3) Durchführung von gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1236
Maßnahmen im Aus- b) Gerichtliche Beschränkun-
land . . . . . . . . . . . . . . . 6.1207 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1237
cc) Vorsorgevollmacht . . . 6.1208 2. Mängel der gesetzlichen Vertre-
(1) Allgemeines . . . . . . . . 6.1208 tungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . 6.1238
(2) Objektive Anknüpfung 6.1210
V. Zusammenfassung mit Hand-
(3) Rechtswahl . . . . . . . . . 6.1213
lungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1240
(4) Reichweite des Voll-
machtstatuts . . . . . . . . 6.1218 1. Gesetzliche Beschränkungen . 6.1240
(5) Recht des Gebrauch- 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1241
sorts . . . . . . . . . . . . . . 6.1219 3. Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . 6.1243
(6) Aufhebung der Voll- 4. Entmündigung . . . . . . . . . . . . 6.1245
macht . . . . . . . . . . . . . 6.1220 5. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.1247
e) Anerkennung und Vollstre-
ckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1221

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften

Literatur zum deutschen IPR/Allgemein: (zur Literatur vor 2000 vgl. Vorauflagen): Balthasar, Ge-
sellschaftsstatut und Gläubigerschutz: ein Plädoyer für die Gründungstheorie, RIW 2009, 221; Bartels,
Zuzug ausländischer Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, ZHR 176 (2012), 412; Bayer, Übertra-
gung von GmbH-Anteilen im Ausland nach der MoMiG Reform, GmbHR 2013, 897; Behme, Der
Weg deutscher Aktiengesellschaften ins Ausland – Goldene Brücke statt Stolperpfad?, BB 2008, 70;
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460 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | § 6

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Hausmann | 461
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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schaften nach „Überseering“, IPRax 2004, 26; Bayer, Die EuGH-Entscheidung „Inspire Art“ und die
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Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitende Restrukturierungen nach MoMiG,
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endgültige Bestätigung der Niederlassungsfreiheit als Formwechselfreiheit, ZIP 2012, 1481; Bayer/
Schmidt, Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften: Formwechsel durch isolierte Satzungs-
sitzverlegung, ZIP 2017, 2225; Behme, Der Director der britischen Private Limited Company mit Ver-
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462 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | § 6

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Kollisionsrecht im europäischen Gesellschaftsrecht (2015); Biermeyer, Stakeholder Protection in
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nationale Gesellschaftsrecht nach Inspire Art, DNotZ 2004, 21; Binz/Mayer, Die ausländische Kapital-
gesellschaft und Co. KG im Aufwind? – Konsequenzen aus dem „Überseering“-Urteil des EuGH vom
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überschreitender Formwechsel und tatsächliche Sitzverlegung, NJW 2012, 2701; Brand, Das Kollisi-
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Hausmann | 463
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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Hausmann | 465
§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.1 § 6

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I. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts


1. Einleitung
Es entspricht der herkömmlichen Betrachtungsweise im internationalen Gesellschaftsrecht, 6.1
die Rechtsverhältnisse von Handelsgesellschaften einem einheitlichen Statut, dem Personal-
statut der Gesellschaft, zu unterstellen. Dieses Gesellschaftsstatut legt fest, nach welchem na-
tionalen Recht die Gesellschaft „entsteht, lebt und vergeht“1. Das internationale Gesellschafts-
recht der Bundesrepublik Deutschland ist nicht kodifiziert. Bereits nach Art. 37 Nr. 2 EGBGB,
der Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ übernommen hatte, fanden die Vorschriften des internationalen
Vertragsrechts „auf Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht
der juristischen Personen“ keine Anwendung. Daran hat sich auch mit Inkrafttreten der
Rom I-Verordnung nichts geändert; denn Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO übernimmt den bishe-

1 BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW 1957, 1433; Großfeld in Staudinger,
IntGesR Rz. 17 f.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 524 ff.

Hausmann | 467
§ 6 Rz. 6.1 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

rigen Ausschlusstatbestand in Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ in vollem Umfang. Gleiches gilt für die
Rom II-Verordnung nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. d1. Das Recht der Handelsgesellschaften und
juristischen Personen wird bewusst ausgeklammert, um einer Vereinheitlichung des interna-
tionalen Gesellschaftsrechts im Rahmen der EU nicht vorzugreifen2. Da eine solche Verein-
heitlichung auf europäischer Ebene bisher nicht erfolgt ist, hat das BMJ am 8.1.2008 einen
Referentenentwurf zur Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts vorgelegt3.
Wegen politischer Widerstände, vor allem von Seiten der Gewerkschaften, ist auch dieses Ge-
setz allerdings bis heute nicht verabschiedet worden.

2. Anknüpfungstheorien
a) Sitztheorie
6.2 Nicht zuletzt wegen dieser fehlenden nationalen Kodifikation und der noch immer ausstehen-
den europäischen Regelung bleibt vor dem Hintergrund der nur stellenweise erfolgten Harmo-
nisierung des materiellen Gesellschaftsrechts im Rahmen der Europäischen Union die Bestim-
mung der für Gesellschaften maßgeblichen Rechtsordnung eine bis heute umstrittene Grund-
satzfrage. Durch die Entscheidungen des EuGH in Sachen „Centros“, „Überseering“, „Inspire
Art“ und „Cartesio“ (dazu Rz. 6.15 ff.) “ sowie zuletzt in Sachen „Vale“, „Kornhaas“ und „Pol-
bud“ (dazu Rz. 6.31 ff.) hat diese Diskussion wieder große Aktualität erlangt. Zur Debatte ste-
hen vor allem die Sitztheorie und die Gründungstheorie sowie einige vermittelnde Varianten.
6.3 Nach der Sitztheorie beurteilen sich die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft nach der an ih-
rem Verwaltungssitz geltenden Rechtsordnung. Maßgebend ist dabei nicht der Satzungssitz,
sondern der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung (Rz. 6.70 ff.). Der Sitztheorie liegt das
zur Erreichung eines internationalen Entscheidungseinklangs entwickelte Prinzip zu Grunde,
dass ein Rechtsverhältnis möglichst derjenigen Rechtsordnung unterstehen soll, die an dem
Ort gilt, wo es seinen Schwerpunkt, seinen „Sitz“ hat.
BGH v. 26.9.1966 – II ZR 56/65, NJW 1967, 36
Grundgedanke sei im Wesentlichen „dass sich der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit einer Ge-
sellschaft an ihrem Sitz befindet und dass dort regelmäßig zwingende Vorschriften für Rechts- und
Parteifähigkeit, Organisation, Haftung, Gläubigerschutz und weitere gesellschaftliche Innen- und Au-
ßenwirkungen vorhanden sind, denen sich die Gesellschafter notwendigerweise unterwerfen und an-
passen müssen, wenn sie als Personenvereinigung in den Rechtsverkehr eintreten und eine gewerb-
liche Tätigkeit entfalten wollen“.

6.4 Vor allem aber trägt die Sitztheorie dem Schutzinteresse des am meisten betroffenen Staates
Rechnung und gesteht ihm ein Wächteramt darüber zu, welche Gesellschaftsformen in seinem
Hoheitsgebiet zugelassen sind. Mit dieser Anknüpfung soll einer Flucht von effektiv im Inland
verwalteten Gesellschaften in laxere ausländische Gesellschaftsrechte vorgebeugt, also die Grün-
dung von sog. Scheinauslandsgesellschaften („pseudo-foreign corporations“) verhindert werden4.

1 Vgl. dazu Kindler, IPRax 2009, 189 (192).


2 Vgl. dazu das EWG-Übk. über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen
Personen v. 29.2.1968, das aber nie in Kraft getreten ist.
3 Text unter www.bmjv.de; dazu näher Rz. 6.668 ff.
4 Vgl. dazu näher Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 ff.; Kindler, NJW 2003, 1073 f.; Kindler in Münch-
Komm, IntGesR, Rz. 423 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR, Rz. 21, 41 f.; Spahlinger/Wegen,
Rz. 35, Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz.10, jeweils m.w.N. Zur Kritik an der Sitztheorie von
Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 108 ff.

468 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.5 § 6

BayObLG v. 7.5.1992 – 3 Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113 (115) = NJW-RR 1993, 43 = DNotZ 1993,
187 m. Anm. Ebenroth/Auer = EWiR 1992, 785 (LS) m. Anm. Thode = EuZW 1992, 548 m. Anm. Behrens
„Die Sitztheorie gewährleistet, dass regelmäßig das Recht des Staates durchgesetzt wird, der am meis-
ten betroffen ist; sie hat den Vorzug der Sachnähe, ermöglicht eine wirksame staatliche Kontrolle und
bewirkt den größtmöglichen Schutz der Gläubigerinteressen. Ein Staat, der in Sorge um seine eigene
Volkswirtschaft dem Ineinandergreifen der Interessen von Gründern und Gründungsstaat misstraut,
wird grundsätzlich eine vom Satzungssitz und Registerbelegenheit unabhängige Anknüpfung wählen
und auf das Recht des Staates abstellen, von dem aus die Gesellschaft tatsächlich gesteuert wird.“
BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, RIW 2000, 555 (Vorlagebeschluss); dazu Bechtel, NZG 2001, 21;
Behrens, IPRax 2000, 384 und EuZW 2000, 385; Bous, NZG 2000, 1025; Forsthoff, DB 2000, 1109; Jaeger,
NZG 2000, 918; Kieninger, NZG 2001, 610; Kindler, RIW 2000, 649; Luttermann, EWS 2000, 1109; Mei-
licke, GmbHR 2000, 693; Neye, EWiR 2000, 1155; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597; Zimmer, BB 2000, 1361
Die Gründungstheorie „vernachlässigt den Umstand, dass die Gründung und Betätigung einer Gesell-
schaft auch die Interessen dritter Personen und des Sitzstaates berühren. Die Anknüpfung an den tat-
sächlichen Verwaltungssitz gewährleistet demgegenüber, dass Bestimmungen zum Schutz dieser Inte-
ressen nicht durch eine Gründung im Ausland umgangen werden können“. Andernfalls stünde „zu
befürchten, dass sich im dergestalt eröffneten Wettbewerb der Rechtsordnungen gerade die Rechtsord-
nung mit dem schwächsten Schutz dritter Interessen durchsetzen würde („race to the bottom“).

Die Sitztheorie war kraft Gewohnheitsrechts bis zum Jahre 2002 vor allem in der deutschen 6.5
Rechtsprechung1 und Literatur2 herrschend, darüber hinaus aber auch in den meisten kon-

1 Grundlegend: RG v. 9.3.1904 – I 457/03, JW 1904, 23 1 f.; vgl. auch bereits RG v. 7.7.1883 – I 77/84,
JW 1884, 271 Nr. 24; ferner RG v. 3.6.1927 – II 346/26, RGZ 117,215,217; RG v. 29.10.1938 – II 178/
37, RGZ 159, 33, 46; BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, NJW 1957, 1433, 1434; BGH v. 17.10.1968 –
VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188; BGH v. 30.1.1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181
(183) = NJW 1970, 998 (999) m. Anm. Langen; BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318
(334) = NJW 1981, 522 (525) = ZIP 1981, 31; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 = ZIP
1986, 643 = NJW 1986, 2194 (2195); BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = NJW 1992,
618 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar; BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 = ZIP 2002,
1763 = NJW 2002, 3539; BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = ZIP 2003, 720 = NJW
2003, 1607 (1608); BFH v. 13.11.1991 – I B 72/91, BFHE 166, 238 = RIW 1992, 338; BFH v. 23.6.1992
– IX R 182/87, GmbHR 1993, 184 = IPRax 1993, 248 (m. Anm. Großfeld/Luttermann, IPRax 1993,
229) = DB 1992, 2067 m. Anm. Knobbe-Keuk; BFH v. 12.6.1995 – II S 9/95, RIW 1996, 85 m. Anm.
Braun = BB 1995, 2099 m. Anm. Schuck; BFH v. 26.4.2001 – V R 50/99, NZG 2002, 103; BayObLG v.
26.8.1998 – 3Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323
und Thorn, IPRax 2001, 102); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 = IPRax
1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) = RIW 1990, 583 (m. Aufs. Schütze, RIW 1990,
674) = EWiR 1990, 827 (m. Anm. Ebenroth); OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, RIW 1995, 152
(153) = NJW-RR 1995, 469 (m. Aufs. Bungert, DB 1995, 963); OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/
94, ZIP 1995, 1009 = RIW 1995, 508 (509) = IPRax 1996, 128 (m. Anm. M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100);
OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 2326 = IPRax 1998, 358 (m. Anm. Bungert, IPRax
1998, 339); OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = RIW 1997, 874 = IPRax 1998,
363 (m. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348); KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, RIW 1997, 597 = IPRax 1998,
360 (m. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339); OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, NJW-RR 1999,
543; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke; OLG Hamm v. 1.2.2001 –
15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = RIW 2001, 461 = IPRax 2001, 343 (344 f.) m. Anm. Mansel; LG
Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, ZIP 1999, 2021 = IPRax 2001, 134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001,
102). Weitere Nachw. bei MünchKomm/Kindler, IntGesR Rz. 5 in Fn. 14.
2 Von Bar, Bd. II Rz. 619 ff.; Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 38 ff., 72 ff.; Kegel/Schurig, § 17 II 1; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 5 ff., 358; Lüderitz
in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 8; Schotten/Schmellenkamp, Rz. 71, jeweils m.w.N.

Hausmann | 469
§ 6 Rz. 6.5 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tinentaleuropäischen Staaten, z.B. in Belgien (Art. 110 IPRG 2004), Frankreich (Art. L 210-3 c.
com.), Luxemburg (Art. 159 Gesetz über die Handelsgesellschaften vom 10.8.1975), Österreich
(§ 10 IPRG), Polen (Art. 9 § 2 IPRG 1965), Portugal (Art. 3 Gesetzbuch über Handelsgesell-
schaften vom 2.9.1986) und Spanien (Art. 5 Abs. 1 AktG 1989)1, ferner etwa in Georgien
(Art. 24 IPRG 1998), Lettland (§ 8 Abs. 3 ZGB 1937) und Slowenien (Art. 17 Abs. 3 IPRG
1999). Sie wurde für außerhalb der EU gegründete Gesellschaften vom BGH im Urteil „Trab-
rennbahn“2 ausdrücklich bekräftigt und gilt daher seit dem Brexit auch für im Vereinigten Kö-
nigreich gegründete Gesellschaften (näher Rz. 6.49 f.).

b) Gründungstheorie
6.6 Demgegenüber unterwirft die im 18. Jahrhundert in England entwickelte Gründungstheorie
Gesellschaften derjenigen Rechtsordnung, nach der sie (erkennbar) gegründet worden sind,
d.h. in der sie ihren Satzungssitz haben und im Handelsregister eingetragen sind. Das Gesell-
schaftsstatut soll vom Willen der Gründer bestimmt und ihre Rechtswahl allgemein anerkannt
werden3. Die Gründungstheorie erreicht größere Rechtssicherheit, weil das Anknüpfungs-
merkmal, nämlich der Gründungsort, anhand der Gründungsdokumente sowie der Registrie-
rung der Gesellschaft leichter feststellbar ist als der tatsächliche Verwaltungssitz. Ein weiterer
Vorzug wird darin gesehen, dass die Gründungstheorie die Entstehung „hinkender“ Gesell-
schaften vermeidet, weil die nach dem Recht irgendeines Staates wirksam gegründete Gesell-
schaft unabhängig davon rechtsfähig ist, ob sie ihren effektiven Verwaltungssitz im Inkorpora-
tionsstaat hat oder beibehält4. Die Gründungstheorie fördert die Mobilität international täti-
ger Unternehmen und entspricht damit vornehmlich den Interessen kapitalstarker und expan-
dierender Investoren. Missbräuchlichen Auswüchsen des ihnen mit der freien Wahl des Ge-
sellschaftsstatuts eingeräumten internationalen Bewegungsspielraums soll mit der Lehre von
der Gesetzesumgehung oder mit dem ordre public begegnet werden5.

6.7 Die Gründungstheorie herrscht in England6 und in den Vereinigten Staaten von Amerika so-
wie in den weiteren Staaten des angelsächsischen Rechtskreises, wird freilich auch dort in viel-
facher Hinsicht eingeschränkt7. Sie gilt ferner heute innerhalb der EU grundsätzlich in Belgien
(Art. 2.146 C.S.A. 2019), Bulgarien (Art. 56 IPRG 2005), Kroatien (Art. 10 IPRG 2017), den
Niederlanden (Art. 118 Buch 10 NBW)8, Rumänien (Art. 2.571ZGB 2009), der Tschechischen
Republik (Art. 30 IPRG) und Ungarn (Art. Art. 22 IPRG 2017). Außerhalb der EU wird sie in

1 Vgl. die Nachw. bei Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 153; Spahlinger/Wegen, Rz. 20.
2 BGH 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (Rz. 21; schwz. AG); ferner
BGH v. 15.3.2010 – II ZR 27/09 NZG 2010, 712 (Rz. 15; schwz. Verein); BGH v.8.9.2016 – III ZR
7/15, RIW 2016, 759 = NZG 2016, 1187 (Rz.13; öst. Stiftung).
3 Behrens, IPRax 2003, 193 (194); Weller, FS Goette (2011), S. 583 (590).
4 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (327); dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 362 f.; Wall
in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 15.
5 Vgl. zur Kritik an der Gründungstheorie Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 371 ff. m.w.N.
6 BGH v. 12.7.2011 − II ZR 28/10, NZG 2011, 1114 (Rz. 31).
7 Vgl. Richter, Die Rechtsstellung ausländischer Kapitalgesellschaften in England (1980); Korner,
Das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika (1989); fer-
ner Ebenroth/Einsele, ZVglRW 87 (1988), 217 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 f.; Hoffmann,
ZVglRW 101 (2002), 283 (287 ff.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 31, 156, jeweils m.w.N.
8 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (301 ff.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 157 m.
Nachw.

470 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.8 § 6

Liechtenstein (§ 232 PGR idF von 1997)1 und der Schweiz (Art. 154 IPRG)2 befolgt; die Inte-
ressen schweizerischer Gläubiger werden allerdings hinsichtlich der Haftung des Handelnden
(Art. 159 IPRG) und bei der Sitzverlegung (Art. 162 f. IPRG) geschützt. Auch die Russische
Föderation (Art. 1202 ZGB 2001) und die meisten Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjet-
union gehen von der Gründungstheorie aus, z.B. Aserbaidschan (Art. 12 IPRG 2000), Kasachs-
tan (Art. 1100 ZGB 1999), Usbekistan (Art. 1175 ZGB 1997) und Weißrussland (Art. 1111
ZGB 1999). Nur eingeschränkt gilt die Gründungstheorie hingegen innerhalb der EU in Ita-
lien (Art. 25 IPRG 1995)3 sowie in Estland (§ 14 IPRG 2002), Litauen (Art. 1.19 ZGB 2000)
und Slowenien (§ 17 IPRG 1999), sowie außerhalb der EU in der Volksrepublik China (Art. 14
IPR 2011), Japan4, Nordmazedonien (Art. 16 Abs. 2, 3 IPRG 2007), und den übrigen Nach-
folgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (Art. 17 IPRG 1982); denn in diesen Ländern wird
das eigene Recht gegenüber dem ausländischen Gründungsrecht immer dann durchgesetzt,
wenn die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat5. Auch in der deutschen
Literatur hatte die Gründungstheorie schon seit längerem zahlreiche Anhänger gefunden6. In
der Rechtsprechung ist sie hingegen bis zur „Überseering“-Entscheidung des EuGH
(Rz. 6.19 ff.) nur für den Fall vertreten worden, dass sich der effektive Verwaltungssitz einer
Gesellschaft nicht ermitteln ließ7.

c) Kombinations- und Differenzierungslehren


In der Literatur wird versucht, die Vorzüge beider Theorien – bei Meidung ihrer Nachteile – 6.8
zu kombinieren. So will Grasmann8 zwischen dem Innen- und dem Außenverhältnis der Ge-
sellschaft differenzieren. Nur die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern sollen dem Grün-
dungsrecht unterliegen; die Beziehungen zu Dritten (z.B. Vertretungsmacht der Organe, Gläu-
bigerschutz) sollen sich dagegen nach dem Sitzrecht oder dem Vornahme-/Wirkungsstatut
(Vertrags-, Deliktsstatut) beurteilen, soweit es dem Dritten günstiger ist. Methodisch ähnlich

1 Vgl. dazu Appel, RabelsZ 61 (1997), 510 (532 ff.); Kohler, IPRax 1997, 309 (310 f.).
2 Vgl. schwz. BG v. 17.12.1991, BGE 117 II, 494 f.; dazu Heini, IPRax 1992, 405; Heini, Europa und
das internationale Gesellschaftsrecht der Schweiz, SZWiR 65 (1993), 9; ferner Ebenroth/Messer,
ZSR 158 (1989), 49 ff.
3 Vgl. dazu Kindler, RabelsZ 60 (1997), 227 (281 ff.); Maglio/Thorn, ZVglRW 96 (1997), 347 (357).
4 Vgl. Großfeld/Yamauchi, Internationales Gesellschaftsrecht in Japan, AG 1985, 22.
5 Weitere Hinweise zur Geltung der Gründungstheorie im Ausland bei Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 512 ff.
6 Vgl. etwa Behrens, Niederlassungsfreiheit und internationales Gesellschaftsrecht, RabelsZ 52
(1988), 397 ff.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (345 f.); Kropholler, IPR, § 55 I 4; Neumayer,
ZVglRW 83 (1984), 129 (139 ff.); aus jüngerer Zeit etwa Eidenmüller/Rehm, § 2 Rz. 87 ff., jeweils
m.w.N. Zur Entwicklung einer „europarechtlichen Gründungstheorie“ nach den EuGH-Entschei-
dungen in Sachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ vgl. Rz. 6.15 ff.
7 OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, RIW 1999, 783 = IPRax 2001, 132 (m. Anm.
Thorn, IPRax 2001, 102) = EWiR 1999, 1081 (LS) m. abl. Anm. Kindler = NZG 1999, 1097
(Rechts- und Parteifähigkeit einer in England als „Private Ltd. Company“ gegründeten Gesell-
schaft nach dem engl. Gründungsrecht bejaht, weil ein tatsächlicher Verwaltungssitz der Gesell-
schaft nicht festgestellt werden könne). Zust. Freitag, NZG 2000, 357; Haack, RIW 2000, 56 ff.;
Hallweger, NZG 1999, 1098 ff.; a.A. aber Bechtel, NZG 2001, 21; Borges, GmbHR 1999, 1256 und
RIW 2000, 167 (168).
8 Grasmann, System Rz. 470 ff.

Hausmann | 471
§ 6 Rz. 6.8 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

verfährt Sandrock1, wenn er eine „Überlagerung“ des Gründungsrechts durch bestimmte


Rechtssätze im Sitzstaat der Gesellschaft befürwortet. Danach könnten sich etwa Gläubiger,
Minderheitsgesellschafter oder Arbeitnehmer auf die ihnen günstigeren zwingenden Vor-
schriften im Sitzstaat berufen. Dieser „Überlagerungstheorie“ steht die von Zimmer2 ent-
wickelte „Kombinationstheorie“ nahe; danach wird die Anwendung des von den Gründern
gewählten Rechts auf Sachverhalte beschränkt, in denen die Gesellschaft eine tatsächliche Ver-
bindung zum Recht des Gründungsstaates hat. Demgegenüber werden „pseudo-foreign cor-
porations“ dem Recht ihres effektiven Verwaltungssitzes unterworfen. Teilweise wird auch da-
nach differenziert, ob die Gesellschaft im Inland (bzw. in einem anderen EU-Staat) oder im
Ausland gegründet worden ist. Im ersteren Fall gälte Gründungsrecht, im letzteren hingegen
Sitzrecht, jedenfalls wenn der Sitz der Gesellschaft in Deutschland liegt3.

d) Stellungnahme
6.9 Trotz ihrer unbezweifelbaren Vorzüge ist die Gründungstheorie in ihrer reinen Form abzuleh-
nen, weil sie vielfältige Gefahren der Manipulation in sich birgt, der mithilfe der Vorbehalts-
klausel des Art. 6 EGBGB allein nicht Herr zu werden ist. Die Anerkennung einer uneinge-
schränkten Parteiautonomie der Gründer trägt den berechtigten Verkehrs- und Ordnungs-
interessen des Staates, auf dessen Territorium eine Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Aktivitä-
ten schwerpunktmäßig entfaltet, nicht hinreichend Rechnung. Den Gründern kann es nicht
gestattet sein, die am Ort des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft geltenden Vor-
schriften über den Schutz von Gesellschaftsgläubigern (z.B. hinreichende Kapitalausstattung),
von Arbeitnehmern (Mitbestimmung) oder von abhängigen Gesellschaften und Minderheits-
gesellschaftern durch die Wahl eines laxeren fremden Rechts zu unterlaufen, zu dem die Ge-
sellschaft über den Gründungsvorgang hinaus keinerlei Bezug hat (sog. Delaware-Effekt)4.

6.10 Die genannten Manipulationsgefahren werden zwar abgemildert, wenn man das Gründungs-
recht mit den Differenzierungslehren in gewissem Umfang durch zwingende Normen des
Sitzrechts überlagert oder seine Geltung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter be-
schränkt. Diese Lehren haben indes den gravierenden Nachteil, dass sie das Prinzip der ein-
heitlichen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts aufgeben und damit schon für den Normalfall
eine Normenmischung in Kauf nehmen, die zu schwierigen Anpassungsproblemen führt und
die Rechtssicherheit erheblich gefährdet5. Den Vorzug verdient daher die in der deutschen

1 Sandrock, BerDGesVölkR 18 (1978), 169 ff. (191); Sandrock, FS Beitzke (1979), S. 669 ff.; San-
drock, RabelsZ 42 (1988), 227 (258 ff.); Sandrock, RIW 1989, 505 ff.; Sandrock, BB 1999, 1337 ff.;
ähnlich Bungert, AG 1995, 489 (491); Teipel, FS Sandrock (1995), S. 125. Später hat Sandrock im
Lichte der europäischen Niederlassungsfreiheit eine „Schrumpfung“ seiner Theorie festgestellt
und diese in Richtung einer fast reinen Gründungstheorie weiterentwickelt, vgl. Sandrock,
ZVglRW 102 (2003) 447 ff.; krit. dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 401 ff.
2 Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht (1996), S. 219 ff.
3 So Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971), S. 105 ff.;
Wiedemann, FS Kegel (1977), S. 187 (199 ff.). Näher zu den verschiedenen Modifikationen der
Gründungstheorie Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 390 ff.
4 Vgl. zu den Schwächen der Gründungstheorie Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 52 ff.; Eben-
roth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (328 ff.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 367 ff.; Wall in
Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 16 f.
5 Krit. zu den Differenzierungslehren daher zu Recht BGH v. 30.3.2000 – Az. VII ZR 370/98, ZIP
2000, 967 = IPRax 2000, 423 (Rz. 6.4); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 401 ff.; Thorn in
Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 2.

472 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.12 § 6

Rechtsprechung bisher nahezu einmütig vertretene Sitztheorie. Durch die Versagung der An-
erkennung wird auf ausländische Gesellschaften, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit – sei es
von Anfang an oder nachträglich – im Inland haben, ein heilsamer Druck ausgeübt, sich den
hiesigen Gründungsvorschriften zu unterwerfen. Wird diese Nichtanerkennung durch adä-
quate Verkehrsschutzregeln ergänzt, die eine Inanspruchnahme der Gesellschaft im Inland
trotz ihrer Nichtanerkennung ermöglichen (dazu Rz. 6.164 ff.), so entfällt jeder Anreiz, in der
Grauzone zwischen ausländischer Rechtsfähigkeit und inländischer Nichtanerkennung Ge-
schäfte auf Kosten inländischer Gläubiger zu tätigen1. Erst wenn im Wege materieller Rechts-
vereinheitlichung ein hinreichender Gleichklang der nationalen Gesellschaftsrechte in den
Grundfragen des Verkehrsschutzes und der Unternehmensverfassung erreicht sein wird, er-
scheint eine Erweiterung der Parteiautonomie und damit ein Übergang zur Gründungstheorie
vertretbar. An der Fortgeltung der Sitztheorie im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht
hat sich – vorbehaltlich der Schranken durch die Niederlassungsfreiheit für in der EU bzw. im
EWR gegründete Gesellschaften (Rz. 6.11 ff.) und der vorrangigen Geltung bilateraler Staats-
verträge (Rz. 6.58 ff.) – bis heute nichts geändert. Insbesondere hat auch das am 1.11.2008 in
Kraft getretene MoMiG (Rz. 6.63 f.) keinen Übergang zur generellen Anknüpfung an das
Gründungsrecht zur Folge (dazu näher Rz. 6.65)2.

3. Einschränkung der Sitztheorie durch die Niederlassungsfreiheit


a) Grundsatz
Obwohl in der Europäischen Union bereits wichtige Schritte auf dem Weg zu einer solchen 6.11
Harmonisierung des Gesellschaftsrechts unternommen wurden3, besteht über die Frage, ob
die Zeit für eine vollständige Aufgabe der Sitztheorie zumindest im Verhältnis der Mitglied-
staaten zueinander reif ist, nach wie vor Streit (zum Meinungsstreit Rz. 6.36 ff. m. ausf.
Nachw.). Allerdings werden der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesell-
schaft oder juristischen Person, die wirksam nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats gegrün-
det worden ist, durch die im AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit jedenfalls enge
Schranken gezogen4.

b) Inhalt der Niederlassungsfreiheit


Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsange- 6.12
hörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe der
Art. 50-55 AEUV5. Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 2 AEUV auch die
Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften i.S.v. Art. 54
Abs. 2 AEUV, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen
(primäre Niederlassungsfreiheit). Die Niederlassungsfreiheit verbietet ferner nach Art. 49

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 423 ff.; krit. zu dieser Schutzfunktion der Sitztheorie aber
Behrens, IPRax 2003, 193 (194 f.).
2 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (681 f.); Kindler, AG 2007, 721 ff.; a.A. Fingerhuth/Rumpf, IPRax
2008, 90 (92 ff.); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1584 ff.).
3 Vgl. den ausführlichen Überblick über die bisherigen EU-Richtlinien auf dem Gebiet des Gesell-
schaftsrechts bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 29 ff.
4 Nach Ansicht von von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 16 ist das internationale Gesellschaftsrecht
„heute im EU-Binnenmarkt im Kern eine Funktion der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit“.
5 Vgl. allg. zur Bedeutung der europäischen Niederlassungsfreiheit für das internationale Gesell-
schaftsrecht statt vieler Kindler in MünchKomm IntGesR Rz. 99 ff., 142 ff.

Hausmann | 473
§ 6 Rz. 6.12 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 S. 2 AEUV auch Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen


oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines
anderen Mitgliedstaats ansässig sind (sekundäre Niederlassungsfreiheit). Von der Niederlas-
sungsfreiheit umfasst ist auch das Recht von Gesellschaften zur grenzüberschreitenden Ver-
schmelzung1 und Umwandlung (dazu Rz. 6.31 f.)2. Damit richtet sich die Niederlassungsfrei-
heit zwar in erster Linie an den sog. Aufnahmestaat, in dem sich eine EU-angehörige Person
niederlassen will und verbietet diesem Staat, die niederlassungswillige Person gegenüber in-
ländischen Personen zu diskriminieren. Andererseits zieht die Niederlassungsfreiheit aber
auch demjenigen Mitgliedstaat Schranken, dessen Gebiet eine Person verlassen will. Sie um-
fasst also grundsätzlich auch die Freiheit, von einem Mitgliedstaat in einen anderen wegziehen
zu können, ohne dadurch die bisherige Identität zu verlieren3. Auf die Niederlassungsfreiheit
können sich nach Art. 54 Abs. 1 AEUV Gesellschaften berufen, die nach den Rechtsvorschrif-
ten eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre
Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben.

c) Die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung


aa) Die „Daily-Mail“-Entscheidung von 1988
6.13 Zum Einfluss der Niederlassungsfreiheit auf das internationale Gesellschaftsrecht4 hat sich der
EuGH erstmals ausführlicher in der Rechtssache „Daily Mail and General Trust PLC“ im Jahre
1988 geäußert. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob es einem Mitgliedstaat durch die
Vorschriften des damaligen EG-Vertrages über die Niederlassungsfreiheit verwehrt war, einer
juristischen Person, die ihre Geschäftsleitung in diesem Mitgliedstaat hat, zu verbieten, diese
ohne vorherige Zustimmung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Der EuGH hat diese
Frage im Ergebnis verneint. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass Gesellschaften –
im Gegensatz zu natürlichen Personen – auf Grund einer nationalen Rechtsordnung gegrün-
det würden und jenseits dieser nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Exis-
tenz regle, keine Realität hätten. Die Art. 52, 58 EGV (= Art. 49, 54 AEUV) gewährten den
Gesellschaften nationalen Rechts daher „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“
kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft
des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.
EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, ECLI:EU:C:1988:456 (Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988,
5483 = NJW 1989, 2186; dazu Behrens, IPRax 1989, 354; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363 und 413; Groß-
feld/Luttermann, JZ 1989, 384; Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249

1 EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762 (SEVIC Systems AG), Slg. 2005 I, 10805
(Rz. 16 ff.) = NJW 2006, 425 = DB 2005, 2804 m. Anm. Ringe = BB 2006, 11 m. Anm. Schmidt/
Maul = GmbHR 2006, 140 m. Anm. Haritz; krit. dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 126 f.
2 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 24 ff.) m. Anm.
Böttcher/Kraft, S. 2701 = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen.
3 Zur „Wegzugsfreiheit“ natürlicher Personen als Teil ihrer Niederlassungsfreiheit vgl. EuGH v.
16.7.1998 – C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 (ICI/Kenneth Hall Colmer), Slg. 1998 I, 4695 (Rz. 21) =
EWS 1999, 344; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 (de Lasteyrie du Saillant), Slg.
2004 I, 2431 (Rz. 42 ff.) = NJW 2004, 2439 = GmbHR 2004, 504 m. Anm. Meilicke; Sandrock, BB
1999, 1337. Zur Einschränkung der Wegzugsfreiheit von Gesellschaften aber Rz. 6.13 f., Rz. 6.26 ff.,
Rz. 6.98 ff.
4 Vgl. zum Folgenden auch die Darstellung bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 113 ff.; Spah-
linger/Wegen, Rz. 143 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 27 ff.; Wall in Hausmann/Odersky, §
18 Rz. 31 ff.

474 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.15 § 6

Nach englischem Recht erforderliche Zustimmung des englischen Treasury Department zur Verlegung
der Geschäftsleitung einer in England gegründeten Gesellschaft in die Niederlande ist mit der Nieder-
lassungsfreiheit vereinbar: „Nach alledem betrachtet der EG-Vertrag die Unterschiede, die die Rechts-
ordnung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie
der Möglichkeit und ggf. der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes
einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Proble-
me, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lö-
sung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; eine solche wurde jedoch noch
nicht gefunden“.

Die Entscheidung wurde in der deutschen Rechtsprechung1 und Lehre2 überwiegend dahin 6.14
interpretiert, dass der EG-Vertrag die Frage der Anerkennung von Gesellschaften nicht ent-
scheiden wolle. Es sei vielmehr dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen, die Anknüpfungs-
regeln für Gesellschaften festzulegen; Gründungs- und Sitztheorie seien dabei gleichermaßen
europarechtskonform. Dem Umstand, dass die „Daily Mail“-Entscheidung den Wegzug einer
Gesellschaft aus einem Gründungstheoriestaat (England) in einen anderen (Niederlande) be-
traf und deshalb die Frage nach der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem Gemeinschaftsrecht
gar nicht aufwarf, wurde dabei keine Bedeutung zugemessen.

bb) Die „Centros“-Entscheidung von 1999


Ein gutes Jahrzehnt später hat sich der EuGH im Fall „Centros“ erneut zum Verhältnis von 6.15
gemeinschaftsrechtlicher Niederlassungsfreiheit und internationalem Gesellschaftsrecht geäu-
ßert3. Die Vorlage betraf die Weigerung der dänischen Behörden, die Zweigniederlassung der
englischen Gesellschaft „Centros“ Ltd. in das dänische Handelsregister einzutragen, weil die
nach englischem Recht wirksam errichtete Gesellschaft mithilfe dieser Zweigniederlassung
ihre gesamte Geschäftstätigkeit in Dänemark ausüben wollte, ohne dort eine Tochtergesell-
schaft zu errichten. Die dänischen Behörden sahen darin eine Umgehung des dänischen
Rechts über die Errichtung von Gesellschaften, das höhere Anforderungen an die Einzahlung
des Mindestkapitals stellte als das englische Recht. Der EuGH hat die Vereinbarkeit dieser dä-
nischen Haltung mit Art. 43, 48 EG (= Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis verneint. Das Recht,
eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitglied-
staaten Zweigniederlassungen zu gründen, folge nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus
der vom EG-Vertrag gewährleisteten (sekundären) Niederlassungsfreiheit. Der bloße Um-
stand, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäfts-
tätigkeit entfalte und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung

1 OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = RIW 1997, 874 = IPRax 1998, 363 (m.
Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348); BayObLG v. 26.8.1998 – 3Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 =
RIW 1998, 966 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323 und Thorn, IPRax 2001,
102).
2 Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363 (372), 413 ff.; Ebenroth/Wilken, JZ 1991, 1018; Ebenroth/Auer,
GmbHR 1994, 16; Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 218; Koch, NJW 1992, 412; Sandrock/Austmann,
RIW 1989, 249 (250); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 119 ff., jeweils m.w.N; a.A. (Unverein-
barkeit der Sitztheorie mit Art. 52, 58 EGV) aber schon damals Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 ff.
und IPRax 1989, 354 ff.; Fischer, IPRax 1991, 103; Knobbe/Keuk, DB 1990, 2573 ff. und ZHR 154
(1990), 325 ff.; Meilicke, RIW 1990, 489 ff.; Sack, JuS 1990, 352 ff.; Thönnes, DB 1993, 1025; Wes-
sel/Ziegenhain, GmbHR 1988, 427 ff.; ferner Blaurock, ZEuP 1998, 482; Schürmann, EuZW 1994,
269.
3 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 30 charakterisieren die „Centros“-Entscheidung des EuGH als
„revolutionäre Wende“.

Hausmann | 475
§ 6 Rz. 6.15 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ausübe, stelle noch keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar und erlaube dem Mit-
gliedstaat, in dem die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit über eine Zweigniederlassung entfal-
tet, nicht, der Gesellschaft das Recht zur Gründung einer Zweigniederlassung abzusprechen
(„Centros“ Rz. 26 ff.).

6.16 Auch zwingende Gründe des Allgemeininteresses i.S.v. Art. 46 Abs. 1 EG (= Art. 52 Abs. 1
AEUV) könnten das Vorgehen der dänischen Behörden nicht rechtfertigen. Zwar könne jeder
Mitgliedstaat geeignete Maßnahmen treffen, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfol-
gen. Dies gelte sowohl gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber ihren Gesellschaf-
tern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber
inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten. Jedoch könne die Be-
kämpfung von Betrügereien es nicht rechtfertigen, die Eintragung einer Zweigniederlassung
einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft gänzlich zu verwei-
gern. Im Übrigen seien die dänischen Mindestkapitalerfordernisse schon deshalb zum Schutz
der dänischen Gläubiger ungeeignet, weil die Gesellschaft sie auch dadurch umgehen könne,
dass sie – ebenfalls ohne jede Mindestkapitalausstattung – eine Hauptniederlassung in Eng-
land unterhalte.
EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros Ltd.), Slg. 1999 I, 1459 = NJW 1999,
2027; dazu Behrens, IPRax 1999, 32; Cascante, RIW 1999, 447; Ebke, JZ 1999, 656; Freitag, EuZW
1999, 267; Geyrhalter, EWS 1999, 201; Görk, MittBayNotV 1999, 298; Kindler, NJW 1999, 1993; Leible,
NZG 1999, 298; Meilicke, DB 1999, 625; Neye, EWiR 1999, 259 W.-H. Roth, ZIP 1999, 861; Sedemund/
Hausmann, BB 1999, 809; Ulmer, JZ 1999, 662; Werlauff, ZIP 1999, 867.

6.17 Mit seinen aus kollisionsrechtlicher Sicht nicht eindeutigen Aussagen hat der EuGH Zweifel
an der Fortgeltung der Grundsätze seiner „Daily-Mail“-Entscheidung geweckt und in der
deutschen Rechtslehre eine heftige Diskussion über den „richtigen“ Anknüpfungspunkt im
internationalen Gesellschaftsrecht entfacht. Gestritten wurde insbesondere über die Frage, ob
der EuGH überhaupt zu Fragen des internationalen Gesellschaftsrechts Stellung genommen
hatte1 und ob der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG Vorgaben für das internationale
Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten zu entnehmen seien. Ein beachtlicher Teil der deut-
schen Rechtslehre vertrat den Standpunkt, aus der „Centros“-Entscheidung ergäben sich keine
Einschränkungen für die Fortgeltung der Sitztheorie im deutschen internationalen Gesell-
schaftsrecht2. Die Entscheidung habe nur für die der Gründungstheorie folgenden Mitglied-
staaten Relevanz, weil beide hier betroffenen Staaten, nämlich England und Dänemark, in ih-
rem internationalen Gesellschaftsrecht an den Gründungsort anknüpften. Für Mitgliedstaa-
ten, die der Sitztheorie folgten und deshalb in der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungs-
sitzes einen Statutenwechsel erblickten, ergäben sich daher keine Abweichungen von den
Grundsätzen der „Daily-Mail“-Entscheidung3.

1 Verneinend etwa Flessner, ZEuP 2000, 1 ff.


2 Vgl. Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Lange, DNotZ 1999, 599 (606 f.); W.-H. Roth, ZGR 2000,
311 (313, 327); W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1599); Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721
(726); Timme/Hülk, JuS 1999, 1055 (1058); ähnlich – wenn auch mit Einschränkungen – Bungert,
DB 1999, 1841 (1843 f.); Ebke, JZ 1999, 656 (660 f.); Görk, GmbHR 1999, 793 (796).
3 Ebke, JZ 1999, 656 (660 f.); Ebke, FS BGH II (2000), S. 799 (817); Görk, MittBayNotV 1999, 300
(302) und GmbHR 1999, 793 ff.; im Erg. auch Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Mülbert/Schmol-
cke, ZVglRW 100 (2001), 233 (262); W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (326 f.); Sonnenberger/Großerich-
ter, RIW 1999, 721 (726).

476 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.19 § 6

Nach der Gegenauffassung hat der EuGH der Sitztheorie bereits mit der „Centros“-Entschei- 6.18
dung den „Todesstoß“ versetzt1 oder jedenfalls deren uneingeschränkte Fortgeltung in Frage
gestellt2. Man verwies insbesondere darauf, dass sich in der Begründung der Entscheidung für
eine Differenzierung zwischen Mitgliedstaaten, die der Gründungstheorie folgen, und solchen,
die der Sitztheorie folgen, keine Stütze finde3. Ferner sei es mit dem Grundsatz der einheitli-
chen Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren, gleich
gelagerte Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, welche Mitgliedstaaten be-
troffen seien4. Teilweise wurde die unterschiedliche Beurteilung der Fälle „Daily-Mail“ und
„Centros“ auch damit gerechtfertigt, dass es im ersten Fall um die primäre Niederlassungsfrei-
heit gegangen sei, während die „Centros“-Entscheidung die sekundäre Niederlassungsfreiheit
zum Gegenstand gehabt habe5. Der EuGH habe sich daher in der „Centros“-Entscheidung
allein auf die Frage konzentriert, ob der in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesell-
schaft die Ausübung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten mithilfe einer Zweigniederlassung in
einem anderen Mitgliedstaat untersagt werden könne; zum Einfluss des anfänglichen oder
nachträglichen Auseinanderfallens von Satzungssitz und tatsächlichem Verwaltungssitz habe
er hingegen nicht Stellung genommen6. Während der österr. OGH unter dem Eindruck der
„Centros“-Entscheidung des EuGH die Anknüpfung an den Gesellschaftssitz nach § 10 IPRG
im Wege der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung eingeschränkt hat7, hat die deutsche
Rechtsprechung zunächst an der Sitztheorie jedenfalls insoweit festgehalten, als es um die An-
erkennung der Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften ging, die in ihrem Gründungs-
staat keinen effektiven Verwaltungssitz hatten8.

cc) Die „Überseering“-Entscheidung von 2002


Eine weitere Klärung der Frage, in welchem Verhältnis die (primäre) Niederlassungsfreiheit 6.19
nach Art. 43, 48 EG und die kollisionsrechtliche Anknüpfung an den tatsächlichen Verwal-
tungssitz stehen, hat der EuGH mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Überseering“ auf

1 Vgl. Behrens, IPRax 1999, 323 (326); Behrens, IPRax 2000, 384; Buxbaum, FS Sandrock (2000),
S. 149 (158); Forsthoff, EuR 2000, 167 (177 f.); Freitag, EuZW 1999, 267 (269); Göttsche, DStR
1999, 1403 (1405); Leible, NZG 1999, 300 (301); Meilicke, DB 1999, 625 (627 f.); Neye, EWiR 1999,
259 (260); Sandrock, BB 1999, 1337 (1341); Sedemund/Hausmann, BB 1999, 809 (810); Werlauff,
ZIP 1999, 867 (875).
2 Cascante, RIW 1999, 450 (451); Geyrhalter, EWS 1999, 201 (203); Kieninger, ZGR 1999, 724
(745 f.); Leible, NZG 1999, 300 (302); G.H. Roth, ZIP 1999, 861 (862 f.); Steindorff, JZ 1999, 1140
(1141); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (36 f.).
3 Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (32).
4 Forsthoff, EuR 2000, 167 (177).
5 Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (33).
6 So Bungert, DB 1999, 1841 (1843 f.); Leible, NZG 1999, 300 (331); Steindorff, JZ 1999, 1140
(1141).
7 Vgl. öOGH v. 15.7.1999, IPRax 2000, 418 (m. Anm. Behrens, IPRax 2000, 384); ferner den Vor-
lagebeschluss des LG Salzburg v. 27.11.2000, IPRax 2001, 341 (m. Aufs. Lurger, IPRax 2001, 346).
8 S. OLG Brandenburg v. 31.5.2000 – 14 U 144/99, NJW-RR 2001, 29 = DStR 2000, 2101 m. Anm.
Hergeth (Parteifähigkeit einer Ltd. Company des ir. Rechts für Klage auf Maklerhonorar verneint,
weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Dublin/
Irland unterhalte); ebenso schon die Vorinstanz LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, RIW
2000, 145 = IPRax 2001, 134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102); ebenso zur Sitzverlegung OLG
Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, GmbHR 2001, 440 = NJW 2001, 2183 und OLG Düsseldorf v.
26.3.2001 – 3 Wx 88/01, NJW 2001, 2184 = IPRax 2003, 343 m. Anm. Mansel; krit. dazu Kienin-
ger, ZEuP 2004, 686 (688).

Hausmann | 477
§ 6 Rz. 6.19 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Vorlage des BGH1 herbeigeführt. In diesem Fall waren die Geschäftsanteile an einer wirksam
in den Niederlanden gegründeten Kapitalgesellschaft (Besloten Vennootschap, B.V.) an zwei
deutsche Staatsangehörige abgetreten worden, die ihren Wohnsitz in Düsseldorf hatten und
die Gesellschaft von dort aus leiteten. Die deutschen Gerichte hatten darin eine Verlegung
des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft gesehen und dieser deshalb in einem
von ihr angestrengten Prozess die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen2. Der EuGH hat
dies als Verstoß gegen Art. 43, 48 EG gewertet.
EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering BV/NCCB GmbH), Slg. 2002 I,
9919 = NJW 2002, 3614; dazu Behrens, IPRax 2003, 197; Ebke, JZ 2003, 927; Eidenmüller, ZIP 2002,
2233; Forsthoff, DB 2002, 2471; Hack, GesR 2003, 29; Heidenhain, NZG 2002, 1141; Kallmeyer, DB
2002, 2521; Kindler, NJW 2003, 1973; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; W.-H.
Roth, IPRax 2003, 117; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30; Weller, IPRax 2007, 207 und 324; Wernicke,
EuZW 2002, 754; Zimmer, BB 2003, 1
Nach Ansicht des Gerichts verstößt es „gegen die Art. 43 EG und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die
nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, ge-
gründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird,
dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechts-
fähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von
Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgespro-
chen wird“. Mache eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in
dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer
Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so sei dieser andere Mitgliedstaat „nach den Art. 43 und 48 EG ver-
pflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem
Recht ihres Gründungsstaats besitzt“.

6.20 In seiner Begründung stellt der EuGH in einem ersten Schritt klar, dass die Verwaltungssitz-
verlegung grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des EG-Vertrags über
die Niederlassungsfreiheit fällt. Den ua. von der deutschen Bundesregierung erhobenen Ein-
wand, die Mitgliedstaaten müssten zuerst eine Übereinkunft über die gegenseitige Anerken-
nung von Gesellschaften nach Art. 293 EG schließen, damit die nach dem Recht eines EG-
Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen
könnten3, weist der Gerichtshof zurück. Diese Bestimmung enthalte nämlich keinen Rechtset-
zungsvorbehalt zu Gunsten der Mitgliedstaaten; vielmehr setze – umgekehrt – die Inan-
spruchnahme der Niederlassungsfreiheit die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle
Mitgliedstaaten voraus, in denen sie sich niederlassen wollen („Überseering“ Rz. 59 f.)4. Etwas
anderes folge auch nicht aus dem „Daily Mail“-Urteil von 1988 (Rz. 6.13). Dieses Urteil betref-
fe nämlich – entgegen einer verbreiteten Fehlinterpretation (vgl. die Nachw. in Rz. 6.14) – nur
den Wegzug, nicht hingegen den Zuzug von in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesell-
schaften. Nur der vom Wegzug betroffene Staat habe das Recht, die Verlegung des Verwal-
tungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu ma-
chen oder mit der Auflösung der Gesellschaft zu sanktionieren, weil Gesellschaften – anders
als natürliche Personen – ihre Existenz allein der Rechtsordnung ihres Gründungsstaates ver-
dankten. Auf Grund dieser engen Bindung zwischen Gründung und Existenz falle es allein in

1 BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, DB 2000, 2114 m. Anm. Forsthoff; dazu Behrens, EuZW 2000,
384 (385); Kindler, RIW 2000, 649 ff.; Meilicke, GmbHR 2000, 693; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597;
Zimmer, BB 2000, 1361 ff.
2 OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke.
3 So noch BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (281).
4 Zust. Behrens, IPRax 2003, 193 (198); Lutter, BB 2003, 6 (7); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (119).

478 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.23 § 6

die Kompetenz des Gründungsstaates, über den Fortbestand einer Gesellschaft nach der Ver-
legung ihres satzungsmäßigen oder tatsächlichen Verwaltungssitzes zu entscheiden („Übersee-
ring“ Rz. 66 ff.). Demgegenüber sei dem „Daily-Mail“-Urteil eine Stellungnahme zu der Frage,
ob auch der Zuzugsstaat den Fortbestand der in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten
Gesellschaften von der Beachtung seines nationalen Gesellschaftsrechts abhängig machen
könne, nicht zu entnehmen1.

Die Weigerung der deutschen Gerichte, der nach niederländischem Recht wirksam gegründe- 6.21
ten Gesellschaft Überseering BV die Rechts- und Parteifähigkeit zuzuerkennen, stellt nach An-
sicht des EuGH eine gravierende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar („Überseering“
Rz. 82). Diese sei auch nicht durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die
von der Bundesregierung für die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesell-
schaft vorgetragenen Argumente (Rechtssicherheit, Gläubigerschutz, Festlegung eines be-
stimmten Mindestkapitals, Minderheiten- und Arbeitnehmerschutz) könnten zwar u.U. Be-
schränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen; sie könnten jedoch nicht herangezo-
gen werden, um der in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründeten Gesellschaft
die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen, weil das auf eine vollständige Negierung der
Niederlassungsfreiheit hinauslaufe („Überseering“ Rz. 92 f.).

dd) Die „Inspire Art“-Entscheidung von 2003


In der „Inspire Art“-Entscheidung ging es – ähnlich wie schon in der Rechtssache „Centros“ 6.22
(Rz. 6.15 ff.) – um die Vereinbarkeit nationaler Beschränkungen der sekundären Niederlas-
sungsfreiheit mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Die „Inspire Art“ war im Sommer
2002 als „private company limited by shares“ nach englischem Recht gegründet worden. Der
in Den Haag/Niederlande wohnhafte einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der Gesell-
schaft hatte die Eintragung einer Zweigniederlassung im niederländischen Handelsregister be-
antragt. Da diese Zweigniederlassung in Wahrheit als Hauptniederlassung der Gesellschaft
fungieren sollte, galt für sie das niederländische Gesetz vom 17.12.1997 über „formal auslän-
dische Gesellschaften“. Nach diesem Gesetz unterliegen die von ihm erfassten Gesellschaften
zum Teil weitergehenden Offenlegungspflichten als sie in der 11. Richtlinie 89/666/EWG vom
22.12.1989 vorgeschrieben sind. Ferner sieht Art. 4 Abs. 4 dieses Gesetzes vor, dass die Ge-
schäftsführer neben der Gesellschaft persönlich als Gesamtschuldner für die während ihrer
Geschäftsführung im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtshandlungen haften, so-
lange die für „formal ausländische Gesellschaften“ geltenden besonderen Verpflichtungen zur
Offenlegung im Handelsregister nicht erfüllt sind.

Der EuGH misst die Vorschriften des niederländischen Gesetzes betreffend Offenlegungs- 6.23
pflichten am harmonisierten sekundären Gemeinschaftsrecht. Dieses werde verletzt, soweit es
Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind,
weitergehenden Offenlegungspflichten unterwirft als sie in der Richtlinie vorgesehen sind.
Demgegenüber fehlt es hinsichtlich der Anforderungen an das Nennkapital und die Kapital-
aufbringung bei Kapitalgesellschaften bisher an einer Harmonisierung des Gesellschaftsrechts
in der Europäischen Union. Maßstab für die Vereinbarkeit entsprechender nationaler Vor-
schriften mit dem Gemeinschaftsrecht seien daher allein die Art. 43, 48 EG, die nach Ansicht
des Gerichtshofs durch die Sonderregeln des niederländischen Rechts für „formal auslän-
dische Gesellschaften“ verletzt werden.

1 So schon zuvor Schön, FS Lutter (2000), S. 685 (702).

Hausmann | 479
§ 6 Rz. 6.23 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155 = NJW
2003, 3331 = RIW 2003, 957= ZIP 2003, 1885; dazu Altmeppen, NJW 2004, 97; Bayer, BB 2003, 2357;
Bayer, AG 2004, 534; Behrens, IPRax 2004, 20; Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21; Eidenmüller, JZ 2004,
24; Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167; Kieninger, ZEuP 2004, 685; Leible/Hoffmann, EuZW 2003,
677; Maul/Schmidt, BB 2003, 2297; Meilicke, GmbHR 2003, 1260; Ulmer, NJW 2004, 1201; Weller,
DStR 2003, 1800; Zimmer, NJW 2003, 3585
Nach Ansicht des EuGH stehen die Art. 43, 48 EG der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, die
„die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweigniederlassung in diesem Staat durch eine nach
dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen ab-
hängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Min-
destkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe aus denen die Gesell-
schaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, so wie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit
ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr
nicht das Recht, sich auf die durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es
sei denn im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen“.

6.24 Zur Begründung weist der EuGH zunächst darauf hin, dass es für die Anwendung der Vor-
schriften über die Niederlassungsfreiheit ohne Bedeutung ist, dass eine Gesellschaft in einem
Mitgliedstaat nur errichtet wird, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in
dem die Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden soll. Die
Gründe, aus denen eine Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat errichtet werde, seien
nämlich, abgesehen vom Fall des Betruges, für die Anwendung der Vorschriften über die Nie-
derlassungsfreiheit irrelevant. Ferner handle ein Gesellschaftsgründer nicht rechtsmiss-
bräuchlich, wenn er die Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur deshalb gründe, um in den
Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen1; dies auch dann nicht, wenn die betref-
fende Gesellschaft ihre Tätigkeit hauptsächlich oder ausschließlich in einem anderen Mit-
gliedstaat ausübe. Allein der Umstand, dass die „Inspire Art“ in England gegründet wurde,
um die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts in Bezug auf das Mindestkapital
und die Kapitalaufbringung zu umgehen, nehme der Gesellschaft daher nicht das Recht, sich
auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG zu berufen. Die Niederlassungsfreiheit er-
fordere somit nicht nur die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der in einem Mitgliedstaat ge-
gründeten Gesellschaft durch die übrigen Mitgliedstaaten; diese seien vielmehr auch daran ge-
hindert, im Wege der Sonderanknüpfung ihr eigenes zwingendes Gesellschaftsrecht – z.B. hin-
sichtlich des vorgeschriebenen Mindestkapitals oder einer persönlichen Haftung der Ge-
schäftsführer – auf solche Gesellschaften anzuwenden2.

6.25 Auch die von der niederländischen Regierung geltend gemachten Rechtfertigungsgründe
(Gläubigerschutz, Bekämpfung einer missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfrei-
heit, Erhaltung der Wirksamkeit von Steuerkontrollen und Lauterkeit des Handelsverkehrs)
sind nach Ansicht des EuGH nicht als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anzuerken-
nen. Bzgl. der Vorschriften über das Mindestkapital hat der Gerichtshof bereits Zweifel, ob sie
als Schutzmechanismus überhaupt geeignet sind; dieser Schutz sei jedenfalls schon dadurch
gewährleistet, dass die potenziellen Gläubiger der Gesellschaft durch das Auftreten der „Inspi-
re Art“ als Gesellschaft englischen Rechts darüber unterrichtet würden, dass die Gesellschaft
hinsichtlich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer anderen Vorschriften

1 Restriktiver aber EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury-Schweppes), Slg.


2006 I, 7995, 8031 (Rz. 35, 37) = EuZW 2006, 633 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert.
2 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155
(Rz. 95 ff.) unter Hinweis auf EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), ZIP
1999, 438 (Rz. 18 ff.).

480 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.27 § 6

unterliege als sie das niederländische GmbH-Gesetz vorsehe. Auch für einen Rechtsmiss-
brauch bietet der Sachverhalt nach Ansicht des EuGH keinen hinreichenden Anhalt. Ein sol-
cher könne insbesondere nicht schon darin gesehen werden, dass die Gründung der Gesell-
schaft in England u.a. den Zweck verfolgt habe, der Anwendung des strengeren niederlän-
dischen Gesellschaftsrechts zu entgehen. Denn ein Gesellschaftsgründer, der seine Gesellschaft
in dem Mitgliedstaat errichte, dessen Gesellschaftsrecht ihm die größte Freiheit lasse, um an-
schließend in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, übe damit lediglich
die ihm durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt aus1.

ee) Die „Cartesio“-Entscheidung von 2008


Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit seit 1999 betraf freilich jeweils nur 6.26
Konstellationen, in denen der in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft ent-
weder das Recht zur Gründung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat
(„Centros“, Rz. 6.15 ff.; „Inspire Art“, Rz. 6.22 ff.) oder die Verlegung des effektiven Verwal-
tungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat („Überseering“, Rz. 6.19 ff.) verweigert wurde. Nur
in diesen „Zuzugsfällen“ hat der EuGH in der Diskriminierung von wirksam in einem ande-
ren Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften einen Verstoß gegen die primäre bzw. sekundäre
Niederlassungsfreiheit gesehen. Mit Spannung war daher die EuGH-Entscheidung im Fall
„Cartesio“ erwartet worden, in dem es erstmals seit der „Daily-Mail“- Entscheidung von 1988
(Rz. 6.13 f.) wieder um die Frage ging, ob sich aus der Niederlassungsfreiheit auch ein Recht
zum identitätswahrenden Wegzug von Gesellschaften aus ihrem Gründungsstaat ableiten
lässt. In diesem Fall hatte eine seit 2004 im ungarischen Handelsregister eingetragene Kom-
manditgesellschaft bei dem für sie zuständigen Registergericht den Antrag gestellt, als neuen
operativen Geschäftssitz eine Adresse in Italien ins ungarische Handelsregister einzutragen.
Dieser Antrag war mit der Begründung abgelehnt worden, dass wegen der in Ungarn befolg-
ten Sitztheorie eine dort gegründete Gesellschaft ihren Status als ungarische Gesellschaft nicht
beibehalten könne, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz ins Ausland verlege. In diesem
Fall sei vielmehr eine Neugründung nach italienischem Recht erforderlich.

Generalanwalt Maduro sah darin eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Denn nationale 6.27
Vorschriften, die die Verlegung des operativen Geschäftssitzes einer Gesellschaft nur innerhalb
des nationalen Hoheitsgebiets erlauben, behandelten grenzüberschreitende Sachverhalte eindeu-
tig ungünstiger als rein nationale Sachverhalte (Nr. 25). Beim derzeitigen Stand des Gemein-
schaftsrechts könnten die Mitgliedstaaten daher keineswegs frei über „Leben und Tod“ der nach
ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften entscheiden, ohne die Auswirkungen auf
die Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen („Cartesio“ Rz. 31). Zwar könnten zwingende
Gründe des Gemeinwohls es rechtfertigen, dass der bisherige Sitzstaat die Verlegung des opera-
tiven Geschäftssitzes „seiner“ Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat von der Erfüllung
bestimmter Voraussetzungen (z.B. einer Satzungsänderung) abhängig mache. Ein Totalverbot
der identitätswahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes, der die Gesellschaft zwin-
ge, sich in diesem Fall aufzulösen und sich im neuen Sitzstaat als dortige Gesellschaft neu zu
gründen, verstoße jedoch gegen Art. 43, 48 EG („Cartesio“ Rz. 33 ff.). Diese Einschätzung des
Generalanwalts ist auch in der deutschen Literatur auf positive Resonanz gestoßen2.

1 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155
(Rz. 134 ff.), unter Hinweis auf EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), ZIP
1999, 438 (Rz. 24 ff.).
2 Vgl. etwa Campos Nave, BB 2008, 1410 (1413 f.); Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 463 (464).

Hausmann | 481
§ 6 Rz. 6.28 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.28 Der EuGH ist dieser Auffassung des Generalanwaltes indessen nicht gefolgt, sondern hat im Er-
gebnis – wie schon in der „Überseering“- Entscheidung (Rz. 6.20) angedeutet – an der in der
„Daily Mail“- Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, dass „eine aufgrund der
nationalen Rechtsordnung gegründete Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die
ihre Gründung und ihre Existenz regelt, keine Realität hat“ („Cartesio“ Rz. 104). Zur Begrün-
dung wiederholt der EuGH im Wesentlichen die Argumente, mit denen er eine aus der Nieder-
lassungsfreiheit abgeleitete Wegzugsfreiheit von Gesellschaften aus ihrem Gründungsstaat be-
reits in der „Daily Mail“-Entscheidung (dort Rz. 20 ff.) ausgeschlossen hatte. Er verweist na-
mentlich auf die nach wie vor erheblichen Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten bezüglich
der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts im Allgemeinen und der Zulässigkeit einer Verlegung
des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes ins Ausland im Besonderen („Cartesio“ Rz. 105 ff.).
EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio), Slg. 2008 I, 9641 = NJW 2009, 569;
dazu Barthel, EWS 2010, 316; Behme, NZG 2012, 936; Bollacher, RIW 2009, 150; Leible/Hoffmann, BB
2009, 58; Kindler, NZG 2009, 130 und IPRax 2009, 189; Knof/Mock, ZIP 2009, 30; Mörsdorf, EuZW
2009, 97; Teichmann, ZIP 2009, 393; Weller, IPRax 2009, 202; Wilhelmi, JZ 2009, 409
„In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen
die Niederlassungsfreiheit zukommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf
eine Gesellschaft verwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG auf eine Gesellschaft an-
wendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft. ... gemäß Art. 48 EG eine
Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalen
Recht beantwortet werden kann“.

6.29 Der einzelne Mitgliedstaat könne daher sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesell-
schaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu
werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die
Anknüpfung, die für die Beibehaltung dieser Eigenschaft verlangt werde. Diese Befugnis um-
fasse aber auch die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationa-
len Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch Verlegung
ihres (Verwaltungs- oder Satzungs-) Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisie-
ren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitglied-
staats vorsieht. Mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG sind also Rechtsvorschrif-
ten eines Mitgliedstaats durchaus vereinbar, die es einer nach dem nationalen Recht dieses
Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz – unter Wahrung ihrer bisheri-
gen Identität – in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen („Cartesio“ Rz. 110 ff.). Etwas an-
deres folge insbesondere nicht aus den Verordnungen über die Europäische Wirtschaftliche
Interessenvereinigung (EWIV), die Europäische Gesellschaft (SE) und die Europäische Genos-
senschaft (SCE) (dazu Rz. 6.187 ff.)1. Denn diese könnten zwar ihren Satzungs- und Verwal-
tungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne zur Liquidation und Neugründung
gezwungen zu sein, jedoch ändere sich durch die Sitzverlegung zwangsläufig das auf sie an-
wendbare Recht (vgl. Art. 7–9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO).

6.30 Die Grundsätze der „Cartesio“-Entscheidung hat der EuGH in seiner Entscheidung „National
Grid Indus“ von 20112 ausdrücklich bestätigt. Danach ist die „Bestimmung der Voraussetzun-
gen, deren Erfüllung ein Mitgliedstaat von einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft
verlangt, damit diese ihre Eigenschaft als Gesellschaft dieses Mitgliedstaats nach der Verlegung

1 Verordnungen (EG) Nr. 2137/85, Nr. 2157/2001 und Nr. 1435/2003.


2 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 (National Grid Indus), Slg. 2011 I, 12307
(Rz. 26) = NZG 2012, 114 = ZIP 2012, 169 = GmbHR 2012, 56; dazu auch Schall/Barth, NZG
2012, 414; Verse, ZEuP 2013, 458 (463 ff.); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (519 f.).

482 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.32 § 6

ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat behalten kann“, allein Sa-
che des Gründungsmitgliedstaats.

ff) Die „Vale“-Entscheidung von 2012


Im Fall „Vale“ ging es um die grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft italie- 6.31
nischen Rechts in eine Gesellschaft ungarischen Rechts. Die ungarischen Behörden hatten die
Eintragung der italienischen Gesellschaft als „Rechtsvorgängerin“ im Handelsregister verwei-
gert, weil eine solche Eintragung nur für inländische Gesellschaften vorgesehen sei. Der
EuGH hat darin einen Eingriff in die von Art. 49, 54 AEUV gewährte Niederlassungsfreiheit
der italienischen Gesellschaft gesehen. Zwar sei Ungarn als Aufnahmemitgliedstaat befugt, das
auf die Umwandlung maßgebliche Recht zu bestimmen und insoweit die Maßgeblichkeit des
innerstaatlichen Rechts – z.B. hinsichtlich der Anforderungen an die Erstellung einer Bilanz
und eines Vermögensverzeichnisses – vorzuschreiben. Die das Unionsrecht prägenden Grund-
sätze der Äquivalenz und der Effektivität würden es jedoch dem Aufnahmemitgliedstaat ver-
wehren, bei grenzüberschreitenden Umwandlungen einer in einem anderen Mitgliedstaat ge-
gründeten Gesellschaft Rechte zu verweigern, die inländischen Gesellschaften eingeräumt
würden. Dies gelte auch für die Eintragung der die Umwandlung beantragenden italienischen
Gesellschaft als „Rechtsvorgängerin“ im ungarischen Handelsregister. Der Zuzugsstaat müsse
daher hinsichtlich des mit einer formwechselnden Umwandlung verbundenen Erwerbs der
Rechtsfähigkeit ausländische und inländische Gesellschaften gleich behandeln.
EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 = GmbHR 2012, 860 =
ZIP 2012, 1394; dazu Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481; Behme, NZG 2012, 936; Behrens, EuZW 2012,
621; Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701; Bollacher, RIW, 2012, 717; Hübner, IPRax 215, 134; Jaensch,
EWS 2012, 353; Kindler, EuZW 2012, 888; Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072; Mörsdorf/Jopen,
ZIP 2012, 1398; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965; Reich-
mann, DB 2012, 2085; Schön, ZGR 2013, 333; Teichmann, DB 2012, 2085; Verse, ZEuP 2013, 458
(476 ff.); M.-Ph. Weller, LMK 2012, 336113; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530
Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die
zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vorsieht, aber die Umwand-
lung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Ge-
sellschaft mittels Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt.

Auch eine grenzüberschreitende Umwandlung falle – wie eine Verschmelzung – in den An- 6.32
wendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Bei der Frage, ob eine Ge-
sellschaft sich auf diese berufen könne, handle es sich um eine Vorfrage, die beim gegenwärti-
gen Stand des Unionsrechts nur nach dem anwendbaren nationalen Recht beantwortet wer-
den könne („Vale“ Rz. 28). Jeder Mitgliedstaat könne daher sowohl die Anknüpfung bestim-
men, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht ge-
gründet angesehen zu werden, als auch die Anknüpfung, die erforderlich ist, damit diese
Eigenschaft später erhalten bleibt. Die Voraussetzungen für eine rechtswirksame Umwandlung
unterlägen daher zwangsläufig allein dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats („Vale“ Rz. 29 ff.).
Andererseits schränkt der EuGH das Recht der Niederlassungsfreiheit insofern ein, als diese
nur solchen Gesellschaften zustehen könne, die sich im Aufnahmestaat tatsächlich angesie-
delt hätten und dort auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung eine wirtschaftli-
che Tätigkeit ausüben wollten („Vale“ Rz. 34)1. Reine Briefkastenfirmen – ohne Personal, Ge-

1 Zu diesem realen Niederlassungsbegriff s. schon EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:


C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 8031 (Rz. 54) = EuZW 2006, 633 = ZIP 2006, 1817 =
GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert.

Hausmann | 483
§ 6 Rz. 6.32 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schäftsräume und sonstige Einrichtungen im Aufnahmestaat – genießen danach den Schutz


der Art. 49, 54 AEUV nicht in jedemFall1. Dieser Grundsatz ist allerdings durch die EuGH-
Entscheidung in Sachen „Polbud“ (Rz. 6.34 f.) wieder relativiert worden.

gg) Die „Kornhaas“-Entscheidung von 2015


6.33 In der Entscheidung Kornhaas ging es um die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit nach
Art. 49, 54 AEUV der Anwendung von § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. zur Insolvenzverschlep-
pungshaftung durch ein deutsches Gericht auf den Direktor einer Gesellschaft englischen
Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden war,
entgegensteht. In Abgrenzung zu den Entscheidungen „Überseering“ und „Inspire Art“, in de-
nen er jeweils eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit bejaht hatte, schließt der EuGH eine
solche durch Anwendung des – zutreffend insolvenzrechtlich qualifizierten (dazu Rz. 6.174) –
§ 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. aus. Er begrenzt den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit
für die in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften nach einer Verlegung des Verwal-
tungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat also auf den Fortbestand ihrer Rechtsfähigkeit und
auf die Fortgeltung der Mindestkapitalanforderungen des Gründungsrechts. Die Niederlas-
sungsfreiheit schützt die umgezogene Gesellschaft und ihre Organmitglieder hingegen nicht
vor der Anwendung solcher Vorschriften des Zuzugsstaates, die lediglich die Ausübung ihrer
dortigen Tätigkeit regeln. Dies trifft aber typischerweise auf das Insolvenzrecht des Staates
zu, in dem das COMI der Gesellschaft verortet wird.
EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-P.
Weller/Hübner; dazu Kindler, EuZW 2016, 136; Mankowski, NZG 2016, 281; Mock, IPRax 2016, 237
§ 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. betreffe „weder die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten
Mitgliedstaat noch ihre spätere Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat“, sondern finde erst „
nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung“. Daher könne die Vor-
schrift die Niederlassungsfreiheit nicht beeinträchtigen.

hh) Die „Polbud“-Entscheidung von 2017


6.34 Den vorläufigen Schlusspunkt zu den Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf das inter-
nationale Gesellschaftsrecht bildet die Entscheidung „Polbud“, in der es – ähnlich wie im Fall
„Vale“ (Rz. 6.31 f.) – wiederum um die Sitztrennung, d.h. um die Frage ging, inwieweit die
Niederlassungsfreiheit Gesellschaften eine Trennung des effektiven Verwaltungssitzes vom
Satzungssitz erlaubt. Konkret zu entscheiden war über die Zulässigkeit einer Verlegung des
Satzungssitzes einer in Polen gegründeten Gesellschaft nach Luxemburg unter Beibehaltung
des effektiven Verwaltungssitzes in Polen. Nach Ansicht des EuGH fällt auch eine solche iso-
lierte Verlegung des Satzungssitzes von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen unter den
Schutz der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV („Polbud“ Rz. 41). Dem stehe nicht
entgegen, dass die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit weiterhin „im Wesentlichen oder aus-
schließlich“ im Herkunftsstaat (Polen) ausübt. Damit hat der EuGH jedenfalls für die Ver-
legung des Satzungssitzes einer Gesellschaft von einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat
dem „genuine link“-Erfordernis“ zum Zuzugsstaat eine Absage erteilt (vgl. auch Rz. 6.45).2

1 Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2702 ff.); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in Münch-
Komm, IntGesR Rz. 137; a.A. Verse, ZEuP 2013, 458 (472 f.); Wall in Hausmann/Odersky, § 18
Rz. 85.
2 Kieninger, NJW 2017, 3624 (3626); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 99 m.w.N.; krit. dazu
Kindler, NZG 2018, 1 (3); Stelmazsczyk, EuZW 2017, 890 (893).

484 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.37 § 6

Damit gilt die Rechtswahlfreiheit künftig nicht nur für neu gegründete Gesellschaften, son- 6.35
dern auch für bereits bestehende Gesellschaften. Zwar kann die Niederlassungsfreiheit zum
Schutz von Interessen der Allgemeinheit, insbesondere von Gläubigern, Gesellschaftern und
Arbeitnehmern, grundsätzlich eingeschränkt werden; diesbezügliche Regelungen müssen aber
verhältnismäßig sein. Diesem Verhältnismäßigkeitsgebot wird nach Ansicht des EuGH aber
eine Regelung des Gründungsmitgliedstaats nicht gerecht, die im Fall der Verlegung des Sat-
zungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat eine allgemeine Pflicht zur
Durchführung eines Liquidationsverfahrens anordnet.
EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter;
dazu Bärwaldt/Hoefling, DB 2017, 3051; Bayer/Schmidt, ZIP 2017, 2225; Feldhaus, BB 2017, 2819;
Kindler, NZG 2018, 1; Haslinger/Mitterecker, GesR 2018, 223; Hoflehner/Hahn, RdW 2018, 207; Hus-
hahn, RNotZ 2018, 23; Kieninger, ZEuP 2018, 309; Kindler, NZG 2018, 1; Korch/Thelen, IPRax 2018,
248; Kovács, ZIP 2018, 253; Mörsdorf, ZIP 2017, 2381; Paefgen, WM 2018, 981 und 1029; Schall,
ZfPW 2018, 176
Art. 49, 54 AEUV stehen der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, durch die die Verlegung des sat-
zungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen an-
deren Mitgliedstaat, durch die sie unter Einhaltung der dort geltenden Bestimmungen in eine dem
Recht des anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umgewandelt werden soll, von der Auf-
lösung der ersten Gesellschaft abhängig gemacht wird.

d) Konsequenzen für das deutsche internationale Gesellschaftsrecht


aa) Verpflichtung auf eine „europarechtliche Gründungstheorie“?
Die Frage, wie sich die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit auf das nationale 6.36
Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedstaaten auswirkt, ist zwischen Rechtsprechung und
Teilen der Literatur nach wie vor umstritten.

Nach überwiegender Interpretation der Entscheidungsgründe in der Rechtssache „Übersee- 6.37


ring“ hat der EuGH die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Überseering BV nicht
erst in der Verweigerung der aktiven Parteifähigkeit vor deutschen Gerichten gesehen, son-
dern bereits in der Nichtanerkennung der vom niederländischen Recht verliehenen und nach
diesem Recht auch nach der Sitzverlegung fortbestehenden Rechtspersönlichkeit. Die Art. 49,
54 AEUV verpflichteten danach die Mitgliedstaaten nicht nur dazu, auf der sachrechtlichen
Ebene die Rechts- und Parteifähigkeit der zugezogenen Gesellschaft sicherzustellen, sondern
erforderten die Anerkennung der Gesellschaft auf der Ebene des Kollisionsrechts. Das natio-
nale Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten sei mithin daran gehindert, einen Statutenwechsel an-
zuordnen; es habe vielmehr die Auslandsgesellschaft als solche im Inland zu akzeptieren und
damit die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an das Gründungsrecht vorzunehmen1.
Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der EuGH für die Inanspruchnahme der Niederlas-
sungsfreiheit „zwingend die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle Mitgliedstaaten“
voraussetzt, in denen sie sich niederlassen wollen („Überseering“ Rz. 59). Ferner habe er an
anderer Stelle ausdrücklich betont, die Überseering BV habe „auf Grund der Art. 43 und

1 Für einen kollisionsrechtlichen Gehalt der Niederlassungsfreiheit Behrens, IPRax 2003, 193 (200 f.);
Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2238 ff.); Forsthoff, BB 2002,
318 (321); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2476); Großerichter, DStR 2003 1 (15) und 159 (166 f.); von
Halen, WM 2003, 571 (575 f.); Heidenhain, NZG 2002, 1141 (1142); Horn, NJW 2004, 893 (896);
Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930 f.); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (926); Lutter, BB 2003,
7 (9); Weller, IPRax 2009, 201 (204 f.); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.

Hausmann | 485
§ 6 Rz. 6.37 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Art. 48 EG das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts in Deutschland von ihrer Nie-
derlassungsfreiheit Gebrauch zu machen“ (dort Rz. 80) und ihre Existenz hänge „untrennbar
mit ihrer Eigenschaft als Gesellschaft niederländischen Rechts“ zusammen, so dass die Anord-
nung eines Statutenwechsels und die Verpflichtung zur Neugründung im Zuzugsstaat „der
Negierung der Niederlassungsfreiheit“ gleich käme (dort Rz. 81). Mit diesen Aussagen habe
der EuGH daher die Sitztheorie selbst, nicht nur ihre Auswirkungen für unvereinbar mit der
Niederlassungsfreiheit erklärt.

6.38 Dieser Interpretation hat sich auch der VII. Zivilsenat des BGH in seiner Abschlussentscheidung
in der Rechtssache „Überseering“ angeschlossen. Nach Ansicht des Senats ist die Auslegung der
Art. 43, 48 EG durch den EuGH für die nationalen Gerichte bindend und zwinge zu einer
Rechtsanwendung, die nicht zu der beanstandeten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
führt. Dieses Ziel lasse sich aber nicht damit erreichen, dass die Überseering BV nach der Ver-
legung ihres Verwaltungssitzes ins Inland nach ihrem nunmehrigen Sitzrecht jedenfalls als
rechtsfähige Personengesellschaft behandelt werde, die als solche aktiv und passiv parteifähig sei.
Denn die Gesellschaft habe ihre Rechte nicht als Personengesellschaft geltend gemacht und einge-
klagt, sondern als niederländische BV. Sie habe damit als solche von ihrer durch den EG-Vertrag
garantierten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht und könne deshalb nicht auf ihre Mög-
lichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie
damit in eine mindere Gesellschaftsform mit besonderen Haftungsrisiken gedrängt werde1.
BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = NJW 2003, 1461 (m. Aufs. Schulz, NJW
2003, 2705) = IPRax 2003, 344 (m. zust. Anm. Weller, IPRax 2003, 324) = RIW 2003, 474 (m. Aufs. Merkt,
RIW 2003, 458) = JZ 2003, 525 m. Anm. Eidenmüller = DB 2003, 986 (m. Anm. Forsthoff, DB 2003,
979) = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb = ZIP 2003, 718 (m. Anm. Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925)
In den Niederlanden gegründete Kapitalgesellschaft (BV) sei nach Verlegung ihres effektiven Verwal-
tungssitzes nach Deutschland „nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich ihrer
Rechtsfähigkeit dem Recht des Staates zu unterstellen, in dem sie gegründet worden ist“ und sei damit
in Deutschland als juristische Person des niederländischen Rechts parteifähig.

6.39 Dieses Verständnis der Niederlassungsfreiheit im Sinne einer Verpflichtung, das Personalstatut
der in einem Mitgliedstaat der EU gegründeten Gesellschaften insgesamt nach deren Grün-
dungsrecht zu beurteilen, wird auch von dem für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivil-
senat des BGH2, dem BAG3 und der seitherigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte4 geteilt.

1 Zust. außer den in der vorigen Fn. Genannten etwa Bayer, BB 2003, 2357 (2362); Binz/Mayer,
GmbHR 2003, 249 (255); Ebke, JZ 2003, 925 (928); Kersting, NZG 2003, 9 ff.; Meilicke, GmbHR
2003, 793 (799 ff.); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (123); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (32 f.);
Schulz, NJW 2003, 2705 (2706); Weller, IPRax 2003, 324 (326); Wernicke, EuZW 2002, 758 (761);
Wertenbruch, NZG 2003, 618 ff.; Zimmer, BB 2003, 1 (4 f.); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz.
109 ff. m.w.N.
2 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = RIW 2005, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann =
ZIP 2005, 805; BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 (Rz. 16) = GmbHR 2011, 301 m.
Anm. Bormann/Hösler; dazu Haas/Vogele, NZG 2011, 455; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, NJW
2011, 3372 = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner. Ebenso der V. und der IX. Zivilsenat, vgl.
BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = NJW 2013, 3656 (Rz. 11) = ZIP 2013, 2173;
BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 = NJW 2011, 3784 (Rz. 22) = IPRax 2012, 251
(m. Anm. Wedemann IPRax 2012, 226) = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse. Vgl. auch BGH v.
13.4.2010 – 5 Str 428/09, GmbHR 2010, 810 m. Anm. Mankowski/Bock (Virgin Islands).
3 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 (Rz. 40) = NZI 2013, 758 m.w.N.
4 Vgl. etwa OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631; OLG München v.
7.3.2007 – 31 Wx 92/06, GmbHR 2007, 979 m. Anm. Wachter = DNotZ 2007, 866 (867); OLG

486 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.41 § 6

Für diejenigen Mitgliedstaaten, die – wie die Bundesrepublik Deutschland – in ihrem auto- 6.40
nomen internationalen Gesellschaftsrecht bisher der Sitztheorie folgten, führt die h.M. daher
zu einer Spaltung des Gesellschaftskollisionsrechts1. Neben die fortgeltende Anknüpfung an
den effektiven Verwaltungssitz in Drittstaatsfällen (dazu Rz. 6.46 ff.) und die Anknüpfung an
das Gründungsrecht kraft staatsvertraglicher Verpflichtung (dazu Rz. 6.58 ff.) tritt die sog.
„europarechtliche Gründungstheorie“2. Danach ist die Existenz von Gesellschaften, die in ei-
nem Mitgliedstaat der EU gegründet wurden, von Gerichten und Behörden anderer Mitglied-
staaten nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen3. Diese Anknüpfung gilt nicht
nur für Gesellschaften, die sowohl ihren Satzungssitz als auch ihren effektiven Verwaltungssitz
in der Europäischen Union haben; auf die Niederlassungsfreiheit – und damit auf die An-
knüpfung an das Gründungsrecht – können sich vielmehr gem. Art. 54 AEUV alle Gesell-
schaften berufen, die entweder ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptverwaltung oder
ihre Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der Union haben. Erfasst werden damit auch
Gesellschaften, die lediglich in einem Mitgliedstaat gegründet wurden, ihren effektiven Ver-
waltungssitz aber in einem Drittstaat haben („pseudo EU corporations“) (vgl. Rz. 6.79 ff.)4.

Die europarechtliche Verpflichtung zur Anknüpfung an das Gründungsrecht gilt für alle Ge- 6.41
sellschaften, die im zur EU gehörenden – auch außereuropäischen – Territorium (Art. 355
AEUV)5, darüber hinaus aber auch in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschafts-
raums (Norwegen, Island, Liechtenstein) gegründet wurden. Auch sie sind im Inland selbst
dann anzuerkennen, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von Anfang an hier hatten
und auf diese Weise die deutschen Gründungsvorschriften bewusst umgangen haben6.
BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148 (151) = NJW 2005, 3351 = RIW 2005, 945 m.
Anm. Leible/Hoffmann = BB 2005, 2373 (m. Aufs. Binz/Sorg, BB 2005, 2361) = GmbHR 2005, 1483
m. Anm. Wachter; dazu Weller, ZGR 2006, 748

Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864; OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/
07, GmbHR 2008, 41 m. Anm. Werner = NZG 2008, 76; OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/
13, GmbHR 2014, 1156 = NZG 2014, 703; OLG Karlsruhe DNotZ 2018, 010 (Rz. 16); OLG Düs-
seldorf v. 19.7.2018 – 6 U 122/16, BeckRS 2018, 26389 (Rz. 60).
1 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz.
42; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 123 ff.
2 Zu diesem Begriff Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930); krit. Schanze/Jüttner, AG 2003, 661
(665), die den Begriff „europarechtlich moderierte Kontrolltheorie“ vorziehen.
3 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2472 f.); Geyrhalter/Gänßler, NZG
2003, 409 (411); Kieninger, ZEuP 2004, 685 (692); Knapp, DNotZ 2003, 85 (92); Leible/Hoffmann,
RIW 2002, 925 (930 ff.); Paefgen, WM 2003, 561 (567); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (33 f.); Wel-
ler, IPRax 2003, 324 (328); Weller, DStR 2003, 1800 (1803); Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu
Art. 12 EGBGB Rz. 19 ff.
4 Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (932) unter Hinweis auf Rz. 20 der „Centros“-Entscheidung des
EuGH (Rz. 6.15 ff.). Voraussetzung ist freilich, dass der Gründungsstaat auch in seinem nationa-
len Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt.
5 Vgl. Mäsch in BeckOK BGB, Anh.II zu Art.12 EGBGB Rz. 19.
6 Vgl. Art. 32, 34 des EWR-Vertrages (ABl. EG 1994 Nr. L 1, S. 3); zust. OLG Frankfurt a.M. v.
28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (m. Anm. Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26); FG
Rheinland-Pfalz v. 14.3.2005 – 4 K 1590/03, ZEV 2005, 450 m. Anm. Werkmüller; Eidenmüller,
ZIP 2002, 2233 (2244); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (927);
Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Weller, IPRax 2003, 324 (328); Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 111. Vgl. auch BFH v. 26.4.2001 – V R 50/99, NZG 2002, 103; a.A. LG Nürnberg-Fürth
v. 6.11.2003 – 3 HK O 7267/02, DB 2003, 2765 = IPRspr. 2003 Nr. 21.

Hausmann | 487
§ 6 Rz. 6.41 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer liechtenstein. AG trotz effektiven Verwal-
tungssitzes in Deutschland.

6.42 Auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG können sich auch nicht nur Kapitalgesell-
schaften, sondern in gleicher Weise Personenhandelsgesellschaften berufen1. Auch in ande-
ren Mitgliedstaaten der EU gegründete Personengesellschaften sind daher nach den Grundsät-
zen der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) im Inland anzuerkennen, weil
der Rechtsform der Gesellschaft aus der Sicht des europäischen Unionsrechts keine Bedeutung
zukommt2. Hingegen kann sich ein im EU-Ausland gegründeter Idealverein im Falle der Ver-
legung seines Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht auf die Niederlas-
sungsfreiheit berufen3; für ihn bleibt es daher bei der Geltung der Sitztheorie.

bb) Beschränkung auf die Vermeidung bestimmter Auswirkungen der Sitztheorie


6.43 Dieses Verständnis der Niederlassungsfreiheit im Sinne einer „eigenständigen europäischen
Kollisionsnorm“ beruht indessen auf einer zu einseitig an gewissen Formulierungen der
„Überseering“-Entscheidung (Rz. 6.19 ff.) ausgerichteten Interpretation der EuGH-Rechtspre-
chung, die zudem durch spätere Entscheidungen relativiert worden ist. Der EuGH war weder
in dieser Entscheidung noch in seiner sonstigen Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit
aufgefordert, grundsätzliche Aussagen zum internationalen Gesellschaftsrecht einzelner Mit-
gliedstaaten zu treffen; dies ist auch nicht seine Aufgabe4. Der Gerichtshof hat daher auch in
der Rechtssache „Überseering“ nicht die Sitztheorie schlechthin verworfen, sondern nur ge-
wisse Auswirkungen der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz für unvereinbar mit
der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV erklärt5. Wie Generalanwalt Maduro in sei-
nen Schlussanträgen in der Rechtssache „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff.) zutreffend formuliert hat,
steht es „den Mitgliedstaaten nach derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts frei, ob sie ihr
Regelungssystem auf die Theorie des tatsächlichen Sitzes oder auf die Gründungstheorie stüt-
zen“. Die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit erfordere jedoch „einen gewissen
Grad gegenseitiger Anerkennung und Koordinierung der unterschiedlichen Rechtssysteme“.
Deshalb könne „keine Theorie bis in die letzte Konsequenz angewandt werden“6. In diesem
Punkt ist auch der EuGH in der „Cartesio“- Entscheidung dem Generalanwalt ausdrücklich
gefolgt. Denn die tragende Begründung des Gerichtshofs zur Ablehnung einer Wegzugsfrei-
heit von Gesellschaften unter Wahrung ihrer Identität beruht gerade auf den noch bestehen-
den Rechtsunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Anknüpfung des Ge-
sellschaftsstatuts und der Möglichkeiten einer nachträglichen Änderung dieser Anknüpfung

1 Unstreitig, vgl. Wertenbruch, NZG 2003, 618 (619); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 f.; Zimmer/Na-
endrup, BB 2009, 545 (548), jeweils m.w.N.
2 Wertenbruch, NZG 2003, 618 (619); Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (665); Thorn in Palandt, Anh.
zu Art. 12 EGBGB Rz. 22; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 282 ff. m.w.N. Vgl. auch die
Rechtssache „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff.), bei der es um die Wegzugsfreiheit einer ungarischen KG
ging; a.A. noch Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (933 f.) mit dem Argument, die Anknüpfung an
das Gründungsrecht sei im IPR der Personengesellschaften ein „Fremdkörper“.
3 OLG Zweibrücken v. 27.9.2005 – 3 W 170/05, NZG 2005, 1019 = ZEuP 2007, 324 m. Anm. Beh-
rens.
4 Kindler, NJW 2003, 1073 (1076 ff.); Kindler, in MünchKomm, IntGesR Rz. 124, 146 ff.; krit. auch
Eidenmüller/Rehm, § 2 Rz. 66 ff.
5 Vgl. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (671 ff.); Schanze/Jüttner, AG 2003, 665; Ulmer, NJW 2004,
1201 (1205); dazu näher Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 146 ff. mit weiteren Argumenten.
6 Schlussanträge v. 22.5.2005 – C-210/06 Rz. 30.

488 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.45 § 6

(Cartesio Rz. 105). Die Mitgliedstaaten sind also – wie der EuGH ausdrücklich klarstellt (Car-
tesio Rz. 110) – völlig frei in ihrer Entscheidung, ob sie das Gesellschaftsstatut der auf ihrem
Territorium gegründeten Gesellschaften mit Hilfe der Sitz- oder der Gründungstheorie be-
stimmen wollen1 und welche Anforderungen sie an die Verlegung des Satzungs- und/oder
Verwaltungssitzes „ihrer“ Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat stellen wollen2. Damit
entscheidet also allein der Gründungsstaat einer Gesellschaft darüber, unter welchen Voraus-
setzungen diese Gesellschaft i.S.v. Art. 54 AEUV einer natürlichen Person gleich steht und da-
mit überhaupt in den Genuss der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV kommt3; glei-
chermaßen steht es dem Gründungsstaat frei, den auf seinem Territorium gegründeten Gesell-
schaften die Rechtsfähigkeit und damit den Schutz durch Art. 49, 54 AEUV wieder zu entzie-
hen, wenn sie ihren Verwaltungs- oder Satzungssitz ins Ausland verlegen4. Die Niederlas-
sungsfreiheit schränkt damit nur das Kollisionsrecht des Aufnahme-/Zuzugsstaates ein (zu
der erforderlichen Unterscheidung zwischen Zuzug und Wegzug auch Rz. 6.97 ff.). Insoweit
läuft die vom EuGH in der Entscheidung „Überseering“ (Rz. 6.19 ff.) betonte Verpflichtung
des Zuzugsstaates, die Rechts- und Parteifähigkeit sowie die Haftungsverfassung einer in ei-
nem anderen Mitgliedstaat der EU wirksam gegründeten Gesellschaft nach Maßgabe ihres
Gründungsrechts anzuerkennen, freilich im Ergebnis auf eine Verpflichtung zur kollisions-
rechtlichen Anknüpfung an das Gründungsrecht hinaus.

An dieser Anknüpfung hat der II. Zivilsenat auch nach der „Cartesio“-Entscheidung des 6.44
EuGH5 ausdrücklich festgehalten. Denn in dieser Entscheidung habe der Gerichtshof nur das
Recht des Herkunftsstaats bekräftigt, die Voraussetzungen festzulegen, die eine Gesellschaft
erfüllen muss, um als eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft die Niederlassungsfrei-
heit zu erlangen und zu behalten. Für den Aufnahmestaat ergebe sich daraus keine Relativie-
rung der auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit gestützten Vorgaben, die in der
Gründungstheorie ihren Ausdruck gefunden hätten.6 Der Senat hat daraus den Schluss gezo-
gen, dass die ausschließliche Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nach
Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen sei, wenn die Ge-
sellschaft in einem EU-Mitgliedstaat gegründet worden sei. Der für die Zuständigkeit maß-
gebliche Sitz der Gesellschaft sei dann grundsätzlich der im Herkunftsstaat bestehende Sat-
zungssitz7.

Die Anwendung der Gründungstheorie auf Auslandsgesellschaften, die in einem EU-Mitglied- 6.45
staat gegründet wurden, hängt nach Ansicht des II. Zivilsenats auch nicht davon ab, ob ein
über den reinen Registertatbestand hinausgehender realwirtschaftlicher Bezug zum Grün-

1 Ebenso zuletzt noch EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017,
1308 (Rz. 34) m. Anm. Wachter: „Mangels Vereinheitlichung im Unionsrecht fällt die Definition
der Anknüpfung, die für das auf eine Gesellschaft anwendbare nationale Recht maßgeblich ist,
gem. Art. 54 AEUV in die Zuständigkeit jedes einzelnen Mitgliedstaats“. Vgl. zu dieser „Kollisi-
onsrechtsneutralität“ der Art. 49, 51 AEUV auch Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 152 ff.
m.w.N.
2 Zutr. Kindler, IPRax 2009, 189 (191).
3 Weller, IPRax 2009, 201 (205 f.).
4 Dies hat der EuGH auch in den Entscheidungen „National Grid Indus“ (Rz. 6.30) und „Vale“
(Rz. 6.31 f.) ausdrücklich bekräftigt.
5 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio), Slg. 2008 I, 9641 (Rz. 6.26 ff.).
6 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 (Rz. 18) = NJW 2011, 3372 = GmbHR 2011,
1094 m. Anm. Werner.
7 BGH v. 12.7.2011 (vorige Fn., Rz. 23 ff.).

Hausmann | 489
§ 6 Rz. 6.45 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dungsstaat („genuine link“) gegeben ist1. Etwas anderes folge auch nicht aus der EuGH-Ent-
scheidung „Cadbury Schweppes“2. Nach dieser Entscheidung kann zwar eine Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsstaat gerechtfertigt sein, die darauf abzielt,
rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die nur den
Zweck verfolgen, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland
erzielte Gewinne geschuldet wird. Denn die Niederlassungsfreiheit solle die Eingliederung in
den Aufnahmemitgliedstaat ermöglichen und setze daher eine tatsächliche Ansiedlung der
Gesellschaft in diesem Staat und die dortige Ausübung einer realen wirtschaftlichen Tätigkeit
voraus3. Demgegenüber betrifft die Forderung nach einem „genuine link“ nicht die wirtschaft-
liche Tätigkeit im Aufnahmestaat, sondern eine (zusätzliche) realwirtschaftliche Präsenz im
Herkunftsstaat. Außerdem ist sie auf eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den
Aufnahmestaat gerichtet, nicht durch den Herkunftsstaat, der hierzu in weiterem Umfang be-
fugt wäre. Danach bestimmt sich der aus der Niederlassungsfreiheit folgende Schutz einer
Auslandsgesellschaft vor Beschränkungen durch den Aufnahmestaat weiterhin nach den
EuGH-Entscheidungen „Centros“ und „Inspire Art“4.

cc) Fortgeltung der Sitztheorie in Drittstaatsfällen


6.46 Die vom EuGH errichteten Schranken für die Anknüpfung an das Recht des effektiven Ver-
waltungssitzes von Gesellschaften in Zuzugsfällen dienen der Verwirklichung der Niederlas-
sungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV. Die hiernach u.U. gebotene Anwendung des Grün-
dungsrechts für bestimmte das Personalstatut der Gesellschaft betreffenden Aspekte be-
schränkt sich deshalb auf den Geltungsbereich des AEUV und des EWR-Abkommens. Zwar
wird im Anschluss an die Entscheidungen des EuGH in Sachen „Überseering“ und „Inspire
Art“ im Interesse einer einheitlichen Anknüpfung und zur Vermeidung der mit einer gespal-
tenen Anknüpfung verbundenen Abgrenzungsprobleme zum Teil für eine gänzliche Aufgabe
der Sitztheorie und den Übergang zur Gründungstheorie auch in Drittstaatsfällen plädiert5.
Die unterschiedliche kollisionsrechtliche Beurteilung von Binnenmarkt- und Drittstaatsfällen
ist indessen sachlich gerechtfertigt, weil den Gefahren der Gründungstheorie – Flucht in das
Gesellschaftsrecht mit den laxesten Anforderungen („Delaware-Effekt“) – innerhalb der EU
durch eine Harmonisierung des materiellen Gesellschaftsrechts gesteuert werden kann, die

1 Ebenso schon BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = ZIP 2005, 805; zust. Wall in
Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 83 ff.; a.A. Kindler, NZG 2010, 578 (578) und EuZW 2012, 888 ff.
2 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 7995 =
NZG 2006 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert, 835.
3 EuGH v. 12.9.2006 (vorige Fn., Rz. 51 ff.); ebenso EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:
C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 34) = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen.
4 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = NJW 2011, 3372 (Rz. 19 ff.) = GmbHR 2011,
1094 m. Anm. Werner; a.A. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 129 f.
5 Vgl. i.d.S. etwa Balthasar, RIW 2009, 221 (223 ff.); Behrens, IPRax 2003, 193 (205 f.); Eidenmüller,
ZIP 2002, 2233 (2244); Eidenmüller, JZ 2003, 526 ff.; Forsthoff, DB 2002, 2471 (2476); Jung, NZG
2008, 681 (684); Kieninger, ZEuP 2004, 685 (702 f.); Kieninger, NJW 2009, 292 f.; Leible/Hoff-
mann, RIW 2002, 925 (935 f.); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930); Lieder/Kliebisch, BB 2009,
938 (340); Paefgen, WM 2003, 561 (570); Paefgen, DZWiR 2003, 441 (446); Schulz, NJW 2003,
2705 (2706 f.); Zimmer, ZHR 168 (2004), 355 (365); zust. AG Ludwigsburg v. 20.7.2006 – 1 IN
536/05-s, ZIP 2006, 1507; OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, ZIP 2006, 1822 = GmbHR
2006, 1163. Dazu auch den Reformvorschlag des BMJ von 2008, Rz. 6.66 ff.

490 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.47 § 6

Missbräuchen der Niederlassungsfreiheit vorbeugt1. Entsprechende Instrumente fehlen in


Drittstaatsfällen. Besondere Rechtsanwendungsprobleme wirft die für das gesamte Europa-
recht charakteristische Differenzierung zwischen Binnenmarktsachverhalten und Drittstaats-
fällen nicht auf; zudem wäre ein durch höherrangiges Recht nicht geforderter Übergang der
Rechtsprechung von der gewohnheitsrechtlich verfestigten Sitz- zur Gründungstheorie auch
im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG bedenklich2. Deshalb muss der Abschied von der Sitztheo-
rie im Verhältnis zu Drittstaaten dem – nationalen oder europäischen – Gesetzgeber vorbehal-
ten bleiben und sollte erst dann erfolgen, wenn über die erforderlichen Schranken zum Schutz
des inländischen Rechtsverkehrs Klarheit besteht3. Damit gilt die Sitztheorie für die Beurtei-
lung der Rechtsverhältnisse von außerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften
fort4.
BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 („Trabrennbahn“), BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (293 f.) m.
Anm. Kieninger = IPRax 2009, 259 (m. Anm. Kindler, IPRax 2009, 189 und Weller, IPRax 2009, 202) =
DNotZ 2009, 385 m. Anm. Thölke = DStR 2009, 59 m. Anm. Goette; dazu Gottschak, ZIP 2009, 948.
Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer schweiz. AG nach Verlegung des effektiven Ver-
waltungssitzes nach Deutschland abgelehnt; Zulässigkeit der von der AG erhobenen Mietzinsklage
dennoch bejaht, weil die Gesellschaft als deutsche OHG oder GbR zu behandeln sei.

Der effektive Verwaltungssitz von Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet wurden, 6.47
bestimmt auch die internationale Zuständigkeit für Streitigkeiten solcher Gesellschaften in
gesellschaftsrechtlichen Fragen5.

1 Vgl. den Aktionsplan der EU-Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Ver-
besserung der Corporate Governance v. 21.5.2003, Beil. zu NZG 2003, Heft 13; Kersting, NZG
2003, 9 ff.; Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298 (310).
2 M.-Ph. Weller, IPRax 2009, 201 (206 f.); a.A. Koch/Eickmann, AG 2009, 73 (74); Balthasar, RIW
2009, 221 ff.; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (343).
3 So auch Bayer, BB 2003, 2357 (2363 f.); Ebke, JZ 2003, 927 (929 f.); Horn, NJW 2004, 893 (897);
Kindler, AG 2007, 721 (726); Wachter, GmbHR 2005, 1484 (1485); Weller, IPRax 2003, 324 (328);
Weller, ZGR 2006, 748 (765); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 145, 423 ff; Thorn in Palandt,
Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; zum Reformvorschlag des BMJ von 2008 s. Rz. 6.66 ff.
4 Anders noch die Vorinstanz OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, GmbHR 2006, 1163 = BB
2006, 2487 (2488 f.) m. Anm. Wachter. Für Anwendung der Sitztheorie in Drittstaatsfällen schon
zuvor BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = ZIP 2003, 720 = IPRax 2003, 265 (m.
Anm. Weller, IPRax 2003, 324) (USA); OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000,
2172 = NJW-RR 2001, 341 (Costa Rica); BayObLG v. 20.2.2003 – 1Z AR 160/02, DB 2003, 819
(Sambia); KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, ZIP 2005, 989 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/
Gruschinske, OLG Köln v. 31.1.2006 – 22 U 109/05, ZIP 2007, 935 = IPRax 2007, 530 (m. Anm.
Thole, IPRax 2007, 519) (Südafrika); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 =
GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe (Isle of Man); AG Berlin-Mitte v. 3.3.2005 – 13 C 3317/04,
NJW-RR 2005, 758 (Isle of Man). Ebenso zuletzt wieder BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP
2009, 2385 (Singapur); BGH v. 29.6.2010 – VI ZR 122/09, NZG 2010, 909 (Rz. 21) (Türkei); OLG
Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04, IPRspr. 2015 Nr. 185 (Schweiz). Zust. Ebke, JZ 2003, 927
(930); Horn, NJW 2004, 893 (897); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (933); Mankowski, RIW
2005, 481 (486); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Wachter, BB 2006, 2489 (2490); Weller, DStR
2003, 1800 (1803); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; Stürner in Erman, Anh. zu
Art. 12 EGBGB Rz. 20; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz.115 ff.; Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 423 ff. m.w.N.; a.A. Sandrock, BB 1999, 1337 (1344); krit. auch Mäsch in BeckOK
BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 23.
5 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 27/09, NZG 2010, 712 (Rz. 15) = ZIP 2010, 1003 (Schweiz).

Hausmann | 491
§ 6 Rz. 6.48 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.48 In Drittstaatsfällen verstößt die gewohnheitsrechtliche Anknüpfung an den effektiven Verwal-


tungssitz der Gesellschaft auch nicht gegen die Grundsätze der Europäischen Menschen-
rechtskonvention (EMRK)1. Hingegen ist dem zwingenden Richtlinienrecht der EU bei hin-
reichend starkem Bezug des Sachverhalts zu einem Mitgliedstaat– entsprechend der sog. „Ing-
mar-Doktrin“ des EuGH2 – auch im Falle der Betätigung drittstaatlicher Gesellschaften inner-
halb der EU Rechnung zu tragen3.

dd) Auswirkungen des Brexit


6.49 Nach dem Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vom
24.1.20204 galt das Unionsrecht für den Zeitraum vom 1.2.2020 bis zum 31.12.2020 für das
Vereinigte Königreich fort und das Vereinigte Königreich war weiterhin als EU-Mitgliedstaat
zu behandeln. Diese Behandlung ist mit dem 31.12.2020 entfallen. Seither gilt für das Ver-
einigte Königreich weder das primäre noch das sekundäre EU-Recht. Die Rechtsbeziehungen
zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurden stattdessen in dem Handels-und
Kooperationsabkommen vom 24.12.2020 geregelt5.

6.49a Daraus folgt, dass jedenfalls seit dem 1.1.2021 im Vereinigten Königreich neu gegründete Ge-
sellschaften sich nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV berufen
können. Für sie gilt nicht mehr die „europäische Gründungstheorie“, sondern sie werden
nach den gleichen Grundsätzen wie andere drittstaatliche Gesellschaften behandelt. Es gilt
mithin die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz6. Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus dem genannten Handels- und Kooperationsabkommen vom 24.12.2020, demzufolge
im Vereinigten Königreich gegründete Gesellschaften in den übrigen Mitgliedstaaten nur an-
zuerkennen sind, wenn sie im Vereinigten Königreich auch eine nachhaltige Geschäftstätigkeit
(„substantive business operations“) ausüben. Als private Limiteds gegründete englische Brief-
kastengesellschaften unterliegen daher ausschließlich dem deutschen Recht, wenn sie ihre Ge-
schäftstätigkeit schwerpunktmäßig in Deutschland ausüben7. Da das Handels- und Kooperati-
onsabkommen auch bereits vor dem 1.1.2021 gegründeten britischen Gesellschaften keinen
Bestandsschutz gewährt, haben auch diese ihren Status als wirksam in einem EU-Mitglied-
staat gegründete Gesellschaften an diesem Stichtag verloren. Gesichtspunkte des Vertrauens-
schutzes gebieten keine andere Lösung. Damit ist für solche Alt-Limiteds mit effektivem Ver-
waltungssitz im Inland am 1.1.2021 ein Statutenwechsel zum deutschen Recht eingetreten, un-
ter dem diese Gesellschaften nur als oHG oder GbR fortbestehen8.

1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 18) = NJW 2009, 289 m.
Anm. Kieninger = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; von Bar, BerDGesVölkR 33 (1994), 200;
Bungert, EWS 1993, 17 ff.; Ebenroth/Auer, JZ 1993, 376; Engel, ZEuP 1993, 150 (158); Großfeld/
Erlinghausen, JZ 1993, 219; S. Schmidt, DZWiR 1992, 448 (451); Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 145 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 505; a.A. – unter Hinweis auf Cass. civ. v.
12.11.1990, D. 1992. I. 29 – Anm. Bouloc/Meilicke, RIW 1992, 578.
2 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98. ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar), Slg. 2000 I, 9325 = IPRax, 2001,
225 (m. Anm. Jayme, IPRax 2001, 190) = BB 2001, 9 m. Anm. Kindler.
3 Kindler, IPRax 2009, 189 (190).
4 ABl. 2020 L 29, S. 7.
5 ABl. 2020 L 444, S. 14.
6 Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129 (1130); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 305..
7 Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 311 ff.
8 Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892 (904 ff.); ausführlich dazu Wall in Hausmann/Odersky,
§ 18 Rz. 314 ff., 334 ff. m.w.N.

492 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.52 § 6

e) Schranken der Niederlassungsfreiheit


aa) Öffentliche Ordnung
Wie andere Grundfreiheiten wird auch die Niederlassungsfreiheit nicht schrankenlos gewährt. 6.50
Als Grundlage für eine zulässige Beschränkung kommen der ordre public nach Art. 52 AEUV,
das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie zwingende Gründe des Gemeinwohls in Betracht1.

Nach Art. 52 AEUV ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit „aus Gründen der öf- 6.51
fentlichen Ordnung“ gerechtfertigt. Dieser Rechtfertigungsgrund wird vom EuGH allerdings
sehr restriktiv ausgelegt und hat deshalb nur geringe praktische Bedeutung2. Danach lassen
sich insbesondere Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit zum Schutze öffentlicher oder pri-
vater Gläubiger sowie zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, abhängigen Gesellschaften
oder Arbeitnehmerinteressen nicht auf Art. 52 AEUV stützen3.

bb) Rechtsmissbrauch
Der EuGH hat ferner klargestellt, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 6.52
54 AEUV nur in Ausnahmefällen als rechtsmissbräuchlich gewertet werden kann. Hierfür
reicht insbesondere das sog. „statute shopping“ nicht aus. Auch wenn die Gründung einer Ge-
sellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat nur dem Ziel dient, in den Genuss vorteilhafte-
rer Rechtsvorschriften zu kommen, liegt darin kein Rechtsmissbrauch, sondern eine legitime
Ausübung der Niederlassungsfreiheit; dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit
ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübt. Insbesondere die Umgehung zwingen-
der Vorschriften zum Schutz der Gläubiger – z.B. über Kapitalaufbringung oder Mindestkapi-
tal – im Tätigkeitsstaat der Gesellschaft begründet einen solchen Missbrauch nicht4.

1 Vgl. Sandrock, ZVglRW 102 (2003), 447 ff.; Ebke, JZ 2003, 927 ff.; ausf. Kindler in MünchKomm
IntGesR Rz. 434 ff.
2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 445.
3 Vgl. EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art), NJW 2003, 3331
(Rz. 131) = GmbHR 2003, 1260 m. Anm. Meilicke, wonach sich die von der niederländ. Regierung
vorgebrachten Argumente zum Schutz der Gläubiger vor „formal ausländischen Gesellschaften“
nicht auf Art. 46 EG beziehen; ferner Sandrock, ZVglRW 102 (2003), 447 ff.; Thorn in Palandt,
Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 8.
4 Vgl. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), NJW 1999, 2027 (Rz. 24 ff.) =
MDR 1999, 752 m. Anm. Risse; EuGH v. 30.9.2003 (vorige Fn., Rz. 96 ff., 136 ff.); EuGH v.
25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 (Rz. 40) m. Anm. Wach-
ter; zust. BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP NJW 2005, 1648 (1649) = GmbHR 2005, 630; BGH
v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 149 (153) = GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter =
MDR 2006, 105 m. Anm. Haack (153); BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 (Rz. 22) =
NJW 2011, 3372 = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner; OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05,
NJW-RR 2006, 1631; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (805);
Sandrock, BB 2003, 2588 (2589); M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520 (522 ff.); für weitergehende Miss-
brauchskontrolle aber Forsthoff, DB 2003, 979 (981); von Halen, WM 2003, 571 (577); Kindler,
NJW 2003, 1073 (1075), sowie – mit Einschränkungen – auch Bayer, BB 2003, 2357 (2364); a.A.
AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = IPRax 2003, 534 (535) (m. abl.
Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520) = DStR 2003, 1763 m. abl. Anm. Lürken = NZI 2003, 442
m. abl. Anm. Mock/Schildt (Haftungsbeschränkung für die Gesellschafter einer engl. Private Ltd.
Company, die ausschließlich in Deutschland operiert hat, mit dem Argument abgelehnt, die Ge-
sellschaft sei nicht mit hinreichendem Kapital ausgestattet worden. Dies gelte jedenfalls dann,
wenn die Umstände auf „eine rechtsmissbräuchliche Auslandsgründung als reine Briefkastenge-
sellschaft“ schließen ließen.).

Hausmann | 493
§ 6 Rz. 6.53 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.53 Erforderlich ist vielmehr eine missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht in einem konkreten
Einzelfall. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Inländer, dem die Ausübung eines Gewerbes
untersagt worden ist, sich der ausländischen Gesellschaft bedient, um die ihm untersagte Tä-
tigkeit trotzdem im Inland auszuüben1. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH kann
aber auch die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit durch eine reine Stroh- oder Briefkas-
tenfirma, die im Aufnahmemitgliedstaat keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, rechtsmiss-
bräuchlich sein2.

cc) Zwingende Gründe des Gemeinwohls


6.54 Schließlich erkennt der EuGH auch an, dass „zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der
Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder
auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Vorausset-
zungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können“3. Maßnahmen, wel-
che die Ausübung der durch den AEUV garantierten Grundfreiheiten beschränken, sind frei-
lich nach st. Rspr. des EuGH nur dann gerechtfertigt, wenn vier Voraussetzungen4 erfüllt
sind: Sie müssen
(1) in nicht diskriminierender Weise angewendet werden,
(2) aus zwingenden Gründen des allgemeinen Interesses gerechtfertigt sein,
(3) zur Erreichung der verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen
(4) nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

6.55 Diese Voraussetzungen werden aber – wie der EuGH in der „Inspire Art“-Entscheidung
(Rz. 6.22 ff.) ausgesprochen hat5 – von nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht er-
füllt, welche die Niederlassungsfreiheit der in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Ge-
sellschaft wegen eines zu niedrigen Mindestkapitals oder zum Zwecke der Wirksamkeit von
Steuerkontrollen oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs einschränken6. Daraus folgt ins-
besondere, dass in anderen Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften, die durch Sitzverlegung
ins Inland oder Gründung einer deutschen Zweigniederlassung von ihrer (primären bzw. se-
kundären) Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen, auch hinsichtlich ihrer Haftungsverfas-
sung anzuerkennen sind (dazu näher Rz. 6.118 ff.)7.

1 OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, ZIP 2003, 849 (851) = GmbHR 2003, 530; OLG Dres-
den v. 7.2.2006 – Ss (OWi) 955/05, GmbHR 2006, 764 = ZIP 2006, 1097; Knopp, DNotZ 2003, 85
(89).
2 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 7995
(Rz. 51 ff., 68) = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert; zust. Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 436.
3 EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering), NJW 2002, 3614 (Rz. 92) =
ZIP 2002, 2037; dazu auch Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 446 ff.
4 Vgl. zu diesem Vier-Konditionen-Test EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspi-
re Art), NJW 2003, 3331 (Rz. 133) = ZIP 2003, 1885; EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:
C:2011:785 (National Grid Indus) = NZG 2012, 114 (Rz. 42) m.w.N.; zust. BGH v. 14.3.2005 – II
ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805; dazu Ulmer, NJW 2004, 1201 (1204 ff.); Kindler
in MünchKomm, IntGesR Rz. 446 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.
5 EuGH v. 30.9.2003 (vorige Fn., Rz. 134 ff.).
6 Dazu näher Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 449 ff.
7 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP 2005, 805 = GmbHR 2005, 630 = NJW 2005, 1648 (1649).

494 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.58 § 6

Demgegenüber gehört der Schutz der Gläubiger und der Minderheitsgesellschafter zu den 6.56
vom EuGH grundsätzlich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses1. Das-
selbe gilt für den Schutz der Arbeitnehmer2. Allerdings geht die im nationalen Recht eines
Mitgliedstaats vorgesehene Verpflichtung zur Liquidation einer Gesellschaft, die ihren Sat-
zungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchte, über das hinaus, was zum Schutz
dieser Interessen erforderlich ist3.

dd) Vorschriften außerhalb des Gesellschaftsrechts


Darüber hinaus wird die Niederlassungsfreiheit nicht durch die Anwendung solcher Vor- 6.57
schriften des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten tangiert, die nicht dem Gesellschaftsstatut
unterstehen und deshalb im Staat des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft für alle
dort tätigen Gesellschaften gelten4. Dies gilt insbesondere für Vorschriften, die insolvenzrecht-
lich zu qualifizieren sind und deshalb in allen Mitgliedstaaten dem von Art. 7 EuInsVO 2015
zur Anwendung berufenen Insolvenzstatut unterstehen (dazu näher Rz. 6.170 ff.)5.

4. Vorrang von Staatsverträgen


Vorrang vor der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts mithilfe des autonomen Kollisionsrechts 6.58
haben nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB auch auf dem Gebiet des internationalen Gesellschaftsrechts
die geschlossenen Staatsverträge, soweit diese unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht
geworden sind (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG)6. So regeln die von der Bundesrepublik Deutschland
mit zahlreichen Staaten geschlossenen bilateralen Handels-, Niederlassungs- und Kapital-
schutzabkommen7 teils ausdrücklich, teils konkludent auch die gegenseitige „Anerkennung“
von Handelsgesellschaften. Diese Verpflichtung zur Anerkennung bedeutet nichts anderes als
eine staatsvertragliche Festschreibung des Personalstatuts8. Die Staatsverträge bieten aller-
dings kein einheitliches Bild, weil teilweise an den Sitz9, teilweise auch an das Gründungsrecht
angeknüpft wird10. Soweit diese Abkommen das Personalstatut von Gesellschaften abwei-

1 Vgl. EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762 (Sevic Systems), NZG 2006, 112
(Rz. 28).
2 EuGH v. 21.12.2016 – C-201/15, ECLI:EU:C:2016:972 (Aget Iraklis) = NZG 2017, 788 (Rz. 73)
m.w.N.
3 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 (Rz. 59) m.
Anm. Wachter.
4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 („Einfamilienhaus“), NJW 2007, 1529 (Rz. 10) (m. Anm. Kindler,
NJW 2007, 1785) = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann.
5 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECL:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 (Rz. 27 f.) m.
Anm. M.-Ph. Weller/Hübner; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 441.
6 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (355 f.) = ZIP 2003, 720.
7 Vgl. den Überblick bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 331 ff.
8 Beitzke, FS Luther (1976), S. 1 (10); Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2142) und RIW 1988, 336;
Ferid, Rz. 5–58, 1; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 337 f. Einschränkend Großfeld in Stau-
dinger, IntGesR Rz. 217 ff., der die Anerkennungspflicht auf die Rechts- und Geschäftsfähigkeit
der Gesellschaft beschränkt und im Übrigen – ähnlich wie die „Überlagerungstheorie“ (Rz. 6.8) –
Sitzrecht anwendet; ebenso Bungert, ZVglRW 93 (1994), 117 ff.
9 So z.B. in den Verträgen mit Frankreich, Italien, den Niederlanden und der Türkei, vgl. den Über-
blick bei Jayme/Hausmann, Nr. 134 in Fn. 3. Diese Verträge haben aus deutscher Sicht nur dekla-
ratorische Natur, vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 333.
10 So z.B. in den Verträgen mit Spanien und den USA; zu den zahlreichen weiteren Verträgen s.
Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 331 f.

Hausmann | 495
§ 6 Rz. 6.58 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

chend vom deutschen autonomen Kollisionsrecht bestimmen, ist stets sorgfältig zu prüfen,
welche ausländischen Verbandspersonen anerkannt werden und wie weit die Anerkennung
im Einzelfall reicht.

6.59 In der Praxis wichtig ist vor allem Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutsch-amerikanischen Freund-
schafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages vom 29.10.19541. Danach wird der rechtliche
Status von Gesellschaften, die gem. den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Ver-
tragsteils in dessen Gebiet wirksam errichtet wurden, auch im Gebiet des anderen Vertrags-
teils als solcher anerkannt. Damit ist im Geltungsbereich dieses Abkommens das Personalsta-
tut einer Gesellschaft grundsätzlich nicht an das Recht ihres Verwaltungssitzes, sondern an
das am Ort ihrer Gründung geltende Recht anzuknüpfen2. Danach sind Gesellschaften, die
nach dem Recht eines Einzelstaats der USA wirksam gegründet worden sind, auch in der Bun-
desrepublik Deutschland anzuerkennen, und zwar in der Rechtsform, in der sie in ihrem
Gründungsstaat bestehen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Gesellschaft ihren Ver-
waltungssitz von Anfang an in Deutschland hatte oder ihn nachträglich hierhin verlegt hat
(Scheinauslandsgesellschaft)3.
BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (355 ff.) = NJW 2003, 1607 = IPRax 2003, 265
(m. Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 324) = BB 2003, 810 m. krit. Anm. Kindler = RIW 2005, 473
(m. Aufs. Merkt, RIW 2005, 458) = DB 2003, 818 (m. Aufs. Bungert, DB 2003, 1043) = EWiR 2003,
661 (LS) m. krit. Anm. Mankowski.
Partei- und Prozessfähigkeit einer nach dem Recht von Florida wirksam gegründeten Corporation ist
in Deutschland anzuerkennen, auch wenn die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz inzwi-
schen nach Deutschland verlegt hat.
BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, BFHE 201, 463 = RIW 2003, 627 (629 f.) = BB 2003, 1210
US-Corporation mit Satzungssitz in den USA, die ihre tatsächliche Geschäftsleitung ins Inland verlegt,
kann Organträgerin einer deutschen GmbH sein.

1 BGBl. II 1956, 487.


2 Für eine kollisionsrechtliche Wirkung von Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Vertrages i.S.d. Anknüpfung
an das Gründungsrecht BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 (m.
Aufs. Paal, RIW 2005, 735) = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = BB 2004,
2595 m. Anm. Elsing = JZ 2005, 298 m. Anm. Ebke = DNotZ 2005, 141 m. Anm. Thölke; BGH v.
5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = BB 2004, 1868 m. Anm. Melbert = RIW 2004, 787 (m.
Anm. Ebke S. 740) = IPRax 2005, 339 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = JZ 2005, 303 m.
Anm. Rehm; BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94 = NJW 2004, 2523 = ZIP 2004, 1662;
OLG Frankfurt a.M. v. 4.4.2007 – 19 U230/06, IPRspr. 2007 Mr. 18; ebenso schon OLG Zweibrü-
cken v. 13.10.1986 – 4 U 98/85, NJW 1987, 2168; OLG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 6 U 93/94, NJW-
RR 1995, 1184; zust. die h.L., vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 103; Bungert, WM 1995,
2125 f.; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2142) und DB 1988, 842 (844 ff.); Ebenroth/Kemner/
Wilburg, ZIP 1995, 972 (974 f.); M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100 ff.; Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 337 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 3; für Einschränkung auf die
Rechtsfähigkeit Dammann, RabelsZ 68 (2004) 607 (633 ff.); a.A. noch Berndt, JZ 1996, 187 (191);
Ebke, RabelsZ 62 (1998), 195 (209 ff.); Kegel/Schurig, § 17 II 5c; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 209 ff.
3 Bungert, DB 1995, 963 (966) und DB 2003, 1043 ff.; Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607 (614 ff.);
Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 340; Stürner in Er-
man, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 61; vgl. aber OLG München v. 12.9.2002 – 19 U 1844/02, ZIP
2002, 2132, wo der deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrag schlicht übersehen wird.

496 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.62 § 6

Die Anwendung des Gründungsrechts nach Art. 25 Abs. 5 S. 2 des deutsch-amerikanischen 6.60
Freundschaftsvertrags setzt allerdings voraus, dass die Gesellschaft eine tatsächliche Beziehung
zu den USA unterhält; dies folgt aus dem völkerrechtlichen „genuine link“-Erfordernis1. Aller-
dings sind an den „genuine link“ nur geringe Anforderungen zu stellen. Die Anerkennung schei-
tert also nicht schon daran, dass die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland
hat und hier ihre Hauptgeschäfte betreibt, sofern sie nur irgendwelche geschäftliche Aktivitäten
auch in den USA (nicht notwendig in ihrem Gründungsstaat) entfaltet, die auch kein besonderes
wirtschaftliches Gewicht haben müssen2. Der anzuerkennende „rechtliche Status“ der Gesell-
schaft umfasst dann alle gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Rechtsfragen, also insbesonde-
re die Rechts- und Parteifähigkeit sowie die Gesellschafterhaftung (dazu Rz. 6.126 ff.)3.

Die Gründungstheorie gilt auch im Rahmen des CETA-Abkommens zwischen der Europä- 6.61
ischen Union und Kanada, soweit eine Gesellschaft nennenswerte operative Tätigkeiten (sub-
stantive business activity) in ihrem Gründungsstaat ausübt4.

5. Reformen des deutschen materiellen und internationalen


Gesellschaftsrechts
a) Allgemeines
Der deutsche Gesetzgeber hat die Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften schon de lege lata 6.62
durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräu-
chen (MoMiG) vom 23.10.20085 deutlich gestärkt. Noch wesentlich weiter geht der vom Bun-

1 OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/94, GmbHR 1995, 595 = RIW 1995, 508 = NJW-RR 1995,
1124 = ZIP 1995, 1009 (m. krit. Anm. Ebenroth/Kemner/Willburg, ZIP 1995, 972) = IPRax 1996,
128 (m. krit. Anm. M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100) = IPRspr. 1994 Nr. 18 (Einer im US-Bundesstaat
Delaware gegründeten „Corporation“ ist die Anerkennung nach Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutsch-
amerikan. Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages in der Bundesrepublik Deutschland
zu versagen, wenn die Gesellschaft keine tatsächlichen, effektiven Beziehungen [„genuine link“] zu
den USA hat und sämtliche Aktivitäten in Deutschland entfaltet); ferner Ebenroth/Bippus, DB
1988, 842 (844 ff.); Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1 (2); Weller, IPRax 2017, 167 (170); Kindler in
MünchKomm, IntGesR Rz. 342 ff.; mit Einschränkungen auch Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607
(644 ff.); Stürner, IPRax 2005, 305 (307); a.A. OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr.
2003 Nr. 19; Bungert, WM 1995, 2125 (2128 ff.); Bungert, DB 2003, 1043 (1044); Paal, RIW 2005,
735; Kropholler, IPR, § 55 I 3d; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 6, Wall in
Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 29.
2 BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = GmbHR 2004, 1225 = NJW-RR 2004, 1618 =
RIW 2004, 787 (m. Aufs. Ebke, RIW 2004, 740) = IPRax 2005, 339 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005,
305) = JZ 2004, 303 m. Anm. Rehm = BB 2004, 1868 m. Anm. Mellert (Rechtsfähigkeit einer im
US-Bundesstaat Delaware gegründeten Corporation ist trotz effektiven Verwaltungssitzes in
Deutschland anzuerkennen. Bestehen eines Broker-Vertrages mit einem US-amerikanischen Part-
ner genügt als „genuine link“); ferner BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51 = MDR
2005, 560 = RIW 2005, 147 (m. Aufs. Paal, RIW 2005, 735) = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner,
IPRax 2005, 305) = BB 2004, 2595 m. Anm. Elsing = JZ 2005, 298 m. Anm. Ebke: werbende Tätig-
keit in den USA genügt; Ebenroth/Kemner/Wilburger, ZIP 1995, 972 (974); Thorn in Palandt, Anh.
zu Art. 12 EGBGB Rz. 3; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 345.
3 BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = GmbHR 2004, 1225 = NJW-RR 2004, 1618;
Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 338; a.A. Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607 (631 ff.).
4 Freitag, NZG 2017, 615 (617); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 105.
5 BGBl. I 2008, 2026; dazu Kindler, NJW 2008, 3249 ff.; Kindler in Goette/Habersack (Hrsg.), Das
MoMiG in Wissenschaft und Praxis (2009), S. 231 ff.

Hausmann | 497
§ 6 Rz. 6.62 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

desjustizministerium am 8.1.20081 veröffentlichte Referentenentwurf zum internationalen Ge-


sellschaftsrecht, der im Wesentlichen auf Vorarbeiten einer Spezialkommission „Internationa-
les Gesellschaftsrecht“ des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht beruht2 und einen
generellen Übergang von der bisher in Deutschland vorherrschenden Sitztheorie zur Grün-
dungstheorie vorschlug.

b) Änderungen durch das MoMiG


6.63 Auch wenn sich nach der „Cartesio“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.26 ff.) ein Recht von Ge-
sellschaften auf Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat unter Wahrung der Identität aus der
Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV nicht ableiten lässt, so hat der deutsche Gesetz-
geber in Deutschland gegründeten Kapitalgesellschaften durch das MoMiG vom 23.10.2008
eben diese Wegzugsfreiheit eingeräumt. Denn durch die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG a.F.,
§ 4a Abs. 2 GmbHG a.F. wurde diesen Gesellschaften die Wahl eines effektiven Verwaltungs-
sitzes ermöglicht, der von ihrem Satzungssitz abweicht. Erklärtes Ziel dieser zum 1.11.2008 in
Kraft getretenen Regelung ist es, einer im Inland als AG oder GmbH gegründeten Gesellschaft
die Aufnahme von geschäftlichen Aktivitäten vor allem in anderen EU-Mitgliedstaaten3 bei
Wahrung ihrer Rechtsform zu gestatten. Insbesondere sollen deutsche Konzernmütter ihre
ausländischen Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer deutschen Kapitalgesellschaft
führen können.

6.64 Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft in einen
anderen Mitgliedstaat führt also nicht mehr – wie früher (Rz. 6.103 ff., Rz. 6.111) – zur Auf-
lösung der Gesellschaft4. Gleiches gilt für die Gründung einer Gesellschaft in der Rechtsform
einer deutschen AG oder GmbH, auch wenn diese ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von
Beginn an im Ausland hat (vgl. dazu Rz. 6.93 f. m. Nachw.)5. Auf diese Weise sollte insbeson-
dere eine Gleichbehandlung der deutschen GmbH mit der englischen Private Ltd. Company
erreicht werden, der ein solcher Wegzug aus ihrem Gründungsstaat nach Deutschland oder in
andere Staaten wegen der in England befolgten Gründungstheorie schon zuvor möglich war.
Durch die Neufassung der § 5 AktG, § 4a GmbHG wird deutschen Kapitalgesellschaften nur
die Freiheit zur Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland (bzw. zur Gründung
in Deutschland trotz von Anfang an bestehenden effektiven Verwaltungssitzes im Ausland)
eingeräumt. Eine – jedenfalls isolierte – Verlegung des Satzungssitzes der Gesellschaft ins
Ausland kommt hingegen auch weiterhin nicht in Betracht6. Anders als bei Sitzverlegung in
einen Drittstaat (dazu Rz. 6.101, Rz. 6.109), ergeben sich aus dem Recht des Zuzugsstaates

1 Text unter www.bmjv.de.


2 Vgl. Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Beil. 1 zu Heft 4.
3 Das MoMiG wirkt sich zwar praktisch hauptsächlich bei Gründung deutscher Kapitalgesellschaf-
ten mit effektivem Verwaltungssitz im EU-Ausland bzw. bei Verlegung des effektiven Verwaltungs-
sitzes in andere EU-Mitgliedstaaten aus; die Erleichterungen gelten aber – die Anwendbarkeit
deutschen Rechts vorausgesetzt – gleichermaßen im Verhältnis zu Drittstaaten, vgl. Rz. 6.91 f.,
Rz. 6.106.
4 Näher Kindler, IPRax 2009, 189 (197 ff.).
5 Ob die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit eine „Mobilitätskomponente“ erfordert und des-
halb nur eine nachträgliche Sitzverlegung von Art. 49, 54 AEUV erfasst wird, ist allerdings streitig.
6 Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (679); Hoffmann, ZIP 2007,
1581 ff.; Kindler, AG 2007, 721 ff. und IPRax 2009, 189 (194 f.); Ringe, ZIP 2008, 1073 (1074);
Schneider, BB 2008, 566 (572). Vgl. aber zur gleichzeitigen Verlegung von Verwaltungs- und Sat-
zungssitz Rz. 6.112.

498 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.66 § 6

i.d.R. keine Hindernisse für die identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer
deutschen AG/GmbH ins EU- bzw. EWR-Ausland, weil der Zuzugsstaat nach Art. 49, 54
AEUV verpflichtet ist, die Rechts- und Parteifähigkeit der deutschen Gesellschaft uneinge-
schränkt anzuerkennen (Rz. 6.114 f.).

Klarzustellen ist allerdings, dass die durch das MoMiG erweiterte Mobilität deutscher Kapital- 6.65
gesellschaften notwendig voraussetzt, dass überhaupt deutsches Gesellschaftsrecht zur An-
wendung kommt. Das MoMiG selbst entfaltet keine kollisionsrechtliche Wirkung in dem
Sinne, dass für AG und GmbH künftig nicht mehr die Sitz-, sondern die Gründungstheorie in
der Variante der „Satzungssitztheorie“ gilt1. Daraus folgt, dass deutsche Kapitalgesellschaften
nur dann mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland gegründet werden oder ihren effektiven
Verwaltungssitz ins Ausland verlegen können, wenn der Sitzstaat in seinem nationalen IPR
die Gründungstheorie befolgt oder als Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR kraft der Nieder-
lassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV zur Anerkennung der deutschen Gesellschaft trotz
des Auseinanderfallens von Satzungs- und Verwaltungssitz verpflichtet ist (vgl. Rz. 6.101 f.).
Eine generelle Abkehr des deutschen Gesetzgebers von der Sitztheorie kann in den punktuel-
len Regelungen des MoMiG nicht gesehen werden2.

c) Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht


aa) Gründungsrecht als Grundsatzanknüpfung
Nach der im Referentenentwurf des BMJ vom 8.1.2008 (Rz. 6.1 a.E.) vorgeschlagenen Grund- 6.66
satzkollisionsnorm in Art. 10 Abs. 1 EGBGB-E sollten Gesellschaften, Vereine und juristische
Personen des Privatrechts dem (Sach-) Recht3 des Staates unterliegen, in dem sie in ein öf-
fentliches Register eingetragen sind. Sind sie nicht oder noch nicht in ein öffentliches Regis-
ter eingetragen, sollte hilfsweise das Recht des Staates gelten, nach dem sie organisiert sind.
Damit wurde die vom EuGH für den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49,
54 AEUV erzwungene Anknüpfung der Rechtsfähigkeit von Gesellschaften an das Grün-
dungsrecht (vgl. Rz. 6.36 ff.) zur allseitigen und umfassenden Kollisionsnorm des deutschen
internationalen Gesellschaftsrechts weiterentwickelt. Auch Gesellschaften, die außerhalb der
EU bzw. des EWR wirksam gegründet wurden, sollten künftig in Deutschland als rechts- und
parteifähig anzuerkennen sein, selbst wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz von Beginn an
außerhalb ihres Gründungsstaates haben oder ihn später ins Ausland verlegen. Damit sollte
der Gleichlauf mit solchen Staatsverträgen hergestellt werden, die bereits derzeit eine Anknüp-
fung an das Gründungsrecht vorschreiben (vgl. zuvor Rz. 6.58 ff.). Ferner sollte die einheitli-
che Anknüpfung an das Gründungsrecht sachlich kaum gerechtfertigte Differenzierungen
zwischen Gesellschaften aus verschiedenen Staaten vermeiden4. Der Schutz des inländischen

1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), NJW 2009, 289 (292) m. krit. Anm. Kieninger;
Franz/Laeger, BB 2008, 678 (682 f.); Kindler, AG 2007, 721 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189 (197 f.);
für kollisionsrechtliche Wirkung hingegen – wenig überzeugend – Hoffmann, ZIP 2007, 1581
(1584 ff.); Knof/Mock, GmbHR 2007, 852 (856); Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (92).
2 Kindler, AG 2007, 721 (722); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (681 f.); Hirte NZG 2008, 761 (766); a.A.
J. Hoffmann, ZfP 2007, 1581 (1584 f.); Leible/J. Hoffmann, BB 2009, 58 (62 f.); Bayer/J. Schmidt,
ZHR 173 (2009) 735 (749 ff.); vgl. auch von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 13 m.w.N. zum Streit-
stand.
3 Rück- und Weiterverweisung sollen insoweit nach Art. 4 Abs. 2 EGBGB ausgeschlossen sein, vgl.
die Begründung zum Referentenentwurf, BT-Drucks. 16/12104, S. 9; Wagner/Timm, IPRax 2008,
81 (89).
4 Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (85).

Hausmann | 499
§ 6 Rz. 6.66 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtsverkehrs könne hinreichend mit dem ordre public-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB) und ver-
besserten Regeln zum Verkehrsschutz (dazu Rz. 6.157 ff.) gewährleistet werden. Die in der
deutschen Rechtsprechung seit mehr als 100 Jahren geltende Sitztheorie (Rz. 6.3 ff.) hätte da-
mit endgültig ausgedient gehabt.

6.67 Art. 10 Abs. 2 EGBGB-E konkretisierte durch eine beispielhafte Aufzählung den Anwen-
dungsbereich des Gesellschaftsstatuts. Dieser umfasste – in Übereinstimmung mit dem bis-
herigen Richterrecht und der herrschenden Lehre – über die Rechtsnatur und die Rechts- und
Parteifähigkeit (Nr. 1) hinaus – die Gründung und Auflösung der Gesellschaft (Nr. 2), den
Namen und die Firma (Nr. 3), das gesamte Organisationsrecht der Gesellschaft, einschließlich
der Finanzverfassung (Nr. 4), die Vertretungsmacht der Organe (Nr. 5), den Erwerb und Ver-
lust der Mitgliedschaft und mit ihr verbundene Rechte und Pflichten (Nr. 6) sowie die Haf-
tung der Gesellschaft, ihrer Mitglieder und Organe für Verbindlichkeiten der Gesellschaft und
die Haftung wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten (Nr. 8)1. Nicht geregelt wur-
den hingegen Fragen der Arbeitnehmermitbestimmung und der Rechnungslegung. Ergänzend
bestimmte Art. 11 Abs. 6 EGBGB-E, dass Rechtsgeschäfte, welche die Verfassung2 einer Ge-
sellschaft betreffen, nur formgültig sind, wenn die Formerfordernisse des Gründungsrechts
erfüllt sind; die Einhaltung der Form am Vornahmeort des Rechtsgeschäfts sollte also nicht
ausreichen.

bb) Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes


6.68 Eine besondere Kollisionsnorm enthielt der Entwurf zur Frage der Änderung des Personalsta-
tuts. Nach Art. 10b EGBGB-E wechselte das nach Art. 10 EGBGB-E anwendbare Gründungs-
recht, wenn die Gesellschaft in einem anderen Staat als ihrem Gründungsstaat in ein öffent-
liches Register eingetragen oder in anderer Weise nach außen erkennbar dem Recht eines an-
deren Staates unterstellt wurde, sofern das bisherige und das neue Recht einen Wechsel des
Personalstatuts ohne Auflösung und Neugründung zuließen und die Voraussetzungen beider
Rechte hierfür vorlagen. Sperrte sich auch nur eine der beiden betroffenen Rechtsordnungen
gegen den Statutenwechsel, sollte es bei dem bisherigen Gesellschaftsstatut verbleiben. Die Re-
gelung betraf aber nicht die bloße Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft,
die unter Geltung der Gründungstheorie auf deren Personalstatut keinen Einfluss hat, son-
dern die Verlegung des Satzungssitzes.

cc) Kritik
6.69 Der Referentenentwurf ist zwar in der gesellschaftsrechtlichen Literatur überwiegend positiv
aufgenommen worden3. In der Praxis wurden aus den bereits genannten Gründen (Rz. 6.46)
Bedenken angemeldet, auf den Schutz der Sitztheorie auch außerhalb des Anwendungs-
bereichs der Art. 49, 54 AEUV und ohne Gewährleistung der Gegenseitigkeit auf staatsver-
traglicher Grundlage einseitig zu verzichten4. Im Hinblick auf den vor allem wegen der Mit-
bestimmungsproblematik geleisteten rechtspolitischen Widerstand der Gewerkschaften gegen

1 Dazu ausführlich Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (86 f.).


2 Das trifft etwa auf die Gründung oder Umwandlung einer Gesellschaft zu, nicht hingegen auf die
Veräußerung von Gesellschaftsanteilen.
3 Vgl. Bollacher, RIW 2008, 200 (204 f.); Rotheimer, NZG 2008, 181 (182 f.); z.T. krit. hingegen
Schneider, BB 2008, 566 (569 ff.).
4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 64 m.w.N.

500 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.72 § 6

den Referentenentwurf hat der II. Zivilsenat des BGH es ausdrücklich abgelehnt, dem Gesetz-
geber vorzugreifen und das Personalstatut von in Drittstaaten gegründeten Gesellschaften
schon de lege lata mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen1.

II. Einzelprobleme der Anknüpfung des Gesellschaftstatuts


1. Sitztheorie
a) Ermittlung des tatsächlichen Verwaltungssitzes
Für die in der deutschen Praxis bisher zumindest in Drittstaatsfällen weiterhin befolgte Sitz- 6.70
theorie (Rz. 6.43) ist eine exakte Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes von zentraler
Bedeutung. Die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs „effektiver Verwaltungssitz“ erfolgt dabei
nach Maßgabe der lex fori, in Verfahren vor deutschen Gerichten mithin nach deutschem
Recht2. Würde man insoweit auf das Recht des Staates abstellen, nach dessen Gesetzen die
Gesellschaft gegründet worden ist, könnte dieser durch eine besonders liberale Umschreibung
des Verwaltungssitzes den Schutzzweck der Sitztheorie unterlaufen3.

Nach deutschem Recht kommt es insoweit nicht auf den in der Satzung genannten Sitz, son- 6.71
dern auf den effektiven Verwaltungssitz an4.
OLG Nürnberg v. 25.4.1967 – 7 U 169/66, DB 1967, 1411
In Österreich gegründete AG mit Satzungssitz in Salzburg, deren tatsächliche Verwaltung jedoch von
Deutschland aus geführt wurde: „Der Ort der tatsächlichen Verwaltung ist aber maßgebend dafür,
welches Recht für die Gesellschaft anzuwenden ist. Die G.-AG besitzt daher Inlandseigenschaft, auch
wenn sie in Österreich errichtet wurde, ihren Sitz in Österreich haben sollte und ein Teil der Grün-
dungsmitglieder Ausländer sind.“

Zur Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes bedient sich der BGH der von Sandrock5 6.72
entwickelten Formel, wonach maßgeblich derjenige Ort ist, an dem „die grundlegenden Ent-
scheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt
werden“.

1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (293 f.) =
GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter. Vgl. auch von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 12, die davon
ausgehen, dass der Referentenentwurf „auf Nimmerwiedersehen in der Schublade“ verschwunden
sei.
2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 461; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 226.
3 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 17 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 461, jeweils
m.w.N.
4 BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 (Rz. 11) = ZIP 2009, 987; BGH v. 30.1.1970
– V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183) = NJW 1970, 998 m. Anm. Langen; OLG Frankfurt a.M. v.
24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (2205) = RIW 1990, 583 (m. Aufs. Schütze, RIW 1990,
674) = IPRax 1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) = EWiR 1990, 827 (LS) m.
Anm. Ebenroth (effektiven Verwaltungssitz einer in Panama gegründeten Anlagegesellschaft trotz
Satzungssitzes in Panama in Genf/Schweiz angenommen, weil die Vertretungsorgane sich dort
aufgehalten haben und tätig geworden sind); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 459 m.w.N;
einschränkend OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (m. Anm. Ahrens,
IPRax 1986, 355) (Satzungssitz einer Abschreibungsgesellschaft und dessen Eintragung ins Han-
delsregister als Indizien für effektiven Verwaltungssitz mitberücksichtigt).
5 Sandrock, FS Beitzke (1970), S. 669 (683 f.); zust. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 228; Kindler
in MünchKomm, IntGesR Rz. 459 ff.

Hausmann | 501
§ 6 Rz. 6.72 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (272) = NJW 1986, 2194 = RIW 1986, 548
Zum effektiven Verwaltungssitz einer liechtensteinischen Anstalt.
BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (279 f.) = RIW 1986, 295 m. Anm.
Deville = IPRax 1986, 161 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1986, 145)
Englische „Private Company Ltd.“. Entscheidend sei, wo „tatsächlich hinsichtlich der Geschäftsfüh-
rung das entscheidende Wort gesprochen bzw. der maßgebliche Wille der Geschäftsleitung gebildet“
werde. Dies sei in der Regel an dem Ort, wo Vorstand und sonstige zur Leitung oder Vertretung be-
fugte Personen die ihnen obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfalteten.
OLG Frankfurt v. 9.5.2018 – 4 U 145/17, IPRspr. 2018 Nr. 23
Wohnt der Geschäftsführer einer auf den Marshall-Inseln gegründeten Gesellschaft überwiegend in
Namibia, so hat die Gesellschaft dort ihren effektiven Verwaltungssitz.

6.73 Danach kommt es also darauf an, wo der Schwerpunkt des körperschaftlichen Lebens der
Gesellschaft liegt. Dies ist aber i.d.R. der Ort, an dem der Vorstand oder sonstige Vertretungs-
organe die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben und Weisungen für das Tagesgeschäft er-
teilen. Entscheidend ist also, wo Vorstands- oder Aufsichtsratssitzungen abgehalten und Ver-
träge mit Dritten i.d.R. abgeschlossen werden1. Damit scheidet eine Anknüpfung an den Sitz
bloßer Betriebs- oder Produktionsstätten, die nicht selbst körperschaftlich organisiert sind,
aus, weil die unternehmerischen Entscheidungen dort nicht getroffen, sondern lediglich aus-
geführt werden2. Auch die Ausführung untergeordneter Verwaltungstätigkeiten der Gesell-
schaft (z.B. Buchhaltung, Steuerangelegenheiten) im Ausland begründet dort keinen effektiven
Verwaltungssitz3. Andererseits kommt es auch nicht auf den Ort der internen Willensbildung
der Vertretungsorgane an, sondern auf die Umsetzung der getroffenen Beschlüsse nach au-
ßen4. Zur Präzisierung der Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz stützt sich die
kollisionsrechtliche Lehre im Übrigen auch auf die Erfahrungen des Steuerrechts, insbesonde-
re auf die dort entwickelten Kriterien zur Definition der Begriffe „Geschäftsleitung“ und „ge-

1 Vgl. BVerfG v. 27.6.2018 – 2BvR 1287/17, NJW 2018, 2392 = RIW 2018, 591 = ZIP 208, 1465;
ferner OLG München v. 31.10.1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703 (704); OLG Hamm v.
4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 = IPRax 1998, 358; OLG Köln v. 31.1.2006 – 22 U 109/
05, ZIP 2007, 935 = IPRax 2007, 530 (m. Anm. Thole, IPRax 2007, 519); Bungert, IPRax 1998, 339
(340 f.); Kegel/Schurig, § 17 II 1; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Wall in Haus-
mann/Odersky, § 18 Rz. 8. Zu Einzelheiten von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 129 ff.
2 Sandrock, FS Beitzke (1979), S. 669 (670); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 226; Kindler in
MünchKomm, IntGesR Rz. 460; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 22; Kegel/Schurig,
§ 17 II; Kropholler, IPR, § 55 I 2; auch BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, GmbHR 1985,
335 = IPRax 1986, 161.
3 LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500 (1501) = IPRax 1996, 120 (m. Anm. Jayme,
IPRax 1996, 87).
4 Ebenroth, JZ 1988, 22 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 227; Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 459. Vgl. aber auch OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, RIW 1995, 152 = NJW-RR
1995, 469 = DB 1995, 137 (m. Aufs. Bungert, DB 1995, 963 (Liechtenstein. AG: „Der Umstand,
dass die Gesellschaft ein Grundstücksgeschäft von erheblichem wirtschaftlichem Gewicht in der
Bundesrepublik Deutschland vorgenommen hat, lässt nicht auf einen tatsächlichen Verwaltungs-
sitz in Deutschland schließen. Der effektive Verwaltungssitz wird nämlich nicht durch die Ausfüh-
rung einzelner Geschäfte, sondern durch den Ort bestimmt, an dem die geschäftliche Leitung des
Unternehmens ausgeführt wird, also die Entscheidung über die Geschäftspolitik selbst getroffen
wird.“).

502 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.75 § 6

schäftliche Oberleitung“ in § 10 AO und § 1 Abs. 1 KStG1. Ferner deckt sich der effektive Ver-
waltungssitz im Regelfall mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners
i.S.d. internationalen Insolvenzrechts (COMI) (dazu näher Rz. 6.541 ff.)2.

b) Beweislast
Eine gewisse Konzession an die Gründungstheorie bedeutet es freilich, wenn sich die Praxis 6.74
bisweilen – im Anschluss an Lüderitz3 – in Zweifelsfällen mit der (wenn auch widerleglichen)
Vermutung behilft, dass sich der Sitz in dem Staat befindet, nach dessen Recht die Gesellschaft
erkennbar organisiert ist, wobei vorrangig der Satzungssitz bzw. registrierte Sitz zu berücksich-
tigen sei4. Damit sei im Streit um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft diejenige Partei beweis-
pflichtig, die eine Abweichung des effektiven Verwaltungssitzes vom Satzungssitz behaupte5.

Dagegen spricht freilich, dass gerade in den zweifelhaften Fällen der sog. „Briefkastengesell- 6.75
schaften“ der Satzungssitz nicht der tatsächliche ist6. Ferner kann dem Vertragspartner der
ausländischen Gesellschaft schwerlich der Beweis für solche Tatsachen auferlegt werden, die
die innere Struktur einer Gesellschaft betreffen und sich deshalb regelmäßig seiner Kenntnis
entziehen. In Zweifelsfällen hat eine im Ausland gegründete Gesellschaft daher den vollen
Nachweis zu führen, dass sich auch ihr effektiver Verwaltungssitz im Gründungsstaat befin-
det7. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die ausländische Gesellschaft als Klägerin im inländi-
schen Zivilprozess auftritt. Denn die Frage nach ihrem effektiven Verwaltungssitz – und damit
u.U. auch nach ihrer rechtlichen Existenz – stellt sich dann bereits im Rahmen der Zulässig-
keitsprüfung. Für ihre Parteifähigkeit ist eine ausländische Gesellschaft aber als Klägerin voll
beweispflichtig8. Darüber hinaus ist aber auch das Registergericht im Verfahren der freiwil-

1 Vgl. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3Z 62/85, BayObLGZ 1985, 279 (280); Kindler in Münch-
Komm, IntGesR Rz. 464; zurückhaltend Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 229; vgl. BFH v.
23.1.1991 – I R 22/90, BFHE 164, 164 = BB 1991, 1322.
2 Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 24.
3 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 9.
4 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12
EGBGB Rz. 26; Bungert, DB 1995, 963 und IPRax 1998, 339 (344 f.); zust. OLG München v.
6.5.1986 – 5 U 2562/85, NJW 1986, 2197 = GmbHR 1986, 351; KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97,
NJW RR 1998, 447; OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, DB 2007, 1245 (1248) = GmbHR
2007, 763 m. Anm. Ringe; LG Rottweil v. 28.1.1985 – HO 93/84, IPRax 1986, 110 = RIW 1986, 636.
5 OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, NJW 1990, 1422 = GmbHR 1990, 346 (Vermutung, dass in
England gegründete und eingetragene Ltd. Company ihren Verwaltungssitz in England habe, als wider-
legt angesehen, weil die Gesellschaft gleichzeitig mit der Gründung eine „Zweigniederlassung“ in
Deutschland angemeldet hatte, über die sämtliche Geschäfte getätigt wurden); OLG Hamm v. 18.8.1994
– 15 W 209/94, RIW 1995, 152 (154) = GmbHR 1995, 599 (Es sei „jedenfalls für das grundbuchrecht-
liche Eintragungsverfahren von einem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass eine ausländische
Kapitalgesellschaft in ihrem Gründungsstaat auch ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat“.).
6 Kegel/Schurig, § 17 II, S. 503.
7 Zutr. Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 (681); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 474; Großfeld in
Staudinger, IntGesR Rz. 236 f.; G. Fischer, IPRax 1991, 100 (103); im Erg. auch OLG Frankfurt a.
M. v. 8.6.2000 – 1 U 259/98, OLGR 2001, 88.
8 Vgl. OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, IPRax 1998, 358 (359) (m. Anm. Bungert, IPRax
1998, 339; LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500; LG Mainz v. 7.10.1996 – 8 T
253/96, Rpfleger 1997, 178; LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, ZIP 1999, 2021 = IPRax 2001,
134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102); Althammer in Zöller, § 56 ZPO Rz. 9; Hausmann in Wie-
czorek/Schütze, § 56 ZPO Rz. 16 m.w.N.

Hausmann | 503
§ 6 Rz. 6.75 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ligen Gerichtsbarkeit befugt, von der ausländischen Gesellschaft von Amts wegen entspre-
chende Nachweise zu fordern, wenn berechtigte Zweifel am Bestehen eines tatsächlichen Ver-
waltungssitzes im Gründungsstaat bestehen1.

6.76 Das Fehlen eines effektiven Verwaltungssitzes ist nach der Sitztheorie grundsätzlich aus-
geschlossen. Die bloße Schwierigkeit, ihn festzustellen, rechtfertigt keinen Übergang zur
Gründungstheorie2. Existiert allerdings der Staat, in dem eine Gesellschaft gegründet worden
sein will, überhaupt nicht, so ist von der Nichtexistenz der Gesellschaft auszugehen3.

c) Doppelsitz
6.77 Bei mehreren Verwaltungsorten in verschiedenen Staaten ist der Sitz der Hauptverwaltung
im Wege einer Schwerpunktbetrachtung festzustellen, weil eine Doppel- bzw. Mehrfachan-
knüpfung zu einer unentwirrbaren Normenhäufung führen würde. Befinden sich also Teile
der Hauptverwaltung in verschiedenen Staaten, so wird das Gesellschaftsstatut einheitlich an
den Ort angeknüpft, an dem der wichtigste Teil der Hauptverwaltung geführt wird4.

d) Verbundene Unternehmen
6.78 Diese Grundsätze gelten auch für verbundene Unternehmen. Hier ist zu beachten, dass die
bloße Ausübung gesellschaftlicher Macht noch keinen tatsächlichen Verwaltungssitz begrün-
det, die eigenständige Rechtspersönlichkeit des abhängigen Unternehmens vielmehr zu res-
pektieren ist. Maßgeblich ist daher für Unterordnungskonzerne der Ort, wo die Geschäfts-
führungs- und Vertretungsorgane der abhängigen Gesellschaft tätig sind; daran ändert auch
eine weitgehende Beherrschung durch die Obergesellschaft nichts5. Der effektive Verwaltungs-
sitz von Holding- oder Konzernobergesellschaften liegt dort, wo die Entscheidungen über die

1 Vgl. dazu näher Thümmel, DZWiR 1997, 335; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 485 ff. Vgl.
auch KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, RIW 1997, 597 = IPRax 1998, 360 (m. krit. Anm. Bungert,
IPRax 1998, 339) = EWiR 1997, 513 (LS) m. Anm. Luttermann (Nachweis des effektiven Verwal-
tungssitzes von einer auf den Niederländischen Antillen gegründeten Gesellschaft im Anmel-
dungsverfahren vor dem deutschen Registergericht verlangt, weil die Gesellschaft nur über gerin-
ges Kapital verfügte und keine Anhaltspunkte für eine dort ausgeübte Geschäftsfähigkeit
bestanden).
2 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Bechtel, NZG 2001, 21 f.; Borges, RIW 2000,
167 (170); Freitag, NZG 2000, 357 ff.; Kindler, EWiR 1999, 1082; Thorn, IPRax 2001, 102 (108);
a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, GmbHR 1999, 1254 = NJW-RR 2000, 1226 =
RIW 1999, 783; OLG Brandenburg v. 9.3.2004 – 6 U 150/02, OLGR 2004, 407; krit. auch Zimmer,
FS Lutter (2000), S. 231 (238).
3 KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97 (Dominion of Melchizedek), NJW-RR 1998, 447.
4 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 19; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 235; Mäsch in Beck-
OK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 24; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10;
Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 8; vgl. i.d.S. schon RG v. 16.3.1938, JW 1998, 1715 (1719).
5 BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/77, WM 1979, 692 (693); OLG Hamburg v. 28.5.1973 – 8 U 121/71,
IPRspr. 1974 Nr. 11A; OLG Frankfurt a.M. v. 23.3.1988 – 9 U 80/84, AG 1988, 267 = EWiR 1988,
587 (LS) m. Anm. Ebenroth; OLG Karlsruhe v. 24.1.2018 – 6 U 56/17, NZG 2018, 757 = ZIP 2018,
1179; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 463; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 231; Lüde-
ritz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 58; Kegel/Schurig, § 17 II, S. 504. Zur Anknüpfung der
Rechtsbeziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft an das Statut der letzteren
Zimmer, IPRax 1998, 187 (188); zust. Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; a.A. Ren-
ner/Hesselbarth, IPRax 2014, 117.

504 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.81 § 6

Beteiligungen getroffen und umgesetzt werden (z.B. durch Weisung auf Grund eines Beherr-
schungsvertrages); auf den Weisungsursprung kommt es hingegen nicht an1.

e) Rück- oder Weiterverweisung


Die Sitztheorie beruft das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft im Wege der 6.79
Gesamtverweisung, so dass eine Rück- oder Weiterverweisung nach dem Grundsatz des Art. 4
Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten ist2. Eine solche Rückverweisung auf deutsches
Recht kommt insbesondere in Betracht, wenn eine im Inland nach deutschem Recht gegrün-
dete Personengesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einem ausländischen Staat hat,
der seinerseits die Gründungstheorie befolgt3.

Demgegenüber konnte es zur wirksamen Gründung einer deutschen Kapitalgesellschaft, die 6.80
ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Ausland hatte, grundsätzlich auch dann
nicht kommen, wenn das ausländische Sitzrecht auf das deutsche Gründungsrecht zurückver-
wies, weil es dann regelmäßig an der hierfür erforderlichen Eintragung im deutschen Han-
delsregister fehlte4. Darüber hinaus konnte auch die Verlegung des effektiven Verwaltungssit-
zes durch eine in Deutschland gegründete Kapitalgesellschaft in einen Staat, der seinerseits
die Gründungstheorie befolgt – trotz der vom neuen Sitzstaat ausgesprochenen Rückverwei-
sung auf deutsches Recht5 – nicht zum Fortbestand der Gesellschaft unter Wahrung ihrer
Identität führen, weil das deutsche Sachrecht (§ 5 Abs. 2 AktG a.F., § 4a Abs. 2 GmbHG a.F.)
eine Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz nicht zuließ (dazu Rz. 6.103 f.). Dieses Hin-
dernis ist mit Inkrafttreten des MoMiG (Rz. 6.63 f.) am 1.11.2008 entfallen (Rz. 6.106).

Größere praktische Bedeutung hat die Weiterverweisung in Fällen, in denen die Bundesrepu- 6.81
blik Deutschland weder Gründungs- noch Sitzstaat ist. Folgt nämlich in diesem Falle der Sitz-
staat der Gründungstheorie, so liegt in dessen Verweisung auf das Recht des Gründungsstaates
aus deutscher Sicht eine Weiterverweisung. Sieht also der Staat, in dem die Gesellschaft ihren
tatsächlichen Verwaltungssitz hat, die Gründung in einem Drittstaat als wirksam an, so hat
dies auch der deutsche Richter nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu respektieren6. Die Gesellschaft

1 BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/77, WM 1979, 692; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 462. Vgl.
auch Neumayer, ZVglRW 83 (1984), 129 ff.; Kaligin, DB 1985, 1449 (1450).
2 BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = ZIP 2004, 2095; Ferid, Rz. 5–65; Kro-
pholler, IPR, § 55 I 3c; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Stürner in Erman,
Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 23; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 509 ff.; Großfeld in Staudin-
ger, IntGesR Rz. 107; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 134 ff.; dazu schon Ebenroth/Eyles,
IPRax 1989, 1 (9).
3 Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1 (9); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 510; Großfeld in Staudin-
ger, IntGesR Rz. 94, 107 ff.; vgl. auch BGH v. 6.3.1969 – VII ZR 163/68, WM 1969, 671 (672) (zur
Parteifähigkeit einer deutschen OHG im Verfahren vor einem Prager Schiedsgericht. Rückverwei-
sung auf deutsches Recht angenommen).
4 Vgl. dazu Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 93; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 517.
5 Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 510; vgl. auch OLG
Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = ZIP 2001, 791 = IPRax 2003, 343 m. Anm.
Mansel.
6 Vgl. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = RIW 2004, 935 = ZIP 2004, 2095
(Weiterverweisung des thailänd. Sitzrechts auf das Gründungsrecht der Virgin Islands); BGH v.
2.12.2004 – III ZR 358/03, TranspR 2005, 74 (Weiterverweisung des niederländ. Sitzrechts auf das
panames. Gründungsrecht); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, GmbHR 2007, 763 m.
Anm. Ringe = BB 2007, 1519 m. Anm. Binz/Mayer; OLG Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04,

Hausmann | 505
§ 6 Rz. 6.81 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gilt dann auch in Deutschland als rechtsfähig und ihre Rechtsverhältnisse bestimmen sich ins-
gesamt nach dem Recht des Gründungsstaates; etwaige Einschränkungen der (Weiter-)Ver-
weisung des Sitzstaates auf das Gründungsrecht sind allerdings auch für uns beachtlich1.

6.82 Eine Rück- oder Weiterverweisung scheidet hingegen aus, wenn der Sitzstaat entweder seiner-
seits auf dem Boden der Sitztheorie steht oder zwar die Gründungstheorie befolgt, die Gesell-
schaft aber im Sitzstaat auch wirksam gegründet worden ist2.

2. Gründungstheorie
a) Ermittlung des Gründungsstatuts
6.83 Soweit das Personalstatut einer Gesellschaft mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit oder
kraft staatsvertraglicher Verpflichtung mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen war, hat
die Feststellung, in welchem Staat die Gesellschaft gegründet wurde, in der Praxis bisher we-
sentlich geringere Probleme aufgeworfen als die Ermittlung des effektiven Verwaltungssitzes.
Primär ist vom Recht desjenigen Staates auszugehen, in dem die Gesellschaft sich erstmalig
registriert oder angemeldet hat. Für nicht registrierte Gesellschaften gilt stattdessen das Recht
des Staats, nach dem die Gesellschaft sich organisiert hat. Ist auch Letzteres nicht eindeutig,
kommt es auf das Recht des Staates an, zu dem die Gesellschaft die engsten Verbindungen
aufweist3. Voraussetzung für die Anwendung des ausländischen Gründungsrechts durch deut-
sche Gerichte ist allerdings, dass die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat wirksam gegrün-
det worden ist, d.h. die dortigen Publizitäts- oder Registerpflichten erfüllt hat. Die zum Nach-
weis der Gründung im Ausland erforderlichen Urkunden müssen, wenn die Rechts- oder Par-
teifähigkeit der im Ausland gegründeten Gesellschaft bestritten werden, vor deutschen Gerich-
ten im Original und in der Form des § 438 ZPO vorgelegt werden4. Ferner darf die Gesell-

IPRspr. 2015 Nr. 185 (Weiterverweisung des US-amerikanischen Sitzrechts auf das schweiz. Grün-
dungsrecht); LG Stuttgart v. 20.10.2017 – 22 O 348/16, WM 2018, 667 (Weiterverweisung des
NewYorker Sitzrechts auf das Recht der Cayman Islands); zust. Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12
EGBGB Rz. 12; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 521; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 108; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 230; ebenso schon früher RG v. 3.9.1927,
RGZ 117, 215 (217) (Delaware/Kentucky); BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, NJW 1984, 2762 =
ZIP 1984, 1405 (Kanada); OLG Stuttgart v. 18.3.1974 – 5 U 17/72, NJW 1974, 1627 (Liberia/Baha-
mas); a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 23 aE.
1 OLG Hamburg v. 21.1.1987 – 4 U 54/86, RIW 1988, 816 (Rechtsfähigkeit einer engl. Private Ltd.
Company mit Verwaltungssitz in der Schweiz kraft Weiterverweisung des schweiz. IPR nach eng-
lischem Gründungsrecht beurteilt); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990,
2204 = IPRax 1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) (Rechtsfähigkeit einer in
Panama gegründeten Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Genf hatte, kraft Weiter-
verweisung durch das schweiz. IPR (Art. 174 Abs. 1 IPRG) nach dem Recht von Panama beur-
teilt).
2 OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 = IPRax 1998, 358 (m. Anm. Bungert,
IPRax 1998, 339) (Annahme der deutschen Verweisung durch das Recht der Cayman Islands, weil
Gesellschaft dort wirksam gegründet); OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, RIW 1997, 1042
(1043 (Annahme der deutschen Verweisung durch das schweiz. Recht, weil Gesellschaft dort wirk-
sam gegründet). Vgl. auch LG München I v. 19.8.1999 – 5 HK O 13959/99, RIW 1999, 146 (147).
3 Vgl. i.d.S. – zum deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrag von 1954 (dazu Rz. 6.58 ff.) – Kaulen,
IPRax 2008, 389 ff.; ähnlich auch der Referentenentwurf des BMJ in Art. 10 Abs. 1 (dazu
Rz. 6.66 ff.).
4 Vgl. KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, NJW-RR 2005, 758 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/
Gruschinske.

506 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.85 § 6

schaft nach Maßgabe ihres Gründungsrechts nicht (z.B. durch Registerlöschung) erloschen
sein (dazu auch Rz. 6.131)1.

b) Rück- oder Weiterverweisung


Keine Einigkeit besteht bisher darüber, welche Bedeutung dem Renvoi im Anwendungsbereich 6.84
der sog. „europarechtlichen Gründungstheorie“ zukommt. Teilweise wird die Ansicht vertre-
ten, es handle sich – wie bei der Verweisung des deutschen IPR auf den Sitz der Gesellschaft
in Drittstaatsfällen – um eine Gesamtverweisung. Daher sei der Anwendungsbereich der
Art. 49, 54 AEUV nicht eröffnet, wenn der Gründungsstaat in seinem nationalen IPR die Sitz-
theorie befolge und die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz außerhalb der EU bzw.
des EWR habe2. Demgegenüber sollen Rück- und Weiterverweisung durch das Recht des
Gründungsstaates nach der Gegenauffassung unbeachtlich sein, weil andernfalls die Gewähr-
leistung der Niederlassungsfreiheit gefährdet sein könnte; die Verweisung auf das Gründungs-
recht sei daher stets Sachnormverweisung3. Die Frage nach einem möglichen Renvoi durch
das Recht des Gründungsstaates – z.B. auf das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesell-
schaft in einem anderen Mitgliedstaat – stellt sich freilich nur dann, wenn die „europarecht-
liche Gründungstheorie“ diese Sachverhaltskonstellation überhaupt erfasst. Dies ist indessen
nicht der Fall, weil eine aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV abzuleitende
Verpflichtung des Sitzstaats zur Anerkennung der Gesellschaft nur dann besteht, wenn diese
nach dem Recht ihres Gründungsstaates wirksam zur Entstehung gelangt ist, obwohl sie ihren
effektiven Verwaltungssitz von Anfang an in einem anderen Mitgliedstaat hatte oder ihn
nachträglich dorthin verlegt hat. Das für diese Beurteilung maßgebliche „Recht des Grün-
dungsstaats“ umfasst aber auch dessen Kollisionsrecht. Daher entsteht die Gesellschaft in den
genannten Fällen aus der Sicht des Gründungsstaates nur dann wirksam, wenn dieser in sei-
nem nationalen Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt. Steht der Gründungsstaat hin-
gegen auf dem Boden der Sitztheorie, so ist er durch das europäische Recht nicht gehindert,
den Wegzug der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften zu beschränken. Für die aus
der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV unter dem Begriff „europarechtliche Grün-
dungstheorie“ entwickelte Kollisionsnorm passt daher die übliche Unterscheidung zwischen
Sachnorm- und Gesamtverweisung nicht4.

III. Anfängliches Auseinanderfallen von Verwaltungssitz und Satzungssitz


1. Sitztheorie
a) Geltungsbereich
Möchte eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an in einem anderen 6.85
Staat als ihrem Gründungsstaat nehmen, so kommt es für den rechtlichen Fortbestand der
Gesellschaft maßgeblich darauf an, ob aus der Sicht des Wegzugs- oder Zuzugsstaates die Sitz-
oder Gründungstheorie gilt. Ferner muss jeweils sorgfältig zwischen der kollisions- und der
sachrechtlichen Ebene unterschieden werden.

1 OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864 m. Anm. Röder.


2 So Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120) in Fn. 44.
3 So Forsthoff, DB 2002, 2471 (2473); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Stürner in
Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 46.
4 Hausmann, Gedächtnisschr. Blomeyer (2004), S. 579 (586 f.); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925
(930).

Hausmann | 507
§ 6 Rz. 6.86 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.86 Die Sitztheorie zwingt Gesellschaften grundsätzlich zur Gründung in dem Staat, der wirt-
schaftlich am stärksten betroffen ist bzw. zur Sitznahme im Gründungsstaat. Wird die Gesell-
schaft nicht nach dem Recht am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes gegründet, so liegt
ein „Handeln unter falschem Recht“ vor. Die Lösung ergibt sich dann aus dem in Wahrheit
anzuwendenden Recht, mithin dem am effektiven Verwaltungssitz geltenden Recht1. Die
nachfolgenden Grundsätze der Sitztheorie gelten aus der Sicht des deutschen internationalen
Gesellschaftsrechts jedenfalls fort, soweit die betroffene Gesellschaft nicht in den Schutz-
bereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV fällt (dazu Rz. 6.12, Rz. 6.46) und
keine vorrangigen Staatsverträge eine Anknüpfung an das Gründungsrecht vorschreiben (da-
zu Rz. 6.51 ff.).

b) Inländischer Verwaltungssitz
6.87 Für Kapitalgesellschaften mit inländischem effektiven Verwaltungssitz bedeutet dies, dass sie
den Anforderungen des deutschen Rechts genügen müssen. Eigene Rechtspersönlichkeit als
AG oder GmbH können sie daher gem. § 41 Abs. 1 S. 1 AktG, § 11 Abs. 1 GmbHG nur durch
Eintragung in das deutsche Handelsregister erlangen. Die Sitztheorie verhindert damit, dass
eine Kapitalgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz wirksam nach ausländischem Recht
gegründet werden kann2. Dies gilt unabhängig davon, ob der ausländische Gründungsstaat
seinerseits der Sitz- oder der Gründungstheorie folgt. Die Scheinauslandsgesellschaft erlangt
in diesem Falle Rechtsfähigkeit allenfalls als Personengesellschaft (OHG, BGB-Gesellschaft;
dazu Rz. 6.89). Die deutsche Rechtsprechung hatte im Ausland gegründete Gesellschaften, die
ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Inland hatten, ohne zugleich den inländi-
schen Anforderungen an den Erwerb eigener Rechtspersönlichkeit zu genügen, bis zum Jahre
2002 die Rechtsfähigkeit sogar schlechthin abgesprochen3.

6.88 Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Kapitalgesellschaft ihren Satzungssitz in dem
ausländischen Staat hat, nach dessen Recht sie gegründet worden ist. In diesem Falle kann sie
zwar möglicherweise nach dem Recht ihres Gründungsstaates rechtsfähig sein; die Schutz-
funktion der Sitztheorie verlangt jedoch, dass die Gesellschaft im Inland jedenfalls nicht als
ausländische Kapitalgesellschaft mit den sich hieraus ergebenden Privilegien anerkannt wird.

1 Vgl. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 426; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 489 ff.
2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 85, 427; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 517; Ebenroth/
Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 6; Ebke, JZ 1999, 656 (657); a.A. Forsthoff, DB 2000, 1112; und EWS
2001, 63.
3 BGH v. 30.1.1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183) = NJW 1970, 998; BFH v. 23.6.1992 – IX R
182/87, IPRax 1993, 248 (m. Anm. Großfeld/Luttermann, IPRax 1993, 229) = RIW 1992, 867 (m.
Anm. Ebenroth/Auer, RIW 1992, 998) = DB 1992, 2067 m. Anm. Knobbe-Keuk (beide zu liechten-
stein. Anstalten); OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, NJW 1986, 2199; OLG Oldenburg v.
4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422; KG v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW
1989, 3100 = RIW 1990, 496; LG Köln v. 25.11.1985 – 16 O 41/84, GmbHR 1986, 314 = RIW
1987, 54 = IPRspr. 1985 Nr. 23; LG Stuttgart v. 31.7.1989 – 7 O 64/89, IPRax 1990, 118 (m. Anm.
Fischer, IPRax 1990, 100); LG Marburg v. 17.9.1992 – 1 O 115/92, GmbHR 1993, 299 = NJW-RR
1993, 222 = RIW 1994, 63; LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500 = IPRax 1996,
120 (m. Anm. Jayme, IPRax 1996, 87); LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, GmbHR 2002,
697 = NJW-RR 2002, 463 (466 f.) (alle zur Private Ltd. engl. Rechts); OLG Brandenburg v.
31.5.2000 – 14 U 144/99, ZIP 2000, 1616 = NJW-RR 2001, 29 = RIW 2000, 798 (irische Ltd.);
OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, RIW 2001, 373 (costarican. GmbH); LG Rottweil
v. 28.1.1985 – HO 93/84, RIW 1986, 636 = IPRax 1986, 110 (m. Anm. von der Seipen, IPRax 1986,
92) (liechtenstein. AG).

508 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.90 § 6

So liegt es insbesondere häufig, wenn typische „Briefkastengesellschaften“ eingeschaltet wer-


den. Hat eine solche Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb im Inland, so fallen effektiver Verwal-
tungssitz und satzungsmäßiger Sitz auseinander. Die bloße Anwesenheit des gesetzlichen Ver-
tretungsorgans am Ort des „Briefkastens“ reicht nicht aus, um dort einen effektiven Verwal-
tungssitz zu begründen. Die Briefkastenfirma wird daher im Inland als ausländische juristi-
sche Person nicht anerkannt1.

Entgegen der früher überwiegend vertretenen Auffassung hat das Auseinanderfallen von Sat- 6.89
zungssitz und effektivem Verwaltungssitz schon im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft
freilich nicht zur Folge, dass die im Ausland gegründete Gesellschaft im Inland als „nichtexis-
tente Rechtsperson“ behandelt wird2. Sie ist vielmehr auch dann, wenn sie nicht in einem Mit-
gliedstaat der EU (bzw. des EWR) gegründet wurde3, in Deutschland zumindest als Personen-
gesellschaft des Handelsrechts (OHG) oder des bürgerlichen Rechts (GbR) anzuerkennen und
genießt auch als solche die volle Rechts- und Parteifähigkeit4.

Auf diese Weise werden zwar die Rechtsfolgen der Anknüpfung an den Verwaltungssitz der 6.90
Gesellschaft abgemildert, zugleich werden freilich neue Probleme aufgeworfen. Denn das im
Sitzstaat (nur) als rechtsfähige Personengesellschaft (z.B. OHG) anerkannte Gebilde wird im
Gründungsstaat und den Staaten, die ihrerseits die Gründungstheorie befolgen, weiterhin als
rechtsfähige Kapitalgesellschaft (z.B. AG oder GmbH) behandelt; es kommt mithin zu einer
Statutenverdoppelung5. Dies hat namentlich im Prozessrecht weitreichende und bisher nicht
befriedigend gelöste Konsequenzen, weil z.B. ein in Kanada gegen eine dort gegründete Cor-
poration erreichtes Urteil nicht ohne Weiteres gegen die in Deutschland nur als OHG aner-
kannte Gesellschaft vollstreckt werden könnte. Auch die Rechtshängigkeitssperre nach § 261
ZPO analog würde wegen der fehlenden Identität der verklagten Gesellschaften leer laufen, so
dass parallele Prozesse von Gläubigern gegen die OHG in Deutschland und gegen die Corpo-
ration in Kanada kaum vermieden werden könnten6.

1 Vgl. von Falkenhausen, Durchgriffshaftung mit Hilfe der Sitztheorie des internationalen Gesell-
schaftsrechts, RIW 1987, 808 (819); Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 24 f. Vgl. auch – zur
Rechtslage vor der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) – OLG München v.
31.10.1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703 (zur Nichtanerkennung der Rechtsfähigkeit einer
„société anonyme“ luxemburg. Rechts, die zur Urkunde eines deutschen Notars gegründet worden
war und ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hatte).
2 So noch LG Aurich v. 11.7.1967 – Q 20/67, IPRspr. 1968/1969 Nr. 14; zust. Großfeld in Staudinger,
IntGesR (1998) Rz. 427. Vgl. ferner die Nachw. zu Rz. 6.87.
3 Zur erweiterten Anerkennung von innerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften
näher Rz. 6.114 ff.
4 Sog. “modifizierte Sitztheorie“; vgl. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, ZIP 2002, 1763 = BB 2002,
2031 (2032) m. Anm. Gronstedt unter Hinweis auf BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146,
341 = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330 und BGH v. 18.2.2002 – II ZR 331/00, NJW 2002, 1207 =
ZIP 2002, 614 (zur Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft). Vgl. auch BayObLG v.
20.2.2003 – 1Z AR 160/02, DB 2003, 819 f. (Gesellschaft mit Satzungssitz in Sambia und effekti-
vem Verwaltungssitz in Deutschland ist als inländ. Personengesellschaft zu behandeln); von Bar/
Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 137 ff.
5 Zutr. Behrens, IPRax 2003, 193 (200 f.); M.-Ph. Weller, IPRax 2009, 201 (207 f.).
6 Krit. deshalb Binz/Mayer, BB 2007, 1521 (1522); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (341).

Hausmann | 509
§ 6 Rz. 6.91 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

c) Ausländischer Verwaltungssitz
6.91 Die Gründung einer Kapitalgesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an
im Ausland hatte, in der Rechtsform einer deutschen AG oder GmbH war unter Geltung der
Sitztheorie bisher nicht zulässig1. Daran ist auch weiterhin festzuhalten, wenn der auslän-
dische Sitzstaat seinerseits auf dem Boden der Sitztheorie steht; denn für diesen Fall verweist
das deutsche IPR auf das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft, das diese Ver-
weisung annimmt und in seinem materiellen Gesellschaftsrecht die Rechtsform der deutschen
AG/GmbH nicht kennt. Die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG a.F., § 4a Abs. 2 GmbHG a.F.
durch das MoMiG (Rz. 6.64 f.) hat daran nichts geändert, weil es sich insoweit um Vorschrif-
ten des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts handelt, die bei Geltung ausländischen Ge-
sellschaftsstatuts keine Anwendung finden (dazu Rz. 6.65 m. Nachw.)2. Die Gesellschaft kann
daher – wie im umgekehrten Fall (vgl. Rz. 6.89) – im Inland nur als OHG oder BGB-Gesell-
schaft anerkannt werden. Befolgt der ausländische Sitzstaat hingegen die Gründungstheorie,
so kommt ein Renvoi auf deutsches Recht in Betracht, der nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch für
den deutschen Richter beachtlich ist und zur Anerkennung der nach deutschem Recht ge-
gründeten Gesellschaft trotz ihres ausländischen Verwaltungssitzes führen kann (dazu näher
Rz. 6.79 ff.)3. Diese Anerkennung ist auch nicht mehr auf Personengesellschaften beschränkt;
vielmehr ist seit Inkrafttreten des MoMiG auch eine deutsche AG oder GmbH, die von An-
fang an im Ausland verwaltet wird, im deutschen Handelsregister einzutragen, soweit die Ge-
sellschaft kraft Rückverweisung durch das Recht am effektiven Verwaltungssitz ein deutsches
Personalstatut hat4. Voraussetzung ist freilich, dass die Gesellschaft zumindest ihren Satzungs-
sitz im Inland hat5.

6.92 Die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz ist schließlich im Sinne einer allseitigen
Kollisionsregel zu verstehen, die nicht nur bestimmt, wann deutsches Recht gilt, sondern
auch die Frage regelt, welches ausländische Recht Gesellschaftsstatut ist. Sie schützt mit ande-
ren Worten die Interessen des ausländischen Staates, in dem die Gesellschaft ihren tatsäch-
lichen Verwaltungssitz hat, auch dann, wenn die Gesellschaft nach dem Recht eines dritten
Staates gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat. Damit billigen wir
also dem ausländischen Sitzstaat denjenigen Schutz zu, den wir für Gesellschaften mit inländi-
schem Verwaltungssitz selbst in Anspruch nehmen6. Eine in Kanada gegründete Gesellschaft,
deren Verwaltung effektiv in Paris geführt wird, kann somit in Deutschland als eigenständige
Rechtsperson nur anerkannt werden, wenn sie auch den französischen Gründungsanfor-
derungen genügt7. Im umgekehrten Fall der Verwaltung einer französischen Gesellschaft in
Kanada ist das Auseinanderfallen von effektivem Verwaltungssitz und Satzungssitz hingegen
ausnahmsweise unschädlich, weil das kanadische Sitzrecht sich mit der wirksamen Gründung
nach dem französischen Gründungsrecht begnügt (Weiterverweisung, vgl. Rz. 6.81 f.).

1 Großfeld/König, RIW 1992, 433; Kösters, NZG 1998, 241 (242).


2 Vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 520.
3 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 27; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 519; a.A. Groß-
feld in Staudinger, IntGesR Rz. 93.
4 So auch Franz/Laeger, BB 2008, 678 (683).
5 Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (92); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 94.
6 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 98 ff.; Raape, S. 198; a.A. Wiedemann, Intern. Gesellschafts-
recht, S. 203.
7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 521.

510 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.95 § 6

2. Gründungstheorie
Fraglich ist, ob die zuvor dargestellten Grundsätze auch dann noch gelten, wenn die Gesell- 6.93
schaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Inland hatte, in einem Mitglied-
staat der EU bzw. des EWR gegründet worden ist. Die deutsche Rechtsprechung hat dies mit
der Begründung abgelehnt, dass die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV – ebenso
wie bei einer nachträglichen Sitzverlegung (dazu Rz. 6.114 ff.) – die Anerkennung der Rechts-
fähigkeit solcher Gesellschaften gebiete1.
BayObLG v. 19.12.2002 – 2Z BR 7/02, BayObLGZ 2002, 413 = ZIP 2003, 398 = NZG 2003, 290 (m.
Aufs. Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259) = IPRax 2003, 244 (m. Anm. Behrens, IPRax 2003, 193) =
EWiR 2003, 273 (LS) m. Anm. Mankowski
Grundbuchfähigkeit einer englischen „private limited company“ anerkannt, obwohl es sich um eine
Scheinauslandsgesellschaft handelte. Nach Ansicht des Senats ergreift das Diskriminierungsverbot der
Art. 43, 48 EG „auch die Fälle ..., in denen eine Gesellschaft wirksam nach dem Recht eines Mitglied-
staats gegründet wurde und dort Rechtsfähigkeit erlangt hat, ihren faktischen Sitz aber stets nur in
Deutschland hatte“.

Da es in diesem Fall an einer Mobilitätskomponente fehlt, ist diese Auslegung freilich durch 6.94
das EU-Recht nicht zwingend vorgeschrieben. Ein Recht zur Gründung von Briefkastengesell-
schaften kann richtigerweise aus der Niederlassungsfreiheit nicht abgeleitet werden2. Auch aus
dem Recht der Scheinauslandsgesellschaft, eine Zweigniederlassung im Inland gründen zu
dürfen (dazu Rz. 6.133 ff. m.w.N.), folgt nichts anderes.

IV. Probleme der Sitzverlegung


1. Allgemeines
a) Kollisions- und Sachrecht
Ist eine Gesellschaft somit nach der Sitztheorie grundsätzlich gezwungen, ihren effektiven Ver- 6.95
waltungssitz im Gründungsstaat zu nehmen, so bleibt die Frage zu beantworten, ob sie nicht
nach einer wirksamen Gründung ihren Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegen kann.
Die Probleme der internationalen Sitzverlegung von Gesellschaften lassen sich in ihrem Wesen
auf die Frage verkürzen, „ob die von einer bestimmten Staatshoheit verliehene Rechtsfähigkeit
beliebig in ein anderes Land übertragen werden kann“3. Es geht also um den Umzug einer
Gesellschaft von einem Staat in einen anderen unter Wahrung ihrer Identität.

1 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 149 (151 f.) = NJW 2005, 3351 = GmbHR 2005,
1483 m. Anm. Wachter = MDR 2006, 105 m. Anm. Haack; BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, ZIP
2004, 2095 = NJW 2004, 3706; OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56
(58) (m. Anm. Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26); OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/
03, NZG 2003, 537 (538) = GmbHR 2003, 530; zust. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 f.); Leible/
Hoffmann, ZIP 2003, 926 (929); Schön, ZGR 2013, 333 (352 f.); Verse, ZEuP 2013, 458, (473); Wel-
ler, IPRax 2003, 324 (327).
2 Wie hier Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (256); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2475); Franz, BB 2009,
1250 (1251); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078) und EuZW 2012, 888 (890); W.-H. Roth, IPRax
2003, 117 (126); Teichmann, DB 2012, 2087; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (40 f.).
3 RG v. 22.1.1916, RGZ 88, 53 (54); BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW
1957, 1433; vgl. dazu eingehend Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52 ff.; Großfeld/König, IPRax
1991, 379 (380); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 604; Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 824.

Hausmann | 511
§ 6 Rz. 6.96 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.96 Bei der Problemlösung sind die Kollisionsrechte sowohl des Wegzugs- wie des Zuzugsstaates
zu beachten. Die Gesellschaft besteht nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes
nur dann in ihrer bisherigen Gesellschaftsform fort, wenn beide Rechtsordnungen dies im Er-
gebnis zulassen. Es ist mithin erforderlich, dass das am alten Sitz geltende Recht die Sitzver-
legung ins Ausland erlaubt und die Gesellschaft zugleich diejenigen Bedingungen erfüllt, von
denen das Recht des neuen Sitzes den Fortbestand der Gesellschaft abhängig macht1. Darüber
hinaus darf auch das Sachrecht des bisherigen Sitzstaates einer Übertragung der nach diesem
Recht erteilten Rechtsfähigkeit ins Ausland nicht entgegenstehen2. Der EuGH spricht insoweit
von einer sukzessiven Rechtsanwendung“3.

b) Wegzug und Zuzug


6.97 Nach dem bisherigen Stand des Unionsrechts hängt die Mobilität von Gesellschaften, die in
der EU bzw. dem EWR gegründet wurden und ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen
anderen Mitgliedstaat der EU bzw. Vertragsstaat des EWR verlegen wollen, maßgeblich von
der Ausgestaltung des Kollisions- und Sachrechts des Gründungsstaates ab. Denn die Nieder-
lassungsfreiheit gebietet nach der Auslegung der Art. 49, 54 AEUV durch den EuGH nur die
Anerkennung des Zuzugs einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesell-
schaft („Überseering“, Rz. 6.19 ff.), verpflichtet den Gründungsstaat aber nicht, den identitäts-
wahrenden Wegzug „seiner“ Gesellschaften zu gestatten („Cartesio“, Rz. 6.26 ff.). Dies kann
nach Einstellung der Arbeiten an einem Richtlinienvorschlag für die grenzüberschreitende
Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften4 bis auf Weiteres nur durch den jewei-
ligen nationalen Gesetzgeber des Wegzugsstaates geändert werden.

2. Verlegung des Sitzes einer in Deutschland gegründeten Gesellschaft ins


Ausland
a) Kein Einfluss der Niederlassungsfreiheit
6.98 Der EuGH hatte bereits in seiner „Daily Mail“-Entscheidung (Rz. 6.13 f.) festgestellt, dass
vom Gründungsstaat angeordnete Wegzugsbeschränkungen für Gesellschaften – anders als
für natürliche Personen5 – europarechtlich nicht kontrolliert werden. An dieser Auffassung

1 OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349 m. Anm. Stiegler = DNotZ 2014, 150
m. Anm. Hushahn = IPRax 2015, 163 (m. Anm. Hübner, IPRax 2015, 134); OLG Nürnberg v.
13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 = NZG 2012, 468 = IPRax 2013, 179 (m. Anm. Bartels,
IPRax 2013, 153; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, ZIP 2005, 489 = GmbHR 2005,
484 m. Anm. Ringe; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 103 m. Anm. Ebke; W.-H.
Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 f.; Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (516); Großfeld in
Staudinger, IntGesR Rz. 606; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 37 f.; Kindler in
MünchKomm, IntGesR Rz. 829; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 13, jeweils m.w.N.
2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 606; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 824, 824 ff.; Lüde-
ritz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 47; vgl. auch zum deutsch-amerikan. Freundschafts-
vertrag BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, NJW 2003, 1607 (1608) = ZIP 2003, 720.
3 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 37, 44); dazu
M.-Ph. Weller, FS Baurock (2013), S. 497 (517 f.).
4 Vgl. dazu Behme, BB 2008, 70 (73); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27; Kindler, Status:
Recht 2008, 68 (69).
5 Vgl. zu dieser Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen bezüglich der Weg-
zugsfreiheit Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2410 f.).

512 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.99 § 6

hatte er sowohl in seinem „Centros“-Urteil (Rz. 6.15 ff.)1 als auch in seinen Entscheidungen
„Überseering“ (Rz. 6.19 ff.) und „Inspire Art“ (Rz. 6.22 ff.)2 ausdrücklich festgehalten. Danach
hat der Gründungsstaat das Recht, einer Gesellschaft „Beschränkungen hinsichtlich der Ver-
legung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie
die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann“
(„Überseering“, Rz. 70). Bei einem Verstoß gegen diese Beschränkungen sei der Gründungs-
staat daher nicht verpflichtet, die von ihm verliehene Rechtspersönlichkeit auch nach einer
Sitzverlegung ins Ausland weiterhin anzuerkennen. Ein aus der Niederlassungsfreiheit abge-
leitetes Recht auf identitätswahrenden Wegzug gegen den Willen des Gründungsstaates wird
Gesellschaften also nicht zugestanden.3 Für den Wegzug von deutschen Gesellschaften in an-
dere EU-/EWR-Mitgliedstaaten galten daher bis zum Inkrafttreten des MoMiG (Rz. 6.63 f.)
die bisherigen – aus der modifizierten Sitztheorie abgeleiteten – Grundsätze (Rz. 6.103 f.) fort,
d.h. die Verlegung des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes einer deutschen Kapitalgesell-
schaft ins EU-/EWR-Ausland wurde ebenso wenig anerkannt wie die Sitzverlegung in einen
Drittstaat. Die Sitzverlegung konnte nicht im deutschen Handelsregister eingetragen werden,
sondern hatte i.d.R. die Liquidation der Gesellschaft zur Folge4.

Die vom EuGH vorgenommene Differenzierung zwischen Zuzugs- und Wegzugsbeschrän- 6.99
kungen wird zwar in der Literatur schon seit längerem kritisiert. Sie widerspreche nicht nur
der Auslegung der sonstigen Grundfreiheiten, die gleichermaßen für Import- wie Exportsach-
verhalte gälten, sondern stehe auch mit der Auslegung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49
AEUV durch den EuGH, soweit natürliche Personen betroffen sind, nicht in Einklang5. Allein

1 Vgl. Behrens, IPRax 2000, 323 (329 f.); Forsthoff, DB 2000, 1109 (1111); Hammen, WM 1999,
2487 (2490); Kindler, NJW 1999, 1993 (1998); Lange, DNotZ 1999, 599 (607).
2 Vgl. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering), NJW 2002, 3614
(Rz. 70) = ZIP 2002, 2037; EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art),
NJW 2003, 3331 (Rz. 103) = ZIP 2003, 1885; zust. Geyrhalter/Gänßler, FG Köln v. 14.11.2002 – 10
K 3475/02, NZG 2003, 400 (411); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (932 f.); Meilicke, GmbHR
2003, 793 (803); Oechsler, NJW 2006, 812 (813); M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 324 (327).
3 Schön, ZGR 2013, 333 (355); Verse, ZEuP 2013, 458 (462); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497
(518 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 825 m.w.N.
4 Vgl. i.d.S. noch nach dem „Centros“-Urteil des EuGH (Rz. 6.15 ff.): OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W
390/00, ZIP 2001, 791 = NJW 2001, 2183 (England); OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP
2001, 790 = NJW 2001, 2184 = NZG 2001, 506 (m. Anm. Kieninger, NZG 2001, 610) (Niederlande).
Ebenso noch nach dem „Überseering“-Urteil des EuGH (Rz. 6.19 ff.): BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR
175/03, ZIP 2004, 806 = NJW-RR 2004, 836 = GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb (Portugal); OLG
Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, ZIP 2005, 489 = GmbHR 2005, 484 m. Anm. Ringe (Italien);
LG Berlin v. 22.2.2005 – 102 T 1/05, GmbHR 2005, 997 (Frankreich); OLG München v. 4.10.2007 –
31 Wx 36/07, ZIP 2007, 2124 = NZG 2007, 915 (Eintragung des Beschlusses über die Sitzverlegung
einer deutschen GmbH nach Portugal ins deutsche Handelsregister abgelehnt). Zur Differenzierung
zwischen Beschränkungen des Zuzugs und des Wegzugs von Gesellschaften schon vor der „Carte-
sio“-Entscheidung des EuGH Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (256); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29);
Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (175); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2474 f.); Grohmann/Gruschinske,
GmbHR 2008, 27 (30); Kallmeyer, DB 2002, 2521 (2522); Lutter, BB 2003, 7 (10); Mülbert/Schmolke,
ZVglRW 100 (2001), 223 (257); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (615); Zimmer, NJW 2003, 3585
(3592); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (27). Ebenso im Rahmen des deutsch-amerikanischen Freund-
schaftsvertrages auch BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, ZIP 2003, 1340 = BB 2003, 1210.
5 Zur „Wegzugsfreiheit“ natürlicher Personen vgl. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:
C:2004:138 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004 I, 2409 = NJW 2004, 2439 = RIW 2004, 392 m.
Anm. Meilicke. Für Übertragung dieser Rechtsprechung auf Gesellschaften Kleinert, DB 2004, 673
(674); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (616); Teichmann, ZIP 2006, 355 (357).

Hausmann | 513
§ 6 Rz. 6.99 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Argument, dass Gesellschaften ihre Existenz dem Gründungsstaat verdanken, könne als
Rechtfertigung für eine Diskriminierung gegenüber natürlichen Personen nicht ausreichen1.
Darüber hinaus führe die Rechtsprechung des EuGH zu einer erheblichen Benachteiligung
von Gesellschaften, deren Gründungsstaaten in ihrem nationalen Kollisionsrecht auf dem Bo-
den der Sitztheorie stehen. Denn diese Gesellschaften würden quasi in ihrem Gründungsstaat
„eingemauert“, während Gesellschaften aus Staaten, die der Gründungstheorie folgen, unge-
hindert in alle anderen Mitgliedstaaten auswandern könnten. Da die Niederlassungsfreiheit
somit in ihrer Funktion als „Wegzugsfreiheit“ im Ergebnis auf Gesellschaften aus Gründungs-
theorie-Staaten beschränkt2 ist, wird das vom Gründungsstaat im Gewande der Sitztheorie
angeordnete Verbot der identitätswahrenden Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat
von vielen schon de lege lata als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet3.

6.100 Der EuGH ist dieser Kritik indessen – wie gezeigt (Rz. 6.26 ff.) – in seiner „Cartesio“-Ent-
scheidung nicht gefolgt. Es bleibt vielmehr Sache des jeweiligen Mitgliedstaats, ob er „seinen“
Gesellschaften durch entsprechende Regelungen im nationalen Kollisions- oder Sachrecht
Wegzugsfreiheit einräumen möchte oder nicht4. Er darf – wie in der „Vale“-Entscheidung
(Rz. 6.31 f.) klargestellt wurde – lediglich einer vom Zuzugsstaat ermöglichten formwechseln-
den Umwandlung keine sachrechtlichen Hindernisse entgegenstellen5.

b) Verlegung nur des Verwaltungssitzes


aa) Kollisionsrecht
6.101 Verlegt eine nach deutschem Recht wirksam gegründete Gesellschaft nur ihren Verwaltungs-
sitz ins Ausland, so kommt es aus kollisionsrechtlicher Sicht wiederum darauf an, ob der neue
Sitzstaat der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt. Gilt dort die Sitztheorie, wird die
vom deutschen Recht ausgesprochene Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB) vom
neuen Sitzrecht angenommen; dieses beherrscht daher vom Zeitpunkt der Sitzverlegung an
die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft6. Deren Fortbestand scheitert daher i.d.R. daran, dass
die Gründungsvoraussetzungen des neuen Sitzrechts nicht erfüllt sein werden; deshalb ist
meist eine Neugründung im Zuzugsstaat erforderlich7. Ob dies auch im Verhältnis zu EU-

1 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121 f.); Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2410).
2 Bayer, BB 2004, 2357 (2364); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (929); Lutter, BB 2003, 7 (10); Paef-
gen, WM 2003, 561 (568); Teichmann, ZIP 2006, 355 (357).
3 So etwa Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (28); Behrens, IPRax 2003, 193 (205); Eidenmüller,
ZIP 2002, 2233 (2243) und JZ 2003, 526 (528); Forsthoff, DB 2003, 2471 (2473); Großerichter, DStR
2003, 159 (164 f.); Kieninger, NZG 2001, 610 (611); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (803); Paefgen,
DZWiR 2003, 441 (443); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121 f.); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (615 f.);
Schulz/Sester, EWS 2003, 2471 (2473); Triebel/von Hase, BB 2002, 2409 (2410); Wertenbruch, NZG
2003, 618 (620); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 7. S. auch AG Heidelberg v. 3.3.2000 –
HRB 831 – SNH, RIW 2000, 557 = IPRax 2000, 425 (m. Anm. Behrens, IPRax 2000, 384) = ZIP 2000,
1617 (m. Aufs. W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597) = NZG 2000, 927 (m. Aufs. Jaeger NZG 2000, 918).
4 Kindler, NZG 2009, 130 ff.; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (977).
5 Vgl. näher Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 ff.; Teichmann, ZIP 2009, 393 (401 ff.).
6 BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113 (116) = GmbHR 1992, 529 = NJW-RR
1993, 43; BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, BayObLGZ 2004, 24 = DNotZ 2004, 725 m.
Anm. Thölke = GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04,
ZIP 2005, 489 = GmbHR 2004, 484 m. Anm. Ringe; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 608,
617 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189 (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979).
7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 826; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB
Rz. 71.

514 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.103 § 6

Mitgliedstaaten gilt, die zwar – wie das deutsche Recht – im Verhältnis zu Drittstaaten der
Sitztheorie, im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten aber der europäischen Gründungs-
theorie folgen, ist allerdings fraglich1.

Folgt der Zuzugsstaat hingegen der Gründungstheorie, so steht der Verlegung allein des tat- 6.102
sächlichen Verwaltungssitzes einer inländischen Gesellschaft in diesen Staat ein kollisions-
rechtliches Hindernis nicht entgegen. Denn der neue Sitzstaat erkennt die nach dem deut-
schen Gründungsrecht erworbene Rechtsfähigkeit an und fordert keine neuerliche Inkorpora-
tion in Übereinstimmung mit seinen Gesetzen. Das vom deutschen IPR zur Anwendung be-
rufene neue Sitzrecht spricht mithin eine Rückverweisung auf das deutsche Gründungsrecht
aus, die nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten ist und zur Anwendung des deutschen Sach-
rechts führt2.

bb) Sachrecht
Weitere Voraussetzung für eine wirksame grenzüberschreitende Sitzverlegung ist jedoch die 6.103
Zulässigkeit einer Übertragung der vom Inland erteilten Rechtsfähigkeit ins Ausland bzw. de-
ren Fortbestand trotz Sitzverlegung nach dem internen Sachrecht des Wegzugsstaates3. Da
eine deutsche Gesellschaft sich mit Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes ins Aus-
land aus dem Rechtskreis löst, von dem sie ihre Rechtsfähigkeit ableitet, wertete die in
Deutschland h.M. bis zum MoMiG die Sitzverlegung ins Ausland als zwingenden Grund für
die Liquidation der Gesellschaft, unabhängig vom entgegenstehenden Willen der Gesell-
schafter oder einer entsprechenden Satzungsbestimmung4.

1 Für Annahme einer Rückverweisung im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs in


diesem Fall Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 827; a.A. (Ablehnung eines identitätswahren-
den Wegzugs unter der europarechtlichen Gründungstheorie) Hausmann, GS Blomeyer (2004),
S. 579 (591 f.).
2 Behrens, IPRax 2000, 323 (330); Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 1 (6 f.) und DNotZ 1993,
190 (193); Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013),
S. 965 (979); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 828; zust. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02,
ZIP 2004, 2095 = NJW 2004, 3706; OLG Karlsruhe v. 7.2.2008 – 19 U 32/07, BeckRS 2008, 6653;
ebenso schon früher OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = NJW 2001, 2183 =
IPRax 2001, 343; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 =
IPRax 2001, 343; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = WiB 1997, 1242
m. Anm. Mankowski = ZIP 1997, 1696, m. Anm. Neye; a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu
Art. 12 EGBGB Rz. 13, 70.
3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 606 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 829; Lüderitz in
Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 47.
4 RG v. 5.7.1882, RGZ 7, 68 (69); BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW
1957, 1433; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = WiB 1997, 1242 m. Anm.
Mankowski; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 = NZG
2001, 506 (m. Kieninger, NZG 2001, 610); OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 =
NJW 2001, 2183; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = NJW-RR 1998,
615; zust. Borges, EWiR 2003, 927 (928); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Forsthoff, DB 2002,
2471 (2474); Michalski, NZG 1998, 762 (764); Schwarz, NZG 2001, 613; Kegel/Schurig, § 17 II 2;
Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 617 ff. m.w.N. Vgl. auch OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/
98, GmbHR 1999, 182 = RIW 1999, 145 = IPRax 2000, 130 (m. Anm. Teichmann, IPRax 2000,
110) = EWiR 1999, 261 (LS) m. Anm. Mankowski (Abwicklung des Tagesgeschäfts einer deutschen
GmbH durch den Geschäftsführer mittels Korrespondenz und Telefonkontakt vom Ausland aus
als mögliche Verlegung des Verwaltungssitzes gewertet, die zur Auflösung der Gesellschaft führen
würde).

Hausmann | 515
§ 6 Rz. 6.104 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.104 Die gleiche Rechtsfolge sollte sich bereits an den Beschluss des zuständigen Gesellschafts-
organs zur Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in das Ausland knüpfen. Dieser Be-
schluss wurde mithin als Auflösungsbeschluss gewertet. Dementsprechend wurde die Eintra-
gung eines Sitzverlegungsbeschlusses abgelehnt; stattdessen war die Auflösung der Gesell-
schaft zum Handelsregister anzumelden1. Begründet wurde diese Haltung vor allem mit dem
Schutz von Gesellschafter- und Gläubigerinteressen sowie mit der engen Verknüpfung juristi-
scher Personen mit dem Staat ihrer Gründung2. Ferner wurde auf die parallele Wertung des
Steuerrechts verwiesen; danach habe die Sitzverlegung einer im Inland steuerpflichtigen Kör-
perschaft ein Ausscheiden aus der Steuerpflicht bei gleichzeitiger Liquidation der Gesellschaft
zur Folge, um auf diese Weise die bisher nicht versteuerten Gewinne im Inland zu erfassen3.

6.105 Diese Annahme eines sachrechtlichen Hindernisses für die Verlegung des Verwaltungssitzes
deutscher Gesellschaften ins Ausland wurde schon seit längerem kritisiert4. Sie überzeugte ins-
besondere dann nicht, wenn die deutsche Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in ei-
nen Staat verlegte, der auf dem Boden der Gründungstheorie stand. Denn für diesen Fall er-
gab sich das Recht zu einer identitätswahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes
bereits aus den Grundsätzen über die Beachtung einer Rück- und Weiterverweisung nach
Art. 4 Abs. 1 EGBGB im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht5. Ziel des Renvoi ist es,
den internationalen Entscheidungseinklang mit dem neuen Sitzstaat herzustellen6. Überzeu-
gende Wertungen des deutschen Sachrechts, die es rechtfertigen könnten, diese kollisions-
rechtliche Entscheidung als „sinnwidrig“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 S. 1 HS. 2 EGBGB anzusehen,
waren und sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für den Hinweis auf die Parallel-
wertung des internationalen Steuerrechts in § 12 KStG; denn nach zutreffender Auslegung
dieser Vorschrift besteht die unbeschränkte Steuerpflicht auch dann weiter, wenn und solange
die Gesellschaft ihren Satzungssitz (§ 11 AO) im Inland beibehält7.

1 BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144); BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, Bay-
ObLGZ 1992, 113 (116) = GmbHR 1992, 529 = EuZW 1992, 548 m. abl. Anm. Behrens (Beschluss
einer deutschen GmbH mit Sitz in München, ihren Verwaltungssitz nach England zu verlegen, als
Grund für die Auflösung der Gesellschaft gewertet); OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, RIW
1997, 874 = IPRax 1998, 363 (m. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348) = ZIP 1997, 1696 m. Anm.
Neye = WiB 1997, 1242 m. Anm. Mankowski (Beschluss einer deutschen GmbH über die Ver-
legung des Verwaltungssitzes nach Luxemburg als Auflösungsgrund gewertet); OLG Düsseldorf v.
26.3.2001 – 2 Wx 88/01, NJW 2001, 2184 = ZIP 2001, 790 BB 2001, 901 m. Anm. Emde = NZG
2001, 506 (m. Anm. Kieninger, NZG 2001, 610) = IPRax 2001, 343 m. Anm. Mansel (Beschluss
einer deutschen GmbH über die Sitzverlegung in die Niederlande als Auflösungsbeschluss gewer-
tet); zust. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 634 ff.; a.A. (Nichtigkeit des Beschlusses nach § 241
Nr. 3 AktG) Koch in MünchKomm AktG, § 262 Rz. 37; OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/
07, ZIP 2007, 2124 = NZG 2007, 915.
2 Vgl. statt vieler Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 617 ff., 657.
3 RG v. 29.6.1923, RGZ 107, 94 (97); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 614.
4 Abl. Beitzke, Juristische Personen, S. 180; Beitzke, ZHR 127 (1964/65), 1 (41 ff.); Behrens, EuZW
1992, 550; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (350 ff.); Lutter, BB 2003, 7 (10) („ganz und gar
überflüssige und unverständliche Lehre“); ebenso Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680 f.).
5 Zutr. OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = GmbHR 2001, 440 = NJW 2001,
2183; Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Dreissig, DB 2000, 893 ff.; Ebert, NZG 2002, 937
(941); Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2411); a.A. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 629.
6 Vgl. dazu allg. Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 17 f.
7 Zutr. Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 1 (7); Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7 f.).

516 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.110 § 6

Mit Wirkung vom 1.11.2008 hat der deutsche Gesetzgeber des MoMiG (Rz. 6.63 f.) daher das 6.106
sachrechtliche Hindernis für die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes deutscher Ka-
pitalgesellschaften ins Ausland zu Recht beseitigt1. Vorausgesetzt bleibt jedoch das kollisions-
rechtliche Erfordernis der Maßgeblichkeit deutschen Gesellschaftsrechts aus der Sicht des neu-
en Sitzstaates; dieser muss also grundsätzlich der Gründungstheorie folgen. Folgt der neue
Sitzstaat hingegen der Sitztheorie und nimmt er deshalb einen Statutenwechsel an, so ist wei-
terhin die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden2.

Verlegt eine deutsche AG oder GmbH allerdings ihren effektiven Verwaltungssitz in einen an- 6.107
deren Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR, darf der Zuzugsstaat, selbst wenn er der Sitztheo-
rie folgt, die Anerkennung der fortbestehenden Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft
mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit nicht verweigern (vgl. Rz. 6.114). Aus diesem
Grunde ist auch ein Gesellschafterbeschluss einer deutschen AG oder GmbH über die Ver-
legung des Verwaltungssitzes in einen solchen Mitgliedstaat seit Aufhebung der Beschränkun-
gen der § 4a Abs. 2 GmbHG a.F., § 5 Abs. 2 AktG a.F. durch das MoMiG wirksam3. Gleiches
gilt für einen Beschluss zur Verlegung des Verwaltungssitzes in einen Drittstaat, welcher der
Gründungstheorie folgt.

Demgegenüber führt die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland bei Personenhandels- 6.108
gesellschaften auch unter der Geltung des MoMiG weiterhin zur Auflösung und Abwicklung,
nicht aber zum Verlust der Rechtsfähigkeit4.

c) Verlegung auch des Satzungssitzes


Eine andere Beurteilung ist weiterhin dann erforderlich, wenn die deutsche Gesellschaft zu- 6.109
gleich ihren Satzungssitz ins Ausland verlegt. Ist der neue Sitzstaat ein Drittstaat, so scheidet
eine Rückverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dann aus, wenn dieser der Gründungs-
theorie folgt. Denn die Gesellschaft ist nach dem Recht ihres geänderten statutarischen Sitzes
nicht wirksam gegründet. Eine Anerkennung der Sitzverlegung kommt daher nicht in Be-
tracht5. Dieser kollisionsrechtlichen Bewertung entspricht auch die steuerrechtliche Betrach-
tung, weil die Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft ins Ausland
zwingend zu deren Liquidation und zur Besteuerung der stillen Reserven führt.

Darüber hinaus lässt bereits das deutsche Sachrecht eine Verlegung des Satzungssitzes in ei- 6.110
nen Drittstaat nicht zu, weil dadurch den deutschen Gerichten und Verwaltungsbehörden in

1 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1582 f.); Kindler, NJW 2008, 3249
(3251) und IPRax 2009, 189 (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979).
2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 835.
3 Kindler, IPRax 2009, 189, (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979).
4 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863 = GmbHR 2009, 1102 = MDR 2009, 1230 = NZG
2009, 1106 (Rz. 5) = DStR 2009, 2017 (Kommanditgesellschaft); Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 831; vgl. auch Koch, ZHR 173 (2009), 101 (112 ff.).
5 Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7); Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Behrens, IPRax
2000, 323 (330); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 842. Vgl. auch OLG Hamm v. 1.2.2001 –
15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = RIW 2001, 461 = IPRax 2001, 343 m. Anm. Mansel = NZG 2001,
562 (m. Anm. Schwarz, NZG 2001, 613) (Eintragung der Verlegung des Verwaltungs- und Sat-
zungssitzes einer in Deutschland gegründeten GmbH nach England ins deutsche Handelsregister
abgelehnt. Aufgrund der Verlegung auch des statutarischen Sitzes sei „die Gesellschaft auch vom
Standpunkt der Gründungstheorie nicht anerkennungsfähig, weil die Gesellschaft nicht nach dem
Recht ihres (geänderten) statutarischen Sitzes gegründet worden ist“).

Hausmann | 517
§ 6 Rz. 6.110 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weiterem Umfang die internationale Zuständigkeit entzogen und damit die Durchsetzung des
deutschen Gesellschaftsrechts erheblich erschwert oder gar verhindert würde1. Daran hat
auch die Neufassung von § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG a.F. durch das MoMiG
(Rz. 6.64 f.) nichts geändert, denn die Vorschriften stellen durch den Zusatz „im Inland“ je-
weils klar, dass der Satzungssitz nicht ins Ausland verlegt werden kann (zur Reform
Rz. 6.68.)2.

6.111 Aus den vorgenannten Gründen hat die deutsche Rechtsprechung auch eine Verlegung des
Verwaltungs- und Satzungssitzes in einen anderen EU-Mitgliedstaat lange Zeit abgelehnt3.
BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, BayObLGZ 2006, 24 = DNotZ 2004, 725 m. Anm. Thölke =
GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb = DStR 2004, 1224 (m. Aufs. Weller, DStR 2004, 1218)
OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915 = GmbHR 2007, 1273
Jeweils Eintragung der identitätswahrenden Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer in
Deutschland gegründeten GmbH nach Portugal im deutschen Handelsregister abgelehnt. Auf das Kol-
lisions- und Sachrecht des Zuzugsstaates komme es nicht an, wenn bereits das – hier deutsche – Sach-
recht des Wegzugsstaates die Verlegung des Satzungssitzes nicht zulasse.
OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484 m. Anm. Ringe = ZIP 2005, 489
Eintragung der identitätswahrenden Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer nach deut-
schem Recht gegründeten GmbH nach Italien abgelehnt.

6.112 Daran kann im Lichte der EuGH-Entscheidungen „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff., dort Rz. 111 f.),
„Vale“ (Rz. 6.31 f., dort Rz. 51) und „Polbud“ (Rz. 6.34 f.; dort Rz. 41) nicht mehr festgehalten
werden, wenn die Gesellschaft in ihrem neuen Sitzstaat einen Formwechsel anstrebt. Für die-
sen Fall steht auch die Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer deutschen Gesell-
schaft innerhalb der EU unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit in Gestalt der Wegzugs-
freiheit4. Wie weit letztere reicht, hängt allerdings von den Möglichkeiten zu einem Form-
wechsel nach dem Recht des Aufnahmestaates ab. Ein solcher (Heraus-) Formwechsel unter-
liegt noch dem deutschen Gesellschaftsrecht, soweit es um die Entlassung der Gesellschaft aus
dem deutschen Recht und den Schutz der davon betroffenen Dritten geht (§§ 201 f. UmwG).5
Dagegen beurteilen sich die Entstehungsvoraussetzungen der neuen Rechtsform nach dem
Recht des Aufnahmestaates (vgl. Rz. 6.125).

d) Verlegung nur des Satzungssitzes


6.113 Verlegt eine deutsche Gesellschaft unter Beibehaltung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in
Deutschland allein den Satzungssitz ins Ausland, so ändert sich hingegen ihr Personalstatut
nicht, weil der Satzungssitz aus deutscher Sicht kein Anknüpfungskriterium ist6. Die Ver-
legung nur des Satzungssitzes ins Ausland ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 4a GmbHG, § 5
AktG nach deutschem Sachrecht unzulässig. Ein hierauf gerichteter Beschluss ist nach zutref-

1 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 243, 652; im Erg. auch OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx
88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184; OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, ZIP 2007,
2124 = GmbHR 2007, 1273.
2 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (679); Kindler, AG 2007, 721 (723); Kindler, IPRax 2009, 189 (194 f.).
3 Ebenso noch Kindler, IPRax 2009, 189 (192); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32 f.).
4 Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 841.
5 Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (483); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (523).
6 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 650; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 838 f.

518 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.115 § 6

fender Auffassung nicht als Auflösungsbeschluss zu werten1, sondern in – ggf. entsprechender


– Anwendung von § 241 Nr. 3 AktG nichtig2. Dies gilt allerdings nach der EuGH-Entschei-
dung in der Sache „Polbud“ (Rz. 6.35) dann nicht mehr, wenn eine deutsche Gesellschaft nur
ihren Satzungssitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt, weil auch dies von der Nieder-
lassungsfreiheit gedeckt ist (sog. Herausformwechsel) (dazu auch Rz. 6.125)3. Eine Auflösung
und Abwicklung der Gesellschaft lässt sich dann im Inland nur noch mit dem Vorliegen zwin-
gender Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen.

3. Verlegung des Sitzes einer im Ausland gegründeten Gesellschaft nach


Deutschland
a) Verlegung nur des Verwaltungssitzes
aa) Gründung in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat
Für Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aus dem EU-/EWR-Mitgliedstaat, 6.114
in dem sie gegründet wurden, in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, gilt mit Rücksicht auf
die Niederlassungsfreiheit die Anknüpfung an das Gründungsrecht. Der Aufnahmestaat hat
nach der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) die nach dem Recht des Grün-
dungsstaates erworbene und auch nach der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes fort-
bestehende Rechts- und Parteifähigkeit dieser Gesellschaft anzuerkennen. Er darf dem Zuzug
der Gesellschaft in sein Staatsgebiet weder kollisions- noch materiell-rechtliche Hindernisse in
den Weg legen4. Gleiches gilt auch für Gesellschaften, die unter dem Schutz zweiseitiger
Staatsverträge stehen, die an das Gründungsrecht anknüpfen (dazu Rz. 6.58 ff.)5.

Die aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitete Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Aner- 6.115
kennung besteht freilich nur dann, wenn die Gesellschaft nach dem Kollisions- und Sachrecht
des Gründungsstaates trotz der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen
Mitgliedstaat fortbesteht. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Gründungsstaat in seinem
nationalen Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt. Steht er hingegen auf dem Boden
der Sitztheorie, so ist er durch Art. 49, 54 AEUV nicht gehindert, den Wegzug der nach sei-
nem Recht gegründeten Gesellschaften zu beschränken (vgl. Rz. 6.98 ff. m. Nachw.). Verlegt

1 So die bis zum MoMiG h.M., vgl. BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, GmbHR 1992, 529; OLG
Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf v.
26.3.2001 – 3 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = GmbHR 2001, 438; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 654 f.; Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 7.
2 So OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273 = ZIP 2007, 2124; Koch in
MünchKomm AktG, § 5 Rz. 5; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 839; Triebel/von Hase, BB
2003, 2409 (2414 f.) m.w.N.
3 Anders noch Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013),
S. 965 (990); krit. zur „Polbud“-Entscheidung des EuGH auch Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 836 f.
4 Vgl. BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.); = ZIP 2003, 718 = GmbHR
2003, 527 m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805;
BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 (Rz. 16) = GmbHR 2011, 301 m. Anm. Bor-
mann/Hösler; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, NZG 2011, 1114 (Rz. 17 f.) = GmbHR 2011, 1094
m. Anm. Werner; Campos Nave, BB 2008, 1410 (1414); Verse, ZEuP 2013, 458 (474); dazu
Rz. 6.36 ff. m.w.N. Ob die Gesellschaft im Übrigen wegen der Kollisionsrechtsneutralität der Nie-
derlassungsfreiheit (Rz. 6.43) ab dem Zuzug dem deutschen Gesellschaftsrecht unterstellt werden
darf (so Kindler, IPRax 2009, 189 [192]), ist zumindest zweifelhaft.
5 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 843.

Hausmann | 519
§ 6 Rz. 6.115 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

die Gesellschaft trotz einer solchen Wegzugsbeschränkung ihren effektiven Verwaltungssitz


nach Deutschland, so entfällt eine Verpflichtung zur Anerkennung ihrer Rechts- und Partei-
fähigkeit nach der europarechtlichen Gründungstheorie; es verbleibt insoweit vielmehr bei der
Anwendung der modifizierten Sitztheorie. Denn für diesen Fall kann die Nichtanerkennung
durch das deutsche Recht in die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nicht eingreifen, weil
diese den Schutz der Art. 49, 54 AEUV überhaupt nicht genießt1.

6.116 Wird außer dem Verwaltungssitz auch der Satzungssitz der in einem anderen EU/EWR-Mit-
gliedstaat gegründeten Gesellschaft nach Deutschland verlegt, so steht diese Sitzverlegung un-
ter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit, weil die Gesellschaft sich im Inland tatsächlich an-
siedelt und damit einen realen Standortwechsel vornimmt2. Die Gesellschaft kann daher den
Rechtsformwechsel in eine Kapitalgesellschaft des deutschen Rechts in entsprechender An-
wendung der §§ 190 ff. UmwG durchführen und ist anschließend in ihrer neuen Rechtsform
ins Handelsregister einzutragen3.
OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349 m. Anm. Stiegler = DNotZ 2014, 150 m.
Anm. Hushahn = ZIP 2014, 128; dazu Schaper, ZIP 2014, 810 ff.
Grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer luxemburgischen S. à r. l. nach Deutschland unter Um-
wandlung in die Rechtsform einer deutschen GmbH ist durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49
AEUV gedeckt und in entsprechender Anwendung von § 191 Abs. 1 UmwG zu vollziehen.

6.117 Auch die isolierte Verlegung des Satzungssitzes der in einem anderen EU/EWR-Mitglied-
staat gegründeten Gesellschaft nach Deutschland – unter Beibehaltung ihres effektiven Ver-
waltungssitzes im Gründungsstaat – ist nach den EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen
Vale (Rz. 6.31 f.) und Polbud (Rz. 6.34 f.) von der Niederlassungsfreiheit gedeckt. Sie ermög-
licht unter den Voraussetzungen der §§ 190, 197 UmwG den grenzüberschreitenden Rechts-
formwechsel4. Die Anforderungen an diese formwechselnde Umwandlung nach §§ 190 ff.
UmwG dürfen nicht ungünstiger sein als in einem reinen Inlandsfall5. Die Umwandlung kann
daher nicht länger davon abhängig gemacht werden, dass die Gesellschaft auch ihren Verwal-
tungssitz ins Inland verlegt6.

bb) Gründung in einem Drittstaat


6.118 Eine identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer außerhalb der EU bzw. des
EWR gegründeten Gesellschaft in das Inland setzt zunächst voraus, dass der Wegzugsstaat

1 Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (934 f.); Leible/Hoffmann, ZGR 2003, 259 (260); Paefgen, WM
2003, 561 (568); Weller, IPRax 2003, 324 (327); Weller, IPRax 2009, 201 (205 f.).
2 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 34 f.) = ZIP
2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen; Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); Verse, ZEuP 2013, 458
(486 f.); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534 f.).
3 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 848; dazu auch Rz. 6.125. Anders noch – vor der „Vale“-
Entscheidung des EuGH – OLG Nürnberg v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 = NZG
2012, 468 = IPRax 2013, 179 (m. Anm. Bartels, IPRax 2013, 153).
4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 796 ff.; a.A. noch Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Trie-
bel/von Hase, BB 2003, 2409 (2413 f.); OLG Zweibrücken v. 27.9.2005 – 3 W 170/05, NJW-RR
2006, 42 (Verein).
5 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 58, 54); Weller/
Rentsch, IPRax 2013, 530 (534 f.); Zwirlein, ZGR 2017, 114 (121 ff).
6 Anders noch Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1485); einschr. auch Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 846.

520 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.120 § 6

sie gestattet, d.h. den Wegzug der Gesellschaft aus seinem Staatsgebiet nicht als Auflösungs-
grund wertet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Recht am bisherigen Verwal-
tungssitz der Gesellschaft der Gründungstheorie folgt1. Folgt der Wegzugsstaat hingegen der
Sitztheorie, so scheidet eine identitätswahrende Sitzverlegung schon deshalb aus, weil die Ge-
sellschaft durch die Verlegung ihres Verwaltungssitzes ihr Personalstatut ändert und jedenfalls
nicht in ihrer bisherigen Identität fortbesteht. Möglich ist aber auch, dass das Sachrecht des
Wegzugsstaates – ebenso wie das frühere deutsche Sachrecht (Rz. 6.103 f.) – die Sitzverlegung
als Auflösungsgrund wertet.

Darüber hinaus muss aber auch der Zuzugsstaat die Gesellschaft fortbestehen lassen, darf also 6.119
keine Neugründung verlangen. Dies ist i.d.R. bei Geltung der Gründungstheorie im Zuzugs-
staat gewährleistet. Herrscht dort hingegen die Sitztheorie, so führt die Verlegung des effekti-
ven Verwaltungssitzes automatisch zu einer Änderung des Gesellschaftsstatuts. Aus diesem
Grunde hatte die Sitzverlegung aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland nach der
bis zum Sommer 2002 h.M. zur Folge, dass die im Ausland wirksam als juristische Person
gegründete Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verlor und im Inland weder Träger von Rechten
und Pflichten noch Partei in einem Gerichtsverfahren sein konnte. Um am Rechtsverkehr teil-
nehmen zu können, war zwingend eine Neugründung im Inland nach Maßgabe des deut-
schen Rechts erforderlich. Dies galt auch dann, wenn das Recht des Wegzugsstaates auf dem
Boden der Gründungstheorie stand und die Gesellschaft daher trotz der Verlegung ihres tat-
sächlichen Verwaltungssitzes fortbestehen ließ2. Mangels Neugründung und Eintragung im
deutschen Handelsregister wurde die ausländische Gesellschaft vom Zeitpunkt der Sitz-
begründung im Inland an als „rechtlich inexistent“ behandelt3.

Gegen diese Auffassung wurde zu Recht geltend gemacht, dass nach ausländischem Recht 6.120
wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz ins Inland verlegt haben, durch
die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende
Gründe des Gemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres
rechtlichen Besitzstandes und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt würden4. Im Hinblick auf die
Vielzahl der von solchen Gesellschaften getätigten Geschäfte und die für sie bestehende Not-

1 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 (206) = ZIP 2002, 1763 (Jersey); BGH v.
27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter = NJW 2009,
289 m. Anm. Kieninger (Schweiz); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 =
GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe = NZG 2007, 597 (599) (Isle of Man); Großfeld in Staudinger,
IntGesR Rz. 640.
2 Vgl. KG v. 28.4.1927, IPRspr. 1926/27 Nr. 24; OLG Frankfurt a.M. v. 3.6.1964 – 7 U 202/63, NJW
1964, 2355; OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, RIW 1985, 494 = IPRax 1985, 342 (m. Anm.
Rehbinder, IPRax 1985, 324); OLG München v. 6.5.1986 – 5 U 2562/85, GmbHR 1986, 351 =
NJW 1986, 2197; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke; OLG Köln
v. 30.4.1999 – 6 U 62/98, IPRspr. 1999 Nr. 16; zuletzt noch BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98
(Rz. 6.4), ZIP 2000, 967 = IPRax 2000, 423; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (18 f.); Hausmann
in Hausmann/Raupach, S. 28 ff.; Kegel/Schurig, § 17 II 2; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 427 f.
3 Vgl. statt vieler BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 ff.) = NJW 1986, 2194 = ZIP
1986, 643 (Liechtenst. Anstalt); Ebke, JZ 1999, 656 (657 f.); Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 427 ff. Davon war auch der VII. Zivilsenat des BGH noch in seinem Vorlagebeschluss v.
30.3.2000 – VII ZR 370/98 (Rz. 6.4), RIW 2000, 555) ausgegangen.
4 Vgl. statt vieler Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (341); W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1600); W.-
H. Roth, IPRax 2003, 117 (119 f.) („enteignungsgleiche Wirkung“); Zimmer, BB 2000, 1361
(1363 f.).

Hausmann | 521
§ 6 Rz. 6.120 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wendigkeit, zur Wahrung ihrer Rechte auch um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen,


wäre die Nichtanerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit nach einem Zuzug ins Inland
weder durch das Interesse an einem wirksamen Gläubigerschutz noch durch das Gebot der
Rechtssicherheit zu rechtfertigen. Im Ausland gegründete Gesellschaften sind daher nach ei-
ner Sitzverlegung ins Inland zwar nicht als fortbestehende juristische Personen des auslän-
dischen Rechts, wohl aber – je nachdem, ob ein Handelsgewerbe betrieben wird oder nicht –
als rechts- und damit auch parteifähige deutsche Personengesellschaften des Handels- oder
bürgerlichen Rechts anzuerkennen, die auch vor der Sitzverlegung begründete Forderungen
daher vor deutschen Gerichten geltend machen können1.
BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 (206) = NJW 2002, 3539 = BB 2002, 2031 m. Anm.
Gronstedt = ZIP 2002, 1763 = NZG 2002, 1009 = RIW 2002, 877 = DStR 2002, 1678 m. Anm. Goette =
IPRax 2003, 62 (m. Anm. Kindler, IPRax 2003, 41) = DB 2002, 2039 (m. Aufs. Leible/Hoffmann, DB
2002, 2203)
Rechts- und Parteifähigkeit einer auf der Kanalinsel Jersey gegründeten „Limited Company“ trotz
nachträglicher Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland oder Portugal im Prozess
vor deutschen Gerichten anerkannt. Diese Gesellschaft sei „in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige
Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv partei-
fähig“.

6.121 Nur in dieser vom II. Zivilsenat des BGH modifizierten bzw. abgeschwächten Form wird die
Sitztheorie heute noch vertreten2. Ausländische Kapitalgesellschaften sind allerdings nur dann
als OHG oder GbR anzuerkennen, wenn es sich um Mehrpersonengesellschaften handelt.
Eine Neugründung als inländische Personengesellschaft ist in diesem Fall nicht erforderlich3
Hat die Gesellschaft nur einen Gesellschafter, kommt eine Behandlung als Einzelkaufmann in
Betracht, wenn ein Handelsgewerbe betrieben wird.

b) Verlegung auch des Satzungssitzes


6.122 Wird außer dem Verwaltungssitz auch der Satzungssitz (oder nur der Satzungssitz) der in
einem Drittstaat gegründete Gesellschaft ins Inland verlegt, so scheitert eine formwechselnde
Umwandlung bereits am Erfordernis des § 1 Abs. 1 UmwG4. Insbesondere genügt es in diesem
Fall, auch wenn die ausländische Gesellschaft mit einer deutschen Form der Kapitalgesell-
schaft (z.B. AG, GmbH) typologisch vergleichbar ist (vgl. dazu auch Rz. 6.159), für ihren

1 Ebenso schon früher Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 ff.; Kösters, NZG 1998, 241 (245 ff.); Kind-
ler, RIW 2000, 649 (650 f.); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (22 ff.); a.A. Bechtel, NZG 2001, 21 (22 f.)
(Anerkennung als Vorgesellschaft oder fehlerhafte Gesellschaft).
2 Vgl. zu dieser „modifizierten Sitztheorie BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn),
BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (291) m. Anm. Kieninger = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wach-
ter; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = NJW 2011, 3372 (Rz. 16) = GmbHR 2011,
1094 m. Anm. Werner; ferner OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, NZG 2007, 597 (599 f.) =
GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2234); Kindler, NJW 2003, 1073
(1074); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120); M.-P. Weller,
IPRax 2009, 202 (207 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 490, 493 ff.
3 OLG Hamburg v. 30.3.2007 (vorige Fn.) (Auf der Isle of Man gegründete „private company limi-
ted by shares“ ist nach der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland als
rechtsfähige Außen-GbR anzuerkennen, wenn kein Handelsgewerbe betrieben wird). Vgl. auch
Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 21 ff.
4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 861.

522 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.124 § 6

Fortbestand im Inland – anders als z.B. nach luxemburgischem1 oder portugiesischem Recht2
– nicht, dass lediglich die Kapitalausstattung und die Satzung an das inländische Recht ange-
passt werden. Soll die Gesellschaft nicht nur als Personengesellschaft, sondern als Kapitalge-
sellschaft im Inland anerkannt werden, ist vielmehr zwingend eine Neugründung in einer
deutschen Gesellschaftsform (AG, GmbH etc.) erforderlich3.

c) Verlegung nur des Satzungssitzes


Wird nur der Satzungssitz ins Inland verlegt, so bleibt aus deutscher Sicht das Recht am fort- 6.123
bestehenden ausländischen Verwaltungssitz als Gesellschaftsstatut maßgebend; dieses Recht
(einschließlich seines Kollisionsrechts) entscheidet daher über die Zulässigkeit und die Rechts-
folgen einer solchen Satzungssitzverlegung; insoweit kommt es also wiederum darauf an, ob
der Gründungsstaat der Sitz- oder Gründungstheorie folgt4. Handelt es sich um eine in einem
anderen EU-Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft, so ist die Verlegung des Satzungssitzes
nach der „Polbud“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.35) durch die Niederlassungsfreiheit ge-
deckt und deshalb anzuerkennen.

4. Sitzverlegung von einem Drittstaat in einen anderen


Begreift man die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft als allseiti- 6.124
ge Kollisionsnorm, kann auch eine identitätswahrende Sitzverlegung von einem auslän-
dischen Staat in einen anderen nur erfolgen, wenn sowohl der Wegzugs- wie der Zuzugsstaat
die Gesellschaft in diesem Fall unverändert fortbestehen lassen. Ist dies der Fall, weil beide
Staaten der Gründungstheorie folgen, so tritt mit der Sitzverlegung zwar ein Statutenwechsel
ein; die Gesellschaft besteht jedoch als solche aufgrund der nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB anzuer-
kennenden Weiterverweisung dann auch aus deutscher Sicht fort5. Gleiches gilt auch dann,
wenn der Zuzugsstaat zwar der Sitztheorie folgt, den Fortbestand der zugezogenen auslän-
dischen Gesellschaft jedoch bei entsprechender Anpassung an das neue Sitzrecht anerkennt6.

1 Vgl. frz. Cass. v. 12.11.1965, Clunet 1967, 140 (141 f.); Bechtel, IPRax 1998, 348 (349).
2 Vgl. Art. 3 Abs. 2 Código das Sociedades Comerciais.
3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 642 ff.; a.A. Behrens, RIW 1986, 590 (592 ff.); Lüderitz in Soer-
gel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 49 f. Vgl. auch OLG Zweibrücken v. 27.6.1990 – 3 W 43/90, NJW
1990, 3092 = IPRax 1991, 406 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 380) (Nach luxemburg. Recht
gegründete AG verlegt ihren Sitz in die Bundesrepublik Deutschland. „Die Entstehung einer AG als
Rechtssubjekt (ist) abschließend im Aktiengesetz geregelt, wonach grundsätzlich nur eine Neu-
gründung in Betracht kommt.“ Anpassung der Gesellschaftsstruktur an das inländ. Recht für nicht
ausreichend erachtet.); die Regel gilt heute nur noch bei einem Zuzug aus einem Drittstaat.
4 Vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 847.
5 Vgl. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = ZIP 2004, 2095; BGH v. 2.12.2004
– III ZR 358/03, TranspR 2005, 74; dazu schon Rz. 6.81. Ferner OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 –
5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (Nach dem Recht von Panama gegründete Gesellschaft verlegt ihren
effektiven Verwaltungssitz von Panama in die Schweiz: „Nehmen bei der Verlegung des tatsäch-
lichen Verwaltungssitzes von einem ausländischen Staat in einen anderen sowohl der alte als auch
der neue Sitzstaat überstimmend einen unveränderten Fortbestand an, dann wird dies auch von
der deutschen Rechtsordnung hingenommen.“). Zust. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 849;
Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 648 f.; Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579 (592).
6 OLG Jena v. 17.12.1997 – 4 U 742/97, DB 1998, 1178 = IPRax 1998, 364 (m. zust. Anm. Bechtel,
IPRax 1998, 348) (Nach dem Recht von Panama errichtete Gesellschaft verliert ihre Rechtsfähig-
keit auch durch Sitzverlegung nach Luxemburg nicht, obwohl Luxemburg der Sitztheorie folgt);
ebenso Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 849.

Hausmann | 523
§ 6 Rz. 6.125 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

V. Grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften


6.125 Die Voraussetzungen für eine rechtswirksame grenzüberschreitende Umwandlung unterliegen
dem Personalstatut der sich umwandelnden Gesellschaft. Dies ist das Personalstatut vor der Un-
wandlung, bis diese nach dem neuen Personalstatut des Aufnahmestaats vollzogen worden ist1.
Allerdings verwehren die das Unionsrecht prägenden Grundsätze der Äquivalenz und der Effek-
tivität es dem Aufnahmemitgliedstaat nach der EuGH-Entscheidung in der Rs. „Vale“ (Rz. 6.31 f.;
dort Rz. 29 ff.), bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung der in einem anderen Mitglied-
staat gegründeten Gesellschaft Rechte zu verweigern, die inländischen Gesellschaften einge-
räumt werden. Der Aufnahmemitgliedstaat muss daher hinsichtlich des mit einer formwech-
selnden Umwandlung verbundenen Erwerbs der Rechtsfähigkeit ausländische und inländische
Gesellschaften in seinem Sachrecht gleich behandeln. In Umsetzung dieser EuGH-Rechtspre-
chung haben deutsche Gerichte sowohl den „Hereinformwechsel“ von in anderen Mitgliedstaa-
ten gegründeten Gesellschaften in eine deutsche Gesellschaftsform2, als auch – umgekehrt – den
„Herausformwechsel“ einer deutschen Gesellschaft in eine Gesellschaftsform eines anderen EU-
Mitgliedstaats in entsprechender Anwendung der §§ 190 ff. UmwG anerkannt3.

VI. Reichweite des Gesellschaftsstatuts


1. Allgemeines
6.126 Die Reichweite des Gesellschaftsstatuts ist vom Standpunkt der Sitztheorie wie der Gründungs-
theorie umfassend; es regelt zur Vermeidung von Anpassungsproblemen die Außen- und In-
nenverhältnisse der Gesellschaft abschließend4. Die Befugnis der EU-Mitgliedstaaten zu einer
solchen umfassenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikation wird allerdings durch die Rom I-
VO (Art. 1 Abs. 2 lit. f), die Rom II-VO (Art. 1 Abs. 2 lit. d) und die EuInsVO 2015 (Art. 7)
näher konturiert und begrenzt5. Für die hier primär interessierende Wirksamkeit internationa-
ler Schuldverträge, die von ausländischen Gesellschaften abgeschlossen werden, stehen die Fra-
gen der Rechtsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung sowie – für die gerichtliche Geltend-
machung vertraglicher Forderungen – die Partei- und Prozessfähigkeit solcher Gesellschaften
im Vordergrund. Unter dem Aspekt des Schutzes inländischer Gläubiger der ausländischen
Gesellschaft sind ferner Fragen der Haftungsverfassung zu erörtern (dazu Rz. 6.164 ff.).

1 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 251; ausführlich zum grenzüberschreitenden Formwechsel
Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 210 ff.
2 KG v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, MittBayNot 2017, 85 = NZG 2016, 834 m. Anm. Stiegler = BB
2016, 1627 m. Anm. Richter/Backhaus = ZIP 2016, 1223 („Hereinformwechsel“ einer französi-
schen S.A.R.L. in eine deutsche GmbH); OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – I-3 Wx 171/16, NZG
2017, 1354 = ZIP 2017, 2057 („Hereinformwechsel“ einer niederländischen B.V. in eine deutsche
GmbH).
3 OLG Frankfurt v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, DNotZ 2017, 381 m. Anm. Knaier = NZG 2017, 423 m.
Anm. Klett = IPRax 2018, 91 m.Anm. von Hein, IPRax 2018, 46) = ZIP 2017, 1190 m. Anm. Teich-
mann (“Herausformwechsel“ einer deutschen GmbH in eine italienische S. l.). Vgl. dazu näher
von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 251 ff.
4 Vgl. in diesem Sinne allg. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 16, 249; Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 524; ebenso zur europarechtlichen Gründungstheorie Forsthoff, DB 2002, 2471
(2475); Behrens, IPRax 2003, 193 (204 f.); Paefgen, DZWiR 2003, 441 (442); Spindler/Berner, RIW
2003, 949 (955); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3591); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB
Rz. 14 ff.; einschr. AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = IPRax 2003, 534
(m. abl. Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520) = NZI 2003, 442 m. Anm. Mock/Schildt; Kindler,
NJW 2003, 1073 (1077); Altmeppen, NJW 2004, 97 (99 ff.).
5 von Bar/Mankowski, Bd. II § 7 Rz. 152 ff.

524 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.128 § 6

2. Rechtsfähigkeit
a) Allgemeine Rechtsfähigkeit
Das Gesellschaftsstatut entscheidet zunächst, ob eine Gesellschaft oder sonstige Personenver- 6.127
bindung eigene Rechtsfähigkeit besitzt. Die Anerkennung einer ausländischen juristischen
Person durch besonderen Rechtsakt ist dem deutschen Recht seit Aufhebung des Art. 10
EGBGB a.F. (betr. die Anerkennung ausländischer Vereine) nicht mehr bekannt. Ausländische
juristische Personen werden vielmehr – soweit nicht ausnahmsweise der ordre public (Art. 6
EGBGB) entgegensteht – im Inland anerkannt, wenn sie nach ihrem Personalstatut als eigene
Rechtsperson wirksam entstanden sind. Das über die „Anerkennung“ entscheidende Recht ist
daher mit dem Personalstatut der Gesellschaft identisch1.

Ist eine Gesellschaft daher nach ihrem ausländischen Personalstatut rechtsfähig, so ist diese 6.128
Rechtsfähigkeit im Inland selbst dann zu beachten, wenn das inländische Recht einem ent-
sprechenden Gebilde keine Rechtsfähigkeit zuerkennt2. Den Personenhandelsgesellschaften
der romanischen Rechte und der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft des französischen Rechts
kommt daher auch im Inland Rechtsfähigkeit zu. Deutsche Gerichte haben daher unter Gel-
tung der Sitztheorie die nach dem ausländischen Sitzrecht erlangte Rechtsfähigkeit durchwegs
anerkannt3. In gleicher Weise ist die nach dem ausländischen Gründungsrecht erlangte
Rechtsfähigkeit anzuerkennen, soweit das Personalstatut – z.B. auf Grund von Staatsverträgen
(dazu Rz. 6.58 ff.)4 oder mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV
(dazu Rz. 6.11 ff., Rz. 6.31 ff.)5 – nach der Gründungstheorie bestimmt wird. Der Nachweis

1 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, ZIP 1986, 840 = GmbHR 1986, 305; Bungert, WM
1995, 2125 (2126); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 319 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 168 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 15; Kegel/Schurig, § 17 II 2.
2 Vgl. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 171, 265 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 545.
3 RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217) (Corporation mit Sitz in Delaware/USA); BGH v. 17.10.1968
– VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 (schweiz. AG); BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/
77, WM 1979, 692 (693) und BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (334) = ZIP
1981, 31 (334) = IPRax 1981, 130 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1981, 116) (jeweils zur liechtenstein.
Anstalt); BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, NJW 1984, 2762 = ZIP 1984, 1405 = IPRax 1985,
221 (223) (m. Anm. Kötz, IPRax 1985, 205) (kanad. Ltd.); BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06
(Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 19) = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter (schweiz. AG);
BayObLG v. 17.3.1965 – BReg. 1b Z 293/64, BayObLGZ 1965, 77 (81) (israel. Stiftung); BayObLG
v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, GmbHR 1985, 335 = IPRax 1986, 161 (163) (engl. Private Ltd.);
OLG Stuttgart v. 9.6.1964 – 13/6 U 4/64, NJW 1965, 1139 (liechtensteinisches Treuunternehmen);
OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.1984 – 14 U 169/81, IPRspr. 1984 Nr. 21 (kanad. Corporation); OLG
Saarbrücken v. 21.4.1989 – 5 W 60/88, GmbHR 1990, 348 = NJW 1990, 647 (schweiz. KG).
4 Zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit von US-Corporations aufgrund von Art. 25 Abs. 5 des
deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrags von 1954 vgl. BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ
153, 353 (355 ff.) = ZIP 2003, 720; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = NJW-RR 2004,
1618; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 (jeweils bei Rz. 6.59).
5 Zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit von in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten gegründeten Ge-
sellschaften nach der Gründungstheorie vgl. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204
(206) = ZIP 2002, 1763; BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = ZIP 2003,
718 = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb (Überseering); BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ
164, 149 (151) = NJW 2005, 3351= GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter = MDR 2006, 105 m.
Anm. Haack; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = ZIP 2005, 805; BGH v. 4.7.2013 –
V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 (Rz. 11) = ZIP 2013, 2173; BayObLG v. 19.12.2002 – 2Z BR 7/02,
ZIP 2003, 398 = NZG 2003, 290 (Grundbuchfähigkeit); OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13,
ZIP 2014, 1426 = NZG 2014, 703; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 430 ff. m.w.N.

Hausmann | 525
§ 6 Rz. 6.128 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der Rechtsfähigkeit ist mit Hilfe der vom Gesellschaftstatut vorgeschriebenen Errichtungs-
urkunden und Registerbescheinigungen zu führen1.

6.129 Verleiht das ausländische Personalstatut einer Personenverbindung hingegen keine Rechts-
fähigkeit, so hat es auch dabei prinzipiell sein Bewenden. Entgegen der früher hM verliert eine
im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit auch unter Geltung der Sitz-
theorie aber nicht allein dadurch, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz nachträglich ins In-
land verlegt hat oder ihn von Anfang an im Inland hatte (dazu Rz. 6.891, Rz. 6.120 f.). Der
inländische Rechtsverkehr wird freilich im Falle einer Nichtanerkennung der Rechtsfähigkeit
ausländischer Gesellschaften in gewissem Umfang geschützt (dazu Rz. 6.153 ff.).

6.130 Weiterhin richtet sich auch der Umfang der Rechtsfähigkeit nach dem Gesellschaftsstatut2.
Bleibt dieser kraft ausländischen Rechts hinter demjenigen für vergleichbare Gesellschaften
im deutschen Recht zurück, so ist auch diese Einschränkung im Inland grundsätzlich zu be-
achten3, soweit nicht Gründe des Verkehrsschutzes (Art. 13 Rom I-VO analog) entgegenste-
hen (dazu Rz. 6.157 ff.).

6.131 Schließlich bestimmt das Gesellschaftsstatut auch darüber, wann und wodurch die Rechts-
fähigkeit einer Gesellschaft endet4. Dies ist i.d.R. mit ihrer Löschung im Gründungsstaat (bei
in der EU/im EWR gegründeten Gesellschaften)5 bzw. in ihrem Sitzstaat (bei in Drittstaaten
gegründeten Gesellschaften)6 der Fall. Die nach ihrem ausländischen Personalstatut erlosche-
ne Gesellschaft besteht allerdings zum Zwecke der Liquidation ihres in Deutschland noch vor-
handenen Vermögens als Rest- oder Spaltgesellschaft fort. Auf sie sind die ursprünglich für
im Ausland enteignete Gesellschaften entwickelten Grundsätze zu übertragen7. Handelt es
sich um eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft, so gilt für sie nunmehr das an ihrem
effektiven Verwaltungssitz geltende deutsche Recht. Danach kann sie als GmbH nicht fort-
bestehen, weil es an der hierfür erforderlichen Eintragung im deutschen Handelsregister fehlt.

1 Zum Erfordernis der Vorlage von Originalen (§ 438 ZPO) vgl. KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03,
NZG 2005, 758 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/Gruschinske. Vgl. auch zum Nachweis
der fortbestehenden Existenz einer US-Gesellschaft durch ein „certificate of good standing“ des
zuständigen Secretary of State OLG Köln v. 1.2.2013 – 2 Wx 42/13, NZG 2013, 754; OLG Koblenz
v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19.
2 Kegel/Schurig, § 17 II 2.
3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 272 ff.
4 BGH v. 7.7.1988 – I ZB 7/88, ZIP 1988, 1200 = NJW 1988, 3096 (m. Aufs. Koch NJW 1989, 279) =
RIW 1988, 817 (m. Aufs. Riegel, RIW 1990, 546) = IPRax 1989, 162 (m. Anm. Ackmann/Wenner,
IPRax 1989, 144) (keine Beendigung der Rechtsfähigkeit einer französ. AG durch Eröffnung des
Konkursverfahrens in Frankreich); BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 (Rz. 12) =
ZIP 2013, 2173; KG v. 15.10.2009 – 8 U 34/09, GmbHR 2010, 316 = ZIP 2010, 204; AG Duisburg
v. 14.10.2003 – 63 IN 48/03, GmbHR 2004, 121 = NZG 2003, 1167 = IPRax 2005, 151 (m. Anm.
Borges, IPRax 2005, 134); LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = NZG 2007, 637
(jeweils zur Beendigung der Rechtsfähigkeit einer englischen Ltd.); Kegel/Schurig, § 17 II 2. Zum
möglichen Verlust der Rechtsfähigkeit durch Sitzverlegung ins Ausland unter Geltung der Sitz-
theorie s. Rz. 6.101 ff.
5 Vgl. KG v. 17.3.2014 – 20 U 254/12, NJW 2014, 2737 = ZIP 2014, 1755 (engl. Ltd.).
6 Vgl. BGH v. 22.11.2016, BGHZ 212, 381 (Rz. 11 ff.) = RIW 2017, 303 m. Anm. Pfeiffer = IPRax
2017, 619 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575) = GmbHR 2017, 367 m. Anm. Seggewiße/Weber =
NZG 2017, 347 m. Anm. Froehner (Bahamas).
7 BGH v. 22.11.2016 (vorige Fn., Rz. 14); ferner OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, NZG
2014, 703 =ZIP 2014, 1426; OLG Brandenburg v. 27.7.2016 – 7 U 52/12, NZG 2016, 1229 = IPRax
2017, 621 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575).

526 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.133 § 6

Sie wird daher, je nachdem, ob sie ein Handelsgewerbe betreibt oder nicht, in der Rechtsform
einer OHG oder GbR fortgeführt. Verfügt die Gesellschaft nur über einen einzigen Gesell-
schafter, wird sie als Einzelunternehmen des früheren Gesellschafters fortgeführt1. Diese
Grundsätze sind auch auf in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründete und dort im Register
gelöschte Gesellschaftenanzuwenden2. Insbesondere eine englische Ltd. verliert daher durch
die Löschung im englischen Register ihre Partei- und Prozessfähigkeit im Inland3; für ihr im
Inland noch vorhandes Vermögen besteht sie ebenfalls nur noch als OHG oder GbR fort.

b) Fähigkeit zur Errichtung von Zweigniederlassungen


aa) Sitztheorie
Soll die Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft gem. § 13d HGB im deut- 6.132
schen Handelsregister eingetragen werden, so setzt auch dies die (fortbestehende) Rechts-
fähigkeit der betreffenden Gesellschaft voraus. Deshalb konnten Scheinauslandsgesellschaften,
die zwar nach dem Recht ihres ausländischen Satzungssitzes wirksam gegründet worden wa-
ren, ihren effektiven Verwaltungssitz aber im Inland hatten, bis zum Sommer 2002 im Inland
keine Zweigniederlassungen errichten4. Nach der seither geltenden modifizierten Sitztheorie
des BGH (Rz. 6.89 f.) kann die ausländische Gesellschaft jedoch heute zumindest als OHG
oder GbR deutschen Rechts auch Zweigniederlassungen im Inland gründen.

bb) Gründungstheorie
Durch das „Inspire Art“-Urteil (Rz. 6.22 ff.) hat der EuGH die nach seinem „Centros“-Urteil 6.133
(Rz. 6.15 ff.) bestehende Unsicherheit über die Reichweite der sekundären Niederlassungsfrei-
heit von Gesellschaften beseitigt. Diese ist daher – entgegen einer verbreiteten (Fehl-) Inter-
pretation des „Centros“-Urteils (vgl. die Nachw. zu Rz. 6.17) – nicht auf Gesellschaften be-
schränkt, die in einem der Gründungstheorie folgenden Staat eine Zweigniederlassung errich-
ten wollen. Vielmehr sind alle in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften, die
nach ihrem Gründungsrecht wirksam (fort-)bestehen, berechtigt, von ihrer sekundären Nie-
derlassungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten Gebrauch zu machen. Eine Kontrolle der wirk-
samen Gründung der Gesellschaft durch das Recht des „Anerkennungsstaates“ findet nicht
mehr statt5. Diese Auffassung hatte der österr. OGH zu Recht schon nach dem „Centros“-Ur-

1 BGH v. 22.11.2016 (vorige Fn., Rz. 22); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 486 ff., 491 ff.
2 So für die gelöschte englische Ltd. OLG Celle v. 29.5.2012 – 6 U 15/12, ZIP 2012, 1811 = NZG
2012, 638 = IPRax 2013, 572 (m. Anm. Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530; OLG Hamm v. 11.4.2014
– I-12 U 142/13, NZG 2014, 703 = ZIP 2014, 1426 = IPRax 2015, 446 (m. Anm. Klöhn/Schwarz,
IPRax 2015, 412); Borges, IPRax 2005, 134 (138 ff.); z.T. abw. OLG Brandenburg v. 27.7.2016 – 7
U 52/12, NZG 2016, 1229 = IPRax 2017, 575 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 621).
3 BGH v. 19.1.2017 – VII ZR 112/14, NZG 2017, 394 m. Anm. Otte-Gräbener = IPRax 2017, 623
(m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575) = ZIP 2017, 493.
4 Vgl. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 ff.; BayObLG v. 18.9.1986 –
Breg 3 Z 96/86, BayObLGZ 1986, 351; BayObLG v. 26.8.1998 – 3 Z BR 78/98, BayObLGZ 1998,
195 (197) = RIW 1998, 966 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323) = EWiR 1999
(LS) m. Anm. Haack (Eintragung der Zweigniederlassung einer nach engl. Recht gegründeten Pri-
vate Ltd. Company im deutschen Handelsregister abgelehnt, weil die Gesellschaft in England kei-
nen effektiven Verwaltungssitz unterhalte).
5 So schon nach dem „Centros“-Urteil des EuGH (Rz. 6.15 ff.) zu Recht Thorn, IPRax 2001, 102
(104); Freitag, EuZW 1999, 267 (268); Leible, NZG 1999, 300 (301); G. H. Roth, ZIP 1999, 861
(866); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (36).

Hausmann | 527
§ 6 Rz. 6.133 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

teil des EuGH vertreten und die in Österreich geltende Sitztheorie (§ 10 IPRG) insoweit einge-
schränkt1.

6.134 Der in einem anderen EU-Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft kann daher auch
in Deutschland das Recht auf Eintragung einer Zweigniederlassung heute nicht mehr mit der
Begründung versagt werden, die Gesellschaft habe ihren Verwaltungssitz von Anfang an im
Inland gehabt oder nachträglich hierhin verlegt2. Dies gilt auch dann, wenn die Gründung im
Ausland allein dem Zweck dient, die inländischen Vorschriften zur Gründung einer GmbH zu
umgehen (dazu näher Rz. 6.52 f.)3. Der unionsrechtliche Begriff der Zweigniederlassung setzt
auch das Bestehen einer Hauptniederlassung nicht voraus4.

6.135 Ferner hat der EuGH klargestellt, dass Maßstab für die rechtlichen Anforderungen an die Er-
richtung einer Zweigniederlassung im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zueinander allein
die Zweigniederlassungsrichtlinie 89/666/EWG vom 21.12.1989 ist; weitergehende Pflichten
oder Beschränkungen nach dem nationalen Recht des (Zweig-)Niederlassungsstaates dürfen
nicht angeordnet werden. Daher sind die Regelungen im autonomen Recht der Mitgliedstaa-
ten über die Anmeldung von Zweigniederlassungen (z.B. im deutschen Recht §§ 13d-13h
HGB) im Lichte der Niederlassungsfreiheit auszulegen5. Wird die Eintragung der deutschen
Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU gegründeten Gesellschaft al-
lerdings deshalb verweigert, weil der hierfür vom Registergericht geforderte Kostenvorschuss
nicht bezahlt wird, so liegt darin kein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit6.

c) Besondere Rechtsfähigkeiten
aa) Allgemeines
6.136 In gewissen Fällen begnügt sich die Rechtsordnung nicht mit der allgemeinen Rechtsfähigkeit,
sondern knüpft die Fähigkeit zum Erwerb bestimmter Rechte oder zur Übernahme bestimm-
ter Pflichten an zusätzliche Voraussetzungen. So kann etwa der Erwerb von Rechten bzw.

1 ÖOGH v. 15.7.1999 – 6 Ob 123/99b, RIW 2000, 378 = IPRax 2000, 418 (421 ff.) (m. Anm. Beh-
rens, IPRax 2000, 384) = JZ 2000, 199 m. Anm. Mäsch = EuZW 2000, 156 (m. Anm. Höfling,
EuZW 2000, 145) = NZG 2000, 36 m. Anm. Kieninger (Zweigniederlassung einer engl. Private
Ltd. Company im öst. Handelsregister eingetragen, obwohl die Gesellschaft ihren effektiven Ver-
waltungssitz in Österreich hatte).
2 So die inzwischen ganz h.M., vgl. OLG Naumburg v. 6.12.2002 – 7 Wx 3/02, GmbHR 2003, 531;
OLG Düsseldorf v. 6.11.2002 – I-3 Wx 111/02, IPRspr. 2002 Nr. 21; OLG Celle v. 10.12.2002 – 9
W 168/01, GmbHR 2003, 532 = IPRax 2003, 245 (m. Anm. Behrens, IPRax 2003, 193); OLG Zwei-
brücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, GmbHR 2003, 530 (531) = NZG 2003, 537; KG v. 18.11.2003 –
1 W 444/02, NJW-RR 2004, 331 = GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert; LG Trier v.
3.4.2003 – 7 HK. T 1/03, NZG 2003, 778; LG Stuttgart v. 9.2.2005 – 323 T 9/04, IPRspr. 2005
Nr. 207; a.A. noch LG Frankenthal v. 6.12.2002 – 1 HK T 9/02, NJW 2003, 762 = BB 2003, 542 m.
abl. Anm. Leible/Hoffmann; AG Lüneburg v. 21.6.2001 – 20 AR 88/01, IPRax 2003, 266.
3 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = NJW-RR 2004,
331; LG Meiningen v. 10.3.2003 – HK T3/02, IPRspr. 2003 Nr. 12.
4 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros; Rz. 6.15), ZIP 1999, 438 = GmbHR
1999, 474 = MDR 1999, 752 m. Anm. Risse (Rz. 14, 17, 21, 29); OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3
W 21/03, GmbHR 2003, 530 (531) = ZIP 2003, 849.
5 OLG Jena v. 9.9.2005 – 6 W 302/05, DNotZ 2006, 153; OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/
05, ZIP 2006, 333 = NZG 2006, 515; LG Stuttgart v. 9.2.2005 – 32 T 9/04, IPRspr. 2005 Nr. 207.
6 EuGH v. 1.6.2006 – C-453/04, ECLI:EU:C:2006:361 (Innoventif Ltd.), Slg. 2006 I, 4931 = ZIP
2006, 1293 = GmbHR 2006, 707 m. Anm. Wachter.

528 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.138 § 6

Grundstücken durch ausländische juristische Personen, die nicht in einem Mitgliedstaat der
EU gegründet wurden und dort auch nicht ihren Sitz haben, gem. Art. 86 EGBGB durch lan-
desrechtliche Vorschriften beschränkt sein1. Besondere Rechtsfähigkeiten dieser Art unterlie-
gen nicht allein dem Gesellschaftsstatut; vielmehr ist auch das für den jeweiligen Vorgang
maßgebliche Wirkungsstatut alternativ oder kumulativ zu berücksichtigen2.

bb) Beteiligung an anderen Gesellschaften


Von erheblicher praktischer Bedeutung ist insbesondere die besondere Fähigkeit zum Erwerb 6.137
von Anteilsrechten an anderen Gesellschaften. Durch einen solchen Erwerb wird sowohl die
Rechtsordnung der Gesellschaft, an der die Beteiligung angestrebt wird (Zielgesellschaft), als
auch die Rechtsordnung der Gesellschaft, welche die Beteiligung erwerben will (Erwerberge-
sellschaft), berührt. Deshalb sind für die Frage der Zulässigkeit eines solchen Erwerbsgeschäfts
die Statuten beider Gesellschaften zu berücksichtigen3. Dabei ist in einem ersten Schritt die
Zulässigkeit der Beteiligung nach dem Recht der Zielgesellschaft zu prüfen, weil deren innere
Verfassung betroffen ist. Danach kann etwa eine ausländische bürgerlich-rechtliche Gesell-
schaft oder ein ausländischer rechtsfähiger Verein nicht Gesellschafter einer deutschen OHG
sein. Hingegen ist eine Beteiligung einer ausländischen Kapitalgesellschaft an einer deutschen
GmbH oder AG zulässig; insoweit ist dann in einem zweiten Schritt zu klären, ob das Per-
sonalstatut der Erwerbergesellschaft die Beteiligung gestattet4.

Umstritten ist die Frage, ob eine ausländische Kapitalgesellschaft die besondere „Beteiligungs- 6.138
fähigkeit“ als Komplementärin einer deutschen KG besitzt. Zwar kennt auch das deutsche
Recht Formen zulässiger Typenmischung inländischer Gesellschaftsformen (z.B. GmbH & Co.
KG). Bei einer ausländischen Komplementärin tritt jedoch zusätzlich das Problem einer Statu-
tenvermischung durch die partielle Geltung ausländischen Rechts auf. Hierdurch wird der in-
ländische Rechtsverkehr aber erheblich belastet, weil Klarheit über die Rechtsstruktur, ins-
besondere die Vertretungs- und Haftungsverhältnisse einer deutschen Gesellschaft dann nur
unter Berücksichtigung ausländischen Rechts geschaffen werden könnte, zumal auch das deut-
sche Handelsregister in einem solchen Falle keinen ausreichenden Schutz bietet5. Die Recht-

1 Art. 86 EGBGB (i.d.F. des Gesetzes v. 23.7.1998, BGBl. I 1998, 1886) gilt nicht für Gesellschaften
mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten; vgl. zu entsprechenden Erwerbsbeschränkungen in Spanien OLG
Frankfurt a.M. v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRax 1992, 314 (m. Anm. Bungert, IPRax 1992, 296);
Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 298.
2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 299 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 552; Kegel/Schu-
rig, § 17 II 2.
3 LG Stuttgart v. 11.5.1993 – 2 AktE 1/92, RIW 1993, 848 (850) = ZIP 1993, 1406 = IPRax 1994, 293
(m. Anm. Großfeld/Johannemann, IPRax 1994, 271); Großfeld/Strotmann, IPRax 1990, 298 ff.; Mi-
chalski, NZG 1998, 762 (763); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 171 ff.; Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 553 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 303 ff., jeweils m.w.N.; a.A. Grothe, Die
ausländische Kapitalgesellschaft & Co. (1989), S. 204 f., der allein auf die Zielgesellschaft abstellt.
4 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 306; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 554. Vgl. auch LG
Saarbrücken v. 24.7.1990 – 7 T 10/90 IV, GmbHR 1991, 581 = RIW 1991, 865 (zur Beteiligung
einer Corporation mit Sitz in Michigan/USA an einer deutschen GmbH).
5 Zu Recht abl. daher Ebenroth/Auer, DNotZ 1990, 139 ff.; Ebenroth/Hopp, JZ 1989, 883 (889);
Ebenroth/Wilken, JZ 1991, 1014 (1020 f.); Ebke, ZGR 1987, 245 (268 ff.); Großfeld/Strotmann,
IPRax 1990, 298 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 557; Kieser, Die Typenvermischung
über die Grenze (1989), S. 112 ff., jeweils m.w.N.; a.A. Grothe, S. 332; von Bar, JZ 1989, 186; Kron-
ke, RIW 1990, 799 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 336 ff., Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II
zu Art. 12 EGBGB Rz. 81.

Hausmann | 529
§ 6 Rz. 6.138 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sprechung teilt diese Bedenken freilich nichtund lässt die Beteiligung einer ausländischen Kapi-
talgesellschaft an einer deutschen KG zu1.

6.139 Im Anwendungsbereich der europäischen Gründungstheorie (dazu Rz. 6.6 f., Rz. 6.37 ff.)
können gegen die Zulässigkeit einer solchen „Typenvermischung über die Grenze“ allerdings
keine Einwendungen mehr erhoben werden; dies auch dann nicht, wenn die in einem anderen
Mitgliedstaat – z.B. als Private Ltd. Company irischen Rechts – gegründete Komplementärin
ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat2.

cc) Wechsel-/Scheckfähigkeit
6.140 Die passive Wechsel- und Scheckfähigkeit von Gesellschaften wird gem. Art. 91 WG bzw.
Art. 60 ScheckG ebenfalls nach dem Gesellschaftsstatut bestimmt. Für die aktive Wechsel-
und Scheckfähigkeit gilt nichts anderes3.

3. Vertretungsmacht
6.141 Das – mit Hilfe der Sitz- oder der Gründungstheorie ermittelte – Gesellschaftsstatut entschei-
det weiterhin auch über die Frage, welche Organe eine Gesellschaft hat und welche Befugnisse
diese Organe nach innen und nach außen haben, dh. in welchem Umfang sie die Gesellschaft
gesetzlich vertreten können4. Es entscheidet etwa, ob einzelne Gesellschafter von der Vertre-

1 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg 3 Z 148/85, BayObLGZ 1986, 61 (72) = NJW 1986, 3029 = ZIP
1986, 840 = IPRax 1986, 368 (m. Aufs. Großfeld, IPRax 1986, 351); OLG Frankfurt v.24. 4. 2008 –
20 W 425/07, DNotZ 2008, 861 (jeweils zur Beteiligung einer „Private Ltd. Company“ engl. Rechts
als Komplementärin an einer deutschen KG); OLG Saarbrücken v. 21.4.1989 – 5 W 60/88, NJW
1990, 647 = RIW 1990, 831 (m. Aufs. Kronke, RIW 1990, 799) = IPRax 1990, 324 (m. Anm. Groß-
feld/Strotmann, IPRax 1990, 298) = JZ 1989, 904 m. Anm. Ebenroth/Hopp = DNotZ 1990, 194 (m.
Anm. Ebenroth/Auer, DNotZ 1990, 139) (Beteiligung einer schweiz. AG als Komplementärin einer
deutschen KG). Vgl. auch zur Eintragung der deutschen Zweigniederlassung eines ausländischen
Unternehmens unter ihrer Firma als Kommanditistin im Handelsregister OLG Bremen v.
18.12.2012 – 2 W 97/12, NZG 2013, 144.
2 OLG Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, ZIP 2006, 1673 = GmbHR 2006, 1156 m. Anm.
Werner = IPRspr. 2006 Nr. 255; OLG Stuttgart v. 22.12.2010 – 9 U 102/10, IPRspr. 2010 Nr. 30;
Zimmer, NJW 2003, 3585 (3587); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 558.
3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 312; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 559.
4 BAG v. 25.4.2013 − 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 40) (griechische AG); BGH v. 20.7.2012 – V
ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 27) = ZIP 2012, 1908 (brasil. Gesellschaft); BGH v. 17.11.1994 –
III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 (47) = DtZ 1995, 250 (Hochschule der früheren DDR); BGH v.
27.5.1993 – IX ZR 66/92, NJW 1993, 2744 (2745) = DNotZ 1994, 485 = WuB VIII. C. § 17
BeurkG Nr. 1.13 m. Anm. Reithmann; BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985,
272 (277); KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973 (jeweils engl. „Private Ltd.“); OLG Mün-
chen v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 31) (auf den Virgin Islands ansässige Ltd.);
OLG München v. 14.10.2015 – 34 Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz.15) (frz. Zweigniederlassung
einer schottischen Bank); KG v. 18.10.2012 – 1 W 334/12, NZG 2012, 1352 (ital. SARL); OLG
Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, NZG 2006, 830 (831) = GmbHR 2006, 1156 m. Anm.
Werner (Ltd. & Co. KG); OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19 (Delaware
Corporation); OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 17 U 82/92, NJW-RR 1993, 999 = IPRax 1993, 412
(türk. Handelsunternehmen); OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.1984 – 14 U 169/81, IPRspr. 1984 Nr. 21
(kanad. Corporation); OLG Hamm v. 9.1.1984 – 8 U 161/83, ZIP 1984, 1382 = RIW 1984,
653 (französ. AG); LG Hamburg v. 17.2.1992 – 412 O 70/91, WM 1992, 1600 = EWiR 1992, 579
(LS) m. Anm. Reithmann (bulgar. Bank); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 178 ff.; Großfeld in

530 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.144 § 6

tung ausgeschlossen sind, ob Einzel- oder Gesamtvertretung zulässig bzw. notwendig ist und
ob die Vertretungsmacht nach Maßgabe der „ultra-vires-Lehre“ durch den Gesellschaftszweck
beschränkt ist1. Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Organmitglied sein Amt
wirksam niedergelegt hat, beurteilt sich nach dem Gesellschaftsstatut2.

Auch eine Änderung der Vertretungsverhältnisse in der Insolvenz oder Liquidation der Ge- 6.142
sellschaft beurteilt sich nach dem Gesellschaftsstatut. Wird eine außerhalb der EU bzw. des
EWR gegründete Kapitalgesellschaft nach Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes ins
Inland als deutsche Personengesellschaft behandelt (Rz. 6.120 ff.), so beurteilen sich auch
die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft nach dem deutschen Personengesellschafts-
recht3.

Das Gesellschaftsstatut bestimmt auch den Umfang der Vertretungsmacht.4 Demgemäß be- 6.143
urteilt sich etwa die Frage, ob der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft zum Selbstkontrahie-
ren berechtigt ist, nicht nach dem Wirkungsstatut des jeweiligen Geschäfts, sondern nach
dem Gesellschaftsstatut5. Soweit dieses daher – wie das englische Recht der Private Ltd. Com-
pany – eine generelle Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens entsprechend § 181 BGB
nicht kennt, sondern dem director besondere Treuepflichten auferlegt, die ihm im Falle von
Interessenkonflikten zur Offenlegung verpflichten und ihm ein Handeln gegen die Interessen
der Gesellschaft verbieten („non-conflict rule“), kann eine solche Befreiung für die deutsche
Zweigniederlassung der Gesellschaft auch nicht ins Handelsregister eingetragen werden6.

Das Personalstatut der Gesellschaft entscheidet ferner, wer im Falle einer Vertretung ohne 6.144
Vertretungsmacht eine Genehmigung des Geschäfts erteilen muss, und bestimmt über die
Voraussetzungen und Wirkungen einer Haftung des vollmachtlosen Organvertreters (vgl.
auch zur rechtsgeschäftlichen Vertretung Rz. 6.480 ff.)7. Demgegenüber beurteilt sich die Ge-

Staudinger, IntGesR Rz. 278 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 ff., jeweils m.w.N. Aus-
führlich Niemann, Die rechtsgeschäftliche und organschaftliche Stellvertretung und deren kollisi-
onsrechtliche Einordnung (2004).
1 BGH v. 16.5.1991 – IX ZB 81/90, NJW 1992, 627 (628) (Vertretungsbefugnis des „board of di-
rectors“ einer liberian. Corporation); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 mwN.
2 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, NZG 2011, 907 (Rz. 13) = GmbHR 2011, 925 m. Anm.
Huth = IPRax 2013, 579 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2013, 545) (USA/Kalifornien).
3 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 25) = NJW 2009, 289 =
GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; Weller, IPRax 2009, 201 (207).
4 BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = NJW 1992, 618.
5 OLG Düsseldorf v. 23.12.1994 – 3 Wx 262/92, GmbHR 1995, 597 = RIW 1995, 325 (326); Kindler
in MünchKomm, IntGesR Rz. 563.
6 OLG Celle v. 14.4.2005 – 9 W 14/05, GmbHR 2005, 1303 = NZG 2006, 273; OLG München v.
17.8.2005 – 31 Wx 49/05, GmbHR 2005, 1302 = NJW-RR 2005, 1486; OLG München v. 4.5.2006
– 31 Wx 23/06, GmbHR 2006, 603 = NJW-RR 2006, 1042; OLG Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20
W 191/06, NZG 2006, 830 (831) = GmbHR 2006, 1156 m. Anm. Werner; OLG Frankfurt a.M. v.
19.2.2008 – 20 W 263/07, GmbHR 2009, 214; OLG Düsseldorf v. 21.2.2006 – 3 Wx 210/05, ZIP
2006, 806 = NZG 2006, 317; a.A. – zu Unrecht – noch LG Ravensburg v. 14.2.2005 – 7 T 1/04
KfH 1, GmbHR 2005, 489; LG Augsburg v. 16.9.2004 – 1HK T 3917/04, NZG 2005, 356; LG Frei-
burg v. 22.7.2004 – 10 T 5/04, ZIP 2005, 84 = NJW-RR 2004, 1866; LG Chemnitz v. 24.3.2005 –
2HK T 54/05, GmbHR 2005, 691.
7 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 285; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 aE.

Hausmann | 531
§ 6 Rz. 6.144 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nehmigungsfähigkeit eines ohne Vertretungsmacht durch ein Gesellschaftsorgan abgeschlos-


senen Geschäfts nach dem Wirkungsstatut des Geschäfts1.

6.145 Beschränkungen der Vertretungsmacht nach ausländischem Gesellschaftsrecht, etwa durch


Schriftformerfordernisse oder die Notwendigkeit der Mitwirkung eines anderen gesetzlichen
oder rechtsgeschäftlichen Vertreters, verstoßen nicht gegen den deutschen ordre public (Art. 6
EGBGB)2. Ihre Berücksichtigung kann aber im Geltungsbereich des europäischen Gesell-
schaftsrechts gegen Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspkete des
Gesellschaftsrechts (GesR-RL) v. 14.6.20173 verstoßen4 sowie aus Gründen des Verkehrsschut-
zes im Inland ausgeschlossen sein (dazu näher Rz. 6.157 ff.).

6.146 Welche Anforderungen an den Nachweis der Vertretungsmacht einer ausländischen Gesell-
schaft im inländischen Rechtsverkehr zu stellen sind, beurteilt sich hingegen nicht nach dem
Gesellschaftsstatut, sondern nach der deutschen lex fori5. Dies stellt § 13d HGB für inländi-
sche Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Satzungssitz oder Hauptniederlassung im
Ausland ausdrücklich klar. Danach muss der Vertretungsnachweis zweifelsfrei durch zeitnah
erstellte Urkunden erbracht werden6. Für die Förmlichkeiten des Nachweises gegenüber dem
deutschen Handelsregister gilt § 12 HGB7. Bei Umschreibung des Eigentums auf eine auslän-
dische Gesellschaft im deutschen Grundbuch musss nicht nur deren Existenz und Erwerbs-
fähigkeit, sondern auch die Vertetungsmacht der für sie Handelnden grundsätzlich nach § 29
GBO durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden8. Zwar können im Handelsregister
eingetragene Vertretungsberechtigungen juristischer Personen oder Gesellschaften auch durch

1 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 279 f. Dazu BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992,
618 = ZIP 1991, 1582 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar = EWiR 1991, 1167 (LS) m. Anm. Schlech-
triem (Berechtigung des Geschäftsführers einer deutschen GmbH zum Selbstkontrahieren nach
deutschem Recht, Genehmigungsfähigkeit des unter Verstoß gegen § 181 BGB abgeschlossenen
Geschäfts hingegen nach dem französ. Geschäftsrecht beurteilt); OLG Düsseldorf v. 23.12.1994 –
3 Wx 262/92, GmbHR 1995, 597 = RIW 1995, 325 = IPRax 1995, 396 (m. Anm. Großfeld/Wilde,
IPRax 1995, 374) = EWiR 1995, 225 (LS) m. Anm. Reithmann (Vertretungsbefugnis des Direktors
einer niederländ. B.V. für die Übertragung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft nach nieder-
länd. Recht beurteilt. Anwendung von § 181 BGB abgelehnt, obwohl das Übertragungsgeschäft
vor einem deutschen Notar beurkundet wurde, weil es sich nicht um rechtsgeschäftliche, sondern
um organschaftliche Vertretung handele); AG Duisburg v. 24.1.1995 – 8 HRB 5608, GmbHR 1995,
830 = RIW 1996, 329 (Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers der niederländ. Muttergesell-
schaft einer deutschen GmbH zur Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung
der GmbH nach niederländ. Recht beurteilt).
2 KG v. 8.3.1929, HRR 1929 Nr. 1664; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 279 f.; Kindler in Münch-
Komm, IntGesR Rz. 565.
3 ABl. EU 2017 Nr. L 149/46.
4 Vgl. Kindler, FS Lutter (2000), S. 483.
5 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 28); KG v. 28.3.2013, ZIP 2013,
973 = RNotZ 2013, 426; OLG Dresden v. 21. 5. 2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265 = ZIP 2007,
2076; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 182.
6 OLG Düsseldorf v. 18.7.2019 – I-3 Wx 138/18, NZG 2019, 1423 (1424 f.) = FGPrax 2019, 261;
OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265 (266) = GmbHR 2007, 1156 m. Anm.
Wachter (Ltd. & Co. KG); OLG München v. 9.3.2010 – 31 Wx 36/10, ZIP 2010, 1182 = NZG 2010,
515 (japan. AG). Vgl. dazu näher Rz. 6.184 ff. und die Übersichten zum ausländischen Gesell-
schaftsrecht in Rz. 6.197 ff.
7 Pfeiffer, Rpfleger 2012, 240.
8 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908 (Rz. 11); KG v. 22.5.2012 – 1 W 163/11,
FGPrax 2012, 236.

532 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.147 § 6

eine notarielle Bescheinigung nach § 21 Abs. 1 BNotO nachgewiesen werden, § 32 Abs. 1


GBO. Diese Bescheinigung kann jedoch nicht von einem ausländischen Notar und nicht unter
Bezugnahme auf nicht näher bezeichnete Unterlagen erfolgen (dazu auch Rz. 6.221)1. Auch
die Bescheinigung eines inländischen Notars nach § 21 BNotO für Eintragungen in einem aus-
ländischen Register hat die Beweisfunktion des § 32 Abs. 1 GBO nur dann, wenn dieses Regis-
ter dem deutschen Handelsregister vergleichbar ist (vgl. auch Rz. 6.222 m.w.N.)2. Können die
Anforderungen des § 29 Abs. 1 S. 2 GBO wegen des Inhalts des ausländischen Rechts nicht
vollständig erfüllt werden, muss sich das Grundbuchamt zwar mit den danach möglichen
Nachweisen begnügen, darf aber im Interesse der Sicherheit des Grundstücksverkehrs und der
Gewährleistung der Richtigkeit des Grundbuchs verlangen, dass der Antragsteller sämtliche
nach dem ausländischen Recht bestehenden Möglichkeiten ausschöpft, mögen sie in dem je-
weiligen Staat im innerstaatlichen Rechtsverkehr auch unüblich sein3.

Die Anknüpfung an das Personalstatut der Gesellschaft gilt freilich nur für deren gesetzliche 6.147
(organschaftliche) Vertretung. Die Vertretungsmacht von Hilfspersonen auf Grund besonde-
rer Vollmachten (Prokura, Handlungsvollmacht) richtet sich hingegen nicht nach dem Ge-
sellschaftsstatut, sondern nach dem Vollmachtstatut (vgl. dazu näher Rz. 6.407 ff.,
Rz. 6.411 ff.)4. So wird der ständige Vertreter der Zweigniederlasssung einer ausländischen
Gesellschaft i.S.v. § 13d HGB als eine Person angesehen, die auf Grund einer rechtsgeschäftli-
chen Bevollmächtigung nicht nur vorübergehend zur generellen Vertretung der Zweignieder-
lassung berechtigt ist. Er leitet seine Rechtsstellung im Gegensatz zum Geschäftsführer nicht
aus einer organschaftlichen Befugnis ab. Seine Vertretungsberechtigung unterliegt daher nicht
dem Gesellschaftsstatut, sondern dem Vollmachtsstatut, d.h. in Deutschland dem von Art. 8
Abs. 2 EGBGB zur Anwendung berufenen Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Bevoll-
mächtigten im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht, sofern dieser Ort für den Dritten er-
kennbar ist5. Auch die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln ihres Organs,
das seine Vertretungsbefugnis bei einem Distanzgeschäft überschreitet, wird gesondert ange-
knüpft; sie richtet sich jedenfalls dann nach dem Recht am Ort der Abgabe der Willenserklä-
rung, wenn diese zugleich über die organschaftliche Vertretungsmacht entscheidet (dazu nä-
her Rz. 6.167)6.

1 OLG München v. 14.10.2015 – 34 Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz. 15); OLG Brandenburg v.
19.1.2011 – 5 Wx 70/10, MittBayNot 2011, 222.
2 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 30).
3 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908.
4 Zur Abgrenzung zwischen der Anknüpfung der organschaftlichen und der rechtsgeschäftlichen
Vertretung von Gesellschaften vgl. BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR
1992, 107 = NJW 1992, 618; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315
(1316); OLG Hamm v. 6.6.1957 – 17 U 185/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 27; Großfeld in Staudinger,
IntGesR Rz. 287. Das Vollmachtstatut von Bevollmächtigten einer Gesellschaft deckt sich freilich
nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB idR mit dem Gesellschaftsstatut.
5 Vgl. zum früheren Recht OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 23/06, GmbHR 2006, 603 = NJW-
RR 2006, 1042; Heidinger, MittBayNotV 1998, 72 (73).
6 BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NJW 2012, 1192 (Rz. 29 ff.) = ZIP 2012, 1908 = NZG 2012,
1192.

Hausmann | 533
§ 6 Rz. 6.148 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Partei- und Prozessfähigkeit


a) Parteifähigkeit
aa) Allgemeines
6.148 Die Parteifähigkeit, dh. die Fähigkeit, in einem Rechtsstreit vor Gericht Kläger, Beklagter,
Haupt- oder Nebenintervenient zu sein, wird in § 50 Abs. 1 ZPO mit der Rechtsfähigkeit ver-
knüpft. Aus diesem Grunde wird in der Praxis teilweise zwischen Rechts- und Parteifähigkeit
nicht differenziert; über beide Fähigkeiten bestimme das Personalstatut der Gesellschaft1.
BGH v. 17.10.1968 – VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 = AWD 1969, 22
Rechts- und Parteifähigkeit einer schweizerischen AG, die nach durchgeführter Liquidation im Han-
delsregister des Kantons Zürich gelöscht worden war, nach schweizerischem Recht beurteilt.

6.149 Soweit zwischen Partei- und Rechtsfähigkeit unterschieden wird, konkurrieren herkömm-
licherweise zwei Meinungen:

bb) Lex fori


6.150 Ausgangspunkt für die Anknüpfung der Parteifähigkeit2 ist für die traditionelle Auffassung
die lex fori. Da aber § 50 Abs. 1 ZPO seinerseits auf das materielle Recht verweist, bestimmt
man die Parteifähigkeit ausländischer Personenvereinigungen mithilfe der Kollisionsregeln für
die Rechtsfähigkeit. Letztere stellt sich mithin als eine vom deutschen Prozessrecht aufgewor-
fene materiellrechtliche Vorfrage dar; über diese sei nach dem Personalstatut der Gesellschaft
zu entscheiden3.

1 BGH v. 9.7.1965 – I b ZR 83/63, NJW 1965, 1664; OLG Düsseldorf v. 21.4.1964 – 2 U 114/61,
AWD 1965, 94.
2 Zum Streit um die Anknüpfung der Parteifähigkeit eingehend Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivil-
verfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 173 ff.
3 BGH v. 30.6.1965 – VIII ZR 71/64, NJW 1965, 1666 = JZ 1965, 580 (Niederländ. Stiftung klagt
vor deutschen Gerichten. „Nach § 50 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Ob die Klägerin
rechtsfähig ist, richtet sich nach niederländ. Recht.“); BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, ZIP
2000, 967 = RIW 2000, 555; Ferner OLG Bremen v. 25.2.1971 – 2 U 130/70, AWD 1972, 478
(Schweizer Verein); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (panames.
Gesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in der Schweiz); OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 17 U
82/92, NJW-RR 1993, 999 = IPRax 1993, 412 (türk. Handelsgesellschaft); OLG Düsseldorf v.
8.12.1994 – 6 U 250/92, RIW 1996, 155 (iran. Stiftung); OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U
219/97, ZIP 1999, 1710 = RIW 1999, 783 = NZG 1999, 1097 m. Anm. Hallweger (engl. Ltd.); OLG
Köln v. 30.4.1999 – 6 U 62/98, IPRspr. 1999 Nr. 16 (nach niederländ. Recht errichtete islam. Stif-
tung); OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = NJW-RR 2001, 341 =
RIW 2001, 373 (costaricanische GmbH); OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003
Nr. 19 (Delaware Corporation); OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, ZIP 2006, 1822 =
GmbHR 2006, 1163 = BB 2006, 2987 (schweiz. AG); KG v. 17.3.2014 – 20 U 254/12, NJW 2014,
2737 = ZIP 2014, 1755 (englische Ltd.); OLG Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04, IPRspr. 2015
Nr. 185 (schweiz. GmbH); LG Rottweil v. 28.1.1985 – HO 93/84, RIW 1986, 636 = IPRax 1986,
110 (m. Anm von der Seipen IPRax 1986, 91) (liechtenstein. AG); LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O
315/93, NJW 1995, 1500 = IPRax 1996, 120 (m. Anm. Jayme, IPRax 1996, 87) (auf der Isle of Man
gegründete Private Ltd. Company). Ebenso zur Beteiligtenfähigkeit im Registerverfahren LG Berlin
v. 22.6.2004 – 102 T 48/04, ZIP 2004, 2380 = DB 2004, 2628 (m. Aufs. Wachter, DB 2004, 2795) =
NZG 2004, 1014. Zust. von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 174 f.

534 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.152 § 6

cc) Lex causae


Daran ist richtig, dass in jedem Falle parteifähig ist, wer nach seinem Personalstatut rechts- 6.151
fähig ist1. Indes regelt § 50 Abs. 1 ZPO die Parteifähigkeit nicht umfassend; denn nicht nur
der Rechtsfähige ist parteifähig. So gesteht das deutsche Recht der OHG keine Rechtspersön-
lichkeit, aber nach § 124 Abs. 1 HGB aktive und passive Parteifähigkeit, dem nicht rechtsfähi-
gen Verein nach § 50 Abs. 2 ZPO passive Parteifähigkeit zu. Wäre daher über die Parteifähig-
keit ausländischer Gesellschaften allein nach § 50 Abs. 1 ZPO zu entscheiden, so könnte eine
Personenverbindung oder Vermögensmasse, die nach ihrem Personalstatut zwar parteifähig
ist, ohne jedoch eigene Rechtspersönlichkeit zu besitzen, im Inland nicht klagen oder verklagt
werden. Vorzuziehen ist daher die von Pagenstecher2 entwickelte Auffassung, der zufolge die
§§ 50 ff. ZPO zur Bestimmung der Parteifähigkeit von Ausländern überhaupt nicht anwend-
bar sind. Die Parteifähigkeit ist vielmehr auf Grund einer (ungeschriebenen) Kollisionsnorm
des Prozessrechts unmittelbar nach dem Personalstatut der Gesellschaft zu beurteilen, so dass
es ausreicht, wenn eine vergleichbare Gesellschaft nach deutschem Recht zwar nicht rechts-
fähig, wohl aber – wie z.B. die OHG/KG – parteifähig wäre3.

Aus diesem Grunde bleibt die Parteifähigkeit einer ausländischen juristischen Person trotz Er- 6.152
löschens im Sitz- oder Gründungsstaat für Prozesse im Inland erhalten, solange sich hier
noch Vermögen befindet (sog. Restgesellschaft) (dazu schon Rz. 6.131)4. Auch gegen die nach
dem Personalstatut mangelnde Parteifähigkeit wird der inländische Rechtsverkehr freilich ge-
schützt (dazu Rz. 6.157 ff.).

1 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 29.


2 Pagenstecher, FS Raape (1948), S. 249 ff.; Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249 ff.
3 RG v. 25.11.1895, RGZ 36, 393; RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217); BGH v. 17.10.1968 – VII ZR
23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 (gelöschte schweiz. AG); BGH v. 3.2.1999 – VIII ZB
35/98, ZIP 1999, 616 = MDR 1999, 759 = NJW 1999, 1871 = IPRax 2000, 21 (m. Anm. H. Roth,
IPRax 2000, 11) (engl. partnership); BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (358) =
NJW 2003, 1607 = BB 2003, 810 m. Anm. Kindler; BAG v. 5.12.1966 – 3 AZR 207/66, BAGE 19,
164; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 292; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568; Bork in
Stein/Jonas, § 50 ZPO Rz. 36; Althammer in Zöller, § 50 ZPO Rz. 2; Mäsch in BeckOK BGB,
Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 40; Schack, IZVR, Rz. 598. Ferner OLG Koblenz v. 17.10.1985 – 9 U
99/83, RIW 1986, 137 („Ob die beklagte Eigentümergemeinschaft rechtsfähig und deshalb partei-
fähig ist, oder ob ihr unabhängig von der Rechtsfähigkeit die Fähigkeit, als Partei im bürgerlichen
Rechtsstreit verklagt zu werden, zukommt, richtet sich nach dem Recht Spaniens. Denn maß-
gebend ist insoweit das Personalstatut“); OLG Zweibrücken v. 13.10.1986 – 4 U 98/85, NJW 1987,
2168 (Parteifähigkeit einer New Yorker Anwaltssozietät nach New Yorker Recht bejaht); OLG
Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 (Zur Parteifähigkeit einer auf den Cayman
Islands gegründeten Kapitalgesellschaft: „Die Parteifähigkeit einer ausländischen juristischen Per-
son bestimmt sich nach ihrem Personalstatut“); OLG Karlsruhe v. 24.1.2018 – 6 U 56/17, NZG
2018, 757 = ZIP 2018, 1179 (irische „general partnership“ ist, obwohl nicht rechtsfähig, vor deut-
schen Gerichten parteifähig).
4 BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94 (100 f.) = NJW 2004, 2523 = ZIP 2004, 1662
(USA); OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864 m. Anm. Röder = NZI 2008,
260 m. Anm. Mock; OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/07, GmbHR 2008, 41 m. Anm. Wer-
ner = NZG 2008, 76 (77); OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, NZG 2014, 703 = IPRax 2015,
446 (m. Anm. Klöhn/Schwarz, IPRax 2015, 412).

Hausmann | 535
§ 6 Rz. 6.153 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Alternative Anknüpfung


6.153 Nicht einleuchtend ist freilich, weshalb der Satz „Parteifähig ist, wer nach seinem Personalsta-
tut parteifähig ist“ den Satz „Parteifähig ist, wer nach seinem Personalstatut rechtsfähig ist“
ausschließen soll. Die – in der Praxis nicht selten mit geringerem Aufwand feststellbare –
Rechtsfähigkeit der ausländischen Personifikation begründet die Parteifähigkeit im inländi-
schen Verfahren auch dann, wenn das Personalstatut der juristischen Person ausnahmsweise
die Parteifähigkeit abspricht. Im Ergebnis ist daher parteifähig, wer nach seinem Personalsta-
tut entweder rechtsfähig oder parteifähig ist1. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Ge-
sellschaftsstatut mit Hilfe der Sitztheorie oder der europarechtlichen Gründungstheorie be-
stimmt wird. Der EuGH hat die Verpflichtung zur Anerkennung der in einem Mitgliedstaat
der EU wirksam gegründeten Gesellschaft in der „Überseering“-Entscheidung ausdrücklich
auf die Parteifähigkeit ausgedehnt. Diese ist damit für die europarechtliche Gründungstheorie
ein eigener Anknüpfungsgegenstand. Daraus folgt, dass die der Gesellschaft nach ihrem
Gründungsstatut zukommende Parteifähigkeit in den übrigen Mitgliedstaaten unabhängig da-
von anzuerkennen ist, ob ihr nach dem Gründungsstatut auch die Rechtsfähigkeit zusteht2.
Gleiches gilt im Rahmen von Staatsverträgen, die an das Gründungsrecht anknüpfen3.

b) Prozessfähigkeit
6.154 Die Fähigkeit einer Gesellschaft, Prozesshandlungen wirksam vornehmen zu können, wird
ebenfalls durch das Gesellschaftsstatut bestimmt. Auch insoweit bedarf es – entgegen der frü-
her h.M.4 – nicht des Umwegs über die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit (§ 52 ZPO); viel-
mehr ist die Prozessfähigkeit von Gesellschaften auf Grund einer eigenständigen prozessualen
Kollisionsnorm unmittelbar nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen; dieses regelt ins-
besondere die prozessuale Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane5. Der inländische
Rechtsverkehr wird jedoch durch § 55 ZPO zusätzlich geschützt (dazu Rz. 6.163).

1 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 29; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568;
Geimer, Rz. 2205; Lindacher in MünchKomm, § 50 ZPO Rz. 68; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zi-
vilverfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 161 ff.; Thorn, IPRax 2001, 102 (107).
2 Zutr. Weller, IPRax 2003, 324 (325 f.) gegen BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, ZIP 2003, 718 =
GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb (Rz. 6.35), der insoweit noch auf § 50 ZPO abstellt. Vgl. auch
BGH v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, ZIP 2003, 1417 = NJW 2003, 2609 = RIW 2003, 877 (zur Aner-
kennung der Parteifähigkeit einer luxemburgischen „Briefkastengesellschaft“ für eine Klage vor
deutschen Gerichten).
3 Vgl. BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = NZG 2004, 1001 = IPRax 2005, 339 (m.
Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) (US-corporation).
4 Vgl. BGH v. 7.12.1955 – IV ZR 177/55, BGHZ 19, 240 = NJW 1956, 262 = JZ 1956, 535 m. abl.
Anm. Neuhaus.
5 BGH v. 23.10.1963 – V ZR 146/57, BGHZ 40, 197 (204) = NJW 1964, 203 = IPRspr. 1962/63
Nr. 184 (jugoslawischer Fiskus); BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (357) =
NJW 2003, 1607 = ZIP 2003, 720 (in Florida gegründete Corporation); OLG Düsseldorf v.
8.12.1994 – 6 U 250/92, RIW 1996, 155 (iran. Stiftung); IPG 1979 Nr. 12 (Hamburg): italien. „so-
cietà di fatto“; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 295; Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 569.

536 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.156 § 6

5. Personengesellschaften
a) Handelsgesellschaften
Das Gesellschaftsstatut bestimmt nicht nur, ob eine Personenverbindung rechtsfähig ist, son- 6.155
dern beherrscht diese auch dann, wenn sie nicht rechtsfähig ist. Für die Anknüpfung der
Rechtsverhältnisse von nicht rechtsfähigen Handelsgesellschaften gelten daher die zuvor für
rechtsfähige Kapitalgesellschaften dargestellten Grundsätze entsprechend1. Auch insoweit ver-
bleibt es daher – vorbehaltlich abweichender staatsvertraglicher Regelungen und unter Beach-
tung der durch die Niederlassungsfreiheit gezogenen Schranken – bei der Geltung der Sitz-
theorie. Daran hat sich durch das MoMiG (Rz. 6.63 f.) nichts geändert2. Demgemäß beurtei-
len sich auch die Vertretungsverhältnisse von nicht rechtsfähigen Handelsgesellschaften
nach dem als Sitz- oder Gründungsrecht geltenden Gesellschaftsstatut3.
BGH v. 17.12.1953 – IV ZR 114/53, DB 1954, 231
Zur Haftung einer OHG mit Sitz in Shanghai für Gesellschaftsschulden: „Das Wesen einer solchen
Handelsgesellschaft ist, auch wenn sie keine juristische Persönlichkeit besitzt, dem der juristischen
Person außerordentlich ähnlich; daraus erwächst ein berechtigtes Bedürfnis nach einem die Personen-
vereinigung beherrschenden Personalstatut, das die Organisation der Handelsgesellschaft einheitlich
regelt.“ Aus diesem Grunde seien „die Rechtsverhältnisse auch der nicht rechtsfähigen Handelsgesell-
schaft zu dritten Personen dem Recht des Sitzes der Gesellschaft zu unterstellen, weil der Schwerpunkt
der Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaftern und Nichtgesellschaftern am Ort ihrer gewerblichen
Tätigkeit liegt.“

b) Bürgerlich-rechtliche Gesellschaften
Das Sitzrecht gilt ferner auch für solche Gesellschaften des bürgerlichen Rechts, die eine hin- 6.156
reichende fest gefügte eigene Organisation besitzen und am Rechtsverkehr als eigenständige
Rechtssubjekte teilnehmen4; diese Außengesellschaften sind daher rechtsfähig, wenn sie ihren
Verwaltungssitz im Inland haben5. Für alle übrigen bürgerlich-rechtlichen Gesellschaften, ins-
besondere reine Innengesellschaften (z.B. zwischen Ehegatten), verbleibt es hingegen bei den
allgemeinen Regeln über die Bestimmung des Vertragsstatuts (dazu Rz. 2.1 ff.). Maßgebend ist
daher in erster Linie eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Rechtswahl (Art. 3
Rom I-VO). In Ermangelung einer solchen bestimmt sich das auf Innengesellschaften an-
wendbare Recht nach Art. 4 Rom I-VO. Da die Anknüpfung an die vertragscharakteristische

1 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 145 ff.; z.T. abw. NK-BGB/Hoffmann, Anh zu Art.12 EGBGB
Rz.158 ff.
2 Anders Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (93 ff.).
3 Vgl. – jeweils zum Sitzrecht – BGH v. 26.9.1966 – II ZR 56/65, NJW 1967, 36 (elsäss. KG); BGH v.
3.2.1999 – VIII ZB 35/98, ZIP 1999, 616 = NJW 1999, 1871 = IPRax 2000, 21 (m. Anm. H. Roth,
IPRax 2000, 11) = NZG 1999, 547 m. Anm. Hallweger (engl. partnership); OLG München v.
1.12.1966 – 3 U 2627/65, IPRspr. 1966/67 Nr. 15 (nicht rechtsfähige Gründungsgesellschaft); OLG
Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355)
(GmbH & Co. KG); OLG Düsseldorf v. 10.2.1994 – 6 U 32/93, RIW 1995, 53 (OHG); dazu näher
Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 285 ff. m.w.N.
4 Ebenroth, JZ 1988, 23; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 770; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7
Rz. 148; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 290.
5 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056; dazu K. Schmidt NJW 2001, 993 ff.; a.A.
(Vertragsstatut) OLG Karlsruhe v. 24.1.2001 – 6 U 137/00, NZG 2001, 748. Zur Bestimmung des
Verwaltungssitzes einer Außen-GbR vgl. auch BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009,
1610 (Rz. 11) = ZIP 2009, 987.

Hausmann | 537
§ 6 Rz. 6.156 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO indes nur für Austauschverträge passt, ist für Gesell-
schaftsverträge auf die Generalklausel in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO („engste Verbindung“) zu-
rückzugreifen. Danach ist idR das Recht des Ortes anzuwenden, an dem der Geschäftszweck
hauptsächlich verfolgt wird1.

VII. Schutz des Rechtsverkehrs


1. Gesetzliche Rechtsschutznormen
a) Art. 13 Rom I-VO
6.157 Bleibt eine im Inland tätige ausländische Gesellschaft hinsichtlich des Umfangs ihrer Rechts-
fähigkeit hinter dem inländischen Recht zurück, so nimmt die h.M. eine Sonderanknüpfung
vor. In entsprechender Anwendung des – unmittelbar nur für natürliche Personen geltenden
– Art. 13 Rom I-VO (vgl. dazu näher Rz. 6.1160 ff.) bzw. Art. 12 S. 1 EGBGB wird der inlän-
dische Geschäftsverkehr in seinem Vertrauen auf die Rechtsfähigkeit der ausländischen Ge-
sellschaft nach Maßgabe des deutschen Rechts geschützt2. Dieser Schutz greift nicht nur ein,
wenn eine ausländische Gesellschaft nach ihrem Personalstatut nicht rechtsfähig ist, obwohl
vergleichbaren Gesellschaften nach deutschem Recht Rechtsfähigkeit zukommt3, sondern
auch dann, wenn die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nach ausländischem Recht lediglich –
z.B. durch die ultra vires-Lehre – eingeschränkt ist4. Aufgrund der weitgehenden Beseitigung
solcher Rechtsfähigkeitsschranken von Gesellschaften in der EU durch Art. 9 GesR-RL
(Rz. 6.197) stellt sich das Problem i.d.R. nur noch in Bezug auf drittstaatliche Gesellschaften.
Der Schutz erstreckt sich dann auch auf die Parteifähigkeit solcher Gesellschaften5, so dass es
ausreicht, wenn eine vergleichbare Gesellschaft zwar nach deutschem Recht nicht rechtsfähig,
wohl aber – wie z.B. die OHG oder KG – parteifähig wäre. Hingegen besteht gegenüber der
mangelnden Beteiligungsfähigkeit einer Gesellschaft (dazu Rz. 6.137 ff.) nach dem Personal-
statut der Ziel- oder Erwerbergesellschaft kein Rechtsschutz analog Art. 13 Rom I-VO/Art. 12
S. 1 EGBGB6.

1 Vgl. i.d.S. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 290; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 149 ff.;
ferner BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 (Rz. 10); BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/
02, NJW 2004, 3706 (3708) = RIW 2004, 935; OLG Hamburg v. 18.5.2001 – 8 U 177/00, NJW-RR
2001, 1012 (1013 f.); OLG Frankfurt a.M. v. 9.4.1998 – 15 U 58/97, RIW 1998, 807 (Verpflichtun-
gen der Parteien aus einem als Innen- oder Gelegenheitsgesellschaft qualifizierten „Cooperation
Agreement“ nach dem jeweiligen – deutschen bzw. engl. – Wohnsitzrecht der Partner beurteilt).
Vgl. auch zur akzessorischen Anknüpfung einer Ehegatteninnengesellschaft an das Ehegüterstatut
BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, NZG 2015, 1073 (Rz. 12) = IPRax 2016, 287 (m. Anm. Wede-
mann, IPRax 2016, 252; dazu näher Rz. 6.999).
2 Vgl. aber zu den erhöhten Anforderungen an diesen Schutz, wenn die ausländische Gesellschaft
erkennbar als solche im inländischen Rechtsverkehr auftritt, von Bar/Mankowski, Bd. II, Rz. 169.
3 Vgl. zu Art. 12 S. 1 EGBGB BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = IPRax 1999,
104 m. Anm. Schütze (obiter); Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 17; Großfeld in Stau-
dinger, IntGesR Rz. 268, jeweils m.w.N.
4 Vgl. zu Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. bzw. Art. 12 S. 1 EGBGB/Art. 13 Rom I-VO OLG Düsseldorf v.
21.4.1964 – 2 U 114/61, AWD 1965, 94; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 268; Kindler in
MünchKomm, IntGesR Rz. 547 ff., sowie eingehend G. Fischer, Verkehrsschutz § 11; a.A. OLG
Stuttgart v. 18.3.1974 – 5 U 17/72, NJW 1974, 1627; OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84,
WM 1985, 259; OLG Bremen v. 30.5.1996 – 2 U 120/94, OLGR 1997, 49; Kropholler, IPR, § 55 II
1.
5 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 291 a.E.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568.
6 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 556.

538 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.160 § 6

Der Rechtsverkehr wird ferner in Analogie zu Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 S. 1 EGBGB auch 6.158
dann geschützt, wenn der Umfang der Vertretungsbefugnisse der Organe einer auslän-
dischen Gesellschaft hinter den diesbezüglichen Regeln des jeweiligen Vornahmestatuts zu-
rückbleibt. Zwar ist der Verkehrsschutz auf dem Gebiet der Vertretung von Kapitalgesellschaf-
ten innerhalb der EU heute in erheblichem Umfang bereits durch materielle Rechtsvereinheit-
lichung gewährleistet (vgl. Rz. 6.197 ff.). Bei Personengesellschaften und bei Kapitalgesell-
schaften mit Sitz außerhalb der EU ergeben sich jedoch insbesondere aus dem Spezialitäts-
prinzip nicht selten Beschränkungen der gesetzlichen Vertretungsmacht (vgl. Rz. 6.312 ff.).
Durfte der inländische Vertragspartner in einem solchen Falle auf Grund einer Parallelwer-
tung nach deutschem Recht davon ausgehen, dass die ausländische Gesellschaft durch das
handelnde Organ wirksam verpflichtet werden konnte, dann wird er in seinem Vertrauen ent-
sprechend Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 S. 1 EGBGB geschützt1. Dies gilt gleichermaßen für ju-
ristische Personen wie für ausländische Handelsgesellschaften ohne eigene Rechtspersönlich-
keit.

Erforderlich ist freilich die sinngemäße Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 Rom I- 6.159
VO/Art. 12 S. 1 EGBGB (dazu näher Rz. 6.1160 ff.). Danach müssen sich sowohl das handeln-
de Organmitglied der ausländischen Gesellschaft als auch deren Vertragspartner bei Vornah-
me des Geschäfts im Inland bzw. im gleichen ausländischen Staat2 aufgehalten haben und der
letztere muss hinsichtlich der Rechtsfähigkeit der ausländischen Gesellschaft bzw. der gesetzli-
chen Vertretungsmacht des handelnden Organs gutgläubig gewesen sein. Die Bösgläubigkeit
des inländischen Vertragspartners ist von der ausländischen Gesellschaft zu beweisen. Der
gute Glaube wird nicht schon dadurch zerstört, dass der inländische Geschäftspartner weiß,
dass er es mit einer ausländischen Gesellschaft zu tun hat3. Man wird jedoch zumindest ver-
langen müssen, dass die ausländische Gesellschaft im Inland eine Entsprechung hat, weil sonst
kein Vertrauenstatbestand erfüllt ist4. Eine derartige Vergleichbarkeit besteht etwa zwischen
einer amerikanischen Corporation und einer deutschen AG5, zwischen einer englischen „Pri-
vate Ltd. company“ und einer deutschen GmbH6, oder zwischen einer englischen partnership
und einer deutschen OHG.

Bei der Beurteilung der Frage, ob es dem Geschäftspartner zuzumuten war, sich über die nach 6.160
dem Sitz- oder Gründungsrecht einer ausländischen Gesellschaft zulässigen und tatsächlich
bestehenden Beschränkungen zu informieren, ist zu berücksichtigen, dass Beschränkungen
der Vertretungsmacht von Gesellschaftsorganen – anders als eine Beschränkung der Rechts-
fähigkeit von Gesellschaften – auch dem deutschen Recht bekannt sind. So kann die Vertre-
tungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten bei Vereinen (§ 26 Abs. 2 S. 2 BGB), BGB-Gesell-

1 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 18; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 281; Kindler
in MünchKomm, IntGesR Rz. 565; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 181; Schlechtriem, EWiR
1991, 1167; einschränkend G. Fischer, Verkehrsschutz, S. 229 ff.; a.A. (für Gleichbehandlung mit
der rechtsgeschäftlichen Vertretung) Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 39.
2 Zur allseitigen Anwendung von Art. 13 Rom I-VO Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547.
3 Ferid, Rz. 5–67, 5; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547; G. Fischer, Verkehrsschutz S. 51 f.;
einschränkend Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 82 m.w.N.
4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547.
5 RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217). Vgl. zum „Typenvergleich“ im internationalen Körperschaft-
steuerrecht auch BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, GmbHR 1993, 184 = RIW 1992, 867 = IPRax
1993, 248 (250) (liechtensteinische AG).
6 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85 (Rz. 6.72), GmbHR 1985, 335 = IPRax 1986, 161 (m.
Anm. Großfeld, IPRax 1986, 145); KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm.
Mildner/Kleinert = NZG 2004, 49.

Hausmann | 539
§ 6 Rz. 6.160 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schaften (§ 714 BGB) und – hinsichtlich der Ausübung – bei allen Formen der Gesamtvertre-
tung (vgl. § 125 Abs. 1 HGB, § 78 Abs. 2 S. 1 AktG) eingeschränkt werden. Es liegt daher
nahe, entsprechende Beschränkungen des ausländischen Rechts bei vergleichbaren Gesell-
schaften oder Verbandspersonen ebenfalls gelten zu lassen. Zwar entfalten die genannten Be-
schränkungen nach deutschem Recht eine Außenwirkung erst dann, wenn sie in ein Register
eingetragen sind (vgl. §§ 68, 70 BGB, § 106 Abs. 2 Nr. 4, § 107 i.V.m. § 15 HGB), während
eine entsprechende formalisierte Überprüfungsmöglichkeit am Sitz ausländischer Gesellschaf-
ten häufig nicht wahrgenommen werden kann. Die damit verbundene Gefährdung inländi-
scher Geschäftspartner ist jedoch im Interesse des internationalen Rechtsverkehrs hinzuneh-
men1. Eine Ausnahme gilt freilich dann, wenn die ausländische Gesellschaft eine Zweignieder-
lassung im Inland unterhält (dazu Rz. 6.179 ff.).

6.161 Der Referentenentwurf des BMJ zur Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts
vom 8.1.2008 (Rz. 6.66 ff.) hat die vorstehend aus einer analogen Anwendung von Art. 13
Rom I-VO entwickelten Grundsätze in seinem Art. 12 Abs. 2 EGBGB-E kodifiziert.

b) § 50 Abs. 2, § 55 ZPO
6.162 Inländische Gläubiger von ausländischen Gesellschaften, die nach ihrem Personalstatut der
Parteifähigkeit entbehren, schützt die h.M. nicht nur analog Art. 13 Rom I-VO, sondern auch
im Wege einer entsprechenden Anwendung des § 50 Abs. 2 ZPO, d.h. sie werden im inländi-
schen Zivilprozess zumindest als passiv parteifähig behandelt2. Damit wird den Gläubigern
erspart, im Ausland nach den Hintermännern eines möglicherweise nicht rechtsfähigen Ge-
bildes forschen zu müssen. Die praktische Bedeutung dieses Schutzes ist freilich gering, seit
die Parteifähigkeit von Gesellschaften, die in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründet worden
sind, im Inland stets anzuerkennen ist.3

6.163 Mangelt es einer ausländischen Gesellschaft an der Prozessfähigkeit, so greift zum Schutz des
inländischen Rechtsverkehrs § 55 ZPO ein. Danach gilt ein Ausländer, dem nach dem Recht
seines Landes die Prozessfähigkeit mangelt, als prozessfähig, wenn ihm nach dem Recht des
Prozessgerichts die Prozessfähigkeit zusteht4. Auch hier bedarf es also – ähnlich wie im Rah-
men der Analogie zu Art. 13 Rom I-VO – einer näheren Bestimmung, welcher prozessfähigen
inländischen Gesellschaftsform die ausländische Personenverbindung entspricht.

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 565; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 281 f.; Wiede-
mann, GesR I, S. 820.
2 Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 29; Schack, Rz. 599; dazu BGH v. 21.3.1986
– V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 f.) = ZIP 1986, 643 = NJW 1986, 2194 (Im Inland nicht rechts-
fähige liechtensteinische Anstalt, die hier im Grundbuch eingetragen war, entsprechend § 50 Abs. 2
ZPO für die gegen sie erhobene Klage auf Zustimmung zur Eintragung einer Sicherungshypothek
und auf Duldung der Zwangsvollstreckung für passiv parteifähig erachtet); BGH v. 13.9.2004 – II
ZR 276/02, ZIP 2004, 2095 = NJW 2004, 3706 (Klage gegen eine nach dem Recht der Virgin Is-
lands gegründete Gesellschaft); LG Frankfurt a.M. v. 29.1.1982 – 2/3 O 16/82, IPRax 1982, 201
(Klage gegen einen belg. nicht-rechtsfähigen Verein vor deutschen Gerichten).
3 Vgl. Althammer in Zöller, § 50 ZPO Rz. 31.
4 Vgl. Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249 (283); Schack, Rz. 604; Großfeld in Staudinger, IntGesR
Rz. 295; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 569; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 177.

540 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.165 § 6

2. Persönliche Haftung von Gesellschaftern und Organvertretern


a) Grundsatz
Grundsätzlich unterliegt die persönliche (Außen-) Haftung der Gesellschafter oder Geschäfts- 6.164
führer für im Namen der Gesellschaft eingegangene Verbindlichkeiten gegenüber den Gesell-
schaftsgläubigern dem Personalstatut der Gesellschaft1. Auf das Wirkungsstatut der (vertrag-
lichen oder gesetzlichen) Haftung kommt es insoweit wegen der gebotenen Gleichbehandlung
der Gläubiger der Gesellschaft nicht an2. Bezüglich der Frage, ob die Gläubiger einer im Aus-
land gegründeten Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat und hier
Geschäfte getätigt hat, auch einzelne Gesellschafter oder Organe dieser Gesellschaft wegen der
aus diesen Geschäften resultierenden Gesellschaftsschulden in Anspruch nehmen können, ist
wiederum danach zu unterscheiden, ob das Gesellschaftsstatut mit Hilfe der Sitz- oder der
Gründungstheorie bestimmt wird.

b) Sitztheorie
aa) Gesellschafterhaftung
Hat eine außerhalb der EU bzw. des EWR (dazu näher Rz. 6.168 ff.)3 gegründete Kapitalge- 6.165
sellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland, so handelt es sich bei Geltung der Sitz-
theorie um einen Fall des „Handelns unter falschem Recht“4. Die Scheinauslandsgesellschaft
unterliegt daher dem vom deutschen IPR zur Anwendung berufenen deutschen Sachrecht.
Zum Schutz der inländischen Gläubiger ist die Gesellschaft, soweit sie im Inland ein Handels-
gewerbe betreibt, als OHG einzustufen; durch die Aufnahme der Geschäftstätigkeit im Inland
erlangt sie Außenwirksamkeit (§ 123 Abs. 2 HGB) und ist deshalb i.S.v. § 124 Abs. 1 HGB
rechtlich verselbständigt5. Für die Verbindlichkeiten der Scheinauslandsgesellschaft haften
deshalb deren Gesellschafter den Gläubigern nach § 128 HGB persönlich6. Die gleiche Haf-
tung trifft seit Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der (Außen-)GbR die Gesell-

1 BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (333 f.) = ZIP 1981, 31 = NJW 1981, 522 =
IPRax 1981, 130 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1981, 116); BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ
118, 151 (167) = ZIP 1992, 781 = NJW 1992, 2026; BGH v. 20.4.1993 – XI ZR 17/90, NJW 1993,
2683 (2684) = ZIP 1993, 1000; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 (1360) =
ZIP 2002, 1155; BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (189) = GmbHR 2003, 527
m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805; Zimmer,
NJW 2003, 3585 (3588); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 190; Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 614 ff. m.w.N.
2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 614 m.w.N.
3 Für die in Mitgliedstaaten der EU (bzw. des EWR) gegründeten Kapitalgesellschaften mit effekti-
vem Verwaltungssitz im Inland kann die Annahme einer persönlichen Haftung der Gesellschafter
gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV verstoßen, vgl. Zimmer, NJW 2003, 3585
(3586 f.).
4 Kindler, IPRax 2003, 41 (42); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (346 f.); Großfeld in Staudinger,
IntGesR Rz. 425.
5 Zimmer, S. 300; H. F. Müller, ZIP 1997, 1049 (1051); Haas, DB 1997, 1501 (1506); Altmeppen,
DStR 2000, 1061 (1063); Kindler, IPRax 2003, 41 (42); ähnlich auch Forsthoff, DB 2000, 1109 f.;
Behrens, IPRax 2000, 384 (388); krit. Walden, EWS 2001, 256 (259 f.).
6 BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, GmbHR 2010, 211 = ZIP 2009, 2385; Kindler, FS W. Lorenz
(2001), S. 343 (352); Kindler in MünchKomm IntGesR Rz. 489 ff., 494; Leible/Hoffmann, DB 2002,
2203 (2204 f.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 441. Vgl. auch BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/
06 (Trabrennbahn), ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter = IPRax 2009, 259
(261) (m. Anm. Kindler, IPRax 2009, 189 und Weller, IPRax 2009, 202).

Hausmann | 541
§ 6 Rz. 6.165 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schafter einer als GbR zu qualifizierenden Scheinauslandsgesellschaft1. Das bloße Auftreten


als Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts steht einer solchen persönlichen Haftung der Ge-
sellschafter nach deutschem Recht nicht entgegen2. Es rechtfertigt auch nicht die Annahme
einer konkludent vereinbarten Haftungsbeschränkung3.

bb) Handelndenhaftung
6.166 Gegenüber Scheinauslandsgesellschaften, die nicht in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des
EWR gegründet wurden4, wird der inländische Rechtsverkehr ferner durch die entsprechen-
de Anwendung der Vorschriften über die Handelndenhaftung des deutschen Kapitalgesell-
schaftsrechts (§ 41 Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG) geschützt, wenn das ausländische
Gebilde einer deutschen AG bzw. GmbH vergleichbar ist. Deutsche Gerichte haben daher die
im Inland als Geschäftsführer einer ausländischen Kapitalgesellschaft handelnden Personen
unter Geltung der Sitztheorie wiederholt für die im Namen der Gesellschaft eingegangenen
Verbindlichkeiten nach § 11 Abs. 2 GmbHG persönlich in Anspruch genommen5. Dieser Haf-
tung kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn die Handelnden nicht als Gesellschafter
einer deutschen Personengesellschaft nach den zuvor (Rz. 6.165) behandelten Grundsätzen in
Anspruch genommen werden können6.

cc) Rechtsscheinhaftung
6.167 Schließlich kann es der Schutz des inländischen Rechtsverkehrs im Einzelfall auch gebieten,
eine ausländische Gesellschaft an dem von ihr hervorgerufenen Rechtsschein festzuhalten. Ist
etwa eine ausländische Personenverbindung, die nach ihrem Personalstatut keine Rechtsfähig-
keit besitzt, im Inland wie eine juristische Person aufgetreten (z.B. durch Bezeichnung als aus-

1 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BB 2002, 2031 (2032) m. Anm. Gronstedt; = ZIP 2002, 1763;
Kindler, IPRax 2003, 41 (42 f.); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (346).
2 Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (103); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (353 f.); Kindler,
IPRax 2003, 41 (44).
3 LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, GmbHR 2002, 697 = NZG 2002, 240 (In Manchester/
England gegründete Private Ltd. Company mit effektivem Verwaltungssitz in Esslingen als OHG
qualifiziert; persönliche Haftung des Gründers und alleinigen Gesellschafters für Schulden der Ge-
sellschaft bejaht). Die Entscheidung hat heute nur noch für Drittstaatengesellschaften Bedeutung,
vgl. Rz. 6.168 f.
4 Im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV können Verstöße von im
Inland verwalteten Kapitalgesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten gegründet wurden, gegen
deutsche Kapitalschutzvorschriften heute nicht mehr mit einer Handelndenhaftung analog § 41
Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG sanktioniert werden, vgl. Rz. 6.168 ff.
5 Vgl. BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 (Rz. 5) = GmbHR 2010, 211 (Ltd.nach
dem Recht von Singapur); OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, GmbHR 1986, 349 = NJW
1986, 2199; OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422; KG
v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW 1989, 3100 (3101); LG Köln v. 25.11.1985 – 16 O 41/84, GmbHR
1986, 314 = RIW 1987, 54; LG Marburg v. 17.9.1992 – 1 O 115/92, RIW 1994, 63; LG Stuttgart v.
10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, NJW-RR 2002, 463 (466 f.) = GmbHR 2002, 697; zust. Eidenmüller/
Rehm, ZGR 1997, 89 (99 ff.); H. F. Müller, ZIP 1997, 1049 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR
Rz. 499 ff.
6 LAG Berlin v. 8.12.2000 – 6 Fa 1179/00, IPRspr. 2001 Nr. 12 (Alleiniger Gesellschafter einer poln.
Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Berlin hat und im Rechtsverkehr als „D. Inter-
national GmbH“ auftritt, haftet sowohl nach Rechtsscheingrundsätzen als auch nach § 11 Abs. 2
GmbHG für Gehaltsforderungen von Angestellten der Gesellschaft).

542 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.168 § 6

ländische AG, Stiftung o.Ä.), so kann sie aus Gründen des Vertrauensschutzes auch als solche
behandelt werden1. Dies gilt erst recht, wenn die Gesellschaft durch ihr Geschäftsgebaren den
Eindruck erweckt, eine inländische juristische Person zu sein2.
BGH v. 28.1.1960 – VII ZR 223/58, NJW 1960, 1204
Parteifähigkeit einer niederländischen Stiftung, die in Deutschland Geschäfte getätigt hatte, trotz
Zweifel an ihrer Rechtsfähigkeit nach niederländischem Recht bejaht. Es gelte „der allgemeine Rechts-
gedanke, dass Gebilde ohne Rechtspersönlichkeit, die im Rechtsverkehr wie juristische Personen auf-
treten, unter bestimmten Voraussetzungen als solche wenigstens verklagt werden können, dann näm-
lich, wenn Erfordernisse des redlichen Geschäftsverkehrs dies verlangen“.

c) Gründungstheorie
aa) Grundsatz
Der Schutz der Niederlassungsfreiheit der in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegrün- 6.168
deten Gesellschaft gebietet deren Anerkennung als ausländische Kapitalgesellschaft auch dann,
wenn der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft von Anfang an im Inland gelegen war oder
nachträglich hierhin verlegt wurde (vgl. Rz. 6.93, Rz. 6.114 ff. m. Nachw.). Auch in diesem Fall
folgt aus der Anerkennung der Gesellschaft zugleich, dass ihr ausländisches Personalstatut auch
in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete Verbindlichkeiten einschließlich der
Frage nach einer persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den
Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist3. Die nach dem Recht des Gründungsstaates bestehende
Haftungsfreistellung oder Haftungsbeschränkung der Gesellschafter darf im Inland nicht durch
die Anwendung von Vorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts ausgehebelt werden, die zu
einer persönlichen Gesellschafterhaftung führen. Deshalb kommt insbesondere eine Umqualifi-
zierung der ausländischen juristischen Person in eine deutsche Personengesellschaft mit der Fol-
ge der gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter nicht in Betracht4. Aus den gleichen
Gründen hat auch eine persönliche Haftung derjenigen Personen, die für eine in einem anderen
EU-Mitgliedstaat wirksam gegründete Gesellschaft im inländischen Rechtsverkehr gehandelt ha-
ben, in Analogie zu § 11 Abs. 2 GmbHG, § 41 Abs. 1 S. 2 AktG (dazu Rz. 6.166) auszuscheiden5.

1 OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, RIW 1985, 494 = IPRax 1985, 342 (m. Anm. Rehbinder,
IPRax 1985, 324); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 271; Kropholler, IPR, § 55 I 2b aE.
2 LG Stuttgart v. 31.7.1989 – 7 O 64/89, IPRax 1991, 118 (m. Anm. G. Fischer, IPRax 1991, 100)
(zur Rechtsscheinhaftung des für eine „pseudo foreign company“ Handelnden analog § 179 BGB).
3 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (im Text). Ebenso zur Haftung für Schulden einer US-amerikani-
schen Corporation, deren Rechtsfähigkeit im Inland auf staatsvertraglicher Grundlage nach dem
Gründungsrecht anzuerkennen war, BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = RIW 2004,
787 (m. Aufs. Ebke, RIW 2004, 740) (Delaware) sowie BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004,
2230 = RIW 2005, 147 = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) (Kalifornien).
4 Ganz h.M., vgl. BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = ZIP 2003, 718 =
GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (im Text); Eidenmüller, ZIP
2002, 82 (84) und 2233 (2240); Forsthoff, DB 2002, 318 (321)und 2471 (2475); von Halen, EWS
2002, 107 (114); Heidenhain, NZG 2002, 1141 (1142); Behrens, IPRax 2003, 193 (204); Großerich-
ter, DStR 2003, 159 (166); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925; Lutter, BB 2003, 7 (9); W.-H. Roth,
IPRax 2003, 117 (123); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (34); Weller, IPRax 2003, 324 (326); Ziemons,
ZIP 2003, 1913 (1917); a.A. noch AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 =
NZI 2003, 442 m. Anm. Mock, Schildt; Kindler, NJW 2003, 1073 (1078).
5 OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631 = NZG 2006, 826; Weller, IPRax
2003, 324 (326); anders für den Fall einer Verletzung der Zweigniederlassungspublizität im Sitz-
staat aber Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 533 f., 951 ff.

Hausmann | 543
§ 6 Rz. 6.168 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) (m. Aufs. Eidenmüller, NJW 2005, 1618) =
RIW 2005, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann = BB 2005, 1016 m. Anm. Wand = JZ 2005, 848 m. Anm.
Rehberg = NZG 2005, 508 m. Anm. Lehmann
Haftung des Geschäftsführers einer engl. Privte Ltd. Company mit tatsächlichem Verwaltungssitz im
Inland nach engl. Gründungsrecht beurteilt; analoge Anwendung von § 11 Abs. 2 GmbHG wegen feh-
lender Eintragung der Gesellschaft im deutschen Handelsregister abgelehnt.

6.169 Mit der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich unvereinbar ist ferner eine „Überlagerung“ des
ausländischen Gründungsrechts durch zwingende Vorschriften des im Tätigkeitsstaat der Ge-
sellschaft geltenden Gesellschaftsrechts1. Aus diesem Grund kann eine Durchgriffshaftung
(„piercing of the corporate veil“) wegen Unterkapitalisierung nicht schon darauf gestützt wer-
den, dass die Gesellschaft die Kapitalschutzvorschriften des Rechts am effektiven Verwaltungs-
sitz nicht eingehalten hat, sofern sie den diesbezüglichen Anforderungen ihres – insoweit al-
lein maßgeblichen – Gründungsrechts entsprochen hat (vgl. aber Rz. 6.172)2.

bb) Ausnahmen
6.170 Möglich bleibt danach zum Schutz von Gläubigern der Scheinauslandsgesellschaft nur ein
Rückgriff auf solche Instrumente des Sitzstaates, die in besonderen Ausnahmesituationen
eine Inanspruchnahme von Gesellschaftern oder Organmitgliedern ermöglichen. Dabei muss
es sich grundsätzlich um Instrumente handeln, die entweder das allgemeine Zivilrecht oder
das Insolvenzrecht des Sitzstaates den Gläubigern einräumen, die also unabhängig von der
Anknüpfung des Personalstatuts auf alle im Sitzstaat tätigen Gesellschaften gleichermaßen
Anwendung finden3. Denn unter dieser Voraussetzung scheidet ein Eingriff in die Niederlas-
sungsfreiheit der im EU-Ausland gegründeten Gesellschaft aus4. Nach der Rechtsprechung
des EuGH5 ist dabei zu unterscheiden zwischen einer strukturabhängigen Gesellschafterhaf-
tung, die als Beschränkung i.S.v. Art. 49 AEUV zu werten sein kann, und einer durch die Nie-
derlassungsfreiheit nicht berührten Verhaltenshaftung der Gesellschafter. Vor diesem Hinter-
grund ist die Durchgriffshaftung grundsätzlich gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren6.

6.171 Außer der anschließend näher betrachteten Haftung aus Delikt, wegen Verstoßes gegen insol-
venzrechtliche Pflichten und kraft Rechtsscheins ist der Sitzstaat etwa berechtigt, eine an sein

1 Vgl. Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167 (2170 f.); Kleinert/Probst,
DB 2003, 2217; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930) und Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 681;
Meilicke, GmbHR 2003, 1271 (1272); Maul/C. Schmidt, DB 2003, 2297 (2298); Probst/Kleinert,
MDR 2003, 1265 (1268); Weller, DStR 2003, 1800 (1802) und IPRax 2003, 520 (523 f.); a.A. Alt-
meppen, NJW 2004, 97 ff.
2 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (Rz. 6.168), BB 2005, 1016 (1017); OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U
108/05, NJW-RR 2006, 1631; LG Köln v. 15.8.2009 – 7 O 136/07, IPRspr. 2009 Nr. 9.
3 Vgl. zu den Qualifikationsproblemen in diesem Zusammenhang eingehend Kindler in Münch-
Komm, IntGesR Rz. 614 ff.
4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 Rz. 10 = ZIP 2007, 908 = GmbHR 2007, 593 m.
Anm. Römermann; Kindler, NJW 2007, 1785 (1786 f.); a.A. Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25);
K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493 (499); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (10 ff.).
5 EuGH v. 21.10.2010 – C-81/09, ECLI:EU:C:2010:622 (Star Cannel), NZG 2011, 183 (Rz. 47 ff.);
dazu ausf. D. Paulus, Außervertragliche Gesellschafter- und Organhaftung im Lichte des Unions-
kollisionsrechts (2013), Rz. 454 ff.
6 Vgl. – zur internationalen Zuständigkeit – EuGH v. 17.10.2013 – C 519/12, ECLI:EU:C:2013:674
(OTP), IPRax 2014, 528 (m. Anm. Kindler, IPRax 2014, 486); allg. Kindler in MünchKomm, Int-
GesR Rz. 617 ff.

544 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.173 § 6

Recht angepasste transparente Firmierung für Scheinauslandsgesellschaften vorzuschreiben


und Verstöße hiergegen – z.B. durch eine Haftung der Geschäftsführer aus culpa in contra-
hendo – zu sanktionieren1. Diese Haftung, die etwa auch wegen Verletzung vorvertraglicher
Aufklärungspflichten durch den Geschäftsführer gegenüber Gläubigern im Vorfeld der Insol-
venz in Betracht kommt, unterliegt also nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern dem von
Art. 12 Rom II-VO bestimmten Recht2. Ferner haftet derjenige, der im Namen einer ur-
sprünglich in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten, inzwischen aber erloschenen Gesellschaft
im Inland handelt, für die eingegangenen Verpflichtungen persönlich nach den allgemeinen
Grundsätzen des deutschen Privatrechts3. Insgesamt dürfen derartige Sonderanknüpfungen
aber die einheitliche kollisionsrechtliche Beurteilung der in anderen Mitgliedstaaten gegrün-
deten Gesellschaften nach ihrem Gründungsrecht nicht gefährden4.

(1) Deliktsrecht
Keine Bedenken bestehen unter dem Gesichtspunkt einer Beschränkung der Niederlassungs- 6.172
freiheit gegen eine Inanspruchnahme der Gesellschafter oder Geschäftsführer einer in einem
anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten ausländischen Gesellschaft, die auf deliktische An-
spruchsgrundlagen, etwa Betrug (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB) oder vorsätzliche sittenwid-
rige Schädigung (§ 826 BGB), gestützt wird5. Um inländische Gläubiger wirksam gegenüber
Scheinauslandsgesellschaften zu schützen, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten auch berech-
tigt, den Anwendungsbereich des Gesellschaftsstatuts bis zu einem gewissen Grad zugunsten
des Deliktsstatuts einzuschränken. Aus diesem Grunde kommt eine Gesellschafterhaftung we-
gen Vermögens- oder Sphärenvermischung nach Maßgabe des am tatsächlichen Verwal-
tungssitz der Gesellschaft geltenden Rechts jedenfalls dann in Betracht, wenn das Verhalten
der Gesellschafter zugleich einen Deliktstatbestand erfüllt, ohne dass darin eine Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit gesehen werden kann6.

Gleiches gilt für eine Gesellschafterhaftung unter dem Gesichtspunkt der Unterkapitalisie- 6.173
rung, wenn das Verhalten der Gesellschafter – zumindest auch7 – deliktisch qualifiziert wer-
den kann8. Die Geltung des Sitzrechts folgt in diesen Fällen aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, weil
der schädigende Erfolg regelmäßig in dem Staat eintritt, in dem die Gesellschaft ihre geschäft-
lichen Aktivitäten entfaltet; für eine akzessorische Anknüpfung an das Gründungrecht nach
Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ist regelmäßig kein Raum, weil das schädigende Verhalten der Ge-
sellschafter eine engere Verbindung zum Sitz- als zum Gründungsstaat der Gesellschaft auf-
weist. Eine Anwendung der am Verwaltungssitz der Gesellschaft geltenden Regeln der Durch-
griffshaftung in Ausnahmefällen ist aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Gesell-
schafter die Schwelle zu einem deliktischen Verhalten noch nicht überschritten haben. Beach-

1 Bayer, BB 2003, 2357 (2364).


2 Balthasar, RIW 2009, 221 (226).
3 LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = GmbHR 2007, 608 = NZG 2007, 637.
4 Eidenmüller, JZ 2003, 526 (528); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.
5 Ganz hM, vgl. Bayer, BB 2003, 2357 (2364 f.); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); Borges, ZIP 2004,
733 (741); Horn, NJW 2004, 893 (899).
6 Kindler, FS Säcker (2011), S. 393 (398 f.); Schall, ZIP 2016, 289 (294 f.); Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 622 mwN; a.A. Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (182).
7 Für Mehrfachqualifikation als gesellschafts- und deliktsrechtlich Kindler, FS Jayme (2004), S. 409
(413 f.).
8 Ulmer, NJW 2004, 1201 (1208); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 623; a.A. OLG Hamm v.
27.1.2006 – 12 U 108/05, NZG 2006, 826; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.

Hausmann | 545
§ 6 Rz. 6.173 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten sie nämlich die Trennung der Haftungsmassen – als Voraussetzung für ihre beschränkte
Haftung – selbst nicht oder erhöhen sie das Risiko einer Insolvenz der Gesellschaft durch eine
massive Unterkapitalisierung beträchtlich, so stünde einer Berufung auf die Niederlassungs-
freiheit der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen1.

(2) Insolvenzrecht
6.174 Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind ferner nicht gehindert, insolvenzrechtliche Haftungs-
instrumente, die nach dem Recht des Eröffnungsstaates – als dem nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO
2015 maßgeblichen Insolvenzstatut (vgl. dazu Rz. 6.686 ff.) – vorgesehen sind, auf die in ande-
ren Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften in gleichem Umfang wie auf inländische Ge-
sellschaften anzuwenden2. Als insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist etwa das durch das Mo-
MiG neu geregelte Recht des Eigenkapitalersatzes3 sowie insbesondere die Pflicht des Ge-
schäftsführers einer deutschen GmbH zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags nach
§ 15a InsO. Angesichts der eindeutig insolvenzrechtlichen Zielsetzung dieser Vorschrift änder-
te schon früher die systematische Stellung der Vorschrift zur Haftung wegen Verletzung dieser
Antragspflicht in § 64 GmbHG daran nichts4. Zwar ergab sich die zivilrechtliche Insolvenz-
verschleppungshaftung des Geschäftsführers im deutschen Recht bis zum 31.12.2020 nicht
unmittelbar aus § 15a InsO; vielmehr diente diese Vorschrift nur als Grundlage für die delikti-
sche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB. Auch diese Haftung verfolgte indessen primär insol-
venzrechtliche Zwecke und war deshalb nicht deliktsrechtlich, sondern insolvenzrechtlich zu
qualifizieren5. Dies hat der EuGH in der Rechtssache „Kornhaas“ zu § 64 GmbHG a.F. aus-
drücklich klargestellt6. Nach der Neuregelung dieser Haftung in § 15b Abs. 4 InsO kann daran
erst recht kein Zweifel mehr bestehen. Die Haftung für Zahlungen, die erst nach Zahlungs-

1 Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (806); Zimmer, NJW 2003, 3585
(3588 f.); Borges, ZIP 2004, 733 (741); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 ff.); Balthasar, RIW 2009,
221 (225).
2 Müller, NZG 2003, 414 (416); Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 ff.);
Altmeppen, NJW 2004, 97 (100 f.); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207). Zum Vorrang der EuInsVO
2015 bei der Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Gesellschaftstatut von Bar/Mankowski, Bd. II
§ 7 Rz. 229 ff.
3 BGH v. 21.07.2011 –- IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 = NZI 2011, 818 = NZG 2011, 119 = BB 2012,
14 m. Anm. Teichmann; AG Hamburg v. 26.11.2008 – 67g IN 352/08, ZIP 2009, 532 = NZG 2009,
197; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451 (455); ebenso schon Haas, NZG 1999, 1148, 1152.
4 Vgl. zur Anwendung von § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. auf den director einer private Ltd., über deren
Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, BGH v. 15.3.2016 – II ZR 119/
14, MDR 2016, 719; Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Borges, ZIP 2004, 733 (739); Paulus, ZIP 2002,
729 (734); Müller, NZG 2003, 414 (416 f.); Weller, DStR, 2003, 1800 (1804); Eidenmüller, NJW
2005, 1618 (1620 f.); Altmeppen, NJW 2005, 1911 (1913); Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuIns-
VO Rz. 63 ff. m.w.N.; a.A. Spindler/Berner, RIW 2004, 414 (416).
5 Kuntz, NZI 2005, 424 (428); von Bar/Mankowski, Bd. II § 7 Rz. 233 ff.; Kindler in MünchKomm,
Art. 4 EuInsVO Rz. 69 ff., jeweils m.w.N.
6 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-P.
Weller/Hübner; ebenso schon der BGH in seinem Vorlagebeschluss v. 2.12.2014 – II ZR 119/14,
ZIP 2015, 68 (Rz. 8 ff.) = GmbHR 2015, 79 m. Anm. Römermann = NZI 2015, 85 (87) m. Anm.
Mock m. umf. Nachw. zum Streitstand; ferner OLG Düsseldorf v. 1.10.2015 – 6 U 169/14, NZI
2016, 642 m. Anm. Poertzgen. Vgl. auch die Abschlussentscheidung des BGH v. 15.3.2016 – II ZR
119/14, NJW 2016, 2660 (Rz. 15 ff.) = NZI 2016, 461 m. Anm. Mock. Im gleichen Sinne auch
schon EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), EuZW 2015, 141 (Rz. 21 ff.)
m. Anm. Kindler = NZI 2015, 88 m. Anm. Poertzgen = ZIP 2015, 196.

546 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.176 § 6

unfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet wurden, ist auch nicht auf Ge-
schäftsführer einer deutschen GmbH beschränkt, sondern gilt gleichermaßen für Leitungs-
organe von im EU-Ausland gegründeten Gesellschaften, die – wie etwa die Private Ltd. Com-
pany des englischen Rechts – der GmbH funktional entsprechen, sofern das Insolvenzverfah-
ren in Deutschland eröffnet wird (zur internationalen Eröffnungszuständigkeit Rz. 6.539 ff.)1.
In der Anwendung dieser Haftungsregeln auf Geschäftsleiter von in anderen EU-Mitgliedstaa-
ten gegründeten Gesellschaften liegt auch keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit2.

Darüber hinaus dürfte auch die von der deutschen Rechtsprechung im Wege richterlicher 6.175
Rechtsfortbildung entwickelte Haftung der Gesellschafter wegen Existenzvernichtung3 primär
den Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor einer Masseverkürzung bezwecken. Obwohl der BGH
diese Haftung auf § 826 BGB stützt, dürfte sie für die Zwecke des europäischen Kollisionsrechts
daher nicht als deliktisch, sondern als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein4. Maßgebend sind
daher nicht die Art. 4 ff. Rom II-VO, sondern Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO analog. Die
Haftung kommt daher auch zu Lasten der Gesellschafter der in einem anderen EU-Mitgliedstaat
gegründeten Gesellschaft in Betracht, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland hat5.

(3) Rechtsscheinhaftung
Eine Rechtsscheinhaftung kommt zunächst in Betracht, wenn eine Gesellschaft im Rechtsver- 6.176
kehr den Anschein erweckt, sie sei eine deutsche Gesellschaft, während sie in Wirklichkeit ein
ausländisches Personalstatut hat. Diese Rechtsscheinhaftung sollte nach dem Referentenent-
wurf des BMJ zum internationalen Gesellschaftsrecht (Rz. 6.66 ff.) in Art. 12 Abs. 3 EGBGB-

1 BGH v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 (m. Aufs. Altmeppen, ZIP 2017, 1833) = NZI
2017, 809 m. Anm. Schädlich = BB 2017, 2130 m. Anm. Wilhelm; OLG Jena v. 17.7.2013 – 2 U
815/12, ZIP 2013, 1820 = NZI 2013, 807 = IPRax 2014, 357 (m. zust. Anm. M-P. Weller, IPRax
2014, 336) (jeweils zur engl. Limited); LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 =
GmbHR 2006, 710 m. Anm. Leutner/Langner = EuZW 2006, 478 (m. abl. Anm. Ringe/Willemer
EuZW 2006, 621); Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3589); Horn, NJW
2004, 893 (899); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (342); Balthasar, RiW 2009, 221 (226); Kindler in
MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 59; a.A. insbesondere Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 f.).
2 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas) (Rz. 6.33); Ulmer, NJW 2004,
1201 (1207); M.-P. Weller, IPRax 2004, 414; Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); Kindler in
MünchKomm, EuInsVO Rz. 84 ff. m.w.N.; a.A. insb. Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 f.).
3 Vgl. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 (Bremer Vulkan), BGHZ 149, 10 (16 f.) = ZIP 2001, 1874 =
NJW 2001, 3622; BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 (TRIHOTEL), BGHZ 151, 181 (186 ff.) = NJW
2002, 3024 = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173,
246 = (252 ff.) = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 m. Anm. Schröder; BGH v. 28.4.2008 – II
ZR 264/06 (GAMMA), NJW 2008, 2437 (2438) = GmbHR 2008, 805 m. Anm. Ulrich; dazu Horn,
NJW 2004, 893 (899).
4 Kindler, IPRax 2009, 189 (193); Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 (120 f.); Weller, Europäische Rechts-
formwahlfreiheit (2004), S. 266; Mankowski, NZG 2016, 281 (286); a.A. OLG Köln v. 14.5.2004 –
16 W 11/04, NZG 2004, 1009 (1011) = ZIP 2005, 322; Haas, WM 2003, 1929 (1940); Schanze/
Jüttner, AG 2003, 661 (669); Balthasar, RIW 2009, 221 (225 f.).
5 Für Vereinbarkeit der Existenzvernichtungshaftung mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49,
54 AEUV auch Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 f.); Weller, IPRax 2003, 207 ff.; Schulz, NJW 2003,
2705 (2708); Altmeppen, NJW 2004, 97 (101 f.); dazu näher Kindler, FS Jayme (2004), S. 409
(416 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 625 f.; a.A. Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1620)
(akzessorische Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1204) (Rechtfer-
tigung am Maßstab der Art. 49, 54 AEUV erforderlich).

Hausmann | 547
§ 6 Rz. 6.176 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

E kodifiziert werden. Danach können sich Dritte immer dann, wenn eine Gesellschaft unter
einem anderen Recht als ihrem nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB-E maßgebenden Personalstatut
im Rechtsverkehr auftritt, auf dieses andere Recht berufen.

6.177 Auch die durch Verletzung der Pflicht zur Führung eines auf die beschränkte Haftung hinwei-
senden Firmenzusatzes begründete Rechtsscheinhaftung knüpft nicht an die Verletzung spe-
zifischer Organpflichten an. Sie untersteht daher nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern dem
Recht des Staates, in dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat (vgl. auch
Rz. 6.467 ff.)1. Daher wird die Haftung des für eine ausländische Kapitalgesellschaft auftreten-
den gesetzlichen Vertreters, der durch sein Zeichnen mit der Firma ohne Rechtsformzusatz
das Vertrauen auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen hat, nicht
nach dem ausländischen Gesellschaftsstatut, sondern nach deutschem Recht (§ 179 BGB) be-
urteilt, wenn der Rechtsschein im Inland erzeugt wurde2.
BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 (Einfamilienhaus), ZIP 2007, 908 = NJW 2007, 1529 (1530) (m. Anm.
Kindler, NJW 2007, 1785) = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann = IPRax 2008, 72 (m. Anm.
Brinkmann, IPRax 2008, 30)
Auf die Haftung des für eine niederländ. Besloten Vennootschap auftretenden gesetzlichen Vertreters
wegen Weglassung des Rechtsformzusatzes „BV“ deutsches Recht angewendet, weil der Rechtsschein
in Deutschland entstanden sei.
Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV wird durch die Annahme einer solchen
persönlichen Haftung des Geschäftsführers, die nicht an die Verletzung von Organpflichten
anknüpft, nicht tangiert3.

6.178 Von dieser persönlichen Rechtsscheinhaftung eines Gesellschaftsorgans zu unterscheiden ist


die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln von Organvertretern, die ihre Ver-
tretungsbefugnisse überschreiten. Auch sie beurteilt sich nicht zwingend nach dem Gesell-
schaftsstatut, sondern – ähnlich wie die Anscheinsvollmacht (dazu Rz. 6.467 ff.) – nach dem
Recht des Staates, in dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat, weil die
Haftung allein auf dem Rechtsschein beruht. Bei Distanzgeschäften kommt es daher auf den
Ort an, an dem die Erklärung des Vertreters abgegeben wurde; hingegen ist der Ort des Zu-
gangs der Erklärung nicht maßgebend4.

3. Inländische Zweigniederlassungen
6.179 Mit der inländischen Zweigniederlassung5 eines ausländischen Unternehmens verkehrende
Dritte sind dann umfassend geschützt, wenn der Zweigniederlassung nach deutschem Recht
eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. In diesem Falle beurteilen sich auch die Vertretungsver-
hältnisse ausschließlich nach deutschem Recht (dazu Rz. 6.141 ff.). Aber auch dann, wenn die

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 636.


2 OLG Schleswig v. 24.10.2008 – 14 U 4/08, GmbHR 2009, 666 = IHR 2009, 243, OLG Rostock v.
5.10.2010 – 4 U 139/08, GmbHR 2010, 1349; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 648 f.
3 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 (im Text); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 636.
4 BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NJW 2012, 1192 (Rz. 28 ff.) = NZG 2012, 1192 = ZIP 2012, 1908.
5 Vgl. allg. zur rechtlichen Behandlung inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Unterneh-
men Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 975 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 885 ff. Zur
Neuregelung durch das Gesetz v. 22.7.1993 (BGBl. I 1993, 1282) zur Umsetzung der Zweignieder-
lassungs-RL Seibert, GmbHR 1992, 738 ff. und DB 1993, 1705 ff.; Kindler, NJW 1993, 3301 ff.;
Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 983 ff.

548 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.182 § 6

inländische Zweigniederlassung – wie i.d.R. – nicht selbst juristische Person, sondern unselb-
ständiger Teil des ausländischen Unternehmens ist und als solcher dem ausländischen Per-
sonalstatut dieses Unternehmens untersteht1, so ist zugunsten unkundiger Dritter doch in je-
dem Fall § 15 HGB anzuwenden, wenn Beschränkungen der Vertretungsmacht, die zwar nach
dem ausländischen Sitz- oder Gründungsrecht der Gesellschaft, nicht aber nach deutschem
Recht bestehen, im deutschen Handelsregister nicht gem. §§ 13d-g HGB eingetragen sind2.

Insoweit folgt aus § 13d Abs. 3 HGB, dass die inländische Zweigniederlassung einer auslän- 6.180
dischen Personenhandelsgesellschaft grundsätzlich wie eine inländische Hauptniederlassung
behandelt wird. Entsprechendes gilt für die Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaf-
ten (AG, GmbH, KGaA). Insoweit kommt es auf die Vergleichbarkeit der ausländischen Gesell-
schaft mit einer der genannten Gesellschaftstypen des deutschen Rechts an (Substitution)3.

Das Registerverfahrensrecht unterliegt dabei ausschließlich der deutschen lex fori4. Diese re- 6.181
gelt daher die zu erbringenden Nachweise und die Voraussetzungen für die Anerkennung aus-
ländischer Urkunden5. Die Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft kann
aber nur im deutschen Handelsregister eingetragen werden, wenn die Rechtsfähigkeit dieser
Gesellschaft nach den zuvor dargelegten Grundsätzen der Sitz- bzw. Gründungstheorie
(Rz. 6.127 ff.) im Inland anzuerkennen ist; hierfür ist der Anmelder beweispflichtig6.

Eintragungsfähig sind in diesem Falle nicht nur Beschränkungen der Vertretungsmacht von 6.182
Organen ausländischer Gesellschaften, die auch im deutschen Recht geläufig sind; vielmehr
können auch dem deutschen Recht unbekannte und sogar nach deutschem Recht unzulässige
Vertretungsverhältnisse nach Maßgabe des ausländischen Sitz- oder Gründungsrechts einge-
tragen werden; Schranke ist lediglich der deutsche ordre public (Art. 6 EGBGB)7.

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 23.5.1996 – 6 U 120/95, IPRspr. 1996 Nr. 215; ebenso zum öst. Recht
OGH v. 11.10.1995 – 3 Ob 64/95, IPRax 1997, 126 (127) (m. zust. Anm. Leible, IPRax 1997, 133),
wo die Annahme eines eigenen „Zweigniederlassungsstatuts“ aufgegeben wird.
2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 1030.
3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 1008; BayObLG v. 21.10.1985 – BReg 3 Z 48/85, BayObLGZ
1985, 348 (351) = RIW 1986, 552 (zur Eintragung der Zweigniederlassung einer ausländ. AG);
OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/05, ZIP 2006, 333 = NZG 2006, 515 (zur Anmeldung
der Zweigniederlassung einer engl. „Private Ltd. Company“).
4 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (278); OLG Hamm v. 21.7.2006 –
15 W 27/06, ZIP 2006, 1947 = GmbHR 2006, 1198 m. Anm. Werner; OLG Dresden v. 21.5.2007 –
1 W 52/07, ZIP 2007, 2076 = GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter. Das gleiche gilt im Grund-
buchverfahren; vgl. die Nachw. in Rz. 6.186; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 989, 993 ff.
5 OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, FGPrax 2014, 156 (157) = ZIP 2014, 2033 mwN.
6 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (278); Großfeld in Staudinger, Int-
GesR Rz. 1009.
7 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 940; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 947. Vgl. auch KG
v. 8.3.1929, IPRspr. 1929 Nr. 21 (Anmeldung einer deutschen Zweigniederlassung durch eine nie-
derländ. AG. Beschränkung der Vertretungsbefugnis der Direktoren durch das Erfordernis der
Mitwirkung eines Aufsichtsratsmitglieds bei Transaktionen mit einem Wert von mehr als 1000 DM
als eintragungsfähig erachtet; Verstoß gegen den deutschen ordre public verneint); a.A. OLG
Frankfurt a.M. v. 18.3.1976 – 20 W 141/76, BB 1976, 569 (Eintragung einer Gesamtprokura unter
Beteiligung des Hauptbevollmächtigten eines ausländischen Versicherungsunternehmens für des-
sen inländ. Zweigniederlassung abgelehnt: „Dem deutschen Handels- und Gesellschaftsrecht ist ...
eine solche nach außen wirkende Beschränkung der Vertretungsmacht eines vertretungsberechtig-
ten Organs oder eines anderen gesetzlichen Vertreters auf eine Zweigniederlassung oder ein be-
stimmtes geografisches Gebiet fremd.“).

Hausmann | 549
§ 6 Rz. 6.183 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.183 Soweit im deutschen Handelsregister Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften ein-


getragen werden, verlangen es darüber hinaus die Bedürfnisse der Praxis, dass auch besondere
gesetzliche Vertreter, die nach ausländischem Recht für den Geschäftsbereich der Zweignie-
derlassung vertretungsberechtigt sind, eingetragen werden1.

4. Notarielle Bestätigung
6.184 Viele Schwierigkeiten können vermieden werden, wenn die Personen, die für eine auslän-
dische Gesellschaft handeln, die Bestätigung eines Notars vorlegen, aus der ihre Vertretungs-
macht hervorgeht. Nach deutschem Recht ist die Zuständigkeit der Notare für solche Vertre-
terbescheinigungen ausdrücklich vorgesehen (§ 21 BNotO). Deutsche Notare sind also befugt,
auf Grund einer Einsichtnahme in ausländische Register auch Bescheinigungen über die Ver-
tretungsbefugnis der Organe einer ausländischen Gesellschaft auszustellen. Dies gilt allerdings
nur dann, wenn das ausländische Register dem deutschen Handelsregister funktional gleich-
wertig ist2; daran fehlt es bei dem vom Companies House geführten englischen Gesellschafts-
register (dazu näher Rz. 6.222)3. Mit der Novelle zur BNotO von 1998 wurde die Kompetenz
der Notare nach § 21 BNotO auf die Bescheinigung sonstiger rechtserheblicher Umstände ei-
ner Gesellschaft, z.B. Bestehen, Sitz, Firma, Umwandlung u.Ä. erweitert4.

6.185 Auch im Ausland kommen vergleichbare Bescheinigungen vor5. Die Frage, ob die notarielle
Vertretungsbescheinigung eines ausländischen Notars zum Nachweis der Vertretungsbefug-
nis einer dort registrierten Gesellschaft ausreicht, beurteilt sich nicht nach § 21 BNotO, son-
dern grundsätzlich nach dem Recht am Sitz des beurkundenden Notars6. Allerdings richten
sich das Eintragungsverfahren und die gegenüber dem Registergericht zu erbringenden Nach-
weise auch in diesem Fall nach deutschem Recht als der lex fori7. Danach kann zwar auch die
Bescheinigung eines englischen Notars zum Nachweis der Vertretungsverhältnisse einer eng-
lischen Private Ltd. Company genügen8; dies gilt aber dann nicht, wenn diese Bescheinigung

1 AG Hamburg v. 30.9.1965 – 66 HRB 2974, MDR 1966, 334 (Hauptbevollmächtigter für die inländ.
Zweigstelle eines ausländ. Versicherungsunternehmens [§§ 106, 108 VAG]); BayObLG v. 12.7.1973
– BReg 2 Z 31/73, NJW 1973, 2162 (Geschäftsleiter der deutschen Zweigniederlassung eines aus-
ländischen Kreditinstituts [§ 53 Abs. 2 Nr. 1 KWG]); a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 18.3.1976 – 20
W 141/76 (vorige Fn.).
2 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 30); OLG Schleswig v. 13.12.2007
– 2 W 198/07, IPRax 2009, 79 (80) (m. Anm. Geimer, IPRax 2009, 58) = DNotZ 2008, 709 m.
Anm. Apfelbaum (betr. das schwed. Handelsregister), jeweils m.w.N.
3 KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604 (605); OLG Köln v. 25.9.2012 – 2 Wx 184/
12, FGPrax 2013, 18; OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – 1-3 Wx 190/13. NZG 2015, 199 f.; OLG
Nürnberg v. 26.1.2015, ZIP 2015, 1630 = FGPrax 2015, 124; Pfeiffer, Rpfleger 2012, 240 (243)
m.w.N.; vgl. auch zu Irland OLG Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NZG 2014, 1237.
4 Vgl. Schaub, NZG 2000, 953 (959).
5 Vgl. KG v. 10.4.1930, JW 1930, 1874: Bescheinigung durch schweiz. Notar; Deutsches Patentamt v.
8.2.1956, DNotZ 1956, 305: Bescheinigung durch luxemburg. Notar.
6 OLG Köln v. 4.5.1988 – 2 Wx 6/88, GmbHR 1989, 125 = RIW 1989, 565 = Rpfleger 1989, 66 m.
Anm. Kirstgen (Beweiskraft der Bescheinigung eines belg. Notars über die gesetzliche Vertretung
einer belg. AG nach belg. Recht beurteilt).
7 OLG Hamm v. 21.7.2006 – 15 W 27/06, FGPrax 2006, 276 (277) = ZIP 2006, 1947 = GmbHR
2006, 1198 m. Anm. Werner; OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, ZIP 2007, 2076 = GmbHR
2007, 1156 m. Anm. Wachter = NZG 2008, 265 (266); OLG Frankfurt a.M. v. 19.2.2008 – 20 W
263/07, FGPrax 2008, 165 (166) = GmbHR 2009, 214.
8 OLG Schleswig v. 1.2.2012 – 2 W 10/12, GmbHR 2012, 799 = MDR 2012, 981, BGH v. 28.9.2011
– IV ZR 294/10, NJW-RR 2012, 163; Wachter, DB 2004, 2795 (2799 f.).

550 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. § 6

allein auf der Einsichtnahme des Notars in das beim Companies House geführte Register be-
ruht (dazu näher Rz. 6.221 m.w.N.)1.

Im Grundbuchverkehr ist die Existenz und die Vertretungsbefugnis einer ausländischen juris- 6.186
tischen Person oder Handelsgesellschaft allerdings grundsätzlich in der Form des § 29 GBO
nachzuweisen2. Dieser Nachweis kann auch durch ausländische öffentliche Urkunden geführt
werden, wenn sie den Anforderungen des § 415 ZPO entsprechen. Auch die Nachweiserleich-
terung gem. § 32 Abs. 1 GBO i.V.m. § 21 BNotO kann auf ausländische Gersellschaften jeden-
falls dann angewendet werden, wenn die Notarbescheinigung auf der Einsichtnahme des No-
tars in das Handelsregister einer deutschen Zweigniederlassung beruht3. Unter den zuvor in
Rz. 6.184 genannten Voraussetzungen kann aber ausnahmsweise auch eine Bescheinigung ge-
nügen, die der deutsche Notar aufgrund der Einsicht in ein gleichwertiges ausländisches Re-
gister erstellt hat4. Anstelle eines eigenen Nachweises kann der Antragsteller nach § 32 Abs. 2
GBO auch auch auf das elektronisch geführte Register Bezug nehmen5.

VIII. Die gesetzliche Vertretung von Handelsgesellschaften und ihr Nachweis


im ausländischen Recht
1. Europäische Rechtsvereinheitlichung
Literatur: (zur älteren Literatur vgl. Vorauflage): Bayer, Aktuelle Entwicklung im Europäischen Ge-
sellschaftsrecht, BB 2004, 1; Campobasso (Hrsg.), Armonie e disarmonie nel diritto commitario delle
societá di capitali (2003); Deckert, Zu Harmonisierungsbedarf und Harmonisierungsgrenzen im Euro-
päischen Gesellschaftsrecht, RabelsZ 64 (2000), 478; Ebke, Unternehmensrecht und Binnenmarkt – E
pluribus unum?, RabelsZ 62 (1998), 195; Ebke, Unternehmensrechtsangleichung der Europäischen
Union, FS Großfeld (1999), S. 189; Edwards, EC Company Law (1999); Fleischer, Supranationale Ge-
sellschaftsformen der Europäischen Union, ZHR 174 (2010) 385; Fleischer, Europäisches Konzern-
recht, ZGR 2017, 1; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011; Habersack, Europäi-
sches Gesellschaftsrecht im Wandel, NZG 2004, 1; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht,
5. Aufl. 2019; Heldrich/Hopt (Hrsg.), Handels- und Wirtschaftsrecht, Europäisches und Internationa-
les Recht (2000); Hopt, Company Law in the European Union: Harmonization or Subsidiarity (1998);
Hopt, Europäisches Übernahmerecht (2013); Kahnert, Rechtssetzung im Europäischen Gesellschafts-
recht (2012); Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht (2004); Kersting, Die Vor-
gesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht (2000); Kindler, Kapitalgesellschaftsrechtliche Durch-
griffshaftung und EU-Recht, FS Säcker (2011), S. 393; Kumpan/Pauschinger, Entwixklung des
europäischen Gesellschaftsrechts, EuZW 2019, 347; Lutter, Das Europäisches Unternehmensrecht im
21. Jahrhundert, ZGR 2000, 1; Lutter/Bayer/Schmidt, Euopäisches Unternehmens- und Kapitalmarkt-
recht, 6. Aufl. 2017; Menjucq, Droit international et européen des sociétés (2001); Merkt, Die Plurali-
sierung des europäischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 1; Merkt, Einheit und Vielfalt im europäi-
schen Unternehmensrecht, FS Blaurock (2013), S. 311; Nagel, Deutsches und europäisches
Gesellschaftsrecht (2000); Schön, Das Bild des Gesellschafters im Europäischen Gesellschaftsrecht, Ra-
belsZ 64 (2001), 1; Schön, Rechtsmissbrauch im europäischen Gesellschaftsrecht, FS Wiedemann

1 OLG Köln v. 25.9.2012 – 2 Wx 184/12, FGPrax 2013, 18; OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/
14, FGPrax 2014, 156 (157) = ZIP 2014, 2033.
2 OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, GmbHR 1995, 599 = RIW 1995, 152 (153) = NJW-RR
1995, 469; OLG Brandenburg v. 19.1.2011 – 5 Wx 70/10, MittBayNot 2011, 222; OLG Köln v.
25.9.2012 – 2 Wx 184/12 (vorige Fn.); einschränkend aber KG v. 22.5.2012 – 1 W 163/11, ZIP
2012, 1560 = FGPrax 2012, 236 (dänischer Verein).
3 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973 = RNotZ 2013, 426.
4 OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – 1-3 Wx 190/13, NZG 2015, 199.
5 Aufderhaar/Jaeger, ZfIR 2009, 681 (687); Hügel in BeckOK GBO, § 32 GBO Rz. 54 ff.

Hausmann | 551
§ 6 Rz. | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(2002), S. 1271; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht (2000); Steding, Das Gesellschaftsrecht der
EU zwischen Erwartung und Enttäuschung, NZG 2000, 913; Wagner, Der europäische Verein – Eine
Gesellschaftsform europäischen oder mitgliedstaatlichen Rechts? (2002); Weller, Zukunftsfragen des
Europäischen Unternehmensrechts, ZEuP 2012, 681; Wiesner, Europäisches Gesellschaftsrecht, in
MünchHdbGesR, 3. Aufl. 2009, § 76; vgl. auch Kindler, in: MünchKomm, IntGesR vor Rz. 28.

a) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)


Literatur: Hartard, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung im deutschen, englischen
und französischen Recht (1991); Lentner, Das Gesellschaftsrecht der Europäischen Wirtschaftlichen In-
teressenvereinigung (EWIV) (1994); Lenz, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung mit
dem Sitz in der BRD vor der Eintragung (1997); Mongiello, Il gruppo europeo di interesse economico
(Mailand 1994); Müller-Gugenberger, EWIV – Die neue europäische Gesellschaftsform, NJW 1989,
1449; Müller-Gugenberger/Schotthöfer, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung. Eine
Darstellung aus rechtsvergleichender Sicht (1992); Müller-Gugenberger/Schotthöfer, Das EWIV in Euro-
pa (1995); Salger/Neye, Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, in MünchHdbGesR, Bd.
I/5. Teil, 5. Aufl. 2019; Selbherr/Manz, Kommentar zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenver-
einigung (EWIV) (1995).
6.187 Die EWIV wurde durch EWG-VO Nr. 2136/85 vom 25.7.19851 als Instrument zur grenzüber-
schreitenden wirtschaftlichen Kooperation nach dem Vorbild des französischen „groupement
d´intérêt économique“ geschaffen. Die Verordnung ist unmittelbar anwendbares Recht. Soweit
sie keine Regelung enthält, ist nach ihrem Art. 2 Abs. 1 das innerstaatliche Recht des Staates
anzuwenden, in dem die Vereinigung ihren Sitz hat. Nach deutschem Recht sind auf die
EWIV ergänzend die Vorschriften des OHG-Rechts anzuwenden (§ 1 EWIV-AusführungsG
vom 14.4.1988)2. Die Vereinigung ist damit Handelsgesellschaft mit unbeschränkter persönli-
cher Haftung ihrer Mitglieder (Art. 24 VO Nr. 2136/85), die unter ihrer Firma klagen und
verklagt werden kann (§ 1 EWIV-AusführungsG i.V.m. § 124 HGB).

6.188 Die Vertretung der Vereinigung obliegt den Geschäftsführern, und zwar grundsätzlich jedem
Geschäftsführer einzeln (Art. 20 Abs. 1 S. 1 VO Nr. 2136/85). Der Gründungsvertrag kann
jedoch auch Gesamtvertretung durch zwei oder mehr gemeinschaftlich handelnde Geschäfts-
führer vorsehen; diese Beschränkung kann Dritten jedoch nur entgegengehalten werden,
wenn sie ordnungsgemäß eingetragen und bekannt gemacht worden ist (Art. 20 Abs. 2 VO
Nr. 2136/85). Überschreitet der Geschäftsführer die ihm durch den Unternehmensgegenstand
gezogenen Grenzen, so wird die Vereinigung gutgläubigen Dritten gegenüber dennoch ver-
pflichtet; die Bekanntmachung des im Gründungsvertrag angegebenen Unternehmensgegen-
standes reicht dabei nicht aus, um den Nachweis der Bösgläubigkeit des Dritten zu führen
(Art. 20 Abs. 1 S. 2 VO Nr. 2136/85). Andere Beschränkungen der Befugnisse von Geschäfts-
führern durch den Gründungsvertrag oder durch Mitgliederbeschluss können Dritten selbst
dann nicht entgegengesetzt werden, wenn sie bekannt gemacht wurden (Art. 20 Abs. 1 S. 3
VO Nr. 2136/85).

b) Europäische Aktiengesellschaft (SE)


Literatur: Austmann, Europäische Aktiengesellschaft, in MünchHdbGesR Bd. II, 5. Aufl. 2020, Kap.
15; Bachmann, Die Societas Europaea und das europäische Privatrecht, ZEuP 2008, 32; Bachmann,
Das auf die insolvente Societas europaea (SE) anwendbare Recht, FS von Hoffmann (2011), S. 36;

1 ABl. EG 1985 Nr. L 201, S. 1.


2 BGBl. I 1988, 514.

552 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.188 § 6

Baums/Cahn (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft – Umsetzungsfragen und Perspektiven


(2004); Blanquet, Das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea „SE“) – Ein Ge-
meinschaftsinstrument für die grenzübergreifende Zusammenarbeit im Dienste der Unternehmen,
ZGR 2002, 20; Brandi, Die Europäische Aktiengesellschaft im deutschen und internationalen Kon-
zernrecht, NZG 2003, 889; Brandt/Scheifele, Die Europäische Aktiengesellschaft und das anwendbare
Recht, DStR 2000, 547; Bungert/Beier, Die Europäische Aktiengesellschaft – das Statut und seine Um-
setzung in die Praxis, EWS 2002, 1; Casper, Der Lückenschluss im Statut der Europäischen Aktien-
gesellschaft, FS Ulmer (2003), S. 51; Casper, Erfahrungen und Reformbedarf bei der SE – Gesell-
schaftsrechtliche Reformvorschläge, ZHR 173 (2009), 181; Ebert, Das anwendbare Konzernrecht der
Europäischen Aktiengesellschaft, BB 2003, 1854; Eidenmüller/Engert/Hornuf, Vom Wert der Wahlfrei-
heit: Eine empirische Analyse der Societas Europaea als Rechtsformalternative, AG 2009, 845; Engert,
Der international-privatrechtliche und sachrechtliche Anwendungsbereich des Rechts der Europä-
ischen Aktiengesellschaft, ZVglRW 104 (2005), 444; Fleischer, Supranationale Gesellschaftsformen in
der Europäischen Union, ZHR 174 (2010), 385; Habersack, Das Konzernrecht der deutschen SE, ZGR
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Heinze, Die Europäische Aktiengesellschaft, ZGR 2002, 66; Hirte, Die Europäische Aktiengesellschaft,
NZG 2002, 1; Hommelhoff, Einige Bemerkungen zur Organisationsverfassung der Europäischen Ak-
tiengesellschaft, AG 2001, 279; Hommelhoff, Zum Konzernrecht in der Europäischen Aktiengesell-
schaft, AG 2003, 179; Hommelhoff/Teichmann, Die europäische Aktiengesellschaft – das Flaggschiff
läuft vom Stapel, SZW 2001, 1; Horn, Die Europa-AG im Kontext des europäischen Gesellschafts-
rechts, DB 2005, 147; Jaeger, Die Europäische Aktiengesellschaft – europäischen oder nationalen
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Zum Statut der Europäischen Aktiengesellschaft – Die wichtigsten Neuerungen und Änderungen der
Verordnung, ZIP 2001, 1847; Steding, Europäische Rechtsformen für Unternehmen – EWIV sowie SE
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lagen der Ergänzung des europäischen Statuts durch den deutschen Gesetzgeber, ZGR 2002, 283;
Theissen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft – Recht, Steuern und Betriebswirtschaft
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2003, 2169; Vinçon, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft – Im
Spannungsverhältnis zwischen der Kontinuität des Rechtsträgers und der Diskontinuität des ergän-
zend anwendbaren Rechts (2008); Völter, Der Lückenschluss im Statut der Europäischen Aktiengesell-
schaft (2000); Wagner, Die Bestimmung des auf die SE anwendbaren Rechts, NZG 2002, 985; Wicke,
Die europäische Aktiengesellschaft, MittBayNot 2006, 196; Wirtz, Die Lückenfüllung im Recht der SE
und der SPE, 2012; Wulfers, Allgemeine Rechtsgrundsätze als ungeschriebenes Recht der supranatio-
nalen Gesellschaftsrechtsformen, GPR 2006, 106.

Hausmann | 553
§ 6 Rz. 6.189 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.189 Mit der EG-Verordnung Nr. 2157/2001 vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Ge-
sellschaft (Societas Europaea – SE)1 hat der Rat eine neue supranationale Unternehmensform
geschaffen. Die SE ist eine Handelsgesellschaft, deren Kapital in Aktien zerlegt ist (Art. 1
Abs. 2 S. 1 SE-VO) und die eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (Art. 1 Abs. 3 SE-VO). Für
ihre Gründung sieht die Verordnung in Art. 2 vier unterschiedliche Varianten vor (Verschmel-
zung; Gründung einer Holding-SE; Gründung einer Tochter-SE; Umwandlung), ihnen ist ge-
meinsam, dass ein Bezug der beteiligten Gründungsgesellschaften zu mindestens zwei unter-
schiedlichen Mitgliedstaaten der EU besteht. Der Sitz der SE muss innerhalb der Gemein-
schaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung befindet (Art. 7
Abs. 1 SE-VO)2.

6.190 Im Übrigen zeichnet sich die SE-Verordnung dadurch aus, dass sie kein vollständiges eigenes
Aktiengesetz darstellt, sondern notwendig der Ergänzung durch das nationale Gesellschafts-
recht bedarf. Zu diesem Zweck verweist Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO in erster Linie auf spezielle
Ausführungsgesetze der Mitgliedstaaten zur Verordnung3, hilfsweise auf das Aktienrecht des
Sitzmitgliedstaates4. Nach Art. 10 SE-VO wird die SE daher, vorbehaltlich der in der Verord-
nung enthaltenen Bedingungen, in jedem Mitgliedstaat wie eine Aktiengesellschaft behandelt,
die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Dementsprechend bestehen zwi-
schen einer deutschen SE, einer englischen SE und einer französischen SE erhebliche Unter-
schiede.

6.191 Die Satzung der SE kann gem. Art. 38 lit. b SE-VO neben der Hauptversammlung als Organe
entweder ein Leitungs- und ein Aufsichtsorgan (z.B. Vorstand und Aufsichtsrat – „dualisti-
sches System“, Art. 39 ff. SE-VO) oder ein Verwaltungsorgan (z.B. board of directors – „mo-
nistisches System“, Art. 43 ff. SE-VO) vorsehen. Die Geschäfte der Gesellschaft werden durch
das Leitungsorgan (Art. 39 SE-VO) oder durch das Verwaltungsorgan (Art. 43 SE-VO) ge-
führt. Dementsprechend obliegt diesen Organen auch die Vertretung der Gesellschaft nach
außen. Allerdings finden sich in der SE-Verordnung selbst keine Bestimmungen über Art und
Umfang der Vertretungsbefugnisse der Organmitglieder. Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO ist
daher insoweit das nationale Recht des Staates, in dem die SE ihren effektiven Verwaltungssitz
(Art. 7 SE-VO) hat, anzuwenden. Die Regelung der Vertretungsbefugnis richtet sich demnach
nach den speziell für die SE erlassenen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates (Art. 9 Abs. 1
lit. c i SE-VO), ansonsten nach dessen Aktiengesellschaftsrecht (Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO),
bzw. nach den Bestimmungen der Satzung der Gesellschaft, soweit das Recht des Sitzstaates
solche Bestimmungen für dort gegründete Aktiengesellschaften zulässt (Art. 9 Abs. 1 lit. c iii
SE-VO).

c) Europäische Privatgesellschaft (SPE)


Literatur: Brandes, Juristische Personen als Geschäftsführer der Europäischen Privatgesellschaft
(2003); Bücker, Die Organisationsverfassung der SPE, ZHR 173 (2009), 281; de Enrice/Gaude, Societas
Privata Europaea – Unternehmensleitung und Haftung, DStR 2009, 857; Djemek, Das künftige Europa

1 ABl. EG 2001 Nr. L 294, S. 1.


2 Vgl. im deutschen Recht das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v.
22.12.2004 (BGBl. I 2004, 3675).
3 Vgl. in Deutschland das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v.
22.12.2004 (BGBl. I 2004, S. 3675).
4 Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO enthält eine Kollisionsnorm, die auf das Sachrecht des Sitzmitgliedstaats
verweist, vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR, Rz. 82 ff.

554 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.194 § 6

und die Europäische Privatgesellschaft, NZG 2001, 878; Giedinghagen, Die Europäische Privatgesell-
schaft (SPE) – Eine Alternative zur GmbH?, NJW-Spezial 2008, 751; Hadding/Kießling, Die Europäi-
sche Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea SPE), WM 2009, 145; Hommelhoff/Teichmann, Auf
dem Weg zur Europäischen Privatgesellschaft, DStR 2008, 925; Hommelhoff/Teichmann, Eine GmbH
für Europa: Der Vorschlag der EU-Kommission zur Societas Privata Europaea (SPE), GmbHR 2008,
897; Hopt, Die Europäische Privatgesellschaft, EuZW 2008, 513; Krejci, Societas Privata Europaea –
SPE – Zum Kommissionsvorschlag einer Europäischen Privatgesellschaft (Wien 2008); Maul/Röhricht,
Die Europäische Privatgesellschaft – Überblick über eine neue supranationale Rechtsform, BB 2008,
1574; Peters/Wüllrich, Gesellschaftsrechtliche Einigung Europas durch die Societas Privata Europaea
(SPE), DB 2008, 2179; Peters/Wüllrich, Grenzenlose gesellschaftsrechtliche Flexibilität – die Societas
Privata (SPE), NZG 2008, 807; Philip, Statut der Europäischen Privatgesellschaft, EuZW 2009, 277;
Schmidt, Der Vorschlag für eine Verordnung über die europäische Privatgesellschaft (SPE) – eine eu-
ropäische Rechtsform speziell für KMU, EWS 2008, 455.
Das Europäische Parlament hat am 10.3.2009 mit großer Mehrheit das Statut der Europä- 6.192
ischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) befürwortet. Allerdings hat das
Parlament den von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf einer entsprechenden Verord-
nung (SPE-VO-E) vom 25.6.2008 (KOM [2008], 396) in zahlreichen Punkten abgeändert. Da-
mit sollte eine neue europäische Rechtsform mit beschränkter Haftung („Europa-GmbH“) ge-
schaffen werden, die – neben der Europäischen Gesellschaft (SE) für Großunternehmen
(Rz. 6.189 ff.) – die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von Klein- und Mittelbetrieben erhö-
hen soll. Eine SPE kann in allen Mitgliedstaaten nach den gleichen Rechtsvorschriften mit nur
einem Euro Mindestkapital gegründet werden. Allerdings setzt das nach dem Willen des Eu-
ropäischen Parlaments voraus, dass das Leitungsorgan eine Solvenzbescheinigung unterzeich-
net. Falls die Satzung keine diesbezügliche Bestimmung enthält, soll das Kapital der SPE min-
destens 8.000 Euro betragen. Die Gründung einer SPE erfordert einen grenzüberschreitenden
Bezug, der durch eines der folgenden Kriterien nachgewiesen werden kann:
– eine grenzüberschreitende Geschäftsabsicht oder einen grenzüberschreitenden Gesell- 6.193
schaftszweck,
– die Zielvorgabe, in mehr als einem Mitgliedstaat in erheblichem Umfang tätig zu sein,
– Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder
– eine in einem anderen Mitgliedstaat eingetragene Muttergesellschaft.

Nach Art. 26 Abs. 2 SPE-VO-E können die Anteilseigner die Organisation der Gesellschaft 6.194
im Gesellschaftsvertrag selbst festlegen. Allerdings erlegt der Entwurf den Anteilseignern in
Form von zwingenden Regelungsaufträgen (Anhang I Kapitel V) die Pflicht auf, vorbehaltlich
der in den Art. 27, 29 SPE-VO-E getroffenen Teilregelungen das Verfahren der Beschlussfas-
sung einschließlich der Beschlussgegenstände und -mehrheiten in der Satzung zu regeln. Hier-
zu werden den Anteilseignern verschiedene Systeme der Unternehmensleitung zur Verfügung
gestellt, und es wird ihnen gleichzeitig der Regelungsauftrag erteilt, sich für eines dieser Syste-
me zu entscheiden sowie die Satzung dementsprechend zu gestalten (Anhang I Kapitel V
Spiegelstriche 10 ff. SPE-VO-E). Die SPE kann zum einen dualistisch ausgestaltet werden.
Hierbei übernimmt ein aus einer oder mehreren Personen bestehendes Geschäftsleitungs-
organ die Geschäftsführung der Gesellschaft (Art. 2 Abs. 1 lit. d). Dieses wird durch ein „Auf-
sichtsorgan“ kontrolliert (Art. 2 Abs. 1 lit. e); die Beziehungen der Organe zueinander sind in
der Satzung festzulegen (vgl. Anhang I Kapitel V Spiegelstrich 13 SPE-VO-E). Zum anderen
kann ein monistisches System vorgesehen werden; die Geschäftsführung übernimmt hierbei
ein aus einer oder mehreren Personen bestehendes Verwaltungsgremium (Art. 2 Abs. 1 lit. d),
dem kein Kontrollorgan gegenübersteht.

Hausmann | 555
§ 6 Rz. 6.195 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.195 Nach der ursprünglich in Art. 33 Abs. 1 SPE-VO-E vorgesehenen Regelung sollte die SPE
durch ein oder mehrere Mitglieder der Unternehmensleitung vertreten werden. Mitglied der
Unternehmensleitung sollte gem. Art. 2 Abs. 1 lit. c SPE-VO-E jedes Mitglied des Leitungs-,
Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans sein können. Demzufolge hätten bei einer SPE mit dualis-
tischer Struktur auch die Mitglieder des Aufsichtsrates die Gesellschaft nach außen vertreten
können. Diese Regelung zur Außengeschäftsführung von Mitgliedern des Kontrollorgans wur-
de in der Literatur scharf kritisiert; der Vorschlag wurde daher durch das Europäische Par-
lament dahin gehend abgewandelt, dass die Vertretung nur Mitgliedern des Geschäftsleitungs-
organs zustehen kann. Durch Art. 33 Abs. 1 S. 2 SPE-VO-E wird klargestellt, dass die Vertre-
tung auch außerhalb des Unternehmensgegenstandes der SPE besteht. Nach Art. 33 Abs. 2
SPE-VO-E können Beschränkungen im Innenverhältnis die Vertretungsmacht gegenüber
Dritten nicht einschränken. Gemäß Anhang I Kapitel V Spiegelstrich 20 SPE-VO-E muss die
Regelung zur Einzel- oder Gesamtvertretung in der Satzung getroffen werden. Eine Delegie-
rung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsbefugnis ist gem. Art. 33 Abs. 3 SPE-VO-E möglich.
Ergänzend ist das nationale Recht des Mitgliedstaates, in welchem die SPE ihren Sitz hat, in
allen nicht durch die Verordnung abgedeckten Fragen anwendbar (Art. 4 Abs. 1 SPE-VO-E).

6.196 Eine Einigung der Mitgliedstaaten über das Statut der SPE ist bisher nicht zustande gekom-
men. Streit besteht insbesonderere über Fragen der Mitbestimmung, über die Zulässigkeit ei-
ner Sitzspaltung, über das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements und über das
Mindestkapital. Die EU-Kommission hat stattdessen am 9.4.2014 den Vorschlag für eine EU-
Richtlinie über private Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem Gesellschafter
vorgelegt1.

2. EU-Staaten
a) Rechtsvereinheitlichung
Literatur: Vgl. zunächst vor Rz. 6.187; ferner Aladschov, Verwaltungsstruktur der Aktiengesellschaft
im bulgarischem Recht, WiRO 2001, 336; Aladschov, Die GmbH im bulgarischen Recht, OstEuR 2002,
105; Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht,
2. Aufl. 1997; Graf von Bernstorff, Vertrags-, Kauf-, Handels- und Gesellschaftsrecht in Osteuropa
(2003); Breidenbach (Hrsg.), Handbuch Wirtschaft und Recht in Osteuropa, Loseblatt (Stand: 2006);
Brunner/Schmid/Westen (Hrsg.), Wirtschaftsrecht der Osteuropäischen Staaten (WOS, Loseblatt);
Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen
Ländern, Teil I (Deutschland, Italien und Spanien) (1997); Heller, Die organschaftliche Vertretungs-
macht im Kapitalgesellschaftsrecht, ZVglRW 107 (2008), 293; Hohloch, EU-Handbuch Gesellschafts-
recht (Loseblatt); Kalss, Gesellschaftsrecht in den Ländern Mittel- und Osteuropas, ZGR 2000, 819;
Knaus/Wakounig, Steuer- und Gesellschaftsrecht der EU-Beitrittskandidaten (Wien 2003); Lutter, Die
Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995; Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit
im Gesellschaftsrecht, Deutschland, Europa und USA, ZGR-Sonderheft 13 (1998); Meincke/Trieb-
mann, Die GmbH nach dem Recht der Republik Lettland, RIW 1996, 826; R. Schmidt-Tiedemann,
Geschäftsführung und Vertretung im Gesellschaftsrecht Deutschlands, Frankreichs und Englands
(2004); Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016.
6.197 In den Staaten der EU ist die gesetzliche Vertretung von Kapitalgesellschaften (AG, KGaA,
GmbH) durch die Publizitätsrichtlinie (RL 68/151/EWG) vom 9.3.19682 in ihren Grund-
zügen vereinheitlicht. Ziel dieser Richtlinie ist der Schutz Dritter, die mit einer Kapitalgesell-

1 KOM (2014) 212 endg.


2 ABl. EG 1968 Nr. L 65, S. 8, neu gefasst durch Richtlinie Nr. 2009/101/EG v. 16.9.2009, ABl. EU
Nr. L 258, S. 11.

556 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.198 § 6

schaft Verträge abschließen. Zu diesem Zweck wird in Art. 9 Abs. 1 Publizitäts-RL insbeson-
dere festgelegt, dass die Gesellschaft durch Handlungen, die nicht zum Gegenstand des Unter-
nehmens gehören, gegenüber einem gutgläubigen Dritten gleichwohl verpflichtet wird. Die
Umsetzung der Richtlinie hatte daher vor allem im englischen Recht bedeutende Einschrän-
kungen der ultra-vires-Lehre zur Folge (dazu Rz. 6.214). Die Beweislast für die Bösgläubigkeit
des Dritten trifft die Gesellschaft; dieser Nachweis kann durch die Publizierung der Satzung
allein nicht geführt werden. Ferner stellt Art. 9 Abs. 9 Publizitäts-RL klar, dass Beschränkun-
gen der Vertretungsbefugnis der zuständigen Organe, die sich aus der Satzung oder einem
Beschluss der zuständigen Organe ergeben, Dritten nicht entgegengehalten werden können,
auch wenn sie bekannt gemacht wurden. Eine Ausnahme gilt gem. Art. 9 Abs. 3 Publizitäts-
RL nur für Regelungen der Einzel- bzw. Gesamtvertretungsbefugnis, sofern sie im Handels-
register verlautbart worden sind. Ist die Bestellung von Organen ordnungsgemäß im Handels-
register bekannt gemacht worden, so kann ein Mangel der Bestellung schließlich einzelnen
Dritten nur entgegengehalten werden, wenn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte ihn
kannte (Art. 8 Publizitäts-RL). Die Publizitäts-RL ist durch die Richtlinie 2009/101/EG v.
16.9.20091 neu gefasst und mit Wirkung vom 20.7.2017 in der Richtlinie (EU) 2017/1132 über
bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesR-RL; dort Art. 7 ff.) v. 14.6.20172 neu kodifi-
ziert worden

Aufgrund der Änderungs-RL Nr. 2003/58 v. 15.7.20033 hatten die Mitgliedstaaten bis zum 6.198
1.1.2007 das Register- und das Offenlegungsverfahren deutlich zu vereinfachen. Dazu gehört
insbesondere die Möglichkeit der Speicherung, Veröffentlichung und Einsichtnahme von Un-
ternehmensdaten in einem in elektronischer Form geführten Unternehmensregister und von
gewissen Pflichtangaben auf der Internetseite der Gesellschaft (vgl. Art. 26 Ges-RL). Die Un-
ternehmenspublizität in der EU wurde durch die ÄnderungsRL 2012/17/EU zur Verknüpfung
von Zentral-, Handels und Gesellschaftsregistern v. 16.6.20124 weiter verbessert. Danach war
zwar die Errichtung eines zentralen europäischen Handelsregisters nicht geplant, wohl aber
die Vernetzung der nationalen Register der Mitgliedstaaten durch Einrichtung einer gemein-
samen IT-Plattform und eines gemeinsamen europäischen Internet-Portals (vgl. Art. 17 Abs. 2,
22 GesR-RL). Dieses System der Registerverknüpfung (Business Registers Interconnection
System –BRIS) ist zum 8.6.2017 umgesetzt worden5.

b) Belgien
Literatur: Becker, Das belgische Kapitalgesellschaftsrecht (1999); Blaurock, Das belgische Kapitalge-
sellschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Grigat, Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen
Ländern. Teil 5. Belgien und Luxemburg (2001); Hoffmann, Das neue Recht der Handelsgesellschaften
in Belgien, RIW 1985, 539; Hoffmann, Grundzüge des belgischen Handels-, Gesellschafts- und Wirt-
schaftsrechts (1996); Hoffmann, Die GmbH im belgischen Recht, GmbHR 1991, 515; Kocks/Hennes,
Belgien (Rz. 1-164), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Ver-
hoeven/Schwartz, Synopse: Das neue belgische Gesellschaftsgesetz und die entsprechenden Regelun-
gen des deutschen Aktienrechts, RIW 1992, 624; Toussaint, Das neue belgische Gesetzbuch der Gesell-
schaften und Vereinigungen und andere Neuregelungen im Insolvenz- und Unternehmensrecht, NZG
2019, 1170; Vorlat, Belgien, in: Wegen/Spahlinger/Barth, Gesellschaftsrecht des Auslands, 2020.

1 ABl. EG 2009 L 258, 11.


2 ABl. EU 2017 L 149/46.
3 ABl. EU 2003 Nr. L 221, S. 13.
4 ABl. EU 2012 Nr. L 156, S. 1.
5 Vgl. näher Kindler in MünchKomm, IntGesR, Rz. 31.

Hausmann | 557
§ 6 Rz. 6.199 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.199 Das belgische Recht der Handelsgesellschaften, das früher in den „Lois coordonnées des socié-
tés“ (L.c.s.) vom 30.11.1935 geregelt war, ist im Jahre 1999 grundlegend überarbeitet worden.
Das neue Gesetzbuch über Gesellschaften („Code des sociétés/wetboek van vennootschappen“ –
C.S.) vom 7.5.1999 ist am 6.2.2001 in Kraft getreten. Am 1.1.2018 ist im Zuge einer grund-
legenden Reform des Unternehmensrechts ein neues Gesetzbuch der Gesellschaften und Ver-
einigungen (Code des sociétés et des associations/Wetboek van vennootschappen en verenigin-
gen – C.S.A.) in Kraft getreten; es gilt für die neuen Körperschaften seit dem 1.5.2019, für die
bestehenden Körperschaften seit dem 11.1.2020. Daneben gelten die allgemeinen Vorschriften
der Art. 1832 ff. c.c. Eine Gesellschaft ist nur dann eine Handelsgesellschaft, wenn sie Han-
delsgeschäfte betreibt, wobei es auf den in der Satzung genannten Gesellschaftszweck an-
kommt. Alle Handelsgesellschaften sind juristische Personen (Art. 1:5 § 2 C.S.A.).

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgeseellschaft (Société en nom collectif, S.N.C.)
6.200 Vertretungsberechtigt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln. Eine abweichende Ver-
einbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch späteren Beschluss ist jedoch möglich. Danach
kann auch ein Nichtgesellschafter zum vertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt wer-
den (Art. 4.8 C.S.A.). Die Gesellschafter werden Dritten gegenüber jedoch durch das Handeln
eines Gesellschafters oder Geschäftsführers nur verpflichtet, wenn letzterer sich im Rahmen
seiner Befugnisse gehalten hat (Art. 4.11 C.S.A.), die aus den „Annexes“ zum „Moniteur belge“
ersichtlich sind.

- Kommanditgesellschaft (Société en commandite, S.Comm.)


6.201 Die S.Comm. wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („associés commandités“)
vertreten; für sie gelten die Grundsätze der S.N.C. entsprechend. Die Kommanditisten („asso-
ciés commanditaires“) sind stets von der Vertretung ausgeschlossen und können die Gesell-
schaft auch aufgrund einer Vollmacht nicht vertreten (Art. 4.15 C.S.A.).

- Aktiengesellschaft (Société anonyme, S.A.)


6.202 Das belgische Recht unterscheidet zwischen zwei Organisationsformen der AG, nämlich der
monistischen AG nur mit Verwaltungsrat („conseil d‘administration“, Art. 7.85 ff. C.S.A,) und
der dualistischen AG mit Aufsichtsrat („conseil de surveillance“) und Leitungsrat („conseil de
direction“, Art. 7.104 ff. C.S.A.). In der monistischen SA ist der Verwaltungsrat ermächtigt,
alle Handlungen vorzunehmen, die zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks notwendig
oder zweckmäßig sind, soweit sie nicht der Hauptversammlung vorbehalten sind (Art. 7.93
§ 1 C.S.A.). Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft gegenüber Dritten. Der Gesellschafts-
vertrag kann jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft nur durch ein Mitglied oder mehrere Mit-
glieder des Verwaltungsrats – einzeln oder gemeinsam – vertreten wird. Eine solche Regelung
kann Dritten nach Maßgabe von Art. 2.18 C.S.A. entgegengehalten werden, wenn sie in den
„Annexes du Moniteur belge“ veröffentlicht worden ist. Der Gesellschaftsvertrag kann auch
Beschränkungen der Vertretungsmacht vorsehen. Diese können jedoch Dritten nicht ent-
gegengehalten werden, selbst wenn sie veröffentlicht worden sind. Gleiches gilt auch für eine
Aufgabenverteilung zwischen den Mitgliedern des Verwaltungsrats (Art. 7.93 § 2 C.S.A.).

6.203 Die Gesellschaft wird durch das Handeln des Verwaltungsrats, einzelner seiner Mitglieder
oder der mit dem Tagesgeschäft Beauftragten verpflichtet, wenn diese nach Art. 7.93 § 2 C.S.
A. zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind, auch wenn dieses Handeln den Gesell-

558 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.205 § 6

schaftszweck überschreitet; es sei denn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte die Über-
schreitung kannte oder kennen musste, wobei die Veröffentlichung im Register allein diesen
Beweis noch nicht erbringt (Art. 7.94 C.S.A.). Die vorstehenden Regeln zur Vertretung gelten
entsprechend für ein von der SA bestelltes, einziges Verwaltungsratsmitglied („administrateur
unique“, Art. 7.101 C.S.A.).

In der dualistisch organisierten AG übernimmt der Leitungsrat („conseil de direction“) weit- 6.203a
gehend die Funktion des Verwaltungsrats in der monistischen AG. Für seine Vertretungs-
macht und die Möglichkeiten ihrer Einschränkung gelten daher die vorstehenden Regeln in
Art. 7.93 und Art. 7.94 C.S.A. entsprechend (Art. 7.111 und Art. 7.112 C.S.A.).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Société à responsabilité limitée, S.R.L.)


In der S.R.L. ist jeder Geschäftsführer ermächtigt, alle Handlungen vorzunehmen, die zur Ver- 6.204
wirklichung des Gesellschaftszwecks notwendig oder zweckmäßig sind, soweit sie nicht der
Gesellschafterversammlung vorbehalten sind. Jeder Geschäftsführer oder im Fall seiner Bil-
dung das Verwaltungsorgan vertreten die Gesellschaft gegenüber Dritten. Der Gesellschafts-
vertrag kann jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft nur durch einen oder mehrere Geschäfts-
führer – einzeln oder gemeinsam – vertreten wird. Eine solche Regelung kann Dritten nach
Maßgabe von Art. 2.18 C.S.A. entgegengehalten werden, wenn sie in den „Annexes du Moni-
teur belge“ veröffentlicht worden ist. Der Gesellschaftsvertrag kann auch Beschränkungen der
Vertretungsmacht von Geschäftsführern vorsehen. Diese können jedoch Dritten nicht ent-
gegengehalten werden, selbst wenn sie veröffentlicht worden sind. Gleiches gilt auch für eine
Aufgabenverteilung zwischen den Geschäftsführern (Art. 5.73 § 2 C.S.A.). Entsprechende Re-
geln gelten auch für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag ein Kollegialorgan zur Verwaltung
der Gesellschaft vorsieht (Art. 5.73 § 1 C.S.A.).

Die Gesellschaft wird durch das Handeln ihres Verwaltungsorgans, ihrer Geschäftsführer oder 6.204a
der mit dem Tagesgeschäft Beauftragten verpflichtet, wenn diese nach Art. 5.73 § 2 C.S.A. zur
Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind, auch wenn dieses Handeln den Gesellschaftszweck
überschreitet, es sei denn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte die Überschreitung kannte
oder kennen musste, wobei die Veröffentlichung im Register allein diesen Beweis noch nicht
erbringt (Art. 5.74 C.S.A.).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


In Belgien wird beim Urkundsbeamten des zuständigen Unternehmensgerichts („greffe du tri- 6.205
bunal de l’entreprise“) am Sitz der Gesellschaft ein Buch geführt (Art. 2.7 C.S.A.), das auch
über die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft unterrichtet (Art. 2.8 Nr. 5 C.S.A.). Diese
Informationen werden in den „Annexes du Moniteur belge“ veröffentlicht und können dort
eingesehen werden (Art. 2.13 ff. C.S.A.); sie sind inzwischen auch online abrufbar unter
http://kbopub.economie.fgov.be/.

c) England
Literatur: Baas-Holler, Geschäftsführerpflichten gegenüber der Gesellschaft im englischen und deut-
schen GmbH-Recht (2008); Bank, Die britische Limited Liability Partnership: Eine attraktive Organi-
sationsform für Freiberufler? (2006); Behme, Der Director der britischen Private Limited Company
mit Verwaltungssitz in Deutschland, ZVglRW 108 (2009), 178; Dernedde, Companies Act 2006: Aus-
wirkungen auf die englische Limited in Deutschland, NJ 2007, 443; Dreibus, Die Vertretung verselb-
ständigter Rechtsträger in europäischen Ländern. Teil 4. Vereinigtes Königreich (2000); Feltl, Der Di-

Hausmann | 559
§ 6 Rz. 6.205 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

rector der englischen Limited (Wien 2008); Ferran, The Company Law Reform in the United King-
dom – A Progress Report, RabelsZ 69 (2005), 629; Gower/Davies, Principles of Modern Company
Law, 8. Aufl. (London 2008); Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, 3. Aufl. 2004; Haack, Die
Verantwortlichkeit des Geschäftsführers im englischen Recht, RIW 1991, 992; Harrigan, Company
Law (London 2003); Hartmann, Englische Limited (Ltd.) für Deutschland (2005); Hasenheit, Die
deutsche Personenhandelsgesellschaft und die englische partnership. Innenhaftung ihrer Leiter im
Vergleich (2009); Heckschen/Köklü/Maul, Private Limited Company (2005); Heinemann, Die englische
partnership (2002); Heinz, Die englische Limited, 3. Aufl. 2011; Hess, Der „ultra-vires“-Grundsatz im
britischen Gesellschaftsrecht, RIW 1992, 638; Hess, Durchgriff im englischen und schottischen Gesell-
schaftsrecht (Lifting the veil), RIW 1994, 826; Höhne, Die Ltd. Co. KG. Gesellschaftsrechtliche und
kollisionsrechtliche Aspekte der Beteiligung einer englischen Limited als Komplementärin einer deut-
schen Kommanditgesellschaft (2011); Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012; Just
(Hrsg.), Englisches Gesellschaftsrecht (2008); Kadel, Die englische Limited, MittBayNot 2006, 102;
Kallmeyer, Vor- und Nachteile der englischen Limited im Vergleich zur GmbH oder GmbH & Co. KG,
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Recht, NZG 2000, 1008; Knoche, Die Vertretung englischer Handelsgesellschaften aus der Sicht des
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Krebs/Stiegler, Teil 4 § 12, England (Rz. 1-618) in Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa
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(2010); Luke, Die UK-Limited, 2. Aufl. 2006; Möser, Die Vertretung der britischen „company“ nach
Inkrafttreten des Companies Act 2006, RIW 2010, 850; Morse, Company Law, 17. Aufl. (London
2005); Neuling, Deutsche GmbH und englische private company: Monismus oder Dualismus im Sys-
tem des Kapitalgesellschaftsrechts (1997); Palmer´s Company Law (Loseblatt; Stand: 2014); Reith-
mann, Zum anzuwendenden Recht bei der Beurteilung der Prozessvollmacht für eine englische Han-
delsgesellschaft, EWiR 1990, 1087; Röver, Die Haftung der Gesellschafter und directors der Limited
(2011); Schmidbauer, Die rechtlichen Verhältnisse der englischen Private Company Limited by Shares
(2009); Schmidt, Die Private Limited Company in der deutschen Bankpraxis, WM 2007, 2093; Schnitt-
ker/Bank, Die LLP in der Praxis (2008); Schwilden, Die rechtliche Stellung des GmbH-Geschäftsfüh-
rers und des managing director einer englischen private limited company im Vergleich (2005); Steffek,
Geschäftsleiterpflichten im englischen Kapitalgesellschaftsrecht – Kodifizierung der directors´ duties
im Companies Act 2006, GmbHR 2007, 810; Thole, Die binnengesellschaftlichen Pflichten des Direk-
tors einer englischen Gesellschaft nach dem neuen Companies Act 2006, RIW 2008, 606; Triebel/Ill-
mer/Ringe u.a., Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012; Vorpeil/Wieder, Vertretungs-
befugnis und Legitimationsprüfung bei englischen Kapital- und Personengesellschaften, RIW 1995,
285; Wachter, Insichgeschäfte bei englischen private limited companies, NZG 2005, 338; Wachter,
Existenz- und Vertretungsnachweise bei der englischen private limited company, DB 2004, 2795;
Walmsley (Hrsg.), Butterworth´s Company Law Handbook, 18. Aufl. (London 2004).
6.206 Das englische Recht der Personengesellschaft ist im Partnership Act 1890 (P.A.), im Limited
Partnership Act 1907 (L.P.A.) und im Limited Liability Partnership Act 2000 geregelt. Bedeu-
tendste Rechtsquelle für Kapitalgesellschaften ist der Companies Act (C.A.) von 2006, der die
gesamte Materie neu kodifiziert hat, nachdem die Gesetzeslage auf Grund zahlreicher Refor-
men des englischen Gesellschaftsrechts unübersichtlich geworden war. Daneben sind im eng-
lischen Rechtskreis nach wie vor die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des
Common Law von Bedeutung.

560 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.211 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Partnership
Die einer Personenhandelsgesellschaft nahe stehende partnership besteht aus zwei oder mehr 6.207
natürlichen oder juristischen Personen, die auf der Grundlage eines partnership agreement ein
Handelsgewerbe betreiben. Es besteht grundsätzlich Einzelvertretungsmacht jedes der
(höchstens 20) Partner. Abweichende Vereinbarungen sind möglich, wirken einem Dritten ge-
genüber jedoch nur, wenn ihm die Beschränkung der Vertretungsmacht des für die Gesell-
schaft handelnden Partners bekannt ist (§ 5 P.A.). Der Umfang der Vertretungsmacht („usual
authority“) der Gesellschaft ist – anders als bei der OHG des deutschen Rechts – auf Hand-
lungen beschränkt, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes der jeweiligen Ge-
sellschaft liegen. Darüber hinausgehende Rechtsgeschäfte kann ein Gesellschafter – auch
wenn es sich um dringend notwendige oder für die Gesellschaft besonders günstige Geschäfte
handelt – nur vornehmen, wenn er hierzu von den anderen Gesellschaftern ausdrücklich be-
vollmächtigt worden ist. Auch Einschränkungen der „usual authority“ durch den Gesell-
schaftsvertrag sind zulässig, wirken aber gegenüber gutgläubigen Dritten nicht (§ 8 P.A.)1.

- Limited Partnership
Die Gesellschaft wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („general partners“) ver- 6.208
treten. Für deren Vertretungsmacht gelten die gleichen Grundsätze wie bei der partnership
(§ 7 L.P.A. iVm. § 5 P.A.). Die beschränkt auf ihre Einlage haftenden Gesellschafter („limited
partners“) sind von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1 L.P.A.).

- Limited Liability Partnership


Als weitere Form der Personengesellschaft steht in England seit dem 4.4.2001 die „limited lia- 6.209
bility partnership“ (L.L.P.) zur Verfügung. Diese hybride Gesellschaftsform verbindet Elemente
der partnership mit solchen der private limited company. Wegen der Möglichkeit der Haf-
tungsbeschränkung ist sie insbesondere als Organisationsform für Freiberufler, vor allem
Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer, interessant. Die L.L.P. ist eine juristische Person, die
durch Inkorporierung entsteht und als solche selbst Trägerin von Rechten und Pflichten ist.
Die Gesellschafter haften neben der Gesellschaft grundsätzlich nicht. Die Einzelheiten der ge-
setzlichen Regelungen ergeben sich aus dem Limited Liability Partnership Act 2000 (LLPA).
Das allgemeine Recht der partnership gilt nur, soweit darauf ausdrücklich verwiesen wird (§ 1
Abs. 5 LLPA). Jeder Gesellschafter kann die L.L.P. im Außenverhältnis als „agent“ wirksam
vertreten, es sei denn der Gesellschafter ist im Innenverhältnis nicht zu dieser Vertretung be-
rechtigt und dem Vertragspartner ist dies bekannt (§ 6 Abs. 2 LLPA).

- Registered Company
Das englische Gesellschaftsrecht geht vom Grundsatz der einheitlichen Form aller Kapitalge- 6.210
sellschaften aus.

Für sämtliche nach dem Companies Act von 2006 und seinen Vorgängern eintragungsfähigen 6.211
Kapitalgesellschaften gelten daher im Wesentlichen die gleichen Grundsätze hinsichtlich der
Vertretung im Geschäftsverkehr mit Dritten. In Betracht kommen in erster Linie „companies
limited by shares“, ferner „companies limited by guarantee“ und „unlimited companies“. Jede
dieser Gesellschaften kann als öffentliche („public company“) oder als private („private compa-

1 IPG 1983 Nr. 16 (Bonn) zum Recht der englischen partnership.

Hausmann | 561
§ 6 Rz. 6.211 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ny“) Gesellschaft gegründet werden. Die private limited company erfüllt dabei weitgehend die
Funktion, die der GmbH in den übrigen EU-Staaten zukommt.

6.212 Die genannten Gesellschaften werden durch ein Direktorium („board of directors“) vertreten.
Diesem müssen nach § 154 Abs. 2 C.A. 2006 mindestens zwei Direktoren angehören müssen,
die grundsätzlich gesamtvertretungsberechtigt sind. Demgegenüber ist bei der private compa-
ny Vertretung durch einen Direktor allein zulässig (§ 154 Abs. 1 C.A. 2006).1 Während nach
früherem Recht director einer Ltd. company auch eine andere Ltd. company sein konnte, muss
nach geltendem Recht zumindest ein director eine natürliche Person sein (§ 155 Abs. 1 C.A.
2006). Dem englischen Rechtskreis ist allerdings eine organschaftliche Betrachtungsweise der
Vertretung von Gesellschaften im Prinzip fremd. Daraus folgt, dass das Direktorium nicht ei-
gentlich ein mit originären Befugnissen ausgestattetes Organ der juristischen Person ist, son-
dern ein Kollegium von Beauftragten der Anteilseigner, dessen Stellung sich weitgehend nach
den allgemeinen Regeln des Auftragsrechts („agency“) richtet (Mandatstheorie)2.

6.213 Eine Delegation der Vertretungsmacht auf den Präsidenten („chairman of the board“), auf ge-
schäftsführende Direktoren („managing directors“) oder ein committee of directors ist zulässig
und wird häufig vorgenommen. Die Einzelheiten über die Verteilung der Vertretungsbefugnis
innerhalb des board of directors ergeben sich aus der Satzung („Articles of association“)3.

6.214 Der Umfang der Vertretungsmacht der für eine Registered Company handelnden Personen
wurde früher durch die im englischen common law entwickelte „ultra-vires-doctrine“ erheb-
lich eingeschränkt. Nach dieser Lehre wurde gewissen Verträgen (insbesondere Bürgschaft,
Schenkung, Verpfändung von Gesellschaftsvermögen) die bindende Wirkung gegenüber der
Gesellschaft versagt, wenn sie außerhalb des in der Gründungsurkunde festgelegten Gesell-
schaftszwecks („object clause“) lagen. Während eine Überschreitung des Gesellschaftszwecks
bei einer deutschen AG oder GmbH grundsätzlich nur das Innenverhältnis der Gesellschaft
betrifft, begrenzte der in der Gründungsurkunde („Memorandum of association“) umrissene
Gesellschaftszweck nach englischem Recht nicht nur die Vertretungsmacht der Direktoren,
sondern die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft. Demgemäß entfaltete ein Handeln außerhalb
dieser Zweckbestimmung Wirkungen weder im Innen- noch im Außenverhältnis und konnte
selbst durch Zustimmung sämtlicher Gesellschafter nicht wirksam werden. Auch konnte sich
ein gutgläubiger Dritter nicht auf seine fehlende Kenntnis des Gesellschaftszwecks berufen, da
er sich den Inhalt der Gründungsurkunde als bekannt entgegenhalten lassen musste (sog.
„doctrine of constructive notice“)4.

6.215 Die Bedeutung der ultra-vires-Lehre war indessen schon durch den Beitritt Großbritanniens
zur EG stark beschnitten worden. Nach § 9 (1) des am 1.1.1973 in Kraft getretenen European
Communities Act (E.C.A.) 1972 konnte eine englische Registered Company nur dann noch
geltend machen, ein im Namen der Gesellschaft geschlossener Vertrag sei ultra vires, wenn
entweder der Dritte in bösem Glauben gehandelt hatte oder der Vertrag von einer Person ge-
schlossen worden war, der keine Ermächtigung des board of directors zu dem Vertrags-
abschluss erteilt worden war. Für die Bösgläubigkeit des Dritten reichte auch die „constructive
notice“ nicht mehr aus, der Dritte musste vielmehr grundsätzlich positive Kenntnis von der

1 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973.


2 Vgl. Levedag in Süß/Wachter, Rz. 488 ff.
3 Vgl. zur Regelung der Vertretung einer private Ltd. Näher OLG Düsseldorf v. 12.2.2015 – 2 U 63/
14, IPRspr. 2015 Nr. 17; IPG 1997 Nr. 20 (Hamburg).
4 Vgl. näher Heß, RIW 1992, 638 ff.

562 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.219 § 6

Überschreitung des Gesellschaftszwecks gehabt haben, die ihm von der Gesellschaft nach-
zuweisen war. Nur in Ausnahmefällen bestand eine Nachforschungspflicht des Dritten (vgl.
auch s. § 35 C.A. 1985). War damit die ultra-vires-Lehre bereits de facto aufgegeben worden,
so wurde ihr mit der Novellierung in Art. 108–112 C.A. 1989 der endgültige Todesstoß ver-
setzt. § 39 Abs. 1 C.A. 2006 bestimmt nunmehr lapidar:
„The validity of an act done by a company shall not be called into question on the ground of
lack of capacity by reason of anything in the company´s constitution.“

Damit hat die englische Kapitalgesellschaft uneingeschränkte (und uneinschränkbare) 6.216


Rechtsfähigkeit erlangt. Die Überschreitung des Gesellschaftszwecks löst nur noch Schadens-
ersatzpflichten aus, stellt aber die Wirksamkeit der von der Gesellschaft geschlossenen Ge-
schäfte nicht mehr in Frage1.

Wird das abgeschlossene Geschäft zwar durch den Gesellschaftszweck gedeckt, ist jedoch der 6.217
abschließende Direktor aus Gründen der internen Kompetenzverteilung nach der Satzung für
das konkrete Geschäft nicht vertretungsberechtigt, so wurde die „doctrine of constructive noti-
ce“ ebenfalls durch § 9 (1) E.C.A. 1972 stark eingeschränkt: Haben directors selbst gehandelt,
so genießt der gutgläubige Dritte umfassenden Schutz und braucht sich auch Beschränkungen
nach der Satzung nicht mehr entgegenhalten zu lassen. Dies stellt heute § 40 Abs. 1 und § 2
C.A. 2006 ausdrücklich klar. Lediglich in Fällen der delegierten Vertretungsmacht gelten die
bisherigen allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätze weiter. Gutgläubige Dritte können sich dem-
gemäß darauf verlassen, dass eine von der Gesellschaft als alleinvertretungsberechtigt hin-
gestellte Person Vertretungsmacht („apparent or ostensible authority“) hat und dass sie die üb-
lichen Befugnisse („usual authority“) besitzt, die einer Person in der betreffenden Position ge-
wöhnlich zustehen. Mängel der Bestellung einer solchen Person können gutgläubigen Dritten
keinesfalls entgegengehalten werden. Dabei wird die Gutgläubigkeit des Dritten bis zum
Nachweis des Gegenteils vermutet.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


Ein allgemeines Handelsregister im kontinental-europäischen Sinne kennt der englische 6.218
Rechtskreis nicht. Zwar müssen limited partnerships registriert werden (§ 8 L.P.A.), damit
die Haftungsbeschränkung der limited partners Dritten entgegengehalten werden kann (§ 5 L.
P.A.). Die Registereintragung enthält jedoch regelmäßig keine direkten Angaben über die Ver-
tretungsmacht der Gesellschafter. Aus diesem Grunde wird von Dritten auch nicht verlangt,
dass sie die Registereintragungen kennen. Selbst wenn sich also aus diesen ausnahmsweise et-
was über Beschränkungen der Vertretungsbefugnis ergeben würde, könnte dieser Umstand ei-
nem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden. Ein sicherer Nachweis der Vertre-
tungsmacht kann daher nur durch eine von sämtlichen partners ausgestellte Vollmacht er-
bracht werden.

Die Gründungsurkunden einer Registered Company werden beim Registrar of Companies, ei- 6.219
ner dem jeweiligen Wirtschaftsministerium untergeordneten Behörde, hinterlegt und in ein
besonderes Gesellschaftsregister („Companies Registry“) eingetragen (§ 10 C.A. 1989). Eine
Bekanntmachung dieser Eintragung erfolgt in der London Gazette (für England und Wales)
bzw. in der Edinburgh Gazette (für Schottland). Bevor man mit einer englischen Gesellschaft
einen wichtigen Vertrag schließt, empfiehlt es sich – auch nach der Verbesserung des Dritt-

1 Klebs, BWNotZ 1995, 12 f.

Hausmann | 563
§ 6 Rz. 6.219 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

kontrahentenschutzes durch § 9(1) E.C.A. 1972 und § 35 C.A. 1989 – die Gründungsurkunde
und die Satzung der Gesellschaft einzusehen. Zweckmäßigerweise lässt man sich hierzu be-
glaubigte Abschriften durch den Registrar of Companies schicken. Handelt es sich um eine
englische Gesellschaft, so ist hierfür der English Registrar of Companies zuständig (Companies
House, 55–71, City Road, London E.C. 1); handelt es sich um eine schottische Gesellschaft, so
ist der Scottish Registrar of Companies zuständig (Exchequer Chambers, 102, George Street,
Edinburgh, 2). Die Eintragungen sind auch online zugänglich unter: https:/www.gov.uk/go-
vernment/organisations/companies-house.

6.220 Aufgrund der Neuregelung in § 39 C.A. 2006 brauchen sich inländische Gerichte und Behör-
den nicht mehr um den im Memorandum of Association festgelegten Gesellschaftszweck zu
kümmern; es genügt insoweit der Nachweis, dass die Gesellschaft besteht. Im Hinblick auf
den weit reichenden Gutglaubensschutz ist ferner eine Überprüfung der Vertretungsberechti-
gung der für eine englische Kapitalgesellschaft handelnden Personen anhand der Articles of
Associations nicht mehr erforderlich. Insoweit reicht vielmehr der Nachweis aus, dass die han-
delnden Personen entweder den gesamten board of directors darstellen oder durch den gesam-
ten board ermächtigt wurden1. In Zweifelsfällen wird man die Vorlage einer schriftlichen Voll-
macht (power of attorney) oder einer Bescheinigung über den in Betracht kommenden Be-
schluss des board of directors verlangen müssen.

6.221 Aus der Vorlage des certificate of incorporation des Registrar of Companies allein kann nicht
auf die Vertretungsbefugnis geschlossen werden. Es erbringt im englischen Rechtskreis zwar
den Beweis dafür, dass die Gesellschaft als juristische Person entstanden ist, d.h. dass sie zu
dem darin ausgewiesenen Datum Rechtsfähigkeit erlangt hat2. Es trifft jedoch weder eine Aus-
sage dazu, ob diese juristische Person noch zu einem späteren Zeitpunkt existent ist noch da-
zu, wer sie wirksam vertreten kann3. Die Vertretungsbefugnis kann auch nicht durch die bloße
Vorlage der articles of association nachgewiesen werden. Denn diesen ist zwar zu entnehmen,
ob mehrere directors einzeln oder nur gemeinsam vertretungsberechtigt sind; sie enthalten
aber nicht die Bestellung von bestimmten Personen als directors4. Demgegenüber ist die Vor-
lage der articles of association i.V.m. dem betreffenden Beschluss des general meeting über die
Bestellung der directors grundsätzlich geeignet, den Vertretungsnachweis zu führen5. Da die
Vertretungsbefugnis zweifelsfrei nachgewiesen werden muss, kann dies bei einer Anmeldung
zum deutschen Handelsregister aber nur dann gelten, wenn diese zeitnah zu der Beschlussfas-
sung über die Bestellung erfolgt. Anderenfalls ist zusätzlich der Nachweis zu führen, dass der
Beschluss nach wie vor Gültigkeit besitzt6.

6.222 Die unkomplizierteste und sicherste Möglichkeit zum Nachweis der Vertretung einer eng-
lischen Ltd. ist die Vertretungsbescheinigung eines englischen Notars. Diese reicht aller-
dings dann nicht aus, wenn der Notar seine Erkenntnisse nur durch Einsichtnahme in das

1 Klebs, BWNotZ 1995, 14.


2 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, GmbHR 1986, 305 (309) = NJW 1986, 3021 = IPRax
1986, 368 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1986, 351).
3 OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265= GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter;
Süß, DNotZ 2005, 180.
4 OLG Dresden v. 21.5.2007 (vorige Fn.).
5 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = NZG 2004, 49;
Mankowski, EWiR 2004, 185.
6 OLG Dresden v. 21.5.2007– 1 W 52/07, NZG 2008, 265; Werner, GmbHR 2005, 228 (229).

564 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.223 § 6

beim Companies House geführte Register erworben hat (vgl. auch Rz. 6.185 m.w.N.)1; aus der
Bescheinigung müssen vielmehr die tatsächlichen Grundlagen (etwa Einsicht in die Unterla-
gen der Gesellschaft wie Gesellschaftsvertrag, Protokollbuch usw.) der notariellen Feststellun-
gen hervorgehen2. Fehlt es daran, genügt auch die Bescheinigung eines deutschen Notars nach
§ 21 BNotO nicht, weil das englische Register mit dem deutschen Handelsregister nicht ver-
gleichbar ist3. Hat der deutsche Notar die Bescheinigung nach § 21 NotO hingegen auf seine
Einsicht in das deutsche Handelsregister einer Zweigniederlassung der englischen Ltd. ge-
stützt, so ist diese Bescheinigung ausreichend4.

d) Frankreich
Literatur: Beisswingert, Die französische société anonyme als Familiengesellschaft (1997); Beltz, Eine
neue Gesellschaftsform in Frankreich: Die „Société par actions simplifiée“, RIW 1994, 548; Bruenger,
Das französische Konzernrecht: Schutz der Minderheitsgesellschafter und Gläubiger (1997); Chaput,
Droit des sociétés (Paris 1993); Charvériat/Couret/Zabala/Mercadal, Sociétés commerciales (Paris
2009); Chaussade-Klein, Gesellschaftsrecht in Frankreich, 2. Aufl. 1998; Cozian/Viandier/Deboissy,
Droit des sociétés, 21. Aufl. (Paris 2008); Deckert/Sangiovanni, Der GmbH-Geschäftsführer in Italien,
Frankreich und Deutschland, ZVglRW 107 (2008), 164; Didier, Droit commercial, Bd. 2; L´entreprise
en société, 3. Aufl. (Paris 1999); Döbereiner, Frankreich (Rz. 1-194), in: Süß/Wachter, Handbuch des
internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Fleischer, Außenhaftung der Geschäftsleiter im französi-
schen Gesellschaftsrecht, RIW 1999, 576; Germain, Les sociétés commerciales (Paris 2009); Guyon,
Die Société par Actions Simplifiée (SAS) – eine neue Gesellschaftsform in Frankreich, ZGR 1994, 551;
Guyon, Droit commercial général et sociétés, 12. Aufl. (Paris 2008); Hamel/Lagarde/Jauffret, Droit
commercial, Bd. 2; Sociétés (Paris 1990); Hartmann, Die französische Société par Actions Simplifiée:
Eine zukunftsweisende Gesellschaftsform, WM 2000, 1530; Jeantin, Droit des sociétés, 3. Aufl. (Paris
1994); Jung/Kühl/Wohlgemuth, Teil 4 § 13, Frankreich (Rz. 1-744), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesell-
schaftsrecht in Europa (2019); Karst, Die GmbH französischen Rechts, NotBZ 2006, 119; Klein, Die
Haftung der Geschäftsleitung in Frankreich, RIW 2010, 352; Maul, Geschäftsführer einer französi-
schen SARL – Bestellung, Kompetenzen, Vergütung und Haftung, RIW 2000, 364; Merle, Sociétés
commerciales, 6. Aufl. (Paris 1998); Peter, Société par actions simplifiée (S.A.S.). Die Vereinfachte Ak-
tiengesellschaft in Frankreich, eine Rechtsform für die Kooperation von Unternehmen (1999); Peifer,
Das Recht der Kapitalgesellschaften in Frankreich (2009); Recq/Hoffmann, Die französische S.A.R.L.
als GmbH-Ersatz?, GmbHR 2004, 1070; Schmidt/Gramling, Die Gründung einer Tochtergesellschaft
in Frankreich, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 203;
Sonnenberger, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2007; Vidal, Droit des sociétés,
6. Aufl. (Paris 2008).
Das französische Recht der Handelsgesellschaften ist durch ein Reformgesetz vom 24.7.1996 6.223
tiefgreifend verändert worden. Dieses Gesetz ist im Jahr 2000 in das II. Buch des Code de
commerce (Art. L 210 ff.) integriert worden. Daneben gelten auch für Handelsgesellschaften
die allgemeinen Bestimmungen der Art. 1832 ff. c.c.

1 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908 (Rz. 16); OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15
W 381/14, ZIP 2014, 2033 = FGPrax 2014, 156; KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/1, DNotZ 2012,
604 (605)..
2 Vgl. OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 40); OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 18.7.2019 – I-3 Wx 138/18, NZG 2019, 1423 (1424 f.).
3 KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604 (605); OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – I-3
Wx 190/13, NZG 2015, 199. Dies gilt auch, wenn alle im Register eingetragenen directors bei der
Stellung des Eintragungsantrags mitgewirkt haben, vgl. OLG Nürnberg v. 26.1.2015 – 12 W 46/15,
ZIP 2015, 1630 = NZG 2015, 401.
4 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973.

Hausmann | 565
§ 6 Rz. 6.223 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Société en nom collectif, S.N.C.)
6.224 Die S.N.C. wird im Verhältnis zu Dritten durch einen oder mehrere Geschäftsführer („gé-
rants“) vertreten, die auch juristische Personen sein können. Bestimmt der Gesellschaftsver-
trag nichts Abweichendes, so sind alle Gesellschafter Geschäftsführer (Art. L 221-3 c.com.).
Von mehreren Geschäftsführern hat jeder Einzelvertretungsmacht (Art. L 225 Abs. 2 S. 1 c.
com.). Der Widerspruch eines Geschäftsführers gegen die Handlungen eines anderen ist nur
beachtlich, wenn der Dritte bösgläubig ist (Art. L 225-5 Abs. 2 S. 2 c.com.). Der Umfang der
Vertretungsmacht ist nur durch den Gesellschaftszweck begrenzt (Art. L 225-5 Abs. 1 c.com.).
Weitere Beschränkungen durch den Gesellschaftsvertrag wirken in keinem Fall gegenüber
Dritten (Art. L 225-5 Abs. 3 c.com.).

- Kommanditgesellschaft (Société en commandite simple, S.C.S.)


6.225 Die persönlich haftenden Gesellschafter („associés commandités“) vertreten die Gesellschaft.
Die Grundsätze über die Vertretung der S.N.C. gelten für sie entsprechend (Art. L 222-1 Abs. 1
i.V.m. Art. L 221-2 c.com.). Die Kommanditisten („associés commanditaires“) sind zur Vertre-
tung der Gesellschaft nicht berechtigt (Art. L 222-6 Abs. 1 c.com.).

- Aktiengesellschaft (Société anonyme, S.A.)


6.226 Bereits seit der Reform von 1966 besteht die Wahl zwischen zwei Organisationsformen der S.
A., nämlich der klassischen mit Verwaltungsrat („conseil d´administration“) und Hauptver-
sammlung („assemblée des actionnaires“), Art. L 225–17 ff. c.com. und der dem deutschen
Recht nachgebildeten S.A. mit Direktorium („directoire“), Aufsichtsrat („conseil de surveillan-
ce“) und Hauptversammlung, Art. L 225-57 ff. c.com.

6.227 Die im Wirtschaftsleben bei weitem überwiegende klassische S.A. hat ihrerseits ein Wahlrecht,
ob sie die Geschäftsleitung („direction générale“) dem Präsidenten des Verwaltungsrats („pré-
sident du conseil d´administration“) oder einem Geschäftsführer („directeur général“) über-
trägt (Art. L 225-51 Abs. 1 c.com.). Wird – wie im Regelfall – ein „directeur général“ bestellt,
so vertritt dieser die Gesellschaft im Rechtsverkehr mit Dritten mit umfassenden Befugnissen.
Er verpflichtet die Gesellschaft selbst dann, wenn die getätigten Handlungen nicht mehr vom
Gesellschaftszweck gedeckt sind, es sei denn, dem Dritten war die Überschreitung der Vertre-
tungsmacht bekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (Art. L 225-
56 Abs. 2 c.com.). Die Veröffentlichung der Beschränkungen im Handelsregister begründet
die Bösgläubigkeit des Dritten noch nicht. Einschränkungen der Vertretungsmacht durch Ge-
sellschaftsvertrag oder Beschlüsse des Verwaltungsrats wirken keinesfalls gegenüber Dritten
(Art. L 225-56 Abs. 3 c.com.). Wird kein „directeur général“ bestellt, so ist der Präsident des
Verwaltungsrates im gleichen Umfang vertretungsbefugt wie ein solcher (Art. L 225-51 Abs. 3
c.com.). Die daneben bestehende Vertretungsmacht des gesamten Verwaltungsrats (vgl. Art. L
225-35 Abs. 2 c.com.) spielt in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle.

6.228 Die S.A. mit Direktorium und Aufsichtsrat wird im Verkehr mit Dritten durch den Präsidenten
des Direktoriums vertreten, wenn dieses aus mehreren Personen besteht, sonst durch den sog.
„directeur général unique“. Der Umfang der Vertretungsmacht entspricht im Wesentlichen demje-
nigen des Präsidenten des Verwaltungsrats in der klassischen S.A. (vgl. Art. L 225-64, 66 c.com.)1.

1 Vgl. IPG 1972 Nr. 42 (Köln) und IPG 1973 Nr. 13 (Köln), jeweils zur gesetzlichen Vertretung der
französischen AG.

566 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.232 § 6

- Vereinfachte Aktiengesellschaft (Société par actions simplifiée, S.A.S.)


Die S.A.S. wurde durch Gesetz 94-1 vom 3.1.1994 als neue Gesellschaftsform in das französi- 6.229
sche Recht eingeführt. Sie ist heute im II. Buch (Titel II, Kapitel VII) des Code de commerce
geregelt. Hauptziel der Neuregelung ist es, eine elastische Gesellschaftsform für die Grün-
dung gemeinsamer Tochtergesellschaften bereitzustellen. Aus diesem Grunde sind die Vor-
schriften der S.A. über die Aktionärsversammlungen und über die Geschäftsleitung auf die S.
A.S. nicht anwendbar. Für diese gilt daher nicht die Alternative zwischen der Einsetzung eines
Direktoriums oder eines Verwaltungsrats.
Gegenüber Dritten wird die Gesellschaft durch einen gem. den Vorschriften der Satzung er- 6.230
nannten Präsidenten vertreten; dieser verfügt über die weit reichendsten Kompetenzen, die
Gesellschaft im Rahmen des Gesellschaftszwecks zu verpflichten (Art. L 227-6 Abs. 1 c.com.).
Gegenüber Dritten wird die Gesellschaft freilich auch dann wirksam verpflichtet, wenn die
Handlungen des Präsidenten den Gesellschaftszweck überschreiten, sofern die Gesellschaft
nicht beweisen kann, dass der Dritte von dieser Überschreitung wusste bzw. wissen musste;
allein die Publizierung der Satzung erbringt diesen Beweis noch nicht (Art. L 227-6 Abs. 2 c.
com.). Die Satzung kann die Vertretungsmacht jedoch auch anderen Personen (z.B. einem
„directeur général“) übertragen. Beschränkungen der Vertretungsmacht durch die Satzung
wirken gegenüber Dritten nicht (Art. L 227-6 Abs. 4 c.com.).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Société à responsabilité limitée, S.A.R.L.)


Die Gesellschaft wird durch eine oder mehrere natürliche Personen, die nicht Gesellschafter zu 6.231
sein brauchen, als Geschäftsführer („gérants“) vertreten (Art. L 223-18 Abs. 1 und 2 c.com.). Es
besteht grundsätzlich Einzelvertretungsmacht; der Widerspruch eines Geschäftsführers gegen
die Handlungen eines anderen sind im Außenverhältnis gegenüber einem gutgläubigen Dritten
unbeachtlich (Art. L 223-18 Abs. 7 c.com.). Die Gesellschaft wird auch durch Handlungen des
Geschäftsführers verpflichtet, die den Gesellschaftszweck überschreiten. Dies gilt nur dann
nicht, wenn die Gesellschaft nachweist, dass der Dritte von der Überschreitung wusste oder wis-
sen musste; die Veröffentlichung der Gesellschaftsatzung reicht allerdings zum Nachweis des
bösen Glaubens nicht aus (Art. 223-18 Abs. 5 c.com.). Beschränkungen der Vertretungsmacht
durch den Gesellschaftsvertrag wirken nie gegenüber Dritten (Art. L 223-18 Abs. 6 c.com.)1.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


Dem französischen Notar ist – anders als dem deutschen in § 21 BNotO – nicht die Zustän- 6.232
digkeit übertragen, Bescheinigungen über die Vertretungsberechtigung mit der Beweiskraft
auszustellen, die Auskünften aus dem Handelsregister zukommt. Jedoch geben die von dem
Urkundsbeamten des regional zuständigen Handelsgerichts („tribunal de commerce“) erteilten
Abschriften und Auszüge aus dem Handelsregister die Zusammensetzung der Vertretungs-
organe von Handelsgesellschaften verlässlich wieder, soweit sie Dritten entgegengehalten wer-
den kann (vgl. Art. L 123-1 ff. c.com.). Da auch der Umfang der Vertretungsmacht bei Kapi-
talgesellschaften im Außenverhältnis nicht mehr beschränkbar ist, ist die einzige nicht aus
dem Handelsregister zu entnehmende Gefahrenquelle eine eventuelle Überschreitung des Ge-
sellschaftszwecks durch die vertretungsberechtigten Organe von Personengesellschaften. Eine
Bekanntmachung der Eintragung für ganz Frankreich erfolgt im „Bulletin officiel des annonces
civiles et commerciales“. Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter www.infogreffe.fr.

1 IPG 1974 Nr. 13 (München): Zur Vertretung einer französischen GmbH.

Hausmann | 567
§ 6 Rz. 6.232 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

e) Italien
Literatur: Aigner, Der Notar im Gesellschaftsrecht Italiens, MittBayNot 2020,103; Alessi (Hrsg.), Le
società (14 Bde, Loseblatt); Bader, Die neue società a responsabilità limitata in Italien, GmbHR 2005,
1474; Bader, Aktuelle Entwicklungen im italienischen Kapitalgesellschaftsrecht, JbItalR 19 (2007) 37;
Barth, Die Reform des Rechts der italienischen GmbH, MittBayNot 2006, 1; Buenger, Die Reform des
italienischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 249; Campobasso, Diritto commerciale, Bd. 2, Diritto del-
le società, 6. Aufl. (Neapel 2006); Casper/Reiß, Die Haftung des Vorstands einer italienischen Aktien-
gesellschaft nach neuem Recht, RIW 2004, 428; Catania, Die neue Organisation der italienischen
GmbH nach der Reform des italienischen Gesellschaftsrechts unter bes. Berücksichtigung der Ge-
schäftsführerhaftung (2005); Chieffi, La società unipersonale a responsabilità limitata (Turin 1996);
Cotttino, Diritto societario, 2. Aufl. (Padua 2011); Deckert/Sangiovanni, Der GmbH-Geschäftsführer
in Italien, Frankreich und Deutschland, ZVglRW 107 (2008), 164; Dolce, Corporate Governance –
Neues Italienisches Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, JbItalR 11 (1998), 3; Fasciani, Die Reform
des Gesellschaftsrechts in Italien, JbItalR 18 (2005) 157; Fasciani, Italien (Rz. 1-213), in: Süß/Wachter,
Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 947; Fellmeth, Die Vertretung verselb-
ständigter Rechtsträger in europäischen Ländern. Bd. 1, Deutschland, Italien und Spanien (1997); Fer-
rari, Das Familienunternehmen im italienischen Recht, RIW 1991, 907; Ferri, Diritto commerciale,
12. Aufl. (Turin 2006); Galgano, Diritto commerciale, Bd. II: Le società, 6. Aufl. (Bologna 2008); Hartl,
Reform des italienischen Gesellschaftsrechts, ZGR 2003, 667; Hilpold u.a.(Hrsg.), Die Reform des ita-
lienischen Gesellschaftsrecht im europäischen Kontext, 2. Aufl. 2006; Hofmann, Gesellschaftsrecht in
Italien, 3. Aufl. 2006; Ianiello, La riforma del diritto societario (Milano 2004); Jung/Mondini, Teil 4
§ 14 Italien (Rz. 1-501), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Kindler, Die sach-
liche Reichweite der Vertretungsmacht des Verwaltungsrates im italienischen Kapitalgesellschaftsrecht
– Publizitätsrichtlinie und innerstaatliches Recht im Vergleich, FS Lutter (2000), S. 483; Kindler, Italie-
nisches Gesellschaftsrecht in der deutschen notariellen Praxis, JbItalR 15/16 (2002/03) 35; Kindler, Ita-
lienisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2002), § 4; Lorenzetti/Strand, Umfassende Reform des
GmbH-Rechts in Italien, GmbHR 2004, 731; Magelli/Masotto, Organe der Società per Azioni nach der
Reform des italienischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 903; Magrini, Italienisches Gesellschaftsrecht
(2004); Martinelli, La società a responsabilità limitata (Rom 2004); Napoletano, Investition über Kapi-
talgesellschaften in Italien, IStR 1999, 27; Oelkers, Die italienische AG im institutionellen Wettbewerb
(2008); Olivieri/Presti/Vella, Il nuovo diritto delle società (Torino 2003); Sangiovanni, Die Neuregelung
der Geschäftsführung in der italienischen società a responsabilità limitata, GmbHR 2006, 1316; San-
giovanni, Die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers nach italienischem Recht, GmbHR 2007,
1264; Spada, Typologie der italienischen Kapitalgesellschaften und börsennotierte Società per azioni,
FS Lutter (2000), S. 735; Sirtoli, Manuale delle società per azioni, 8. Aufl. 2006; Steinhauer, Die Reform
des Gesellschaftsrechts in Italien, EuZW 2004, 364; Tombari, Die konzernbeherrschte Kommanditge-
sellschaft im italienischen Recht, JbItalR 11 (1998) 25.
6.233 Das Recht der Handelsgesellschaften ist im 5. Titel des V. Buches (Art. 2247–2510) des italie-
nischen Codice Civile (c.c.) geregelt. Das Recht der Kapitalgesellschaften ist durch Gesetzes-
dekret vom 10.1.2003 grundlegend umgestaltet worden; die Neuregelung ist am 1.1.2004 in
Kraft getreten.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Società in nome collettivo, S.N.C.)
6.234 Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer („amministratore“), die Ge-
sellschafter sein müssen, vertreten. Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter Geschäftsführer und
als solcher einzeln vertretungsberechtigt („amministrazione disgiuntiva“, Art. 2257 c.c.). Ab-
weichende Vereinbarungen – z.B. Gesamtvertretung („amministrazione congiuntiva“,
Art. 2258 Abs. 1 c.c.) – sind jedoch häufig und aus dem Unternehmensregister zu ersehen
(vgl. Art. 2293 i.V.m. Art. 2266 c.c.).

568 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.238 § 6

Der Umfang der Vertretungsmacht ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt. Weitere Ein- 6.235
schränkungen können sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, wirken gutgläubigen Drit-
ten gegenüber aber nur, wenn sie aus dem Unternehmensregister ersichtlich sind (Art. 2298
Abs. 1 c.c.).

- Kommanditgesellschaft (Società in accomandita semplice, S.A.S.)


Die Gesellschaft wird ebenfalls durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten. Ge- 6.236
schäftsführer können nur die persönlich haftenden Gesellschafter („soci accomandatari“) sein;
für deren Vertretungsbefugnisse gelten die Regeln über die Vertretung der S.N.C. entspre-
chend (Art. 2315 i.V.m. Art. 2298 c.c.). Die Kommanditisten („soci accomandanti“) sind in
jedem Falle von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen (Art. 2320 Art. 1 c.c.); ihnen
kann jedoch für einzelne Geschäfte rechtsgeschäftlich Vollmacht erteilt werden (Art. 2320
Abs. 1 c.c.).

- Aktiengesellschaft (Società per azioni, S.p.A.)


Das neue italienische Aktienrecht stellt den Gründern drei verschiedene Modelle für die Lei- 6.237
tung der Gesellschaft zur Verfügung. Neben dem traditionellen Modell mit Verwaltungsrat
und „collegio sindacale“ (Art. 2380 Abs. 1 iVm. Art. 2380-bis-2409-septies c.c) besteht die Mög-
lichkeit, das dualistische Modell mit Verwaltungs- und Aufsichtsrat nach deutschem Vorbild
(Art. 2409-octies-2409-quinquiesdecies c.c.) oder das monistische Modell mit Verwaltungsrat und in-
ternem Kontrollorgan nach englischem Vorbild (Art. 2409-sexiesdecies-2409-noviesdecies c.c.) zu
wählen.

Wird die Gesellschaft – wie im Regelfall – nach dem traditionellen Modell geleitet, so obliegt 6.238
die Geschäftsführung und gesetzliche Vertretung entweder einem Alleingeschäftsführer
(„amministratore unico“) oder einem Verwaltungsrat („consiglio d´amministrazione“;
Art. 2380-bis, 2384 c.c.). Besteht ein Verwaltungsrat, so steht das Vertretungsrecht nur den ein-
zelnen Mitgliedern („consiglieri“), nicht dem Verwaltungsrat als Kollegialorgan zu. Deshalb
muss schon die Gründungsurkunde angeben, welche seiner Mitglieder vertretungsberechtigt
sind (Art. 2328 Abs. 1 Nr. 9 c.c.) und ob ihnen die Vertretungsbefugnis einzeln oder gemein-
schaftlich zusteht (Art. 2383 Abs. 4 c.c.). Mangels einer solchen Bestimmung gilt nach h.M.
der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2266 Abs. 2 c.c.). Im Zweifel sollte allerdings stets
der Nachweis von Einzelvertretungsmacht des Handelnden verlangt werden. Soweit Verwal-
tungsratsmitglieder durch die Hauptversammlung (für höchstens drei Jahre) gewählt werden,
hat ihre Eintragung im Unternehmensregister binnen 14 Tagen zu erfolgen. Dabei ist anzuge-
ben, ob die gewählten Mitglieder des Verwaltungsrats Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht
haben (Art. 2283 Abs. 4 bis 6 c.c.). Die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Bestellung von
Verwaltungsratsmitgliedern können vom Zeitpunkt der Eintragung an gutgläubigen Dritten
nicht mehr entgegengehalten werden (Art. 2283 Abs. 7 c.c.). Durch Satzung oder Beschluss
der Hauptversammlung können bestimmte Aufgaben des Verwaltungsrats – einschließlich
der diesbezüglichen Vertretungsbefugnis – auf den Präsidenten des Verwaltungsrats, einzelne
seiner Mitglieder („amministratori delegati“) oder einen Verwaltungsausschuss („comitato
esecutivo“) übertragen werden (Art. 2381 Abs. 2 c.c.). Die vertretungsberechtigten Geschäfts-
führer haben grundsätzlich umfassende Vertretungsbefugnisse. Beschränkungen, die sich aus
dem Gründungsvertrag oder der Satzung ergeben, wirken, selbst wenn sie bekannt gemacht
worden sind, Dritten gegenüber nicht, es sei denn, der Dritte hat nachweislich den Mangel
der Vertretungsmacht des handelnden Organs ausgenutzt, um der Gesellschaft Schaden zuzu-
fügen (Art. 2384 c.c.).

Hausmann | 569
§ 6 Rz. 6.239 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.239 Aktiengesellschaften, die für das dualistische Modell optiert haben, werden ebenfalls allein
durch den Vorstand vertreten; dessen Mitglieder werden allerdings – anders als im traditio-
nellen Modell – nicht von der Hauptversammlung, sondern vom Aufsichtsrat berufen
(Art. 2409-novies Abs. 3 c.c.). Für den Umfang der Vertretungsbefugnis des Vorstands gilt
Art. 2384 c.c. entsprechend (Art. 2409-undecies c.c.). Schließlich obliegt die Geschäftsführung
und Vertretung im monistischen System ebenfalls ausschließlich dem Vorstand; diesem müs-
sen mindestens 1/3 der Mitglieder angehören, welche die Unabhängigkeitskriterien des
Art. 2399 c.c. erfüllen (Art. 2409-septiesdecies c.c.). Für den Umfang der Vertretungsbefugnisse
gilt wiederum Art. 2384 c.c. entsprechend (Art. 2409-noviesdecies c.c.).

- Kommanditgesellschaft auf Aktien (Società in accomandita per azioni, S.A.A.)


6.240 Der Gesellschaftervertrag der Kommanditgesellschaft auf Aktien hat die persönlich haftenden
Gesellschafter („soci accomandatari“) zu bezeichnen; diese sind kraft Gesetzes zur Geschäfts-
führung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Der Umfang der Vertretungsmacht und
die Möglichkeiten einer Delegation bestimmen sich nach den Vorschriften für die Aktien-
gesellschaft (Art. 2455 c.c.).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Società a responsabilità limitata, S.R.L.)


6.241 Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung wird durch einen oder mehrere Gesellschafter als
Geschäftsführer vertreten, sofern nicht ausdrücklich die Bestellung eines Nichtgesellschafters
zum Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag für zulässig erklärt ist (Art. 2475 Abs. 1, 2475-bis
Abs. 1 c.c.). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so bilden diese einen Verwaltungsrat. Der
Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, dass den Mitgliedern des Verwaltungsrats die Vertretung
einzeln oder gemeinsam zusteht (Art. 2475 Abs. 2 c.c.). Aus der Gründungsurkunde muss
sich ergeben, wer von ihnen vertretungsberechtigt ist (Art. 2463 Abs. 1 Nr. 7 c.c.). In Erman-
gelung einer abweichenden Bestimmung durch die Gesellschafter gilt auch für die S.R.L. der
Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2266 Abs. 2 c.c.). Der Umfang der Vertretungsbefugnis
bestimmt sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der S.p.A. (Art. 2475-bis Abs. 2 c.c.).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.242 Die in Art. 2188 c.c. vorgesehene Einrichtung eines dem deutschen Handelsregister vergleich-
baren Unternehmensregisters („registro delle imprese“) ist durch Art. 8 des Gesetzes vom
29.12.1993, n. 580 erfolgt und ist mit der am 19.2.1996 in Kraft getretenen Ausführungsver-
ordnung vollzogen worden. Das Register wird bei den Industrie- und Handelskammern unter
der Aufsicht eines abgeordneten Richters geführt und ist öffentlich. Auszüge aus diesem Re-
gister werden erteilt und bieten einen umfassenden Schutz des mit einer italienischen Han-
delsgesellschaft verkehrenden Dritten1. Denn eintragungspflichtige Tatsachen können, solange
sie nicht eingetragen sind, einem Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 2193 c.c.). Eine
Bekanntmachung der Eintragung in Bezug auf Kapitalgesellschaften erfolgt für ganz Italien
im amtlichen Anzeiger für Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung
(„Bolletino delle società per azioni e a responsabilità limitata“, B.U.S.A.). Die Eintragungen
sind auch online abrufbar unter www.registroimprese.it.

1 Ein beglaubigter Auszug aus dem Unternehmensregister reicht auch im deutschen Grundbuchver-
fahren zum Nachweis der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers einer italienischen S.a.r.l. aus,
vgl. KG v. 18.10.2012 – 1 W 334/12, FGPrax 2013, 10 m. Anm. Heinemann.

570 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.246 § 6

f) Niederlande
Literatur: Efferink/Ebert/Levedag, Die zugezogene niederländische B.V. als Rechtsformalternative zur
deutschen GmbH für in- und ausländische Investoren in Deutschland, GmbHR 2004, 880; Gotzen,
Niederländisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2000; de Groot, Zur Vertretung verselbstän-
digter Rechtsträger, Niederlande (1998); Haarhuis, Gesellschaftsrecht in den Niederlanden (1995);
Kroh, De maatshap: die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft in den Niederlanden; ein Vergleich mit der
deutschen BGB-Gesellschaft (1997); Kowallik, Die GmbH & Co. KG in den Niederlanden, RIW 1999,
87; Mehring, Die GmbH im niederländischen Recht, GmbHR 1991, 297; Nuckel, Teil 4 § 16, Nieder-
lande (Rz. 1-391), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Rademakers/de Vries,
Niederlande (Rz. 1-287), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016;
Richter, Die Haftung der Geschäftsführer und Gründer in der niederländischen B.V., GmbHR 2007,
1316; Sanders/Westbroek/Buijn/Storm, Besloten Vennootschap en Naamloze Vennootschap, 9. Aufl.
(Deventer 2005); van Schilfgaarde, Haftung der Vorstandsmitglieder bei den Kapitalgesellschaften in
den Niederlanden, ZGR 1987, 233; van Schilfgaarde, Van de naamloze en de besloten vennootschap,
14. Aufl. (Arnhem 2006); Slagter, Compendium van het ondernemingsrecht, 8. Aufl. (Deventer 2005);
Timmermann/Lennarts, Haftungsdurchgriff im niederländischen Gesellschaftsrecht, ZGR 1993, 489;
Westerdijk, Die GmbH & Co. KG im niederländischen Gesellschaftsrecht (1998).
Die gesetzliche Regelung des Rechts der Handelsgesellschaften findet sich im niederländischen 6.243
Handelsgesetzbuch (Wetboek van Koophandel – WvK.) sowie im 2. Buch des Bürgerlichen
Gesetzbuches (Burgerlijk Wetboek – B.W.). Daneben gelten die allgemeinen Bestimmungen
der Art. 1655 ff. B.W. über die Gesellschaft.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Vennootschap onder firma, V.O.F.)
Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter einzeln zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. 6.244
Durch den Gesellschaftsvertrag können jedoch einzelne Gesellschafter von der Vertretung
ausgeschlossen werden (Abs. 17 Abs. 1 WvK.). Die Vertretungsmacht ist durch den Gesell-
schaftszweck begrenzt und kann durch den Gesellschaftsvertrag weiter eingeschränkt werden
(Art. 17 Abs. 2 WvK.). Die Beschränkung ist allerdings unbeachtlich, wenn sich die Tätigkeit
des der Beschränkung zuwiderhandelnden Gesellschafters zum Vorteil der Gesellschaft aus-
wirkt (Art. 1681 B.W.). Solange die entsprechenden Beschränkungen der Vertretungsmacht
nicht im Handelsregister eingetragen sind, wird zu Gunsten Dritter angenommen, dass sich
die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft auf Geschäfte aller Art erstreckt und keiner der Gesell-
schafter von der Vertretung ausgeschlossen ist (Art. 29 WvK.).

- Kommanditgesellschaft (Commanditaire Vennootschap, C.V.)


Zur Vertretung sind nur die persönlich haftenden Gesellschafter berechtigt. Die Kommandi- 6.245
tisten („vennooren bij wijze geldschieting“) sind von der Vertretung ausgeschlossen und dürfen
nicht einmal auf Grund besonderer Vollmacht für die Gesellschaft handeln (Art. 20 Abs. 2
WvK.).

- Aktiengesellschaft (Naamloze Vennootschap, N.V.)


Die N.V., die als Gesellschaftsform auch kleinerer Unternehmen in den Niederlanden weit 6.246
stärker verbreitet ist als die B.V., wird im Rechtsverkehr mit Dritten durch den Vorstand („be-
stuur“) vertreten (Art. 2:130 Abs. 1 B.W.). Dieser kann aus einer Person oder aus mehreren
Personen bestehen, die nicht zugleich Anteilseigner sein müssen. Besteht der Vorstand aus
mehreren Personen, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2:130 Abs. 2 B.W.). Ab-

Hausmann | 571
§ 6 Rz. 6.246 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weichende Vereinbarungen in der Satzung (Gesamtvertretung aller oder einzelner Vorstands-


mitglieder, Vertretung durch ein Vorstandsmitglied allein oder Vertretung durch sonstige Per-
sonen) entfalten Dritten gegenüber Wirkungen nur nach Maßgabe der Publizitätsvorschriften
(Art. 2:5 Abs. 2 B.W.).

6.247 Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftsvertrag, die den Umfang der
Befugnisse der Vorstandsmitglieder betreffen, können Dritten gegenüber in keinem Falle gel-
tend gemacht werden (Art. 2:130 Abs. 3 B.W.). Auf eine Überschreitung des Gesellschafts-
zwecks durch ein Vorstandsmitglied kann sich die N.V. nur berufen, wenn sie die Bösgläubig-
keit des Dritten nachweist (Art. 2:6 B.W.), wozu die Veröffentlichung der Satzung nicht aus-
reicht1.

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Besloten Vennootschap met beperkte aan-


sprakelijkheid, B.V.)
6.248 Die Vertretung dieser erst mit Gesetz vom 3.5.1971 in den Niederlanden eingeführten – der
deutschen GmbH entsprechenden – Gesellschaft obliegt der Geschäftsführung, die aus einer
oder mehreren Personen bestehen kann. Nach dem mit Art. 2:130 B.W. wörtlich übereinstim-
menden Art. 2:240 B.W. gelten die gleichen Regeln wie bei der Vertretung der N.V.2.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.249 Der Nachweis der Vertretungsbefugnis bei Handelsgesellschaften kann in den Niederlanden
durch Auszüge aus dem Handelsregister erbracht werden. Das Handelsregister wird nicht
bei den Gerichten, sondern bei den regional zuständigen Industrie- und Handelskammern
(„Kamers van Koophandel en Fabrieken“) geführt. Daneben erfolgt eine Bekanntmachung der
Eintragungen für die gesamten Niederlande im Niederländischen Staatsanzeiger („Nederland-
se Staatscourant“; vgl. Art. 1 ff. des Handelsregistergesetzes von 1918). Die Eintragungen sind
auch online abrufbar unter: https://www.kvk.nl/english/traderegister.

g) Österreich
Literatur: Arnold, Die GmbH und die GmbH & Co. KG im österreichischen Recht – ein Update,
GmbHR 2004, 43; Beer, Österreich (Rz. 1-261), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen
GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Doralt, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Österreich, in: Lutter,
Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 527; Doralt, Die „Private“ Ak-
tiengesellschaft in Österreich, AGs 1995, 538; Feil, Kommanditgesellschaft (Wien 1995); Fritz, Gesell-
schaftsrecht in Österreich (2000); Fritz, Wichtige Grundlagen für Geschäftsführer einer österrei-
chischen GmbH, GmbHR 2005, 1339; Gellis, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 6. Aufl. (Wien 2006);
Jabornegg/Strasser, Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2006; Kalss, Das österreichische Gesell-
schaftsrecht im Spiegel der Entwicklung des deutschen Rechts, NZG 2012, 161; Kalss/Nowotny/Scheu-
er, Österreichisches Gesellschaftsrecht (Wien 2008); Koppensteiner/Rüffler, GmbH-Gesetz (Kommen-
tar), 3. Aufl. (Wien 2007); Krejci, Gesellschaftsrecht I (Alllg. Teil/Personengesellschaften) (Wien
2005); Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht in systematischer Darstellung, Bd. I, 2. Aufl.
1997; Reiff, Die eingetragene Erwerbsgesellschaft – Eine neue österreichische Personengesellschaft,
ZVglRW 90 (1991), 130; Straube(Hrsg.), Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch, Bd. I,

1 IPG 1969 Nr. 10 (München): Zum Recht der niederländischen AG.


2 IPG 1975 Nr. 14 (Köln) und IPG 1983 Nr. 16 (Bonn): Beide zum Recht der niederländischen
GmbH.

572 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.255 § 6

4. Aufl. (Wien 2009); Straube (Hrsg.), Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz (2010); Umfahrer,
GmbH, Handbuch für die Praxis, 6. Aufl. 2008.
Das österreichische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im Unternehmensgesetzbuch 6.250
vom 1.1.2007, im GmbH-Gesetz vom 6.3.1906 und im Aktiengesetz vom 31.3.1965.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (OHG)
Vertretungsberechtigt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln. Eine abweichende Rege- 6.251
lung ist im gleichen Umfang wie im deutschen Recht möglich und aus dem Handelsregister
zu ersehen (§ 125 UGB). Die Vertretungsmacht kann mit Wirkung gegenüber Dritten nicht
beschränkt werden (§ 126 Abs. 2 UGB). Grenze ist nur der dem Dritten erkennbare Miss-
brauch der Vertretungsmacht.

- Kommanditgesellschaft (KG)
Die Vertretung erfolgt durch die persönlich haftenden Gesellschafter nach den für die OHG 6.252
geltenden Grundsätzen (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 125 UGB). Die Kommanditisten sind von der
Vertretung ausgeschlossen (§ 170 UGB).

- Aktiengesellschaft (AG)
Die AG wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 71 Abs. 1 6.253
AktG). Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder
nur gemeinschaftlich zur Abgabe von Willenserklärungen befugt; der Vorstand kann aber ein-
zelne Vorstandsmitglieder zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von
Geschäften ermächtigen (§ 71 Abs. 2 AktG). Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so
kann die Satzung auch bestimmen, dass einzelne Vorstandsmitglieder allein oder in Gemein-
schaft mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind; dabei muss aber ge-
währleistet sein, dass die AG vom Vorstand auch ohne die Mitwirkung eines Prokuristen ver-
treten werden kann. Eine entsprechende Bestimmung kann auch der Aufsichtsrat treffen,
wenn die Satzung ihn hierzu ermächtigt (§ 71 Abs. 3 AktG). Für die Abgabe von Willenserklä-
rungen gegenüber der Gesellschaft reicht es aus, wenn die Abgabe gegenüber einem Vor-
standsmitglied erfolgt.

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)


Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten, die nicht Gesell- 6.254
schafter zu sein brauchen (§ 18 Abs. 1 GmbHG). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so
sind sie grundsätzlich nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt (§ 18 Abs. 2 GmbHG). Ab-
weichende Vereinbarungen (z.B. Vertretungsmacht eines Geschäftsführers allein oder zusam-
men mit einem oder mehreren anderen Geschäftsführern oder Prokuristen) sind möglich, zur
Erlangung von Drittwirkung aber publizitätspflichtig (§ 18 Abs. 3 GmbHG).

Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis wirkt gutgläubigen Dritten gegenüber nicht. Dies 6.255
gilt insbesondere für den Fall, dass die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten
von Geschäften erstrecken soll oder dass die Zustimmung der Gesellschafter, des Aufsichtsrats
oder eines anderen Gesellschaftsorgans für einzelne Geschäfte gefordert wird (§ 20 Abs. 2
GmbHG).

Hausmann | 573
§ 6 Rz. 6.256 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.256 Der Nachweis der Vertretungsmacht kann in Österreich ohne Schwierigkeit durch einen Aus-
zug aus dem Firmenbuch geführt werden, das in seiner Funktion dem deutschen Handels-
register weitgehend entspricht (vgl. §§ 7 ff. UGB). Zuständig sind die erstinstanzlichen Ge-
richte (Landesgerichte, Kreisgerichte), in Wien das Handelsgericht Wien. Eine Bekannt-
machung der Eintragung für ganz Österreich erfolgt durch das Amtsblatt zur Wiener Zeitung.
Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter: www.bmwfj.gv.at

h) Polen
Literatur: Bogen/Siekierzyński, Polen (Rz. 1-157), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen
GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Brockhuis/Schnell, Gesellschaftsrecht in Polen, 2. Aufl. 2002; Bundesstelle
für Außenhandelsinformation (Hrsg.), Polen: GmbH-Recht (2002); Cierpial/Löffler/Thurner, Die
Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder einer GmbH in Polen, WiRO 1995, 333 und 366; Daskowski/
Leipert, Die straf- und zivilrechtliche Haftung von Mandatsträgern polnischer Kapitalgesellschaften
WiRO 2001, 332; Demuth, Gesellschaftsrecht und Unternehmenserwerb in Polen nach dem Beitritt,
OstEuR 2004, 436; Gralla, HGB-Vorschriften über die Kommanditgesellschaft, WiRO 1992, 21; Gralla,
Handelsgesellschaften in Polen, in: Gralla/Sonnenberger, Handelsgesellschaften in Osteuropa (1993),
S. 77; Gralla, Gesellschaftsrecht in Polen, Einführung mit vergleichenden Tabellen (1994); Kos, Die
GmbH & Co. KG nach polnischen Recht, WiRO 2000, 297; Kuper, Die Aktiengesellschaft in Polen
und Deutschland (2005); Kwasnicki, Gesellschaft mit begrenzter Haftung (polnisch; Warschau 2005);
Lakomy, Die polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, NotBZ 2011, 113; Lewandowski/Kwas-
nicki, „Große“ Änderung des polnischen Gesetzbuchs über die Handelsgesellschaften, WiRO 2004,
234; Lewandowski, Polnisches Gesetz zur Einführung der Europäischen Wirtschaftlichen Interessen-
gemeinschaft und der Europäischen Gesellschaft, WiRO 2005, 335 und 2006, 129; Lewandoski/Kostur,
Die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung wird in Polen erleichtert, WiRO 2011,
240; Liebscher/Zoll (Hrsg.), Einführung in das polnische Recht (2005), 5. Teil: Unternehmensrecht;
Litwinska, Gesetzbuch der Handelsgesellschaften (polnisch; Warschau 2002); Marciniuk, Die Grün-
dung einer Tochtergesellschaft in Polen, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Aus-
land, 3. Aufl. 1995, S. 565; Marr, Das polnische GmbH-Recht im Vergleich zum deutschen GmbH-
Gesetz (1998); Meppen, Die Haftung des Geschäftsführers einer polnischen GmbH wegen Insolvenz-
verschleppung, NZG 2015,107; Paintner, Ausländische Gesellschaften und Gesellschaften mit auslän-
discher Beteiligung in Polen, WiRO 1997, 201; Pörnbacher, Reform des polnischen Gesellschaftsrecht
– Auswirkungen für die Praxis, RIW 2001, 431; Pörnbacher, Die GmbH nach polnischem Recht,
GmbHR 2002, 370; Schnell/Brockhuis, Gesetzbuch der Handelsgesellschaften, WiRO 2001, 17; Schroer,
Die atypisch stille Gesellschaft als Rechtsform für Immobilieninvestitionen in Polen, WiRO 1998, 245;
Schubel, Teil 4 § 17 Polen (Rz. 1-393), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019);
Siwik, Die Haftung der Geschäftsführer in Polen für Verbindlichkeiten der Europäischen wirtschaftli-
chen Interessenvereinigung, WiRO 2007, 257; Soltysinski/Szajkowski/Szumanski/Szwaja, Gesetzbuch
der Handelsgesellschaften, Kommentar zu Art. 1–663, 5 Bde (polnisch; Warschau 2001–2004); Teresz-
kiewicz, Partnerschaftsgesellschaft für Freiberufler im polnischen Gesellschaftsrecht, WiRO 2002, 97;
Wlodyka (Hrsg.), Kapitalgesellschaften in Polen, Gründung, Tätigkeit, Übertragung (2000); Wowerka,
Kommanditgesellschaft auf Aktien im polnischen Recht, WiRO 2008, 257; Wowerka, Partnergesell-
schaft im polnischen Recht, WiRO 2009, 353.
6.257 Das polnische Gesellschaftsrecht ist im Wesentlichen im Gesetzbuch der Handelsgesellschaf-
ten (HGG) vom 15.9.2000sowie im Gesetz über das Recht der Wirtschaftstätigkeit von Gesell-
schaften (WiTG) vom 19.11.1999 geregelt. Das bis dahin geltende HGB vom 27.6.1934 i.d.F.
vom 20.8.1997 (deutscher Text: WOS Polen III 3a) wurde gleichzeitig, mit Ausnahme der Vor-
schriften über die Firma und die Prokura, aufgehoben; es kann jedoch auf Grund der Über-
gangsregelungen im HGG auf Altfälle weiter anzuwenden sein.

574 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.263 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Spólka Jawna, Sp.j.)
Jeder Gesellschafter der OHG ist nach Art. 29 § 1 HGG grundsätzlich allein zur Vertretung 6.258
der Gesellschaft berechtigt. Jedoch kann durch den Gesellschaftsvertrag ein Gesellschafter von
der Vertretung ausgeschlossen oder nur zur gemeinschaftlichen Vertretung mit einem anderen
Gesellschafter oder Prokuristen ermächtigt werden (Art. 30 § 1 HGG).

Soll ein Gesellschafter nachträglich von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen wer- 6.259
den, so kann dies nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch Gerichtsurteil (Art. 30 § 2
HGG) geschehen. Die Einzelvertretungsmacht der Gesellschafter umfasst alle gerichtlichen
und außergerichtlichen Rechtsgeschäfte und Handlungen, die mit der Führung eines Handels-
unternehmens zusammenhängen (Art. 29 § 2 HGG). Der Umfang der Vertretungsmacht
kann nicht mit Wirkung gegenüber Dritten beschränkt werden (Art. 29 § 3 HGG). Jede vom
Grundsatz der Einzelvertretungsmacht abweichende Regelung muss im Handelsregister einge-
tragen werden (Art. 26 § 1 Nr. 4, § 2 HGG).

- Kommanditgesellschaft (Spólka Komandytowa, Sp.K.)


Zur Vertretung der KG sind gem. Art. 117, 103, 20 HGG die Komplementäre nach den für 6.260
die Gesellschafter einer OHG geltenden Grundsätzen berechtigt und verpflichtet. Der Kom-
manditist darf die KG nur auf Grund einer Vollmacht (Art. 118 § 1 HGG) oder Prokura
(§§ 61 ff. HGG) vertreten. Schließt er für die KG ein Geschäft ab, ohne seine Vollmacht kennt-
lich zu machen, haftet er aus diesem Geschäft dem Dritten gegenüber unbeschränkt (Art. 118
§ 2 HGG).

- Partnergesellschaft (Spólka Partnerska, Sp.p.)


Gemäß Art. 96 § 1 HGG ist jeder Partner berechtigt, die Gesellschaft allein zu vertreten, wenn 6.261
der Gesellschaftsvertrag nichts anders bestimmt. Durch Beschluss mit einer Mehrheit von ¾
der Stimmen der Partner kann jedoch einem Partner die Vertretungsbefugnis entzogen wer-
den, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, Art. 96 § 2 HGG. Mit Eintragung im Handelsregister
wird dieser Entzug Dritten gegenüber wirksam, Art. 96 § 3 HGG. Davon abweichend kann
der Gesellschaftsvertrag an den Entzug der Vertretungsbefugnis strengere Anforderungen auf-
stellen, Art. 96 § 2 HGG, oder auch die Gesellschaftsführung und Vertretung der Gesellschaft
einem Vorstand übertragen, Art. 97 § 1 HGG. Auf ein solches Organ sind die Vorschriften
bezüglich des Vorstandes einer GmbH entsprechend anzuwenden, Art. 97 § 2 HGG.

- Kommanditgesellschaft auf Aktien (Spólka Komandytowo Akcyjna, S.K.A.)


Die Vertretung und Gesellschaftsführung der KGaA steht allein den Komplementären zu 6.262
(Art. 137 § 1 HGG), sofern ihnen diese Befugnis nicht durch den Gesellschaftsvertrag oder
ein rechtskräftiges Gerichtsurteil entzogen worden ist. Entsprechend den Regelungen zur KG,
kann ein Aktionär die Gesellschaft nur als Bevollmächtigter vertreten, Art. 138 HGG. Abwei-
chende Vertretungsregeln in der Satzung entfalten gegenüber Dritten keine Wirkung, Art. 139
HGG.

- Aktiengesellschaft (Spólka Akcyjna, S.A.)


Die AG wird vom Vorstand vertreten, der aus einer oder mehreren Personen bestehen kann, 6.263
Art. 368 § 1 HGG. Die Vertretung erstreckt sich auf alle gerichtlichen und außergerichtlichen
Handlungen und Rechtsgeschäfte, die mit der Führung eines Handelsunternehmens verbun-

Hausmann | 575
§ 6 Rz. 6.263 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

den sind, Art. 372 § 1 HGG. Von der Vertretungsmacht ausgenommen sind die Veräußerung
und Verpachtung des Unternehmens, die Bestellung eines Nießbrauchrechts am Unterneh-
men, die Veräußerung eines Fabrikgrundstücks der AG und die Ausgabe von Schuldverschrei-
bungen; diese Geschäfte bedürfen eines Beschlusses der Hauptversammlung (Art. 375 i.V.m.
Art. 383 Nr. 3–5 HGG). Die Vertretungsmacht kann gegenüber Dritten nicht rechtswirksam
beschränkt werden (Art. 372 § 2 HGG). Sofern die Vertretung durch einen mehrköpfigen Vor-
stand nicht in der Satzung geregelt ist, gilt Art. 371 § 1 HGG. Danach ist zur Abgabe von
Willenserklärungen im Namen der AG die Mitwirkung zweier Vorstandsmitglieder oder eines
Vorstandsmitglieds gemeinsam mit einem Prokuristen erforderlich. Hiervon abweichende Be-
stimmungen des Gesellschaftsvertrages (z.B. Einzelvertretung oder Gesamtvertretung aller
Vorstandsmitglieder) sind im Handelsregister einzutragen und wirken dann auch gegenüber
Dritten. Erklärungen und Schriftstücke entgegennehmen kann jedes Vorstandsmitglied allein.

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Spólka z Organiczona Odpowiedzialnóscia;


Sp.z o.o.)
6.264 Die GmbH wird gem. Art. 201 § 1 HGG vom Vorstand vertreten. Die Vertretungsmacht um-
fasst „alle gerichtlichen und außergerichtlichen Tätigkeiten der Gesellschaft“, Art. 204 § 1
HGG. Die Vertretungsmacht des Vorstands kann Dritten gegenüber nicht wirksam einge-
schränkt werden, Art. 204 § 2 HGG. Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so gilt für
die Frage der Einzel- oder Gesamtvertretung bei der Abgabe und Entgegennahme von Erklä-
rungen im Namen der Gesellschaft das zur AG Gesagte entsprechend, vgl. Art. 205 §§ 1 und 2
HGG.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.265 Sämtliche Handelsgesellschaften müssen ins Handelsregister eingetragen werden. Der Antrag
auf Eintragung muss insbesondere Angaben über Vor- und Familiennamen der zur Vertre-
tung der Gesellschaft berechtigten Personen und die Art und Weise dieser Vertretung enthal-
ten (vgl. zur OHG Art. 26 § 1 HGG). Die gesetzlich vorgeschriebenen Bekanntmachungen der
Gesellschaften werden im Gerichtsanzeiger („Monitor Sadowy Gospodarczy“) veröffentlicht
(Art. 5 § 3 HGG). Sie sind auch online abrufbar unter: http://www.ms.gov.pl/krs/krs.php oder
www.paiz.gov.pl/polis_law/forms of doing business.

i) Portugal
Literatur: Antunes, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Portugal, in: Lutter, Die Gründung ei-
ner Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 589; Caeiro/Nogueira Serens, Código comercial,
Código das sociedades comerciais, 17. Aufl. (Coimbra 2007); Cremades/Peinado, Gesellschaftsrecht in
Portugal, 2. Aufl. 2001; Driesen, Die GmbH im portugiesischen Recht, GmbHR 1991, 49; Driesen/Hu-
ber, Das Recht der Handelsgesellschaften in Portugal, EuZW 1993, 536; Glücksmann/Stieb, Die Han-
delsgesellschaften im portugiesischen Recht, RIW 1984, 516; Jayme, Neues Gesellschaftsrecht in Por-
tugal – IPR und Fremdenrecht, IPRax 1987, 46; Koppensteiner, Die SE in Portugal, RIW 2006, 1030;
Lutter/Overrath, Das portugiesische Konzernrecht von 1986, ZGR 1991, 394; Neto, Código das socie-
dades comerciais, 2. Aufl. (Coimbra 2003); Pinto Furtado, Código das sociedades comerciais, 4. Aufl.
(Coimbra 2007); Stieb, Portugal (Rz. 1-132), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-
Rechts, 3. Aufl. 2016; Ventura, Alterações do Contrado de Sociedade, 2. Aufl. (Coimbra 2003); Ven-
tura, Sociedades por Quotas, 3 Bde., 4. Aufl. (Coimbra 2008).
6.266 Das Gesellschaftsrecht ist im Código das Sociedades Comerciais (CSC; Gesetzdekret Nr. 262/
86 vom 2.9.1986) geregelt, der am 1.11.1986 in Kraft getreten ist. Sämtliche Handelsgesell-
schaften sind juristische Personen (Art. 5 CSC).

576 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.271 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Sociedade em nome colectivo, S.N.C.)
Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft obliegt nach Art. 192 Abs. 1 CSC den 6.267
Geschäftsführern („gerantes“). Deren Vertretungsbefugnis ist durch den Gesellschaftszweck
begrenzt; weitere Einschränkungen können sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben
(Art. 192 Abs. 2 CSC). Die Gesellschaft kann aber ein Geschäft, das in ihrem Namen von
einem Geschäftsführer ohne Vertretungsmacht geschlossen wurde, dann nicht anfechten,
wenn das Geschäft von den übrigen Geschäftsführern einstimmig genehmigt worden ist
(Art. 192 Abs. 3 CSC). Wird diese Genehmigung nicht erteilt, so kann das Geschäft auch von
dem Dritten angefochten werden, der von der Überschreitung der Befugnisse des Geschäfts-
führers keine Kenntnis hatte. Die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister be-
gründet noch keine Vermutung dieser Kenntnis (Art. 192 Abs. 4 CSC).

- Kommanditgesellschaft (Sociedade em comandita simples, S.C.S.)


Die Kommanditgesellschaft wird ebenfalls durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertre- 6.268
ten. Geschäftsführer können grundsätzlich nur die persönlich haftenden Gesellschafter („so-
cios comanditados“) sein; für deren Vertretungsbefugnisse gelten die Regeln über die Vertre-
tung der S.N.C. entsprechend (Art. 474 CSC). Die Kommanditisten („socios comanditarios“)
sind zur Vertretung nur ausnahmsweise berechtigt, wenn der Gesellschaftsvertrag dies aus-
drücklich vorsieht (Art. 470 Abs. 1 CSC). Auch eine Delegation der Vertretungsmacht auf ei-
nen Kommanditisten oder einen Nichtgesellschafter kann durch den Gesellschaftsvertrag zu-
gelassen werden (Art. 470 Abs. 2 CSC).

- Aktiengesellschaft (Sociedade anónima, S.A.)


Die S.A. wird durch den Verwaltungsrat („conselho de administração“) gesetzlich vertreten 6.269
(Art. 405 Abs. 2 CSC). Die Vertretungsmacht des Verwaltungsrats wird durch die Mitglieder
gemeinsam ausgeübt. Die Gesellschaft wird aber auch durch Rechtsgeschäfte gebunden, die
eine Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder oder ein im Gesellschaftsvertrag bestimmtes ge-
ringeres Quorum beschlossen oder genehmigt hat (Art. 408 Abs. 1 CSC). Im Gesellschaftsver-
trag kann ferner vorgesehen werden, dass die Gesellschaft durch einen oder mehrere „admi-
nistradores delegados“ innerhalb der vom Verwaltungsrat gezogenen Grenzen verpflichtet
wird (Art. 408 Abs. 2 CSC).

Die von den Verwaltungsratsmitgliedern im Namen der Gesellschaft und innerhalb ihrer ge- 6.270
setzlichen Befugnisse geschlossenen Geschäfte sind für die Gesellschaft verbindlich; Beschrän-
kungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschlüsse der Ak-
tionäre können Dritten nicht entgegengehalten werden, selbst wenn sie im Handelsregister
eingetragen sind (Art. 409 Abs. 1 CSC). Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den
Gesellschaftszweck wirken Dritten gegenüber nur im Falle der Bösgläubigkeit; die Eintragung
des Gesellschaftszwecks im Handelsregister allein begründet die Bösgläubigkeit des mit der
Gesellschaft kontrahierenden Dritten freilich noch nicht (Art. 409 Abs. 2, 3 CSC).

Das portugiesische Aktienrecht sieht – ähnlich wie das französische Recht – neben der tradi- 6.271
tionellen S.A. auch die S.A. mit Direktorium („direcção“), Aufsichtsrat („conselho geral“) und
Buchprüfer („revisor oficial de contos“) vor. Das Direktorium besteht aus einer ungeraden Zahl
von nicht mehr als fünf Direktoren (Art. 424 Abs. 1 CSC); diese vertreten die Gesellschaft im
Rechtsverkehr mit Dritten (Art. 431 Abs. 2 CSC). Für den Umfang ihrer Vertretungsmacht gilt
Art. 409 CSC entsprechend, soweit keine Abweichungen vom Aufsichtsrat beschlossen werden.

Hausmann | 577
§ 6 Rz. 6.272 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Sociedade por quotas/sociedade de responsa-


bilidade limitada, S.L.)
6.272 Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer („gerantes“) vertreten, die
keine Gesellschafter zu sein brauchen (Art. 252 Abs. 1 CSC). Eine Delegation dieser Vertre-
tungsmacht ist grundsätzlich ausgeschlossen (Art. 252 Abs. 4 CSC). Die von den Geschäfts-
führern im Namen der Gesellschaft und innerhalb ihrer gesetzlichen Vertretungsbefugnis ge-
schlossenen Geschäfte verpflichten die Gesellschaft gegenüber Dritten ungeachtet etwaiger Be-
schränkungen im Gesellschaftsvertrag (Art. 260 Abs. 1 CSC). Die Gesellschaft kann Dritten
Beschränkungen der Vertretungsmacht, die sich aus dem Gesellschaftszweck ergeben, nur ent-
gegenhalten, wenn sie nachweist, dass der Dritte sie kannte oder kennen musste; zum Nach-
weis der Bösgläubigkeit reicht die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister
nicht aus (Art. 260 Abs. 2, 3 CSC)1.

6.273 Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so stehen ihnen die Vertretungsbefugnisse in Erman-
gelung einer abweichenden Satzungsbestimmung nur gemeinsam zu. Die Gesellschaft wird
aber auch durch Geschäfte gebunden, die durch eine Mehrheit der Geschäftsführer abge-
schlossen oder von ihr genehmigt worden sind (Art. 261 Abs. 1 CSC). Die Geschäftsführer
sind auch berechtigt, die Vertretungsmacht für bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäf-
ten auf einen oder einzelne Geschäftsführer zu delegieren; auch die von solchen „gerentes de-
legados“ innerhalb der ihnen verliehenen Vertretungsmacht geschlossenen Geschäfte sind für
die Gesellschaft verbindlich (Art. 261 Abs. 2 CSC).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.274 Auch Portugal kennt ein dem deutschen Handelsregister entsprechendes Register. Die ge-
setzliche Regelung findet sich im Código do Registo Comercial vom 3.12.1986. Zuständig für
die Eintragungen ist die „conservatória“, in deren Bezirk die Handelsgesellschaft ihren Sitz hat
(Art. 25). Eintragungspflichtig sind u.a. die Vertretungsverhältnisse von Handelsgesellschaften
und deren Änderung (Art. 15 Nr. 1 i.V.m. Art. 3m). Eintragungspflichtige Tatsachen können
Dritten erst ab Eintragung entgegengehalten werden (Art. 14 Nr. 2).

6.275 Das Handelsregister ist öffentlich; Registerauszüge werden an jedermann erteilt (Art. 73 f.).
Neben dem lokalen Register wird ein Zentralregister für alle Handelsgesellschaften und juris-
tischen Personen Portugals in Lissabon geführt („Registo Nacional de Pessoas Colectivas“). Die
dortigen Eintragungen sind auch online abrufbar unter: http://www.irn.mj.pt/sections/empre-
sas oder http://publicacoes.mj.pt.

j) Slowakische Republik
Literatur: Bohata, Slowakische Republik: Handelsregistergesetz, WiRO 2005, 113; Sovova, Slowakei,
in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts (Rz. 1-147), 3. Aufl. 2016; Stessl, Jüngs-
te Neuerungen im slowakischen Gesellschaftsrecht, WiRO 2002, 237.
6.276 Ein privates Gesellschaftsrecht wurde in der CSSR durch Gesetz vom 18.4.1990 über die Ak-
tiengesellschaften und das novellierte Wirtschaftsgesetzbuch wieder eingeführt; das Wirt-
schaftsgesetzbuch i.d.F. von 1990 enthielt u.a. Regelungen über die OHG, die KG und die
GmbH. Diese Übergangsgesetze wurden durch das seit 1.1.1992 geltende Handelsgesetzbuch
vom 5.11.1991 abgelöst (deutscher Text in WOS CSFR III 4b). Das HGB regelt seither sämtli-

1 IPG 1984 Nr. 19 (München): zum portugiesischen GmbH-Recht.

578 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.280 § 6

che Gesellschaftsformen des Handelsrechts und gilt seit dem 1.1.1993 in der Slowakischen Re-
publik fort. Am 1.1.2015 ist eine tiefgreifende Reform des slowakischen GmbH-Rechts durch
die Novellierung des Handelsgesetzbuchs (Obchodný zákonník) in Kraft getreten. Eine der we-
sentlichsten Änderungen besteht darin, dass eine GmbH nach slowakischem Recht bereits mit
einem Stammkapital von einem Euro (anstatt bisher von 5.000 Euro) gegründet werden kann.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (verejná obchidní spolecnost, v.o.s.)
Die offene Handelsgesellschaft wird grundsätzlich durch jeden Gesellschafter allein vertreten 6.277
(Einzelvertretung), sofern durch Gesellschaftsvertrag nicht einige Gesellschafter von der Ver-
tretung ausgeschlossen sind oder bestimmt wird, dass nur alle Gesellschafter gemeinschaftlich
zu handeln berechtigt sind (§ 85 HGB). Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt mit Ein-
tragung im Handelsregister auch gegenüber Dritten. Hingegen sind Beschränkungen des Um-
fangs der Vertretungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten unzulässig.

- Kommanditgesellschaft (komanditní spolecnost, k.s.)


In der KG sind allein die Komplementäre zur Geschäftsführung (§ 97 Abs. 1 HGB) und zur 6.278
Vertretung der Gesellschaft (§ 101 Abs. 1 S. 1 HGB) berechtigt. Soweit der Gesellschaftsver-
trag nichts anderes bestimmt, hat jeder von ihnen Einzelvertretungsmacht (§ 101 Abs. 1 S. 2
HGB); im Übrigen gelten die Vertretungsregeln der OHG entsprechend. Die Kommanditisten
sind von der Vertretung ausgeschlossen, können jedoch von den Komplementären zur Vor-
nahme einzelner Geschäfte ermächtigt werden (§ 101 Abs. 2 HGB).

- Aktiengesellschaft (Akciová spoločnosť, a.s.)


Die in §§ 154-220 g HGB geregelte AG erfordert ein Mindeststammkapital von 25.000 Euro; 6.279
ihre gesetzlich vorgesehenen Organe sind die Gesellschafterversammlung (Valné zhromažde-
nie), der Vorstand (Predstavenstvo) sowie der zwingend einzurichtende und aus mindestens
drei Personen bestehende Aufsichtsrat (Dozorná rada). Die AG wird im Rechtsverkehr durch
den Vorstand vertreten (§ 191 Abs. 1 S. 1 HGB). Er entscheidet über sämtliche Angelegenhei-
ten der Gesellschaft, soweit diese nicht durch Gesetz oder Satzung der Zuständigkeit der
Hauptversammlung vorbehalten sind (§ 191 Abs. 1 S. 2 HGB). Sind mehrere Vorstandsmit-
glieder bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung, soweit die Satzung keine abwei-
chende Bestimmung trifft (§ 191 Abs. 1 S. 3 HGB). Die Anordnung von Gesamtvertretung
wirkt Dritten gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist (§ 191 Abs. 1 S. 4
HGB). Die Vertretungsmacht der Vorstandsmitglieder kann durch die Satzung sowie durch
Beschluss der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats eingeschränkt werden; eine solche
Einschränkung wirkt jedoch nicht gegenüber Dritten (§ 191 Abs. 2 HGB).
- Einfache Aktiengesellschaft (jednoduchá spoločnosť na akcie, j.s.a.). 6.280
Mit Wirkung vom 1.1.2017 hat die Slowakei die einfache Aktiengesellschaft als neue Gesell-
schaftsform eingeführt (§§ 220 h – 220 zl HGB). Es handelt sich um eine Kapitalgesellschaft,
die Elemente einer GmbH und einer AG verbindet. Diese Gesellschaftsform wurde eingeführt,
um Start-Ups die Gründung zu erleichtern und neue Investoren anzuziehen. Das Minimum-
kapital beträgt lediglich einen Euro; die Gesellschaft hat eine einfache Struktur und ist einfach
zu gründen. Der Gründungsvertrag muss in Form einer notariellen Niederschrift erstellt wer-
den und als Anlage die Satzung enthalten. Zur Vertretung der Gesellschaft sind die Geschäfts-
führer nach den Grundsätzen der GmbH berechtigt.

Hausmann | 579
§ 6 Rz. 6.281 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Spoločnosť s ručením obmedzeným, s.r.o.)


6.281 Für die GmbH ist ein Mindeststammkapital von 5.000 Euro vorgeschrieben, die als Geldeinla-
ge und zum Teil und bis zum Ablauf einer fünfjährigen Frist auch als Sacheinlage erbracht
werden können. Die gesetzlich vorgesehenen Organe der s.r.o. sind die Gesellschafterver-
sammlung (Valné zhromaždenie), die mindestens einmal jährlich einberufen werden muss,
sowie die Geschäftsführer (Konatelia), die für die Gesellschaft handlungsbefugt sind. Dem-
gegenüber ist ein Aufsichtsrat (Dozorná rada) bei der GmbH gesetzlich nicht zwingend als
Kontrollorgan vorgesehen. Die GmbH wird durch den oder die Geschäftsführer im Rechtsver-
kehr vertreten (§ 133 Abs. 1 S. 1 HGB). Sofern der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung
nichts anderes vorsehen, vertritt jeder Geschäftsführer die Gesellschaft allein (Einzelvertre-
tung, § 133 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Vereinbarung von Gesamtvertretung wirkt Dritten gegen-
über nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist (vgl. § 27a Abs. 2 lit. b, Abs. 3, § 28
Abs. 1 lit. e HGB).

6.282 Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnisse der Geschäftsführer kann im Gesellschaftsver-


trag oder in der Satzung vorgesehen oder durch die Generalversammlung beschlossen werden.
Sie hat Dritten gegenüber jedoch keine Wirkung, und zwar grundsätzlich auch dann nicht,
wenn der Dritte sie kannte oder kennen musste (§ 133 Abs. 2 HGB) oder wenn sie im Han-
delsregister eingetragen wurde (§ 13 Abs. 5 HGB)1. Bei Kenntnis des Dritten kann das Ge-
schäft jedoch angefochten werden (§ 542 i.V.m. § 321 HGB).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.283 Alle slowakischen Handelsgesellschaften sind im Handelsregister einzutragen. Das Verfahren
ist im Handelsregistergesetz Nr. 530/2003 (Zákon o obchodnom registri) i.V.m. § 27 HGB ge-
regelt. Das Handelsregister ist öffentlich (§ 27 Abs. 1 HGB). Tatsachen, die im Handelsregister
eingetragen sind, wirken gegenüber Dritten erst vom Tag der Eintragung. Darüber hinaus
wird aber – abweichend von § 15 des deutschen HGB – auch das Vertrauen eines gutgläubi-
gen Dritten in die Richtigkeit der eingetragenen Tatsachen geschützt (positive Publizität, § 27
Abs. 2 HGB). § 28 HGB legt die in das Handelsregister einzutragenden Angaben fest; dazu
gehören u.a. Name und Wohnsitz sämtlicher Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer von
Handelsgesellschaften (§ 28 Abs. 1 lit. e HGB).

6.284 Schneller und auch kostengünstiger ist die elektronische Eintragung, die seit 2007 möglich ist.
Auf elektronischem Wege ist auch die Beantragung eines Registerauszuges (Výpis z obchodné-
ho registra), einer Kopie aus dem parallel zum Handelsregister geführten sog. Urkundsregister
(Zbierka listín, dort finden sich sog. Nebenurkunden) oder eine Bestätigung, dass eine be-
stimmte Eintragung im Register nicht enthalten ist, möglich. Das Handelsregister ist darüber
hinaus im Internet unter www.orsr.sk frei recherchierbar. Das vom Justizministerium betrie-
bene Online-Portal „Handelsregister im Internet“ (Obchodný register na internete) bietet zahl-
reiche Suchmöglichkeiten (nach Firmenname, Vorname und Name von Personen, Identifika-
tionsnummer und Firmensitz). Das Online-Handelsregister steht auch in englischer Sprache
zur Verfügung.

1 Dazu näher Langner, WiRO 2008, 103 (104 f.).

580 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.286 § 6

k) Spanien
Literatur: Bascopé/Hering, Die spanische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, GmbHR 2005, 609;
Belke/Pfaar, Rechtsformwahl in Spanien nach der Reform des spanischen Handels- und Gesellschafts-
rechts, RIW 1990, Beil. Nr. 21, S. 1; Cabanas Trejo/Vestweber, Das neue spanische Gesetz der GmbH,
ZVglRW 95 (1996), 444; Cremades, Gesellschaftsrecht in Spanien, 3. Aufl. 2001; Embid Irujo, Eine
spanische „Erfindung“ im Gesellschaftsrecht: Die „Sociedad limitada nueva empresa“ – die neue un-
ternehmerische GmbH, RIW 2004, 760; S. 763; Fernández de la Gándara, Derecho de sociedades, 2
Bde. (Barcelona 2011); Fischer A.K., Das neue GmbH-Gesetz in Spanien, RIW 1996, 12; Fischer K.B./
Fischer A.K., Das neue Aktiengesetz in Spanien, RIW 1991, 18; Fischer K.-B./Fischer A.-K., Spanisches
Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995; Fischer, K.B., Das spanische Gesetz 3/2009 über struktu-
relle Änderungen der Handelsgesellschaften, RIW 2009, 435; Fröhlingsdorf, Die neue spanische
GmbH: Neues Unternehmen, RIW 2003, 584; Gimeno Ribes/Liefke, Teil 4 § 15 Spanien Rz. 1-554, in:
Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Güntzer, Die Rechtsstellung des Geschäfts-
führers im spanischen Aktienrecht (1991); Hernández-Bretón, Die persönliche Haftung des GmbH-
Geschäftsführers nach spanischem Recht, RIW 1992, 452; Jordan/Meier, Die spanische GmbH (1998);
Krupski, Zur Spaltung des auf ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz in Spanien anzuwendenden
Rechts, ZVglRW 96 (1997), 406; Lefebvre, Sociedades Mercantiles (2005); Lefebvre, Sociedades limita-
das (2010/2011); Lindner, Die spanische „Sociedad Limitada Nueva Empresa“. Ein Modell für eine
europäische kleine GmbH?, ZVglRW 103 (2004), 204; Löber u.a., Die neue spanische GmbH, 3. Aufl.
2006; Löber/Lozano/Steinmetz, Das neue Recht der spanischen Kapitalgesellschaften, RIW 2011, 587
und RIW 2012, 146; Löber/Wicke, Aktuelles spanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2006;
Lozano/Hilgers/Löber, Spanien (Rz. 1-386), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-
Rechts, 3. Aufl. 2016; Marinello/Meyer, Die spanische GmbH (1998); Meyer, Persönliche Haftung der
Geschäfsführer/Verwalter einer spanischen GmbH, RIW 1998, 450; Ochs, die Haftung des GmbH-Ge-
schäftsführers im deutschen und spanischen Recht (2008); Otto, Verwalterhaftung im Gründungs-
und Auflösungsstadium nach spanischem GmbH-Recht, RIW 2002, 27; Reckhorn-Hengemühle, Die
spanische Aktiengesellschaft nach der Reform des Aktiengesetzes von 1989 (1992); Reckhorn-Henge-
mühle, Die neue spanische GmbH nach dem Gesetz 2/1995 vom 23.3.1995 (1997); Uría, Derecho mer-
cantil, 28. Aufl. (Madrid 2002); Vicente Chuliá, Introducción Al Derecho Mercantil, 17. Aufl. (Valencia
2004); Vietz, Die neue „Blitz-GmbH“ in Spanien, GmbHR 2003, 26 und 523; Wellenhofer, Die spa-
nische Sociedad Limitada Nueva Empresa (2012); von Wolffersdorf, Neue Pflichten und strengere Haf-
tung für Verwalter spanischer Kapitalgesellschaften, RIW 2006, 586.
Das spanische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im 1. Titel des 2. Buches des Códi- 6.285
go de comercio vom 1.1.1986 (Art. 116 bis 238), im Aktiengesetz vom 22.12.1989 und im
GmbH-Gesetz vom 23.3.1995. Sämtliche Handelsgesellschaften sind juristische Personen
(Art. 116 Abs. 2 c.com.).

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (Sociedad colectiva, S.C.)
Mangels ausdrücklicher Regelung im Gesellschaftsvertrag sind alle Gesellschafter zur Ge- 6.286
schäftsführung der S.C. berechtigt (Art. 129 c.com.); zur Vertretung der Gesellschaft nach au-
ßen bedarf es jedoch zusätzlich einer ausdrücklichen Ermächtigung (Art. 128 c.com.). Grund-
sätzlich besteht Einzelvertretungsmacht; der Widerspruch eines geschäftsführenden Gesell-
schafters gegen die von einem anderen Gesellschafter vorgenommenen Handlungen wirkt nur
im Innenverhältnis (Art. 130 c.com.). Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag
(insbesondere Vertretungsmacht nur einzelner Gesellschafter oder Gesamtvertretung mehre-
rer Gesellschafter) sind häufig, wirken Dritten gegenüber aber nur, wenn sie im Handelsregis-
ter eingetragen sind. Der Umfang der Vertretungsmacht ist durch den Gesellschaftszweck be-
schränkt; weitere Beschränkungen durch den Gesellschaftsvertrag sind Dritten gegenüber un-
wirksam.

Hausmann | 581
§ 6 Rz. 6.287 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Kommanditgesellschaft (Sociedad en comandita, S. en C.)


6.287 Die Gesellschaft wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („socios colectivos“) ver-
treten. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei der S.C. (Art. 148 Abs. 2 i.V.m.
Art. 128 ff. c.com.). Die Kommanditisten („socios comanditarios“) sind von der Vertretung
ausgeschlossen (Art. 148 Abs. 4 c.com.).

- Aktiengesellschaft (Sociedad anónima, S.A.)


6.288 Die durch den Beitritt Spaniens zur EG notwendig gewordene Rechtsangleichung an die EG-
Richtlinien zum Gesellschaftsrecht hat in Spanien zur Neufassung des Aktienrechts durch Ge-
setzesdekret (LSA) 1564/89 vom 22.12.1989 geführt, das am 1.1.1990 in Kraft getreten ist und
das Aktiengesetz vom 17.7.1951 abgelöst hat.

6.289 Die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der S.A. obliegt den Verwaltern („adminis-
tradores“, Art. 128 LSA). Die Vertretungsmacht umfasst alle Handlungen, die durch den in
der Satzung festgelegten Gesellschaftszweck gedeckt sind. Eine Überschreitung des Gesell-
schaftszwecks kann jedoch gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden; der gute
Glaube wird durch die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister allein noch
nicht zerstört. Sonstige Beschränkungen der Vertretungsbefugnis sind Dritten gegenüber in
jedem Falle unwirksam, selbst wenn sie im Handelsregister eingetragen sind (Art. 129 Abs. 1
und 2 LSA).

6.290 Das Verwaltungsorgan kann gem. Art. 123 LSA aus einem Alleinverwalter, mehreren Verwal-
tern mit Einzelbefugnissen oder mehreren gesamtvertretungsberechtigten Verwaltern beste-
hen. Ist die Verwaltung der Gesellschaft mehr als zwei Personen übertragen, so bilden diese
einen Verwaltungsrat („consejo de administración“, Art. 136 LSA). In diesem Falle gilt der
Grundsatz der Gesamtvertretung (Art. 133 Abs. 2 LSA). Zulässig ist aber auch die Übertra-
gung der organschaftlichen Vertretung auf einen geschäftsführenden Ausschuss („comisión
ejecutiva“) oder auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats („consejeros delegados“), sofern
sie in der Satzung (Art. 9 lit. h LSA) oder durch mehrheitlich getroffenen Verwaltungsrats-
beschluss erfolgt (Art. 140 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 LSA). Davon wird häufig Gebrauch gemacht,
um die Umständlichkeit der Gesamtvertretung zu vermeiden. In der Praxis wird nicht selten
dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats die alleinige Vertretungsmacht eingeräumt. Davon zu
unterscheiden ist die dauerhafte rechtsgeschäftliche Delegation bestimmter Vertretungsbefug-
nisse, die nur mit einer 2/3-Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder beschlossen werden kann
und erst mit Eintragung im Handelsregister gegenüber Dritten wirkt (Art. 141 Abs. 2 LSA).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Sociedad de responsabilidad limitada, S.R.L.)


6.291 Das spanische GmbH-Recht ist durch Gesetz vom 23.3.1995 neu geregelt worden; das Gesetz
ist am 1.6.1995 in Kraft getreten. Die gesetzliche Regelung der Verwaltung der GmbH ist ge-
genüber dem früheren System weitgehender Autonomie der Gesellschafter wesentlich geän-
dert worden. Die allgemeinen Grundsätze der Verwaltung stimmen nach Art. 57 LSRL nun-
mehr weitgehend mit den Normen des Aktienrechts überein. Die Verwaltung der Gesellschaft
kann daher ebenfalls einem Alleinverwalter, mehreren Verwaltern gemeinsam oder einem
Verwaltungsrat anvertraut werden. Die Ernennung der Verwalter steht nach Art. 58 LSRL al-
lein der Hauptversammlung zu. Die Verwalter brauchen nicht Gesellschafter zu sein, sofern
die Satzung nichts anderes bestimmt. Ob mehrere Verwalter die Gesellschaft einzeln oder nur
gemeinsam vertreten können, muss in der Satzung festgelegt werden. Für den Verwaltungsrat
gilt der Grundsatz der Gesamtvertretung; die Übertragung der Vertretungsmacht auf einzelne

582 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.295 § 6

Verwaltungsratsmitglieder ist zulässig, wirkt aber gegenüber Dritten nur, wenn sie im Han-
delsregister eingetragen ist.

Der Umfang der Vertretungsmacht ist gem. Art. 62 LSRL nur durch den Gesellschaftszweck 6.292
begrenzt; auch dessen Überschreitung kann jedoch gutgläubigen Dritten nicht entgegengehal-
ten werden. Weitergehende Beschränkungen der Vertretungsmacht durch die Satzung oder
Gesellschafterbeschluss sind Dritten gegenüber in jedem Falle unwirksam (Art. 63, 1 LSRL).

Durch Gesetz Nr. 7/2003 hat der spanische Gesetzgeber mit Wirkung vom 2.6.2003 die 6.293
„GmbH – Neues Unternehmen“ (Sociedad limitada de Nueva Empresa, S.L.N.E.) als eine ei-
genständige Gesellschaftsform eingeführt, die neben die traditionelle GmbH tritt. Mit ihrer
Hilfe soll vor allem kleinen und mittleren Unternehmen eine zügige und kostengünstige Ge-
sellschaftsgründung ermöglicht werden. Die Geschäftsführung kann einer einzigen oder meh-
reren Personen übertragen werden; die Bildung eines Verwaltungsrats ist jedoch – abweichend
von der gewöhnlichen S.R.L. – ausdrücklich verboten (Art. 139).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


In Spanien besteht eine dem deutschen Handelsregister entsprechende Einrichtung. Die ge- 6.294
setzliche Regelung findet sich im „Regolamento del Registro Mercantil“, das durch Gesetzes-
dekret n. 1597 vom 29.12.1989 an das neue Gesellschaftsrecht angepasst worden ist. Eintra-
gungen in das Handelsregister sind grundsätzlich obligatorisch (Art. 4). Eintragungspflichtig
sind ua. die gesetzlichen Vertreter von Handelsgesellschaften und der Umfang ihrer Befugnis-
se sowie deren Änderung (vgl. Art. 94 Nr. 4 und 5, 124, 174 Nr. 8, 178 Nr. 8). Das Handels-
register wird in jeder Provinzhauptstadt für die in der Provinz ansässigen Gesellschaften ge-
führt (Art. 16, 17 Abs. 1). Das Register ist öffentlich (Art. 21).

Darüber hinaus wird bei der Generaldirektion für Register- und Notariatssachen ein allgemei- 6.295
nes Gesellschaftsregister für ganz Spanien geführt („Registro Mercantil Central“, Art. 343 ff.).
Das Zentralregister erteilt auf schriftliche Anfrage Handelsregisterauszüge, die über die vertre-
tungsberechtigten Organe spanischer Handelsgesellschaften verlässlich Auskunft geben
(Art. 346). Eintragungspflichtige Tatsachen werden auf Veranlassung des Zentralregisters im
„Boletin Offical del Registro Mercantil“ bekannt gemacht; solange diese Bekanntmachung
nicht erfolgt ist, können sie gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 9
Abs. 1). Die Eintragungen im Zentralregister sind auch online abrufbar unter:http://www.re-
gistradores.org.

l) Tschechische Republik
Literatur: Bartosikova/Stenglova, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (tschechisch; Prag
1992); Bohata, Gesellschaftsrecht in der Tschechischen Republik und in der Slowakei, 2. Aufl. 1998;
Bohata, Tschechische Republik: Die Firma und das Handelsregister nach der Novelle des HGB, WiRO
2001, 146; Bohata, Tschechische Republik: Die neuen allg. Bestimmungen über Gesellschaften, WiRO
2001, 211; Bohata, Quellen des tschechischen Handelsrechts, WiRO 2003, 39; Bohata, Tschechische
Republik: Gesetz über Korporationen, WiRO 2012, 242; Braun/Jelínková, Tschechische Republik: Han-
delsregister – Teil 2, WiRO 2005, 374; Dedic, Aktiengesellschaft (tschechisch; Prag 2007); Fietkau, Der
Vorstand einer tschechischen Aktiengesellschaft, RIW 2007, 113; Holler/Wesbuer, Die tschechische
GmbH nach dem neuen Handelsrecht, WiRO 2002, 202; Kubánek/Pálinkás, Tschechische Republik,
in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, (Rz. 1-105); Kuklis, Die
GmbH in der Tschechischen Republik, GmbHR 2002, 687; Langner, Vertretungsbefugnisse des
GmbH-Geschäftsführers im tschechischen Recht, WiRO 2008, 103; Langner, Der GmbH-Geschäfts-

Hausmann | 583
§ 6 Rz. 6.295 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

führer im tschechischen Recht (2005); Loges/Nedelka, Die Haftung des Geschäftsführers einer tsche-
chischen GmbH, RIW 1998, 454; Oveckova, Handelsgesetzbuch – Kommentar, 2. Aufl. 2008; Pokorna,
Einführung in das tschechische Aktienrecht, FOWI-Arbeitspapier 114 (2007); Scheifele/Thaeter, Un-
ternehmenskauf, Joint Venture und Firmengründung in der Tschechischen Republik, 2. Aufl. 2001;
Schwarz/Pálinkás, Neues tschechisches Handelsgesetzbuch in der Praxis, RIW 2001, 273; Stessl, Das
neue solowakische GmbH-Recht, GmbHR 2002, 638; Ullmann-Czubak/Holec, Zemánek/Paschke, Das
tschechische Privat- und Wirtschaftsrecht unter dem Einfluss des europäischen Rechts (2004); Zitek,
Heranziehung des deutschen GmbH-Rechts bei der Weiterentwicklung des tschechischen GmbH-
Rechts (1998); Zvára, Geschäftsführerpflichten im tschechischen Recht, WiRO 2019, 225.
6.296 In Tschechien ist am 1.1.2014 das neue Gesetz über Handelskorporationen (HKG) vom
25.1.2012 zusammen mit dem neuen Zivilgesetzbuch in Kraft getreten. Es hat dort das seit
dem 1.1.1993 fortgeltende Handelsgesetzbuch der CSSR vom 5.11.1991 abgelöst. Das Gesetz
umfasst sowohl das Recht der Handelsgesellschaften wie der Genossenschaften (§ 1 HKG)
und enthält für diese Regelungen zu ihrer Form, ihrer Errichtung, ihren Organen und ihrer
Stellung im Rechtsverkehr. Die für alle Handelsgesellschaften geltenden allgemeinen Regelun-
gen sind in §§ 1 – 94 HKG enthalten.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Offene Handelsgesellschaft (veřejná obchodní spolecnost, v.o.s.)
6.297 Die Regelungen zur offenen Handelsgesellschaft (§§ 95-117 HKG) wurden durch die Novellie-
rung des Handelsgesetzbuches nur wenig geändert. Danach wird die oHG grundsätzlich
durch alle Gesellschafter, welche die in § 46 HKG festgelegten Anforderungen erfüllen, vertre-
ten. Dabei gilt nach § 44 Abs. 4 HKG der Grundsatz der Einzelvertretung. Der Gesellschafts-
vertrag kann jedoch bestimmen, dass nur einige dieser Gesellschafter oder nur einer von ih-
nen vertretungsbefugtes Organ sind (§ 106 Abs. 1 HKG). Die Anordnung von Gesamtvertre-
tung wirkt mit Eintragung im Handelsregister auch gegenüber Dritten. Hingegen sind Be-
schränkungen des Umfangs der Vertretungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten unzuläs-
sig.

- Kommanditgesellschaft (komanditní spolecnost, k.s.)


6.298 In der KG (§§ 118-131 HGB) sind allein die Komplementäre zur Vertretung der Gesellschaft
(§ 125 Abs. 1 S. 1 HKG) berechtigt. Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt,
gilt wiederum der Grundsatz der Einzelvertretung nach § 44 Abs. 4 HKG. Der Gesellschafts-
vertrag kann jedoch bestimmen, dass nur diejenigen der Komplementäre das vertretungs-
befugte Organ der Gesellschaft sind, welche die in § 46 HKG festgelegten Anforderungen er-
füllen, oder dass nur einer von ihnen das vertretungsbefugte Organ ist (§ 125 Abs. 1 S. 1
HKG). Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen, können jedoch von den
vertretungsberechtigten Komplementären zur Vornahme einzelner Geschäfte ermächtigt wer-
den.

- Aktiengesellschaft (akciová spolecnost, a.s.)


6.299 Im Recht der tschechischen Aktiengesellschaft (§§ 243-551 HKG) wurde durch die Gesetzes-
reform vor allem eine Änderung im Bereich der Organstruktur eingeführt. Danach können
die Gründer können sich nunmehr entscheiden, ob sie ihre Aktiengesellschaft auf Grundlage
eines dualistischen Systems (dualistický systém) nach den §§ 435-455 HKG oder eines monis-
tischen Systems (monistický systém) nach den §§ 456-463 HKG organisieren wollen. Das mo-
nistische System trennt nicht zwischen der Geschäftsleitung (Vorstand; představenstvo) und

584 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.303 § 6

der Überwachung der Geschäftsleitung (Aufsichtsrat; dozorcí rada). Vielmehr werden beide
Funktionen durch ein Organ wahrgenommen, den sog. Verwaltungsrat (správní rada). Dieser
Verwaltungsrat besteht nach § 457 HKG aus drei Mitgliedern, sofern die Satzung nicht etwas
anderes bestimmt. Demgegenüber kontrolliert bei einer nach dem dualistischen System orga-
nisierten Aktiengesellschaft ein Aufsichtsrat den Vorstand. Dieser besteht gemäß § 439 HKG
ebenfalls aus drei Mitgliedern, sofern die Satzung nichts anderes vorschreibt.

Im dualistischen System wird die AG durch den Vorstand im Rechtsverkehr vertreten (§ 435 6.300
Abs. 1 HKG). Er entscheidet über sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft, soweit diese
nicht durch Gesetz oder Satzung der Zuständigkeit der Hauptversammlung vorbehalten sind.
Der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 439
Abs. 1 HKG). Er entscheidet gem. § 440 Abs. 1 HKG mit Stimmenmehrheit. Sind mehrere
Vorstandsmitglieder bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung, soweit die Satzung
keine abweichende Bestimmung trifft. Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt Dritten
gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist. Die Vertretungsmacht der Vor-
standsmitglieder kann durch die Satzung sowie durch Beschluss der Hauptversammlung oder
des Aufsichtsrats eingeschränkt werden; eine solche Einschränkung wirkt jedoch nicht gegen-
über Dritten, auch wenn sie öffentlich bekanntgemacht worden ist (§ 47 HGK).

In der monistisch organisierten AG ist das vertretungsbefugte Organ der Gesellschaft der 6.301
vom Verwaltungsrat bestellte Geschäftsdirektor (Art. 463 Abs. 1 HKG). Dieser kann nur eine
natürliche Person sein, die die Bedingungen dieses Gesetzes für die Mitgliedschaft im Vor-
stand erfüllt (Art. 463 Abs. 1 HKG). Geschäftsdirektor kann auch der Vorsitzende des Verwal-
tungsrats sein (Art. 463 Abs. 3 HKG).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (spolecnost s rucením omezeným, s.r.o.)


Für die in §§ 132-242 HKG geregelte GmbH wurde im Rahmen der Reform das Mindest- 6.302
stammkapital von bislang 200.000 CZK (ca. 7.400 Euro) auf 1 CZK (ca. 0,04 Euro) herab-
gesezt (§ 142 Abs. 1 HKG). Vertreten wird die GmbH im Rechtsverkehr durch die Geschäfts-
führung (jednatelé, §§ 194 Abs. 1HKG). Eine tschechische GmbH kann einen oder mehrere
Geschäftsführer haben. Existieren mehrere Geschäftsführer, so gilt nach Art. 44 Abs. 5 HKG
der Grundsatz der Einzelvertretung. Jedoch kann im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden,
dass die Geschäftsführer zu einem einheitlichen Kollektivorgan zusammengefasst werden
(§ 194 Abs. 2 HKG). Auf dieses finden die Bestimmungen der § 440 und § 444 HKG entspre-
chende Anwendung; danach bedarf jede unternehmensbezogene Entscheidung eines Mehr-
heitsvotums aller Geschäftsführer. Die Vereinbarung von Gesamtvertretung wirkt Dritten ge-
genüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist. Eine Beschränkung der Vertre-
tungsbefugnisse der Geschäftsführer kann im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vor-
gesehen oder durch die Gesellschafterversammlung beschlossen werden. Sie hat Dritten ge-
genüber jedoch keine Wirkung, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Dritte sie
kannte oder kennen musste oder wenn sie im Handelsregister eingetragen wurde (§ 47 HKG).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


Alle tschechischen Handelsgesellschaften sind im Handelsregister eingetragen; das Handels- 6.303
register ist öffentlich. Zu den dort einzutragenden Angaben gehören ua. Name und Wohnsitz
sämtlicher verrtetungsberechtigter Gesellschafter, Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer
von Handelsgesellschaften. Die Eintragungen sind online in deutscher Sprache abrufbar un-
ter: https://or.justice.cz.

Hausmann | 585
§ 6 Rz. 6.303 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

m) Ungarn
Literatur: Braner, Ungarn (Rz. 1-273), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-
Rechts, 3. Aufl. 2016; Galffy, Gestaltungsmöglichkeiten der Organisation der ungarischen GmbH, FO-
WI-Arbeitspapier 92 (2003); Gobert, Das neue ungarische Gesellschaftsrecht, ROW 1998, 253; Jans-
sen/Fest, Unterschiede in der Rechtspraxis ungarischer Kft und deutscher GmbH, RIW 2002, 825;
Köhle/Demeter, Die Gesellschaft mbH in Ungarn (Wien 1991); Küpper, Neues Firmenregisterrecht in
Ungarn, WiRO 2006, 353; Küpper, Ungarn: Das neue Gesellschaftsgesetz. Textübersetzung mit Einfüh-
rung, JOR 2006, 223; Pajor-Bytomski, Gesellschaftsrecht in Ungarn, 2. Aufl. 2001; Pajor-Bytomski, Die
Rechtsstellung des ungarischen GmbH-Geschäftsführers, RIW 2001, 765; Sander, Die ungarische Ge-
sellschaft mit beschränkter Haftung – mit Gemeinsamkeiten zur deutschen GmbH (2003); S. 903.
6.304 Das ungarische Gesellschaftsrecht wurde mit dem am 1.7.2006 in Kraft getretenen Gesetz
über Wirtschaftsgesellschaften Nr. 2006/IV (GWG) vollständig neu kodifiziert. Das Gesetz
trat an die Stelle des gleichnamigen Gesetzes vom 9.12.1997 und regelte sämtliche in Ungarn
anerkannten Formen von Wirtschaftsgesellschaften. Seit dem 15.3.2014 ist das Recht der juris-
tischen Personen und Handelsgesellschaften im 3. Buch des neuen ungarischen BGB vom
12.2.2013 enthalten.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


6.305 Wie schon das GWG ist das 3. Buch des BGB dadurch gekennzeichnet, dass es in einem All-
gemeinen Teil gemeinsame Vorschriften für alle Handelsgesellschaften, darunter auch detail-
lierte Regelungen über deren Vertretung enthält. In den jeweiligen Abschnitten über die ein-
zelnen Gesellschaftstypen finden sich dann nur noch Bestimmungen, welche die zur Vertre-
tung berufenen Organe benennen, ohne jedoch Einzelheiten zu regeln.

6.306 Grundsätzlich werden Handelsgesellschaften gegenüber Dritten sowie vor Gerichten und Be-
hörden durch den oder die Geschäftsführer vertreten (§ 3: 29 BGB). Zwar kann dessen gesetz-
liche Vertretungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung eingeschränkt oder unter
mehreren Geschäftsführern aufgeteilt werden. Diese Beschränkungen entfalten jedoch, auch
wenn sie im Handelsregister eingetragen sind, keine Wirkung gegenüber Dritten, es sei denn
der Dritte hat diese Beschränkungen gekannt oder hätte sie kennen müssen (§ 3:31 BGB).

- Offene Handelsgesellschaft (közkereseti társaság, kkt.)


6.307 Die in §§ 3:138 ff. BGB geregelte OHG wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer ver-
treten, die aus dem Kreis der Gesellschafter ausgewählt werden. Ist kein Geschäftsführer be-
stimmt, so sind alle Gesellschafter zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt. Dabei gilt
der Grundsatz der Einzelvertretung. Die Bestellung eines Nichtgesellschafters ist in jedem Fall
unwirksam (§ 3:144 Abs. 2 BGB).

- Kommanditgesellschaft (betéti társaság, bt.)


6.308 Die KG (§§ 3:154 ff. BGB) wird durch die Komplementäre nach Maßgabe der für die OHG
geltenden Vorschriften vertreten (§ 3:155 BGB). Die Kommanditisten sind nach § 3:106 BGB
von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen.

- Aktiengesellschaft (részvénytársaság, rt.)


6.309 Die AG wird im Rechtsverkehr mit Dritten sowie vor Gerichten und Behörden durch den
Vorstand vertreten, der aus mindestens drei Mitgliedern besteht, die natürliche Personen sein
müssen (§ 3:282 Abs. 1 BGB). Grundsätzlich ist jedes Vorstandsmitglied einzeln vertretungs-

586 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.312 § 6

berechtigt. Die Satzung kann aber vorsehen, dass nur mehrere Mitglieder gemeinsam oder
zusammen mit einer vom Vorstand dazu ermächtigten Person vertretungsberechtigt sind. Da-
rüber hinaus kann die Satzung einzelne Mitglieder des Vorstands oder Mitarbeiter der Gesell-
schaft ermächtigen, die AG in allen oder in bestimmten Angelegenheiten zu vertreten. Die
Vertretungsmacht des Vorstands kann ferner durch die Satzung, die Hauptversammlung oder
den Aufsichtsrat beschränkt werden. Solche Beschränkungen des Vertretungsumfangs wirken
jedoch nicht gegenüber Dritten (§ 3:282 Abs. 3 BGB).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (korlátolt felelösségü társaság, kft)


Das Mindeststammkapital einer ungarischen GmbH beträgt 3.000.000 HUF (etwa 9.450 6.310
Euro) und kann auch als Sacheinlage (apport) eingebracht werden, wobei mindestens 50% als
Bareinlage zu leisten sind. Die Gründung einer Einmann-GmbH erfordert lediglich eine Bar-
einlage von 100.000 HUF (etwa 315 Euro). Die GmbH wird im Rechtsverkehr durch einen
oder mehrere Geschäftsführer vertreten (§ 3:196 Abs. 1 S. 1 BGB), die nicht Gesellschafter
sein müssen. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertre-
tung. Jede Beschränkung der Vertretungsmacht eines Geschäftsführers oder ihre Abhängigkeit
von einer Bedingung oder Zustimmung ist Dritten gegenüber unwirksam (§ 3:196 Abs. 1 S. 2
BGB).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


Alle Handelsgesellschaften müssen in das Handelsregister („cégjeguzék“) eingetragen werden. 6.311
Die Einzelheiten sind im Firmengesetz vom 1.7.2006 geregelt. Die Eintragung nehmen die
sog. Firmengerichte („cégbiróságok“) als Registergerichte durch Beschluss vor. Sie sind online
abrufbar unter: https://occsz.e-cegjegyzek.hu oder www.companyregister.hu.

3. Sonstige Staaten
a) Japan
Literatur: Aoki, Corporate governance in Japan – institutional change and organizational diversity
(2007); Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels- und Unternehmensrecht (2009); Dernau-
er, Die japanische Gesellschaftsrechtsreform 2005/2006, ZJapanR 20 (2005) 123; Kansaku/Baelz, Ge-
sellschaftsrecht, in: Baum/Baelz (Hrsg.), Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2011)
S. 63; Kawamoto u.a., Gesellschaftsrecht in Japan (2004); Kessler, Das japanische Aktienrecht zwischen
Deregulierung und Amerikanisierung, RIW 2007, 658; Kitagawa (Hrsg.), Doing business in Japan
(Loseblatt); Kwamoto, Gesellschaftsrecht in Japan (ins Deutsche übersetzt von Marutschke; 2004); Ma-
rutschke, Einführung in das japanische Recht, 2. Aufl. 2010, § 16: Gesellschaftsrecht; Menkhaus, Japan
(Rz. 1-88), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts 3. Aufl. 2016, S. 995;
Schwittek, Internationales Gesellschaftsrecht in Japan (2015); Westhoff, Zur praktischen Bedeutung
des neuen japanischen Gesellschaftsrechts für ausländische Investoren, ZJApanR/J.Japan L. 21 (2006)
212; Witty, Das neue Gesellschaftsrecht in Japan, ZJApanR 23 (2007) 185.
Die Einführung des japanischen Gesellschaftsgesetzes (GG) zum 1.5.2006 bildete den Höhe- 6.312
punkt einer umfassenden Modernisierung und Reformierung des japanischen Handels-, Ge-
sellschafts- und Wertpapierrechts. Das Gesellschaftsgesetz etabiliert die Aktiengesellschaft
(„kabushiki kaisha“) als zentrale Rechtsfigur für Unternehmen. Gleichzeitig wurde die GmbH
(„yûgen kaisha“) als Rechtsform aufgrund ihrer nur untergeordneten Rolle in der Praxis abge-
schafft. Neben der Neuordnung der Aktiengesellschaft wurden mit dem Gesellschaftsgesetz
neue Gesellschaftsformen – wie die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung („gôdô kais-
ha“, Limited Liability Company – LLC) und die Personengesellschaft mit beschränkter Haf-

Hausmann | 587
§ 6 Rz. 6.312 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tung („yûgen sekinin jigyô kumiai“, Limited Liability Partnership – LLP) – eingeführt, die in
der Praxis bereits von großer Bedeutung sind und aufgrund ihrer Flexibilität in der recht-
lichen Gestaltung bevorzugt bei Gemeinschaftsunternehmen verwendet werden.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Aktiengesellschaft
6.313 Die wichtigsten Organe der Aktiengesellschaft sind die Aktionärsversammlung (Art. 295 ff.
GG) und die Direktoren (Art. 326 ff. GG). Die Aktionärsversammlung bestimmt über die Or-
ganisation der Gesellschaft und die Richtlinien ihrer Geschäftspolitik, sie ernennt und entlässt
die Direktoren (Art. 329, 339 GG). Den Direktoren obliegt die Geschäftsführung, es gilt dabei
das Mehrheitsprinzip (Art. 348 GG). Im Außenverhältnis ist demgegenüber grundsätzlich je-
der Direktor einzeln vertretungsberechtigt; es kann aber auch bestimmt werden, dass nur be-
stimmte Direktoren die AG vertreten sollen (sog. repräsentierende Direktoren, Art. 349 Abs. 2
und 3 GG). Beschränkungen der Vertretungsmacht der Direktoren sind Dritten gegenüber
unwirksam (Art. 349 Abs. 5 GG). Verstärkt wird dieser Vertrauensschutz noch durch Art. 354
GG, der eine Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft bei Handlungen von Personen vorsieht,
welche den Titel „Präsident“, „Vizepräsident“ oder einen anderen, Vertretungsmacht vortäu-
schenden Titel führen. In größeren Gesellschaften gehören die Direktoren einem besonderen
Organ, dem Verwaltungsrat („torishimariyaku kai“), an. Existiert ein Verwaltungsrat, obliegt
die Geschäftsführung und Vertretung allein dem repräsentierenden Direktor oder einem Di-
rektor, der hierzu durch besonderen Beschluss des Verwaltungsrates bestimmt ist (Art. 363
GG). Andere Direktoren oder der Verwaltungsrat als solcher sind in diesem Fall nicht vertre-
tungsberechtigt.

- Andere Gesellschaften
6.314 Für die übrigen Gesellschaftstypen gelten die Art. 575 ff. GG, welche durch die Vorschriften
des Allgemeinen Teils des Gesellschaftsgesetzes (Art. 1–24 GG) ergänzt werden. Die Ge-
schäftsführung obliegt dem oder den Partnern, es gilt dabei das Mehrheitsprinzip; abweichen-
de Bestimmungen sind möglich (Art. 590 GG). Die geschäftsführenden Partner sind auch ver-
tretungsbefugt; dabei gilt jedoch das Prinzip der Einzelvertretungsbefugnis (Art. 599 Abs. 1
und 2 GG). Die Vertretungsmacht erstreckt sich auf alle gerichtlichen und außergerichtlichen
Handlungen. Beschränkungen der Vertretungsmacht sind gegenüber gutgläubigen Dritten un-
wirksam (Art. 599 Abs. 4 und 5 GG).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.315 Das japanische Recht kennt ein Handelsregister nach deutschem Vorbild. Das Register ist öf-
fentlich. Eintragungen können von jedermann eingesehen werden. Sie sind auch online auf
der Internet-Seite des japanischen Justizministers unter www.moj.go.jp abrufbar. Gegen Kos-
tenerstattung werden auch Registerauszüge erteilt. Ergibt sich aus diesen die Vertretungs-
macht eines Vorstandsmitglieds einer japanischen AG, so ist grundsätzlich von dessen Einzel-
vertretungsberechtigung auszugehen, sofern keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung (z.B.
Gesamtvertretung) bestehen1. Bis zur Eintragung können eintragungspflichtige Tatsachen gut-
gläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden.

1 OLG München v. 9.3.2010 – 31 Wx 36/10, ZIP 2010, 1182 = GmbHR 2010, 532 = NZG 2010, 515.

588 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.318 § 6

b) Kanada
Literatur: Blümcke, Das Internationale Les aspects juridiques (Montreal 1998); McGuinness, The law
and practice of Canadian business corporations (1999); Nockelmann, Kanada (Rz. 1-100), in: Süß/
Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Pouliot/Sennecke/Quack, Die
Gründung einer Tochtergesellschaft in Kanada, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im
Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 374; Quack, Die personalistische Kapitalgesellschaft im Gesellschaftsrecht
von Kanada (2001); Daniels/MacIntosh, Toward a distinctive Canadian Corporate Law Regime, 29
(1991) Osgoode Hall L.J. 863; Iacobucci/Pilkington/Prichard, Canadian Business Corporations, 4. Aufl.
2004; Kingston, Ontario Corporation Manual (Loseblatt); Kolks, Die Durchgriffshaftung im deutschen
und kanadischen Recht der Kapitalgesellschaften (2004); Martel/Martel, La compagnie au Québec,
Band 1: kanadischen Gesellschaftsrecht (1985); Schennach/Fritz, Gesellschaftsrecht in Kanada (1997);
Stikeman, Doing Business in Canada, Band I, II (Loseblatt); Van Duzer, The law of partnerships and
corporations, 2. Aufl. 2003.
Die Rechtsetzungsbefugnis für das Kapitalgesellschaftsrecht liegt gem. der kanadischen Ver- 6.316
fassung, dem Constitution Act 1867, sowohl beim Bund als auch bei den Provinzen. In diesem
Sinne finden sich neben einem Bundesgesellschaftsrechtsgesetz, dem Canadian Business Cor-
poration Act (CBCA) auch Gesellschaftsrechte der Provinzen, wie z.B. der Ontario Business
Corporation Act (OBCA) oder die Loi sur les compagnies du Québec (LCQ). Auf Grund der
Kompetenzregelung der Verfassung sowie der in Kanada geltenden Gründungstheorie steht
Gesellschaftsgründern praktisch ein Wahlrecht zu, ob sie ihre Gesellschaft nach dem Recht
ihrer Heimatprovinz, einer anderen Provinz oder des Bundes inkorporieren. In der Regel aber
werden größere Gesellschaften nach Bundesrecht gegründet und kleinere nach dem Recht der
Provinz, in der die Gesellschaft hauptsächlich tätig sein wird. Der 1975 eingeführte neue
CBCA hatte eine erhebliche Harmonisierung des kanadischen Gesellschaftsrechts zur Folge,
da einige Provinzen in weiten Teilen die neuen Regelungen des Bundes übernahmen und die
Gesetzgeber der anderen Provinzen sich stark am neuen Gesetz anlehnten. Aus diesem Grun-
de werden hier bezüglich der Kapitalgesellschaften nur die Normen des CBCA angeführt. Des
Weiteren bestehen wesentliche Übereinstimmungen mit dem US-amerikanischen Aktien-
gesellschaftsrecht, vor allem was die Organisationsstruktur angeht.

Für Personengesellschaften steht die Rechtsetzungsbefugnis demgegenüber ausschließlich 6.317


den Provinzen zu, welche entsprechende Gesetze erlassen haben; allerdings kommt diesen Ge-
sellschaftsformen nur eine untergeordnete Bedeutung zu, da bereits für kleinste Unternehmen
die Rechtsform der Aktiengesellschaft gewählt wird.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- General Partnership/Société en nom collectif
Eine general partnership entsteht dann, wenn mindestens zwei Personen sich zusammen- 6.318
schließen, um als Miteigentümer ein auf Dauer angelegtes Erwerbsgeschäft zu betreiben. Diese
Gesellschaftsform wird geregelt in den jeweiligen Partnership Acts der Provinzen bzw. in den
Art. 2198 bis 2235 des Code Civil du Québec (CCQ). Dabei ist jeder Partner ein general part-
ner, dh. ein persönlich haftender Gesellschafter, welcher grds. auch geschäftsführungs- und
vertretungsbefugt ist (z.B. Art. 2215 CCQ, s. 2 (e) New-Brunswick Partnership Act). Gehört
das von einem Partner abgeschlossene Geschäft jedoch nicht zum gewöhnlichen Betrieb der
Gesellschaft, so wird die Gesellschaft nicht verpflichtet. Vielmehr bedarf es bei grundlegenden
Angelegenheiten, die über den gewöhnlichen Umfang hinausgehen, der Einwilligung aller
Partner, welche auch nachträglich erteilt werden kann. Zwar können auch sog. Administra-
tors, die nicht selbst Gesellschafter sein müssen, als Geschäftsführer bestellt werden. Gegen-

Hausmann | 589
§ 6 Rz. 6.318 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

über gutgläubigen Dritten gilt jedoch auch für diesen Fall weiterhin jeder Gesellschafter als
Vertreter der Gesellschaft (Art. 2219 CCQ). Die partnership besitzt keine eigene Rechtsper-
sönlichkeit; allerdings sehen die einschlägigen Gesetze vor, dass die Gesellschaft im eigenen
Namen Geschäfte abschließen sowie klagen und verklagt werden kann.

- Limited (Special) Partnership/Société en commandite


6.319 Die limited partnership ist eine Gesellschaft, der mindestens ein „general partner“ und mindes-
tens ein „limited (special) partner“ angehören. Sie wird geregelt in den Partnership Acts oder in
speziellen Limited (Special) Partnership Acts der Provinzen bzw. in Art. 2236 bis 2249 CCQ.
Die Gesellschaft wird von den persönlich haftenden Gesellschaftern geführt und vertreten. Die
„limited partners“ sind dagegen von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen und
haften nur bis zur Höhe ihrer Einlage. Handeln sie dennoch, so haften sie jedoch mindestens
für die aus dieser Handlung entstehenden Verbindlichkeiten (Art. 2244 CCQ).

- Business Corporation/Société par actions


6.320 Die business corporation ist die bei weitem häufigste Gesellschaftsform des kanadischen Ge-
sellschaftsrechts, da auch kleine Unternehmen als Aktiengesellschaften, sog. „closely-held cor-
porations“, gegründet werden. Die business corporation besitzt eigene Rechtspersönlichkeit,
kann also Träger von Rechten und Pflichten sein sowie im eigenen Namen klagen und ver-
klagt werden, wobei sich die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt. Das für die Ge-
schäftsführung und Vertretung einer business corporation zuständige Organ ist grundsätzlich
der board of directors („conseil d´administration“), der als ein einheitliches Kollegialorgan
nach dem Prinzip der Gesamtvertretung handelt (Art. 102 Abs. 1 CBCA). Damit sind also
nicht die einzelnen „directors“/„administrateurs“ vertretungsberechtigt; vielmehr bedarf es ei-
nes mit Mehrheit gefassten Beschlusses des board. Allerdings können die Direktoren die Ge-
schäftsführungsbefugnis für bestimmte Geschäfte, mit Ausnahme der in Art. 115 Abs. 3
CBCA aufgezählten, auch einem „managing director“ oder einem „committee“ übertragen
(Art. 115 Abs. 1 CBCA). In solchen Fällen genügt dann ein entsprechender Beschluss des für
das bestimmte Geschäft zuständigen Ausschusses.

6.321 In größeren Gesellschaften erfolgt allerdings die Führung des Tagesgeschäfts nicht durch den
„board of directors“ selbst, sondern wird auf leitende Angestellten der Gesellschaft, die unmit-
telbar vom board of directors bestellten sog. „officers“ übertragen (Art. 121a CBCA), wobei
auch „directors“ zu „officers“ ernannt werden können. Damit leitet sich die Geschäftsführungs-
und Vertretungsbefugnis der „officers“ von derjenigen der directors ab. Beschränkungen ihrer
Vertretungsmacht können sich deswegen aus den sog. „articles of incorporation“ („statut d´in-
corporation“; in manchen Provinzen auch „memorandum of association“), den „by-laws“ der
Gesellschaft oder auch aus einstimmigen Aktionärsbeschlüssen ergeben. Im Übrigen gelten für
das Verhältnis der officers zum board of directors die allgemeinen Regeln des Vertretungsrechts
(„agency“). Danach besitzen die Inhaber bestimmter Ressorts („officers“), die im Geschäftsver-
kehr üblicherweise mit gewissen Kompetenzen verbunden sind, eine entsprechende Vertre-
tungsmacht kraft Amtes („inherent authority“). So hat der „Chief Executive Officer“ (CEO)
Vertretungsmacht für alle Rechtsgeschäfte des üblichen Geschäftsgangs der Gesellschaft („ordi-
nary business transactions“). Für darüber hinausgehende außergewöhnliche Angelegenheiten,
welche nicht zum Tagesgeschäft gehören (z.B. Immobiliengeschäfte, Führung von Rechtsstrei-
tigkeiten u.Ä.), bedarf er hingegen einer besonderen Vollmacht des „board of directors“.

6.322 Die ultra-vires-Lehre spielt im kanadischen Gesellschaftsrecht keine große Rolle mehr, da die
neueren Gesetze den Kapitalgesellschaften grds. die Fähigkeiten von natürlichen Personen ver-

590 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.325 § 6

leihen (Art. 15 Abs. 1 CBCA). Zwar ist es weiterhin möglich, anlässlich der Gründung oder
nachträglich in den articles oder den by-laws, den Gesellschaftszweck ausdrücklich einzugren-
zen, doch haben solche Beschränkungen keinerlei Außenwirkung gegenüber gutgläubigen
Dritten (Art. 16 Abs. 3 und Art. 17 CBCA) und sind nur noch im Hinblick auf die Haftung
der für die Gesellschaft Handelnden im Innenverhältnis von Bedeutung.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


Bei den Personengesellschaften sehen grundsätzlich entweder die Partnership Acts oder spe- 6.323
zielle Registrierungsgesetze der Provinzen vor, dass die Gesellschaft unter Mitteilung be-
stimmter Unternehmensinformationen wie Sitz, Name der Gesellschaft sowie Namen der Ge-
sellschafter, in einem bestimmten Register einzutragen ist (s. z.B. den Ontario Corporations
Information Act sowie die Loi sur la publicité légale des entreprises individuelles, des sociétés
et des personnes morales). Von einer solchen Verpflichtung sind in manchen Provinzen meist
nicht gewerblich tätige General Partnerships ausgenommen; für Limited Partnerships gilt das
Eintragungserfordernis dagegen durchgehend. Wurde eine Limited Partnership nicht eingetra-
gen, kann sich ein Kommanditist nicht auf seine beschränkte Haftung berufen (s. z.B.
Art. 1289 CCQ). Dennoch kann es notwendig sein, auf eine beglaubigte Abschrift des Gesell-
schaftsvertrages zurückzugreifen, um zu ermitteln, ob ein Geschäft zur üblichen Geschäfts-
tätigkeit der Gesellschaft gehört. Wurde dagegen ein Geschäftsführer eingesetzt, so ist der ent-
sprechende Bestellungsakt heranzuziehen.

Für eine business corporation müssen die „Articles of incorporation“ (Satzung) nach der 6.324
Gründung bei der zuständigen Stelle der Gründungsprovinz oder der Bundesverwaltung hin-
terlegt werden. Anschließend wird eine Gründungsurkunde („certificate of incorporation“)
ausgestellt sowie die Gesellschaft in ein Register aufgenommen. Des Weiteren sind alle Gesell-
schaften verpflichtet, der zuständigen Behörde der jeweiligen Provinz, in der sie tätig sind, re-
gelmäßig bestimmte Informationen über die Gesellschaft mitzuteilen. Eine Einsichtnahme in
diese Unternehmensregister ermöglicht es, die jeweils amtierenden Direktoren zu ermitteln.
Vor einer Beschränkung von deren Vertretungsmacht in den „Articles“, „by-laws“ oder ein-
stimmigen Aktionärsbeschlüssen sind Dritte insoweit geschützt, als sie davon keine Kenntnis
haben müssen, und zwar auch dann nicht, wenn die betreffenden Angaben sich in Dokumen-
ten befinden, welche anlässlich der Gründung oder zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht
worden sind (Art. 17, 16 CBCA).

Einen sicheren Nachweis der Vertretungsmacht von officers können hingegen nur Abschrif- 6.325
ten von Beschlüssen des board of directors oder Abschriften der by-laws erbringen, aus de-
nen die Bevollmächtigung bestimmter Personen hervorgeht. Allerdings sind Dritte wiederum
insoweit geschützt, als sie darauf vertrauen können, dass sowohl „directors“ als auch „officers“
der Gesellschaft über Befugnisse verfügen, welche solchen Personen entsprechend ihrer Stel-
lung oder dem Tätigkeitsbereich der Gesellschaft üblicherweise zustehen (Art. 18 (d) CBCA).
Eine über dieses Maß hinausgehende Beschränkung ihrer Befugnisse kann die Gesellschaft ei-
nem Dritten gegenüber nicht entgegenhalten.

c) Liechtenstein
Literatur: Bauer, Trust und Anstalt als Rechtsformen liechtensteinischen Rechts (1995); Böckler/Bur-
ger/Goop, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein (Vaduz 2000); Löffler, Reform des liechtenstei-
nischen Gesellschaftsrechts, DNotZ 1981, 531; Marxer (Hrsg.), Liechtensteinisches Wirtschaftsrecht
(2010); Marxer, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein, 13. Aufl. 2003; Schurr, Rechtliche Aus-

Hausmann | 591
§ 6 Rz. 6.325 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gestaltungsmöglichkeiten und Anwendungsbereiche des Trust in Liechtenstein, ZStV 2017, 12;


Schwärzler/Wagner, Verantwortlichkeit im liechtensteinischen Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012; Wag-
ner, Gesellschaftsrecht in der Schweiz und Liechtenstein, 3. Aufl. 2007; Wagner/Plüss, Handels- und
Gesellschaftsrecht in der Schweiz und Liechtenstein, 3. Aufl. 2006; Wagner/Schwärzler, Liechtenstein
(Rz. 1-102), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Wanger,
Liechtensteinisches Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht: Aktiengesellschaft, Anstalt, Stiftung, Trust,
Treuunternehmen, 4. Aufl. 2000.
6.326 Das liechtensteinische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im Personen- und Gesell-
schaftsrecht (PGR) vom 20.1.1926. Gem. § 180a PGR muss – unabhängig von der Rechtsform
der Verbandsperson – ein zur Vertretung befugtes Mitglied Liechtensteiner mit Wohnsitz im
Inland sein, der die berufliche Zulassung als Rechtsanwalt, Rechtsagent, Treuhänder oder
Buchprüfer oder eine von der Regierung anerkannte kaufmännische Befähigung besitzt oder
zu einer der genannten Personen in einem hauptberuflichen Dienstverhältnis steht. Gleich-
gestellt sind Ausländer mit Niederlassungsrecht in Liechtenstein, die eine gleichwertige Quali-
fikation vorweisen können1.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Kollektivgesellschaft (KollektG)
6.327 Zur Vertretung der KollektG ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln berechtigt (Art. 698
Abs. 2 PGR). Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag (Gesamtvertretung durch
mehrere Gesellschafter oder einen Gesellschafter mit einem Prokuristen; Betrauung eines
Nichtgesellschafters mit der Vertretung unter Ausschluss sämtlicher Gesellschafter) sind je-
doch zulässig, wirken Dritten gegenüber aber nur, wenn sie im Öffentlichkeitsregister einge-
tragen sind oder wenn der Dritte davon tatsächlich Kenntnis hatte (Art. 699, 1000 PGR).

6.328 Der Umfang der Vertretungsbefugnis ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt (Art. 698
Abs. 1 PGR). Darüber hinaus kann die Vertretungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag auf eine
einzelne (Haupt- oder Zweig-) Niederlassung beschränkt werden. Auch diese Beschränkung ist
gutgläubigen Dritten gegenüber jedoch nur wirksam, wenn die notwendigen Publizitätsvor-
schriften eingehalten worden sind (Art. 699 Abs. 2 PGR). Weitergehende Beschränkungen des
Umfangs der Vertretungsbefugnis (z.B. auf bestimmte Arten von Geschäften) sind unzulässig.

- Kommanditgesellschaft (KG)
6.329 Die KG wird durch den oder die unbeschränkt haftenden Gesellschafter vertreten, sofern
nichts anderes vereinbart ist (Art. 740 Abs. 1 PGR). Die Vertretungsbefugnisse richten sich
nach den Vorschriften über die KollektG (Art. 740 Abs. 2 i.V.m. Art. 698 ff. PGR).

- Aktiengesellschaft (AG)
6.330 Die Vertretung der AG im Rechtsverkehr mit Dritten steht der Verwaltung zu. Ist die Verwal-
tung mehreren Personen anvertraut, so bilden diese einen Verwaltungsrat (Art. 344 Abs. 1
PGR). Beträgt das Grundkapital der AG mehr als eine Million Franken, so muss grundsätzlich
ein Verwaltungsrat von mindestens drei Mitgliedern bestehen (Art. 344 Abs. 2 PGR). Eine
Übertragung der Vertretungsbefugnis auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats (Delegier-
te) oder auf Nichtgesellschafter (Direktoren) ist möglich (Art. 348 PGR) und wird häufig vor-
genommen.

1 IPG 1970 Nr. 2 (München) und IPG 1975 Nr. 1 (Hamburg): Beide zur liechtenstein. Stiftung.

592 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.335 § 6

Ob Einzel- oder Gesamtvertretung gilt, ergibt sich regelmäßig aus der Satzung. Fehlt es an 6.331
einer diesbezüglichen Eintragung im Öffentlichkeitsregister, so ist zur wirksamen Vertretung
der AG die Mitwirkung und Unterschrift von mindestens zwei Mitgliedern des Verwaltungs-
rats notwendig (Art. 188 Abs. 3 PGR).

Der Umfang der Vertretungsmacht ist auch gutgläubigen Dritten gegenüber durch den Gesell- 6.332
schaftszweck begrenzt (Art. 187 Abs. 1 PGR). Weitergehende Beschränkungen der Vertre-
tungsmacht wirken Dritten gegenüber nur gem. den Vorschriften über die KollektG (Art. 187
Abs. 3 i.V.m. Art. 698 ff. PGR).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)


Die GmbH wird – ähnlich wie im Schweizer Recht (dazu Rz. 7.354) – grundsätzlich durch alle 6.333
Gesellschafter gemeinsam im Rechtsverkehr mit Dritten vertreten (Art. 397 Abs. 1 PGR). Ab-
weichende Vereinbarungen in der Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss sind jedoch zu-
lässig. Die Übertragung der Vertretungsbefugnis auf einen oder mehrere Gesellschafter
(Art. 347 Abs. 2 PGR) bzw. Nichtgesellschafter (Art. 398 PGR) wirkt gutgläubigen Dritten
gegenüber jedoch nur, wenn sie eingetragen ist. In Bezug auf den Umfang der Vertretungs-
macht gelten die gleichen Grundsätze wie bei der AG (Art. 187 Abs. 3 i.V.m. Art. 699 PGR).
In der liechtensteinischen Praxis spielt die GmbH wegen der strengen Publizitätsvorschriften
keine Rolle.

- Anstalt
Die privatrechtliche Anstalt wird im Rechtsverkehr mit Dritten durch die Verwaltung vertre- 6.334
ten. Besteht die Verwaltung aus mehreren Personen, so ist – mangels abweichender Eintra-
gung im Öffentlichkeitsregister – zur Vertretung der Anstalt die Mitwirkung von mindestens
zwei Verwaltungsratsmitgliedern notwendig (Art. 188 Abs. 3 PGR). Der Umfang der Vertre-
tungsbefugnis ist gutgläubigen Dritten gegenüber durch den Anstaltszweck begrenzt (Art. 187
Abs. 1 PGR). Weitergehende Beschränkungen wirken Dritten gegenüber nur gem. den Vor-
schriften über die KollektG (Art. 187 Abs. 3 i.V.m. Art. 698 ff. PGR)1.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


In Liechtenstein wird ein dem deutschen Handelsregister vergleichbares Öffentlichkeitsregis- 6.335
ter beim Registeramt in Vaduz geführt (Art. 956 PGR). Das Register ist öffentlich; amtliche
Abschriften und Registerauszüge werden gegen Gebühr erteilt (Art. 997, 998 PGR); sie sind
auch online abrufbar unter: http://www.oera.li und bieten einen hinreichenden Schutz des mit
liechtensteinischen Gesellschaften verkehrenden Publikums (vgl. Art. 1000 ff. PGR). Keine
Auszüge werden für Stiftungen erteilt, weil diese nicht eintragungspflichtig sind.

d) Russische Föderation
Literatur: Arzinger/Galander, Russisches Wirtschaftsrecht (2002); Ax/Seidenberg, Investments in the
Russian Federation and Ukraine – A Law Handbook (2006); Bauer, GmbH und Aktiengesellschaft im
neuen russischen Zivilgesetzbuch – Eine kurze Einführung, WiRO 1995, 97; Bauer-Mitterlehner/Kari-
mullin/Micheler, Einführung in das russische Aktienrecht, FOWI-Arbeitspapier 101 (2003); Becker,
Gesellschaftsrecht in Russland (1998); Boes, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im russischen
und deutschen Recht (2007); Boes, Beschränkungen der Vertretungsmacht von Organen russischer

1 IPG 1970 Nr. 1 (Hamburg) und IPG 1976 Nr. 20 (Hamburg): Beide zur liechtenstein. Anstalt.

Hausmann | 593
§ 6 Rz. 6.335 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Aktiengesellschaften, RIW 2008, 841; Brendel, Handelsgesellschaften in der Russischen Föderation, in:
Gralla/Sonnenberger, Handelsgesellschaften in Osteuropa (1993), S. 167; Bundesstelle für Außenhan-
delsinformationen (Hrsg.), Recht kompakt – Russische Föderation (2007); Göckeritz/Wedde, Das neue
russische GmbH-Recht (2009); Görlitz, Russland (Rz. 1-146), in: Süß/Wachter, Handbuch des interna-
tionalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Grub, Vertragsschluss mit russischen Kapitalgesellschaften,
WiRO 1999, 281; Gutbrod, Das neue russische Aktienrecht, WiRO 1996, 29; Heidemann, Die GmbH
in der Russischen Föderation, GmbHR 2002, 732; Holloch, Das neue russische Wirtschaftsrecht, ins-
besondere das Gesellschaftsrecht, in: F. C. Schroeder, Die neuen Kodifikationen in Russland (1999),
S. 39; Holloch, Neuregelung des russischen GmbH-Rechts, OstEuR 1998, 84; KnaulHeeg, Das neue
russische GmbH-Gesetz, ROW 1998, 147; Kruse, Die personalistische Kapitalgesellschaft russischen
Rechts (2002); Lenga, Russische Föderation: Gesellschaftsrechtliche Bestimmungen im Ersten Teil des
ZGB (Art. 48–106), WiRO 1995, 221; Lukas/Maltsev, The development of corporate law in the former
Soviet Republics, I.C.L.Q. 1996, 365; Micheler, Das neue russische Aktiengesetz im Überblick, WiRO
1996, 81; Micheler, Das neue russische GmbH-Gesetz im Überblick, WiRO 1998, 161; Radjuk, Das
neue russische GmbH-Rec ht, RIW 2009, 592; Schmitt/Vogt, Stärkung der Rechte von Aktionären –
Reform des russischen Aktiengesetzes, RIW 2002, 762; Schwarz/Balayan, Russische Föderation:
GmbH-Gesetz, WiRO 1998, 251; Seiffert, Die GmbH in der neuen russischen Rechtsordnung, ZEuP
1999, 931; Steininger/Olejnik, Die GmbH und die russische OOO im Vergleich, Teil 1, WiRO 2017,
129; Teil 2, WiRO 2017, 172; Thiel, Joint Ventures in der Russischen Föderation (1995).
6.336 Am 21.10.1994 hat die Staatsduma Russlands mit dem Ersten Teil des neuen Zivilgesetzbuchs
(ZGB) das seit Beginn der Wirtschaftsreformen bedeutendste Gesetzeswerk verabschiedet.
Das ZGB enthält in seinem Kap. 4 (Juristische Personen, Art. 48 ff.; deutscher Text in WOS
Russland III 1) die Grundlagen des Handelsgesellschaftsrechts. Das ZGB wird ergänzt durch
Spezialgesetze, wie das Gesetz über Aktiengesellschaften vom 26.12.1995, das GmbH-Gesetz
vom 19.2.1998 sowie das Föderale Gesetz Nr. 129-FZ über die Registrierung juristischer Per-
sonen und Einzelunternehmen vom 8.8.2001 (vgl. Art. 51 Abs. 1 ZGB). Das russische Aktien-
gesetz wurde durch Gesetz vom 7.8.2001 umfassend überarbeitet; die Änderungen sind zum
1.1.2002 in Kraft getreten.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Vollgesellschaft (polnoje towarischtscestvo, PT)
6.337 Die der deutschen OHG entsprechende Vollgesellschaft ist in Art. 69–78 ZGB geregelt. Ergän-
zend kommen die in den Art. 48–68 ZGB enthaltenen allgemeinen Regelungen über Handels-
gesellschaften und juristische Personen zur Anwendung. Gemäß Art. 72 Abs. 1 ZGB ist jeder
Gesellschafter berechtigt, im Namen der Gesellschaft zu handeln, soweit im Gründungsver-
trag nicht festgelegt ist, dass nur sämtliche Gesellschafter gemeinsam zur Vertretung berech-
tigt sind oder einzelne Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen sind. Ist Gesamtver-
tretung vereinbart, so ist für die Vornahme eines jeden Rechtsgeschäfts das Einverständnis al-
ler Gesellschafter erforderlich (Art. 72 Abs. 2 ZGB).

6.338 Dritten gegenüber ist die Gesellschaft nicht berechtigt, sich auf Beschränkungen der Vertre-
tungsbefugnisse eines Gesellschafters im Gründungsvertrag zu berufen, es sei denn, der Dritte
hätte diese Beschränkungen im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts gekannt oder
offensichtlich kennen müssen (Art. 72 Abs. 4 ZGB).

- Gesellschaft auf Vertrauen (towarischtscestvo na vere, TV)


6.339 Die der deutschen KG entsprechende „Gesellschaft auf Vertrauen“ ist in Art. 82–86 ZGB gere-
gelt. Daneben sind die allg. Vorschriften über Handelsgesellschaften und juristische Personen
zu beachten. Nach Art. 84 Abs. 1 ZGB obliegt die Leitung und Vertretung der Gesellschaft

594 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.344 § 6

den unbeschränkt haftenden (Voll-) Gesellschaftern nach Maßgabe der Vorschriften über die
Vollgesellschaft. Die nur beschränkt auf ihre Einlage haftenden Gesellschafter, die sog. „Anle-
ger“, sind von der Geschäftsführung ausgeschlossen und nur auf Grund einer Vollmacht be-
rechtigt, die Gesellschaft im Rechtsverkehr mit Dritten zu vertreten (Art. 84 Abs. 2 ZGB).

- Aktiengesellschaft (akzionernoje obscestvo, AO)


Bezüglich der Aktiengesellschaft enthält das ZGB in Art. 96–104 lediglich einige grundlegende 6.340
Bestimmungen. Die Regelung der Einzelheiten blieb dem Gesetz über Aktiengesellschaften
vorbehalten. Dieses Gesetz wurde am 26.12.1995 vom russischen Parlament verabschiedet
und ist am 1.1.1996 in Kraft getreten (deutscher Text in WOS Russland III 3a).

Zur Geschäftsführung in der AG ist nach Art. 103 Abs. 3 ZGB ein Kollegialorgan (Vorstand, 6.341
Direktorium) und/oder ein Einzelorgan (Direktor, Generaldirektor) berechtigt. Die nähere Re-
gelung der Zuständigkeit und der Befugnisse des Verwaltungsorgans der AG einschließlich
der Vertretungsbefugnis blieb dem Aktiengesetz vorbehalten (Art. 103 Abs. 4 ZGB). Dieses
weist die Geschäftsführung der AG entweder einem individuellen Vollzugsorgan (Direktor,
Generaldirektor) oder diesem individuellen Vollzugsorgan zusammen mit einem kollegialen
Vollzugsorgan (Vorstand, Direktorium) zu, Art. 69 Abs. 1 AktG. Zur gesetzlichen Vertretung
der Gesellschaft ist aber nach Art. 69 Abs. 2 S. 3 AktG nur das individuelle Vollzugsorgan
berechtigt; allein der Direktor bzw. Generaldirektor darf hiernach Rechtsgeschäfte im Namen
der Gesellschaft abschließen.

Hinsichtlich der Vertretungsmacht des Vorsitzenden und der weiteren Mitglieder eines dane- 6.342
ben bestellten Kollegialorgans schweigt das Gesetz, so dass insoweit auf die Satzung zurück-
zugreifen ist. Zu den satzungsmäßigen Beschränkungen der Vertretungsmacht und zum Gut-
glaubensschutz Dritter gilt das anschließend zur GmbH Gesagte entsprechend (vgl.
Rz. 6.343 ff.). Auch bei der Aktiengesellschaft finden sich gesetzliche Einschränkungen der
Vertretungsmacht in Form eines Zustimmungserfordernisses für Großgeschäfte (Art. 78 f.
AktG) sowie für Geschäfte, an denen Mitglieder der Gesellschaftsleitung oder einzelne Aktio-
näre ein persönliches Interesse haben (Art. 81 ff. AktG).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (obscestvo s ogranicennoj otvetstvennostju,


OOO)
Auch bezüglich der GmbH enthält das ZGB im 4. Kap. (Art. 87–94) sowie in den jeweiligen 6.343
Abschnitten über die Handelsgesellschaften und die juristischen Personen (Art. 48–68 ZGB)
nur die grundlegenden Vorschriften. Die Regelung der Einzelheiten erfolgte im GmbH-Gesetz
vom 19.2.1998, das am 1.3.1998 in Kraft getreten ist (deutscher Text in WOS Russland III
3d).1

Nach Art. 91 Abs. 1 ZGB wird in der GmbH ein aus mehreren und/oder ein aus einer einzel- 6.344
nen Person bestehendes Exekutivorgan gebildet, das die laufenden Geschäfte führt. Nach
Art. 40 Abs. 1 GmbHG wählt die Gesellschafterversammlung für die in der Satzung bestimm-
te Zeit einen „alleinigen Geschäftsführer“ (Generaldirektor, Präsident), der kein Gesellschafter
zu sein braucht. Dieser alleinige Geschäftsführer ist nach Art. 90 Abs. 3 Nr. 1 GmbHG zur
gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft berechtigt.

1 Zu Einzelheiten Steininger/Olejnik, WiRO 2017, 129 (134 f).

Hausmann | 595
§ 6 Rz. 6.345 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.345 Die Satzung kann freilich neben dem alleinigen Geschäftsführer noch die Errichtung eines
geschäftsführenden Kollegialorgans (Vorstand, Direktorium) vorsehen, Art. 41 Abs. 1 S. 1
GmbHG. Die Aufgaben des Vorsitzenden dieses Geschäftsführerkollegiums werden dabei
vom alleinigen Geschäftsführer wahrgenommen, der auch insoweit zur Vertretung der Gesell-
schaft berechtigt ist, Art. 41 Abs. 1 S. 4 GmbHG. Die Gesellschaft ist allerdings berechtigt, die
Befugnisse ihres alleinigen Geschäftsführers durch Vertrag auf einen sog. Verwalter zu über-
tragen, Art. 42 GmbHG.

6.346 Die Vertretungsbefugnis der weiteren Vorstandsmitglieder des Kollegialorgans ist nicht gesetz-
lich geregelt. Ob eine solche besteht und wie sie ausgestaltet ist, ergibt sich aus der Satzung.
Die satzungsmäßigen Beschränkungen der Vertretungsbefugnis der Unternehmensleitung
wirken grundsätzlich auch gegenüber Dritten, es sei denn, diese waren hinsichtlich der unbe-
schränkten Vertretungsmacht ihrer Vertragspartner gutgläubig, Art. 174 ZGB. Dabei sind die-
sem Gutglaubensschutz enge Grenzen gezogen, denn er greift nur ein, wenn der Dritte die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt hat walten lassen; dies setzt voraus, dass er sich über mögliche
Beschränkungen der Vertretungsmacht informiert hat. Nach der russischen Rechtsprechung
wird ein Kennenmüssen von Beschränkungen schon dann angenommen, wenn im Vertrags-
text auf die Satzung der Gesellschaft Bezug genommen wird.

6.347 Neben möglichen satzungsmäßigen sind auch einige gesetzliche Beschränkungen der Vertre-
tungsmacht zu beachten. So verlangt Art. 46 GmbHG eine Zustimmung der Gesellschafterver-
sammlung bei sog. Großgeschäften, d.h. wenn es um den Erwerb oder die Veräußerung von
Vermögenswerten geht, deren Volumen mehr als 25 % des Gesellschaftsvermögens beträgt.
Bei Verletzung dieses Erfordernisses können die Gesellschaft oder einzelne Gesellschafter im
Klagewege die Unwirksamkeit des Geschäftes erwirken. In der Satzung kann allerdings von
diesem Zustimmungserfordernis bei Großgeschäften abgesehen werden, Art. 46 Abs. 6
GmbHG. Ebenso ist eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung notwendig bei Ge-
schäften, an denen Mitglieder der Geschäftsführung oder einzelne Gesellschafter ein eigenes
persönliches Interesse haben, Art. 45 GmbHG, es sei denn, es handelt sich um ein gewöhnli-
ches Tagesgeschäft der laufenden Verwaltung.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.348 Nach Art. 51 Abs. 1 ZGB unterliegen sämtliche juristische Personen der staatlichen Registrie-
rung bei Justizorganen. Die Angaben zur staatlichen Registrierung werden ferner in ein ein-
heitliches staatliches Register für juristische Personen aufgenommen, das zur allgemeinen Ein-
sicht ausliegt. Die Einzelheiten sollen in einem Gesetz über die Registrierung von juristischen
Personen geregelt werden. Bis zum Erlass dieses Gesetzes richtet sich die Registrierung nach
dem derzeit geltenden Registrierungsverfahren (Art. 8 EG-ZGB i.V.m. Art. 34, 35 Unterneh-
mensG)1. Dennoch ist der Nachweis der Vertretungsmacht außerordentlich schwierig, da die
Zusammensetzung des geschäftsführenden Organs sowie die Regelung der Vertretungsmacht
nicht in das Register eingetragen werden. Daher ist zur Prüfung der Vertretungsmacht die
Einsicht in die Gründungsdokumente der Gesellschaft sowie die Vorlage der Gesellschafter-
beschlüsse bezüglich Berufung und Abberufung sowie die Kompetenzen von Geschäftsfüh-
rungsmitgliedern erforderlich. Auch das Registrierungsgesetz vom 8.8.2001 (Rz. 6.336) bringt
hierzu keine Abhilfe. Online können Unternehmensdaten unter http://egrul.nalog.ru oder
www.siora.ru abgerufen werden.

1 Vgl. Pfaff/Märkl, WiRO 1995, 282.

596 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.352 § 6

e) Schweiz
Literatur: Ammann, Die Reform des schweizerischen GmbH-Rechts, RIW 2007, 735; Bärtschi, Neues
GmbH-Recht in der Schweiz, NotBZ 2008, 50; Baudenbacher, Grundzüge des Gesellschaftsrechts,
4. Aufl. 1999; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. (Zürich/Basel/Genf 2009); Drenckhan, Die
Schweizer GmbH-Reform 2007, GmbHR 2006, 1190; Druey, Die personalistische Aktiengesellschaft in
der Schweiz, AGs 1995, 545; Fasel, Das aktuelle Schweizerische Aktienrecht (5 Bde., Loseblatt); Forst-
moser, Die Schweizer Aktienrechtsreform, ZGR 1992, 232; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizeri-
sches Aktienrecht (Bern 1996); Forstmoser/Peyer/Schott, Das neue Recht der GmbH (Zürich 2006);
Handschin/Truniger, Die neue GmbH (Zürich 2006); Homburger, Leitfaden zum neuen Aktienrecht
(Zürich 1991); Koralnik, La publicité comparative en droit suisse et en droit européen, Schweiz AG
2000, 111; Kronke, Schweizerische AG & Co. KG – Jüngste Variante der „ausländischen Kapitalgesell-
schaft & Co“, RIW 1990, 799; Küng, GmbH-Gründung und Führung der Gesellschaft mit beschränk-
ter Haftung (Basel/Genf/München 2005); Meier, Die schweizerische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (1994);
Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrechts, 10. Aufl. (Bern 2007); Meier-Schatz, Die
GmbH und ihre Reform – Perspektiven aus der Sicht der Praxis (Zürich 2000); Nobel, Klein-AG und
GmbH in der Schweiz, FS Großfeld (1999), S. 791; Schindler/Töndury, Schweiz (Rz. 1.202), in: Süß/
Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 1495; Sethe, Die Kommandit-
gesellschaft als Stiefkind der Schweizer Aktienrechtsrevision, RIW 1993, 561; Wagner, Gesellschafts-
recht in der Schweiz und in Liechtenstein, 3. Aufl. 2007.
Das schweizerische Recht der Handelsgesellschaften ist in der 3. Abteilung des schweizeri- 6.349
schen Obligationsrechts (OR) geregelt. Der Abschnitt über die Aktiengesellschaft ist durch
Bundesgesetz vom 4.10.1991 neu gefasst worden.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- Kollektivgesellschaft (KollektG)
Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter einzeln vertretungsberechtigt. Eine abweichende Rege- 6.350
lung (gemeinsame Vertretung durch mehrere Gesellschafter oder durch einen Gesellschafter
und einen Prokuristen, vgl. Art. 555 OR) wird häufig vereinbart, kann Dritten jedoch nur ent-
gegengehalten werden, wenn sie aus dem Handelsregister ersichtlich ist (Art. 563 OR). Der
Umfang der Vertretungsmacht wird durch den Gesellschaftszweck beschränkt (Art. 564 Abs. 1
OR); eine weitergehende Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis hat gutgläubi-
gen Dritten gegenüber keine Wirkung (Art. 564 Abs. 2 OR).

- Kommanditgesellschaft (KG)
Vertretungsberechtigt sind die persönlich haftenden Gesellschafter, und zwar jeder einzeln. 6.351
Für sie gelten die Regeln über die Vertretung bei der Kollektivgesellschaft entsprechend
(Art. 603 OR). Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen (Art. 605 OR).

- Aktiengesellschaft (AG)
Die AG, als Rechtsform in der Schweiz auch von kleinen Unternehmen gegenüber der GmbH 6.352
bevorzugt, wird durch den Verwaltungsrat im Rechtsverkehr mit Dritten vertreten (Art. 718
Abs. 1 Satz 1 OR). Dieser besteht aus einem oder mehreren Mitgliedern, die Aktionäre sein
müssen (Art. 707 Abs. 1 OR). Mangels abweichender Bestimmung in der Satzung oder in der
Geschäftsordnung des Verwaltungsrats (Organisationsreglement) gilt – abweichend vom bis-
herigen Recht (Art. 717 Abs. 3 OR a.F.) – der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 718 Abs. 1
Satz 2 OR). Der Verwaltungsrat kann die Vertretung einem oder mehreren Mitgliedern (Dele-
gierten) oder Dritten (Direktoren) übertragen (Art. 718 Abs. 2 OR); jedoch muss mindestens
ein Mitglied des Verwaltungsrats vertretungsbefugt sein (Art. 718 Abs. 3 OR). Die Vertre-

Hausmann | 597
§ 6 Rz. 6.352 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tungsmacht kann einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern (Delegierten) oder dritten Personen,


die nicht Aktionäre zu sein brauchen (Direktoren), übertragen werden (Art. 717 Abs. 2 OR).
Diese Vertretungsbefugnis ist aus dem Handelsregister zu entnehmen (Art. 720 OR).

6.353 Die zur Vertretung befugten Personen können im Namen der Gesellschaft alle Rechtshand-
lungen vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringt (Art. 718a Abs. 1 OR); eine
Beschränkung der Vertretungsbefugnis durch den Gesellschaftszweck hat jedoch gutgläubigen
Dritten gegenüber keine Wirkung. Demgegenüber wirken die Bestimmungen über die aus-
schließliche Vertretung der Hauptniederlassung oder einer Zweigniederlassung oder über die
Gesamtvertretung der Gesellschaft auch gegen Dritte, soweit sie im Handelsregister verlaut-
bart sind (Art. 718a Abs. 2 OR).

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)


6.354 Die GmbH wird – im Gegensatz zu den GmbH-Rechten fast aller übrigen europäischen Staa-
ten – grundsätzlich durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich vertreten (Selbstorganschaft,
vgl. Art. 811 Abs. 1 OR). Eine abweichende Regelung (insbesondere kann die Vertretungs-
befugnis einzelnen Gesellschaftern oder auch Dritten als Geschäftsführer übertragen werden)
ist zulässig und aus dem Handelsregister zu ersehen (Art. 811 Abs. 2; 812 OR). Nach der
Gründung eingetretene Gesellschafter sind nur auf Grund eines besonderen Gesellschafts-
beschlusses vertretungsbefugt (Art. 811 Abs. 3 OR). Für den Umfang und die Beschränkungen
der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gelten die gleichen Regeln wie für den Verwal-
tungsrat der AG (Art. 814 Abs. 1 i.V.m. Art. 718a OR).

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.355 In der Schweiz wird das Handelsregister in den einzelnen Kantonen von verschiedenen Amts-
stellen geführt und ist einschließlich der Anmeldungen und Belege öffentlich (vgl. Art. 927 ff.
OR). Die Eintragungen für die ganze Schweiz werden im schweizerischen Handelsamtsblatt
bekannt gemacht. Handelsregisterauszüge werden direkt vom zuständigen Handelsregisteramt
erteilt. Eine Adressenliste der Ämter findet sich unter https://handelsregister-hra.ch oder
https://www.zefix.ch. Die Abrufbarkeit im Internet ist in Vorbereitung. Aus den Auszügen
lässt sich ersehen, wer zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist und welche gesetzlich zulässi-
gen Beschränkungen der Vertretungsmacht bestehen. Bei der AG und GmbH lässt sich auch
die allgemeine Bindung der Vertretung an den Zweck der Gesellschaft anhand des Handels-
registers feststellen, da auch der Gegenstand und Zweck dieser Gesellschaften eingetragen
werden.

f) USA
Literatur: Bennett, Die US-Limited Partnership, RIW 1992, 276; Böckmann, Gläubigerschutz bei
GmbH und close corporation (2005); Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – Close cor-
poration (1993); Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – Close Corporation, GmbHR
1993, 478; Bungert, Gründung und Verfassung der US-amerikanischen Limited Liability Company,
IStR 1993, 128; Bungert, Die Stellung der Limited Liability Company im US-amerikanischen Recht,
IStR 1993, 174; Bungert, Deutsch-amerikanisches internationales Gesellschaftsrecht, ZVglRW 93
(1994), 117; Bungert, Die (Registered) Limited Liability Partnership – Neueste Variante des Konzepts
der Personengesellschaft in den USA, RIW 1994, 360; Bungert, Recht der Niederlassung ausländischer,
insbesondere deutscher Kapitalgesellschaften in den USA, DB 1994, 1457; Bungert, Gesellschaftsrecht
in den USA, 3. Aufl. 2003; Carney/Hay, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in den U.S.A., 3. Aufl.
2003; Cherry/Graf, Die persönliche Haftung von Vorstandsmitgliedern US-amerikanischer Kapitalge-

598 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.357 § 6

sellschaften, VersR 1992, 550; Cox/Lee/Hazen, Corporations, 2. Aufl. (Loseblatt; Stand: 2014); Eisen-
berg, Corporations and other business organisations, 9. Auf. (2006); Elsing/Van Alstine, US-ame-
rikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Fleischer, Gläubigerschutz im Recht der De-
laware corporation, RIW 2005, 92; Gerber, USA (Rz. 1-189), in: Süß/Wachter, Handbuch des
internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 1989; Günther, GmbH und U.S.-amerikanische Limi-
ted Liability Company. Eine rechtsvergleichende Untersuchung (2007); Hamilton, The Law of Corpo-
rations, 5. Aufl. (St. Paul 2000); Hatzis-Schoch, Die Bedeutung von Delaware für das US-amerikani-
sche Gesellschaftsrecht, RIW 1992, 539; Hay, Gesellschafts- und steuerrechtliche Aspekte der Limited
Liability Company – Zugleich ein Beitrag zur Qualifizierung ausländischer Rechtsgebilde, RIW 1992,
916; Henn, Agency, partnership and other incorporated business enterprises, 2. Aufl. (St. Paul 1983);
Henn/Alexander, Laws of Corporations and other Business Enterprises (St. Paul 1983); Hölscher, Die
Professional Corporation – die „amerikanische Form der Partnerschaft“, RIW 1995, 551; Klawitter,
Die GmbH & Co. KG im U.S. amerikanischen Recht (1997); Laeger, Deutsch-amerikanisches Interna-
tionales Gesellschaftsrecht (2008); Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006;
Paefgen, Eine Morphologie des US-amerikanischen Rechts der Aktiengesellschaft, AG 1992, 133 und
169; Ribstein, Unincorporated business entities, 3. Aufl. 2004; Ries, Entwicklungen im US-amerikani-
schen Gesellschaftsrecht: Die Limited Liability Company, RIW 1992, 728; von Samson-Himmelstjerna,
Persönliche Haftung der Organe von Kapitalgesellschaften – Vergleichende Darstellung von ame-
rikanischem und deutschem Recht, ZVglRW 89 (1990), 288; Tomschin, Die Anerkennung U.S.-ame-
rikanischer Gesellschaften in Deutschland (2011); Turcon/Zimmer (Hrsg.), Grundlagen des US-ame-
rikanischen Gesellschafts-, Wirtschafts-, Steuer- und Fremdenrechts (1994); Veltins, Das Recht der
U.S. partnership und limited partnership einschließlich ihrer Besteuerung (1984).
In den USA gibt es kein bundeseinheitliches „amerikanisches“ Gesellschaftsrecht; die Recht- 6.356
setzungsbefugnis auf diesem Gebiet ist den Einzelstaaten vorbehalten. Eine bedeutsame Rolle
kommt jedoch den Uniform Partnership Acts (U.P.A.) von 1914 und dem Uniform Limited
Partnership Act (U.L.P.A.) von 1916 zu, nach deren Vorbild in allen amerikanischen Bundes-
staaten mit Ausnahme von Louisiana Gesetze erlassen worden sind. Die einzelstaatlichen Ge-
setze wurden zwischenzeitlich zumeist an die revidierten Fassungen des U.P.A. von 1997 und
des U.L.P.A. von 1976 bzw. 1985 angepasst. Hingegen bestehen im Recht der corporations
heute noch z.T. erhebliche Unterschiede, wenngleich auch hier bereits eine gewisse Vereinheit-
lichung durch Anpassung der einzelstaatlichen Gesetzgebung an den von der American Bar
Association ausgearbeiteten Model Business Corporation Act (M.B.C.A.) bzw. an dessen revi-
dierte Fassung von 1984 erreicht worden ist.

aa) Vertretungsberechtigte Organe


- General Partnership (G.P.)
Als general partnership bezeichnet man den Zusammenschluss von mindestens zwei Per- 6.357
sonen, die als Miteigentümer ein auf Dauer angelegtes Erwerbsgeschäft („business for profit“)
betreiben (§ 6 Abs. 1 U.P.A., § 101 (6) U.P.A. 1997). Dabei ist jeder Partner ein general partner,
d.h. ein persönlich haftender Gesellschafter, der grundsätzlich auch geschäftsführungs- und
vertretungsbefugt ist. Die partnership war früher – im Gegensatz zur corporation – keine
Rechtsperson, konnte aber im eigenen Namen Geschäfte abschließen (§§ 8, 10, U.P.A.) sowie
klagen und verklagt werden. Nach § 201 (a) U.P.A. hat sie auch eine eigene Rechtspersönlich-
keit, um den Gesellschafterwechsel zu erleichtern; sie wird daher durch den Tod oder das Aus-
treten eines general partner nicht mehr aufgelöst1. Für – vertragliche wie deliktische – Ver-
bindlichkeiten der Gesellschaft haften alle Partner gesamtschuldnerisch („jointly and sever-
ally“), vgl. § 306a U.P.A. 1997.

1 Merkt/Göthel, Rz. 123.

Hausmann | 599
§ 6 Rz. 6.358 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Limited Partnership (L.P.)


6.358 Die limited partnership ist eine Gesellschaft, der mindestens ein general partner und ein limi-
ted partner angehören. Während der general partner unbeschränkt haftet, ist die Haftung des
limited partner auf die Höhe seiner Einlage beschränkt. Die Gesellschaft wird von den persön-
lich haftenden Gesellschaftern vertreten (Einzelvertretung). Die limited partners sind von
der Vertretung ausgeschlossen (Art. 10 U.L.P.A. bzw. § 305 R.U.L.P.A.). Handeln sie dennoch,
so haften sie jedenfalls gegenüber Personen, die Kenntnis von ihrer Teilnahme an der Ge-
schäftsführung hatten, unbeschränkt (Art. 7 U.L.P.A. bzw. § 303b R.U.L.P.A.).

- Limited Liability Partnership (L.L.P.)


6.359 Die limited liability partnership ist eine Sonderform der general partnership, bei der nach Ein-
tragung kein Partner mehr persönlich für unerlaubte Handlungen seiner Mitgesellschafter
haftet. Die unbeschränkte Haftung trifft nur die Gesellschaft und den unerlaubt handelnden
Partner. Diese Gesellschaftsform bietet sich insbesondere für den Zusammenschluss von Frei-
beruflern (Ärzten, Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern) an1. Vertretungsberechtigt sind sämt-
liche Partner einzeln.

- Limited Liability Company (L.L.C.)


6.360 Die neue Gesellschaftsform der limited liability company ist seit 1990 in allen US-Bundesstaa-
ten eingeführt und – z.T. in Anlehnung an den Uniform Limited Liability Company Act (U.L.
L.C.A.) von 1995 – gesetzlich geregelt2. Sie verbindet die Vorzüge einer Haftungsbegrenzung
mit den Steuervorteilen einer partnership3. Sie hat eigene Rechtspersönlichkeit und kann wie
eine corporation klagen und verklagt werden. Ferner haften alle Partner nur beschränkt mit
dem Gesellschaftsvermögen. Abweichend von der limited liability partnership (Rz. 6.359) sind
alle Gesellschafter berechtigt, die Geschäfte selbst zu führen und die Gesellschaft im Rechts-
verkehr zu vertreten („member-managed company“); sie können die Geschäftsführung und
Vertretung aber auch einem Geschäftsführer übertragen („manager-managed company“)4. Die
Gesellschaft endet – ähnlich wie eine Personengesellschaft – mit dem Tod, Austritt oder der
Insolvenz eines Gesellschafters5.

- Business Corporation (B.C.)


6.361 Die einzelstaatlichen Rechtsordnungen gehen – in Anlehnung an den Modell Business Corpo-
ration Act 1946 bzw. dessen revidierte Fassung von 1984 (R.M.B.C.A) – übereinstimmend
vom Prinzip der einheitlichen Kapitalgesellschaftsform aus. Die business corporation ist bei
Weitem die wichtigste Gesellschaftsform des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts. Haupt-
formen sind die close corporation, bei der die Anteile innerhalb einer überschaubaren Gruppe
von Anteilseignern verbleiben und nur unter erschwerten Bedingungen übertragen werden
können, und die public corporation, bei der die Anteile weit gestreut und frei übertragbar sind.
Die business corporation besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, kann also Träger von Rechten
und Pflichten sein sowie im eigenen Namen klagen und verklagt werden (§ 3.02 R.M.B.C.A.

1 Merkt/Göthel, Rz. 132.


2 Zur L.L.C.mit Verwaltungssuitz in Deutschland vgl. Pyscka, GmbHR 2015, 1077.
3 Merkt/Göthel, Rz. 138. Vgl. zur Gründung und Vertretung einer L.L.C. nach dem Recht von Dela-
ware IPG 2003/2004 Nr. 43 (Köln).
4 Vgl. zum Recht von Delaware IPG 2002 Nr. 32 (Hamburg).
5 Merkt/Göthel, Rz. 140.

600 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.364 § 6

1984). Sie haftet für vertragliche wie außervertragliche Verbindlichkeiten nur mit dem Gesell-
schaftsvermögen (§ 6.22 R.M.B.C.A. 1984)1.

Die Geschäftsführung und Vertretung einer corporation obliegt in erster Linie dem „board of 6.362
directors“ als einem einheitlichen Kollegialorgan nach dem Prinzip der Gesamtvertretung
(§ 8.01.(b) R.M.B.C.A. 1984). Vertretungsberechtigt sind also nicht die einzelnen Mitglieder
des board, sondern es bedarf grundsätzlich eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses (§ 8.24.
(c) R.M.B.C.A. 1984). Der Rechtsverkehr wird jedoch in Fällen, in denen ein einzelnes board-
Mitglied im Namen der Gesellschaft handelt, dadurch geschützt, dass ein Handeln auf Grund
einer vom gesamten board of directors erteilten konkludenten Vollmacht („implied authoriza-
tion“) angenommen wird2. Darüber hinaus ist es weithin üblich, die Wahrnehmung von Ver-
tretungsbefugnissen für bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäften auf Ausschüsse
(„committees“) zu übertragen; hierfür bedarf es allerdings eines Mehrheitsbeschlusses des
board of directors (§ 8.25 R.M.B.C.A. 1984).

In der amerikanischen Praxis werden die meisten Geschäfte, die Vertretungsmacht für die cor- 6.363
poration erfordern, freilich nicht vom „board of directors“ selbst, sondern von leitenden Ange-
stellten der Gesellschaft, den unmittelbar vom board bestellten sog. (executive) „officers“ abge-
schlossen (§§ 8.40, 8.41 R.M.B.C.A 1984). Eine generelle Umschreibung der Vertretungsmacht
der officers ergibt sich in der Regel aus den „by-laws“ der Gesellschaft. Im Übrigen gelten für
ihr Verhältnis zum board of directors die allgemeinen Regeln des Vertretungsrechts („agen-
cy“)3. Danach besitzen die Inhaber bestimmter Ressorts, die im Geschäftsverkehr üblicherwei-
se mit gewissen Kompetenzen verbunden sind, eine Vertretungsmacht kraft Amtes („implied
actual authority or inherent authority“)4. So hat der „Chief Executive Officer“ (CEO) Vertre-
tungsmacht für alle Rechtsgeschäfte des üblichen Geschäftsgangs der Gesellschaft („ordinary
business transactions“)5. Für darüber hinausgehende außergewöhnliche Geschäfte (z.B. Immo-
biliengeschäfte, Führung von Rechtsstreitigkeiten u.Ä.) bedarf er hingegen einer besonderen
Vollmacht des board of directors („express actual authority“). Auch kann die corporation
durch ein Handeln ihrer Officers auf Grund Rechtsscheins („apparent authority“) verpflichtet
werden, wenn der board of directors bei Dritten den Eindruck erweckt hat, dass der für die
Gesellschaft Handelnde Vertretungsmacht besitzt und der Dritte im Vertrauen hierauf kontra-
hiert hat6. Schließlich kann der board auch nachträglich Vollmacht für die Vornahme eines
bestimmten Geschäfts erteilen.

Ebenso wie im englischen Recht spielt die ultra-vires-Lehre im geltenden Recht der corporati- 6.364
on nur noch eine untergeordnete Rolle. Zum einen lassen die Gesetze der Einzelstaaten eine
sehr weite Umschreibung des Gesellschaftsgegenstandes zu, die praktisch jede erlaubte Ge-
schäftstätigkeit umfasst („all-purposes-clause“, vgl. § 3.02.R.M.B.C.A. 1984). Zum anderen ist
der Gutglaubensschutz Dritter soweit entwickelt worden, dass Beschränkungen, die sich aus
dem Gesellschaftszweck ergeben, Dritten nicht mehr entgegengehalten werden können und
Bedeutung nur noch im Hinblick auf die Haftung der für die corporation Handelnden im In-
nenverhältnis haben (vgl. § 3.04. R.M.B.C.A. 1984).

1 Merkt/Göthel, Rz. 163 ff., 166.


2 Merkt/Göthel, Rz. 588.
3 Vgl. dazu näher OLG Köln v. 13.8.2015 – 18 U 153/14, GmbHR 2016, 647.
4 Merkt/Göthel, Rz. 608.
5 Vgl. Merkt/Göthel, Rz. 609. Zur Vertretungsmacht des „president“ einer Mississippi-corporation
IPG 1998 Nr. 15 (Passau).
6 Merkt/Göthel, Rz. 616.

Hausmann | 601
§ 6 Rz. 6.365 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Business Trust
6.365 Der business trust wird durch einen oder mehrere Treuhänder („trustees“) vertreten. Die Aus-
gestaltung der Vertretungsmacht ähnelt in vieler Hinsicht derjenigen des board of directors
einer corporation. Es besteht ebenfalls grundsätzlich Gesamtvertretungsmacht des „board of
trustees“ mit der Möglichkeit der Delegation von Vertretungsbefugnissen auf einzelne Mitglie-
der des board. Der Umfang der Vertretungsmacht ergibt sich aus dem trust agreement.

bb) Nachweis der Vertretungsmacht


6.366 Die handels- bzw. gesellschaftsrechtliche Publizität ist in den Vereinigten Staaten vergleichs-
weise schwach ausgebildet. Es gibt weder ein allgemeines Handelsregister noch ein eigentli-
ches Gesellschaftsregister, bei dem regelmäßig bestimmte Vorgänge zu hinterlegen oder ein-
zutragen wären, damit sie jedermann zugänglich sind.

6.367 Bei der partnership kann eine beglaubigte Abschrift der „Articles of partnership“ als Nachweis
dienen. Daraus ist zu ersehen, ob ein Geschäft zum üblichen Geschäftskreis der partnership
gehört. Nach amerikanischem Recht braucht ein partnership agreement allerdings nicht
schriftlich geschlossen zu werden. Verhandelt man mit einer partnership, so kann ein sicherer
Nachweis der Vertretungsbefugnis nur durch eine von allen Partnern ausgestellte Vollmacht
geführt werden.

6.368 Bei der business corporation muss immerhin die Gründungsurkunde („charter“) der Gesell-
schaft bei einer zentralen Stelle des Gründungsstaates (gewöhnlich beim „Secretary of State“)
hinterlegt und registriert werden (§ 2.03 R.M.B.C.A. 1984). Eine öffentliche Bekanntmachung
der Registrierung findet hingegen nur in wenigen Bundesstaaten (z.B. Arizona, vgl. § 19–055
Ariz.Rev.Stat.Ann.) statt. Mit einer Gründungsurkunde allein kann der erforderliche Nachweis
der – fortbestehenden – Existenz einer US-corporation allerdings nicht geführt werden, denn
in der Zwischenzeit können Veränderungen eingetreten sein. Aus diesem Grunde wird bei
US-amerikanischen Gesellschaften zum Nachweis ihrer Existenz im Allgemeinen die Vorlage
eines „certificate of good standing“ des Secretary of State als erforderlich angesehen1. Den si-
cheren Nachweis der Vertretungsmacht können daher nur Abschriften von Beschlüssen des
board of directors oder Abschriften der Gesellschaftssatzung („by-laws“) erbringen, aus de-
nen die Bevollmächtigung bestimmter Personen hervorgeht. Diese Abschriften müssen vom
secretary der corporation beglaubigt und mit dem Gesellschaftssiegel („corporation seal“) ver-
sehen sein. Darüber hinaus muss der secretary noch bescheinigen, dass der im Wortlaut wie-
derzugebende Beschluss (oder die Bestimmung der „by-laws“) auf einer ordnungsgemäß ein-
berufenen und geführten Sitzung des board mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.
Liegt eine solche Bescheinigung vor, so kann die Gesellschaft Dritten, die im Vertrauen auf die
Bescheinigung gehandelt haben, etwaige Fehler der Vollmachtserteilung nicht entgegenhal-
ten2.

6.369 Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der board nach dem Inhalt der hinterlegten Grün-
dungsurkunde zu der Vollmachtserteilung nicht berechtigt war, sofern der Dritte nur gutgläu-
big ist. Die common-law-Regel, dass die Kenntnis des Inhalts hinterlegter Urkunden unwider-
leglich vermutet wird („constructive notice“), ist in den USA weitgehend abgeschafft worden.
Dennoch empfiehlt es sich, bei wichtigen Verträgen zusätzlich auch die Gründungsurkunde

1 OLG Köln, Beschl. v. 1.2.2013 – 2 Wx 42/13, NZG 2013, 754.


2 Merkt/Göthel, Rz. 617.

602 | Hausmann
A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.374 § 6

einzusehen. Zweckmäßigerweise lässt man sich hierzu von der Gesellschaft oder der zuständi-
gen Registerstelle eine beglaubigte Abschrift der charter übermitteln.

Beim business trust gibt das trust agreement Auskunft über die Vertretungsmacht. Bei wichti- 6.370
gen Verträgen lässt man sich daher von den Treuhändern eine beglaubigte Abschrift des trust
agreement zur Verfügung stellen. Da nach dem Recht einiger Einzelstaaten das trust agreement
ebenfalls bei einer hierfür zuständigen Stelle hinterlegt werden muss, ist es in diesen Staaten
auch möglich, von der Registerstelle eine Abschrift des trust agreement zu erhalten.

IX. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Sonderanknüpfung
Die Fragen der gesetzlichen Vertretung von juristischen Personen und Gesellschaften beim 6.371
Abschluss grenzüberschreitender Schuldverträge bestimmen sich nicht nach dem Vertragssta-
tut, sondern kraft Sonderanknüpfung nach dem Personalstatut der juristischen Person bzw.
Gesellschaft.

2. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts


Im autonomen deutschen IPR wird das Gesellschaftsstatut traditionell an das Recht des Staa- 6.372
tes angeknüpft, in dem die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat. Der Geltungs-
bereich der Sitztheorie wird jedoch einerseits durch bilaterale Staatsverträge (z.B. mit den
USA) eingeschränkt, die an das Gründungsrecht der Gesellschaft anknüpfen. Zum anderen
gebietet die im EG- bzw. EWR-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit die Anerken-
nung von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegründet wurden;
für sie gilt daher ebenfalls in weitem Umfang das Gründungsrecht. Demgegenüber verbleibt
es für Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet worden sind, bei der traditionellen
Anknüpfung an das Recht des effektiven Verwaltungssitzes. Dies gilt seit dem 1.1.2021 auch
im Verhältnis zum Vereinigten Königreich.

3. Anwendungsbereich der Gründungstheorie

a) Die Geltung der Gründungstheorie im Schutzbereich des EG- bzw. EWR-Vertrags ist not- 6.373
wendige Konsequenz des weiten Verständnisses der Niederlassungsfreiheit in Art. 49, 54
AEUV durch den EuGH. Danach hat jeder Mitgliedstaat der EU die nach dem Recht eines
anderen Mitgliedstaats erworbene Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft anzuer-
kennen. Dies gilt nicht nur bei der nachträglichen Verlegung des Verwaltungssitzes, son-
dern auch für den Fall, dass Satzungs- und Verwaltungssitz von Beginn an auseinanderfal-
len. Demgegenüber ist der Gründungsstaat selbst in der Ausgestaltung seines internationa-
len Gesellschaftsrechts frei. Ein aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitetes Recht von Ge-
sellschaften auf identitätswahrenden Wegzug wird vom EuGH nicht anerkannt. Der deut-
sche Gesetzgeber hat jedoch mit dem MoMiG durch die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG,
§ 4a Abs. 2 GmbHG den Weg für eine Gründung deutscher Gesellschaften mit effektivem
Verwaltungssitz im Ausland sowie für die nachträgliche Verlegung des Verwaltungssitzes
in einen anderen Staat freigemacht.
b) Die europarechtlich gebotene Anwendung der Gründungstheorie ist nicht auf die Aner- 6.374
kennung der Rechts- und Parteifähigkeit beschränkt. Das Gründungsrecht gilt vielmehr
auch für Fragen der gesetzlichen Vertretung und der Haftungsverfassung. Ob die Nieder-

Hausmann | 603
§ 6 Rz. 6.374 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

lassungsfreiheit darüber hinaus erfordert, dass die Rechtsverhältnisse von Gesellschaften,


die in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat gegründet werden, insgesamt nach dem Recht des
Gründungsstaates zu beurteilen sind, ist noch offen, wird aber inzwischen überwiegend
angenommen.
6.375 c) Eingeschränkt ist die zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54
AEUV gebotene Anwendung des Gründungsrechts nur im Falle des Rechtsmissbrauchs
und aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls. Hierfür reicht jedoch die Umgehung
zwingender Vorschriften im Tätigkeitsstaat der Gesellschaft – insbesondere zur Mindest-
kapitalausstattung von Gesellschaften – nicht aus.

4. Konsequenzen der Sitztheorie


6.376 Die Rechtsfolgen der Sitztheorie bei einem Auseinanderfallen von Satzungssitz und effektivem
Verwaltungssitz sind durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber abgemildert worden.
6.377 a) Kapitalgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland müssen den Gründungs-
voraussetzungen des deutschen Rechts (§§ 41 Abs. 1 AktG, 11 Abs. 1 GmbHG) genügen.
Werden sie im Ausland gegründet, so sind sie jedoch zumindest als Personengesellschaf-
ten deutschen Rechts anzuerkennen und genießen als solche volle Rechts- und Parteifähig-
keit (modifizierte Sitztheorie). Umgekehrt kann eine Kapitalgesellschaft mit effektivem Ver-
waltungssitz im Ausland nicht als deutsche AG/GmbH gegründet werden, wenn der Sitz-
staat ebenfalls auf dem Boden der Sitztheorie steht; auch in diesem Fall kommt nur eine
Anerkennung als Personengesellschaft in Betracht. Folgt der Sitzstaat hingegen der Grün-
dungstheorie, so steht der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft im Ausland seit In-
krafttreten des MoMiG einer wirksamen Gründung der Gesellschaft als deutsche AG/
GmbH nicht mehr entgegen (Rückverweisung).
6.378 b) Eine identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer außerhalb der EU bzw. des
EWR gegründeten Kapitalgesellschaft ins Inland setzt voraus, dass der Gründungsstaat den
Wegzug gestattet. Auch wenn dies der Fall ist, kann die Gesellschaft im Inland nur als Per-
sonengesellschaft Rechts- und Parteifähigkeit genießen. Umgekehrt entscheidet das Kollisi-
onsrecht des Zuzugsstaates darüber, ob eine deutsche AG/GmbH ihren Verwaltungssitz
unter Wahrung ihrer Identität in diesen Staaten verlegen kann. Das deutsche Sachrecht
steht einer solchen Sitzverlegung seit Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr entgegen.

5. Reichweite des Gesellschaftsstatuts


6.379 Das Gesellschaftsstatut regelt die Außen- und Innenverhältnisse der Gesellschaft abschlie-
ßend. Es entscheidet daher über Beginn, Umfang und Ende der Rechtsfähigkeit sowie über
Inhalt und Umfang der gesetzlichen Vertretung. Dazu gehören insbesondere die Fragen, ob
Einzel- oder Gesamtvertretung besteht und ob ein Selbstkontrahieren zulässig ist. Das Per-
sonalstatut der Gesellschaft befindet auch über deren Partei- bzw. Prozessfähigkeit.

6. Schutz des Rechtsverkehrs


6.380 Der inländische Rechtsverkehr wird beim Abschluss von Verträgen mit ausländischen Gesell-
schaften, die hinsichtlich des Umfangs ihrer Rechtsfähigkeit oder der Vertretungsbefugnisse
ihrer Organe hinter dem inländischen Recht zurückbleiben, nach Maßgabe von Art. 13
Rom I-VO geschützt. Im Prozessrecht greifen bei fehlender Partei- oder Prozessfähigkeit die
Schutzvorschriften der § 50 Abs. 2, § 55 ZPO ein. Schließlich kommt im Anwendungsbereich

604 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.380 § 6

der Sitztheorie eine persönliche Haftung der Gründer nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2
GmbHG bzw. nach allgemeinen Rechtscheingrundsätzen in Betracht, soweit im Namen der
nichtexistenten Gesellschaft gehandelt wurde. Demgegenüber haften im Geltungsbereich der
Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV die Gesellschafter oder Organe einer in einem
anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft grundsätzlich nur nach Maßgabe des Grün-
dungsrechts persönlich für Schulden der Gesellschaft; eine weitergehende Haftung kommt
nur auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften in Betracht, die – wie z.B. das Delikts-
oder Insolvenzrecht – unabhängig vom Personalstatut der Gesellschaft gelten.

B. Vollmacht

Literatur: 1. Zu Art. 8 EGBGB: Becker, Zum neuen Internationalen Privatrecht der gewillkürten
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Hausmann | 605
§ 6 Rz. 6.380 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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606 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.383 § 6

I. Einführung
Der deutsche Gesetzgeber hat bisher das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 6.381
(HStÜ; dazu Rz. 6.491 ff.) nicht ratifiziert. Er hatte das IPR der Vollmacht auch anlässlich der
IPR-Reform von 1986 nicht im EGBGB kodifiziert. Insbesondere waren die Vorschriften des
früheren internationalen Vertragsrechts (Art. 27–36 EGBGB a.F.) auf die Frage, ob ein Vertre-
ter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten
kann, nicht anzuwenden (Art. 37 Nr. 3 EGBGB a.F.). An diesem Ausschluss der rechts-
geschäftlichen Vertretungsmacht aus dem sachlichen Anwendungsbereich des internationalen
Vertragsrechts, den der deutsche Gesetzgeber aus Art. 1 Abs. 2 lit. f EVÜ übernommen hatte,
hat auch der europäische Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO festgehalten. Der Aus-
schluss ist umfassend und gilt auch für die Anscheins- und Duldungsvollmacht1.

Damit weicht die Endfassung der Rom I-VO signifikant von dem Verordnungsvorschlag der 6.382
EU-Kommission vom 15.12.2005 (Rom I-E)2 ab. Dieser hatte sich in Erwägungsgrund 12 für
„die Einführung einer Kollisionsnorm, die auf die drei aus einem ... [Vertreter-]Vertrag ent-
standenen Rechtsverhältnisse zwischen Vertretenem, Vertreter und Drittem Anwendung fin-
det“, ausgesprochen. Dementsprechend enthielt der Verordnungsvorschlag in seinem Art. 7
die folgende Kollisionsnorm für Vertreterverträge:
Art. 7 Rom I-VO-E 2005
Vertreterverträge
(1) Mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 unterliegen Verträge zwischen einem Vertretenen und
einem Vertreter dem Recht des Staates, in dem der Vertreter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es
sei denn, der Vertreter übt seine Tätigkeit hauptsächlich in dem Staat aus, in dem der Vertretene sei-
nen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder ist dazu verpflichtet, seine Tätigkeit dort auszuüben; in diesem
Fall gilt das Recht dieses Staats.
(2) Für das Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten, das dadurch entstanden ist, dass
der Vertreter in Ausübung seiner Vertretungsmacht, über seine Vertretungsmacht hinaus oder ohne
Vertretungsmacht gehandelt hat, ist das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertreters
zum Zeitpunkt seines Handelns maßgebend. Es gilt jedoch das Recht des Staates, in dem der Vertreter
gehandelt hat, wenn entweder der Vertretene, in dessen Namen der Vertreter gehandelt hat, oder der
Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat, oder wenn der Vertreter dort an der Börse
tätig war oder an einer Versteigerung teilgenommen hat.
(3) Ist das auf das in Absatz 2 geregelte Verhältnis anzuwendende Recht von Seiten des Vertretenen
oder des Dritten schriftlich bestimmt und von der anderen Partei ausdrücklich anerkannt worden, ist
für dieses Verhältnis abweichend von Absatz 2 das so bestimmte Recht maßgebend.
(4) Das nach Absatz 2 bestimmte Recht ist auch für das Verhältnis zwischen Vertreter und Drittem
maßgebend, das dadurch entstanden ist, dass der Vertreter in Ausübung seiner Vertretungsmacht,
über seine Vertretungsmacht hinaus oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

Nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E sollte die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht im Verhältnis 6.383
zwischen dem Vertretenen und dem Dritten weder dem Statut des Vertretervertrages nach
Art. 7 Abs. 1 Rom I-VO-E noch dem Statut des von dem Vertreter mit dem Dritten in Aus-
übung der Vollmacht geschlossenen Vertrages unterliegen. Maßgebend sollte vielmehr nach
Satz 1 grundsätzlich das am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertreters zum Zeitpunkt
seines Handelns geltende Recht sein. Sofern dieser den Vertrag – wie regelmäßig – im Rah-

1 OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; Fischer, IPRax 2005, 269 (270).
2 KOM [2005] 650 endg.

Hausmann | 607
§ 6 Rz. 6.383 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

men seiner beruflichen Tätigkeit abschließt, sollte statt des gewöhnlichen Aufenthalts der Ort
der vertragsbetreuenden Niederlassung maßgeblich sein (Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO-E). Abwei-
chend davon sollte aber nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO-E das Recht des Staates gelten, in
dem der Vertreter gehandelt hat, wenn entweder der Vertretene oder der Dritte seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat, oder wenn der Vertreter dort an der Börse tätig
war oder an einer Versteigerung teilgenommen hat. Allerdings sollte nach Art. 7 Abs. 3
Rom I-VO-E sowohl für den Vertretenen als auch für den Dritten die Möglichkeit bestehen,
das auf die Vollmacht des Vertreters anzuwendende Recht durch schriftliche Erklärung zu be-
stimmen; eine solche von der jeweils anderen Partei ausdrücklich anerkannte Rechtswahl
sollte dann Vorrang vor der objektiven Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E haben.
Schließlich sollte das nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E bestimmte objektive Vollmachtstatut
nach der Klarstellung in Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO-E auch die Rechtsbeziehungen zwischen
dem Vertreter und dem Dritten beherrschen, soweit der Vertreter seine Vollmacht überschrit-
ten oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

6.384 Der Kommissionsvorschlag ist in der Literatur z.T. scharf kritisiert worden, weil er den Ver-
such unternahm, Vertreterverträge wie andere Schuldverträge an Hand der charakteristischen
Leistung des Vertreters anzuknüpfen und in der Grundregel des Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E
nicht hinreichend deutlich zwischen dem Rechtsverhältnis Prinzipal-Dritter (Geschäftsstatut)
und der Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht (Vollmachtstatut) unter-
schieden wurde1. Auch sei es wenig überzeugend, den gewöhnlichen Aufenthalt des Vertreters
als Primäranknüpfung vorzusehen; denn der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses liege am
Gebrauchsort der Vollmacht2. Wegen dieser kritischen Aufnahme des Art. 7 Rom I-VO-E in
der Fachwelt und des Widerstands einiger Mitgliedstaaten gegen die dort vorgeschlagenen Lö-
sungen hat die Kommission in der Endfassung der Rom I-VO auf eine Regelung der Vertreter-
verträge und der Vollmacht verzichtet.

6.385 Das Vollmachtstatut wird daher in Deutschland weiterhin durch nationales Recht bestimmt.
Der deutsche Gesetzgeber hat das IPR der gewillkürten Stellvertretung durch Gesetz vom
11.6.20173 erstmals in Art. 8 EGBGB kodifiziert und damit eine seit langem beklagte Lücke
im IPR der Rechtsgeschäftslehre geschlossen. Er hat sich dabei auf einen Vorschlag des Deut-
schen Rats für IPR4 gestützt, der seinerseits die in Rechtsprechung und Lehre entwickelten
Grundsätze zur Anknüpfung der gewillkürten Vertretungsmacht5 aufgegriffen und auf der
Grundlage eines Gutachtens von Spickhoff nur in Einzelpunkten modifiziert und weiter ent-
wickelt hat6.

6.386 In zeitlicher Hinsicht gilt die Neuregelung, wenn Vollmachtserteilung und Vertretererklärung
ab dem 17.7.2017 erfolgt sind, Art. 229 § 41 EGBGB. Art. 8 EGBGB gilt auch im Rahmen
von internationalen Warenkaufverträgen, die dem UN-Kaufrecht unterliegen, weil dieses die
rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht nicht regelt7. Für die Auslegung von Art. 8 EGBGB

1 Mankowski, IPRax 2006, 101 (108 f.). Vgl. auch Spellenberg in Ferrari/Leible, Eine neues interna-
tionales Vertragsrecht für Europa, S. 151 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 5 f.
2 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (752 ff.).
3 BGBl. I 2017, 1607.
4 Dazu von Hein, IPRax 2015, 578 ff.
5 Dazu Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 321 ff.; Voraufl. Rz. 7.366 ff.
6 Dazu näher Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 1 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8
EGBGB Rz. 4 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1023.
7 Vgl. AG Alsfeld v. 12.5.1995 – 31 C 534/94, NJW-RR 1996, 120 (121).

608 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.389 § 6

kann jedoch in weitem Umfang auf die bisherige Gerichtspraxis zurückgegriffen werden, die
durch die Neuregelung lediglich kodifiziert werden sollte1.

Das Konzept des Gesetzgebers spiegelt sich im Aufbau des Art. 8 EGBGB wider, der in meh- 6.387
reren Punkten von der bisherigen richterrechtlichen Lösung abweicht. Während letztere von
der Anknüpfung an den Gebrauchsort als Grundnorm ausging und hiervon Ausnahmen für
bestimmte Fallgruppen im Hinblick auf die Person des Bevollmächtigten und den Gegenstand
der Vollmacht entwickelt hatte2, stellt die Neuregelung – nach dem Vorbild der Rom I-VO –
die Parteiautonomie als Primäranknüpfung an die Spitze. In Ermangelung einer Rechtswahl
werden alternativ die beiden in der Praxis wichtigsten Arten der Bevollmächtigung, nämlich
zugunsten von unternehmerisch tätigen Vertretern und zugunsten von Arbeitnehmern des
Vollmachtgebers in Abs. 2 und Abs. 3 behandelt. Ihnen wird in Abs. 4 die Dauervollmacht im
privaten Bereich an die Seite gestellt. Nur wenn die Voraussetzungen nach Abs. 1-4 nicht vor-
liegen, wird in Abs. 5 subsidiär noch an den tatsächlichen Gebrauchsort der Vollmacht ange-
knüpft. Eine Sonderanknüpfung gilt nach Abs. 6 wie bisher für Grundstücksvollmachten und
Vollmachten für Börsengeschäfte und Versteigerungen werden in Abs. 7 aus dem Anwen-
dungsbereich des Art. 8 EGBGB ausgeschlossen. Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufent-
halts wird schließlich in Abs. 8 die Definition in Art. 19 Rom I-VO für entsprechend anwend-
bar erklärt.

Der Anwendungsbereich des Art. 8 EGBGB ist auf die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungs- 6.388
macht beschränkt, die auf einem Akt der Selbstbestimmung des Vertretenen beruht3, ein-
schließlich der Prokura (Rz. 6.412) und der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (Rz. 6.467 ff.).
Nicht erfasst wird hingegen die gesetzliche und organschaftliche Vertretung, bei welcher In-
nen- und Außenverhältnis einheitlich angeknüpft werden. Die gesetzliche Vertretung von
Ehegatten (Schlüsselgewalt) unterliegt heute dem Güterrechtsstatut der EuGüVO (Rz. 6.809 f.),
diejenige von Minderjährigen dem auf das Eltern-Kind-Verhältnis nach Art. 16 f. KSÜ bzw.
Art. 21 EGBGB anwendbaren Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Rz. 6.1118 ff.).
Für die gesetzliche Vertretung von nicht voll geschäftsfähigen Erwachsenen durch einen Be-
treuer gelten die Art. 15 f. ErwSÜ (Rz. 6.1205 ff.). Die organschaftliche Vertretung von juristi-
schen Personen und Gesellschaften wird durch deren Personalstatut, d.h. das Gründungs-
oder Sitzrecht, geregelt (Rz. 6.141 ff.). Auch die Vertretungsmacht des Insolvenzverwalters be-
ruht nicht auf Rechtsgeschäft (dazu Rz. 6.601 ff.) Zur Verfügungsermächtigung s. Rz. 6.472.

II. Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB


1. Allgemeines
Der Vollmachtgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, Einfluss auf das Vollmachtstatut zu 6.389
nehmen, um nicht durch die Geltung eines ihm unbekannten ausländischen Rechts über-
rascht zu werden, wenn der Vertreter von der Vollmacht im Ausland Gebrauch macht. Da die
objektive Anknüpfung des Vollmachtstatuts diesem Interesse nicht immer hinreichend Rech-
nung trägt, bedarf es ihrer Ergänzung durch eine begrenzte Zulassung der Parteiautonomie.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 26.


2 Vgl. Voraufl. Rz. 7.366 ff.
3 BR-Drs. 18/10714, 24; Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8
EGBGB Rz. 51 ff., 55 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 43 m.w.N.

Hausmann | 609
§ 6 Rz. 6.389 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Hierüber bestand in der Literatur schon seit längerem weitgehend Einigkeit1; allerdings fehlte
es an einer obergerichtlichen Bestätigung. Auch im Ausland wird den Parteien häufig Rechts-
wahlfreiheit bezüglich des Vollmachtstatuts eingeräumt, so z.B. im österreichischen (§ 49
Abs. 1 IPRG), schweizerischen (Art. 126 i.V.m Art. 116 IPRG)2 und spanischen Recht (Art. 10
Abs. 11 Cc). Auch das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 14; dazu
Rz. 6.497) und der Vorschlag der EG-Kommission zur Rom I-VO von 2005 (Art. 7 Abs. 3;
Rz. 6.383) haben sich in diesem Sinne geäußert. Für die Zulässigkeit einer Rechtswahl spricht
vor allem, dass das Vollmachtstatut auf diese Weise frühzeitig und unabhängig davon fest-
gelegt werden kann, wann und wo der Bevollmächtigte von der Vollmacht Gebrauch macht
und damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wird3. Der gebotene Schutz des
Drittkontrahenten wird dadurch gewährleistet, dass die getroffene Rechtswahl ihm rechtzeitig
vor Abschluss des Geschäfts bekannt geworden sein muss (dazu Rz. 6.393).

6.390 Der deutsche Gesetzgeber hat die Parteiautonomie in Art. 8 Abs. 1 EGBGB – in Anlehnung an
jüngere kollisionsrechtliche EU-Verordnungen4 – sogar an die Spitze der Anknüpfungsregeln ge-
stellt und damit ihren Vorrang vor den objektiven Anknüpfungen nach Abs. 2-5 betont5. Die
Vorschrift unterscheidet zwischen der einseitigen Rechtswahl durch den Vollmachtgeber vor
Ausübung der Vollmacht in Satz 1 und der jederzeit zulässigen gemeinsamen Rechtswahl von
Vollmachtgeber, Vertreter und Drittem nach Satz 2, der nach Satz 3 Vorrang vor der einseitigen
Rechtswahl nach Satz 1 zukommt. Die Rechtswahl nach Abs. 1 wird wie im internationalen Ver-
tragsrecht (Art. 3 Rom I-VO) ohne Beschränkung auf solche Rechte eingeräumt, zu denen die
Ausübung der Vollmacht einen engen räumlichen Bezug hat6. Keine Rechtswahlmöglichkeit be-
steht allerdings für die Grundstücksvollmacht nach Art. 8 Abs. 6 EGBGB, weil dem deutschen
IPR die Parteiautonomie auch auf dem Gebiet des internationalen Sachenrechts fremd ist.

2. Einseitige Rechtswahl
6.391 Ob für die Rechtswahl eine Vereinbarung mit dem Drittkontrahenten erforderlich sein soll
oder auch eine einseitige Erklärung des Geschäftsherrn gegenüber dem Dritten (z.B. in der
Vollmachtsurkunde) genügt, war vor der Kodifikation umstritten. Sowohl Art. 14 HStÜ als
auch Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO-E sprechen sich für das Erfordernis einer Rechtswahlverein-
barung aus, wenn dort verlangt wird, dass die Bestimmung des anwendbaren Rechts „von der
anderen Partei ausdrücklich anerkannt“ worden ist7. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dem-
gegenüber in Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu Recht dafür entschieden, dem Vollmachtgeber die

1 Vgl. schon Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (835); Reithmann, DNotZ 1956, 125 (128); Makarov, FS
Perassi II (1957), S. 39 (51 f.); Raape, S. 504; P. Müller, RIW 1979, 377 (383 f.); ferner; G. Fischer,
IPRax 2005, 209 (271 f.); Kurzynsky-Singer, S. 177 f. (202); Mankowski, IPRax 2006, 101 (109);
Schäfer, RIW 1996, 189 (190 f.); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (774 ff.); Heinz, S. 194 ff. m.w.N.
Implizit auch OLG Hamburg v. 15.12.1988 – 6 U 11/88, TranspR 1989, 70 (72); OLG Karlsruhe v.
8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998,1470;
2 Vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 50; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1025.
3 Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 49; Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 17;
Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729 (774 ff.).
4 Vgl. Art. 3 Rom I-VO, Art. 5 ff. Rom III-VO, Art. 22 ff. EuGüVO/EuPartVO.
5 Vgl. von Hein, IPRax 2015, 578 (579); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1029; Magnus in Stau-
dinger, Art. 8 EGBGB Rz. 67; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 84.
6 Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 16; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 19; Man-
kowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 48; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 71.
7 Ebenso das Schweizer Recht, vgl. Art. 126 i.V.m Art. 116 IPRG.

610 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.393 § 6

Möglichkeit einer einseitigen Rechtswahl einzuräumen1. Denn zu seiner Befugnis, den Inhalt
der Vollmacht festzulegen, gehört auch die Bestimmung des auf die Erteilung und den Umfang
der Vollmacht maßgeblichen Rechts2. Der Drittkontrahent ist hingegen an den Verhandlungen
über den Inhalt der Vollmacht nicht notwendig zu beteiligen, denn er wird durch diese weder
unmittelbar berechtigt noch verpflichtet3. Auch kann der Geschäftsherr die Vollmacht für eine
Vielzahl von Vertragsschlüssen mit unterschiedlichen Vertragspartnern nur dann einem ein-
heitlichen Recht unterstellen, wenn er diese Rechtswahl schon bei Vollmachtserteilung einseitig
treffen kann; die zwingende Beteiligung der jeweiligen Drittkontrahenten bereits an der Wahl
des Vollmachtstatuts würde deren praktischen Nutzen daher erheblich einschränken4.

Der erforderliche Verkehrsschutz wird dadurch sichergestellt, dass nur ein dem Vertreter wie 6.392
dem Dritten rechtzeitig und zweifelsfrei erkennbar gewordener Parteiwille des Vollmacht-
gebers beachtet wird. Dementsprechend schreibt Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB vor, dass die ein-
seitige Rechtswahl dem Dritten und dem Bevollmächtigten zeitlich vor Ausübung der Voll-
macht bekannt gegeben wird5. Diese sollen also vor Abgabe ihrer Vertragserklärungen wissen,
welchem Recht die Vollmacht untersteht. Im Regelfall wird die Rechtswahl mit der Bevoll-
mächtigung zeitlich zusammenfallen. Zwingend ist dies jedoch nicht; die Rechtswahl kann
vielmehr auch isoliert im Hinblick auf eine künftig zu erteilende Vollmacht oder nachträglich
für eine bereits erfolgte Bevollmächtigung getroffen werden. Im letzteren Fall darf die Voll-
macht allerdings noch nicht ausgeübt worden sein.

Die Rechtswahl ist nur wirksam, wenn sowohl der Vertreter als auch der Dritte von ihr 6.393
Kenntnis erlangt haben. Erforderlich ist sichere positive Kenntnis; fahrlässige Unkenntnis ge-
nügt – anders als nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB – nicht6. Auf die Frage, wie beide Empfänger
diese Kenntnis erlangt haben, kommt es nicht an7. Daher muss die einseitige Rechtswahl
durch den Vollmachtgeber nicht in Form einer empfangsbedürftigen Willenserklärung erfol-
gen8. Die Bevollmächtigung kann etwa aus der beim Vertragsschluss des Vertreters mit dem
Dritten vorgelegten Vollmachtsurkunde ersichtlich sein oder dem Dritten durch den Vertreter
oder den Vollmachtgeber mitgeteilt worden sein9, so dass dieser die Möglichkeit hatte, den
Geschäftsabschluss abzulehnen, wenn er seine Interessen durch das gewählte Vollmachtsstatut

1 So schon die bisher h.L., vgl. Berger, S. 126 ff.; Fischer, IPRax 2005, 269 (272); Ruthig, S. 124 f.;
Kurzynsky-Singer, S. 178; Kropholler, IPR § 41 I 2 e; Voraufl. Rz. 7.377.
2 Vgl. den Vorschlag des Deutschen Rats für IPR, IPRax 2015, 580 f.
3 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (778 ff.).
4 Ruthig, S. 124 f.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (779 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1
Rz. 1031;
5 So schon bisher Siehr, FS Keller (1989), S. 485 (502 f.); Mankowski, TranspR 1991, 253 (264 ff.);
von Bar, Bd. II, Rz. 457, 586; Kropholler, IPR, § 41 I 2e; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 55; 7.
Aufl. Rz. 7.378 m.w.N.
6 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030; Spellenberg in
MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 93.
7 BT-Drs. 653/16 S. 24; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 2; Magnus in Staudinger, Art. 8
EGBGB Rz. 75.
8 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030; Thorn in Palandt,
Art. 8 EGBGB Rz. 2; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 87; a.A. Rademacher, IPRax
2017, 56 (58); Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 21.
9 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 80; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 94
m.w.N.; ebenso schon früher Siehr, FS Keller (1989), S. 485 (502 ff.); Mankowski, TranspR 1991,
253 (264 ff.); Kropholler, IPR § 41 I 2 e; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 55; Lüderitz in Soergel,
Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101.

Hausmann | 611
§ 6 Rz. 6.393 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gefährdet sah. Jedenfalls muss es ausreichen, dass der Dritte in voller Kenntnis der vom Ge-
schäftsherrn in der Vollmachtsurkunde getroffenen Rechtswahl den Hauptvertrag mit dem
Vertreter abschließt1.

6.394 Zwar fehlt in Art. 8 EGBGB eine ausdrückliche Regelung zu dem auf das Zustandekommnen
und die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl anwendbaren Recht. Da der Deutsche Rat
für IPR mit seinem in Art. 8 EGBGB weitgehend übernommenen Vorschlag indessen die Ab-
sicht verfolgt hat, eine Modellregelung für eine künftige europäische Kodifikation des Rechts
der gewillkürten Stellvertretung zu schaffen2, wird man den in Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10
Rom I-VO kodifizierten und auch im sonstigen europäischen Kollsionsrecht anerkannten
Grundsatz, dass das gewählte Recht über das Zustandekommen und die materielle Wirksam-
keit der Rechtswahl befinden soll, auch im Rahmen von Art. 8 EGBGB entsprechend heran-
ziehen können3.

6.395 Während sowohl Art. 14 HStÜ als auch Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO-E vorsehen, dass das anzu-
wendende Recht schriftlich bestimmt sein muss4, stellt Art. 8 Abs. 1 EGBGB für die Rechts-
wahl keine besonderen Formerfordernissse auf5. Daher ist auch die Möglichkeit einer kon-
kludenten Rechtswahl nicht ausgeschlossen; es muss mithin ausreichen, dass sich die Wahl
des Vollmachtstatuts im Wege der Auslegung aus der Vollmachtsurkunde oder dem sonstigen
Schriftverkehr zwischen den Parteien mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt6, z.B.
dadurch, dass der Geschäftsherr den Tätigkeitsbereich des Vertreters in der Vollmachtsurkun-
de ausdrücklich auf ein bestimmtes Land beschränkt. Lässt der Dritte sich trotz Kenntnis die-
ser Beschränkung auf ein Geschäft mit dem Vertreter ein, das dieser weisungswidrig in einem
anderen Land abschließt, so kann er sich auf die Vollmachtsregeln am Gebrauchsort der Voll-
macht nicht berufen7. Darüber hinaus – wie nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO im interna-
tionalen Vertragsrecht allgemein anerkannt (dazu Rz. 2.111 ff.) – kann auch in der Bezugnah-
me auf bestimmte Vorschriften einer nationalen Rechtsordnung in der Vollmachtsurkunde
eine stillschweigende Bestimmung des Vollmachtstatuts liegen8. Zur Form der Vollmachts-
erteilung Rz. 6.452 ff.

3. Allseitige Rechtswahl
6.396 Art. 8 Abs. 1 S. 2 EGBGB eröffnet den Beteiligten – Vollmachtgeber, Vertreter und Drittem –
darüberhinaus die Möglichkeit, eine Rechtswahl für die Vollmacht durch dreiseitigen Vertrag

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 93; ferner Ruthig, S. 124; Schwarz, RabelsZ 71
(2007), 729 (781 ff.).
2 von Hein, IPRax 2015, 578 (579); Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 3.
3 So auch Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 87; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB
Rz. 69; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 36; a.A. Rademacher in NK-BGB, Art. 8
EGBGB Rz. 18 (lex fori).
4 Dafür auch Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (784 ff.).
5 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 15; ebenso etwa § 49 Abs. 1 öst. IPRG; Art. 126 i.V.m.
Art. 116 schweiz. IPRG; Art. 10 Abs. 11 span. CC.; ferner Ruthig S. 127.
6 So zu Recht von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030 a.E.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB
Rz. 37; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 83; ebenso schon vor der Reform Schwarz,
RabelsZ 71 (2007), 729 (785 ff.); a.A. noch Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (835).
7 Raape, S. 503 Fn. 78; Ruthig S. 127.
8 Vgl. zur Erteilung von „Prokura“ Kindler/Brüggemann, RIW 208, 473 (478); Spellenberg in
MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 90; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 72; vgl. schon
öOGH v. 28.9.1989 – 10 Ob 48/89; OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470.

612 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.398 § 6

zu treffen. Ausgeschlossen ist damit einerseits eine Rechtswahlvereinbarung nur zwischen Ver-
treter und Drittkontrahenten. Dadurch soll verhindert werden, dass der Vertreter durch die
Wahl des Vollmachtstatuts seine Vertretungsbefugnisse zu Lasten des Vertretenen eigenmäch-
tig erweitert1. Diese Gefahr besteht freilich dann nicht, wenn der Geschäftsherr den Vertreter
ausdrücklich dazu bevollmächtigt hat, das Vollmachtsstatut mit Wirkung für und gegen ihn
zu wählen2. Ferner kann der Geschäftsherr die Wahlfreiheit des Vertreters auch dadurch be-
grenzen, dass er die von diesem wählbaren Rechte in der Vollmachtsurkunde beschränkt. An-
dererseits bedarf auch der Vertreter gegenüber einer – etwa im Wege einer Außenvollmacht –
nur im Verhältnis zwischen Vollmachtgeber und Drittem getroffenen Rechtswahl des Schut-
zes. Erstreckt man nämlich den Anwendungsbereich des Vollmachtstatuts auch auf die Über-
schreitung der Vertretungsmacht und die Haftung des falsus procurator (dazu Rz. 6.451,
Rz. 6.458 ff.), so könnte sonst durch eine solche Rechtswahl die Haftung des Vertreters ohne
sein Wissen begründet oder erweitert werden3. Aus diesem Grunde verlangt Art. 8 Abs. 1 S. 1
EGBGB für die Wirksamkeit der – insbesondere nachträglichen – Rechtswahl durch einseitige
Erklärung des Vollmachtgebers, dass diese nicht nur dem Drittkontrahenten, sondern auch
dem Bevollmächtigten bekannt sein muss.

Während die einseitige Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB vom Vollmachtgeber not- 6.397
wendig vor Ausübung der Vollmacht getroffen werden muss, stellt Satz 2 klar, dass die allseiti-
ge Rechtswahl durch dreiseitigen Vertrag „jederzeit“ vereinbart werden kann. Damit wird den
Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt, das zuvor durch einseitige Rechtswahl des Vollmacht-
gebers nach Satz 1 gewählte oder das kraft objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-5
EGBGB maßgebliche Recht, das ein wirksames Zustandekommen des Hauptvertrags zwischen
Vollmachtgeber und Drittem verhindert, noch nachträglich abzuwählen und durch ein Recht
zu ersetzen, das den geschlossenen Vertrag nachträglich heilt4. Aus diesem Grunde betont das
Gesetz in Satz 3 ausdrücklich den Vorrang der Rechtswahl nach Satz 2 vor jener nach Satz 1.
Auch die allseitige Rechtswahl bedarf keiner besonderen Form und kann sich daher konklu-
dent aus der dreiseitigen Vereinbarung ergeben5. Für das Zustandekommen und die materiell
Wirksamkeit des Vertrages gilt wiederum das gewählte Recht6.

III. Objektive Anknüpfung


1. Sonderanknüpfung der Vollmacht
In Ermangelung einer – bisher in der Vertragspaxis eher seltenen – Rechtswahl wurde die 6.398
Vollmacht im Verhältnis des Vertretenen zur dritten Partei, der gegenüber der Vertreter das

1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470; Spellenberg in MünchKomm,
vor Art. 11 EGBGB Rz. 90.
2 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (787 f.); Verhagen, S. 356 f.; de Quenaudon, Rev.crit.d.i.p. 73
(1984), 597 (601).
3 So schon die bisher h.M., vgl. OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470; Loo-
schelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Kurzynsky-Singer, S. 178; Schwarz, RabelsZ 71 (2007),
729 (788 ff.) m.w.N.; a.A. Ruthig, S. 124 f. Demgegenüber wollte der Kommissionsvorschlag zur
Rom I-VO von 2005 (Rz. 6.382 f.) das Problem durch eine Einschränkung der Rechtswahl lösen.
Denn in Art. 7 Abs. 4 Rom-I-VO-E wird hinsichtlich der Haftung des falsus procurator nur auf
Abs. 2, nicht auf Abs. 3 verwiesen; die Haftung wird mithin stets objektiv angeknüpft.
4 Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB
Rz. 98.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 99.
6 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 17.

Hausmann | 613
§ 6 Rz. 6.398 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtsgeschäft vornahm, schon bisher gesondert angeknüpft. Maßgebend war also nicht das
Recht, dem das von dem Bevollmächtigten mit dem Dritten abgeschlossene bzw. abzuschlie-
ßende Rechtsgeschäft unterlag, sondern ein eigenes Vollmachtsstatut1.
BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, DB 1958, 363 und 1010 = IPRspr. 1958/59 Nr. 38
„Nach deutschem IPR ist die Vollmacht ein selbständiges Rechtsgeschäft, die deshalb einem besonde-
ren Vollmachtstatut und grundsätzlich nicht dem Statut unterliegt, das für die Handlung maßgeblich
ist, die aufgrund der Vollmacht vorgenommen wird oder werden soll.

6.399 Zwar wurde – im Anschluss an ausländische Vorbilder2 – in der Literatur noch bis zur Neu-
regelung in Art. 8 EGBGB für eine einheitliche Anknüpfung von Vertretergeschäft und Voll-
macht plädiert3. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass auf diese Weise die z.T.
schwierigen Abgrenzungsprobleme zwischen Geschäfts- und Vollmachtsstatut (dazu
Rz. 6.473 ff.) vermieden würden und das Bedürfnis entfiele, neben dem Geschäftsstatut des
Hauptvertrages und dem Statut des der Vollmacht zugrundeliegenden Geschäfts u.U. ein drit-
tes Recht zu ermitteln4. Ferner würde durch eine akzessorische Anknüpfung der Vollmacht an
das Statut des Hauptvertrages auch der gebotene Schutz des Drittkontrahenten erreicht, weil
dieser das für die Vollmacht maßgebende Recht auf diese Weise unschwer erkennen könnte.
Diese Ansicht berücksichtigte jedoch einerseits nicht hinreichend die Interessen des Voll-
machtgebers, der dann auf die Bestimmung des Rechts, das die Voraussetzungen und Wirkun-
gen einer gültigen Vollmachtserteilung regelt, keinen Einfluss gehabt hätte5; andererseits muss
auch der Vertreter davor geschützt werden, dass Prinzipal und Drittkontrahent durch eine für
den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl eine für den Vertreter nicht vorhersehbare Haftung
als falsus procurator begründen. Außerdem hätten die an den Vertragsverhandlungen Beteilig-
ten vor dem Abschluss des Hauptvertrages keine Möglichkeit, den Bestand und die Reichweite
der Vertretungsbefugnisse zu überprüfen6.

6.400 Die Sonderanknüpfung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Bevollmächtigung als eigen-
ständiges Rechtsgeschäft in ihren Voraussetzungen und Wirkungen vom Vertretergeschäft
unabhängig ist. Dieser Wertung des deutschen materiellen Rechts ist auch im Rahmen der

1 BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487; BGH v. 13.5.1982 – III
ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 26.4.1990 –
VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220) =
EWiR 1990, 1087 m. Anm. Reithmann; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW
2004, 1315 (1316); OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990,
320 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) = RIW 1990, 226; OLG Brandenburg v. 31.7.2007 – 6
U 46/06, IPRspr. 2007 Nr. 27; Raape, S. 503; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (203 f.); Ke-
gel/Schurig, IPR § 17 V 2a; von Bar, Bd. II Rz. 586; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744 ff.)
m.w.N.
2 Insbesondere das engl. Recht tendiert nach wie vor zu einer akzessorischen Anknüpfung der Voll-
macht an das Recht des Hauptvertrags, vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (745 f.) m.w.N.
3 Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 236 ff.; Spellenberg, S. 225 f.; Spellenberg in
MünchKomm, 6. Aufl., vor Art. 11 EGBGB Rz. 81, 98 ff.; ebenso wieder Kleinschmidt, RabelsZ 75
(2011), 497 (512 ff.).
4 Spellenberg, S. 125 ff.; Starace, S. 75 ff., 92 ff.
5 von Bar, Bd. II Rz. 586; von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 49; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); Ruthig,
S. 32; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (743); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (44 f.). Allein der
über Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO gewährleistete Schutz reicht – entgegen Spellenberg in Münch-
Komm, 6. Aufl., vor Art. 11 EGBGB Rz. 113 ff. – nicht aus.
6 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744).

614 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.402 § 6

kollisionsrechtlichen Anknüpfung Rechnung zu tragen, weil beide Rechtsgeschäfte ganz unter-


schiedliche räumliche Schwerpunkte haben können1. So mag der Schwerpunkt des Haupt-
geschäfts am Sitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verkäufers liegen, weil dieser die für
den Vertrag charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO), für die Voll-
macht hingegen am Sitz des Käufers, weil der Vertrag durch den Bevollmächtigten des Ver-
käufers dort ausgehandelt und abgeschlossen wurde. Für die rechtsgeschäftliche Vertretung
kann insoweit nichts anderes gelten als für die organschaftliche und die sonstige gesetzliche
Vertretung, die ebenfalls unabhängig vom Vertretergeschäft angeknüpft werden (vgl.
Rz. 6.141 ff. und Rz. 6.1103 ff.). Diese kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen Voll-
macht und Hauptgeschäft wird mittelbar bestätigt durch Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO, wo-
nach die Vorschriften der Art. 3 ff. Rom I-VO über die Anknüpfung internationaler Schuld-
verträge gerade nicht auf die Frage anzuwenden sind, ob ein Vertreter die Person, für deren
Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann. Vor diesem Hinter-
grund wird die Vollmacht auch im Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 11
HStÜ; dazu Rz. 6.493 f.) sowie in den meisten europäischen IPR-Kodifikationen gesondert
angeknüpft2.

Aus diesen Gründen hat sich auch der Gesetzgeber in Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB der schon zu- 6.401
vor in Rechtsprechung und Literatur h.M. von der Sonderanknüpfung der Vollmacht ange-
schlossen.

Andererseits wird das Vollmachtstatut aber – anders als z.B. im früheren französischen IPR3 – 6.402
auch nicht durch das der Vollmachtserteilung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das
Grund- oder Innenverhältnis (z.B. Handelsvertretervertrag, Auftrag, Geschäftsbesorgung
u.Ä.) bestimmt. Ebenso wie im deutschen Sachrecht muss auch im deutschen IPR zwischen
Innen- und Außenverhältnis deutlich unterschieden werden, auch wenn das auf die Voll-
macht anwendbare ausländische Sachrecht diese Trennung nicht vornimmt4. Dafür spricht
vor allem der gebotene Schutz des Drittkontrahenten, der das Bestehen und den Umfang der
Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen können muss; diese Voraussetzung wäre
bei einer akzessorischen Anknüpfung der Vollmacht an das ihr zugrunde liegende Auftrags-
verhältnis zwischen Vertreter und Vollmachtgeber nicht gewährleistet5. Demgemäß entschei-
det das Vollmachtstatut – und nicht das Statut des Innenverhältnisses – auch darüber, ob und
in welchem Umfang aus einer bestimmten Stellung des Vertreters im Innenverhältnis zum
Vertretenen (z.B. aus einem Anstellungsvertrag, vgl. § 56 HGB) die Vermutung einer Bevoll-
mächtigung im Außenverhältnis folgt.

1 Vgl. Kropholler, IPR, § 41 I 1b; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (44);
Looschelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 4.
2 So z.B. in den EU-Mitgliedstaaten Belgien, Bulgarien, Estland, Italien, Liechtenstein, Litauen, den
Niederlanden, Österreich, Portugal, Rumänien und Spanien sowie in der Schweiz; vgl. dazu
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744 ff.) m. Nachw.
3 Das französ. IPR unterwarf die Vollmacht bis zum Inkrafttreten des Haager Stellvertretungsüber-
einkommens von 1978 (dazu Rz. 6.491 ff.) für Frankreich im Jahre 1992 in Ermangelung einer
ausdrücklichen Rechtswahl dem gleichen Recht, dem auch das Innenverhältnis unterlag („man-
dat“), vgl. Gulphe, J.C.P. 1978.II.18821; Batiffol/Lagarde, II n. 603.
4 Pfister, S. 74 ff.; Makarov, S. 51 f.; Verhagen, S. 108 f.; Spellenberg in MünchKomm, 6. Aufl., vor
Art. 11 EGBGB Rz. 81; a.A. aber noch Mäsch, FS Schurig (2012), S. 147 ff.
5 Zutr. von Bar, Bd. II Rz. 587; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (742) m.w.N. Auch das schweiz.
Recht trennt in Art. 126 Abs. 1 und 2 IPRG scharf zwischen Innen- und Außenverhältnis, vgl.
Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 9 f.

Hausmann | 615
§ 6 Rz. 6.403 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Anknüpfungen nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB


a) Allgemeine Grundsätze
aa) Vorrang vor der Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht
6.403 Der Grundsatz, dass Vollmachtstatut das Recht des Landes ist, in dem der Vertreter mit Wil-
len des Vollmachtgebers von der Vollmacht tatsächlich Gebrauch macht, erlitt schon im bis-
herigen Recht gewisse Einschränkungen, wenn dieser Gebrauchsort eher zufällig war, weil der
Vertreter – für den Drittkontrahenten erkennbar – mit einer bestimmten anderen Rechtsord-
nung stärker verbunden war1. Im Interesse der Rechtssicherheit müssen die Fälle, in denen
von der Anknüpfung an den tatsächlichen Gebrauchsort abgewichen wird, freilich klar um-
grenzt werden; eine allgemeine Korrektur zugunsten einer Anknüpfung an die engste Verbin-
dung kommt daher nicht in Betracht. In diesem Sinne hat sich auch der Reformgesetzgeber in
Ermangelung einer Rechtswahl in Art. 8 Abs. 2-7 EGBGB für ein ausdifferenziertes System
objektiver Anknüpfungen entschieden. Dieses orientiert sich zwar am bisherigen Richterrecht,
setzt aber auch eigene Akzente. Dazu gehört insbesondere, dass die frühere Grundsatz-
anknüpfung an das Recht des Gebrauchsorts oder Wirkungslandes (dazu Rz. 6.416 ff.) nach
Abs. 5 nur noch subsidiär gilt, wenn sich das anzuwendende Recht nicht bereits aus den Ab-
sätzen 2-4 ergibt2. Sowohl die einem Unternehmer wie einem Arbeitnehmer erteilte Voll-
macht als auch eine auf Dauer angelegte Vollmacht werden also nicht nur – wie schon nach
bisherigem Recht3 – gesondert angeknüpft; vielmehr hat diese Anknüpfung nach der Neu-
regelung ausdrücklich Vorrang vor der Gebrauchsortanknüpfung. Denn letztere kommt nach
Abs. 5 nur noch zur Anwendung, wenn sich „das anzuwendende Recht nicht aus den Absät-
zen 1-4 (ergibt)“. Dieser Rangordnung liegt die Überlegung zugrunde, dass die Teilnehmer
am Wirtschaftsleben ein Interesse daran haben, dass für Vollmachten im Falle ihrer mehr-
fachen Ausübung möglichst immer das gleiche ihnen bekannte Recht gelten sollte. Der Um-
fang der Vertretungsmacht des Bevollmächtigten soll also nicht davon abhängen, wo von der
Vollmacht im konkreten Einzelfall – häufig zufällig – Gebrauch gemacht wird4.

bb) Erkennbarkeit der Anknüpfung


6.404 Der erforderliche Schutz des Drittkontrahenten wird in den Fällen des Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB
dadurch gewährleistet, dass der hiernach für die Anknüpfung der Vollmacht maßgebliche Ort
für den Dritten erkennbar gewesen sein muss. Darauf, ob dieser Ort auch für den Vertreter
oder den Vollmachtgeber erkannbar war, kommt es nach dem Zweck dieser Einschränkung
nicht an. Dies gilt auch dann, wenn die Vollmacht dem Dritten vom Vertretenen als Außen-
vollmacht erteilt wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Erkennbarkeit ist der Zeitpunkt un-
mittelbar vor Abgabe der auf den Abschluss des Hauptvertrags gerichteten Willenserklärung
des Dritten. Dieser soll nämlich vom Vertragsschlusss mit dem Bevollmächtigten noch Ab-
stand nehmen können, wenn er die Gültigkeit von dessen Vollmacht nach dem auf sie gemäß
Abs. 2-4 anwendbaren Recht nicht überprüfen kann5

1 Vgl. insb. Lüderitz, FS. Coing II (1982), S. 305 (318 f.), der als Regelanknüpfung auf das Recht
abstellt, unter dem der Vertreter erkennbar auftritt.
2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 103 ff., der von „Anknüpfungsleiter“ spricht.
3 Vgl. Voraufl. Rz. 7.366 ff. m. ausf. Nachw.
4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 83.
5 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 64.

616 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.407 § 6

An die Erkennbarkeit ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Es kommt also darauf an, ob ein 6.405
vernünftiger durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer in der konkreten Situation des Dritten
den für die Anknüpfung maßgeblichen Ort erkannt hätte. Subjektive Einschränkungen der
Erkennbarkeit in der Person des Dritten bleiben außer Betracht1. Darüberhinaus muss für
den Dritten auch erkennbar gewesen sein, dass der Vertreter von der Vollmacht nach Abs. 2
„in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit“ und nach Abs. 3 „als Arbeitnehmer des
Vollmachtgebers“, also nicht als Privatmann, Gebrauch gemacht hat2. Positive Kenntnis wird
allerdings – anders als bei der einseitigen Rechtswahl durch den Vollmachtgeber nach Abs. 1
S. 1 – nicht gefordert; vielmehr steht auch die fahrlässige Unkenntnis des Dritten einer An-
wendung der Abs. 2-4 nicht entgegen3. Aus der Formulierung dieser Voraussetzung („es sei
denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar“) folgt, dass eine Vermutung für die Er-
kennbarkeit spricht, die vom Dritten zu widerlegen ist, wenn er sich auf die mangelnde Er-
kennbarkeit beruft4. Fehlt es an der Erkennbarkeit der für die Anknüpfung der Vollmacht
nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB maßgeblichen Kriterien für den Dritten, ist auf die Vollmacht
die Auffangregelung in Art. 8 Abs. 5 EGBGB anzuwenden.

cc) Sachnormverweisung
Die drei Sonderanknüpfungen in Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB stimmen weiterhin darin überein, 6.406
dass jeweils ausdrücklich auf die „Sachvorschriften“ des zur Anwendung berufenen Rechts
verwiesen wird. Eine Rück- oder Weiterverweisung durch das Recht am gewöhnlichen Aufent-
halt des Bevollmächtigten nach Abs. 2 oder am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers
nach Abs. 3 – z.B. auf das Recht des tatsächlichen Gebrauchsorts der Vollmacht – ist vom
deutschen Richter daher nicht zu beachten. Damit folgt der deutsche Gesetzgeber den Vor-
gaben des Unionsrechts, wonach das bisher kodifizierte IPR der Rechtsgeschäfte nur Sach-
normverweisungen enthält (vgl. Art. 20 Rom I-VO). Denn andernfalls wäre „die gerade im
internationalen Stellvertretungsrecht besonders bedeutsame Voraussehbarkeit des zur Anwen-
dung berufenen Rechts ... gefährdet“5. Dementsprechend wurde schon bisher angenommen,
dass die Befolgung eines Renvoi im Recht der gewillkürten Stellvertretung dem „Sinn der Ver-
weisung“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB widersprechen würde, weil der mit der Sonderan-
knüpfung der Vollmacht angestrebte Verkehrsschutz auf diese Weise verfehlt würde6. Wurde
das Vollmachtsstatut durch Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB bestimmt, ergibt sich der
Ausschluss des Renvoi bereits aus Art. 4 Abs. 2 EGBGB.

b) Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit durch den Bevollmächtigten, Abs. 2


Die erste Sonderanknüpfung in Art. 8 EGBGB betrifft Vollmachten, die „in Ausübung einer 6.407
unternehmerischen Tätigkeit“ verwendet werden, Abs. 2. Sie werden an das Recht des Staates
angeknüpft, in dem der Bevollmächtigte zur Zeit der Ausübung der Vollmacht seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt hat, sofern dieser für den Dritten erkennbar war. Der gewöhnliche

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 65.


2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 109.
3 Rademacher, IPRax 2017, 56 (59); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 41.
4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 27.
5 BT- Drucks. 18/10714, 24; zust. von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1069; Stürner in Erman, Art. 8
EGBGB Rz. 13, 20; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3 a.E.; Magnus in Staudinger, Art. 8
EGBGB Rz. 21; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 7.
6 Kropholler, IPR, § 41 I 4; von Bar, Bd. II Rz. 589; IPG 2000/01 Nr. 7 (Köln); 7. Aufl. Rz. 7.385
m.w.N.

Hausmann | 617
§ 6 Rz. 6.407 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Aufenthalt solcher unternehmerisch tätiger Bevollmächtigter wird gemäß Art. 8 Abs. 8


EGBGB i.V.m. Art. 19 EGBGB bestimmt, d.h. maßgebend ist die Hauptniederlassung des Un-
ternehmens, in dem der Bevollmächtigte die Vollmacht ausübt, oder die Zweigniederlassung,
von der aus er für den Dritten erkennbar tätig wird (Rz. 6.443 f.). Diese Abweichung von der
Grundsatzanknüpfung an das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht war schon bisher in
Rechtsprechung und Literatur vorherrrschend.

6.408 Für den Begriff der „unternehmerischen Tätigkeit“ gilt der Maßstab des § 14 BGB1. Erforder-
lich ist danach eine gewerbliche oder selbständige unternehmerische Tätigkeit2. Insbesondere
die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht von Personen, die ein Unternehmen selbständig im
Ausland vertreten, unterliegt daher nach Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 8 EGBGB und Art. 19 Abs. 2
Alt. 1 Rom I-VO dem Recht am Ort der ausländischen Niederlassung. Dies gilt vor allem
für selbständige Handelsvertreter (vgl. § 84 HGB) mit einem festen Geschäftssitz im Ausland,
soweit diese von ihrer Niederlassung aus handeln3. Die in der bisherigen Rechtsprechung vor
allem für ständige Vertreter eines Unternehmens im Ausland entwickelten Grundsätze zur
Anknüpfung der Vollmacht gelten nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB auch für nicht ständige Vertre-
ter, sofern diese eine selbständige Stellung im Wirtschaftsleben einnehmen und ihre Tätigkeit

1 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1042; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 38; Magnus in
Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 89.
2 Zum weiten Begriff der „unternehmerischen“ Tätigkeit in Abs. 2 Spellenberg in MünchKomm,
Art. 8 EGBGB Rz. 109.
3 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 38; vgl. zum
bisherigen Recht RG v. 5.12.1896, RGZ 38, 194 (196) (Ständiger Vertreter einer deutschen Spediti-
onsfirma in London. Vollmacht nach engl. Recht beurteilt, denn „ein Kaufmann, der einen Agen-
ten für einen bestimmten örtlichen Bezirk des Auslandes einsetzt, unterwirft sich damit auch den
Rechtssätzen, die für diese Art der Bevollmächtigung an dem auswärtigen Platz, wo der Agent sei-
ne Tätigkeit entfalten soll, gelten“); KG v. 30.5.1932, IPRspr. 1932 Nr. 25 (Ständiger Vertreter eines
deutschen Konzerns in den Niederlanden. Vollmacht nach niederl. Recht beurteilt, weil „über den
Umfang der Vollmacht ständiger Vertreter, Agenten und Filialen im Ausland das Recht der Nie-
derlassung entscheidet, von dem aus sie Geschäfte des Prinzipals betreiben“); BGH v. 29.11.1961 –
VIII ZR 146/60, JZ 1963, 167 m. Anm. Lüderitz (Vollmacht einer deutschen Maklerfirma mit Sitz
in Hamburg zur Weiterveräußerung von Aprikosenkernen nach deutschem Recht beurteilt: „Voll-
machtstatut ist jedenfalls in Fällen, in denen der Bevollmächtigte seine charakteristische Berufs-
tätigkeit von einer ständigen Niederlassung ausübt, das Recht dieses Ortes“); ferner RG v. 3.4.1902,
RGZ 51, 147 (149); RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73; BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR
304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487; OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 23/06, GmbHR
2006, 603 = NJW-RR 2006, 1042 = DNotZ 2006, 871; LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89,
IPRax 1990, 315 (m. Anm. Reinhart, IPRax 1990, 389); zust. Rabel, RabelsZ (1929), 807 (813 f.);
von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.; Kayser, S. 136 (145); Klinke, RIW 1978, 649 f.; Kropholler,
IPR, § 41 I 2b; Niemann, S. 50; Ruthig, S. 154 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 747 ff. m.w.N. Teil-
weise wurde die Vertretungsmacht von ständigen Handelsvertretern im Ausland bis zur Kodifika-
tion jedoch auch dem – mit dem Niederlassungsrecht allerdings jeweils identischen – Recht des
Wirkungslandes unterstellt, vgl. RG v. 14.6.1923, Recht 1923 Nr. 1222 (Ständiger Vertreter einer
dän. Firma in Deutschland. Vollmacht nach deutschem Recht beurteilt als dem „Recht des Landes,
wo der Bevollmächtigte die ihm aufgetragene Tätigkeit entfaltet, die Vollmacht sich also aus-
wirkt“); BGH v. 26.6.1968 – VIII ZR 104/66, VersR 1968, 995 (Ständiger Vertreter einer nieder-
länd. Versicherungsgesellschaft in Deutschland. Vollmacht nach deutschem Recht beurteilt als
dem „Recht des Ortes, an dem die Vollmacht gebraucht wird“); vgl. ferner RG v. 23.3.1929, SA 83
Nr. 153; OLG Hamburg v. 26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1459, 1396. Für eine Anknüpfung an den
tatsächlichen Gebrauchsort der Vollmacht ständiger Vertreter früher auch von Bar, Bd. II Rz. 592;
Schäfer, RIW 1996, 189 (192); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45); Kurzynsky-Singer, S. 171 ff.

618 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.409 § 6

von einer festen Niederlassung aus entfalten1. Für angestellte Firmenvertreter, die eine Zweig-
stelle oder Zweigniederlassung im Ausland leiten, ist hingegen auf Art. 8 Abs. 3 EGBGB abzu-
stellen. Handelt der Vertreter ausnahmweise nicht in Ausübung seiner unternehmerischen Tä-
tigkeit, sondern verwendet er die ihm erteilte Vollmacht zu privaten Zwecken, so gilt Abs. 4,
wenn es sich um eine Dauervollmacht handelt, sonst Abs. 52.

Für die Anknüpfung der Vollmacht an das Niederlassungsrecht unternehmerisch tätiger Ver- 6.409
treter spricht vor allem, dass es sich hierbei um ein bereits vor Verhandlungsbeginn festste-
hendes, in der Praxis für den Geschäftsherrn wie für den Drittkontrahenten gleichermaßen
leicht feststellbares und damit – im Gegensatz zum häufig zufälligen Gebrauchsort – um ein
nur wenig manipulationsanfälliges Kriterium handelt, das ein hohes Maß an Rechtssicherheit
in Vertretungsfragen gewährleistet3. Diese Anknüpfung trägt dem Umstand Rechnung, dass
unternehmerisch tätigen beruflichen Vertretern, insbesondere Handelsvertretern und Rechts-
anwälten, im internationalen Rechtsverkehr heute eine ganz wesentliche Funktion bei der Ver-
tragsanbahnung zukommt. Denn an ihrer Niederlassung werden grenzüberschreitende Ver-
träge i.d.R. nicht nur maßgeblich vorbereitet, sondern häufig auch abgeschlossen und bera-
tend weiter begleitet4. Für den Rechtsverkehr ist daher i.d.R. ohne Weiteres erkennbar, dass
der Vertreter eines ausländischen Unternehmens seine Tätigkeit auf dem Boden seines Nie-
derlassungsrechts entfaltet5; mit diesem Recht sind daher die Fragen der Wirksamkeit und des
Umfangs seiner Vertretungsbefugnisse am engsten verbunden6. Daher hat auch der Vertreter
selbst ein berechtigtes Interesse an der Geltung seines Niederlassungsrechts; denn nur dieses
ermöglicht ihm eine sichere Einschätzung seiner Vertretungsbefugnisse (und damit der Risi-
ken einer etwaigen Haftung als falsus procurator), und zwar einheitlich für alle von ihm ver-
tretenen Unternehmen7. Aus diesem Grunde wird der – dem Drittkontrahenten bekannte
oder erkennbare – Geschäftssitz des berufsmäßigen Vertreters auch in zahlreichen auslän-
dischen Rechten als Primäranknüpfung für seine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht be-
stimmt, so z.B. in Bulgarien (Art. 62 Abs. 1 IPRG 2005), Italien (Art. 60 Abs. 1 S. 1 IPRG

1 S. i.d.S. schon BGH v. 13.7.1954 – I ZR 60/53, NJW 1954, 1561 (Hamburger Firma als Cif-Agentin
eines türk. Abladers: „In jedem Fall erscheint die Ausdehnung des Wirkungsstatuts auf nichtstän-
dige Vertreter dann geboten, wenn es sich um eine kaufmännische Vollmacht handelt, und der
Bevollmächtigte eine selbständige Berufstätigkeit im Wirtschaftsleben ausübt“); BGH v. 26.4.1990
– VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220) =
EWiR 1990, 1087 m. Anm. Reithmann (Befugnis des nicht ständigen Vertreters einer engl. part-
nership, von seiner Niederlassung in England aus Prozessvollmacht für einen Rechtsstreit vor
deutschen Gerichten zu erteilen, nach engl. Niederlassungsrecht beurteilt); ferner OLG Frankfurt
v. 17.4.1984 – 5 U 116/83, TranspR 1985, 139 (140) (Inkassovollmacht); von Caemmerer, RabelsZ
24 (1959), 201 (206); Ferid, IPR Rz. 5–147.
2 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 92; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 127.
3 Diloy, S. 306 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (748); Verhagen, S. 111.
4 Dorsel, MittRheinNotK 1997, 6 (10); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (749); Rueda Valdivia,
S. 218 ff.
5 Ruthig, S. 139 f.
6 Die Anknüpfung der Vollmacht an die geschäftliche Niederlassung des unternehmerisch tätigen
Vertreters bewirkt i.d.R. auch einen Gleichlauf des Vollmachtstatuts mit dem Statut des Innenver-
hältnisses zwischen Geschäftsherr und Vertreter, da letzterer typischerweise die charakteristische
Leistung des Vertretervertrages erbringt (vgl. Art. 4 Abs. 2b Rom I-VO); dazu Verhagen, S. 111;
Rueda Valdivia, S. 219 f.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (749).
7 Ruthig, S. 154 ff. (171 ff.); Ackmann, IPRax 1991, 220 (222); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729
(749); a.A. Kurzynsky-Singer, S. 158 f. (164 f.).

Hausmann | 619
§ 6 Rz. 6.409 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

1995) und der Schweiz (Art. 126 Abs. 2 IPRG)1 sowie grundsätzlich auch in Österreich (Art. 49
Abs. 2 IPRG)2 und Liechtenstein (Art. 53 Abs. 2 IPRG). Gleiches gilt nach Art. 11 Abs. 1
HStÜ in Frankreich, den Niederlanden und Portugal. Für diese Lösung hatte sich auch die
EU-Kommission schon in Art. 7 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 18 Rom I-VO-E ausgesprochen (vgl.
Rz. 6.383).

6.410 Die Sonderanknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB wirkt sich vor allem dann aus, wenn der
Vertreter von der Vollmacht ausnahmsweise außerhalb seines Niederlassungsstaates Ge-
brauch macht, sofern nur dem Dritten das Handeln von einer festen Niederlassung aus – z.B.
aufgrund des verwendeten Briefkopfs – erkennbar ist3. Denn nur in diesen Fällen erlangt die
Anknüpfung an die Niederlassung eigenständige Bedeutung gegenüber der grundsätzlichen
Anknüpfung an den Gebrauchsort. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Generalvertreter
mit fester Niederlassung für mehrere Länder bestellt ist (z.B. Generalvertreter einer ame-
rikanischen Firma für Europa mit Sitz in Paris). In diesen Fällen hat das Interesse des Dritt-
kontrahenten an der leichten Nachprüfbarkeit des Umfangs der Vollmacht nach Maßgabe sei-
nes „Umweltrechts“ zurückzutreten hinter das Interesse des jeweiligen Vertreters einerseits,
der wissen will, was er darf, und sich dabei an das Recht seiner ständigen Niederlassung halten
möchte, und das Interesse des Vollmachtgebers andererseits, dem bei Geltung des Niederlas-
sungsrechts des Vertreters bekannt ist, mit welchem Umfang der Vertretungsmacht er zu rech-
nen hat, und der vermeiden möchte, dass die Reichweite der Vollmacht je nach Gebrauchsort
variiert4. Der Schutz des Dritten beschränkt sich hier also darauf, dass er leicht erkennen
kann, welches Recht gilt; über den Inhalt dieses Rechts muss er sich nötigenfalls selbst infor-
mieren. Daraus folgt andererseits, dass eine Anknüpfung an das Niederlassungsrecht des stän-
digen Vertreters dann ausscheidet, wenn sein Handeln von einer bestimmten Niederlassung
aus für den Dritten nicht erkennbar ist; insoweit verbleibt es vielmehr bei der Anknüpfung an
den realen Gebrauchsort, Abs. 5 S. 15.

c) Vom Arbeitgeber bevollmächtigter Arbeitnehmer, Abs. 3


6.411 Wird die Vollmacht in einem Unternehmen oder Betrieb an Personen erteilt, die nicht unter-
nehmerisch tätig, sondern als Arbeitnehmer abhängig beschäftigt sind und in dieser Funktion
von der Vollmacht Gebrauch machen, so wird das Vollmachtstatut hingegen nicht durch den
gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten, sondern nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB durch

1 Vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 41; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1018 f.
2 Vgl. öst. OGH v. 21.2.1985, ZfRV 1987, 53 (62); öst. OGH v. 11.10.1995, SZ 68/181, 415; öst.
OGH v. 22.10.2001, SZ 74/177, 366; Lurger, IPRax 1996, 54 (57).
3 S. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207); Kropholler, IPR, § 41 I 2; Ruthig, S. 40;
Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101; a.A. G. Fischer, S. 298 f.; Steding, ZVglRW
86 (1987), 25 (45); IPG 2000/01 Nr. 3 (Köln).
4 S. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207); Kropholler, IPR, § 41 I 2; a.A. G. Fischer, S. 298 f.;
Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45).
5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 93; vgl. schon
früher Klinke, RIW 1978, 642 (649); Ruthig, S. 156 ff.; Kropholler, IPR § 41 I 2 b; Schwarz, RabelsZ
71 (2007), 729 (751 ff.) m.w.N.; ferner etwa Art. 126 Abs. 2 schweiz. IPRG und Art. 60 Abs. 1 S. 2
ital. IPRG; anders Art. 11 Abs. 1 HStÜ und Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO-E, die an die Niederlas-
sung des Vertreters ohne Rücksicht auf deren Erkennbarkeit für den Dritten anknüpfen. Vgl. auch
BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192) (Vollmacht des in Zürich zugelassenen
schweiz. Anwalts von A. Solschenizyn zum Abschluss eines Verlagsvertrages in Deutschland nicht
nach dem schweiz. Recht des Kanzleisitzes, sondern nach deutschem Recht beurteilt).

620 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.413 § 6

den gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitgebers als Vollmachtgeber bestimmt. Denn die Voll-
macht wird i.d.R. im Rahmen und Interesse des Betriebs des Arbeitgebers ausgeübt. Auch die-
se Anknüpfung hatte schon in der bisherigen Rechtsprechung Vorrang vor der Anknüpfung
an den Gebrauchsort im Einzelfall1. Gemäß Art. 8 Abs. 8 EGBGB i.V.m. Art. 19 Abs. 1 Rom I-
VO führt diese Anknüpfung im Regelfall zum Recht der Hauptniederlassung des Unterneh-
mens, in dem der bevollmächtgte Arbeitnehmer tätig ist. Denn auch abhängig beschäftigte
Vertreter sind für den Drittkontrahenten erkennbar sehr eng mit ihrem Unternehmen ver-
bunden, so dass es gerechtfertigt erscheint, ihre Vertretungsbefugnisse auch dann dem Recht
der Hauptniederlassung des Unternehmens (bzw. dem Recht der Zweigniederlassung, in wel-
cher der Arbeitnehmer beschäftigt ist) zu unterwerfen, wenn sie von der Vollmacht aus-
nahmsweise in einem anderen Land Gebrauch machen2. Auf den gewöhnlichen Aufenthalts-
oder Arbeitsort des Arbeitnehmers kommt es hingegen ebensowenig an wie auf Recht, dem
das Arbeitsverhältnis unterliegt. Voraussetzung ist freilich nach Abs. 3 letzter Halbsatz wiede-
rum, dass die Zuordnung des Vertreters zu einer bestimmten (Haupt- oder Zweig-) Nieder-
lassung des Arbeitgebers für den Dritten erkennbar ist3.

Arbeitnehmer ist jeder in einen Unternehmen abhängig Beschäftigte, soweit er i.S.v. § 611a 6.412
BGB der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt. Zur Auslegung kann auch auf den Ar-
beitnehmerbegriff in Art. 8 Rom I-VO und Art. 20 ff. Brüssel Ia-VO rekurriert werden4. Da
eine Abgrenzung zwischen leitenden Angestellten und sonstigen Arbeitnehmern eines Unter-
nehmens anhand der ausgeübten Tätigkeit nicht leicht fällt und für den Drittkontrahenten
nur schwer erkennbar ist, gilt Art. 8 Abs. 3 EGBGB auch für Vollmachten von abhängig Be-
schäftigten, denen in einem Unternehmen Leitungsfunktionen übertragen sind, insbesondere
für Prokuristen5. Denn auch in ihrem Umfang zwingend gesetzlich geregelte Vollmachten
wie die Prokura (vgl. § 49 Abs. 1, § 50 HGB) fallen in den Anwendungsbereich von Art. 8
EGBGB, weil auch sie – anders als die Vertretungsmacht von Gesellschaftsorganen (dazu
Rz. 6.141 ff.) – auf einem Akt der Selbstbestimmung des Vollmachtgebers, d.h. auf Rechts-
geschäft beruhen6.

Statut der Prokura (wie auch der Handlungsvollmacht, vgl. § 54 HGB) ist daher – unabhängig 6.413
davon, wo der Prokurist (bzw. Handlungsbevollmächtigte) von seiner Vertretungsmacht im Ein-
zelfall Gebrauch macht – das am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers, d.h. an der

1 LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89, IPRax 1990, 315 (m. Anm. Reinhart, IPRax 1990, 389); LG
Mannheim v. 10.11.2017 – 7 O 28/16, BeckRS 2017, 146786 (Rz. 36).
2 Vgl. schon Kropholler, IPR § 41 I 2 c, sowie in der Schweiz Art. 126 Abs. 3 IPRG.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 97; Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729 (755 ff.). Vgl. aber
auch BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316) (vom Direktor
einer schweizerischen AG ausgestellte Vollmacht zur Scheckausstellung und -hingabe durch den
bevollmächtigten Mitarbeiter in Deutschland nach deutschem Recht beurteilt).
4 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1047; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 95.
5 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 39; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 123; Stürner in Erman, Art. 8
EGBGB Rz. 24, jeweils zu Art. 8 EGBGB.
6 Mankowski in BeckOGK, Rz. 201; Magnus in Staudinger, Rz. 38; Spellenberg in MünchKomm,
Rz. 59; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 22; Rademacher in NK-BGB, Rz. 7, jeweils zu Art. 8 EGBGB;
vgl. schon von Caemmerer RabelsZ 24 (1959), 201 (205); a.A. noch Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807
(811); Raape, S. 502. Zur notwendigen Abgrenzung zwischen organschaftlicher und rechts-
geschäftlicher Vertretungsmacht im IPR näher OLG Düsseldorf v. v. 23.12.1994 – 3 Wx 262/92,
GmbHR 1995, 597 = IPRax 1995, 396 (m. Anm. Großfeld/Wilde, IPRax 1995, 374) = EWiR 1995,
225 m. Anm. Reithmann.

Hausmann | 621
§ 6 Rz. 6.413 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Hauptniederlassung des Unternehmens geltende Recht1. Dies gilt – anders als für „unternehme-
rische“ Vertreter i.S.v. Abs. 2 – auch dann, wenn der Prokurist eines deutschen Unternehmens
von einer ausländischen Zweigniederlassung dieses Unternehmens aus handelt2. In diesem Sinne
entscheiden auch das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 12 HStÜ) sowie
das österreichische (§ 49 Abs. 2 IPRG)3 und das schweizerische Recht (Art. 126 Abs. 3 IPRG)4.
Die Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB Abs. 3 führt im Regelfall zu einem Gleichlauf von
rechtsgeschäftlicher und organschaftlicher Stellvertretung und damit zu einer Gleichbehandlung
der Vertretungsmacht von Vorständen/Geschäftsführern einerseits und Prokuristen andererseits5.

d) Anknüpfung sonstiger Dauervollmachten, Abs. 4


6.414 Wird einer Person, die weder in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit (Abs. 2) noch
als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers (Abs. 3) handelt, eine Dauervollmacht für eine Viel-
zahl von Geschäften mit gleichem oder unterschiedlichem Wirkungsstatut erteilt, so unterliegt
die Vollmacht nach Art. 8 Abs. 4 EGBGB dem Recht des Staates, in dem der Bevollmächtigte
von der Vollmacht gewöhnlich Gebrauch macht6. Abs. 4 gilt also nur für Vollmachten, die im
privaten Bereich verwendet werden7 und knüpft hierfür an den Ort an; an dem der Vertreter
üblicherweise seine Erklärungen in Ausübung der Vollmacht abgibt8. Erteilen sich z.B. Eheleu-
te – über die gesetzliche Schlüsselgewalt (vgl. § 1357 BGB) hinaus – eine solche Vollmacht für
bestimmte Aufgabenbereiche, so ist Vollmachtsstatut das Recht am gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalt der Ehegatten. Solche Dauervollmachten sollen möglichst stets nach dem
gleichen Recht beurteilt werden, auch wenn sie ausnahmsweise einmal in einem anderen Staat
als dem des gewöhnlichen Gebrauchsorts ausgeübt werden9.

1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 94 ff.; von Bar/
Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1065; vgl. i.d.S. schon OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68,
AWD 1969, 415; LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89, IPRax 1990, 315 (316); von Caemmerer,
RabelsZ 24 (1959), 201 (205); Ferid, IPR Rz. 5-147; Ruthig, S. 137 ff., 159 ff.; Schwarz, RabelsZ 71
(2007), 729 (755 ff.) m.w.N.
2 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 22; a.A. zu Unrecht OLG München v. 14.10.2015 – 34
Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz. 15).
3 Dazu öOGH v. 11.10.1995 – 3 Ob 64/95, IPRax 1997, 126 (127) m. Anm. Leible, IPRax 1997, 133.
4 Vgl. Vischer/Huber/Oser, Rz. 1020.
5 BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 = GmbHR 1992, 107 = JZ 1992, 579 m. Anm.
von Bar (Vollmacht des Prokuristen einer deutschen Gesellschaft nach deutschem Recht beurteilt,
obwohl als Geschäftsstatut frz. Recht maßgebend war); OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U
134/84, IPRax 1986, 373 (375) (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355) (vom Komplementär einer
deutschen Abschreibungsgesellschaft erteilte Generalvollmacht nach deutschem Recht beurteilt,
obwohl die Vertretergeschäfte überwiegend in der Schweiz getätigt worden waren: „Denn es geht
darum, ob der Komplementär den Beklagten wirksam bevollmächtigt hat, die Rechte als Komple-
mentär für ihn auszuüben. Die Vollmacht sollte insoweit am Sitz der Gesellschaft jedenfalls
schwerpunktmäßig ihre Wirkung entfalten.“).
6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 131; vgl. schon Voraufl. Rz. 7.401.
7 BT-Drucks. 18/10714, S. 26.
8 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53.
9 BT-Drucks. 18/10714, S. 26; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 100 f.; Stürner in Erman,
Art. 8 EGBGB Rz. 26; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1052. Vgl. i.d.S. schon BGH v. 24.11.1989
– V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 248 (250): Dauervollmacht zwischen Eheleuten mit gewöhnlichem
Aufenthalt im Inland nach deutschem Recht beurteilt, auch soweit sie sich auf den Verkauf eines
spanischen Grundstücks bezog: „Anders als für die Anknüpfung von Einzelvollmacht, Einzel-
ermächtigung oder Einzelgenehmigung scheidet der Rückgriff auf ein vom Einzelvorgang abhän-
giges Wirkungsstatut aus“.

622 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.417 § 6

Eine Mindestdauer ist für die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 EGBGB nicht vorgeschrieben. 6.415
Die Vollmacht muss daher nicht unbefristet erteilt worden, sondern nur „auf einen längeren
Zeitraum angelegt sein“1. Chrakteristisch für Dauervollmachten ist, dass sie auf eine mehr-
fache Ausübung, auch gegenüber verschiedenen Personen, ausgerichtet sind2. Dafür reicht es
auch aus, wenn ihre Verwendung auf einen zeitlich begrenzten Anlass, zB eine Nachlass-
abwicklung oder eine Hauhaltsauflösung, beschränkt ist3. Auch für Dauervollmachten gilt,
dass der Ort des gewöhnlichen Gebrauchs für den Dritten erkennbar sein muss; andernfalls
kommt es auch hier auf den Gebrauchsort im konkreten Einzelfall an, Abs. 5 S. 1. Da für Vor-
sorgevollmachten als wichtigstem Anwendungsfall einer privaten Dauervollmacht Art. 15
ErwSÜ als lex specialis gilt (Rz. 6.1208 ff.), dürfte die praktische Bedeutung von Abs. 4 be-
schränkt bleiben4.

3. Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht, Abs. 5


a) Allgemeines
Bis zur Kodifikation des Rechts der gewillkürten Stellvertretung in Art. 8 EGBGB wurden 6.416
Vollmachten im deutschen IPR grundsätzlich nach dem Recht des Landes beurteilt, in dem
der Vertreter von ihr mit Willen des Vollmachtgebers tatsächlich Gebrauch gemacht hatte
und in dem sie deshalb ihre Wirkung entfaltete (Wirkungsland).
BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487 = AWD 1965, 30
„Es kann als gesicherte Auffassung von Rechtslehre und Rechtsprechung angesehen werden, dass nach
deutschem IPR Fragen, die sich auf eine im Ausland gebrauchte Vollmacht eines Agenten beziehen,
nach dem Recht des Gebrauchsortes als des sog. Wirkungslandes zu beantworten sind.“
Wurde die Vollmacht daher vom Geschäftsherrn zum Gebrauch in einem bestimmten Land
erteilt und dort auch tatsächlich verwendet, so galt das Recht dieses Landes5.

Bestrebungen im deutschen Schrifttum, den Interessen des Vertretenen auch unabhängig von 6.417
einer Rechtswahl wieder stärker Rechnung zu tragen und deshalb entweder grundsätzlich

1 BR-Drucks. 653/16 S. 24; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3.


2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 129; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB
Rz. 101.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 102; a.A. Bücken, RNotZ 2018, 213 (223).
4 Rademacher, IPRax 2017, 56 (60); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 40.
5 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; BGH v. 13.5.1982 – III
ZR 1/80, NJW 1982, 2733; BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991,
247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220); BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 66/92, DNotZ 1994, 485 =
WuB VIII C. § 17 BeurkG Nr. 1.93 m. Anm. Reithmann; BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93,
BGHZ 128, 41 = DtZ 1995, 250; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004,
1315 (1316); BayObLG v. 5.11.1987 – BReg 3 Z 67/87, BayObLGZ 1987, 363 = NJW-RR 1988,
873; OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Hamm v. 20.1.2004 –
21 U 102/02, NJOZ 2004, 1357; OLG München v. 10.12.2008 – 20 U 2798/08, IPRspr. 2008 Nr. 13;
OLG Düsseldorf v. 26.2.2009 – 1-10 U 121/08, ZMR 2010, 27; LG Köln v. 29.6.2000 – 7 O 304/98,
IPRspr. 2000 Nr. 16; LG Karlsruhe v. 6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155); zust. die
h.L., vgl. von Bar, Bd. II Rz. 585 ff.; Kropholler, IPR, § 41 I 2; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.;
Heinz, S. 16 ff. m.w.N.; im Erg. auch Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 100 f.
(„Recht, unter dem der Vertreter erkennbar auftritt“).

Hausmann | 623
§ 6 Rz. 6.417 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vom Wohnsitzrecht des Vollmachtgebers auszugehen1 oder dieses zumindest kumulativ ne-
ben dem Recht des Gebrauchsorts zu berücksichtigen2, waren hingegen schon bisher auf die
deutsche Rechtsprechung ohne Einfluss geblieben3. Die Gerichte räumten dem Schutzbedürf-
nis des Drittkontrahenten an einer möglichst leicht zugänglichen und zuverlässigen Prüfung
der Vollmacht insoweit zu Recht den Vorrang vor den Interessen des Vollmachtgebers, der das
Risiko der Stellvertretung eingegangen ist, ein4.
OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25
Bei der Ermittlung des Vollmachtstatuts sei „weniger das Parteiinteresse des Vertretenen an der An-
wendung eines ihm nahe stehenden Rechts zu berücksichtigen, als das Interesse des Verhandlungs-
partners des Agenten an dem Recht des Landes, in dem die Vollmacht wirken soll oder tatsächlich
wirkt“.
OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 10b
Das Gericht hielt es „auch nicht für zulässig, bei der Auslegung einer Vollmacht das Aufenthaltsrecht
des Vollmachtgebers mit zu berücksichtigen, was zu einer der Verkehrssicherheit besonders abträgli-
chen Doppelanknüpfung führte. Auf eine solche Mitberücksichtigung des Rechts des Vollmachtgebers
liefe es aber hinaus, wenn bei der Auslegung einer Vollmacht auf die von seinem Heimatrecht beein-
flussten, in der Vollmacht nicht zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen des Vollmachtgebers über
die Bedeutung und den Umfang der Vollmacht zurückgegriffen würde.“

6.418 Die Anwendung des am Sitz des Vertretenen geltenden Rechts kam – im Hinblick auf Art. 1
Abs. 2 lit. g Rom I-VO – auch unter Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO nicht in Betracht5.
Sie war sogar dann ausgeschlossen, wenn sie dem Drittkontrahenten im Einzelfall günstiger
war6.

6.419 An dieser Auffassung hält auch der Gesetzgeber in Art. 8 EGBGB fest. Er hat allerdings den
bisherigen Grundsatz der Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht in Abs. 5 S. 1 zu
einer bloßen Auffangregelung herabgestuft. Nur wenn das auf die Vollmacht anzuwendende
Recht weder nach Abs. 1 gewählt worden ist, noch sich aus den vorrangigen objektiven An-
knüpfungen nach Abs. 2-4 ergibt, insbesondere weil der hiernach für die Anknüpfung der
Vollmacht maßgebliche Ort für den Dritten nicht erkennbar war, unterliegt die Vollmacht
noch dem Recht des Staates, in dem der Bevollmächtigte von ihr im Einzelfall Gebrauch
macht und in dem sie deshalb ihre Wirkung entfaltet7. Auf das Recht des realen Gebrauch-
sorts wird in Ermangelung einer Rechtswahl und vorbehaltlich von Sonderanknüpfungen
auch im IPR zahlreicher ausländischer Staaten abgestellt, z.B. in Österreich (§ 49 Abs. 2 IPRG

1 So vor allem P. Müller, RIW 1979, 377 (380 f.); Ebenroth, JZ 1983, 821 (824); Dorsel, MittRhein-
NotK 1997, 6 (9); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; vgl. auch schon ROHG 8, 150 f. und 22, 86 (98);
dazu Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (26 f.).
2 Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (436 f.); Ferid, IPR Rz. 5–146 f.
3 Vgl. aber LG Hamburg v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 (126), das die Vollmacht zum
Abschluss eines Schiedsvertrages kumulativ nach dem Recht des Wirkungslandes und dem Auf-
enthaltsrecht des Vollmachtgebers beurteilt, um die „überstarke Betonung des Verkehrsschutzes
durch Rücksichtnahme auch auf die Interessen des Vertretenen auszugleichen“.
4 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (193) = NJW 1975, 1220.
5 OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25 (zu Art. 31 Abs. 2 EGBGB a.F.);
a.A. Dorsel, MittRheinNotK 1997, 6 (13); Kegel/Schurig, § 17 V 2a.
6 RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (211);
Ferid, Rz. 5–148; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (43).
7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1036 ff.; Magnus in Staudinger, Rz. 111 ff.; Thorn in Palandt,
Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 5 ff., 28, jeweils zu Art. 8 EGBGB.

624 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.422 § 6

1972), der Schweiz (Art. 126 Abs. 2 IPRG 1987), Italien (Art. 60 Abs. 1 S. 2 IPRG 1995) und
Spanien (Art. 10 Abs. 11 Hs. 2 CC idF von 1981). Gleiches gilt für das französische, niederlän-
dische und portugiesische Recht aufgrund des dort geltenden Haager Stellvertretungsüberein-
kommens von 19781.

Zu beachten ist ferner, dass die Auffangregelung in Art. 8 Abs. 5 S. 1 EGBGB auch dann zu- 6.420
rücktritt, wenn die Vollmacht zur Vornahme einer Grundstücksverfügung i.S.v. Abs. 6 oder
von Börsengeschäften bzw. Versteigerungen i.S.v. Abs. 7 ermächtigt. Schließlich stehen auch
die Anknüpfungen nach Abs. 5 ihrerseits in einer Hierarchie. Danach ist vorrangig zu prüfen,
ob die Ausübung der Vollmacht vom Vollmachtgeber i.S.v. Abs. 5 S. 2 räumlich auf einen be-
stimmten Staat beschränkt worden ist (Rz. 6.426 f.). Nur wenn auch dies nicht Fall ist, greift
die Anknüpfumg an den realen Gebrauchsort nach Abs. 5 S. 1 ein. War auch der hiernach
maßgebliche Gebrauchsort für den Dritten nicht erkennbar, so ist auf der letzten Stufe das
Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vollmachtgebers nach Abs. 5 S. 3 maßgebend
(Rz. 6.428).

Die Anwendung des Rechts am realen Gebrauchsort dient vor allem dem Schutz des Dritt- 6.421
kontrahenten, der sich bei der Prüfung der Wirksamkeit und des Umfangs der Vollmacht
i.d.R. an das ihm vertraute materielle Vertretungsrecht halten kann2. Sein Bedürfnis, den Um-
fang der Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen zu können, verdient daher zumin-
dest dann, wenn der Vertreter von der Vollmacht im Wohnsitz- bzw. Niederlassungsstaat des
Drittkontrahenten Gebrauch macht, den Vorrang vor dem Interesse des Vollmachtgebers, der
das Risiko der Stellvertretung eingegangen ist und der durch die Einschaltung des Vertreters
seinen geschäftlichen Wirkungskreis gewinnbringend erweitert3. Aber auch Geschäftsherr
und Vertreter werden durch diese Anknüpfung nicht unangemessen benachteiligt, da beide
sich auf das Recht des Wirkungslandes einstellen und sich über die dort geltenden Vertre-
tungsregeln informieren können. Die Anwendung der lex loci actus führt daher zu einem ge-
rechten Ausgleich der Rechtsanwendungsinteressen aller drei Beteiligten4. Dies gilt allerdings
nur, wenn der Gebrauchsort für den Dritten – wie dies Art. 8 Abs. 5 S. 3 EGBGB auch ver-
langt – erkennbar ist. Daran kann es insbesondere fehlen, wenn der Vertreter den Vertrag mit
dem Dritten mit Hilfe mobiler Telekommunikationsmittel (Mobiltelefon, Tablet, Notebook)
abschließt5.

Das Recht des Gebrauchsorts kommt vor allem auf die Erteilung von privaten Einzelvoll- 6.422
machten zur Anwendung, die in Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB nicht geregelt sind. Es gilt ferner für
das Handeln von Gelegenheitsvertretern, die weder in Ausübung einer unternehmerischen
Tätigkeit noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers handeln. Auf den Wohnsitz oder ge-
wöhnlichen Aufenthalt eines solchen Agenten, der entweder über keine feste Niederlassung
verfügt oder dessen Handeln von einer solchen zumindest für Dritte nicht erkennbar ist,

1 Weitere rechtsvergleichende Hinweise zur Gebrauchsortanknüpfung bei Schwarz, RabelsZ 71


(2007), 729 (756 ff.).
2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (425).
3 So schon Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45); G. Fischer, S. 284 ff.; Voraufl. Rz. 7.372. Bereits das
Reichsgericht (SA 83 Nr. 153) hielt es für „äußerst zweckwidrig ..., wenn die Personen, mit denen
der Bevollmächtigte im Inland Geschäfte macht, davon ausgehen müssten, dass sich der Umfang
seiner Vollmacht nach einem ihnen fremden und nicht nach inländischem Recht richtet“.
4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 5; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (757).
5 BR-Drucks. 653/16; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1040; krit. deshalb zur Gebrauchsortank-
nüpfung Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 44.

Hausmann | 625
§ 6 Rz. 6.422 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

kommt es nicht an; denn Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Vertreters haben keinen
notwendigen Bezug zu seiner Tätigkeit und sind für den Rechtsverkehr nicht ohne weiteres
feststellbar1.

b) Bestimmung des Gebrauchsorts


6.423 Gebrauchsort ist bei Vertragsschluss unter Anwesenden das an diesem Ort geltende Recht.
Wird der Vertrag unter Abwesenden geschlossen, so ist der Ort maßgeblich, an dem der Ver-
treter die Erklärung abgibt2 oder entgegennimmt. Dies ist bei brieflichen oder telefonischen
Erklärungen der Ort, von dem aus der Vertreter schreibt oder telefoniert, bei Verwendung
von Telefax oder E-Mail der Absendeort3. Hingegen kommt es nicht darauf an, wo die Erklä-
rung zugeht oder wo die Vollmacht nachgewiesen wird4. Eine für Internet-Geschäfte erteilte
Vollmacht unterliegt dem Recht des Staates, in dem die Willenserklärung vom Vertreter in das
Netz eingegeben wird5. Bei der Bezahlung durch einen Vertreter mittels Scheck wird die Voll-
macht nicht nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem der Scheck ausgestellt wurde, son-
dern nach dem Recht des Staates, in dem der Vertreter ihn zur Zahlung vorgelegt hat6. Nur
die Vollmacht des bloßen Empfangsvertreters beurteilt sich nach dem Recht am Empfangsort.

6.424 Kann ein tatsächlicher Gebrauchsort nicht festgestellt werden, z.B. weil von der Vollmacht
noch kein Gebrauch gemacht wurde, so dürfte auf den Ort abzustellen sein, an dem von ihr –
für den Dritten erkennbar – nach dem Willen des Vollmachtgebers Gebrauch gemacht werden
sollte7. Lässt sich auch ein solcher Wille nicht feststellen, so ist nach Abs. 5 S. 3 das Aufent-
halts- oder Sitzrecht des Vollmachtgebers maßgebend, weil der Gebrauchsort dann auch für
den Dritten nicht erkennbar ist (Rz. 6.428).

6.425 Soll die Vollmacht nach ihrem Inhalt in mehreren Ländern Verwendung finden, so wird sie
in jedem dieser Länder nach dortigem Recht beurteilt, soweit von ihr dort tatächlich Ge-
brauch gemacht wurde8. Dies gilt z.B. für eine Vollmacht zur außergerichtlichen Durchset-
zung von Ansprüchen des Vollmachtgebers in verschiedenen Ländern oder für eine General-
vollmacht zur Verwaltung eines in mehreren Ländern belegenen Vermögens, sofern der Ver-

1 Ablehnend schon bisher die h.L. im In- und Ausland, vgl. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201
(206, 207); Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (423); Klinke, RIW 1978, 642 (649); Ruthig, S. 158 ff.;
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (752 ff.); Diloy, S. 309; Rueda Valdivia, S. 220 f. (231 f.); anders
aber Art. 7 Abs. 2 Rom I-E.
2 BR-Drucks. 653/16, S. 25; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Spellenberg in MünchKomm,
Art. 8 EGBGB Rz. 133; vgl. schon BGH v. 20.7.2012 − V ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 31);
Voraufl. Rz. 7.375.
3 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1038. Vgl. schon
früher OLG Saarbrücken v. 28.10.1966 – 3 U 44/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 19a: Vertragsschluss per
Telefon; OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68, AWD 1969, 415; LG Karlsruhe v. 6.4.2001
– O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155): Vertragsschluss per Brief; von Caemmerer, RabelsZ 24
(1959), 201 (207); von Bar, Bd. II Rz. 589; Ferid, IPR Rz. 5–153; Kropholler, IPR, § 41 I 2a; krit.
wegen der schwierigen Bestimmung des Erklärungsorts bei Verwendung moderner Kommunikati-
onsmittel Heinz, S. 160 ff.
4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 117.
5 Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (516); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53.
6 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316).
7 Voraufl. Rz. 7384.
8 Vgl. schon BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559); von Caemmerer, RabelsZ 24
(1959), 201 (207).

626 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.427 § 6

treter nicht für den jeweiligen Dritten erkennbar professionell i.S.v. Abs. 2 oder Abs. 3 von
einem bestimmten Unternehmenssitz oder einer bestimmten Niederlassung aus handelt.
Wird der Vertreter hingegen in derselben Angelegenheit in mehreren Ländern tätig, weil er
z.B. den Vertrag in seinem Wohnsitzstaat vorbereitet bzw. verhandelt und anschließend im
Sitzstaat des Drittkontrahenten abschließt, so kommt es im Rahmen von Abs. 5 S. 1 auf den
Schwerpunkt seiner Vertretungstätigkeit an1.

c) Abweichende Bestimmung durch den Vollmachtgeber


Die Rechtsprechung trug den Schutzinteressen des Vollmachtgebers schon bisher z.T. dadurch 6.426
Rechnung, dass sie die Vollmacht nicht nach dem Recht des Staates beurteilte, in dem von ihr
tatsächlich Gebrauch gemacht wurde, sondern – ähnlich wie der österreichische Gesetzgeber
(vgl. § 49 Abs. 2 öst. IPRG) – als Anknüpfungspunkt das Recht des Landes wählte, in dem sie
nach dem Willen des Vollmachtgebers ihre Wirkung entfalten sollte2. Dem wurde auch in
der Literatur für den Fall zugestimmt, dass dem Drittkontrahenten bekannt oder nur infolge
von Fahrlässigkeit unbekannt war, dass der Vertreter nach dem Willen des Prinzipals von sei-
ner Vollmacht in einem anderen Land Gebrauch machen sollte (Rechtsgedanke des Art. 13
Rom I-VO)3. War der Geschäftspartner hingegen gutgläubig, so sollte es aus Gründen des vor-
rangigen Verkehrsschutzes bei der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Gebrauchsorts sein Be-
wenden haben4.

Daran knüpft Art. 8 Abs. 5 S. 2 EGBGB an, wenn dort klargestellt wird, dass an den tatsäch- 6.427
lichen Gebrauchsort der Vollmacht dann nicht angeknüpft werden darf, wenn Dritter und Be-
vollmächtigter wissen mussten, dass von der Vollmacht nur in einem bestimmten Staat Ge-
brauch gemacht werden sollte. War dem Drittkontrahenten also bekannt oder nur infolge von
Fahrlässigkeit5 unbekannt geblieben, dass der Vertreter nach dem Willen des Vollmachtgebers
von seiner Vollmacht nur in einem ganz bestimmten Land Gebrauch machen sollte, so sind
die Sachvorschriften dieses Staates auf die Vollmacht anzuwenden6. Dadurch soll Missbrauchs-
fällen, insbesondere einem kollusiven Zusammenwirken von Vertreter und Drittkontrahenten
zu Lasten des Vollmachtgebers, vorgebeugt werden7. Sind Bevollmächtigter und Dritter hin-
gegen gutgläubig, weil beide von der räumlichen Beschränkung der Vollmacht durch den Voll-

1 Vgl. OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25; zust. Kurzynsky-Singer, S. 168 ff.
2 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; BGH v. 13.5.1982 – III
ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 17.11.1994 –
III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 = IPRax 1996, 342 (343) (m. Anm. G. Fischer, IPRax 1996, 332) (in-
terlokal); OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (375) (m. Anm. Ahrens,
IPRax 1986, 355); OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, RIW 1990, 226 = IPRax 1990, 320
(322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295); OLG Koblenz v. 5.2.1993 – 2 U 338/89, IPRax 1994,
302 (304) (m. Anm. Frank, IPRax 1994, 279).
3 von Bar, Bd. II Rz. 457; Kropholler, IPR § 41 I 2a; Looschelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6;
Voraufl. Rz. 7.384.
4 Rabel, RabelsZ 7 (1933), 797 (805) a.E.; Schäfer, RIW 1996, 189 (192); von Bar, Bd. II Rz. 588; von
Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; Kropholler, IPR, § 41 I 2a; im
Erg. auch BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088.
5 Bereits fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 122 Abs. 2, § 276 BGB schadet dem Drittkontrahenten, vgl.
Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 475; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 43.
6 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1039; vgl. schon Kropholler, IPR § 41 I 2 a.
7 BT-Drucks. 18/10714, 25 f.; Rademacher, IPRax 2017, 56 (59), Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB
Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 113.

Hausmann | 627
§ 6 Rz. 6.427 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

machtgeber weder wussten noch wissen konnten, so verbleibt es aus Gründen des Verkehrs-
schutzes bei der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Gebrauchsorts nach Abs. 5 S. 11.

d) Hilfsanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers


6.428 Auch die Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht nach Art. 8 Abs. 5 S. 1 EGBGB
steht – wie die Anknüpfungen nach Abs. 2-4 (Rz. 6.404 f.). – unter dem Vorbehalt, dass dieser
Ort für den Dritten erkennbar war. War dies nicht der Fall, so sind nach Abs. 5 S. 3 die Sach-
vorschriften des Staates anwendbar, in dem der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Ausübung
der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Abs. 8 i.V.m. Art. 19 Rom I-VO hat. Der
Gesetzgeber hat diesem Ort den Vorzug vor einer subsidiären Anknüpfung an den Abgabeort
der Vollmachtserklärung eingeräumt, weil er bei Verwendung moderner Kommunikations-
mittel für den Dritten besser erkennbar und im Prozess leichter festellbar ist als der Abgabeort
der Erklärung2. Auf die Erkennbarkeit der gewöhnlichen Aufenthalts des Vollmachtgebers für
den Dritten kommt es jedoch nicht an.

6.429 Einstweilen frei

4. Sonderanknüpfungen im Hinblick auf den Gegenstand der Vollmacht


a) Grundstücksvollmacht, Abs. 6
6.430 Sowohl die Sonderanknüpfungen nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB wie die Auffangregel in Abs. 5
an das Recht am Gebrauchsort der Vollmacht treten dann zurück, wenn das vom Vertreter
vorzunehmende Rechtsgeschäft den Schwerpunkt so eindeutig in einem anderen Land hat,
dass das dortige Recht auch über die Wirksamkeit und den Umfang der Vollmacht entschei-
den muss3.

6.431 So richtet sich insbesondere die Frage, ob eine Vollmacht zur Verfügung über Grundstücke
oder Immobiliarsachenrechte wirksam erteilt wurde, gemäß Art. 8 Abs. 6 i.V.m. Art. 43
EGBGB grundsätzlich nach dem Recht des Landes, in dem das Grundstück liegt (lex rei si-
tae)4. Dies war schon vor der Kodifikation weithin unstreitig5. Insoweit decken sich also im
Interesse der reibungslosen Durchführung von Grundstücksgeschäften – ausnahmsweise –
Vollmacht- und Geschäftsstatut. Auch die Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 8 Abs. 1

1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 28. Ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 7 (1933), 797 (805)
a.E.; Schäfer, RIW 1996, 189 (192); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2 a; Kropholler, IPR § 41 I 2 a; im
Erg. auch BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088.
2 BR-Drucks. 653/16 S. 25; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; krit. dazu Rademacher, IPRax
2017, 56 (61 ff.).
3 Vgl. schon Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101; Kropholler, IPR § 41 I 2 d.
4 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 79 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB
Rz. 46; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 4.
5 Vgl. Makarov, FS Perassi II (1957), S. 39 (60); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); Mül-
ler, RIW 1979, 377 (378 f.); Spellenberg, IPRax 1990, 295; Ferid, IPR Rz. 5–155; von Hoffmann/
Thorn, IPR § 7 Rz. 54; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; Kropholler, IPR, § 41 I 2d; Mansel in Staudin-
ger, Art. 43 EGBGB Rz. 1091; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (772 f.); Heinz, S. 180 f. m.w.N.;
ebenso für das schweiz. IPR Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 30; a.A. Ruthig, S. 162 ff.
(Recht des Gebrauchsortes). Auch das HStÜ und der Entwurf zur Rom I-VO von 2005 verzichten
auf eine Sonderanknüpfung für die Vollmacht zu Immobiliarverfügungen; krit. dazu Niemann,
S. 141 f.; Kurzynsky-Singer, S. 100 ff.; Rueda Valdivia, S. 320.

628 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.434 § 6

EGBGB bestehen daher für Grundstücksvollmachten i.S.v. Abs. 6 nicht, weil das deutsche in-
ternationale Sachenrecht der Parteiautonomie keinen Raum gibt1.

Diese akzessorische Anknüpfung des Vollmachtstatuts an das Geschäftsstatut soll insbesonde- 6.432
re die reibungslose Durchführung von Grundstücksgeschäften gewährleisten. Vollmachten zur
Verfügung über deutsche Grundstücke, insbesondere Auflassungsvollmachten, unterliegen da-
her – abgesehen von der Frage ihrer Formgültigkeit (dazu Rz. 6.452 ff.) – grundsätzlich dem
deutschem Recht2. Entsprechend werden Vollmachten zur Verfügung über ausländische
Grundstücke dem fremden Belegenheitsrecht unterworfen3. Anders als in Art. 8 Abs. 1-5
EGBGB handelt es sich bei einer solchen Verweisung auf ausländisches Belegenheitsrecht
nach Abs. 6 i.V.m. Art. 43 EGBGB um eine Gesamtverweisung, die nach Art. 4 Abs. 1
EGBGB auch das Kollisionsrecht des Belegenheitsstaates einschließt4. Von dieser Anknüpfung
wird aufgrund der Verweisung in Abs. 6 auf Art. 46 EGBGB nur abgewichen, wenn bei einem
Grundstücksgeschäft ausnahmweise eine wesentliche engere Beziehung zu einam anderen
Recht als der lex rei sitae besteht, was aber in der Praxis kaum vorkommen wird.

Art. 8 Abs. 6 EGBGB gilt auch für Verfügungen über grundstücksgleiche Rechte (z.B. Woh- 6.433
nungseigentum) sowie für die Belastung von Grundstücken mit Grundpfandrechten, aber
auch für die Eintragung einer Vormerkung5. Die lex rei sitae ist auch dann maßgebend, wenn
von der Vollmacht außerhalb des Landes Gebrauch gemacht wird, in dem das Grundstück
belegen ist6. Gerade darin liegt die Abweichung von der Grundsatzanknüpfung an den Ge-
brauchsort in Abs. 5 S. 1.

Für Vollmachten zur Verfügung über bewegliche Sachen bleibt es hingegen auch dann bei 6.434
der Maßgeblichkeit von Art. 8 Abs. 1-5 EGBGB, wenn von ihnen in einem anderen Staat Ge-
brauch gemacht wird als in demjenigen, in dem sich die Sache befindet7. Da Art. 8 Abs. 1 die
Rechtswahl nicht auf Vollmachten für Rechtsgeschäfte beschränkt, die ihrerseits der Rechts-

1 Bücken, RNotZ 2018, 213 (220); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1057; Mäsch in BeckOK BGB,
Art. 8 EGBGB Rz. 46; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 126. Anders noch Voraufl.
Rz. 7.398 unter Hinweis darauf, dass der Dritte nicht schutzbedürftig sei, wenn er sich mit dem
Auseinanderfallen von Sachenrechts- und Vollmachtstatut einverstanden erklärt habe.
2 Vgl. LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63 (Löschung von Hypotheken); RG v. 31.5.1943,
DNotZ 1944, 151 (152 f.) = SA 97 Nr. 53 (Bestellung von Eigentümergrundschulden).
3 OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, OLG Koblenz v. 8.11.1988 – 6 W 681/88, NJW-RR
1989, 363 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) (unwiderrufliche nota-
rielle Vollmacht zur Veräußerung eines Ferienbungalows auf Teneriffa nach span. Recht beurteilt).
4 BT-Drucks. 18-10713, S. 21; Bücken, RNotZ 2018, 213 (217); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB
Rz. 23, 128.
5 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 126; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 79;
a.A. Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (498).
6 RG v. 8.10.1935, RGZ 149, 93 (94) = JW 1936, 313 (Vollmacht zur Verpfändung von Briefhypothe-
ken an deutschem Grundstück nach deutschem Recht beurteilt, obwohl der Vertreter die Ver-
fügung in Belgien traf. Es sei „nicht möglich, die Frage, ob ein solches Recht an sich durch den
Vertrag entstehen kann, und die weitere Frage, ob der als Vertreter Handelnde ermächtigt ist, ein
solches Recht zu begründen, nach verschiedenen Rechten zu beurteilen“); zust. Ferid, IPR Rz. 5–
156; Kropholler, IPR, § 41 I 2d; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1092; einschränkend von
Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); a.A. Ruthig, S. 161 ff.
7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1056; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1090; a.A.
Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 143 f.

Hausmann | 629
§ 6 Rz. 6.434 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wahl zugänglich sind, dürfte diese auch für Vollmachten zur Verfügung über bewegliche Sa-
chen zulässig sein1.

6.435 Die Grundsätze zur Anknüpfung von Vollmachten für Grundstücksverfügungen wurden auf-
grund des besonders starken Bezugs zum Belegenheitsrecht bisher auch auf Vollmachten zur
Verwaltung von Grundstücken oder Häusern angewandt2. Demgenüber dürfte die lex rei si-
tae aufgrund der audrücklichen Beschränkung des Art. 8 Abs. 6 EGGB auf Verfügungs-
geschäfte für Verwaltungsvollmachten nicht mehr gelten. Insoweit verbleibt es vielmehr bei
Art. 8 Abs. 1 bis 5 EGBGB, so dass – anders als nach Art. 8 Abs. 6 i.V.m. Art. 43 EGBGB –
auch eine Rechtswahl nach Abs. 1 zulässig ist3. Denn der Dritte ist nicht schutzbedürftig,
wenn er sich insoweit mit dem Auseinanderfallen von Sachenrechts- und Vollmachtsstatut
einverstanden erklärt hat.

6.436 In gleicher Weise ist für Vollmachten zum Abschluss von schuldrechtlichen Geschäften, die –
wie z.B. Grundstücksmiete oder -pacht – Immobilien oder Immobiliarsachenrechte betreffen,
nicht die lex rei sitae nach Abs. 6 maßgebend, sondern die allgemeine Anknüpfung an das
Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht bzw. an das vorrangige Recht der Niederlassung des
unternehmerisch handelnden selbständigen Vertreters oder des Arbeitgebers4. Dies gilt in
Rechten, die – wie das deutsche Recht – das Trennungsprinzip befolgen, auch für das einer
Grundstücksverfügung zugrundeliegende Kausalgeschäft (z.B. den Grundstückskaufvertrag).
Auch eine Rechtswahl nach Abs. 1 ist für Vollmachten zum Abschluss von Grundstücksverträ-
gen uneingeschränkt zulässig5.

b) Börsenvollmacht, Abs. 7
6.437 Art. 8 EGBGB findet nach seinem Abs. 7 keine Anwendung auf die gewillkürte Stellvertretung
bei Börsengeschäften und Versteigerungen. Insoweit verbleibt es daher beim bisherigen Rich-
terrecht. Danach unterliegt die Vollmacht für Börsengeschäfte oder für die Teilnahme an
Auktionen dem Recht der Börse bzw. des Versteigerungsortes, an dem der Bevollmächtigte

1 Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (494); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; a.A. Mäsch
in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 81.
2 BGH v. 30.7.1954 – VI ZR 323/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (Umfang und Wirkungen
einer Hausverwaltungsvollmacht bezüglich eines in Deutschland belegenen Grundstücks nach
deutschem Recht beurteilt, obwohl die maßgebliche Erklärung des Vertreters in Frankreich brief-
lich abgegeben worden war); OLG Frankfurt a.M. v. 2.4.1963 – 6 W 583/62, WM 1963, 872; Kro-
pholler, IPR, § 41 I 2d; Voraufl. Rz. 7.399.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; Spel-
lenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 82; ebenso schon Voraufl. Rz. 7.398; a.A. Schwarz,
RabelsZ 71 (2007), 729 (774).
4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 29; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; Mäsch in
BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1056; ebenso schon früher
BGH v. 3.10.1962 – V ZR 212/60, NJW 1963, 46 (47) (Vollmacht für einen „Vertrag über die Ver-
pflichtung zum Abschluss eines Kaufvertrages“ bezüglich eines deutschen Grundstücks nach deut-
schem Recht beurteilt, „da sie zu einem Tätigwerden in Lindau, und zwar mit Beziehung auf einen
hier gelegenen Grundbesitz bestimmt war, in Deutschland zur Auswirkung gelangen sollte“); OLG
Stuttgart v. 11.11.1980 – 8 W 173/80, MDR 1981, 405 = OLGZ 1981, 164 (165) (Veräußerungs-
vollmacht); ebenso von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); von Bar, Bd. II Rz. 591; Ferid,
IPR Rz. 5–155; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1089; a.A. Spellenberg, S. 166 ff.; Schäfer,
RIW 1996, 189 (190); Leible, IPRax 1998, 257 (258).
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 82.

630 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.438 § 6

(z.B. der Börsenmakler) seine berufstypische Tätigkeit entfaltet1. Dies gilt auch dann, wenn
der Bevollmächtigte die bindende Vertragserklärung nicht am Börsenort (sondern z.B. telefo-
nisch oder auf elektronischem Weg im Ausland) abgibt oder seine ständige Niederlassung in
einem anderen Land hat. Denn der Rechtsverkehr verlässt sich bei Börsengeschäften oder Ver-
steigerungen auf die Geltung des Rechts am Börsen-/Versteigerungsort. Deshalb hat eine
Überprüfung von Vollmachten nach einem hiervon abweichenden Recht wegen der Art dieser
Geschäfte regelmäßig auszuscheiden. Auch die Sonderanknüpfung von Börsenvollmachten
steht allerdings unter dem Vorbehalt einer abweichenden Rechtswahl nach Abs. 1
(Rz. 6.389 ff.)2; es ist dann Sache des Betreibers der jeweiligen Börse oder Auktion, ob er dem
Vertreter, dessen Vollmacht ausländischem Recht unterliegt, die Teilnahme an der Veranstal-
tung erlaubt3.

c) Prozessvollmacht
Auch das IPR der Prozessvollmacht wird in Art. 8 EGBGB nicht geregelt. Eine Prozessvoll- 6.438
macht ist daher – ebenso wie die Prozessführungsbefugnis4 – weiterhin nach der lex fori des
Landes zu beurteilen, vor dessen Gerichten von ihr Gebrauch gemacht, d.h. der Prozess ge-
führt werden soll; denn sie ist eng mit dem von diesem Gericht angewandten Verfahrensrecht
verbunden5. Umfasst die Vertretung Prozesse in mehreren Ländern, so ist die Vollmacht für
jedes Land gesondert nach dem dortigen Recht zu beurteilen6.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 129; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 14; Spel-
lenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 61; ebenso schon Ferid, IPR Rz. 5-157; Kropholler,
IPR § 41 I 2 d; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); vgl. i.d.S. auch Art. 11 Abs. 2 lit. c HStÜ und Art. 7
Abs. 2 S. 2 Rom I-E, sowie Art. 62 Abs. 2 Nr. 3 des bulgar. IPRG 2005.
2 Str., wie hier Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 30; Schwarz, RabelsZ 71 (2007) 729 (770 ff.);
a.A. Rademacher, IPRax 2017, 56 (57); Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 4; Mäsch in BeckOK
BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 14.
3 Vgl. dazu näher Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (770 f.).
4 Vgl. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = MDR 1992, 1181 (315) (unter AI1); LG
Hamburg v. 23.4.1997 – 315 O 4/97, RIW 1998, 894; Schack, Rz. 627.
5 BT-Drucks. 18/10714, 24; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1061; Thorn in Palandt, Art. 8
EGBGB Rz. 4; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 66; Geimer, IZPR Rz. 2232; Schack,
IZVR Rz. 616. Ebenso schon früher Ferid, IPR Rz. 5–157; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2 a.E.; Kro-
pholler, IPR § 41 I 2d; Ruthig, S. 164 ff.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 96; aus
der Rspr. BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559); OLG München v. 20.11.1970 –
Wi 81/60, IPRspr. 1970 Nr. 93; OLG Zweibrücken v. 29.1.1974 – 5 U (WG) 117/73, RIW 1975,
347; OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, RIW 1994, 513 (514) = IPRax 1996, 33 (m. Anm.
Otto, IPRax 1996, 22); KG v. 29.10.1997 – 24 U 5710/90, IPRspr. 1997 Nr. 23 LG Frankfurt a.M. v.
3.11.1978 – 2/9 T 1059/78, RIW 1980, 291.
6 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 49; vgl. schon BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, DB
1958, 1010 = MDR 1958, 319 (Die Bevollmächtigung eines engl. Rechtsanwalts durch die in Russ-
land lebenden Erben zur Verfolgung ererbter Ansprüche in mehreren Ländern nach deutschem
Recht beurteilt, „soweit es sich um die Entfaltung einer Tätigkeit vor deutschen Gerichten han-
delt“); OLG München v. 9.4.1969 – Wi 63/65, WM 1969, 731 (Bevollmächtigung eines französ.
Rechtsanwalts durch einen in Frankreich lebenden Verfolgten zur Geltendmachung von Ansprü-
chen im Rückerstattungsverfahren vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht beurteilt). Vgl.
aber OLG Hamburg v. 15.5.1931, IPRspr. 1931 Nr. 39 (Vollmacht von engl. „agents“ einer span.
und einer brasilian. Reederei zur Vergleichung von Ersatzansprüchen, die vor deutschen Gerichten
rechtshängig waren, nach engl. Recht beurteilt, weil die Vergleichsverhandlungen am Sitz der
Agenturen in London geführt worden waren).

Hausmann | 631
§ 6 Rz. 6.439 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.439 Die lex fori gilt sowohl für die Erteilung wie den Umfang der Prozessvollmacht. Sie bestimmt
insbesondere, welche Anforderungen an die Person des Prozessbevollmächtigten zu stellen
sind, ob eine für die erste Instanz erteilte Prozessvollmacht auch für die Rechtsmittelinstanz
und die Zwangsvollstreckung fortgilt1 und ob sie durch den Tod des Vollmachtgebers erlischt
(Rz. 6.464). Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die Frage, ob ein Bevollmächtigter überhaupt
berechtigt war, einem Anwalt Prozessvollmacht zu erteilen; insoweit verbleibt es vielmehr
beim Recht des Gebrauchsorts bzw. bei einem selbständigen Vertreter mit fester Niederlas-
sung beim dortigen Recht2. Die lex fori gilt auch für sonstige Verfahrensvollmachten, z.B. für
Vollmachten zur Vertretung vor Schiedsgerichten3.

d) Vollmacht zur Ausstellung von Konnossementen


6.440 Die Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht passt auch nicht für die Vollmacht zur
Ausstellung von Konnossementen. Denn der ihr zugrunde liegende Gedanke des Verkehrs-
schutzes setzt einen räumlich begrenzten Tätigkeitsbereich des Vertreters voraus; auf die dort
geltenden Prinzipien des Vertretungsrechts soll der Drittkontrahent sich verlassen können.
Diese Voraussetzung fehlt aber im internationalen See- und Konnossementverkehr. Im Vor-
dergrund steht hier die Orientierungssicherheit bezüglich des auf die Vollmacht anzuwenden-
den Rechts. Dies legt eine Anknüpfung an den Ausstellungsort des Konnossements nahe,
denn dieser ist für jedermann aus dem Konnossement ersichtlich4. Dies muss auch bei Aus-
stellung des Konnossements durch den Kapitän gelten.

e) Vorsorgevollmacht
6.441 Bei der Vorsorgevollmacht handelt es sich um einen Sonderfall der General- oder Dauervoll-
macht. Für sie galten daher bisher die für andere Dauervollmachten entwickelten Anknüp-
fungsgrundsätze (Rz. 6.414 f.) entsprechend5. Demgegenüber gilt für die Erteilung und den
Umfang einer Vorsorgevollmacht seit Inkrafttreten des Haager Erwachsenenschutzüberein-
kommens vom 13.1.2000 für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2009 (dazu Rz. 6.1194 ff.)
eine Sonderanknüpfung. Danach unterliegt die Vorsorgevollmacht gem. Art. 17 Abs. 1 des
Übereinkommens – vorbehaltlich einer zulässigen Rechtswahl in den Grenzen des Art. 17
Abs. 2 – nicht dem Recht der Niederlassung des berufsmäßigen Vertreters oder dem Recht des
tatsächlichen Gebrauchsorts, sondern dem Recht des Staates, in dem der schutzbedürftige Er-
wachsene im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (dazu
näher Rz. 6.1208 ff.).

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 67.


2 BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann,
IPRax 1991, 220); BGH v. 16.5.1991 – IX ZB 81/90, NJW 1992, 627 (628) = MDR 1992, 187.
3 BFH v. 2.4.1987 – VII R 60/84, RIW 1987, 635 (Vollmacht des Spediteurs für Zollabfertigung);
ferner BPatG v. 11.1.1988 – 31 W (pat) 76/85, BPatGE 29, 198 = GRUR 1988, 685 (Vollmacht des
Mitarbeiters einer GmbH zur Einlegung eines Einspruchs gegen die Erteilung eines Patents nach
dem Recht am Sitz des Patentgerichts beurteilt).
4 Vgl. dazu mit eingehender Interessenanalyse Mankowski, TranspR 1991, 253 (258 ff.).
5 Vgl. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (255).

632 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.444 § 6

f) Kapitänsvollmacht
Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des Kapitäns, für den Schiffseigner zu handeln, be- 6.442
urteilt sich nicht nach Art. 8 EGBGB, sondern gewohnheitsrechtlich nach dem Recht der
Flagge, d.h. im Allgemeinen nach dem Recht am Geschäftssitz des vertretenen Reeders bzw.
dem Recht des Ortes, an dem das Schiff registriert ist1. Dies gilt aus Gründen des Verkehrs-
schutzes (leichte Feststellbarkeit der Flagge) auch dann, wenn das Schiff eine sog. „Billigflag-
ge“ führt2.

IV. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts, Abs. 8


Art. 8 EGBGB nimmt in drei Fällen der objektiven Anknüpfung des Vollmachtstatuts auf den 6.443
gewöhnlichen Aufenthalt Bezug, nämlich in Abs. 2 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Be-
vollmächtigten sowie in Abs. 3 und Abs. 5 S. 3 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Voll-
machtgebers. Zur näheren Bestimmung dieses gewöhnlichen Aufenthalts verweist Art. 8 Abs. 8
EGBGB auf Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO. Diese Vorschrift enthält zwar keine
allgemeine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts. Sie bestimmt aber in Abs. 1 für das Kol-
lisionsrecht der Schuldverträge, welcher Ort bei Gesellschaften, Vereinen oder juristischen
Personen einerseits und bei natürlichen Personen, die eine berufliche Tätigkeit ausüben, ande-
rerseits als gewöhnlicher Aufenthalt gilt. Der gewöhnliche Aufenthalt für Gesellschaften und
juristische Personen wird nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO durch den Ort ihrer Hauptverwal-
tung, d.h. den effektiven Verwaltungssitz (Rz. 6.443), bestimmt. Art. 19 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-
VO enthält eine Sonderregel zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eines unterneh-
merisch handelnden Vertreters i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EGBGB, wenn dieser von einer Zweignie-
derlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung aus tätig wird. Das am Ort der Zweignie-
derlassung geltende Recht kommt allerdings nach Abs. 8 S. 2 nur zur Anwendung, wenn das
Handeln des Vertreters von der Zweigniederlassung aus für den Dritten erkennbar war; an-
dernfalls bleibt es bei der Anwendung des Rechts am Sitz der Hauptverwaltung3. Ferner tritt
zur Bestimmung des für den gewöhnlichen Aufenthalt maßgeblichen Zeitpunkts an die Stelle
des Vertragschlusses in Art. 19 Rom I-VO die Ausübung der Vollmacht.

Der gewöhnliche Aufenthaltsort einer natürlichen Person, die ihm Rahmen der Ausübung 6.444
ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, ist nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO der Ort ihrer
Hauptniederlassung, an dem sie also diese berufliche Tätigkeit hauptsächlich ausübt. Der ge-
wöhnliche Aufenthalt von privat handelnden natürlichen Personen wird in Art. 8 EGBGB
nicht bestimmt; insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze zur Anknüpfung an den gewöhn-
lichen Aufenthalt im Personenrecht4.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 99; ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807
(831); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (212); von Bar, II Rz. 590; Kegel/Schurig, IPR § 17
V 2b; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 97; vgl. auch Stürner in Erman, Art. 8
EGBGB Rz. 25a, der Art. 8 EGBGB anwendet und über dessen Abs. 3 zum gleichen Ergebnis
kommt. Abweichend Maczeyzik, Die Kapitänvertretungsmacht (1990), S. 297 f. (300), die von ei-
ner gesetzlichen Vertretungsmacht des Kapitäns ausgeht und diese primär an das Sitzrecht des
Verfrachters anknüpfen will, soweit dessen Sitz für Dritte erkennbar ist.
2 LG Hamburg v. 18.4.1962 – 29 O 166/58, IPRspr. 1962/63 Nr. 48; ferner BGH v. 26.9.1963 – II ZR
240/62, BGHZ 40, 126 = NJW 1963, 2323 (impliciter).
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 110; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB
Rz. 47.
4 Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 2 Rz. 58 ff.

Hausmann | 633
§ 6 Rz. 6.445 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

V. Reichweite des Vollmachtstatuts


1. Abgrenzung vom Geschäftsstatut des Hauptvertrags
6.445 Die Reichweite des Vollmachtstatuts ist abzugrenzen vom Anwendungsbereich des Geschäftssta-
tuts des Vertrages, der vom Vertreter mit dem Drittkontrahenten abgeschlossen wird. Maß-
gebend für diese Abgrenzung sind die in Rz. 6.398 ff. beschriebenen kollisionsrechtlichen Inte-
ressen. Danach beherrscht das Vollmachtstatut alle Fragen, welche die Befugnis des Bevollmäch-
tigten betreffen, den Vollmachtgeber gegenüber dem Drittkontrahenten wirksam zu verpflichten
(vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO). Dies gilt insbesondere für die wirksame Begründung, den
Umfang, die Wirkungen und das Erlöschen der Vollmacht1. Dies wird in zahlreichen auslän-
dischen Kodifikationen ausdrücklich klargestellt2. Auch nach der Gesetzesbegründung zu Art. 8
EGBGB bezieht sich die Vorschrift „allein auf die Voraussetzungen und die Wirkungen der
Stellvertretung aufgrund einer Vollmacht“3. Für eine Ausdehnung der Reichweite des Voll-
machtstatuts zu Lasten des Geschäftsstatuts bietet die Neuregelung daher keine Rechtfertigung4.

2. Erteilung und Gültigkeit der Vollmacht


6.446 Das Vollmachtstatut entscheidet insbesondere über die gültige Erteilung der Vollmacht, die
sich daher nach dem Recht des Wirkungslandes richtet5. Dies betrifft etwa die Art und Weise
der Vollmachtserteilung (einseitige Willenserklärung oder Vertrag)6, sowie die Frage, ob nur
der Bevollmächtigte oder auch Dritte Adressaten der Vollmachtserklärung sein können (In-
nen- oder Außenvollmacht)7. Dem Vollmachtsstatut ist ferner zu entnehmen, in welchem
Umfang Willensmängel in der Person des Vollmachtgebers die wirksame Erteilung der Voll-
macht beeinflussen8. Auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Minderjäh-
riger wirksam bevollmächtigt werden kann, beurteilt sich aus Gründen des Drittkontrahen-
tenschutzes nach dem Vollmachtstatut9. Ob der Bevollmächtigte oder der Vollmachtgeber bei

1 Vgl. Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Magnus in
Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 133 ff.; Kropholler, IPR, § 41 I 3.
2 Vgl. etwa § 49 öst. IPRG; Art. 53 liecht. IPRG; Art. 126 Abs. 2 schweiz. IPRG; ferner Art. 11 Abs. 1,
1. HS HStÜ. Zum Anwendungsbereich des Vollmachtstatuts aus rechtsvergleichender Sicht s. insb.
Berger, S. 129 ff.; Kurzynsky-Singer, S. 117 ff. (178 ff.); Rueda Valdivia, S. 238 ff.; Ruthig, S. 168 ff.;
Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (790 ff.); Verhagen, S. 362 ff.
3 BT-Drucks.18/10714, S. 24.
4 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 19; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 133 ff.
5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Rademacher in
NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 5; zum früheren Recht BGH v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, JZ 1963,
167 m. Anm. Lüderitz; BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = RIW 1982, 589 =
IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 =
NJW 2004, 1315 (1316); OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 (152); OLG
Köln v. 12.6.1995 – 19 U 15/95, NJW-RR 1996, 411 (interlokal); von Caemmerer, RabelsZ 24
(1959), 201 (214 f.); Ferid, IPR Rz. 5–160; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102.
6 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 136; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (215).
7 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; vgl. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201
(215); Raape, S. 503.
8 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 174;
ebenso schon bisher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Steding, ZVglRW 86 (1987),
25 (46); für die Schweiz Berger, S. 147; Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 21.
9 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 5;
von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (215); a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB
Rz. 174; Raape, S. 503.

634 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.448 § 6

Erteilung der Vollmacht voll oder beschränkt geschäftsfähig waren, ist hingegen selbständig
nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen (dazu Rz. 6.1057 ff.)1.

Früher wurde häufig zwischen der Erteilung der Vollmacht einerseits und der Tragweite der 6.447
wirksam entstandenen Vollmacht andererseits unterschieden. Nur die letztere Frage wurde
dem Vollmachtstatut unterstellt, während die Frage, ob überhaupt eine gültige Bevollmächti-
gung vorlag, nach dem Domizilrecht des Vertretenen beurteilt wurde2. Ebenso wie in der
Schweiz (vgl. Art. 126 Abs. 2 IPRG) konnte diese Auffassung von der gespaltenen Anknüp-
fung des Vollmachtstatuts in Deutschland schon vor der Kodifikation als überwunden gelten,
da eine scharfe Trennung zwischen den Fragen der wirksamen Entstehung und der Tragweite
der Vollmacht weder möglich noch sinnvoll erscheint3. Außerdem widerspricht diese Aufspal-
tung den für die Sonderanknüpfung der Vollmacht maßgeblichen Wertungen, insbesondere
dem angestrebten Verkehrsschutz4. Für sie ist daher unter Geltung von Art. 8 EGBGB kein
Raum mehr.

3. Auslegung der Vollmacht


Auch die Auslegung der Vollmacht unterliegt dem Vollmachtsstatut. Denn insoweit ist ent- 6.448
scheidend, wie der Drittkontrahent die Vollmacht nach den Auslegungsgrundsätzen des
Rechts an der ständigen Niederlassung des Vertreters bzw. Arbeitgebers oder am Gebrauch-
sort interpretieren durfte5.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 =
NJW 2004, 1315 (1316); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217).
2 Vgl. Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (829); Raape, S. 503; Pfister, S. 104; ebenso noch BGH v.
30.7.1954 – VI ZR 32/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (Erteilung einer Hausverwaltungs-
vollmacht für eine in Deutschland belegene Gaststätte nach französ. Recht beurteilt, „weil sowohl
der Vertretene als auch der Vertreter die frz. Staatsangehörigkeit besaßen und zudem auch der Ort
der Vollmachtserteilung in Frankreich liegt“). Vgl. auch schweiz. BG v. 26.6.1962, BGE 88 II 195
(Vollmacht des in Berlin niedergelassenen Vertreters einer schweiz. Firma zum Verkauf von Da-
menstrümpfen hinsichtlich ihrer Entstehung dem schweiz. Recht am Sitz der vertretenen Firma,
hinsichtlich ihrer Tragweite hingegen dem deutschen Recht unterstellt, weil der Vertreter in
Deutschland von ihr Gebrauch gemacht hatte).
3 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.); Gamillscheg, JZ 1955, 705; von Caemmerer,
RabelsZ 24 (1959); 201 (210 f.); Ferid, IPR Rz. 5-154; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (28).
4 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (792).
5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 138; Mäsch in
BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; ebenso schon zum früheren Recht RG v. 21.11.1927, HRR
1928 Nr. 303 = IPRspr. 1928 Nr. 27 (Auslegung einer zweisprachig [deutsch-italien.] gefassten
Vollmacht: „Bei Widersprüchen zwischen den beiden Fassungen geht der deutsche Text vor, wenn
von der Vollmacht in Deutschland Gebrauch gemacht werden soll“); RG v. 31.5.1943, DNotZ
1944, 151 = SA 97 Nr. 53 (In engl. Sprache abgefasste Vollmacht bezüglich eines deutschen
Grundstücks nach deutschem Recht ausgelegt: „Nach ihrem Inhalt ermächtigte die ... in Amerika
ausgestellte Vollmacht den Bevollmächtigten zum Tätigwerden für den Vollmachtgeber in
Deutschland; sie sollte also in Deutschland Verwendung finden. Demgemäß sind für die Aus-
legung der Vollmachtsurkunde die Auslegungsgrundsätze des deutschen Rechts, insbesondere die
§§ 133, 157 BGB maßgebend“); ferner BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (27) =
NJW 1965, 487; BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; OLG
München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990,
295); Reithmann, DNotZ 1956, 125 ff.; Braga, RabelsZ 24 (1959), 337; Luther, RabelsZ 38 (1974),
421 (434); Ferid, IPR Rz. 5–160; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102; für Berück-
sichtigung des Rechts am Erklärungsort Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (46).

Hausmann | 635
§ 6 Rz. 6.449 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Inhalt und Umfang der Vollmacht


6.449 Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde Inhalt und Umfang der Vollmacht ist nach
dem von Art. 8 EGBGB bestimmten Vollmachtstatut zu ermitteln1. Das nach Art. 8 Abs. 1
EGBGB gewählte oder nach Art. 8 Abs. 2-6 EGBGB objektiv ermittelte Recht ist daher maß-
gebend dafür, ob das vom Vertreter mit dem Dritten abgeschlossene Geschäft durch die Voll-
macht gedeckt ist2.

6.450 Das Vollmachtstatut ist weiterhin maßgebend für folgende Fragen:


– ob der Bevollmächtigte Untervollmacht erteilen darf3,
– ob der Bevollmächtigte mit sich selbst kontrahieren darf oder zur Mehrfachvertretung be-
rechtigt ist, denn auch insoweit handelt es sich um eine Frage der Tragweite der Voll-
macht4,

1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; Spellen-
berg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 191 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; ebenso
schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Hohloch, JuS 1992, 610 (613); Kro-
pholler, IPR § 41 I 3; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102.
2 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; vgl. schon RG v. 5.12.1896, RGZ 38, 194 (196) (ob
der Agent einer deutschen Firma in London ermächtigt war, über Waren der von ihm vertretenen
Firma zu verfügen, nach engl. Recht (Londoner Gebräuchen) bejaht); RG v. 3.4.1902, RGZ 51, 147
(149) (ob der Frankfurter Agent einer New Yorker Firma Zusicherungen über die Qualität der
Ware machen durfte, nach deutschem Recht bejaht); RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73
(ob der bloße Vermittlungsagent einer Darmstädter Maschinenfabrik in Dänemark befugt war,
eine Vertragsannahmeerklärung entgegenzunehmen, nach dän. Recht verneint); BGH v. 30.7.1954
– VI ZR 32/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (ob die Vollmacht zur Verwaltung eines deut-
schen Gastwirtschaftsanwesens dazu ermächtigte, eine Abwohnvereinbarung zu treffen, nach
deutschem Recht bejaht); OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 1 (ob die
einem deutschen Vertreter von einer ital. AG erteilte „Sondervollmacht“ in Bezug auf die Errich-
tung eines Bauvorhabens für die Olympiade 1972 in München auch das Recht umfasste, einem
deutschen Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen, nach deutschem Recht bejaht); BayObLG v.
5.11.1987 – BReg 3 Z 67/87, BayObLGZ 1987, 363 = NJW-RR 1988, 873 (Umfang einer in Kanada
in engl. Sprache ausgestellten Vollmacht zur Anmeldung der Kapitalerhöhung einer deutschen
GmbH nach deutschem Recht beurteilt); zust. Braga, RabelsZ 24 (1959), 337 (338); Raape, S. 503.
3 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; Spel-
lenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 177 vgl. zum bisherigen Recht OLG Frankfurt a.M. v.
2.4.1963 – 6 W 583/62, WM 1963, 872 (875); LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63; von
Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102;
Ferid, IPR Rz. 5-160; vgl. auch IPG 1975 Nr. 47 (Hamburg) (Befugnis eines kanad. trustee zur
Erteilung von Untervollmacht nach deutschem Vollmachtstatut beurteilt); LG Karlsruhe v.
6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155) (Berechtigung des Vorstandsmitglieds einer
tschech. AG zur Erteilung von Untervollmacht nach dem am tschech. Gebrauchsort geltenden
Recht verneint).
4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Magnus in Stau-
dinger, Art. 8 EGBGB Rz. 140; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; vgl. schon RG v. 25.5.1928,
JW 1928, 2013 (Berechtigung zum Selbstkontrahieren nach estn. Vollmachtstatut beurteilt); BGH
v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 = ZIP 1991, 1582 JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar =
WuB IV A § 181 BGB Nr. 1.92 m. Anm. Thode = EWiR 1991, 1107 m. Anm. Schlechtriem (Recht
von Geschäftsführern bzw. Prokuristen einer deutschen GmbH zum Selbstkontrahieren nach
deutschem Gesellschafts- bzw. Vollmachtstatut – und nicht nach dem frz. Geschäftsrecht – beur-
teilt); ferner OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (425); OLG Koblenz v.
19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 (152); OLG Karlsruhe v. 26.7.2017 – 6 U 142/15,

636 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.452 § 6

– ob im Falle der Bestellung mehrerer Vertreter Einzel- oder Kollektivvertretungsmacht be-


steht1,
– ob der Vertreter seine Vollmacht überschritten oder missbraucht hat2.

Das Vollmachtstatut entscheidet daher auch, ob der Vollmachtgeber trotz Überschreitung bzw. 6.451
Missbrauchs der Vollmacht durch den Vertreter dem Dritten gegenüber (z.B. kraft Rechtsscheins,
dazu Rz. 6.467 ff.) gebunden wird3. Entfällt allerdings eine Bindung des Vollmachtgebers an das
vom Vertreter unter Überschreitung bzw. Missbrauch der Vollmacht geschlossene Geschäft nach
dem Recht des Wirkungslandes, so beurteilt sich die weitere Frage, ob der Vollmachtgeber dem
Dritten ggf. aus anderen Rechtsgründen (z.B. aus culpa in contrahendo oder Delikt) haftet, hin-
gegen nach dem hierfür jeweils maßgeblichen Statut (Art. 12, 4 ff. Rom II-VO)4.

5. Form der Vollmacht


a) Geschäftsrecht
Der Ausschluss der rechtsgeschäftlichen Vertretung aus dem Anwendungsbereich der Rom I- 6.452
VO (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) erfasst nicht nur die materielle Wirksamkeit der Voll-
macht, sondern auch deren Formgültigkeit. Art. 11 Rom I-VO gilt daher zwar für die Form
des der Vollmacht zugrundeliegenden schuldrechtlichen Geschäfts (z.B. den Auftrag) sowie
für die Form des von dem Vertreter mit dem Dritten abgeschlossenen Vertrages. Demgegen-
über beurteilt sich die Form der Vollmacht weiterhin nach dem autonomen IPR der Mitglied-
staaten, in Deutschland daher nach Art. 11 EGBGB5. Danach sind das Geschäftsrecht und das
Ortsrecht alternativ und gleichrangig zur Anwendung berufen6.

GRUR-RS 2017, 119653 Rz. 36; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216 f.); Lüderitz in Soer-
gel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102; a.A. OLG München v. 19.11.1997 – 7 U 2511–97, NJW-RR
1998, 758 (implizit); Braga, RabelsZ 24 (1959), 337 (338 f.) (Statut des Innenverhältnisses); Raape,
S. 503; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 180 (Geschäftsstatut).
1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; vgl. auch OLG Frankfurt v. 2.4.1963 – 6 W 1963,
872, IPRspr. 1962/63 Nr. 164; ebenso für die Schweiz Berger, S. 151; Girsberger in Keller, Art. 126
IPRG Rz. 25.
2 RG v. 14.10.1931, RGZ 134, 67 (71) (Missbrauch der Vollmacht des im Inland tätigen Vertreters
beim Abschluss eines Börsentermingeschäfts an der New Yorker Baumwollbörse nach deutschem
Recht beurteilt); RG v. 31.5.1943, DNotZ 1944, 151 = SA 97 Nr. 53 (Missbrauch einer in den USA
ausgestellten Grundstücksvollmacht durch den Vertreter in Deutschland, der das deutsche Grund-
stück belastete, um sich für persönliche Zwecke Geld zu beschaffen. Wirksamkeit der Grund-
schuldbestellung im Verhältnis zum Vollmachtgeber nach deutschem Recht [§ 172 BGB] bejaht);
BGH v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, JZ 1963, 167 m. Anm. Lüderitz („Zum Umfang der Voll-
macht gehört auch die Frage, ob eine erteilte Vollmacht überschritten ist“); zust. von Caemmerer,
RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (429); Lüderitz in Soergel, Anh. zu
Art. 10 EGBGB Rz. 102.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 141; Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 21.
4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 131; Lüderitz, JZ 1963, 171 f.; Lüderitz in Soergel, Anh.
zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; a.A. (Vollmachtstatut) Ruthig, S. 171.
5 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 473 (474); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 170; Mansel
in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1095; a.A. für die Vollmacht zur Vornahme schuldrechtlicher
Grundstücksgeschäfte Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8
EGBGB Rz. 199.
6 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 170; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 201;
Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; zum bisherigen Recht BGH v. 4.3.2013 – NotZ
(Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013, 1605 Rz. 26.

Hausmann | 637
§ 6 Rz. 6.453 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.453 Die Form eines einseitigen Rechtsgeschäfts bestimmt sich gem. Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB
in erster Linie nach „dem Recht, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis an-
zuwenden ist“. Das ist bei der Vollmacht das Vollmachtstatut, nicht dagegen das Schuldstatut
des vom Vertreter abgeschlossenen Hauptvertrages oder die Rechtsordnung, die das der Voll-
macht zugrunde liegende Rechtsverhältnis beherrscht1. Wie Inhalt und Umfang einer Voll-
macht, so muss auch deren Formwirksamkeit nach dem von Art. 8 EGBGB zur Anwendung
berufenen Recht beurteilt werden. Das verlangt hier wie dort der Schutz des Rechtsverkehrs.
Dieser muss sich darauf verlassen können, dass eine Vollmacht, die nach ihrem Inhalt in
Deutschland Wirkungen entfalten soll, grundsätzlich formwirksam ist, wenn sie den Former-
fordernissen des deutschen Rechts genügt2. Nach geltendem Recht gilt dies allerdings nur
noch, wenn nicht ein abweichendes Recht nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB gewählt oder kraft einer
Sonderanknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-4 und 6 EGBGB vorrangig anzuwenden ist.

6.454 Da im deutschen Recht die Vollmacht grundsätzlich formfrei ist (§ 167 Abs. 2 BGB), bedürfen
somit Vollmachten, die aufgrund einer Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB oder kraft ob-
jektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB dem deutschem Recht unterliegen, nur in
Ausnahmefällen einer Form. So ist die Schriftform vorgeschrieben für die Stimmrechtsvoll-
macht im Aktienrecht (§ 134 Abs. 3 S. 2 AktG) und die Prozessvollmacht (§ 80 ZPO). Der
öffentlichen Beglaubigung bedürfen die Vollmacht zur Registeranmeldung (§ 12 Abs. 1 S. 2
HGB), die Vollmacht zum Bieten in der Zwangsversteigerung (§ 71 Abs. 2 ZVG) und die Voll-
macht zur Erbausschlagung (§ 1945 Abs. 3 BGB). Zum Abschluss eines GmbH-Vertrages (§ 2
Abs. 2 GmbHG) muss eine „notariell errichtete oder beglaubigte“ Vollmacht vorliegen. Die
notarielle Beurkundung ist erforderlich für die unwiderrufliche Grundstücksvollmacht, die
unwiderrufliche Vollmacht zur Erbteilsübertragung und die Blankovollmacht zur Abtretung
eines GmbH-Anteils.

6.455 Die Beurkundung oder Beglaubigung der Vollmacht kann im Ausland auch von einem deut-
schen Konsul vorgenommen werden (§ 10 KonsG). Auch wenn im Gesetz ausdrücklich von
„notarieller“ Beurkundung oder Beglaubigung die Rede ist, genügt stets auch die Beurkun-
dung oder Beglaubigung durch einen deutschen Konsul im Ausland (§ 10 Abs. 2 KonsG).

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 202; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1070; fer-
ner schon Makarov, FS Perassi II (1957), S. 39 (47); Reithmann, DNotZ 1956, 469 (471); von Ca-
emmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213); Zweigert, RabelsZ 24 (1959), 334 f.; Steding, ZVglRW 86
(1987), 25 (48); Schäfer RIW 1996, 189 (193); Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1097;
ebenso für die Schweiz Berger, S. 139 f.; Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 32; differenzierend
Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 108.
2 Vgl. KG v. 8.1.1931, DNotZ 1931, 402 (im Hinblick auf Art. 11 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. sei „grund-
sätzlich die Form einer Vollmacht, welche den Abschluss eines Kaufvertrages über ein in Deutsch-
land belegenes Grundstück zum Gegenstand hat, nach deutschem Recht zu beurteilen“); BGH v.
22.6.1965 – V ZR 55/64, WM 1965, 868 (fernmündliche Vollmacht zum Verkauf in der Schweiz
belegener Grundstücke als wirksam behandelt: „Die Vollmacht wurde ... in der Schweiz ausgestellt,
und in demselben Land wurde von ihr auch Gebrauch gemacht. Ihre Formerfordernisse richten
sich nach Schweizer Recht.“); OLG Zweibrücken v. 22.1.1999 – 3 W 246/98, FGPrax 1999, 86 (in
Ontario/Kanada ausgestellte privatschriftliche Vollmacht zur Erbteilsübertragung nach deutschem
Geschäftsrecht als formgültig beurteilt, weil von der Vollmacht im Inland Gebrauch gemacht wor-
den sei). Vgl. aber auch LG Hamburg v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 (Schriftformerfor-
dernis nach Art. 2 UNÜ „im Interesse einer international einheitlichen Rechtsgestaltung“ auf die
Vollmacht zum Abschluss eines Schiedsvertrages zwischen einer deutschen und einer italien. Fir-
ma erstreckt).

638 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.457 § 6

b) Ortsrecht
Für die Formgültigkeit der Vollmacht ist es allerdings nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB aus- 6.456
reichend, wenn sie im Ausland in der dort vorgesehenen Ortsform (lex loci actus) erteilt wor-
den ist1. Maßgebend ist hierbei der Errichtungsort der Vollmacht, nicht etwa der Empfangs-
ort2 oder der Ort, an dem das Vertretergeschäft abgeschlossen wird3. Soweit man einen Renvoi
im Rahmen von Art. 11 Abs. 1, Alt. 2 EGBGB überhaupt für beachtlich hält4, wirkt er nur „in
favorem validitatis“, stellt also die Wirksamkeit der unter Beobachtung der materiellen Form-
vorschriften des Ortsrechts ausgestellten Vollmacht nicht in Frage5. Dies gilt auch für Voll-
machten, die zu Grundstücksgeschäften im Inland ermächtigen. Der im deutschen materiellen
Recht geltende Grundsatz der Formabstraktion (§ 167 Abs. 2 BGB) bewirkt, übertragen auf
das IPR, dass die der lex-loci-Anknüpfung hinsichtlich der Formgültigkeit von Grundstücks-
verträgen und sachenrechtlichen Verfügungsgeschäften in Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO und
Art. 11 Abs. 4 EGBGB gezogenen Schranken für die Vollmacht nicht gelten6. Gleiches gilt
auch für die Übertragung von Erbanteilen an einem deutschen Nachlass. In der jüngeren
Literatur wird freilich z.T. eine entsprechende Anwendung von Art. 11 Abs. 4 EGBGB auf
Grundstücksvollmachten befürwortet7.

Die im deutschen materiellen Recht anerkannten Einschränkungen des Grundsatzes der 6.457
Formabstraktion8 begründen keinen kollisionsrechtlichen Formverbund von Hauptgeschäft
und Vollmacht. Auf die Gültigkeit einer nach dem Ortsrecht wirksam ausgestellten Vollmacht
ist es mithin ohne Einfluss, dass sie in ihren praktischen Auswirkungen das formgebundene
Hauptgeschäft bereits vorwegnimmt und deshalb nach dem deutschen Geschäftsrecht form-
bedürftig wäre. Vollmachten zum Abschluss von Verträgen über den Erwerb bzw. die Ver-
äußerung deutscher Grundstücke bedürfen daher, auch wenn sie unwiderruflich sind oder
vom Verbot des Selbstkontrahierens befreien, nicht gemäß Art. 11 Abs. 4 EGBGB der Form
des § 311b Abs. 1 BGB, sofern das Recht des ausländischen Ausstellungsortes eine notarielle
Beurkundung nicht verlangt.

1 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; zweifelnd Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz.
208.
2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 207; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB
Rz. 1096; vgl. auch BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013, 1605 Rz. 26.
3 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 109.
4 Bejahend Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 233 ff.; a.A. die wohl h.L., vgl. Thorn in
Palandt, Art. 11 EGBGB Rz. 1.
5 So schon zu Art. 11 Abs. 1 EGBGB a.F. OLG Stuttgart v. 18.12.1981 – 8 W 215/81, OLGZ 1982,
257 = IPRspr. 1981 Nr. 12.
6 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 172; Lü-
deritz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 110; vgl. OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/
87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) (Einhal-
tung der deutschen Ortsform für Erteilung einer Vollmacht zur Veräußerung eines span. Grund-
stücks für ausreichend erachtet); ebenso schon zu Art. 11 Abs. 2 EGBGB a.F. Reithmann, DNotZ
1956, 469 (475); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213 f.).
7 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1100 ff.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB
Rz. 208 ff.; ebenso die schweiz. Lehre, vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 33.
8 Dies betrifft insbesondere unwiderrufliche oder aus sonstigen Gründen bindende Vollmachten
zum Erwerb oder zur Veräußerung von Grundstücken; vgl. dazu statt aller Schubert in Münch-
Komm, § 167 BGB Rz. 18 ff. m.w.N.

Hausmann | 639
§ 6 Rz. 6.458 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.458 In den folgenden Fällen wurden daher im Ausland ausgestellte Vollmachten zur Veräußerung
oder Belastung deutscher Grundstücke als wirksam erachtet, obwohl die Form der § 311b
Abs. 1 (= § 313 a.F.), § 925 BGB nicht erfüllt war:
KG v. 19.3.1925, OLGE 44, 152
OLG Nürnberg v. 11.12.1928, IPRspr. 1929 Nr. 26
In Österreich ausgestellte unwiderrufliche Grundstücksvollmachten.
LG Berlin I v. 3.5.1930, IPRspr. 1930 Nr. 24
In Finnland ausgestellte unwiderrufliche und unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens er-
teilte Grundstücksvollmacht.
KG v. 8.1.1931, DNotZ 1931, 402 = IPRspr. 1931 Nr. 21
In den USA (Kalifornien) ausgestellte Grundstücksvollmacht, die den Vertreter zur Auflassung an sich
selbst ermächtigte.
OLG Schleswig-Holstein v. 19.12.1961 – 2 W 64/61, SchlHA 1962, 173 (m. Anm. Deutsch, SchlHA
1962, 244)
In Kanada ausgestellte unwiderrufliche und unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens er-
teilte Vollmacht zur Verfügung über einen Erbteil, der deutschem Recht unterlag.
OLG Stuttgart v. 11.11.1980 – 8 W 173/80, OLGZ 1981, 164 (165) = DNotZ 1981, 746
In Liechtenstein ausgestellte Vollmacht zur Grundstücksveräußerung unter Befreiung vom Verbot des
Selbstkontrahierens.
Vgl. aber LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63
„Der deutsche Grundbuchrichter hat eine in New York ausgestellte unwiderrufliche Generalvollmacht,
die nach ihrem Wortlaut in Deutschland ihre Wirkung entfalten soll, nach dem deutschen Recht als
nichtig zu behandeln.“ Rückverweisung auf das deutsche Sachstatut zu Unrecht auch hinsichtlich der
Form angenommen.

6.459 Aus dem gleichen Grund bedarf auch die im Ausland errichtete Vollmacht zur Auflassung
deutscher Grundstücke nicht nach Art. 11 Abs. 4 EGBGB der Form des § 925 BGB, selbst
wenn sie unwideruflich ist1. Entgegen dieser bisher h.M. wird in der jüngeren Literatur z.T.
für eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 4 EGBGB auf Grundstücksvollmachten plä-
diert, um den der Formfreiheit solcher Vollmachten im deutschen materiellen Recht gezoge-
nen Schranken auch im Kollisionsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen2. Dagegen spricht frei-
lich, dass durch die Erteilung der Vollmacht noch nicht über das betroffene Grundstück ver-
fügt wird3.

1 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 171;
Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; vgl. BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013,
1605 (Rz. 26); OLG München v. v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990,
320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295); ferner Reithmann, DNotZ 1956, 469 (474);
von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213 f.); Zweigert, RabelsZ 24 (1959), 334 (335); Kur-
zynsky-Singer, S. 196.
2 Vgl. i.d.S. schon Stoll in Staudinger, IntSachenR Rz. 230; ebenso Mansel in Staudinger, Art. 43
EGBGB Rz. 1102; ferner für die nach dem Geschäftsrecht formbedürftige Vollzugsvollmacht Lud-
wig, NJW 1983, 495 (496); Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 205, 208; für die unwi-
derrufliche Auflassungsvollmacht auch Winkler von Mohrenfels in Staudinger Art. 11 EGBGB
Rz. 71 f.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 172.

640 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.463 § 6

Umgekehrt genügt die Einhaltung der für das Vertretergeschäft vorgeschriebenen Form nicht 6.460
aus, wenn weder die Form nach dem Vollmachtstatut des Art. 8 EGBGB noch die Form am
Ort der Ausstellung der Vollmacht eingehalten wurde. Aus Art. 11 Abs. 3 EGBGB folgt nichts
anderes, weil die Vorschrift sich nur auf das Vertretergeschäft, nicht auf die Vollmacht be-
zieht1; außerdem ist die Vorschrift gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO auf die Vollmacht
nicht anwendbar2.

Wird eine Vollmacht dem deutschen Grundbuchamt vorgelegt, so bedarf sie allerdings der 6.461
Form des § 29 GBO. Diese Form wird auch durch die Beglaubigung eines ausländischen No-
tars im Rahmen seiner Zuständigkeit erfüllt3. Die Unterschrift des ausländischen Notars kann
von den deutschen Auslandsvertretungen legalisiert werden. Mit einer Reihe von Staaten beste-
hen Staatsverträge, nach denen in gewissen Fällen auf die Legalisation verzichtet wird4. Im Üb-
rigen steht es im Ermessen des Grundbuchamts, ob es eine Legalisation verlangt oder nicht5.
OLG Schleswig-Holstein v. 19.12.1961 – 2 W 64/61, SchLHA 1962, 173 = IPRspr. 1960/61 Nr. 22
Das Gericht erklärt, es stehe „im Ermessen des Grundbuchamts, zum Nachweis der Echtheit die Lega-
lisation zu verlangen, es sei denn, dass durch die besonderen Umstände des Einzelfalls der Echtheits-
beweis auch ohne Legalisation als erbracht angesehen werden kann“.

6. Dauer und Erlöschen der Vollmacht


a) Ablauf der gesetzlichen Gültigkeitsdauer
Das Vollmachtstatut entscheidet schließlich auch darüber, wann und aus welchen Gründen 6.462
die Vollmacht erlischt6 und welche Rechtsfolgen das Erlöschen der Vollmacht hat (z.B. An-
spruch auf Rückgabe der Vollmachtsurkunde)7. In Betracht kommt insbesondere ein Erlö-
schen der Vollmacht durch folgende Ereignisse:

In ausländischen Rechten ist die Wirksamkeit einer Vollmacht z.T. kraft Gesetzes zeitlich be- 6.463
schränkt. Die Geltung solcher Beschränkungen richtet sich nach dem Vollmachtstatut8.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 173.


2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 207.
3 OLG Zweibrücken v. 22.1.1999 – 3 W 246/98, Rpfleger 1999, 326 = FGPrax 1999, 86 (Unter-
schriftsbeglaubigung durch einen kanad. „notary public“ genügt den Anforderungen des § 29
Abs. 1 GBO).
4 Vgl. z.B. das Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Le-
galisation v. 5.10.1961, BGBl. 1965 II, 876; zu den Vertragsstaaten Jayme/Hausmann Nr. 250 in Fn. 1.
5 IPG 1969 Nr. 50 (München) (Nachweis von Eintragungsbewilligung und Vertretungsbefugnis ge-
genüber dem Grundbuchamt durch beglaubigte Urkunden eines schweiz. Notars).
6 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 142;
Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; ferner von Caem-
merer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214 f.); Kropholler, IPR § 41 I 3; a.A. Spellenberg in MünchKomm,
Art. 8 EGBGB Rz. 181 (Geschäftsstatut).
7 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 144; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102.
8 BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559) = DB 1958, 1010 (Vollmacht einer Russin
[Erbin eines Komponisten] an ihren Verleger. Nach russ. Recht [Art. 268 ZGB der RSFSR von
1923] wäre die Vollmacht nach einem Jahr erloschen. Diese Vorschrift wurde, soweit die Voll-
macht als Prozessvollmacht vor deutschen Gerichten gebraucht wurde, nicht berücksichtigt.);
BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 = NJW 1975, 1220 (Erlöschen der Vollmacht des
Züricher Anwalts von A. Solschenizyn durch Zeitablauf nach russ. Recht nicht berücksichtigt, so-
weit von der Vollmacht in Deutschland Gebrauch gemacht worden war).

Hausmann | 641
§ 6 Rz. 6.464 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Tod, Insolvenz oder Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen


6.464 In gleicher Weise entscheidet das Vollmachtstatut darüber, ob die Vollmacht durch den Tod, die
Insolvenz oder die Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen erlischt1. Wird daher von der Voll-
macht nach Art. 8 Abs. 5 EGBGB im Inland Gebrauch gemacht, so wirkt sie grundsätzlich über
den Tod des Vollmachtgebers hinaus, auch wenn sie im Ausland ausgestellt wurde. Hingegen
führt die Insolvenz des Gemeinschuldners i.d.R. zum Erlöschen der von ihm erteilten Vollmach-
ten; dies gilt auch im Falle der Auslandsinsolvenz, wenn diese im Inland anzuerkennen ist2.

c) Widerruf
6.465 Nach dem Vollmachtstatut ist auch zu beurteilen, ob ein Widerruf der Vollmacht überhaupt
möglich ist, wem gegenüber und auf welche Art und Weise er erklärt werden kann, und zu
welchem Zeitpunkt im Falle eines wirksamen Widerrufs die Vollmacht erlischt. Das Voll-
machtstatut bestimmt ferner auch darüber, ob eine unwiderrufliche Vollmacht als gültig, frei
widerruflich oder nichtig anzusehen ist3.

d) Beendigung des Innenverhältnisses


6.466 Das Vollmachtstatut regelt schließlich auch, welchen Einfluss die Beendigung des Innenver-
hältnisses auf die Vollmacht hat.4 Die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt das Innenverhält-
nis beendet worden ist, richtet sich selbstverständlich nach dem auf dieses Verhältnis anwend-
baren Recht.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 144; ebenso schon zum früheren Recht LG Berlin v.
11.1.1935, JW 1935, 877 („Dass die Vollmacht in Österreich ausgestellt ist, nötigt nicht zur Prü-
fung, ob eine solche Vollmacht über den Tod hinaus nach österreich. Recht wirksam ist. Denn da
sich die Vollmacht auf ein deutsches Grundstück bezieht, gilt nach Wirkungsstatut deutsches
Recht, und nach letzterem ist eine solche Bestimmung nicht zu beanstanden“); BGH v. 5.2.1958 –
IV ZR 204/57, DB 1958, 1010 („Handelt es sich um eine Prozessvollmacht, auf die deutsches Ver-
fahrensrecht anzuwenden ist, so erlischt sie nach § 86 ZPO nicht durch den Tod des Vollmacht-
gebers, sondern geht auf die Erben über“); OLG Frankfurt a.M. v. 2.4.1963 – 6 W 583/62, WM
1963, 872 (875) (von einem Franzosen ausgestellte Vollmacht zur Verwaltung eines deutschen
Hausgrundstücks auch nach dem Tode des Vollmachtgebers als wirksam erachtet, da Gebrauch-
sort der Vollmacht in Deutschland.); LG München I v. 21.3.1994 – 21 O 18187/89, NJW-RR 1994,
1150 (Erlöschen der vom Gemeinschuldner erteilten Prozessvollmacht vor inländ. Gerichten
durch Auslandsinsolvenz bejaht, wenn das ausländ. Insolvenzstatut diese Rechtsfolge anordnet
und die Auslandsinsolvenz im Inland anzuerkennen ist; a.A. (Geschäftsstatut) Spellenberg in
MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 181.
2 LG München I v. 21.3.1994 – 21 O 18187/89, NJW-RR 1994, 1150.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 143; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Spel-
lenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 178; vgl. schon RG v. 24.10.1892, RGZ 30, 122 (in
den USA ausgestellte unwiderrufliche Nachlassvollmacht nach New Yorker Recht beurteilt); LG
Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63 (in New York ausgestellte unwiderrufliche Generalvoll-
macht für Grundstücksgeschäfte in Deutschland als nichtig angesehen); KG v. 12.7.1958 – 3 U
1980/57, IPRspr. 1958/59 Nr. 40 (unwiderrufliche Vollmacht an einen israel. Rechtsanwalt zur
Vertretung vor den Berliner Entschädigungsbehörden in Anwendung deutschen Rechts als wider-
ruflich behandelt); ebenso von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Braga, RabelsZ 24
(1959), 337 (339); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102.
4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 143; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Spel-
lenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 178; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB
Rz. 178; vgl. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214).

642 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.468 § 6

7. Duldungs- und Anscheinsvollmacht


Fehlt es an einer ausdrücklich oder stillschweigend erteilten Vollmacht, so beurteilt sich auch 6.467
die Frage, ob der Vertretene sich aus Gründen des Verkehrsschutzes dem Dritten gegenüber
so behandeln lassen muss, als habe er Vollmacht erteilt, ebenfalls nach dem Vollmachtstatut.
Rechtfertigt man nämlich die Sonderanknüpfung der Vollmacht mit dem Schutz des Rechts-
verkehrs, so verlangt dieser eine einheitliche Behandlung aller Arten der Vollmacht, zumal
eine scharfe Grenzziehung zwischen der Vertretungsmacht durch stillschweigende Erklärung,
durch Duldung oder aufgrund Anscheins häufig kaum möglich ist1. Eine unterschiedliche An-
knüpfung dieser Vollmachtstypen würde die Praxis daher vor erhebliche Probelme stellen und
wäre auch in der Sache nicht gerechtfertigt2. Die im deutschen Recht entwickelten Grundsätze
über die Haftung des Geschäftsherrn aufgrund einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht wa-
ren daher nach bisherigem Recht im internationalen Rechtsverkehr – mit den in Rz. 6.407 ff.,
Rz. 6.411 ff. genannten Einschränkungen – stets anwendbar, wenn der Vertrauenstatbestand
von dem Vertreter in Deutschland gesetzt worden war; es galt insoweit das hypothetische
Vollmachtstatut.3.

Teilweise stellte die Rechtsprechung auch auf dasjenige Land ab, in dem der Schein entstan- 6.468
den war und sich ausgewirkt hatte4.
BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (27) = NJW 1965, 487

1 In diesem Sinne entscheiden auch Art. 11 Abs. 1 HS. 1 HStÜ sowie die IPR-Gesetze von Belgien
(Art. 108 Abs. 1 HS. 1), Italien (Art. 60 Abs. 1 HS. 1), Österreich (Art. 49 Abs. 1 HS. 1), Liechten-
stein (Art. 53 Abs. 1 HS. 1) und der Schweiz (Art. 126 Abs. 2) sowie von Spanien (Art. 10 Abs. 11
S. 2 c.c.); dazu Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (793 f.).
2 Für Anwendung von Art. 8 EGBGB auf Rechtsscheinvollmachten daher auch Kindler/Brügge-
mann, RIW 2018, 474; Thöne, IHR 2017, 141 (143); Spellenberg in MünchKomm, Rz. 156; Rade-
macher in NK-BGB, Rz. 6; Thorn in Palandt, Rz. 6; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 57; Magnus in
Staudinger, Rz. 39, jeweils zu Art. 8 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1071 ff.
3 Vgl. i.d.S. grundlegend Kropholler, NJW 1965, 1641 (1644 f.); ferner von Caemmerer, RabelsZ 24
(1959), 201 (210); Leible, IPRax 1998, 257 (260 f.); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB
Rz. 107; ebenso für das schweiz. Recht Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 35. Vgl. auch OLG
Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Saarbrücken v. 28.10.1966 – 3 U
44/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 19a (Anscheinsvollmacht eines deutschen Handlungsbevollmächtigten
für die Bestellung von Erbsen bei einer französ. Firma: „Da der Auftrag unstreitig fernmündlich
von dem Handlungsbevollmächtigten von Frankfurt a.M. aus erteilt wurde, kommt somit für die
Frage der Vollmachterteilung bzw. Duldungs- oder Anscheinsvollmacht deutsches Recht zur An-
wendung“); OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68, AWD 1969, 415 (Duldungsvollmacht
des Sohnes der Geschäftsinhaberin eines deutschen Betriebes in Spanien nach span. Recht beur-
teilt: „Auch die stillschweigend durch Duldung eines tatsächlichen Verhaltens erteilte Vollmacht
ist nach dem Recht des Landes zu beurteilen, in dem der Vertreter das in Rede stehende Geschäft
vorgenommen hat“).
4 Vgl. zur Duldungsvollmacht KG v. 30.5.1932, IPRspr. 1932 Nr. 25; OLG Hamburg v. 2.7.2009 – 9
U 253/08, NJW-RR 2009, 1717 (1718); zur Anscheinsvollmacht BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05,
GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann = NJW 2007, 1529 (1530); OLG Hamburg v. 15.5.1931,
IPRspr. 1931 Nr. 39; OLG Hamm v. 6.6.1957 – 17 U 185/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 27; OLG Düssel-
dorf v. 11.5.1978 – 18 U 21/78, MDR 1978, 930; KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRax 1998, 280
(m. Anm. Leible, IPRax 1998, 257); OLG Hamm v. 25.11.2002 – 8 U 65/02, RIW 2003, 305; zust.
Ferid, Rz. 5–159; krit. dazu Kropholler, NJW 1965, 1641 (1645); Ruthig, S. 44 ff.; Leible, IPRax
1998, 257 (260 f.).

Hausmann | 643
§ 6 Rz. 6.468 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Anscheinsvollmacht der ständigen bulgarischen Außenhandelsvertretung in Deutschland. „Die An-


scheinsvollmacht beruht nicht auf dem Rechtsgeschäft einer Bevollmächtigung; der Vertretene haftet
vielmehr aufgrund eines infolge seines Verschuldens entstandenen Rechtsscheins. Steht aber ein
Rechtsgeschäft nicht in Frage, so kann auch nicht an das Geschäftsstatut der Bevollmächtigung, also
etwa an den Ort der Bevollmächtigung oder die Staatsangehörigkeit oder das Domizil des Vollmacht-
gebers angeknüpft werden. Es bleibt als einziger Anknüpfungspunkt der Ort, an dem der Rechtsschein
entstanden ist und sich ausgewirkt hat. Wenn ein Ausländer einen solchen Rechtsschein in Deutsch-
land setzt, so entscheidet deshalb ausschließlich das deutsche Recht darüber, ob dieser Rechtsschein
den Ausländer so bindet, wie es eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht tun würde.“
OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25
Anscheinsvollmacht eines Schweizers zum Kauf von Flugscheinen für eine deutsche Gesellschaft nach
deutschem Recht beurteilt, obwohl der Vertreter ausschließlich von Zürich aus gehandelt hatte. Maß-
geblich sei allein der Ort, „an dem der Schein entstanden ist und sich ausgewirkt hat“.
OLG Karlsruhe v. 25.7.1986 – 14 U 159/84, ZIP 1986, 1578 = NJW-RR 1987, 119 = IPRax 1987, 257
(m. Anm. Weitnauer, IPRax 1987, 221) = EWiR 1986, 1199 m. Anm. Herber
Einlassung des italienischen Handelsagenten auf die Mängelrüge des deutschen Käufers ist dem italie-
nischen Verkäufer nach den deutschen Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht zuzurechnen, wenn
der Rechtsschein in Deutschland gesetzt wurde.

6.469 Diese Grundsätze galten auch für die Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Firmenzusatzes1.
BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 Rz. 9 (m. Aufs. Kindler, NJW 2007, 1785 ff.)
Rechtsscheinhaftung des Vertreters einer niederl. B.V., der bei Geschäften mit deutschen Partnern den
Firmenzusatz mit dem Hinweis auf die beschränkte Haftung weggelassen hatte; persönliche Haftung
des Vertreters nach deutschem Recht beurteilt.

6.470 An dieser vollmachtsakzessorischen Anknüpfung von Rechtscheinvollmachten ist auch unter


Geltung von Art. 8 EGBGB festzuhalten, obwohl diese weder im Wortlaut der Vorschrift noch
in der Gesetzesbegründung Erwähnung finden. Anstelle der bisherigen ungeschriebenen
Grundsätze des bisherigen Richterrechts sind daher künftig die Anknüpfungsregeln des Art. 8
Abs. 2-5 EGBGB auch auf Rechtsscheinvollmachten anzuwenden2. Diese gelten also auch
dann, wenn der Rechtsschein für den Drittkontrahenten ausnahmsweise in einem vom Ge-
brauchsland abweichenden Land gesetzt wurde oder entstanden ist. Insoweit kann es aller-
dings nicht auf den Ort ankommen, an dem der Dritte an den Rechtsschein geglaubt hat3.
Vielmehr entspricht der Ort, an dem der Schein entstanden ist, im Regelfall dem hypotheti-
schen Vollmachtstatut nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB4. Bei Distanzgeschäften kommt es daher
auch hier auf den Ort an, an dem der Vertreter seine Vertragserklärung abgegeben hat; hin-
gegen ist der Ort des Zugangs der Erklärung nicht maßgeblich5. Indessen ist für jede dieser
Anknüpfungsregeln zu sorgfältig zu prüfen, ob sie auch für Rechtsscheinvollmachten passt.

1 Vgl. auch OLG Schleswig v. 24.10.2008 – 14 U 4/08, IPRspr. 2008 Nr. 12; Thorn in Palandt, Art.8
EGBGB Rz. 6.
2 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 473 (474); Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (523 ff.); Thöne,
IHR 2017, 141 (143); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1072; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 10, 57;
Stürner in Erman, Rz. 35; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 157; Magnus in Staudinger, Rz. 30,
84 ff., jeweils zu Art. 8 EGBGB m.w.N.
3 So aber Leible IPRax 1998, 257 (260); dagegen zu Recht Spellenberg in MünchKomm, Art. 8
EGBGB Rz. 155.
4 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 57.
5 Vgl. schon BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 29 ff.)

644 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.474 § 6

Der Vollmachtgeber kann sich allerdings ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken des 6.471
Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auf das an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort geltende Recht be-
rufen, wenn dieses eine solche Rechtsscheinhaftung nicht vorsieht und er mit einer solchen
Haftung aufgrund der Anwendung eines anderen Rechts nicht rechnen musste1. Dies gilt aber
nicht, wenn der Vertretene – insbesondere in den Fällen des Art. 8 Abs. 2 und 3 EGBGB –
mit einem Handeln des Vertreters im Ausland (z.B. von einer ausländischen Niederlassung
aus) einverstanden war2. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers zu einem solchen Rechtsschutz
des Vollmachtgebers kann nicht gefolgert werden, dass dieser grundsätzlich auszuscheiden ha-
be; denn Art. 8 EGBGB enthält keine Aussage zu den Besonderheiten von Rechtsscheinvoll-
machten3.

8. Verfügungsermächtigung
Während die Verfügungsmacht grundsätzlich dem Recht unterliegt, das den von der Ver- 6.472
fügung betroffenen Gegenstand beherrscht, können die Grundsätze über die Anknüpfung der
Vollmacht auch auf eine – rechtsgeschäftliche – Verfügungsermächtigung entsprechend ange-
wandt werden4. Die Einziehungsermächtigung steht demgegenüber der Zession so nahe,
dass sie dem Zessionsstatut (Art. 14 Rom I-VO) unterliegt5.

VI. Geschäftsstatut des Hauptvertrages


1. Zulässigkeit der Stellvertretung
Diejenigen Fragen, die nicht die Vollmacht, sondern die „Stellvertretung als solche“ oder die 6.473
Gültigkeit des vom Vertreter vorgenommenen Geschäfts betreffen, sind nach dem Wirkungs-
statut dieses Geschäfts zu beurteilen; das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht bleibt inso-
weit außer Betracht6. Hierher gehören vor allem folgende Fragen:

So ist die Entscheidung darüber, ob gewisse Rechtsgeschäfte (insbesondere des Familien- und 6.474
Erbrechts) überhaupt durch einen Vertreter abgeschlossen werden dürfen oder – wie z.B. ein
Erbvertrag – wegen ihres höchstpersönlichen Charakters vertretungsfeindlich sind, auch unter

1 Thorn in Palandt, Rz. 6; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 59; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 159 ff.,
jeweils zu Art. 8 EGBGB; ebenso schon früher G. Fischer, IPRax 1989, 216; Lüderitz in Soergel,
Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 107; a.A. (nur Vollmachtstatut) von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959),
201 (210); offenlassend Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 35.
2 OLG Hamburg v. 2.7.2009 – 9 U 253/08, NJW-RR 2009, 1717 (1718) = IPRspr. 2009 Nr. 13;
Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 59.
3 Anders Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (519 f., 524); Staudinger/Magnus Art. 8 EGBGB Rz. 87.
4 BGH v. 29.3.2001 –I ZR 182/98, BGHZ 147, 178 = NJW 2002, 596 = RIW 2001, 937 = GRUR
2001, 1134 (Ermächtigung der staatlichen sowjet. Urheberrechtsorganisation VAAP zur Einräu-
mung von Verlagsrechten an Werken eines estn. Komponisten zugunsten eines deutschen Musik-
verlegers nach sowjet. Recht – als dem Recht des Landes, in dem von der Verfügungsbefugnis Ge-
brauch gemacht werden sollte – beurteilt, obwohl der geschlossene Verlagsvertrag dem deutschen
Recht unterstand).
5 Vgl. BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (204 f.) = ZIP 1994, 547 = IPRax 1995,
168 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 157); BGH v. 15.11.2012 – I ZR 86/11, NJW 2013, 1730
(Rz. 23); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 121 f. m.w.N.; a.A. Leible, IPRax 1998,
257 (260).
6 von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Raape, S. 502 f.

Hausmann | 645
§ 6 Rz. 6.474 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

neuem Recht dem Geschäftsstatut zu entnehmen1. Auch welche Anforderungen an die Person
des Vertreters (z.B. an seine Geschäftsfähigkeit) für einen wirksamen Vertragschluss zu stellen
sind, bestimmt das Geschäftsstatut2.

2. Erfordernis einer Spezialvollmacht


6.475 Auch die Frage, ob für die Vornahme eines bestimmten Rechtsgeschäfts eine Generalvoll-
macht ausreicht oder eine Spezialvollmacht erforderlich ist, beantwortet das Geschäftsstatut3.
Dem Geschäftsstatut ist auch zu entnehmen, ob es für bestimmte Geschäfte einer ausdrück-
lichen Vollmacht bedarf oder ob eine konkludente Erteilung genügt4.

3. Offenbarung des Vertretungsverhältnisses


6.476 Nach dem Geschäftsstatut wurde bisher auch beurteilt, ob die Verpflichtung des Vertretenen
voraussetzt, dass der Vertreter in fremdem Namen gehandelt hat, das Vertretungsverhältnis
mithin dem Dritten gegenüber offen gelegt wurde5. Es beherrscht ferner auch die Frage, welche
Wirkungen im Falle einer verdeckten Stellvertretung („undisclosed agency“, z.B. bei Abschluss
von Kommissionsgeschäften) eintreten. An dieser Auffassung sollte auch unter Geltung von
Art. 8 EGBGB festgehalten werden6. Denn auch insoweit handelt es sich nicht um ein Problem
der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, sondern um eine davon unabhängige Voraussetzung
für das wirksame Zustandekommen des Vertretergeschäfts. Allein das Schuldstatut dieses Ge-
schäfts bestimmt daher, was der Vertreter zu tun hat, um die Vertretungswirkungen kraft der
ihm nach dem Vollmachtstatut zustehenden Vertretungsmacht herbeizuführen und welcher Art
diese Wirkungen sind7. Infolgedessen können etwa zwischen dem Kommittenten und dem
Drittkontrahenten keine unmittelbaren schuldrechtlichen Beziehungen entstehen, wenn nach
dem Statut des Ausführungsgeschäfts eine mittelbare Stellvertretung nicht zulässig ist8.

1 Thorn in Palandt, Rz. 6; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 179; Magnus in Staudinger, Art. 8
EGBGB Rz. 162, jeweils zu Art. 8 EGBGB; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24
(1959), 201 (217); Ferid, IPR Rz. 5-161; Kropholler, IPR § 41 I 3; Lüderitz in Soergel, Anh. zu
Art. 10 EGBGB Rz. 103; anders das schweiz. IPR, vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 20.
2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 216; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 24.
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 162; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 180;
ebenso schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10
EGBGB Rz. 103; a.A. Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (826).
4 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 24.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 179; vgl. zum früheren Recht BGH v. 25.10.2012 –
I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743 (Rz. 22); OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax
2018, 61 (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02,
IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, TranspR 1996, 40; Braga, RabelsZ
24 (1959), 338; Raape, S. 502 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 106; a.A. (Voll-
machtstatut) Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47), sowie in der Schweiz BGE 88 II 194; 100 II
207 ff.; Keller/Girsberger, Art. 126 IPRG Rz. 23.
6 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 25; Thorn in Palandt, Rz. 6; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 179, jew-
weils zu Art. 8 EGBGB; Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; Spickhoff, RabelsZ 80 [2016] 481 (526).
7 Ebenso Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 179; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8
EGBGB Rz. 41; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (795 ff.).
8 OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46 (nach dem engl. Geschäftsstatut
beurteilt, ob der Vertreter mit unmittelbarer Wirkung für den Vertretenen gehandelt hatte); näher
Stoll, Kollisionsrechtliche Fragen beim Kommissionsgeschäft, RabelsZ 24 (1959), 609 (619 ff.), der
eine Kumulation von Geschäfts- und Vollmachtstatut vorschlägt.

646 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.479 § 6

Nach dem Geschäftsstatut bestimmte sich daher auch die Zulässigkeit einer Vertretung für 6.477
den, den es angeht1, sowie die Rechtsfolgen eines Handelns unter fremdem Namen2.

4. Zurechnung von Willensmängeln und bösem Glauben


Das Geschäftsstatut bestimmt, ob ein Rechtsgeschäft wegen Willensmängeln (Irrtum, Täu- 6.478
schung, Drohung) nichtig ist oder angefochten werden kann (vgl. Rz. 3.91 ff.)3. Daran ändert
sich auch dann nichts, wenn in den Abschluss des Rechtsgeschäfts ein Vertreter eingeschaltet
wurde, weil es sich auch insoweit nicht um ein Problem der Stellvertretung handelt4. Wenn
das Geschäftsstatut aber darüber entscheidet, ob und welche Willensmängel relevant sind,
sollte ihm auch die Entscheidung überlassen werden, ob insoweit auf die Person des Vertreters
oder des Vertretenen abzustellen ist5. Gleiches gilt für die Frage, ob Willensmängel oder die
Kenntnis gewisser Umstände in der Person des Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen sind6.
Dem Geschäftsstatut – und nicht dem Vollmachtsstatut – ist weiterhin die Antwort auf die
Frage zu entnehmen, ob es bei der Beurteilung der Gutgläubigkeit auf die Kenntnis des Ver-
treters oder diejenige des Vollmachtgebers ankommt. Denn auch insoweit geht es weniger um
die Tragweite der erteilten Vollmacht als vielmehr um die Wirksamkeit des vom Vertreter ab-
geschlossenen Rechtsgeschäfts7. Das Reichsgericht hat hingegen über diese Zurechnungsfrage
wiederholt auf der Grundlage des Vollmachtstatuts entschieden8.

Dem Geschäftsstatut – und nicht dem Vollmachtsstatut – ist weiterhin die Antwort auf die 6.479
Frage zu entnehmen, ob es bei der Beurteilung der Gutgläubigkeit auf die Kenntnis des Ver-

1 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 42.
2 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 164; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Lü-
deritz, FS Coing II, S. 305 (320); IPG 1984 Nr. 11 (Köln) (zur verdeckten Stellvertretung nach
span. Recht).
3 Vgl. für Schuldverträge Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; dazu Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 24 f.
4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 163; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 29;
von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216).
5 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 182; Magnus in Staudinger,
Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Ferid, IPR
Rz. 5-161.
6 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 29.
7 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 182; Magnus in Staudinger,
Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Rabel,
RabelsZ 3 (1929), 807 (833).
8 RG v. 5.12.1911, RGZ 78, 55 (60) = JW 1912, 245 (Irreführung des Drittkontrahenten durch den
Vertreter dem deutschen Vollmachtgeber nach österreich. Vollmachtstatut zugerechnet); RG v.
23.3.1929, SA 83 Nr. 153 = IPRspr. 1929 Nr. 29 („Eine engl. Firma, die durch ihren deutschen
Agenten mit einem in Deutschland ansässigen Dritten kontrahiert, [muss sich] den Spieleinwand
[§ 764 BGB] entgegenhalten lassen, wenn der Agent die Spielabsicht des Dritten kannte oder ken-
nen musste“); RG v. 14.10.1931, RGZ 134, 67 (69 (Kenntnis des deutschen Agenten einer ame-
rikan. Firma vom Spielcharakter des geschlossenen Vertrages wirkt nach deutschem Vollmachtsta-
tut nicht gegenüber der Vollmachtgeberin, wenn der Drittkontrahent weiß, dass diese bei
Kenntnis dieses Umstands den Vertrag nicht geschlossen hätte). Ebenso LG Essen v. 12.12.1990 –
41 O 122/89, RIW 1992, 227 (Die Kenntnis ihres deutschen Handelsvertreters von der in AGB der
deutschen Verkäuferin enthaltenen Gerichtsstandsklausel wurde der ital. Käuferin nach deut-
schem Vollmachtstatut zugerechnet); zust. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216); Steding,
ZVglRW 86 (1987), 25 (48).

Hausmann | 647
§ 6 Rz. 6.479 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

treters oder diejenige des Vollmachtgebers ankommt1. Denn auch insoweit geht es weniger
um die Tragweite der erteilten Vollmacht als vielmehr um die Wirksamkeit des vom Vertreter
abgeschlossenen Rechtsgeschäfts.

5. Vertretung ohne Vertretungsmacht


a) Geschäftsstatut
6.480 Da die Vertretung ohne Vertretungsmacht im Spannungsfeld zwischen fehlender oder unzu-
reichender Vollmacht einerseits und einer möglichen Heilung des vom Vertreter geschlosse-
nen Vertrages durch Genehmigung des Vertretenen andererseits steht, ist ihre Anknüpfung
umstritten. Da weder Art. 8 EGBGB noch die Gesetzesbegründung zu dieser Frage Stellung
beziehen, gelten die bisherigen Anknüpfungsgrundsätze fort. Richtigerweise ist daher insoweit
weiterhin zwischen den Auswirkungen der Vertretung ohne Vertretungsmacht auf den ge-
schlossenen Hauptvertrag einerseits und der Haftung des falsus procurator andererseits zu un-
terscheiden2. Während erstere sich grundsätzlich nach dem Geschäftsstatut beurteilen, gilt für
letztere das Vollmachtstatut.

6.481 Nach dem Geschäftsstatut ist daher zu entscheiden:


– ob bei dem geschlossenen Geschäft Vertretung ohne Vertretungsmacht überhaupt zulässig
ist3.
– ob und unter welchen Voraussetzungen eine Genehmigung des vollmachtlos abgeschlosse-
nen Geschäfts durch den Vertretenen möglich ist (Genehmigungsfähigkeit)4,
– welche Anforderungen an eine wirksame Genehmigung zu stellen sind und
– welche Wirkungen die Genehmigung des Geschäfts hat5.
BGH v. 22.6.1965 – V ZR 55/64, WM 1965, 868
Verkauf von Nachlassgrundstücken durch einen von zwei Mittestamentsvollstreckern allein. „Die
rechtlichen Folgen des Umstandes, dass dieser Testamentsvollstrecker bei der für den Abschluss des
Vertrages erforderlichen Gesamtvertretung nicht mitgewirkt hat, insbesondere die Fragen, ob und un-
ter welchen Voraussetzungen eine genehmigungsfähige Vertretung ohne Vertretungsmacht möglich
ist, sind nach dem Geschäftsstatut zu beurteilen.“

1 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, Rz. 182; Magnus in Staudinger, Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB;
Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (833); a.A. (Vollmachtstatut) von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959),
201 (216); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 104.
2 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1075.
3 von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Kayser, S. 50 ff.
4 Thorn in Palandt, Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 36; Spellenberg in MünchKomm,
Rz 185, jeweils zu Art. 8 EGBGB; zum früheren Recht BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ
128, 41 = MDR 1995, 427 (48) = IPRax 1996, 342 (344) (m. zust. Anm. G. Fischer, IPRax 1996,
332); OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (426); OLG Koblenz v.
19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151; KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRax 1998, 280 (m.
Anm. Leible, IPRax 1998, 257); Raape, S. 502 f.; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217);
von Bar, JZ 1992, 582; differenzierend Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 185; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1075;
Raape, S. 502; Berger, S. 169 f.; a.A. (Wohnsitzrecht des Vollmachtgebers) OLG Hamburg v.
26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1959, 1396.

648 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.483 § 6

BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 (619) = ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107 = JZ
1992, 579 m. Anm. von Bar
„Ist ein Vertrag wegen Selbstkontrahierens unwirksam, so richtet sich auch die Vertretungsmacht für
eine spätere Genehmigung nach dem Vollmachtstatut, die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der
Genehmigung bestimmen sich nach dem Geschäftsstatut.“
OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 43/83, WM 1984, 494 (500) = ZIP 1984, 594
Übertragung von Aktien auf den Vertreter ohne Vertretungsmacht einer noch nicht eingetragenen
schweizerischen AG. Deutsches Recht angewandt, „weil für die Übertragung von Anteilsrechten an
juristischen Personen deren Personalstatut ... und für die Rechtswirkung einer Vertretung ohne Ver-
tretungsmacht – soweit es den Vertretenen betrifft – das Geschäftsstatut maßgebend sind“.
OLG Hamburg v. 26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1959, 1396
Abschluss eines von der Vollmacht nicht gedeckten Geschäftes durch den deutschen Agenten eines
persischen Händlers. „Genehmigt wird nicht die machtlose Vertretung iS einer nachträglichen Ergän-
zung der Vollmacht, sondern das bisher schwebend unwirksame Geschäft. Da es sich bei der Frage,
welches Tun oder Unterlassen des Vertretenen als Genehmigung zu deuten ist, nicht um eine Frage
nach Art und Umfang der Vollmacht handelt, gilt nicht das Vollmachtstatut, sondern das Wohnsitz-
recht des Vertretenen.“ § 91a HGB auf das Schweigen des persischen Vollmachtgebers zu dem vom
deutschen Agenten im Inland geschlossenen Geschäft nicht angewendet, da nach dem iranischen
Wohnsitzrecht des Geschäftsherrn mit einer solchen Bewertung des Schweigens nicht zu rechnen ge-
wesen sei.

Die Anknüpfung an das Geschäftsstatut empfiehlt sich deshalb, weil die Genehmigung weni- 6.482
ger eine nachträgliche Erteilung oder Ergänzung der Vollmacht zum Gegenstand hat, als viel-
mehr eine Heilung des konkret abgeschlossenen Hauptgeschäfts bezweckt. Wird die Geneh-
migung wiederum durch einen Vertreter erteilt, so beurteilt sich dessen Vertretungsmacht al-
lerdings nach dem Vollmachtstatut. Teilweise werden aber auch alle mit der Genehmigung
zusammenhängenden Fragen dem Vollmachtstatut unterstellt, weil das Geschäft infolge der
Genehmigung so anzusehen sei, als habe der Vertreter von vorneherein mit Vollmacht gehan-
delt1.

Das Geschäftsstatut gilt ferner auch für die Fragen, 6.483


– welche Wirkungen das Geschäft hat, wenn und solange es nicht genehmigt wird (z.B.
Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit)2 und
– ob der Drittkontrahent zum Widerruf berechtigt ist3, denn der Widerruf richtet sich in
erster Linie gegen das vollmachtlos geschlossene Geschäft und bezweckt dessen definitive
Ungültigkeit.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 158; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26;
ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217 Leible, IPRax 1998, 257 (259);
Kayser, S. 95 f.; Ruthig, S. 170 ff.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2
c; Kropholler, IPR § 41 I 3. Ebenso zum österreich. Recht (Art. 49 Abs. 1 IPRG) öOGH v. 9.7.1986,
ZfRV 1987, 205 (207); zum schweizerischen Recht (Art. 126 Abs. 2 IPRG) Keller/Girsberger, IPRG
Art. 126 Rz. 22.
2 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 Rz. 26; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959),
201 (217); Kayser, S. 100 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103.
3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 26; ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929),
807 (833); Raape, S. 503; a.A. (Vollmachtstatut) Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2c; Kayser, S. 103 ff.;
Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47).

Hausmann | 649
§ 6 Rz. 6.484 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.484 Demgegenüber orientiert sich die Gegenmeinung an der Anknüpfung der Folgen mangelnder
Geschäftsfähigkeit (dazu Rz. 6.1096 ff.). Wenn die Erteilung der Vollmacht und ihr Widerruf
unter das Vollmachtstatut falle, so könne für die Genehmigung des Geschäfts und deren Be-
seitigung durch den Widerruf des Drittkontrahenten nichts anderes gelten. Auch die Aus-
legung und Reichweite der Genehmigung seien daher nach dem Vollmachtstatut zu beurtei-
len. Erst wenn nach dem Vollmachtstatut feststehe, dass es an einer wirksamen Genehmigung
fehle, sei auf die weiteren Rechtsfolgen das Geschäftsstatut des vom Vertreter abgeschlossenen
Rechtsgeschäfts anzuwenden1.

b) Vollmachtstatut
6.485 Zwar beruht auch die Haftung des vollmachtlosen Vertreters auf dem von ihm abgeschlosse-
nen Geschäft, das ihm eine Gewährleistung für seine Vertretungsbefugnis abverlangt. Es han-
delt sich daher materiell-rechtlich um eine vertragsähnliche Haftung, so dass man erwägen
könnte, sie auch kollisionsrechtlich dem Vertragsstatut zu unterstellen2. Dafür könnte auch
sprechen, dass die ähnlich gelagerte sog. Sachwalterhaftung, die an die Inanspruchnahme be-
sonderen Vertrauens durch den Vertreter oder einen sonstigen vertragsfremden Dritten an-
knüpft (vgl. im deutschen Recht § 311 Abs. 2 BGB), ebenfalls dem Statut des Hauptvertrags
unterstellt wird3.

6.486 Auf der anderen Seite soll das Rechtsinstitut der Haftung des falsus procurator das Vertrauen
des Rechtsverkehrs in den Bestand der Vollmacht stärken. Der Drittkontrahent, der nach
Maßgabe des Vollmachtstatuts auf die Vertretungsmacht vertraut, soll also bei deren Fehlen
zumindest die Haftung des falsus procurator nach dem ihm bekannten Recht der Niederlas-
sung des Vertreters oder am Gebrauchsort der Vollmacht in Anspruch nehmen dürfen, zumal
die Grenzen zwischen einer Haftung des Geschäftsherrn aufgrund einer Anscheinsvollmacht
und der subsidiären Haftung des Vertreters wegen Überschreitung dieser Vollmacht fließend
sind.

6.487 Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den Wirkungen der Vollmacht einerseits und
den Folgen fehlender Vertretungsmacht andererseits würde eine Aufspaltung des auf beide
Bereiche anwendbaren Rechts zu erheblichen Abgrenzungs- und Anpassungsproblemen füh-
ren. Aus diesen Gründen muss auch die Frage, ob und in welchem Umfang der falsus procura-
tor haftet, wenn der Geschäftsherr das Geschäft nicht genehmigt, dem Vollmachtstatut unter-
liegen4. Diese Auffassung hat sich heute auch international weitgehend durchgesetzt. Ihr fol-

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 158; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26.
2 Dafür Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 26; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 184, 212 f.; Stürner in
Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 36, jeweils zu Art. 8 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz, 1075;
ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (823 ff.); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959),
201 (217); Schäfer, RIW 1978, 189 (191); von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rn. 49.
3 Vgl. BGH v. 9.10.1986 – II ZR 241/85, NJW 1987, 1141 = ZIP 1987, 175 = JR 1987, 198 m. abl.
Anm. Dörner. Offen lassend, ob die Eigenhaftung des falsus procurator nach dem Vertrags- oder
Deliktsstatut zu beurteilen ist, OLG Hamm v. 20.1.2004 – 21 U 102/02, IPRspr. 2004 Nr. 18.
4 So auch die inzwischen h.M., vgl. Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz 6; Magnus in Staudinger,
Art. 8 EGBGB Rz. 159 f.; ebenso schon früher Kropholler, NJW 1965, 1641 (1645 f.); Steding,
ZVglRW 86 (1987), 25 (47); G. Fischer, S. 312 f. und IPRax 1996, 332 (335); Leible, IPRax 1998,
257 (263); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (797 ff.); Ruthig, S. 169 f.; Kayser, S. 49 ff., 126 ff.;
Kurzynsky-Singer, S. 196; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2c; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10
EGBGB Rz. 105. Zust. OLG Hamburg v. 27.5.1987 – 6 U 272/86, VersR 1987, 1216, wo die Haf-
tung des falsus procurator nach dem Vollmachtstatut beurteilt wird, „weil Umfang und Wirkung

650 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.490 § 6

gen das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 15), der Kommissionsvor-
schlag für die Rom I-VO von 2005 (Art. 7 Abs. 4) sowie zahlreiche ausländische Kodifikatio-
nen des internationalen Stellvertretungsrechts1.

Scheinvertreter und Dritter sind in jedem Fall berechtigt, das auf die Eigenhaftung des falsus 6.488
procurator anzuwendende Recht im Wege einer ausdrücklichen oder stillschweigenden
Rechtswahl auch abweichend vom Vollmachtstatut wie vom Geschäftsstatut des gescheiterten
Vertrages mit dem Vertretenen zu bestimmen2, vor allem wenn der Vertretene in Wahrheit
gar nicht existiert; denn dessen Interessen werden durch eine solche Rechtswahl nicht be-
rührt3.

Stellt das Vorgehen des Vertreters zudem eine unerlaubte Handlung dar, so steht es dem 6.489
Drittkontrahenten frei, wahlweise auch die sich aus dem Deliktsstatut ergebenden Ansprüche
gegen den falsus procurator geltend zu machen (s. aber zur Vollmachtsüberschreitung auch
Rz. 6.450 f. sowie zur Anscheinsvollmacht Rz. 6.467 ff.)4.

Von der Haftung des Vertreters als falsus procurator zu unterscheiden ist seine Eigenhaftung 6.490
aus culpa in contrahendo, die – z.B. wegen Inanspruchnahme besonderen persönlichen Ver-
trauens (vgl. § 311 Abs. 3 BGB) – neben die Vertragshaftung des Vollmachtgebers tritt. Sie
beurteilt sich grundsätzlich nach dem gemeinsamen Aufenthaltsrecht von Geschädigtem und
Dritten, hilfsweise nach dem Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (Art. 12
Abs. 2 Rom II-VO)5.

VII. Rechtsvereinheitlichung
Literatur: Badr, Agency: Unification of Material Law and of Conflict Rules, Rec des Cours 184 (1989),
9; Basedow, Das Vertretungsrecht im Spiegel konkurrierender Harmonisierungsentwürfe, RabelsZ 45
(1981), 196; Bonell, The 1983 Geneva Convention on Agency in International Sale of Goods, Uniform
L. Rev. 1984 I, 73; Hay/Müller-Freienfels, Agency in the Conflict of Laws and the 1978 Hague Conven-
tion, Am.J.Comp.L. 27 (1979), 1; Lagarde, La Convention de la Haye sur la loi applicable aux contrats
d´intermédiaires et à la représentation, Rev.crit.d.i.p. 67 (1978), 31; Mouly, La convention de Genève
sur la représentation en matière de vente internationale de marchandises, Rev.dr.int.comp. 1983, 829;
Müller-Freienfels, Der Haager Konventionsentwurf über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht,

der Vollmacht einerseits und die Folgen fehlender Vollmacht andererseits zusammengehören und
eine Beurteilung nach verschiedenen Rechtsordnungen nicht sachgerecht wäre.“ Vgl. auch BGH v.
5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 (1530) = ZIP 2007, 908 = GmbHR 2007, 593 m. Anm.
Römermann, der die persönliche Haftung des für eine Gesellschaft ohne Firmenzusatz zeichnen-
den Vertreters als Rechtsscheinhaftung „entsprechend § 179 BGB“ qualifiziert und insoweit auf
die kollisionsrechtlichen Grundsätze zur Anknüpfung von Rechtsscheinvollmachten verweist.
1 Vgl. etwa § 9 Abs. 2 estn. IPRG; Art. 126 Abs. 4 schwz. IPRG; im Erg. auch § 49 Abs. 1 HS 1 öst.
IPRG; dazu öst. OGH v. 9.7.1986, ZfRV 28 (1987), 205; öst. OGH v. 30.9.1987, SZ 60/192, 316 f.;
öst. OGH v. 22.10.2001, SZ 74, 177, 366; ferner Art. 53 Abs. 1 HS 1 liecht. IPRG.
2 OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470 (Eigenhaftung des vollmachtlosen
Vertreters wegen Nichtexistenz der vertretenen Schweizer Gesellschaft gegenüber dem deutschen
Drittkontrahenten aufgrund nachträglicher stillschweigender Rechtswahl im Prozess nach deut-
schem Recht beurteilt, obwohl der Hauptvertrag dem Schweizer Recht unterstanden hätte).
3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 153, 161.
4 von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Berger, S. 172 f.
5 Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5; dazu Rz. 4.39 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB
Rz. 161; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26 a.E.; a.A. (Geschäftsstatut) Lüderitz in So-
ergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26 a.E.

Hausmann | 651
§ 6 Rz. 6.490 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

RabelsZ 43 (1979), 80; Pfeifer, The Hague Convention and the Law Applicable to Agency, Am.J.Comp.
L. 26 (1978), 434; Sauveplanne, Het Haagse Verdrag over de Toepasselijke Wet op de Vertegenwoordi-
ging, Nederlands Juristenblad 1978, 879; Stöcker, Genfer Übereinkommen über die Vertretung beim
internationalen Warenkauf, WM 1983, 778; Verhagen, Agency in Private International Law. The Ha-
gue Convention on the Law Applicable to Agency (1995).

1. Haager Übereinkommen über das auf die Stellvertretung anzuwendende


Recht von 1978
6.491 Auf der 13. Haager Konferenz wurde der Entwurf eines Übereinkommens über das auf Vertre-
terverträge und die Stellvertretung anzuwendende Recht verabschiedet1. Das Übereinkommen
ist am 1.5.1992 für Argentinien, Frankreich und Portugal in Kraft getreten und gilt inzwischen
ferner für die Niederlande. Es vereinheitlicht – als „loi uniforme“ (Art. 4 HStÜ) – das Kollisi-
onsrecht sowohl auf dem Gebiet der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Vertretenen
und dem Vertreter (Art. 5–10 HStÜ) als auch auf dem Gebiet der zwischen dem Vertretenen
und dem Dritten durch das Vertreterhandeln begründeten Rechtsbeziehungen (Art. 11–15
HStÜ).

6.492 Der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens erfasst Abschluss-, Übermittlungs-


und Verhandlungsvollmachten und gilt gleichermaßen für ständige wie für Gelegenheitsver-
treter (Art. 1 Abs. 1 HStÜ). Es gilt auch für die Tätigkeit eines Maklers (Art. 1 Abs. 2 HStÜ)
und für die mittelbare Stellvertretung, bei welcher der Vertreter im eigenen Namen für fremde
Rechnung handelt (Art. 1 Abs. 3 HStÜ). Nicht in den Anwendungsbereich des Übk. fallen die
Fragen der Geschäftsfähigkeit und der Form, die gesetzliche Vertretung kraft Familien- oder
Erbrechts, die Vertretung durch gerichtlich oder behördlich ernannte Personen (z.B. Vor-
mund, Insolvenzverwalter), die Prozessvertretung sowie die Vertretung von juristischen Per-
sonen und Gesellschaften durch ihre Organe (Art. 2, 3 HStÜ).

6.493 Auf das der Bevollmächtigung zugrunde liegende Innenverhältnis (Auftrag, Werk-, Ge-
schäftsbesorgungs- oder Handelsvertretervertrag) zwischen dem Vertretenen und dem Vertre-
ter ist gem. Art. 5 HStÜ in erster Linie das von den Parteien (ausdrücklich oder stillschwei-
gend) gewählte Recht anwendbar. Mangels Rechtswahl gilt das interne Recht des Staates, in
dem der Vertreter im Zeitpunkt der Begründung des Vertretungsverhältnisses seine geschäftli-
che Niederlassung oder mangels einer solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6
Abs. 1 HStÜ). Nur wenn der Vertreter seine Haupttätigkeit in dem Staat ausüben soll, in dem
der Vertretene seine geschäftliche Niederlassung oder hilfsweise seinen gewöhnlichen Aufent-
halt hat, so ist das Recht dieses Staates maßgebend (Art. 6 Abs. 2 HStÜ). Bei mehrfachem
Geschäftssitz kommt es auf denjenigen an, mit dem die Vertretung am engsten verbunden ist
(Art. 6 Abs. 3 HStÜ). Bei unselbständiger Vollmachtserteilung gelten die Anknüpfungen der
Art. 5 und 6 HStÜ nur dann, wenn die Vollmacht vom übrigen Vertragsinhalt trennbar ist
oder den Hauptzweck des Vertrages bildet (Art. 7 HStÜ). Das Auftragsstatut umfasst auch die
Fragen der Unterbevollmächtigung und des Selbstkontrahierens (Art. 8 HStÜ). Für Erfül-
lungsmodalitäten soll das Recht des Erfüllungsortes „beachtet“ werden (Art. 9 HStÜ). Die ge-
nannten Vorschriften sind nicht anwendbar, wenn das Grundverhältnis ein Arbeitsvertrag ist
(Art. 10 HStÜ).

1 Engl. u. frz. Text: RabelsZ 43 (1979), 176 ff.; ferner abrufbar unter https://www.hcch.net/de/instru-
ments/conventions, Nr. 27.

652 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.500 § 6

Im Außenverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten beurteilen sich der Bestand 6.494
und der Umfang der Vollmacht des Vertreters sowie die Wirkungen der Ausübung seiner tat-
sächlich bestehenden oder behaupteten Vollmacht nach dem internen Recht des Staates, in
dem der Vertreter im Zeitpunkt der Abgabe seiner Erklärung seine geschäftliche Niederlas-
sung hatte (Art. 11 Abs. 1 HStÜ). In Abweichung von diesem Grundsatz gilt jedoch nach
Art. 11 Abs. 2 HStÜ das Recht des Landes, in dem der Vertreter gehandelt hat, wenn
– der Vertretene seine geschäftliche Niederlassung oder mangels einer solchen seinen ge- 6.495
wöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat und der Vertreter im Namen des Vertretenen
gehandelt hat; oder
– der Dritte seine geschäftliche Niederlassung oder mangels einer solchen seinen gewöhnli-
chen Aufenthalt in diesem Staat hat; oder
– der Vertreter ein Börsengeschäft getätigt oder an einer Versteigerung teilgenommen hat;
oder
– der Vertreter keine geschäftliche Niederlassung hat.

Hat eine der Parteien mehrere geschäftliche Niederlassungen, so gibt diejenige Niederlassung 6.496
den Ausschlag, zu der das Vertretergeschäft die engste Beziehung aufweist (Art. 11 Abs. 3
HStÜ). Bei einem abhängig beschäftigten Vertreter, der keinen eigenen Geschäftssitz hat,
kommt es auf den Geschäftssitz des Arbeitgebers an (Art. 12 HStÜ).

Das nach Art. 11 und 12 HStÜ maßgebliche Recht kann durch Vereinbarung zwischen dem 6.497
Vertretenen und dem Dritten zugunsten eines anderen Rechts ausgeschlossen werden, wenn
die Rechtswahl von einer Partei schriftlich erklärt und von der anderen ausdrücklich ange-
nommen worden ist (Art. 14 HStÜ).

Das nach Art. 11–14 HStÜ ermittelte Vollmachtstatut beherrscht auch die Rechtsbeziehun- 6.498
gen zwischen dem Vertreter und dem Dritten, wenn der Vertreter seine Vertretungsmacht
überschritten oder als falsus procurator gehandelt hat (Art. 15 HStÜ).

2. Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung beim internationalen


Warenkauf von 1983
Während das Haager Übereinkommen – in der tradierten Zielsetzung der Haager Konferenz 6.499
für internationales Privatrecht – seine Aufgabe darin sieht, für die Anknüpfung der rechts-
geschäftlichen Vertretung einheitliche Kollisionsregeln anzubieten, die darüber entscheiden,
welches nationale Recht Fragen des internationalen Vertretungsrechts beherrscht, will das –
von der Bundesrepublik Deutschland allerdings bisher nicht gezeichnete – Genfer UNI-
DROIT-Übereinkommen vom 17.2.19831 dagegen das materielle Recht vereinheitlichen, das
bei internationaler Stellvertretung Anwendung findet. Das Übereinkommen ist bisher nur von
fünf Staaten ratifiziert worden und noch nicht in Kraft getreten.

Der sachliche und räumliche Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ist freilich in 6.500
mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. So gilt das Übereinkommen nach seinem Art. 1 Abs. 1
nur, wenn jemand bevollmächtigt ist, für Rechnung des Geschäftsherrn mit einem Dritten ei-
nen Vertrag über einen Warenkauf abzuschließen; das Übereinkommen versteht sich damit
als flankierende Maßnahme zum Wiener Kaufrechtsübereinkommen vom 11.4.1980. Den in-

1 Text: https://www.unidroit.org/instruments/agency.

Hausmann | 653
§ 6 Rz. 6.500 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ternationalen Charakter des Warenkaufvertrags, zu dessen Abschluss der Vertreter bevoll-


mächtigt ist, umschreibt Art. 2 in der Weise, dass der Geschäftsherr und der Dritte ihre Nie-
derlassung in verschiedenen Staaten haben und dass der Vertreter seine Niederlassung in ei-
nem Vertragsstaat hat. Art. 2 Abs. 2 enthält weiterhin eine fragwürdige Überraschungsklausel,
die die Anwendbarkeit des Übereinkommens dann ausschließt, wenn der Dritte zur Zeit des
Vertragsschlusses weder wusste noch wissen musste, dass der Vertreter für fremde Rechnung
handelte. Wesentlich ist schließlich, dass sich das Übereinkommen nicht auf das Innenverhält-
nis Geschäftsherr-Vertreter bezieht, sondern auf das Außenverhältnis Geschäftsherr/Vertre-
ter-Dritter beschränkt; auch in diesem Verhältnis kann es durch Vereinbarung ganz aus-
geschlossen oder modifiziert werden (Art. 5). Der sachliche Anwendungsbereich des Überein-
kommens reicht von der Erteilung, der Form und dem Umfang der Vollmacht (Art. 9–11)
über die nähere Ausgestaltung der offenen und der verdeckten Stellvertretung (Art. 12, 13) bis
zu den Rechtsfolgen einer Vertretung ohne Vertretungsmacht (einschließlich Anscheins- und
Duldungsvollmacht, Art. 14–16) und den Erlöschenstatbeständen der Vollmacht (Art. 17–19).

VIII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Neuregelung in Art. 8 EGBGB
6.501 Das IPR der Vollmacht ist bisher nicht auf europäischer Ebene harmonisiert worden, sondern
ist weiterhin im autonomen IPR der Mitgliedstaaten geregelt. In Deutschland hat der Gesetz-
geber das IPR der gewillkürten Stellvertretung erstmals durch Gesetz vom 11.6.2017 in Art. 8
EGBGB kodifiziert. Danach unterliegt die Vollmacht nicht dem Statut des Rechtsgeschäfts,
das der Bevollmächtigte mit dem Dritten abschließt, sondern wird – wie im bisherigen Rich-
terrecht – davon unabhängig angeknüpft. Im Interesse des gebotenen Drittkontrahentenschut-
zes scheidet auch eine akzessorische Anknüpfung an das der Vollmachtserteilung zugrunde
liegende Rechtsverhältnis (z.B. Auftrag, Geschäftsbesorgung) aus.

2. Bestimmung des Vollmachtstatuts


6.502 a) Auf die gewillkürte Stellvertretung ist nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB in erster Linie das vom
Vollmachtgeber vor der Ausübung der Vollmacht gewählte Recht anzuwenden, wenn die
Rechtswahl dem Dritten und dem Bevollmächtigten bekannt ist. Der Vollmachtgeber, der Be-
vollmächtigte und der Dritte können das anzuwendende Recht jedoch jederzeit auch durch
eine davon abweichende Rechtswahl bestimmen.

6.503 b) In Ermangelung einer Rechtswahl ist das Vollmachtstatut nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB mit
Hilfe einer Anknüpfungsleiter objektiv zu bestimmen. Danach gilt:

6.504 aa) Handelt der Bevollmächtigte in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit, so sind
nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevoll-
mächtigte im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es
sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar. Für die Vollmacht von Prokuristen
gilt daher – unabhängig vom Gebrauchsort – das am Sitz des Unternehmens geltende Recht.
Die Vertretungsmacht von Handelsvertretern oder Repräsentanten, die ein Unternehmen
ständig im Ausland vertreten, unterliegt dem Recht am Ort ihrer Niederlassung, sofern das
Handeln von dort für den Drittkontrahenten erkennbar war.

6.505 bb) Handelt der Bevollmächtigte als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind nach Art. 8
Abs. 3 EGBGB die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Vollmachtgeber im

654 | Hausmann
B. Vollmacht | Rz. 6.513 § 6

Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, die-
ser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar.

cc) Handelt der Bevollmächtigte weder in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit 6.506
noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind nach Art. 8 Abs. 4 EGBGB im Falle einer
auf Dauer angelegten Vollmacht die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der
Bevollmächtigte von der Vollmacht gewöhnlich Gebrauch macht, es sei denn, dieser Ort ist
für den Dritten nicht erkennbar.

dd) Ergibt sich das anzuwendende Recht nicht aus Art. 8 Abs. 1-4 EGBGB, so sind nach Abs. 5 6.507
die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte von seiner Voll-
macht im Einzelfall Gebrauch macht (Gebrauchsort). Bei Distanzgeschäften kommt es auf
den Ort an, an dem der Vertreter seine Erklärung abgibt. Mussten der Dritte und der Bevoll-
mächtigte jedoch wissen, dass von der Vollmacht nur in einem bestimmten Staat Gebrauch
gemacht werden sollte, so sind die Sachvorschriften dieses Staates anzuwenden. Ist der Ge-
brauchsort für den Dritten nicht erkennbar, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwen-
den, in dem der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnli-
chen Aufenthalt hat.

c) Auf die gewillkürte Stellvertretung bei Verfügungen über Grundstücke oder Rechte an 6.508
Grundstücken ist nach Art. 8 Abs. 6 EGBGB das von Art. 43 Abs. 1 und Art. 46 EGBGB zur
Anwendung berufene Recht anzuwenden. Prozessvollmachten werden nach der lex fori des
Landes beurteilt, vor dessen Gerichten der Prozess geführt wird.

d) Auf die gewillkürte Stellvertretung bei Börsengeschäften und Versteigerungen findet Art. 8 6.509
EGBGB keine Anwendung. Sie unterliegt dem Recht am Börsen- oder Versteigerungsort.
Auch die Kapitänsvollmacht wird von Art. 8 EGBGB nicht erfasst; sie unterliegt dem Recht
der Flagge.

3. Reichweite des Vollmachtstatuts


a) Nach dem Vollmachtstatut sind alle Fragen zu beurteilen, welche die Vollmacht selbst be- 6.510
treffen. Hierher gehören insbesondere die gültige Erteilung, die Auslegung und der Umfang
der Vollmacht sowie die Voraussetzungen ihres Erlöschens.

b) Die Form der Vollmacht bestimmt sich hingegen gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ 6.511
nach dem Vollmachtstatut und nach dem Ortsrecht. Die Einhaltung der ausländischen Orts-
form reicht auch dann aus, wenn Gegenstand des Vertretergeschäfts ein inländisches Grund-
stück ist; dies gilt selbst dann, wenn die vom deutschen Recht geforderte Form der § 311b
Abs. 1, § 925 BGB nicht erfüllt wird.

c) Im Interesse einer einheitlichen Behandlung aller Arten der Vollmacht unterliegen auch 6.512
Duldungs- und Anscheinsvollmachten dem Vollmachtstatut, auch wenn sie in Art. 8 EGBGB
nicht erwähnt werden. Maßgebend ist danach das Recht des Landes, in dem der Vertreter den
Vertrauenstatbestand gesetzt hat.

d) Wegen des engen Zusammenhang mit dem Bestand und Umfang der Vollmacht unterliegt 6.513
auch die Haftung des falsus procurator dem Vollmachtstatut.

Hausmann | 655
§ 6 Rz. 6.514 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Geschäftsstatut des Hauptvertrages


6.514 Fragen, die weniger die Vollmacht, als vielmehr die Vertretung als solche und die Geltung
des vom Vertreter mit dem Dritten geschlossenen Geschäfts berühren, sind demgegenüber
nach dem Geschäftsstatut des Hauptvertrages zu beurteilen. Dies gilt insbesondere für die Zu-
lässigkeit der Stellvertretung, das Erfordernis einer Spezialvollmacht, die Behandlung der
verdeckten Stellvertretung, die Zurechnung von Willensmängeln und bösem Glauben sowie
die mit der nachträglichen Genehmigung des Hauptvertrages zusammenhängenden Fragen.

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters

1. Literatur zum europäischen internationalen Insolvenzrecht a) Zur EuInsVO 2000:


aa) Allgemeines: Becker, Insolvenz in der Europäischen Union – Zur Verordnung des Rates über In-
solvenzverfahren, ZEuP 2002, 287; Boschiero (Hrsg.), La tutela transnazionale del credito (2007); Bur-
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656 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.514 § 6

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gleichenden und kollisionsrechtlichen Aspekten der Restschuldbefreiung im europäischen Insolvenz-
recht (2001); Smart, Cross-border insolvency, 2. Aufl. 2007; Smid, Deutsches und Europäisches Inter-
nationales Insolvenzrecht (2004); Smid, Grenzüberschreitende Insolvenzverwaltung in Europa, FS
Geimer (2002), S. 1215; Staak, Mögliche Probleme im Rahmen der Koordination von Haupt- und Se-
kundärinsolvenzverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), NZI 2004, 480;
Starace, La disciplina comunitaria delle procedure di insolvenza, Riv. dir. int. 85 (2002), 295; Taupitz,
Das (zukünftige) europäische internationale Insolvenzrecht – insbesondere aus international-privat-
rechtlicher Sicht, ZZP 111 (1998), 315; Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht (2010); Tirado, Die
Anwendung der Europäischen Insolvenzordnung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, GPR 2005,
39; Torz, Gerichtsstände im Internationalen Insolvenzrecht zur Eröffnung von Partikularinsolvenzver-
fahren (2005); Trunk, Internationales Insolvenzrecht, (1998); Trunk, Grenzüberschreitende Insolvenz
von Gesellschaften im Verhältnis EG- Schweiz, SZIER 2004, 531; Vallender, Die Voraussetzungen für
die Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO, InVO 2005, 41; Vallender, Auf-
gaben und Befugnisse des deutschen Insolvenzrichters in Verfahren nach der EuInsVO, KTS 2005,
283; Virgós/Garcimartín, Comentario al reglamento europeo de insolvençia (2003); Virgós/Schmit, Er-
läuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, in: Stoll, Vorschläge und
Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht
(1997), S. 32; Wessels, International Insolvency Law (2012); Westphal/Götker/Wilkens, Grenzüber-
schreitende Insolvenzen (2005); Wimmer, Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfah-
ren, ZInsO 2001, 97; Wimmer, Die EU-Verordnung zur Regelung grenzüberschreitender Insolvenzver-
fahren, NJW 2002, 2427.
bb) Einzelfragen: Becker, Mobiliarsicherheiten im Internationalen Insolvenzrecht, JbItalR 18 (2005),
75; Borges, Gläubigerschutz bei ausländischen Gesellschaften mit inländischem Sitz, ZIP 2004, 733;
Duursma-Kepplinger/Duursma, Der Anwendungsbereich der Insolvenzverordnung – unter besonderer
Berücksichtigung der Bereichsausnahmen, von Konzernsachverhalten und der von den Mitgliedstaa-
ten abgeschlossenen Konkursverträge, IPRax 2003, 505; Ehricke, Verfahrenskoordination bei grenz-
überschreitenden Unternehmensinsolvenzen, FS 25 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht (2001),
337; Ehricke, Die neue Europäische Insolvenzverordnung und grenzüberschreitende Konzerninsolven-
zen, EWS 2002, 101; Ehricke, Die Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden
Insolvenzen nach der EuInsVO, WM 2005, 397; Ehricke, Das Verhältnis des Hauptinsolvenzverwalters
zum Sekundärinsolvenzverwalter bei grenzüberschreitenden Insolvenzen nach der EuInsVO, ZIP
2005, 1104; Freitag, Grundfragen der Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen und ihre
Umsetzung in das deutsche Recht, ZIP 2019, 541; Freitag/Leible, Justizkonflikte im Europäischen In-
ternationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Graf, Die Anerkennung ausländischer
Insolvenzentscheidungen, 2003; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse im

Hausmann | 657
§ 6 Rz. 6.514 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Anwendungsbereich der EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 319; Herchen, Scheinauslandsgesellschaften


im Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung, ZInsO 2003, 742; Herchen, Das Prio-
ritätsprinzip im internationalen Insolvenzrecht, ZIP 2005, 1401; U. Huber, Gesellschafterdarlehen in
der Inlandsinsolvenz von Auslandsgesellschaften, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in
Deutschland, 2005, 131; U. Huber, Die Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführer von Auslands-
gesellschaften, in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, 307; Kieper, Ab-
wicklungssysteme in der Insolvenz (2004); Klicka, Einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung der Insol-
venzmasse im europäischen Rechtsverkehr, FS Beys (2003), S. 721; Koch, Europäisches Insolvenzrecht
und Schuldbefreiungs-Tourismus, FS Jayme (2004), S. 437; Kolmann, Kooperationsmodelle im Inter-
nationalen Insolvenzrecht (2001); Kübler, Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach Art. 3
Abs. 1 EuInsVO, FS Gerhardt, 2004, 527; Kuntz, Die Insolvenz der limited mit deutschem Verwal-
tungssitz, NZI 2005, 424; Mankowski, Grenzüberschreitender Umzug und das centre of main interests
im europäischen Internationalen Insolvenzrecht, NZI 2005, 368; Mock/Schildt, Insolvenz auslän-
discher Kapitalgesellschaften mit Sitz in Deutschland, ZInsO 2003, 396; Mock/Schildt, Insolvenz, in:
Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften (2005), § 16; Obermüller, Die Insolvenz des Teil-
nehmers an einem Zahlungsverkehrssystem nach der Finalitätsrichtlinie, FS Uhlenbruck (2000),
S. 365; Pannen, Das europäische internationale Insolvenzrecht für Kreditinstitute, FS Lüer (2008),
S. 431; Pannen/Riedemann, Die deutschen Ausführungsbestimmungen zur EuInsVO, NZI 2004, 301;
Pannen/Riedemann, Die englische „Ltd.“ mit Verwaltungssitz in Deutschland in der Insolvenz, MDR
2005, 496; Paulus, Änderungen des deutschen Insolvenzrechts durch die Europäische Insolvenzver-
ordnung, ZIP 2002, 729; Paulus, Die Weltbank und das Insolvenzrecht, FS Braun (2007), S. 447; Pau-
lus, Rechtliche Handhaben zur Bewältigung der Überschuldung von Staaten, RIW 2009, 11; Reinhart,
Die Durchsetzung im Inland belegener Absonderungsrechte bei ausländischen Insolvenzverfahren
oder Qualifikation, Vorfrage und Substitution im internationalen Insolvenzrecht, IPRax 2012, 417;
Rengstmeier/Hohmann, Masseverbindlichkeiten als Prüfstein des Internationalen Insolvenzrechts, NZI
2004, 354; Schefold, Anerkennung von Banksanierungsmaßnahmen im EWR-Bereich, IPRax 2012, 66;
Ulmer, Gläubigerschutz bei Scheinauslandsgesellschaften, NJW 2004, 1201; Ulmer, Insolvenzrecht-
licher Gläubigerschutz gegenüber Scheinauslandsgesellschaften ohne hinreichende Kapitalausstat-
tung?, KTS 2004, 291; Vallender, Die Aussetzung der Verwertung nach Art. 33 EuInsVO in einem
deutschen Sekundärinsolvenzverfahren, FS Kreft (2004), S. 565; Vallender, Aufgaben und Befugnisse
des deutschen Insolvenzrichters im Verfahren nach der EuInsVO, KTS 2005, 283; Vallender/Fuchs, Die
Antragspflicht organschaftlicher Vertreter einer GmbH vor dem Hintergrund der Europäischen Insol-
venzverordnung, ZIP 2004, 829; Wimmer in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Aufl.
2014.
b) Zum Reformvorschlag: Albrecht, Die Reform der EuInsVO nimmt Fahrt auf – der Änderungsvor-
schlag der Europäischen Kommission in der Übersicht, ZInsO 2013, 1876; Bariatti/Omar, The Grand
Project: Reform of the European Insolvency Regulation (2014); Bufford, Revision of the European Uni-
on Regulation on Insolvency Proceedings – Recommendations, IILR 2012, 341; Cohen/Dammann/
Sax, Final text for the Amended EU Regulation on Insolvency proceedings, IILR 2015, 117; Eidenmül-
ler, A New Framework for Business Restructuring in Europe: The EU Commission´s Proposals for a
Reform of the European Insolvency Regulation and Beyond, 20 Maastricht J. Eur. Comp. L. 1 (2013),
133; Eidenmüller/Frobenius, Ein Regulierungskonzept zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen: Ver-
fahrenskonsolidierung im Kontext nationaler und internationaler Reformvorhaben, Beilage 3 ZIP 22/
2013; Hess/Oberhammer/Pfeiffer (Hrsg.), Evaluation of Regulation No. 1346/2000 on Insolvency Pro-
ceedings, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report (2013); Jault-Seseke/Robine (Hrsg.), Le droit euro-
péen des procédures d´insolvabilité à la croisée des chemins (2013); Kindler, Crisi dell’impresa e insol-
venza transnazionale alla luce del regolamento n. 1346/2000. Verso una riforma della competenza
internazionale?, in Carbone, Unione europea a vent’anni da Maastricht. Verso nuove regole (2013),
141; Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen Internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014,
25; Latella, The „COMI“ Concept in the Revision of the European Insolvency Regulation, ECFR 2014,
479; Madaus, Koordination ohne Koordinationsverfahren? – Reformvorschläge aus Berlin und Brüssel
zu Konzerninsolvenzen, ZRP 2014, 192; McCormack, Time to Revise the Insolvency Regulation, IILR
2011, 121; Mock, Das (geplante) neue europäische Insolvenzrecht nach dem Vorschlag der Kommis-
sion zur Reform der EuInsVO, GPR 2013, 156; Paulus, Die EuInsVO in ihrer künftigen Gestalt: Keine

658 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.514 § 6

Rundum-Erneuerung, aber deutlich modernisiert, BB 2013, 1; Prager/Keller, Der Vorschlag der Euro-
päischen Kommission zur Reform der EuInsVO, NZI 2013, 57; Prager/Keller, Der Entwicklungsstand
des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Reuß, Europäisches Insolvenzrecht 3.0 oder doch
nur Version 1.1?, EuZW 2013, 165; Reuß, Europäisches Insolvenzrecht 3.0 oder doch nur Version 1.1?,
EuZW 2013, 165; Thole, Das neue Konzerninsolvenzrecht in Deutschland und Europa, KTS 2014,
351; Thole/Swierczok, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO, ZIP 2013, 550; Vallender,
Der deutsche Motor stockt, aber Europa drückt aufs Gas – Europäisches Konzerninsolvenzrecht vor
der Verabschiedung, ZInsO 2015, 57.
c) Zur EuInsVO 2015: Commandeur/Römer, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzrecht – Neufas-
sung der Europäischen Insolvenzordnung, NZG 2015, 988; Cotiga-Raccah/Sautonie-Laguionie, Le
nouveau droit europeén des faillites internationales (2018); Eble, Auf dem Weg zu einem europäischen
Konzerninsolvenzrecht – Die „Unternehmensgruppe“ in der EuInsVO 2017, NZI 2016, 115; Eiden-
müller, Was ist ein Insolvenzverfahren?, ZIP 2016, 145; Fehrenbach, Die reformierte Europäische In-
solvenzordnung, GPR 2016, 282 (Teil I) und GPR 2017, 38 (Teil II); Garcimartín, The EU Insolvency
Regulation Recast: Scope, Jurisdiction and Applicable Law, ZEuP 2015, 694; Gottwald/Haas (Hrsg.),
Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, Kap. XIV, Internationales Insolvenzrecht; Kindler, Interna-
tionales Insolvenzrecht, in: MünchKomm, Bd. 13, Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021,
S. 1960; Kindler/Sakka, Die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung, EuZW 2015, 460;
Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015 (2016); Moss/Fletcher/Isaacs, The EU Regulation on Insol-
vency Proceedings, 3. Aufl. 2016; Mucciarelli, Private International Law Rules in the Insolvency Regu-
lation Recast: a Reform or a Restatement of the Status Quo?, Eur.Comp.Fin.L.Rev. 2016, 1; Nunner-
Krautgasser/Garber/Jaufer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt
(2017); Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Chr. G. Paulus, Über die Rolle der
Erwägungsgründe in der revidierten EuInsVO, FS Beck (2016), S. 393; Paulus, Europäische Insolvenz-
verordnung, 5. Aufl. 2017; Thole, Harmonisierung durch die Hintertür – die neue EuInsVO unter ei-
nem anderen Blickwinkel, FS Geimer (2017), S. 481; Skauradszun, Anmerkungen zum RefE des
BMJV für ein Durchführungsgesetz zur neuen EuInsVO 2015, DB 2016, 2165; Thole, Die neue Euro-
päische Insolvenzverordnung, IPRax 2017, 213; Vallender, Europaparlament gibt den Weg frei für eine
neue Europäische Insolvenzverordnung, ZIP 2015, 1513; Vallender, EuInsVO 2017 – eine neue He-
rausforderung für Insolvenzgerichte, FS Beck (2016), S. 537; Vallender (Hrsg.), EuInsVO (2017); Wen-
ner, Die Reform der EuInsVO – Ein Verriss, ZIP 2017, 1137; Wessels, International Insolvency Law:
Part II European Insolvency Law, NIPR 2018, 895; Wimmer/Bornemann/Lienau (Hrsg.), Die Neufas-
sung der EuInsVO (2016).
2. Literatur zum deutschen internationalen Insolvenzrecht: Zu dem vor der Reform von 2003 gel-
tenden Recht vgl. die Literaturhinweise in der Voraufl. vor Rz. 7.469.
Braun, Insolvenzordnung, 8. Aufl. 2020; Ehricke/Biel, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2015; Frankfurter Kom-
mentar zur Insolvenzordnung (hrsg. v. Wimmer), 9. Aufl. (2018); Gottwald/Haas, Handbuch des In-
solvenzrechts, 6. Aufl. 2020; Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung (hrsg. v. A. Schmidt),
7. Aufl. 2019; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzord-
nung (hrsg. von Kayser/Thole), 9. Aufl. 2018; Herchen, Das Prioritätsprinzip im Internationalen Insol-
venzrecht, ZIP 2005, 1401; Hergenröder, Internationales Verbraucherinsolvenzrecht, ZVI 2005, 233;
Hess, Großkommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2013; Jaeger, Großkommentar zur Insolvenz-
ordnung (2004 ff.); Liersch, Deutsches Internationales Insolvenzrecht, NZI 2003, 302; Ludwig, Neu-
regelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts (2004); Martius, Verteilungs-
regeln in der grenzüberschreitenden Insolvenz (2004); Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung
(hrsg. v. Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer), 3. Aufl. 2013 ff. und 4. Aufl. 2019 f.; Nerlich/Römermann,
Insolvenzordnung (Loseblatt, Stand: 2020); Obermüller/Hess, Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2003; Paulus,
Grundlagen des neuen Insolvenzrechts – Internationales Insolvenzrecht, DStR 2005, 334; Smid, Inter-
nationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012; Smid, Handbuch Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2018; Uhlenbruck/
Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, 14. Aufl. 2015; Wenner, Recht der internationalen Insolvenzen, in:
Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015 (zit.: Wenner); Wehdeking,
Reform des Internationalen Insolvenzrechts in Deutschland und Österreich, DZWiR 2003, 133; Wim-

Hausmann | 659
§ 6 Rz. 6.514 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

mer/Ahrens (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2012; Wittinghofer, Der
nationale und internationale Insolvenzverwaltervertrag (2004).
3. Literatur zum ausländischen internationalen Insolvenzrecht: Zur älteren Literatur vgl. die
Nachw. in der Voraufl.
Alcázar Pérez, Das neue spanische Konkursrecht, RIW 2013, 352; Bailey/Groves/Smith, Corporate In-
solvency, Law and Practice (London ua. 2001); Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho concur-
sal internacional (Madrid 2004); Carballo Pineiro, Das neue autonome internationale Insolvenzrecht
in Spanien, RIW 2006, 505; Dostal, Französisches internationales Insolvenzrecht, ZIP 1998, 969; Es-
plugues Mota, Die Neuregelung des internationalen Konkursrechts in Spanien, ZZP Int. 6 (2001), 65;
Fletcher, Insolvency in Private International Law, 2. Aufl. (Oxford 2005); Gehri/Kostkiewicz, Anerken-
nung ausländischer Insolvenzentscheide in der Schweiz – Ein neuer Réduit national?, SZIER 2009,
193; Heyers, Das französische internationale Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Europäischen
Konkursübereinkommens (Diss. Münster 1997); Ishikawa/Haga, Das neue internationale Insolvenz-
recht in Japan, FS Beys (Athen 2003), Bd. I, S. 587; Kampf, Neuregelung des internationalen Insol-
venzrechts in Belgien, IPRax 2006, 620; Keppelmüller, Österreichisches Internationales Konkursrecht
(Wien 1997); Leitner, Der grenzüberschreitende Konkurs (Wien 1995); Kindler/Nachmann (Hrsg.),
Handbuch des Insolvenzrechts in Europa (2020), 2. Teil: Länderberichte; Markus, Revision des 11. Ka-
pitels IPRG: Ausländische Zivilprozesse und Schweizer Insolvenz, in Guillaume/Pretelli (Hrsg.), Les
nouveautés en matière de faillite transfrontalière (2016), S. 23; McCormack/Keay/Brown (Hrsg.), Euro-
pean Insolvency Law: Reform and Harmonization (2017, mit 30 Länderberichten); Paulus, Das neue
internationale Insolvenzrecht der USA, NZI 2005, 439; Rüfner, Neues internationales Insolvenzrecht
in den USA, ZIP 2005, 1859; Scherber, Neues autonomes internationales Insolvenzrecht in Spanien,
IPRax 2005, 160; Siehr, Grundfragen des internationalen Konkursrechts, SchwJZ 1999, 85; Simoni,
Englische, walisische und französische Konkursverwalter in der Schweiz (Diss. Zürich 1997); Smart,
Cross-Border Insolvency, 2. Aufl. (London 2007); Sterzenbach, Anerkennung des Auslandskonkurses
in Italien (1993); Turck, Das internationale Insolvenzrecht in Spanien in rechtsvergleichender Betrach-
tung (1995); Uematsu, Das neue Internationale Insolvenzrecht in Japan, ZZP Int. 9 (2004), 311;West-
pfahl/Goether/Wilkens Grenzüberschreitende Insolvenzen (2008); von Wilmowsky, Internationales In-
solvenzrecht – Plädoyer für eine Neuorientierung, WM 1997, 1461; Wessels, International Insolvency
Law, 3. Aufl. 2013; Westbrook/Booth/Paulus/Rajak, A Global View of Business Insolvency Systems
(2010); Wood, Principles of International Insolvency, 2. Aufl. 2007.
Vgl. auch die weiteren Literaturnachweise vor Rz. 6.539, Rz. 6.619 und Rz. 6.686.

I. Grundlagen
1. Territorialitätsprinzip contra Universalitätsprinzip
6.515 Im internationalen Insolvenzrecht stehen sich traditionell zwei Grundauffassungen gegenüber:
Für die Anhänger des Territorialitätsprinzips steht die Rechtsnatur der Insolvenzeröffnung
als staatlicher Hoheitsakt im Vordergrund; da dieser in private Rechte eingreift, werden seine
Wirkungen – ähnlich wie im Falle einer Enteignung – auf das Herrschaftsgebiet des anord-
nenden Staates beschränkt. Demgegenüber betonen die Verfechter des Universalitätsprinzips
stärker die materielle Funktion des Insolvenzrechts, das auf eine gleichmäßige Befriedigung
aller Gläubiger abziele und deshalb die Verwertung des gesamten Vermögens des Gemein-
schuldners ohne Rücksicht auf seine Belegenheit im In- oder Ausland erfordere1. Das Reichs-
gericht hatte sich in seiner ersten einschlägigen Entscheidung aus dem Jahre 18822 zunächst
zu dem freieren Standpunkt bekannt, dass der Auslandskonkurs seine Wirkungen auch im
Inland entfalte. Es stützte sich dabei auf die Materialien zur Konkursordnung von 1877, nach

1 Vgl. zu diesem Grundsatzstreit näher Trunk, S. 10 f.; Häsemeyer, Rz. 35.05 ff. m.w.N.
2 RG v. 28.3.1882, RGZ 6, 400 (404 ff.); dazu Thieme, RabelsZ 37 (1973), 685.

660 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.517 § 6

denen der Auslandskonkurs im Inland grundsätzlich wirksam sei und nur aus Gründen des
Gläubigerschutzes eine Vollstreckung im Inland möglich bleiben sollte. Auch in der Folgezeit
hielt das Reichsgericht am Universalitätsprinzip fest und wertete § 237 Abs. 1 KO1 als eine
punktuelle, allein den Bereich der Zwangsvollstreckung regelnde Ausnahmevorschrift2. Seit der
Wende zum 20. Jahrhundert setzte sich aber dann die Auffassung durch, dass die Eröffnung
des ausländischen Insolvenzverfahrens als beschlagsregelnder vollstreckungsrechtlicher Ho-
heitsakt schon ihrer Natur nach territorial begrenzt sei; § 237 Abs. 1 KO sei nichts anderes als
die Ausformung des dem gesamten internationalen Konkursrecht zugrunde liegenden Territo-
rialitätsprinzips3. Der BGH hat zunächst an diese spätere Rechtsprechung des Reichsgerichts
angeknüpft und der Konkurseröffnung im Ausland jede Wirkung für das Inlandsvermögen des
Schuldners abgesprochen, insbesondere einen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungs-
befugnis vom Gemeinschuldner auf den ausländischen Insolvenzverwalter nicht anerkannt4.

Mit einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1985 ist der BGH jedoch – der herrschenden Ten- 6.516
denz in der damaligen Lehre folgend5 – zur ursprünglichen Auffassung des Reichsgerichts zu-
rückgekehrt und bekennt sich seither zur Universalität des inländischen wie des ausländischen
Insolvenzverfahrens. Danach umfasst die Insolvenzeröffnung im Ausland auch das Inlands-
vermögen des Gemeinschuldners; der ausländische Insolvenzverwalter ist daher berechtigt,
dieses Vermögen zur Masse zu ziehen.
BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (263 ff.) = NJW 1985, 2896 = ZIP 1995, 344 (m. Anm.
Heinrich, ZIP 1995, 1238) = JZ 1986, 91 m. Anm. Lüderitz = EWiR 1985, 605 (LS) m. Anm. Merz
Inlandswirkung der Insolvenzeröffnung in Belgien über eine dort ansässige GmbH anerkannt; Befug-
nis des belg. Insolvenzverwalters, dieses Vermögen zur Masse zu ziehen, bejaht.

Die Entscheidung ist in der Literatur auf allgemeine Zustimmung gestoßen6. Sie trägt dem 6.517
Umstand Rechnung, dass mit zunehmender internationaler wirtschaftlicher Verflechtung
auch die Kreditwürdigkeit eines Schuldners nicht mehr allein an seinem Inlandsvermögen ge-
messen wird. Es entspricht daher einem Gebot der Gerechtigkeit, in- und ausländische Gläu-
biger bei der Durchsetzung von Ansprüchen gleichzustellen7. § 237 Abs. 1 KO war daher als
Ausnahmevorschrift anzusehen, welche die Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen
ohne materiell-rechtliche Sperre für ausländische Insolvenzwirkungen zuließ; die Vorschrift
sollte aber im Auslandskonkurs dem Gemeinschuldner nicht zu Lasten der Gesamtheit der

1 § 237 Abs. 1 KO lautete: „Besitzt ein Schuldner, über dessen Vermögen im Auslande ein Konkurs-
verfahren eröffnet worden ist, Vermögensgegenstände im Inlande, so ist die Zwangsvollstreckung
in das inländische Vermögen zulässig.“
2 RG JW 1899, 227 Nr. 16.
3 Erstmals RG v. 11.12.1884, RGZ 14, 405 (406); ferner RGZ 21, 7 (9); RGZ 52, 155 (156); RGZ 89,
181 (183); RGZ 100, 241 (242); RGZ 153, 200 (207).
4 BGH v. 4.2.1960 – VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 = MDR 1960, 578 m. Anm. Kuhn; BGH v.
7.12.1961 – II ZR 11/60, WM 1962, 263; BGH v. 30.5.1962 – VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511 f.;
BGH v. 2.4.1970 – VII ZR 128/68, BGHZ 53, 383 (387); BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, NJW
1979, 2477 (2478).
5 Vgl. insb. Hanisch, KTS 1978, 193 ff.; Lüer, KTS 1979, 12 ff.; Müller-Freienfels, FS Dölle II (1963),
S. 359 (378); Thieme, RabelsZ 37 (1973), 689 ff.; Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 196 ff.
6 Vgl. Buchner, ZIP 1985, 1114 ff.; Hanisch, ZIP 1985, 1233 ff.; Lau, BB 1986, 1450 ff.; Lüderitz, JZ
1986, 96 ff.; Lüke, KTS 1986, 1 ff.; BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, MDR 1985, 1021 = RIW
1986, 93 ff.; ferner Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 ff. m.w.N.
7 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (266 f.) = ZIP 1985, 944; Kindler in Münch-
Komm, Einl. IntInsR Rz. 7.

Hausmann | 661
§ 6 Rz. 6.517 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Gläubiger die Verfügung über sein Inlandsvermögen erhalten (vgl. dazu auch Rz. 6.649)1. Im
internationalen Insolvenzfall muss das unzulängliche Vermögen des Schuldners vielmehr über
die Staatsgrenzen hinweg erfasst, verwertet und unter Wahrung der par condicio creditorum
verteilt werden können2.

6.518 Diese universalistische Sicht liegt auch der Neuregelung des deutschen internationalen In-
solvenzrechts von 2003 in §§ 335 ff. InsO zugrunde, der zufolge die Wirkungen eines Insol-
venzverfahrens grundsätzlich dem Recht des Staates unterliegen, in dem das Verfahren eröff-
net wurde (§ 335 InsO; dazu Rz. 6.686 ff.). Gleiches gilt nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000/
Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 für das europäische internationale Insolvenzrecht, das sich fer-
ner in Art. 16 Abs. 1 EuInsVO 2000/Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 zu dem Grundsatz bekennt,
dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein zuständiges Gericht eines Mitglied-
staats in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist (dazu Rz. 6.630 ff.).

2. Rechtsquellen
a) EuInsVO 2000
6.519 Die Justizminister der EG-Mitgliedstaaten hatten sich bereits am 25./26.9.1995 in Brüssel auf
den Text eines „Europäischen Übereinkommens über Insolvenzverfahren“ (EuIÜ)3 geeinigt.
Dieses Übereinkommen ist auch von 14 Mitgliedstaaten gezeichnet worden. Da das Vereinigte
Königreich jedoch eine Zeichnung abgelehnt hat, ist das Übereinkommen nicht in Kraft getre-
ten. Unter Ausnutzung des den Mitgliedstaaten in Art. 67 EG i.d.F. des Vertrages von Amster-
dam eingeräumten Initiativrechts haben die Bundesrepublik Deutschland und Finnland den
Vorschlag unterbreitet, den Inhalt des EuIÜ mit gewissen Modifikationen in eine EG-Verord-
nung zu transformieren. Obwohl das Rechtsinstrument der Richtlinie den Mitgliedstaaten ei-
nen größeren Spielraum eröffnet hätte, die europäischen Vorgaben den Besonderheiten des
jeweiligen nationalen Insolvenzrechts anzupassen, hat sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten
mit Unterstützung der EG-Kommission für eine Verordnung ausgesprochen, um innerhalb
kürzester Zeit eine Vereinheitlichung des internationalen Insolvenzrechts in Europa zu errei-
chen4. Gestützt auf die erweiterten Kompetenzen nach Art. 61 lit. c, 65 EG hat der Rat der
Europäischen Gemeinschaft daher am 29.5.2000 die „Verordnung Nr. 1346/2000 über Insol-
venzverfahren“ (EuInsVO 2000)5 beschlossen, die am 31.5.2002 im Verhältnis der Mitglied-
staaten – mit Ausnahme Dänemarks6 – in Kraft getreten ist. Sie galt gem. Art. 43 S. 1 nur für
Insolvenzverfahren, die nach diesem Zeitpunkt eröffnet wurden7.

1 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (267).


2 Schack, Rz. 1144 ff.
3 Text abgedruckt in ZIP 1996, 976; dazu den erläuternden Bericht von Virgós/Schmit, abgedruckt
bei Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EuIÜ im deutschen Recht (1997),
S. 32 ff.; dazu Balz, ZIP 1996, 948 ff.; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (277); Prütting, ZIP 1996,
1277 (1278); Spahlinger, S. 247 ff.
4 Regierungsbegründung zum IIR-G, BR-Drucks. 715/02, S. 11.
5 ABl. EG 2000 Nr. L 160, S. 1.
6 Vgl. OLG Frankfurt v. 24.1.2005 – 20 W 527/04, ZInsO 2005, 715; Geimer, Rz. 3357a. Zu den
Gründen der Nichtmitwirkung Dänemarks vgl. ErwG 88 zur EuInsVO 2015; ferner Leible/Stau-
dinger, KTS 2000, 533 (537); Paulus, NZI 2001, 505 (507).
7 BGH v. 27.11.2003 – IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94, NZI 2004, 139 (149) m. Anm. Liersch. Für
Rechtshandlungen des Schuldners vor In-Kraft-Treten der Verordnung gilt nach Art. 43 S. 2
EuInsVO weiterhin das Recht, das auf diese Rechtshandlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme an-
zuwenden war.

662 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.521 § 6

b) EuInsVO 2015
aa) Entstehung und Inhalt
Der Rat der Europäischen Union hat in seiner Sitzung am 4.12.2014 den mit dem Europä- 6.520
ischen Parlament im November 2014 ausgehandelten alternativen Entwurf zum Verordnungs-
vorschlag zur Änderung der EuInsVO vom 12.12.20121 angenommen. Die Verordnung (EU)
2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren vom 20.5.2015
(EuInsVO 2015) ist am 5.6.2015 im Amtsblatt verkündet worden2. Die neue Verordnung
brachte Änderungen und Verbesserungen vor allem auf folgenden Gebieten3:
– Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf vorinsolvenzrechtliche Sanierungs-
verfahren (z.B. auf Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren nach §§ 270a und 270b
InsO i.d.F. vom 7.12.2011 sowie auf Verfahren zur vorübergehenden Aussetzung von Ein-
zelvollstreckungsverfahren (Art. 1);
– Präzisierung des für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens maßgebenden COMI sowohl für Gesellschaften wie für natürliche Personen in Anleh-
nung an die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung (Art. 3);
– Einführung einer internationalen Annexzuständigkeit für Klagen, die – wie insbesondere
Insolvenzanfechtungsklagen – unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und
in engem Zusammenhang damit stehen (Art. 6);
– Einrichtung von Insolvenzregistern in allen Mitgliedstaaten (Art. 24 ff.);
– erweiterte Regelung zur Durchführung von Sekundärinsolvenzverfahren und deren Koor-
dinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren (Art. 34 ff.);
– detaillierte Regelung der Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter und zur Ko-
ordinierung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unterneh-
mensgruppe (Art. 56 ff.).
Die EuInsVO 2015 ist nach ihrem Art. 84 Abs. 1 allerdings erst auf Insolvenzverfahren anzu-
wenden, die ab dem 26.6.2017 eröffnet werden. Für Rechtshandlungen des Schuldners vor
diesem Zeitpunkt gilt auch in danach eröffneten Insolvenzverfahren das zur Zeit ihrer Vor-
nahme maßgebende Recht. Für bis zum 25.6.2017 eröffnete Verfahren bleibt weiterhin die
EuInsVO 2000 anwendbar.

bb) Ziele
Die Verordnung dient einerseits der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen der Insolvenz von 6.521
Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit über das Gebiet eines Mitgliedstaats hinausgreift und
soll durch Regeln zur effizienten Abwicklung eines internationalen Insolvenzverfahrens das
ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts auf diesem Gebiet sicherstellen. Anderer-
seits muss es einem Gemeinschuldner verwehrt werden, sich durch Verschiebung seines Ver-
mögens oder durch Verlagerung seiner Geschäftstätigkeit in ein anderes Land seinen inländi-
schen Verpflichtungen zu entziehen oder seine insolvenzrechtliche Stellung zu verbessern; die
Verordnung soll also einem „forum shopping“ vorbeugen4. Erreicht werden sollen diese Ziele

1 KOM (2012) 744 endg.


2 ABl. EU L 141, S. 19.
3 Vgl. näher Kindler, KTS 2014, 25 ff.
4 Vgl. ErwG 5 zur EuInsVO 2015; dazu schon Eidenmüller, IPRax 2001, 1 (2); Huber, ZZP 114
(2001), 133 (134); Schack, Rz. 1153; Wimmer, NJW 2002, 2427 f.

Hausmann | 663
§ 6 Rz. 6.521 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vor allem dadurch, dass nur in einem Mitgliedstaat, nämlich am Mittelpunkt der hauptsächli-
chen Interessen des Schuldners, ein Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt wird (dazu näher
Rz. 6.541 ff.)1. Dieses entfaltet universelle Wirkungen, d.h. es erfasst das gesamte Vermögen
des Schuldners ungeachtet seiner Belegenheit in anderen Mitgliedstaaten, und an ihm sind
sämtliche in- und ausländischen Gläubiger gleichberechtigt beteiligt. Auf diese Weise sollen so-
wohl Kompetenz-Konflikte zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten als auch
Normenkollisionen auf dem Gebiet des internationalen Insolvenzrechts möglichst vermieden
werden2. Das Universalitätsprinzip gilt allerdings nach der Verordnung nicht uneingeschränkt.
Einerseits wird die einheitliche Geltung der lex fori concursus durch Sonderanknüpfungen be-
grenzt, die für bestimmte Rechtsverhältnisse Abweichungen von dem ansonsten anwendbaren
Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates vorschreiben (dazu Rz. 6.697 ff.). Andererseits wird die
universale Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens durch die Zulassung von territorial be-
schränkten Partikular- bzw. Sekundärinsolvenzverfahren durchbrochen (dazu Rz. 6.536 ff.)3.

cc) Anwendungsbereich
6.522 Ihren sachlichen Anwendungsbereich umschreibt die EuInsVO 2015 in ihrem Art. 1 Abs. 1
wie folgt:
Art. 1 Anwendungsbereich
(1) Diese Verordnung gilt für öffentliche Gesamtverfahren einschließlich vorläufiger Verfahren, die
auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfinden und in denen zu Zwecken der
Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation
a) dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein
Verwalter bestellt wird,
b) das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht durch ein Gericht
unterstellt werden oder
c) die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren von einem Gericht oder kraft
Gesetzes gewährt wird, um Verhandlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zu
ermöglichen, sofern das Verfahren, in dem die Aussetzung gewährt wird, geeignete Maßnahmen
zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger vorsieht und in dem Fall, dass keine Einigung erzielt
wird, einem der in den Buchstaben a oder b genannten Verfahren vorgeschaltet ist.
Kann ein in diesem Absatz genanntes Verfahren in Situationen eingeleitet werden, in denen lediglich
die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz besteht, ist der Zweck des Verfahrens die Vermeidung der In-
solvenz des Schuldners oder der Einstellung seiner Geschäftstätigkeit.

6.523 Erfasst werden also nur „Gesamtverfahren“4, die individuelle Rechtsverfolgungsmaßnahmen


einzelner Gläubiger ausschließen. Diese Verfahren müssen ferner, auch wenn sie z.B. die Sa-
nierung des Schuldners bewirken sollen, nach Art. 1 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015 dessen Insol-
venz voraussetzen5 und einen – zumindest teilweisen – Beschlag des schuldnerischen Ver-

1 Lüke, ZZP 111 (1998), 265 (287 ff.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (326).
2 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 7.
3 Die Regierungsbegründung zum IIR-G spricht daher von einem „Grundsatz der gemäßigten Uni-
versalität“, der die EuInsVO beherrsche, vgl. BR-Drucks. 715/02, S. 11. Dazu auch Becker, ZEuP
2002, 287 (299 ff.); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (223 f.); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1611 f.); Kol-
mann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 4.
4 Vgl. dazu die Definition in Art. 2 Nr. 1 EuInsVO 2015.
5 Deshalb fällt die Abwicklung („winding up“) solventer Unternehmen nach englischem Recht
grundsätzlich nicht unter die EuInsVO, vgl. Layton/Mercer (2004), Rz. 12.041.

664 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.524 § 6

mögens zur Folge haben, d.h. die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners muss
zumindest teilweise auf einen Verwalter übergehen1. Dem steht es seit Geltung der Neufassung
gleich, wenn das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht
durch ein Gericht unterstellt werden (lit. b); danach sind auch Verfahren in Eigenverwaltung
unter gerichtlicher Kontrolle einbezogen2. Ebenfalls erst seit Geltung der Neufassung genügt
auch die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren, die von einem Ge-
richt oder kraft Gesetzes gewährt wird, um Verhandlungen zwischen dem Schuldner und sei-
nen Gläubigern zu ermöglichen; dies gilt allerdings nur, wenn das Verfahren geeignete Maß-
nahmen zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger vorsieht und für den Fall, dass keine Eini-
gung erzielt wird, einem der in den lit. a oder lit. b genannten Verfahren vorgeschaltet ist.

Die Erfüllung dieser allgemeinen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2015 reicht frei- 6.524
lich für die Anwendung der Verordnung nicht aus; erforderlich hierfür ist vielmehr im Inte-
resse der Rechtssicherheit, dass das betreffende mitgliedstaatliche Verfahren in die Liste der
„Insolvenzverfahren“ im Anhang A zur Verordnung aufgenommen worden ist3. Die dort ab-
schließend4 aufgelisteten Verfahren beschränken sich nicht auf Liquidationsverfahren, son-
dern umfassen auch Sanierungsverfahren5. Die Anerkennung eines nicht im Anhang A zur
EuInsVO genannten Verfahrens eines anderen Mitgliedstaats ist zwar nicht ausgeschlossen;
sie beurteilt sich aber nicht nach der Verordnung, sondern nach dem autonomen Recht der
Mitgliedstaaten6; gleiches gilt für die internationale Zuständigkeit7. Denn insoweit entfaltet
die EuInsVO keine Regelungssperre für das autonome internationale Insolvenzrecht der Mit-
gliedstaaten; diesbezüglich gilt nichts anderes als für die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2
EuInsVO 20158. Für alle Insolvenzverfahren gilt die Verordnung unabhängig davon, ob es sich
beim Schuldner um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann, sonstigen Unter-

1 Diese Voraussetzungen sind vom zuständigen Gericht nach dem nationalen Recht des Eröffnungs-
staates zu prüfen, vgl. ErwG 32 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:
C:2012:119 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 68) = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax
2014, 490); Virgós/Schmit-Bericht Rz. 49; ferner Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505
(506 ff.).
2 Dies gilt z.B. für die Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 1
EuInsVO Rz. 6.
3 Vgl. Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015. Der Text des Anhangs A gilt derzeit i.d.F. der Verord-
nung (EU) 2017/353 v. 15.2.2017 (ABl. L 57, S. 19).
4 Der Anhang A enthält einen numerus clausus der von der Verordnung erfassten Insolvenzverfah-
ren, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 4; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas,
Hdb., § 129 Rz. 9. Vgl. zur EuInsVO 2000 EuGH v. 8.11.2012 – C-461/11, ECLI:EU:C:2012: 704
(Radziejewski), EuZW 2013, 72 (Rz. 24); ferner den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 48; Eidenmüller,
IPRax 2001, 2 (4).
5 So z.B. den „redressement judiciaire“ des französ. oder die „suspensión de pagos“ des span. Rechts,
vgl. zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 51; ferner Huber, ZZP 114 (2001), 133
(135); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (284 f.). Zum erweiterten sachlichen Anwendungsbereich der
EuInsVO 2015 vgl. die Erwägungsgründe 10 und 11.
6 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 = NZI 2013, 758 (Rz. 38); LAG Düsseldorf v.
14.7.2011 – 15 Sa 786/10, NZI 2011, 874 m. Anm. Mankowski.
7 Vgl. zum englischen „scheme of arrangement“ High Court (Ch.Div.) v. 22.7.2015 (Van Gansewin-
kel Groep), unalex UK-569; ebenso zum Verfahren „de traitement du surendettement des particu-
liers“ nach dem französischen Code de consommation frz. Cass. v. 17.3.2016, unalex FR-2469.
8 BAG v. 25.4.2013 − 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 38); Kindler in MünchKomm, Vorb. §§ 335 ff.
InsO Rz. 3.

Hausmann | 665
§ 6 Rz. 6.524 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nehmer oder eine Privatperson handelt1; deshalb werden auch Verbraucherinsolvenzverfah-


ren von der EuInsVO erfasst2.

6.525 Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2015 betont weiterhin, dass die Verordnung nur für „öffentliche“ Ge-
samtverfahren gilt. Damit gemeint sind Verfahren, deren Eröffnung öffentlich bekanntzuge-
ben ist, damit Gläubiger Kenntnis von dem Verfahren erlangen und ihre Forderungen anmel-
den können. Dadurch soll der kollektive Charakter des Verfahrens sichergestellt und damit
den Gläubigern Gelegenheit gegeben werden, die Zuständigkeit des Gerichts überprüfen zu
lassen, welches das Verfahren eröffnet hat3. Daher sind vertraulich geführte Insolvenzverfah-
ren, auch wenn sie in manchen Mitgliedstaaten von großer Bedeutung sind, aus dem Anwen-
dungsbereich der Verordnung ausgenommen4.

6.526 Ausgenommen aus dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung sind nach Art. 1
Abs. 2 EuInsVO Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen5,
Kreditinstituten6 und Wertpapierfirmen, die Dienstleistungen erbringen, welche die Hal-
tung von Geldern oder Wertpapieren Dritter umfassen, sowie von Organismen für gemein-
same Anlagen; für sie gelten besondere Vorschriften7 und die nationalen Aufsichtsbehörden
haben teilweise sehr weitgehende Eingriffsbefugnisse8.

6.527 Die Verordnung vereinheitlicht ferner das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten nur insoweit, als
es um die grenzüberschreitende Koordinierung von Maßnahmen in Bezug auf das Ver-
mögen eines zahlungsunfähigen Schuldners geht9. Sie beschränkt sich daher auf die Regelung
der internationalen Zuständigkeit (Kap. I, Art. 3–6 EuInsVO 2015), des anwendbaren Rechts
(Kap. I, Art. 7–14 EuInsVO 2015), der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren
(Kap. II, Art. 19–33 EuInsVO 2015), der Durchführung von Sekundärinsolvenzverfahren
(Kap. III, Art. 34–52 EuInsVO 2015),der Unterrichtung der Gläubiger und der Anmeldung
ihrer Forderungen (Kap. IV, Art. 53–55 EuInsVO 2015) sowie von Konzerninsolvenzverfahren
(Kapitel V, Art. 56-77 EuInsVO 2015). Eine darüber hinausgehende Vereinheitlichung des ma-
teriellen Insolvenzrechts wird nicht angestrebt10.

1 Vgl. ErwGr. 9 S. 1 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 14; ebenso
schon zur EuInsVO 2000 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 53; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (540);
Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428).
2 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 20; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 68.
3 ErwG 12 zur EuInsVO 2015.
4 ErwG 13 zur EuInsVO 2015.
5 Vgl. dazu BGH v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12, MDR 2013, 866 = NZI 2013, 763. Zur autonomen
Auslegung des Begriffs „Versicherungsunternehmen“, der Rückversicherer nicht umfasst, vgl.
auch High Court v. 23.3.2015, unalex UK-1461.
6 Vgl. dazu OLG Frankfurt a.M. v. 17.12.2012 – 1 U 17/11, ZIP 2013, 277 = IPRax 2014, 276 m.
Anm. Brinkmann, IPRax 2014, 243.
7 Vgl. insb. die EG-Richtlinien 17/2001 v. 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Ver-
sicherungsunternehmen, ABl. EG 2001 Nr. L 110, S. 28 und 24/2001 v. 4.4.2001 über die Sanie-
rung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. EG 2001 Nr. L 125, S. 15. Zu deren Umsetzung
ins deutsche Recht vgl. § 340 InsO; dazu die Regierungsbegründung, BR-Drucks. 715/02, S. 22 ff.
Ferner §§ 46d-46f KWG und §§ 88, 88a, 89b VAG.
8 Vgl. ErwG 19 zur EuInsVO 2015; vgl. zu diesen Bereichsausnahmen schon zur EuInsVO 2000 den
Virgós/Schmit-Bericht Rz. 54; Balz, ZIP 1996, 948; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (278); krit. dazu
Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (4 f.); Schack, Rz. 1155.
9 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136).
10 Vgl. Becker, ZEuP 2002, 287 (289); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136).

666 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.529 § 6

In räumlicher Hinsicht gilt die Verordnung nur für Verfahren, bei denen der Mittelpunkt 6.528
der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dä-
nemarks) liegt1. Im Vereinigten Königreich gilt die EuInsVO 2015 seit dem Ende des Über-
gangszeitraums für den Brexit am 31.12.2020 nicht mehr. Ihr wesentlicher Inhalt soll aller-
dings in nationales britisches Recht überführt werden. Die bloße Belegenheit von – auch be-
trächtlichem – Schuldnervermögen in der Europäischen Union reicht daher für die Anwen-
dung der Verordnung nicht aus, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen
Interessen in einem Drittstaat (z.B. in der Schweiz) hat2. Die Verordnung ist unstreitig an-
wendbar, wenn der Sachverhalt Bezug zu zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufweist, weil z.B.
Gläubiger ihren Wohnsitz/Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Schuldner haben3 oder
der Schuldner an Gesellschaften außerhalb seines Sitzstaates beteiligt ist4. Erforderlich ist wei-
terhin ein Auslandsbezug des Sachverhalts, so dass die Verordnung auf reine Binnensachver-
halte keine Anwendung finden sollte5. Der EuGH hat dieser Auffassung zur EuInsVO 2000
widersprochen und zur Begründung auf ErwG 21 verwiesen; seiner Ansicht nach ergibt sich
auch im Gegenschluss zu Art. 8 Abs. 1 und zu Art. 34 ff. EuInsVO 2015, dass außerhalb
dieser Vorschriften ein Auslandsbezug nicht vorausgesetzt werde. Auch die Zwecke des Art. 3
EuInsVO erforderten nicht notwendig einen Auslandsbezug6.

Umstritten ist ferner, ob insoweit ein „einfacher“ Auslandsbezug zu einem beliebigen Dritt- 6.529
staat ausreicht7 oder ob es eines „qualifizierten“ Auslandsbezugs zu einem weiteren Mit-
gliedstaat der Verordnung bedarf8. Die besseren Argumente sprechen gegen das Erfordernis
eines solchen qualifizierten Auslandsbezugs. Zwar ist das der Verordnung zugrundeliegende
Vertrauen in die Justiz des Eröffnungsstaates, das u.a. in der Verpflichtung zur formlosen An-
erkennung ausländischer Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 19 EuInsVO 2015 zum Aus-
druck kommt, nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander gerechtfertigt (vgl. dazu
auch Rz. 6.630 ff.)9. Dieses Argument hat der EuGH jedoch schon im Rahmen der Brüssel I-

1 Vgl. ErwG 25 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 der Virgós/Schmit-Bericht
Rz. 11, 44; 52; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (137); Huber, EuZW 2002, 490 (491); zum Begriff
„Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners“ näher Rz. 6.54 ff.
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 44; Becker, ZEuP 2002, 287 (299); Schack, Rz. 1156; Kolmann/Ch. Keller
in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 17.
3 AG Hamburg v. 16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642 = NZI 2006, 652 m. Anm. Klöhn.
4 AG Hamburg v. 11.2.2009 – 67c IE 1/09, ZIP 2009, 1024 = NZI 2009, 343 (344).
5 Vgl. Erwägungsgründe (2) und (3) zur EuInsVO 2000; AG Köln v. 19.1.2012 – 74 IN 108/10, NZI
2012, 379; AG Hamburg v. 16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642, NZI 2006, 652; Duursma-
Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505 (506); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136); Mock/Schildt, Z-
InsO 2003, 396 (398); Paulus, NZI 2001, 505 (408 f.); Schack, Rz. 1156.
6 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 Rz. 20 ff.) = IPRax
2014, 425 (m. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134 = ZIP 2014, 181.
7 Dafür High Court of Justice London v. 7.2.2003 (Qu.B.Div) (BRAC-Budget), ZIP 2003, 813 (815 f.);
High Court of Justice Leeds v. 20.5.2004, ZIP 2004, 1769 = NZI 2004, 219; ferner Geimer,
Rz. 3357c; Haubold, IPRax 2003, 34 (35 f.); Herchen, ZInsO 2003, 742 (745 f.) und 2004, 825
(830); Hergenröder, DZWiR 2009, 309 (312); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (138 f.); Krebber, IPRax
2004, 540 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538); Ludwig, S. 43 f.; Wenner, Rz. 7.
8 So Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 f.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (5); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221
(222); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538 ff.); Martini, ZInsO 2002, 905 (907); Pannen/Riede-
mann, NZI 2004, 646 (651); Paulus, NZI 2001, 505 (507 f.); Smid, DZWiR 2003, 397 (402); Wim-
mer, NJW 2002, 2927 (2928); Westpfahl/Wilhelms, EWiR 2004, 847 (848); zust. AG Hamburg v.
16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642 = NZI 2006, 652 m. Anm. Klöhn.
9 So Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 29.

Hausmann | 667
§ 6 Rz. 6.529 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VO nicht ausreichen lassen, um auch für die Anwendung der Zuständigkeitsregeln jener Ver-
ordnung einen qualifizierten Auslandsbezug zu einem weiteren Mitgliedstaat zu verlangen1.
Sowohl nach ihrer Entstehungsgeschichte wie nach ihrer Zielsetzung nimmt die EuInsVO
vielmehr Universalität im Sinne einer weltweiten Sollgeltung für sich in Anspruch. Die Ver-
ordnung vereinheitlicht also das internationale Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten nicht nur
insoweit, als die grenzüberschreitenden Wirkungen einer Insolvenz im Verhältnis der Mit-
gliedstaaten zueinander betroffen sind, sondern erfasst auch das in Drittstaaten belegene Ver-
mögen des Gemeinschuldners2. Dieser Ansicht hat sich auch der EuGH – auf Vorlage des
BGH3 – in der Rechtssache „Schmid“ angeschlossen und hat dies insbesondere mit den Erwä-
gungsgründen zur EuInsVO 2000 und zu deren Art. 3 Abs. 1 begründet, der für die interna-
tionale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats außer dem Mittelpunkt der hauptsäch-
lichen Interessen des Schuldners im Gerichtsstaat in räumlicher Hinsicht keine weiteren Vo-
raussetzungen aufstelle4. Für die Anwendung der Kollisionsnorm in Art. 7 EuInsVO 2015
kann nichts anderes gelten5.

dd) Verhältnis zu Staatsverträgen


6.530 Im Rahmen des Europarats wurde am 5.6.1990 in Istanbul ein „Übereinkommen über gewisse
internationale Aspekte des Konkurses“ beschlossen. Dieses Übereinkommen ist zwar auch
von der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet, aber bisher noch von keinem Staat ratifiziert
worden6. Auch nach einem etwaigen Inkrafttreten wird es im Verhältnis der EU-Mitgliedstaa-
ten zueinander gem. Art. 85 EuInsVO 2015 durch die Verordnung verdrängt. Gleiches gilt
auch für die von der Bundesrepublik Deutschland bisher abgeschlossenen bilateralen Staats-
verträge mit anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Insolvenzrechts, insb. für den
deutsch-österreichischen Vertrag auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs-(Ausgleichs-)
Rechts vom 25.5.19797 und das deutsch-niederländische Anerkennungs- und Vollstreckungs-
übereinkommen vom 30.8.1962 (Art. 85 Abs. 1 lit. d und h EuInsVO 2015). Diese Überein-
kommen gelten lediglich für Verfahren weiter, die vor dem 31.5.2002 eröffnet worden sind
(Art. 85 Abs. 2 EuInsVO 2015)8.

1 Vgl. EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi), Slg. 2000 I, 5925 (5955 ff.)
(Rz. 47 ff.) = NJW 2000, 3121; EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu/Jack-
son), Slg. 2005 I, 1445 (1458 ff.) (Rz. 28 ff.) = IPRax 2005, 244 (m. Anm. Heinze/Dutta, IPRax
2005, 224).
2 Vgl. Probst, S. 31 ff. m. ausf. Begründung; ebenso Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 129 Rz. 19 mwN.
3 BGH v. 21.6.2012 – IX ZR 2/12, ZIP 2012, 1467 = RIW 2012, 798 m. Anm. Paulus.
4 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 (Rz. 20 ff.) = IPRax
2014, 425 (m. zust. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134; Schlussanträge in NZI 2013,
947 Rz. 31; EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2015:2410 (H./H.K.), NZI 2015, 88 (Rz.
33); BGH v. 27.3.2014 – IX ZR 2/12, NZI 2014, 672 (Rz. 7); Riedemann, EWiR 2013, 773; a.A.
Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 28 f.
5 Bork in Kübler/Prütting/Bork, Art. 16 EuInsVO Rz. 12, 16; offenlassend, aber zur Anwendung der
EuInsVO tendierend BGH v.12.12.2019 – IX ZR 328/18, NZI 2020, 283 (Rz. 14 f.); a.A. Kindler in
MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 28 f.
6 Vgl. zu diesem Übereinkommen Metzger, Die Umsetzung des Istanbuler Konkursübereinkom-
mens in das neue deutsche internationale Insolvenzrecht (1994).
7 Vgl. zu diesem Vertrag näher Arnold, Der deutsch-österreichische Konkursvertrag (1987); Jelinek,
Der deutsch-österreichische Konkursvertrag (1985).
8 Vgl. näher Becker, ZEuP 2002, 287 (292 ff.); Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505
(510 ff.).

668 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.533 § 6

ee) Verhältnis zum autonomen Recht


Soweit der sachliche und räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet ist, werden die 6.531
Vorschriften des innerstaatlichen Verfahrens- und Kollisionsrechts für grenzüberschreitende
Insolvenzen, also insbesondere die §§ 335 ff. InsO, wegen des Anwendungsvorrangs des Uni-
onsrechts durch die Vorschriften der Verordnung vollständig verdrängt. Eine ergänzende An-
wendung nationalen Rechts kommt also nur insoweit in Betracht, als hierdurch die rechtsver-
einheitlichende Zielsetzung der Verordnung nicht gefährdet wird1. Allerdings regelt die EuIns-
VO 2015 die Fragen grenzüberschreitender Insolvenzen auch im Verhältnis der Mitgliedstaa-
ten zueinander nicht abschließend. Zur Ausfüllung von Lücken der Verordnung und zur Un-
terstützung der mit ihr verfolgten Zwecke hat der deutsche Gesetzgeber daher durch Gesetz
vom 5.6.20172 in Art. 102c §§ 1–26 EGInsO ergänzende Durchführungsbestimmungen erlas-
sen (dazu näher Rz. 6.535).

c) Autonomes Recht
aa) Entstehungsgeschichte
In Deutschland sind die Konkursordnung vom 10.2.1877, die Vergleichsordnung vom 6.532
26.2.1935 und die Gesamtvollstreckungsordnung vom 23.5.1991 mit Wirkung vom 1.1.1999
durch die Insolvenzordnung (InsO) vom 5.10.19943 abgelöst worden. Der Regierungsentwurf
zur InsO4 enthielt in seinem 9. Teil (§§ 379–399 InsO) noch eine umfassende Regelung des
internationalen Insolvenzrechts. Mit Rücksicht auf die laufenden Beratungen zum Europä-
ischen Insolvenzübereinkommen wurde freilich beschlossen, mit einer umfassenden Neurege-
lung des deutschen internationalen Insolvenzrechts bis zur Fertigstellung des Übereinkom-
mens zu warten5. Als eine Art „Platzhalter“ wurde Art. 102 EGInsO konzipiert, der zumindest
gewisse Grundzüge des internationalen Insolvenzrechts festlegte.

Nach der Ersetzung des EuIÜ durch die EG-Verordnung Nr. 1346/2000 hat der Gesetzgeber 6.533
den Vorschlag, die Verordnung auch im Verhältnis zu Drittstaaten uneingeschränkt für an-
wendbar zu erklären, zu Recht nicht aufgegriffen. Denn die Verordnung wird vor allem hin-
sichtlich der erleichterten Anerkennung von Eröffnungsentscheidungen (dazu Rz. 6.630 ff.)
ganz wesentlich von dem Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und Funktionsfähigkeit der Jus-
tiz in den anderen Mitgliedstaaten getragen. Gegenüber Drittstaaten muss hingegen im Ein-
zelfall überprüft werden, ob ein vergleichbares Vertrauen gerechtfertigt ist. Ähnliches gilt für
die Vollstreckung von Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beendigung des Insolvenz-
verfahrens ergehen. Diese richtete sich gem. Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2000 seit dem
1.3.2002 nach der Brüssel I-VO (dazu näher Rz. 6.656 f.), die mit Wirkung vom 10.1.2015
durch die Neufassung dieser Verordnung v. 12.12.2012 (Brüssel Ia-VO) abgelöst worden ist.
Bereits die Brüssel I-VO sah insoweit ein auf den Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten

1 Zum Anwendungsvorrang der EuInsVO BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 11) =
NJW 2011, 1818 = ZIP 2011, 926 = IPRax 2012, 427 (m. Anm. Reinhart, IPRax 2012, 417); BAG
v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, BAGE 133, 125 = ZIP 2013, 950 (Rz. 53) = NZA 2013, 669; Kindler
in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 28 und vor § 335 InsO Rz. 2; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/
Haas, Hdb., § 129 Rz. 26; ferner Deipenbrock, EWS 2001, 113 (114); Liersch, NZI 2003, 302 (303);
Wenner, Rz. 13.
2 BGBl. I 2017, S. 1476.
3 BGBl. I 1994, 2866.
4 BT-Drucks. 12/2443.
5 BT-Drucks. 12/7303, S. 117.

Hausmann | 669
§ 6 Rz. 6.533 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

zugeschnittenes, einfaches und schnelles Exequaturverfahren vor. Die Brüssel Ia-VO verzichtet
nunmehr sogar in weitem Umfang vollständig auf eine Vollstreckbarerklärung mitgliedstaatli-
cher Urteile. Gegenüber Drittstaaten hätte man für die Vollstreckung somit ohnehin Sonder-
regeln vorsehen müssen.

6.534 Schließlich beruht die EuInsVO 2015 auf dem Grundsatz einer engen Koordinierung zwischen
Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren. Eine solch enge Verzahnung beider Verfahren setzt
jedoch voraus, dass in allen Staaten, in denen Parallelverfahren anhängig sind, ein einheitli-
ches internationales Insolvenzrecht gilt. Insofern wäre es nicht sachgerecht gewesen, die Be-
stimmungen der EuInsVO insgesamt auch gegenüber Drittstaaten anzuwenden. Vielmehr ist
daneben ein autonomes deutsches internationales Insolvenzrecht unerlässlich1. Der seit dem
1.1.1999 geltende Art. 102 EGInsO a.F. wurde dem Anspruch, der an ein solches Recht ge-
stellt werden muss, jedoch nur ansatzweise gerecht, weil wesentliche Fragen – wie z.B. die Zu-
lässigkeit von Parallelverfahren – völlig ungeregelt blieben. Aus dem Gesamtspektrum der kol-
lisionsrechtlichen Fragen hatte Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. lediglich das Anfechtungsrecht
herausgegriffen; die dort gewählte Kumulationslösung wurde zudem von zahlreichen Stim-
men in der Literatur als zu anfechtungsfeindlich eingestuft; vgl. näher Rz. 6.723 ff. m. Nachw.

bb) Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts (IIR-G)


6.535 Vor diesem Hintergrund sprachen für die Schaffung eines eigenständigen deutschen interna-
tionalen Insolvenzrechts gewichtige Gründe. Zunächst dient es der Rechtsklarheit, wenn die
wesentlichen Rechtsgrundsätze für grenzüberschreitende Insolvenzen in einem eigenständigen
Teil der Insolvenzordnung niedergelegt sind. Ein globaler Verweis auf die EuInsVO kam aus
den zuvor genannten Gründen nicht in Betracht; denn was für einen eng verflochtenen Wirt-
schaftsraum mit transparentem Rechtssystem konzipiert ist, kann bei weltweiter Anwendung
zu erheblichen Problemen führen. Deshalb muss das autonome internationale Insolvenzrecht
zumindest in gewissen Bereichen weniger kooperationsfreundlich sein als die Verordnung.
Diesen Vorgaben wurden die im Regierungsentwurf zur InsO enthaltenen Bestimmungen
zum internationalen Insolvenzrecht (§§ 379 ff.) im Wesentlichen gerecht; an ihnen hat sich
der Gesetzgeber daher auch bei der Neufassung des IIR-G weitgehend orientiert. Dieses Ge-
setz ist am 20.3.2003 in Kraft getreten2.

3. Haupt- und Nebeninsolvenzverfahren


a) Sekundärinsolvenz
6.536 Eine Vielzahl von Insolvenzverfahren über das Vermögen des gleichen Schuldners erhöht die
Transaktionskosten der Insolvenzabwicklung und erschwert vor allem grenzüberschreitende
Unternehmenssanierungen; sie führt darüber hinaus nicht selten zu einer – zumindest fak-
tischen – Bevorzugung der jeweils inländischen Gläubiger3. Dem Ideal eines einheitlichen In-
solvenzverfahrens über das weltweite Vermögen des Schuldners stehen freilich nach geltendem
Recht noch schwer zu überwindende praktische Hindernisse entgegen. Bereits die Erfassung
des schuldnerischen Vermögens in einer Vielzahl von Staaten und die Prüfung der dort jeweils
angemeldeten Forderungen von Gläubigern können den Verwalter des Hauptinsolvenzverfah-

1 Vgl. die Regierungsbegründung zum IIR-G, BR-Drucks. 715/02, S. 14.


2 BGBl. I 2003, 345 ff.
3 Zu den Vorzügen des Prinzips „Ein Schuldner – ein Insolvenzverfahren“ näher Eidenmüller, IPRax
2001, 2 (5 f.).

670 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.538 § 6

rens leicht überfordern. Hinzukommen die Probleme, die sich aus den erheblichen Rechts-
unterschieden auf den Gebieten des materiellen Insolvenzrechts, des Vertrags- und Gesell-
schaftsrechts sowie des Rechts der Kreditsicherheiten in den einzelnen Staaten ergeben. Diese
praktischen Schwierigkeiten sowie das Ziel, die Vorteile des Universalitätsprinzips mit dem
notwendigen Schutz nationaler Interessen des Belegenheitsstaates und der dort ansässigen
(Klein-)Gläubiger in Einklang zu bringen, legen es nahe, neben dem Hauptinsolvenzverfahren
territorial beschränkte Nebeninsolvenzverfahren in Staaten zuzulassen, in denen wesentliches
Vermögen des Schuldners belegen ist1. Aus diesem Grunde sieht sowohl die EuInsVO 2015
(in Art. 3 Abs. 2, 34 ff.) wie das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht (in § 356
InsO) derart beschränkte Nebeninsolvenzverfahren vor2. Dabei wird zwischen Sekundärinsol-
venzverfahren und unabhängigen Partikularinsolvenzverfahren unterschieden3.

Wird ein Parallelverfahren erst eröffnet, nachdem bereits das Hauptinsolvenzverfahren in 6.537
dem Staat eröffnet worden ist, in dem der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt hat, so han-
delt es sich nach der Terminologie der EuInsVO 2015 (Art. 3 Abs. 2 S. 1) wie der InsO (§ 356
InsO) um ein „Sekundärinsolvenzverfahren“, weil es mit dem Hauptverfahren zu koordinie-
ren und diesem unterzuordnen ist4. An die Zulassung eines solchen Sekundärinsolvenzverfah-
rens werden nur geringe Anforderungen gestellt. Es setzt nach der Verordnung (Art. 3 Abs. 2
S. 1 EuInsVO 2015) nur eine Niederlassung des Schuldners i.S.v. Art. 2 Nr.10 EuInsVO 2015
im Eröffnungsstaat (s. Rz. 6.609), nach autonomem Recht sogar nur die Belegenheit von Ver-
mögen des Schuldners im Inland voraus (§ 354 Abs. 1 InsO; Rz. 6.617). Die Eröffnung eines
Sekundärinsolvenzverfahrens wird ferner dadurch erleichtert, dass das Vorliegen eines Eröff-
nungsgrundes nicht mehr gesondert zu prüfen ist (Art. 34 S. 2 EuInsVO 2015; § 356 Abs. 3
InsO). Zur Stellung des Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist auch
der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens berechtigt (Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015;
§ 356 Abs. 2 InsO; dazu näher Rz. 6.685).

b) Partikularinsolvenz
Um ein unabhängiges Partikularinsolvenzverfahren handelt es sich demgegenüber, wenn das 6.538
Verfahren in einem Staat eröffnet wird, in dem der Schuldner nicht den Mittelpunkt seiner
Interessen hat, bevor es im Staat des Interessenmittelpunkts zu einem Hauptverfahren kommt.
Wird ein Hauptverfahren später eröffnet (was nicht zwingend notwendig ist), so gelten von
diesem Zeitpunkt an für das Partikularinsolvenzverfahren die Bestimmungen über Sekundä-
rinsolvenzverfahren betreffend Kooperation der Verwalter, Ausübung von Gläubigerrechten,
Aussetzung der Verwertung der Masse, Verfahrensbeendigung und Überschuss (Art. 41, 45-
47, 49 EuInsVO 2015) entsprechend, soweit dies nach dem Stand des Verfahrens möglich ist
(Art. 3 Abs. 4 UAbs. 2, Art. 50 EuInsVO 2015). Ein Partikularinsolvenzverfahren widerspricht
allerdings dem Ziel der einheitlichen und gleichen Behandlung aller Gläubiger; aus diesem
Grunde werden an seine Zulassung im europäischen Recht (Art. 3 Abs. 4 EuInsVO) zusätzli-
che Anforderungen gestellt (dazu näher Rz. 6.608 ff.).

1 Vgl. ErwG 22 zur EuInsVO 2015; ferner Geimer, Rz. 3394; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas,
Hdb., § 129 Rz. 4 f.; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (282 f.); Schack, Rz. 1147 f.; vgl. auch Kindler
in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 6 („Prinzip der abgeschwächten Universalität“).
2 Krit. dazu wegen der höheren Transaktionskosten und der Erschwerung einer Sanierung des
Schuldners Ehricke, EWS 2002, 101 m.w.N.
3 Zu dieser Unterscheidung Art. 3 Abs. 3 und 4 EuInsVO 2015; ferner Balz, ZIP 1996, 948 (949).
4 Zur Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO 2015 vgl.
ErwG 24.

Hausmann | 671
§ 6 Rz. 6.538 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

II. Inländisches Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug


Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuIns-
VO vgl. die Literaturhinweise in der Voraufl. Rz. 7.488.
a) Zur EuInsVO 2000: Aasaru, The Desirability of ‚Centre of Main Interest‘ as a Mechanism for Alloca-
ting Jurisdiction and Applicable Law in Cross-Border Insolvency Law, Eur.Bus.L.Rev. 2011, 349; Adam,
Zuständigkeitsfragen bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen (2006); Affaki, Fail-
lite internationale et conflits de juridictions (2007); Attinger, Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Inte-
ressen nach der EuInsVO (2008); Ballmann, Der High Court of Justice erschwert die Flucht deutscher
Unternehmen ins englische Insolvenzrecht, BB 2007, 1121; Benedetti, „Centro degli interessi principali“
del debitore e forum shopping nella disciplina comunitaria delle procedure di insolvenza transfrontalie-
ra, Riv. dir. int. priv. proc. 2004, 499; Brinkmann, Der Aussonderungsstreit im internationalen Insolvenz-
recht – zur Abgrenzung zwischen EuGVVO und EuInsVO, IPRax 2010, 324; Carstens, Die internationale
Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht (2005); Cornette, Le „centre des intérêts principaux“ des
personnes physiques dans le cadre de l´application du Règlement Insolvabilité dans les départements de
la Moselle, du Bas-Rhin du Haut-Rhin, Clunet 2013, 1115; Cranshaw, Zehn Jahre EuInsVO und Centre
of Main Interests – Motor dynamischer Entwicklungen im Insolvenzrecht?, DZWIR 2012, 133; Duurs-
ma/Duursma-Kepplinger, Gegensteuerungsmaßnahme bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme der in-
ternationalen Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, DZWiR 2003, 447; Duursma-Kepplinger, Ak-
tuelle Entwicklungen im Bezug auf die Auslegung der Vorschriften über die internationale
Eröffnungszuständigkeit nach der EuInsVO, DZWiR 2006, 177; Duursma-Kepplinger, Aktuelle Entwick-
lungen zur internationalen Zuständigkeit für Hauptsacheverfahren – Erkenntnisse aus Staubitz-Schrei-
ber und Eurofood, ZIP 2007, 896; Ehricke, Die neue Europäische Insolvenzverordnung und grenzüber-
schreitende Konzerninsolvenzen, EWS 2002, 101; Eidenmüller, Der Markt für internationale
Konzerninsolvenzen: Zuständigkeitskonflikte unter der EuInsVO, NJW 2004, 3455; Eidenmüller, Rechts-
missbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137; Fehrenbach, Die Zuständigkeit für insol-
venzrechtliche Annexverfahren, IPRax 2009, 492; Fehrenbach, Die Rechtsprechung des EuGH zur Euro-
päischen Insolvenzverordnung: Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen und andere
Entwicklungen im Europäischen Insolvenzrecht, ZEuP 2013, 353; Freitag/Leible, Justizkonflikte im Euro-
päischen Internationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Gruber, Sind französische
Urteile über die Haftung von Gesellschaftsorganen im Konkurs nach dem EuGVÜ anerkennungsfähig?,
EWS 1994, 190; Haas, Insolvenzverwalterklagen und EuGVÜ, NZG 1999, 1148; Haas, Die Verwertung
der im Ausland belegenen Insolvenzmasse im Anwendungsbereich der EuInsVO, FS Gerhardt (2004),
S. 319; Haas, Insolvenzrechtliche Annexverfahren und internationale Zuständigkeit, ZIP 2013, 2381; Hä-
gele, Die Zuständigkeit im internationalen Insolvenzrecht (2007); Haubold, Europäisches Zivilverfahrens-
recht und Ansprüche im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren – Zur Abgrenzung zwischen EuInsVO,
EuGVO, EuGVÜ und LugÜ, IPRax 2002, 28 und 157; Haubold, Mitgliedstaatenbezug, Zuständigkeits-
erschleichung und Vermögensgerichtsstand im internationalen Insolvenzrecht, IPRax 2003, 34; Herchen,
Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters hinsichtlich der „Auslandsmasse“ nach Inkrafttreten
der EG-Insolvenzverordnung, ZInsO 2002, 345; Herchen, Scheinauslandsgesellschaften im Anwendungs-
bereich der Europäischen Insolvenzordnung, ZInsO 2003, 742; Herchen, International- insolvenzrecht-
liche Kompetenzkonflikte in der Europäischen Gemeinschaft, ZInsO 2004, 61; Herchen, Aktuelle Ent-
wicklungen im Recht der internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung von Insolvenzverfahren: Der
Mittelpunkt der (hauptsächlichen) Interessen im Mittelpunkt der Interessen, ZInsO 2004, 825; Herchen,
Das Prioritätsprinzip im internationalen Insolvenzrecht ZIP 2005, 1401; Herchen, International-insol-
venzrechtliche Kompetenzkonflikte in der Europäischen Gemeinschaft, ZInsO 2004, 61; Hess/Lauke-
mann, Über die internationale Eröffnungszuständigkeit im Insolvenzverfahren, JZ 2006, 671; Hess/Lau-
kemann/Seagon, Europäisches Insolvenzrecht nach Eurofood: Methodische Standortbestimmung und
praktische Schlussfolgerungen, IPRax 2007, 89; P. Huber, Der deutsch-englische Justizkonflikt: Kom-
petenzkonflikte im internationalen Insolvenzrecht, FS Heldrich (2005), S. 679; Kammel, Die Bestimmung
der zuständigen Gerichte bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen: Eurofood, NZI 2006, 334; Keg-
genhoff, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren: der Mittelpunkt der
hauptsächlichen Interessen gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bei Gesellschaften und juristischen Personen
(2006); Kindler, Sitzverlegung und internationales Insolvenzrecht, IPRax 2006, 114; Klöhn, Verlegung des

672 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.538 § 6

Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen iSd. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO vor Stellung des Insolvenz-
antrags, KTS 2006, 259; Knof, Perpetuatio fori und Attraktivkraft des Erstantrags im Europäischen Insol-
venzrecht?, ZInsO 2006, 754; Knof, Europäisches Insolvenzrecht und Schuldbefreiungs-Tourismus, Z-
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Inländische Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug, in: Gottwald/Haas (Hrsg.) Insolvenzrechtshandbuch,
6. Aufl. 2020, § 130; Krebber, Europäische Insolvenzordnung, Drittstaatengesellschaften, Drittstaaten-
sachverhalte und innergemeinschaftliche Konflikte, IPRax 2004, 540; Kübler, Der Mittelpunkt der haupt-
sächlichen Interessen nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 527; Kuntz, Die Insolvenz der
Limited mit deutschem Verwaltungssitz, NZI 2005, 424; Laukemann, Rechtshängigkeit im europäischen
Insolvenzrecht, RIW 2005, 104; Leipold, Zuständigkeitslücken im Europäischen Insolvenzrecht, FS Ishi-
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päisches Konzerninsolvenzrecht oder Instrumentarium eines „Insolvenz-Imperialismus“?, FS Greiner
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sÜ und EuGVÜ, FS Schütze (1999), S. 467; Lüttringhaus/Weber, Aussonderungsklagen an der Schnitt-
stelle zwischen EuGVVO und EuInsVO, RIW 2010, 45; Mankowski, Grenzüberschreitender Umzug und
das Center of Main Interests im Europäischen internationalen Insolvenzrecht, NZI 2005, 368; Man-
kowski, Klärung von Grundsatzfragen des europäischen Internationalen Insolvenzrechts durch die Euro-
food-Entscheidung?, BB 2006, 1753; Mankowski, Insolvenznahe Verfahren und Sicherung eines Eigen-
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Verwaltungssitz in Deutschland in der Insolvenz, MDR 2005, 496; Pannen/Riedemann, Der Begriff des
„Centre of main interests“ iS des Art. 3 I 1 EuInsVO im Spiegel aktueller Fälle aus der Rechtsprechung,
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2014, 2067; Probst, Die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung von Insolvenzverfahren im europäi-
schen Insolvenzrecht (2008); Raimon, Centre des intérêts principaux et coordination des procédures
dans la jurisprudence européenne sur le règlement relatif aux procédures d´insolvabilité, Clunet 2005,
739; Reinhart, Die Bedeutung der EuInsVO im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2009, 73; Reuß, „Fo-
rum Shopping“ in der Insolvenz. Missbräuchliche Dimension der Wahrnehmung unionsrechtlicher Ge-
staltungsmöglichkeiten (2011); Ringe, Insolvenzanfechtungsklage im System des europäischen Zivilver-
fahrensrechts, ZInsO 2006, 700; Ringstmeier/Homann, Masseverbindlichkeiten als Prüfstein des
internationalen Insolvenzrechts, NZI 2004, 354; Sabel, Hauptsitz als Niederlassung im Sinne der EuIns-
VO?, NZI 2004, 126; Saenger/Klockenbrink, Neue Grenzen für ein forum shopping des Insolvenzschuld-
ners?, DZWiR 2006, 183; Schilling, Insolvenz einer englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutsch-
land (2006); Schilling/Schmidt, COMI und vorläufiger Insolvenzverwalter – Problem gelöst?, ZInsO
2006, 113; J. Schmidt, Eurofood – Eine Leitentscheidung und ihre Rezeption in Europa und den USA,
ZIP 2007, 405; Schwemmer, Die Verlegung des centre of main interests (COMI) im Anwendungsbereich
der EuInsVO, NZI 2009, 355; Smid, Vier Entscheidungen englischer und deutscher Gerichte zur europäi-
schen internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung von Hauptinsolvenzverfahren, DZWiR 2003, 397;

Hausmann | 673
§ 6 Rz. 6.538 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Smid, EuGH zu „Eurofood“, BGH zur internationalen Zuständigkeit: Neueste Judikatur zur EuInsVO,
DZWiR 2006, 325; Smid, Internationales Insolvenzrecht im Spiegel ausgewählter Verfahren und Ent-
scheidungen, DZWiR 2006, 45; Staak, Der deutsche Insolvenzverwalter im europäischen Insolvenzrecht
(2004); Strobel, Die Abgrenzung zwischen EuGVO und EuInsVO im Bereich insolvenzbezogener Einzel-
entscheidungen (2006); M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Internationales Insolvenzrecht –
Zugleich ein Beitrag zur internationalen Zuständigkeit bei insolvenzbezogenen Annexverfahren, IPRax
2005, 416; Thole, Die internationale Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen, ZIP 2006,
1383; Thole, Negative Feststellungsklagen, Insolvenztorpedos und EuInsVO, ZIP 2012, 605; Torz, Ge-
richtsstände im Internationalen Insolvenzrecht zur Eröffnung von Partikularinsolvenzverfahren (2005);
Vallender, Aufgaben und Befugnisse des deutschen Insolvenzrichters in Verfahren nach der EuInsVO,
KTS 2005, 283; Vogler, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren (Wien/Graz 2004);
Vormstein, Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen (Diss. Kiel 2005); Walterscheid, Die englische Limited
im Insolvenzverfahren, DZWiR 2006, 95; Weller, Forum Shopping im Internationalen Insolvenzrecht?,
IPRax 2004, 412; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrens-
recht (2011); Weller, Die Verlegung des Center of Main Interest von Deutschland nach England, ZGR
2008, 835; Weller, GmbH-Bestattung im Ausland, ZIP 2009, 2029; Westpfahl, Die Praxis der grenzüber-
schreitenden Konzerninsolvenz, FS Görg (2010), S. 569; Willemer, Vis attractiva concursus und die
EuInsVO (2006); Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004;
U. Wolf, Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen (2012); Wyen, Rechtswahlfreiheit im eu-
ropäischen Insolvenzrecht. Eine Untersuchung zum forum shopping unter der EuInsVO unter besonde-
rer Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten (2013); Zeuner/Elsner, Die internationale Zuständig-
keit der Anfechtungsklage oder die Auslegung des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO, DZWiR 2008, 1.
b) Zur EuInsVO 2015: Bitzer, Systemfragen der Insolvenzanfechtung- ein deutsch-italienischer
Rechtsvergleich vor dem Hintergrund des europäischen internationalen Insolvenzrechts (2020); Brink-
mann, Von unwiderleglichen Vermutungen im internationalen Insolvenzrecht, FS Prütting (2018)
627; Bork, Annexzuständigkeiten nach Art. 6 EuInsVO, FS Beck (2016), S. 49; Bramkamp, Die Attrak-
tivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019); Dammann/Rotaru, La consécration de la
compétence exclusive du tribunal d’ouverture pour les actions annexes dans le cadre du reglement
insolvabilité, D 2019, 619; Kindler/Wendland, Die internationale Zuständigkeit für Einzelstreitverfah-
ren nach der neuen Europäischen Insolvenzverordnung, RIW 2018, 245; Koller, Die internationale Zu-
ständigkeit für Annexverfahren und das Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung im Spiegel jüngster
Entwicklungen, in Konecny (Hrsg.), Insolvenz-Forum 2017, 37; Piekenbrock, Insolvenzrechtliche An-
nexverfahren im europäischen Justizraum, KTS 2015, 379; Thole, Die Abgrenzung zwischen EuInsVO
und EuGVVO bei Haftungsklagen gegen Dritte wegen eines Gläubigergesamtschadens, IPRax 2019,
483; Willemer, Vis attractiva concursus und die Europäische Insolvenzverordnung, 2006.

1. Voraussetzungen der Eröffnung eines (Haupt-) Insolvenzverfahrens


a) Internationale Zuständigkeit
aa) Europäisches Insolvenzrecht
(1) Verhältnis zum autonomen Zuständigkeitsrecht
6.539 Die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens ist nur zulässig, wenn das angerufene Ge-
richt hierfür international zuständig ist. Diese Frage hat das deutsche Insolvenzgericht von
Amts wegen zu prüfen, ohne an übereinstimmenden Vortrag der Verfahrensbeteiligten im Er-
öffnungsverfahren gebunden zu sein1. Maßstab ist vorrangig Art. 3 EuInsVO, nur hilfsweise
das autonome deutsche Insolvenzrecht.

1 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 10 ff.) = ZIP 2012, 139; BGH v. 22.4.2010
– IX ZB 217/09, ZInsO 2010, 1013 (Rz. 7); BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121
(Rz. 11); Geimer, Rz. 3469; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 19. Vgl. die
Klarstellung in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 und ErwG 27 zu dieser Verordnung.

674 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.542 § 6

Auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 6.540
verdrängt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 das nationale Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten
immer dann, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem
Mitgliedstaat der EU (mit Ausnahme Dänemarks) liegt und ein Bezug zu einem weiteren
(Mitglied- oder Dritt-) Staat besteht (vgl. zum räumlichen Anwendungsbereich der Verord-
nung schon Rz. 6.528 f.). Ein Insolvenzverfahren soll möglichst in dem Mitgliedstaat eröffnet
und durchgeführt werden, in dem sich das überwiegende schuldnerische Vermögen und die
meisten Gläubiger befinden. Durch diese Konzentration der internationalen Eröffnungs-
zuständigkeit in dem primär vom Insolvenzverfahren betroffenen Mitgliedstaat soll insbeson-
dere einem „forum shopping“ vorgebeugt werden1.

(2) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (COMI)


Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ist deshalb das Hauptinsolvenzverfahren in dem Mitglied- 6.541
staat zu eröffnen, in dem der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“
(„Center Of Main Interests“, COMI) hat. Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015 ist
dies „der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht
und der für Dritte feststellbar ist“2. Durch die Anknüpfung an das COMI soll das Risiko der
Insolvenz also für die Gläubiger kalkulierbar werden, weil sich an diesem Ort i.d.R. das
Hauptvermögen des Schuldners befinden und die Mehrheit der Gläubiger ansässig sein wird3;
außerdem soll hierdurch betrügerisches und missbräuchliches forum shopping verhindert wer-
den4.

(a) Gesellschaften
Zur Bestimmung des Interessenmittelpunkts von Gesellschaften und juristischen Personen 6.542
standen sich unter Geltung der EuInsVO 2000 zwei unterschiedliche Sichtweisen gegenüber:
Nach der sog. „mind-of-management“-Theorie, die vor allem von englischen Gerichten5 ent-
wickelt wurde, aber auch in Deutschland Gefolgschaft gefunden hat6, sollte es maßgeblich auf
den Ort ankommen, an dem die unternehmensleitenden Entscheidungen getroffen werden.
Ausschlaggebend seien deshalb vor allem unternehmensinterne Absprachen über die Einstel-
lungspolitik und über die Bindung aller Niederlassungen an einen zentral verabschiedeten Ge-
schäfts- und Strategieplan, ferner betriebsinterne Methoden der Buchhaltung und Bilanzie-
rung sowie die Erbringung betriebsinterner Dienstleistungen, wie z.B. Rechnungswesen, Con-
trolling und Marketing7. Dagegen stellte die in der Literatur überwiegend vertretene sog „busi-
ness activity“-Theorie auf solche Handlungen und Vermögenswerte des Schuldners ab, die

1 Weller, IPRax 2004, 412 ff.


2 Vgl. schon zur EuInsVO 2000 ErwG 13 und den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 75; ferner Duursma/
Duursma-Kepplinger, DZWiR 2003, 447 (448); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (140); Leible/Staudin-
ger, KTS 2000, 533 (543); Vogler, 119 ff.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 14.
4 ErwG 29 zur EunsVO 2015.
5 Grundlegend High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, ZIP 2004, 963 (964 f.); ferner High Court
of Justice Birmingham v. 18.4.2005, NZI 2005, 467 ff.; dazu näher Probst, S. 60 ff. m.w.N.
6 AG Duisburg v. 10.12.2002 – 62 IN 190/02, NZI 2003, 160; AG Offenburg v. 2.8.2004 – 2 IN 133/
04, NZI 2004, 673; AG München v. 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04 (Hettlage), ZIP 2004, 926 = NZI
2004, 450 = IPRax 2004, 433 (m. krit. Anm. Weller, IPRax 2004, 412).
7 Vgl. näher High Court of Justice Leeds v. 16.3.2003, ZIP 2004, 963 (964 f.); ferner Kindler in
MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 19.

Hausmann | 675
§ 6 Rz. 6.542 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach außen in Erscheinung getreten waren1. Demnach kam es also darauf an, wo Geschäfts-
räume vom Schuldner unterhalten und die wesentlichen Geschäftsbeziehungen mit den Kun-
den und Gläubigern abgewickelt wurden2.

6.543 Der EuGH hat diesen Meinungsstreit in seiner bekannten „Eurofood“-Entscheidung3 grund-
sätzlich zugunsten der „business activity“-Theorie entschieden. Im Rahmen der gebotenen
verordnungsautonomen Auslegung4 des Begriffs „Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses“
hat er an den ErwG 13 zur EuInsVO 2000 angeknüpft und daraus abgeleitet, dass im Interesse
der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzver-
fahrens zuständigen Gerichts nur objektive und damit für Dritte erkennbare Kriterien maß-
gebend sein können, zumal die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit gem. Art. 4
Abs. 1 EuInsVO 2000 zugleich das anwendbare Insolvenzrecht bestimme5. Der Ort, an dem
die Geschicke des Unternehmens tatsächlich gelenkt werden, habe mithin dann außer Be-
tracht zu bleiben, wenn er nach außen nicht in Erscheinung getreten ist. Dieser Auffassung
hatte sich schon unter der EuInsVO 2000 – unter Aufgabe der „mind of management“-Theo-
rie – auch die englische Rechtsprechung angeschlossen6. Unter Geltung der EuInsVO 2015
kommt es nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 vor allem darauf an, welchen Ort die Gläubiger als
denjenigen wahrnehmen, an dem der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen nachgeht;
daher hat der Schuldner die Gläubiger über eine Verlegung des COMI zu unterrichten7. Die
bloße Verlegung des Satzungssitzes reicht hierfür keinesfalls aus8.

6.544 Ebenfalls umstritten ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Vermutungsregel
nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015, wonach bei Gesellschaften und juristischen Per-
sonen bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächli-
chen Interessen am Ort ihres (satzungsmäßigen) Sitzes liegt9. Vor allem in Deutschland wird
aus der Amtsermittlungspflicht verbreitet die Konsequenz gezogen, dass das Insolvenzgericht

1 Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1065 f.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3456); Herchen, ZInsO 2004,
825 (827); Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 527 (555); Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646 (651);
Mankowski, RIW 2005, 575 f.; Weller, IPRax 2004, 412 (415 f.); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121);
zust. AG Mönchengladbach v. 27.4.2004 – 19 IN 54/04, NZI 2004, 383 m. Anm. Lauterbach; High
Court Dublin v. 23.3.2004, ZIP 2004, 1223 (1225 f.); Supreme Court of Ireland v. 27.7.2004, NZI
2004, 505 (509) = ZInsO 2005, 159.
2 Dazu näher Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 525 (556); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO
2015 Rz. 20 f.
3 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824 ff.)
(Rz. 32 ff.) = ZIP 2006, 907; zust. BGH v. 13.6.2006 – IX ZA 8/06, IPRspr. 2006 Nr. 265; dazu
Freitag/Leible, RIW 2006, 641; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89; Knof/Mock, ZIP 2006,
907; Saenger/Klockenbrinck, EuZW 2006, 363; J. Schmidt, ZIP 2007, 405; Thole, ZEuP 2007, 1137.
4 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 43 f.) =
NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153.
5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 14) = NZI
2006, 360 = ZIP 2006, 907; EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19, ECLI:EU:C:2020:585 (Novo Banco),
NZI 2020, 805 (Rz. 19 f.) m. Anm. Mankowski; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 =
NZI 2007, 344.
6 High Court of Justice London v. 3.7.2009, ZIP 2009, 1776 (Stanford).
7 Vgl. ErwG 28 S. 1 zur EuInsVO 2015; dazu näher Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015
Rz. 21 ff.
8 Ital. Cass. v. 23.3.2017, unalex IT-828.
9 Bei der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO handelt es sich nicht um eine Verweisung
auf das Prozessrecht der lex fori, sondern um eine Regel des europäischen Sachrechts, vgl. Probst,
S. 121 ff. (140 ff.).

676 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.545 § 6

zunächst gehalten sei, den Ort des hauptsächlichen Interessenmittelpunkts festzustellen; dieser
decke sich aber im Regelfall mit dem effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft1. Nur wenn
ein Interessenmittelpunkt nicht ermittelt werden könne – z.B. bei Gesellschaften mit gleich-
zeitigem Interessenmittelpunkt in verschiedenen Mitgliedstaaten – sei auf die Vermutung
nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 zurückzugreifen2.

Der EuGH hat dieser Vermutungsregel in seiner „Eurofood“-Entscheidung3 zwar zunächst grö- 6.545
ßeres Gewicht beigelegt. Danach sei grundsätzlich von der Vermutung auszugehen, dass die
Schuldnergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen an ihrem Satzungssitz4
habe und diese Vermutung könne nur entkräftet werden, wenn objektive und für Dritte feststell-
bare Elemente belegten, dass die hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft ausnahmsweise
nicht an ihrem Satzungssitz verfolgt würden5, wie dies etwa auf reine „Briefkastenfirmen“ zu-
treffe6. Dementsprechend sind deutsche Gerichte etwa für die Eröffnung des (Haupt-)Insolvenz-
verfahrens über eine in England gegründete Private Ltd. Company nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
international zuständig, wenn die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in Deutsch-
land entfaltet hat7. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Gesellschaft ihre Geschäfts-
tätigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollständig eingestellt hat8. In diesem Fall
kommt es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit allein darauf an, wo die Schuld-
nergesellschaft bei Einstellung ihrer Tätigkeit – dazu können auch Abwicklungsarbeiten gehören
– den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte. Es wird also nicht allein infolge der
Einstellung des Geschäftsbetriebs das Gericht am satzungsmäßigen Sitz international zuständig9.

1 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 26 f.; Schack, Rz. 1162; zur EuInsVO 2000 BGH v.
1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 10 ff.) = GmbHR 2012, 216; zust. Kayser, ZIP 2013,
1353; BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZG 2007, 623; ferner Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141);
Smid, DZWiR 2003, 397 (399); Vallender, NJW 2012, 1634; ähnlich auch High Court of Justice
Leeds v. 20.4.2005, ZIP 2004, 1769.
2 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 27.
3 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 34 ff.) =
ZIP 2006, 907; ebenso schon zuvor Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Duursma-Kepplinger, Art. 3
EuInsVO Rz. 25.
4 Zum Begriff des „satzungsmäßigen Sitzes“ rechtsvergleichend Probst, S. 98 ff.
5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood) (Rz. 34 f.) = ZIP 2006, 907; im
Ausgangspunkt ebenso EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg.
2011 I, 9915 (Rz. 51) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI:
EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg. 2011 I, 13211 (Rz. 35) = ZIP 2012, 183.
6 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), ZIP 2006, 907 (Rz. 34 f.); insoweit
bestätigt durch EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24, ZIP 2010, 187 (MG Probud
Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 37) = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178) = EWiR
2010, 77 (78) m. KurzKomm. J. Schmidt; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920;
Würdinger, IPRax 2011, 562; EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil),
Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 49 ff.) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11,
ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725 (Rz. 8, 10).
7 Vgl. i.d.S. AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = GmbHR 2003, 957 = NZI
2003, 442 m. Anm. Mock, Schildt = IPRax 2003, 534 (m. zust. Anm. Weller, IPRax 2003, 521); AG
Saarbrücken v. 25.2.2005 – 106 IN 3/05, GmbHR 2005, 1620 = ZIP 2005, 2027; AG Nürnberg v.
1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 186 (m. Aufs. Andres/
Grund, NZI 2007, 137). Zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer solchen Gesell-
schaft in Deutschland s. Rz. 6.127 ff., Rz. 6.148 ff.
8 Dies gilt zumindest, wenn noch Abwicklungsarbeiten auszuführen sind, vgl. AG Hamburg v.
1.12.2005 – 67a IN 450/05, ZIP 2005, 2275 = NZI 2006, 120 (m. Aufs. Klöhn, NZI 2006, 383).
9 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 15 f.) = ZIP 2012, 139.

Hausmann | 677
§ 6 Rz. 6.546 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.546 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH die Vermutung zugunsten des Satzungssit-
zes freilich abgeschwächt und hat unter Berufung auf den ErwG 13 zur EuInsVO 2000 grund-
sätzlich auf den Ort der Hauptverwaltung von Gesellschaften abgestellt1. Erforderlich hierfür
ist allerdings, dass eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten über-
prüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der
Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in einem anderen Mitglied-
staat als demjenigen ihres Satzungssitz befindet2. Dafür können etwa außerhalb des satzungs-
mäßigen Sitzes belegene Immobilien sprechen, für die Mietverträge abgeschlossen sind und
die mit Hilfe eines im dortigen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstituts finanziert wurden3.
Kann der Interessenmittelpunkt in einem anderen Mitgliedstaat nicht hinreichend sicher fest-
gestellt werden, gibt weiterhin der satzungsmäßige Sitz den Ausschlag4. Dies gilt allerdings
nach Art. 3 Abs. 1 UAbs 2 S. 2 EuInsVO 2015 dann nicht, wenn der Sitz in einem Zeitraum
von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen
Mitgliedstaat verlegt wurde5.

6.547 Die Pflicht des Gerichts, die internationale Zuständigkeit zu ermitteln, wird allerdings durch
Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 nicht beschränkt, denn Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015
regelt nicht das zur Klärung der internationalen Zuständigkeit anzuwendende Verfahrens-
recht6. Die dort aufgestellte Vermutung greift daher nur ein, wenn die Ermittlungen von
Amts wegen zu keinem abweichenden Ergebnis geführt haben. Für die Beibringungslast des
Antragstellers und die Prüfungspflicht des Gerichts folgt daraus, dass das Gericht am sat-
zungsmäßigen Sitz von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen darf, solange sich aus
dem Vortrag des Antragstellers nichts anderes ergibt7. Demgegenüber hat ein Gläubiger, der
einen Insolvenzantrag gegen eine Schuldnergesellschaft mit ausländischem Satzungssitz bei
einem deutschen Gericht stellt, substantiiert zur internationalen Zuständigkeit des Gerichts
und zum Interessenmittelpunkt der Schuldnerin vorzutragen.

6.548 Der Frage, ob der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners subjektiv oder
objektiv zu bestimmen ist, kommt besondere Bedeutung in Fällen der Konzerninsolvenz zu.
Nach der „mind-of-management“-Theorie ist auch insoweit ausschlaggebend, wo die strategi-
schen Entscheidungen über das Schicksal der Tochtergesellschaft gefällt werden8. Ist dies der
Ort, von dem aus der gesamte Konzern gesteuert wird, so hätten sämtliche Tochtergesellschaf-

1 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 48) = NZI
2011, 990 = ZIP 2011, 2153; EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg.
2011 I, 13211 (Rz. 32) = NZI 2012, 147 = ZIP 2012, 183; EuGH v. 24.05.2016 – C-353/15, ECLI:
EU:C:2016:374 (Leonmobili), BeckRS 2016, 81277 (Rz. 34).
2 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 53) = NZI
2011, 990 = ZIP 2011, 2153; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, NZI 2012, 725 (Rz. 9) = ZIP 2012,
1920; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 44; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 32 ff.
Zur Bedeutung der Verwaltung von Immobilien für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interes-
sen einer GbR auch BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121.
3 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 53) = NZI
2011, 990 = ZIP 2011, 2153.
4 LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, NZI 2018, 85 m. Anm. Mankowski = IPRax 2018, 271 (m.
Anm. Thomale, IPRax 2018, 254) = ZIP 2018, 140.
5 Vgl. ErwG 31 zur EuInsVO 2015.
6 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 13) = GmbHR 2012, 216; Borges, ZIP 2004,
733 (737); Klöhn, NZI 2006, 383 f.
7 Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 25; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (831).
8 Grundlegend High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, ZIP 2004, 903 = NZI 2004, 219 (Daisytek).

678 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.550 § 6

ten ihren Interessenmittelpunkt am Sitz der Muttergesellschaft1. Diese Auffassung war unter
Geltung der EuInsVO 2000 indessen schon deshalb abzulehnen, weil Fragen der Konzernin-
solvenz aus dem Anwendungsbereich jener Verordnung bewusst ausgeklammert wurden; ein
einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand an dem Ort der strategischen Unternehmenslei-
tung sollte gerade nicht begründet werden2. Der Verordnung lag vielmehr die allgemeine Re-
gel zugrunde, dass die internationale Zuständigkeit für jeden Schuldner mit eigener Rechts-
persönlichkeit gesondert festzustellen ist3.
EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824) (Rz. 37) =
IPRax 2007, 120 (m. Anm. Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89)
Zur internationalen Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren über die irische Gesellschaft „Eurofood/
FSC Ltd.“, eine 100%ige Tochter der italienischen Gesellschaft „Parmalat SpA“: „Wenn ... eine Gesell-
schaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nach-
geht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft
mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden ..., nicht aus, um die mit der Verordnung
aufgestellte Vermutung zu entkräften.“

Daran hat sich auch unter Geltung der EuInsVO 2015 nichts geändert. Deshalb kommt es 6.549
auch bei Konzerninsolvenzen weiterhin darauf an, an welchem Ort die jeweilige Tochterge-
sellschaft ihre Geschäftsfähigkeit für ihre Gläubiger erkennbar entfaltet4. Einer koordinierten
Abwicklung der Insolvenz eines international tätigen Konzerns durch die Gerichte im Sitzstaat
der Konzernleitung hat der EuGH damit eine Absage erteilt. Sie lässt sich nur erreichen, wenn
die Muttergesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz vor Insolvenzeröffnung in den Sitzstaat
der Tochtergesellschaft verlegt (oder umgekehrt)5.

Wird gegen eine Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich im Gebiet eines Mitgliedstaats 6.550
befindet, Klage auf Erweiterung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens erhoben, das in ei-
nem anderen Mitgliedstaat gegen eine andere Gesellschaft, die im Gebiet dieses Mitgliedstaats
niedergelassen ist, eröffnet worden ist, so reicht nach Ansicht des EuGH die Feststellung al-
lein, dass eine Vermischung der Vermögensmassen dieser Gesellschaften vorliegt, nicht für
den Nachweis aus, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der von der Klage
betroffenen Gesellschaft ebenfalls in diesem Mitgliedstaat befindet. Zur Widerlegung der Ver-
mutung, dass sich dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet, sei viel-
mehr erforderlich, dass im Rahmen einer Gesamtbeurteilung aller relevanten Anhaltspunkte

1 So Tribunale Parma v. 19.2.2004 (Eurofood/Parmalat I), ZIP 2004, 1220; LG Klagenfurt v. 2.7.2004
(Zenith II), NZI 2004, 677 = NJW-RR 2005, 60; AG Siegen v. 1.7.2004 – 25 IN 154/04 (Zenith I),
NZG 2005, 92; LG Innsbruck v. 11.5.2004, ZIP 2004, 1721 (1722) = EWIR 2004, 1588 m. Anm.
Bähr/Riedemann; AG Offenburg v. 2.8.2004 – 2 IN 133/04, NZI 2004, 673; AG München v.
4.5.2004 – 1501 IE 1276/04 (Hettlage), ZIP 2004, 962 = IPRax 2004, 433 (m. abl. Anm. Weller,
IPRax 2004, 415); AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 154 (m. Anm.
Sabel, NZI 2004, 126); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (770 f.). Dazu ausführlich Probst, S. 88 ff.
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 76; Carstens, S. 111 f.; Vormstein, S. 160 ff.; Weller, IPRax 2004, 412
(415 f.).
3 AG Mönchengladbach v. 11.8.2011 – 45 IN 130/10, ZIP 2012, 383 = ZInsO 2011, 1752; AG Köln
v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 982; Eidenmüller, NJW 2004, 3456 f.; Huber, ZZP 114
(2001), 133 (142 f.); Huber, FS Heldrich (2005), S. 679 (682 ff.); Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 527
(550 ff.); Weller, IPRax 2004, 412 (416); vgl. auch AG Mönchengladbach v. 27.4.2004 – 19 IN 54/
04, ZIP 2004, 1064 = EuZW 2004, 478 (480) = NZI 2004, 450.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 31 f.; Schack, Rz. 1163.
5 Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08(PIN), NZI 2008, 257 (259 f.).

Hausmann | 679
§ 6 Rz. 6.550 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der Nachweis gelingt, dass sich das tatsächliche Verwaltungs- und Kontrollzentrum der von
der Klage auf Erweiterung betroffenen Gesellschaft für Dritte feststellbar in dem Mitgliedstaat
befindet, in dem das ursprüngliche Insolvenzverfahren eröffnet wurde1.

(b) Natürliche Personen


6.551 Bei natürlichen Personen ist zu unterscheiden: Übt diese eine selbständige gewerbliche oder
freiberufliche Tätigkeit aus, wird nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EuInsVO 2015 bis zum
Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre
Hauptniederlassung ist2. Angeknüpft wird also an den Schwerpunkt der gewerblichen bzw.
beruflichen Tätigkeit, nicht an den privaten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des
Schuldners3. Dieser Ort bleibt auch dann maßgeblich, wenn sich die Mehrheit der Gläubiger
und der Großteil des schuldnerischen Vermögens ausnahmsweise nicht in diesem Mitglied-
staat befinden4. Die Vermutung gilt jedoch nur, wenn die Hauptniederlassung der natürlichen
Person nicht in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol-
venzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde.

6.552 Bei allen anderen natürlichen Personen wird nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 4 EuInsVO 2015 bis
zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen
der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts, d.h. der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen, sozia-
len und kulturellen Beziehungen ist5. Maßgebend ist also der Ort, an dem diese Person der
Verwaltung ihrer wirtschaftlichen Interessen nachgeht und an dem sie die meisten ihrer Ein-
künfte erzielt und ausgibt oder aber an dem sich der Großteil ihres Vermögens befindet. Die
Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 und 4 EuInsVO 2015, wonach der Mittelpunkt der
hauptsächlichen Interessen einer natürlichen Person der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts
ist, wird jedoch nicht schon dadurch widerlegt, dass die einzige Immobilie dieser Person au-
ßerhalb des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts belegen ist6. Auch die Inhaftierung
des Schuldners außerhalb seines Aufenthaltsstaates ändert den Mittelpunkt seiner wirtschaft-

1 EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg. 2011 I, 13211 (Rz. 29, 39) =
ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 147 m. Anm. Mankowski; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 46; Kindler in
MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 29.
2 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 39 f.; zur EuInsVO 2000 BGH v. 15.11.2010 –
NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 = NJW-RR 2011, 642; BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 51/09, ZInsO 2009,
1955; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 = NZI 2007, 344 (Rz. 14); BGH v.
13.6.2006 – IX ZA 8/06, IPRspr. 2006 Nr. 265; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 75; Duursma-Kepplinger,
Art. 3 EuInsVO 2000 Rz. 19, 22; Balz, ZIP 1996, 948 (949); Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 (314);
Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (224); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (140); Kemper, ZIP 2001, 1609
(1612); Mankowski, NZI 2005, 368 (370).
3 BGH v. 18.9.2018 – IX ZB 77/17, NZI 2018, 997 (Rz. 6).
4 ÖOGH v. 16.1.2008 – 8 Ob 134/07z, unalex AT-567; AG Hildesheim v. 18.6.2009 – 51 IE 2/09,
ZIP 2009, 2070; AG Celle v. 18.4.2005 – 29 IN 11/05, NZI 2005, 410.
5 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 41 ff.; ebenso zur EuInsVO 2000 BGH v. 18.9.2018
– IX ZB 77/17, NZI 2018, 997 (Rz. 3); BGH v. 2.3.2017 − IX ZB 70/16, NZI 2017, 320 (Rz. 10) m.
Anm. Mankowski = IWRZ 2017, 172 m. Anm. Fritz; OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10,
IPRax 2012, 351; Cornette, Clunet 2013, 1115 (1123 ff.); Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO
Rz. 22; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 42; Huber, ZZP 114 (2001), 133
(140); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); Mankowski, NZI 2005, 368 (369 f.); Taupitz, ZZP
111 (1998), 315 (326). Dies gilt insbesondere für Verbraucher, vgl. AG Köln v. 6.11.2008 – 71 IN
487/07, ZIP 2009, 1242 = NZI 2009, 133.
6 EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19, ECLI:EU:C:2020:585 (Novo Banco), NZI 2020, 805 (Rz. 28).

680 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.554 § 6

lichen Interessen nicht1. Die Vermutung gilt jedoch nur, wenn der gewöhnliche Aufenthalt
nicht in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzver-
fahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde.

(3) Maßgeblicher Zeitpunkt


Die Frage, ob es für die Bestimmung des tatsächlichen Interessenmittelpunktes auf den Zeit- 6.553
punkt der Antragstellung oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ankommt, war in der
EuInsVO 2000 nicht geregelt. Diese Frage erlangt insbesondere dann Bedeutung, wenn der
Schuldner kurz vor oder nach Antragstellung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interes-
sen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Auf Vorlage des BGH2 hat der EuGH schon früh
klargestellt, dass das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung
seines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen
Interessen hatte, für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens auch dann zu-
ständig bleibt, wenn der Schuldner zwischenzeitlich den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen
Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat3. Denn der Verordnungsgeber wollte ge-
rade verhindern, dass eine Partei Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten in einen
anderen Mitgliedstaat verlagert, um dadurch ihre Rechtsstellung zu verbessern4. Ferner würde
die von der Verordnung angestrebte Verbesserung der Effizienz grenzüberschreitender Insol-
venzverfahren verfehlt, wenn der Schuldner durch bloße Verlegung seines Wohnsitzes in einen
anderen Mitgliedstaat die Gläubiger dort zu einer neuen Antragstellung zwingen könnte. Hat-
te die Schuldnergesellschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung ihre Tätigkeiten bereits einge-
stellt und war sie aus dem Register gelöscht worden, so kommt es auf den letzten Mittelpunkt
der hauptsächlichen Interessen an5. Nur durch Anerkennung einer perpetuatio fori kann näm-
lich ein unerwünschtes „forum shopping“ des Schuldners verhindert werden6.

Zulässig war hingegen unter Geltung der EuInsVO 2000 eine Verlegung des COMI vor der 6.554
Antragstellung, sofern kein Rechtsmissbrauch vorlag; ein solcher lag nicht schon darin, dass
der Gemeinschuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in ein Land mit ei-

1 BGH v. 8.11.2007 – IX ZB 41/03, NZI 2008, 121.


2 BGH v. 27.11.2003 – IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94 f. = NZI 2004, 139 m. Anm. Liersch.
3 EuGH v. 17.1.2006 – C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39 (Staubitz-Schreiber), Slg. 2006 I, 701 (Rz. 23 ff.) =
ZIP 2006, 188 m. Anm. Knof/Mock = IPRax 2006, 149 (m. Anm. Kindler, IPRax 2006, 114); dazu
die Abschlussentscheidung des BGH v. 9.2.2006 – IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529 = RIW 2006, 468
(Rz. 6 ff.) = NZI 2006, 297; ferner BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 = NZI 2007,
344 (Rz. 5); BGH v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 = ZVI 2011, 370 (Rz. 10). Ebenso
EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 54 ff.) =
NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski; BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782 = NZI 2012,
377 (Rz. 7) = IPRax 2013, 356 (m. Anm. Ringe, IPRax 2013, 330).
4 Vgl. ErwG 4 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 17.1.2006 – C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39 (Staubitz-
Schreiber), (Rz. 25) = ZIP 2006, 188.
5 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 58) = NZI
2011, 990 = ZIP 2011, 2153; ebenso für den Fall, dass eine Löschung im Register noch nicht erfolgt
ist, BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 15 f.) = ZIP 2012, 139 = NZI 2012,
151.
6 AG Hamburg v. 1.12.2005 – 67a IN 450/05, ZIP 2005, 2275; LG Leipzig v. 27.2.2006 – 12 T 1207/
05, ZInsO 2006, 378; Herchen, ZInsO 2004, 825 (829 f.); Laukemann, RIW 2005, 105 (108 ff.);
Mankowski, NZI 2005, 368 (369); Schack, Rz. 1161; Weller, IPRax 2004, 412 (416); Probst,
S. 204 ff.

Hausmann | 681
§ 6 Rz. 6.554 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nem für ihn günstigeren Insolvenzrecht verlegte1. Auch eine gewisse Mindestdauer des COMI
im neuen Sitzstaat wurde nicht vorausgesetzt2. Demgegenüber greifen die Vermutungen des
Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2-4 EuInsVO 2015 nur noch ein, wenn der Schuldner den Antrag auf
Eröffnung des Insolvenzverfahren nicht kurze Zeit vor der Verlegung seines Sitzes, seiner
Hauptniederlassung oder seines gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat ge-
stellt hat. Der Zeitraum dieser Sperrfristen beträgt bei Gesellschaften, juristischen Personen
und natürlichen Personen, die eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit aus-
üben, drei Monate, bei anderen natürlichen Personen sechs Monate3. Die bloße Verlegung der
Geschäftsadresse ins Ausland löst diese Sperrfrist noch nicht aus4.

6.555 Keinesfalls kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Forderung des Gläubigers entstanden
ist5. Das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner bei Stellung des Antrags auf Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, bleibt
auch für weitere Eröffnungsanträge nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 international zuständig,
solange über den Erstantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist6. Fehlt dem deut-
schen Gericht die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so ist der Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig abzuweisen ist. Ob eine Verweisung an
das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats in Betracht kommt, um dem Antragstel-
ler die Rechtswirkungen der rechtzeitigen Erfüllung seiner Antragspflicht (z.B. nach § 15a
InsO) zu erhalten7, erscheint zweifelhaft.

(4) Annexzuständigkeiten
(a) EuInsVO 2000
6.556 Die internationale Zuständigkeit wurde in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 ausdrücklich nur für
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geregelt. Während diese Verordnung nach ihrem
Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 und 2 auch für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidun-
gen galt, die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangen waren
(dazu Rz. 6.625 f.) oder die – wie die Entscheidung über die Anfechtungsklage des Insolvenz-
verwalters – „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergingen und in engem Zusam-
menhang damit standen“ (dazu Rz. 6.627), fehlte eine entsprechende Regelung für die direkte
Entscheidungszuständigkeit des Insolvenzgerichts. Da Klagen, die in einem solch engen Zu-
sammenhang mit einem Insolvenzverfahren standen, nach der Rechtsprechung des EuGH8
gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel I-VO auch aus dem sachlichen Geltungsbereich jener Verord-
nung ausgeschlossen waren, schien sich eine Zuständigkeitslücke zwischen der Brüssel I-VO

1 OLG Celle v. 7.1.2010 – 6 U 60/09, IPRax 2011, 186 (m. Anm. Weller, IPRax 2011, 150). Eine Sitz-
verlegung mit diesem Ziel ist vielmehr durch die Niederlassungsfreiheit gedeckt, vgl. AG Köln v.
19.2.2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423 = NZI 2008, 257.
2 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 54 ff.) =
NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski.
3 Dazu näher Pannen, ZIP 2016, 398; Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 36.
4 BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, NZI 2020, 242 (Rz. 19).
5 AG Celle v. 18.4.2005 – IN 11/05, NZI 2005, 410.
6 BGH v. 2.3.2006 – IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 = DZWiR 2006, 254 m. Anm. Flitsch/Hinkel =
NZI 2006, 364.
7 Dafür AG Hamburg v. 9.5.2006 – 67c IN 122/06, ZIP 2006, 1105 = NZI 2006, 486 (487) m. Anm.
Mankowski.
8 EuGH v. 22.2.1979 – Rs. 133/78, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 (742)
(Rz. 3); zust. BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246.

682 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.559 § 6

und der EuInsVO zu ergeben. Dementsprechend wurde die internationale Zuständigkeit für
die Insolvenzanfechtungsklage (z.B. nach §§ 129 ff. InsO) und ähnliche insolvenznahe Rechts-
behelfe z.T. weiter nach dem jeweiligen autonomen Prozessrecht der Mitgliedstaaten beur-
teilt1. Dies widersprach indessen dem Anliegen beider Verordnungen, das Zuständigkeitsrecht
sowohl in Zivil- und Handelssachen als auch in Insolvenzsachen zu vereinheitlichen2.

Um eine Lücke zwischen der EuInsVO und der Brüssel I-VO zu vermeiden, wurde vorgeschla- 6.557
gen, den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO – entgegen der restriktiven Haltung des EuGH
– in den einer insolvenzrechtlichen Regelung vorbehaltenen, von der EuInsVO 2000 zumin-
dest ausdrücklich aber nicht ausgefüllten, Bereich auszudehnen. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel I-
VO sei m.a.W. so weit auszulegen, dass alle mit einem Insolvenzverfahren zusammenhängen-
den Klagen, für die es an einer ausdrücklichen Zuständigkeitsregelung in der EuInsVO fehle,
nunmehr von der Brüssel I-VO erfasst würden3.

Vorzuziehen war jedoch eine Erweiterung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 6.558
Abs. 1 EuInsVO 2000 auf alle eng mit der Insolvenz im Zusammenhang stehenden Klagen,
die dementsprechend grundsätzlich im Eröffnungsstaat zu erheben waren4. Gegen diese Lö-
sung wurde zwar angeführt, dass die Verfasser der EuInsVO 2000 eine umfassende vis at-
tractiva concursus, wie sie in den romanischen Rechten, aber auch im englischen Recht be-
kannt ist, bewusst nicht in das europäische Recht übernommen hätten5. Weder der Wortlaut
der EuInsVO 2000 noch die Erwägungsgründe schlossen jedoch eine analoge Anwendung von
Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 auf mit der Insolvenz eng zusammenhängende Klagen aus. Für
eine solche Analogie sprach vor allem der ErwG 6 zur EuInsVO 2000, der den Anwendungs-
bereich der Verordnung ausdrücklich auf die internationale Zuständigkeit für Annexentschei-
dungen ausdehnte, sowie die in der EU angestrebte Effizienz und Wirksamkeit grenzüber-
schreitender Insolvenzverfahren durch Bündelung der Vorschriften über den Gerichtsstand in
der Verordnung (ErwG 8). Auch Art. 25 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2000 setzte eine internatio-
nale Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung offenbar voraus, da
diese im Zweitstaat nicht mehr überprüft werden konnte6.

Dieser Auffassung hat sich – auf Vorlage des BGH7 – im Jahr 2009 auch der EuGH ange- 6.559
schlossen und sich zusätzlich auf den ErwG 8 zur EuInsVO 2000 gestützt, demzufolge es ein
wesentliches Ziel dieser Verordnung sei, ein forum shopping im internationalen Insolvenzrecht
einzudämmen.

1 So BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, NJW 2003, 2916 = ZIP 2003, 1419 = NZI 2003, 545 m.
Anm. Mankowski = IPRax 2004, 59 (m. Anm. Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31); OLG München
v. 27.7.2006 – 7 U 2287/06, ZIP 2006, 2402 = IPRax 2007, 212 (m. Anm. Dutta, IPRax 2007, 195);
Burgstaller, FS Jelinek (2004), S. 31 (38); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (765).
2 Leipold, FS Ishikawa (2001), S. 221 (226); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (291); Kindler in Münch-
Komm, Art. 3 EuInsVO Rz. 84.
3 So OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2006 – 15 U 200/05, NZI 2006, 648 m. Anm. Mankowski/Willemer;
Ringe, ZInsO 2006, 700 ff.; Schwarz, NZI 2002, 290 (294); Thole, ZIP 2006, 1383 (1386 ff.); Wen-
ner, Rz. 17.
4 So auch die h.L., vgl. Carstens, S. 106 ff.; Haubold, IPRax 2002, 157 (159 f., 162); V. Lorenz,
S. 114 ff.; Mankowski/Willemer, NZI 2006, 650 (651); Paulus, ZInsO 2006, 295 (298); Ringe, ZInsO
2006, 700 (701); M. Stürner, IPRax 2005, 416 (419); Willemer, S. 206 (212); wohl auch Leipold, FS
Ishikawa (2004), S. 221 (224–239).
5 Vgl. den Virgós-Schmit-Bericht Rz. 77; Dutta, IPRax 2007, 195 (196).
6 Leipold, FS Ishikawa (2001), S. 221 (239).
7 BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 39/06, ZIP 2007, 1415 = NZI 2007, 538 = ZInsO 2007, 770.

Hausmann | 683
§ 6 Rz. 6.559 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), Slg. 2009 I, 767(Rn. 19 ff.) = NJW
2009, 2189 = RIW 2009, 234 (235) = ZIP 2009, 427
Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Insolvenzanfechtungsklage des Verwal-
ters über das Vermögen einer deutschen GmbH gegen ein Unternehmen mit Sitz in Belgien in erwei-
ternder Auslegung von Art. 3 EuInsVO 2000 bejaht.

(b) EuInsVO 2015


6.560 Nach den Reformen der EuInsVO wie der Brüssel I-VO gelten für die Abgrenzung zwischen
der Internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 und Art. 4 ff. Brüssel Ia-
VO die folgende Leitlinien:
Der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO für Konkurse, Vergleiche und
ähnliche Verfahren gilt nicht nur für entsprechende Gesamtverfahren, sondern auch für sol-
che Einzelverfahren, die sich unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren ergeben und sich eng
innerhalb eines solchen Verfahrens halten1. Diese Verfahren sind nach dem neu eingefügten
Art. 6 EuInsVO 2015 in dem Staat zu erheben, in dem das Insolvenzverfahren nach Art. 3
Abs. 1 EuInsVO eröffnet wurde2. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Brüssel Ia-VO auch im
Verhältnis zur EuInsVO 2015 tendenziell weit auszulegen ist, während der Begriff der Insol-
venzsachen in der EuInsVO eher eng verstanden wird3.

6.561 Eine Klage ist daher nur dann eine Konkurssache, wenn die beiden vorgenannten Vorausset-
zungen der Gourdain-Formel kumulativ vorliegen und jede von ihnen bei getrennter Prüfung
positiv zu beantworten ist4. Danach ist jede Regelungslücke oder Überschneidung zwischen
der Brüssel Ia-VO einerseits und den Insolvenzverordnungen andererseits zu vermeiden5; viel-
mehr ist von einem lückenlosen Ineinandergreifen dieser Verordnungen auszugehen6.

1 Grundlegend zum EuGVÜ EuGH v. v. 22.2.1979 – Rs. 133/178, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/


Nadler), Slg 1979, 733 (Rz. 4 f.); ebenso zur Brüssel I-VO EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:
C:2009:419 (SCT Industri/Alpenblume), NZI 2009, 570 (Rz. 21) m. Anm. Mankowski; EuGH v.
10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I 8421 (Rz. 26 ff.) =
IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:
EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 19) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 –
C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 26); ausf. dazu unalexKomm/Haus-
mann, Brüssel Ia-VO2 Art. 1 Rz. 89 ff.)
2 Vgl. ErwG 35 S. 1 zur EuInsVO 2015.
3 ErwG 6 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Gra-
phics), Slg 2010 I 8421 (Rz. 23 ff.) = ZIP 2009, 2345; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:
C:2014:2145 (Nickel & Goeldner), RIW 2014, 673 (Rz. 22); EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:
EU:C:2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks), NZI 2015, 663 (Rz. 27) m. Anm. Feh-
renbach; dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK),
NJW 2019, 1791 (Rz. 25); dazu Hübler, NZI 2019, 155; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE
143, 129 (Rz. 17) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; Stürner, IPRax 2005, 416 (417); Geimer in
Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 52.
4 Der EuGH spricht diesbezüglich von einem „doppelten Kriterium“, vgl. EuGH v. 19.4.2012 – C-
213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), EuZW 2012, 427 (Rz. 28, 30) m. Anm. Sujecki.
5 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner), RIW 2014, 673 (Rz. 21);
dazu Thole, IPRax 2015, 386 und Mankowski, NZI 2014, 919; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:
EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 24); Schulze in Wieczorek/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-
VO Rz. 72 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 14.
6 ErwG (7) S. 3 zur EuInsVO 2015; Geimer in Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 42; Mankowski in
Rauscher Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 63.

684 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.563 § 6

Dementsprechend sind die von der EuInsVO 2015 erfassten Klagen aus dem Anwendungs-
bereich der Brüssel Ia-VO ausgenommen1, während alle anderen Klagen unter die letztere fal-
len, auch wenn ein gewisser Bezug zur Insolvenz einer Partei des Verfahrens besteht.

Aus der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen sind danach also nur solche Streitigkeiten, die mit dem 6.562
gleichen Verfahrensziel ohne die Insolvenzeröffnung nicht entstehen könnten und die unmit-
telbar der Verwirklichung des Insolvenzverfahrens dienen2. Dieser Ausschluss gilt dann aller-
dings nicht nur für Hauptsacheverfahren, sondern auch für Maßnahmen des einstweiligen
Rechtschutzes3. Ob der erforderliche enge Zusammenhang eines Einzelverfahrens mit dem
Stammverfahren besteht, hat das angerufene Gericht nach dem von ihm anzuwendenden
Recht zu bestimmen4. Daran fehlt es etwa bei einer Klage, die von einem Gläubiger erst nach
Beendigung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner erhoben wird; insoweit handelt es
sich um eine gewöhnliche Zivil- oder Handelssache, auf welche die Brüssel Ia-VO Anwendung
findet5. Ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 6 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO,
so sind umgekehrt die Brüssel Ia-VO und das Luganer Übereinkommen auf den Rechtsstreit
nicht anwendbar6.

Zur Beantwortung der Frage, ob ein Anspruch unter den Ausnahmetatbestand des Art. 1 6.563
Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO fällt, ist allein die rechtliche Einordnung des Hauptanspruchs ent-
scheidend; auf von diesem abhängige oder zu diesem alternative Ansprüche kommt es nicht
an7. Ebensowenig schließt das Erfordernis, insolvenzrechtliche Vorfragen beantworten zu
müssen, die Anwendung der Brüssel Ia-VO schon aus8. Das ausschlaggebende Kriterium zur
Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, stellt nach Ansicht des EuGH nicht

1 Schwarz, NZI 2002, 290 (293); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 64; Czernich in
Czernich/Kodek/Mayr (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 17.
2 EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C: 2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks),
NZI 2015, 663 (Rz. 27) m. Anm. Fehrenbach; dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 9.11.2017
– C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 17) m. Anm. Mankowski;
EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 (Valach u.a.), NJW 2018, 843 (Rz. 24 f.) =
NZI 2018, 232 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel),
NZI 2019, 861 (Rz. 33 f.) m. Anm. Mankowski. Vgl. schon ital. Cass v. 19.3.2009, unalex IT-398;
High Court v. 29.7.1999 – UBS/Omni Holding, unalex UK-183; Lüke, FS Schütze (1999), S. 467
(483); Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 35; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-
VO Rz. 69; einschränkend aber schwz. BG v. 8.5.2014, unalex CH-531, wenn die insolvenzrecht-
liche Wirkung der Klage das eigentliche Klageziel war. Vgl. auch ErwG 6 zur EuInsVO 2015.
3 Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460 (461); Schulze in Wieczorek/Schütze (2019), Art. 1 Brüssel Ia-VO
Rz. 77.
4 EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), NZI 2012, 469 (Rz. 46) = ZIP 2012,
1049; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 18) = NZI 2012, 1011 m. Anm.
Hess = ZIP 2012, 2312.
5 Tribunal Fédéral v. 23.12.1998, unalex CH-27; frz. Cass. v. 18.12.2007, unalex FR-2081; dazu Mar-
tel, Clunet 2008, 531 und Bureau, Rev. crit. d.i.p. 2008, 338; zust. Mankowski in Rauscher, Art. 1
Brüssel Ia-VO Rz. 78. Gleiches gilt für die Anerkennung und Vollstreckung eines Auszugs aus der
Insolvenztabelle eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts nach Beendigung des Insolvenzverfah-
rens, vgl. zum LugÜ 2007 Kantonsgericht v. 20.4.2012, unalex CH-528.
6 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994
(Rz. 27 ff.) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.),
NZI 2015, 88 (Rz. 32) = ZIP 2015, 196.
7 High Court of Justice London (Ch.Div.) v. 1.2.2010 – Byers & Others, unalex UK-400.
8 Mankowski, IPRax 2009, 571.

Hausmann | 685
§ 6 Rz. 6.563 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der prozessuale Kontext dar, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage1. Nach
diesem Ansatz ist also zu prüfen, ob der Anspruch oder die Verpflichtung, die der Klage als
Grundlage dient, den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder
aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren2. Damit ist jedoch nicht ge-
meint, dass die Rechtsgrundlage der Klage im Insolvenzrecht geregelt sein müsste oder zwin-
gend die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfordert. Es genügt vielmehr auch,
wenn nur die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorausgesetzt wird und die
Rechtsgrundlage der Klage aus diesem Grunde von den allgemeinen Regeln des Zivil- und
Handelsrechts abweicht3.

(c) Qualifikation von insolvenznahen Klagen


6.564 Als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind vor allem die in Art. 7 EuInsVO 2015 aufgezählten
Materien. Dies trifft insbesondere auf die Insolvenzanfechtungsklage nach §§ 129 ff. InsO zu,
die deshalb schon nach Art. 3 Abs 1 EuInsVO 2000 vor den Gerichten des Eröffnungsstaates
zu erheben war4. Dabei handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit , so dass der
Insolvenzverwalter nicht berechtigt ist, die Klage alternativ auch am Wohnsitz des Schuldners
zu erheben5. Diese EuGH-Rechtsprechung hat der europäische Gesetzgeber inzwischen in
Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 kodifiziert. Die Lösung hat den Vorteil, dass das zuständige Ge-
richt in der Sache grundsätzlich sein eigenes Recht zugrunde legen kann (Art. 7 Abs. 2 lit. m
EuInsVO 2015; dazu Rz. 6.723 ff.), was die Durchführung des Verfahrens erheblich erleichtert.
Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen richtet sich auch dann nach
Art. 6 Abs. 1 EuInsVO, wenn der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz oder Sitz nicht in ei-
nem Mitgliedstaat der Verordnung, sondern in einem Drittstaat hat6. Damit hat eine Gerichts-
standsvereinbarung gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO für Insolvenzanfechtungsklagen auszuschei-
den7. Dies folgt auch daraus, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen
Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen

1 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), RIW 2014,
673 (Rz. 27) = ZIP 2015, 96; dazu Thole, IPRax 2015, 417.
2 EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C: 2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks),
NZI 2015, 663 (Rz. 28); dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:
EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 22 f.); EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:
EU:C:2017:986 (Valach u.a.), NJW 2018, 843 (Rz. 29); EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:
C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 28); EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754
(Riel), NZI 2019, 861 (Rz. 36) m. Anm. Mankowski.
3 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), EuZW 2015, 141 (Rz. 22) m.
Anm. Kindler.
4 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), Slg. 2009 I 767 (Rz. 15 ff.) =
IPRax 2009, 513 (m. krit. Anm. Fehrenbach, 492); zust. OLG Karlsruhe v. 26.9.2012 – 6 U 126/11,
ZIP 2013, 380 = NZI 2012, 983; OLG Köln v. 9.6.2011 – 18 W 34/11, NZI 2012, 52 m. Anm.
Mankowski; OLG Saarbrücken v. 9.4.2009 – 4 W 134/09, EuZW 2009, 710; Mankowski in Rau-
scher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 69 m.w.N.; a.A. noch OLG Frankfurt v. 26.1.2006 – 15 U 200/05,
NZI 2006, 648 = ZIP 2006, 769 (770 ff.) m. zust. Anm. Thole, 1383.
5 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018: 902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994 (Rz.
27 ff., 36) m. Anm. Mankowski.
6 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 (Rz. 30 ff.) = IPRax
2014, 425 (m. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134 = ZIP 2014, 181; dazu Kindler, RIW
2014, 137 f. und die Abschlussentscheidung des BGH v. 27.3.2014 – IX ZR 2/12, ZIP 2014, 1132 =
NZI 2014, 672.
7 LG Hamburg v. 27.4.2018 – 322 O 601/16 (2), BeckRS 2018, 7204 (Rz. 34).

686 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.566 § 6

einen Beklagten, der seinen Sitz oder Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, nach der
Rechtsprechung des EuGH ausschließlich ist1.

Den Ausschluss der Insolvenzanfechtung aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO be- 6.565
schränkt der EuGH allerdings auf Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters selbst. Tritt die-
ser sein Recht zur Insolvenzanfechtung wirksam an einen Dritten ab und macht der Zessionar
daraufhin von dem erworbenen Anfechtungsrecht gegenüber einem Gläubiger der insolventen
Gesellschaft Gebrauch, so soll eine solche Klage nach Ansicht des Gerichtshofs nicht mehr in
dem erforderlichen, hinreichend engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen.
Denn anders als der Insolvenzverwalter könne der Zessionar frei entscheiden, ob er die abge-
tretene Forderung geltend machen wolle. Außerdem handle er in diesem Fall nicht im Interes-
se aller Gläubiger, sondern ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil2. Die Entscheidung ist zu
Recht auf Kritik gestoßen, weil der enge Zusammenhang der Insolvenzanfechtungsklage mit
dem Insolvenzverfahren durch die Abtretung nicht verloren geht3.

Wegen ihrer Nähe zur Insolvenzanfechtungsklage fällt auch die auf § 64 S. 1 GmbHG a.F. 6.566
(seit 1.1.2021: § 15b Abs. 1 und 4 InsO) gestützte Klage gegen den Geschäftsführer einer in-
solventen GmbH auf Erstattung von Zahlungen, die dieser noch nach Eintritt der Zahlungs-
unfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet hat, in den Anwendungsbereich des
Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015, wenn die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom
Insolvenzverwalter erhoben wird (dazu auch Rz. 6.174 f.)4. Gleiches gilt für Klagen aus § 24
i.V.m. §§ 81 ff. InsO, § 88 InsO, § 171 Abs. 2 HGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 283 ff. StGB,
§ 92 Abs. 2 AktG, § 130a HGB und §§ 92 f. AktG5. Auch eine Klage des Insolvenzverwalters,
der vom Gericht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bestellt
wurde, auf Feststellung der Unwirksamkeit des Verkaufs einer in einem anderen Mitgliedstaat
belegenen Liegenschaft und der zulasten dieser bestellten Hypothek gegenüber der Gesamtheit
der Gläubiger beruht unmittelbar auf dem Insolvenzverfahren und steht mit ihm in engem
Zusammenhang; eine solche Klage fällt daher in die ausschließliche internationale Zuständig-
keit des Eröffnungsstaates nach Art. 3 EuInsVO 20156. Demgegenüber ist eine auf das Verbot
der Einlagenrückgewähr seitens der Gesellschaft an einen Gesellschafter gestützte Klage in
den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben7.

1 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994
(Rz. 22 ff.) m. zust. Anm. Mankowski; a.A. Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (249 f.); Kindler in
MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 12 f.
2 EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), NZI 2012, 469 (Rz. 30 ff.) = ZIP
2012, 1049 = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki.
3 Vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 6; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (30 f.).
4 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), NZI 2015, 88 (Rz. 21 ff.) m.
Anm. Poertzgen = EuZW 2015, 143 m. Anm. Kindler = ZIP 2015, 196. Vgl. i.d.S. auch zur Qualifi-
kation der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 64 GmbHG a.F. EuGH v. 10.12.2015 – C-594/
14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-Ph. Weller/Hübner; dazu den
Vorlagebeschluss des BGH v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 (Rz. 8 ff.) = GmbHR 2015,
79 m. Anm. Römermann = NZI 2015, 85 m. Anm. Mock und die Abschlussentscheidung des BGH
v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, NZI 2016, 461 m. Anm. Mock = GmbHR 2016, 592 m. Anm. Poertz-
gen (zur Klage gegen den director einer englischen Ltd., über deren Vermögen in Deutschland das
Insolvenzverfahren eröffnet wurde).
5 Vgl. Prager/Keller, WM 2015, 805 (807).
6 EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 (Tiger), NZI 2020, 123 (Rz. 31) m. Anm.
Mankowski.
7 ÖOGH v. 23.1.2020 – 6 Ob 202/19b, unalex AT-1254.

Hausmann | 687
§ 6 Rz. 6.567 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.567 Art. 6 EuInsVO 2015 gilt auch für eine negative Feststellungsklage, mit der sich der Schuld-
ner gegen eine drohende Insolvenzanfechtungsklage wehrt1. Klagen, die ihre Grundlage in ei-
ner zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Gläubiger geschlossenen Vereinbarung ha-
ben, sind jedoch nicht schon immer dann aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO
ausgeschlossen, wenn die Vereinbarung einen Bezug zu einer anfechtbaren Rechtshandlung
hat und deshalb ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht abgeschlossen worden wäre2.

6.568 Die Zulassung von Annexverfahren im Gerichtsstand der Insolvenzeröffnung betont aller-
dings einseitig die Interessen des Insolvenzverwalters und der Gläubiger. Vernachlässigt wer-
den hingegen die Interessen der Anfechtungsgegner, namentlich wenn es sich um Verbrau-
cher handelt. Denn das Recht des Verbrauchers, nur an seinem Wohnsitzgericht verklagt zu
werden (Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO), würde mit der Insolvenz des Unternehmers entfallen.
Es bleibt daher abzuwarten, ob der EuGH die insolvenzrechtliche Qualifikation von Anfech-
tungsklagen des Verwalters zum Schutz von Verbrauchern nicht einschränken wird3.

6.569 Mit einer Insolvenzanfechtungsklage des Verwalters darf die Anfechtungsklage eines Gläubi-
gers nicht verwechselt werden, der mit dem Ziel der Befriedigung seiner Forderung auf die
Rückführung von aus dem Schuldnervermögen entfernten Vermögenswerten klagt. Bei einer
solchen Klage, die in keinem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren über das Vermögen
des Schuldners steht, handelt es sich um eine gewöhnliche Zivil- und Handelssache4. Eine Gläu-
bigeranfechtungsklage, mit welcher der Inhaber einer auf einem Vertrag beruhenden Forderung
beantragt, ihm gegenüber eine für seine Ansprüche angeblich nachteilige Handlung für unwirk-
sam zu erklären, mit der sein Schuldner ein Rechtsgut an einen Dritten übertragen hat, kann
daher im Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO erhoben werden5.

6.570 Bezüglich sonstiger Klagen des Insolvenzverwalters kommt es jeweils darauf an, ob sie auch
ohne die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (z.B. vom Schuldner selbst) hätten erhoben wer-

1 LG Innsbruck v. 12.12.2013, unalex AT-1235; dazu Mäsch, NZI 2014, 286.


2 BGH v. 27.4.2010 – IX ZR 108/109, BGHZ 185, 241 = NJW 2010, 1442: Klage eines Insolvenzver-
walters auf Feststellung der Wirksamkeit eines mit einem Insolvenzgläubiger zur Vermeidung ei-
ner angedrohten Insolvenzanfechtung abgeschlossenen Vergleichs; a.A. High Court of Justice Lon-
don (Qu.B.Div.) v. 17.11.2011 – Polymer Vision R & D Ltd. u.a./Van Dooren, unalex UK-492 zu
einer auf die Verletzung einer Vereinbarung gestützten Klage, die ein Gläubiger und der Insolvenz-
verwalter zur Beilegung eines Rechtsstreits über eine anfechtbare Vermögenstransaktion geschlos-
sen hatten; schwz. BG v. 18.2.2013, unalex CH-512 zur Klage auf Feststellung der Ungültigkeit
einer zwischen einem Insolvenzverwalter und einem Dritten, gegen den vom Insolvenzverwalter
Anfechtungstatbestände geltend gemacht wurden, geschlossenen Vergleichs- und Auseinanderset-
zungsvereinbarung, sowie auf Rückgabe der aufgrund dieser Vereinbarung bereits in die Konkurs-
masse eingebrachten Vermögenswerte.
3 Dafür Czernich in Czernich/Kodek/Mayr (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 19.
4 EuGH v. 10.1.1990 – C-261/90, ECLI:EU:C:1990:3 (Reichert), EuZW 1992, 447; BGH v. 12.11.2015
– IX ZR 302/14, BGHZ 208, 1 (Rz. 23 ff.) = NJW 2016, 246 = IPRax 2016, 476 (m. Anm. Thole,
IPRax 2016, 453) = NZI 2016, 131 m. Anm. Hübler; öOGH v. 15.1.1998, unalex AT-131; OLG
Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Anm. Koch, IPRax 2008,
417); Geimer in Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 63; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO
Rz. 71; a.A. Wedemann, IPRax 2012, 226 (235). Differenzierend für die verschiedenen „actiones
paulianae“ in den kontinentaleuropäischen Rechten Rogerson in Magnus/Mankowski, Art. 1 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 36; dazu auch Trib. Cant. Vaud v. 15.11.2001, unalex CH-52; Willemer S. 194 ff.
5 EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 (Feniks), RIW 2018, 760 (Rz. 44 ff.); dazu
Lutzi, RIW 2018, 252 ff.; Kern/Uhlmann, IPRax 2019, 488; Fuchs, NZI 2019, 136 f.; Wagner, NJW
2019, 1782 (1784 f.); krit. Guski, ZIP 2018, 2395.

688 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.572 § 6

den können und wie eng der Bezug zur Verfolgung spezifisch insolvenzrechtlicher Zwecke ist.
Geht man hiervon aus, so sind etwa Klagen des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner auf
Feststellung der Zugehörigkeit bestimmter Gegenstände zur Insolvenzmasse im Gerichts-
stand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 zu erheben1. International zuständig sind daher nach
Art. 6 EuInsVO wahlweise die Gerichte im Mitgliedstaat des Hauptverfahrens und im Mit-
gliedstaat des Sekundärinsolvenzverfahrens2. Demgegenüber ist die Klage eines Insolvenzver-
walters auf Feststellung des Eigentums des Schuldners an einem ausländischen Grundstück in
den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben3.

Andererseits greift der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO keineswegs 6.571
schon deshalb ein, weil der Insolvenzverwalter als Kläger am Verfahren beteiligt ist4. Deshalb
fallen (Aktiv-)Klagen des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung von Forderungen aus Verträ-
gen, die der Schuldner bereits vor Insolvenzeröffnung geschlossen hatte – wie z.B. Klagen auf
Zahlung für vom Schuldner erbrachte Lieferungen oder Dienstleistungen – nicht unter Art. 6
EuInsVO 2015, sondern in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO5. Denn durch die Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich lediglich die Aktivlegimitation für die Durchset-
zung des Anspruchs, weil im Verhältnis zur beklagten Partei nunmehr der Insolvenzverwalter
an die Stelle des Insolvenzschuldners tritt. Der bloße Umstand, dass der Insolvenzverwalter
mit einer solchen Klage auch eine Erhöhung der Insolvenzmasse bezweckt, reicht für einen
Ausschluss der Klage aus dem Anwendungsbereich der Verordnung nicht aus6.

Gleiches gilt für Klagen aus einer vor Insolvenzeröffnung gegen den Schuldner begangenen 6.572
unerlaubten Handlung7 oder aus einer vor Insolvenzeröffnung zu seinen Lasten eingetrete-

1 Haubold, IPRax 2002, 157 (163); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 75.
2 EuGH 11.06.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C:2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks),
NZI 2015, 663 (Rz. 39 ff.); dazu Schulz, EuZW 2015, 593.
3 Vgl. zum EuGVÜ Court of Appeal (Civ. Div.) v. 21.11.2000 – Ashurst v. Pollard, unalex UK-8.
4 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421
(Rz. 33) = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); frz. Cass. v. 24.5.2005, unalex
FR-221; dazu Lienhard, D. 2005, 1553 und Bureau, Rev. crit. d.i.p. 2005, 489; Lüke, FS Schütze
(1999), S. 467 (477); Mankowski, NZI 2010, 508 (511 ff.); Hüßtege in Thomas/Putzo, Brüssel Ia-
VO, Art. 1 Rz. 14.
5 ErwG 35 S. 3 ff. zur EuInsVO 2015; vgl. EuGH v. 21.11.2019 – C-198/18, ECLI:EU:C:2019:2001
(Ce De Group), RIW 2020, 35 (Rz. 34 ff.) = NZI 2020, 41 m. Anm. Mankowski (Kaufvertrag);
EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), RIW 2014,
673 (Rz. 28 ff.) = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski = IPRax 2015, 417 (m. Anm Thole, IPRax
2015, 396) (Beförderungsvertrag); BGH v. 16.09.2015, RIW 2015, 839 m. Anm. Arts = NZI 2015,
1033 m. Anm. Mankowski (Kaufvertrag); frz. Cass. v. 18.12.2007, unalex FR-2081; dazu Bureau in
Rev. crit. d.i.p. 2008, 338 und Martel in Clunet 2008, 531; frz. Cass. v. 24.5.2005, unalex FR-221;
ital. Cass. v. 26.5.2015, Nr. 10800, unalex IT-631 und v. 27.3.2009, unalex IT-399; Court of Appeal
v. 8.3.1996 (Re Hayward), unalex UK-166 und v. 21.5.1999 (QRS 1 Aps/Frandsen), unalex UK-4;
schwz. BG v. 23.12.1998, unalex CH-27; ferner OLG Koblenz v. 11.1.2001 – 6 U 1199/98, NZG
2001, 759 m. Anm. Schwarz; OLG Düsseldorf v. 25.3.1993 – 17 W 7/93, ZIP 1993, 1018 (1019);
Haubold, IPRax 2002, 157 (162); M. Stürner, IPRax 2005, 416 (421); Rogerson, in Magnus/Man-
kowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 30; Kodek, in Fasching/Konecny (2008), Art. 1 Brüssel Ia-VO
Rz. 147; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 130 j; Mankowski in Rauscher, Art. 1
Brüssel Ia-VO Rz. 76 ff.; unalexKomm/Hausmann, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 103 ff., jeweils mwN.
6 Anders schwz. BG v. 6.3.2008, unalex CH-249.
7 Hof Amsterdam (NL) v. 14.5.1992, unalex NL-166; Arrondissementsrechtbank Arnhem (NL)
20.8.2004, unalex NL-39.

Hausmann | 689
§ 6 Rz. 6.572 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nen ungerechtfertigten Bereicherung1. In diesem Sinne hat auch der EuGH für eine Scha-
densersatzklage entschieden, die ein Insolvenzverwalter aufgrund seines nach der Insolvenz-
ordnung bestehenden Auftrags zur Verwaltung und Liquidation der Konkursmasse im Namen
der Gesamtheit der Gläubiger des Konkursschuldners gegen einen Dritten auf deliktsrecht-
licher Grundlage erhoben hat. Denn zum einen führe die Tatsache, dass eine Klage nach Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens von dem im Rahmen dieses Verfahrens hierfür zuständigen
Insolvenzverwalter erhoben werde und dass dieser im Interesse der Gläubiger handle, für sich
genommen noch nicht zu einer wesentlichen Änderung der Art dieser Klage, die materiell-
rechtlich weiterhin dem allgemeinen Recht unterliege. Zum anderen hätte die Klage auch vom
Gläubiger selbst erhoben werden können, so dass sie nicht in die ausschließliche Zuständigkeit
des Insolvenzverwalters fiel und von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unabhängig
war; aus diesem Grunde könne sie nicht als unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen
Verfahrens angesehen werden und unterliege daher der Brüssel Ia-VO2. Demgegenüber ist
eine Klage auf Feststellung der Haftung für die aus der rechtswidrigen Ablehnung des Sanie-
rungsplans durch die Beklagten in ihrer Funktion als Mitglieder des Gläubigerausschusses ei-
ner Gesellschaft entstandenen Schäden insolvenzrechtlich zu qualifizieren3.

6.573 Ferner sind auch Klagen aus Rechtsverhältnissen, insbesondere aus Schuldverträgen, die der
Insolvenzverwalter erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – z.B. in Fortführung des
überschuldeten Unternehmens – neu begründet hat, nicht allein deshalb aus dem Anwen-
dungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen, weil der Verwalter auf Erfüllung dieser Ver-
träge klagt (oder verklagt wird) oder weil es ohne das Insolvenzverfahren nicht zum Abschluss
des Vertrages gekommen wäre; insoweit handelt es sich vielmehr um gewöhnliche Zivil- oder
Handelssachen4. Gleiches gilt für Klagen des Verwalters auf Feststellung der Wirksamkeit
oder Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften, die er mit Dritten kraft seines Amtes geschlossen
hat5, sowie für sonstige Klagen zur Durchsetzung von Masseforderungen6. Auch die auf einen
Eigentumsvorbehalt gestützte Klage des Verkäufers gegen einen in Konkurs gefallenen Käufer
ist in den allgemeinen Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben, wenn sich die vom Ei-
gentumsvorbehalt erfasste Sache zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen des Käufers im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung befindet7.

1 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (m. Anm. Limbach, IPRax 2012, 320);
ital. Cass. v. 27.3.2009, unalex IT-399.
2 EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 29 ff., 33 ff.) = NZI
2019, 302 m. Anm. Mankowski.
3 ÖOGH v. 24.1.2018 – 7 Ob 1/18z, unalex AT-1149 und v. 26.4.2018 – 6Ob3/18m, unalex AT-
1166.
4 Frz. Cass. v. 13.4.1992, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67 m. Anm. Rémery = unalex FR-34; frz. Cass. com. v.
24.5.2005, Rev. crit. d.i.p. 2005, 489 m. Anm. Bureau; ferner Haubold, IPRax 2002, 157 (162);
Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 78; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO
Rz. 37; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 131; a.A. noch OLG Zweibrücken v.
30.6.1992 – 3 W 13/92, EWS 1993, 264 (m. Anm. M.J. Schmidt, EWS 1993, 388).
5 Vgl. BGH v. 27.4.2010 – IX ZR 108/09, BGHZ 185, 241 = NJW 2010, 1442 = ZIP 2010, 1150:
Klage des Insolvenzverwalters auf Feststellung der Wirksamkeit eines zur Vermeidung einer Insol-
venzanfechtung geschlossenen Vergleichs mit der geschiedenen Ehefrau des Schuldners; a.A.
schwz. BG v. 18.2.2013, unalex CH-512.
6 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 304/95, NJW 1996, 3008 = ZIP 1996, 1437 = IPRax 1998, 38 (m. Anm.
Schollmeyer, IPRax 1998, 29); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Gottwald in
MünchKomm ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 20.
7 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), IPRax 2010, 355
(Rz. 32 ff.) (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324).

690 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.576 § 6

Die gleichen Kriterien wie bei Aktivklagen des Insolvenzverwalters sind – umgekehrt – auch 6.574
bei der Qualifikation von gegen den Verwalter gerichteten Klagen anzulegen. Auch insoweit
reicht allein der Umstand, dass der Insolvenzverwalter als Beklagter an dem Verfahren betei-
ligt ist, keinesfalls aus, um den erforderlichen „engen Zusammenhang“ zum Insolvenzverfah-
ren herzustellen1. Deshalb gilt die Brüssel Ia-VO etwa für eine Klage gegen den Insolvenzver-
walter auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde, wenn diese auf eine vor Insolvenzeröffnung
getroffene Sicherungsvereinbarung gestützt wird2, sowie generell für alle Klagen, die schon
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten erhoben werden können3, z.B. für Klagen auf
Bezahlung von Rechnungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung gestellt worden waren4, gegen
den Insolvenzverwalter sowie auf Klagen von Gesellschaftern gegen die insolvente Gesellschaft
auf Rückerstattung von Einlagen5. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Insolvenz-
verwalter gegen die geltend gemachte Forderung aufrechnet6.

Kündigungsschutzklagen von Arbeitnehmern, die vor deutschen Gerichten gegen die von ei- 6.575
nem Insolvenzverwalter gem. Art. 10 EuInsVO nach deutschem Recht erklärte Kündigung er-
hoben werden, sind daher selbst dann nicht als Annexklagen im Gerichtsstand des Art. 3
Abs. 1 EuInsVO zulässig, wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namens-
liste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erhoben werden7. Denn diese
Kündigungen haben ihre Grundlage im Arbeitsrecht und verfolgen keine spezifisch insolvenz-
rechtlichen Ziele; sie sind daher arbeitsrechtlich zu qualifizieren und vor den nach der Brüs-
sel Ia-VO zuständigen Gerichten zu erheben8. Gleiches gilt für Klagen auf Bezahlung von
Rechnungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung gestellt worden waren9, gegen den Insolvenz-
verwalter. Persönliche Haftungsklagen gegen den Verwalter wegen Verletzung seiner Pflich-
ten sind hingegen jedenfalls dann insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn sich diese Pflich-
ten aus dem Insolvenzrecht ergeben und die Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubi-
ger liegt10.

Auch Klagen von Gläubigern auf Aus- oder Absonderung bestimmter Gegenstände aus der 6.576
Insolvenzmasse fallen nicht unter die EuInsVO, weil sie auf außerhalb der Insolvenz entstan-

1 EuGH v. 10.9.2009 (vorige Fn., Rz. 33).


2 LG Aachen v. 16.12.2005 – 43 O 106/03, IPRax 2006, 599.
3 Court of Appeal (Civ.Div.) v. 21.5.1999 (QBENI 98/1598), unalex UK-4. Vgl. auch LG Karlsruhe v.
3.1.2014 – 14 O 94/13 KfH III, BeckRS 2015, 724: Negative Feststellungsklage, mit der ein deut-
scher Besteller gegen den belgischen Konkursverwalter die Feststellung begehrt, dass er auf ein vor
Konkurseröffnung über das Vermögen einer belgischen Gesellschaft geschlossenes Geschäft kein
Entgelt mehr zu leisten habe.
4 Frz. Cass. v. 13. 4.1992, unalex FR-34; dazu Rémery, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67.
5 Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 2.12.1992, unalex LU-111. Vgl. auch OLG Düsseldorf v.
1.3.2012 – I-3 W 104/11, BeckRS 2014, 10667: Klage auf Herausgabe von Geldern, die auf Antrag
des Insolvenzverwalters beschagnahmt worden waren.
6 Anders Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 72.
7 BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040; frz. Cass. v. 28.10.2015, unalex FR-2439.
8 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 (Rz. 19 ff.); BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11,
ZInsO 2013, 1366 (Rz. 22) = AuR 2013, 225; ferner unalexKomm/Hausmann, Art 1 Brüssel Ia-VO
Rz. 110 m.w.N.; a.A. Schlosser in Schlosser/Hess (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21.
9 Frz. Cass. v. 13.4.1992, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67 m. Anm. Rémery = unalex FR-34.
10 Kindler in MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 15; ebenso schon zur EuInsVO 2000 Lüke, FS Schüt-
ze (1999), S. 467 (483); Willemer, S. 380 ff.; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 74;
a.A. Schack, Rz. 1187; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37. Differenzierend nach Art
des geltend gemachten Schadens Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21.

Hausmann | 691
§ 6 Rz. 6.576 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

denen Rechten beruhen1. Dementsprechend finden Art. 3 und Art. 6 EuInsVO 2015 keine
Anwendung auf die von einem Verkäufer gegen den in Konkurs geratenen Käufer erhobene
Klage, mit welcher der Verkäufer die Aussonderung bestimmter von seinem Eigentumsvor-
behalt erfasster Sachen aus der Insolvenzmasse begehrt; dies gilt jedenfalls dann, wenn sich
diese Sachen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des
Käufers im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung befinden2. Denn im Mittelpunkt eines sol-
chen Rechtsstreits steht die Frage nach der Eigentümerstellung des Verkäufers, die unabhängig
von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist. Weder die materiell-rechtliche Schutzvorschrift
in Art. 10 Abs. 1 noch die Kollisionsnorm in Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015 wirken sich auf
die Abgrenzung zur Brüssel Ia-VO aus3. Entsprechend sind auch Klagen auf Freigabe von vor
der Insolvenzeröffnung vom Schuldner gestellten Sicherheiten zugunsten des Käufers nicht
aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen4.

6.577 Auch Klagen gegen einen Konkursverwalter, mit denen Ansprüche aus von diesem für die
Masse abgeschlossenen Rechtsgeschäften geltend gemacht werden (sog. Masseforderungen),
fallen in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO und sind aus dieser nicht als Konkurs-
sache i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b ausgeschlossen5. Persönliche Haftungsklagen gegen den Ver-
walter wegen Verletzung seiner Pflichten sind hingegen jedenfalls insoweit aus dem Anwen-
dungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen, als sich diese Pflichten aus dem Insolvenz-
recht ergeben und die Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt6.

6.578 Auch Klagen von Gläubigern auf die Eintragung von Forderungen, deren Berechtigung von
dem Verwalter bestritten wird, in die Insolvenztabelle (vgl. §§ 179 ff. InsO) fielen nach bisher
verbreiteter Ansicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, denn sie hätten
ihre Grundlage in der zivil- oder handelsrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen dem anmel-
denden Gläubiger und dem Schuldner7..Die von Art. 7 Abs. 2 lit. h EuInsVO 2015 angeord-
nete Anwendbarkeit des Rechts des Eröffnungsstaates auf diese Klage sollte daran ebenso we-
nig etwas ändern wie die Auswirkung der Eintragung auf insolvenzrechtliche Rangfragen. Der
EuGH hat sich demgegenüber für eine insolvenzrechtliche Qualifikation von Streitigkeiten
über die Eintragung von Forderungen in die Insolvenztabelle entschieden, wenn die Klage auf

1 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 196; High Court London (Ch.Div.) v. 1.2.2010 (Byers/Yacht Bull Corp.),
unalex UK-400 (Rz. 25 f.); Haubold, IPRax 2002, 157 (159); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 89; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 21; Geimer in Geimer/Schüt-
ze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 130i.
2 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421
(Rz. 30 ff.) = ZIP 2009, 2345; zust. Brinkmann, IPRax 2010, 324 (327 ff.; Mankowski, NZI 2010,
508 ff.; krit. hingegen Cranshaw, DZWiR 2010, 89 ff.; Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45 ff. Dem
EuGH folgend App. Bastia v. 6.7.2016, unalex FR-2492.
3 EuGH v. 10.9.2009 (vorige Fn., Rz. 35 ff.); Hess, § 9 Rz. 40.
4 LG Aachen v. 16.12.2005 – 43 O 106/03, IPRax 2006, 599 (m. Anm. M. Stürner, IPRax 2006, 579).
5 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147; a.A. aber noch OLG Zweibrücken v. 30.6.1992
– 3 W 13/92, EuZW 1993, 165 (jeweils zum EuGVÜ).
6 Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Willemer (2006), S. 380 ff.; Mankowski in Rauscher,, Art. 1
Brüssel Ia-VO Rz. 74; a.A. Schack, Rz. 1187; Kropholler/von Hein (2011), Art. 1 Brüssel I-VO
Rz. 37. Differenzierend nach Art des geltend gemachten Schadens Schlosser in Schlosser/Hess
(2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21.
7 So OLG Frankfurt v. 8.6.2016 – 4 U 162/15, IPRspr. 2016 Nr. 325; OLG Wien v. 30.10.2006, unalex
AT-525; ferner Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Haubold, IPRax 2002, 157 (163); Oberham-
mer, KTS 2009, 43; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37; a.A. Schlosser in Schlosser/
Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 90.

692 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.579 § 6

Eintragung – wie in § 179 InsO – in der jeweiligen Insolvenzordnung geregelt sei1. Aus dem
Wortlaut dieser Bestimmung ergebe sich, dass diese Klage im Rahmen eines Insolvenzverfah-
rens von daran beteiligten Gläubigern bei Streitigkeiten über die Richtigkeit oder Rangord-
nung von ihrerseits angemeldeten Forderungen erhoben werden könne. Damit gehe die Klage
unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervor, stehe in engem Zusammenhang damit und
habe ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht. Aus diesen Gründen sei sie aus dem An-
wendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen2.

(5) Örtliche Zuständigkeit


Die Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 legen allerdings sowohl für die Eröffnung des 6.579
Insolvenzverfahrens wie für damit eng zusammenhängende Annexverfahren nur die interna-
tionale Zuständigkeit fest. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich hingegen nach dem auto-
nomen Insolvenzrecht des betreffenden Mitgliedstaats3, in Deutschland also grundsätzlich
nach § 3 InsO. Da die Anknüpfungskriterien der Verordnung und der Insolvenzordnung von-
einander abweichen, ist nicht auszuschließen, dass in besonders gelagerten Einzelfällen nach
der Verordnung eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte besteht, ohne dass
zugleich eine örtliche Zuständigkeit eröffnet wäre. Für diese Fälle harmonisiert Art. 102c § 1
Abs. 1 EGInsO das autonome deutsche Insolvenzrecht mit den Vorgaben der Verordnung, in-
dem am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners auch eine ausschließliche
örtliche Zuständigkeit eröffnet wird. Sind die deutschen Gerichte für eine eng mit dem Insol-
venzverfahren zusammenhängende Klage nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 international zu-
ständig, so muss dem Kläger im Inland auch ein örtlicher Gerichtsstand eröffnet werden, um
das Insolvenzverfahren effektiv in Deutschland abwickeln zu können. Für eine Insolvenzan-
fechtungsklage ist daher in analoger Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102c
Abs. 1 EGInsO das sachlich zuständige Gericht am Ort des für das Verfahren zuständigen
Insolvenzgerichts örtlich zuständig4.

1 EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), ZIP 2019, 1872; dazu die Vorlage OLG
Wien v. 17.1.2018, unalex AT-1141; ebenso schon früher öOGH v. 22.4.2010, unalex AT-682; OLG
Frankfurt a.M. v. 30.10.2001 – 20 W 587/99, RIW 2002, 148 = IPRax 2003, 246 (m. Anm. Scholl-
meyer, IPRax 2003, 227); Mankowski, ZIP 1994, 1579, 1581 und in: Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO
Rz. 90; M. Stürner, IPRax 2005, 416 (421); Willemer (2006), S. 328 ff.; Schack, Rz. 1184; für den
Fall, dass der angemeldete Anspruch erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig ge-
worden war, auch Court of Appeal (Civ.Div.) v. 13.12.1995 (Firswood Ltd./Petra Bank), unalex
UK-234. Ebenso für die Beseitigung einer im Konkursverfahren durch Anerkenntnis des Masse-
verwalters erfolgten Forderungsfeststellung öOGH v. 22.4.2010, unalex AT-682. Nach Ansicht des
BGH konnte die Frage, ob die Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle eine Zivil- und
Handelssache oder eine Konkurssache ist, dann offenbleiben, wenn die internationale Zuständig-
keit des angerufenen Gerichts sowohl nach der Brüssel I-VO wie nach der EuInsVO begründet
war, vgl. BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 = ZIP 2011, 328 = GmbHR 2011, 301
m. Anm. Bormann/Hösler = NZG 2011, 273 (m. Aufs. Haas/Vogel, NZG 2011, 45).
2 EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), ZIP 2019, 1872 (Rz. 33 ff.
3 Vgl. ErwG 15 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 72; Huber, EuZW 2002, 490 (492);
Schack, Rz. 1160.
4 Vgl. ErwG 26 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 39/
06, NJW 2009, 2215 (2216 f.) = ZInsO 2009, 1270 = ZIP 2009, 1287; LG Marburg v. 22.9.2010 – 2
O 209/04, BeckRS 2011, 02242.

Hausmann | 693
§ 6 Rz. 6.580 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Autonomes Insolvenzrecht


6.580 Verzichtet man mit der jüngsten EuGH-Rechtsprechung (Rz. 6.529) bei einem inländischen
Interessenschwerpunkt des Schuldners im Rahmen der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 EuIns-
VO 2015 auf das Erfordernis eines Bezugs zu einem weiteren EU-Mitgliedstaat, so bleibt die
Anwendung des autonomen deutschen Rechts auf die örtliche Zuständigkeit beschränkt1.
Die nachfolgenden Bemerkungen haben daher nur noch Bedeutung, wenn man mit der bisher
in Deutschland h.L. einen „qualifizierten“ Auslandsbezug des im Inland eröffneten Insolvenz-
verfahren fordert sowie für die in Art. 1 Abs. 2 EuInsVO 2015 genannten Schuldner.

6.581 Für diesen Fall ist die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzver-
fahrens im Zuge der Reform von 2003 (Rz. 6.535) nicht ausdrücklich geregelt worden. Auch
insoweit gilt jedoch dann der Grundsatz der Doppelfunktionalität; danach wird die interna-
tionale Zuständigkeit aus den Regeln über die örtliche Zuständigkeit abgeleitet2. Die deut-
schen Gerichte sind daher zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach dem Grundsatz des
§ 3 Abs. 1 S. 1 InsO nicht nur örtlich, sondern auch international ausschließlich zuständig,
wenn der Gemeinschuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand (§ 12 ZPO) hat. Dies
ist bei natürlichen Personen i.d.R. der Wohnsitz (§ 13 ZPO), bei juristischen Personen und
anderen passiv parteifähigen Vereinigungen der (Satzungs-)Sitz (§ 17 Abs. 1 ZPO)3. Dieser
muss im Zeitpunkt des Antragseingangs beim inländischen Insolvenzgericht bestehen; eine
(Wohn-)Sitzverlegung nach Antragstellung ist auch im autonomen Recht ohne Einfluss auf
die internationale Zuständigkeit4. Eine entsprechende Anwendung von § 15 ZPO auf im Aus-
land wohnhafte Deutsche kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht5.

6.582 Der Anknüpfung an den Wohnsitz bzw. Sitz des Schuldners liegt die Erwartung zugrunde,
dass sich sein wesentliches Vermögen im (Wohn-)Sitzstaat befindet und auch die meisten
Gläubiger hier ansässig sind. Trifft diese Erwartung nicht zu, weil der Mittelpunkt einer selb-
ständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners – bei einer juristischen Person oder Ge-
sellschaft also der effektive Verwaltungssitz6 – an einem anderen Ort liegt, so ist folglich nach
§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO ausschließlich dasjenige deutsche Insolvenzgericht örtlich und interna-

1 Vgl. i.d.S. Herchen, ZInsO 2003, 742 (743 ff.); Ludwig, S. 93; Reinhart in MünchKomm InsO,
§ 335 InsO Rz. 6, 23 ff.
2 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60) (m. Anm. Haubold, IPRax 2003, 34) =
EWiR 2001, 967 m. Anm. Mankowski; AG Ludwigsburg v. 20.7.2006 – 1 IN 536/05-s, ZIP 2006;
Liersch, NZI 2003, 302 (304); Geimer, Rz. 3454; Kindler in MünchKomm, vor § 335 InsO Rz. 9;
Wenner, Rz. 46; dazu allg. Hausmann in Wieczorek/Schütze, vor § 12 ZPO Rz. 48 m.w.N.
3 Vgl. OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60); LSG Schleswig-Holstein v.
26.2.1988 – L 1 Ar 43/87, ZIP 1988, 1140; zum Begriff des „Wohnsitzes“ bzw. „Sitzes“ im deut-
schen Prozessrecht näher Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 13 ZPO Rz. 4 ff. und § 17 ZPO
Rz. 8 ff. Verlegt der Schuldner seinen Wohnsitz nach Insolvenzeröffnung ins Ausland, so lässt dies
die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht entfallen; vgl. zum Anschlusskon-
kurs nach § 102 KO LG Stuttgart v. 16.11.1982 – 2 T 781/82, ZIP 1983, 348.
4 AG Düsseldorf v. 25.5.2000 – 503 IK 28/99, NZI 2000, 555; OLG Celle v. 8.12.2003 – 2 W 123/03,
ZIP 2004, 1024 = GmbHR 2004, 502; BayObLG v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90 =
DZWiR 2004, 86; Haubold, IPRax 2003, 34 (37); Hess, § 3 InsO Rz. 20; Trunk, S. 100 f.; Probst,
S. 206 f. m.w.N.
5 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, RIW 2001, 788 = NZI 2001, 380 = IPRax 2003, 59 (m. Anm.
Haubold, IPRax 2003, 34 (Übt der deutsche Gemeinschuldner keine selbständige Tätigkeit mehr
aus und hat er seinen Wohnsitz ins Ausland (Norwegen) verlegt, so sind die deutschen Gerichte
für die Insolvenzeröffnung international nicht zuständig.).
6 Schack, Rz. 1162; Haubold, IPRax 2003, 34 (37) m.w.N.

694 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.584 § 6

tional zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt; dies gilt auch dann, wenn der Schuldner
seinen Wohnsitz bzw. (Satzungs-)Sitz im Ausland hat1. Umgekehrt fehlt den deutschen Ge-
richten die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Primär-)Insolvenzverfahrens,
wenn der Schuldner zwar seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, den Mittelpunkt seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit hingegen im Ausland hat2. Daraus folgt, dass der allgemeine Ge-
richtsstand des Schuldners nur subsidiäres Anknüpfungsmerkmal für die internationale Zu-
ständigkeit in den Fällen ist, in denen der Schuldner weder im Inland noch im Ausland eine
selbständige wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet3.

Die Belegenheit von Vermögen des Gemeinschuldners im Inland ist für die internationale 6.583
Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens hingegen weder erforderlich
noch ausreichend4. Besitzt der Schuldner im Inland kein Vermögen, wird die Eröffnung durch
ein deutsches Gericht – trotz internationaler Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO – freilich
regelmäßig daran scheitern, dass eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden
ist (§ 26 InsO)5. Die Begründung einer internationalen Eröffnungszuständigkeit der deutschen
Gerichte durch Parteivereinbarung kommt hingegen ebenso wenig in Betracht wie eine De-
rogation der nach § 3 InsO begründeten Zuständigkeit, weil es insoweit bereits an einem zur
Repräsentation der Gläubiger befugten Vertragspartner fehlt6. Die internationale Zuständig-
keit hat das Insolvenzgericht auch nach der deutschen ZPO-Reform in jeder Lage des Verfah-
rens von Amts wegen zu prüfen7.

Die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren ist im autonomen deutschen Insolvenz- 6.584
recht nicht geregelt. Entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung, die eine Übertra-
gung der Deko-Marty-Doktrin auf das atonome Insolvezrecht abgelehnt hat und auf §§ 3, 4
InsO i.V.m. §§ 12 ff. ZPO abstellt8, sollten auch insoweit – insbesondere für Insolvenzanfech-
tungsklagen – die vom EuGH zu Art. 3 EuInsVO 2000 entwickelten Grundsätze (vis attractiva
concursus, Rz. 6.562 ff.) entsprechend angewandt werden9.

1 Brinkmann, IPRax 2013, 243; Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Geimer, Rz. 3455; Liersch, NZI 2003, 302
(304).
2 AG Münster v. 23.11.1999 – 77 IN 50/99, DZWiR 2000, 123.
3 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60); OLG Hamm v. 14.1.2000 – 1 Sbd 100/
99, NZI 2000, 220 (221); OLG Düsseldorf v. 9.8.1999 – 19 Sa 65/99, NZI 2000, 601; Geimer,
Rz. 3455; Haubold, IPRax 2003, 34 (37); zweifelnd Trunk, S. 96 ff.
4 Ebenroth, ZZP 101 (1988), 130 f.; Geimer, Rz. 3456. Vgl. aber zu Partikularinsolvenzverfahren
Rz. 6.608 ff.
5 Trunk in Gilles, S. 166; Geimer, Rz. 3440.
6 Geimer, Rz. 3463; aus diesem Grunde ist auch eine rügelose Einlassung i.S.v. § 39 ZPO aus-
geschlossen, vgl. Trunk, S. 102.
7 Vgl. BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426 = ZIP 2003, 685 = IPRax
2003, 346 f. (m. zust. Anm. Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328); LG Leipzig v. 27.2.2006 – 12 T
1207/05, ZInsO 2006, 378; ebenso Geimer, Rz. 3469; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 130 Rz. 19.
8 OLG Frankfurt a.M. v. 17.12.2012 – 1 U 17/11, ZIP 2013, 277 = IPRax 2013, 276 (analoge Anwen-
dung von § 3 InsO i.V.m. § 19a ZPO auf Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters abgelehnt);
vgl. auch BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 130/10, NJW-RR 2013, 880 (Rz. 13) = ZIP 2013, 374, wo auf
§ 23 ZPO abgestellt wird.
9 Kindler in MünchKomm, vor § 335 InsORz. 10 und § 339 InsO Rz. 8.

Hausmann | 695
§ 6 Rz. 6.585 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

cc) Kompetenzkonflikte
6.585 Zu Kompetenzkonflikten kann es sowohl im Geltungsbereich der Verordnung wie auch –
noch häufiger – nach autonomem internationalen Insolvenzrecht kommen, wenn neben den
deutschen auch ausländische Gerichte die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines
(Haupt-)Insolvenzverfahrens für sich in Anspruch nehmen. Die Lösung dieser Konflikte wird
im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Eröffnungsentscheidungen behandelt
(Rz. 6.676 ff.).

b) Insolvenzfähigkeit
6.586 Die Insolvenzfähigkeit des Schuldners entspricht – vorbehaltlich der Regelung durch speziel-
lere insolvenzrechtliche Vorschriften – der passiven Parteifähigkeit im Zivilprozess; sie ist da-
her nach dem Recht des Eröffnungsstaates (lex fori concursus) zu beurteilen1. Dies folgt für
den Anwendungsbereich der EuInsVO 2015 aus deren Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. a2, für das auto-
nome deutsche Insolvenzrecht aus § 335 InsO. Das international zuständige deutsche Insol-
venzgericht entscheidet daher über die Insolvenzfähigkeit stets nach deutschem Insolvenz-
recht. Danach kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder
juristischen Person eröffnet werden, wobei nichtrechtsfähige Vereine juristischen Personen
gleichstehen (§ 11 Abs. 1 S. 2 InsO). Darüber hinaus sind nach deutschem Recht auch Gesell-
schaften ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG, Partnerschafts- und BGB-Gesellschaft, EWIV)
insolvenzfähig, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO. Sondervorschriften gelten für Insolvenzverfahren über
einen Nachlass und das Gesamtgut einer fortgesetzten oder von beiden Ehegatten verwalteten
Gütergemeinschaft (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Zulässig ist daher die Eröffnung eines Insolvenz-
verfahrens über das Vermögen eines ausländischen Nichtkaufmanns, auch wenn dessen
Wohnsitzrecht – wie z.B. das französische Recht – die Kaufmannseigenschaft fordert3.

6.587 Ausländische Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sind dann als insolvenzfähig


anzusehen, wenn sie entweder rechtsfähig oder zumindest passiv parteifähig sind. Über diese
Vorfrage der Rechtsfähigkeit bzw. (passiven) Parteifähigkeit entscheidet das Personalstatut der
ausländischen juristischen Person oder Gesellschaft (vgl. dazu Rz. 6.127 ff.)4. Für die in ande-
ren Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften gilt daher insoweit das
Gründungsrecht (dazu Rz. 6.32 ff.). Ihre Insolvenzfähigkeit wird also nicht dadurch aus-
geschlossen, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben5, wohl aber da-
durch, dass sie in ihrem Gründungsstaat aufgehört haben, als juristische Personen zu existie-
ren6. Die Insolvenzfähigkeit besteht dann auch während eines Liquidationsverfahrens fort
(§ 11 Abs. 3 InsO).

1 Geimer, Rz. 3472; Schack, Rz. 1167; Trunk, S. 104 f.


2 Dazu Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 15 f.
3 Geimer, Rz. 3472; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 23; Schack, Rz. 1168.
4 Eingehend dazu Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 50 ZPO Rz. 74 ff. m.w.N.
5 Vgl. AG Saarbrücken v. 25.2.2005 – 106 IN 3/05, GmbHR 2005, 1620 = ZIP 2005, 2027; AG Nürn-
berg v. 1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 186 (m. Aufs.
Andres/Grund, 137).
6 Vgl. AG Duisburg v. 14.10.2003 – 63 IN 48/03, GmbHR 2004, 121 = IPRax 2005, 151 (m. Anm.
Borges, IPRax 2005, 134); LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = NZI 2007, 475.

696 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.589 § 6

c) Eröffnungsgründe
Auch die Frage, welche Gründe die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens rechtfertigen, 6.588
beurteilt sich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung1. Vor deutschen Gerichten ist
damit allgemeiner Eröffnungsgrund die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (§ 17 InsO). Über
ihr Vorliegen ist im Falle eines auf das Inland beschränkten Partikularinsolvenzverfahrens unter
Berücksichtigung nur der auf die Niederlassung bezogenen Aktiva und Passiva des Schuldners
zu entscheiden2. Sofern der Schuldner selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt,
genügt auch die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Bei juristischen Personen ist ferner
die Überschuldung Eröffnungsgrund (§ 19 InsO). In diesem Fall sind die Aktiva und Passiva
des Unternehmens ohne Rücksicht auf ihre Belegenheit im In- oder Ausland zu berücksichtigen
(sog. Weltbilanzprinzip)3. In gleicher Weise ist auch die Frage, ob der Insolvenzantrag deshalb
abgelehnt werden kann, weil die Masse die Kosten des Verfahrens nicht deckt (§ 26 InsO), unter
Einbeziehung des weltweiten Vermögens des Schuldners zu beantworten4.

d) Antragsbefugnis
Zu den vom Recht des Eröffnungsstaates beherrschten Voraussetzungen der Eröffnung eines 6.589
(Haupt-)Insolvenzverfahrens gehört schließlich auch die Frage, wer den Antrag auf Eröffnung
zu stellen berechtigt ist (dazu näher Rz. 6.174 f.)5. Nach deutschem Insolvenzrecht sind sowohl
der Schuldner als auch die Gläubiger antragsberechtigt (§ 13 Abs. 1 S. 2 InsO). Der Insolvenz-
antrag eines Gläubigers ist allerdings nur zulässig, wenn dieser ein rechtliches Interesse an der
Eröffnung hat und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht (§ 14 Abs. 1
InsO); daran kann es fehlen, wenn die Forderung des Gläubigers anderweitig ausreichend ge-
sichert ist. Weitergehende Antragsrechte gewährt das deutsche Recht bei Eröffnung eines In-
solvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne
eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. § 15 InsO). Dabei stehen ausländische Gläubiger den inlän-
dischen Gläubigern grundsätzlich gleich. Die Antragsbefugnis eines Gläubigers hängt also
nicht von seiner Staatsangehörigkeit ab; ferner kommt es auch nicht darauf an, ob der Gläubi-
ger im In- oder Ausland wohnt und welchem Recht seine Forderung unterliegt6. Die Partei-
fähigkeit eines ausländischen Gläubigers beurteilt sich als Vorfrage nach seinem Personalstatut
(§ 4 InsO i.V.m. § 50 ZPO)7.

1 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO; 2015 Duursma/Duursma-Kepplinger, IPRax 2003, 505 (507);
ebenso zum autonomen Recht Schack, Rz. 1167; Wenner, Rz. 264; zu den diesbezüglichen Ermitt-
lungspflichten des Insolvenzgerichts in Fällen mit Auslandsberührung vgl. Kolmann/Ch. Keller in
Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 28 ff.
2 Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 99 ff.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (12); Mankowski, ZIP
1995, 1652 (1658 f.); Wimmer, ZIP 1998, 982 (986 f.); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO
Rz. 78 m.w.N.; a.A. Geimer, Rz. 3393a; Schack, Rz. 1171; Trunk, S. 106 (238).
3 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 78; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 130 Rz. 153.
4 Voraussetzung dürfte allerdings sein, dass der Belegenheitsstaat des Vermögens die deutsche Eröff-
nungsentscheidung anerkennt.
5 Wenner, Rz. 265. Zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Antragspflichten (z.B. nach § 15a
InsO) – in Abgrenzung zum Gesellschaftsstatut – EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:
C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 (Rz. 19); zust. Kindler, EuZW 2016, 136 (137 f.) und in
MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 63 ff.
6 Trunk in Gilles, S. 169.
7 Schack, Rz. 1170; dazu OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = NJW-RR
2001, 341 (342) (Costa Rica).

Hausmann | 697
§ 6 Rz. 6.590 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Auslandswirkungen des inländischen (Haupt-)Insolvenzverfahrens


a) Universalitätsprinzip
aa) Beschlagnahme
6.590 Ein deutsches (Primär-)Insolvenzverfahren strebt die Einbeziehung des gesamten und damit
auch des ausländischen Vermögens des Schuldners in die insolvenzrechtliche Abwicklung an,
um die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu gewährleisten1. Dieser Universalitäts-
anspruch des inländischen Insolvenzverfahrens ergibt sich im Verhältnis zu den übrigen Mit-
gliedstaaten der EuInsVO zum einen aus Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015, der die Anerkennung
der Wirkungen der deutschen Eröffnungsentscheidung im gesamten räumlichen Geltungs-
bereich der Verordnung vorschreibt, zum anderen aus dem Grundsatz des Art. 7 Abs. 1 EuIns-
VO 2015, der die Wirkungen der Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens auch bezüg-
lich des in anderen Mitgliedstaaten belegenen Vermögens des Schuldners dem deutschen
Recht unterwirft2. Die deutsche lex fori consursus legt nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. b EuInsVO
2015 insbesondere fest, welche im Ausland belegenen Vermögenswerte zur Masse gehören
und wie die erst nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte
zu behandeln sind3. Die Vorfrage der Eigentümerstellung des Schuldners ist dabei selbständig
nach Art. 43 EGBGB anzuknüpfen4. Nach Art. 15 EuInsVO 2015 können gewerbliche Schutz-
rechte des Unionsrechts (z.B. Gemeinschaftspatente oder -marken) allerdings nur in ein
Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 einbezogen werden5.

6.591 Im deutschen autonomen Insolvenzrecht folgte dieser Universalitätsanspruch schon bisher


zum einen aus § 35 InsO, wonach das deutsche Insolvenzverfahren „das gesamte Vermögen,
das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Ver-
fahrens erlangt“, erfasst. Zum anderen ließ er sich mit einem Umkehrschluss zu den Bestim-
mungen über Partikularinsolvenzverfahren begründen, die sich ausdrücklich auf das Inlands-
vermögen beschränken6. Seit Inkrafttreten des IIR-G lässt er sich zusätzlich auf § 335 InsO
stützen, der hinsichtlich der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf das Recht des Eröff-
nungsstaates verweist7. Auch nach autonomem Recht zählt das dem Schuldner zur Zeit der
Verfahrenseröffnung gehörende Auslandsvermögen demnach zur Insolvenzmasse und unter-
liegt dem inländischen Insolvenzbeschlag; dies gilt unabhängig davon, ob es aufgrund des aus-
ländischen Rechts zur Masse gezogen werden kann oder nicht, also auch dann, wenn das
deutsche Insolvenzverfahren im ausländischen Belegenheitsstaat nicht anerkannt wird8. Vo-
raussetzung für die Erstreckung der Wirkungen eines deutschen Insolvenzverfahrens auf das

1 Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Geimer, Rz. 3431; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130
Rz. 1; Häsemeyer, Rz. 35.15; Schack, Rz. 1174; Trunk in Gilles, S. 170; Wenner, Rz. 80 f.
2 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 (Rz. 40) =
EuZW 2013, 142 m. Anm. Schulz = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490).
3 Nach deutschem Recht gehört auch der Neuerwerb – anders als früher – zur Insolvenzmasse, vgl.
§ 35 InsO.
4 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 69/16, ZIP 2017, 1627 (Rz. 18) = IPRax 2018, 430 (m. Anm. Pieken-
brock, IPRax 2018, 392).
5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 133; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1617).
6 Vgl. zum bisherigen Recht Art. 102 Abs. 3 S. 1 EGInsO a.F.
7 Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 8.
8 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 41 ff.; Schack, Rz. 1174; ebenso schon zur
KO BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900; BGH v. 13.7.1983 –
VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = NJW 1983, 2147 = ZIP 1983, 961; BGH v. 11.7.1985 – IX ZR
178/84, BGHZ 95, 256 (264) = ZIP 1985, 944; OLG Köln v. 28.4.1986 – 2 W 34/86, ZIP 1986, 658

698 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.593 § 6

im Ausland belegene Vermögen ist allerdings, dass dieses Vermögen der Zwangsvollstreckung
unterliegt. Dies ist nicht nach dem ausländischen Belegenheitsrecht, sondern nach der deut-
schen lex fori concursus zu entscheiden1.

bb) Sicherungsmaßnahmen
In gleicher Weise erfasst auch ein nach Stellung des Insolvenzantrags vom deutschen Insol- 6.592
venzgericht nach der deutschen lex fori (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) angeordnetes allgemeines
Veräußerungsverbot das im Ausland belegene Vermögen des Schuldners, weil auch Einzel-
maßnahmen, die ausländische Vermögenswerte betreffen, eine den Gläubigern nachhaltige
Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners herbeiführen können. Für den Geltungs-
bereich der EuInsVO ist die Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen der Gerichte des Er-
öffnungsstaates in den anderen Mitgliedstaaten nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015
ausdrücklich vorgeschrieben (dazu Rz. 6.628)2. Darüber hinaus kann auch ein vor Eröffnung
des Hauptinsolvenzverfahren bestellter, vorläufiger Verwalter zumindest in denjenigen Mit-
gliedstaaten, in denen sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, die nach dem Recht
dieses Mitgliedstaates möglichen Sicherungsmaßnahmen beantragen (ErwG 36 S. 4 zur
EuInsVO 2015).

Eine universelle Wirkung solcher Maßnahmen beansprucht jedoch auch das autonome deut- 6.593
sche Insolvenzrecht, und zwar auch für den Fall, dass das ausländische Recht den gegen das
Veräußerungsverbot verstoßenden Rechtserwerb unbeschränkt zulässt, weil es das Veräuße-
rungsverbot nicht anerkennt3. Die Annahme einer universellen Wirkung eines nach § 21
Abs. 2 Nr. 2 InsO verfügten Veräußerungsverbots ist deshalb gerechtfertigt, weil durch diese
Anordnung die Wirkungen der Insolvenzeröffnung zum Schutz späterer Insolvenzgläubiger in
das Antragsverfahren vorverlagert werden sollen. Dieses Anliegen würde bezüglich des Aus-
landsvermögens von vornherein vereitelt, wenn man dieses Vermögen von den Wirkungen ei-
nes allgemeinen Veräußerungsverbots ausnehmen würde4. Dementsprechend schreibt § 343
Abs. 2 InsO auch – umgekehrt – die Anerkennung ausländischer Sicherungsmaßnahmen im
Inland grundsätzlich vor (dazu Rz. 6.629). Allerdings beschränkt sich die Wirkung des deut-
schen Veräußerungsverbots darauf, dass der deutsche Gläubiger eine durch Auslandsvollstre-
ckung erlangte Befriedigung, die seine Insolvenzquote übersteigt, an den deutschen Insolvenz-
verwalter abliefern muss (dazu Rz. 6.649 ff.)5.

m. Anm. Schneider = NJW-RR 1986, 934; OLG Koblenz v. 30.3.1993 – 4 W 91/93, ZIP 1993, 844 =
IPRax 1994, 370 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1994, 351; Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Wenner, Rz. 80.
1 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.) (zur Pfändbarkeit einer ausländ. Ren-
te); LG Taunstein v. 3.2.2009 – 4 T 263/09, ZInsO 2009, 1026 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/
Haas, Hdb., § 130 Rz. 46; Smid, Rz. 62; Trunk, S. 134 ff.; a.A. AG Passau v. 15.1.2009 – 15 C 1980/
08, ZInsO 2009, 253 und noch zur KO BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW
1992, 2026; OLG Köln v. 9.6.1994 – 18 U 239/93, ZIP 1994, 1459 (1460) = RIW 1994, 568 = IPRax
1996, 340 (m. Anm. Otte, IPRax 1996, 327).
2 Vgl. auch ErwG 36 S. 3 zur EuInsVO 2015.
3 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159 ff.) = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781 =
IPRax 1993, 87 (m. zust. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 69) (Sequestration des gesamten beschlag-
nahmefähigen Vermögens eines Hamburger Kaufmanns nach § 106 Abs. 1 S. 2 KO auf in Liech-
tenstein belegene Vermögenswerte erstreckt); zust. Geimer, Rz. 3431; E. Habscheid, S. 472; Prüt-
ting, ZIP 1996, 1277 (1279); Trunk, S. 122.
4 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781; vgl. auch
ErwG 16 zur EuInsVO 2000.
5 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 32.

Hausmann | 699
§ 6 Rz. 6.594 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Einzelzwangsvollstreckung im Ausland trotz Inlandsinsolvenz


6.594 Während der Dauer des inländischen Insolvenzverfahrens findet die Zwangsvollstreckung zu-
gunsten einzelner Insolvenzgläubiger weder in das zur Masse gehörende Vermögen noch in
das sonstige Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 89 Abs. 1 InsO)1. Die ältere Rechtspre-
chung beschränkte dieses Verbot auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Inland. Die nach
dem Recht des ausländischen Vollstreckungsstaates zulässige Zwangsvollstreckung in das dort
belegene Vermögen des Gemeinschuldners wurde daher nicht als rechtswidrig erachtet und
eine Verpflichtung von Gläubigern, den Erlös aus der Auslandsvollstreckung an die Masse ab-
zuliefern, abgelehnt2. Die Schutzvorschriften des deutschen Insolvenzrechts, die eine Verkür-
zung der Insolvenzmasse zu Lasten der Gesamtheit der Gläubiger zu verhindern trachten, gel-
ten indessen im Falle eines in Deutschland eröffneten (Haupt-)Insolvenzverfahrens grund-
sätzlich auch in Bezug auf das Auslandsvermögen des Gemeinschuldners3. Ihre Durchsetzung
hängt freilich davon ab, ob das deutsche Verfahren im ausländischen Belegenheitsstaat aner-
kannt wird; dies ist nur im Geltungsbereich der EuInsVO weitgehend gesichert. Demgegen-
über besteht außerhalb der Verordnung die Gefahr, dass sich einzelne Gläubiger die Nicht-
anerkennung des deutschen Insolvenzverfahrens im Ausland zunutze machen, um ihre Forde-
rungen dort zu Lasten der Insolvenzmasse durchzusetzen.

6.595 Aus diesem Grunde hat der BGH schon das Zwangsvollstreckungsverbot nach § 14 KO (=
§ 89 Abs. 1 InsO) für inländische4 Gläubiger zu Recht auf das Auslandsvermögen erstreckt.
Auch wenn das ausländische Recht eine Einzelvollstreckung in das dort belegene Vermögen
des Gemeinschuldners zulässt, weil die Beschlagnahmewirkung des inländischen Insolvenz-
verfahrens nicht anerkannt wird, widerspricht es nämlich dem Sinn und Zweck dieses Verfah-
rens, wenn inländische Insolvenzgläubiger sich durch Einzelvollstreckung im Ausland Sonder-
vorteile verschaffen, die als Bestandteile der Masse allein dem Verwalter zur gleichmäßigen
Befriedigung aller Insolvenzgläubiger zustehen5. Der Erwerb aus der Zwangsvollstreckung im
Ausland ist deshalb im Inland gegenüber der vom Gesetz im Interesse aller Gläubiger ge-
schützten Insolvenzmasse nicht rechtmäßig und der betreibende Gläubiger daher insoweit
ohne rechtfertigenden Grund auf Kosten der Masse bereichert. Er hat daher diesen im Wider-
spruch zur Zielsetzung der §§ 1, 89 Abs. 1 InsO erlangten Vermögensvorteil nach den Grund-
sätzen der Eingriffskondiktion (§ 812 BGB) an den allein zur Einziehung berechtigten Insol-
venzverwalter herauszugeben6.

1 Die Zwangsvollstreckung lediglich vorbereitende Maßnahmen sind zwar nach § 89 Abs. 1 InsO
zulässig. Allerdings hindert die Insolvenzeröffnung im Inland auch die Erteilung der Vollstre-
ckungsklausel für ein ausländ. Urteil, vgl. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, NJW-RR 2009, 279 f.
(zum Verfahren nach § 722 f. ZPO); Hess, IPRax 1995, 16 ff.; Mankowski, ZIP 1994, 1577 ff.; a.A.
noch OLG Saarbrücken v. 1.10.1993 – 5 W 96/93-56, ZIP 1994, 1609 = IPRax 1995, 35; OLG
Frankfurt v. 27.4.2000 – 13 W 21/00, IPRax 2002, 35 (m. zust. Anm. Rinne/Sejas, IPRax 2002, 28),
jeweils zu § 14 KO.
2 RG v. 28.3.1903, RGZ 54, 193; BayObLG v. 17.2.1908, LZ 1908, Sp. 550; OLG Köln v. 9.3.1978 – V
ZR 145/74, KTS 1979, 249 m. zust. Anm. Kalter.
3 Geimer, Rz. 3473; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 70; Trunk, S. 146 ff.
4 Da ausländ. Gläubiger gleichberechtigt am inländ. Insolvenzverfahren teilnehmen, sollten sie der
nämlichen Herausgabepflicht unterworfen werden; vgl. i.d.S. auch Häsemeyer, Rz. 35.17; E. Hab-
scheid, S. 475; Wenner, Rz. 109.
5 Geimer, Rz. 3473; Schack, Rz. 1174; Trunk, S. 146 ff.
6 BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (153) = NJW 1983, 2147 = JZ 1983, 898 m.
Anm. Grunsky = IPRax 1984, 264 (m. Anm. Pielorz, IPRax 1984, 241) (Verpflichtung des im In-
land ansässigen Insolvenzgläubigers bejaht, die im Wege der Einzelzwangsvollstreckung in

700 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.597 § 6

Diese Rechtsprechung hat der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des internatio- 6.596
nalen Insolvenzrechts in § 342 Abs. 1 S. 1 InsO kodifiziert. Erlangt danach ein Insolvenzgläu-
biger durch Zwangsvollstreckung, durch eine Leistung des Schuldners oder in sonstiger Weise
etwas auf Kosten der Insolvenzmasse aus dem Vermögen, das nicht im Staat der Verfahrens-
eröffnung belegen ist, so hat er das Erlangte dem Insolvenzverwalter herauszugeben. Insoweit
gelten die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung entspre-
chend1. Ein dinglich gesicherter Gläubiger darf allerdings i.d.R. behalten, was er aus der Ver-
wertung im Ausland erlangt. Da er nämlich grundsätzlich auch an dem im Ausland belegenen
Vermögen des Schuldners eine bevorzugte Befriedigung beanspruchen kann (§ 351 InsO), ist
er insoweit nicht auf Kosten der Insolvenzmasse bereichert. Ein hinsichtlich der Insolvenz-
eröffnung gutgläubiger Gläubiger kann sich ferner nach § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall
der Bereicherung berufen, § 342 Abs. 1 S. 2 InsO.

Eine Ablieferungspflicht von Gläubigern, die sich im Wege der Einzelvollstreckung in das in 6.597
anderen Mitgliedstaaten belegene Vermögen des Schuldners Sondervorteile verschafft haben,
besteht – als Konsequenz der Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens – auch nach euro-
päischem Insolvenzrecht. Insoweit stellt Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015 klar, dass es
grundsätzlich Sache der deutschen lex fori concursus ist festzulegen, wie sich die Verfahrens-
eröffnung auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt. Daraus folgt
grundsätzlich ein Verbot der Zwangsvollstreckung in allen anderen Mitgliedstaaten2. Dennoch
getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind kraft europäischen Rechts eo ipso nichtig3. Für die-
sen Fall ordnet auch Art. 23 Abs. 1 EuInsVO 2015 ausdrücklich eine Herausgabepflicht an;
dabei handelt es sich um eine europäische Sachnorm, die Vorrang vor der bereicherungsrecht-
lichen Lösung des autonomen deutschen Rechts hat. Danach hat ein Gläubiger, der nach der
Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens auf irgendeine Weise, insbesondere durch
Zwangsvollstreckung, vollständig oder teilweise aus einem Gegenstand der Masse befriedigt
wird, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, das Erlangte an den Verwalter heraus-
zugeben4. Für den dinglich oder durch einen Eigentumsvorbehalt gesicherten Gläubiger gilt
dies aufgrund des Vorbehalts der Art. 8 und 10 EuInsVO 2015 nicht; er muss nur den die
gesicherte Forderung übersteigenden Erlös an die Masse abführen5. Ausgeschlossen ist der
Herausgabeanspruch ferner im Fall des gutgläubigen Erwerbs nach Art. 17 EuInsVO (dazu
Rz. 6.751 ff.).

schweiz. Banknoten des Gemeinschuldners nach Insolvenzeröffnung erlangten Geldbeträge an


den deutschen Insolvenzverwalter herauszugeben). Zust. zur bereicherungsrechtlichen Abliefe-
rungspflicht die hL, vgl. Geimer, Rz. 3483; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131
Rz. 72 ff.; Schack, Rz. 1174; Trunk, S. 160 ff.; Wenner, Rz. 109 ff. Zur Frage einer konkurrierenden
deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 KO/§ 89 Abs. 1 InsO s. Canaris, ZIP 1983,
647 ff.; Hanisch, ZIP 1983, 1292.
1 Rechtsfolgenverweisung auf § 818 BGB, vgl. Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 6.
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 91; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (559); a.A. Becker, ZEuP 2002, 287
(309).
3 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417
(Rz. 44) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178); dazu Lauke-
mann, LMK 2010, 299062; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920; Würdinger, IPRax
2011, 562.
4 Zu Einzelheiten Kindler in MünchKomm, Art. 23 EuInsVO Rz. 4 ff.
5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 173; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563); Huber, EuZW 2002, 490
(496).

Hausmann | 701
§ 6 Rz. 6.598 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.598 Auch die sog. Rückschlagsperre nach § 88 InsO, derzufolge alle im letzten Monat vor der
Stellung des Insolvenzantrags oder danach von Gläubigern zwangsweise erlangten Sicherun-
gen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam werden, ist nach Art. 7 Abs. 2 S. 2
lit. f EuInsVO 2015 in allen anderen Mitgliedstaaten der Verordnung anzuerkennen1.

c) Anrechnung von Erlösen aus ausländischen Insolvenzverfahren


6.599 Der Gläubiger eines im Inland eröffneten (Haupt-)Insolvenzverfahrens ist allerdings nach
deutschem autonomen Recht nicht verpflichtet, den in einem ausländischen Parallelverfahren
erlangten Erlös an die inländische Insolvenzmasse abzuführen2. Denn im Gegensatz zu den
im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erzielten Einnahmen sind die Quoten des auslän-
dischen Insolvenzverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung
aller Gläubiger festgelegt worden. Da die in- und ausländische Quote gleichermaßen – wenn
auch in getrennten Verfahren – dem Schuldnervermögen entnommen werden, das insgesamt
zur anteiligen Befriedigung aller Gläubiger bestimmt ist, muss sich ein Gläubiger allerdings
den im ausländischen Insolvenzverfahren erlangten Betrag auf die im inländischen Verfahren
auf ihn entfallende Quote – und nicht nur auf die Forderung – anrechnen lassen; er wird
mithin bei der Verteilung erst dann berücksichtigt, wenn die Inlandsquote den im Ausland
erlangten Forderungsbetrag übersteigt3. Auch diese Konsequenz hat der Gesetzgeber in § 342
Abs. 2 InsO ausdrücklich bekräftigt4. Um eine Bevorzugung einzelner Gläubiger zu verhin-
dern, hat der Verwalter des inländischen Hauptinsolvenzverfahrens einen Auskunftsanspruch
gegen alle Gläubiger über das in einem ausländischen Parallelverfahren Erlangte, § 342 Abs. 3
InsO. Dieser besteht mangels einer entsprechenden Regelung in der EuInsVO auch nach euro-
päischem Insolvenzrecht5.

6.600 Auch im Rahmen der EuInsVO sind die Gläubiger berechtigt, diese Forderungen sowohl im
Hauptverfahren als auch in einem parallel betriebenen Sekundärinsolvenzverfahren in einem
anderen Mitgliedstaat anzumelden (vgl. Art. 45, 53 EuInsVO). Für diesen Fall stellt Art. 23
Abs. 2 EuInsVO die Gleichbehandlung der Gläubiger dadurch sicher, dass ein Gläubiger, der
in einem Insolvenzverfahren eine Quote auf seine Forderung erlangt hat, an der Verteilung im
Rahmen eines anderen Verfahrens erst teilnimmt, wenn die Gläubiger gleichen Ranges oder
gleicher Gruppenzugehörigkeit in diesem anderen Verfahren die gleiche Quote erlangt haben6.
Die unterschiedliche Behandlung des Gläubigers in Art. 23 Abs. 1 und 2 EuInsVO (bzw. in
§ 342 Abs. 1 und 2 InsO) ist letztlich darauf zurückzuführen, dass dieser, wenn er sich an
einem ausländischen Insolvenzverfahren beteiligt, nur von einem ihm durch die Verordnung

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 71; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuIns-
VO Rz. 32; Paulus, NZI 2001, 505 (511).
2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 79; Kindler in MünchKomm, § 342 InsO
Rz. 10; vgl. schon zum früheren Recht OLG Köln v. 31.1.1989 – 3 W 7/89, ZIP 1989, 321 = KTS
1989, 636; zust. Aderhold, S. 217; Flessner, ZIP 1989, 749 (752); Hanisch, ZIP 1989, 273 ff. und
1992, 1125 (1135); krit. Geimer, Rz. 3405; Wenner, Rz. 119.
3 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 80; Wenner, Rz. 134; Hanisch, ZIP 1989,
277 f.; E. Habscheid, S. 480 ff.
4 Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 8 f.
5 Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 12.
6 Vgl. zu dieser konsolidierten Quotenberücksichtigung den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 175 m.
Hinw. zum Berechnungsverfahren; ferner Duursma-Kepplinger, Art. 20 EuInsVO Rz. 28 ff.; Kindler
in MünchKomm, Art. 23 EuInsVO Rz. 19 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563 f.); Wenner,
Rz. 134 f.

702 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.603 § 6

bzw. das dortige Insolvenzrecht eingeräumten Recht Gebrauch macht. Es handelt sich im Er-
gebnis um eine Durchbrechung der universellen Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens, die
ihren Grund in der Zulassung von Sekundärverfahren hat1.

3. Rechtsstellung des inländischen Insolvenzverwalters bezüglich des


Auslandsvermögens
a) Befugnisse des Insolvenzverwalters
Nach deutschem autonomen Insolvenzrecht bestimmt das Recht des Eröffnungsstaates auch 6.601
über die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters, z.B. über seine Ernennung, seine Rechte und
Pflichten, das Erfordernis der Zustimmung eines Gläubigerausschusses oder einer Gläubiger-
versammlung bzw. des Insolvenzgerichtes zu bestimmten Maßnahmen, seine Haftung wegen
Pflichtverletzungen, seine Vergütung und seine Abberufung (§ 335 InsO)2. Wenn § 80 InsO
mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungs-
befugnis vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter anordnet, so ist diese Wirkung nicht auf
das Inlandsvermögen beschränkt. Der Verwalter eines im Inland eröffneten Insolvenzverfah-
rens ist nämlich nach § 148 Abs. 1 InsO verpflichtet, „das gesamte zur Insolvenzmasse gehö-
rende Vermögen“ sofort in Besitz und Verwaltung zu übernehmen; diese Verpflichtung be-
zieht sich aber auch auf das ausländische Vermögen des Schuldners3.

In diesem Sinne ordnet Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. c EuInsVO 2015 für das europäische Insolvenz- 6.602
recht ausdrücklich an, dass sich die Befugnisse des Insolvenzverwalters in allen Mitgliedstaa-
ten nach dem Recht des Eröffnungsstaates beurteilen4. Dieser Grundsatz wird in Art. 21 Abs. 1
EuInsVO 2015 für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens noch einmal bekräftigt. Da-
nach darf der Verwalter, der durch ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 zuständiges Gericht
bestellt worden ist, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates alle Befugnisse ausüben, die ihm
nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen, solange in dem anderen Staat
nicht ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet ist oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme
auf einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hin ergriffen worden ist. Er kann
insbesondere (vorbehaltlich der Art. 8 und 10 EuInsVO 2015) die zur Masse gehörenden Ge-
genstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaats entfernen, in dem sich die Gegenstände befin-
den, Art. 21 Abs. 1 S. 2 EuInsVO.

Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters nach §§ 148 ff. InsO sind daher auch in 6.603
den anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der dort belegenen Vermögensgegenstände des
Schuldners anzuerkennen. Allerdings ist aus der systematischen Stellung des Art. 21 EuInsVO

1 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 342 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25.


2 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, § 130 Rz. 51.
3 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, NJW 2004, 855 = ZIP 2003, 2123 = NZI 2004, 21 m. Anm.
Uhlenbruck; Geimer, Rz. 3433, 3476; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 51; E.
Habscheid, S. 474 ff.; Schack, Rz. 1178; Wenner, Rz. 82 f.; ebenso schon früher BGH v. 10.12.1976
– V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900; BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ
88, 147 (150 f.) = NJW 1983, 2147 = ZIP 1983, 961.
4 EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419 (Alpenblume), Slg. 2009 I, 5655 (Rz. 20 ff.) =
ZIP 2009, 1441 = IPRax 2010, 353 (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m.
Anm. Mankowski; BGH v. 3.2.2011 − V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 12) = NJW 2011, 1818;
BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 36) = ZIP 2013, 1982; OLG Hamm v.
15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 21
m.w.N.

Hausmann | 703
§ 6 Rz. 6.603 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2015 zu entnehmen, dass hierfür auch die übrigen Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 19
EuInsVO 2015 erfüllt sein müssen. Denn Art. 21 EuInsVO 2015 regelt nur eine – besonders
wichtige – Wirkung der Anerkennung des deutschen Eröffnungsbeschlusses im Ausland1. Fer-
ner wird die Maßgeblichkeit der inländischen lex fori concursus – und damit auch die Rechts-
macht des inländischen (Haupt-)Insolvenzverwalters – nach der Verordnung durch die Son-
deranknüpfung bestimmter Rechtsverhältnisse in Art. 8–18 EuInsVO eingeschränkt (dazu
näher Rz. 6.697 ff.). Bei der Ausübung seiner Befugnisse hat der Verwalter gem. Art. 21 Abs. 3
S. 1 EuInsVO 2015 etwaige Beschränkungen durch das Recht des Mitgliedstaates, in dessen
Gebiet er handeln will, zu beachten; dies gilt insbesondere hinsichtlich der Art und Weise der
Verwertung eines Massegegenstands (z.B. durch freihändigen Verkauf oder öffentliche Verstei-
gerung)2. Ferner dürfen seine Befugnisse nicht die Anwendung von Zwangsmitteln oder das
Recht umfassen, Rechtsstreitigkeiten oder andere Auseinandersetzungen zu entscheiden.

6.604 Der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters korrespondiert seine


Prozessführungsbefugnis. Er kann daher vor deutschen Gerichten – als Partei kraft Amtes –
im eigenen Namen Auskunftsansprüche erheben und Masseforderungen geltend machen, die
sich auf das im Ausland belegene Vermögen des Gemeinschuldners beziehen, und zwar unab-
hängig davon, ob der deutsche Vollstreckungstitel im Ausland durchgesetzt werden kann oder
nicht3. Voraussetzung für die Durchsetzung von Masseforderungen, die das Auslandsver-
mögen des Gemeinschuldners betreffen, vor deutschen Gerichten ist freilich deren internatio-
nale Zuständigkeit. Insoweit sieht allerdings Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 in Fortführung der
EuGH-Rechtsprechung zur EuInsVO 20004 (vgl. Rz. 6.556 ff.) eine umfassende internationale
Zuständigkeit des Eröffnungsstaates für die mit dem Insolvenzverfahren eng zusammenhän-
genden Klagen des Insolvenzverwalters vor. Demgegenüber kennt das autonome deutsche
Recht – abgesehen von § 180 Abs. 1 S. 2, 3 InsO für den Feststellungsstreit5 – eine solche Kon-
zentration der Zuständigkeit für Klagen des Insolvenzverwalters im Bezirk des Insolvenz-
gerichts nicht6. In Ermangelung einer „vis attractiva concursus“ gelten für diese Klagen die
allgemeinen Zuständigkeitsregeln der §§ 12 ff. ZPO bzw. der vorrangigen Art. 4 ff. Brüssel Ia-
VO/Art. 2 ff. LugÜ. Für Aktivprozesse des Insolvenzverwalters gegen im Ausland ansässige Be-
klagte ist daher eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nur begründet,
wenn ein besonderer Gerichtsstand – z.B. am vertraglichen Erfüllungsort oder am Tatort einer
unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO, §§ 29, 32 ZPO) – im Inland be-
steht7. Für Passivprozesse kommt es im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO bzw. des LugÜ
auf den Wohnsitz des Insolvenzverwalters an, im autonomen Recht dagegen auf den Sitz des

1 Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428).


2 Virgós/Schmit-Bericht, Nr. 97; Duursma-Kepplinger, Art. 18 EuInsVO Rz. 16 ff.; Kolmann/Ch. Kel-
ler in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 53; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (562).
3 BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900 (Prozessführungsbefugnis
des Insolvenzverwalters über das Vermögen eines Kölner Kaufmanns auch hinsichtlich des in
Liechtenstein belegenen Vermögens des Gemeinschuldners anerkannt); ferner BGH v. 13.7.1983 –
VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (150 f.) = ZIP 1983, 961; Geimer, Rz. 3433, 3478; Wenner, Rz. 85.
4 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), ZIP 2009, 427 = NJW 2009,
2189.
5 Vgl. dazu Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 98 f.; Trunk, S. 208 ff.
6 Geimer, Rz. 3464; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 68; E. Habscheid, ZIP
1999, 1113; Schack, Rz. 1184.
7 Geimer, Rz. 3466; vgl. auch BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, ZIP 1997, 39 = MDR 1997, 251 =
JZ 1997, 415 m. Anm. Paulus = IPRspr. 1996 Nr. 233.

704 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.606 § 6

Insolvenzgerichts (§ 19a ZPO)1. Schließlich bleibt der Insolvenzverwalter an Gerichtsstands-


oder Schiedsvereinbarungen des Schuldners gebunden (dazu auch Rz. 7.134, Rz. 7.430 f.)2.

Ob und inwieweit der inländische Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung nach § 148 InsO 6.605
auch im Ausland nachkommen und das dort belegene Vermögen zur inländischen Masse zie-
hen kann, hängt freilich außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO von
der Anerkennung seiner Befugnisse durch das autonome internationale Insolvenzrecht des
Belegenheitsstaates ab3. Die Tendenz in der internationalen Staatenpraxis geht freilich dahin,
den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen ausländischen Insolvenz-
verwalter grundsätzlich anzuerkennen, wenn der Eröffnungsstaat international zuständig ist,
kein vorrangiges inländisches oder anerkennungsfähiges drittstaatliches Insolvenzverfahren
eröffnet worden ist und der ordre public des Anerkennungsstaates nicht verletzt wird4. Für
diesen Fall kann der deutsche Insolvenzverwalter auch in solchen ausländischen Belegenheits-
staaten, die nicht Mitgliedstaaten der EuInsVO sind,5 grundsätzlich Masseforderungen einzie-
hen und hierauf gerichtete Prozesse führen. Seine Befugnisse im Ausland werden freilich ei-
nerseits durch die deutsche lex fori concursus, andererseits durch das Insolvenz- und Prozess-
recht des Belegenheitsstaats beschränkt. Der inländische Verwalter hat daher auch im Ausland
keine weitergehende Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis als nach deutschem Recht6; er
kann jedoch auch die ihm vom deutschen Insolvenzrecht verliehenen Befugnisse jedenfalls in
Drittstaaten nur in den Grenzen ausüben, die ihm das ausländische Belegenheitsrecht zuge-
steht. Darüber hinaus werden die Befugnisse des inländischen Insolvenzverwalters auch nach
dem autonomen deutschen Recht durch die Sonderanknüpfungen nach §§ 336 ff. InsO einge-
schränkt (dazu Rz. 6.697 ff.).

b) Mitwirkung des Schuldners und der Gläubiger


Erkennt der ausländische Belegenheitsstaat die dem Insolvenzverwalter nach deutschem Recht 6.606
zukommende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht an, so kann der Schuldner über
dieses Vermögen verfügen, solange dort kein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet wird7. Die
Wirksamkeit dieser Verfügungen bestimmt sich gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich
nach der ausländischen lex rei sitae. Der Schuldner ist allerdings kraft deutschen Insolvenz-
rechts verpflichtet, dem Verwalter über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft
zu geben und ihn nach Kräften bei der Erfüllung seiner Verwaltungs- und Verwertungstätig-
keit zu unterstützen (vgl. § 97 InsO). Dies schließt – als Ausfluss des Herausgabeanspruchs
des Verwalters nach § 148 Abs. 2 InsO – die Verpflichtung des Schuldners ein, den Insolvenz-

1 Geimer, Rz. 3464; Schack, Rz. 1185; dazu BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419 =
IPRax 2004, 59 (m. Anm. Mörsdorf-Schulte, IPRax 2007, 32) = NZI 2003, 545 m. Anm. Man-
kowski.
2 M. Stürner, IPRax 2005, 416 (422); Schack, Rz. 1185.
3 RG v. 28.3.1903, RGZ 54, 193; BGH v. 4.2.1960 – VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 = MDR 1960,
578 m. Anm. Kuhn.
4 Vgl. dazu rechtsvergleichend E. Habscheid, S. 197 ff.; Hanisch, ZIP 1992, 1125 (1135 ff.); Riegel,
S. 18 ff.
5 In den Mitgliedstaaten der EuInsVO wird die Prozessführungsbefugnis eines deutschen Insolvenz-
verwalters grundsätzlich in dem Umfang anerkannt, in dem sie ihm nach der deutschen lex fori
concursus zusteht, vgl. Aud. Prov. Barcelona v. 6.3.2013 − 431/2012-2a, NZI 2014, 576 m. Anm.
Paulus.
6 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 51; a.A. Prütting, ZIP 1996, 1277 (1280 f.).
7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 58; Wenner, Rz. 98.

Hausmann | 705
§ 6 Rz. 6.606 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

verwalter zu bevollmächtigen, Auskünfte über im Ausland belegene Vermögensgegenstände


einzuholen und über diese zu verfügen, wenn der Verwalter nur mit Hilfe einer solchen Voll-
macht das im Ausland belegene Vermögen verwerten kann1.

6.607 Ist der Schuldner nicht kooperationswillig, so kann er vor deutschen Gerichten – auf Grund-
lage der §§ 97, 98 InsO – auf Abgabe der entsprechenden Vollmachtserteilung verklagt wer-
den. Die Vollstreckung wird dann durch die Fiktion der Abgabe der Vollmachtserklärung
nach § 894 ZPO ersetzt2; die Anerkennung dieser Vollstreckungswirkung im ausländischen
Belegenheitsstaat ist freilich nicht gesichert. Daneben kommen Zwangsmaßnahmen durch
deutsche Gerichte in Betracht, um den sich im Inland aufhaltenden Schuldner zur Zusam-
menarbeit mit dem Insolvenzverwalter bezüglich des Auslandsvermögens zu veranlassen3.
Schließlich kann der Insolvenzverwalter auch einen Gläubiger beauftragen, gegen den
Schuldner im Ausland einen Titel zu erwirken und daraus die Zwangsvollstreckung in das
Auslandsvermögen zu betreiben4. Der Gläubiger hat dann das Erlangte gegen Ersatz seiner
Aufwendungen nach §§ 667, 670 BGB an die inländische Masse abzuliefern5. Ob der Verwal-
ter darüber hinaus vor einem deutschen Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken kann,
mit der einem Insolvenzgläubiger untersagt wird, seine Rechte gegenüber dem Schuldner im
Ausland wirksam zu verfolgen, insbesondere in Vermögen des Schuldners zu vollstrecken
(„antisuit injunction“), erscheint hingegen fraglich6.

4. Besonderheiten von Partikularinsolvenzverfahren


a) Einschränkung des Universalitätsprinzips
6.608 Der Grundsatz der Universalität des Insolvenzverfahrens wird – wie gezeigt (vgl. Rz. 6.536 ff.)
– weder in der EuInsVO noch im autonomen deutschen Insolvenzrecht strikt durchgeführt.
Aufgelockert wird er nicht nur durch die Sonderanknüpfungen für einzelne Rechtsverhältnis-
se, die einen besonders engen Bezug zu einem anderen Recht als dem des Eröffnungsstaates
haben (dazu Rz. 6.697 ff.), sowie durch die Zulässigkeit von Sekundärinsolvenzverfahren ne-
ben einem ausländischen Hauptinsolvenzverfahren (dazu Rz. 6.681 f., Rz. 6.684 f.). Vielmehr
wird sowohl in Art. 3 Abs. 2 EuInsVO als auch im autonomen deutschen Recht (§§ 354 ff.
InsO) schon vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ein auf das Inlandsvermögen be-

1 BGH v. 25.2.2016 – IX ZB 74/15, NZI 2016, 365 (Rz. 16 ff.) = ZIP 2016, 686; BGH v. 18.9.2003 –
IX ZB 75/03, NJW 2004, 855 = ZIP 2003, 2123 = NZI 2004, 21 m. Anm. Uhlenbruck; OLG Ko-
blenz v. 30.3.1993 – 4 W 91/93, ZIP 1993, 844 = IPRax 1994, 370 (m. zust. Anm. Hanisch, IPRax
1994, 351); OLG Köln v. 28.4.1986 – 2 W 34/86, ZIP 1986, 658 (m. Anm. Schneider, ZIP
1986,1337); zust. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 59; Geimer, Rz. 3479;
Schack, Rz. 1181; E. Habscheid, S. 473; Trunk, S. 157 f.; Wenner, Rz. 102.
2 LG Köln v. 31.10.1997 – 16 O 197/97, ZIP 1997, 2161 = RIW 1998, 321 = EWiR 1998, 507 (LS) m.
Anm. Pape; Geimer, Rz. 3480; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 60; Schack,
Rz. 1181; Wenner, Rz. 105.
3 Vgl. LG Memmingen v. 20.1.1983 – 4 T 1971/82, ZIP 1983, 204: Zwangshaft; Geimer, Rz. 3481;
Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 61; Wenner, Rz. 104. Vgl. auch High Court
of Justice London (Ch. Div.) (Ashurst v. Pollard), 2 All E.R. 772: Anordnung an den Schuldner,
zugunsten des Verwalters über eine Eigentumswohnung in Portugal zu verfügen; Verstoß gegen
Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ abgelehnt, weil es sich um eine „order in personam“ handle.
4 Vgl. Geimer, Rz. 3485; Schack, Rz. 1182.
5 Geimer, Rz. 3482, 3485; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 62; Schack,
Rz. 1182; Wenner, Rz. 107.
6 Vgl. Schack, Rz. 1183; für Zulässigkeit einer solchen „antisuit injunction“ hingegen Trunk, S. 159;
Wenner, Rz. 116.

706 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.609 § 6

schränktes Partikularinsolvenzverfahren zugelassen. Durch die Möglichkeit der Rechtsverfol-


gung im Inland soll der Anspruch hier ansässiger Gläubiger auf Justizgewährung sichergestellt
werden1. Besondere Bedeutung kommt diesem Verfahren zu, wenn im Staat des Interessen-
mittelpunkts des Schuldners ein Insolvenzverfahren – z.B. mangels Insolvenzfähigkeit des
Schuldners nach dortigem Recht – überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Die Voraus-
setzungen und Wirkungen eines solchen Verfahrens beurteilen sich gem. Art. 35 f. EuInsVO
bzw. § 335 InsO nach der lex fori concursus des Eröffnungsstaates. Insoweit ergeben sich aller-
dings die folgenden Besonderheiten:

b) Voraussetzungen der Eröffnung


aa) Internationale Zuständigkeit
Nach europäischem Insolvenzrecht sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der 6.609
Schuldner nicht den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat2, nur dann zur Eröff-
nung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner zumindest eine Niederlassung im
Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO 2015). Die bloße Belegenheit
von Vermögen (z.B. von Grundstücken) oder die Unterhaltung von Bankkonten reicht – an-
ders als nach § 354 Abs. 2 InsO – nicht aus3. Maßgebender Zeitpunkt ist auch hier die Stellung
des Antrags auf Eröffnung des (Partikular-)Verfahrens4. Der Begriff der Niederlassung in der
EuInsVO ist bewusst weiter als in Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, weil es insoweit nicht auf die
Weisungsgebundenheit des Schuldners ankommt; vielmehr genügt als Niederlassung gem.
Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015 „jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen
Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht...., die den Einsatz von Personal5 und Ver-
mögenswerten voraussetzt“6. Diese wirtschaftliche Aktivität des Schuldners muss auf der
Grundlage objektiver und für Dritte feststellbarer Umstände beurteilt werden, damit die

1 Geimer, Rz. 3394 f.; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 17; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 130 Rz. 116.
2 Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI)
des Schuldners liegt, sind nicht berechtigt, anstatt des universalistischen Hauptverfahrens ein ter-
ritorial beschränktes Partikularinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO 2015 zu eröffnen,
vgl. öOGH v. 30.11.2006, unalex AT-363.
3 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 62) = ZIP
2011, 2153 = EuZW 2011, 912; EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo
Group), ZIP 2014, 2513 (Rz. 31) = NZI 2014, 964 m. Anm. Mankowski; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB
287/11, ZIP 2012, 1920 (Rz. 6) = NZI 2012, 725; BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782
(Rz. 6) = IPRax 2013, 356 (m. Anm. Ringe, IPRax 2013, 330); BGH v. 21.12.2010 – IX ZB 227/09,
ZIP 2011, 389 (Rz. 4) = NZI 2011, 120; öOGH v. 30.11.2006, unalex AT-363; Kolmann/Ch. Keller
in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 80; Kindler in MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff.
4 BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782 (Rz. 7). Der Zeitpunkt der Stellung des Antrags
auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens ist insoweit nicht maßgeblich, vgl. AG Deggendorf v.
22.10.2012 – IE 256/12, NZI 2013, 112.
5 Dazu BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725; LG München I v.
5.3.2018 – 14 T 2769/18, NZI 2018, 665 =ZIP 2018, 796. Nicht erforderlich ist der Einsatz eigener
Arbeitnehmer; die Erteilung von Aufträgen an andere Personen reicht aus, vgl. AG München v.
5.2.2007 – 1503 IE 4371/06, ZIP 2007, 495 = NZI 2007, 358 m. Anm. Mankowski; AG Gifhorn v.
13.9.2012 – 35 IE 4/12, NZI 2013, 110.
6 Vgl. zu den Hintergründen für diesen weiten Niederlassungsbegriff der EuInsVO näher den Vir-
gós/Schmit-Bericht Rz. 70; Geimer, Rz. 3459; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (142); W. Lüke, ZZP 111
(1998), 275 (299). Zur Auslegung des Begriffs näher Paulus, ZIP 2002, 729 (730); Kindler in
MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff.

Hausmann | 707
§ 6 Rz. 6.609 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit garantiert sind1. Auf eine Eintragung als Niederlas-
sung im Handelsregister kommt es hingegen nicht an2. Auch der bloße Satzungssitz einer Ge-
sellschaft reicht für die Begründung einer Niederlassung nicht aus; jedoch kann eine Nieder-
lassung durchaus eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Der EuGH möchte ein Sekundärinsol-
venzverfahren sogar in dem Mitgliedstaat zulassen, in dem die Schuldnergesellschaft ihren
satzungsmäßigen Sitz hat, wenn sie dort auch eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO
2015 unterhält3; damit könnte dem Hauptinsolvenzverfahren freilich das im Sitzstaat des in-
solventen Unternehmens belegene Vermögen durch ein dort parallel eröffnetes Sekundärin-
solvenzverfahren entzogen werden4.

6.610 Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich auch für Partikularverfahren nach dem autonomen
Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten. In Deutschland begründet Art. 102c § 1 Abs. 2 EGInsO
die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, in dessen Bezirk die Nieder-
lassung des Schuldners liegt, auf die sich nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO die internationale Zu-
ständigkeit der deutschen Gerichte stützt. Verfügt der Schuldner also z.B. im Inland über
Grundstücke, die nicht am Ort der Niederlassung belegen sind, so kann an diesen Belegen-
heitsorten kein inländisches Partikularverfahren eröffnet werden. Betreibt der ausländische
Schuldner im Inland mehrere Niederlassungen, so bestimmt sich nach § 354 Abs. 3 S. 2, § 3
Abs. 2 InsO die örtliche Zuständigkeit danach, bei welchem Insolvenzgericht zuerst die Eröff-
nung des Verfahrens beantragt worden ist5.

6.611 Hatte der Schuldner im Inland weder einen allgemeinen Gerichtsstand noch den Mittelpunkt
seiner selbständigen wirtschaftlichen Interessen, so waren die deutschen Gerichte auch nach
autonomem Recht (Art. 102 Abs. 3 S. 1 EGInsO a.F.) schon bisher zur Eröffnung eines Par-
tikularinsolvenzverfahrens international zuständig, das sich auf das im Inland belegene Ver-
mögen des Gemeinschuldners beschränkte6. Abweichend von § 238 KO und Art. 3 Abs. 2
EuInsVO war hierfür eine Niederlassung des Schuldners im Inland nicht erforderlich, sondern
es reichte bereits die bloße Belegenheit von Schuldnervermögen im Inland aus. Damit sollte
sichergestellt werden, dass das inländische Vermögen des Gemeinschuldners zur Befriedigung
des Gläubigers auch dann erfasst wurde, wenn das ausländische Hauptinsolvenzverfahren im
Inland nicht anerkannt wurde7.

6.612 Gegen diese Lösung wurde insbesondere eingewandt, sie würde zu einer Zerfaserung des In-
solvenzverfahrens führen; die Durchführung von Sonderverfahren in einer Vielzahl von Bele-

1 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 63) = ZIP
2011, 2153 = NZI 2011, 990; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725.
Vgl. LG Hannover v. 10.4.2008 – 20 T 5/08, ZIP 2008, 2375 = NZI 2008, 631 m. Anm. Vallender:
in England wohnhafter Chefarzt hat an seiner deutschen Klinik eine Niederlassung i.S.v. Art. 3
Abs. 2 EuInsVO.
2 BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725.
3 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 32) =
ZIP 2014, 2513.
4 Vgl. die Kritik bei Mankowski, NZI 2014, 996 f.
5 Vgl. Art. 102c § 1 Abs. 2 S. 2 EGInsO; dazu die Regierungsbegründung, BR-Drucks. 715/02, S. 16.
6 Vgl. dazu näher Flessner, IPRax 1997, 1 (3); Geimer, Rz. 3436 ff.; krit. dazu Schollmeyer, IPRax
1995, 150 ff.
7 Geimer, Rz. 3438; Schack, Rz. 1165; s. auch LG Stuttgart v. 30.12.1999 – 10 T 326/99, ZIP 2000,
1122 = EWiR 2000, 523 (LS) m. Anm. Mankowski (Internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte für ein Partikularinsolvenzverfahren betr. das deutsche Wohnhaus eines mit Wohnsitz in
Spanien verstorbenen deutschen Erblassers bejaht).

708 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.614 § 6

genheitsstaaten sei für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens kaum noch angemessen
zu bewältigen1. Wird aber in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 EuInsVO für die Eröffnung
eines Partikularverfahrens stets eine Niederlassung gefordert, so besteht die Gefahr von Zu-
ständigkeitslücken in den Fällen, in denen der Schuldner zwar im Inland erhebliche Ver-
mögenswerte besitzt, gleichwohl hier aber keine Niederlassung unterhält.

Um diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, fordert § 354 Abs. 1 InsO 6.613
zwar im Regelfall zur Eröffnung eines Verfahrens im Inland eine Niederlassung des Schuld-
ners2. Daneben ist ein Partikularinsolvenzverfahren aber auch weiterhin schon dann zulässig,
wenn der Schuldner nur Vermögen im Inland hat; für diesen Fall werden lediglich die An-
tragsvoraussetzungen in § 354 Abs. 2 InsO verschärft (dazu Rz. 6.615 f.). Das Schuldnerver-
mögen muss allerdings für die Durchführung des Insolvenzverfahrens noch zur Verfügung
stehen; daher fehlt es an der nach § 354 Abs. 1 InsO eröffneten Zuständigkeit, wenn das inlän-
dische Vermögen des Schuldners vollständig für andere Berechtigte insolvenzfest beschlag-
nahmt ist3. Anders als für den Vermögensgerichtsstand in § 23 ZPO4 bedarf es im Falle des
§ 354 Abs. 1 InsO keines über die Vermögensbelegenheit hinausgehenden Inlandsbezugs5.
Über die Belegenheit von Sachen entscheidet das Recht des Lageortes. Für die Belegenheit von
Forderungen kommt es entsprechend § 23 S. 2 ZPO auf den Wohnsitz des Drittschuldners
an6; danach genügt es schon, wenn ein Masseschuldner im Inland wohnt7. Ausschließlich ört-
lich zuständig ist nach § 354 Abs. 3 S. 1 InsO das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner
seine inländische Niederlassung unterhält. Hat der Schuldner keine Niederlassung im Inland,
so ist jedes Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk Vermögen des Schuldners be-
legen ist. Das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Verfahrens beantragt worden ist,
schließt alle übrigen inländischen Gerichte aus (§ 354 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 InsO).

bb) Rechtsschutzinteresse
Zum Schutz der Gläubiger eines künftigen Hauptinsolvenzverfahrens schränkt das europäi- 6.614
sche Insolvenzrecht die Zulässigkeit der Eröffnung eines Partikularverfahrens in Art. 3 Abs. 4
EuInsVO 2015 auf Fälle ein, in denen der Antragsteller an einem solchen Verfahren ein be-
sonderes Interesse nachweist8. Ein solches Verfahren kann danach vor dem Hauptinsolvenz-
verfahren9 nur eröffnet werden, wenn

1 Vgl. etwa Schollmeyer, IPRax 1995, 150 (152).


2 „Schuldner“ im insolvenzrechtlichen Sinne bleibt freilich auch in diesem Falle die im Ausland an-
sässige natürliche oder juristische Person, nicht die deutsche Niederlassung; a.A. LG München I v.
17.7.2001 – 14 T 12250/01, IPRspr. 2001 Nr. 211. Der Begriff der „Niederlassung“ ist in § 354
Abs. 1 InsO ebenso zu verstehen wie in § 21 ZPO, vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas,
Hdb., § 130 Rz. 17; Reinhart in MünchKomm InsO, § 354 Rz. 7. Für Orientierung an Art. 2 Nr. 10
EuInsVO 2015 Kindler in MünchKomm, § 354 InsO Rz. 3.
3 OLG Karlsruhe v. 15.4.2002 – 9 W 111/01, NZI 2002, 387 = IPRax 2003, 61 (62) (m. Anm. Hau-
bold, IPRax 2003, 34).
4 Vgl. BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (92 ff.) = NJW 1991, 3092 = JZ 1992, 51 m.
Anm. Schack = IPRax 1992, 160 (m. Anm. Schlosser, IPRax 1992, 140); Hausmann in Staudinger,
Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 220 ff. m.w.N.
5 Geimer, Rz. 3459; Kindler in MünchKomm, § 354 InsO Rz. 5.
6 Aderhold, S. 209; Geimer, Rz. 3441; Trunk, S. 240 ff.
7 Schack, Rz. 1165.
8 Vgl. ErwG 37 zur EuInsVO 2015.
9 Die Schranken nach Art. 3 Abs. 4 EuInsVO 2015 gelten also nicht für Sekundärinsolvenzverfahren
i.S.v. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO 2015; vgl. ErwG 18 zur EuInsVO 2000.

Hausmann | 709
§ 6 Rz. 6.614 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

– entweder die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Mitglied-
staats, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, (z.B.
wegen fehlender Insolvenzfähigkeit) nicht möglich ist (lit. a)1, oder
– die Eröffnung des Partikularverfahrens von einem Gläubiger2 beantragt wird, dessen For-
derung sich aus dem Betrieb einer Niederlassung ergibt oder damit in Zusammenhang
steht, die sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats befindet, in dem die Eröffnung des Par-
tikularverfahrens beantragt wird (lit. b).

6.615 Demgegenüber sind Gläubiger nach autonomem Recht uneingeschränkt berechtigt, ein in-
ländisches Partikularverfahren zu beantragen, wenn der Schuldner eine Niederlassung im In-
land hat; es gelten insoweit die gleichen Erfordernisse wie für die Beantragung eines Hauptin-
solvenzverfahrens (dazu Rz. 6.539 ff.). Beruht die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte hingegen nach § 354 Abs. 1 InsO auf der bloßen Belegenheit von Schuldnerver-
mögen im Inland, so ist der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung eines Partikularverfahrens
nach § 354 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn dieser ein besonderes Interesse an der Eröffnung
des Verfahrens hat; ein solches ist insbesondere dann gegeben, wenn der Gläubiger in einem
ausländischen (Haupt- oder Neben-)Verfahren voraussichtlich erheblich schlechter stehen
würde als in dem inländischen Partikularverfahren3 oder wenn zweifelhaft ist, ob im Wohn-
sitzstaat des Schuldners überhaupt ein Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt werden kann4.
Durch die ausschließliche Erwähnung des Gläubigerantrags wird klargestellt, dass der Schuld-
ner nicht berechtigt ist, ein unabhängiges Partikularverfahren zu beantragen5. Liegen Insol-
venzeröffnungsgründe vor, so soll der Schuldner ein Hauptinsolvenzverfahren am Mittelpunkt
seiner hauptsächlichen Interessen beantragen und „nicht versuchen, die Unternehmung von
ihren Rändern her zu liquidieren“6. Um dem Gericht die Prüfung des Gläubigerantrags zu
erleichtern, sind die Tatsachen, aus denen sich das besondere Interesse des Gläubigers an ei-
nem Partikularverfahren ergibt, glaubhaft zu machen (§ 354 Abs. 2 S. 2 InsO).

cc) Deckung der Verfahrenskosten


6.616 Auch ein Partikularinsolvenzverfahren kann im Inland nur eröffnet werden, wenn zumindest
die Verfahrenskosten gedeckt sind (vgl. § 26 InsO). Anders als im Hauptinsolvenzverfahren
kann dabei nicht auf das weltweite Vermögen des Schuldners abgestellt werden; vielmehr
muss allein dessen inländisches Vermögen die voraussichtlichen Verfahrenskosten decken7.
Über die Belegenheit eines Vermögensgegenstandes im Inland entscheidet nach Art. 2 Nr. 9
EuInsVO 2015 bei körperlichen Gegenständen der Lageort, bei eintragungspflichtigen Rech-

1 Das Hauptinsolvenzverfahren muss objektiv unmöglich sein; es reicht hierfür nicht aus, dass ledig-
lich eine bestimmte Person keine Antragsbefugnis hat, vgl. EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ECLI:
EU:C:2011:743 (Zasa Retail), NZI 2012, 101; Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 73.
2 Der Begriff „Gläubiger“ in Art. 3 Abs. 4 EuInsVO 2015 umfasst nicht Behörden eines Mitglied-
staats, die nur im Auftrag der Allgemeinheit handeln, vgl. EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ECLI:
EU:C:2011:743 (Zaza Retail), Slg. 2011 I, 11525 (Rz. 27 ff.) = ZIP 2011, 2415.
3 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 124 f.; Kindler in MünchKomm, § 354
InsO Rz. 7; Torz, S. 196 ff.; zu restriktiv Liersch, NZI 2003, 302 (309).
4 Vgl. LG Göttingen v. 6.12.2010 – 74 IE 1/10, NZI 2011, 160 (Thailand).
5 Schack, Rz. 1246.
6 Regierungsbegründung zu § 354 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 31 f.; dazu auch OLG Köln v.
23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (61) m.w.N.
7 Aderhold, S. 210 (215); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 155; Geimer,
Rz. 3440.

710 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.618 § 6

ten der Registerort und bei Forderungen der Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses des
Drittschuldners i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Für das autonome Recht gilt im Ergebnis nichts
anderes1.

c) Beschränkung auf das Inlandsvermögen


Die Wirkungen eines Partikularverfahrens sind nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO auf das Ge- 6.617
biet des Mitgliedstaats beschränkt, in dem der Schuldner seine Niederlassung hat. Daher kann
der Verwalter eines inländischen Partikularverfahrens vor deutschen Gerichten keine Forde-
rungen des Gemeinschuldners gegen Drittschuldner mit Wohnsitz in einem anderen Mit-
gliedstaat einklagen2. In gleicher Weise beschränkt sich das Verfahren auch nach autonomem
Recht auf das Inlandsvermögen, § 354 Abs. 1 InsO. Diesbezüglich hat das Partikularverfahren
Vorrang vor dem ausländischen Hauptverfahren und steht der Anerkennung von dessen Wir-
kungen im Inland entgegen. Teilnahmeberechtigt an einem solchen Verfahren sind freilich
nicht nur die inländischen, sondern auch die ausländischen Gläubiger; dabei kommt es nicht
darauf an, dass ihre Forderungen gerade einen Bezug zum Inlandsvermögen des Schuldners
haben3.

d) Befugnisse des Insolvenzverwalters


Dementsprechend sind auch die Befugnisse des Verwalters in einem inländischen Partikula- 6.618
rinsolvenzverfahren grundsätzlich auf das Inland beschränkt. Gewisse Mindestbefugnisse auf
dem Gebiet anderer Mitgliedstaaten billigt jedoch das europäische Insolvenzrecht auch dem
Verwalter eines Partikularverfahrens in Art. 21 Abs. 2 EuInsVO 2015 zu. Danach darf dieser
in jedem anderen Mitgliedstaat gerichtlich und außergerichtlich geltend machen, dass ein be-
weglicher Gegenstand nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Gebiet des Staates der
Verfahrenseröffnung in das Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats verbracht worden ist. Er
kann daher dort auf Herausgabe dieses Gegenstandes klagen oder eine den Interessen der
Gläubiger dienende Anfechtungsklage erheben.

III. Ausländisches Insolvenzverfahren mit Inlandsbezug


Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515.
1. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuInsVO: Ackmann/Wenner, Auslandskonkurs und Inlands-
prozess: Rechtssicherheit contra Universalität im deutschen internationalen Konkursrecht?, IPRax
1989, 144; Ackmann/Wenner, Inlandswirkung des Auslandskonkurses: Verlustscheine und Restschuld-
befreiungen, FS Baumgärtel (1990), S. 209; Ahrens, Rechte und Pflichten ausländischer Insolvenzver-
walter im internationalen Insolvenzrecht (2002); Cooper/Jarvis, Recognition and Enforcement of
Cross-Border Insolvency (1996); Ebenroth, Die Inlandswirkungen der ausländischen lex fori concur-
sus bei Insolvenz einer Gesellschaft, ZZP 101 (1988), 121; Ehricke, Zur Anerkennung einer in
Deutschland erteilten Restschuldbefreiung, IPRax 2002, 505; Flessner, Ausländischer Konkurs und in-
ländischer Arrest, iFS Merz (1992), S. 93; Flessner, Das amerikanische Reorganisationsverfahren vor
deutschen Gerichten, IPRax 1992, 151; Garasić, Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren, 2

1 Aderhold, S. 209; Geimer, Rz. 3441; dazu näher Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130
Rz. 129 ff.; Kindler in MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 17 ff.
2 KG v. 21.7.2011 – 23 U 97/09, ZIP 2011, 1730 = IPRax 2012, 362 (m. Anm. Pieckenbrock, IPRax
2012, 337).
3 BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 230/90, NJW 1992, 624 = ZIP 1991, 1014 = JZ 1992, 264 m. Anm.
Paulus; Geimer, Rz. 3437.

Hausmann | 711
§ 6 Rz. 6.618 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Bde. (2005); Gottwald, Auslandskonkurs und Registereintragung im Inland, IPRax 1991, 168; Gott-
wald, Gewillkürte Prozessstandschaft kraft Ermächtigung eines ausländischen Konkursverwalters,
IPRax 1995, 157; Gottwald/Pfaller, Aspekte der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren im In-
land, IPRax 1998, 170; Grasmann, Inlandswirkungen des Auslandskonkurses über das Vermögen ei-
nes im Konkurseröffnungsstaat ansässigen Gemeinschuldners, KTS 1990, 157; E. J. Habscheid, § 240
ZPO bei ausländischen Insolvenzen und die Internationalität des Konkurses, KTS 1998, 183; E. J. Hab-
scheid, Die Anerkennung des schweizerischen Konkursverlustscheins in Deutschland und des Auszugs
aus der Konkurstabelle in der Schweiz, KTS 2001, 251; Hanisch, Nochmals: Schweizerische Konkurs-
verlustscheine im deutschen Prozess, IPRax 1993, 297; Homann, System der Anerkennung eines aus-
ländischen Insolvenzverfahrens und die Zulässigkeit der Einzelrechtsverfolgung (2000); Homann, Sys-
tem der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, KTS 2000, 343; Leipold,
Ausländischer Konkurs und inländischer Zivilprozess – Harmonie oder Dissonanz in der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs?, FS Schwab (1990), S. 189; von Oertzen, Inlandswirkungen eines Aus-
landskonkurses (Diss. Mainz 1990); Otte, Inländischer einstweiliger Rechtsschutz bei Auslandskonkurs
– ein neuer internationaler Justizkonflikt?, RabelsZ 58 (1994), 292; Reinhart, Zur Anerkennung aus-
ländischer Insolvenzverfahren, ZIP 1997, 1743; H. Roth, Auslandskonkurs und individuelle Rechtsver-
folgung im Inland, IPRax 1996, 324; Schollmeyer, Diskriminierung deutscher Gläubiger in amerikani-
schen Insolvenzverfahren?, ZZP 108 (1995), 525; Schollmeyer, § 240 ZPO und Auslandskonkurs,
IPRax 1999, 26; Schollmeyer, Vollstreckungsschutz kraft ausländischen Insolvenzrechts und Inlands-
klausel, IPRax 2003, 227; Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer, ins-
besondere US-amerikanischer insolvenzrechtlicher Entscheidungen in Deutschland, DZWiR 2001,
412; Sonnentag, Auslandskonkurs und Anfechtung im Inland, IPRax 1998, 330; Stadler, Zur Anerken-
nung ausländischer Zwangsvergleiche, IPRax 1998, 91; Summ, Anerkennung ausländischer Konkurse
in der Bundesrepublik Deutschland (1992); Trunk, Dogmatische Grundlagen der Anerkennung von
Auslandskonkursen, KTS 1987, 415; Trunk, Auslandskonkurs und inländische Zivilprozesse, ZIP 1989,
279; Trunk, Recognition of a Foreign „Automatic Stay“ in Bankruptcy: The Position of Germany,
France and the United States, Int. Insolv. Rev. 1994, 145; Ch. Wolf, Erlöschen von Kreditsicherheiten
Dritter nach US-amerikanischem Insolvenzrecht und Wirkungsanerkennung im Inland, IPRax 1999,
444.
2. Zur EuInsVO und zum IIR-G 2003: Ambach, Reichweite und Bedeutung von Art. 25 EuInsVO
(2009); Deren, Unterbrechungswirkung eines schweizerischen Konkurses im deutschen Zivilprozess,
IPRax 2014, 386; Duursma/Duursma-Kepplinger, Gegensteuerungsmaßnahmen bei ungerechtfertigter
Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, DZWiR 2003, 447;
Freitag/Korch, Gedanken zum Brexit – Mögliche Auswirkungen im Internationalen Insolvenzrecht,
ZIP 2016, 1849; Freitag/Leible, Justizkonflikte im Europäischen Internationalen Insolvenzrecht und
(k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Garasic, Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren: ein Vergleich
des kroatischen, des deutschen und des schweizerischen Rechts sowie der Europäischen Verordnung
über Insolvenzverfahren, des Istanbuler Übereinkommens und des UNCITRAL-Modellgesetzes
(2005); Graf, Die Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheidungen (2003); Jacoby, Der ordre-pu-
blic-Vorbehalt beim forum shopping im Insolvenzrecht, GPR 2007, 200; Knof, Der ordre public-Vor-
behalt nach Art. 26 EuInsVO: eine Allzweckwaffe gegen forum shopping im europäischen Insolvenz-
recht?, ZInsO 2007, 629; Koller, Zielkonflikt im europäischen Insolvenzrecht: Präventive Sanierung
versus territoriale Liquidation, IPRax 2014, 490; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas (Hrsg.), Insol-
venzrechtshandbuch, 6. Aufl. 2020, § 132; Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Aner-
kennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS von Hoffmann
(2011), S. 683; Mehring, Die Durchsetzung von Ansprüchen trotz Restschuldbefreiung nach eng-
lischem oder französischem Recht, ZInsO 2012, 1247; Paulus, Das inländische Parallelverfahren nach
der europäischen Insolvenzverordnung, EWS 2002, 497; Rossbach, Europäische Insolvenzverwalter in
Deutschland (2006); Saenger/Klockenbrink, Anerkennungsfragen im internationalen Insolvenzrecht
gelöst?, EuZW 2006, 363; Würdinger, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im europäi-
schen Insolvenzrecht, IPRax 2011, 562.

712 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.621 § 6

1. Universalitätsprinzip
Das deutsche internationale Insolvenzrecht geht heute in § 343 InsO vom Grundsatz der An- 6.619
erkennung gleichwertiger ausländischer Insolvenzverfahren und der in ihrem Rahmen getrof-
fenen Entscheidungen aus, billigt also dem ausländischen Verfahren grundsätzlich die gleiche
universelle Geltung zu, die es für seine eigenen Verfahren in Anspruch nimmt (dazu
Rz. 6.590 f.)1. Der gleichen Zielsetzung ist auch die EuInsVO verpflichtet, die durch die Erstre-
ckung der Wirkungen des in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens auf alle an-
deren Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 das Funktionieren des
europäischen Binnenmarkts sicherstellen möchte. Die Anerkennung eines ausländischen In-
solvenzverfahrens ist allerdings mit einer erheblichen Einschränkung der eigenen Souveränität
verbunden und setzt daher ein großes gegenseitiges Vertrauen zwischen den betroffenen
Staaten voraus2. Die Besonderheit der Anerkennung ausländischer insolvenzrechtlicher Ent-
scheidungen besteht darin, dass ihre Wirkungen durch die Eröffnung von Sonderinsolvenz-
verfahren im Inland in vielfältiger Weise eingeschränkt werden können.

2. Gegenstand der Anerkennung


a) Eröffnungsentscheidung
Der Anerkennung unterliegen im autonomen wie im europäischen Insolvenzrecht nur Ent- 6.620
scheidungen in einem „Insolvenzverfahren“. Dabei ist zwischen dem Eröffnungsbeschluss
und sonstigen Entscheidungen zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu unterschei-
den.

Das europäische Insolvenzrecht setzt für die Anerkennung in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EuIns- 6.621
VO 2015 lediglich voraus, dass es sich bei dem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Ver-
fahren um ein „Insolvenzverfahren“ i.S.v. Art. 2 Nr. 4 i.V.m. der Anlage A zur EuInsVO 2015
(vgl. Rz. 6.523 f.)3 handelt; dies muss kein Hauptverfahren sein4. Es kann sich auch um ein
reines Sanierungsverfahren – wie z.B. die „amministrazione straordinaria“ des italienischen
Rechts – handeln. Auch ein in einem anderen Mitgliedstaat in Eigenverwaltung geführtes
Verfahren ist nach Art. 19 EuInsVO 2015 im Inland anzuerkennen5. Allerdings definiert die
Verordnung den Begriff „Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ nicht, weil die Voraussetzun-
gen und Förmlichkeiten der Eröffnung dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen.
Indessen hängt die Effizienz des mit der Verordnung eingeführten Systems davon ab, dass die
Verpflichtung zur Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Eröffnung des In-
solvenzverfahrens so früh wie möglich feststeht. Im Hinblick auf dieses Ziel gilt Art. 19 Abs. 1
UAbs. 1 EuInsVO 2015 nicht erst für die förmliche Eröffnungsentscheidung; ausreichend ist
vielmehr jede Entscheidung, die den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat
und durch die ein in Anhang B der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Das kann

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 2, 5; Trunk, S. 261 ff.; Wenner, Rz. 101.
2 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417
(Rz. 27) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 m. Anm. Mankowski 178; dazu Mansel/Thorn/Wagner,
IPRax 2011, 27 f.; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920; Würdinger, IPRax 2011,
562.
3 . Andere als in der Anlage A aufgeführten Verfahren können nach der Verordnung nicht aner-
kannt werden, vgl. schon zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 145.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 19 EuInsVO Rz. 5. Zur Anerkennung der Eröffnung eines Partiku-
larverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat Rz. 6.522 ff.
5 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17, BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781.

Hausmann | 713
§ 6 Rz. 6.621 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

auch ein vorläufiger Verwalter sein, wenn der Schuldner durch dessen Bestellung seine Verwal-
tungs- und Verfügungsbefugnis verliert1.

6.622 Im autonomen Insolvenzrecht fehlt es an einer dem Anhang A zur EuInsVO 2015 vergleich-
baren Aufzählung der anerkennungsfähigen Verfahren. Nach der für diese Qualifikationsfrage
maßgeblichen deutschen lex fori2 muss es sich um ein – gerichtliches oder behördliches3 –
Verfahren handeln, das wegen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Gemein-
schuldners auf die Liquidation seines Vermögens in der Sphäre des Privatrechts gerichtet ist
und die Gleichbehandlung aller Gläubiger zum Ziel hat4. Die deutsche Rechtsprechung hat
sich insoweit bisher an den Merkmalen der gesetzlich geregelten deutschen Insolvenzverfah-
ren (Konkurs, Vergleich, Gesamtvollstreckung) orientiert5.
BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119 f.) = NJW 1997, 657 = ZIP 1997, 150 =
IPRax 1998, 199 (m. Anm. Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 170) = JZ 1997, 568 m. Anm. Leipold
Zur Anerkennung eines schwedischen Konkursverfahrens in Deutschland. „Der schwedische Konkurs
entspricht jedenfalls im allg. den Anforderungen, die nach den inländischen Rechtsgrundsätzen an
ein Konkursverfahren zu stellen sind. Er setzt insbesondere die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) des
Schuldners voraus und bezweckt die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger.“

6.623 Allerdings sind auch Entscheidungen über die Eröffnung solcher ausländischer Verfahren an-
erkennungsfähig, die nicht auf eine rasche Liquidation des Schuldnervermögens gerichtet
sind, sondern das Ziel der Befriedigung der Gläubiger durch Vermeidung der Insolvenz, z.B.
durch Sanierung oder Reorganisation des Unternehmens des Schuldners zu erreichen trach-
ten6. Als Insolvenzverfahren wurde daher schon seit langem das Reorganisationsverfahren
nach Chapter 11 des U.S. Bankruptcy Code angesehen7. Eine gerichtliche Entscheidung über

1 EuGH v. 2.5.2006 – C- 341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 f.)
(Rz. 45 ff., 58); ebenso schon Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113 (114); Wimmer, ZInsO 2005, 119
(126); a.A. Probst, S. 215 ff.
2 Geimer, Rz. 3360; E. Habscheid, S. 302.
3 Geimer, Rz. 3505; Wenner, Rz. 177. Vgl. zum schweiz. Recht, wo das Verfahren durch eine beson-
dere Vollstreckungsbehörde eröffnet und durchgeführt wird, Aderhold, S. 231. Zur Gleichstellung
von gerichtlichen und behördlichen Verfahren auch Art. 2 Nr. 6 lit. ii EuInsVO 2015; vgl. schon
den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 66 zur EuInsVO 2000.
4 Vgl. Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 (124); Geimer, Rz. 3361; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/
Haas, Hdb., § 132 Rz. 22 ff; Laut, S. 56 ff.; Trunk, S. 212 (267 f.); Wenner, Rz. 175.
5 Vgl. BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, NJW 2012, 2113 (Rz. 22) = ZIP 2012, 740; ferner die nach-
folgend zitierten Entscheidungen. Vgl. auch zur Qualifikation des schweiz. Konkursverfahrens als
„Konkurs im deutschen Sinne“ BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 = NJW 1993,
2312 = ZIP 1993, 1094; ebenso zur „faillite“ nach Art. 442 des luxemburg. c.com. BGH v.
13.5.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525 (2527).
6 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZinsO 2014, 2181 und v. 20. 12.2011 − VI ZR 14/11, NZI 2012,
572 (Rz. 33) (jeweils zum schwz. Nachlassverfahren, Art. 293 ff. ff. SchKG); Hessisches LAG v.
4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333 (brasilianisches Sanierungsverfahren).
7 Vgl. grundlegend BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 = WM 1990, 326 (328) = IPRax
1991, 183 (m. zust. Anm. Flessner/Schulz, IPRax 1991, 162) = JZ 1990, 654 (m. Aufs. K. Schmidt,
JZ 1990, 619) = ZZP 105 (1992), 212 m. Anm. Taupitz; BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 230/90, NJW
1992, 624 (625) = ZIP 1991, 1014 = JZ 1992, 264 m. Anm. Paulus = EWiR 1991, 1107 (LS) m.
Anm. Flessner. Ebenso wieder BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 10 ff.) = ZIP
2009, 2217 = IPRax 2011, 181 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2011, 143) = ZZP 2010, 243 m. Anm.
Paulus; BAG v. 27.2.2007 – 3 AZR 618/06, NZI 2008, 122 (Rz. 11 ff.) = ZIP 2007, 2047; OLG
Frankfurt a.M. v. 20.2.2007 – 5 U 24/05, ZIP 2007, 932; LG Frankfurt a.M. v. 13.2.1989 – 2/9 T

714 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.625 § 6

die Eröffnung wird nicht zwingend vorausgesetzt; vielmehr kann hierfür bereits der Antrag
des Schuldners ausreichen1. Auch ein Übergang der Verfügungs- und Prozessführungsbefug-
nis vom Gemeinschuldner auf einen Verwalter ist keine notwendige Voraussetzung für die
Qualifikation eines ausländischen Verfahrens als Insolvenzverfahren2.

Demgegenüber wurde eine insolvenzrechtliche Qualifikation der „administration order“ nach 6.624
englischem Recht verneint3. Ebenso wurde zum italienischen Verfahren der Unternehmens-
sanierung nach der „Legge Prodi“ entschieden, weil es sich um eine politisch motivierte Sanie-
rung zu Lasten der Gläubiger handele4. Daran kann indes nach Inkrafttreten der EuInsVO,
die diese englischen und italienischen Verfahren in ihrem Anhang A ausdrücklich nennt,
nicht mehr festgehalten werden. Grundsätzlich wird man die Qualifikation der EuInsVO in
das autonome Insolvenzrecht übernehmen können, so dass man sich auch bei der Entschei-
dung über die Anerkennungsfähigkeit drittstaatlicher „Insolvenzverfahren“ an der Vergleich-
barkeit mit den in Anhang A zur Verordnung aufgezählten Verfahren orientieren kann5. Nicht
erfasst werden aber rein private Verwertungsverfahren im Auftrag der Gläubiger6.

b) Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens


Da auch die Durchführung eines Vergleichsverfahrens im Ausland nicht staatlichen Zwecken, 6.625
sondern der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dient, galten die für die Anerkennung aus-
ländischer Konkurse entwickelten Regeln schon früher für die Anerkennung ausländischer
Vergleichsverfahren entsprechend7. Seit Inkrafttreten von Art. 102 Abs. 1 und 3 EGInsO a.F.
waren alle ausländischen „Insolvenzverfahren“ im Inland anerkennungsfähig; dazu gehörten
auch Vergleichsverfahren, die dem Ziel des § 1 InsO entsprachen8. Das Verfahren zur Erlan-
gung der gerichtlichen Genehmigung eines Vergleichsplans nach englischem Gesellschafts-
recht („scheme of arrangement“) ist allerdings kein Insolvenzverfahren und deshalb im In-

48/89, NJW 1990, 650; zust. Flessner, IPRax 1997, 1 (10); Geimer, Rz. 3362; Schack, Rz. 1216; Wen-
ner, KTS 1990, 429 (432); Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (448); ausführlich dazu Reinhart, S. 172 ff.;
a.A. noch OLG Hamburg v. 10.5.1990 – 6 U 59/90, RIW 1992, 941 = IPRax 1992, 170 (m. abl.
Anm. Flessner, IPRax 1992, 151) (Qualifikation des Verfahrens nach Chapter 11 Bankruptcy Code
als „Konkurs“ abgelehnt, weil in diesem Verfahren die Sanierung, nicht die Gläubigerbefriedigung
im Vordergrund stehe).
1 BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 20) = ZIP 2009, 2217.
2 BGH v. 13.10.2009 (vorige Fn., Rz. 13) = ZIP 2009, 2217; OLG Frankfurt a.M. v. 20.2.2007 – 5 U
24/05, ZIP 2007, 932.
3 OLG Düsseldorf v. 18.7.1997 – 22 U 271/96, NJW-RR 1998, 283; dagegen zu Recht Schack,
Rz. 1216.
4 LG München I v. 11.3.1983 – 20 T 17982/82, RIW 1984, 994; offenlassend OLG München v.
2.3.1982 – 5 U 3304/81, RIW 1983, 698; Aderhold, S. 193 f.
5 Regierungsbegründung zu § 343 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25.
6 Vgl. zum engl. Verfahren der „administrative receivership“ mit dem Ziel der Realisierung einer
„floating charge“ Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 24.
7 OLG Frankfurt v. 31.8.1995 – 16 U 111/94, WM 1995, 2079; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95,
BGHZ 134, 79 (80 ff.) = NJW 1997, 524 = IPRax 1998, 102 (m. zust. Anm. Stadler, IPRax 1998, 91
und Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 173) = JZ 1997, 415 m. Anm. Paulus = ZIP 1997, 39 (m. Aufs.
Reinhart, ZIP 1997, 1734) (norweg. Zwangsvergleich ist im Inland jedenfalls dann anzuerkennen,
wenn er auch Forderungen ausländ. Gläubiger umfasst und Auslandswirkung beansprucht); OLG
Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, RIW 1990, 142 = EWiR 1989, 1023 (LS) m. Anm. Flessner;
Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1242).
8 Vgl. i.d.S. schon die Regierungsbegründung zur InsO, BR-Drucks. 12/2443, S. 236; ferner Rein-
hart, ZIP 1997, 1734 (1735).

Hausmann | 715
§ 6 Rz. 6.625 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

land nicht nach § 343 InsO anzuerkennen1. Dies schloss bis zum Brexit eine mögliche Aner-
kennung nach Art. 36 ff. bzw. Art. 59 Brüssel Ia-VO nicht aus2.

6.626 Damit übereinstimmend erklärt auch Art. 32 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 sämtliche zur Durch-
führung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts,
dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 EuInsVO 2015 anerkannt wird, sowie einen von
einem solchen Gericht bestätigten Vergleich (z.B. einen Insolvenzplan) in den anderen Mit-
gliedstaaten der Verordnung ohne weitere Förmlichkeiten für anerkennungsfähig3. Diese Lö-
sung hat der deutsche Gesetzgeber in § 343 Abs. 2 InsO ausdrücklich in das autonome Recht
übernommen. Danach sind insbesondere auch ausländische Entscheidungen anzuerkennen, die
zugunsten des Schuldners eine Restschuldbefreiung aussprechen (dazu näher Rz. 6.737 ff.)4.

c) Sonstige, mit dem Insolvenzverfahren eng zusammenhängende Entscheidungen


6.627 Schließlich bietet die Verordnung in Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 auch eine Grund-
lage für die Anerkennung von Entscheidungen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzver-
fahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidun-
gen von einem anderen Gericht5 getroffen werden.“ Damit reagiert die Verordnung auf die
Rechtsprechung des EuGH, der solche Entscheidungen nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ aus
dem sachlichen Anwendungsbereich jenes Übereinkommens ausgenommen hatte6, und
schließt auf dem Gebiet der Anerkennung die hier bestehende Lücke7; diesen Zweck der Vor-
schrift hat der EuGH inzwischen bestätigt8. Danach sind insbesondere Entscheidungen über
Insolvenzanfechtungsklagen nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO anzuerkennen9. Die Ab-
grenzung zwischen den von Art. 32 Abs. 1 UAbs.2 EuInsVO erfassten insolvenznahen Ent-
scheidungen von solchen in allgemeinen Zivil- und Handelssachen, die nach Art. 36 ff.Brüs-

1 BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, NJW 2012, 2113 (Rz. 19 ff.) = ZIP 2012, 740 = NZI 2012, 425
m. Anm. Paulus = IPRax 2013, 264 (m. Anm. Mäsch, IPRax 2013, 234) = KTS 2013, 63 m. Anm.
Oberhammer; OLG Celle v. 8.9.2009 – 8 U 46/09, ZIP 2009, 1968; a.A. nur LG Rottweil v.
17.5.2010 – 3 O 2/08, ZIP 2010, 1964.
2 Vgl. zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132
Rz. 25 f. m.w.N.
3 Vgl. zur Anerkennung eines französischen „plan de sauvegarde“ EuGH v. 22.11.2012 – C 116/11
ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax
2014, 490).
4 Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 18; ebenso schon bisher BGH v. 27.5.1993 – IX ZR
254/92, BGHZ 122, 373 (379 f.) = NJW 1993, 2312 = ZIP 1993, 1094; BGH v. 18.9.2001 – IX ZB
51/00, NJW 2002, 960 = ZIP 2002, 365 = IPRax 2002, 525 (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505).
5 Gemeint ist ein vom Insolvenzgericht verschiedenes Gericht des Eröffnungsstaates, vgl. den Vir-
gós/Schmit-Bericht Rz. 194; Haubold, IPRax 2002, 157 (160).
6 Vgl. EuGH v. 22.2.1979 – Rs. 133/78, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 =
RIW 1979, 273; ebenso unter Geltung der Brüssel I-VO EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:
C:2009:419, (Alpenblume), Slg. 2009 I, 5655 (Rz. 20 ff.) = ZIP 2009, 1441 = IPRax 2010, 353 (m.
Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 10.9.2009 –
C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421 (Rz. 26, 33) = ZIP 2009,
2345 = RIW 2009, 798 = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324).
7 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 195; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (150). Zur Bestimmung der interna-
tionalen Entscheidungszuständigkeit für solche Verfahren näher Rz. 6.556 ff.
8 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), NJW 2009, 2189 (Nr. 25) =
ZIP 2009, 427.
9 Vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 18.

716 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.630 § 6

sel Ia-VO anzuerkennen sind, hat nach den oben zu Art. 6 EuInsVO 2015 dargestellten Krite-
rien zu erfolgen (Rz. 6.556 ff.). Nicht möglich ist hiernach allerdings die Anerkennung von
insolvenznahen Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat,
weil die einschränkende Wendung am Ende von Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO sich nur auf
die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte des nach Art. 3 EuInsVO international
allein zuständigen Eröffnungsstaates bezieht1.

d) Sicherungsmaßnahmen
Im Interesse einer effektiven Verwaltung der Insolvenzmasse ist es gerade bei grenzüberschreiten- 6.628
den Insolvenzverfahren unerlässlich, dass zügig Maßnahmen zur Sicherung des schuldnerischen
Vermögens auch schon vor Verfahrenseröffnung getroffen werden können. Aus diesem Grunde
sind nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 auch „Entscheidungen über Sicherungsmaßnah-
men“ anzuerkennen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder in Verbin-
dung damit getroffen werden (dazu Rz. 6.655 f.)2. Dies gilt auch für sog. ex-parte-Entscheidungen,
die wegen ihrer besonderen Dringlichkeit ohne Anhörung des Schuldners ergangen sind3.

Entsprechendes galt auch nach autonomem deutschen Recht schon bisher für Maßnahmen, 6.629
die ein ausländisches Gericht zur Sicherung der Insolvenzmasse vor der Verfahrenseröffnung
erlassen hatte; denn nur dies entsprach dem Verständnis von der universellen Wirkung der
entsprechenden Sicherungsmaßnahmen deutscher Gerichte (dazu Rz. 6.592 f.)4. Im Zuge der
Reform des deutschen internationalen Insolvenzrechts hat der Gesetzgeber die Anerken-
nungsfähigkeit von Sicherungsmaßnahmen, die vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens
vom ausländischen Gericht erlassen worden sind, in § 343 Abs. 2 InsO ausdrücklich bekräf-
tigt5. Hierdurch wird freilich der Erlass von Sicherungsmaßnahmen durch deutsche Gerichte
jedenfalls solange nicht ausgeschlossen, wie im Ausland noch kein anerkennungsfähiges Insol-
venzverfahren eröffnet worden ist6.

3. Voraussetzungen der Anerkennung


a) Europäisches Insolvenzrecht
aa) Anerkennung der Eröffnungsentscheidung
Die Anerkennung insolvenzrechtlicher Entscheidungen der Mitgliedstaaten beruht im Gel- 6.630
tungsbereich der EuInsVO 2015 – ähnlich wie im Rahmen der Brüssel Ia-VO – auf dem
Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.7 Demgemäß sind die zulässigen Gründe für die

1 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), RIW 2009, 234 (235 f.) (Rz. 27;
dazu näher V. Lorenz, Annexverfahren bei internationalen Insolvenzen (2005)).
2 Vgl. ErwG 16 zur EuInsVO 2000; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 86 ff.
Nach der Brüssel Ia-VO können solche Maßnahmen im Hinblick auf deren Art. 1 Abs. 2 Nr. 2
nicht anerkannt werden, weil sie von dieser Verordnung ausgeschlossene Ansprüche sichern. Zur
Vollstreckung solcher Maßnahmen vgl. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 iVm UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015.
3 Virgos/Schmit-Bericht Rz. 207.
4 Vgl. BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159 ff.) = ZIP 1992, 781.
5 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 87.
6 Schack, Rz. 1215. Zum Recht des deutschen Insolvenzgerichts zum Erlass von Sicherungsmaßnah-
men auch nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland s. Rz. 6.674 f.
7 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 427
(Rz. 27 ff.) = ZIP 2010, 187.

Hausmann | 717
§ 6 Rz. 6.630 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Nichtanerkennung auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt1. Insbesondere eine sachli-
che Nachprüfung der Entscheidung („révision au fond“) findet nicht statt2. Die Eröffnung ei-
nes Insolvenzverfahrens durch ein Gericht eines Mitgliedstaats3 ist vielmehr in allen übrigen
Mitgliedstaaten anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung
wirksam ist; hierfür ist formelle Rechtskraft nicht erforderlich4.

6.631 Vorausgesetzt wird nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 nur, dass es sich bei dem in einem
anderen Mitgliedstaat eröffneten Verfahren um ein „Insolvenzverfahren“ i.S.v. Art. 2 Nr. 4
i.V.m. der Anlage A zur EuInsVO handelt. Ferner stellt Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015
klar, dass die Anerkennung nicht deshalb versagt werden darf, weil der Schuldner (z.B. als
Nichtkaufmann) nach dem Recht des Anerkennungsstaates nicht insolvenzfähig ist. Die –
nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates vorzunehmende – Feststellung der Insol-
venz des Schuldners durch das Eröffnungsgericht ist im Interesse der von der Verordnung an-
gestrebten Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzverfahren für die Gerichte aller anderen
Mitgliedstaaten verbindlich. Letztere sind mithin zu einer eigenständigen Überprüfung der
Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners nicht berechtigt5.

6.632 Der Hauptunterschied zum autonomen Recht (dazu Rz. 6.640) besteht freilich darin, dass –
trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts von Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 („durch ein
nach Art. 3 zuständiges Gericht“) – nach dem Vorbild von Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO keine
Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsstaates stattfindet; es genügt
vielmehr, dass das eröffnende Gericht sich selbst – wenn auch möglicherweise fehlerhaft –
nach Art. 3 EuInsVO für zuständig gehalten hat6. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens

1 Vgl. ErwG 22 zur EuInsVO 2000.


2 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 27 f.) m.
Anm. Mankowski = EuZW 2015, 23 m. Anm. Schulz; Kindler in MünchKomm, Art. 19 EuInsVO
Rz. 10 m.w.N. Vgl. auch den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 202.
3 Der räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO ist – anders als auf dem Gebiet der internationa-
len Zuständigkeit (Rz. 6.529) – auf die Anerkennung von Entscheidungen aus anderen Mitglied-
staaten beschränkt. Zum weiten Begriff „Gericht“ in diesem Zusammenhang vgl. Art. 2 Nr. 6
EuInsVO 2000.
4 Vgl. Art. 2 Nr. 8 EuInsVO 2015; dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 147; Balz, ZIP 1995, 948
(951); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (145); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (286); Kindler in Münch-
Komm, Art. 19 EuInsVO Rz. 8 m.w.N.
5 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106
(Rz. 70 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490).
6 ErwG 22 a.E. zur EuInsVO 2000; vgl. EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo
Group), NZI 2014,964 (Rz. 27); EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank
Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 41) = ZIP 2012, 2403; EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:
C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 29) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m.
Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); EuGH v. 2.5.2006 – C 341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Euro-
food), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 41 f.) = ZIP 2006, 907; frz. Cass. v. 10.1.2017, unalex FR-2521; BAG v.
20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 26) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; BAG v.
25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 44) = ZIP 2013, 1982; OLG Frankfurt a.M. v.
28.8.2012 – 5 U 150/11, ZInsO 2012, 1990; OLG Celle v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945;
LAG Hessen v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, NZI 2011, 203 m. Anm. Mankowski; OLG Wien v.
9.11.2004, NZI 2005, 56; ferner Virgós/Schmit-Bericht Rz. 202; Duursma-Kepplinger, Art. 16
EuInsVO 2000 Rz. 14; Geimer, Rz. 3514; Haubold, IPRax 2003, 34 (36); Huber, ZZP 114 (2001),
133 (145 f.); Kolmann, S. 281; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (545 f.); W. Lüke, ZZP 111 (1998),
275 (287); Schack, Rz. 1221; a.A. Ahrens, S. 285; Trunk, S. 361. Zur Konkurrenz des ausländ. mit
einem inländ. Hauptinsolvenzverfahren s. Rz. 6.676 ff.

718 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.634 § 6

verlangt dann, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten diese Entscheidung hinnehmen1.
Dies gilt selbst dann, wenn der Schuldner den Wohnsitz im Eröffnungsstaat nur zum Schein
begründet hat, um dort ein ihn begünstigendes Insolvenzverfahren durchführen zu können2.
Der Mangel der internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsstaates kann nur nach Art. 5
Abs. 1 EuInsVO 2015 mit Rechtsmitteln in dem dortigen Verfahren geltend gemacht werden3.

bb) Anerkennung sonstiger insolvenzrechtlicher Entscheidungen


Die EuInsVO 2015 regelt – wie gezeigt (Rz. 6.625 f.) – im 1. Unterabsatz ihres Art. 32 Abs. 1 6.633
auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Been-
digung eines Insolvenzverfahrens einschließlich eines gerichtlich bestätigten Vergleichs. Diese
werden, falls die Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 EuInsVO 2015 anzuerkennen ist, eben-
falls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt und nach Maßgabe der Art. 39 ff., 47 ff. Brüs-
sel Ia-VO vollstreckt (dazu Rz. 6.655 f.).4 Beides gilt nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 EuIns-
VO 2015 auch für Entscheidungen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens erge-
hen und in engem Zusammenhang damit stehen“, sowie für Entscheidungen über Sicherungs-
maßnahmen, die nach der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getrof-
fen werden (dazu Rz. 6.627 ff.). Fehlt der hinreichend enge Zusammenhang mit dem
Insolvenzverfahren, so richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen
Entscheidung gem. Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2015 allein nach der Brüssel Ia-VO. Die Verpflich-
tung zur Anerkennung besteht allerdings nicht, soweit die ausländische Entscheidung eine
Einschränkung der persönlichen Freiheit (z.B. durch zwangsweise Vorführung oder Haft)
oder des Postgeheimnisses (vgl. §§ 99, 102 InsO) zur Folge hätte; über die Anerkennung sol-
cher besonders weitreichender Wirkungen der ausländischen Entscheidung entscheidet jeder
Mitgliedstaat autonom5.

cc) Ordre public-Vorbehalt


Die Anerkennung sämtlicher insolvenzrechtlicher Entscheidungen steht allerdings auch nach 6.634
Art. 33 EuInsVO 2015 unter dem Vorbehalt des ordre public des Anerkennungsstaates. Da-
nach kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes In-
solvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entschei-

1 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417
(Rz. 27 ff.) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178); ebenso schon
EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 ff.)
(Rz. 39 ff.) = ZIP 2006, 907; ferner BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 8) m.
Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331; OLG Frankfurt v. 15.11.2015 – 15 U 46/12, IPRspr. 2015
Nr. 295; OLG München v. 25.2.2010 – 29 U 1513/07, ZIP 2010, 2118 = NZI 2010, 826 = IPRax
2011, 480 (m. Anm. Stadler IPRax 2011, 480). Angegriffen werden kann die Entscheidung mithin
nur durch Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung nach Maßgabe des nationalen Rechts
des Erststaats nach Art. 5 EuInsVO 2015, EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eu-
rofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 ff.) (Rz. 43) = ZIP 2006, 907.
2 OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP 2012, 241 = NJW 2012, 862; a.A. AG Göttingen
10.12.2012 – 74 IN 28/12, ZIP 2013, 472 = IPRax 2014, 285 (m. abl. Anm. Laukemann, IPRax
2014, 258).
3 KG v. 6.6.2018 – 22 W 22/18, ZIP 2019, 123.
4 Vgl. zur Anerkennung einer englischen Entscheidung über eine Restschuldbefreiung FG Mecklen-
burg-Vorpommern v. 28.8.2015 – 3 V 65/15, ZIP 2015, 2239.
5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 193.

Hausmann | 719
§ 6 Rz. 6.634 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt,
das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien
oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar
ist. Vom ordre public-Vorbehalt ist allerdings nur zurückhaltend Gebrauch zu machen; bloße
Abweichungen vom zwingenden deutschen Recht reichen ebensowenig aus wie die falsche
Anwendung des anwendbaren Rechts1. Ein ordre public-Verstoß einzelner Folgewirkungen
entzieht auch nicht der Anerkennung der Verfahrenseröffnung im Ausland insgesamt die
Grundlage, sondern schließt nur die Anwendung der zugrundeliegenden ausländischen Vor-
schriften aus.

6.635 Der ordre public-Vorbehalt soll insbesondere die notwendigen Teilnahmerechte von Schuld-
ner und Gläubigern am Verfahren sichern2. Insoweit sind die Grundsätze des „Krombach“-
Urteils des EuGH zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ3 auf die Auslegung von Art. 33 EuInsVO zu über-
tragen4. Danach gilt der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz, dass jedermann Anspruch
auf ein faires Verfahren hat. Dementsprechend kann dem in einem anderen EU-Mitgliedstaat
eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagt werden, wenn die Eröffnungsent-
scheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer
von diesem Verfahren betroffenen Person ergangen ist5. Das in einem anderen Mitgliedstaat
der EU eröffnete Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen einer deutschen GmbH wird
daher nicht anerkannt, wenn die Eröffnungsentscheidung unter Verletzung des rechtlichen
Gehörs des Geschäftsführers erfolgt ist6.

6.636 Hingegen darf die Vorbehaltsklausel nicht dazu genutzt werden, die Wertentscheidungen der
Verordnung zu unterlaufen. Deshalb kann die Anerkennung auch nach Art. 33 EuInsVO nicht
deshalb versagt werden, weil der Schuldner nach dem Recht des Anerkennungsstaates nicht
insolvenzfähig ist, vgl. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 20157. Ferner darf der ordre public
nicht bemüht werden, um im Ergebnis doch eine Kontrolle der internationalen Zuständig-
keit des Eröffnungsstaates durchzuführen; der Gedanke des Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO
gilt auch hier8. Auch der Umstand, dass das ausländische Insolvenzverfahren keine Mindest-

1 BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 10) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331
(unter Hinweis auf die EuGH-Rspr. zum ordre public Vorbehalt in der Brüssel I-VO); BAG v.
25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 51) = ZIP 2013, 1982; OLG Frankfurt a.M. v.
5.11.2015 – 15 U 46/12, IPRspr. 2015 Nr. 295; OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP 2012,
241 = NJW 2012, 862.
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 206; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287).
3 EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98, ECLI:EU:C:2000:164 (Krombach), Slg. 2000 I, 1935 (1946 f.) (Rz. 19,
21) = ZIP 2000, 859.
4 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417
(Rz. 34) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m. Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); dazu Man-
kowski, NZI 2010, 178.
5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3831 ff.)
(Rz. 60 ff., 67) = ZIP 2006, 907.
6 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, IPRax 2004, 431 (m. Anm. Weller, IPRax 2004, 412) =
NZI 2004, 269 m. Anm. Liersch; ebenso Paulus, ZIP 2003, 1725 (1729).
7 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 148; Duursma-Kepplinger, Art. 16 EuInsVO 2000 Rz. 25; Huber, ZZP
114 (2001), 133 (146).
8 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417
(Rz. 34) = ZIP 2010, 187 = BB 2010, 529; BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 13)
m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331; öOGH v. 17.3.2005 – 8 Ob 135/04t, unalex AT-568; OLG
Celle v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP

720 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.640 § 6

quote für Gläubiger vorsieht, begründet keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public1.
Schließlich kann auch einer weitreichenden Restschuldbefreiung nach der ausländischen lex
fori concursus die Anerkennung im Inland nicht unter Berufung auf den ordre public versagt
werden (Rz. 6.643, Rz. 6.737 ff.); etwas anderes kann aber dann gelten, wenn der Schuldner
seinen Wohnsitz nur zum Schein ins Ausland verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung fal-
scher Tatsachen den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen2.

b) Autonomes Insolvenzrecht
aa) Grundsatz
Auch wenn die Möglichkeit einer Anerkennung des in einem ausländischen Verfahren ange- 6.637
ordneten Insolvenzbeschlags schon seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 11.7.1985
allgemein bejaht wurde (dazu Rz. 6.516), muss diese Anerkennung doch – wie der BGH for-
muliert hat – „in das Gesamtgefüge der deutschen konkursrechtlichen Vorschriften und
Rechtsgrundsätze eingebettet sein“3. Die vom BGH entwickelten Voraussetzungen für eine
solche Anerkennung hatte der Gesetzgeber zunächst in Art. 102 Abs. 1 EGInsO a.F. kodifi-
ziert. Diese Vorschrift ist im Zuge der Reform des deutschen internationalen Insolvenzrechts
durch § 343 InsO abgelöst werden. Dieser bekräftigt in Abs. 1 S. 1 zunächst den Grundsatz,
dass die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland anerkannt wird. Dies
gilt nach § 343 Abs. 1 S. 2 InsO nur in zwei Fällen nicht, nämlich
(1) wenn die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zu- 6.638
ständig sind und
(2) soweit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere soweit sie mit den Grund-
rechten unvereinbar ist.

Nur aus diesen beiden Gründen darf ferner auch Maßnahmen des ausländischen Insolvenz- 6.639
gerichts zur Sicherung des im Inland belegenen Schuldnervermögens sowie Entscheidungen
zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten ausländischen Insolvenzverfahrens die
Anerkennung versagt werden (§ 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 InsO).

bb) Internationale Zuständigkeit


Um sicherzustellen, dass das im Inland befindliche Vermögen des Schuldners nur dann von 6.640
einem ausländischen Insolvenzverfahren erfasst wird, wenn hinreichende Beziehungen zum

2012, 241 = NJW 2012, 862; OLG Wien v. 9.11.2004, NZI 2005, 56; Eidenmüller, NJW 2004, 3455
(3457); Herchen, ZInsO 2004, 61 (65); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146); Leible/Staudinger, KTS
2000, 533 (568); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); aA AG Nürnberg v. 15.8.2006 – 8004 IN
1326-1331/06, ZIP 2007, 81 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 185 (m. Aufs. Andres/Grund, NZI
2007, 137). Vgl. auch Rz. 6.632.
1 OLG Celle v. 7.1.2010 – 6 U 60/09, IPRax 2011, 186 (m. Anm. Weller, IPRax 2011, 150) (Verlust
des Rechts auf Geltendmachung von Forderungen gegen den Schuldner persönlich nach Einstel-
lung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gem. französischem Recht).
2 LG Köln v. 14.10.2011 – 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119 = NZI 2011, 957 m. Anm. Mankowski; LG
Göttingen v. 10.12.2012 – 74 IN 28/12, NZI 2013, 206.
3 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (269 f.) = ZIP 1985, 944; ebenso OLG Köln v.
20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (328).

Hausmann | 721
§ 6 Rz. 6.640 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Schuldner und dessen Vermögen bestehen, muss die das Verfahren eröffnende Stelle aus deut-
scher Sicht international zuständig sein. Entsprechend dem auch hier geltenden allgemeinen
Grundsatz des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts kommt es darauf an, dass das
ausländische Gericht in spiegelbildlicher Anwendung der deutschen Vorschriften zuständig
war1. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner im Gebiet des Eröffnungsstaates den „Mittelpunkt
seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit“, hilfsweise seinen allgemeinen Gerichtsstand
hat (§ 3 Abs. 1 InsO, §§ 12–17 ZPO; dazu Rz. 6.580 ff.)2. Ist im Eröffnungsstaat nur Vermögen
des Schuldners belegen, so wird die Anerkennung des dortigen Insolvenzverfahrens auf dieses
Vermögen beschränkt (dazu Rz. 6.654)3. Geht man allerdings – mit der hier vertretenen An-
sicht (Rz. 6.580) – auf dem Gebiet der internationalen Entscheidungszuständigkeit von einer
allseitigen Geltung des Art. 3 EuInsVO aus, so ist diese Vorschrift spiegelbildlich auch im Rah-
men der Prüfung der Anerkennungszuständigkeit drittstaatlicher Gerichte zugrunde zu le-
gen4.

cc) Wirksamkeit und Universalität der Entscheidung


6.641 Damit Wirkungen der ausländischen Entscheidung über die Verfahrenseröffnung überhaupt
auf das Inland erstreckt werden können, muss diese Entscheidung nach der ausländischen lex
fori concursus wirksam sein5. Bloße Fehlerhaftigkeit der ausländischen Entscheidung hindert
die Anerkennung hingegen nicht, weil auch insoweit eine „révision au fond“ nicht stattfindet6.
Auch in formelle Rechtskraft braucht die Entscheidung nicht erwachsen zu sein, weil andern-
falls der Zweck der Anerkennung – nämlich die unverzügliche Beschlagnahme des inländi-
schen Vermögens des Schuldners und der Ausschluss seiner Verfügungsbefugnis – gefährdet
wäre7. Darüber hinaus muss der Eröffnungsstaat seinem Insolvenzverfahren universelle Wir-
kung beilegen, diese also nicht auf das im eigenen Hoheitsgebiet belegene Vermögen be-

1 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (Rz. 39) = ZIP 2012, 1527; Geimer, Rz. 3406,
3514; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 30; Schack, Rz. 1221; Trunk, S. 268 ff.;
ebenso die frühere Rspr. zu §§ 237, 238 KO, vgl. BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256
(270) = ZIP 1985, 944; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (375) = NJW 1993,
2312 = ZIP 1993, 1094; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120) = ZIP 1997,
150; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142; OLG Köln v.
20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (328); OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90,
IPRspr. 1990 Nr. 254b.
2 Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333; vgl. auch die Regierungsbegrün-
dung zu § 343 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132
Rz. 30. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das ausländ. Recht Vorkehrungen
gegen die rechtsmissbräuchliche Erschleichung eines Gerichtsstands oder gegen die Ausnutzung
eines „forum non conveniens“ getroffen hat, vgl. BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 96 =
ZIP 2002, 365 = IPRax 2002, 525 (226) (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505). Zum Problem der
Zuständigkeitserschleichung in diesem Zusammenhang Haubold, IPRax 2003, 34 (39).
3 Zur Konkurrenz mehrerer ausländ. Staaten zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens s.
Rz. 6.683.
4 So auch Graf, S. 249 ff.; für Anwendung von § 3 InsO hingegen Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/
Haas, Hdb., § 133 Rz. 30 ff, 33.
5 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = ZIP 1985, 944; OLG Saarbrücken v.
31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142; Geimer, Rz. 3511.
6 Aderhold, S. 198; Ehricke, IPRax 2002, 505 (506); Geimer, Rz. 3511.
7 Geimer, Rz. 3512; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 15; Trunk, S. 273; Wen-
ner, Rz. 192.

722 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.643 § 6

schränken1. Dabei ist nicht nur zu prüfen, ob das fremde Recht überhaupt das in Deutschland
belegene Vermögen des Schuldners erfassen will; vielmehr kommt es darauf an, dass gerade
diejenige Wirkung des ausländischen Insolvenzverfahrens auf das Inland erstreckt wird, um
deren Anerkennung es im konkreten Fall geht2.

dd) Vereinbarkeit mit dem inländischen ordre public


Schließlich darf die Anerkennung nach § 343 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht zu einem Ergebnis füh- 6.642
ren, das „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist“3.
Dies ist auf zwei Ebenen zu prüfen: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob bereits die
Eröffnung selbst an so schwerwiegenden Verfahrensmängeln leidet, dass sie mit grundlegen-
den deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht in Einklang steht. Dies kommt insbesondere
in Betracht, wenn rechtsstaatliche Mindestgarantien – etwa im Hinblick auf die Publizität des
Verfahrens oder den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs4 – nicht beachtet wurden.
In einem solchen Fall entfaltet das ausländische Verfahren im Inland keinerlei Wirkungen5.

Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public, der stets eine hinreichende Inlandsbeziehung 6.643
des Sachverhalts erfordert, kann ferner dadurch begründet sein, dass das anzuwendende aus-
ländische Insolvenzrecht Folgewirkungen der Insolvenzeröffnung anordnet, die aus deut-
scher Sicht nicht hingenommen werden können. In einem solchen Fall wird die Anerkennung
der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens als solche nicht in Frage gestellt, son-
dern es werden nur einzelne seiner – vor allem materiell-rechtlichen – Wirkungen aus-
geschlossen6. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen private Gläubiger im Verhältnis zum

1 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZIP 2014, 1997 (Rz. 55 ff.); BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11,
NZI 2012, 572 (Rz. 37) = ZIP 2012, 1527; OLG Rostock v. 13.4.2006 – 7 U 108/03, NJOZ 2007,
2532 (Polen); ebenso schon zur KO BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (264 f.) =
ZIP 1985, 944; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (376 ff.) = ZIP 1993, 1094 (zum
früheren schweiz. Recht); BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 197 (203) = ZIP 1994,
547; Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (536 f.); Aderhold, S. 169; Geimer, Rz. 3512a; Kolmann/Ch.
Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 7; Graf, S. 286 ff.; E. Habscheid, S. 7; Schack, Rz. 1217;
Wenner, Rz. 203 ff. Eine solche Erstreckung der Wirkungen von Entscheidungen ihrer eigenen Ge-
richte über die Eröffnung eines Primärinsolvenzverfahrens auf das im Ausland belegene Schuld-
nervermögen beanspruchen heute die Rechte der meisten Staaten; vgl. BGH v. 13.5.1997 – IX ZR
309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.7.1997 – 8 Ta 94/97, RIW
1998, 633; (2527); OLG Zweibrücken v. 17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648; (alle zu Luxem-
burg); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119 f.) = ZIP 1997, 150 und OLG
Köln v. 26.2.1997 – 27 U 63/96, IPRspr. 1997 Nr. 217 (Schweden); OLG München v. 24.1.1996 –
25 W 2281/95, ZIP 1996, 385 = RIW 1996, 333 (Italien); OLG Düsseldorf v. 17.8.1982 – 8 W 31/
82, ZIP 1982, 1341 und v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b (Niederlande); LG Köln
v. 27.10.1988 – 86 O 68/88, KTS 1989, 273 m. Anm. Werres (Belgien); abweichend etwa § 3 der
japan. KO und Art. 3 Abs. 1 des korean. KonkursG.
2 BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (375) = ZIP 1993, 1094 (zur Restschuldbefrei-
ung nach schweiz. Recht); Ehricke, IPRax 2002, 505 (506).
3 Ebenso schon zur KO BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = NJW 1985, 2897 =
ZIP 1985, 944; OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b.
4 Vgl. Hanisch, FS Jahr (1994), S. 455 (473); Geimer, Rz. 3516; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/
Haas, Hdb., § 132 Rz. 37.
5 BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 21 f.) = ZIP 2009, 2217 = IPRax 2011, 181
(m. Anm. Brinkmann, IPRax 2011, 143).
6 BGH v. 13.9.2009 – v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 24) = ZIP 2009, 2217.

Hausmann | 723
§ 6 Rz. 6.643 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Schuldner unerträglich zurückgesetzt1 oder deutsche Gläubiger unter Verstoß gegen Art. 3
GG diskriminiert werden2. Die Anordnung des Erlöschens von Forderungen im Falle unter-
bliebener Anmeldung reicht hingegen für einen ordre public-Verstoß nicht aus, weil sie auch
dem deutschen Recht bekannt ist3. Auch die Anerkennung einer weitergehenden Restschuld-
befreiung nach ausländischem Insolvenzrecht als nach §§ 286 ff. InsO verstößt nicht gegen die
deutsche öffentliche Ordnung4.

ee) Ausschluss sonstiger Anerkennungshindernisse


6.644 Die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren hängt hingegen – anders als z.B. in der
Schweiz (Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG) – nicht von der Verbürgung der Gegenseitigkeit ab.
§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO findet mithin, wie § 343 Abs. 1 S. 2 InsO klarstellt, im internationalen
Insolvenzrecht keine entsprechende Anwendung5. Dies gilt – abweichend vom früheren Recht6
– auch für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen zur Durchführung oder Beendi-
gung des Insolvenzverfahrens. Ebenso wenig wird vorausgesetzt, dass die Eröffnung des Insol-
venzverfahrens im Inland den Beteiligten bekanntgemacht worden ist7. Der inländische

1 BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (92) = NJW 1997, 524 = ZIP 1997, 39.
2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38; E. Habscheid, S. 324 ff.; Kindler in
MünchKomm, § 343 InsO Rz. 21 ff.; Trunk, S. 271 f.
3 Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO 2012, 1333; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7
U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142 (zum französ. InsolvenzG v. 13.7.1967); Geimer,
Rz. 3516; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38; Wenner, Rz. 199; a.A. für
Anspruchsverlust infolge unverschuldeter Unkenntnis vom Insolvenzverfahren OLG Stuttgart v.
15.1.2007 – 5 U 98/06, IPRspr. 2007 Nr. 242.
4 OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297), bestä-
tigt durch BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (379 ff.) = NJW 1993, 2312 = RIW
1993, 852 = ZIP 1993, 1994 = IPRax 1993, 402 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 385) = EWiR 1993,
803 m. Anm. Ackmann = ZEuP 1994, 301 m. Anm. Paulus = JZ 1994, 147 m. Anm. Aden (zur
Anerkennung der vollstreckungshemmenden Wirkung einer Restschuldbefreiung nach Art. 265
Abs. 2 S. 2 schweiz. SchKG bezüglich des inländ. Vermögens des Schuldners. Ordre-public-Verstoß
im Hinblick auf die damalige Parallelvorschrift in § 18 Abs. 2 S. 3 GesO abgelehnt, sofern der
Gläubiger mit seiner Forderung in zumutbarer Weise am ausländ. Verfahren teilnehmen konnte);
BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, RIW 2002, 475 = NJW 2002, 960 = IPRax 2002, 525 (m. Anm.
Ehricke, IPRax 2002, 505) = LM Nr. 11/12 zu § 237 KO m. Anm. Stadler (Restschuldbefreiung
eines deutschen Schuldners durch ein französ. Gericht anerkannt. Für einen ordre public-Verstoß
reiche es nicht aus, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz ua. auch deshalb nach Frankreich verlegt
habe, um der siebenjährigen Wohlverhaltensperiode nach deutschem Insolvenzrecht [§§ 278 Abs. 1
S. 1, 291 ff. InsO] zu entgehen). Zust. Ackmann/Wenner, IPRax 1990, 209 (213 f.); Aderhold,
S. 295 ff.; Flessner, ZIP 1989, 749 (757); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38
a.E.; Geimer, Rz. 3516; Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (449).
5 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 41; Geimer, Rz. 3510; Laut, S. 98 ff.;
Schack, Rz. 1222; ebenso schon zur KO BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094 = IPRax
1993, 402 (403); BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (90) = NJW 1997, 524 = ZIP
1997, 39; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120) = NJW 1997, 657 = ZIP 1997,
150; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1195; Aderhold, S. 198; Ebenroth, ZZP
101 (1988), 121 (131); Gottwald, IPRax 1995, 157; Lüke, KTS 1986, 1 (16); Riegel, S. 86 f.; Summ,
S. 39 f.
6 Vgl. Geimer, Rz. 3523.
7 Geimer, Rz. 3528; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 43; Schack, Rz. 1220;
Trunk, KTS 1987, 424 ff.; Wenner, Rz. 202; einschränkend LG München I v. 2.12.1986 – 32 S
11420/86, WM 1987, 222.

724 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.646 § 6

Rechtsverkehr wird aber vor den Rechtsfolgen eines unbekannten Insolvenzverfahrens im


Ausland in gewissem Umfang geschützt (dazu Rz. 6.741 ff.). Schließlich ist die mangelnde In-
solvenzfähigkeit des Schuldners nach dem Recht des Anerkennungsstaates auch nach auto-
nomem Insolvenzrecht kein Anerkennungshindernis1.

4. Rechtswirkungen der Anerkennung


a) Erstreckung der Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens
aa) Allgemeines
Im Rahmen des europäischen Insolvenzrechts gilt der Grundsatz der Wirkungserstreckung2. 6.645
Es erfolgt also – anders als etwa im schweizerischen Recht (Art. 17 Abs. 2 IPRG) – keine
Gleichstellung der Wirkungen des ausländischen mit einem inländischen Insolvenzverfahren;
vielmehr werden nach Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 alle – prozessualen
wie materiellen – Wirkungen, die das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung dem
dort eröffneten Hauptinsolvenzverfahren beilegt, in allen anderen Mitgliedstaaten auto-
matisch anerkannt, solange dort kein Partikularinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuIns-
VO eröffnet wird3.

Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt nach § 343 Abs. 1 S. 1 InsO auch im autonomen 6.646
deutschen IIR4. Ist die ausländische Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens im Inland anerkennungsfähig, so werden ihre Wirkungen mithin nach Maßgabe der aus-
ländischen lex fori concursus (§ 335 InsO) auf das Inland erstreckt5. Dies gilt – in den Grenzen
des deutschen ordre public (Rz. 6.642 f.) – auch für solche Wirkungen der Eröffnungsent-
scheidung, die dem inländischen Insolvenzrecht nicht bekannt sind6. Voraussetzung ist aller-
dings, dass es sich um Wirkungen handelt, die „konkurszweckorientiert“ sind7. Ist dies der
Fall, so macht es – vorbehaltlich der in Rz. 6.697 ff. behandelten Einschränkungen durch Son-
deranknüpfungen – keinen Unterschied, ob es sich um verfahrensrechtliche oder materiell-
rechtliche Wirkungen handelt8. Für sonstige anerkennungsfähige Entscheidungen, die nach
Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit diesem ergingen,

1 Schack, Rz. 1221 a.E.


2 Geimer Rz. 3366, 3511; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 10; Huber, ZZP 114
(2001), 133 (147); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1614); Wenner, Rz. 219. Der Virgós/Schmit-Bericht
Rz. 153 spricht vom „Modell der Ausdehnung“.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 20 EuInsVO Rz. 10; Reinhart, ZIP 1997, 1735 (1737).
4 Vgl. dazu näher E. Habscheid, S. 314 ff.; Trunk, S. 263 ff.; ferner Geimer, Rz. 3511; Schack, Rz. 1217;
Kindler in MünchKomm, § 343 InsO Rz. 34 m.w.N.
5 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 39) = ZIP 2013, 1982; BAG v. 13.12.2012 – 6
AZR 608/11, NJOZ 2013, 1232 (Rz. 28); Geimer, Rz. 3501; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas,
Hdb., § 132 Rz. 47; Kindler in MünchKomm, § 343 InsO Rz. 34; Reinhart, ZIP 1997, 1735 (1757);
ebenso schon früher BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261, 273) = ZIP 1985, 944;
BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (203) = ZIP 1994, 547 = WM 1994, 958.
6 Die Kumulationstheorie gilt also insoweit nicht, vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 132 Rz. 48; Schack, Rz. 1217; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094 = IPRax 1993,
402 (Restschuldbefreiung); anders z.B. Art. 17 Abs. 2 schweiz. IPR-G: Gleichstellung mit den Wir-
kungen eines entsprechenden inländ. Beschlusses.
7 Trunk, KTS 1987, 415 (432).
8 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZIP 2014, 1997 (Rz. 58 ff.). Die Bedeutung der Anerkennung
liegt sogar vorwiegend auf dem Gebiet des materiellen Rechts, vgl. Geimer, Rz. 3573 f., 3501; W.
Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (280 f.).

Hausmann | 725
§ 6 Rz. 6.646 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

galten demgegenüber früher die allgemeinen Grundsätze des deutschen internationalen Zivil-
prozessrechts zur Wirkungserstreckung; diese entfalteten mithin im Inland keine weitergehen-
den verfahrensrechtlichen Wirkungen als entsprechende deutsche Entscheidungen1. Da § 343
Abs. 2 InsO aber nunmehr für die Anerkennung von Entscheidungen zur Durchführung oder
Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens in vollem Umfang auf Abs. 1 verweist, rich-
ten sich jedenfalls die insolvenzrechtlichen Wirkungen dieser Entscheidungen im Inland
ebenfalls allein nach dem ausländischen Insolvenzstatut.

6.647 Die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren und der in ihrem Rahmen getroffenen
Entscheidungen setzt nach europäischem (Art. 20 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015)2 wie nach deut-
schem Insolvenzrecht – anders als z.B. in der Schweiz (Art. 166 ff. IPRG) – grundsätzlich kein
förmliches Anerkennungsverfahren voraus. Es gilt vielmehr – wie bei der Anerkennung sons-
tiger ausländischer Zivilurteile nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO oder § 328 ZPO – der
Grundsatz der automatischen Anerkennung. Jede mit der Anerkennungsfrage befasste Behörde
prüft daher die Anerkennungsvoraussetzungen incidenter in ihrem Verfahren3. Eine Ausnahme
gilt nur für die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidungen (dazu Rz. 6.655 f.).

bb) Beschlagnahme des Inlandsvermögens


6.648 Die Hauptwirkung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Insolvenz-
eröffnung besteht darin, dass auch das im Inland belegene Vermögen des Schuldners als Teil
der ausländischen Insolvenzmasse beschlagnahmt wird, vgl. § 343 Abs. 1 InsO4. Die auslän-
dische lex fori concursus entscheidet daher auch über die Reichweite des Insolvenzbeschlags,
dh. über die Abgrenzung des insolvenzfreien Vermögens des Schuldners zur Insolvenzmasse
und über die Einbeziehung von erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner
erworbenen Rechten in dieses Verfahren (Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015; § 335 InsO)5.
Gleiches gilt auch für die (Vor-)Frage, ob ein bestimmter Gegenstand der Zwangsvollstre-
ckung unterliegt (vgl. § 36 InsO)6.

1 Schack, Rz. 1218.


2 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 143 und 152; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146 f.); W. Lüke,
ZZP 111 (1998), 275 (285 f.); Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428).
3 Die Regierungsbegründung zum IIR-G spricht diesbezüglich von dem „das deutsche internationa-
le Insolvenzrecht beherrschenden Grundsatz der automatischen Anerkennung“; vgl. BR-Drucks.
715/02, S. 25; ferner OLG Bamberg v. 12.2.2015 – 8 W 2/15, BeckRS 2015, 14273 = IPRspr. 2015
Nr. 284; AG Duisburg v. 13.1.2010 – 62 IE 1/10, Rpfleger 2010, 323 (Rz. 7); Reinhart in Münch-
Komm InsO, § 343 Rz. 1 und 69; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 42; Gei-
mer, Rz. 3526; Schack, Rz. 1225. Ebenso schon zum bisherigen Recht OLG Zweibrücken v.
17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648; Flessner, IPRax 1997, 1 (4); E. Habscheid, S. 316; Trunk,
S. 280 ff.; Trunk, KTS 1987, 415 (425 ff.); Wenner, Rz. 164.
4 Flessner, IPRax 1997, 1 (5); Geimer, Rz. 3387; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132
Rz. 50; Schack, Rz. 1227; ebenso schon zur KO grundlegend BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84,
BGHZ 95, 256 (263 ff.) = ZIP 1985, 944; ferner BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373
(375 f.) = ZIP 1993, 1094; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994,
547; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (82) = ZIP 1997, 39. Zur daraus folgenden
Verfügungsbefugnis des ausländ. Insolvenzverwalters Rz. 6.660 ff.
5 Geimer, Rz. 3519; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 51; Trunk, S. 291 f.
6 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.; zu § 335 InsO); Kolmann/Ch. Keller in
Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 52; Trunk, S. 292; Wenner, Rz. 220.

726 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.651 § 6

cc) Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung


§ 237 KO erklärte noch die Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen eines Schuldners 6.649
trotz Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland ausdrücklich für zulässig. Soweit das
ausländische Insolvenzrecht daher eine Vollstreckungssperre anordnete, konnte diese Wir-
kung im Inland nicht anerkannt werden. Gleiches galt auch im Falle der Eröffnung eines Ver-
gleichsverfahrens im Ausland1. Vor allem inländische Gläubiger sollten durch die fortbeste-
hende Möglichkeit der Zwangsvollstreckung in das Inlandsvermögen des Gemeinschuldners
aus titulierten Ansprüchen privilegiert werden und zur Durchsetzung dieser Ansprüche nicht
auf das ausländische Insolvenzverfahren verwiesen werden können. § 237 KO war damit eine
gesetzliche Durchbrechung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Gläubiger2. Die Vor-
schrift war im universal ausgerichteten deutschen internationalen Insolvenzrecht ein Fremd-
körper. Deshalb hatte der Gesetzgeber schon in Art. 102 EGInsO a.F. auf eine entsprechende
Regelung verzichtet.

Ob und in welchem Umfang die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einem Vollstreckungs- 6.650
verbot bezüglich des im Inland belegenen Vermögens des Schuldners führt, bestimmt sich da-
her heute sowohl im europäischen (Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015) wie im autonomen
Insolvenzrecht (§ 335 InsO) allein nach dem Recht des ausländischen Eröffnungsstaates
(vgl. dazu schon Rz. 6.594 ff.)3. Grundsätzlich wird man – wie nach §§ 89, 90 InsO – von einer
solchen Sperre der individuellen Zwangsvollstreckung auch nach ausländischem Insolvenz-
recht regelmäßig auszugehen haben, denn sie ist in ihrem Kern für jedes Insolvenzverfahren
unverzichtbar4. Ein Gläubiger, der nach einer im Inland anerkennungsfähigen Eröffnung des
ausländischen Insolvenzverfahrens durch inländische Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Ver-
mögenswerte des Schuldners erlangt hat, muss diese dementsprechend nach Maßgabe der
ausländischen lex fori concursus an den ausländischen Insolvenzverwalter herausgeben5.

Solange nicht feststeht, ob das ausländische Insolvenzverfahren im Inland anerkennungsfähig 6.651


ist, bleiben jedoch Sicherungsmaßnahmen von Gläubigern im Inland grundsätzlich zuläs-
sig6. An deren Voraussetzungen sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen, um den
ausländischen Verwalter nicht unnötig in der Ausübung seiner Befugnisse zu behindern. Ein
Arrestgrund entfällt spätestens dann, wenn die Anerkennungsfähigkeit des ausländischen In-
solvenzverfahrens definitiv feststeht; der Arrest muss dann aufgehoben werden, weil die Mög-
lichkeit der Einzelzwangsvollstreckung, die er dem Gläubiger erhalten soll, damit endgültig
entfällt7.

1 LG Frankfurt a.M. v. 13.2.1989 – 2/9 T 48/89, ZIP 1989, 1271 = NJW 1990, 650.
2 Vgl. J. Schmidt, S. 93 ff.; Trunk, S. 307 ff.
3 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417
(Rz. 43 ff.) = ZIP 2010, 187; öOGH v. 23.2.2016 – 4 Ob 160/15f, unalex AT-1030; Ludwig, S. 105,
jeweils m.w.N.
4 Lauf, S. 134 ff.; Geimer, Rz. 3524; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 31; Kolmann/Ch.
Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 74; H. Roth, IPRax 1996, 324 (325 f.) m.w.N.
5 Vgl. i.d.S. schon früher OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b; zust.
Schack, Rz. 1229.
6 Flessner, IPRax 1997, 1 (6 f.); Geimer, Rz. 3534; E. Habscheid, S. 407 ff.; Ludwig, S. 108 ff.; H. Roth,
IPRax 1996, 324 (326); Schack, Rz. 1230; a.A. Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 (131 f.); OLG Düs-
seldorf v. 17.8.1982 – 8 W 31/82, ZIP 1982, 1341 (1342).
7 Flessner, FS Merz (1992), S. 93 (102 f.); Schack, Rz. 1230.

Hausmann | 727
§ 6 Rz. 6.652 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Schranken der Wirkungserstreckung


6.652 Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt freilich für das ausländische (Haupt-)Insolvenz-
verfahren nicht unbeschränkt. Er setzt vielmehr sowohl nach der EuInsVO (Art. 20 Abs. 1
a.E. EuInsVO 2015) als auch nach autonomem Recht voraus, dass im Inland kein Partikula-
rinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Ein solches geht daher einem – früher wie später –
eröffneten ausländischen Hauptverfahren in jedem Falle vor und hindert die Erstreckung der
Wirkungen des Hauptverfahrens auf das inländische Vermögen des Schuldners (dazu näher
Rz. 6.681 f., Rz. 6.684 f.). Darüber hinaus werden die materiellen Wirkungen eines auslän-
dischen Insolvenzverfahrens im Inland – ebenso wie die eines inländischen Insolvenzverfah-
rens im Ausland – durch die Sonderanknüpfungen in Art. 8 ff. EuInsVO 2015 bzw. §§ 336 ff.
InsO beschränkt (dazu Rz. 6.697 ff.).

b) Erstreckung der Wirkungen sonstiger, mit einem Hauptinsolvenzverfahren


zusammenhängender Entscheidungen
6.653 Ist die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland anzuerkennen, so gilt
Gleiches auch für die weiteren Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung dieses Ver-
fahrens (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 EuInsVO 2015; § 343 Abs. 1 InsO). Gemeint sind etwa Ent-
scheidungen über die Stundung von Gläubigerforderungen oder deren Erlöschen infolge ver-
späteter Anmeldung, ferner Entscheidungen über die Kürzung oder den Erlass von Gläubiger-
forderungen durch einen Sanierungs-/Insolvenzplan, sofern die Gläubiger zumindest die
Möglichkeit hatten, an dem ausländischen Verfahren teilzunehmen1, sowie Entscheidungen
über eine Restschuldbefreiung (dazu näher Rz. 6.737 ff.)2. Darüber hinaus sind auch mit dem
ausländischen Insolvenzverfahren eng zusammenhängende Entscheidungen, wie z.B. solche
über Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters, im Geltungsbereich des europäischen Insol-
venzrecht anerkennungs- und vollstreckungsfähig (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015).
Demgegenüber enthält das autonome deutsche Recht keine entsprechende Vorschrift, so dass
insoweit im Verhältnis zu Drittstaaten für die Anerkennung § 328 ZPO, für die Vollstreckung
§ 353 InsO i.V.m. §§ 722, 723 ZPO gelten.

c) Wirkungen eines ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens im Inland


6.654 Die Wirkungen eines ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens sind von vorneherein auf
das Gebiet des eröffnenden Staates beschränkt. Eine Erstreckung der Wirkungen eines sol-
chen Verfahrens auf andere (Mitglied-) Staaten kommt daher – wie Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO
2015 für das europäische internationale Insolvenzrecht klarstellt – nicht in Betracht. Der aus-
ländische Verwalter kann daher im Inland grundsätzlich keine Befugnisse ausüben. Allerdings
bestimmt Art. 20 Abs. 2 S. 1 EuInsVO 2015, dass die Wirkungen eines Partikularinsolvenzver-
fahrens in den anderen Mitgliedstaaten „nicht in Frage gestellt“ werden dürfen. Dies bedeutet
etwa, dass der Verwalter des ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens Vermögen, das nach
Eröffnung des Verfahrens aus dem Gebiet des eröffnenden Staates nach Deutschland oder in
einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden ist, für die Masse des Partikularverfahrens be-
anspruchen kann (vgl. Art. 21 Abs. 2 S. 1 EuInsVO 2015) und Rechtshandlungen, die diese
Masse verkürzen, in anderen Mitgliedstaaten anfechten kann (Art. 21 Abs. 2 S. 2 EuInsVO

1 Vgl. BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, ZIP 1997, 39 = NJW 1997, 524; Wimmer in FK-InsO,
§ 343 Rz. 27 ff.; Graf, S. 366 ff.
2 LG Aurich v. 4.11.2016 – 1 O 1079/15, unalex DE-3446. Vgl. Graf, S. 363 ff.; Kolmann/Ch. Keller
in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 92.

728 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.656 § 6

2015)1. Entsprechendes gilt auch nach deutschem autonomen Insolvenzrecht (§§ 335, 339
InsO). Die Anerkennung eines Partikularinsolvenzverfahrens in den anderen Mitgliedstaaten
wird im europäischen Insolvenzrecht allerdings durch Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 47 Abs. 2
EuInsVO zum Schutz der Gläubiger beschränkt. Danach wirken Beschränkungen der Rechte
von Gläubigern durch ein solches Verfahren – z.B. der in einem Insolvenzplan vereinbarte Er-
lass von Schulden oder eine Restschuldbefreiung – hinsichtlich des in anderen Mitgliedstaaten
belegenen Vermögens nur, wenn die Gläubiger hierzu ihre Zustimmung erteilt haben. Ist dies
nicht der Fall, so steht es den betroffenen Gläubigern frei, ihre Forderungen aus den in ande-
ren Mitgliedstaaten belegenen Vermögensgegenständen zu befriedigen (vgl. dazu näher
Rz. 6.733 ff.)2. Nach autonomem Recht ist die mit einem ausländischen Partikularinsolvenz-
verfahren verbundene Restschuldbefreiung hinsichtlich des Inlandsvermögens des Schuldners
überhaupt nicht anzuerkennen (§ 355 Abs. 1 InsO).

5. Vollstreckung insolvenzrechtlicher Entscheidungen


a) Europäisches Insolvenzrecht
Nach Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2000 wurden die Entscheidungen zur Durchfüh- 6.655
rung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens einschließlich eines vom Insolvenzgerichts
bestätigten Vergleichs3 in einem gegenüber dem nationalen Recht vereinfachten Verfahren
nach Maßgabe der Art. 38–58 Brüssel I-VO vollstreckt. Die Vollstreckbarerklärung durfte al-
lerdings – abweichend von Art. 35 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO – nicht aus den in Art. 34 und 35
Brüssel I-VO, sondern allein aus den in Art. 16, 25 Abs. 3 und 26 EuInsVO 2000 genannten
Gründen versagt werden4. An die Stelle der Brüssel I-VO ist mit Wirkung vom 10.1.2015 die
Brüssel Ia-VO getreten, die in Art. 39 das Exequaturverfahren ganz beseitigt hat; stattdessen
hat der Schuldner nur noch die Möglichkeit, die Versagung der Vollstreckung nach Art. 46 ff.
i.V.m. Art. 45 Brüssel Ia-VO zu beantragen. Dem trägt die EuInsVO 2015 in Art. 32 Abs.1 S. 2
Rechnung und verweist für die Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Be-
endigung eines Insolvenzverfahrens nunmehr auf die Art. 39 ff., 47 ff. Brüssel Ia-VO.

Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015 regelt darüber hinaus auch die Vollstreckung der 6.656
Eröffnungsentscheidung selbst in Bezug auf alle Rechtswirkungen, die über die – als solche
nicht vollstreckungsfähige – Eröffnung des Verfahrens selbst hinausgehen5. Einer solchen
Vollstreckung bedarf es insbesondere dann, wenn der Schuldner nicht freiwillig bereit ist, die
Gegenstände der Insolvenzmasse an den ausländischen Insolvenzverwalter herauszugeben.
Räumt die ausländische lex fori concursus daher dem Verwalter – wie im deutschen Recht
(§ 148 Abs. 2 InsO) – die Befugnis ein, aus dem Eröffnungsbeschluss gegen den Schuldner zu
vollstrecken, so erfolgt diese Vollstreckung ebenfalls im Wege des privilegierten Verfahrens
nach Art. 32 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2015; dies stellt Art. 102c § 10 EGInsO ausdrücklich klar.

1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 156; Balz, ZIP 1996, 948 (951); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (230);
Kindler in MünchKomm, Art. 21 EuInsVO Rz. 15; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (148 f.).
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 157; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (148 f.).
3 Als solcher ist auch die Einigung auf einen Insolvenzplan (vgl. im deutschen Recht § 207 f. InsO)
anzusehen, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 9.
4 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 192 a.E.; ferner Haubold, IPRax 2002, 157 (159); Huber, ZZP
114 (2001), 133 (149); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (566).
5 Vgl. schon zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 189; Balz, ZIP 1996, 948 (953); Hau-
bold, IPRax 2002, 157 (159); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (150).

Hausmann | 729
§ 6 Rz. 6.657 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.657 Ohne Exequaturverfahren nach Art. 39 Brüssel Ia-VO werden gem. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2
EuInsVO 2015 künftig weiterhin Annexentscheidungen vollstreckt, die „unmittelbar auf
Grund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen“. Dies
sind Entscheidungen, die – wie die Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters oder Haftungs-
ansprüche gegen den Verwalter – ein Insolvenzverfahren notwendig voraussetzen. Gleiches
gilt nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 für die Vollstreckung von Entscheidungen, die
vorläufige Sicherungsmaßnahmen anordnen. Demgegenüber verbleibt es für andere als die
in Abs. 1 genannten Entscheidungen gem. Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2015 bei den – weiterge-
henden – Versagungsgründen nach Art. 45 Brüssel Ia-VO, soweit diese Verordnung anwend-
bar ist1.

b) Autonomes Insolvenzrecht
6.658 Die erleichterten Vollstreckungsmöglichkeiten nach Art. 32 Abs. 1 EuInsVO gelten nur für
Entscheidungen aus Mitgliedstaaten dieser Verordnung. Für das autonome Recht verbleibt es
hingegen nach § 353 InsO dabei, dass die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen, die in
einem ausländischen Insolvenzverfahren ergangen sind, nur stattfindet, wenn ihre Zulässigkeit
durch ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen wird.2 Gleiches gilt wegen der Nichtanwendbar-
keit des von Dänemark mit der EU geschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsüberein-
kommens in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.20053 auf insolvenzrechtliche Streitigkeiten
(Art. 1 Abs. 2 lit. b) für die Vollstreckung von dänischen Insolvenzentscheidungen in Deutsch-
land4. Örtlich zuständig für das Vollstreckungsurteil ist jedes Gericht, in dessen Bezirk sich
Vermögen des Schuldners befindet (§ 353 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 722 Abs. 2, § 23 ZPO). Ein
solches Urteil ergeht ohne Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung
(§ 353 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 723 Abs. 1 ZPO). Demgegenüber wird § 723 Abs. 2 ZPO im Interes-
se einer zügigen Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht für anwendbar erklärt; die aus-
ländische Entscheidung braucht daher nicht rechtskräftig zu sein.

6.659 Prüfungsmaßstab für die Vollstreckbarkeit von drittstaatlichen Entscheidungen, die zur
Durchführung oder Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens ergangen sind, ist gem.
§ 343 Abs. 2 InsO der Absatz 1 dieser Vorschrift, d.h. es findet nur eine Überprüfung der
internationalen Zuständigkeit des ausländischen Gerichts und eine ordre-public-Kontrolle
statt. Gleiches gilt für die Vollstreckbarkeit ausländischer Sicherungsmaßnahmen (§ 353 Abs. 2
InsO). Darüber hinaus sollte man im Lichte der Entwicklung des europäischen Insolvenz-
rechts auch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen über Insol-
venzanfechtungsklagen nicht an § 328 ZPO messen (und damit vom Gegenseitigkeitserforder-
nis abhängig machen), sondern ebenfalls nur an § 343 Abs. 1 InsO.

1 Die Abgrenzung derjenigen Einzelklagen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens er-
gehen und in engem Zusammenhang damit stehen“ (i.S.v. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2025),
von den der Brüssel Ia-VO unterliegenden allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Verfahren ist
also nicht nur für die Frage der internationalen Zuständigkeit (dazu ausführlich Rz. 6.556 ff.), son-
dern auch für die Voraussetzungen und das Verfahren der Vollstreckung bedeutsam.
2 Vgl. Reinhart, ZIP 1997, 1734 (1738); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 93.
3 ABl. EU 2005 L 293, S. 62.
4 OLG Frankfurt v. 24.1.2005 – 20 W 527/04, ZInsO 2005, 715.

730 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.662 § 6

6. Anerkennung der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters


bezüglich des Inlandsvermögens
a) Allgemeine Voraussetzung für die Anerkennung
Die Ernennung eines Insolvenzverwalters und der Übergang der Verwaltungs- und Ver- 6.660
fügungsbefugnisse auf diesen ist eine der zentralen Wirkungen der meisten Insolvenzverfah-
ren. Bei der Anerkennung der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters hinsichtlich
des im Inland belegenen Schuldnervermögens handelt es sich daher aus deutscher Sicht um
die notwendige Folge einer Anerkennung der Beschlagnahmewirkung des ausländischen In-
solvenzverfahrens1. Daraus folgt zugleich, dass sich die Rechtsmacht des ausländischen Ver-
walters nur dann auf das Inlandsvermögen des Schuldners erstreckt, wenn die Voraussetzun-
gen für die Anerkennung der ausländischen Eröffnungsentscheidung vorliegen2.
BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549 = IPRax
1995, 168 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 157) = EWiR 1994 (LS) m. Anm. Hanisch
Das ausländische Konkursrecht regelt als Konkursstatut die Befugnisse des Konkursverwalters. Vo-
raussetzung für die Anwendbarkeit ausländischen Konkursrechts ist allerdings, dass der Auslandskon-
kurs nach den Grundsätzen über die Anerkennung von Auslandskonkursen im Inland anerkannt wer-
den kann.“

Dies gilt nicht nur nach autonomem Insolvenzrecht, sondern – trotz des insoweit irreführen- 6.661
den Wortlauts von Art. 21 EuInsVO 2015, der nur die internationale Zuständigkeit des Eröff-
nungsstaates nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erwähnt – auch nach europäischem Recht (vgl.
schon Rz. 6.602).

b) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis


Bezüglich der inländischen Befugnisse eines in einem anderen Mitgliedstaat der EuInsVO be- 6.662
stellten (Haupt-)Insolvenzverwalters zur Verwaltung und Verwertung des inländischen Ver-
mögens des Schuldners kann weitgehend auf die Ausführungen zu den umgekehrten Befug-
nissen eines deutschen Insolvenzverwalters in anderen Mitgliedstaaten der EU nach Art. 21
Abs. 1 EuInsVO 2015 verwiesen werden (vgl. Rz. 6.601 ff.). In gleicher Weise erkennt auch
das autonome deutsche Recht heute grundsätzlich die Befugnisse eines ausländischen Insol-
venzverwalters zur Sammlung und Verwertung der Insolvenzmasse an. Wann und in welchem
Umfang die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse vom Schuldner auf den Verwalter über-
gehen und welche Rechte und Pflichten der Verwalter hat, beurteilt sich nach dem Recht des
Eröffnungsstaates3. Auch wenn diese Befugnisse weiter reichen als diejenigen eines inländi-

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Schack, Rz. 1227.
2 Aderhold, S. 228; Dilger, RIW 1989, 487; Gottwald, IPRax 1991, 168. Die ältere – noch auf dem
Boden des Territorialitätsprinzips stehende – Rspr. erkannte die Handlungsbefugnis von Insol-
venzverwaltern für ausländ. Gesellschaften demgegenüber aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen
Qualifikation an, vgl. RG v. 9.11.1933, RGZ 153, 200 (205 f.); BGH v. 7.12.1961 – II ZR 11/60,
AWD 1962, 81 m. zust. Anm. Hofstetter; BPatG v. 13.9.1983 – 12 W (pat) 23/80, GRUR Int. 1984,
636; OLG Hamm v. 9.1.1984 – 8 U 161/83, ZIP 1984, 1382 = DB 1984, 1922 (m. Anm. Mohrbut-
ter, DB 1984, 2235).
3 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. c, 21 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 und § 335 InsO: Vgl. zur EuInsVO 2000
EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419, ZIP 2009, 1441 (Alpenblume), Slg. 2009 I,
5655 = IPRax 2010, 353 (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m. Anm.
Mankowski; BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 12) = ZIP 2011, 926 = NJW
2011, 1818 = IPRax 2012, 427 (m. Anm. Reinhart, IPRax 2012, 417); öOGH v. 30.1.2018 – 9 Ob

Hausmann | 731
§ 6 Rz. 6.662 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schen Insolvenzverwalters, hindert dies ihre Anerkennung im Inland grundsätzlich nicht;


Grenze ist erst der inländische ordre public. Deshalb ist auch der vom ausländischen Insol-
venzrecht als Gesamtstatut angeordnete Eigentumsübergang auf den Verwalter – z.B. auf den
trustee in bankruptcy nach englischem Recht – an im Inland belegenen Sachen anzuerken-
nen1.

6.663 Reichen die Befugnisse des ausländischen Verwalters – umgekehrt – weniger weit als nach
deutschem Recht, so sind ihm im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des deut-
schen Insolvenzrechts die weiterreichenden Befugnisse eines deutschen Insolvenzverwalters
einzuräumen, wenn das grenzüberschreitende Insolvenzverfahren nur auf diese Weise effizient
durchgeführt werden kann. Die Rechtsmacht eines englischen trustee in bankruptcy bleibt da-
her nicht hinter derjenigen zurück, die bei einem deutschen Partikularverfahren nach § 80
InsO dem deutschen Insolvenzverwalter zukommt2. Dementsprechend ist auch der adminis-
trator eines englischen Insolvenzverfahrens bei Geltung deutschen Arbeitsrechts für einen zur
Masse gehörenden deutschen Betrieb zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namens-
liste gem. § 125 InsO berechtigt3. Andererseits werden die Befugnisse des ausländischen Ver-
walters im Inland durch die Sonderanknüpfungen nach Art. 8 ff. EuInsVO bzw. §§ 336 ff.
InsO auch begrenzt (dazu Rz. 6.697 ff.).

6.664 Zwangsbefugnisse, die ihm das Recht des Eröffnungsstaates zur Erfüllung seiner Aufgaben
verleiht, kann der ausländische Insolvenzverwalter im Inland in keinem Fall ausüben4. Die
ausländische lex fori concursus entscheidet in diesem Zusammenhang auch darüber, ob die
Insolvenzmasse selbst rechts- und parteifähig ist und – wie z.B. vom administrator oder liqui-
dator nach englischem Recht – vom Verwalter vertreten wird oder ob der Verwalter – wie
nach deutschem Recht – im eigenen Namen handelt5.

6.665 Das ausländische Recht des Eröffnungsstaates bestimmt insbesondere über den Umfang der
Verfügungsbefugnisse des Verwalters und damit zugleich über Verfügungsbeschränkungen
des Schuldners. Bedarf ein ausländischer Verwalter nach diesem Recht zur Vornahme be-
stimmter Geschäfte der Genehmigung des Insolvenzgerichts oder der Gläubigerversammlung,
so bleibt es dabei auch dann, wenn der Verwalter das Geschäft im Inland vornimmt; das aus-
ländische Recht bestimmt in diesem Fall zugleich, welche Folgen ein Verstoß gegen das Ge-

65/17z, unalex AT-1156; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 159. Zum autonomen Recht BGH v. 11.7.1985
– IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261) = ZIP 1985, 944; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ
125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143,
129 (Rz. 29) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; Aderhold, S. 228 ff.; Geimer, Rz. 3506; Kolmann/
Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; E. Habscheid, S. 46; Kirchhof, WM 1993, 1364
(1368); Riegel, S. 160 ff.; Schack, Rz. 1227; Summ, S. 45 ff. m.w.N.
1 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 15, 17) = ZIP 2011, 926; Ahrens, S. 113 ff.;
Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 21.
2 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 = ZIP 2011, 926.
3 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 36 ff.) = ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011
m. Anm. Hess.
4 Art. 21 Abs. 3 S. 2 EuInsVO 2015; vgl. dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 164. Zum autonomen
Recht LG Krefeld v. 9.4.1992 – 6 T 12/92, ZIP 1992, 1407 = IPRspr. 1992 Nr. 264; Kolmann/Ch.
Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 82; Hagemann, KTS 1960, 161.
5 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (118) = ZIP 1997, 150 = NJW 1997, 657
(Konkursmasse einer schwed. Aktiengesellschaft nach schwed. Insolvenzrecht als parteifähig er-
achtet); ferner Furtak, Die Parteifähigkeit im Zivilverfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 180;
Geimer, Rz. 3472a; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Summ, S. 45.

732 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.667 § 6

nehmigungserfordernis hat. Auf die Frage, ob ein entsprechendes Geschäft auch nach deut-
schem Insolvenzrecht genehmigungspflichtig wäre, kommt es in diesem Zusammenhang nicht
an. Im Übrigen entscheidet die ausländische lex fori concursus vor allem darüber, ob und un-
ter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter massezugehörige Rechte freigeben oder
verwerten kann. In den durch das ausländische Insolvenzstatut gezogenen Grenzen kann er
daher im Inland belegene Gegenstände, die zur ausländischen Masse gehören, in Besitz neh-
men, Forderungen eintreiben, Verfügungen nach Maßgabe des jeweiligen Sachstatuts vorneh-
men und Gestaltungsrechte ausüben1. Hinsichtlich der Art und Weise der Verwertung – z.B.
durch öffentliche Versteigerung – hat der ausländische Verwalter allerdings auf das deutsche
Recht Rücksicht zu nehmen2.

c) Prozessführungsbefugnis
Auch ein vom Recht des ausländischen Eröffnungsstaates angeordneter Übergang der Prozess- 6.666
führungsbefugnis auf den Verwalter ist in einem die Masse berührenden Rechtsstreit vor in-
ländischen Gerichten zu beachten. Der ausländische Verwalter – und nicht mehr der Gemein-
schuldner – ist in diesem Falle berechtigt, zur Masse gehörende Ansprüche vor deutschen Ge-
richten einzuklagen und aus den so erlangten Titeln zu vollstrecken3. Er kann auch einer Voll-
streckung durch einzelne Gläubiger in das Inlandsvermögen des Gemeinschuldners entgegen-
treten4. Den Befugnissen des ausländischen Verwalters im inländischen Prozess sind
allerdings durch das deutsche Verfahrensrecht Grenzen gezogen.

Wird ein (Haupt-)Insolvenzverfahren im Ausland eröffnet, so ist die ausländische lex fori con- 6.667
cursus auch zur Entscheidung darüber berufen, ob und unter welchen Voraussetzungen der
Insolvenzverwalter dem Schuldner oder einem Dritten die Ermächtigung zur Prozessfüh-
rung in Bezug auf Forderungen oder Vermögensgegenstände erteilen kann, die in das auslän-
dische Insolvenzverfahren einbezogen sind. Eine hiernach wirksam erteilte Ermächtigung be-
rechtigt den Schuldner auch im Inland – in gewillkürter Prozessstandschaft – zur Prozessfüh-

1 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 81; Wenner, Rz. 220.
2 Aderhold, S. 233 f.; Geimer, Rz. 3507. Vgl. auch Art. 21 Abs. 3 EuInsVO 2015; dazu den Virgós/
Schmit-Bericht Rz. 164.
3 Vgl. zum autonomen Recht BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119) = ZIP 1997,
150 (Befugnis des schwed. Insolvenzverwalters zur Einziehung des im Inland belegenen Ver-
mögens des Gemeinschuldners sowie zur Anfechtung von dessen in Deutschland vorgenommenen
Rechtshandlungen bejaht); LG Krefeld v. 9.4.1992 – 6 T 12/92, NJW-RR 1992, 1535 = ZIP 1992,
1407 (Der von einem niederländ. Gericht bestellte Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Verwer-
tung eines in Deutschland belegenen Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung nach § 172
ZVG zu betreiben, ohne dass er hierfür eines Vollstreckungstitels bedarf.); LG Hamburg v.
2.7.1992 – 302 O 279/91, RIW 1993, 147 (zum Recht eines austral. Insolvenzverwalters, im Inland
belegenes Vermögen des Gemeinschuldners auch im Wege von Eilmaßnahmen [z.B. durch einst-
weilige Verfügung] zu sichern, um sie im ordentlichen Verfahren zur Masse zu ziehen); ferner
BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261) = ZIP 1985, 944; BGH v. 24.2.1994 – VII
ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547; Flessner, IPRax 1997, 1 (5); Geimer, Rz. 3369,
3508; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Schack, Rz. 1227; Trunk, S. 290 f.
4 Trunk in Gilles, S. 193. Gegen eine Zwangsvollstreckung in Vermögenswerte des Gemeinschuld-
ners, die der ausländ. Verwalter ins Inland gebracht hat oder die er im Inland mit Mitteln der
ausländ. Masse erworben hat, kann der Verwalter sich mit der Drittwiderspruchsklage (§ 771
ZPO) wehren, vgl. RG v. 13.4.1915, LZ 15, 1588; RG v. 13.1.1885, RGZ 14, 424 (426) und RG v.
11.6.1926, RGZ 114, 82 (84).

Hausmann | 733
§ 6 Rz. 6.667 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

rung1. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des ausländischen Insolvenzrechts auf diese Fra-
ge ist freilich wiederum, dass das ausländische Insolvenzverfahren nach den hierfür geltenden
Grundsätzen (dazu Rz. 6.630 ff.) im Inland anerkannt wird2.

d) Unterbrechung inländischer Verfahren


aa) Autonomes Insolvenzrecht
6.668 Zweifelhaft war hingegen lange Zeit, ob der Übergang der Prozessführungsbefugnis vom
Schuldner auf den ausländischen Insolvenzverwalter auch in einem anhängigen Prozess vor
deutschen Gerichten zu beachten ist. Nach dem Übergang zum Universalitätsprinzip ließ sich
die Ablehnung einer Unterbrechung inländischer Verfahren durch die Eröffnung eines auslän-
dischen Insolvenzverfahrens jedenfalls nicht mehr mit der territorial begrenzten Wirkung des
ausländischen Verfahrens begründen3. Der BGH hat indessen eine Unterbrechung inländi-
scher Prozesse durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland zunächst trotz grund-
sätzlicher Anerkennung der ausländischen Insolvenzwirkungen abgelehnt und hat dies vor al-
lem mit dem Argument der Rechtssicherheit gerechtfertigt. Diese erfordere, dass Parteien
und Gericht frühzeitig und zuverlässig Kenntnis von der Insolvenzeröffnung hätten; dies sei
aber in Bezug auf ausländische Insolvenzverfahren nicht gewährleistet4.

6.669 Macht man indessen mit der Gleichstellung von anerkennungsfähiger Auslandsinsolvenz
und Inlandsinsolvenz ernst, so muss auch ein Insolvenzverfahren im Ausland zur Unterbre-
chung von im Inland anhängigen Verfahren nach § 240 ZPO führen. Denn diese Vorschrift
soll dem mit der Insolvenzeröffnung einhergehenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis
Rechnung tragen und sowohl dem Insolvenzverwalter als auch den Parteien Gelegenheit ge-
ben, sich auf die durch die Insolvenz veränderte Lage einzustellen. Dieser Zweck trifft aber
auch für ein im Ausland eröffnetes (Haupt- oder Partikular-) Insolvenzverfahren zu, das im
Inland anzuerkennen ist. Voraussetzung ist lediglich, dass das ausländische Insolvenzrecht
einen dem deutschen Recht vergleichbaren Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den
Insolvenzverwalter vorsieht. Dieser in der Literatur5 und der Rechtsprechung der Unterge-

1 OLG Stuttgart v. 15.1.2007 – 5 U 98/06, IPRspr. 2007 Nr. 242.


2 Gottwald, IPRax 1995, 157; Prütting, ZIP 1996, 1277 (1282); vgl. auch BGH v. 24.2.1994 – VII ZR
34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 (Der in Dänemark bestellte Insolvenzverwalter über
das Vermögen eines dän. Verkäufers von Fertighäusern hatte das finanzierende Kreditinstitut zur
gerichtlichen Geltendmachung der Restvergütung für ein Einfamilienhaus gegen die in der Bun-
desrepublik Deutschland wohnhaften Erwerber ermächtigt. Zulässigkeit der gewillkürten Prozess-
standschaft nach der deutschen lex fori, Wirksamkeit der Prozessführungsermächtigung hingegen
nach der dän. lex fori concursus beurteilt.).
3 So noch BGH v. 30.5.1962 – VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511; BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76,
NJW 1979, 2477; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 31.8.1995 – 16 U 111/94, WM 1995, 2079 (nor-
weg. Vergleich).
4 BGH v. 7.7.1988 – I ZB 7/88, NJW 1988, 3096 (3097) = ZIP 1988, 1200 = RIW 1988, 817 = IPRax
1989, 162 (m. abl. Anm. Ackmann/Wenner, IPRax 1989, 144) = EWiR 1988, 1031 (LS) m. Anm.
Marotzke; zust. Riegel, RIW 1990, 549 f. Zu Recht krit. zu diesem Rechtssicherheitsargument Lei-
pold, FS Schwab (1990), S. 289 (297 ff.).
5 Für eine Unterbrechung von inländ. (Aktiv- wie Passiv-)Prozessen durch die Auslandsinsolvenz
schon die h.L. unter Geltung der KO, vgl. Ackmann/Wenner, IPRax 1989, 144 (146 f.) und IPRax
1990, 209; W. Habscheid, KTS 1990, 403 (415 f.); Riegel, RIW 1990, 546 (549 f.); ebenso seit In-
krafttreten der InsO; Geimer, Rz. 3529; Feiber in MünchKomm ZPO, § 240 Rz. 11; Greger in Zöl-
ler, § 240 ZPO Rz. 6; Schack, Rz. 1232 f.

734 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.670 § 6

richte1 vorherrschenden Ansicht hatte sich auch der BGH2 schon vor Inkrafttreten des neu-
en deutschen Insolvenzrechts angeschlossen. Im geltenden Recht stellt § 352 Abs. 1 InsO die
Unterbrechungswirkung des – anerkennungsfähigen – ausländischen Insolvenzverfahrens
ausdrücklich klar. Weil § 352 InsO die Unterbrechung selbst anordnet, handelt es sich um
eine Sachnorm, die bei Rechtshängigkeit vor deutschen Gerichten unabhängig davon ein-
greift, ob auch die drittstaatliche lex fori concursus eine Unterbrechung vorsieht3.

Die Unterbrechung des inländischen Verfahrens setzt die Verfahrenseröffnung4 im Ausland 6.670
voraus; darüber hinaus muss die Eröffnungsentscheidung im Inland anerkennungsfähig sein
und das Inlandsvermögen des Schuldners erfassen wollen5. Hingegen ist nicht zwingend erfor-
derlich, dass die ausländische lex fori concursus auch einen Wechsel der Prozessführungs-
befugnis auf den Insolvenzverwalter anordnet. Daher zieht auch die Eröffnung eines auslän-
dischen Insolvenzverfahrens mit Eigenverwaltung des Schuldners die Unterbrechungswirkung
des § 240 ZPO nach sich6. Diese dauert nach § 352 Abs. 1 S. 2 InsO an, bis der Rechtsstreit
von einer Person aufgenommen wird, die nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung
zur Fortführung des Rechtsstreits berechtigt ist, oder bis das Insolvenzverfahren beendet ist.
Auch für die Frage, wer zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt ist, kommt es also auf die
Prozessführungsbefugnis nach dem Recht des Eröffnungsstaats (und nicht auf die lex fori des
unterbrochenen Verfahrens) an7. Es soll nicht in die Regelung der insolvenzrechtlichen Befug-
nisse der Beteiligten durch den ausländischen Eröffnungsstaat eingegriffen werden. In aller
Regel wird danach der Insolvenzverwalter zur Aufnahme berechtigt sein. Da nach § 343 Abs. 2
InsO auch vor Verfahrenseröffnung erlassene Sicherungsmaßnahmen anerkannt werden,
misst § 352 Abs. 2 InsO auch ihnen eine prozessunterbrechende Wirkung zu, sofern sie einen
Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners zur Folge haben.

1 OLG Karlsruhe v. 11.5.1990 – 10 U 70/89, ZIP 1990, 665 = NJW-RR 1991, 295 und v. 21.2.1992 –
9 W 83/91, RIW 1992, 940; OLG Frankfurt a.M. v. 25.10.1994 – 14 U 99/93, IPRspr. 1994 Nr. 201;
OLG München v. 24.1.1996 – 25 W 2281/95, NJW-RR 1996, 574; LAG Rheinland-Pfalz v.
14.7.1997 – 8 Ta 94/97, RIW 1998, 633.
2 BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525 = WiB 1997, 1091 m. Anm.
Dietz; BGH v. 26.11.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1998, 659 = IPRax 1999, 42 (m. Anm. Schollmeyer,
IPRax 1999, 26), jeweils m.w.N.
3 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 882/11, NZA-RR 2014, 32 (Rz. 23); Liersch, NZI 2003, 302 (308); Kind-
ler in MünchKomm, § 352 InsO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 68.
4 Die bloße Stellung des Insolvenzantrags reicht nicht aus, vgl. OLG München v. 22.8.2012 – 19 U
2031/12, ZIP 2012, 2419 = NZI 2012, 1028.
5 OLG Hamburg v. 1.3.2018 – 6 U 242/15, IPRspr. 2018 Nr. 332
6 BT-Drucks 12/2443, S. 244; BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 13) = ZIP 2009,
2217 = IPRax 2011, 181; OLG Hamburg v. 1.3.2018 – 6 U 242/15, IPRspr. 2018 Nr. 332; OLG
Frankfurt v. 20.2.2007 – 5 U 24/05, ZIP 2007, 932 (934); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas,
Hdb., § 132 Rz. 68; ebenso zu Art. 15 EuInsVO 2000 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17,
BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781; a.A. Geimer, Rz. 3529; Kindler in MünchKomm,
§ 352 InsO Rz. 12 f. m.w.N. Anders liegt es nur, wenn das Insolvenzverfahren nach dem Recht des
Insolvenzeröffnungsstaats keinerlei Einfluss auf anhängige Rechtsstreitigkeiten haben soll, vgl.
BGH v. 20. 12. 2011 − VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (zur Nachlassstundung nach Art. 295 Avs. 1
schwz. SchKG).
7 BGH v. 7.12.2017 – VII ZR 101/14, BGHZ 217, 103 (Rz. 26) = RIW 2018, 294 = ZIP 2018, 130;
BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 26) = ZIP 2009, 2217.

Hausmann | 735
§ 6 Rz. 6.671 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Europäisches Insolvenzrecht


6.671 Für das europäische Insolvenzrecht ordnet Art. 18 EuInsVO 2015 an, dass für die Wirkungen
des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit oder ein anhängiges Schiedsverfah-
ren über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw. das Teil der Insolvenzmasse ist, aus-
schließlich das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem der Rechtsstreit anhängig oder in dem
das Schiedsgericht belegen ist1. Art. 18 EuInsVO 2015 ist daher eine Kollisionsnorm2, die – im
Wege der Sachnormverweisung3 – die lex fori des anhängigen Verfahrens für maßgeblich er-
klärt. Sie hat in Fällen der Rechtshängigkeit vor deutschen Gerichten Vorrang vor § 352 InsO
und verweist dann unmittelbar auf §§ 240 ZPO, 85-87 InsO4. Deshalb kommt es in einem vor
deutschen Gerichten anhängigen Verfahren nicht darauf an, ob das Recht des ausländischen
Eröffnungsstaates seinerseits eine automatische Unterbrechung von dort anhängigen Prozes-
sen vorsieht, an denen der Gemeinschuldner beteiligt ist5.

6.672 Das Recht des ausländischen Eröffnungsstaates – und nicht die lex fori des anhängigen
Rechtsstreits – entscheidet allerdings nach Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015 in dem Streit um
die Unterbrechungswirkung darüber, ob ein Gegenstand oder Recht überhaupt zur Insol-
venzmasse gehört6. Damit soll verhindert werden, dass die Unterbrechung von Prozessen
über Gegenstände eintritt, die nach der lex fori concursus gar nicht Bestandteile der Insolvenz-
masse sind. Mit der Wendung „Gegenstände oder Rechte der Masse“ sind dabei nicht nur be-
stimmte Gegenstände oder Rechte des Schuldners gemeint, vielmehr soll damit die Insolvenz-
masse des Schuldners bezeichnet werden, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ent-
steht, so dass auch Zahlungsansprüche aus einem Dienstleistungsvertrag erfasst werden7.

6.673 Von Art. 18 EuInsVO vorausgesetzt wird nur ein rechtshängiges und noch nicht abgeschlosse-
nes Verfahren8. Allerdings dürfte auch bloße Anhängigkeit (Einreichung der Klage bei Ge-
richt) schon ausreichen.9 Erfasst werden Erkenntnisverfahren vor staatlichen Gerichten sowie
– wie Art. 18 EuInsVO nunmehr ausdrücklich klarstellt – auch Schiedsverfahren10. Dem-

1 ÖOGH v. 24.1.2006 – 10 Ob 80/05w, unalex AT-572; OLG Frankfurt a.M. v. 28.8.2012 – 5 U 150/
11, ZInsO 2012, 1990.
2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 13.
4 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17, BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781; Kindler in
MünchKomm, § 352 InsO Rz. 2; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67. An-
ders noch BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 6 ff.), wo nur auf § 352 InsO
abgestellt wird.
5 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, ZIP 2012, 1527, NZI 2012, 572 (Rz. 45); BGH v. 26.11.1997 –
IX ZR 309/96, ZIP 1998, 659 = IPRax 1999, 42; BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, NJW 1997,
2525; OLG Frankfurt a.M. v. 28.8.2012 – 5 U 150/11, ZInsO 2012, 1990; OLG Celle v. 27.11.2012
– 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333; OLG
Brandenburg v. 25.5.2011 – 13 U 100/07, ZInsO 2011, 1563; Aderhold, S. 261 ff.; Geimer, Rz. 3509,
3598; E. Habscheid, S. 342 ff.; Schack, Rz. 1232; Schollmeyer, IPRax 1999, 26 (27).
6 BGHZ 217, 103 (Rz. 12) = ZIP 2018,130 (Rz. 12); Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 8;
Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67; a.A. (lex fori) noch OLG München v.
25.2.2010 – 29 U 1513/07, NZI 2010, 826 (828) = ZIP 2010, 2118 = IPRax 2011, 505 (m. Anm.
Stadler, IPRax 2011, 480).
7 EuGH v. 6.6.2018 – C-250/17, ECLI:EU:C:2018:398 (Virgílio Tarragó da Silveira), NZI 2018, 613
(Rz. 24 ff.) m. Anm. Mankowski.
8 BGH v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, ZIP 2009, 240.
9 Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 6.
10 Dazu näher Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 15 ff.

736 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.675 § 6

gegenüber gilt für ein vom Gläubiger betriebenes Vollstreckungsverfahren nach Art. 7 Abs. 2
S. 2 lit. f EuInsVO 2015 allein die lex fori concursus1. Nur diese entscheidet also darüber, ob
die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens eine Einzelrechtsverfolgung im Inland
verbietet und welche Auswirkungen das Insolvenzverfahren auf bereits begonnene Zwangs-
vollstreckungsmaßnahmen hat. Denn es wäre widersprüchlich, Art. 18 EuInsVO 2015 dahin
auszulegen, dass er auch Vollstreckungsverfahren erfasst, während gleichzeitig Art. 23 Abs. 1
EuInsVO 2015 ausdrücklich die Herausgabe des „durch Zwangsvollstreckung“ Erlangten an
den Verwalter vorschreibt.

e) Sicherungsmaßnahmen des vorläufigen Verwalters


Die EuInsVO 2015 bietet für die Anordnung und Durchsetzung von Sicherungsmaßnahmen 6.674
zwei unterschiedliche Möglichkeiten an. Zum einen kann das für das ausländische Hauptin-
solvenzverfahren zuständige Gericht Sicherungsmaßnahmen anordnen, die nach Art. 32
Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und nach der
Brüssel Ia-VO zu vollstrecken sind (dazu schon Rz. 6.628 f.)2. Bestellt das ausländische Gericht
also bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen vorläufigen Verwalter oder erlegt
es dem Schuldner ein allgemeines Veräußerungsverbot auf, so sind diese Maßnahmen im In-
land anzuerkennen; Gleiches gilt für die vorläufige Untersagung bzw. Einstellung der Zwangs-
vollstreckung3. Daneben ist nach Art. 52 EuInsVO 2015 aber auch der vorläufige Verwalter
des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens berechtigt, zur Sicherung des im Inland befindli-
chen schuldnerischen Vermögens vorläufige Maßnahmen nach deutschem Recht zu beantra-
gen. Ein solches Vorgehen kann sinnvoll sein, wenn sich solche Maßnahmen im Inland leich-
ter erreichen lassen oder das deutsche Recht weitergehende Sicherungsmaßnahmen kennt als
das Recht des Hauptinsolvenzverfahrens. Voraussetzung für den Erlass solcher vorläufigen Si-
cherungsmaßnahmen ist jedoch, dass der Schuldner im Inland eine Niederlassung unterhält,
da diese Sicherungsmaßnahmen lediglich ein späteres Sekundärinsolvenzverfahren absichern
sollen4. Damit können abweichend von der Systematik des § 21 InsO zur Sicherung des inlän-
dischen Sekundärinsolvenzverfahrens bereits Maßnahmen nach § 21 InsO angeordnet wer-
den, obwohl im Inland noch kein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens
gestellt wurde. Denn einen solchen Antrag kann nach Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015 nur
der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens, nicht jedoch der vorläufige Verwalter stellen.

Im Interesse einer möglichst zügigen Sicherung der Insolvenzmasse sieht dementsprechend 6.675
auch das autonome deutsche IIR nicht nur die „automatische“ Anerkennung ausländischer
Sicherungsmaßnahmen nach § 343 Abs. 2 InsO vor, sondern räumt dem zuständigen deut-
schen Insolvenzgericht (vgl. § 348 InsO) die Befugnis ein, auf Antrag des vorläufigen Insol-
venzverwalters des in einem Drittstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens die Maßnahmen

1 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (Probud Gdynia), NZI 2010,156 (Rz. 25);
EuGH v. 9.11.2016 – C-212/15, ECLI:EU:C:2016:841 (ENEFI), NZI 2016, 959 (Rz. 34 f.) m. Anm.
Mankowski = NJW 2017, 144 m. Anm. Stricker; EuGH v. 6.6.2018 – C-250/17, ECLI:EU:
C:2018:398 (Virgílio Tarragó da Silveira), NZI 2018, 613 (Rz. 30 ff.) m. Anm. Mankowski; ferner
Hübler, NZI 2016, 990 (992 f.); Bayer/Schmidt, BB 2017, 2114 (2123 f.): Kindler in MünchKomm,
Art. 18 EuInsVO Rz. 4; Virgos/Schmit-Bericht Rz. 142.
2 Vgl. ErwG 16 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 261; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275
(295); Herchen, S. 161.
3 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 88; Geimer, Rz. 3500.
4 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 38, 261; Kolmann, S. 298; a.A. Ahrens, S. 299; Herchen,
S. 162 f.

Hausmann | 737
§ 6 Rz. 6.675 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach § 21 InsO anzuordnen, die zur Sicherung des im Inland belegenen schuldnerischen Ver-
mögens erforderlich sind, sofern die Voraussetzungen für die Eröffnung eines inländischen
Sekundärinsolvenzverfahrens vorliegen.

7. Konkurrierende Insolvenzverfahren
a) Europäisches Insolvenzrecht
aa) Konkurrierende Hauptverfahren
6.676 Die EuInsVO 2015 enthält – anders als die Brüssel Ia-VO (vgl. dort Art. 29, 30) – keine Be-
stimmungen, wie ein positiver1 Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten zweier Mitglied-
staaten gelöst werden soll; denn nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gibt es für die Entscheidung über
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur ein zuständiges Gericht, nämlich am Interessen-
mittelpunkt des Schuldners. Dies schließt freilich einen Kompetenzkonflikt nicht aus, wenn
die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten diesen Interessenmittelpunkt jeweils in ihrem Ge-
biet für gegeben erachten. Dazu kann es kommen, obwohl jedes Gericht seine internationale
Zuständigkeit nach Maßgabe der Verordnung zu prüfen und dabei den unionsrechtlichen
Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (ErwG 65 S. 5 und 6 zur EuInsVO 2015) zu beachten
hat2. Um den Gerichten in den anderen Mitgliedstaaten zu verdeutlichen, welche Maßstäbe
diesbezüglich für das deutsche Insolvenzgericht maßgebend waren, sollte dieses seine tatsäch-
lichen und rechtlichen Erwägungen zur Kompetenzfrage im Eröffnungsbeschluss kurz darle-
gen, wenn sich abzeichnet, dass auch in einem anderen Mitgliedstaat möglicherweise zustän-
digkeitsbegründende Umstände vorliegen; dies gilt bereits dann, wenn in einem anderen Mit-
gliedstaat Vermögen des Schuldners belegen ist. Da die Anknüpfungspunkte für ein Hauptin-
solvenz- und ein Partikularverfahren unterschiedlich ausgestaltet sind (vgl. Art. 3 Abs. 1 und
2 EuInsVO), sind in den Eröffnungsbeschluss auch diesbezügliche Angaben aufzunehmen3.

6.677 Da nach der Intention der Verordnung in den Mitgliedstaaten stets nur ein Hauptinsolvenz-
verfahren eröffnet werden soll, ist ein möglicher Kompetenzkonflikt nach dem Grundsatz der
Priorität zu lösen; zuständig ist allein das Gericht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren
zuerst eröffnet wurde4. Die Entscheidung dieses Gerichts über seine internationale Zuständig-
keit ist in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und unterliegt dort keiner Nachprü-
fung5. Hat daher das Gericht eines anderen Mitgliedstaats ein Hauptinsolvenzverfahren eröff-

1 Auch für die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts – kein Mitgliedstaat erklärt sich
i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für zuständig – sieht die Verordnung keine Lösung vor.
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 79.
3 RegBegr zu Art. 102 EGInsO, BT-Drucks. 715/02, S. 16.
4 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824) (Rz. 38 ff.);
BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 = NZI 2008, 572 (Rz. 30) m. Anm. Mankowski;
LG Hamburg v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, NZI 2005, 645; Albrecht, ZInsO 2004, 436 (439); Becker,
ZEuP 2002, 287 (304); Herchen, ZInsO 2004, 61 (63 f.); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (144); Kem-
per, ZIP 2001, 1609 (1613); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (545); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275
(290); Paulus, NZI 2001, 505 (507); Schack, Rz. 1161; a.A. (Zeitpunkt der Antragsstellung ent-
scheidet) Kolmann, S. 287 f.
5 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417
(Rz. 29 ff.) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m. Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); dazu Man-
kowski, NZI 2010, 178; AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03 (ISA IV), ZIP 2004, 623
(624) = NZI 2004, 269 m. Anm. Liersch; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWiR 2003, 447; Sabel,
NZI 2004, 126 (127); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 46; a.A. Mankowski, EWiR
2003, 767 (768) (ISA II).

738 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.679 § 6

net, so ist, solange dieses Verfahren anhängig ist, ein bei einem inländischen Insolvenzgericht
gestellter Antrag auf Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen
des Schuldners nach Art. 102c § 2 Abs. 1 S. 1 EGInsO unzulässig1.

Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Eröffnung des Verfahrens in dem anderen Mitglied- 6.678
staat im Inland wegen Verstoßes gegen den ordre public (Art. 33 EuInsVO 2015; dazu
Rz. 6.634 ff.) nicht anerkannt werden kann; hierfür reicht jedoch die fälschliche Annahme der
internationalen Zuständigkeit durch das ausländische Gericht keinesfalls aus. Wurde in Un-
kenntnis der ausländischen Verfahrenseröffnung im Inland dennoch ein Insolvenzverfahren
über das schuldnerische Vermögen eröffnet, so ist dieses gemäß Art. 102c § 2 Abs. 1 S. 2 EG-
InsO als Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 34 ff. EuInsVO 2015 fortzuführen, wenn eine
Zuständigkeit des deutschen Gerichts nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 besteht; anderenfalls
ist es einzustellen. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitglied-
staat mit der Begründung abgelehnt, den dortigen Gerichten fehle die internationale Zustän-
digkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so ist es einem deutschen Insolvenzgericht umgekehrt
nach Art. 102c § 2 Abs. 2 EGInsO verwehrt, seine Zuständigkeit mit der Begründung zu ver-
neinen, die internationale Zuständigkeit läge doch bei den Gerichten dieses Mitgliedstaats; auf
diese Weise sollen negative Kompetenzkonflikte vermieden werden.

Darf das deutsche Insolvenzgericht ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren nach Art. 102c 6.679
§ 2 Abs. 1 EGInsO nicht fortsetzen, so hat es das Verfahren von Amts wegen zugunsten der
Gerichte des anderen Mitgliedstaats einzustellen2. Vor der Einstellung soll es den Insolvenz-
verwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner hören.
Wird das Insolvenzverfahren eingestellt, so ist jeder Insolvenzgläubiger beschwerdebefugt,
weil diese Einstellung trotz der Möglichkeit, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen,
in die Rechte der Gläubiger eingreifen kann. Die Einstellung beendet das Verfahren allerdings
nicht mit rückwirkender Kraft, so dass geklärt werden muss, wie die Wirkungen des auslän-
dischen Verfahrens, die sich nach Wegfall der Sperrwirkung des inländischen Verfahrens auch
auf das inländische Vermögen erstrecken, mit den Wirkungen des eingestellten Verfahrens zu
harmonisieren sind. Ein solches Regelungsbedürfnis besteht auch für Rechtshandlungen des
inländischen Insolvenzverwalters, die dieser bis zur Einstellung des Verfahrens vorgenommen
hat. Nach Art. 102c § 3 Abs. 2 EGInsO sollen Wirkungen des inländischen Insolvenzverfah-
rens, die vor dessen Einstellung bereits eingetreten und nicht auf die Dauer dieses Verfahrens
beschränkt sind, auch dann bestehen bleiben, wenn sie den Wirkungen eines in einem ande-
ren Mitgliedstaat – auch früher – eröffneten Insolvenzverfahrens widersprechen, soweit diese
sich nach Art. 19 EuInsVO 2015 auf das Inland erstrecken. Hat etwa der deutsche Insolvenz-
verwalter einen Gegenstand der inländischen Insolvenzmasse veräußert oder belastet, so sol-
len diese Verfügungen also auch nach Einstellung des deutschen Insolvenzverfahrens wirksam
bleiben3. Dies gilt aber jedenfalls dann nicht, wenn das Insolvenzverfahren im Inland in voller
Kenntnis des früher eröffneten Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden ist;

1 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 = IPRax
2014, 530 (Rz. 40) (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490); BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 103/07, ZIP
2008, 2029 = IPRax 2009, 73 (75) (m. Anm. Fehrenbach, IPRax 2009, 51); AG Köln v. 10.8.2005 –
71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566 (m. Aufs. Wagner, ZIP 2006, 1934) = DZWiR 2006, 218 m. Anm.
Schilling/Schmidt. Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus § 15a InsO, vgl. Vallender/Fuchs,
ZIP 2004, 829 (833).
2 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 = IPRax 2004, 431 (m. Anm. Weller,
IPRax 2004, 412).
3 Vgl. Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301 (303); Paulus, Art. 28 EuInsVO Rz. 5.

Hausmann | 739
§ 6 Rz. 6.679 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

für diesen Fall setzt sich aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts das zuerst eröff-
nete ausländische Hauptverfahren durch1.

6.680 Mit Einstellung des inländischen Insolvenzverfahrens unterfällt das im Inland belegene
schuldnerische Vermögen dem Beschlag des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens. Es
muss deshalb sichergestellt werden, dass der für dieses Verfahren bestellte Insolvenzverwalter
möglichst schnell alle Maßnahmen ergreifen kann, um das inländische Vermögen des Schuld-
ners zu sichern. Dies gilt etwa für die öffentliche Bekanntmachung nach Art. 28 EuInsVO
2015 oder die Eintragung in öffentliche Register nach Art. 29 EuInsVO 2015. Durch Art. 102
§ 3 Abs. 3 S. 4 EGInsO wird klargestellt, dass der Schuldner – abweichend von § 215 Abs. 2
InsO – durch die Einstellung des inländischen Verfahrens nicht die Verfügungsbefugnis über
sein in Deutschland belegenes Vermögen zurückerhält. Der Insolvenzverwalter des einzustel-
lenden Inlandsverfahrens hat demgemäß auch nicht dem Schuldner oder dessen Gläubigern
Gegenstände des Inlandsvermögens auszuhändigen, sondern diese im Interesse des auslän-
dischen Hauptinsolvenzverfahrens zu sichern.

bb) Haupt- und Sekundärverfahren


6.681 Die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat der Verordnung eröffneten Hauptin-
solvenzverfahrens steht allerdings nach Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 19 Abs. 3, Art. 34 S. 1 EuIns-
VO 2015 der Eröffnung eines territorial begrenzten Parallelinsolvenzverfahrens im Inland
nicht entgegen, wenn der Schuldner hier eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015
unterhält (vgl. schon Rz. 6.609 ff.)2. In diesem Fall ist das inländische Verfahren ein Sekundä-
rinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 34 ff. EuInsVO3. Die Insolvenz des Schuldners ist in diesem
Parallelverfahren zu unterstellen, wenn sie Voraussetzung für die Eröffnung des ausländischen
Hauptinsolvenzverfahrens war; Eröffnungsgründe i.S.d. deutschen Rechts brauchen in diesem
Fall nicht vorzuliegen, Art. 34 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2015. Sie dürfen auch dann nicht geprüft
werden, wenn das Hauptverfahren einem Schutzzweck dient4. Im Übrigen gilt der Grundsatz
des Art. 7 Abs. 1 und 2 EuInsVO 2015 aber auch für das inländische Sekundärverfahren; auf
dieses findet daher nicht das Recht des Hauptinsolvenzverfahrens, sondern deutsches Recht
Anwendung, Art. 35 EuInsVO 2015. Dies gilt auch für die Frage, wer den Antrag auf Eröff-
nung des Sekundärverfahrens zu stellen berechtigt ist, Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO 2015. Das
nationale Recht des Staates, in dem das Sekundärverfahren eröffnet werden soll, darf das An-
tragsrecht allerdings nicht auf Gläubiger beschränken, die ihren Sitz oder Wohnsitz in diesem
Staat haben, oder auf Gläubiger, deren Forderungen aus dem Betrieb der in diesem Staat un-
terhaltenen Niederlassung hervorgehen5. Nach deutschem Recht (§ 13 InsO) ist daher auch

1 BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 (Rz. 26 ff.) = NZI 2008, 572 m. Anm. Man-
kowski = IPRax 2009, 73 (76 f.) (m. Anm. Fehrenbach, IPRax 2009, 51); Weller, IPRax 2004, 412
(417).
2 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 = IPRax 2004, 431 (433; dazu Weller,
IPRax 2004, 412 (417).
3 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 (Rz. 40) =
IPRax 2014, 530 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2014, 490).
4 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106
(Rz. 53 ff.) = ZIP 2012, 2403.
5 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 46 ff.) m.
Anm. Mankowski, ZIP 2014, 2513.

740 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.682 § 6

der Schuldner antragsberechtigt1. Ergänzend stellt Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO aber klar, dass
der Verwalter des Hauptverfahrens in jedem Falle antragsberechtigt ist.

Das inländische Sekundärinsolvenzverfahren ist hinsichtlich seiner Wirkungen auf das In- 6.682
landsvermögen des Schuldners beschränkt und schließt diesbezüglich die Anerkennung von
Wirkungen des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens aus2. Die Erfassung und Verwertung
des inländischen Vermögens ist daher primär Sache des für das inländische Sekundärverfahren
bestellten Verwalters3. Allerdings können Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nur dann
zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen, wenn die parallel anhängigen
Verfahren koordiniert werden. Wesentliche Voraussetzung ist hierfür eine enge Zusammen-
arbeit der Verwalter beider Verfahren und ein umfassender Informationsaustausch zwischen
ihnen; beides wird durch Art. 41 EuInsVO 2015 sichergestellt.4 Darüber hinaus regelt die
EuInsVO 2015 in Art. 42 und Art. 43 auch die Zusammenarbeit und Kommunikation der be-
teiligten Gerichte sowie zwischen diesen und den jeweiligen Verwaltern ausführlich. Beide Ver-
walter haben ferner die Forderungen der Gläubiger auch in dem jeweiligen Parallelverfahren,
für das sie nicht bestellt sind, anzumelden (Art. 45 Abs. 2 EuInsVO 2015) und haben in diesem
Verfahren wie ein Gläubiger mitzuwirken (Art. 45 Abs. 3 EuInsVO 2015). Um der dominieren-
den Rolle des Hauptinsolvenzverwalters Ausdruck zu verleihen, werden diesem ferner in er-
heblichem Umfang Einwirkungsmöglichkeiten auf das Sekundärinsolvenzverfahren einge-
räumt. So ist der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens etwa berechtigt, die Verwertung im
Sekundärverfahren vorübergehend ganz oder teilweise unterbinden zu lassen (vgl. näher Art. 46
EuInsVO 2015), um bestimmte Wirtschaftseinheiten funktionstüchtig zu erhalten. Er kann fer-
ner auch verfahrensbeendende Maßnahmen – wie z.B. einen Sanierungsplan oder Vergleich –
für das Sekundärinsolvenzverfahren vorschlagen (Art. 47 EuInsVO 2015) und hat Anspruch
auf einen in diesem Verfahren verbleibenden Überschuss (Art. 49 EuInsVO 2014)5. Schließlich
kann ein zur Sekundärmasse gehörender Anfechtungsanspruch nach Abschluss des Sekundä-
rinsolvenzverfahrens vom Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens weiterverfolgt werden6.

1 AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 151 m. Aufs. Sabel; Kemper, ZIP
2001, 1609 (1613); Paulus, NZI 2001, 505 (514). Voraussetzung ist allerdings, dass das Recht, Ver-
fahrensanträge zu stellen, nach dem Recht des Eröffnungsstaates nicht auf den Verwalter überge-
gangen ist. Kein Antragsrecht hat hingegen der Prokurist der Schuldnerin, vgl. AG Köln v.
1.12.2005 – 71 IN 564/05, ZIP 2006, 628.
2 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417
(Rz. 22) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 m. Anm. Mankowski, 178; Virgós/Schmit-Bericht
Rz. 155. Damit werden die Wirkungen des ausländ. Hauptinsolvenzverfahrens im Inland weit-
gehend „neutralisiert“, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 46; Kolmann/Ch. Keller
in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 19. Vgl. dazu zuletzt umfassend Fehrenbach, Haupt- und Se-
kundärinsolvenzverfahren (2014). Das inländische Sekundärinsolvenzverfahren steht allerdings
der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Anordnungen, die im ausländischen Hauptin-
solvenzverfahren getroffen werden, nicht grundsätzlich entgegegen, vgl. OLG Düsseldorf v.
9.7.2004 – I-3 W 53/04, NZI 2004, 628.
3 Entsprechendes gilt selbstverständlich auch im unmgekehrten Fall eines in einem anderen Mit-
gliedstaat eröffeten Sekundärinsolvenzverfahrens im Verhältnis zum deutschen Hauptinsolvenz-
verfahren, vgl. BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = NZI 2015, 183 (m. Anm. Fehren-
bach, NZI 2015, 157).
4 Vgl. dazu ital. Cass. v. 29.10.2015, unalex IT-574.
5 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106
(Rz. 61 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490).
6 BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = NZI 2015, 183 (m. Anm. Fehrenbach, NZI 2015,
157).

Hausmann | 741
§ 6 Rz. 6.683 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Autonomes Insolvenzrecht
aa) Konkurrierende Hauptverfahren
6.683 Konkurriert ein inländisches (Haupt-)Insolvenzverfahren mit einem ebensolchen drittstaatli-
chen Verfahren, so gilt der Prioritätsgrundsatz der EuInsVO nicht. Ein nach Art. 3 Abs. 1
EuInsVO (bzw. § 3 InsO) international zuständiges deutsches Insolvenzgericht (vgl.
Rz. 6.580 ff.) ist also durch die frühere Eröffnung oder Anhängigkeit eines Insolvenzverfah-
rens im Ausland nicht gehindert, über das Vermögen desselben Schuldners im Inland ein
(Haupt-)Insolvenzverfahren zu eröffnen1. Vielmehr erfasst jedes der beiden Verfahren das in
seinem Eröffnungsstaat belegene Vermögen des Schuldners. Dem ausländischen Verfahren
kommt daher in Bezug auf das Inlandsvermögen des Schuldners keine Wirkung zu, sobald ein
paralleles Hauptverfahren im Inland eröffnet worden ist2. Von mehreren parallel eröffneten
ausländischen Hauptverfahren kommt in Bezug auf das Inlandsvermögen des Schuldners
demjenigen Verfahren Priorität zu, das am Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen In-
teressen des Schuldners eröffnet worden ist3. Lässt sich dieser nicht eindeutig feststellen, so
gilt auch insoweit das Prioritätsprinzip4.

bb) Haupt- und Sekundärverfahren


6.684 Auch nach autonomem Recht waren die Gläubiger nach Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenz-
verfahrens im Ausland schon bisher berechtigt, ihre Rechte am Inlandsvermögen des Schuld-
ners durch den Antrag auf Eröffnung eines (Neben-)Insolvenzverfahrens im Inland zu wah-
ren, sofern die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben war, Art. 102
Abs. 3 EGInsO a.F. Die Eröffnung eines solchen inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens
wurde sogar dadurch erleichtert, dass der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschul-
dung des Gemeinschuldners in diesem Falle nicht geführt werden musste, Art. 102 Abs. 3 S. 2
InsO a.F. Das inländische Verfahren hatte dann Vorrang vor dem ausländischen Verfahren,
auch wenn die Voraussetzungen für dessen Anerkennung grundsätzlich vorlagen5. Ver-
mögensstücke, die der ausländische Verwalter erst nach Verfahrenseröffnung ins Inland ver-
bracht oder dort erworben hat, wurden vom deutschen Insolvenzbeschlag allerdings nicht er-
fasst6. Nur soweit eine Kollision mit dem Inlandsverfahren nicht bestand, blieb die Anerken-
nung von Wirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens möglich7.

6.685 An diesen bewährten Grundsätzen hat der Gesetzgeber auch im Zuge der Neuregelung des
deutschen IIR in §§ 356–358 InsO festgehalten. Das inländische Sonderverfahren beschränkt
dabei nach neuem Recht nicht nur die Wirkungen des ausländischen Hauptinsolvenzverfah-

1 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = ZIP 1985, 944 = NJW 1985, 2897; Gei-
mer, IZPR Rz. 3411; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 20.
2 Prütting, ZIP 1996, 1277 (1282).
3 Trunk, S. 346.
4 Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (537).
5 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (269 f.) = ZIP 1985, 944; OLG Köln v. 20.7.1992
– 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 ff. (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297); Flessner, IPRax 1997, 1 (4);
Geimer, Rz. 3392.
6 RG v. 13.1.1885, RGZ 14, 424; RG v. 11.6.1926, RGZ 114, 82 f.
7 Trunk in Gilles, S. 183 f. nannte als Beispiel die Klage des ausländ. Insolvenzverwalters auf Aus-
kunft über Vorgänge, die sich auf das Vermögen im ausländ. Insolvenzstaat beziehen. Gleiches gilt
für Wirkungen des Hauptverfahrens in Drittstaaten.

742 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.685 § 6

rens im Interesse der inländischen Gläubiger. Es kann vielmehr – ähnlich wie nach der EuIns-
VO – auch unterstützende Funktion für das Hauptverfahren entfalten, wenn z.B. das Ver-
mögen des Schuldners zu verschachtelt ist, um als Ganzes verwaltet zu werden1. Demgemäß
kann der ausländische Verwalter das inländische Sekundärverfahren ohne besonderes Rechts-
schutzinteresse beantragen (§ 356 Abs. 2 InsO). Ferner hat der inländische Verwalter dem
ausländischen unverzüglich alle Umstände mitzuteilen, die für die Durchführung des Haupt-
verfahrens von Bedeutung sein können (§ 357 Abs. 1 S. 1 InsO). Der ausländische Verwalter
hat auch das Recht, Vorschläge für die Verwertung oder sonstige Verwendung des inländi-
schen Vermögens zu machen, an Gläubigerversammlungen im Inland teilzunehmen und
selbst einen Insolvenzplan vorzuschlagen (§ 357 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 InsO). Schließlich ist ein
verbleibender Überschuss aus dem inländischen Sekundärverfahren an den ausländischen
Verwalter des Hauptverfahrens herauszugeben (§ 358 InsO).

IV. Reichweite des Insolvenzstatuts


Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515.
1. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuInsVO: von Campe, Insolvenzanfechtung in Deutschland
und Frankreich (1996); Ehricke, Die Wirkungen einer ausländischen Restschuldbefreiung im Inland
nach deutschem Recht, RabelsZ 62 (1998), 712; Favoccia, Vertragliche Mobiliarsicherheiten im inter-
nationalen Insolvenzrecht (1991); Flessner, Dingliche Sicherungsrechte nach dem EuInsÜ, FS Drobnig
(1998), S. 277; Fletcher, Insolvency in private international law (1999); Göpfert, Anfechtbare Aufrech-
nungslagen im deutsch-amerikanischen Insolvenzrechtsverkehr (1996); Grasmann, Das Erlöschen von
Insolvenzforderungen nach Schuld- oder Insolvenzstaut, FS Kitagawa (1992), S. 117; Haas/E. J. Hab-
scheid, Konkursstatut und Wirkungsstatut bei der internationalen und der künftigen innereuropäi-
schen Insolvenzanfechtung, ZZP 114 (2001), 167; Hanisch, Das Recht der grenzüberschreitenden In-
solvenzen: Auswirkungen auf den Immobiliensektor, ZIP 1992, 1125; Hanisch, Deutscher
Eigentumsvorbehalt im französischen Insolvenzverfahren, IPRax 1992, 187; Hanisch, Allgemeine kol-
lisionsrechtliche Grundsätze im internationalen Insolvenzrecht, FS Jahr (1993), S. 455; Hanisch, Die
Wirkung dinglicher Mobiliarsicherungsrechte im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, FS Lalive
(1993), S. 61; Hanisch, Bemerkungen zur Insolvenzanfechtung im grenzüberschreitenden Insolvenz-
fall, FS Stoll (2001), S. 503; Henckel, Gläubigeranfechtung im Konkurs, FS Deutsch (1999), S. 967; Kle-
vemann, Gesetzliche Sicherungsrechte im internationalen Privat- und Konkursrecht (1990); Paulus,
Restschuldbefreiung und internationales Insolvenzrecht, ZEuP 1994, 301; Riesenfeld, Einige Betrach-
tungen zur Behandlung dinglicher Sicherungsrechte an beweglichen Vermögensgegenständen im In-
solvenzrecht, FS Drobnig (1998), S. 621; Schollmeyer, Gegenseitige Verträge im internationalen Insol-
venzrecht (1997); Sonnentag, Auslandskonkurs und Anfechtung im Inland, IPRax 1998, 330; Trunk,
Arbeitnehmer im Niederlassungskonkurs: International-insolvenzrechtliche Aspekte, ZIP 1994, 1586
von Wilmowsky, Aufrechnung in internationalen Insolvenzfällen, KTS 1998, 343.
2. Zur EuInsVO 2000 und zum IIR-G 2003: Beck, Verteilungsfragen im Verhältnis zwischen Haupt-
und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; Becker, Mobiliarsicherheiten im In-
ternationalen Insolvenzrecht, JbItalR 18 (2005), 75; Berner/Klöhn, Insolvenzantragspflicht, Qualifika-
tion und Niederlassungsfreiheit, ZIP 2007, 106; Eidenmüller, Insolvenzstatut und Gesellschaftsstatut,
RabelsZ 70 (2006) 474; von Bismarck/Schümann-Kleber, Insolvenz eines deutschen Sicherungsgebers.
Anwendung deutscher Vorschriften auf die Verwertung in Deutschland belegener Kreditsicherheiten,
NZI 2005, 89 und 147; Borges, Gläubigerschutz bei ausländischen Gesellschaften mit inländischem
Sitz, ZIP 2004, 733; Bork, Die Aufrechnung im internationalen Insolvenzverfahrensrecht, ZIP 2002,
690; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen. Eine materiell-, insol-
venz- und kollisionsrechtliche Studie des Rechts der Mobiliarsicherheiten vor dem Hintergrund inter-
nationaler und europäischer Entwicklungen (2011); Burgstaller, Zur Anfechtung nach der Europä-

1 Vgl. ErwG 19 zur EuInsVO 2000.

Hausmann | 743
§ 6 Rz. 6.685 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ischen Insolvenzverordnung, FS Jelinek (2002), S. 33; Cranshaw, Fragen zur Durchsetzung des Eigen-
tumsvorbehalts im Hauptinsolvenzverfahren des Vorbehaltskäufers im Geltungsbereich der EuInsVO,
DZWiR 2010, 89; Daniele, Legge applicabile e diritto uniforme nel regolamento comunitario relativo
alle procedure d´insolvenza, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 33; Girsberger, Die Stellung der gesicherten
Gläubiger in der internationalen Insolvenz, RabelsZ 70 (2006), 505; Göpfert/Müller, Englisches Admi-
nistrationsverfahren und deutsches Insolvenzarbeitsrecht, NZA 2009, 1057; Graf, EU-Insolvenzver-
ordnung und Arbeitsverhältnis, ZAS 2002, 173; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen In-
solvenzmasse im Anwendungsbereich der EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 319; Gruschinske, Die
Aufrechnung in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, EuZW 2011, 171; Höhn/Kaufmann, Die
Aufrechnung in der Insolvenz, JuS 2003, 751; U. Huber, Das für die anfechtbare Rechtshandlung maß-
gebende Rechts, FS Heldrich (2005), S. 695; Jeremias, Internationale Insolvenzaufrechnung (2005);
Klumb, Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung (2005); Kranemann, Insolvenzanfechtung im deut-
schen internationalen Insolvenzrecht und nach der Europäischen Insolvenzrechtsverordnung (2002);
Langenbach, Die vertraglichen Mobiliarsicherheiten in grenzüberschreitenden deutsch-österrei-
chischen Unternehmensinsolvenzen (2009); Laukemann, Die Absonderungsklage im Europäischen
Zuständigkeitsrecht, IPRax 2013, 150; Lawlor, Die Anwendbarkeit englischen Gesellschaftsrechts bei
Insolvenz einer englischen Limited in Deutschland, NZI 2005, 432; Liebmann, Der Schutz des Arbeit-
nehmers bei grenzüberschreitenden Insolvenzen (2005); Liersch, Sicherungsrechte im internationalen
Insolvenzrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Art. 5 und 7 EuInsVO mit
dem deutschen Insolvenzrecht (2001); Liersch, Sicherungsrechte im internationalen Insolvenzrecht,
NZI 2002, 15; Mankowski, Verträge über unbewegliche Gegenstände im europäischen Internationalen
Insolvenzrecht (Art. 8 EuInsVO), FS Görg (2010), S. 173; McCormack/Bork (Hrsg.), Security Rights
and the European Insolvency Regulation (2017); Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicher-
heiten nach Eigentumsvorbehalten nach den Art. 5 und 7 EuInsVO sowie nach autonomem deutschen
Insolvenzkollisionsrecht (2004); Reinhart, Die Durchsetzung im Inland belegener Absonderungsrechte
bei ausländischen Insolvenzverfahren oder Qualifikation, Vorfrage und Substitution im internationa-
len Insolvenzrecht, IPRax 2012, 417; Roßmeier, Besitzlose Mobiliarsicherheiten in grenzüberschreiten-
den Insolvenzverfahren (2003); Scherber, Europäische Grundpfandrechte in der nationalen und inter-
nationalen Insolvenz im Rechtsvergleich (2004); Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung (2001);
Schumacher, Pfandrechte in der EU-Insolvenzverordnung, FS Jelinek (2002), S. 277; Schwarz, Insol-
venzverwalterklagen bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen nach der Verordnung (EG)
Nr. 44/2001, NZI 2002, 290; Ulmer, Insolvenzrechtlicher Gläubigerschutz gegenüber Scheinauslands-
gesellschaften ohne hinreichende Kapitalausstattung?, KTS 2004, 291; Weller, Brennpunkte des Insol-
venzkollisionsrechts, FS von Hoffmann (2011), S. 513; Weller/Hübner, Kornhaas und seine Auswir-
kungen auf insolvenznahe Haftungsinstrumente, FS Pannen (2017), S. 259; Wienberg/Sommer,
Anwendbarkeit von deutschem Eigenkapitalersatzrecht auf EU-Kapitalgesellschaften am Beispiel eines
Partikularinsolvenzverfahrens, NZI 2005, 353; Zeck, Das Internationale Anfechtungsrecht in der In-
solvenz (2003); Zeck, Die Anknüpfung der Insolvenzanfechtung, ZInsO 2005, 281.
3. Zur EuInsVO 2015: Bork, Die grenzüberschreitende Aussonderung, FS Yamauchi (2017), S. 19; J.F.
Hoffmann, Zur Konstruktion und Legitimation von Insolvenzprivilegien im nationalen und Europä-
ischen Insolvenzrecht, KTS 2017, 17; Keller, Die Folgen des Statutenwechsels infolge der Verlagerung
des COMI, NZI 2021, 110; Kolmann/Ch. Keller, Insolvenzkollisionsrecht, in: Gottwald/Haas (Hrsg.),
Insolvenzrechtshandbuch, 6. Aufl. 2020, § 131; Korch, Gedanken zum Brexit – Insolvenzanfechtung,
dingliche Rechte Dritter und weitere besondere Sachverhalte (Art. 7 ff. EuInsVO n.F.) nach dem Bre-
xit, ZinsO 2016, 1884; Mankowski, Öffentliche Lasten als dingliche Rechte i.S.v. Art. 5 EuInsVO 2000
bzw. Art. 8 EuInsVO 2015, RIW 2017, 93; Schneider, Registrierte Gegenstände im grenzüberschreiten-
den Insolvenzverfahren nach der EuInsVO (2019); Schneider, EuInsVO: Die Reichweite der lex fori
concursus bei Pachtverträgen über Unternehmen mit Grundstücken, IPRax 2019, 446.

744 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.688 § 6

1. Allgemeines
a) Grundsatz: Lex fori concursus
aa) Allseitige Kollisionsnorm
Das deutsche internationale Insolvenzrecht ging schon unter Geltung der früheren Konkurs- 6.686
ordnung von der „Grundnorm“ aus, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach
dem Recht des Eröffnungsstaates richten1. Denn nur diese einheitliche Anwendung der lex fori
concursus entspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und schafft Rechts-
sicherheit in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.2 Daran hatte sich durch das Inkraft-
treten der InsO nichts geändert, obwohl der Gesetzgeber in Art. 102 EGInsO a.F. eine entspre-
chende Klarstellung verabsäumt hatte3. Durch das Gesetz zur Neuregelung des internationalen
Insolvenzrechts vom 14.3.2003 hat er diese Unklarheit beseitigt. Nach der Grundsatzanknüp-
fung in § 335 InsO unterliegen das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen, soweit nichts
anderes bestimmt ist, dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden ist.

Den gleichen Gleichlaufgrundsatz hat für den Geltungsbereich des europäischen Insolvenz- 6.687
rechts Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000 normiert4; an seiner Stelle gilt in seit dem 26.6.2017 eröff-
neten Insolvenzverfahren der in der Sache unveränderte Art. 7 EuInsVO 2015. Er ist sowohl
auf Haupt- wie auf Sekundär- und Partikularverfahren anwendbar. Dies stellt Art. 35 EuIns-
VO 2015 noch einmal ausdrücklich klar5. Die Vorschriften sind bewusst als allseitige Kollisi-
onsregeln6 gefasst; sie gelten mithin gleichermaßen für die Wirkungen eines inländischen wie
eines ausländischen Insolvenzverfahrens7, auch wenn der Auslandsbezug nur zu einem Dritt-
staat besteht (Rz. 6.529). Die Beurteilung der Wirkungen eines ausländischen Insolvenzver-
fahrens nach der lex fori concursus setzt allerdings voraus, dass dieses Verfahren nach den
Art. 19 ff. EuInsVO 2015 bzw. §§ 343 ff. InsO im Inland anzuerkennen ist8. Solange noch kein
Insolvenzverfahren eröffnet ist, gilt das Recht des Staates, in dem das Hauptverfahren zu eröff-
nen wäre, d.h. das Recht am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art. 3
Abs. 1 S. 2 EuInsVO)9.

bb) Qualifikation
Die Frage, welche Regelungen des nationalen Rechts des Eröffnungsstaates als anwendbares 6.688
Insolvenzrecht zu qualifizieren sind, richtet sich in erster Linie nach dem autonom auszule-
genden Unionsrecht. Wegen der unmittelbaren Geltung der EuInsVO (Art. 288 Abs. 2

1 Vgl. Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 256; zust. OLG Hamm v. 25.10.1976 – 5 U 57/76, NJW 1977,
504 m. Anm. Oexmann; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (87) = ZIP 1997, 39 =
NJW 1997, 524.
2 Geimer, Rz. 3376 ff.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 6.
3 Vgl. Geimer, Rz. 3536.
4 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (m. Anm. Limbach, IPRax 2012, 320) =
IPRspr. 2011 Nr. 328.
5 Vgl. auch ErwG 66 S. 3 EuInsVO 2015.
6 Zum kollisonsrechtlichen Charakter von Art. 4 EuInsVO 2000 vgl. EuGH v. 22.11.2012 – C-116/
11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 47 f.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax
2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490) unter Berufung auf ErwG 13 zur EuInsVO 2000;
dazu Jopen, EWiR 2013, 173; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (22).
7 Vgl. i.d.S. schon Geimer, Rz. 3375; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 4.
8 Geimer, Rz. 3537.
9 Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 1.

Hausmann | 745
§ 6 Rz. 6.688 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

AEUV) und des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sind die von Art. 7 EuInsVO 2015
bezeichneten Materien als anwendbares Insolvenzrecht zu qualifizieren; dies gilt auch dann,
wenn sie vom nationalen Kollisionsrecht des Eröffnungsstaates abweichend qualifiziert wer-
den.1 Praktische Bedeutung hat diese Frage insbesondere im Verhältnis von Insolvenz- und
Gesellschaftsrecht2. Bestimmungen, die regeln, welche Forderungen als Insolvenzforderungen
anzumelden sind und welchen Rang diese Forderungen haben, sind daher im Hinblick auf
Art. 7 Abs. 2 lit. g EuInsVO 2015 insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Dies gilt etwa für die
früheren deutschen Regelungen über die Nachrangigkeit kapitalersetzender Gesellschafter-
darlehen, mögen diese auch nach deutschem IPR gesellschaftsrechtlich eingeordnet worden
sein. Diese Vorschriften finden daher auf Kapitalgesellschaften, über deren Vermögen in
Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch dann Anwendung, wenn
diese in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind (und
deshalb ein ausländisches Gesellschaftsstatut haben)3.

cc) Reichweite: Verfahrensrecht und materielles Recht


6.689 Das Insolvenzstatut gilt vor allem für die Voraussetzungen der Eröffnung eines Insolvenzverfah-
rens sowie für seine Durchführung und Beendigung (vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO)4. Insoweit
handelt es sich lediglich um eine insolvenzspezifische Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes
der lex fori-Anknüpfung im internationalen Verfahrensrecht5. Die Reichweite dieses Grundsat-
zes wird in Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 2015 näher verdeutlicht; die dortige (nicht abschließen-
de) Aufzählung kann auch zur Auslegung des § 335 InsO ergänzend herangezogen werden, weil
der deutsche Gesetzgeber auf eine entsprechende Konkretisierung bewusst verzichtet hat6.

6.690 Nach der lex fori concursus beurteilen sich gem. Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 2015 bzw. § 335
InsO vor allem die folgenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Eröffnung eines
in- oder ausländischen Insolvenzverfahrens sowie für dessen Abwicklung und Beendigung:
(1) die Insolvenzfähigkeit des Schuldners (lit. a; dazu Rz. 6.586 f.);
(2) die Zusammensetzung und der Umfang der Insolvenzmasse sowie die Behandlung der
nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte (lit. b);7

1 Zum Vorrang der Art. 7 ff. EuInsVO 2015 vor dem nationalen IPR der Mitgliedstaaten vgl. ErwG
66 S. 1 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10,
BGHZ 190, 364 (Rz. 16) = ZIP 2011, 1775 = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse = NJW 2011,
3784 (m. Anm. Schall, NJW 2011, 3745) = IPRax 2012, 251 (m. Anm. Wedemann, IPRax 2012,
226); Behrens, IPRax 2010, 230 (231); Mankowski, NZI 2010, 1004; Ulmer, NJW 2004, 1201; Wal-
terscheid, DZWir 2006, 95 (98).
2 Dazu ausf. Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 6 ff.
3 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 (Rz. 18 f.); ebenso schon OLG Köln v.
28.9.2010 – 18 U 3/10, ZIP 2010, 2016 = GmbHR 2011, 35.
4 Vgl. ErwG 23 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 17, 90.
5 Geimer, Rz. 3364, 3556; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 1; Wenner, Rz. 249,
262.
6 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 335 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 20 f. Vgl. ferner Geimer,
Rz. 3376 ff., der insoweit zwischen Vermögens-, Verwaltungs- und Verteilungsstatut unterschei-
det.
7 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beurteilen sich daher auch die Pfändbarkeit von Ver-
mögensgegenständen und der Pfändungsschutz nach dem Insolvenzstatut, vgl. (zu § 335 InsO)
BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.) = RIW 2018, 388.

746 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.691 § 6

(3) die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Schuldners in den einzelnen Phasen ei-
nes Insolvenzverfahrens (lit. c; dazu Rz. 6.590 f., Rz. 6.606 f., Rz. 6.648);
(4) die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters (Ernennung, Befugnisse, Pflichten, Haftung,
Vergütung, Abberufung, lit. c; dazu Rz. 6.601 ff., Rz. 6.660 ff.);
(5) Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner
Gläubiger1 (lit. f; dazu Rz. 6.594 ff., Rz. 6.649 ff.); ausgenommen hiervon sind die Wir-
kungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten, die sich nach der lex fori des angerufenen Ge-
richts bestimmen2;
(6) Bestimmung der als Insolvenzforderungen anzumeldenden Forderungen und Behand-
lung von nach der Insolvenzeröffnung entstandenen Forderungen (lit. g)3;
(7) Anmeldung, Prüfung und Feststellung von Forderungen (lit. h);
(8) die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, der Rang der Forderungen
und die Rechte der Gläubiger, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines
dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden (lit. i; dazu
Rz. 6.599 f.);
(9) die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, ins-
besondere durch Vergleich (lit. j; dazu Rz. 6.733 ff.);
(10) die Rechte der Gläubiger nach Bendigung des Insolvenzverfahrens (lit. k)4;
(11) die Tragung der Kosten und Auslagen des Insolvenzverfahrens (lit. l).
Das Insolvenzstatut gilt hingegen nicht für die Auswirkungen einer Insolvenz auf das Recht
zur Einzelgläubigeranfechtung5.

In internationalen Insolvenzverfahren sind allerdings verfahrens- und materiell-rechtliche 6.691


Wirkungen enger miteinander verwoben als im gewöhnlichen Zivilprozess. Um hier schwieri-
ge Qualifikations- und Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, müssen auch die materiell-
rechtlichen Wirkungen des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nach der lex fori concursus be-
urteilt werden6. Denn das Ziel, einen grenzüberschreitenden Insolvenzfall insgesamt unter
Wahrung der Gleichbehandlung aller Gläubiger abzuwickeln, wird nur durch die einheitliche
Anwendung des am Ort der Verfahrenseröffnung geltenden Insolvenzrechts als Gesamtstatut

1 Auch die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Rechte von Gläubigern, die an diesem
Verfahren nicht beteiligt sind, beurteilt sich nach dem Insolvenzsstatut, vgl. zur Verwirkung der
Durchsetzung von Steuerforderungen EuGH v. 9.11.2016 – C-212/15, ECLI:EU:C:2016: 841(ENE-
FI), NJW 2017, 144 m. Anm. Strickler = NZI 2016, 959 m. Anm. Mankowski.
2 ErwG 73 zur EuInsVO 2015.
3 Vgl. IPG 1999 Nr. 54 (Hamburg) (zur Forderungsanmeldung im französischen Insolvenzverfah-
ren).
4 Vgl. zum Vollstreckungsverbot gegen den Schuldner nach Beendigung eines in Deutschland anzu-
erkennenden österreichischen Schuldenregulierungsverfahrens AG Augsburg v. 26.3.2012 – 1 M
14615/11, ZInsO 2012, 1175.
5 BGH v. 12.11.2015 – IX ZR 302/14, BGHZ 208, 1 (Rz. 23 ff.) = NJW 2016, 246 = IPRax 2016, 476
(m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453) = NZI 2016, 131 m. Anm. Hübler.
6 Vgl. ErwG 66 S.4 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 5; ebenso
schon ErwG 23 zur EuInsVO 2000; dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 90; Leible/Staudinger, KTS
2000, 533 (550). Zum autonomen Recht Geimer, Rz. 3373 f., 3536; Kolmann/Ch. Keller in Gott-
wald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 2; Wenner, Rz. 250.

Hausmann | 747
§ 6 Rz. 6.691 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

erreicht1. Das auf die einzelnen von der Insolvenz betroffenen Rechtsverhältnisse nach den all-
gemeinen Kollisionsregeln anwendbare Recht (lex causae) hat aus diesem Grunde sowohl
nach Art. 7 EuInsVO 2015 wie nach § 335 InsO vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens an grundsätzlich zurückzutreten. Die Grundsatzanknüpfung an die lex fori concur-
sus gilt nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO insbesondere für folgende materiell-rechtliche Wir-
kungen des Insolvenzverfahrens:
6.692 (1) die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Aufrechnung (lit. d; dazu Rz. 6.719 ff.);
(2) die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge des Schuldners (lit. e;
dazu Rz. 6.709 ff.);
(3) die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit bestimmter Rechtshandlungen des Schuldners wegen
Gläubigerbenachteiligung (lit. m; dazu Rz. 6.723 ff.).

6.693 Die Auslegung der in Art. 7 EuInsVO 2000 verwendeten Begriffe hat nicht autonom, sondern
nach Maßgabe der jeweiligen lex fori concursus zu erfolgen2. In Zweifelsfällen ist das Insol-
venzstatut im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger eher weit und die kon-
kurrierenden Einzelstatute eher eng auszulegen3. Daher ist etwa auch die Pflicht des Ge-
schäftsführers einer GmbH zur Stellung des Insolvenzantrags (vgl. § 15a InsO) insolvenz-
rechtlich zu qualifizieren4. Für die Abgrenzung zwischen dem Insolvenzstatut und dem die
streitgegenständliche Forderung beherrschenden Schuldstatut gelten dabei die gleichen
Grundsätze wie für die Annexzuständigkeit im Recht der internationalen Zuständigkeit (dazu
Rz. 6.556 ff.). Wenn daher für die internationale Zuständigkeit einer vom Insolvenzverwalter
oder gegen ihn erhobenen Klage nicht Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, sondern die Brüssel Ia-VO zur
Anwendung kommt, unterliegt auch der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch
nicht der lex fori concursus (Art. 7 EuInsVO 2015), sondern dem durch die Rom I-VO bzw.
die Rom II-VO bestimmten Einzelstatut5.

6.694 Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang insbesondere die Abgrenzung des Insol-
venzstatuts nach Art. 7 EuInsVO 2015 vom Gesellschaftsstatut in der Insolvenz von Gesell-
schaften, namentlich im Geltungsbereich der europäischen Gründungstheorie. Dazu näher
Rz. 6.174 ff.

dd) Sachnorm- oder Gesamtverweisung?


6.695 Die Frage, ob es sich bei der Anknüpfung materieller Insolvenzwirkungen an die lex fori con-
cursus um eine Sachnorm- oder Gesamtverweisung handelt, ist bisher noch wenig diskutiert

1 Geimer, Rz. 3374; Schack, Rz. 1190.


2 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106
(Rz. 50 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490) zum Begriff
der „Beendigung“ des Insolvenzverfahrens in Art. 4 Abs. 2 lit. j EuInsVO 2000.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 6; Schack, Rz. 1190; ebenso zur EuInsVO 2000 BGH
v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, ZIP 2011, 1775 = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse = NJW 2011,
3784 (Rz. 43) = NZI 2011, 818; Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 90.
4 LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 = GmbHR 2006, 710 m. Anm. Leutner/Lang-
ner = EuZW 2006, 478 (m. abl. Anm. Ringe/Willemer, EuZW 2006, 621); Eidenmüller, NJW 2005,
1618 (1620 f.); U. Huber, FS Gerhardt (2004), S. 397 (425 ff.); Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 f.;
Schack, Rz. 1190; a.A. Mock/Schildt, ZInsO 2003, 399 f.
5 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (auf ungerechtfertigte Bereicherung ge-
stützte Klage des Insolvenzverwaltes gegen ein Dritten auf Zahlung an die Insolvenzmasse).

748 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.697 § 6

worden. Dem rechtsvereinheitlichenden Zweck des europäischen Insolvenzrechts entspricht


es allein, sowohl die Verweisung in Art. 7 EuInsVO auf das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats,
in dem das Verfahren eröffnet wurde, als auch die Sonderanknüpfungen in Art. 8 ff. EuInsVO
2015 als Sachnormverweisungen zu interpretieren1.

Demgegenüber gilt für die Verweisung nach § 335 InsO im autonomen deutschen Insolvenz- 6.696
kollisionsrecht der Grundsatz der Gesamtverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB. Eine Rück-
oder Weiterverweisung des ausländischen Insolvenzstatuts ist daher grundsätzlich zu beach-
ten, sofern sie nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht2. Denkbar ist eine Rück- oder
Weiterverweisung insbesondere aufgrund einer abweichenden Qualifikation bestimmter In-
solvenzwirkungen im Recht des Eröffnungsstaats. Während die Reichweite des Insolvenzsta-
tuts nach § 335 InsO vom deutschen Rechtsanwender nämlich grundsätzlich nach Maßgabe
der deutschen lex fori zu bestimmen ist, hat er im Rahmen der Prüfung einer möglichen
Rück- oder Weiterverweisung von der Einordnung der Insolvenzwirkungen im Recht des aus-
ländischen Eröffnungsstaates auszugehen3. Praktische Bedeutung kann diese Frage insbeson-
dere erlangen, wenn das Recht des Eröffnungsstaates den Anwendungsbereich von Sonderan-
knüpfungen weiter zieht als das deutsche Recht in §§ 336 ff. InsO. Auch bei diesen Sonderan-
knüpfungen des deutschen Rechts (z.B. auf die lex rei sitae) handelt es sich um Gesamtverwei-
sungen. Eine Ausnahme gilt für § 337 InsO, der für Arbeitsverhältnisse auf das internationale
Vertragsrecht (Art. 8 Rom I-VO) verweist, das seinerseits den Renvoi ausschließt (vgl. Art. 20
Rom I-VO; dazu Rz. 2.300 ff.).

b) Durchbrechung durch Sonderanknüpfungen


Die enge Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem materiellen Recht, das die vom Insolvenz- 6.697
beschlag erfassten Einzelgegenstände im Übrigen beherrscht, erfordert freilich gewisse Kor-
rekturen des Grundsatzes von der umfassenden Geltung des Insolvenzstatuts. Zwar kommt
eine generelles Zurückweichen des insolvenzrechtlichen Gesamtstatuts vor dem Belegenheits-
statut der Einzelgegenstände – wie es bisher für den Bereich des Familien- und Erbrechts in
dem inzwischen aufgehobenen Art. 3a Abs. 2 EGBGB angeordnet war – nicht in Betracht,
weil die Insolvenz grundsätzlich das gesamte Vermögen des Schuldners ohne Rücksicht auf
den gegenteiligen Durchsetzungswillen des Belegenheitsstatuts ergreift4. Dementsprechend er-
fasst ein deutsches Insolvenzverfahren das im Ausland belegene Vermögen des Schuldners
auch dann, wenn der Universalitätsanspruch des deutschen Rechts im Belegenheitsstaat nicht
anerkannt wird. Die Geltung des Insolvenzstatuts wird jedoch sowohl im europäischen wie im
deutschen autonomen IIR einerseits durch Sachnormen eingeschränkt, die bestimmte Rechte
an dem außerhalb des Eröffnungsstaates belegenen Vermögen von den Wirkungen des Insol-
venzverfahrens ausnehmen (Art. 8–10 EuInsVO 2015; §§ 338, 351 InsO), andererseits durch

1 Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,


§ 131 Rz. 2; zur EuInsVO 2000 öOGH v. 11.8.2015 – 4 Ob 235/14h, unalex AT-1019; Virgós/
Schmit-Bericht Rz. 87; Duursma-Kepplinger, Art. 4 EuInsVO Rz. 2; Huber, ZZP 114 (2001), 133
(151); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (549); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (329); Wenner,
Rz. 260; vgl. allg. zum Prinzip der Sachnormverweisung in Staatsverträgen und EU-Verordnungen
Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 142 ff., 192 ff.
2 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 29); Geimer, Rz. 3375; Reinhart in Münch-
Komm InsO, vor §§ 335 ff. Rz. 38 f.; wohl auch Schack, Rz. 1192; a.A. (Sachnormverweisung)
Smid, Rz. 57; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 2.
3 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 67 ff. m.w.N.
4 Zust. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 6 ff.

Hausmann | 749
§ 6 Rz. 6.697 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

eine Reihe von Sonderanknüpfungen durchbrochen (vgl. Art. 11–14, 17–18 EuInsVO;
§§ 336–340 InsO). Die Sonderanknüpfungen des europäischen Insolvenzrechts kommen aller-
dings nur zur Anwendung, soweit auf das Recht eines Mitgliedstaats der EuInsVO verwiesen
wird1. Ist demgegenüber das Recht eines Drittstaats als Belegenheitsrecht oder Vertragsstatut
zur Anwendung berufen, gelten stattdessen die – allerdings weitgehend übereinstimmenden –
Kollisionsregeln des autonomen deutschen Rechts2. Ziel dieser Sonderanknüpfungen ist es
insbesondere, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit in den Staaten zu gewährleisten, in de-
nen Vermögenswerte des Schuldners belegen sind3. Als Ausnahmen vom Prinzip der umfas-
senden Geltung der lex fori concursus sind diese Sonderanknüpfungen allerdings einschrän-
kend auszulegen4.

2. Dingliche Sicherungsrechte von Gläubigern


a) Europäisches Insolvenzrecht
6.698 Der Wert dinglicher Sicherheiten zeigt sich zumeist erst im Insolvenzfall. Hier kommt es zum
Zielkonflikt zwischen dem Interesse an der Einheitlichkeit der Insolvenzabwicklung und der
Verwertung des Schuldnervermögens zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, das für
die durchgängige Anwendung der lex fori concursus spricht5, und dem Vertrauen der dinglich
gesicherten Gläubiger in den Schutz ihrer dinglichen Rechte nach dem Recht des jeweiligen
Lageorts6. Die kollisionsrechtliche Behandlung der Sicherungsrechte ist daher zu Recht als
„Knackpunkt des Internationalen Insolvenzrechts“ bezeichnet worden7. In der deutschen Lite-
ratur hat man versucht, beiden Zielen dadurch Rechnung zu tragen, dass man die Entstehung
der Sicherungsrechte der jeweiligen lex rei sitae, ihre insolvenzrechtlichen Wirkungen hin-
gegen der lex fori concursus unterworfen hat8.

6.699 Der europäische Gesetzgeber hat sich demgegenüber in Art. 8 Abs. 1 EuInsVO 2015 eindeutig
für einen Vorrang der Schutzinteressen der dinglich gesicherten Gläubiger – und der hinter
ihnen stehenden Kreditinstitute9 – nach Maßgabe des Belegenheitsrechts entschieden. Denn
danach wird das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder un-
körperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners, die sich zum
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats be-
finden, „von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“. Die Gläubiger, deren Forderungen
durch dingliche Rechte an Gegenständen gesichert sind, die in anderen Mitgliedstaaten bele-
gen sind, genießen damit einen weitergehenden Schutz als Gläubiger, die im Eröffnungsstaat

1 Dies folgt i.d.R. bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften, gilt aber auch etwa für Art. 9 und 17
EuInsVO 2015, deren Wortlaut eine solche Beschränkung nicht enthält, vgl. den Virgós/Schmit-
Bericht Rz. 93; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (138, 152).
2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 93; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (152 f.); krit. dazu Schack, Rz. 1192.
3 Vgl. ErwG 67 S. 2 zur EuInsVO 2015; ErwG 24 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 92.
4 So auch Schack, Rz. 1190; Wenner, Rz. 256.
5 Vgl. i.d.S. Favoccia, S. 28 ff. (45 f., 50 ff.).
6 Für Anwendung der lex rei sitae daher schon OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 101/64, IPRspr.
1964/65 Nr. 73.
7 Schack, Rz. 1198; vgl. auch Aderhold, S. 281: „Achillesferse ... universeller Öffnung“.
8 Favoccia, S. 24 ff.; Prütting, ZIP 1996, 1277 (1284); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (329 ff.).
9 Vgl. ErwG 68 S. 1 zur EuInsVO 2015 und ErwG 25 zur EuInsVO 2000, wo auf die erhebliche
Bedeutung der dinglichen Rechte für die Kreditgewährung hingewiesen wird; ferner den Virgós/
Schmit-Bericht Rz. 97; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (153 f.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (333).

750 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.701 § 6

selbst dingliche Sicherheiten innehaben1. Als geschützte Rechte i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EuInsVO
2015 werden in Abs. 2 insb. Pfandrechte und Hypotheken, zur Sicherheit abgetretene Forde-
rungen, dingliche Herausgabeansprüche und Nießbrauchsrechte genannt. Diese Aufzählung
ist aber nicht abschließend.

Ob die Verordnung die Qualifikation eines Rechts als „dingliches Recht“2 der jeweiligen lex rei 6.700
sitae überlässt3, oder ob der Begriff europäisch-autonom ausgelegt werden sollte4, ist umstrit-
ten. Der EuGH hat sich auf Vorlage des BGH5 für eine zweistufige Prüfung ausgesprochen:
Danach ist die Frage, ob es sich bei der streitgegenständlichen Rechtsposition um ein „ding-
liches Recht“ handelt, auf der ersten Stufe nach dem nationalen Recht der Belegenheit zu ent-
scheiden. Wird die Einordnung als dingliches Recht von der lex rei sitae bejaht, so muss aller-
dings in einem zweiten Schritt noch geprüft werden, ob diese Qualifikation mit den Vorgaben,
welche die EuInsVO an ein dingliches Recht stellt, im Einklang steht6. Den dinglichen Rechten
stehen andere, in öffentlichen Registern eingetragene und gegen jedermann wirkende Rechte,
wie z.B. die Vormerkung (vgl. § 106 InsO)7, nach Art. 8 Abs. 3 EuInsVO 2015 gleich.

Art. 8 Abs. 1 EuInsVO enthält keine kollisionsrechtliche Verweisung auf die lex rei sitae8, son- 6.701
dern eine bloße Sachnorm, die der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Gründen des Ver-
trauensschutzes und der Rechtssicherheit jeglichen Einfluss auf die geschützten dinglichen
Rechte der Gläubiger und sonstiger Dritter abspricht, soweit diese in einem anderen Mitglied-
staat der Verordnung belegen sind9. Daraus folgt, dass in einem ersten Schritt die wirksame
Entstehung, der Fortbestand und der Inhalt des dinglichen Rechts nach den allgemeinen Re-

1 Balz, ZIP 1996, 948 (950); Deipenbrock, EWS 2001, 113 (116); Eidenmüller, IPRax 2001, 1 (6);
Huber, ZZP 114 (2001), 133 (157 f.); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615 f.); Kolman, S. 308; Leible/
Staudinger, KTS 2000, 533 (550); Liersch, NZI 2002, 15 (16); Paulus, NZI 2001, 506 (513).
2 Zum Begriff der „dinglichen Rechte“ i.S.d. Verordnung näher Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuIns-
VO Rz. 50 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (155 f.). Dazu gehört etwa das Pfändungspfandrecht
nach österr. Recht (BGH v. 15.10.2015 – IX ZR265/12, NZI 2015, 1038 (Rz. 17 ff.) m. Anm.
Stangl/Kern = RIW 2016, 231 = ZIP 2015, 2833) und die „floating charge“ des engl. Rechts (vgl.
Smid, Art. 5 EuInsVO Rz. 15 f.).
3 Dafür Paulus, Art. 5 EuInsVO Rz. 7; Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuInsVO Rz. 5; im Erg. auch
EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 27 f.) = ZIP 2015,
1030 unter Hinweis auf ErwG 25 zur EuInsVO 2000.
4 Dafür BGH v. 12.3.2015 − V ZB 41/14, NZI 2015, 668 (Rz.15); Hübler, NZI 2016, 990 (994); Kind-
ler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 4 ff.; Wenner, Rz. 296.Vgl. auch den Virgós/Schmit-Be-
richt Rz. 103.
5 BGH v. 12.3.2015 – V ZB 41/14, NZI 2015, 668 m. Anm. Fritz = RIW 2015, 521.
6 EuGH v. 26.10.2016 − C-195/15, ECLI:EU:C:2016:804 (Senior Home), NZI 2016, 1011(Rz. 22) m.
Anm. Fritz (zur Qualifikation einer öffentlichen Last nach § 12 GrdStG i.V.m. § 77 Abs. 2 S. 1 AO
als dingliches Recht i.S.v. Art. 5 EuInsVO 2000); dazu die Abschlussentscheidung des BGH v.
8.12.2016 – V ZB 41/14, NZI 2017, 457 m. Anm. Mankowski = ZIP 2017, 535.
7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 18; Deipenbrock, EWS 2001, 113 (117); von
Wilmowsky, EWS 1997, 295 (297).
8 So aber die sog. Kollisionsnormtheorie, vgl. Becker, JbItalR 18 (2005), 75 ff.; Flessner, IPRax 1997,
1 (7); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (227); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (772).
9 So die h.M., vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 22; Schack, Rz. 1199; aus-
führlich Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 14 ff., 22 m.w.N.; ebenso zur EuInsVO 2000
Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuInsVO Rz. 22; Haas, FS Gerhardt (2004), S. 328; Herchen, S. 94 ff.;
Huber, ZZP 114 (2001), 153 (154 ff.); Reinhart, IPRax 2012, 417, 419; Taupitz, ZZP 111 (1998),
315 (334); vgl. auch BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 19) = ZIP 2011, 926 =
NJW 2011, 1818 = IPRax 2012, 427.

Hausmann | 751
§ 6 Rz. 6.701 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

geln des internationalen Sachenrechts, d.h. i.d.R. nach der jeweiligen lex rei sitae (vgl. für das
deutsche Recht Art. 43 Abs. 1 EGBGB) zu prüfen ist1. Insoweit ist bei Mobiliarsicherheiten zu
beachten, dass der Grenzübertritt der Sicherungsgegenstände i.d.R. einen Statutenwechsel zur
Folge hat, der namentlich beim Eigentumsvorbehalt und beim Sicherungseigentum mangels
der vom neuen Belegenheitsrecht geforderten Publizität auch zum Untergang des Sicherungs-
rechts führen kann2. Besteht das Sicherungsrecht des Gläubigers nach dem Recht des Belegen-
heitsstaats, so wird es durch die Eröffnung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens in einem anderen
Mitgliedstaat „nicht berührt“. Daraus folgt, dass vom ausländischen Insolvenzrecht des Eröff-
nungsstaates ermöglichte Eingriffe in die Befugnis des Gläubigers, das im Inland belegene
dingliche Recht im Sicherungsfall, ggf. im Wege der Einzelzwangsvollstreckung, zu verwerten
und den sich aus der Verwertung ergebenden Erlös einzubehalten, soweit dies zur Tilgung der
gesicherten Forderung erforderlich ist, hier nicht anerkannt werden3. Der Gegenstand selbst,
an dem das Sicherungsrecht besteht, scheidet jedoch deswegen nicht aus der Insolvenzmasse
aus, denn über deren Umfang entscheidet allein die lex fori concursus (vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2
lit. b EuInsVO 2015)4. Der dem Gläubiger durch Art. 8 EuInsVO 2015 gewährte Schutz be-
trifft allerdings nur den Inhalt seines dinglichen Rechts, nicht die vollstreckungsrechtlichen
Voraussetzungen, unter denen es geltend zu machen ist5.

6.702 Praktische Bedeutung hat dieses enge Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO vor allem für die
Verwertungsbefugnisse des Insolvenzverwalters. Dieser hat zunächst die Möglichkeit, im
Belegenheitsstaat die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu beantragen, sofern der
Schuldner dort eine Niederlassung hat (Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO)6; in diesem Verfahren
stehen ihm die gleichen Befugnisse zum Eingriff in die Rechte der Gläubiger zu wie in einem
im Belegenheitsstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren (dazu Rz. 6.684 f.)7. Da die Gegen-
stände, an denen dingliche Recht Dritter bestehen, weiterhin zur Insolvenzmasse des Haupt-
verfahrens gehören, ist der Verwalter aber auch berechtigt, die gesicherte Forderung zu tilgen
und den belasteten Gegenstand zur Masse zu ziehen, oder nach Verwertung der Sicherheit
durch den Gläubiger einen etwaigen Überschuss für die Masse einzufordern8.

1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 95; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 25, 41 ff.;
Huber, ZZP 114 (2001), 133 (154 ff.); Herchen, S. 78 ff.; Schack, Rz. 1200; Taupitz, ZZP 111 (1998),
315 (335); Wenner, Rz. 298.
2 Vgl. Favoccia, S. 52 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 35.
3 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 19) = ZIP 2011, 926 = NJW 2011, 1818;
Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 42; Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuIns-
VO Rz. 23.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 24; Schack, Rz. 1200; ebenso zur EuInsVO 2000 Hu-
ber, ZZP 114 (2001), 133 (158 f.); Kolmann, S. 305 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (552 f.);
Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (339 f.); krit. Wenner, Rz. 300.
5 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 = NJW 2011, 1818 = ZIP 2011, 926; dazu Rein-
hart, IPRax 2012, 417.
6 ErwG 68 S. 4 zur EuInsVO 2015.
7 Davon ging schon der Verordnungsgeber der EuInsVO 2000 als Regelfall aus, vgl. ErwG 25; ferner
den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 98; Huber, EuZW 2002, 490 (493); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615 f.).
Dies setzt allerdings notwendig eine Niederlassung des Schuldners im Belegenheitsstaat voraus,
vgl. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO.
8 Vgl. ErwG 68 S. 5 zur EuInsVO 2015 und ErwG 25 a.E. zur EuInsVO 2000; ferner den Virgós/
Schmit-Bericht Rz. 99; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 45; Huber, ZZP 114
(2001), 133 (158 f.); Kolmann, S. 305 f.; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (339 f.); a.A. Flessner, FS
Drobnig (1998), S. 277 (283 ff.); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (227 f.): Statut des Sicherungsrechts
entscheidet über die Zugriffsmöglichkeit des Insolvenzverwalters.

752 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.705 § 6

Das europäische Insolvenzrecht bekräftigt den Grundsatz des Art. 8 Abs. 1 in Art. 10 Abs. 1 6.703
EuInsVO 2015 bzgl. des (einfachen)1 Eigentumsvorbehalts des Verkäufers in der Käuferinsol-
venz. Danach lässt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer auch die Rechte
des Verkäufers aus dem Eigentumsvorbehalt „unberührt“, wenn dieser nach der lex rei sitae
wirksam begründet worden ist und – im Falle eines Statutenwechsels – nach dem neuen Bele-
genheitsrecht fortbesteht2. Insoweit gilt für den Eigentumsvorbehalt das zu Art. 8 EuInsVO
2015 Gesagte entsprechend; insbesondere ist auch Art. 10 Abs. 1 EuInsVO als Sachnorm zu
qualifizieren3. Darüber hinaus hindert die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den
Verkäufer einer Sache nach Art. 10 Abs. 2 EuInsVO 2015 den Eigentumserwerb des Käufers
dann nicht, wenn sich die Kaufsache zur Zeit der Verfahrenseröffnung4 im Gebiet eines ande-
ren Mitgliedstaats befindet. Geschützt wird durch diese Vorschrift des materiellen europäi-
schen Einheitsrechts das Anwartschaftsrecht des Käufers, der seinen Eigentumserwerb durch
Zahlung des Restkaufpreises auch gegen den Willen des Insolvenzverwalters vollenden kann5.

b) Autonomes Insolvenzrecht
Wurde das (Haupt-)Insolvenzverfahren nicht in einem Mitgliedstaat der EuInsVO eröffnet, so 6.704
beurteilt sich das auf dingliche Rechte Dritter an im Inland belegenen Gegenständen der In-
solvenzmasse anwendbare Recht nach dem autonomen deutschen Kollisionsrecht. Dieses sieht
in § 351 Abs. 1 InsO eine weitgehend mit Art. 8 Abs. 1 EuInsVO 2015 übereinstimmende
Sachnorm vor. Auch danach wird das Recht eines Dritten an einem Gegenstand der Insol-
venzmasse, der zur Zeit der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland bele-
gen war, und das nach inländischem Recht einen Anspruch auf Aussonderung oder auf abge-
sonderte Befriedigung gewährt, von der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens
nicht berührt. Auf diese Weise soll auch im Verhältnis zu Drittstaaten sichergestellt werden,
dass das Vertrauen des inländischen Wirtschaftsverkehrs in hier bestehende dingliche Sicher-
heiten nicht durch die Auswirkungen eines fremden Insolvenzstatuts entwertet wird6. Damit
schützt die Vorschrift die gesicherten Gläubiger vor solchen Einschränkungen der Sicherungs-
rechte, die über das deutsche Insolvenzrecht hinausgehen. Der ausländische Insolvenzverwal-
ter kann daher nicht geltend machen, dass ein bestimmtes Sicherungsrecht nach dem Recht
des Eröffnungsstaates keine oder geringere Wirkungen als nach dem deutschen Belegenheits-
recht hat7. Der Umfang des Schutzes, den das deutsche Sicherungsrecht gewährt, ist mithin
unabhängig davon, ob das Insolvenzverfahren im Inland oder im Ausland eröffnet wird.

Dies gilt insbesondere für das Recht des Gläubigers zur Aus- und Absonderung. Insoweit be- 6.705
urteilen sich also die Entstehung und der Inhalt von dinglichen Rechten, die zu einer Aus-
oder Absonderung berechtigen, nicht nach dem Insolvenzstatut, sondern nach dem jeweiligen

1 Vgl. Herchen, S. 129 f.; Smid, Art. 7 EuInsVO Rz. 2.


2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 51; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (159 f.);
Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (342).Vgl. App. Bastia v. 6.7.2016, unalex FR-2492.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 10 EuInsVO Rz. 9; ebenso schon EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08,
ECLI:EU:C:2009:544 (GermanGraphics), Slg. 2009 I, 8421 (Nr. 35) = NZI 2009, 741 = ZIP 2009,
2345 = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); dazu Lüttringhaus/Weber, RIW
2010, 45; Mankowski, NZI 2010, 508.
4 Die nachträgliche Verbringung der Kaufsache in einen anderen Staat berührt die Rechte des Käu-
fers nach Art. 10 Abs. 2 EuInsVO nicht.
5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 114; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (160).
6 Regierungsbegründung zu § 351 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 28 f.
7 Flessner, IPRax 1997, 1 (7); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 42.

Hausmann | 753
§ 6 Rz. 6.705 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Sachstatut1. Demgegenüber entscheidet über die Frage, ob eine abgesonderte Befriedigung zu-
lässig ist und unter welchen Voraussetzungen der gesicherte Gläubiger zur Verwertung des
Gegenstandes der Absonderung berechtigt ist, das Insolvenzverfahrensrecht des Eröffnungs-
staates2. Dem ausländischen Insolvenzverwalter steht es allerdings auch nach autonomem
Recht (§ 356 InsO) frei, die Eröffnung eines inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens zu be-
antragen, in das die gesicherten Gläubiger nach den Bestimmungen des deutschen Insolvenz-
rechts einbezogen sind.

6.706 § 351 Abs. 1 InsO enthält allerdings nur eine einseitige Kollisionsnorm zu den Auswirkun-
gen eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens auf dingliche Rechte Dritter, die an im Inland
belegenen Gegenständen begründet sind. Hingegen fehlt eine kollisionsrechtliche Regelung
für den Fall, dass der Gegenstand, an dem das dingliche Sicherungsrecht des Gläubigers be-
steht, in einem Staat belegen ist, der nicht Mitgliedstaat der EuInsVO ist. Insoweit erscheint es
konsequent, die einseitige Kollisionsnorm in § 351 Abs. 1 InsO zur allseitigen Kollisionsnorm
auszubauen und dem Belegenheitsrecht auch in diesem Fall Vorrang vor dem – deutschen
oder drittstaatlichen – Insolvenzstatut einzuräumen3. Ein Aussonderungsrecht bzgl. einer in
einem Drittstaat belegenen Sache besteht daher auch bei einer Inlandsinsolvenz, wenn der Ge-
genstand nach den auf ihn anwendbaren sachenrechtlichen Vorschriften der fremden lex rei
sitae im Eigentum des die Aussonderung begehrenden Gläubigers steht.

3. Eintragungspflichtige Rechte des Schuldners


6.707 Um Kollisionen zwischen der lex fori concursus und nationalen Eintragungssystemen zu ver-
meiden, enthält das europäische Insolvenzrecht für die Wirkungen der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens auf eintragungspflichtige Rechte des Schuldners4 in Art. 14 EuInsVO 2015
eine echte Kollisionsnorm. Danach ist für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Rechte
des Schuldners an einem unbeweglichen Gegenstand, einem Schiff oder einem Luftfahrzeug,
die der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegen, das Recht des Mitgliedstaats maß-
gebend, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird. Damit wird klargestellt, dass das in
einem anderen Mitgliedstaat eröffnete Insolvenzverfahren die Rechte des Schuldners an im
Inland belegenen Immobilien, Schiffen oder Luftfahrzeugen nur in dem Umfang beschränkt
wie ein inländisches Verfahren. Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens, die im
Recht des registerführenden Mitgliedstaats nicht vorgesehen sind, können somit auch nicht
eintreten5. Anders als das Belegenheitsrecht nach Art. 8 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.713 f.)
oder das Arbeitsvertragsstatut nach Art. 13 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.715 ff.) gilt das Recht
des Registrierungsstaats allerdings nach Art. 14 EuInsVO nicht „ausschließlich“; es begrenzt
vielmehr nur die Wirkungen der ausländischen lex fori concursus auf eintragungspflichtige
Rechte6. Daher ist zunächst zu prüfen, ob das nach der lex fori concursus entstandene Recht
im Registerstaat eine Entsprechung hat. Fehlt es daran, hat die Eintragung zu unterleiben. An-

1 Vgl. Geimer, Rz. 3553 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 25; a.A. Trunk,
S. 136 ff.; Wenner, Rz. 298.
2 Geimer, Rz. 3554; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 30; Wenner, Rz. 300.
3 Anders Schack, Rz. 1201; Wenner, Rz. 305; die in Fällen der Drittstaatsbelegenheit Beschränkun-
gen durch das Insolvenzstatut respektieren möchten.
4 Für Rechte von Gläubigern oder sonstigen Dritten gilt Art. 8 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.699 ff.).
5 Balz, ZIP 1996, 998 (950); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (164); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (346).
6 Kindler in MünchKomm, Art. 14 EuInsVO Rz. 9. Diese kumulative Rechtsanwendung erschwert
die Abwicklung des Insolvenzverfahrens freilich nicht unbeträchtlich, vgl. den Virgós/Schmit-Be-
richt Rz. 130; Wenner, Rz. 308.

754 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.710 § 6

dernfalls ist das im Wege der Anpassung ermittelte sachnächste Recht des Registerstaats ein-
zutragen1.

Eine entsprechende Regelung sieht das autonome deutsche Recht in § 351 Abs. 2 InsO vor. 6.708
Danach bestimmen sich die Wirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens auf Rechte des
Schuldners an unbeweglichen Gegenständen, die im Inland belegen sind, ausschließlich nach
deutschem Recht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass an einem inländischen Grundstück
keine dem deutschen Sachenrecht fremden Generalhypotheken oder Superprivilegien entste-
hen können2. Ferner wird auch eine mittelbare Beeinträchtigung dinglicher Rechte an Immo-
bilien durch dem deutschen Recht fremde Rückübertragungsansprüche kraft ausländischen
Insolvenzrechts vermieden3.

4. Vertragsverhältnisse
a) Abwicklung schwebender Geschäfte
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt im Rahmen beiderseits nicht oder nicht vollstän- 6.709
dig erfüllter Verträge zu einer Leistungsstörung. Denn die Primärpflichten aus dem Vertrags-
verhältnis erlöschen zwar nicht mit der Insolvenzeröffnung; sie sind aber nach § 320 BGB
nicht mehr durchsetzbar, wenn der Insolvenzverwalter nicht rechtzeitig gem. § 103 InsO Er-
füllung wählt4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers wandelt sich für diesen Fall bei Gel-
tung deutschen Vertragsstatuts in einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 283
BGB um, der gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO nur als einfache Insolvenzforderungen zur Tabelle
angemeldet werden kann.

Die Abwicklung schwebender Geschäfte gehört zu den typischen Funktionen eines Insolvenz- 6.710
verfahrens und unterliegt als solche dem Insolvenzstatut, nicht dem durch die Rom I-VO be-
stimmten Vertragsstatut. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht in Art. 7 Abs. 2 S. 2
lit. e EuInsVO ausdrücklich bestimmt5, gilt aber auch im autonomen deutschen Insolvenzkol-
lisionsrecht nach § 335 InsO entsprechend6. Bei einem im Inland eröffneten Insolvenzverfah-
ren hat der Verwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO daher auch dann, wenn der Vertrag mit
einem ausländischen Partner geschlossen wurde, im Ausland zu erfüllen ist und nach Art. 3 ff.
Rom I-VO ausländischem Recht untersteht. Umgekehrt stehen dem ausländischen Verwalter
diesbezüglich die Befugnisse nach der fremden lex fori concursus auch dann zu, wenn der Ver-
trag deutschem Recht unterliegt. Das Insolvenzstatut beherrscht sowohl die Voraussetzungen
wie die Rechtswirkungen einer Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter.
Räumt es dem Vertragspartner des Schuldners im Falle der Ablehnung der Vertragserfüllung
einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ein, so bestimmt sich der Umfang dieses
Schadensersatzanspruchs freilich nach dem Vertragsstatut (vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-

1 Kindler in MünchKomm, Art. 14 EuInsVO Rz. 10; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 131 Rz.19.
2 Vgl. i.d.S. schon – unter Hinweis auf § 390 Abs. 2 E-InsO – Geimer, Rz. 3541.
3 RegBegr. zu § 351 Abs. 2 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 29.
4 Vgl. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 (359) = ZIP 2002, 1093. Wählt der Insol-
venzverwalter Erfüllung, so begründet er damit eine Masseschuld, vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 117; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 29; Huber, ZZP 114
(2001), 133 (162).
6 Geimer, Rz. 3538 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 57; Schack, Rz. 1193;
Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (344); Trunk, S. 174; Wenner, Rz. 313.

Hausmann | 755
§ 6 Rz. 6.710 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VO; dazu Rz. 3.153 ff.)1. Gleiches gilt für die Folgen eines vom Insolvenzverwalter nach Maß-
gabe der lex fori concursus erklärten Rücktritts vom Vertrag2. Eingeschränkt wird das Wahl-
recht des Insolvenzverwalters nach Maßgabe der lex fori concursus lediglich beim Eigentums-
vorbehalt durch Art. 10 Abs. 2 EuInsVO (dazu Rz. 6.703).

b) Immobilienverträge
6.711 Für Miet- und Pachtverträge über Immobilien wurde die lex fori concursus schon nach bishe-
riger Auffassung durch die lex rei sitae verdrängt3, d.h. der Insolvenzeröffnung wurden auf
diese Verträge keine weitergehenden Wirkungen beigemessen als nach dem Belegenheitsrecht
des Grundstücks oder der Wohnung. Auch die Auslandsinsolvenz hatte demnach – vor allem
aus Gründen des Mieterschutzes – auf Mietverträge an inländischen Grundstücken nur die
Wirkungen nach §§ 109 ff. InsO. Demgegenüber sollte es für Grundstückskaufverträge nach
bisher h.M. bei der allgemeinen Anwendung des Rechts des Eröffnungsstaates verbleiben4.

6.712 Weitergehend unterstellt das europäische Insolvenzrecht in Art. 11 EuInsVO die Wirkungen
des Insolvenzverfahrens auf sämtliche Verträge, die zum Erwerb oder zur Nutzung unbeweg-
licher Gegenstände5 berechtigen, ausschließlich der lex rei sitae, um dort Vertrauensschutz
und Rechtssicherheit in Bezug auf solche Verträge zu gewährleisten6. Die Regelung ist nicht
auf Verpflichtungsverträge beschränkt, sondern gilt auch für dingliche Verträge (z.B. die Auf-
lassung)7. Damit wird das Verkehrsschutzinteresse des Belegenheitsstaates höher bewertet als
der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger8. Soweit die Anfechtbarkeit oder Un-
wirksamkeit eines solchen Vertrages geltend gemacht wird, hat allerdings die Anknüpfung an
die lex fori concursus nach Art. 7 Abs. 2 lit. m, Art. 16 EuInsVO Vorrang vor Art. 11 EuInsVO
20159.

6.713 An Art. 11 EuInsVO anknüpfend unterwirft auch das autonome deutsche Insolvenzkollisi-
onsrecht in § 336 S. 1 InsO nicht nur die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Miet- oder
Pachtverträge über Grundstücke, sondern auch auf Verträge über die Veräußerung oder Belas-
tung von Grundstücken dem Belegenheitsrecht. Dabei vermeidet die Neuregelung bei Ver-
pflichtungsverträgen den Umweg über das internationale Vertragsrecht des Belegenheitsstaa-
tes und erklärt – ebenso wie Art. 11 EuInsVO 201510 – als Sachnormverweisung unmittelbar
das materielle Recht der lex rei sitae (einschließlich des dortigen Insolvenzrechts) für an-

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 547; Wenner, Rz. 333.
2 OLG Rostock v. 13.4.2006 – 7 U 108/03, NJOZ 2007, 2532.
3 Aderhold, S. 280; Flessner, IPRax 1997, 1 (8); Trunk, S. 174; einschränkend (nur für Wohnraum-
miete) Schollmeyer, S. 177 ff.
4 So Trunk, S. 176 m.w.N.; a.A. aber Aderhold, S. 280; Geimer, Rz. 3548.
5 Der Begriff des unbeweglichen Gegenstands ist dabei – ebenso wie in Art. 24 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
(dazu Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 84) – autonom auszulegen, vgl.
öOGH v. 21.3.2018 – 1 Ob 24/18p, unalex AT-1144; Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO
Rz. 2.
6 Vgl. ErwG 67 zur EuInsVO 2015; EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz),
NZI 2015, 478 (Rz. 34) = ZIP 2015, 1030.
7 Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO Rz. 5; a.A. Mankowski, FS Görg (2010), S. 273 (280 f.).
8 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 118.
9 OLG Koblenz v. 10.12.2010 – 8 U 1112/09, NZI 2011, 448; LG Göttingen v. 13.4.2011 – 5 O 102/
07, IPRspr. 2011 Nr. 320. Ebenso zum Verhältnis von § 335 und § 336 InsO BGH v. 8.2.2018 – IX
ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 17 ff.) = ZIP 2018, 1455.
10 Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO Rz. 1.

756 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.716 § 6

wendbar1. Diese bleibt mithin auch dann maßgeblich, wenn die Parteien für den Vertrag nach
Art. 3 Rom I-VO ein anderes Recht gewählt haben2. Liegt das Grundstück im Inland, so hat
der Insolvenzverwalter daher stets das Wahlrecht nach § 103 InsO; die ausländische lex fori
concursus bleibt insoweit vollständig außer Betracht.

Das besondere Insolvenzstatut für Verträge über einen unbeweglichen Gegenstand nach 6.714
Art. 11 EuInsVO 2015 bzw. § 336 InsO betrifft jedoch nur das Schicksal der weiteren Durch-
führung solcher Verträge aufgrund von insolvenzrechtlichen Bestimmungen und die Frage, ob
Lösungsmöglichkeiten aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen. Demgegen-
über beurteilt sich die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen im Zusammenhang mit solchen
Verträgen ausschließlich nach dem von Art. 7 EuInsVO 2015 bzw. § 335 InsO zur Anwendung
berufenen lex fori concursus3.

c) Arbeitsverhältnisse
Neben dem Wohnungsmieter verdienen insbesondere Arbeitnehmer in der Insolvenz des Ar- 6.715
beitgebers besonderen Schutz. Der Umfang und Inhalt dieses Schutzes – z.B. durch Sozialplä-
ne – ist in den einzelnen Rechten sehr unterschiedlich ausgestaltet. Um dem Arbeitnehmer
denjenigen Schutz zu erhalten, den das auf seinen Arbeitsvertrag anwendbare Recht im Falle
der Insolvenz des Arbeitgebers vorsieht, und auf den er deshalb vertraut hat, schreibt Art. 13
EuInsVO 2015 für Arbeitsverhältnisse eine von der lex fori concursus abweichende Sonderan-
knüpfung an das Arbeitsvertragsstatut vor. Danach gilt für die Wirkungen des Insolvenzver-
fahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis4 ausschließlich das Recht, das
nach dem IPR des Eröffnungsstaates auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist; dies ist den Mit-
gliedstaaten einheitlich das von Art. 8 Rom I-VO bestimmte Recht5. Durch diese Sonderan-
knüpfung soll für den Arbeitnehmer vor allem Rechtsklarheit darüber geschaffen werden, wie
sich die Insolvenz des Arbeitgebers auf seinen Arbeitsplatz auswirkt. Die hier erforderliche
Transparenz ist nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers am besten gewährleistet,
wenn sich auch die insolvenzrechtlichen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausschließ-
lich nach dem Arbeitsvertragsstatut beurteilen6.

Das durch Rechtswahl oder objektiv nach Art. 8 Abs. 2-4 Rom I-VO bestimmte Statut des 6.716
Arbeitsvertrags gilt insbesondere für die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Insol-

1 Geimer, Rz. 3545; Schack, Rz. 1196.


2 Kindler in MünchKomm, § 336 InsO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131
Rz. 72; ebenso schon zur EuInsVO 2000. Duursma-Kepplinger, Art. 8 EuInsVO Rz. 7, 9; Taupitz,
ZZP 111 (1998), 315 (345).
3 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 18) = ZIP 2018, 1455.
4 Die Begriffe „Arbeitsvertrag“ und „Arbeitsverhältnis“ sind autonom und ebenso auszulegen wie
in Art. 8 Rom I-VO; dazu näher Rz. 11.20 ff.; ferner Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO
Rz. 3 f.
5 Vgl. ErwG 72 S. 1 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 1; Kolmann/
Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 59; vgl. schon ErwG 28 zur EuInsVO 2000; dazu
BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011 m. Anm.
Hess; Duursma-Kepplinger, Art. 10 EuInsVO Rz. 1; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (162); Leible/Stau-
dinger, KTS 2000, 533 (558); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (344).
6 Vgl. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 33) = ZIP 2012, 2312; ferner den
Virgós/Schmit-Bericht Rz. 125. Die lex fori concursus kommt also auch dann nicht – kumulativ
oder alternativ – zur Anwendung, wenn sie im Einzelfall für den Arbeitnehmer günstiger ist, vgl.
BAG aaO.

Hausmann | 757
§ 6 Rz. 6.716 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

venz des Arbeitgebers gekündigt oder sonst aufgelöst werden kann1. Bei der Veräußerung ei-
nes deutschen Betriebs durch den ausländischen Insolvenzverwalter gilt dementsprechend
zum Schutz der dort beschäftigten Arbeitnehmer § 613a BGB2. Ist zur insolvenzbedingten Be-
endigung eines Arbeitsvertrages die Zustimmung eines Gerichts oder einer Behörde erforder-
lich, so bleibt für die Erteilung dieser Zustimmung die Zuständigkeit in dem Mitgliedstaat er-
halten, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, selbst wenn in diesem Mit-
gliedstaat kein (Sekundär-)Insolvenzverfahren eröffnet wurde3. Art. 13 EuInsVO findet aller-
dings nur Anwendung, wenn der Arbeitsvertrag dem Recht eines Mitgliedstaats der Verord-
nung unterliegt. Ist dies nicht der Fall, so überlässt die Verordnung den Arbeitnehmerschutz
dem nationalen Kollisionsrecht. Aus deutscher Sicht macht dies keinen Unterschied, weil auch
§ 337 InsO auf Art. 8 Rom I-VO verweist4.

6.717 In der deutschen Literatur ist dieser Umweg über das Vertragskollisionsrecht z.T. kritisiert
und – in Anlehnung an Art. 13 Abs. 2 des deutsch-österreichischen Konkursvertrages – eine
unmittelbare Verweisung auf das Recht am gewöhnlichen Arbeitsort befürwortet worden5.
Damit besteht die Gefahr, dass sich die Auswirkungen der Insolvenz auf das Arbeitsverhältnis
nach einem Recht bestimmen könnten, das weder Insolvenzstatut noch Arbeitsvertragsstatut
ist. Aus diesem Grunde hat sich der deutsche Gesetzgeber auch im autonomen Insolvenzkol-
lisionsrecht (§ 337 InsO) zu Recht für die Anwendung des nach Art. 8 Rom I-VO zu bestim-
menden Statuts des Arbeitsvertrags entschieden. Unterliegt der Arbeitsvertrag deutschem
Recht, so beurteilen sich mithin auch die Rechtsfolgen einer in einem Drittstaat über das Ver-
mögen des Arbeitgebers eröffneten Insolvenz stets nach § 113 InsO6.

6.718 Die Sonderanknüpfung nach Art. 13 EuInsVO bzw. § 337 InsO gilt nur für insolvenzrecht-
liche Wirkungen der Verfahrenseröffnung. Demgegenüber bestimmt sich etwa die Frage, ob
Arbeitnehmer durch ein Vorrecht in der Insolvenz des Arbeitgebers gegenüber anderen Gläu-
bigern bevorzugt werden, und welchen Rang dieses Vorrecht ggf. hat, nach dem Recht des
Eröffnungsstaates7. Dies entsprach auch schon bisher der in Deutschland vorherrschenden
Ansicht, die die Konkursvorrechte nach § 61 KO im Falle der Inlandsinsolvenz ohne Rücksicht
auf die lex causae durchgesetzt hatte8.

1 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312; ferner BAG v. 13.12.2012 – 6
AZR 348/11, NZA 2013, 669 (Rz. 96) = ZIP 2013, 950; LAG Hessen v. 15.2.2011 – 13 Sa 767/10,
IPRspr. 2012 Nr. 63b; LAG Hessen v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, NZI 2011, 203 m. Anm. Man-
kowski; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057; Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 6; Kol-
mann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb. § 132 Rz. 73; Wimmer, NJW 2002, 2427.
2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb. § 131 Rz. 75.
3 ErwG 72 S. 2 zur EuInsVO 2015.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 11; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.
§ 131 Rz. 72; a.A. Huber, ZZP 114 (2001), 133 (163), der es für diesen Fall bei der alleinigen Gel-
tung der lex fori concursus belassen möchte.
5 Vgl. etwa Schack, Rz. 1195.
6 Ebenso schon bisher Flessner, IPRax 1997, 1 (8); Geimer, Rz. 3550; Trunk, S. 172 ff.
7 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. i EuInsVO 2015; ErwG 72 S. 3 zur EuInsVO 2015; Kolmann/Ch. Keller
in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 77; ferner schon ErwG 28 a.E. zur EuInsVO 2000; Huber, ZZP
114 (2001), 133 (163); Paulus, NZI 2001, 505 (513).
8 LAG Düsseldorf v. 7.12.1990 – 9 Sa 1397/90, RIW 1992, 402 m. Anm. Klima; BAG v. 24.3.1992 –
9 AZR 76/91, ZIP 1992, 1158 = RIW 1994, 160 m. Anm. Langer/Lentföhr = EWiR 1992, 1011 m.
Anm. Hanisch (Gleichstellung der klagenden französ. Außendienstmitarbeiterin [„voyageur, re-
présentant et placier“] mit einem „Arbeitnehmer“ i.S.v. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO verneint, weil die
Klägerin weisungsunabhängig und wirtschaftlich selbständig für das Unternehmen der Gemein-

758 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.720 § 6

5. Insolvenzaufrechnung
Auch über die Zulässigkeit und die Wirkungen der Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger 6.719
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet in erster Linie das Recht des Eröffnungs-
staates. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht in Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. d EuInsVO 2015
ausdrücklich klargestellt, gilt aber auch im autonomen deutschen Insolvenzkollisionsrecht
entsprechend1. Die einer Aufrechnung nach §§ 94 ff. InsO gezogenen Schranken gelten daher
bei Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens grundsätzlich auch für Forderungen,
die der Schuldner gegen ausländische Gläubiger hat und die ausländischem Recht unterste-
hen; umgekehrt sind inländische Gläubiger in der Auslandsinsolvenz nur nach Maßgabe des
ausländischen Insolvenzrechts zur Aufrechnung befugt. Dies gilt selbst dann, wenn sowohl die
Hauptforderung wie die Gegenforderung einem von der lex fori concursus abweichenden
Schuldstatut unterstehen2. Die Anwendung der lex fori concursus ist vor allem deshalb ge-
rechtfertigt, weil die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen eine Forderung des Schuld-
ners ähnlich wie ein Absonderungsrecht wirkt. Einschränkungen dieser Aufrechnungsbefug-
nis im Insolvenzverfahren verfolgen regelmäßig den Zweck, den Grundsatz der Gläubiger-
gleichbehandlung zu stärken; dieser Zweckbestimmung trägt aber die Anwendung des Rechts
des Eröffnungsstaates am besten Rechnung3. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. d EuInsVO 2015 unterwirft
allerdings nur die insolvenzrechtlichen Schranken der Aufrechnung der lex fori concursus;
demgegenüber bestimmen sich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen der
Aufrechnung nach dem Schuldstatut der Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird
(Art. 17 Rom I-VO; dazu Rz. 3.225 ff.)4.

Die ausschließliche Anwendung des Insolvenzstatuts kann freilich im Einzelfall zu Härten für 6.720
einen Gläubiger führen, der auf die Zulässigkeit der Aufrechnung nach dem Forderungsstatut
vertraut hat. Deshalb erhält Art. 9 Abs. 1 EuInsVO 2015 dem Gläubiger die nach dem
Schuldstatut der Hauptforderung vor Insolvenzeröffnung gegebene Aufrechnungsmöglichkeit
ohne Rücksicht auf die entgegenstehende Haltung des Insolvenzstatuts5. Nach dieser Vor-
schrift wird die Befugnis eines Gläubigers, gegen eine Forderung des Schuldners aufzurech-
nen, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens „nicht berührt“, wenn diese Aufrechnung

schuldnerin in Frankreich tätig gewesen sei. Arbeitnehmerstatus der Klägerin nach französ. Recht
unter Berufung auf Art. 34 EGBGB a.F. für unerheblich erachtet). Zust. auch LAG Düsseldorf v.
12.12.1990 – 12 Sa 1302/90, IPRspr. 1991 Nr. 238.
1 Geimer, Rz. 3563; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 72; Schack, Rz. 1203;
Wenner, Rz. 335.
2 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (273) = ZIP 1985, 944; zust. OLG Düsseldorf v.
15.11.1990 – 13 U 84/94, IPRspr. 1990 Nr. 254b; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1238 ff.).
3 Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1238 ff.); Schack, Rz. 1203.
4 So zutreffend unter Hinweis auf die Systematik des Art. 7 EuInsVO 2015 – Abs. 2 konkretisiert
lediglich die Grundregel in Abs. 1, die ihrerseits nur auf das „Insolvenzrecht“ verweist – Bork, ZIP
2002, 690 (692); Geimer, IZPR Rz. 3562; Kolmann, S. 310 f.; Schack, Rz. 1203; Reinhart in Münch-
Komm InsO, § 338 Rz. 7; zust. BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NJW 2018, 2404 m. Anm. Pau-
lus = RIW 2018, 526 = NZI 2018, 721 (Rz. 24, 26); a.A. (für einheitliche Anknüpfung aller Auf-
rechnungsvoraussetzungen an das Insolvenzstatut) hingegen Kindler in MünchKomm, Art. 7
EuInsVO Rz. 23 ff.; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 109; Balz, ZIP 1996, 948 (951); Duursma-Kepplin-
ger, Art 6 EuInsVO Rz. 6 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (261); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533
(555); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (343).
5 Vgl. den ErwG 70 zur EuInsVO 2015 und ErwG 26 zur EuInsVO 2000: „Garantiefunktion“ der
Aufrechnung.

Hausmann | 759
§ 6 Rz. 6.720 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach dem auf die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist1. Im
Ergebnis setzt sich daher das aufrechnungsfreundlichere der beiden Rechte durch2. Wird die
Aufrechnung auf das Statut der Hauptforderung gestützt, so sind allerdings auch die in dem
Recht des betreffenden Mitgliedstaates geltenden insolvenzrechtlichen Aufrechnungsschranken
zu beachten3.

6.721 Diese alternative Anknüpfung der Insolvenzaufrechnung hat der deutsche Gesetzgeber mit
§ 338 InsO auch in das autonome Insolvenzkollisionsrecht übernommen. Erklärt der Insolvenz-
gläubiger daher die Aufrechnung gegen eine Forderung des Schuldners, die dem Recht eines
Drittstaats4 – z.B. schweizerischem Recht – untersteht5, so führt die Aufrechnung zum Erlöschen
der Forderung, wenn sie entweder nach dem Insolvenzstatut oder nach dem drittstaatlichen For-
derungsstatut zulässig ist. Auch die alternative Anknüpfung nach § 338 InsO greift also nur ein,
wenn die Aufrechnungsbefugnis nach der lex fori concursus ausgeschlossen oder eingeschränkt
ist6. Die Anknüpfung an die lex causae führt dann zur hypothetischen Prüfung, ob die Aufrech-
nung – wäre ein Insolvenzverfahren nach der lex causae eröffnet worden – nach diesem Insol-
venzrecht insolvenzfest ist oder nicht7. Ist deutsches Recht als alternative lex causae nach § 338
InsO zur Anwendung berufen, richtet sich die Zulässigkeit der Aufrechnung nach §§ 94 ff. InsO8.

6.722 Die Aufrechnung unterliegt allerdings sowohl nach Art. 9 Abs. 2 EuInsVO 2015 wie nach § 339
InsO der Anfechtung nach dem Recht des Eröffnungsstaates, wenn der Gläubiger die Aufrech-
nungsmöglichkeit in anfechtbarer Weise erlangt hat. Für die Anfechtbarkeit einer Aufrech-
nungslage enthält § 339 InsO eine eigenständige Kollisionsnorm. Danach richtet sich die An-
fechtung – im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO 2015 – gem. der Regelanknüpfung des
§ 335 InsO nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung. Eine Anfechtung nach dem
von § 338 InsO alternativ zur Anwendung berufenen Recht, dem die Forderung des Schuldners
unterliegt, kommt also nicht in Betracht9; dies muss auch für das Verhältnis von Art. 16 zu Art. 9
EuInsVO entsprechend gelten10. Anknüpfungsgegenstand des § 339 InsO sind sämtliche An-
sprüche und Rechtsbehelfe, die darauf abzielen, die Wirkungen gläubigerbenachteiligender

1 Art. 9 Abs. 1 EuInsVO 2015 hat den Charakter einer Kollisionsnorm, da ausdrücklich auf das
Schuldstatut der vom Hauptforderung verwiesen wird, gegen die aufgerechnet werden soll; vgl.
Kindler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 6 ff. m.w.N. Ebenso zu § 338 InsO BGH v. 8.2.2018
– IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 28).
2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 86; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (161);
Schack, Rz. 1203 a.E.
3 Kindler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 5; Bork, ZIP 2002, 690 (694); Huber, EuZW 2002,
490 (494); krit. Wenner Rz. 338.
4 § 338 InsO ist seit dem Brexit auch auf die Aufrechnung des Schuldners mit einer englischem
Recht unterliegenden Forderung anzuwenden, vgl. Korch, ZInsO 2016, 1884 (1887).
5 Die Verordnung soll in diesem Fall nach verbreiteter Ansicht keine Anwendung finden, vgl. Kind-
ler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 4; Duursma-Kepplinger, Art. 6 EuInsVO Rz. 22; Huber,
ZZP 114 (2001), 133 (162); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (554); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315
(343); Balz, ZIP 1996, 948 (950). Ob daran nach Aufgabe eines „qualifizierten“ Auslandsbezugs
durch den EuGH (Rz. 6.529) noch festgehalten werden kann, erscheint allerdings zweifelhaft; vgl.
auch Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 89.
6 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 28) = NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus.
7 BGH (vorige Fn., Rz. 33).
8 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 34) = NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus;
Kindler in MünchKomm, § 338 InsO Rz. 3.
9 BGH (vorige Fn., Rz. 41).
10 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 92.

760 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.724 § 6

Rechtshandlungen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens rückgängig zu machen oder aus-
zugleichen. Die Vorschrift erfasst daher auch die Anfechtbarkeit einer Aufrechnungslage1.

6. Insolvenzanfechtung
Die Insolvenzanfechtung bezweckt die Rückführung von Vermögensgegenständen, die der 6.723
Schuldner in der Krise beiseite geschafft hat, zur Insolvenzmasse und dient damit dem Inte-
resse der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Diese haben auf der anderen
Seite aber auch das berechtigte Vertrauen des Anfechtungsgegners in die Bestandskraft seines
Erwerbs zu berücksichtigen. Dieser Zielkonflikt wirkt sich auch auf der kollisionsrechtlichen
Ebene aus. Wer die Interessen der Insolvenzgläubiger in den Vordergrund stellt, wird die ma-
teriellen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung großzügig bestimmen und im Rahmen ei-
ner Inlands- wie einer Auslandsinsolvenz ausschließlich auf das Recht des Eröffnungsstaates
abstellen, unabhängig davon, welchem Recht der anfechtbare Erwerb nach internationalem
Vertrags- oder Sachenrecht unterliegt2. Wer demgegenüber den Gesichtspunkt des Vertrau-
ensschutzes für ausschlaggebend hält, wird zu einer restriktiven Ausgestaltung der materiellen
Anfechtungsgründe tendieren und im internationalen Insolvenzfall für die alleinige Anwend-
barkeit desjenigen Rechts eintreten, das den anfechtbaren Erwerbsvorgang beherrscht; danach
würde also für die Anfechtung der Übereignung von Schuldnervermögen die jeweilige lex rei
sitae (Art. 43 EGBGB), für die Anfechtung einer Forderungsabtretung das Zessionsstatut
(Art. 14 Rom I-VO) gelten. Wer schließlich beide Aspekte angemessen berücksichtigen möch-
te, wird sich für eine Kombination des Rechts des Eröffnungsstaates und der für den anfecht-
baren Erwerbsvorgang maßgeblichen lex causae aussprechen3.

Ausgangspunkt muss sein, dass die Anfechtbarkeit einer Handlung des Schuldners durch den 6.724
Insolvenzverwalter eine Rechtsfolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist und deshalb
der lex fori concursus unterliegt4. Daher konnte der in einem inländischen Verfahren bestellte
Verwalter eine Insolvenzanfechtung schon früher nur erklären, wenn und soweit die das deut-
sche Konkursrecht ihm dieses Recht einräumte5. Dies galt auch dann, wenn der Schuldner die
anfechtbare Handlung im Ausland vorgenommen hatte6. Andererseits konnte im Falle einer

1 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 32); Reinhardt in MünchKommInsO, § 338
InsO Rz.8.
2 Vgl. i.d.S. noch BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (168) = ZIP 1992, 781 = NJW
1992, 2026; OLG Hamm v. 25.10.1976 – 5 U 57/76, NJW 1977, 504 Anm. Oexmann; OLG Köln v.
9.6.1994 – 18 U 239/93, RIW 1994, 968 = IPRax 1996, 340 (m. Anm. Otte, IPRax 1996, 327);
Aderhold, S. 266 f.; von Campe, S. 375 ff., Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1240) und IPRax 1993, 69 (74);
Kirchhof, WM 1993, 1404; Leipold, JZ 1997, 571 (572); Riegel, S. 184 f.; jeweils m,w.N.
3 Vgl. Fragistas, RabelsZ 12 (1938/39), 452 (459); Jaeger/Lent, § 29 KO Rz. 42 ff.; Pielorz, IPRax 1984,
241 (243); vgl. auch den Überblick über die verschiedenen Lösungsvorschläge bei Summ, S. 72 ff.
In der Schweiz unterwirft Art. 171 IPR-G die Insolvenzanfechtung stets dem schweiz. Recht.
4 Vgl. zu § 335 InsO BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 32) = NJW 2018, 2404
m. Anm. Paulus und BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 17) = ZIP 2018, 1455.
5 Eine allein auf das Wirkungsstatut gestützte Anfechtung vermag nicht zu überzeugen; vgl. dazu
näher Sonnentag, IPRax 1998, 339 (333).
6 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (168 f.) = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781 =
IPRax 1994, 87 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1994, 69) (Insolvenzanfechtung unterliegt deutschem
Recht, wenn eine im Inland ansässige Gläubigerin dem von einem deutschen Gericht bestellten
Insolvenzverwalter aufgrund eines im Inland geführten Rechtsstreits den ihr im Inland zugeflosse-
nen Kaufpreisanteil zurückgewähren muss, mag auch der zugrunde liegende Kaufvertrag ausländ.
Recht unterstanden haben).

Hausmann | 761
§ 6 Rz. 6.724 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

anerkennungsfähigen Auslandsinsolvenz der ausländische Verwalter eine Insolvenzanfechtung


auch im Inland erklären, insbesondere den Anfechtungsgegner vor dem international zustän-
digen deutschen Prozessgericht verklagen. Voraussetzungen und Schranken der Anfechtbar-
keit waren in diesem Fall dem Recht des ausländischen Eröffnungsstaates zu entnehmen1.

6.725 Im Regelfall ist es geboten, die Anfechtbarkeit zusätzlich davon abhängig zu machen, dass
auch diejenige Rechtsordnung, welcher der anfechtbare Erwerbsvorgang unterliegt, sie zu-
lässt. Die Rücksichtnahme auf dieses weitere Recht dient einerseits der Rechtssicherheit, weil
hinkende Rechtsverhältnisse vermieden werden, und schützt andererseits das Vertrauen des
Anfechtungsgegners in den Bestand seines Erwerbs. Sie verstärkt ferner die Akzeptanz der
Entscheidung in dem Staat, in dem sich der Erwerb vollzogen hat und in dem sich der zur
Masse beanspruchte Gegenstand i.d.R. noch befindet. Die Anfechtung wäre danach nur zuläs-
sig, wenn die Anfechtungsgründe sowohl nach der lex fori concursus als auch nach dem Wir-
kungsstatut der Erwerbshandlung vorliegen2. Gegen diese Kumulation wird zwar vorgebracht,
dass die Parteien das Wirkungsstatut der anfechtbaren Rechtshandlung durch Rechtswahl be-
einflussen könnten und der Schuldner auf diese Weise die Zulässigkeit einer künftigen Insol-
venzanfechtung einschränken könne; dies spreche für eine objektive Anknüpfung allein an
das Recht des Eröffnungsstaates3.

6.726 Der deutsche Gesetzgeber hatte sich dennoch bereits in Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. für die
Kumulation von Insolvenz- und Wirkungsstatut entschieden. Danach konnte eine Rechts-
handlung, für deren Wirkungen inländisches Recht maßgeblich war, vom ausländischen Insol-
venzverwalter nur angefochten werden, wenn die Rechtshandlung auch nach inländischem
Recht entweder anfechtbar war oder aus anderen Gründen keinen Bestand hatte4. Diese Regel
wurde überwiegend zur allseitigen Kollisionsnorm ausgebaut, so dass auch der inländische In-
solvenzverwalter Rechtshandlungen des Schuldners im Ausland nur anfechten konnte, wenn
diese sowohl nach deutschem Recht als auch nach dem ausländischen Wirkungsstatut an-
fechtbar waren. Auch der BGH hat diese Kumulationstheorie schon vor Inkrafttreten des
Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. ausdrücklich befürwortet5.

6.727 Der europäische Gesetzgeber geht demgegenüber von dem Grundsatz aus, dass die Insol-
venzanfechtung sich primär nach dem Recht des Mitgliedstaats beurteilt, in dem das Verfah-
ren eröffnet wurde. Denn Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO 2015 unterwirft die Frage, welche
Rechtshandlungen des Schuldners nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie

1 LG Hamburg v. 2.7.1992 – 302 O 279/91, RIW 1993, 147 (Insolvenzanfechtung durch den austral.
Insolvenzverwalter bzgl. der Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einem in Deutschland be-
legenen Grundstück, das der Schuldner vor Eintritt der Insolvenz an seine Ehefrau veräußert hat-
te, nach austral. Recht als der lex fori consursus beurteilt. Anfechtungsklage vor deutschen Gerich-
ten für zulässig erachtet.).
2 Vgl. schon Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 250.
3 Kritisch zur Kumulationslösung deshalb etwa Aderhold, S. 266 f.; Hanisch, FS Jahr (1993), S. 455
(470 ff.); Hanisch, IPRax 1993, 73 f.; Trunk, S. 186 ff. und KTS 1994, 33 (37).
4 Kritisch dazu Flessner, IPRax 1997, 1 (9); Hanisch, IPRax 1993, 69 (73 f.); Trunk, KTS 1994, 33
(37).
5 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120 ff.) = ZIP 1997, 150 = NJW 1997, 657 =
IPRax 1998, 199 (m. Anm. Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 170 und Sonnentag, IPRax 1998, 330) =
JZ 1997, 568 m. krit. Anm. Leipold = WIB 1997, 136 m. Anm. Wenner (die Zahlung des Kaufprei-
ses durch die schwed. Gemeinschuldnerin an die deutsche Lieferantin kann nach Insolvenzeröff-
nung in Schweden durch den schwed. Insolvenzverwalter nur angefochten werden, wenn die An-
fechtung auch nach deutschem Recht [als lex causae] zulässig ist.).

762 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.729 § 6

die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, dem Recht der Verfahrenseröffnung. Der An-
fechtbarkeit wird also die insolvenzbedingte Unwirksamkeit oder Nichtigkeit gleichgestellt,
auch soweit sie erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nur durch den Insolvenzver-
walter geltend gemacht werden kann1. Darüber hinaus wird in Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 und
Art. 10 Abs. 3 EuInsVO 2015 klargestellt, dass auch der mit den Sonderanknüpfungen für
dingliche Rechte, den Eigentumsvorbehalt und die Aufrechnung bezweckte Vertrauensschutz
dem Gläubiger nur zu Gute kommt, wenn er den Sicherungsgegenstand bzw. die Aufrech-
nungsforderung nicht nach der lex fori concursus in anfechtbarer Weise erworben hat. Auf die
Anfechtbarkeit des Erwerbs nach dem Belegenheitsrecht des Gegenstands bzw. dem Forde-
rungsstatut kommt es also danach nicht an2.

Die Anknüpfung der Insolvenzanfechtung an das Recht der Verfahrenseröffnung wird aller- 6.728
dings auch in Art. 16 EuInsVO 2015 aus Gründen des Verkehrsschutzes eingeschränkt. Da-
nach findet Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO 2015 keine Anwendung, wenn die Person, die
durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung begünstigt wurde,
nachweist, dass
– für diese Handlung, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurde3, das Recht eines
anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und
– diese Handlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar ist.
Diese Vorschrift soll das berechtigte Vertrauen der Person, die durch eine die Gesamtheit der
Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, dadurch schützen, dass sie diese
Handlung auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin dem Recht unterwirft,
das für sie zum Zeitpunkt ihrer Vornahme galt, d.h. der lex causae.4

Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzel- 6.729
falls zu beurteilen5. Art. 16 EuInsVO 2015 enthält keine Bestimmungen zu den Modalitäten
der Beweiserhebung, zu den vor dem zuständigen nationalen Gericht zulässigen Beweismit-
teln oder zu den Grundsätzen, nach denen dieses Gericht die Beweiskraft der ihm vorgelegten
Beweismittel zu beurteilen hat, soweit es um den vom Anfechtungsgegner zu führenden Nach-
weis geht, dass die ihn begünstigende Handlung nach der lex causae „in keiner Weise angreif-
bar ist.“ Mangels einer unionsrechtlichen Harmonisierung dieser Regeln ist es daher nach
dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes
Mitgliedstaats, diese festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass diese Modalitäten nicht un-
günstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen
Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz) und dass sie die Ausübung der den Verbrauchern

1 Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (547).


2 Vgl. zu Art. 5 Abs. 4 EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 106; Huber, ZZP 114 (2001),
133 (159); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (335).
3 Für nach Insolvenzeröffnung vorgenommene Handlungen gilt aussschließlich die lex fori concur-
sus, vgl. Schack, Rz. 1207; Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 8. Auf Vorlagebeschluss
des BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 265/12, ZIP 2013, 2167 = NZI 2013, 1042 (Rz. 16) hat der EuGH
allerdings entschieden, dass Art. 13 EuInsVO 2000 auch anwendbar ist, wenn die vom Insolvenz-
verwalter angefochtene Auszahlung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gepfändeten
Geldbetrags erst nach Eröffnung des Verfahrens erfolgt, vgl. EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:
EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 32 ff.) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 1030.
4 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 19) m. Anm.
Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453).
5 EuGH (vorige Fn., Rz. 20 ff.).

Hausmann | 763
§ 6 Rz. 6.729 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder über-
mäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)1.

6.730 Damit kommt dem – nach den allgemeinen Kollisionsregeln ermittelten2 – Wirkungsstatut
des anfechtbaren Rechtsgeschäfts eine Art von „Vetofunktion“ gegenüber dem Insolvenzsta-
tut zu3. Deren Anwendungsbereich wird vom EuGH – trotz der grundsätzlich gebotenen en-
gen Auslegung als Ausnahme zu Art. 7 EuInsVO4 – weit gezogen; er erstreckt sich auch auf
die nach der lex causae vorgesehenen Verjährungs-, Anfechtungs- und Ausschlussfristen sowie
auf Formvorschriften für die Erhebung der Insolvenzanfechtungsklage5. Diese Lösung geht
zwar weniger weit als Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F., weil das Wirkungsstatut nicht von Amts
wegen, sondern nur auf Einrede des Anfechtungsgegners berücksichtigt wird6. Ferner muss
dieser den Nachweis führen, dass die Rechtshandlung nach der lex causae „in keiner Weise
angreifbar“ ist, also weder nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften der lex causae noch
nach den allgemeinen Grundsätze dieses Rechts über Willensmängel oder Sittenwidrigkeit7.
Es müssen also nicht die Anfechtungsvoraussetzungen, sondern lediglich die Rechtsfolgen in
beiden Rechten übereinstimmen. Art. 16 EuInsVO 2015 kann auch dann wirksam geltend ge-
macht werden kann, wenn die Vertragsparteien, die in ein und demselben Mitgliedstaat ansäs-
sig sind, in dem auch alle anderen maßgeblichen Elemente des betreffenden Sachverhalts bele-
gen sind, als auf diesen Vertrag anzuwendendes Recht das Recht eines anderen Mitgliedstaats
bestimmt haben, vorausgesetzt, dass die Parteien dieses Recht nicht in betrügerischer oder
missbräuchlicher Weise gewählt haben8.

6.731 Die Regelung ist dennoch in der deutschen Literatur auf Kritik gestoßen, weil ein Vertrauen
in die Geltung bestimmter Kollisionsregeln nur selten bestehen wird. Außerdem könne auch
diese Art der Kombination von Insolvenz- und Wirkungsstatut zu Normwidersprüchen füh-
ren und die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zu stark einschränken9. Trotz

1 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 28 ff.).
2 Vgl. aber OLG Naumburg v. 6.10.2010 – 5 U 73/10, BeckRS 2010, 29926 = ZIP 2011, 677 (m. Aufs.
Schall, ZIP 2011, 2177), das auf die Anfechtung des einer deutschen GmbH gewährten Gesell-
schafterdarlehens nicht das auf den Darlehensvertrag anwendbare Recht, sondern nur die lex fori
concursus nach Art. 13 EuInsVO 2000 angewandt hat; zu Recht krit. dazu Kindler, KTS 2012, 228
(230 f.) und in: MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 11 f.
3 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 136; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (165); vgl. auch frz. Cass. v. 16.2.2016,
unalex FR-2467; LG Essen v. 11.5.2018 – 16 O 217/16, IPRspr. 2018 Nr. 335.
4 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 18, 21) m. Anm.
Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453).
5 EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 44 ff., 50 ff.) m.
Anm. Mankowski = ZIP 2015, 1030; dazu Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 13 ff.
6 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 136; Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 24; Burgstaller, FS
Jelinek (2004), S. 31 (36); Duursma-Kepplinger, Art. 13 EuInsVO Rz. 14; E. Habscheid, ZZP 114
(2001), 167 (177); Kolman, S. 318.
7 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 36 ff.);
EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 34 ff.) m. Anm.
Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453); Virgós/Schmit-Bericht Rz. 137;
BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, GmbHR 1996, 373 = ZIP 1996, 548 (551); Huber, ZZP 114
(2001), 133 (165 ff.); Paulus, NZI 2001, 505 (511); Schack, Rz. 1207.
8 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 56) m. Anm.
Mankowski.
9 Vgl. von Campe, S. 382 ff.; Hanisch, FS Stoll (2001), S. 503 (517); Klumb, S. 133 ff.; Leipold, FS
Henckel (1995), S. 533 (543 ff.); Sonnentag, IPRax 1998, 330 (334 ff.); Zeck, S. 79 ff.; Wenner,
Rz. 340.

764 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.733 § 6

dieser Kritik hat der deutsche Gesetzgeber die Regelung der EuInsVO letztlich in § 339 InsO
unverändert in das autonome Insolvenzkollisionsrecht übernommen. Zur Begründung hat er
zu Recht darauf hingewiesen, dass es nur schwer nachvollziehbar gewesen wäre, wenn ein In-
solvenzverwalter sich bei einer Anfechtung in dem stark harmonisierten Rechtsraum der EU
höheren Barrieren gegenübersehen würde, als im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
in einem Drittstaat1. Das Wirkungsstatut ist allerdings sowohl nach Art. 16 EuInsVO 2015
wie nach § 339 InsO nur für die Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Insolvenz-
anfechtung ergänzend heranzuziehen. Demgegenüber richten sich die verfahrensrechtlichen
Aspekte der Anfechtung, wie z.B. die Klagebefugnis des Verwalters, die Anfechtungsfrist, die
Art der Rückgewähr und die Erstattung der Gegenleistung aus der Insolvenzmasse, allein
nach der lex fori concursus2. Die Erfüllung des Rückgewähranspruchs durch den Anfechtungs-
gegner hat aber dann nach Maßgabe der jeweiligen lex causae zu erfolgen3. Zu beachten ist
ferner, dass die Anwendung des ausländischen Rechts im Rahmen von § 339 InsO nicht von
Amts wegen zu prüfen, sondern vom Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen ist4.
Abweichend von § 293 ZPO muss der Anfechtungsgegner also den Inhalt des ausländischen
Rechts in den Prozess einführen und beweisen, etwa durch Gutachten5.

Die internationale Zuständigkeit für die Insolvenzanfechtungsklage richtet sich nicht nach 6.732
der Brüssel Ia-VO, sondern nach Art. 6 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 (vis attractiva con-
cursus) (vgl. dazu näher Rz. 6.556 ff.)6. Eine ausländische Entscheidung über die vom Insol-
venzverwalter erhobene Anfechtungsklage wird im Inland nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuIns-
VO 2015 i.V.m. Art. 39 ff., 46 ff. Brüssel Ia-VO bzw. § 342 Abs. 2 InsO anerkannt und voll-
streckt (dazu näher Rz. 6.627). Die Form- und Fristerfordernisse für die Geltendmachung der
Schranken des Art. 16 EuInsVO 2015 in einem Rechtsstreit über die auf die lex fori concursus
gestützte Anfechtung einer die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligenden Handlung sowie
die Frage, ob das mit diesem Rechtsstreit befasste Gericht diese Vorschrift von Amts wegen
anwenden darf, beurteilen sich nach dem Verfahrensrecht des Mitgliedstaats, in dem dieser
Rechtsstreit anhängig ist7.

7. Insolvenzbedingtes Erlöschen von Forderungen


a) Zwangsvergleich/Insolvenzplan
Ein Insolvenzverfahren endet nicht notwendig mit der Liquidation des Schuldnervermögens 6.733
und der Erlösauskehr an die Gläubiger. Die lex fori concursus kann stattdessen auch eine Stun-
dung oder den (teilweisen bzw. vollständigen) Erlass der Gläubigerforderungen anordnen.
Auch hierbei handelt es sich um eine Insolvenzwirkung, die grundsätzlich Anspruch auf uni-
verselle Geltung erhebt. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht durch Art. 7 Abs. 2

1 Vgl. die RegBegr. zu § 339 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 22.


2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 110.
3 OLG Köln v. 9.6.1994 – 18 U 239/93, ZIP 1994, 1459 = RIW 1994, 968 (Trotz Geltung der deut-
schen lex fori concursus für die Insolvenzanfechtung bestimmt sich die Frage, ob der Anfechtungs-
gegner die von ihm zur Insolvenzmasse zurückzugewährenden Inhaberaktien wirksam an den In-
solvenzverwalter übereignet hat, nach dem luxemburg. Belegenheitsrecht der Aktien.).
4 BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 94/08, BeckRS 2010, 11721 (Rz. 3).
5 BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 328/18, NZI 2020, 383 (Rz. 20).
6 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83, ZIP 2009, 427 (Deko Marty), Slg. 2009 I,
767 = NJW 2009, 2189 = NZI 2009, 199.
7 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 27) m. Anm.
Mankowski.

Hausmann | 765
§ 6 Rz. 6.733 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

S. 2 lit. j EuInsVO 2015 klargestellt. Danach entscheidet das Insolvenzrecht des Eröffnungs-
staates auch darüber, zu welchem Zeitpunkt die Beendigung des Insolvenzverfahrens eintritt1.
Im deutschen Recht ist der Insolvenzplan nach §§ 217 ff. InsO an die Stelle des früheren
Zwangsvergleichs (§§ 173 ff. KO, § 82 VerglO) getreten. Der Insolvenzplan entfaltet nach
§ 254 InsO Wirkung für und gegen alle Beteiligten, auch soweit sie gegen ihn gestimmt haben.
Diese Wirkung tritt auch gegenüber ausländischen Gläubigern und bzgl. des vom Plan erfass-
ten Auslandsvermögens des Schuldners ein. Voraussetzung ist lediglich, dass die auslän-
dischen Insolvenzgläubiger von der Insolvenzeröffnung Kenntnis erlangt haben und die Mög-
lichkeit zu einer Teilnahme hatten2.

6.734 Dies gilt allerdings nur, wenn der Insolvenzplan in einem Hauptinsolvenzverfahren beschlos-
sen wurde. Wurde er hingegen in einem Sekundärinsolvenzverfahren vereinbart, so haben die
Einschränkungen der Rechte von Gläubigern, z.B. durch Erlass oder Stundung ihrer Forde-
rungen, nach europäischem Insolvenzrecht nur Wirkungen für das von diesem Verfahren
nicht betroffene Vermögen, wenn alle Gläubiger dem Plan zugestimmt haben (Art. 47 Abs. 2
EuInsVO 2015). Fehlt es daran, so entfaltet der Insolvenzplan hinsichtlich des in einem ande-
ren Mitgliedstaat belegenen Vermögens selbst gegenüber denjenigen Gläubigern keine Wir-
kung, die ihre Zustimmung erteilt haben. Um im deutschen Recht Friktionen mit der von
§ 254 Abs. 1 InsO angeordneten Gestaltungswirkung des Plans gegenüber allen Beteiligten zu
vermeiden, lässt Art. 102 § 9 EGInsO die Bestätigung des Insolvenzplans in einem inländi-
schen Sekundärinsolvenzverfahren daher nur zu, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Plan
zugestimmt haben. Die gleiche Regelung trifft § 355 Abs. 2 InsO für das autonome Recht.

6.735 Die Erlasswirkung des Insolvenzplans (vgl. § 252 InsO) hängt hingegen nicht davon ab, dass
deutsches Recht als Schuldstatut für die betroffenen Insolvenzforderungen maßgebend ist.
Denn eine Differenzierung zwischen den an der Insolvenz teilnehmenden Gläubigern nach
dem auf ihre Forderungen anwendbaren Recht oder nach der Belegenheit dieser Forderungen
widerspräche dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und dem Ziel des Insol-
venzplans, eine einvernehmliche und abschließende Regelung der Insolvenz des Schuldners zu
erreichen3.

6.736 Da sich der inländische Insolvenzplan auch auf das Auslandsvermögen des Schuldners er-
streckt, steht er auch einer Leistungsklage und Zwangsvollstreckung von Gläubigern in das
ausländische Vermögen des Schuldners entgegen, mit der diese wegen des im Inland erlasse-
nen Teils ihrer Forderungen Befriedigung suchen4. Erkennt der ausländische Belegenheitsstaat
das deutsche Insolvenzverfahren oder den deutschen Insolvenzplan nicht an, so ist der Gläu-
biger zur Herausgabe des im Wege der Auslandsvollstreckung Erlangten wegen ungerechtfer-
tigter Bereicherung verpflichtet, weil die Vollstreckung entgegen dem inländischen Insolvenz-
plan aus der Sicht der deutschen lex fori concursus nicht rechtmäßig ist; dazu allgemein
Rz. 6.594 ff. Umgekehrt erstreckt sich auch der in einem ausländischen Insolvenzverfahren
vereinbarte Insolvenzplan oder Zwangsvergleich auf das Inland, soweit die Voraussetzungen

1 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106


(Rz. 47 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490).
2 Geimer, Rz. 3564.
3 Geimer, Rz. 3564; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 132; Trunk, S. 228; Wen-
ner, Rz. 367 f.; ebenso schon zum Zwangsvergleich des früheren Rechts OLG Saarbrücken v.
31.1.1989 – 7 U 82/87, OLG Hamm v. 19.6.1990 – 15 W 234/89, MDR 1990, 1022 = ZIP 1990,
1145; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1240 ff.).
4 E. Habscheid, S. 484 f.

766 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.739 § 6

für eine Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens vorliegen. Die Erlasswirkung ei-
nes solchen Insolvenzplans verstößt insbesondere nicht gegen den deutschen ordre public,
mag das Auslandsrecht auch in Einzelheiten von den §§ 252 ff. InsO abweichen1. Wird der
ausländische Insolvenzplan anerkannt, so steht er auch im Inland einer Leistungsklage und
Zwangsvollstreckung von Gläubigern in das hier belegene Vermögen des Schuldners entgegen.
Er berührt hingegen im Hinblick auf Art. 8 EuInsVO bzw. § 336 InsO nicht die dinglichen
Rechte von Gläubigern an dem im Inland belegenen Schuldnervermögen2.

b) Restschuldbefreiung
Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Anerkennung der heute in vielen nationalen In- 6.737
solvenzgesetzen vorgesehene Restschuldbefreiung3. Da es sich insoweit um eine typische insol-
venzrechtliche Wirkung handelt, hat die deutsche Praxis schon vor Inkrafttreten der Insol-
venzordnung eine Restschuldbefreiung nach ausländischem Insolvenzrecht beachtet, obwohl
dieses Rechtsinstitut der deutschen Konkursordnung damals nicht bekannt war. Allerdings
wurde die Anerkennung z.T. noch auf Forderungen beschränkt, die kollisionsrechtlich dem
Recht des ausländischen Eröffnungsstaates unterstanden4.

Richtigerweise fehlt für eine Differenzierung danach, ob das Forderungsstatut zufällig mit 6.738
dem Insolvenzstatut identisch ist oder nicht, auch in diesem Fall eine sachliche Rechtfer-
tigung. Allein die ausschließliche Anwendung der lex fori concursus führt zu der erstrebens-
werten Gleichbehandlung aller Gläubiger5. Ist der Restschuldbefreiung daher die insolvenz-
rechtliche Anerkennung zu versagen, so hat auch eine kollisionsrechtliche Anerkennung nach
Maßgabe des Forderungsstatuts auszuscheiden6.

Inzwischen kennt auch das deutsche Recht die Restschuldbefreiung des redlichen Schuldners. 6.739
Wird sie auf Antrag des Schuldners (§ 287 Abs. 1 InsO) nach Ablauf der dreijährigen Abtre-
tungsfrist (§ 287 Abs. 2 InsO) vom Insolvenzgericht beschlossen (§ 300 InsO), so wirkt sie
gem. § 301 Abs. 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Die Verbindlichkeiten des Schuldners
verwandeln sich damit in Naturalobligationen (vgl. § 301 Abs. 3 InsO). Diese Wirkung tritt
nicht nur für das inländische Vermögen des Schuldners ein, sondern erstreckt sich – wie an-
dere Wirkungen des inländischen Insolvenzverfahrens – auch auf das im Ausland belegene
Vermögen7. Die weitreichenden Wirkungen der Restschuldbefreiung sind einem Gläubiger
freilich nur zuzumuten, wenn das gesamte – in- und ausländische – Vermögen des Schuldners
verwertet worden ist. Deshalb ist die Restschuldbefreiung in einem Partikularverfahren, das
nur das inländische Vermögen erfasst, nach § 355 Abs. 1 InsO ausgeschlossen.

1 Vgl. dazu schon Rz. 6.625 f. m. Nachw. Einschränkend Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (449 f.) für den
Fall, dass der Insolvenzplan Sicherheiten eines Gläubigers beeinträchtigt, der dem Plan nicht zuge-
stimmt hat.
2 Geimer, Rz. 3564.
3 Vgl. dazu Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung (2000) m. rechtsvergleichenden Hinwei-
sen.
4 Vgl. OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 m. Anm. Hanisch (Restschuldbefreiung
nach schweiz. Konkursrecht bzgl. des im Inland belegenen Vermögens nur anerkannt, weil die gel-
tend gemachten vertraglichen und deliktischen Ansprüche nach deutschem IPR dem schweiz. ma-
teriellen Recht unterstanden).
5 Schack, Rz. 1212; a.A. öOGH v. 26.11.1996, IPRax 1998, 486 (m. abl. Anm. Hanisch, IPRax 1998,
505 [518 f.]).
6 Hanisch, IPRax 1993, 297 f.
7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 135; Schulte, S. 130 ff.

Hausmann | 767
§ 6 Rz. 6.740 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.740 Dementsprechend entscheidet – umgekehrt – bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Aus-


land allein die ausländische lex fori concursus darüber, wann und in welchem Umfang eine
Restschuldbefreiung kraft Gesetzes oder durch Entscheidung des Insolvenzgerichts eintritt;
deren Wirkung auf angemeldete wie nicht angemeldete Forderungen ist auch im Inland zu
beachten, so dass eine Vollstreckung in das Inlandsvermögen des befreiten Schuldners aus-
scheidet. Dies hat grundsätzlich auch dann zu gelten, wenn das ausländische Insolvenzstatut
dem Schuldner eine deutlich kürzere Wohlverhaltensperiode abverlangt als das deutsche
Recht1. Die vollstreckungshemmende Wirkung der Einrede der Restschuldbefreiung ist von
den deutschen Gerichten bereits im Erkenntnisverfahren zu beachten2.

V. Schutz des Rechtsverkehrs


Literatur: Brinkmann, Ausländische Insolvenzverfahren und deutscher Grundbuchverkehr, IPRax
2013, 333; Kysel/Röder, Ausländische Insolvenz und deutsches Grundbuch, ZIP 2017, 1650; Man-
kowski, Neues zur grenzüberschreitenden Forderungsanmeldung unter der EuInsVO, NZI 2011, 887;
Schneider, Registrierte Gegenstände im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO
(2019).

1. Öffentliche Bekanntmachung
6.741 Ausländische Insolvenzverfahren werden im Inland häufig erst mit erheblicher Verspätung be-
kannt. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr, dass einerseits der Insolvenzschuldner inländi-
sche Vermögensgegenstände an gutgläubige Dritte veräußert, andererseits Dritte weiterhin an
den Schuldner statt an den Insolvenzverwalter Leistungen erbringen. Zum Schutz des inländi-
schen Rechtsverkehrs sehen daher sowohl die EuInsVO als auch das autonome deutsche Recht
die Pflicht und Befugnis des ausländischen Insolvenzverwalters vor, die Eröffnung des Verfah-
rens im Inland bekannt zu machen und entsprechende Vermerke in das deutsche Grundbuch
oder sonstige inländische Register eintragen zu lassen. Darüber hinaus werden gutgläubige
Dritte, die in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworben
oder an diesen geleistet haben, geschützt.

6.742 Die öffentliche Bekanntmachung eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens dient ins-
besondere der Unterrichtung der betroffenen inländischen Gläubiger und des sonstigen inlän-
dischen Geschäftsverkehrs3. Um diese sicherzustellen, muss der Verwalter oder der Schuldner
in Eigenverwaltung nach Art. 28 Abs. 1 EuInsVO 2015 einen Antrag auf öffentliche Bekannt-
machung der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung sowie ggf. über die Bestellung des
Verwalters in allen Mitgliedstaaten stellen, in denen der Schuldner eine Niederlassung i.S.v.
Art. 2 Nr. 10 EuInsVO hat. Verletzt der Verwalter diese Pflicht, so macht er sich den Gläubi-
gern gegenüber nach Maßgabe der lex fori concursus schadensersatzpflichtig (vgl. im deut-
schen Recht § 60 InsO)4. In der Bekanntmachung ist ggf. ferner anzugeben, wer als Verwalter
bestellt wurde und ob die Bestellung für das Haupt- oder nur für ein Nebeninsolvenzverfahren

1 Vgl. zur Restschuldbefreiung nach französ. Recht BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365 =
IPRax 2002, 525 (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505); zur Restschuldbefreiung nach engl. Recht
LG Aurich v. 4.11.2016 – 1 O 1079/15, unalex DE-3446; Schack, Rz. 1210.
2 Geimer, Rz. 3568; ebenso schon früher OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (m.
Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297), bestätigt durch BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122,
373 = ZIP 1993, 1094 = IPRax 1993, 402 (405).
3 Vgl. ErwG 29 zur EuInsVO 2000.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 28 EuInsVO Rz. 6.

768 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.744 § 6

erfolgt ist. Die Bekanntmachung hat gem. Art. 28 Abs. 1 EuInsVO 2015 „nach dem in diesem
Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren“ zu erfolgen. Da es bei einer Veröffentlichung in
Deutschland den Verantwortlichen des Bundesanzeigers nicht zuzumuten ist, finnische oder
portugiesische Eröffnungsbeschlüsse zu überprüfen, sieht Art. 102c § 7 EGInsO vor, dass sich
der ausländische Verwalter an das nach § 1 zuständige deutsche Insolvenzgericht zu wenden
und bei ihm die Veröffentlichung zu beantragen hat. Um sich die Arbeit zu erleichtern, kann
das Gericht nach Art. 102c § 7 Abs. 3 EGInsO eine Übersetzung verlangen, die von einer hier-
zu befugten Person zu beglaubigen ist. Die Bekanntmachung erfolgt dann gem. § 9 Abs. 1, 2
und § 30 Abs. 1 InsO in gleicher Weise wie für ein inländisches Insolvenzverfahren. Eine ent-
sprechende Regelung sieht im autonomen Recht § 345 Abs. 1 InsO vor.

Die Bekanntmachung der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Art. 28 6.743
Abs. 1 EuInsVO kann nach Abs. 2 der Vorschrift vom Verwalter oder Schuldner in Eigenver-
waltung auch in jedem anderen Mitgliedstaat beantragt werden, in dem der Schuldner keine
Niederlassung unterhält. In Deutschland ist dieser Antrag an das Insolvenzgericht zu richten,
in dessen Bezirk sich der wesentliche Teil des Vermögens des Schuldners befindet, Art. 102c
§ 7 Abs. 2 EGInsO. Das autonome deutsche Recht sieht darüber hinaus in § 345 Abs. 2 InsO
eine öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von Amts wegen
vor1. Die öffentliche Bekanntmachung im Inland ist allerdings keine Voraussetzung für die
Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens2; sie hat ihre Hauptbedeutung viel-
mehr im Falle des gutgläubigen Erwerbs (dazu Rz. 6.749 f.).

2. Eintragung in öffentliche Register


Wie die öffentliche Bekanntmachung steht auch die Veranlassung einer Eintragung der Eröff- 6.744
nung eines ausländischen Insolvenzverfahrens in das Grundbuch, das Handelsregister oder
sonstige öffentliche Register der Mitgliedstaaten nicht mehr – wie bisher nach Art. 22 Abs. 1
EuInsVO 2000 – im Ermessen des Verwalters. Vielmehr ist dieser bzw. der Schuldner in Eigen-
verwaltung zur Stellung eines Antrags auf Eintragung nach Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015 ver-
pflichtet, wenn diese Eintragung in demjenigen Mitgliedstaat, in dem sich eine Niederlassung
des Schuldners befindet oder in dem unbewegliches Vermögen des Schuldners belegen ist, ge-
setzlich vorgeschrieben ist. Dabei steht es jedem Mitgliedstaat frei, der für das jeweilige Register
zuständigen Stelle die Prüfungskompetenz hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit der auslän-
dischen Eröffnungsentscheidung einzuräumen3. In Deutschland hätte daher jedes Grundbuch-
amt zu prüfen, ob das zur Eintragung angemeldete Verfahren einem der in Anhang A zur
EuInsVO 2015 aufgeführten Verfahren entspricht. Um die Grundbuchämter und sonstige re-
gisterführende Stellen von dieser Prüfung zu entlasten, hat der deutsche Gesetzgeber in
Art. 102c § 8 Abs. 1 EGInsO auch insoweit das Insolvenzgericht dazwischen geschaltet. Danach
ist der Antrag auf Eintragung nach Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015 an das nach § 1 Abs. 2 EG-
InsO zuständige deutsche Insolvenzgericht zu richten, das seinerseits die registerführende Stel-
le um Eintragung ersucht. Da die Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren durch
diese Konzentration der Prüfungskompetenz beim inländischen Insolvenzgericht erleichtert
wird, bestehen gegen die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Verordnung keine Bedenken4.

1 Die Bekanntmachung des deutschen Eröffnungsbeschlusses im (drittstaaatlichen) Ausland ist hin-


gegen nicht gesetzlich vorgeschrieben, zur Vermeidung eines gutgläubigen Erwerbs aber häufig
zweckmäßig.
2 Kindler in MünchKomm, Art. 28 EuInsVO Rz. 3.
3 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 183.
4 So auch die RegBegr zu Art. 102 § 6 EGInsO, BR-Drucks. 715/02, S. 18.

Hausmann | 769
§ 6 Rz. 6.745 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.745 Über die Frage, in welche deutschen Register die in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens einzutragen ist, bestimmt ebenso wie über die Form und den
Inhalt der Eintragung nicht die lex fori concursus, sondern das Recht des Registerstaates. Für
das deutsche Recht wird dies in Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 1 EGInsO festgelegt. Kennt das Recht
des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung Eintragungen, die dem deutschen Recht unbe-
kannt sind, so hat das Insolvenzgericht eine Eintragung zu wählen, die derjenigen der lex fori
concursus am nächsten kommt (Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 2 EGInsO).

6.746 Nach Art. 29 Abs. 2 EuInsVO 2015 kann der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwal-
tung diese Eintragung auch in Mitgliedstaaten, in denen der Schuldner keine Niederlassung
hat, beantragen, wenndas Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, eine sol-
che Eintragung zulässt. In Deutschland ist auch der Antrag nach Art. 29 Abs. 2 EuInsVO
gem. Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 2 EGInsO an das nach Art. 102c § 7 Abs. 2 EGInsO zuständige
Insolvenzgericht zu richten.

6.747 Im autonomen deutschen Recht war das von einem international zuständigen Gericht eröff-
nete ausländische Insolvenzverfahren schon bisher in das deutsche Grundbuch, Handelsregis-
ter und andere verkehrsschützende Register einzutragen, wenn dies der Sicherung der Masse
oder dem Schutz des Rechtsverkehrs diente. Zur Eintragung bedurfte es lediglich des Nach-
weises der Konkurseröffnung durch Vorlage des ausländischen Eröffnungsbeschlusses mit ei-
nem Legalisationsvermerk1. Daran hat der deutsche Gesetzgeber auch im Zuge der Neurege-
lung des internationalen Insolvenzrechts festgehalten. § 346 Abs. 1 InsO lässt demgemäß eine
Eintragung der Eröffnung eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens und der damit verbunde-
nen Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners in das Grundbuch zu, wenn der
Schuldner als Eigentümer eines Grundstücks eingetragen ist (Nr. 1), oder wenn bei den für
den Schuldner eingetragenen Rechten an Grundstücken oder an eingetragenen Rechten nach
der Art des Rechts oder den Umständen zu befürchten ist, dass ohne die Eintragung des Eröff-
nungsvermerks die Insolvenzgläubiger benachteiligt würden (Nr. 2). Mit der Prüfungskom-
petenz wird auch nach autonomem Recht nicht das Grundbuchamt belastet; vielmehr obliegt
diese wiederum dem Insolvenzgericht. Nur dieses ist auf Antrag des ausländischen Insolvenz-
verwalters berechtigt, das Grundbuchamt zu ersuchen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
und die Art der Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners in das Grundbuch
einzutragen. Dabei ist es Aufgabe des inländischen Insolvenzgerichts, Art und Umfang der
Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners nach der ausländischen lex fori con-
cursus zu ermitteln2.

3. Leistung an den Schuldner


6.748 Die Frage, ob ein Dritter, der nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland in Un-
kenntnis dieses Verfahrens im Inland Leistungen an den Schuldner erbringt, von seiner Ver-
pflichtung befreit wird, wurde früher z.T. nach der ausländischen lex fori concursus3, zT aber

1 Vgl. OLG Zweibrücken v. 17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648 = IPRax 1991, 186 (m. Anm.
Gottwald, IPRax 1991, 168); LG Waldshut-Tiengen v. 5.6.1992 – 1 T 6/92, IPRspr. 1992 Nr. 266;
Gottwald, IPRax 1991, 168 ff.; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1237).
2 Eine solche Prüfung ist in Bezug auf drittstaatliche Insolvenzverfahren deshalb erforderlich, weil
die in Frage kommenden Verfahren nicht – wie im Anhang A zur EuInsVO – abschließend auf-
geführt sind, vgl. die RegBegr zur EuInsVO 2000, BR-Drucks. 715/02, S. 27.
3 So – zumindest im Ausgangspunkt – LG München I v. 2.12.1986 – 32 S 11420/86, WM 1987, 222;
Geimer, Rz. 3542.

770 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.751 § 6

auch nach der lex causae der erbrachten Leistung beurteilt1. Nach einer dritten Auffassung
sollte die Schutzvorschrift des § 82 InsO – unabhängig vom Insolvenz- wie Schuldstatut – im-
mer dann zur Anwendung kommen, wenn die Leistung an den Schuldner im Inland erbracht
worden war2.

In diesem letztgenannten Sinne verzichtet auch das europäische Insolvenzrecht zum Schutz 6.749
des gutgläubig Leistenden3 auf eine kollisionsrechtliche Regelung und normiert die Befrei-
ungswirkung in Art. 31 Abs. 1 EuInsVO 2015 durch eine Sachnorm4. Danach wird derjenige,
der in einem Mitgliedstaat an einen Schuldner5 leistet, über dessen Vermögen in einem ande-
ren Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, obwohl er an den Verwalter des
Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, befreit, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens
nicht bekannt war. Erfolgt die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 28
EuInsVO 2015, so wird bis zum Beweis des Gegenteils nach Art. 31 Abs. 2 EuInsVO 2015
vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung nicht bekannt war. Erfolgt die Leistung hin-
gegen nach dieser Bekanntmachung, so wird – umgekehrt – bis zum Beweis des Gegenteils
(widerleglich) vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung bekannt war6.

Eine damit weitgehend übereinstimmende Regelung findet sich für das autonome deutsche 6.750
Recht in § 350 InsO. Schutz genießt der Leistende hiernach allerdings nur in dem Fall, dass er
die Leistung im Inland erbracht hat. Wird die Leistung in Unkenntnis der Verfahrenseröff-
nung in einem dritten Staat an den Schuldner erbracht, so bestimmt sich der Schutz des gut-
gläubig Leistenden nach der lex fori concursus. Für die Zerstörung des guten Glaubens kommt
es dann auf die öffentliche Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung in dem Staat an, in dem
der Schuldner die Leistung erbracht hat7.

4. Gutgläubiger Erwerb
a) Eingetragene Rechte
Den Schutz des gutgläubigen Erwerbers eines eingetragenen Rechts verwirklicht das europäi- 6.751
sche Insolvenzrecht in Art. 17 EuInsVO 2015 durch eine Sonderanknüpfung an die lex rei
sitae bzw. an das Recht des registerführenden (Mitglied-)Staates. Verfügt der Schuldner näm-
lich durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung ge-
gen Entgelt über einen unbeweglichen Gegenstand, über ein Schiff oder ein Luftfahrzeug, das
der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegt oder über Wertpapiere, deren Eintragung
in ein gesetzlich vorgeschriebenes Register Voraussetzung für ihre Existenz ist, so richtet sich
die Wirksamkeit dieser Rechtshandlung gem. Art. 17 EuInsVO 2015 nach dem Recht des Staa-
tes, in dessen Gebiet dieser unbewegliche Gegenstand belegen ist oder unter dessen Aufsicht

1 So Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 317 f.


2 So LG München I v. 2.12.1986 – 32 S 11420/86, WM 1987, 222; Geimer, Rz. 3542; Schack,
Rz. 1194.
3 Vgl. ErwG 30 zur EuInsVO 2000.
4 Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuInsVO Rz. 2.
5 Art. 31 EuInsVO 2015 soll nicht eingreifen, wenn eine Zahlung nach Antragstellung im Auftrag
des Insolvenzschuldners durch Banküberweisung an einen Gläubiger dieses Schuldners erfolgt,
vgl. EuGH v. 19.9.2013 – C-251/12, ECLI:EU:C:2013:566 (Buggenhout), NZI 2013, 1039 m. krit.
Anm. Schäfer, NZI 2013, 1041; zu Recht krit. dazu auch Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuIns-
VO Rz. 7 f. m.w.N.
6 Vgl. Virgos/Schmit-Bericht Rz. 188; näher Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuInsVO Rz. 13 f.
7 Die Bekanntmachung im Eröffnungsstaat reicht also regelmäßig nicht aus, vgl. Geimer, Rz. 3542.

Hausmann | 771
§ 6 Rz. 6.751 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Register geführt wird. Damit wird der Erwerber, der nach Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens in einem anderen Mitgliedstaat vom Schuldner gegen Entgelt einen der vorgenannten
zur Insolvenzmasse gehörenden unbeweglichen Gegenstände erworben hat, im Belegenheits-
bzw. Registrierungsstaat im gleichen Umfang geschätzt wie im Falle eines in diesem Staat er-
öffneten Insolvenzverfahrens1.

6.752 Eine entsprechende Sonderanknüpfung des gutgläubigen Erwerbs sieht auch das autonome
deutsche Recht in § 349 InsO vor. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird der gute Glaube eines
Dritten, zu dessen Gunsten der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Aus-
land verfügt hat, in gleichem Umfang geschützt wie im Falle eines inländischen Insolvenzver-
fahrens (vgl. § 81 Abs. 1 S. 2, § 91 Abs. 2 InsO; § 349 Abs. 1 i.V.m. §§ 878, 892, 893 BGB; §§ 3
Abs. 3, 16, 17 SchiffRG; § 5 Abs. 3, §§ 16, 17 LuftRG). Auch Ansprüche, die durch eine im
Inland eingetragene Vormerkung gesichert sind, können hiernach im Falle eines auslän-
dischen Insolvenzverfahrens in gleicher Weise durchgesetzt werden, wie bei einem inländi-
schen Verfahren (§ 349 Abs. 2 i.V.m. § 106 InsO); sie sind daher auch vor einer Erfüllungsver-
weigerung durch den ausländischen Insolvenzverwalter geschützt. Insoweit verdrängt also die
lex rei sitae die lex fori concursus2.

b) Nicht eingetragene Rechte


6.753 Die Frage, ob auch der Erwerber einer beweglichen Sache oder eines sonstigen nicht eingetra-
genen Rechts in seinem guten Glauben an die fortbestehende Verfügungsbefugnis des Schuld-
ners nach Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens Schutz genießt, bestimmt sich
demgegenüber primär nach der ausländischen lex fori concursus.3 Lässt diese einen gutgläubi-
gen Erwerb zu, so ist er auch bzgl. der im Inland belegenen Mobilien zu beachten. Daneben
kommt aber auch ein gutgläubiger Erwerb nach Maßgabe der lex causae, also der lex rei sitae
beim Erwerb beweglicher Sachen, in Betracht. Sieht diese einen gutgläubigen Erwerb nicht
vor, weil sie – wie das deutsche Recht – den Schutz der Insolvenzmasse gegen nachteilige Ver-
fügungen des Schuldners höher bewertet als den Schutz des redlichen Erwerbers, so hat es
hierbei freilich sein Bewenden. Für einen weitergehenden Schutz des inländischen Mobiliar-
erwerbers in entsprechender Anwendung der § 135 Abs. 2, § 932 BGB, solange die Eröffnung
der Auslandsinsolvenz im Inland nicht öffentlich bekannt gemacht wurde, ist mithin kein
Raum4.

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Grundlagen
6.754 Das europäische wie das deutsche internationale Insolvenzrecht sind geprägt vom Prinzip der
Universalität des Insolvenzverfahrens. Danach erstrecken sich die Wirkungen der Eröffnung
eines Hauptinsolvenzverfahrens auch auf das außerhalb des Eröffnungsstaates belegene Ver-
mögen des Gemeinschuldners.

1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 141; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (164); Wenner, Rz. 285.
2 Geimer, Rz. 3543; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (346).
3 Kindler in MünchKomm, Art. 17 EuInsVO Rz. 7; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb.,
§ 132 Rz. 60.
4 Geimer, Rz. 3543a; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 61; Wenner, Rz. 290.

772 | Hausmann
C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.761 § 6

Wichtigste Rechtsquelle des internationalen Insolvenzrechts war bis zum 25.6.2017 die EG- 6.755
Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO 2000), die seit dem 31.5.2002
im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks galt. Diese Verordnung ist
für Insolvenzverfahren, die ab dem 26.6.2017 eröffnet wurden bzw. werden, durch die Verord-
nung (EU) Nr. 848/2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO 2015) ersetzt worden. Hat der
Hauptschuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem EU-Mitglied-
staat, so verdrängt die EuInsVO 2015 das nationale Recht der Mitgliedstaaten, und zwar auch
dann, wenn kein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat besteht. Nur für Schuldner mit Inte-
ressenmitttelpunkt in einem Drittstaat gilt das autonome deutsche internationale Insolvenz-
recht, das durch Gesetz vom 14.3.2003 erstmals umfassend kodifiziert wurde.

Sowohl das europäische wie das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht lassen ne- 6.756
ben dem Hauptinsolvenzverfahren territorial beschränkte Nebeninsolvenzverfahren (Sekun-
där-, Partikularinsolvenz) zu.

2. Inländisches Insolvenzverfahren

a) Die deutschen Gerichte sind für die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens interna- 6.757
tional zuständig, wenn der Gemeinschuldner im Inland den Mittelpunkt seiner haupt-
sächlichen Interessen (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015) bzw. den Mittelpunkt seiner selb-
ständigen wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO) hat. Bei juristischen Personen
und Gesellschaften entscheidet also der effektive Verwaltungssitz.
Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO 2015 erstreckt sich gem. Art. 6 6.758
EuInsVO 2015 auch auf Annexverfahren, die einen hinreichend engen Bezug zum Insol-
venzverfahren haben. Die Abgrenzung zur allgemeinen Zuständigkeit für Zivil- und Han-
delssachen, die sich nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO bestimmt, wirft allerdings zahlreiche Pro-
bleme auf. Leitlinien für diese Abgrenzung ergeben sich aus der Rechtsprechung des
EuGH.
b) Die Voraussetzungen der Insolvenzeröffnung beurteilen sich nach dem Recht des Eröff- 6.759
nungsstaates. Dies gilt insbesondere für die Insolvenzfähigkeit des Gemeinschuldners, die
Eröffnungsgründe und die Antragsbefugnis.
c) Ein deutsches (Haupt-)Insolvenzverfahren strebt die Einbeziehung des gesamten und da- 6.760
mit auch des ausländischen Vermögens des Schuldners in die insolvenzrechtliche Abwick-
lung an, um die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu gewährleisten. Dieser Uni-
versalitätsanspruch der Insolvenzeröffnung besteht gleichermaßen im europäischen (Art. 19
Abs. 1 EuInsVO 2015) wie im deutschen autonomen Recht (§ 335 InsO). Die gleiche Wir-
kung kommt auch einem vom deutschen Insolvenzgericht angeordneten allgemeinen Ver-
äußerungsverbot zu.
d) Während der Dauer des inländischen Insolvenzverfahrens finden Zwangsvollstreckungs- 6.761
maßnahmen zu Gunsten einzelner Insolvenzgläubiger auch in das zur Masse gehörende
Auslandsvermögen des Gemeinschuldners nicht statt. Ein Insolvenzgläubiger, der durch
solche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem im Ausland belegenen Vermögen des
Gemeinschuldners Befriedigung erlangt, ist daher verpflichtet, das Erlangte dem Insolvenz-
verwalter herauszugeben (Art. 23 Abs. 1 EuInsVO; § 342 Abs. 1 InsO). Eine solche Abfüh-
rungspflicht besteht hingegen nicht für den in einem ausländischen Insolvenzverfahren er-
langten Erlös; diesen hat sich der Gläubiger jedoch auf die auf ihn entfallende Quote im

Hausmann | 773
§ 6 Rz. 6.761 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

inländischen Verfahren anrechnen zu lassen (Art. 23 Abs. 2 EuInsVO 2015; § 342 Abs. 2
InsO).
6.762 e) Der Verwalter eines im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens ist verpflichtet, auch aus-
ländisches Vermögen des Schuldners zur Masse zu ziehen und zu verwerten. Er ist auch
bezüglich dieses Auslandsvermögens vor inländischen Gerichten prozessführungsbefugt.
Im Geltungsbereich des europäischen internationalen Insolvenzrecht bestimmen sich die
Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters auch bezüglich des in anderen Mitgliedstaa-
ten belegenen Vermögens grundsätzlich nach deutschem Recht (Art. 21 EuInsVO 2015).
Der Gemeinschuldner ist seinerseits verpflichtet, den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung
seiner Verpflichtungen – z.B. durch Erteilung entsprechender Vollmachten – zu unterstüt-
zen.

3. Ausländisches Insolvenzverfahren

6.763 a) Anerkennungsfähig im Inland sind nicht nur ausländische Entscheidungen über die Insol-
venzeröffnung, sondern auch Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines
ausländischen Insolvenzverfahrens sowie über Sicherungsmaßnahmen und Entscheidun-
gen in solchen Einzelverfahren, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen
und in engem Zusammenhang mit ihm stehen (vgl. Art. 32 Abs. 1 EuInsVO 2015).
6.764 b) Insolvenzrechtliche Entscheidungen der Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten werden im
Inland grundsätzlich anerkannt; eingeschränkt ist die Anerkennung allein durch den Vor-
behalt des inländischen ordre public (Art. 19, 33 EuInsVO 2015). Demgegenüber ist für
die Anerkennung der Eröffnung eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens zusätzlich erfor-
derlich, dass die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht inter-
national zuständig waren (§ 343 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 InsO).
6.765 c) Die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens im Ausland entfaltet im Inland diejeni-
gen Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt
(Art. 20 Abs. 1 EuInsVO 2015; § 335 InsO); der Durchführung eines förmlichen Anerken-
nungsverfahrens bedarf es hierzu nicht.
6.766 d) Die Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insol-
venzverfahrens bestimmt sich im europäischen Recht gem. Art. 32 Abs. 1 S. 2 EuInsVO
2015 nach Maßgabe der Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO. Danach ist – abweichend von den bisher
maßgeblichen Art. 38 ff. Brüssel I-VO – ein Vollstreckbarerklärungsverfahren entbehrlich.
Demgegenüber bedarf es für die Inlandsvollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen nach
§ 353 InsO eines Vollstreckungsurteils gem. §§ 722, 723 ZPO.
6.767 e) Die Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters zur Verwaltung und Verwertung
des inländischen Vermögens werden im Inland grundsätzlich nach Maßgabe der auslän-
dischen lex fori concursus anerkannt (Art. 21 EuInsVO 2015). Gleiches gilt für einen vom
Recht des Eröffnungsstaates angeordneten Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den
Verwalter in einem die Masse berührenden Rechtsstreit. Aus diesem Grunde unterbricht
die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens einen zur Zeit der Eröffnung anhän-
gigen inländischen Rechtsstreit (Art. 18 EuInsVO 2015 iVm § 240 ZPO, § 352 InsO).

774 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.781 § 6

4. Reichweite des Insolvenzstatuts

a) Sowohl das europäische wie das deutsche internationale Insolvenzrecht gehen von einer 6.768
allseitigen Kollisionsnorm aus, derzufolge sich nicht nur die verfahrensrechtlichen, son-
dern auch die materiell-rechtlichen Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach dem Recht
des Eröffnungsstaats beurteilen (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO; § 335 InsO).
b) Die grundsätzliche Geltung der lex fori concursus wird allerdings sowohl im europäischen 6.769
wie im deutschen autonomen internationalen Insolvenzrecht einerseits durch Sachnormen
eingeschränkt, die bestimmte Rechte an dem außerhalb des Eröffnungsstaates belegenen
Vermögen von den Wirkungen des Insolvenzverfahrens ausnehmen (Art. 8–10 EuInsVO;
§§ 338, 351 InsO), andererseits durch eine Reihe von Sonderanknüpfungen durchbrochen.
Solche Sonderanknüpfungen gelten insbesondere für Immobilienverträge, Arbeitsverhält-
nisse, die Insolvenzanfechtung und die Insolvenzaufrechnung (Art. 11–14, 17–18 EuInsVO;
§§ 336–340 InsO).

5. Schutz des Rechtsverkehrs


Um einem gutgläubigen Erwerb Dritter im Inland nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 6.770
im Ausland entgegenzuwirken, ist auf Antrag des ausländischen Verwalters die öffentliche Be-
kanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Inland zu veranlassen, wenn der Schuldner
hier eine Niederlassung unterhält (Art. 28 EuInsVO 2015, § 345 InsO). Außerdem hat der
ausländische Verwalter die Eintragung eines Vermerks über die Verfahrenseröffnung im Aus-
land in das deutsche Grundbuch, Handelsregister und andere verkehrsschützende Register si-
cherzustellen, wenn der Schuldner in einem inländischen Register eingetragen ist oder unbe-
wegliches Vermögen des Schuldners im Inland belegen ist (Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015;
§ 346 Abs. 1 InsO). Darüber hinaus wird derjenige, der an einen Schuldner leistet, über dessen
Vermögen im Ausland ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, geschützt, wenn ihm die
Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war (Art. 31 EuInsVO 2015; § 350 InsO). Schließlich
wird auch der Dritterwerber geschützt, der gutgläubig vom Schuldner nach Eröffnung des In-
solvenzverfahrens im Ausland ein eingetragenes Recht erwirbt (Art. 17 EuInsVO; § 349 InsO).

Einstweilen frei. 6.771–6.780

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen

I. Qualifikation
Literatur: Vgl. die Nachweise vor Rz. 6.786, vor Rz. 6.828, vor Rz. 6.974, vor Rz. 6.983 und vor
Rz. 6.1005.
Die Ehe bringt Bindungen auch hinsichtlich der Verwaltung und Verfügung über das Ver- 6.781
mögen mit sich. Dem Verheirateten steht sein Vermögen nicht mehr, wie dem Ledigen, zur
unbeschränkten freien Verfügung zu. Im Interesse der Familiengemeinschaft kann er mannig-
fachen Beschränkungen unterliegen. Das muss, wer mit verheirateten Personen Verträge
schließt, beachten. Dass die verheiratete Frau in der Eingehung von Verpflichtungen und Ver-
fügungen über ihr Vermögen beschränkt ist, wurde lange Zeit als selbstverständlich betrachtet.
Auf diese Beschränkungen richtete sich der Rechtsverkehr ein; bei Verträgen mit Frauen wur-
de stets auf den Familien- und Güterstand geachtet. Anders bei Verträgen mit Männern. Hier
wurde bis in die jüngere Vergangenheit von der unbeschränkten Verfügungsmacht ausgegan-

Hausmann | 775
§ 6 Rz. 6.781 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gen. Die Familienrechtsreformen der letzten Jahrzehnte haben indes zumindest in Europa
und den USA den Grundsatz der Gleichberechtigung der Ehegatten verwirklicht, so dass es
heute ratsam ist, sich auch vor dem Abschluss von Verträgen mit Männern über deren Famili-
en- und Güterstand zu unterrichten.

6.782 Während das deutsche Recht die Verfügungs- und Verpflichtungsmacht von Ehegatten nur
durch güterrechtliche Bestimmungen (§§ 1365, 1369, 1423 ff. BGB) einschränkt, bringt in vie-
len ausländischen Rechten bereits die Ehe als solche – unabhängig vom Güterstand – gewisse
Beschränkungen der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis mit sich. Die unterschiedliche
Anknüpfung von güterrechtlichen Beschränkungen und solchen, die sich als allgemeine Wir-
kungen der Ehe darstellen, sind auf dem Gebiet des Vermögensrechts in ab dem 29.1.2019
geschlossenen Ehen durch die EuGüVO überwunden worden (dazu Rz. 6.810). In vor diesem
Stichtag geschlossenen Ehen, die noch dem autonomen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten
unterliegen, ist diese Unterscheidung hingegen weiter bedeutsam, weil der von Art. 15 Abs. 1
EGBGB angestrebte Gleichlauf von Ehegüter- und Ehewirkungsstatut wegen der Unwandel-
barkeit des Güterrechtsstatuts nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (dazu Rz. 6.898 f.) – im Gegensatz
zur wandelbaren Anknüpfung des Ehewirkungsstatuts (dazu Rz. 6.823) – und der Möglichkeit
einer auf die güterrechtlichen Beziehungen beschränkten Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2
EGBGB nicht selten verfehlt wird. Welche Rechtsbeziehungen der Ehegatten in ihrem Verhält-
nis zueinander oder im Verhältnis zu Dritten in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem
Statut der allgemeinen Ehewirkungen (Art. 14 EGBGB) und welche dem Ehegüterrechtsstatut
(Art. 15 EGBGB) unterliegen, ist in der Praxis nicht immer leicht festzustellen.

6.783 Ausgangspunkt einer funktionalen Qualifikation muss sein, dass die Sonderanknüpfung des
Ehegüterrechts der Sonderordnung des Vermögens von Mann und Frau während und auf-
grund der Ehe rechtlichen Bestand geben soll. Daher gehören zum Ehegüterrecht diejenigen
materiellen Rechtssätze, die eine solche Sonderordnung schaffen oder – im Falle der Güter-
trennung – von ihr absehen, sowie diejenigen, die nach Auflösung der Ehe für eine Abwick-
lung dieser Sonderordnung sorgen1. Nach Art. 15 EGBGB beurteilen sich daher insbesondere
die Fragen, welcher von den mehreren Güterständen einer Rechtsordnung maßgebend ist,
welche Gütermassen danach zu unterscheiden sind und zu welcher der Anspruch eines Ehe-
gatten gehört; das Güterrechtsstatut regelt ferner, ob und mit welchem Inhalt Eheverträge ge-
schlossen werden können und welche Erwerbs- bzw. Verfügungsbeschränkungen infolge des
Güterstandes bestehen (dazu näher Rz. 6.828 ff.)2.

6.784 Demgegenüber gehören zu den allgemeinen Ehewirkungen die in §§ 1353–1362 BGB gere-
gelten Sachbereiche, sofern sie nicht – wie das Ehenamensrecht (Art. 10 EGBGB), das eheliche
Unterhaltsrecht (Art. 1 ff. Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007)3 oder bestimmte ver-
mögensrechtliche Scheidungsfolgen (Art. 17 Abs. 1 EGBGB)4 – gesondert anzuknüpfen sind.
In den Regelungsbereich des Art. 14 EGBGB fallen daher in den noch nicht von der EuGüVO
erfassten Ehen nicht nur persönliche Ehepflichten (wie z.B. die Pflicht zur ehelichen Lebens-

1 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 65.


2 BGH v. 21.10.1992 – XII ZR 182/90, BGHZ 119, 392 (394) = NJW 1993, 385; OLG Hamm v.
10.4.1992 – 4 WF 47/92, FamRZ 1992, 963 (965); OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, FamRZ
1999, 298; Kegel/Schurig, IPR, § 20 VI 2; Schurig in Soergel, Rz. 32 ff.; Looschelders in Münch-
Komm, Rz. 31 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 15 ff.; Mankowski in Staudinger, Rz. 231 ff., je-
weils zu Art. 15 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 320 ff.
3 ABl. EU 2009 L 331, S. 19 = Jayme/Hausmann, Nr. 42; dazu Hausmann, IntEuFamR C Rz. 489 ff.
4 Dazu Hausmann, IntEuFamR A Rz. 548 ff.

776 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.785 § 6

gemeinschaft und die Haushaltsführung), sondern auch vermögensrechtliche Beziehungen, wie


z.B. die Mitarbeit im Geschäft des anderen Ehegatten, die Schlüsselgewalt, der Haftungsmaß-
stab und die Eigentumsvermutungen1. Diese allgemeinen Ehewirkungen unterscheiden sich
vom Güterrecht dadurch, dass sie ohne Rücksicht auf eine besondere Ordnung der ehelichen
Vermögensverhältnisse gelten. Anhand dieses Kriteriums ist auch bei Beschränkungen des
ausländischen Rechts, die dem deutschen Recht fremd sind (wie z.B. verminderte Geschäfts-
fähigkeit der Ehefrau, Verbote bestimmter Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten oder zwischen
Ehegatten und Dritten), zu entscheiden, ob es sich um allgemeine oder um güterrechtliche
Ehewirkungen handelt (dazu näher Rz. 6.786 ff., Rz. 6.849 ff.)2.

Die für das autonome deutsche Kollisionsrecht charakteristische Unterscheidung zwischen all- 6.785
gemeinen und güterrechtlichen Ehewirkungen ist auf dem Gebiet des Ehevermögensrechts al-
lerdings durch die europäischen Güterrechtsverordnungen3 in ab dem 29.1.2019 geschlos-
senen Ehen (und eingetragenen Lebenspartnerschaften) überwunden worden. Denn das Kol-
lisionsrecht dieser Verordnungen gilt einheitlich für die gesamten vermögensrechtlichen Be-
ziehungen solcher Ehegatten (und eingetragenen Lebenspartner), soweit diese ihren Grund in
der Ehe (oder eingetragenen Lebenspartnerschaft) haben (dazu näher Rz. 6.810).

II. Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe


Literatur: Berger, Die Stellung Verheirateter im rechtsgeschäftlichen Verkehr (1987); Böhringer, Be-
schränkungen der Beteiligten eines Grundstücksveräußerungsvertrages, Rpfleger 1990, 337; Carlier,
Les contrats de mariage internationaux: aspects particuliers des clauses relatives aux relations person-
nelles, in: Verwilghen/de Valkeneer (Hrsg.), Relations familiales internationales (Brüssel 1993), S. 277;
Chedly, Les relations pécuniares entre époux, Rev.int.dr.comp. (2007), 551; Fajen, Die Schlüsselgewalt
im italienischen Recht (2000); Fenge, Zur Mitverpflichtung naher Familienangehöriger in der eng-
lischen und schottischen Rechtsprechung, RIW 1996, 545; Fountoulakis, Interzession naher Angehöri-
ger – eine rechtsvergleichende Untersuchung im deutschen und angelsächsischen Recht (2005); Ha-
senböhler, Mitwirkung beider Ehegatten beim Vertragsschluss (Basel 1982); Hausheer,
Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte und familienrechtliche Leistungen unter Ehegatten, insbesondere
unbenannte Zuwendungen und ehebezogene Arbeitsleistungen in rechtsvergleichender Sicht, FS Hen-
rich (2000), S. 219; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil B
Anh. Allg. Ehewirkungen, Rz. 598 ff.; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrens-
recht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 8; Kiefner/Waigel, Die Ehegattengesellschaft
im französischen Zivilrecht (Diss. Münster 1986); Kobel-Schnidrig, Schenkung unter Ehegatten, FS
Hausheer (2002), S. 301; Löffler, Ehegattenschenkungen und ihre Rückgängigmachung nach französi-
schem und deutschem Recht (Diss. Augsburg 1987); Morin, Les ventes entre époux, FS Breton/Derri-
da (Paris 1991), S. 259; Najjar, La validité des donations déguisées ou indirectes sous seing privé, D.
S. 1995 Chron. 115; Nordmeier, Schenkungen unter Ehegatten im internationalen Privatrecht:
Deutsch-portugiesische Fälle nach EGBGB, Rom I-VO und EhegüRVO, IPRax 2014, 411; Rheinstein/
Glendon, Interspousal Relations, Int.Encycl.Comp.L. IV 4 (1980); Steininger, Die persönlichen Ehewir-
kungen im neuen österreichischen Recht, FamRZ 1979, 774; van den Eynde, Les donations entre

1 BT-Drucks. 10/504, S. 54; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 57 ff.


2 Thorn in Palandt, Rz. 14 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 37; Looschelders in MünchKomm, Rz. 36 ff.,
Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 28 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 7, 11 ff.; Mankowski
in Staudinger, Rz. 213 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB;
3 Verordnungen (EU) 2016/1103 und 2016/1104 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammen-
arbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterrechts (EuGüVO) bzw. güterrecht-
licher Wirkungen eingetragener Partnerschaften (EuPartVO) v. 24.6.2016, ABl. EU L 183, S. 1 und
30 = Jayme/Hausmann Nr. 33 und 39.

Hausmann | 777
§ 6 Rz. 6.785 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

époux, in: Verwilghen/de Valkeneer (Hrsg.), Relations familiales internationales (Brüssel 1993), S. 301;
Voser, Die Begrenzung des Berufsausübungsrechts der Ehegatten durch das Wohl der ehelichen Ge-
meinschaft, SchwJZ 1992, 193; Werner, Schuldrechtliche Interzessionen nach deutschem, englischem
und US-amerikanischem Recht (Diss. Tübingen 1998).
Zum IPR s. vor Rz. 6.806; zum Schutz des Rechtsverkehrs s. vor Rz. 6.743.

1. Allgemeines
6.786 Ausländische Rechte enthalten vielfach Bestimmungen, welche die Freiheit der Eheleute, über
ihr eigenes oder das gemeinsame Vermögen zu verfügen bzw. bestimmte Verpflichtungen ein-
zugehen, im Interesse der Familiengemeinschaft unabhängig vom jeweiligen Güterstand ein-
schränken. Diese Beschränkungen sind besonders gefährlich, weil sie dem deutschen Recht
weithin unbekannt sind und der inländische Vertragspartner eines ausländischen Ehegatten
mit ihnen regelmäßig nicht rechnet.

2. Beschränkungen im Rechtsverkehr mit Dritten


a) Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit
6.787 Eine allgemeine Minderung der Geschäftsfähigkeit der Frau durch die Eheschließung, wie sie
früher vor allem in den romanischen Rechten, aber auch im englischen Common Law eine
vertraute Erscheinung war, gehört heute weitgehend der Vergangenheit an. Soweit sie noch
auftritt, ist sie den allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen1. Bei hinreichender Inlandsbezie-
hung wird freilich regelmäßig die Schranke des ordre public (Art. 6 EGBGB) eingreifen2.

6.788 Der Erwerb oder eine Erweiterung der Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung („Heirat
macht mündig“) beurteilt sich hingegen nach dem Geschäftsfähigkeitsstatut des Art. 7
EGBGB (vgl. Rz. 6.1080 f.).

6.789 Eine teilweise Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Frau bedeuten allerdings auch die
in manchen Rechten noch bestehenden Interzessionsverbote. Sie sollen Ehegatten davor be-
wahren, aus Zuneigung zum Partner oder unter seinem Druck übermäßig belastende oder un-
vernünftige Verpflichtungen einzugehen. So bedarf ein Ehegatte nach Art. 1:88 Abs. 1 lit. c
niederl. B.W. der Zustimmung seines Partners für „Verträge, durch welche er sich außerhalb
der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes als Bürge oder hauptsächlicher Mitschuldner ver-
pflichtet, sich für einen Dritten stark sagt oder sich zur Sicherungsübereignung für die Schuld
eines Dritten verpflichtet.“ Maßgebend für solche Beschränkungen ist daher nicht das Ge-
schäftsfähigkeitsstatut (Art. 7 EGBGB) oder das Schuldstatut des Interzessionsgeschäfts (dazu
Rz. 6.1002), sondern das Statut der allgemeinen Ehewirkungen3.

1 BGH v. 25.6.1953 – IV ZR 135/51, IPRspr. 1952/53 Nr. 298; Schurig in Soergel, Rz. 58 f.; Man-
kowski in Staudinger, Rz. 232; jeweils zu Art. 14 EGBGB.
2 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 18 a.E.; vgl. dazu LG Berlin v. 19.2.1992 – 4 O 355/91,
FamRZ 1993, 198: Die Anwendung von Art. 160 türk. ZGB, der dem Ehemann das alleinige Recht
einräumt, die Ehefrau in Streitfragen bezüglich ihres persönlichen Vermögens vor Gericht zu ver-
treten, verstößt gegen den deutschen ordre public.
3 Schurig in Soergel, Rz. 64 f.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 74 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB,
Rz. 13; Mankowski in Staudinger, Rz. 235 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB.

778 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.793 § 6

b) Verpflichtungsbeschränkungen
aa) Normzweck
Allgemeine, d.h. nicht in einem bestimmten Güterstand wurzelnde Beschränkungen bei der 6.790
Begründung von Verbindlichkeiten durch einen Ehegatten allein verfolgen vor allem den
Zweck, die materielle Grundlage der ehelichen Lebensführung zu erhalten und zu sichern.
Deswegen wird das Erfordernis der Zustimmung des nicht beteiligten Ehegatten zum Ab-
schluss bestimmter Verträge dem Ehewirkungsstatut unterstellt1. Besondere Vorsicht ist vor
allem bei folgenden Verträgen mit Ehegatten geboten:

bb) Schenkung
Schenkungen durch einen Ehegatten bedürfen, auch wenn sie aus dem eigenen Vermögen er- 6.791
folgen, vor allem in den romanischen Rechten häufig der Zustimmung des anderen Ehegatten,
wenn hierdurch die Erhaltung des Familienvermögens gefährdet wird; dies gilt etwa in Belgien
(Art. 224 § 1 Nr. 3 c.c.) und in den Niederlanden (Art. 1:88 Abs. 1 lit. b B.W.); in anderen
Rechten ist die Zustimmung des Ehepartners nur für Schenkungen aus dem gemeinschaftli-
chen Vermögen erforderlich (so z.B. in Brasilien, Art. 235 Abs. 4 c.c.).

cc) Bürgschaft/Schuldübernahme
Ähnliche Beschränkungen gelten nicht selten für Verträge, durch die sich ein Ehegatte als Bür- 6.792
ge, Schuldmitübernehmer oder Garant zur Absicherung einer fremden Schuld verpflichtet, so-
weit dies nicht in Ausübung seines Berufes oder im Rahmen seines Geschäftsbetriebes ge-
schieht, so z.B. in Belgien (Art. 224 § 1 Nr. 4 c.c.)2, in Brasilien (Art. 235 Abs. 3, 242 Abs. 1 c.
c.), den Niederlanden (Art. 1:88 Abs. 1 lit. c B.W.) und der Schweiz (Art. 494 Abs. 1 OR). Wäh-
rend die deutsche Rechtsprechung die gebotene Sonderanknüpfung derartiger Zustimmungs-
erfordernisse nicht immer beachtet hat (vgl. dazu Rz. 6.1002), wertet das Schweizer Bundes-
gericht die Regel in Art. 494 Abs. 1 OR als Schranke der allgemeinen Handlungsfähigkeit3.
Die Nichtigkeit des Bürgschaftsversprechens wegen fehlender Zustimmung des Ehegatten
kann aus Gründen der Rechtssicherheit allerdings zumeist nur innerhalb kurzer Fristen und
z.T. auch nur gegenüber einem bösgläubigen Vertragspartner geltend gemacht werden4.

dd) Abzahlungskauf
Auch Abzahlungskaufverträge können etwa in der Schweiz (Art. 226a OR) nur mit Zustim- 6.793
mung des anderen Ehegatten geschlossen werden, sofern die Ehegatten einen gemeinsamen

1 Schurig in Soergel, Rz. 64 f.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 74 ff.; Mankowski in Staudinger,
Rz. 235 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB. Vgl. auch das Beispiel bei Hausmann in Hausmann/Oder-
sky, § 8 Rz. 79.
2 Vgl. dazu Cass. (Belgien) v. 25.5.1992, Pas. 1992 I, 839; dazu von Houtte, IPRax 1997, 276 (281).
3 Schweiz. BG v. 14.12.1984, BGE 110 II, 484 = IPRax 1987, 34 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1987, 47)
(Deutscher unterzeichnete Bürgschaftserklärung gegenüber einer schweiz. Bank in Frankfurt a.M.
und vereinbarte die Geltung schweiz. Rechts. Gegenüber der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft
berief er sich auf deren Nichtigkeit wegen fehlender Zustimmung seiner Ehefrau. Das BG verwarf
den Einwand, weil es sich bei Art. 494 Abs. 1 OR um eine gesondert anzuknüpfende Beschrän-
kung der Geschäftsfähigkeit handle, die nur bei schweiz. Personalstatut des Bürgen eingreife.).
4 Vgl. in den Niederlanden Art. 1:89 B.W.

Hausmann | 779
§ 6 Rz. 6.793 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Haushalt führen und die Verpflichtung 1000 sFr übersteigt. Die Zustimmung muss schriftlich
spätestens bei Vertragsschluss erteilt werden; eine nachträgliche Genehmigung ist aus-
geschlossen. Diese Regelung gilt entsprechend für die Aufnahme von Darlehen zum Kauf be-
weglicher Sachen (Art. 226m Abs. 2 OR)1. Auch in den Niederlanden ist – abweichend vom
früheren Recht (Art. 1:87 B.W. a.F.) – keine Mitwirkung des anderen Ehegatten am Vertrags-
schluss mehr erforderlich, wohl aber seine Zustimmung (Art. 1:88 Abs. 1 lit. d B.W. n.F.).
Nach anderen Rechten ist zumindest die Mithaftung für die im Rahmen der Schlüsselgewalt
getätigten Abzahlungsgeschäfte eingeschränkt, wenn der andere Ehegatte nicht ausdrücklich
zugestimmt hatte, so z.B. in Frankreich (Art. 220 Abs. 3 c.c.).

ee) Arbeitsvertrag
6.794 § 1358 BGB a.F. hatte dem Mann das Recht gegeben, ein gegen seinen Willen von der Frau
eingegangenes Arbeitsverhältnis zu kündigen. Auch in der Schweiz konnte die Ehefrau bis
1987 nur mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Mannes einen Beruf
oder ein Gewerbe ausüben; wurde die Einwilligung verweigert, so konnte sie im Familieninte-
resse durch den Richter ersetzt werden (Art. 167 ZGB a.F.). In den meisten europäischen Staa-
ten ist diese Abhängigkeit der Ehefrau bei der Ausübung ihres Berufes im Zuge jüngerer Fa-
milienrechtsreformen beseitigt worden, so z.B. in Belgien (Art. 216 c.c.), Frankreich (Art. 223
c.c.), Portugal (Art. 1677-D c.c.), Griechenland (Art. 1389 ZGB) und zuletzt in der Schweiz
(Art. 167 ZGB n.F.). Soweit derartige Beschränkungen noch bestehen, wie z.B. im Iran
(Art. 1187 ZGB) oder nach manchen südamerikanischen Rechten (vgl. in Bolivien Art. 99
FamGB vom 23.8.1972), gehören sie zu den allgemeinen Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB;
ihre Beachtung im Inland wird freilich regelmäßig an der ordre-public-Schranke des Art. 6
S. 2 EGBGB i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG scheitern2.

c) Verfügungsbeschränkungen
aa) Ehewohnung und Hausrat
6.795 Während die Verfügung über Haushaltsgegenstände nach deutschem Recht nur im gesetzli-
chen Güterstand der Zugewinngemeinschaft von der Zustimmung des anderen Ehegatten ab-
hängt (§ 1369 BGB), kennt das französische Recht eine entsprechende Bindung der Ehegatten
ohne Rücksicht auf den Güterstand (sog. „régime primaire“). Das Zustimmungserfordernis
gilt nicht nur für die Veräußerung von Haushaltsgegenständen, sondern auch für die Veräuße-
rung und Belastung der ehelichen Wohnung sowie für die Kündigung von Mietverträgen über
Familienwohnraum (Art. 215 Abs. 3 c.c.)3. Ähnliche Regelungen finden sich auch in anderen
romanischen Rechtsordnungen, z.B. in Belgien (Art. 215 c.c.), den Niederlanden (Art. 1:88
Abs. 1 lit. a B.W.)4, Portugal (Art. 1682 ff. c.c.) und Spanien (Art. 1320 c.c.) und betreffen dort
regelmäßig bereits das Verpflichtungsgeschäft, darüber hinaus aber auch im österreichischen
(§ 97 ABGB), schweizerischen (Art. 169 ZGB)5 und türkischen (Art. 194 ZGB) Recht6 sowie in

1 Vgl. dazu IPG 1977 Nr. 5 (Heidelberg).


2 Böhmer in Ferid, Rz. 8–87, 3; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 257.
3 Vgl Rubelin-Devichi, La famille et le droit au logement, Rev.trim.dr.civ. (1996), 245 ff.
4 Vgl. IPG 1996 Nr. 26 (Köln).
5 Dazu eingehend Berger, S. 56 ff.; ferner Ruoss, Der Einfluss des neuen Eherechts auf Mietverhält-
nisse von Wohnräumen, ZSR 107 (1988), 168 ff.
6 Dazu OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610 (1611).

780 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.798 § 6

den skandinavischen Ländern1. Schließlich kann ein Ehegatte allein auch nach englischem
Recht sowie nach den Rechten der meisten US-Bundesstaaten und kanadischen Provinzen
nicht über die „homestead“ oder das „matrimonial home“ verfügen (vgl. etwa den englischen
„Matrimonial Homes Act 1983“).
Für die Frage der Anknüpfung derartiger Verfügungsbeschränkungen sollte man sich von der 6.796
güterrechtlichen Vorgabe des deutschen materiellen Rechts lösen und etwaige Zustimmungs-
erfordernisse in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem Statut der allgemeinen Ehewir-
kungen entnehmen, soweit sie danach unabhängig vom Güterstand eingreifen2. Die Beschrän-
kungen nach dem ausländischen Ehewirkungsstatut haben bei Geltung deutschen Güter-
rechtsstatuts dann Vorrang vor § 1369 BGB3. Unter Geltung der EuGüVO sind solche Ver-
fügungsbeschränkungen hingegen autonom als güterrechtlich zu qualifizieren, auch wenn sie
in dem anwendbaren nationalen Recht des teilnehmenden Mitgliedstaats als allgemeine Ehe-
wirkung ausgestaltet sind (Rz. 6.810).

bb) Immobilien
Manche ausländischen Rechte beschränken darüber hinaus die Befugnis des einzelnen Ehegat- 6.797
ten zur Verfügung über weitere Vermögensgegenstände, die für die finanzielle Absicherung
der Familie von besonderer Bedeutung sind, wie insbesondere Grundstücke oder ein Handels-
geschäft. Während für solche Verfügungen teilweise kraft Gesetzes die Zustimmung des ande-
ren Ehegatten gefordert wird (so z.B. in Portugal Art. 1682-A Abs. 1 c.c., und Brasilien,
Art. 235 Abs. 1, 242 Abs. 1 und 2 c.c.), besteht nach anderen Rechten die Möglichkeit, Be-
schränkungen auf Antrag eines Ehegatten zum Schutz der Familie gerichtlich anzuordnen, so
etwa in Belgien (Art. 223, 224 § 1 Nr. 2 c.c.), Frankreich (Art. 220-1 c.c.) und der Schweiz
(Art. 178 ZGB). Da auch die vorgenannten Beschränkungen ohne Rücksicht darauf gelten, in
welchem Güterstand die Ehegatten leben, ist in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gleich-
falls das Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB maßgebend.

cc) Legalhypothek
Manche Rechtsordnungen räumen den Ehegatten besondere Sicherungsrechte am Grundver- 6.798
mögen des Partners ein, und zwar auch dann, wenn die Vermögen beider Teile im Übrigen
völlig getrennt bleiben („dower“ in einigen US-Bundesstaaten; Legalhypothek in romanischen
Rechten). Während die Legalhypothek der Ehefrau in Belgien und Italien inzwischen beseitigt
wurde, hat man sie in Frankreich auf Ehegatten beschränkt, die im Wahlgüterstand der Zuge-
winngemeinschaft leben (vgl. Art. 2121 c.c.); die Legalhypothek kann allerdings Dritten nur
entgegengehalten werden, wenn sie eingetragen ist (Art. 2134 c.c.). Um einen lastenfreien Er-
werb sicherzustellen, empfiehlt es sich daher bei Grundstücksgeschäften mit verheirateten
französischen Partnern, die Zustimmung des Ehegatten einzuholen. Derartige dingliche Si-

1 Vgl. dazu die Landesreferate zum Thema „Le statut juridique du logement familial“ für den 10.
Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung in Budapest (1978).
2 OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610 (1611); Looschelders in Münch-
Komm, Rz. 39; Mankowski in Staudinger, Rz. 303; Schurig in Soergel, Rz. 50, jeweils zu Art. 14
EGBGB; Junker, IPR, § 18 Rz. 19; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 298. Vgl. dazu auch das Beispiel bei
Hausmann in Hausmann/Odersky, § 8 Rz. 85 ff.
3 OLG Düsseldorf v. 14.6.1978 – 9 W 50/78, MittRheinNotK 1978, 149 (Niederländische Ehefrau
veräußert Familienheim an ihre Tochter ohne Zustimmung ihres [gleichfalls niederländ.] Ehe-
mannes. Zustimmungserfordernis nach Art. 1:88 Abs. 1a B.W. verneint, weil die Ehegatten im
Zeitpunkt der Veräußerung bereits längere Zeit getrennt gelebt hatten).

Hausmann | 781
§ 6 Rz. 6.798 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

cherungsrechte können allerdings nur zur Entstehung gelangen, wenn sie vom Ehewirkungs-
statut gewährt und von der jeweiligen lex rei sitae anerkannt werden. An deutschen Grund-
stücken konnten sie bisher kraft Gesetzes nicht entstehen, weil dies mit den Grundprinzipien
der deutschen Immobiliarsachenrechtsordnung – Publizität des Grundbuchs – nicht vereinbar
war (dazu näher Rz. 6.986 ff.)1.
6.799 In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen sowie in zuvor geschlossenen Ehen, wenn die Ehe-
gatten nach dem Stichtag eine Rechtswahl getroffen haben, sind sowohl die vorgenannten Ver-
fügungsbeschränkungen wie auch gesetzliche Sicherungsrechte von Ehegatten am Grundver-
mögen des Partners hingegen güterrechtlich zu qualifizieren und unterliegen daher unwandel-
bar dem von den Kollisionsnormen der EuGüVO zur Anwendung berufenen Recht. Ferner ist
unter Geltung der EuGüVO auch eine vom ausländischen Ehegüterrecht angeordnete Legal-
hypothek an einem deutschen Grundstück als solche anzuerkennen, weil die Hypothek ein
dem deutschen Sachenrecht bekanntes Recht ist, so dass es keiner Anpassung nach Art. 29
EuGüVO bedarf (Rz. 6.986 ff.).

d) Beschränkungen der Schlüsselgewalt


6.800 Wer mit einem Ehegatten Verträge schließt, die den gemeinsamen Haushalt betreffen, hat in
der Regel ein erhebliches Interesse daran, dass auch der andere Ehegatte, zumal wenn er der
alleinverdienende Teil ist, für die eingegangenen Verbindlichkeiten haftet. Im deutschen Recht
ist die frühere Schlüsselgewalt der Ehefrau durch die Neufassung des § 1357 BGB in eine um-
fassende gegenseitige Vertretungsmacht der Ehegatten zur Eingehung von Verbindlichkeiten
für den gemeinsamen Haushalt umgestaltet worden. Eine ähnliche Regelung findet sich heute
in den meisten romanischen Rechten, so z.B. in Belgien (Art. 222 c.c.), Frankreich (Art. 220 c.
c.), den Niederlanden (Art. 1:85 Abs. 1 B.W.) und Portugal (Art. 1691 Nr. 1 lit. b c.c.), sowie in
der Schweiz (vgl. Art. 166 ZGB), der Türkei (Art. 188 ZGB) und den skandinavischen Rechten.
Bei ausländischen Ehegatten muss indes auch hier häufig mit Beschränkungen gerechnet wer-
den. So ist nach österreichischem Recht allein derjenige Ehegatte, der den gemeinsamen Haus-
halt führt und keine Einkünfte hat, zur Vertretung des anderen berechtigt (§ 96 ABGB). Teil-
weise ist die frühere Schlüsselgewalt der Ehefrau auch ganz abgeschafft worden, so dass der
Ehemann – wie z.B. in England – nur nach Maßgabe der allgemeinen Vertretungsregeln in
Anspruch genommen werden kann. Schließlich kann die Schlüsselgewalt idR durch den ande-
ren Ehegatten oder durch gerichtliche Anordnung beschränkt oder ausgeschlossen werden.
6.801 Alle mit der Schlüsselgewalt zusammenhängenden Fragen (gegenseitige Vertretungsbefugnis,
Umfang der Haftung des vertretenen Ehegatten, Möglichkeiten einer Beschränkung, Wider-
spruchsrechte) gehören in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen in den Bereich des Ehe-
wirkungsstatuts nach Art. 14 EGBGB2. Der inländische Rechtsverkehr wird nach Maßgabe

1 Böhmer in Ferid, Rz. 8–94; Mankowski in Staudinger, Rz. 288; a.A. Schurig in Soergel, Rz. 57, je-
weils zu Art. 14 EGBGB; für Angleichung an die Regelung in der EuGüVO Looschelders in
MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 70.
2 Looschelders in MünchKomm, Rz. 78; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 14, jeweils zu Art. 14
EGBGB; Andrae, § 4 Rz. 206; ebenso zu Art 14 EGBGB a.F. Böhmer in Ferid, IPR Rz. 8–92; Kegel/
Schurig, IPR § 20 V 3; Mankowski in Staudinger, Rz. 297 f.; Schurig in Soergel, Rz. 44. Vgl. auch
OLG Celle v. 22.10.1990 – 1 U 47/89, IPRax 1993, 96; RG v. 30.9.1907, SA 73, 453; OLG Stuttgart
v. 24.9.1932, JW 1933, 2072; IPG 1978 Nr. 2 (Köln); IPG 1983 Nr. 21 (Köln) (Österreicherin un-
terzieht sich zahnärztlicher Behandlung in Deutschland. Zahnarzt nimmt den [gleichfalls öster-
reich.] Ehemann auf Zahlung des von der Krankenkasse nicht gedeckten Honorars in Anspruch.
Schlüsselgewalt der Ehefrau nach österreich. Recht [§ 96 ABGB] beurteilt.).

782 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.804 § 6

von Art. 16 Abs. 2 EGBGB gegen solche Beschränkungen geschützt (vgl. Rz. 6.1037 f.). In ab
dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen beurteilt sich die gegenseitige Vertretungsbefugnis von
Ehegatten hingegen nach dem durch die EuGüVO (Rz. 6.810) bestimmten Güterrechtsstatut
und für den Verkehrsschutz gilt dann Art. 28 EuGüVO. Hingegen kann das auf die Schlüssel-
gewalt anzuwendende Recht durch eine Rechtswahl zwischen dem Gläubiger und dem als
Schuldner in Anspruch genommenen Ehegatten nicht beeinflusst werden1. Eine gesetzliche
Mithaftung für sonstige Schulden eines Ehegatten, die keinen Bezug zum ehelichen Haushalt
haben, kann sich hingegen nur aus dem Ehegüterrecht ergeben2.

3. Beschränkungen bei Verträgen zwischen Ehegatten


a) Schenkung
Manche ausländischen Rechte enthalten auch Bestimmungen, die den Eheleuten die Vornah- 6.802
me bestimmter Rechtsgeschäfte untereinander verbieten oder in ihren Wirkungen begrenzen.

Zu nennen ist etwa das Verbot von Schenkungsverträgen zwischen Ehegatten, wie es z.B. im 6.803
niederländischen (Art. 1715 B.W.) und mit Einschränkungen noch im französischen Recht
(vgl. zum Verbot der „donation déguisée entre époux“ Art. 1099 c.c.) sowie in einigen skandi-
navischen Rechten3 enthalten ist. Damit dieses Schenkungsverbot nicht umgangen werden
kann, ist häufig auch der Abschluss von Kaufverträgen zwischen Ehegatten eingeschränkt, so
z.B. in Belgien und Frankreich (Art. 1595 c.c.), in den Niederlanden (Art. 1503 B.W.) und in
Mexiko (Art. 176 c.c. Bundesdistrikt). Wegen der mit einem modernen Eheverständnis nicht
zu vereinbarenden Unterordnung eines Ehegatten unter den anderen sind teilweise auch Ar-
beitsverträge zwischen Ehegatten verboten, so z.B. in den Niederlanden (vgl. Art. 1637i B.W.).
Ein generelles Verbot von Verträgen zwischen Ehegatten besteht in Paraguay (Art. 156 c.c.).
Andere Rechte lassen einen erleichterten Widerruf oder die Anfechtung von Verträgen zwi-
schen Ehegatten zu, so z.B. das südkoreanische (Art. 828 BGB), japanische (Art. 784 BGB)
und französische Recht (Art. 1096 c.c.).

Derartige Bestimmungen verfolgen meist – wie auch die entsprechenden Vorschriften der 6.804
deutschen Insolvenzordnung (§ 131 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. §§ 138, 134 InsO) bzw. des
Anfechtungsgesetzes (§ 3 Abs. 2 und § 4 AnfG) – den Zweck, den Schutz der Gläubiger ge-
gen Übervorteilung durch die Ehegatten zu gewährleisten. Darüber hinaus sollen die persön-
lichen Beziehungen der Ehegatten möglichst von vermögensrechtlichen Interessen freigehal-
ten werden. Soweit diese Beschränkungen unabhängig vom Güterstand gelten, sind sie in vor
dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen ebenfalls als allgemeine Ehewirkungen i.S.v. Art. 14
EGBGB zu qualifizieren4. Dienen Schenkungsverbote oder die Einschränkung der freien Wi-

1 Jayme, IPRax 1993, 80 (81); Böhmer, JR 1992, 500; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB
Rz. 52; a.A. BGH v. 27.11.1991 – XII ZB 226/90, = NJW 1992, 909 (910) = IPRax 1993, 97 (m.
Anm. Jayme, IPRax 1993, 80) = JR 1992, 498 m. Anm. Böhmer (Haftung der überlebenden span.
Ehefrau für ärztliche Behandlungskosten ihres ebenfalls span. Ehemannes nach § 1357 BGB beur-
teilt, weil die Parteien im Rechtsstreit „insoweit übereinstimmend von der Anwendbarkeit deut-
schen Rechts ausgegangen“ seien).
2 Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 226.
3 Vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 290.
4 Schurig in Soergel, Rz. 63; Mankowski in Staudinger, Rz. 292; Mörsdorf in BeckOK-BGB, Rz. 15;
Andrae in NK BGB, Rz. 63, jeweils zu Art. 14 EGBGB; zust. KG v. 20.3.1939, DR 1939, 938 m.
Anm. Reu (Ein griech. Ehemann hatte seiner Frau ein deutsches Grundstück übertragen. Schen-
kung nach griech. Ehewirkungsstatut als nichtig behandelt). Vgl. aber auch FG Düsseldorf v.

Hausmann | 783
§ 6 Rz. 6.804 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derruflichkeit von Ehegattenschenkungen hingegen der Vermögensverteilung zwischen den


Ehegatten, ist eine ehegüterrechtliche Qualifikation angezeigt, auch wenn die betreffenden Re-
geln güterstandsübergreifend gelten1.

b) Gesellschaftsvertrag
6.805 Verfolgen Beschränkungen der Privatautonomie im Innenverhältnis der Ehegatten hingegen
güterrechtliche Zwecke, so ist das Güterrechtsstatut des Art. 15 EGBGB maßgebend. Aus die-
sem Grunde wurde das in den romanischen Rechten lange Zeit geltende Verbot von Gesell-
schaftsverträgen zwischen Ehegatten überwiegend güterrechtlich qualifiziert, weil es vor allem
eine Umgehung güterrechtlicher Vorschriften (z.B. das Verbot von Eheverträgen nach Ehe-
schließung) verhindern sollte2. In Frankreich ist das Verbot von Gesellschaftsverträgen zwi-
schen Ehegatten im Zuge der Reform des Gesellschaftsrechts von 1982 beseitigt worden; auch
Ehegatten können nunmehr Gesellschaftsverträge miteinander eingehen, sofern sie nicht bei-
de uneingeschränkt gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften (vgl.
Art. 1832-1 c.c.).

4. Anknüpfung der allgemeinen Ehewirkungen


Literatur: Art. 14 EGBGB n.F.: Andrae, Der sachliche Anwendungsbereich der Europäischen Güter-
rechtsverordnungen, IPRax 2018, 221; Coester-Waltjen, Fernwirkungen der Europäischen Verordnun-
gen auf die international-familienrechtlichen Regelungen des EGBGB, FamRZ 2013, 170; Erbarth, Die
Auswirkungen der EuGüVO auf das Internationale Privatrecht und die Internationale Zuständigkeit
der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (§§ 1353 ff. BGB), NZFam 2018, 249, 342 und 387; Erbarth,
Neues Internationales Privatrecht für die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, FamRZ 2019, 417; Fin-
ger, Weitere Änderungen im deutschen internationalen Familienrecht – Art. 14, 15, 17, 17a und 17b
EGBGB, FuR 2019, 26; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar-
und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 8; Heiderhoff, Das autonome IPR in familienrechtlichen Fra-
gen, IPRax 2017, 160; Mankowski, Neue Gesetze im deutschen Internationalen Ehe- und Eheverfah-
rensrecht, NJW 2019, 465; C. Mayer, Nebengüterrecht im IPR – Qualifikation der Ansprüche aus einer
Ehegatteninnengesellschaft, IPRax 2016, 384.
Art. 14 EGBGB a.F.: Abarca, Sobre los effectos o relaciones personales entre los conyuges en Derecho
internacional privado, Rev.esp.der.int. 1983, 43; Ancel, Les conflits de qualifications à l´épreuve de la
donation entre époux (1977); von Bar, Private International law – Personnel effects of marriage, Int.
Encycl.Comp.L. III 17 (1986); von Bar, Nachträglicher Versorgungsausgleich und Ehewirkungsstatut
in einer deutsch-niederländischen Ehe, IPRax 1994, 100; Batiffol, L´hypothèque légale de la femme
mariée en France et le droit international privé, FS Rabel I (1954), S. 591; Börner, Die Anforderungen
an eine konkludente Wahl des auf die Ehewirkungen anwendbaren Rechts nach Art. 14 EGBGB,
IPRax 1995, 309; Droz, La loi applicable aux donations entre époux en droit international privé fran-
çais, Journal des notaires 1965, 249; Ehrenzweig, Contractual Capacity of Married Women and Infants

3.10.1986 – VIII 121/81 E, RIW 1987, 644 (Verbot von Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten nach
niederländ. Recht ehegüterrechtlich qualifiziert und im Hinblick auf eine schlüssige Rechtswahl
des deutschen Güterrechts nach Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB nicht beachtet).
1 Nordmeier, IPRax 2014, 411 (416 ff.).
2 RG v. 11.4.1940, RGZ 163, 367 (376); OLG Stuttgart v. 4.12.1957 – 4 U 75/56, NJW 1958, 1972 =
IPRspr. 1956/57 Nr. 109; Thorn in Palandt, Rz. 25; Looschelders in MünchKomm, Rz. 77; Man-
kowski in Staudinger, Rz. 269, jeweils zu Art. 15 EGBGB. Dazu IPG 1982 Nr. 4 (Berlin) (Deutsche
Ehegatten gründen Gesellschaft zum Betrieb eines Hotels in Peru. Peruan. Verbot der Ehegatten-
gesellschaft nicht berücksichtigt, weil sowohl die allgemeinen Ehewirkungen wie die güterrecht-
lichen Beziehungen der Ehegatten dem deutschen Recht unterstanden).

784 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.807 § 6

in the Conflict of Laws, Minn. L. Rev. 43 (1959), 899; Firsching, Parteiautonomie und Ehewirkungs-
statut im IPR-Gesetzentwurf, IPRax 1984, 125; Graue, The Married Person´s Capacity to Stand Surety
Under Private International Law, in Liber amicorum A. F. Schnitzer (1978), S. 139; Gruber, Die kon-
kludente Rechtswahl im Familienrecht, IPRax 2014, 53; Hanisch, Bürgschaft mit Auslandsbezug,
IPRax 1987, 47; Hanisch, Das internationale Eherecht nach der Reform, FamRZ 1986, 841; Heiderhoff,
Das autonome IPR in familienrechtlichen Fragen, IPRax 2017, 160; Henrich, Alternativen zur An-
knüpfung an den persönlichen Aufenthalt in gemischt-nationalen Ehen, IPRax 1983, 63; Henrich,
Ehegattenmitarbeit und IPR, FS Richardi (2007), S. 1039; Jayme, Schlüsselgewalt des Ehegatten und
IPR, IPRax 1993, 80; Jayme, Schenkungen unter Ehegatten in deutsch-portugiesischen Sachverhalten
in; Grundmann u.a. (Hrsg.), Internationaler Rechtsverkehr und Rechtsvereinheitlichung aus deutsch-
lusitanischer Perspektive (2014), S. 157; Kühne, Die außerschuldvertragliche Parteiautonomie im neu-
en Internationalen Privatrecht, IPRax 1987, 69; Mayr, Die Anknüpfung des allgemeinen Ehewirkungs-
statuts bei Staatenlosen und Flüchtlingen, FamRBInt 2013, 51; Piotet, La nature des règles protégeant
le logement familial suisse et le droit applicable, FS Giger (Bern 1989), S. 547; Poisson, Les relations
entre époux dans les récentes codifications du droit international privé, Rev.crit.d.i.p. 56 (1967), 277;
Priemer, Das italienische IPR nach seiner Reform – Insbesondere zum Recht der Allgemeinen Ehewir-
kungen, Güterrecht, Erbrecht, MittBayNot 2000, 45; Simon-Depitre, Unité ou pluralité de rattache-
ment du régime matrimonial primaire en droit international privé français, FS Zajtay (1982), S. 439;
Spickhoff, Die engste Verbindung im internationalen und interlokalen Familienrecht, JZ 1993, 336;
Tenbieg, Kodifikation des Internationalen Privatrechts in den Niederlanden – Die persönlichen
Rechtsbeziehungen und güterstandsunabhängige ehebedingte Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit,
FuR 1990, 146; Watté, Les droits et devoirs respectifs des époux en droit international privé (Brüssel
1987); Wedemann, Die Qualifikation von (Ehegatten-)Innengesellschaften, ehebezogenen Zuwendun-
gen und familienrechtlichen Kooperationsverträgen, IPRax 2016, 252; Wegmann, Rechtswahlmöglich-
keit im internationalen Familienrecht, NJW 1987, 1740; Ziccardi Capaldo, La donazione propter nup-
tias e la sua disciplina nel diritto internazionale privato, Riv.dir.int.priv.proc. 1973, 601.

a) Allgemeines
Nach welchem Recht sich die allgemeinen Wirkungen der Ehe bestimmen, regelt im auto- 6.806
nomen deutschen Kollisionsrecht Art. 14 EGBGB. Diese Kollisionsnorm gilt nach der Kündi-
gung des Haager Ehewirkungsabkommens von 1905 durch die Bundesrepublik Deutschland
mit Wirkung vom 23.8.1987 (dazu Rz. 6.874) auch im Verhältnis zu Italien. Im Verhältnis
zum Iran enthält hingegen das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom
17.12.19291 in Art. 8 Abs. 3 eine vorrangige Kollisionsregel, die an die gemeinsame Staats-
angehörigkeit der Ehegatten anknüpft2. Auf staatsangehörigkeitsrechtlich gemischte Ehen ist
dieses Abkommen nicht anwendbar (dazu näher Rz. 6.977)3; ebensowenig auf Ehen von
deutsch-iranischen Doppelstaatern oder von Iranern, die als internationale Flüchtlinge oder
Asylberechtigte in Deutschland anerkannt worden sind4.

Art. 14 EGBGB war seit der Neufassung durch das IPR-G 1986 für das deutsche internationale 6.807
Ehe- und Kindschaftsrecht von zentraler Bedeutung, weil die Vorschrift über ihren unmittel-
baren Anwendungsbereich hinaus als Grundsatzkollisionsnorm auf die Anknüpfung anderer
Teilbereiche des internationalen Familienrechts ausstrahlte. So wurden das Güterrechtsstatut
(Art. 15 Abs. 1 EGBGB; dazu Rz. 6.891 ff.), das Scheidungsstatut (Art. 17 Abs. 1 EGBGB a.F.),

1 RGBl. II 1930, 1006.


2 OLG Hamm v. 8.3.1991 – 12 UF 308/90, FamRZ 1991, 1319; KG v. 11.9.1987 – 3 WF 5304/87,
FamRZ 1988, 296.
3 Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869; Mankowski in Staudinger, Art. 14
EGBGB Rz. 5 f.; Andrae, IntFamR § 4 Rz. 39.
4 BGH v. 18.10.1989 – IVb ZR 76/88, NJW 1990, 636.

Hausmann | 785
§ 6 Rz. 6.807 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Abstammungsstatut (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EGBGB) und das Adoptionsstatut bei der Ehegat-
tenadoption (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F.) im Interesse einer möglichst einheitlichen An-
knüpfung aller Familienbeziehungen durch Verweisung auf Art. 14 EGBGB geregelt. Inzwi-
schen hat Art. 14 EGBGB diese Funktion weitgehend verloren, weil sowohl das internationale
Scheidungsrecht als auch das internationale Ehegüterrecht in wichtigen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union durch EU-Verordnungen1 vereinheitlicht worden sind.

6.808 Darüber hinaus ist aber auch der originäre Anwendungsbereich des Art. 14 EGBGB durch die
europäischen Güterrechtsverordnungen stark beschnitten worden, weil deren sachlicher An-
wendungsbereich sich – wie zu zeigen sein wird (Rz. 6.810) – auch auf die vermögensbezoge-
nen allgemeinen Ehewirkungen erstreckt. Der deutsche Gesetzgeber hat die Geltung der EU-
Güterrechtsverordnungen ab dem 29.1.2019 daher zum Anlass genommen, auch Art. 14
EGBGB in Anlehnung an das europäische internationale Ehegüterrecht durch Gesetz vom
17.12.20182 neu zu fassen. Diese Neufassung liegt auch der nachfolgenden Darstellung zu-
grunde.

b) Verhältnis von Art. 14 EGBGB zur EuGüVO


6.809 Am 24.6.2016 hat der Europäische Rat die Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 zum internationa-
len Ehegüterrecht (EuGüVO) verabschiedet, die zur Durchführung der Verstärkten Zusam-
menarbeit von derzeit 18 Mitgliedstaaten unter Einschluss der Bundesrepublik Deutschland
seit dem 29.1.2019 gilt (dazu näher Rz. 6.867 ff.)3. Ziel der Verordnung ist die Bereitstellung
eines klaren Rechtsrahmens für die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Urkunden in Fragen des ehe-
lichen Güterstands. Denn die geltende Rechtslage ist durch ein hohes Maß an Rechtszersplit-
terung gekennzeichnet und schränkt damit für verheiratete Paare die mit der Unionsbürger-
schaft verbundene Freizügigkeit ein4. Die Verordnung fasst – nach dem Vorbild der EuErbVO
und abweichend von den bisher auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts erlassenen
Verordnungen (Brüssel IIa-VO, EuUntVO, Rom III-VO) – die Regeln zum internationalen
Verfahrensrecht und zum Kollisionsrecht in einem Rechtsinstrument zusammen.

6.810 Die Verordnung soll nach ihrem Art. 1 Abs. 1 S. 1 in sachlicher Hinsicht zwar nur auf „die
ehelichen Güterstände“ Anwendung finden. Dieser autonom auszulegende Begriff wird in
Art. 3 lit. a EuGüVO allerdings dahin definiert, dass er „sämtliche vermögensrechtlichen Re-
gelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe
oder der Auflösung der Ehe gelten“, umfasst. Diese Definition knüpft an die weite Auslegung
des Begriffs der ehelichen Güterstände in Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO durch den EuGH
an5. Danach erfasst sie nicht nur das Ehegüterrecht im engeren Sinne, d.h. die in den teilneh-

1 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich
des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwenden Rechts v.
20.12.2010 (ABl. EU 2010 Nr. L 343, S. 10 = Jayme/Hausmann, Nr. 34); dazu Hausmann, IntEu-
FamR A Rz. 287 ff. Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 zur Durchführung einer Verstärkten Zusam-
menarbeit im Bereich des auf die ehelichen Güterstände anzuwenden Rechts v. 24.6.2016
(ABl. 2016 Nr, L 183, S. 1 = Jayme/Hausmann Nr. 33; dazu Rz. 6.867 ff.).
2 BGBl I 2018, 2573.
3 ABl. EU 2016 Nr. L 183, 1 = Jayme/Hausmann Nr. 33.
4 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1435).
5 EuGH v. 27.3.1979 – Rs. 143/78, ECLI:EU:C:1979:83 (de Cavel), Slg. 1979, 1055 Rz. 7; zu Einzel-
heiten Hausmann in unalexKomm/Brüssel I-VO, Art. 1 Rz. 58 ff.

786 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.812 § 6

menden Mitgliedstaaten vorgesehenen gesetzlichen und vertraglichen Güterstände, sondern


darüber hinaus die gesamten vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten, die
sich unmittelbar aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergeben, soweit sie nicht – wie insbeson-
dere der Ehegattenunterhalt – in den Ausnahmekatalog des Art. 1 Abs. 2 EuGüVO fallen. Die
Verordnung folgt damit nicht der bisher im deutschen Kollisionsrecht geltenden Abgrenzung
zwischen allgemeinen Ehewirkungen und Ehegüterrecht in Art. 14 und 15 EGBGB, sondern
erstreckt sich sachlich auch auf das Recht der allgemeinen Ehewirkungen („régime primai-
re“), soweit vermögensrechtliche Aspekte der Ehe betroffen sind (dazu auch Rz. 6.868)1. Die
EuGüVO gilt daher z.B. für die Mithaftung eines Ehegatten für die vom anderen Ehegatten
getätigten Haushaltsgeschäfte („Schlüsselgewalt“, vgl. § 1357 BGB), für Eigentumsvermutun-
gen (vgl. § 1362 BGB) sowie für Verfügungsbeschränkungen betreffend die Ehewohnung
oder den Hausrat, auch soweit sie im nationalen Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten als
allgemeine Ehewirkungen geregelt sind2.

Die Kollisionsnormen des Kapitels III der EuGüVO sind allerdings nach der Übergangsvor- 6.811
schrift in Art. 69 Abs. 3 nur für Ehegatten maßgebend, die ab dem 29.1.2019 geheiratet oder
nach diesem Zeitpunkt eine Rechtswahl getroffen haben. In solchen Ehen unterliegen auch
die allgemeinen Ehewirkungen, soweit sie sich auf das Vermögen der Ehegatten beziehen, in
Ermangelung einer Rechtswahl der güterrechtlichen Anknüpfung nach Art. 26 EuGüVO.
Maßgebend ist danach primär das Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschlie-
ßung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Das Recht der
gemeinsamen Staatsangehörigkeit ist nur noch hilfsweise anzuwenden, wenn sich die Ehegat-
ten nach der Eheschließung in verschiedenen Staaten gewöhnlich aufhalten. Die Einzelheiten
werden in Rz. 6.871 ff. behandelt.

c) Objektive Anknüpfung, Art. 14 Abs. 2 EGBGB


aa) Anknüpfungsleiter
Art. 14 Abs. 2 EGBGB bestimmt das Ehewirkungsstatut – wie schon Art. 14 Abs. 1 6.812
EGBGB a.F. – durch objektive Anknüpfungspunkte in Form einer Anknüpfungsleiter3. Dabei
hat der Reformgesetzgeber die beiden ersten Stufen des bisherigen Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F.
in Anlehnung an Art. 26 Abs. 1 EuGüVO umgedreht4. Danach wird in erster Linie auf den
derzeitigen, hilfsweise auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten
abgestellt, wenn ihn zumindest einer von ihnen beibehalten hat (Nr. 1, 2). Erst auf der dritten
Stufe wird an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Nr. 3) und in Ermangelung
auch einer solchen wie bisher an die sonstige gemeinsame engste Beziehung der Ehegatten zu
einer Rechtsordnung angeknüpft. Die Prüfung hat in der Weise zu erfolgen, dass beginnend
mit Nr. 1 von Stufe zu Stufe festzustellen ist, ob die Voraussetzungen für die jeweilige An-
knüpfung vorliegen. Erst wenn geklärt ist, dass der Anknüpfungspunkt der vorangehenden
Stufe nicht erfüllt ist, darf also zur Prüfung der nächsten Stufe fortgeschritten werden5.

1 Martiny, ZfPW 2017, 1 (9); Weber, DNotZ 2016, 659 (665).


2 Weber, DNotZ 2016, 659 (665).
3 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 191; Dutta, FamRZ 2019, 1398; Looschelders in MünchKomm, Art. 14
EGBGB Rz. 109.
4 Zur Begründung vgl. BT-Drs.365/18; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 443.
5 Looschelders in MünchKomm, Rz. 110; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 25; Stürner in Erman,
Art. 14 EGBGB Rz. 19, jeweils zu Art. 14 EGBGB.

Hausmann | 787
§ 6 Rz. 6.813 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 1


6.813 Nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB unterliegen die allgemeinen Ehewirkungen primär dem Recht
des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ein
gemeinsamer Ehewohnsitz innerhalb dieses Staates ist hierfür nicht erforderlich1. Der gewöhnli-
che Aufenthalt, der für jeden Ehegatten gesondert festgestellt werden muss, ist dort begründet,
wo der familiäre und berufliche Lebensmittelpunkt liegt2. Maßgebender Zeitpunkt für diese An-
knüpfung ist das zu beurteilende eherechtliche Ereignis (z.B. die Vornahme eines Schlüssel-
gewaltgeschäfts durch einen Ehegatten)3; das Ehewirkungsstatut ist also wandelbar (Rz. 6.838)4.
Verlegen beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Laufe der Ehe in ein anderes Land,
so tritt wegen dieser Wandelbarkeit des Ehewirkungsstatuts ein Statutenwechsel ein.

cc) Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 2


6.814 Begründet ein Ehegatte während der Ehe einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in einem an-
deren Staat, so bleibt das Recht am beiderseitigen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in demsel-
ben Staat maßgebend, solange der andere Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem
Staat ununterbrochen beibehalten hat5. Die Dauer des getrennten gewöhnlichen Aufenthalts ist
nicht begrenzt. Auf diese Weise soll es einem Ehegatten verwehrt sein, durch einseitige Ver-
legung des gewöhnlichen Aufenthalts gegen den Willen seines Partners einen Statutenwechsel
herbeizuführen6. Haben beide Ehegatten den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland durch Umzug ins Ausland aufgegeben, so greift Nr. 2 allerdings auch dann nicht ein,
wenn einer der Ehegatten kurze Zeit später nach Deutschland zurückkehrt und hier erneut sei-
nen gewöhnlichen Aufenthalt begründet; dies gilt auch dann, wenn dieser Ehegatte zwischen-
zeitlich im Ausland keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte7.

dd) Gemeinsames Heimatrecht, Nr. 3


6.815 Nur wenn die Ehegatten keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt mehr haben und
auch die Voraussetzungen für die Anknüpfung an einen früheren gemeinsamen Aufenthalt
nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB nicht vorliegen, ist nach Nr. 3 das derzeitige gemeinsame

1 Thorn in Palandt, Rz. 11; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 34; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB
Rz. 11, jeweils zu Art. 14 EGBGB.
2 Zu dessen Bestimmung Hausmann in Hausmann/Odersky, § 2 Rz. 81 ff.; Andrae in NK BGB,
Art. 14 EGBGB Rz. 23 ff.
3 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 445.
4 AG Leverkusen v. 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; Böhmer in Ferid, IPR, Rz. 8–84 ff.;
Kropholler, IPR § 45 II 4; Kegel/Schurig, IPR § 20 V 2; Thorn in Palandt, Rz. 10; Looschelders in
MünchKomm, Rz. 130 ff.; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 14 EGBGB.
5 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 112. Vgl. schon zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 2, 2. Fall
EGBGB a.F. OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (918) = IPRax 2002, 304
(m. Anm. Andrae/Essebier, IPRax 2002, 294); OLG Stuttgart v. 11.8.2006 – 8 W 52/06, FamRZ
2007, 502 (503); OLG Oldenburg v. 11.5.2010 – 13 UF 87/09, FamRZ 2010, 1565 = IPRax 2012,
550 (m. Anm. Schulze, IPRax 2012, 526).
6 Mörsdorf in BeckOK-BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 37; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F.
Rz. 59.
7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 445; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 193; vgl. zu Art 14 Abs. 1 Nr. 2,
2. Fall EGBGB a.F. BGH v. 3.2.1993 – XII ZB 93/90, NJW 1993, 2047 (2048 f.) = IPRax 1994, 131
(m. Anm. von Bar, IPRax 1994, 100). Vgl. dazu das Beispiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky,
§ 2 Rz. 67.

788 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.816 § 6

Heimatrecht der Ehegatten zur Anwendung berufen. Anders als Art. 14 Abs. 1 UAbs. 1 Nr. 3
EGBGB für die Wahl des Ehewirkungsstatuts erklärt Abs. 2 Nr. 3 den Art. 5 Abs. 1 EGBGB
nicht für unanwendbar. Daher ist bei Mehrstaatern ohne deutsche Staatsangehörigkeit nur
diejenige Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen, mit welcher der betreffende Ehegatte am
engsten verbunden ist. Es reicht also nicht aus, dass beide Ehegatten die gleiche(n) Staatsange-
hörigkeit(en) besitzen; vielmehr muss die gleiche Staatsangehörigkeit für beide Ehegatten ef-
fektiv sein (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB)1. Besitzt ein Ehegatte neben der gemeinsamen auslän-
dischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit, so ist im Rahmen von Nr. 3 nur die letztere
maßgebend (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB)2. Die Anknüpfung an eine – insbesondere erst durch
die Eheschließung erworbene3 – gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit ist mithin aus-
geschlossen, wenn diese für einen Ehegatten (noch) nicht effektiv ist4 oder wenn ein Ehegatte
auch Deutscher i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG ist5.

Während bei Staatenlosen bisher anstelle der Staatsangehörigkeit deren durch den gewöhnli- 6.816
chen Aufenthalt bestimmtes Personalstatut maßgebend war6, bestimmt der gemeinsame ge-
wöhnliche Aufenthalt staatenloser Ehegatten das Ehewirkungsstatut im geltenden Recht
schon nach den Anknüpfungen des Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EGBGB. Im Rahmen der nur
subsidiären Anwendung des gemeinsamen Heimatrechts gemäß Nr. 3 ist bei Staatenlosen da-
her hilfsweise auf den gemeinsamen schlichten Aufenthalt im Rahmen von Nr. 4 abzustellen7.
Diese Anknüpfung ist anstelle der gemeinsamen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 der Gen-

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 117; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 452;
ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. OLG Frankfurt v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93, NJW-RR
1995, 139; OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634.
2 Thorn in Palandt, Rz. 12; Andrae in NK BGB, Rz. 29; Looschelders in MünchKomm, Rz. 118, je-
weils zu Art. 14 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 451; ebenso schon zu Art. 14 Abs. 1
Nr. 1 EGBGB a.F. BGH v. 2.2.1994 – XII ZR 148/92, IPRax 1995, 111 (113) = FamRZ 1994, 434;
BayObLG v. 7.4.1998 – 1Z BR 16/98, BayObLGZ 1998, 103 = FamRZ 1998, 1594; BayObLG v.
13.1.1994 – 3Z BR 66/93, FamRZ 1994, 1263 = IPRax 1995, 324 (325) (m. Anm. Börner, IPRax
1995, 309); OLG Köln v. 19.2.2015 – 12 UF 98/14, FamRZ 2015, 1605 (1606); OLG München v.
31.1.2012 – 34 Wx 80/10, FamRZ 2012, 1142 = MittBayNotV 2012, 306 m. Anm. Süß; OLG
Hamm v. 23.8.2010 – 8 UF 39/10, FamRZ 2011, 220 (Rz. 14); Böhmer in Ferid, Rz. 8–85; Krophol-
ler, IPR § 45 II 3a; Mankowski in Staudinger, Rz. 34 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 5.
3 Dazu Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 120.
4 Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 27. Ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F.
OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634 (Gemeinsame italien. Staats-
angehörigkeit eines Argentiniers und einer Österreicherin bleibt außer Betracht, wenn die Ehegat-
ten ihren gewöhnlichen Aufenthalt von Italien nach Deutschland verlegt haben, und die Ehefrau
mit Österreich enger verbunden ist als mit Italien. Deutsches Aufenthaltsrecht nach Art. 14 Abs. 1
Nr. 2 EGBGB a.F. angewendet); vgl. ferner OLG Frankfurt a.M. v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93,
FamRZ 1994, 715 (716); AG Freiburg v. 19.7.2001 – 44 F 130/99, FamRZ 2002, 888 = IPRax 2002,
223 (m. Anm. Jayme, IPRax 2002, 209); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 194.
5 OLG Köln v. 19.2.2015 – 12 UF 98/14, FamRZ 2015, 1605 (1606) und v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14,
FamRZ 2015, 1617 (1618); OLG München v. 1. 4.2015 – 34 Wx 15/13, FamRZ 2015, 1611 (1612);
dazu Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 23.
6 Vgl. BayObLG v. 18.2.1999 – 1Z BR 128/98, BayObLGZ 1999, 27 (30) = NJW-RR 1999, 1452;
OLG Köln v. 6.10.1998 – 25 UF 102/98, FamRZ 1999, 1517; OLG Stuttgart v. 10.9.1997 –17 WF
210/97, FamRZ 1998, 1321 (1322); OLG Celle v. 11.8.1997 – 3465 I 212/97, FamRZ 1998, 757 f.;
OLG Hamm v. 15.1.1992 – 15 W 295/90, StAZ 1993, 77 (78); Mankowski in Staudinger, Art. 14
EGBGB a.F. Rz. 33 m.w.N.
7 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 12 a.E.

Hausmann | 789
§ 6 Rz. 6.816 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

fer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.7.1951 auch für internationale Flüchtlinge und ge-
mäß § 2 Abs. 1 AsylG für Asylberechtigte maßgebend.

6.817 Besitzen die Ehegatten gemeinsam die Staatsangehörigkeit eines Staates, dessen Recht territo-
rial (wie z.B. in Spanien, Kanada oder den USA) oder personal (wie z.B. in den meisten isla-
mischen Staaten) gespalten ist, so bedarf die Staatsangehörigkeitsanknüpfung notwendig der
Ergänzung durch eine interlokale oder interpersonale Unteranknüpfung nach Maßgabe von
Art. 4 Abs. 3 EGBGB1.

ee) Sonstige gemeinsame engste Verbindung, Nr. 4


6.818 Wenn auch die Anknüpfung an eine gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten versagt,
weil die Ehegatten z.B. während der Ehe niemals eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besa-
ßen oder weil ein Ehegatte diese gemeinsame Staatsangehörigkeit später verloren hat2, so ist
nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB auf der letzten Stufe der Anknüpfungsleiter als Ehewir-
kungsstatut das Recht des Staates berufen, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemein-
sam am engsten verbunden sind. Kriterien für die in diesem Fall vorzunehmende Einzelfall-
prüfung sind vor allem gemeinsame soziale Bindungen der Ehegatten an einen Staat durch
Herkunft, Kultur, Sprache, Religion oder berufliche Tätigkeit3, die Zugehörigkeit beider Ehe-
gatten zu einer Religionsgemeinschaft kann eine gemeinsame engste Verbindung allerdings
nur begründen, wenn dadurch zugleich eine enge Verbindung zu einem bestimmten Staat
zum Ausdruck gebracht wird, dessen Eherecht durch diese Religion maßgebend geprägt ist4.

6.819 Weitere Kriterien für eine gemeinsame engste Verbindung sind ein früherer gemeinsamer ge-
wöhnlicher Aufenthat, den keiner der Ehegatten beibehalten hat, oder ein gemeinsamer
schlichter (nicht nur ganz vorübergehender) Aufenthalt in einem Staat, sowie gemeinsam fest-
stellbare Zukunftspläne (z.B. der beabsichtigte Erwerb einer gemeinsamen Staatsangehörig-
keit oder die beabsichtigte Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in ei-
nem Staat, insbesondere als erster ehelicher Wohnsitz)5. Anders also für die Bestimmung des
Güterrechtsstatuts nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.6, spielen die

1 Dazu näher Looschelders in MünchKomm, Rz. 115 f.; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 23
a.E.; Mankowski in Staudinger, Rz. 32, jeweils zu Art. 14 EGBGB.
2 Vgl. zum Verlust der gemeinsamen jugoslaw. Staatsangehörigkeit durch den Zerfall der früheren
SR Jugoslawien OLG Düsseldorf v. 29.11.1994 – 1 UF 47/94, FamRZ 1995, 932 (933).
3 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 125; zum früheren Recht BGH v. 3.2.1993 –
XII ZB 93/90, NJW 1993, 2047 (2049).
4 Vgl. KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (841); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 197.
5 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 13; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 39; von
Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 453 ff.; Andrae, IntFamR § 4 Rz.196; vgl. zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3
EGBGB aF BT-Drucks. 10/5632, S. 41; für Berücksichtigung der Entwicklung nach der Eheschlie-
ßung auch BGH v. 26.6.2019 – XII ZB 299/18, NJW 2019, 2935 (Rz. 31) = FamRZ 2019, 1535 m.
Anm. Looschelders = NZFam 2019, 840 m. Anm. Mankowski; OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/
14, FamRZ 2015, 1617 (1618); KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840; OLG Köln v.
6.2.1998 – 25 WF 25/98, FamRZ 1998, 1590; OLG Celle v. 10.11.1997 – 3465 I 301/97, FamRZ
1998, 686 (687); Kropholler, § 45 II 3 c; Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (657 f.); eingehend Man-
kowski in Staudinger Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 71 ff.; a.A. Kegel/Schurig, IPR § 20 V 1 a; Schurig in
Soergel, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 14: Vorrang des letzten gemeinsamen schlichten Aufenthalts der
Ehegatten.
6 Vgl. KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 m. Anm. Henrich; AG Hannover v.
15.5.2000 – 608 F 302/99, FamRZ 2000, 1576.

790 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.822 § 6

Zukunftspläne im Rahmen der wandelbaren Anknüpfung nach Art. 14 EGBGB allerdings nur
eine untergeordnete Rolle1. Bedeutung kann schließlich auch dem Eheschließungsort zukom-
men, sofern er durch andere Indizien verstärkt wird und nicht – wie z.B. bei der Heirat von
Europäern in Las Vegas – rein zufälligen Charakter hat.

Lässt sich mit Hilfe der vorgenannten Kriterien eine engste Verbindung der Ehegatten zu ei- 6.820
nem bestimmten Staat nicht feststellen, so wurde bisher verbreitet ein Rückgriff auf die lex
fori, in Verfahren vor deutschen Gerichten also auf deutsches Recht befürwortet.2 Da der deut-
sche Gesetzgeber auch bei der Reform des Art. 14 EGBGB eine solche letzte Stufe in der An-
knüpfungsleiter nicht vorgesehen hat, sollte man es daher bei der relativ engsten Verbindung
zu einer Rechtsordnung belassen, die notfalls durch den Eheschließungsort bestimmt wird3.

ff) Rück- und Weiterverweisung


Während die EuGüVO eine Rück- oder Weiterverweisung bezüglich der vermögensrecht- 6.821
lichen allgemeinen Ehewirkungen auch im Falle der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 aus-
schließt (Art. 32 EuGüVO; dazu Rz. 6.874), spricht Art. 14 Abs. 2 EGBGB Gesamtverweisun-
gen aus. Eine Rück- oder Weiterverweisung des als Ehewirkungsstatut zur Anwendung beru-
fenen Rechts ist daher gemäß Art. 4 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten. Dies gilt nicht
nur für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung nach Nr. 34, sondern auch für die Anknüpfung
an den gewöhnlichen Aufenthalt nach Nr. 1 und 25. Zu einem Renvoi kann es insbesondere
auf der 2. Stufe der Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 2 EGBGB kommen, weil die vergan-
genheitsbezogene Anknüpfung in Nr. 2 in Drittstaaten weithin unbekannt ist.6

Darüber hinaus widerspricht die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung auch im Fall 6.822
der Anknüpfung an die gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten mit dem Recht eines
Staates nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB nicht dem Sinn der Verweisung. Denn wenn die
Annahme der deutschen Verweisung schon bei den „starken“ Anknüpfungen bzw. den ge-
meinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. an die gemeinsame Staatsangehörigkeit nach
Art. 14 Abs. 2 Nr. 1-3 EGBGB Voraussetzung für eine Berufung zum Ehewirkungsstatut ist,
so muss dies erst recht für die „schwache“ Beziehung gelten, die Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 126.


2 Vgl. KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (841 ff.) (Ehescheidung); OLG Schleswig v.
28.3.2006 – 12 WF 37/06, FamRZ 2007, 470; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 199; Thorn in Palandt,
Art. 14 EGBGB Rz. 13 a.E.; differenzierend Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 40
m.w.N.
3 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 129.
4 OLG Frankfurt v. 1.6.2007 – 6 WF 103/07, NJW-RR 2008, 386; KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06,
FamRZ 2007, 1561 (1562 f.); OLG Schleswig v. 23.4.2001 – 12 WF 58/01, NJW-RR 2002, 361; AG
Leverkusen v. 11.1.2007 – 33 F 197/05, FamRZ 2007, 1565 (1566); Hausmann in Staudinger, Art. 4
EGBGB Rz. 253 m.w.N.
5 Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 6; Looschelders in MünchKomm,
Rz. 136, jeweils zu Art. 14 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 483; zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 2
EGBGB a.F. KG v. 17.1.2005 – 16 UF 89/04, NJW 2005, 2562; Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB
Rz. 70; von Hoffmann/Thorn, IPR § 8 Rz. 25.
6 OLG Düsseldorf v. 9.11.2004 – II-1 UF 183/04, FamRZ 2005, 912; OLG Stuttgart v. 22.11.2004 –
17 WF 135/04, FamRZ 2005, 913.

Hausmann | 791
§ 6 Rz. 6.822 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

zu dem verwiesenen Recht herstellt1. Selbst ein Renvoi aufgrund einer gleichberechtigungs-
widrigen ausländischen Kollisionsnorm – z.B. infolge der Anknüpfung an das Heimatrecht
des Ehemannes – ist grundsätzlich zu beachten, wenn das Anwendungsergebnis nicht gegen
den deutschen ordre public verstößt2.

gg) Wandelbarkeit des Ehewirkungsstatuts


6.823 Die Anknüpfungspunkte des Art. 14 Abs. 2 EGBGB sind zeitlich nicht fixiert, so dass es auf
das Aufenthalts- bzw. Heimatrecht oder die sonstige engste Verbindung zu dem Zeitpunkt an-
kommt, zu dem eine bestimmte Ehewirkung zu beurteilen ist; das Ehewirkungsstatut ist also
wandelbar3. Ändern sich die für die Anknüpfung maßgebenden Umstände während der Ehe,
so führt dies zu einem Statutenwechsel (dazu Rz. 6.814)4. In diesem Fall bleiben Rechtswir-
kungen, die unter einem früheren Ehewirkungsstatut eingetreten sind, jedoch erhalten, auch
wenn sie unter dem neuen Statut nicht eintreten könnten5. Praktische Bedeutung hat dies al-
lerdings nur für vermögensbezogene allgemeine Ehewirkungen in vor dem 29.1.2019 ge-
schlossenen Ehen, z.B. für die Wirksamkeit einer unter einem früheren Ehewirkungsstatut
vorgenommenen Ehegattenschenkung6. Demgegenüber werden die vermögensbezogenen all-
gemeinen Ehewirkungen unter Geltung der EuGüVO – ebenso wie die güterrechtlichen Ehe-
wirkungen im engeren Sinne – nach Art. 26 EuGüVO unwandelbar angeknüpft (Rz. 6.888).

d) Rechtswahl, Art. 14 Abs. 1 EGBGB


6.824 Schon Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB a.F. eröffnete den Ehegatten die Möglichkeit, das Ehewir-
kungsstatut innerhalb enger Grenzen durch Rechtswahl zu bestimmen, um in bestimmten
Konstellationen Mängel der gesetzlichen Anknüpfungsleiter in Art.14 Abs. 1 EGBGB a.F. aus-
zugleichen. Die Rechtswahl wurde allerdings nur zugelassen, wenn nicht an ein gemeinsames
(effektives) Heimatrecht der Ehegatten nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. i.V.m. Art. 5
Abs. 1 EGBGB angeknüpft werden konnte; sie war ferner auf die Heimatrechte der Ehegatten
beschränkt. Das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines oder beider Ehegatten konnte also

1 Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 5; Looschelders in MünchKomm,
Rz. 137; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 65, jeweils zu Art. 14 EGBGB; Hausmann in Staudinger,
Art. 4 EGBGB Rz. 126, 254 m.w.N.; ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. KG v. 20.12.2006 –
3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562) m. Anm. Henrich; AG Leverkusen v. 16.5.2002 – 32 F 347/
01, FamRZ 2002, 1484 (1485 ff.); AG Hannover v. 15.5.2000 – 608 F 302/99, FamRZ 2000, 1576;
Kropholler, IPR § 24 II 2 a; Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 70; Mankowski in Staudin-
ger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 97 f. m.w.N.; a.A. Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 201; PWW/Martiny,
Art. 14 EGBGB Rz. 22.
2 Für eine Lösung über Art. 6 EGBGB Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 92 ff.;
Thorn in Palandt, Art. 6 EGBGB Rz. 9; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 42; Hausmann in
Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 129 ff. m.w.N.; a.A. BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37, 86, FamRZ 1987,
679 (681); Gebauer, FS Jayme (2004), S. 223 (225).
3 Thorn in Palandt, Rz. 10; Looschelders in MünchKomm, Rz. 130; Andrae in NK BGB, Rz. 19; Stür-
ner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 14 EGBGB; AG Leverkusen v. 20.4.2005 – 33
F 141/04, FamRZ 2005, 1684; Kropholler, IPR § 45 II 4; Kegel/Schurig, IPR § 20 V 2.
4 Verlegt allerdings nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe in einen an-
deren Staat, so greift zur Vermeidung eines Statutenwechsels Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ein.
5 Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 99 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 186.
6 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 133. Umgekehrt wird eine Ehegattenschen-
kung, die nach dem Ehewirkungsstatut zur Zeit ihrer Vornahme unwirksam war, durch einen Sta-
tutenwechsel nicht nachträglich geheilt.

792 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.827 § 6

weder nach Art. 14 Abs. 2 noch nach Art. 14 Abs. 3 EGBGB a.F. gewählt werden1. Die Wahl
des Ehewirkungsstatuts hatte deshalb schon bis zum 28.1.2019 nur eine geringe praktische
Bedeutung.

Dies hat sich für die vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen seit Geltung der EuGü- 6.825
VO ab dem 29.1.2019 geändert; denn nach Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO haben auch Ehegat-
ten, die eine gemeinsame effektive Staatsangehörigkeit besitzen, die Möglichkeit, für diese
Ehewirkungen eine Wahl zugunsten des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt
oder am gewöhnlichen Aufenthalt nur eines der Ehegatten zu treffen (näher Rz. 6.937 f.). An
diese Regelung hat sich der deutsche Gesetzgeber bei der Reform von Art. 14 EGBGB durch
das Gesetz vom 17.12.20182 angelehnt. Er hat daher ebenfalls die Rechtswahl auf dem Gebiet
der allgemeinen Ehewirkungen als Primäranknüpfung in Abs. 1 vor der objektiven Anknüp-
fung in Abs. 2 geregelt.

Eine Rechtswahl beurteilt sich allerdings gemäß Art. 69 Abs. 3 EuGüVO in allen Ehen nicht 6.826
nur bezüglich des Güterrechts in dem engen Sinn des deutschen Kollisionsrechts, sondern
auch bezüglich der vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen nach Art. 22–24 EuGü-
VO; diese europäischen Kollisionsnormen haben insoweit Anwendungsvorrang vor Art. 14
Abs. 1 EGBGB n.F. Dies hat der deutsche Gesetzgeber im Einleitungssatz zu Art. 14 Abs. 1
EGBGB n.F. ausdrücklich klargestellt. Eine nach Art. 14 Abs. 2 bzw. Abs. 3 EGBGB a.F. anläss-
lich einer Eheschließung vor dem 29.1.2019 getroffene Rechtswahl bleibt zwar auf dem Ge-
biet des Ehegüterrechts im engeren Sinn aufgrund der unwandelbaren Anknüpfung nach
Art. 15 Abs. 1 EGBGB auch nach dem 29.1.2019 weiter wirksam (Rz. 6.897). Auf dem Gebiet
der allgemeinen Ehewirkungen gilt dies trotz der wandelbaren Anknüpfung jedenfalls dann,
wenn sie auch den Anforderungen von Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. entspricht, was im Regelfall
zutreffen wird. Bezüglich der persönlichen Ehewirkungen kann eine Rechtswahl ab dem
29.1.2019 hingegen in allen Ehen nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 1
EGBGB n.F. vorgenommen werden.

In der Praxis kommt eine solche, auf die persönlichen Ehewirkungen beschränkte Rechtswahl 6.827
allerdings so gut wie nicht vor, zumal sie auch in ausländischen Rechten weithin unbekannt
ist3. Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. wird daher vermutlich nur Bedeutung erlangen, wenn Ehegat-
ten den Wunsch haben, für ihre gesamten Ehewirkungen ein einheitliches Recht zu wählen.
Für diesen Fall eröffnet Art. 8 Abs. 1 lit. c, 1. Fall des Haager Unterhaltsprotokolls die Mög-
lichkeit, für den Ehegattenunterhalt dasjenige Recht zu wählen, das die Ehegatten auch für
ihre güterrechtlichen Beziehungen nach Art. 22 EuGüVO gewählt haben4. Diese kombinierte
Rechtswahl könnte dann nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB noch um eine Wahl des gleichen Rechts
für die persönlichen Ehewirkungen ergänzt werden, um Abgrenzungsprobleme zum Unter-
halts- und Güterrechtsstatut zu vermeiden. Da sich die Darstellung eherechtlicher Beschrän-
kungen in diesem Handbuch auf das Vermögensrecht bezieht, wird auf eine nähere Darstel-
lung der auf die persönlichen Ehewirkungen beschränkten Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 1
EGBGB verzichtet5.

1 Dazu Voraufl., Rz. 7.726 ff.; ferner Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 115.
2 BGBl. I 2018, 2573.
3 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 401.
4 Dazu näher Hausmann, IntEuFamR C Rz. 668 ff.; Hausmann in Hausmann/Odersky, § 10
Rz. 100 f.
5 Zu dieser Rechtswahl näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 8 Rz. 33 ff., 42 ff.

Hausmann | 793
§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

III. Güterrechtliche Beschränkungen


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Hausmann | 795
§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse – Ein Vergleich der vermögensrechtlichen Folgen
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Seker, Der revidierte gesetzliche Güterstand der Errungschaftsbeteiligung in der Türkei, FamRZ 2007,
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d) Osteuropäische Rechte:
Bosnien-Herzegowina: Bubić/Pürner, Bosnien-Herzegowina, in: Süß/Ring, Rz. 22 ff., 77 f.;
Bulgarien: Guedjev, Bulgarien, in: Süß/Ring, Rz. 19 ff., 83 ff.
Kroatien: Miculic/Schön, Kroatien, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 49 ff.; dies., Kroatisches Familienrecht in
der deutschen Rechtspraxis, FamRZ 2012, 1028.
Polen: Andrae, Internationales Privatrecht der ehelichen Vermögensbeziehungen mit Berührung zu
Polen, NotBZ 2001, 44 ff., 94 ff.; Gralla, Das polnische Ehegüterrecht, ZNotP 1998, 136; Gralla, Das
neue polnische Ehegüterrecht, ZNotP 2005, 202; Gwiazdomorski, Das gesetzliche Ehegüterrecht nach
dem polnischen Familiengesetzbuch, RabelsZ 34 (1970), 264; Maczynski, Polnisches eheliches Güter-
recht, FS D. Schwab (2005), S. 1437; Margonski, Polen, in: Süß/Ring, Rz. 16 ff., 93 ff.; Rudat, Die schei-
dungsbedingte Auseinandersetzung und Teilung des gemeinschaftlichen Vermögens unter Ehegatten
nach dem gesetzlichen Güterstand des polnischen Rechts (2010).
Rumänien: Oancea, Rumänien, in: Süß/Ring, Rz. 24 ff., 102 ff.
Russland: Himmelreich, Russland, in: Süß/Ring, Rz. 17 ff., 72 ff.
Serbien: Jeftic, Serbien, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 69 ff.
Slowakei: Chudácková, Slowakische Republik, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 55 ff.
Slowenien: Novak, Das neue slowenische Familienrecht, FamRZ 2017, 1479; Rudolf, Slowenien, in:
Süß/Ring Rz. 15 ff., 55 ff.
Tschechische Republik; Elischer/Pfeiffer/Ríha, Tschechische Republik, in: Süß/Ring, Rz. 19 ff., 63 ff.;
Hrusáková, Neuregelung der vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander in der
Tschechischen Republik, in: Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Ver-
mögen im europäischen Vergleich (1999), S. 299.
Ukraine: Himmelreich, Ukraine, in: Süß/Ring, Rz. 21 ff., 85 f.
Ungarn: Szócs/Kósa, Ungarn, in: Süß/Ring, Rz. 47 ff., 137 ff.; Weiss, Eheliche Gemeinschaft und Ver-
mögen im ungarischen Recht, in: Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und
Vermögen im europäischen Vergleich (1999), S. 337.

Hausmann | 797
§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

e) Skandinavische Rechte:
Dübeck, Gütertrennungsreform in Dänemark und skandinavisches Güterstandsrecht, ZEuP 1995, 827;
Firsching, Schweden, in: Süß/Ring, Rz. 111 ff., 154 ff.; Knorre, Finnland, in: Süß/Ring, Rz. 15 ff., 57 ff.;
Ring/Olsen Ring, Das neue Gesetz über die Vermögensverhältnisse der Ehegatten 2018, ZfRV 2019,
126; Ring/Olsen Ring, Das neue dänische IPR zum Ehegüterrecht, IPRax 2019, 347; Ring/Olsen Ring,
Dänemark, in: Süß/Ring, Rz. 16 ff., 124 ff.; Schmidt-Horix, Das eheliche Güterrecht in Deutschland
und Norwegen (Diss. Münster 1981).
f) Lateinamerikanische Rechte:
Albuquerque Pinto, Die Folgen der Ehescheidung nach deutschem und brasilianischem Recht (2003);
Imhof, Das Ehegüterrecht in Argentinien (1998); Nordmeier, Die Reform des brasilianischen Ehegüter-
rechts und ihre Bedeutung für deutsch-brasilianische Sachverhalte, insbesondere in Scheidungsfällen,
StAZ 2009, 71; Pallares, Regimen patrimonial del matrimonio en el derecho internacional privado
argentino, FS Jayme (2005), S. 57; Nordmeier, Die Reform des brasilianischen Ehegüterrechts und ihre
Bedeutung für deutsch-brasilianische Sachverhalte, insbesondere in Scheidungsfällen, StAZ 2009, 71;
Puschmann, Familien- und Erbrecht in Deutschland und Brasilien: Entwicklungen und Neuansätze
(2004); Vargas/de Araujo, Os efeitos pessoais e patrimoniais do casamento no direito internacional
brasileiro, a luz do novo codigo civil, FS Jayme (2005), S. 195.

1. Eigentumszuordnung
a) Allgemeines
6.828 In zahlreichen Güterständen findet ein Übergang von Vermögenswerten des einen Ehegatten
auf den anderen statt. Dieser Übergang erfolgt ipso iure, ohne dass es einer Übertragung der
einzelnen Vermögensgegenstände bedarf. Er kann das gesamte Vermögen umfassen, kann
aber auch auf Teile des Vermögens, insbesondere das bewegliche Vermögen oder das nach der
Eheschließung von den Ehegatten erworbene Vermögen beschränkt sein.

6.829 Meist begründet der Vermögensübergang gemeinsames Eigentum der Ehegatten. In aller Re-
gel kann ein Ehegatte weder über seinen Anteil an den einzelnen Gegenständen verfügen (es
besteht eine gesamthänderische Bindung) noch über seinen Anteil am gemeinschaftlichen Ge-
samtvermögen. Der ipso-iure-Übergang kann aber ausnahmsweise auch zu Alleineigentum
des anderen Ehegatten führen. So kann in Dotalgüterständen die „dos“ (Mitgift) der Frau in
das Alleineigentum des Mannes übergehen.

b) Gütergemeinschaft
6.830 Eine Reihe von Rechten sieht vor, dass das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen
beider Ehegatten, gleich ob es in die Ehe eingebracht oder während der Ehe erworben wurde,
grundsätzlich in das Eigentum beider Ehegatten übergeht (Gesamtgut). Ausgenommen von
diesem Übergang sind i.d.R. die Gegenstände, die einem Ehegatten durch Schenkung oder
Verfügung von Todes wegen von einem Dritten überlassen wurden (Vorbehaltsgut), sowie die
nicht übertragbaren, insbesondere höchstpersönlichen Rechte eines Ehegatten (Sondergut).

6.831 Die allgemeine Gütergemeinschaft ist – wie in Deutschland (§§ 1415 ff. BGB) – auch in vie-
len anderen Ländern als vertraglicher Güterstand zulässig. Gesetzlicher Güterstand war sie bis
zum 31.7.2017 insbesondere noch in den Niederlanden (Art. 1:93 ff. B.W. a.F.)1 und ist es

1 Vgl. OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.) = FamRZ 2009, 1582
und OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377 = FGPrax 2010, 19 (jeweils zur
Unzulässigkeit einer Eintragung der im gesetzlichen niederländischen Güterstand der Güter-

798 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.833 § 6

noch immer auf den Philippinen (Art. 75, 88 ff., Family Code vom 6.7.1987). In den Nieder-
landen ist sie seit dem 1.1.2018 durch die beschränkte Gütergemeinschaft abgelöst worden,
die im Wesentlichen auf das während der Ehe erworbene Vermögen beschränkt ist1.

Ist von dem Eigentumsübergang das Grundvermögen ausgeschlossen, das ein Ehegatte in die 6.832
Ehe eingebracht hat, so spricht man von Fahrnisgemeinschaft. Sie war bis Mitte der sechziger
bzw. siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts gesetzlicher Güterstand in Frankreich, Belgien und
Luxemburg („communauté de meubles et d´acquets“). Sie ist in diesen Rechten noch heute als
Vertragsgüterstand vorgesehen; als gesetzlicher Güterstand spielt sie keine Rolle mehr2.

c) Errungenschaftsgemeinschaft
In anderen Rechten wird nur das Vermögen gemeinschaftlich, das während der Ehe erworben 6.833
(erspart) wurde, während das in die Ehe eingebrachte und das im Wege der Erbfolge oder
Schenkung von dritter Seite erworbene Vermögen getrennt bleibt. Die Errungenschafts-
gemeinschaft ist – in unterschiedlicher Ausprägung – gesetzlicher Güterstand in den meisten
romanischen Ländern, so in Belgien („communauté légale“, Art. 1398 ff. c.c.; eingeführt durch
Gesetz vom 14.7.1976)3; Frankreich („communauté légale“, Art. 1400 ff. c.c.; eingeführt durch
Gesetz vom 13.7.1965)4; Italien („comunione legale“, Art. 159, 177 ff. c.c.; eingeführt durch
Gesetz vom 19.5.1975)5; Luxemburg („communauté légale“, Art. 1400 ff.; eingeführt durch Ge-
setz vom 4.2.1974)6; Portugal („comunhão dos adquiridos“, Art. 1717 ff. c.c.; eingeführt durch

gemeinschaft lebenden Ehegatten als Miteigentümer eines deutschen Grundstücks im Grund-


buch); OLG Düsseldorf v. 5.5.1995 – 22 W 7/95, FamRZ 1995, 1587 (1588) (zur Haftung für
Schulden des anderen Ehegatten nach dem niederländ. Recht der Gütergemeinschaft); OLG Ol-
denburg v. 22.5.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412 (zur Bezeichnung der Beschränkungen, die
sich aus der Gütergemeinschaft des niederländ. Rechts in Bezug auf Grundvermögen der Ehegat-
ten ergeben, im deutschen Grundbuch); IPG 1971 Nr. 15 (Hamburg); IPG 1977 Nr. 18 (Göttin-
gen); IPG 1984 Nr. 28 (Bonn); Schoordijk, NJB 2003, 218 ff.
1 Reinhartz/Vlaardingerbroek in Süß/Ring, S. 880 ff.
2 Vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 245 f.
3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.1.1977 – 3 W 331/76, IPRspr. 1977 Nr. 189b; Ferid, MittRheinNotK
1987, 187; Schür in Süß/Ring, Rz. 26 ff., 142.
4 Vgl. IPG 1972 Nr. 13 (München); IPG 1987/88 Nr. 30 (Freiburg); Ferid/Sonnenberger, Das franzö-
sische Zivilrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 1987, Rz. 4B 248 ff.; Döbereiner, Frankreich, in Süß/Ring Rz. 61 ff.,
175 ff.
5 Vgl. Franz, Die Einführung der comunione legale als gesetzlicher Güterstand Italiens (1990); Wie-
demann/Pertot, Italien in Süß/Ring Rz.44 ff., 153. Aus der deutschen Praxis OLG Zweibrücken v.
15.3.2007 – 3 W 232/06, FamRZ 2007, 1580 (Zwangsvollstreckung in ein zum Gesamtgut der
„comunione legale“ gehörendes deutsches Grundstück); OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.1985 – 3 UF
294/84, IPRax 1986, 239 (Berechtigung italien. Eheleute an einem gemeinsamen Sparguthaben bei
einer deutschen Bank); LG Köln v. 11.9.1996 – 11 T 282/96, JbItalR 10 (1997), 197 = IPRspr. 1996
Nr. 227 (zur Eintragung der „comunione legale“ im deutschen Grundbuch); LG Heilbronn v.
30.7.1996 – 1b T 231/96, Rpfleger 1996, 521 (zur Vergleichbarkeit der „comunione legale“ des ita-
lienischen Rechts mit der Gütergemeinschaft des deutschen Rechts in der Zwangsvollstreckung,
§ 740 Abs. 2 ZPO); LG Kempten v. 10.8.1982 – 4 T 557/82, MittBayNotV 1982, 250 (Erwerb eines
Miteigentumsanteils an deutschem Grundstück durch Ehefrau); AG Menden v. 26.4.2006 – 3 C
518/03, FamRZ 2006, 1471 (Zwangsvollstreckung in das Gesamtgut der „comunione legale“ wegen
Forderungen gegen die Ehefrau); IPG 1997 Nr. 26 (Heidelberg): Güterrechtliche Auswirkungen
der Ehetrennung.
6 Vgl. Entringer, Die Gütergemeinschaft der Ehegatten in Luxemburg (1996); Kayser/Watgen, Lu-
xemburg in Süß/Ring, Rz.10 ff., 58 ff.

Hausmann | 799
§ 6 Rz. 6.833 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Gesetz vom 25.1.1966)1; Spanien („sociedad de gananciales“, Art. 1316, 1344 ff. c.c.)2. In Spa-
nien sind allerdings foralrechtliche Besonderheiten zu beachten. So gelten in Aragon und Na-
varra besondere Formen der Errungenschaftsgemeinschaft; in Katalonien und auf den Balea-
ren ist gesetzlicher Güterstand die Gütertrennung3.

6.834 Als vertragliche Güterstände kommen in den genannten Ländern vor allem weitergehende
Gütergemeinschaften (Fahrnisgemeinschaft, allgemeine Gütergemeinschaft) und die Güter-
trennung in Betracht4.

6.835 Formen der Errungenschaftsgemeinschaft prägen das gesetzliche Güterrecht auch in den
meisten osteuropäischen Ländern, so in Albanien (Art. 73 ff. FamGB vom 8.5.2003); Arme-
nien (Art. 26 FamGB vom 9.12.2004, Art. 201 c.c. vom 17.6.1998), Aserbaidschan (Art. 31 ff.
FamGB vom 28.12.1999); Bosnien-Herzegowina (Art. 269 ff. FamGB der Republik Srpska vom
29.7.2002; Art. 250 ff. FamGB der Föderation vom 6.6.2005)5; Bulgarien (Art. 21 ff. FamGB
vom 18.6.2009)6; Estland (§§ 24 Abs. 2, 25 ff. FamG vom 18.11.2009) Georgien (Art. 1158 ff.
ZGB vom 26.6.1997); Kasachstan (Art. 33 ff. FamGB vom 26.12.2011); Kroatien (§§ 248 ff.

1 Vgl. OLG Frankfurt 12.4.2013 – 4 UF 39/12, IPRax 2014, 443 (m. Anm. Nordmeier, IPRax 2014,
411) (Zuordnung eines Grundstücks zum Eigengut eines Ehegatten bei Bestehen des gesetzlichen
Güterstands nach portugiesischem Recht); OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a [6] 281/96, IPRax 1999,
113 (LS) m. Anm. Jayme (Mitberechtigung portugies. Eheleute an einem zum Gesamtgut gehören-
den Oder-Konto bei einer deutschen Bank); IPG 1978 Nr. 26 (Hamburg); Huzel in Süß/Ring, Por-
tugal Rz. 24 ff., 77 ff.
2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.1.2010 – 3 Wx 258/09, FamRZ 2010, 1564 (Der spanische gesetzliche
Güterstand steht dem Erwerb eins deutschen Grundstücks durch spanische Ehegatten zu hälfti-
gem Miteigentum entgegen); Huzel, Spanien in Süß/Ring, Rz. 25 ff., 97 ff.; IPG 2004 Nr. 17 (Ros-
tock).
3 Vgl. zum katalanischen gesetzlichen Güterrecht Ferrer Riba in Süß/Ring, Katalonien, Rz. 2 ff.,
21 ff.
4 Vgl. zum französ. Vertragsgüterstand der Gütertrennung IPG 1977 Nr. 16 (Hamburg); zum ita-
lien. Vertragsgüterstand der Gütertrennung IPG 1977 Nr. 17 (Hamburg); zum portugies. Vertrags-
güterstand der Gütergemeinschaft IPG 1978 Nr. 34 (Köln); zum portugies. Vertragsgüterstand der
Gütertrennung IPG 1979 Nr. 19 (Hamburg). Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 18.8.1993 – 20 W
264/93, NJW-RR 1994, 72 = MittBayNotV 1994, 278 m. Anm. Vetsch (zur Wirksamkeit einer im
März 1975 geschlossenen Gütertrennungsvereinbarung zwischen italien. Ehegatten mit gewöhnli-
chem Aufenthalt in Deutschland.).
5 Vgl. Bubić/Pürner, Bosnien-Herzegowina in Süß/Ring, Rz. 22 ff., 77 f.; ferner OLG Zweibrücken v.
20.2.2013 – 3 W 159/12, MittBayNotV 2014, 267 (zur Anerkennung der Wahl deutschen Güter-
rechts für inländischen Grundbesitz durch das Recht von Bosnien-Herzegowina); OLG München
v. 20.11.2012 – 34 Wx 404/12, FamRZ 2013, 1486 (zur Eintragung einer Zwangshypothek auf-
grund eines nur gegen einen der Ehegatten lautenden Titels in ein zur Errungenschaftsgemein-
schaft gehörendes deutsches Grundstück); OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993
Nr. 59 (zur Verpflichtung eines geschiedenen Ehegatten, der die im Gesamthandseigentum stehen-
de Wohnung alleine nutzt, zur Zahlung einer Entschädigung an den anderen Ehegatten kraft Gü-
terrechts der Republik Bosnien-Herzegowina).
6 Die Errungenschaftsgemeinschaft ist nach geltendem bulgarischen Eherecht allerdings nur einer
von zwei typisierten gesetzlichen Güterständen; alternativ können sich die Ehegatten nach
Art. 33 ff. FamGB auch für die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand entscheiden, vgl. Jessel-
Holst in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Loseblatt, Stand:
2017), Bulgarien S. 27 ff; Guedjev, Bulgarien in Süß/Ring Rz. 19 ff., 83 ff.

800 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.836 § 6

FamG vom 14.7.2003)1; Lettland (Art. 89 ff. ZGB vom 28.1.1937 i.d.F. vom 25.5.1993); Litauen
(Art. 3.87 ff. ZGB vom 18.7.2000)2; Republik Moldau (Art. 19 ff. FamGB vom 26.10.2000),
Montenegro (Art. 285 ff. FamG vom 29.12.2006); Nordmazedonien (Art. 66 ff. EigentumsG
vom 20.2.2001); Polen (Art. 31 ff. FamGB vom 25.2.1964)3; Rumänien (Art. 339 ff. c.c.
Nr. 287/2009)4; der Russischen Föderation (Art. 33 ff. FamGB vom 29.12.1995)5; Serbien
(Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 168 ff. FamG vom 24.2.2005)6; der Slowakei (§§ 136, 143 ff. BGB
vom 26.2.1964)7; Slowenien (Art. 51 ff. FamG vom 26.5.1976)8; der Tschechischen Republik
(§§ 708 ff. BGB vom 3.12.2012)9; der Ukraine (Art. 60 ff. FamGB vom 10.1.2002)10; Ungarn
(§§ 4:37 ff. BGB vom 26.2.2013)11; Weißrussland (Art. 23 ff. FamGB vom 9.7.1999).

Die Errungenschaftsgemeinschaft ist – in unterschiedlicher Ausprägung – ferner gesetzlicher 6.836


Güterstand in den sog. „community property“-Staaten der USA (Arizona, California12, Ida-
ho, Louisiana, Nevada, New Mexico, Texas, Washington, Wisconsin und Puerto Rico) sowie in
der kanadischen Provinz Québec, darüber hinaus in den meisten lateinamerikanischen Län-
dern, z.B. in Argentinien (Art. 1217 ff., 1276 ff. c.c.), Bolivien (Art. 101 ff. FamGB i.d.F. vom
4.4.1988), Brasilien (Art. 1640, 1658 ff. c.c. vom 10.1.2002)13, Chile (Art. 135 Abs. 1, 1718 ff. c.
c. i.d.F. vom 16.5.2000), Ecuador (Art. 139 ff. c.c. vom 24.6.2005), Kuba (Art. 29 ff. FamGB v.
14.2.1975), Paraguay (Art. 30 ff. c.c.-ReformG vom 15.7.1992), Peru (Art. 301 ff. c.c. vom
24.7.1984), Uruguay (Art. 1938 ff. c.c.) und Venezuela (Art. 141 ff. c.c. 1942), sowie in ver-
schiedenen ostasiatischen Ländern, z.B. in der Volksrepublik China (§§ 17 ff. EheG i.d.F. vom
28.4.2001), Indonesien (Art. 35 f. EheG 1974), Thailand (§§ 1465 ff. ZGB) und Vietnam
(Art. 14 ff. EheG)14.

1 Vgl. Miculic/Schön, Kroatien in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 49 ff.; ferner OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17
UF 295/01, FamRZ 2002, 1032 (Auskunftsverpflichtung zur Vorbereitung der Vermögensaus-
einandersetzung nach kroat. Recht); OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299;
OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, NJW-RR 1994, 698 = FamRZ 1994, 1258 (jeweils zur
Auseinandersetzung der gesetzlichen Gütergemeinschaft nach kroat. Recht); LG Ulm v. 15.4.1993
– 5 T 41/93, IPRspr. 1993 Nr. 60 (zur Haftung des Gesamtguts der Gütergemeinschaft kroatischen
Rechts für Schulden eines Ehegatten); IPG 1999 Nr. 23 (Hamburg).
2 Vgl. Zupkauskaite/Goldammer, Litauen in Süß/Ring Rz. 20 ff., 58 ff.
3 Vgl. Margonski, Polen in Süß/Ring, Rz. 16 ff., 93 ff.
4 Vgl. Oancea, Rumänien in Süß/Ring, Rz. 24 ff., 102 ff.; IPG 1971 Nr. 18 (Hamburg); IPG 1976
Nr. 28 (Göttingen); IPG 1978 Nr. 27 (Hamburg).
5 Vgl. Himmelreich, Russland in Süß/Ring, Rz. 17 ff., 72 ff.
6 Vgl. Jeftic, Serbien in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 69 ff.; OLG Düsseldorf v. 20.12.1994 – 1 UF 76/94,
FamRZ 1995, 1203 (zur Auseinandersetzung des gesetzlichen Güterstands nach dem Recht der
früher autonomen Provinz Wojwodina).
7 Vgl. Chudácková, Slowakische Republik in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 55 ff.
8 Vgl. Rudolf, Slowenien in Süß/Ring Rz. 15 ff., 55 ff.; LG Stuttgart v. 24.3.1981 – 1 T 1/81, BWNotZ
1981, 136.
9 Vgl. Elischer/Pfeiffer/Ríha, Tschechische Republik in Süß/Ring, Rz. 19 ff., 63 ff.; LG Bamberg v.
20.11.1975 – 2 T 56/75, MittBayNotV 1975, 261.
10 Vgl. Himmelreich, Ukraine in Süß/Ring, Rz. 21 ff., 85 f.
11 Vgl. Szócs/Kósa, Ungarn in Süß/Ring, Rz. 47 ff., 137 ff.
12 Vgl. OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, MittBayNotV 2013, 404 m. Anm. Süß.
13 Für vor dem 27.12.1987 geschlossene Ehen verbleibt es in Brasilien beim früheren Güterstand der
allgemeinen Gütergemeinschaft.
14 Vgl. auch Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 249.

Hausmann | 801
§ 6 Rz. 6.837 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

d) Aufgeschobene Gütergemeinschaft
6.837 Von einer aufgeschobenen Gütergemeinschaft spricht man, um die gesetzlichen Güterstände
der skandinavischen Staaten zu beschreiben1. So ist der durch EheG vom 11.6.1920 in Schwe-
den eingeführte gesetzliche Güterstand dadurch gekennzeichnet, dass das Vermögen der Ehe-
gatten während bestehender Ehe nur formal gesamthänderisch gebundenes Sondermögen
wird, jeder Ehegatte aber zur Verfügung über sein in die Ehe eingebrachtes persönliches Ver-
mögen weiterhin berechtigt bleibt. Erst bei Auflösung des Güterstandes erfolgt eine hälftige
Teilung des Ehevermögens, die allerdings im Falle der Scheidung – ähnlich wie bei der Zuge-
winngemeinschaft des deutschen Rechts – auch durch einen schuldrechtlichen Wertausgleich
erfolgen kann (Kap. 9–13 EheG vom 14.5.1987)2. Eine ähnliche Regelung gilt auch in Finn-
land (§§ 34 ff. EheG Nr. 234/1929 i.d.F. vom 29.11.2019)3. Demgegenüber ist in Dänemark
(§§ 5 ff. Gesetz Nr. 548 v. 30.5.2017, in Kraft seit 1.1.2018) und Island (Art. 99 ff. EheG
Nr. 31/1993) auch das in die Ehe eingebrachte Anfangsvermögen beider Ehegatten bei Auf-
lösung der Ehe in Natur zu teilen, soweit es nicht zum Vorbehaltsgut erklärt wurde4. In Nor-
wegen kann das voreheliche Vermögen auf Antrag eines Ehegatten von der Teilung ausgenom-
men werden (§§ 56 ff., 59 EheG v. 4.7.1991).

e) Zugewinngemeinschaft
6.838 Nach anderen Rechten unterliegt das Vermögen der Ehegatten zwar – ähnlich wie beim deut-
schen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft – gewissen Bindungen, ohne dass
jedoch ein Eigentumsübergang stattfindet.

6.839 So hat man durch Gesetz vom 5.10.1984, das am 1.1.1988 in Kraft getreten ist, in der Schweiz
als neuen gesetzlichen Güterstand die „Errungenschaftsbeteiligung“ eingeführt (Art. 181, 196 ff.
ZGB). Hierbei handelt es sich – trotz der missverständlichen Bezeichnung – nicht etwa um
eine Errungenschaftsgemeinschaft. Die Eheschließung ändert vielmehr die eigentumsrecht-
liche Zuordnung von Vermögenswerten nicht und jeder Ehegatte bleibt zur Verwaltung seines
Vermögens einschließlich seiner Errungenschaft allein berechtigt (Art. 200 f. ZGB). Die Qua-
lifikation von Vermögenswerten als Eigengut oder Errungenschaft wirkt sich erst im Zeit-
punkt der Beendigung des gesetzlichen Güterstandes durch Tod, Scheidung oder Trennung
der Ehe bzw. durch Vereinbarung eines Vertragsgüterstandes (Gütergemeinschaft, Gütertren-
nung) aus, weil nur dann die Errungenschaft der beiden Ehegatten zur Berechnung der Aus-
gleichsforderung herangezogen wird (Art. 204 ff. ZGB). Von der deutschen Zugewinngemein-
schaft unterscheidet sich der schweizerische gesetzliche Güterstand vor allem dadurch, dass
dem Ausgleich nur das durch Arbeit der Ehegatten und durch Kapitalerträge während der
Ehe hinzuerworbene Vermögen unterliegt5.

1 Vgl. dazu Friedmann, RabelsZ 41 (1977), 112 f.; Dübeck, ZEuP 1995, 827 (829); Mankowski in
Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 250.
2 Vgl. Firsching, Schweden in Süß/Ring, Rz. 111 ff., 154 ff.; IPG 1969 Nr. 15 (Hamburg).
3 Vgl. Knorre, Finnland in Süß/Ring, Rz.15 ff., 57 ff.; IPG 1980/81 Nr. 15 (Kiel).
4 Vgl. zum reformierten dänischen Güterrecht näher Ring/Olsen-Ring, ZfRV 2019, 126 ff.; Ring/Ol-
sen-Ring, Dänemark in Süß/Ring, Rz. 16 ff., 124 ff.
5 Vgl. näher Hegnauer, FamRZ 1986, 317 ff.; Schwenzer, DNotZ 1991, 419 ff.; Sturm, FamRZ 1993,
755 ff.; Wolf/Spichiger, Schweiz in Süß/Ring, Rz.17 ff., 106 ff.

802 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.844 § 6

Dem schweizerischen Vorbild ist auch die Türkei gefolgt, wo der frühere gesetzliche Güter- 6.840
stand der Gütertrennung1 mit Wirkung vom 1.1.2003 durch den Güterstand der Errungen-
schaftsbeteiligung abgelöst wurde2.

In Österreich ist gesetzlicher Güterstand nur formal die Gütertrennung (§ 1237 ABGB). 6.841
Durch die im Jahre 1978 eingeführte „Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der
ehelichen Ersparnisse“ (§§ 81–97 EheG) ist dieser Güterstand nämlich weitgehend einer Zu-
gewinngemeinschaft angenähert worden. Der Zugewinnausgleich wird allerdings – anders als
im deutschen und schweizerischen Recht – nur im Fall der vorzeitigen Eheauflösung durch
Scheidung oder Nichtigerklärung, nicht hingegen bei Beendigung der Ehe durch den Tod ei-
nes Ehegatten durchgeführt. Er ist ferner auf das Privatvermögen beschränkt, erstreckt sich
also nicht auf das betriebliche Vermögen von Ehegatten3.

Auch in Griechenland ist der gesetzliche Güterstand der Gütertrennung im Jahre 1983 durch 6.842
einen gesetzlichen Zugewinnausgleich bei vorzeitiger Eheauflösung abgemildert worden
(Art. 1397, 1400 ZGB); abweichend vom deutschen Recht wird der Zugewinn freilich im Re-
gelfall nicht zur Hälfte, sondern nur zu 1/3 ausgeglichen (Art. 1400 Abs. 1 ZGB)4. Den gleichen
Schritt hatte Israel schon im Jahre 1973 für alle nach dem 1.1.1974 geschlossenen Ehen voll-
zogen5.

Eine Aufteilung des während der Ehe erworbenen Vermögens im Fall der Scheidung – bei 6.843
grundsätzlicher Gütertrennung – sieht auch das japanische Recht vor6. Umgekehrt hat die
Südafrikanische Republik den früheren gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft im
Jahre 1984 durch eine Form der Zugewinngemeinschaft ersetzt (sog. „accrual system“, vgl.
S. 3 ff. Matrimonial Property Act 1984)7.

Die Zugewinngemeinschaft ist schließlich gesetzlicher Güterstand in einigen südamerikani- 6.844


schen Rechten, z.B. in Kolumbien (Art. 1771 ff. c.c.).

1 Vgl. Art. 170, 186-190 ZGB; dazu OLG Stuttgart v. 19.3.1996 – 17 AR 5/96, FamRZ 1997, 1085.
2 Vgl. dazu Odendahl, FamRZ 2003, 648 ff.; Malcok/Han, FuR 2003, 347 ff.; Rausch, FF 2003, 165
(167 ff.); Naumann, RNotZ 2003, 343 (347 ff.); Kilic, Türkei in Süß/Ring, Rz. 33 ff.,122 ff.; ferner
OLG Zweibrücken v. 10.1.2008 – 3 W 94/07, FamRZ 2008, 1366 (zu den Anforderungen an die
Bezeichnung des Gemeinschaftsverhältnisses an einem deutschen Grundstück, das im gesetzlichen
türkischen Güterstand lebende Ehegatten erwerben wollen); OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/
05, FamRZ 2006, 1383; LG Duisburg v. 19.5.2003 – 7 T 65/03, RNotZ 2003, 396 (zum Erwerb von
Bruchteilseigentum an einem deutschen Grundstück durch türk. Ehegatten.); IPG 2005/06 Nr. 25
(Köln) (Zur Beschränkung der Errungenschaftsbeteiligung nach dem neuen türkischen gesetzli-
chen Güterstand auf das ab dem 1.1.2003 erworbene Vermögen).
3 Vgl. Ferrari, Die vermögensrechtliche Situation von Ehegatten und Lebensgefährten in Österreich
in Ferrari/Koch-Hipp, Österreich in Süß/Ring, Rz. 22 ff., 149 ff.; IPG 1980/81 Nr. 29 (München);
Honsell, FamRZ 1980, 93 ff.
4 Vgl. Chiotellis, IPRax 1983, 302 ff.; Koumantos, StAZ 1984, 271 ff.; Oehler/Vlassopoulou, IPRax
1985, 171 ff.; Stamatiadis/Tsantinis, Griechenland in Süß/Ring, Rz. 21 ff., 62 ff.; dazu OLG Zwei-
brücken v. 22.12.2006 – 2 UF 41/06, FamRZ 2007, 1559.
5 Gesetz Nr. 5733/1973, abgedr. in DNotZ 1974, 660 ff.; dazu Friedmann, Matrimonial Property in
Israel, RabelsZ 41 (1977), 112 ff.
6 Art. 755, 760 ff., 771 japan. BGB; dazu näher Humbert/Dross, Das Ehescheidungsrecht in Japan
(1985), S. 24 ff.
7 Vgl. Thomashausen, IPRax 1986, 57 ff.; IPG 1987/88 Nr. 31 (Göttingen).

Hausmann | 803
§ 6 Rz. 6.845 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

f) Gütertrennung
6.845 Die Gütertrennung in ihrer reinen Form, wie sie bis in die 1970iger Jahre vor allem für die
vom Common Law geprägten Rechtsordnungen charakteristisch war, befindet sich – wegen
der Benachteiligung des haushaltsführenden Ehegatten – als gesetzlicher Güterstand weltweit
auf dem Rückzug. So haben seit Mitte der siebziger Jahre auch die Gesetzgeber aller wichtigen
Common Law Jurisdiktionen (England, Irland, Schottland, australische Bundesstaaten, kana-
dische Provinzen, separate property-Staaten der USA) die Gerichte ermächtigt, das von den
Ehegatten gemeinsam erwirtschaftete Vermögen im Fall einer Scheidung oder Nichtigerklä-
rung der Ehe nach billigem Ermessen aufzuteilen („equitable distribution“; vgl. z.B. sec 1 ff.
des englischen Matrimonial Causes Act 1973). Während intakter Ehe verbleibt es allerdings in
den genannten Rechten weiterhin bei der grundsätzlichen Gütertrennung und der uneinge-
schränkten Verfügungsbefugnis jedes Ehegatten über sein Vermögen1. Völlig getrennt bleiben
die Vermögen der Ehegatten hingegen weiterhin in den meisten vom Islam geprägten Rechts-
ordnungen2.

g) Anknüpfung
6.846 Die Frage, ob und wie sich kraft Eheschließung die Eigentumsverhältnisse ändern, bestimmt
das Güterrechtsstatut (zu dessen Bestimmung s. Rz. 6.864 ff.). Dieses entscheidet insbesonde-
re darüber, in welchem gesetzlichen Güterstand die Ehegatten leben und welche ehevertragli-
chen Abweichungen zulässig sind3. Es regelt ferner, welche Gütermassen (Gesamtgut, Vor-
behaltsgut, Sondergut, Eigengut) bestehen, und zu welcher Gütermasse einzelne Gegenstände
gehören4, ob also ein Gegenstand (z.B. ein Grundstück) zu Alleineigentum eines Ehegatten
oder zum Gesamtgut erworben wird5 und zu welchen Anteilen Gegenstände den Ehegatten
gehören, die mit Mitteln beider erworben werden. Das Güterrechtsstatut bestimmt auch über
die Übertragung von Vermögen von einer Kategorie in die andere (vgl. Art. 27 lit. b EuGü-
VO), über die Art der Güterbeteiligung (Gesamthands-/Bruchteilseigentum)6 und über die Be-
teiligungsquoten an Guthaben auf Bankkonten, die auf den gemeinsamen Namen der Ehegat-
ten geführt werden (dazu auch Rz. 6.972 f.)7. Diesbezüglich sind im Geltungsbereich der Eu-
GüVO auch Eigentumsvermutungen zu beachten, mögen sie auch nach dem anwendbaren

1 Vgl. zu Großbritannien Herzberg/Odersky, Großbritannien: England und Wales in Süß/Ring


Rz. 16 ff., 50 ff.; zu Kanada Hering, Die gesetzlichen Rechte des überlebenden Ehegatten in
deutsch-kanadischen Erbfällen (1984), S. 32 ff.
2 Vgl. IPG 1970 Nr. 15 (Köln) [Iran]; IPG 1976 Nr. 17 (Köln) [Jordanien]; IPG 1980/81 Nr. 28
(Köln) [Kuwait]; IPG 1985/86 Nr. 33 (Heidelberg) [Jordanien]; IPG 2002 Nr. 17 (Passau) [Irak];
vgl. Rauscher, Islamisches Familienrecht der sunna und shi’a (1987), S. 90; Hohloch, Islamisches
Ehe- und Familienrecht vor deutschen Behörden und Gerichten (1988); Rieck, Islamische Ehever-
träge (1993).
3 Vgl. Art. 27 lit. g EuGüVO; zu Art. 15 EGBGB Looschelders in MünchKomm Rz. 33 ff; Mankowski
in Staudinger, Rz. 234.
4 Vgl. Art. 27 lit. a EuGüVO; zu Art. 15 EGBGB OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17 UF 295/01,
FamRZ 2002, 1032; Mankowski in Staudinger, Rz. 253. Zur Abgrenzung von Güterrechtsstatut
und lex rei sitae Rz. 6.985 ff.
5 Vgl. zu Art. 15 EGBGB BayObLG v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 = FamRZ 1992,
1284; OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 65.
6 Zur EuGüVO Sieghörtner in NK BGB Art. 27 Rz. 6; zu Art. 15 EGBGB Mankowski in Staudinger,
Rz. 254.
7 LG Frankfurt v. 9.7.1975 – 2/8 O 293/72, IPRspr. 1975 Nr. 53.

804 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.848 § 6

Recht (wie z.B. nach § 1362 BGB) als allgemeine Ehewirkung ausgestaltet sein1. Hingegen ent-
scheidet die lex rei sitae des jeweiligen Vermögensgegenstandes, ob eine vom Ehegüterrecht
vorgesehene sachenrechtliche Änderung auch vollzogen werden kann.

h) Kundbarmachung der Eigentumszuordnung


Ein Eigentumsübergang, der kraft Gesetzes nach einem fremden Güterstand eintritt, ist auch 6.847
für im Inland belegene Vermögenswerte zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die
Art der gemeinschaftlichen Berechtigung der Ehegatten dem deutschen Recht nicht bekannt
ist2. Erwirbt ein Ehegatte allein ein inländisches Grundstück, so wird das Grundbuch unrich-
tig, wenn dieser Ehegatte im einem ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungen-
schaftsgemeinschaft lebt; daher ist auf Antrag des anderen Ehegatten ein Widerspruch (§ 899
BGB) einzutragen. Eine Grundbuchberichtigung ist freilich nur angebracht, wenn der Ver-
mögensgegenstand zu dauerndem Gesamthands- oder Miteigentum auf den anderen Ehegat-
ten übergeht. Findet hingegen nach Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung ein Rückfall
statt, so handelt es sich lediglich um eine Beschränkung der Verfügungsmacht (dazu anschlie-
ßend Rz. 6.849 ff.).

Im inländischen Grundbuch sind bei Bruchteilseigentum die Anteile der Berechtigten in 6.848
Bruchteilen, bei Gesamthands- oder sonst gebundenem Eigentum das für die Gemeinschaft
maßgebende Rechtsverhältnis zu bezeichnen (§ 47 GBO), z.B. „in Gütergemeinschaft nach
niederländischem Recht“3 oder „im gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft des italie-
nischen Rechts“4. Wird ein inländisches Grundstück an Ehegatten aufgelassen, die in einem
ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft leben, so gehört die
Angabe des Gemeinschaftsverhältnisses der Erwerber bereits zum notwendigen Inhalt der Ei-
nigung i.S.v. § 925 BGB, wobei allerdings die Bezugnahme auf die Angabe in einem zugleich
beurkundeten Schuldvertrag genügt (dazu näher Rz. 21.75 ff. m.w.N.)5. Erforderlich ist, dass
der ausländische Güterstand so präzise bezeichnet wird, dass der Rechtsverkehr das hiernach
bestehende Gemeinschaftsverhältnis, insbesondere sich hieraus ergebende Verfügungs-
beschränkungen. ermitteln kann. Daher reicht die Angabe „im gesetzlichen türkischen Güter-
stand“ nicht aus, weil aus ihr nicht hervorgeht, ob zwischen den Ehegatten überhaupt ein
„Gemeinschaftsverhältnis“ i.S.v. § 47 GBO besteht und welchen Inhalt es gegebenenfalls hat6.

1 Thorn in Palandt, Art. 1 EuGüVO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 27 EuGüVO Rz. 3.
2 Stoll in Staudinger, IntSachenR Rz. 186; einschränkend Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB
Rz. 104.
3 Vgl. OLG Oldenburg v. 11.2.2019 – 12 W 143/17, NJW-RR 2019, 793 (Rz. 12); OLG Schleswig v.
19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377 = FGPrax 2010, 19; OLG München v. 16.2.2009 – 34
Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.); OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/996, FGPrax
2000, 5 (6 f.); OLG Oldenburg v. 22.5.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412; Reithmann, DNotZ
1985, 540 f. (546); Böhringer, BWNotZ 1985, 73 (75); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 283; Looschelders
in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 57; a.A. Britz, RNotZ 2008, 333 (336). Teilweise hält man
auch die Bezeichnung „im gesetzlichen Güterstand des niederländischen Rechts“ für ausreichend,
vgl. Döbereiner, MittBayNot 2001, 264 (266); Süß, MittBayNot 2009, 44 (45).
4 LG Köln v. 11.9.1996 – 11 T 282/96, JbItalR 10 (1997), 197 = IPRspr. 1996 Nr. 227.
5 Herrler in Palandt, § 925 BGB Rz. 13.
6 Der seit dem 1.1.2002 geltende türkische gesetzliche Güterrstand der Errungenschaftsbeteiligung
begründet kein nach § 47 GBO im deutschen Grundbuch eintragungsfähiges Gemeinschaftsver-
hältnis: Türkische Ehegatten können daher nur Miteigentum zu Bruchteilen nach Maßgabe der
deutschen lex rei sitae erwerben, vgl. OLG Zweibrücken v. 10.1.2008 – 3 W 94/07, FamRZ 2008,
1366.

Hausmann | 805
§ 6 Rz. 6.849 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Verfügungsbeschränkungen
a) Verfügung über das Gesamtgut
6.849 Wird ein Vertrag mit einem Ehegatten geschlossen, der im (gesetzlichen oder vertraglichen)
Güterstand der Gütergemeinschaft oder der Errungenschaftsgemeinschaft lebt, so kommt es,
wenn der Vertrag die Veräußerung oder Belastung von Gesamtgut zum Gegenstand hat, da-
rauf an, welcher der Ehegatten über das Gesamtgut verfügen kann. In der Gütergemeinschaft
des deutschen BGB verwalten die Ehegatten das Gesamtgut grundsätzlich gemeinschaftlich.
Ehevertraglich kann jedoch der Mann oder die Frau allein zum Gesamtgutsverwalter bestellt
werden, der dann grundsätzlich auch alleine berechtigt ist, über das Gesamtgut zu verfügen
(§§ 1421, 1422 BGB). Für Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte über das Gesamtgut im
Ganzen oder ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück ist jedoch ebenso wie für Schenkun-
gen aus dem Gesamtgut die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich (§§ 1423 ff.
BGB).

6.850 Anders als im deutschen Recht steht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Ge-
samtgutsgegenstände im niederländischen gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Güter-
gemeinschaft demjenigen Ehegatten zu, der den betreffenden Gegenstand in die Gemeinschaft
eingebracht hat (Art. 97 Abs. 1 B.W.). Jeder Ehegatte behält also auch nach der Heirat die Ver-
waltungs- und Verfügungsbefugnis über diejenigen Gegenstände, die er vor der Heirat besaß;
er erlangt ferner die gleiche Befugnis an denjenigen Gegenständen, die er während des Beste-
hens der Gütergemeinschaft erwirbt1. Die Ehegatten können allerdings jederzeit – also vor
und während der Ehe – in der Form des Ehevertrages (Art. 97 Abs. 1, 115 B.W.) eine abwei-
chende Regelung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vereinbaren, z.B. Verwaltung des
Gesamtguts durch den Mann oder die Frau allein oder durch beide Ehegatten gemeinsam.
Hat ein Ehegatte in eigenem Namen ein Rechtsgeschäft über einen Gesamtgutsgegenstand ab-
geschlossen, über den nicht er, sondern der andere Ehegatte verwaltungs- und verfügungs-
berechtigt war, so kann der letztere nach Art. 98 Abs. 2 B.W. innerhalb eines Jahres durch
formlose Erklärung gegenüber dem Vertragspartner des in unbefugter Weise verfügenden
Ehegatten die Nichtigkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts geltend machen. In diesem Fall ist
der Gegenstand an das Gesamtgut zurückzuübertragen.

6.851 Wieder anders ist die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Gesamtgut in den ge-
setzlichen Güterständen der Errungenschaftsgemeinschaft geregelt. Hier ist die früher übli-
che alleinige Verwaltungsbefugnis des Ehemannes inzwischen aus Gründen der Gleichberech-
tigung weithin beseitigt worden. Das Verwaltungsrecht steht entweder beiden Ehegatten ge-
meinsam (so im spanischen Recht, vgl. Art. 59, 1412 c.c.) oder aber – überwiegend – jedem
Ehegatten einzeln zu, so im belgischen (Art. 1416 Abs. 1 c.c.), französischen (Art. 1421 c.c.),
italienischen (Art. 180 Abs. 1 c.c.)2 und luxemburgischen (Art. 1421 c.c.) gesetzlichen Güter-
stand.

6.852 Diese Regelung gilt indes nur für gewöhnliche Geschäfte der ordentlichen Verwaltung. Für
außergewöhnliche Rechtsgeschäfte, wie insbesondere den Erwerb, die Veräußerung und Be-
lastung von Grundvermögen, sowie für Schenkungen aus dem Gesamtgut ist hingegen regel-

1 Vgl. OLG Hamm v. 22.6.1965 – 15 W 294/64, DNotZ 1966, 236; LG Aachen v. 24.11.1971 – 7 T
207/71, MittRheinNotK 1972, 720; OLG Köln v. 10.9.1971 – 2 Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; OLG
Düsseldorf v. 14.6.1978 – 9 W 50/78, MittRheinNotK 1978, 149; OLG München v. 16.2.2009 – 34
Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.).
2 Vgl. BayObLG v. 25.6.1997 – 2Z BR 90/96, BayObLGZ 1997, 191.

806 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.854 § 6

mäßig die Zustimmung beider Ehegatten erforderlich. Ein ohne diese notwendige Zustim-
mung des anderen Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft ist allerdings – anders als im
deutschen Recht (vgl. § 1427 BGB) – zunächst voll wirksam; der übergangene Ehegatte hat
lediglich das Recht, innerhalb bestimmter Fristen die Nichtigkeit des Geschäfts im Klagewege
geltend zu machen (vgl. etwa für Frankreich Art. 1427 c.c., für Italien Art. 184 c.c., für Spa-
nien Art. 65 c.c.).

Auch die Verwaltung des ehelichen Vermögens wird vom Güterrechtsstatut geregelt. Im Gel- 6.853
tungsbereich der EuGüVO unterwirft deren Art. 27 lit. d „die Befugnisse, Rechte und Pflichten
eines oder beider Ehegatten in Bezug auf das Vermögen“ dem Güterrechtsstatut. Dies gilt ins-
besondere für die Verwaltung und Nutzung des ehelichen Vermögens, d.h. die Fragen, wel-
cher Ehegatte die verschiedenen Vermögensmassen zu verwalten hat und über sie verfügen
darf1. Beschränkungen dieses Verwaltungsrechts – z.B. durch Verfügungsverbote (vgl. im
deutschen Recht §§ 1365, 1369 BGB) oder Erwerbsbeschränkungen, Kontrollrechte, das Erfor-
dernis der Zustimmung des anderen Ehegatten oder einer gerichtlichen Genehmigung – wer-
den ebenfalls vom Güterrechtsstatut erfasst2. Dies gilt nach der EuGüVO auch dann, wenn
diese Beschränkungen nicht Bestandteil eines gesetzlichen oder vertraglichen Güterstandes
sind, sondern – wie z.B. die Verfügungsbeschränkung bzgl. der Ehewohnung nach türkischem
Recht3 – unabhängig von diesem für alle Ehen gelten4.

Nach Art. 22 ff. EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB sind ferner Ansprüche auf Auskunft und 6.854
Rechnungslegung zu beurteilen, die sich auf die Vermögensverwaltung durch die Ehegatten
und daraus resultierende etwaige Ausgleichsansprüche beziehen5. Kennt das anwendbare aus-
ländische Güterrecht derartige Ansprüche nicht, weil es insoweit vom Grundsatz der Amts-
ermittlung ausgeht, so sind diese im Wege der Anpassung nach deutschem Recht zu gewäh-
ren6. Nach dem Güterrechtsstatut ist auch zu beurteilen, ob ein Ehegatte bei Beendigung des
Güterstandes einen Nießbrauch an Vermögenswerten des Partners verlangen kann7, oder ob

1 Ebenso zu Art. 15 EGBGB OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, NJW-RR 1998, 865865 (Tür-
kei); OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a (6) U 281/96, IPRax 1999, 113 (Portugal); Mörsdorf in BeckOK
BGB, Rz. 19 ff.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 34.
2 Martiny, ZfPW 2017, 1 (25).
3 OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (665); Sieghörtner in NK BGB, Art. 27 EuGüVO Rz. 13. Demgegenüber
erfassst das Güterrechtsstatut nach Art. 15 EGBGB nur die aus einem bestimmten Güterstand fol-
genden Verfügungsbeschränkungen, vgl. Looschelders in MünchKomm, Rz. 35; Schurig in Soergel,
Rz. 33 Mankowski in Staudinger, Rz. 257 f.; Stürner in Erman, Art. 15 EGBGB Rz. 34, jeweils zu
Art. 15 EGBGB; Reithmann, DNotZ 1961, 3 (10) und DNotZ 1967, 232 (245 f.) jeweils m.w.N.
5 Vgl. OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17 WF 295/01, FamRZ 2002, 1032 zur Auskunftsverpflichtung
zum Zwecke der Vorbereitung der Vermögensauseinandersetzung nach kroatischem Recht; ebenso
zum Recht von Bosnien-Herzegowina OLG Frankfurt a.M. v. 2.10.1990 – 4 UF 4/90, NJW-RR
1991, 583; ferner BGH v. 17.9.1986 – IVb ZR 52/85, FamRZ 1986, 1200 (1202); KG v. 5.3.2007 –
16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564; OLG Stuttgart v. 1.3.2005 – 17 WF 15/05, FamRZ 2005, 1676;
OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (917 f.); Looschelders in Münch-
Komm, Art. 15 EGBGB Rz. 35; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 283 ff. m.w.N.
6 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384); OLG Stuttgart v. 28.11.2002 –
17 WF 129/02, FamRZ 2003, 1749; OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, FamRZ 1999, 298;
OLG Karlsruhe v. 22.9.1994 – 2 UF 147/93, FamRZ 1995, 738 (740); AG Nürtingen v. 19.9.2013 –
21 F 873/12, FamRZ 2014, 1295; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 67; a.A. (nur Anpassung
im ausländ. Sachrecht) Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 287.
7 AG Frankfurt a.M. v. 18.1.1991 – Hö 4a F 338/90, IPRspr. 1991 Nr. 80.

Hausmann | 807
§ 6 Rz. 6.854 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derjenige Ehegatte, dem ein gemeinschaftlicher Gegenstand zur Nutzung zugewiesen wird,
eine Nutzungsentschädigung zu entrichten hat1. Schließlich ist auch die Haftung eines Ehe-
gatten für Schulden des anderen güterrechtlich zu qualifizieren. Während dies nach der Eu-
GüVO uneingeschränkt gilt, erfasst Art. 15 EGBGB die Haftung im Außenverhältnis wie den
Regress im Innenverhältnis nur insoweit, als dieser vom jeweiligen Güterstand abhängt2.

b) Verfügung über eigenes Vermögen


6.855 Häufig tritt durch die Eheschließung eine Beschränkung in der Verfügungsmacht ein, ohne
dass das Alleineigentum der Ehegatten an den von ihnen eingebrachten oder während der
Ehe erworbenen Vermögensgegenständen in Frage gestellt wird. So bedurfte die Ehefrau im
früheren gesetzlichen deutschen Güterstand der Verwaltung und Nutznießung der Zustim-
mung des Mannes auch zu Verfügungen über das von ihr eingebrachte (und damit ihr gehö-
rende) Gut (§ 1395 BGB a.F.)3; Gleiches galt im früheren schweizerischen gesetzlichen Güter-
stand4.

6.856 Verfügungsbeschränkungen bringt aber auch der heutige gesetzliche Güterstand des deut-
schen BGB mit sich. In der Zugewinngemeinschaft bleiben die Vermögen von Mann und
Frau zwar getrennt (lediglich im Fall der Ehescheidung besteht ein Anspruch auf Ausglei-
chung des in der Ehe gemachten Zugewinns), kein Ehegatte kann aber ohne Zustimmung des
anderen über „Hausrat“ (§ 1369 BGB) oder sein „Vermögen im Ganzen“ (§ 1365 BGB) ver-
fügen. Diese Beschränkungen greifen nur ein, wenn deutsches Recht Güterstatut ist5.

c) Verfügungsbeschränkungen im Grundbuchverkehr
6.857 Das Verfahren vor einem deutschen Grundbuchamt richtet sich auch in Fällen mit Auslands-
berührung nach deutschem Recht als der lex fori6. Aus der Beteiligung von Ausländern und
der möglichen Geltung ausländischen Ehegüterrechts ergeben sich daher grundsätzlich keine
weitergehenden Prüfungspflichten des Grundbuchamts als bei Inlandssachverhalten7. Für die

1 Vgl. OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993 Nr. 59 (zur Verpflichtung eines ge-
schiedenen Ehegatten, der die im Gesamthandseigentum stehende Wohnung alleine nutzt, zur
Zahlung einer Entschädigung an den anderen Ehegatten kraft Güterrechts der Republik Bosnien-
Herzegowina).
2 BGH v. 18.3.1998 – XII ZR 251/96, FamRZ 1998, 905 (906); LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/
77, IPRspr. 1977 Nr. 65; Mankowski in Staudinger, Rz. 271; Looschelders in MünchKomm, Rz. 35;
Schurig in Soergel, Rz. 34, jeweils zu Art. 15 EGBGB m.w.N.
3 BayObLG v. 12.12.1952 – 1 Z 247/1952, JZ 1954, 441 m. Anm. Neuhaus.
4 Vgl. dazu BayObLG v. 6.10.1954 – BReg. 2 Z 116, 117/54, BayObLGZ 1954, 225.
5 LG Aachen v. 17.10.1961 – 7 T 413/61, FamRZ 1962, 385; Looschelders in MünchKomm, Rz. 35;
Stürner in Erman, Art. 15 EGBGB Rz. 34; Schurig in Soergel, Rz. 33; Mankowski in Staudinger,
Rz. 260 f., jeweils zu Art. 15 EGBGB. Vgl. auch BayObLG v. 28.1.1976 – BReg. 2 Z 68/75, FamRZ
1976, 222 (Bestimmung des anwendbaren Güterrechts auf die Ehe zwischen einem Österreicher
und einer Deutschen offen gelassen, da der Ehemann zur Eintragung einer Auflassungsvormer-
kung an seinem Grundstück nach beiden in Frage kommenden Rechten der Zustimmung seiner
Ehefrau nicht bedürfe).
6 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = DNotZ 1987, 98 f.; OLG Karls-
ruhe v. 4.11.1993 – 11 Wx 61/93, Rpfleger 1994, 248; Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff.; H. Roth,
IPRax 1991, 320 f.
7 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = DNotZ 1987, 98 f. und
Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff.

808 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.860 § 6

Frage, ob und in welchem Umfang das Grundbuchamt vor Eintragung einer Rechtsände-
rung Nachforschungen über das anzuwendende Güterrecht und sich daraus ergebende Be-
schränkungen anzustellen hat, wenn ein ausländischer Ehegatte über ein inländisches Grund-
stück verfügt, gilt danach Folgendes:

Besteht die Möglichkeit, dass das Eigentum des eingetragenen Ehegatten aufgrund auslän- 6.858
dischen Güterrechts oder infolge güterrechtlicher Vereinbarungen auf den anderen Ehegatten
übergegangen oder für diesen Gesamthands- oder Miteigentum begründet worden ist, so
streitet für den eingetragenen Eigentümer die Rechtsvermutung des § 891 BGB, die auch vom
Grundbuchamt zu beachten ist und die nur durch den vollen Nachweis der Unrichtigkeit des
Grundbuchs widerlegt werden kann1.

Unterliegt der eingetragene Ehegatte trotz seines Alleineigentums an dem inländischen 6.859
Grundstück nach ausländischem Güterrecht gewissen Verfügungsbeschränkungen, so
kommt es für den Umfang der vom Grundbuchamt vorzunehmenden Prüfung darauf an, ob
die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im In- oder Ausland haben. Hat auch nur einer
der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so steht ihnen – wie aus Art. 16
Abs. 1 EGBGB hervorgeht – das inländische Güterrechtsregister offen (dazu näher
Rz. 6.1030 ff.). Das Grundbuchamt darf daher, solange ihm nichts anderes bekannt ist, davon
ausgehen, dass keine weitergehenden Beschränkungen der Verfügungsmacht bestehen als
nach dem deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Das Vorliegen eines
hiervon abweichenden inländischen oder ausländischen Güterstandes haben die Ehegatten
durch ein Zeugnis des Registergerichts (§ 33 GBO) oder auf andere Weise in der Form des
§ 29 GBO nachzuweisen2.

Nur wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, kann das 6.860
Grundbuchamt nicht mehr darauf vertrauen, dass eine dem deutschen Recht entsprechende
Regelung der güterrechtlichen Verfügungsbefugnis gilt. Vielmehr hat es dann grundsätzlich
den Inhalt des maßgeblichen ausländischen Güterrechts selbst zu erforschen3. Da es sich bei
der Verfügungsbefugnis um eine Eintragungsvoraussetzung handelt, muss das Grundbuch-
amt – anders als im Fall des Grundstückserwerbs durch ausländische Ehegatten (vgl.
Rz. 6.862 ff.) – bereits dann mit Zwischenverfügung oder Zurückweisung reagieren, wenn auf-
grund konkreter Umstände berechtigte Zweifel bestehen (bleiben), ob der Veräußerer nach
dem anwendbaren ausländischen Güterrecht verfügungsbefugt ist(vgl. auch Rz. 21.85 ff.)4.
Dies gilt auch dann, wenn die Eintragung einer bloßen Auflassungsvormerkung beantragt
ist, weil auch die Bewilligung einer solchen Vormerkung eine Verfügung über das Grundstück
darstellt, deren materielle Wirksamkeit von der nach Güterrecht etwa erforderlichen Zustim-
mung des Ehegatten abhängt5.

1 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428; LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90, FamRZ 1990,
776 = IPRax 1991, 341 (m. Anm. H. Roth, IPRax 1991, 320) (Pflicht des Grundbuchamts zur Ein-
tragung der von einem im Grundbuch als Alleineigentümer eingetragenen italien. Staatsangehöri-
gen erklärten Auflassung, sofern dem Erwerber keine güterrechtlichen Beschränkungen des Ver-
äußerers bekannt waren).
2 KG v. 23.6.1932, HRR 1933 Nr. 205; LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90, FamRZ 1990, 776.
3 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570); OLG Köln v. 10.9.1971 – 2
Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; Deimann, BWNotZ 1979, 3 f.
4 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, DNotZ 1987, 98 ff.; OLG Saarbrücken v. 6.11.2019 – 5 W
59/19, NJW-RR 2020, 266 (Rz. 7 ff.) (Luxemburg); Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff. Vgl. auch
Rz. 21.88 f.
5 BayObLG v. 28.1.1976 – BReg 2 Z 68/75, FamRZ 1976, 222.

Hausmann | 809
§ 6 Rz. 6.861 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.861 Auch bei Anwendung ausländischen Güterrechts gilt für den inländischen Grundbuchverkehr al-
lerdings die tatsächliche Vermutung, dass der im Grundbuch als Eigentümer eingetragene Ehe-
gatte im gesetzlichen Güterstand lebt und dass er nach Maßgabe der für diesen Güterstand
grundsätzlich getroffenen Regelung zur Verfügung über sein Eigentum befugt ist1. Die Ver-
mutung erstreckt sich daher auch darauf, dass die Verfügungsbefugnis des eingetragenen Berech-
tigten nicht durch abweichende ehevertragliche Vereinbarungen eingeschränkt ist. Folgt also aus
dem ausländischen gesetzlichen Güterstand die Verfügungsbefugnis des eingetragenen Ehegatten,
so ist das Grundbuchamt weder berechtigt noch verpflichtet, den Nachweis dieser Befugnis zu
verlangen, es sei denn, dass konkrete Anhaltspunkte für eine abweichende Regelung bestehen2.
Auch aus der bloßen Möglichkeit, innerhalb des ausländischen gesetzlichen Güterstands ab-
weichende Vereinbarungen über die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu treffen, folgt
nichts anderes3. Bedarf der eingetragene Ehegatte hingegen zur Verfügung über ein inländi-
sches Grundstück nach dem ausländischen Güterrecht im gesetzlichen Güterstand (z.B. der
Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft) zwingend der Zustimmung des anderen Ehegat-
ten, so verweigert das Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung zu Recht, solange die allei-
nige Verfügungsbefugnis des veräußernden Ehegatten nicht nachgewiesen ist4.

3. Erwerbsbeschränkungen
6.862 Soll ein Ehegatte, gleich ob deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit, als Alleineigen-
tümer eines Grundstücks oder Rechts eingetragen werden, so wird das Grundbuch durch die
Eintragung unrichtig, wenn dieser Ehegatte aufgrund Güterrechts nicht Alleineigentum er-
werben kann, sondern das Grundstück in das Gesamthands- oder Miteigentum des Erwerbers
und seines Ehegatten fällt. Weil das Grundbuchamt nicht dazu mitwirken darf, das Grund-
buch unrichtig zu machen, ist ihm in diesem Fall die Eintragung verwehrt. Die Eintragung
darf allerdings nur abgelehnt werden, wenn für das Grundbuchamt aufgrund von Tatsachen
mit Sicherheit feststeht, dass das Grundbuch unrichtig würde. Bloße Zweifel genügen also
nicht und berechtigen das Grundbuchamt nicht zu Nachforschungen5. Dies gilt auch im Falle

1 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570).


2 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428 = FamRZ 1973, 307 (Ehefrau eines in Italien
lebenden italien. Staatsangehörigen veräußert Grundstück in Berlin. Verfügungsbefugnis nach
dem früheren italien. gesetzlichen Güterstand der Gütertrennung bejaht. Konkreten Nachweis,
dass keine abweichende vertragliche Regelung der güterrechtlichen Verfügungsbefugnis getroffen
worden sei, mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht verlangt); Mankowski in Staudinger,
Art. 15 EGBGB Rz. 401; Eickmann, Rpfleger 1983, 465 (473); Wolfsteiner, DNotZ 1987, 67.
3 Anders OLG Hamm v. 22.6.1965 – 15 W 294/64, DNotZ 1966, 236; OLG Köln v. 10.9.1971 – 2
Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; LG Aachen v. 24.11.1971 – 7 T 207/71, IPRspr. 1972 Nr. 53, wo
jeweils wegen des im niederländischen gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemein-
schaft eingeräumten Rechts, die Verfügungsbefugnis durch Vereinbarung abweichend zu regeln,
der Nachweis der Zustimmung des anderen Ehegatten zur Verfügung des niederländischen Ehe-
gatten über ein deutsches Grundstück in der Form des § 29 GBO gefordert wurde.
4 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570).
5 BayObLG v. 6.12.2000 – 2Z BR 5/00, NJW-RR 2001, 879 = BWNotZ 2001, 132 m. Anm. Böhringer;
OLG Düsseldorf v. 20.1.2010 – I-3 Wx 258/09, FGPrax 2010, 117; OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2
W 82/09, FamRZ 2010, 377; OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806
(807 f.); OLG Hamm v. 5.10.1995 – 15 W 199/95, NJW-RR 1996, 530 (531 f.); LG Duisburg v.
19.5.2003 – 7 T 65/03, RNotZ 2003, 396; Riering, MittBayNotV 2001, 222 (223); Mankowski in
Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 400 f.; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 33 GBO Rz. 28 f.; Andrae,
IntFamR, § 4 Rz. 285; vgl. aber auch BayObLG v. 28.8.1997 – 2 Z BR 96/97, FamRZ 1998, 433.

810 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.863 § 6

einer möglichen Unrichtigkeit kraft ausländischen Güterrechts beim Erwerb inländischer


Grundstücke durch ausländische Ehegatten1. Besteht nach dem anwendbaren Recht die nicht
nur theoretische Möglichkeit, dass ein Ehegatte Alleineigentum erwerben kann, hat das
Grundbuchamt die Eintragung daher vorzunehmen2. Eine Auflassungsvormerkung für einen
erwerbenden Ehegatten allein kann daher auch dann in das Grundbuch eingetragen werden,
wenn das Grundbuchamt weiß, dass das Grundstück in das eheliche Gesamtgut nach einem
ausländischen Güterstand fällt3. Dies gilt erst recht, wenn die Ehegatten zwar in einem auslän-
dischen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft leben, aber in Bezug auf das streitgegen-
ständliche, inländische Grundstück eine wirksame Wahl deutschen Güterrechts nach Art. 15
Abs. 2 Nr. 3 EGBGB getroffen haben4.

Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn Ehegatten beantragen, als Miteigentümer zu 6.863
gleichen Teilen eingetragen zu werden5. Die Eintragung von Bruchteilseigentum darf – und
muss – also nur dann abgelehnt werden, wenn durch diese das Grundbuch mit Sicherheit un-
richtig würde, weil die Ehegatten in einem ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft
leben6. Die Eintragung als Miteigentümer können sie dann nur erreichen, wenn sie eine gülti-
ge Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts nach Art. 22 EuGüVO treffen.

4. Anknüpfung des Güterrechts


Literatur: 1. EuGüVO: Andrae, Der sachliche Anwendungsbereich der Europäischen Güterrechtsver-
ordnung, IPRax 2018, 221; Bachmann, Die neuen Rom IV-Verordnungen – auf dem Weg zu einem
einheitlichen Güterkollisionsrecht für Ehegatten und eingetragene Partner (2016); Barrière Brousse,
Le patrimoine des couples internationaux dans l’espace judiciaire européen, Clunet 2017, 485; Burg-

1 BayObLG v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 (88) = NJW-RR 1992, 1235 = FamRZ
1992, 1204 (Auflassung eines deutschen Grundstücks an einen im Inland wohnhaften verheirate-
ten jugoslaw. Staatsangehörigen zu Alleineigentum. Der Umstand, dass nach dem Recht sämtli-
cher damaliger jugoslaw. Teilrepubliken gesetzlicher Güterstand die Errungenschaftsgemeinschaft
war, reichte für die Ablehnung des Antrags auf Eigentumsumschreibung nicht aus. Denn gemein-
schaftlich wird nach jugoslaw. Güterrecht nur dasjenige Vermögen, das während der Ehe durch
Arbeit erworben wurde. Ist daher nicht auszuschließen, dass der Kaufpreis aus vorehelichem, ge-
schenktem oder ererbtem Vermögen des Erwerbers bezahlt worden ist, kann nicht angenommen
werden, dass die Eintragung des Erwerbs zu Alleineigentum mit Sicherheit zur Unrichtigkeit des
Grundbuchs führt); OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 = NJW-RR
2000, 542 f. (Erwerb eines deutschen Grundstücks durch ein deutsch-niederländ. Ehepaar „in Gü-
tergemeinschaft nach niederländ. Recht“. Befugnis des Grundbuchamts, die Eintragung vom
Nachweis des Bestehens dieses Güterstandes abhängig zu machen, verneint, wenn der erste ge-
meinsame persönliche Aufenthalt der Ehegatten in den Niederlanden gelegen haben kann).
2 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = NJW-RR 1986, 893; BayObLG
v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 = NJW-RR 1992, 1235; OLG München v.
22.1.2013 – 34 Wx 413/12, FamRZ 2013, 1488 (1489).
3 OLG Nürnberg v. 2.7.2020 – 15 W 985/20, FGPrax 2020, 212.
4 Vgl. OLG Zweibrücken v. 20.2.2013 – 3 W 159/12, FamRZ 2013, 1487.
5 BayObLG v. 6.12.2000 – 2Z BR 5/00, NJW-RR 2001, 879 = MittBayNotV 2001, 221.
6 So bei Geltung des gesetzlichen niederländischen Güterstands, vgl. OLG München v. 16.2.2009 –
34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.); OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010,
377 = FGPrax 2010, 19; ebenso bei Geltung des gesetzlichen spanischen Güterstands, vgl. OLG
Düsseldorf v. 20.1.2010 – 3 Wx 258/09, FamRZ 2010, 1564; Riering, MittBayNotV 2001, 222 (223)
und bei Geltung des gesetzlichen italienischen Güterstands OLG München v. 25.6.2020 – 34 Wx
504/19, FamRZ 2020, 1470. Vgl. aber auch OLG Nürnberg v. 2.7.2020 – 15 W 985/20, FGPrax
2020, 212.

Hausmann | 811
§ 6 Rz. 6.863 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

haus, Die Vereinheitlichung des internationalen Ehegüterrechts in Europa (2010); Buschbaum/Simon,


Die Vorschläge der EU-Kommission zur Harmonisierung des Güterkollisionsrechts für Ehen und ein-
getragene Partnerschaften – eine erste kritische Analyse, GPR 2011, 262; Campbell, Ehevertrag mit
Auslandsberührung, NZFam 2020, 678; Coester-Waltjen, Neues aus dem Bereich des europäischen in-
ternationalen Ehegüterrechts, ZEuP 2012, 225; Dengel, Die europäische Vereinheitlichung des Interna-
tionalen Ehegüterrechts und des Internationalen Güterrechts eingetragener Partnerschaften (2014);
Dethloff, Güterrecht in Europa – Perspektiven für eine Angleichung auf kollisions- und materiell-
rechtlicher Ebene, FS von Hoffmann (2011), S. 73; Döbereiner, Das internationale Güterrecht nach
den Güterrechtsverordnungen, MittBayNot 2018, 405; Dutta, Das neue internationale Güterrecht der
Europäischen Union, FamRZ 2016, 1973; Dutta, Matrimonial Property Regimes in European Private
International Law, Yb. P.I.L. 2017/2018, 145; Dutta/Weber (Hrsg.), Die europäischen Güterrechtsver-
ordnungen (2017); Eßer, Die Beendigung ehelicher Güterstände mit Auslandsbezug in Deutschland
und Frankreich, 2016; Finger, Verstärkte Zusammenarbeit im internationalen Güterrecht für Eheleute
und registrierte Lebenspartner, FuR 2016, 640 und 693; Forschner, Statutenwechsel und Abwicklung
des Güterstands – Kubicka auch im Güterrecht?; DNotZ 2020, 381; Hausmann, Internationales und
europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Kap. 9; Hausmann, Internationales und Europäisches Fami-
lienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil B, Rz. 282-393; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfah-
rensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 9; Heiderhoff, Vorschläge zur Durch-
führung der EU-Güterrechtsverordnungen, IPRax 2017, 231; Heiderhoff, Die EU-Güterrechtsverord-
nungen, IPRax 2018, 1; Heiderhoff/Beißel, Die EU-Güterrechtsverodnungen als neueste Bausteine im
Europäischen Familienkollisionsrecht, Jura 2018, 253; Henrich, Auf dem Weg zu einem europäischen
internationalen Ehegüterrecht, FS Brudermüller (2014), S. 311; Henrich, Zur EU-Güterrechtsverord-
nung: Handlungsbedarf für die nationalen Gesetzgeber, ZfRV 2016, 171; Hilbig-Lugani, Parteiautono-
mie im Zusammenspiel des neuen Europäischen Kollisionsrechts, DNotZ 2017, 739; Joubert, La der-
nière pierre (provisoire?) à l’édifice du droit international privé européen en matière familiale – Les
règlements du 24 juin 2016 sur les régimes matrimoniaux et les effets patrimoniaux des partenariats
enregistrés, Rev. crit. d.i.p. 2017, 1; Kemper, Von FamG und EGBGB zu EuGüVO und EuPartVO –
Neuer Anwendungsbereich des Internationalen Güterrechts und neue internationale Zuständigkeit
für Güterrechtssachen, FamRB 2019, 72; Kroll-Ludwigs, Vereinheitlichung des Güterkollisionsrechts in
Europa – die EU-Güterrechts und EU-Partnerschaftsverordnung, GPR 2016, 231; Kroll-Ludwigs, Stär-
kung der Parteiautonomie durch die Europäischen Güterrechtsverordnungen, NZFam 2016, 1061; La-
garde, Règlements 2016/1103 et 1104 du 24 juin 2016 sur les régimes matrimoniaux et sur le régime
patrimonial de partenariats enregistrés, Riv. dir. Int. priv. proc. 2016, 676; Looschelders, Internationale
Zuständigkeit für die Auseinandersetzung von Miteigentum bei güterrechtlichem Bezug, IPRax 2018,
591; Martiny, Die Anknüpfung güterrechtlicher Angelegenheiten nach den Europäischen Güterrechts-
verordnungen, ZfPW 2017, 1; Meise, Rechtswahl in vorsorgenden Eheverträgen und Scheidungsfol-
genvereinbarungen, RNotZ 2016, 485 und 553; Naudin, Les nouveaux règlements européens en matiè-
re de régimes matrimoniaux et d’effets des partenariats enregistrés, Sem.jur. 2018, 28; Nourissat, Les
réglements européens en matière patrimoniale, Dr. fam. 2017, 36; Opris, Beurkundung von Eheverträ-
gen in der Schweiz nach der EuGüVO, NZFam 2020, 501; Péroz, Les lois applicables au régime primai-
re, Clunet 2017, 813; Rieck, Ehe- und Partnerschaftsverträge in Anwendung der EU-Verordnungen,
NJW 2016, 3755; Ring/Olsen-Ring, Das Kollisionsrecht nach den europäischen Güterrechtsverordnun-
gen, NotBZ 2018, 321; Rodríguez Rodrigo/Miller, Güterrechtsverordnung für europäische Ehegatten,
NZFam 2016, 165; Rupp, Die Verordnung zum europäischen internationalen Ehegüterrecht aus sa-
chenrechtlicher Perspektive, GPR 2016, 262; Viarengo/Franzina (eds.),The EU-Regulations on the
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gen: Eine erste Annäherung, DNotZ 2016, 659; Ziereis, Die neuen Europäischen Güterrechtsverord-
nungen, JuS 2018, 1040.
2. Autonomes deutsches IPR: Andrae, Internationales Privatrecht der ehelichen Vermögensbeziehun-
gen mit Berührung zu Polen, NotBZ 2001, 44 und 94; Andrae, Güterrechtsstatut ehemaliger jugosla-
wischer Staatsangehöriger, IPRax 2016, 578; Bosch, Die Durchbrechungen des Gesamtstatuts im inter-
nationalen Ehegüterrecht (2002); Derstadt, Der Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB bei Geltung
französischen Erbrechts, IPRax 2001, 84; Finger, Internationale Zuständigkeit und (versteckte) Rück-
verweisung – Folgen für das eheliche Güterrecht, FuR 2009, 181; Finger, Güterrechtliche Rechtsbezie-

812 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.863 § 6

hungen mit Auslandsbezug, FuR 2012, 10; Hausmann, Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten aus
Anlass der Scheidung im IPR: Zur Abgrenzung zwischen Vertragsstatut, Ehewirkungsstatut und Ehe-
güterstatut, FS Jayme (2004), S. 306; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2.
Aufl. 2018, Teil B, Rz. 408-596; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in
der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 9; Hohloch, Güterrechtliche Auseinandersetzung
einer deutsch-ausländischen Ehe, JuS 1993, 513; Kemp, Grenzen der Rechtswahl im internationalen
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nach Art. 15 Abs. 3 EGBGB, IPRax 2004, 399; Kowalczyk, Die Rückverweisung des türkischen IPR auf
das deutsche Güterrecht in Bezug auf das unbewegliche Vermögen, ZfRV 2016, 25; S. Lorenz, Das
intertemporale internationale Ehegüterrecht nach Art. 220 III EGBGB und die Folgen eines Statuten-
wechsels (1991); S. Lorenz, Gebrauchsvermögen, Ersparnisse und gesetzlicher Güterstand im deutsch-
österreichischen Verhältnis: Normenmangel oder renvoi kraft abweichender Qualifikation?, IPRax
1995, 47; Ludwig, Zur Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 EGBGB im Internationalen Ehegüterrecht bei
der Berechnung des Zugewinnausgleichs nach deutschem Recht, DNotZ 2000, 663; Makowsky, Die
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kowski, Ehegüterrechtliche Regelungen ausländischer Ehegatten über ein einzelnes Grundstück,
FamRZ 1994, 1957; Ney, Das Spannungsverhältnis zwischen dem Güter- und dem Erbstatut (Diss.
Frankfurt 1993); Pakuscher, Die Unwandelbarkeit des Ehegüterrechtsstatuts im Lichte der Reform des
IPR – Rechtsvergleichende Überlegungen ausgehend vom französischen, US-amerikanischen und
Schweizer Recht (Diss. München 1987); Rauscher, Auflassungsvormerkung für verheiratete Ausländer,
Rpfleger 1985, 52; Rauscher, Immobiliarzwangsvollstreckung bei fremdem Güterstand: Vollstre-
ckungstitel und Anteilspfändung, insb. bei jugoslawischem und italienischem Güterrecht, Rpfleger
1988, 89; Röll, Das Gesetz zur Neuregelung des IPR in der notariellen Praxis, MittBayNotV 1989, 1;
H. Roth, Grundbuchverfahren und ausländisches Güterrecht, IPRax 1991, 320; Schotten, Gestattet
Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB eine auf einen Gegenstand des unbeweglichen Vermögens beschränkte,
objektbezogene Rechtswahl?, DNotZ 1994, 556; Schotten, Die Konstituierung des neuen sowie die Be-
endigung und Abwicklung des alten Güterstands nach einer Rechtswahl, DNotZ 1999, 326; Siehr, Gü-
terrechts- und Erbstatut im deutsch-schweizerischen Rechtsverkehr, FS Geimer (2002), S. 1097; Siehr,
Vermögensstatut und Geldausgleich im IPR: gilt Art. 3 Abs. 3 EGBGB auch für den Pflichtteil, den
Zugewinnausgleich und den Versorgungsausgleich?, FS Hay (2005), S. 389; Siehr, International-privat-
rechtliche Probleme des Ehegüterrechts im Verhältnis zur Türkei, IPRax 2007, 353; Siehr, Wandelbar-
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Grundstücke, ZNotP 1999, 385; Süß, § 20 (Auslandsberührung), in Münch, Familienrecht in der No-
tar- und Gestaltungspraxis (2012); Wassermann, Die güterrechtlichen Beziehungen von Übersiedlern
aus der DDR, FamRZ 1990, 333; Weber, Erwerb von Grundstücken durch Ehegatten mit auslän-
dischem Güterstand, MittBayNot 2016, 482; Wegmann, Rechtswahlmöglichkeiten im internationalen
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licher Güterstand Italiens: Probleme des IPR und der Anwendung italienischer Sachnormen durch
deutsche Gerichte (1990); Garofalo, I rapporti patrimoniali tra coniugi nel diritto internazionale pri-

Hausmann | 813
§ 6 Rz. 6.863 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

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Das italienische IPR nach seiner Reform – Insbesondere zum Recht der Allgemeinen Ehewirkungen,
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rigkeit der spanischen Kollisionsnormen über die allgemeinen und güterrechtlichen Ehewirkungen,
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matrimoniaux dans les relations internationales, in: Verwilghen/Matieu (Hrsg.), Régimes matrimoni-
aux, successions et literalités dans les relations internationales et internes, 3 Bde. (Brüssel 2003); Weis-
haupt, Die vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten im brasilianischen Sach- und Kollisions-
recht (1981).

a) Einleitung
6.864 Bei Rechtsgeschäften mit verheirateten Personen ist deshalb besondere Vorsicht am Platze,
weil nicht nur die Bestimmungen fremder Güterstände häufig unbekannt sind, sondern auch
die Frage, welches Güterrecht Anwendung findet, häufig nur schwer zu beantworten ist. Zu-
sätzliche Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass das Güterrechtsstatut seit Geltung der eu-
ropäischen Güterrechtsverordnungen am 29.1.2019 in vor und nach diesem Stichtag geschlos-
senen Ehen unterschiedlich angeknüpft wird.

6.865 Die EU-Kommission hatte Verordnungsvorschläge zum internationalen Ehegüterrecht und


zum internationalen Güterrecht eingetragener Lebenspartner bereits zum 16.3.2011 vorgelegt.
Ziel dieser Vorschläge war die Bereitstellung eines klaren Rechtsrahmens für die internationale
Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Entschei-
dungen und Urkunden auf dem Gebiet der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehe-
gatten und eingetragenen Lebenspartnern. Denn die Rechtslage in Europa auf diesem Gebiet
war durch ein hohes Maß an Rechtszersplitterung gekennzeichnet und schränkte damit für
verheiratete und registrierte Paare die mit der Unionsbürgerschaft verbundene Freizügigkeit
ein1. Die Regelung des Güterrechts für eingetragene Lebenspartner stieß allerdings in mehre-
ren Mitgliedstaaten auf Widerstand. Die EU-Kommission war auf der anderen Seite nicht be-
reit, die europäische Regelung des internationalen Güterrechts auf Ehegatten zu beschränken.
Aus diesem Grunde scheiterten im Dezember 2015 die Verhandlungen über eine einheitliche
europäische Regelung auf der Grundlage der Verordnungsvorschläge vom März 2011.

6.866 Daraufhin haben die Bundesrepublik Deutschland sowie 17 weitere Mitgliedstaaten – nämlich
Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta,
die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik

1 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1435).

814 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.867 § 6

und Zypern an die EU-Kommission den Antrag auf Durchführung einer Verstärkten Zu-
sammenarbeit auf diesem Gebiet gestellt. Die EU-Kommission hat diesem Antrag entspro-
chen und hat am 2.3.2016 einen Vorschlag für eine Ratsentscheidung über die Genehmigung
der Verstärkten Zusammenarbeit der genannten Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Güter-
rechts von Ehegatten und registrierten Lebenspartnern verabschiedet. Zugleich hat sie über-
arbeitete und erweiterte Verordnungsvorschläge für das eheliche Güterrecht und das Güter-
recht eingetragener Lebenspartner vorgelegt. Der Rat hat die Ermächtigung zur Verstärkten
Zusammenarbeit mit Beschluss (EU) Nr. 2016/954 vom 9.6.20161 erteilt und die Vorschläge
der Kommission nach Billigung durch das Europäische Parlament mit nur geringfügigen Än-
derungen in die am 24.6.2016 verabschiedeten Verordnungen (EU) Nr. 2016/1103 zum inter-
nationalen Ehegüterrecht (EuGüVO) und (EU) Nr. 2016/1104 zum internationalen Güter-
recht eingetragener Lebenspartner (EuPartVO) übernommen. Beide Verordnungen fassen
nach dem Vorbild der EuErbVO die Regeln zum internationalen Verfahrensrecht und zum
Kollisionsrecht jeweils in einem Rechtsinstrument zusammen, um ein hohes Maß an Rechts-
sicherheit und Vorhersehbarkeit zu erreichen2. In den nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten
verbleibt es bis zu einem nach Art. 328 Abs. 1 AEUV jederzeit möglichen nachträglichen Bei-
tritt vorerst bei der Geltung des nationalen IPR und IZPR.

b) Allgemeines
aa) Anwendungsbereich der EuGüVO
(1) Persönlicher Anwendungsbereich
Die EuGüVO normiert ihren persönlichen Anwendungsbereich nicht ausdrücklich. Aus der 6.867
parallel verabschiedeten Verordnung zu den güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Part-
nerschaften (EuPartVO) ergibt sich jedoch, dass sie nur für Ehegatten, nicht für eingetragene
Lebenspartner gilt. Der Begriff der Ehe wird allerdings bewusst nicht definiert, sondern bleibt
dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten überlassen.3 Damit werden auch die güterrecht-
lichen Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Ehepartnern in denjenigen teilnehmen-
den Mitgliedstaaten erfasst, die – wie die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1.10.2017 –
das Rechtsinstitut der Ehe auf solche Paare ausgedehnt haben4. Dass solche Ehen im auto-
nomen Kollisionsrecht grundsätzlich wie eingetragene Lebenspartnerschaften angeknüpft
werden (Art. 17b Abs. 4 S. 1 EGBGB), vermag daran nichts zu ändern, weil das europäische
Recht nicht darauf abstellt, ob die Wirkungen der anerkannten gleichgeschlechtlichen Ehe im
nationalen IPR des Gerichtsstaates den Wirkungen einer heterosexuellen Ehe in jeder Hin-
sicht entsprechen. Demgemäß hat der deutsche Gesetzgeber die Anwendbarkeit der EuGüVO
auf gleichgeschlechtliche Ehen inzwischen in Art. 17b Abs. 4 S. 2 EGBGB ausdrücklich klar-
gestellt5. Demgegenüber sind teilnehmende Mitgliedstaaten, die – wie z.B. Kroatien – das
Rechtsinstitut der gleichgeschlechtlichen Ehe bisher nicht in ihr nationales Eherecht einge-
führt haben, nicht gezwungen, die Verordnung auf solche Ehen anzuwenden, sondern sind
berechtigt, insoweit die Parallelverordnung zum Güterrecht eingetragener Lebenspartner (Eu-
PartVO) heranzuziehen. Die Abgrenzung zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspart-
nern – und damit zwischen der EuGüVO und der EuPartVO – wird damit nicht autonom

1 ABl. EU 2016 Nr. L 159, 16.


2 Erwägungsgründe 15 und 16.
3 ErwG 17; Weber, DNotZ 2016, 659 (669); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975 f.).
4 Dethloff, FS von Hoffmann (2011), 73 (77).
5 Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 13 Rz. 115 ff.

Hausmann | 815
§ 6 Rz. 6.867 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vorgenommen, sondern bleibt Sache des nationalen Rechts der teilnehmenden Mitgliedstaa-
ten1. Maßgebend ist insoweit die Qualifikation nach der lex fori2.

(2) Sachlicher Anwendungsbereich


6.868 In sachlicher Hinsicht findet die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 auf „die ehelichen Gü-
terstände“ Anwendung. Dieser autonom auszulegende Begriff wird in Art. 3 lit. a dahin defi-
niert, dass er „die Gesamtheit der Regelungen betreffend die Vermögensbeziehungen zwischen
Ehegatten und in deren Verhältnis zu Dritten aufgrund der Ehe oder ihrer Auflösung“ um-
fasst. Diese Definition knüpft an die weite Auslegung des Begriffs der ehelichen Güterstände
in Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO durch den EuGH3 an. Gemeint ist daher nicht nur das
Ehegüterrecht im engeren Sinne, d.h. die in den Mitgliedstaaten vorgesehenen gesetzlichen
und vertraglichen Güterstände. Der europäische Begriff des Ehegüterrechts erstreckt sich viel-
mehr nach der Definition in Art. 3 lit. a EuGüVO auf „sämtliche vermögensrechtliche Rege-
lungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der
Ehe oder der Auflösung der Ehe gelten“, soweit sie nicht in Art. 1 Abs. 2 EuGüVO aus dem
Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden (ErwG 18). Mit Hilfe dieser wei-
ten Auslegung, die – wie gezeigt (Rz. 6.810) – auch das Recht der allgemeinen Ehewirkungen
(„régime primaire“) einbezieht, soweit vermögensrechtliche Aspekte der Ehe betroffen sind4,
sollen Qualifikationskonflikte im Grenzbereich zwischen der Rom III-VO, dem Haager Unter-
haltsprotokoll und der EuGüVO möglichst vermieden werden. Zu Einzelheiten s. Rz. 6.983 ff.

(3) Zeitlicher Anwendungsbereich


6.869 Von großer praktischer Bedeutung ist der zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung, weil
dieser auf dem Gebiet des Kollisionsrechts in Art. 69 Abs. 3 EuGüVO stark eingeschränkt wird.
Denn danach sind die Kollisionsnormen der Art. 20-35 EuGüVO auch ab Geltung der Verord-
nung nur auf solche Ehen anzuwenden, die an oder nach diesem Stichtag geschlossen wurden
oder werden. Damit verbleibt es also für die Beurteilung des Ehegüterrechts in allen vor dem
29.1.2019 geschlossenen Ehen aus deutscher Sicht auch nach diesem Stichtag bei der Geltung
der inzwischen aufgehobenen autonomen Kollisionsnormen in Art. 15, 16 und 220 Abs. 3
EGBGB5. Dies hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ausdrücklich
klargestellt. Eine Ausnahme gilt nur für Rechtswahlvereinbarungen, die zwischen den Partnern
einer solchen Altehe ab dem 29.1.2019 getroffen wurden oder werden; denn deren Voraussetzun-
gen und Wirkungen unterliegen dann den Art. 22 ff. EuGüVO. Durch diesen gespaltenen zeitli-
chen Anwendungsbereich der Verordnung wird die angestrebte Kohärenz von internationaler
Zuständigkeit und IPR auf dem Gebiet des Ehegüterrechts noch auf Jahrzehnte nicht erreicht6.

1 Andrae, IntFamR, § 10 Rz. 11.


2 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 15; Kohler/Pintens, FamRZ 2016, 1509 (1510); Weber, DNotZ 2016,
659 (669); Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 22; a.A. (Qualifikationsverweisung
auf das Recht des Registrierungsstaates) Dutta, FamRZ 2016, 1673 (1676); Martiny, ZfPW 2017, 1
(7); Erbarth, NZFam 2018, 249 (251).
3 EuGH v. 27.3.1979 – 143/78, ECLI:EU:C:1979:83 (de Cavel), Slg. 1979, 1055 Rz. 7; zu Einzelheiten
unalexKomm/Hausmann, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rz. 58 ff.
4 Martiny, ZfPW 2017, 1 (9); Péroz, Clunet 2017, 813 ff.; Erbarth, NZFam 2018, 249 (252). Zur Ab-
grenzung zwischen Ehewirkungs- und Ehegüterrechtsstatut unter Geltung der Verordnung näher
Rz. 6.810.
5 OLG München v. 25.6.2020 – 34 Wx 504/19, FamRZ 2020, 1470.
6 Magnus in NK BGB, Art. 1 EuGüVO Rz. 12.

816 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.872 § 6

bb) Ausgenommene Bereiche


Die EuGüVO beschränkt ihren sachlichen Anwendungsbereich in Art. 1 Abs. 2 durch eine 6.870
abschließende Aufzählung derjenigen Bereiche, die zwar einen Bezug zum ehelichen Güter-
recht haben, von ihrer Anwendung aber ausdrücklich ausgenommen sind (ErwG 19). Dabei
handelt es sich vor allem um Fragen, die bereits Gegenstand anderer Rechtsinstrumente des
Unionsrechts sind, wie die in der EuUntVO und im Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 ge-
regelten Unterhaltssachen (lit. c) und die von der EuErbVO abgedeckten Ansprüche des über-
lebenden Ehegatten auf eine Beteiligung am Nachlass des verstorbenen Partners (lit. d; vgl.
ErwG 22). Ausgenommen sind ferner Fragen der Geschäftsfähigkeit (lit. a), die Vorfrage der
Ehegültigkeit (lit. b), der Versorgungsausgleich (lit. f) und die Art der dinglichen Rechte an
Vermögen (lit. g). Gleiches gilt für die Voraussetzungen und Wirkungen der Eintragung von
Rechten an beweglichem und unbeweglichem Vermögen in ein Register (z.B. Grundbuch,
lit. h)1. Nicht mehr im Ausnahmekatalog enthalten sind hingegen die im Vorschlag vom
16.3.2011 (Art. 1 Abs. 3 lit. c) noch genannten Schenkungen und sonstigen unentgeltlichen
Zuwendungen zwischen Ehegatten unter Lebenden. Auch sie werden daher von der Verord-
nung erfasst, soweit sie ihren Grund in der Ehe oder deren Auflösung haben. Insoweit ver-
drängt die EuGüVO daher auf dem Gebiet des sog. Nebengüterrechts (ehebezogene Zuwen-
dungen, Ehegatteninnengesellschaft u.ä.; dazu Rz. 6.995 ff.) in ab dem 29.1.2019 geschlosse-
nen Ehen die Rom I-VO als lex specialis.2

c) Objektive Anknüpfung
aa) Ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen
(1) Allgemeines
In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen beansprucht das Kapitel III der EuGüVO zum an- 6.871
wendbaren Recht gemäß Art. 20 EuGüVO universelle Geltung, d.h. die Kollisionsnormen der
Verordnung sind in den an ihr teilnehmenden Mitgliedstaaten auch dann anzuwenden, wenn
sie auf das Recht von Staaten verweisen, die nicht der Europäischen Union angehören oder
die jedenfalls an der Verstärkten Zusammenarbeit auf dem Gebiet des internationalen Ehegü-
terrechts nicht teilnehmen (ErwG 44). Für die Anwendung des autonomen Kollisionsrechts
der teilnehmenden Mitgliedstaaten – in Deutschland also von Art. 15 EGBGB – bleibt daher
auf dem Gebiet der vermögensrechtlichen Wirkung von solchen Ehen kein Raum mehr. Aus
diesem Grund hat der deutsche Gesetzgeber Art. 15 EGBGB mit Wirkung von diesem Tag an
aufgehoben3. Da diese Vorschrift jedoch nach Art. 69 Abs. 3 EuGüVO zur Bestimmung des
anwendbaren Güterrechts für alle vor diesem Stichtag geschlossenen Ehen fortgilt, sofern die
Ehegatten danach keine Rechtswahl getroffen haben, wird das autonome deutsche Kollisions-
recht nachfolgend weiterhin dargestellt (Rz. 6.891 ff.).

Inhaltlich ruht die kollisionsrechtliche Regelung der EuGüVO zur objektiven Anknüpfung des 6.872
Ehegüterrechts im Wesentlichen auf vier Pfeilern: den Grundsätzen der Einheitlichkeit des
Güterstatuts (Art. 21), der Unwandelbarkeit des Güterstatuts (Art. 26 Abs. 1), dem Vorrang
der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Anknüpfung an die
gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Art. 26 Abs. 1 lit. a) und der Ausweichklausel
nach Art. 26 Abs. 3.

1 Näher zu diesem Ausnahmekatalog Hausmann, IntEuFamR B Rz. 295 ff.


2 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975); Martiny, ZfPW 2017, 1 (9).
3 Gesetz v. 17.12.2018, BGBl. I, S. 2573.

Hausmann | 817
§ 6 Rz. 6.873 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.873 Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Regelung im III. Kapitel der EuGüVO ist in Art. 21
das Prinzip der Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts, von dem es im Interesse der Rechts-
sicherheit keine Ausnahme gibt. Damit führt die Verordnung dieses Prinzip deutlich strenger
durch als das bisherige deutsche internationale Ehegüterrecht. Denn anerkannt wird weder
ein Vorrang des Einzelstatuts vor dem Güterrechtsstatut nach dem Vorbild des Art. 3a Abs. 2
EGBGB a.F. (Rz. 6.969 ff.) oder eine partielle Rückverweisung auf das Recht des Belegenheits-
staates (Rz. 6.911 ff.), noch wird den Ehegatten gestattet, für Grundstücke das Recht der jewei-
ligen Belegenheit zu wählen, wie dies bis zum 28.1.2019 nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB
noch zulässig war1. Nach der Verordnung unterliegt vielmehr das gesamte bewegliche und un-
bewegliche Vermögen der Ehegatten – ohne Rücksicht auf die Belegenheit der einzelnen Ver-
mögensgegenstände in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat – stets nur einem ein-
zigen Güterrecht, und zwar unabhängig davon, ob das Güterrechtsstatut objektiv oder durch
Rechtswahl bestimmt wird (ErwG 43).

6.874 Von besonderer Bedeutung ist schließlich, dass die EuGüVO – wie Art. 32 klarstellt – nur
Sachnormverweisungen ausspricht. Anders als im Rahmen der Bestimmung des Güterrechts-
statuts nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen (dazu
Rz. 6.905 ff.) werden also Rück- oder Weiterverweisung durch das zur Anwendung berufene
ausländische Recht nicht beachtet. Dies gilt – wie in den Verordnungen Rom I-III, aber abwei-
chend von der EuErbVO (Art. 34) –auch dann, wenn auf das Recht von Nichtmitgliedstaaten
verwiesen wird. Die Berufung auf den nationalen ordre public eines Mitgliedstaats bleibt
gem. Art. 31 auch im Geltungsbereich der Verordnung möglich. Gleiches gilt – wie nach Art. 9
Abs. 2 Rom I-VO und Art. 16 Rom II-VO – für die Anwendung von Eingriffsnormen der lex
fori; als solche kommen etwa Vorschriften zum Schutz der Ehewohnung in Betracht2.

(2) Anknüpfungsleiter, Art. 26 Abs. 1 EuGüVO


(a) Erster gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt
6.875 In Ermangelung einer Rechtswahl wird das Güterrechtsstatut nach Art. 26 EuGüVO im Inte-
resse der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts und unter Be-
rücksichtigung der tatsächlichen Lebensumstände der Ehegatten objektiv angeknüpft. Dabei
hat sich der europäische Gesetzgeber an der im deutschen internationalen Ehegüterrecht
(Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F.; dazu Rz. 6.893 ff.) maßgebenden Anknüp-
fungsleiter3 orientiert und hat – einer allgemeinen Tendenz im europäischen Kollisionsrecht
folgend – lediglich die Reihenfolge der ersten beiden Sprossen dieser Leiter umgedreht4. Da-
nach ist primär an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, hilfsweise an die ge-
meinsame Staatsangehörigkeit und wiederum hilfsweise an die engste Verbindung der Ehegat-
ten mit einer Rechtsordnung anzuknüpfen.

1 Thorn in Palandt, Rz. 1; Looschelders in MünchKomm, Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 2, je-
weils zu Art. 21 EuGüVO; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 323.
2 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1437).
3 Vgl. ErwG 49 S 1: „Rangfolge der Anknüpfungspunkte“; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 280
(„Kaskadenanknüpfung“); Looschelders, in: MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 1; Hausmann, In-
tEuFamR B Rz. 350.
4 Weber, DNotZ 2016, 695 (670); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Sieghörtner in NK BGB, Art. 21
EuGüVO Rz. 1.

818 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.878 § 6

Primär wird in Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO daher an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen 6.876
Aufenthalt1 der Ehegatten unmittelbar nach der Eheschließung angeknüpft. Dieser muss aller-
dings nicht schon – wie nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB – bei der Eheschließung bestanden ha-
ben; es reicht vielmehr aus, dass die Ehegatten erst nach der Eheschließung zusammenzie-
hen2. Allerdings darf der Zeitraum zwischen der Eheschließung und der Begründung des ge-
meinsamen gewöhnlichen Aufenthalts aus Gründen der Rechtssicherheit nur „kurz“ bemes-
sen sein (ErwG 49 S. 2). Denn nicht nur die Ehegatten selbst sollten möglichst bald wissen, ob
sie in einem Güterstand der Gütergemeinschaft oder der Gütertrennung leben; gleiches gilt
vielmehr auch für Ditte, die nach der Eheschließung mit den Ehegatten Geschäfte (z.B. einen
Wohnungskauf) abschließen.

Als Orientierungsmarke für die Begründung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts 6.877
wird ein Zeitraum von drei Monaten nach der Eheschließung vorgeschlagen3, der sich aber
aufgrund besonderer Umstände auch auf sechs bis acht Monate verlängern könne4. Maß-
gebend müssen jedoch stets die Umstände des konkreten Einzelfalls sein, wobei insbesondere
die schon bei Eheschließung bestehende Planung der Ehegatten zu berücksichtigen ist5. Dabei
reicht es aus, dass beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum maßgeblichen Zeit-
punkt im gleichen Staat haben; sie können also auch getrennt an verschiedenen Orten inner-
halb dieses Staates leben6. Wird der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zeitnah nach der
Eheschließung begründet, so wirkt das nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO bestimmte Güter-
rechtsstatut zur Vermeidung eines Statutenwechsels auf den Zeitpunkt der Eheschließung zu-
rück7; allerdings dürfen Rechte Dritter hierdurch – wie bei Anwendung der Ausweichklausel
nach Art. 26 Abs. 3 UAbs. 2 S. 3 EuGüVO – nicht beeinträchtigt werden.

Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mehrrechtsstaat, so kommt es 6.878
zur Bestimmung der auf das Güterrecht maßgeblichen Teilrechtsordnung gemäß Art. 33 Eu-
GüVO darauf an, ob dieser Mehrrechtsstaat – wie z.B. Spanien – über ein einheitliches inter-
lokales Privatrecht verfügt oder nicht. Im ersteren Fall bestimmen die interlokalen Kollisions-
normen dieses Staates die Gebietseinheit, deren güterrechtliche Vorschriften anzuwenden sind
(Abs. 1). Fehlt es – wie in den meisten Mehrrechtsstaaten (z.B. in Australien, Kanada oder
den USA) – an einem einheitlichen interlokalen Privatrecht, so ist nach Art. 33 Abs. 2 lit. a
EuGüVO diejenige Teilrechtsordnung maßgebend, in der die Ehegatten bei oder kurz nach
der Eheschließung ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Haben sie zu dieser

1 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts können insbesondere die weiteren EU-Rechtsintru-
mente auf dem Gebiet des internationalen Eherechts (Rom III-VO, Brüssel IIa-VO) Orientierung
bieten.
2 Martiny, IPRax 2011, 437 (450).
3 Weber, DNotZ 2016, 659 (672); Coester-Waltjen in Dutta/Weber, S. 45 (53); Sieghörtner in NK
BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; krit. aber von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 285 („nicht willkür-
frei“).
4 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5).
5 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5); Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (411); Ziereis, NZFam 2019,
237 (239 f.); Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 Eu-
GüVO Rz. 8. Der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt nach der Eheschließung ist aber auch
dann maßgebend, wenn er im Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht oder woanders geplant
war, vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 289.
6 Weber, DNotZ 2016, 659 (671); Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (232); Martiny, ZfPW 2017, 1 (22);
von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 288; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 4.
7 Weber, DNotZ 2016, 695 (672); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981 f.); Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5);
Hausmann, IntEuFamR B Rz. 351.

Hausmann | 819
§ 6 Rz. 6.878 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Zeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt (noch) in verschiedenen Teilstaaten, so hilft Art. 33 Abs. 2
lit. a EuGüVO nicht weiter. Damit scheitert die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalt nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO. Stattdessen ist auf die nächste Sprosse der
Anknüpfungsleiter zu springen und nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO auf die gemeinsame
(z.B. US-amerikanische) Staatsangehörigkeit abzustellen; die maßgebliche Teilrechtsordnung
ist dann mit Hilfe des Kriteriums der engsten Verbindung gemäß Art. 33 Abs. 2 lit. b EuGü-
VO zu ermitteln. Eine Rechtswahlmöglichkeit besteht diesbezüglich im internationalen Ehe-
güterrecht allerdings – anders als z.B. im internationalen Ehescheidungsrecht (Art. 14 lit. c
Rom III-VO) – nicht.

(b) Gemeinsame Staatsangehörigkeit


6.879 Kann ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt in einem Staat (bzw. in einem Teilstaat eines
Mehrrechtsstaates) kurz nach der Eheschließung nicht festgestellt werden, so ist nach Art. 26
Abs. 1 lit. b EuGüVO subsidiär auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten zur
Zeit der Eheschließung zurückzugreifen (vgl. ErwG 49 S. 2). Ob die Ehegatten eine gemein-
same Staatsangehörigkeit haben, kann zweifelhaft sein, wenn ein Ehegatte Doppel- oder
Mehrstaater ist oder beide Ehegatten neben einer gemeinsamen jeweils unterschiedliche wei-
tere Staatsangehörigkeiten besitzen. Die Behandlung dieser Fälle regelt die Verordnung nicht
selbst. Es handelt sich vielmehr um eine Vorfrage, die nicht in den Anwendungsbereich der
Verordnung fällt, sondern – unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Unions-
rechts – weiterhin nach nationalem Recht, zu beantworten ist (ErwG 50 S. 1). In Deutschland
ist also Art. 5 Abs 1. S. 1 EGBGB maßgebend; danach kommt es auf die gemeinsame effektive
Staatsangehörigkeit an1. Demgegenüber kann der Vorrang der deutschen vor einer (auch ef-
fektiven) ausländischen Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB in diesem Zusam-
menhang jedenfalls dann keine Anwendung finden, wenn die deutsche mit einer effektiven
Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats konkurriert, weil dies mit dem Diskrimi-
nierungsverbot des Art. 18 AEUV nicht vereinbar ist2. Jedoch hat die deutsche Staatsangehö-
rigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB auch im europäischen Kollisionsrecht nach der Recht-
sprechung des BGH3 Vorrang vor einer (auch effektiven) drittstaatlichen Staatsangehörigkeit,
soweit das europäische Kollisionsrecht – wie in Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO – die Behand-
lung von Mehrstaatern dem anwendbaren nationalen Kollisionsrecht überlässt.

6.880 Bei Staatenlosen und Flüchtlingen tritt eigentlich der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt
an die Stelle der Staatsangehörigkeitsanknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO. Da an
den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt aber nach lit. a bereits vorrangig anzuknüpfen ist,
muss in Ermangelung eines solchen bei Ehegatten, die staatenlos oder Flüchtlinge i.S.v. Art.
12 GFK sind, auf die engste Verbindung nach lit. c abgestellt werden4.

1 Coester-Waltjen in Dutta/Weber, S. 45 (53 f.); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Looschel-
ders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 12; a.A. (für Berücksichtigung auch einer gemein-
samen nicht-effektiven Staatsangehörigkeit) Martiny, ZfPW 2017, 1 (23); Heiderhoff, IPRax 2018,
1 (5 f.).
2 Weber, DNotZ 2016, 659 (672 f.); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 353; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 149;
Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 21.
3 BGH v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18, NJW 2020, 3592 Rz. 35 ff., 39 ff. m. Anm. Antomo = FamRZ
2020, 1811 m. Anm. Wall = NZFam 2020, 1009 m. Anm. Löhnig = JZ 2021, 254 m. Anm. Heider-
hoff (zu Art. 8 lit. c Rom III-VO); dazu näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 11 Rz. 41 f.
4 Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 3.

820 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.883 § 6

An die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten kann im Rahmen von Art. 26 Abs. 1 6.881
lit. b EuGüVO allerdings nach Abs. 2 nur dann angeknüpft werden, wenn die Ehegatten nur
eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen1. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich wiederum
als Vorfrage nach nationalem Kollisionsrecht, in Deutschland also nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB.
Haben die Ehegatten mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, so wird das Güterrecht-
statut gemäß Abs. 2 mit Hilfe der engsten gemeinsamen Verbindung nach Abs. 1 lit. c be-
stimmt, sofern nicht ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt nach Abs. 1 lit. a begründet
wurde2. Die engste Verbindung wird i.d.R. zu derjenigen gemeinsamen Staatsangehörigkeit
führen, die für beide Ehegatten effektiv ist. Die Vorschrift findet jedoch nur im Falle der ob-
jektiven Anknüpfung des Güterrechtsstatuts Anwendung; im Falle einer Rechtswahl nach
Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO gilt sie auch nicht entsprechend (ErwG 50 S. 2).

(c) Gemeinsame engste Verbindung


Fehlt es auch an einer gemeinsamen (effektiven) Staatsangehörigkeit der Ehegatten zur Zeit 6.882
der Eheschließung, so kommt auf der dritten Stufe der Anknüpfungsleiter nach Art. 26 Abs. 1
lit. c EuGüVO das Recht zur Anwendung, mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller
Umstände zum Zeitpunkt der Eheschließung gemeinsam am engsten verbunden sind3. In Be-
tracht kommt insbesondere eine gemeinsame nicht effektive Staatsangehörigkeit4. Außerdem
wird man zur Auslegung der engsten Verbindung die bisherige deutsche Rechtsprechung und
Literatur zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. in gewissem Umfang entsprechend heranziehen
können, so dass die gemeinsame Herkunft, Religion, Kultur und Sprache sowie die gemein-
samen Zukunftspläne der Ehegatten zu berücksichtigen sind (dazu Rz. 6.818 f.)5.

(3) Ausweichklausel, Art. 26 Abs. 3 EuGüVO


(a) Recht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten
Neu in die Verordnung aufgenommen wurde in Art. 26 Abs. 3 schließlich eine Ausweichklau- 6.883
sel6 (ErwG 51), durch die der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterstatuts eingeschränkt
wird. Nach UAbs. 1 kann das Gericht ausnahmsweise auf Antrag eines Ehegatten – also nicht
von Amts wegen7 – von der Primäranknüpfung an das Recht des ersten gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten (kurz) nach der Eheschließung (Abs. 1 lit. a) zugunsten
des Rechts des Staates absehen, in dem die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalt8 hatten, sofern

1 Zu der im EU-Kollisionsrecht ungewöhnlichen Regelung vgl. näher von Bar/Mankowski, Bd. II § 4


Rz. 298 f.
2 Der Hinweis auf lit. a geht freilich ins Leere, weil lit. b überhaupt nur anwendbar ist, wenn die
Voraussetzungen nach lit. a nicht vorliegen, vgl. Martiny, ZfPW 2017, 1 (22); Thorn in Palandt,
Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 11.
3 Dazu Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (237); Martiny, ZfPW 2017, 1 (23).
4 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 354.
5 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (412); Thorn in Palandt, Rz. 4; Looschelders in MünchKomm,
Rz. 14 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 24, jeweils zu Art. 26 EuGüVO. Dazu Rz. 6.818 f. sowie das
Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 30.
6 Ausf. dazu von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 301 ff.
7 Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Looschelders in MünchKomm Art. 26 EuGüVO Rz. 20.
8 Gemeint ist der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt vor Stellung des Antrags nach Art. 26
Abs. 3 EuGüVO, vgl. Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 9.

Hausmann | 821
§ 6 Rz. 6.883 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

– dieser erheblich länger gewährt hat als der erste gewöhnliche Aufenthalt nach der Ehe-
schließung in einem anderen Staat (lit. a)1, und
– beide Ehegatten bei der Regelung oder Planung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen
auf die Geltung dieses Rechts am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vertraut
haben (lit. b)2.

6.884 Beweispflichtig für diese Voraussetzungen einer Anwendung der Ausweichklausel ist derjeni-
ge Ehegatte, der sich auf diese beruft3.

6.885 Fehlt es an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten kurz nach der Ehe-
schließung und wird das Güterrechtsstatut daher durch die gemeinsame Staatsangehörigkeit
der Ehegatten nach Abs. 1 lit. b oder die sonstige engste Verbindung nach Abs. 1 lit. c be-
stimmt, so findet die Ausweichklausel nach Art. 26 Abs. 3 EuGüVO hingegen keine Anwen-
dung4. Ferner kann auch auf einen sehr langen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, den
die Ehegatten in einem anderen Land als dem ihres ersten gemeinsamen gewöhnlichen Auf-
enthalts genommen hatten, dann nicht abgestellt werden, wenn dies nicht der letzte gemein-
same gewöhnliche Aufenthalt war (z.B. weil die Ehegatten danach noch einmal einen – wenn
auch nur kurzen – gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem dritten Land begründet
hatten5. Die Anwendung der Ausweichklausel setzt hingegen nicht voraus, dass der letzte ge-
meinsame gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch be-
steht6. Sind die Voraussetzungen nach UAbs. 1 lit. a und lit. b erfüllt, so hat das Gericht dem
Antrag stattzugeben; ein Ermessen wird ihm diesbezüglich nicht eingeräumt7.

(b) Rückwirkung
6.886 Das Recht am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten gilt nach Art. 26
Abs. 3 UAbs. 2 EuGüVO grundsätzlich rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Eheschließung.
Dies hat zur Folge, dass die unter dem Recht des ersten gewöhnlichen Aufenthalts eingetrete-
nen güterrechtlichen Wirkungen unter das rückwirkend geltende neue Güterrecht subsumiert
werden müssen. Nur wenn ein Ehegatte – also nicht notwendig der Antragsgegner8 – dieser

1 Maßgebend dafür ist die Relation der Zeiträume des ersten zu dem späteren gewöhnlichen Auf-
enthalt. Je länger der erste gewöhnliche Aufenthalt gewährt hat, umso größer muss der absolute
Unterschied beider Zeiträume sein, vgl. Döbereiner, MittBayNot V2011, 405 (411); Kemper,
FamRB 2019, 72; Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 6; Thorn in Palandt, Rz. 5; Looschelders
in MünchKomm, Rz. 19, jeweils zu Art. 26 EuGüVO.
2 Dieses Vertrauen wird insbesondere gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die
Ehegatten gemeinsam von der Geltung des Rechts an ihrem letzten gewöhnlichen Aufenthalt aus-
gegangen sind; insoweit kann auch die deutsche Rechtsprechung zu Art. 220 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB
Hilfestellung bieten.
3 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 305.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (674); Kemper, FamRB 2019, 68 (71); Coester-Waltjen in Dutta/Weber
S. 45 (55); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 356; Sieghörtner in NK BGB Art. 26 EuGüVO Rz. 8; Loo-
schelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; krit. dazu Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6).
5 Coester-Waltjen in Dutta/Weber S. 45 (56); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Looschelders
in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; auch dazu krit. Heiderhoff (vorige Fn.)
6 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 152.
7 Weber, DNotZ 2016, 659 (676); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 13; Looschelders in
MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 24.
8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 17; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO
Rz. 26.

822 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.888 § 6

Rückwirkung widerspricht, ist dieses Recht erst von der Begründung des letzten gemeinsamen
gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat an maßgebend. In diesem Fall tritt also
mit der Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ein Statutenwechsel
und eine daraus folgende Änderung des Güterstands ein. Der frühere Güterstand ist zum
Stichtag nach dem für ihn geltenden Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts
abzuwickeln1.

(c) Schranken
Die Anwendung der Ausweichklausel darf die Rechte gutgläubiger Dritter nicht beeinträch- 6.887
tigen (Art. 26 Abs. 3 UAbs. 3): Darauf, ob der Dritte auf die Geltung des Rechts am ersten
gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung (Abs. 1 lit. a) vertraut hat,
kommt es – anders als nach Art. 28 EuGüVO – nicht an2. Außerdem kann die Ausweichklau-
sel dann nicht angewandt werden, wenn die Ehegatten schon vor der Begründung des letzten
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat eine Vereinbarung über
den ehelichen Güterstand abgeschlossen hatten (Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4); das Vertrauen in
den Bestand dieser Vereinbarung soll durch eine Anwendung der Ausweichklausel nicht zer-
stört werden können. Auf die Frage, wie lange vor der Begründung des letzten gemeinsamen
gewöhnlichen Aufenthalts die Ehegatten den Ehevertrag geschlossen hatten, kommt es nicht
an; dieser muss insbesondere nicht bereits zur Zeit des ersten gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalts abgeschlossen worden sein3. Die Ausweichklausel wird allerdings nur durch einen
materiell wirksamen und nach Art. 25 EuGüVO formgültigen Ehevertrag ausgeschlossen4.
Die materielle Wirksamkeit beurteilt sich nach dem Recht des ersten gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalts der Ehegatten bzw. nach dem von ihnen gemäß Art. 22 EuGüVO im Ehever-
trag gewählten Recht. Die praktische Bedeutung von Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4 EuGüVO ist zwar
begrenzt5; immerhin kann der Abschluss eines Ehevertrags in der Praxis helfen, die durch die
Ausweichklausel in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO geschaffene erhebliche Rechtsunsicherheit zu be-
seitigen6.

Maßgebender Zeitpunkt für die Anknüpfungen nach Art. 26 Abs. 1 lit. b (gemeinsame Staats- 6.888
angehörigkeit) und lit. c (gemeinsame engste Verbindung) ist im Interesse der Sicherheit des
Rechtsverkehrs der Zeitpunkt der Eheschließung. Demgegenüber kommt es für die Anknüp-
fung nach Abs. 1 lit. a auf den Staat an, in dem die Ehegatten (kurz) nach der Eheschließung
ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Eine spätere Verlegung
des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder ein Wechsel der Staatsangehörigkeit der
Ehegatten ist auf das nach der Verordnung bestimmte Güterrechtsstatut ohne Einfluss
(Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts; vgl. ErwG 46 S. 1)7. Auf diese Wei-

1 Kemper, FamRB 2019, 72 (73); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 17.
2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO
Rz. 27.
3 Weber, DNotZ 2016, 659 (675); Hausmann, IntEuFamR Rz. 359; Looschelders in MünchKomm,
Art. 26 EuGüVO Rz. 22.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (676); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 15.
5 Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 23; krit. zur engen Fassung von Abs. 3 UAbs. 4
auch Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6); Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 9.
6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 319.
7 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 360; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 279; Looschelders in Münch-
Komm, Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 25. Vgl. auch das
Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 37.

Hausmann | 823
§ 6 Rz. 6.888 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

se soll insbesondere Rechssicherheit gewährleistet werden, dh die Ehegatten sollen nicht da-
durch überrascht werden, dass zB ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts während der
Ehe automatisch zu einer Änderung des anwendbaren Güterrechts führt; außerdem sollen
wohlerworbene Rechte der Ehegatten erhalten bleiben1. Dabei wird freilich in Kauf genom-
men, dass die Ehegatten dem Recht eines Staates unterworfen werden, zu dem sie zur Zeit der
gerichtlichen Entscheidung – z.B. über die güterrechtliche Auseinandersetzung anlässlich ei-
ner Ehescheidung – keinen Bezug mehr haben.

6.889 Wenn Ehegatten eine Anpassung ihrer güterrechtlichen Verhältnisse an das neue Lebens-
umfeld wünschen, müssen sie ihren diesbezüglichen Willen grundsätzlich ausdrücklich be-
kunden. Hierfür steht ihnen die Möglichkeit einer nachträglichen Rechtswahl nach Art. 22
EuGüVO offen. Eine solche erst während der Ehe getroffene Rechtswahl wirkt grundsätzlich
nur ex nunc, soweit die Ehegatten nicht ausdrücklich eine Rückwirkung vereinbaren, Art. 22
Abs. 2 (ErwG 46 S. 2; dazu Rz. 6.963 ff.). Durch die Vereinbarung einer Rückwirkung werden
jedoch die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen der Ehegatten und Rechte Dritter nicht be-
einträchtigt, Art. 22 Abs. 3 EuGüVO.

6.890 Der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts wird ferner auch durch die Aus-
weichklausel des Art. 26 Abs. 3 EuGüVO deutlich eingeschränkt2. Denn danach kann unter
den Voraussetzungen von UAbs. 1 lit. a und lit. b anstelle des ersten gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalts der Ehegatten nach der Eheschließung deren letzter gemeinsamer gewöhnli-
cher Aufenthalt als maßgebend für die Bestimmung des Güterrechtsstatuts zugrunde gelegt
werden. Die Vorschrift dürfte eine Konzession an diejenigen Mitgliedstaaten sein, die in ihrem
nationalen Kollisionsrecht bisher vom Grundsatz der Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts
ausgegangen sind. Es ist daher zu erwarten, dass von der Ausweichklausel in diesen Staaten
vermehrt Gebrauch gemacht werden wird. Wollen Ehegatten dies vermeiden, so ist ihnen
zum rechtzeitigen Abschluss eines Ehevertrags nach Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4 EuGüVO oder zu
einer Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO zu raten.

bb) Vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen


(1) Allgemeines
6.891 In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen unterliegt das eheliche Güterrecht auch in den an
der EuGüVO teilnehmenden Mitgliedstaaten weiterhin dem jeweiligen autonomen Kollisions-
recht, wenn die Ehegatten nach diesem Stichtag keine Rechtswahl getroffen haben, Art. 69
Abs. 3 EuGüVO. Wegen der großen Zahl von Ehen, in denen das auf die güterrechtlichen Be-
ziehungen anwendbare Recht noch auf Jahrzehnte durch das autonome IPR bestimmt wird,
ist dieses im Rahmen dieses Handbuchs weiter darzustellen. Aus deutscher Sicht gilt daher für
diese Altehen weiterhin der inzwischen aufgehobene Art. 15 Abs. 1 EGBGB3. Maßgebend ist
danach in Ermangelung einer Rechtswahl grundsätzlich das nach Art. 14 EGBGB a.F. für die
allgemeinen Ehewirkungen bei der Eingehung der Ehe maßgebende Recht. Wegen dieser Fi-
xierung der Anknüpfung auf den Zeitpunkt der Eheschließung (Unwandelbarkeit; dazu

1 Vgl. zu Art. 15 EGBGB OLG Oldenburg v. 18.12.1984 – 5 W 70/84, Rpfleger 1985, 188; Schurig in
Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 28.
2 Weber, DNotZ 2016, 659 (674); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Sieghörtner in NK BGB,
Art. 26 EuGüVO Rz. 7.
3 Vgl. Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB; ferner OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ
2020, 1569.

824 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.894 § 6

Rz. 6.898 f.) finden weder Art. 14 EGBGB n.F. noch die vergangenheitsbezogenen Stufen der
Anknüpfungsleiter in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EGBGB a.F. Anwendung. Die güterrecht-
lichen Beziehungen unterliegen ferner grundsätzlich nur einer einzigen Rechtsordnung, ohne
dass es insoweit auf die Belegenheit der einzelnen Vermögensgegenstände ankommt (Einheit-
lichkeit des Güterrechtsstatuts; dazu Rz. 6.893). Zu beachten ist weiterhin, dass Art. 15 Abs. 1
EGBGB – anders als Art. 26 EuGüVO – eine Gesamtverweisung ausspricht. Somit ist eine
Rück-oder Weiterverweisung durch das zur Anwendung berufene ausländische Recht nach
Art. 4 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten (zu Einzelheiten Rz. 6.905 ff.).

Art. 15 Abs. 1 EGBGB unterstellt die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe im Interesse einer 6.892
einheitlichen Anknüpfung sämtlicher Familienbeziehungen dem von der Grundsatzkollisions-
norm des Art. 14 EGBGB berufenen Recht. Dieser Gleichlauf gilt auch, soweit das Ehewir-
kungsstatut nach Art. 14 Abs. 2 und 3 EGBGB von den Ehegatten vor der Eheschließung
durch Rechtswahl bestimmt worden ist1. Zusätzlich ermöglicht Art. 15 Abs. 2 EGBGB den
Ehegatten eine auf ihre güterrechtlichen Beziehungen beschränkte Rechtswahl. Im Verhältnis
zum Iran wird Art. 15 EGBGB durch das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen von
1929 verdrängt (dazu Rz. 6.976 f.).

(2) Ehewirkungsstatut bei Eheschließung, Art. 15 Abs. 1 EGBGB


(a) Gemeinsames Heimatrecht
Das eheliche Güterrecht unterliegt nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich dem für die all- 6.893
gemeinen Ehewirkungen bei der Eingehung der Ehe maßgebenden Recht. Wegen dieser Fixie-
rung auf den Zeitpunkt der Eheschließung (Unwandelbarkeit, dazu Rz. 6.898 f.) können die
vergangenheitsbezogenen Stufen der Anknüpfungsleiter in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2
EGBGB a.F. (letzte gemeinsame Staatsangehörigkeit und letzter gemeinsamer gewöhnlicher
Aufenthalt) nicht eingreifen. Die güterrechtlichen Beziehungen unterliegen grundsätzlich nur
einer einzigen Rechtsordnung, unabhängig von der Belegenheit der einzelnen Vermögens-
gegenstände (Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts)2; Ausnahmen können sich lediglich aus
dem Vorrang des Einzelstatuts (Art. 3a Abs. 2 EGBGB) und der Beachtung eines Teil-Renvoi
ergeben (dazu näher Rz. 6.969 ff., Rz. 6.911 ff.)

Das eheliche Güterrecht ist mithin in erster Linie nach dem gemeinsamen Heimatrecht der 6.894
Ehegatten zur Zeit der Eheschließung zu beurteilen (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1
EGBGB a.F.)3. Bei Mehrstaatern ist dabei nur die nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB maßgebliche (effek-
tive ausländische bzw. deutsche) Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen4. Dabei sollte es für eine
Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. ausreichen, wenn die
Eheleute erst durch die Heirat eine gemeinsame effektive (oder gemeinsam die deutsche) Staats-

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 79 ff. Eine erst nach der Eheschließung getrof-
fene Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 oder 3 EGBGB a.F. wirkte sich hingegen güterrechtlich nicht
aus.
2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz.106; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 410.
3 OLG München v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1186 (1187, Rz. 13); OLG Zweibrücken
v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185 f. (Rz. 7); OLG Hamm v. 27.1.2010 – II-2 WF
259/09, FamRZ 2010, 1563 (1565); Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 70 ff.
m.w.N.
4 OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14, FamRZ 2015, 1617 (1618); AG Berlin Pankow/Weißensee
v. 11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501 (1503); Henrich, FamRZ 1986, 845 f.; Sieghörtner
in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 10; Looschelders, in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 72 ff.

Hausmann | 825
§ 6 Rz. 6.894 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

angehörigkeit erworben haben1. Bei Staatenlosen oder Flüchtlingen ist anstelle der Staatsange-
hörigkeit ihr durch den persönlichen Aufenthalt bestimmtes Personalstatut maßgebend (vgl.
Art. 5 Abs. 2 EGBGB; dazu Rz. 6.1063).2 Gehören die Ehegatten einem Mehrrechtsstaat an, so
ist die maßgebende Teilrechtsordnung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB zu ermitteln3.

(b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt


6.895 Besaßen die Ehegatten bei ihrer Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit i.S.v.
Art. 5 Abs. 1 EGBGB, so kommt in zweiter Linie das Güterrecht des Staates zur Anwendung,
in dem beide Ehegatten zur Zeit der Heirat ihren gewöhnlichen Aufenthalt, d.h. ihren „Da-
seinsmittelpunkt4, hatten (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F.)5. Der Begriff
des gewöhnlichen Aufenthalts ist dabei in Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB ebenso zu verstehen
wie in Art. 5 EGBGB6. Der gewöhnliche Aufenthalt muss nur im gleichen Staat, nicht am glei-
chen Ort innerhalb dieses Staates bestehen7. Ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufent-
halt bleibt hingegen ebenso außer Betracht wie ein erst nach der Eheschließung begründeter
gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt in einem Staat8.

(c) Andere gemeinsame engste Verbindung


6.896 Fehlte es zur Zeit der Eheschließung auch an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt
der Ehegatten, so beurteilen sich ihre güterrechtlichen Verhältnisse in dritter Linie nach dem
Recht des Staates, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt auf andere Weise gemeinsam am engsten
verbunden waren (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.). Dabei sind sämtliche
Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Außer den in Rz. 6.818 f. genannten Kriterien
kommt vor allem dem Ort der Eheschließung, sofern er nicht ganz zufällig gewählt ist, und
den objektiv feststellbaren gemeinsamen Zukunftsplänen der Ehegatten (insbesondere der bei
der Eheschließung bereits beabsichtigten Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Auf-
enthaltes in einem bestimmten Staat nach der Eheschließung) wesentliche Bedeutung zu9. Auf

1 OLG Karlsruhe v. 29.8.1983 – 4 W 43/83NJW 1984, 570 (571); OLG Düsseldorf v. 23.12.1983 – 3
W 170/83, IPRax 1984, 156; Jayme, IPRax 1987, 95 ff.; Schurig, JZ 1985, 559 (561); Schurig in
Soergel Art. 15 EGBGB Rz. 5; ausf. Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 53; a.A. OLG
Zweibrücken v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185; BayObLG v. 16.1.1986 – BReg 2 Z
38/84, IPRax 1986, 379 (381); KG v. 13.2.1986 – 16 UF 3009/85, IPRax 1987, 117 (119 f.); AG
Berlin-Pankow v. 11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501; Mankowski in Staudinger, Rz. 32 ff.;
Sieghörtner in NK BGB, Rz. 12; Looschelders in MünchKomm, Rz. 75, jeweils zu Art. 15 EGBGB.
2 Vgl. BGH v. 27.8.2003 – XII ZR 300/01, NJW 2003, 3339 (Asylberechtigte).
3 OLG Düsseldorf v. 20.12.1994 – 1 UF 76/94, FamRZ 1995, 1203 (ehemaliges Jugoslawien).
4 Zum – lege fori zu qualifizierenden – Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ näher Henrich,
FamRZ 1986, 846; Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 10 f.
5 BGH v. 13.7.2011 – XII ZR 48/09, FamRZ 2011, 1495 (1496) m. Anm. Wachter = IPRax 2012, 356
(m. Anm. Helms, IPRax 2012, 324); OLG München v. 26.7.2005 – 4 UF 433/04, IPRspr. 2005
Nr. 46; OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ 2002, 459; OLG Düsseldorf v. 3.11.1999
– 3 Wx 343/99, NJW-RR 2000, 542 (544).
6 OLG Frankfurt a.M. v. 14.9.2020 – 21 W 59/20, BeckRS 2020, 27072 (Rz. 74) = FamRZ 2021, 234.
7 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 415.
8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 13.
9 BT-Drucks. 10/3632, S. 41; BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638; OLG Köln v.
15.4.2015 – 4 WF 169/14, FamRZ 2015, 1617 (1618); KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ
2007, 1561 (1562); OLG Hamburg v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02, FamRZ 2004, 459; Looschelders in
MünchKomm, Rz. 76; Schurig in Soergel, Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 37 f.; Mörsdorf in
BeckOK BGB, Rz. 56, jeweils zu Art. 15 EGBGB.

826 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.898 § 6

die Verwirklichung dieser Pläne kommt es im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.
nicht entscheidend an1. Lässt sich auch eine gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten zu
einem Staat nicht feststellen, so bleibt als Ausweg nur die Anknüpfung an den Eheschließungs-
ort2.

(d) Mittelbare Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 oder Abs. 3 EGBGB a.F.
Haben die Ehegatten bereits vor oder bei der Heirat3 das Ehewirkungsstatut nach Maßgabe 6.897
des Art. 14 Abs. 2 oder Abs. 3 EGBGB a.F. wirksam gewählt, so ist diese Rechtswahl über
Art. 15 Abs. 1 EGBGB mittelbar auch für das Güterrechtsstatut maßgebend. Sie hat dann Vor-
rang vor der gesetzlichen Anknüpfung gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F.,
konnte jedoch ihrerseits durch eine in weiterem Umfang mögliche güterrechtliche Rechtswahl
nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB abgeändert werden. Während die Wirkungen der Rechtswahl für
die allgemeinen Ehewirkungen nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 EGBGB a.F. endeten, wenn die Ehe-
gatten eine gemeinsame Staatsangehörigkeit erwarben, gilt dies nicht für die güterrechtlichen
Wirkungen einer solchen Rechtswahl, die wegen des Grundsatzes der Unwandelbarkeit des
Güterrechtsstatuts auch in diesem Fall bestehen bleiben4.

(3) Unwandelbarkeit
(a) Grundsatz
Wie Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (dazu Rz. 6.888) stellt auch Art. 15 Abs. 1 EGBGB für die objek- 6.898
tive Bestimmung des Güterrechtsstatuts auf die Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung ab;
maßgebend ist und bleibt das in diesem Zeitpunkt zur Anwendung berufene Ehewirkungssta-
tut. Eine spätere Veränderung der für die Anknüpfung nach Art. 14 EGBGB a.F. maßgeben-
den Verhältnisse – z.B. ein Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsel oder eine spätere
Rechtswahl gemäß Art. 14 Abs. 2, 3 EGBGB a.F. – ist auf die gesetzliche Anknüpfung des Gü-
terrechtsstatuts ohne Einfluss5; dieses ist – vorbehaltlich einer nachträglichen güterrechtlichen
Rechtswahl gemäß Art. 15 Abs. 2 EGBGB bzw. Art. 22 f. EuGüVO (dazu Rz. 6.927 ff.) – un-
wandelbar, gilt also für die ganze Zeit des Bestehens der Ehe6.

1 OLG Düsseldorf v. 26.6.2018 – I-3 Wx 214/16, FamRZ 2018, 1783 (1785) m. Anm. Looschelders;
Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 15; a.A. Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 12.
2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 16; a.A. (Grundsatz des schwächeren Rechts) Schurig
in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 13; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 57.
3 Eine spätere Wahl des Ehewirkungsstatuts war wegen des Grundsatzes der Unwandelbarkeit auf
das Güterrechtsstatut ohne Einfluss; vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 79; Sieg-
hörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 18.
4 Kühne, IPRax 1987, 69 (73); Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 15; Henrich in Johannsen/
Henrich, Art. 15 EGBGB Rz. 9.
5 BT-Drs. 10/504, 58.
6 OLG Nürnberg v. 28.9.2016 – 7 UF 1142/15, FamRZ 2017, 698 (700); OLG Zweibrücken v.
30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185 (Rz. 8); OLG Stuttgart v. 9.2.2015 – 17 WF 172/14,
NJW-RR 2015, 838 (Rz. 9);OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384);
OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575 f.); AG Berlin-Pankow v.
11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501 (1503); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 431 ff.; Man-
kowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 43 ff.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 17 ff.; Kegel/
Schurig, IPR § 20 VI 1a; krit. Kropholler, IPR, § 28 II, III.

Hausmann | 827
§ 6 Rz. 6.899 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.899 Der Grundsatz der Unwandelbarkeit führt zu Problemen, wenn der bei Eheschließung noch
bestehende Gesamtstaat im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Güterrecht
nicht mehr existiert. In diesen Fällen der sog. Staatensukzession wird die Unwandelbarkeit
z.T. dadurch aufrecht erhalten, dass der zwischenzeitliche Zerfall des Gesamtstaats ignoriert
wird1. Demgegenüber ist das maßgebliche Ehegüterrecht im Falle der Verweisung durch
Art. 15 EGBGB auf das Recht eines nach der Eheschließung zerfallenen Gesamtstaates so zu
bestimmen, dass zunächst festgestellt wird, zu welchem der Nachfolgestaaten die Ehegatten
zur Zeit der Eheschließung die engste Verbindung hatten (Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB analog).
Das intertemporale und internationale Privatrecht dieses Nachfolgestaats beantwortet sodann
die Frage, ob eine Rückverweisung auf deutsches Recht oder eine Weiterverweisung auf einen
anderen Nachfolgestaat des zerfallenen ehemaligen Gesamtstaats stattfindet2.

(b) Ausnahmen
6.900 Der Grundsatz der Unwandelbarkeit wird in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen vor allem
in folgenden Fällen durchbrochen:
– durch eine Rechtswahl nach Eheschließung (dazu Rz. 6.927 ff.);
– für gemischt-nationale Ehen, die zwischen dem 31.3.1953 und dem 9.4.1983 geschlossen
wurden, durch die intertemporale Regelung in Art. 220 Abs. 3 EGBGB3;
– durch eine bewegliche Rück- oder Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB (da-
zu Rz. 6.914 ff.);
– für volksdeutsche Flüchtlinge und Vertriebene nach Art. 15 Abs. 4 EGBGB (dazu
Rz. 6.901).

6.901 Besonderheiten gelten lediglich für Vertriebene und Flüchtlinge deutscher Volkszugehörig-
keit. Für sie ist die Wandelbarkeit durch § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über den ehelichen Gü-
terstand von Vertriebenen und Flüchtlingen vom 4.8.19694, dessen Vorschriften gem. Art. 15
Abs. 4 EGBGB in vor dem 29.1.2919 geschlossenen Ehen unberührt bleiben, ausdrücklich an-
geordnet, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 1.10.1969 im Gebiet der da-

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 25.2.2000 – 5 UF 11/99, IPRax 2001, 140 (m. zust. Anm. Henrich, IPRax
2001, 113) (Auf die güterrechtlichen Beziehungen zwischen einem Slowenen und einer Kroatin,
die 1970 in Kroatien geheiratet hatten, im Wege der Unteranknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB
kroat. Recht angewendet. Der zwischenzeitliche Zerfall der SFR Jugoslawien bleibe wegen der Un-
wandelbarkeit des Güterstandes außer Betracht). Ebenso OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9 UF 1390/
10, FamRZ 2011, 1509 m. Anm. Henrich; zust. auch Busse, IPRax 1998, 155 (159).
2 Vgl. näher Grosserichter/Bauer, RabelsZ 65 (2001), 201 (211 ff.); zust. OLG Nürnberg v. 28.9.2016
– 7 UF 1142/15, FamRZ 2017, 698 (700); OLG Stuttgart v. 9.2.2015 – 17 WF 172/14, NJW-RR
2015, 838 (Rz. 10 ff.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 34; Looschelders in Münch-
Komm, Art. 15 EGBGB Rz. 113 f.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 238 f. Vgl. auch OLG Hamm v.
8.10.2009 – I-15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.) = MittBayNotV 2010, 223 m. Anm. Süß
(zur UdSSR) sowie das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 60.
3 Vgl. dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 177 ff.
4 BGBl 1969 I, 1067; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 37. Nach dem Gesetz findet eine Überleitung
des ausländischen gesetzlichen Güterstands nur bei volksdeutschen Flüchtlingen statt; für sonstige
Flüchtlinge (zB nach der Genfer Flüchtlingskonvention) verbleibt es hingegen beim Grundsatz der
Unwandelbarkeit, vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 63; Kropholler, IPR, § 45 IV
3b; a.A. Kegel/Schurig, IPR § 20 VI 1d.

828 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.904 § 6

maligen Bundesrepublik Deutschland hatten und an diesem Stichtag in einem ausländischen


gesetzlichen Güterstand gelebt haben1. Für vertriebene volksdeutsche Ehegatten, die ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt erst nach diesem Stichtag nach Deutschland verlegt haben, tritt der
Statutenwechsel gem. § 3 des Gesetzes vier Monate nach Begründung des gewöhnlichen In-
landsaufenthalts ein2. Gleiches gilt für Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemali-
gen UdSSR, sofern sie die Voraussetzungen des § 4 BVFG erfüllen. In all diesen Fällen wirkt
die Überleitung des Güterstands nur ex nunc, so dass es für die Zeit davor bei dem auslän-
dischen gesetzlichen Güterstand verbleibt, der zum Stichtag abzuwickeln ist3.

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit ist allerdings nur ein verweisungsrechtliches Prinzip des 6.902
deutschen Kollisionsrechts. Er setzt sich daher gegenüber der Wandelbarkeit des Güter-
rechtsstatuts nach dem von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 EGBGB a.F. zur Anwendung
berufenen ausländischen Kollisionsrecht nicht durch. Haben sich die maßgebenden Anknüp-
fungskriterien (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt) daher nach der Eheschließung
geändert, so ist dies im Rahmen der Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung durch das
ausländische IPR zu beachten, wenn sich hieraus nach dem maßgeblichen ausländischen Kol-
lisionsrecht eine Rückverweisung auf deutsches Recht oder eine Weiterverweisung auf das
Recht eines dritten Staates ergibt (Rz. 6.914 ff.).

Darüber hinaus kann aber auch eine erst nach der Eheschließung eingetretene Änderung des 6.903
ausländischen Kollisionsrechts zur Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts führen, sofern sie
nach den intertemporalen Vorschriften dieses Rechts auch vor Inkrafttreten der Rechtsände-
rung geschlosssene Ehen erfasst. Die Verweisung nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB ist mthin auf
das jeweils geltende ausländische IPR gerichtet, das im Falle einer nach Eheschließung einge-
tretenen Änderung durch seine intertemporalen Regeln entscheidet, ob das alte oder das neue
Kollisionsrecht anzuwenden ist4.

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit führt auch nicht zu einer Festschreibung des bei Ehe- 6.904
schließung maßgeblichen Güterstands. Wird also das maßgebliche materielle Güterrecht
nach der Eheschließung geändert, sind diese Änderungen in dem Umfang zu berücksichtigen,
in dem sie sich selbst durch intertemporale Normen Rückwirkung beilegen. Das durch Art. 15
EGBGB bezeichnete Recht gilt also mit seinem jeweiligen Inhalt5.

1 Vgl. Böhmer in Ferid, IPR, Rz. 8-118; Hausmann inHausmannn/Odersky, § 9 Rz. 70 ff. m.w.N.
2 Das Gesetz gilt jedoch auch für Personen, die nach Öffnung der innerdeutschen Grenze am
9.11.1989 und vor der Wiedervereinigung am 3.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die
Bundesrepublik Deutschland verlegt haben, vgl. Wassermann, FamRZ 1990, 341; von Bar, Bd. II
Rz. 218.
3 Vgl. OLG Hamm v. 12.12.1976 – 15 W 267/75, NJW 1977, 1591 m. Anm. Reinartz; OLG Hamm
v. 12.6.1995 – 15 W 120/95, FamRZ 1995, 1606; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 593 mwN.
4 OLG Hamm v. 8.10.2009 – I-15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.); KG v. 17.11.2004 – 3 UF
52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138);
OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512); Andrae, IntFamR, § 4
Rz. 243; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56 mwN. Vgl. auch das Beipiel bei Haus-
mann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 63.
5 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384); KG v. 17.11.2004 (vorige Fn.);
OLG Frankfurt a.M. v. 18.8.1993 – 20 W 264/93, NJW-RR 1994, 72 (73); OLG Karlsruhe v.
16.02.1989 – 2 UF 256/88, IPRax 1990, 122 (124) (m. Anm. Jayme, IPRax 1990, 102); OLG Stutt-
gart v. 4.12.1957 – 4 U 75/56, NJW 1958, 1972 (1973); Sieghörtner in NK-BGB, Art. 15 EGBGB
Rz. 24; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 49 m.w.N.

Hausmann | 829
§ 6 Rz. 6.904a | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.904a Demgegenüber blieben die Ehegatten nach der sog. Versteinerungstheorie nicht nur an ihr
Heimatrecht, sondern auch an dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung zur Zeit der Ehe-
schließung gebunden. Diese Theorie wurde in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg entwickelt, als
Flüchtlinge und Vertriebene in großer Zahl aus dem Osten nach Deutschland umsiedelten.
Trat in diesen Fällen die Änderung des materiellen Güterrechts erst zu einem Zeitpunkt ein,
zu dem die Ehegatten die für die Anknüpfung wesentliche Beziehung zu ihren Heimatstaaten
durch Emigration, Flucht oder Vertreibung bereits verloren hatten, so lehnte die damalige
Rechtsprechung es ab, die Ehegatten auch noch nachträglichen Änderungen des Güterrechts
ihrer Heimatstaaten zu unterwerfen; vielmehr sollte es dann bei dem im Zeitpunkt des Ab-
bruchs der Beziehungen geltenden sachlichen Güterrecht verbleiben1. Eine solche „Versteine-
rung“ des Güterstandes ist abzulehnen, weil das Festhalten an antiquierten Rechtsnormen des
ausländischen Güterrechts den Interessen der Betroffenen i.d.R. zuwiderläuft; die Eheleute
sollten vielmehr an der Fortentwicklung des materiellen Güterrechts ihrer Heimatstaaten teil-
haben2. Dies gilt insbesondere in einem System des internationalen Ehegüterrechts, das neben
der Staatsangehörigkeit auch andere, leichter abänderbare Anknüpfungen – wie den gewöhn-
lichen Aufenthalt der Ehegatten – kennt.

(4) Rück- und Weiterverweisung


(a) Gesamtverweisung durch Art.15 Abs. 1 EGBGB
6.905 Die akzessorische Anknüpfung des Güterrechtsstatuts ist nur als eine verkürzte Bezugnahme
auf ein gleichberechtigungskonformes Anknüpfungsmodell zu verstehen, so dass nicht etwa
auf das Sachrecht verwiesen wird, dem die allgemeinen Ehewirkungen unterstehen; vielmehr
spricht Art. 15 Abs. 1 (i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1–3) EGBGB eine Gesamtverweisung auf das
ausländische Recht des Staates aus, dem die Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung ge-
meinsam angehörten bzw. in dem sie zu diesem Zeitpunkt ihren gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalt hatten oder mit dem sie sonst am engsten verbunden waren3. Daraus folgt, dass
nunmehr nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB anhand der güterrechtlichen Kollisionsnormen dieses
Rechts zu prüfen ist, ob auf deutsches Recht zurück- oder auf das Recht eines dritten Staates
weiterverwiesen wird4. Hingegen bleibt die für die allgemeinen Ehewirkungen maßgebliche
Kollisionsnorm des ausländischen Rechts außer Betracht; eine durch sie ausgesprochene
Rück- oder Weiterverweisung bestimmt das Güterrechtsstatut auch nicht mittelbar5. Mit die-

1 Vgl. BGH v. 21.6.1963 – V ZB 3/63, BGHZ 40, 32 (35) = NJW 1963, 1975; OLG Stuttgart v.
4.12.1957 (vorige Fn.) (Tschechoslowakei); OLG Hamm v. 12.12.1976 – 15 W 267/75, NJW 1977,
1591 m. Anm. Reinartz = FamRZ 1977, 327 (Rumänien); OLG Bamberg v. 3.11.1983 – 2 UF 15/
83, IPRspr. 1984 Nr. 59 (Tschechoslowakei).
2 OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.) m. zust. Anm. Süß, MittBay-
NotV 2010, 22; Schurig in Soergel, Rz. 29; Looschelders in MünchKomm, Rz. 111; Sieghörtner in
NK BGB, Rz. 25; jeweils zu Art. 15 EGBGB; Kropholler, IPR, § 45 IV 3c; Henrich, IPRax 2001, 114.
3 Vgl. allgemein zum Problem des Renvoi in Fällen der akzessorischen Anknüpfung im internatio-
nalen Familienrecht Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 114 ff. m.w.N.
4 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512); OLG Hamm v. 8.10.2009 –
15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976); OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994,
1258; OLG Hamm v. 10.4.1992 – 4 WF 47/92, FamRZ 1992, 963; von Bar, Bd. II Rz. 213.
5 OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/15, ZEV 2017, 572 Rz. 41; OLG Bremen v. 7.5.2015 – 4
WF 52/15, = FamRZ 2016, 129; OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510
(1512); OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976); OLG Koblenz v.
2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994, 1258; OLG Hamm v. 10.4.1992 (vorige Fn.); Rauscher,
NJW 1988, 2151 (2154); Kartzke, IPRax 1988, 8 (10 f.).

830 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.906 § 6

ser deutschen Tradition einer Beachtung von Rück- und Weiterverweisungen auf dem Gebiet
des internationalen Ehegüterrechts bricht die EuGüVO, die einen Renvoi auch im Falle der
objektiven Anknüpfung nach Art. 26 grundsätzlich ausschließt (vgl. Art. 32 EuGüVO; dazu
Rz. 6.874).

(b) Annahme der deutschen Verweisung


Zu einer Rückverweisung kommt es dann nicht, wenn das von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur 6.906
Anwendung berufene Recht zur Bestimmung des Güterrechtsstatuts die gleichen Anknüp-
fungskriterien verwendet1. Dies trifft insbesondere in den Fällen des Art. 15 Abs. 1 i.V.m.
Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB häufig zu. Denn auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der
Ehegatten stellen – in Ermangelung einer Rechtswahl – noch immer zahlreiche romanische
Rechte ab, z.B. Italien (Art. 30 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 IPR-G)2, Portugal (Art. 53
Abs. 1 c.c.) und Spanien (Art. 9 Nr. 2, 3 c.c.). Das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten
bestimmt den Güterstand ferner in Griechenland (Art. 15 i.V.m. Art. 14 ZGB)3, Japan (Art. 26
Abs. 1 IPR-G 2006), Österreich (§ 19 i.V.m. § 18 Nr. 1 IPR-G; vgl. aber auch Rz. 6.917) und
der Türkei (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 3 IPR-G 2007)4 sowie in den meisten osteuro-
päischen Rechten, so z.B. in Albanien (Art. 24 Abs. 1 IPR-G 2011), Bosnien und Herzegowina5,
Kroatien (bis 28.1.2019)6 und Serbien (jeweils Art. 36 Abs. 1 IPR-G 1982) Bulgarien (Art. 79
Abs. 1, 3 IPR-G 2005), Georgien (§ 45 Abs. 1 IPR-G 1998), Montenegro (Art. 81 Abs. 1 i.V.m.
Art. 80 Abs. 1 IPR-G 2014), Nordmazedonien (Art. 36 IPR-G 2007), Polen (Art. 51 IPR-G
2011)7, der Slowakei (Art. 21 Abs. 1 IPR-G 1963)8, Slowenien (Art. 38 IPR-G 1999)9, der
Ukraine (Art. 61 Abs. 3 i.V.m. Art. 60 IPR-G 2005) und Ungarn (§ 39 Abs. 1 i.V.m. § 11 IPR-
G 1979). Eine Rückverweisung durch das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten findet auch
dann nicht statt, wenn dieses als Anknüpfungspunkt für das Güterrechtsstatut weiterhin das
Heimatrecht des Ehemannes wählt, wie dies namentlich in zahlreichen islamischen Rechts-
ordnungen der Fall ist10. Bei Doppelstaatern ist allerdings zu beachten, dass Art. 5 Abs. 1
EGBGB im Rahmen der Beachtung einer Rückverweisung keine Anwendung findet, sondern
zur Bestimmung der maßgeblichen Staatsangehörigkeit auf das ausländische IPR abzustellen
ist, das i.d.R. der eigenen Staatsangehörigkeit den Vorrang einräumen wird11.

1 Vgl. zur Anknüpfung des Güterrechtsstatus in ausländischen Rechtsordnungen umfassend die


Länderberichte bei Hausmann in Staudinger (2019), Anh. zu Art. 4 EGBGB.
2 OLG Zweibrücken v. 9.12.2015 – 3 W 115/15, NJW 2016, 1185 (Rz. 7); OLG München v. 25.6.2020
– 34 Wx 504/19, FamRZ 2020, 1470 (1471).
3 OLG München v. 20.6.2005 – 17 UF 801/05, FuR 2006, 93; OLG Stuttgart v. 4.3.2005 – 17 WF 15/
05, FamRZ 2005, 1676; OLG Stuttgart v. 7.8.2000 – 5 U 184/99, FamRZ 2001, 1371.
4 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383; Odendahl, FamRZ 2009, 567 (569 ff.).
S. aber auch Rz. 6.913.
5 OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993 Nr. 59.
6 OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994, 1258; OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U
218/97, FamRZ 1999, 299 (300); OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/15, ZEV 2017, 572 (Rz
36 f.).
7 OLG München v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1186 (Rz. 13).
8 OLG Bamberg v. 3.11.1983 – 2 UF 15/83, IPRspr. 1983 Nr. 59.
9 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 6.12.1999 – 5 UF 11/99, IPRspr. 1999 Nr. 57.
10 IPG 1970 Nr. 15 (Köln) (Iran); IPG 1980/81 Nr. 28 (Köln) (Kuwait).
11 OLG Nürnberg v. 28.9.2016, NJOZ 2017, 1307 (Rz. 41); OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/
15, ZEV 2017, 572 (Rz. 44).

Hausmann | 831
§ 6 Rz. 6.907 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(c) Rückverweisung auf das Wohnsitz-/Aufenthaltsrecht


6.907 Auf dem Wohnsitzprinzip beruht etwa das Schweizer Recht. Dort unterstehen die güterrecht-
lichen Verhältnisse in Ermangelung einer Rechtswahl dem Recht des Staates, in dem beide
Ehegatten gleichzeitig ihren Wohnsitz haben bzw. zuletzt gehabt haben (Art. 54 Abs. 1 IPR-
G). Schweizerische Eheleute mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland leben daher,
soweit sie keine zulässige Rechtswahl getroffen (und keinen Ehevertrag geschlossen) haben,
kraft Rückverweisung im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff.
BGB). An den jeweiligen gemeinsamen Wohnsitz der Eheleute – also wandelbar – knüpfen
auch das lettische (Art. 13 ZGB), litauische (Art. 1-28.1 ZGB 2001) und russische Recht
(Art. 161 FamGB)1 sowie die Rechte zahlreicher Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR (zB
Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan2, Kirgisistan, Republik Moldau) an.

6.908 Andere Rechte folgen auf dem Gebiet des Güterrechts zwar ebenfalls dem Wohnsitzgrundsatz,
knüpfen aber unwandelbar an das Recht des ersten ehelichen Wohnsitzes an. Dies gilt etwa
für das dänische,3 estnische (§ 58 i.V.m. § 57 IPR-G 2002) und norwegische Recht4 sowie mit
Einschränkungen auch für das finnische Recht (§ 129 EheG). Der erste eheliche Wohnsitz der
Ehegatten bestimmt das anwendbare Güterrecht ferner in Israel5 sowie – in Anlehnung an das
IPR-Übereinkommen von Montevideo – in zahlreichen südamerikanischen Staaten (z.B. in
Argentinien, Brasilien6, Chile, Ecuador, Kolumbien, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela);
z.T. gilt dies freilich nur mit Einschränkungen durch das Territorialitätsprinzip, d.h. nur dann,
wenn der erste eheliche Wohnsitz in einem der genannten Staaten begründet worden ist7.

6.909 Schließlich beurteilen sich die güterrechtlichen Verhältnisse von Ehegatten auch in Großbritan-
nien und den USA hinsichtlich des beweglichen Vermögens nach dem Wohnsitzrecht. Dabei
knüpft das englische Recht grundsätzlich an das „matrimonial domicile“ der Ehegatten im Zeit-
punkt der Eheschließung an8. Diese Anknüpfung wird auch in Irland und den meisten früheren
Commonwealth-Staaten (z.B. Australien, Indien9, Kanada, Neuseeland, Pakistan10, Südafrika)
befolgt. Demgegenüber stellen die US-amerikanischen Einzelstaaten überwiegend auf das „cur-
rent marital domicile“ im Zeitpunkt des Erwerbs des jeweiligen Gegenstandes ab11. An die Be-
gründung eines Wahldomizils in der Bundesrepublik Deutschland und eine daraus abgeleitete
Rückverweisung auf deutsches Güterrecht sind freilich strenge Anforderungen zu stellen12.

1 KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676.


2 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512).
3 BayObLG v. 20.3.1953 – BReg. 2 Z 2/53, BayObLGZ 1953, 102 (105 f.); OLG Schleswig v.
10.7.1981 – 8 UF 234/79, SchlHA 1982, 27.
4 IPG 1971 Nr. 16 (Heidelberg).
5 OLG Hamm v. 18.1.1974 – 11 U 221/70, IPRspr. 1974 Nr. 62.
6 Vgl. Nordmeier, StAZ 2009, 71 (72).
7 Vgl. LG Augsburg v. 18.3.1957 – 5 T 150/57, IPRspr. 1956/57 Nr. 144 (Argentinien); IPG 1977
Nr. 15 (Köln): Ecuador; IPG 1979 Nr. 30 (Köln): Chile.
8 Dicey, Morris&Collins, 15. Aufl., Bd. II, Rule 165, S. 1461 ff.
9 OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (918) = IPRax 2002, 304 (m. Anm.
Andrae/Essebier, IPRax 2002, 294).
10 LG Frankfurt a.M. v. 9.7.1975 – 2/8 O 293/72, IPRspr. 1975 Nr. 53.
11 KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565); Hay/Borchers/Symeonides/Whytock,
Conflict, § 14.9, S. 609 ff.; Bardy, FuR 1994, 83 ff.
12 LG Wiesbaden v. 30.3.1973 – 9b O 20/72, FamRZ 1973, 657 m. krit. Anm. Jayme (zur Rückverwei-
sung durch das Recht von Indiana kraft Begründung eines Wahldomizils durch einen mit einer
deutschen Frau verheirateten amerikan. Soldaten).

832 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.912 § 6

In neueren IPR-Kodifikationen wird die Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit 6.910


zunehmend durch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehe-
gatten ersetzt. Eine Rück- oder Weiterverweisung auf das Recht des ersten gemeinsamen ge-
wöhnlichen Aufenthalts nach der Eheschließung spricht gemäß Art. 4 Abs. 1 des Haager
Übereinkommens über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14.3.1978 (dazu
Rz. 6.975) das französische, luxemburgische und niederländische Recht aus.1 Der gemeinsame
gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten ist heute auch Primäranknüpfung in Belgien (Art. 51
IPR-G 2004), Liechtenstein (§ 20 Abs. 3 IPR-G 1997), Rumänien (Art. 2592, 2596 Cc 2011),
Schweden (§ 4 GüterrechtsG 1990), der Tschechischen Republik (Art. 49 Abs. 3 IPR-G 2012)
und der Volksrepublik China (§ 24 S. 2 IPR-G 2011), wobei in Belgien und Liechtenstein un-
wandelbar, in den übrigen genannten Staaten hingegen wandelbar angeknüpft wird. Nur in
Ermangelung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ist i.d.R. die gemeinsame Staats-
angehörigkeit der Ehegatten maßgebend.

(d) (Partielle) Rückverweisung auf die lex rei sitae


Während die Tendenz im englischen Kollisionsrecht neuerdings dahin geht, das Güterrecht 6.911
für bewegliches und unbewegliches Vermögen einheitlich an das „matrimonial domicile“ der
Ehegatten anzuknüpfen2, unterscheiden die Rechte der US-amerikanischen Bundesstaaten in-
soweit scharf zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen und unterwerfen nur das
bewegliche Vermögen („movables“) der lex domicilii; während die güterrechtlichen Verhältnis-
se an Grundbesitz („immovables“) nach dem Recht der belegenen Sache (lex rei sitae) beur-
teilt werden3. Eine daraus folgende partielle Rück- oder Weiterverweisung durch das von
Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene Heimat- oder Aufenthaltsrecht der Ehegatten
auf das Belegenheitsrecht wird im Inland beachtet, obwohl das deutsche internationale Ehegü-
terrecht vom Grundsatz der Vermögenseinheit (Rz. 6.893) ausgeht4. Dies widerspricht auch
nicht dem Sinn der deutschen Verweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB), weil das deutsche
IPR – wie gezeigt – in Art. 3a Abs. 2 EGBGB selbst der lex rei sitae den Vortritt lässt, wenn
diese besondere Kollisionsnormen für unbewegliches Vermögen bereithält, und außerdem
den Ehegatten in Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB sogar eine eine auf das in- oder ausländische
unbewegliche Vermögen beschränkte Rechtswahl gestattete5.

Hat ein verheirateter US-Amerikaner also Grundbesitz in verschiedenen Ländern, so wird 6.912
auch hinsichtlich seiner güterrechtlichen Verhältnisse auf ebenso viele Rechte (zurück- bzw.

1 OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575) (Niederlande).


2 Dicey, Morris&Collins, Conflict15, Rule 165 Rz. 28–021 ff.; Odersky in Süß/Ring, EheR in Europa,
Großbritannien Rz. 31 f.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 40; vgl. auch OLG Hamm
v. 27.11.2013 – 14 UF 96/13, FamRZ 2014, 947.
3 Vgl. IPG 1967/68 Nr. 23 (Hamburg); Rückverweisung durch das Recht von New York auf deut-
sches Belegenheitsrecht; IPG 1978 Nr. 36 (Kiel): Rückverweisung durch das englische Recht auf
deutsches und österreichisches Belegenheitsrecht; IPG 1984 Nr. 40 (München): Rückverweisung
durch das Recht von Nebraska/USA hinsichtlich der Verfügungsbefugnis über den Miteigentums-
anteil an einem deutschen Grundstück; ferner Cheshire/North/Fawcett, PrivIntL, 14. Aufl. 2008,
S. 1300 f.
4 OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, FamRZ 2013, 1488; KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06,
FamRZ 2007, 1564 (1565); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 26 ff. Vgl. auch das Beipiel
bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 51.
5 Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 117 f.; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB
Rz. 63; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 266.

Hausmann | 833
§ 6 Rz. 6.912 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weiter-)verwiesen1. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich dann, wenn der Grunderwerb
aus Mitteln finanziert wird, die unter einem von der lex rei sitae verschiedenen Güterrechts-
statut erworben wurden; in diesem Fall setzt sich die güterrechtliche Zuordnung der Finanzie-
rungsmittel an dem Grundbesitz fort2. Sie führt allerdings an einem deutschen Grundstück
nicht zu einer dinglichen Surrogation, sondern wirkt nur schuldrechtlich3. Verweist Art. 15
Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F. daher auf das Recht eines Einzelstaats der USA, so
entscheidet allein das jeweilige Recht der Belegenheit darüber, ob ein Grundstück durch die
Eheschließung in das Miteigentum des anderen Ehegatten übergegangen ist oder ob dieser
sonstige Rechte an diesem Grundstück erworben hat. In Bezug auf ihre inländischen Grund-
stücke leben US-amerikanische Ehegatten daher in Ermangelung eines Ehevertrages im deut-
schen gesetzlichen Güterstand einschließlich der Verfügungsbeschränkung nach § 1365 BGB4.

6.913 Soweit das englische oder US-amerikanische Kollisionsrecht auf das Recht des Lageortes zu-
rückverweist, ist zu beachten, dass die lex rei sitae auch für die Frage der Qualifikation einer
Sache als unbeweglich („immovable“) maßgebend ist5. Von erheblicher praktischer Bedeu-
tung ist schließlich, dass auch das türkische Recht in Art. 15 Abs. 2 IPRG 2007 bezüglich der
güterrechtlichen Auseinandersetzung von Immobiliarvermögen zwischen Ehegatten auf die
jeweilige lex rei sitae zurückverweist6.

(e) Rückverweisung kraft beweglicher Anknüpfung


6.914 Während das deutsche internationale Ehegüterrecht in Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf die Verhält-
nisse zur Zeit der Eheschließung abstellt und eine spätere Veränderung der für die Anknüp-

1 Rabel, I, S. 337; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict, § 14.5; Bardy, FuR 1994, 83 ff.


2 Vgl. zu dieser sog. „tracing rule“, 91 NM 339, 573 P. 2d 1194 (1978); Hay/Borchers/Symeonides/
Whytock, Conflict, § 14.6 m.w.N.
3 Vgl. OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, MittBayNotV 2013, 404 m. Anm. Süß; a.A. Bar-
dy, RNotZ 2005, 137 (140).
4 Vgl. OLG Colmar v. 24.8.1911, RheinZ 4 (1912), 295 = ELJZ 37 (1912), 182 (Verheiratete Ame-
rikanerin, wohnhaft in New York, besaß Grundbesitz in Deutschland. Obwohl die Zustimmung
des Ehemannes zur Veräußerung nach dem Recht des Staates New York nicht erforderlich gewe-
sen wäre, wurde diese Zustimmung nach dem aufgrund Rückverweisung anwendbaren deutschen
Recht [BGB a.F.] verlangt); OLG Karlsruhe v. 29.6.1989 – 11 W 86/89, NJW 1990, 1420 (1421) =
IPRax 1990, 407 (m. Anm. Schurig, IPRax 1990, 398) (Rückverweisung durch das texan. IPR auf
deutsches Belegenheitsrecht).
5 Vgl. LG Wiesbaden v. 30.3.1973 – 9b O 20/72, FamRZ 1973, 657 m. Anm. Jayme (Ein im US-
Bundesstaat Indiana domizilierter amerikan. Staatsangehöriger verlangte von seiner deutschen
Ehefrau nach Scheidung den Zugewinnausgleich bezüglich des von ihr während der Ehe erworbe-
nen Grundvermögens in Deutschland. Diese Ausgleichsforderung wurde infolge Qualifikations-
rückverweisung durch das Recht von Indiana auf die lex rei sitae nach deutschem Recht dem be-
weglichen Vermögen zugeordnet). Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, §
9 Rz. 54; ferner IPG 1999 Nr. 24 (Hamburg) (zur Qualifikationsverweisung durch das englische
internationale Ehegüterrecht); BGH v. 10.5.2000 – IV ZR 171/99, BGHZ 144, 251 = NJW 2000,
2421 = IPRax 2002, 40 (m. Anm. Umbeck, IPRax 2002, 33) = JR 2001, 234 m. Anm. Rauscher
(Qualifikationsverweisung des US-amerikan. Erbrechts auf deutsches Belegenheitsrecht angenom-
men; Restitutionsansprüche nach dem Vermögensgesetz als Teil des beweglichen Vermögens ge-
wertet.). Dazu Jayme, Zur Qualifikationsverweisung im IPR, ZfRV 1976, 93 ff.; dazu allg. Haus-
mann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 79 ff.
6 OLG Bremen v. 7.5.2015 – 4 WF 52/15, FamRZ 2016, 129 (Rz. 9); AG Köln v. 10.6.2020 – 322 F
75/17, BeckRS 2020, 39404; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 269.

834 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.916 § 6

fung maßgebenden Verhältnisse – z.B. einen Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsel


der Ehegatten – für unerheblich erklärt (Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts, dazu
Rz. 6.898 f.), knüpfen zahlreiche ausländische Rechtsordnungen das Güterrecht in Überein-
stimmung mit den allgemeinen Ehewirkungen wandelbar an. Dies gilt hinsichtlich des beweg-
lichen Vermögens etwa nach den Rechten der meisten US-Einzelstaaten sowie mit gewissen
Einschränkungen auch im englischen Recht1. Verlegen die Ehegatten mithin nach der Ehe-
schließung ihr Domizil in einen anderen Staat, so ist für ihre güterrechtlichen Verhältnisse
grundsätzlich das neue Recht maßgebend. Die Zuordnung des unter dem früheren Güterstand
erworbenen Vermögens bleibt jedoch erhalten (sog. „vested rights theory“ oder „source doctri-
ne“)2.

Beweglich wird das Güterrechtsstatut ferner in Italien3, Lettland, Litauen, Schweden und Spa- 6.915
nien sowie in den meisten osteuropäischen Staaten (z.B. in Albanien, Bosnien-Herzegowina,
Bulgarien, Kroatien4, Montenegro, Nordmazedonien, Polen5, Rumänien, Serbien, der Slowakei,
Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn) angeknüpft. Gleiches gilt in der Russischen
Föderation6, und in den meisten Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR (z.B. in Armenien,
Aserbaidschan, Kasachstan7, Kirgisistan, Moldau, Ukraine) sowie zahlreichen ostasiatischen
Staaten (VR China, Japan, Korea8, Taiwan). Noch weiter geht das Schweizer IPR, da es im Falle
eines Wohnsitzwechsels der Eheleute das Güterrecht des neuen Wohnsitzstaates sogar rück-
wirkend auf den Zeitpunkt der Eheschließung für maßgeblich erklärt; die Ehegatten können
diese Rückwirkung allerdings durch schriftliche Vereinbarung ausschließen (Art. 55 Abs. 1
IPR-G).

Die Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts nach dem von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 14 6.916
EGBGB zur Anwendung berufenen ausländischen Kollisionsrecht ist im Rahmen einer Rück-
oder Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch im Inland zu beachten, setzt sich also
gegenüber dem vom deutschen Recht befolgten Grundsatz der Unwandelbarkeit durch. 9. Die

1 Cheshire/North/Fawcett, PrivIntL, 14. Aufl. 2008, S. 1294 ff.; vgl. auch Wochner, Zum Güterrechts-
statut bei deutsch-amerikanischen Ehen, IPRax 1985, 90 (92).
2 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict, § 14.9, S. 609 ff. m.w.N.
3 Vgl. dazu IPG 1999 Nr. 26 (München).
4 Vgl. OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9 UF 1390/10, FamRZ 2011, 1509 (1510) m. Anm. Henrich.
5 Dazu IPG 1997 Nr. 25 (Köln).
6 KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08,
FamRZ 2010, 975 (977.
7 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1513).
8 OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138).
9 KG v. 10.12.1934, IPRspr. 1934 Nr. 45; OLG Hamm v. 18.1.1974 – 11 U 221/70, IPRspr. 1974
Nr. 62 (zur Beachtlichkeit eines Domizilwechsels nach israel. internationalen Ehegüterrecht); KG
v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007,
1564 (1565) (USA/Massachussetts); OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975
(976 f.) (Russische Föderation); OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138)
(Korea); OLG München v. 3.2.2011 – 31 Wx 242/10, NJW-RR 2011, 663 (665) (Spanien); OLG
Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512) (Kasachstan); OLG Celle v.
3.4.2014 – 15 UF 186/13, NJW-RR 2014, 1283 und v. 31.3.2014 – 15 UF 186/13, FamRZ 2015, 160
(jeweils UdSSR); Siehr, IPRax 2007, 353 (354); Süß, MittBayNotV 2010, 225 (226 f.); Andrae, Int-
FamR, § 4 Rz. 243; Looschelders in MünchKomm, Rz. 112; Schurig in Soergel, Rz. 64; Mörsdorf in
BeckOK BGB, Rz. 83; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 21, jeweils zu Art. 15 EGBGB; Hausmann in
Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 270 ff. m.w.N.; a.A. – zu Unrecht – OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9
UF 1390/10, FamRZ 2011, 1509 (1510) m. Anm. Henrich; AG Dortmund v. 27.4.1998 – 178 F

Hausmann | 835
§ 6 Rz. 6.916 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Befolgung einer solchen beweglichen Rückverweisung verstößt insbesondere nicht gegen den
Sinn der deutschen Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB, und zwar auch dann nicht, wenn
das Recht der engsten Beziehung im Zeitpunkt der Eheschließung beweglich anknüpft und
auf ein Recht verweist, zu dem die Eheleute erst später gemeinsame Beziehungen hergestellt
haben1. Denn der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts ist auch im deut-
schen Kollisionsrecht nicht unumstößlich; vielmehr hatten die Ehegatten auch nach Art. 15
Abs. 2 EGBGB jederzeit die Möglichkeit, sich durch eine Rechtswahl vom unwandelbar ange-
knüpften objektiven Güterrechtsstatut zu lösen. Unter Geltung der EuGüVO ist demgegen-
über für die Anerkennung einer beweglichen Rückverweisung kein Raum mehr, da die Ver-
ordnung nur Sachnormverweisungen ausspricht (Art. 32; dazu Rz. 6.874).

(f) Rückverweisung kraft abweichender Qualifikation


6.917 Zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht kann es auch deshalb kommen, weil das von
Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene ausländische Kollisionsrecht abweichend
qualifiziert. Dies trifft insbesondere auf die vermögensrechtliche Auseinandersetzung aus An-
lass einer Ehescheidung zu, die in verschiedenen ausländischen Rechten als Scheidungsfolge
dem Scheidungsstatut unterworfen wird. Demgemäß verweist etwa das österreichische IPR in
einer deutsch-österreichischen Ehe hinsichtlich der Vermögensauseinandersetzung auf deut-
sches Recht zurück, wenn die Eheleute ihren ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalt in
Österreich während der Ehe nach Deutschland verlegt haben2. Entsprechend ist auch in einer
deutsch-britischen Ehe der Zugewinnausgleich nach deutschem Recht kraft versteckter Rück-
verweisung des englischen Rechts durchzuführen, wenn die Eheleute zur Zeit der Eheschei-
dung vor dem deutschen Gericht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben3.

(g) Rückverweisung kraft Rechtswahl


6.918 Auch die Anknüpfung an den Parteiwillen im ausländischen IPR kann wie eine Rückverwei-
sung wirken. Die praktische Bedeutung dieser Fallgruppe ist zwar durch die erweiterte Aner-
kennung der Parteiautonomie im deutschen internationalen Ehegüterrecht zurückgegangen.
Zu einer Rückverweisung kann es jedoch weiterhin kommen, wenn das nach Art. 15 Abs. 1
EGBGB zur Anwendung berufene Recht der Parteiautonomie im internationalen Ehegüter-
recht in weiterem Umfang Raum gibt als das deutsche Recht oder an die Form einer solchen
Rechtswahl geringere Anforderungen stellt, indem es auch eine privatschriftlich, mündlich

2507/97, FamRZ 1999, 1507. Übersehen wird die Rückverweisung von OLG Düsseldorf v.
20.12.1994 – 1 UF 76/94, FamRZ 1995, 1203; OLG Frankfurt a.M. v. 6.12.1999 – 5 UF 11/99,
IPRspr. 1999 Nr. 57 (jeweils zum früheren Jugoslawien). Vgl. ferner IPG 1965/66 Nr. 50 (Köln)
und IPG 1978 Nr. 36 (Kiel) zum Domizilwechsels von Ehegatten nach englischem internationalem
Ehegüterrecht; IPG 1997 Nr. 25 (Köln) zur Rückverweisung durch poln. internationales Ehegüter-
recht kraft Staatsangehörigkeitswechsels der Ehegatten. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in
Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 67.
1 Schurig, JZ 1985, 559 (562 f.); von Hein in MünchKomm, Art. 4 EGBGB Rz. 963.
2 Vgl. öOGH v. 25.5.1993 – 1 Ob 544/93, IPRax 1995, 42 (m. Anm. Lorenz, IPRax 1995, 47); Haus-
mann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 76. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/
Odersky, § 9 Rz. 86.
3 Vgl. AG Emmendingen v. 20.4.2000 – 4 F 14/96, IPRspr. 2000 Nr. 54; IPG 1999 Nr. 24 (Hamburg);
ebenso zum nigerian.-brit. Recht KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (m. Anm.
Henrich); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 241 f.

836 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.921 § 6

oder gar stillschweigend getroffene Vereinbarung ausreichen lässt1. So unterstellt vor allem
das französische Kollisionsrecht die güterrechtlichen Beziehungen traditionell dem Recht, wel-
chem sich die Ehegatten wirklich oder vermutlich unterworfen haben. Diese großzügige Aner-
kennung der Parteiautonomie, die der sachrechtlichen Wertung des ehelichen Güterrechts als
Teil des Vertragsrechts und des vertragslosen gesetzlichen Güterstandes als „régime primaire“
entspricht, führt im Ergebnis meist zur Anwendung des Rechts am ersten ehelichen Wohnsitz,
bisweilen allerdings auch des gemeinsamen Heimatrechts der Ehegatten2.

Demgegenüber lässt das belgische Recht seit der IPR-Kodifikation von 2004 nur noch eine 6.919
schriftliche Rechtswahl zu (Art. 52 IPR-G). Zur Wahl stehen nur das Recht des ersten gemein-
samen Wohnsitzes sowie das Heimat- bzw. Wohnsitzrecht eines jeden Ehegatten zur Zeit der
Wahl (Art. 49 IPR-G). Die Rechtswahl muss sich zwingend auf das gesamte Vermögen der
Ehegatten beziehen (Art. 50 § 2 IPR-G). Darüber hinaus hat sich die Parteiautonomie auch
im niederländischen internationalen Ehegüterrecht durchgesetzt3. Seit dem 1.9.1992 gelten für
Frankreich, Luxemburg und die Niederlande die Kollisionsregeln des Haager Übereinkom-
mens über das auf Güterstände anzuwendende Recht vom 14.3.1978 als „loi uniforme“, das in
Art. 3 und 6 die – auch stillschweigende – Rechtswahl der Ehegatten ausdrücklich als Primä-
ranknüpfung anerkennt (vgl. dazu Rz. 6.975); eine Rechtswahl nach dem Übk. konnte aller-
dings wegen des Vorrangs von Art. 22 EuGüVO in diesen Staaten nur bis zum 28.1.2019 ge-
troffen werden.

Auch in Österreich unterliegt das Ehegüterrecht nunmehr in erster Linie dem von den Partei- 6.920
en ausdrücklich gewählten Recht (§ 19 IPR-G); die Einhaltung der für Eheverträge vor-
geschriebenen Form ist – abweichend von Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F. –
nicht erforderlich. Ferner war die Rechtswahl bis zum 28.1.2019 auch nicht auf bestimmte
Rechte beschränkt, zu denen die Ehegatten einen engen Bezug hatten. Dennoch ist eine solche
unbeschränkte und formfreie Rechtswahl vom deutschen Richter im Rahmen von Art. 4 Abs. 1
EGBGB zu beachten, wenn Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf österreichisches Recht verweist4. In
ähnlich weitem Umfang wie Österreich lässt auch Rumänien die Rechtswahl im Güterrecht zu
(Art. 21 Abs. 2 IPR-G).

Das Schweizer IPR unterwirft die güterrechtlichen Verhältnisse von Ehegatten ebenfalls pri- 6.921
mär dem gewählten Recht. Die Ehegatten können wählen zwischen dem Recht der Staaten, in
dem beide ihren Wohnsitz haben oder nach der Eheschließung haben werden, und dem Recht
eines ihrer Heimatstaaten. Die Rechtswahl muss lediglich privatschriftlich vereinbart werden
(Art. 53 IPR-G). In ähnlicher Weise beschränkt auch das neue italienische, japanische, spa-
nische und türkische IPR die Rechtswahl auf das Wohnsitzrecht oder die Heimatrechte der
Ehegatten5. Das italienische Recht macht die Rechtswahl ferner davon abhängig, dass entwe-
der das gewählte Recht oder das Recht des Abschlussortes sie anerkennt (Art. 30 Abs. 2 IPR-

1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 63 a.E.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 41.
2 Batiffol/Lagarde, DIP II, n. 616 ff.; IPG 1972 Nr. 13 (München).
3 H.R. v. 10.12.1976, Rev.crit.d.i.p. 1978, 97 m. Anm. Jessurun d’Oliveira; dazu Klinke, DNotZ 1981,
351 ff.; H.R. v. 7.4.1989, NIPR, 1989 Nr. 187 m. Anm. Strikwerda.
4 BayObLG v. 14.5.1981 – BReg1 Z 14/81, DNotZ 1982, 50 m. Anm. Dörner (Vereinbarung der
„Gütergemeinschaft nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ in der Ehe zwischen
einem Österreicher und einer Deutschen kraft Rückverweisung als wirksam erachtet); ferner
Münch/Süß, FamR § 20 Rz. 108.
5 Art. 30 Abs. 1 HS 2 italien. IPR-G; Art. 15 Abs. 1 HS 2 japan. IPR-G; Art. 9 Abs. 3 span. c.c.;
Art. 14 türk. IPR-G.

Hausmann | 837
§ 6 Rz. 6.921 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

G). Das IPR der meisten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien lässt eine Rechtswahl
im Güterrecht nur zu, wenn das bei Vertragsschluss maßgebliche Ehewirkungsstatut sie ge-
stattet (Art. 37 Abs. 2 IPR-G 1982). Das spanische Recht ließ es demgegenüber bereits genü-
gen, dass entweder das Ehewirkungsstatut oder das Heimat- bzw. Aufenthaltsrecht eines Ehe-
gatten die Rechtswahl als wirksam erachteten (Art. 9 Abs. 3 c.c.).

6.922 Schließlich räumt man auch in England und den meisten anderen Staaten des Common-Law-
Rechtskreises den Ehegatten die Möglichkeit ein, das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl zu
bestimmen1. Das in einem Ehevertrag ausdrücklich oder stillschweigend gewählte Recht be-
herrscht dann zumindest die Rechtsbeziehungen der Ehegatten hinsichtlich des gesamten be-
weglichen Vermögens, auch soweit dieses erst nach der Eheschließung erworben wird, und un-
abhängig von einem späteren Wechsel des Domizils2. Die Gültigkeit der getroffenen Rechts-
wahl wird im Übrigen davon abhängig gemacht, dass sie auch von dem gewählten Recht an-
erkannt wird3.

(h) Versteckte Rückverweisung


6.923 Namentlich die Gerichte der vom common law geprägten Rechtsordnungen tendieren dazu,
in Scheidungs- und Scheidungsfolgesachen nur ihre internationale Zuständigkeit zu prüfen
und, wenn diese gegeben ist, ausschließlich ihr eigenes Recht als lex fori anzuwenden. Dies
gilt auch dann, wenn aus Anlass einer Ehescheidung über die güterrechtliche Abwicklung der
Ehe zu entscheiden ist. Verweist daher Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf das Recht eines solchen
Staates, so kann das dort herrschende Gleichlaufprinzip zu einer „versteckten“ Rückverwei-
sung auf das deutsche Recht führen, wenn ein deutsches Gericht mit dem Rechtsstreit befasst
ist4. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn aus der Sicht des zur Anwendung berufenen aus-
ländischen Rechts die deutschen Gerichte ausschließlich oder zumindest konkurrrierend in-
ternational zuständig sind5. So ist in einer deutsch-britischen Ehe der Zugewinnausgleich
nach deutschem Recht kraft versteckter Rückverweisung durch das englische IPR durchzufüh-
ren, wenn die Eheleute im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bei dem
deutschen Gericht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben6.

(i) Ausschluss des Renvoi


6.924 Ein Verstoß gegen den Sinn der deutschen Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB wird teilweise
dann angenommen, wenn das zur Anwendung berufene ausländische Recht entweder für alle
Ehewirkungen oder nur für das Ehegüterrecht nicht geschlechtsneutral anknüpft. Stellt also
das ausländische internationale Ehegüterrecht einseitig auf das jeweilige Heimat- oder Wohn-
sitzrecht des Ehemannes ab, so soll eine solche gleichberechtigungswidrige Anknüpfung

1 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 93 m.w.N.


2 Dicey, Morris&Collins, Conflict15 Rule 166 (3) S. 1471 ff.; Rabel I/II 392 (397 ff.).
3 KG v. 21.12.1935, JW 1936, 2466 m. Anm. Maßfeller; IPG 1972 Nr. 14 (Köln), jeweils zur Wahl
des Güterrechtsstatuts nach anglo-ind. Recht.
4 KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565) (USA/Massachussetts); KG v.
20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562) m. Anm. Henrich (Nigeria).
5 Vgl. dazu – differenzierend nach Fallgruppen – Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 145 ff. m.w.N.
6 Vgl. AG Emmendingen v. 20.4.2000 – 4 F 14/96, IPRspr. 2000 Nr. 54; IPG 1999 Nr. 24 (Ham-
burg). Ausführlich zur versteckten Rückverweisung Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB
Rz. 88 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 245 ff., jeweils m.w.N.

838 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.926 § 6

von deutschen Gerichten nicht zu beachten sein, sofern nicht die Ehefrau dieselben Anknüp-
fungsmerkmale erfüllt und deshalb kein gleichberechtigungswidriges Ergebnis eintritt1.

Indessen ist ausländisches Kollisionsrecht – im Gegensatz zum deutschen Kollisionsrecht – 6.925


nicht abstrakt an den deutschen Grundrechten zu messen, sondern nur dann nach Art. 6 S. 2
EGBGB auszuschalten, wenn seine Anwendung im konkreten Einzelfall zu einer mit Art. 3
Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden unerträglichen Benachteiligung der Ehefrau gegenüber
ihrem Ehemann führt2. Ebenso wenig ist im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach Art. 15
Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB eine Rückverweisung schon deshalb sinnwidrig,
weil das berufene Recht der engsten Verbindung das Güterrechtsstatut anders festlegt als das
deutsche IPR3.

Ausgeschlossen sind Rück- und Weiterverweisung gem. Art. 4 Abs. 2 EGBGB hingegen, wenn 6.926
die Ehegatten das anwendbare Güterrecht durch eine gültige Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2
oder Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB bestimmt haben4. Im letzteren Fall reicht es auch aus,
dass die Ehegatten lediglich von der Geltung eines bestimmten Rechts „ausgegangen“ sind,
weil darin eine schlüssige Rechtswahl zu sehen ist5. Gleiches muss schließlich auch dann gel-
ten, wenn das Güterrechtsstatut gem. Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB durch
mittelbare Rechtswahl festgelegt worden ist. Zwar lässt sich bei formaler Betrachtung die Auf-
fassung vertreten, die Anknüpfung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB bleibe auch dann objektiv, wenn
auf das von den Ehegatten nach Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB wirksam gewählte Ehewirkungssta-
tut verwiesen wird, so dass insoweit für eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 EGBGB kein
Raum sei6. Der Gleichlauf zwischen Güterrechts- und Erbstatut, der durch die Zulassung eines
Renvoi gefördert werden soll, ist aber über Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB nur
unvollkommen zu erreichen; denn die unterschiedlichen Anknüpfungsmerkmale und -zeit-
punkte in Art. 14, 15 und Art. 25 Abs. 1 EGBGB sowie die nur beschränkte Parteiautonomie
im internationalen Erbrecht stehen einer effektiven Koordinierung von Güterrechts- und Erb-
statut entgegen. Die besseren Gründe sprechen dafür, die Bestimmung des Ehegüterrechtssta-
tuts durch mittelbare Rechtswahl als Sachnormverweisung zu qualifizieren und einen Renvoi
wegen der akzessorischen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 HS. 2 EGBGB auszuschließen7.

1 BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638 = IPRax 1988, 100 (m. Anm. Schurig, IPRax
1988, 88) (Rückverweisung des italien. internationalen Ehegüterrechts auf das deutsche Heimat-
recht des Ehemannes wegen Widerspruchs zum Sinn der Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB
nicht beachtet); zust. Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 119; Kropholler, IPR, § 24
II 2b.
2 Für eine Korrektur mit Hilfe des ordre public-Vorbehalts zu Recht Kartzke, IPRax 1988, 8 (11 f.);
Kühne, FS Ferid (1988), S. 251 (259); Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1 (10 f.); Schotten, MittRhein-
NotK 1984, 39; von Hein in MünchKomm, Art. 4 EGBGB Rz. 94 f.; Hausmann in Staudinger,
Art. 4 EGBGB Rz. 130 f. m.w.N.
3 KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562); Looschelders in MünchKomm, Art. 15
EGBGB Rz. 113 a.E.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 29.
4 Unstr., vgl. von Bar, Bd. II Rz. 222.
5 BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, FamRZ 1987, 679 = NJW 1988, 638.
6 So Kühne, FS Ferid (1988), S. 251 (264); Rauscher, NJW 1988, 2151 (2154).
7 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 89; im Erg. ebenso Kartzke, IPRax 1988, 8 (10 f.);
Henrich in Johannsen/Henrich, Rz. 16, jeweils zu Art. 15 EGBGB, die Art. 4 Abs. 2 EGBGB heran-
ziehen.

Hausmann | 839
§ 6 Rz. 6.927 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

d) Rechtswahl, Art. 22 EuGüVO


aa) Allgemeines
(1) Normzweck
6.927 Um Ehegatten die Regelung ihrer güterrechtlichen Beziehungen und die Verwaltung ihres Ver-
mögens zu erleichtern, räumt die EuGüVO in Art. 22 der Parteiautonomie weiten Raum
ein1. Das wirksam gewählte Recht hat Vorrang vor der objektiven Anknüpfung nach Art. 26
EuGüVO2. Die Ehegatten sollen allerdings nur solche Rechte wählen dürfen, die mit ihrer rea-
len Lebenssituation und ihrer künftigen Lebensplanung einen hinreichenden Zusammenhang
aufweisen. Diese enge Verbindung kann nur durch den gewöhnlichen Aufenthalt oder die
Staatsangehörigkeit der Ehegatten hergestellt werden; demgegenüber kommt es wegen Art. 21
EuGüVO auf die Art oder Belegenheit des dem Güterstand unterliegenden Vermögens nicht
an (ErwG 45 S. 1). Auch die Wahl der lex fori ist – anders als im internationalen Eheschei-
dungsrecht (Art. 5 Abs. 1 lit. d Rom III-VO) – ausgeschlossen. In einem Ehevertrag empfiehlt
sich die Aufnahme einer Rechtswahlklausel immer dann, wenn der Sachverhalt einen Aus-
landsbezug aufweist. Zwischen der kollisionsrechtlichen Rechtswahl und dem Ehevertrag ist
jedoch sorgfältig zu unterscheiden. Eine nach Art. 22 EuGüVO getroffene Rechtswahl bleibt
daher auch dann gültig, wenn der Ehevertrag, dessen Bestandteil sie bildet, im Übrigen un-
wirksam ist3.

6.928 Die EuGüVO regelt das auf das Ehegüterrecht anzuwendende Recht zwar nur in Fällen mit
grenzüberschreitendem Bezug (ErwG 14). Im Fall einer Rechtswahl muss dieser internatio-
nale Sachverhalt jedoch nicht bereits bei deren Abschluss vorliegen. Vielmehr ist es als zulässig
zu erachten, wenn die Ehegatten die Rechtswahl im Hinblick auf einen künftigen grenzüber-
schreitenden Bezug (z.B. die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland) vorsorg-
lich treffen4. Die Rechtswahl entfaltet in diesem Fall jedoch erst Wirkung, wenn die vereinbar-
te aufschiebende Bedingung eintritt5.

(2) Verhältnis von Art. 22 EuGüVO zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB


6.929 Intertemporal ist insbesondere zu beachten, dass sich zwar die objektive Anknüpfung des
Güterrechtsstatuts von Ehegatten, die vor dem 29.1.2019 die Ehe geschlossen haben, gemäß
Art. 69 Abs. 3 EuGüVO auch nach diesem Stichtag weiterhin nach dem autonomen Kollisi-
onsrecht der teilnehmenden Mitgliedstaaten – in Deutschland also nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m.
Art. 14 EGBGB a.F. – bestimmt (Rz. 6.859). Treffen solche Ehegatten hingegen ab dem
29.1.2019 erstmals eine güterrechtliche Rechtswahl oder ändern sie eine früher getroffene
Rechtswahl ab, so beurteilen sich die materiellen und formellen Voraussetzungen ihrer Wirk-
samkeit nach Art. 22 ff. EuGüVO. Art. 15 Abs. 2 EGBGB findet also auf eine ab dem 29.1.2019
vereinbarte Wahl des Güterrechtsstatuts keine Anwendung mehr. Bedeutung hat dies ins-
besondere für die bisher in Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB a.F. vorgesehene Möglichkeit, für un-
bewegliches Vermögen eine Teilrechtswahl zugunsten des Rechts am jeweiligen Lageort zu

1 Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061.


2 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (753 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II Rz. 224; Looschelders in
MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 1.
3 Vgl. i.d.S. zur Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB
Rz. 45.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 325; Looschelders in MünchKomm,
Art. 22 EuGüVO Rz. 4.
5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 5 EuGüVO Rz. 15.

840 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.931 § 6

treffen, die seit dem 29.1.2019 entfallen ist. Aus diesem Grund wird auf die Behandlung der
Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB verzichtet1. Dargestellt wird nur die heute allein maß-
gebliche Regelung der Rechtswahl in Art. 22 ff. EuGüVO.

(3) Vereinbarung der Rechtswahl


(a) Zulässigkeit und materielle Gültigkeit
Die Zulässigkeit sowie der Inhalt und Umfang einer güterrechtlichen Rechtswahl beurteilen 6.930
sich allein nach europäischem Recht, weil dieses in Art. 22 EuGüVO die Rechtswahl eröffnet.
Auf den Standpunkt der abgewählten oder der gewählten Rechtsordnung kommt es insoweit
nicht an. Das (hypothetisch) gewählte Recht beherrscht nach Art. 24 EuGüVO lediglich das
wirksame Zustandekommen und die materielle Gültigkeit der Rechtswahl. Dies gilt im Hin-
blick auf Art. 20 EuGüVO auch dann, wenn ein drittstaatliches Recht gewählt wird. Die Eu-
GüVO entscheidet allerdings nur über die Gültigkeit der Rechtswahl aus der Sicht der an ihr
teilnehmenden Mitgliedstaaten; ob die Rechtswahl auch in einem nicht teilnehmenden Mit-
gliedstaat oder in einem nicht der EU angehörenden Drittstaat anerkannt wird, beurteilt sich
hingegen nach dem autonomen Kollisionsrecht dieser Staaten. Dies sollten Ehegatten daher in
ihre Betrachtung einbeziehen, wenn bereits bei Abschluss der Rechtswahlvereinbarung fest-
steht, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen Drittstaat begründen wollen
oder wesentliches (vor allem Grund-)Vermögen der Ehegatten dort belegen ist2. Wird der
Rechtswahl die Anerkennung in dem nicht an der Verordnung teilnehmenden Aufenthalts-
oder Belegenheitsstaat verweigert, sind hinkende Güterrechtsbeziehungen die Folge3. Zu deren
Vermeidung sollten die materiellen und formellen Voraussetzungen einer gültigen Rehtswahl
möglichst sowohl nach dem gewählten wie nach dem abgewählten Recht erfüllt werden4.

(b) Ausdrückliche und stillschweigende Rechtswahl


Abweichend von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO schreibt Art. 22 EuGüVO nicht vor, dass die Rechts- 6.931
wahl ausdrücklich getroffen werden muss. Im Gegensatz etwa zu Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO und
Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO wird aber auch nicht klargestellt, dass eine stillschweigende
Rechtswahl genügt, wenn sie sich nur eindeutig aus dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung
oder den Umständen des Falles ergibt. Unter der letztgenannten Voraussetzung sollte man in-
des auch eine stillschweigende Rechtswahl des Güterrechtsstatuts zulassen, sofern die Form
nach Art. 23 EuGüVO gewahrt ist5. Dafür spricht insbesondere die Sonderanknüpfung in
Art. 24 Abs. 2 EuGüVO, die überhaupt nur bei einer stillschweigenden Rechtswahl Bedeutung
erlangen kann. Allerdings sind insoweit ähnlich strenge Anforderungen zu stellen wie bisher

1 Vgl. dazu die 7. Aufl., Rz. 7.806 ff.


2 Vgl. i.d.S. zur Rechtswahl nach Art 15 Abs 2 EGBGB Mörsdorf in BeckOK BGB Rz. 60, sowie das
Beispiel bei Münch/Süß, § 20 Rz. 109.
3 Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 2.
4 So auch Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (84).
5 Weber, DNotZ 2016, 659 (680 f.); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Martiny, ZfPW 2017, 1 (19);
Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (77 f); Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (753 f.); Magnus, IPRax
2019, 8 (14); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 326; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 245 f.; Andrae,
IntFamR, § 4 Rz. 133; Thorn in Palandt, Art. 24 EuGüVO Rz. 2; ebenso schon zu Art. 15 Abs. 2
EGBGB Andrae, NotBZ 2001, 44 (50); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 47; Mankowski
in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 106; a.A. OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ
2002, 459.

Hausmann | 841
§ 6 Rz. 6.931 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach autonomem Kollisionsrecht. Es bedarf daher eines auf die kollisionsrechtliche Wahl des
anwendbaren Güterrechts bezogenen Geschäftswillens. Die Ehegatten müssen mithin objektiv
Handlungen vornehmen, die den Schluss auf eine solche Rechtswahl zulassen und sie müssen
subjektiv die Umstände, die diesen Schluss begründen, kennen oder zumindest erkennen, dass
ihre jeweiligen Äußerungen nach Treu und Glauben oder der Verkehrssitte als güterrechtliche
Rechtswahl aufgefasst werden durften und vom jeweiligen Empfänger auch so verstanden
wurden1. Hierfür reicht die von den Ehegatten in einem Grundstückskaufvertrag mit einem
Dritten getroffene Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO nicht aus2.

6.932 Eine stillschweigende Rechtswahl wird sich – wie im internationalen Vertragsrecht – ins-
besondere aus der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands nach Art. 7 EuGüVO
entnehmen lassen3. Gleiches gilt bei Bezugnahme in einem Ehevertrag auf güterrechtliche
Vorschriften oder typische Rechtsinstitute eines bestimmmten nationalen Rechts. Die Verein-
barung einer Morgengabe nach islamischem Recht in einem Ehevertrag zwischen einem
deutschen Ehegatten und seinem Partner, der einem islamischen Staat angehört, kann hin-
gegen jedenfalls dann nicht als konkludente Wahl des Heimatrechts dieses Partners ausgelegt
werden, wenn sie nach dem Recht des Eheschließungsorts notwendige Voraussetzung einer
gültigen Eheschließung ist4. Bei einer Rechtswahl in einer Scheidungsfolgenvereinbarung ist
jeweils sorgfältig zu prüfen, ob sie sich auch auf das eheliche Güterrecht bezieht5. Aus dem
Ausschluss des Versorgungsausgleichs und der vereinbarten Gütertrennung in einer deutsch-
ausländischen Ehe kann nicht auf die stillschweigende Wahl des Heimatrechts des auslän-
dischen Ehegatten geschlossen werden6.

(4) Maßgeblicher Zeitpunkt


6.933 Art. 22 EuGüVO schreibt für die Rechtswahl einen bestimmten Zeitpunkt nicht vor. Diese
kann daher bereits vor der Heirat7, wenn auch nur mit Wirkung ab dieser, aber auch nach-
träglich zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Ehe vorgenommen werden (vgl. Art. 22
Abs. 1 EuGüVO: „Die Ehegatten oder künftigen Ehegatten ...“). Sie ist auch noch in einem
anhängigen Scheidungsverfahren möglich8. Die in Art. 22 EuGüVO normierten Vorausset-

1 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB KG FamRZ 2013, 1480 = IPRax 2014, 71 (m. Anm. Gruber, IPRax
2014, 53).
2 Vgl. schon zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299
(300) (Erwerb eines deutschen Hausgrundstücks durch kroat. Ehegatten. „Daraus, dass die Partei-
en ein in Deutschland gelegenes Grundstück erworben haben und der Kaufvertrag ... deutschem
Recht unterlag, lässt sich keine Rechtswahl bezüglich des Güterrechts entnehmen“); ferner LG
Augsburg v. 30.3.1994 – 4 T 1386/94, MittBayNotV 1995, 233; Mankowski in Staudinger, Art. 15
EGBGB Rz. 106.
3 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 247.
4 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB OLG Frankfurt a.M. v. 29.2.1996 – 3 UF 19/96, FamRZ 1996, 1478
(1479) (deutsch-jordanische Ehe); OLG Hamburg v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02, FamRZ 2004,
459; OLG München v. 26.7.2005 – 4 UF 433/04, IPRspr. 2005 Nr. 46 (deutsch-ägyptische Ehe);
Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 220; dazu näher Wurmnest, RabelsZ 71 (2007) 554 (555); Mankowski in
Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 106.
5 Vgl. OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ 2002, 459; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15
EGBGB Rz. 48.
6 OLG Schleswig v. 6.4.2000 – 13 UF 173/99, SchlHA 2000, 222.
7 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); von Bar/Mankowski, Bd.II, § 4 Rz. 228.
8 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (750).

842 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.937 § 6

zungen für die Rechtswahl müssen nur zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem diese getroffen
wird; ihr späterer Wegfall berührt die Wirksamkeit der Rechtswahl nicht mehr.

(5) Allgemeine Schranken


Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit des Güterrechtsstatuts nach Art. 21 EuGüVO 6.934
kann die Rechtswahl nur einheitlich für das gesamte Vermögen der Ehegatten – ohne Rück-
sicht auf dessen Belegenheit – getroffen werden1. Ausgeschlossen ist daher unter Geltung der
Verordnung nicht nur die nach bisherigem autonomen deutschen Kollisionsrecht (Art. 15
Abs. 2 Nr. 3 EGBGB) zugelassene Wahl des jeweiligen Belegenheitsrechts für unbewegliches
Vermögen, sondern auch jede sonstige territoriale Beschränkung einer nach Art. 22 Abs. 1
EuGüVO getroffenen Rechtswahl. Diese kann daher insbesondere nicht auf das im gemein-
samen Aufenthaltsstaat (lit. a) oder im gemeinsamen Heimatstaat (lit. b) belegene Vermögen
der Ehegatten beschränkt werden.

Eine gerichtliche Kontrolle der Rechtswahl auf ihre Billigkeit nach dem Vorbild von Art. 8 6.935
Abs. 5 des Haager Unterhaltsprotokolls ist in der EuGüVO nicht vorgesehen2. Sie beurteilt
sich vielmehr als Frage des wirksamen Zustandekommens oder der materiellen Wirksamkeit
der Rechtswahl gemäß Art. 24 Abs. 1 EuGüVO nach dem gewählten Recht.

bb) Wählbare Rechte


(1) Weitreichende Parteiautonomie
Art. 22 Abs. 1 EuGüVO räumt den Ehegatten, insbesondere als Korrektiv zur Fixierung des 6.936
objektiven Güterrechtsstatuts in Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO auf den Zeitpunkt der Ehe-
schließung, verhältnismäßig weitreichende Wahlmöglichkeiten ein. Auf diese Weise soll – na-
mentlich in Fällen eines Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsels eines oder beider
Ehegatten nach der Eheschließung – eine Anpassung an die neue Lebenssituation ermög-
licht werden. Die Wahl wird allerdings auf solche Rechte beschränkt, zu denen die Ehegatten
einen engen Bezug haben3. Danach können sich die (künftigen) Ehegatten alternativ4 zwi-
schen folgenden Rechten entscheiden:

(2) Gewöhnlicher Aufenthalt eines oder beider Ehegatten


Gemäß Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO können die Ehegatten zunächst das Recht des Staates 6.937
wählen, in dem sie zur Zeit der Rechtswahl ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt5
haben. Auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss der Rechtswahlverein-
barung kommt es auch an, wenn die Ehegatten die Rechtswahl schon vor der Eheschließung

1 Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 330; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 234, 261; Looschelders in
MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 2.
2 Krit. dazu Dethloff, FS von Hoffmann (2011), S. 73 (77 f.); für analoge Anwendung von Art. 8
Abs. 5 HUP von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 227.
3 Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 1061 (1062 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 232.
4 Die Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 22 Abs. 1 lit. a und lit. b EuGüVO stehen gleichberechtigt
nebeneinander; es besteht also – anders als bei der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 Abs. 1
EuGüVO – kein Subsidiaritätsverhältnis, vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II Rz. 233.
5 Problemfälle der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts (z.B. bei Ruhestandsmigranten,
Grenzpendlern, Strafgegangenen etc.) stellen sich ähnlich wie im Rahmen der EuErbVO, vgl. Dö-
bereiner, Mitt BayNotV 2018, 405 (410).

Hausmann | 843
§ 6 Rz. 6.937 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

getroffen haben. Die Verordnung setzt nicht voraus, dass dieser gewöhnliche Aufenthalt auch
noch zur Zeit der Eheschließung fortbesteht1. Planen die Ehegatten einen Umzug ins Ausland,
so dürfte es auch zulässig sein, das künftige gemeinsame Aufenthaltsrecht bereits vor dem
Umzug aufschiebend bedingt zu wählen2; die materielle Wirksamkeit einer solchen bedingten
Rechtswahl beurteilt sich dann gemäß Art. 24 Abs. 1 EuGüVO nach dem gewählten Recht.
Auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten kommt es im Rahmen von lit. a nicht an, so dass
diese Wahlmöglichkeit auch dann eröffnet ist, wenn die Ehegatten dieselbe (effektive) Staats-
angehörigkeit besitzen, denn durch die Rechtswahl soll ihnen gerade eine Anpassung ihrer
güterrechtlichen Beziehungen an das von ihrem Heimatrecht abweichende Recht ihres ge-
meinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsstaates ermöglicht werden3.

6.938 Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl (noch) keinen gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalt, so können sie auch für das Recht optieren, in dem nur der eine oder der
andere von ihnen zur Zeit der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein tatsäch-
liches Zusammenleben der Ehegatten in diesem Staat wird nicht vorausgesetzt4. Die rückwir-
kende Wahl des Rechts eines Staates, in dem die Ehegatten sich lange Jahre gemeinsam auf-
gehalten haben und mit dem sie deshalb am engsten verbunden sind, hat hingegen dann aus-
zuscheiden, wenn im Zeitpunkt der Rechtswahl kein Ehegatte sich in diesem Staat noch ge-
wöhnlich aufhält5.

(3) Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten


6.939 Zulässig ist nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO auch die Wahl des Rechts des Staates, dessen
Staatsangehörigkeit zumindest einer der Ehegatten zur Zeit der Rechtswahl besitzt. Eine sol-
che Rechtswahl bietet sich insbesondere in gemischt-nationalen Ehen an, wenn die Ehegatten
ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, aber für ihre Ehe den
nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO maßgeblichen deutschen gesetzlichen Güterstand der Zu-
gewinngemeinschaft nicht wünschen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn beide Ehegatten
Staaten angehören, in denen als gesetzlicher Güterstand die Errungenschaftsgemeinschaft gilt,
wie dies nicht nur in den meisten romanischen Rechten, sondern auch in fast allen Staaten
Osteuropas der Fall ist6. Umgekehrt kann auch ein deutscher Ehegatte, der in einer gemischt-
nationalen Ehe lebt, gemeinsam mit seinem Partner eine Rechtswahl zugunsten des deutschen
Güterrechts treffen, auch wenn die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt
im Heimatstaat des nicht-deutschen Ehegatten oder in einem Drittstaat haben.

6.940 Gehörte ein Ehegatte mehreren Staaten an, so war unter Geltung des bisherigen deutschen
Kollisionsrechts (Art. 15 Abs. 2 EGBGB) umstritten, ob er jedes seiner Heimatrechte oder nur
das nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB effektive bzw. das nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB vorrangi-

1 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 327; Looschelders in MünchKomm,
Art. 22 EuGüVO Rz. 13.
2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 14; zweifelnd Looschelders in MünchKomm, Art. 22
EuGüVO Rz. 14; a.A. Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (414); Kemper, FamRB 2019, 68 (69);
Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 6.
3 Vgl. das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 105.
4 Dutta, FamRZ 2019, 1390 (1393); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 3.
5 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6 f.).
6 Vgl. Münch/Süß, § 20 Rz. 161 ff., 178 ff., 202 ff.

844 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.942 § 6

ge deutsche Heimatrecht wählen konnte1. Demgegenüber sind Ehegatten in diesem Fall seit
dem 29.1.2019 berechtigt, jedes der Heimatrechte eines Mehrstaater-Ehegatten als Güter-
rechtsstatut zu wählen. Sie sind also nicht auf die Wahl des effektiven Heimatrechts dieses
Ehegatten beschränkt. Dies stellt die EuGüVO zwar – anders als die EuErbVO in Art. 22 Abs. 1
UAbs. 2 – im Text nicht ausdrücklich klar. In ErwG 50 S. 2 wird aber darauf hingewiesen,
dass die in S. 1 dieses Erwägungsgrunds enthaltene Verweisung auf das nationale Recht der
Mitgliedstaaten hinsichtlich der Behandlung von Mehrstaatern „keine Auswirkung auf die
Gültigkeit einer Rechtswahl haben [soll], die nach dieser Verordnung getroffen wurde“. Dies
ist aber dahin zu verstehen, dass Art 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB nur für die objektive Anknüpfung
nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO herangezogen werden darf, während nach Art. 22 Abs. 1
lit. b EuGüVO auch ein nicht-effektives Heimatrecht eines Ehegatten wirksam gewählt werden
kann2. Dies ist auch zweckmäßig; denn die Gültigkeit einer Rechtswahl sollte aus Gründen
der Rechtssicherheit gerade nicht von der – häufig schwierigen – Ermittlung des effektiven
Heimatrechts eines Mehrstaater-Ehegatten abhängen. Sonst könnten die bei der objektiven
Anknüpfung des Güterrechtsstatuts an das Heimatrecht von Mehrstaatern bestehenden Unsi-
cherheiten durch eine Rechtswahl nicht beseitigt werden, sondern würden noch verschärft.

Die Ehegatten können das Recht ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder ihrer ge- 6.941
meinsamen Staatsangehörigkeit auch dann wählen, wenn dieses Recht auch ohne Rechtswahl
kraft objektiver Anknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 lit. a oder lit. b EuGüVO zur Anwendung
berufen wäre. Durch eine solche Rechtswahl wird die Geltung des Aufenthalts- oder Heimat-
rechts eines oder beider Ehegatten insbesondere vor Gerichten solcher Drittstaaten sicher-
gestellt, die das Güterrechtsstatut zwar objektiv abweichend anknüpfen, aber eine Wahl des
(insbesondere gemeinsamen) Aufenthalts- oder Heimatrechts der Ehegatten anerkennen.
Schließlich bietet sich eine solche Rechtswahl vor allem dann an, wenn die Ehegatten schon
im Zeitpunkt der Rechtswahl beabsichtigen, im Verlauf der Ehe ihren gemeinsamen gewöhnli-
chen Aufenthalt in einen anderen Staat zu verlegen; in diesem Fall kann durch eine Rechts-
wahl insbesondere den Unsicherheiten vorgebeugt werden, die sich aus einer möglichen An-
wendung der Ausweichklausel des Art. 26 Abs. 3 EuGüVO ergeben könnten.

cc) Einigung und materielle Wirksamkeit


Die Frage, ob die Parteien sich über die Rechtswahl wirksam geeinigt haben, ist gemäß Art. 24 6.942
Abs. 1 EuGüVO nicht nach der lex fori, sondern nach dem Recht zu beantworten, das im Falle
der Wirksamkeit der Rechtswahl anwendbar wäre. Damit hat die EuGüVO im Wesentlichen
die Regelung in Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO, Art. 6 Rom III-VO und Art. 22 Abs. 3
EuErbVO zum Zustandekommen und zur materiellen Wirksamkeit einer Rechtswahlverein-
barung im internationalen Schuldvertrags-,3 Ehescheidungs- und Erbrecht übernommen.
Ferner wird der Grundsatz des Art. 24 Abs. 1 EuGüVO – ebenso wie in Art. 3 Abs. 5 i.V.m.

1 Für die Zulässigkeit einer Wahl des nicht effektiven Heimatrechts Voraufl., Rz. 7.810; Kühne,
IPRax 1987, 69 (72); Siehr, IPRax 2007, 353 (356 f.); Schurig in Soergel, Rz. 18; Mörsdorf in Beck-
OK BGB, Rz. 66, jeweils zu Art. 15 EGBGB; Kropholler, IPR § 45 IV 4a; Andrae, IntFamR, § 4
Rz. 215; a.A. Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (659); Wegmann, NJW 1987, 1740 (1742); Man-
kowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 133 ff. m.w.N.
2 Weber, DNotZ 2016, 659 (677 f.); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1980 f.); Kohler/Pintens, FamRZ
2016, 1509 (1511); Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (67); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 329; Sieg-
hörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 9; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 15
m.w.N. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 110.
3 Dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 11, 34 ff.

Hausmann | 845
§ 6 Rz. 6.942 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO – durch eine Sonderanknüpfung
eingeschränkt, wenn ein Ehegatte nach dem Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufent-
halts nicht damit rechnen musste, dass sein Verhalten nach dem gewählten Recht als Zustim-
mung zur Rechtswahlvereinbarung gewertet würde. Die Regeln des Art. 24 EuGüVO sollen
den Ehegatten die in voller Sachkenntnis zu treffende Rechtswahl erleichtern und das Einver-
nehmen der Ehegatten achten, um damit Rechtssicherheit sowie einen besseren Zugang zur
Justiz zu gewährleisten (ErwG 47 S. 1)1.

dd) Formgültigkeit der Rechtswahl


(1) Allgemeines
6.943 Die Regeln zur Formgültigkeit der Rechtswahlvereinbarung sollen es den Ehegatten einerseits
erleichtern, ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis zu treffen, und sollen andererseits ge-
währleisten, dass die einvernehmliche Rechtswahl im Interesse der Rechtssicherheit sowie ei-
nes besseren Rechtsschutzes respektiert wird (ErwG 47 S. 1). Die Abgrenzung zwischen mate-
rieller und formeller Gültigkeit der Rechtswahl hat autonom zu erfolgen2. Bei Beteiligung von
ausländischen Ehegatten dürfte auch die Feststellung von deren hinreichender Kenntnis der
deutschen Sprache und das daraus ggf. folgende Erfordernis der Zuziehung eines Dolmet-
schers zu den Formerfordernissen der Rechtswahl gehören3. Abweichend vom bisherigen au-
tonomen deutschen Kollisionsrecht (Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F.) unter-
scheidet Art. 23 EuGüVO nicht danach, ob die Rechtswahl im In- oder Ausland getroffen
wurde. Stattdessen kommt es maßgeblich darauf an, in welchem Staat bzw. in welchen Staaten
die Ehegatten zur Zeit der Rechtswahlvereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Insoweit hat Art. 23 EuGüVO fast wortgleich die Regelung in Art. 7 Rom III-VO zur Form
der Rechtswahl im internationenScheidungsrecht übernommen. Ein Verstoß gegen die Form-
vorschriften des Art. 23 EuGüVO führt zur Nichtigkeit der Rechtswahl und damit zur Geltung
des objektiv nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmenden Güterrechtsstatuts. Ein Rückgriff auf
mildere nationale Kollisionsnormen zur Formgültigkeit der Rechtswahl – z.B. auf Art. 11
Abs. 1 EGBGB – hat im Geltungsbereich von Art. 23 EuGüVO auszuscheiden4.

6.944 Um den Ehegatten die Tragweite ihrer Rechtswahl bewusst zu machen (ErwG 47 S. 2), sind an
die Einhaltung der Form des Art. 23 EuGüVO strenge Anforderungen zu stellen5. Art. 23
Abs. 1 S. 1 EuGüVO schreibt für die Rechtswahl in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten als
Mindestform die Einhaltung der Schriftform vor, die – anders als im deutschen Recht – durch
die elektronische Form ersetzt werden kann (Abs. 1 S. 2). Damit weicht die EuGüVO einerseits
deutlich von der Rom I-VO ab, die hinsichtlich der Form der Rechtswahl in Art. 3 Abs. 5 auf
die Regelung des Formstatuts für den Hauptvertrag in Art. 11 Rom I-VO verweist und damit
alternativ die Einhaltung der Form nach dem gewählten Recht oder nach dem Ortsrecht ge-
nügen lässt. Andererseits erleichtert die EuGüVO die Rechtswahl gegenüber den Rechten der-
jenigen Mitgliedstaaten, die schon bisher eine Rechtswahl im internationalen Ehegüterrecht
zugelassen haben. So bedurfte die Rechtswahl nach bisherigem deutschen Recht (Art. 15
Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F.) zwingend der notariellen Beurkundung, wenn sie im

1 Dazu näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 112 ff.


2 Für weiten Begriff der „Form“ in Art. 23 EuGüVO Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 124 ff.
3 Vgl. das Beispiel bei Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 138.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (679); Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in Münch-
Komm, Art. 23 EuGüVO Rz. 2.
5 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (746).

846 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.947 § 6

Inland vorgenommen wurde, ansonsten zumindest der Form des Ehevertrags nach dem ge-
wählten Recht oder dem Recht am Ort der Rechtswahl. Die bloße Einhaltung der privat-
schriftlichen oder elektronischen Form ist auch kaum geeignet, den Ehegatten die Tragweite
ihrer Rechtswahl in jedem Fall bewusst zu machen1. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird den
teilnehmenden Mitgliedstaaten daher in Art. 23 Abs. 2-Abs. 4 EuGüVO die Möglichkeit ein-
geräumt, strengere nationale Formvorschriften für die Rechtswahl vorzusehen, die dann
Vorrang vor Abs. 1 haben. Dies zielt insbesondere auf Rechtswahlvereinbarungen, die in ei-
nem Ehevertrag enthalten sind, der seinerseits nach nationalem Recht meist der notariellen
Beurkundung bedarf.

(2) Europäische Mindestform


Als europäische Mindestform wird in Art. 23 Abs. 1 EuGüVO die Schriftform, Datierung und 6.945
Unterzeichnung durch die Ehegatten gefordert. Schriftform bedeutet, dass der Text der
Rechtswahlvereinbarung schriftlich niedergelegt werden muss, wobei es unerheblich ist, ob
dies hand- oder maschinenschriftlich geschieht. Auch eine einheitliche Urkunde erfordert
Art. 23 Abs. 1 EuGüVO nicht, so dass die Rechtswahl auch – abweichend von § 126 Abs. 2
BGB – in getrennten Schriftstücken (Korrespondenz, E-Mail-Verkehr) formwirksam getroffen
werden kann2. Ergänzend kann auf die Auslegung des Schriftformerfordernisses in anderen
Rechtsakten der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (z.B. Art. 25 Abs. 1 lit. a Brüs-
sel Ia-VO; Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuUntVO; Art. 8 Abs. 2 HUP, Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom III-VO)
Bezug genommen werden. Das nationale Recht der Mitgliedstaaten (z.B. § 126 BGB) hat hin-
gegen außer Betracht zu bleiben3. Die Vorlage einer nur privatschriftlichen Rechtwahlverein-
barung reicht allerdings im Hinblick auf §§ 22, 29 GBO zur Eintragung einer Eigentumsände-
rung an einem deutschen Grundstück aufgrund des gewählten Rechts nicht aus4.

Zusätzlich schreibt Art. 23 Abs. 1 S. 1 EuGüVO vor, dass die Vereinbarung datiert5 und von 6.946
beiden Ehegatten unterzeichnet sein muss. Keine ausdrückliche Antwort gibt Abs. 1 hin-
gegen auf die Frage, ob die Unterschrift von den Ehegatten eigenhändig geleistet werden muss
oder ob auch Stellvertretung möglich ist. Da eine höchstpersönliche Unterzeichnung in
Art. 23 Abs. 1 EuGüVO nicht verlangt wird, sollte die Unterschrift eines Vertreters genügen,
soweit die lex causae die Stellvertretung erlaubt (Art. 24 Abs. 1 EuGüVO) und diese nicht
durch das nach Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 4 EuGüVO vorrangig geltende nationale Recht aus-
geschlossen wird6. Allerdings bedarf die Bevollmächtigung dann ihrerseits der Form des
Art. 23 EuGüVO7.

Die Schriftform kann nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 EuGüVO durch eine elektronische Übermitt- 6.947
lung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglicht, erfüllt werden. Die Vor-
schrift stimmt mit Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 4 Abs. 2 S. 2 EuUntVO und Art. 7 Abs. 2

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 1 a.E.


2 Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 2.
3 Andrae, FS Martiny (2014), S. 3 (12); Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 3; Sieghörtner in NK
BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 6.
4 Vgl. das Beipiel bei Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (75 f).
5 Auch die mangelnde Datierung führt zur Nichtigkeit der Rechtswahl, vgl. Looschelders in Münch-
Komm, Art. 23 EuGüVO Rz. 4.
6 Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 5; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO
Rz. 4; a.A. Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 137.
7 Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 4.

Hausmann | 847
§ 6 Rz. 6.947 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

S. 2 EuGüVO überein, so dass zu ihrer Auslegung die Rechtsprechung und Literatur zu diesen
Vorschriften mit herangezogen werden können. Danach genügt die Einhaltung der elektro-
nischen Form i.S.v. § 126a BGB, bei der das elektronische Dokument mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen wird1; hingegen reicht die Text-
form i.S.v. § 126b BGB nicht aus, weil sie zwar die Schriftform ersetzt, nicht aber die in Satz 1
zusätzlich vorgeschriebene Unterzeichnung durch beide Ehegatten2. Mitteilungen in Messen-
ger-Diensten (SMS, WhatsApp) genügen der Form nicht3.

(3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht


(a) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in einem Mitgliedstaat
6.948 Wenn jedoch nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem beide Ehegatten bei Abschluss der
Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, weitergehende Formerfordernisse vor-
geschrieben sind, so sind nach Art. 23 Abs. 2 EuGüVO auch diese einzuhalten. Die nationalen
Formvorschriften des gemeinsamen Aufenthaltsstaates verdrängen also für diesen Fall die ein-
heitlichen europäischen Formvorschriften für die Rechtswahlvereinbarung nach Art. 23 Abs. 1
EuGüVO. Diese Formerfordernisse müssen allerdings nicht für Rechtswahlvereinbarungen,
sondern für „Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand“ i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b vor-
geschrieben sein. Da Art. 23 Abs. 2 EuGüVO ausdrücklich auf etwaige zusätzliche „Fomvor-
schriften“ des gemeinsamen Aufenthaltsstaats der Ehegatten verweist, bleiben nationale Kolli-
sionsnormen für die Form von von Rechtswahlvereinbarungen – z.B. die Anknüpfung an die
Ortsform in Art. 11 Abs. 1, 2. Fall EGBGB – außer Betracht4. Deshalb ist es für Art. 23 Abs. 2
EuGüVO auch unerheblich, dass die Formvorschrift für die güterrechtliche Rechtswahl in
Art. 15 Abs. 3 EGBGB mit Wirkung vom 29.1.2019 aufgehoben worden ist. Auch bedurfte es
wegen der unmittelbaren Verweisung auf die mitgliedstaatlichen Formvorschriften für Ehever-
träge in Deutschland keiner Umsetzung der Vorschrift nach dem Vorbild von Art. 46e Abs. 1
EGBGB für die Wahl des Scheidungsrechts5.

6.949 Art. 23 Abs. 2 EuGüVO kommt insbesondere zur Anwendung, wenn beide Ehegatten sich
zum Zeitpunkt ihrer Rechtswahl in Deutschland gewöhnlich aufhalten. Für diesen Fall muss
die Rechtswahlvereinbarung zwingend der Form eines Ehevertrags genügen, d.h. nach
§§ 1408, 1410 BGB bei gleichzeitiger – wenn auch nicht notwendig persönlicher – Anwesen-
heit beider Ehegatten notariell beurkundet werden6. Danach ist eine nur privatschriftlich nach
Art. 23 Abs. 1 EuGüVO getroffene Rechtswahlvereinbarung formnichtig, wenn beide Ehegat-
ten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl in Deutschland haben. Al-
lerdings kann die Form nach § 1410 BGB EGBGB auch durch eine gleichwertige Beurkun-
dung im Ausland substituiert werden7. Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt
zur Zeit der Rechtswahl hingegen in einem Mitglied- oder Drittstaaat, der – was kaum vor-
kommen dürfte – keine besonderen Formvorschriften für Eheverträge i.S.v. Art. 23 Abs. 2 Eu-

1 Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 9; Stürner
in Erman, Art. 23 EuGüVO Rz. 6.
2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 9.
3 Kemper, FamRB 2019, 68 (70); Stürner in Erman, Art. 23 EuGüVO Rz. 6.
4 Weber, DNotZ 2016, 659 (679); Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (749).
5 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (236).
6 Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061 (1063); Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 11.
7 Andrae, FS Martiny (2014), S. 3 (14 f.); Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 8.

848 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.952 § 6

GüVO erlassen hat, so reicht die Schriftform nach Abs. 1 selbst dann aus, wenn die Verein-
barung im Inland abgeschlossen wird.

(b) Gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in verschiedenen Mitgliedstaaten


Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ver- 6.950
schiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten, deren Rechte unterschiedliche Formvorschriften
für solche Vereinbarungen vorsehen, so lässt es Art. 23 Abs. 3 EuGüVO – in Anlehnung an
Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO – ausreichen, dass die Form nach nur einem dieser Rechte einge-
halten wird. Nicht erforderlich ist also die kumulative Einhaltung der Formvorschriften beider
Aufenthaltsrechte oder des strengeren der beiden Rechte. Art. 23 Abs. 3 EuGüVO setzt nicht
voraus, dass die Rechtswahl auch in einem der beiden Aufenthaltsstaaten der Ehegatten vor-
genommen worden ist. Wird also der Form nach dem Recht eines teilnehmenden Mitglied-
staats genügt, in dem nur ein Ehegatte sich gewöhnlich aufhält, so ist auch die in einem nicht
teilnehmenden Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat getroffene Rechtswahl formgültig.

Hat einer der beiden Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist die 6.951
Rechtswahl jedenfalls formgültig, wenn die Form der notariellen Beurkundung nach § 1410
BGB gewahrt wird. Wird sie nicht gewahrt, so folgt daraus allerdings noch nicht die Form-
nichtigkeit der Rechtswahl. Vielmehr bedarf es dann weiterhin der Prüfung, ob nicht die –
weniger strengen – Formvorschriften desjenigen teilnehmenden Mitgliedstaats beobachtet
wurden, im dem sich der andere Ehegatte zur Zeit der Rechtswahl gewöhnlich aufgehalten
hat. Kennt das Recht dieses Mitgliedstaats keine besonderen Formvorschriften für Verein-
barungen über den ehelichen Güterstand und gilt deshalb dort die Formvorschrift des Art. 23
Abs. 1 EuGüVO, so reicht auch deren Einhaltung aus1. Die Verweisung auf das Recht eines
anderen teilnehmenden Mitgliedstaats in Art. 23 Abs. 3 EuGüVO ist stets auf dessen materiel-
le Formvorschriften gerichtet; das IPR dieses Staates ist schon im Hinblick auf Art. 32 EuGü-
VO nicht zu berücksichtigen2.

(c) Gewöhnlicher Aufenthalt nur eines Ehegatten in einem Mitgliedstaat


Art. 23 Abs. 4 EuGüVO dehnt die Regelung des Abs. 2 auf den Fall aus, dass nur einer der 6.952
Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem teilneh-
menden Mitgliedstaat hat, sofern sich der andere Ehegatte zu diesem Zeitpunkt in einem
nicht an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat gewöhnlich
aufhält. Auch in diesem Fall sind dann die in dem teilnehmenden Mitgliedstaat für die Wahl
des Güterrechtsstatuts geltenden schärferen Formvorschriften maßgebend (ErwG 47 S. 6).
Hat daher auch nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der
Rechtswahl in Deutschland, so bedarf die Rechtswahl nach § 1410 BGB zwingend der nota-
riellen Beurkundung. Demgegenüber reicht die Einhaltung der Formvorschriften des Staates,
in dem sich der andere Ehegatte gewöhnlich aufhält – abweichend von Abs. 3 – nicht aus,
wenn es sich bei diesem Staat um einen nicht teilnehmenden Mitgliedstaat oder einen Dritt-
staat handelt3. Fehlt es an „zusätzlichen“ Formvorschriften in dem teilnehmenden Mitglied-

1 In fast allen teilnehmenden Mitgliedstaaten ist allerdings die notarielle Beurkundung für Verein-
barungen über den ehelichen Güterstand vorgeschrieben, vgl. Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739
(748 f.).
2 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 338.
3 Krit. zu dieser Regelung Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 13.

Hausmann | 849
§ 6 Rz. 6.952 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

staat, in dem einer der beiden Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so verbleibt es
auch unter den Voraussetzungen des Abs. 4 wiederum beim Schriftformerfordernis nach der
Grundregel in Abs. 1. Auf die Frage, in welchem Staat die Rechtswahl vorgenommen worden
ist, kommt es auch in diesem Fall nicht an.

6.953 Nicht gesondert geregelt in Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 4 EuGüVO ist der Fall, dass keiner der
Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem teilnehmenden Mitgliedstaat hat.
Dies hat freilich nicht etwa zur Folge, dass eine von den Ehegatten getroffene Rechtswahl
nicht zu beachten wäre. Vielmehr greift in diesem Falle die Grundregel des Art. 23 Abs. 1 Eu-
GüVO ein, wonach die Rechtswahl zumindest der Schriftform bedarf. Dies gilt auch dann,
wenn das Recht des gemeinsamen Aufenthaltsstaates der Ehegatten eine weniger strenge
Form genügen lassen sollte, was kaum vorkommen dürfte. Wird in einem solchen Fall die
Rechtswahl in Deutschland getroffen, so findet § 1410 BGB keine Anwendung. In der Schweiz
lebende deutsche Ehegatten können die Rechtswahl vielmehr auch in Deutschland privat-
schriftlich nach Art. 23 Abs. 1 EuGüVO treffen. Die notarielle Beurkundung ist jedoch auch
in diesem Fall ratsam.

ee) Formgültigkeit von Eheverträgen


(1) Allgemeines
6.954 Der Abschluss eines Ehevertrages ist eine Art der Verfügung über das Vermögen der Ehegat-
ten, die nicht in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten in gleichem Maße zulässig ist. Um die
Anerkennung von auf der Grundlage eines Ehevertrags erworbenen Rechten in den Mitglied-
staaten zu erleichtern, sieht die EuGüVO in Art. 25 auch harmonisierte Vorschriften für die
Formgültigkeit von Eheverträgen vor (ErwG 48 S. 1), die sich weitgehend an den Formvor-
schriften für Rechtswahlvereinbarungen orientieren und deshalb an dieser Stelle mitbehandelt
werden1. Die Form nach Art. 25 EuGüVO ist allerdings nicht nur für Eheverträge, sondern
auch für sonstige Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand in dem weiten Sinne des
Art. 3 Abs. 1 lit. b EuGüVO einzuhalten, also z.B. auch bei Scheidungs- oder Trennungsver-
einbarungen bezüglich der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Bei einem kombinierten
Ehe- und Erbvertrag ist jeder Teil gesondert nach der EuGüVO bzw. der EuErbVO zu beur-
teilen. Ist nur einer der Vertragsteile unwirksam, so entscheidet das auf den wirksamen Ver-
tragsteil anwendbare Recht darüber, welchen Einfluss die Unwirksamkeit des anderen Teils
auf diese Wirksamkeit hat2. Die materielle Wirksamkeit des Ehevertrags beurteilt sich hin-
gegen gemäß Art. 27 lit. g EuGüVO allein nach dem Güterrechtsstatut.

6.955 Ob zu den dem Formzwang nach Art. 25 EuGüVO unterliegenden Vereinbarungen auch die
im deutschen Recht zur Korrektur des Wahlgüterstands der Gütertrennung eingesetzten
Rechtsinstitute des Nebengüterrechts (unbenannte Ehegattenzuwendungen, stillschweigende
Ehegatteninnengesellschaft) gehören – mit der Folge, dass sie in ab dem 29.1.2019 geschlosse-
nen Ehen nicht mehr zur Verfügung stünden –3, ist allerdings fraglich. Denn der vom BGH
bei der stillschweigenden Ehegatteninnengesellschaft zugrunde gelegte konkludente Vertrags-

1 Die Kompetenz des europäischen Gesetzgebers zur Vereinheitlichung der Form von Eheverträgen
wird allerdings zu Recht angezweifelt, vgl. Weber, DNotZ 2016, 650 (679 f.); Döbereiner, MittBay-
NotV 2018, 405 (430); von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 278.
2 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (421 f.). Im deutschen Recht gilt daher § 139 BGB, vgl. Dör-
ner, ZEV 2019, 309 (314); Stürner in Erman, Art. 25 EuGüVO Rz. 2.
3 Vgl. Süß in Dutta/Weber, S. 85 (97).

850 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.957 § 6

schluss beruht i.d.R. auf einer Fiktion. Bei der gebotenen autonomen Qualifikation wird die
stillschweigende Ehegatteninnengesellschaft daher vom Begriff der „Vereinbarung über den
ehelichen Güterstand“ in Art. 3 Abs. 1 lit. b EuGüVO nicht erfasst, weil es sich in Wirklichkeit
um einen im Wege der Analogie gewonnenen gesetzlichen Ausgleichsmechanismus zur Kor-
rektur von Härten des Güterstands der Gütertrennung handelt1. Gleiches gilt für die Kon-
struktion des Wegfalls der Geschäftsgrundlage „unbenannter“ Ehegattenzuwendungen2.
Art. 25 EuGüVO gilt auch nicht für Vereinbarungen, an denen außer den Ehegatten Dritte
beteiligt sind3.

(2) Europäische Mindestform


Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 bedürfen Eheverträge – ebenso wie die Rechtswahl nach Art. 23 Abs. 1 6.956
EuGüVO – zumindest der Schriftform; ferner müssen sie datiert und von beiden Ehegatten
unterzeichnet werden (vgl ErwG 48 S. 2). Der Schriftform steht nach Abs. 1 S. 2 wiederum die
elektronische Form gleich, wenn sie zu einer dauerhaften Aufzeichnung des Ehevertrags ge-
führt hat. Die Einhaltung der Form nach Abs. 1 genügt insbesondere, wenn beide Ehegatten
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat haben, sofern nicht das Güterrechtsstatut
strengere Formerfordernisse aufstellt. Die Vorlage eines nur privatschriftlichen Ehevertrags
reicht allerdings im Hinblick auf §§ 22, 29 GBO zur Eintragung einer Eigentumsänderung an
einem deutschen Grundstück aufgrund des gewählten Güterstands (z.B. der Errungeschafts-
gemeinschaft) nicht aus.

(3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht


Wenn jedoch nach dem Recht eines an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedstaats, in dem 6.957
beide Ehegatten bei Abschluss des Ehevertrags ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, weiter-
gehende Formerfordernisse für dessen wirksamen Abschluss vorgeschrieben sind, so sind
nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuGüVO auch diese einzuhalten. Haben die Ehegatten ihren ge-
meinsamen gewöhnlichen Aufenthalt daher bei Abschluss des Ehevertrags in Deutschland, so
muss dieser gemäß § 1410 BGB zwingend bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Ehegatten zur
Niederschrift eines Notars geschlossen werden. Die Einhaltung der ausländischen Ortsform
genügt – anders als in bis zum 28.1.2019 geschlossenen Ehen (Art. 11 Abs. 1 EGBGB) – in
diesem Fall nicht mehr4. Ausreichend dürfte jedoch die notarielle Beurkundung vor einem
ausländischen Notar sein, wenn dieser – wie ein Notar in der deutschsprachigen Schweiz –
einem deutschen Notar funktionsäquivalent, dh in der Lage ist, die Ehegatten über den Inhalt
und die Bedeutung des Ehevertrages sachkundig und umfassend zu belehren5. Insoweit dürf-
ten die von der Rechtsprechung zur Beurkundung von Gesellschaftsverträgen durch auslän-
dische Notare entwickelten Grundsätze6 entsprechend gelten. Die Form des § 1410 BGB ist
allerdings nur für Eheverträge in dem engen Sinne des § 1408 BGB einzuhalten, nicht für
sonstige Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand in dem weiteren Sinn des Art. 3

1 Dutta, FamRZ 2019, 1390 (1396); Wever, FamRZ 2019, 1289 (1294); Dörner, ZEV 2019, 309 (315);
Stürner in Erman, Art. 25 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 5.
2 Dörner, ZEV 2019, 309 (315); Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 5.
3 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984).
4 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Bergschneider, FamRZ 2020, 563 (564); Sieghörtner in NK-BGB,
Art. 25 EuGüVO Rz. 1.
5 Dazu Bergschneider, FamRZ 2020, 563 (564 ff.).
6 Vgl. Schäuble in Hausmann/Odersky, § 7 Rz. 49 ff.

Hausmann | 851
§ 6 Rz. 6.957 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 lit. b EuGüVO1. Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss des
Ehevertrags in verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten oder hat nur ein Ehegatte seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen Mitgliedstaat, so gilt nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2
und 3 EuGüVO das zur Form von Rechtswahlvereinbarungen nach Art. 23 Abs. 3 und 4 Eu-
GüVO Gesagte entsprechend (Rz. 6.943 ff.).

(4) Zusätzliche Formerfordernisse des Güterrechtsstatuts


6.958 Die Formanforderungen für Eheverträge werden allerdings gegenüber denjenigen für Rechts-
wahlvereinbarungen dadurch verschärft, dass Eheverträge nach Art. 25 Abs. 3 EuGüVO in je-
dem Falle auch etwaige zusätzliche Formvorschriften des nach der Verordnung maßgeb-
lichen Güterrechtsstatuts einhalten müssen (ErwG 48 S. 3)2. Daher bedarf ein Ehevertrag,
der dem deutschen Güterrecht unterliegt, also – unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt
und der Staatsangehörigkeit der Ehegatten – stets der Form des § 1410 BGB. Unerheblich ist
in diesem Zusammenhang, ob das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl nach Art. 22 oder ob-
jektiv nach Art. 26 EuGüVO bestimmt wurde. Ferner ist die Form nach Art. 25 Abs. 3 EuGü-
VO auch dann einzuhalten, wenn als Güterrechtsstatut das Recht eines Drittstaats zur Anwen-
dung gelangt3. Die Kumulation der Formerfordernisse mehrerer Rechtsordnungen kann aller-
dings zu Problemen führen, wenn diese Formerfordernisse nicht miteinander kompatibel
sind4.

6.959 Art. 25 Abs. 3 EuGüVO bedeutet damit auch eine Verschärfung der Formerfordernisse für
Eheverträge mit Auslandsbezug gegenüber dem bisherigen autonomen deutschen Kollisions-
recht: Denn zum einen reicht beim Abschluss eines Ehevertrages im Ausland – anders als bis-
her nach Art. 11 Abs. 1, 2. Fall EGBGB5 – die Einhaltung der ausländischen Ortsform nicht
mehr aus6. Zum anderen ist auch die Formgültigkeit eines im Inland geschlossenen Ehevertra-
ges nicht in jedem Fall mehr gesichert, wenn der Ehevertrag in der Form des § 1410 BGB
geschlossen wurde. Vielmehr hat der Notar auch in diesem Fall zu prüfen, ob nicht auslän-
disches Ehegüterrecht gilt, das zusätzliche Formanforderungen stellt7. Dies kommt insbeson-
dere in Betracht, wenn die Ehegatten ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im
Ausland hatten. Die zusätzliche Beachtung des Formerfordernisses nach ausländischem Recht
kann freilich dadurch vermieden werden, dass die Ehegatten im Ehevertrag eine Rechtswahl
nach Art. 22, 23 EuGüVO zugunsten des deutschen Güterrechts treffen8.

1 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (70).


2 Vgl. näher Süß in Dutta/Weber, S. 85 (92 ff).
3 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 11; Looschelders
in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 10.
4 Süß in Dutta/Weber, S. 85 (94 f.).
5 Vgl. BGH v. 13.7.2011 − XII ZR 48/09, NJW-RR 2011, 1225 (Rz. 11 ff.) = IPRax 2012, 356 (m.
Anm. Helms, IPRax 2012, 324) („Mauritius“).
6 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (421).
7 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (8); Looschelders in MünchKomm,
Art. 25 EuGüVO Rz. 12.
8 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (8); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 349; Thorn in Palandt, Art. 25 EuGü-
VO Rz. 2.

852 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.962 § 6

ff) Wirkungen einer während der Ehe getroffenen Rechtswahl


(1) Allgemeines
Die güterrechtliche Rechtswahl kann jederzeit vor der Ehe (allerdings nur mit Wirkung ab der 6.960
Eheschließung), im Zeitpunkt der Eheschließung oder erst während der Ehe erfolgen (ErwG
45 S. 2). Sie kann auch – wie Art. 22 Abs. 1 EuGüVO klarstellt – während der Ehe jederzeit
geändert werden. Die Wirkungen einer nach Art. 22 EuGüVO getroffenen Rechtswahl treten
grundsätzlich mit ihrer formgerechten Erklärung ein. Allerdings können die Ehegatten durch
eine bedingte oder befristete Rechtswahl auch einen späteren Zeitpunkt für den Eintritt ihrer
Wirkungen festlegen.

(2) Wirkung ex nunc


Wird die Rechtswahl erst nach der Eheschließung getroffen, so wirkt sie nach Art. 22 Abs. 2 6.961
EuGüVO grundsätzlich nur für die Zukunft. Sie führt – ähnlich wie der Abschluss eines Ehe-
vertrags oder die Auflösung der Ehe – notwendig zur Beendigung des bisherigen Güterstands
und damit zu einem Statutenwechsel, durchbricht also den Grundsatz der Unwandelbarkeit
des Güterrechtsstatuts (Rz. 6.898 ff.). An die Stelle des bisher maßgeblichen objektiven Güter-
rechtsstatuts nach Art. 26 EuGüVO bzw nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EGBGB a.F. oder
eines früher nach Art. 22 EuGüVO bzw nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB gewählten Rechts tritt
das erstmals bzw. das neu gewählte Recht. Hatten die Ehegatten bisher in einem Güterstand
der Gütertrennung gelebt, wirft der Statutenwechsel i.d.R. keine Probleme auf. Wird etwa
durch die Rechtswahl der bisherige Güterstand der Zugewinngemeinschaft beendet, so ist
der Zugewinn auszugleichen. Größere Schwieirigkeiten können sich hingegen ergeben, wenn
die Ehegatten bisher in einem Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft ge-
lebt haben, denn in diesem Fall ist das Gesamtgut als Folge des Statutenwechsels auseinander-
zusetzen. Die Geltung des neu gewählten Güterstands ist allerdings nicht auf den Zeitpunkt
hinausgeschoben, zu dem die Auseinandersetzung des früheren Güterstands abgeschlossen
ist. Die sich aus der Auseinandersetzung des früheren Güterstands ergebenden Ansprüche der
Ehegatten gegeneinander stellen vielmehr Aktiva und Passiva dar, die vom Zeitpunkt der
Rechtswahl an den Regeln des neu gewählten Güterstands unterliegen.

Ob sich die Abwicklung des durch die Rechtswahl beendeten Güterstands noch nach dessen 6.962
Vorschriften oder bereits nach denjenigen des neu gewählten Güterrechts beurteilt, war schon
im bisherigen autonomen deutschen Kollisionsrecht umstritten. Teilweise wurde angenom-
men, nach der Abwahl des bisherigen Güterrechts könnten nur noch die Vorschriften des neu
gewählten Rechts maßgeblich sein1. Dabei wird jedoch übersehen, dass ein Güterstand Wir-
kungen nicht nur während seiner Geltung, sondern auch und gerade aus Anlass seiner Been-
digung entfaltet2. In der Praxis kommt den diesbezüglichen Regeln – z.B. über den Ausgleich
des Zugewinns in der Zugewinngmeinschaft oder über die Auseinandersetzung der Güter-
gemeinschaft – sogar besonders große praktische Bedeutung zu. Vorzuziehen ist daher die
Auffassung, die auf die Abwicklung des bisherigen Güterstands auch das bisherige Recht an-
wendet, denn nur dieses verfügt über Abwicklungsregeln, die auf diesen Güterstand zuge-

1 Dafür Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 63, 84; Mankowski in Staudinger, Art. 15
EGBGB Rz. 121 ff.; Mankowski/Osthaus DNotZ 1997, 10 (23 ff.).
2 V. Stoll, S. 89; Schotten, DNotZ 1999, 326 (332).

Hausmann | 853
§ 6 Rz. 6.962 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schnitten sind1. So enthält bei einem Übergang vom deutschen gesetzlichen Güterstand der
Zugewinngemeinschaft in einen ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft oder Gü-
tertrennung das neu gewählte Güterrecht keine Regeln über den Ausgleich des Zugewinns.
Demgegenüber bestimmt das gewählte Güterrechtsstatut, welche Gegenstände des Altver-
mögens von dem neuen Güterstand erfasst werden2. Dies können auch Ansprüche aus der
Liquidation des beendeten ausländischen Güterstands sein3.

(3) Wirkung ex tunc


6.963 Nach Art. 22 Abs. 2 EuGüVO steht es den Ehegatten allerdings frei, etwas anderes zu verein-
baren. Sie sind daher insbesondere berechtigt, die Geltung des neuen Güterrechts mit Rück-
wirkung auf den Zeitpunkt der Eheschließung zu vereinbaren4, sind also nicht mehr – wie
bisher nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB – darauf beschränkt, sich nach Maßgabe des gewählten
Rechts lediglich materiell-rechtlich so zu stellen, als ob das neue Güterrechtsstatut von Anfang
an gegolten hätte. Eine solche rückwirkende Änderung des anzuwendenden Rechts mit kollisi-
onsrechtlicher Wirkung darf nach Art. 22 Abs. 3 EuGüVO jedoch die Ansprüche Dritter, die
sich aus dem zuvor maßgebenden Recht ableiten, nicht beeinträchtigen (vgl. ErwG 46 S. 2).
Wechseln die Ehegatten z.B. mit Rückwirkung auf den Tag der Eheschließung vom deutschen
zum französischen gesetzlichen Güterstand, so können sich Verfügungsbeschränkungen, die
sich aus dem französischen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft ergeben, nicht zu
Lasten von Dritten auswirken, die von einem Ehegatten Eigentum bereits vor der Rechtswahl
unter Geltung des damaligen deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft
erworben hatten. Dies gilt auch für Verfügungsbeschränkungen, die sich – wie das Verbot der
Veräußerung der Ehewohnung ohne Zustimmung des anderen Ehegatten nach Art. 215 Abs. 3
frz Cc – aus dem sog. „régime primaire“ ergeben und daher aus deutscher Sicht bisher als all-
gemeine Ehewirkung qualifiziert wurden5. Im Innenverhältnis der Ehegatten kann die Rechts-
wahl nach Abs. 3 hingegen rückwirkend zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse füh-
ren, soweit die lex rei sitae nicht entgegensteht6.

6.964 Art. 22 Abs. 2 EuGüVO gestattet allerdings nur die rückwirkende Rechtswahl. Die Vorschrift
bezieht sich hingegen nicht auf die Frage, ob innerhalb der neu gewählten Rechtsordnung
auch die rückwirkende Änderung des Güterstands durch einen Ehevertrag zulässig ist7. Zwi-
schen der Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO auf kollisionsrechtlicher Ebene und der Verein-
barung eines Wahlgüterstands auf sachrechtlicher Ebene ist also auch unter Geltung der
EuGüVO sorgfältig zu unterscheiden. Dementsprechend regelt auch die EuGüVO die Form

1 Weber, DNotZ 2016, 659 (681 f.); Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (82); Hausmann, IntEuFamR,
B Rz. 333; Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 17; Looschelders in MünchKomm, Art. 22
EuGüVO Rz. 17; ebenso zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740 (1744); Böhringer,
BWNotZ 1987, 104 (110); Lichtenberger, FS Ferid (1988), S. 269 (274 ff.); Schotten, DNotZ 1999,
326 (332 ff.); Kropholler, IPR § 45 IV 4 d; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 24.
2 Vgl. zu Art. 15 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740 (1744); Looschelders in MünchKomm, Art. 15
EGBGB Rz. 104.
3 Vgl. zu 15 EGBGB Schotten, DNotZ 1999, 326 (332 ff.); V. Stoll, S. 87; Sieghörtner in NK BGB,
Art. 15 EGBGB Rz. 58.
4 Krit. Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061 (1063); Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO
Rz. 18.
5 Weber, DNotZ 2016, 659 (682).
6 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (7); Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 19.
7 Anders offenbar Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 18.

854 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.968 § 6

der Rechtswahl in Art. 23 und die Form des Ehevertrags in Art. 25 z.T. unterschiedlich. Ob
und unter welchen Voraussetzungen der gesetzliche Güterstand durch einen Ehevertrag abge-
ändert werden kann, beurteilt sich gemäß Art. 27 lit. g EuGüVO nach dem gewählten Recht.
Wird – wie im Regelfall vor deutschen Notaren – deutsches Recht gewählt, so gilt auf der
sachrechtlichen Ebene der Grundsatz der Vertragsfreiheit nach § 1408 BGB, der lediglich
durch das Verbot des „Stichwortvertrags“ in § 1409 BGB eingeschränkt wird. Die notwendige
gedankliche Trennung zwischen der kollisionsrechtlichen Rechtswahl und dem sachrechlichen
Ehevertrag hindert es freilich nicht, beide Verträge in einer notariellen Urkunde zusammen-
zufassen, wie dies auch der gängigen Praxis entspricht. Die allein aufgrund der Rechtswahl
eintretende rückwirkende Änderung des Güterstands setzt sich allerdings auch gegenüber ei-
nem gewählten ausländischen Güterrecht durch, das – wie z.B. das portugiesische Recht –
eine solche Rückwirkung grundsätzlich verbietet; insoweit hat Art. 22 Abs. 3 EuGüVO An-
wendungsvorrang vor dem gewählten nationalen Recht1.

Haben die Ehegatten eine Rückwirkung ihrer Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 2 EuGüVO ver- 6.965
einbart, so haben sie damit auch die Abwicklungsvorschriften des bisherigen Güterrechtssta-
tuts abgewählt. In diesem Fall ist eine Abwicklung des bisherigen Güterstands im Rahmen
des neu gewählten Rechts vorzunehmen. Haben die Parteien daher anstelle des für sie bisher
geltenden deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft rückwirkend ein
Recht gewählt, in dem die Errungenschaftsgemeinschaft gesetzlicher Güterstand ist, so schei-
det ein Zugewinnausgleich im Scheidungsfalle aus.

Ob die rückwirkende Rechtswahl zu einer automatischen Änderung der dinglichen Zuord- 6.966
nung von Immobiliarvermögen führt oder ob hierfür weitere sachenrechtliche Rechts-
geschäfte erforderlich sind, dürfte sich aufgrund des Registervorbehalts in Art. 1 Abs. 2 lit. h
EuGüVO nach der lex rei sitae richten2.

gg) Publizität der Rechtswahl


Die nach Art. 22 EuGüVO getroffene Rechtswahl kann in das deutsche Güterrechtsregister 6.967
eingetragen werden. Diese Eintragung ist zwar für die Wirksamkeit der Rechtswahl nach eu-
ropäischem Recht nicht erforderlich. Sie kann sich jedoch empfehlen, um die Chancen für
eine Anerkennung der Rechtswahl in Drittstaaten zu erhöhen, wenn z.B. das drittstaatliche
Heimat- oder Aufenthaltsrecht der Ehegatten eine amtliche Registrierung der Rechtswahl vor-
schreibt3. Außerdem kann durch die Eintragung der Wahl ausländischen Güterrechts im Gü-
terrechtsregister der Schutz des guten Glaubens eines Dritten in die Geltung deutschen Gü-
terrechts nach Art. 28 Abs. 2 lit. b EuGüVO ausgeschlossen werden (näher Rz. 6.1019 ff.).

hh) Aufhebung und Änderung der Rechtswahl


Eine einmal getroffene Rechtswahl kann nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO mit Wirkung für die 6.968
Zukunft jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Für die Änderung oder Aufhebung gel-

1 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (80 f.); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 9.


2 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (82 f.); Weber, RNotZ 2017, 365 (369); Sieghörtner in NK BGB,
Art. 22 EuGüVO Rz. 19; a.A. – unter Hinweis auf die Kubicka-Entscheidung des EuGH – Loo-
schelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 19.
3 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (663); Böhringer, BWNotZ 1987,
104 (111); Röll, MittBayNotV 1989, 1 (4).

Hausmann | 855
§ 6 Rz. 6.968 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten Art. 23, 24 EuGüVO entsprechend. Die Rechtswahl endet aber nicht schon deshalb eo ipso,
weil ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. Treffen die Ehegatten eine – nach Art. 22
EuGüVO zulässige – andere Rechtswahl, so gilt fortan das neu gewählte Güterrechtsstatut.
Heben sie dagegen ihre frühere Rechtwahl lediglich auf, so gilt mit Wirkung ex nunc wieder
das objektiv nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmende Güterrechtsstatut1. Für dessen Ermitt-
lung sind nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO die Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung – und
nicht jene bei Aufhebung der Rechtswahl – maßgeblich, weil der Grundsatz der Unwandelbar-
keit nicht zur Disposition der Ehegatten steht2. Für die Überleitung gilt in einem solchen Falle
das zuvor in Rz. 6.964 ff.Gesagte entsprechend.

e) Vorrang des Rechts des Lageorts


6.969 Ebenso wie das europäische internationale Ehegüterrecht (Art. 21 EuGüVO; dazu Rz. 6.873)
befolgt auch das deutsche autonome IPR den Grundsatz der Einheitlichkeit des Güterrechts-
statuts. Die gesamten güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten richten sich daher nach
demselben Recht, unabhängig von dem Ort, an dem sich die einzelnen Vermögensgegenstän-
de befinden3. Dieser Grundsatz wird in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen jedoch an
zwei Stellen durchbrochen. Zum einen wird eine (Teil-)Rückverweisung des von Art. 15 Abs. 1
EGBGB berufenen Rechts auf das Recht des Lageorts beachtet (dazu Rz. 6.911 ff.). Zum ande-
ren ordnet Art. 3a Abs. 2 EGBGB den Vorrang eines vom Güterrechtsstatut verschiedenen
Belegenheitsstatuts (lex rei sitae) an, soweit dieses für die in seinem Gebiet befindlichen Ver-
mögensgegenstände besondere Vorschriften bereithält. Hingegen kann die gegenständlich auf
unbewegliches Vermögen beschränkte Rechtswahl zugunsten der lex rei sitae nach Art. 15
Abs. 2 Nr. 3 EGBGB seit dem 29.1.2019 nicht mehr getroffen werden.

6.970 Der Grundatz „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ gilt – anders als die bisherige Rechtswahl
nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB – nicht nur für unbewegliches, sondern auch für beweg-
liches Vermögen4. Ein Vorrang der lex rei sitae vor dem güterrechtlichen Gesamtstatut setzt
nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB einerseits voraus, dass Vermögensgegenstände der Ehegatten in
einem Staat belegen sind, desssen Sachrecht nicht als Güterrechtsstatut berufen ist; anderer-
seits muss das Belegenheitsrecht die dort belegenen Sachen „besonderen Vorschriften“ unter-
werfen. Im Geltungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens (Rz. 6.976 f.)
findet Art. 3a Abs. 2 EGBGB keine Anwendung5.

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 21.


2 Sehr str., wie hier Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (83); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO
Rz. 10; ebenso zur Rechtswahl nach Art.15 Abs. 2 EGBGB Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (660);
Kropholler, IPR § 45 IV 4 d; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 25; Mörsdorf in BeckOK BGB,
Art. 15 EGBGB Rz. 64; a.A. zu Art. 22 Abs. 2, 3 EuGüVO Sieghörtner in NK BGB, Rz. 24; Loo-
schelders in MünchKomm, Rz. 21; ebenso zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740
(1744); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 113.
3 Kropholler, IPR, § 45 IV 1; vgl. auch BGH v. 18.10.1968 – V ZR 38/65, NJW 1969, 369 (Güter-
rechtliche Verhältnisse von österreich. Ehegatten an deutschem Grundstück nach österreich. Recht
beurteilt).
4 Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 94 m.w.N.
5 Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens, weil Art. 3a Abs. 2 EGBGB
gerade nicht gegenüber jedem anderen Staat gilt.

856 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.972 § 6

Zu den „besonderen Vorschriften“ i.S.v. Art. 3a Abs. 2 EGBGB gehören nicht nur die materiellen 6.971
Bestimmungen über Sondervermögen (Fideikommisse, Lehen usw.)1, sondern nach h.M auch
Kollisionsnormen des Belegenheitsstaates, die eine unterschiedliche Anknüpfung für bewegliches
und unbewegliches Vermögen vorsehen und die güterrechtlichen Verhältnisse an Grundstücken
der lex rei sitae unterwerfen2, wie dies insbesondere im anglo-amerikanischen Recht3 weithin der
Fall ist. Es tritt insoweit also eine Aufspaltung des Güterstandes ein mit der Folge, dass etwa das
jeweilige Belegenheitsrecht entscheidet, ob und welche Verfügungsbeschränkungen kraft Güter-
rechts in Bezug auf ein dort belegenes Grundstück deutscher Ehegatten bestehen und wie dieses
Grundstück bei Auflösung der Ehe in eine vermögensrechtliche Abwicklung einzubeziehen ist.
Die Spaltung des Güterrechts nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB oder aufgrund eines beachtlichen 6.972
Teilrenvoi auf die lex rei sitae hat zur Folge, dass das Vermögen der Ehegatten sich in zwei
oder mehr selbständige Vermögensmassen aufteilt, von denen jede einem anderen Recht
unterliegt. Jede dieser Vermögensmassen wird dann nach dem auf sie anwendbaren Güter-
recht beurteilt, und zwar grundsätzlich so, als ob die andere(n) Vermögensmasse(n) nicht vor-
handen wäre(n)4. Im einzelnen bedeutet dies:
– Für jede Vermögensmasse ist getrennt nach dem auf sie anwendbaren Güterrecht zu ent-
scheiden, ob zwischen den Ehegatten eine Art von Gütergemeinschaft besteht oder ob die
Vermögen der Ehegatten getrennt bleiben5.
– Güterrechtliche Verfügungs- oder Verpflichtungsbeschränkungen sind für jede Vermögens-
masse nach dem auf sie anwendbaren Güterrecht zu beurteilen mit der Folge, dass solche
Beschränkungen für bestimmte Vermögensgegenstände der Ehegatten bestehen können,
für andere hingegen nicht; für § 1365 BGB ist daher nur das dem deutschen Güterrecht
unterliegende Vermögen als Gesamtvermögen anzusehen6.
– Bei Beeendigung der Ehe ist jede Vermögensmasse nach dem auf sie anwendbaren Recht
abzuwickeln mit der Folge, dass z.B. ein Zugewinnausgleich nur in Bezug auf das dem
deutschen Recht unterliegende Vermögen durchzuführen ist, während bezüglich des ande-
ren Vermögens die diesbezüglich nach ausländischem Recht bestehende Gütergemeinschaft
auseinanderzusetzen ist oder Gütertrennung gilt7.
– In Härtefällen kann mit Hilfe des Rechtsinstituts der Angleichung versucht werden, einen
Interessenausgleich herbeizuführen.

1 Dazu näher Ludwig, DNotZ 2000, 663 (669 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3a EGBGB
Rz. 36 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 7; Looschelders in MünchKomm, Art. 15
EGBGB Rz. 127; Hausmann in Staudinger, Art. 3a EGBGB Rz. 49 ff. m.w.N.
2 Ganz h.M., vgl. Ludwig, DNotZ 2000, 663 (669 ff.); von Bar, Bd. II Rz. 232; von Hein in Münch-
Komm, Art. 3a EGBGB Rz. 48 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 3a EGBGB Rz. 27 ff. m.w.N.;
zum internationalen Erbrecht auch BGH v. 21.4.1993 – XII ZR 248/91, NJW 1993, 1920 (1921) =
IPRax 1994, 375 (m. Anm. Dörner, IPRax 1994, 362); BayObLG v. 3.4.1990 – BReg.1a Z 70/89,
NJW-RR 1990, 1033; a.A. Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 66.
3 Demgegenüber tendiert das englische Recht zu einer einheitlichen Anknüpfung von „movables“
und „immovables“ im internationalen Güterrecht; dazu OLG Hamm v. 27.11.2013 – 14 UF 96/13,
FamRZ 2014, 947: Auskunftsanspruch der Ehefrau bezüglich einer in London belegenen Immobi-
lie des Ehemannes nach deutschem Güterrecht beurteilt; Anwendung von Art. 3a Abs. 2 EGBGB
ausdrücklich abgelehnt.
4 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108; Martiny in PWW, Art. 15 EGBGB Rz. 19 f.
5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108.
6 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108.
7 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 109.

Hausmann | 857
§ 6 Rz. 6.973 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

f) Intertemporales Kollisionsrecht in Altehen


6.973 Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung des maßgeblichen Güterrechtsstatuts in
bis zum 8.4.1983 geschlossenen Ehen schließlich deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber aus
Anlass der IPR-Reform von 1986 in Art. 220 Abs. 3 EGBGB für die zwischen dem 1.4.1953
und dem 8.4.1983 geschlossenen Ehen eine komplizierte Übergangsregelung vorgesehen hat.
Auf deren Darstellung wird wegen ihrer nur noch geringen paraktischen Bedeutung an dieser
Stelle verzichtet1.

5. Rechtsvereinheitlichung
Literatur: 1. Staatsverträge: von Bar, Die eherechtlichen Konventionen der Haager Konferenz(en),
RabelsZ 57 (1993), 63; Beitzke, Die 13. Haager Konferenz und der Abkommensentwurf zum ehelichen
Güterrecht, RabelsZ 41 (1977), 105; Lenck, La Convention de la Haye de 1978 sur la loi applicable aux
régimes matrimoniaux, J.C.P 1992, D. 275; Loussouarn, La Convention de la Haye sur la loi applicable
aux régimes matrimoniaux, Clunet 1979, 5; Martiny, Das Grünbuch zum internationalen Ehegüter-
recht – Erste Regelungsvorschläge, FuR 2008, 206; Nascimbene, Jurisdiction and applicable law in ma-
trimonial matters: Rome III Regulation?, EuLF 2009 I, 1; von Overbeck, La convention de la Haye sur
la loi applicable aux régimes matrimoniaux, SchweizJahrbIntR 33 (1977), 105; Philipp, Hague Draft
Convention on Matrimonial Property, Am.J.Comp.L. 24 (1976), 307; Wagner, Konturen eines Ge-
meinschaftsinstruments zum internationalen Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung des
Grünbuchs der Europäischen Kommission, FamRZ 2009, 269.
Deutsch-französischer Wahlgüterstand: Braun, Die Wahl-Zugewinngemeinschaft – ein neuer Güter-
stand im deutschen (und französischen) Recht, MittBayNotV 2012, 89; Breuer, Der neue deutsch-
französische Wahlgüterstand, FF 2010, 113; Cubeddu-Wiedemann (Hrsg.), The Optional Matrimonial
Property Regime – The Franco-German Community of Accrued Gains (2014); Delereue, Der neue
deutsch-französische Wahlgüterstand. Für und Wider eines bilateralen Abkommens, FamRBInt 2010,
70; Dethloff, Der deutsch-französische Wahlgüterstand. Wegbereiter für eine Angleichung des Famili-
enrechts?, RabelsZ 76 (2012), 509; Jäger, Der neue deutsch-französische Güterstand der Wahl-Zuge-
winngemeinschaft, DNotZ 2010, 804; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemein-
schaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353; Keller/Schrenck,
Der 4. Güterstand, JA 2014, 87; Martiny, Der deutsch-französische Wahlgüterstand – Ein Beispiel op-
tionaler bilateraler Familienrechtsvereinheitlichung, ZEuP 2011, 577; Meyer, Der neue deutsch-franzö-
sische Wahlgüterstand, FamRZ 2010, 612; Stürner, Der deutsch-französische Wahlgüterstand als Mo-
dell für die europäische Rechtsvereinheitlichung, JZ 2011, 545.

a) Haager Ehewirkungsabkommen von 1905


6.974 Das Haager Ehewirkungsabkommen vom 17.7.19052, das zuletzt nur noch im Verhältnis zu
Italien galt und insoweit die autonome Kollisionsnorm des Art. 15 EGBGB verdrängte, ist von
der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 23.8.1987 gekündigt worden3. Für die vor
diesem Zeitpunkt geschlossenen Ehen bleibt das Abkommen zwar grundsätzlich anwendbar.
Da Art. 2 Abs. 1 des Haager Ehewirkungsabkommens jedoch für die objektive Bestimmung
des Güterrechtsstatuts an das Heimatrecht des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung an-
knüpft, verstößt die Bestimmung gegen das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG
und kann deshalb aus den vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 15 EGBGB a.F. genannten
Gründen auf Ehen, die nach dem 31.3.1953 geschlossen wurden, von deutschen Gerichten

1 Vgl. dazu die Voraufl., Rz. 7.824 ff.; Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 177 ff.
2 RGBl. 1912, 453 (475).
3 Bek. v. 26.2.1986, BGBl. II, 505.

858 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.976 § 6

nicht mehr angewandt werden1. Für Übergangsfragen, die sich aus dieser Verfassungswidrig-
keit des Art. 2 Abs. 1 des Haager Ehewirkungsabkommens ergeben, gilt Art. 220 Abs. 3
EGBGB entsprechend2. Praktische Bedeutung hatte das Haager Ehewirkungsabkomnmen vor
allem wegen der für Eheverträge in Art. 5 getroffenen Regelung3.

b) Haager Ehegüterrechtsabkommen von 1978


Das Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14.3.19784 6.975
ist bisher von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert worden. Es ist am 1.9.1992 für
Frankreich, Luxemburg und die Niederlande in Kraft getreten, wird aber für ab dem 29.1.2019
geschlossene Ehen auch im Verhältnis dieser Staaten zueinander durch die EuGüVO ver-
drängt (Art. 62 Abs. 2 EuGüVO). Die Regeln des Abkommens gelten in den Vertragsstaaten
für vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen als „loi uniforme“ und sind deshalb auch dann an-
zuwenden, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats (z.B. auf deutsches Recht) verwiesen
wird. Für deutsche Gerichte erlangen sie daher in solchen Altehen vor allem im Rahmen einer
nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachtenden Rückverweisung durch das von Art. 15 Abs. 1
EGBGB zur Anwendung berufene französische, luxemburgische oder niederländische Recht
Bedeutung5. Zu Einzelheiten s. Voraufl., Rz. 7851 ff.

c) Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929


Vorrang vor dem autonomen deutschen Kollisionsrecht hat auf dem Gebiet des Ehegüter- 6.976
rechts in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB auch das deutsch-
iranische Niederlassungsabkommen vom 17.2.19296. Nichts anderes gilt aber auch für danach
geschlossene Ehen, weil die für sie maßgebliche EuGüVO bestehende Staatsverträge der teil-
nehmenden Mitgliedstaaten unberührt lässt (Art. 62 Abs. 1 EuGüVO). Das Abkommen
knüpft im ehelichen Güterrecht an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten an
(Art. 8 Abs. 3)7. Da ein Zeitpunkt für die Anknüpfung nicht bestimmt wird, ist das Güter-
rechtsstatut nach dem Abkommen – anders als nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (Rz. 6.888 ff.)
und nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.898 f.) – wandelbar8. Ein Staatsangehörigkeitswechsel
der Ehegatten nach der Eheschließung kann deshalb zu einer Änderung des Güterrechtssta-
tuts führen. Dies gilt nicht nur, wenn beide Ehegatten von der iranischen zur deutschen oder
– umgekehrt – von der deutschen zur iranischen Staatsangehörigkeit wechseln; ausreichend
ist es vielmehr auch, dass durch den Staatsangehörigkeitswechsel nur eines Ehegatten die ge-
meinsame deutsche oder iranische Staatsangehörigkeit erlangt wird.

1 BGH v. 17.9.1986 – IVb ZR 52/85, NJW 1987, 583 f. = DNotZ 1987, 292 f. m. Anm. Lichtenberger;
BGH NJW 1988, 638; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 6b.
2 BT-Drs. 10/5632, 46; BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638 ff. m. Anm. Schurig IPRax
1988, 88 ff.; Jayme, IPRax 1987, 95.
3 Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky § 9 Rz. 9.
4 Englischer und französischer Text in RabelsZ 41 (1977), 554 ff.
5 Vgl. OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1568 (1569 f.) (Luxemburg) OLG
Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575) (Niederlande); Hausmann in
Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 186 ff. und Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 161 ff.
6 RGBl. II 1930, 1006.
7 Vgl. OLG Celle v. 15.8.2011 – 10 WF 73/11, FamRBInt 2012, 2 m. Anm. Yassari.
8 Vgl. von Bar, Bd. II Rz. 210.

Hausmann | 859
§ 6 Rz. 6.977 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.977 Das Abkommen beschränkt sich auf die Regelung der objektiven Anküpfung des Güterrechts-
statuts, weil die heute eingeräumten Rechtswahlmöglichkeiten in beiden Vertragsstaaten im
Jahr 1929 noch nicht bestanden haben. Da das iranische IPR eine güterrechtliche Rechtswahl
auch nach wie vor nicht kennt, dürfte eine auf Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO bzw. Art. 15 Abs. 2
Nr. 2 EGBGB gestützte Wahl deutschen Rechts durch iranische Ehegatten im Iran keine Aner-
kennung finden. Die Zulässigkeit einer solche Rechtswahl ist daher im Anwendungsbereich
des Abkommens abzulehnen1. Zu beachten ist ferner, dass das Abkommen auf gemischt-na-
tionale Ehen keine Anwendung findet2; es wird auch dann durch Art. 26 EuGüVO bzw.
Art. 15 EGBGB verdrängt, wenn einer der iranischen Ehegatten die Rechtsstellung eines
Flüchtlings i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention oder eines Asylberechtigten erlangt hat3.

d) Deutsch-französischer Wahlgüterstand der Zugewinngemeinschaft von 2010


6.978 Am 4.2.2010 haben die Justizminister Deutschlands und Frankreichs das bilaterale „Abkom-
men über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft“(WZGA)4 unterzeichnet, das für
beide Länder am 1.5.2013 in Kraft getreten ist5. Das Abkommen steht nach seinem Art. 21
auch anderen EU-Mitgliedstaaten zum Beitritt offen. Es führt in das materielle Ehegüterrecht
beider Länder die Wahl-Zugewinngemeinschaft als zusätzlichen nationalen vertraglichen Gü-
terstand ein. Dieser übernimmt Elemente sowohl des deutschen gesetzlichen Güterstands der
Zugewinngemeinschaft als auch des französischen gesetzlichen Güterstands der „communauté
réduite aux acquets“. Im deutschen Recht wurde die Wahlzugewinngemeinschaft in § 1519
BGB als weiterer vertraglicher Güterstand – neben der Gütertrennung und der Gütergemein-
schaft – durch Verweisung auf das Abkommen geregelt. Inhaltlich unterscheidet sich der neue
Wahlgüterstand vom deutschen gesetzlichen Güterstand vor allem dadurch, dass die Ver-
fügung eines Ehegatten über sein gesamtes Vermögen – anders als nach § 1365 BGB – nicht
beschränkt ist. Andererseits wurde aus dem französischen Recht das dem deutschen Recht
bisher fremde Verbot übernommen, ohne Zustimmung des anderen Ehegatten über die „Ehe-
wohnung“ zu verfügen, auch wenn diese im Alleineigentum des verfügenden Ehegatten steht6.
Bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs ist zu beachten, dass auch ein während der Ehe
an einen Ehegatten gezahltes Schmerzensgeld – anders als im deutschen gesetzlichen Güter-
stand – zu dessen Anfangsvermögen gehört. Ferner ist die Höhe der Ausgleichsforderung stets
auf die Hälfte dessen beschränkt, was zur Zeit der Beendigung des Güterstands noch vorhan-
den ist (Art. 14 WZGA). § 1412 BGB findet auf den Güterstand keine Anwendung.

6.979 Durch das Abkommen sollten die Schwierigkeiten der Anknüpfung des Güterrechts im
deutsch-französischen Verhältnis möglichst vermieden werden; aus diesem Grunde enthält es
keine Kollisionsnormen. Dieses Ziel ist freilich nicht erreicht worden; denn nach Art. 1
WZGA steht der Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft nur Ehegatten zur Verfügung,
deren Güterstand dem Sachrecht eines Vertragsstaats unterliegt. Ob dies der Fall ist, be-

1 So auch die h.M., vgl. Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (267 ff.); Mankowski in Staudinger,
Art. 15 EGBGB Rz. 4; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 2.
2 Vgl. von Bar, II Rz. 210; Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869 m. ausf. Nachw.
3 Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 870.
4 Text im BGBl. II 2012, 180; dazu das deutsche AusführungsG vom 15.3.2012, BGBl. II, 178.
5 BGBl. II 2013, 431.
6 Zur Problematik dieser Verfügungsbeschränkung Münch/Everts, FamR § 2 Rz. 181. Es handelt
sich um eine nicht in das deutsche Grundbuch eintragungsfähige absolute Verfügungsbeschrän-
kung, die nicht gemäß § 892 BGB durch den guten Glauben des Erwerbers überwunden werden
kann, vgl. Jünemann, ZEV 2013, 353 (357).

860 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.982 § 6

stimmt sich in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen aus deutscher Sicht nach Art. 15
EGBGB (Rz. 6.891 ff.), aus französischer Sicht nach dem Haager Übereinkommen über das
auf Ehegüterstände anzuwendende Recht vom 14.3.1978 (Rz. 6.975). Dies kann zur Folge ha-
ben, dass das Abkommen in solchen Ehen zwar aus deutscher Sicht, nicht aber aus französi-
scher Sicht anwendbar ist (oder umgekehrt)1. Ausreichend für die Vereinbarung des Wahl-
güterstands ist es aus deutscher Sicht im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch, dass deut-
sches Recht erst aufgrund einer Rückverweisung bzw. französisches Recht erst aufgrund einer
Weiterverweisung durch das Recht eines Drittstaats anwendbar ist.

Demgegenüber beurteilt sich das auf das Ehegüterrecht anzuwendende Recht in ab dem 6.980
29.1.2019 geschlossenen Ehen in Deutschland und Frankreich einheitlich nach den Kollisi-
onsnormen der EuGüVO, die nur noch Sachnormverweisungen kennt (Art. 32 EuGüVO).
Das WZGA kann danach zur Anwendung kommen, wenn die Ehegatten nach Art. 22 EuGü-
VO entweder deutsches oder französisches Recht als Güterrechtsstatut wählen. Dies setzt
nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO voraus, dass bei der Wahl deutschen Rechts zumindest ein Ehe-
gatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat oder die deutsche Staatsangehörig-
keit besitzt, bei der Wahl französischen Rechts zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in Frankreich hat oder die französische Staatsangehörigkeit besitzt (Rz. 6.936 ff.).
In Ermangelung einer Rechtswahl können die Ehegatten nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO
für den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft optieren, wenn sie ihren ersten gemein-
samen gewöhnlichen Aufenthalt unmittelbar nach der Eheschließung in Deutschland oder
Frankreich begründen (Rz. 6.883 ff.). Auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten kommt es in
diesem Fall nicht an. Hilfsweise können auch die Anknüpfungen nach Art. 26 Abs. 1 lit. b
und lit. c EuGüVO an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder die engste Ver-
bindung zum deutschen oder französischen Recht führen und damit die Möglichkeit zur zur
Vereinbarung der Wahl-Zugewinngemeinschaft eröffnen2.

Die Anwendung des Abkommens erfordert allerdings keine Auslandsberührung, ist also 6.981
nicht auf deutsch-französische Ehen oder Ehen von Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt
in Frankreich (bzw. Ehen von Franzosen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland) be-
schränkt; vielmehr können deutsche Ehegatten auch in einem reinen Inlandsfall für die in
§ 1519 BGB geregelte Wahl-Zugewinngemeinschaft optieren3. In einer deutsch-französischen
Ehe kann der neue Wahlgüterstand hingegen dann nicht vereinbart werden, wenn die Ehegat-
ten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Eheschließung in einem Drittstaat (z.B.
in Belgien oder der Schweiz) haben. Für diesen Fall setzt der Zugang zu dem neuen Güterstand
voraus, dass die Ehegatten zuvor eine Rechtswahl zugunsten des deutschen oder des französi-
schen Rechts nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO treffen.

Der Güterstand kann gemäß § 3 Abs. 1 WZGA nur durch Ehevertrag vereinbart werden, der 6.982
sowohl vor als auch nach der Eheschließung abgeschlossen werden kann. Die materielle Wirk-
samkeit dieses Ehevertrags wird im Abkommen nicht geregelt; sie beurteilt sich daher nach
dem von Art. 22 ff. EuGüVO bzw. in Altehen nach dem von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur An-
wendung berufenen – deutschen oder französischen – Güterrechtsstatut4. In formeller Hin-
sicht ist nach beiden Rechten notarielle Beurkundung erforderlich (§ 1408 BGB; Art. 1394
Cc). Diese Form ist unter Geltung von Art. 25 EuGüVO zwingend einzuhalten, wenn die Ehe-

1 Vgl. das Beispiel bei Jäger, DNotZ 2010, 804 (806).


2 Vgl. näher Koch in MünchKomm, Art. 1 WZGA Rz. 2 ff.
3 Jäger, DNotZ 2010, 804 (806 f.).
4 Braun, MittBayNot 2012, 89 (90); Jünemann, ZEV 2013, 353 (357).

Hausmann | 861
§ 6 Rz. 6.982 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem dieser beiden Staaten haben oder wenn deut-
sches oder französisches Recht auf ihre güterrechtlichen Beziehungen anzuwenden ist
(Rz. 6.954 ff.). Um weitergehende Voraussetzungen des französischen Rechts – z.B. das Erfor-
dernis der gerichtlichen Bestätigung einer ehevertraglichen Güterstandsänderung, wenn Kin-
der oder Gläubiger der Ehegatten dieser widersprechen (Art. 1397 Abs. 2-4 Cc)1 – auszuschal-
ten, empfiehlt sich bei Abschluss des Ehevertrags vor einem deutschen Notar die Aufnahme
einer Rechtswahlklausel nach Art. 22 EuGüVO zugunsten des deutschen Rechts2.

IV. Einfluss des Vertrags- und Belegenheitsstatuts


Literatur: Amann, Eigentumserwerb unabhängig vom ausländischen Güterrecht?, MittBayNotV
1986, 222; Beitzke, Bruchteilserwerb mit Auslandsberührung aus der Sicht des Notars und Grund-
buchamts, BWNotZ 1988, 49; Hausmann, Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten aus Anlass der
Scheidung im IPR – zur Abgrenzung zwischen Vertragsstatut, Ehewirkungsstatut und Ehegüterstatut,
FS Jayme Bd. I (2002), S. 305; Jayme, Auflassungsvormerkung und ausländischer Güterstand, IPRax
986, 361; Jayme, Zur Anwendung des § 1365 BGB bei ausländischem Geschäftsrecht, FS Henrich
(2000), S. 335; Lichtenberger, Einige Bemerkungen der praktischen Behandlung des Grundstücks-
erwerbs bei Auslandsberührung, MittRheinNotK 1986, 111; S. Lorenz, Unbenannte Zuwendungen
und internationales Ehegüterrecht, FamRZ 1993, 393; Riering, Gesellschaftsstatut und Ehegüterstatut,
IPRax 1998, 322; Winkler von Mohrenfels, Ehebezogene Zuwendungen im IPR, IPRax 1995, 379.

1. Grundsatz
6.983 Der Güterstand hat zahlreiche Wirkungen unmittelbar dinglicher Art, wie die Vergemeinschaf-
tung des Vermögens, Verfügungsbeschränkungen und Nutznießungsrechte. Weitere Verfügungs-
und Verpflichtungsbeschränkungen können sich unabhängig vom Güterstand als allgemeine Wir-
kungen der Ehe ergeben. Deshalb ist der Anwendungsbereich der EuGüVO bzw. der Art. 14, 15
EGBGB für Forderungen und Rechte gegenüber dem internationalen Schuldrecht, insbes. gegen-
über dem internationalen Vertragsrecht (Art. 3 ff. Rom I-VO, Rz. 6.995 ff.), für Sachen gegenüber
dem internationalen Sachenrecht (Art. 43, 46 EGBGB; Rz. 6.985 ff.) abzugrenzen. Qualifikations-
probleme bestehen ferner im Verhältnis zum internationalen Gesellschaftsrecht (Rz. 6.991 f.).

6.984 Grundsätzlich bestimmt das Güterrechtsstatut nicht nur, welche Gütermassen überhaupt zu
unterscheiden sind, sondern auch, in welche Masse der einzelne Gegenstand (Sache, Forde-
rung, Recht) fällt und welche Lasten und Beschränkungen an ihm kraft Güterrechts entstehen
sollen. Ob diese Rechtsänderungen tatsächlich eintreten können, bestimmt das Statut des Ein-
zelgegenstandes, für Sachen und dingliche Rechte also das Recht des Lageorts, für Forderun-
gen und Rechte das jeweilige Schuldstatut3.

2. Güterrecht und Sachenrecht


6.985 Hier ist im Einzelnen wie folgt zu unterscheiden:
– Ob Sachen – als Voraussetzung für den Eintritt der güterrechtlichen Veränderung – über-
haupt in das Eigentum eines Ehegatten oder der Ehegattengemeinschaft gelangt sind, be-

1 Die weiteren Voraussetzungen (zweijährige Wartefrist oder das Erfordernis einer gerichtlichen Ge-
nehmigung für den Abschluss oder die Änderung von Eheverträgen nach Eheschließung) sind
durch Gesetz Nr. 2019-222 vom 23.3.2019 beseitigt worden; vgl. Ferrand, FamRZ 2019, 1493.
2 Jäger, DNotZ 2010, 804 (806 f.); Süß, ZErb 2010, 281 (283); Jünemann, ZEV 2013, 353 (357).
3 Looschelders in MünchKomm, Rz. 33, Schurig in Soergel, Rz. 36; Mankowski in Staudinger,
Rz. 259 f., 388; jeweils zu Art. 15 EGBGB m.w.N.

862 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.988 § 6

sagt zunächst das Recht des Lageorts1. Solange z.B. der Erwerb eines inländischen Grund-
stücks durch italienische Ehegatten nicht durch Eintragung im Grundbuch vollzogen wur-
de, kann das Grundstück noch nicht Gesamtgut der „comunione legale“ geworden sein.
Dem Belegenheitsrecht unterliegen also alle dinglichen Erwerbsvorgänge, z.B. Fragen des
gutgläubigen Erwerbs an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie dingliche Heraus-
gabeansprüche zwischen Ehegatten2.
– Welche dinglichen Rechte ihrer Art nach an Sachen entstehen können, beurteilt sich eben- 6.986
falls nach dem Recht des Lageorts. Ist deutsches Recht lex situs, so sind allerdings im Inte-
resse der Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts (Rz. 6.873) unmittelbare sachenrechtliche
Wirkungen des Güterstandes an im Inland belegenen Sachen in weitem Umfang zu beach-
ten. Auch dem deutschen Recht unbekannte Arten von Sachenrechten sind solange anzuer-
kennen, als sie mit bekannten Formen vergleichbar bleiben3. Nur wenn das Recht, das
durch den fremden Güterstand begründet wird, dem inländischen (Sachen-)Rechtssystem
völlig fremd ist (so etwa das Recht der „curtesy“ bzw. „dower“ einiger US-Staaten, das „gif-
torätt“ des schwedischen Rechts oder die Legalhypothek des Ehegatten nach französischem
Recht), kann es an im Inland belegenen Sachen nicht entstehen. Dies gilt nach Art. 1 lit. g
EuGüVO auch unter dieser Verordnung, die für die Anpassung eines der lex rei sitae unbe-
kannten Sachenrechts in Art. 29 eine ausdrückliche Regelung vorsieht.
– Die von einem ausländischen Güterrechtsstatut angeordnete unmittelbare Entstehung, 6.987
Veränderung oder Belastung dinglicher Rechte wurde in Bezug auf Gegenstände, die im
Inland belegen sind, nach deutschem autonomen Kollisionsrecht bisher nur anerkannt,
wenn sie in vergleichbarer Weise auch dem deutschen Recht bekannt war. Verlangte das
Recht des Lageorts für die Entstehung eines dinglichen (Pfand- oder Nießbrauchs-) Rechts
eine Übertragungshandlung, während das erstere darauf verzichtete, so waren die Parteien
einander zur Vornahme der Übertragung verpflichtet4.
– Demgegenüber ordnet Art. 1 lit g EuGüVO keinen allgemeinen Vorrang der lex rei sitae 6.988
vor dem Güterrechtsstatut an. Die Vorschrift ist vielmehr einschränkend in dem Sinne aus-
zulegen, dass sie nur ein bestimmtes Anwendungsergebnis – nämlich die Entstehung eines
dem Belegenheitsrecht unbekannten dinglichen Rechts – verhindern soll; sie richtet sich
hingegen nicht gegen eine der lex rei sitae unbekannte Art und Weise des Erwerbs eines
dinglichen Rechts. Denn die maßgeblichen Modalitäten des Übergangs dinglicher Rechte

1 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 389; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB
Rz. 39. Vgl. auch OLG Köln v. 21.4.1993 – 13 U 251/92, FamRZ 1994, 899 (Eigentumserwerb an
Brautgeschenken, die eine türkische Frau anlässlich ihrer Hochzeit mit einem Türken in Deutsch-
land als Morgengabe erhielt, nach der deutschen lex rei sitae beurteilt).
2 OLG Köln v. 21.4.1993 (vorige Fn.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 103; Looschelders
in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 54.
3 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 389; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB
Rz. 56.
4 AG Frankfurt a.M. v. 18.1.1991 – Hö 4a F 338/90, IPRax 1991, 147 (Der nach italien. Recht
[Art. 194 Abs. 2 c.c.] kraft Gesetzes entstehende Nießbrauch des Ehegatten, dem nach einer Tren-
nung die elterliche Sorge über die Kinder übertragen wurde, am Grundvermögen des anderen
Ehegatten erstreckt sich nicht auf in Deutschland belegene Grundstücke; insoweit bedarf es der
rechtsgeschäftlichen Einräumung des Nießbrauchs); ebenso Mankowski in Staudinger, Art. 15
EGBGB Rz. 390; Wendehorst in MünchKomm, Art. 43 EGBGB Rz. 103; Mansel in Staudinger,
Art. 43 EGBGB Rz. 1016 m.w.N.; vgl. auch zur parallelen Problematik beim Vindikationslegat
nach ausländischem Erbrecht BGH v. 28.9.1994 – IV ZR 95/93, NJW 1995, 58 = ZEV 1995, 298
(m. Aufs. Birk, ZEV 1995, 283) = IPRax 1996, 39 (m. Anm. Dörner, IPRax 1996, 26).

Hausmann | 863
§ 6 Rz. 6.988 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sollen nach dem ErwG 24 dem auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht unter-
liegen; sie werden daher von Art. 1 Abs. 2 lit. g EuGüVO nicht erfasst1. Die Vorschrift steht
daher insbesondere dem Erwerb eines dem Belegenheitsrecht bekannten dinglichen Rechts
kraft Gesetzes nicht entgegen, auch wenn ein solches Recht nach der lex rei sitae nur kraft
Rechtsgeschäfts erworben werden kann. Dies hat der EuGH inzwischen zur Parallelvor-
schrift in Art 1. Abs. 2 lit. k EuErbVO für den Erwerb eines nach dem ausländischen Erb-
statut dinglich wirkenden Vermächtnisses (Vindikationslegat) an einem deutschen
Grundstück mit der Begründung entschieden, dass nach lit. k nur der lex rei sitae unbe-
kannte dingliche Rechte, nicht aber der lex rei sitae unbekannte Modalitäten des Übergangs
von bekannten dinglichen Rechten (z.B. des Eigentums) aus dem Anwendungsbereich der
Verordnung ausgeschlossen seien2. Die hierfür gegebene Begründung gilt auch für das Ver-
hältnis der EuGüVO zur lex rei sitae3. Sieht daher das ausländische Güterrecht eine Legal-
hypothek oder ein kraft Gesetzes entstandenes Nießbrauchsrecht eines Ehegatten an einem
inländischen Grundstück vor, so sind diese Rechte als solche anzuerkennen; einer rechts-
geschäftlichen Bestellung oder sonstigen Anpassung dieser Rechte bedarf es zum Zwecke
der Eintragung im deutschen Grundbuch nicht.
6.989 – Sieht das ausländische Güterrechtsstatut etwa die automatische Vergemeinschaftung der
von einem Ehegatten allein erworbenen Gegenstände vor, wie z.B. der gesetzliche Güter-
stand des französischen oder italienischen Rechts, so bedarf es bei deutscher lex situs keiner
weiteren dem deutschen Recht zu entnehmenden Übertragungsakte4; denn auch nach
deutschem Recht können Sachen mit Eintritt eines bestimmten Güterstandes kraft Geset-
zes gemeinschaftlich werden (vgl. § 1419 BGB)5. Gehört daher ein inländisches Grundstück
zu dem auf einen Ehegatten übergegangenen Vermögen, so wird das Grundbuch unrich-
tig6; auf Antrag ist daher ein Widerspruch (§ 899 BGB) einzutragen. Die Eintragung des
Gesamthandseigentums im Grundbuch ist dann bloße Berichtigung und kann von jedem
der Ehegatten beantragt werden7. Das Grundbuch ist freilich nur zu berichtigen, wenn der
Vermögensgegenstand zu dauerndem Miteigentum auf den anderen Ehegatten übergeht.
Findet hingegen nach Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung ein Rückfall statt, so
handelt es sich lediglich um eine Beschränkung der Verfügungsmacht.

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 66.


2 EuGH v. 12.10.2017 – C-218/16, ECLI EU:C:2017:755 (Kubicka), NJW 2017, 3767 (Rz. 46 ff.) =
ZErb 2017, 352 m. Anm. Litzenburger = FamRZ 2017, 2057 m. Anm. Döbereiner = ZEV 2018, 41
m. Anm. Dorth 11; vgl. auch Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Art. 1 EuErbVO Rz. 125 ff. m. ausf.
Nachw.
3 Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 67; R. Magnus in NK BGB, Art. 1 EuGüVO
Rz. 42.
4 Vgl. – zum kroat. gesetzlichen Güterstand – OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ
1999, 299 (300).
5 LG Bamberg v. 20.11.1975 – 2 T 56/75, MittBayNotV 1975, 261; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15
EGBGB Rz. 99; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 395; Mansel in Staudinger, Art. 43
EGBGB Rz. 970 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 291.
6 Vgl. LG Ulm v. v. 15.4.1993 – 5 T 41/93, BWNotZ 1993, 124, wo die Eintragung einer Sicherungs-
hypothek zur Sicherung einer Forderung gegen einen kroatischen Schuldner im deutschen Grund-
buch analog § 740 Abs. 1 ZPO abgelehnt wurde, weil das Grundstück zum Gesamtgut der Errun-
genschaftsgemeinschaft des Schuldners und seiner Ehefrau nach kroatischem Recht gehörte, das
von beiden Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wurde.
7 Vgl. LG Kempten v. 10.8.1982 – 4 T 557/82, IPRspr. 1982 Nr. 53 zum Erwerb eines deutschen
Grundstücks durch einen im italienischen gesetzlichen Gütertstand der „comunione legale“ leben-
den Ehegatten.

864 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.992 § 6

– Güterrechtliche Beschränkungen der Verfügungsbefugnis unterliegen hingegen allein 6.990


dem Güterrechtsstatut; das Recht des Lageorts bleibt grundsätzlich außer Betracht1. Die
Schranken der §§ 1365, 1369 BGB gelten daher nur, wenn die Ehegatten im deutschen ge-
setzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, dann aber auch, wenn ein Ehegat-
te über im Ausland belegene Sachen verfügt2. Verfügungsbeschränkungen kraft auslän-
dischen Güterrechts sind umgekehrt auch in Bezug auf im Inland belegene bewegliche Sa-
chen oder Grundstücke zu beachten, selbst wenn sie im deutschen Recht keine genaue Ent-
sprechung haben3. Grenze ist lediglich die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB; von der
Anwendung in Deutschland ausgeschlossen sind danach z.B. ausländische Güterrechts-
bestimmungen, die ein rechtsgeschäftliches Veräußerungsverbot i.S.d. § 137 BGB anord-
nen4.

3. Güterrecht und Gesellschaftsrecht


Wenig geklärt sind bisher die kollisionsrechtlichen Fragen im Spannungsfeld zwischen Ehegü- 6.991
terrecht und Gesellschaftsrecht, die insbesondere auftreten, wenn deutsches Gesellschaftsrecht
und ausländisches Ehegüterrecht zusammentreffen5. Im Ausgangspunkt ist dabei ähnlich zu
differenzieren wie im Verhältnis zwischen Güter- und Sachenrechtsstatut. Danach entscheidet
darüber, ob und welche Rechte an Gesellschaftsanteilen entstehen können, das Gesellschafts-
statut. Dies gilt gleichermaßen für den originären Anteilserwerb (z.B. Inhalt und Gültigkeit
des Gesellschaftsvertrages, Erfordernis der Eintragung im Handelsregister) wie für den abge-
leiteten Anteilserwerb (z.B. Gültigkeit der Geschäftsanteilsabtretung).

Das Gesellschaftsstatut regelt freilich nur die allgemeinen Voraussetzungen und Wirkungen 6.992
des Anteilserwerbs. Es entscheidet insbesondere darüber,
– ob ein Gesellschaftsanteil an einen Dritten frei übertragbar ist oder nicht,
– ob die Übertragbarkeit eines Gesellschaftsanteils kraft Gesetzes oder kraft Gesellschaftsver-
trags eingeschränkt ist,
– ob kraft Gesetzes bestehende Einschränkungen der Übertragbarkeit eines Gesellschafts-
anteils durch den Gesellschaftsvertrag abgeändert oder augehoben werden können und
– ob die kraft Gesetzes bestehende freie Übertragbarkeit eines Gesellschaftsanteils durch Ge-
sellschaftsvertrag ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann6.

1 BayObLG v. 6.10.1954 – BReg 2 Z 116/54, JZ 1954, 441.


2 LG Aachen v. 17.10.1961 – 7 T 413/61, FamRZ 1962, 385; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB
Rz. 33; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 260 ff.
3 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1007 m. Nachw.; dazu LG Ulm v. 15.4.1993 – 5 T 41/93,
BWNotZ 1993, 124 (Eintragung einer Sicherungshypothek zur Sicherung einer Forderung gegen
einen kroat. Schuldner im deutschen Grundbuch analog § 740 Abs. 1 ZPO abgelehnt, weil das
Grundstück zum Gesamtgut der Errungenschaftsgemeinschaft des Schuldners und seiner Ehefrau
nach kroat. Recht gehörte, das von beiden Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wurde. Vollstre-
ckungstitel auch gegen die Ehefrau verlangt).
4 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428 (zu Art. 167 Abs. 2 ital. c.c. a.F.); Mansel in
Staudinger, Art. 43 Rn. 1008; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 55 a.E.; Man-
kowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 396.
5 Vgl. aber Riering, IPRax 1998, 322 ff.
6 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 36; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 661; von Bar,
Bd. II Rz. 242; a.A. (Güterrechtsstatut) Riering, IPRax 1998, 322 (325 f.).

Hausmann | 865
§ 6 Rz. 6.993 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.993 Demgegenüber befindet das Güterrechtsstatut darüber, welche güterrechtlichen Rechtsfolgen


der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen oder beide Ehegatten auslöst. Das von
Art. 20 ff. EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB zur Anwendung berufene Recht legt daher fest, wel-
che Art von Berechtigung an von beiden Ehegatten erworbenen Gesellschaftsanteilen besteht
(z.B. Bruchteils- oder Gesamthandseigentum), in welche Gütermasse (z.B. Gesamtgut, Vor-
behaltsgut, Sondergut) der von einem Ehegatten allein erworbene Gesellschaftsanteil fällt,
wenn die Eheleute in einem Güterstand der Gütergemeinschaft leben, und welche Ver-
fügungsbeschränkungen kraft Güterrechts für Ehegatten-Gesellschafter gelten (vgl. auch
Rz. 6.846)1.

6.994 Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Qualifikation gesellschaftsrechtlicher Erwerbshin-


dernisse, die im Widerspruch zu einer güterrechtlich angeordneten Mitberechtigung beider
Ehegatten am Gesellschaftsanteil stehen. Derartige Erwerbshindernisse können sich einerseits
aus dem Gesetz ergeben; im deutschen Recht sind etwa die § 38 S. 1, § 717 S. 1 BGB (i.V.m.
§ 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB) zu nennen. Derartige Erwerbshindernisse sind gesellschafts-
rechtlich zu qualifizieren und deshalb auch bei Geltung ausländischen Güterrechtsstatuts an-
wendbar, wenn die Gesellschaft ihren Sitz in Deutschland hat2. Die Mitgliedschaftsrechte an
einem Verein, einer BGB-Gesellschaft, OHG oder KG können daher aufgrund ihres persönli-
chen Charakters im (Außen-) Verhältnis zur Gesellschaft nicht in das Gesamtgut einer auslän-
dischen Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft fallen, sondern werden Sonder- bzw. Eigen-
gut des Gesellschafter-Ehegatten. Dies gilt auch dann, wenn der Anteil an einer Personengesell-
schaft kraft besonderer gesellschaftsvertraglicher Regelung frei übertragbar ausgestaltet ist,
weil eine Gütergemeinschaft nicht Gesellschafterin einer Personengesellschaft sein kann3. In
Betracht kommt allenfalls eine wertmäßige Beteiligung des Ehegatten an dem vom Gesellschaf-
ter-Ehegatten erworbenen Anteil, der im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung
schuldrechtlich auszugleichen ist. Die gleichen Grundsätze gelten auch bei rechtsgeschäftlichen
Erwerbshindernissen, wie sie etwa bei vinkulierten Beteiligungen (vgl. § 15 Abs. 5 GmbHG,
§ 68 Abs. 2 AktG) bestehen. Zulässigkeit und Wirkung solcher Vinkulierungsklauseln unterlie-
gen ebenfalls allein dem Gesellschaftsstatut4. Die vom anwendbaren Güterrecht geforderte Be-
teiligung des anderen Ehegatten kann auch in diesem Falle nur schuldrechtlich erfolgen.

4. Güterrecht und Vertragsrecht


a) Allgemeines
6.995 Auch wenn das Ehegüterrecht das Vermögen der Ehegatten einer Sonderordnung unterstellt
und deshalb alle zu diesem Vermögen gehörenden Gegenstände erfasst, hat dies nicht zur Fol-
ge, dass Rechtsgeschäfte zwischen den Ehegatten über diese Gegenstände notwendig dem
Güterrechtsstatut unterlägen. Vielmehr sind derartige Rechtsgeschäfte grundsätzlich nach den
Regeln zu behandeln, die den Einzelgegenstand aufgrund seiner Typik beherrschen. Demge-
mäß gilt für Kaufverträge, Schenkungen5 oder Darlehensverträge zwischen Ehegatten das

1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 36; Riering, IPRax 1998, 322 ff.; Kindler in MünchKomm,
IntGesR Rz. 661.
2 RG v. 16.3.1938, JW 1938, 1718 (1719); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 661; a.A. Riering,
IPRax 1998, 322 (325 f.).
3 BayObLG v. 22.1.2003 – 3Z BR 238/02, 239/02 und 240/02, DNotZ 2003, 454; Riering IPRax 1998,
322 (325); Bohlscheid, RNotZ 2005, 505 (521); Apfelbaum, MittBayNotV 2006, 185 (187 f.).
4 Riering, IPRax 1998, 322 (325).
5 Vgl. zur Rückforderung von Schenkungen zwischen türkischen Ehegatten aus Anlass der Schei-
dung OLG Köln v. 18.2.1994 – 27 W 2/94, FamRZ 1995, 236.

866 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.997 § 6

nach den allgemeinen Regeln des internationalen Vertragsrechts (Art. 3 ff. Rom I-VO) be-
stimmte Vertragsstatut, für Gesellschaften zwischen Ehegatten das Gesellschaftsstatut1. Diese
schuldrechtliche Qualifikation von Rechtsgeschäften zwischen Ehegatten wird grundsätzlich
nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Güterrechtsstatut bestimmte Rechtsgeschäfte zwi-
schen den Ehegatten verbietet, einschränkt oder für ihre Abwicklung eigene Regeln aufstellt2.

b) Unbenannte Ehegattenzuwendungen
Bei dem vom BGH entwickelten Rechtsinstitut der ehebezogenen „unbenannten Zuwendung“ 6.996
handelt es sich indessen nicht um einen gewöhnlichen Schuldvertrag, der in gleicher oder
ähnlicher Weise auch zwischen Nicht-Ehegatten abgeschlossen werden könnte. Der ehebe-
dingten Zuwendung liegt also keine schuldrechtliche (Schenkungs-)causa, sondern eine ehe-
bezogene causa sui generis zugrunde; sie dient der näheren Ausgestaltung und Sicherung der
ehelichen Lebensgemeinschaft3. Da Rückerstattungs- oder Ausgleichsansprüche zwischen
Ehegatten aus Anlass der Ehescheidung dem gleichen Recht unterliegen wie die Zuwendung
selbst, stellt sich die Frage, ob insoweit das internationale Schuldvertrags- oder das Familien-
recht maßgeblich ist4.

Unter Geltung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. hatte sich der BGH ohne vertiefte Auseinanderset- 6.997
zung mit der Problematik für eine schuldvertragliche Qualifikation ausgesprochen5. Zur Be-
gründung hat man auf die Nähe der ehebedingten Zuwendung zur Schenkung und auf die
Einordnung des für den Ausgleich herangezogenen Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäfts-
grundlage im Schuldrecht (§ 313 BGB) verwiesen; dies rechtfertige eine – zumindest analoge
– Anwendung der Kollisionsnormen des internationalen Vertragsrechts6. Dagegen spricht
freilich, dass die Rom I-VO mit der in Art. 1 Abs. 2 lit. b und lit. c enthaltenen Aufzählung
ganz bewusst das gesamte Familienrecht aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Ver-
ordnung ausklammert. Denn die unbeschränkte Parteiautonomie nach Art. 3 Rom I-VO und
die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Vertragspartei, welche die ver-
tragscharakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) – passen nicht für ehe- und
familienrechtliche Rechtsgeschäfte. Dort bedarf es einer Beschränkung der Parteiautonomie
auf Rechte, die eine gewisse Nähe zu der gelebten Ehe aufweisen und für eine objektive An-

1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 37; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 96.
2 Vgl. zu Verboten von Schenkungs- und Gesellschaftsverträgen zwischen Ehegatten in manchen
Rechten Rz. 6.803 f.
3 Vgl. statt vieler BGH v. 27.9.1991 – IV ZR 164/91, BGHZ 116, 167 = FamRZ 1992, 300 m. Anm.
Kues = MDR 1992, 264 (170) („ehebezogenes Rechtsgeschäft eigener Art“); ebenso BGH v.
30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137 = NJW 1999, 2962 = MDR 1999, 1266 m. Anm. Ko-
gel.
4 Vgl. dazu eingehend Hausmann, FS Jayme (2004), S. 305 (313 ff.).
5 BGH v. 21.10.1992 – XII ZR 182/90, BGHZ 119, 392 (394 ff.) = FamRZ 1993, 289 m. Anm. Lo-
renz = IPRax 1995, 399 (m. Anm. Winkler von. Mohrenfels, IPRax 1995, 379), wo die Rückforde-
rung von Zuwendungen, die der libanesische Ehemann seiner deutschen Ehefrau zur Renovierung
des im Alleineigentum der Frau stehenden Wohnhauses gemacht hatte, kraft nachträglicher
Rechtswahl gemäß Art. 27 Abs. 2 EGBGB a.F. nach deutschem Schuldstatut beurteilt wurde, weil
der Kläger die Rückforderung auf die Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützt
und die Beklagte sich ebenfalls mit Erwägungen zum deutschen Schuldrecht verteidigt hatte; eine
güterrechtliche Qualifikation wurde ausdrücklich abgelehnt. Für eine schuldrechtliche Qualifikati-
on auch öOGH v. 27.5.2015 – 6 Ob 29/15f, FamRZ 2016, 229 m. krit. Anm. Wiedemann.
6 So Hohloch, JuS 1993, 513; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 416 ff.; Sieghörtner in
NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 97.

Hausmann | 867
§ 6 Rz. 6.997 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

küpfung eignen sich nur Rechte, mit denen beide Ehegatten gleichermaßen verbunden sind1.
Zumindest mangels Rechtswahl ist daher nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine akzessorische
Anknüpfung an das Güterrechtsstatut geboten.

6.998 Den Vorzug verdient eine familienrechtliche Qualifikation. Da durch die ehebedingte Zu-
wendung keine Sonderordnung des ehelichen Vermögens begründet werden soll, könnte man
eine Qualifikation als allgemeine Ehewirkung in Betracht ziehen2. Nach deutschem materiel-
len Recht hängt der Ausgleichsanspruchs wegen Störung der Geschäftsgrundlage ehebedingter
Zuwendungen indessen maßgeblich von den güterrechtlichen Verhältnissen der Ehegatten ab
und wird grundsätzlich nur im Güterstand der Gütertrennung gewährt 3; dies kommt nicht
zuletzt darin zum Ausdruck, dass der BGH eine Korrektur ehebezogener Zuwendungen bei
Scheidung der Ehe grundsätzlich ausschließt, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand
der Zugewinngemeinschaft gelebt haben4. Diese Funktion des Rechtsinstituts ist auch im Kol-
lisionsrecht zu berücksichtigen und legt eine güterrechtliche Anknüpfung nahe5. Der damit
geltende Grundsatz der Unwandelbarkeit hat den Vorzug, dass die rechtlichen Wirkungen
ehebedingter Zuwendungen durch eine Änderung der Lebensumstände der Ehegatten im Ver-
lauf der Ehe nicht berührt werden. Andererseits haben die Ehegatten auch die Möglichkeit,
einer Änderung ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres gewöhnlichen Aufenthalts durch die in
Art. 22 EuGüVO eingeräumte weitreichende Rechtswahl auch mit Wirkung für vorherige ehe-
bedingte Zuwendungen Rechnung zu tragen. An einer güterrechtlichen Qualifikation kann
schließlich kein Zweifel mehr bestehen, soweit ab dem 29.1.2019 die EuGüVO zur Anwen-
dung kommt; denn der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung soll sich ausdrück-
lich auf sämtliche Vermögensbeziehungen zwischen Ehegatten erstrecken, die ihren Grund in
der Ehe haben6.

c) Ehegatteninnengesellschaft
6.999 Innengesellschaften unterliegen zwar grundätzlich – anders als Außengesellschaften – nicht
dem Gesellschaftstatut, sondern dem nach Art. 3, 4 Rom I-VO zu ermittelnden Vertragssta-

1 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 365 ff.


2 Dafür Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 6753.
3 Vgl. dazu eingehend Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Vermögensausgleich
(1989), S. 470 ff.
4 Vgl. grundlegend BGH v. 3.12.1975 – IV ZR 110/74, BGHZ 65, 320 (323 f.) = FamRZ 1976, 82;
BGH v. 26.11.1981 – IX ZR 91/80, BGHZ 82, 227 (232 ff.) = FamRZ 1982, 246; ferner BGH v.
10.7.1991 – XII ZR 114/89, BGHZ 115, 132 (135 ff.) = ZIP 1991, 1567; BGH v. 28.11.2001 – XII
ZR 173/99, FamRZ 2003, 230; dazu Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Ver-
mögensausgleich (1989), S. 630 ff.
5 Hausmann, FS Jayme (2004), S. 305 (313 ff.); Winkler von Mohrenfels, IPRax 1995, 379 (381 f.);
Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 335 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 38; ebenso –
allerdings beschränkt auf Fälle, in denen die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen haben – Lo-
renz, FamRZ 1993, 394. Vgl. auch App. Versailles v. 27.6.1988, Clunet 1989, 691 m. Anm. Revil-
lard; Cass. civ. v. 3.9.1990, Rev.crit.d.i.p. 1991, 104 m. Anm. Ancel (Widerruf der Schenkung des
amerikan. Ehemannes an seine italien. Frau nach französ. Ehewirkungsstatut beurteilt: „Considé-
rant que les contrats entre époux sont soumis à un régime particulier et présentant un caractère
spécifique en raison du lien matrimonial qui unit les contractants; qu’il est de principe, en règle
générale, que les contrats entre époux soient régis par la loi des effets du mariage et qu’il en est
ainsi, en particulier, pour les donations entre époux“).
6 Weber, DNotZ 2016, 659 (665 f.); Mayer, IPRax 2016, 353 (355); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975).

868 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1000 § 6

tut1. Demgegenüber dient das Rechtsinstitut der – vor allem nur stillschweigend geschlossenen
– Ehegatteninnengesellschaft dem BGH vor allem dazu, eine faire Beteiligung des am „Gesell-
schaftsvermögen“ dinglich nicht beteiligten Ehegatten sicherzustellen, wenn das Güterrecht
keine befriedigende Lösung bietet und eine Beibehaltung der formalen Zuordnung zum Ver-
mögen nur eines Ehegatten im Hinblick auf die in der Ehe geleisteten finanziellen Beiträge
und/oder das übliche Maß übersteigenden Arbeitsleistungen des anderen Ehegatten als unbil-
lig erscheint2, wie dies nicht selten bei Vereinbarung von Gütertrennung zutrifft. Dieser Zweck
des Rechtsinstituts spricht aber wiederum für eine güterrechtliche Qualifikation; insoweit
gilt das zu den ehebedingten Zuwendungen Gesagte entsprechend3. Der BGH hat sich dieser
Auffassung jedenfalls insoweit angenähert, als er auf der Grundlage der von ihm befürworte-
ten schuldvertraglichen Qualifikation des Ausgleichsanspruchs wegen der funktionalen Nähe
der Ehegatteninnengesellschaft zum Ehegüterrecht i.R.v. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine akzes-
sorische Anknüpfung der Ehegatteninnengesellschaft an das Güterrechtsstatut vornimmt4.
Damit reduziert sich der Unterschied zwischen beiden Ansichten auf die den Ehegatten eröff-
neten Rechtswahlmöglichkeiten, die nach Art. 3 Rom I-VO weiter reichen als nach dem bishe-
rigen Art. 15 Abs. 2 EGBGB. Jedenfalls unter Geltung der EuGüVO sind auch Ansprüche aus
einer stillschweigend geschlosssenen Ehegatteninnengesellschaft güterrechtlich zu qualifizie-
ren5.

d) Ehegatten als Gesamtschuldner


Abgrenzungsprobleme zwischen Vertragsstatut und Güterrechtsstatut wirft ferner die An- 6.1000
knüpfung von Ausgleichsansprüchen zwischen Ehegatten auf, die einem Dritten – i.d.R. ei-
nem Kreditinstitut – als Gesamtschuldner verpflichtet sind. Wird nur einer der beiden Ehe-
gatten von der Gläubigerbank auf Rückzahlung des Kredits in Anspruch genommen, so beur-
teilt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die Forderung der Bank gegen den ande-
ren Ehegatten auf den zahlenden Ehegatten kraft Gesetzes übergeht, gem. Art. 16 S. 1 Rom I-
VO nach dem Statut der getilgten Forderung. Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 426
Abs. 2 BGB tritt daher ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten und das für
die Ehe geltende Güterrecht immer dann ein, wenn die getilgte Darlehensforderung dem
deutschen Recht unterstand6. Ob zwischen gesamtschuldnerisch haftenden Ehegatten aber
überhaupt ein Ausgleich stattzufinden hat, richtet sich nach den zwischen ihnen bestehenden
Rechtsbeziehungen. Maßgebend hierfür ist in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen in erster
Linie das von Art. 15 EGBGB zur Anwendung berufene Güterrechtsstatut7. Leben die Ehegat-

1 BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, DNotZ 2015, 686 m. Anm. Mankowski, NZFam 2015, 783 und
Anm. Mayer, IPRax 2016, 353; BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 Rz. 10; BGH v.
13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3708); Christandl, FamRZ 2012, 1692 (1693); Martiny
in MünchKomm, Art. 1 Rom I-VO Rz. 74.
2 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137 (143) = FamRZ 1999, 1580.
3 Christandl, FamRZ 2012, 1692 (1695); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 343; Wedemann, IPRax 2016,
252 (255 f.); Mankowski, NZFam 2015, 784.
4 BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, NJW 2015, 2581 (Rz. 12) = FamRZ 2015, 1379; Mayer, IPRax
2016, 353 (354); Magnus in Staudinger, Rom I-VO Rz. 87, sowie hilfsweise auch Christandl,
FamRZ 2012, 1692 (1694).
5 Weber, DNotZ 2016, 659 (665 f.); Mayer, IPRax 2016, 353 (355).
6 Vgl. LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/77, IPRspr. 1977 Nr. 65; dazu allg. Hausmann in Stau-
dinger, Art. 16 Rom I-VO Rz. 5 f.; Thorn in Palandt, Art. 16 Rom I-VO Rz. 4; ferner Martiny, FuR
2008, 206 ff. m.w.N.
7 LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/77, IPRspr. 1977 Nr. 65; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 362

Hausmann | 869
§ 6 Rz. 6.1000 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten daher in einem ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft,


so findet ein gesonderter schuldrechtlicher Ausgleich regelmäßig nicht statt, wenn der mit
dem Darlehen finanzierte Gegenstand – z.B. die Ehewohnung – in das Gesamtgut der Ehegat-
ten gefallen ist1. Demgegenüber wird bei Geltung deutschen Ehegüterrechts der Gesamt-
schuldnerregress nach § 426 Abs. 1 BGB durch die Vorschriften über den Zugewinnausgleich
nicht verdrängt2.

e) Ehegatten als Gesamtgläubiger


6.1001 Nach ähnlichen Grundsätzen ist über den Innenausgleich zwischen Ehegatten zu entscheiden,
denen Forderungen gegen einen Schuldner im Außenverhältnis als Gesamtgläubiger zuste-
hen. Hauptanwendungsfall ist die Unterhaltung eines sog. „Ehegatten-Oderkontos“ bei einer
deutschen Bank oder Sparkasse durch ausländische Ehegatten. In diesem Fall richtet sich die
Rechtsbeziehung zwischen den Ehegatten als Konto-Inhabern und dem kontoführenden Kre-
ditinstitut in Ermangelung einer Rechtswahl nach deutschem Recht, weil das Kreditinstitut
die für den zugrunde liegenden Bankvertrag charakteristische Leistung i.S.v. Art. 4 Abs. 2
Rom I-VO erbringt3. Leistet das Kreditinstitut befreiend an einen der Ehegatten, so bestim-
men sich etwaige Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis hingegen wiederum primär nach
dem maßgeblichen Ehegüterrecht4.Gehört das Bankguthaben danach zum Gesamtgut einer
Gütergemeinschaft, so wird die Regelung in § 430 BGB durch die Vorschriften des auslän-
dischen Güterrechts überlagert bzw. verdrängt5.

5. Persönliche Ehewirkungen und Vertragsrecht


6.1002 Ebenso wenig wird die Beachtung ausländischer Verpflichtungsbeschränkungen, die sich in
vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen aus dem von Art. 14 EGBGB berufenen Recht als all-
gemeine Ehewirkungen ergeben, im Inland dadurch ausgeschlossen, dass die Parteien deut-
sches Recht als Vertragsstatut vereinbart haben6. Auch wenn die Ehegatten das auf ihre all-
gemeinen Ehewirkungen anwendbare Recht schon vor dem 29.1.2019 in gewissem Umfang
wählen konnten (Art. 14 Abs. 2, 3 EGBGB a.F.), kann ein Ehegatte die inhaltlichen und for-
mellen Schranken der Parteiautonomie im internationalen Eherecht doch nicht in einem

1 Vgl. OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299 (300 f.) (Ausgleichsanspruch des
kroat. Ehemannes gegen seine ebenfalls kroat. Ehefrau wegen der Finanzierung des in Deutsch-
land zum Gesamtgut erworbenen Hausgrundstücks kann erst im Rahmen der Gesamtabrechnung
bei Beendigung des Güterstandes geltend gemacht werden.).
2 BGH v. 17.5.1983 – IX ZR 14/82, BGHZ 87, 265 (273); BGH v. 30.9.1987 – IVb ZR 94/86, NJW
1988, 133 f.; Gernhuber, JZ 1996, 696 m.w.N.
3 Vgl. dazu näher Martiny, FuR 2008, 206 ff. sowie unten Rz. 13.20 ff. m. Nachw.; a.A. von Hoff-
mann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 318.
4 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 365.
5 Vgl. OLG Stuttgart v. 7.8.2000 – 5 U 184/99, FamRZ 2001, 1371 = IPRax 2001, 152 (LS) m. Anm.
(zum Innenausgleich zwischen Ehegatten an einem Oder-Konto nach griech. Recht); OLG Celle v.
16.9.1998 – 14a (6) U 281/96, IPRax 1999, 113 m. Anm. Jayme (Gesamtgläubigerschaft von in
Deutschland lebenden portugies. Eheleuten hinsichtlich des Guthabens auf einem gemeinsamen
„Oder-Konto“ bei einer portugies. Bank nach portugies. Schuldstatut, die Mitberechtigung der
Ehegatten im Innenverhältnis hingegen nach dem – gleichfalls portugies. – Ehegüterrechtsstatut
beurteilt). Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.1985 – 3 UF 294/84, IPRax 1986, 239 (zur Be-
rechtigung italienischer Eheleute an einem gemeinsamen Sparguthaben bei einer deutschen Bank).
6 Kegel/Schurig, IPR § 20 V 3; Henrich, IntFamR, § 2 II 7; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB
Rz. 235 ff.; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 66, jeweils m.w.N.

870 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1004 § 6

Schuldvertrag mit einem Dritten unterlaufen; die Anknüpfung eherechtlicher Verpflichtungs-


beschränkungen wird daher durch eine schuldvertragliche Rechtswahl nicht beeinflusst1.
A.A. BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, NJW 1977, 1011 m. abl. Anm. Jochem = JZ 1977, 438 m.
abl. Anm. Kühne
Der niederländische Geschäftsführer einer Firma hatte sich in den Niederlanden ohne Zustimmung
seiner Ehefrau für die Schulden einer deutschen KG verbürgt. Aus der Bürgschaft in Anspruch ge-
nommen, berief er sich auf die Unwirksamkeit seiner Verpflichtung nach Art. 1:88 Abs. 1 BW. Der
BGH sah die Bürgschaftsverpflichtung demgegenüber als wirksam an, da die Parteien die Bürgschaft
ausdrücklich dem deutschen Recht unterstellt hatten: „Nach deutschem Recht ist also auch darüber zu
entscheiden, ob die Zustimmung der Ehefrau für die Abgabe der Bürgschaftserklärung erforderlich
war. Eine Zustimmung der Ehefrau als Voraussetzung der Wirksamkeit einer Bürgschaft kennt das
deutsche Recht, nach dem hier allein die Verpflichtung des Bekl. aufgrund seiner zulässigen Rechts-
wahl zu beurteilen ist, nicht.“ Der BGH meint weiter, dass „aufgrund der zulässigen Wahl des deut-
schen Rechts durch den Bekl. für seine Bürgschaftsverpflichtung der aus Art. 14 EGBGB abgeleitete
Grundsatz, dass für die persönlichen Rechtsbeziehungen ausländischer Ehegatten zueinander die aus-
ländischen Gesetze maßgebend sind, hier keine Anwendung“ finden könne.

Die Anwendung der vom ausländischem Ehewirkungsstatut angeordneten Verpflichtungs- 6.1003


beschränkungen kann vielmehr nur unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes aus-
geschlossen werden, wenn die hierfür erforderliche Inlandsbeziehung (Art. 16 Abs. 2 EGBGB
analog; dazu Rz. 6.1037 f.) besteht.

Räumt das Ehewirkungsstatut den Ehegatten gewisse Gestaltungsrechte ein, so ist deren Aus- 6.1004
übung davon abhängig, dass die Rechtsgestaltung auch von dem Recht anerkannt wird, dem
das zu gestaltende Rechtsverhältnis unterliegt. So beurteilt sich etwa die Frage, ob der Ehe-
mann ein ohne seine Zustimmung von der Ehefrau eingegangenes Arbeitsverhältnis kündigen
kann (vgl. Rz. 6.794), der Ehefrau gegenüber nach Art. 14 EGBGB, dem Arbeitgeber gegen-
über jedoch nach dem Statut des Arbeitsvertrages. Die Kündigung ist immer ausgeschlossen,
wenn auch nur eines der beiden Rechte sie nicht anerkennt2.

V. Schutz des Rechtsverkehrs


Literatur: Amann, Eigentumserwerb unabhängig vom ausländischen Güterrecht?, MittBayNotV
1986, 222; Bader, Der Schutz des guten Glaubens in Fällen mit Auslandsberührung, MittRheinNotK
1994, 161; Bänziger, Der Schutz des Dritten im internationalen Personen-, Familien- und Erbrecht der
Schweiz (1977); Böhringer, Immobiliarerwerb mit Auslandsbezug aus der Sicht des Notars und des
Grundbuchamtes, BWNotZ 1988, 222; Cicu, Sulla pubblicità del regime patrimoniale della famiglia,
Riv.dir.civ. 1976, 33; Dästner, Der Verkehrsschutz im deutschen internationalen Eherecht (Art. 16
EGBGB) (Diss. Göttingen 1970); G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990);
Haug-Adrion, Gutglaubenserwerb bei Verfügungsbeschränkungen des Eigentümers zugunsten Dritter
– ein Vergleich zwischen deutschem und französischem Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung
des Ehegüterrechts (Diss. München 1975); Liessem, Guter Glaube beim Grundstückserwerb von einem
durch Güterstand verfügungsbeschränkten Ehegatten, NJW 1989, 498; H. Roth, Grundbuchverfahren

1 So auch zu Recht Cass. (Belgien) v. 25.5.1992, Pas. 1992 I, 839 = Rev.gén.dr.civ.belge 1993, 455 m.
Anm. Couwenberg; dazu van Houtte, IPRax 1997, 276 (281); Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14
EGBGB Rz. 15; a.A. OLG Köln v. 21.3.1997 – 19 U 180/96, RIW 1998, 148 (auf Art. 1:88 lit. c. B.
W. gestützten Widerspruch der niederländ. Ehefrau gegen den vom ihrem – ebenfalls niederländ.
– Ehemann erklärten Schuldbeitritt für unbeachtlich erklärt, weil die Schutzvorschriften des nie-
derländ. Eherechts wegen der Wahl deutschen Rechts für den Schuldbeitritt unanwendbar seien).
2 Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959), S. 349.

Hausmann | 871
§ 6 Rz. 6.1004 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

und ausländisches Güterrecht, IPRax 1991, 320; Schotten, Der Schutz des Rechtsverkehrs im Interna-
tionalen Privatrecht, DNotZ 1994, 670.

1. Wahl des deutschen Rechts


6.1005 Der Schutz des inländischen Rechtsverkehrs vor Beschränkungen kraft ausländischen Ehegü-
terrechts ist durch die Möglichkeit der Ehegatten, das Güterrechtsstatut in gewissen Grenzen
durch Rechtswahl zu bestimmen, erheblich verbessert worden. Besitzt auch nur ein Ehegatte
die deutsche Staatsangehörigkeit oder hat nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland, so können die güterrechtlichen Beziehungen durch Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 1
EuGüVO dem deutschen Recht unterstellt werden, und zwar auch noch nach der Eheschlie-
ßung. Wenn die Ehegatten eine umfassende Wahl des deutschen Güterrechts scheuten, konn-
ten sie bis zum 28.1.2019 eine auf inländische Grundstücke beschränkte Rechtswahl treffen
(vgl. Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB), und zwar auch dann, wenn beide Ehegatten Ausländer
waren und sich im Ausland gewöhnlich aufhielten. In der notariellen Praxis, auf deren Initia-
tive diese Erweiterung der Parteiautonomie im internationalen Ehegüterrecht zurückging,
wurde daher beim Erwerb oder der Veräußerung inländischer Grundstücke durch Ehegatten,
die in einem ausländischem Güterstand lebten, regelmäßig zu einer solchen partiellen Rechts-
wahl geraten, um etwaige Beschränkungen, die sich aus dem ausländischen Güterrecht erge-
ben konnten, auszuschalten. Diese Möglichkeit ist mit Geltung der EuGüVO ab dem
29.1.2019 entfallen (vgl. Art. 21, 22 EuGüVO).

2. Materiell-rechtliche Vereinbarungen
a) Erwerbsbeschränkungen
6.1006 Eine Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2, 3 oder 15 Abs. 2 EGBGB hat den Nachteil, dass sie u.U.
von dem ausländischen Heimatrecht der Ehegatten nicht anerkannt wird; die auf inländische
Immobilien beschränkte Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB bewirkte zudem eine
häufig unerwünschte Aufspaltung des Güterrechtsstatuts. Gerade bei Immobiliengeschäften
unter Beteiligung ausländischer Ehegatten ist daher i.d.R. eine materiellrechtliche Lösung vor-
zuziehen, die auch das ausländische Recht zu berücksichtigen versucht1.

6.1007 Besteht die Gefahr von Erwerbsbeschränkungen aufgrund eines ausländischen Güterstands,
so kann der Erwerb deutscher Immobilien zu Allein- oder Miteigentum von Ehegatten häufig
durch den Abschluss eines Ehevertrages sichergestellt werden, in dem die Erwerber (bzw. der
Erwerber und sein Ehegatte) vereinbaren, dass das Grundstück oder Wohnungseigentum
nicht in das gemeinschaftliche Vermögen der Ehegatten (z.B. das Gesamtgut der Güter-
gemeinschaft) fallen, sondern Vorbehaltsgut (Eigengut) des (bzw. der) erwerbenden Ehegat-
ten sein soll2. Das gleiche Ziel lässt sich auch durch Vereinbarung des – von den meisten
Rechten zur Verfügung gestellten – Wahlgüterstands der Gütertrennung erreichen; ein so
weitgehender Schritt setzt freilich i.d.R. voraus, dass die Ehegatten finanziell von einander un-
abhängig sind.

1 Vgl. Wegmann, NJW 1987, 1740 (1745).


2 Vgl. näher Lichtenberger, DNotZ 1986, 679 (681 f.).

872 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1010 § 6

b) Verfügungs- und Verpflichtungsbeschränkungen


Die schwierige Ermittlung des Güterrechtsstatuts und der sich nach ausländischem Güter- 6.1008
recht ergebenden Beschränkungen der Verfügungsbefugnis oder Verpflichtungsmacht von
Ehegatten wird vor allem in der notariellen Praxis häufig dadurch umgangen, dass vorsorglich
die Zustimmung beider Ehegatten eingeholt wird, auch wenn nur der veräußernde Ehegatte
als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. In den meisten Fällen kann man, wenn beide
Ehegatten unterschreiben, sichergehen, dass der Vertrag rechtlichen Bestand hat. Das Gleiche
gilt, wenn ein Ehegatte eine schriftliche Zustimmungserklärung des anderen Ehegatten vor-
legt. Nach manchen Rechten ist für die Zustimmung eine besondere Form vorgeschrieben, so
z.B. in Schweden eine schriftliche, von zwei Zeugen mitunterschriebene Zustimmungserklä-
rung bei bestimmten Grundstücksgeschäften1.

Gelegentlich genügt eine Zustimmung des anderen Ehegatten nicht, es ist vielmehr erforder- 6.1009
lich, dass beide Ehegatten als Vertragsschließende auftreten, so etwa im niederländischen
Recht beim Abzahlungskauf von Haushaltsgegenständen (Art. 1:87 B.W.). Dann kann eine
Vollmacht des anderen Ehegatten dessen persönliche Anwesenheit ersetzen. Auch in anderen
Fällen kann eine (Spezial- oder General-) Vollmacht des anderen Ehegatten Schwierigkeiten
im Rechtsverkehr vermeiden. So wird etwa in der niederländischen Praxis der umständliche
Weg einer abweichenden Verwaltungsregelung durch Ehevertrag nach Art. 1:97 Abs. 1 B.W.
häufig durch die Erteilung einer – widerruflichen – Vollmacht zur Verfügung über bestimmte
Gesamtgutsgegenstände umgangen. Vollmachten unter Ehegatten sind meist zulässig, wenn
auch häufig nur in widerruflicher Weise, so zB im belgischen und französischen Recht. In ge-
wissen Fällen hilft allerdings weder eine Zustimmung noch eine Vollmacht des anderen Ehe-
gatten. Wo z.B. Gesellschafts- oder Schenkungsverträge zwischen Ehegatten verboten sind
(vgl. Rz. 6.803 f.) nützt auch die Unterschrift beider Ehegatten nichts. Das Gleiche gilt, wenn
es der Frau verboten ist, für den Mann zu bürgen oder ihr Grundstück für Schulden des Man-
nes zu belasten (vgl. Rz. 6.787 ff.).

3. Schutzvorschriften für den inländischen Rechtsverkehr


a) Sachenrechtlicher Schutz
aa) Allgemein
Die Regelung des inländischen Rechts zum Schutze des Rechtsverkehrs bei Vertragsschlüssen 6.1010
mit verheirateten Personen unterscheidet danach, ob dem handelnden Ehegatten das (Allein-)
Eigentum oder die (Allein-) Verfügungsmacht fehlt. Gilt kraft Gesetzes oder kraft Ehevertrags
ein ausländischer Güterstand, der einen Eigentumsübergang zur Folge hat, so gelten für den
Schutz des Vertragspartners, der von einem Ehegatten allein erwirbt und von der Güter-
gemeinschaft und damit vom Eigentumsübergang auf die Gemeinschaft der Ehegatten keine
Kenntnis hat, die sachenrechtlichen Grundsätze über den Erwerb vom Nichtberechtigten der
lex rei sitae (Rz. 6.1011 ff.). Daneben steht – insbesondere beim Erwerb beweglicher Sachen
von einem Ehegatten – der Schutz gutgläubiger Dritter in die Geltung deutschen Güterrechts
nach Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.1019 ff., Rz. 6.1030 ff.) Schließlich
kommt auch ein Schutz des Erwerbers nach Maßgabe des ausländischen Güterrechts in Be-
tracht.

1 Vgl. dazu näher IPG 1972 Nr. 15 (Kiel).

Hausmann | 873
§ 6 Rz. 6.1011 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Verfügung über inländische Grundstücke


6.1011 Ist das gemeinschaftliche Eigentum von Ehegatten aufgrund eines ausländischen Güterstands
nach § 47 GBO im Grundbuch richtig bezeichnet worden (z.B. Erwerb „in allgemeiner Gü-
termeinschaft nach niederländischem Recht“; Rz. 6.848), so muss ein Dritter, der von diesen
Ehegatten ein deutsches Grundstück erwirbt, sich etwaige Verfügungsbeschränkungen, die
sich aus diesem Güterstand ergeben, entgegenhalten lassen. Dies gilt auch dann, wenn der
ausländische Güterstand im deutschen Güterrechtsregister nicht eingetragen ist. Ein Schutz
des Erwerbers nach Art. 28 EuGüVO, Art. 16 Abs. 1 EGBGB kommt in diesem Fall nicht in
Betracht. Demgegenüber sind Verfügungsbeschränkungen, die sich lediglich aus nach dem
ausländischen Güterrecht zulässigen vertraglichen Vereinbarungen der Ehegatten ergeben,
wegen Unvereinbarkeit mit der insoweit maßgeblichen deutschen lex rei sitae (§ 137 S. 2
BGB) in Bezug auf inländische Grundstücke nicht zu beachten.

6.1012 Ist die durch das ausländische Güterrecht bewirkte Änderung der Eigentumsverhältnisse –
z.B. die Entstehung von Gesamthands- oder Miteigentum der Ehegatten – an dem Grund-
stück nicht in das deutsche Grundbuch eingetragen, so kann sich der Erwerber auf die Ver-
mutung nach § 891 BGB zugunsten des noch eingetragenen Alleineigentums des verfügenden
Ehegatten stützen. Ist er gutgläubig, so wird sein guter Glaube an die Richtigkeit der Grund-
bucheintragung gemäß § 892 BGB geschützt1. Das gleiche gilt auch dann, wenn der gute
Glaube des Erwerbers darauf beruht, dass er den eingetragenen Ehegatten für ledig hält, einen
geschlossenen Ehevertrag nicht kennt oder nicht weiß, dass der veräußernde Ehegatte in ei-
nem ausländischen Güterstand lebt und welchen Inhalt dieser Güterstand hat. Diese Grund-
sätze gelten nicht nur für die Übertragung und Belastung des Grundstücks selbst, sondern
auch für Verfügungen über dingliche Rechte an Grundstücken, ferner für den Erwerb von
Vormerkungen, die kollisionsrechtlich ebenfalls als dingliche Rechte zu behandeln und im
Verkehrsinteresse nach der lex rei sitae zu beurteilen sind2. Der Gutglaubensschutz nach
§§ 891, 892 BGB besteht auch dann, wenn das zwischen den Ehegatten nach ausländischem
Güterrecht bestehende Gemeinschaftsverhältnis im Grundbuch unrichtig eingetragen worden
ist (z.B. Miteigentum statt Gesamthandseigentum).

6.1013 Der gutgläubige Erwerb nach § 892 BGB findet selbst dann statt, wenn die ausländische Gü-
tergemeinschaft im Güterrechtsregister eingetragen ist. Denn bei Rechtsverhältnissen, die im
Grundbuch eintragbar, aber nicht eingetragen sind, kommt es für den gutgläubigen Erwerb
allein auf § 892 BGB an. Der Schutz durch das Güterrechtsregister nach Art. 16 Abs. 1
EGBGB i.V.m. § 1412 BGB hat in diesem Fall zurückzutreten. Ein Schutz des an der Veräuße-
rung nicht beteiligten Ehegatten kommt in einem solchen Fall jedoch in analoger Anwendung
von §§ 1365, 1368 BGB in Betracht, wenn die Veräußerung bei Geltung des deutschen gesetz-
lichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft gegen diese – nicht eintragungsfähige – Ver-
fügungsbeschränkung verstoßen würde.

6.1014 Der Schutz des guten Glaubens an das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach sa-
chenrechtlichen Grundsätzen reicht allerdings dann für einen wirksamen Erwerb nicht aus,
wenn dieser Ehegatte nach dem maßgebenden Ehegüterrecht nicht verfügungsberechtigt ist3.

1 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428.


2 IPG 1967/68 Nr. 22 (Köln) (Eine in niederländ. Gütergemeinschaft lebende Ehefrau hatte ihrem
Sohn ohne Zustimmung ihres Ehemannes eine Vormerkung an einem auf ihren Namen eingetra-
genen deutschen Grundstück bewilligt. Gutgläubigen Erwerb der Vormerkung nach § 892 BGB
beurteilt).
3 Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 7.

874 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1017 § 6

Allerdings erstreckt sich der gute Glaube des deutschen Grundbuchs bei der Verfügung über
inländische Grundstücke durch einen Ehegatten auch darauf, dass keine im Grundbuch ein-
tragungsfähigen Verfügungsbeschränkungen bestehen (vgl. § 891 Abs. 1 S. 2 BGB); eintra-
gungsfähig sind aber auch (relative) Verfügungsbeschränkungen aufgrund eines ausländischen
Güterstands1. Fehlt eine solche Eintragung, so erwirbt ein Dritter auch dann nach § 892 BGB
gutgläubig, wenn der ausländische Güterstand im Güterrechtsregister eingetragen ist. Der sa-
chenrechtliche Schutz des gutgläubigen Erwerbs hängt also auch in diesem Fall nicht davon
ab, dass zugleich die Vorausetzungen von Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m.
§ 1412 BGB erfüllt sind2.

cc) Verfügung über bewegliche Sachen und Forderungen


Beim Erwerb beweglicher Sachen kommt der sachenrechtliche Schutz des guten Glaubens an 6.1015
das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach §§ 932 ff. BGB in Betracht, wenn die den
Gegenstand der Verfügung bildende bewegliche Sache in Deutschland übereignet wird3. Der
Gutglaubensschutz versagt allerdings bei „abhanden gekommenen“ Sachen (§ 935 BGB). Ein
Abhandenkommen liegt auch dann vor, wenn der andere Ehegatte – wie häufig – Mitbesitz
hatte4. Daher scheidet ein sachenrechtlicher Gutglaubensschutz meist aus, wenn ein Gesamt-
gutsgegenstand ohne Zustimmung des anderen Ehegatten veräußert wird. Gleiches gilt, wenn
der veräußernde Ehegatte durch Vorschriften des ausländischen Güterrechts an der Verfügung
über eine in seinem Alleineigentum stehende bewegliche Sache gehindert ist; denn der gute
Glaube an die güterrechtliche Verfügungsbefugnis wird durch §§ 932 ff. BGB nicht geschützt.

Ebensowenig kommt ein sachenrechtlicher Gutglaubensschutz in Bezug auf im Inland belege- 6.1016
ne Forderungen und sonstige Rechte, die – wie Aktien, GmbH-Anteile, Erbteile u.Ä. – kraft
ausländischen Güterrechts in das Gesamtgut der Ehegatten fallen, in Betracht.

dd) Weitergehender Schutz nach ausländischem Güterrecht


Auf den guten Glauben an das Alleineigentum nach §§ 891 f. bzw. §§ 932 ff. BGB kommt es 6.1017
allerdings dann nicht an, wenn dem handelnden Ehegatten trotz bestehenden Mit- oder Ge-
samthandseigentums des anderen Ehegatten nach dem maßgeblichen ausländischen Ehegü-
terrecht die alleinige Verfügungsmacht zustand. Aber auch wenn ein ausländischer Ehegatte
im Inland über eine bewegliche Sache oder ein Grundstück ohne die notwendige Zustimmung
des anderen Ehegatten verfügt hat, braucht auf die inländischen Vorschriften über den sa-
chenrechtlichen Gutglaubensschutz dann nicht zurückgegriffen zu werden, wenn der gute
Glaube des Erwerbers bereits nach dem für die Gültigkeit der Verfügung maßgebenden aus-

1 Vgl. OLG Oldenburg v. 22.05.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412 zur Eintragung von Beschrän-
kungen, die sich aus der Gütergemeinschaft niederländischen Rechts in Bezug auf Grundvermögen
der Ehegatten ergeben, im deutschen Grundbuch.
2 Für eine Angleichung, wenn das Verfügungsgeschäft bei Geltung des deutschen gesetzlichen Gü-
terstands der Zugewinngemeinschaft der – absoluten – Verfügungbeschränkung des § 1365 BGB
unterliegen würde, Andrae, 3. Aufl., § 3 Rz. 166.
3 Zur Maßgeblichkeit der lex rei sitae für den Erwerb vom Nichtberechtigten vgl. BGH v. 2.4.1960 –
VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 (775); BGH v. 8.4.1987 – VIII ZR 211/86, BGHZ 100, 321 (324) =
NJW 1987, 3077 (3079) = IPRax 1987, 374 (m. Anm. Stoll, IPRax 1987, 357); BGH v. 6.3.1995 – II
ZR 84/94, NJW 1995, 2097 = JZ 1995, 784 m. Anm. Stoll; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB
Rz. 818 ff.; Wendehorst in MünchKomm, Art. 43 EGBGB Rz. 80, jeweils m.w.N.
4 Herrrler in Palandt, § 935 BGB Rz. 4.

Hausmann | 875
§ 6 Rz. 6.1017 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ländischen Ehegüterrecht geschützt wird. Eine derartige Regelung trifft etwa das niederlän-
dische Ehegüterrecht in Art. 1:98 Abs. 2 B.W. Verfügt also ein in Gütergemeinschaft nach nie-
derländischem Recht lebender Ehegatte in Deutschland unbefugterweise über Gesamtguts-
gegenstände, so kann der Erwerber trotz Kenntnis der Gesamthandsberechtigung wirksam er-
werben, wenn er hinsichtlich der Alleinverfügungsmacht des handelnden Ehegatten nach
Art. 1:98 Abs. 2 B.W. gutgläubig ist1.

b) Güterrechtlicher Schutz
aa) Schutz in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 28 EuGüVO
(1) Allgemeines
6.1018 Wie bezüglich der objektiven Anknüpfung des Güterrechtsstatuts muss auch bezüglich des
kollisionsrechtlichen Schutzes des inländischen Rechtsverkehrs vor Beschränkungen der Ehe-
gatten nach ausländischem Güterrecht gemäß Art. 69 Abs. 3 EuGüVO danach unterschieden
werden, ob die betroffene Ehe vor oder ab dem 29.1.2019 geschlossen wurde.Denn der Ver-
kehrsschutz nach Art. 28 EuGüVO gilt nur für Ehen, die ab diesem Stichtag geschlossen wur-
den oder in denen die Ehegatten ab dem 29.1.2019 eine Rechtswahl nach Art. 22 ff. EuGüVO
getroffen haben. Demgegenüber verbleibt es für zuvor geschlossene Ehen auch nach dem
29.1.2019 beim Verkehrsschutz nach dem autonomen Recht der teilnehmenden Mitgliedstaa-
ten, in Deutschland also bei Art. 16 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.1030 ff.)2

6.1019 Auch nach der EuGüVO beurteilen sich die Wirkungen des Güterstands auf Rechtsverhältnis-
se zwischen Ehegatten und Dritten grundsätzlich nach dem Güterrechtsstatut, Art 27 lit. f.
EuGüVO. Zum Schutz des guten Glaubens Dritter im Rechtsverkehr, die den Güterstand der
mit ihnen kontrahierenden Ehegatten – namentlich in Fällen einer Rechtswahl – häufig nicht
erkennen können, schränkt Art. 28 Abs. 1 EuGüVO diesen Grundsatz jedoch ein. Danach
darf ein Ehegatte in einer Streitigkeit zwischen einem Dritten und einem oder beiden Ehegat-
ten das für den ehelichen Güterstand maßgebende Recht dem Dritten nicht entgegenhalten,
es sei denn, der Dritte hatte Kenntnis von diesem Recht oder hätte bei gebührender Sorgfalt
davon Kenntnis haben müssen. Geschützt wird danach insbesondere die mangelnde Kenntnis
des Dritten von Verfügungs- oder Erwerbsbeschränkungen nach ausländischem Güterrecht.
Die Vorschrift bekräftigt damit zugleich die Regelung in Art. 1 lit. h EGüVO, der zufolge die
Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung von Rechten an beweglichen oder
unbeweglichen Sachen in einem Register (z.B. im deutschen Grundbuch oder Güterrechts-
register) aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind und der jeweiligen
lex rei sitae unterliegen.

(2) Anwendungsbereich
6.1020 Die Funktion von Art. 28 EuGüVO entspricht funktional derjenigen von Art. 16 EGBGB im
autonomen deutschen Kollisionsrecht (dazu Rz. 6.1030 ff.)3. Die Vorschrift schützt daher glei-
chermaßen vor Beschränkungen durch ein gewähltes wie durch ein objektiv bestimmtes Gü-
terrechtstatut4. Die Reichweite der europäischen Verkehrsschutzregelung ist in sachlicher

1 IPG 1967/68 Nr. 22 (Köln).


2 Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 1; Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO
Rz. 2.
3 Martiny, ZfPW 2017, 1 (26); Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 1.
4 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 329.

876 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1022 § 6

Hinsicht allerdings weiter als diejenige von Art 16 Abs 1 EGBGB, weil sie sich auch auf Be-
schränkungen erstreckt, die – wie z.B. die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB) oder die Eigentums-
vermutungen (§ 1362 BGB) – im autonomen deutschen Kollisionsrecht als allgemeine Ehe-
wirkungen qualifiziert werden und deshalb dem Art. 16 Abs. 2 EGBGB unterliegen (dazu
Rz. 6.1037 f.). Gerade für solche Beschränkungen, die – wie z.B. Art. 215 Abs. 3 frz Cc bezüg-
lich einer Veräußerung der Ehewohnung – nach Maßgabe des Güterrechtsstatuts auch durch
den guten Glauben des Dritten nicht überwunden werden können1, erlangt Art. 28 EuGüVO
praktische Bedeutung2. Dies gilt freilich nur, wenn man die Vorschrift als güterrechtliche Ver-
fügungsbeschränkung und nicht als Eingriffsnorm i.S.v. Art. 30 EuGüVO qualifiziert3. Einge-
schränkt wird der Gutglaubensschutz allerdings gegenüber dem bisherigen deutschen Kollisi-
onsrecht dadurch, dass – anders als nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB (dazu Rz. 6.1034) – nach
Art. 28 EuGüVO nicht nur positive Kenntnis, sondern auch fahrlässige Unkenntnis des Drit-
ten schadet4.

(3) Voraussetzungen des Schutzes


Nach Art. 28 Abs. 1 EuGüVO darf ein Ehegatte – ungeachtet des Artikels 27 lit. f. EuGüVO – 6.1021
in einer Streitigkeit zwischen einem Dritten und einem oder beiden Ehegatten das für den
ehelichen Güterstand maßgebende Recht einem gutgläubigen Dritten nicht entgegenhalten.
Die Streitigkeit muss sich auf den rechtsgeschäftlichen Verkehr zwischen dem Dritten und ei-
nem oder beiden Ehegatten beziehen; hingegen gibt es keinen Vertrauensschutz beim Erwerb
von Rechten kraft Gesetzes5. Bezugspunkt für den guten Glauben ist nach Art. 28 Abs. 1 Eu-
GüVO „das für den ehelichen Güterstand maßgebende Recht“. Maßgebend ist danach, ob der
Dritte wusste oder wissen konnte, welches Güterrecht gilt; auf die Kenntnis des Dritten vom
Inhalt dieses Rechts, des danach maßgebenden (gesetzlichen oder vertraglichen) Güterstands
und der sich hieraus ergebenden konkreten Verfügungsbeschränkungen soll es hingegen nicht
ankommen6.

Der Schutz des Dritten hängt dann davon ab, ob er Kenntnis von dem für die Ehe des oder 6.1022
der Ehegatten geltenden Güterrechtsstatuts hatte, mit dem/denen er kontrahiert hat, oder die-
se Kenntnis bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest hätte haben
können. Die Beweislast für diese Kenntnis obliegt dem Ehegatten, der sich auf die Kenntnis
des Dritten beruft7. Zur Erleichterung der Beweisführung stellt Art. 28 EuGüVO in Abs. 2 al-
lerdings gewisse Vermutungen auf. Danach wird die Kenntnis des Dritten von dem auf den
ehelichen Güterstand anwendbaren Güterrecht seiner Vertragspartner insbesondere vermutet,

1 DieVerfügung wird nach frz. Recht nur dadurch wirksam, dass der andere Ehegatte ihr entweder
zustimmt oder innerhalb der Jahresfrist des Art. 215 Abs. 3 S. 2 CC keine Nichtigkeitsklage erhebt,
vgl. Amann, DNotZ 2013, 252 (272).
2 Weber, DNotZ 2016, 659 (685).
3 Dazu Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1983); Martiny, ZfPW 2017, 1 (27); Sieghörtner in NK BGB,
Art. 30 EuGüVO Rz. 5.
4 Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 373; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 330.
5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 3, 5; Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO
Rz. 3.
6 Weber, DNotZ 2016, 659 (685); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1982); Thorn in Palandt, Art. 28 EuGü-
VO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 4; a.A. (konkrete Auswirkungen
des Güterstands auf das Rechtsgeschäft als Bezugspunkt) Süß in Dutta/Weber, S. 85 (103 f.); Sieg-
hörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 6.
7 Süß in Dutta/Weber, S. 85 (102).

Hausmann | 877
§ 6 Rz. 6.1022 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wenn das von dem Dritten mit dem Ehegatten abgeschlossene Rechtsgeschäft einen hinrei-
chenden Bezug zu diesem Recht aufweist; denn dann ist die Anwendung dieses Rechts auch
auf den Güterstand der Ehegatten für den Dritten nicht überraschend. Hiervon wird nach lit. a
ausgegangen, wenn es das Recht des Staates ist,
– dessen Recht auf das Rechtsgeschäft zwischen einem Ehegatten und dem Dritten anzuwen-
den ist (Geschäftsstatut, lit. i), oder
– in dem der vertragschließende Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt ha-
ben (gemeinsames Aufenthaltsrecht, lit. ii) oder
– in dem unbewegliche Vermögensgegenstände, die Gegenstand des Geschäfts sind, belegen
sind (lex rei sitae, lit. iii).
Bei der Bestimmung des Geschäftsstatuts handelt es sich um eine von lit. i aufgeworfene Vor-
frage, für deren Beantwortung die Verordnung nicht gilt (ErwG 21). Maßgebend hierfür ist
das im Gerichtsstaat geltende europäische oder autonome IPR. Vor deutschen Gerichten ist
das Geschäftsstatut für Schuldverträge nach der Rom I-VO, für sachenrechtliche Verfügungen
nach Art. 43 EGBGB zu bestimmen1.

6.1023 Darüber hinaus wird die Kenntnis des Dritten nach lit. b auch dann vermutet, wenn ein Ehe-
gatte die geltenden Anforderungen an die Publizität oder Registrierung des ehelichen Gü-
terstands in einem Staat eingehalten hat, der einen hinreichenden Bezug zu dem mit dem
Dritten abgeschlossenen Rechtsgeschäft hat. Davon wird wiederum ausgegangen, wenn es
sich um das Recht des Staates handelt, dessen Recht
– auf das Rechtsgeschäft zwischen einem Ehegatten und dem Dritten anzuwenden ist (lit. i),
oder
– in dem der vertragschließende Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt ha-
ben (lit. ii) oder
– in dem unbewegliche Vermögensgegenstände, die Gegenstand des Geschäfts sind, belegen
sind (lit. iii).
Voraussetzung für die Anwendung vonb lit. b ist allerdings, dass ausländische Güterstände im
deutschen Güterrechtsregister eingetragen werden können. Dies könnte zweifelhaft sein, weil
die Verweisung in Art. 16 Abs. 2 EGBGB auf § 1412 BGB mit der Aufhebung des Art. 16
EGBGB entfallen ist. Im Geltungsbereich der EuGüVO dürfte sich die Zulässigkeit der Eintra-
gung ausländischer Güterstände indessen unmittelbar aus deren Art. 28 Abs. 2 lit. b ergeben2.

6.1024 Nach der in Art. 28 Abs. 2 EuGüVO gewählten Formulierung handelt es sich sowohl in lit. a
wie in lit. b um unwiderlegliche Vermutungen, so dass ein Gutglaubensschutz des Dritten
entfällt, wenn eine dieser Vermutungen eingreift. Der Dritte kann sich also dann nicht darauf
berufen, dass er trotz Erfüllung einer dieser Vermutungen keine Kenntnis vom Güterrechts-
statut der mit ihm kontrahierenden Ehegatten gehabt hat3. Haben der vertragschließende
Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so wird der gute
Glaube des Dritten insbesondere durch die Eintragung des Güterstands im Güterrechtsregis-

1 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 8.


2 Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 10.
3 Weber, DNotZ 2016, 659 (686); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 15.

878 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1028 § 6

ter zerstört. Bestehen also Anhaltspunkte für die Geltung ausländischen Güterrechts, so ist
auch der beurkundende Notar gehalten, das Güterrechtsregiser einzusehen1.

In den seltenen Fällen, in denen nicht bereits die Vermutungen nach Art. 28 Abs. 2 EuGüVO 6.1025
eingreifen, kommt es nach Abs. 1 darauf an, ob der Dritte von dem maßgebenden Güterrecht
für die Ehe der mit ihm kontrahierenden Ehegatten Kenntnis hatte oder bei gebührender
Sorgfalt davon Kenntnis hätte haben müssen. Anders als im bisherigen Recht (Art. 16 Abs. 1
EGBGB) ist also positive Kenntnis für die Bösgläubigkeit des Dritten nicht erforderlich2. Der
Begriff der fahrlässigen Unkenntnis ist autonom auszulegen, so dass in den teilnehmenden
Mitgliedstaaten ein einheitlicher Sorgfaltsmaßstab gilt3. Wegen der Einzelheiten zu den Sorg-
faltsanforderungen kann auf die Ausführungen zu dem entsprechenden Begriff in Art. 13
Rom I-VO verwiesen werden (dazu Rz. 6.1163 ff.). Danach führt allein die Kenntnis der aus-
ländischen Staatsangehörigkeit oder des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Ausland
noch nicht zur Bösgläubigkeit4. Maßgebender Zeitpunkt für die Kenntnis/fahrkässsige Un-
kenntnis ist der Abschluss des Rechtsgeschäfts.

(4) Rechtsfolgen des guten Glaubens


Kann ein Ehegatte dem Dritten das für seinen Güterstand maßgebliche Recht nach Art. 28 6.1026
Abs. 1 und 2 EuGüVO nicht entgegenhalten, so stellt sich die Frage, welchem Recht die Wir-
kungen des Güterstands gegenüber dem Dritten in diesem Fall unterliegen. Denn der Dritte
muss sich zumindest die Wirkungen desjenigen Güterstands entgegenhalten lassen, mit dem
er rechnen musste. Hierzu bestimmt Abs. 3, dass als Ersatzgüterrechtsstatut grundsätzlich
das Recht des Staates maßgebend ist, dessen Recht auf das Rechtsgeschäft zwischen einem
Ehegatten und dem Dritten anzuwenden ist (Geschäftsstatut, lit a). Aus diesem Recht sind
daher die Verfügungsbeschränkungen desjenigen Güterstands heranzuziehen, der dem auslän-
dischen Güterstand der Ehegatten am nächsten kommt5.

Bezieht sich das Rechtsgeschäft allerdings auf unbewegliche oder registrierte Vermögens- 6.1027
werte, also z.B. auf Grundstücke oder GmbH-Anteile (§ 40 Abs, 1 GmbHG), so hat nach
Art. 28 Abs. 3 lit. b EuGüVOals lex specialis das Recht des Staates Vorrang, in dem diese Ver-
mögenswerte belegen bzw. im Register eingetragen sind6. Die Anwendung von Abs. 3 lit. b ist
dann auch nicht auf das dingliche Verfügungsgeschäft beschränkt, sondern erfasst auch das
zugrunde liegende schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft7. Auf Rechtsgeschäfte über das
Vermögen im Ganzen (z.B. nach § 1365 BGB) findet Abs. 3 lit. b hingegen keine Anwendung,
auch wenn zu diesem Vermögen unbewegliche oder registrierte Vermögensgegenstände gehö-
ren; insoweit verbleibt es vielmehr bei Abs. 3 lit. a8.

In welchem Verhältnis das Ersatzrecht zu dem eigentlich anwendbaren Güterrecht steht, ist 6.1028
noch nicht geklärt. Teilweise wird insoweit ein Wahlrecht des Dritten zwischen diesen beiden

1 Vgl. Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 10.


2 Martiny, ZfPW 2017, 1 (26); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 330.
3 Weber, RNotZ 2017, 365 (370); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 12.
4 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 13.
5 Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 14.
6 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1983); Weber, RNotZ 2017, 365 (371); a.A. [alternative Anwendung
von lit. a und b nach Wahl des Dritten] Süß in Dutta/Weber, S. 85 (105).
7 Weber, RNotZ 2017, 365 (370); Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 12.
8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 17.

Hausmann | 879
§ 6 Rz. 6.1028 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechten befürwortet mit der Folge, dass der gutgläubige Dritte es bei dem von Art. 22 ff. Eu-
GüVO zur Anwendung berufenen Güterrecht, das er sich eigentlich nach Art. 28 EuGüVO
nicht entgegenhalten lassen muss, belassen kann, wenn dieses Recht für ihn günstiger ist als
das Ersatzrecht1. Dieses Wahlrecht wird allerdings auf das Schuldrecht beschränkt, weil die
dingliche Zuordnung von Gegenständen nicht im Belieben des Dritten stehen könne2. Vor-
zuziehen dürfte eine kumulative Anwendung beider Statute in der Weise sein, dass Ver-
fügungsbeschränkungen des Ersatzrechts nur insoweit herangezogen werden können, als sie
den Dritten nicht gegenüber der Anwendung des eigentlichen Güterrechtsstatuts benachtei-
ligen3.

bb) Schutz in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 16 EGBGB


(1) Schutz durch das Güterrechtsregister
6.1029 In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gilt nach Art. 69 Abs. 3 EuGüVO auch auf dem
Gebiet des Verkehrsschutzes weiterhin das autonome Kollisionsrecht der teilnehmenden Mit-
gliedstaaten, wenn die Ehegatten nach diesem Stichtag keine Rechtswahl nach Art. 22 ff. Eu-
GüVO getroffen haben. Im deutschen Recht ist insoweit zwischen dem Schutz Dritter vor Be-
schränkungen von Ehegatten kraft ausländischen Güterrechts in dem engen Sinn des Art. 15
EGBGB und dem Verkehrsschutz gegenüber Verfügungs- und Verpflichtungsbeschränkungen
von Ehegatten, die unabhängig von einem bestimmten Güterstand gelten und deshalb als all-
gemeine Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB zu qualifizieren sind, zu unterscheiden. Im ers-
ten Fall gilt Art. 16 Abs. 1, im zweiten Fall Art. 16 Abs. 2 EGBGB. Die Fortgeltung dieser Vor-
schriften für vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen ordnet Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB
ausdrücklich an.

6.1030 Der Schutz des guten Glaubens an das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach sa-
chenrechtlichen Grundsätzen reicht auch nach autonomem deutschen IPR für einen wirk-
samen Erwerb dann nicht aus, wenn dieser Ehegatte nach dem maßgebenden Ehegüterrecht
nicht verfügungsberechtigt ist4. Ist ein Ehegatte kraft eines deutschen Vertragsgüterstands –
insbesondere durch Vereinbarung von Gütergemeinschaft nach §§ 1415 ff. BGB – in der Ver-
fügung über bewegliches Vermögen beschränkt, so greift zugunsten Dritter jedoch der durch
das Güterrechtsregister bewirkte Schutz des Rechtsverkehrs ein. Denn nach § 1412 BGB kön-
nen Ehegatten, die den gesetzlichen Güterstand ausgeschlossen oder geändert haben, hieraus
einem Dritten gegenüber Einwendungen gegen ein Rechtsgeschäft, das zwischen einem von
ihnen und dem Dritten vorgenommen worden ist, nur herleiten, wenn der Ehevertrag im Gü-
terrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen oder dem Dritten bekannt war, als
das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde. Das Gleiche gilt, wenn die Ehegatten eine im Güter-
rechtsregister eingetragene Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse durch Ehevertrag auf-
heben oder ändern. Der Vertragspartner kann also dann, wenn eine Eintragung im Güter-
rechtsregister fehlt, außer acht lassen, dass eventuell ein vertraglicher Güterstand besteht5.

1 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1986); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 331.
2 So Weber, RNotZ 2017, 365 (370 f.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 20.
3 Vgl. näher Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 15 f.
4 Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 7.
5 Zur umfassenden Schutz- und Offenlegungsfunktion des Güterrechtsregisters BGH v. 14.4.1976 –
IV ZB 43/75, NJW 1976, 1258.

880 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1033 § 6

In gleicher Weise ist der Vertragspartner aber auch gegen das Bestehen eines ausländischen 6.1031
(vertraglichen oder gesetzlichen) Güterstandes geschützt, der zu seinem Nachteil vom deutschen
gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft abweicht1. Unterliegen die güterrechtlichen
Wirkungen einer Ehe nämlich gem. Art. 15 EGBGB2 dem Recht eines anderen Staates, so ist
§ 1412 BGB gem. Art. 16 Abs. 1 EGBGB entsprechend anzuwenden, der ausländische gesetzli-
che Güterstand steht in diesem Fall einem deutschen Vertragsgüterstand gleich. Das Zusam-
menwirken dieser beiden Vorschriften gibt dem Rechtsverkehr erheblichen Schutz, und zwar
nicht nur bei Verfügungsgeschäften über bewegliche Sachen und Grundstücke, sondern auch
bei der Abtretung und Verpfändung von Forderungen sowie bei Verpflichtungsgeschäften.

Voraussetzung für die Berufung auf das deutsche Güterrechtsregister ist nach Art. 16 Abs. 1 6.1032
EGBGB allerdings, dass zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
hat oder hier ein Gewerbe betreibt3. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass auch der zu schüt-
zende Dritte sich gewöhnlich im Inland aufhält oder gar Deutscher ist4. Auch muss der Dritte
nicht notwendig gerade zu dem im Inland lebenden Ehegatten in rechtsgeschäftliche Bezie-
hungen getreten sein, sofern er nur am inländischen Geschäftsverkehr teilnimmt5. Allerdings
wird man Art. 16 Abs. 1 EGBGB einschränkend in dem Sinne auslegen müssen, dass das aus-
ländische Güterrecht nur dann verdrängt wird, wenn auch der Vertrag im Inland geschlossen
wird. Dies ist zwar nur in Art. 16 Abs. 2 EGBGB in Bezug auf Beschränkungen der Schlüssel-
gewalt ausdrücklich ausgesprochen, folgt jedoch auch für Art. 16 Abs. 1 EGBGB aus dem
Schutzzweck der Norm, weil der ausländische Rechtsverkehr nicht auf die Geltung deutschen
Güterrechts vertraut und deshalb insoweit auch keines Schutzes bedarf6. In Betracht kommt
allenfalls eine analoge Anwendung des Art. 16 Abs. 1 EGBGB zum Schutz des ausländischen
Rechtsverkehrs, wenn das Vornahmestatut einen gleichartigen Verkehrsschutz kennt7.

Der Schutz des Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB entfällt, wenn der abweichende aus- 6.1033
ländische Güterstand im Güterrechtsregister eingetragen war, der Vertragspartner dieses
aber nicht eingesehen hat oder nicht einsehen konnte, weil ihm der gewöhnliche Aufenthalt
der Ehegatten unbekannt war8. Die Eintragung in das Güterrechtsregister kann gem. § 1558

1 Vgl. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 2 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 16
EGBGB Rz. 21 ff.
2 Art. 16 Abs. 1 EGBGB schützt gegenüber der Geltung iranischen Güterrechts auch dann, wenn
dessen Geltung sich nicht aus Art. 15 EGBGB, sondern aus Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen
Niederlassungsabkommens von 1929 ergibt, vgl. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB
Rz. 7.
3 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 13 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB
Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 19.
4 Schurig in Soergel, Rz. 4; Mankowski in Staudinger, Rz. 29, jeweils zu Art. 16 EGBGB.
5 Schotten, DNotZ 1994, 670 (675); Bader, MittRheinNotK 1984, 161 (163); von Bar/Mankowski,
Bd. II, § 4 Rz. 234; Looschelders in MünchKomm, Rz. 18; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 8,
jeweils zu Art. 16 EGBGB.
6 Schotten, DNotZ 1994, 670 (677 f.); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 262; Mörsdorf in BeckOK BGB,
Rz. 27; Mankowski in Staudinger, Rz. 31 f.; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 8, jeweils zu Art. 16
EGBGB; für Anwendung auf Auslandsgeschäfte, wenn beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufent-
halt im Inland haben Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 18; a.A. G. Fischer,
S. 155 ff.; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 11; Schurig in Soergel, Rz. 4, jeweils zu Art. 16
EGBGB.
7 Dafür G. Fischer, S. 176 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 2; a.A. Mankowski in Staudinger, Rz. 48 f., je-
weils zu Art. 16 EGBGB m.w.N.
8 Schotten, DNotZ 1994, 670 (676); Bader, MittRheinNotK 1984, 161 (163).

Hausmann | 881
§ 6 Rz. 6.1033 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 BGB, § 377 Abs. 3 FamFG bei jedem Amtsgericht bewirkt werden, in dessen Bezirk
auch nur einer der Ehegatten (also nicht notwendig der kontrahierende) seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Betreibt ein Ehegatte im Inland lediglich ein Gewerbe, so ist das Amtsgericht
für den Ort der Handelsniederlassung zuständig (Art. 4 Abs. 1 EGHGB). In der Praxis spielt
das Güterrechtsregister freilich kaum noch eine Rolle; Eintragungen von in- oder auslän-
dischen Güterständen werden nur höchst selten vorgenommen1.

6.1034 Auch wenn der ausländische Güterstand – wie in der Regel – im Güterrechtsregister nicht
eingetragen ist, so wird der Dritte gem. § 1412 BGB doch nur geschützt, wenn er im Zeitpunkt
der Vornahme des Rechtsgeschäfts von der Geltung des fremden Güterrechts keine Kenntnis
hatte. Fahrlässigkeit reicht – anders als nach Art. 28 Abs. 1 EuGüVO (Rz. 6.1025), Art. 12
EGBGB und Art. 13 Rom I-VO – nicht aus; deshalb besteht auch keine Erkundigungspflicht
des Dritten. Vielmehr schadet nur positives Wissen; allein der Umstand, dass der Dritte die
ausländische Staatsangehörigkeit der Ehegatten kannte, macht ihn noch nicht bösgläubig2.
Der Dritte muss vielmehr wissen, dass die Ehegatten in einem ausländischen Güterstand le-
ben; nicht erforderlich ist hingegen die genaue Kenntnis dieses Güterstands3. Da sich die Ehe-
gatten darauf beschränken können, lediglich die Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB im
Güterrechtsregister eintragen zu lassen, muss die bloße Kenntnis der Geltung ausländischen
Güterrechts für die Annahme von Bösgläubigkeit genügen4.

6.1035 Liegen die Voraussetzungen für den Schutz des guten Glaubens nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB
vor, so können die Ehegatten sich auf Verfügungsbeschränkungen, Zustimmungserfordernisse
oder andere Einwendungen aus dem für sie geltenden ausländischen Güterrecht gegenüber
der Wirksamkeit eines von ihnen geschlossenen Rechtsgeschäfts nicht berufen. Sie werden
dem gutgläubigen Dritten gegenüber vielmehr so behandelt, als gelte für sie der deutsche ge-
setzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft5. Kein Schutz besteht daher, wenn das aus-
ländische Güterrecht eine dem § 1369 BGB entsprechende Verfügungsbeschränkung für
Haushaltsgegenstände normiert. Der gutgläubige Dritte hat allerdings ein Wahlrecht, ob er an
dem Rechtsgeschäft festhalten oder sich auf dessen Unwirksamkeit berufen will6.

6.1036 Betreibt ein Ehegatte, der in einem ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft lebt, im
Inland ein selbständiges Erwerbsgeschäft, so ist gutgläubigen Dritten gegenüber gem. Art. 16
Abs. 2 EGBGB i.V.m. §§ 1431, 1456 BGB die Zustimmung des anderen Ehegatten zu solchen
Rechtsgeschäften nicht notwendig, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Praktische Bedeu-
tung erlangen diese Verkehrsschutznormen allerdings nur dann, wenn der ausländische Güter-
stand im deutschen Güterrechtsregister verlautbart ist oder der Dritte um seine Geltung weiß,
weil andernfalls bereits der Schutz nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB eingreift7.

1 Reithmann, DNotZ 1984, 439 m.w.N.; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 12.
2 Schotten, DNotZ 1994, 670 (676 ff.); Looschelders in MünchKomm, Rz. 23; Schurig in Soergel,
Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 42, jeweils zu Art. 16 EGBGB.
3 Looschelders in MünchKomm, Rz. 31; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 11; a.A.
Amann, MittBayNotV 1986, 222 (226); H. Roth, IPRax 1991, 320 (322).
4 Liessem, NJW 1989, 497 (500); Schotten, DNotZ 1994, 670 (677); a.A. Mankowski in Staudinger,
Art. 16 EGBGB Rz. 42.
5 Looschelders in MünchKomm, Rz. 32; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 16; Schurig in Soer-
gel, Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 47, jeweils zu Art. 16 EGBGB.
6 Allg.M., vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 15; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16
EGBGB Rz. 13; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 33.
7 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 76.

882 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1038 § 6

(2) Schutz gegen Beschränkungen der Schlüsselgewalt


Auch gegenüber den nach dem ausländischen Ehewirkungsstatut bestehenden Beschränkun- 6.1037
gen der gegenseitigen Vertretungsbefugnis von Ehegatten bei Rechtsgeschäften im Interesse
des gemeinsamen Haushalts wird der inländische Verkehr geschützt, wenn das Rechts-
geschäft im Inland vorgenommen wurde, d.h. wenn sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
beide Vertragsparteien (bzw. ihre Vertreter) im Inland aufhalten1. Da Art. 16 Abs. 2 EGBGB –
wie Art. 13 Rom I-VO – für internationale Distanzgeschäfte keinen Verkehrsschutz gewährt,
reicht die Anwesenheit nur einer Vertragspartei im Inland nicht aus2. Für solche Inlands-
geschäfte gelten nach Art. 16 Abs. 2 EGBGB im Verhältnis zu gutgläubigen Dritten die deut-
schen Vorschriften über die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB) sinngemäß, sofern sie dem Dritten
günstiger sind als das fremde Recht. Gutgläubig sind die Dritten dann, wenn sie die Geltung
ausländischen Rechts weder kennen noch grob fahrlässig nicht kennen3. Im Inland vorgenom-
men wird ein Rechtsgeschäft nur dann, wenn sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beide
Vertragsparteien (bzw. ihre Vertreter) im Inland aufhalten. Auch durch eine Rechtswahl kann
die Geltung des Verkehrsschutzes nach deutschem Recht nicht herbeigeführt werden, weil das
deutsche internationale Eherecht eine Rechtswahl mit einem Dritten nicht kennt4.

Im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs, den das deutsche Gericht nach Art. 16 Abs. 2 6.1038
EGBGB von Amts wegen vorzunehmen hat5, sind die in beiden Rechten enthaltenen Regeln
über die Vertretungsmacht und Haftung nicht abstrakt gegeneinander abzuwägen6; erforder-
lich ist vielmehr eine konkrete Betrachtungsweise7. Das inländische Recht ist dem Dritten da-
her günstiger, wenn es eine Haftung des am Vertragsschluss nicht beteiligten Ehegatten für
die vom anderen eingegangene Verpflichtung begründet, während dies nach dem auslän-
dischen Ehewirkungsstatut nicht der Fall ist. Steht fest, dass die Inanspruchnahme beider Ehe-
gatten nach deutschem Recht (§ 1357 BGB) begründet ist, so erübrigt sich also bereits der
Vergleich mit dem ausländischen Recht8. In diesem Fall kann sich der Dritte auch nicht auf
das für ihn ungünstigere ausländische Recht berufen, weil ihn das Geschäft inzwischen reut;
ein Wahlrecht des Dritten besteht insoweit nicht9. Ist hingegen zweifelhaft, welches Recht dem
Dritten günstiger ist, so sollte dieser das von ihm bevorzugte Recht wählen dürfen10. Dies gilt
insbesondere bei der Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte, die nach deutschem Recht wirk-

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 41.


2 G. Fischer, S. 166; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 61; Looschelders in MünchKomm,
Art. 16 EGBGB Rz. 41. Für Anwendung der Vorschrift auf internationale Distanzgeschäfte in Ana-
logie zu Art. 11 Abs. 2 und Abs. 3 EGBGB hingegen Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 9.
3 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 59; Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 20.
4 Jayme, IPRax 1993, 80 (81); Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 52; a.A. BGH v.
27.11.1991 – XII ZB 226/90, NJW 1992, 909 = JR 1992, 498 m. Anm. Böhmer = IPRax 1993, 97
(m. abl. Anm. Jayme, IPRax 1993, 80) (Inanspruchnahme der Ehefrau eines Spaniers für Kosten
von dessen Krankenhausbehandlung. Nachträgliche stillschweigende Rechtswahl des deutschen
Verkehrsschutzrechts angenommen).
5 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 30 f.; Kropholler, IPR, § 45 V 2; Jayme, IPRax
1993, 80 f.
6 So noch Frankenstein, IPR, III S. 371 f.
7 G. Fischer, S. 167; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 39; Mankowski in Staudinger,
Art. 16 EGBGB Rz. 55; Kropholler, IPR, § 45 V 2.
8 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56; Jayme, FS Schwind (1993), S. 103 (108 f.).
9 Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 17; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56;
Jayme, IPRax 1993, 81; a.A. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 39
10 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 57 f.

Hausmann | 883
§ 6 Rz. 6.1038 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sam, nach ausländischen Recht hingegen unwirksam sind (oder umgekehrt), sowie bei Rechts-
geschäften, die zwar nach beiden Rechten gültig sind, aber in ihren Wirkungen differieren.

(3) Schutz gegen sonstige Beschränkungen durch die Ehe


6.1039 Nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist die Frage, inwieweit der inländische Rechtsverkehr
gegen solche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit sowie der Verpflichtungs- oder Ver-
fügungsbefugnis von Ehegatten geschützt ist, die – wie insbesondere Interzessionsverbote –
als persönliche Ehewirkungen zu qualifizieren sind (vgl. dazu Rz. 6.790 ff.). Denn Art. 16
Abs. 1 EGBGB betrifft lediglich die Wirkungen ausländischer Güterstände, während die teil-
weise ehepersonenrechtliche Norm des Art. 16 Abs. 2 EGBGB keine Generalklausel enthält,
sondern die Geltung des ausländischen Rechts nur in Bezug auf die Schlüsselgewalt und die
Eigentumsvermutungen einschränkt. Auch Art. 13 Rom I-VO greift weder unmittelbar noch
entsprechend ein, weil die Beschränkungen nicht die allgemeine Geschäfts- und Handlungs-
fähigkeit betreffen und sich deshalb nicht aus dem Personalstatut des handelnden Ehegatten
ergeben, sondern persönliche Ehewirkungen darstellen1.

6.1040 Aus Art. 16 Abs. 2 EGBGB ist jedoch der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass aus-
ländisches Eherecht dem inländischen zu weichen hat, wenn die vermögensrechtlichen Inte-
ressen eines gutgläubigen Dritten unmittelbar berührt sind und das abgeschlossene Geschäft
eine hinreichende Beziehung zum Inland aufweist2. Ist ein Vertrag daher im Inland abge-
schlossen worden, so wird ausländisches Ehepersonenrecht in demselben Umfang durch deut-
sches Recht verdrängt, wie dies Art. 16 Abs. 2 EGBGB für die Fälle der §§ 1357, 1362 BGB
ausdrücklich vorsieht. In diesem Fall können gutgläubige Dritte sich daher gegenüber auslän-
dischen Interzessionsverboten oder sonstigen Verpflichtungsbeschränkungen auf das ihnen
günstigere deutsche Recht berufen3. Dieser Schutz entfällt – anders als jener nach Art. 13
Rom I-VO (dazu Rz. 6.1163 ff.) – auch bei leicht fahrlässiger Unkenntnis des Dritten nicht4.

6.1041 Beschränkungen der Ehegatten im Innenverhältnis (Verbot von Schenkungsverträgen u.Ä., vgl.
dazu Rz. 6.802 f.) können hingegen auch geltend gemacht werden, wenn das Rechtsgeschäft im
Inland vorgenommen worden ist, weil ein Verkehrsschutzbedürfnis insoweit nicht besteht5.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 44 ff.; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB
Rz. 87; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1009; a.A. LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90,
FamRZ 1990, 776 = IPRax 1991, 341 (m. abl. Anm. H. Roth, IPRax 1991, 320); Liessem, NJW
1989, 500 ff.; G. Fischer, NJW 1989, 171 ff.; Thorn in Palandt, Art. 12 EGBGB Rz. 5; Looschelders
in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 62 ff.; Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 21. Für analoge
Anwendung von Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 EGBGB auch Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 266.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 34 ff.; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB
Rz. 238 und Art. 16 EGBGB Rz. 88; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1010; Kropholler,
IPR, § 45 V 2.
3 Bader, MittRheinNotK 1994, 161 (163); H. Roth, IPRax 1991, 320 ff.; Kropholler, IPR, § 45 V 2;
Kegel/Schurig, IPR, § 20 V 4 a.E.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 56; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 11,
jeweils zu Art. 16 EGBGB. Vgl. auch BT-Drucks. 10/504, S. 59.
4 Schotten, DNotZ 1994, 683 f. Vgl. auch – zum niederländischen Recht – HR v. 13.1.1989, N.J.
1990, 268 (Ausländischer Vertragspartner muss die Beschränkungen des niederländischen Rechts
für Bürgschaftsverträge durch Ehegatten nicht kennen, wenn der Vertrag im Ausland geschlossen
wird); IPG 1996 Nr. 26 (Köln) (zum Schutz des inländ. Rechtsverkehrs nach Art. 16 Abs. 2
EGBGB gegen Beschränkungen der Verpflichtungs- und Verfügungsfreiheit von Ehegatten über
die eheliche Wohnung nach niederländ. Recht).
5 Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB Rz. 57.

884 | Hausmann
D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1049 § 6

Unter der Geltung der EuGüVO beurteilt sich der Schutz des Rechtsverkehrs gegen Beschrän- 6.1042
kungen der Schlüsselgewalt wie gegen Beschränkungen der Verpflichtungs- oder Verfügungs-
befugnis von Ehegatten, die in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen als allgemeine Ehewir-
kungen i.S.v. Art. 14 EGBGB qualifiziert werden, nach den gleichen Regeln wie der Verkehrs-
schutz auf dem Gebiet des Ehegüterrechts im engeren Sinne, weil die Verordnung von einem
einheitlichen Regime für alle vermögensrechtlichen Ehewirkungen ausgeht. Maßgebend ist
daher auch insoweit die Verkehrsschutznorm des Art. 28 EuGüVO (dazu Rz. 6.1019 ff.).

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe

a) Nach ausländischen Rechten ist die Freiheit von Eheleuten, über eigenes oder gemeinsames 6.1043
Vermögen zu verfügen bzw. bestimmte Verpflichtungen einzugehen, im Interesse der Fami-
liengemeinschaft häufig unabhängig vom Güterstand eingeschränkt.
b) So bedürfen Ehegatten zum Abschluss bestimmter – besonders belastender oder risikorei- 6.1044
cher – Verpflichtungsverträge (z.B. Schenkung, Bürgschaft, Schuldübernahme, Abzah-
lungskauf) der gerichtlichen Genehmigung (sog. Interzessionsverbote) oder der Zustim-
mung ihres Partners.
c) Güterstandsunabhängige Verfügungsbeschränkungen bestehen namentlich in Bezug auf 6.1045
die Ehewohnung und den Hausrat, z.T. auch weitergehend für Grundstücksgeschäfte jeder
Art.
d) Schließlich ist auch die Befugnis von Ehegatten, den Partner bei Geschäften zur Deckung 6.1046
des Lebensbedarfs der Familie (sog. Schlüsselgewaltgeschäfte) mitzuverpflichten, nach
ausländischen Rechten vielfach beschränkt.
e) Ob und in welchem Umfang solche Beschränkungen bestehen, ist nicht dem Vertragssta- 6.1047
tut, sondern in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem Ehewirkungsstatut des Art. 14
EGBGB zu entnehmen. Abzustellen ist nach Art. 14 Abs. 2 EGBGB n.F. in erster Linie auf
das Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw.
zuletzt hatten, in Ermangelung eines solchen auf das gemeinsame Heimatrecht der Ehegat-
ten und hilfsweise auf das Recht, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am
engsten verbunden sind. Rück- oder Weiterverweisung sind nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu
beachten. In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gilt hingegen für alle vermögensbezoge-
nen allgemeinen Ehewirkungen das nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmende Güterrechts-
statut.
f) Die Ehegatten waren allerdings bis zum 29.1.2019 unter den in Art. 14 Abs. 2 und 3 6.1048
EGBGB a.F. genannten Voraussetzungen auch berechtigt, ein hiervon abweichendes Recht
zu wählen. Seit diesem Stichtag ist eine Rechtswahl auch für die vermögensbezogenen all-
gemeinen Ehewirkungen nur noch nach Art. 22-24 EuGüVO zulässig.

2. Güterrechtliche Beschränkungen

a) Die Freiheit von Ehegatten, über bestimmte Vermögensgegenstände zu verfügen oder sich 6.1049
zu deren Übertragung zu verpflichten, sowie Vermögen zu Alleineigentum zu erwerben, ist
in zahlreichen ausländischen Güterrechten dadurch beschränkt, dass bereits die Eheschlie-
ßung als solche zu einer Vergemeinschaftung von Vermögenswerten führt. Dies gilt ins-
besondere in Rechten, die als gesetzlichen Güterstand die Gütergemeinschaft oder eine

Hausmann | 885
§ 6 Rz. 6.1049 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Form der Errungenschaftsgemeinschaft vorsehen. Hier steht das Recht zur Verwaltung und
Verfügung über Gesamtgutsgegenstände häufig nur beiden oder einem der Ehegatten zu.
6.1050 b) Ob Verfügungs- oder Erwerbsbeschränkungen kraft ausländischen Ehegüterrechts beste-
hen, beurteilt sich in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nach Art. 26 EuGüVO. Danach
unterliegt der eheliche Güterstand primär dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten
nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. In Er-
mangelung eines solchen gilt das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehe-
gatten haben, und hilfsweise das Recht des Staates, mit dem beide Ehegatten sonst am
engsten verbunden sind. Das zuständige Gericht kann jedoch ausnahmweise von der Aus-
weichklausel in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO Gebrauch machen, wenn die Ehegatten ihren letz-
ten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat über einen erheblich
längeren Zeitraum hatten als im Staat ihres ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts
nach der Eheschließung und auf das Recht diese anderen Staates bei der Regelung ihrer
vermögensrechltichen Beziehungen vertraut haben.
6.1051 c) In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen ist das Güterrechtsstatut weiterhin nach Art. 15
EGBGB zu bestimmen. Maßgebend ist danach grundsätzlich das Ehewirkungsstatut zur
Zeit der Eheschließung (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EGBGB a.F.). Eine Rück- oder Weiter-
verweisung ist nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten. In Betracht kommt insbesondere ein
Renvoi auf das Wohnsitzrecht der Ehegatten, auf die lex rei sitae von ehelichem Grundbesitz
sowie auf ein von den Ehegatten – auch formlos oder stillschweigend – gewähltes Recht.
6.1052 d) Die Ehegatten können das Güterrechtsstatut gem. Art. 22 EuGüVO auch durch Rechts-
wahl – unabhängig vom Ehewirkungsstatut – festlegen. Die Rechtswahl kann nicht nur bei
Eheschließung, sondern zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Ehe getroffen werden.
Zur Wahl gestellt sind den Ehegatten ihre jeweiligen Heimat- bzw. Aufenthaltsrechte. Hin-
sichtlich des unbeweglichen Vermögens konnten sie ferner bis zum 28.1.2019 nach Art. 15
Abs. 2 Nr. 3 EGBGB das Recht des jeweiligen Lageortes wählen.
6.1053 e) Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Güterstandes gilt in ab dem 29.1.2019 geschlossenen
Ehen nach Art. 21 EuGüVO uneingeschränkt. In zuvor geschlossenen Ehen wird dieser
Grundsatz durch die Beachtung einer partiellen Rückverwerisung auf die lex rei sitae sowie
nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB durchbrochen, wenn Vermögenswerte in einem Land belegen
sind, nach dessen Recht sie „besonderen Vorschriften“ unterliegen. Praktisch bedeutsam ist
insbesondere die kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen „movables“ und „immovab-
les“ im anglo-amerikanischen Recht. Sie führt zu einer auch in Deutschland beachtlichen
Spaltung des Güterstandes, wenn Immobilien z.B. in England oder in den USA belegen
sind, während die Güterrechtsbeziehungen nach Art. 15 EGBGB deutschem Recht oder
dem Recht eines dritten Staates unterliegen.
6.1054 f) Für vor dem 9.4.1983 geschlossene Ehen sind die intertemporalen Kollisionsregeln des
Art. 220 Abs. 3 EGBGB zu beachten.

3. Schutz des Rechtsverkehrs

6.1055 a) Gegenüber im Inland unbekannten Beschränkungen ausländischer Ehewirkungs- oder


Ehegüterrechte wird der inländische Rechtsverkehr in vielfältiger Hinsicht geschützt:
– das mangelnde Alleineigentum eines Ehegatten kann mit Hilfe der sachenrechtlichen
Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens (§§ 892 f., 932 ff. BGB) überwunden
werden;

886 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1056 § 6

– fehlt es dem handelnden Ehegatten nach ausländischem Ehegüterrecht an der (alleini-


gen) Verfügungsmacht, so greift nach Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB
i.V.m. § 1412 BGB der Schutz durch das Güterrechtsregister ein;
– schließlich sind gutgläubige Dritte auch gegenüber ausländischen Beschränkungen der
Schlüsselgewalt, die über § 1357 BGB hinausgehen, gem. Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16
Abs. 2 EGBGB geschützt.
b) Den besten Schutz vor unbekannten güterrechtlichen Erwerbs- oder Verfügungsbeschrän- 6.1056
kungen bietet freilich die Wahl deutschen Güterrechts nach Art. 22 EuGüVO.

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen

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nach englischem Recht (1992); Raison, Le statut des incapables mineurs et majeurs après la loi du 14

Hausmann | 887
§ 6 Rz. 6.1056 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

décembre 1964 et la loi du 3 janvier 1968 (1969); Schenk, Die rechtliche Fähigkeit Minderjähriger zum
selbständigen Abschluss schuldrechtlicher Verträge. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter Be-
rücksichtigung der Rechtslage in Frankreich, England, der Bundesrepublik Deutschland und der Har-
monisierungsbestrebungen des Europarats (Diss. Bonn 1976); Schwimann, Die Institution der Ge-
schäftsfähigkeit (1965); Stanzione, Capacità e minore età nella problematica della persona umana
(1975); Valero, The Contractual Capacity of Minors in English und French Law of Employment, I.C.L.
Q. 27 (1978), 215; Vial, Die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger im englischen Recht (Diss. Kiel 1974);
Wilhelm, Verträge Minderjähriger im englisch-amerikanischen Recht, ZfRV 1972, 161.
Zur gesetzlichen Vertretung s. vor Rz. 6.1103 ff. Zum Schutz des Rechtsverkehrs s. vor Rz. 6.1160 ff.

I. Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit


1. Sonderanknüpfung an die Staatsangehörigkeit
a) Grundsatz
6.1057 Fragen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit werden – vorbehaltlich der Verkehrsschutzregelung
in Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1160 ff.) – ausdrücklich aus dem sachlichen Anwendungs-
bereich dieser Verordnung ausgeklammert. Maßgebend ist daher – vorbehaltlich der Regelung
in Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.2.19291 – das au-
tonome deutsche Kollisionsrecht. Ob ein Jugendlicher die für einen Vertragsabschluss erfor-
derliche Geschäftsfähigkeit besitzt, wird daher nicht nach dem Vertragsstatut (oder sonstigen
Wirkungsstatut) (zur Abgrenzung näher Rz. 6.1088 ff.) beurteilt, sondern gesondert ange-
knüpft.

6.1058 Maßgebend ist gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Heimatrecht des Jugendlichen2. Die Beurteilung
der Geschäftsfähigkeit von Vertragsparteien wird somit – als selbständig anzuknüpfende
Teilfrage3 – vom Vertragsstatut abgespalten. Das Vertragsstatut bestimmt zwar, ob und wel-
che – volle oder beschränkte – Geschäftsfähigkeit zum Abschluss eines bestimmten Vertrages
erforderlich ist; ob sie gegeben ist, entscheidet hingegen nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Per-
sonalstatut der Vertragsschließenden. Art. 7 Abs. 1 EGBGB ist zwingendes Recht und folglich
der Parteidisposition entzogen; durch eine Rechtswahl kann das Geschäftsfähigkeitsstatut
nicht beeinflusst werden4. Gutgläubige Geschäftspartner werden gegen eine mangelnde Ge-
schäftsfähigkeit nach ausländischem Recht jedoch nach Maßgabe von Art. 13 Rom I-VO bzw.
Art. 12 EGBGB geschützt (Rz. 6.1160 ff.).

b) Mehrstaater
6.1059 Durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit kann das Personalstatut allein nicht be-
stimmt werden, wenn der Vertragspartner mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt. Zur Bestim-

1 Abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Nr. 22.


2 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, NJW 2004, 1315 (1316) = ZIP 2004, 659 = JA 2004, 591 m.
Anm. Staake; Thorn in Palandt, Rz. 1; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 3, 8; Lipp in Münch-
Komm, Rz. 32; Hausmann in Staudinger, Rz. 15, jeweils zu Art. 7 EGBGB.
3 Thorn in Palandt, Rz. 1; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 1, 3; Hausmann in Staudinger,
Rz. 17; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 1; jeweils zu Art. 7 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6
Rz. 29.
4 Lipp in MünchKomm, Rz. 12, 33; Hausmann in Staudinger, Rz. 15; Thorn in Palandt, Rz. 1; Stür-
ner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 19, jeweils zu Art. 7 EGBGB. Allg.
zur Teilfrage Hausmann in Hausmann/Odersky, § 3 Rz. 56 ff.

888 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1061 § 6

mung der dann maßgeblichen Staatsangehörigkeit enthält das Gesetz in Art. 5 Abs. 1 EGBGB
eine ausdrückliche Kollisionsnorm. Diese unterscheidet danach, ob die betreffende Person
auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht.

Besitzt die Person mehrere ausländische Staatsangehörigkeiten, so gibt für die Anknüpfung 6.1060
diejenige den Ausschlag, mit welcher die Person am engsten verbunden ist. Zur Feststellung die-
ser sog. effektiven Staatsangehörigkeit ist in erster Linie auf den gewöhnlichen Aufenthalt des
Vertragsschließenden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, sofern sich dieser in ei-
nem der Heimatstaaten befindet1. Daneben sind aber auch andere Umstände aus dem vergange-
nen und für die Zukunft geplanten Verlauf seines Lebens zu berücksichtigen, z.B. die Inan-
spruchnahme staatsbürgerlicher Befugnisse (Wahlrecht) und die Erfüllung staatsbürgerlicher
Pflichten (Wehrdienst), berufliche und private Verbindungen, Vermögensdispositionen, Sprache
etc2. Bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat kommt es für die Ermittlung der effekti-
ven Staatsangehörigkeit allein auf die genannten sonstigen Umstände des Lebenslaufs an3. Der
Inhalt und die Umstände des konkreten Vertragsschlusses haben hingegen für die Ermittlung
der effektiven Staatsangehörigkeit außer Betracht zu bleiben, weil diese nach Art. 7 Abs. 1 i.V.m.
Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB gerade losgelöst vom Statut des einzelnen Vertrages zu bestimmen ist4.

Besitzt der Vertragspartner hingegen neben einer ausländischen auch die deutsche Staats- 6.1061
angehörigkeit oder ist er auch Deutscher i.S.d. Grundgesetzes (vgl. Art. 116 GG), so ist diese
Rechtsstellung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB im Rahmen der Anknüpfung der Geschäfts-
fähigkeit allein maßgebend. Dies gilt im Gegensatz zu der bis zur IPR-Reform von 1986 in
Rechtsprechung und Lehre h.M.5 selbst dann, wenn die Beziehung zu seinem ausländischen
Heimatstaat wesentlich enger ist. Das Gesetz gibt insoweit dem Interesse an der Rechtsklarheit
und Praktikabilität den Vorrang vor der Anknüpfung an die sachnähere Rechtsordnung6. Die
praktische Bedeutung des Inländervorrangs nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB hat durch das Ge-
setz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 weiter zugenommen, weil da-
nach ein erheblicher Teil der im Inland geborenen jungen Ausländer zumindest bis zum 18. Le-
bensjahr die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich erwirbt (§ 4 Abs. 3, § 29 StAG)7. Diese
vorrangige Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit eines Mehrstaaters führt vermehrt
zu hinkenden Rechtsverhältnissen, weil der ausländische Heimatstaat zumeist der eigenen
Staatsangehörigkeit den Vorzug gibt. Die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Verbot der Dis-
kriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 18 AEUV ist daher fraglich8.

1 Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2; von Hein in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 62.
2 Vgl. OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634; Ferid, Rz. 1–34; Bausback
in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 15.
3 Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2; vgl. aber OLG Frankfurt a.M. v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93,
FamRZ 1994, 715, wo bei Nichtfeststellbarkeit einer effektiven Staatsangehörigkeit analog Art. 5
Abs. 2 EGBGB auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts abgestellt wird.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 18 a.E.
5 Vgl. BGH v. 20.6.1979 – IV ZR 106/78, BGHZ 75, 32 (38 f.) = NJW 1979, 2468 m. Anm. Kropholler.
6 BT-Drs. 10/504, 40; vgl. OLG Hamm v. 11.3.1993 – 4 UF 215/92, FamRZ 1994, 573 = IPRspr.
1993 Nr. 77; Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 5 EGBGB Rz. 6; Mörsdorf in BeckOK
BGB, Rz. 8, jeweils zu Art. 5 EGBGB. Dazu die berechtigte Kritik bei Ferid, Rz. 1–35 f.; von Hein
in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 67 ff.; Bausback in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 19 ff. Zur
Möglichkeit einer Einzelfallkorrektur Sonnenberger, BerDGesVölkR 29 (1988), 21; Mansel, Per-
sonalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), § 6 Rz. 270.
7 Vgl. die Neufassung von § 29 StAG durch Gesetz vom 13.11.2014, BGBl. I 2014, 1714.
8 Dazu näher von Hein in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 78 ff.; für Wahlrecht Makowsky/G.
Schulze in NK-BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 29.

Hausmann | 889
§ 6 Rz. 6.1062 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

c) Staatenlose
6.1062 Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit versagt vollständig bei Personen, die keine Staats-
angehörigkeit besitzen. Für diese Staatenlosen erklärt Art. 5 Abs. 2 EGBGB das Recht ihres
gewöhnlichen Aufenthalts, hilfsweise ihres schlichten Aufenthalts, für maßgebend. Art. 5
Abs. 2 EGBGB wird allerdings in weitem Umfang durch gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangige
staatsvertragliche Regelungen verdrängt. Dies gilt insbesondere für das New Yorker Überein-
kommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.19541. Ein sachlicher Wider-
spruch zwischen beiden Regelungen besteht freilich nicht, weil der Wohnsitzbegriff des Über-
einkommens i.S.v. „gewöhnlichem Aufenthalt“ zu verstehen ist2. An den gewöhnlichen Auf-
enthalt wird ferner angeknüpft bei Personen, deren Staatsangehörigkeit nicht festgestellt wer-
den kann3.

d) Flüchtlinge
6.1063 Auch für die Bestimmung des Personalstatuts von internationalen Flüchtlingen, also für die
große Mehrheit der vor allem seit 2015 nach Deutschland gelangten Flüchtlinge aus Syrien,
dem Irak und Afghanistan, gelten in weitem Umfang Sonderregeln, die – wie insbesondere
Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.7.19514 – an das Aufenthalts- oder Wohn-
sitzrecht anknüpfen5. Zum Personalstatut i.S.v. Art. 12 GFK gehört aber auch die Frage, ob
ein Flüchtling volljährig und damit geschäftsfähig ist6. Für Flüchtlinge, die sich im Inland auf-
halten, gilt daher in Geschäftsfähigkeitsfragen deutsches Recht, auch wenn über ihren Asyl-
antrag noch nicht entschieden worden ist. Das deutsche Aufenthaltsrecht ist aufgrund der
Verweisung in § 2 Abs. 1 AsylVfG i.d.F. vom 2.9.2008 erst recht für anerkannte Asylberechtig-
te maßgebend7. Demgegenüber haben Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörig-
keit (sog. Statusdeutsche) gem. Art. 9 Abs. 2 Nr. 5 FamRÄndG i.V.m. Art. 116 Abs. 1 GG ein
deutsches Personalstatut8. Gleiches gilt für Spätaussiedler (§ 4 BVFG).

1 BGBl. II 1976, 474; auszugsweise abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 12.


2 Vgl. Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2 und Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 1 f.; von Hein in
MünchKomm, Anh. I zu Art. 5 EGBGB Rz. 1; Bausback in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 64
m.w.N.
3 Vgl. OLG Hamm v. 7.4.1995 – 15 W 3/95, FamRZ 1995, 1602 = StAZ 1995, 238; OLG Zweibrü-
cken v. 27.3.1996 – 3 W 26/96, StAZ 1996, 268 (269); Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 6
m.w.N.
4 BGBl. II 1953, 559; auszugsweise abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 10.
5 Vgl. dazu näher Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 16 ff.; von Hein in MünchKomm,
Anh. II zu Art. 5 EGBGB Rz. 62 ff.; Bausback in Staudinger, Anh. IV zu Art. 5 EGBGB, Rz. 67,
jeweils m.w.N.
6 Vgl. zu unbegleiteten Flüchtlingskindern BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 457
(Rz. 23) m. Anm. Hüßtege; OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525
(Rz. 15); KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, FamRZ 2020, 842; OLG Hamm v. 23.10.2018 – 9 UF
104/18, NJW-RR 2019, 262 (Rz. 18 ff.) und OLG Hamm v. 3.5.2017 – 10 UF 6/17, NJOZ 2017,
1504 (Rz. 18); OLG Koblenz v. 14.2.2017 – 13 UF 32/17, FamRZ 2017, 1229; Lipp in Münch-
Komm, Art. 7 EGBGB Rz. 34; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 20a; a.A. noch OLG
Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820 (1821) m. zu Recht abl. Anm. von Hein.
7 Bausback in Staudinger Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rz. 65 ff. m.w.N.
8 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 11; Bausback in Staudinger, Anh. IV zu Art. 5
EGBGB Rz. 21 ff.

890 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1066 § 6

e) Reform
Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.20211 hält in 6.1064
Art. 2 Nr. 1 an der Sonderanknüpfung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit in Art. 7 EGBGB
fest. Während es für die Rechtsfähigkeit nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB n.F. bei der Anknüpfung
an die Staatsangehörigkeit verbleibt, wird für die Geschäftsfähigkeit in Art. 7 Abs. 2
EGBGB n.F. der Übergang zur Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffe-
nen Person vollzogen:
Art. 7 EGBGB
Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit
(1) Die Rechtsfähigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Die
einmal erlangte Rechtsfähigkeit wird durch Erwerb oder Verlust einer Staatsangehörigkeit nicht beein-
trächtigt.
(2) Die Geschäftsfähigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, in dem die Person ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt auch, soweit die Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung erwei-
tert wird. Die einmal erlangte Geschäftsfähigkeit wird durch einen Wechsel des gewöhnlichen Aufent-
halts nicht beeinträchtigt.
Die Neufassung wird zum 1.1.2023 in Kraft treten.

2. Statutenwechsel
Maßgebend ist nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich das Heimatrecht der an einem Ver- 6.1065
tragsschluss beteiligten jugendlichen Person im Zeitpunkt der Abgabe der auf den Vertrags-
schluss gerichteten Willenserklärung2. Wechselt allerdings ein bereits Volljähriger seine Staats-
angehörigkeit (bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz, soweit dieser das Per-
sonalstatut bestimmt) und wäre er nach seinem neuen Heimat- (bzw. Aufenthalts-) Recht
noch nicht volljährig, so fragt sich, ob er in diesem Falle auch in seiner Geschäftsfähigkeit
zurückgestuft wird. Eine (Teil-) Antwort auf diese Frage gibt Art. 7 Abs. 2 EGBGB. Danach
wird eine einmal erlangte Rechts- oder Geschäftsfähigkeit durch den Erwerb oder Verlust der
Rechtsstellung als Deutscher nicht beeinträchtigt. Da das Volljährigkeitsalter in Deutschland
mit 18 Jahren – vergleichend betrachtet – eher niedrig ist, hat die Vorschrift vor allem beim
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit praktische Bedeutung. Bei deren Erwerb kann sie
nur ausnahmweise zur Anwendung gelangen,wenn ein Ausländer nach seinem Heimatrecht –
z.B. kraft Eheschließung– bereits vor Erreichung des 18. Lebensjahres die volle Geschäftsfähig-
keit erlangt.

Obwohl Art. 7 Abs. 2 EGBGB dies – als unvollkommen allseitige Kollisionsnorm3 – nur be- 6.1066
schränkt für den Erwerb oder Verlust der Rechtsstellung als Deutscher bestimmt (sog. Ein-
gangs- bzw. Ausgangsstatutenwechsel), um den Eindruck eines Eingriffs in fremde Rechtsord-
nungen zu vermeiden4, muss das Gleiche analog in jedem anderen Fall eines Wechsels des
Personalstatuts gelten, also auch dann, wenn ein Ausländer eine andere ausländische Staats-
angehörigkeit erwirbt (sog. neutraler Statutenwechsel, z.B. 18-jähriger Italiener wird Argenti-

1 BGBl. I 2021, 882.


2 Thorn in Palandt, Rz. 8; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 8; Hausmann in Staudinger, Rz. 106,
jeweils zu Art. 7 EGBGB.
3 Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 19; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 103.
4 Vgl. BT-Drucks. 10/504, S. 45.

Hausmann | 891
§ 6 Rz. 6.1066 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nier)1, oder wenn ein Staatenloser bzw. Flüchtling seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein an-
deres Land mit einem höheren Volljährigkeitsalter verlegt (z.B. von den Niederlanden nach
Suriname)2. Für die allgemeine Geltung des Grundsatzes „semel major, semper major“
spricht das Interesse des Rechtsverkehrs, die Abwicklung, Erfüllung und Fortsetzung einmal
begonnener Rechtsgeschäfte nicht durch den Staatsangehörigkeitswechsel einer Partei zu stö-
ren. Dieser Analogie bedarf es freilich nur dann, wenn das neue Heimat- oder Aufenthalts-
recht eine dem Art. 7 Abs. 2 EGBGB entsprechende Kollisionsnorm nicht kennt; denn an-
dernfalls ist auch der im neuen Heimatrecht des Jugendlichen geltende Grundsatz „semel ma-
jor, semper major“ aufgrund der Verweisung in Art. 7 Abs. 1 EGBGB anzuwenden und führt
zu einer Weiterverweisung auf das frühere Heimat-bzw. Aufenthaltsrecht3.

3. Rück- oder Weiterverweisung


6.1067 Die Beachtlichkeit einer Rück- oder Weiterverweisung ergibt sich in Geschäftsfähigkeitsfragen
aus dem allgemeinen Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EGBGB4. Zu einer Rückverweisung auf das
deutsche Sachrecht kommt es insbesondere dann, wenn das Heimatrecht des in Deutschland
lebenden Ausländers die Geschäftsfähigkeit nach dem Domizilprinzip beurteilt (so z.B. das
IPR Dänemarks, Finnlands und Norwegens, der baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litau-
en), der Schweiz, Tschechiens, der Volksrepublik China, Englands und der meisten US-Bun-
desstaaten sowie zahlreicher lateinamerikanischer Staaten (z.B. Argentinien, Brasilien, Mexi-
ko, Peru))5. Nach Inkrafttreten von Art. 7 Abs. 2 EGBGB n.F. am 1.1.2023 kann es – umge-
kehrt – nicht selten zu einem Renvoi des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt der Person auf
ihr durch die Staatsangehörigkeit bestimmtes Heimatrecht klommen.

6.1068 Eine nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB beachtliche Rück- oder Weiterverweisung kommt ferner
dann in Betracht, wenn das Heimatrecht des Jugendlichen die Frage der Geschäftsfähigkeit
dem Wirkungsstatut des Geschäfts, bei Verträgen also dem jeweiligen Vertragsstatut unter-
stellt. Insbesondere in England, aber auch in den USA und Kanada geht die Tendenz dahin,
die Geschäftsfähigkeit für Schuldverträge alternativ zum Wohnsitzrecht auch nach dem „pro-
per law of the contract“6 und für sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte nach der lex rei sitae7
zu beurteilen. Soweit also englische oder US-amerikanische Jugendliche nach Vollendung des
18. Lebensjahres über deutsches Grundvermögen verfügen oder Verträge in Deutschland
schließen, ergibt sich deren volle Geschäftsfähigkeit in der Regel bereits aus der Rückverwei-

1 Ferid, Rz. 5-27; Kegel/Schurig, § 17 I 2 c; Kropholler, IPR, § 42 I 2; Hausmann in Staudinger,


Rz. 114; Thorn in Palandt, Rz. 8; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 22; Lipp in MünchKomm,
Rz. 109, jeweils zu Art. 7 EGBGB.
2 Hausmann in Staudinger, Rz. 115.; Lipp in MünchKomm, Rz. 105, jeweils zu Art. 7 EGBGB.
3 Vgl. Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 22; Hausmann in Staudinger, Rz. 114; a.A. Mäsch in
BeckOK BGB, Rz. 45 a.E., jeweils zu Art. 7 EGBGB.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 216 ff.; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 1; vgl.
zuletzt OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 62/09, FamRZ 2009, 1602 (Togo) und OLG München
v. 17.11.2009 – 31 Wx 103/09, FamRZ 2010, 1095 (Sierra Leone).
5 Vgl. BayObLG v. 17.5.1963 – 1 Z 157/62, BayObLGZ 1963, 123 (Dänemark); ferner Hausmann in
Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 7, 21 m.w.N.
6 Dicey/Morris/Collins, 15. Aufl. 2012, Rule 228, S. 11865 ff., wonach es ausreicht, wenn die Ge-
schäftsfähigkeit entweder nach der lex domicilii (“domicile or residence“) oder nach dem Recht
besteht, mit dem der geschlossene Vertrag am engsten verbunden ist.
7 Dicey/Morris/Collins, 15. Aufl. 2012, Rule 132, S. 1332 f. Vgl. auch Hausmann in Staudinger, Art. 7
EGBGB Rz. 8 ff. m.w.N.; ferner IPG 1971 Nr. 12 (München) (Zur Verfügung über kanad. Grund-
stücke durch in Deutschland domizilierte Minderjährige).

892 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1072 § 6

sung ihres Heimatrechts auf das deutsche Geschäftsstatut1. Ein Rückgriff auf die Verkehrs-
schutzbestimmung des Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1160 ff.) erübrigt sich dann.

II. Reichweite des Geschäftsfähigkeitsstatuts


1. Volljährigkeit
Der Begriff der Geschäftsfähigkeit in Art. 7 EGBGB ist aufgrund funktionaler Qualifikation 6.1069
grundsätzlich weit zu verstehen und umfasst daher auch Institute des ausländischen Rechts
mit dem gleichen Ordnungszweck2. Das Heimatrecht entscheidet insbesondere über die Vo-
raussetzungen, unter denen ein Jugendlicher voll, beschränkt oder überhaupt nicht geschäfts-
fähig ist. Nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB beurteilt sich also die Fähigkeit zum Vertragsschluss,
soweit diese vom Alter und von geistigen Eigenschaften abhängt. Im Einzelnen gehören vor
allem die folgenden Fragen hierher:

Das Heimatrecht des Jugendlichen bestimmt, in welchem Alter er volljährig und damit unbe- 6.1070
schränkt geschäftsfähig wird3. Hängt die Beendigung einer in Deutschland angeordneten Vor-
mundschaft von der Erreichung der Volljährigkeit des ausländischen Mündels ab, so ist dies
eine selbständig nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfende Vorfrage4.

Das Volljährigkeitsalter wird weltweit allmählich herabgesetzt. Dies gilt insbesondere für Euro- 6.1071
pa, wo in den mehr als 40 Mitgliedstaaten des Europarats das Volljährigkeitsalter einheitlich
18 Jahre beträgt, nachdem zuletzt Liechtenstein im Jahre 1999 und Österreich im Jahre 2001 das
Volljährigkeitsalter herabgesetzt haben5. Vorsicht ist hingegen vor allem bei Vertragsschlüssen
mit jugendlichen Personen aus anderen Kontinenten geboten, wo die Volljährigkeit z.T. erst spä-
ter erreicht wird. In den einzelnen Rechtsordnungen gilt derzeit folgendes Volljährigkeitsalter6:

- Europa
18 Jahre 6.1072
in Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bul-
garien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Ir-

1 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 23 f.


2 Hausmann in Staudinger, Rz. 40; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 8; Mäsch in BeckOK-BGB,
Rz. 17, jeweils zu Art. 7 EGBGB.
3 OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 15) und OLG Brandenburg
v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111 Rz. 8; KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, FamRZ 2020,
842; OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182; BayObLG v. 29.3.1995 – 1 Z
BR 72/94, FamRZ 1996, 183; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 42.
4 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, BGHZ 217, 165 Rz. 21 ff. = FamRZ 2018, 457 m. Anm. Hüß-
tege; OLG Hamm v. 20.2.2018 – 4 UF 243/16, BeckRS 2018, 3993 und OLG Hamm v. 30.1.2015 –
6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111
Rz. 13; OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820 Rz. 12 m. Anm. von Hein;
OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB
Rz. 51 und Art. 24 EGBGB Rz. 28; a.A. [Anwendung von Art. 24 EGBGB auf die Vorfrage der
Geschäftsfähigkeit] OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, FamRZ 2016, 990 (Ls.) und OLG
Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, FamRZ 2017, 1227.
5 Vgl. Ferrari/Pfeiler, Die österreichische Reform des Kindschaftsrechts, FamRZ 2002, 1079.
6 Vgl. zum folgenden Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Loseblatt; Stand:
2021); Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 7 EGBGB.

Hausmann | 893
§ 6 Rz. 6.1072 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

land, Island, Italien, Kosovo, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Ma-
zedonien, Moldau, Monaco, Montenegro, der Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portu-
gal, Rumänien, der Russischen Föderation, San Marino, Schweden, der Schweiz, Serbien, der
Slowakei, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik, der Türkei, der Ukraine, Ungarn,
dem Vereinigten Königreich und Zypern.

- Afrika
6.1073 21 Jahre
in Ägypten, Benin, Botsuana, Burundi, Cote d’Ivoire, Gabun, Guinea-Bissau, Kamerun, Leso-
tho, Liberia1, Libyen, Madagaskar, Malawi, Mali, Namibia, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia,
Senegal, Südafrika, Swasiland, Togo2 und Tschad;
20 Jahre
in Burkina-Faso;
19 Jahre
in Algerien3;
18 Jahre
in Äquatorialguinea, Äthiopien, Angola, Dschibuti, Eritrea, Gambia4, Ghana, Guinea5, der
Kapverdischen Republik, Kenia, Kongo (Republik), Kongo (Volksrepublik), Marokko, Maureta-
nien, Mauritius, Mosambik, Seychellen, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Tansania,
Tunesien und Uganda.

- Amerika
6.1074 21 Jahre
in Argentinien, Belize, Bermuda, Grenada, Haiti, Honduras, Nicaragua., den Niederländischen
Antillen, Suriname und – mit z.T. weitgehenden Ausnahmen für Verträge des täglichen Le-
bens, die bereits ab Vollendung des 18. Lebensjahres geschlossen werden dürfen – in den US-
Bundesstaaten Colorado, Mississippi und Puerto Rico;
19 Jahre
in den kanadischen Provinzen British Columbia, New Brunswick, Newfoundland and Labra-
dor, Northwest Territories, Nova Scotia und Yukon, sowie in den US-Bundesstaaten Alabama
und Nebraska;
18 Jahre
in Antigua und Barbuda, Bahamas, Barbados, Bolivien, Brasilien, Cayman Islands, Chile, Cos-
ta Rica, Dominica, der Dominikanischen Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Guyana,

1 OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312.


2 OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 62/09, FamRZ 2009, 1602.
3 OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820.
4 KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, BeckRS 2019, 43814 (Rz. 49) = FamRZ 2020, 842.
5 OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 16 ff.); OLG Hamm v.
30.1.2015 – 6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; a.A. noch OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF
40/16, StAZ 2017, 111; OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752.

894 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1076 § 6

Jamaika, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St.
Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, Uruguay, Venezuela sowie in den übrigen
kanadischen Provinzen (Alberta, Manitoba, Ontario, Prince Edward Island, Quebec, Saskat-
chewan) und den übrigen US-Bundesstaaten.

- Asien und Ozeanien


21 Jahre 6.1075
in Bahrain, Fidschi, Kambodscha, Kuwait, Papua-Neuguinea, Singapur, Tonga, Vanuatu und
den Vereinigten Arabischen Emiraten;
20 Jahre
in China (Taiwan), Japan, Korea (Republik), Neuseeland und Thailand;
18 Jahre
in Afghanistan, Australien (einheitlich in allen Gliedstaaten und Territorien), Bangladesch,
China (Volksrepublik und Sonderverwaltungsgebiete Hongkong und Macao), Indien, Indone-
sien1, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Katar, Kirgisistan, Laos,
Libanon, Malaysia, Mongolei, Myanmar, Nepal, Oman, Pakistan, Philippinen, der Russischen
Föderation, Saudi-Arabien, den Seychellen, Sri Lanka, Syrien, Tadschikistan, Tonga, Turkme-
nistan, Tuvalu, Usbekistan und Vietnam.
In Indien und Pakistan verlängert sich die Minderjährigkeit bis zum 21. Lebensjahr, wenn der
Minderjährige unter Vormundschaft steht.
17 Jahre
in Korea (Volksrepublik)

2. Geschäftsfähigkeitsstufen
Während das deutsche Recht unterhalb der Grenze von 18 Jahren zwei Stufen nach starren 6.1076
Alterskriterien bildet (Geschäftsunfähigkeit bis zum vollendeten 7. Lebensjahr; beschränkte
Geschäftsfähigkeit bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), bevorzugen andere Rechte flexiblere
Lösungen. So können Minderjährige nach englischem Recht Verträge über sog. „necessaries“,
sowie „beneficial contracts for service“ auch ohne Zustimmung der Eltern verbindlich abschlie-
ßen. Andere Verträge sind bis zum Widerruf durch den Minderjährigen wirksam („contracts
valid until repudiated“)2. Auch nach US-amerikanischem Recht sind von Minderjährigen ge-
schlossene Verträge zumeist nicht unwirksam, sondern voll wirksam, soweit sie den alltägli-
chen Bedarf betreffen und im Übrigen allenfalls nach Eintritt der Volljährigkeit anfechtbar
(„voidable“)3. Geschäfte des täglichen Lebens können Minderjährige auch nach französischem
Recht wirksam abschließen4; nach schweizerischem und türkischem Recht kommt es auf die
„Urteilsfähigkeit“ des Minderjährigen im konkreten Fall an (Art. 16 ZGB).

1 Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 5.2.1992 – 13 S 1479/89, NJW 1992, 3117.


2 Vgl. Menold-Weber, Verträge Minderjähriger und ihre Rückabwicklung nach englischem Recht
(1992).
3 Hay, US-amerikanisches Recht, 5. Aufl. 2011, Rz. 308; 42 AmJur 2d, Infants §§ 64 ff. (2000).
4 Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, S. 151 ff.

Hausmann | 895
§ 6 Rz. 6.1077 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1077 Nach anderen Rechtsordnungen endet die Geschäftsunfähigkeit erst später, so z.B. in Grie-
chenland und Kuba mit 10 Jahren, in Marokko mit 12 Jahren, in Tunesien mit 13 Jahren, in
Bulgarien, Rumänien und Ungarn sowie in Russland und den Nachfolgestaaten der ehemali-
gen UdSSR mit 14 Jahren, in Brasilien und Peru sogar erst mit 16 Jahren1. Zum Teil wird inso-
weit auch nach Geschlechtern getrennt, so z.B. in Ecuador, wo beschränkte Geschäftsfähigkeit
von Mädchen mit 12, von Knaben erst mit 14 Jahren erreicht wird. Das österreichische Recht
und einige lateinamerikanische Rechten sehen zwischen der Geschäftsunfähigkeit und der vol-
len Geschäftsfähigkeit mehr als eine Zwischenstufe vor2. Auch die Frage, wann ein Minderjäh-
riger beschränkt geschäftsfähig wird und welche Rechtsgeschäfte er dann ohne Mitwirkung
seines gesetzlichen Vertreters vornehmen kann (vgl. §§ 107, 165 BGB), beurteilt sich gem.
Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht3.

3. Volljährigerklärung und Emanzipation


6.1078 Die vor allem im romanischen Rechtskreis verbreitete Emanzipation eines Minderjährigen be-
deutet eine Vorstufe zur vollen Geschäftsfähigkeit; die Minderjährigkeit wird in ihren recht-
lichen Wirkungen gemildert, aber es erfolgt keine Volljährigerklärung. Andere Rechtsordnun-
gen – wie z.B. Brasilien, die Niederlande, Österreich oder die Türkei – sehen die Möglichkeit
vor, einen Minderjährigen unter gewissen Umständen für volljährig zu erklären4. Als allgemei-
ne Einschränkung (Emanzipation) oder Aufhebung (Volljährigerklärung) der Rechtswirkun-
gen der Minderjährigkeit richten sich diese nach dem Personalstatut des Minderjährigen; es
handelt sich insoweit nicht um die Verleihung einer besonderen Geschäftsfähigkeit (dazu
Rz. 6.1092 ff.). Eine Emanzipation oder Volljährigerklärung kommt also nur in Frage, wenn
sie das Personalstatut kennt5.

6.1079 Das Heimatrecht des Minderjährigen entscheidet auch über die materiellen Wirkungen einer
gerichtlichen Volljährigerklärung oder Emanzipation. Ist die Geschäftsfähigkeit mithin
durch einen im Heimatstaat ausgesprochenen oder dort anerkannten richterlichen Gestal-
tungsakt begründet oder erweitert worden, so sind diese Wirkungen gem. Art. 7 Abs. 1
EGBGB auch im Inland zu berücksichtigen6. Die h.M. stellt demgegenüber auf die Anerken-
nungsfähigkeit der ausländischen Gerichtsentscheidung im Inland nach Maßgabe von §§ 108,
109 FamFG ab7

4. Heirat macht mündig


6.1080 Zahlreiche ausländische Rechtsordnungen knüpfen an die Eheschließung Minderjähriger die
Rechtsfolge der Emanzipation, die teilweise zur vollen Geschäftsfähigkeit führt (so z.B. in
Frankreich, vgl. Art. 476 i.V.m. Art. 481 Abs. 1, 216 c.c., oder in Portugal, vgl. Art. 133 ff. c.c.),
teilweise aber auch nur eine höhere Stufe der beschränkten Geschäftsfähigkeit begründet (so

1 Hausmann in Staudinger Art. 7 EGBGB Rz. 44.


2 Vgl. die Länderübersicht bei Hausmann in Staudinger, EGBGB Anh. Art. 7.
3 Kegel in Soergel, Rz. 7; Lipp in MünchKomm, Rz. 50; Hausmann in Staudinger, Rz. 45, jeweils zu
Art. 7 EGBGB.
4 Vgl. dazu rechtsvergleichend Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 136 f.
5 Hausmann in Staudinger, Rz. 139; Lipp in MünchKomm, Rz. 73 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 24,
jeweils zu Art. 7 EGBGB.
6 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 144 m.w.N.
7 Vgl. Thorn in Palandt, Rz. 9; Lipp in MünchKomm, Rz. 81; Kegel in Soergel, Rz. 17; Stürner in
Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 29, Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 48.jeweils zu Art. 7 EGBGB.

896 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1083 § 6

z.B. in Belgien, vgl. Art. 481 ff. c.c., in Italien, vgl. Art. 394 c.c., in Spanien, vgl. Art. 323 c.c.
und in zahlreichen lateinamerikanischen Rechten, z.B. in Bolivien, Chile, der Dominikanischen
Republik, Ecuador, El Salvador, Haiti, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Venezuela).

In anderen Staaten wird mit der Eheschließung die Volljährigkeit erlangt, so etwa in Finnland 6.1081
(§ 3 Abs. 2 SorgeG), Lettland (Art. 221 Abs. 2 ZGB), Litauen (Art. 2.5 Abs. 2 ZGB), den Nie-
derlanden (Art. 233 B.W.), der Schweiz (Art. 14 Abs. 2 ZGB), der Türkei (Art. 11 Abs. 2 ZGB)1
und – mit Einschränkungen – in Österreich (§ 175 ABGB), ferner in den meisten osteuropäi-
schen Staaten (so z.B. in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien,, Montenegro,
Nordmazedonien, Polen, Rumänien, Serbien, Slowenien der Tschechischen und der Slowaki-
schen Republik, der Russischen Föderation und den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR),
in den USA und zahlreichen lateinamerikanischen Staaten (Bolivien, Brasilien, Chile, Domini-
kanische Republik, Ecuador, El Salvador, Haiti, Kuba, Suriname, Uruguay), sowie zT auch in
Asien (Indonesien, Korea [Republik], Neuseeland, Philippinen) und Afrika (Äthiopien, Angola,
Botsuana, Burkina Faso, Kamerun, Madagaskar, Mosambik, Senegal, Südafrika, Tunesien, Za-
ire)2. In manchen Staaten macht Heirat nur mündig bzw. tritt eine gesetzliche Emanzipation
nur ein, wenn ein bestimmtes Mindestalter erreicht ist (z.B. 16 Jahre in Bosnien-Herzegowina
und Serbien).

Da in diesen Fällen die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit nur aus Anlass der Eheschließung 6.1082
eintritt, wurde sie schon vor der IPR-Reform von 1986 ganz überwiegend nicht dem Ehewir-
kungsstatut des Art. 14 EGBGB, sondern dem Geschäftsfähigkeitsstatut unterstellt3. Diese
Qualifikation wird durch Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB ausdrücklich bestätigt. Wegen der in zahl-
reichen ausländischen Rechten feststellbaren Tendenz, Ehemündigkeit und Volljährigkeit
gleichzuschalten4, verliert der Grundsatz „Heirat macht mündig“ an Bedeutung.

5. Teilgeschäftsfähigkeit
Auch die Frage, ob ein Minderjähriger für eine bestimmte Art von Rechtsgeschäften kraft 6.1083
Gesetzes als voll geschäftsfähig zu gelten hat, beurteilt sich nach seinem Personalstatut. Dem-
gemäß ist etwa die in § 110 BGB („Taschengeldparagraph“) enthaltene Regelung nur anwend-
bar, wenn der Minderjährige ein deutsches Personalstatut hat5; hingegen kommt es auf die
Frage, ob auch der von ihm geschlossene Vertrag, dem deutschen Recht unterliegt, nicht an.
Gleiches gilt für die Fähigkeit des Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbs-
geschäfts (sog. Handelsmündigkeit). Für die Erteilung der hierauf gerichteten Ermächtigung
bedürfen die Eltern daher nach § 112 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn der

1 Vgl. KG v. 21.6.1991 – 23 W 2989/91, FamRZ 1991, 1456; OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U


23/94, NJW-RR 1995, 755 f.
2 Vgl. dazu Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 7 EGBGB.
3 Vgl. Kegel in Soergel, 11. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 7; Beitzke in Staudinger, 12. Aufl., Art. 7 EGBGB
Rz. 22; ferner IPG 1973 Nr. 1 (Freiburg) (Fähigkeit der durch Heirat emanzipierten minderjäh-
rigen italien. Ehefrau zum Vertragsschluss in Deutschland gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach italien.
Recht beurteilt).
4 So z.B. in Belgien (Art. 144 und 488 c.c.), in den Niederlanden (Art. 31 Abs. 1 und Art. 233 Buch 1
B.W.) sowie in der Schweiz (vgl. Art. 14 und 96 ZGB); vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 7
EGBGB Rz. 62.
5 Lipp in MünchKomm, Rz. 53; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Mäsch in BeckOK BGB,
Rz. 27; Hausmann in Staudinger, Rz. 46 f., jeweils zu Art. 7 EGBGB.

Hausmann | 897
§ 6 Rz. 6.1083 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Minderjährige die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nicht hingegen wenn ein junger Türke
in Deutschland ein solches Geschäft betreiben möchte1.

6.1084 Besonders große praktische Bedeutung haben Fragen der Geschäftsfähigkeit beim Abschluss
von Arbeits- und Lehrverträgen. Während teilweise auch hierfür die allgemeinen Regeln
über Vertragsschlüsse durch Minderjährige gelten, setzen zahlreiche Rechtsordnungen entwe-
der generell eine niedrigere Altersgrenze für die Arbeitsvertragsfähigkeit fest oder sehen – wie
das deutsche Recht in § 113 BGB – eine Teilgeschäftsfähigkeit aufgrund einer Generalermäch-
tigung durch die Eltern vor2. Auch die Arbeitsvertragsfähigkeit des Minderjährigen ist Teil sei-
ner allgemeinen Geschäftsfähigkeit und unterliegt daher dem Recht des Staates, dem er ange-
hört. Ausländer, die nach ihrem Heimatrecht arbeitsvertragsfähig sind, können sich demnach
gültig verpflichten, auch wenn die Arbeit in Deutschland zu leisten ist und wenn sie es nach
deutschem Recht nicht könnten3.

6.1085 Andererseits gilt auch hinsichtlich der Arbeitsvertragsfähigkeit zum Schutz des inländischen
Rechtsverkehrs die Vorschrift des Art. 13 Rom I-VO (dazu näher Rz. 6.1160 ff.), so dass der
Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem ausländischen Minderjährigen im Inland ohne
Rücksicht auf den Standpunkt seines Heimatrechts wirksam ist, wenn die Voraussetzungen
des § 113 Abs. 1 BGB vorliegen und der Arbeitgeber gutgläubig ist4.

6. Prozessfähigkeit
6.1086 Da es sich bei der Prozessfähigkeit um eine Prozessvoraussetzung handelt, liegt es nahe, auch
insoweit den im IZPR geltenden Grundsatz der lex fori zu bemühen und die Prozessfähigkeit
von Ausländern nach Maßgabe der §§ 51, 52 ZPO zu beurteilen. Entsprechend dem in diesen
Vorschriften zum Ausdruck kommenden Verständnis der Prozessfähigkeit als prozessualer
Seite der materiell-rechtlichen Geschäftsfähigkeit hinge die Prozessfähigkeit einer Person von
ihrer nach dem Personalstatut (Art. 5 EGBGB) zu beurteilenden Geschäftsfähigkeit ab. Pro-
zessfähig wäre sonach ein Deutscher, wenn er nach deutschem Recht, ein Ausländer, wenn er
nach seinem Heimatrecht geschäftsfähig ist5.

6.1087 Indessen fallen weder im deutschen noch im ausländischen Recht Prozessfähigkeit und Ver-
pflichtungsfähigkeit notwendig zusammen. Daher ist im Anschluss an Pagenstecher6 von einer
besonderen verfahrensrechtlichen Kollisionsnorm auszugehen, wonach ein Ausländer in
Deutschland insoweit prozessfähig ist, als er für ein entsprechendes Verfahren nach seinem
Heimatrecht prozessfähig wäre. Ist ein Ausländer also nach seinem Heimatrecht prozessfähig,
so ist er es – unabhängig davon, ob er (voll) geschäftsfähig ist – auch für das inländische Ver-

1 AG Moers v. 20.8.1997 – 2 X 97/97, BeckRS 1997, 11639 = DAVorm 1997, 925.


2 S. hierzu den rechtsvergleichenden Überblick bei Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959),
S. 76 ff.
3 Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959), S. 79; Lipp in MünchKomm, Rz. 53 f., 68; Mäsch
in BeckOK BGB, Rz. 25, 27; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 7 EGBGB.
4 Vgl. BVerwG v. 18.4.1972 – I B 6271, IPRspr. 1972 Nr. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 12
EGBGB Rz. 49 m.w.N.
5 BGH v. 7.12.1955 – IV ZR 177/55, BGHZ 19, 240 = JZ 1956, 535 m. Anm. Neuhaus; KG v.
21.6.1991 – 23 W 2989/91, FamRZ 1991, 1456; LG Zwickau v. 22.3.1995 – 6 T 17/95, BB 1995,
1664; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 55 ZPO Rz. 1; Thorn in Palandt,
Art. 7 EGBGB Rz. 4.
6 Pagenstecher, FS Raape, S. 249 ff. und ZZP 64 (1950/51), 276 ff.

898 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1090 § 6

fahren1. Der inländische Rechtsverkehr wird freilich gegenüber der Prozessunfähigkeit von
nach deutschem Recht prozessfähigen Personen nach Maßgabe von § 55 ZPO geschützt2.

III. Einfluss des Wirkungsstatuts


1. Erfordernis und Grad der Geschäftsfähigkeit
Während die anglo-amerikanische Rechtspraxis bei der Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit 6.1088
in erster Linie von dem konkret geschlossenen Rechtsgeschäft ausgeht und dementsprechend
auch die Fähigkeit zum Abschluss eines Vertrages überwiegend nach dem Vertragsstatut beur-
teilt, steht in den kontinental-europäischen Rechten das Bedürfnis nach einer einheitlichen
Behandlung der Geschäftsfähigkeit im Vordergrund. Dieser Anschauung entspricht es, die
Geschäftsfähigkeit – wie in Art. 7 EGBGB – als selbständig anzuknüpfende Teilfrage vom
Wirkungsstatut des Geschäfts abzuspalten. Das Wirkungsstatut behält gleichwohl seine Be-
deutung für folgende Fragen:

Ob für ein Rechtsgeschäft, insbesondere für den Abschluss eines Vertrages, überhaupt Ge- 6.1089
schäftsfähigkeit erforderlich ist, bestimmt auch nach deutschem IPR allein das Wirkungssta-
tut, bei Verträgen also das Vertragsstatut und bei sachenrechtlichen Verfügungen die jeweilige
lex rei sitae3. Auch der Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsfähigkeit vorliegen muss, wird durch
die lex causae bestimmt4.

Demgegenüber richtet sich die Frage, welcher Grad an Geschäftsfähigkeit für die Vornahme 6.1090
einer bestimmten Rechtshandlung erforderlich ist, nicht nach dem Wirkungsstatut, sondern
nach dem Fähigkeitsstatut des Art. 7 EGBGB, der den Umfang des Minderjährigenschutzes
dem Heimatrecht überlässt5. Es kommt also darauf an, dass die Person nach ihrem von Art. 7
EGBGB zur Anwendung berufenen Heimatrecht den für das konkret abzuschließende Rechts-
geschäft hinreichenden Grad an Geschäftsfähigkeit besitzt. Ein minderjähriger Deutscher
kann daher einen Schuldvertrag, der ihm nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, auch
dann nicht wirksam selbst abschließen, wenn er nach dem Vertragsstatut die hierfür erforder-
liche Geschäftsfähigkeit besitzt. Verlangt umgekehrt das Wirkungsstatut volle Geschäftsfähig-
keit, während sich das deutsche Recht mit beschränkter Geschäftsfähigkeit begnügt, so ist das
von einem deutschen Minderjährigen ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter ge-
schlossene Rechtsgeschäft wirksam.

1 So die h.L., vgl. Kegel in Soergel, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Geimer, Rz. 2217 f.; Schack, Rz. 535; Bork in
Stein/Jonas, § 55 ZPO Rz. 1; Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 55 ZPO Rz. 2 m.w.N.
2 Vgl. OLG Oldenburg v. 23.2.1982 – 4 UF 83/81, IPRspr. 1982 Nr. 89; Hausmann in Staudinger,
Art. 7 EGBGB Rz. 122 f.
3 Hausmann in Staudinger, Rz. 56; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 13;
Kegel in Soergel, Rz. 8, jeweils zu Art. 7 EGBGB; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in Münch-
Komm, Art. 7 EGBGB Rz. 47.
4 BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216 (218); Hausmann in Staudinger, Rz. 57; Kegel
in Soergel, Rz. 11; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 47, jeweils zu Art. 7
EGBGB.
5 Zur Begründung näher Hausmann in Staudinger, Rz. 59; Lipp in MünchKomm, Rz. 46 f.; Mäsch
in BeckOK BGB, Rz. 20, jeweils zu Art. 7 EGBGB; zust. BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, NJW
2003, 216; a.A. Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 14;
Kegel/Schurig, § 17 I 2.

Hausmann | 899
§ 6 Rz. 6.1091 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1091 Dies gilt entsprechend auch für einen kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag. Auch insoweit
hat das Geschäftsfähigkeitsstatut des Art. 7 EGBGB Vorrang vor dem Geschäftsstatut (Art. 3
Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO); damit wird dem Minderjährigen die Möglichkeit genommen,
die für den Abschluss des Verweisungsvertrages erforderliche Geschäftsfähigkeit durch eine
entsprechende Rechtswahl selbst herbeizuführen1. Die von einem deutschen Minderjährigen in
einem Schuldvertrag getroffene Wahl eines ausländischen Vertragsstatuts ist daher – als nicht
nur rechtlich vorteilhaft – nach § 108 BGB schwebend unwirksam. Auf den Standpunkt des
gewählten Rechts zur Wirksamkeit des Vertrages kommt es insoweit nicht an2.

2. Besondere Geschäftsfähigkeiten
a) Begriff
6.1092 Da es vom Wirkungsstatut abhängt, ob es auf Geschäftsfähigkeit überhaupt ankommt, kann
das Wirkungsstatut auch von der Bezugnahme auf die allgemeine Geschäftsfähigkeit absehen
und statt dessen für bestimmte Rechtsgeschäfte besondere Geschäftsfähigkeiten normieren, in-
dem es solche Rechtsgeschäfte unter erleichterten oder nur unter erschwerten Voraussetzungen
zulässt3. Die besondere Geschäftsfähigkeit unterscheidet sich dabei von der allgemeinen da-
durch, dass ihr sachlicher Anwendungsbereich auf ein bestimmtes Rechtsgebiet beschränkt ist.

b) Wechsel- und Scheckrecht


6.1093 So ist die Fähigkeit zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten in Art. 91 WG teilweise ab-
weichend von Art. 7 EGBGB geregelt. Nach Art. 91 Abs. 1 WG bestimmt sich zwar die Fähig-
keit einer Person, eine Wechselverbindlichkeit einzugehen, ebenfalls nach dem Recht des Lan-
des, dem sie angehört. Erklärt dieses Recht jedoch das Recht eines anderen Landes für maß-
gebend, so ist – anders als nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB, der eine mehrfache Weiterverweisung
zulässt – zwingend das Sachrecht des Staates anzuwenden, auf das erstmals weiterverwiesen
wird. Ferner wird, wer nach dem von Art. 91 Abs. 1 WG bezeichneten Rechte nicht wechsel-
fähig ist, gem. Abs. 2 aus einem Wechsel gleichwohl gültig verpflichtet, wenn die Unterschrift
in dem Gebiet eines Landes abgegeben worden ist, nach dessen Recht er wechselfähig wäre.
Diese Vorschrift findet allerdings keine Anwendung, wenn die Verbindlichkeit von einem In-
länder im Ausland übernommen worden ist. Eine mit Art. 91 WG wörtlich übereinstimmende
Regelung für die Scheckfähigkeit enthält Art. 60 ScheckG.

c) Börsenrecht
6.1094 Seit der Reform durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz vom 21.6.2002 verzichtet das deut-
sche Börsenrecht auf Sonderregeln über die Börsentermingeschäftsfähigkeit, sondern schützt
den Anleger mit Hilfe von Informations- und Beratungspflichten, die den Anbieter börsenno-
tierter Papiere treffen. Soweit es auf die Börsentermingeschäftsfähigkeit danach überhaupt
noch ankommt, beurteilt sich diese heute nach dem Wirkungsstatut, mangels Rechtswahl
also nach dem Recht am Börsenort4. Kennt dieses – wie das geltende deutsche Börsenrecht
(vgl. nunmehr § 99 WpHG) – keine Sonderregeln für die Börsentermingeschäftsfähigkeit,

1 Zutr. von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 32; Lipp, in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 33.
2 OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; juris-PK/Ludwig Art. 7 EGBGB
Rz. 15; a.A. von Bar, Bd. II Rz. 41.
3 Hausmann in Staudinger, Rz. 61 ff.; Kegel in Soergel, Rz. 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 39, jeweils
zu Art. 7 EGBGB.
4 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I-VO Rz. 515.

900 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1096 § 6

sondern lässt es auch hierfür die allgemeine Geschäftsfähigkeit ausreichen, so ist diese Teilfra-
ge nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen1.

d) Familien- und Erbrecht


Besondere Geschäftsfähigkeiten spielen ferner vor allem auf dem Gebiet der familien- und 6.1095
erbrechtlichen Verträge eine wichtige Rolle. So unterliegt etwa die Fähigkeit zum Abschluss
von Eheverträgen dem Güterrechtsstatut (Art. 27 lit. g EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB), die
Fähigkeit zum Abschluss von Erb- oder Erbverzichtsverträgen dem hypothetischen Erbstatut
zur Zeit des Vertragsschlusses (Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 26 Abs. 1 lit. a EuErbVO), soweit
nach diesen Rechten Sonderregeln gelten2. Begnügt sich das Wirkungsstatut hingegen mit der
allgemeinen – vollen oder beschränkten – Geschäftsfähigkeit, so wird diese für jeden Vertrags-
teil gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht beim Vertragsschluss beurteilt3. Ent-
sprechende Grundsätze gelten auch für die Ehefähigkeit (Art. 13 EGBGB) und die Erb- bzw.
Testierfähigkeit (Art. 26 Abs. 1 lit. a und lit. b EuErbVO)4. Allerdings hat das Gesetz zur Be-
kämpfung von Kinderehen vom 17.7.20175 in Art. 13 Abs. 3 EGBGB n.F. die Anknüpfung der
Ehemündigkeit an das Heimatrecht erheblich eingeschränkt6.

3. Folgen mangelnder Geschäftsfähigkeit


Fehlt dem Jugendlichen die für den wirksamen Abschluss eines Vertrages erforderliche Ge- 6.1096
schäftsfähigkeit, so beurteilen sich auch die Rechtsfolgen nach dem von Art. 7 Abs. 1 EGBGB
zur Anwendung berufenen Heimatrecht. Denn der wesentliche Zweck der Sonderanknüpfung
nach Art. 7 EGBGB ist es gerade, den Schutz Minderjähriger nach Maßgabe von deren Hei-
matrecht – unabhängig vom jeweiligen Wirkungsstatut des Geschäfts – zu respektieren. Ein
wesentlicher Aspekt dieses Minderjährigenschutzes besteht aber darin, die Rechtsfolgen eines
Vertrages festzulegen, den eine nicht voll geschäftsfähige Person selbst abgeschlossen hat. Hin-
zu kommt, dass den von Land zu Land noch immer sehr unterschiedlichen Abstufungen der
Geschäftsfähigkeit (Rz. 6.1076 f.) jeweils ganz bestimmte Rechtsfolgen entsprechen, so dass
nur durch eine Sonderanknüpfung dieser Rechtsfolgen an das Heimatrecht des Handelnden
schwierige Anpassungsprobleme vermieden werden können7.

1 So schon bisher für den Fall, dass der Schuldner sich mangels hinreichender Inlandsbeziehung
i.S.v. § 61 Nr. 2, 3 BörsG 1998 nicht auf § 53 BörsG 1998 berufen konnte, OLG Frankfurt v.
19.12.1996 – 16 U 47/95, NJW-RR 1997, 810.
2 Thorn in Palandt, Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Rz. 63 und 70, jeweils zu Art. 7 EGBGB m.w.N.
3 Vgl. Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 31; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 69;
zur Ehevertragsfähigkeit Kegel/Schurig, IPR § 20 VI 3; zur Erbvertragsfähigkeit Hausmann in
Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 70, 70a m.w.N.
4 Kegel in Soergel, Rz. 4, 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 69; Hausmann in Staudinger, Rz. 62, 68 f.,
jeweils zu Art. 7 EGBGB.
5 BGBl. I 2017, 2429.
6 Vgl. dazu Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 62a.
7 Reithmann, DNotZ 1967, 232 (238); Lipp, FS Kühne (2009), S. 765 (773); Baetge, IPRax 1996, 185
(187); Spellenberg, IPRax 2013, 466 (467 f.); Hausmann in Staudinger, Rz. 88 ff.; Lipp in Münch-
Komm, Rz. 55 ff.; Kegel in Soergel, Rz. 7; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB
Rz. 14; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 28, jeweils zu Art. 7 EGBGB; Kropholler, IPR, § 42 I 1; vgl.
auch OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; a.A. (arg. Art. 32 Abs. 1 Nr. 5
EGBGB/Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO) OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR
1995, 755 (756) = IPRax 1996, 189 (m. abl. Anm. Baetge, IPRax 1996, 185).

Hausmann | 901
§ 6 Rz. 6.1097 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1097 Demgemäß entscheidet das von Art. 7 EGBGB zur Anwendung berufene Heimatrecht – und
nicht das Vertragsstatut – darüber, ob ein von einer nicht voll geschäftsfähigen Person ge-
schlossener Vertrag nichtig, schwebend unwirksam oder anfechtbar ist, und ob dieser Man-
gel – wie z.B. nach § 110 BGB – durch Erfüllung geheilt werden kann1. Bei einem schwebend
unwirksamen Rechtsgeschäft regelt das Heimatrecht ferner, auf welche Weise das Geschäft
noch wirksam werden kann, ob etwa eine nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen
Vertreter möglich und wem gegenüber und in welcher Frist sie zu erklären ist2. Ferner ent-
scheidet das Heimatrecht auch darüber, ob der andere Teil an das Geschäft mit einem Minder-
jährigen gebunden ist und unter welchen Voraussetzungen er sich – z.B. durch Widerruf –
von dieser Bindung lösen kann.

6.1098 Ist der Vertrag wegen fehlender Geschäftsfähigkeit des Handelnden nach seinem Heimatrecht
unwirksam, so beurteilt sich die Rückabwicklung nicht nach Art. 7 EGBGB, sondern nach
dem Wirkungsstatut; dies folgt für Schuldverträge aus Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO und
Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO3. Für eine Anwendung des Heimatrechts des Minderjährigen auf
den Kondiktionsanspruch zur Rückabwicklung des wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit un-
wirksamen Vertrages besteht kein Grund, weil es für das Statut der ungerechtfertigten Berei-
cherung irrelevant ist, aus welchem Grund die causa fehlt4. Für die Rückabwicklung von sa-
chenrechtlichen Verfügungen gilt entsprechend die lex rei sitae.

6.1099 Wer gesetzlicher Vertreter ist und welche Befugnisse er hat, bestimmt hingegen weder das
Vertragsstatut noch das Heimatrecht des Jugendlichen, sondern diejenige Rechtsordnung,
welche die elterliche Sorge bzw. Vormundschaft oder Pflegschaft beherrscht5. Dieses Vertre-
tungsstatut regelt auch, ob das von dem gesetzlichen Vertreter geschlossene Geschäft für und
gegen den Minderjährigen wirkt. Die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen beurteilt
sich seit dem 1.1.2011 nach Art. 16, 17 KSÜ; danach ist grundsätzlich das Recht am gewöhn-
lichen Aufenthalt des Minderjährigen maßgebend (näher Rz. 6.1128 ff.).

6.1100 Im Übrigen gilt für die Abgrenzung von Geschäftsfähigkeits-, Wirkungs- und Vertretungssta-
tut folgendes: Das Geschäftsfähigkeitsstatut entscheidet nur darüber, ob eine Person die für
den Abschluss des in Rede stehenden Vertrages erforderliche Fähigkeit besitzt. Ist sie dazu we-
gen ihrer Minderjährigkeit nicht in der Lage, so ist das Wirkungsstatut des Geschäfts dafür
maßgeblich, ob die mangelnde Geschäftsfähigkeit durch die Einschaltung Dritter behoben

1 Hausmann in Staudinger, Rz. 91; Lipp in MünchKomm, Rz. 58; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner
in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 14; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 28, jeweils zu Art. 7 EGBGB; Kro-
pholler, IPR § 42 I 1; a.A. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 (756).
2 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 91.
3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 (756); Baetge, IPRax 1996,
185 (187 f.); Hausmann in Staudinger, Rz. 92; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7
EGBGB Rz. 15; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, jeweils zu Art. 7 EGBGB; vgl. auch OGH Fürs-
tentum Liechtenstein v. 14.7.2010 – 7 Ob 50/10v, IPRax 2013, 447 (m. Anm. Spellenberg, IPRax
2013, 466); a.A. [Heimatrecht als „Vernichtungsstatut“] von Bar, Bd. II Rz. 44; Lipp, FS Kühne
(2009), S. 765 (776 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 60 f.
4 Baetge, IPRax 1996, 185 (187).
5 OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111 Rz. 15; OLG Bremen v. 23.2.2016 –
4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.); OLG Hamm v. 30.1.2015 – 6 UF 155/
13, FamRZ 2015, 1635; OLG Köln v. 22.9.2000 – 6 U 19/96, ZUM 2000, 166; Thorn in Palandt,
Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 16; Lipp in MünchKomm, Rz. 63, jeweils zu Art. 7
EGBGB.

902 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1102 § 6

werden kann. Dem Wirkungsstatut ist mithin zu entnehmen, ob ein Minderjähriger bei dem
in Rede stehenden Geschäft überhaupt wirksam vertreten werden kann1.

Ist eine gesetzliche Vertretung hiernach zulässig, so regelt hingegen das Vertretungsstatut, ob 6.1101
bei Vertretung durch die Eltern die Zustimmung eines Elternteils genügt oder ob beide zu-
stimmen müssen2 und ob die Eltern allein handeln können oder zusätzlich einer familien-
gerichtlichen Genehmigung bedürfen (vgl. dazu näher Rz. 6.1148 ff. m. Nachw.). Auch die
Berechtigung des gesetzlichen Vertreters zum Selbstkontrahieren ist dem Vertretungsstatut
zu entnehmen3. Dies gilt nicht nur bei Geschäften zwischen Eltern und Kind, sondern auch
bei Geschäften, die die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes mit Dritten abschließen.
Können die Eltern das Geschäft nach dem Vertretungsstatut ohne familiengerichtliche Geneh-
migung abschließen, während eine solche nach dem Heimatrecht des Minderjährigen erfor-
derlich ist, empfiehlt sich allerdings die zusätzliche Einhaltung der strengeren Voraussetzun-
gen nach dessen Heimatrecht4.

4. Verfügungsmacht
Die Verfügungsbefugnis ist auch internationalprivatrechtlich von der Geschäftsfähigkeit zu 6.1102
trennen. Mangelnde Verfügungsmacht ist nicht Mangel an persönlicher Fähigkeit, sondern
Mangel im Recht. Die Verfügungsmacht beurteilt sich daher nicht nach dem Personalstatut
des Verfügenden, sondern grundsätzlich nach derjenigen Rechtsordnung, der das Recht unter-
steht, über das verfügt werden soll5. Häufig ergeben sich freilich Verfügungsbeschränkungen
auch aus anderen Rechtsbeziehungen, denen der Verfügende unterliegt, z.B. aus dem ehe-
lichen Güterrecht, dem Recht der allgemeinen Ehewirkungen, dem Erb- oder Insolvenzrecht;
sie unterliegen dann dem auf diese Rechtsbeziehungen jeweils anwendbaren Recht6.

IV. Gesetzliche Vertretung Minderjähriger


Literatur: 1. Allgemein: Andrae, Zum interlokalen und internationalen Privatrecht des Minderjäh-
rigenschutzes, IPRax 1992, 117; Andrae, Zur Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs von
EheVO, MSA, KSÜ und autonomem IZPR/IPR, IPRax 2006, 82; Boulanger, Les rapports juridiques
entre parents et enfants. Perspectives comparatistes et internationales (Paris 1998); Breuer, Gemein-
same elterliche Sorge – Geltung für ausländische Staatsangehörige in Deutschland, FPR 2005, 74; Bü-
ren, Das auf die Regelung der elterlichen Sorge anzuwendende Recht (2010); Dutta, Die Inzidentprü-
fung der elterlichen Sorge bei Fällen mit Auslandsberührung, StAZ 2020,193; Hausmann,
Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil F; Hausmann/Odersky, Internatio-
nales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 5 A; Jaspersen,

1 Hausmann in Staudinger, Rz. 95, 97; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 30; Stürner in Erman, Art. 7
EGBGB Rz. 16 a.E.; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 62, jeweils zu Art. 7
EGBGB.
2 BayObLG v. 17.11.1967 – BReg. 1a Z 39/67, BayObLGZ 1967, 443 (451) = FamRZ 1969, 44; Haus-
mann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 95; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) von Bar, Bd. II Rz. 42.
3 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 95.
4 von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 8; Hausmann in Staudinger, Rz. 98; Lipp in MünchKomm, Art. 7
EGBGB Rz. 62 („Gebot praktischer Klugheit“); a.A. von Bar, Bd. II Rz. 44; Mäsch in BeckOK
BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 30.
5 Hausmann in Staudinger, Rz. 80; Kegel in Soergel, Rz. 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 72, jeweils zu
Art. 7 EGBGB. Zu eherechtlichen Verfügungsbeschränkungen näher Rz. 6.849 ff.
6 Vgl. zum Ehegüterrecht Rz. 6.849 ff., zu den allgemeinen Ehewirkungen Rz. 6.795 ff., zum Insol-
venzrecht Rz. 6.590 ff., 6.662 ff.

Hausmann | 903
§ 6 Rz. 6.1102 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung in Fällen mit Auslandsbezug, FamRZ 1996, 393; Kro-
pholler, Das IPR der Kindschaftswirkungen im Lichte der europäischen Rechtsentwicklung, RabelsZ
59 (1995), 407; Looschelders, Fortbestand oderVerlust der elterlichen Sorge bei Wechsel des gewöhnli-
chen Aufenthalts, IPRax 2014,152; Martiny, Elterliche Verantwortung und Sorgerecht im auslän-
dischen Recht, FamRZ 2012, 1765; Schulz, Internationale Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht,
FamRZ 2003, 336; Schulz, Die Neufassung der Brüssel IIa-VO, FamrRZ 2020, 1141; Sturm/Sturm, Die
gesetzliche Vertretung minderjähriger Kinder nach neuem IPR, StAZ 1987, 181; U. Wolf, „Gesetzliche
Gewaltverhältnisse“, ordre public und Kindeswohl im IPR, FamRZ 1993, 874; Volken, Die internatio-
nale Vermögenssorge für Minderjährige, in Festg. Schnyder (1995), S. 817; Winkel, Grenzüberschrei-
tendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung (2001).
2. Haager KSÜ: Benicke, Haager Kinderschutzübereinkommen, IPRax 2013, 44; Bucher, La Dix-hui-
tième session de la Conférence de La Haye de droit international privé, SZIER 1997, 67; Bucher, L´
enfant en droit international privé (Paris 2003); Clive, The New Hague Convention on Children, Jur.
Rev. 1998, 169; Coester, Sorgerechtsstreitigkeiten unter dem KSÜ – erste Entscheidung des BGH, FF
2011, 285; Finger, Die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern, ZKJ 2008, 353; Finger, Das
Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 15.10.1996, FamRBInt 2010, 95; Gärtner, Elterliche
Sorge bei Personenstandsfällen mit Auslandsbezug – Änderungen durch das Inkrafttreten des Kinder-
schutzübereinkommens, StAZ 2011, 65; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht,
2018, Kap. F und N; Heiderhoff, Keine Rückwirkung des Art. 16 Abs. 3 KSÜ, IPRax 2015, 326; Iterson,
The New Hague Convention on the Protection of Children: A view from the Netherlands, Rev.dr.unif.
1997, 474; Krah, Das Haager Kinderschutzübereinkommen (2004); Kropholler, Das Haager Kinder-
schutzübereinkommen von 1996 – Wesentliche Verbesserungen im Minderjährigenschutz, FS Siehr
(2000), S. 379; Lagarde, La nouvelle convention de La Haye sur la protection des mineurs, Rev.crit.d.i.
p. 86 (1997), 217; Lowe, The 1996 Hague Convention on the protection of children – a fresh appraisal,
Child and Family L.Q. (2002), 191; Nygh, The Hague Convention on the Protection of Children, N.I.
L.R 1998, 1; Picone, La nuova convenzione dell´Aja sulla protezione dei minori, Riv.dir.int.priv.proc.
1996, 705; Pirrung, Das Haager Kinderschutzübereinkommen vom 19. Oktober 1996, FS Rolland
(1999), S. 277; Pirrung, Haager Kinderschutzübereinkommen und Verordnungsentwurf „Brüssel IIa“,
FS Jayme (2004) Bd. I, S. 701; Rauscher, Haager Kinderschutzübereinkommen und Auswanderungs-
motive in der Sorgerechtsregelung, NJW 2011, 2332; Roth/Döring, Das Haager Abkommen über den
Schutz von Kindern, JBl. 1999, 758; Roth/Döring, Zur geplanten Revision des Haager MSA von 1961,
FuR 1999, 195; Schulz, Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996: im Westen nichts Neues,
FamRZ 2006, 1309; Schulz, Inkrafttreten des Haager Kinderschutzübereinkommens vom 15.10.1996,
FamRZ 2011, 156; Siehr, Die Rechtslage der Minderjährigen im internationalen Recht und die Ent-
wicklung in diesem Bereich, FS Schnyder (1995), S. 1047; Siehr, Das neue Haager Übereinkommen
von 1996 über den Schutz von Kindern, RabelsZ 62 (1998), 464; Siehr, Das neue Haager Kinderschutz-
übereinkommen von 1996, DeuFamR 2000, 125; Silberman, The 1996 Convention for the Protection
of Children: A Perspective from the United States, FS Siehr (2000), S. 703; Teixeira de Sousa, Aus-
gewählte Probleme aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 und des Haager
Übereinkommens vom 19.10.1996 über den Schutz von Kindern, FamRZ 2005, 1612; Volken, Die in-
ternationale Vermögenssorge für Minderjährige, FS Schnyder (1995), S. 817; Wagner/Janzen, Die An-
wendung des Haager Kinderschutzübereinkommens in Deutschland, FPR 2011, 110.

1. Rechtsquellen
a) Staatsverträge
6.1103 Auf dem gesamten Gebiet der elterlichen Verantwortung und damit auch der gesetzlichen
Vertretung Minderjähriger in vermögensrechtlichen Angelegenheiten durch die Eltern hat die
autonome Kollisionsregel des Art. 21 EGBGB nur noch eine eingeschränkte Funktion, weil
sich sowohl das auf die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes anwendbare Recht als auch
die Anknüpfung der zur Abänderung oder Ergänzung des gesetzlichen Sorgerechtsverhältnis-
ses zu treffenden gerichtlichen Schutzmaßnahmen in weitem Umfang nach vorrangigen (vgl.

904 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1107 § 6

Art. 3 Nr. 2 EGBGB) staatsvertraglichen Normen bestimmen 1. Dies gilt in noch stärkerem
Maße für die gesetzliche Vertretung Minderjähriger durch einen Vormund oder (Ergänzungs-
)Pfleger.

Ganz im Vordergrund steht heute das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 6.1104
19.10.19962, das für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2011 in Kraft getreten ist3. Da es
sich bei den Kollisionsnormen des KSÜ um eine „loi uniforme“ handelt, die auch dann zur
Anwendung kommt, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats verwiesen wird (Art. 20
KSÜ), ist das internationale Privatrecht der elterlichen Verantwortung für Maßnahmen, die
nach dem 1.1.2011 von einem deutschen Gericht getroffen werden (Art. 53 Abs. 1 KSÜ;
Rz. 6.1119), vorrangig dem Kapitel III (Art. 15, 18, 20 ff.) dieses Übereinkommens zu entneh-
men. Gleiches gilt für die Beurteilung der kraft Gesetzes (oder kraft Vereinbarung) bestehen-
den elterlichen Verantwortung gem. Art. 16, 17 KSÜ (Rz. 6.1134 ff.) sowie des Verkehrsschut-
zes bei Rechtsgeschäften, die ein gesetzlicher Vertreter des Kindes mit einem Dritten ab-
schließt (Art. 19 KSÜ; Rz. 6.1160).

Auch das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) vom 5.10.19614 enthält in Art. 2 6.1105
und Art. 4 Abs. 2 Kollisionsregeln für die Anordnung von Schutzmaßnahmen, die – wie
Art. 15 Abs. 1 KSÜ – am Gleichlaufgrundsatz orientiert sind. Demgegenüber wird die An-
wendbarkeit von Art. 3 MSA auf die Beurteilung von gesetzlichen Gewaltverhältnissen ohne
Bezug zur Anordnung von Schutzmaßnahmen überwiegend abgelehnt5. Auf dem Gebiet des
Kollisionsrechts wird das MSA jedoch gem. Art. 51 KSÜ im Verhältnis der Vertragsstaaten
des KSÜ zueinander durch das KSÜ ersetzt. Das MSA hat daher aus deutscher Sicht – nach
Inkrafttreten des KSÜ für Italien am 1.1.2016 und die Türkei am 1.2.20176 – heute nur noch
kollisionsrechtliche Bedeutung im Verhältnis zur chinesischen Sonderverwaltungsregion Ma-
cau. Diese Bedeutung ist ferner auf die Anordnung von Schutzmaßnahmen und deren Wir-
kungen begrenzt.

Soweit die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen durch einen Vormund in Betracht 6.1106
kam, war im Verhältnis zu Belgien zuletzt noch das Haager Abkommen zur Regelung der Vor-
mundschaft über Minderjährige vom 12.6.19027 anwendbar; dieses Abkommen ist allerdings
bereits mit Wirkung zum 1.6.2009 außer Kraft getreten8. Auf dem Gebiet der Anerkennung
und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen ist schließlich noch das Luxemburger Eu-
ropäische Übereinkommen vom 20.5.19809 zu beachten.

Im deutsch-iranischen Verhältnis hat das durch Protokoll vom 4.11.195410 wieder in Kraft ge- 6.1107
setzte und auch nach der iranischen Revolution von 1979 fortgeltende deutsch-iranische Nie-

1 Dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 596 ff.


2 BGBl. II 2009, 603 = Jayme/Hausmann, Nr. 53.
3 RGBl. II 1930, 1006.
4 BGBl. II 1971, 217 = Jayme/Hausmann, Nr. 52.
5 Für die Praxis grundlegend BGH v. 2.5.1990 – XII ZB 63/89, BGHZ 111, 199 (205 ff.) = NJW
1990, 3073.
6 Vgl. zum früheren Recht öOGH v. 28.8.2013 – 6 Ob 138/13g, IPRax 2015, 574 m. Anm. Oden-
dahl.
7 RGBl. 1904, 240.
8 Bek. v. 19.2.2009, BGBl. II 2009, 290.
9 BGBl. II 1990, 220 = Jayme/Hausmann, Nr. 183; dort auch Überblick über die Vertragsstaaten in
Fn. 1.
10 BGBl. II 1955, 829.

Hausmann | 905
§ 6 Rz. 6.1107 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derlassungsabkommen vom 17.2.19291 gemäß Art. 52 Abs. 1 KSÜ Vorrang vor den Kollisi-
onsnormen der Art. 15 ff. KSÜ2. Das Abkommen enthält zwar keine Regelung zur internatio-
nalen Zuständigkeit, so dass auch für sorge- oder umgangsrechtliche Streitigkeiten von ira-
nischen Staatsangehörigen vor deutschen Gerichten die Art. 8 ff. EuEheVO gelten3; es enthält
jedoch in Art. 8 Abs. 3 eine umfassende Kollisionsregel zum Personen-, Familien- und Erb-
recht. Das Abkommen ist in sachlicher Hinsicht auf das gesamte Familienrecht anwendbar; es
gilt daher auch für Fragen der elterlichen Verantwortung und gesetzlichen Vertretung, auch
wenn diese in der deutsch-iranischen Erklärung zu dem Übereinkommen nicht ausdrücklich
erwähnt werden4.

6.1108 In persönlicher Hinsicht ist Art. 8 Abs. 3 des Abkommens auf dem Gebiet der elterlichen Ver-
antwortung nur dann anwendbar, wenn sowohl die Eltern als auch das Kind ausschließlich
die iranische oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen5. Auf den gewöhnlichen Auf-
enthalt des Kindes kommt es in diesem Fall – abweichend von Art. 15 i.V.m. Art. 5 bzw.
Art. 16, 17 KSÜ – nicht an6. Demgegenüber ist das Abkommen auf die Regelung des Sor-
gerechts in deutsch-iranischen Mischehen nicht anwendbar7. Haben die Kinder iranischer El-
tern teils die iranische, teils die deutsche Staatsangehörigkeit, so ist im Verhältnis zu einem
iranischen Kind das Abkommen, im Verhältnis zu einem deutschen Kind Art. 15 KSÜ auf die
Sorgerechtsregelung anzuwenden8. Auch wenn ein Elternteil und/oder das Kind sowohl die
deutsche als auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, ist das Abkommen nicht an-
wendbar9. Schließlich scheidet dessen Anwendung auch auf Beteiligte mit ausschließlich ira-
nischer Staatsangehörigkeit dann aus, wenn ein Elternteil oder das Kind die Rechtsstellung
als Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention oder als Asylberechtigter i.S.v. §§ 2, 3
AsylVfG erlangt haben10.

1 RGBl. II 1930, 1006.


2 Henrich, IntSchR Rz. 306; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 708.
3 OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, NJW-RR 2009, 1014 = FamRZ 2009, 611 (613).
4 BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29 (31) = NJW 1993, 848 = FamRZ 1993, 316 (m.
Aufs. U Wolf, FamRZ 1993, 874) = IPRax 1993, 102 (m. Anm. Henrich, IPRax 1993, 81); OLG
Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615).
5 OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615); OLG Düsseldorf v. 17.7.2002
– 5 UF 24/02, FamRZ 2003, 379 (380 ff.); OLG Zweibrücken v. 15.12.2000 – 2 UF 130/00, FamRZ
2001, 920; OLG Bremen v. 21.5.1999 – 4 UF 5/99, FamRZ 1999, 1520 = NJW-RR 2000, 3; OLG
Celle v. 5.12.1989 – 10 WF 272/89, FamRZ 1990, 656 = IPRax 1991, 258 (m. Anm. Coester, IPRax
1991, 236)(alle zur elterlichen Sorge); OLG Celle v. 17.4.1990 – 10 UF 78/90, FamRZ 1990, 1131
(Umgangsrecht); OLG Celle v. 24.10.1988 – 12 UF 136/88, IPRax 1989, 390 (m. Anm Siehr, IPRax
1989, 373: Kindesherausgabe); Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 868 m.w.N.
6 BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29 (31) = NJW 1993, 848; OLG Zweibrücken v.
15.12.2000 – 2 UF 130/00, FamRZ 2001, 920 (921).
7 Vgl. zur gesetzlichen Vertretung im Unterhaltsprozess BGH v. 15.1.1986 – IVb ZR 75/84, FamRZ
1986, 345 (347).
8 OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615) zum MSA.
9 OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615); KG v. 13.12.1978 – 3 UF
3758/78, OLGZ 1979, 187 (jeweils zum Sorgerecht); Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (265);
Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869.
10 Vgl. BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, FamRZ 1993, 316; BayObLG v. 28.11.2000 – 1Z BR 59/00,
BayObLGZ 2000, 335 (338); Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (266).

906 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1110 § 6

b) EU-Recht
Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) gilt seit dem 6.1109
1.3.2005 die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterli-
che Verantwortung v. 27.11.2003 (EuEheVO)1. Diese Verordnung hat in ihrem sachlichen An-
wendungsbereich, der auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung im Wesentlichen mit je-
nem des KSÜ übereinstimmt (vgl. Art. 1 Abs. 2 EuEheVO; dazu Rz. 6.1115 f.), Vorrang so-
wohl vor dem vor dem KSÜ (Art. 61 EuEheVO) wie vor dem MSA (Art. 60 lit. a EuEheVO).
Dieser Vorrang besteht freilich nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander; im Verhält-
nis zu Vertragsstaaten des KSÜ, die nicht der EU angehören, bleibt es bei der Geltung des
KSÜ, und zwar auch dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland
hat2. Verdrängt werden danach insbesondere die Vorschriften der beiden Übereinkommen auf
dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit für Entscheidungen, welche die elterliche Ver-
antwortung betreffen, durch Art. 8–13, 15 EuEheVO; gegenüber dem KSÜ gilt dies allerdings
nur, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat (mit Ausnah-
me Dänemarks) hat (Art. 61 lit. a EuEheVO)3. Auf dem Gebiet der Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten haben die Art. 21, 23 bis 52
Brüssel IIa-VO hingegen auch dann Vorrang vor den Art. 23 ff. KSÜ, wenn das Kind seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in einem nicht der EU angehörenden Vertragsstaat des KSÜ hat
(Art. 61 lit. b Brüssel IIa-VO)4. Demgegenüber enthält die Brüssel IIa-VO keine Regelung
über das von den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten anzuwendende Recht; insoweit
verbleibt es daher bei der Maßgeblichkeit des KSÜ/MSA bzw. des autonomen Kollisionsrechts
der Mitgliedstaaten5.

2. Haager Kinderschutzübereinkommen
a) Vertragsstaaten
Die nachfolgende Darstellung des IPR der gesetzlichen Vertretung von Kindern durch ihre 6.1110
Eltern beschränkt sich wegen der universellen Geltung des KSÜ auf die Kollisionsnormen die-
ses Übereinkommens. Zum verbleibenden – engen – Anwendungsbereich des MSA und des
autonomen Kollisionsrechts s. Rz. 6.1105. Ziel des KSÜ ist es nach seinem Art. 1, die interna-
tionale Zuständigkeit der Behörden für die Anordnung von Maßnahmen zum Schutz der Per-
son oder des Vermögens des Kindes und das von diesen Behörden anzuwendende Recht zu
regeln (lit. a, lit. b). Darüber hinaus bestimmt das KSÜ – abweichend vom MSA – das auf die

1 ABl. EU 2003 L 338, S. 1 = Jayme/Hausmann, Nr. 162. Die Verordnung gilt seit dem 1.1.2007
auch für Bulgarien und Rumänien sowie seit dem 1.7.2013 auch für Kroatien. Sie hat die Vorgän-
ger-Verordnung Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 (ABl. EG 2000 L 160, S. 19) abgelöst, die am 1.3.2000
in Kraft getreten war.
2 Benicke, IPRax 2013, 44 (52).
3 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 = FamRZ 2011, 796 (797); BGH v. 19.3.2014
– XII ZB 511/13, FamRZ 2014, 927 m. Anm. Götz; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11,
FamRZ 2011, 1963 f. m. Anm. Henrich; OLG Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, FamRZ 2017,
1227; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 353.
4 Hausmann, IntEuFamR N Rz. 331; zur Konkurrenz der Brüssel IIa-VO mit dem MSA/KSÜ auf
dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung von Ent-
scheidungen vgl. Andrae, IPRax 2006, 82 (83 ff.).
5 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796; OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF
365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634).

Hausmann | 907
§ 6 Rz. 6.1110 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

elterliche Verantwortung anzuwendende Recht auch dann, wenn keine Schutzmaßnahmen zu


treffen sind (lit. c), und gewährleistet die Anerkennung und Vollstreckung der Schutzmaßnah-
men in allen Vertragsstaaten in einem gegenüber Art. 7 MSA deutlich erweiterten Umfang
(lit. d).

6.1111 Das KSÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2011 in Kraft1 getreten und gilt seit
diesem Zeitpunkt im Verhältnis zu folgenden Staaten, für die das Übereinkommen früher
oder gleichzeitig in Kraft getreten ist2: Albanien (1.4.2007), Armenien (1.5.2008), Australien
(1.8.2003), Bulgarien (1.2.2007), die Dominikanische Republik (1.10.2010), Ecuador (1.9.2003),
Estland (1.6.2003), Irland (1.1.2011), Kroatien (1.1.2010), Lettland (1.4.2003), Litauen
(1.9.2004), Luxemburg (1.12.2010), Marokko (1.12.2002), Monaco (1.1.2002), Polen
(1.11.2010), Rumänien (1.1.2011), die Schweiz (1.7.2009), die Slowakei (1.1.2002), Slowenien
(1.2.2005), Spanien (1.1.2011), die Tschechische Republik (1.1.2002), die Ukraine (1.2.2008),
Ungarn (1.5.2006), Uruguay (1.3.2010) und Zypern (1.11.2010).
Seither ist das Übereinkommen im Verhältnis zu folgenden weiteren Staaten in Kraft getreten:
Barbados (1.5.2020), Belgien (1.9.2014), Dänemark (1.10.2011)3, Fidschi (1.4.2019), Finnland
(1.3.2011), Frankreich (1.2.2011), Georgien (1.3.2015), Griechenland (1.6.2012), Guyana
(1.12.2019), Honduras (1.8.2018), Italien (1.1.2016), Kuba (1.12.2017), Lesotho (1.6.2013),
Malta (1.1.2012), Montenegro (1.1.2013), Nicaragua (1.12.2019), der Niederlande (1.5.2011),
Norwegen (1.7.2016), Österreich (1.4.2011)), Paraguay (1.7.2019), Portugal (1.8.2011), der Rus-
sischen Föderation (1.6.2013), Schweden (1.1.2013) Serbien (1.11.2016), der Türkei (1.2.2017)
und dem Vereinigten Königreich (1.11.2012).

6.1112 Da dem KSÜ nur souveräne Staaten beitreten können, konnte die Europäische Gemeinschaft
selbst ihren Beitritt nicht erklären. Aufgrund der bestehenden Außenkompetenz der EU für
das internationale Privat- und Verfahrensrecht der elterlichen Verantwortung war jedoch die
Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Ratifikation des Übereinkommens durch die EU erfor-
derlich. Der Rat hat daher am 5.6.2008 diejenigen Mitgliedstaaten, die dem KSÜ nicht bereits
vorher beigetreten waren, ermächtigt, dieses Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft
zu ratifizieren oder ihm beizutreten4. Von dieser Möglichkeit haben inzwischen alle Mitglied-
staaten der EU Gebrauch gemacht. Das Übereinkommen hat jedoch nicht die Qualität sekun-
dären Unionrechts; eine Auslegungskompetenz des EuGH besteht nicht5.

b) Anwendungsbereich
aa) Räumlicher Anwendungsbereich
6.1113 Das KSÜ enthält keine allgemeine Vorschrift über seinen räumlichen Anwendungsbereich,
sondern bestimmt diesen für jedes seiner Kapitel gesondert6. Auf dem Gebiet des Kollisions-
rechts muss insoweit zwischen einer Beurteilung der kraft Gesetzes bestehenden elterlichen
Verantwortung und der Anordnung von Schutzmaßnahmen durch ein Gericht oder eine Be-
hörde unterschieden werden. Das auf die Zuweisung, das Erlöschen oder die Ausübung der
elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes (oder Vereinbarung) anzuwendende Recht wird in

1 BGBl. II 2010, 1527.


2 Vgl. BGBl. II 2010, 1527.
3 BGBl. II 2012, 102.
4 ABl. EU 2008, L 151, S. 36.
5 Vgl. Hausmann in Hausmann/Odersky, § 1 Rz. 73.
6 Benicke, IPRax 2013, 44 (46).

908 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1115 § 6

den Art. 16, 17 KSÜ für die Gerichte und Behörden der Vertragsstaaten abschließend geregelt.
Diese Kollisionsnormen finden ohne Rücksicht darauf Anwendung, ob das Kind die Staats-
angehörigkeit eines Vertragsstaats besitzt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Ver-
tragsstaat hat (universelle Anwendung, vgl. Art. 20 KSÜ). Demgegenüber gilt für die Anord-
nung von Schutzmaßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ der Gleichlaufgrundsatz, d.h. die Be-
hörden der Vertragsstaaten wenden grundsätzlich ihr eigenes Recht an. Dies setzt jedoch
grundsätzlich deren internationale Zuständigkeit nach dem Kapitel II voraus; das Kind muss
also entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat haben (Art. 5 Abs. 1
KSÜ) oder es muss eine der sonstigen Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit
nach Art. 6 bis 12 KSÜ in einem Vertragsstaat gegeben sein.

bb) Persönlicher Anwendungsbereich


In persönlicher Hinsicht ist das Überereinkommen nach seinem Art. 2 auf Kinder be- 6.1114
schränkt, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Für Kinder, die älter, aber nach
ihrem Heimatrecht noch nicht volljährig sind und deshalb gesetzlich vertreten werden müs-
sen, beurteilt sich die gesetzliche Vertretung nach dem autonomen Kollisionsrecht der Ver-
tragsstaaten, in Deutschland also nach dem von Art. 21, 24 EGBGB für maßgeblich erklärten
Recht1. Die Frage, wann die für einen minderjährigen Ausländer angeordnete Vormundschaft
endet, unterliegt daher, nachdem dieser das 18. Lebensjahr vollendet hat, gemäß Art. 24 Abs. 1
EGBGB dem Heimatrecht des Betroffenen2. Auch auf noch nicht 18-jährige Kinder ist das
KSÜ dann nicht mehr anwendbar, wenn diese – z.B. durch Eheschließung, Emanzipation
oder Volljährigerklärung – vorzeitig die volle Geschäftsfähigkeit erlangt haben und deshalb
nicht mehr gesetzlich vertreten werden müssen. Auf den Status des Kindes als eheliches,
nichteheliches, Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind kommt es insoweit nicht an.

cc) Sachlicher Anwendungsbereich


(1) Elterliche Verantwortung
Von zentraler Bedeutung für den sachlichen Anwendungsbereich des KSÜ ist die Definition 6.1115
der „elterlichen Verantwortung“ in Art. 1 Abs. 2, die auch in Art. 2 Nr. 7 EuEheVO über-
nommen wurde. Durch diesen Begriff soll zum Ausdruck gebracht werden, dass im Eltern-
Kind-Verhältnis die Pflichten der Eltern im Vordergrund stehen und die Elternrechte dahinter
zurückzutreten haben3. Der Begriff wird für die Zwecke des KSÜ weit verstanden. Er umfasst
daher in sachlicher Hinsicht sämtliche Rechte, Befugnisse und Pflichten, die dem Inhaber der
elterlichen Verantwortung in Bezug auf die Person oder das Vermögen des Kindes zustehen.
Diese Rechte und Pflichten beziehen sich vor allem auf die Erziehung des Kindes, die För-
derung seiner intellektuellen und sozialen Fähigkeiten, die Kontrolle seiner Beziehungen zu
Dritten sowie die gesetzliche Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr. Inhaber der elterlichen

1 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 458 m. Anm. Hüßtege; OLG Hamm v.
20.2.2018 – 4 UF 243/16, BeckRS 2018, 3993; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 12a.
Daneben kommen bei gewöhnlichem Aufenthalt im Inland auch Schutzmaßnahmen nach dem
Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener (ErwSÜ) vom 13.1.2000 in
Betracht (dazu Rz. 6.1205 ff.).
2 OLG Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, BeckRS 2017, 101891 = FamRZ 2017, 1227; OLG Bremen
v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.); OLG Hamm v. 30.1.2015
– 6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312.
3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 21.

Hausmann | 909
§ 6 Rz. 6.1115 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Verantwortung sind nicht nur die Eltern des Kindes, sondern – wie Art. 1 Abs. 2 klarstellt –
auch ein Vormund oder ein anderer gesetzlicher Vertreter (z.B. ein Pfleger); die elterliche Ver-
antwortung kann aber auch kraft Gesetzes anderen Personen (z.B. den Großeltern)1 zustehen
oder einer juristischen Person übertragen sein. Auf die rechtliche Grundlage der Übertragung
elterlicher Verantwortung auf eine bestimmte Person kommt es nicht an; diese kann sich un-
mittelbar aus dem Gesetz, aus einer gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung oder einer
rechtsverbindlichen Vereinbarung (z.B. der Eltern) ergeben. Wichtigste Ausprägungen der el-
terlichen Verantwortung sind das Sorge- und das Umgangsrecht einschließlich der gesetzli-
chen Vertretung (vgl. Art. 3 lit. b und lit. d KSÜ).

(2) Schutzmaßnahmen
6.1116 Zu den vom KSÜ erfassten Schutzmaßnahmen gehören nach Art. 3 – in weitgehender Über-
einstimmung mit dem MSA und der EuEheVO (Art. 1 Abs. 2)2 – sowohl Maßnahmen zum
Schutz der Person wie solche zum Schutz des Vermögens des Kindes, also insbesondere die
Zuweisung, Ausübung, Entziehung und Übertragung der elterlichen Verantwortung (lit. a),
die Regelung des Sorgerechts, des Aufenthaltsbestimmungs- und Umgangsrechts (lit. b), die
Vormundschaft, Pflegschaft, und entsprechende Einrichtungen (lit. c), die Bestimmung der
Person, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist und das Kind im
Rechtsverkehr vertritt (lit. d), sowie die Verwaltung und Erhaltung des Kindesvermögens (lit.
g).

6.1116a Allgemeine Voraussetzung einer Schutzmaßnahme i.S.v. Art. 3 KSÜ ist ein Gestaltungs- oder
Regelungscharakter der Maßnahme3. Diese muss also zum Schutz des Kindeswohls in die
kraft Gesetzes bestehenden Rechte der Sorgeberechtigten eingreifen und diese entziehen, in-
haltlich ändern oder zumindest konkretisieren. Nicht erfasst werden daher rein deklaratorisch
wirkende Maßnahmen, die eine kraft Gesetzes bereits eingetretene Rechtsfolge lediglich fest-
stellen4. Im Übrigen ist der Begriff jedoch im Kindesinteresse weit zu fassen. Er schließt ins-
besondere auch Maßnahmen ein, die im nationalen Recht der Vertragsstaaten öffentlich-
rechtlich qualifiziert werden5 oder sich vornehmlich in einem Verwaltungsverfahren auswir-
ken6.

6.1117 Schutzmaßnahmen sind daher insbesondere gerichtliche oder behördliche Eingriffe in die
elterliche Sorge während bestehender Ehe, bei Getrenntleben und nach Ehescheidung, so die
Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil, wenn er sie kraft Gesetzes nicht besitzt,
Eingriffe bei Versagen und Verhinderung der Eltern oder eines Elternteils (z.B. Ersetzung von
Zustimmungen oder Entziehung der Vertretungsmacht, vgl. § 1666 Abs. 2, § 1629 Abs. 2 S. 3
BGB bzw. die Entziehung der Vermögenssorge, vgl. § 1666 Abs. 2, § 1667 Abs. 1–3 BGB), die
Entziehung der elterlichen Sorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts und deren/dessen
Übertragung auf einen Elternteil (vgl. etwa § 1678 Abs. 2, §§ 1680, 1681 BGB), sowie vor

1 Benicke, IPRax 2013, 44 (45).


2 Dazu näher Hausmann, IntEuFam F Rz. 32 ff.
3 Dutta, StAZ 2010, 193 (196); Hilbig-Lugani in Rauscher, Art. 3 KSÜ Rz. 2.
4 Vgl. zu einem „Obsorgedekret“ öOGH v. 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542 (543) (m. zust.
Anm. Hohloch, IPRax 2010, 567).
5 Schulz, FamRZ 2011, 156 (157); Andrae, IntFamR § 9 Rz. 8; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 390;
Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 16.
6 EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710 (Gogova/Iliev), FamRZ 2015, 2117 (Pass-
ausstellung).

910 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1120 § 6

allem die Regelung der Elternrechte nach einer Trennung oder Scheidung der Eltern bzw.
nach Aufhebung oder Nichtigerklärung ihrer Ehe (vgl. §§ 1671, 1672 BGB)1. Leben die Eltern
eines minderjährigen Kindes nicht mehr oder sind sie von der Vertretung (z.B. wegen Entzie-
hung der elterlichen Sorge oder wegen Interessenkollision) ausgeschlossen oder kommt aus
anderen Gründen für den Abschluss eines Vertrages die gesetzliche Vertretung durch einen
Vormund oder Pfleger in Betracht, so handelt es sich auch bei der Anordnung einer Vor-
mundschaft für einen Minderjährigen nach §§ 1773 ff. BGB oder einer Ergänzungspflegschaft
nach § 1909 BGB um typische Schutzmaßnahmen i.S.v. Art. 3 KSÜ2.

(3) Vertretung von Kindern kraft Gesetzes


Der sachliche Anwendungsbereich des KSÜ umfasst abweichend vom MSA weiterhin die Zu- 6.1118
weisung, den Inhalt und das Erlöschen der elterlichen Verantwortung ohne Einschreiten eines
Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde, d.h. kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung, Art. 16
KSÜ (Rz. 6.1134 ff.). Das Statut der gesetzlichen Vertretung nach Art. 16 KSÜ (bzw. im Falle
eines Aufenthaltswechsels des Kindes das Statut der Ausübung der elterlichen Verantwortung
nach Art. 17 KSÜ) gilt auch für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes
bestehende Vertretungsmacht (z.B. der Eltern) durch Genehmigungserfordernisse einge-
schränkt wird (Rz. 6.1148 ff.).

dd) Zeitlicher Anwendungsbereich


In zeitlicher Hinsicht gilt das KSÜ für die Beurteilung des auf die elterliche Verantwortung 6.1119
anzuwendenden Rechts für alle Maßnahmen, die in einem Vertragsstaat ergriffen werden,
nachdem das Übereinkommen für diesen Staat in Kraft getreten ist (Art. 53 Abs. 1 KSÜ). In
Deutschland sind die Art. 5 ff. und 15 ff. KSÜ demgemäß für alle Schutzmaßnahmen zu-
grunde zu legen, die nach dem 1.1.2011 getroffen wurden oder werden. Abweichend von
Art. 64 Abs. 1 EuEheVO kommt es also nicht darauf an, wann das Verfahren vor diesem Ge-
richt eingeleitet wurde; eine perpetuatio fori auf der Grundlage des bei Verfahrenseinleitung
maßgeblichen staatsvertraglichen (z.B. MSA) oder autonomen Zuständigkeitsrechts ist daher
nicht anzuerkennen3. Darüber hinaus haben deutsche Gerichte auch die elterliche Verantwor-
tung kraft Gesetzes seit dem 1.11.2011 nach Art. 16, 17 KSÜ zu beurteilen, selbst wenn das
Verfahren schon früher eingeleitet worden ist; zum Übergangsrecht s. Rz. 6.1154.

c) Internationale Zuständigkeit
aa) Vorrang der EuEheVO
Die Zuständigkeitsregelung im Kapitel II des Übereinkommens (Art. 5–14 KSÜ), die nach 6.1120
Art. 15 KSÜ zur Bestimmung des auf Schutzmaßnahmen anwendbaren Rechts maßgeblich
ist, wird gem. Art. 61 lit. a EuEheVO durch die Art. 8–15 EuEheVO verdrängt, wenn das Kind
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats (mit Ausnahme

1 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 391 f.; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 10.
2 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 457 Rz. 20 ff. m. Anm. Hüßtege (Anordnung
von Vormundschaft über unbegleitete Flüchtlingskinder).
3 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker;
öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183; OLG Saarbrücken v. 1.4.2011 – 6 UF 6/11, FF
2011, 326 = IPRspr. 2011 Nr. 97; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 m.
Anm. Henrich; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 612; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17.

Hausmann | 911
§ 6 Rz. 6.1120 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Dänemarks) hat1. Aus deutscher Sicht kommt das Kapitel II des KSÜ daher grundsätzlich nur
dann zur Anwendung, wenn das Kind sich in einem Vertragsstaat gewöhnlich aufhält, der
nicht zugleich Mitgliedstaat der EuEheVO ist2. Der Vorrang des KSÜ bleibt in diesem Fall
auch dann erhalten, wenn im Inland eine internationale Zuständigkeit nach der EuEheVO be-
gründet ist, die nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abstellt, z.B. eine nach
Art. 12 EuEheVO zwischen den Eltern vereinbarte Zuständigkeit3. Denn Art. 61 lit. a EuEhe-
VO beschränkt den Vorrang der Verordnung vor dem KSÜ auf dem Gebiet der internationa-
len Zuständigkeit ausdrücklich auf Fälle, in denen das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt
in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat. Hat das Kind daher seinen gewöhnlichen Aufent-
halt in Deutschland, so ist für eine Anwendung der Art. 5 ff. KSÜ kein Raum. Dies gilt –
trotz des auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander beschränkten Vorrangs der EuE-
heVO – nach dem klaren Wortlaut von Art. 61 lit. a EuEheVO auch dann, wenn Schutzmaß-
nahmen für ein Kind getroffen werden sollen, das die Staatsangehörigkeit eines Vertrags-
staats des KSÜ besitzt, der nicht Mitgliedstaat der EuEheVO ist4.

6.1121 Nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO sind die deutschen Gerichte für Schutzmaßnahmen internatio-
nal zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt5 zur Zeit der Antragstellung
im Inland hat6. Die internationale Zuständigkeit bleibt nach dem Grundsatz der perpetuatio
fori also auch dann erhalten, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Verfah-
rensbeginn in einen anderen Mitgliedstaat verlegt7. Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ist hingegen
nicht anwendbar, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits zur Zeit der Antrag-
stellung nicht mehr im Staat des angerufenen Gerichts hat8. Umgekehrt genügt es für die in-
ternationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aber auch, dass der gewöhnliche Aufenthalt
des Kindes erst nach der Antragstellung im Inland begründet wurde, sofern kein auslän-
disches Gericht in derselben Rechtssache zuvor angerufen wurde9.

1 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796 m. Anm.
Völker; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 Rz. 21. m. Anm. Henrich =
IPRax 2014, 178 (m. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152); Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB
Rz. 82; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 20 f. m.w.N.
2 Dies sind derzeit Albanien, Armenien, Australien, Dänemark, die Dominikanische Republik, Ecua-
dor, Fidschi, Georgien, Guyana, Honduras, Kuba, Lesotho, Marokko, Monaco, Montenegro, Nicara-
gua, Norwegen, Paraguay, die Russische Föderation, die Schweiz, Serbien, die Türkei, die Ukraine
und Uruguay. Vgl. Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 12a.
3 Benicke in NK BGB, Art. 1 KSÜ Rz. 11.
4 Hau in Prütting/Helms, FamFG, § 99 FamFG Rz. 21; Benicke, IPRax 2013, 44 (52 f.); Hausmann,
IntEuFamR F Rz. 21, 353; a.A. Andrae, IPRax 2006, 82 (84); Henrich in Staudinger, Art. 21
EGBGB Rz. 141; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23.
5 Zum Begriff des gewöhnlichen Kindesaufenthalts ausf. Hausmann, IntEuFamR F Rz. 87 ff.
6 OLG Karlsruhe v. 25.5.2009 – 5 UF 224/08, FamRZ 2009, 1599 (Entziehung der elterlichen Sorge
wegen Kindeswohlgefährdung); OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011,
1963 f. = IPRax 2014, 178 (m. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152); OLG München v. 26.7.2011 –
33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 83 ff.
7 BGH v. 17.2.2010 – XII ZB 68/09, BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351 m. Anm. Peschel-Gutzeit =
FamRZ 2010, 720 m. Anm. Stößer; OLG München v. 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011,
1887; OLG Nürnberg v. 14.3.2012 – 10 UF 1899/11, FamRZ 2013, 553; Hausmann, IntEuFamR F
Rz. 102 f. m.w.N.
8 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2019 – 8 UF 152/19, NJW-RR 2020, 260 = NZFam 2020, 136 m.
Anm. Mankowski; OLG Stuttgart v. 30.3.2012 – 17 UF-338/11, FamFR 2013, 288 m. Anm. Finger.
9 BGH v. 17.2.2010 – XII ZB 68/09, BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351 m. Anm. Peschel-Gutzeit =
FamRZ 2010, 720 m. Anm. Stößer; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 108 m.w.N.

912 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1124 § 6

Die Eltern können für Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts jedoch auch die 6.1122
Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats durch Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 12
EuEheVO begründen1. Ist eine Ehesache nach Art. 3 ff. EuEheVO vor dem Gericht eines an-
deren Mitgliedstaats anhängig, so können sie die Zuständigkeit dieses Gerichts auch für die
im Verbund mit der Ehesache stehende Streitigkeit über die elterliche Sorge oder das Um-
gangsrecht vereinbaren (Art. 12 Abs. 1 EuEheVO). Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist aber
nach Art. 12 Abs. 3 EuEheVO auch in isolierten Verfahren der elterlichen Verantwortung zu-
lässig, wenn das Kind zum prorogierten Staat eine wesentliche Bindung hat2.

bb) Zuständigkeiten nach dem KSÜ


Soweit die Zuständigkeitsordnung des KSÜ nicht durch die EuEheVO verdrängt wird, sind 6.1123
für Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes nach Art. 5 Abs. 1
KSÜ primär die Behörden des Vertragsstaats international zuständig, in dem das Kind seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat (dazu Rz. 6.972)3. Lediglich wenn dieser nicht festgestellt wer-
den kann oder wenn es sich um Flüchtlingskinder handelt, genügt nach Art. 6 KSÜ auch der
schlichte Aufenthalt in einem Vertragsstaat4. Auf die Staatsangehörigkeit des Kindes kommt
es hierbei nicht an; das KSÜ regelt die internationale Zuständigkeit auf dem Gebiet der gesetz-
lichen Vertretung von Kindern daher auch für Angehörige von Drittstaaten. Die internationa-
le Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 ff. KSÜ setzt im Übrigen keinen kom-
petenzrechtlichen Bezug zu einem weiteren Vertragsstaat voraus.
Verlegt das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat, so werden 6.1124
die Behörden des neuen Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 5 Abs. 2 KSÜ); eine perpetuatio fori
wird also – anders als nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO – ausgeschlossen5, so dass die internatio-
nale Zuständigkeit auch für ein zunächst zulässiges Verfahren mit dem Wegzug des Kindes
nachträglich entfallen kann6. Zuvor getroffene Schutzmaßnahmen7 behalten jedoch solange

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.2009 – II-3 UF 198/09, FamRZ 2010, 915.


2 Zu Einzelheiten Hausmann, IntEuFamR F Rz. 354 ff.
3 OLG Stuttgart v. 24.2.2020 – 18 WF 11/20, FamRZ 2020, 1120 (Marokko); OLG Karlsruhe v.
5.6.2015 – 18 UF 265/14, MDR 2015, 1425 = FamRZ 2016, 248 (Ls.) (Dänemark). Zum – auto-
nom auszulegenden – Begriff des gewöhnlichen Kindesaufenthalts im KSÜ ferner KG v. 2.3.2015
– 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215); öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183
(185) (m. Anm. Heindler, IPRax 2014, 201); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1074 ff.; Haus-
mann, IntEuFamR F Rz. 420 ff.
4 Dazu Hausmann, IntEuFamR F Rz. 435 ff.
5 OLG Frankfurt a.M v. 5.11.2019 – 8 UF 152/19, NJW-RR 2020, 260 (m. Anm. Mankowski,
NZFam 2020, 136); KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215) = IPRax 2016, 372;
OLG Karlsruhe v. 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565; öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/
12y, IPRax 2014, 183 (186) (m. Anm. Heindler, IPRax 2014, 201); Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464
(478); Roth/Döring, FuR 1999, 195 (199 ff.); Andrae, IPRax 2006, 82 (83); Schulz, FamRZ 2011,
156 (158 f.); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 438 ff. m.w.N. Ebenso zum MSA im Verhältnis zur
Türkei OLG Stuttgart v. 12.4.2012 – 17 UF 22/12, FamRZ 2013, 49 (50) = IPRax 2013, 441 (m.
Anm. Gruber, IPRax 2013, 409).
6 KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215) (m. Anm. Heiderhoff, IPRax 2016, 335);
OLG Saarbrücken v. 26.8.2015 – 9 UF 59/15, NZFam 2016, 528 m. Anm. Breidenstein; OLG Karls-
ruhe v. 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565; öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax
2014, 183 (185); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 18.
7 Rechtskraft der getroffenen Schutzmaßnahme ist für die Anwendung von Art. 14 KSÜ nicht erfor-
derlich, vgl. öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183 (186) (m. Anm. Heindler,
IPRax 2014, 201).

Hausmann | 913
§ 6 Rz. 6.1124 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ihre Wirkung, bis die nunmehr zuständigen Behörden sie ändern, ersetzen oder aufheben
(Art. 14 KSÜ). Weitere Zuständigkeiten sind zugunsten des Staates, in dem ein Eheverfahren
(Scheidung, Trennung, Aufhebung) der Eltern des Kindes anhängig ist (Art. 10 KSÜ)1, sowie
für dringliche und vorläufige Schutzmaßnahmen – auf das Hoheitsgebiet des sie erlassenden
Staates beschränkte zugunsten des Kindes vorgesehen (Art. 11, 12 KSÜ)2.

cc) Familiengerichtliche Genehmigung


6.1125 Da es sich bei der familiengerichtlichen Genehmigung von Verträgen eines Minderjährigen,
die von seinen Eltern oder einem Vormund/Pfleger als gesetzlichen Vertretern abgeschlossen
werden (vgl. im deutschen Recht §§ 1643, 1821 ff. BGB), um eine Maßnahme zur gesetzlichen
Vertretung des Kindes und zu seinem Schutz im Zusammenhang mit der Verwaltung und Er-
haltung seines Vermögens (Art. 1 Abs. 2 lit. c und e EuEheVO) handelt3, beurteilt sich die
internationale Zuständigkeit der mitgliedschaftlichen Gerichte vorrangig nach Maßgabe der
Art. 8–13 EuEheVO (vgl. Rz. 6.1120 f.)4. Danach sind die deutschen Gerichte für die Ertei-
lung einer solchen Genehmigung nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO immer dann international zu-
ständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

6.1126 Nur wenn weder die deutschen Gerichte noch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats der
EU (mit Ausnahme Dänemarks) nach Art. 8–13 EuEheVO international zuständig sind, also
insbesondere bei gewöhnlichem Aufenthalt des Minderjährigen in einem Drittstaat, kann sich
eine sog. Restzuständigkeit der deutschen Gerichte gem. Art. 14 EuEheVO entweder aus dem
KSÜ (Art. 5 ff.) oder aus dem autonomen deutschen Verfahrensrecht ergeben5. Nach letzte-
rem sind die deutschen Familiengerichte zur Erteilung der Genehmigung gem. § 99 Abs. 1
FamFG international zuständig, wenn der Minderjährige entweder Deutscher ist (S. 1 Nr. 1)
oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (S. 1 Nr. 2) oder der Fürsorge durch ein
deutsches Gericht bedarf (S. 2)6.

6.1127 Dass die gesetzliche Vertretung sich gem. Art. 16 KSÜ nach deutschem materiellen Recht be-
urteilt, ist für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte weder er-
forderlich noch ausreichend7. Bei ausländischen Kindern, die sich im Ausland aufhalten, be-
steht allerdings im Allgemeinen kein Bedürfnis für ein Eingreifen der deutschen Familien-
gerichte8. Etwas anderes kann dann gelten, wenn das in der Sache anwendbare deutsche Recht

1 Dazu KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215 f.); Hausmann, IntEuFamR F
Rz. 476a ff.
2 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 490 ff., 499 ff. m.w.N.
3 Vgl. EuGH v. 6.10.2015 – C-404/14, ECLI:EU:C:2015:653 (Matouskova), NJW 2016, 387 (Rz. 28 ff.);
EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710 (Gogova/Iliev), NJW 2016, 1007 (Rz. 26).
4 Anders OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.2012 – 5 UF 187/12, FamRZ 2013, 1225, das auf Art. 5 KSÜ
abstellt.
5 BGH v. 30.9.2015 – XII ZB 635/14, FamRZ 2015, 2147 (Rz. 16) m. Anm. Giers (VR China); OLG
Bremen v. 20.6.2017 – 4 UF 20/17, NJW-RR 2017, 1155 (Rz. 15) (Mexiko); OLG Jena v. 30.8.2001
– 1 UF 303/01, IPRspr. 2001 Nr. 207; AG Ludwigshafen v. 19.6.2012 – 5g F 303/11, IPRspr. 2012
Nr. 246; dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 229, 568 ff.
6 Vgl. dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 578 ff.
7 Vgl. schon zum früheren Recht Soergel/Kegel Art. 19 EGBGB Rz. 102 m.w.N.
8 RG v. 28.3.1931, JW 1932, 588 m. Anm. Frankenstein (Internationale Zuständigkeit der deutschen
Vormundschaftsgerichte für die Erteilung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur
Belastung deutschen Grundvermögens durch den gesetzlichen Vertreter italien. Minderjähriger
abgelehnt, weil sämtliche Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hatten).

914 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1129 § 6

die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der Erteilung einer familiengerichtlichen Geneh-
migung abhängig macht und weder die Behörden des Aufenthaltsstaates noch die Heimatbe-
hörden diese Genehmigung erteilen wollen bzw. können1.

d) Anwendbares Recht
aa) Schutzmaßnahmen
(1) Gleichlaufprinzip
Für die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht das KSÜ – wie schon das MSA2 – vom Grund- 6.1128
satz des Gleichlaufs von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht aus: Gemäß
Art. 15 Abs. 1 KSÜ wenden die nach Art. 5–14 KSÜ zuständigen Behörden auf von ihnen zu
treffende Schutzmaßnahmen ihr eigenes Recht an (lex fori-Prinzip)3. Deutsche Gerichte ent-
scheiden demgemäß stets auf der Grundlage des deutschen Kindschaftsrechts. Dieses regelt so-
wohl die Voraussetzungen wie den Inhalt und die Wirkungen der zu treffenden Schutzmaßnah-
men4. Gleiches gilt für die Abänderung einer getroffenen Schutzmaßnahme5. Auf diese Weise
wird deren Anordnung in Fällen mit Auslandsberührung erleichtert und beschleunigt, weil die
häufig schwierige kollisionsrechtliche Prüfung entfällt6. Ferner verzichtet das KSÜ auch auf den
in Art. 3 MSA noch enthaltenen Vorbehalt zugunsten eines gesetzlichen Gewaltverhältnisses
nach dem Heimatrecht des Kindes, der bei der Anwendung des Gleichlaufgrundsatzes nach
Art. 2 MSA zu erheblichen Anwendungs- und Auslegungsproblemen geführt hatte7.

Art. 15 Abs. 1 Abs. 1 KSÜ führt, wenn das Gericht seine Zuständigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 6.1129
KSÜ auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes stützt, in Übereinstimmung mit Art. 21
EGBGB zur Anwendung des Aufenthaltsrechts des Kindes. Auf die Staatsangehörigkeit des Kin-
des oder der Eltern kommt es dabei nicht an; deutsches Recht gilt daher insbesondere auch für
Schutzmaßnahmen zugunsten von sich im Inland aufhaltenden unbegleiteten Flüchtlingskin-
dern aus Drittstaaten8. Da Art. 15 Abs. 1 KSÜ die Geltung des Gleichlaufgrundsatzes indessen –
im Interesse der Erleichterung der Rechtsanwendung9 – nicht auf die Fälle des Art. 5 Abs. 1
KSÜ beschränkt, sondern ihn auf sämtliche Zuständigkeiten des Kapitels II ausdehnt, kann die

1 Vgl. Kegel in Soergel, Art. 19 EGBGB Rz. 99.


2 Vgl. BGH v. 26.9.2007 – XII ZB 220/06, FamRZ 2007, 1969 (1970); BGH v. 15.12.2004 – XII ZB
166/03, FamRZ 2005, 344 (345).
3 OLG Köln v. 8.12.2016 – 25 UF 109/16, FamRZ 2017, 1514 (1515) m. Anm. Menne; OLG Karls-
ruhe v. 16.1.2015 – 5 UF 202/14, FamRZ 2015, 1723 und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/
12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 13); OLG Hamm v. 2.2.2011 – II-8 UF 98/10, FamRZ 2012, 143; Beni-
cke, IPRax 2013, 44 (49); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1069; Hausmann, IntEuFamR F
Rz. 626 ff.; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 38.
4 Staudinger in MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 7 ff.
5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1078.
6 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 100; Benicke in NK BGB, Art. 15 KSÜ
Rz. 1.
7 Staudinger in MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 10.
8 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 458 (Rz. 20) m. Anm. Hüßtege; OLG Branden-
burg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/19, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 13); OLG Hamm v. 23.10.2018 – 9 UF
104/18, BeckRS 2018, 31142 (Rz. 15 ff.) = NJW-RR 2019, 262; OLG Celle v. 4.6.2018 – 10 WF 86/
18, BeckRS 2018, 10950; OLG Karlsruhe v. 17.1.2018 – 18 UF 185/17, BeckRS 2018, 1556, v.
26.8.2015 – 18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182 (Rz. 17) und v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ
2013, 1238 (Rz. 13); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 18.
9 Lagarde-Bericht Rz. 87; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 1070.

Hausmann | 915
§ 6 Rz. 6.1129 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Kollisionsregel auch zur Anwendung eines vom Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes
abweichenden Rechts führen1. Dies gilt insbesondere dann, wenn das angerufene Gericht Maß-
nahmen auf die Staatsangehörigkeit des Kindes (Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 lit. a KSÜ), den Zusam-
menhang mit einem anhängigen Scheidungs- oder Trennungsverfahren (Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
lit. c und Art. 10 KSÜ) oder die Belegenheit von Kindesvermögen (Art. 11 KSÜ) stützt.

6.1130 Noch immer umstritten ist, ob Art. 15 Abs. 1 KSÜ auch dann Anwendung finden kann, wenn
das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht auf Art. 5 ff. KSÜ, sondern – wie
regelmäßig in den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Dänemarks) – auf Art. 8 ff. EuEheVO
stützt. Hierzu wird teilweise unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 (... „bei der Aus-
übung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II“) und die Systematik des KSÜ eine Anwendung des
lex fori-Prinzips in Anknüpfung an eine nur aufgrund der EuEheVO bestehende internationale
Zuständigkeit abgelehnt und zur Bestimmung des anwendbaren Rechts weiterhin auf Art. 21
EGBGB zurückgegriffen, wenn die Zuständigkeit nicht zumindest hypothetisch auch aus Art. 5 ff.
KSÜ folgt2. Demgegenüber hat sich inzwischen zu Recht die Gegenauffassung durchgesetzt, die
Art. 15 KSÜ in jedem Fall anwendet, in dem Gerichte eines Vertragsstaats Maßnahmen zum
Schutz eines Kindes i.S.v. Art. 3 KSÜ treffen. Die Anwendung der lex fori hängt also nicht davon
ab, ob im konkreten Fall auch eine Zuständigkeit nach Art. 5 ff. KSÜ begründet gewesen wäre;
vielmehr reicht es hierfür auch aus, dass sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen
Gerichts allein aus den Art. 8 ff. EuEheVO ergibt, weil ansonsten der Gleichlaufgrundsatz des
Art. 15 Abs. 1 KSÜ in den Mitgliedstaaten der EuEheVO häufig leerliefe3.Für diese Lösung spre-
chen einerseits Praktikabilitätserwägungen, weil ein deutsches Gericht andernfalls nach der Prü-
fung seiner internationalen Zuständigkeit auf der Grundlage der Art. 8–14 EuEheVO allein zum
Zwecke der Ermittlung des anwendbaren Rechts jeweils noch hypothetisch seine Zuständigkeit
auch nach Maßgabe der Art. 5–12 KSÜ feststellen müsste. Andererseits erfordert auch das Kin-
deswohl eine rasche und unkomplizierte kollisionsrechtliche Prüfung4. Nach beiden Auffassun-
gen ist Art. 15 KSÜ jedenfalls in Verfahren vor deutschen Gerichten anwendbar, wenn das Kind
seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Art. 8 Abs. 1 EuEheVO, Art. 5 Abs. 1 KSÜ)5.

1 Lagarde-Bericht, Rz. 87; Rauscher in Rauscher, Art. 8 EuEheVO Rz. 9; Hilbig-Lugani in Rauscher,
Art. 15 KSÜ Rz. 5; Gruber in NK BGB, Art. 8 EuEheVO Rz. 19.
2 So noch Hausmann, EuLF 2000/01, 345 (353); Solomon, FamRZ 2004, 1409 (1416); Schulz, FPR
2004, 299 (301); Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 10, 81; Rauscher in Rauscher, Art. 8
EuEheVO Rz. 24 f.; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 15.
3 OLG Köln v. 8.12.2016 – 25 UF 109/16, FamRZ 2017, 1514 (1515); OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 –
18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182 = NZFam 2015, 1028 m. Anm. Kemper; OLG Karlsruhe v.
16.1.2015 – 5 UF 202/14, FamRZ 2015, 1723 und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12,
NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 11); AG Otterndorf v. 28.9.2011 – 7 F 226/11 S, FamRZ 2012, 1140
(1141); Wagner/Janzen, FPR 2011, 110 (111); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Thorn in Palandt,
Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 21; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 39; Staudinger in
MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 2; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 10; Gruber in NK
BGB, Art. 8 EuEheVO Rz. 10 und Art. 61 EuEheVO Rz. 13 ff.; Geimer in Zöller, Art. 8 EuEheVO
Rz. 18 ff.; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 616 m.w.N. Zust. auch Andrae, IPRax, 2006, 82 (87 f.);
Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 103, die die Anwendbarkeit von Art. 15 KSÜ allerdings auf Fälle be-
schränkt, in denen das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU hat.
4 Benicke in NK BGB, Art. 1 KSÜ Rz. 21 f.
5 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, BGHZ 217, 165 (Rz. 20) = FamRZ 2018, 457 m. Anm. Hüß-
tege; OLG Brandenburg v. 15.8.2019 – 13 UF 79/19, BeckRS 2019, 21001 (Rz. 8); OLG Bamberg v.
12.5.2016 – 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 (Rz. 18); OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15,
NJW 2016, 87 (Rz. 17 f.) und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238
(Rz. 11).

916 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1132 § 6

(2) Ausweichklausel
Der starre Vorbehalt zugunsten gesetzlicher Gewaltverhältnisse nach dem Heimatrecht des 6.1131
Kindes in Art. 3 MSA wird in Art. 15 Abs. 2 KSÜ durch eine offen formulierte Ausweichklau-
sel ersetzt, die den Gerichten der Vertragsstaaten eine gewisse Flexibilität bei der Bestimmung
des in der Sache anwendbaren Rechts einräumt. Danach gilt der Gleichlaufgrundsatz nicht
zwingend; vielmehr kann das Gericht ausnahmsweise auch das Recht eines anderen Staates
anwenden oder berücksichtigen, zu dem der Sachverhalt eine enge Beziehung hat, soweit der
Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes dies erfordern1. Dies kann – wie Art. 20
KSÜ klarstellt – auch das Recht eines Drittstaats sein. Unter „Berücksichtigung“ ist die Be-
achtung ausländischen Rechts i.R.d Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten
Rechtsbegriffen der „angewandten“ lex fori zu verstehen2. Die Verweisung nach Art. 15 Abs. 2
KSÜ auf ausländisches Recht ist in jedem Fall Sachnormverweisung, weil die in Art. 21 Abs. 2
KSÜ normierte Ausnahme nur für die Anknüpfung der elterlichen Verantwortung kraft Ge-
setzes nach Art. 16 KSÜ gilt.

Da Art. 15 Abs. 2 KSÜ nach dem ausdrücklichen Wortlaut eine Ausnahme vom Gleichlauf- 6.1132
grundsatz des Abs. 1 bildet, ist von der Ausweichklausel nur zurückhaltend Gebrauch zu ma-
chen3, auch wenn – anders als z.B. in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO/Rom II-VO – keine „offensicht-
lich“ engere Verbindung mit einem anderen Recht gefordert wird. Wird ein Gericht im Staat
des gewöhnlichen oder schlichten Kindesaufenthalts nach Art. 5, 6 KSÜ (bzw. Art. 8, 13 EuE-
heVO) angerufen, so kann zur Konkretisierung der von Art. 15 Abs. 2 KSÜ vorausgesetzten
„engen Verbindung“ des Kindes zu einer von der lex fori des angerufenen Gerichts abwei-
chenden Rechtsordnung auf die Kriterien des Art. 8 Abs. 2 KSÜ Bezug genommen werden. In
Betracht kommt daher eine Anwendung des Heimatrechts des Kindes, z.B. wenn das Kind in
einer im Aufenthaltsstaat noch nicht integrierten Familie nach den Sitten und Gebräuchen
seines Heimatrechts erzogen wird4 oder wenn eine baldige Rückkehr des Kindes in seinen
Heimatstaat bevorsteht5. Denkbar ist auch eine Anwendung der lex rei sitae, wenn Schutz-
maßnahmen für das in einem anderen Staat belegene Kindesvermögen angeordnet werden
sollen (z.B. für die Bestellung eines nur dort tätigen Verwalters)6. Schließlich kann auch der
Umstand, dass ein Eheverfahren der Eltern des Kindes in einem anderen Vertragsstaat anhän-
gig ist, die Anwendung der Ausweichklausel begründen. Noch näher liegt eine Anwendung
der Ausweichklausel freilich im umgekehrten Fall, d.h. wenn Maßnahmen bei einem Gericht
außerhalb des gewöhnlichen Aufenthaltsstaats des Kindes (z.B. bei dem im der Ehesachen
nach Art. 10 KSÜ/Art. 12 Brüssel IIa-VO angerufenen Gericht) beantragt werden. Denn für
diesen Fall ermöglicht es Art. 15 Abs. 2 KSÜ dem Gericht, unter Verzicht auf die Verfahrens-
erleichterung durch Anwendung seiner lex fori das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des
Kindes zugrunde zu legen, wenn dort der Schwerpunkt der von der beantragten Maßnahme
betroffenen Rechtsbeziehungen liegt7.

1 Vgl. zu einem Anwendungsfall von Art. 15 Abs. 2 KSÜ in der Praxis OLG Koblenz v. 19.3.2018 –
9 WF 607/17, FamRZ 2019, 367 (368); s. auch von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 1079.
2 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 19; vgl. näher Hausmann, IntEuFamR, F Rz. 629 ff.
3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 102; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24
EGBGB Rz. 19; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 106.
4 Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (489).
5 Lagarde-Bericht Rz. 89; Benicke in NK BGB, Art. 15 KSÜ Rz. 5.
6 Vgl. dazu den Lagarde-Bericht Rz. 89; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (488).
7 Lagarde-Bericht Rz. 89; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 41; Andrae, IntFamR, § 9
Rz. 106.

Hausmann | 917
§ 6 Rz. 6.1133 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(3) Wirkungen von Schutzmaßnahmen


6.1133 Art. 15 KSÜ enthält zwar – anders als Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 4 Abs. 2 S. 2 MSA – keine
ausdrückliche Regelung zu den rechtlichen Wirkungen der getroffenen Schutzmaßnahmen;
eine Änderung gegenüber dem MSA ist damit jedoch nicht bezweckt. Die lex fori des anord-
nenden Gerichts bestimmt daher auch unter Geltung des KSÜ über den Inhalt und Umfang
der gesetzlichen Vertretungsbefugnisse der gerichtlich bestimmten Sorgeberechtigten (Eltern,
Vormund, Ergänzungspfleger); sie ist insbesondere auch dafür maßgebend, unter welchen Vo-
raussetzungen der gesetzliche Vertreter einer vormundschafts- oder familiengerichtlichen Ge-
nehmigung für den Abschluss von Verträgen im Namen des Minderjährigen bedarf1. Wurde
daher die elterliche Verantwortung durch ein deutsches Gericht einem Elternteil allein zuge-
wiesen oder wurde zur Vertretung eines ausländischen Minderjährigen ein Vormund oder
Pfleger von dem nach Art. 8 ff. EuEheVO zuständigen deutschen Gericht bestellt, so richtet
sich auch das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung nach deutschem Recht;
für den sorgeberechtigten Elternteil oder den Vormund gelten daher die Beschränkungen der
(§ 1643 i.V.m.) §§ 1821 ff. BGB. Im Falle eines Aufenthaltswechsels des Kindes ist für das Ge-
nehmigungserfordernis im Hinblick auf Art. 15 Abs. 3 KSÜ das Recht des neuen Aufenthalts-
staates maßgebend2.

bb) Vertretung Minderjähriger kraft Gesetzes


(1) Allgemeines
6.1134 Demgegenüber beurteilt sich die Vertretung Minderjähriger kraft Gesetzes seit dem Inkraft-
treten des KSÜ nicht mehr nach dem autonomen Kollisionsrecht des angerufenen Gerichts,
sondern in allen Vertragsstaaten einheitlich nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt
des Kindes (Art. 16, 17 KSÜ). Die Möglichkeit einer Rechtswahl sieht das KSÜ auf dem Ge-
biet der elterlichen Verantwortung nicht vor. Die Kollisionsnormen des Übereinkommens gel-
ten nach Art. 20 KSÜ als „loi uniforme“, d.h. auch dann, wenn das von ihnen bestimmte Recht
dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist3. Damit wird Art. 21 EGBGB bezüglich des auf die el-
terliche Sorge kraft Gesetzes anwendbaren Rechts durch Art. 16 KSÜ vollständig verdrängt,
wenn der (noch nicht 18-jährige) Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
oder in einem anderen Vertragsstaat des KSÜ hat. Der Unterschied ist freilich im Ergebnis
gering, weil beide Vorschriften übereinstimmend an das Recht des gewöhnlichen Kindesauf-
enthalts anknüpfen. Im Verhältnis der Vertragsstaaten des MSA zueinander wird auch Art. 3
MSA seit dem 1.1.2011 durch Art. 16, 17 KSÜ verdrängt (Art. 51 KSÜ)4.

6.1135 Abweichungen ergeben sich allerdings bezüglich der Beachtung einer Rück- oder Weiterver-
weisung. Wird nämlich auf das Recht eines Vertragsstaats des KSÜ verwiesen, so ist künftig –
anders als bisher nach Art. 21 EGBGB – dessen Sachrecht anzuwenden (Art. 21 Abs. 1 KSÜ).

1 OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.2012 – 5 UF 187/12, FamRZ 2013, 1225; Hausmann, IntEuFamR, F
Rz. 636 f.; vgl. auch zur Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung durch einen
Verfahrenspfleger EuGH v. 6.10.2015 – C-404/14, ECLI:EU:C:2015:653 (Matouskova), ZEV 2016,
147 (Rz. 27 ff.) m. Anm. Hilbig-Lugani, NZFam 2015, 1030; abw. Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 129,
die Art. 17 KSÜ auch auf die Ausübung der durch eine gerichtliche Schutzmaßnahme eingeräum-
ten gesetzlichen Vertretungsmacht anwendet.
2 Lagarde-Bericht, Rz. 91; Benicke in NK, Art. 15 KSÜ Rz. 15.
3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 106. Vgl. zur Türkei Dutta, FamRZ 2016,
146.
4 OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634).

918 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1136 § 6

Verweist Art. 16 KSÜ hingegen auf das Recht eines Nichtvertragsstaats, so ist eine Weiterver-
weisung auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaats, der diese Verweisung annimmt,
nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ zu beachten1. Nimmt jener Staat die (Weiter-)Verweisung nicht an,
so verbleibt es hingegen bei der Anwendung des Sachrechts des Staates, in dem das Kind sei-
nen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gleiches gilt auch dann, wenn das von Art. 16 KSÜ zur
Anwendung berufene Recht eines Nichtvertragsstaats auf deutsches Recht zurück- oder auf
das Recht eines anderen Vertragsstaats weiterverweist. Soweit schließlich die nach Art. 5 ff.
KSÜ für die Anordnung von Schutzmaßnahmen international zuständigen Behörden aus-
nahmsweise nicht die lex fori, sondern gemäß Art. 15 Abs. 2 KSÜ ausländisches Recht anwen-
den, handelt es sich in jedem Fall um eine Sachnormverweisung.

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird im KSÜ ebenso wenig wie im MSA definiert; 6.1136
er ist jedoch ebenso wie in Art. 1 MSA und in anderen kindschafts- und unterhaltsrechtlichen
Haager Übereinkommen zu verstehen. Herangezogen werden kann außer der bisherigen Pra-
xis zu Art. 1 MSA auch die Rechtsprechung zu Art. 8 Abs. 1 EuEheVO2 und zum autonomen
deutschen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, weil diese sich maßgeblich an den
Vorgaben der Haager Übereinkommen orientiert3. Zur körperlichen Anwesenheit des Kindes
in einem Vertragsstaat müssen danach weitere Kriterien hinzutreten, aus denen sich entneh-
men lässt, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit
handelt, der Aufenthalt vielmehr Ausdruck einer gewissen Integration des Kindes in ein sozia-
les und familiäres Umfeld ist. Diese Integration ist für das Kind selbst – und nicht für den
jeweiligen Sorgeberechtigten – an Hand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles im
Wege einer Gesamtbetrachtung festzustellen. Dabei sind insbesondere die Dauer und die
Gründe für diesen Aufenthalt, sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes (Fa-
milie, Kindergarten/Schule, Freundschaften etc.) in dem betreffenden Staat zu berücksichti-
gen. Maßgebend ist also der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes4. Im Falle
eines Umzugs von einem Vertragsstaat in einen anderen erwirbt das Kind daher erst dann
einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn es an dem neuen Aufenthaltsort sozial integriert
ist. Davon ist i.d.R. erst nach einer sechsmonatigen Aufenthaltsdauer auszugehen5. Dabei han-
delt es sich jedoch nur um eine Faustregel, von der im Einzelfall nach oben oder unten abge-
wichen werden kann6. Diese Faustregel gilt auch in Fällen der Kindesentführung; die Begrün-
dung des gewöhnlichen Aufenthalts hängt also nicht davon ab, dass der Aufenthaltswechsel
rechtmäßig erfolgt ist7. Ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes ist auch im Rah-

1 Lagarde-Bericht Rz. 116; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (487); krit. Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 120.
2 Dazu ausf. Hausmann, IntEuFamR, F Rz. 87 ff.
3 Siehr, RabelsZ 1998, 464 (478); Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 7; Stürner in Erman, Anh. zu
Art. 24 EGBGB Rz. 17.
4 Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 7; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D
47; vgl. auch (zu Art. 1 MSA) BGH v. 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 (295 ff.) =
IPRax 1981, 139 (m. Anm. Henrich, IPRax 1981, 1251); BGH v. 18.6.1997 – XII ZB 156/96,
FamRZ 1997, 1070; OLG Hamm v. 16.5.1991 – 4 UF 8/91, NJW 1992, 636 (637) = FamRZ 1991,
1466 m. Anm. Henrich; vgl. auch (zum HKÜ) OLG Frankfurt a.M. v. 15.2.2006 – 1 WF 331/05,
FamRZ 2006, 883 m.w.N.
5 Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 9; vgl. BGH v. 18.6.1997 – XII ZB 156/96, FamRZ 1997, 1070;
OLG Köln v. 13.11.1990 – 4 UF 153/90, FamRZ 1991, 363 (364).
6 Vgl. OLG Saarbrücken v. 26.8.2015 – 9 UF 59/15, IPRspr. 2015 Nr. 245 (Rz. 19 ff.); OLG Hamm v.
24.6.1996 – 12 WF 130/96, NJW-RR 1997, 5 (6); Baetge, IPRax 2001, 573 (575).
7 Vgl. zu Art. 1 MSA BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 186/03, BGHZ 163, 248 = FamRZ 2005, 1541;
BGH v. 5.6.2002 – XII ZB 74/00, NJW 2002, 2955; OLG Hamm v. 24.6.1996 – 12 WF 130/96,
NJW-RR 1997, 5 (6), jeweils zum MSA m.w.N.

Hausmann | 919
§ 6 Rz. 6.1136 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

men des KSÜ nicht anzuerkennen. Lebt das Kind daher entsprechend der Vereinbarung der
Eltern abwechselnd im Aufenthaltsstaat der Mutter und des Vaters, ändert sich jeweils auch
sein gewöhnlicher Aufenthalt1.

(2) Elterliche Verantwortung kraft Gesetzes


6.1137 Die Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, gilt gem. Art. 16 Abs. 1 KSÜ zunächst für die gesetzliche Zuweisung (vgl. im deutschen
Recht §§ 1626, 1626a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BGB) und das Erlöschen der elterlichen Verant-
wortung kraft Gesetzes (z.B. durch Tod oder Todeserklärung eines Elternteils, vgl. im deut-
schen Recht § 1680 Abs. 1, § 1681 Abs. 1 BGB, oder durch Volljährigkeit des Kindes), d.h.
ohne dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde eine diesbezügliche (rechtsgestaltende)
Regelung trifft2. Daher bestimmt sich auch die Frage, ob die elterliche Sorge nach einer Tren-
nung oder Scheidung der Ehe weiterhin beiden Eltern gemeinsam zusteht, nach dem Recht
am gewöhnlichen Kindesaufenthalt; auf die Staatsangehörigkeit des Kindes oder diejenige sei-
ner Eltern kommt es nicht an. Beschränkt sich ein Gericht daher auf die rein deklaratorische
Feststellung dieses kraft Gesetzes (fort-)bestehenden Sorgerechts, so ist dies keine Maßnahme
i.S.v. Art. 15 KSÜ, sondern es gilt das von Art. 16 KSÜ zur Anwendung berufene Recht3.

6.1138 Die Verweisung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ erstreckt sich – entgegen dem zu eng gefassten
Wortlaut der Vorschrift – ferner auf den Inhalt der elterlichen Verantwortung, d.h. auf die
Rechte und Pflichten derjenigen Personen, denen die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes
zusteht; dies folgt aus der umfassenden Definition der elterlichen Verantwortung in Art. 1
Abs. 2 KSÜ4. Das von Art. 16 Abs. 1 KSÜ für anwendbar erklärte Recht bestimmt daher nicht
nur, wer kraft Gesetzes Inhaber der elterlichen Verantwortung für ein Kind ist, sondern auch,
welche Aufgaben und Befugnisse dieser Träger der elterlichen Verantwortung hat. Dieses
Recht beherrscht insbesondere die Vermögenssorge für das Kind, z.B. die Fragen, ob das
Kind für die in seinem Namen durch die Eltern begründeten Verbindlichkeiten haftet, ob die
Eltern für Pflichtverletzungen dem Kind gegenüber haften5, ob die Eltern für das Kind eine
Erbschaft ausschlagen dürfen oder müssen6, oder ob ihnen kraft Gesetzes ein Nutznießungs-
recht am Kindesvermögen zusteht. Darüber hinaus unterliegen dem von Art. 16 KSÜ zur An-
wendung berufenen Recht alle mit der gesetzlichen Vertretung des Kindes zusammenhän-
genden Fragen, wie insbesondere deren Beschränkungen durch das Erfordernis vormund-
schafts- oder familiengerichtlicher Genehmigungen (Rz. 6.1148 ff.)7. Vgl. zur Ausübung der
elterlichen Verantwortung aber Art. 17 KSÜ; dazu Rz. 6.1146 f.

6.1139 Art. 16 KSÜ gilt nicht nur – wie bisher Art. 21 EGBGB – im Eltern-Kind-Verhältnis, sondern
bestimmt auch, wer kraft Gesetzes für das Kind verantwortlich ist, wenn dieses keine Eltern

1 Baetge, IPRax 2001, 573 (575); Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 11.
2 OLG Karlsruhe v.5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 17); Lagarde-Bericht,
Rz. 91 ff.; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 44.
3 OGH Fürstentum Liechtenstein v. 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542 (m. Anm. Hohloch,
IPRax 2010, 567 [571 f.]); Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 108; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24
EGBGB Rz. 22.
4 Benicke in NK-BGB, Art. 16 KSÜ Rz. 1; Staudinger in MünchKomm, Art. 16 KSÜ Rz. 6.
5 Vgl. BGH v. 7.4.1993 – XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305 (2306 (zu Art. 19 EGBGB a.F.).
6 OLG Koblenz v. 19.3.2018 – 9 WF 607/17, FamRZ 2019, 367 (368) = IPRax 2019, 539 (m. Anm.
Looschelders, IPRax 2019, 510).
7 Vgl. OLG Stuttgart v. 10.4.1996 – 11 U 20/96, NJW-RR 1996, 1288 (zu Art. 21 EGBGB).

920 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1141 § 6

hat oder diese von der elterlichen Verantwortung ausgeschlossen sind. Das Recht am gewöhn-
lichen Aufenthalt des Kindes entscheidet daher über die Entstehung und den Inhalt gesetzli-
cher Vormundschaften sowie über eine die elterliche Sorge oder Vormundschaft ergänzende
Beistandschaft, wie z.B. diejenige des Jugendamts nach §§ 1712 ff. BGB auf Antrag eines El-
ternteils.

Die Anknüpfung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ ist wandelbar, so dass sich das Sorgerechtsstatut 6.1140
mit der Verlegung des gewöhnlichen Kindesaufenthalts in einen anderen Staat ex nunc ändert;
es kommt mithin auf den jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes an1. Wer mit der
Geburt des Kindes die elterliche Verantwortung erwirbt, beurteilt sich daher nach dem Recht
des Staates, in dem das Kind nach dem Willen seiner Eltern seinen ersten Lebensmittelpunkt
hat; dies ist nicht notwendig der Geburtsort (z.B. wenn die Mutter sich nur zur Entbindung in
eine ausländische Klinik begeben hat). Ob und wie sich später eintretende Ereignisse – z.B.
die Heirat der Eltern oder die Anerkennung der Vaterschaft zu einem außer der Ehe gebore-
nen Kind – auf die elterliche Verantwortung auswirken, bestimmt sich dann nach dem Recht
des Staates, in dem das Kind sich bei Eintritt dieses Ereignisses gewöhnlich aufhält2. Art. 16
Abs. 1 KSÜ schließt allerdings nicht aus, dass ein Recht, das erst nach einem Aufenthalts-
wechsel des Kindes anwendbar geworden ist, auch Ereignissen rechtliche Bedeutung beimisst,
die bereits unter Geltung eines früheren Aufenthaltsrechts des Kindes eingetreten sind. Hat
eine Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt daher erst nach der Anerkennung der Vaterschaft
aus einem anderen Staat nach Deutschland verlegt, so bestimmt nunmehr das neue deutsche
Aufenthaltsrecht darüber, ob das Vaterschaftsanerkenntnis dem nicht mit der Mutter verhei-
rateten Vater auch die elterliche Sorge verschafft hat3. Die mit der Wandelbarkeit des Sor-
gerechtsstatuts verbundene Rechtsunsicherheit4 wird allerdings unter der Geltung des KSÜ
durch Art. 16 Abs. 2 bis Abs. 4 sowie Art. 19 KSÜ begrenzt.

(3) Elterliche Verantwortung kraft Vereinbarung


Das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes entscheidet nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ auch 6.1141
über die Wirksamkeit der Zuweisung oder des Erlöschens der elterlichen Verantwortung
durch eine zwischen den Eltern getroffene Vereinbarung (z.B. eine Sorgerechtsregelung im
Rahmen einer Scheidungsvereinbarung) oder durch einseitiges Rechtsgeschäft eines Elternteils
Rechtsgeschäft (z.B. den Verzicht auf die Ausübung eines Mitsorge- oder Umgangsrechts)5.
Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung oder die einseitige Erklärung durch eine Behörde
beurkundet oder gegenüber einer Behörde abgegeben werden muss, wie dies im deutschen
Recht für die Sorgeerklärungen unverheirateter Eltern nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB zu-
trifft6. Ist die Mitwirkung der Behörde hingegen nicht nur aus formellen Gründen vor-

1 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 32) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker;
OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 17); Finger, FamRBInt 2010,
95 (99); Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Schwarz, NDV 2011, 39 (40); Heiderhoff in BeckOK
BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 19. Gleiches gilt auch i.R.v. Art. 21 EGBGB, vgl. Henrich, FamRZ 1998,
1401 (1404) m.w.N.
2 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 107; Benicke in NK BGB, Art. 16 KSÜ
Rz. 3.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 100; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 109; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 649.
4 Vgl. die Kritik bei Looschelders, IPRax 1999, 420 (423 f.) und 2014, 152 (154).
5 Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 45.
6 KG v. 4.7.2011 – 16 UF 124/11, FamRZ 2011, 1516; AG Pankow/Weißensee v. 11.5.2015 – 15 F
8543/14, FamRZ 2016, 145 m. Anm. Dutta; Benicke in NK BGB, Art. 16 KSÜ Rz. 2.

Hausmann | 921
§ 6 Rz. 6.1141 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

geschrieben, sondern ist sie – z.B. in Gestalt eines Zustimmungserfordernisses – materielle


Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts, so handelt es sich um eine Schutzmaßnah-
me, für die nicht Art. 16, sondern Art. 15 KSÜ maßgebend ist1.

6.1142 Maßgebend für die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung durch Ver-
einbarung oder einseitiges Rechtsgeschäft ist nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ der gewöhnliche Auf-
enthalt des Kindes zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vereinbarung oder das Rechtsgeschäft
wirksam wird. Dies muss nicht bereits der Zeitpunkt sein, zu dem das Rechtsgeschäft vor-
genommen wird2. Wird die elterliche Verantwortung etwa in einer Scheidungsvereinbarung
geregelt, so wird diese i.d.R. erst wirksam, wenn die Scheidung ausgesprochen worden ist3.
Werden Sorgeerklärungen nach deutschem Recht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) von den Eltern
getrennt abgegeben, so werden sie gem. § 1626d BGB erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem
die spätere Erklärung öffentlich beurkundet wird4. Eine vor der Geburt des Kindes abgegebe-
ne Sorgeerklärung (§ 1626b Abs. 2 BGB) wird erst mit der Geburt wirksam5. In all diesen
Fällen wirkt sich eine Verlegung des gewöhnlichen Kindesaufenthalts im Zeitraum zwischen
der Abgabe und der Wirksamkeit der Erklärungen daher auf das anwendbare Recht aus. Glei-
ches gilt dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt erst nach Abgabe der Sorgeer-
klärungen in ein Land verlegt, das wie Deutschland Sorgeerklärungen überhaupt kennt6. Ist
die Elternvereinbarung nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ hingegen wirksam geworden, so behält sie
diese Wirksamkeit aufgrund der Unwandelbarkeit der Anknüpfung auch dann, wenn das
Kind anschließend einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet7.

(4) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes


6.1143 Im Interesse der Kontinuität wirksam begründeter Eltern-Kind-Beziehungen bestimmt Art. 16
Abs. 3 KSÜ, dass die nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes entstandene
elterliche Verantwortung – anders als bisher nach Art. 21 EGBGB8 – auch nach einem Wech-
sel des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen (Vertrags- oder Dritt-) Staat fortbesteht,
und zwar auch dann, wenn nach dem neuen Aufenthaltsrecht eine solche elterliche Verant-
wortung – z.B. das (Mit-)Sorgerecht – kraft Gesetzes nicht entstanden wäre9. Der Grundsatz

1 Lagarde-Bericht, Rz. 103; Benicke, IPRax 2013, 44 (49); Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 113; Pirrung in
Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 109.
2 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1087.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 504; Krah, S. 229.
4 Benicke, IPRax 2013, 44 (50).
5 KG v. 4.7.2011 – 16 UF 124/11, FamRZ 2011, 1516.
6 Vgl. Dutta, FamRZ 2016, 146 (147).
7 Dutta, StAZ 2010, 193 (201).
8 Henrich, FamRZ 1998, 1401 (1404); Finger, FamRBInt. 2010, 95 (100); Heiderhoff in BeckOK
BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 21; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 26.
9 OLG Celle v. 4.6.2018 – 10 WF 86/18, FamRZ 2018, 1436; OLG Frankfurt v. 26.3.2015 – 4 UF
365/14, FamRZ 2015, 1633; OLG Stuttgart v. 6.5.2014 – 17 UF 60/14, FamRZ 2014, 1930 (m.
Anm. Helms, IPRax 2015, 217); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238
(Rz. 23) m. Anm. Heiderhoff und v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 m. Anm. Hen-
rich; Lagarde-Bericht, Rz. 107; Finger, FamRBInt. 2010, 95 [100]; Rauscher, NJW 2011, 2332
(2333); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 20; Thorn
in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23. Ob etwas anderes gilt, wenn der Aufenthaltswechsel
noch vor Inkrafttreten des KSÜ im neuen Aufenthaltsstaat stattgefunden hat, hat der BGH offen-
gelassen, vgl. BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796
m. Anm. Völker. Nach den allgemeinen Grundsätzen zum Statutenwechsel wirkt das Übereinkom-

922 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1145 § 6

der Wandelbarkeit der Anknüpfung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ wird mithin durch Abs. 3 einge-
schränkt. Art. 16 Abs. 3 KSÜ gilt – im Gegensatz zu Abs. 4 – nicht nur für die Zuweisung der
elterlichen Sorge kraft Gesetzes nach Abs. 1, sondern auch für die Zuweisung durch Verein-
barung nach Abs. 2. Für die gerichtlich angeordnete elterliche Verantwortung gilt der entspre-
chende Grundsatz gem. Art. 14 KSÜ. Keine Anwendung findet Art. 16 Abs. 3 KSÜ hingegen
auf die gesetzliche Beistandschaft des Jugendamts nach §§ 1712 ff. BGB; diese endet vielmehr
gem. § 1717 BGB, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt. Ferner
bleiben auch abgeschlossene tatsächliche Vorgänge – z.B. eine Verletzung des Umgangs-
oder Sorgerechts – von einem Statutenwechsel unberührt1.

Praktische Bedeutung erlangt diese Vorschrift insbesondere für die elterliche Sorge von Vä- 6.1144
tern, die mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet sind2. Denn die Voraussetzungen für
den Erwerb der elterlichen Sorge durch solche Väter sind in den einzelnen Staaten noch im-
mer sehr unterschiedlich geregelt. Während Väter, deren Vaterschaft wirksam anerkannt oder
festgestellt worden ist, nach manchen Rechten – z.B. nach französischem (Art. 372 Abs. 1 c.
c.)3 oder italienischem Recht (Art. 317bis c.c.) – die elterliche Sorge kraft Gesetzes automatisch
erlangen, machen andere Staaten – wie das bisherige deutsche Recht – den Erwerb der elterli-
chen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig. Ferner kennen manche Rechte eine
gemeinsame elterliche Sorge unverheirateter Eltern entweder überhaupt nicht oder fordern
hierfür – wie z.B. das österreichische (§ 167 ABGB) oder schweizerische Recht (Art. 298a
ZGB) – eine gerichtliche Zuweisung. Hierzu stellt Art. 16 Abs. 3 KSÜ nunmehr klar, dass die
elterliche Sorge, die nach dem Recht am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes wirk-
sam begründet worden war, allein infolge des Statutenwechsels nicht verloren geht. Hatte der
Vater mit der Anerkennung des Kindes daher nach dem bisherigen Aufenthaltsrecht des Kin-
des die elterliche Sorge erworben, so bleibt diese auch bei einem Umzug der Familie nach
Deutschland erhalten, selbst wenn keine Sorgeerklärungen nach §§ 1626a ff. BGB abgegeben
werden4. Die nach dem von Art. 16 KSÜ berufenen Recht bestehende elterliche Verantwor-
tung kann durch Schutzmaßnahmen der nach Art. 5 ff. KSÜ zuständigen Behörden allerdings
jederzeit geändert oder entzogen werden (Art. 18 KSÜ).

Umgekehrt erwirbt ein Elternteil, der die elterliche Verantwortung nach dem Recht am bishe- 6.1145
rigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes nicht innehatte, diese gem. Art. 16 Abs. 4 KSÜ bei
einem Aufenthaltswechsel des Kindes, wenn ihm das Recht des neuen gewöhnlichen Aufent-
haltsrecht das Sorgerecht kraft Gesetzes zuweist5. Hatte der Vater daher die elterliche Sorge
z.B. nach bisherigem deutschen Recht mangels entsprechender Sorgeerklärung der Mutter

men auf vor seinem Inkrafttreten bereits abgeschlossene Sachverhalte nicht zurück, vgl. OLG
Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 24). Daher bleibt auch ein nach
Art. 3 MSA anzuerkennendes gesetzliches Gewaltverhältnis nach Inkrafttreten des KSÜ bestehen,
bis es nach Art. 18 KSÜ durch die nunmehr zuständigen Behörden aufgehoben oder geändert
wird, vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634).
1 Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 21; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz
16.
2 Lagarde-Bericht, Rz. 107.
3 Vgl. BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 38).
4 OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 f.(Rz. 26) = IPRax 2014, 178 (m.
krit. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152 (Bulgarien); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12,
NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 23); Lagarde-Bericht Rz. 107; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1089;
Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 110; Benicke, IPRax 2013, 44 (50); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159).
5 OLG Stuttgart v. 6.5.2014 – 17 UF 60/14, FamRZ 2014, 1930 (m. Anm. Helms, IPRax 2015, 217);
Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23.

Hausmann | 923
§ 6 Rz. 6.1145 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht erworben, so erlangt er diese infolge eines Aufenthalts-
wechsels des Kindes automatisch, wenn er hierfür nach dem neuen (z.B. italienischen) Aufent-
haltsrecht weder einer Zustimmung der Mutter bedarf noch eine Sorgeerklärung abgeben
muss. Entsprechend erwirbt die Mutter bei einem Aufenthaltswechsel der Familie aus einem
islamischen Land nach Deutschland die Mitsorge kraft Gesetzes, wenn das Sorgerecht nach
dem bisherigen Aufenthaltsrecht nur dem Vater zustand1. Der Aufenthaltswechsel des Kindes
erweitert mithin u.U. den Kreis der kraft Gesetzes (Mit-)Sorgeberechtigten, schränkt ihn aber
keinesfalls ein2.

(5) Ausübung der elterlichen Verantwortung


6.1146 Art. 16 KSÜ regelt – wie gezeigt (Rz. 6.1139) – neben der Zuweisung und dem Erlöschen
auch den Inhalt der elterlichen Verantwortung. Für deren „Ausübung“ enthält Art. 17 KSÜ
hingegen eine eigenständige Kollisionsnorm, die allerdings in Satz 1 ebenfalls auf das Recht
am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes verweist. Solange das Kind seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in dem Staat beibehält, dessen Recht nach Art. 16 KSÜ für die Zuweisung der el-
terlichen Verantwortung maßgebend ist, wirkt sich die Sonderregelung in Art. 17 S. 1 KSÜ
daher nicht aus. Diese erlangt Bedeutung erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt. Während sich nämlich durch einen sol-
chen Aufenthaltswechsel an der gesetzlichen Zuweisung der elterlichen Verantwortung gem.
Art. 16 Abs. 3 KSÜ nichts ändert (Rz. 6.1143 ff.), unterliegt deren Ausübung gem. Art. 17 S. 2
KSÜ von nun an dem Recht am neuen gewöhnlichen Aufenthalt. Die Vorschrift hat mithin in
Bezug auf die gesetzliche Anknüpfung der elterlichen Verantwortung die gleiche Funktion wie
Art. 15 Abs. 3 KSÜ in Bezug auf behördliche Maßnahmen. Um den Beteiligten die Anpassung
an die Verhältnisse in ihrem neuen Aufenthaltsstaat zu erleichtern, werden die Modalitäten
der Ausübung der elterlichen Verantwortung dem neuen Aufenthaltsrecht entnommen.

6.1147 Zur Ausübung gehört die Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten aus dem Eltern-Kind-Ver-
hältnis3. Dies gilt insbesondere für die gesetzliche Vertretung des Kindes und die Verwaltung
seines Vermögens4, für die Möglichkeit der alleinigen Entscheidung durch einen Elternteil
trotz gemeinsamen Sorgerechts5, aber auch für Beschränkungen, die einer gesetzlichen Vertre-
tung des Kindes durch die Eltern gezogen sind, z.B. bei Insichgeschäften oder durch das Erfor-
dernis einer vormundschafts- bzw. familiengerichtlichen Genehmigung (Rz. 6.1148 ff.)6. Im
Fall der Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft beurteilt sich auch die gesetzliche
Vertretung des Kindes durch den Vormund oder Pfleger bei einem Aufenthaltswechsel des
Kindes nach Art. 17 KSÜ.

cc) Familiengerichtliche Genehmigung


6.1148 Das von Art. 15 ff. KSÜ bestimmte Statut der gesetzlichen Vertretung bestimmt nicht nur, für
welche Vertragsschlüsse im Namen des Minderjährigen der gesetzliche Vertreter einer famili-

1 OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 23); Stürner in Erman, Anh.
zu Art. 24 EGBGB Rz. 47.
2 Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 111; Wagner/Janzen, FPR 2011, 110 (112); Gärtner, StAZ 2011, 65 (68).
3 Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 49.
4 Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 116.
5 Benicke in NK BGB, Art. 17 KSÜ Rz. 1.
6 Krah, S. 235; Lagarde-Bericht, Rz. 109; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D
112.

924 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1151 § 6

engerichtlichen Genehmigung bedarf (vgl. dazu Rz. 6.1133 und Rz. 6.1147)1 sondern es ent-
scheidet auch, ob diese Zustimmung bereits vor Abschluss des Geschäfts vorliegen muss (so
z.B. nach italienischem und portugiesischem Recht) oder ob – wie im deutschen Recht (vgl.
§ 1829 BGB) – eine nachträgliche Genehmigung ausreicht. Das Statut der gesetzlichen Vertre-
tung regelt ferner, auf welche Art und Weise die familiengerichtliche Genehmigung wirksam
wird. Auf das Wirkungsstatut des abzuschließenden Geschäfts kommt es auch insoweit nicht
an2.

Hat der Minderjährige den Vertrag nicht selbst geschlossen, sondern sich hierbei durch die 6.1149
Eltern oder einen Vormund bzw. Pfleger gesetzlich vertreten lassen, so wurde in der Recht-
sprechung zum autonomen deutschen Kollisionsrecht nicht immer hinreichend klar zwischen
den Fragen der Geschäftsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung unterschieden und auch
das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung für den vom gesetzlichen Vertreter geschlos-
senen Vertrag gem. Art. 7 EGBGB nach dem Personalstatut des Minderjährigen beurteilt.
BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, WM 1978, 171 (173)
Abschluss eines Erbvertrages zwischen einer unter Vormundschaft stehenden minderjährigen Öster-
reicherin und ihrer Großmutter. „Inwieweit ein nicht voll Geschäftsfähiger in der Lage ist, ein Rechts-
geschäft vorzunehmen, d.h. ob und ggf. welche Genehmigungen erforderlich sind, beurteilt sich nach
dem Personalstatut des nicht voll Geschäftsfähigen.“ Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen
Genehmigung gem. Art. 7 EGBGB nach österreich. Recht (§ 233 ABGB) bejaht; Vertretungsstatut
nicht geprüft.

Demgegenüber gelten für die Abgrenzung zwischen Vertretungs- und Geschäftsfähigkeits- 6.1150
statut auch in diesem Zusammenhang die zu Rz. 6.1096 ff. dargestellten Grundsätze.

Die Auswirkung von Mängeln der gesetzlichen Vertretung, insbesondere die fehlende Ertei- 6.1151
lung einer nach dem Vertretungsstatut erforderlichen gerichtlichen Genehmigung auf die
Gültigkeit des im Namen des Minderjährigen geschlossenen Vertrages, bestimmen sich dem-
gegenüber nicht nach dem Statut der gesetzlichen Vertretung, sondern nach dem Vertragssta-
tut3. Dieses entscheidet daher – ebenso wie bei Mängeln der gewillkürten Vertretungsmacht
(dazu Rz. 6.483) – darüber, ob der Vertrag nichtig oder schwebend unwirksam ist und auf
welche Weise er noch wirksam werden kann (vgl. aber zum Verkehrsschutz auch
Rz. 6.1160 ff.).

1 Ebenso schon zu Art. 21 EGBGB RG v. 9.2.1925, RGZ 110, 173 (Grundstückskaufvertrag); RG v.


28.3.1931, JW 1932, 588 (Hypothekenbestellung); OLG Stuttgart v. 10.4.1996 – 11 U 20/96, NJW-
RR 1996, 1288 (Übernahme einer Einlage als stiller Gesellschafter); Thorn in Palandt, Rz. 5; Hen-
rich in Staudinger, Rz. 131, jeweils zu Art. 21 EGBGB; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) von Bar,
Bd. II Rz. 42.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 98; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 131.
Vgl. auch RG v. 3.12.1942, RGZ 170, 198 (Österreich. Vater verkauft ein im Eigentum seines min-
derjährigen Sohnes stehendes Hotelgrundstück in Deutschland mit Genehmigung des deutschen
Vormundschaftsgerichts. Vertrag als wirksam behandelt, da es nach dem auf die gesetzliche Ver-
tretung anwendbaren österreich. Recht einer Mitteilung der Genehmigung an den Geschäftsgeg-
ner i.S.v. § 1829 BGB nicht bedurft habe.); KG v. 7.6.1929, IPRspr. 1929 Nr. 88 und KG v.
11.11.1929, IPRspr. 1930 Nr. 4; AG Moers v. 20.8.1997 – 2 X 97/97, DAVorm. 1997, 925; zust.
auch von Bar, Bd. II Rz. 42; a.A. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, FamRZ 1995, 1066 =
IPRax 1996, 199 (m. Anm. Baetge, IPRax 1996, 185).
3 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 102.

Hausmann | 925
§ 6 Rz. 6.1152 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Allgemeine Vorschriften


6.1152 Die Kollisionsnormen des Übereinkommens gelten nach Art. 20 KSÜ als „loi uniforme“, d.h.
auch dann, wenn das von ihnen bestimmte Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaats ist. Da-
mit wird Art. 21 EGBGB bezüglich des auf die elterliche Sorge kraft Gesetzes anwendbaren
Rechts durch Art. 16 KSÜ vollständig verdrängt, wenn der Minderjährige seinen gewöhnli-
chen Aufenthalt im Inland oder in einem anderen Vertragsstaat des KSÜ hat. Der Unterschied
ist im Ergebnis gering, weil beide Vorschriften an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des
Kindes anknüpfen.

6.1153 Abweichungen ergeben sich allerdings bezüglich der Beachtung einer Rück- oder Weiterver-
weisung. Wird nämlich auf das Recht eines Vertragsstaats des KSÜ verwiesen, so ist künftig –
anders als bisher nach Art. 21 EGBGB – dessen Sachrecht anzuwenden (Art. 21 Abs. 1 KSÜ).
Verweist Art. 16 KSÜ hingegen auf das Recht eines Nichtvertragsstaats, so ist eine Weiterver-
weisung auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaats, der diese Verweisung annimmt,
nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ zu beachten1. Nimmt jener Staat die (Weiter-)Verweisung nicht an,
so verbleibt es hingegen bei der Anwendung des Sachrechts am gewöhnlichen Aufenthaltsort
des Kindes. Soweit schließlich die nach Art. 5 ff. KSÜ für die Anordnung von Schutzmaßnah-
men international zuständigen Behörden ausnahmsweise nicht die lex fori, sondern gem.
Art. 15 Abs. 2 KSÜ ausländisches Recht anwenden, handelt es sich in jedem Fall um eine
Sachnormverweisung.

ee) Übergangsrecht
6.1154 Eine ausdrückliche Regelung zur intertemporalen Geltung von Art. 16 KSÜ fehlt. Art. 53
Abs. 1 KSÜ regelt das Übergangsrecht auf dem Gebiet des Kollisionsrechts nur für (Schutz-)
Maßnahmen nach Art. 152. Art. 53 Abs. 1 KSÜ ist jedoch auf kraft Gesetzes bestehende Sor-
geverhältnisse analog anzuwenden; allerdings sind hierbei die Grundsätze in Art. 16 Abs. 2–4
KSÜ ebenfalls entsprechend heranzuziehen mit der Folge, dass sie den Grundsatz der Wandel-
barkeit des Sorgerechtsstatuts auch in Übergangsfällen einschränken3. Danach hat zwar Art. 16
KSÜ für die Beurteilung der elterlichen Sorge ab dem 1.1.2011 die autonome Kollisionsnorm
in Art. 21 EGBGB abgelöst (Rz. 6.1103). Da ein Statutenwechsel nach Art. 16 Abs. 4 KSÜ
aber nur zum Erwerb, nicht zum Verlust des Sorgerechts führen kann (Rz. 6.1145), sollte dies
auch in Übergangsfällen gelten. Eine vor dem 1.1.2011 unter Geltung von Art. 21 EGBGB
kraft Gesetzes erworbene sorgerechtliche Position sollte daher im Interesse der Kontinuität
und des Kindeswohls auch nach diesem Zeitpunkt erhalten bleiben, selbst wenn sie nach dem
nunmehr von Art. 16 Abs. 1 KSÜ zur Anwendung berufenen Recht nicht bestünde4. Lediglich
der Eintritt neuer sorgerechtlicher Tatbestände unterliegt nunmehr Art. 16 Abs. 1 KSÜ.

1 Lagarde-Bericht, Rz. 116; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (487); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 685.
2 BT-Drucks. 16/12068, S. 72; OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633
(Rz. 15); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 17); Rauscher, NJW
2011, 2332 (2333); Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 199; a.A. BGH v.
16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31).
3 Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 641; Thorn in Palandt, Anh. zu
Art. 24 EGBGB Rz. 17.
4 So auch OLG Frankfurt a.M. FamRZ 2015, 1633 (1634); Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Beni-
cke, IPRax 2013, 44 (46); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 641; Andrae, IntFamR § 9 Rz. 112; Thorn,
in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17; a.A. (Nichtrückwirkung des Übereinkommens) OLG
Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 24).

926 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1157 § 6

Auch die Wirksamkeit von Sorgerechtserklärungen ist nicht nach dem Recht am jeweiligen 6.1155
gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zu beurteilen mit der Folge, dass am 1.1.2011 insoweit
ein Statutenwechsel eingetreten wäre1. Denn Art. 16 Abs. 2 KSÜ unterwirft die Zuweisung der
elterlichen Sorge durch Vereinbarung der Eltern dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des
Kindes beim Wirksamwerden der Vereinbarung; ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts
des Kindes ist hierauf ohne Einfluss, weil weder Art. 16 Abs. 1 noch Abs. 4 KSÜ für die Zu-
weisung des Sorgerechts durch Vereinbarung gelten. Diese Unwandelbarkeit der Anknüp-
fung ist auch in Übergangsfällen zu beachten. Ein Sorgerecht, das vor dem 1.1.2011 unter
Geltung von Art. 21 EGBGB durch wirksam abgegebene Sorgeerklärungen erworben wurde,
bleibt daher auch nach diesem Zeitpunkt unter Geltung von Art. 16 KSÜ bestehen2.

e) Anerkennung und Vollstreckung


Die von den Behörden eines Vertragsstaates getroffenen Maßnahmen sind in den anderen 6.1156
Vertragsstaaten kraft Gesetzes anzuerkennen (Art. 23 Abs. 1 KSÜ). Etwaige Versagungsgrün-
de zählt Art. 23 Abs. 2 KSÜ erschöpfend auf. Dazu gehören insbesondere die fehlende inter-
nationale Zuständigkeit, die Versagung rechtlichen Gehörs und ein offensichtlicher Verstoß
gegen den ordre public des Anerkennungsstaates3. Auch die Vollstreckung der Schutzmaßnah-
men eines anderen Vertragsstaats darf nur aus einem dieser Gründe versagt werden (Art. 26
Abs. 3 KSÜ). Im Verhältnis der Mitgliedstaaten der EuEheVO werden die Vorschriften des
KSÜ über die Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen auf dem Gebiet der
elterlichen Verantwortung allerdings wiederum durch die Art. 21, 23 ff. EuEheVO verdrängt
(Rz. 6.1109). Dies gilt sogar dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ho-
heitsgebiet eines Staates hat, der nicht Mitgliedstaat der EU, aber Vertragsstaat des KSÜ ist
(Art. 61 lit. b EuEheVO)4. Hat also ein Gericht eines anderen Vertragsstaats des KSÜ eine
Schutzmaßnahme getroffen, so ist diese nach Art. 23 ff. EuEheVO im Inland anzuerkennen,
wenn der Ursprungsstaat Mitgliedstaat der Verordnung ist; nur wenn dies nicht der Fall ist,
ergibt sich die Anerkennungspflicht aus Art. 23 KSÜ. Der Einfluss dieser Schutzmaßnahmen
auf die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen bestimmt sich auch für diesen Fall nach
dem Gleichlaufprinzip des KSÜ; maßgebend ist daher das Recht des Staates, dessen Gericht
die Maßnahme getroffen hat.

3. Autonomes deutsches Kollisionsrecht


Art. 21 EGBGB wird, soweit es um die Vertretung kraft Gesetzes geht, durch die Art. 16, 17 6.1157
KSÜ vollständig verdrängt; denn die Kollisionsnormen des KSÜ beanspruchen nach dessen
Art. 20 einen universellen Geltungsbereich (Rz. 6.1152). Soweit es um die Anordnung von
Schutzmaßnahmen geht, hat Art. 15 KSÜ Vorrang vor Art. 21 EGBGB, wenn die internatio-
nale Zuständigkeit entweder aus Art. 8 ff. EuEheVO oder aus Art. 5 ff. KSÜ folgt
(Rz. 6.1120 ff.). Damit bleibt für die Anwendung des autonomen deutschen Kollisionsrechts
auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung nur noch in den seltenen Fällen Raum in, de-
nen ein nur nach §§ 98 Abs. 3, 99 FamFG international zuständiges deutsches Gericht Schutz-

1 So aber BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 33); Pirrung in Staudinger, Vor-
bem. zu Art. 19 EGBGB D Rz. 199.
2 Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Benicke, IPRax 2013, 44 (46); Hausmann, IntEuFamR F
Rz. 643.
3 Zu Einzelheiten Hausmann, IntEuFamR N Rz. 355 ff.
4 Hausmann, IntEuFamR N Rz. 25, 331.

Hausmann | 927
§ 6 Rz. 6.1157 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

maßnahmen für ein Kind ergreifen muss, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat
hat, der weder der EU angehört, noch Vertragsstaat des KSÜ oder des MSA ist1. Soweit es um
die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht, gilt dies auch dann, wenn das Kind älter als
18 Jahre ist (Art. 2 KSÜ), aber nach seinem Heimatrecht (Art. 7 EGBGB) noch minderjährig
ist und deshalb der gesetzlichen Vertretung bedarf2.

6.1158 In dieser Situation verweist Art. 21 EGBGB – wie Art. 16 Abs. 1 KSÜ – auf das Recht des Lan-
des, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt3 hat. Dabei handelt sich um eine wan-
delbare Anknüpfung4. Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in ein anderes Land führt
daher zu einem Statutenwechsel; dieser kann – anders als nach Art. 16 Abs. 3 KSÜ (Rz. 6.1143 f.)
– auch den Verlust des nach dem bisherigen Aufenthaltsrecht gegebenen Sorgerechts (und da-
mit der gesetzlichen Vertretungsmacht) zur Folge haben5. Maßgebend ist also der gewöhnliche
Aufenthalt des Minderjährigen im Zeitpunkt der Vornahme des Vertretergeschäfts.

6.1159 Hat der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, so sind – abweichend
von Art. 16 i.V.m. Art. 21 KSÜ – Rück- und Weiterverweisungen uneingeschränkt zu beach-
ten6. Sie können sich insbesondere bei Verweisung auf ein Recht ergeben, dessen Kollisions-
recht die elterliche Sorge noch nach dem Heimatrecht des Kindes oder der Eltern beurteilt7.
Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kanada oder den USA, so kommt auch eine
Rückverweisung auf die deutsche lex rei sitae in Betracht, soweit die gesetzliche Vertretung bei
schuld- oder sachenrechtlichen Geschäften über deutsche Grundstücke in Rede steht8.

V. Schutz des Rechtsverkehrs


Literatur: Bader, Der Schutz des guten Glaubens in Fällen mit Auslandsberührung, MittRheinNotK
1994, 161; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Liessem, Guter Glaube
beim Grundstückserwerb von einem durch seinen Güterstand verfügungsbeschränkten Ehegatten?,
NJW 1989, 497; Lipp, Verkehrsschutz und Geschäftsfähigkeit im IPR, RabelsZ 63 (1999), 107; Schot-
ten, Der Schutz des Rechtsverkehrs im IPR, DNotZ 1994, 670.

1. Mangelnde Geschäftsfähigkeit
a) Art. 13 Rom I-VO
6.1160 Die absolute Geltung der in Art. 7 Abs. 1 EGBGB vorgeschriebenen Anknüpfung der Ge-
schäftsfähigkeit an das Heimatrecht würde für den inländischen Rechtsverkehr eine ständige
Quelle der Unsicherheit bedeuten. Auch bei alltäglichen Umsatzgeschäften wäre der inländi-

1 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 599 und in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 324.
2 Vgl. Hausmann, IntEuFamR F Rz. 599
3 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Zusammenhang Henrich in Staudinger,
Art. 21 EGBGB Rz. 15 ff.
4 OLG Karlsruhe v. 18.3.2010 – 2 UF 179/09, FamRZ 2010, 1577 (1578); Andrae, IntFamR § 9 Rz. 140;
Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 16; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 24 ff.
5 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 723 f.; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 26.
6 BGH v. 20.7.2016 – XII ZB 489/15, FamRZ 2016, 1747 (Rz. 19); OLG Brandenburg v. 3.3.2014 – 9
UF 275/11, BeckRS 2014, 06655; OLG Koblenz v. 4.8.2004 – 11 UF 771/03, IPRspr. 2005 Nr. 71;
Dutta, FamRZ 2016, 146 f.; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 722; Henrich in Staudinger, Rz. 32 ff.;
Heiderhoff in BeckOK BGB, Rz. 26; Helms in MünchKomm, Rz. 17, jeweils zu Art. 21 EGBGB.
7 Dazu Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 323 f.
8 IPG 1975 Nr. 27 (Hamburg) (zur gesetzlichen Vertretung von kanad. Minderjährigen durch ihre
Eltern beim Verkauf eines deutschen Grundstücks).

928 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1162 § 6

sche Kaufmann gehalten, sich über die Staatsangehörigkeit seiner Kunden und die in deren
Heimatstaaten geltenden Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit zu unterrichten. Art. 12 S. 1
EGBGB schränkte daher den Staatsangehörigkeitsgrundsatz schon bisher ein, um den gut-
gläubigen Vertragspartner vor den Gefahren der Geltung eines vom Recht des Abschlussortes
abweichenden ausländischen Personalstatuts des anderen Teils zu schützen1. Diese Vorschrift
wird seit dem 17.12.2009 im sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO durch deren
Art. 13 – ohne Änderung in der Sache – verdrängt (Art. 3 Nr. 1 lit. b EGBGB). Dieser Vor-
schrift kommt angesichts des vergleichsweise niedrigen Volljährigkeitsalters in der Bundes-
republik Deutschland bei Vertragsschlüssen im Inland erhebliche praktische Bedeutung zu;
für ihre Auslegung gelten die zu Art. 12 S. 1 EGBGB entwickelten Grundsätze fort.

b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes


aa) Aufenthalt der Vertragspartner in demselben Staat
Der Schutz des Art. 13 Rom I-VO kommt nur Personen zugute, die sich bei Vertragsabschluss 6.1161
– wenn auch nur vorübergehend2 – in demselben Staat befunden haben. Diese Regelung ist
im Hinblick auf ihren Ausnahmecharakter eng auszulegen; erforderlich ist daher die persönli-
che Anwesenheit beider Vertragsparteien bei Abgabe ihrer Willenserklärungen in demselben
Staat. Ausgeschlossen ist der Verkehrsschutz hingegen bei grenzüberschreitenden Distanz-
geschäften. Es genügt also weder ein Angebot ins Ausland, noch die Annahme eines auslän-
dischen Angebots – z.B. per Internet – im Inland3. Ein Geschäft unter am gleichen Ort Anwe-
senden wird hingegen nicht vorausgesetzt4. Da Art. 13 Rom I-VO für die Anwendung inländi-
scher Geschäftsfähigkeitsmaßstäbe lediglich auf den Vertragsschluss im Inland abstellt, spielen
Staatsangehörigkeit und Wohnsitz der Vertragsparteien keine Rolle. Wird der Vertrag im In-
land geschlossen, so greift die Norm also auch dann ein, wenn beide Vertragspartner Auslän-
der sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Ausland haben5. Im Gegensatz
zu Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. ist Art. 13 Rom I-VO freilich allseitig gefasst und schützt damit
auch bei Vertragsschlüssen im Ausland6. Maßgebender Zeitpunkt für die Anwesenheit beider
Parteien im gleichen Staat ist die Abgabe – nicht der Zugang – der auf den Vertragsschluss
gerichteten Willenserklärungen7.

Wird der Vertrag durch Vertreter abgeschlossen, so reicht allerdings die Anwesenheit des 6.1162
Vertreters im Vornahmestaat aus. Diese Erweiterung des Verkehrsschutzes lässt sich zwar
nicht auf eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO stützen8, weil diese Vor-

1 Kegel in Soergel, Rz. 1; Hausmann in Staudinger, Rz. 10 ff., jeweils zu Art. 12 EGBGB.
2 Eine Mindestdauer des Aufenthalts wird im Interesse der Rechtssicherheit nicht vorausgesetzt, vgl.
Schotten, DNotZ 1994, 670 (671); Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 38.
3 G. Fischer, S. 39 f.; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 55 f.; Hausmann in Staudinger, Rz. 39, Stürner
in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 5, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO.
4 G. Fischer, S. 35 f.; Kegel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 4; Hausmann in Staudinger, Art. 13
Rom I-VO Rz. 37 m.w.N.
5 Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (135); Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 39; Stürner in
Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 5; einschränkend (keine Anwendung von Art. 13 Rom I-VO bei
gleicher Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien) Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-
VO Rz. 27.
6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 34; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 4.
7 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 46 m.w.N.
8 So aber Liessem, NJW 1989, 497 (501); Bader, MittRheinNotK 1994, 161 (162); Lipp, RabelsZ 63
(1999), 107 (136); Thorn in Palandt, Art. 13 Rom III-VO Rz. 3.

Hausmann | 929
§ 6 Rz. 6.1162 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schrift lediglich den für die alternative Anknüpfung des Formstatuts maßgeblichen Vornah-
meort bei Einschaltung eines Vertreters festlegt, ohne das Erfordernis einer gleichzeitigen An-
wendbarkeit der Vertragsschließenden in demselben Staat aufzustellen. Nach dem Norm-
zweck des Art. 13 Rom I-VO ist der inländische Vertragspartner einer nach ihrem auslän-
dischen Heimatrecht nicht geschäftsfähigen Partei aber schon dann schutzwürdig, wenn diese
Partei durch einen Vertreter am inländischen Rechtsverkehr teilnimmt; einer persönlichen
Anwesenheit der geschäftsunfähigen Partei selbst im Vornahmestaat bedarf es in diesem Fall
nicht1. Zu beachten ist allerdings, dass die mangelnde Geschäftsfähigkeit des Vertretenen nicht
die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts, sondern nur die Wirksamkeit der Vollmacht betrifft.
Wurde diese aber im Ausland erteilt, so greift Art. 13 Rom I-VO nicht ein; es gilt vielmehr
Art. 7 EGBGB mit der Folge, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat2.

bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten


6.1163 Während der Verkehrsschutz nach dem früheren Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. ohne Rücksicht
darauf gewährt wurde, ob der andere Vertragsteil die fehlende Geschäftsfähigkeit seines aus-
ländischen Partners kannte oder erkennen konnte, ist der Schutz durch Art. 13 Rom I-VO auf
Fälle beschränkt, in denen der andere Vertragsteil gutgläubig ist, d.h. die mangelnde Ge-
schäftsfähigkeit seines Partners bei Vertragsschluss weder gekannt, noch infolge von (auch
leichter) Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Ein Verkehrsschutz scheidet daher aus, wenn die
Minderjährigkeit des anderen Teils bereits aus der notariellen oder schriftlichen Vertrags-
urkunde hervorgeht3. Da Art. 13 Rom I-VO den Rechtsverkehr im Vornahmestaat vor dort
unbekannten Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach fremdem Recht schützen soll, sind
nur Irrtümer über die Rechtslage, nicht Irrtümer über Tatsachen relevant4. Ein beachtlicher
Rechtsirrtum kann sich nicht nur auf fremdes Sachrecht (nämlich die dortige Regelung der
Geschäftsfähigkeit, z.B. das Volljährigkeitsalter) beziehen, sondern auch auf fremdes Kollisi-
onsrecht (z.B. die dort hinsichtlich der Geschäftsfähgikeit vorgesehene Weiterverweisung auf
ein drittes Recht)5. Ein solcher Irrtum ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil beide Par-
teien die gleiche ausländische Staatsangehörigkeit haben6. Demgegenüber sind Irrtümer über
das Alter, die Ausländereigenschaft oder den Wohnsitz des Vertragspartners unbeachtliche
Tatsachenirrtümer.

6.1164 Nach Art. 13 Rom I-VO schadet nicht nur positive Kenntnis, sondern auch fahrlässige Un-
kenntnis der mangelnden Geschäftsfähigkeit nach fremdem Recht. Der anzulegende Sorg-
faltsmaßstab ist nicht dem Recht des Vornahmestaates – in Deutschland also den §§ 122

1 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 41 ff.; im Erg. ebenso G. Fischer, S. 39 f.;
a.A. Schotten, DNotZ 1994, 670 (671); Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 62.
2 Dies gilt auch dann, wenn von der Vollmacht im Inland Gebrauch gemacht wurde, vgl. Hausmann
in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 42.
3 Vgl. OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; OLG Nürnberg v. 4.4.1995 –
3 U 4115/94, ZIP 1995, 1329 = NJW-RR 1995, 1144.
4 Liessem, NJW 1989, 497 (501 f.); Schotten, DNotZ 1994, 670 (672); von Bar/Mankowski, Bd. II,
Rz. 59; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 71 ff., 81 ff.
5 Vgl. dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 53; a.A. Lipp, RabelsZ 63 (1999),
107 (140 f.); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 32.
6 G. Fischer, S. 50 ff.; Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (135); Thorn, in Rauscher, Art. 13 Rom I-VO
Rz. 13; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 56; a.A. Spellenberg in MünchKomm,
Art. 13 Rom I-VO Rz. 71 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 32; von Bar, II Rz. 59.

930 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1167 § 6

Abs. 2, 276 BGB – zu entnehmen, sondern verordnungsautonom zu bestimmen1. Danach ist


der Vertragspartner nur schutzwürdig, wenn man ihm nicht zumuten kann, sich über das aus-
ländische Recht selbst zu informieren. Eine solche Erkundigungspflicht besteht jedenfalls bei
alltäglichen Markt- und Ladengeschäften nicht2. Im Übrigen kommt es insoweit auf die wirt-
schaftliche Bedeutung des Geschäfts, die Geschäftsgewandtheit der Parteien, die zur Ver-
fügung stehende Verhandlungszeit und die Üblichkeit rechtlicher Beratung bei Geschäften der
betreffenden Art an3.
Die Beweislast für die fahrlässige Unkenntnis des Vertragspartners trägt die geschäftsunfähige
Partei4.

Demgemäß ist bei Transaktionen mit erheblichem wirtschaftlichen Gewicht ein strengerer 6.1165
Sorgfaltsmaßstab anzulegen als bei Verbrauchergeschäften des täglichen Lebens. Auch können
von einem Kaufmann weitergehende Nachforschungen verlangt werden als von einem mit
den Gefahren des internationalen Rechtsverkehrs nicht vertrauten Privatmann5. Ist es ver-
kehrsüblich, bei Geschäften der in Rede stehenden Art rechtskundigen Rat einzuholen, so
scheidet ein Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO aus, wenn auf eine entsprechende recht-
liche Beratung verzichtet wird6.

Eine solche Informationspflicht besteht namentlich bei Grundstücksgeschäften; auf Risiken 6.1166
der mangelnden Rechts- oder Geschäftsfähigkeit einer Partei nach ausländischem Recht hat
auch der beurkundende Notar hinzuweisen, auch wenn er zu einer Belehrung über den Inhalt
des ausländischen Geschäftsfähigkeitsrechts nicht verpflichtet ist (§ 17 Abs. 3 BeurkG). Die
bloße Kenntnis der Ausländereigenschaft des Kontrahenten rechtfertigt den Vorwurf der
fahrlässigen Unkenntnis allerdings jedenfalls bei alltäglichen Laden- oder Marktgeschäften
nicht7. Bei formbedürftigen Geschäften (z.B. Grundstückskaufverträgen) oder Vertragsschlüs-
sen von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht wird man dem Vertragspartner eines auslän-
dischen Minderjährigen hingegen eine Erkundigungspflicht auferlegen müssen8. Die Beweis-
last für die Bösgläubigkeit des inländischen Vertragspartei trifft die geschäftsunfähige Partei,
die sich auf die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis beruft9.

cc) Verkehrsgeschäft
Art. 13 Rom I-VO bezieht sich zwar nach seinem Wortlaut – wie die gesamte Verordnung – 6.1167
unmittelbar nur auf Schuldverträge. Eine analoge Anwendung auf einseitige zugangsbedürf-

1 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 57; Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 6;
a.A. Liessem, NJW 1989, 497 (501).
2 G. Fischer S. 70; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 57.
3 G. Fischer, S. 48 f.; Schotten, DNotZ 1994, 670 (672); von Bar, Bd. II Rz. 59.
4 Wolfsteiner, DNotZ 1987, 82; Thorn in Palandt, Art. 13 Rom I-VO Rz. 3.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 82 ff., 86; Hausmann in Staudinger, Art. 13
Rom I-VO Rz. 58.
6 Vgl. BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = IPRax 1999, 104 (m. Anm. Schütze,
IPRax 1999, 87) (Zur Verpflichtung eines deutschen Unternehmens, sich über die [Rechts-] Fähig-
keit einer kroat. Gesellschaft zum Abschluss von Außenhandelsverträgen zu informieren).
7 Liessem, NJW 1989, 497 (501); von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 10; Thorn in Palandt, Art. 13 Rom I-
VO Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 6; a.A. Goldschmidt, FS Kegel, S. 171.
8 So Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (191); auch Ferid, IPR Rz. 5–30; Kropholler, IPR, § 42 I 3a; von
Bar, Bd. II Rz. 59; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 58; G. Fischer, S. 51 f. m.w.N.
9 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 61 m.w.N.

Hausmann | 931
§ 6 Rz. 6.1167 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tige Rechtsgeschäfte, die im Zusammenhang mit einem Schuldvertrag stehen (z.B. Anfech-
tung, Kündigung, Rücktritt u.Ä.) ist indessen wegen der vergleichbaren Interessenlage zulässig
und geboten1. Ferner bezieht sich der Verkehrsschutz auch auf verfügende Verträge, soweit sie
– wie die Forderungsabtretung nach Art. 14 – in den Anwendungsbereich der Rom I-VO fal-
len.

6.1168 Für den Schutz des Rechtsverkehrs gegen Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit außerhalb
des Schuldvertragsrechts, z.B. bei sachenrechtlichen Verfügungsgeschäften, gilt weiterhin
Art. 12 S. 1 EGBGB2. Auch dieser Schutz ist allerdings auf sog. „Verkehrsgeschäfte“ be-
schränkt; er erstreckt sich daher nicht auf familien- und erbrechtliche Rechtsgeschäfte, sowie
auf Verfügungen über ausländische Grundstücke. Denn zum einen spielt bei diesen Rechts-
geschäften der Verkehrsschutzgedanke in der Regel nur eine untergeordnete Rolle; zum ande-
ren soll der Entstehung hinkender Rechtsverhältnisse vorgebeugt werden. Dies stellt Art. 12
S. 2 EGBGB ausdrücklich klar.

6.1169 Die Qualifikation der familien- und erbrechtlichen Rechtsgeschäfte i.S.v. Art. 12 S. 2 EGBGB
sollte sich an den einschlägigen EU-Verordnungen (Rom III-VO, EuGüVO, EuErbVO), Staats-
verträgen (HUP) und an Art. 13–26 EGBGB orientieren3. Zu den familienrechtlichen Rechts-
geschäften zählen danach – neben Verlöbnis, Eheschließung und Adoption – auch Eheverträ-
ge sowie Unterhalts- und Scheidungsvereinbarungen, nicht hingegen die nach ausländischem
Ehegüter- oder Ehewirkungsstatut erforderlichen Zustimmungen zu bestimmten Verpflich-
tungs- oder Verfügungsgeschäften (dazu näher Rz. 6.795 ff., Rz. 6.849 ff.). Erbrechtliche
Rechtsgeschäfte liegen vor, soweit sie die allgemeine Geschäftsfähigkeit seitens des Erben oder
Bedachten voraussetzen. Erfasst werden daher insbesondere Erbvertrag, Erbverzicht und Erb-
schaftskauf, aber auch die Schenkung von Todes wegen4. Auch die EuErbVO sieht bei erb-
rechtlichen Geschäften keinen Verkehrschutz nach dem Vorbild des Art. 13 Rom I-VO vor.

6.1170 Auch für Verfügungen über ein ausländisches Grundstück ist gem. Art. 12 S. 2 EGBGB –
auf Veräußerer- wie Erwerberseite – stets Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht (Art. 7
Abs. 1 EGBGB) notwendig, ohne dass es auf das Recht des Vornahmeorts ankommt. Aus
deutscher Sicht sind auch die Geschäftsfähigkeitsvorschriften des Wirkungsstatuts, d.h. der
ausländischen lex rei sitae (Art. 43 Abs. 1 EGBGB), daher nur im Falle einer Weiterverweisung
durch das Heimatrecht des Verfügenden von Belang5. Die ausschließliche Maßgeblichkeit des
Heimatrechts gilt aber nur für das Verfügungsgeschäft, nicht für das zugrundeliegende Ver-
pflichtungsgeschäft. Kaufverträge sowie Miet- und Pachtverträge über ausländische Grundstü-
cke fallen daher unter Art. 13 Rom I-VO. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn das Ver-
pflichtungsgeschäft, also z.B. der Grundstückskaufvertrag – wie in vielen romanischen Rech-
ten – bereits das Eigentum auf den Käufer überträgt; auch auf solche Schuldverträge, die zu-
gleich Verfügungswirkung entfalten, ist Art. 13 Rom I-VO mithin anwendbar6.

1 Vgl. zu Art. 13 Rom I-VO Spellenberg in MünchKomm, Rz. 28; Hausmann in Staudinger, Rz. 22;
Thorn in Palandt, Rz. 3; ebenso zu Art. 12 EGBGB Kropholler, IPR, § 42 I 3b; Ferid, Rz. 5–30; von
Bar, Bd. II Rz. 60; G. Fischer, S. 42 ff.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 31.
3 Vgl. Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 EGBGB Rz. 59.
4 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 56.
5 Kegel in Soergel, Art. 7 EGBGB Rz. 21; Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 5.
6 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 58; a.A. (Aufspaltung des Geschäfts) Ke-
gel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 21; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 15.

932 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1173 § 6

c) Wirkungen des Verkehrsschutzes


aa) Gültiger Vertrag
Art. 13 Rom I-VO hat nicht zur Folge, dass anstelle des nach Art. 7 EGBGB anwendbaren 6.1171
Heimatrechts in jedem Fall das Recht des Vornahmestaates anzuwenden ist. Vielmehr kommt
dieses Recht nur alternativ zum Zuge, wenn es das Zustandekommen des Vertrages begüns-
tigt. Zu einem wirksamen Vertragsschluss im Inland genügt es also, dass die ausländische Par-
tei entweder nach ihrem Heimatrecht oder nach deutschem Recht die für den Vertrag erfor-
derliche Geschäftsfähigkeit besitzt1.

Ist der Vertrag nach dem Recht des Abschlussortes gültig, weil die ausländische Partei nach 6.1172
diesem Recht geschäftsfähig ist, so tritt diese Wirkung automatisch ein, auch ohne dass sich
der Vertragspartner ausdrücklich darauf beruft. Dem Vertragspartner steht es andererseits
aber auch nicht frei, ob er an dem nach dem Recht des Vornahmestaates gültigen Vertrag fest-
halten oder dessen Unwirksamkeit wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit nach dem Heimat-
recht des anderen Teils geltend machen will2. Eine derartige unbefristete Schwebewirkung von
Rechtsgeschäften wäre mit dem von Art. 13 Rom I-VO verfolgten Zweck, Unsicherheit über
die Gültigkeit von Rechtsgeschäften, die ihren Grund in der mangelnden Geschäftsfähigkeit
einer Partei haben, im Vornahmestaat gerade zu vermeiden, nicht vereinbar3. Insbesondere
ein Recht des durch Art. 13 Rom I-VO geschützten Vertragspartners, sich nachträglich von
dem nach Ortsrecht wirksamen Vertrag wieder zu lösen, wenn dieser sich als wirtschaftlich
ungünstig erweist, kann nicht anerkannt werden (dazu Rz. 6.1039 ff.)4.

bb) Ungültiger Vertrag


Liegen die Voraussetzungen des Art. 13 Rom I-VO nicht vor, so verbleibt es bei der Beurtei- 6.1173
lung der Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht des jugendlichen Vertragspartners (Art. 7
Abs. 1 EGBGB). Dies gilt – entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut des Art. 13
Rom I-VO – nicht nur dann, wenn dieser sich auf seine mangelnde Geschäftsfähigkeit beruft;
Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit sind vielmehr nach deutschem Recht von Amts we-
gen zu berücksichtigen5. Ist der ausländische Vertragspartner weder nach seinem Heimatrecht
noch nach dem Recht des Abschlussstaates voll geschäftsfähig, so gilt die alternative Anknüp-
fung in favorem negotii auch für die Rechtsfolgen auf den geschlossenen Vertrag. Ist der von
einem deutschen Minderjährigen in England geschlossene Vertrag daher nach dem englischen
Vornahmerecht bis zu einem Widerruf vorläufig wirksam, während er nach dem deutschen
Heimatrecht des Minderjährigen schwebend unwirksam ist, so kann sich der Vertragspartner
auf das ihm günstigere englische Recht berufen6.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 62; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-
VO Rz. 92 ff.
2 So aber G. Fischer, S. 114 f.
3 Ferid, Rz. 5–30; Kegel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-
VO Rz. 63; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 36; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13
Rom I-VO Rz. 93.
4 Insoweit gilt also auch für Art. 13 Rom I-VO nichts anderes als für Art. 16 Abs. 2 EGBGB.
5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 92; Kropholler, IPR, § 42 I 3a; Schotten,
DNotZ 1994, 670 (673); für Anwendung des Personalstatuts des Geschäftsunfähigen auf diese Fra-
ge Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 7 a.E.
6 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 65; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-
VO Rz. 92.

Hausmann | 933
§ 6 Rz. 6.1174 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Mängel der gesetzlichen Vertretung


a) Allgemeines
6.1174 Die früher in Deutschland h.M. lehnte eine entsprechende Anwendung des Art. 7 Abs. 3
EGBGB a.F. ab, wenn der Vertragsschluss im Inland daran scheiterte, dass ein ausländischer
Minderjähriger nach dem als Vertretungsstatut zur Anwendung berufenen Recht nicht ord-
nungsgemäß gesetzlich vertreten war. Der inländische Geschäftspartner konnte sich insbeson-
dere nicht auf Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. berufen, wenn zum Vertragsschluss nach dem auslän-
dischen Vertretungsstatut – abweichend vom deutschen Recht – eine vormundschaftsgericht-
liche Genehmigung erforderlich war1. Demgegenüber ist Art. 13 Rom I-VO – wie schon
Art. 12 S. 1 EGBGB2 – auf Mängel der (elterlichen, vormundschaftlichen oder pflegerischen)
gesetzlichen Vertretungsmacht analog anzuwenden3. Im räumlichen und zeitlichen Geltungs-
bereich des Haager KSÜ hat die in Art. 19 KSÜ enthaltene Verkehrsschutzregel als lex specia-
lis allerdings Vorrang vor der analogen Anwendung des Art. 13 Rom I-VO4. Dies gilt nach
Art. 20 KSÜ auch dann, wenn als Vertretungs- oder Abschlussstatut das Recht eines Nicht-
vertragsstaats zur Anwendung berufen ist.

6.1175 Art. 19 KSÜ enthält eine Regelung zum Schutz des Rechtsverkehrs in dem Staat, in dem von
einem gesetzlichen Vertreter ein Rechtsgeschäft im Namen des Kindes vorgenommen wird,
gegenüber unbekannten Regelungen der gesetzlichen Vertretung nach ausländischem
Recht. Wird also für ein Kind im Inland ein Vertrag durch seinen gesetzlichen Vertreter abge-
schlossen, so wird der gutgläubige Vertragspartner in seinem Vertrauen darauf geschützt, dass
der Vertreter zum Abschluss des Vertrages berechtigt ist, wenn dies nach deutschem Recht der
Fall wäre. Die Vorschrift orientiert sich an dem Vorbild in Art. 11 EVÜ (jetzt Art. 13 Rom I-
VO), beschränkt den Schutz allerdings auf Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht. Die
Verfasser des KSÜ hatten als Anwendungsfall für Art. 19 KSÜ vor allem die Situation vor Au-
gen, dass sich die gesetzliche Vertretung des Kindes nach einem Umzug der Familie in einen
anderen Vertragsstaat gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ weiterhin nach dem Recht des früheren Auf-
enthaltsstaats des Kindes beurteilt. Sind die Eltern des Kindes nicht miteinander verheiratet
und stand die elterliche Verantwortung nach dem Recht des früheren Aufenthaltsstaates Vater
und Mutter kraft Gesetzes nur gemeinsam zu, so verbleibt es dabei gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ
auch dann, wenn die Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen Staat verlegt hat, in
dem noch immer der Mutter das alleinige Sorgerecht für ihr nichteheliches Kind zusteht (dazu
Rz. 6.1143 f.). Schließt die Mutter in diesem Staat nunmehr ein Rechtsgeschäft mit einem
Dritten ab, so wird dieser in seinem guten Glauben an die alleinige gesetzliche Vertretungs-
macht der Mutter geschützt5.

1 Beitzke in Staudinger, 12. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 77; Kegel in Soergel, 11. Aufl., Art. 7 EGBGB
Rz. 19. Vgl. auch RG v. 4.4.1932, IPRspr. 1932 Nr. 13 = HRR 1932 Nr. 1670 (Tschech. Staatsange-
höriger vermietet das in Deutschland belegene Haus seiner Kinder. Genehmigung des Mietvertra-
ges durch das tschechoslowak. Bezirksgericht wurde versagt. Der Vertrag wurde als nichtig erach-
tet; Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. fand keine Anwendung.).
2 G. Fischer, S. 191 f.; Ferid, IPR, Rz. 5–30, 6; Kegel/Schurig, IPR § 17 I 2d a.E.; von Bar, Bd. II
Rz. 346; Kropholler, IPR, § 42 I 3d.
3 Hausmann in Staudinger, Rz. 26 f.; Thorn in Palandt, Rz. 3; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 49;
a.A. Thomale in NK BGB, Rz. 23, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO.
4 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 29.
5 Vgl. Lagarde-Bericht, Rz. 111; Benicke in NK-BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 2.

934 | Hausmann
E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1178 § 6

Art. 19 KSÜ regelt den Verkehrsschutz ausschließlich in Fällen der mangelnden Vertretungs- 6.1176
macht des für das Kind handelnden gesetzlichen Vertreters. Dieser Mangel der Vertretungs-
macht kann sich entweder kraft Gesetzes aus dem gem. Art. 16, 17 KSÜ auf die elterliche
Verantwortung anwendbaren Recht oder aus einer im gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Kin-
des ergangenen oder dort anerkannten Schutzmaßnahme ergeben. Während der Anwen-
dungsbereich von Art. 13 Rom I-VO auf sog Verkehrsgeschäfte beschränkt ist und insbeson-
dere familien- und erbrechtliche Geschäfte aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser
Verkehrsschutznorm ausgeklammert werden, gilt eine entsprechende Einschränkung für
Art. 19 KSÜ nicht. Die Vorschrift gilt vielmehr für Rechtsgeschäfte jeder Art1.

b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes


aa) Rechtsgeschäft unter Anwesenden im Hoheitsgebiet desselben Staates
Der Verkehrsschutz nach Art. 19 Abs. 1 KSÜ greift gem. Abs. 2 nur bei Rechtsgeschäften ein, 6.1177
die von den Beteiligten im Hoheitsgebiet desselben Staates abgeschlossen wurden. Erforderlich
ist also die persönliche Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters und des Drittkontrahenten in
demselben Staat. Ausgeschlossen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift sind damit –
wie nach Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1161) – vor allem grenzüberschreitende Distanz-
geschäfte. Soweit Art. 19 Abs. 2 KSÜ weitergehend den Abschluss eines Rechtsgeschäfts unter
Anwesenden fordert, ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, dass gesetzlicher Vertreter und
Vertragspartner sich am gleichen Ort aufgehalten haben müssen: Aus der englischen und
französischen Originalfassung der Vorschrift geht vielmehr unmissverständlich hervor, dass
die Anwesenheit im gleichen Staat genügt; der Drittkontrahent wird daher auch dann ge-
schützt, wenn Angebot und Annahme an verschiedenen Orten innerhalb des gleichen Staates
abgegeben werden2.

Im Rahmen von Art. 19 Abs. 2 KSÜ ist allerdings allein auf die Anwesenheit des gesetzlichen 6.1178
Vertreters, nicht auf diejenige des vertretenen Kindes abzustellen. Schließt der gesetzliche Ver-
treter daher im Inland einen Vertrag mit einem Dritten ab, so wird letzterer auch dann ge-
schützt, wenn das vertretene Kind sich bei Vertragsschluss im Ausland aufgehalten hat3. Der
Verkehrsschutz knüpft nur an den Vertragsschluss zwischen dem gesetzlichen Vertreter und
dem Drittkontrahenten im gleichen Staat an; andere Anknüpfungskriterien sind daher uner-
heblich. Dies gilt insbesondere für die Staatsangehörigkeit und den gewöhnlichen Aufenthalt
oder Wohnsitz der Beteiligten. Geschützt wird aufgrund der allseitigen Fassung der Vorschrift
aber nicht nur der inländische, sondern auch der ausländische Rechtsverkehr; dabei ist der
Verkehrsschutz auch nicht auf Vertragsschlüsse in anderen Vertragsstaaten des KSÜ be-
schränkt.

1 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 115; Benicke in NK-BGB, Art. 19 KSÜ
Rz. 3; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 670.
2 Lagarde-Bericht Rz. 114; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 114; Benicke in
NK-BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 4; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 671.
3 Insoweit gilt Art. 19 KSÜ also auch für Distanzgeschäfte, vgl. Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ
Rz. 4; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 44; a.A. Krah S. 238; Gruber in Geimer/
Schütze, IRV, Art. 19 KSÜ Rz. 11.

Hausmann | 935
§ 6 Rz. 6.1179 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten


6.1179 Der Verkehrsschutz setzt nach Art. 19 Abs. 1 KSÜ weiterhin voraus, dass der Drittkontrahent
gutgläubig ist, d.h. weder wusste noch wissen konnte, dass sich die gesetzliche Vertretung
nicht nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde.
Am guten Glauben fehlt es bereits dann, wenn der Drittkontrahent wusste oder wissen konn-
te, dass Vertretungsstatut nicht das Recht des Vornahmestaates, sondern ausländisches Recht
ist; sein guter Glaube, dass die Regelung der gesetzlichen Vertretung im ausländischen Recht
derjenigen des Vornahmestaates entspricht, wird nicht geschützt1.

6.1180 Bezüglich der Anforderungen an die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis des Drittkontra-
henten kann im Wesentlichen auf das zu Art. 13 Rom I-VO (Rz. 6.1163 ff.) Gesagte verwiesen
werden. Ist dem Drittkontrahenten also bei Abschluss eines Geschäfts von wirtschaftlichem
Gewicht (z.B. eines Grundstücksgeschäfts) bekannt, dass das gesetzlich vertretene Kind seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat oder bis vor kurzem dort hatte, so besteht grund-
sätzlich eine Erkundigungspflicht; zu seiner Absicherung kann sich der Vertragspartner vom
gesetzlichen Vertreter eine Vertreterbescheinigung nach Art. 40 KSÜ vorlegen lassen2. Der
fehlende gute Glaube ist von derjenigen Partei zu beweisen, die sich auf die mangelnde gesetz-
liche Vertretungsmacht beruft3.

c) Rechtsfolge
6.1181 Liegen die Voraussetzungen des Art. 19 KSÜ vor, so beurteilt sich die gesetzliche Vertretungs-
macht im Interesse einer Begünstigung des Zustandekommens des Geschäfts alternativ nach
dem Recht des Vornahmestaates. War der Vertreter nach diesem Recht (allein) vertretungs-
berechtigt, so ist das von ihm getätigte Rechtsgeschäft mit Wirkung für und gegen das vertrete-
ne Kind gültig. An diesen Scheinvertreter können daher von gutgläubigen Vertragspartnern im
Vornahmestaat auch Zahlungen mit befreiender Wirkung vorgenommen werden4. Ist das Ge-
schäft wegen fehlender gesetzlicher Vertretungsmacht unwirksam, so sind die Rechtsfolgen
(Nichtigkeit, Anfechtbarkeit etc.) dem jeweiligen Wirkungsstatut des Geschäfts zu entnehmen5.

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Geschäftsfähigkeit

6.1182 a) Ob ein Jugendlicher die für einen Vertragsabschluss erforderliche Geschäftsfähigkeit be-
sitzt, wird nicht nach dem Vertragsstatut beurteilt, sondern gesondert angeknüpft. Maß-
gebend ist nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Heimatrecht, ab 1.1.2023 das Recht am gewöhn-
lichen Aufenthalt des Jugendlichen. Eine Rück- oder Weiterverweisung – z.B. auf das
Wohnsitzrecht oder das Vertragsstatut, ab 1.1.2023 auch auf das Heimatrecht – ist nach
Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten.
6.1183 b) Das Heimatrecht des Jugendlichen entscheidet über die Voraussetzungen voller oder be-
schränkter Geschäftsfähigkeit, d.h. über Volljährigkeitsalter, Geschäftsfähigkeitsstufen,
Emanzipation und Volljährigkeitserklärung, Mündigkeit kraft Eheschließung und Teil-

1 Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 7; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 674.


2 Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 10.
3 Gruber in Geimer/Schütze, IRV, Art. 19 KSÜ Rz. 15.
4 Lagarde-Bericht, Rz. 112; Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 14.
5 Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 52 a.E.

936 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1189 § 6

geschäftsfähigkeiten. Nach dem Heimatrecht sind auch die Prozessfähigkeit und die
Rechtsfolgen fehlender Geschäftsfähigkeit (z.B. Nichtigkeit, schwebende Unwirksamkeit
etc.) zu beurteilen.
c) Ob für einen Vertragsschluss überhaupt Geschäftsfähigkeit erforderlich ist, bestimmt hin- 6.1184
gegen das Wirkungsstatut, bei Verträgen also das Vertragsstatut. Auch besondere Ge-
schäftsfähigkeiten (z.B. im Wertpapier-, Familien- und Erbrecht) ergeben sich aus dem je-
weiligen Wirkungsstatut des Geschäfts.

2. Gesetzliche Vertretung

a) Auf dem Gebiet der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger haben heute die Kollisions- 6.1185
regeln des Haager Kinderschutzabkommens von 1996 Vorrang vor dem autonomen Kol-
lisionsrecht.
b) Hat ein deutsches Gericht Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen getroffen, 6.1186
z.B. die elterliche Sorge nach Scheidung der Ehe geregelt, eine Vormundschaft oder Ergän-
zungspflegschaft angeordnet, so bestimmt sich die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Sor-
gerechtsinhabers, Vormunds oder Pflegers gem. Art. 15 Abs. 1 KSÜ nach deutschem Recht.
Dies gilt auch dann, wenn das deutsche Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht
auf die Art. 5 ff. KSÜ, sondern auf die vorrangigen Art. 8 ff. EuEheVO stützt.
c) Das KSÜ regelt – anders als bisher Art. 3 MSA – auch das auf die gesetzliche Vertretungs- 6.1187
macht anwendbare Recht in Art. 16 und 17 einheitlich für die Vertragsstaaten und ver-
drängt aufgrund seines universellen Anwendungsbereichs (Art. 20 KSÜ) das autonome
Kollisionsrecht der Vertragsstaaten vollständig. Anknüpfungspunkt ist der gewöhnliche
Aufenthalt des Kindes. Ein Renvoi ist nur ausnahmsweise zu beachten (Art. 21 KSÜ).
d) Das Statut der gesetzlichen Vertretung – und nicht das Vertragsstatut – bestimmt auch, ob 6.1188
der gesetzliche Vertreter zum Abschluss gewisser folgenschwerer Verträge für den Minder-
jährigen einer Genehmigung durch das Gericht oder eine Behörde bedarf.

3. Schutz des Rechtsverkehrs


Ist ein Jugendlicher nach seinem Heimatrecht nicht (voll) geschäftsfähig oder nicht ordnungs- 6.1189
gemäß gesetzlich vertreten, so wird der inländische Rechtsverkehr nach Maßgabe von Art. 13
Rom I-VO geschützt. Danach ist beim Abschluss von Verkehrsgeschäften im Inland die Beru-
fung auf ausländisches Geschäftsfähigkeits- oder Vertretungsrecht nur zulässig, wenn der an-
dere Vertragsteil die sich hieraus ergebenden Einschränkungen kannte oder kennen musste.
Im Anwendungsbereich des Haager KSÜ wird Art. 13 Rom I-VO allerdings durch die speziel-
lere Verkehrsschutznorm in Art. 19 KSÜ verdrängt, soweit es um den Schutz vor Mängeln der
gesetzlichen Vertretungsmacht geht.

F. Beschränkungen bei geistig behinderten volljährigen Personen

Literatur: Dutoit, La protection des incapables majeurs en droit international privé, Rev.crit.d.i.
p. 1967, 465; Ganner, Das österreichische Sachwalterrecht, BtPrax 2007, 238 und 2008, 3; Hausmann,
Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil J; Hausmann/Odersky, Internatio-
nales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 5 B; von Hein,
Zur Anordnung von Maßnahmen zum Schutz deutscher Erwachsener durch österreichische Gerichte,

Hausmann | 937
§ 6 Rz. 6.1189 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

IPRax 2009, 173; Hellmann, Rechtliche Unterstützung und Vertretung für Menschen mit geistiger Be-
hinderung in den EU-Staaten, BtPrax 2006, 87; Kirchhoff, Das Rechtsfolgenstatut der beschränkten
Geschäftsfähigkeit und der Geschäftsunfähigkeit – Ein Beitrag zur Auslegung der Art. 7 und 24
EGBGB (2005); Nitzinger, Das Betreuungsrecht im internationalen Privatrecht (1998); Oberhammer/
Graf/Slonina, Sachwalterschaft für Deutsche und Schweizer in Österreich, ZfRV 2007, 133; Oelkers,
Internationales Betreuungsrecht (1996); Ofner, Gesetzliche Vertretung für psychisch Kranke und geis-
tig Behinderte im internationalen Vergleich, ÖJZ 2005, 775; Röthel, Erwachsenenschutz in Europa:
Von paternalistischer Bevormundung zu gestaltbarer Fürsorge, FamRZ 2004, 999; Spickhoff, Selbst-
bestimmung im Alter – Möglichkeiten und Grenzen, ZfRV 2008, 33; van Boxstael, L´administration
de la personne et des biens des incapables, in: Verwilghen/De Volkeneer (Hrsg.), Relations familiales
internationales (Brüssel 1993), S. 191.

I. Allgemeines
1. Gesetzliche Beschränkungen
6.1190 Besonders schwerwiegende geistige oder körperliche Gebrechen, wie vor allem Geisteskrank-
heit, führen nicht nur nach deutschem Recht (vgl. § 104 Nr. 2 BGB), sondern nach den Rech-
ten fast aller Länder kraft Gesetzes zur Geschäftsunfähigkeit oder – in minder schweren Fällen
– zu einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit. Die Frage, ob ein Volljähriger aufgrund einer
krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit geschäftsunfähig oder in seiner Geschäftsfähigkeit
beschränkt ist, beurteilt sich gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht1. Dieses
entscheidet – nicht anders als bei Jugendlichen (dazu Rz. 6.944 ff.) – auch über die Rechtsfol-
gen der mangelnden Geschäftsfähigkeit für das von dem geisteskranken Volljährigen vor-
genommene Geschäft.

6.1191 Ebenso wie bei Minderjährigen (dazu Rz. 6.930 ff.) bestimmt sich auch die Frage, ob ein ge-
schäftsunfähiger Volljähriger zumindest für bestimmte Rechtsgeschäfte kraft Gesetzes als ge-
schäftsfähig zu gelten hat (Teilgeschäftsfähigkeit), nach seinem Personalstatut. Zwar führt die
Regelung in § 105a BGB, wonach Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwerti-
gen Mitteln bewirkt werden können (z.B. Brötchenkauf), auch von einer geschäftsunfähigen
volljährigen Person vorgenommen werden können, sofern Leistung und Gegenleistung be-
wirkt worden sind, nicht zur Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages, sondern schließt le-
diglich die Rückforderung der bewirkten Leistung und Gegenleistung aus2. Diese Regelung
kommt jedoch der Anerkennung einer Teilgeschäftsfähigkeit des betroffenen Personenkreises
nahe und ist deshalb nur anwendbar, wenn der geschäftsunfähige Volljährige ein deutsches
Personalstatut hat3. Vgl. aber zum Verkehrsschutz Rz. 6.1050 ff.

1 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, NJW 2004, 1315 (1316); Hausmann in Staudinger, Art. 7
EGBGB Rz. 50; Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 16; a.A. aber Lipp, FS Kühne
(2009), S. 765 (776), Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 44, der die sog. „natürliche“ Ge-
schäftsunfähigkeit i.S.d. § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1 und 2 BGB insgesamt dem Wirkungsstatut un-
terwerfen möchte.
2 Vgl. BT-Drucks. 14/5266, S. 43; dazu Casper, Geschäfte des täglichen Lebens – kritische Anmer-
kungen zu § 105a BGB, NJW 2002, 3425 f.; Lipp, Die neue Geschäftsfähigkeit Erwachsener,
FamRZ 2003, 721 ff.
3 Hausmann in Staudinger, Rz. 51; Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Rz. 16, jeweils zu Art. 7
EGBGB; a.A. (Wirkungsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 43; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, je-
weils zu Art. 7 EGBGB. Die Anknüpfung des § 105a BGB entspricht daher derjenigen des „Ta-
schengeldparagraphen“ bei Minderjährigen, vgl. Rz. 6.1083.

938 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. § 6

2. Gerichtliche Beschränkungen
Weitere Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit oder Verfügungsbefugnis können auch bei er- 6.1192
wachsenen Personen aufgrund gerichtlicher oder behördlicher Maßnahmen eintreten. Zum
Schutze geistig oder körperlich behinderter Personen, sowie zum Schutz der mit diesen Per-
sonen kontrahierenden Dritten sah das deutsche Sachrecht früher das Rechtsinstitut der Ent-
mündigung vor.

Durch das Betreuungsgesetz1 hat der deutsche Gesetzgeber die Entmündigung mit Wirkung 6.1193
vom 1.1.1992 abgeschafft. Zugleich wurden die Vormundschaft über Volljährige sowie die Ge-
brechlichkeitspflegschaft durch das einheitliche Rechtsinstitut der Betreuung (§§ 1896–1908i
BGB) ersetzt. Voraussetzung für die Anordnung einer Betreuung ist, dass ein Volljähriger auf-
grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behin-
derung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1
BGB). Der gerichtlich bestellte Betreuer ist in seinem Aufgabenkreis gesetzlicher Vertreter des
Betreuten (§ 1902 BGB). Die Anordnung einer Betreuung wirkt sich allerdings – vorbehaltlich
der § 104 Nr. 2, § 105 BGB – auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten nicht aus, und zwar
auch nicht für die Vornahme von Geschäften innerhalb des Aufgabenkreises, für den der Be-
treuer bestellt wurde2. Nur soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Per-
son oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, kann das Betreuungsgericht gem.
§ 1903 BGB einen sog. Einwilligungsvorbehalt anordnen. Dieser bewirkt, dass der Betreute –
entsprechend der Regelung bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 108 ff. BGB) – zu ei-
ner Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung be-
darf.

II. Betreuung
1. Haager Erwachsenenschutzübereinkommen von 2000
a) Allgemeines
Literatur: Bucher, La convention de La Haye sur la protection internationale des adultes, SZIER 2000,
37; Clive, The New Hague Convention on the Protection of Adults, Yb.PIL II (2000), 1; Frimston/
Ruck/Keene/van Overdijk/Ward, The International Protection of Adults, 2015; Guttenberger, Das Haa-
ger Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (2004); Guttenberger, Das
Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BtPrax 2006, 83; Helms,
Reform des internationalen Betreuungsrechts durch das Haager Erwachsenenschutzabkommen,
FamRZ 2008, 1995; Lagarde, La Convention de La Haye du 13 janvier 2000 sur la protection interna-
tionale des adultes, Rev.crit.d.i.p. 2000, 159; Ludwig, Der Erwachsenenschutz im internationalen Pri-
vatrecht nach Inkrafttreten des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens, DNotZ 2009, 251; G.
Müller, Aktuelle Probleme der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung, ZNotP 2012, 404;
Ramser, Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des Haager Abkommens über
den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000, 2010; Revillard, La Convention de
la Haye sur la protection des adultes et la pratique du mandat inaptitude, FS Lagarde (2005), S. 725;
Röthel, Das Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht, IPRax 2010, 494; Röthel/Woitge, Das ESÜ-Ausfüh-
rungsgesetz – effiziente Kooperation iminternationalen Erwachsenenschutz, IPRax 2010, 494; Schaub,
Kollisionsrechtliche Probleme bei Vorsorgevollmachten, IPRax 2016, 207; Siehr, Das Haager Überein-
kommen über den internationalen Schutz Erwachsener, RabelsZ 64 (2000), 715; Siehr, Der internatio-
nale Schutz Erwachsener nach dem Haager Übereinkommen, FS Henrich (2000), S. 567; Wagner, Die
Regierungsentwürfe zur Ratifikation des Haager Übereinkommens vom 13.1.2000 zum internationa-

1 BGBl. I 1990, 2002.


2 Schwab in MünchKomm, Rz. 140; Götz in Palandt, Rz. 5, jeweils zu § 1896 BGB.

Hausmann | 939
§ 6 Rz. | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

len Schutz Erwachsener, IPRax 2007, 11; Wagner/Beyer, Das Haager Übereinkommen vom 13.11.2000
zum internationalen Schutz Erwachsener, BtPrax 2007, 231. Wedemann, Vorsorgevollmachten im in-
ternationalen Rechtsverkehr, FamRZ 2010, 785.
Vgl. auch das allgemeine Schrifttum vor Rz. 6.1190.
6.1194 Die Vereinheitlichung des internationalen Privat- und Verfahrensrechts auf dem Gebiet des
Schutzes körperlich oder geistig Behinderter volljähriger Personen hat sich das Haager Über-
einkommen über den internationalen Schutz Erwachsener (ErwSÜ) vom 13.1.2000 zum
Ziel gesetzt1. Dieses Übereinkommen ist von der Bundesrepublik Deutschland am 3.4.2007 ra-
tifiziert worden; ferner hat der deutsche Gesetzgeber ein Ausführungsgesetz zu dem Überein-
kommen erlassen2. Völkerrechtlich ist das Übereinkommen am 1.1.2009 im Verhältnis zu
Frankreich und Schottland in Kraft getreten3; es gilt inzwischen auch für Estland (seit
1.11.2011), Finnland (seit 1.3.2011), Lettland (seit 1.3.2018), Monaco (seit 1.7.2016), Öster-
reich (seit 1.2.2014), Portugal (seit 1.7.2018), die Schweiz (seit 1.7.2009) und die Tschechische
Republik (seit 1.8.2012)4. In Aufbau und Inhalt lehnt sich das Übereinkommen eng an das
Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 (KSÜ; dazu Rz. 6.1111 ff.) an. Wie dort sind
insbesondere Regelungen zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht, zur
Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen und zur internationalen Behörden-
kooperation vorgesehen.

b) Anwendungsbereich
6.1195 Das Übereinkommen ist nach seinem Art. 1 Abs. 1 bei internationalen Sachverhalten auf den
Schutz von Erwachsenen anzuwenden, die „aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzu-
länglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schüt-
zen“5. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Übereinkommens wird hingegen
nicht abstrakt bestimmt, sondern wird für die internationale Zuständigkeit, das anwendbare
Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen jeweils gesondert fest-
gelegt6.

6.1196 Erwachsene i.S.d. Übereinkommens sind Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben
(Art. 2 Abs. 1 ErwSÜ), auch wenn sie nach ihrem Heimatrecht oder dem Recht ihres gewöhn-
lichen Aufenthalts erst zu einem späteren Zeitpunkt volljährig werden; deshalb kommt es auf
die Staatsangehörigkeit des Erwachsenen nicht an7. Um einen nahtlosen Übergang vom KSÜ
auf das ErwSÜ zu gewährleisten, ist das ErwSÜ nach Art. 2 Abs. 2 allerdings auch auf Maß-
nahmen anzuwenden, die hinsichtlich eines Erwachsenen zu einem Zeitpunkt getroffen wur-
den, in dem er das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

1 Vgl. den Text im BGBl. I 2007, S. 323 ff., sowie bei Jayme/Hausmann, Nr. 20. Dazu den erläutern-
den Bericht von Lagarde, BT-Drucks. 16/3250.
2 Gesetz v. 17.3.2007, BGBl. I 2007, 314; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Nr. 20a; dazu Wagner,
IPRax 2007, 11 (14 f.).
3 Bek. v. 12.12.2008, BGBl. II 2009, 39.
4 Vgl. Jayme/Hausmann Nr. 20 Fn. 1.
5 Zum Begriff der Schutzbedürftigkeit näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB
Rz. 22 ff.
6 Lagarde-Bericht Rz. 17; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 168; Benicke in NK BGB, Art. 1 ErwSÜ Rz. 9
m.w.N.
7 Lagarde-Bericht Rz. 17; Helms, FamRZ 2008, 1995; Wagner, IPRax 2007, 11 (12).

940 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1200 § 6

Die sachlich vom Übereinkommen erfassten Schutzmaßnahmen werden in Art. 3 ErwSÜ – 6.1197
in bewusster Anlehnung an Art. 3 KSÜ – präzisiert. Zu den dort beispielhaft aufgeführten
Schutzmaßnahmen gehören u.a. Entscheidungen über die Handlungsfähigkeit (lit. a), die Un-
terstellung des Erwachsenen unter den Schutz eines Gerichts oder einer Behörde (lit. b) sowie
die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft und entsprechende Einrichtungen
(lit. c). Erfasst werden aber auch Maßnahmen zur Bestimmung der Person oder Stelle, die für
die Person oder das Vermögen des Erwachsenen verantwortlich ist, ihn vertritt oder ihm bei-
steht (lit. d), sowie die Verwaltung und Erhaltung des Vermögens des Erwachsenen oder die
Verfügung darüber (lit. f). Darunter fällt insbesondere auch die Betreuung nach §§ 1896 ff.
BGB1. Das Übereinkommen gilt daher sowohl für die Bestellung wie für die Abberufung des
Betreuers, daneben aber auch für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und die Ge-
nehmigung bestimmter Einzelakte. Darauf, ob die Maßnahme von der lex fori als zivil- oder
öffentlich-rechtlich qualifiziert wird, kommt es nicht an2. Hingegen gilt das ErwSÜ nicht für
die Abwesenheitspflegschaft und die Ergänzungspflegschaft zur Vertretung eines Erwachsenen
in Fällen eines Interessenkonflikts3.

Auch Entmündigungen fallen grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich des Haa- 6.1198
ger ErwSÜ (vgl. Art. 3 lit. a, lit. b ErwSÜ)4. Sind danach deutsche Gerichte international zu-
ständig, so können sie eine Entmündigung i.d.R. schon deshalb nicht mehr vornehmen, weil
sie nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ grundsätzlich deutsches Recht als lex fori anzuwenden haben
und dieses das Rechtsinstitut der Entmündigung nicht mehr kennt. Nichts anderes gilt aber
auch dann, wenn ein deutsches Gericht nach Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ ausnahmsweise auslän-
disches Recht anzuwenden hat, welches die Entmündigung noch kennt. Denn die Anordnung
von Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht, die über die mit der
Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB verbundenen Wirkungen hinaus-
gehen, verstößt heute offensichtlich gegen den inländischen ordre public (Art. 21 ErwSÜ)5.

Außerdem setzt die Anwendung des Übereinkommens nach Art. 1 Abs. 1 einen „internatio- 6.1199
nalen Sachverhalt“ voraus, der also Bezugspunkte zu mindestens zwei Staaten aufweist. Ein
solcher ist insbesondere gegeben, wenn Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt des
Erwachsenen divergieren. Darüber hinaus dürfte aber auch die Belegenheit von Vermögen des
Erwachsenen in einem von seinem Aufenthaltsstaat verschiedenen Staat hierfür ausreichen6.

Zeitlich gilt das Übereinkommen nur für Maßnahmen, die nach seinem Inkrafttreten im an- 6.1200
ordnenden Staat getroffen worden sind (Art. 50 Abs. 1 ErwSÜ). Auf die Anerkennung und
Vollstreckung von Maßnahmen ist das Übereinkommen hingegen nur anwendbar, wenn es
bei Erlass der Maßnahme sowohl im Ursprungs- wie im Anerkennungsstaat in Kraft war

1 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (726 f.); Guttenberger, S. 84; Helms, FamRZ 2008, 1995 f.; Ludwig,
DNotZ 2009, 251 (263).
2 von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 42 m.w.N.
3 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (721); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 2.
4 Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996); Lipp in MünchKomm, Art. 1-4 ErwSÜ Rz. 15 ff.
5 So zum autonomen IPR (Art. 6 EGBGB) Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Hausmann in
Staudinger/Art. 7 EGBGB Rz. 151; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 5; a.A. Kegel in
Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB Rz. 13 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 50; Röthel,
IPRax 2006, 90 (91). Vgl. auch EGMR Nr. 44009/05 (Shtukaturov), FamRZ 2008, 1734 (1735):
Verstoß der Entmündigung eines Erwachsenen gegen Art. 8 EMRK.
6 von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 28 unter Hinweis auf Art. 10 Abs. 2
ErwSÜ; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (259 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 1-4 ErwSÜ Rz. 36; a.A.
Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (722); Wagner, IPRax 2007, 11 (13).

Hausmann | 941
§ 6 Rz. 6.1200 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(Art. 50 Abs. 2 ErwSÜ). Demgegenüber wirkt das Übereinkommen für Vorsorgevollmachten


in gewissem Umfang zurück; denn es ist insoweit ab seinem Inkrafttreten in einem Vertrags-
staat auch auf die Vertretungsmacht anzuwenden, die zuvor unter Bedingungen eingeräumt
wurde, die denen des Art. 15 ErwSÜ entsprechen1.

c) Internationale Zuständigkeit
6.1201 Für Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen sind nach
Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ primär die Behörden des Vertragsstaats international zuständig, in dem
der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt2 hat. Verlegt der Erwachsene seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat, so werden die Behörden des neuen
Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ); eine perpetuatio fori wird also – ebenso
wie nach Art. 5 Abs. 2 KSÜ (Rz. 6.1124) – ausgeschlossen3. Zuvor getroffene Schutzmaßnah-
men behalten jedoch ihre Wirkung (Art. 12 ErwSÜ); sie können allerdings durch den neuen
Aufenthaltsstaat abgeändert oder aufgehoben werden.

6.1202 Neben der primären Aufenthaltszuständigkeit sieht das Übereinkommen in Art. 7 ErwSÜ
eine konkurrierende Zuständigkeit der Behörden des Vertragsstaats vor, dem der Erwachsene
angehört (Heimatzuständigkeit), sofern diese der Auffassung sind, besser in der Lage zu sein,
das Wohl des Erwachsenen zu beurteilen4. Diese Zuständigkeit der Heimatbehörden darf al-
lerdings nicht gegen den Willen der Aufenthaltsbehörden ausgeübt werden, und die von den
Heimatbehörden getroffenen Maßnahmen können von den Aufenthaltsbehörden jederzeit au-
ßer Kraft gesetzt werden (Art. 7 Abs. 2, 3 ErwSÜ)5 Ferner können die Aufenthaltsbehörden
zum Wohl des Erwachsenen auch Behörden anderer Vertragsstaaten ersuchen, Schutzmaß-
nahmen zu treffen (z.B. neben den Behörden des Heimatstaats auch diejenigen eines früheren
Aufenthaltsstaates oder eines Staates, in dem Vermögen des Erwachsenen belegen ist, Art. 8
ErwSÜ).6

6.1203 Weitere Zuständigkeiten sind zugunsten des Staates vorgesehen, in dem Vermögen des Er-
wachsenen belegen ist (Art. 9 ErwSÜ), sowie für Eilentscheidungen und einstweilige Anord-
nungen zum Schutz der Person (Art. 10, 11 ErwSÜ)7. Während die Art. 5–9 ErwSÜ die inter-
nationale Zuständigkeit abschließend regeln, wenn der Erwachsene seinen gewöhnlichen Auf-

1 Dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 171 ff.
2 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist – ebenso wie nach dem KSÜ (dazu Rz. 6.1123) –
autonom im Sinne des tatsächlichen Mittelpunkts der Lebensführung auszulegen, vgl. Helms,
FamRZ 2008, 1995 (1996 f.); Wagner, IPRax 2007, 11 (13); Guttenberger, S. 90 f.; Hausmann, In-
tEuFamR J Rz. 61 ff.; Lipp in MünchKomm, Art. 5 ErwSÜ Rz. 3 ff.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 51; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 68; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu
Art. 24 EGBGB Rz. 76. Wird der gewöhnliche Aufenthalt in einen Nichtvertragsstaat verlegt, ent-
scheidet über den Fortbestand der internationalen Zuständigkeit das nationale Verfahrensrecht
des neuen Aufenthaltsstaates, vgl. Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996); Hausmann, IntEuFamR J
Rz. 71; Lipp in MünchKomm, Art. 5 ErwSÜ Rz. 13 ff.
4 Dazu näher Benicke in NK BGB, Art. 7 ErwSÜ Rz. 5; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 82
5 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 84 ff.
6 Dazu Lagarde-Bericht, Rz. 66 ff.; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 96 ff;
Hausmann, IntEuFamR J Rz. 87 ff.
7 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 104 ff., 110 ff. und 120 ff.; allg. zur internationalen Zu-
ständigkeit nach dem Übk. auch Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (728 ff.); Helms, FamRZ 2008, 1995
(1996 ff.).

942 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1205 § 6

enthalt in einem Vertragsstaat des Übereinkommens hat, können die Art. 10, 11 ErwSÜ auch
Anwendung finden, wenn sich der Erwachsene in einem Drittstaat gewöhnlich aufhält1.

d) Anwendbares Recht
aa) Reichweite des ErwSÜ
Das ErwSÜ regelt das anwendbare Recht nur für die Voraussetzungen und Wirkungen der 6.1204
Anordnung und Aufhebung von Schutzmaßnahmen sowie für das Bestehen, den Umfang
und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht. Abweichend von Art. 16, 17 KSÜ fehlt hin-
gegen eine allgemeine Kollisionsnorm für den Erwachsenenschutz, der kraft Gesetzes eintritt2.
Insbesondere enthält das ErwSÜ – anders als das KSÜ für Kinder (Art. 16, 17; Rz. 6.1134 ff.)
– keine Vorschriften zur gesetzlichen Vertretung von nicht (voll) geschäftsfähigen Erwach-
senen, die ohne die Anordnung von Schutzmaßnahmen anzuwenden sind. Regelungslücken,
die sich daraus in Fällen ergeben können, in denen die Volljährigkeit nach dem Heimatrecht
des Betroffenen erst später als mit 18 Jahren eintritt, sind mit Hilfe des nationalen Kollisions-
rechts – in Deutschland also mit Hilfe von Art. 21, 24 EGBGB – zu schließen3. Gleiches gilt,
wenn die Handlungsunfähigkeit eines Erwachsenen eine Betreuung kraft Gesetzes auslöst, wie
z.B. nach §§ 284b ff. öst. ABGB4. Schließlich findet das Kollisionsrecht der Verordnung auch
dann keine Anwendung, wenn es an einer internationalen Zuständigkeit nach dem Überein-
kommen für Schutzmaßnahmen fehlt5. Das allein nach autonomem Recht (§ 104 FamFG) zu-
ständige deutsche Gericht hat daher das von Art. 24 EGBGB bestimmte Recht anzuwenden.

bb) Schutzmaßnahmen
(1) Grundsatz: Lex fori
Kollisionsrechtlich geht das Übereinkommen – wie das KSÜ (Rz. 6.1128 f.) – vom Gleichlauf- 6.1205
prinzip aus: Gemäß Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ wenden die nach Art. 5–12 ErwSÜ zuständigen
Behörden auf von ihnen zu treffende Schutzmaßnahmen ihr eigenes Recht an6. Sowohl die
Voraussetzungen als auch der Inhalt einer von deutschen Gerichten angeordneten Betreuung
(z.B. die Zulässigkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts) unterliegen daher dem
deutschen Recht. Dieses gilt dann insbesondere auch für den Umfang der gesetzlichen Ver-
tretungsmacht des Betreuers. Stützt das angerufene Gericht seine internationale Zuständig-
keit – wie im Regelfall – auf Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ, so führt der Gleichlaufgrundsatz zur An-

1 Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Althammer, IPRax 2009, 381 (385); Guttenberger, S. 116 (122);
Hausmann, IntEuFamR J Rz. 111, 122; a.A. für Art. 11 ErwSÜ von Hein in Staudinger, Vorbem.
zu Art. 24 EGBGB Rz. 128 m. ausf. Darstellung des Meinungsstandes.
2 Lagarde-Bericht, Rz. 19; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.);
Hausmann, IntEuFamR J Rz. 175.
3 OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, BeckRS 2012, 14694 = FamRZ 2013, 312 (Beendigung
der Vormundschaft für einen 19-jährigen Liberianer); OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15,
BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.) (ebenso für einen 19-jährigen Guineer); Thorn in
Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 3.
4 Guttenberger, S. 186 f.
5 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (725); Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 84; Thorn in
Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 7; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB
Rz. 148.
6 Vgl. dazu von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 105 ff.; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 176 f.; Lipp in
MünchKomm, Art. 13 ErwSÜ Rz. 1 f.

Hausmann | 943
§ 6 Rz. 6.1205 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen. Auf dessen Staatsangehö-
rigkeit kommt es nicht an; er kann daher auch einem Drittstaat angehören1. Allerdings be-
schränkt Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ den Gleichlaufgrundsatz nicht auf die Fälle des Art. 5 Abs. 1
ErwSÜ, sondern erstreckt ihn auf sämtliche Zuständigkeiten des Kapitels II. Die Kollisions-
regel kann daher auch zur Anwendung eines vom Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Er-
wachsenen abweichenden Rechts führen, z.B. wenn die Zuständigkeit für Schutzmaßnahmen
auf die Staatsangehörigkeit des Erwachsenen (Art. 7 ErwSÜ) oder die Belegenheit von dessen
Vermögen (Art. 9 ErwSÜ) gestützt werden2.

(2) Ausweichklausel
6.1206 Soweit es der Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen erfordert, können die
nach dem Übereinkommen zuständigen Behörden jedoch – wiederum nach dem Vorbild des
KSÜ (Art. 15 Abs. 2 KSÜ; Rz. 6.1131 f.) – ausnahmsweise auch das Recht eines anderen Staa-
tes anwenden oder berücksichtigen, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung hat (Art. 13
Abs. 2 ErwSÜ)3; dies kann auch das Recht eines Drittstaats sein4. In Betracht kommt etwa die
Anwendung des Heimatrechts des Erwachsenen durch die nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ zustän-
digen Behörden im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts, wie auch umgekehrt die Anwen-
dung des Aufenthaltsrechts durch die nach Art. 7 ErwSÜ zuständigen Heimatbehörden. Ins-
besondere bei der Verfügung über im Ausland belegenes Vermögen des Erwachsenen kann
auch die Anwendung der lex rei sitae zweckmäßig sein5. Auch soweit die nach dem Überein-
kommen zuständigen Behörden danach ausnahmsweise nicht ihr eigenes, sondern fremdes
Recht anwenden, haben sie die Sachvorschriften des maßgeblichen Rechts heranzuziehen.
Denn die Beachtung einer Rück- und Weiterverweisung ist im gesamten Geltungsbereich des
Übereinkommens nach dessen Art. 19 ausgeschlossen. Dies gilt – anders als nach Art. 21
Abs. 2 KSÜ (Rz. 6.1135) – auch dann, wenn die Verweisung auf das Recht eines Nichtver-
tragsstaats gerichtet ist.

(3) Durchführung von Maßnahmen im Ausland


6.1207 Abweichend von Art. 13 ErwSÜ bestimmt über die Durchführung von Maßnahmen durch
einen in Deutschland bestellten Betreuer in einem anderen Vertragsstaat (z.B. in Frankreich)
gem. Art. 14 ErwSÜ das dortige Recht; dies gilt insbesondere für vormundschafts- oder be-
treuungsgerichtliche Genehmigungserfordernisse6. Maßnahmen zum Schutz von Erwachse-
nen, die nicht gerichtlich angeordnet werden müssen, sondern kraft Gesetzes zu ergreifen
sind, werden hingegen von den Kollisionsnormen des Übereinkommens nicht erfasst7.

1 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 4.


2 Lipp in MünchKomm, Art. 13 ErwSÜ Rz. 4; Benicke in NK BGB, Art. 13 ErwSÜ Rz. 3; Hausmann,
IntEuFamR J Rz. 177.
3 Näher zu dieser Ausweichklausel von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 149 ff.;
Guttenberger, S. 143 ff.
4 Näher zu dieser Ausweichklausel von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 149 ff.;
Hausmann, IntEuFamR J Rz. 179 ff.; Guttenberger, S. 143 ff.
5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 112.
6 Lagarde-Bericht, Rz. 93 f.; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (738); Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999);
Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 189; einschränkend Thorn in Pa-
landt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 6; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 161.
7 Lagarde-Bericht, Rz. 19; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.).

944 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1209 § 6

cc) Vorsorgevollmacht
(1) Allgemeines
Eine praktisch wichtige Sonderanknüpfung sieht das Übereinkommen in seinem Art. 15 für 6.1208
die von einem Erwachsenen erteilte Vorsorgevollmacht (vgl. im deutschen Recht § 1896 Abs. 2
S. 2, § 1901c S. 2 BGB) vor1. Diese Vorschrift kommt als allseitige Kollisionsnorm unabhängig
davon zur Anwendung, ob der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertrags-
staat hat2. Der Begriff der Vorsorgevollmacht wird in Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ dahin umschrie-
ben, dass sie ausgeübt werden soll, wenn der Erwachsene nicht in der Lage ist, seine Interessen
selbst zu schützen3. Die Vollmacht kann sich nur auf persönliche Belange (z.B. Entscheidun-
gen über ärztliche Behandlungen) beschränken; sie kann aber auch oder nur vermögensrecht-
liche Angelegenheiten betreffen4. Es muss jedoch einer anderen Person Vertretungsmacht ein-
geräumt werden; auf reine Betreuungs- oder Patientenverfügungen ist die Vorschrift daher
nicht anwendbar, weil die Betroffenen darin nur ihren eigenen Willen in Bezug auf die Aus-
wahl eines Betreuers oder gewünschte ärztliche Behandlungen zum Ausdruck bringen5. Soll
die Vollmacht schon vor Eintritt der Urteilsunfähigkeit gelten, so beurteilt sie sich für diesen
Zeitraum nach dem autonomen IPR der Vertragsstaaten, in Deutschland also nach Art. 8
EGBGB (dazu Rz. 6.385 ff.). Erst ab Eintritt der Urteilsunfähigkeit gilt für sie Art. 15 ErwSÜ
und es kommt deshalb u.U. zu einem Statutenwechsel6.

Art. 15 ErwSÜ kommt als allseitige Kollisionsnorm in den Vertragsstaaten unabhängig da- 6.1209
von zur Anwendung, ob der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertrags-
staat hat7. Sie gilt aber nur für die Vollmacht, nicht für die ihr zugrunde liegende Rechtsbezie-
hung im Innenverhältnis zwischen dem Erwachsenen und dem Bevollmächtigten8.

1 Vgl. dazu rechtsvergleichend Ludwig, DNotZ 2009, 251 (269 ff.); von Hein in Staudinger, Vorbem.
zu Art. 24 EGBGB Rz. 165 ff.
2 Guttenberger, S. 153 f.; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Wiedemann, FamRZ 2010, 785 (787);
Lipp in MünchKomm, Art. 19 ErwSÜ Rz. 25; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB
Rz. 170 m.w.N.; a.A. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB
Rz. 49.
3 Dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 174 ff.
4 Lagarde-Bericht, Rz. 96; Jayme, FS Spellenberg (2010), S. 203 (208); Schaub, IPRax 2016, 207
(208); Bücker, RNotZ 2018, 213 (224); Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 9; Lipp in Münch-
Komm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 11; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 192 ff.
5 Vgl. Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Röthel, FPR 2007, 79 (81); Wedemann, FamRZ 2010, 785
(787); Schaub, IPRax 2016, 207 (209 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 16 ff.; Thorn in
Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 8; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB
Rz. 178 f. m.w.N.
6 Lagarde-Bericht, Rz. 97; Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 194;
Benicke in NK-BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 7. Eine zwar sofort wirksame Vollmacht, die aber im In-
nenverhältnis auf den Vorsorgefall beschränkt wird, sollte hingegen einheitlich dem ErwSÜ unter-
stellt werden, vgl. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (273); Schaub IPRax 2016, 207 (209).
7 Guttenberger, S. 153 f.; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (787);
Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 25; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 49;
von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 170 m.w.N.; a.A. (Anwendung des natio-
nalen Kollisionsrechts) Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258); Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (496);
Müller ZNotP 2012, 404 (405); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 65.
8 Schaub, IPRax 2016, 207 (209); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz 12; von Hein in Staudin-
ger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 174.

Hausmann | 945
§ 6 Rz. 6.1210 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(2) Objektive Anknüpfung


6.1210 Nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ unterliegen das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die
Beendigung einer Vorsorgevollmacht also – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen
zur Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretung nach Art. 8 EGBGB (dazu Rz. 6.398 ff.)
– nicht dem Recht der Niederlassung des berufsmäßigen Vertreters (z.B. des als Betreuer be-
stellten Rechtsanwalts oder Notars) oder – vorbehaltlich von Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ – dem
Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht, sondern dem Recht des Staates, in dem der Erwach-
sene (Vollmachtgeber) im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung1 seinen gewöhnlichen Aufent-
halt hat2.

6.1211 Die einheitliche Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht des Vollmachtgebers gilt unabhängig da-
von, ob die Vorsorgevollmacht durch zweiseitige Vereinbarung oder – wie nach deutschem
Recht – durch einseitiges Rechtsgeschäft erteilt worden ist. Entspricht die Vorsorgevollmacht
den Anforderungen des Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ, so bleibt sie auch dann wirksam, wenn sie bereits
vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens erteilt wurde (Art. 50 Abs. 3 ErwSÜ). Die Aufent-
haltsanknüpfung gilt nach Art. 18 ErwSÜ auch dann, wenn sie zur Anwendung eines drittstaat-
lichen Rechts führt; ein Renvoi ist auch in diesem Fall nicht zu beachten, Art. 19 ErwSÜ.

6.1212 Das Statut der Vorsorgevollmacht nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ ist unwandelbar. Ist die Voll-
macht daher nach dem Recht des Staates, in dem der Erwachsene zum Zeitpunkt ihrer Ertei-
lung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zulässig und wirksam, so bleibt sie dies auch, wenn
der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt anschließend in einen Staat verlegt, nach
dessen Recht sie nicht hätte erteilt werden können. Umgekehrt tritt auch keine Heilung durch
Statutenwechsel ein, wenn die Vorsorgevollmacht nach dem von Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ be-
stimmten Recht nicht wirksam erteilt wurde, auch wenn sie nach dem neuen Aufenthaltsrecht
des Erwachsenen wirksam wäre3. In diesem Fall hilft nur eine Neuerteilung der Vollmacht,
sofern der Erwachsene hierzu noch in der Lage ist.

(3) Rechtswahl
6.1213 Der Erwachsene hat allerdings die Möglichkeit, von der Geltung des Aufenthaltsrechts nach
Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ durch Rechtswahl abzuweichen4. Diese Möglichkeit besteht auch dann,
wenn das Recht des Staates, in dem sich der Erwachsene gewöhnlich aufhält, Vorsorgevoll-
machten nicht zulässt; in diesem Fall kann eine Vorsorgevollmacht durch die Wahl eines
Rechts, das sie kennt, wirksam erteilt werden5. Die Rechtswahl muss aus Gründen der Rechts-
sicherheit ausdrücklich und schriftlich erfolgen; sie kann also nicht stillschweigend erklärt
werden, bedarf andererseits aber auch nicht der notariellen Beurkundung6. Da das Überein-
kommen selbst keine Vorgaben für die Einhaltung der Schriftform enthält, müssen diese in
Zweifelsfällen (z.B. bei Verwendung elektronischer Medien) im Wege autonomer Auslegung

1 Das Statut der Vorsorgevollmacht ist damit unwandelbar, vgl. Rz. 6.1212.
2 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für die Zwecke des Art. 15 ErwSÜ näher Schaub, IPRax
2016, 207 (210).
3 Lagarde-Bericht, Rz. 98; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz 33; Benicke in NK-BGB, Art. 15
ErwSÜ Rz. 14, 19; Schaub, IPRax 2016, 207 (210) m.w.N.
4 Zur Rechtswahl näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 200 ff.; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu
Art. 24 EGBGB Rz. 185 ff. m.w.N.
5 Lagarde-Bericht, Rz. 104; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 20.
6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 72. Näher zur Schriftform der Rechtswahl Wedemann, FamRZ
2010, 785 (788) m.w.N.

946 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1216 § 6

ermittelt werden1; dabei kann insbesondere auf die Anforderungen an die Schriftform in an-
deren Haager Übereinkommen zurückgegriffen werden2. Die materielle Wirksamkeit der
Rechtswahl beurteilt sich hingegen – wie im internationalen Vertragsrecht (Art. 3 Abs. 5
i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) – nach dem gewählten Recht3. Da das Übereinkommen kei-
nen Zeitpunkt für die Vornahme der Rechtswahl bestimmt, kann diese auch noch nach Ertei-
lung der Vorsorgevollmacht getroffen werden4. Die Rechtswahl kann ferner jederzeit geändert
oder aufgehoben werden5.
Die Rechtswahlfreiheit wird allerdings nicht unbeschränkt eingeräumt. Der Erwachsene kann 6.1214
vielmehr nur zwischen den in Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ genannten Rechten wählen, nämlich
den Rechten
– eines Staates, dem der Erwachsene angehört (lit. a);
– des Staates eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen (lit. b);
– eines Staates, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, hinsichtlich dieses Ver-
mögens (lit. c).
Das gewählte Recht kann auch dasjenige eines Nichtvertragsstaats sein (Art. 18 ErwSÜ). Be- 6.1215
sitzt der Erwachsene zwei oder mehrere Statsangehörigkeiten, so kann er nach lit. a jede die-
ser Staatsangehörigkeiten wählen; er ist also nicht auf die Wahl der effektiven Staatsangehörig-
keit beschränkt6. Nach lit. b kann er nicht nur das Recht seines zeitlich letzten vorangegange-
nen gewöhnlichen Aufenthalt wählen; vielmehr kann das Recht eines jeden Staates gewählt
werden, in dem früher einmal ein gewöhnlicher Aufenthalt bestanden hat7. Die Rechtswahl
nach lit. c ist auf das in diesem Staat belegene Vermögen beschränkt. Das Vermögen muss
allerdings dort nicht schon im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung vorhanden sein; es genügt
vielmehr, wenn z.B. ein im Belegenheitsstaat bestehendes Bankkonto des Vollmachtgebers erst
im Zeitpunkt des Gebrauchs der Vollmacht ein Guthaben aufweist8.
Andere als die in lit. a bis lit. c genannten Rechte können nicht gewählt werden; dies gilt ins- 6.1216
besondere für das Recht des Staates, in dem der Erwachsene derzeit seinen gewöhnlichen Auf-
enthalt hat bzw. in dem er einen solchen in Zukunft begründen möchte9 oder in dem der Be-
vollmächtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder früher hatte. Die Rechtswahl ist in ei-
nem solchen Fall unwirksam und es gilt das objektive Vollmachtstatut nach Art. 15 Abs. 1
ErwSÜ. Dieses entscheidet dann nicht nur über die Zulässigkeit und die wirksame Erteilung
der Vorsorgevollmacht, sondern auch darüber, ob die Unwirksamkeit der Rechtswahl zugleich

1 Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 201; von Hein in Staudinger,
Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 170; a.A. Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 22 (alternativer
Rückgriff auf das gewählte Recht oder das Recht am Vornahmeort).
2 Vgl. z.B. Art. 3 lit. c des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen v.
30.6.2005; Art. 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 HUP.
3 Schaub, IPRax 2016, 207 (211); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 187.
4 Schaub, IPRax 2016, 207 (211).
5 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (277).
6 Lagarde-Bericht, Rz. 102 Fn. 66; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 24; Lipp in MünchKomm,
Art. 15 ErwSÜ Rz. 35.
7 Lagarde-Bericht, Rz. 102 Fn. 67; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 190; Be-
nicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 25.
8 Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 26; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 206; a.A. Lipp in Münch-
Komm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 36.
9 Guttenberger, S. 159; Füllemann, Rz. 279; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 36.

Hausmann | 947
§ 6 Rz. 6.1216 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

die Unwirksamkeit der erteilten Vorsorgevollmacht zur Folge hat; nach deutschem Recht ist
davon im Zweifel nicht auszugehen (§ 139 BGB).

6.1217 Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ lässt auch eine Teilrechtswahl in der Weise zu, dass z.B. für die Per-
sonen- und Vermögenssorge unterschiedliche Personen nach unterschiedlichem Recht bevoll-
mächtigt werden1. Für die Vermögenssorge in unterschiedlichen Ländern folgt dies bereits aus
lit. c. Auch eine Aufspaltung der Personensorge auf mehrere Personen ist nicht ausgeschlos-
sen2. Auch im Übrigen können die verschiedenen Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 15
Abs. 2 ErwSÜ miteinander kombiniert werden.

(4) Reichweite des Vollmachtstatuts


6.1218 Das nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ objektiv bestimmte oder nach Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ wirksam
gewählte Recht gilt für das Bestehen, den Umfang, die Änderung und die Beendigung einer
Vorsorgevollmacht. Es regelt daher insbesondere die Zulässigkeit einer Vorsorgevollmacht3 so-
wie die Voraussetzungen ihrer wirksamen Erteilung (z.B. durch Vertrag oder einseitiges
Rechtsgeschäft). Zur wirksamen Erteilung zählt auch die Form der Vorsorgevollmacht, so
dass die alternative Anknüpfung der Form von Rechtsgeschäften nach nationalem Kollisions-
recht (z.B. nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB) durch Art. 15 ErwSÜ verdrängt wird4. Das Vollmacht-
statut gilt schließlich auch für den Umfang der Vollmacht, z.B. die Zulässigkeit der Vornahme
von Schenkungen aus dem Vermögen des Vollmachtgebers oder die Zulässigkeit einer Unter-
bevollmächtigung. Die Vorsorgevollmacht ist in Vermögensangelegenheiten auch nicht auf
die private Betätigung des Vollmachtgebers beschränkt, sondern erfasst auch die Regelung
von dessen unternehmerischen Belangen (z.B. als Gesellschafter)5.

(5) Recht des Gebrauchsorts


6.1219 Das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht gilt nach Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ lediglich für die
Art und Weise der Ausübung einer Vorsorgevollmacht. Die Abgrenzung zwischen Art. 15
Abs. 1 und 3 ErwSÜ ist allerdings bisher noch nicht geklärt; dies gilt insbesondere für die
Anknüpfung von Genehmigungserfordernissen. Da das Erfordernis einer betreuungs- oder
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bestimmter, vom Bevollmächtigten vorzuneh-
mender Rechtsgeschäfte den Umfang der Vorsorgevollmacht einschränkt, dürfte insoweit das
nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ maßgebliche Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen
bzw. das wirksam von ihm nach Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ gewählte Recht gelten6. Macht der Be-

1 Schaub, IPRax 2016, 257 (211); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 37.
2 Lagarde-Bericht, Rz. 103; Guttenberger, S. 159 f.; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 29.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 98; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 244 ff.; Lipp in
MünchKomm, Art. 15 Rz. 6; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 13.
4 Guttenberger, S. 153; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (274 ff.); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (787); Be-
nicke in NK-BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 15; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB
Rz. 181 m.w.N.
5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 60.
6 Wie hier Lagarde-Bericht, Rz. 99, 107; Guttenberger, IPRax 2006, 83 (86); Ludwig, DNotZ 2009,
251 (278 ff.); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (789); Schaub, IPRax 2016, 207 (211); von Hein in
Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 204 ff.; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 47;
Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 33; a.A. (Anwendung von Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ) Gutten-
berger, BtPrax 2006, 83 (86); Helms, FamRZ 2008, 1995 (2000); Röthel/Woitge IPRax 2010, 494
(496); Thorn in Palandt, Anh. Zu Art. 24 EGBGB Rz. 8.

948 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1222 § 6

vollmächtigte allerdings von der Vorsorgevollmacht in einem anderen Staat Gebrauch, so ist
ihm zu raten, zusätzlich auch die nach dem Recht des Gebrauchsorts vorgeschriebenen Ge-
nehmigungen einzuholen.

(6) Aufhebung der Vollmacht


Die vom Bevollmächtigten in Ausübung der Vollmacht getroffenen Maßnahmen können von 6.1220
den nach dem Übereinkommen zuständigen Behörden gem. Art. 16 ErwSÜ aufgehoben oder
geändert werden, wenn sie den Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen nicht
ausreichend sicherstellen. Hierfür ist grundsätzlich eine objektive Gefährdung der Person
oder des Vermögens des Erwachsenen erforderlich1. Die Aufhebung bzw. Änderung der Voll-
macht hat zwar grundsätzlich nach Maßgabe der lex fori der zuständigen Behörde zur erfol-
gen; diese hat allerdings nach Art. 16 S. 2 ErwSÜ auch das nach Art. 15 ErwSÜ maßgebliche
Vollmachtsstatut „zu berücksichtigen“; die Einzelheiten des Zusammenspiels dieser beiden
Rechte sind noch weitgehend ungeklärt2. Entspricht die Vorsorgevollmacht den Anforderun-
gen des Art. 15 ErwSÜ, so ist die Vorschrift auch auf Vollmachten anzuwenden, die vor dem
Inkrafttreten des Übereinkommens erteilt wurden (Art. 50 Abs. 3 ErwSÜ).

e) Anerkennung und Vollstreckung


Die von den Behörden eines Vertragsstaats getroffenen Maßnahmen sind nach Art. 22 Abs. 1 6.1221
ErwSÜ kraft Gesetzes in allen anderen Vertragsstaaten automatisch anzuerkennen, ohne
dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedürfte. Dies gilt insbesondere für die Vertre-
tungsmacht eines Vormunds, Pflegers oder Betreuers, der somit im Anerkennungsstaat die
gleichen Befugnisse wie im Anordnungsstaat hat3. Die Versagung der Anerkennung ist in
Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ geregelt4.
Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ 6.1222
(2) Die Anerkennung kann jedoch versagt werden,
a) wenn die Maßnahme von einer Behörde getroffen wurde, die nicht aufgrund oder in Übereinstim-
mung mit Kapitel II zuständig war5;
b) wenn die Maßnahme, außer in dringenden Fällen, im Rahmen eines Gerichts- oder Verwaltungs-
verfahrens getroffen wurde, ohne dass dem Erwachsenen die Möglichkeit eingeräumt worden war,
gehört zu werden, und dadurch gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze des ersuchten Staates ver-
stoßen wurde;
c) wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Staates offensicht-
lich widerspricht, oder ihr eine Bestimmung des Rechts dieses Staates entgegensteht, die unabhän-
gig vom sonst maßgebenden Recht zwingend ist;

1 Lagarde-Bericht, Rz. 108; Benicke in NK BGB, Art. 16 ErwSÜ Rz. 3 ff.


2 Vgl. dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 213; Benicke in NK BGB,
Art. 16 ErwSÜ Rz. 7 f.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 116; Guttenberger, S. 199; Helms, FamRZ 2008, 1995 (2000); von Hein in
Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 242.
4 Zu den Versagungsgründen nach Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ näher Hausmann, IntEuFamR S Rz. 15 ff.;
von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 244 ff., jeweils m.w.N.
5 Bei der Überprüfung der Zuständigkeit sind die Behörden des Anerkennungsstaats an die Tatsa-
chenfeststellungen der anordnenden Behörde gebunden, Art. 24 ErwSÜ; dazu Hausmann, IntEu-
FamR S Rz. 33 ff.

Hausmann | 949
§ 6 Rz. 6.1222 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

d) wenn die Maßnahme mit einer später in einem Nichtvertragsstaat, der nach den Artikeln 5 bis 9
ErwSÜ zuständig gewesen wäre, getroffenen Maßnahme unvereinbar ist, sofern die spätere Maß-
nahme die für ihre Anerkennung im ersuchten Staat erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
e) wenn das Verfahren nach Artikel 33 ErwSÜ nicht eingehalten wurde1.

6.1223 Erfordern die in einem Vertragsstaat getroffenen und dort vollstreckbaren Maßnahmen in ei-
nem anderen Vertragsstaat Vollstreckungshandlungen, so werden sie in diesem anderen Staat
nach Art. 25 Abs. 1 ErwSÜ auf Antrag jeder betroffenen Partei nach dem im Recht dieses
Staates vorgesehenen Verfahren für vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckbarerklärung darf nur
aus den zuvor genannten Gründen des Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ versagt werden. Eine Nachprü-
fung der getroffenen Maßnahme in der Sache ist nach Art. 26 ErwSÜ in jedem Fall verboten.

2. Autonomes Recht
a) Anknüpfung
aa) Anwendungsbereich von Art. 24 EGBGB
6.1224 Da die Betreuung die Funktion der bisherigen Vormundschaft über Volljährige bzw. der Ge-
brechlichkeitspflegschaft übernimmt, hat der deutsche Gesetzgeber sie auch kollisionsrechtlich
an die Seite der Vormundschaft und der Pflegschaft gestellt. In der Sache hat er dabei die frü-
her für die Entmündigung geltenden Kollisionsregeln des aufgehobenen Art. 8 EGBGB a.F.
nahezu wortgleich in den Art. 24 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 EGBGB übernommen. Die Bedeutung
dieser autonomen Kollisionsregeln ist freilich seit Inkrafttreten des Haager ErwSÜ am
1.1.2009 (Rz. 6.1194 ff.) stark eingeschränkt. Denn die Kollisionsnormen des Übereinkom-
mens verdrängen das autonome deutsche IPR gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB immer dann, wenn
deutsche Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auf das Übereinkommen stützen können,
also insbesondere dann, wenn der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
hat (Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ); darüber hinaus aber auch dann, wenn die internationale Zustän-
digkeit der deutschen Gerichte für Schutzmaßnahmen aus der deutschen Staatsangehörigkeit
des schutzbedürftigen Erwachsenen (Art. 7 ErwSÜ) oder der Belegenheit von dessen Ver-
mögen im Inland (Art. 9 ErwSÜ) abgeleitet wird2.

6.1225 Denn die Kollisionsregeln des Übereinkommens gelten nach seinem Art. 18 als „loi uniforme“,
d.h. auch dann, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats verwiesen wird. Art. 24 Abs. 1
S. 1 EGBGB ist daher auf die Anordnung einer Betreuung durch deutsche Gerichte nur noch
anwendbar, wenn für einen Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Nichtvertrags-
staat ein Betreuer bestellt werden soll3. Darüber hinaus ist die Vorschrift bei der Anordnung
von Schutzmaßnahmen für Deutsche in Nichtvertragsstaaten des Haager ErwSÜ heranzuzie-
hen, soweit das dortige IPR eine Gesamtverweisung auf das deutsche Heimatrecht ausspricht4.

1 Art. 33 ErwSÜ regelt das Konsultationsverfahren bei der Unterbringung des Erwachsenen in ei-
nem anderen Vertragsstaat.
2 Art. 24 EGBGB ist also auf Schutzmaßnahmen nur noch anzuwenden, wenn sich die internationa-
le Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus § 104 FamFG ergibt, vgl. Lipp in MünchKomm,
Art. 24 EGBGB Rz. 13.
3 Lagarde-Bericht, Rz. 89; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (736); Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998);
Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258).
4 Vgl. zur Anordnung einer Betreuung über eine in Österreich lebende Deutsche vor Inkrafttreten
des Haager ErwSÜ öOGH v. 27.11.2007 – 10 Ob 60/07g, IPRax 2009, 169 (m. Anm. von Hein,
IPRax 2009, 173).

950 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1228 § 6

bb) Voraussetzungen der Anordnung von Betreuung


Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung sowie deren Änderung oder Beendi- 6.1226
gung bestimmen sich gem. Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich nach dem Heimatrecht
des Betreuten1. Allerdings konnte gem. Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB für einen Angehörigen
eines fremden Staates, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder – mangels eines solchen –
seinen schlichten Aufenthalt im Inland hatte, ein Betreuer auch nach deutschem Recht bestellt
werden2. Daraus folgte, dass zwar für Deutsche eine Betreuung nur unter den Voraussetzun-
gen der §§ 1896 ff. BGB angeordnet werden konnte. Demgegenüber konnten deutsche Gerich-
te für Ausländer eine Betreuung wahlweise nach deren Heimatrecht oder nach deutschem
Recht anordnen3. Da es im Ausland jedoch an einem der Betreuung entsprechenden Rechts-
institut häufig fehlte, hat die Praxis im Regelfall eine Betreuung gem. Art. 24 Abs. 1 S. 2
EGBGB nur nach Maßgabe des deutschen Rechts angeordnet. Seit Inkrafttreten des Haager
Erwachsenenschutzübereinkommens am 1.1.2009 ist die Möglichkeit zur Anordnung einer
Betreuung nach Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB entfallen4.

cc) Wirkungen der Betreuung


Der Inhalt der Betreuung – und damit auch der Umfang der gesetzlichen Vertretungsmacht 6.1227
des Betreuers – unterliegt hingegen gem. Art. 24 Abs. 3 EGBGB dem Recht des anordnenden
Staates5. Bei Anordnung der Betreuung durch ein deutsches Betreuungsgericht gelten daher
für die gesetzliche Vertretung einschließlich etwaiger Genehmigungserfordernisse in jedem
Fall, d.h. auch wenn die Voraussetzungen der Betreuung ausnahmsweise einem ausländischem
Recht entnommen wurden, die §§ 1902 ff., § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB. Beschränkungen der Ge-
schäftsfähigkeit des Betreuten aufgrund der Anordnung ergeben sich daher nur, wenn das Be-
treuungsgericht zugleich einen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB verfügt hat; denn
auch die Wirkungen der angeordneten Betreuung gehören zu deren „Inhalt“ i.S.v. Art. 24
Abs. 3 EGBGB6.

dd) Reform
Durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht vom 4.5.20217 ist 6.1228
Art. 24 EGBGB wie folgt neu gefasst worden:

1 Lipp in MünchKomm, Rz. 25 ff.; von Hein in Staudinger, Rz. 4 ff., jeweils zu Art. 24 EGBGB; Oel-
kers, S. 224 ff. Rück- und Weiterverweisung durch das Heimatrecht des Betreuten sind nach Art. 4
Abs. 1 EGBGB zu beachten, vgl. Oelkers, S. 255 ff.; Thorn in Palandt, Art. 24 EGBGB Rz. 1; Hei-
derhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 8.
2 Vgl. dazu BayObLG v. 31.10.2001 – 3Z BR 198/01, BayObLGZ 2001, 324.
3 Röthel, BTPrax 2006, 90 (91); von Hein, IPRax 2009, 173 (177); Nitzinger, S. 106; Kegel/Schurig,
IPR, § 20 XIV 1; Kropholler, IPR, § 50 II 3; Thorn in Palandt, Rz. 4; Lipp in MünchKomm, Rz. 33 ff.;
von Hein in Staudinger, Rz. 31; Heiderhoff in BeckOK BGB Rz. 21, jeweils zu Art. 24 EGBGB; a.A.
(ausschließliche Geltung deutschen Rechts) von Bar, Bd. II Rz. 50 ff.; Stürner in Erman, Art. 24
EGBGB Rz. 15; Kegel in Soergel, Rz. 4, jeweils zu Art. 24 EGBGB.
4 Vgl. zum Vorrang des ErwSÜ auch für Angehörige von Nichtvertragsstaaten, die ihren gewöhnli-
chen oder schlichten Aufenthalt im Inland haben, von Hein in Staudinger, Rz. 31 f.; Lipp in
MünchKomm, Rz. 35, jeweils zu Art. 24 EGBGB.
5 von Hein in Staudinger, Rz. 36 ff.; Thorn in Palandt, Rz. 4; Lipp in MünchKomm, Rz. 36 ff., 41,
jeweils zu Art. 24 EGBGB.
6 Oelkers, S. 245 ff.; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 36 ff.
7 BGBl. I 2021, 882.

Hausmann | 951
§ 6 Rz. 6.1228 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Artikel 24 EGBGB
Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft
(1) Die Entstehung, die Ausübung, die Änderung und das Ende eines Fürsorgeverhältnisses (Vor-
mundschaft, Betreuung, Pflegschaft), das kraft Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft begründet wird,
unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Fürsorgebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat.
(2) Maßnahmen, die im Inland in Bezug auf ein Fürsorgeverhältnis angeordnet werden, und die Aus-
übung dieses Fürsorgeverhältnisses unterliegen deutschem Recht. Besteht mit dem Recht eines ande-
ren Staates eine wesentlich engere Verbindung als mit dem deutschen Recht, so kann jenes Recht an-
gewendet werden.
(3) Die Ausübung eines Fürsorgeverhältnisses aufgrund einer anzuerkennenden ausländischen Ent-
scheidung richtet sich im Inland nach deutschem Recht.
Wie für die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit in Art. 7 Abs. 2 EGBGB (Rz. 6.1064) vollzieht
der Gesetzgeber in Art. 24 Abs. 1 EGBGB auch für die Anknüpfung der Entstehung, Aus-
übung, Änderung oder Aufhebung einer Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft kraft
Gesetzes oder Rechtsgeschäfts den Übergang vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprin-
zip. Demgegenüber gilt für Schutzmaßnahmen im Rahmen dieser Fürsorgeverhältnisse – in
Anlehnung an das Haager ErwSÜ – das lex fori-Prinzip, das allerdings – wie nach Art. 13
Abs. 2 ErwSÜ – durch eine Ausweichklausel aufgelockert wird. Die Neufassung tritt zum
1.1.2023 in Kraft.

b) Internationale Zuständigkeit
6.1229 Das Betreuungsverfahren ist nicht mehr – wie das frühere Entmündigungsverfahren – ein
Verfahren der streitigen, sondern ein solches der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. §§ 271 ff.
FamFG). Die internationale Zuständigkeit in Betreuungs-, Unterbringungs- und Pflegschafts-
sachen, die Erwachsene betreffen, ist seit dem 1.9.2009 selbständig in § 104 FamFG geregelt
und orientiert sich an der für Vormundschaftssachen geltenden Vorschrift des § 99 FamFG.
Die Zuständigkeiten sind – wie § 106 FamFG klarstellt – konkurrierend, schließen also eine
gleichzeitige Zuständigkeit ausländischer Gerichte nicht aus. Die örtliche Zuständigkeit ergibt
sich aus § 272 FamFG.

6.1230 § 104 FamFG begründet drei gleichrangige Zuständigkeiten, nämlich die Heimatzuständig-
keit (§ 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FamFG), die Aufenthaltszuständigkeit (§ 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
FamFG) und die Fürsorgebedürfniszuständigkeit (§ 104 Abs. 1 S. 2 FamFG). Die Inanspruch-
nahme der Aufenthaltszuständigkeit nach § 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG scheidet allerdings
wegen des Vorrangs der Haager ErwSÜ aus. Ferner ergibt sich auch eine internationale Zu-
ständigkeit der deutschen Gerichte nach § 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Abs. 1 S. 2 FamFG nur
noch in Fällen, in denen sich der zu betreuende Erwachsene nicht in einem anderen Vertrags-
staat des Haager ErwSÜ gewöhnlich aufhält (vgl. Rz. 6.1030). Auf eine Darstellung von Einzel-
heiten kann daher verzichtet werden1.

1 Vgl. dazu näher von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 102 ff.

952 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1234 § 6

III. Entmündigung
1. Inländische Entmündigung
Auch Entmündigungen fallen grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich des Haager 6.1231
ErwSÜ (vgl. Art. 3 lit. a, b ErwSÜ). Sind danach deutsche Gerichte international zuständig
(Rz. 6.1030), so können sie eine Entmündigung i.d.R. schon deshalb nicht mehr vornehmen,
weil sie nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ grundsätzlich deutsches Recht als lex fori anzuwenden haben
und dieses das Rechtsinstitut der Entmündigung nicht mehr kennt. Nichts anderes gilt aber
auch dann, wenn ein deutsches Gericht nach Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ ausnahmsweise auslän-
disches Recht anzuwenden hat, welches die Entmündigung noch kennt. Denn die Anordnung
von Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht, die über die mit der An-
ordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB verbundenen Wirkungen hinaus-
gehen, verstößt heute offensichtlich gegen den inländischen ordre public (Art. 21 ErwSÜ)1.

2. Ausländische Entmündigung
a) Haager Erwachsenenschutzübereinkommen
Können danach in Deutschland Entmündigungen nicht mehr ausgesprochen werden, so 6.1232
schließt dies freilich nicht aus, eine im Ausland angeordnete Entmündigung auch mit Wir-
kung für das Inland anzuerkennen2. Insoweit ist danach zu entscheiden, ob die Entmündi-
gung in einem Vertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens oder in einem
Drittstaat ausgesprochen wurde.

Den in einem Vertragsstaat des Übereinkommens ergangenen Entscheidungen über die Ent- 6.1233
mündigung eines Erwachsenen kann die Anerkennung nur unter den Voraussetzungen des
Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ (dazu Rz. 6.1222) versagt werden. In allen Vertragsstaaten des Überein-
kommens ist das Rechtsinstitut der Entmündigung indes mittlerweile beseitigt und durch we-
niger stark in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifende Maßnahmen ersetzt wor-
den, so dass sich das Problem im Rahmen des Übereinkommens nicht mehr stellt.

b) Autonomes Recht
aa) Entmündigung von Deutschen
Im autonomen deutschen Recht richtet sich die Anerkennung ausländischer Entmündigungen 6.1234
seit dem 1.9.2009 nach §§ 108, 109 FamFG, weil es sich bei der Entmündigung der Sache
nach um einen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt und das ihr funktional entspre-
chende Rechtsinstitut der Betreuung dementsprechend auch in §§ 271 ff. FamFG geregelt ist3.

1 So zum autonomen IPR (Art. 6 EGBGB) Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Stürner in Er-
man, Art. 8 EGBGB Rz. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 151; von Hein in Staudin-
ger, Art. 24 EGBGB Rz. 5; von Bar, Bd. II Rz. 47; a.A. Kegel in Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB
Rz. 13 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 50; Röthel, IPRax 2006, 90 (91). Vgl. auch
EGMR v. 27.3.2008 – Nr. 44009/05 (Shtukaturov), FamRZ 2008, 1734 (1735): Verstoß der Ent-
mündigung eines Erwachsenen gegen Art. 8 EMRK.
2 von Bar, II Rz. 48; Kropholler, IPR, § 42 II; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; von Hein in
Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133; a.A. (Verstoß gegen den deutschen ordre public) Nitzinger,
S. 44 ff.; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 2.
3 Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Geimer in Zöller, § 328 ZPO Rz. 90; von Hein in Staudin-
ger, Art. 24 EGBGB Rz. 133.

Hausmann | 953
§ 6 Rz. 6.1234 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Dies gilt unabhängig davon, ob die ausländische Entscheidung durch Urteil oder durch Be-
schluss ergangen ist, weil § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf Entscheidungen der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit nicht passt1. Die internationale Anerkennungszuständigkeit i.S.v. § 109 Abs. 1
Nr. 1 FamFG ist im Wege der spiegelbildlichen Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften
für die Betreuung (§ 104 FamFG) festzustellen2. Die Anerkennung der Auslandsentmündi-
gung eines Deutschen scheitert nicht schon deshalb an § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG (ordre pu-
blic), weil das deutsche Recht einen entsprechenden Betreuungsgrund nicht kennt3; der inlän-
dische Rechtsverkehr wird allerdings gegenüber unbekannten Entmündigungsgründen des
ausländischen Rechts geschützt (dazu Rz. 6.1237). Darüber hinaus kann die Entmündigung
eines Deutschen im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nur mit den Wirkungen
einer Betreuung deutschen Rechts in deren weitestreichendem Umfang (d.h. einschließlich ei-
nes angeordneten Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB) anerkannt werden; eine darüber
hinausgehende Entziehung der Geschäftsfähigkeit verletzt hingegen den deutschen ordre pu-
blic4.

bb) Entmündigung von Ausländern


6.1235 Da die Entmündigung eines Ausländers dazu dient, dem Betroffenen die Geschäftsfähigkeit
zu entziehen oder dieselbe zumindest einzuschränken, beurteilen sich die Voraussetzungen
und Wirkungen der Entmündigung eines Ausländers grundsätzlich nach seinem Heimatrecht;
dabei kann offenbleiben, ob sich dies aus Art. 7 Abs. 1 oder aus Art. 24 Abs. 1 EGBGB ergibt5.
Aus diesem Grunde ist die Entmündigung eines Ausländers in seinem Heimatstaat in
Deutschland schon kollisionsrechtlich anzuerkennen und zwar – vorbehaltlich des ordre pu-
blic (Art. 6 EGBGB) – mit den Wirkungen, die ihr nach diesem Recht zukommen. Dasselbe
gilt für die Entmündigung eines Ausländers in einem Drittstaat, sofern der Heimatstaat sie
anerkennt6. Die h.L. beurteilt demgegenüber die Entmündigung von Ausländern ebenso wie
die Entmündigung von Deutschen – in Übereinstimmung mit Art. 22 ff. des Haager Erwach-
senenschutzübereinkommens (Rz. 6.1221 f.) – ausschließlich nach verfahrensrechtlichen
Grundsätzen (§ 109 FamFG)7. Der inländische Rechtsverkehr wird freilich gegenüber im
deutschen Recht nicht bekannten Entmündigungswirkungen des ausländischen Rechts ge-
schützt (dazu Rz. 6.1237).

IV. Schutz des Rechtsverkehrs


1. Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit
a) Gesetzliche Beschränkungen
6.1236 Da gesetzliche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit (z.B. aufgrund von Geisteskrankheit)
i.d.R. aus keinem Register zu ersehen sind, steht der Rechtsverkehr ihnen praktisch ohne Si-

1 Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 27; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB
Rz. 133.
2 von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133.
3 Kegel in Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB Rz. 18; Oelkers, S. 292 f. (318).
4 Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 162; Heider-
hoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 41; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133;
a.A. (Einzelfallprüfung) Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 52.
5 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 133 ff., 163.
6 RG v. 24.10.1912, RGZ 80, 262 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 163 m.w.N.
7 Vgl. von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 131 ff.; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9.

954 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1238 § 6

cherungsmöglichkeit gegenüber. Zwar gilt der Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO grund-
sätzlich auch für Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit erwachsener Personen; da aber
krankhafte Störungen der Geistestätigkeit, die zu einem die freie Willensbildung ausschließen-
den Zustand führen, nach praktisch allen Rechten Geschäftsunfähigkeit zur Folge haben, ist
die Bedeutung des Verkehrsschutzes – anders als bei Vertragsschlüssen durch Minderjährige –
gering. Immerhin gilt die im deutschen Recht neu eingeführte Teilgeschäftsfähigkeit von ge-
schäftsunfähigen Volljährigen für Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mit-
teln bewirkt werden können (§ 105a BGB), gem. Art. 13 Rom I-VO auch für Ausländer, die
im Inland ein solches Geschäft mit einem gutgläubigen Vertragspartner tätigen.

b) Gerichtliche Beschränkungen
Auch nach ihrer Abschaffung im Inland ist das Rechtsinstitut der Entmündigung mit z.T. er- 6.1237
heblich weitergehenden Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit des Entmündigten zahlrei-
chen ausländischen Rechtsordnungen weiterhin bekannt1. Deshalb bedarf der inländische
Rechtsverkehr auch weiterhin des Schutzes gegenüber einem Entzug der Geschäftsfähigkeit
nach ausländischem Entmündigungsrecht sowie gegenüber den z.T. sehr unterschiedlichen
Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit durch Maßnahmen zum Schutze Erwachsener nach
ausländischem Recht2. Das Bedürfnis nach einem solchen Schutz ist sogar besonders stark,
weil Beschränkungen aufgrund ausländischer Gerichts- oder Behördenentscheidungen für
den inländischen Vertragspartner noch schwerer zu erkennen sind als Beschränkungen kraft
ausländischer gesetzlicher Vorschriften. Deshalb schützt Art. 13 Rom I-VO den gutgläubigen
Vertragspartner allseitig gegen im Abschlussstaat unbekannte Entmündigungsgründe sowie
gegen stärkere Wirkungen einer Auslandsentmündigung auf die Verpflichtungsfähigkeit des
Betroffenen3. Gehen die Wirkungen der Entmündigung nach ausländischem Recht allerdings
über die Wirkungen eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB hinaus, so scheitert ihre
Anerkennung, soweit deutsche Staatsangehörige betroffen sind, bereits am ordre public-Vor-
behalt des Art. 22 Abs. 2 lit. c ErwSÜ bzw. des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG (dazu Rz. 6.1222)4.

2. Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht


Gesetzliche Vorschriften oder Gerichtsentscheidungen, welche die Fähigkeit eines Betreuers 6.1238
oder eines sonstigen gesetzlichen Vertreters eines Erwachsenen einschränken, betreffen weder
die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen, noch diejenige des gesetzlichen Vertreters. Im Rechts-
verkehr macht es allerdings keinen wesentlichen Unterschied, ob sich die Unwirksamkeit eines
Schuldvertrags aus der mangelnden Geschäftsfähigkeit einer Vertragspartei ergibt, wenn diese
selbst handelt, oder aus Vorschriften, die lediglich die Willensergänzung (z.B. durch das Erfor-
dernis einer vormundschaftlichen Genehmigung) der nicht (voll) geschäftsfähigen Vertrags-

1 So z.B. in Belgien, Italien, Kroatien, Polen, Portugal, Serbien, Spanien und der Türkei; vgl. Haus-
mann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 150.
2 Dazu Pousson-Petit, La protection personelle des malades mentaux dans les principaux droit euro-
péens, Eur.Rev.Priv.L. 3 (1995), 383 ff.; Oelkers, S. 112 ff.
3 Vgl. Thorn in Palandt, Rz. 5; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 42; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 21;
Hausmann in Staudinger, Rz. 16 f., 68 ff., jeweils zu Art. 13 Rom I-VO; ebenso zum früheren
Recht (Art. 12 S. 1 EGBGB/Art. 11 EVÜ) Oelkers, S. 304 f.; G. Fischer, S. 127 ff.; Lipp, RabelsZ 63
(1999), 107 (137 f.).
4 Ein Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO kommt in diesem Fall nicht in Betracht, weil die Vor-
schrift nur eingreift, wenn Ortsrecht und Fähigkeitsstatut auseinander fallen, vgl. Hausmann in
Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 48 ff.

Hausmann | 955
§ 6 Rz. 6.1238 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

partei durch einen gesetzlichen Vertreter betreffen. Denn der Vertragspartner ist in beiden
Fällen mit einer unübersichtlichen kollisions- und materiell-rechtlichen Situation konfron-
tiert, die ihren Grund letztlich in der mangelnden oder beschränkten Geschäftsfähigkeit des
anderen Teils hat. Hat sich der Vertragspartner daher auf die nach dem Recht des Abschlus-
sortes bestehende gesetzliche Vertretungsmacht verlassen, die nach dem Vertretungsstatut
nicht bestand, so wird er in analoger Anwendung von Art. 13 Rom I-VO in seinem Vertrauen
geschützt1.

6.1239 Im Geltungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (dazu Rz. 6.1029) hat


die in Art. 17 ErwSÜ enthaltene Verkehrsschutzregel als lex specialis allerdings Vorrang vor
der analogen Anwendung des Art. 13 Rom I-VO2. Dies gilt nach Art. 18 ErwSÜ auch dann,
wenn als Vertretungs- oder Abschlussstatut das Recht eines Nichtvertragsstaats zur Anwen-
dung berufen ist. Ferner ist auch ein Handeln des (Schein-)Vertreters in einem Vertragsstaat
nicht erforderlich3. Der Verkehrsschutz nach Art. 17 ErwSÜ ist – entgegen dem missverständ-
lichen deutschen Wortlaut der Vorschrift – auch nicht auf Rechtsgeschäfte unter Anwesenden
im Abschlussstaat beschränkt; vielmehr genügt auch insoweit, dass Vertreter und Dritter sich
bei Abgabe ihrer Willenserklärungen im gleichen Staat befunden haben4. Auf der anderen Sei-
te greift Art. 17 ErwSÜ in sachlicher Hinsicht weit über Art. 13 Rom I-VO hinaus, weil der
Verkehrsschutz für alle Arten von Rechtsgeschäften gilt, also auch für solche des Familien-
und Erbrechts, sowie für Verfügungen über im Ausland belegene Grundstücke5. Im Übrigen
gilt zur Auslegung von Art. 17 ErwSÜ das zu Art. 19 KSÜ Gesagte (Rz. 6.1010 ff.) entspre-
chend.

V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Gesetzliche Beschränkungen
6.1240 Gesetzliche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen infolge geistiger oder
körperlicher Gebrechen sind gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB dem Heimatrecht des Betroffenen zu
entnehmen; dieses entscheidet auch darüber, ob ein geschäftsunfähiger Volljähriger gewisse
Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens wirksam vornehmen kann.

2. Betreuung

6.1241 a) Seit dem 1.1.2009 hat das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen Vorrang vor dem
deutschen autonomen Kollisions- und Verfahrensrecht, soweit es um die internationale Zu-
ständigkeit, das anwendbare Recht sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-
scheidungen auf dem Gebiet der Schutzmaßnahmen zugunsten von Erwachsenen geht.
Die Kollisionsregeln des Übereinkommens kommen immer dann zur Anwendung, wenn

1 G. Fischer, S. 191 ff.; Kropholler, IPR, § 42 I 3d; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 40 ff.; Hausmann
in Staudinger, Rz. 26 f., jeweils zu Art. 13 Rom I-VO m.w.N.
2 Hausmann in Staudinger, Rz. 28; a.A. Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (742); Spellenberg in Münch-
Komm, Rz. 50; Thomale in BeckOGK, Rz.8, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO.
3 Guttenberger, S. 181; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 216 f.; a.A. Siehr,
RabelsZ 64 (2000), 715 (741 f.); Ludwig, DNotZ 2009, 251(283).
4 Guttenberger, S. 181; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (283); Lipp in MünchKomm, Art. 17 ErwSÜ Rz. 10;
Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I Rz. 28a.
5 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (741 f.); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 220;
Lipp in MünchKomm, Art. 17 ErwSÜ Rz. 9.

956 | Hausmann
F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1247 § 6

die deutschen Gerichte nach Art. 5–12 ErwSÜ für solche Schutzmaßnahmen international
zuständig sind. Nach dem Gleichlaufprinzip des Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ gilt dann für die
Voraussetzungen der Anordnung und den Inhalt von Schutzmaßnahmen grundsätzlich
deutsches Recht.
b) Nach autonomem Recht bestimmen sich die Voraussetzungen für die Anordnung einer Be- 6.1242
treuung und für ihre Beendigung noch bis zum 31.12.2022 grundsätzlich nach dem Hei-
matrecht des Betreuten (Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Demgegenüber unterliegt der Inhalt
der Betreuung – und damit auch der Umfang der gesetzlichen Vertretungsmacht des Be-
treuers – dem Recht des anordnenden Staates (Art. 24 Abs. 3 EGBGB). Für die gesetzliche
Vertretungsmacht des von einem deutschen Gericht eingesetzten Betreuers gelten daher in
jedem Falle die §§ 1901 ff. BGB. Ab dem 1.1.2023 unterliegen die Entstehung, die Aus-
übung, die Änderung und das Ende eines Fürsorgeverhältnisses (Vormundschaft, Betreu-
ung, Pflegschaft), das kraft Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft begründet wird, hingegen
dem Recht des Staates, in dem der Fürsorgebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

3. Vorsorgevollmacht

a) Das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht 6.1243
beurteilen sich gem. Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ nach dem Recht des Staates, in dem der Erwach-
sene zur Zeit der Vollmachtserteilung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
b) Vorrang vor dieser objektiven Anknüpfung hat eine vom Erwachsenen für die Vorsor- 6.1244
gevollmacht erklärte Rechtswahl. Zur Wahl stehen nach Art. 25 Abs. 2 ErwSÜ das Heimat-
recht und das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen. Außerdem kann für
das Vermögen des Erwachsenen das jeweilige Belegenheitsrecht gewählt werden.

4. Entmündigung

a) Eine Entmündigung durch deutsche Gerichte ist seit dem 1.1.1992 ausgeschlossen; dies 6.1245
gilt auch dann, wenn das ausländische Personalstatut die Entmündigung weiterhin vorsieht.
b) Die Anerkennung ausländischer Entmündigungen bleibt jedoch weiterhin möglich; sie 6.1246
richtet sich im Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens nach
dessen Art. 22 Abs. 2, ansonsten grundsätzlich nach § 109 FamFG. Daneben kommt bei
der Entmündigung von Ausländern auch eine kollisionsrechtliche Anerkennung nach Art. 7
Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 EGBGB in Betracht. Die Wirkungen einer Auslandsentmündi-
gung im Inland können grundsätzlich nicht über die Wirkungen einer Betreuung mit Ein-
willigungsvorbehalt hinausgehen.

5. Schutz des Rechtsverkehrs


Soweit nicht bereits der ordre public-Vorbehalt nach Art. 22 Abs. 2 lit. c ErwSÜ/§ 109 Nr. 4 6.1247
FamFG bzw. Art. 6 EGBGB eingreift, sind die Wirkungen einer Auslandsentmündigung (auch
von Ausländern) gegenüber gutgläubigen Vertragspartnern im Inland nach Maßgabe von
Art. 13 Rom I-VO eingeschränkt. Diese Verkehrsschutznorm ist auch auf Mängel der gesetz-
lichen Vertretungsmacht eines im Ausland bestellten Betreuers oder sonstigen gesetzlichen
Vertreters analog anzuwenden. Im Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzüber-
einkommens hat allerdings dessen Art. 17 Vorrang vor der entsprechenden Anwendung von
Art. 13 Rom I-VO.

Hausmann | 957
§7
Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

A. Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . 7.1 1. Willenseinigung . . . . . . . . . . . . . 7.41


I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . 7.1 a) Autonome Auslegung des Be-
1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 griffs „Vereinbarung“ . . . . . 7.41
2. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 b) Vereinbarung und Former-
a) Prorogation und Derogation 7.3 fordernisse . . . . . . . . . . . . . 7.43
b) Gerichts- und Rechtswahl . 7.5 2. Materielle Wirksamkeit . . . . . . . 7.48
3. Rechtsnatur der Vereinbarung . . 7.7 a) Verweisung auf das Recht des
vereinbarten Gerichts . . . . . 7.48
4. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . 7.8
b) Vermutung zugunsten der
a) Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . 7.8
materiellen Wirksamkeit . . 7.51
b) Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . 7.9
c) Materielle Wirksamkeit und
c) Luganer Übereinkommen . 7.10
Zustandekommen der Ver-
d) Haager Übereinkommen . . 7.12
einbarung . . . . . . . . . . . . . . 7.52
e) Staatsverträge auf besonderen
Rechtsgebieten . . . . . . . . . . 7.13 3. Autonomie der Gerichtsstands-
f) Autonomes Recht . . . . . . . . 7.14 vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 7.59
II. Brüssel Ia-VO und autonomes 4. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.60
Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.15 5. Vereins- oder Gesellschaftssat-
1. Räumlich-persönlicher Anwen- zung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.61
dungsbereich der Brüssel Ia-VO 7.15 6. Trust-Bedingungen . . . . . . . . . . 7.62
a) Verzicht auf das Wohnsitzer- IV. Form der Gerichtsstandsverein-
fordernis . . . . . . . . . . . . . . . 7.15 barung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.63
b) Gewähltes Gericht in einem 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 7.63
Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . 7.17 2. Schriftliche Vereinbarung . . . . . 7.68
c) Bezug zu mehreren Mitglied- a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 7.68
staaten? . . . . . . . . . . . . . . . . 7.19 b) Allgemeine Geschäftsbedin-
aa) Reiner Inlandssachver- gungen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.71
halt . . . . . . . . . . . . . . . . 7.19 aa) Ausdrücklicher Hinweis 7.71
bb) Bloßer Drittstaatenbezug 7.21 bb) Möglichkeit der Kennt-
d) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . 7.23 nisnahme vom Inhalt der
2. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . 7.27 AGB . . . . . . . . . . . . . . . 7.76
a) Brüssel Ia-VO und Luganer c) Vereins- oder Gesellschafts-
Übereinkommen . . . . . . . . . 7.27 satzung . . . . . . . . . . . . . . . . 7.80
b) Brüssel Ia-VO und Haager d) Elektronische Übermittlun-
Übereinkommen über Ge- gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.81
richtsstandsvereinbarungen 7.28 3. Schriftliche Bestätigung einer
c) Brüssel Ia-VO und Staatsver- mündlichen Vereinbarung . . . . . 7.83
träge auf besonderen Rechts- a) Mündliche Vereinbarung . . 7.83
gebieten . . . . . . . . . . . . . . . . 7.29 b) Schriftliche Bestätigung . . . 7.87
d) Brüssel Ia-VO und auto- 4. Vertragsschluss nach den Gepflo-
nomes Recht . . . . . . . . . . . . 7.34 genheiten zwischen den Parteien 7.91
aa) §§ 38–40 ZPO . . . . . . . 7.34 a) Begriff der Gepflogenheit . . 7.91
bb) Sonstige nationale Pro- b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . 7.93
rogationsbeschränkun- 5. Vertragsschluss gemäß internatio-
gen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.35 nalen Handelsbräuchen . . . . . . . 7.95
III. Zustandekommen und materielle a) Entstehungsgeschichte und
Wirksamkeit der Gerichtsstandsver- Normzweck . . . . . . . . . . . . . 7.95
einbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.41 b) Handelsbrauch . . . . . . . . . . 7.98

958 | Hausmann
Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen | § 7

c) Internationaler Handel . . . . 7.102 7. Rechtsfolgen einer unwirksamen


d) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 7.103 Gerichtsstandsvereinbarung . . . . 7.173
e) Kenntnis der Parteien . . . . . 7.107 8. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen
f) Konnossement . . . . . . . . . . . 7.110 eine Gerichtsstandsvereinbarung 7.174
V. Zulässigkeit der Gerichtsstandsver- a) Verbot von anti-suit injuncti-
einbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.112 ons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.174
1. Hinreichende Bestimmtheit . . . . 7.112 b) Schadensersatzansprüche . . 7.176
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis 7.112 aa) Allgemeines . . . . . . . . . 7.176
b) Bestimmtes Gericht . . . . . . . 7.115 bb) Vereinbarungswidrige
2. Keine ausschließliche Zuständig- Klage in einem Dritt-
keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.119 staat . . . . . . . . . . . . . . . . 7.179
3. Schutz von Versicherungsneh- cc) Vereinbarungswidrige
mern, Verbrauchern und Arbeit- Klage in einem EU-Mit-
nehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.121 gliedstaat . . . . . . . . . . . . 7.180
VI. Wirkungen der Gerichtsstandsver- VII. Zusammenfassung mit Handlungs-
einbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.124 anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.182
1. Ausschließliche oder konkurrie- 1. Vorrang von EU-Recht und
rende Zuständigkeit der pro- Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . 7.182
rogierten Gerichte? . . . . . . . . . . . 7.124 2. Gerichtsstandsvereinbarungen
2. Vereinbarungen nur zugunsten ei- nach Art. 25 Brüssel Ia-VO . . . . 7.185
ner Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.127 3. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . 7.197
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 7.127 4. Klauselbeispiele . . . . . . . . . . . . . 7.198
b) Objektive Begünstigung . . . 7.129 a) Ausschließliche Gerichts-
c) Subjektiver Parteiwille . . . . . 7.130 standsklausel . . . . . . . . . . . . 7.198
3. Gerichtsstandsvereinbarungen b) Fakultative Gerichtsstands-
mit Wirkung für Dritte . . . . . . . . 7.132 klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.199
a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 7.132 c) Alternative Gerichtsstands-
b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . 7.134 klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.200
aa) Rechtsnachfolge . . . . . . 7.134 d) Einseitig begünstigende Ge-
bb) Schuld- und Vertrags- richtsstandsklausel . . . . . . . 7.201
übernahme . . . . . . . . . . 7.135 B. Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . 7.202
cc) Gesellschaftsrecht . . . . . 7.136 I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . 7.202
dd) Versicherungsvertrag . . 7.137 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.202
ee) Konnossement . . . . . . . 7.138 2. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.204
ff) Emissionsprospekt . . . . 7.141
3. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.206
gg) Sonstige Fälle . . . . . . . . 7.142
4. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . 7.207
4. Objektive Reichweite der Ge-
a) Hauptvertrag . . . . . . . . . . . . 7.207
richtsstandsvereinbarung . . . . . . 7.143
b) Schiedsverfahren . . . . . . . . . 7.209
a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 7.143
c) Lex fori staatlicher Gerichte 7.211
b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . 7.145
d) Schiedsrichter- und Schieds-
5. Wirkungen der Gerichtsstands- organisationsvertrag . . . . . . 7.212
vereinbarung im Prozess . . . . . . 7.152 aa) Vertragsinhalt . . . . . . . . 7.212
a) Klage vor dem prorogierten bb) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.213
Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.152 e) Schiedsgutachtenvertrag . . . 7.214
b) Klage vor dem derogierten aa) Vertragsinhalt und
Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.153 Rechtsnatur . . . . . . . . . . 7.214
c) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . 7.161 bb) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.215
d) Prozessaufrechnung . . . . . . . 7.163 f) Mediationsvereinbarung . . . 7.216
e) Gewährleistungs- und Inter- aa) Rechtsquellen . . . . . . . . 7.216
ventionsklage . . . . . . . . . . . . 7.168 bb) Vertragsinhalt . . . . . . . . 7.217
f) Einstweiliger Rechtsschutz . 7.170 cc) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.218
6. Aufhebung und Änderung einer g) Gerichtsstandsvereinbarung 7.222
Gerichtsstandsvereinbarung . . . . 7.172 5. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . 7.226

Hausmann | 959
§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 7.226 aa) Eigenständige Anknüp-


b) Multilaterale Staatsverträge 7.227 fung von Schiedsverein-
aa) UN-Übereinkommen . . 7.227 barungen . . . . . . . . . . . 7.270
bb) Europäisches Überein- bb) Verfahren zur Vollstre-
kommen . . . . . . . . . . . . 7.228 ckung ausländischer
cc) Übereinkommen auf be- Schiedssprüche . . . . . . . 7.271
sonderen Rechtsgebieten 7.229 cc) Verfahren zur Aufhebung
c) Bilaterale Staatsverträge . . . 7.230 oder Vollstreckbarerklä-
d) Autonomes Recht . . . . . . . . 7.233 rung inländischer
6. Der Anwendungsbereich der Schiedssprüche . . . . . . . 7.272
Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . 7.234 dd) Einredeverfahren vor
a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.234 staatlichen Gerichten . . 7.273
aa) Schiedssprüche . . . . . . . 7.234 (1) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.277
(1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.236 (2) Objektive Anküpfung . 7.287
(2) Territorialitätsvorbehalt 7.239 ee) Verfahren vor dem
(3) Handelssachenvorbehalt 7.240 Schiedsgericht . . . . . . . 7.290
bb) Schiedsvereinbarungen 7.241 2. Reichweite des Statuts der
(1) Vollstreckungsverfahren 7.242 Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . 7.292
(2) Einredeverfahren . . . . . 7.243 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.292
(3) Schiedsverfahren . . . . . 7.246 aa) Zustandekommen und
(4) Einfluss der Vorbehalte 7.247 materielle Wirksamkeit 7.292
b) Europäisches Übereinkom- bb) Auslegung und objektive
men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.249 Reichweite . . . . . . . . . . 7.295
aa) Abweichung vom UNÜ 7.249 cc) Aufhebung und Abände-
bb) Sitz der Parteien in ver- rung . . . . . . . . . . . . . . . 7.302
schiedenen Vertragsstaa- b) Europäisches Übereinkom-
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.250 men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.303
cc) Streitigkeit aus interna- c) Autonomes deutsches Recht 7.304
tionalen Handelsgeschäf- aa) Zustandekommen der
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.251 Schiedsvereinbarung . . 7.304
c) Autonomes Recht . . . . . . . . 7.253 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.305
7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . 7.255 (2) Einbeziehung einer
a) UN-Übereinkommen – Euro- Schiedsklausel in AGB . 7.306
päisches Übereinkommen . 7.255 (3) Schweigen auf Bestäti-
b) Multilaterale und bilaterale gungsschreiben . . . . . . 7.307
Übereinkommen . . . . . . . . . 7.259 bb) Materielle Wirksamkeit
c) Staatsverträge und auto- der Schiedsvereinbarung 7.308
nomes Recht . . . . . . . . . . . . 7.260 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.308
II. Bestimmung und Reichweite des auf (2) Inhaltskontrolle von
die Schiedsvereinbarung anzuwen- Schiedsklauseln in AGB 7.309
denden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.262 (3) Schiedsvereinbarung und
1. Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . 7.262 Hauptvertrag . . . . . . . . 7.311
a) Staatsverträge und nationales cc) Auslegung und Reichwei-
Kollisionsrecht . . . . . . . . . . 7.262 te der Schiedsverein-
b) UN-Übereinkommen . . . . . 7.263 barung . . . . . . . . . . . . . 7.313
aa) Anwendungsbereich von dd) Wegfall der Schiedsver-
Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ 7.263 einbarung . . . . . . . . . . . 7.317
bb) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.264 III. Form der Schiedsvereinbarungen . 7.318
cc) Objektive Anknüpfung 7.266 1. UN- Übereinkommen . . . . . . . . 7.318
dd) Verbraucherstreitigkei- a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . 7.318
ten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.267 b) Verhältnis zu nationalen
c) Europäisches Übereinkom- Formvorschriften . . . . . . . . 7.319
men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.269 aa) Vorrang . . . . . . . . . . . . 7.319
d) Autonomes deutsches Recht 7.270 bb) Meistbegünstigung . . . . 7.321

960 | Hausmann
Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen | § 7

c) Schiedsvereinbarung und aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.394


Verfahrensvereinbarung . . . 7.326 bb) Bestimmtes Rechtsver-
d) Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . 7.327 hältnis . . . . . . . . . . . . . . 7.396
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . 7.327 cc) Bestimmbares Schieds-
bb) Beiderseitige Unterzeich- gericht . . . . . . . . . . . . . . 7.397
nung der Vertragsurkun- b) Objektive Schiedsfähigkeit . 7.400
de . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.329 aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.400
cc) Austausch von Doku- bb) Deutsches Sachrecht . . . 7.403
menten . . . . . . . . . . . . . 7.331 c) Subjektive Schiedsfähigkeit . 7.404
dd) Allgemeine Geschäfts- d) Eingriffsnormen . . . . . . . . . 7.406
bedingungen . . . . . . . . . 7.337 e) Ordre public . . . . . . . . . . . . 7.409
ee) Kaufmännisches Bestäti- V. Wirkungen der Schiedsvereinbarun-
gungsschreiben . . . . . . . 7.344 gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.412
ff) Konnossement . . . . . . . 7.345 1. Einredewirkung im Hauptsache-
gg) Vollmacht . . . . . . . . . . . 7.347 verfahren vor staatlichen Gerich-
e) Heilung von Formmängeln . 7.348 ten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.412
2. Europäisches Übereinkommen . 7.350 a) Ausschluss der staatlichen
a) Schriftform . . . . . . . . . . . . . 7.350 Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . 7.412
b) Günstigeres Landesrecht . . . 7.353 b) UN-Übereinkommen . . . . . 7.413
c) Meistbegünstigung . . . . . . . 7.356 aa) Form und Zeitpunkt der
3. Autonomes deutsches Schiedsver- Einrede . . . . . . . . . . . . . 7.413
fahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 7.357 bb) Wirksamkeit der Schieds-
a) Anknüpfung . . . . . . . . . . . . 7.357 vereinbarung . . . . . . . . . 7.415
aa) Inländisches Schiedsver- cc) Verweisung auf das
fahren . . . . . . . . . . . . . . 7.357 Schiedsverfahren . . . . . . 7.419
bb) Ausländisches Schieds- c) Europäisches Übereinkom-
verfahren . . . . . . . . . . . . 7.359 men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.420
(1) Meistbegünstigung . . . . 7.359 d) Autonomes deutsches
(2) Verbraucherschutz . . . . 7.364 Schiedsverfahrensrecht . . . . 7.421
b) Form der Schiedsverein- aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.421
barung nach § 1031 ZPO . . 7.368 bb) Prozesshindernis . . . . . . 7.422
aa) Allgemeines . . . . . . . . . . 7.368 2. Wirkung im Verfahren des einst-
bb) Schriftform . . . . . . . . . . 7.370 weiligen Rechtsschutzes vor staat-
cc) Verkehrssitte und Han- lichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . 7.423
delsbrauch . . . . . . . . . . . 7.372 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.423
dd) Bezugnahme auf AGB . 7.374 b) Autonomes deutsches
ee) Konnossement . . . . . . . 7.376 Schiedsverfahrensrecht . . . . 7.424
ff) Verbrauchervertrag . . . . 7.377 3. Wirkung im Verfahren der Aner-
gg) Heilung von Formmän- kennung und Vollstreckung aus-
geln . . . . . . . . . . . . . . . . 7.381 ländischer Schiedssprüche . . . . . 7.426
IV. Zulässigkeit von Schiedsverein- a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 7.426
barungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.383 b) Präklusion . . . . . . . . . . . . . . 7.427
1. UN-Übereinkommen . . . . . . . . . 7.383 4. Drittwirkungen der Schiedsver-
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis 7.383 einbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.430
b) Objektive Schiedsfähigkeit . 7.384 5. Schiedsvereinbarung und Auf-
c) Subjektive Schiedsfähigkeit . 7.388 rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.434
d) Ordre public . . . . . . . . . . . . 7.389 6. Schiedsvereinbarung und Insol-
2. Europäisches Übereinkommen . 7.390 venz einer Partei . . . . . . . . . . . . . 7.436
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis 7.390 7. Schadensersatz wegen Verstoß ge-
b) Objektive Schiedsfähigkeit . 7.392 gen eine Schiedsvereinbarung? . 7.437
c) Subjektive Schiedsfähigkeit . 7.393
VI. Das in Schiedsverfahren auf die
3. Deutsches autonomes Schiedsver- Hauptsache anzuwendende Recht . 7.438
fahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 7.394
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 7.438
a) Bestimmtheitserfordernisse . 7.394

Hausmann | 961
§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

2. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . 7.439 nationale Schiedsgerich-


a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.439 te . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.470
b) Europäisches Übereinkom- (1) Internationalität des Ver-
men . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.440 trages . . . . . . . . . . . . . . 7.470
3. Bindung von Schiedsgerichten mit (2) Wahl der Parteien . . . . 7.473
Sitz in Mitgliedstaaten der EU an VII. Zusammenfassung mit Handlungs-
die Rom I-VO? . . . . . . . . . . . . . . 7.443 anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.475
4. Autonomes deutsches Schiedsver- 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 7.475
fahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 7.447 2. Statut der Schiedsvereinbarung . 7.482
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 7.447 3. Form der Schiedsvereinbarung . 7.485
b) Sachlicher Anwendungs- 4. Zulässigkeit einer Schiedsverein-
bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.450 barung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.488
aa) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.450
5. Wirkungen der Schiedsverein-
bb) Objektive Anknüpfung 7.451
barung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.491
c) Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . 7.452
6. Das in Schiedsverfahren auf die
aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.452
Hauptsache anzuwendende
bb) Modalitäten . . . . . . . . . 7.453
Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.493
cc) Schranken . . . . . . . . . . . 7.456
(1) Verbraucherschutz . . . . 7.456 7. Klauselbeispiele . . . . . . . . . . . . . 7.498
(2) Eingriffsnormen . . . . . . 7.457 a) Standard-Schiedsklausel der
(3) National zwingendes DIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.498
Recht . . . . . . . . . . . . . . . 7.461 aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.498
d) Objektive Anknüpfung . . . . 7.462 bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.499
e) Billigkeitsentscheidung . . . . 7.464 b) Standard-Schiedsklausel der
f) Anwendung der „lex merca- ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.500
toria“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.466 aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.500
aa) Handelsbräuche und „lex bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.501
mercatoria“ . . . . . . . . . . 7.466 c) Standard-Schiedsklausel UN-
bb) Voraussetzungen für die CITRAL . . . . . . . . . . . . . . . 7.502
Anwendung der „lex aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.502
mercatoria“ durch inter- bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.503

A. Gerichtsstandsvereinbarungen

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964 | Hausmann
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§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

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IV.Ausländisches IZPR und Rechtsvergleichung:
Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law (2008); Coipel/Cordonnier, Les conventions
d’arbitrage et d’élection de for en droit international privé (1999); Delaume, Choice-of-Forum and
Arbitration Clauses in the United States, J.Int.Arb. 1 (1996), 81; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln
im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr (2007); Fawcett, Non-exclusive Jurisdiction Agreements
in Private International Law, LMCLQ 2001, 234; Hay, Forum Selection Clauses – Procedural Tools or
Contractual Obligations? Conceptualization and Remedies in American and German Law, IPRax
2020, 505; Mankowski, Gerichtsstandsklauseln als Haftungsbeschränkungen zugunsten Dritter und
die Himalaya Clause, IPRax 1998, 214; Peel, Exclusive jurisdiction agreements: purity and pragmatism
in the conflict of laws, LMCLQ 1998, 182; Peterson, Prorogation Clauses in the United States after the
Carnival Cruise Cases, IPRax 1993, 421; Queirolo, Gli accordi sulla competenza giurisdizionale (2000);

966 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.3 § 7

Park, International Forum Selection (Den Haag 1995); Rathenau, Internationale Gerichtsstandsver-
einbarungen nach portugiesischem Recht, RIW 2005, 661; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach
dem IPR-Gesetz (Zürich 1989); Stingl, Forum Selection in the Conflict of Laws (Wien 2001); Vorpeil,
Zwei Fälle der Nichtanerkennung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in den USA, IPRax
1995, 405; Walder-Rickli, Die Gerichtsstandsbestimmungen des schweizerischen Gerichtsstandsgeset-
zes und des Bundesgesetzes über das IPR im Vergleich zu denen des Lugano-Übereinkommens, FS
Geimer (2001), S. 1411; Yong Jin Kim, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen (1995).

I. Allgemeine Grundsätze
1. Normzweck
Neben der Bestimmung des anwendbaren Rechts kommt in internationalen Schuldverträgen 7.1
vor allem der Wahl des Forums für Streitigkeiten über die Gültigkeit des Vertrages und die
Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erhebliche praktische Bedeutung zu. Dabei kön-
nen die Parteien – zumindest im kaufmännischen Rechtsverkehr – in der Regel wählen, ob sie
die Streitentscheidung einem staatlichen Gericht oder einem Schiedsgericht anvertrauen wol-
len.

Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung können die Parteien die gerade im internationalen 7.2
Rechtsverkehr häufig bestehende Unsicherheit über die zur Entscheidung von Rechtsstreitig-
keiten zuständigen Gerichte beseitigen. Sie können auf diese Weise insbesondere die Vielzahl
der nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO in Betracht kommenden gesetzlichen Gerichtsstände begren-
zen oder Einigungsschwierigkeiten durch die Wahl eines „neutralen“ Gerichtsstands überwin-
den1. Außerdem schafft eine Gerichtsstandsklausel Rechtssicherheit dadurch, dass die Zu-
ständigkeit unabhängig von späteren Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse (z.B. dem
Wohnsitzwechsel einer Partei) festgelegt wird2. Vor allem aber bringt sie für diejenige Partei
eines internationalen Schuldvertrages, der es gelingt, die Zuständigkeit ihrer Heimatgerichte
durchzusetzen, erhebliche Vorteile mit sich. Denn es entscheidet dann ein Gericht, dessen Or-
ganisation und Funktionsweise dieser Partei vertraut ist. Ferner wird die mit einer Klage-
erhebung im Ausland häufig verbundene Erschwernis der Rechtsverfolgung, z.B. durch
Sprachprobleme und erhöhte Aufwendungen (für Übersetzungen, Fahrten, ausländische Pro-
zessvertreter etc.), vermieden3. Vor allem im Interesse eines legitimen „forum planning“ lassen
daher sowohl die Brüssel Ia-VO wie auch die meisten nationalen Rechte Vereinbarungen der
Parteien über die internationale Gerichtszuständigkeit in vertraglichen Streitigkeiten zu.

2. Gegenstand
a) Prorogation und Derogation
Gegenstand einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung kann sein: 7.3
– eine Prorogation, d.h. die Begründung der internationalen Zuständigkeit eines Staates,
dessen Gerichte ohne die Vereinbarung zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig
wären, und/oder

1 Vgl. dazu eingehend F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichts-
standes (1997).
2 Vgl. näher Schulze, IPRax 1999, 229 (230); Geimer, Rz. 1396 ff.
3 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.

Hausmann | 967
§ 7 Rz. 7.3 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

– eine Derogation, d.h. der Ausschluss der internationalen Zuständigkeit eines Staates, des-
sen Gerichte ohne die Vereinbarung international zuständig wären.

7.4 Beide Aspekte sind auch dann auseinander zu halten, wenn sie – wie im Regelfall – Gegen-
stand ein und derselben Gerichtsstandsvereinbarung sind1. Zwar wird durch die Prorogation
der ausschließlichen Zuständigkeit eines bestimmten Staates zugleich die internationale Zu-
ständigkeit aller übrigen Staaten derogiert. Notwendig ist diese Koppelung von Prorogation
und Derogation in derselben Gerichtsstandsvereinbarung jedoch nicht2. Möglich sind viel-
mehr auch isolierte Prorogations- und Derogationsvereinbarungen3.

b) Gerichts- und Rechtswahl


7.5 Zuständigkeitsvereinbarung und Rechtswahl sind zwar grundsätzlich strikt auseinander zu
halten4. In der Praxis stehen beide jedoch häufig in einer engen Wechselbeziehung. So enthält
die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands einen starken Hinweis auf die Geltung
des Rechts am Sitz des gewählten Gerichts, der i.d.R. die Annahme einer stillschweigenden
Rechtswahl i.S.v. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO rechtfertigt (dazu näher Rz. 2.86 ff. m.w.N.)5.
Das Recht am gewählten Gerichtsort beherrscht – wie Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nunmehr
ausdrücklich klarstellt – insbesondere die Frage der materiellen Wirksamkeit der Gerichts-
standsvereinbarung selbst; dazu näher Rz. 7.48 ff.

7.6 Umgekehrt kann auch in der bloßen Rechtswahl u.U. zugleich eine stillschweigende Zustän-
digkeitsvereinbarung liegen, soweit eine solche nach der lex fori überhaupt zulässig ist6. Ferner
kann die Wahl des Rechts am Gerichtsort für die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung
Bedeutung erlangen7. Allerdings ist mit einer Schlussfolgerung vom gewählten Recht auf das
gewählte Forum größte Zurückhaltung geboten8. Für eine solche ist jedenfalls dann kein
Raum, wenn die Parteien zugleich die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates ver-
einbart haben9.

3. Rechtsnatur der Vereinbarung


7.7 Die Qualifikation internationaler Gerichtsstandvereinbarungen ist umstritten10. Die deutsche
Rechtsprechung wertet die Gerichtsstandsvereinbarung als einen „materiellrechtlichen Vertrag
über prozessrechtliche Beziehungen“, dessen Zustandekommen sich nach bürgerlichem Recht

1 Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 137 ff.


2 Geimer, Rz. 1653; Schack, Rz. 496.
3 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 473; Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 38 ZPO Rz. 5
m.w.N.
4 Geimer, Rz. 1674, 1755.
5 Vgl. BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, NJW 1991, 1420 = EWiR 1991, 445 (LS) m. Anm. Koller;
OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31.
6 Ital. Cass. v. 11.7.1997, unalex IT-91; Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 487; a.A. Geimer,
Rz. 1674.
7 OLG Düsseldorf v. 14.12.1989 – 10 U 93/89, RIW 1990, 220 (221); vgl. auch BGH v. 21.11.1996 –
IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 = NJW 1997, 397 (399) = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Stau-
dinger, IPRax 1999, 338).
8 OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670; AG Mannheim v. 9.7.2010 – 3 C
96/10, BeckRS 2010, 17438; Geimer, Rz. 1674.
9 OLG Hamburg v. 8.3.1973 – 6 U 171/72, AWD 1974, 278.
10 Vgl. zum Meinungsstand Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (296 ff.).

968 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.8 § 7

richtet1. Die vor Klageerhebung getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei mangels unmittel-


barer Prozessgestaltung keine Prozesshandlung; außerdem enthalte das Prozessrecht für das
wirksame Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen keine Vorschriften2. Dem-
gegenüber hat sich in der neueren Literatur zu Recht die Qualifikation der Gerichtsstandsver-
einbarung als Prozessvertrag durchgesetzt, weil diese nicht auf eine Rechtsfolge des materiel-
len Rechts gerichtet ist, die außerhalb eines Prozesses und unabhängig von ihm Bedeutung er-
langen könnte3. Die Vereinbarung zielt vielmehr auch dann, wenn sie vor dem Entstehen eines
Rechtsstreits getroffen wird, primär auf einen prozessualen Erfolg, nämlich die Zuständigkeit
oder Unzuständigkeit eines Gerichts ab. Dies schließt jedoch nicht aus, ihr daneben auch mate-
riell-rechtliche Wirkungen beizulegen. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann daher auch die
– schadensersatzbewehrte – schuldrechtliche Verpflichtung der Parteien begründen, nur vor
dem vereinbarten Gericht zu klagen (dazu näher Rz. 7.176 ff.)4. Dies schließt jedoch ihre Ein-
ordnung als Prozessvertrag und der auf ihren Abschluss gerichteten Willenserklärungen als
Prozesshandlungen in einem weiteren Sinne nicht aus5. Dieser Entwicklung trägt auch der
BGH Rechnung, indem er die Gerichtsstandsvereinbarung inzwischen als „Vertrag über pro-
zessrechtliche Beziehungen“ bezeichnet6. Der Verordnungsgeber hat sich in Art. 25 Abs. 1
Brüssel Ia-VO dieser Sichtweise angeschlossen, indem er für die materielle Wirksamkeit einer
Gerichtsstandsvereinbarung, auch wenn sie in einem Schuldvertrag enthalten ist, nicht auf das
Vertragsstatut7, sondern auf die lex fori des vereinbarten Gerichts verweist.

4. Rechtsquellen
a) Brüssel I-VO
Wichtigste Rechtsquelle für die Beurteilung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen 7.8
war bis 2014 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO)

1 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.) = NJW 1968, 1233; BGH v. 22.9.1971 –
VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 (75) = NJW 1972, 391 m. Anm. Geimer und Schmidt-Salzer; BGH
v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23 (26 f.) = NJW 1972, 1622 m. Anm. Geimer = AWD
1972, 416 m. Anm. von Hoffmann = BB 1972, 764 m. Anm. Trinkner; OLG München v. 28.9.1989
– 24 U 391/87, IPRax 1991, 46 (48) (m. Anm. Geimer, IPRax 1991, 31).
2 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.); BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71,
BGHZ 59, 23 (26 f.); zust. Wirth, NJW 1978, 460.
3 Vgl. Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (361); Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 4; Hüßtege
in Thomas/Putzo, vor § 38 ZPO Rz. 2; Geimer, Rz. 1677; G. Roth, ZZP 93 (1980), 163 f. m.w.N.
4 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 m. Anm. Wais = EuZW
2020, 143 m. Anm. Antomo = IWRZ 2020, 39 m. Anm. Graf von Westphalen = RIW 2020, 64 m.
Anm. Mankowski = JZ 2020, 797 m. Anm. Mäsch = BB 2019, 3023 m. Anm. Unseld = IPRax 2020,
459 m. Anm. Colberg 426.
5 Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozesshandlung einer Partei im Zivilprozess (1957), S. 229
(279); Henckel, Prozessrecht und materielles Recht (1970), S. 14 f.; Schiedermair, Vereinbarungen
im Zivilprozess (1935), S. 32 f. (40). In diesem Sinne wohl auch EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79,
ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (Rz. 6 f.) (Gerichtsstandsvereinbarung also blo-
ße Option, die erst mit Klageerhebung Wirkung entfaltet).
6 Vgl. BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 m. Anm. Geimer = IPRax 1987, 168 (m.
Anm. G. Roth, IPRax 1987, 141); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432) =
IPRax 1990, 41 (m. Anm. Schack, IPRax 1990, 19); ebenso OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/
87, RIW 1989, 221 (222) = IPRax 1990, 105 (m. Anm. Prinzing, IPRax 1990, 83).
7 So noch BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 f.; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1
U 190/99, NJW 2000, 670 (671).

Hausmann | 969
§ 7 Rz. 7.8 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

vom 22.12.2000, die für die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen damaligen Mitglied-
staaten der EU – mit Ausnahme Dänemarks – am 1.3.2002 in Kraft getreten war. Für die zehn
ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowa-
kei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) galt die Brüssel I-VO seit dem 1.5.2004, für Bul-
garien und Rumänien seit dem 1.1.2007 und für Kroatien seit dem 1.7.2013. Das Zustande-
kommen, die Zulässigkeit und die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen waren – un-
ter weitgehender Übernahme der Regeln in Art. 17 EuGVÜ – in Art. 23 der Verordnung nor-
miert. Eine damit übereinstimmende Vorschrift galt auch im Verhältnis der übrigen EU-Mit-
gliedstaaten zu Dänemark1.

b) Brüssel Ia-VO
7.9 Am 12.12.2012 haben das Europäische Parlament und der Rat als Verordnung (EU) Nr. 1215/
2012 eine Neufassung der Brüssel I-VO beschlossen2. Diese sog. Brüssel Ia-VO gilt für alle Mit-
gliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks3 in Verfahren, die ab dem 10.1.2015 eingeleitet wurden
(Art. 66 Abs. 1) und hat von diesem Tag an die Brüssel I-VO abgelöst (Art. 80). Im Verhältnis
zwischen der EU und Dänemark wird die Brüssel Ia-VO aufgrund entsprechender Erklärungen
des Königreichs Dänemark ebenfalls angewandt4. Die Neufassung der Brüssel I-VO bringt auf
dem Gebiet der internationalen Gerichtszuständigkeit nur wenige Änderungen. Ihr Schwerge-
wicht liegt in der Erleichterung der Vollstreckung von Urteilen im Verhältnis der Mitgliedstaa-
ten zueinander durch die weitgehende Beseitigung des Exequaturverfahrens (vgl. Art. 39 ff.
Brüssel Ia-VO). Die nunmehr in Art. 25 Brüssel Ia-VO enthaltene Vorschrift über internationale
Gerichtsstandsvereinbarungen dehnt ihren Anwendungsbereich auch auf Fälle aus, in denen
keine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Vordnung hat (dazu Rz. 7.16).
Ferner bringt sie eine wichtige Neuerung zu dem auf die materielle Wirksamkeit der Verein-
barung anzuwendenden Recht mit sich, das nunmehr in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO
europäisch-einheitlich festgelegt wird (dazu Rz. 7.48 ff.). Außerdem wurde die Wirkung von Ge-
richtsstandsvereinbarungen dadurch gestärkt, dass die derogierten Gerichte anderer Mitglied-
staaten das bei ihnen anhängige Verfahren auszusetzen haben, sobald das prorogierte Gericht
angerufen wird, und in der Sache nur entscheiden dürfen, wenn das prorogierte Gericht sich für
unzuständig erklärt (Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.156 ff.). Die Regeln der Verord-
nung über die internationale Zuständigkeit sind nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur
auf EU-Binnensachverhalte anzuwenden, sondern auch auf Sachverhalte mit bloßem Bezug zu
Drittstaaten (vgl. Rz. 7.19); sie verdrängen deshalb das autonome Zuständigkeitsrecht der Mit-
gliedstaaten weitgehend. Für die Auslegung von Art. 25 Brüssel Ia-VO gelten im Wesentlichen
die vom EuGH zu Art. 17 EuGVÜ und zu Art. 23 Brüssel I-VO entwickelten Grundsätze weiter,
soweit die Vorschrift im Zuge der Reform keine Änderung erfahren hat5.

1 Vgl. das Übk. zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Dänemark über die gerichtliche Zu-
ständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels-
sachen v. 19.10.2005 (ABl. EU 2005 L 299, S. 62), in Kraft seit 1.7.2007 (ABl. EU 2007 L 94, S. 70).
2 ABl. EU 2012. L 351, 18 ff.; Jayme/Hausmann, Nr. 160.
3 Vgl. Erwägungsgrund 41 zur Brüssel Ia-VO.
4 Vgl. die Erklärungen v. 20.12.2012 (ABl. 2013 L 79, S. 4) und v. 13.8.2014 (ABl. 2014 L 240, S. 1).
5 Vgl. zu diesem Prinzip der Auslegungskontinuität schon Erwägungsgrund 19 zur Brüssel I-VO;
ferner EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 30 f.);
EuGH v. 28.6.2017 –C-436-/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis), RIW 2017, 507 (Rz. 31) = IPRax
2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:
C:2009:475 (Zuid-Chemie), Slg. 2009 I, 6917 (Rz. 17 ff.); Hausmann in unalexKomm, Einl. zur
Brüssel I-VO, Rz. 48 m.w.N.

970 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.11 § 7

c) Luganer Übereinkommen
Am 16.9.1988 haben die damaligen Mitgliedstaaten der EG mit Staaten der Europäischen Frei- 7.10
handelsassoziation (EFTA) das Luganer Übk. über die gerichtliche Zuständigkeit und die Voll-
streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1 abgeschlossen, das in sei-
nem Art. 17 eine weitgehend mit Art. 17 EuGVÜ übereinstimmende Regelung der internatio-
nalen Gerichtsstandsvereinbarungen enthielt. Diese galt auch nach dem Inkrafttreten der Brüs-
sel I-VO im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens fort, die nicht
Mitgliedstaaten der EU waren, nämlich zu Island, Norwegen und der Schweiz. Am 30.10.2007
hatte sich die EG mit Dänemark, Island, Norwegen und der Schweiz auf ein Nachfolgeüberein-
kommen geeinigt, mit dem der Inhalt des LugÜ 1988 weitgehend an die Brüssel I-VO angegli-
chen wurde2; insbesondere wurde Art. 23 Brüssel I-VO wörtlich übernommen. Das neue Luga-
no-Übereinkommen (LugÜ 2007) ist am 1.1.2010 für die Mitgliedstaaten der Brüssel I-VO so-
wie für Dänemark und Norwegen in Kraft getreten3. Die Schweiz und Island sind dem Über-
einkommen mit Wirkung vom 1.1. bzw. 1.5.2011 beigetreten4. Für Kroatien gilt es seit dem
Beitritt des Landes zur EU am 1.7.2013; es gilt hingegen nicht für Liechtenstein5.

Das LugÜ 2007 ersetzt nach seinem Art. 69 Abs. 6 das LugÜ 1988. Es findet nach seinem 7.11
Art. 65 Abs. 2 Anwendung, wenn die Klage nach seinem Inkrafttreten erhoben wurde6; dies
gilt auch dann, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung davor abgeschlossen wurde7. Eine An-
passung an die Brüssel Ia-VO steht noch aus. Während für das LugÜ 1988 noch keine Aus-
legungskompetenz des EuGH bestand, ist dieser nunmehr auf Vorlage von Gerichten der
EU-Mitgliedstaaten (nicht aber auf Vorlage von Gerichten Islands, Norwegens oder der
Schweiz) auch zur Auslegung des LugÜ 2007 zuständig8. Die EuGH-Rechtsprechung zur Aus-
legung des EuGVÜ bzw. der Brüssel I-VO wird ferner gem. Art. 1 Abs. 1 des Protokolls Nr. 2
zum LugÜ 2007 auch von den Gerichten der nicht der EU angehörenden Vertragsstaaten zu-
grunde gelegt9. Für die Auslegung des LugÜ 2007 kann daher weithin auf die Auslegung der
Brüssel I-VO zurückgegriffen werden10. Außerdem ist von Pocar ein erläuternder Bericht zum
LugÜ 2007 verfasst worden11.

1 BGBl. II 1994, 2660; Jayme/Hausmann, Nr. 152; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit
1.3.1995.
2 ABl. EU 2009 L 147, 5 ff.
3 ABl. EU 2010 L 140, 1; dazu Wagner, NJW 2009, 1911 (1913). Vgl. zum LugÜ 2007 näher Haus-
mann in unalexKomm, Einl. zur Brüssel I-VO Rz. 81 ff.
4 Wagner, NJW 2011, 1404 (1406); dazu BGH v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, BGHZ 195, 166 = ZIP
2013, 286 Rz. 6 f.
5 BGH v. 28.6.2007 – I ZR 49/04, BGHZ 173, 57 Rz. 22 = NJW-RR 2008, 57 (m. Anm. Reichardt,
IPRax 2008, 330).
6 BGH v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, BGHZ 195, 166 = ZIP 2013, 286 Rz. 6 f.; BGH v. 16.1.2014 –
IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739.
7 Schwz. BG v. 31.7.2013, unalex CH-520.
8 Vgl. die Präambel zum Protokoll Nr. 2 zum LugÜ 2007; Hausmann in unalexKomm, Einl. zur
Brüssel I-VO, Rz. 87 m.w.N.
9 Vgl. in der Schweiz ebenso schon zum LugÜ 1988 BG v. 26.9.1997, BGE 123 III 414 (421); BG v.
9.3.1998, BGE 124 III 188 (191) = unalex CH-3.
10 Vgl. BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, ZIP 2012, 1527 = WM 2012, 852 (Rz. 17). Ebenso schon
zum LugÜ 1988 BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 159/09, BGHZ 187, 156 = ZIP 2010, 2264 (Rz. 10);
BGH v. 31.5.2011 – VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809; OLG München v. 28.5.2010
– 5 U 4254/09, WM 2010, 1463.
11 ABl. EU 2009 C 319.

Hausmann | 971
§ 7 Rz. 7.12 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Haager Übereinkommen
7.12 Am 30.6.2005 wurde in Den Haag ein neues Übk. über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ)
abgeschlossen1. Ziel des Übk. ist die Anerkennung von Vereinbarungen eines ausschließlichen
Gerichtsstands in Zivil- und Handelssachen in allen Vertragsstaaten. Geregelt werden ins-
besondere die Voraussetzungen für die Gültigkeit einer internationalen Gerichtsstandsverein-
barung (Form, Bestimmtheit der Gerichtswahl und der von ihr erfassten Streitigkeiten, Art. 3
HGÜ) sowie die wesentlichen Wirkungen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung. Die-
se bestehen vor allem darin, dass die derogierten Gerichte – ähnlich wie jetzt auch nach der
Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.155 ff.) – verpflichtet sind, die Klage abzuweisen oder zumindest
das Verfahren auszusetzen, bis das prorogierte Gericht über seine Zuständigkeit entschieden
hat (Art. 6 HGÜ). Ferner verpflichtet das Übk. die Gerichte der übrigen Vertragsstaaten zur
Anerkennung und Vollstreckung der im vereinbarten Gerichtsstand ergangenen Entscheidung
(Art. 8 ff. HGÜ). Das Übk. ist für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten am
1.10.2015 im Verhältnis zu Mexiko in Kraft getreten (dazu Rz. 7.28)2. Es gilt inzwischen auch
für Dänemark (seit 1.9.2018), Montenegro (seit 1.8.2018) und Singapur (seit 1.10.2016). Die
VR China, die Ukraine und die Vereinigten Staaten haben das Übk zwar gezeichnet, aber bis-
her nicht ratifiziert. Zur Konkurrenz zwischen dem HGÜ und der Brüssel Ia-VO s. Art. 26
Abs. 6 HGÜ (dazu Rz. 7.28).

e) Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten


7.13 Regelungen über internationale Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten auch einige von der
Bundesrepublik Deutschland ratifizierte Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten, ins-
besondere auf dem Gebiet des internationalen Transportrechts, z.B. Art. 31 Abs. 1 des Genfer
Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr
vom 14.5.1956 (CMR) (dazu näher Rz. 7.32 f.)3 oder Art. 33, 49 des Montrealer Übk. zur Ver-
einheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr
vom 28.5.1999 (MÜ)4.

f) Autonomes Recht
7.14 Nur soweit eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung in sachlicher, räumlich-persönli-
cher oder zeitlicher Hinsicht nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, des Luganer
Übk. oder eines Staatsvertrages auf einem besonderen Rechtsgebiet fällt, sind ihr Zustande-
kommen, ihre Zulässigkeit und ihre Wirkungen nach dem autonomen deutschen Prozess-
recht, d.h. nach §§ 38–40 ZPO zu beurteilen. Aufgrund der Erweiterung des räumlichen An-
wendungsbereichs von Art. 25 Brüssel Ia-VO gegenüber der bisherigen Regelung in Art. 23
Brüssel I-VO beschränkt sich die Geltung des autonomen Rechts der Mitgliedstaaten heute im

1 Text bei Jayme/Hausmann, Nr. 151; dazu Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 ff.
2 Vgl. zur Ratifikation der EU den Vorschlag für einen Ratsbeschluss v. 9.4.2014, KOM (2014) 46
endg.
3 BGBl. II 1961, 1120; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 5.2.1962 (Bek. v. 28.12.1961,
BGBl. II 1962, 12). Das Übereinkommen gilt im Verhältnis zu sämtlichen Mitgliedstaaten der
Brüssel Ia-VO und des LugÜ.
4 BGBl. II 2004, 459; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 28.6.2004 (Bek. v. 16.9.2004,
BGBl. II 2004, 1371). Das Übk. verdrängt gem. seinem Art. 55 im Verhältnis der Vertragsstaaten
zueinander das Warschauer Abk. v. 28.9.1955 (BGBl. II 1958, 291). Vgl. zu diesem Übk. näher
Rz. 15.136 ff., Rz. 5.293 ff. sowie Rz. 7.31 f.

972 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.16 § 7

Wesentlichen auf die Prorogation von Gerichten in Drittstaaten und die Prorogation in den
nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO aus ihrem sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossenen
Bereichen1. Auch insoweit ist künftig der Vorrang des HGÜ zu beachten. Aus diesem Grunde
wird nachfolgend auf eine Darstellung des autonomen deutschen Rechts der internationalen
Gerichtsstandsvereinbarungen nach §§ 38, 40 ZPO verzichtet.

II. Brüssel Ia-VO und autonomes Recht


1. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO
a) Verzicht auf das Wohnsitzerfordernis
Neben dem allgemeinen Erfordernis, dass die Klage in den sachlichen2 und zeitlichen3 An- 7.15
wendungsbereich der Verordnung fiel, war es für die Anwendung des Art. 23 Brüssel I-VO
erforderlich, dass von den Parteien „mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaats“ hatte. Welche Partei in einem Mitgliedstaat wohnte, war unerheblich;
denn andernfalls wäre die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede von den Parteirollen in ei-
nem künftigen Prozess abhängig gewesen; dies wäre aber mit dem Ziel der Verordnung, vor-
hersehbare Zuständigkeiten zu schaffen, unvereinbar gewesen4. Abweichend von der Grund-
regel des Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO genügte es daher, wenn lediglich der Kläger in einem
Mitgliedstaat wohnte5. Hatte hingegen keine der Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem
Mitgliedstaat, so war Art. 23 Brüssel I-VO nicht anwendbar; die Gerichte der Mitgliedstaaten,
die in einem solchen Fall aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung angerufen wurden, hat-
ten über deren Gültigkeit nach ihrem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht zu entscheiden6.
Lediglich die derogative Wirkung einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung zuguns-
ten der Gerichte eines Mitgliedstaats war nach Art. 23 Abs. 3 Brüssel I-VO auch dann in allen
Mitgliedstaaten zu beachten, wenn beide Parteien ihren Sitz in Drittstaaten hatten7. Dieses
Wohnsitzerfordernis besteht auch heute noch im Geltungsbereich des Luganer Übereinkom-
mens von 2007 fort8.

Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich von Art. 25 Brüssel Ia-VO ist hingegen gegen- 7.16
über der Vorgängernorm in Art. 23 Brüssel I-VO noch einmal erweitert worden. Denn die
Vorschrift gilt nach ihrem Einleitungssatz nunmehr ganz unabhängig vom Wohnsitz der
Parteien. Auch wenn beide Parteien ihren Wohnsitz in Drittstaaten haben, ist die Verein-
barung eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats daher nunmehr an Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO zu messen9. Ob die damit verbundene Derogation drittstaatlicher Gerichte nach

1 Hess, IPRax 2018, 258; Geimer, Rz. 1605.


2 Vgl. Art. 1 Brüssel Ia-VO; dazu Hausmann in unalexKomm, Rz. 1 ff.; Kropholler/von Hein, Rz. 1 ff.,
jeweils zu Art. 1 Brüssel I-VO m.w.N.
3 Vgl. Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; dazu Borrás/Spegele in unalexKomm, Art. 66 Brüssel I-VO
Rz. 1 ff.
4 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (138).
5 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi/UGIC), Slg. 2000 I, 5925 (5954)
(Rz. 41 f.) = EuLF 2000/01, 49 m. Anm. Geimer = IPRax 2000, 520 (m. Anm. Staudinger, IPRax
2000, 483); Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 34.
6 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg 2000 I 9337 (Rz. 19) =
ZIP 2001, 213; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 12; Saenger, ZZP 110 (1997), 479 f.
7 Vgl. Geimer, NJW 1986, 2991; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 12 f.
8 Schwz. BG v. 21.9.2017, unalex CH-628; HandelsG Zürich v. 2.5.2016, unalex CH-620.
9 Staudinger/Steinrötter, JuS 2015, 1 (4); Alio, NJW 2014, 2395 (2398); Magnus, FS Martiny (2014),
S. 785 (788 f.); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.

Hausmann | 973
§ 7 Rz. 7.16 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dem dortigen Prozessrecht wirksam ist, ist auf die Gültigkeit der Prorogation nach Art. 25
Brüssel Ia-VO ohne Einfluss1.

b) Gewähltes Gericht in einem Mitgliedstaat


7.17 Art. 25 Brüssel Ia-VO erfordert jedoch weiterhin, dass die Parteien die Zuständigkeit der Ge-
richte eines Mitgliedstaats vereinbart haben. Ein bestimmtes örtlich zuständiges Gericht muss
hierzu nicht bezeichnet werden; es genügt, wenn z.B. „die deutschen Gerichte“ zuständig sein
sollen (Rz. 7.118). Die Vorschrift gilt ferner – trotz ihres auf die Prorogation beschränkten
Wortlauts – analog auch für den Fall, dass die Parteien lediglich eine Zuständigkeit in einem
Mitgliedstaat ausgeschlossen haben (sog. isolierte Derogation)2. Da eine solche Vereinbarung
in ihrer Wirkung einem Verzicht auf gerichtlichen Schutz überhaupt gleichkommen kann, un-
terliegt sie allerdings einer scharfen Missbrauchskontrolle (dazu auch Rz. 7.58)3. Auf die Ver-
einbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat ist Art. 25 Brüssel Ia-VO dagegen nach
seinem klaren Wortlaut nicht anwendbar. Wird daher das Gericht eines Mitgliedstaats ent-
gegen einer solchen Vereinbarung angerufen, so muss es die Wirksamkeit der Prorogation
nach dem am gewählten Gerichtsort geltenden Recht beurteilen4.

7.18 Die Wirksamkeit der Derogation wurde hingegen unter Geltung des EuGVÜ nach dem auto-
nomen Prozessrecht des angerufenen Gerichts – einschließlich des Kollisionsrechts – geprüft5.
Ein deutsches Gericht hatte die Wirksamkeit der Derogation zugunsten eines drittstaatlichen
Gerichts daher an § 38 ZPO und nicht an Art. 17 EuGVÜ zu messen6. Während an dieser
Ansicht auch unter Geltung der Verordnungen Brüssel I und Brüssel Ia z.T. noch festgehalten
wird7, sollte auch die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines
drittstaatlichen Gerichts in allen Mitgliedstaaten einheitlich an Art. 25 Brüssel Ia-VO gemes-
sen werden8. Denn nur durch eine solche Auslegung wird sichergestellt, dass die von der Ver-
ordnung gezogenen Schranken für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zu Lasten

1 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 4.


2 G. Roth, ZZP 93 (1980), 156 (159); Geimer, FS Gottwald (2014), S. 175 (178): Heinig, S. 146 ff.;
Mankowski in Rauscher, Rz. 59; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 141; Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 11 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.
3 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 15 m.w.N. Für Unzulässigkeit eines Verzichts auf
jeglichen Rechtsschutz durch Derogation Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 38 f.; Mankowski in
Rauscher Rz. 59, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 Schaper/Eberlein, RIW 2012, 43 (45); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 36.
5 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606, ZIP 2001, 213 (Coreck Maritime), Slg. 2000
I, 9337 (9347) (Rz. 19) = NJW 2001, 501; vgl. auch den Schlosser-Bericht Rz. 176; Schlosser, FS
Kralik (1986), S. 297 f.; ebenso zur Brüssel I-VO Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 14.
6 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 m. Anm. Geimer = IPRax 1987, 168 (m. Anm.
G. Roth, IPRax 1987, 141); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432) = IPRax
1990, 41 (m. Anm. Schack, IPRax 1990, 19) = WuB VII A § 23 ZPO Nr. 1, 89 m. Anm. Schütze;
OLG Frankfurt a.M. v. 17.10.1995 – 5 U 176/94, IPRax 1998, 35 (m. Anm. Pfeiffer, IPRax 1998,
17).
7 Weller, IPRax 2013, 501 (502); Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 15 f.
8 Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224 (228); Geimer, FS Gottwald (2014), S. 175 (178); Berner, RIW
2017, 792 (797); Schack, Rz. 531; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 7, 12a; Gottwald in
MünchKomm-ZPO, Rz. 3 (anders aber Rz. 7); Mankowski in Rauscher, Rz. 14 f., jeweils zu Art. 25
Brüssel Ia-VO m.w.N.

974 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.20 § 7

von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern nach Art. 25 Abs. 4 i.V.m.


Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO in jedem Fall respektiert werden (dazu Rz. 7.119 ff.)1. Ferner
können auch die ausschließlichen Gerichtsstände nach Art. 24 Brüssel Ia-VO durch die Ver-
einbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat nicht abbedungen werden.

c) Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten?


aa) Reiner Inlandssachverhalt
Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt jedenfalls für Gerichtsstandsvereinbarungen mit Bezug zu zwei 7.19
oder mehr Mitgliedstaaten, so wenn die Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen2
oder wenn zwischen Parteien, von denen eine in einem Mitgliedstaat, die andere in einem
Drittstaat wohnt, die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vereinbart
wird3. Auch wenn Personen mit Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat einen Gerichtsstand in
einem anderen Mitgliedstaat vereinbaren, darf die Gerichtsstandsvereinbarung jedenfalls
dann nicht am nationalen Recht gemessen und für unwirksam erklärt werden, wenn der zu-
grunde liegende Sachverhalt einen sonstigen Auslandsbezug aufweist, z.B. weil dort der Ver-
trag zu erfüllen ist4.

Die Brüssel Ia-VO gilt hingegen – wie ihre Kompetenzgrundlage in Art. 81 AEUV und Erwä- 7.20
gungsgrund 3 belegen – nur für „Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen“, also nicht
für reine Binnensachverhalte. Ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung des Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO ist mithin ein internationaler Sachverhalt5. Vereinbaren die Parteien daher einen
Gerichtsstand in ihrem gemeinsamen Wohnsitzstaat, so ist Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätz-
lich nicht anwendbar; vielmehr hat das gewählte Gericht die Gültigkeit der Prorogation aus-
schließlich nach dem autonomen Prozessrecht der lex fori zu beurteilen6. Auf die Staatsange-
hörigkeit der Parteien kommt es insoweit nicht an; ob eine Auslandsberührung besteht, hängt
allein vom Wohnsitz der Parteien und vom Inhalt ihrer Gerichtsstandsvereinbarung ab. Von
einer „internationalen“ Gerichtsstandsvereinbarung kann aber bereits immer dann gespro-

1 So auch EuGH v. 19.7.2012 –C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 (Mahamdia), NZA 2012, 936 Rz. 66 =
IPRax 2013, 572 (m. Anm. Martiny, IPRax 2013, 536); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 36.
2 Frz. Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2385; schwz. BG v. 23.12.1998, BGE 125 III 108 (112) = unalex
CH-27 (zum LugÜ); OLG München v. 13.2.1985 – 7 U 3867/84, IPRspr. 1985 Nr. 133 A; Krophol-
ler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 3; a.A. noch frz. Cass. v. 4.10.2005, unalex FR-70.
3 Schwz. BG v. 23.11.2001, unalex CH-262; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269.
4 OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, NJOZ 2012, 923; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 19; Gaudemet-Tallon, Rz. 125; a.A. ital. Cass. v. 30.12.1998, unalex IT-98; Killias,
S. 68 ff.
5 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I, 1445 (1456) (Rz. 25 ff.) =
IPRax 2005, 244 (m. Anm. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224); Magnus in Magnus/Mankowski,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23.
6 ÖOGH v. 21.4.2004 – 9 Ob 151/03a, unalex AT-66; OLG Hamm v. 18.9.1997 – 5 U 89/97, IPRax
1999, 244 (m. Anm. Aull, IPRax 1999, 226); Kohler, IPRax 1983, 265 (266); Saenger, ZZP 110
(1997), 477 (479 f.); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (365 f.); Nunner-Krautgasser, ZZP 127
(2014), 461 (467); Schack, Rz. 527; Heinig, S. 106 ff.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2; Mankowski
in Rauscher, Rz. 21 ff.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 4; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6,
jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 2; a.A. Geimer in
Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des euro-
päischen Zivilverfahrensrechts (2000), S. 141; Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ (1996),
S. 71 ff., 106 ff. m.w.N.

Hausmann | 975
§ 7 Rz. 7.20 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

chen werden, wenn die Prorogation der Gerichte eines Mitgliedstaats zur Derogation einer
sonstigen nach der Brüssel Ia-VO eingeräumten Zuständigkeit in einem anderen Mitglied-
staat führt. Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt daher auch für die Vereinbarung eines inländischen Ge-
richtsstands durch im Inland ansässige Parteien, wenn durch diese Vereinbarung etwa der in
einem anderen Mitgliedstaat begründete Gerichtsstand des Erfüllungsorts für eine Vertrags-
klage (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) oder der Gerichtsstand des Tatorts für eine Klage aus uner-
laubter Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) ausgeschlossen wird (sog. „grenzüberschreiten-
de Derogation“)1. Ausreichend ist aber auch ein sonstiger Auslandsbezug des Vertrages, auf
den sich die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht2, sowie die Drittwirkung der Gerichtsstands-
vereinbarung gegenüber einer Partei in einem anderen Mitgliedstaat3. Das internationale Ele-
ment muss auch nicht schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben; es genügt
vielmehr, wenn es – z.B. durch nachträgliche Wohnsitzverlegung einer Partei – bis zur Klage-
erhebung hergestellt worden ist4. Schließlich wird der erforderliche Auslandsbezug aber auch
allein durch die Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem vom gemeinsamen Wohnsitz-
staat der Parteien verschiedenen Mitgliedstaat begründet; ausreichend für die Anwendung
von Art. 25 Brüssel Ia-VO ist es mithin, wenn forum derogatum und forum prorogatum in
verschiedenen Mitgliedstaaten liegen, auch wenn der Sachverhalt keinen sonstigen Bezug zum
gewählten forum aufweist5.

bb) Bloßer Drittstaatenbezug


7.21 Die zu Art. 17 EuGVÜ noch überwiegend vertretene Lehre vom Erfordernis eines „gemein-
schaftsrechtlichen Binnenbezugs“6 stand mit der Entwicklung des europäischen internationa-

1 Kohler, IPRax 1983, 265 f.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (481); Hau, IPRax 1991, 24; Schlosser in
Schlosser/Hess, Rz. 6; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 24 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO;
Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 2.
2 BAG v. 8.12.2010 – 10 AZR 562/08, NZA-RR 2012, 320 (Vertrag über die Erbringung von Arbeits-
leistungen in der Schweiz durch im Inland wohnhafte Parteien); öOGH v. 21.1.2009, unalex AT-
586 (Lieferung ins Ausland); frz. Cass. v. 27.1.1993, unalex FR-279.
3 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp SpA/Axa), IPRax 2013, 552 (Rz. 17)
(m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501).
4 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, IHR 2008, 40 (43) = unalex AT-375; Magnus in Magnus/Man-
kowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 64; Heinig, S. 151 ff., 162 m.w.N.; a.A. frz. Cass. v. 4.10.2005,
unalex FR-70; OLG Hamm v. 18.9.1997 – IPRax 1999, 244 (246) (m. abl. Anm. Aull, IPRax 1999,
226); Hess, § 6 Rz. 33; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21 a.E.
5 Sehr strittig, wie hier Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 4,
jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; i.Erg. auch Geimer, Rz. 1646; ebenso schon früher öOGH v.
5.6.2007, unalex AT-375; OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; LG Bochum v.
25.8.1997 – 8 O 182/97, RIW 2000, 383 (384); Bariatti, Riv.dir.int.priv.proc. 1986, 819 (824 f.) und
1992, 856 f.; Aull, Geltungsanspruch, S. 125 ff.; Matthias, IPRax 1999, 226 (227); Klicka, JBl. 2004,
188 (189); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (358 f.); Killias, S. 71 ff.; Benecke, S. 143 ff.; Bernas-
coni/Gerber, SZIER 1993, 60 f.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (139); Borges, RIW 2001, 933 (935);
a.A. öOGH v. 1.8.2003 – 1 Ob 240/02d, JBl. 2004, 187 m. Anm. Klicka = unalex AT-2; OLG
Hamm v. 18.9.1997 – 5 U 89/97, IPRax 1999, 244 (246) (m. abl. Anm. Aull, IPRax 1999, 226);
Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 40, Mankowski in Rauscher, Rz. 24, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 89.
6 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 (133) = NJW 1997, 397 (399) = ZZP 110
(1997), 253 m. Anm. Pfeiffer; BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (80) = ZZP 105
(1992), 330 m. zust. Anm. Bork = IPRax 1992, 377 (m. krit. Anm. Hess, IPRax 1992, 358); BGH v.
14.11.1991 – IX ZR 349/89, IPRax 1992, 358 f.; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99,

976 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.22 § 7

len Privatrechts, die auf die Schaffung von Kollisionsnormen mit universellem – also nicht auf
die Beziehungen der Mitgliedstaaten zueinander beschränktem – Anwendungsbereich abziel-
te, nicht in Einklang. Eine solche Reduktion des Anwendungsbereichs der europäischen Zu-
ständigkeitsordnung durch Formulierung zusätzlicher – vom Wortlaut ihrer Vorschriften
nicht geforderter – Voraussetzungen führte auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten,
weil der angerufene Richter gezwungen war, den Sachverhalt auf Bezugspunkte zum Recht an-
derer Mitgliedstaaten zu prüfen, um über die Grenzziehung zwischen Art. 23 Brüssel I-VO
und dem autonomen Prozessrecht der lex fori entscheiden zu können1. Gegen die Reduktions-
theorie sprach schließlich der schon in der Präambel zum EuGVÜ betonte Zweck, den Schutz
der im Geltungsbereich des Übk. domizilierten Personen zu verbessern. Ein solcher effektiver
Schutz erfordert nämlich, dass der in einem Mitgliedstaat wohnhafte potentielle Kläger die
Möglichkeit hat, durch Abschluss einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung Rechts-
sicherheit zu schaffen. Dieses Ziel wird aber verfehlt, wenn die Gültigkeit der Gerichtsstands-
vereinbarung von Wohnsitzerfordernissen im Zeitpunkt der künftigen Klageerhebung oder
von der Feststellung eines möglichen Erfüllungsorts in einem anderen Mitgliedstaat abhängt2.

Vorzuziehen ist deshalb eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung. Danach war die Pro- 7.22
rogation der Gerichte eines Mitgliedstaats schon bisher an Art. 23 Brüssel I-VO zu messen,
wenn auch nur eine Partei ihren Wohnsitz/Sitz im räumlichen Geltungsbereich der Brüssel I-
VO hatte und ein Gericht eines Mitgliedstaats prorogiert wurde3. Dies hatte auch der EuGH
in seiner Rechtsprechung zu den Anwendungsvoraussetzungen des ebenso formulierten
Art. 17 EuGVÜ zu Recht klargestellt4. Es gilt umso mehr unter Geltung von Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO, der auch auf das Erfordernis des Wohnsitzes nur einer der Parteien in einem Mit-

NJW 2000, 670; OLG Düsseldorf v. 2.10.1997 – 12 U 180–96, IPRax 1999, 38 (40) (m. Anm. Hau,
IPRax 1999, 24); OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, RIW 1997, 1042 f.; OLG Koblenz v.
8.2.1996 – 5 U 999/95, RIW 1997, 328; OLG Karlsruhe v. 9.10.1992 – 15 U 67/92, NJW-RR 1993,
567; OLG München v. 28.9.1989 – 24 U 391/87, IPRax 1991, 46 (47 f.) (m. krit. Anm. Geimer,
IPRax 1991, 31); ebenso öOGH v. 23.2.1998, JBl. 1998, 726 (728) (m. abl. Aufs. Burgstaller,
JBl. 1998, 691) = unalex AT-133 (zum LugÜ); ital. Cass. S.U. v. 26.11.1993, Nr. 11719, Foro it.
1994 I, 2158 m. Anm. Pagni = unalex IT-441; ital. Cass. S.U. v. 30.12.1998, Nr. 12907, Riv.dir.int.
priv.proc. 1999, 1012 (1014) = unalex IT-98; a.A. aber schon zum EuGVÜ OLG München v.
8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = ZZP 103 (1990), 84 (86) m. Anm. H. Schmidt; OLG
Celle v. 14.8.2002 – 9 U 67/02, ZIP 2002, 2168 = IPRax 2003, 252 (m. Anm. Pfeiffer, IPRax 2003,
233); Aull, S. 85 f., 164 ff.; Grolimund, S. 184, 152, 185 f.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (139 f.); Killi-
as, S. 54 ff.
1 Geimer, IPRax 1991, 31 (32); Hess, IPRax 1992, 358 (359); Hernández-Bretón, S. 163; Killias, S. 63 f.;
Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 25.
2 Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ (1996), S. 179; Killias, S. 60 ff.
3 Vgl. Erwägungsgrund 8 zur Brüssel I-VO, demzufolge Rechtsstreitigkeiten bereits immer dann un-
ter diese Verordnung fielen, wenn sie „einen Anknüpfungspunkt an das Hoheitsgebiet eines der
Mitgliedstaaten aufweisen, der durch diese Verordnung gebunden ist“. Für Verzicht auf einen „ge-
meinschaftsrechtlichen Binnenbezug“ der Gerichtsstandsvereinbarung schon zu Art. 23 Brüssel I-
VO daher Hausmann, EuLF 2000/01, 40 (43 f.); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (350); Kro-
pholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 5, 9; Heinig, S. 110 ff. m.w.N.
4 Vgl. EuGH v. 13.7.2000 – C 412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi), Slg. 2000 I, 5940 (5958)
(Rz. 61) = NJW 2000, 3121 = EuLF 2000/01, 49 m. Anm. Geimer (Rz. 42, 47) = IPRax 2000, 520
(m. Anm. Staudinger, IPRax 2000, 483); EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Co-
reck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9346) (Rz. 16 ff.) = NJW 2001, 501; EuGH v. 1.3.2005 – C 281/
02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I, 1445 (1459) (Rz. 35) = IPRax 2005, 244 (m. zust.
Anm. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224).

Hausmann | 977
§ 7 Rz. 7.22 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gliedstaat verzichtet und sich mit der Vereinbarung eines mitgliedstaatlichen Gerichts als ein-
zigem räumlichen Bezugspunkt zum Geltungsbereich der Verordnung begnügt1. Auf einen
häufig nur schwer feststellbaren Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat kommt es also nicht
an; es genügt vielmehr, wenn durch die Gerichtsstandsvereinbarung lediglich die internationa-
le Zuständigkeit eines Drittstaats derogiert wird.

d) Maßgeblicher Zeitpunkt
7.23 Die vorgenannten besonderen Anwendungsvoraussetzung des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO –
Vereinbarung des Gerichtsstands in einem Mitgliedstaat, Auslandsbezug) – müssen grund-
sätzlich zur Zeit der Klageerhebung erfüllt sein; denn nach Ansicht des EuGH begründet
eine Gerichtsstandsvereinbarung nur „eine Zuständigkeitsoption, die ... erst bei Klage-
erhebung Wirkungen entfaltet“2. Sind die räumlich-persönlichen Voraussetzungen für eine
Anwendung von Art. 25 Brüssel Ia-VO zur Zeit der Klageerhebung erfüllt, so ist die Gerichts-
standsvereinbarung daher grundsätzlich wirksam, wenn sie den Anforderungen dieser Vor-
schrift – insbesondere auch hinsichtlich der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO –
genügt3. Dies gilt auch für Vereinbarungen, die nach dem im Zeitpunkt ihres Abschlusses
noch geltenden nationalen Recht oder nach der Vorgängernorm des Art. 23 Brüssel I-VO (z.B.
mangels Wohnsitzes einer der Vertragsparteien in einem Mitgliedstaat) unwirksam waren; sie
erlangen Wirksamkeit mit In-Kraft-Treten der Brüssel Ia-VO, wenn sie den Anforderungen
des bei Klageerhebung geltenden Verordnungsrechts genügen4. Das Vertrauen auf die Un-
wirksamkeit einer getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung ist mithin grundsätzlich nicht
schutzwürdig: Vielmehr kann insbesondere ein Mangel der für die Vereinbarung vorgeschrie-
benen Form auch durch eine nachträgliche Rechtsänderung (z.B. das Inkrafttreten der Brüs-
sel Ia-VO im Gerichtsstaat) geheilt werden5.

7.24 Umstritten ist hingegen, inwieweit das Vertrauen der Parteien in die Wirksamkeit einer ge-
schlossenen Gerichtsstandsvereinbarung Schutz verdient. Nach verbreiteter Auffassung er-
fordert der Gedanke des Vertrauensschutzes und der Planungssicherheit, dass eine Gerichts-
standsvereinbarung, die den Anforderungen des zur Zeit ihres Abschlusses noch maßgeben-
den nationalen Rechts entspricht, ihre Wirksamkeit auch dann behält, wenn sie den im Zeit-

1 Ebenso die heute ganz h.M. zu Art. 25 Brüssel Ia-VO, vgl Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 11 f.; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 29 ff.; Mankowski in
Rauscher, Rz. 19 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (3429 f.)
(Rz. 6) = RIW 1980, 285. Ebenso schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH-520; OLG München v.
31.3.1987 – 6 W 788/87, NJW 1987, 2166; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991,
324 (325) (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299); OLG Hamm v. 22.1999 – 8 U 255/97, RIW 2000,
382.
3 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 17) m. Anm. Wais; BGH v. 26.4.2018 –
VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 21).
4 Vgl. zur nachträglichen Wohnsitzverlegung unter Geltung von Art. 23 Brüssel I-VO öOGH v.
23.9.2008, unalex AT-562; OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; Kropholler/von
Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 11.
5 Vgl. zum Inkrafttreten von Art. 17 EuGüVO OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987,
144 (146) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U
182/87, NJW 1988, 2182; zu Art. 17 LugÜ 1988 LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, RIW 2000,
383 (384); zu Art. 23 Brüssel I-VO Mayr, ÖWBl. 1996, 381 (383); zum geltenden Recht Schlosser
in Schlosser/Hess, Rz. 10 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 23; Mankowski in Rauscher, Rz. 264,
jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

978 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.26 § 7

punkt der Klageerhebung geltenden – geänderten – rechtlichen Voraussetzungen des Verord-


nungsrechts nicht mehr genügt1. In gleicher Weise sei Vertrauensschutz auch dann zu gewäh-
ren, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse (z.B. der Wohnsitz einer Partei) zwischen dem
Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und der Klageerhebung geändert und zur Unwirk-
samkeit einer zuvor gültig geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung geführt hätten2. Daran
ist richtig, dass es für die Voraussetzungen einer wirksamen materiellen Einigung über den
Gerichtsstand allein auf den Abschlusszeitpunkt ankommen kann3.

Demgegenüber ist jedenfalls im Falle einer Rechtsänderung für die Frage der Formwirksam- 7.25
keit sowie der prozessualen Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Geltungsbereich
von Art. 25 Brüssel Ia-VO auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen4. Dies ergibt
sich unmissverständlich aus Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; danach sind die Vorschriften der
Verordnung zwingend auf alle Klagen anzuwenden, die erhoben werden, nachdem die Verord-
nung im Gerichtsstaat in Kraft getreten ist. Der Wortlaut dieser Vorschrift lässt für eine ein-
schränkende Auslegung, die dem Vertrauen der Parteien in eine zuvor nach nationalem Recht
wirksam geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung Rechnung trägt, keinen Raum. Somit ver-
lieren Gerichtsstandsvereinbarungen, die den Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO
nicht entsprechen, mit Geltung dieser Vorschrift im Gerichtsstaat ohne weiteres ihre Wirk-
samkeit. Dies gilt nicht nur bei Verstößen gegen die in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vor-
geschriebene Bestimmtheit und Form, sondern vor allem auch für Gerichtsstandsverein-
barungen, welche die Rechte von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern
über das nach Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zulässige Maß hinaus einschränken5, oder die
nach dem von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anwendung berufenen Recht am forum pro-
rogatum materiell nichtig sind6.

Ändern sich hingegen die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss der Gerichtsstandsver- 7.26
einbarung, z.B. weil eine Partei ihren Wohnsitz gezielt in einen Drittstaat verlegt, so ist aus
Gründen des Vertrauensschutzes von einer Fortgeltung der gültig geschlossenen Gerichts-
standsvereinbarung auszugehen7. Auch die Anforderungen an eine wirksame materielle Eini-

1 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Mankowski in Rauscher, Rz. 264; i. Erg. auch Schlosser in Schlos-
ser/Hess Rz. 9; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 13, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Für Gel-
tung des autonomen Prozessrechts in favorem prorogationis auch Trunk, IPRax 1996, 249 (251).
2 Killias, S. 83; Aull, S. 66; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (482); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 9;
Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 62 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 23; Mankowski in Rauscher,
Rz. 263, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 11.
4 OLG Hamburg v. 21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 60; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ OLG München v. 31.3.1987 – 6 W 788/87,
NJW 1987, 2166; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (325) (m. Anm. Kohler,
IPRax 1991, 299); App. Versailles v. 8.11.1990, J.C.P.1991.J. 21672 m. Anm. Martin-Serf; ital. Cass.
v. 2.2.1991, Riv.dir.int.priv.proc. 1992, 327 = unalex IT-60; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Benecke, S. 86;
Samtleben, RabelsZ 59 (1995), 670 (703 f.); ebenso zu Art. 17 LugÜ LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O
182/97, RIW 2000, 383 (384); schwz. BG v. 9.9.1993, BGE 119 II 391 (393) = unalex CH-68.
5 Schwz. BG v. 19.8.1998, BGE 124 III, 436 (441 ff.) = unalex CH-55; BG v. 9.9.1993, BGE 119 II,
392 (393) = unalex CH-68; LG München I v. 29.5.1995 – 21 O 23363/94, NJW 1996, 401 = IPRax
1996, 266 (m. krit. Anm. Trunk, IPRax 1996, 249), jeweils zum LugÜ.
6 Für Vertrauensschutz auch im letztgenannten Fall Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 264.
7 ÖOGH v. 21.1.2009 – 3 Ob 285/08w, unalex AT-586; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Magnus
in Magnus/Mankowski, Rz. 63; Mankowski in Rauscher, Rz. 265, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 979
§ 7 Rz. 7.26 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gung der Parteien über den Gerichtsstand nach dem hierauf anwendbaren Recht (Rz. 7.48 ff.)
beurteilen sich allein nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung.
Schließlich ist zu beachten, dass im Falle einer Rechtsnachfolge die Wirksamkeit einer Ge-
richtsstandsvereinbarung ausschließlich im Verhältnis zwischen den Parteien des ursprüng-
lichen Vertrages zu prüfen ist. Art. 23 Brüssel I-VO fand daher nur dann Anwendung, wenn
mindestens eine der Parteien des ursprünglichen Vertrages ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaates hatte1. Nach Art. 25 Brüssel Ia-VO kommt es darauf nicht mehr an, so
dass die Vereinbarung eines mitgliedstaatlichen Gerichts zwischen Parteien mit Sitz in Dritt-
staaten auch dann als wirksam anzusehen ist, wenn sie noch unter Geltung von Art. 23 Brüs-
sel I-VO abgeschlossen wurde.

2. Konkurrenzen
a) Brüssel Ia-VO und Luganer Übereinkommen
7.27 Da Art. 25 Brüssel Ia-VO mit Art. 23 des Luganer Übk.von 2007 (Rz. 7.10 f.) nicht mehr über-
einstimmt, kommt der Abgrenzung insbesondere wegen der unterschiedlichen Anwendungs-
voraussetzungen auch praktische Bedeutung zu. Nach Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a LugÜ
wird das Luganer Übk. von den Mitgliedstaaten der EU nur angewendet, wenn der maßgeben-
de Bezugspunkt auf das Recht eines Staates verweist, der allein dem Luganer Übk. – und nicht
der Brüssel Ia-VO – angehört. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen sind daher etwa
im deutsch-schweizerischen Verhältnis dann an Art. 23 LugÜ 2007 zu messen, wenn entweder
die Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts vereinbart oder der Wohnsitzgerichtsstand des
Schweizer Beklagten durch die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands derogiert wird
(Art. 64 Abs. 2 lit. a LugÜ). Ein sonstiger Bezug des Sachverhalts zu einem Lugano-Staat
reicht hingegen nicht aus; die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands im Vertrag zwi-
schen einem deutschen Unternehmen und einem in Bregenz wohnhaften Schweizer beurteilt
sich daher nach Art. 25 Brüssel Ia-VO und nicht nach Art. 23 LugÜ.

b) Brüssel Ia-VO und Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen


7.28 Die Konkurrenz zwischen der Brüssel Ia-VO und dem Haager Übk. über Gerichtsstandsver-
einbarungen von 2005 (Rz. 7.12) löst nach dessen Inkrafttreten für die EU Art. 26 Abs. 6
HGÜ. Nach lit. a dieser Vorschrift wird auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit Re-
gelungsinstrumenten einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die – wie die
EU – Vertragspartei des HGÜ ist, grundsätzlich Vorrang vor dem Übereinkommen einge-
räumt, wenn beide Parteien ihren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat dieser Organisation –
hier: der EU – haben. Das HGÜ findet auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen aus
der Sicht von Gerichten der Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO daher nur dann Anwendung,
wenn entweder zumindest eine Partei ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat des HGÜ hat,
der nicht zugleich EU-Mitgliedstaat ist, oder wenn von in der EU ansässigen Parteien die Zu-
ständigkeit in einem nicht der EU angehörenden Vertragsstaat des HGÜ vereinbart wird2.
Der Aufenthalt von juristischen Personen und Gesellschaften bestimmt sich dabei nach Art. 4
Abs. 2 HGÜ. Derzeit hat das HGÜ daher aus deutscher Sicht nur dann Vorrang vor der Brüs-

1 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347 f.)
(Rz. 20 f.) = NJW 2000, 501; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.
2 Vgl. näher Bläsi, S. 152 ff.; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (135); Nunner-Krautgasser, ZZP 127
(2014), 461 (463); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 10; Weller in Wieczorek/Schütze, Rz. 8;
Mankowski in Rauscher, Rz. 267 ff., 275 f.; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

980 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.30 § 7

sel Ia-VO, wenn eine Partei ihren Aufenthalt i.S.v. Art. 4 Abs. 2 HGÜ in Dänemark, Mexiko,
Montenegro oder Singapur hat oder wenn Parteien, die ihren Aufenthalt in Deutschland oder
einem anderen EU-Mitgliedstaat haben, die Zuständigkeit der Gerichte eines dieser Staaten
vereinbart haben. Entsprechendes dürfte ab dem 1.1.2021 im Verhältnis zum Vereinigten Kö-
nigreich gelten1.

c) Brüssel Ia-VO und Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten


Nach der unverändert aus der Brüssel I-VO übernommenen Vorschrift des Art. 71 Abs. 1 7.29
Brüssel Ia-VO lässt die Verordnung Staatsverträge unberührt, denen die Mitgliedstaaten ange-
hören und die „für besondere Rechtsgebiete“ die gerichtliche Zuständigkeit regeln. Soweit der-
artige Spezialabkommen eine abschließende Regelung auf dem Gebiet der internationalen
Prorogation enthalten, gebührt ihnen also grundsätzlich Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO2.
Art. 25 Brüssel Ia-VO integriert mithin die Vorschriften aus den speziellen Übereinkommen
in die Verordnung; deren abweichende Regeln werden durch das Abkommen verdrängt3. Re-
gelt das Spezialabkommen hingegen lediglich Teilbereiche einer Zuständigkeitsvereinbarung,
so bleibt Art. 25 Brüssel Ia-VO für die nicht geregelten Fragen maßgebend4. Allerdings darf
ein nach Art. 71 Brüssel Ia-VO vorrangig geltender Staatsvertrag – wie der EuGH zur Brüs-
sel I-VO klargestellt hat5 – nicht die Grundsätze beeinträchtigen, auf denen die justizielle Zu-
sammenarbeit innerhalb der EU beruht. Im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO darf die An-
wendung des Spezialabkommens daher nicht „zu weniger günstigen Ergebnissen im Hinblick
auf das reibungsose Funktionieren des Binnenmarkts führen“ als die Verordnung. Die Anwen-
dung der Vorschriften eines solchen Abkommens steht daher unter dem Vorbehalt, dass diese
„in hohem Maße vorhersehbar sind, eine geordnete Rechtspflege fördern und es erlauben, die
Gefahr von Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden“6. Diese Voraussetzung wird
durch die Wahlmöglichkeiten des Klägers nach Art. 31 Abs. 1 CMR erfüllt7.

Auch die Säumnis oder Nichteinlassung des Beklagten vor dem angerufenen – prorogierten 7.30
oder derogierten – Gericht ändert am Vorrang des Spezialabkommens nichts. Denn es unter-
liegt gerade nicht seiner Disposition, durch sein Nichterscheinen oder seine Nichteinlassung
eine nach einem Sonderabkommen ansonsten begründete Zuständigkeit zu beseitigen8. Aus
der Verweisung in Art. 71 Abs. 2 lit. a S. 2 auf Art. 28 Brüssel Ia-VO folgt nichts anderes;

1 Ausf. zur Konkurrenz von HGÜ und Brüssel Ia-VO Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 27 ff.
2 Jenard-Bericht zu Art. 57 EuGVÜ, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1; Kropholler/von Hein, Rz. 5; Geimer
in Geimer/Schütze, Rz. 1; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 1, jeweils zu Art. 71 Brüssel Ia-VO.
3 OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152; Haubold, IPRax 2000, 91 (93).
4 Vgl. zur Rechtshängigkeit (Art. 21 EuGVÜ) EuGH v. 6.12.1994 – C-406/92, ECLI:EU:C:1994:400
(Tatry), Slg. 1994 I, 5439 (5478) (Rz. 25) = JZ 1995, 616 (m. Anm. P. Huber, JZ 1995, 603) = IPRax
1996, 108 (m. Anm. Schack, IPRax 1996, 80).
5 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 (TNT/AXA), Slg. 2010 I, 66 (Rz. 48 ff.) =
NJW 2010, 1736.
6 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 (TNT/AXA), Slg. 2010 I, 66 (Rz. 51 ff.);
EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 (Nipponkoa Insurance Co.), EuZW 2014,
220 (Rz. 36 ff.) m. Anm. Antomo.
7 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), NZI 2014,
919 (Rz. 37 ff.) m. Anm. Mankowski = IPRax 2015, 417 (m. Anm. Thole, IPRax 2015, 386).
8 OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152 (153); Mankowski in Rauscher, Art. 71
Brüssel Ia-VO Rz. 42 ff. m.w.N.

Hausmann | 981
§ 7 Rz. 7.30 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

vielmehr begründet Art. 71 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO iVm. den Regeln der Spezialabkommen
eine eigene Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO1.

7.31 Bei Streitigkeiten aus internationalen Luftbeförderungsverträgen werden die Zuständig-


keitsvorschriften der Brüssel Ia-VO durch die Sonderregeln in Art. 33, 46 des Montrealer
Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im in-
ternationalen Luftverkehr (MÜ) v. 28.5.19992 verdrängt. Die Gerichtsstände des Art. 33 Abs. 1
und 2 MÜ können deshalb nicht durch eine vor Eintritt des Schadens getroffene Parteiverein-
barung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO abgeändert werden, auch wenn die Parteien ihren Wohn-
sitz in der EU haben (vgl. Art. 49 MÜ)3. Im Hinblick auf den Zweck der Art. 33, 46 MÜ, den
Verletzten durch Eröffnung alternativer Gerichtsstände zu schützen, ist eine vor dem Eintritt
des Schadens getroffene Gerichtsstandsvereinbarung auch dann unzulässig, wenn sie keine
neue Zuständigkeit begründen soll, sondern lediglich eines der in diesen Vorschriften genann-
ten Gerichte für ausschließlich zuständig erklärt4. Im Fall der Güterbeförderung sind jedoch
gem. Art. 34 MÜ Schiedsklauseln zulässig, wenn danach das Verfahren im Bezirk eines der in
Art. 33 MÜ bezeichneten Gerichte stattfinden soll. Ferner kann die internationale Zuständig-
keit der deutschen Gerichte für Streitigkeiten aus internationalen Luftbeförderungsverträgen,
die sachlich dem Montrealer Abkommen unterliegen, durch eine rügelose Einlassung des Be-
klagten nach Art. 26 Brüssel Ia-VO5 oder durch eine nach Schadenseintritt getroffene Ge-
richtsstandsvereinbarung begründet werden; im letzteren Fall findet Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-
VO auf die Formgültigkeit und die Auslegung der Vereinbarung Anwendung6.

7.32 Im Gegensatz zu Art. 49 MÜ lässt das Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag
im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) v. 19.5.19567 in seinem Art. 31 Gerichts-
standsvereinbarungen8 auch vor Eintritt des Schadensfalls ausdrücklich zu. Es darf aber nur
die internationale Zuständigkeit in einem Vertragsstaat vereinbart werden, also etwa die Zu-
ständigkeit der deutschen Gerichte9. Die vereinbarte internationale Zuständigkeit darf ferner
keine ausschließliche sein; die in Art. 31 Abs. 1 CMR aufgeführten gesetzlichen Zuständig-

1 Vgl. – jeweils im Verhältnis zur CMR – EuGH v. 28.10.2004 – C-148/03, ECLI:EU:C:2004:677


(Nürnberger Allg. Versicherungen), Slg. 2004 I, 10329 (10336) (Rz. 20) = NJW 2005, 44 = IPRax
2006, 256 (m. Anm. Haubold, IPRax 2006, 224); ebenso schon zuvor BGH v. 20.11.2003 – I ZR
294/02, ZIP 2004, 684 = NJW-RR 2004, 397 (dazu Otte, TranspR 2003, 347); BGH v. 27.2.2003 – I
ZR 58/02, NJW-RR 2003, 1347 = RIW 2003, 722; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-
RR 2002, 1722 = IPRax 2003, 533 (m. Anm. Schinkels, IPRax 2003, 517); OLG Schleswig v.
20.12.2001 – 16 U 59/01, TranspR 2002, 76; zust. Haubold, IPRax 2006, 224 f.; Hüßtege in Tho-
mas/Putzo, Rz. 4; Mankowski in Rauscher, Rz. 31 ff., jeweils zu Art. 71 Brüssel I-VO m.w.N.; a.A.
noch OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 = IPRax 2000, 121 (m. abl. Anm.
Haubold, IPRax 2000, 91).
2 BGBl. II 2004, 459.
3 AG Geldern v. 20.4.2011 – 4 C 33/11, NJW-RR 2011, 1503.
4 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 399; Matscher, Rec. des Cours 161 (1978-III), 194.
5 BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, BGHZ 76, 213 = NJW 1976, 1583 m. Anm. Kropholler; OLG
Frankfurt a.M. v. 11.11.1986 – 5 U 240/85, MDR 1987, 410 = TranspR 1987, 68 (zu § 39 ZPO).
6 Killias, S. 100.
7 BGBl II 1996, 1120.
8 Zulässig sind nach Art. 33 CMR auch Schiedsvereinbarungen, vorausgesetzt das Schiedsgericht
hat zwingend die CMR anzuwenden, vgl. öOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT-716.
9 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 406; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020 Art. 31 CMR
Rz. 5.

982 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.33 § 7

keiten1 bleiben vielmehr wegen der zwingenden Geltung der CMR (Art. 41 CMR) und aus
Gründen der Sach- und Beweisnähe stets konkurrierend bestehen2. Eine dennoch getroffene
ausschließliche Gerichstandsvereinbarung ist jedoch im Zweifel nicht nichtig, sondern zumin-
dest als fakultative Vereinbarung aufrechtzuerhalten3 und setzt sich dann nach Art. 71 Brüs-
sel Ia-VO auch im Anwendungsbereich der Verordnung durch4. Die Vereinbarung einer aus-
schließlichen örtlichen Zuständigkeit ist dagegen zulässig5; sie bestimmt sich jedoch nicht
nach der CMR, sondern nach der Brüssel Ia-VO oder nach nationalem Recht6.

Demgegenüber enthält Art. 31 CMR keine Regelung über die Form der Gerichtsstandsver- 7.33
einbarung. Dieses Schweigen wird überwiegend dahin interpretiert, dass die Prorogation im
sachlichen Geltungsbereich der CMR keiner Form bedürfe7. Andere verneinen ein Formbe-
dürfnis aus teleologischen Gründen, weil Art. 31 CMR nur einen zusätzlichen Gerichtsstand
eröffne und es deshalb keiner Warnfunktion durch eine Formvorschrift bedürfe8. Letzteres
trifft freilich nur auf den Kläger, nicht auf den Beklagten zu, der im vereinbarten Gerichts-
stand – meist im Heimatstaat des Klägers9 – verklagt wird10. Ferner wird auch sonst im An-
wendungsbereich der Brüssel Ia-VO eine Formfreiheit von nur fakultativen Gerichtsstandsver-
einbarungen nicht vertreten; für die Sonderbehandlung der Prorogation in Transportverträ-
gen besteht aber kein Grund. Daher lässt Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO der CMR nur insoweit
den Vortritt, als Gerichtsstandsvereinbarungen dort – wie z.B. hinsichtlich der Ausschließlich-
keitswirkung – eine abweichende Regelung erfahren haben. In der von der CMR nicht gere-
gelten Formfrage besteht aber keine Kollision zwischen der Verordnung und der CMR, so
dass Art. 25 Brüssel Ia-VO insoweit nicht verdrängt ist. Wenn also die Gerichtsstandsverein-
barung in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fällt, ist hinsichtlich ihrer Form Art. 25
Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu beachten11. Allerdings wird eine Gerichtsstandsvereinbarung im in-
ternationalen Straßengüterverkehr im Regelfall der Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüs-
sel Ia-VO (internationaler Handelsbrauch) entsprechen.

1 Zu diesen Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 301 ff.


2 BGH v. 18.12.2003 – I ZR 228/01, NJW-RR 2004, 762; öOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT-
716, v. 27.11.2008 – 7 Ob 194/08t, unalex AT-615 und v. 15.10.1986 – 4 R 163/86, TranspR 1987, 223;
OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, TranspR 2001, 397 = RIW 2002, 152 (153); Koller, Transport-
recht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 2; Mankowski in Rauscher, Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 41.
3 ÖOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT-716 und v. 27.11.2008 – 7 Ob 194/08t, unalex AT-
615; Heinig, S. 366; a.A. BGH v. 18.12.2003 – I ZR 228/01, MDR 2004, 762 = NJW-RR 2004, 762;
OLG Oldenburg v. 5.1.2000 – 4 U 34/99, TranspR 2000, 128; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020,
Art. 31 CMR Rz. 5 f.
4 Kropholler/von Hein, Art. 71 Brüssel I-VO Rz. 13.
5 OLG Hamburg v. 30.4.1981 – 6 U 175/80, IPRspr. 1981 Nr. 151b; Kropholler/von Hein, Art. 71
Brüssel I-VO Rz. 5.
6 Haubold, IPRax 2000, 91 (96); Heinig, S. 303; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR
Rz. 2.
7 Müller/Hök, RIW 1978, 773 (775); Jesser-Huß in MünchKomm HGB, Bd. 7, 4. Aufl. 2020, Art. 31
CMR Rz. 26; Mankowski in Rauscher, Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 41; Magnus in Magnus/Man-
kowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12; i. Erg. ähnlich OLG Hamburg v. 11.1.2001 – 6 U 72/00,
TranspR 2001, 300; LG München I v. 27.11.1990 – 9 HKS 15821/90, RIW 1991, 150; Koller, Trans-
portrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 5.
8 Demuth/Seltmann in Thume, Kommentar zur CMR, 3. Aufl. 2013, Art. 31 CMR Rz. 31.
9 Vgl. etwa Nr. 30.2 ADSp 1999.
10 Zutr. Haubold, IPRax 2000, 91 (93).
11 Kropholler in Hdb. IZVR, Rz. 406; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, Art. 31 CMR
Rz. 1; Haubold, IPRax 2000, 91 (93 f.) m.w.N.

Hausmann | 983
§ 7 Rz. 7.34 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Brüssel Ia-VO und autonomes Recht


aa) §§ 38–40 ZPO
7.34 Die Verordnung gilt in den Mitgliedstaaten der EU gemäß Art. 288 AEUV als sekundäres Ge-
meinschaftsrecht unmittelbar und einheitlich. Sie genießt daher Anwendungsvorrang vor dem
nationalen Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten1. Aus diesem Grunde werden die §§ 38–40
ZPO im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO durch deren Art. 25 vollständig verdrängt2.
Soweit sich nicht aus den bestehenden Gepflogenheiten zwischen den Parteien oder interna-
tionalen Handelsbräuchen etwas anderes ergibt (dazu Rz. 7.91 ff., Rz. 7.95 ff.), bedürfen daher
auch Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten der Form gem. Art. 25 Abs. 1 S. 3
lit. a Brüssel Ia-VO; die Formerleichterung für diesen Personenkreis nach § 38 Abs. 1 ZPO gilt
im räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO nicht3. Ebenso wenig
ist die Prorogationsfreiheit im europäischen Prozessrecht hinsichtlich der örtlichen Zustän-
digkeit nach Maßgabe von § 38 Abs. 2 S. 3 ZPO beschränkt4; Ausnahmen gelten lediglich im
Rahmen der Art. 15 Nr. 3, Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, wo jeweils ausdrücklich auf das natio-
nale Zuständigkeitsrecht verwiesen wird.

bb) Sonstige nationale Prorogationsbeschränkungen


7.35 Die Brüssel Ia-VO bezweckt in ihrem Anwendungsbereich eine einheitliche und abschließen-
de Regelung der internationalen Gerichtszuständigkeit. Dies gilt nach Art. 25 Brüssel Ia-VO
auch für die Zulässigkeit, Form und Wirkungen einer internationalen Gerichtsstandsverein-
barung5. Unanwendbar sind daher im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-VO insbesondere die
vielfältigen innerstaatlichen Regelungen der Mitgliedstaaten, die – direkt oder indirekt – zu-
sätzliche Wirksamkeitsvoraussetzungen für Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten. Dies gilt

1 Kropholler/von Hein, Einl. zur Brüssel I-VO Rz. 40; vgl. allg. zum Vorrang des Gemeinschafts-
rechts EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:51 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 (1270).
2 Vgl. BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 23); OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 –
4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 51) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Frankfurt v.
30.3.2015 – 23 U 11/14, IPRspr. 2015 Nr. 200; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW
2004, 3126; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 76 f.; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 69 ff., jeweils
zu zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Hüßtege in Thomas/Putzo, vor § 38 ZPO Rz. 5; Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 16; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79,
BGHZ 77, 32 = NJW 1980, 2022; BayObLG v. 11.4.2001 – 4 Z AR 29/01, RIW 2001, 699 (700);
öOGH v. 23.2.1998 – 3 Ob 380/97x, JBl. 1998, 726 = unalex AT-133; öOGH v. 14.7.1999 – 7 Ob
176/98b, ZfRV 1999, 233 = unalex AT-400; öOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, ZfRV 2001, 113
(114) = unalex AT-117; zust. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (277 f.); unrichtig OLG Köln v.
21.3.1997 – 19 U 180/96, RIW 1998, 148 f. Vgl. dazu auch allg. EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79,
ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (3430) (Rz. 7) = RIW 1980, 285. Zur Recht-
sprechung aus anderen Mitgliedstaaten s. Hausmann in unalexKomm-Brüssel I-VO, Fn. 84 zu
Art. 23 Brüssel I-VO.
3 OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, ZIP 1981, 287 = NJW 1982, 1951; OLG Karlsruhe v.
9.8.2006 – 19 U 8/05, ZMR 2006, 929 und v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950; G. Roth,
ZZP 93 (1980), 157 (160 f.); Schack, Rz. 533; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 34.
4 LG München I v. 10.6.1975 – 9 HKO 367/74, NJW 1975, 1606.
5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(1611) (Rz. 49) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87); frz. Cass. v. 11.2.1997,
unalex FR-137; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269; OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88,
NJW-RR 1989, 1330; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, IPRax 1992, 165 (m. Anm. Rau-
scher, IPRax 1992, 143); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 17.

984 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.36 § 7

zunächst für nationale Vorschriften, welche die Freiheit der Willensbildung beim Zustande-
kommen von Gerichtsstandsvereinbarungen sicherstellen wollen (vgl. aber auch Rz. 7.58)1.
Aus diesem Grunde können die Mitgliedstaaten für Gerichtsstandsvereinbarungen weder be-
sondere Anforderungen an die Vertragssprache2, noch strengere Formerfordernisse fest-
legen als sie Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorsieht3. Auch eine an § 242 BGB orientierte Ange-
messenheitskontrolle der Gerichtsstandsvereinbarung durch deutsche Gerichte hat aus-
zuscheiden4.
Unanwendbar sind ferner nationale Vorschriften, welche die Wirksamkeit der Gerichtsstands-
vereinbarung davon abhängig machen, dass zwischen dem Rechtsstreit und dem für zuständig
erklärten Gericht ein hinreichender objektiver Zusammenhang besteht5; für Einschränkungen
der Prorogationsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des forum non conveniens ist also im An-
wendungsbereich der Brüssel Ia-VO kein Raum6. Das zugrunde liegende Geschäft muss auch
keinen internationalen Charakter aufweisen; dieser kann vielmehr allein durch die Gerichts-
standsvereinbarung hergestellt werden. Prorogieren daher zwei im Inland wohnhafte Parteien
ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam,
ohne dass ein Auslandsbezug der Streitigkeit vorhanden oder ein sonstiges berechtigtes Interesse
an der Wahl des ausländischen Gerichts erkennbar sein müsste (vgl. dazu auch Rz. 7.79 a.E.)7.

Der Tendenz, dem im internationalen Vertragsrecht durch Einschränkungen der Partei- 7.36
autonomie (vgl. Art. 6–8 Rom I-VO) geschaffenen Schutz des Schwächeren ein zwingendes
Zuständigkeitsrecht an die Seite zu stellen, trägt die Brüssel Ia-VO mit ihren speziellen Regeln
für Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen Rech-
nung (vgl. Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.121 ff.). Für eine
Anwendung weiter gehender nationaler Schutzvorschriften ist im Geltungsbereich des Art. 25
Brüssel Ia-VO kein Raum. So werden etwa die in § 29c Abs. 3 ZPO, § 26 Abs. 2 FernUSG und
§ 225 VVG enthaltenen besonderen Prorogationsbeschränkungen für bestimmte Verbraucher-

1 Kohler, IPRax 1983, 265 (270).


2 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981,
1671 (1688) (Rz. 26) = NJW 1982, 507 = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222);
vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 125 f.; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 7.
3 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(1611) (Rz. 37 f.) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87); ital. Cass.v. 4.1.1995,
unalex IT-383 (jeweils zur Unanwendbarkeit von Art. 1341 ital. c.c. auf Gerichtsstandsklausel in
AGB); OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Saarbrücken v.
17.1.2007 – 5 U 426/96, IHR 2008, 55.
4 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rz. 43 = BB 2015, 1418 m. Anm. Man-
kowski.
5 Vgl. EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger/Salinitri), Slg. 1980, 89/97 (Rz. 4) =
WM 1980, 720 m. Anm. Schütze; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti
Castelletti), Slg. 1999 I, 1597/1611 (Rz. 50 f.) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000,
87); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 17; Kohler, IPRax 1983, 265 (269); Schack, ZZP
104 (1991), 489 (490).
6 Kohler, IPRax 1983, 270 f.; Schack, RabelsZ 58 (1994), 49 (50); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 5. Vgl. dazu näher Huber, Die englische forum-non-conveniens-Doktrin und ihre Anwen-
dung im Rahmen des EuGVÜ (1994), bes. S. 156 ff.; König, Die Anwendbarkeit des forum non
conveniens im deutschen und europäischen Zivilverfahrensrecht (2012).
7 LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, IPRspr. 1999 Nr. 156a; Kohler, IPRax 1983, 266; Geimer in
Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 177 ff.; Girsberger, IPRax 2000, 87 (90 f.); a.A. Schlosser-
Bericht Nr. 174, ABl. EG 1979 Nr. L 59, S. 71 (123).

Hausmann | 985
§ 7 Rz. 7.36 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

und Versicherungsverträge im europäischen Rechtsverkehr durch Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15,
19 Brüssel Ia-VO ersetzt1. In gleicher Weise werden auch die im autonomen Verfahrensrecht
verschiedener Mitgliedstaaten enthaltenen Beschränkungen für Zuständigkeitsvereinbarungen
in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 23 Brüssel Ia-VO voll-
ständig verdrängt2.

7.37 Auch für eine Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, die eine Einbeziehung von Gerichts-
standsvereinbarungen in AGB oder in Formularverträgen erschweren, ist im europäischen
Prozessrecht kein Raum. Eine Prüfung von Gerichtsstandsklauseln anhand der § 305 Abs. 2,
§ 305c Abs. 1 BGB kommt auch bei Geltung deutschen Vertragsstatuts im Anwendungsbereich
des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht in Betracht, weil damit die angestrebte einheitliche Beurteilung
des Zustandekommens von Gerichtsstandsvereinbarungen in den Mitgliedstaaten der Brüs-
sel Ia-VO gefährdet würde3. Aus dem gleichen Grund steht auch eine Inhaltskontrolle von
Gerichtsstandsklauseln nach nationalem Recht (z.B. nach § 307 BGB) mit dem Ziel, das Inte-
resse des Kunden an den gesetzlich normierten Gerichtsständen gegenüber dem Interesse des
Verwenders an dem vereinbarten Gerichtsstand abzuwägen, im Widerspruch zum Harmonisie-
rungszweck der Verordnung4. Nach Ansicht des EuGH5 ist im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-
VO daher „eine zusätzliche Prüfung der Angemessenheit der Klausel und des vom Verwender
verfolgten Ziels ausgeschlossen“. Aus den ausdrücklich genannten Prorogationsschranken in
Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO) ist zu entneh-
men, dass eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln unter dem
Gesichtspunkt der ungleichen „bargaining power“ der Parteien nach nationalem Recht grund-
sätzlich auszuscheiden hat, weil sie die von der Verordnung angestrebte Rechtssicherheit im
Zuständigkeitsrecht nachhaltig gefährden würde (vgl. aber auch Rz. 7.79)6.

1 Vgl. Samtleben, IPRax 1981, 44; H. Roth, IPRax 1992, 67 (68); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271
(277 f.); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 102 ff.
2 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg.
1979, 3423 (3430) (Rz. 7) = RIW 1980, 285; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269.
3 Allg.M. vgl. Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 78; Mankowski in Rauscher, Rz. 61 f. jeweils zu
Art. 25 Brüssel I-VO m.w.N. Vgl. auch zu Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 Brüssel I-VO Rauscher, ZZP 104
(1991), 295 ff., 304; Geimer, IPRax 1991, 31 (34); Stöve, S. 113 ff.; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Kubis,
IPRax 1999, 10 (12); zust. OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 – 5 U 426-06-54, TranspR 2007, 488; OLG
München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1990), 84 (89) m. zust.
Anm. H. Schmidt; implizit auch BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326 (m. Anm.
Kohler, IPRax 1991, 299). Für Anwendung der lex causae hingegen noch OLG Koblenz v. 9.1.1987 –
2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291); OLG
Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577 (579) = NJW-RR 1989, 1330; für Anwendung
von § 315c Abs. 1 BGB auf überraschende Klauseln auch Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 31; offenlassend OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, IHR 2005, 108.
4 OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126 (3128); OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19
U 40/05, IPRax 2007, 125 (126) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); LG Karlsruhe v.
31.10.1995 – 12 O 492/95, ZIP 1995, 1824 = NJW 1996, 1417; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (149);
Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 72; Mankowski in Rauscher, Rz. 62, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; Saenger, FS Sandrock (2000), S. 807 (811 ff.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 19; a.A. insb. Wolf, JZ 1989, 695 (696); Kubis, IPRax 1999, 10 (12).
5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1997
(2012 ff.) (Rz. 51) (zu Art. 17 EuGVÜ).
6 Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 31.

986 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.38 § 7

Keine Sperrwirkung entfaltet die Brüssel Ia-VO hingegen gegenüber sekundärem Unions- 7.38
recht auf besonderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Verbraucher- oder Arbeitnehmerschutz;
dies gilt auch für Vorschriften des in Umsetzung von EU-Richtlinien harmonisierten nationa-
len Rechts1. Denn eine daran orientierte Klauselkontrolle steht mit dem Ziel der Verordnung,
das Recht der internationalen Prorogation in den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, nicht
im Konflikt. Praktische Bedeutung erlangt dies insbesondere für die Inhaltskontrolle von Ge-
richtsstandsklauseln am Maßstab der EG-Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in
Verbraucherverträgen vom 5.4.19932, die in Nr. 1 lit. q ihres Anhangs ausdrücklich auch Ge-
richtsstandsklauseln nennt. Der EuGH3 hat daher die Vereinbarung der ausschließlichen örtli-
chen Zuständigkeit am Sitz des Klauselverwenders in einem Verbrauchervertrag gem. Art. 3
der Richtlinie für missbräuchlich und unwirksam erklärt, weil sie den Verbraucher entgegen
dem Gebot von Treu und Glauben ungerechtfertigt benachteilige. Da die Begründung des
EuGH sich ohne Weiteres auch auf Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit
übertragen lässt, unterliegen diese auch im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO – entgegen
der früher h.M.4 – der richtlinienkonformen Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB5.
Dies hat auch der EuGH inzwischen klargestellt6. Die praktische Bedeutung einer solchen In-
haltskontrolle bleibt freilich gering, weil die hiernach missbräuchliche Vereinbarung der Zu-
ständigkeit am Sitz des Verwenders zu Lasten von Verbrauchern i.d.R. bereits an Art. 25 Abs. 4
i.V.m. Art. 19 Brüssel Ia-VO scheitert7. Eine Ausnahme gilt allerdings für die nach Art. 17
Abs. 3 Brüssel Ia-VO von dem prozessualen Verbraucherschutz der Verordnung ausgenom-
menen Beförderungsverträge. Insbesondere Gerichtsstandsklauseln in Luftbeförderungsver-
trägen sind daher missbräuchlich und unwirksam, wenn sie gegen das Transparenzgebot ver-
stoßen oder den Fluggast anderweitig unangemessen benachteiligen8.

1 Borges, RIW 2000, 937 f. m.w.N.; zust. Mankowski in Rauscher, Rz. 62; a.A. Schlosser in Schlosser/
Hess Rz. 31, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 ABl. EG 1993 L 95, S. 29.
3 EuGH v. 27.6.2000 – C-240/98 und 244/98, ECLI:EU:C:2000:346 (Océano Grupo Editorial), Slg.
2000 I, 4941 (Rz. 21 ff.) = EuLF 2000/01, 88 (m. Anm. Augi/Baratella, EuLF 2000/01, 83) = DB
2000, 2056 m. Anm. Staudinger = IPRax 2001, 128 (m. Anm. Hau, IPRax 2001, 96) = ZEuP 2003,
141 m. Anm. Pfeiffer = JZ 2001, 245 m. Anm. Schwartze = EWiR 2000, 784 (LS) m. Anm. Freitag;
ferner EuGH v. 4.6.2009 – C-243/08, ECLI:EU:C:2009:350 (Pannon/Erzsébet), Slg. 2009 I, 4713
(Rz. 40 ff.) = NJW 2009, 2367 m. Anm. Pfeiffer; EuGH v. 9.11.2010 – C-137-08, ECLI:EU:
C:2010:659 (VB Pénzügyi Lízing), Slg. 2010 I, 10847 (Rz. 54 ff.) = RIW 2010, 876.
4 Vgl. Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Saenger, ZEuP 2000, 656
(664).
5 OLG Bamberg v. 31.10.2018 – 8 U 73/18, BeckRS 2018, 29192 (Rz. 40); ebenso zum öst. Recht
OLG Wien v. 28.5.2019 – 129 R 37/19p, BeckRS 2019, 13029 (Rz. 38 ff.); zust Pfeiffer, FS Schütze
(1999), S. 671 (672 f.); Staudinger, DB 2000, 2056 (2059); Staudinger, IPRax 2001, 183 (187 f.);
Leible, RIW 2001, 422 (429 ff.); Heinig, GPR 2010, 36 (41 f.); Staudinger in Rauscher, Art. 19 Brüs-
sel I-VO Rz. 6; a.A. noch LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 412/95, NJW 1996, 1417 (1418);
Borges, RIW 2000, 933 (936 f.); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12);
Saenger, ZEuP 2000, 656 (664); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 20; Schlosser in
Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31; ausf. dazu Staudinger/Coester (2019), § 307 BGB
Rz. 68 ff.
6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240
(Rz. 57 ff.) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; dazu Rieländer, EuZW 2021, 391 (396 f.).
7 Vgl. aber zur Bedeutung dieser weiteren Kontrolle am Maßstab der Richtlinie Staudinger in Rau-
scher, Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6.
8 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240
(Rz. 57 ff.) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; Vorlage: öOGH v. 27.2.2020 – 8 Ob 107/19x,

Hausmann | 987
§ 7 Rz. 7.39 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.39 Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind durch Art. 25 Brüssel Ia-VO auch daran gehindert, Zu-
ständigkeitsvereinbarungen zum Zwecke der Durchsetzung international zwingender Nor-
men der lex fori für unwirksam zu erklären1. Das vom BGH auf § 61 i.V.m. §§ 53 ff. BörsG a.F.
gestützte Derogationsverbot, nach dem die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit
ausländischer Gerichte in einem Vertrag über Warentermingeschäfte an ausländischen Börsen
nicht anzuerkennen war, wenn sie i.V.m. einer Rechtswahlklausel zur Folge hatte, dass die zur
Entscheidung berufenen Gerichte den Termineinwand des deutschen Börsenrechts nicht be-
achteten (dazu auch Rz. 7.266 f., Rz. 7.283 ff., Rz. 7.363 ff. (Schiedsklausel).)2, galt daher schon
bisher im Anwendungsbereich des Art. 23 Brüssel I-VO nicht3. Auch Gerichtsstandsklauseln
in Handelsvertreter- und Alleinvertriebsverträgen können im Anwendungsbereich des
Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht deshalb für nichtig erklärt werden, weil sie die Umgehung des
zwingenden Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters/Vertragshändlers nach dem an sei-
nem Wohnsitz geltenden materiellen Recht bezwecken. Allerdings steht die „Ingmar“-Ent-
scheidung des EuGH aus dem Jahr 20004 dem Ausschluss des Ausgleichsanspruchs durch die
Wahl eines drittstaatlichen Rechts entgegen, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in ei-
nem EU-Mitgliedstaat ausgeübt hat. In einem solchen Fall kann ausnahmweise auch die Ver-
einbarung der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte in diesem Drittstaaat zur Unwirk-
samkeit der Derogation eines deutschen (oder anderen mitgliedstaatlichen) Gerichts führen;
dies gilt auch dann, wenn Maßstab für die Wirksamkeit der Derogation nicht das autonome
Prozessrecht des derogierten Gerichts5, sondern Art. 25 Brüssel Ia-VO ist (dazu Rz. 7.18).

7.40 Auch das am gewählten Gerichtsstand geltende materielle Haftungsrecht hat keinen Einfluss
auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung; diese ist mithin auch dann gültig, wenn
sie im Ergebnis für den Verfrachter eine Haftungsbefreiung oder -beschränkung zur Folge
hat6. Keine neben Art. 25 Brüssel Ia-VO zu beachtende Zulässigkeitsschranke bilden deshalb
auch die den Haager -Regeln entsprechenden zwingenden nationalen Vorschriften über die
Mindesthaftung des Verfrachters im Seerecht, wie z.B. § 662 HGB oder Art. 91 des belgischen
Seegesetzes7. Demgegenüber haben die von Deutschland völkerrechtlich ratifizierten Visby-
Regeln gem. Art. 71 Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO8. Schließlich ist auch das im deutschen

unalex AT-1261; ebenso schon OLG Wien v. 28.5.2019 – 129 R 37/19p, BeckRS 2019, 13029
(Rz. 46 ff.); Staudinger, IPRax 2010, 140 (142 f.) und Staudinger, RdTW 2018, 59 f.; dazu auch
Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 99b m.w.N.
1 Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 32.
2 Vgl. BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, NJW 1984, 2037 = IPRax 1985, 216 (m. Anm. G. Roth,
IPRax 1985, 198).
3 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 19; ebenso zu Art. 17 EuGVÜ LG Darmstadt v.
2.12.1993 – 13 O 438/92, IPRax 1995, 318 (321) (m. zust. Anm. Thorn, IPRax 1995, 294); Häuser/
Welter, WM 1985, Beil. Nr. 8, S. 12 ff.; Schlosser, FS Steindorff (1990), S. 1379 (1389); H. Roth,
IPRax 1992, 67 f.
4 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar), Slg. 2000 I, 9305 (9325) = ZIP
2000, 2108 = IPRax 2001, 225 (m. Anm. Jayme, IPRax 2001, 190).
5 Dazu BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, ZVertriebsR 2013, 89; OLG München v. 17.5.2006 – 7 U
1781/06, WM 2006, 1556 = IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294).
6 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(1611) (Rz. 51) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87).
7 Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 74 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 22; dazu näher Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995),
S. 285 ff.
8 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 65.

988 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.41 § 7

Kartellverfahrensrecht anerkannte Derogationsverbot, demzufolge die internationale Zustän-


digkeit der deutschen Gerichte für nach deutschem Recht (§ 185 Abs. 2 GWB; Art. 6 Abs. 2
Rom II-VO) zu beurteilende Kartellsachen nicht ausgeschlossen werden kann1, im Geltungs-
bereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht wirksam, weil diese Vorschrift das Recht der grenz-
überschreitenden Zuständigkeitsvereinbarung abschließend regelt und einer Ergänzung oder
Korrektur durch nationales Recht nicht zugänglich ist2.

III. Zustandekommen und materielle Wirksamkeit der


Gerichtsstandsvereinbarung
1. Willenseinigung
a) Autonome Auslegung des Begriffs „Vereinbarung“
Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO verlangt, dass die Parteien über die gerichtliche Zuständig- 7.41
keit eine „Vereinbarung“ getroffen haben. In Anbetracht der Ziele und der Systematik der
Brüssel Ia-VO und um sicherzustellen, dass sich aus ihr für die betroffenen Personen soweit
wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, ist der Begriff „Gerichts-
standsvereinbarung“ nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Kollisions- oder Ver-
fahrensrecht des angerufenen Gerichts zu verstehen3, sondern – ebenso wie die Systembegriffe
für die besonderen Zuständigkeiten in Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO – autonom auszulegen4, und

1 Vgl. von Gamm, NJW 1977, 1553 ff.; Wurmnest in MünchKomm, Art. 6 Rom II-VO Rz. 358; Reh-
binder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 6. Aufl. 2020, § 185 Rz. 327; Bumiller in Wiedemann,
Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 60 Rz. 48.
2 OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 (334 f.) = IPRax 1992, 86 (m. zust. Anm.
H. Roth, IPRax 1992, 67); Wurmnest, FS Magnus (2014), S. 567 (569 f,); Mankowski in Rauscher,
Rz. 63; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 71, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 22; a.A. Fezer/Koos in Staudinger, Int. WirtschR, Rz. 376; Rehbinder in
Immenga/Mestmäcker, GWB, 6. Aufl. 2020, § 185 Rz. 328.
3 Für Maßgeblichkeit des – nach dem IPR der lex fori zu bestimmenden – Prorogationsstatuts bei
Anwendung von Art. 17 EuGVÜ noch OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577
(579 f.) = NJW-RR 1989, 1330; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 f. =
IPRax 1992, 165 (m. Anm. Rauscher, IPRax 1992, 143); OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92,
IPRax 1997, 417 (418) (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 245; Stöve,
S. 20 ff.; Staehelin, S. 177; hinsichtlich lit. a auch Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (483 f.); ferner
grundsätzlich Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 3.
4 Vgl. zu Art. 23 Brüssel I-VO/LugÜ 2007 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525
(Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 29); EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp),
IPRax 2013, 552 (Rz. 21) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501); BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04,
BGHZ 171, 141 (Rz. 25) = NJW 2007, 2036 (2037); BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW
2015, 2584 (Rz. 31) = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski; schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH-
520; Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, BeckRS
2015, 12064 (Rz. 93) = RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüs-
sel I-VO Rz. 18, 23; ebenso schon zu Art 17 EuGVÜ EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:
C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1774) (Rz. 13 f.) = NJW 1992, 1671 = EWiR 1992,
353 (LS) m. Anm. Geimer = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); BGH v. 28.3.1996 –
III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); OLG Dresden
v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Frankfurt a.M. v. 17.11.1999 – 9 U 41/99,
OLGR 2000, 71 = IPRspr. 1999 Nr. 133; öOGH v. 29.8.2000, ZfRV 2001, 113 (114) = unalex AT-
117; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346 (353); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (278 f.) und IPRax 1992,
143 (144); Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142 (145); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kröll, ZZP 113
(2000) 135 (143 ff.); m. Einschränkungen auch Saenger, ZZP 110 (1997) 477 (483 f.).

Hausmann | 989
§ 7 Rz. 7.41 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

zwar allein an Hand des Tatbestands des Art. 25 Brüssel Ia-VO1. Durch diese Auslegung soll
sichergestellt werden, dass eine Willenseinigung der Parteien tatsächlich vorliegt2. Maßgebend
für das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung ist danach in erster Linie europäi-
sches Einheitsrecht3. Daran hat auch die im Zuge der Reform eingeführte Verweisung in
Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO auf das Recht am forum prorogatum hinsichtlich der mate-
riellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nichts geändert4. Denn die Reichweite
dieser – als Einwendung gegen eine bereits zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung
formulierten – Verweisung ist auf Gründe beschränkt, die zur materiellen Unwirksamkeit die-
ser Vereinbarung führen; die Verweisung bezieht sich also nicht auf das Zustandekommen ei-
nes Konsenses der Parteien (dazu näher Rz. 7.52 f.)5. Die Anforderungen an das wirksame
Zustandekommen (einschließlich der Form) einer Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen sich
auch dann, wenn letztere sich auf einen dem CISG unterliegenden Kaufvertrag bezieht, nicht
nach Art. 19 ff. CISG, sondern gemäß Art. 4 S. 2 CISG nach dem dafür maßgeblichen Recht
des Forumstaates, vor deutschen Gerichten daher vorrangig nach Art. 25 Brüssel Ia-VO (dazu
näher Rz. 7.375)6. Insbesondere der Grundsatz der Formfreiheit in Art. 11 CISG findet auf
eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dann keine Anwendung, wenn diese in einem dem
CISG unterliegenden Kaufvertrag enthalten ist7.

7.42 Da Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zum Schutz der schwächeren Vertragspartei vor allem ge-
währleisten soll, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrages
werden, setzt die Willenseinigung voraus, dass beide Vertragsparteien ihr tatsächlich zuge-
stimmt haben. Diese Zustimmung muss jedenfalls in den Fällen des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a
Brüssel Ia-VO klar und deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein8. Eine ausdrückliche

1 So zu Art. 23 Brüssel I-VO EuGH v. 7.2.2013 (vorige Fn.), Rz. 21; EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02,
ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 51) (m. Anm. Grothe und Schilling,
IPRax 2004, S. 205 und 294).
2 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 28) (m. Anm.
Weller, IPRax 2013, 501).
3 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (14740)
(Rz. 51) = IPRax 2004, 243 (m. Anm. Grothe, IPRax 2004, 205) = ZZP Int. 2003, 510 m. Anm. Otte.
4 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240
(Rz. 38) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; öOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271.
5 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 28) = RIW 2017, 229; Lenaerts/Stapper,
RabelsZ 78 (2014), 252 (282); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335); Magnus, IPRax 2016, 521 (524);
Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461 (465); Mankowski in Rauscher, Rz. 134 f.; Gottwald in
MünchKomm ZPO, Rz. 14; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5; Magnus in Magnus/Mankowski,
Rz. 79a; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 86; a.A. Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5; Wel-
ler in Wieczorek/Schütze, Rz. 19; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 3, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; s. auch Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21, der den seiner Ansicht nach darin
liegenden Rückschritt bedauert.
6 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 56); Magnus in Staudinger, Art. 11
CISG Rz. 7; zur abweichenden Beurteilung hinsichtlich des Zustandekommens von Schiedsverein-
barungen BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 35.
7 BGH v. 25.3.2015 (vorige Fn.), Rz. 55.
8 Vgl. zu Art. 23 Brüssel I-VO EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Invest-
ment), EuZW 2016, 419 (Rz. 27); EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp),
IPRax 2013, 552 (Rz. 28) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501); BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04,
BGHZ 167, 83 (86) = NJW 2006, 1672; OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008,
112 (117); ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C: 1976:177
(Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 7) = NJW 1977, 494 = RIW 1977, 104 (m. Anm. G.
Müller, RIW 1977, 163); EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh),

990 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.44 § 7

Abrede ist freilich nicht erforderlich; vielmehr reicht die stillschweigende Vereinbarung eines
Gerichtsstands – z.B. durch Verweisung auf AGB – grundsätzlich aus1. Dies gilt namentlich
im Rahmen einer zwischen den Parteien bestehenden laufenden Geschäftsbeziehung2. Aus
der Vereinbarung muss auch nicht ausdrücklich hervorgehen, dass sie sich auf die internatio-
nale Zuständigkeit bezieht (vgl. auch Rz. 7.118 a.E.)3. Daher reicht die uneingeschränkte Zu-
stimmung zu einem die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden Angebot in jedem Fall aus4.
Hat eine Partei daher den eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vertrag unterzeichnet, so
kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe die Klausel nicht bemerkt5.

b) Vereinbarung und Formerfordernisse


Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO stellt zwar für Gerichtsstandsvereinbarungen nur Formerforder- 7.43
nisse auf, die – systematisch betrachtet – von den Anforderungen an die materielle Willens-
einigung zu unterscheiden sind6. Deshalb kann eine Gerichtsstandsvereinbarung trotz nach-
weislicher Einigung der Parteien über den Gerichtsstand an der Nichteinhaltung der Form
des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO scheitern7. In der Praxis lassen sich beide Fragenkreise
freilich häufig nicht trennen, so dass sich der Regelung in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO
durchaus auch Anforderungen an eine autonome Interpretation des Begriffs der „Verein-
barung“ entnehmen lassen, wenn deren Zustandekommen zweiflhaft ist8. Die Beweislast für
das Zustandekommen der nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erforderlichen Willenseinigung
obliegt grundsätzlich derjenigen Partei, die sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft, dh
vor dem prorogierten Gericht dem Kläger, vor dem derogierten Gericht dem Beklagten9.

Nach der Rechtsprechung des EuGH begründet jedoch die Einhaltung der Formerfordernisse 7.44
des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO eine – in der Praxis nur schwer widerlegliche10 – Ver-

Slg. 1981, 1671 (1687) (Rz. 23) = RIW 1981, 709 = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax
1982, 222); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95,
NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); OLG Dresden v. 2.6.1999 –
8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63.
1 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996,
1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 78; Mag-
nus in Magnus/Mankowski, Rz. 78, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = ZZP 103 (1990), 84 m. Anm. H.
Schmidt.
3 Ital. Cass. v. 13.12.1994, Nr. 10620, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 577 = unalex IT-378.
4 BGH v. 25.3.2015 – III ZR 257/15, NJW 2015, 2584 (Rz. 35).
5 Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 (O’Connor/Masterwood), unalex IE-42.
6 Spellenberg, IPRax 2010, 464 (466 ff.); Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 101.
7 Kröll, ZZP 113 (2000) 135 (144).
8 ÖOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, unalex AT-117 („unlösbarer Zusammenhang“); Jayme, IPRax
1989, 361 f.; Kohler, IPRax 1991, 299 (300); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (278 ff.) und IPRax
1992, 143 (144); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (482 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Weller, IPRax
2013, 501 (502); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 18, 23; Magnus in Magnus/Man-
kowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 89; vgl. i.d.S. schon LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW
1992, 227 (228); a.A. Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (304 ff.).
9 ÖOGH v. 22.12.2004 – 7 Ob 203/04k, unalex AT-70, v. 10.1.2006 – 5 Ob 233/05h, unalex AT-263
und v. 26.5.2011 – 9 Ob 19/11a, unalex AT-733.
10 Vgl. Stöve, S. 122; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (146 f.); Mankowski in Rauscher, Rz. 39; Geimer in
Geimer/Schütze, Rz. 101, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; noch enger Leipold, Symposium Schwab
(2000), S. 51 (58); a.A. (unwiderleglich) Koch, JZ 1997, 841 (842); Haß, EuZW 1999, 441 (444 f.).

Hausmann | 991
§ 7 Rz. 7.44 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

mutung dafür, dass sich die Parteien über den Gerichtsstand auch wirksam geeinigt haben1.
Diese Konsensvermutung gilt insbesondere dann, wenn das Verhalten der Parteien einem
Handelsbrauch in dem Bereich des internationalen Handels entspricht, in dem die Parteien
tätig sind, sofern sie diesen Handelsbrauch kennen oder kennen müssen.
EuGH v. 20.2.1997 –C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/LesGravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932
(940 f.) (Rz. 19 f.) = NJW 1997, 1431 = JZ 1997, 839 m. Anm. Koch = RIW 1997, 415 m. Anm. Holl =
IPRax 1999, 31 (m. Anm. Kubis, IPRax 1999, 10) = ZZP Int 2 (1997), 161 m. Anm. Huber = EWiR
1997, 359 (LS) m. Anm. Schlosser
EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1648 ff.)
(Rz. 19 ff.) = EuZW 1999, 441 m. Anm. Haß = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000,
87) = ZZP Int 4 (1999), 233 m. Anm. Adolphsen = ZEuP 2000, 656 m. Anm. Saenger
Bezieht man die auf das nationale Recht am forum prorogatum gerichtete Verweisung in
Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO – wie hier vertreten (Rz. 7.52 f.) – nur auf die materiel-
le Wirksamkeit und nicht auch auf das Zustandekommen der Willenseinigung, so gilt diese
Vermutung auch unter der Brüssel Ia-VO fort2.

7.45 Für die anderen Formalternativen des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO kann nichts anderes
gelten3. Hat eine Partei daher den eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vertrag unterzeich-
net, so kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe die Klausel nicht bemerkt4.

7.46 Andererseits kann die Frage der materiellen Willensübereinstimmung – insbesondere in den
zweifelhaften Fällen der Gerichtswahl durch Einbeziehung von AGB – grundsätzlich offen
bleiben, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung der in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO vor-
geschriebenen Form entbehrt. In diesem Fall erübrigt sich also eine nähere Prüfung, ob die
Parteien sich wirklich über den Gerichtsstand geeinigt haben oder nicht5. Insbesondere kann
dann dahinstehen, ob die AGB, welche die Gerichtsstandsklausel enthalten, nach dem Recht
des prorogierten Gerichts Vertragsbestandteil geworden sind. Die Einhaltung der Formerfor-
dernisse ist allerdings kein Selbstzweck, sondern dient – wie der EuGH wiederholt ausgespro-
chen hat6 – vor allem dem Ziel sicherzustellen, dass sich die Parteien tatsächlich auf einen
Gerichtsstand geeinigt haben. Für eine restriktive Auslegung der Formerfordernisse des Art. 25

1 EuGH v. 7.7.2016 –C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 38); EuGH
v.20.4.2016 –C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 40) m.
Anm. Müller; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/30, IPRax 2018, 61 (Rz. 64) (m. Anm. G.
Schulze, IPRax 2018, 26); Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19
U 40/05, IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Freitag, FS Magnus (2014),
S. 419 (424 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15.
2 Mankowski in Rauscher, Rz. 44, 134; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21; a.A. Hüßtege
in Thomas/Putzo, Rz. 5 a.E. (unter Hinweis auf Erwägungsgrund 20), jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO.
3 Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125
(m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98).
4 Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 (O’Connor/Masterwood), unalex IE-42.
5 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (144); Staehelin, S. 14; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 76.
6 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh), Slg. 1981, 1671 (1687)
(Rz. 25) = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97,
ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (Rz. 34); EuGH v. 9.12.2003 – C-
116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 50) (m. Anm. Grothe und
Schilling, IPRax 2004, S. 205 und 294).

992 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.48 § 7

Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.63) ist daher nur Raum, wo Zweifel an der Willensüber-
einstimmung der Parteien bestehen. Ist dies nicht der Fall, weil diejenige Partei, zu deren Las-
ten die Gerichtsstandsklausel geht, durch ihre Unterschrift ihr Einverständnis mit der Klausel
eindeutig erklärt hat, und beide Parteien den Vertrag anschließend durchgeführt haben, so ist
damit der Zweck der Formvorschriften erreicht. Auf eine Unterschrift des Klauselverwenders
kommt es in diesem Fall nicht an1.

Die autonome Auslegung des Begriffs „Vereinbarung“ bedeutet freilich nicht, dass sämtliche 7.47
Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen der Einigung dem Art. 25 Abs. 1 Brüs-
sel Ia-VO zu entnehmen sind; sie reicht vielmehr nur soweit, wie sich aus den dort normier-
ten Formerfordernissen materielle Einigungskriterien gewinnen lassen. Art. 25 Abs. 1 S. 3
Brüssel Ia-VO stellt also mit seinen Formalternativen nur Mindesterfordernisse an den mate-
riellen Tatbestand einer Vereinbarung. Über deren Zustandekommen im Übrigen wurde je-
doch bisher nach dem vom IPR des Forums für anwendbar erklärten nationalen Recht2 oder
nach internationalem Einheitsrecht (z.B. UN-Kaufrecht)3 entschieden. Vor deutschen Gerich-
ten galt dann ergänzend nicht notwendig das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht4, son-
dern ein für Gerichtsstandsvereinbarungen eigenständig zu bestimmendes Prorogationssta-
tut5. Teilweise wurde aber auch die Entwicklung einheitlicher europäischer Maßstäbe für alle
Fragen der Einigung gefordert6.

2. Materielle Wirksamkeit
a) Verweisung auf das Recht des vereinbarten Gerichts
Da Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich aus dem sachlichen Anwendungsbereich der 7.48
Rom I-VO ausgenommen sind (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO), wandten die Gerichte der Mit-

1 Zutr. Kröll, IPRax 2001, 113 (114); Furche, WM 2004, 205 ff.; Rüfner, ZEuP 2008, 165; a.A. BGH
v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = NJW 2001, 1731 = EWiR 2001, 477 (LS) m. abl.
Anm. Freitag (Wirksamkeit der in einem Vertragsformular einer deutschen Sparkasse enthaltenen
Gerichtsstandsklausel trotz wirksamer Unterzeichnung durch die Schweizer Bürgin und anschlie-
ßender Vertragsdurchführung verneint, weil das Vertragsformular nicht auch von der Gläubigerin
unterzeichnet, sondern lediglich im Kopf mit ihrem Stempel versehen war); ähnlich auch ital.
Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206.
2 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 (Rz. 25) = NJW 2007, 2036 (2037); öOGH v.
30.3.2001 – 7 Ob 320/00k, ZfRV 2001, 231 (LS) = unalex AT-113; schwz. BG v. 15.1.1998, BGE
124 III, 134 (139 f.) = unalex CH-92; OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, NJOZ 2004,
3118 = IHR 2004, 108 (m. Aufs. Herber, IHR 2004, 117); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (280 f.);
Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (484); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (147 f.); Kubis, IPRax 1999, 10
(12); Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (302 f.); Staehelin, S. 9 ff., 157 ff.; Wagner in Stein/Jonas,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 40.
3 Dafür BGH v. 31.10.2001 – VIII ZR 60/01, ZIP 2002, 133 = NJW 2002, 370; OLG Düsseldorf v.
23.3.2011 – I-15 U 18/10, IHR 2012, 237; Hoge Raad v. 28.1.2005, ZEuP 2008, 605.
4 Dafür aber Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (300 ff.); Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-
VO Rz. 40. Vgl. auch OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83.
5 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894; Schack, IPRax 1990, 19; Geimer, NJW 1971,
323 (324); Stöve, S. 92 ff.; G. Wagner, S. 369 f.; von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 74 ff., 78; ausdrücklich
offenlassend BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 = NJW 1997, 397 (399).
6 So insb. Jayme, Narrative Normen im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1993), S. 27;
Jayme, Der Gerechtigkeitsgehalt des EuGVÜ in: Reichelt (Hrsg.), Europäisches Kollisionsrecht
(1993), S. 33 (35 f.); Jayme/Kohler, IPRax 1988, 133 (138), IPRax 1989, 337 (342) und IPRax 1992,
346 (353); Stöve, S. 20 ff.; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 25, 28.

Hausmann | 993
§ 7 Rz. 7.48 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gliedstaaten freilich bisher ganz unterschiedliches Recht auf die von Art. 23 Brüssel I-VO nicht
geregelten Aspekte der materiellen Wirksamkeit einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung
an1. Um die hieraus resultierende Rechtsunsicherheit zu beseitigen, enthält Art. 25 Abs. 1 Brüs-
sel Ia-VO hierfür nunmehr eine einheitliche Kollisionsnorm, die auch im Rahmen von Art. 23
LugÜ 2007 entsprechend heranzuziehen sein wird. Nach dem Vorbild von Art. 6 lit. a des Haa-
ger Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen2 beurteilt sich die materielle Wirk-
samkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung – mit Ausnahme ihrer Formgültigkeit und ihrer
hinreichenden Bestimmtheit, die von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO selbst einheitlich geregelt
werden (dazu Rz. 7.63 ff., Rz. 7.112 ff.) – vor den Gerichten aller Mitgliedstaaten nach dem
Recht des Mitgliedstaats, dessen Gerichte in der Vereinbarung als zuständig bestimmt worden
sind3. Dieses Recht am forum prorogatum ist nicht nur von dem vereinbarten Gericht, sondern
auch von einem derogierten Gericht anzuwenden, vor dem Klage mit der Behauptung erhoben
wird, die Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht materiell wirksam getroffen worden; denn diese
Prüfung obliegt dem derogierten Gericht solange, bis das prorogierte Gericht angerufen wird.
Für eine Sonderanknüpfung der Zustimmung zu einer Gerichtsstandsvereinbarung in entspre-
chender Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO4 ist nach der Neufassung kein Raum mehr.

7.49 Um Rechtssicherheit hinsichtlich der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsverein-


barung zu erreichen, wäre es wünschenswert gewesen, eine Sachnormverweisung auf das
Recht am forum prorogatum vorzusehen. Demgegenüber hat sich der europäische Gesetz-
geber ausweislich des Erwägungsgrunds 20 zur Brüssel Ia-VO dafür entschieden, insoweit auf
das Recht des vereinbarten Gerichts „einschließlich seines Kollisionsrechts“ zu verweisen (Ge-
samtverweisung)5. Wird daher ein deutsches Gericht angerufen, obwohl die Zuständigkeit
der Gerichte in Paris vereinbart ist, so ist über die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstands-
vereinbarung nicht nach französischem Sachrecht zu entscheiden. Vielmehr hat das deutsche
Gericht im ersten Schritt das einschlägige französische Kollisionsrecht zu ermitteln, aus dem
sich auch eine Rückverweisung auf deutsches oder eine Weiterverweisung auf das Recht eines
dritten Staates ergeben kann. Diese Lösung ist zu bedauern, weil das Kollisionsrecht für die
materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen in der EU nicht vereinheitlicht
und in den meisten Mitgliedstaaten nicht gesetzlich geregelt ist6.

7.50 Hat ein als zuständig vereinbartes deutsches Gericht über die materielle Wirksamkeit einer
Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden, so fehlt bisher auch im deutschen IPR eine ge-
setzliche Vorgabe. Die h.M. tendiert zu einer entsprechenden Anwendung der Art. 3 ff.
Rom I-VO und unterwirft die Gerichtsstandsvereinbarung dem Recht, das für den Hauptver-
trag gilt, dessen Bestandteil sie ist oder auf den sie sich bezieht7. Der ausdrückliche Ausschluss

1 Vgl. dazu Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (580 f.).


2 Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 f.; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 79a.
3 Weller, ZZPInt 19 (2014), 251 (254 ff.); Basedow, FS Magnus (2014), S. 337 (341); Magnus, FS
Martiny (2014), S. 785 (790 f.); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461 (473 ff.); Pfeiffer, ZZP
127 (2014), 409 (417); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335).
4 Dafür noch Adolphsen, ZZPInt 4 (1999), 243 (246).
5 Vgl. Pohl, IPRax 2013, 109 (111); Grohmann, ZIP 2015, 16 (19); Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5;
Mankowski in Rauscher, Rz. 33, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
6 Zu Recht krit. auch Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.
7 Vgl. von Hein, RIW 2013, 97 (105); Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (794 f.); Staudinger/Stein-
rötter, JuS 2015, 1 (4); Dostal, EuZW 2018, 944 (948); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 81a;
Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 3;
Mankowski in Rauscher, Rz. 36; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 17, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO; a.A. zu Recht Hk-ZPO/Dörner, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15.

994 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.52 § 7

von Gerichtsstandsvereinbarungen aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO


nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. e dürfte indessen auch einer solchen analogen Anwendung der
Art. 3 ff. Rom I-VO entgegenstehen. Dies hat der BGH zuletzt für internationale Schiedsver-
einbarungen ausdrücklich klargestellt1. Dagegen spricht auch der in Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-
VO ausdrücklich betonte Grundsatz der Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung. Auch
die kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien stimmen in Bezug auf den Hauptvertrag ei-
nerseits, die Gerichtsstandsvereinbarung andererseits nicht notwendig überein. Schließlich
eignet sich Art. 4 Rom I-VO nicht zur Bestimmung des auf eine Gerichtsstandsvereinbarung
anwendbaren Rechts, wenn diese losgelöst von einem bestimmten Schuldvertrag oder für
mehrere Verträge, die unterschiedlichem Recht unterliegen, getroffen wird. Daher sollte die
materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen vor deutschen Gerichten eigen-
ständig angeknüpft werden. Danach unterliegt diese in erster Linie dem von den Parteien
gewählten Recht. Fehlt es – wie meist – an einer spezifisch für die Gerichtsstandsvereinbarung
getroffenen Rechtswahl, besteht deren engste Verbindung zu dem Recht des Staates, dessen
Gerichte als zuständig vereinbart worden sind. Ist daher ein deutsches Gericht prorogiert wor-
den, so beurteilt sich die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach deut-
schem Recht. Dies gilt auch dann, wenn der schuldrechtliche Hauptvertrag, auf den sich die
Gerichtsstandsvereinbarung bezieht, ausländischem Recht unterliegt. Insoweit beanspruchen
die Argumente, die gegen eine akzessorische Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen an das
Recht des Hauptvertrages sprechen (dazu ausf. Rz. 7.272 ff.), auch für Gerichtsstandsverein-
barungen Geltung.

b) Vermutung zugunsten der materiellen Wirksamkeit


Aus der Formulierung von Art 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO („es sei denn“) folgt, dass 7.51
eine Vermutung für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung spricht, die
von demjenigen zu widerlegen ist, der sich auf ihre Unwirksamkeit beruft2. Die Vermutungs-
wirkung hindert das angerufene Gericht jedoch nicht, die Wirksamkeit der Vereinbarung von
Amts wegen zu prüfen3.

c) Materielle Wirksamkeit und Zustandekommen der Vereinbarung


Die Verweisung auf das nationale Recht gilt nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO nur für die 7.52
materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Diese ist einerseits von der formellen
Wirksamkeit und sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Prorogation zu unterscheiden,
die – wie die hinreichende Bestimmtheit oder der Schutz von Verbrauchern, Versicherungs-
und Arbeitnehmern – in der Verordnung selbst durch einheitliches Sachrecht geregelt sind
(vgl. Art. 25 Abs. 1 S. 3 und Abs. 4 Brüssel Ia-VO). Die materielle Wirksamkeit der Gerichts-
standsvereinbarung ist aber andererseits auch von der Frage ihres Zustandekommens, d.h.
vom Vorliegen einer Willenseinigung der Parteien über das zuständige Gericht für die Ent-
scheidung von Streitigkeiten aus dem geschlossenen Vertrag, zu trennen. Denn aus den Mate-
rialien zur Neufassung der Brüssel Ia-VO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass durch
Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO von der etablierten EuGH-Rechtsprechung zur autonomen Aus-

1 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 50.


2 Alio, NJW 2014, 2395 (2398); Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (543); Weller, GPR 2012, 34 (41);
Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15.
3 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (796); Mankowski in Rauscher, Rz. 39; Peiffer/Peiffer in Gei-
mer/Schütze, IRV Rz. 114, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 995
§ 7 Rz. 7.52 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

legung des Zustandekommens von Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.41) abgewichen,


insbesondere die Indizwirkung der Einhaltung der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-
VO für einen Konsens der Parteien aufgegeben werden sollte1. Das Gebot der einheitlichen
Auslegung von Brüssel Ia-VO und Rom I-VO (Erwägungsgrund 7 zur Rom I-VO) spricht
vielmehr dafür, den Begriff der materiellen Wirksamkeit in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ähn-
lich restriktiv auszulegen wie in Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, der ebenfalls zwischen dem Zustan-
dekommen und der materiellen Wirksamkeit deutlich unterscheidet (dazu Rz. 7.41)2. Das na-
tionale (Kollisions-)Recht am forum prorogatum gilt danach insbesondere für die Vorausset-
zungen und Folgen von Willensmängeln (z.B. Anfechtungsgründe)3. Es ist auch für die Fest-
stellung von solchen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblich, von de-
nen die Parteien deren Geltung im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit zusätzlich abhängig
gemacht haben4.

7.53 Der Begriff der materiellen Wirksamkeit in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO ist jedoch inso-
fern enger als in Art. 10 Rom I-VO, als er sich nicht auf alle gesetzlichen Schranken von Ge-
richtsstandsvereinbarungen nach dem nationalen Recht am forum prorogatum bezieht. Denn
anerkanntes Ziel schon von Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 Brüssel I-VO war es gerade, die Gültigkeit
der Prorogation im Interesse der Planungssicherheit der Parteien ohne Rücksicht auf ent-
gegenstehende Prorogations- oder Derogationsverbote des nationalen Rechts der Mitglied-
staaten zu gewährleisten (dazu Rz. 7.34 ff.). Diese Errungenschaft sollte aber durch die Neu-
fassung von Art. 25 Brüssel Ia-VO keinesfalls preisgegegeben werden5. Das nach Art. 25 Abs. 1
Brüssel Ia-VO maßgebende nationale Recht ist jedoch in Übereinstimmung mit dem Unions-
recht und insbesondere mit der Richtlinie (EG) 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Ver-
braucherverträgen auszulegen6.

7.54 Daher haben auch schärfere oder mildere Anforderungen der lex causae an den Begriff der
„Vereinbarung“ selbst – namentlich für die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in
AGB – im Geltungsbereich von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO außer Betracht zu bleiben (dazu
schon Rz. 7.36 f.)7. Ebenso kann die Frage, ob eine in fremdsprachigen AGB enthaltene Ge-
richtsstandsklausel wirksam vereinbart worden ist, nur mit Hilfe von aus Art. 25 Brüssel Ia-

1 Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (587); Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 (428); Magnus,
IPRax 2016, 521 (524); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 79a; Mankowski in Rauscher, Rz. 44,
134, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; i. Erg. auch BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, BeckRS 2017,
102068 (Rz. 28) = RIW 2017, 229; Lenaerts/Stapper, RabelsZ 78 (2014) 252 (282); Gottwald in
MünchKomm ZPO, Rz. 14; Stadler, in Musielak/Voit, Rz. 4; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV,
Rz. 86, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 13 f.; Gottwald in MünchKom ZPO, Rz. 14; Stad-
ler in Musielak/Voit, Rz. 4; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 86, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO.
3 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (793); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), 461 (476); Simot-
ta, FS Schütze (2015), S. 541 (542); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 81c,
81g; ebenso schon früher Kohler, IPRax 1983, 268. Demgegenüber wurde bisher überwiegend auf
das Statut des Hauptvertrages abgestellt, vgl. Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 28.
4 Vgl. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338 (341) zur Kaufmannseigenschaft.
5 Weller, FS Schütze (2015), S. 705 (709); Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 (429 f.); Mankowski in
Rauscher Rz. 54 ff.; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 99, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Delayfix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 51 ff.) =
NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger.
7 Schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH-520.

996 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.56 § 7

VO selbst zu entwickelnden Kriterien und nicht durch Rückgriff auf nationales Recht beant-
wortet werden1. Allerdings können die in den Mitgliedstaaten zu Art. 10 Rom I-VO erarbeite-
ten Grundsätze mitberücksichtigt werden2. Danach kommt die Gerichtsstandsklausel nur
dann wirksam zustande, wenn der Hinweis auf die Einbeziehung der AGB in der Verhand-
lungssprache oder in einer sonst dem Vertragspartner verständlichen Sprache erfolgt3. Etwas
anderes kann gelten, wenn der Vertragspartner des Verwenders die AGB trotz seiner man-
gelnden Sprachkenntnisse gegengezeichnet hat4. War der Einbeziehungshinweis für den Ver-
tragspartner des Verwenders verständlich, so muss er sich eine in den AGB enthaltene Ge-
richtsstandsklausel nach h.M. auch dann entgegenhalten lassen, wenn die AGB selbst in einer
anderen, für ihn nicht verständlichen Sprache abgefasst sind, sofern er eine uneingeschränkte
Annahmeerklärung abgegeben hat5.

Die Verweisung auf das Recht des prorogierten Gerichts in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüs- 7.55
sel Ia-VO bezieht sich jedoch nicht auf Fragen der Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen;
denn diese sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich
jener Verordnung ausgenommen. Es handelt sich vielmehr um eine gesondert anzuknüpfende
Teilfrage, die vom – prorogierten wie derogierten – deutschen Gericht auch unter Geltung der
Brüssel Ia-VO weiterhin gesondert nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen ist (dazu Rz. 6.1057 ff.)6.

Demgegenüber werden Fragen der rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen oder organschaftlichen 7.56


Stellvertretung zwar grundsätzlich von der Verweisung in Art. 25 Abs. 1 S.1 Hs. 2 Brüssel Ia-
VO erfasst7. Dies gilt jedoch nur für diejenigen Aspekte, die – wie z.B. die Zulässigkeit der
Stellvertretung – dem Vertragsstatut unterliegen (dazu Rz. 6.473 ff.). Hingegen sind Erteilung,
Auslegung und Umfang der Vollmacht zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung auch
im Geltungsbereich von Art. 25 Brüssel Ia-VO von deutschen Gerichten nach dem Voll-
machtsstatut des Art. 8 EGBGB zu beurteilen (zur Anknüpfung der Vollmacht näher
Rz. 6.385 ff.)8. Denn eine gespaltene Anknüpfung von Geschäftsfähigkeits- und Vollmachts-

1 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 86; a.A. OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2
U 196/87, IPRax 1991, 324 (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299).
2 Vgl. dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 112 ff. m.w.N.
3 OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84; öOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR
2009, 126 (127) = unalex AT-581; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141 m.w.N.
4 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 27) (m. Anm. Spellenberg, IPRax
2007, 98).
5 BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326 m. krit. Anm. Kohler 299; OLG Hamm v.
19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (Rz. 27); OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF
2006 II, 94 (95); öOGH v. v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR 2009, 126 (127) = unalex AT-581 m.
w.N; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 37; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 141. Zur Kritik Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 122 m.w.N.
6 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (793); Mankowski in Rauscher, Rz. 47 f., 155 f.; Magnus in
Magnus/Mankowski, Rz. 84; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 19, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; a.A. Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (543, 546); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335); Stadler
in Musielak/Voit, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.
7 von Hein, RIW 2012, 97 (105); M. Weller, GPR 2012, 33 (41); Simotta, FS Schütze (2015), S. 541
(543); Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (527).
8 Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (585); Mankowski in Rauscher, Rz. 51; Magnus in Mag-
nus/Mankowski, Rz. 84, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso schon zu Art. 23 Brüssel I-VO/
Art. 17 EuGVÜ BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 49) = BB 2015, 1418 m.
Anm. Mankowski; öOGH v. 3. 8. 2004 – 5 Ob 32/04y, unalex AT-73; schwz. BG v. 23.11.2001,
unalex CH-262; LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 (229); LG Karlsruhe v.

Hausmann | 997
§ 7 Rz. 7.56 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

fragen bei Abschluss des Hauptvertrages einerseits, der Gerichtsstandsvereinbarung anderer-


seits würde zu erheblichen Widersprüchen führen.

7.57 Schließlich enthält Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO auch keine Regelung für das Zu-
standekommen und die materielle Wirksamkeit reiner Derogationsvereinbarungen, weil es
in diesem Fall an einem zur Ermittlung des anwendbaren Rechts heranzuziehenden forum
prorogatum fehlt. Insoweit bleibt es daher beim Grundsatz der autonomen Auslegung. Aller-
dings sind die ausdrücklichen Derogationsschranken in Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zu
beachten1.

7.58 Nach der Rechtsprechung des EuGH2 kann die Wahl des vereinbarten Gerichts zwar nur an-
hand von Erwägungen geprüft werden, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen des
Art. 25 Brüssel Ia-VO stehen. Daraus konnte indessen schon bisher nicht geschlossen werden,
dass Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt keiner Missbrauchskontrolle unterliegen3. Al-
lerdings dachte man unter Geltung der Brüssel I-VO vornehmlich über eine „europäische“
Kontrolle nach, die sich an in den Mitgliedstaaten übereinstimmend zugrundegelegten Krite-
rien orientieren sollte. Demgegenüber spricht Art. 25 Abs. 1 S. 1 a.E. Brüssel Ia-VO ausdrück-
lich davon, dass die Gerichtsstandsvereinbarung auch nach dem nationalen Recht des Mit-
gliedstaats, dessen Gerichte als zuständig vereinbart worden sind, „materiell nichtig“ sein
kann. Dies wird man zwar nicht in dem Sinne verstehen können, dass die nationalen Wertun-
gen des Rechts am forum prorogatum auch dann zur Nichtigkeit einer Gerichtsstandsverein-
barung führen können, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art. 25
Brüssel Ia-VO stehen. Zu diesen Erfordernissen gehört jedoch auch die in der Vorschrift aus-
drücklich angesprochene „Vereinbarung“ der Parteien über den Gerichtsstand. Da Art. 25
Brüssel Ia-VO auch nach Ansicht des EuGH4 Ausdruck der Privatautonomie ist, setzt eine
wirksame Gerichtsstandsvereinbarung aber voraus, dass die Willensbildung der Parteien nicht
durch Zwang oder die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht eingeschränkt war. Dieser im
deutschen Verfahrensrecht aus § 1025 Abs. 2 ZPO a.F., § 138 BGB zu entnehmende Rechts-
gedanke kann daher jedenfalls bei Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands zur materiel-
len Nichtigkeit der Vereinbarung führen5. Darüberhinaus kommt eine Inhaltskontrolle am
Maßstab der Richtlinie Nr. 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in
Betracht (dazu Rz. 7.38). Demgegenüber steht das Verlangen nach einem – über Art. 25 Abs. 4
Brüssel Ia-VO hinausgehenden – berechtigten Interesse an dem gewählten Gerichtsstand oder

6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (zu § 38 ZPO); M. J. Schmidt, RIW 1992, 173 (175);
Koch, IPRax 1993, 19 (21); Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142 (148); Staehelin, S. 148 ff.; a.A. Rau-
scher, IPRax 1992, 143 (145 f.).
1 Geimer in Geimer/Schütze, Art 25 Brüssel Ia-VO Rz. 153.
2 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(1654) (Rz. 51) (zu Art. 17 EuGVÜ).
3 So freilich LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK O 112/04, WM 2005, 2319 (2323); Weigel/Blankenheim,
WM 2006, 664 (666 f.); Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56 (75 ff.).
4 EuGH v. 24.6.1986 – C-22/85, ECLI:EU:C:1986.255 (Anterist/Crédit lyonnais), Slg. 1986, 1957
(1962) (Rz. 14) = RIW 1986, 636 = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81).
5 Für eine Missbrauchskontrolle aus diesem Grunde schon bisher H. Roth, IPRax 1992, 67 (68); Sta-
ehelin, S. 191; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (150 f.); Leible/Röder, RIW 2007, 481 ff.; Kropholler/von
Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 89. Zu Art. 25 Brüssel Ia-VO Gottwald in MünchKomm ZPO,
Rz. 72; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 74; wohl auch Mankowski in Rauscher, Rz. 68, jeweils
zu Art. 25 Brüssel I-VO.

998 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.60 § 7

einer sonstigen Angemessenheit der Klausel mit den Erfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO
in keinem Zusammenhang und ist deshalb unzulässig (vgl. schon Rz. 7.35)1.

3. Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung


Sowohl das Zustandekommen wie die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung 7.59
sind unabhängig davon zu prüfen, ob der Hauptvertrag, auf den sich die Vereinbarung be-
zieht, seinerseits zustandegekommen oder materiell wirksam ist; dies gilt auch dann, wenn die
Gerichtstandsklausel in diesen Hauptvertrag integriert ist (sog „doctrine of separability“)2.
Der EuGH hat diese Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem Hauptver-
trag schon bisher zu Recht betont3. Sie wird nunmehr im neuen Verordnungstext – in Anleh-
nung an Art. 3 lit. d HGÜ – ausdrücklich hervorgehoben. Nach Art. 25 Abs. 5 S. 2 Brüssel Ia-
VO ist demnach eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrages ist, als eine von den
übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln (Rz. 7.148)4. Ihre
Gültigkeit kann daher nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der (Haupt-)
Vertrag unwirksam sei; § 139 BGB findet bei Geltung deutschen Vertragsstatuts insoweit keine
Anwendung. Vielmehr soll das vereinbarte Gericht im Zweifel gerade auch Streitigkeiten über
die Wirksamkeit des Hauptvertrages entscheiden5. Daher bleibt eine Gerichtsstandsverein-
barung auch nach der Kündigung oder sonstigen Beendigung eines schuldrechtlichen Vertrags
wirksam, selbst wenn sie in der gleichen Urkunde enthalten ist6.

4. Auslegung
Die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung wurde bisher meist dem Statut des Hauptver- 7.60
trages unterworfen, auf den sie sich bezog7. Demgegenüber sollte sie soweit als möglich auto-
nom anhand des Wortlauts, des Zwecks und der Systematik des Art 25 Brüssel Ia-VO erfol-
gen. Dies gilt insbesondere für den Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung8. Allerdings lassen
sich der Vorschrift z.B. keine Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage entnehmen, wel-
che Ansprüche von einer wirksam geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung erfasst werden.

1 EuGH v. 16.3.1999 –C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557


(Rz. 51); Huber, RIW 1993, 977; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (151); Geimer in Geimer/Schütze,
Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 181.
2 Geimer, EWiR 1988, 471; Killias, S. 150; Staehelin, S. 135.
3 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767
(3795) (Rz. 25) = RIW 1997, 770 = JZ 1998, 896 m. zust. Anm. Mankowski; zust. BGH v. 30.3.2006
– VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83, 87 (Nr. 15) = NJW 2006, 1672. Vgl. zur Selbständigkeit der Ge-
richtsstandsvereinbarung gegenüber dem Hauptvertrag auch Geimer, EWiR 1988, 471; Killias,
S. 150; Staehelin, S. 135.
4 KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 15); Weller, ZZPInt 19 (2014), 251 (259 ff.);
Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 94; Mankowski in Rauscher, Rz. 77 ff., jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO.
5 KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17, IPRspr. 2018 Nr. 250; LG München I v. 12.2.2008 – 33 O 5434/07,
GRUR Int 2009, 527 (528).
6 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 23); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 40.
7 Vgl. BGH (vorige Fn.) (Rz. 25); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 (2188) = NJW
1997, 397 (399) = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338); schwz. BG v.
17.7.2012, unalex CH-511; High Court London (Q.B.Div.) v. 16.4.2003 (Evialis/SIAT), unalex UK-
34; Kubis IPRax 1999, 10 (12), jeweils m.w.N.
8 ÖOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271.

Hausmann | 999
§ 7 Rz. 7.60 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Insbesondere gilt der Grundsatz, dass Gerichtsstandsvereinbarungen eng auszulegen sind (da-
zu Rz. 7.63), nur für die (Form-)Vorausetzungen ihres Zustandekommens, nicht für ihre sach-
liche Reichweite. Insoweit ist daher ergänzend das nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO als
Prorogationsstatut maßgebliche nationale Recht, das vom IPR am vereinbarten Gerichtsort
zur Anwendung berufen wird, heranzuziehen1. Ein davon abweichendes Statut des Hauptver-
trages sollte hingegen nach der Neufassung außer Betracht bleiben2. In jedem Fall ist die Aus-
legung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Geltungsbereich fal-
lenden Rechtsstreitigkeiten Sache des nationalen Gerichts, vor dem sie geltend gemacht wird3.

5. Vereins- oder Gesellschaftssatzung


7.61 Für die Zwecke der Brüssel Ia-VO ist auch die Satzung einer Gesellschaft als Vertrag anzuse-
hen, der sowohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch die Beziehungen zwi-
schen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regelt. Eine in der Satzung einer
Aktiengesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel stellt demzufolge eine „Vereinbarung“
i.S.d. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO dar, die sämtliche Aktionäre bindet4. Dies gilt selbst dann,
wenn der Aktionär, dem gegenüber die Gerichtsstandsklausel geltend gemacht wird, gegen die
Annahme dieser Klausel gestimmt hat oder erst nach Annahme dieser Klausel Aktionär ge-
worden ist. Denn dadurch, dass er Aktionär einer Gesellschaft wird und bleibt, erklärt er sich
damit einverstanden, dass sämtliche Bestimmungen der Gesellschaftssatzung sowie die in
Übereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung gefassten Be-
schlüsse der Gesellschaftsorgane für ihn gelten, selbst wenn einige dieser Bestimmungen oder
Beschlüsse nicht seine Zustimmung finden. Bei einer anderen Auslegung des Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO würden für Rechtsstreitigkeiten aus ein und demselben rechtlichen und tatsäch-
lichen Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären mehrere Zuständigkeiten
begründet; dies verstieße aber gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, der mit der Rege-
lung in Art. 25 Brüssel Ia-VO verwirklicht werden sollte5. Gerichtsstandsklauseln in Satzun-
gen einer AG oder in Gesellschaftsverträgen einer GmbH oder einer Personengesellschaft er-
fassen aber nur gesellschaftsinterne Streitigkeiten, nicht dagegen Klagen von Anlegern wegen
Täuschung oder unzureichender Information bei der Anlage6.

1 Wie hier Magnus FS Martiny (2014), S. 785 (796); Heinze, RabelsZ 75 (2012), 581 (585 f.); Peiffer/
Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 112; Nagel/Gottwald, Rz. 3.244; näher
zur objektiven Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen Rz. 7.143 ff.
2 Anders Mankowski in Rauscher, Rz. 83, 149; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 21; Weller in
Wieczorek/Schütze, Rz. 22, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 67) = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth 318); EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:
C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767 (Rz. 25) = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski;
EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1774 f.)
(Rz. 37) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch IPRax 1993, 19).
4 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Rz. 16; zust. LG Mün-
chen I v. 13.4.2006 – 5 HKO 4326/05, NZG 2007, 255; krit. Jayme/Kohler, IPRax 1992, 350 f; Kro-
pholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 24. Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO steht nicht entgegen,
weil der Aktionär kein Verbraucher ist, vgl. Mülbert, ZZP 118 (2005), 313 (327 ff.).
5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), NJW 1992, 1671 (1672)
(Rz. 18 ff.); zust. Koch, IPRax 1993, 19 (20); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 182.
Zur Form einer solchen Klausel Rz. 7.80.
6 Mormann, AG 2011, 10 (15 ff.); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 135.

1000 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.63 § 7

6. Trust-Bedingungen
Schriftlich niedergelegte trust-Bedingungen, welche die Zuständigkeit eines Gerichts oder der 7.62
Gerichte eines Mitgliedstaats für Klagen gegen einen Begründer, trustee oder Begünstigten
des trust regeln, haben nach Art. 25 Abs. 3 Brüssel Ia-VO die gleiche Wirkung wie eine Ge-
richtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, wenn es sich um Beziehungen
zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten im Rahmen des trust handelt. Die
Vorschrift bezieht sich also – wie Art. 5 Nr. 6 Brüssel Ia-VO – nur auf Streitigkeiten aus dem
Innenverhältnis des trust. Die Sonderregelung wurde eingeführt, weil ein trust nach eng-
lischem Recht nicht durch Vertrag begründet zu werden braucht, sondern auch durch einseiti-
ges Rechtsgeschäft entstehen kann1. Für diesen Fall wird auf die nach Art. 25 Abs. 1 Brüs-
sel Ia-VO notwendige Willenseinigung zwischen den Parteien verzichtet; die einseitige Ge-
richtsstandsbestimmung entfaltet also Wirkungen gegenüber Dritten2. Weiterhin stellt die
Vorschrift klar, dass die in trust-Bedingungen enthaltene Gerichtsstandsklausel auch dann ge-
gen den trustee oder den Begünstigten des trust wirkt, wenn diese ihr nicht in der Form des
Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zugestimmt haben. Die Schranken des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-
VO gelten jedoch auch für Gerichtsstandsvereinbarungen in trust-Bedingungen.

IV. Form der Gerichtsstandsvereinbarung


1. Allgemeines
Die Anforderungen an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen sind im Wege autonomer 7.63
Interpretation aus Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO selbst zu entnehmen3. Die in den natio-
nalen Rechten anzutreffenden allgemeinen Vorschriften über die Schriftform (z.B. § 126 BGB)
oder Sonderregeln über die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen (z.B. Art. 1341 Abs. 2
ital. c.c.) finden mithin im Rahmen von Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO keine Anwendung
(vgl. schon Rz. 7.35)4. Auch eine für den Hauptvertrag nach der lex causae vorgeschriebene
strengere Form (z.B. notarielle Beurkundung) erstreckt sich wegen der Autonomie der Ge-
richtsstandsklausel nicht auf diese (vgl. schon Rz. 7.35)5; den Parteien steht es aber frei, schär-
fere Formerfordernisse zu vereinbaren. Da der vereinbarte Gerichtsstand von den in der Ver-
ordnung festgelegten (allgemeinen und besonderen) Gerichtsständen und der ihnen zugrunde
liegenden Bewertung der Zuständigkeitsinteressen abweicht und keinerlei Bezug zu dem strei-

1 Schlosser-Bericht Rz. 178; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 22.
2 Gebauer, IPRax 2001, 471; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 175.
3 Unstreitig, vgl. statt vieler Schack, Rz. 536; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 30;
Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 15; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 15, 97; Magnus in Magnus/
Mankowski, Rz. 88; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 26, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO
m.w.N.
4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841)
(Rz. 11) = NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonak-
darian), Slg. 1976, 1851 (1860) (Rz. 7) = NJW 1977, 495 = RIW 1977, 104 (m. Anm. G. Müller,
RIW 1977, 163); EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg.
1999 I, 1636 (1653) (Rz. 37 f.); BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 = IPRax 2002,
124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577
(579); Kohler, IPRax 1983, 265 (269); Stöve, S. 8 f.; Killias, S. 149 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 30; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 97, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
5 Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 27; a.A. Schlosser in Schlosser/Hess,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 17.

Hausmann | 1001
§ 7 Rz. 7.63 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

tigen Rechtsverhältnis aufweisen muss, sind die Formerfordernisse in Art. 25 Abs. 1 S. 3


Brüssel Ia-VO grundsätzlich eng auszulegen1.

7.64 Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form soll insbesondere gewährleisten, dass die Einigung
zwischen den Parteien über den Gerichtsstand tatsächlich feststeht2. Die Form dient damit
nicht nur Beweiszwecken, sondern auch der Rechtssicherheit3; ihr kommt ferner – namentlich
im nicht-kaufmännischen Rechtsverkehr – auch eine Warnfunktion zu4. Sie ist aus diesen
Gründen materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gerichtsstandsvereinbarung5, so
dass diese trotz nachweislicher Einigung der Parteien allein an der Nichteinhaltung der Form
scheitern kann. Die Beweislast für die Einhaltung der Formerfordernisse trägt vor dem pro-
rogierten Gericht der Kläger6, vor dem derogierten Gericht der Beklagte7 .Mit welchen Mitteln

1 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey Home & Garden), ZIP 2018, 1754
(Rz. 24 f.); EuGH v. 28.6.2017 – C-436-/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis); RIW 2017, 507
(Rz. 39) = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/
17, NJW 2019, 76 (Rz. 23); schwz. BG v. 1. 7. 2013, unalex CH-502; OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5
U 150/11, NJW 2013, 83 (87); OLG Düsseldorf v. 23.3.2011 – I-15 U 18/10, IHR 2012, 237; OLG
Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, EuZW
2010, 118 = RIW 2010, 164 (165); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112
(117); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 38. Ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH
v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 7) =
NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian),
Slg. 1976, 1851 (1860) (Rz. 6) = NJW 1977, 495 = RIW 1997, 416 m. Anm. Holl; EuGH v.
20.2.1997 – C 106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), NJW 1997, 1431
(Rz. 14); zust. BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm.
Kröll, IPRax 2002, 113); öOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, ZfRV 2001, 193 (LS) = unalex AT-176;
ebenso zu Art. 17 LugÜ 1988 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005,
338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); krit. dazu Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 16, 18.
2 Vgl. die Nachw. in der vorigen Fn; ferner zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83,
ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2432) (Rz. 14) = RIW 1984, 909 m. Anm.
Schlosser = IPRax 1985, 152 (m. Anm. Basedow, IPRax 1985, 133); EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/
84, ECLI:EU:C:1985:337 (Berghoefer/ASA), Slg. 1985, 2699 (2703) (Rz. 1) = RIW 1985, 736;
EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1769 (Rz. 24) =
IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); zust. BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW
1994, 2699 = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 =
IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (486).
3 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981,
1671 (1688) (Rz. 24 f.).
4 Staehelin, S. 13.
5 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976: 177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841)
(Rz. 8) = NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonak-
darian), Slg. 1976, 1851 (1862) (Rz. 12) = NJW 1977, 495, jeweils obiter; BGH v. 26.4.2018 – VII
ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 23 (m. Anm. Roth, IPRax 2019, 397); ebenso Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 32; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 26; Geimer in Geimer/Schütze,
Rz. 102, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Schack, Rz. 536; zweifelnd aber Kröll, IPRax 2002, 113
(115 f.).
6 ÖOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, JBl. 2001, 327 = unalex AT-117; Schlosser in Schlosser/Hess,
Rz. 16; Mankowski in Rauscher, Rz. 2, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
7 OLG Düsseldorf v. 14.11.2018 – U (Kart) 7/18, WuW 2019, 103; Hausmann in unalexKomm,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61 m.w.N.

1002 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.66 § 7

der Nachweis der Einhaltung der Form geführt werden kannn, entscheidet die jeweilige lex
fori1. Maßgebender Zeitpunkt für die Einhaltung der Form ist die Klageerhebung2.

Die Formerfordernisse des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO gelten allerdings nur für Ge- 7.65
richtsstandsvereinbarungen, nicht hingegen für bloße Vereinbarungen über den Erfüllungs-
ort. Eine nach dem Vertragsstatut wirksame Vereinbarung des vertraglichen Erfüllungsorts
begründet den Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 lit. a oder lit. b Brüssel Ia-VO daher selbst
dann, wenn die in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO für Gerichtsstandsvereinbarungen vor-
geschriebene Form nicht eingehalten worden ist3. Dies folgt aus der unterschiedlichen syste-
matischen Stellung des besonderen Gerichtsstands in Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und des aus-
schließlichen Gerichtsstands in Art. 25 Brüssel Ia-VO in der Verordnung, sowie daraus, dass
Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO – im Gegensatz zu Art. 25 Brüssel Ia-VO – einen objektiven Zu-
sammenhang zwischen dem Gegenstand des Rechtsstreits und dem vereinbarten Gerichts-
stand erfordert. Die Gültigkeit einer Erfüllungsortsvereinbarung beurteilt sich daher allein
nach dem als Vertragsstatut gemäß Art. 3 ff. Rom I-VO zur Anwendung berufenen materiel-
len Recht4. Über die Formgültigkeit der Vereinbarung entscheiden die mitgliedstaatlichen
Gerichte nach Maßgabe von Art. 11 Rom I-VO5.

Die von Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO abweichende Beurteilung der Formerfordernisse 7.66
einer Erfüllungsortvereinbarung nach nationalem Recht ist freilich nur dann gerechtfertigt,
wenn die Parteien den vereinbarten Erfüllungsort ernsthaft als tatsächlichen Leistungsort fest-
legen wollen; beweispflichtig hierfür ist der Kläger6. Eine Erfüllungsortsvereinbarung in die-
sem Sinne liegt dann nicht vor, wenn die Parteien die Zuständigkeit des Gerichts am Erfül-

1 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 103.


2 ÖOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR 2009, 126 (127) = unalex AT-581; öOGH v. 5.6.2007 –
10 Ob 40/07s, IHR 2007, 243 (248) = unalex AT-375; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 92.
3 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 52; ferner zu Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO
OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (Rz. 32); OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W
48/09, NJW-RR 2010, 136 (138); Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 35; näher Klemm,
Erfüllungsortsvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005). Ebenso schon zu
Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89
(97) (Rz. 5) = WM 1980, 720 m. Anm. Schütze = IPRax 1981, 93 (m. Anm. Spellenberg, IPRax
1981, 75); zust. BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 (1821); BGH v. 17.10.1984 – I
ZR 130/82, NJW 1985, 560 (561); OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (m.
Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); OLG Hamm v. 27.2.1985 – 20 U 222/84, IPRax 1986, 104 (m.
krit. Anm. Schack, IPRax 1986, 82); öOGH v. 15.1.2002, ZfRV 2002, 191 (LS) = unalex AT-598;
ital. Cass. v. 22.1.2002, unalex IT-13. Krit. dazu Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 53;
Schack, Rz. 312.
4 Zur Maßgeblichkeit der lex causae für die Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a
Brüssel Ia-VO vgl. EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89 (97)
(Nr. 5) = WM 1980, 720 m. Anm. Schütze = IPRax 1981, 93 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1981,
75); BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (596) (m. zust. Anm. Leible/Sommer,
IPRax 2006, 568, 571); BGH v. 2.10.2002 – VIII ZR 163/01, NJW-RR 2003, 192; schwz. BG v.
21.2.1996, BGE 122 III 249 (251); OLG Karlsruhe v. 11.02.1993 – 4 U 61/92, RIW 1994, 1046;
Klemm, S. 74; Piltz, IHR 2006, 53 (55); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (493); Schlosser in Schlosser/
Hess, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 11.
5 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325 (328).
6 Schwz. BG v.21.2.1996, BGE 122 III 249 (251); Spellenberg IPRax 1981, 75 (79); Rauscher, ZZP
104 (1991), 306 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 36.

Hausmann | 1003
§ 7 Rz. 7.66 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

lungsort festgelegt haben; für eine solche Vereinbarung besteht vielmehr der Formzwang nach
Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO1. Auch „abstrakte“ Erfüllungsortsvereinbarungen, die kei-
nen Bezug zur Vertragswirklichkeit haben und den gesetzlichen Leistungsort für Vertrags-
pflichten nicht ändern, sondern lediglich zuständigkeitsrechtlich wirken sollen, sind an Art. 25
Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu messen; denn andernfalls könnten die strengen Formvorschriften für
Gerichtsstandsvereinbarungen allein dadurch umgangen werden, dass die Vereinbarung als
„Erfüllungsortvereinbarung“ bezeichnet wird2.
Dies gilt etwa für die Vereinbarung eines Erfüllungsorts für alle Vertragspflichten am Sitz des
Verkäufers, obwohl Lieferung an den Sitz des Käufers (Bringschuld) vereinbart ist3.

7.67 Art. 23 Brüssel Ia-VO bezieht sich schließlich nur auf die Vereinbarung der Zuständigkeit
staatlicher Gerichte; auf die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts ist die Vor-
schrift auch nicht entsprechend anwendbar4. Für internationale Schiedsvereinbarungen ist so-
wohl nach Art. II des UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung auslän-
discher Schiedssprüche vom 10.6.19585 wie nach Art. I Abs. 2a des Europäischen Überein-
kommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.19616 grundsätzlich
die Einhaltung der vollen Schriftform erforderlich; die „halbe“ Schriftlichkeit i.S.v. Art. 25
Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO genügt insoweit nicht (vgl. dazu näher Rz. 7.326). Eine
Schiedsvereinbarung enthält auch nicht die stillschweigende Abrede eines Gerichtsstands am
vereinbarten Schiedsort für einstweilige Maßnahmen7.

2. Schriftliche Vereinbarung
a) Grundsatz
7.68 Eine schriftliche Vereinbarung i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO liegt vor,
wenn jede Vertragspartei ihre Willenserklärung schriftlich so niedergelegt hat, dass sie ihren
Urheber erkennen lässt. Dagegen ist eine Unterzeichnung oder gar eine eigenhändige Unter-

1 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1980), 84 m. Anm.
H. Schmidt.
2 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (943 ff.) (Rz. 31 ff.); EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 (GIE Groupe Con-
corde), Slg. 1999 I, 6307 = NJW 2000, 719 = IPRax 2000, 399 (m. Anm. Hau, IPRax 2000, S. 354);
BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, NJW-RR 1998, 755 = RIW 1997, 871 = WiB 1997, 1104 m. Anm.
Gaus; frz. Cass. com. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex
FR-150; OLG Braunschweig v. 22.5.2019 – 11 U 18/19, IWRZ 2019, 275; LG Trier v. 8.1.2004 – 7
HK O 134/03, IHR 2004, 115 m. Anm. Herber; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (493 f.); Kubis, IPRax
1999, 10 (13); Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 29; Schack, Rz. 312; Spellenberg, ZZP
91 (1978) 61 f.; a.A. noch OLG Karlsruhe v. v. 11.02.1993 – 4 U 61/92, RIW 1994, 1046 = DZWiR
1994, 70 m. Anm. Chillagano-Busl; Schütze WM 1980, 723.
3 Leible/Sommer, IPRax 2006, 568 (571) gegen BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594
(596).
4 BGH v. 2.5.1979 – 8 U 550/99 179, RIW 1979, 910; ital. Cass. S.U. v. 28.10.1993, Nr. 10704, Riv.
dir.int.priv.proc. 1994, 631 (634).
5 BGBl. II 1961, 122.
6 BGBl. II 1964, 426.
7 ÖOGH v. 4.9.2001, IPRax 2003, 64 m. Anm. Reiner = unalex AT-195; Geimer in Zöller, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 56.

1004 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.68 § 7

schrift beider Parteien nicht zwingend erforderlich1. Daher können – wie nunmehr Art. 25
Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich klarstellt – auch Telegramme, Fernschreiben, Telekopien
(Telefax) oder elektronische Übermittlungen (E-Mails) das Formerfordernis erfüllen, sofern
nur die Identität des Erklärenden feststeht (vgl. auch Rz. 7.81 f.)2. Liegt die Gerichtsstandsver-
einbarung in Textform vor, so werden die Ziele der Formvorschrift in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a
Brüssel Ia-VO schon dann erreicht, wenn die Identität der am Vertrag Beteiligten sowie die
Authentizität und Echtheit ihrer in der Vertragsurkunde fixierten Erklärungen feststehen; der
Nachweis hierfür kann insbesondere durch den beiderseitigen Vollzug des Vertrags erbracht
werden3.
Die Schriftform wird in jedem Fall durch eine von beiden Parteien unterzeichnete Vertrags-
urkunde gewahrt, welche die Gerichtsstandsklauseln selbst enthält4 oder auf einen früheren
Vertrag zwischen den Parteien mit einer Gerichtsstandsklausel Bezug nimmt5. Ausreichend ist
aber – abweichend von § 126 Abs. 2 BGB – auch eine Vereinbarung in getrennten Schrift-
stücken, sofern aus ihnen nur die Einigung über einen Gerichtsstand für eine bestimmte
Rechtsstreitigkeit ausreichend deutlich hervorgeht. Dem Formerfordernis entspricht daher
auch ein Briefwechsel oder ein Austausch von Fernschreiben/Telekopien, sofern in dem Ant-
wortschreiben auf das die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltende Angebot erkennbar Bezug
genommen wird6. In gleicher Weise genügt ein Vertragsschluss per E-Mail oder Internet, so-
fern nur für eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung Sorge getragen wird (dazu
Rz. 7.81 f.). Die mündliche Annahme eines per E-mail übermittelten Angebots, das die Ge-

1 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 26 ff.) = RIW 2017, 229; OLG Saarbrücken
v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 57) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); öOGH
v. 28.10.2000 – 1 Ob 358/99z, JBl. 2001, 117 (119) = unalex AT-233; schwz BG v. 13.5.2005, BGE
131 III 398 (401); Tribunal Supremo v. 27.5.2008, unalex ES-331; Mankowski in Rauscher, Rz. 88;
Geimer in Zöller, Rz. 13; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 19, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A.
zu Unrecht OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IHR 2013, 155 (156); OLG Karlsruhe v.
15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282 (2284); Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 29; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 9; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 24, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; einschränkend auch ital. Cass. S.U. v. 20.4.2004, Nr. 7503, Riv.dir.int.priv.proc. 2005, 111
(113) und v. 6.7.2005, Nr. 14208, Riv.dir.int.priv.proc. 2006, 447 (449).
2 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm.
Kröll, IPRax 2002, 113); OLG Saarbrücken v.22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 66) (m.
Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004;
Stadler in Musielak/Voit, Rz. 6; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 105, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; Killias, S. 157 f.; Staehelin, S. 50.
3 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257, 15, BeckRS 2017, 102068 (Rz. 29 ff.) = RIW 2017, 229.
4 BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 (86 f.) = NJW 2006, 1672; frz. Cass. v.
12.12.2006, unalex FR-418.
5 Frz. Cass. v. 31.1.2010, unalex FR-1114; Supreme Court England v. 26.2.2007 (7 E Communicati-
ons/Vertex Antennentechnik), unalex UK-359.
6 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (Rz. 9); BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00,
NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR
185/92, NJW 1994, 2699 (2700) = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016
– 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 67) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Stuttgart v.
27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762; OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621
(622); OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420); ebenso öOGH v. 25.2.1999
– 2 Ob 41/99i, ZfRV 1999, 150 (LS) = unalex AT-403; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Geimer in Gei-
mer/Schütze, Rz. 104; Mankowski in Rauscher, Rz. 90, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.

Hausmann | 1005
§ 7 Rz. 7.68 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

richtsstandsklausel enthält, entspricht jedoch der Schriftform des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a
Brüssel Ia-VO nicht1; ebensowenig die Annahme durch ein nicht unterschriebenes Telefax2.

7.69 Auch eine ausdrückliche Vereinbarung über den Gerichtsstand wird von Art. 25 Abs. 1 S. 3
lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO nicht verlangt. Die pauschale Annahme eines Angebots, das eine
Gerichtsstandsklausel enthält, reicht vielmehr grundsätzlich aus3. Dem Schriftformerfordernis
wird zwar grundsätzlich nicht schon dadurch genügt, dass nur diejenige Partei, zu deren Las-
ten die Gerichtsstandsvereinbarung geht, eine schriftliche Erklärung abgibt4. An die Erklärung
der durch die Prorogation begünstigten Partei, auf deren Betreiben die Gerichtsstandsverein-
barung in den schriftlichen Vertragstext aufgenommen wurde, dürfen jedoch keine übertrie-
benen Formanforderungen gestellt werden, wenn die durch die Vereinbarung benachteiligte
Partei ihr in voller Kenntnis ihres Inhalts ausdrücklich und schriftlich zugestimmt hat. Denn
der vom EuGH betonte Zweck der Formvorschrift, „die schwächere Partei davor zu schützen,
dass Gerichtsstandsklauseln, die einseitig eingefügt worden sind, unbemerkt bleiben“5, erfor-
dert in diesem Fall keine kleinliche Auslegung der Formerfordernisse6. Fehlt also in einer ein-
heitlichen Urkunde, welche die Gerichtsstandsvereinbarung enthält, zwar die Unterschrift der-
jenigen Partei, die die Urkunde ausgestellt hat, deren Identität aber feststeht, so ist die Ge-
richtsstandsvereinbarung auch dann wirksam, wenn sie nur vom anderen Teil zustimmend
unterschrieben worden ist7. Demgegenüber verlangte die deutsche Rechtsprechung die Einhal-
tung der Schriftform bisher grundsätzlich auch für die Erklärung des durch die Gerichts-
standsvereinbarung begünstigten Ausstellers der Urkunde8 .Zuletzt hat aber auch der BGH
entschieden, dass allein die wechselseitige Vertragsdurchführung geeignet sein kann, die er-
zielte Willensübereinstimmung des Vertragspartners der eine Partei begünstigenden Gerichts-

1 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 25 ff.) = IPRax 2019, 426 (m. Anm. H.
Roth, IPRax 2019, 397).
2 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762.
3 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 Rz. 10; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW
1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Kohler, IPRax 1991, 299 (300);
Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 33.
4 Ital. Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206; OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762
Rz. 108; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282 (2284);
OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, IHR 2010, 81 (83); LG Landshut v. 12.6.2008 – 43 O 1748/
07, IHR 2008, 184 (185); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95.
5 Vgl. EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721
(14740) (Rz. 50) m.w.N.; zust. schwz. BG v. 31.7.2013, unalex CH-520.
6 Zutr. öOGH v. 28.4.2000 – 1 Ob 358/99z, unalex AT-233; Kröll, IPRax 2001, 113 ff.; Furche, WM
2004, 205 ff.; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 19.
7 So ausdrücklich öOGH v. 23.1.2013 – 3 Ob 200/12a, unalex AT-831; a.A. freilich BGH v. 16.1.2014
– IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (zur Vereinbarung des Gerichtsstands am Sitz des Anwalts in
einem Vollmachtsformular, das nur vom Mandanten, nicht aber vom bevollmächtigten Anwalt
unterschrieben worden war).
8 Vgl. BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 (1732) = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll,
IPRax 2002, 113); BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = EuLF 2004, 230 (Schrift-
liche Zustimmung der durch die Gerichtsstandsvereinbarung belasteten Partei reicht nicht aus,
wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in einem dieser Partei übermittelten Vertragsentwurf ent-
halten war, der von der begünstigten Partei nicht unterschrieben war, jeweils zu Art. 17 Abs. 1
LugÜ 1988); BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (Rz. 10); OLG Stuttgart v.
27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski; OLG Karlsruhe v. 15. 1. 2009 – 4 U
72/07, NJOZ 2009, 2282 (2284); OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575 (576);
ebenso ital. Cass. v. 27.9.2006, ZEuP 2008, 165 (LS m. krit. Anm. Rüfner).

1006 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.72 § 7

standsklausel in einer Weise zu belegen, die dem Zweck des Schriftformerfordernisses und
dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerecht
wird1.

Dient ein zeitlich befristeter schriftlicher Vertrag, der auch für seine Verlängerung die 7.70
Schriftform vorschreibt und eine Gerichtsstandsklausel enthält, auch nach Fristablauf weiter
als rechtliche Grundlage für die Beziehungen der Parteien, so genügt die Gerichtsstandsver-
einbarung der Schriftform nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO auch dann, wenn
die Parteien den Vertrag nach Maßgabe des auf ihn anzuwendenden nationalen Rechts – auch
nur mündlich – wirksam verlängert haben2. Gleiches gilt für eine Gerichtsstandsvereinbarung,
die sich auf Rechtsstreitigkeiten bezieht, die aus einer im Anschluss an die Kündigung eines
Vertrages mündlich vereinbarten Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu unveränderten Be-
dingungen entspringen.3

b) Allgemeine Geschäftsbedingungen
aa) Ausdrücklicher Hinweis
Ist die Gerichtsstandsklausel – wie im internationalen Handelsverkehr sehr häufig – nicht im 7.71
Vertrag selbst, sondern in nur rückseitig abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB
enthalten, so wird die Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO nur gewahrt,
wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext ausdrücklich auf die AGB mit der
Gerichtsstandsklausel Bezug nimmt4. Ein solcher ausdrücklicher Hinweis kann allenfalls auf
Grund der zwischen den Parteien im Rahmen langjähriger Geschäftsbeziehungen entstande-
nen Gepflogenheiten (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO) (dazu Rz. 7.91 ff.)5 oder im
kaufmännischen Rechtsverkehr entbehrlich sein, wenn die AGB (einschließlich der Gerichts-
standsklausel) branchenüblich sind und deshalb auch dem Vertragspartner des Verwenders
bekannt sein mussten (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO) (dazu Rz. 7.95 ff.)6.

Danach genügt es jedenfalls zur Einhaltung der Schriftform, wenn die Gerichtsstandsverein- 7.72
barung in AGB enthalten ist, die auf der Vorderseite des verwandten Vertragsformulars abge-
druckt und vom Vertragspartner gegengezeichnet sind7 oder wenn die AGB vom Vertrags-

1 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 27 f., 32) = RIW 2017, 229; a.A. noch OLG
Düsseldorf v. 14.11.2018 – U (Kart) 7/18, WuW 2019, 108.
2 EuGH v. 11.11.1986 – C 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco), Slg. 1986, 3353 (3355 f.) (Rz. 7 f.) =
NJW 1987, 2155; krit. zu diesem weitreichenden Rückgriff auf die lex causae Jayme, IPRax 1989,
361; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 108.
3 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 24): Darlehensvertrag.
4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841)
(Rz. 10) = NJW 1977, 494; BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, EuZW 1992, 514 m. Anm. Geimer;
OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 652; OLG Stuttgart v. v. 27.4.2015 – 5 U 120/
14, RIW 2015, 762; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, RIW 1999, 968 (969); ebenso öOGH
v. 14.7.1999 – 7 Ob 176/98b, JBl. 2000, 121 = unalex AT-400; öOGH v. 22.1.2009 – 2 Ob 159/08h,
unalex AT-751; schwz. BG v. 1.7.2013, unalex CH-502; ital. Cass. v. 20.3.2008, unalex IT-361;
Heiss, ZfRV 2000, 202 (207); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (285); Sieg, RIW 1998, 102; Saenger,
FS Sandrock (1999), S. 811 ff. und ZZP 110 (1997), 477 (486 f.); Kropholler/von Hein, Rz. 35 ff.;
Hausmann in unalexKomm, Rz. 67, jeweils zu Art. 23 Brüssel I-VO m.w.N.
5 Frz. Cass. v. 9.1.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 731 m. zust. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-115.
6 Vgl. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 35.
7 Frz. Cass. v. 9.2.1999, unalex FR-114; OLG München v. 29.1.1980 – 25 U 3274/79, RIW 1982, 281
(282).

Hausmann | 1007
§ 7 Rz. 7.72 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

partner des Verwenders mit dem Vermerk „gelesen und genehmigt“ unterzeichnet werden1.
Auch durch die Verwendung eines Aufklebers, der die Gerichtsstandsklausel enthält, auf der
beiderseits unterzeichneten Vertragsurkunde wird die Schriftform gewahrt2. Als von der Un-
terzeichnung des Vertrages miterfasst gilt auch eine zwar unter der Unterschrift stehende,
aber deutlich erkennbare Klausel auf der Vorderseite der Vertragsurkunde3. Ausreichend ist es
ferner, wenn in dem unterzeichneten Vertragstext ausdrücklich auf die auf der Rückseite der
Urkunde abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB verwiesen ist4. Eines ausdrück-
lichen Hinweises auf die Gerichtsstandsvereinbarung selbst oder ihrer besonderen Hervor-
hebung im Klauseltext bedarf es hingegen nicht5.

7.73 Kommt der Vertrag durch Angebot und Annahme in verschiedenen Urkunden zustande, so
ist das Erfordernis der Schriftlichkeit auch dann gewahrt, wenn eine der Parteien im Text ihres
– schriftlich angenommenen6 – Angebots ausdrücklich auf ihre AGB hingewiesen hatte, die
die Gerichtsstandsklausel enthalten7. Ausreichend ist es auch, wenn in einer invitatio ad offe-
rendum auf mitübersandte AGB Bezug genommen wird und das hierauf verweisende Angebot
schriftlich angenommen wird8. Wird hingegen erstmals in der Annahmeerklärung oder in ei-
ner Auftragsbestätigung auf die AGB Bezug genommen, so muss der Anbietende bzw. Emp-

1 Vgl. OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1990), 84 m.
krit. Anm. H. Schmidt.
2 OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330 = RIW 1990, 577.
3 Ital. Cass. v. 19.12.1994, unalex IT-79; LG Hamburg v. 18.8.1976 – 26 O 122/76, RIW 1977, 424
m. Anm. Magnus; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 38.
4 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 39 f.); ital.
Cass. v. 28.3.1987, Riv.dir.int.priv.proc. 1988, 711 (713) = unalex IT-245; öOGH v. 24.11.1999,,
unalex AT-209; BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564; OLG Saarbrücken v.
9.12.2003 – 4 U 645/02-83, OLGR 2004, 285; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW
1999, 968 (969); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8; Hausmann in unalex-
Komm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69 m.w.N.
5 OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 59) (m. Anm. G. Schulze, IPRax
2018, 26); zust. Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23a; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 16;
Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N. Ebenso schon zu
Art. 17 EuGVÜ BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564 = RIW 2001, 699; OLG
Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/
99, RIW 2001, 63 (64); OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (325) (m. Anm.
Kohler, IPRax 1991, 299); OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146) = IPRax
1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 29). Ferner frz. Cass. v. 23.1.2008, D. 2008, 490 = unalex
FR-404 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2010, 464); Supreme Court England v. 26.2.2007 (7 E Com-
munications v. Vertex Antennentechnik) (Rz. 80 ff.), unalex UK-359.
6 Eine pauschale schriftliche Annahme reicht aus; die Annahmeerklärung muss also nicht auf die
AGB oder gar die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel Bezug nehmen, vgl. BGH v. 25.3.2015 –
VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 35) = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski.
7 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1842)
(Rz. 12) = NJW 1977, 494; zust. öOGH v. 1.3.2011, unalex AT-714; OGH v. 10.1.2006 – 5 Ob 233/
05h, unalex AT-263; OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IHR 2013 155 (156); OLG Celle v.
2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 (572) = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Tebbens, IPRax
1985, 262); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, s. a. ital. Cass. S.U. v. 5.9.1989, Riv.
dir.int.priv.proc. 1991, 118 = unalex IT-43; Geimer in Zöller, Rz. 25 f. Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 33, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
8 HandelsG Zürich v. 17.6.1993, SZIER 1995, 34 m. Anm. Volken; Mankowski in Rauscher, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 93.

1008 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.75 § 7

fänger der in den AGB der Gegenseite enthaltenen Gerichtsstandsklausel noch schriftlich zu-
stimmen1. Die widerspruchslose Ausführung des Vertrages2 reicht für die Einhaltung der
Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO dann ebenso wenig aus
wie eine nur mittelbare oder stillschweigende Verweisung auf einen früheren Schriftverkehr3.
Ist die Gerichtsstandsvereinbarung im Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen ent-
halten, so wird dem Schriftformerfordernis nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO nur
genügt, wenn in dem von den Parteien auf dem Primärmarkt unterzeichneten Vertrag die
Übernahme dieser Klausel erwähnt oder ausdrücklich auf den Prospekt Bezug genommen
wird4.

Ein Konsens über den Gerichtsstand scheitert auch dann regelmäßig, wenn beide Parteien auf 7.74
die jeweils eigenen AGB Bezug nehmen, die kollidierende Gerichtsstandsklauseln i.S.v.
Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO enthalten5. Anders liegt es aber dann, wenn nur die AGB einer
Vertragspartei wirksam in den Vertrag einbezogen wurden6 oder wenn nur die AGB einer Par-
tei eine Vorrangklausel enthalten, der von der anderen Partei nicht widersprochen wurde7.
Die Frage, wessen AGB wirksam einbezogen wurden, kann auch dann offenbleiben, wenn die
in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklauseln jeweils zur Zuständigkeit desselben Gerichts
führen8.

Entscheidend ist, dass der andere Vertragsteil bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt von der 7.75
Gerichtsstandsklausel Kenntnis nehmen konnte und damit gewährleistet ist, dass er sich
durch die Annahme der AGB mit dem Gerichtsstand tatsächlich einverstanden erklärt hat.
Die bloße Übergabe oder Beifügung der AGB9 reicht daher für die formwirksame Einbezie-
hung der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel ebenso wenig aus wie der bloße Ab-
druck auf der Rückseite des Geschäftspapiers, auf dem der Vertrag niedergelegt wurde10.
Umso weniger genügt der mangelnde Widerspruch des Empfängers gegen eine nur auf der

1 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U
548/10, NJOZ 2012, 923; OLG Karlsruhe v. 28.3.2006 – 8 U 218/05, IPRspr. 2006 Nr. 111; OLG
Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44).
2 Vgl. frz. Cass. v. 6. 2. 2010, unalex FR-194; ital. Cass. v. 20. 4. 2004, unalex IT-215; ital. Cass. S.U.
v. 22.1.2002, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 697 (699) = unalex IT-13; OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8
U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 31b; Stürner, ZEuP 2012, 353.
3 Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23b, 26; Saenger, ZEuP 2000, 160 (169).
4 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 29)
m. Anm. Müller; zur Drittwirkung einer solchen Gerichtsstandsklausel Rz. 7.141.
5 Frz. Cass. v. 22.2.2017, unalex FR-2517; frz. Cass. v. 16.6.2000, unalex FR-40; ital. Cass. v. 6.7.1991,
unalex IT-61; LG Gießen v. 17.12.2002 – 6 O 23/02, IHR 2003, 276; Mankowski in Rauscher,
Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 95; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 63. Vgl. auch OLG
Hamburg v. 11.10.2001 – 6 U 163/00, TranspR 2002, 111 (zu Art. 31 CMR); Hausmann in Stau-
dinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 36 (zu kollidierenden Rechtswahlklauseln).
6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); HandelsG Zürich v.
30.11.1996, SZIER 1997, 369 m. Anm. Volken.
7 LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, WM 1992, 1208.
8 OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94.
9 Vgl. OLG Hamm v. 20.1.1977 – 2 U 120/76, IPRspr. 1977 Nr. 118.
10 Der rückseitige Abdruck der Gerichtsstandsklausel genügt auch dann nicht, wenn sich auf der
Vorderseite zwar ein Hinweis auf die AGB findet, dieser Hinweis aber nicht unterschrieben ist,
vgl. ital. Cass. S.U. v. 19.12.1994, Nr. 10910, Riv.dir.int.priv.proc. 1997, 414 (416 f.) = unalex IT-79
(Einbeziehungshinweis in der Fußzeile der Bestellung unterhalb der Unterschrift).

Hausmann | 1009
§ 7 Rz. 7.75 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rückseite von Auftragsbestätigungen oder Rechnungen abgedruckte Gerichtsstandsklausel1.


Ein sog. Fakturengerichtsstand erfüllt also – vorbehaltlich abweichender Gepflogenheiten –
die Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO nicht.

bb) Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB


7.76 Neben dem ausdrücklichen Hinweis im Vertragstext ist erforderlich, dass die AGB dem Ver-
tragspartner spätestens bei Vertragsschluss auch tatsächlich vorgelegen haben2, also z.B. auf
der Rückseite der Vertragsurkunde oder auf dem beigefügten Formular abgedruckt waren,
denn andernfalls bringt das erklärte Einverständnis mit der Geltung der AGB nicht hinrei-
chend deutlich zum Ausdruck, dass es sich auch auf eine in den AGB enthaltene Gerichts-
standsklausel erstreckt3. Allerdings genügt es auch, wenn sie bereits einem früheren Angebot
beigefügt waren oder wenn auf die bei früheren Geschäften zwischen den Parteien verwand-
ten Bedingungen verwiesen wird; in diesem Fall ist es unschädlich, wenn die AGB beim Ver-
tragsschluss selbst nicht mehr vorliegen4. Hingegen reicht die bloße Möglichkeit des Vertrags-
partners, sich den Text der ihm unbekannten AGB zu verschaffen und sich dadurch über ih-
ren Inhalt zu informieren, auch im kaufmännischen Verkehr zur Einhaltung der Schriftform
des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht aus5. Die im deutschen
Recht geltenden Grundsätze über die erleichterte Einbeziehung von AGB im Rechtsverkehr
zwischen Kaufleuten6 gelten mithin im europäischen Prozessrecht nicht, weil dieses kein Son-
derrecht für Kaufleute kennt7. Eine formularmäßige Bestätigung des Vertragspartners, die
AGB gelesen zu haben, ist für die Beurteilung seiner Kennnis der in den AGB enthaltenen

1 EuGH v. 4.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851


(1860 f.) (Rz. 8–10) = NJW 1977, 495; ital. Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206; OLG Hamburg v.
19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1985, 261);
OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, NJOZ 2004, 3118 = IHR 2004, 108 (m. Aufs. Herber,
IHR 2004, 117); LG Köln v. 5.5.1988 – 83 O 42/87, RIW 1988, 644 = IPRax 1989, 290 (m. Anm.
Schwenzer, IPRax 1989, 274); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 22; Gottwald in Münch-
Komm ZPO, Rz. 31; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 39 f.); öOGH
v. 24.9.2019 – 6 Ob 120/19v, unalex AT-1238.
3 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (87); OLG Celle v. 24. 7. 2009 – 13 W 48/
09, NJW-RR 2010, 136 (137); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117);
OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6
U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); s. a. frz. Cass. v. 23.2.1994, unalex FR-266; Hausmann in unalex-
Komm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74 m.w.N.
4 OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 60) (m. Anm. G. Schulze, IPRax
2018, 26); OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 25; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20; Mankowski in Rauscher, Rz. 96, jeweils zu
Art. 25 Brüssel Ia-VO. S. a. frz. Cass. v. 18.1.2017, unalex FR-2504; frz. Cass. v. 31.3.2010, unalex
FR-1114; öOGH v. 25.2.1999 – 2 Ob 41/99i, ZfRV 1999, 150 (LS) = unalex AT-403.
5 OLG München v. 7.6.2011 – 9 U 5019/10, NJW-RR 2011, 1169; schwz. BG v. 1.7.2013, unalex CH-
502 (für die angebotene Möglichkeit, die AGB per Telefax abzurufen); Gottwald in MünchKomm
ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31.
6 Vgl. dazu Mäsch in Staudinger, § 305 BGB Rz. 138.
7 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997,
405); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117); OLG Düsseldorf v.
16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64); OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999,
454; a.A. (Möglichkeit der Beschaffung der nicht beigefügten AGB reicht aus) Schlosser in Schlos-
ser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 20.

1010 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.78 § 7

Gerichtsstandsklausel unerheblich1. Die Übersendung der AGB kann jedoch entbehrlich sein,
wenn es sich um allgemein bekannte Standardbedingungen einer Branche handelt2 oder wenn
der AGB-Verwender seinen Vertragspartner deutlich auf die auf seiner Homepage im Inter-
net unschwer zugänglichen AGB hinweist3; dies muss zumindest für den Fall gelten, dass die
Parteien den Vertrag durch Austausch von E-Mails abgeschlossen haben, weil dann idR nur
ein weiterer Klick erforderlich ist4.

Werden die AGB dem anderen Teil erst nach Vertragsschluss übermittelt, so kann nicht da- 7.77
von ausgegangen werden, dass dieser sich auch mit der in den AGB enthaltenen Gerichts-
standsklausel einverstanden erklären wollte. Deshalb ist die bloße Erwähnung der AGB in ei-
ner Rechnung nach einem nur mündlichen Vertragsschluss nicht ausreichend5. Nicht einge-
halten ist die Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO auch dann, wenn die auf
der Rückseite abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB die Gerichtsstandsklausel
nicht unmittelbar enthalten, sondern insoweit auf ein weiteres – nicht beigefügtes – Klausel-
werk Bezug nehmen6. Enthalten die AGB hingegen selbst eine Gerichtsstandsklausel, verwei-
sen sie aber außerdem auf ein weiteres Klauselwerk, das ebenfalls eine – inhaltlich abweichen-
de – Gerichtsstandsklausel enthält, so hat die in den AGB des Vertragspartners enthaltene
spezielle Gerichtsstandsklausel Vorrang7. Hat der Besteller in seinem Angebot auf seine Ein-
kaufsbedingungen Bezug genommen, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, so reicht die
widerspruchslose Durchführung des Vertrages durch den Angebotsempfänger für die Ein-
haltung der Schriftform nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO nicht aus8.

Auch die Frage der Lesbarkeit von AGB betrifft die Einhaltung der Schriftform und ist deshalb 7.78
möglichst im Wege autonomer Auslegung aus Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO selbst zu
entnehmen. Danach steht zwar der übliche Kleindruck von AGB der wirksamen Einbezie-
hung einer Gerichtsstandsklausel grundsätzlich nicht entgegen9. Ist die Gerichtsstandsklausel

1 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997,
405).
2 Ital. Cass. v. 18.11.1982, unalex IT-182; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 92; Kro-
pholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 35; a.A. öOGH v. 24.1.2008 – 2 Ob 192/07k, unalex
AT-384 (zu den VOB/B).
3 OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, EuLF 2009 II, 68 (70); Saenger, ZEuP 2000, 666 (668);
Mankowski in Rauscher, Rz. 92; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Rz. 162 f., jeweils zu Art. 25
Brüssel Ia-VO.; a.A. öOGH v. 24.1.2008 – 2 Ob 192/07k, unalex AT-384; OLG v. Celle v. 24.7.2009
– 13 W 48/09, RIW 2010, 164 (165) (m. Anm. Jungemeyer, RIW 2010, 106) = EuZW 2010, 118;
OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO,
Rz. 31; Geimer in Zöller, Rz. 22, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 35.
4 So auch schwz. BG v. 1.7.2013, IHR 2014, 254 = unalex CH-502.
5 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey Home & Garden), ZIP 2018, 1754
(Rz. 32); dazu Dostal, EuZW 2018, 944 ff. und 983 ff.; Mankowski, EWiR 2018, 381.
6 OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Aud. Prov. Tarragona v. 12.4.2010,
unalex ES-456; Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (288); Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31;
Mankowski in Rauscher, Rz. 94, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. OLG München v.
17.10.1986 – 23 U 2762/86, RIW 1987, 998 = IPRax 1987, 307 (m. Anm. E. Rehbinder, IPRax
1987, 289).
7 OLG Bremen v. 19.5.1994 – 11 O 728/1992, TranspR 1995, 32.
8 Frz. Cass. v. 6.2.2010, unalex FR-194; ital. Cass. v. 20.4.2004, unalex IT-115; OLG Karlsruhe v.
28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Trib. Lecco v. 5.6.1997, Riv.dir.int.priv.proc. 1998,
881 = unalex IT-442; Stürner, ZEuP 2012, 353.
9 Anders aber OLG Stuttgart v. 18.7.1988 – 5 U 85/87, IPRspr. 1988 Nr. 148 (zu § 38 ZPO).

Hausmann | 1011
§ 7 Rz. 7.78 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

allerdings völlig unleserlich oder ist sie an einer Stelle des Vertragstextes abgedruckt, wo mit
ihr – wie z.B. in der Fußzeile unterhalb der Unterschriften1 – nicht zu rechnen ist, so ist die
Schriftform nach lit. a nicht erfüllt2. Dies gilt auch dann, wenn das entsprechende Formular
im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung wiederholt verwendet worden ist, sofern es
in der Vergangenheit nie zu einem Rechtsstreit zwischen den Parteien gekommen ist3.

7.79 Die Möglichkeit einer Kenntnisnahme von der in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel ist
schließlich auch dann nicht immer gewährleistet, wenn der Hinweis auf die AGB im Vertrag
in einer von der Verhandlungs- bzw. Vertragssprache abweichenden, dem Empfänger nicht
geläufigen Sprache abgefasst ist4. Über das Problem der wirksamen Einbeziehung fremdspra-
chiger AGB ist – als Frage des Zustandekommens der Gerichtsstandsvereinbarung – im Wege
einheitlicher europäischer Auslegung zu entscheiden 5. Danach sollte verlangt werden, dass
nicht nur der Hinweis, sondern auch der Text der AGB einschließlich der Gerichtsstandsklau-
sel für den Empfänger verständlich ist6. Ist dem Verwender bekannt, dass der andere Teil die
fremdsprachigen AGB nicht versteht, so reicht daher selbst ein in der Verhandlungssprache
gegebener allgemeiner Hinweis auf diese AGB zur Einbeziehung einer darin enthaltenen Ge-
richtsstandsklausel nicht aus7; erforderlich ist vielmehr ein für den Empfänger verständlicher
Hinweis, dass die AGB eine Gerichtsstandsklausel enthalten8. Die überwiegende deutsche
Praxis lässt hingegen einen Hinweis in der Verhandlungs- oder Vertragssprache auch auf
AGB in einer anderen Sprache für die Einbeziehung der darin enthaltenen Gerichtsstands-
klausel ausreichen; der Empfänger sei in diesem Fall gehalten, eine Übersetzung der AGB an-
zufordern oder sich selbst zu beschaffen9. Der Vertragspartner des Verwenders muss die Ge-
richtsstandsklausel jedenfalls dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie gegengezeichnet hat,

1 ÖOGH v. 24.4.2013 – 9 Ob 25/13m, unalex AT-892.


2 OLG Hamm v. 21.3.2011 – 32 Sbd 17/11, IPRspr. 2011 Nr. 190; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/
96, TranspR 1999, 454; s. a. öOGH v. 26.5.2011 – 9 Ob 19/11a, unalex AT-733; öOGH v. 30.3.2001
– 7 Ob 320/00k, ZfRV 2001, 231 (LS) = unalex AT-113; frz. Cass. com. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i.
p. 1996, 732 m. zust. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150; App. Grenoble v. 23.10.1996, Rev.
crit.d.i.p. 1997, 756 m. Anm. Sinay-Cytermann 762 (765 f.) = unalex FR-44; Schack, Rz. 536; Man-
kowski in Rauscher, Rz. 92; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20a, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 OLG Hamburg v. 25.5.2018 – 8 U 51/17, IWRZ 2019, 88 = IPRax 2019, 527 (m. Anm. Mayer,
IPRax 2019, 496).
4 Allg. M., vgl. OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (1371); OLG Frankfurt v.
11.12.2002 – 23 U 185/01, NJW-RR 2003, 704 (705); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO
Rz. 120 f.
5 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 86. Der EuGH hat die Frage bisher
offen gelassen, vgl. EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:268 (Custom Made Commer-
cial), Slg. 1994, 2913 = NJW 1095, 183.
6 Dazu näher Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73; a.A. BGH v. 31.10.1989 –
VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326; OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94; = IHR
2006, 147.
7 OLG Karlsruhe v. 28.3.2006 – 8 U 218/05, IPRspr. 2006 Nr. 111; App. Grenoble v. 23.10.1996, Rev.
crit.d.i.p. 1996, 756 m. Anm. Sinay-Cytermann = Clunet 1998, 125 m. Anm. Huet = unalex FR-
442; Kohler, IPRax 1991, 299 (301); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (487); Spellenberg, IPRax 2007,
98 (104 f.); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 40; vgl. auch Spellenberg in Münch-
Komm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 216 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 120 ff.
8 ÖOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, unalex AT-581.
9 Vgl. BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/
87, IPRax 1991, 324 (325); OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94; zust. öOGH v.
1.3.2011 – 10 Ob 9/11p, unalex AT-714; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141.

1012 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.80 § 7

obwohl er sie aus sprachlichen Gründen nicht verstanden hat1. Keinesfalls kommt die Ge-
richtsstandsvereinbarung hingegen wirksam zustande, wenn bereits die Verweisung auf die
fremdsprachigen AGB weder in der Verhandlungs-, noch in der Vertragssprache erfolgt2.
Auch ein Hinweis in englischer Sprache reicht dann nicht in jedem Fall aus3.

Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO bezieht sich allerdings allein auf die Formerfordernisse 7.79a
für die wirksame Einbeziehung der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel4. Soweit
hingegen deren materiell-rechtliche Wirkungen – z.B. für Schadenersatzansprüche wegen
der Klage einer Partei in einem derogierten Gerichtsstand (dazu Rz. 7.176 ff.) – zu beurteilen
sind, richtet sich die Wirksamkeit der Einbeziehung nach dem Prorogationsstatut, d.h. bei
Geltung deutschen Rechts nach § 305 Abs. 2 und 3, §§ 305a und 305c Abs. 1 BGB5. Ob die
AGB im Übrigen Bestandteil des Hauptvertrages geworden sind, ist schließlich nach dem auf
diesen Vertrag nach Art. 3 ff. Rom I-VO anwendbaren innerstaatlichen Recht zu entscheiden
(Rz. 3.63 ff.)6. Allerdings erstreckt sich die nach der lex causae wirksame Einbeziehung der
AGB nicht auf die Gerichtsstandsklausel; für deren Wirksamkeit ist allein Art. 25 Abs. 1 S. 3
Brüssel Ia-VO maßgebend7.

c) Vereins- oder Gesellschaftssatzung


Wenn die Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO auch gewährleisten sollen, 7.80
dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht, so können im Hinblick auf die
Gemeinsamkeit der Interessen von Gesellschaftern oder Vereinsmitgliedern an die Form von
Gerichtsstandsvereinbarungen in Satzungen doch nicht die gleichen strengen Anforderungen
gestellt werden wie an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen in gegenseitigen Verträ-
gen. Da Gesellschaftssatzungen in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten wegen ihrer be-
sonderen Tragweite und Funktion als der grundlegenden Regelung der Beziehungen zwischen
Aktionär und Gesellschaft der Schriftform bedürfen, muss auch jeder, der Aktionär einer Ge-
sellschaft wird, wissen, dass er an die Satzung dieser Gesellschaft und an solche Änderungen
gebunden ist, die die Organe der Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem anwendbaren na-
tionalen Recht und der Satzung an dieser vornehmen. Dies gilt aber auch für eine in der Ge-
sellschaftssatzung enthaltene Gerichtsstandsklausel; folglich stimmt jeder Aktionär der darin

1 OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, RIW 1994, 877 = NJW RR 1995, 188; OLG Hamm v.
20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Gottwald in
MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35.
2 OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; OLG Frankfurt a.M. v. 11.12.2002 – 23
U 185/01, NJW-RR 2003, 704; OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84 = IPRax
2006, 290 m. Anm. Jayme; öOGH v. 14.7.1999 – 7 Ob 176/98b, JBl. 2000, 121 = unalex AT-400;
Kohler, IPRax 1991, 299 (301); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (487); Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 37; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12 a.E.; dazu näher
Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 119 ff. m.w.N.
3 Zurecht zurückhaltend auch Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141; a.A. öOGH
v. 1.3.2011, EuLF 2011 II, 79 = unalex AT-714; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20; Geimer in Gei-
mer/Schütze, Rz. 93, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 Dostal, EuZW 2018, 944 (949).
5 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 Rz. 23.
6 OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146); Kohler, IPRax 1983, 266 (269); dazu
näher Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rom I Rz. 80 ff.
7 OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 36.

Hausmann | 1013
§ 7 Rz. 7.80 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

enthaltenen Begründung eines Gerichtsstands zu, wenn die Satzung der Gesellschaft an einem
ihm zugänglichen Ort, etwa dem Sitz der Gesellschaft, hinterlegt ist oder in einem öffentlichen
Register enthalten ist. Dies genügt – unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs der Ak-
tien – zur Erfüllung der Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO (vgl. auch
Rz. 7.136)1.

d) Elektronische Übermittlungen
7.81 Mit der in Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO neu eingefügten Bestimmung wird klargestellt, dass
auch elektronische Übermittlungen, die – wie z.B. ein Telefax2 – eine dauerhafte Aufzeich-
nung der Gerichtsstandsvereinbarung ermöglichen, ihren Urheber erkennen lassen und in
Textform ausgedruckt werden können, der Schriftform gleichgestellt sind3. Auch die hiernach
zu stellenden Anforderungen sind autonom zu bestimmen; auf die Einhaltung der nach natio-
nalem Recht – z.B. für die elektronische Form nach § 126a BGB – vorgeschriebenen Voraus-
setzungen kommt es insoweit nicht an4. Da es dem europäischen Gesetzgeber in Art. 25 Abs. 2
Brüssel Ia-VO – ähnlich wie in der E-Commerce-Richtlinie5 – darum geht, den elektronischen
Rechtsverkehr zu fördern, sollten die Anforderungen an die elektronische Form von Gerichts-
standsvereinbarungen nicht zu restriktiv ausgelegt worden. Erfasst ist daher insbesondere der
Austausch von E-Mails6; dabei ist es auch ausreichend, dass die Gerichtsstandsvereinbarung
in einem Anhang zu einer E-mail übermittelt wird7. Einer Verschlüsselung oder elektro-
nischen Signatur bedarf es nicht, weil dies den eletronischen Rechtsverkehr erheblich erschwe-
ren würde8. Die mündliche Annahmeerklärung des per E-mail übermittelten Angebots, das
die Gerichtsstandsklausel enthält, durch den Empfänger reicht hingegen nicht aus9.

7.82 Auch bei einem Vertragsschluss im Internet muss die Möglichkeit zum jederzeitigen Aus-
druck oder zur sonstigen dauerhaften Speicherung der Gerichtsstandsvereinbarung (z.B. in
einer Mailbox, auf einem USB-Stick, einer Diskette oder auf der Festplatte) bestehen, um die

1 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1776 f.)
(Rz. 25 f.) = NJW 1992, 1671 (1672) = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); vgl. auch
OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, ZIP 1992, 1234 = RIW 1993, 141 = EWiR 1992, 989
(LS) m. Anm. Geimer = WuB VII B 1 Art. 17 EuGVÜ Nr. 1.93 m. Anm. Ebenroth/Reiner; BGH v.
11.10.1993 – II ZR 155/92, NJW 1994, 51 = RIW 1994, 237 = WuB VII B 1. Art. 17 EuGVÜ
Nr. 1.94 m. Anm. Ebenroth/Reiner; LG München I v. 13.4.2006 – 5 HK O 4326/05, ZIP 2006, 1320,
255; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 130.
2 Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43.
3 Auf die Art und Weise der dauerhaften Aufzeichnung (z.B. Mailbox, USB-Stick, Diskette, Festplat-
te) kommt es nicht an, vgl. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 127.
4 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 106/12, IHR 2015, 60; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 29.
5 Richtlinie (EG) 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr v. 8.6.2000 (ABl. EG 2000 L
178, S. 1).
6 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rz. 44 = BB 2015, 1418 m. Anm. Man-
kowski; KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 16); OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10
U 1816/08, EuLF 2009 II, 68 (70). S. a. ital. Cass. v. 10.9.2009, unalex IT-455; Geimer in Zöller,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Mankowski in Rauscher, Rz. 127; Magnus in Magnus/Mankowski,
Rz. 130, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
7 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 106/12, IHR 2015, 60.
8 BGH v. 7.1.2014 – VIII ZR 137/13, ZInsO 2014, 739.
9 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 26 ff.

1014 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.83 § 7

Form des Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu erfüllen1; die bloße Anzeige auf dem Bildschirm
reicht nicht aus (vgl. Art. 10 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie)2. Ein tatsächlicher Ausdruck
muss allerdings – anders als nach Art. 3 lit. c (ii) HGÜ – nicht erfolgen. Für die Einbeziehung
einer in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel beim elektronischen Vertragsschluss gilt das
zur Schriftform Gesagte (Rz. 7.68 ff.) entsprechend, d.h. auf die AGB muss in der E-mail oder
auf der Website deutlich hingewiesen werden und es muss die Möglichkeit zu ihrem Ausdruck
eröffnet werden3. Nach Ansicht des EuGH genügt auch das sog. „click-wrapping“- Verfahren
der elektronischen Form des Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, wenn das Ausdrucken und Spei-
chern des Textes der die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden AGB vor Abschluss des
Vertrages möglich ist4.

3. Schriftliche Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung


a) Mündliche Vereinbarung
Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO lässt im Interesse einer Erleichterung des internationa- 7.83
len Handelsverkehrs auch eine mündliche Zuständigkeitsvereinbarung genügen, wenn diese
anschließend von einer Partei schriftlich bestätigt worden ist. Diese Vorschrift hat allerdings
nach Auflockerung der früheren Formstrenge durch die weiteren Formalternativen in Art. 25
Abs. 1 S. 3 lit. b und lit. c Brüssel Ia-VO erheblich an praktischer Bedeutung verloren5. Eine
entsprechende Anwendung der Vorschrift auf den Fall, dass die in einem schriftlichen Ange-
bot enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung vom Empfänger durch schlüssiges Verhalten ange-
nommen wird, kommt nicht in Betracht, weil in diesem Fall die Einigung über den Gerichts-
stand nicht zweifelsfrei feststeht6. Für die sog. „halbe Schriftlichkeit“ kommt es maßgeblich
darauf an, dass sich die Parteien bereits bei dem mündlichen Vertragsschluss in rechtsver-
bindlicher Weise gerade auch über den Gerichtsstand geeinigt haben7. Wird diese Einigung
bestritten, so muss der Kläger sie dem prorogierten Gericht nachweisen8. Bloße vorbereitende
Gespräche über den erst für später geplanten (schriftlichen) Vertragsschluss reichen hierfür

1 Junker, RIW 1999, 809 (813); Mankowski, RabelsZ 23 (1999), 203 (218 f.); Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 41; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 105 ff.; Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 43; zweifelnd Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 11, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
2 Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 131; Mankowski in Rauscher, Rz. 129; Geimer in Geimer/
Schütze, Rz. 105d, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 High Court Dublin v. 26.2.2010 (Ryan Air v. Billigfluege.de), unalex IE-47.
4 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 (El Majdoub), NJW 2015, 2171 (Rz. 39) =
EuZW 2015, 565 m. zust. Anm. Wurmnest; a.A. noch AG Geldern v. 20.4.2011 – 4 C 33/11, NJW-
RR 2011, 1503; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 129.
5 Krit. zu dieser Formalternative Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Saenger,
ZZP 110 (1997), 477 (487 f.).
6 Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13 a.E.; Mankowski in Rauscher, Rz. 98; jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO; a.A. LG Berlin v. 18.2.2000 – 94 O 93/99, IPRax 2000, 526 (m. abl. Anm. Haß, IPRax
2000, 494); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 19.
7 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433)
(Rz. 17) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser; BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, RIW 2017, 229;
OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, IPRspr. 2011 Nr. 214; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 –
4 U 72/07, NJOZ 2009, 2282 (2284 f.); OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, NJOZ 2008, 2648
(Rz. 22) = IPRax 2009, 64 (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44); OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 – 5U
426/06-54, TranspR 2007, 488; OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420);
Heiss, ZfRV 2000, 202 (207); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 103; Kro-
pholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 42.
8 OLG Stuttgart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236.

Hausmann | 1015
§ 7 Rz. 7.83 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nicht aus1. Zwar ist auch insoweit eine ausdrückliche Vereinbarung entbehrlich; die Willens-
übereinstimmung muss jedoch klar und deutlich zum Ausdruck gekommen sein (dazu schon
Rz. 7.42)2.

7.84 Ist die Gerichtsstandsklausel daher in AGB enthalten, so kommt auch eine mündliche Eini-
gung über den Gerichtsstand nur zustande, wenn diese Bedingungen dem Vertragspartner be-
reits bei Vertragsschluss vorgelegen haben, so dass er bei normaler Sorgfalt davon Kenntnis
nehmen konnte3. Hingegen reicht es nicht aus, dass eine Partei während der Vertragsverhand-
lungen zwar darauf hingewiesen hatte, dass sie zu ihren AGB abschließen wolle, diese Bedin-
gungen mit der darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel jedoch erst ihrer schriftlichen Auf-
tragsbestätigung beigelegt hat. Für diesen Fall hat der EuGH vielmehr volle Schriftlichkeit ver-
langt: Die schriftliche Bestätigung des mündlichen Vertragsschlusses unter erstmaliger Beifü-
gung der AGB müsse von der anderen Partei schriftlich angenommen werden, weil nicht
unterstellt werden könne, dass diese sich auch einer in den AGB enthaltenen Gerichtsstands-
vereinbarung habe unterwerfen wollen4. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verwender
der AGB seinen Vertragspartner während der Verhandlungen ausdrücklich auf die in seinen
AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel hingewiesen hat oder wenn der Vertragspartner den
Inhalt der AGB kennt5. Denn für diesen Fall liegt eine wirksame mündliche Zuständigkeits-
vereinbarung vor, die lediglich noch schriftlich bestätigt werden muss6.

7.85 Fügt sich der mündlich geschlossene Vertrag allerdings in laufende Geschäftsbeziehungen
ein, die zwischen den Parteien auf der Grundlage der AGB einer Partei bestehen, so kann
auch das Schweigen des Empfängers auf eine Auftragsbestätigung, der erstmals die – eine Ge-
richtsstandsklausel enthaltenden – AGB beigefügt sind, zur formgültigen Vereinbarung des
Gerichtsstands führen. Der Empfänger der schriftlichen Bestätigung verstößt bei dieser Sach-
lage gegen Treu und Glauben, wenn er das Zustandekommen einer Gerichtsstandsverein-
barung mit dem Argument ablehnt, es fehle an einer schriftlichen Annahmeerklärung seiner-
seits7. Notwendige Voraussetzung der „halben“ Schriftlichkeit iSv. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a

1 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 (m. krit. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); OLG
Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282.
2 Killias, S. 167; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 37 f.; Wagner in Stein/
Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 65.
3 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997,
405); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U
156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ
2009, 2282; OLG Düsseldorf v. 23.3.2011, IHR 2012, 237; Saenger, ZEuP 2000, 666 (670); Krophol-
ler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 42.
4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851
(1862) (Nr. 12) = NJW 1977, 495; zust. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, EuZW 1992, 515
(516 f.) m. Anm. Geimer; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 = IPRax
2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91).
5 OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; High Court England (Q.B.Div.) v.
15.12.2004 (Standard Steamship v. GIE Vision Bail), unalex UK-169.
6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 89; Mankowski in Rauscher, Rz. 99, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO.
7 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851
(1861) (Nr. 11); BGH v. 16.5.1977 – VIII ZR 225/75, RIW 1977, 432; ital. Cass. v. 26.4.1995,
Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (309) = unalex IT-80; frz. Cass. v. 9.1.1996, Rev.crit.d.i.
p. 1996, 731 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-115; Hausmann in unalexKomm, Rz. 82 f.;
im Erg. auch Kropholler/von Hein, Rz. 42, jeweils zu Art. 23 Brüssel I-VO

1016 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.87 § 7

Alt. 2 Brüssel Ia-VO ist aber auch im Rahmen von laufenden Geschäftsbeziehungen, dass der
Bestätigung ein mündlicher Vertragsschluss vorausgegangen ist, durch den auch die AGB
einschließlich der Gerichtsstandsklausel zumindest konkludent einbezogen wurden. Das
Formerfordernis der „halben Schriftlichkeit“ ist daher auch im Rahmen laufender Geschäfts-
beziehungen dann nicht erfüllt, wenn eine Partei regelmäßig Bestätigungsschreiben oder
Rechnungen mit einer nur rückseitig abgedruckten Gerichtsstandsklausel verwendet, ohne je-
mals ausdrücklich auf diese bzw. die sie enthaltenden AGB hingewiesen zu haben1. Erst recht
scheitert eine Einigung über die Gerichtsstandsklausel, wenn die AGB der anderen Seite erst
nach dem schriftlichen Bestätigungsschreiben übermittelt werden2.

Auch im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten führt das bloße Schweigen auf ein Bestäti- 7.86
gungsschreiben, dem erstmals eine Gerichtsstandsklausel beigefügt ist, daher nicht zur Fikti-
on einer mündlichen Einigung über den Gerichtsstand nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2
Brüssel Ia-VO. Die mündliche Einigung muss vielmehr auch dann nachgewiesen werden,
wenn der Empfänger nicht widerspricht3. Die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsverein-
barung ergibt sich freilich in diesem Fall heute regelmäßig aus einer zwischen den Parteien
bestehenden Gepflogenheit (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO) oder aus einem interna-
tionalen Handelsbrauch (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO) ergeben (dazu Rz. 7.91 ff.,
Rz. 7.95 ff.).

b) Schriftliche Bestätigung
Haben sich die Parteien mündlich geeinigt, so bedarf es noch der schriftlichen Bestätigung 7.87
einer Seite. Diese führt freilich nur dann zur Formgültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung,
wenn ihr Inhalt mit der vorher erzielten Einigung übereinstimmt. Die Beweislast hierfür trägt
diejenige Vertragspartei, die sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft4. Durch das Erfor-
dernis der halben Schriftlichkeit soll der Nachweis der Einigung der Parteien über die interna-
tionale Prorogation erleichtert, nicht aber der Zeugenbeweis ausgeschlossen werden. Die
schriftliche Bestätigung kann daher nicht nur durch Urkundenvorlage, sondern auch durch
Zeugen bewiesen werden5. Wird die Gerichtsstandsklausel erstmals in einer Auftragsbestäti-
gung in das Vertragsverhältnis der Parteien eingeführt, so ist – wie gezeigt (vgl. Rz. 7.84) –
eine erneute schriftliche Bestätigung der anderen Seite notwendig. Diese Bestätigung muss
das ausdrückliche Einverständnis mit der Gerichtsstandsvereinbarung erkennen lassen; eine

1 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; OLG Stutt-
gart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW
1990, 652; OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, ZIP 1984, 1241 = RIW 1984, 916 = IPRax
1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1985, 261); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 43; Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 38.
2 OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüs-
sel I-VO Rz. 103.
3 Vgl. EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976,
1851 (1862) = NJW 1977, 495; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 662 (663);
OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 38; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 45 m.w.N.
4 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Killias, S. 168; Hau, IPRax 1999, 24; Gei-
mer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 113; a.A. Ebenroth, ZVglRW 1978, 382; Schlos-
ser, EWiR 1997, 359, die im Handelsverkehr eine Beweislastumkehr befürworten, wenn die Bestä-
tigung unwidersprochen bleibt.
5 Vgl. Geimer, IPRax 1986, 85 (87).

Hausmann | 1017
§ 7 Rz. 7.87 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Annahme durch konkludentes Verhalten (z.B. durch die bloße Aufforderung zur Vertrags-
erfüllung) genügt ebenso wenig wie das bloße Unterlassen eines Widerspruchs1.

7.88 An Form und Inhalt der Bestätigung sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an ei-
nen beiderseits schriftlichen Vertrag2. Es genügt daher jedenfalls die Bezugnahme auf die Ver-
tragsurkunde, in der die Gerichtsstandsvereinbarung an herausgehobener Stelle außerhalb des
Formulartexts eingefügt war3. Ausreichend ist aber auch der deutliche Hinweis auf AGB, in
denen die Gerichtsstandsklausel enthalten ist; eines besonderen schriftlichen Hinweises auf
die Klausel selbst bedarf es auch insoweit nicht (vgl. auch Rz. 7.72 a.E.)4. Ferner kann die Be-
stätigung auch per Telegramm, Telefax oder in elektronischer Form nach Art. 25 Abs. 2 Brüs-
sel Ia-VO5 übermittelt werden; die bloße Übersendung einer Zahlungsaufforderung oder
Rechnung reicht hingegen nicht aus6. Die Bestätigung muss auch nicht notwendig durch die-
jenige Vertragspartei erfolgen, der die Zuständigkeitsvereinbarung entgegengehalten werden
soll7; ausreichend ist vielmehr – wie der EuGH8 klargestellt hat – eine „von einer, gleich wel-
cher der Parteien stammende schriftliche Bestätigung“. Bei einer Gerichtsstandsvereinbaung
zugunsten Dritter genügt auch die schriftliche Bestätigung durch den (am Prozess nicht betei-
ligten) Vertragspartner9.

7.89 Nicht entschieden hat der EuGH bisher die Frage, welche Wirkung der Erhebung eines Wi-
derspruchs durch den Empfänger des Bestätigungsschreibens zukommt. Aus dem Umstand,
dass Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO nicht ausdrücklich voraussetzt, dass die
Bestätigung unwidersprochen bleibt, wird überwiegend abgeleitet, dass ein Widerspruch die

1 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851


(1860 ff.) (Rz. 8–12) = NJW 1977, 495; BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699
(2700); OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 44; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 115, Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13;
Mankowski in Rauscher, Rz. 98, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. LG Berlin v. 18.2.2000 – 94
O 93/99, IPRax 2000, 526 (m. abl. Anm. Haß, IPRax 2000, 494).
2 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 46.
3 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (81) = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Heß, IPRax
1992, 358) = ZZP (1992), 330 m. Anm. Bork.
4 Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 22; Mankowski in Rauscher, Rz. 100, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO.
5 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 109; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-
VO Rz. 49.
6 OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b.
7 So noch OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, NJW 1982, 1951 (1952); OLG Celle v.
2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Tebbens, IPRax 1985,
262).
8 EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/84, ECLI:EU:C:1985:337 (Berghofer/ASA), Slg. 1985, 2699 (2703)
(Rz. 16) = RIW 1985, 736; EuGH v. 11.11.1986 – Rs. 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco Fiat/van
Hool), Slg. 1986, 3337 (3356) (Rz. 9) = NJW 1987, 2155 = IPRax 1989, 383 (m. Anm. Jayme,
IPRax 1989, 361); zust. BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (82) = NJW 1986, 2196;
schwz. BG v. 21.11.2007, unalex CH-248; ital. Cass. v. 3.1.2007, unalex IT-227; OLG München v.
27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13; Geimer in Geimer/
Schütze, Rz. 111 f.; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 47 f. m.w.N.
9 EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/8, ECLI:EU:C:1985: 337 (Berghoefer ASA), Slg.1985, 2699 (2708 f.,
Rz. 16); Geimer, NJW 1985, 533.

1018 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.92 § 7

Wirkung des Bestätigungsschreibens nicht zwingend aufhebt; er begründet lediglich Zweifel


am wirksamen Zustandekommen einer mündlichen Einigung1.

Ebenfalls nicht geklärt ist die Frage, innerhalb welcher Frist die mündliche Einigung über 7.90
den Gerichtsstand schriftlich bestätigt werden muss. Ein Rückgriff auf nationales Recht – z.B.
auf § 147 Abs. 2 BGB – hat insoweit auszuscheiden. Vielmehr ist die zeitliche Grenze für ein
Bestätigungsschreiben in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu
bemessen2. Nach vollständiger Erfüllung der Vertragsleistung durch eine Partei kann eine auf
diesen Vertrag bezogene mündliche Gerichtsstandsvereinbarung jedoch nicht mehr schriftlich
bestätigt werden3.

4. Vertragsschluss nach den Gepflogenheiten zwischen den Parteien


a) Begriff der Gepflogenheit
Nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO genügt neben der vollen und der halben Schrift- 7.91
form auch die Einhaltung der „Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen
den Parteien entstanden sind“. Damit soll die Rechtsprechung des EuGH, der bei laufenden
Geschäftsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern die Formanforderungen an Gerichts-
standsvereinbarungen tendenziell großzügig ausgelegt hatte (vgl. Rz. 7.85), auf eine klare ge-
setzliche Grundlage gestellt werden. Die Vorschrift ist daher im Lichte dieser EuGH-Recht-
sprechung autonom auszulegen4; die Feststellung einer Gepflogenheit hängt somit nicht von
dem auf den Vertrag anwendbaren Recht ab. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO führt
jedoch nur zu einer Erweiterung der Formwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen;
aus der mangelnden Beachtung von zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten
kann daher nicht die Unwirksamkeit einer nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO form-
gültigen Zuständigkeitsvereinbarung hergeleitet werden5.

Gepflogenheiten unterscheiden sich von Handelsbräuchen i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüs- 7.92
sel Ia-VO dadurch, dass sie nicht für ganze Geschäftszweige, sondern stets nur im Verhältnis
zwischen den konkreten Vertragsparteien bestehen6. Für die Annahme einer laufenden Ge-
schäftsbeziehung bzw. einer „Gepflogenheit“ bedarf es allerdings einer gewissen Häufigkeit
von Vertragsschlüssen, denen jeweils die AGB mit der Gerichtsstandsklausel zugrunde gele-

1 Mankowski in Rauscher, Rz. 102; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 114; Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 42, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 49; a.A. (Unwirksamkeit der Vereinbarung) ital. Cass. v. 3.1.2007, unalex IT-227; Heiss, ZfRV
2002, 202 (207 ff.).
2 Vgl. Hau, IPRax 1999, 24 (25) unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 2 CISG und Art. 2.7 der UNI-
DROIT-Principles of International Commercial Contracts; ähnlich Geimer in Geimer/Schütze,
Rz. 110; Mankowski in Rauscher, Rz. 102, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 44. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 2.10.1997 – 12 U 180–96, IPRax 1999,
38 (m. Anm. Hau, IPRax 1999, 24) (Erfordernis eines „engen zeitlichen Zusammenhangs“).
3 Staehelin, S. 52; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 110.
4 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); Geimer in
Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 30.
5 Frz. Cass. v. 4.11.2010, unalex FR-2126.
6 ÖOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, unalex AT-176; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 117a.

Hausmann | 1019
§ 7 Rz. 7.92 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gen haben1. Eine einzige vorangegangene Bestellung reicht hierfür nicht aus2; ebenso wenig
genügen einzelne isolierte Geschäfte, die zwischen den Parteien mit großem zeitlichen Ab-
stand abgeschlossen worden sind3. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung einer „Gepflo-
genheit“ ist nicht die Einreichung der Klage, sondern der Vertragsschluss, weil nur die bereits
bei Vertragsschluss zwischen den Parteien bestehenden Usancen maßgebend sein können4.
Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO enthält auch keine Beschränkung auf Geschäfts- oder
Handelsbeziehungen mehr; formerleichternde Gepflogenheiten können sich daher auch im
rein privaten Bereich oder – in den Grenzen des Art. 19 Brüssel Ia-VO – bei Verbraucher-
geschäften herausbilden5. Die Beweislast für eine bestehende Gepflogenheit obliegt derjenigen
Partei, die sich hierauf beruft6.

b) Beispiele
7.93 Durch Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine
Partei, die sich bei einem Geschäft nicht mehr an die Gepflogenheiten gebunden fühlt, die für
die Geschäftsbeziehungen der Parteien über einen längeren Zeitraum gegolten haben, damit
gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen würde7. Praktische Bedeutung kommt den
„Gepflogenheiten“ vor allem für die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in AGB zu.
Denn haben die Parteien ihre Geschäftsbeziehungen in ihrer Gesamtheit den AGB einer Partei
unterstellt, so kann auch das bloße Schweigen der anderen Partei oder ein mündlicher Ver-
tragsschluss zur wirksamen Einbeziehung einer in diesen AGB enthaltenen Gerichtsstands-
klausel genügen8.

7.94 Die deutsche Praxis hat es zwar weitergehend im kaufmännischen Verkehr zum Teil ausrei-
chen lassen, dass eine Partei laufend Geschäfte auf der Grundlage von AGB abwickelt, die le-
diglich auf der Rückseite von erst nach Vertragsschluss übermittelten Rechnungen oder Lie-

1 Vgl. OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86) (jedenfalls drei vorangegangene
Vertragsschlüsse reichen aus); ferner OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555 (557);
OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Teb-
bens, IPRax 1985, 262); Burgstaller JBl. 1998, 691 (692); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 23.
2 Ital. Cass. v. 15.2.2005, unalex IT-187; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23.
3 Ital. Cass. S.U. v. 26.4.1995, Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (309) = unalex IT-80; OLG
Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282; Burgstaller, JBl. 1998, 691
(692); a.A. OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, NJW-RR 2009, 129 (zwei vorangegangene
geschäftliche Kontakte genügen); ebenso Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 106.
4 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86), OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U
158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Hau, IPRax 2005, 301 (304); Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/
IntVertrVerfR Rz. 455; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 10; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 30, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; offen gelassen in BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-
RR 2005, 150 (152); a.A. noch LG Karlsruhe v. 1.6.2001 – O 22/00 KfH I, RIW 2001, 702.
5 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23.
6 ÖOGH v. 25.2.2009 – 3 Ob 24/09i, unalex AT-613.
7 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433)
(Rz. 18) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 105 m.w.N.
8 Vgl. EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976,
1851 (1861) (Rz. 11); frz. Cass. v. 16.10.2001, unalex FR-42; ital. Cass. S.U. v. 11.6.2001, Nr. 7854,
Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 152 (156 f.) = unalex IT-8; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, VersR
1999, 639; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23.

1020 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.94 § 7

ferscheinen abgedruckt sind. Sofern der Vertragspartner diesen AGB nicht widerspreche, wer-
de das Klauselwerk in seiner Gesamtheit, dh. einschließlich der Gerichtsstandsklausel Ver-
tragsinhalt1. Demgegenüber setzt Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO nach zutreffender
Interpretation der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ und zur Brüssel I-VO voraus, dass
die Parteien sich zumindest zu Beginn ihrer Geschäftsbeziehung einmal über die Geltung
der Gerichtsstandsklausel ausdrücklich geeinigt haben müssen2. Nur wenn diese Einigung
nachgewiesen wird, kann bezüglich der nachfolgenden Geschäfte auf die Feststellung eines er-
neuten Konsenses der Parteien verzichtet werden3. Gepflogenheiten können also nur die
Form, nicht jedoch die Einigung ersetzen4.
Die Einigung muss allerdings weder ausdrücklich noch schriftlich erfolgt sein, sondern kann
sich auch konkludent aus einer über Jahre gleichförmig geübten Praxis des Vertragsschlusses
und seiner Abwicklung ergeben5. Hat eine Partei der anderen hingegen auch über einen län-
geren Zeitraum stets nur Rechnungen mit rückseitig abgedruckten AGB übermittelt, so be-
gründet die widerspruchslose Bezahlung dieser Rechnungen durch die Gegenpartei allein
noch keine „Gepflogenheit“, die zur Einbeziehung der in den AGB enthaltenen Gerichts-
standsklausel in die geschlossenen Verträge führt, es sei denn der Verwender hat auf die Gel-
tung der AGB deutlich hingewiesen6. Daran fehlt es aber, wenn die Gerichtsstandsklausel je-
weils nur versteckt in der Fußzeile von Auftragsbestätigungen oder Rechnungen abgedruckt

1 So BGH v. 2.10.2002 – VIII ZR 163/01, ZIP 2003, 213 = RIW 2003, 220 (222); ebenso frz. Cass. v.
12.2.2002, unalex FR-31; App. Colmar v. 24.1.12006, unalex FR-412; dazu Hausmann in unalex-
Komm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 93 m.w.N.
2 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86 f.); OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U
161/10, IHR 2013, 155 (156) = IPRspr. 2011 Nr. 215; OLG Celle v. 24. 7. 2009 – 13 W 48/09,
NJW-RR 2010, 136 (138); OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84; Hau, IPRax
2005, 301 (304); Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 278; Wagner in Stein/Jo-
nas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14.
3 OLG Stuttgart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236; OLG Zweibrücken v. 4.11.1983 – 4 U
221/82, IPRspr. 1983 Nr. 142; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 110. Die Einhal-
tung der Schriftform nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel I-VO ist freilich auch für diese Einigung
bei Anbahnung der Geschäftsbeziehungen nicht erforderlich; a.A. ital. Cass. S.U. v. 26.4.1995,
Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (307 ff.) = unalex IT-80, wo verlangt wird, dass die Ge-
richtsstandsvereinbarung „si riferisca ad operazioni successive a quelle in cui vi si è stata esplicita
accettazione scritta“.
4 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax
2005, 301); öOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, unalex AT-176; Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11,
NJW 2013, 83 (87); OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Mankowski,
RIW 2005, 561 (567).
5 OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (66 f.) (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44).
Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 111.
6 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax
2005, 301); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Hamm v. 6.12.2005
– 5 U 99/07, IHR 2006, 84; OLG Hamburg v. 25.5. 2018 – 8 U 51/17, IPRax 2019, 527 (m. Anm.
Mayer, IPRax 2019, 496); OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, IHR 2005, 108; OLG Ham-
burg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax
1985, 261); öOGH v. 14.3.2001, unalex AT-176; frz. Cass. v. 18.1.2011, unalex FR-2180 und frz.
Cass. v. 3.10.2006, unalex FR-297; Mankowski in Rauscher, Rz. 109; Gottwald in MünchKommm
ZPO, Rz. 45; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 23, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von
Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 50. Ebenso zu Art. 17 LugÜ OG Basel v. 16.3.1999, BJM 2001, 15
(22 f.); a.A. offenbar BGH v. 2.1.2002 – VIII ZR 163/01, RIW 2003, 220 (222) = EuLF 2004, 130.

Hausmann | 1021
§ 7 Rz. 7.94 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

war1. Auch eine solche einseitige Bezugnahme reicht nicht aus, wenn nicht nachgewiesen wer-
den kann, dass beide Parteien ihre Vertragsbeziehungen insgesamt den AGB unterstellen woll-
ten und sie danach auch tatsächlich abgewickelt haben2. Maßgeblich ist also das Bestehen
einer Vertragspraxis, die von einer grundsätzlichen Einigkeit der Parteien über die Geltung
der Gerichtsstandsklausel für die in ihrer Geschäftsbeziehung abzuschließenden Geschäfte ge-
tragen ist und in der diese Einigkeit in der Folge mit einem hohen Maß an Beständigkeit über
einen längeren Zeitraum hinweg ihren Ausdruck gefunden hat3.
BGH v. 25.2.2004 – VIII ZR 119/03, EuLF 2004 I, 129 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005,
301).
Wiederholter Abschluss von mündlichen Kaufverträgen und anschließende Überreichung von Rech-
nungen, die auf die rückseitig abgedruckten AGB des deutschen Verkäufers verwiesen, in denen ein
deutscher Gerichtsstand bestimmt war, reichen für die Einhaltung der Form nach Art. 23 Abs. 1 S. 3
lit. b Brüssel Ia-VO nur aus, wenn nachgewiesen wird, dass die Vertragsbeziehungen tatsächlich nach
diesen AGB abgewickelt wurden.

5. Vertragsschluss gemäß internationalen Handelsbräuchen


a) Entstehungsgeschichte und Normzweck
7.95 Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO lässt schließlich auch solche Zuständigkeitsvereinbarun-
gen zu, die „im internationalen Handel in einer Form“ geschlossen werden, „die einem Han-
delsbrauch entspricht, den die Parteien kannten sind oder kennen mussten“. Die Vorschrift ist
auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden, die vor In-Kraft-Treten der Brüssel Ia-
VO geschlossen wurden, sofern die Verordnung nur im Zeitpunkt der Klageerhebung gegolten
hat4. Einschränkungen sind nur bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach Ab-
schluss der Vereinbarung anzuerkennen (vgl. Rz. 7.26 ff.). Die Auslegung dieser Sonderregel
für den internationalen Handel wirft trotz gewisser Klarstellungen durch den EuGH noch im-
mer zahlreiche Probleme auf5.

7.96 Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Formalternative deuten darauf hin, dass mit ihr vor
allem die restriktive Rechtsprechung des EuGH zum Tatbestandsmerkmal der „Verein-
barung“ korrigiert werden sollte. Das Erfordernis einer schriftlichen Bestätigung der in AGB
enthaltenen Gerichtsstandsklausel (Rz. 7.87 ff.) ist dem internationalen Handel nicht immer
zumutbar. Der Vertragsschluss muss vielmehr „aus Gründen der Kalkulation auf der Grund-
lage der momentan gegebenen Marktpreise rasch durch Auftragsbestätigung unter Einbezie-
hung von AGB möglich sein“6. Dieses Ziel bliebe aber unerreicht, wenn Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c
Brüssel Ia-VO als bloße Formvorschrift verstanden würde. Sachgerechter ist es deshalb, die
Berücksichtigung der internationalen Handelsbräuche bereits auf die materielle Willenseini-

1 ÖOGH v. 3.4.2019 – 1 Ob 53/19d, unalex AT-1214.


2 BGH v. 25.2.2004 – VIII ZR 119/03, EuLF 2004 I, 129 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax
2005, 301); OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83; OLG Köln v. 19.10.2011 – 16
U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74.
3 BGH v. 25.3.2015 – III ZR125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 58 f.).
4 So zu Art. 17 EuGVÜ OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146); OLG Köln v.
16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555 (557); a.A. aus Gründen des Vertrauensschutzes Gott-
wald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46 a.E.
5 Vgl. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, IPRax 1992, 373 (m. Anm. Jayme, IPRax 1992, 357) =
EuZW 1992, 514 m. Anm. Geimer; ferner Staehelin, S. 53 ff.; Stöve, S. 74 ff.; Saenger, ZZP 110
(1997), 477 (488 ff.); Girsberger, IPRax 2000, 87 ff.
6 Vgl. Schlosser-Bericht Nr. 174, 179, ABl. EG 1979 C 59, S. 1; J. Schmidt, RIW 1992, 173 (176).

1022 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.98 § 7

gung zu beziehen: Die internationalen Handelsbräuche entscheiden somit auch, welche An-
forderungen an den – autonom auszulegenden (Rz. 7.41) – Begriff der „Vereinbarung“ zu stel-
len sind1.
EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932
(940 f.) (Rz. 18) = NJW 1997, 1431 = RIW 1997, 415 m. Anm. Holl = IPRax 1999, 31 (m. Anm. Kubis,
IPRax 1999, 10)
„Diese Erleichterung betrifft nicht nur die Formerfordernisse des Art. 17 EuGVÜ“.

Durch diese Formerleichterung in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO wird zwar nicht auf 7.97
eine Willenseinigung der Parteien über den Gerichtsstand verzichtet; denn die schwächere
Vertragspartei soll auch in diesem Fall davor geschützt werden, dass die Gerichtsstandsklausel
unbemerkt Eingang in den Vertrag findet2. Besteht aber in dem jeweiligen Geschäftszweig des
internationalen Handelsverkehrs ein das Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarun-
gen betreffender Handelsbrauch, der den Parteien bekannt ist oder als ihnen bekannt gelten
muss, so wird die nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO erforderliche Einigung der Vertrags-
parteien über den Gerichtsstand widerleglich vermutet3.

b) Handelsbrauch
Die Formerleichterung nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO setzt zunächst voraus, dass 7.98
die Art und Weise des Zustandekommens der Gerichtsstandsvereinbarung einem Handels-
brauch entsprochen hat. Ob ein solcher Handelsbrauch besteht, ist nicht nach dem nationalen
Recht der lex fori oder der lex causae zu bestimmen. Der in der deutschen Fassung verwendete
Begriff „Handelsbrauch“ darf daher von einem deutschen Gericht nicht im technischen Sinne
des deutschen Rechts (§ 346 HGB) verstanden werden, sondern ist autonom zu auszulegen4.
Insoweit kommt es allein auf die faktische Gebräuchlichkeit einer bestimmten Form an, nicht
auf die formelle Kaufmannseigenschaft der Parteien nach nationalem Recht5. Nationales Recht
kann auch nicht herangezogen werden, um einen bestehenden Handelsbrauch zu verdrängen
oder einzuschränken (vgl. dazu schon Rz. 7.64).

1 Ebenso EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I,


1597 (Rz. 19 ff.); ferner Kropholler/Pfeifer, FS Nagel (1987), S. 157 (162 f.); Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 27 a.E.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46;
Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (288 ff.); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (143 ff.); Killias, S. 200 ff.; a.A.
Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24b; Staehelin, S. 33 ff.
2 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 17) = ZIP 1997, 475.
3 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 19; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Tra-
sporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 19 ff.); Saenger, ZZP 110 (1997), 488 ff.
4 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 23) = ZIP 1997, 475; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Cas-
telletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 25); HandelsG Zürich v. 9.1.1996, SZIER 1997, 373 (381) = unalex
CH-382; Kropholler, RIW 1986, 929 (931); Schlosser, RIW 1984, 911 (913); Kohler, IPRax 1987,
201 (204); Schütze, DZWiR 1992, 89 (91); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (491); Staehelin, S. 60 f.;
Girsberger, IPRax 2000, 87 (90); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (151 ff.); a.A. Rauscher, ZZP 104
(1991), 271 (292 f.).
5 OLG Hamburg v. 30.7.1992 – 6 U 7/92, TranspR 1993, 25 (27); OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/
92, IPRax 1997, 417 (418); frz. Cass. civ. v. 11.2.1997, J.C.P. 1997.IV.747 = Clunet 1998, 138 m.
Anm. Huet = unalex FR-135; Schlosser, RIW 1984, 911 (913); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271
(292); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (485); Stöve, S. 36 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-
VO Rz. 54; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24.

Hausmann | 1023
§ 7 Rz. 7.98 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (1608 ff.) (Rz. 35 f.) = IPRax
2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87) = ZEuP 2000, 656 m. Anm. Saenger
Ein Handelsbrauch im internationalen Seetransportrecht zur Einbeziehung von Gerichtsstandsklau-
seln in Konnossemente ist auch dann zu beachten, wenn er von zwingenden Vorschriften des nationa-
len Rechts – z.B. von Art. 1341 ital. c.c., der eine gesonderte Abzeichnung von „lästigen“ Klauseln
erfordert – abweicht.

7.99 Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) gelten im internationalen


Rechtsverkehr nicht als Handelsbrauch. Die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 30.2 ADSp. wird
daher nur nach Maßgabe der Grundsätze über die Einbeziehung von AGB nach Art. 25 Abs. 1
S. 3 lit. a oder b Brüssel Ia-VO Vertragsinhalt1. Demgegenüber entspricht eine auf der Rück-
seite eines Frachtscheins für einen multi-modalen Transport abgedruckte Gerichtsstandsklau-
sel internationalem Handelsbrauch, selbst wenn sie nur vom Beförderer unterzeichet wurde2.

7.100 Die Existenz eines Handelsbrauchs kann auch nicht für den internationalen Handelsverkehr ge-
nerell festgestellt werden, sondern nur für den Geschäftszweig, in dem die Vertragsparteien tä-
tig sind3. Demgemäß verlangt Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO, dass diesen Handelsbrauch
„Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig“ allgemein kennen und
regelmäßig beachten“4; ausschlaggebend ist mithin – ebenso wie nach Art. 9 Abs. 2 CISG – eine
tatsächliche ständige Übung in dem jeweiligen Verkehrskreis5. Deren Feststellung obliegt dem
angerufenen nationalen Gericht6; dieses hat insbesondere zu ermitteln, ob die äußere Gestaltung
der Gerichtsstandsklausel, ihre Aufnahme in einen vom Vertragspartner des Verwenders nicht
unterzeichneten Vordruck sowie die Abfassung in einer bestimmten Sprache dem in dem be-
treffenden Geschäftszweig bestehenden internationalen Handelsbrauch entspricht7.

7.101 Der Nachweis eines entsprechenden Handelsbrauchs obliegt zwar grundsätzlich derjenigen Par-
tei, die sich auf ihn beruft8. Das angerufene deutsche Gericht hat jedoch der Behauptung einer
Partei, eine bestimmte Form der Gerichtsstandsvereinbarung entspreche unter Kaufleuten in
dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs einem Handelsbrauch
i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden

1 OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (122) (m. Anm. Haubold, IPRax 2000,
91); Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 32. Zur Einbeziehung der ADSp
in den Vertrag näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 87a, b.
2 Ital. Cass 7.9.2016, unalex IT-763.
3 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 Rz. 45
m. Anm. Müller; EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhéna-
nes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 23) = ZIP 1997, 475; dazu näher Stöve, S. 51 ff.; Kröll, ZZP 113 (2000),
135 (154); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 119b; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 119, jeweils
zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 23; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Tra-
sporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 27); BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76
Rz. 33 (m. Anm. G. Roth, IPRax 2019, 397).
5 OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (418 f.).
6 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(Rz. 23); krit. dazu Haß, EuZW 1999, 444 (445); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89).
7 EuGH v. 16.3.1999 (vorige Fn.), Rz. 36.
8 ÖOGH v. 3.4.2019 – 1 Ob 53/19d, unalex AT-1214 und öOGH v. 24.1.2018 – 7 Ob 183/17p, una-
lex AT-1150; frz. Cass v. 8. 4. 2009, unalex FR-1050; ital. Cass 15. 2. 2005, unalex IT-187; OLG
Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 420 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Mankowski
in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 119.

1024 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.102 § 7

Prüfung der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich nachzugehen; es ist dabei von Beweis-
anträgen unabhängig und kann im Wege des Freibeweises vorgehen1. Der Nachweis wird er-
leichtert, wenn Vordrucke von Formularen oder AGB, in denen die Gerichtsstandsklausel enthal-
ten ist, von Fachverbänden oder -organisationen eines bestimmten Geschäftszweigs für ihre Mit-
glieder bereitgehalten werden; eine bestimmte Form der Publizität des Handelsbrauchs wird je-
doch nicht verlangt2. Ein Verhalten, das die Merkmale eines Handelsbrauchs erfüllt, verliert diese
Eigenschaft auch nicht allein dadurch, dass es von Angehörigen des betreffenden Geschäfts-
zweigs – z.B. durch Anrufung anderer als der vereinbarten Gerichte – in Frage gestellt wird3.

c) Internationaler Handel
Der Brauch muss sich im internationalen Handel, d.h. zumindest auch bei grenzüberschrei- 7.102
tenden Transaktionen, entwickelt haben4. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass ein solcher
Handelsbrauch in bestimmten Ländern, insbesondere nicht in allen oder den meisten Mit-
gliedstaaten der Brüssel Ia-VO besteht5. Es muss vielmehr genügen, dass der Handelsbrauch
in den für die jeweilige Branche wichtigen Staaten existiert6. Gelten in den Sitzstaaten der Ver-
tragsparteien unterschiedliche Bräuche für das Zustandekommen von Gerichtsstandsverein-
barungen, so müssen diese nicht kumulativ beachtet werden. Es reicht vielmehr aus, wenn
ein entsprechender Handelsbrauch am (Wohn-)Sitz einer der Vertragsparteien für internatio-
nale Geschäfte besteht (vgl. auch Rz. 7.108)7. Für die Beachtlichkeit eines nationalen oder lo-
kalen Brauchs ist aber dessen Anerkennung durch eine größere Zahl ausländischer Marktteil-
nehmer erforderlich8. Der Schutz der anderen Vertragspartei wird dadurch gewährleistet, dass
sie diesen Handelsbrauch nur dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er branchenüblich ist
und sie ihn deshalb zumindest kennen musste (vgl. dazu Rz. 7.107 f.)9. Auch die Frage, ob ein
Vertrag dem internationalen Handelsverkehr zuzuordnen ist, hat nicht der EuGH, sondern –
als Tatfrage – das angerufene nationale Gericht zu entscheiden10. Dies trifft etwa für die
Rheinschifffahrt11 und den Seehandel12 ohne Weiteres zu.

1 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 34 (m. Anm. G. Roth, IPRax 2019, 397).
2 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(Rz. 28, 44).
3 EuGH v. 16.3.1999 (vorige Fn.) Rz. 29; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 56.
4 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (152 f.); Mankowski in Rauscher, Rz. 118; Geimer in Geimer/Schütze,
Rz. 119a, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; ähnlich schon Stöve, S. 64 ff.
5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(Rz. 27); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 55.
6 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24a.
7 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Kohler, Dir.com.int. 1990, 620; Stöve,
S. 66 ff.; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 124; a.A. (Geltung des Brauchs in
den Wohnsitzstaaten der Parteien nicht erforderlich) Huber, ZZP Int. 2 (1997), 168 (173); Saenger,
ZEuP 2000, 656 (673); Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 118.
8 Holl, RIW 1997, 417; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (492).
9 Trunk, S. 48; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 16.
10 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 21); Huber, ZZPInt. 2 (1997), 168 (173); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 118; a.A. (Anwendung von § 293 ZPO) Vestmann, JZ 1993, 285; Hüßtege in Thomas/Putzo,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 18.
11 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 22.
12 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557
(Rz. 23 f.).

Hausmann | 1025
§ 7 Rz. 7.103 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Beispiele
7.103 In diesem Sinne entspricht es zwar internationalem Handelsbrauch, dass Kaufleute bei Ge-
schäften mit ausländischen Vertragspartnern AGB verwenden, die Gerichtsstandsklauseln zu-
gunsten des Wohnsitzgerichts des Verwenders enthalten1. Wird in diesem Fall ausdrücklich
im Vertragsangebot auf die AGB hingewiesen, so werden diese (einschließlich der Gerichts-
standsklausel) durch die pauschale Annahme des Angebots kraft internationalen Handels-
brauchs Vertragsinhalt2. Dies gilt – wie Ziff. 30.2 ADSp 1999 zeigt – insbesondere auch für
international arbeitende Spediteure3. Allerdings besteht kein Handelsbrauch dahin, dass die
einem Vertragsangebot beigefügten oder auf der Rückseite von Warenbestellungen abgedruck-
ten AGB, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, vom Empfänger durch schlüssiges Verhal-
ten oder bloßes Schweigen angenommen werden4. Ebenso wenig entspricht es internationa-
lem Handelsbrauch, dass allein das Einverständnis mit der Geltung der AGB des Offerenten
zur Einbeziehung einer in diesen AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel führt, wenn die
AGB dem Empfänger im Zeitpunkt seiner Einverständniserklärung nicht vorgelegen haben5.

7.104 Hingegen gilt in den meisten Branchen das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestäti-
gungsschreiben kraft internationalen Handelsbrauchs als Zustimmung zu einer darin (bzw.
in den in Bezug genommenen AGB) enthaltenen Gerichtsstandsklausel6. Festgestellt wurde
ein solcher Handelsbrauch ausdrücklich auf dem Gebiet der Rheinschifffahrt7; er dürfte aber
auch sonst im internationalen Handel weit verbreitet sein8. Allerdings kennen die Rechte eini-

1 LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 f.; LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O 141/90,
RIW 1992, 230; App. Paris v. 30.11. und v. 14.12.1988, D. 1989 I. R. 11 und 32 = unalex FR-1118;
dazu Bericht Huet, Clunet 1990, 159; einschränkend OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07,
IHR 2008, 112 (117).
2 Supreme Court (Irland) v. 12.5.2005 (Leo Laboratories/Crompton BV), unalex IE-10; vgl. auch LG
Hamburg v. 3.9.2018 – 419 HKO 103/17, BeckRS 2018, 50297 (Rz. 11).
3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.1990 – 18 U 59/90, RIW 1990, 752; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14
U 713/98, IPRax 2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); OLG Hamburg v. 11.1.2001 – 6
U 72/00, TranspR 2001, 300.
4 OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121; OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U
86/95, IPRax 1997, 419 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O
80/94, RIW 1996, 774; ebenso ital. Cass. S.U. v. 29.1.2002, Nr. 1150, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 701
(706 ff.) = unalex IT-15.
5 OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, RIW 2010, 164; OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/
07, IHR 2008, 112 (117); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (65) = IPRspr.
2000 Nr. 119.
6 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 20, 25); BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37–94, RIW 1997, 871 = IPRax 1999, 34 (m. Anm.
Kubis, IPRax 1999, 10); ital. Cass. v. 5.9.1989, unalex IT-43; Supremo Tribunal de Justica v.
8.10.2009, unalex PT-106.
7 BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, RIW 1997, 871; OLG Nürnberg v. 30.7.1998 – 8 U 3905/92,
TranspR 1998, 414.
8 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O
141/90, RIW 1992, 230; zust. die ganz h.L., vgl. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61;
Mankowski in Rauscher, Rz. 122; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 121; Gottwald in MünchKomm
ZPO, Rz. 49, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Rauscher, ZZP 104 (1991), 289 ff.; Holl, RIW 1997,
418; Stöve, S. 146; Killias, S. 189; Staehelin, S. 94 ff.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (490 f.); zwei-
felnd Kohler, IPRax 1983, 265 (270); M. J. Schmidt, RIW 1992, 173 (178 f.); einschränkend auch
Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 27, der zusätzlich verlangt, dass auch das
Vertragsabschlussstatut eine Bindung annimmt.

1026 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.106 § 7

ger Mitgliedstaaten einen solchen Handelsbrauch nicht1, was namentlich in Bezug auf das
subjektive Element der Kenntnis des Handelsbrauchs Bedeutung erlangen kann. Ein Rückgriff
auf die lex causae ist allerdings auch insoweit unzulässig.

Demgegenüber führt der mangelnde Widerspruch des Empfängers einer schriftlichen Auf- 7.105
tragsbestätigung gegen die erstmals in ihr – oder in den ihr beigefügten AGB – enthaltene
Gerichtsstandsklausel auch nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO nicht zu ihrer Ein-
beziehung in den Vertrag, weil ein entsprechender Handelsbrauch nicht besteht2. Auf die ab-
weichende Haltung des deutschen materiellen Rechts3 kommt es im europäischen Prozess-
recht nicht an4. Ebensowenig begründet die bloße Durchführung des Vertrages durch den
Verkäufer sein stillschweigendes Einverständnis mit einer in den AGB des Käufers enthaltenen
Gerichtsstandsklausel, die dieser seiner Bestellung beigefügt hatte5. Auch dürfte sich für die
meisten Branchen kein internationaler Handelsbrauch dahin feststellen lassen, dass schon die
widerspruchslose Bezahlung von Rechnungen als Einverständnis mit der erstmals auf den
Rechnungsformularen aufgedruckten Gerichtsstandsklausel gewertet werden kann6. Dies
schließt freilich die Feststellung eines solchen Handelsbrauchs für einzelne Geschäftszweige,
z.B. die Binnenschifffahrt7, nicht aus.

Die Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einen Emissionsprospekt von Schuldverschrei- 7.106


bungen kann als eine internationalem Handelsbrauch entsprechende Form i.S.v. Art. 25 Abs. 1
S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO angesehen werden, die es ermöglicht, die Zustimmung der Person zu
vermuten, der die Klausel entgegengehalten werden soll. Dies gilt, sofern nachgewiesen wird,
dass zum einen die im betreffenden Geschäftszweig tätigen Wirtschaftsteilnehmer beim Ab-
schluss derartiger Verträge allgemein und regelmäßig ein solches Verhalten zeigen und zum
anderen entweder die Parteien zuvor untereinander oder mit anderen im betreffenden Ge-
schäftszweig tätigen Parteien regelmäßige Handelsbeziehungen unterhielten oder das in Rede
stehende Verhalten hinreichend bekannt ist, um als ständige Übung angesehen werden zu
können8. Auch dürfte es internationalem Handelsbrauch entsprechen, dass Kreditgeber, die in

1 Vgl. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, MDR 1992, 996 (England).


2 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/
07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000,
121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 26; Gottwald in Münch-
Komm ZPO, Rz. 48, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso für widerspruchslose Entgegennah-
me eines Bestellscheins mit aufgedruckter Gerichtsstandsklausel LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45
(19) O 80/94, RIW 1996, 774.
3 Vgl. Busche in MünchKomm, § 150 BGB Rz. 12.
4 Koch, IPRax 1997, 405 (406).
5 OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420) (m. zust. Anm. Koch, IPRax 1997,
406).
6 ÖOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 146/09s, unalex AT-647; OLG Frankfurt a.M. v. 21.3.2003 – 24 U 241/
98, NJOZ 2003, 942 (Viehkauf); OG Basel v. 16.3.1999, BJM 2001, 15 (23 f.); Mankowski, EWiR
1995, 577 (578); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (491); Staehelin, S. 122 ff.; Mankowski in Rauscher,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 122; einen solchen Handelsbrauch für möglich halten demgegenüber
EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 20, 24); BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, RIW 1997, 871 = WiB 1997, 1104 m. Anm.
Gaus; Stöve, S. 171 ff.; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31; Schlosser in Schlosser/Hess
Rz. 24b; Gottwald in MünchKomm-ZPO, Rz. 50 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
7 OLG Nürnberg v. 30.7.1998 – 8 U 3905/92, TranspR 1998, 414.
8 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419
Rz. 38 ff., 51 m. Anm. Müller.

Hausmann | 1027
§ 7 Rz. 7.106 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

einer schriftlichen Patronatserklärung typischerweise enthaltene Gerichtsstandsklausel allein


durch schlüssiges Verhalten – nämlich die Darlehensgewährung – annehmen1. Hingegen
kann die englische Praxis, wonach aus einer Rechtswahl für die Hauptsache i.d.R. auf eine
ergänzende Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen wird, nicht als internationaler Handels-
brauch anerkannt werden2.

e) Kenntnis der Parteien


7.107 Auch die Beobachtung einer im internationalen Handelsverkehr gebräuchlichen Form führt
nur dann zur Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüs-
sel Ia-VO, wenn die Parteien den betreffenden Handelsbrauch „kannten oder kennen muss-
ten“ und wenn „Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig [ihn]
allgemein kennen und regelmäßig beachten“. Damit knüpft die Brüssel Ia-VO an die Formu-
lierung in Art. 9 Abs. 2 CISG an; dessen Auslegung in der Praxis der Vertragsstaaten3 kann
daher auch eine Hilfestellung zum richtigen Verständnis von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüs-
sel Ia-VO bieten4. Von der erforderlichen Kenntnis eines Handelsbrauchs, deren Vorliegen das
angerufene nationale Gericht festzustellen hat5, ist danach jedenfalls ohne Weiteres auszuge-
hen, wenn die Vertragsparteien „untereinander oder mit anderen in dem betreffenden Ge-
schäftszweig tätigen Vertragspartnern schon früher Geschäftsbeziehungen angeknüpft hat-
ten“. Ist dies nicht der Fall, so wird die Kenntnis jedenfalls widerleglich vermutet, „wenn in
diesem Geschäftszweig ein bestimmtes Verhalten bei Abschluss einer bestimmten Art von
Verträgen allgemein und regelmäßig befolgt wird und daher hinreichend bekannt ist, um als
ständige Übung angesehen werden zu können“6; dies bedeutet, dass eine Partei i.d.R. dann
nicht mehr damit gehört wird, dass sie diesen Handelsbrauch nicht kannte7.

7.108 Auch diese subjektive Voraussetzung ist von derjenigen Partei zu beweisen, die sich auf das
Bestehen eines solchen Handelsbrauchs beruft8. Eine Kenntnis der Parteien von dem Handels-
brauch ist regelmäßig anzunehmen, wenn ein entsprechender internationaler Handelsbrauch
in den Wohnsitzstaaten beider Parteien anerkannt ist. Darüber hinaus dürfte es aber auch
ausreichen, dass ein solcher Handelsbrauch nur im Wohnsitzstaat derjenigen Partei besteht,
der die Zuständigkeitsvereinbarung entgegengehalten werden soll, sofern ihn auch die andere
Partei gekannt hat9. Dies wird man beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungs-
schreiben dann annehmen dürfen, wenn der Empfänger nach seinem Aufenthaltsrecht (zur

1 Haß, IPRax 2000, 494 (496).


2 Schlosser-Bericht, Rz. 175; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 47; a.A. Vol-
ken, SchwJbIntR 1987, 97 (109).
3 Vgl. dazu Magnus in Staudinger, Art. 9 CISG Rz. 20 ff.
4 Jenard-Möller-Bericht S. 76 f., Nr. 58 ABl. EG 1990 Nr. C 189, S. 57; Almeida Cruz/Desantes Real/
Jenard-Bericht S. 47, Nr. 26 ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1. Die Ermittlung der Branchenüblichkeit
ist im Wesentlichen Tatfrage; dazu Droz, Rev.crit.d.i.p. 1989, 1/22 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 1989,
337 (339).
5 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 21).
6 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn,), Rz. 24 f.; dazu Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (490); Kubis, IPRax
1999, 10 (13).
7 Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 – O’Connor/Masterwood, unalex IE-42.
8 ÖOGH v. 22.1.2020 – 7 Ob 150/19p, unalex AT-1252.
9 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 (2183); Holl/Kessler, RIW 1995, 457 (459);
Holl, RIW 1997, 417 (418); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 49.

1028 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.110 § 7

Sonderanknüpfung des Schweigens näher Rz. 3.7 ff.)1 damit rechnen musste, dass sein Schwei-
gen als Einverständnis mit einer in dem Bestätigungsschreiben enthaltenen Gerichtsstands-
klausel angesehen wird2. Dies ist für das deutsche Recht zu bejahen3, hingegen nach eng-
lischem4 und italienischem Recht5 zu verneinen. Die Übersendung einer nicht in der Verhand-
lungssprache abgefassten „Ladevereinbarung“ durch den Hauptfrachtführer ohne deutlichen
Hinweis auf die darin enthaltene Vereinbarung eines Gerichtsstands an dessen Sitz reicht
nicht dafür aus, dass der Empfänger einen diesbezüglichen Handelsbrauch kennen musste6.

Die Unterhaltung langjähriger Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien kann aber dazu 7.109
führen, dass der Empfänger des Bestätigungsschreibens sich auch die Kenntnis eines Handels-
brauchs zurechnen lassen muss, der nur im (Wohn-)Sitzstaat seines Vertragspartners gilt7.
Das bloße Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs nach dem auf die Vertragsbezie-
hungen anwendbaren Recht (lex causae) reicht hingegen – schon im Hinblick auf Art. 10
Abs. 2 Rom I-VO (dazu Rz. 3.7 ff.) – nicht aus8. Wird der Vertrag durch einen Vertreter ge-
schlossen, so hat sich der Empfänger die Kenntnis seines Vertreters nach Maßgabe des jeweili-
gen Vertragsstatuts zurechnen zu lassen (näher Rz. 6.438 f.)9. Ist Rechtsnachfolge eingetreten,
so kommt es auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der ursprünglichen Parteien an10.

f) Konnossement
Da das Konnossement i.d.R. einseitig vom Verfrachter ausgestellt wird, wurden darin enthal- 7.110
tene Gerichtsstandsklauseln unter der Geltung des Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ 1968 teilweise schon
im Verhältnis zwischen Verfrachter und Befrachter als formnichtig bewertet11. Auch der
EuGH hatte Formerleichterungen für Gerichtsstandsvereinbarungen in Konnossementen un-
ter Geltung des EuGVÜ 1968 abgelehnt, weil sonst nicht gewährleistet sei, dass die Parteien
sich tatsächlich über den Gerichtsstand geeinigt hätten. Wurde das Konnossement also – wie
üblich – nur vom Verfrachter oder von dessen Hilfspersonen, nicht aber vom Konnossements-
berechtigten unterschrieben, so war die Schriftform i.S.v. Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ 1968 nicht

1 Ferner Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 43 ff.


2 So OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 (2183); OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 –
16 U 77/88, RIW 1990, 577 = NJW-RR 1989, 1330; Stöve, S. 121 ff.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135
(156 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61.
3 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 105 m.w.N.
4 Ebenroth, Kaufmännisches Bestätigungsschreiben im internationalen Rechtsverkehr, ZVglRW 77
(1978), 161 (164 ff.).
5 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 und OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 (jeweils Fn. 439); zur Rechtslage in
weiteren Mitgliedstaaten vgl. Ebenroth, ZVglRWiss 77 (1978), 161 (164 ff.).
6 ÖOGH v. 22.1.2020 – 7 Ob 150/19p, unalex AT-1252.
7 LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O 141/90, RIW 1992, 230; a.A. M.J. Schmidt, RIW 1992, 173 (177 f.);
einschränkend auch von Westphalen, NJW 1994, 2113 (2119).
8 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I,
932 (Rz. 23); Holl, RIW 1997, 417; a.A. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (292).
9 Vgl. High Court (Q.B.Div.) v. 15.12.2004 (Standard Steamship/GIE Vision Bail), (2005) 1 All E.
R.618 (633 f.) = unalex UK-169; a.A. (Vollmachtstatut) LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89,
RIW 1992, 227 (230); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 120.
10 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597
(Rz. 42).
11 OLG Düsseldorf v. 20.11.1975 – 18 U 44/75, RIW 1976, 297; ebenso ital. Cass. v. 17.2.1992, unalex
IT-69.

Hausmann | 1029
§ 7 Rz. 7.110 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

eingehalten1 .Etwas anderes galt nur, wenn das Konnossement im Rahmen laufender Ge-
schäftsbeziehnungen zwischen Verfrachter und Befrachter ausgestellt worden war2.

7.111 Unter der Geltung von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO entspricht die in einem einseitig
vom Verfrachter ausgestellten Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel jedoch einem
internationalen Handelsbrauch, der jedem am Seehandelsverkehr Beteiligten bekannt sein
muss. Im Verhältnis zwischen Verfrachter und erstem Konnossementsberechtigten (Befrach-
ter) erfüllt diese Gerichtsstandsklausel daher stets die Voraussetzungen des Art. 25 Abs. 1 S. 3
lit. c Brüssel Ia-VO3. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Gerichtsstandsklausel auch tat-
sächlich auf dem Konnossement abgedruckt ist; die bloße Verweisung im Konnossement auf
nicht beigefügte AGB (z.B. in einer Charterparty), die erst die Gerichtsstandsklausel enthalten,
reicht – vorbehaltlich einer abweichenden Gepflogenheit im Einzelfall – insoweit nicht aus4.
Zur Drittwirkung im Verhältnis zum Konnossementsempfänger Rz. 7.138 ff.

V. Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung


1. Hinreichende Bestimmtheit
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis
7.112 Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO muss sich die Zuständigkeitsvereinbarung auf eine
bereits entstandene oder auf eine „künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entsprin-
gende Rechtsstreitigkeit“ beziehen. Durch dieses Erfordernis soll „die Geltung einer Gerichts-
standsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten eingeschränkt werden, die ihren Ursprung in
dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde“5. Vor al-
lem soll verhindert werden, dass die wirtschaftlich stärkere Vertragspartei der schwächeren
mit einer einzigen umfassenden Klausel (sog. „catch-all-clause“) auch für Streitigkeiten aus

1 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433 f.)
(Rz. 16) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser = IPRax 1985, 152 (m. Anm. Basedow, IPRax 1985,
133). Vgl. dazu Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 109 m.w.N.
2 Vgl. dazu näher Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 249 ff. m. ausf.
Nachw.
3 Vgl. BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 Rz. 26 = NJW 2007, 2036 (2037 f.); OLG
Stuttgart v. 23.12.2003 – 3 U 147/03, TranspR 2004, 406 m. Anm. Herber; OLG Hamburg v.
30.7.1992 – 6 U 7/92, TranspR 1993, 25; öOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; frz.
Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2398; frz. Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2398 und v. 19.11.2013, una-
lex FR-1475; ital. Cass. v. 17.1.2005, unalex IT-278; Schack, Rz. 535; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 62; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 28; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 52;
Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 122, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; ferner Stöve, S. 169; Staehe-
lin, S. 85 ff.; Rabe, TranspR 2000, 389 (393); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89) (lex mercatoria); Man-
kowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 274 f.; Hausmann in unalexKomm,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 119 m. ausf. Nachw.
4 Frz. Cass. v. 27.6.1995, unalex FR-263; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454
(456); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 28; Mankowski in Rauscher, Rz. 123, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO; a.A. OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (m. Anm. Koch, IPRax 1997,
405).
5 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349
(Rz. 22); EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745
(1777 f.) (Rz. 30 ff.) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); vgl.
dazu den Vorlagebeschluss des OLG Koblenz v. 1.6.1989 – 6 U 1946/87, RIW 1989, 739 = EWiR
1989, 885 m. Anm. Geimer.

1030 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.114 § 7

noch nicht voraussehbaren künftigen Verträgen einen Gerichtsstand aufzwingt1. Soll die Ge-
richtsstandsklausel daher nicht nur für den Vertrag gelten, in dem sie selbst enthalten ist, so
muss zumindest das Rechtsverhältnis, auf das sie sich bezieht, im Zeitpunkt der Einigung
über die Zuständigkeit nach Art und Gegenstand bereits hinreichend bestimmbar sein. Daher
bindet die in AGB des Herstellers enthaltene Gerichtsstandsklausel für die einzelnen Kaufver-
träge den Vertragshändler nicht bei Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag mit dem Herstel-
ler2. Ferner erfasst eine Klausel, die sich nur in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus
Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit, in dem ein Vertragspartner aus delikti-
scher Haftung wegen seiner Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell belangt wird, weil
dem geschädigten Unternehmen diese Beteiligung im Zeitpunkt seiner Zustimmung zur Ge-
richtsstandsklausel nicht bekannt war und deshalb nicht davon ausgegangen werden kann,
dass der Kartellverstoß auf den Vertragsverhältnissen beruht3. Etwas anderes gilt nur, wenn
die Parteien die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung auch auf solche Ansprüche aus-
dehnen wollten; dies kann auch stillschweigend geschehen und kann sich auch auf künftige
Vorsatztaten beziehen4.

An die Bestimmtheit der erfassten Rechtsverhältnisse sind jedoch keine überzogenen Anfor- 7.113
derungen zu stellen. Es genügt daher, wenn nach dem Inhalt der Gerichtsstandsklausel der
Wille der Parteien feststeht, für möglichst alle Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis eine Ge-
richtsstandskonzentration zu erzwingen; erfasst werden daher auch Ansprüche, die erst nach
Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung zur Entstehung gelangen5. Die in internationalen
Verträgen häufig verwandte Formulierung, wonach sich die Gerichtsstandsklausel auf „all
claims and disputes arising out of or in connection with this contract“ beziehen soll, ist daher
bestimmt genug6.

Ebenfalls ausreichend ist es, wenn sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf Verträge bezieht, 7.114
die im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen auf der Grundlage eines Rahmenvertrages –
etwa mit einem Vertragshändler – zustande kommen7. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann
in diesem Falle auch auf Geschäfte zur Förderung der Kreditfähigkeit des Vertragshändlers

1 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 158b; Heinig S. 168 f.
2 Frz. Cass. v. 29.10.1985, unalex FR-175; s.a. OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015,
154 (Rz. 44 ff.) (m. Anm. Wais, IPRax 2015, 127).
3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 68) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016,
318); dazu G. Wagner, ZVglRW 114 (2015), 494 (505); Heinze, FS Ahrens (2016), S. 521 (526);
Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159.
4 EuGH v. 21.5.2015 (vorige Fn.), Rz. 71.
5 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rz. 32 f.
6 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 165. Vgl. auch EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98,
ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9344) (Rz. 14 f.) = NJW 2001, 501: Die
Formulierung „any dispute arising under this Bill of Lading“ ist hinreichend bestimmt.
7 OLG Oldenburg v. 28.7.1997 – 15 U 59/97, IPRax 1999, 458 (m. Anm. Kindler/Haneke, IPRax
1999, 435); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 70; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 158a;
Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 63, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; vgl. auch OLG München
v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901. Umgekehrt bindet eine in den AGB des Herstellers
enthaltene Gerichtsstandsklausel für die einzelnen Kaufverträge den Vertragshändler aber nicht
bei Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag, vgl. frz. Cass. v. 29.10.1985, unalex FR-175; OLG Bam-
berg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IHR 2013, 253 m. Anm. Smyrek = IPRax 2015, 154 (m. Anm.
Wais, IPRax 2015, 127).

Hausmann | 1031
§ 7 Rz. 7.114 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(Stundungsvereinbarung, Darlehen, Bürgschaft) erstreckt werden, soweit diese in einem engen


Zusammenhang mit dem geschlossenen Rahmenvertrag stehen1. Auch für sonstige Dauer-
schuldverhältnisse (z.B. ein Gesellschafts-, Versicherungs- oder Kontokorrentverhältnis) kön-
nen Gerichtsstandsvereinbarungen im Vorhinein wirksam getroffen werden2. Zulässig ist
auch die Vereinbarung eines Gerichtsstands für alle von einer Partei an die andere vermittel-
ten Geschäfte3. Ferner genügt es auch, dass sich das von der Gerichtsstandsvereinbarung er-
fasste Rechtsverhältnis im Wege der Auslegung feststellen lässt4. Demgemäß erfüllt etwa die in
der Satzung einer Gesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel dieses Bestimmtheitserfor-
dernis, wenn sie dahin auszulegen ist, dass sie sich nur auf Rechtsstreitigkeiten zwischen der
Gesellschaft und den Gesellschaftern als solchen bezieht5.

7.114a Unwirksam sind hingegen Gerichtsstandsvereinbarungen, die ganze Kategorien von Klagen er-
fassen sollen, etwa alle künftigen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien oder alle Streitig-
keiten aus der bestehenden Geschäftsverbindung (sog. Globalvereinbarung). Die in einem
Anlageberatungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel ersteckt sich daher nicht auf Pflicht-
verletzungen im Rahmen des parallel geschlossenen Auftrags zur Konto- und Depotführung6.

b) Bestimmtes Gericht
7.115 Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setzt ferner voraus,
dass das als zuständig vereinbarte Gericht zumindest bei Klageerhebung eindeutig bestimmbar
ist. Allerdings muss die Gerichtsstandsvereinbarung nicht so formuliert sein, dass sich das zu-
ständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen lässt. Da nämlich Art. 25 Brüssel Ia-
VO die Parteiautonomie in den Grenzen des Abs. 4 respektiert, muss es genügen, wenn die Ver-
einbarung die objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien zur Bestimmung des zustän-
digen Gerichts geeinigt haben. Diese Kriterien müssen allerdings so genau festgelegt werden, dass
das später angerufene Gericht zumindest unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des
konkreten Falles entscheiden kann, ob es zuständig ist oder nicht7. Ausreichend ist daher die Be-
zeichnung des Gerichts am vertraglichen Erfüllungsort, sofern sich letzterer aus dem Vertrag oder

1 Kindler/Haneke, IPRax 1999, 435 (436 f.) gegen OLG Oldenburg v. 28.7.1997 – 15 U 59/97, IPRax
1999, 458.
2 Vgl. OLG München v.8.3.1989 – 15 U 5989/88, ZZP 103 (1990) 84 (87) m. Anm. H. Schmidt; Gei-
mer, Rz. 1682 f.
3 Vgl. OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621.
4 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8.
5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell/Duffryn), NJW 1992, 1671 (1672)
(Rz. 30 ff.) = ZIP 1992, 472; vgl. dazu auch OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, RIW 1993,
141 = WuB VII B 1 Art. 17 EuGVÜ Nr. 1 93 m. Anm. Ebenroth/Reiner = EWiR 1992, 989 m.
Anm. Geimer; BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347 (354 f.) = NJW 1994, 51 = RIW
1994, 237 = EWiR 1994, 49 (LS) m. Anm. Bork; ferner Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 183.
6 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski.
7 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9344)
(Rz. 14 f.); EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635
(Rz. 43 f.); ital. Cass. v. 20.2.2007, unalex IT-213; öOGH v. 1.12.2004 – 9 Ob 134/04b, unalex AT-
69; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 70. Vgl. auch OLG Celle v.
24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575 („Internationales Handelsgericht in Brüssel“ ist hinrei-
chend bestimmt, obwohl es in Brüssel nur ein nationales Tribunal de commerce gibt); LG Franken-
thal v. 30.4.2008 – 6 O 339/07, IRspr. 2008 Nr. 131. S. aber als Beispiele für mangelnde Bestimm-
barkeit schwz. BG v. 28.1.2000, unalex CH-264; ital. Cass. v. 10.3.1998, unalex IT-246.

1032 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.117 § 7

den wirksam einbezogenen AGB ergibt1. Auch die Benennung einer bestimmten Stadt genügt2.
Ist die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz oder Wohnsitz einer Vertragspartei vereinbart, so
kommt es im Zweifel auf den (Wohn-)Sitz im Zeitpunkt der Klageerhebung an3.

Zulässig ist auch die Vereinbarung Wahlgerichtsständen4. Das Wahlrecht steht dabei – soweit 7.116
nichts anderes vereinbart ist – dem Kläger zu5. Auch die Ermächtigung einer Partei, außer
dem vereinbarten „ein anderes zuständiges Gericht“ anzurufen, dürfte noch hinreichend be-
stimmt sein; denn gemeint ist damit im Zweifel die – nach Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO
ausdrücklich zugelassene – konkurrierende Zuständigkeit von Gerichten nach der Brüssel Ia-
VO6. Eine Abrede, wonach die Bestimmung des Gerichtsstands der freien Wahl einer Partei
überlassen bleibt, genügt hingegen nicht7.

Aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist auch nicht zu schließen, dass die Parteien nur ein einziges 7.117
Gericht oder die Gerichte nur eines Mitgliedstaats als zuständig bestimmen können. Da sie
nämlich ohne Weiteres zwei getrennte Vereinbarungen schließen und darin – dem Wortlaut des
Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO entsprechend – jeweils für die künftigen Klagen einer Partei
ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaates bestimmen könnten, muss ihnen auch die
Zusammenfassung dieser beiden einzeln jeweils zulässigen Abreden in einer Klausel gestattet
sein8. Wirksam ist daher auch eine Vereinbarung, welche die Zuständigkeit von der – im Zeit-
punkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbaren – Rolle der Parteien im künftigen Prozess ab-
hängig und damit zunächst nur alternativ bestimmbar macht (sog. „reziproke Gerichtsstands-
klauseln“). Dies gilt insbesondere dann, wenn zwei in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnende
Vertragsparteien vereinbaren, dass jede nur vor den Gerichten ihres Heimatstaates zu verkla-
gen sein soll9. Denn eine solche Vereinbarung entspricht dem in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO
zum Ausdruck kommenden Grundsatz „actor sequitur forum rei“. Ihre Bedeutung liegt darin,
dass die fakultativen Gerichtsstände nach Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen werden.
Darüber hinaus ist aber auch die Prorogation der Gerichte am Wohnsitz bzw. Sitz des jeweiligen
Klägers als zulässig zu erachten10. Schließlich kann dem Kläger auch die Auswahl zwischen

1 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 12.
2 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 Rz. 45 ff.: „Paris“.
3 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 169; a.A. Weber, ZVglRW 2008, 193 (200).
4 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 30) (m. Anm. Spellenberg, IPRax
2007, 98); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8.
5 OLG Frankfurt a.M. v. 17.11.1999 – 9 U 41/99, OLGR 2000, 71.
6 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 72; a.A. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 172, sowie zu Art. 17 EuGVÜ OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165.
7 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 30) (m. Anm. Spellenberg, IPRax
2007, 98); LG Braunschweig v. 28.2.1974 – 9a O 115/73, AWD 1974, 346; App. Paris v. 5.7.1989,
Bericht Huet, Clunet 1990, 151; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 171; Magnus in Magnus/Man-
kowski, Rz. 71, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
8 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73 m.w.N.
9 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2141)
(Rz. 5) = RIW 1978, 814; BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477 (2478); öOGH v.
1.12.2004 – 9 Ob 134/04b, unalex AT-69; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993,
934 (935); zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73; Gottwald in MünchKomm
ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 65.
10 ÖOGH v. 6.5.2002 – 2 Ob 78/02p, IPRax 2004, 259 (261) (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2004,
264) = unalex AT-595; OLG München v. 1.3.2000 – 7 U 5080/99, EuLF 2000/01, 136 m. Anm.
Simons; LG Frankfurt v. 9.5.1986 – 3/11 O 138/85, RIW 1986, 543; ebenso in Frankreich Cass. civ.

Hausmann | 1033
§ 7 Rz. 7.117 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

mehreren für zuständig erklärten Gerichten überlassen1 oder das Recht eingeräumt werden, ne-
ben dem vereinbarten ein anderes Gericht anzurufen, das nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO (bzw.
§§ 12 ff. ZPO) international zuständig ist2. Denn die Parteiautonomie wird insoweit durch die
Brüssel Ia-VO nicht beschränkt und dem Bestimmtheitsgebot des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-
VO wird auch durch eine solche Vereinbarung entsprochen, weil das zuständige Gericht jeden-
falls im Zeitpunkt der Klageerhebung objektiv bestimmt werden kann. Die Gültigkeit einer Ge-
richtstandsvereinbarung wird auch durch eine alternative Schiedsklausel nicht in Frage gestellt.

7.118 Die Parteien können sich – wie der Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO („Gerichte
eines Mitgliedstaats“) ausdrücklich klarstellt – auf die Vereinbarung der internationalen Zu-
ständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaates beschränken, um damit die Zuständigkeit der
Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten zu derogieren. Für diesen Fall bestimmt sich die örtli-
che Zuständigkeit nach dem nationalen Verfahrensrecht des prorogierten Staates3. Zwischen
mehreren örtlich zuständigen Gerichten kann der Kläger dann wählen4. Fehlt nach diesem
Recht ein Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit, so ist auf die in den Rechten
sämtlicher Mitgliedstaaten vorgesehene örtliche Ersatzzuständigkeit zurückzugreifen, um die
getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nicht leer laufen zu lassen5. Denn der prororogierte
Mitgliedstaat ist verpflichtet, das nationale Recht so auszulegen, dass es danach das Gericht
feststellen oder bestimmen kann, das örtlich und sachlich zuständig ist6. Nach innerstaatli-
chem deutschen Verfahrensrecht besteht die örtlich Zuständigkeit für Zivil- und Handels-
sachen i.S.v. Art. 1 Brüssel Ia-VO bei dem Gericht, bei dem der Kläger seinen allgemeinen
Gerichtsstand hat bzw. – analog § 15 Abs. 1 S. 2, § 27 Abs. 2 ZPO – am Sitz der Bundesregie-
rung, d.h. in Berlin. Notfalls ist das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von
§ 36 ZPO zu bestimmen7. Haben die Parteien – umgekehrt – nur einen örtlichen Gerichts-

v. 19.2.1980, Rev.crit.d.i.p. 1981, 134 = unalex FR-255 m. Anm. Gaudemet-Tallon; App. Bordeaux
v. 6.9.2005, unalex FR-1146; in Italien Cass. v. 13.12.1994, Nr. 10620, Riv.dir.int.priv.proc. 1996,
577 = unalex IT-378; Cass. v. 23.4.1990, unalex IT-53; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-
VO Rz. 74; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 170; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 65, jeweils zu
Art. 25 Brüssel Ia-VO; Heinig, S. 173 f. m.w.N.
1 OLG München v. 8.8.1984 – 7 U 1880/84, RIW 1986, 381 (382) = IPRax 1985, 341 (m. Anm.
Jayme/Haack, IPRax 1985 323); OLG Hamm IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007,
98); Geimer, Rz. 1660 f.
2 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 72; a.A. OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr
1991 Nr. 165.
3 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 48); öOGH v.
25.8.2017, unalex AT-1134; öOGH v. 6.7.2011, unalex AT-734; öOGH v. 9.4.2010, unalex AT-668;
öOGH v. 13.7.2007, unalex AT-350; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 76; Schlosser in
Schlosser/Hess, Rz. 4; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 66, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 ÖOGH v. 2.6.2009 – 7 Nc 10/09v, unalex AT-616 und öOGH v. 1.12.2003 – 4 Nc 32/03y, unalex
AT-19; HandelsG Zürich v. 15.11.1995, SZIER 1997, 360 (361) m. zust. Anm. Volken = unalex
CH-38 (zu Art. 17 LugÜ); Killias, S. 112 ff.; Linke/Hau, Rz. 224; Gaudemet-Tallon, Rz. 154. Beden-
ken gegen ein solches Wahlrecht bei Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 170.
5 Kohler, IPRax 1983, 265 (268 f.); Aull, S. 134 ff.; Heinig, S. 171 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 78; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 146; a.A. Schack,
Rz. 507: Unwirksamkeit der Vereinbarung.
6 EuGH v. 10.3.2016 – C-94/14, ECLI:EU:C:2016:148 (Flight Refund), IPRax 2017, 277 (Rz. 67) (m.
Anm. Gruber, IPRax 2017, 259); dazu Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 101; ferner Schlosser in
Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 1b, 5.
7 Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 36 ZPO Rz. 77; vgl. auch öOGH v. 6.5.2002, unalex AT-595
(Ordination).

1034 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.121 § 7

stand vereinbart, so bezieht sich diese Vereinbarung – bei Vorliegen einer Auslandsbeziehung
im Zeitpunkt der Klageerhebung – im Zweifel auch auf die internationale Zuständigkeit1.

2. Keine ausschließliche Zuständigkeit


Unzulässig sind nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen, die darauf 7.119
abzielen, ausschließliche Zuständigkeiten i.S.d. 6. Abschnitts (Art. 24 Brüssel Ia-VO) zu dero-
gieren. Dieses Derogationsverbot gilt insbesondere für eine von Art. 24 Brüssel Ia-VO abwei-
chende – ausschließliche oder fakultative – Wahl der Gerichte in einem anderen Mitglied-
staat2. Darüber hinaus sprechen freilich gute Gründe dafür, Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Brüs-
sel Ia-VO auch insoweit als zwingende Schranke der Prorogationsfreiheit anzusehen, als die
Zuständigkeit der Gerichte von Drittstaaten vereinbart wird3. Dies gilt in beiden Fällen unab-
hängig davon, ob die Parteien einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU haben4.

Zu beachten ist freilich, dass Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Brüssel Ia-VO die Prorogationsfrei- 7.120
heit lediglich in Bezug auf die internationale Zuständigkeit einschränkt. Eine Bestimmung
darüber, welches Gericht in dem nach Art. 24 Brüssel Ia-VO international zuständigen Staat
örtlich zuständig sein soll, können die Parteien nach der Verordnung frei treffen. Zulässig-
keitsschranken für diese Vereinbarung – durch die Bestimmung ausschließlicher örtlicher Ge-
richtsstände, die Aufstellung von Formerfordernissen u.Ä. – ergeben sich dann nur aus dem
jeweiligen innerstaatlichen Verfahrensrecht5.

3. Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern


Die Zuständigkeiten im 3.-5. Abschnitt der Verordnung (Versicherungs-, Verbraucher- und 7.121
Arbeitssachen) sind zum Schutz der schwächeren Partei nur eingeschränkt abdingbar. Von
dem Grundsatz, dass Versicherungsnehmer, Verbraucher oder Arbeitnehmer6 nur in ihrem
Wohnsitzstaat verklagt werden können7, darf nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO im Wege der
Vereinbarung nur in den Grenzen der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO abgewichen werden,
dh. grundsätzlich nur dann, wenn die Vereinbarung entweder nach Entstehung der Streitig-

1 OLG Saarbrücken v. 9.12.2003 – 4 U 645/02-83, OLGR 2004, 285.


2 LG Frankfurt v. 6.9.1991 – 2/10 O 206/90, IPRax 1992, 241 (m. Anm. Endler, IPRax 1992, 212);
AG München v. 15.3.1990 – 232 C 40995/89, ZMR 1991, 183 (m. Anm. Busl, ZMR 1991, 167);
Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 159; vgl. aber OLG Frankfurt a.M. v.
10.6.1992 – 23 U 141/91, IPRspr. 1992 Nr. 183b.
3 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO, Rz. 84; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 42; Magnus in
Magnus/Mankowski, Rz. 133; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 Vgl. schon zu Art. 23 Abs. 5 Brüssel I-VO öOGH v. 31.1.2007, unalex AT-521; öOGH v. 13.7.2007
– 6 Nc 12/07b, unalex AT-350.
5 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 85; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 69; Geimer
in Geimer/Schütze, Rz. 160, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
6 Eine analoge Anwendung der von Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO bestimmten Prorogationsschran-
ken auf vergleichbar schutzbedürftige Personen kommt nicht in Betracht, vgl. zu Handelsvertre-
tern OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, IPRspr. 2004 Nr. 109. Allerdings darf Handelsver-
tretern der durch die Richtlinie 86/653/EWG garantierte Schutz auch durch Vereinbarung eines
drittstaatlichen Gerichtsstands nicht entzogen werden, vgl. BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, ZVer-
triebsR 2013, 89; OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = IPRax 2007, 322
(m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294).
7 Vgl. Art. 14 Abs. 1, 18 Abs. 2, 22 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 1035
§ 7 Rz. 7.121 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

keit getroffen wird1 oder wenn sie die Klagemöglichkeiten des zu schützenden Personen-
kreises erweitert2. Wird gegen diese Schranken verstoßen, so ist auch eine formgültig nach
Art. 25 Abs. 1–3 Brüssel Ia-VO getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nichtig3. Dies gilt selbst
dann, wenn sich die geschützte Partei auf die Vereinbarung beruft oder wenn sie für diese
Partei von Vorteil ist4.

7.122 Daneben sind insbesondere die Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO
auch für Zuständigkeitsvereinbarungen in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen
einzuhalten5. Weitere Schranken für deren Gültigkeit können sich aus dem sekundären Ge-
meinschaftsrecht, insbesondere aus der EG Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in
Verbraucherverträgen ergeben (vgl. dazu Rz. 7.38); demgegenüber findet eine ergänzende
Kontrolle am Maßstab nationalen Rechts zum Schutz der schwächeren Vertragspartei nicht
statt (näher Rz. 7.36 f.).

7.123 Fraglich könnte sein, ob das Prorogationsverbot des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO nur unter
den besonderen Anwendungsvoraussetzungen des Abs. 1 eingreift, oder ob eine Zuständig-
keitsvereinbarung, die den Vorschriften der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zuwiderläuft,
auch dann unzulässig ist, wenn die Zuständigkeit der Gerichte eines Nichtmitgliedstaats ver-
einbart wurde. Da Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO seinen Anwendungsbereich nicht eigenstän-
dig bestimmt, scheint es nahe zu liegen, die Vorschrift ebenfalls nur unter den Voraussetzun-
gen des Abs. 1 anzuwenden6. Mit dem Wortlaut der genannten Schutzvorschriften steht eine
solche restriktive Auslegung freilich kaum im Einklang; denn diese verbieten verbieten jede
über Art. 15, 19 oder 23 Brüssel Ia-VO hinausgehende vertragliche Abweichung von den ge-
setzlichen Zuständigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen. Wenn von
diesen Zuständigkeiten aber nicht einmal durch die Vereinbarung der Zuständigkeit in einem
Mitgliedstaat abgewichen werden kann, so wird dem Normzweck nur ein Verständnis gerecht,
das Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO im Wege der Analogie auch – und erst recht – auf die Pro-
rogation zugunsten der Gerichte von Nichtmitgliedstaaten erstreckt7.

1 Vgl. Art. 15 Nr. 1, 19 Nr. 1, 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO; vgl. auch BAG v. 8.12.2010 – 10AZR 562/08,
IPRspr. 2010 Nr. 206 (zum LugÜ).
2 Vgl. Art. 15 Nr. 2, 19 Nr. 2, 23 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.
3 Allg.M., vgl. Areopag v. 4.4.2001, unalex GR-19; öOGH v. 13.10.1999 – 19 ObA 230/99k, unalex
AT-399; frz. Cass. v. 17.12.1997, unalex FR-94; span. Trib. Supremo v. 24.4.2000, unalex ES-4. Vgl.
zu Verbrauchersachen nach Art. 17 Abs. 3 i.V.m. Art. 15 EuGVÜ; LG Berlin IPRax 1992, 243
(244); vgl. auch OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (145 f.) = IPRax 1987, 308
(m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291).
4 OLG Köln v. 16.3.1989 – 12 U 197/88, ZIP 1989, 838.
5 Schlosser-Bericht, Rz. 161; Samtleben, NJW 1974, 1593; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 79.
6 So Schlosser-Bericht, Rz. 176; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 (506).
7 So auch EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 (Mahamdia), NZA 2012, 936
(Rz. 66) = IPRax 2013, 572 (m. Anm. Martiny, IPRax 2013, 536); OLG Dresden v. 15.12.2004 – 8
U 1855/04, IPRax 2006, 131 (m. Anm. von Hein, IPRax 2006, 16) (Vereinbarung eines Gerichts-
stands auf den Virgin Islands zu Lasten eines deutschen Verbrauchers); Kropholler/von Hein,
Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 83; Mankowski in Rauscher, Rz. 14; Gottwald in MünchKomm ZPO,
Rz. 69; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 42, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Heinig, S. 132 ff.
m.w.N.

1036 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.125 § 7

VI. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung


1. Ausschließliche oder konkurrierende Zuständigkeit der prorogierten
Gerichte?
Eine Zuständigkeitsvereinbarung hatte nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 7.124
EuGVÜ die ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts oder Vertragsstaats zur
Folge und schloss damit sowohl die allgemeine Wohnsitzzuständigkeit nach Art. 2 Abs. 1
EuGVÜ wie auch die besonderen Zuständigkeiten nach Art. 5 und 6 EuGVÜ aus1. Sinn dieser
Regelung war es, schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglichst Klarheit über das anzu-
rufende Gericht zu schaffen2. Wie schon die Brüssel I-VO3 schwächt die Brüssel Ia-VO diesen
Grundsatz in Art. 25 Abs. 1 S. 2 zwar dahingehend ab, dass das prorogierte Gericht nur dann
ausschließlich zuständig ist, „wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben“. Auch nach
geltendem Recht bleibt es aber im Interesse der Rechtssicherheit dabei, dass eine Prorogation
im Zweifel die ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts begründet4 und da-
mit alle gesetzlichen Zuständigkeiten nach Art. 4, 7 und 8 Brüssel Ia-VO verdrängt (vgl. zu
Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 7.168 f.; zu Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO Rz. 7.161 f.)5. Dies gilt
auch dann, wenn der Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung keinen Hinweis auf die ge-
wollte Ausschließlichkeit enthält6. Die gesetzlichen Zuständigkeiten leben allerdings wieder
auf, wenn das prorogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam hält und
die Klage deshalb als unzulässig abweist7.

Ausschließlich ist insbesondere eine Gerichtsstandsvereinbarung, die für eine Vielzahl von 7.125
Parteien mit unterschiedlichem Wohnsitz einen einheitlichen Gerichtsstand festlegt8. Ferner
ist auch eine Rechtswahl zugunsten des am vereinbarten Gerichtsstand geltenden materiellen

1 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1831


(1841) (Rz. 7) = NJW 1977, 494; EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg.
1980, 89 (96 f.) (Rz. 4) = WM 1980, 720; EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, ECLI:EU:C:1986:255
(Anterist/Crédit lyonnais), Slg. 1986, 1951 (1962) (Rz. 12) = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald,
IPRax 1987, 81); BGH v. 19.3.1987 – I ARZ 903/86, NJW 1988, 646 = RIW 1987, 624; öOGH v.
15.4.1999 – 2 Ob 96/99b, ZfRV 1999, 191 (192) (LS) = unalex AT-401; öOGH v. 31.1.2002 – 6 Ob
275/01m, ZfRV 2002, 192 (LS) = unalex AT-666; frz. Cass. v. 18.10.1989, D. 1989 I R. 283 = unalex
FR-301; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, IPRspr. 2000 Nr. 119; OLG Hamm v. 22.2.1999
– 8 U 255/97, RIW 2000, 382.
2 Jenard-Bericht zu Art. 17 EuGVÜ.
3 Vgl. Ö OGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; öOGH v. 3.8.2004 – 5 Ob 32/04y, unalex
AT-73; LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124; Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 90.
4 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 28); EuGH v.
21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 (El Majdoub), EuZW 2015, 565 (Rz. 24); OLG Hamm
v. 29.5.2017 – 32 SA 4/17, IPRspr. 2017 Nr. 244; OLG Brandenburg v. 27.2.2014 – 12 U 10/13,
IPRspr. 2014 Nr. 176; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 1a, 42; Mankowski in Rauscher,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 198.
5 Vgl. zu Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010 Nr. 184a;
zu Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO frz. Cass. v. 9.2.2011, unalex FR-2182; frz. Cass, v. 20.6.2006, unalex
FR-324; Hoge Raad v. 24.9.1999, unalex NL-16; einschränkend aber frz. Cass. v. 2.3.1999, unalex
FR-74.
6 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 38 f.) zur Klausel „Bonn shall be the place
of jurisdiction“.
7 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 191.
8 OLG Hamm v. 22.2.1999 – 8 U 2555/97, RIW 2000, 382.

Hausmann | 1037
§ 7 Rz. 7.125 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rechts ein Indiz für die gewollte Ausschließlichkeit1. Diese wird auch nicht dadurch in Frage
gestellt, dass die Parteien – z.B. in einer alternativen Gerichtsstandsvereinbarung – mehr als
ein Gericht für zuständig erklärt haben2. Im Hinblick auf die Ausschließlichkeit der Gerichts-
standsvereinbarung kann das prorogierte Gericht deren Wirksamkeit auch nicht mit der Be-
gründung dahingestellt sein lassen, dass jedenfalls ein besonderer Gerichtsstand nach Art. 7
oder Art. 8 Brüssel Ia-VO begründet sei3.

7.126 Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO bekräftigt andererseits die schon zu Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ
vertretene Auffassung, die es den Parteien unter Berufung auf die vom europäischen Prozess-
recht grundsätzlich respektierte Vertragsfreiheit gestattet, einen Gerichtsstand zu vereinbaren,
der nur konkurrierend neben die übrigen Zuständigkeiten des Übereinkommens treten soll4.
Hierfür ist zwar eine ausdrückliche Vereinbarung nicht erforderlich5; ein entsprechender Wille
der Parteien muss aber in der Vereinbarung eindeutig zum Ausdruck kommen6. Denn auch
nach der Neufassung spricht eine Vermutung für die Ausschließlichkeit des vereinbarten Ge-
richtsstands. Daraus folgt, dass diejenige Partei, die die Ausschließlichkeit bestreitet (z.B. in-
dem sie Klage vor einem derogierten Gericht in einem anderen Mitgliedstaat erhebt), dafür
beweispflichtig ist, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nur einen zusätzlichen, konkurrieren-
den Gerichtsstand begründen sollte7. Der bloße Umstand, dass die Parteien ein anderes Recht
als dasjenige des Gerichtsstaats gewählt haben, reicht als Grund für die Annahme einer nur
konkurrierenden Gerichtsstandsvereinbarung nicht aus8. Die Vermutung der Ausschließlich-
keit erlangt nach neuem Recht insbesondere für die Kompetenz-Kompetenz des prorogierten
Gerichts nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Bedeutung (dazu Rz. 7.156 ff.).

1 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 40); OLG Hamm v. 22.2.1999 – 8 U 2555/
97, RIW 2000, 382.
2 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2141) =
RIW 1978, 814; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 145.
3 Leible/Sommer, IPRax 2006, 568 (569) gegen BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, RIW 2005, 776.
4 Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 81; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 144 ff., jeweils zu
Art. 25 Brüssel Ia-VO; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v. 28.1.2003 (Insured Fi-
nancial Structures Ltd./Elektrocieplownia Tychy SA), unalex UK-205; High Court (Ch. D.) v.
26.7.1991 (Kurz v. Stella Musical Veranstaltungs-GmbH), [1992] 1 All E. R. 630 = RIW 1992, 139
m. zust. Anm. Ebert-Weidenfeller = unalex UK-403; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99,
IPRspr. 1999 Nr. 106b; Jayme/Haack, IPRax 1985, 323; Kohler, IPRax 1986, 342; vgl. auch zu
Art. 17 LugÜ 1988 BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (m. krit.
Anm. Schulze, IPRax 1999, 229), sowie zu Art. 23 Brüssel I-VO OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/
07, IHR 2007, 200; Aud.Prov. Barcelona v. 5.3.2009, unalex ES-396; Heinig, S. 175 ff. m.w.N.
5 OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/07, IHR 2007, 200; Geimer in Zöller, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 1;
Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61.
6 OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010 Nr. 184a; Aud. Prov. Barcelona v. 28.2.2009,
unalex ES-406; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 92.
7 OLG Hamm v. 29.5.2017 – 32 SA 4/17, IPRspr. 2017 Nr. 244; OLG Hamburg v. 14.9.2004 – 13 U
76/03, NJW 2004, 3126; LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124; Geimer,
Rz. 1647.
8 OLG Hamburg v. 14.9.2004 (vorige Fn.). Anders liegt es dann, wenn die Parteien nach dem Inhalt
ihrer Gerichtsstandsvereinbarung nur das Recht (aber nicht die Pflicht) haben, das prorogierte
Gericht anzurufen, vgl. OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/07, IHR 2007, 200.

1038 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.128 § 7

2. Vereinbarungen nur zugunsten einer Partei


a) Allgemeines
Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ ermöglichte ausdrücklich den Abschluss von Zuständigkeitsverein- 7.127
barungen „nur zugunsten einer Partei“. Danach war das prorogierte Gericht nur für Klagen
einer Partei ausschließlich zuständig, während die begünstigte Partei auch an allen oder be-
stimmten anderen durch das Übereinkommen bereitgestellten Gerichtsständen klagen konn-
te1. Der gewählte Gerichtsstand war in diesem Falle also nur für eine der Parteien obliga-
torisch, während die andere – regelmäßig die wirtschaftlich stärkere – Partei für ihre Aktiv-
prozesse das Wahlrecht zwischen dem forum prorogatum und den nur zu Lasten der anderen
Partei derogierten Zuständigkeiten behielt (sog. „asymmetrische Gerichtsstandsverein-
barung“). Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ ist zwar schon in die Brüssel I-VO nicht übernommen wor-
den. Die den Parteien in Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO eingeräumte Möglichkeit, auch
nicht ausschließliche Gerichtsstände zu vereinbaren, umfasst aber weiterhin auch die Verein-
barung eines Gerichtsstands, der nur zugunsten einer Partei ausschließlich wirkt2.

Diese Auffassung war zwar in der jüngeren Rechtsprechung einiger Mitgliedstaaten auf Wi- 7.128
derspruch gestoßen. So hat die französische Cour de Cassation eine Gerichtsstandsverein-
barung, die nur einer Partei die Wahl zwischen dem vereinbarten Gericht und anderen nach
der Brüssel I-VO zuständigen Gerichten eingeräumt hatte, während die andere Partei nur im
prorogierten Gerichtstand klagen konnte, als mit den Zielsetzungen des Art. 23 Brüssel I-VO
für unvereinbar und deshalb unwirksam erklärt3. Zur Begründung hat sich das Gericht vor
allem auf die Unzulässigkeit einer „condition potestative“ nach französischem Vertragsrecht
berufen. Ein solcher Rückgriff auf nationales Recht mit dem Ziel, Gerichtsstandsvereinbarun-
gen für unwirksam zu erklären, die den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO genügen,
ist jedoch ebensowenig zulässig wie eine allgemeine Missbrauchskontrolle zum Schutz der
schwächeren Vertragspartei, die über Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO
hinausgeht. Möglich bleibt allein eine Überprüfung der in AGB enthaltenen asymmetrischen
Gerichtsstandsklausel zu Lasten eines Verbrauchers am Maßstab der Klauselrichtlinie 93/134.
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der vom EuGH betonte Grundsatz der Privat-
autonomie, der ihr zugrunde liegt, sprechen vielmehr für die Zulässigkeit von einseitig be-
günstigenden Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter Geltung der Brüssel Ia-VO, zumal es
der schwächeren Vertragspartei eher entgegenkommt, wenn die stärkere Partei sich aufgrund
einer solchen Klausel dafür entscheidet, nicht an ihrem eigenen Sitz, sondern am (Wohn-)Sitz
der schwächeren Partei zu klagen5. Auch dem Erfordernis der Bestimmtheit und Vorherseh-
barkeit des zuständigen Gerichts wird durch eine solche Klausel genügt6. In ihrer jüngeren

1 OLG Bamberg v. 9.2.1978 – 2 U 127/77, RIW 1979, 566; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99,
IPRspr. 1999 Nr. 106b; OLG Koblenz v. 18.2.1999 – 2 U 1897/97, IPRspr. 1999 Nr. 109; App. Brüs-
sel v. 24.2.2000, unalex BE-23; Kohler, IPRax 1986, 340 (342 f.); Gottwald, IPRax 1987, 81 (82);
Schulze, IPRax 1999, 229 ff., der zutreffend darauf hinweist, dass Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ nicht nur
für Aktivprozesse der begünstigten Partei maßgebend war.
2 Hausmann, EuLF 2000/01, 40 (47 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VORz. 93; Schlosser
in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33; Heinig, S. 177 f.; Linke/Hau, Rz. 223.
3 Frz. Cass. v. 26.9.2012 (Rothschild), unalex FR-1391; dazu Niggemann, IPRax 2014, 194.
4 OLG Bamberg v.31.10.2018 – 8 U 73/18, BeckRS 2018, 29192 Rz. 40 f.; dazu Rz. 7.38.
5 Dazu näher Hausmann, EuLF 2013, 37 (42 f.); Lehmann/Grimm, ZEuP 2013, 891 ff.; Freitag, FS
Magnus (2014), S. 419 ff.; Heinig, S. 177 f; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33;
Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 3a; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 93.
6 Lehmann/Grimm, ZEuP 2013, 891(901); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 202.

Hausmann | 1039
§ 7 Rz. 7.128 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rechtsprechung hat daher auch die französische Cour de cassation asymmetrische Gerichts-
standsklauseln wieder als wirksam erachtet1.

b) Objektive Begünstigung
7.129 Hält man an der Zulässigkeit einseitig begünstigender Gerichtsstandsvereinbarungen fest, so
ist bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung, dass die Vereinbarung nur zugunsten einer Partei
wirken soll, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob eine einseitig begünstigende Klausel vor-
liegt. Deutsche Gerichte ließen früher bereits eine objektive Begünstigung einer Partei durch
die Gerichtsstandsvereinbarung genügen. Eine solche wurde insbesondere darin gesehen, dass
die Vertragsparteien den Wohnsitzgerichtsstand des Klägers vereinbart hatten2. Der EuGH
hat diese extensive Auslegung des Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ indes mit Recht verworfen. Danach
ist eine Gerichtsstandsvereinbarung also keinesfalls schon dann nur zugunsten einer der Par-
teien getroffen, wenn die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats
vereinbart wurde, in dessen Hoheitsgebiet diese Partei ihren Wohnsitz bzw. Sitz hat3.

c) Subjektiver Parteiwille
7.130 Der EuGH sah vielmehr in Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ lediglich eine Bestätigung des Grundsatzes
der Privatautonomie und legte die Vorschrift daher so aus, dass der beiderseits erklärte subjek-
tive Wille der Parteien bei Abschluss des Vertrages zu respektieren sei. Da die Vorschrift je-
doch eine Ausnahme von der grundsätzlichen Ausschließlichkeit des prorogierten Gerichts-
stands nach Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ ermögliche, müsse sich der gemeinsame Wille, eine der
Parteien zu begünstigen, „klar aus dem Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung oder aus der
Gesamtheit der dem Vertrag zu entnehmenden Anhaltspunkte oder der Umstände des Ver-
tragsschlusses“ ergeben. Diese Voraussetzungen sah der EuGH etwa bei Vereinbarungen als er-
füllt an, „welche die Partei, zu deren Gunsten sie getroffen wurden, ausdrücklich nennen“, so-
wie bei Vereinbarungen, „die zwar angeben, vor welchen Gerichten jede Partei die andere ver-
klagen muss, die aber einer von ihnen insoweit eine größere Wahlmöglichkeit einräumen“4.

1 Frz. Cass 11.5.2017, unalex FR-2526.


2 OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621; OLG Saarbrücken v. 26.1.1984 – 8 U
79/82, RIW 1984, 478 (479) m. krit. Anm. Tosi-Hesse; zust. Schwarz, IPRax 1987, 291 (292); LG
Gießen v. 10.12.1982 – 8 O 57/80, IPRax 1984, 160 m. zust. Anm. Jayme; LG Bonn v. 21.4.1982 –
12 O 154/81, IPRax 1983, 243 m. zust. Anm. Jayme; vgl. ferner HandelsG Zürich v. 17.6.1993,
SZIER 1995, 34 m. abl. Anm. Volken.
3 EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, ECLI:EU:C:1986:255 (Anterist/Crédit Lyonnais), Slg. 1986, 1951
(1962) (Rz. 16 f.) = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81); vgl. auch die Abschlus-
sentscheidung BGH v. 18.9.1986 – IX ZR 32/84, NJW 1987, 3080 (3081) = IPRax 1987, 107 (m.
Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81); ferner BGH v. v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 =
IPRax 1999, 246 (m. Anm. Schulze, IPRax 1999, 229); öOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, IPRax
2011, 273 (m.Anm. Markus/Arnet, IPRax 2011, 283) = unalex AT-632; öOGH v. 15.4.1999 – 2 Ob
96/99b, ZfRV 1999, 191 (192) (LS) = unalex AT-401; App. Paris v. 25.4.1989, D. S. 1989 Somm.
255 m. Anm. Audit, bestätigt durch Cass. v. 4.12.1990, Rev.crit.d.i.p. 1991, 613 m. Anm. Gaude-
met-Tallon = unalex FR-123; OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (147); zust.
Tosi-Hesse, RIW 1984, 478 (480); Kohler, IPRax 1986, 340 (344 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23
Brüssel I-VO Rz. 95; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 169; vgl. aber auch OLG
Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115.
4 EuGH v. 24.6.1986 (vorige Fn.), Rz. 15; zust. BGH v. 18.9.1986 – IX ZR 32/84, NJW 1987, 3080;
ferner App. Paris v. 25.4.1989 D. S. 1989 Somm. 255 m. Anm. Audit und frz. Cass. v. 4.12.1990,
Rev.crit.d.i.p. 1991, 613 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-123.

1040 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.132 § 7

An dieser restriktiven Annahme einer nur konkludent vereinbarten einseitigen Begünstigung 7.131
ist auch unter Geltung des Art. 25 Brüssel Ia-VO festzuhalten. Diejenige Partei, deren Wohn-
sitzgericht als aussschließlich zuständig vereinbart ist, kann daher nicht ohne weiteres auf die
darin liegende Begünstigung verzichten und am Wohnsitz der anderen Partei klagen, wenn ihr
dieses Recht nicht audrücklich vorbehalten worden ist1. Vereinbaren daher zwei im Inland an-
sässige Parteien einen „neutralen“ Gerichtsstand in einem anderen Mitgliedstaat, so begünstigt
diese Vereinbarung aber nicht schon allein deshalb einseitig eine Partei, weil diese in den Ver-
tragsverhandlungen auf den Abschluss einer solchen Zuständigkeitsvereinbarung gedrängt hat-
te2. Ebenso wenig dürfte die bloße Ergänzung der Gerichtsstandsvereinbarung um eine Rechts-
wahlklausel zugunsten des im Gerichtsstaat geltenden Rechts ausreichen, um von einer einsei-
tigen Begünstigung derjenigen Partei auszugehen, deren Wohnsitzgericht als zuständig verein-
bart wurde; denn ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht
kann durchaus auch im Interesse der anderen Partei liegen, weil damit die idR langwierige und
kostspielige Ermittlung ausländischen Rechts durch dass vereinbarte Gericht vermieden wird3.

3. Gerichtsstandsvereinbarungen mit Wirkung für Dritte


a) Grundsatz
In bestimmten Sparten des Geschäftsverkehrs sind Gerichtsstandsklauseln nur dann von Nut- 7.132
zen und deshalb üblich, sofern sie auch für und gegen Dritte wirken, auch wenn diese Dritten
an der Willensbildung und der Einhaltung der Formvorschriften nicht beteiligt wurden.
Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO lässt eine solche Drittwirkung grundsätzlich nicht zu. Eine Ge-
richtsstandsklausel gilt vielmehr nur für Rechtsstreitigkeiten, die ihren Ursprung in dem
Rechtsverhältnis haben, das Anlass ihrer Vereinbarung war4. Daher muss ein an diesem
Rechtsverhältnis nicht beteiligter Dritter der Klausel zugestimmt haben, damit sie ihm ent-
gegengehalten werden kann5. Auch die Einhaltung der vorgeschriebenen Form wird gerade
zwischen den Parteien des Rechtsstreits gefordert. Von mehreren Streitgenossen auf Kläger-
oder Beklagtenseite sind daher nur diejenigen an eine Gerichtsstandsvereinbarung gebunden,
die sie auch unterzeichnet haben6. Daher wirkt auch eine Gerichtsstandsklausel, die von ei-

1 App. Luxemburg v. 6.12.2006, unalex LU-22.


2 OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; Schulze, IPRax 1999, 229 ff.; Geimer in
Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 44; a.A. BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 =
IPRax 1999, 246.
3 ÖOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; a.A. OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/
98, RIW 1999, 621 (622); OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, EuLF 2009 II, 68.
4 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349
(Rz. 22).
5 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Delayfix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 42) =
NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey
Home & Garden), ZIP 2018, 1754 (Rz. 30); EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497
(Leventis), NZG 2018, 226 (Rz. 35) = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); EuGH
v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 64) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt; EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Ref-
comp), EuZW 2013, 316 (Rz. 29) (m. Anm. Moebus, 319 und Anm. Weller, IPRax 2013, 501);
BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 2780 (Rz. 30); Dostal, EuZW 2018, 944; Geimer,
Rz. 1723 ff.; MünchKomm ZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 53.
6 Court of Appeal v. 19.7.1991 (Dresser UK Ltd./Falcongate Freight), unalex UK-154; ital. Cass. v.
5.5.2006, unalex IT-207 (jeweils zur Zession); Mankowski in Rauscher, Rz. 228; Magnus in Mag-
nus/Mankowski, Rz. 158, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 1041
§ 7 Rz. 7.132 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nem Hauptunternehmer vereinbart wurde, nicht gegen einen Subunternehmer, der eigene
Rechtspersönlichkeit besitzt1. Ebenso wenig gilt der zwischen einem Angestellten und einem
Konzernunternehmen vereinbarte Gerichtsstand für Streitigkeiten dieses Angestellten mit ei-
nem anderen Konzernunternehmen2. Eine Drittwirkung wird vielmehr nur dann anerkannt,
wenn der Dritte eindeutig in die Geltung der Vereinbarung einbezogen wurde und ihr zuge-
stimmt hat3.

7.133 Die vorgenannten Grundsätze gelten auch dann, wenn die im Ursprungsvertrag enthaltene
Gerichtsstandsvereinbarung nach Maßgabe der lex causae automatisch gegen Dritte wirkt, die
in die vertraglichen Rechte einer Vertragspartei eingetreten sind, wie dies etwa im Rahmen
einer Vertragskette („chaine de contrats“) nach französischem Recht der Fall ist. Dem End-
käufer, der Gewährleistungsansprüche gegen gegen den Hersteller geltendmachen möchte,
kann eine Gerichtsstandsvereinbarung, die der Hersteller mit einem Vorerwerber in der Ver-
tragskette getroffen hatte, daher nicht entgegengehalten werden; etwas anderes gilt nur dann,
wenn der Letzterwerber der Klausel tatsächlich zugestimmt hat4. Mit dieser Auslegung knüpft
der EuGH an seine Rechtsprechung an, mit der er die von der französischen lex causae vor-
genommene vertragliche Qualifikation der Rechtsbeziehung zwischen Hersteller und Letzt-
abnehmer für die Zwecke des europäischen Zivilprozessrechts zurückweist5. Ebensowenig
kann eine Fluggesellschaft eine Gerichtsstandsklausel, die im Beförderungsvertrag zwischen
ihr und einem Fluggast enthalten ist, einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine For-
derung abgetreten hat, entgegenhalten, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entschei-
dung einer gegen sie auf der Grundlage der Verordnung Nr. 261/2004 erhobenen Klage auf
eine Ausgleichsleistung in Abrede zu stellen6. Demgegenüber ist bei einem Vertrag zugunsten
Dritter auch der Dritte an eine in diesem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung ge-
bunden7.

b) Ausnahmen
aa) Rechtsnachfolge
7.134 Eine allgemeine Ausnahme gilt allein für die Rechtsnachfolger einer Partei, die ihrerseits eine
formgültige Gerichtswahl mit dem Prozessgegner getroffen hatten, und zwar gleichermaßen

1 App. Paris v. 19.3.1987, ECC 1988, 291; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 63.
2 Frz. Cass. v. 8.3.2005, unalex FR-227; vgl. auch Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 230.
3 OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Köln v. 13.3.1998 – 19 U 231/
97, NJW-RR 1998, 1350 (1351).
4 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 29 ff., 41) (m.
Anm. Weller, IPRax 2013, 501) = EuZW 2013, 316 m. Anm. Moebus; dazu die Abschlussentschei-
dung frz. Cass. v. 11.9.2013, unalex FR-1467; ebenso schon früher frz. Cass civ. v. 18.10.1994, Rev.
crit.d.i.p. 1995, 721 m. Anm. Sinay-Cytermann; frz. Cass. civ. v. 23.3.1999, Rev.crit.d.i.p. 2000, 224
m. Anm. Leclerc; a.A. noch frz. Cass. v. 17.11.2010, unalex FR-2123; Gaudemet-Tallon (2018),
Rz. 161; ferner Gebauer, IPRax 2001, 471 (474 f.); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 232 ff.; dazu näher Beaumart, Haftung in Absatzketten im französischen Recht und im euro-
päischen Zuständigkeitsrecht (1999), S. 148 ff.
5 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte), Slg. 1992 I, 3967 (Rz. 16); zu Recht
krit. zu dieser Begründung Weller, IPRax 2013, 501 (503 f.).
6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240
(Rz. 46) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; dazu Rieländer, EuZW 2021, 321.
7 Vgl. frz. Cass. v. 13.11.2013, unalex FR-1476 (Lizenzvertrag).

1042 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.135 § 7

für Gesamt- wie Einzelrechtsnachfolger (z.B. Erben, Zessionar)1. In diesem Zusammenhang


ist die Frage, ob Rechtsnachfolge eingetreten ist, nicht nach dem Prorogationsstatut des Art. 25
Abs. 1 Brüssel Ia-VO, sondern nach dem vom IPR des Gerichtsstaats zur Anwendung berufe-
nen nationalen Recht (z.B. dem Erb- oder Zessionsstatut) zu beurteilen2. Über die Gültigkeit
einer Forderungsabtretung oder einer Legalzession ist daher in allen Mitgliedstaaten einheit-
lich nach Art. 14, 15 Rom I-VO zu entscheiden (dazu Rz. 3.264 ff., Rz. 3.308 ff.). Die Wirk-
samkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist auch in Fällen der Rechtsnachfolge ausschließlich
im Verhältnis der ursprünglichen Parteien zu beurteilen3. Dies gilt insbesondere für die Ein-
haltung der Formvorschriften nach Art. 25 Abs. 1 und 2 Brüssel Ia-VO; im Rahmen von des-
sen Abs. 1 lit. c ist daher entscheidend, ob die ursprünglichen Parteien einen entsprechenden
Handelsbrauch kannten oder kennen mussten4. Hingegen ist die Bindung des Rechtsnachfol-
gers an die Gerichtsstandsvereinbarung nicht davon abhängig, dass auch er ihr zugestimmt
oder überhaupt von ihr Kenntnis hatte5.

bb) Schuld- und Vertragsübernahme


Auch der Eintritt in ein Vertragsverhältnis aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs6 oder 7.135
durch Vertragsübernahme7 kann die Bindung an eine Gerichtsstandsvereinbarung begründen.
Auch wer befreiend die Schuld eines anderen übernimmt, ist an die mit dem Gläubiger verein-
barte Gerichtsstandsvereinbarung gebunden, weil der Schutz des Gläubigers durch die privati-
ve Schuldübernahme nicht eingeschränkt werden kann8. Demgegenüber besteht im Fall eines
bloßen Schuldbeitritts kein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an einer Drittwirkung
der Gerichtsstandsvereinbarung zu Lasten des Übernehmers9. In gleicher Weise schließt der

1 KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 14); OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/
11, NJW 2013, 83; OLG Hamburg v. 21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108; frz. Cass. v.
13.3.2007, unalex FR-1110; ital. Cass. v. 5.5.2006, unalex IT-207; Jungermann, S. 74 ff., 193 ff.; Ge-
bauer, IPRax 2001, 471; Kropholler/von Hein, Rz. 64; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 43; Geimer in
Geimer/Schütze, Rz. 200 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ:
BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564 = BB 2001, 1498; Geimer, NJW 1983, 533
(534); Gebauer, IPRax 2001, 471. Vgl. auch unalexKomm/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 131
m.w.N.
2 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, unalex AT-375; frz. Cass. v. 4.6.2009, unalex FR-1067; High
Court London v. 7.2.2008 (Knorr Bremse Systems/Haldex Brake Products), unalex UK-399
(Rz. 30); Mankowski, IPRax 1996, 427 (430 f.); Gebauer, IPRax 2001, 471 ff.; Mankowski in Rau-
scher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 232.
3 ÖOGH v. 5.6.2007 (vorige Fn.); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 161.
4 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Coreck Maritime), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 42);
Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 230; a.A. Rabe, TranspR 2000, 380 (391) ff.,
der im Seerecht bei Geltung deutschen Vertragsstatuts auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen
des Konnossementsempfängers abstellt.
5 High Court London (Q.B.Div.) v. 12.10.2000 (Glencore International/Metro Trading Internatio-
nal), unalex UK-266; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 230. Ebenso für Bindung
des Versicherers, auf den die Ansprüche des Käufers kraft Gesetzes übergegangen sind, an die im
Kaufvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung frz. Cass. v. 13.3.2013, unalex Fr-2352.
6 Vgl. zur „subrogation“ App. Rouen v. 21.10.1992, Rev.crit.d.i.p. 1994, 803.
7 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43.
8 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, IHR 2008, 40 (44) = unalex AT-375.
9 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, unalex AT-375; High Court London (Ch.Div.) v. 7.8.2008
(Knorr Bremse Systems/Haldex Brake Products), unalex UK-399; a.A. OLG Hamburg v.
21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108.

Hausmann | 1043
§ 7 Rz. 7.135 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

selbständige Haftungsgrund der Bürgschaft eine Bindung des Bürgen oder Garanten an die
vom Hauptschuldner mit dem Gläubiger getroffene Gerichtsstandsvereinbarung aus, wenn
diese nicht in den Bürgschaftsvertrag übernommen wurde1. Demgegenüber wirkt die in ei-
nem echten Vertrag zugunsten Dritter enthaltene Gerichtsstandsklausel für und gegen den
Dritten2, während der in einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vereinbarte Gerichts-
stand nur zugunsten des Dritten wirkt, ihm aber nicht entgegengehalten werden kann3.

cc) Gesellschaftsrecht
7.136 Eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag einer Personengesellschaft gilt
auch für die einzelnen Gesellschafter4. Ferner binden Gerichtsstandsvereinbarungen in der
Satzung einer Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) auch die einzelnen Gesellschafter (dazu schon
Rz. 7.61)5. Demgegenüber ist der Organvertreter einer Gesellschaft weder an dem von letzterer
mit einer anderen Gesellschaft vereinbarten Gerichtsstand gerichtspflichtig, noch kann er sich
auf diese Gerichtsstandsvereinbarung berufen, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die
Entscheidung über eine Schadensersatzklage zu bestreiten, mit der er für unerlaubte Handlun-
gen in Ausübung seiner Organpflichten zur Verantwortung gezogen werden soll6. Der vom
Gemeinschuldner vereinbarte Gerichtsstand ist hingegen auch für den Insolvenzverwalter
verbindlich, der vertragliche Ansprüche gegen Dritte geltend macht7.

dd) Versicherungsvertrag
7.137 Ist nach dem Inhalt des geschlossenen Versicherungsvertrages der Versicherte/Begünstigte
nicht mit dem Versicherungsnehmer identisch, so gestattet Art. 15 Nr. 2 Brüssel Ia-VO die
Vereinbarung einer von den Vorschriften des 3. Abschnitts abweichenden Zuständigkeit,
„wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt,
andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen“. Aus dieser Vorschrift
folgt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur zugunsten des Versicherungsnehmers als
Vertragspartei, sondern auch zugunsten eines vom Versicherungsnehmer verschiedenen Ver-
sicherten oder Begünstigten getroffen werden können8. Die Vorschrift hätte freilich nur gerin-
ge praktische Bedeutung, wenn der Dritte sich auf die zu seinen Gunsten getroffene Verein-
barung nur berufen könnte, wenn er selbst an deren Abschluss in der Form des Art. 25 Abs. 1

1 Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 16.5.2007, unalex LU-29; Mankowski in Rauscher, Art. 25


Brüssel Ia-VO Rz. 231; für Bindung des Bürgen an die ihm bekannte Klausel hingegen frz. Cass. v.
23.3.2011, unalex FR-1293; Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 13.4.2005, unalex LU-47.
2 OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; frz. Cass v. 13. 11. 2013, unalex FR-1476;
Gebauer IPRax 2001, 471 (472); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 43; Mankowski in Rauscher,
Rz. 229, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 ÖOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271.
4 Vgl. zu § 38 ZPO BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, NJW 1981, 2644 (2646) und OLG Bamberg
v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRax 1990, 105 (106) m. Anm. Prinzing IPRax 1990, 83.
5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1756 Rz. 16 ff. =
NJW 1992, 1671.
6 EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis), NZG 2018, 226 Rz. 35 = IPRax
2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22).
7 Vgl. Court of Appeal v. 21.12.1993 (In re Leyland DAF Ltd.), unalex UK-220; dazu Vorpeil, RIW
1994, 1055; ital. Cass. v. 14.4.2008, unalex IT-360; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 55.
8 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 = NJW 2007, 2036.

1044 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.138 § 7

S. 3 Brüssel Ia-VO mitgewirkt hat. Für diesen Fall würde auch der – auf den Schutz des Ver-
sicherten als der wirtschaftlich schwächeren Vertragspartei abzielende – Normzweck häufig
verfehlt. Da schutzwürdige Interessen des Versicherers einer Drittwirkung nicht entgegenste-
hen, verzichtet auch der EuGH auf eine Beteiligung des begünstigten Dritten am Zustande-
kommen der Gerichtsstandsvereinbarung. Diese ist vielmehr schon dann formgültig, wenn
„das Schriftformerfordernis ... im Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versiche-
rungsnehmer eingehalten worden und die Zustimmung des Versicherers zu der genannten
Klausel klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist“1. Nichts anderes kann aber kon-
sequenterweise dann gelten, wenn die Gerichtsstandsabrede in dem Sinne zu Lasten des Ver-
sicherten oder sonstigen Drittbegünstigten wirkt, dass dieser nur am vereinbarten Gerichts-
stand klagen kann2. Die Schranken des Art. 25 Abs. 4 iVm. Art. 15 Brüssel Ia-VO sind freilich
auch insoweit zu beachten3.

ee) Konnossement
Die Erwägungen zur Zulässigkeit einer Drittwirkung von Gerichtsstandsklauseln in Versiche- 7.138
rungsverträgen treffen zwar auf Konnossemente nur eingeschränkt zu. Denn zum einen ist
der Konnossementsempfänger nicht unbedingt die wirtschaftlich schwächere Vertragspartei,
zum anderen wird er durch die Klausel im Regelfall – anders als der Versicherte – nicht be-
günstigt, sondern zur Klage oder Verteidigung vor einem Gericht gezwungen, mit dessen Zu-
ständigkeit er sich nicht einverstanden erklärt hätte, wenn er vorher gefragt worden wäre.
Dennoch ist eine Drittwirkung der im Verhältnis Verfrachter-Befrachter getroffenen Gerichts-
standsvereinbarung in einem Konossement4 jedenfalls insoweit anzuerkennen, als der Kon-
nossementsempfänger in die Rechte und Pflichten des Befrachters nach dem geschlossenen
Seefrachtvertrag eingetreten ist5. Der Normzweck des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfordert
es nicht, die Gerichtsstandsvereinbarung von dieser Rechtsnachfolge auszunehmen, denn der
Erwerb des Konnossements kann den Drittinhabern nicht mehr Rechte verleihen als sie der
Befrachter innehatte. Für die Frage, ob der Konnossementsempfänger im die Rechte und

1 EuGH v. 14.7.1983 – Rs. 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 (Gerling), Slg. 1983, 2503 (2517) (Rz. 20) =
NJW 1984, 2760 = IPRax 1984, 259 (m. Anm. Hübner, IPRax 1984, 237); zust. Kropholler/von
Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 65; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 58.
2 Vgl. frz. Cass. v. 17.2.2010, unalex FR-1103, wonach die in den AGB eines Versicherers im Flug-
verkehr enthaltene Gerichtsstandsklausel gegenüber allen im versicherten Gebiet tätigen Flugge-
sellschaften durchsetzbar ist, wenn die die AGB in den Flughäfen durch Anschläge bekannt-
gemacht worden sind; ferner App. Aix-en-Provence v. 16.3.1995, IPRax 1996, 427 (430 ff.) m.
zust. Anm. Mankowski.
3 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 134.
4 Für Gerichtsstandsvereinbarungen in einem Frachtbrief gilt dies nicht; vgl. OLG Stuttgart v.
23.12.2003 – 3 U 147/03, TranspR 2004, 406 m. Anm Herber; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüs-
sel I-VO Rz. 66; a.A. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 194.
5 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ), Slg.
1984, 2417 (2435) (Rz. 24) = RIW 1984, 909; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606
(Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 23 ff.) = NJW 2001, 501; zust. BGH v. 15.2.2007
– I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 = RIW 2007, 312 (314); EuGH v. 14.7.1983 – Rs. 201/82, ECLI:EU:
C:1983:217 (Gerling), Slg. 1983, 2503 (2517) (Rz. 20). Dieser Auffassung hat sich auch der frz.
Kassationshof in zwei gleichlautenden Entscheidungen der Chambre civile und der Chambre
commerciale angeschlossen, vgl. Cass. v. 16.12.2008, unalex FR-1038. Zur abweichenden früheren
Haltung des frz. Kassationshofs und zur Rechtsprechung anderer EU-Mitgliedstaaten vgl. Haus-
mann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 137 in Fn. 565.

Hausmann | 1045
§ 7 Rz. 7.138 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Pflichten des Befrachtgers eingetreten ist, lassen sich dem Art. 25 Brüssel Ia-VO selbst freilich
keine Maßstäbe entnehmen; diese Regelungslücke muss durch einen Rückgriff auf das an-
wendbare nationale Recht geschlossen werden1.

7.139 Da Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b und lit. c Brüssel Ia-VO Erleichterungen nur für den formgerech-
ten Konsens zwischen den (ursprünglichen) Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung
bringt, jedoch Fragen der Rechtsnachfolge selbst nicht regelt, sondern dem nationalen Recht
überlässt, gelten die Grundsätze der „Tilly Russ“-Entscheidung des EuGH zur Drittwirkung
von Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter der Brüssel Ia-VO uneingeschränkt fort2. Deut-
sche Gerichte müssen also auf das deutsche IPR zurückgreifen, um die Parteien des Konnosse-
mentsverhältnisses zu bestimmen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass es sich bei der
Bestimmung der Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung um eine prozessuale Frage han-
delt; denn das Prozessrecht bedarf insoweit notwendig der Ergänzung durch das materielle
Recht3. Maßgebend ist insoweit daher nicht die lex fori, sondern das jeweilige Konnossements-
statut4. Die Frage, ob ein Drittinhaber Rechtsnachfolger des Konnossementsberechtigten ge-
worden ist, bestimmt sich aus der Sicht des deutschen IPR für Order-Konnossemente nach
der lex loci indossamenti, für Inhaberkonnossemente nach der jeweiligen lex cartae sitae und
für Rektakonnossemente nach dem Zessionsstatut (Art. 14 Rom I-VO)5.

7.140 Ist der an dem ursprünglichen Vertrag nicht beteiligte Konnossementsempfänger nach dem
anwendbaren nationalen Recht nicht in die Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen
Parteien eingetreten, so hat das angerufene Gericht allerdings in einem zweiten Schritt stets
noch zu prüfen, ob er der ihm entgegengehaltenen Gerichtsstandsklausel nicht selbst nach-
träglich in der Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO zugestimmt hat6. Eine solche Zu-
stimmung ergibt sich aber im internationalen Seefrachtverkehr i.d.R. aus einem entsprechen-
den internationalen Handelsbrauch i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO. Sind näm-
lich Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen im internationalen Seerecht handelsüblich
(Rz. 7.110 f.), so ist davon auszugehen, dass der Konnossementsberechtigte, der als Empfänger
Ansprüche aus dem Konnossement geltend macht, aufgrund dieses Handelsbrauchs der Ge-

1 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ), Slg. 1984, 2417 (2435) (Rz. 25);
EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347)
(Rz. 24); zust. Girsberger, IPRax 2000, 87 (89 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 66;
Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192; a.A. (autonome Auslegung) Stöve, S. 162 ff.
Zum deutschen Seefrachtrecht vgl. näher Rabe, TranspR 2000, 389 (391 ff.).
2 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 16.3.1999 – C-159/67, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castellet-
ti), Slg. 1999 I, 1597 (1609) (Rz. 41); EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck
Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 24) = NJW 2001, 501; frz. Cass. civ. v. 4.3.2003, Rev.crit.d.
i.p. 2003, 285 m. Anm. Lagarde = unalex FR-202; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 66 f.
3 Zutr. Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 244 ff.; a.A. Rauscher,
IPRax 1992, 143 (145).
4 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), NJW 2001, 501 Rz. 23 ff.;
Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 297 ff.; Gaudemet-Tallon, Rz. 161;
z.T. abw. Stöve, S. 160.
5 Vgl. dazu eingehend Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 255 ff. m.
umf. Nachw.; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192.
6 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), NJW 2001, 501
(Rz. 26 f.)

1046 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.142 § 7

richtsstandsvereinbarung zugestimmt hat1; daher kommt es nicht mehr darauf an, ob er in die
Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist oder nicht. Gegenüber sonstigen Dritten
(z.B. dem Reeder) wirkt die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen nur, wenn diese an der Ver-
einbarung beteiligt waren, die die Gerichtsstandsklausel enthält, oder dieser nachträglich zu-
gestimmt haben2.

ff) Emissionsprospekt
Den für Gerichtsstandsklauseln in Konossementen entwickelten Grundsatz, dass diese auch ge- 7.141
gen solche Dritte wirken, die der Gerichtstandsklausel zwar nicht zugestimmt haben, die aber
nach dem anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen
Vertragsparteien eingetreten sind, hat der EuGH inzwischen verallgemeinert3. Deshalb kann
auch eine Gerichtsstandsklausel in einem Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen, der
vom Emittenten der fraglichen Wertpapiere erstellt wurde, einem Dritten, der die Wertpapiere
von einem Finanzmittler (Intermediär) erworben hat, entgegengehalten werden, wenn zum ei-
nen nachgewiesen wird, dass die Klausel im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem
Finanzmittler (als erstem Zeichner der Wertpapiere) wirksam geworden ist, zum anderen, dass
der Dritte durch die Zeichnung der in Rede stehenden Wertpapiere auf dem Sekundärmarkt in
die nach dem anwendbaren nationalen Recht mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte
und Pflichten des Finanzmittlers eingetreten ist und schließlich, dass der betreffende Dritte die
Möglichkeit hatte, von dem die Klausel enthaltenden Prospekt Kenntnis zu erlangen4. Scheidet
ein Eintritt des Dritten in die Rechte und Pflichten aus dem Ursprungsvertrag aus, weil diese
erloschen sind, und macht der Dritte deshalb Bereicherungsansprüche geltend, so kann er sich
hingegen auf die in dem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht berufen5.

gg) Sonstige Fälle


Auch die in einem Vertrag zugunsten Dritter enthaltene Gerichtsstandsklausel wirkt jeden- 7.142
falls in dem Sinne zugunsten des Dritten, dass er in dem vereinbarten Gerichtsstand klagen
kann; insoweit lässt sich die vom EuGH für Versicherungsverträge entwickelte Lösung
(Rz. 7.137) verallgemeinern6. Wird dem Dritten das Recht nur mit der Maßgabe eingeräumt,

1 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 117, 141 (Rz. 29) = NJW 2007, 2036; LG Hamburg v.
13.3.2008 – 413 O 92/06, IPRspr. 2008 Nr. 125; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO; Rz. 67;
Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 56; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 202; Magnus in Magnus/
Mankowski, Rz. 138, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Stöve, S. 271; Rabe, TranspR 2000, 389 ff.;
Herber, TranspR 2004, 406 (410 f.); a.A. (zu Art. 17 EuGVÜ) noch Court of Appeal v. 19.7.1991
(Dresser U.K. Ltd./Falcongate Ltd.) [1992] 2 All E.R. 450 (457) = unalex UK-154; frz. Cass. civ. v.
4.3.2003, unalex FR-202; Huber, IPRax 1993, 114; Staehelin, S. 91; Girsberger, IPRax 2000, 87
(89 f.); Contaldi, Riv.dir.int.priv.proc. 1999, 889 ff.; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse
im IPR (1995), S. 276 ff. m.w.N. Abl. auch noch zu Art. 25 Brüssel Ia-VO Mankowski in Rauscher,
Rz. 188 f.
2 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, = NJW 2007, 2036 (Rz. 32).
3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 65) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IWRZ 2015, 33 m. Anm. Dohrn.
4 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419
(Rz. 31 ff., 36) m. Anm. Müller.
5 BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 2780 (Rz. 31).
6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 204; Mankowski in Rauscher, Rz. 229, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO.

Hausmann | 1047
§ 7 Rz. 7.142 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dass er seinen Anspruch im Streitfall im forum prorogatum gegen den Schuldner durchzuset-
zen hat, so muss er die Gerichtsstandsvereinbarung auch gegen sich gelten lassen1. Dies gilt
auch zu Lasten von Arbeitnehmern, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in einem Tarifver-
trag enthalten ist2. Ob die Klausel darüber hinaus in dem Sinne auch gegen den Dritten wirkt,
dass er sich in dem ohne seine Mitwirkung vereinbarten Gerichtsstand auch verklagen lassen
muss, erscheint hingegen fraglich3. Nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung zur Bindungs-
wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in einer Gesellschaftssatzung für die Gesellschaf-
ter (Rz. 7.61 und Rz. 7.136) wirkt schließlich eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25
Brüssel Ia-VO ganz allgemein gegen solche Dritte, die der Vereinbarung nachweislich zuge-
stimmt haben und die am vereinbarten Gerichtsstand aus dem Gesichtspunkt einer vertragli-
chen Mithaftung4 oder kraft Rechtsscheins5 in Anspruch genommen werden. Im Zweifel muss
sich auch der falsus procurator an einer Gerichtsstandsvereinbarung festhalten lassen, die in
dem von ihm ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrag enthalten ist6.

4. Objektive Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung


a) Auslegung
7.143 Die Frage nach der objektiven Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen stellt sich ins-
besondere dann, wenn Schadensersatzansprüche einer Partei sowohl auf vertragliche wie auch
auf außervertragliche, insbesondere deliktische oder bereicherungsrechtliche Anspruchs-
grundlagen oder auf culpa in contrahendo gestützt werden. In diesem Falle ist durch Aus-
legung zu ermitteln, ob die Gerichtsstandsvereinbarung unter Berücksichtigung der Gesamt-
umstände auch die gerichtliche Durchsetzung von solchen Ansprüchen umfassen sollte. Diese
Auslegung obliegt allerdings nicht dem EuGH, sondern ist allein Sache des angerufenen na-
tionalen Gerichts7. Da Art. 23 Brüssel I-VO hierfür keine Maßstäbe bot, haben die Gerichte
der Mitgliedstaaten hierfür bisher überwiegend das auf den Hauptvertrag anzuwendende
Recht und die in diesem Recht anerkannten Auslegungskriterien zugrundegelegt8. Da Art. 25

1 LAG Berlin-Brandenburg v. 8.2.2011 – 7 TaBV 2744/10, IPRspr. 2011 Nr. 186; Geimer in Geimer/
Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 205.
2 LAG Berlin-Brandenburg v. 8.2.2011 (vorige Fn.).
3 Vgl. ArbG Wiesbaden v. 7.10.1997 – 8 Ca 1172/97, DB 1997, 2284; Geimer in Geimer/Schütze,
Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 205; Gaudemet-Tallon, Rz. 162; a.A. Mankowski, IPRax 1996, 427 (431);
Gebauer, IPRax 2001, 471 (472); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43.
4 OLG Köln v. 13.3.1998 – 19 U 231/97, NJW-RR 1998, 1350 (Gerichtsstandsvereinbarung in Fi-
nanzierungsleasingvertrag wirkt auch für und gegen den Lieferanten, der den Vertrag mitunter-
zeichnet hat).
5 Rauscher, IPRax 1992, 143 (146) gegen OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992,
987 (988) = IPRax 1992, 165.
6 Vgl. OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IPRax 2006, 469 (m. Anm. Weller, IPRax 2006, 444
(447 ff.)); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 62.
7 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 67) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016,
318); EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767
(3795) (Rz. 31) = RIW 1997, 775; EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell
Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1778) (Rz. 37) = ZIP 1992, 472; öOGH v. 9.9.2002 – 7 Ob 181/02x,
unalex AT-45; High Court London (Q.B.Div.) v. 4.4.2007 (Hewden Tower Cranes Ltd/Wolffkran
GmbH), unalex UK-397; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 208.
8 Vgl. BGH v. 6.12.2018 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 1300 (Rz. 25); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/
95, BGHZ 134, 127 = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338); schwz. BG
v. 17.7.2012, unalex CH-511; High Court London (Q.B.Div.) v. 16.4.2003 (Evialis/SIAT), unalex

1048 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.145 § 7

Brüssel Ia-VO in seinem Abs. 5 noch stärker als der bisherige Art. 23 Brüssel I-VO die Auto-
nomie der Gerichtsstandsvereinbarung betont (Rz. 7.59) und in Abs. 1 S. 1 für deren materiel-
le Wirksamkeit eine ausdrückliche Verweisung auf das Recht am vereinbarten Gerichtsort ent-
hält (Rz. 7.48 ff.), liegt es nahe, auch die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung künftig
an diesem Recht zu orientieren1.

Auch für die gebotene Prüfungsintensität lassen sich aus Art. 25 Brüssel Ia-VO keine auto- 7.144
nomen Maßstäbe gewinnen; hierüber entscheidet das angerufene – prorogierte oder derogier-
te – Gericht vielmehr nach seiner eigenen lex fori. Während die französischen Gerichte dies-
bezüglich eine eher restriktive Haltung einnehmen2, genügt nach deutschem Recht die schlüs-
sige Darlegung der Ansprüche, auf die sich die Gerichtsstandsvereinbarung beziehen soll3.
Auch eine enge Gerichtsstandsklausel, die sich nach ihrem Wortlaut nur auf Ansprüche „aus
dem Vertrag“, d.h. auf Streitigkeiten über dessen Auslegung und Durchführung, bezieht, er-
fasst daher im Zweifel auch Streitigkeiten über die Beendigung und Rückabwicklung dieses
Vertrages. soweit hierfür die Feststellung der Nicht- oder Schlechterfüllung von Vertrags-
pflichten vorausgesetzt wird4.

b) Einzelfälle
Dem Interesse der Parteien entspricht zumeist eine weite Auslegung der Gerichtsstandsver- 7.145
einbarung, dh eine Erstreckung auf alle Ansprüche, die einen engen Zusammenhang mit dem
geschlossenen Vertrag aufweisen5. Daher ist im Zweifel anzunehmen, dass sich die für vertrag-
liche Ansprüche getroffene Gerichtsstandsvereinbarung auch auf konkurrierende deliktische
Ansprüche einer Vertragspartei erstreckt, wenn zwischen der unerlaubten Handlung und ei-
ner Vertragsverletzung ein hinreichender Zusammenhang besteht; denn andernfalls könnte

UK-34; High Court London v. 6.11.2009 (Skype TechnologiesSA/Joltid Ltd), unalex UK-387
(Rz. 14); Vischer, FS Jayme (2004), S. 993 (994). Zust. auch Magnus in Magnus/Mankowski;
Rz. 141 ff., 143; Mankowski in Rauscher, Rz. 209, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
1 Abweichend Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 211.
2 Frz. Cass. civ. v. 21.3.2000, Rev.crit.d.i.p. 2000, 792 m. Anm. Sinay-Cytermann = unalex FR-54; frz.
Cass. civ. v. 27.2.1996, Rev.crit. d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150; frz.
Cass. civ. v. 12.12.1989, Rev.crit.d.i.p. 1990, 358 m. krit. Anm. Gaudemet-Tallon = Clunet 1991,
158 m. Anm. Huet = unalex FR-300; App. Paris v. 10.5.1989, RIW 1989, 569 m. abl. Anm. Sterzing;
großzügiger aber App. Orléans v. 7.11.2003, Rev.crit.d.i.p. 2003, 326 m. Anm. Ancel = unalex FR-
1126. Im englischen Recht muss die Erstreckung der Gerichtsstandsvereinbarung auf die geltend
gemachten Ansprüche als „a good arguable case“ dargelegt werden, vgl. die Nachw. bei Hausmann
in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 141 in Fn. 580 f.
3 BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 (240 f.) = EuZW 1994, 283 = IPRax 1995, 101
(m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 75); BGH v. 11.7.1996 – V ZB 6/96, BGHZ 133, 240 (243); BGH
v. 30.10.2003 – I ZR 59/00, RIW 2004, 228; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69;
Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 83.
4 Aud. Prov. Madrid v. 22.2.2010, unalex ES-466; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 39; a.A. frz. Cass. civ. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex
FR-150. Dies gilt erst recht, wenn die Gerichtsstandsklausel weit gefasst ist, vgl. frz. Cass. v.
6.3.2007, unalex FR-441 (Schadensersatzklage wegen ungerechtfertigter Kündigung eines Handels-
vertretervertrages); frz. Cass. v. 12.5.2010, unalex FR-1135 (Schadensersatzklage wegen Verletzung
des Ausschließlichkeitsrechts eines Vertragshändlers).
5 Frz. Cass. v.18.1.2017, unalex FR-2506 (Schadensersatzansprüche wegen „rupture brutale“ eines
Vertragshändlervertrags); Supreme Court London v. 18.6.2009, unalex UK-425; Mankowski in
Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 208.

Hausmann | 1049
§ 7 Rz. 7.145 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

die als ausschließlich gewollte Prorogation vom Kläger leicht unterlaufen werden1. Ging also
der Wille der Parteien dahin, dem vereinbarten Gericht eine möglichst umfassende Zuständig-
keit für Ansprüche aus der bestehenden Rechtsbeziehung einzuräumen, so versperrt die Ge-
richtsstandsvereinbarung auch den Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO2.

7.146 Dies gilt auch für Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb, die im Rahmen eines Handelsvertre-
ter- oder Vertragshändlervertrages geltend gemacht werden3. Demgegenüber erstreckt sich eine
Gerichtsstandsvereinbarung für Streitigkeiten aus einem Vertrag im Zweifel nicht auf Ansprüche,
die ihren Grund in einem Betrug oder einer sonstigen unerlaubten Handlung einer Partei bereits
bei Vertragsschluss haben4, und auch regelmäßig nicht auf künftige Vorsatztaten5. Auch für
eine Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung, die zu einer Aufspaltung der internationalen
Zuständigkeit nach Anspruchsgrundlagen führen würde, bedarf es besonderer Anhaltspunkte6.

7.147 Bei kartellrechtlichen Streitigkeiten ist zu unterscheiden: Bezieht sich eine Gerichtsstands-
klausel nur in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen, so erfasst
sie einen Rechtsstreit, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seiner Teil-
nahme an einem rechtswidrigen Kartell belangt wird, nicht. Bei Schadensersatzklagen wegen
Verstoßes gegen Art. 101 AEUV führt eine Gerichtsstandsvereinbarung daher nur dann zur
Derogation des Deliktsgerichtsstand in Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, wenn sie sich auch auf
Streitigkeiten wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht7. Dem-
gegenüber ist die Anwendung einer in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ent-
haltenen Gerichtsstandsklausel auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage ei-
nes Händlers gegen seinen Lieferanten nicht allein aus dem Grund ausgeschlossen, dass sie
sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines
Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht; denn der Missbrauch einer marktbeherr-

1 OLG Brandenburg v. 27.2.2014 – 12 U 10/13, IPRspr. 2014 Nr. 176; OLG Karlsruhe v. 9.8.2006 –
19 U 8/05, ZMR 2007, 929; OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 = IPRax 1992,
86 (m. Anm. H. Roth, IPRax 1992, 67); OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901
(902) = ZZP 103 (1991), 84 (88 f.) m. Anm. H. Schmidt; LG Berlin v. 9.9.2004 – 26 O 530/02,
IPRax 2005, 261 (LS) m. Anm. Jayme; LG München v. 2.2.2004 – 10 O 1080/03, NJOZ 2004, 1029;
zust. Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 39; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 69; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 38; Mankowski in Rauscher, Rz. 212, jeweils zu Art. 25
Brüssel Ia-VO; Vischer, FS Jayme (2004), S. 993 ff. Ebenso vor allem die englische Rechtsprechung,
vgl. Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank/Aekos Compania Naviera), unalex UK-140
(vorsätzliche sittenwidrige Schädigung); Court of Appeal v. 28.4.1994 (Kittechnology BV/Unicor
GmbH), unalex-UK-128 („claims for misuse of confidential information obtained“); ferner Supre-
me Court (Irland) v. 12.5.2005 (Leo Laboratories/Crompton BV), unalex IE-10; App. Orléans v.
7.11.2003, Rev. crit. 2003, 326 m. Anm. Ancel = Clunet 2004, 203 m. Anm. Huet.
2 OLG Stuttgart v. 20.4.2004 – 8 W 234/03, NJW-RR 2004, 1581; vgl. auch Court of Appeal v.
27.6.2001 (Maimann/Maimann), unlex UK-106 (Ansprüche wegen Vollmachtsmissbrauch); an-
ders für eine ausdrücklich auf vertragliche Ansprüche beschränkte enge Gerichtsstandsverein-
barung LG Düsseldorf v. 29.4.2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810 m. Anm. von Hein.
3 Frz. Cass. v. 12.5.2010, unalex FR-1135; anders noch frz. Cass. v. 21.3.2000, unalex FR-54; ital.
Cass. v. 5.9.1989, unalex IT-43.
4 OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150780, RIW 1982, 669.
5 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 68 ff.) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 362 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016,
318).
6 OLG München v. 3.5.2017 – 7 U 4817/16, BeckRS 2017, 121060 (Rz. 46).
7 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584
(Rz. 69 f.) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt.

1050 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.149 § 7

schenden Stellung durch ein Unternehmen kann sich auch in den vertraglichen Beziehungen
und über die Vertragsbedingungen manifestieren1. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsver-
einbarung hängt im letzteren Fall auch nicht davon ab, dass zuvor ein Verstoß gegen das Wett-
bewerbsrecht durch eine nationale oder euroäische Behörde festgestellt worden ist2.

Da Gerichtsstandsklauseln nach dem Parteiwillen – wie Schiedsklauseln (§ 1040 Abs. 1 S. 2 7.148


ZPO; dazu Rz. 7.311) – im Regelfall in ihrer Wirksamkeit nicht von dem Hauptvertrag, für den
sie geschlossen werden, abhängen sollen (Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 25
Abs. 5 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.59), kann auch eine auf die Feststellung der Nichtigkeit des
Hauptvertrages gerichtete Klage grundsätzlich nur vor dem prorogierten Gericht erhoben wer-
den. Denn die mit Art. 25 Brüssel Ia-VO angestrebte Rechtssicherheit wäre gefährdet, wenn einer
Vertragspartei die Möglichkeit eingeräumt würde, die Wirksamkeit der Prorogation allein durch
die Behauptung zu vereiteln, dass der Hauptvertrag nach Maßgabe des anzuwendbaren materiel-
len Rechts unwirksam sei. Die Nichtigkeit des Vertrages, in dem die Gerichtstandsklausel enthal-
ten ist, lässt deren Wirksamkeit daher grundsätzlich unberührt3. Etwas anderes gilt nur, wenn
der Nichtigkeitsgrund (z.B. Geschäftsunfähigkeit einer Partei) ausnahmsweise auch auf die Ge-
richtsstandsvereinbarung durchschlägt. Grundsätzlich erfasst eine Gerichtsstandsklausel daher
auch Streitigkeiten über die Rückabwicklung fehlgeschlagener Vertragsschlüsse, mag es sich
nach der maßgeblichen lex causae – wie z.B. nach deutschem Recht (§ 812 BGB) – auch um
gesetzliche Ansprüche handeln4. Von ihr erfasst werden daher auch etwaige Streitigkeiten über
Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung als Folge der Unwirksamkeit des Vertrages5.

Setzen die Parteien das Vertragsverhältnis nach einer Kündigung aufgrund einer neuen 7.149
(mündlichen) Vereinbarung unverändert fort, so gilt die im Vertrag enthaltene Gerichts-
standsvereinbarung weiter6. Die Frage, ob die in einem zeitlich befristeten Hauptvertrag ent-
haltene Gerichtsstandsklausel im Falle einer Vertragsverlängerung fortwirkt, soll sich hin-
gegen nach der Rechtsprechung des EuGH nach nationalem Recht beurteilen7.

1 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2019:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349
(Rz. 26 ff.) = EuZW 2019, 81 m. Anm. Seggewiße = JZ 2019, 139 m. Anm. Mankowski = IPRax
2019, 524 (m. Anm. Sirakova/Westhoven, IPRax 2019, 493).
2 EuGH v. 24.10.2018 (vorige Fn.), Rz. 36.
3 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767
(3795) (Rz. 27 ff.) = RIW 1997, 775; zust. BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83
(86 f.) = NJW 2006, 1672; öOGH v. 28.3.2018 – 6 Ob 19/18i, unalex AT-1161; KG v. 15.5.2018 –
7U 112/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 15); LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRax 2005, 261
(LS) m. Anm. Jayme; LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319; Mankowski, JZ
1998, 898 (899 f.); Staehelin, S. 128; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 91; Schlosser in
Schlosser/Hess, Rz. 39; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 94, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; vgl.
auch schon OLG München v. 13.2.1985 – 7 U 3867/84, IPRspr. 1985 Nr. 133A. Ebenso etwa frz.
Cass. v. 13.3.2007, unalex FR-1110; ital. Cass. v. 4.1.1995, unalex IT-383; Supremo Tribunal de Jus-
tica v. 16.12.2004, unalex PT-5; High Court (Ireland) v. 20.1.2009 (Ryanair/Bravofly), unalex IE-
40; a.A. noch frz. Cass. civ. v. 25.1.1983, Rev.crit.d.i.p. 1983, 316 m. Anm. Gaudemet-Tallon.
4 Mankowski in Rauscher, Rz. 213, 217; a.A. Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 140, 153, jeweils
zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
5 Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 39; Mankowski in Rauscher, Rz. 217; Magnus in Magnus/Man-
kowski, Rz. 151, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
6 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 24).
7 EuGH v. 11.11.1986 – C 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco), Slg 1986, 3353 (Rz. 7 f.) = NJW
1987, 2155; sie wird in der Praxis regelmäßig positiv beantwortet, vgl. frz. Cass v. 5.4.2016, unalex
FR-2471.

Hausmann | 1051
§ 7 Rz. 7.150 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.150 Darüber hinaus erfasst eine Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Parteiwillen auch Ansprüche
aus culpa in contrahendo1 sowie wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Vorvertrag2.
Demgegenüber ist durch Auslegung im Einzelfall festszustellen, ob die für einen Vertrag getroffe-
ne Gerichtsstandsvereinbarung sich auch auf Ansprüche aus weiteren Verträgen erstreckt, die in
engem zeitlichen und/oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem Vertrag abgeschlossen
wurden, aber ihrerseits keine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten. Nach Ansicht des OLG
Köln3 erstreckt sich die in einem langfristig angelegten Vertrag enthaltene Gerichtsstandsverein-
barung auch auf Geschäfte der Parteien, die mit dem ursprünglichen Vertrag in engem Zusam-
menhang stehen, bei denen aber die Zahlungs- und Lieferbedingungen aufgrund von Marktver-
änderungen nachträglich angepasst worden sind. Die Praxis der anderen Mitgliedstaaten ist dies-
bezüglich hingegen eher zurückhaltend4. So soll sich die in einem Handelsvertretervertrag verein-
barte Gerichtsstandsklausel nicht auf einen kurz danach zwischen den Parteien geschlossenen
Beratungsvertrag erstrecken5. Ebenso wurde entschieden, dass der in einem Darlehensvertrag
vereinbarte Gerichtsstand nicht ohne weiteres auch für Streitigkeiten aus einem späteren Vertrag
zur Umschuldung dieses Darlehens6 oder für einen am gleichen Tag geschlossenen Bürgschafts-
vertrag7 maßgeblich ist. Dementsprechend wird der Hersteller durch eine im Vertragshändlerver-
trag enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht daran gehindert, ausstehende Kaufpreisforderungen
gegen den Händler aus einzelnen Liefergeschäften vor den nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO zuständi-
gen Gerichten einzuklagen8. Umgekehrt gilt die in die einzelnen Lieferverträge einbezogene Ge-
richtsstandsklausel grundsätzlich nicht für Klagen aus dem Händlervertrag9. Auch erstreckt sich
die in einem Konto- und Depotführungsvertrag mit einer Bank enthaltene Gerichstandsverein-
barung nicht ohne weiteres auf Streitigkeiten aus einem Anlageberatungsvertrag10.

7.151 Konflikte zwischen sich widersprechenden Gerichtsstandsklauseln in verschiedenen Teilver-


trägen eines komplexen Vertragswerks sind so zu lösen, wie es den Interessen vernünftig den-
kender Vertragsparteien entspricht11. Auch eine enge Gerichtsstandsklausel, die sich nach ih-

1 Supreme Court London v. 18.6.2009 (UBS/HSH Nordbank), unalex UK-425 (arglistige Täuschung
beim Vertragsschluss); frz. Cass. v. 9.2.2011, unalex FR-2182.
2 LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124.
3 OLG Köln v. 25.5.2012 – 19 U 159/11, IHR 2013, 68.
4 Vgl. außer der nachfolgend zitierten Rechtsprechung etwa öOGH v. 28.10.1997 – 4 Ob 313/97a,
unalex AT-127; ital. Cass. v. 17.2.2017, unalex IT-719 und v. 14.6.2007, unalex IT-230; Aud.Prov.
Madrid v. 6.11.2001, unalex ES-374.
5 Frz. Cass. v. 12.12.1989, Rev.crit. d.i.p.1990, 358 m. Anm. Gaudemet-Tallon = Clunet 1991, 158 m.
Anm. Huet = unalex FR-300.
6 High Court London v. 13.5.1994 (Ocarina Marine/Marcard Stein & Co.), unalex UK-217. Anders
aber, wenn im Folgevertrag die Fortgeltung des Grundvertrags im Übrigen vereinbart worden ist,
vgl. OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575; AG Hamburg-Blankenese v. 7.1.2004
– 508 C 340/02, NJW-RR 2004, 757.
7 ÖOGH v. 23.7.2013 – 10 Ob 24/13x, unalex AT-907.
8 App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; vgl. auch OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/
98, RIW 1999, 621.
9 Supreme Court (Irland) v. 21.12.2000 (Bio Medical Research/Delatex), unalex IE-39; frz. Cass. v.
29.10.1985, unalex FR-175; OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015, 154 (Rz. 44 ff.)
(m. Anm. Wais, IPRax 2015, 127); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 218. Anders
freilich bei entsprechend weiter Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung, vgl. frz. Cass. v.
19.3.2008, unalex FR-533; öst. OGH v. 7.2.2007, unalex AT-347.
10 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, BeckRS 2015, 12064 (Rz. 111 f.) = RIW 2015, 762.
11 Vgl. dazu näher Supreme Court London v. 18.6.2009 (UBS/HSH Nordbank), unalex UK-425;
Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 219 m.w.N.

1052 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.153 § 7

rem Wortlaut nur auf Ansprüche „aus dem Vertrag“, d.h. auf Streitigkeiten über desssen Aus-
legung und Durchführung, bezieht, erfasst im Zweifel Streitigkeiten über die Beendigung
und Rückabwicklung dieses Vertrages, soweit hierfür die Feststellung der Nicht- oder
Schlechterfüllung von Vertragspflichten vorausgesetzt wird1. Dies gilt erst recht, wenn die Ge-
richtsstandsklausel weit gefasst ist2.

5. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung im Prozess


a) Klage vor dem prorogierten Gericht
Wird das in einer Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnete Gericht eines Mitgliedstaats von 7.152
einer Partei angerufen, so hat es an Hand der zuvor beschriebenen materiellen Voraussetzun-
gen und Formvorschriften des Art. 25 Brüssel Ia-VO zu prüfen, ob die Vereinbarung wirksam
ist. Bejaht es diese Frage, so hat es seine internationale Zuständigkeit zur Streitentscheidung
festzustellen. Ein Ermessen des Gerichts – etwa nach Maßgabe der englischen forum non con-
veniens-Lehre – besteht insoweit nicht3. Für diesen Fall sind die Gerichte der übrigen Mit-
gliedstaaten an diese Entscheidung des prorogierten Gerichts gebunden und haben sich, so-
fern sie später angerufen werden, gem. Art. 29 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zugunsten dieses Gerichts
für unzuständig zu erklären. Hält das prorogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung
hingegen für unwirksam, so hat es die Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit
abzuweisen, wenn es nicht auch kraft Gesetzes nach Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO zuständig ist.
Auch das klageabweisende Prozessurteil ist dann in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerken-
nen; deren Gerichte sind daher an die in den Gründen dieses Urteils enthaltene Feststellung
gebunden, dass es an einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung fehlt4.

b) Klage vor dem derogierten Gericht


Rief eine Partei entgegen der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung zuerst das Gericht ei- 7.153
nes derogierten Mitgliedstaats an, so war dieses unter Geltung von Art. 23 Brüssel I-VO ver-
pflichtet, die Wirksamkeit der Vereinbarung eigenständig zu prüfen; es war also nicht berech-
tigt, das Verfahren auszusetzen, um dem prorogierten Gericht die Möglichkeit zu geben, ver-
bindlich über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden. Eine Kom-
petenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts bestand insoweit nicht5. Daher hatte auch das
prorogierte Gericht, wenn es später angerufen wurde, nach der Grundregel des Art. 27 Brüs-

1 Aud. Prov. Madrid v. 22. 2. 2010, unalex ES- 466; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-
VO Rz. 39; a.A. frz. Cass. civ. 27. 2. 1996, Rev. crit. d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon.
2 Vgl. frz. Cass. v. 6. 3. 2007, unalex FR-441; frz. Cass. v. 12. 5. 2010, unalex FR-1135.
3 Vgl. zu Art. 2 Brüssel I-VO EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I,
1383 (Rz. 37); ebenso zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeo-
kos Cia Naviera SA), unalex UK-140; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46.
4 EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 (Gothaer Allg.Versicherung AG), EuZW
2013, 60 (Rz. 33 ff.) (m. Anm. Bach, EuZW 2013, 56) = IPRax 2014, 163 (m. Anm. H. Roth, IPRax
2014, 136); OLG Bremen v. 25.4.2014 – 2 U 102/13, IPRax 2015, 354 m. Anm. H. Roth, IPRx 2015,
329). Krit. zur Begründung des EuGH Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 213.
5 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (14738)
(Rz. 41 ff.) = IPRax 2004, 243 (m. Anm. Grothe, IPRax 2004, 205); dazu die Vorlage des OLG
Innsbruck v. 25.3.2002, unalex AT-92; Thiele, JZ 2004, 285 (287); ebenso schon zuvor öOGH v.
25.2.1999, unalex AT-404; High Court London v. 22.3.2000 (Lafi Office/Meriden Animal Health),
unalex UK-126; Mankowski; JZ 1998, 898 (901); Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO
Rz. 126.

Hausmann | 1053
§ 7 Rz. 7.153 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

sel I-VO das Verfahren solange auszusetzen, bis das zuerst angerufene derogierte Gericht über
seine Zuständigkeit entschieden hatte1.

7.154 War die Gerichtsstandsvereinbarung aus der Sicht des derogierten Gerichts wirksam, so hatte
sich dieses Gericht auf entsprechende Rüge des Beklagten bzw. im Fall der Nichteinlassung
des Beklagten von Amts wegen (Art. 26 Abs. 1 Brüssel I-VO) – für unzuständig zu erklären
und die Klage abzuweisen2. Die Klageabweisung hatte auch dann zu erfolgen, wenn der Kläger
hilfsweise Ansprüche erhoben hatte, die nicht von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst
wurden3. Das Urteil des derogierten Gerichts war dann in allen übrigen Mitgliedstaaten anzu-
erkennen; daher war auch das prorogierte Gericht an diese Entscheidung gebunden und
musste sich für zuständig erklären4. Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt war auf
diese Weise ausgeschlossen5. Hielt das angerufene derogierte Gericht die Gerichtsstandsver-
einbarung hingegen für unwirksam und sich selbst nach Art. 2 ff. Brüssel I-VO für interna-
tional zuständig, so setzte es das Verfahren fort. Für diesen Fall hatte sich das später angerufe-
ne prorogierte Gericht auch dann nach Art. 27 Abs. 2 Brüssel I-VO für unzuständig zu erklä-
ren, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anderer Ansicht
war6. Denn nach Ansicht des EuGH war das prorogierte Gericht „in keinem Fall besser als
das zuerst angerufene Gericht in der Lage, über die Zuständigkeit zu befinden“7.

7.155 Mit dieser Rechtsprechung, die den Rechtshängigkeitsregeln des Art. 27 Vorrang auch vor ei-
ner ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Brüssel I-VO einräumte, be-
lohnte der EuGH im Ergebnis diejenige Partei, die sich über die getroffene Gerichtsstandsver-
einbarung hinweggesetzt und Klage vor dem derogierten Gericht eines anderen Mitgliedstaats
erhoben hatte. Hierdurch sicherte sich der Kläger insbesondere dann prozesstaktische Vortei-
le, wenn die Klage in einem Mitgliedstaat erhoben wurde, dessen Gerichte bekanntermaßen
sehr langsam arbeiten („Torpedoklage“)8. Auch Versuchen englischer Parteien, die Fortset-
zung des Verfahrens vor dem derogierten Gericht mit Hilfe von „antisuit injunctions“ zu ver-
bieten, hat der EuGH eine Absage erteilt9. Zur Lösung dieses Problems wurde in der Literatur
– in Anlehnung an die frühere englische Gerichtspraxis10 – vorgeschlagen, den Prioritäts-

1 Ital. Cass. v. 15.2.2007, unalex IT-224; LG Bonn v. 26.6.2003 – 7 O 22/02, RIW 2004, 460; Layton/
Mercer, Rn. 20.004; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 215; Kropholler/von
Hein, Art. 27 Brüssel I-VO Rz. 19; Heinig, S. 210 ff. m.w.N.
2 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 96; ebenso zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v.
10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), unalex UK-140.
3 Ital. Cass. v. 20.2.2007, unalex IT-213.
4 OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405).
5 Geimer, FS Kralik (1986), S. 179 (185 ff.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 97.
6 ÖOGH v. 25.2.1999, ZfRV 1999, 150 (151) (LS).
7 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721
(Rz. 48 ff.) = RIW 2004, 289 (m. Anm. Thiele, RIW 2004, 285 = IPRax 2004, 243 m. Anm. Grothe,
IPRax 2004, 205 und Schilling, IPRax 2004, 294).
8 Vgl. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 238 ff.
9 Vgl. (zu einer Schiedsklausel) EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (Allianz/West
Tankers), Slg. 2009 I, 663 (Rz. 28 ff.).
10 Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), [1994] 1 WLR 588 =
unalex UK-140; Court of Appeal v. 14.1.1994 (IP Metal Ltd./Ruote Oz SpA), unalex UK-224; Court
of Session v. 31.3.1995 (Bank of Scotland/Banque Nationale de Paris), unalex UK-112; High Court
London v. 17.1.1996 (Toepfer International/Molino Boschi), unalex UK-216; High Court London
(Q.B.Div.) v. 12.10.2000 (Glencore International AG/Metro Trading International), unalex UK-266;
High Court London v. 5.10.2001 (Digit Srl/Apple Computer International), unalex UK-222.

1054 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.158 § 7

grundsatz des Art. 27 Brüssel I-VO in Fällen eines ausschließlich vereinbarten Gerichtsstands
einzuschränken1.

Dieser Anregung ist im Zuge der Reform der Brüssel I-VO auch der europäische Gesetzgeber 7.156
gefolgt und hat dies in Erwägungsgrund 22 zur Brüssel Ia-VO wie folgt zum Ausdruck ge-
bracht:
„Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern
und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der all-
gemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu
erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein
Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung verein-
bart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs
zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Ge-
richt das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis
das letztere Gericht erklärt, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu-
ständig ist. Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht
vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung
auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Das vereinbarte Gericht sollte das Ver-
fahren unabhängig davon fortsetzen können, ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat,
das Verfahren auszusetzen“.

Dementsprechend stellt Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO klar, dass im Falle der Vereinbarung ei- 7.157
ner ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichts (oder der Gerichte) eines Mitgliedstaats die
Gerichte anderer Mitgliedstaaten in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen, sobald das
prorogierte Gericht angerufen wird. Der Beklagte in dem Verfahren vor dem derogierten
Gericht hat daher jederzeit die Möglichkeit, dieses Gericht zur Aussetzung des Verfahrens zu
zwingen, indem er nachträglich das prorogierte Gericht anruft. Hält dieses die Gerichts-
standsvereinbarung für wirksam und bejaht es aus diesem Grunde seine internationale Zu-
ständigkeit, so hat sich das derogierte Gericht gem. Art. 31 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zugunsten
des vereinbarten Gerichts für unzuständig zu erklären und die Klage abzuweisen, auch wenn
das Verfahren vor dem derogierten Gericht zuerst anhängig war.

Mit dieser Regelung hat sich der europäische Gesetzgeber am Haager Übereinkommen über 7.158
Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) vom 30.6.2005 (dazu Rz. 7.12, Rz. 7.28)2 orientiert,
das ebenfalls eine solche Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts vorsieht. Diese
wird freilich in Art. 6 lit. a bis lit. e HGÜ in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Insbesondere
ist ein derogiertes Gericht nach Art. 6 lit. a HGÜ dann nicht verpflichtet, das Verfahren aus-
zusetzen, wenn es selbst die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Staates des ver-
einbarten Gerichts für ungültig hält. Die der Kompetenz-Kompetenz des vereinbarten Ge-
richts in Art. 6 HGÜ gezogenen Schranken wurden allerdings aus Gründen der Rechtssicher-
heit nicht in die Brüssel Ia-VO übernommen. Damit bleibt aber das Problem zu lösen, welche
Anforderungen an eine „ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung“ zu stellen sind, damit
sie die Rechtsfolgen des Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO auslöst3. In Fällen alternativer Ge-
richtsstandsvereinbarungen dürfte die Prioritätsregelung des Art. 29 Brüssel Ia-VO zur An-

1 Vgl. Magnus/Mankowski, ZVglRW 2010, 1 (13 f.).


2 ABl. EU 2009 Nr. L 133, S. 3 = Jayme/Hausmann, Nr. 151.
3 Insoweit dürfte das in Rz. 7.124 ff. zur Abgrenzung von ausschließlichen und nur konkurrierenden
Gerichtsstandsvereinbarungen Gesagte entsprechend gelten. Zur Kritik an der Neuregelung in
Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO vgl. ausführlich Simons in unalexKomm, Einf. vor Art. 27 Brüs-
sel I-VO Rz. 22 ff.

Hausmann | 1055
§ 7 Rz. 7.158 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

wendung kommen, so dass zunächst das früher angerufene Gericht über die Wirksamkeit der
Vereinbarung zu seinen Gunsten zu entscheiden hat.

7.159 Im Übrigen gilt: Klagt eine Partei unter der Brüssel Ia-VO entgegen der Vereinbarung vor
dem derogierten Gericht eines Mitgliedstaats, so prüft dieses das Vorliegen und die Wirksam-
keit der Vereinbarung, solange nicht auch das prorogierte Gericht angerufen wird, nur auf
Rüge des Beklagten1. Dies gilt auch bei Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte eines
Drittstaats2. Lässt der Beklagte sich also nicht gemäß Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos auf das
Verfahren ein und hält das Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam, so hat es
sich für unzuständig zu erklären (Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). An diese Entscheidung ist
auch das später angerufene Gericht am forum prorogatum gebunden3. Hält das derogierte Ge-
richt die Vereinbarung hingegen für unwirksam, sich selbst aber für zuständig, so setzt es das
Verfahren ohne Rücksicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung fort4. Wird ein derogiertes Ge-
richt eines Mitgliedstaats hingegen erst nach Rechtshängigkeit des Verfahrens im forum pro-
rogatum angerufen, so hat es das Verfahren nach der allgemeinen Regel des Art. 29 Abs. 1
Brüssel Ia-VO von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts
feststeht; für letzteren Fall hat sich das derogierte Gericht dann nach Art. 29 Abs. 3 Brüssel Ia-
VO für unzuständig zu erklären5.

7.160 Die Pflicht des derogierten Gerichts zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des
prorogierten Gerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung besteht nach
Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO freilich nur „unbeschadet des Artikels 26“. Hat sich die beklagte
Partei also auf das Verfahren vor dem derogierten Gericht nach Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos
eingelassen, so beschränkt sich die Prüfung dieses Gerichts auf die durch die ausschließlichen
Zuständigkeiten des Art. 24 Brüssel Ia-VO gezogenen Prorogationsschranken, Art. 27 Brüs-
sel Ia-VO. Eine Gerichtsstandsvereinbarung steht nämlich einer stillschweigenden Prorogation
durch rügelose Einlassung vor einem anderen als dem nach Art. 25 Brüssel Ia-VO vereinbar-
ten Gericht nicht entgegen, weil Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO einen Vorbehalt nur zugunsten
der ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 Brüssel Ia-VO enthält und Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO eine nachträgliche Aufhebung der getroffenen Zuständigkeitsvereinbarung, wie sie
in der rügelosen Einlassung auf die Klage vor dem derogierten Gericht zum Ausdruck kommt,
nicht hindert6.

1 Zum Erfordernis der Rüge vgl. Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 173; Hüßtege in Thomas/Put-
zo, Rz. 26; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 84, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Die Rüge setzt
nicht voraus, dass der Beklagte sich ausdrücklich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft; es
genügt, dass er die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreitet und die Ge-
richtsstandsvereinbarung vorgelegt hat; vgl. OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010
Nr. 184a.
2 EuGH v. 17.3.2016 – C-175/15, ECLI:EU:C:2015:176 (Taser International), EuZW 2016, 558
(Rz. 24) = IWRZ 2016, 175 m. Anm. Kaufhold; dazu Koechel, GPR 2016, 204; Gebauer, GPR 2016,
245.
3 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 217.
4 Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 86; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 26, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO.
5 Leible in Rauscher, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 38 ff.; ebenso schon zu Art. 23, 27 Brüssel I-VO
Kropholler/von Hein, Rz. 97.
6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 127 f.; Mankowski in Rauscher, Rz. 3, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-
VO; vgl. i.d.S. schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657
(Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 49); EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105,
ZIP 1985, 1228 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799) (Rz. 23 ff.) = NJW 1985, 2893 = IPRax

1056 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.163 § 7

c) Widerklage
Da der Gerichtsstand der Widerklage nach Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO in der abschließenden 7.161
Ausnahmeregelung des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO nicht erwähnt ist, kann er grundsätzlich
durch eine Zuständigkeitsvereinbarung abbedungen werden, die sich dann auch auf Widerkla-
gen erstreckt1. Trotz der Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit von Gerichtsstandsver-
einbarungen (Rz. 7.124) ist jeweils im Wege der Auslegung des Parteiwillens zu ermitteln, ob
die Parteien die Geltendmachung der Forderung am forum derogatum im Wege der Widerkla-
ge auch für den Fall ausschließen wollten, dass der Widerkläger selbst an diesem forum be-
langt wird. Dies wird häufig dem vermutlichen Parteiwillen nicht entsprechen, so dass der
Beklagte/Widerkläger in diesem Fall nicht gezwungen ist, seine Forderung ausschließlich im
forum prorogatum geltend zu machen2. Die Widerklage kann in jedem Fall am forum deroga-
tum erhoben werden, wenn der Kläger sich dort rügelos nach Art. 26 Brüssel Ia-VO auf die
Widerklage einlässt3.

Eine Ausnahme ist allerdings für einseitig begünstigende Gerichtsstandsvereinbarungen an- 7.162
zuerkennen. Erhebt also der durch die Vereinbarung begünstigte Vertragspartner Klage an
dem nur ihm wahlweise zugänglichen Gericht, so kann der Beklagte mangels gegenteiliger
Anhaltspunkte bei diesem Gericht nicht auch Widerklage erheben, weil er den Kläger sonst
um den Vorteil der nur ihn begünstigenden Vereinbarung bringen würde4. In jedem Fall kann
der Ausschluss der Widerklage am forum derogatum durch die rügelose Einlassung des Klä-
gers auf die Widerklage analog Art. 26 Brüssel Ia-VO überwunden werden5.

d) Prozessaufrechnung
Ähnliche Erwägungen wie für die Widerklage gelten auch für die Prozessaufrechnung, obwohl 7.163
diese bloßes Verteidigungsmittel ist. Art. 25 Brüssel Ia-VO kann nicht dahin ausgelegt wer-
den, dass er ein für den Hauptanspruch als ausschließlich zuständig bestimmtes Gericht daran

1986, 27 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1986, 10); EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:
C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981, 1671 (1684) (Rz. 10) = IPRax 1982, 234 (m.
Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Gla-
cetal), Slg. 1978, 2133 (2142) (Rz. 8) = RIW 1978, 814; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ
134, 127 (133) = ZIP 1996, 2184; BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (337 f.) =
MDR 1993, 473; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Koblenz v.
28.3.1991 – 2 U 849/89, RIW 1991, 592; OLG Koblenz v. 30.11.1990 – 2 U 1072/89, RIW 1991,
63 = EuZW 1991, 158; OLG Stuttgart v. 15.2.1989 – 9 U 207/88, IPRax 1989, 247; OLG Koblenz v.
3.3.1989 – 2 U 1543/87, RIW 1989, 310; zum LugÜ 1988 öOGH v. 23.2.1998, ZfRV 1998, 159 =
unalex AT-133.
1 Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüs-
sel I-VO Rz. 98; vgl. schon zum EuGVÜ OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934
(935); App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; Kohler, IPRax 1983, 265 (272.
2 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 195; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 98; vgl. schon
zum EuGVÜ Gottwald, IPRax 1986, 10 f.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496); a.A. (Vorrang der
Vereinbarung vor Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 –5 U 426/96-54, IHR
2008, 55; öOGH v. 30.3.2000, unalex AT-203; App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; Schlos-
ser in Schlosser/Hess, Rz. 40; Mankowski in Rauscher, Rz. 223, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935).
4 Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95, a.A. Rauscher, RIW 1985, 889.
5 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); Gottwald, IPRax 1986, 10 (13);
Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496).

Hausmann | 1057
§ 7 Rz. 7.163 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

hindert, die Aufrechnung mit einer konnexen Gegenforderung zu berücksichtigen, wenn es


dies mit dem Wortlaut und Sinn der Gerichtsstandsklausel für vereinbar hält; dies gilt auch
dann, wenn für die klageweise Geltendmachung der zur Aufrechnung gestellten Gegenforde-
rung die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vereinbart
ist1. Eine Gerichtsstandsvereinbarung schließt aber auch die Aufrechnung mit Gegenforde-
rungen, die nicht auf demselben Vertrag oder Sachverhalt beruhen, am forum derogatum
nicht notwendig aus, weil das Erfordernis der Konnexität als materielle Aufrechnungsvoraus-
setzung allein der vom IPR des Gerichtsstaats – nunmehr einheitlich nach Art. 17 Rom I-VO
bestimmten – lex causae zu entnehmen ist2. Über die Bewertung einer Gerichtsstandsverein-
barung als Aufrechnungsverbot ist daher im Wege der Auslegung im Einzelfall zu entschei-
den, bei der nicht nur auf den Wortlaut der Abrede, sondern auch auf die Interessenlage der
Parteien und den Zweck der Abrede abzustellen ist3.

7.164 Diese Auslegung ergibt in der Regel, dass die Aufrechnung jedenfalls mit rechtskräftig fest-
gestellten oder unstreitigen Forderungen zulässig ist4. Gleiches gilt, wenn der Kläger von
einer ihn einseitig begünstigenden Gerichtsstandsvereinbarung keinen Gebrauch macht, son-
dern den Beklagten an dessen Heimatgerichtsstand angreift. Denn damit hat er auf sein Recht,
etwaige Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis nur vor seinen Heimatgerichten austragen
zu müssen, selbst verzichtet. Eine solche Ausübung des Wahlrechts durch den Kläger kann
aber nicht dazu führen, dass dem Beklagten das ihm am forum prorogatum zur Verfügung
stehende Verteidigungsmittel entzogen wird und er zur doppelten Prozessführung gezwungen
wird5.

7.165 Ist die Aufrechnungsforderung streitig, so wird eine ausschließliche Gerichtsstandsverein-


barung in der Rechtsprechung überwiegend dahin ausgelegt, dass sie ein prozessuales Auf-
rechnungsverbot enthält6. Dies widerspricht jedoch dem Interesse der Parteien an einer öko-
nomischen Prozessführung und dem Gebot der Waffengleichheit. In Ermangelung besonderer
Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Parteiwillen sollte man aus einer Zuständigkeits-

1 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2142)
(Rz. 9) = RIW 1978, 814; zust. BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, RIW 1979, 713; Dageförde,
RIW 1990, 873 (878). Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 99; a.A. aber BGH v.
21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (Rz. 19 ff., 25) (m. krit. Anm. Gebauer, IPRax 2018,
172; zu § 38 ZPO).
2 EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799)
(Rz. 22) = NJW 1985, 2893 = RIW 1985, 313 (m. Anm. Rauscher, RIW 1985, 887) = IPRax 1986,
27 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1986, 10).
3 BGH v. 21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (1119) OLG München v. 13.10.2016 – 23 U
1848/16, NJOZ 2017, 796 (Rz. 25) LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, RIW 1996, 960 = IPRax
1998, 97 (m. Anm. Gebauer, IPRax 1998, 79); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 193; Mankowski in
Rauscher, Rz. 226, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
4 Allg. M., vgl. Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 90.
5 Gebauer, IPRax 1998, 79 (81 f.).
6 So BGH v. 21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (1119) = ZIP 2015, 1190 = IPRax 2018,
205 (m. krit. Anm. Gebauer, IPRax 2018, 172); BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, RIW 1979,
713; OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, NJOZ 2017, 796 (Rz. 25) = IPRax 2019, 314
(m. Anm. Brand, IPRax 2019, 294); OLG Hamm v. 13.10.1998 – 19 U 59/98, RIW 1999, 787; App.
Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; zust. Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 24.

1058 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.167 § 7

vereinbarung daher kein prozessuales Aufrechnungsverbot mit einer streitigen Gegenforde-


rung vor einem derogierten Gericht ableiten1.

Ist die Aufrechnung durch die Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausgeschlossen, so kann das 7.166
für die Hauptforderung zuständige Gericht über die Aufrechnung mit einer streitigen Gegenfor-
derung auch dann sachlich entscheiden, wenn es (ohne die Gerichtsstandsvereinbarung) für
eine klageweise Geltendmachung der Gegenforderung nach der Brüssel Ia-VO international
nicht zuständig wäre. Insbesondere ist die Zulässigkeit der Aufrechnung nicht davon abhängig,
dass das angerufene Gericht über die zur Aufrechnung gestellte Forderung auch dann befinden
könnte, wenn der Beklagte sie zum Gegenstand einer Widerklage machen würde. Denn Art. 8
Nr. 3 Brüssel Ia-VO gilt nach Ansicht des EuGH nur für eine (Wider-)Klage des Beklagten auf
gesonderte Verurteilung des Klägers, nicht aber für die Geltendmachung bloßer Verteidigungs-
mittel (wie der Aufrechnung)2. Darüber hinaus darf die Zulässigkeit der Prozessaufrechnung
aber auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Gericht der Hauptsache für eine kla-
geweise Geltendmachung der Aufrechnungsforderung nach seinem autonomen Prozessrecht –
z.B. in Deutschland nach § 33 ZPO – zuständig wäre3. Denn das deutsche Prozessrecht kennt
für die Prozessaufrechnung kein Konnexitätserfordernis (vgl. § 145 Abs. 3 ZPO)4.

Schließlich kann das Aufrechnungsverbot in jedem Fall analog Art. 26 Brüssel Ia-VO durch 7.167
die rügelose Einlassung des Klägers auf die Aufrechnungsforderung überwunden werden,
und zwar auch für den Fall der Aufrechnung mit einer inkonnexen Gegenforderung5.

1 So zu Recht LG Berlin v. 30.1.1996 – 102 O 261/95, IPRax 1998, 97 (99); zust. – mit eingehender
Interessenabwägung – Gebauer, IPRax 2018, 172 (176 f.) und IPRax 1998, 79 (83); ferner Busse,
MDR 2001, 729 (732); Gottwald, IPRax 1986, 10 (12); Rauscher, RIW 1985, 887 f.; von Falkenhau-
sen, RIW 1982, 386 (389); Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfah-
rensrecht (1998), S. 194 ff.; Schack, Rz. 523; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 93; Geimer in
Geimer/Schütze, Rz. 194; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 35, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO;
wohl auch Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO, Rz. 100; a.A. (aufgrund der besonderen
Umstände des Falls) OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65.
2 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 (Danvaern/Otterbeck), Slg. 1995 I, 2053
(2067) (Rz. 42) = EuZW 1995, 639 m. Anm. Geimer = NJW 1996, 42 = IPRax 1997, 110 (m. Anm.
Philip, IPRax 1997, 97) = ZZP 109 (1996), 373 m. Anm. Mankowski; a.A. noch BGH v. 12.5.1993
– VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 (2754 f.) = IPRax 1994, 115 (m. Anm. Geimer, IPRax 1994,
82) = ZZP 107 (1994), 211 (215) m. Anm. Leipold.
3 So aber OLG Celle v. 11.11.1998 – 9 U 97/98, IPRax 1999, 456 (457) (m. Anm. Gebauer, IPRax
1999, 432); OLG Hamm v. 5.11.1997 – 11 U 41/97, IPRspr. 1997 Nr. 160A; Jayme/Kohler, IPRax
1995, 349; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (495); Kropholler/von Hein, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 43;
für inkonnexe Forderungen auch Wagner, IPRax 1999, 65 (70 ff.).
4 Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998), S. 172 ff.,
184 f.; Mankowski, ZZP 109 (1996), 367 (381 f.); Coester-Waltjen, FS Lüke (1997), S. 35 (47 ff.);
Gebauer, IPRax 1998, 79 (84 ff.); H. Roth, RIW 1999, 819 (822 f.); Busse, MDR 2001, 729 ff.; Gru-
ber, IPRax 2002, 285 (287 ff.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 93;
Schlosser in Schlosser/Hess, vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 15; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 8 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 7; Leible in Rauscher, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 32. Offenlassend BGH v. 7.11.2001 –
VIII ZR 263/00, BGHZ 149, 120 (127) = NJW 2002, 2182 = IPRax 2002, 299 (m. Anm. Gruber,
IPRax 2002, 285) = JZ 2002, 605 m. Anm. Hess/Müller = JR 2002, 501 m. Anm. Dörner.
5 EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799)
(Rz. 27) = ZIP 1985, 1228; BGH v. 4.2.1993 – VII ZR 179/91, NJW 1993, 1399 = IPRax 1994, 114
(m. Anm. Geimer, IPRax 1994, 82); OLG Koblenz v. 18.2.1999 – 2 U 1897/97, IPRspr. 1999 Nr. 109;
OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); OLG Stuttgart v. 15.2.1989 – 9 U
207/88, IPRax 1989, 247 m. Anm. Jayme.

Hausmann | 1059
§ 7 Rz. 7.168 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

e) Gewährleistungs- und Interventionsklage


7.168 Ein gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO derogiertes Gericht kann von einer an die Gerichtsstandsver-
einbarung gebundenen Partei auch nicht im Wege der Gewährleistungs- oder Interventions-
klage nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO angerufen werden1. Zwar kann diese Zuständigkeit vor
deutschen Gerichten gem. Art. 65 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht in Anspruch genommen wer-
den. Da aber ausländische Urteile, die im Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ergan-
gen sind, in Deutschland nach Art. 65 Abs. 2 Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden
müssen, wird es sich auch für Parteien mit Sitz in Deutschland häufig empfehlen, die mögli-
che Gerichtspflichtigkeit nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO im Ausland durch eine Vereinbarung
auszuschließen2. Selbst wenn aber die Parteien eines in Deutschland geschlossenen Kaufver-
trags, der eine Gerichtsstandsvereinbarung enthält, an die Möglichkeit, im Rahmen einer Ge-
währleistungsklage in Frankreich verklagt zu werden, nicht gedacht haben, wird durch die Ge-
richtsstandsvereinbarung eine Gewährleistungsklage am Sitz eines französischen Zweitkäufers
nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen3.

7.169 Demgegenüber wird die Zulässigkeit einer Streitverkündung nach deutschem Prozessrecht
von einer Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht berührt; denn die
Streitverkündung ist nach der deutschen lex fori keine Klage und deshalb grundsätzlich unab-
hängig von der Zuständigkeit des befassten Gerichts zulässig; sie ist deshalb auch vor einem
wirksam derogierten deutschen Gericht möglich4.

f) Einstweiliger Rechtsschutz
7.170 Eine Gerichtsstandsklausel erstreckt sich grundsätzlich auf die Gewährung von Rechtsschutz
durch staatliche Gerichte in jeglicher Form, also nicht nur auf Leistungs-, sondern auch auf
Feststellungs- und Gestaltungsklagen. Ob sich die Vereinbarung eines ausschließlichen Ge-
richtsstands für die Hauptsache auch auf den Erlass von Maßnahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes erstreckt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Diese wird regelmäßig erge-
ben, dass die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts im Zweifel auch die Kompetenz zur
Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz umfassen wird5. Dagegen lässt sich eine Ver-

1 Vgl. in Frankreich Cass. civ. v. 12.7.1982, Rev.crit.d.i.p. 1983, 658 m. Anm. Lagarde = J. C. P. 1983,
2015 m. Anm. Bourel = unalex FR-215; dazu auch Holleaux, Clunet 1983, 405; Audit, D. S. 1983. I.
R. 145; Mezger, IPRax 1984, 331; Cass. v. 18.10.1989, D.S. 1989. I.R. 283; dazu Huet, Clunet 1991,
155; ferner Cass. v. 12.5.1992, unalex FR-32; Cass. v. 20.12.1993, unalex FR-2094; App. Amiens v.
1.7.1985, RIW 1985, 966 m. Anm. Schütze; Gaudemet-Tallon, Rz. 256 ff.; in Belgien Cass. v.
14.11.2002, unalex BE-17; App. Liège v. 3.12.1990, unalex BE-56; in England High Court London
(Q.B.Div.) v. 25.3.1998 (Hough/P. & O. Containers Ltd.) [1998], 2 All E.R. 978 (986) = unalex UK-
103. Anders bei Unteilbarkeit des Rechtsstreits, vgl. frz. Cass. v. 2.3.1999, unalex FR-74; App.
Riom v. 14.9.2006, unalex FR-371; zust. Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rz. 96; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 140.
2 Geimer, WM 1979, 351; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 101; zur Formulierung ei-
ner entsprechenden Gerichtsstandsvereinbarung vgl. Hausmann in Wieczorek/Schütze, Anh. I zu
§ 40 ZPO, Art. 6 EuGVÜ Rz. 28.
3 Frz. Cass. v. 4.6.2009, unalex FR-1067.
4 Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (74 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz 102; Mankowski in
Rauscher, Rz. 237; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 196, jeweils zu Art. 25 Brüssel I-VO; a.A. von Hoff-
mann/Hau, RIW 1997, 89 (91 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 97.
5 App. Orléans v. 7.11.2002, Rev.crit.d.i.p. 2003, 326 m. Anm. Ancel = Clunet 2004, 203 m. Anm.
Huet = unalex FR-1126; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 225; Schlosser in Schlosser/Hess,
Rz. 42; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 28, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

1060 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.172 § 7

mutung, dass die internationale Zuständigkeit der durch die Gerichtsstandsvereinbarung de-
rogierten Gerichte anderer Mitgliedstaaten auch für Maßnahmen des einstweiligen Rechts-
schutzes stets ausgeschlossen sein soll1, nicht aufstellen. Vielmehr kann der Zweck, den Partei-
en effektiven einstweiligen Rechtsschutz zu gewährleisten, auch eine andere Auslegung gebie-
ten2.

In jedem Fall steht es den derogierten Gerichten unter den Voraussetzungen des Art. 35 Brüs- 7.171
sel Ia-VO frei, ihre Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes auf Vor-
schriften des autonomen Rechts zu gründen3. Auch wenn sie von dieser Möglichkeit Ge-
brauch machen, kann die anschließende Hauptsacheklage aber nur vor dem nach Art. 25
Brüssel I-VO als ausschließlich zuständig vereinbarten Gericht erhoben werden4. Wenn der
Kläger also aus Gründen der höheren Effizienz Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
an einem derogierten Gericht beantragt, so verzichtet er damit nicht auf die Rechte aus der
Gerichtsstandsvereinbarung für das Hauptverfahren5. Nach deutschem Recht sind die für Ar-
reste und einstweilige Verfügungen vorgesehenen Gerichtsstände bei dem Gericht der Haupt-
sache (§ 919 Alt. 1, § 937 Abs. 1 ZPO) oder am Ort der Belegenheit des Vollstreckungsgegen-
standes (§ 919 Alt. 2, § 942 Abs. 1 ZPO) gem. § 802 ZPO ausschließlich und damit derogati-
onsfest (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); dies gilt freilich nicht für die internationale Zuständig-
keit6.

6. Aufhebung und Änderung einer Gerichtsstandsvereinbarung


Die Parteien sind jederzeit berechtigt, eine Gerichtsstandsvereinbarung wieder aufzuheben 7.172
oder zu ändern7. Die hierauf gerichtete Vereinbarung der Parteien bedarf wiederum der Form
nach Art. 25 Brüssel Ia-VO. Allerdings müssen die Parteien sich nicht notwendig der gleichen
Form bedienen wie bei der ursprünglichen Gerichtsstandsvereinbarung; vielmehr reicht ir-
gendeine Form nach Art. 25 Brüssel Ia-VO aus8. Außerdem wird die Gerichtsstandsverein-
barung – wie gezeigt (Rz. 7.160) – gegenstandslos, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren
vor einem derogierten Gericht nach Maßgabe von Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos einlässt.

1 So aber Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 103;
Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192.
2 Wie hier schwz. BG v. 17.9.1999, BGE 125 III 451 = unalex CH-1; Hoge Raad v. 17.12.1993, unalex
NL-179; Aud.Prov. Barcelona v. 31.3.2010, unalex ES-459; Hess, § 6 Rz. 142; Mankowski in Rau-
scher, Rz. 225; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 152, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.
3 Schwz. BG v. 17.9.1999, BGE 125 III 451 = unalex CH-1; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25
Brüssel Ia-VO Rz. 98; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 162 m.w.N.
4 Ital. Cass. v. 21.4.1995, unalex IT-380; Tribunal Supremo de Justica v. 16.12.2004, unalex PT-5.
Einschränkend aber Cass. (Belgien) v. 3.9.2009, unalex BE-603, wonach die Bestellung eines Sach-
verständigen zur Schadensermittlung keine einstweilige Maßnahme i.S.v. Art. 31 Brüssel I-VO sei
und deshalb allein dem prorogierten Gericht obliege.
5 App. Luxemburg v. 23.5.2007, unalex LU-30.
6 Vgl. Geimer, Rz. 877b, 1755a; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 225; a.A. Kro-
pholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 104.
7 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 127; Mankowski in Rauscher, Rz. 195 ff., jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO.
8 Mankowski in Rauscher, Rz. 196; abweichend Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 154, jeweils zu
Art. 25 Brüssel Ia-VO, der nur die Änderung, nicht die Aufhebung der Vereinbarung der Form
des Art. 25 Brüssel Ia-VO unterwerfen möchte.

Hausmann | 1061
§ 7 Rz. 7.173 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7. Rechtsfolgen einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung


7.173 Erfüllt eine Gerichtsstandsvereinbarung die Form- oder Bestimmtheitsanforderungen des
Art. 25 Abs. 1–3 Brüssel Ia-VO nicht oder missachtet sie die ihr in Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-
VO gezogenen Schranken, so entfaltet sie keine prozessualen Wirkungen. Das angerufene –
prorogierte oder derogierte1 – Gericht eines Mitgliedstaats hat in diesem Fall zu prüfen, ob es
nach Art. 4 oder nach Art. 5 ff. Brüssel Ia-VO international zuständig ist Ist auch dies nicht
der Fall, so hat es seine Zuständigkeit zu verneinen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

8. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung


a) Verbot von anti-suit injunctions
7.174 Vor allem die englischen Gerichte vertraten schon unter Geltung von Art. 17 EuGVÜ/Art. 23
Brüssel I-VO die Auffassung, dass die Bindungswirkung einer ausschließlichen Gerichts-
standsvereinbarung Vorrang gegenüber der Verpflichtung zur Beachtung der früheren Rechts-
hängigkeit eines Verfahrens zwischen den gleichen Parteien über den gleichen Streitgegen-
stand vor einem derogierten Gericht habe. War daher die ausschließliche Zuständigkeit der
englischen Gerichte vereinbart, so hielten diese sich für berechtigt, die frühere Rechtshängig-
keit vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu ignorieren und ihre eigene Zuständigkeit
festzustellen. Denn es könne einer Partei nicht gestattet sein, die ausschließliche Zuständigkeit
des prorogierten englischen Gerichts durch Klageerhebung in einem anderen Mitgliedstaat zu
unterlaufen, weil hierdurch das Prinzip der Privatautonomie verletzt werde (vgl. Rz. 7.155 f.
m. Nachw.). Darüber hinaus nahmen die englischen Gerichte in einem solchen Falle für sich
das Recht in Anspruch, dem Kläger in dem Verfahren vor dem derogierten Gericht die Fort-
setzung dieses Verfahrens durch eine „anti-suit injunction“ bei Meidung einer Geldstrafe zu
verbieten2.

7.175 Der EuGH hat freilich durch seine Entscheidungen in den Rechtssachen Turner/Grovit3 und
West Tankers4 klargestellt, dass „anti-suit injunctions“ im Anwendungsbereich des europäi-
schen Zivilprozessrechts unzulässig sind, weil sie in die Justizhoheit und Souveränität anderer
Mitgliedstaaten eingreifen und deshalb mit dem gegenseitigen Vertrauen, das sich die Gerich-
te der Mitgliedstaaten entgegenzubringen haben, unvereinbar sind. Auch wenn diese Entschei-
dungen nicht zu Art. 23 Brüssel I-VO ergangen sind, lassen sich insbesondere die Aussagen
des EuGH in der West Tankers-Entscheidung zum Verbot der Durchsetzung einer Schiedsver-
einbarung mit Hilfe einer „anti-suit injunction“ ohne Weiteres auf Gerichtsstandsverein-
barungen übertragen. Das Problem hat sich freilich durch die Neuregelung in Art. 31 Abs. 2
und 3 Brüssel Ia-VO weitgehend erledigt, weil der Beklagte im Verfahren vor dem derogierten
Gericht diesen Prozess nunmehr durch die nachträgliche Einleitung eines Verfahrens vor dem
prorogierten Gericht jederzeit zum Stillstand bringen kann (Rz. 7.157).

1 Das derogierte Gericht hat diese Prüfungskompetenz allerdings nur, solange das prorogierte Ge-
richt nicht angerufen wird, vgl. Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO.
2 Vgl. grundlegend Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA),
unalex UK-140; ferner etwa High Court London v. 12.10.2000 (Glencore International AG/Metro
Trading International Inc), unalex UK-266.
3 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 (Turner/Grovit), Slg. 2004 I, 3565
(Rz. 24 ff.).
4 EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (Allianz/West Tankers), Slg. 2009 I, 663
(Rz. 28 ff.); vgl. Mankowski in Rauscher, Vorbem. zu Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 49 ff. m.w.N.

1062 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.177 § 7

b) Schadensersatzansprüche
aa) Allgemeines
Der Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung durch Klage vor einem 7.176
derogierten Gericht eines anderen Staats wurde in ausländischen Rechten schon seit längerem
durch Schadensersatzpflichten sanktioniert1. Demgegenüber haben deutsche Gerichte einen
solchen Anspruch bisher nicht gewährt. Dagegen wurde insbesondere eingewandt, die Be-
gründung einer materiell-rechtlichen Verpflichtung durch den Abschluss einer Gerichts-
standsvereinbarung lasse sich allein mit dem Bedürfnis für einen solchen Schadensersatz-
anspruch nicht rechtfertigen. Außerdem könne dieser ohne einen primären Unterlassungs-
anspruch nicht begründet werden. Gerichtsstandsvereinbarungen hätten aber nur prozessuale,
hingegen grundsätzlich keine materiell-rechtlichenen Wirkungen. Allein aus ihrem Abschluss
auf einen materiellen Haftungswillen der Vertragsparteien zu schließen, sei unzulässig. Hier-
für bedürfe es vielmehr konkreter Anhaltspunkte, dass der Gerichtsstandsvereinbarung eine
entsprechende wirtschaftliche Bedeutung beigemessen worden sei. Von dieser bisherigen Linie
ist der BGH nunmehr in einer Grundsatzentscheidung vom 17.10.2019 abgewichen und hat
sich erstmals auch für eine Schadenseratzsanktion der Verletzung einer ausschließlichen inter-
nationalen Gerichstandsvereinbarung ausgesprochen2.

Der Vereinbarung einer schadensersatzbewehrten Verpflichtung, ein bestimmtes Gericht an- 7.177
zurufen, steht die Rechtsnatur der Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegen. Dies gilt un-
abhängig davon, ob man diese mit der ständigen Rechtsprechung des BGH3 als materiell-
rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen oder aber mit der im zivilprozessualen
Schrifttum vorherrschenden Ansicht4 als Prozessvertrag wertet. Denn auch nach der von der
Rechtsprechung bevorzugten Qualifikation ist es den Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit
ohne Weiteres möglich, neben der Regelung rein prozessualer (Verfügungs-)Wirkungen er-
gänzende materiell-rechtliche Verpflichtungen zu vereinbaren5. Andererseits schließt es auch
die Einordnung als Prozessvertrag nicht aus, dass die Parteien daneben – ausdrücklich oder
stillschweigend – materiell-rechtliche Verpflichtungen vereinbaren6. Auch der Umstand, dass
ein (gerichtlich durchsetzbarer) Hauptanspruch auf Unterlassung der Klage vor einem dero-
gierten Gericht nicht wirksam vereinbart werden kann, steht einem auf Verletzung dieser Un-
terlassungspflicht gestützten Schadensersatzanspruch nicht entgegen. Denn auch Verstöße ge-
gen unselbständige, nicht einklagbare Nebenpflichten sind jedenfalls nach deutschem Recht
(§ 241 Abs. 1 und 2 BGB) schadensersatzbewehrt7.

1 E. Peiffer, S. 431 ff.


2 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 m. Anm. Wais = EuZW
2020, 143 m. Anm. Antomo = IWRZ 2020, 39 m. Anm. Graf von Westphalen = RIW 2020, 64 m.
Anm. Mankowski = JZ 2020, 797 m. Anm. Mäsch = BB 2019, 3023 m. Anm. Unseld = IPRax 2020,
459 m. Anm. Colberg, 426.
3 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.) = NJW 1968, 1233; BGH v. 20.1.1986 –
II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 (1439); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432);
BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 (2886).
4 Vgl. Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 50; Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 4, 52, jeweils m.w.N.
5 Gebauer, FS Kaissis (2012), S. 267 (276); Schröder, FS Kegel (1987), S. 523 (530 ff.); Gottwald, FS
Henckel (1995), S. 295 (307).
6 Allg. A., vgl. Antomo, S. 400; Gebauer, FS Kaissis (2012), 267 (275); Pfeiffer, Liber amicorum W.
Lindacher (2007), S. 77 (80); Gottwald in Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 37 Rz. 24.
7 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 Rz. 29.

Hausmann | 1063
§ 7 Rz. 7.178 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.178 Eine für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag getroffene ausschließliche Gerichtsstands-
vereinbarung erstreckt sich im Zweifel auch auf Ansprüche wegen der Verletzung der in die-
sem Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel1. In dem vereinbarten Gerichtsstand können
daher auch Ansprüche auf Ersatz solcher Schäden geltend gemacht werden, die dem Kläger
durch die abredewidrige Klage des Beklagten vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats
oder Drittstaats entstanden sind, wie insbesondere die Kosten für die Rechtsverteidigung im
Verfahren vor dem derogierten Gericht, die dort bis zur Aussetzung des Verfahrens bzw. bis
zur Klageabweisung entstanden sind2. Die Frage, ob sich das Bestehen und der Inhalt vertrag-
licher Sekundäransprüche wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex
fori des angerufenen Gerichts, dem Prorogationsstatut des Art. 25 Abs. 1 S. 1, 2. HS. Brüs-
sel Ia-VO oder dem Statut des Hauptvertrages richtet, auf den sich die Gerichtsstandsverein-
barung bezieht3, hat der BGH offengelassen, weil jede dieser Anknüpfungen im konkreten
Fall zum deutschen Recht führte4. Vorzugswürdig ist eine Anknüpfung an das Prorogations-
statut, weil die verletzte Pflicht ihren Grund im Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung,
nicht des Hauptvertrags, hat5. Außerdem begünstigt die Anwendung des eigenen Rechts durch
das vereinbarte Gericht eine schnelle und richtige Entscheidung über die eigene Zuständig-
keit6. Maßgebend ist daher das Recht des Mitgliedstaates, dessen Gerichte in der Vereinbarung
als ausschließlich zuständig bestimmt worden sind. Dies gilt unabhängig davon, ob das ver-
einbarungswidrig angerufene Gericht seinen Sitz auch in einem Mitgliedstaat der EU oder in
einem Drittstaat hat. Im Übrigen ist aber zwischen diesen beiden Fällen zu differenzieren:

bb) Vereinbarungswidrige Klage in einem Drittstaat


7.179 Bei Vereinbarung eines deutschen Gerichts und der hieraus nach Art. 25 Abs. 1 S. 1, 2. HS.
Brüssel Ia-VO folgenden Geltung deutschen Rechts als Prorogationsstatut hat diejenige Ver-
tragspartei, die vor einem derogierten Gericht in einem Drittstaat verklagt wird, gegen den
dortigen Kläger einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz der ihr in
dem dortigen Verfahren entstandenen Anwaltskosten, soweit diese – wie z.B. nach der Ame-
rican rule of costs – vom unterlegenen Kläger nicht erstattet werden müssen. Denn der Kläger
hatte sich verpflichtet, Ansprüche aus dem geschlossenen Vertrag ausschließlich vor dem ver-
einbarten deutschen Gericht geltend zu machen. Diese Pflicht hat er durch die Klage vor dem
drittstaatlichen Gericht schuldhaft verletzt (§ 280 Abs. 1 BGB); daher hat er die dem Beklag-
ten durch seine Rechtsverteidigung entstandenen Kosten zu ersetzen (§ 249 Abs. 1 BGB)7.
Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Gerichtsstandsvereinbarung um eine Allgemei-
ne Geschäftsbedingung oder um eine Individualvereinbarung der Parteien handelt. Auch eine
in dem drittstaatlichen Verfahren ergangene Kostenentscheidung stünde, selbst wenn sie aner-
kennungsfähig wäre, einem weitergehenden materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch vor
deutschen Gerichten nicht entgegen8.

1 Vgl. Sandrock, FS Schlosser (2005), S. 821 (831 f.); Merrett, ICLQ 2006, 315 ff.
2 App. Luxemburg v. 24.10.2001, unalex LU-6; Schlosser, FS Lindacher (2007), S. 111 ff.; Schlosser in
Schlosser/Hess, Rz. 36a; a.A. Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 100, jeweils zu Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO; zweifelnd auch Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 97.
3 Vgl. dazu ausführlich Mankowski, IPRax 2009, 23 (28 ff.).
4 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 Rz. 21.
5 Wie hier Gebauer, FS Kaissis (2012), S. 267 (282); Mankowski, RIW 2010, 70 (71); Antomo, S. 382 f.
m.w.N.
6 Colberg, IPRax 2020, 426 (427).
7 Zu weiteren ersatzfähigen Kosten Mankowski, RIW 2010, 70 (71).
8 Antomo, S. 370 ff.; Peiffer, S. 455; Colberg, IPRax 2020, 426 (427).

1064 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.181 § 7

cc) Vereinbarungswidrige Klage in einem EU-Mitgliedstaat


Fraglich ist allerdings, ob sich die zu einer vereinbarungswidrigen Klage in den USA ent- 7.180
wickelte Argumentation des BGH auch auf den Fall der Klage vor einem derogierten Gericht
eines anderen Mitgliedstaats der Verordnung übertragen lässt, oder ob ihr die Unvereinbarkeit
von gerichtlich angeordneten Prozessführungsverboten (sog. anti-suit-injunctions) mit der
Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.174 f.) entgegensteht1. Grund für die Unzulässigkeit von anti-suit-
injunctions ist der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Aus diesem folgt, dass die Zu-
ständigkeitsregeln der Verordnung, die allen Gerichten der Mitgliedstaaten gemeinsam sind,
von jedem dieser Gerichte mit gleicher Sachkenntnis ausgelegt und angewandt werden kön-
nen und dass die Nachprüfung der Zuständigkeit eines Gerichts durch das Gericht eines ande-
ren Mitgliedstaats nicht gestattet ist2. Damit ist jedenfalls eine Primärpflicht zur Unterlassung
der Klageerhebung vor einem derogierten Gericht im Geltungsbereich der Verordnung nicht
zu begründen. Ferner hat auch eine schadensersatzrechtliche Sanktion einer solchen Klage
dann auszuscheiden, wenn das angerufene derogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung
für unwirksam und seine internationale Zuständigkeit deshalb für gegeben erachtet hat. Denn
auch in diesem Fall würde die Zusprechung von Schadensersatz gegen das Verbot der Über-
prüfung einer Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das Gericht im Erststaat
(vorbehaltlich Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) und gegen das Verbot einer révision au fond
(Art. 52 Brüssel Ia-VO) verstoßen3.

Dies schließt jedoch die Annahme einer sekundären Schadensersatzpflicht wegen Verletzung 7.181
einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung auch im Geltungsbereich der Brüssel Ia-
VO nicht notwendig aus, wenn das derogierte Gericht die dort erhobene Klage – wie im Re-
gelfall – seinerseits wegen Unzuständigkeit für unzulässig hält oder bereits als unzulässig abge-
wiesen hat. Zwar würde das einen solchen Schadensersatz zusprechende prorogierte Gericht
damit incidenter auch die Unzuständigkeit des abredewidrig angerufenen Gerichts feststellen;
insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem prorogierten Gericht vom Zeitpunkt seiner
Anrufung an gemäß Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ohnehin die Kompetenz-Kompetenz zur
Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zusteht (dazu Rz. 7.157).
Ferner steht ein im prorogierten Gerichtsstand ergehendes Schadensersatzurteil der Anerken-
nung eines vom derogierten Gericht in der Hauptsache erlassenen Urteils auch bei der gebote-
nen weiten Auslegung des Begriffs der „Unvereinbarkeit“ in Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO
nicht entgegen4. Im Übrigen ist die praktische Bedeutung einer Schadensersatzsanktion für
die Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Anrufung des derogierten Gerichts ei-
nes anderen Mitgliedstaats im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO wesentlich geringer als im
Fall der Anrufung eines drittstaatlichen Gerichts, weil der Beklagte die Fortsetzung des Ver-
fahrens vor dem derogierten Gericht – und damit die Entstehung dortiger Gerichts- und An-
waltskosten – nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO jederzeit durch Anrufung des prorogierten
Gerichts unterbinden kann.

1 Zu diesbezüglichen Bedenken Mankowski, IPRax 2009, 23 (29); Mankowski in Rauscher, Art. 25


Brüssel Ia-VO Rz. 248 ff.; Schack, Rz. 861 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 148.
2 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 (Turner/Grovit), EuZW 2004, 568 Rz. 24;
EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (West Tankers), NJW 2009, 1655 (Rz. 30).
3 Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 298 f.
4 So auch Gebauer, FS Kaissis (2012), 267 (279); Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüs-
sel Ia-VO Rz. 301 ff.

Hausmann | 1065
§ 7 Rz. 7.182 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

VII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Vorrang von EU-Recht und Staatsverträgen
7.182 a) Das Recht der internationalen Prorogation wird heute weitgehend durch das Recht der EU
und staatsvertragliche Regelungen beherrscht. Die größte praktische Bedeutung kommt dabei
der Brüssel Ia-VO zu, die im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU – mit Aus-
nahme Dänemarks – mit Wirkung vom 10.1.2015 die bisherige Brüssel I-VO abgelöst hat
und die Gerichtsstandsvereinbarungen in Art. 25 regelt. Demgegenüber gilt nach einem zwi-
schen der EU und Dänemark geschlossenen Parallelübereinkommen von 2005 im Verhältnis
zu Dänemark, sowie nach dem neuen Luganer Übereinkommen von 2007 im Verhältnis zu
Island, Norwegen und der Schweiz die bisherige Regelung in Art. 23 Brüssel I-VO vorerst wei-
ter.

7.183 b) Art. 25 Brüssel Ia-VO verdrängt in seinem Anwendungsbereich nicht nur die §§ 38–40
ZPO in vollem Umfang, sondern schließt auch die Anwendung sonstiger nationaler Pro-
rogationsbeschränkungen (z.B. in Arbeits- oder Verbrauchersachen) aus. Ferner sind die Ge-
richte der Mitgliedstaaten durch Art. 25 Brüssel Ia-VO auch gehindert, Zuständigkeitsverein-
barungen zum Zwecke der Durchsetzung international zwingender Normen (z.B. auf dem
Gebiet des Kartellrechts) für unwirksam zu erklären. Zulässig bleibt jedoch eine Inhaltskon-
trolle am Maßstab europäischen Rechts (z.B. der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in
AGB).

7.184 c) Art. 25 Brüssel Ia-VO tritt hingegen zurück, soweit Staatsverträge auf besonderen Rechts-
gebieten auch die internationale Prorogation regeln. Dieser Vorrang gilt etwa im internatio-
nalen Luftverkehr für Art. 33 des Montrealer Übereinkommens von 1999 und auf dem Gebiet
des internationalen Straßengüterverkehrs für Art. 31 CMR. Das für die EU seit dem 1.10.2015
geltende Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005, harmonisiert
das Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen im Verhältnis zu Vertragsstaaten, die nicht der
EU angehören, und stellt die Anerkennung von Entscheidungen, die im vereinbarten Ge-
richtsstand ergangen sind, in den anderen Vertragsstaaten sicher.

2. Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO


7.185 a) Art. 25 Brüssel Ia-VO ist auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbar,
wenn die Parteien die Zuständigkeit der Gerichte in einem Mitgliedstaat vereinbart haben.
Auf das bisherige Erfordernis, dass mindestens eine Partei ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaates haben mussste, ist in der Neufassung der Verordnung verzichtet worden;
es gilt aber weiter im Rahmen des Luganer Übereinkommens. Die Gerichtsstandsverein-
barung muss Bezug zu mindestens zwei Staaten haben; der Bezug zu einem weiteren Mitglied-
staat der Brüssel Ia-VO ist hingegen nicht erforderlich.

7.186 b) Der Begriff der „Vereinbarung“ in Art. 25 Brüssel Ia-VO ist autonom auszulegen. Danach
muss gewährleistet sein, dass beide Vertragsparteien der Zuständigkeitsvereinbarung tatsäch-
lich zugestimmt haben; diese Zustimmung kann auch stillschweigend erklärt worden sein. Für
die Beurteilung der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung verweist Art. 25
Abs. 1 Brüsssel Ia-VO hingegen auf das Recht am forum prorogatum.

7.187 c) Die Einhaltung der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO ist Wirksamkeitsvoraus-
setzung; dieser Form bedarf es nicht für bloße Vereinbarungen über den Erfüllungsort.

1066 | Hausmann
A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.195 § 7

Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO stellt folgende Formalternativen zur Wahl: 7.188
– Schriftliche Vereinbarung, wobei ein Briefwechsel, ein Austausch von Fernschreiben oder
die Bezugnahme auf AGB, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, genügt;
– Schriftliche Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung;
– Form nach Maßgabe der zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten;
– Vertragsschluss gem. internationalen Handelsbräuchen.

d) Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur für Rechtsstrei- 7.189
tigkeiten aus einem hinreichend bestimmten Rechtsverhältnis zulässig. Ferner muss das zu-
ständige Gericht zumindest bei Klageerhebung bestimmbar sein. Zulässig sind jedoch auch
alternative Gerichtsstandsvereinbarungen.

Unzulässig sind nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen, die eine aus- 7.190
schließliche Zuständigkeit i.S.v. Art. 24 Brüssel Ia-VO zu derogieren suchen. Die Zuständigkei-
ten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sind gem. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-
VO nur in den engen Grenzen der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO abdingbar. Diese Schranken
gelten auch dies gilt auch für die Vereinbarung der Zuständigkeit von drittstaatlichen Gerichten.

e) Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hat grundsätzlich die 7.191
ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts oder Mitgliedstaats zur Folge. Die
Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, sich auf Rüge des Beklagten
oder bei dessen Säumnis gem. Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO von Amts wegen für unzuständig
zu erklären. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Parteien ausdrücklich eine nur fakultativ
wirkende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben, der keine Ausschließlichkeitswirkung
zukommen soll, oder wenn die beklagte Partei sich rügelos auf das Verfahren eingelassen hat.

Zulässig sind auch sog. asymmetrische Zuständigkeitsvereinbarungen nur „zugunsten einer 7.192
Partei“. Erforderlich ist hierfür eine objektive Begünstigung, die einer Partei größere Wahl-
möglichkeiten als der anderen einräumt.

Eine formgültig nach Art. 25 Abs. 1, 2 Brüssel Ia-VO geschlossene Gerichtsstandsverein- 7.193
barung bindet auch Rechtsnachfolger der Parteien. Eine erweiterte Drittwirkung gilt für Ge-
richtsstandsvereinbarungen in Gesellschafts- und Versicherungsverträgen, Konnossementen
und Trust-Bedingungen.

Bei Parallelprozessen vor dem prorogierten Gericht und vor einem derogierten Gericht in ei- 7.194
nem anderen Mitgliedstaat ist der ansonsten geltende Prioritätsgrundsatz (Art. 29 Brüssel Ia-
VO) eingeschränkt worden. Danach hat das derogierte Gericht das bei ihm anhängige Verfah-
ren auch dann auszusetzen, wenn das progogierte Gericht erst nachträglich angerufen wird.
Der Beurteilung der Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch das prorogierte Gericht
kommt damit stets Vorrang zu.

Auch der Gerichtsstand der Widerklage nach Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO kann durch eine 7.195
Zuständigkeitsvereinbarung abbedungen werden. Ob die Parteien ihrer Zuständigkeitsverein-
barung diese Wirkung beilegen wollten, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel
widerspricht ein solcher Ausschluss der Widerklagemöglichkeit dem vermuteten Parteiwillen.
Aus dem gleichen Grund steht eine Gerichtsstandsvereinbarung auch der Aufrechnung mit
(konnexen wie inkonnexen) Gegenforderungen in einem anderen Gerichtsstand grundsätzlich
nicht entgegen.

Hausmann | 1067
§ 7 Rz. 7.196 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.196 f) Die vorstehenden Grundsätze gelten mit geringfügigen Abweichungen auch für Gerichts-
standsvereinbarungen im Rahmen des Luganer Übereinkommens von 2007. Eine Kom-
petenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts besteht im Rahmen des Art. 23 LugÜ 2007 je-
doch nicht.

3. Autonomes Recht
7.197 Da Art. 25 Brüssel Ia-VO für die Prorogation deutscher Gerichte oder der Gerichte eines ande-
ren EU-Mitgliedstaats ohne Einschränkung durch das bisherige Wohnsitzerfordernis gilt, be-
schränkt sich die Geltung des autonomen deutschen Rechts (§§ 38–40 ZPO) auf dem Gebiet
der internationalen Zuständigkeit im Wesentlichen auf die seltenen Fälle der Prorogation dritt-
staatlicher Gerichte. Wegen der Einzelheiten wird auf die 6. Auflage (Rz. 3103–3209) verwiesen.

4. Klauselbeispiele
a) Ausschließliche Gerichtsstandsklausel
7.198 Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem
Vertrag und seiner Durchführung ist München/der Sitz des Verkäufers.

b) Fakultative Gerichtsstandsklausel

7.199 Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag und sei-
ner Durchführung ist München. Die Parteien sind jedoch berechtigt, auch an sonstigen gesetzli-
chen Gerichtsständen zu klagen.

c) Alternative Gerichtsstandsklausel

7.200 Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem
Vertrag und seiner Durchführung ist nach Wahl des Klägers München oder Mailand.

d) Einseitig begünstigende Gerichtsstandsklausel

7.201 Ausschließlicher Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem
Vertrag und seiner Durchführung ist München. Der Verkäufer ist jedoch auch berechtigt, stattdes-
sen am Sitz des Käufers in Mailand zu klagen.

B. Schiedsvereinbarungen

Literatur: (zum älteren Schrifttum vgl. Vorauflagen; zu dem in der Hauptsache vor Schiedsgerichten
anwendbaren Recht s. das Schrifttum vor Rz. 7.437):
A. Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit/Allgemeine Literatur:
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1068 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.201 § 7

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§ 7 Rz. 7.201 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

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1070 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.201 § 7

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Vgl. ferner die laufende Kommentierung der Rechtsprechung zum EuÜ durch Hascher im Yearbook
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Hausmann | 1071
§ 7 Rz. 7.201 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

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J.-M. Ahrens, Die subjektive Reichweite internationaler Schiedsvereinbarungen und ihre Erstreckung
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Hausmann | 1073
§ 7 Rz. 7.201 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

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am Beispiel der „Husten-Affäre“, SchiedsVZ 2018, 294; Wackenhuth, Ersetzbarkeit der Formerforder-
nisse, des Art. 2 Abs. 2 des UN-Übereinkommens durch Klageerhebung und rügelose Einlassung,
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I. Allgemeine Grundsätze
1. Bedeutung
7.202 Im internationalen Handelsverkehr werden Gerichtsstandsvereinbarungen heute in erhebli-
chem Umfang durch Schiedsvereinbarungen verdrängt. Die Vorteile, die eine schiedsrichterli-
che Streiterledigung gegenüber einem Verfahren vor den staatlichen Gerichten bereits in rei-
nen Inlandsfällen hat, wie z.B. die Abkürzung der Verfahrensdauer durch Beschränkung auf
eine Instanz, die Diskretion des Verfahrens, die spezielle Sachkunde der Schiedsrichter, die

1074 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.204 § 7

Freiheit der Verfahrensausgestaltung und die Kostenvorteile1, werden im internationalen


Rechtsverkehr noch erheblich verstärkt. So können die Parteien etwa Schiedsrichter mit be-
sonderen Kenntnissen des ausländischen und zwischenstaatlichen Rechts bestellen und damit
die mit der Einholung von Sachverständigengutachten verbundenen Kosten und Verzögerun-
gen vermeiden. Die Freiheit der Verfahrensausgestaltung hat im internationalen Bereich fer-
ner den Vorzug, dass das Erfordernis einer förmlichen Zustellung von Schriftstücken an im
Ausland wohnende Verfahrensbeteiligte entfällt. Darüber hinaus können die Parteien sich für
das Verfahren vor dem Schiedsgericht auf eine bestimmte Sprache einigen und Schiedsrichter
bestellen, die dieser Sprache kundig sind; damit erübrigt sich die im Verfahren vor staatlichen
Gerichten notwendige Übersetzung von Urkunden in die Gerichtssprache und die Zuziehung
von Dolmetschern für die Anhörung von Beteiligten, die der Gerichtssprache nicht mächtig
sind2.

Hinzu kommt, dass durch die Vereinbarung schiedsgerichtlicher Streiterledigung das vielfach 7.203
bestehende Misstrauen gegenüber einer in ihrer Funktion unbekannten fremden staatlichen
Gerichtsbarkeit ausgeschaltet werden kann. Vor allem aber ist die Durchsetzung von Schieds-
sprüchen im internationalen Rechtsverkehr mit Hilfe staatlicher Zwangsmittel in weit größe-
rem Umfang staatsvertraglich gewährleistet als die Wirkungserstreckung von Zivilurteilen.
Während die Vollstreckung deutscher Zahlungsurteile derzeit nur in den Mitgliedstaaten der
Brüssel Ia-VO und den Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens sowie aufgrund bilate-
raler Übereinkommen weiterhin im Verhältnis zu Israel und Tunesien gewährleistet ist, gilt
das UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schieds-
sprüche vom 10.6.1958 (Rz. 7.226) derzeit im Verhältnis zu mehr als 150 Staaten. Darüber
hinaus werden Schiedssprüche von den im internationalen Handel tätigen Unternehmen ganz
überwiegend freiwillig erfüllt3. Aus diesem Grund enthalten heute ca. 80-90 % aller grenz-
überschreitenden Wirtschaftsverträge eine Schiedsvereinbarung4.

2. Begriff
Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht enthält – in Anlehnung an Art. 7 Abs. 1 S. 1 UN- 7.204
CITRAL-ModG5 – eine Legaldefinition der Schiedsvereinbarung in § 1029 Abs. 1 ZPO. Wäh-
rend das frühere Schiedsverfahrensrecht vom „Schiedsvertrag“ sprach, verwendet der Gesetz-
geber seit der Reform von 1997 den Begriff „Vertrag“ nur noch im Zusammenhang mit dem
Hauptvertrag (vgl. § 1029 Abs. 2, § 1031 Abs. 3, § 1040 Abs. 1, § 1051 Abs. 4 ZPO); der frühe-
re „Schiedsvertrag“ wird hingegen durchgängig als „Schiedsvereinbarung“ bezeichnet. Damit
betont das geltende Recht die strikte Trennung von Hauptvertrag und Schiedsvereinbarung
(vgl. § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO; dazu näher Rz. 7.207). Durch eine Schiedsvereinbarung müssen
Streitigkeiten der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unter Ausschluss des Rechtswegs zu
den staatlichen Gerichten unterworfen werden. Die Absichtserklärung, eine schiedsgericht-
liche Streiterledigung anzustreben, ist noch keine Schiedsvereinbarung6. Die Wirksamkeit der

1 Zu den Vorzügen der schiedsrichterlichen Streiterledigung näher Diedrich, JuS 1998, 158 f.;
Schwab/Walter, Kap. 1 Rz. 8; Nagel/Gottwald, Rz.18.6 f.
2 Schütze/Tscherning/Wais, Rz. 5 ff.; Schütze, Rz. 18 ff.; Lachmann, Rz. 368 f.
3 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 51.
4 Berger, RIW 1994, 12.
5 UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.6.1985;
deutscher Text bei Schwab/Walter, Anh. A III.
6 OLG Oldenburg v. 10.7.2014 – 8 Sch 2/13, IPRspr. 2014 Nr. 271, bestätigt durch BGH v. 7.5.2015
– I ZB 83/14, SchiedsVZ 2016, 42.

Hausmann | 1075
§ 7 Rz. 7.204 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Schiedsvereinbarung wird aber nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Parteien innerhalb ei-
ner bestimmten Frist die staatlichen Gerichte gegen den Schiedsspruch anrufen können1.

7.205 Die Schiedsvereinbarung ist ferner abzugrenzen vom Schiedsrichtervertrag (dazu Rz. 7.211 ff.)
und von bloßen Vereinbarungen über die Gestaltung des Schiedsverfahrens (dazu Rz. 7.208 f.).
Sie kann – in Übereinstimmung mit Art. II Abs. 1 UNÜ – sich sowohl auf bereits entstandene
Streitigkeiten („compromis“) wie auf erst künftig entstehende Streitigkeiten („clause compro-
missoire“) beziehen. Bildet sie den Gegenstand einer selbständigen Vereinbarung, wird sie in
der Terminologie des geltenden Rechts als „Schiedsabrede“ bezeichnet, während man von
„Schiedsklausel“ spricht, wenn die Schiedsvereinbarung in den Hauptvertrag integriert ist,
auf den sie sich bezieht (§ 1029 Abs. 2 ZPO).

3. Rechtsnatur
7.206 Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung wird von der rechtlichen Bewertung der Schieds-
gerichtsbarkeit insgesamt bestimmt. Diese ist nach deutscher Auffassung Ausübung echter –
privater – Gerichtsbarkeit2, die den Parteien einen grundsätzlich gleichwertigen Rechtsschutz
wie die staatliche Gerichtsbarkeit ermöglicht3. Aus diesem Grunde ist der Schiedsspruch ein
Rechtsprechungsakt und kein materiell-rechtlicher Gestaltungsakt; dementsprechend kann
auch die Schiedsvereinbarung kein rein materiell-rechtlicher Vertrag sein4. Dennoch stand die
deutsche Rechtsprechung lange Zeit der materiell-rechtlichen Theorie nahe, wenn sie die
Schiedsvereinbarung als einen „materiellrechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehun-
gen“ wertete, dessen Zustandekommen sich nach bürgerlichem Recht richte5. Parallel zu der
Entwicklung im Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.7) hat sich im zivilpro-
zessualen Schrifttum hingegen die prozessuale Qualifikation der Schiedsvereinbarung durch-
gesetzt. Diese Lehre sieht die charakteristische Wirkung einer Schiedsvereinbarung mit Recht
in der Ermöglichung eines auf einen urteilsgleichen Spruch gerichteten Verfahrens einerseits
und im Ausschluss der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Entstehung einer prozesshin-
dernden Einrede andererseits6. Das Erfordernis, auf gewisse Aspekte der Schiedsvereinbarung

1 BGH v. 1.3.2007 – III ZB 7/06, NJW-RR 2007, 1511 (Rz. 18 ff.) = MDR 2007, 902.
2 BGH v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70 (72) = NJW 1986, 3027 = EWiR 1986, 835 (LS)
m. Anm. Schütze; Habscheid, JZ 1998, 446; Geimer in Zöller, vor § 1025 ZPO Rz. 1.
3 Amtliche Begründung zum SchiedsverfahrensreformG, BT-Drucks. 13/5274, S. 34.
4 Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 1.
5 BGH v. 27.2.1970 – VII ZR 68/68, BGHZ 53, 315 = NJW 1970, 1046 f.; BGH v. 28.11.1963 – VII
ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (322) = NJW 1964, 591; BGH v. 30.1.1957 – V ZR 80/55, BGHZ 23,
198 (200) = NJW 1957, 589; OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (484) m.
zust. Anm. Mezger. Für eine solche Doppelnatur der Schiedsvereinbarung noch heute Lachmann,
Rz. 266; Schütze in Wieczorek/Schütze, Rz. 5; Voit in Musielak/Voit, Rz. 3; Reichold in Thomas/
Putzo Rz. 1, jeweils zu § 1029 ZPO.
6 Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (361); König, IPRax 2012, 129; Wagner, S. 578 ff.; Nagel/
Gottwald Rz. 18.14; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 92 Rz. 12; Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 37;
Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 12 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 2; Geimer in Zöller, § 1029
ZPO Rz. 15 ff., jeweils zu § 1029 ZPO. Auch der BGH hat die Schiedsvereinbarung später zu Recht
als „Unterfall des Prozessvertrages“ bezeichnet, vgl. BGH v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85, BGHZ 99,
143 (147) = MDR 1987, 302 (147) = NJW 1987, 651 = ZZP 100 (1987), 452 = ZZP 100 (1986), 452
m. zust. Anm. Schwab; zust. auch öOGH v. 5.5.1998, RIW 1999, 789 m. Anm. Seidl-Hohenveldern;
OLG Koblenz v. 28.7.2005 – 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260 (261); LG München I v. 26.2.2014 –
37 O 28331/12, SchiedsVZ 2014, 100 (105); Wagner, S. 578 ff. m.w.N; ähnlich OLG Frankfurt a.M.
v. 25.1.1993 – 8 W 8/93, DtZ 1993, 183: „verfahrensrechtlicher Vertragsgegenstand“.

1076 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.209 § 7

Vorschriften des bürgerlichen Rechts entsprechend anzuwenden, steht der prozessualen Qua-
lifikation nicht entgegen.

4. Abgrenzungen
a) Hauptvertrag
Die kollisionsrechtliche Einordnung der Schiedsvereinbarung wird dadurch erschwert, dass 7.207
im Verlaufe des Verfahrens nicht nur das Schiedsgericht, sondern auch staatliche Gerichte in
ihrer Eigenschaft als Einredegerichte, sowie bei Schiedsrichterernennung oder -ablehnung, Be-
weiserhebung und Vollstreckung mit der Beurteilung kollisionsrechtlicher Fragen befasst wer-
den können. Dabei ist es für jedes dieser Gerichte wesentlich, die Bestimmung des Statuts der
Schiedsvereinbarung von weiteren kollisionsrechtlichen Fragen abzugrenzen, die sich im Zu-
sammenhang mit der Durchführung eines internationalen Schiedsverfahrens typischerweise
stellen.

Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag sind grundsätzlich streng auseinander zu halten („Au- 7.208
tonomie der Schiedsvereinbarung“)1. Dies gilt – wie § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO ausdrücklich
klarstellt – auch dann, wenn die Schiedsklausel Bestandteil des geschlossenen Hauptvertrages
ist (dazu näher Rz. 7.294, Rz. 7.311 f.)2. Damit wird freilich eine – auch kollisionsrechtlich
relevante – Wechselbeziehung von Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag nicht ausgeschlos-
sen. So enthält die Schiedsabrede – ebenso wie eine Gerichtsstandsvereinbarung (dazu Rz. 7.5)
– einen starken Hinweis auf das Recht am Sitz des gewählten Schiedsgerichts, der idR die An-
nahme einer stillschweigenden Rechtswahl i.S.v. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO bzw. § 1051
Abs. 1 ZPO für den Hauptvertrag rechtfertigt (vgl. dazu Rz. 2.92 ff. m. ausf. Nachw.); dies gilt
sogar dann, wenn die Schiedsvereinbarung nicht wirksam getroffen worden ist3. Diese Indiz-
wirkung setzt allerdings voraus, dass der Schiedsort bereits in der Schiedsvereinbarung be-
stimmt und seine Festlegung nicht den Schiedsrichtern oder einer Schiedsorganisation über-
lassen worden ist4. Umgekehrt kann eine für den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl auch
für die Ermittlung des Statuts der Schiedsvereinbarung Bedeutung erlangen. Eine verbreitete
Auffassung unterwirft die Schiedsvereinbarung nämlich im Zweifel dem von den Parteien für
den Hauptvertrag gewählten Recht; dazu und zur Kritik an dieser Auffassung näher
Rz. 7.278 ff. m. ausf. Nachw.

b) Schiedsverfahren
Abzugrenzen ist das Statut der Schiedsvereinbarung weiterhin vom Schiedsverfahrensstatut. 7.209
Das Schiedsverfahren unterliegt grundsätzlich dem Recht am vereinbarten Schiedsort. Die
Parteien können jedoch auch ein hiervon abweichendes Verfahrensrecht vereinbaren, ins-
besondere die Schiedsordnung eines institutionellen Schiedsgerichts. Die Wahl des Verfah-
rensrechts bedarf keiner besonderen Form und kann auch stillschweigend erfolgen5. Zwar

1 OLG Hamburg v. 21.12.2012 – 6 Sch 19/12, SchiedsVZ 2013, 180; OLG Frankfurt a.M. v.
20.7.2007 – 26 Sch 3/06, NJOZ 2007, 5712; OLG Köln v. 18.5.1992 – 19 U 22/92, MDR 1993, 80 =
RIW 1992, 760; Epping, S. 24; Schlosser, Rz. 248; Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 21.
2 Sanders, Arbitration, S. 59 ff.; Epping, S. 24 f.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 1.
3 BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/73, DB 1975, 63 = AP Nr. 7 zu § 38 ZPO (m. Anm. E. Lorenz);
LAG Hamburg v. 3.9.1973 – 2 Sa 82/73, BB 1974, 1411.
4 Court of Appeal v. 20.5.1993 (Star Shipping AS v. China NFTT Corp.), YCA XXII (1997), 815
(819).
5 Voit in Musielak/Voit, § 1042 ZPO Rz. 32.

Hausmann | 1077
§ 7 Rz. 7.209 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

wird es sich häufig empfehlen, die Schiedsvereinbarung der gleichen Rechtsordnung zu unter-
stellen, die auch das Schiedsverfahren beherrscht (dazu Rz. 7.264, Rz. 7.269 f., Rz. 7.280 f.);
zwingend ist dieser Gleichlauf jedoch nicht. Mittelbar wirkt das Schiedsverfahrensstatut frei-
lich auch auf die Ermittlung des Statuts der Schiedsvereinbarung insofern ein, als es bestimmt,
welche Kollisionsregeln der Schiedsrichter zugrunde zu legen hat, um die Gültigkeit der
Schiedsvereinbarung zu beurteilen. So gilt § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO – jedenfalls unmittel-
bar – nur, wenn aufgrund des Territorialitätsprinzips (§ 1025 Abs. 1 ZPO) deutsches Recht
auf das Schiedsverfahren anzuwenden ist (dazu Rz. 7.272). Besondere Schwierigkeiten bereitet
die Ermittlung des maßgeblichen Kollisionsrechts daher dann, wenn die Parteien weder das
maßgebliche Verfahrensrecht noch den Sitz des Schiedsgerichts festgelegt haben.

7.210 Von der Schiedsvereinbarung zu unterscheiden sind daher die mit ihr i.d.R. verbundenen Ver-
einbarungen über die Durchführung des Schiedsverfahrens (z.B. über die Zusammenset-
zung und Konstituierung des Schiedsgerichts, den Schiedsort, die Verfahrenssprache etc.)1, die
in Ermangelung einer abweichenden Rechtswahl der Parteien nach der lex fori des vereinbar-
ten Schiedsgerichts zu beurteilen sind. Nach deutschem Recht setzt die Wirksamkeit einer
Schiedsvereinbarung nicht voraus, dass die Parteien sich auch über die Modalitäten der
Schiedsrichterbestellung verständigt haben; vielmehr greifen dann die gesetzlichen Bestim-
mungen (§§ 1034 ff. ZPO) ein. Nichts anderes gilt grundsätzlich, wenn die Parteien zwar eine
entsprechende Abrede getroffen haben, diese aber undurchführbar oder unwirksam ist. Ins-
besondere kann die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung in diesem Fall nicht unter Hin-
weis auf § 139 BGB damit begründet werden, dass Bestimmungen der Parteien über die Bil-
dung des Schiedsgerichts fehlen bzw. unwirksam oder undurchführbar sind2. Die Schiedsver-
einbarung gilt in einem solchen Fall vielmehr grundsätzlich fort und das schiedsgerichtliche
Verfahren richtet sich dann nach den gesetzlichen Regeln der lex fori3. Haben die Parteien
daher eine Schiedsabrede getroffen und zusätzlich eine Kompetenz-Kompetenz-Klausel ver-
einbart, so berührt die Nichtigkeit der Kompetenz-Kompetenz-Klausel die übrige Schiedsabre-
de nicht4. Ist die ursprünglich getroffene Schiedsvereinbarung unwirksam, so kann sich eine
solche – die Einhaltung der vorgeschriebenen Form vorausgesetzt – allerdings auch aus nach-
träglich wirksam getroffenen Verfahrensvereinbarungen ergeben.

c) Lex fori staatlicher Gerichte


7.211 Wenig geklärt sind bisher die Konsequenzen, die sich aus einer prozessualen Qualifikation der
Schiedsvereinbarung für das Verfahren vor den staatlichen Einredegerichten ergeben. Zwar
besteht Einvernehmen darüber, dass sich die prozessualen Wirkungen der Schiedsverein-
barung im Einredeverfahren allein nach der lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts be-

1 Vgl. im deutschen Recht § 1029 Abs. 1 ZPO einerseits, § 1042 Abs. 3 ZPO andererseits; dazu
Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 12 ff.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 11; Münch in
MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 11; Lachmann, Rz. 265.
2 BGH v. 18.6.2014 – III ZB 89/13, MDR 2014, 1167= SchiedsVZ 2014, 254 (255); KG v. 28.4.2011
– 23 U 337/11, NJW 2011, 2978 = MDR 2011, 952; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 31, 60; vgl.
auch öOGH v. 9.9.1987, YCA XV (1990), 367 (368).
3 BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466 (Rz. 16 ff.) = SchiedsVZ 2007, 163; OLG
Frankfurt a.M. v. 11.7.2013 – 26 SchH 8/12, SchiedsVZ 2013, 294 (296) und v. 12.5.2009 – 14 Sch
4/09, NJW-RR 2010, 788 (789); Schwab/Walter, Kap. 6 Rz. 8; Voit in Musielak/Voit, § 1042 ZPO
Rz. 33.
4 BGH v. 24.7.2014 – III ZB 83/13, BGHZ 202, 68 Rz. 11 = NJW 2014, 3652; BGH v. 13. 1. 2005 –
III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 (14) = NJW 2005, 1125.

1078 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.213 § 7

urteilen (dazu Rz. 7.421). Weithin unklar bleibt hingegen, inwieweit sich die prozessualen Re-
geln der lex fori zu den inhaltlichen und formellen Voraussetzungen einer gültigen Schiedsver-
einbarung gegen das von den Parteien gewählte Statut der Schiedsvereinbarung bzw. das
Recht am gewählten Schiedsort durchsetzen. Anders als im Recht der Gerichtsstandsverein-
barungen1 schreckt man vor einer Qualifikation dieser Normen (z.B. der §§ 1029–1032 ZPO)
i.S.v. prozessualen Schranken der Zulässigkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen, die
nach dem lex-fori-Prinzip im Verfahren vor dem staatlichen Einredegericht stets Beachtung
erheischen, bisher überwiegend zurück (dazu näher Rz. 7.359 ff.).

d) Schiedsrichter- und Schiedsorganisationsvertrag


aa) Vertragsinhalt
Die Schiedsvereinbarung ist auch vom Schiedsrichtervertrag zu unterscheiden, der zwischen 7.212
den Parteien einerseits und dem Schiedsrichter andererseits geschlossen wird und die Grund-
lage für die Ausübung der schiedsrichterlichen Tätigkeit bildet2. In ihm werden insbesondere
Honorar- und Haftungsfragen geregelt. Der Schiedsrichtervertrag wird – ebenso wie der mit
einer Schiedsorganisation geschlossene Schiedsorganisationsvertrag3 – überwiegend noch als
ein reiner Schuldvertrag sui generis gewertet, auf den bei Geltung deutschen Rechts die ge-
setzlichen Bestimmungen über den Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) bzw. – im Falle der Unent-
geltlichkeit – des Auftrags (§§ 662 ff. BGB) entsprechend anzuwenden sind4.

bb) Anknüpfung
Der Schiedsrichtervertrag untersteht nicht notwendigerweise demselben Recht wie die Schieds- 7.213
vereinbarung oder das Schiedsverfahren. Den Parteien steht es vielmehr nach Art. 3 Rom I-VO
frei, ihre Beziehungen zu den Schiedsrichtern auch einem hiervon abweichenden Recht zu un-
terstellen5. Treffen die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl, so kann das auf die Schieds-
vereinbarung oder das Schiedsverfahren anwendbare Recht allerdings ein starkes Indiz für ei-
nen stillschweigenden Parteiwillen oder für eine „offensichtlich engere Verbindung“ des
Schiedsrichtervertrages zu einer anderen Rechtsordnung i.S.v. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO sein,
wobei im Zweifel das auf das Schiedsverfahren anwendbare Recht stärker wiegt6. Denn die Stel-
lung des Schiedsrichters wird von diesem Recht entscheidend mitbestimmt, etwa hinsichtlich

1 Vgl. zu § 38 ZPO 6. Aufl., Rz. 3147 ff.


2 Ausführlich zum Schiedsrichtervertrag Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 15 ff.
3 Vgl. Ch. Wolf, Die institutionelle Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1992), S. 70 ff., 228 ff.; Schlosser
in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 15 ff.
4 So insb. – im Anschluss an die st. Rspr. des Reichsgerichts (RGZ 59, 247; RGZ 74, 323; RGZ 94,
213) – BGH v. 5.5.1986 – III ZR 233/84, BGHZ 98, 32 (34 f.) = NJW 1986, 3077 m.w.N.; zust.
Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 23 ff.; Ch. Wolf, Die institutionelle Handelsschieds-
gerichtsbarkeit (1992), S. 75 f.; a.A. Schwab, Schiedsrichterernennung und Schiedsrichtervertrag,
FS Schiedermair (1976), S. 499 ff.; Real, Der Schiedsrichtervertrag (1983); Schwab/Walter, Kap. 11
Rz. 9, die dem Schiedsrichtervertrag auch prozessuale Funktionen beimessen.
5 Müller-Freienfels, Der Schiedsrichtervertrag in kollisionsrechtlicher Beziehung, FS Cohn (1975),
S. 147 (158); Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 1 (20); von Hoffmann, Der internationale Schieds-
richtervertrag – eine kollisionsrechtliche Skizze, FS Glossner (1994), S. 143 f.; Magnus in Staudin-
ger, Art. 4 Rom I Rz. 393.
6 Real, Der Schiedsrichtervertrag (1983), S. 189 ff.; Schlosser, Rz. 491; Geimer, Rz. 3851; Schütze/
Tscherning/Wais, Rz. 575. Für eine akzessorische Anknüpfung an das Recht der Schiedsverein-
barung hingegen Müller-Freienfels, FS Cohn (1975), S. 147 (160 ff.).

Hausmann | 1079
§ 7 Rz. 7.213 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

seiner Ernennung oder Abberufung und hinsichtlich der Anforderungen an seine Qualifikati-
on oder Unparteilichkeit. Diese akzessorische Anknüpfung des Schiedsrichtervertrages an das
Verfahrensstatut hat gem. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO im Zweifel Vorrang vor der Anknüpfung an
den „Praxisort“ als den Ort, an dem der Schiedsrichter seine vertragscharakteristische Leistung
i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO erbringt1. Dies gilt im Interesse einer einheitlichen Bestim-
mung des auf die Pflichten der Schiedsrichter anzuwendenden Rechts jedenfalls dann, wenn
ein Kollegialgericht entscheidet, dem Schiedsrichter aus verschiedenen Ländern angehören2.

e) Schiedsgutachtenvertrag
aa) Vertragsinhalt und Rechtsnatur
7.214 Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen einer Schiedsvereinbarung und einem blo-
ßen Schiedsgutachten3. Gegenstand eines Schiedsgutachtens kann sowohl die Feststellung von
Tatsachen (z.B. der Qualität des Kaufgegenstandes, der Höhe des eingetretenen Schadens, des
Werts eines Gebrauchtwagens etc.) als auch die Entscheidung von sachlich begrenzten Rechts-
fragen sein. Überwiegend wird verlangt, dass dem Schiedsgutachter eine rechtsgestaltende Be-
stimmung der Leistung übertragen wird, bei der ihm ein gewisser Ermessenspielraum zu-
steht4. Die vor allem in der Rechtsprechung h.M.5 qualifiziert Schiedsgutachten rein privat-
rechtlich mit der Folge, dass die prozessualen Kautelen des Schiedsverfahrens (Gewährung
rechtlichen Gehörs, Kontrolle der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit) für Schiedsgutachten
und Schiedsgutachter nicht gelten. Das Gutachten kann vielmehr nur wegen offenbarer Unbil-
ligkeit bzw. Unrichtigkeit nach §§ 317, 319 BGB angegriffen werden. Nach der Gegenansicht6
sind „rechtsklärende“ bzw. „Tatbestandselemente feststellende“ Schiedsgutachten prozessualer
Natur, weil der Gutachter insoweit schiedsrichterliche Teilaufgaben übernehme. Einigkeit be-
steht jedoch darüber, dass die Vorschriften über Schiedsvereinbarungen wegen der unter-
schiedlichen Interessenlage und dem geringeren Schutzbedürfnis der Parteien auf den
Schiedsgutachtenvertrag keine (entsprechende) Anwendung finden; dies gilt insbesondere für
die Formvorschrift in § 1031 ZPO7.

bb) Anknüpfung
7.215 Der Schiedsgutachtenvertrag ist ein Schuldvertrag, der die Erbringung einer Dienstleistung
zum Gegenstand hat8. Die Parteien können das auf ihn anzuwendende Recht daher nach

1 Schlosser, Rz. 491; Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 33; Magnus in Staudinger, Art. 4
Rom I Rz. 394; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 118; Münch in MünchKomm
ZPO, vor § 1034 Rz. 10; ebenso schon früher Müller-Freienfels, FS Cohn (1975), S. 147 (162); Ba-
sedow, JbPraxSchG 1 (1987), 1 (21).
2 Schwab/Walter, Kap. 48 Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 394; zust. öOGH v. 28.4.1998,
BB 1999, Beil. 11, S. 7 m. Anm. Liebscher, Schiedsrichtervertrag und anwendbares Recht, S. 2.
3 Ausführlich zum Schiedsgutachten und zur Abgrenzung von der Schiedsgerichtsbarkeit Schlosser
in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 42 ff.
4 BGH v. 26.4.1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761 = MDR 1991, 1169.
5 BGH v. 26.4.1991 (vorige Fn.); BAG v. 20.1.2004 – 9 AZR 23/03; BeckRS 2004, 30800613; w. umf.
Nachw. bei Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 48 ff.
6 Habscheid, FS Lehmann II (1956), S. 789; Habscheid, FS Laufke (1971), S. 303 ff.; Schlosser in
Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 56 ff. m.w.N.
7 Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 65 m.w.N.
8 Im deutschen Recht wird der Schiedsgutachtenvertrag als Werkvertrag qualifiziert, vgl. Gehrlein,
VersR 1994, 1009 f.

1080 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.217 § 7

Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO frei wählen. In Ermangelung einer Rechtswahl ist objektiv nach
Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO an das Recht des Staates anzuknüpfen, in dem der Schiedsgut-
achter seinen gewöhnlichen Aufenthalt, d.h. seine Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2
Rom I-VO), hat. Stellt man an den Schiedsgutachter in Bezug auf Unparteilichkeit und Unab-
hängigkeit die gleichen Anforderungen wie an einen Schiedsrichter1, so sind diese dem Recht
des Staates zu entnehmen, in dem das Schiedsgutachten erstellt werden soll; in Deutschland
gilt dann § 1036 ZPO entsprechend.

f) Mediationsvereinbarung
aa) Rechtsquellen
Im Verlauf des letzten Jahrzehnts haben Verfahren der alternativen Streitbeilegung („Alterna- 7.216
tive Dispute Regulation“, ADR) auch auf internationaler Ebene erheblich an Bedeutung ge-
wonnen. Sie verdrängen nicht nur Verfahren vor staatlichen Gerichten, sondern wegen der
schnelleren Konfliktlösung und der geringeren Kosten zunehmend auch Schiedsverfahren2.
Dies gilt nicht nur für Schlichtungsverfahren3, sondern insbesondere für die Mediation. Diese
hat in Europa vor allem durch die EU-Mediationsrichtlinie4 einen wichtigen Impuls erhalten.
Die Richtlinie regelt im Wesentlichen die Absicherung der Vertraulichkeit der Mediation, ihre
Auswirkungen auf die Verjährungsfristen und die Vollstreckbarkeit der in einer Mediation ge-
troffenen Vereinbarung. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie durch das Mediations-
gesetz vom 21.6.20125 umgesetzt. Während die Richtlinie auf grenzüberschreitende Sachver-
halte beschränkt ist, gilt das Mediationsgesetz auch für Binnensachverhalte. Es definiert die
Mediation in seinem § 1 Abs. 1 als „vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die
Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine
einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“. Nach § 278a Abs. 1 ZPO kann auch
das angerufene staatliche Gericht den Parteien eine Mediation (oder ein anderes Verfahren
der außergerichtlichen Streitbeilegung) vorschlagen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass
am 20.12.2018 in Singapur die „UN Convention on International Settlement Agreements Resul-
ting from Mediation“ abgeschlossen wurde, die am 12.9.2020 in Kraft getreten ist. Die Bundes-
republik Deutschland ist diesem Übereinkommen allerdings bisher nicht beigetreten.

bb) Vertragsinhalt
Gegenstand der Mediationsvereinbarung ist die Durchführung der Mediation. Danach ist der 7.217
Mediator also – im Gegensatz zum Schiedsrichter – nicht befugt, eine bindende Entscheidung
zu treffen; er soll vielmehr nur auf eine Vereinbarung der Parteien zur Beilegung ihrer Streitig-
keiten hinwirken. Anders als ein Schlichter hat der Mediator aber auch nicht die Aufgabe, ei-
nen Vorschlag zur Lösung des Konflikts zu unterbreiten; er soll vielmehr die Parteien nur un-

1 So Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 66.


2 Möglich sind allerdings auch Mischformen, z.B. Vereinbarungen, wonach ein Schiedsverfahren
erst nach einer erfolglosen Mediation stattfinden soll, vgl. Eidenmüller, Hybride ADR-Verfahren
bei internationalen Wirtschaftskonflikten, RIW 2002, 1 ff.; Berger, Law and Practice of Escalation
Clauses, Arb.Int. 22 (2006) 1 ff.
3 Vgl. zur obligatorischen Streitschlichtung nach § 15a EGZPO statt vieler Heßler in Zöller, § 15a
EGZPO Rz. 1 ff.
4 Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl.
EU L 136 v. 24.5.2008, S. 3 = Jayme/Hausmann, Nr. 243.
5 BGBl. I 2012, 1577; in Kraft seit dem 26.7.2012.

Hausmann | 1081
§ 7 Rz. 7.217 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

terstützen, ihre Einigungshindernisse zu überwinden. Die Mediationsvereinbarung weist da-


her eine Doppelnatur auf: einerseits begründet sie materiell-rechtliche Kooperationspflichten
der Parteien im Rahmen der Mediation; andererseits enthält sie Absprachen in Bezug auf das
Mediationsverfahren, z.B. hinsichtlich der Vertraulichkeit, der Auswahlkriterien für den Me-
diator oder den Verfahrensablauf1. Abzugrenzen von dieser Mediationsvereinbarung ist der
Mediatorvertrag, der – ähnlich dem Schiedsrichtervertrag im Schiedsverfahren (Rz. 7.212) –
die Vertragsbeziehungen zwischen dem Mediator und den beiden Streitparteien regelt, sowie
die Abschlussvereinbarung, die die Parteien im Falle einer erfolgreichen Mediation zur Lösung
ihres Konflikts treffen2.

cc) Anknüpfung
7.218 Weder die Mediationsrichtlinie noch das deutsche Mediationsgesetz enthalten Kollisions-
regeln. Ähnlich wie eine Schiedsvereinbarung (Rz. 7.208) ist die Mediationsvereinbarung
grundsätzlich unabhängig von der Rechtsnatur der zwischen den Parteien streitigen (Haupt-)
Rechtsbeziehung, die den Gegenstand der Mediation bildet. Die materiell-rechtlichen Ver-
pflichtungen aus der Mediationsvereinbarung sind daher in jedem Falle schuldvertraglich zu
qualifizieren und werden von der Rom I-VO erfasst3; denn im Gegensatz zu Gerichtsstands-
und Schiedsvereinbarungen sind Mediationsvereinbarungen nicht aus dem sachlichen An-
wendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen. Ferner hat – anders als bei Schiedsver-
einbarungen (Rz. 7.206) – eine umfassende prozessuale Qualifikation auszuscheiden; denn
prozessuale Wirkungen entfaltet die Mediationsvereinbarung nur insoweit, als mit ihr regel-
mäßig ein dilatorischer Klageverzicht verbunden ist, weil die Mediation nur erfolgreich sein
kann, wenn die Parteien zumindest vorübergehend auf die (schieds-)gerichtliche Durchset-
zung ihrer Forderungen verzichten. Allein dieser Klageverzicht ist prozessual zu qualifizieren
und unterliegt der lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts oder Schiedsgerichts4. Wird
die Mediation den Parteien von einem deutschen staatlichen Gericht vorgeschlagen, so ordnet
dieses nach § 278a Abs. 2 ZPO das Ruhen des Verfahrens (§§ 251, 329 Abs. 2 ZPO) an.

7.219 Im Übrigen können die Parteien das auf die Mediationsvereinbarung anzuwendende Recht
nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO frei wählen. Erstaunlicherweise machen die Muster-Media-
tionsklauseln der bekannten institutionellen Verfahrensordnungen5 von der Möglichkeit einer
ausdrücklichen Rechtswahl bisher keinen Gebrauch. Ausreichend ist aber auch eine still-
schweigende Rechtswahl, die sich eindeutig aus den Bestimmungen der Vereinbarung oder
den Umständen ergibt. Die für den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl ist, auch wenn die
Mediationsklausel einen Bestandteil dieses Vertrages bildet, nur ein schwaches Indiz für einen
diesbezüglichen konkludenten Parteiwillen (insoweit gilt das zu Schiedsvereinbarungen in
Rz. 7.287 f. Gesagte entsprechend)6. In Ermangelung einer Rechtswahl ist das anzuwendende
Recht mit Hilfe des allgemeinen Kriteriums der „engsten Verbindung“ gem. Art. 4 Abs. 4
Rom I-VO zu bestimmen, da es an einer charakteristischen Leistung einer der Vertragspartei-
en i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO fehlt. Dabei kommt dem Mediationsort keine so wesentliche

1 Unberath, NJW 2011, 1320 ff.


2 Vgl. Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (503).
3 Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (504 f.); Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 19.
4 Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (506).
5 Vgl. dazu das UNCITRAL Model Law on International Commercial Mediation and International
Settlement Agreements Resulting from Mediation von 2018; ferner die DIS-Mediationsordnung
von 2010 und die Mediation Rules der Internationalen Handelskammer in Paris von 2014.
6 Anders Eidenmüller, S. 54.

1082 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.222 § 7

Bedeutung zu wie dem Schiedsort im Schiedsverfahren (zur objektiven Anknüpfung an den


Schiedsort in internationalen Schiedsverfahren Rz. 7.287 ff.)1. Als Kriterien kommen ins-
besondere das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht sowie bei institutionellen Media-
tionsverfahren der Sitz der gewählten Mediationsorganisation in Betracht2.

Demgegenüber handelt es sich bei dem Mediatorvertrag um einen Dienstleistungsvertrag. 7.220


Für diesen können die Parteien das anwendbare Recht zwar ebenfalls nach Art. 3 Abs. 1 S. 1
Rom I-VO frei wählen. In Ermangelung einer Rechtswahl ist jedoch nach Art. 4 Abs. 1 lit. b
Rom I-VO das Recht des Staates anwendbar, in dem der Mediator als Dienstleister seinen ge-
wöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Ausweichklausel des
Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eingreift, weil der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung mit
dem Recht eines anderen Staates aufweist. Als solche kommt insbesondere eine akzessorische
Anknüpfung an das Statut der Mediationsvereinbarung in Betracht, namentlich wenn letztere
dem gleichen Recht wie das Mediationsverfahren unterliegt3.

Die aufgrund der Mediation zwischen den Konfliktparteien getroffene Abschlussverein- 7.221
barung enthält typischerweise materiell-rechtliche Regelungen bezüglich des Streitgegenstan-
des. Insoweit unterliegt sie grundsätzlich dem gleichen Recht wie das zwischen den Parteien
bestehende Hauptrechtsverhältnis (akzessorische Anknüpfung)4. Handelt es sich – wie häufig
– um einen außergerichtlichen Vergleich, so gelten die Ausführungen in Rz. 3.248 entspre-
chend. Den Parteien steht es aber frei, die Abschlussvereinbarung durch Rechtswahl auch ei-
nem anderen Recht zu unterstellen; dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die vergliche-
nen Forderungen unterschiedlichen Rechten unterliegen, für die Abschlussvereinbarung aber
ein einheitliches Regime gelten soll. Für prozessuale Aspekte der Abschlussvereinbarung – ins-
besondere die Frage ihrer Vollstreckbarerklärung – gilt wiederum die lex fori.

g) Gerichtsstandsvereinbarung
Die Abgrenzung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen bereitet im Regelfall keine 7.222
Schwierigkeiten. Während durch eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nur die in-
ternationale Zuständigkeit der Gerichte einzelner Staaten ausgeschlossen wird (vgl. Rz. 7.3),
wird durch eine Schiedsvereinbarung die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit ins-
gesamt abbedungen. Dies muss allerdings in der Vereinbarung hinreichend deutlich zu Aus-
druck kommen5. Die Umdeutung einer unwirksamen Schiedsvereinbarung in eine gültige Ge-
richtsstandsvereinbarung kommt nur in äußerst engen Grenzen und bei Vorliegen besonderer
Umstände in Betracht6.

1 Hutner, S. 142 f.; Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (505).


2 Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 19.
3 Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (507).
4 Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (510).
5 Vgl. Trib. Vaud v. 30.3.1993, Bull. ASA 1995, 64 = YCA XXI (1996), 681 (683): Klausel „Jurisdicti-
on of the (State) courts of the International Chamber of Commerce, Paris“ ist zweideutig und bringt
Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck.
6 OLG Hamburg v. 6.1.1972 – 6 U 153/71, VersR 1972, 854 = AWD 1974, 162; a.A. LAG Hamburg
v. 3.9.1973 – 2 SA 82/73, BB 1974, 1411; BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/73, DB 1975, 63 = AP
ZPO § 38 Internationale Zuständigkeit (m. Anm. E. Lorenz), wo die nichtige Vereinbarung des
Schiedsorts Hamburg im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin interpretiert wurde, dass für
diesen Fall das Arbeitsgericht in Hamburg international zuständig sein sollte.

Hausmann | 1083
§ 7 Rz. 7.223 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.223 Haben die Parteien sowohl eine Gerichtsstandsvereinbarung als auch eine Schiedsverein-
barung für künftige Rechtsstreitigkeiten getroffen, so ist deren Verhältnis zunächst im Wege
der Auslegung nach Maßgabe des Statuts der Schiedsvereinbarung (dazu Rz. 7.295 ff.) zu er-
mitteln1. Diese Auslegung kann ergeben, dass die Schiedsvereinbarung Vorrang vor der Ge-
richtsstandsvereinbarung haben soll2. So geht etwa eine individuell ausgehandelte Schiedsver-
einbarung für einen bestimmten Vertrag der in den AGB einer Partei enthaltenen Gerichts-
standsvereinbarung vor, auch wenn die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen wurden (vgl.
§ 305b BGB)3. Die Auslegung kann freilich auch zum umgekehrten Ergebnis, dh. zum Vor-
rang der Gerichtsstandsklausel führen4. Enthalten die den Vertragsbeziehungen zugrunde lie-
genden AGB einer Partei sowohl eine Gerichtsstands- wie eine Schiedsvereinbarung, so ist
i.d.R. die Auslegung gerechtfertigt, dass die Gerichtsstandsklausel dann gelten soll, wenn die
Parteien übereinstimmend nicht das Schiedsgericht, sondern staatliche Gerichte anrufen5. Fer-
ner kann die Gerichtsstandsklausel eine die Schiedsklausel lediglich ergänzende Funktion ha-
ben6.

7.224 Die Parteien können auch vereinbaren, dass die klagende Partei die Wahl haben soll, entweder
das staatliche Gericht oder das Schiedsgericht anzurufen. Mit der Entscheidung des Klägers
zugunsten der Durchführung eines Schiedsverfahrens wird die Schiedsklausel dann voll gül-
tig7. Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung eine Partei einseitig begünstigt, in dem sie
nur ihr das Wahlrecht zwischen staatlichem Gericht und Schiedsgericht einräumt, während
die andere Partei in jedem Falle das Schiedsgericht anrufen muss. Die Wirksamkeit einer sol-
chen Vereinbarung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dieses Wahlrecht in einer
vorformulierten Klausel allein dem Verwender als Kläger eingeräumt wird8. Demgegenüber
benachteiligt eine Klausel, die dieses Wahlrecht zwischen staatlichem Gericht und Schieds-
gericht dem AGB-Verwender auch dann einseitig zubilligt, wenn er verklagt wird, den ande-
ren Teil unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 2 BGB. Denn der Kläger läuft dann Gefahr, dass seine
beim vereinbarten staatlichen Gericht erhobene Klage nachträglich dadurch unzulässig wird,
dass der Verwender die Schiedseinrede erhebt; dies ist dem Kläger nicht zumutbar9.

1 Vgl. dazu High Court (Q.B.Div.) v. 18.2.1991 (Paul Smith Ltd. v. H & S Int’l Holdings Co.), YCA
XIX (1994), 725 (726 f.); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 68.
2 Vgl. OLG Bremen v. 29.2.1996 – 2 U 97/95, OLGR 1996, 139 (140 f.); Reichold in Thomas/Putzo,
§ 1029 ZPO Rz. 3.
3 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (36) = NJW 1980, 2022 = IPRax 1981, 53 (m.
Anm. Samtleben, IPRax 1981, 43); vgl. auch App. Paris v. 29.11.1991, Rev.arb. 1993, 617 (619 f.);
Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 68.
4 Vgl. HandelsG Zürich v. 25.8.1992, ZEuP 1994, 682 (683).
5 BGH v. 26.3.1969 – VIII 194/68, BGHZ 52, 31 (35) = NJW 1969, 1536.
6 BGH v. 12.1.2006 – III ZR 214/05, NJW 2006, 779 = SchiedsVZ 2006, 101.
7 Vgl. zum internen deutschen Recht BGH v. 18.12.1975 – III ZR 103/73, NJW 1976, 852 = WM
1976, 331 (332); Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 22 m.w.N.; zum UNÜ Walter, JZ 1989, 588 (590);
Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 68 m.w.N.; a.A. High Court (Q.B.Div.) v. 10.6.1982 (Fowler v.
Merril Lynch), YCA X (1985), 499 (503).
8 BGH v. 10.10.1991 – III ZR 141/90, BGHZ 115, 324 (325) = NJW 1992, 575 = ZIP 1992, 59 =
EWiR 1972, 721 (LS) m. Anm. Teske.
9 BGH v. 24.9.1998 – III ZR 133/97, NJW 1999, 282 (283); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 370; Geimer
in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 35. Die Unwirksamkeit der Klausel kann jedoch vermieden werden,
wenn sie durch eine Zusatzregelung ergänzt wird, die den Verwender verpflichtet, sein Wahlrecht
auf Aufforderung des Klägers schon vorprozessual auszuüben, vgl. BGH v. 24.9.1998, a.a.O.;
Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 24.

1084 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.227 § 7

Unzulässig ist auch eine Klausel, die für ein und denselben Rechtsstreit sowohl das ordentliche 7.225
Gericht als auch das Schiedsgericht für zuständig erklärt und die Aufgaben zwischen beiden
Gerichten so verteilt, dass jedes Gericht nur einen Teil der Rechtsfragen entscheiden soll, de-
ren Lösung zur Beendigung des Rechtsstreits erforderlich ist1. Dies gilt freilich nur, soweit die
betreffenden Rechtsfragen so untrennbar miteinander verknüpft sind, dass die Gefahr wider-
sprüchlicher Entscheidungen des staatlichen und des Schiedsgerichts besteht2. Hingegen ist es
ohne Weiteres zulässig, aus einem Gesamtkomplex einzelne selbständige Ansprüche vor staat-
lichen Gerichten, andere vor einem Schiedsgericht geltend zu machen3. Hingegen wird die
Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung nicht dadurch in Frage gestellt, dass den Parteien frei-
gestellt ist, den Schiedsspruch innerhalb einer bestimmten Frist nicht anzuerkennen und den
Weg zu den staatlichen Gerichten zu beschreiten4.

5. Rechtsquellen
a) Einleitung
Das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wird heute beherrscht von zwei- und 7.226
mehrseitigen Staatsverträgen, die entgegenstehendes Sach- und Kollisionsrecht der Vertrags-
staaten in weitem Umfang verdrängen.

b) Multilaterale Staatsverträge
aa) UN-Übereinkommen
Zentrales multilaterales Regelungsinstrument der internationalen Handelsschiedsgerichtsbar- 7.227
keit ist heute das UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung auslän-
discher Schiedssprüche (UNÜ) vom 10.6.19585, das für die Bundesrepublik Deutschland am
28.9.1961 in Kraft getreten ist6. Das Übereinkommen vereinheitlicht insbesondere die Voraus-
setzungen, unter denen ausländische Schiedssprüche in den Vertragsstaaten anerkannt und
vollstreckt werden können; es ersetzt insoweit das Genfer Abkommen zur Vollstreckung aus-
ländischer Schiedssprüche vom 26.9.19277 und das Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln
im Handelsverkehr vom 24.9.19238. Zu diesem Zweck regelt das Übereinkommen auch Fragen
der Form und des zulässigen Inhalts von Schiedsvereinbarungen, und zwar – entgegen der zu
eng gefassten Überschrift – auch schon im Erkenntnisverfahren (dazu näher Rz. 7.243 ff.)9.
Die Sachnormen des Übereinkommens erübrigen in wichtigen Fragen den Rückgriff auf das
Kollisionsrecht10.

1 BGH v. 23.5.1960 – II ZR 75/58, NJW 1960, 1462 f. = ZZP 73 (1961), 403 m. Anm. Schwab; Haas
in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 69.
2 App. Paris v. 8.12.1988, Rev.arb. 1990, 150 (155); High Court (Ch.D.) v. 31.1.1978 (Lonrho Ltd. v.
The Shell Petroleum Co. Ltd.), YCA IV (1979), 320 (322).
3 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 69.
4 BGH v. 1.3.2007 – III ZB 7/06, BGHZ 171, 245 (249 f.) = SchiedsVZ 2007, 160.
5 BGBl. I 1961, 122; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 240. Ein Überblick über die mehr als 150
Vertragsstaaten und die von diesen erklärten Vorbehalte findet sich dort in Fn. 1-5.
6 BGBl. II 1962, 102.
7 RGBl. II 1930, 1068.
8 RGBl. II 1925, 47.
9 van den Berg, S. 56; Schlosser, Rz. 78; Thorn, IPRax 1997, 98 (101).
10 Geimer, Rz. 3702.

Hausmann | 1085
§ 7 Rz. 7.228 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

bb) Europäisches Übereinkommen


7.228 Das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit
(EuÜ) vom 21.4.19611 ist für die Bundesrepublik Deutschland am 25.1.1965 in Kraft getre-
ten2. Es wurde vor allem im Interesse einer Verbesserung der Handelsbeziehungen zwischen
West- und Osteuropa beschlossen3 und ergänzt das UN-Übereinkommen vor allem durch Re-
geln über das Verfahren vor dem Schiedsgericht und gewährleistet ausdrücklich die rechtliche
Verbindlichkeit von Schiedsvereinbarungen, die das ständige Schiedsgericht einer Organisati-
on für zuständig erklären. Sämtliche Mitgliedstaaten dieses Übereinkommens gehören heute
auch dem UNÜ an. Das EuÜ wird ergänzt durch die Pariser Vereinbarung vom 17.12.19624.

cc) Übereinkommen auf besonderen Rechtsgebieten


7.229 Während die bisher genannten Staatsverträge das Recht der privaten Schiedsgerichtsbarkeit
allgemein regeln, hat die Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Staatsverträgen abge-
schlossen, die eine schiedsgerichtliche Streiterledigung nur auf eng begrenzten Rechtsgebieten
vorsehen. Die größte Bedeutung hat dabei zweifellos das Washingtoner Weltbank-Überein-
kommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen an-
derer Staaten (WBÜ) vom 18.3.19655, das für die Bundesrepublik Deutschland am 18.5.1969
in Kraft getreten ist6 und heute für mehr als 140 Staaten gilt. Darüber hinaus eröffnen ins-
besondere verschiedene Staatsverträge auf den Gebieten des Haftungsrechts bei Großschäden
sowie des internationalen Transportrechts den Weg in die Schiedsgerichtsbarkeit7.

c) Bilaterale Staatsverträge
7.230 Außer den vorgenannten multilateralen Übereinkommen hat die Bundesrepublik Deutschland
auch bilaterale Abkommen geschlossen, die Fragen der internationalen Handelsschieds-
gerichtsbarkeit betreffen. Diese Übereinkommen regeln zwar primär die Voraussetzungen der
gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen8; sie enthalten jedoch
auch besondere Vorschriften über die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen. Dies gilt ins-
besondere für:
7.231 – den deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom
29.10.1954 (Art. VI Abs. II S. 1)9 und
– den deutsch-tunesischen Vertrag über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung ge-
richtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie die Handelsschiedsgerichts-
barkeit vom 19.7.1966 (Art. 47–50)10.

1 BGBl. II 1964, 426; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 241; ein Überblick über die 32 Vertragsstaa-
ten findet sich dort in Fn. 1.
2 BGBl. II 1985, 102.
3 Vgl zur Entstehungsgeschichte Klein, ZZP 76 (1963) 344 f.; Kaiser, S. 16 ff.; Schlosser in Stein/Jo-
nas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 386 ff.
4 BGBl II 1964, 449; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 242.
5 BGBl. II 1964, 369; vgl. dazu näher Schwab/Walter, Kap. 41 Rz. 5; Schlosser, Rz. 94 ff. m.w.N.
6 BGBl. II 1969, 1191.
7 Vgl. dazu näher Schlosser, Rz. 105 f. m.w.N.
8 Vgl. Schwab/Walter, Kap. 59.
9 BGBl. II 1956, 488; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 243.
10 BGBl. II 1969, 890; dazu Schlosser, Rz. 112.

1086 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.235 § 7

Das deutsch-sowjetische Abkommen über allgemeine Fragen des Handels und der Seeschiff- 7.232
fahrt vom 25.4.19581, das in Art. 8 Regeln für internationale Schiedsverfahren enthielt und
das zunächst auch im Verhältnis zur Russischen Föderation fortgalt2, ist hingegen mit Wir-
kung vom 20.12.2000 außer Kraft getreten3.

d) Autonomes Recht
Soweit keine staatsvertraglichen Regeln eingreifen, gilt für nationale wie internationale 7.233
Schiedsverfahren und Schiedsvereinbarungen das durch Gesetz vom 22.12.19974 neu geregelte
10. Buch der ZPO, mit dem der deutsche Gesetzgeber weitgehend das UNCITRAL-ModG v.
11.12.1985 über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit übernommen hat.

6. Der Anwendungsbereich der Staatsverträge


a) UN-Übereinkommen
aa) Schiedssprüche
Das UNÜ bestimmt seinen Anwendungsbereich in Art. I allein für die Anerkennung und 7.234
Vollstreckung von Schiedssprüchen. Der Begriff des „Schiedsspruchs“ ist in diesem Zusam-
menhang im Wege vertragsautonomer Qualifikation zu ermitteln5. Da das UNÜ nur sicher-
stellen will, dass die nach dem Recht des Schiedslandes vollstreckungsfähigen Schiedssprüche
auch in den übrigen Vertragsstaaten vollstreckt werden können, fallen Schiedssprüche, die
nur schuldrechtliche Wirkungen entfalten und aus denen deshalb nicht vollstreckt werden
kann, nicht unter das UNÜ6. Im Übrigen stellt Art. I Abs. 2 UNÜ klar, dass nicht nur Schieds-
sprüche von ad hoc gebildeten Schiedsgerichten, sondern auch solche von ständigen Schieds-
gerichten nach dem UNÜ anerkannt und vollstreckt werden können. Hingegen findet das
UNÜ auf Schiedsvergleiche keine Anwendung, soweit der Vergleichsinhalt nicht – wie nach
§ 1053 ZPO – in einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut übernommen wird7.

Hingegen enthält das UNÜ – anders als die Brüssel Ia-VO (Art. 1 Abs. 1) – keine Beschrän- 7.235
kung seines sachlichen Anwendungsbereichs auf privatrechtliche Streitigkeiten. Die Entste-
hungsgeschichte des Übereinkommens liefert für eine dahingehende ungeschriebene Anwen-

1 BGBl. II 1959, 222.


2 Dazu BayObLG v. 16.3.2000 – 4 Z Sch 50/99, BB 2000 Beil. 12, S. 15 = NJW-RR 2001, 431; Bay-
ObLG v. 11.8.2000 – 4 Z SchH 5/00, BayObLGZ 2000, 233 = BB 2000 Beil. 12, S. 10 m. Anm.
Lachmann.
3 Bek. v. 7.12.2001, BGBl. II 2002, 40.
4 BGBl. I 1997, 3224.
5 Haas, ZEuP 1999, 355 (356); Haas, ZVglRWiss 114 (2015), 516 (519); Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. I UNÜ Rz. 3; Schlosser, Rz. 766; Haas in Weigand, Art. I UNÜ Rz. 46 m.w.N.
6 BGH v. 8.10.1981 – III ZR 42/80, NJW 1982, 1224 = IPRax 1982, 143 (m. abl. Anm. Wenger,
IPRax 1982, 135) = YCA VIII (1983) 366 (zum „lodo irrituale“ des ital. Rechts); BayObLG v.
12.11.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003, 385; Walter, RIW 1982, 693 (698); van den Berg, S. 44 ff.;
Sanders, YCA V (1980), 231 (232 f.); Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 4; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. I UNÜ Rz. 4; a.A. ital. Cass. v. 6.7.1982, Nr. 4039, Foro it. 1983 I, 736 = YCA IX (1984),
429 (430); ital. Cass. v. 15.12.1982, Nr. 6915, Foro it. 1983 I, 2200 = YCA X (1985), 464; ital. Cass.
v. 15.1.1992, Nr. 405, YCA XVIII (1993), 427. Für funktionale Auslegung des Begriffs „Schieds-
spruch“ Haas, S. 143 f.
7 Haas in Weigand, Art. I UNÜ Rz. 66; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 4; Schlos-
ser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 34.

Hausmann | 1087
§ 7 Rz. 7.235 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dungsvoraussetzung keinen hinreichenden Anhalt1. Die Anwendung des Übereinkommens


auf öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ist daher allein von deren Schiedsfähigkeit nach Maß-
gabe des in Art. V Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a bestimmten Rechts (dazu Rz. 7.384 ff.) abhän-
gig, wenn nicht der Handelssachenvorbehalt nach Art. I Abs. 3 erklärt wurde. Auch Schieds-
verfahren, an denen ein Staat als Schiedspartei beteiligt ist, unterliegen daher dem Überein-
kommen, soweit sich nicht unter dem Aspekt der Immunität Einschränkungen ergeben2.

(1) Grundsatz
7.236 Nach der in Art. I Abs. 1 S. 1 UNÜ normierten territorialen Abgrenzung kommt es allein
darauf an, dass die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs in einem anderen
Staat nachgesucht wird als in demjenigen, in dem er erlassen wurde3. Hingegen ist es für die
Bestimmung des Anwendungsbereichs des UNÜ insoweit ohne Bedeutung, nach welchem
Recht das Schiedsverfahren durchgeführt wurde4 oder welchem Recht die Schiedsverein-
barung untersteht5. Ferner spielt es auch keine Rolle, wo die vertragsschließenden Parteien
ihren Sitz bzw. Gerichtsstand haben oder welcher Nationalität sie sind6. Demgemäß unterliegt
auch ein im Inland zwischen zwei deutschen Unternehmen nach deutschem Recht gefällter
Schiedsspruch dem UNÜ, wenn er in einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens voll-
streckt werden soll7; die Anwendung des UNÜ setzt also keinen Auslandsbezug des Rechts-
streits, keinen „internationalen Sachverhalt“ voraus8. Weiterhin greift das UNÜ auch dann
ein, wenn eine oder beide Parteien ihren Sitz in einem Staat haben, der dem Übereinkommen
bisher nicht beigetreten ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Exequaturstaat den Territorialitäts-
vorbehalt nach Art. I Abs. 3 S. 1 UNÜ (dazu Rz. 7.239) erklärt hat, weil es auch danach nur
darauf ankommt, dass der Schiedsspruch in einem Vertragsstaat erlassen wurde; der Sitz der
Parteien ist hingegen unerheblich9. Schließlich wird auch eine Beziehung der Parteien zu dem
Staat, auf dessen Territorium der Schiedsspruch ergangen ist, nicht vorausgesetzt; damit sind
insbesondere auch Schiedssprüche aus „neutralen“ (Vertrags-)Staaten nach dem UNÜ voll-
streckungsfähig10.

7.237 „Ergangen“ i.S.v. Art. I Abs. 1 S. 1 UNÜ ist der Schiedsspruch an dem Ort, den die Parteien,
die von ihnen gewählte Schiedsorganisation oder die von ihnen hierzu ermächtigten Schieds-

1 Näher Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 7a-12; Adolphsen in MünchKomm ZPO,
Art. I UNÜ Rz. 16.
2 M.B.L. International Contractors, Inc. v. Republic of Trinidad and Tobago (D.D.C. 1989), 725 F.
Supp. 52 = YCA XI (1991), 630; van den Berg S. 279; Schlosser, Rz. 64, jeweils m.w.N; vgl. auch
App. Rouen v. 13.11.1984, Rev.arb. 1985, 115.
3 Vgl. BGH v. 25.9.2003 – III ZB 68/02, MDR 2004, 228 = WM 2004, 703; BGH v. 1.2.2001 – III ZR
332/99, RIW 2001, 458 = IPRax 2001, 580 (m. Anm. Sandrock, IPRax 2001, 550); BGHZ 104,
178 = IPRax 1989, 228 (m. Anm. Wenger, IPRax 1989, 210); öOGH v. 30.11.1994, RIW 1995;
Haas in Weigand, Art. I UNÜ Rz. 3.
4 Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 2; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 10; Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 28.
5 Abweichend Supreme Court India v. 7.5.1992 (National Thermal Power Corp. v. Singer Co.), YCA
XVIII (1993), 403 (409 ff.); vgl. dazu Phadnis/Otto, RIW 1994, 475 f.
6 Vgl. ital. Cass. S.U. v. 25.1.1977, Nr. 361, YCA IV (1979), 284; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 3.
7 van den Berg, S. 18; von Hülsen, S. 40; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 2.
8 van den Berg, S. 17; Haas in Weigand, Art. I UNÜ Rz. 4; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. I
UNÜ Rz. 10.
9 Vgl. App. Genf v. 14.4.1983, YCA XII (1987), 502.
10 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 26.

1088 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.238 § 7

richter als „Sitz“ des Schiedsgerichts festgelegt haben; dies gilt auch dann, wenn die Verhand-
lungen des Schiedsgerichts aus organisatorischen Gründen überwiegend an einem anderen
Ort stattgefunden haben1. Der vereinbarte Sitz des Schiedsgerichts, der in Zweifelsfällen auto-
nom in Anlehnung an Art. 20 UNCITRAL-ModG (= § 1043 Abs. 1 ZPO) auszulegen ist2,
bleibt für die Frage der Nationalität des Schiedsspruches auch dann maßgebend, wenn die
Schiedsrichter ihn an einem anderen Ort unterschrieben oder verkündet haben3.

Darüber hinaus fallen nach Art. I Abs. 1 S. 2 auch solche Schiedssprüche in den Anwendungs- 7.238
bereich des UNÜ, die zwar im Vollstreckungsstaat erlassen worden sind, jedoch dort deshalb
nicht als „inländische“ gelten, weil das Schiedsgericht ausländisches Verfahrensrecht zugrunde
gelegt hat. Mit dieser Vorschrift trägt das UNÜ der sog. „prozessualen Theorie“ Rechnung,
welche die Nationalität eines Schiedsspruchs nicht von territorialen Kriterien, sondern allein
vom angewandten Verfahrensrecht abhängig macht4. Hierdurch soll vermieden werden, dass
Schiedssprüche, die in einem Vertragsstaat nach Maßgabe ausländischen Verfahrensrechts er-
gehen, dort weder nach inländischem Recht noch nach dem UNÜ vollstreckt werden können.
Die prozessuale Theorie wurde bis zum 31.12.1997 namentlich von der deutschen Rechtspre-
chung befolgt5; danach konnten Schiedssprüche, die in Deutschland nach ausländischem Ver-
fahrensrecht ergangen waren, hier nach Maßgabe des UNÜ für vollstreckbar erklärt werden.
Demgegenüber kann es aufgrund des in § 1025 Abs. 1 ZPO verankerten Territorialitätsprin-
zips6 heute zu Schiedssprüchen, die im Inland nach ausländischem Verfahrensrecht ergehen,
nicht mehr kommen. Die von einem Schiedsgericht mit Sitz (§ 1043 ZPO) in Deutschland
erlassenen Schiedssprüche sind vielmehr stets als inländische anzusehen; sie werden deshalb
nach § 1060 ZPO – und nicht nach dem UNÜ – vollstreckt7. Art. I Abs. 1 S. 2 UNÜ ist damit
für Deutschland seit dem 1.1.1998 obsolet8.

1 So die h.M., vgl. schwz. BG v. 24.3.1997, Bull. ASA 1997, 329 ff.; frz. Cass. civ. v. 28.10.1997, Rev.
arb. 1998, 399 (400 ff.); OLG Düsseldorf v. 23.3.2002 – v. 23.2.2000 – 6 Sch 2/99, YCA XXVII
(2002) 270 f.; App. Versailles v. 22.9.1995, YCA XXIV (1999), 640 (642); Rensmann, RIW 1991,
911 (913 ff.); Schneider, Bull. ASA 1991, 279 ff.; Berger, RIW 1993, 8 (10 ff.); Hill, Arb.Int. 15
(1999) Nr. 2, 199 (204 ff.).
2 Epping, S. 18; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 14.
3 F. A. Mann, FS Oppenhoff (1985), S. 215 (221 ff.); Bühler, IPRax 1987, 253; Rensmann, RIW 1991,
911 ff.; Haas in Weigand, Art. I UNÜ Rz. 9 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 31;
a.A. House of Lords v. 24.7.1991 (Hiscox v. Outhwaite), (1991) 3 W.L.R. 297 = YCA XVII (1992),
599 (603 f.); van den Berg, S. 294 f.; Gildeggen, S. 132 f. Vgl. auch App. Milano v. 29.5.1998, Giur.
it. 1999, 533.
4 Vgl. van den Berg, S. 24; Bertheau, S. 45; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 12.
5 Vgl. BGH v. 1.2.2001 – III ZR 332/99, RIW 2001, 458 = IPRax 2001, 580 f. (m. Anm. Sandrock,
IPRax 2001, 550); BGH v. 14.4.1988 – III ZR 12/87, BGHZ 104, 178 = NJW 1988, 3090 = ZIP
1988, 943; BGH v. 3.10.1956 – V ZR 32/55, BGHZ 21, 365 (367 ff.) = NJW 1956, 1838; OLG Düs-
seldorf v. 23.2.2000 – 6 Sch 2/99, EWiR 2000, 795 (LS) m. Anm. Kröll.
6 Gemäß § 1025 Abs. 1 ZPO entscheidet über die Nationalität eines Schiedsspruches allein der
„Sitz“ des Schiedsgerichts iSv. § 1043 Abs. 1 ZPO, vgl. Geimer in Zöller, § 1025 ZPO Rz. 1 ff.
7 Winkler/Weinand, BB 1998, 597 f.; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 2; Geimer, Rz. 3714.
8 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 12. Das Gleiche gilt für Frankreich, das früher
auch der prozessualen Theorie gefolgt war; vgl. demgegenüber heute Art. 1492 ff. NCPC.

Hausmann | 1089
§ 7 Rz. 7.239 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(2) Territorialitätsvorbehalt
7.239 Nach der Formulierung des Art. I Abs. 1 UNÜ hängt die Anwendbarkeit des Übereinkom-
mens auf die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen nicht davon ab, dass der
Schiedsspruch in einem anderen Vertragsstaat ergangen ist1. Insoweit ist allerdings Art. I
Abs. 3 S. 1 zu beachten, der den Vertragsstaaten das Recht einräumt, das Übereinkommen nur
auf solche Schiedssprüche anzuwenden, die im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates
ergangen sind. Von diesem sog. Territorialitäts- oder Vertragsstaatenvorbehalt haben ca. die
Hälfte aller Vertragsstaaten Gebrauch gemacht2. Die Bundesrepublik Deutschland hat den ur-
sprünglich auch von ihr eingelegten Vorbehalt mit Wirkung vom 31.8.1998 zurückgezogen3,
weil nach § 1061 Abs. 1 ZPO alle ausländischen Schiedssprüche nur noch nach dem UNÜ
anerkannt und vollstreckt werden. Nach Sinn und Zweck der Vorbehaltsregelung hat deren
entsprechende Anwendung auf die Fälle des Art. I Abs. 1 S. 2 UNÜ auch in den Staaten, die
den Vorbehalt erklärt haben, auszuscheiden. Die Vollstreckung eines in einem Vertragsstaat
nach dem (Verfahrens-)Recht eines Nichtvertragsstaats gefällten Schiedsspruchs scheitert mit-
hin in anderen Vertragsstaaten nicht daran, dass der Schiedsstaat den Territorialitätsvorbehalt
erklärt hat4.

(3) Handelssachenvorbehalt
7.240 In sachlicher Hinsicht ermächtigt Art. I Abs. 3 S. 2 UNÜ die Vertragsstaaten, den Geltungs-
bereich des Übereinkommens auf die Anerkennung von Schiedssprüchen zu beschränken, die
in handelsrechtlichen Streitigkeiten ergangen sind. Von dieser Vorbehaltsmöglichkeit haben
bisher ca. ein Drittel der Vertragsstaaten, nicht aber die Bundesrepublik Deutschland Ge-
brauch gemacht5, so dass das UNÜ hier auch auf die Anerkennung und Vollstreckung von
Schiedssprüchen in Verbraucherstreitigkeiten anwendbar ist. Wann eine Handelssache vor-
liegt, bestimmt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. I Abs. 3 S. 2 das innerstaatliche
Recht des Staates, der den Vorbehalt erklärt hat6. Die Gerichte der Vertragsstaaten, die den
Vorbehalt erklärt haben, gehen aber idR von einem weiten Begriff der Handelssachen aus7. Da
die Bundesrepublik Deutschland den zunächst auch von ihr erklärten Territorialitätsvorbehalt
zurückgezogen hat, ist das UNÜ heute auch auf die Vollstreckung von Schiedssprüchen an-
wendbar, die in einem anderen Vertragsstaat, der den Handelssachenvorbehalt erklärt hat, in
einer nicht handelsrechtlichen Streitigkeit ergangen sind; etwas anderes folgt auch nicht aus
Art. XIV UNÜ8.

1 ÖOGH v. 21.9.1994, ZfRV 1995, 35; öOGH v. 30.11.1994, RIW 1995, 773; App. Genova v.
2.5.1990, YCA VIII (1983), 380 (381).
2 Vgl. die Übersicht bei Jayme/Hausmann, Nr. 240 Fn. 5; dazu näher Haas in Weigand, Art. I UNÜ
Rz. 31 ff.
3 BGBl. II 1999, 7; dazu BGH v. 1.2.2001 – III ZR 332/99, MDR 2001, 645 = IPRax 2001, 580 f. (m.
Anm. Sandrock, IPRax 2001, 550).
4 Schlosser, Rz. 69; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I UNÜ Rz. 23; a.A. van den Berg, S. 26 f.;
Bertheau, S. 51 f.; Gildeggen, S. 32 f.; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 8.
5 Vgl. die Übersicht bei Jayme/Hausmann, Nr. 240 Fn. 6; dazu näher Schlosser, Rz. 73 ff.
6 Vgl. öOGH v. 26.11.1997, IPRax 2000, 429 (431) (m. Anm. Haas, IPRax 2000, 432); dazu näher
Schlosser, Rz. 73 f.
7 Vgl. etwa Supreme Court India v. 10.2.1994 (RM Investment & Trading Co. Pvt., Ltd. v. Boeing
Co.), YCA XXII (1997), 710 (713); ferner Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 38 m.w.N.
8 Zutr. Haas, IPRax 2000, 432 f. gegen öOGH v. 26.11.1997, IPRax 2000, 429 (431); Adolphsen in
MünchKomm-ZPO, Art. I UNÜ Rz. 26.

1090 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.243 § 7

bb) Schiedsvereinbarungen
Die Verpflichtung zur Anerkennung von Schiedsvereinbarungen wurde erst in letzter Minute 7.241
in das UNÜ aufgenommen, um die ungestörte Durchführung von Schiedsverfahren zur ge-
währleisten. Aus diesem Grunde fehlt es an einer umfassenden Abstimmung des Art. II UNÜ
mit den übrigen Vorschriften des Übereinkommens1. Probleme wirft die Anwendung des
UNÜ auf Schiedsvereinbarungen zunächst deshalb auf, weil Art. II deren Anerkennung an-
ordnet, ohne eine Beziehung der Vereinbarung zur Rechtsordnung eines Vertragsstaats zu for-
dern. Daraus kann indes nicht gefolgert werden, Art. II UNÜ gelte für die Beurteilung jedwe-
der Schiedsvereinbarung, namentlich auch einer solchen, die keinerlei Auslandsbezug auf-
weist2. Allerdings kann die Anwendung des UNÜ auch insoweit nicht von der Nationalität
oder dem Sitz der Vertragsparteien abhängen. Die Gerichte der Vertragsstaaten dürfen daher
eine nach Art. II UNÜ gültige Schiedsvereinbarung nicht allein deshalb ignorieren, weil eine
oder beide Parteien einem Nichtvertragsstaat angehören oder dort ihren Sitz haben3. Im Übri-
gen ist wie folgt zu unterscheiden:

(1) Vollstreckungsverfahren
Soweit über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nur als Vorfrage im Rechtsstreit um die 7.242
Anerkennung oder Vollstreckung des auf ihrer Grundlage ergangenen Schiedsspruchs zu ent-
scheiden ist (vgl. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ), erfasst das Übereinkommen alle Schiedsverein-
barungen, die anerkennungspflichtigen Schiedssprüchen zugrunde liegen4; die Anerkennungs-
pflicht besteht für Schiedssprüche nach Art. V UNÜ aber nur, soweit der zuvor in Rz. 7.234 ff.
beschriebene Anwendungsbereich des UNÜ nach seinem Art. I Abs. 1 eröffnet ist.

(2) Einredeverfahren
Ist die Schiedsvereinbarung hingegen in einem Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem der Schieds- 7.243
spruch noch nicht gefällt ist, insbesondere im Rahmen der Entscheidung über die Schiedsein-
rede durch ein staatliches Gericht, so bereitet die Bestimmung des Anwendungsbereichs des
UNÜ allein anhand der für Schiedssprüche getroffenen Regelung in Art. I Abs. 1 UNÜ
Schwierigkeiten. Zum Teil folgert man aus der Zielrichtung des UNÜ, die Entscheidung von
Streitigkeiten aus internationalen Handelsgeschäften zu erleichtern, dass jeder internationale
Zuschnitt einer Vertragsbeziehung (z.B. ausländische Staatsangehörigkeit bzw. ausländischer
Wohnsitz/Sitz einer Partei oder ausländischer Erfüllungsort von Vertragspflichten) zur An-
wendbarkeit des Übereinkommens auf Schiedsvereinbarungen ausreiche, selbst wenn der
Schiedsort im Inland liege5. Insbesondere die US-amerikanische Rechtsprechung wendet das

1 Vgl. von Hülsen, S. 39; van den Berg, S. 56; Bertheau, S. 24 ff.; Nolting, IPRax 1987, 349 (350).
2 Zutr. van den Berg, S. 63; Bertheau, S. 26; Schlosser, Rz. 76; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 10; Haas in
Weigand, Art. II UNÜ Rz. 3.
3 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 41.
4 Bertheau, S. 27 f.; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ Rz. 5; Haas in Weigand, Art. II
UNÜ Rz. 4; zust. ital. Cass. v. 7.10.1980, Nr. 5378, Riv.dir.int.priv.proc. 1980, 176; ital. Cass. v.
21.2.1984, Nr. 1234, YCA X (1985), 480 (482).
5 Von Hülsen, S. 46 f.; van den Berg, S. 61 ff.; Gentinetta, S. 286 ff.; zust. öOGH v. 17.11.1971,
JBl. 1974, 629 f. = YCA I (1976), 183; öOGH v. 24.8.2005, IPRax 2006, 268; frz. Cass. civ. v.
11.10.1989, Rev.arb 1990, 134; App. Paris v. 20.1.1987, Rev.arb. 1987, 482; App. Versailles v.
23.1.1991, Rev.arb. 1991, 291 (296); i. Erg. auch schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 = YCA XI
(1986), 532.

Hausmann | 1091
§ 7 Rz. 7.243 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

UNÜ daher auf Schiedsvereinbarungen schon dann an, wenn nur ein hinreichender Aus-
landsbezug vorliegt, mag das Schiedsverfahren auch in den USA als späterem Vollstreckungs-
staat stattfinden1. Auch in Deutschland gewinnt diese Auffassung, die den Anwendungs-
bereich des UNÜ in Bezug auf Schiedsvereinbarungen weiter zieht als in Bezug auf Schieds-
sprüche, in jüngster Zeit an Boden2.

7.244 Im Interesse einer einheitlichen Bestimmung des Anwendungsbereichs für Schiedsverein-


barungen und Schiedssprüche ist die Anwendung von Art. II UNÜ demgegenüber auf solche
Schiedsvereinbarungen zu beschränken, die aus der Sicht des staatlichen (Einrede-)Gerichts
zu einem Schiedsspruch führen können, der seinerseits im Gerichtsstaat als „ausländischer“
nach dem UNÜ anerkennungspflichtig sein würde3; denn die Anerkennung von Schiedsver-
einbarungen wird im UNÜ vor allem im Hinblick auf die spätere Anerkennung und Vollstre-
ckung der auf ihnen beruhenden Schiedssprüche geregelt. Diese Voraussetzung liegt – in ent-
sprechender Anwendung des Art. I Abs. 1, 3 – jedenfalls dann vor, wenn zu dem Zeitpunkt,
zu dem die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung zu beurteilen ist, bereits feststeht, dass der
Schiedsspruch in einem anderen (Vertrags-)Staat als dem Gerichtsstaat ergehen wird4. Für
diesen Fall hängt die Anwendbarkeit des UNÜ nicht zusätzlich davon ab, dass der Sachverhalt,
über den das Schiedsgericht zu entscheiden hat, eine Auslandsberührung aufweist5.

7.245 Steht der Schiedsort im Zeitpunkt der Entscheidung über die Gültigkeit der Schiedsverein-
barung noch nicht fest, so wird man die Anwendbarkeit des UNÜ davon abhängig zu machen
haben, ob – aus der Sicht des Einredegerichts – mit einem ausländischen Schiedsort und da-
mit einem nach dem UNÜ anzuerkennenden Schiedsspruch zu rechnen ist6. Da das Über-
einkommen nämlich für die Aufhebung inländischer Schiedssprüche nicht gilt, bestünde sonst
die Gefahr, dass der Schiedseinrede vor einem staatlichen Gericht unter Hinweis auf die Gül-
tigkeit der Schiedsvereinbarung nach Art. II Abs. 1 UNÜ stattgegeben wird, obwohl voraus-
zusehen ist, dass der im gleichen Staat zu erwartende Schiedsspruch wegen der Ungültigkeit
der Schiedsvereinbarung nach nationalem Recht aufgehoben werden muss7.

1 Vgl. grundlegend Ledee v. Ceramiche Ragno (1st Cir. 1982), 684 F. 2d 184 (186 ff.) = YCA IX
(1984), 471; ferner Corcoran v. Ardra Ins., Inc. (S. Ct. N.Y. 1989), 539 N.Y.S. 2d 630 = YCA XV
(1990), 586 (591 f.); Riley v. Kingsley Underwriting Agencies, Ltd. (10th Cir. 1992), 969 F. 2d 953
(959) = YCA XIX (1994), 775; st. Rspr. Vgl. auch Born, International Commercial Arbitration I
(2009), S. 77 ff.
2 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 43.
3 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 20 = RIW 2021, 233; OLG Hamm v.
15.11.1994 – 29 U 70/92, RIW 1995, 681; HandelsG Zürich v. 25.8.1992, ZEuP 1994, 682 (683) m.
zust. Anm. Schlosser; Kröll, SchiedsVZ 2009, 40 (42); Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (448); Nol-
ting, IPRax 1987, 349 (350); Gildeggen, S. 37; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 10; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 6.
4 Sanders, YCA IV (1979), 231 (237 f.); Epping, S. 20 f.; Thümmel, FS Schütze (1999), S. 935 (938 f.);
vgl. auch ital. Cass. v. 12.10.1982, Nr. 5244, Riv.dir.int.priv.proc. 1983, 149.
5 Anders van den Berg, S. 61 ff. (63); Wilson v. Lignotock USA (E.D. Mich, 1989), YCA XV (1990),
578 (580 f.); Brier v. Northstar Marine, Inc. (D.N.J. 1992), YCA XIX (1994) 766.
6 Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 10; vgl. auch schwz. BG v. 16.1.1995, BGE 121 III, 38 (44) = Bull. ASA
1995, 506; schwz. BG v. 29.4.1996, BGE 122 III, 139 (141 ff.); Poudret/Cottier, Bull. ASA 1995, 383
(385); Epping, S. 20 f. m.w.N.; krit. van den Berg, S. 57 Fn. 132.
7 Zutr. Schlosser, Rz. 78; Epping, S. 21; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (448); Haas in Weigand,
Art. II UNÜ Rz. 10; a.A. Delhi High Court v. 15.10.1993 (Gas Authority of India, Ltd. v. Nippon
Kokan Corp. u.a.), YCA XXIII (1998), 688 (699).

1092 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.249 § 7

(3) Schiedsverfahren
Die gleichen Schwierigkeiten wie in einem staatlichen Einredeverfahren stellen sich auch für 7.246
die Schiedsrichter selbst, wenn sie über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung und damit
über ihre eigene Zuständigkeit zu entscheiden haben. Hier wird es sich empfehlen, Art. II
UNÜ jedenfalls dann anzuwenden, wenn auch das andernfalls vom Kläger anzurufende staat-
liche Gericht nach den zuvor beschriebenen Grundsätzen an die Vorschrift gebunden wäre1.
Demgemäß sollte Art. II UNÜ jedenfalls dann bereits im Schiedsverfahren beachtet werden,
wenn – wie im Regelfall – damit zu rechnen ist, dass der Schiedsspruch in einem anderen
Vertragsstaat des UNÜ vollstreckt werden soll2.

(4) Einfluss der Vorbehalte


Die nach Art. I Abs. 3 UNÜ zulässigen Vorbehalte der Vertragsstaaten (dazu Rz. 7.239 f.) sind 7.247
auch bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. II UNÜ zu berücksichtigen. Steht
daher im Zeitpunkt der Entscheidung über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung (z.B. vor
dem staatlichen Einredegericht) bereits fest, dass der Schiedsort in einem Nichtvertragsstaat
liegen wird, so ist auch Art. II UNÜ in Staaten, die den Territorialitätsvorbehalt erklärt ha-
ben, nicht anwendbar3. Art. II UNÜ bleibt hingegen für die Gerichte solcher Staaten maßgeb-
lich, wenn der Schiedsort im Zeitpunkt der Beurteilung der Schiedsvereinbarung noch nicht
feststeht und nicht auszuschließen ist, dass er in einem Vertragsstaat liegen wird4.

Auch der Handelssachenvorbehalt gilt für die Beurteilung von Schiedsvereinbarungen ent- 7.248
sprechend5. Wird daher die Schiedseinrede vor dem Gericht eines Staates erhoben, der diesen
Vorbehalt erklärt hat, so prüft das Gericht nach seinem autonomen Recht, ob die zugrunde
liegende Streitigkeit eine Handelssache ist6. Ist dies nicht der Fall, so kann die Unwirksamkeit
der Schiedsvereinbarung nicht auf Art. II UNÜ gestützt werden. Erhebt der Beklagte die
Schiedseinrede vor einem deutschen Gericht, so ist Art. II UNÜ jedenfalls dann nicht an-
wendbar, wenn der Schiedsort in einem Vertragsstaat gewählt wurde, der seinerseits den Han-
delssachenvorbehalt erklärt hat und nach dessen Recht eine handelsrechtliche Streitigkeit
nicht vorliegt7.

b) Europäisches Übereinkommen
aa) Abweichung vom UNÜ
Das Europäische Übereinkommen, das vor allem im Interesse einer Verbesserung der Han- 7.249
delsbeziehungen zwischen West- und Osteuropa beschlossen wurde8, geht – abweichend vom

1 Schlosser, Rz. 80 a.E.


2 Für eine Bindung der Schiedsrichter an Art. II UNÜ App. Paris v. 20.1.1987, YCA XIII (1988), 466
(469).
3 van den Berg, S. 60; Nolting, IPRax 1987, 349 (350); a.A. von Hülsen, S. 47 f.
4 Schlosser, Rz. 79; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 12 a.E.
5 Bertheau, S. 29; von Hülsen, S. 49; Schlosser, Rz. 79; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 13.
6 Vgl. dazu etwa Supreme Court of India v. 10.2.1994 (RM Investment & Trading Co. Pvt., Ltd. v.
Boeing Co.), YCA XXII (1997), 710 (711 ff.).
7 Vgl. öOGH v. 26.11.1997, IPRax 2000, 429 (431) (m. Anm. Haas, IPRax 2000, 432); Nolting,
IPRax 1987, 349 (351).
8 Vgl. zur Entstehungsgeschichte Klein, ZZP 76 (1963), 344 f.; Kaiser, S. 16 f.; Schlosser in Stein/Jo-
nas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 386 ff.

Hausmann | 1093
§ 7 Rz. 7.249 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

UNÜ (dazu Rz. 7.234 ff.) – bei der Bestimmung seines Anwendungsbereichs nicht vom
Schiedsspruch, sondern von der Schiedsvereinbarung aus und erfasst Schiedssprüche nach
seinem Art. I Abs. 1 lit. b nur, wenn sie auf der Grundlage einer nach dem Übereinkommen
wirksam getroffenen Schiedsvereinbarung ergangen sind1. Diese Regelung bedeutet einen we-
sentlichen Fortschritt gegenüber dem UNÜ, weil auf diese Weise handelsrechtliche Schieds-
verfahren unabhängig davon in den Anwendungsbereich des Übereinkommens einbezogen
werden, wo sie stattfinden und welchem nationalen Recht sie unterliegen2.

bb) Sitz der Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten


7.250 Gemäß Art. I Abs. I lit. a EuÜ müssen die Parteien der Schiedsvereinbarung ihren gewöhnli-
chen Aufenthalt bei Vertragsschluss in verschiedenen Vertragsstaaten3 haben. Der Anknüp-
fung an den gewöhnlichen Aufenthalt natürlicher Personen wurde vor allem wegen der unter-
schiedlichen Auslegung des Wohnsitzbegriffs in den Vertragsstaaten der Vorzug vor einer
Wohnsitzanknüpfung gegeben4. Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien oder den vereinbar-
ten Ort des Schiedsverfahrens5 kommt es demgegenüber nicht an6. Bei Gesellschaften und ju-
ristischen Personen ist stattdessen der effektive Verwaltungssitz maßgebend7. Die Verlegung
des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. Sitzes durch eine Partei in einen Nichtvertragsstaat nach
Abschluss der Vereinbarung berührt die Anwendung des Übereinkommens hingegen nicht8.
Ist die Vereinbarung von einer Zweigniederlassung abgeschlossen worden, so entscheidet nach
Art. I Abs. 2 lit. c EuÜ der Sitz dieser Niederlassung. Haben die Parteien ihren Sitz bei Ab-
schluss der Schiedsvereinbarung in demselben Staat oder hat auch nur eine von ihnen ihren
Sitz in einem Nichtvertragsstaat, so findet das Übereinkommen keine Anwendung9. Dies gilt
auch dann, wenn der Schiedsspruch nach den getroffenen Vereinbarungen in einem Vertrags-
staat ergehen soll oder wenn eine der Parteien nach dem Inhalt des Vertrages ihren Sitz in
einem Vertragsstaat nehmen soll10.

cc) Streitigkeit aus internationalen Handelsgeschäften


7.251 Die Schiedsvereinbarung muss ferner die Regelung von Streitigkeiten aus „internationalen
Handelsgeschäften“ betreffen. Der Begriff des „internationalen Handelsgeschäfts“ wird zwar

1 Schlosser, Rz. 88; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 1; Geimer, Rz. 3703.
2 Soweit die Anwendungsvoraussetzungen nach Art. I Abs. 1 EuÜ vorliegen, gilt das Übk. mithin
auch dann, wenn das Schiedsverfahren in einem Nichtvertragsstaat und nach dessen Verfahrens-
recht durchgeführt wird; vgl. ital. Cass. S.U. v. 8.2.1982, Nr. 722, Riv.dir.int.priv.proc. 1983, 329;
Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 15.
3 Zu den Vertragsstaaten des EuÜ s. die Übersicht bei Jayme/Hausmann, Nr. 241 Fn. 1.
4 Denkschrift zum EuÜ, BT-Drucks. 4/1597, S. 27.
5 Der Schiedsort muss also aus Sicht des angerufenen staatlichen Gerichts nicht im Ausland liegen,
vgl. OLG München v. 24.11.2016 – 34 Sch 5/16, IPRspr. 2016 Nr. 315.
6 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 2.
7 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 2. Der Satzungssitz ist nicht maßgebend, vgl.
Hascher, YCA XVII (1992), 711 (715).
8 Schütze/Tscherning/Wais, Rz. 567 a.E.
9 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.11.1971 – 6 U 52/70, IPRspr. 1971 Nr. 161; OLG Köln v. 18.5.1992 – 19
U 22/92, MDR 1993, 80 = RIW 1992, 760; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 392;
Hascher, YCA XXXVI (2011), 507 (509) m.w.N.; a.A. zu Unrecht span. Trib. Supremo v. 14.1.1983,
YCA XI (1986) 523.
10 van den Berg, S. 94; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 15.

1094 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.253 § 7

im Übereinkommen nicht definiert. Er ist dennoch – abweichend vom Begriff der „Handels-
sachen“ in Art. I Abs. 3 S. 2 UNÜ (dazu Rz. 7.240) – nicht der Bestimmung des nationalen
Rechts überlassen, sondern zu qualifizieren. Denn nur auf diese Weise kann gewährleistet wer-
den, dass der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten
einheitlich bestimmt wird1.

Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass das Übereinkommen die Streitschlichtung 7.252
durch internationale Schiedsgerichte erleichtern will. Der Begriff des „internationalen Han-
delsgeschäfts“ i.S.v. Art. I Abs. 1 lit. a EuÜ ist daher weit auszulegen und erfasst – über § 343
Abs. 1 HGB hinaus – jedes Geschäft, das auf eine grenzüberschreitende Leistung von Sa-
chen, Kapital oder Diensten gegen Entgelt gerichtet ist2. Dies gilt auch dann, wenn die Ver-
tragsleistung in einem Drittstaat zu erbringen ist, der dem EuÜ nicht angehört3. Nicht erfor-
derlich ist es, dass die im Ausland zu erbringenden Vertragsleistungen wesentlich umfangrei-
cher sind als die im Inland geschuldeten4. Weiterhin muss zumindest ein Geschäftspartner in
beruflicher, satzungsmäßiger (bei Gesellschaften) oder amtlicher (bei Regierungen oder Be-
hörden) Eigenschaft beteiligt gewesen sein. Handeln beide Partner in rein privater Funktion,
so liegt jedenfalls ein „Handelsgeschäft“ nicht vor5. Darüber hinaus dürfte das EuÜ auch auf
Verbraucherverträge i.S.v. Art. 6 Rom I-VO nicht anwendbar sein, weil es auf Schutzvor-
schriften für Verbraucher weitgehend verzichtet6. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es sich
bei den Parteien um Kaufleute handelt. Das Übereinkommen ist daher auch auf Schiedsklau-
seln in Lizenz- und sonstigen Urheberrechtsverträgen mit nicht-kaufmännischen Patentinha-
bern, Urhebern etc. anwendbar7. Streitigkeiten aus Handelsgeschäften sind schließlich nicht
nur Streitigkeiten über Vertragspflichten. Erfasst werden vielmehr auch gesetzliche Ansprü-
che aus unerlaubter Handlung, aus culpa in contrahendo oder aus ungerechtfertigter Bereiche-
rung, sofern diese Ansprüche in einem hinreichend engen Zusammenhang mit dem geschlos-
senen Handelsgeschäft stehen8.

c) Autonomes Recht
Angesichts der weitreichenden Vereinheitlichung des internationalen Schiedsverfahrensrechts 7.253
hat das nationale Recht in diesem Bereich an Bedeutung verloren. Es gilt heute insbesondere
noch in Fällen, in denen Schiedsvereinbarungen nicht in den (sachlichen, räumlichen oder

1 von Hülsen, S. 34; Kaiser, S. 57; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (449); Schwab/Walter, Kap. 42
Rz. 14; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 4; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu
§ 1061 ZPO Rz. 391; Hascher, YCA XVII (1992), 711 (716 f.); zust. App. Lyon v. 4.7.1991, Clunet
1991, 1000 m. Anm. Kahn = Rev.arb. 1992, 721 m. Anm. Corrão; a.A. (lex fori) Klein, ZZP 76
(1963), 346.
2 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (36 f.) = MDR 1980, 914 (36 f.) = NJW 1980,
2022 = IPRax 1981, 53 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1981, 43); Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231
(240); von Hülsen, S. 37; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 391; Adolphsen in
MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 5.
3 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 6.
4 Ital. Cass. v. 13.10.2000, Foro it. 2000 I, 3096 = YCA XXVI (2001), 1141 (1144 f.) (zu Art. 832 c.p.
c., der sich an Art. I EuÜ orientiert).
5 Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 14; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 7; Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 391.
6 Gildeggen, S. 94.
7 von Hülsen, S. 35.
8 von Hülsen, S. 93; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 8; a.A. wohl Schwab/Walter,
Kap. 42 Rz. 14.

Hausmann | 1095
§ 7 Rz. 7.253 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

zeitlichen) Anwendungsbereich von multi- oder bilateralen Staatsverträgen auf dem Gebiet
der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit fallen. Die §§ 1029 ff. ZPO sind daher auf
Schiedsvereinbarungen grundsätzlich nur dann noch anzuwenden, wenn der Schiedsort im
Inland gelegen ist1. Daneben verbleibt dem nationalen Recht ein begrenzter Anwendungs-
bereich zur Ausfüllung von Lücken in den Staatsverträgen. Zu denken ist etwa an die Anknüp-
fung von Schiedsvereinbarungen in Fällen, in denen die Parteien eine Rechtswahl nicht getrof-
fen haben und auch der Schiedsort noch nicht feststeht (vgl. Rz. 7.289)2. Im UNÜ/EuÜ nicht
geregelt ist ferner etwa die Anknüpfung der Drittwirkungen einer Schiedsvereinbarung (dazu
Rz. 7.430 ff.). Schließlich behält das autonome Kollisionsrecht vor allem auf Grund der in den
Staatsverträgen enthaltenen Öffnungsklauseln (vgl. Art. VII Abs. 1 UNÜ; Art. X Abs. 7 EuÜ;
dazu Rz. 7.260 f.) insoweit Bedeutung, als seine Anwendung die Anerkennung ausländischer
Schiedsvereinbarungen bzw. Schiedssprüche im Verhältnis zu den staatsvertraglichen Regeln
erleichtert.

7.254 Nach früherem deutschen Schiedsverfahrensrecht waren die Parteien hinsichtlich der Wahl
des anwendbaren Verfahrensrechts weitgehend frei; demgemäß konnte ein in Deutschland
stattfindendes Schiedsverfahren – unter Ausschluss der zwingenden Normen des deutschen
Rechts – auch ausländischem Recht unterworfen werden3. Demgegenüber sind nach § 1025
Abs 1 ZPO die Vorschriften des 10. Buches der ZPO seit dem 1.1.1998 nur noch anzuwenden,
wenn der Ort des Schiedsverfahrens in Deutschland liegt. Damit hat der Reformgesetzgeber
das strikte Territorialitätsprinzip des Art. 1 Abs. 2 UN-ModG übernommen4. Die Wahl aus-
ländischen Schiedsverfahrensrechts ist daher nur noch kraft materiell-rechtlicher Verweisung
in den Grenzen der zwingenden Bestimmungen des deutschen Rechts zulässig5. Dieser
Grundsatz wird allerdings durch eine Reihe von Ausnahmen durchbrochen, die teilweise wei-
ter reichen als nach dem UN-ModG (vgl § 1025 Abs. 2–4, §§ 1032, 1033, 1050 ZPO)6. Ferner
gilt das Territorialitätsprinzip des § 1025 Abs 1 ZPO nach dem ausdrücklichen Willen des
Gesetzgebers nur für inländische Schiedsverfahren; die für ein im Ausland durchgeführtes
Schiedsverfahren nach der dortigen lex fori zulässige Wahl deutschen Schiedsverfahrensrechts
wird mithin auch in Deutschland anerkannt7.

7. Konkurrenzen
a) UN-Übereinkommen – Europäisches Übereinkommen
7.255 Besondere Rechtsanwendungsprobleme ergeben sich dann, wenn eine Schiedsvereinbarung in
den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich mehrerer (multi- oder bilateraler)
Staatsverträge fällt. Zu klären ist ferner, wieweit der Vorrang der genannten Staatsverträge auf
dem Gebiet der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vor dem autonomen Recht der Ver-
tragsstaaten reicht.

1 Epping, S. 21 f.
2 Demgegenüber ist die Frage, ob die Parteien eine rechtsverbindliche Wahl des Statuts der Schieds-
vereinbarung vorgenommen haben, von den Gerichten der Vertragsstaaten des UNÜ/EuÜ nicht
nach den autonomen Kollisionsregeln der lex fori, sondern einheitlich nach dem gewählten Recht
zu entscheiden; dazu Rz. 7.292 ff.
3 Vgl. BGH v. 26.9.1985 – III ZR 16/84, NJW 1986, 1436; Schlosser, Rz. 230, 459.
4 Vgl. Winkler/Weinand, BB 1998, 598 ff.; Kronke, RIW 1998, 260 f.; Berger, DZWiR 1998, 46 f.;
Schütze, Rz. 250; Geimer in Zöller, § 1025 ZPO Rz. 1 ff.
5 BT-Drucks. 13/5274, 31.
6 Dazu Epping, S. 9 ff.
7 BT-Drucks. 13/5274, 31.

1096 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.258 § 7

Überschneidungen zwischen diesen beiden Übereinkommen treten deshalb nicht allzu häufig 7.256
auf, weil das UNÜ im Wesentlichen die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer
Schiedssprüche regelt, während das EuÜ vornehmlich ergänzende Bestimmungen über die
Schiedsvereinbarung, das Schiedsverfahren sowie den Schiedsspruch enthält. Soweit dennoch
ein Konflikt zwischen beiden Übereinkommen entsteht1, bereitet die Lösung deshalb Proble-
me, weil beide Staatsverträge Öffnungsklauseln enthalten, die sicherstellen sollen, dass kein
Staat durch seinen Beitritt zum UNÜ/EuÜ zu Völkerrechtsverletzungen gegenüber anderen
Staaten verpflichtet wird2. Demgemäß können deutsche Gerichte einem Schiedsspruch, der in
einem Vertragsstaat des UNÜ ergangen ist, unter Berufung auf die Vorschriften des EuÜ die
Anerkennung und Vollstreckung im Inland versagen, wenn die Bundesrepublik Deutschland
dem EuÜ bereits früher beigetreten war als das Schiedsland dem UNÜ.

Soweit eine Verletzung völkerrechtlicher Pflichten nicht in Rede steht, verbleibt es auch im 7.257
Verhältnis UNÜ-EuÜ bei der Grundregel „lex posterior derogat legi priori“. Bei einer aus-
schließlichen Beteiligung von Staaten, die beide Übereinkommen ratifiziert haben, hat mithin
grundsätzlich das später in Kraft getretene Übereinkommen Vorrang3. Da die meisten Ver-
tragsstaaten des EuÜ zuerst das UNÜ ratifiziert haben, hindert etwa ein Verstoß des Schieds-
gerichts gegen die Begründungspflicht nach Art. VIII EuÜ die Anerkennung des Schieds-
spruchs nach dem UNÜ, obwohl dieses eine solche Begründungspflicht nicht vorsieht. Für
Schiedsvereinbarungen folgt daraus, dass die Einhaltung der Form des später in Kraft getrete-
nen EuÜ genügt, auch wenn die Schriftform nach Art. II Abs. 2 UNÜ nicht eingehalten wurde
(dazu auch Rz. 7.356)4. Soweit das EuÜ bereits als lex posterior Vorrang vor dem UNÜ hat,
kommt es auf den Meistbegünstigungsgrundsatz in Art. VII Abs. 1 UNÜ nicht an5.

Nur für den Fall, dass ausnahmsweise das UNÜ als lex posterior Vorrang vor dem EuÜ haben 7.258
sollte – wie z.B. im Verhältnis zu Luxemburg, der Türkei und den Nachfolgestaaten des ehe-
maligen Jugoslawien –, kann das EuÜ aufgrund der Meistbegünstigungsklausel in Art. VII
Abs. 1 UNÜ dennoch zum Zuge kommen. Demgemäß dürfte auch in diesem Falle die Einhal-
tung der milderen Formvorschriften nach Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ ausreichen6. Die Anwendung
strengerer Vorschriften des EuÜ (z.B. über den Begründungszwang von Schiedssprüchen nach
Art. VIII EuÜ) ist hingegen in diesem Fall ausgeschlossen7. Hingegen wird die Maßgeblichkeit
des UNÜ im Verhältnis Schiedsstaat/Anerkennungsstaat durch das nachträgliche In-Kraft-
Treten des EuÜ im Verhältnis der Sitzstaaten der Schiedsverfahrensparteien zueinander nicht
berührt, denn das UNÜ enthält keine Öffnungsklauseln zugunsten von Verträgen, welche die
Vertragsstaaten erst künftig abschließen. Andererseits behält das im Verhältnis der Sitzstaaten

1 Vgl. dazu näher Haas in Weigand, Art. VII UNÜ Rz. 14 ff.
2 van den Berg, S. 92; Schlosser, Rz. 133; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 7;
Haas in Weigand, Art. VII UNÜ Rz. 16.
3 OLG München v. 27.2.2009 – 34 Sch 19/08, IPRspr. 2009 Nr. 273; App. Rouen v. 13.11.1984, YCA
XI (1986) 491 (495 f.); Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 8; Schwab/Walter,
Kap. 42 Rz. 27, 34 f.; a.A. Moller, EWS 1996, 297 (298 f.).
4 BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/68, AWD 1970, 417 = WM 1970, 1050; OLG München v. 23.
11.2009 – 34 Sch 13/09, SchiedsVZ 2010, 50 (51 f.); van den Berg, S. 97; Haas, IPRax 1993, 382
(383); Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152 (156); Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ
Rz. 23; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 35.
5 Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 27; Haas in Weigand, Art. VII UNÜ Rz. 16; a.A. OLG Köln v.
16.12.1992 – 16 W 43/92, RIW 1993, 499 = IPRax 1993, 399 (m. abl. Anm. Haas, IPRax 1993,
382).
6 Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (451); Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 36.
7 Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 36.

Hausmann | 1097
§ 7 Rz. 7.258 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

der Parteien zuerst in Kraft getretene EuÜ Vorrang vor dem im Verhältnis Anerkennungs-
staat-Schiedsstaat später in Kraft getretenen UNÜ1.

b) Multilaterale und bilaterale Übereinkommen


7.259 Die Frage nach dem Verhältnis von mehrseitigen zu zweiseitigen Staatsverträgen hat aus deut-
scher Sicht heute vor allem noch Bedeutung im Hinblick auf das Verhältnis zwischen dem
UNÜ und dem bilateralen Staatsvertrag mit den USA (Rz. 7.230 f.). Da beide Staaten erst
nach Abschluss des bilateralen Staatsvertrags dem UNÜ beigetreten sind, haben dessen Vor-
schriften als leges posteriores grundsätzlich Vorrang vor dem zweiseitigen Vertrag; dies gilt je-
denfalls insoweit, als letzterer für die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen und Schieds-
sprüchen strengere Anforderungen stellt als das UNÜ2. Aufgrund des Meistbegünstigungs-
prinzips in Art. VII Abs. 1 HS. 2 UNÜ behält Art. VI Abs. 2 des deutsch-amerikanischen Ver-
trages jedoch insoweit Bedeutung, als er die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen oder
Schiedssprüchen im Vergleich zum UNÜ erleichtert3. Dies ist namentlich für die Formgültig-
keit von Schiedsklauseln von Bedeutung, weil der deutsch-amerikanische Vertrag die Einhal-
tung der Schriftform nicht zwingend vorschreibt.

c) Staatsverträge und autonomes Recht


7.260 Da die zuvor genannten zwei- und mehrseitigen Staatsverträge nur einzelne Teilaspekte des
Abschlusses einer internationalen Schiedsvereinbarung und ihrer inhaltlichen Gültigkeit
durch vereinheitlichte Sachnormen regeln, behalten insoweit die Bestimmungen der nationa-
len Rechtsordnungen in erheblichem Umfang Bedeutung. Soweit die staatsvertraglichen Vor-
schriften mit dem autonomen Recht der Vertragsstaaten konkurrieren, gilt ferner im Anwen-
dungsbereich des UNÜ der Grundsatz der Meistbegünstigungs des Art. VII Abs. 1 HS. 2.
Danach soll einer Partei durch das UNÜ nicht das Recht genommen werden, die Anerken-
nung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs nach dem ihr günstigeren natio-
nalen Recht zu verlangen4. Im Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer
Schiedssprüche konnte sich der Kläger vor deutschen Gerichten daher bis zum 1.1.1998 alter-
nativ stets auf § 1044 ZPO a.F. stützen, sofern diese Vorschrift die Anerkennung begünstigte5.

1 Ital. Cass. v. 8.2.1982, Nr. 722, Riv.dir.int.priv.proc. 1983, 329 = YCA IX (1984), 418; vgl. Schwab/
Walter, Kap. 42 Rz. 37 f.
2 Schlosser, Rz. 137; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 11; Schwab/Walter, Kap. 42
Rz. 27.
3 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 11; Schwab/Walter, Kap. 42 Rz. 30. Vgl. i.d.S.
auch zum deutsch-belg. Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen v. 30.6.1958: BGH v.
9.3.1978 – III ZR 78/76, BGHZ 71, 131 = NJW 1978, 1744; ebenso zum deutsch-sowjet. Handels-
und Seeschifffahrtsübereinkommen v. 25.4.1958: BayObLG v. 11.8.2000 – 4 Z SchH 5/00, BB 2000
Beil. 12, S. 10 m. Anm. Lachmann.
4 Vgl. für Frankreich: App. Paris v. 23.10.1997, YCA XXIII (1998), 644 (648); App. Paris v.
14.1.1997, YCA XXII (1997), 691 (692); App. Paris v. 4.2.1994, YCA XXII (1997), 682 (685); für
die Niederlande: Gerechtshof Den Haag v. 4.8.1993, YCA XIX (1994), 703 (704 ff.); für die USA:
Lander Co., Inc. v. MMP Investments, Inc. (7th Cir. 1997), YCA XXII (1997), 1049 (1056).
5 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, NJW 1984, 2763 = IPRax 1985, 158 (m. Anm. Schlosser, IPRax
1985, 141); BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, NJW 1976, 1591 = RIW 1976, 449; OLG Hamm v.
6.7.1994 – 20 U 162/93, RIW 1994, 1052 (1053); OLG Frankfurt a.M. v. 29.6.1989 – 6 U (Kart)
115/88, RIW 1989, 911. Eine Berufung auf zusätzliche Anerkennungsversagungsgründe nach na-
tionalem Recht kommt hingegen nicht in Betracht; dies wird verkannt von BayObLG v. 17.9.1998
– 4 Z Sch 1/98, BayObLGZ 1998, 219 (222) = NJW-RR 1999, 644 (zu § 1044 ZPO a.F.).

1098 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.262 § 7

Während die Meistbegünstigungsklausel infolge der Liberalisierung der nationalen Schieds-


verfahrensrechte zunehmend an Bedeutung gewinnt1, ist die Möglichkeit einer erleichterten
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche nach Maßgabe des autonomen
Schiedsverfahrensrechts in Deutschland aufgrund der Reform von 1997 weitgehend entfallen.
§ 1061 ZPO verweist vielmehr heute in vollem Umfang auf die Vorschriften des UNÜ; diese
regeln mithin als nationales deutsches Recht die Voraussetzungen für die Anerkennung und
Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland auch dann, wenn das UNÜ völ-
kerrechtlich keine Anwendung findet. Allerdings gilt § 1064 ZPO nach seinem Abs. 3 trotz
der generellen Verweisung durch § 1061 ZPO auf das UNÜ auch für ausländische Schieds-
sprüche, so dass das Prinzip der Meistbegünstigung des Art. VII UNÜ zu beachten ist; § 1064
Abs. 3 ZPO hat daher Vorrang vor Art. IV UNÜ, weil er die Anerkennung begünstigt2. Im
Geltungsbereich des UNÜ haben die Gerichte den Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII
Abs. 1 UNÜ von Amts wegen zu beachten3.

Obwohl sich dieser Grundsatz nach dem Wortlaut von Art. VII Abs. 1 UNÜ nur auf die An- 7.261
erkennung bzw. Vollstreckung von Schiedssprüchen bezieht, kommt ihm Bedeutung auch für
die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen zu. Als Vorfrage für die Anerkennung und
Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland beurteilt sich die (Form-)
Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung zwar wegen der Verweisung in § 1061 ZPO grundsätz-
lich nach Art. II Abs. 2 UNÜ. Eine nur nach dem anwendbaren nationalen Recht (form-)gül-
tige Schiedsvereinbarung ist jedoch im Einredeverfahren vor dem staatlichen Gericht auf-
grund der Meistbegünstigungsregel des Art. VII Abs. 1 UNÜ auch dann anzuerkennen, wenn
sie den Anforderungen des Art. II Abs. 2 UNÜ nicht genügt, weil nur auf diese Weise Rechts-
schutzlücken vermieden werden können (dazu näher Rz. 7.321 ff.)4. Zu dem im Rahmen des
Meistbegünstigungsgrundsatzes zu berücksichtigenden, schiedsfreundlicheren nationalen
Recht gehören dabei nicht nur die Bestimmungen der §§ 1025 ff. ZPO, sondern auch die na-
tionalen Kollisionsnormen und das danach als Statut der Schiedsvereinbarung berufene (aus-
ländische) Recht5.

II. Bestimmung und Reichweite des auf die Schiedsvereinbarung


anzuwendenden Rechts
1. Anknüpfungsgrundsätze
a) Staatsverträge und nationales Kollisionsrecht
Soweit nicht bestimmte Einzelaspekte des Zustandekommens und der Wirksamkeit von inter- 7.262
nationalen Schiedsvereinbarungen – wie insbesondere deren Formgültigkeit (dazu Rz. 7.318 ff.)
– durch staatsvertragliches Einheitsrecht geregelt sind, bedarf es der Bestimmung des anwend-
baren Rechts mit Hilfe des Kollisionsrechts. Auch insoweit ist danach zu unterscheiden, ob die
Schiedsvereinbarung in den Anwendungsbereich der einschlägigen Staatsverträge (UNÜ/

1 Vgl. Haas in Weigand, Art. VII UNÜ Rz. 20 m. Nachw.


2 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 4.
3 BGH v. 25.9.2003 – III ZB 68/02, MDR 2004, 228 = WM 2004, 703; Schlosser in Stein/Jonas, Anh.
§ 1061 ZPO Rz. 384; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII UNÜ Rz. 4.
4 BGH v. 30.9.2010 – III ZB 69/09, BGHZ 187, 226 (Rz. 5 ff.) = ZIP 2010, 2468 = JR 2011, 444 m.
Anm. Elsing; van den Berg, S. 87; Schlosser, Rz. 160; Haas in Weigand, Art. VII UNÜ Rz. 1;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 18.
5 BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 (3500); BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12,
SchiedsVZ 2014, 151 Rz. 31 = IPRax 2016, 63 (m. Anm. Kröll, IPRax 2016, 43).

Hausmann | 1099
§ 7 Rz. 7.262 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

EuÜ) fällt oder nach autonomem IPR/IZPR anzuknüpfen ist. Nur nach französischem Recht
sind die Gerichte zur Prüfung der Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen ohne Bezugnah-
me auf ein bestimmtes nationales Recht berechtigt1.

b) UN-Übereinkommen
aa) Anwendungsbereich von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ
7.263 Die zentrale Kollisionsregel des UNÜ für Schiedsvereinbarungen enthält Art. V Abs. 1 lit. a
UNÜ, der ihre Gültigkeit primär dem von den Parteien gewählten Recht, ansonsten dem
Recht des Landes unterwirft, in dem der Schiedsspruch ergangen ist. Die Vorschrift bezieht
sich zwar ihrem Wortlaut nach nur auf die Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen im Rah-
men des Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens2. Der Regelungsstruktur des Überein-
kommens würde es indes nicht gerecht, wenn über die Fragen der Gültigkeit der Schiedsver-
einbarung im Einredeverfahren nach anderen Kollisionsregeln – und damit u.U. auch im Er-
gebnis anders – entschieden würde als im Anerkennungsverfahren. Der Gefahr, dass eine
Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren nach dem Kollisionsrecht der lex fori für wirksam
gehalten wird und deshalb zur Unzuständigkeit des staatlichen Gerichts führt, dem auf ihrer
Grundlage ergangenen Schiedsspruch aber später die Anerkennung versagt wird, weil das An-
erkennungsgericht nach dem von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ für maßgeblich erklärten Recht die
Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung feststellt, kann nur durch die entsprechende Anwen-
dung der Vorschrift bereits im Einredeverfahren gesteuert werden3. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ
verdrängt damit in sämtlichen Verfahrensstadien die autonomen Regeln der lex fori über die
Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen, sofern letztere zu einem nach dem UNÜ anerken-
nungsfähigen Schiedsspruch führen können4. Die deutsche Rechtsprechung beachtete freilich
diesen Vorrang der Kollisionsnormen des UNÜ bereits im Einredeverfahren lange Zeit nicht,
sondern wandte insoweit das autonome deutsche Kollisionsrecht in Anlehnung an das inter-
nationale Vertragsrecht (Art. 27 ff. EGBGB a.F.) an (dazu Rz. 7.267 f., Rz. 7.284 f. m.w.N.)5. In
deutlicher Abkehr von dieser Haltung hat sich der I. Zivilesenat des BGH jedoch zuletzt der
hier vertretenen Auffassung ausdrücklich angeschlossen; danach ermittelt nunmehr auch der
BGH das Schiedsvereinbarungsstatut im Anwendungsbereich des UNÜ schon im Einredever-

1 Vgl. frz. Cass. v. 7.6.2006, YCA XXXII (2007) 290 (293).


2 Vgl. dazu BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, RIW 1976, 449 (450) = WM 1976, 435; span. Trib.
Supremo v. 10.2.1984, YCA X (1985), 493; Otto, IPRax 2003, 233 (334).
3 Vgl. i.d.S. Schlosser, IPRax 2020, 222 (223 f.); Kröll, IPRax 2016, 43 (46); Ostendorf, SchiedsVZ
2010, 234 (241); von Hülsen, S. 99; Bertheau, S. 38; van den Berg, S. 126; Gildeggen, S. 135 ff.; Ep-
ping, S. 41; Schwab/Walter, Kap. 43 Rz. 2; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. V UNÜ Rz. 21;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 68; zust. OLG Düssseldorf v. 5.11.2017 – VI-U
(Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73; LG München I v. 26.2.2014 – 37 O 28331/12, SchiedsVZ 2014, 100
(105); öOGH v. 26.4.2006, YCA XXXII (2007), 266 (268 f.); öOGH v. 17.11.1971, JBl. 1974, 629;
schwz. BG v. 21.3.1995, Bull. ASA 1996, 255 (260) = YCA XXII (1997), 800; belg. Cass. v.
15.10.2004, YCA XXXI (2006), 587 (593 f.); App. Genova v. 3.2.1990, Foro pad. 1991, 168 = YCA
XVII (1992), 542; Trib. Lodi v. 13.2.1991, YCA XXI (1996), 580 (582); a.A. Sieg, RIW 1998, 102
(105). Bedenken gegen diese Analogie auch bei Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (475).
4 Anders entscheiden vor allem die amerikanischen Gerichte, die Art. II Abs. 3 UNÜ vertrags-
autonom auslegen, vgl. Ferrara S.p.A. v. United Grain Growers Ltd. (S. D. N. Y. 1977), 441 F.
Supp. 778 = YCA IV (1979), 331 ff.; ferner die Nachw. zu Rz. 7.295 ff. Zu Recht krit. Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 69.
5 Vgl. noch BGH v. 7.6.2016 – KZR 6/15, SchiedsVZ 2016, 218 (225).

1100 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.265 § 7

fahren in entsprechender Anwendung von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ, um einen Gleichlauf der
Anknüpfung in allen Verfahrensstadien zu erreichen1.

bb) Rechtswahl
Gemäß Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ sind die Parteien berechtigt, das auf das Zustandekommen 7.264
und die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung anwendbare Recht frei zu wählen. Diese
Rechtswahl ist nicht formgebunden; sie kann daher nicht nur ausdrücklich, sondern auch
stillschweigend getroffen werden2. Eine gesonderte Rechtswahl für die Schiedsvereinbarung
ist indes außerordentlich selten. Insbesondere reicht die wirtschaftliche Verknüpfung von
Haupt- und Schiedsvertrag nicht aus, um in der für den Hauptvertrag getroffenen ausdrück-
lichen Rechtswahl zugleich eine stillschweigende Rechtswahl in Bezug auf die Schiedsverein-
barung zu sehen, denn dafür sind die Zwecke des Hauptvertrages und der Schiedsverein-
barung zu verschieden3. Die Risiken, die sich für die Parteien ergeben, wenn sie die Schieds-
vereinbarung einem anderen als dem am Schiedsort geltenden Recht unterstellen, stehen einer
solchen Auslegung regelmäßig entgegen. Dessen ungeachtet ging die deutsche Rechtsprechung
auch im Anwendungsbereich des UNÜ lange Zeit davon aus, dass das Zustandekommen und
die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren i.d.R. nach dem für den Haupt-
vertrag gewählten Recht zu beurteilen seien4. An dieser Auffassung hält der BGH indessen in
Anbetracht des audrücklichen Ausschlusses von Schiedsvereinbarungen aus dem Anwen-
dungsbereich der Rom I-VO nicht länger fest5.

Der Rechtswahlfreiheit nach Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ sind – sieht man vom ordre public-Vor- 7.265
behalt nach Art. V Abs. 2 lit. b ab – im UNÜ keine Schranken gezogen. Das gewählte Recht
muss daher keinen tatsächlichen oder rechtlichen Bezug zum Sitz einer der Vertragsparteien
haben; diese sind vielmehr berechtigt, für ihre Vereinbarung auch ein „neutrales“ Recht zu

1 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 51 ff.); ebenso schon zuvor OLG Düss-
seldorf v. 5.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73; OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/
13, SchiedsVZ 2014, 262 (264) (Rz. 23); LG München I v. 26.2.2014 – 37 O 28331/12, SchiedsVZ
2014, 100 (105).
2 Vgl. Bertheau, S. 34; von Hülsen, S. 101; Gildeggen, S. 126; Epping, S. 50; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 23; Haas in Weigand, Art. V UNÜ Rz. 18; Schlosser in Stein/Jonas,
Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 157; a.A. Fouchard/Gaillard/Goldman, Rz. 436.
3 ÖOGH v. 17.11.1971, JBl. 1974, 18629 = YCA I (1976), 183; Hausmann, FS W. Lorenz (1991),
S. 359 (366); van den Berg, S. 293; Gentinetta, S. 297; von Hoffmann, FS Glossner (1994), S. 143
(151); Koussoulis, FS Schlosser (2005), S. 415 (421); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO
Rz. 157; Gildeggen, S. 127; Berger, S. 117; Haas in Weigand, Art. V UNÜ Rz. 18. Vgl. i.d.S. auch
Court of Appeal v. 24.3.1987 (Deutsche Schachtbau- und Tiefbohr GmbH v. Ras Al Khaimah Na-
tional Oil Co.), (1987) 2 All E. R, 769 = YCA XIII (1988), 522 (526 f.); Hof Den Haag v. 4.8.1993,
YCA XIX (1994), 703 (706).
4 Vgl. BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (152); BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/
74, RIW 1976, 449 (450); OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264);
OLG Hamm v. 9. 7. 2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (42); OLG München v. 7.4.1989 – 23
U 6310/88, RIW 1990, 585 (586); OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574
(575 f.) = YCA XV (1990), 455 (457); OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38
(42); ferner zu Verbraucherverträgen BGH v. 22.3.2011– IX ZR 197/08, NJW 2012, 49 = MDR
2009, 1238; dazu näher Rz. 7.267 f. m. ausf. Nachw. Ebenso Supreme Court India v. 7.5.1992 (Na-
tional Thermal Power Corp. v. Singer Co.), YCA XVIII (1993), 403 ff.; zust. von Hülsen, S. 101 f.;
Bertheau, S. 34; Born, S. 455.
5 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 50 ff.) = RIW 2021, 233.

Hausmann | 1101
§ 7 Rz. 7.265 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

wählen1. Die Parteiautonomie ist ferner auch nicht in dem Sinne eingeschränkt, dass Schieds-
vereinbarung und Schiedsverfahren demselben Recht unterliegen müssten. Dies folgt schon
daraus, dass das UNÜ selbst die Schiedsvereinbarung und das Schiedsverfahren bei Fehlen
einer Rechtswahl unterschiedlichen Rechten unterwirft; denn während die Schiedsverein-
barung dann nach Art. V Abs. 1 lit. a dem Recht des Landes untersteht, in dem der Schieds-
spruch ergangen ist, folgt das Schiedsverfahren nach Art. V Abs. 1 lit. d dem – hiervon u.U.
abweichenden – Recht am Schiedsort2. Da Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ auf eine umfassende Ver-
einheitlichung des Kollisionsrechts der Schiedsvereinbarung abzielt, bestimmen sich auch die
Wirksamkeit und das Zustandekommen des Verweisungsvertrages nicht nach dem nationalen
Kollisionsrecht der lex fori, sondern nach dem von den Parteien „anscheinend“ gewählten
Recht3.

cc) Objektive Anknüpfung


7.266 Bei Fehlen einer Rechtswahl der Parteien richtet sich die Wirksamkeit der Schiedsverein-
barung im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach dem Recht des Landes, in
dem der Schiedsspruch ergangen ist4. Dies ist der von den Parteien, der gewählten Schieds-
organisation oder den Schiedsrichtern als „Sitz“ des Schiedsgerichts bestimmte Ort (vgl. näher
Rz. 7.237 f.). Für die objektive Anknüpfung der Schiedsvereinbarung im Verfahren vor dem
Schiedsgericht oder dem staatlichen Einredegericht kommt es daher in entsprechender An-
wendung des Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ auf den Ort an, an dem der Schiedsspruch ergehen
soll, sofern dieser bereits bekannt ist5. Dies ist auch bei Vereinbarung eines ICC-Schieds-
gerichts nicht notwendig der Sitz des Schiedsgerichtshofs der ICC in Paris, sondern der im
Vertrag vereinbarte Schiedsort; die Überprüfung des Schiedsspruchs durch den Schieds-
gerichtshof ändert daran nichts6. Liegt der Schiedsort im Zeitpunkt der Entscheidung über die
Gültigkeit der Schiedsvereinbarung noch nicht fest, so ist dem UNÜ selbst eine anwendbare
Kollisionsregel nicht zu entnehmen. Nur insoweit ist daher – entsprechend Art. VI Abs. 2 lit. c
EuÜ – der Rückgriff auf die autonomen Kollisionsregeln der lex fori zulässig7.

1 Gildeggen, S. 127 ff.; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 23; Schlosser, Rz. 231;
Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 17.
2 Bertheau, S. 86; Schlosser, Rz. 216; Schwab/Walter, Kap. 43 Rz. 1; Gildeggen, S. 129 f.
3 Zutr. Gildeggen, S. 131 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 72.
4 OLG Frankfurt v. 5.6.2009 – 14 Sch 19/08, IPRspr. 2009 Nr. 275; OLG Hamm v. 26.6.1997 – 1 U
1/96, RIW 1997, 962; öOGH v. 24.8.2005, IPRax 2006, 268 (m. zust. Anm. Geimer, IPRax 2006,
233); span. Trib. Supremo v. 10.2.1984, YCA X (1985), 493; Hof Den Haag v. 4.8.1993, YCA XIX
(1994), 703 (706); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 19; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V
UNÜ Rz. 24.
5 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 52, 55) = RIW 2021, 233; LG Mün-
chen I v. 26.2.2014 – 37 O 28331/12, SchiedsVZ 2014, 100 (105); zust. Pfeiffer, SchiedsVZ 2014,
161 (163); ital. Cass. v. 15.12.1985, Nr. 6915, Foro it. 1983 I, 2200 = YCA X (1985), 464; schwz. BG
v. 21.3.1995, Bull. ASA 1996, 255 = YCA XXII (1997), 800; Schwab/Walter, Kap. 43 Rz. 1 a.E.
6 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 159; zust. High Court Tokio v. 30.5.1994, YCA
XX (1995), 745.
7 BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 23) (zu Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO);
BGH v. 8.6.2010 – IX ZR 349/08, SchiedsVZ 2011, 46 (Rz. 32) = IPRax 2011, 499 (m. zust. Anm.
Samtleben, IPRax 2011, 469) = ZIP 2010, 2505; von Hülsen, S. 104 f.; Gildeggen, S. 135 ff.; Epping,
S. 41; Moller, NZG 2000, 57 (59); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 71; a.A. [An-
wendung der lex fori] König SchiedsVZ 2012, 129 [133]. Kommen nur zwei alternative Schiedsorte
in Betracht, so empfiehlt sich eine kumulative Prüfung nach beiden Rechten, vgl. OLG Karlsruhe
v. 13.3.1973 – 8 U 129/72, AWD 1973, 403 = YCA II (1977), 239.

1102 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.269 § 7

dd) Verbraucherstreitigkeiten
Der Vorrang der staatsvertraglichen Kollisionsnorm in Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ vor dem na- 7.267
tionalen Kollisionsrecht gilt auch in Verbraucherstreitigkeiten1. Demgegenüber legte der BGH
die autonomen Kollisionsregeln der deutschen lex fori im Einredeverfahren auch dann zu-
grunde, wenn es um die Vereinbarung eines Schiedsorts in einem anderen Vertragsstaat des
UNÜ ging. Auch in diesem Fall sollte daher nicht das Recht des vereinbarten ausländischen
Schiedsorts maßgebend sein; vielmehr wurde das Schiedsvereinbarungsstatut im Wege der
(unmittelbaren oder entsprechenden) Anwendung des internationalen Schuldvertragsrechts
ermittelt. Praktische Bedeutung hatte diese abweichende Anknüpfung insbesondere, wenn
deutsche Anleger als Verbraucher Börsentermingeschäfte mit US-amerikanischen Broker-
häusern abschlossen, die eine Schiedsvereinbarung zugunsten eines US-amerikanischen Bör-
senschiedsgerichts enthielten (zur Kritik näher Rz. 7.284 f., Rz. 7.364 ff.)2. Da der Schiedsort
in diesen Fällen in einem anderen Vertragsstaat des UNÜ lag, hätte das Zustandekommen
und die materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung indessen schon im Einredeverfahren
vor deutschen Gerichte entsprechend Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ nach dem New Yorker Recht
beurteilt werden müssen, soweit die Parteien diesbezüglich keine abweichende Rechtswahl ge-
troffen hatten. Dieser Auffassung folgt inzwischen auch der BGH, nachdem er klargestellt hat,
dass es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, die entgegen Art. 1 Abs. 2 lit. e
Rom I-VO mit den Kollisionsregeln dieser Verordnung ausgefüllt werden könnte3.

Etwas anderes kann ausnahmweise nur dann angenommen werden, wenn der Schiedsort im 7.268
Zeitpunkt der Entscheidung über die Schiedseinrede noch nicht festeht.
BGH v. 8.6.2010 –XI ZR 349/08, WM 2010, 2025 (Rz. 35) = ZIP 2010, 2505 = IPRax 2011, 499 (m.
insoweit zust. Anm. Samtleben, IPRax 2011, 469) = SchiedsVZ 2011, 46
Mangels Rechtswahl ist das auf einen Verbrauchervertrag nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO anwendbare
deutsche Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Anlegers auch auf das Zustandekommen und die
materielle Wirksamkeit der für diesen Vertrag getroffenen Schiedsvereinbarung mit einem US-ame-
rikanischen Broker maßgeblich, wenn der Schiedsort im Zeitpunkt der Beurteilung durch das staatli-
che Einredegericht noch nicht feststeht.

c) Europäisches Übereinkommen
Auch im Rahmen des EuÜ gilt nach dessen Art. VI Abs. 2 S. 1 lit. a in erster Linie das von 7.269
den Parteien (ausdrücklich oder stillschweigend) gewählte Recht. Aus der nach Art. VII EuÜ
für den Hauptvertrag getroffenen Rechtswahl kann wiederum nicht ohne Weiteres auf einen
stillschweigenden Parteiwillen bezüglich des Schiedsvereinbarungsstatuts geschlossen werden4.
In Ermangelung einer Rechtswahl gilt vielmehr das Recht des Landes, in dem der Schieds-
spruch ergehen soll (Art. VI Abs. 2 S. 1 lit. b EuÜ). Haben die Parteien mithin den Schiedsort
in ihrer Vereinbarung bereits festgelegt, so gilt mangels abweichender Anhaltspunkte das dor-

1 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 68.


2 Vgl. ferner BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09, ZIP 2010, 2512 (Rz. 29) = GWR 2010, 582 m. Anm.
P. Wagner; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, RIW 2011, 321 (Rz. 24) = ZIP 2011, 1219 =
SchiedsVZ 2011, 157 m. Anm. Spetzler; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 100/09, RIW 2011, 426
(Rz. 26) = ZIP 2011, 1215.
3 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 50 f.) = RIW 2021, 233.
4 Hascher, YCA XVII (1992), 732 f.; a.A. ICC-Schiedsspruch Nr. 6379/1990, YCA XVII (1992), 212
(215).

Hausmann | 1103
§ 7 Rz. 7.269 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

tige Recht1. Ist zu der Zeit, zu der das staatliche Gericht über die Gültigkeit der Schiedsverein-
barung zu entscheiden hat, noch nicht voraussehbar, in welchem Staat der Schiedsspruch er-
gehen wird, so gilt nach Art. VI Abs. 2 S. 1 lit. c EuÜ hilfsweise das Kollisionsrecht der lex
fori2. Obwohl Art. VI Abs. 2 S. 1 lit. a EuÜ Kollisionsregeln für die Anknüpfung von Schieds-
vereinbarungen nur für die staatlichen Gerichte aufstellt, sind diese Grundsätze auch von ei-
nem Schiedsgericht zu beachten, das kraft seiner vorläufigen Kompetenz-Kompetenz nach
Art. V Abs. 3 EuÜ über die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung zu befinden hat3.

d) Autonomes deutsches Recht


aa) Eigenständige Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen
7.270 Ebenso wie in Art. 34 UNCITRAL-ModG fehlt auch im deutschen Recht eine ausdrückliche
allgemeine Kollisionsnorm für die Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen4. Da die Schieds-
vereinbarung kein materiell-rechtlicher Vertrag, sondern ein Prozessvertrag ist (dazu
Rz. 7.206), ferner gegenüber dem Hauptvertrag autonom ist (dazu Rz. 7.208), gelten insoweit
grundsätzlich nicht die für den Hauptvertrag maßgeblichen Kollisionsnormen der Rom I-VO
(vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO) bzw. des § 1051 ZPO, sondern eigene Normen des IZPR5.
Das autonome deutsche Schiedsverfahrensrecht unterscheidet insoweit danach, ob das
Schiedsverfahren im Inland oder im Ausland stattfindet, und ob das deutsche staatliche Ge-
richt mit der Frage des Zustandekommens und der materiellen Wirksamkeit der Schiedsver-
einbarung bereits im Einredeverfahren oder erst im Aufhebungs- bzw. Vollstreckungsverfah-
ren betreffend einen in- oder ausländischen Schiedsspruch befasst wird.

bb) Verfahren zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche


7.271 Im Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche wurde die
Vorfrage der materiellen Gültigkeit der zugrunde liegenden Schiedsvereinbarung bis zur Re-
form des deutschen Schiedsverfahrensrechts von 1997 unselbständig angeknüpft. Wandte der
Beklagte ein, der ausländische Schiedsspruch sei deshalb nicht anerkennungsfähig, weil er auf
einer ungültigen Schiedsvereinbarung beruhe, so war zur Bestimmung des maßgeblichen
Schiedsvertragsstatuts von den Kollisionsnormen der auf das Schiedsverfahren anwend-
baren fremden Rechtsordnung auszugehen6. Im geltenden Recht verweist § 1061 ZPO inso-
weit heute in vollem Umfang auf die Vorschriften des UNÜ. Damit gelten aber im Verfahren
zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche die Kollisionsregeln des
Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ für die Beurteilung des Zustandekommens und der Wirksamkeit der

1 Vgl. BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 = NJW 1980, 2022; OLG Hamburg v.
11.9.1992 – 11 U 106/92, RIW 1992, 938; OLG Hamburg v. 15.11.1995 – 5 U 169/95, ZIP 1995,
1903 = RIW 1996, 510 = EWiR 1995, 1245 (LS) m. Anm. Schlosser.
2 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 420; dazu anschließend Rz. 7.270 ff.
3 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VI EuÜ Rz. 7.
4 Anders das schweiz. Recht, das in Art. 178 Abs. 2 IPRG eine Anknüpfung „in favorem validitatis“
vorsieht: Die Schiedsvereinbarung ist danach gültig, wenn sie entweder dem von den Parteien ge-
wählten Recht oder dem Recht der Hauptsache oder dem schweiz. Recht entspricht. Vgl. dazu den
ICC-Schiedsspruch Nr. 6474/1992, YCA XXV (2000), 279 (303 f.).
5 Epping, S. 44; Wagner, S. 351; Geimer, IPRax 2006, 233 f.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 1, 17a,
107, 109 f., 113 f.; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 29, 34.
6 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, MDR 1985, 125 = RIW 1984, 644 (646) m. Anm. Mezger =
IPRax 1985, 158 (m. Anm. Schlosser, IPRax 1985, 141); Schlosser, Rz. 800; Gildeggen, S. 154 ff.;
Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (378).

1104 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.273 § 7

Schiedsvereinbarung auch dann, wenn der ausländische Schiedsstaat dem UNÜ nicht bei-
getreten ist1. Maßgebend sind folglich die Sachnormen des von den Parteien gewählten
Rechts, und in Ermangelung einer Rechtswahl die Sachnormen des ausländischen Schieds-
staates (dazu Rz. 7.263 ff.)2. Im Rahmen des Meistbegünstigungsgrundsatzes nach Art. VII
Abs. 1 UNÜ kann freilich auch das nationale Kollisionsrecht des Anerkennungsstaates ange-
wendet werden, wenn es zu einem anerkennungsfreundlicheren Ergebnis führt (dazu
Rz. 7.321 ff.)3. Die Darlegungs-und Beweislast für den Abschluss einer wirksamen Schiedsver-
einbarung trägt diejenige Partei, die die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen
Schiedsspruchs betreibt4.

cc) Verfahren zur Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung inländischer


Schiedssprüche
In Übereinstimmung mit Art. 34 Abs. 1 UNCITRAL-ModG schreibt § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a 7.272
ZPO vor, dass die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung im inländischen Aufhebungsverfahren
primär nach dem Recht zu beurteilen ist, dem die Parteien sie unterstellt haben. In Erman-
gelung einer solchen Rechtswahl erklärt Art. 34 Abs. 2 UNCITRAL-ModG – wie Art. V Abs. 1
lit. a UNÜ – das Recht des Schiedsortes für maßgebend. Dies kann aber – wie § 1059 Abs. 2
Nr. 1 lit. a ZPO klarstellt – im Rahmen des Aufhebungsverfahrens nur das deutsche Recht
sein, weil dieses im Hinblick auf das Territorialitätsprinzip des § 1025 Abs. 1 ZPO zwingend
für alle in Deutschland stattfindenden Schiedsverfahren gilt5. Da inländische Schiedssprüche
nach § 1060 Abs. 1 S. 1 ZPO nur für vollstreckbar erklärt werden können, wenn keine Auf-
hebungsgründe nach § 1059 Abs. 2 ZPO vorliegen, gilt die Kollisionsregel des § 1059 Abs. 2
Nr. 1 lit. a ZPO auch im Verfahren der Vollstreckbarerklärung entsprechend. Damit gelten für
in- und ausländische Schiedssprüche im Aufhebungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsverfahren
die gleichen Anknüpfungsregeln6.
Vgl. aber BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = RIW 1998, 628 = IPRax 1999, 104 (m.
Anm. Schütze, IPRax 1999, 87) = LM § 1041 ZPO aF Nr. 18 m. Anm. Geimer
Wirksamkeit der Schiedsabrede zwischen deutschem und kroatischem Unternehmen im Verfahren
der Vollstreckbarerklärung des deutschen Schiedsspruchs nach deutschem Recht beurteilt, weil deut-
sches Schiedsverfahrensrecht und der Schiedsort Bremen vereinbart war.

dd) Einredeverfahren vor staatlichen Gerichten


War über das Zustandekommen oder die materielle Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung 7.273
vor einem deutschen staatlichen Gericht zu befinden, weil der Beklagte die Schiedseinrede er-
hoben hatte, so wurde das anwendbare Recht bis zur Reform des deutschen Schiedsverfah-
rensrechts von 1997 zumeist in entsprechender Anwendung der Art. 27 ff. EGBGB be-

1 Epping, S. 45 f.; Schwab/Walter, Kap. 43 Rz. 6; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 107.
2 OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264); Epping, S. 50; Geimer in
Zöller, § 1029 ZPO Rz. 107, 109.
3 BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 = SchiedsVZ 2005, 306 = IPRax 2006, 266 (268)
(m. Anm. Geimer, IPRax 2006, 233);
4 BGH v. 21.12.2017 – I ZB 115/15, NJOZ 2018, 947; OLG Celle v.16.1.2004 – 4Z Sch 22/03,
SchiedsVZ 2004, 165 (167).
5 Vgl. Hausmann, FS Stoll (2001), S. 593 (596).
6 Epping, S. 46; Geimer in Zöller, 1029 ZPO Rz. 110.

Hausmann | 1105
§ 7 Rz. 7.273 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

stimmt1. Dies folgerte man nicht zuletzt daraus, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorschrift
des Art. 1 Abs. 2 lit. d EVÜ, die Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen aus dem sachli-
chen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ausschloss, bewusst nicht in das EGBGB
übernommen hatte2. An der – zumindest entsprechenden – Anwendung des internationalen
Schuldvertragsrechts auf Schiedsvereinbarungen hat die deutsche Rechtsprechung aber auch
nach 1997 festgehalten. Sie hat daher in Ermangelung einer ausdrücklich für die Schiedsver-
einbarung getroffenen Rechtswahl grundsätzlich das für den Hauptvertrag maßgebliche Recht
auch auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der für diesen Vertrag getroffenen
Schiedsvereinbarung angewandt, weil diese mit dem ihr zugrundeliegenden Hauptvertrag re-
gelmäßig die engste Verbindung aufweise (Art. 27 ff. EGBGB a.F. analog)3. Ebenso hat der
XI. Zivilsenat des BGH in st.Rspr. zur Vereinbarung der New Yorker Börsenschiedsgerichte in
Termingeschäften deutscher Anleger entschieden4. Die gleiche Auffassung wird auch in der
Schweiz befolgt5.

7.274 Ein Rückgriff auf nationales Kollisionsrecht ist auf dem Gebiet des internationalen Vertrags-
rechts indessen seit Inkrafttreten der Rom I-Verordnung ausgeschlossen. Auch die Kollisions-
normen der Verordnung selbst sind aber – wie Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO ausdrücklich
klarstellt – auf Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen nicht anzuwenden6. Der EU-Ge-
setzgeber ging insoweit davon aus, dass das Recht der Schiedsvereinbarungen auf internatio-
naler Ebene – also insbesondere durch das UNÜ und das EuÜ – bereits zufriedenstellend ge-
regelt sei. Mit dieser ratio des Auschlusses von Schiedsvereinbarungen aus dem Anwendungs-
bereich der Rom I-VO wäre aber auch eine analoge Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO auf

1 BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (322 f.) = NJW 1964, 591; BGH v. 29.2.1968 –
VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386); BGH v. 19.11.1968 – VII ZR 84/66, NJW 1969, 750; BGH v.
21.9.1993 – XI ZR 52/92, NJW-RR 1993, 1519 (1520); OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88,
RIW 1990, 585; von Hülsen, S. 108 ff.; Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (364); Gildeggen,
S. 157 f.; Schlosser, Rz. 244, 385; Haas, S. 69 ff.; Sieg, RIW 1998, 102 (106), jeweils m.w.N.
2 Basedow, JbPraxSchG I (1987), 1 (4 f.); Gildeggen, S. 158; vgl. auch BT-Drucks. 10/504, S. 81.
3 Vgl. BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 3499 (3500 f.) = SchiedsVZ 2005, 306 = IPRax 2006,
266 (268) (m. krit. Anm. Geimer, IPRax 2006, 233); ebenso noch BGH v. 8.11.2018 – I ZB 24/18,
IPRax 2020, 238 (Rz. 12 f.) und öOGH v. 19.12.2018, IPRax 2020, 240 Rz. 60 ff., jeweils m. krit.
Anm. Schlosser, 222; OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (42); zust. Schütze,
Rz. 93; Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (475 ff.); Kronke, RIW 1998, 257 (258); Lachmann,
Rz. 268 f.; Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 1 (31). Vgl. auch Münch in MünchKomm ZPO, § 1029
Rz. 29, der zwar auch internationalprivatrechtlich, aber eigenständig, d.h. losgelöst vom Statut des
Hauptvertrages, anknüpfen möchte.
4 Vgl. BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 = SchiedsVZ 2011, 46 (Rz. 30); BGH v.
8.6.2010 – XI ZR 41/09, ZIP 2010, 2512 (Rz. 26) = RIW 2011, 885 (m. Anm. Wagner, GWR 2010,
582); BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, ZIP 2011, 1219 = RIW 2011, 321 (Rz. 24) = SchiedsVZ
2011, 157 m. Anm. Spetzler; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 100/09, ZIP 2011, 1215 = RIW 2011, 426
(Rz. 26); BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 197/08, ZIP 2011, 2325 = NJW-RR 2012, 49; BGH v. 12.4.2011
– XI ZR 341/08), MDR 2011, 1065 = NJW-RR 2011, 1287 (Rz. 19); BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 373/
08, NJW-RR 2011, 1350 (Rz. 38) = RIW 2012, 81.
5 Vgl. Art. 178 Abs. 2 schwz. IPRG.
6 So ausdrücklich OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73 (Rz. 33); OLG
Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (41 f.); ebenso Schmidt-Ahrendts/Höttler,
SchiedsVZ 2011, 267 (272 f.); König, SchiedsVZ 2012, 129 (131); Geimer in Zöller, § 1029 ZPO
Rz. 107 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 109. Ebenso schon zum EVÜ, das in Art. 1
Abs. 2 lit. d bereits die gleiche Ausschlussklausel enthielt, High Court (Q.B.Div.) v. 24.3.2006, YCA
XXXI (2006), 964 (971).

1106 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.276 § 7

Schiedsvereinbarungen oder deren akzessorische Anknüpfung an das Statut des Hauptver-


trags nur schwerlich vereinbar1. In diesem Sinne hat auch der BGH zuletzt klargestellt, dass es
insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehle, die durch eine analoge Anwendung der
Rom I-VO auf Schiedsvereinbarungen geschlossen werden könnte2.

Die diesbezüglich seit Inkrafttreten der Rom I-VO bestehende Gesetzeslücke ist in den Fällen, 7.275
in denen das UNÜ keine Anwendung findet, dadurch zu schließen, dass § 1059 Abs. 2 Nr. 1
lit. a ZPO – ebenso wie dies für Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ international weithin anerkannt ist
(dazu Rz. 7.263 ff.) – von den deutschen staatlichen Gerichten bereits im Einredeverfahren
entsprechend angewandt wird, wenn es um die Bestimmung des auf das Zustandekommen
und die die materielle Gültigkeit der Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts geht. Denn
insbesondere das Interesse am internationalen wie am internen Entscheidungseinklang gebie-
tet es, Schiedsvereinbarungen möglichst in allen Verfahrensstadien nach den gleichen Kolli-
sionsregeln anzuknüpfen3. Als speziellere verfahrensrechtliche Kollisionsnorm hat § 1059
Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO mithin in allen Verfahrensstadien Vorrang vor den für den Hauptver-
trag maßgebenden schuldvertraglichen Kollisionsnormen der Rom I-VO, die auf Schiedsver-
einbarungen nicht mehr angewandt werden können4. Diese Anknüpfung trägt auch der Auto-
nomie der Schiedsvereinbarung gegenüber dem Hauptvertrag sowie ihrer Rechtsnatur als Pro-
zessvertrag (dazu Rz. 7.206 ff.) besser Rechnung5. Es steht zu erwarten, dass au ch der BGH
nach seiner Grundsatzentscheidung zugunsten einer analogen Anwendung von Art. V Abs. 1
lit. a UNÜ im Einredeverfahren dieser Auffassung folgen wird, wenn das Schiedsverein-
barungsstatut ausnahmsweise nach autonomem Recht zu bestimmen ist.

Außerdem stimmt eine solche Anknüpfung im Ergebnis mit den neueren Entwicklungen auf 7.276
dem Gebiet der internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen überein, die wegen der ver-
gleichbaren Interessenlage auch für Schiedsvereinbarungen von Bedeutung sind. Denn sowohl
das Haager Übk. über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 als auch die Brüssel Ia-VO ver-
weisen für die Fragen der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht
auf das Recht, das den zugrundeliegenden Hauptvertrag beherrscht, sondern knüpfen diese
gesondert an das Recht des vereinbarten Gerichts (forum prorogatum; dazu Rz. 7.48 ff.) an,
dem im internationalen Schiedsrecht das Recht am vereinbarten Schiedsorts entspricht. In der
Sache führt diese prozessuale Anknüpfung freilich häufig zu ähnlichen Ergebnissen wie eine
schuldvertragliche Anknüpfung. Insbesondere handelt es sich in beiden Fällen um eine Sach-
normverweisung6.

1 Zutr. Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (475); a.A. Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (275).
2 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 50 f.) = RIW 2021, 233.
3 Epping, S. 32; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 109.
4 OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73; Schmidt-Ahrendts/Höttler,
SchiedsVZ 2011, 267 (273); König, SchiedsVZ 2012, 129 (132 f.); Schwab/Walter, Kap. 43 Rz. 6;
Geimer, Rz. 3786; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 107 ff., 113; Voit in Musielak/Voit, § 1029
ZPO Rz. 28; ähnlich auch Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 32 ff., 34; ebenso schon zum
EVÜ Epping, S. 46; Hau, IPRax 1999, 232 (234) sowie die h.M. zu Art. 36 Abs. 1 lit. a UNCI-
TRAL-ModG, vgl. Holtzmann/Neuhaus, S. 803; Granzow, S. 94 f.; Husslein-Stich, S. 49.
5 Geimer, IPRax, 2006, 233 f.
6 Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 31; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 111; Epping, S. 47 f.
m. Nachw.

Hausmann | 1107
§ 7 Rz. 7.277 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(1) Rechtswahl
7.277 Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1a ZPO gilt – ebenso wie im staatsvertraglich vereinheitlichten Kollisi-
onsrecht (UNÜ; EuÜ; dazu Rz. 7.264 f., Rz. 7.269) – der Grundsatz der Parteiautonomie.
Die Parteien sind mithin berechtigt, das auf eine Schiedsvereinbarung anzuwendende Recht
im Wege einer hierauf gerichteten ausdrücklichen Rechtswahl zu bestimmen1. Diese ist auch
dann wirksam, wenn die Parteien ein „neutrales“ Recht wählen, zu dem weder sie noch der
Gegenstand des Rechtsstreits einen tatsächlichen Bezug haben2. Das Zustandekommen und
die Wirksamkeit der Rechtswahl bestimmen nach dem gewählten Recht3. Diesbezüglich stim-
men die prozessuale und die international-vertragsrechtliche Anknüpfung überein.

7.278 Da eine speziell auf die Schiedsvereinbarung bezogene ausdrückliche Rechtswahl in der Praxis
nur sehr selten getroffen wird, ermittelt die bisher h.M. das Statut der Schiedsvereinbarung
i.d.R. mit Hilfe des stillschweigenden Parteiwillens. An eine solche konkludente Rechtswahl
sind indessen noch strengere Voraussetzungen zu stellen als im internationalen Vertragsrecht,
d.h. sie muss sich jedenfalls eindeutig aus der Schiedsvereinbarung oder aus den Umständen
des Falles ergeben (vgl. zu Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO Rz. 2.79). Denn die in § 1059 Abs. 2
Nr. 1 lit. a ZPO vorgeschriebene objektive Anknüpfung an das Recht des Schiedsorts soll die
Gerichte bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswahl von der schwierigen Suche nach dem
räumlichen Schwerpunkt einer Schiedsvereinbarung gerade entlasten und entspricht im Zwei-
fel auch den typischen Interessen der Parteien eines Schiedsverfahrens am besten4.

7.279 Der stillschweigende Parteiwille ging nach einer verbreiteten Auffassung dahin, dass Schieds-
vereinbarung und Hauptvertrag demselben Recht unterliegen sollten. Eine Erstreckung der
für die Hauptsache getroffenen Rechtswahl auf die Schiedsvereinbarung wurde jedenfalls
dann häufig angenommen, wenn die Rechtswahl global für den ganzen Vertrag als dessen
letzte Klausel vor oder nach der Schiedsklausel vereinbart worden war; sie folge dann aus der
räumlichen und zeitlichen Nähe von Hauptvertrag und Schiedsvereinbarung5.

1 OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73; Epping, S. 44 ff.; Moller, NZG
2000, 57 (60); Geimer, Rz. 3786; Lachmann, Rz. 268; ebenso zum früheren Recht Schlosser, Rz. 230,
249 ff.; Gildeggen, S. 160 ff.; Hochbaum, S. 28 f., 32.
2 Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234 (236); Geimer, Rz. 3787; Lachmann, Rz. 268 a.E.; Münch in
MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 35; zurückhaltender Voit in Musielak, § 1029 ZPO Rz. 28.
3 Epping, S. 57; Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (273); Geimer in Zöller, § 1029
ZPO Rz. 112.
4 Epping, S. 51, 54; Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (273); Geimer in Zöller, § 1029
ZPO Rz. 113; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 108 m.w.N.
5 Vgl. vor der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts von 1997: BGH v. 19.12.1968 – VII
ZR 83, 84/66, BGHZ 51, 255 (256) = NJW 1969, 750 = ZZP 82 (1969), 475 m. Anm. Kornblum;
BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/73, DB 1975, 63 = AP Nr. 7 zu § 38 ZPO (m. Anm. E. Lorenz);
OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (484 f.) m. Anm. Mezger; OLG Mün-
chen v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585 (586); OLG Düsseldorf v. 17.11.1995 – 17 U 103/
95, RIW 1996, 239; von Hülsen, S. 101; Sandrock, JZ 1986, 372 f.; Wagner, S. 371 f.; Haas, IPRax
1993, 382 (384). Ebenso noch nach 1997: OLG Thüringen v. 13.1.2011 – 1 Sch 01/08, YCA
XXXVII (2012) 220 (221 f.); OLG Düsseldorf v. 29.7.2005 – 23 U 9/05, IPRspr. 2005 Nr. 186; OLG
Hamburg v. 24.1.2003 – 11 Sch 06/01, SchiedsVZ 2003, 284 (287); OLG München v. 26.10.2000 –
U (K) 3208/00, SpuRT 2001, 56. Der XI. Zivilsenat des BGH gelangte für Schiedsklauseln in Ver-
braucherverträgen in st. Rspr. zum gleichen Ergebnis im Wege einer objektiven Anknüpfung, weil
die Schiedsvereinbarung mit dem Hauptvertrag regelmäßig die engste Verbindung i.S.v. Art. 28
EGBGB a.F. aufweise, vgl. BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 = WM 2010, 2025
(Rz. 30).

1108 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.281 § 7

BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (323) = NJW 1964, 591 = AWD 1964, 61.Verein-
barung eines Londoner Schiedsgerichts zwischen deutschem und englischem Unternehmen. Deut-
sches Recht u.a. deshalb zugrunde gelegt, weil der Parteiwille „nach allgemeinen Erfahrungsgrundsät-
zen regelmäßig dahin gerichtet ist, die Schiedsgerichtsvereinbarungen demselben Recht zu
unterstellen wie das zu regelnde materielle Rechtsverhältnis“.
Ein solcher Gleichlauf von Schieds- und Hauptvertragsstatut ist auch in der internationalen
Schiedspraxis wiederholt angenommen worden1.

Die Anknüpfung der Schiedsvereinbarung an das Statut des Hauptvertrages entspricht jedoch 7.280
häufig nicht den Interessen der Schiedsparteien. Austauschvertrag und Schiedsvereinbarung
verfolgen unterschiedliche Zwecke, stehen in keinem notwendigen Zusammenhang und kön-
nen deshalb durchaus unterschiedlichen Rechten unterliegen2. Die im Hauptvertrag enthalte-
ne Rechtswahlklausel kann daher keinesfalls automatisch auf die in den gleichen Vertrag auf-
genommene Schiedsklausel erstreckt werden3. Zwar kann aus einer übereinstimmenden
Rechtswahl sowohl für den Hauptvertrag wie für das Schiedsverfahren regelmäßig auf eine
stillschweigende Wahl des gleichen Rechts auch für die Schiedsvereinbarung geschlossen wer-
den4. Gleiches ist i.d.R. auch dann anzunehmen, wenn der Schiedsort in dem Land gewählt
wurde, dessen Recht für den Hauptvertrag bestimmt wurde5. Findet das Schiedsverfahren hin-
gegen nicht in dem Staat statt, dessen Recht auf den Hauptvertrag anwendbar sein soll, so
kann nicht davon gesprochen werden, dass sich die Rechtswahl für die Schiedsvereinbarung
„mit hinreichender Sicherheit“ aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umstän-
den des Falles ergibt6. Dagegen spricht vor allem, dass zwischen Schiedsvereinbarung und
Schiedsverfahren ein innerer Zusammenhang besteht, so dass es bei einem Auseinanderfallen
von Schiedsvereinbarungs- und Schiedsverfahrensstatut zu Störungen des inneren Entschei-
dungseinklangs kommen kann7, während ein Parteiinteresse am Gleichklang von Hauptver-
trags- und Schiedsvertragsstatut i.d.R. nicht besteht8.

Die wünschenswerte Harmonisierung von Schiedsvereinbarungs- und Schiedsverfahrensstatut 7.281


legt es vielmehr nahe, die Bestimmung des Schiedsorts durch die Parteien zugleich als still-
schweigende Wahl des dort geltenden Rechts für die Beurteilung der Schiedsvereinbarung zu

1 Vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 2626, Clunet 1992, 1030 (1032); Nr. 6379/1990, YCA XVII
(1992) 212 (215); Nr. 11869, YCA XXXVI (2011) 47 (53).
2 LG Hamburg v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 f. = YCA III (1978) 274. Anders freilich
Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (477 ff.), die für die Entwicklung einer eigenständigen Kolli-
sionsnorm für Schiedsvereinbarungen eintreten, derzufolge diese unselbständig an das Statut des
Hauptvertrages angeknüpft werden sollten.
3 Epping, S. 51 ff.; Gildeggen, S. 160 f.; Geimer, Rz. 3724, 3789; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 112;
Schlosser, Rz. 254.
4 OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (484 f.) m. Anm. Mezger; OLG Düssel-
dorf v. 17.11.1995 – 17 U 103/95, RIW 1996, 239.
5 OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264); OLG Hamburg v.
24.3.2003 – 11 Sch 06/01, YCA XXX (2005) 509 (516); ICC-Schiedsspruch Nr. 7722/1999, YCA
XXXII (2007) 13 (27 ff.).
6 Aud. Prov. Barcelona v. 29.4.2009, XXXV YCA (2010), 452 (453); Koussoulis, FS Schlosser (2005),
S. 415 (421); Epping, S. 56; Geimer, Rz. 3724 f., 3790; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 116, 118;
Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 35 f.; ähnlich schon früher Schlosser, Rz. 254; Berger,
S. 117; von Hoffmann, FS Glossner (1994), S. 142 (151); Thorn, IPRax 1997, 98 (103).
7 Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 108; vgl. dazu die Beispiele zum neuen deutschen
Schiedsverfahrensrecht bei Epping, S. 54 f.
8 Kronke, RIW 1998, 257 (258); Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 35.

Hausmann | 1109
§ 7 Rz. 7.281 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

werten1. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Parteien ein institutionelles Schiedsgericht ver-
einbart haben, dessen Schiedsordnung auf einem nationalen Verfahrensrecht aufbaut2, ent-
spricht aber auch sonst der heute international vorherrschenden Auffassung3.

7.282 Darüber hinaus erstreckt sich insbesondere eine ausdrückliche Wahl des auf das Schiedsver-
fahren anzuwendenden Rechts i.d.R. auch auf das Statut der Schiedsvereinbarung4.
Court of Appeal v. 16.5.2012 (Sulamérica Cia Nacional de Seguros S.A. v. Enesa Engenharia S.A.),
YCA XXXVII (2012), 464 ff.
Schiedsvereinbarung in einem Streit über Versicherungspolicen zwischen brasilianischen Parteien
nach englischem Recht beurteilt, weil die Parteien den Schiedsort London und die Geltung englischen
Schiedsverfahrensrechts vereinbart hätten. Die ausdrückliche Wahl brasilianischen Rechts in der
Hauptsache ändere daran nichts, denn deren Zweck sei „unrelated to that of dispute resolution“.

7.283 Eine schlüssige Rechtswahl kann sich weiterhin aus dem Verhalten der Parteien im Prozess
ergeben. In diesem Sinne haben deutsche Gerichte eine nachträgliche Wahl des inländischen
Rechts wiederholt darin gesehen, dass die Parteien einer Prüfung der Schiedsvereinbarung am
Maßstab des deutschen Schiedsverfahrensrechts durch das staatliche Gericht nicht widerspro-
chen hatten5. Indessen dürfte es regelmäßig an dem erforderlichen Erklärungsbewusstsein der
Parteien fehlen, wenn eine konkludente Rechtswahl allein aus dem Prozessverhalten entnom-
men wird. Denn der mangelnde Widerspruch einer oder beider Parteien gegen die Anwen-
dung deutschen Schiedsverfahrensrechts vor dem ausländischen Schiedsgericht oder dem
deutschen Einredegericht kann auch darauf beruhen, dass die kollisionsrechtliche Fragestel-
lung überhaupt nicht erkannt wurde. Darüber hinaus gefährdet die großzügige Annahme ei-
ner konkludenten Rechtswahl durch Prozessverhalten den internationalen Entscheidungsein-

1 BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, MDR 1998, 976 = NJW 1998, 2452; OLG Frankfurt a.M. v.
10.5.2012 – 26 Sch 111/10, SchiedsVZ 2013, 119 (122); Gildeggen, S. 160 f.; Thorn, IPRax 1997, 98
(103); Koussoulis, FS Schlosser (2005), S. 415 (425); Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011,
267 (273 f.); König, SchiedsVZ 2012, 129 (132 f.); Geimer, Rz. 3788 f.; Lachmann, Rz. 269 f.;
Schlosser in Stein/Jonas Rz. 108; Voit in Musielak/Voit, Rz. 28; Münch in MünchKomm ZPO,
Rz. 36, jeweils zu § 1029 ZPO; Epping, S. 54 ff. m.w.N. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn
erst das Schiedsgericht den Schiedsort bzw. das anwendbare Verfahrensrecht bestimmt, vgl. Schlos-
ser, Rz. 251; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 117. Vgl. auch Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 22, der
alternativ auf das Recht am Ort des Schiedsverfahrens und das Recht, mit dem der Fall am engsten
verbunden ist, abstellt.
2 Vgl. OLG Hamburg v 11.9.1992 – 11 U 106/92, RIW 1992, 938 zur Wahl des Schiedsgerichts des
Warenvereins der Hamburger Börse e.V. Ebenso die Praxis der ICC-Schiedsgerichte, vgl. etwa den
Schiedsspruch Nr. 4131 v. 1982, YCA IX (1984), 131 (133).
3 Vgl. ausführlich dazu das Urteil des schwed. Högsta Domstolen v. 27.10.2000; dazu Nacimiento,
BB 2001, Beil. 6, S. 7 (9).
4 Ebenso schon High Court (Q.B.Div.) v. 28.7.1999 (XL Insurance Ltd. v. Owens Corning), YCA
XXI (2001), 869 (878 ff.); Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 108; Geimer in Zöller, § 1029
ZPO Rz. 118; Geimer, IPRax 2006, 233 (234); Lachmann, Rz. 269; Voit in Musielak/Voit, § 1029
ZPO Rz. 28; a.A. Elsing, FS von Westphalen (2010), S. 109 (118): Anwendung der deutschen lex
fori. Krit. Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (478 f.), die das Vorliegen eines entsprechenden
realen Parteiwillens bezweifeln, wenn die Wahl des Schiedsverfahrensstatus bzw. des Schiedsorts
nicht durch weitere Kriterien verstärkt werde.
5 Vgl. BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (324); BGH v. 28.5.1968 – VII ZR 80/67,
BGHZ 50, 191 (193) = NJW 1968, 1928; OLG München v. 26.10.2000 – U (K) 3208/00, SpuRT
2001, 56 (64).

1110 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.286 § 7

klang1. Anders liegt es freilich dann, wenn das Gericht die Parteien ausdrücklich auf diese
Konsequenz ihres Prozessverhaltens hingewiesen hatte2.

Bis zur Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts von 1997 wurde die Parteiautonomie 7.284
für Schiedsvereinbarungen in Verbraucherverträgen überwiegend in entsprechender Anwen-
dung von Art. 29 Abs. 1 EGBGB a.F. durch das zwingende Recht im Aufenthaltsstaat des Ver-
brauchers eingeschränkt3. Demgemäß wurde etwa § 1027 Abs. 1 ZPO a.F. als verbraucher-
schützende Formvorschrift unter Berufung auf Art. 29 Abs. 1 EGBGB gegen das ausländische
Statut der Schiedsvereinbarung durchgesetzt4. Vor allem aber wurden Schiedsvereinbarungen
mit inländischen Verbrauchern trotz Vereinbarung ausländischen Rechts der Einbeziehungs-
und Inhaltskontrolle nach Maßgabe des deutschen AGB-Gesetzes unterworfen5.

Da § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO der Parteiautonomie uneingeschränkt Raum gibt, ist der Weg 7.285
zu einer Einbeziehungs- oder Inhaltskontrolle von in AGB enthaltenen Schiedsvereinbarungen
am Maßstab der §§ 305 ff. BGB im Fall der Vereinbarung ausländischen Rechts als Schiedsver-
einbarungsstatut versperrt. Dem Schutz von Verbrauchern wird stattdessen bei Vereinbarung
eines inländischen Schiedsortes durch die verschärften Formerfordernisse in § 1031 Abs. 5
ZPO Rechnung getragen, die durch Rechtswahl nicht abdingbar sind (dazu Rz. 7.358).

Bei Vereinbarung eines ausländischen Schiedsorts wird dieser Schutz durch eine Inhaltskon- 7.286
trolle der Schiedsklausel nach dem auf ihr Zustandekommen anwendbaren ausländischen Recht
(dazu Rz. 7.309 f.), durch die Sonderanknüpfung der subjektiven Schiedsfähigkeit (dazu
Rz. 7.404 f.) und die Beachtung sonstiger durch die in- oder ausländische lex fori gezogener pro-
zessualer Schranken (dazu Rz. 7.364 ff., Rz. 7.400 ff.) sowie letztlich durch einen Rückgriff auf
die Vorbehaltsklausel analog Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ bzw. § 1059 Abs. 1 lit. b ZPO (dazu
Rz. 7.389, Rz. 7.409 ff.) gewährleistet. Hingegen scheidet eine entsprechende Anwendung von
Art. 6 Rom I-VO auf die in einem Verbrauchervertrag enthaltene Schiedsklausel zum Schutz
inländischer Verbraucher bei Vereinbarung eines ausländischen Schiedsorts aus, weil einerseits
das insoweit zumeist anwendbare UNÜ (Art. V Abs. 1 lit. a Alt. 1 UNÜ analog; dazu Rz. 7.263)
diese Möglichkeit nicht eröffnet, andererseits die Kollisionsregeln der Rom I-VO auf Schiedsver-
einbarungen gem. Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO keine Anwendung finden (vgl. auch Rz. 7.365)6.

1 Epping, S. 51 f.; von Hülsen, S. 102 f.; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 36; vgl. dazu allg.
Rz. 2.100 ff.m.w.N.
2 So im Fall des OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (42).
3 Vgl. Gildeggen, S. 165.
4 BGH v. 10.2.1998 – XI ZR 305/96, IPRspr. 1998 Nr. 209A. Vgl. zur Kritik Rz. 7.364 ff.
5 OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, WM 1995, 1349 (1350) = RIW 1995, 769 = IPRax
1997, 115 (m. Anm. Thorn, IPRax 1997, 98) = EWiR 1996, 939 (LS) m. Anm. Geimer; OLG Düs-
seldorf v. 8.3.1996 – 17 U 179/95, RIW 1996, 681 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1996, 1001) = IPRax
1997, 118 (m. Anm. Thorn, IPRax 1997, 98) = ZEuP 1998, 981 m. Anm. Reich (Schiedsverein-
barung „London“ in Vertrag zwischen deutschem Anleger und engl. Brokerunternehmen trotz
der vereinbarten Wahl engl. Rechts nach Art. 29 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 3 AGBG [= § 305c Abs. 1
BGB] als „überraschend“ gewertet, weil der Anleger vom Telefonverkäufer einer deutschen Ver-
mittlungsgesellschaft geworben worden war).
6 Vgl. i.d.S. auch Epping, S. 46; Geimer, Rz. 3786. Anders der XI. Zivilsenat des BGH, der jedenfalls
Art. 29 EGBGB a.F. zum Schutz deutscher Anleger wiederholt analog auf Schiedsklauseln in Bro-
kerverträgen mit US-amerikanischen Geschäftspartnern angewandt hat, vgl. grundlegend BGH v.
8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 32) = WM 2010, 2025 = IPRax 2011, 499 (m. Anm.
Samtleben, IPRax 2011, 469) = SchiedsVZ 2011, 46, seither st.Rspr.; zust. Münch in MünchKomm
ZPO, § 1029 Rz. 34 a.E.

Hausmann | 1111
§ 7 Rz. 7.287 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(2) Objektive Anküpfung


7.287 In Ermangelung einer Rechtswahl der Parteien wurden Schiedsvereinbarungen schon früher
zumeist dem Recht am vereinbarten Schiedsort unterworfen. Dieser Anknüpfung wurde vor
allem wegen der engen Verknüpfung von Schiedsvereinbarung und Schiedsverfahren der Vor-
zug vor dem Gleichlauf zwischen Schiedsvertrags- und Hauptvertragsstatut gegeben1. Dies
galt jedenfalls dann, wenn die Schiedsvereinbarung zeitlich nach dem Hauptvertrag abge-
schlossen worden war und Vorschriften über das Verfahren und die Bildung des Schieds-
gerichts enthielt oder wenn sie für eine Vielzahl von Verträgen gelten sollte, die unterschiedli-
chen Rechten unterlagen. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO erklärt nunmehr für das Aufhebungs-
verfahren ausdrücklich das deutsche Recht für maßgeblich; dies ist im Hinblick auf den für
das neue Schiedsverfahrensrecht geltenden Territorialitätsgrundsatz (§ 1025 Abs. 1 ZPO) kon-
sequent. In entsprechender Anwendung von § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO ist über die Gültig-
keit einer Schiedsvereinbarung aber auch schon im Einredeverfahren vor deutschen Gerich-
ten nach deutschem Recht zu befinden, wenn die Parteien einen Schiedsort im Inland be-
stimmt haben2.

7.288 Wird die Schiedseinrede hingegen auf die Vereinbarung eines Schiedsgerichts gestützt, das an
einem ausländischen Schiedsort zusammentreten soll, so findet das autonome Kollisions-
recht im Regelfall keine Anwendung. Es gilt dann vielmehr vorrangig Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ
analog, der auf das Sachrecht am vereinbarten Schiedsort verweist (dazu Rz. 7.263 ff.)3. Soweit
es – etwa im Rahmen der Meistbegünstigungsregel (Art. VII Abs. 1 HS. 2 UNÜ) – trotz aus-
ländischen Schiedsorts im Einredeverfahren vor deutschen Gerichten noch auf nationales Kol-
lisionsrecht ankommen sollte, verdient – wie dargelegt – die entsprechende Anwendung von
§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO auch insoweit den Vorzug vor einer Anwendung des interna-
tionalen Vertragsrechts4.

7.289 Steht zur Zeit der Beurteilung der Schiedsvereinbarung der Schiedsort noch nicht fest, so ist
die in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO bestehende Regelungslücke bei Fehlen einer Rechtswahl

1 Vgl. BGH v. 7.1.1971 – VII ZR 160, 69, BGHZ 55, 162 (164) = NJW 1971, 986 = AWD 1971, 235
m. Anm. Pfaff; OLG Hamburg v. 21.5.1981 – 6 U 196/80, VersR 1982, 894 (m. Anm. Riehmer,
VersR 1983, 31 und Rabe, VersR 1983, 335); Gildeggen, S. 171 f.
2 Epping, S. 46; Lachmann, Rz. 269 a.E.; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 37; Geimer in
Zöller, § 1029 ZPO Rz. 17a; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 28; in diesem Sinne auch BGH
v. 8.11.2018 – I ZB 24/18, SchiedsVZ 2019, 355 (Rz. 12) = IPRax 2020, 238 (m. Anm. Schlosser,
IPRax 2020, 222); OLG Saarbrücken v. 23.11.2017 – 4 U 44/16, ZInsO 2018, 1041; OLG Düssel-
dorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73; OLG München v. 16.8.2017 – 34 Sch 14/
16, IHR 2018, 12 und v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (Rz. 37) = IPRax 2016,
66 (m. Anm. M. Weller, IPRax 2016, 48); Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (275).
3 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 50 f.) = RIW 2021, 233; König,
SchiedsVZ 2012, 129 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 108. Demegegenüber wandte
der BGH bis 2016 auf Schiedsvereinbarungen auch unter Geltung des UNÜ die Kollisionsregeln
des deutschen internationalen Vertragsrechts weiter an, vgl. zur Anwendung von Art. 28 EGBGB/
Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO noch BGH v. 7.6.2016 – KZR 6/1, NJW 2016, 2266 (Rz. 68) = SchiedsVZ
2016, 218 – „Pechstein“; zur Anwendung von Art. 29 Abs. 2 EGBGB a.F. (jetzt: Art. 6 Abs. 1
Rom I-VO) analog auf Schiedsvereinbarungen deutscher Anleger mit New Yorker Brokerhäusern
Rz. 7.267 f. und Rz. 7.364 ff. m. Nachw.
4 Epping, S. 46; Geimer, IPRax 2006, 233 (234); Elsing, FS von Westphalen (2010), S. 109 (112 ff.,
116); Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (273); König, SchiedsVZ 2012, 129 (132);
Münch in MünchKomm-ZPO, § 1029 Rz. 32; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 28.

1112 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.290 § 7

ausnahmsweise in Anlehnung an die Rom I-VO zu schließen1. Entsprechend Art. 4 Abs. 4


Rom I-VO kommt in diesem Fall vornehmlich eine akzessorische Anknüpfung an das auf den
Hauptvertrag anzuwendende Recht in Betracht2. Insoweit besteht dann auch die Möglichkeit,
die Schiedsklausel in einem Verbrauchervertrag in entsprechender Anwendung von Art. 6
Abs. 1 Rom I-VO dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers zu unterwerfen3.
Diese Anknüpfung gilt allerdings nur vorläufig bis zur Bestimmung des Schiedsorts4.

ee) Verfahren vor dem Schiedsgericht


Ein internationales Schiedsgericht ist nach verbreiteter Auffassung5, die auch in Deutschland 7.290
früher vorherrschte (vgl. dazu Rz. 7.438 ff.), nicht an die Kollisionsnormen seines Sitzrechts
gebunden, weil es – anders als für ein staatliches Gericht – an einer vorgegebenen lex fori feh-
le, als deren Bestandteil die Kollisionsnormen anzuwenden wären. Aus diesem Grunde haben
internationale Schiedsgerichte die Gültigkeit einer Schiedsklausel bisweilen ohne jede Bezug-
nahme auf ein nationales Recht bejaht6. An dieser Ansicht kann aus deutscher Sicht seit der
Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts nur noch für im Ausland tagende Schieds-
gerichte festgehalten werden. Vorbehaltlich etwaiger Einschränkungen durch die ausländische
lex fori kommt dem Schiedsgericht dann bei der Festlegung der maßgeblichen Anknüpfungs-
kriterien ein Ermessensspielraum zu7. Dies gilt auch für die Bestimmung des Statuts der
Schiedsvereinbarung. Haben die Parteien für ihre Schiedsvereinbarung eine ausdrückliche
Rechtswahl getroffen, so wird ein Schiedsgericht diese honorieren. Beim regelmäßigen Fehlen
einer solchen Rechtswahl legen internationale Schiedsgerichte zu Recht idR das am vereinbar-
ten Schiedsort maßgebende Recht zugrunde,8 auch wenn dieses von dem als Statut des Haupt-
vertrages gewählten Recht abweicht9.

1 Anders Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (275), der die Schiedsklausel bis zur Bestimmung des
Schiedsorts für schwebend unwirksam hält.
2 OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73 (Rz. 36); Epping, S. 46 f.;
Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (274); Geimer, Rz. 3791; Münch in MünchKomm
ZPO, § 1029 Rz. 37 f.; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 28; ebenso schon früher Gildeggen,
S. 172; a.A. Stürner/Wendelstein, IPRax 2014, 473 (479).
3 So auch BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, WM 2010, 2025 (Rz. 32) = IPRax 2011, 499 (m. Anm.
Samtleben, IPRax 2011, 469); a.A. (lex fori des staatlichen Einredegerichts) König, SchiedsVZ
2012, 129 (132 f.).
4 Geimer, Rz. 3789.
5 Vgl. in Bezug auf das in der Hauptsache anzuwendende Recht in England s. 46 (3) Arbitration
Act 1996; in Frankreich Art. 1496 NCPC; in Italien Art. 834 Abs. 1 S. 2 C.pr.c.; dazu Blessing, J.Int.
Arb. 14 (1997) Nr. 1, S. 39 (52 ff.); Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (533 f.).
6 Vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 4131/1982; Nr. 4381/1986.
7 Sandrock, RIW 1992, 785 (789 f.); Schlosser, RIW 1994, 723 (727), jeweils m.w.N.
8 In diesem Sinne unter Anwendung von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ ICC-Zwischenschiedsspruch
Nr. 14617, YCA XXXVIII (2013), 111, (120 f.); ferner ICC-Schiedsspruch Nr. 14792, YCA XXXVII
(2012), 110 (113 f.). Teilweise wird die Geltung der lex loci arbitri freilich auch auf die prozessuale
Zulässigkeit der Schiedsvereinbarung (Schiedsfähigkeit, Bestimmtheit, Form) beschränkt, während
deren materielles Zustandekommen akzessorisch an das Recht des Hauptvertrages angeknüpft
wird, vgl. i.d.S. ICC-Schiedsspruch Nr. 140446, YCA XXXV (2010), 241 (246 f.).
9 ICC-Schiedsspruch Nr. 16015, YCA XXXVIII (2013), 174 (182 f.).

Hausmann | 1113
§ 7 Rz. 7.291 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.291 Liegt der Schiedsort im Inland, so hat hingegen heute auch ein Schiedsgericht auf Grund des
Territorialitätsprinzips (§ 1025 Abs. 1 ZPO) die Vorgaben des deutschen Schiedsverfahrens-
rechts auf dem Gebiet des Kollisionsrechts zu respektieren. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des
auf die Hauptsache anzuwendenden Rechts (§ 1051 ZPO; dazu näher Rz. 7.447 ff.), sondern
auch im Rahmen der Bestimmung des Statuts der Schiedsvereinbarung. Einem in Deutsch-
land tagenden Schiedsgericht ist daher dringend zu empfehlen, sich insoweit bereits bei der
Entscheidung über seine Zuständigkeit an der in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO enthaltenen
Kollisionsregel zu orientieren, um der Gefahr einer späteren Aufhebung des Schiedsspruchs
zu begegnen1.

2. Reichweite des Statuts der Schiedsvereinbarung


a) UN-Übereinkommen
aa) Zustandekommen und materielle Wirksamkeit
7.292 Das gem. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ bestimmte Statut der Schiedsvereinbarung entscheidet im
Anwendungsbereich dieses Übereinkommens insbesondere über deren Zustandekommen und
deren materielle Wirksamkeit, soweit sich hierzu aus dem vereinheitlichten Sachrecht (Art. II
Abs. 2 und 3; dazu Rz. 7.318 ff.) keine Maßstäbe gewinnen lassen: Dies trifft etwa auf das Vor-
liegen von Willensmängeln sowie auf Fragen des Zugangs der auf den Abschluss der Schieds-
vereinbarung gerichteten Willenserklärungen zu2. Allerdings indiziert die Einhaltung der
strengen Formerfordernisse des Art. II Abs. 2 UNÜ i.d.R. die wirksame Einigung über die
Schiedsvereinbarung, so dass der Einwand mangelnder Willensübereinstimmung trotz Form-
gültigkeit der Schiedsvereinbarung nur schwer zu führen sein dürfte3. Gesondert nach natio-
nalem IPR wird hingegen auch im Rahmen des UNÜ die wirksame Bevollmächtigung zum
Abschluss einer Schiedsvereinbarung angeknüpft4.

7.293 Demgegenüber folgt aus dem Normzweck des Art. II Abs. 2 UNÜ, eine tatsächliche Einigung
der Parteien über die Schiedsvereinbarung sicherzustellen und die Parteien vor einem unüber-
legten Abschluss von Schiedsvereinbarungen zu bewahren (vgl. Rz. 7.318), dass das von Art. V
Abs. 1 lit. a UNÜ für maßgeblich erklärte nationale Recht zurückzutreten hat, soweit seine
Vorschriften den gleichen Zweck verfolgen. Dies gilt nicht nur für Formvorschriften ieS (dazu
Rz. 7.319 ff.), sondern auch für jegliche Art der Abschlusskontrolle von Schiedsvereinbarun-
gen in AGB (z.B. nach § 305 Abs. 2, § 305c Abs. 1 BGB); insoweit ist – vorbehaltlich des
Grundsatzes der Meistbegünstigung nach Art. VII UNÜ (dazu Rz. 7.321 ff.) – allein Art. II

1 So auch die Gesetzesbegründung zu § 1040 ZPO, vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 43; Ostendorf,
SchiedsVZ 2010, 234 (236); Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 32.
2 van den Berg, S. 290 ff.; Bertheau, S. 86; Berger, S. 129; Samuel, S. 299 (300); Schlosser in Stein/
Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 72; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 64; zust. KG v. 7.3.1995, OLGR
1996, 65 (70); öOGH v. 19.2.2004 m. zust. Anm. Schumacher, SchiedsVZ 2005, 54.
3 Vgl. zur Behauptung, die Schiedsvereinbarung sei nur zum Schein geschlossen worden, OLG
München v. 11.7.2011 – 34 Sch 15/10, SchiedsVZ 2011, 337; BezG Affoltern v. 26.5.1994, SJZ
1997, 223 = YCA XXIII (1998), 754 (757 f.); ferner van den Berg, S. 287 f.; Haas in Weigand, Art. II
UNÜ Rz. 64.
4 OLG Celle v. 4.9.2003 – 8 Sch 11/02, IDR 2004, 35 (m. Aufs. Wegen/Nilske, IDR 2004, 77) =
SchiedsVZ 2004, 165.

1114 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.294 § 7

Abs. 2 UNÜ maßgebend1. Auch auf die Frage, ob die AGB nach dem Statut des Hauptvertra-
ges überhaupt wirksam in diesen einbezogen worden sind, kommt es insoweit nicht an, weil
die Wirksamkeit der Schiedsklausel unabhängig vom Schicksal des Hauptvertrages ist2. Hin-
gegen bleiben Vorschriften des autonomen Rechts, die – wie z.B. § 138 BGB – die Ausübung
unzulässigen Zwangs zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung oder ein Übergewicht einer
Partei bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts verbieten, neben Art. II Abs. 2 UNÜ an-
wendbar (dazu näher Rz. 7.411)3. Gleiches gilt für solche Vorschriften des nationalen Rechts,
die – wie § 307 BGB – eine Inhaltskontrolle von formularmäßigen Schiedsklauseln unter
dem Gesichtspunkt einer unangemessenen Benachteiligung einer Partei zulassen4.

Das Statut der Schiedsvereinbarung entscheidet auch darüber, welchen Einfluss die Unwirk- 7.294
samkeit des Hauptvertrages auf eine darin enthaltene Schiedsklausel hat5. Diesbezüglich hat
sich heute in den Mitgliedstaaten des UNÜ der Grundsatz der „separability of the arbitration
agreement“ bzw. der „autonomie de la clause compromissoire“ weitgehend durchgesetzt. Die
Nichtigkeit des Hauptvertrages ergreift also die in ihm enthaltene Schiedsklausel grundsätz-
lich nicht6. Eine Ausnahme gilt insbesondere dann, wenn Hauptvertrag und Schiedsverein-
barung vom gleichen (Willens-)Mangel betroffen sind7. In gleicher Weise ist auch die Frage,

1 Gildeggen, S. 140 ff.; Epping, S. 140 f.; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. II UNÜ Rz. 17.
2 In diesem Sinne hat auch der BGH zuletzt betont, dass die nach dem Statut des Hauptvertrags zu
beantwortende Frage, ob der materielle Teil eines AGB-Klauselwerks in diesen Vertrag einbezogen
wurde, strikt von der Frage zu trennen sei, ob auch die in den AGB enthaltene Schiedsklausel
wirksam vereinbart wurde, vgl. BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 60) =
RIW 2021, 233; ebenso Epping, S. 136; a.A. HandelsG Zürich v. 25.8.1992, ZEuP 1994, 682 (683)
m. insoweit zust. Anm. Schlosser.
3 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 74; Gildeggen, S. 140 ff.; Haas in Weigand, Art. II
UNÜ Rz. 71.
4 Eichel, IPRax 2010, 219 (221); van den Berg, S. 288; Gildeggen, S. 142; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9
a.E.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 73; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 66.
5 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 77.
6 Vgl. im deutschen Recht – in Anlehnung an Art. 16 Abs. 1 S. 2, 3 ModG – § 1040 Abs. 1 S. 2
ZPO; dazu Rz. 7.311 f.; ferner in Belgien Art. 1697 Abs. 2 C.J.; in England s. 7 Arb. Act 1986; in
Italien Art. 808 Abs. 4 C.pr.c.; in der Schweiz Art. 178 Abs. 3 IPRG. Ebenso Art. 6 Abs. 9 ICC-
SchiedsO 2012; dazu ICC-Zwischenschiedsspruch Nr. 14617, YCA XXXVIII (2013), 111, (121 f.).
Aus der Gerichtspraxis der Vertragsstaaten vgl. in England: House of Lords v. 17.10.2007 (Fiona
Trust & Holding Corp. v. Privalov), YCA XXXII (2007), 654 (671 ff.); Court of Appeal v. 28.1.1993
(Harbour Assurance Co. v. Kansa General Int’l Insurance Co.Ltd. u.a.), 3 W.L.R. 42 = YCA XX
(1995), 771 (773 ff.); in Frankreich: Cass. civ. v. 6.12.1988, Rev.arb. 1989, 641 m. Anm. Goldman;
Cass. civ. v. 20.12.1993, Clunet 1994, 432 (m. Anm. Gaillard und Loquin, Clunet 1994, 692) = Rev.
arb. 1994, 120 m. Anm. Gaudemet-Tallon; Cass. civ. v. 28.5.2002, Rev.crit.d.i.p. 2002, 758 m. Anm.
Coipel-Cordonnier; in Indien: Supreme Court v. 16.8.1984 (Renusagar Power Co. Ltd. v. General
Electric Co.), YCA X (1985), 431 (434); in Italien: Cass. v. 12.5.1977, YCA IV (1979), 286 (288)
und v. 28.10.1993, YCA XX (1995), 739 (741); App. Bologna v. 21.12.1991, YCA XVIII (1993), 422
(425); in den USA: BHP Petroleum Inc. v. Baer (S.D. Tex. 1997), YCA XXIII (1998), 949 (953);
Belship Navigation, Inc. v. Sealift, Inc. (S.D.N.Y. 1995) YCA XXI (1996), 799 (805 ff.); Samuel, J.
Int.Arb. 5 (1988) Nr. 3, 9 (12 ff.) mwN. Vgl. auch Art 6 Abs 4 der ICC-Schiedsordnung 2021.
7 Schütze, IPRax 1999, 87 (89); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 73; vgl. etwa Sandvik A.B. v.
Advent Int’l Corp. (3rd Cir. 2000), 220 F. 3d 99 = YCA XXVI (2001), 961 (971 f.) (mangelnde Ver-
tretungsmacht). Zu weiteren Einschränkungen näher Schlosser in Stein/Jonas, § 1040 ZPO Rz. 5 ff.
m.w.N.

Hausmann | 1115
§ 7 Rz. 7.294 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ob die Unwirksamkeit von Teilen einer Schiedsklausel zu ihrer Gesamtnichtigkeit führt,


nach dem von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ bestimmten Schiedsvertragsstatut zu beantworten1.
Eine Sonderanknüpfung vorkonsensualer Elemente – wie sie für Schuldverträge in Art. 10
Abs. 2 Rom I-VO vorgesehen ist (dazu Rz. 3.7 ff.) – findet hingegen im Rahmen der Beurtei-
lung des Zustandekommens einer Schiedsvereinbarung nach Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ nicht
statt, weil die staatsvertragliche Regelung insoweit abschließend ist2.

bb) Auslegung und objektive Reichweite


7.295 Ob die Parteien „hinsichtlich des Streitgegenstands“, der vor einem staatlichen Gericht anhän-
gig gemacht wird, i.S.v. Art. II Abs. 3 UNÜ eine Schiedsvereinbarung getroffen haben, ob also
mit anderen Worten der geltendgemachte Streitpunkt noch von der Schiedsvereinbarung ge-
deckt wird, ist im Wege der Auslegung der Schiedsvereinbarung zu ermitteln. Über die inso-
weit maßgeblichen Auslegungsgrundsätze entscheidet nicht die lex fori des angerufenen staat-
lichen Gerichts3, sondern das Statut der Schiedsvereinbarung4. Das von Art. V Abs. 1 lit. a
UNÜ zur Anwendung berufene nationale Recht bestimmt daher darüber, ob die Vereinbarung
dem Schiedsgericht nach der von den Parteien gewählten Formulierung nur die Kompetenz
für einzelne abgegrenzte Fragen oder die umfassende Zuständigkeit zur Entscheidung aller
Streitpunkte einräumt. Insoweit hat sich inzwischen der allgemeine Grundsatz durchgesetzt,
dass Schiedsvereinbarungen im Zweifel weit auszulegen sind5. Insbesondere die US-ame-
rikanische Rechtsprechung geht auf dem Gebiet des internationalen Handelsverkehrs von ei-
ner „strong federal policy in favor of arbitration“ aus6, derzufolge eine Streitigkeit im Zweifel
von der Schiedsvereinbarung erfasst wird.

1 App. Paris v. 12.12.1990, Rev.arb. 1990, 863; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 75.
2 Gildeggen, S. 134 f.; Epping, S. 161; a.A. Holl, IPRax 1997, 103 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu
§ 1061 ZPO Rz. 72; wohl auch Thorn, IPRax 1997, 98 (103 f.), der allerdings zwischen der An-
knüpfung des Zustandekommens von Schiedsvereinbarungen nach dem UNÜ und nach auto-
nomem Recht nicht unterscheidet.
3 So aber die überwiegende US-amerikanische Gerichtspraxis, vgl. Becker Autoradio U.S.A., Inc. v.
Becker Autoradiowerk GmbH (3rd Cir. 1978), 585 F. 2d 39 = YCA V (1980), 272 (273); Genesco,
Inc. v. Kakiuchi & Co. Ltd. (2nd Cir. 1987), YCA XIII (1988), 567 (573); Tennessee Imports, Inc. v.
Filippi (M.D. Tenn. 1990), YCA XVII (1992), 620 (630 ff.).
4 Schlosser, Rz. 420; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 76; Bertheau, S. 36; zust. OLG München v.
7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585 = IPRspr.1989 Nr. 240; ital. Cass. v. 21.11.1983, YCA X
(1985), 478 (479); Supreme Court India v. 7.5.1992 (National Thermal Power Corp. v. Singer Co.),
YCA XVIII (1993), 403 (406); schwz. BG v. 21.3.1995, YCA XXII (1997), 800 (804 ff.).
5 Vgl. wegweisend House of Lords v. 17.10.2007 (Fiona Trust & Holding Corp. v. Privalov), YCA
XXXII (2007), 654 (672 ff.), das von einer „presumption in favour of one-stop arbitration“ ausgeht;
zust. Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 35 und Anh. § 1061 ZPO Rz. 80; vgl. auch OLG
Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574. Eine restriktivere Haltung nimmt z.B. das
russische Recht ein, vgl. Kurzynski-Singer, SchiedsVZ 2014, 178.
6 Vgl. Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler-Plymouth Inc. (S. Ct. 1985), 473 U.S. 614 (631) =
YCA XI (1986), 555 (557 ff.); Becker Autoradio USA, Inc. v. Becker Autoradiowerk GmbH (3rd
Cir. 1978), YCA V (1980), 272 (273); Permargo v. Sedco, Inc. (5th Cir. 1985), 767 F. 2d 1140 = YCA
XII (1987), 539 (542); David L. Threlkeld & Co., Inc. v. Metallgesellschaft Ltd. (2nd Cir. 1991) 923
F. 2d, 245 (248) = YCA XVII (1992), 672; Chelsea Square Textiles, Inc. v. Bombay Dyeing and
Manufacturing Co. Ltd. (2nd Cir. 1999), 189 F. 3d 289 (294) = YCA XXV (2000), 1035.

1116 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.298 § 7

Hingegen lässt sich eine restriktiv Auslegung von internationalen Schiedsvereinbarungen 7.296
nicht mit dem Argument rechtfertigen, sie versperre dem Beklagten den Zugang zum staatli-
chen Richter1; eine solche Betrachtungsweise widerspräche dem Ziel des Übereinkommens
und der ihm zugrunde liegenden Vorstellung der Gleichwertigkeit von staatlicher Gerichtsbar-
keit und Schiedsgerichtsbarkeit. Ausgangspunkt für die Auslegung muss stets der Wortlaut
der konkreten Schiedsvereinbarung sein. Dabei kann insbesondere zwischen sog. „engen“
Schiedsklauseln, die nur „Ansprüche aus dem Vertrag“ („disputes arising out of the contract“)
betreffen, und „weiten“ Schiedsklauseln, die solche Ansprüche erfassen, die lediglich „im Zu-
sammenhang mit dem Vertrag“ („disputes relating to the contract or arising in connection
with the contract“) stehen, unterschieden werden2.

Zumindest „weite“ Schiedsklauseln beziehen sich – im Hinblick auf den Grundsatz der Auto- 7.297
nomie der Schiedsklausel (vgl. Rz. 7.208) – auch auf Streitigkeiten über die Wirksamkeit des
Hauptvertrages, in dem die Schiedsklausel selbst enthalten ist3. Scheitert der Abschluss des
Hauptvertrages oder ist der geschlossene Hauptvertrag nichtig, so umfasst eine „weite“ Ge-
richtsstandsklausel auch etwaige Ansprüche aus culpa in contrahendo4. Darüber hinaus gilt
eine „weite“ Schiedsklausel auch für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, die in
Zusammenhang mit dem geschlossenen Vertrag stehen5.

Die Tendenz der Rechtsprechung in den Vertragsstaaten geht dahin, zumindest „weite“ 7.298
Schiedsklauseln auch auf gesetzliche Ansprüche zu erstrecken, die im Zusammenhang mit der
Vertragsdurchführung entstanden sind. Dies gilt insbesondere für Ansprüche aus unerlaubter
Handlung, soweit diese mit Vertragsansprüchen konkurrieren oder einen sonstigen engen

1 Vgl. i.d.S. vor allem die ital. Rspr.: Cass. S.U. v. 28.7.1998, Nr. 7398, Foro it. Rep. 1998 v. „Arbitra-
to“ Nr. 68; Cass. S.U. v. 10.5.2000, Nr. 58, Foro it. 2000 I, 2226 = YCA XXVI (2001), 816 (820 f.).
2 Vgl. dazu Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 77 m. Nachw.
3 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 77; vgl. dazu die Nachw. Rz. 7.294; a.A. aber etwa Supreme
Court India v. 16.8.1984 (Renusagar Power Co. Ltd. v. General Electric Co., YCA X (1985), 431
(433 ff.); Bombay High Court v. 19.11.1999 (Faircot S. A. v. Tata SSI Ltd.), YCA XXVII (2002),
455 (457 ff.).
4 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 82. Vgl. Alamria v. Telcor (D. Md. 1996), YCA
XXII (1997), 967 (974 f.); Prograph Int’l Inc. v. Barhyrdt (N.D. Cal. 1996), YCA XXIII (1998), 901
(905) („claim of fraudulent inducement to enter into a contract“); Capital Trust Investment Ltd. v.
Radio Design AB (C.A. 2002), YCA XXVII (2002), 557 (562 ff.) („claim of fraudulent and/or neg-
ligent precontractual misrepresentation“); ICC-Schiedsspruch Nr. 12502, YCA XXXIV (2009), 130
(157 f.). Vgl. aber ODC Exhibit Systems Ltd. v. Expand International AB (S. Ct. Brit. Col. 1988),
YCA XVI (1991), 530 (534) (Die in einem „Conciliation Agreement“ enthaltene Schiedsklausel er-
streckt sich nicht auf Ansprüche, die eine Partei darauf stützt, dass sie durch arglistiges Verhalten
der anderen Partei zum Abschluss dieses „Conciliation Agreement“ bestimmt worden sei.).
5 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 78; dazu Genesco Inc. v. Kakiuchi & Co. Ltd. (2nd Cir. 1987),
815 F. 2d 840 = YCA XIII (1988), 567 (574 f.) (weite Schiedsklausel [„all claims and disputes of
whatever nature arising under this contract“] in Kaufvertrag über Textilien auf Schadensersatz-
ansprüche wegen Betrugs und unlauteren Wettbewerbs sowie auf Bereicherungsansprüche, nicht
aber auf deliktische Ansprüche wegen Bestechung von Angestellten der amerikanischen Schieds-
klägerin durch die japan. Schiedsbeklagte erstreckt); Court of Appeal Bermuda v. 7.7.1989 (Sojuz-
neftexport v. Joc Oil Ltd.), YCA XV (1990), 384 (421 ff.) (weite Schiedsklausel in einem Ölliefe-
rungsvertrag berechtigt das Schiedsgericht, anstelle der geltend gemachten Kaufpreisansprüche
einen Bereicherungsausgleich zuzusprechen, wenn es den Vertrag für nichtig erachtet).

Hausmann | 1117
§ 7 Rz. 7.298 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Bezug zum Vertragsinhalt haben1. Anders wird zumeist für „enge“ Schiedsklauseln entschie-
den2.

7.299 Auch Streitigkeiten aus Wechseln und Schecks, die zur Erfüllung vertraglicher Ansprüche
hingegeben wurden, werden jedenfalls von einer „weiten“ Schiedsklausel erfasst, weil sie ihre
Grundlage in dem geschlossenen Vertrag haben3. Etwas anderes kann freilich dann gelten,
wenn Ansprüche aus Wechseln oder Schecks nach dem autonomen Zivilprozessrecht des an-
gerufenen Gerichts in einem vereinfachten Verfahren durchgesetzt werden können. In einem
solchen Fall kann ohne besondere Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass der Wech-
selnehmer sich der Vorteile der Wechselklage durch Vereinbarung einer Schiedsklausel habe
begeben wollen4.

7.300 Der im Grundvertrag enthaltenen Schiedsklausel unterliegen ferner im Zweifel auch Verein-
barungen über eine Vertragsverlängerung5 sowie Abänderungs- oder Ergänzungsverträge6.
Die Schiedsklausel in einem Rahmenvertrag erfasst im Zweifel auch Streitigkeiten über die

1 High Court (Ch.D.) v. 31.1.1978 (Lonrho Ltd. v. Shell Petroleum Co. Ltd.), YCA IV (1979), 320
(322) (weite Schiedsklausel [„or in connection with“] auf deliktische Ansprüche im Zusammen-
hang mit dem Betrieb einer Pipeline in Rhodesien erstreckt). Vgl. aber BGH v. 12.11.1990 – II ZR
249/89, NJW-RR 1991, 432 = IPRax 1992, 240 (m. Anm. Vollkommer, IPRax 1992, 207) (Schieds-
vereinbarung in dem zwischen einer deutschen Partenreederei und einer japan. Werft geschlosse-
nen Schiffsbauvertrag erstreckt sich nicht auf die einem einzelnen Partenreeder abgetretenen
Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Verleitung zu einer nachteiligen Anlagenentschei-
dung). Vgl. ferner in Australien: Supreme Court New South Wales v. 19.7.1993 (Caltex Tanker
Ltd. v. Samsung Co. Ltd.), YCA XX (1995), 622 (625); in England: Court of Appeal v. 17.5.1994
(ACCM SA v. Pagnan SpA), YCA XXII (1997), 838 (844); Commercia Court (Q.B.Div.) v. 7.3.1997
(Fahem and Co. v. Mareb Yemen Ins. Co.), YCA XXIII (1998), 789 (793 f.); in Indien: Supreme
Court v. 16.8.1984 (Renusagar Power Co. Ltd. v. General Electric Co., YCA X (1985) 431 ff.; in
Japan: District Court Yokohama v. 3.5.1980, YCA VIII (1983), 394 (396); in Kanada: Ontario
Court of Justice v. 1.10.1992 (Canada Packers Inc. v. Terra Nova Tankers Inc.), YCA XXII (1997),
669 (671); Court of Appeal Alberta v. 16.1.1992 (Kaverit Steel and Crane Ltd. u.a. v. Kone Corp.
u.a.), 87 D.L.R. 4th 129 = YCA XIX (1994), 643 (646 ff.); in den Niederlanden: Rb. Rotterdam v.
29.7.2009, YCA XXXIV (2009) 722 (730 f.); in Österreich: OGH v. 26.8.2009, YCA XXXIV (2009)
404 (406 f.); in den USA: Marchetto v. DeKalb Genetics Corp. (N. D. Ill. 1989), YCA XV (1990),
581; Meadows Indemnity Co. Ltd. v. Baccala & Shoop Insurance Services, Inc. (E. D. N. Y. 1991),
YCA XVII (1992), 686 (693 ff.).
2 Vgl. Cape Flattery Ltd. v. Titan Maritim (9th Circuit), F. 3d 914 ff. = YCA XXXVI (2011) 485: enge
Klausel „claims under the relevant contract“ erfasst keine Ansprüche wegen Kartellverstößen.
3 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 79; zust. ICC-Schiedsspruch Nr. 6474 v. 1992, YCA XXV
(2000), 279 (308 ff.); Supreme Court India v. 16.8.1984 (Renusagar Power Co. Ltd. v. General
Electric Co.), YCA X (1985), 431 (433 ff.) (weite Schiedsklausel in Kaufvertrag zwischen einem
amerikanischen und einem indischen Unternehmen auf Wechselansprüche und auf deliktische
Schadensersatzansprüche erstreckt).
4 Vgl. BGH v. 28.10.1993 – III ZR 175/92, NJW 1994, 136 = ZIP 1994, 70; a.A. OLG München v.
7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585 = IPRspr. 1989 Nr. 240; wie im Text in England: House
of Lords v. 6.-14.12.1976 (Nova [Jersey] Knit Ltd. v. Kammgarn Spinnerei GmbH), 1 W.L.R. 713 =
YCA IV (1979), 314 (315); in Frankreich: Cass. civ. v. 10.6.1986, Rev.arb. 1987, 461; vgl. näher
Rz. 7.314.
5 Becker Autoradio USA, Inc. v. Becker Autoradiowerk GmbH (3rd Cir. 1978), 585 F. 2nd 39 = YCA
V (1980), 272; District Court Yokohama v. 3.5.1980, YCA VIII (1983), 394.
6 Vgl. OLG Dresden v. 5.12.1994 – 2 U 1010/94, OLG NL, 63 = Bull. ASA 1995, 247 (255); Trib.
Com. Bruxelles v. 5.10.1995, Rev.arb. 1995, 311 (314) m. Anm. Hanotiau; App. Paris v. 4.3.1986,
Rev.arb. 1987, 167; Schlosser, Rz. 421 m.w.N.

1118 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.302 § 7

später abgeschlossenen Einzelverträge1. Umgekehrt gilt dies freilich nicht. Auch die in einem
Zusatzvertrag – z.B. einem Kredit- oder Garantievertrag – enthaltene Schiedsklausel erfasst
daher nicht ohne Weiteres Streitigkeiten aus dem zugrunde liegenden Hauptvertrag; dies gilt
jedenfalls dann, wenn es sich um eine „enge“ Schiedsklausel handelt2.

Können sich die Vertragsparteien über die von einer Partei gewünschte Abänderung des Ver- 7.301
trages nicht einigen, so stellt sich die Frage, ob das Schiedsgericht im Falle einer wesentlichen
Veränderung der Umstände zu einer ergänzenden Vertragsauslegung oder gar zu einer An-
passung des Vertrages an die veränderten Rahmenbedingungen – z.B. nach den Grundsätzen
über die Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB) – berechtigt ist. Hierüber ist auch
im Anwendungsbereich des UNÜ in erster Linie nach dem Statut des Hauptvertrages („lex
causae“) zu entscheiden. Denn im Zweifel geht die Absicht der Parteien einer Schiedsverein-
barung dahin, dem Schiedsgericht die gleichen Befugnisse einzuräumen wie sie sonst dem zu-
ständigen staatlichen Gericht zustehen würden3. Allerdings hindert das UNÜ die Vertragspar-
teien nicht, dem Schiedsgericht auch weitergehende Befugnisse einzuräumen4.

cc) Aufhebung und Abänderung


Nach dem Statut der Schiedsvereinbarung beurteilen sich – innerhalb der durch Art. II Abs. 3 7.302
UNÜ gezogenen Schranken (dazu Rz. 7.415 ff.) – auch die mit einer Aufhebung oder dem
Wegfall der Schiedsvereinbarung zusammenhängenden Fragen. Lediglich soweit eine Schieds-
vereinbarung durch die Verwirklichung prozessualer Tatbestände weggefallen sein kann, wie
etwa durch Versäumung der Einredefrist (z.B. nach Art. V EuÜ), entscheidet darüber die lex
fori des befassten staatlichen Gerichts5. Das Statut der Schiedsvereinbarung bestimmt ins-
besondere darüber, ob die Aufhebung des Hauptvertrages auch die im Vertrag enthaltene
Schiedsklausel entfallen lässt; dies wird heute für die aus der Aufhebung folgenden Rück-
abwicklungsansprüche zu Recht allgemein abgelehnt6. Auch die Frage, ob vertraglich verein-
barte Schiedsklagefristen als materielle Ausschlussfristen zu qualifizieren sind oder aber als
prozessuale Fristen, nach deren Ablauf lediglich die schiedsrichterliche Art der Rechtsverfol-
gung unzulässig wird, beurteilt sich nach dem Statut der Schiedsvereinbarung7. Im Zweifel
sind Schiedsklagefristen lediglich als materielle Ausschlussfristen zu qualifizieren, so dass über
den Fristablauf und seine Folgen das Schiedsgericht und nicht die staatlichen Gerichte zu ent-
scheiden haben8.

1 Trib.gr.inst. Paris v. 20.5.1987, Rev.arb. 1988, 573; ferner etwa Polytec Engineering Co., Ltd. v.
Jackson Companies (D. Minn. 1997), YCA XXIII (1998), 1103; Dangdong Shuguang Axel Corp.
Ltd v. Brilliance Machinery Co., YCA XXVII (2002), 617 (622 f.) Vgl. auch Ryan & Sons, Inc. v.
Rhône Poulenc Textile, S.A. (4th Cir. 1988), 843 F. 2d 315 (138 ff.) = YCA XV (1990), 543 (Schieds-
klausel in einem Alleinvertriebsvertrag auf Streitigkeiten aus den Einzelgeschäften – „purchase or-
ders, compensation agreements, security agreements“ – erstreckt).
2 Smoothline Ltd. v. North American Trading Corp. (S.D.N.Y. 2000), YCA XXVI (2001), 991
(993 f.).
3 Schlosser, Rz. 744; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 81.
4 So umfasst die Ermächtigung an den Schiedsrichter, als „amiable compositeur“ zu entscheiden,
auch die Befugnis zu einer Vertragsanpassung, vgl. frz. Cass. civ. v. 28.4.1987, Rev.arb. 1991, 445
(446).
5 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 91; Wackenhuth, KTS 1985, 635 ff.
6 Vgl. Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 74; Schlosser, Rz. 421 ff. m.w.N.
7 van den Berg, S. 317 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 92.
8 BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, RIW 1976, 449 f. = YCA II (1977), 242; Schlosser in Stein/Jonas,
Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 92; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 74.

Hausmann | 1119
§ 7 Rz. 7.303 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

b) Europäisches Übereinkommen
7.303 Die Reichweite des nach Art. VI Abs. 2 lit. a EuÜ ermittelten Statuts der Schiedsvereinbarung
stimmt weitgehend mit den zu Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ dargestellten Grundsätzen
(Rz. 7.292 ff.) überein. Es gilt danach für das Zustandekommen und die materielle Wirksam-
keit sowie für die im Wege der Auslegung zu ermittelnde objektive Reichweite der Schiedsver-
einbarung. Dazu gehört insbesondere die Frage, auf welche Streitigkeiten die Schiedsverein-
barung sich beziehen soll1. Auch die Frage, ob die Schiedsklausel unabhängig von der Wirk-
samkeit des Hauptvertrages gelten soll (sog. „Autonomie der Schiedsklausel“), ist im EuÜ
nicht durch einheitliches Sachrecht geregelt, sondern bestimmt sich nach dem Statut der
Schiedsvereinbarung2.

c) Autonomes deutsches Recht


aa) Zustandekommen der Schiedsvereinbarung
7.304 Das Statut der Schiedsvereinbarung hat auch im deutschen autonomen IZPR eine Auffang-
funktion3. Es gilt also nur für diejenigen Fragen, die nicht – wie namentlich die Form (dazu
Rz. 7.357 ff.), die objektive und subjektive Schiedsfähigkeit (dazu Rz. 7.400 ff., Rz. 7.404 f.)
sowie Fragen der Stellvertretung4 – gesondert angeknüpft werden. Es beherrscht vor allem das
Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung.

(1) Grundsatz
7.305 Das Zustandekommen einer kombinierten Rechtswahl- und Schiedsvereinbarung wurde bis
zum Inkrafttreten der Rom I-VO überwiegend gem. Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Art. 31 Abs. 1
EGBGB a.F. nach dem für den Hauptvertrag gewählten Recht beurteilt. Dieses Recht entschied
also darüber, ob sich der Anschein zu einer wirksamen Rechtswahl verdichtet hatte5. An dieser
Anknüpfung kann nach Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO nur festgehalten wer-
den, wenn sich aus den getroffenen Absprachen oder den Umständen hinreichende Anhalts-
punkte dafür ergeben, dass die Parteien die Schiedsvereinbarung dem gleichen Recht wie den
Hauptvertrag unterstellen wollten. Fehlt es daran, so beurteilt sich das wirksame Zustande-
kommen der Schiedsvereinbarung gem. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO nach dem Recht am

1 OLG Frankfurt a.M. v. 24.9.1985 – 5 U 167/84, NJW 1986, 2202 = RIW 1986, 379; Schwab/Walter,
Kap. 43 Rz. 3 aE.
2 Hascher, YCA XVII (1992), 730 f.
3 Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 28, 39.
4 Die Frage, ob die von einem Vertreter abgeschlossene Schiedsvereinbarung den Vertretenen bin-
det, bestimmt sich also nicht nach dem Statut der Schiedsvereinbarung, sondern nach dem Statut
der – rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen – Stellvertretung, vgl. Geimer, Rz. 3792; Schwab/Wal-
ter, Kap. 44 Rz. 19; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 6; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu
§ 1061 ZPO Rz. 79. Zur Anknüpfung der gesetzlichen Vertretung Rz. 6.1104 ff., der gewillkürten
Stellvertretung Rz. 6.385 ff.
5 Vgl. OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 = EWiR 1989, 933 (LS) m. Anm.
Bredow (Zustandekommen einer Schiedsklausel in Schiffsbauvertrag zwischen deutscher Parten-
reederei und japan. Werft nach dem für den Hauptvertrag gewählten japan. Recht beurteilt); OLG
München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585 (Zustandekommen einer Schiedsverein-
barung in Liefervertrag zwischen deutschem und ungar. Unternehmen nach dem für den Haupt-
vertrag gewählten schweiz. Recht beurteilt); ferner Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 1 (3 ff.); Gildeg-
gen, S. 159 f.

1120 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.307 § 7

vereinbarten Schiedsort, das auch die Durchführung das Schiedsverfahren beherrscht (vgl.
Rz. 7.280 f.)1. Ist die Schiedsvereinbarung nach dem gewählten Recht – z.B. wegen mangelnder
Form oder Bestimmtheit – unwirksam, so beurteilt sich die Frage, ob daraus auch die Nichtig-
keit der mit ihr verbundenen Rechtswahlklausel folgt, ebenfalls nach dem gewählten Recht2.

(2) Einbeziehung einer Schiedsklausel in AGB


Das Statut der Schiedsvereinbarung entscheidet insbesondere auch darüber, ob eine in AGB 7.306
enthaltene Schiedsklausel Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war. Eine
Einbeziehungskontrolle nach Maßgabe des deutschen AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) findet da-
her grundsätzlich nur statt, wenn die Schiedsvereinbarung deutschem Recht unterliegt, in Er-
mangelung einer abweichenden Rechtswahl also insbesondere dann, wenn ein deutscher
Schiedsort vereinbart wurde (dazu Rz. 7.287 ff.)3. Danach wirken sich Unklarheiten bei der
Formulierung der Schiedsklausel grundsätzlich zu Lasten des AGB-Verwenders aus (§ 305c
Abs. 2 BGB). Hingegen ist eine in AGB enthaltene Schiedsklausel im kaufmännischen Rechts-
verkehr grundsätzlich nicht „überraschend“ i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB4; anders kann es bei Ver-
wendung der AGB gegenüber Verbrauchern liegen5. Ist die Schiedsvereinbarung durch das
Schweigen oder den mangelnden Widerspruch des Empfängers gegen die Geltung der AGB
zum Vertragsinhalt geworden, so sollte dem Empfänger allerdings gestattet werden, sich nach
dem Rechtsgedanken des Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auf das Recht seines gewöhnlichen Aufent-
halts zu berufen, um seine mangelnde Zustimmung geltend zu machen. Hingegen lässt sich
die Geltung der besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen des deutschen Rechts (§ 305
Abs. 2 BGB) bei Vereinbarung eines ausländischen Schiedsvereinbarungsstatuts auch für Ver-
träge mit inländischen Verbrauchern nicht aus Art. 6 Rom I-VO herleiten (vgl. Rz. 7.267 f.,
Rz. 7.284 f.)6.

(3) Schweigen auf Bestätigungsschreiben


War die Schiedsvereinbarung in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben enthalten, so 7.307
beurteilte sich die Frage, ob sie durch das bloße Schweigen des Empfängers wirksam verein-
bart wurde, früher entsprechend Art. 31 Abs. 2 EGBGB a.F. ergänzend nach dem Aufenthalts-
recht des Schweigenden7. Daran ist – anders als im Anwendungsbereich des UNÜ (dazu
Rz. 7.294 a.E.) – auch nach geltendem Recht festzuhalten, weil § 1031 Abs. 2 ZPO den form-
wirksamen Abschluss einer Schiedsvereinbarung durch Schweigen auf eine kaufmännische
Bestätigung ausdrücklich zulässt8. Auf das Aufenthaltsrecht kommt es hingegen nicht an,
wenn der Empfänger nicht nur schweigt, sondern das Bestätigungsschreiben mit der Schieds-

1 Geimer, Rz. 3789.


2 OLG Hamm v. 15.11.1994 – 29 U 70/92, RIW 1995, 681 (682).
3 Epping, S. 142 ff.
4 OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2007 – 26 Sch 3/06, NJOZ 2007, 5714 (5717).
5 Vgl. dazu Berger, ZBB 2003, 77 (89 f.).
6 Anders noch die Rspr. des XI. Zivilsenats zu Börsentermingeschäften deutscher Anleger an aus-
ländischen Börsen.
7 Mezger, RIW 1984, 649. Vgl. auch BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/67, WM 1970, 1050 (1051) =
RIW 1970, 417 (zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung durch Schweigen der öst. Verkäuferin
auf die in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben der deutschen Käuferin enthaltene
Schiedsklausel).
8 Epping, S. 161.

Hausmann | 1121
§ 7 Rz. 7.307 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

klausel gegenzeichnet1. Ist die Willenseinigung sowohl nach dem Statut der Schiedsverein-
barung als auch nach dem Aufenthaltsrecht des Schweigenden materiellrechtlich zustandege-
kommen, so bedarf es freilich zusätzlich der Einhaltung der Form nach § 1031 Abs. 2 ZPO
(dazu Rz. 7.372 f.).

bb) Materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung


(1) Grundsatz
7.308 Nach dem Statut der Schiedsvereinbarung beurteilt sich ferner – in entsprechender Anwen-
dung von § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO – die materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung
in allen Verfahrensstadien. Da die Staatsverträge nur wenige Unwirksamkeitsgründe selbst
festlegen, kommt dem nationalen Recht insoweit besondere Bedeutung zu2. Es gilt insbeson-
dere für die Beurteilung etwaiger Willensmängel (z.B. Irrtum, Arglist, Drohung) und ihrer
Rechtsfolgen (z.B. Anfechtung)3. Gibt die Schiedsvereinbarung einer Partei bei der Zusam-
mensetzung des Schiedsgerichts ein Übergewicht, das die andere Partei benachteiligt, so hat
dies nach deutschem Schiedsverfahrensrecht allerdings – anders als früher – nicht mehr die
Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung zur Folge4; vielmehr kann die benachteiligte Partei gem.
§ 1034 Abs. 2 ZPO beim staatlichen Gericht – innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wo-
chen seit Kenntnis der Zusammensetzung des Schiedsgerichts – beantragen, den oder die
Schiedsrichter abweichend von der vereinbarten Ernennungsregelung zu bestellen5. Das staat-
liche Gericht entscheidet dann nach Maßgabe von § 1035 Abs. 5 ZPO6. Jenseits dieser Spezial-
regelung bleiben die allgemeinen Vorschriften der §§ 134, 138 BGB zwar auch weiterhin auf
Schiedsvereinbarungen anwendbar7; jedoch lässt die Unwirksamkeit von Vereinbarungen über
die Konstituierung des Schiedsgerichts oder das schiedsrichterliche Verfahren die Schiedsver-
einbarung als solche im Zweifel unberührt (dazu schon Rz. 7.210)8.

(2) Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln in AGB


7.309 Das Statut der Schiedsvereinbarung bestimmt auch über die Inhaltskontrolle von Schiedsklau-
seln in AGB. Gilt deutsches Recht, so unterliegen Schiedsklauseln in AGB auch im kaufmän-
nischen Rechtsverkehr der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 2 BGB9. Zwar ist eine Schieds-

1 LG Hamburg v. 19.6.1997 – 302 O 223/95, RIW 1997, 873.


2 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 25.
3 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 25; Geimer, Rz. 3791; zum deutschen Recht vgl. Voit in Musielak/Voit,
§ 1029 ZPO Rz. 11.
4 BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, SchiedsVZ 2007, 163 (164) = NJW-RR 2007, 1466; Schütze,
Rz. 122; Reichold in Thomas/Putzo, § 1034 ZPO Rz. 4; Schwab/Walter, Kap. 9 Rz. 12; Schlosser in
Stein/Jonas, § 1034 ZPO Rz. 5 ff.; einschränkend für Schiedsklausel in AGB bei Verbraucherbetei-
ligung Lachmann, Rz. 561, 935 ff.
5 Zutr. Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 45: „geltungserhaltende Reduktion durch gericht-
liche Gestaltung“.
6 Vgl. dazu OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (43 f.); OLG Celle v.
4.11.1999 – 8 SchH 3/99, OLGR 2000, 57 = EWiR 2000, 411 (LS) m. krit. Anm. Mankowski; Kröll,
NJW 2001, 1173 (1178).
7 Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 16 und § 1034 Rz. 14; Lachmann, Rz. 545.
8 Geimer in Zöller, § 1034 ZPO Rz. 13.
9 Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 14; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 21 ff.; Hau in Wolf/Linda-
cher/Pfeiffer, Anh. § 310 BGB „Schiedsgerichtsklausel“ Rz. S 14-S 20.

1122 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.310 § 7

klausel als solche – jedenfalls im internationalen Rechtsverkehr – im Hinblick auf die vom
Reformgesetzgeber betonte Gleichwertigkeit von staatlicher Rechtsprechung und Schieds-
gerichtsbarkeit weder „überraschend“1, noch stellt sie eine unangemessene Benachteiligung
des kaufmännischen Vertragspartners i.S.v. § 307 BGB dar2. Etwas anderes kann aber dann
gelten, wenn die schwächere Vertragspartei durch die Schiedsklausel gezwungen wird, Rechts-
schutz an einem für sie weit entfernten Schiedsort zu suchen, zu dem die Streitigkeit keinen
hinreichenden Bezug aufweist3.
OLG Dresden v. 7.12.2007 – 11 Sch 8/07, IHR 2008, 119 = IPRax 2010, 241 (m. Anm. Eichel, IPRax
2010, 219).
Vereinbarung eines New Yorker Schiedsgerichts in einem Franchisevertrag zwischen einem deutschen
Franchisenehmer und der niederländischen Franchisegeberin wegen grober Benachteilung des Fran-
chisenehmers für nichtig erklärt. Der Sitz der Muttergesellschaft der Franchisegeberin in den USA
ändere daran nichts.

Strengere Anforderungen an eine Inhaltskontrolle sind im nicht-kaufmännischen Geschäfts- 7.310


verkehr zu stellen; allerdings führen auch hier Schiedsvereinbarungen in AGB keinesfalls im-
mer zu einer unangemessenen Benachteiligung des Nicht-Kaufmanns4. Im Rechtsverkehr mit
Verbrauchern wird der Kunde zwar bei Vereinbarung eines inländischen Schiedsgerichts
durch die Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO bereits weitgehend geschützt. Gerade bei der
für den deutschen Verbraucher viel einschneidenderen Derogation der deutschen staatlichen
Gerichtsbarkeit durch Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts versagt dieser Schutz
jedoch weitgehend, weil § 1031 Abs. 5 ZPO dann durch die vorrangige Formvorschrift in
Art. II Abs. 2 UNÜ verdrängt wird, die für die Schiedsvereinbarung schon die Schriftform
genügen lässt (dazu Rz. 7.364 f.). Für eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ist freilich auch
bei einer Verbraucherbeteiligung nur Raum, wenn die Schiedsvereinbarung deutschem Recht
untersteht5. Darüber hinaus sind – ebenso wie bei Gerichtsstandsvereinbarungen (vgl.
Rz. 7.38) – die Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klau-

1 Schiedsgericht der IHK Hamburg v. 14.7.2006, SchiedsVZ 2007, 55 (56).


2 Sieg, RIW 1998, 102 (107); Gildeggen, S. 219; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 33; Schütze in
Wieczorek/Schütze, § 1029 ZPO Rz. 69; ebenso auch für den inländischen kaufmännischen
Rechtsverkehr BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466 (Rz. 15) = SchiedsVZ 2007,
163; BGH v. 10.10.1991 – III ZR 141/90, BGHZ 115, 324 (325 f.) = NJW 1992, 575 = ZIP 1992,
59; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 6; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 22, 24
m.w.N.; einschränkend Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, Anh. § 310 BGB „Schiedsgerichtsklausel“
Rz. S 6.
3 OLG Bremen v. 30.10.2008 – 2 Sch 2/08, MDR 2009, 465; dazu Schulz/Niedermaier, SchiedsVZ
2009, 196.
4 BGH v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 (16) = NJW 2005, 1126 = SchiedsVZ 2005, 95 m.
Anm. Huber/Bach; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 45; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO
Rz. 6; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 26; Mäsch, FS Schlosser (2005), S. 528 (540);
Samtleben, IPRax 2011, 469 (475); a.A. Spieker, ZIP 1999, 2138 (2141 f.); Eichel, IPRax 2010, 219 f.
Vgl. dazu auch Wagner/Quinke, JZ 2005, 932 (937).
5 Nach deutschem Recht ist ein berechtigtes Interesse des AGB-Verwenders an der Vereinbarung
eines Schiedsgerichts auch gegenüber Verbrauchern nicht erforderlich, vgl. BGH v. 13.1.2005 – III
ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = MDR 2005, 706 (16) = NJW 2005, 1125; dazu Huber/Bach, SchiedsVZ
2005, 98; BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, MDR 2007, 903 = NJW-RR 2007, 1466 = SchiedsVZ
2007, 163 (164); zu den maßgebenden Kriterien für eine Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln in
AGB Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 257 ff.; Lachmann, Rz. 546 ff.

Hausmann | 1123
§ 7 Rz. 7.310 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

seln in Verbraucherverträgen zu beachten1. Im Übrigen verbleibt in extremen Fällen nur der


Rückgriff auf den deutschen ordre public (vgl. auch Rz. 7.409 ff.).

(3) Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag


7.311 Das Statut der Schiedsvereinbarung bestimmt ferner darüber, ob ihr wirksames Zustandekom-
men von der Gültigkeit des Hauptvertrages abhängt, auf den sie sich bezieht. Nach deutschem
Sachrecht ist dies – wie § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO nunmehr ausdrücklich klarstellt – grundsätz-
lich nicht der Fall, weil Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag unterschiedliche Zwecke ver-
folgen. Das Schiedsgericht soll nach dem Willen der Parteien mithin im Zweifel auch darüber
entscheiden, ob der Hauptvertrag wirksam ist und welche Folgen sich aus seiner möglichen
Unwirksamkeit ergeben2. Auch § 139 BGB ist deshalb auf das Verhältnis Hauptvertrag –
Schiedsvereinbarung nicht anwendbar (vgl. auch Rz. 7.209 f.)3.
BGH v. 6.6.1991 – III ZR 68/90, NJW 1991, 2215 (2216) = ZIP 1991, 1231 = IPRax 1992, 382 (m.
Anm. Samtleben, IPRax 1992, 362)
Mangelnde Rechtsverbindlichkeit des Hauptvertrages über die Durchführung von Warentermin-
geschäften an einer ausländischen Börse berührt Wirksamkeit der gleichzeitig getroffenen Schiedsver-
einbarung nicht.

7.312 Nur ausnahmsweise schlägt der Nichtigkeitsgrund, der zur Unwirksamkeit des Hauptvertra-
ges führt, auf die darin enthaltene Schiedsvereinbarung durch (z.B. bei Geschäftsunfähigkeit
oder Willensmängeln einer Partei)4. Einzelne unwirksame Absprachen (z.B. über die Konsti-
tuierung des Schiedsgerichts oder das schiedsgerichtliche Verfahren) führen im Zweifel auch
nicht zur Nichtigkeit der gesamten Schiedsvereinbarung5. Auch eine nachträgliche Aufhebung
oder Kündigung des Hauptvertrags lässt die in ihm enthaltene Schiedsklausel grundsätzlich
nicht entfallen6.

1 Vgl. EuGH v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615 (Asturcom v. Rodrìguez Nogueira),


SchiedsVZ 2010, 110; dazu Hilbig, SchiedsVZ 2010, 74 ff.
2 Vgl. zu dieser Autonomie der Schiedsvereinbarung BGH v. 9.8.2016 – I ZB 1/15, SchiedsVZ 2017,
103 (Rz. 17); OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (43); OLG Koblenz v.
28.7.2005 – 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260; Schlosser, FS Böckstiegel (2001), S. 681 ff.; Epping,
S. 24; Langkeit, S. 72; Geimer, Rz. 3810; Lachmann, Rz. 532; Schwab/Walter, Kap. 4 Rz. 16 f.; Gei-
mer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 1; Schlosser in Stein/Jonas, § 1040 ZPO Rz. 5 ff.; Voit in Musielak/
Voit, § 1040 ZPO Rz. 4; ebenso schon vor der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts
BGH v. 6.6.1991 – III ZR 116/90, ZIP 1991, 1207 (im Text), BGH v. 27.2.1970 – VII ZR 68/68,
BGHZ 53, 315 (318 f.) = NJW 1970, 1046 = JZ 1970, 739 m. Anm. Schlosser = ZZP 83 (1970), 46
m. Anm. Münzberg; OLG Hamburg v. 12.3.1998 – 6 U 110/97, OLGR 1998, 403; a.A. zu Unrecht
LG Hamburg v. 19.6.1997 – 302 O 223/95, RIW 1997, 873.
3 OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2007 – 26 Sch 3/06, NJOZ 2007, 5712; Reichold in Thomas/Putzo,
§ 1040 ZPO Rz. 1; Schwab/Walter, Kap. 4 Rz. 19; Münch in MünchKomm ZPO, § 1040 Rz. 8 ff. m.
ausf. Nachw.
4 Vgl. zu dieser Fehleridentität näher Schwab/Walter, Kap. 4 Rz. 17 f.; Lachmann, Rz. 535 ff.; Wie-
czorek/Schütze, § 1025 ZPO a.F. Rz. 51 ff.; einschränkend Schlosser in Stein/Jonas, § 1040 ZPO
Rz. 7.
5 Hochbaum, S. 34; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 31, 60; einschränkend Schwab/Walter, Kap. 6
Rz. 8.
6 OLG Hamburg v. 21.12.2012 – 6 Sch 19/12, SchiedsVZ 2013, 180 (181); OLG Koblenz v. 28.7.2005
– 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260 (261).

1124 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.314 § 7

cc) Auslegung und Reichweite der Schiedsvereinbarung


Obwohl § 1059 Abs. 2 ZPO diesbezüglich keine ausdrückliche Kollisionsregel enthält, sind auch 7.313
die für die Auslegung einer Schiedsvereinbarung – insbesondere die Bestimmung ihrer sachlichen
Reichweite – maßgebenden Grundsätze entsprechend § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO dem Statut
der Schiedsvereinbarung zu entnehmen1. Dabei tendiert die deutsche2 wie die internationale
Gerichtspraxis3 – nicht anders als im Rahmen des UNÜ (Rz. 7.295 ff.) – zu einer schiedsfreundli-
chen Auslegung, die der Schiedsvereinbarung nach Möglichkeit zur Gültigkeit verhilft und ihren
sachlichen Anwendungsbereich großzügig bestimmt. Denn es entspricht idR den Intentionen der
Parteien, die eine Schiedsvereinbarung getroffen haben, sämtliche Streitigkeiten aus dem betref-
fenden Rechtsverhältnis der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen (zur großzügigen Auslegung
bei ungenauer Bezeichnung des Schiedsgerichts näher Rz. 7.398). Dies gilt insbesondere dann,
wenn die Parteien die gängige Formulierung verwendet haben, nach der nicht nur alle Ansprüche
aus dem Vertrag („out of the contract“), sondern auch solche, die nur im Zusammenhang mit
ihm („in connection with“) stehen, von dem Schiedsgericht zu entscheiden sind4.

Nach § 1029 Abs. 1 ZPO kann sich eine Schiedsvereinbarung auch auf ein Rechtsverhältnis 7.314
„nichtvertraglicher Art“ erstrecken. Ist daher deutsches Recht auf die Schiedsvereinbarung an-
wendbar, so erfasst sie – trotz enger Formulierung – grundsätzlich auch Ansprüche aus uner-
laubter Handlung, soweit diese sich tatbestandlich mit einer Vertragsverletzung decken5. Be-

1 OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (Rz. 37) = IPRax 2016, 66 (m.
Anm. M. Weller, IPRax 2016, 48); OLG Düsseldorf v. 17.11.1995 – 17 U 103/95, RIW 1996, 239;
OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585; Epping, S. 39; Schlosser, Rz. 420; Gei-
mer, Rz. 3791, 3806; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 77; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029
Rz. 39; Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1029 ZPO Rz. 97.
2 Vgl. BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (325) = NJW 1964, 591; BGH v.
10.12.1970 – II ZR 148/69, BB 1971, 369; BGH v. 4.10.2001 – III ZR 290/00, NJW-RR 2002, 387 =
NZG 2002, 83; OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 (578) = EWiR 1989, 933
(LS) m. Anm. Bredow; BGH v. 4.10.2001 – III ZR 281/00, NJW-RR 2002, 387; OLG München v.
7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264); v. 13.10.2004 – 7 U 3722/04, MDR 2005,
771 = NJW 2005, 832; v. 8.2.1991 – 23 U 5723/90, NJW-RR 1991, 602 (603); OLG Hamm v.
7.3.2000 – 15 W 355/99, ZIP 2000, 1013 = GmbHR 2000, 676 m. Anm. Emde; LG Mönchenglad-
bach v. 4.11.1993 – 10 O 575/92, NJW-RR 1994, 425; zust. Berger, RIW 1993, 702 (707 f.); Schlos-
ser, Rz. 390; Geimer, Rz. 3799a, 3807; Lachmann, Rz. 472 ff.; Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 19; Voit in
Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 23; Reichold in Thomas/Putzo § 1029 Rz. 6.
3 Zur Praxis internationaler Schiedsgerichte vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 4131/1982, YCA IX
(1984), 131 (134); Nr. 4145/1983, YCA XII (1987), 97 (100); Nr. 7920/1993, YCA XXIII (1998), 80
(81 ff.). Zur ausländischen Gerichtspraxis vgl. schwz. BG v. 15.3.1990, BGE 116 Ia, 56; ferner die
Nachw. zum UNÜ in Rz. 7.295 ff.
4 OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 (578); vgl. auch BGH v. 28.10.1993 – III
ZR 175/92, NJW 1994, 136 (137) = JZ 1994, 370 m. Anm. Schütze; Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 282 ff. m.w.N.
5 Allg. M., vgl. RG v. 6.12.1917, JW 1918, 263 (264); BGH v. 12.11.1987 – III ZR 29/87, BGHZ 102,
199 (201) = ZIP 1988, 603 = NJW 1988, 1215; BGH v. 24.11.1964 – VI ZR 187/63, NJW 1965,
300; OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264); OLG Hamburg v.
17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574; OLG Düsseldorf v. 14.4.1983 – 6 W 62/82, 6 U 286/82,
NJW 1983, 2149 (2150); Geimer, Rz. 3808; Lachmann, Rz. 480; Reichold in Thomas/Putzo, Rz. 7;
Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 72; Voit in Musielak/Voit, Rz. 23; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 38,
jeweils zu § 1029 ZPO. Vgl. i.d.S. auch die ICC-Schiedssprüche Nr. 5477/1988, 1204 und
Nr. 6519/1991, Clunet 1991, 1065 m. Anm. Derains; anders aber etwa der ICC-Schiedsspruch
Nr. 6309/1991, Clunet 1991, 1946.

Hausmann | 1125
§ 7 Rz. 7.314 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

steht die unerlaubte Handlung in einem Wettbewerbsverstoß, so dürfte die jüngere Recht-
sprechung des EuGH zur Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.147) ent-
sprechend heranzuziehen sein1. Auf Vorsatztaten bezieht sich die Schiedsvereinbarung aber
i.d.R. nicht;2 dies gilt insbesondere, wenn die vorsätzlich begangene, unerlaubte Handlung von
einem außerhalb des Vertrages stehenden Dritten begangen wurde3. Ist der Hauptvertrag
nichtig, so erstreckt sich die Zuständigkeit des Schiedsgerichts im Zweifel auch auf die berei-
cherungsrechtliche Rückabwicklung (dazu schon Rz. 7.396)4.

7.315 Jedenfalls bei weiter Formulierung der Schiedsvereinbarung entspricht auch eine Einbezie-
hung von Wechselforderungen im Zweifel dem Willen der Parteien. Denn auch der Streit da-
rüber, ob der Wechselanspruch besteht und ob ihm Einreden aus dem Grundgeschäft ent-
gegengehalten werden können, findet seine Grundlage in dem zwischen den Parteien ge-
schlossenen Vertrag und wird deshalb von der Schiedsvereinbarung gedeckt5. Allerdings kann
im Regelfall nicht angenommen werden, dass der Wechselgläubiger durch den Abschluss einer
Schiedsvereinbarung auch auf die Durchsetzung seiner Forderung im Wechselprozess
(§§ 602 ff. ZPO) verzichtet hat; denn der Hauptzweck der wechselmäßigen Sicherung von An-
sprüchen liegt gerade in der Möglichkeit der beschleunigten und vereinfachten Titulierung im
Wechselprozess. Deshalb bleibt dem Gläubiger das Recht zur Verfolgung seiner Ansprüche im
Wechselprozess vor dem staatlichen Gericht grundsätzlich erhalten; erst das Nachverfahren
(§ 600 ZPO) hat dann vor dem Schiedsgericht stattzufinden6. Entsprechendes gilt für den
Scheckprozess (§ 605a ZPO), nicht aber für den gewöhnlichen Urkundenprozess (§§ 592 ff.
ZPO)7.

1 Vgl. zur Erstreckung einer allgemein gehaltenen Schiedsklausel auf kartelldeliktsrechtliche Scha-
densersatzansprüche LG Dortmund v. 13.9.2017 – 8 O 30/16 (Kart), IPRax 2018, 617 (m. Anm.
Wolf, IPRax 2018, 594).
2 Geimer, FS Martiny (2014), S. 711 (731); a.A. aber LG Dortmund (vorige Fn.) Rz. 27; Wurmnest,
FS Magnus (2014), S. 567 (581).
3 BGH v. 12.11.1990 – II ZR 249/89, WM 1991, 384 (386) = IPRax 1992, 240 (m. Anm. Vollkommer,
IPRax 1992, 207): Erstreckung der in einem Schiffsbauvertrag zwischen einer deutschen Parten-
reederei und einer japan. Werft getroffenen Schiedsvereinbarung auf die den einzelnen Partenree-
dern persönlich zustehenden Ansprüche wegen eines Anlagebetrugs – Zahlung einer „Provision“
von mehreren 100 Millionen Yen an den japan. Korrespondentenreeder zu Lasten des Baupreises
– abgelehnt. Krit. dazu Raeschke-Kessler, JbPraxSchG 4 (1990), 229 (235 f.).
4 BGH v. 27.2.1970 – VII ZR 68/68, BGHZ 53, 315 (322 f.) = NJW 1970, 1046; OLG München v.
8.2.1991 – 23 U 5723/90, NJW-RR 1991, 602; Reichold in Thomas/Putzo, § 1029 ZPO Rz. 7; Voit
in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 23; Geimer, Rz. 3809; Lachmann, Rz. 478.
5 BGH v. 28.10.1993 – III ZR 175/92, NJW 1994, 136 = JZ 1994, 370 m. Anm. Schütze = EWiR
1994, 309 (LS) m. Anm. Smid; OLG Hamburg v. 11.9.1992 – 11 U 106/92, RIW 1992, 938 m.
Anm. Schmidt, RIW 1993, 639; OLG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 6 U 175/94, BB 1996 Beil. Nr. 15,
S. 23; Czempiel/Kurth, NJW 1987, 2118 ff.; Lachmann, Rz. 491 f.; a.A. OLG Düsseldorf v.
14.4.1983 – 6 W 62/82, 6 U 286/82, NJW 1983, 2149 (2150); Münch in MünchKomm ZPO,
§ 1029 Rz. 72.
6 Vgl. die Nachw. in der vorigen Fn.; ferner Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 42; Schwab/
Walter, Kap. 7 Rz. 16; Münch in MünchKomm-ZPO, § 1032 Rz. 11; Voit in Musielak/Voit, § 1032
ZPO Rz. 5; Schütze, Rz. 251; a.A. OLG Frankfurt v. 24.9.1985 – 5 U 167/84, NJW 1986, 2202 =
RIW 1986, 379; OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, RIW 1990, 585 f. (zum schweiz.
Recht); Geimer in Zöller, § 1032 ZPO Rz. 10.
7 BGH v. 12.1.2006 – III ZR 214/05, BGHZ 165, 376 (380 ff.) = NJW 2006, 779 = SchiedsVZ 2006,
101; Lachmann, Rz. 495; Geimer in Zöller, § 1032 ZPO Rz. 10 m.w.N.

1126 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.317 § 7

Grundsätzlich sind auch Schiedsvereinbarungen einer ergänzenden Auslegung zugänglich. 7.316


Sie kommt namentlich dann in Betracht, wenn die Schiedsvereinbarung eine Regelungslücke
aufweist, die auch mit Hilfe der gesetzlichen Vorschriften des Schiedsvereinbarungsstatuts
nicht geschlossen werden kann1. Unterliegt die Schiedsvereinbarung deutschem Recht, so er-
streckt sie sich auch im Falle einer engen Formulierung im Zweifel auf die Entscheidung darü-
ber, ob der Hauptvertrag wirksam ist und welche Folgen seine Unwirksamkeit hat (vgl. dazu
schon Rz. 7.311 f. m.w.N.)2. Ferner gilt die in einem Rahmenvertrag (z.B. mit einem Vertrags-
händler) enthaltene Schiedsklausel im Zweifel auch für die von diesem Vertrag gedeckten ein-
zelnen Lieferungsgeschäfte3. Auch die Frage, ob die Schiedsvereinbarung Streitigkeiten aus
Folgeverträgen, Ergänzungsvereinbarungen oder Vergleichen deckt, kann im Wege ergänzen-
der Vertragsauslegung ermittelt werden; sie ist in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte
zu bejahen, weil die Parteien im Zweifel eine umfassende Entscheidungskompetenz des
Schiedsgerichts wünschen4.

dd) Wegfall der Schiedsvereinbarung


Schließlich beurteilt sich auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schiedsverein- 7.317
barung wegfällt oder erlischt, nach dem auf sie anwendbaren Recht5. Lediglich soweit die
Schiedsvereinbarung durch die Verwirklichung prozessualer Tatbestände weggefallen sein
kann (z.B. durch Versäumung von Fristen zur Erhebung der Schiedseinrede, vgl. Art. V EuÜ),
ist insoweit die lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts maßgebend6. Die Frage, ob eine
Schiedsklagefrist im Sinne einer materiellen Ausschlussfrist oder im Sinne einer prozessualen
Klagefrist zu qualifizieren ist, beurteilt sich wiederum nach dem Statut der Schiedsverein-
barung7.

1 Vgl. BGH v. 20.1.1994 – III ZR 143/92, BGHZ 125, 7 (17 f.) = WM 1994, 520 (524 f.) = EWiR
1994, 415 (LS) m. Anm. Ch. Wolf; OLG Frankfurt a.M. v. 25.1.1993 – 8 W 8/93, WM 1993, 1530
(1532).
2 Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 36 a.E.; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 23.
3 BGH v. 31.5.2007 – III ZR 22/06, IHR 2007, 163 (Rz. 18) = SchiedsVZ 2007, 215; Schlosser, in:
Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 39; Lachmann, Rz. 482 f. Vgl. auch zu verbundenen Prozessfinanzie-
rungs- und Darlehensverträgen OLG München v. 13.10.2004 – 7 U 3722/04, NJW 2005, 832
(833).
4 Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 81; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 36; vgl. aber auch
OLG München v. 4.9.2006 – 34 SchH 006/06, OLGR 2006, 869; Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 19; Voit
in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 23; vgl. auch BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40,
320 (325). Zu dem erforderlichen Zusammenhang zwischen Haupt- und Folgevertrag vgl. ICC-
Schiedsspruch Nr. 8420/1996, YCA XXI (2000), 328 (338 ff.).
5 Hau, IPRax 1999, 232 (234); Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 108, 113. Vgl. auch OLG Hamburg
v. 15.11.1995 – 5 U 169/95, RIW 1996, 510 (511) = ZIP 1995, 1903 (Wirksamkeit der einseitig
erklärten Auflösung der Schiedsabrede durch die öst. Verkäuferin in einem Rechtsstreit mit der
deutschen Käuferin nach dem schwz. Statut der Schiedsvereinbarung geprüft und verneint).
6 Wackenhuth, KTS 1985, 635 ff.
7 BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, NJW 1976, 1591 = RIW 1976, 449 f.; van den Berg, S. 317.

Hausmann | 1127
§ 7 Rz. 7.318 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

III. Form der Schiedsvereinbarungen


1. UN- Übereinkommen
a) Normzweck
7.318 Art. II UNÜ macht die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung von der Wahrung der dort nor-
mierten Formerfordernisse abhängig. Dies gilt gleichermaßen im Verfahren der Anerkennung
und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (dazu schon Rz. 7.242; vgl. aber zur möglichen
PräklusionRz. 7.427 ff.)1 wie im Einredeverfahren vor staatlichen Gerichten, wenn die Schieds-
abrede zu einem ausländischen Schiedsspruch i.S.v. Art. 1 Abs. 1 UNÜ führen kann (vgl.
Rz. 7.243 ff.)2. Beweispflichtig für das Zustandekommen einer formwirksamen Schiedsabrede
ist im Einredeverfahren der Antragsgegner3, im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung
eines ausländischen Schiedsspruchs hingegen der Antragsteller4. Durch die vorgeschriebene
Schriftform soll sichergestellt werden, dass die Parteien sich über die Schiedsklausel tatsächlich
geeinigt haben. Den Formvorschriften in Art. II Abs. 2 UNÜ sind daher – ähnlich wie denjeni-
gen in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.43 f.) – gewisse Mindestanforderungen für die
Auslegung des Begriffs der „Vereinbarung“ zu entnehmen5. Bei dieser Auslegung ist zu berück-
sichtigen, dass das Schriftformerfordernis in Art. II Abs. 2 UNÜ nicht nur Beweisfunktion hat,
sondern primär dem Schutz vor Übereilung dient6 und deshalb den Abschluss mündlicher
oder stillschweigender Schiedsvereinbarungen ausschließt7. Dieser Zweck kann es rechtfertigen,
an die Formgültigkeit von Schiedsvereinbarungen im Rechtsverkehr mit Verbrauchern strengere
Maßstäbe anzulegen als im kaufmännischen Verkehr, auf den die Regelung primär abzielt8.

1 Bertheau, S. 27 f.; Haas, S. 164 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 42; Weigand/Haas,
Art. II UNÜ Rz. 4; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 5; im Rahmen der Anerken-
nung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche ist das deutsche Gericht weder an
die tatsächlichen Feststellungen noch an die rechtliche Bewertung des ausländischen Schieds-
gerichts zum Vorliegen einer wirksamen Schiedsvereinbarung gebunden, vgl. BGH v. 13.1.2005 –
III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 = NJW 2005, 1125 = SchiedsVZ 2005, 95 m. Anm. Bach und Huber;
OLG Celle v. 14.12.2006 – 8 Sch 14/05, YCA XXXII (2007), 372 (379).
2 Zuletzt BGH v. 26.11.2020 – I ZR 254/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 20) = RIW 2021, 233; ebenso
schon BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 25) = IPRax 2011, 499 (m. Anm.
Samtleben, IPRax 2011, 469); OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13, SchiedsVZ 2014, 38 (43);
BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 52/92, WM 1993, 2121 (2122); BGH v. 15.6.1987 – II ZR 124/86, NJW
1987, 3193 = IPRax 1989, 163 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1989, 148), jeweils m.w.N.
3 BGH v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 (Rz. 22) = ZIP 2010, 786 = IPRax 2011, 497 (m.
Anm. Engert/Groh, IPRax 2011, 458); BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, SchiedsVZ 2011, 157
(Rz. 25) = ZIP 2011, 1219.
4 BGH v. 21.2.2017 – I ZB 115/15, NJOZ 2018, 947 (Rz. 17); BayObLG v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/
02, RIW 2003, 383 (384); OLG München v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08, SchiedsVZ 2009, 340; OLG
München v. 19.1.2009 – 34 Sch 004/08, IPRspr. 2009 Nr. 270; OLG Celle v. 4.9.2003 – 8 Sch 11/02,
SchiedsVZ 2004, 165 (167); OLG Rostock v. 2.11.2001 – 1 Sch 3/2000, IPRax 2002, 401 (405) (m.
Anm. Kröll, IPRax 2002, 384); a.A. Kröll, SchiedsVZ 2004, 113 (120). Entsprechend ist beweis-
pflichtig für die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung im Vollstreckbarerklärungsverfahren der An-
tragsgegner, vgl. öOGH v. 24.8.2005, YCA XXXII (2007) 254 (256 f.).
5 Gildeggen, S. 141; Epping, S. 136 ff.
6 Vgl. Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (453); Gildeggen, S. 53 ff.; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7;
einschränkend Lindacher, FS Habscheid (1989), S. 167 f.
7 Samuel, S. 97; van den Berg, S. 206; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (453); Schwab/Walter, Kap. 44
Rz. 8; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 25.
8 Schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (59) = YCA XI (1985), 532; Gildeggen, S. 57 ff.; Haas in
Weigand, Art. II UNÜ Rz. 47; vgl. i.d.S. auch schwz. BG v. 29.4.1996, BGE 122 III, 139 (143 ff.);
HandelsG Zürich v. 14.12.1989, YCA XVIII (1993), 442 (444).

1128 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.319 § 7

b) Verhältnis zu nationalen Formvorschriften


aa) Vorrang
Die in Art. II Abs. 2 UNÜ normierte Schriftform ist – ebenso wie die Form von Gerichtsstands- 7.319
vereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.64) – eine Gültigkeitsform. Die Vor-
schrift bezweckt eine Vereinheitlichung der an eine Schiedsvereinbarung zu stellenden Former-
fordernisse und schließt daher im räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich des UNÜ
jedenfalls Formvorschriften des nationalen Rechts aus, die – wie z.B. § 1031 Abs. 5 ZPO –
schärfere Formanforderungen stellen1. Dies gilt nicht nur im Rahmen der Anerkennung und
Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, sondern auch im Einredeverfahren vor deutschen
staatlichen Gerichten, wenn die Schiedsvereinbarung zu einem ausländischen Schiedsspruch
i.S.v. Art. 1 Abs. 1 UNÜ führen kann2. Für eine Prüfung der Formgültigkeit einer von einem
New Yorker Brokerhaus mit einem deutschen Anleger getroffenen Schiedsvereinbarung zuguns-
ten eines New Yorker Börsenschiedsgerichts am Maßstab des § 1031 Abs. 5 ZPO ist daher kein
Raum3. Soweit die Schiedsklausel in AGB enthalten ist, werden auch nationale Vorschriften, die
– wie z.B. §§ 305 f. BGB – eine Abschlusskontrolle ermöglichen, im Geltungsbereich des UNÜ
durch dessen Art. II Abs. 2 verdrängt4; auch insoweit gilt nichts anderes als für Gerichtsstands-
vereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO (vgl. dazu Rz. 7.37). Unberührt bleibt lediglich eine

1 Heute allg. M., vgl. Bertheau, S. 27; van den Berg, S. 179; Haas, S. 163; Wackenhuth, ZZP 99
(1986), 445 (552); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 108; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. II UNÜ Rz. 17; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9; Nagel/Gotttwald Rz.18.30; Haas in Wei-
gand, Art. II UNÜ Rz. 24; Geimer, Rz. 3794. Zust. auch die Rspr. der Vertragsstaaten, vgl. OLG
Hamm v. 15.11.1994 – 29 U 70/92, RIW 1995, 681 = IPRspr. 1994 Nr. 185; BayObLG v. 17.9.1998
– 4 Z Sch 1/98, BayObLGZ 1998, 219 = RIW 1998, 965 = IPRspr. 1998 Nr. 212; ebenso in Frank-
reich: App. Paris v. 20.1.1987, Clunet 1987, 934 (938) m. Anm. Loquin; in Griechenland: Areopag
v. 20.3.1997, YCA XXIII (1998), 654 (656); in der Schweiz: BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (57 f.);
BG v. 5.1.1985, BGE 111 Ib, 253 (255); in Spanien: Trib. Supremo v. 20.1.1986, YCA XIII (1988),
512. Daher findet insb. in Italien Art. 1341 Abs. 2 CC, der eine „approvazione specifica per iscrit-
to“ von in AGB enthaltenen „lästigen“ Klauseln verlangt, auf Schiedsvereinbarungen, die dem
UNÜ unterliegen, keine Anwendung, vgl. grundlegend Cass. v. 30.4.1969, Nr. 1403, Riv.dir.int.
priv.proc. 1970, 332 = YCA I (1976) 189; ferner Cass. v. 7.10.1980, Nr. 5378, Riv.dir.int.priv.proc.
1980, 176; Cass. v. 21.2.1984, Nr. 1234, YCA X (1985), 480 (482); Cass. v. 22.5.1995, Nr. 5601,
YCA XXI (1996), 610 (611); App.Napoli v. 20.2.1975, Riv.dir.int.priv.proc. 1977, 839 = YCA IV
(1979) 275; App. Milano v. 5.2.1999, Riv.dir.int.priv.proc. 1999, 327 (331), st.Rspr.
2 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 26) = IPRax 2011, 499 (m. zust. Anm. Samt-
leben, IPRax 2011, 469 (470); BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 373/08, NJW-RR 2011, 1350 (Rz. 29) =
RIW 2012, 81; OLG München v. 8.3.1995 – 7 U 5460/94, RIW 1996, 854; Schütze, Rz. 131.
3 Dessen ungeachtet prüft der XI. Zivilsenat des BGH in stRspr. die Formgültigkeit einer nach Art. II
Abs. 2 UNÜ formnichtigen Schiedsvereinbarung, die unter Beteiligung eines deutschen Verbrau-
chers geschlossen wurde, ergänzend am Maßstab von § 1031 Abs. 5 ZPO, vgl. etwa BGH v.
25.1.2011 – XI ZR 350/08, RIW 2011, 321 (Rz. 23, 27) = SchiedsVZ 2011, 46; BGH v. 25.1.2011 –
IX ZR 100/09, RIW 2011, 426 (Rz. 25, 29). Der zur Begründung gegebene Hinweis auf den Meist-
begünstigungsgrundsatz trägt insoweit nicht, weil § 1031 Abs. 5 ZPO nicht geringere, sondern
schärfere Anforderungen an die Form der von einem Verbraucher getroffenen Schiedsverein-
barung stellt als Art. II Abs. 2 UNÜ; wie hier Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 18; Schlosser
in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 380.
4 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 17; Samtleben,
IPRax 2011, 469 (473); a.A. – unter Verkennung des Vorrangs von Art. II Abs. 2 UNÜ – Berger,
ZBB 2003. 77 (89 f.); OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, RIW 1995, 769 = IPRax 1997,
115; OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 179/95, RIW 1996, 681 (m. Anm. Mankowski, RIW 1996,
1001) = IPRax 1997, 118 (m. abl. Anm. Thorn, IPRax 1997, 98).

Hausmann | 1129
§ 7 Rz. 7.319 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Unwirksamkeit der formgültigen Schiedsvereinbarung nach Art. II Abs. 3 UNÜ iVm. nationa-
lem Recht, soweit dieses andere Regelungszwecke als Art. II Abs. 2 UNÜ verfolgt (z.B. Schutz
vor Machtmissbrauch oder unangemessener Benachteiligung; dazu Rz. 7.415 ff.)1.

7.320 Im Gegensatz zu Art. I Abs. 2 EuÜ (dazu Rz. 7.353 ff.) normiert Art. II Abs. 2 UNÜ aber nicht
nur die Obergrenze, sondern auch die Untergrenze für die an eine vom Übereinkommen er-
fasste Schiedsvereinbarung zu stellenden Formerfordernisse. Da es das wesentliche Ziel der
Regelung ist, die z.T. stark voneinander abweichenden nationalen Formvorschriften für
Schiedsvereinbarungen zu harmonisieren, legt sie mithin auch die Mindestanforderungen an
eine formgültige Schiedsvereinbarung fest und verdrängt das nationale Schiedsverfahrensrecht
der Vertragsstaaten – vorbehaltlich des Art. VII Abs. 1 UNÜ – auch insoweit, als dieses gerin-
gere Formerfordernisse vorschreibt2.

bb) Meistbegünstigung
7.321 Etwas anderes kann allerdings aufgrund der Meistbegünstigungsregel des Art. VII Abs. 1 UNÜ
gelten. Denn durch das Übereinkommen soll die internationale Anerkennung von Schiedsver-
einbarungen und Schiedssprüchen erleichtert, nicht erschwert werden3. Eine Schiedsverein-
barung, die zwar der Schriftform des Art. II Abs. 2 UNÜ entbehrt, aber den Formerfordernissen
des anwendbaren nationalen Rechts genügt, ist demnach insbesondere im Einredeverfahren
vor staatlichen deutschen Gerichten als formgültig zu behandeln4. In diesem Verfahren kann
daher die Schiedseinrede auch im Anwendungsbereich des UNÜ in entsprechender Anwendung
von Art. VII Abs. 1 HS. 2 UNÜ auf eine Schiedsvereinbarung gestützt werden, die zwar nicht
nach Art. II Abs. 2 UNÜ, wohl aber z.B. nach § 1031 Abs. 2 oder 3 ZPO formgültig ist5. Gleiches

1 Vgl. näher Gildeggen, S. 140 ff.; zust. Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9.


2 Vgl. van den Berg, S. 179; van den Berg, YCA XII (1987), 409 (425); Walter, RIW 1982, 693 (699);
Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (452); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 24; Schlosser in Stein/
Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 50; zust. OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706
(707); ebenso in Frankreich: App. Paris v. 20.1.1987, Clunet 1987, 934 (938); in Italien: App. Mila-
no v. 4.10.1991, YCA XVIII (1993), 415 (416 f.); in Norwegen: App. Halogaland v. 16.8.1999, YCA
XXVII (2002), 519 (522); in Österreich: öOGH v. 17.11.1971, YCA I (1976), 183; in der Schweiz:
BG v. 5.11.1985, BGE 111 Ib, 253 (255) = YCA XII (1997), 511; BG v. 21.9.1995, YCA XXII (1997),
800 (804); a.A. aber Haas, SchiedsVZ 2011, 289 (297); Born, I S. 541 ff. m.w.N.
3 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 12; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ Rz. 18.
4 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 22) = ZIP 2010, 2505 = SchiedsVZ 2011,
46; BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 197/08, NJW-RR 2012, 49 (Rz. 18) = ZIP 2011, 2325; BGH v.
3.5.2011 – XI ZR 373/08, NJW-RR 2011, 1350 (Rz. 37) = SchiedsVZ 2011, 46; BGH v. 21.9.2005 –
III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 (3500); OLG Frankfurt a.M. v. 3.6.2019 – 26 SchH 3/19, SchiedsVZ
2020, 185 (Rz. 34) und v. 5.6.2009 – 26 Sch 03/09, IPRspr. 2009 Nr. 276; App. Versailles v.
23.1.1991, Rev.arb. 1991, 291 (296) m. Anm. Kessedijan = YCA XVII (1992), 488; Kröll, ZZP 117
(2004), 453 (473 ff.); Kühn, SchiedsVZ 2009, 53 (54); Mäsch, LMK 2011, 318032; Epping, S. 117 ff.;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 18; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061
ZPO Rz. 109, 378; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 18; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 13; eben-
so schon früher Schlosser, Rz. 160, 369; von Hülsen, S. 52; van den Berg, S. 179 f.; Gildeggen, S. 99.
5 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 25 ff.) = RIW 2021, 233; OLG Bremen
v. 8.2.2019 – 2 U 37/17, BeckRS 2019, 51643 (Rz. 30); OLG Celle v. 14.12.2006 – 8 Sch 14/05, YCA
XXXII (2007), 372 (378 f.); Epping, S. 117 ff.; Haas, SchiedsVZ 2011, 289 (296); Münch in Münch-
Komm ZPO, § 1031 Rz. 25; vgl. auch zum früheren Recht BGH v. 3.12.1992 – III ZR 30/91, NJW
1993, 1798 = DZWiR 1993, 465 (m. Anm. Berger, DZWiR 1993, 468). Zur Anknüpfung des
§ 1031 ZPO in diesem Fall Rz. 7.357 ff.

1130 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.323 § 7

gilt auch im Rahmen eines vor deutschen staatlichen Gerichten anhängigen Verfahrens des
einstweiligen Rechtsschutzes1.

Der auf einer lediglich nach nationalem Recht formgültigen Vereinbarung basierende Schieds- 7.322
spruch wurde allerdings in Deutschland bis zur Reform des Schiedsverfahrensrechts von 1997
nicht nach Art. V UNÜ, sondern nur nach Maßgabe etwaiger konkurrierender Staatsverträge
oder nach autonomem Recht (§ 1044 ZPO a.F.) vollstreckt2. Eine isolierte Anwendung güns-
tigerer nationaler Formvorschriften wurde mithin im Rahmen der Vollstreckung von
Schiedssprüchen nach dem UNÜ – anders als nach dem EuÜ (dazu Rz. 7.353 ff.) – zu Recht
ausgeschlossen3. Daraus hat man z.T. entnommen, dass eine Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Schiedssprüche, denen keine nach Art. II Abs. 2 UNÜ formgültige Schiedsver-
einbarung zugrundeliegt, in Deutschland seit dem 1.1.1998 nur noch auf der Grundlage von
multi- oder bilateralen Staatsverträgen in Betracht komme, die nach Art. VII Abs. 1 UNÜ
unberührt bleiben4. Da nämlich § 1061 ZPO n.F. für die Anerkennung und Vollstreckung ei-
nes ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland pauschal auf das UNÜ zurückverweise,
könnten ausländische Schiedssprüche nicht mehr anerkannt und vollstreckt werden, wenn die
ihnen zugrunde liegende Schiedsvereinbarung der Form des Art. II Abs. 2 UNÜ entbehre; da-
ran ändere auch die Einhaltung der Form des § 1031 ZPO nichts5.

Diese Auffassung widerspricht indessen sowohl dem Zweck des Meistbegünstigungsgrundsat- 7.323
zes in Art. VII Abs. 1 UNÜ wie den Intentionen des deutschen Reformgesetzgebers von 1997,
der durch den Verzicht auf eine eigenständige Anerkennungsregelung in § 1061 ZPO die An-
erkennung ausländischer Schiedssprüche nicht erschweren wollte. Damit bleibt auch in
Deutschland die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – unter
Durchbrechung der Rückverweisung in § 1061 ZPO auf das UNÜ – zulässig, selbst wenn
diese auf der Grundlage einer Schiedsvereinbarung ergangen sind, die nicht nach Art. II Abs. 2
UNÜ, wohl aber nach dem insoweit großzügigeren nationalen Recht – z.B. nach § 1031 Abs. 2
oder 3 ZPO – formwirksam geschlossen wurde6.

1 Vgl. OLG München v. 26.10.2000 – U (K) 3208/00, SpuRt 2001, 64.


2 BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 52/92, WM 1993, 2121 = NJW-RR 1993, 1519; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 18.
3 Vgl. i.d.S. OLG Düsseldorf v. 8.11.1971 – 6 U 52/70, IPRspr. 1971 Nr. 161; OLG Köln v. 10.6.1976 –
1 U 192/74, ZZP 91 (1978), 318 (320 f.) (m. Anm. Kornblum, ZZP 91 [1978], 173 ff.); Haas, S. 165 f.;
Schlosser, Rz. 136, 158, 369. Ebenso – vorbehaltlich der Anwendung von Art. VII UNÜ – auch nach
1997 Kühn, SchiedsVZ 2009, 53 (55); Kröll, SchiedsVZ 2009, 40 (45); Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 13;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 24; Voit in Musielak/Voit, § 1061 ZPO Rz. 7. An-
ders entscheidet insoweit allein der ital. Kassationshof, der in stRspr eine Anwendung von Art. II
Abs. 2 UNÜ im Vollstreckbarerklärungsverfahren ablehnt und die Formgültigkeit der Schiedsverein-
barung im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche allein nach
dem von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ zur Anwendung berufenen nationalen Recht beurteilt, vgl. Cass. v.
15.4.1980, Nr. 2448, Foro it. 1980 I, 2164; Cass. v. 6.8.1990, Nr. 7995, Foro. pad. 1991, 289; Cass. v.
20.1.1995, Nr. 637, YCA XXI (1996), 602 (604); offen lassend aber Cass. v. 21.1.2000, Nr. 671, Riv.
dir.int.priv.proc. 2001, 92 ff. = YCA XXVII (2002), 492; dazu Graffi, EuLF 2002, 46 ff. m.w.N.
4 Dazu näher Epping, S. 104 ff.
5 BayObLG v. 12.2.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003, 383 (384); Moller, NZG 1999, 143 (145 f.); Otto,
IPRax 2003, 333 (335); Mallmann, SchiedsVZ 2044, 152 (155 f.); Haas, S. 163; Voit in Musielak/
Voit, § 1031 ZPO Rz. 18 und § 1061 ZPO Rz. 14; Epping, S. 111 f.; ebenso schon zu § 1027 ZPO a.F.
BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, RIW 1976, 449 (450); Schlosser, Rz. 369; Sieg, RIW 1998, 106.
6 OLG Düsseldorf v. 22.7.2014 – I-4 Sch 8/13, IHR 2015, 18; KG v. 20.1.2011 – 20 Sch 09/09,
SchiedsVZ 2011, 287 m. Anm. Spetzler; Mäsch, LMK 2011, 318032; Niedermaier, SchiedsVZ 2012,

Hausmann | 1131
§ 7 Rz. 7.323 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

BGH v. 30.9.2010 – III ZB 69/09, BGHZ 187, 126 (Rz. 5 ff.) = SchiedsVZ 2010, 332 (m. krit. Anm.
Quinke, SchiedsVZ 2011, 169) = JR 2011, 444 m. zust. Anm. Elsing; dazu Pfeiffer, LMK 2010, 310078
Ein englischer Schiedsspruch ist in Deutschland auch dann für vollstreckbar zu erklären, wenn die
ihm zugrundeliegende Schiedsvereinbarung nur in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben ent-
halten war und deshalb die Schriftform nach Art. II Abs. 2 UNÜ nicht wahrt, wohl aber die Form des
deutschen Rechts (§ 1031 Abs. 2 ZPO).

7.324 Darüber hinaus erstreckt sich der Grundsatz der Meistbegünstigung auch auf das nationale
Kollisionsrecht des Anerkennungsstaates und dessen Verweisung auf ein für die Beurteilung
der Gültigkeit der Schiedsvereinbarung günstigeres ausländisches Recht. Unterliegt die
Schiedsvereinbarung daher nach dem IPR des Anerkennungsstaates einem nationalen Recht,
das liberalere Formvorschriften enthält als Art. II Abs. 2 UNÜ, so setzt sich dieses anerken-
nungsfreundlichere nationale Recht gem. Art. VII Abs. 1 UNÜ gegenüber Art. II Abs. 2 UNÜ
durch1.
BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 = IPRax 2006, 266 (m. Anm. Geimer, IPRax 2006,
233)
Der lediglich auf Rechnungen abgedruckte Hinweis auf AGB, die eine Schiedsklausel enthalten, reicht
für die Anerkennung eines ausländ. Schiedsspruchs in Deutschland aus, wenn das als Statut der
Schiedsvereinbarung aus deutscher Sicht maßgebliche – niederländ. – Recht dieses für die Einbezie-
hung der Schiedsklausel genügen lässt.

7.325 Entsprechendes gilt auch für die Berücksichtigung der vom deutschen IPR zur Anwendung
berufenen günstigeren ausländischen Formvorschriften im Einredeverfahren vor deutschen
Gerichten2.

c) Schiedsvereinbarung und Verfahrensvereinbarung


7.326 Der Formzwang gilt freilich nur für die Schiedsvereinbarung i.e.S., nicht für ergänzende Ver-
einbarungen über das Schiedsverfahren3. Dies folgt insbesondere aus Art. V Abs. 1 UNÜ, der
das auf die Schiedsvereinbarung anwendbare Recht in lit. a durch eine vereinheitlichte Kollisi-
onsnorm, das auf Verfahrensvereinbarungen hingegen in lit. d durch eine vereinheitlichte

177 (180 ff.); Lachmann, Rz. 2564; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 18; Geimer
in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 25 und § 1061 ZPO Rz. 2; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO
Rz. 379; krit. hingegen Quinke, SchiedsVZ 2011, 169 (171 ff.); Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO
Rz. 18. Ähnlich schon BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 (2500) = SchiedsVZ
2005, 306; KG v. 18.1.2010 – 20 Sch 9/09, IPRspr. 2010 Nr. 300a; OLG Frankfurt a.M. v. 27.8.2009
– 26 SchH 3/09, BeckRS 2010, 25197 = YCA XXXV (2010), 377; Kröll, ZZP 2004, 453, (469 ff.,
477 f.) und SchiedsVZ 2007, 145 (155); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 379;
Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 12 f.
1 OLG Rostock v. 22.11.2001 – 1 Sch 3/00, IPRax 2002, 401 (m. krit. Anm. Kröll, IPRax 2002, 384);
OLG München v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08, SchiedsVZ 2009, 340; Wächter, SchiedsVZ 2018, 294
(298); Kröll, ZZP 117 (2004), 453 (478).
2 Vgl. BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 25, 46) (Niederlande); BGH v.
8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 31) (Indien); BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09,
ZIP 2010, 2512 (Rz. 29) = WM 2010, 2032 = GWR 2010, 582 m. Anm. P. Wagner (Österreich); vgl
auch OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73 Rz. 55).
3 Vgl. zu dieser Unterscheidung öOGH v. 9.9.1987, IPRax 1989, 302 (303) (m. Anm. Heller, IPRax
1989, 315); Schlosser, Rz. 257 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 93; Gildeggen,
S. 17 ff., 85; Berger, S. 95; a.A. Lachmann, Rz. 343.

1132 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.328 § 7

Sachnorm regelt1. Dafür spricht ferner die Systematik des Art. II UNÜ, der in Abs. 2 und 3
ersichtlich auf „Vereinbarungen“ i.S.v. Abs. 1 Bezug nimmt2. Die Frage, welche Abreden not-
wendige Bestandteile einer Schiedsvereinbarung sind und deshalb der Form des Art. II Abs. 2
UNÜ bedürfen, ist dabei im Wege autonomer Qualifikation zu entscheiden3. Danach ist In-
halt der Schiedsvereinbarung i.S.v. Art. II UNÜ allein die Unterwerfung der Parteien unter die
Entscheidungskompetenz eines Schiedsgerichts4. Hingegen beurteilt sich die Form zusätzli-
cher Vereinbarungen – etwa über die Zusammensetzung und Konstituierung des Schieds-
gerichts oder die Ausgestaltung des Schiedsverfahrens – nicht nach Art. II Abs. 2 UNÜ, son-
dern nach dem Verfahrensstatut des Art. V Abs. 1 lit. d UNÜ (vgl. auch Rz. 7.210)5.

d) Schriftlichkeit
aa) Allgemeines
Auch die nach Art. II Abs. 2 UNÜ an die „schriftliche Vereinbarung“ zu stellenden Anfor- 7.327
derungen sind im Interesse einer einheitlichen Beurteilung in allen Vertragsstaaten autonom
unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift ohne Bezugnahme auf nationales
Recht zu bestimmen6. Art. II Abs. 2 UNÜ unterscheidet dabei zwei Varianten der Schrift-
form, nämlich die von beiden Parteien unterzeichnete Vertragsurkunde einerseits, den Aus-
tausch von Briefen oder Telegrammen andererseits. Beide Formalternativen gelten nicht nur
für Schiedsabreden, sondern auch für Schiedsklauseln7.

Erforderlich ist damit die volle (doppelte) Schriftform; die „halbe“ Schriftlichkeit, dh die Be- 7.328
stätigung einer mündlichen Vereinbarung durch ein Bestätigungsschreiben einer Partei, wie
sie gem. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.83 ff.) und § 38 Abs. 2 ZPO
für internationale Gerichtsstandvereinbarungen und gem. § 1031 Abs. 2 ZPO auch für
Schiedsvereinbarungen nach autonomem deutschen Recht (dazu Rz. 7.372 f.) genügt, reicht
hingegen für die Formwirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach Art. II Abs. 2 UNÜ nicht

1 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7.


2 Gildeggen, S. 86.
3 Gildeggen, S. 87 ff.; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 30; z.T. abw. Schlosser, Rz. 261 und in FS
Rammos (1979), S. 797 (802), der insoweit auf nationales Recht zurückgreifen möchte.
4 Vgl. CNA Reinsurance Co. Ltd. v. Trustmark Ins. Co. (N. D.Ill. 2001), YCA XXVII (2002), 626
(630), wonach eine „short-form arbitration clause“, die lediglich den Hinweis enthält: „Streiterle-
digung durch Schiedsgericht“ nach Art. II UNÜ ausreicht; Ort und Verfahren richteten sich dann
nach nationalem Recht.
5 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 30; Schlosser, Rz. 257 ff.
6 van den Berg, S. 173 ff.; von Hülsen, S. 53; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 50;
Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 15, 24. Zust. die Gerichtspraxis
der Vertragsstaaten, vgl. BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, NJW 1976, 1591; OLG Schleswig v.
30.3.2000 – 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706 m. Anm. Werder; ebenso für Frankreich: App. Paris v.
20.1.1987, Clunet 1987, 934; für Italien: Cass. v. 15.3.1986, Nr. 1765, Riv.dir.int.priv.proc. 1986,
708; für Österreich: OGH v. 17.11.1971, JBl. 1974, 629; OGH v. 25.5.1991, YCA XXI (1996), 521;
für die Schweiz: BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54; BG v. 5.11.1985, BGE 111 Ib, 253; für Spanien:
Trib. Supremo v. 22.12.1983, YCA IX (1986), 531; Gildeggen, S. 45 ff. m.w.N.
7 Otto, IPRax 2003, 333 (334); zust. Kahn Lucas Lancaster, Inc. v. Lord Int’l (2nd Cir. 1999), 186 F.
3d 210 (215 ff.) = YCA XXIII (1998), 1029; Bothell v. Hitachi Zosen (W.D. Wash. 2000), YCA
XXVI (2001), 939 (943); a.A. aber Sphere Drake Ins. PLC v. Marine Towing, Inc. (5th Cir. 1994),
16 F. 3d 366 = YCA XX (1995), 937.

Hausmann | 1133
§ 7 Rz. 7.328 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

aus1. Die Schriftform ist auch im kaufmännischen Rechtsverkehr einzuhalten. Das Bestehen
eines Handelsbrauchs kann die Schriftform – anders als nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüs-
sel Ia-VO für Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.95 ff.) und nach § 1031 Abs. 2 ZPO
für Schiedsvereinbarungen nach autonomem deutschen Recht – nur ausnahmsweise ersetzen
(vgl. aber auch Rz. 7.343)2. Auch zwischen den Parteien bestehende laufende Geschäftsbezie-
hungen oder „Gepflogenheiten“ ändern an den Formerfordernissen des Art. II Abs. 2 UNÜ
grundsätzlich nichts3.

bb) Beiderseitige Unterzeichnung der Vertragsurkunde


7.329 Diese vor allem beim Vertragsschluss unter Anwesenden typischerweise gewählte Form wirft
i.d.R. keine größeren Probleme auf. Erforderlich ist hiernach eine handschriftliche Unterzeich-
nung. An die Unterschrift werden zwar nur geringe Anforderungen gestellt4; eine mecha-
nische Unterschriftsleistung (Faksimile) genügt allerdings nicht5. Die Unterschriften brauchen
sich nicht speziell auf die Schiedsabrede zu beziehen; ausreichend ist vielmehr die beiderseiti-
ge Unterzeichnung des Gesamtvertrages, der eine solche Schiedsklausel enthält6. Deshalb ist
auch eine Blanko-Unterschrift, über die später eine Schiedsklausel gesetzt wird, nach Art. II
Abs. 2 UNÜ formwirksam7. Die Unterschriften können auch zeitlich versetzt und an verschie-
denen Orten geleistet werden. In diesem Fall genügt es, wenn die zuletzt unterzeichnende Par-
tei die andere über die geleistete Unterschrift informiert; der Rücksendung der Vertragsurkun-
de oder der Übermittlung einer Abschrift bedarf es nicht8.

7.330 Eine Vertragsurkunde, die nur von derjenigen Partei unterschrieben ist, die sich auf die
Schiedsklausel beruft, genügt hingegen nicht9; dies gilt erst recht für eine durch Textmontage
früher geleisteter Unterschriften erstellte „Vereinbarung“10. Ein Verzicht der anderen Partei
auf die Einhaltung der Förmlichkeit des Art. II Abs. 2 UNÜ bleibt jedoch möglich (dazu

1 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 27) = SchiedsVZ 2011, 46; BayObLG v.
12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003, 383 (384); Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (464); Gildeg-
gen, S. 60 f.; Epping, S. 65; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061
ZPO Rz. 95.
2 van den Berg, S. 221; Gildeggen, S. 51; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 20.
3 Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 22.
4 Vgl. ital. Cass. S.U. v. 11.9.1979, Nr. 4746, YCA VI (1981) 230 (231).
5 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 97; Schlosser, Rz. 373; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. II UNÜ Rz. 14; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (453); Haas, S. 175; a.A. von Hülsen,
S. 54. An die Unterschrift werden allerdings keine hohen Anforderungen gestellt, vgl. ital. Cass. S.
U. v. 11.9.1979, Nr. 4167, Riv.dir.int.priv.proc. 1980, 425 („minimum of individuality which cannot
be automatically reproduced by others“).
6 Ital. Cass. S.U. v. 8.5.1978, Nr. 2392, YCA V (1980), 267 (268); v. 16.11.1992, Nr. 12268, YCA XIX
(1994), 694; v. 11.7.1992, Nr. 8469, YCA XXII (1997), 715 (720); schwz. BG v. 12.1.1989, YCA XV
(1990), 509 (511); OG Basel v. 5.7.1994, YCA XXI (1996), 685 (686); Schlosser in Stein/Jonas, Anh.
zu § 1061 ZPO Rz. 97; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 14; van den Berg, S. 192;
Epping, S. 63.
7 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 33; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 97.
8 OLG Köln v. 18.5.1992 – 19 U 22/92, RIW 1992, 760; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 32;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 96.
9 BGH v. 8.6.2010 − XI ZR 349/08, RIW 2010, 879 (Rz. 27); BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09, RIW
2010, 885 (Rz. 21); ital. Cass. S.U. v. 18.9.1978, Nr. 4167, YCA IV (1979), 296 (300); Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 96.
10 BayObLG v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, BayObLGZ 2000, 392 = RIW 2003, 383.

1134 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.331 § 7

Rz. 7.348 ff.). Werden mehrere Vertragsurkunden erstellt, so ist es ausreichend, wenn jede Par-
tei das für die andere Partei bestimmte Exemplar unterzeichnet1. Wegen der zunehmenden
Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs muss auch für Art. II Abs. 2 UNÜ die elek-
tronische Form der Schriftform gleichstehen, soweit eine schriftliche Aufzeichnung des Textes
möglich ist2. Für den Erlass eines nach dem UNÜ anerkennungsfähigen Schiedsspruches ge-
nügt es ferner, wenn die schriftliche Schiedsvereinbarung erst während des bereits laufenden
Schiedsverfahrens getroffen worden ist3.

cc) Austausch von Dokumenten


Demgegenüber setzt der schriftliche Vertragsschluss durch Briefwechsel keine handschriftliche 7.331
Unterzeichnung voraus. Da eine solche bei Telegrammen fehlt, leugnet die h.M. heute ein ent-
sprechendes Erfordernis zu Recht auch für Briefe4. Dem Austausch von Briefen und Telegram-
men stehen – in Übereinstimmung mit Art. 7 Abs. 2 UNCITRAL-ModG, an dem sich die Aus-
legung der Art. II Abs. 2 UNÜ nach heute h.M. zu orientieren hat – andere moderne Kom-
munikationsformen, die zu einer automatisierten schriftlichen Niederlegung des übermittelten
Textes führen, gleich, sofern die Zurechenbarkeit der Erklärung zum Absender gewährleistet ist5.
Dies hat die Gerichtspraxis der Vertragsstaaten wiederholt für den Vertragsschluss durch Fern-
schreiben (Telex)6 oder durch Telefax7 entschieden. Daher können Schiedsvereinbarungen heute
auch durch den Austausch von E-Mails oder via Internet formwirksam nach Art II Abs. 2 UNÜ
geschlossen werden, sofern die Schiedsklausel schriftlich ausgedruckt werden kann8.

1 Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ Rz. 14.


2 Vgl. Kaplan, Arb.Int. 1996, 44; Herrmann, Arb.Int. 1999, 214 ff.; Kaufmann-Kohler, FS Böckstiegel
(2001), S. 355 (359); Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 15; Nagel/Gottwald, § 18
Rz. 31. Vgl. auch Lieschke v. Real Networks, Inc. (E.D.Ill. 2000), YCA XXV (2000), 530.
3 Kröll, ZZP 117 (2004), 453 (482); Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152 (158). Vgl. Supreme Court
Queensland v. 27.6.2000 (Montague v. Commonwealth Development Corp.), YCA XXVI (2001),
744 (748) (Unterzeichnung der „Terms of Reference“ durch die Anwälte beider Parteien als „agree-
ment in writing“ i.S.v. Art. II Abs. 2 UNÜ gewertet).
4 von Hülsen, S. 57; Haas, S. 168; Schlosser, Rz. 373; van den Berg, S. 192 ff.; Epping, S. 63 f.; Schwab/
Walter, Kap. 44 Rz. 7; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 100; zust. schwz. BG v.
16.1.1995, BGE 121 III, 38 (45); OG Basel v. 5.7.1994, YCA XXI (1996), 685 (686); Trib. Genf v.
6.6.1967, YCA I (1976), 199.
5 Allg. M., vgl. van den Berg, S. 204; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (464 f.); Lindacher, FS Hab-
scheid (1989), S. 167 (170 f.); Gildeggen, S. 50; Nagel/Gottwald Rz. 18.31. Vgl. auch Chloe Z Fis-
hing Co., Inc. v. Odyssey Re Ltd. (S.D. Cal. 2000), YCA XXVI (2001), 910 (924).
6 ÖOGH v. 17.11.1971, JBl. 1974, 629 (630) = YCA I (1976) 183 und v. 2.5.1972, SZ 45, 247; App. Genf
v. 14.4.1983, YCA XII (1987), 502 (504); schwz. BG v. 5.11.1985, BGE 111 Ib, 253 (255) = YCA XII
(1987), 511; BG v. 16.1.1995, BGE 121 III 38 (43); App. Paris v. 20.1.1987, Clunet 1987, 934 (938);
Commercial Court (Q.B.Div.) v. 7.3.1997 (Fahem and Co. v. Mareb Yemen Ins. Co.), YCA XXIII
(1998), 789 (792); span. Trib. Supremo v. 30.1.1986, YCA XIII (1988), 512 (513) und v. 14.7.1998, YCA
XXVI (2001), 851 (852); Genesco, Inc. v. Kakiuchi & Co. Ltd. (2nd Cir. 1987), 815 F. 2d 840 (846) =
YCA XIII (1988), 567; van den Berg, S. 204; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (464 f.); Epping, S. 65.
7 OLG Hamburg v. 30.7.1998 – 6 Sch 3/98, NJW-RR 1999; ital. Cass. v. 14.6.2007, Nr. 13916, YCA
XXXIV (2009) 639; frz. Cass. civ. v. 9.11.1993, YCA XX (1995), 660; Lindacher, FS Habscheid
(1989), S. 170 f.
8 OLG Stuttgart v. 21.12.2015 – 1 SchH 1/15, RdTW 2018, 434 (Rz. 32), Schlosser in Stein/Jonas,
Anh. § 1061 ZPO Rz. 101; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 35;
ferner schon Sphere Drake Ins. PLC v. Marine Towing, Inc. (E.D. La. 1992), YCA XIX (1994), 792
(Schiedsklausel in Versicherungspolice); Hill, Arb.Int. 1999 Nr. 2, 199 (200).

Hausmann | 1135
§ 7 Rz. 7.332 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.332 Für die Erfüllung dieser Formvariante genügt es auch, wenn nur ein einziges Dokument zwi-
schen den Parteien ausgetauscht wird1. Bedeutung hat der Verzicht auf eine Unterschrift ins-
besondere, wenn der Aufforderung der einen Partei, das zugesandte Vertragsformular (mit
der Schiedsklausel) unterschrieben zurückzuschicken, von der anderen Partei nachgekommen
wird, ohne dass eine handschriftliche Unterzeichnung erfolgt ist, oder wenn schon die Auf-
tragsbestätigung vom Absender nicht unterschrieben worden war und nur der Empfänger sie
unterschrieben zurückgeschickt hat2. Erforderlich ist jedoch in jedem Fall ein Schriftwechsel;
die nur einseitige Zusendung eines Vertragstextes mit einer Schiedsklausel3 reicht daher eben-
so wenig aus wie die einseitige schriftliche Bestätigung einer mündlichen Absprache4.

7.333 Ausreichend ist ferner, dass die Parteien in ihrer schriftlichen Korrespondenz auf eine früher
mündlich getroffene Schiedsvereinbarung5 oder auf ein nur von einer Seite oder gar nicht un-
terschriebenes Schriftstück (z.B. ein Vertragsangebot oder eine Auftragsbestätigung), das die
Schiedsklausel enthält, Bezug nehmen6 oder nur einseitig unterschriebene Urkunden unter
Anwesenden austauschen. Eine ursprünglich unwirksame Schiedsvereinbarung kann auch da-
durch geheilt werden, dass die Parteien sich in einem späteren Schriftwechsel auf die Bestel-
lung der Schiedsrichter einigen7. Die Schriftform ist aber dann nicht gewahrt, wenn erst die
Annahmeerklärung oder die Auftragsbestätigung die Schiedsklausel enthält und der Anbie-
tende hierauf nicht mehr schriftlich reagiert8. Erst recht genügt eine mündliche oder still-
schweigende Annahme eines schriftlichen Vertragsangebots (z.B. durch Entgegennahme und
Bezahlung der Ware) keinesfalls zur Einhaltung der Form des Art. II Abs. 2 UNÜ bezüglich
der dem Angebot beigefügten Schiedsklausel, mag auch der Hauptvertrag im Übrigen nach

1 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 34; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 100; a.A.
Poudret, Bull. ASA 1995, 383 (390).
2 Vgl. LG Zweibrücken v. 11.1.1978 – 6.0 H 1/77, YCA IV (1979), 262 (263); OG Basel v. 3.6.1971,
YCA IV (1979), 309 (310); öst. OGH v. 21.2.1978, SZ 51, 77 = YCA X (1985), 418 (419); Genesco,
Inc. v. Kakiuchi & Co., Ltd. (2nd Cir. 1987), YCA XIII (1988), 567; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu
§ 1061 ZPO Rz. 100.
3 BGH v. 8.6.2010 − XI ZR 349/08, RIW 2010, 879 (Rz. 27).
4 BayObLG v. 12.12. 2002 – 4Z Sch 16/02, BayObLGZ 2002, 392 (395); OLG Düsseldorf v. 22.7.2014
– I-4 Sch 8/13, IHR 2015, 18; OLG München v. 23.11.2009 – 34 Sch 13/09, SchiedsVZ 2010, 50
(51); OLG Frankfurt v. 27.8.2009 – 26 SchH 3/09, BeckRS 2010, 25197 = YCA XXXV (2010), 377;
OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006 – 26 Sch 28/05, IPRax 2008, 517 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2008,
497) = YCA XXXII (2007) 351; OLG Rostock v. 22.11.2001 – 1 Sch 3/00, IPRax 2002, 401
(Rz. 57 ff.) (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 384). Vgl. auch Rz. 7.344. Gleiches gilt, wenn die Schieds-
klausel nicht in dem gewechselten Schriftverkehr selbst enthalten ist, sondern nur in einem von
einer Seite nachträglich an die andere übermittelten Merkblatt, vgl. BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/
08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 26 f.) = IPRax 2011, 499 (m. zust. Anm. Samtleben, IPRax 2011, 469);
ebenso BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09, ZIP 2010, 2512 (Rz. 20 f.) = NZG 2010, 1351 = RIW 2010,
885.
5 von Hülsen, S. 54.
6 Supreme Court India v. 31.8.2001 (Smita Conductors, Ltd. v. Euro Alloys Ltd.), YCA XXVII
(2002), 482 (486 f.); span. Trib Supremo v. 5.5.1998, YCA XXVII (2002), 540 (542); Epping, S. 64;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 96 a.E.
7 OLG Hamburg v. 30.7.1998 – 6 Sch 3/98, NJW-RR 1999, 1738; zust. Schlosser in Stein/Jonas, Anh.
zu § 1061 ZPO Rz. 104, 122.
8 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 22 =RIW 2021, 233; Span. Trib. Supre-
mo v. 16.4.1990, YCA XXVII (2002), 528 (529 f.) und v. 6.10.1998, YCA XXVI (2001), 854 (856);
Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (455); Gildeggen, S. 61; Schlosser, Rz. 380; van den Berg, S. 196;
Epping, S. 65; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 97.

1136 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.335 § 7

der lex causae gültig zustande gekommen sein1; daran vermag auch eine zwischen den Partei-
en bestehende laufende Geschäftsverbindung nichts zu ändern2.

Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Schiedsvereinbarung in der Annahmeerklärung, die 7.334
zum Vertragsschluss führt, ist zwar entbehrlich3; die Antwort auf das Vertragsangebot muss
jedoch auch die darin enthaltene Schiedsklausel decken4. Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach
dem Statut der Schiedsvereinbarung; ergänzend kann auch auf andere Quellen des internatio-
nalen Einheitsrechts, namentlich auf Art. 19 des Wiener UN-Kaufrechts zurückgegriffen wer-
den5. Enthält eine schriftliche Order daher eine Schiedsklausel, so ist diese nach Art. II Abs. 2
UNÜ wirksam zustande gekommen, wenn der Verkäufer mit einer Rechnung antwortet, die
auf die Kauforder Bezug nimmt6. Antwortet der Angebotsempfänger hingegen mit einem
Schriftstück, das eine Gerichtsstandsklausel enthält, dann ist weder diese noch die im Ange-
bot enthaltene Schiedsklausel Vertragsbestandteil geworden7. Sehen hingegen beide Parteien
in den ausgetauschten Schreiben oder den beigefügten AGB die Streiterledigung durch
Schiedsgerichte vor, so ist die Form des Art. II Abs. 2 UNÜ auch dann gewahrt, wenn die
Schiedsklauseln inhaltlich voneinander abweichen (z.B. Schiedsorte in unterschiedlichen Län-
dern vorsehen), denn insoweit handelt es sich nicht um den notwendigen Inhalt der Schieds-
vereinbarung8.

Verweisen die Parteien auf zwischen ihnen früher geschlossene Verträge, so erstreckt sich eine 7.335
darin in der Form des Art. II Abs. 2 UNÜ vereinbarte Schiedsabrede auch auf den neuen Vertrag9.

1 van den Berg, S. 198; Berger, S. 104 f.; Epping, S. 65; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO
Rz. 100; zust. span. Trib. Supremo v. 7.7.1998, YCA XXVII (2002), 546 (549); Court of Appeal v.
4.11.1977 (Pickfords Removals Ltd. v. Willcock), YCA VII (1982), 365; App. Napoli v. 13.12.1974,
Riv.dir.int.priv.proc. 1974, 552 = YCA I (1976) 193.
2 BayObLG v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003, 383 (384); Hof Den Haag v. 17.2.1984, YCA X
(1985), 485 (486); Kahn Lucas Lancaster, Inc. v. Lark Int’l, Ltd. (2nd Cir. 1999), YCA XXIV (1999),
900 (908); Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (465); van den Berg, S. 196 ff.; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 15; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 38.
3 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 100; Gildeggen, S. 51 f.; Haas in Weigand, Art. II
UNÜ Rz. 37; van den Berg, S. 199; Epping, S. 64; zust. OG Basel v. 5.7.1994, YCA XXI (1998), 685
(686); ital. Cass. v. 11.7.1992, Nr. 8469, Riv.dir.int.priv.proc. 1995, 104.
4 OLG Köln v. 19.11.2010 – 19 Sch 7/10, IPRspr. 2010 Nr. 309; OLG München v.23.11.2009 – 34
Sch 13/09, SchiedsVZ 2010, 50 (51); Wackenhuth, ZZP 99 (1986) 445 (460 f.); Schlosser in Stein/
Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 100; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 8.
5 So ausdrücklich Filanto S.p.A. v. Chilewich International Corp. (S.D.N.Y. 1992), 789 F. Supp. 1229 =
YCA XVIII (1993), 530 (541 f.); a.A. Midland Bright Drawn Steel Ltd. v. Erlanger & Co., Inc. (S.D.
N.Y. 1989), YCA XIX (1994), 755.
6 App. Firenze v. 8.10.1977, YCA IV (1979), 289 (290 f.); van den Berg, S. 201; zweifelnd Walter,
RIW 1982, 699; a.A. ital. Cass. S.U. v. 10.3.2000, Foro it. 2000 I, 2226 = YCA XXVI (2001), 816
(820 f.).
7 Vgl. – zu Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ – AG Singen v. 26.10.1983 – 3 C 177/83, RIW 1985, 73 = IPRspr.
1983 Nr. 140; ferner Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 8; Gildeggen, S. 79 ff.; vgl. aber auch ital. Cass. S.
U. v. 10.1.1984, Nr. 174, Riv.dir.int.priv.proc. 1985, 351 = YCA VI (1986), 513.
8 Vgl. Podar Brothers v. I.T.A.D. Associates, Inc. (4th Cir. 1981), 636 F. 2d. 75 = YCA VII (1982),
379; Gildeggen, S. 80; Haas, in: Weigand, Art. II UNÜ Rz. 37; Adolphsen in MünchKomm ZPO,
Art. II UNÜ Rz. 15 a.E.
9 Schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (57 ff.); schwz. BG v. 12.1.1989, YCA XV (1990), 509 (511);
Gildeggen, S. 70 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 111; a.A. noch ital. Cass. v.
13.12.1971, Nr. 3620, Riv.dir.int.priv.proc. 1972, 563 (570 ff.) = YCA I (1976) 190 f.

Hausmann | 1137
§ 7 Rz. 7.335 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Gleiches gilt erst recht für bloße Vertragsverlängerungen1. War die mögliche Vertragsverlän-
gerung bereits im ursprünglichen Vertrag angesprochen worden, so gilt eine darin enthaltene
schriftliche Schiedsklausel auch dann, wenn der Vertrag später mündlich tatsächlich verlän-
gert wird2. Ausreichend ist es auch, wenn die Parteien in einem schriftlichen Zusatzvertrag
auf den die Schiedsklausel enthaltenden Hauptvertrag Bezug nehmen, der selbst nicht unter-
schrieben worden ist3. Der schriftliche Hinweis einer Partei, dass die – eine Schiedsklausel ent-
haltenden – AGB, die in einen früheren Vertrag einbezogen worden waren, auch für den neu-
en Vertrag gelten sollen, erfüllt die Schriftform nach Art. II Abs. 2 UNÜ hingegen nicht.

7.336 Im Fall einer Zession vertraglicher Ansprüche bleibt der Zessionar einer in der Form des
Art. II Abs. 2 vereinbarten Schiedsklausel unterworfen, ohne dass es der Schriftlichkeit der
Abtretungsvereinbarung oder gar einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung über den Ein-
tritt in die Schiedsvereinbarung bedürfte. Die Form des Art. II Abs. 2 UNÜ muss also nur
zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien eingehalten worden sein (zur Drittwirkung
von Schiedsvereinbarungen näher Rz. 7.430 ff.)4. Dies gilt auch dann, wenn eine Partei im
Wege der Vertragsübernahme in die gesamte Rechtsstellung des Vorgängers eintritt5.

dd) Allgemeine Geschäftsbedingungen


7.337 Ist die Schiedsvereinbarung in AGB enthalten, so soll durch das Schriftformerfordernis des
Art. II Abs. 2 insbesondere sichergestellt werden, dass die Parteien sich über die Schiedsklausel
tatsächlich geeinigt haben, die Klausel also nicht unbemerkt Vertragsinhalt wird6. Dies ist ohne
Weiteres der Fall, wenn die AGB im Text der beiderseits unterschriebenen Vertragsurkunde
enthalten sind. Über den strikten Wortlaut des Art. II Abs. 2 UNÜ hinaus genügt jedoch auch
die bloße Bezugnahme im Text der Vertragsurkunde oder in den ausgetauschten Schreiben auf
eine in den AGB enthaltene Schiedsklausel, wenn auf diese Klausel im Vertragsangebot oder
einer Auftragsbestätigung selbst ausdrücklich hingewiesen wird (sog. „specific reference“)7.

1 Ital. Cass. v. 12.5.1977, Nr. 3989, YCA IV (1979), 286 (288); Trib. com. Bruxelles v. 5.10.1994, Rev.
arb. 1995, 311 (314); Schlosser, Rz. 373; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 34 a.E., 41.
2 Vgl. Becker Autoradio USA, Inc. v. Becker Autoradiowerke GmbH (3rd Cir. 1978), 585 F. 2d 39 =
YCA V (1980), 272; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 15.
3 Schwz. BG v. 12.1.1989, YCA XV (1990), 509 (511); span. Trib. Supremo v. 20.2.2001, YCA XXVI
(2001), 858 (860); vgl. auch Borsack v. Chalk & Vermilion Fire Arts, Ltd. (S.D. N.Y. 1997), YCA
XXIII (1998), 1038 (1041 ff.).
4 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 48; zust. Basargin v. Shipowners MPI Ass. (D. Al. 1995), YCA
XXII (1997), 894 (895); a.A. OLG Düsseldorf v. 17.11.1995 – 17 U 103/95, OLGR 1996, 95 (96);
App. Salerno v. 31.12.1990, Riv.dir.int.priv.proc. 1992, 115; BezG Moskau v. 21.4.1997, YCA XXIII
(1998), 745 (748).
5 Schlosser, Rz. 373; a.A. ital. Cass. v. 3.6.1985, Nr. 3285, Riv.dir.int.priv.proc. 1987, 73 = YCA XI (1986),
518. Vgl. auch Technetronics, Inc. v. Leybold GmbH (E.D. Penn. 1993), YCA XIX (1994), 843 (847 f.)
(Schiedsklausel in Kaufvertrag zwischen deutschem Verkäufer und niederländ. Käufer bindet auch
eine amerikan. Gesellschaft, die in alle Rechte und Pflichten der Käuferin eingetreten ist).
6 van den Berg, S. 173; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (454); Lindacher, FS Habscheid (1989), S. 167 f.
7 Allg. M., vgl. van den Berg, S. 217; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7; Schlosser, Rz. 379; Haas in Wei-
gand, Art. II UNÜ Rz. 44; zust. OLG Stuttgart v. 21.12.2015 – 1 Sch 1/15, IHR 2017, 236; OLG
München v. 8.3.1995 – 7 U 5460/94, NJW-RR 1996, 1532 = RIW 1996, 853 (855); ebenso in Eng-
land: High Court (Q.B.Div.) v. 12.-21.12.1977 (The Mauritius Sugar Syndicate v. Black & Lion
Shipping Co. S.A.), YCA IV (1979), 323 (325); in Frankreich: Cass. civ. v. 11.10.1989, Clunet 1990,
633 (634) = YCA XV (1990), 447; in Italien: Cass. v. 20.12.1983, Nr. 7497, YCA X (1985) 473
(474); Cass. v. 2.3.1996, YCA XXII (1997), 734 (735); in den USA: Japan Sun Oil Ltd. v. The M/V
Maasdijk (E.D. La. 1994), YCA XXII (1997), 884 (885 ff.).

1138 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.339 § 7

Für diesen Fall ist eine Übermittlung der AGB an den Vertragspartner zur Einhaltung der
Form nach Art. II Abs. 2 UNÜ nicht erforderlich1.

Demgegenüber besteht nach wie vor Unsicherheit über die Frage, ob auch die allgemeine Be- 7.338
zugnahme auf die AGB, welche die Schiedsklausel enthalten (sog. „general reference“)2, den
Formerfordernissen des Art. II Abs. 2 UNÜ entspricht3. Diese Frage ist indes grundsätzlich zu
bejahen, wenn der Vertragspartner des Verwenders einerseits hinreichend deutlich auf die
AGB hingewiesen worden ist und andererseits die Möglichkeit hatte, vom Inhalt dieser AGB
einschließlich der Schiedsklausel im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gebührend Kenntnis zu
nehmen4, wenn also diejenigen Voraussetzungen erfüllt sind, die auch im europäischen Zivil-
prozessrecht für die Einhaltung der Schriftform nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-
VO gefordert werden, soweit eine Gerichtsstandsklausel in den AGB einer Vertragspartei ent-
halten ist (dazu ausf. Rz. 7.72 ff.).

Wesentlich ist also zunächst, dass die von den Parteien unterzeichnete Urkunde oder die ge- 7.339
wechselten Schreiben ausdrücklich auf die AGB Bezug nehmen. Denn erst durch diese Be-
zugnahme – z.B. auf die rückseitig abgedruckten oder mit dem Vertrag als Anlage verbunde-
nen AGB – wird die Verbindung zwischen dem doppelten Schriftformerfordernis und den
AGB hergestellt5. Ohne einen solchen ausdrücklichen Hinweis besteht für die andere Vertrags-
partei keine Klarheit darüber, ob die AGB – und damit die Schiedsklausel – Vertragsbestand-
teil sein sollen. Unschädlich ist es allerdings, wenn sich der Hinweis auf die AGB außerhalb
des unterschriebenen Textes – z.B. unterhalb der Unterschriftenzeile – befindet6. Fehlt es in
dem von beiden Parteien unterschriebenen Vertragsdokument an einer Bezugnahme auf die
AGB, so wird eine in diesen AGB enthaltene Schiedsklausel nicht in den Vertrag einbezogen;
das kommentarlose Mitverschicken der AGB genügt also zur Einhaltung der Schriftform nach
Art. II Abs. 2 UNÜ nicht7. Entsprechendes muss auch beim Austausch von Briefen oder Fern-
schreiben gelten8. Der nachträgliche Hinweis einer Seite, der geschlossene Vertrag sei wie ein
früherer auf der Basis ihrer AGB zustande gekommen, reicht für die Einbeziehung der
Schiedsklausel in den neuen Vertrag nicht aus, weil es an der erforderlichen schriftlichen Zu-

1 OG Basel v. 5.7.1994, YCA XXI (1998), 685 (687); Bucher, Rz. 123 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh.
§ 1061 ZPO Rz. 113.
2 Zur Unterscheidung zwischen „specific reference“ und „general reference“ auf AGB im Rahmen
von Art. II Abs. 2 UNÜ Oppetit, Rev.arb. 1990, 551 (561 ff.); Haas in Weigand, Art. II UNÜ
Rz. 43.
3 Vgl. dazu Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 44 ff. m. Nachw. Abl. insb. die. ital. Rspr., vgl. Cass.
v. 19.5.2009, Nr. 11529, YCA XXXIV (2009), 649 (652).
4 Wie hier Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (458); van den Berg, S. 208 ff.; Sieg, RIW 1998, 102
(106); Haas, S. 169 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 113; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 19; zust. OLG Stuttgart v. 21.12.2015 – 1 Sch 1/15, IHR 2017, 236;
ital. Cass. v. 16.6.2011, Nr. 13231, YCA XXXVII (2012) 255 f.; OG Basel v. 5.7.1994, YCA XXI
(1998), 685 (687); Verolme Botlek B.V. v. L. L. Moore Corp. (N.D. Okl. 1995), YCA XXI (1996),
824 (826); Polytek Engineering Co., Ltd. v. Jacobson (D. Minn. 1997), YCA XXIII (1998), 1103
(1106); einschränkend Lindacher, FS Habscheid (1989), S. 167 (171).
5 OLG München v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08, SchiedsVZ 2009, 340 = IPRspr. 2009 Nr. 280; ital.
Cass. v. 30.7.1984, Nr. 4537, Riv.dir.int.priv.proc. 1985, 597 (600) und v. 11.7.1992, Nr. 8469, Riv.
dir.int.priv.proc. 1995, 104.
6 OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706 m. Anm. Werder.
7 Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (456); Lindacher, FS Habscheid (1989), S. 167 (171); Schlosser,
Rz. 380; Gildeggen, S. 62 ff.; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 19.
8 Schlosser, Rz. 380.

Hausmann | 1139
§ 7 Rz. 7.339 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

stimmung der anderen Seite fehlt1. Verwendet eine Partei – je nach Art der Transaktion – ver-
schiedene AGB, so muss sich aus der Verweisung eindeutig ergeben, welche AGB einbezogen
werden sollen2. Verweisen beide Parteien jeweils auf ihre eigenen AGB, so werden diese nicht
Vertragsbestandteil, soweit sie sich bzgl. der Streiterledigung widersprechen3.
7.340 Zum anderen verlangt der Schutzzweck des Formerfordernisses in Art. II Abs. 2, dass der Ver-
tragspartner des Verwenders eine ausreichende Möglichkeit zur Kenntnisnahme der formu-
larmäßigen Schiedsklausel zur Zeit des Vertragsschlusses hatte4. Die AGB, welche die Schieds-
klausel enthalten, müssen dem anderen Teil also spätestens beim Vertragsschluss übergeben
oder übersandt werden. Diese Vorausetzung ist etwa erfüllt, wenn die AGB auf der Rückseite
der Vertragsurkunde bzw. des Angebots abgedruckt5 oder als besonderes Dokument beigefügt
worden sind6. Nicht ausreichend ist hingegen die bloße Bezugnahme auf die eine Schiedsklau-
sel enthaltenden AGB, sofern diese der beiderseits unterschriebenen Vertragsurkunde oder
den ausgetauschten Briefen bzw. Fernschreiben nicht beilagen7.
7.341 Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Hauptvertrag besonders auf die in den nicht beigefüg-
ten AGB enthaltene Schiedsklausel hingewiesen worden ist8, oder wenn sich der Empfänger

1 Frz. Cass. civ. v. 25.2.1986, Clunet 1986, 735 m. Anm. Jacquet; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu
§ 1061 ZPO Rz. 113 a.E.
2 App. Genf v. 16.12.1988, YCA XVI (1991), 612.
3 OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006 – 26 Sch 28/05, IPRax 2008, 517 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2008,
497) = YCA XXXII (2007) 351.
4 Allg. M., vgl. frz. Cass. v. 21.11.2006, YCA XXXII (2007) 294 ff.
5 BayObLG v. 17.9.1998 – 4 Z Sch 1/98, BayObLGZ 1998, 219 (223) = RIW 1998, 965; OLG Schles-
wig v. 30.3.2000 – 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706 (707) m. Anm. Werder; vgl. auch Hanefeld/Witting-
hofer, SchiedsVZ 2005, 217 (221); ebenso in Italien: Cass. v. 30.7.1984, Nr. 4537, YCA XI (1986),
519; in Spanien: Trib. Supremo v. 10.2.1984, YCA X (1985), 493; in den USA: Ferrara SpA. v. Uni-
ted Grain Growers Ltd. (S.D. N.Y. 1977), YCA IV (1979), 331 (332).
6 Vgl. BGH v. 12.2.1976 – III ZR 42/74, NJW 1976, 1591; ital. Cass. v. 15.3.1986, Nr. 1765, Riv.dir.
int.priv.proc. 1986, 708; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 113.
7 van den Berg, S. 220; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (458 f.); Sieg, RIW 1998, 102 (106); Haas,
S. 169 ff.; Schlosser, ZEuP 1994, 682 (692 f.); Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 9; Voit in Musielak, § 1031
ZPO Rz. 18; zust. BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, RIW 1984, 644 (647) m. Anm. Mezger =
IPRax 1985, 158 (m. Anm. Schlosser, IPRax 1985, 141); OLG München v. 8.3.1995 – 7 U 5460/94,
RIW 1996, 854 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006 – 26 Sch 28/05, IHR 2007, 42 (Rz. 18); ebenso
in Frankreich: Cass. civ. v. 11.10.1989, Rev.arb. 1990, 134 m. zust. Anm. Kessedijan; in Italien: Cass.
v. 19.5.2009, YCA XXXIV (2009), 649; Cass. v. 28.10.1993, YCA XX (1995), 739; Cass. v. 15.3.1986,
Nr. 1765, Riv.dir.int.priv.proc. 1986, 708; Cass. v. 14.11.1981, Nr. 6035, YCA IX (1984), 416; Cass. v.
22.4.1976, Nr. 1439, Foro it. 1976 I, 1495 (1497); in Österreich: OGH v. 21.2.1978, YCA X (1985),
417 f.; in den USA: Bothell v. Hitachi Zosen (W.D. Wash. 2000), YCA XXVI (2001), 939 (943 ff.);
a.A. Gentinetta, S. 318; Berger, S. 111 f. Vgl. auch OLG Köln v. 16.12.1992 – 16 W 43/92, RIW
1993, 499 = IPRax 1993, 399 (m. Anm. Haas, IPRax 1993, 382) = YCA XXI (1996), 535 (Bloße
Verweisung der dän. Verkäuferin in ihrer Auftragsbestätigung auf die ECE-Bedingungen, die eine
Schiedsklausel enthalten, wahrt die Schriftform des Art. II Abs. 2 UNÜ jedenfalls dann nicht, wenn
diese Bedingungen der Auftragsbestätigung nicht beigefügt waren); HandelsG Zürich v. 25.8.1992,
ZEuP 1994, 682 m. Anm. Schlosser (Die in den englischsprachigen „General Conditions for the Sup-
ply of Plant and Machinery for Export“ enthaltene Schiedsklausel wird nicht Inhalt eines Kaufver-
trags zwischen einer schweiz. Verkäuferin und einer deutschen Käuferin, wenn die Vertragsver-
handlungen und der Schriftverkehr ausschließlich auf Deutsch geführt wurden und die schwz.
Verkäuferin hierbei stets Briefpapier mit dem Aufdruck „Gerichtsstand Zürich“ verwendet hat).
8 Schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54; van den Berg, S. 218; zust. Lindacher, FS Habscheid (1989),
S. 167 (173); Sieg, RIW 1998, 102 (106); Haas, S. 169 f.

1140 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.343 § 7

des Vertragsangebots oder der Auftragsbestätigung ausdrücklich mit der Geltung der in Bezug
genommenen AGB einverstanden erklärt hat1. Ferner müssen die AGB in der Verhandlungs-
bzw. Vertragssprache oder einer Weltsprache abgefasst sein; der Empfänger ist nach Art. II
Abs. 2 UNÜ grundsätzlich nicht verpflichtet, die AGB übersetzen zu lassen2. Darüber hinaus
muss in jedem Fall auch der Hinweis auf die AGB im Vertragstext in einer für den Empfänger
verständlichen Sprache abgefasst sein. An die Lesbarkeit der AGB sind hingegen keine hohen
Anforderungen zu stellen; dies gilt jedenfalls dann, wenn in der betreffenden Branche
Schiedsklauseln üblich sind3.

Da es allein auf die Kenntnis des Partners im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, 7.342
reicht es für die formgültige Einbeziehung der in AGB enthaltenen Schiedsklausel auch aus,
wenn die AGB dem Partner bereits bei früherer Gelegenheit übersandt worden waren, wie
dies namentlich im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen häufig der Fall sein wird4. Ent-
behrlich ist in einem solchen Fall freilich nur die erneute Mitversendung der AGB. Das
Schriftformerfordernis als solches wird durch die Unterhaltung laufender Geschäftsbeziehun-
gen von AGB nicht ersetzt, so dass auch in diesem Falle eine ausdrückliche Bezugnahme auf
die AGB erforderlich ist5.

Die Übersendung der AGB ist schließlich auch dann entbehrlich, wenn die Schiedsklausel in 7.343
AGB enthalten ist, die nicht von einem einzelnen Unternehmen, sondern von berufsstän-
dischen Vereinigungen geschaffen worden sind und die deshalb Angehörigen der betreffen-
den Branche vertraut sind6. Dies gilt insbesondere, wenn die Zuständigkeit gängiger institu-
tioneller Schiedsgerichte vereinbart wird. Demgegenüber genügt die schriftliche Bezugnahme
einer Vertragspartei auf ihre – der Gegenseite nicht übermittelten – hauseigenen AGB zur
Wahrung der Form nach Art. II Abs. 2 UNÜ auch dann nicht, wenn die Streiterledigung
durch Schiedsgerichte in der betreffenden Branche weithin üblich ist und AGB der in dieser
Branche tätigen Unternehmen deshalb regelmäßig Schiedsklauseln enthalten; erforderlich ist

1 OLG Stuttgart v. 21.12.2015 – 1 SchH 1/15, RdTW 2018, 434 (Rz. 34); span. Trib. Supremo v.
17.2.1998, YCA XXVII (2002), 533 (536).
2 HandelsG Zürich v. 25.8.1992, ZEuP 1994, 682 m. Anm. Schlosser; Gildeggen, S. 81 ff.; Haas in
Weigand, Art. II UNÜ Rz. 45; a.A. ital. Cass. v. 11.7.1992, Nr. 8469, Riv.dir.int.priv.proc. 1995,
104.
3 Vgl. dazu den instruktiven Fall Chelsea Square Textiles, Inc. v. Bombay Dyeing and Manufacturing
Co. Ltd. (2nd Cir. 1999), 189 F. 3d 289 = YCA XXV (2000), 1035.
4 van den Berg, S. 220 f.; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (459); Walter, RIW 1982, 693 (699); Gil-
deggen, S. 70 f.; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 19; Schlosser in Stein/Jonas,
Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 113 m.w.N.; zust. in Frankreich: Cass. civ. v. 11.10.1989, Clunet 1990, 633
(634); in der Schweiz: BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (59) und v. 16.1.1995, BGE 121 III, 38 (45 f.);
App. Genève v. 11.12.1997, Bull. ASA 1987, 667 = YCA XXIII (1998), 764 (768 f.); in Spanien:
Trib. Supremo v. 30.1.1986, YCA XIII (1988), 512 (513). Differenzierend Lindacher, FS Habscheid
(1989), S. 167 (172 f.).
5 OLG Celle v. 18.9.2003 – 8 Sch 12/02, YCA XXX, 536 (538 f.); van den Berg, S. 221; Wackenhuth,
ZZP 99 (1986), 445 (465); Gildeggen, S. 76 f.; vgl. auch Hof Den Haag v. 17.2.1984, YCA X (1985),
485 (486) (Die Parteien hatten in 25 aufeinander folgenden Geschäftsabschlüssen jeweils auf die
Bedingungen der „Grain and Feed Trade Association“ Bezug genommen, die eine Schiedsklausel
enthalten. Geltung dieser Schiedsklausel für einen weiteren Vertrag, in dem keine Bezugnahme
auf diese Bedingungen erfolgte, verneint).
6 App. Venezia v. 26.4.1980, YCA VII (1982), 340; ital. Cass. v. 20.12.1983, Nr. 7497, YCA X (1985),
473; HandelsG Zürich v. 14.12.1989, YCA XVIII (1993), 442; van den Berg, S. 231 ff.; Schlosser,
Rz. 379. Vgl. auch für Konnossemente Rz. 7.345 ff.

Hausmann | 1141
§ 7 Rz. 7.343 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

vielmehr in diesem Fall zumindest ein Hinweis darauf, dass die in Bezug genommenen AGB
eine solche Schiedsklausel vorsehen1. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn die von
einer Seite in Bezug genommenen AGB der anderen Seite nachweislich bekannt waren2.

ee) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben


7.344 Im Gegensatz zu Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.95 ff.) sieht Art. II Abs. 2
UNÜ Einschränkungen des Formzwangs aufgrund internationaler Handelsbräuche nicht vor.
Die Bezugnahme auf eine Schiedsklausel in einem kaufmännischen Bestätigungschreiben ge-
nügt dem Schriftformerfordernis des Art. II Abs. 2 daher auch dann nicht, wenn damit eine
nachweislich mündlich geschlossene Schiedsvereinbarung bestätigt wird. Die Formanfor-
derungen des UNÜ sind insofern also strenger als diejenigen des § 1031 Abs. 2 ZPO (dazu
Rz. 7.372 ff.)3. Daher kann das bloße Schweigen auf eine Auftragsbestätigung bzw. übersandte
Rechnungen, die eine Schiedsklausel enthalten, oder die stillschweigende Annahme eines Ver-
tragsangebots – etwa durch Entgegennahme der Ware – das Schriftformerfordernis nach
Art. II Abs. 2 UNÜ erst recht nicht erfüllen oder ersetzen4. Diese Rigorosität des Formzwangs
nach Art. II Abs. 2 UNÜ wird heute zu Recht als nicht mehr zeitgemäß kritisiert5.

ff) Konnossement
7.345 Konnossemente („Bills of Lading“) enthalten idR in den auf ihrer Rückseite abgedruckten
AGB eine Schiedsklausel. Für deren formgültige Vereinbarung gelten die allgemeinen Regeln
zur Bezugnahme auf AGB, die eine Schiedsklausel beinhalten (dazu Rz. 7.337 ff.). Häufig wird
aber auch nur auf die Bestimmungen der Charter Party verwiesen, die ihrerseits erst die
Schiedsklausel enthalten. Für diesen Fall wird z.T. – in Übereinstimmung mit § 1031 Abs. 4
ZPO a.F. – wegen der Üblichkeit von Schiedsvereinbarungen in Konnossementen und der
Kenntnis dieses Handelsbrauchs bei allen im internationalen Seefrachtverkehr tätigen Kauf-

1 Frz. Cass. civ. v. 11.10.1989 (Bomar Oil v. ETAP), Clunet 1990, 633 (634) = YCA XV (1990), 447
(Schiedsklausel in den – nicht beigefügten – AGB der tunes. Käuferin von Erdöl bindet die nieder-
länd. Verkäuferin nicht, obwohl die Streiterledigung durch internationale Schiedsgerichte in der
Erdölbranche üblich ist. Ausdrücklichen Hinweis auf die in den AGB enthaltene Schiedsklausel
verlangt); a.A. noch die Vorinstanz App. Paris Rev. arb. 1987, 482 m. Anm. Kessedijan = Clunet
1987, 934 m. Anm. Loquin.
2 Schlosser, ZEuP 1994, 892; vgl. auch frz. Cass. civ. v. 9.11.1993, Rev.arb. 1994, 108 m. Anm. Kesse-
dijan = Clunet 1994, 690 m. Anm. Loquin; App. Versailles v. 23.1.1991, Rev.arb. 1991, 291 (297);
zust. Kessedijan, Rev.arb. 1990, 134 (141); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 47.
3 LG Hannover v. 20.11.1980 – 21 O 104/80, YCA VII (1982), 322 (323); von Hülsen, S. 58; Wacken-
huth, ZZP 99 (1986), 445 (464); Schlosser, Rz. 380; Gildeggen, S. 52, 77 ff.; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 19 a.E.; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 38; Schlosser in Stein/
Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 95.
4 OLG München v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08. SchiedsVZ 2009, 340; OLG Frankfurt v. 5.6.2009 –
14 Sch 19/08, IPRspr. 2009 Nr. 275; OLG Düsseldorf v. 8.11.1971 – 6 U 52/70, IPRspr. 1971
Nr. 161; LG München I v. 20.6.1978, YCA V (1980), 260 (261); ital. Cass. v. 25.1.1991, Nr. 749,
YCA XVII (1992), 554 und v. 28.10.1993, Nr. 10704, YCA XX (1995), 739 (740); Pan Australia
Shipping Pty Ltd. v. The ship COMMANDANTE (Fed.Court of Autralia, N.S.W. District), YCA
XXXII (2007) 224 (231 ff.); Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (463); Schlosser in Stein/Jonas, Anh.
zu § 1061 ZPO Rz. 100; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 15.
5 Vgl. Kröll, SchiedsVZ 2009, 40 (45 ff.) m.w.N.

1142 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.347 § 7

leuten eine Bindung des Empfängers an die vorformulierte Schiedsklausel bejaht1. Demgegen-
über dürfte die bloße Entgegennahme des einseitig vom Verfrachter unterzeichneten Konnos-
sements dem Austausch von Briefen oder der Unterzeichnung einer Urkunde, welche die
Schiedsklausel enthält, i.S.v. Art. II Abs. 2 UNÜ nicht gleichzusetzen sein. Eine Bindung an
die Schiedsklausel wird vielmehr erst dadurch begründet, dass der Empfänger des Konnosse-
ments in einem nachfolgenden Schriftstück auf dessen Bedingungen Bezug nimmt2. Etwas an-
deres gilt allerdings – abweichend vom neuen autonomen Recht (§ 522 Abs. 1 S. 2 HGB; dazu
Rz. 7.376) – dann, wenn in der Inkorporationsklausel des Konnossements ausdrücklich auf
die Schiedsklausel in der Charter Party hingewiesen wird3. Eine Formerleichterung kann sich
ferner aus speziellen Staatsverträgen ergeben, die im Rahmen von Art. VII UNÜ zu beachten
sind4.

Wird das Konnossement weiter indossiert, so bedarf es hierfür der Einhaltung der Schrift- 7.346
form des Art. II Abs. 2 UNÜ nicht; über die Bindung des Indossatars an die im Konnossement
enthaltene Schiedsklausel entscheidet vielmehr das anwendbare nationale Recht5. An einer
dem Art. II Abs. 2 UNÜ genügenden schriftlichen Vereinbarungen fehlt es hingegen im Ver-
hältnis Verfrachter-Befrachter, wenn die Schiedsklausel in einem Konnossement enthalten ist,
das zwar der Empfänger, nicht aber der Befrachter unterzeichnet hat6. Art. II Abs. 2 UNÜ
wird allerdings im Verhältnis der Vertragsstaaten des Hamburger UN-Übereinkommens über
den Gütertransport zur See von 1978 durch dessen Art. 22 Abs. 2 als lex posterior und lex
specialis verdrängt7.

gg) Vollmacht
Für die Ausstellung einer Vollmacht zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung gilt Art. II 7.347
Abs. 2 UNÜ nicht; die Form der Vollmacht bestimmt sich vielmehr nach dem vom auto-

1 Vgl. schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (55) = YCA IX (1986), 532 (534 f.); App. Athen
Nr. 3894/76, YCA XIV (1989), 634 (635); ferner Daval v. Armare Srl (C.A. 1995), YCA XXII
(1996), 849 (853 f.); Supreme Court Philippines v. 26.4.1990, YCA XXVII (2002), 524 (526 f.); Na-
tional Material Trading v. M/V Kaptan CEBI (S.D. Cal. 1997), YCA XXIII (1998), 923 (925 f.)
(„where a bill of lading clearly refers to the charter-party to be incorporated and the holder has
actual or constructive notice of the incorporation“).
2 Schlosser, Rz. 384; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 118; Gildeggen, S. 72 ff.; Kesse-
dijan, Rev.arb. 1990, 134 (139); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 52; ausführlich dazu Epping,
S. 65 ff. m.w.N. Vgl. i.d.S auch ital. Cass. S.U. v. 22.12.2000, Nr. 1328, YCA XXVII (2002), 506,
(507); ferner frz. Cass. civ. v. 4.6.1989, Rev.arb. 1990, 616 (617) (Verweisung auf Charter Party
genügt zur formwirksamen Einbeziehung einer Schiedsklausel jedenfalls dann nicht, wenn diese
in der Verweisung nicht ausdrücklich erwähnt wird und eine Kopie der Charter Party auch nicht
angeheftet war).
3 Ital. Cass. v. 1.3.2002, Nr. 3029, Riv.dir.int.priv.proc. 2003, 1047 = YCA XXX (2005) 599 (603);
Supreme Court India v. 20.8.2001 (Vessel M. V. Baltic Confidence v. State Trading Corp. of India),
YCA XXVII (2002), 478 (480).
4 Vgl. zum Haager Übereinkommen über den Transport von Waren auf See v. 31.3.1978 Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 118 a.E.
5 Ital. Cass. v. 18.5.1978, Nr. 2392, YCA V (1980), 267 (268); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 52;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 118.
6 Ital. Cass. v. 28.3.1991, Dir.mar. 1991, 1002 (1005 ff.); App. Milano v. 29.6.1986, Dir.mar. 1988,
1137 (1139); Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 40.
7 Schlosser, Rz. 269; Gildeggen, S. 74 ff.

Hausmann | 1143
§ 7 Rz. 7.347 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nomen Kollisionsrecht der jeweiligen lex fori zur Anwendung berufenen Recht (vgl. dazu nä-
her Rz. 6.452 ff.)1. Nach deutschem Recht bedarf die Vollmacht zum Abschluss einer Schieds-
vereinbarung nicht der Form des § 1031 ZPO2. Allerdings kann das auf die Bevollmächtigung
anwendbare Recht (zu dessen Bestimmung Rz. 7.385 ff.) die Einhaltung der gleichen Form
wie für den Abschluss des Geschäfts, hier also der Schiedsvereinbarung, fordern3. Ein Han-
delsmakler, der an beide Parteien Auftragsbestätigungen versendet und von dort Rückbestäti-
gungen erhält, handelt in Empfangsvollmacht für beide Teile, so dass das Formerfordernis des
Art. II Abs. 2 UNÜ auch erfüllt ist, wenn die Gegenbestätigung nicht ihrerseits an die Parteien
weitergeleitet wird4.

e) Heilung von Formmängeln


7.348 Die Frage, ob eine defekte Schiedsvereinbarung durch das Verhalten der Parteien im Verfah-
ren geheilt werden kann, beurteilt sich zwar grundsätzlich nach dem auf das Schiedsverfahren
anwendbaren Recht. Ob in diesem Zusammenhang auf das Formerfordernis des Art. II Abs. 2
UNÜ verzichtet werden kann, ist aber im Geltungsbereich des UNÜ einheitlich nach Sinn
und Zweck dieser Norm zu entscheiden5. Obwohl Art. II UNÜ – im Gegensatz zu Art. V EuÜ
(dazu Rz. 7.352) und § 1031 Abs. 6 ZPO (dazu Rz. 7.381 f.) – über eine nachträgliche Heilung
formnichtiger Schiedsvereinbarungen keine ausdrückliche Bestimmung enthält, ist eine solche
Möglichkeit nach dem Normzweck zu bejahen. Denn Parteien, die durch Klageerhebung und
rügelose Einlassung vor dem Schiedsgericht den Vollzug ihrer formnichtigen Schiedsverein-
barung angezeigt haben, bedürfen der Schutz- und Warnfunktion des Art. II Abs. 2 UNÜ
nicht mehr6.

1 van den Berg, S. 226; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 19; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO
Rz. 119; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 16; Haas in Weigand, Art. II UNÜ
Rz. 40; zust. öOGH v. 22.5.1991, ZfRV 1992, 129; ital. Cass. v. S.U. v. 8.4.1975, Nr. 1269, Riv.dir.
int.priv.proc. 1976, 133 und v. 15.12.1982, Nr. 6915, YCA X (1985), 464 (465); a.A. LG Hamburg
v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 (126); LG Hamburg v. 10.12.1985 – 23 O 147/85, YCA
XII (1987), 487 (488).
2 § 167 Abs. 2 BGB; vgl. Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 7.
3 Vgl. zum ital. Recht Cass. S.U. v. 18.5.1978, Nr. 2392, YCA(1980) 267 (268); LG Hamburg v.
16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 f. = YCA III (1978) 274; anders aber Cass. v. 19.5.2009,
YCA XXXIV (2009) 649 (651 f.); zum griech. Recht Areopag v. 14.1.1977, YCA IV (1979) 269.
4 LG Hamburg v. 19.12.1967, YCA II (1977), 235; zust. Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II
UNÜ Rz. 15; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 37 a.E.
5 van den Berg, S. 185; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 10; Haas, IPRax 1993, 384; Epping, S. 82.
6 BayObLG v. 12.2.2002 – 4 Z Sch/16/02, RIW 2003, 383 (384); OLG München v. 13.11.2012, – 34
Sch 7/11, SchiedsVZ 2013, 62; OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706 (707 f.);
öOGH v. 26.1.2005, IPRax 2006, 496 (500) (m. Anm. Spickhoff, IPRax 2006, 522); Haas, IPRax
1993, 382 (384); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 Rz. 106; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 10;
Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 18 a.E.; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ
Rz. 21. Vgl. auch App. Athen Nr. 4458/1984, YCA XIV (1989), 638 (639). Vgl. auch schwz. BG v.
5.11.1985, BGE 111 I b, 253 = YCA XII (1987), 511 (Abschluss einer wirksamen Schiedsverein-
barung durch den Austausch von Schriftsätzen im Verfahren vor dem Schiedsgericht erfüllt die
Form des Art. II Abs. 2 UNÜ). OLG Hamburg v. 30.7.1998 – 6 Sch 3/98, NJW-RR 1999, 1738
(Ursprünglicher Mangel der Schriftform i.S.v. Art. II Abs. 2 UNÜ wird geheilt, wenn die Parteien
im anschließenden Schriftwechsel – ua. durch Bestellung ihrer Schiedsrichter – erkennen lassen,
dass das Schiedsgericht über den streitigen Anspruch entscheiden soll).

1144 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.351 § 7

Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens stellt ein dem UNÜ innewohnendes Rechtsprinzip 7.349
dar, das auch im Rahmen des Art. II Abs. 2 UNÜ zu beachten ist1; eines Rückgriffs auf das
nationale Verfahrensrecht am Schiedsort bedarf es insoweit nicht. Daraus dürfte weiterhin fol-
gen, dass es derjenigen Partei, die die Schiedsvereinbarung ordnungsgemäß unterschrieben
hat, verwehrt ist, sich im Schiedsverfahren oder im Einredeverfahren vor dem staatlichen Ge-
richt auf die Formnichtigkeit zu berufen; denn die Erhebung der Schiedsklage bzw. der
Schiedseinrede vor dem staatlichen Gericht durch die andere Partei ersetzt deren fehlende Un-
terzeichnung der Schiedsvereinbarung2. Andererseits schließt die Berufung auf die Schieds-
klausel in einem Verfahren vor staatlichen Gerichten auch die spätere Geltendmachung von
deren Formnichtigkeit im Schiedsverfahren aus3.

2. Europäisches Übereinkommen
a) Schriftform
Das EuÜ regelt die Form von Schiedsvereinbarungen in seinem Art. 1 Abs. 2 nur mittelbar als 7.350
Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieses Übereinkommens4. Die Vorschrift wird darüber-
hinaus jedoch allgemein im Sinne einer Verpflichtung der Vertragsstaaten interpretiert,
Schiedsvereinbarungen, die den dort genannten formellen Anforderungen entsprechen, auch
anzuerkennen, dh. insbesondere im Einredeverfahren vor staatlichen Gerichten als gültig zu
behandeln5. Die Bedeutung von Art. 1 Abs. 2 EuÜ ist freilich begrenzt, weil die Vorschrift in
Verfahren vor ausländischen Schiedsgerichten i.d.R. durch Art. II Abs. 2 UNÜ verdrängt wird
und die Formgültigkeit von Schiedsvereinbarungen in Verfahren vor inländischen Schieds-
gerichten durch die noch großzügigeren Formvorschriften des § 1031 ZPO begünstigt wird.

Art. I Abs. 2 lit. a HS. 1 EuÜ umschreibt die Anforderungen an die Schriftform von Schieds- 7.351
vereinbarungen in Übereinstimmung mit Art. II Abs. 2 UNÜ (dazu Rz. 7.327 ff.)6; auf die
dortigen Ausführungen kann daher in vollem Umfang Bezug genommen werden. Zur Klar-
stellung sind Fernschreiben in Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ den Briefen ausdrücklich gleichgestellt7;

1 OLG Hamburg v. 27.7.1978 – 6 U 174/77, YCA IV (1979), 266 (267); OLG Schleswig v. 30.3.2000
– 16 Sch 5/99, RIW 2000, 706 (707 f.) m. Anm. Werder; van den Berg, S. 185; Wackenhuth, RIW
1985, 568 (569 f.); Haas, IPRax 1993, 383 (384); Epping, S. 82; Adolphsen in MünchKomm ZPO,
Art. II UNÜ Rz. 19; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 10; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO
Rz. 110. Zust. Shaheen v. Sonatrach (2nd Cir. 1984), YCA X (1985), 590; offengelassen in BGH v.
8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 28) = NJW-RR 2011, 548 = IPRax 2011, 499 (m.
Anm. Samtleben, IPRax 2011, 469).
2 Ital. Cass. S. U. v. 6.7.1982, Nr. 4039, Foro it. 1983 I, 736 und v. 3.4.1989, Nr. 1585, YCA XVI
(1991), 588 (590); schwz. BG v. 16.1.1995, Bull. ASA 1995, 503 (510 f.); Epping, S. 82. Etwas ande-
res kann gelten, wenn beide Parteien sich widersprüchlich verhalten haben, vgl. BGH v. 8.6.2010 –
XI ZR 41/09, ZIP 2010, 2512 (Rz. 29) = GWR 2010, 582 m. Anm. P. Wagner.
3 OLG Celle v. 31.5.2007 – 8 Sch 06/06, IPRspr. 2007 Nr. 218; Transrol v. Redirekommanditsels-
kaber Merc Scandia (S.D.N.Y. 1991), 782 F.Supp. 848 = YCA XVIII (1993), 499 (504 f.); Schlosser
in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 110 a.E.
4 Ein Verstoß gegen die Formvorschrift des Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ führt nur zur Unanwendbarkeit
des Abkommens, wegen der nach Art. X Abs. 7 EuÜ anwendbaren Meistbegünstigungsregel in
Art. VII Abs. 1 UNÜ aber nicht notwendig zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung, vgl.
Rz. 7.356.
5 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 398; Gildeggen, S. 100.
6 Klein, ZZP 76 (1963), 346; Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 (247); Gildeggen, S. 102; Schlosser in
Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 399.
7 Vgl. ital. Cass. v. 15.10.1992, Nr. 11261, YCA XX (1995), 1061.

Hausmann | 1145
§ 7 Rz. 7.351 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

auf andere Formen einer zur schriftlichen Niederlegung führenden telekommunikativen Ver-
ständigung (z.B. Telefax, E-Mail) ist die Bestimmung entsprechend anzuwenden1. Die „halbe
Schriftlichkeit“, dh. die schriftliche Bestätigung einer mündlichen Schiedsabrede durch eine
Partei, genügt auch hier nicht2. Ferner kann eine Schiedsklausel auch nach dem EuÜ wirksam
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart werden, wenn auf diese im Hauptvertrag
Bezug genommen wird und der Vertragspartner des Verwenders die Möglichkeit hatte, von
ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen (vgl. Rz. 7.337 ff.)3. Voraussetzung ist jedoch auch hier,
dass der Vertragspartner des Verwenders der AGB deren Geltung schriftlich zugestimmt hat4.
Auf den Zeitpunkt der schriftlichen Zustimmung zur Schiedsklausel kommt es nicht an; aus-
reichend ist daher auch hier die vom Beklagten erst im Prozess vor dem Schiedsgericht oder
vor dem staatlichen Gericht erklärte Zustimmung5.

7.352 Ferner sieht das EuÜ in seinem Art. V eine ausdrückliche Regelung über die Heilung einer
formnichtigen Schiedsvereinbarung durch nachträgliche rügelose Einlassung auf das Schieds-
verfahren vor (dazu auch Rz. 7.427)6. Ebenso wie Art. II Abs. 2 UNÜ (vgl. Rz. 7.219 f.) ver-
drängt Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ entgegenstehende strengere Formvorschriften des nationalen
Rechts der Vertragsstaaten7.

b) Günstigeres Landesrecht
7.353 Die Einhaltung der Schriftform ist freilich im Rahmen des EuÜ – anders als nach Art. II Abs. 2
UNÜ – nicht zwingend vorgeschrieben. Von ihr kann vielmehr nach Art. I Abs. 2 lit. a HS. 2
EuÜ abgesehen werden, wenn die Schiedsvereinbarung den Formerfordernissen der betroffe-
nen nationalen Rechte entspricht. Auf welche Rechte es in diesem Zusammenhang ankommen
soll, wird in Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ freilich nicht eindeutig festgelegt. Liest man die Vorschrift
im Zusammenhang mit Art. I Abs. 1 lit. a EuÜ, so liegt es jedoch nahe, auf die Rechte derjeni-

1 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 399; Hascher, YCA XVII (1992), 711 (720).
2 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 12.
3 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (37) = NJW 1980, 2022; Adolphsen in Münch-
Komm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 14. Zu Einzelheiten gilt das zu Art. II Abs. 2 UNÜ Gesagte entspre-
chend.
4 BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/68, AWD 1970, 417 = WM 1970, 1050; OLG Hamburg v.
22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (483) m. Anm. Mezger; AG Singen v. 26.10.1983 – 3 C
177/83, RIW 1985, 73 = IPRax 1984, 276 m. Anm. Jayme.
5 BGH v. 2.12.1982 – III ZR 85/81, NJW 1983, 1267 (1269) = IPRax 1984, 148 (m. Anm. Timmer-
mann, IPRax 1984, 136); vgl. auch ICC-Schiedsspruch Nr. 6531/1991, YCA XVII (1992), 221
(223): Vorbehaltlose Unterzeichnung der „terms of reference“ durch beide Parteien genügt der
Form des Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ; zust. Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 11; OLG
Köln v. 18.5.1992 – 19 U 22/92, RIW 1992, 760 = EuZW 1992, 711 (Schiedsklausel in deutsch-frz.
Vertragshändlervertrag ist nach Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ formwirksam und begründet die Schieds-
einrede im Verfahren vor dem staatlichen Gericht, auch wenn der Vertrag von der Bekl. erst nach
Klageerhebung unterschrieben worden sein sollte. Einer Rücksendung der unterschriebenen Ver-
tragsurkunde bedürfe es zur Einhaltung der Schriftform nicht).
6 Vgl. öOGH v. 26.1.2005, IPRax 2006, 496 (499 f.) (m. Anm. Spickhoff, IPRax 2006, 522). Zu den
Voraussetzungen und Wirkungen der Präklusion nach Art. V EuÜ vgl. näher Adolphsen in
MünchKomm ZPO, Art. V EuÜ Rz. 1 ff.
7 BGH v. 2.12.1982 – III ZR 85/81, NJW 1983, 1267 (1268); OLG Hamburg v. 16.1.1981 – 11 U 86/
79, ZIP 1981, 170 = RIW 1982, 283; OLG Frankfurt a.M. v. 24.9.1985 – 5 U 167/84, NJW 1986,
2202 (2203); ital. Cass. S. U. v. 15.10.1992, Nr. 11261, YCA XIX (1994), 418; Mezger, RabelsZ 29
(1965), 231 (247 ff.); Schütze, Rz. 131 a.E.

1146 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.355 § 7

gen Vertragsstaaten abzustellen, in denen die Parteien bei Abschluss der Schiedsvereinbarung
ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Sitz hatten1. Gegen eine zusätzliche Heranziehung der
Rechte jener Staaten, in denen das Schiedsverfahren stattfindet oder in denen das Einrede-
bzw. Vollstreckungsverfahren vor den staatlichen Gerichten durchgeführt wird2, spricht vor
allem, dass über die Formgültigkeit der Schiedsvereinbarung bereits bei Vertragsschluss Klar-
heit herrschen muss.

Maßgebend nach Art. I Abs. 2 lit. a HS. 2 EuÜ sind allein die Sachnormen der beteiligten 7.354
Rechtsordnungen über die Form von Schiedsvereinbarungen; eine kollisionsrechtliche (Wei-
ter-)Verweisung dieser Rechtsordnungen bleibt somit auch dann unberücksichtigt, wenn sie
zur Gültigkeit der Vereinbarung führen würde3. Dabei gilt der Grundsatz des „strengeren
Rechts“, dh. die nach Maßgabe von Art. I Abs. 2 lit. a EuÜ nicht schriftlich geschlossene
Schiedsvereinbarung unterliegt dem Übereinkommen nur insoweit, als das Aufenthalts-/Sitz-
recht beider Vertragspartner die Formgültigkeit anerkennen4. Die Wahrung der Form nach
dem Sitzrecht nur einer Partei reicht auch dann nicht aus, wenn dieses Recht zugleich als
Schiedsvereinbarungsstatut gewählt worden ist5. Erst recht ist es unerheblich, ob ein vom Sitz-
recht beider Parteien verschiedenes (neutrales) Schiedsvereinbarungsstatut den Abschluss
formloser Schiedsvereinbarungen zulässt6.
A.A. OLG Köln v. 16.12.1992 – 16 W 43/92, RIW 1993, 499 = IPRax 1993, 399 (m. abl. Anm. Haas,
IPRax 1993, 382) = YCA XXI (1996) 535.
Mündliche Schiedsklausel zwischen deutschem und dänischem Kaufmann als formwirksam i.S.v. Art. I
Abs. 2 lit. a EuÜ erachtet; Prüfung auf das deutsche Recht (§ 1027 Abs. 2 ZPO a.F.) beschränkt, weil
dieses „als Recht des Anerkennungsstaates gem. Art. VII Abs. 1 UNÜ hier von vorrangigem Interesse“
sei.

Die Formerleichterung nach Art. I Abs. 2 lit. a HS. 2 EuÜ wirkt sich nur im Handelsverkehr 7.355
zwischen Unternehmen aus Vertragsstaaten des EuÜ aus, deren Rechte – zumindest im kauf-
männischen Bereich – mündlich getroffene Schiedsgerichtsvereinbarungen zulassen oder sich
mit einer Bezugnahme auf AGB bzw. einem Vertragsschluss durch Schweigen auf ein kauf-
männisches Bestätigungsschreiben begnügen. Abweichend vom deutschen Recht (§ 1031
Abs. 2 ZPO; dazu Rz. 7.372 f.) fordern freilich die meisten anderen Vertragsstaaten die Einhal-
tung der Schriftform auch im kaufmännischen Verkehr7; die Formerleichterung nach Art. I
Abs. 2 lit. a EuÜ hat deshalb nur geringe praktische Bedeutung8.

1 So auch die h.M., vgl. Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 (248); Kaiser, S. 40; von Hülsen, S. 63; Genti-
netta, S. 319; Gildeggen, S. 103 f.; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 399; Schwab/
Walter, Kap. 44 Rz. 14; Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. I EuÜ Rz. 13; Epping, S. 68.
2 Dafür Klein, ZZP 76 (1963), 346; Hascher, YCA XVII (1992), 711 (720 f.) und XX (1995), 1015.
3 Schlosser, Rz. 376; Gildeggen, S. 104 f.; Epping, S. 68 f.
4 BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/68, AWD 1970, 417 (418) = YCA II (1977), 237; OLG Hamburg v.
22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (483); BayObLG v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003,
383 (384); Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 (248); Kaiser, S. 39 f., 107 f.; von Hülsen, S. 63; Schlosser,
Rz. 376; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 14; Gildeggen, S. 105; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I
EuÜ Rz. 13; Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 94.
5 BayObLG v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, RIW 2003, 383 (384).
6 Mezger, Rev.crit. d.i.p. 1971, 37 (56); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 399; a.A.
Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 14; Bertheau, S. 117.
7 Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Gildeggen, S. 106 ff.
8 Vgl. aber im deutsch-öst. Rechtsverkehr BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/68, AWD 1970, 417
(418).

Hausmann | 1147
§ 7 Rz. 7.356 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

c) Meistbegünstigung
7.356 Erfüllt die Schiedsvereinbarung die Formerfordernisse der nationalen Rechtsordnungen am
Sitz beider Vertragsparteien, so ist sie von den Gerichten derjenigen Vertragsstaaten des EuÜ,
die zugleich dem UNÜ angehören, auch im Sinne dieses Übereinkommens als formwirksam
zu erachten. Dies folgt i.d.R. aus der das UNÜ ergänzenden Funktion des EuÜ als lex poste-
rior, im Übrigen aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz des Art. VII Abs. 1 UNÜ (vgl.
Rz. 7.257 ff.). Der auf einer solchen Schiedsvereinbarung beruhende Schiedsspruch kann da-
her in den Vertragsstaaten des UNÜ nach Maßgabe dieses Übereinkommens anerkannt und
vollstreckt werden, auch wenn die Form des Art. II Abs. 2 UNÜ nicht eingehalten ist1. Da es
das Ziel des EuÜ ist, die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen zu erleichtern, steht es je-
dem Vertragsstaat, der zugleich dem UNÜ angehört, im Hinblick auf Art. X Abs. 7 EuÜ frei,
Schiedsvereinbarungen auf Grund des Meistbegünstigungsgrundsatzes (Art. VII Abs. 1 UNÜ)
auch dann als formgültig zu erachten, wenn sie allein den Erfordernissen des vom nationalen
Kollisionsrecht zur Anwendung berufenen Rechts entsprechen. Dies gilt nicht nur für die Be-
urteilung einer Schiedsvereinbarung im Vollstreckungsverfahren, sondern auch in den voraus-
gehenden Verfahrensstadien. Folge ist freilich, dass das EuÜ auf solche Schiedsvereinbarungen
– und die Anerkennung der auf ihnen beruhenden Schiedssprüche – dann insgesamt nicht
anwendbar ist2.

3. Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht


a) Anknüpfung
aa) Inländisches Schiedsverfahren
7.357 Die kollisionsrechtliche Beurteilung der Form von Schiedsvereinbarungen hängt seit der Re-
form des deutschen Schiedsverfahrensrechts davon ab, ob das Schiedsverfahren im Inland
oder im Ausland durchgeführt wird.

7.358 Die Formwirksamkeit von Schiedsvereinbarungen wurde bis zur Reform von 1997 – ihrer ma-
teriellrechtlichen Qualifikation entsprechend – nach den für Schuldverträge geltenden Kollisi-
onsregeln der lex fori beurteilt. Aus der Sicht des deutschen Gerichts, das über die Schiedsein-
rede oder über die Vollstreckbarerklärung eines deutschen Schiedsspruchs zu befinden hatte,
war eine Schiedsvereinbarung daher gem. Art. 11 Abs. 1–3 EGBGB formgültig, wenn sie ent-
weder dem Geschäftsrecht (d.h. dem Statut der Schiedsvereinbarung) oder aber dem Recht am
Abschlussort entsprach3. An dieser alternativen Anknüpfung wird teilweise auch weiterhin
festgehalten4. Haben die Parteien einen inländischen Schiedsort vereinbart, so ist die Anwen-
dung eines ausländischen Formstatuts für Schiedsvereinbarungen indessen mit dem in § 1025

1 BGH v. 25.5.1970 – VII ZR 157/68, AWD 1970, 417 (418); Haas, IPRax 1993, 382 (383); van den
Berg, S. 92 f.; Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152 (154); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 101;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 23; a.A. (Rückgriff auf das nationale Anerken-
nungsrecht, modifiziert durch die Bestimmungen des EuÜ) Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445
(450); Moller, NZG 1999, 143 (145); Gildeggen, S. 98 f.
2 OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (483) m. Anm. Mezger; von Hülsen,
S. 64 f.; Gildeggen, S. 89; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 399 a.E. Vgl. zur dann
aber möglichen Anerkennung nach dem UNÜ Rz. 7.323 ff.
3 von Hülsen, S. 66 f.; Schlosser, Rz. 363 ff.; Mentis, Schranken prozessualer Klauseln in AGB (1994),
S. 149 f.
4 Vgl. Kronke, RIW 1998, 257 (259); Ebbing, NZG 1998, 281 (288); Thümmel, FS Schütze (1999),
S. 935 (940 f.); Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 17; Schütze, Rz. 131.

1148 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.359 § 7

Abs. 1 ZPO verankerten strikten Territorialitätsprinzip nicht mehr vereinbar1. Die einseitige
Kollisionsnorm des § 1025 Abs. 1 ZPO verdrängt vielmehr in Bezug auf inländische Schieds-
verfahren als lex specialis den Art. 11 EGBGB2. Dementsprechend wird in der Begründung
zum neuen deutschen Schiedsverfahrensrecht einer für die Schiedsvereinbarung getroffenen
Rechtswahl der Parteien im Aufhebungsverfahren (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO) in Bezug auf
die Formgültigkeit der Schiedsvereinbarung keine Bedeutung beigemessen3. Liegt der Schied-
sort in Deutschland, so haben deutsche Gerichte mithin eine Schiedsvereinbarung in jedem
Verfahrensstadium als ungültig zu behandeln, wenn die Formerfordernisse des § 1031 ZPO
nicht beachtet worden sind; eine abweichende Vereinbarung der Parteien ist unbeachtlich4.
Nicht ausgeschlossen ist jedoch die Vereinbarung einer strengeren Form durch die Parteien5.

bb) Ausländisches Schiedsverfahren


(1) Meistbegünstigung
Liegt der Schiedsort im Ausland, so haben deutsche Gerichte die Form der Schiedsverein- 7.359
barung nicht nur im Vollstreckbarerklärungsverfahren, sondern auch in der Einredesituation
grundsätzlich nach internationalem Einheitsrecht zu beurteilen, nämlich im Geltungsbereich
des UNÜ nach dessen Art. II Abs. 2, im Geltungsbereich des EuÜ nach dessen Art. I Abs. 2
(vgl. dazu Rz. 7.319 ff. und Rz. 7.350 ff.)6. Für das autonome Kollisions- und Sachrecht auf
dem Gebiet der Form von Schiedsvereinbarungen bleibt allerdings auf Grund der Meist-
begünstigungsregel der Art. VII Abs. 1 UNÜ bzw. Art. X Abs. 7 EuÜ noch ein gewisser An-
wendungsbereich, soweit die Formerfordernisse des nationalen Rechts (wie z.B. nach § 1031
Abs. 2 und 3 ZPO) hinter der vom internationalen Einheitsrecht vorgeschriebenen Form zu-
rückbleiben (dazu näher Rz. 7.321 ff., Rz. 7.356)7.

1 Für Anknüpfung der Form einer Schiedsvereinbarung an die deutsche lex loci arbitri auch die
Schiedsgerichtspraxis, vgl. ICC-Schiedsspruch Nr. 16168, YCA XXXVIII (2013), 205 (213).
2 Winkler/Weinand, BB 1998, 597 (601); Hausmann, FS Stoll (2001), S. 593 (597); Epping, S. 95;
Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (274); Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 1; Schlos-
ser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 35; Lachmann, Rz. 269; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031
Rz. 20 f. („spezialgesetzliche – einseitige – Kollisionsnorm“); a.A. (kumulative Anwendung von
§ 1031 ZPO und den – strengeren – Formvorschriften des Schiedsvereinbarungsstatuts) Schmidt-
Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (274); Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 17. Art. 11
Rom I-VO gilt richtigerweise schon wegen Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO nicht.
3 Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/5274, S. 36.
4 BGH v. 11.5.2017 – I ZB 75/16, NJW 2017, 3723 (Rz. 19) = IHR 2018, 38 m. Anm. Saenger; OLG
Hamburg v. 16.6.2016 – 6 Sch 6/14, IPRspr. 2016 Nr. 312; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO
Rz. 17. Für Zulässigkeit der Ausschaltung von § 1031 ZPO durch die Wahl ausländischen Rechts
hingegen Ebbing, NZG 1998, 281 (288); Thümmel, FS Schütze (1999), S. 935 (940 f.); Hartmann
in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 1031 ZPO Rz. 2.
5 Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (274).
6 Gleiches gilt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, vgl. OLG München v. 26.10.2000
– U (K) 3208/00, SpuRT 2001, 64
7 Vgl. BGH v. 8.6.2010 − XI ZR 349/08, BGHZ 184, 365 (Rz. 29) = RIW 2010, 879; BGH v. 8.6.2010
– XI ZR 41/09, RIW 2010, 885 (Rz. 23 ff.); BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, IPRax 2006, 266
(267 f.) (m. Anm. Geimer, IPRax 2006, 233); KG v. 20.1.2011 – 20 Sch 9/04, SchiedsVZ 2011, 287
m. Anm. Spetzler; KG v. 18.1.2010 – 20 Sch 9/09, IPRspr. 2010 Nr. 300a; OLG Rostock v.
22.11.2001 – 1 Sch3/00, IPRax 2002, 401 (m. krit. Anm. Kröll, IPRax 2002, 384); näher Epping,
S. 114 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 38; Thorn, IPRax 1997, 98 (103) gegen OLG
Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, RIW 1995, 769; krit. Münch in MünchKomm ZPO, § 1031
Rz. 22 („systemwidrig“).

Hausmann | 1149
§ 7 Rz. 7.360 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.360 Für diese Fälle besteht über die Anknüpfung der Form von Schiedsvereinbarungen in Erman-
gelung einer ausdrücklichen Kollisionsnorm1 keine Einigkeit. Überwiegend wird – wie früher2
– eine alternative Anknüpfung in entsprechender Anwendung von Art. 11 EGBGB befürwor-
tet; danach wäre § 1031 ZPO immer anwendbar, wenn die Schiedsvereinbarung entweder
deutschem Recht unterliegen würde oder in Deutschland abgeschlossen worden wäre3. Bei
Distanzverträgen würde nach Art. 11 Abs. 2 EGBGB die Einhaltung der Form nach dem
Recht eines der Staaten ausreichen, in denen sich die Schiedsparteien bei Abschluss der
Schiedsvereinbarung befunden haben4. Die auf Schuldverträge zugeschnittene Anknüpfung
widerspricht indes der Qualifikation der Schiedsvereinbarung als Prozessvertrag und der Re-
gelung der Form von Schiedsvereinbarungen im Prozessrecht, wie sie nicht nur in Deutsch-
land (§ 1031 ZPO), sondern auch in den meisten ausländischen Rechten vorgesehen ist. Darü-
ber hinaus beschwört sie die Gefahr herauf, dass das deutsche Einredegericht die Schiedsver-
einbarung nach einem der von Art. 11 EGBGB alternativ zur Anwendung berufenen Rechte
für formwirksam hält, während das Schiedsgericht unter Zugrundelegung des – uU zwingend
anzuwendenden – Verfahrensrechts der ausländischen lex fori später zum gegenteiligen Ergeb-
nis gelangt; dem Schiedskläger würde damit in beiden Verfahren der Rechtsschutz verwehrt5.

7.361 Denkbar wäre in diesem Fall auch ein Rückgriff auf die lex fori des Einredegerichts; danach hät-
ten deutsche Gerichte die Form von Schiedsvereinbarungen also auch bei Vereinbarung eines aus-
ländischen Schiedsortes stets nach deutschem Recht (§ 1031 ZPO) zu beurteilen. Diese Lösung
stimmt mit der Anknüpfung der Form von internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen über-
ein, die heute im autonomen deutschen Verfahrensrecht einhellig als ein Problem der prozessua-
len Zulässigkeit einer Derogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte begriffen
und deshalb ausschließlich nach § 38 ZPO beurteilt wird6. Lässt man aber die in der Prorogation
eines ausländischen Gerichtsstands i.d.R. zugleich liegende Derogation der internationalen Zu-
ständigkeit deutscher Gerichte nur durch eine Vereinbarung zu, die den Formerfordernissen des
deutschen Prozessrechts entspricht, so ist nur schwer zu sehen, warum etwas anderes gelten soll,
wenn der Zugang zu den staatlichen deutschen Gerichten durch die Vereinbarung eines auslän-
dischen Schiedsgerichts verschlossen wird. Die hier gebotene Harmonisierung könnte dafür spre-
chen, der Formvorschrift des § 1031 ZPO im Einredeverfahren vor einem deutschen Gericht die
gleiche Funktion zuzuweisen, wie sie heute für § 38 Abs. 2 ZPO allgemein anerkannt ist7. Danach

1 § 1025 Abs. 1 ZPO enthält keine abschließende Regelung in dem Sinne, dass die Anknüpfung von
Schiedsvereinbarungen vom deutschen Gesetzgeber dem Kollisionsrecht der jeweiligen auslän-
dischen lex fori überlassen bleibt, vgl. Epping, S. 96.
2 Vgl. BGH v. 9.3.1978 – III ZR 78/76, BGHZ 71, 131 (137) = NJW 1978, 1744 = RIW 1978, 546;
BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 52/92, WM 1993, 2121; OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW
1989, 574 (575).
3 So BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 (3500 f.); KG v. 20.1.2011 – 20 Sch 9/04,
SchiedsVZ 2011, 287 m. Anm. Spetzler; Kronke, RIW 1998, 259; Kröll, ZZP 117 (2004) 453 (474);
Samtleben, IPRax 2011, 469 (470 f.); Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (275); Schwab/Walter, Kap. 44
Rz. 17; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 1; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 109.
4 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 47 = RIW 2020, 233; KG v. 18.1.2010 –
20 Sch 9/09, IPRspr. 2010 Nr. 300a.
5 Vgl. Epping, S. 121 ff.
6 Vgl. BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (80) = NJW 1993, 1070 = IPRax 1992, 377
(m. Anm. Hess, IPRax 1992, 361); OLG Düsseldorf v. 2.10.1997 – 12 U 180/96, NJW-RR 1998,
1145 = IPRax 1999, 38 (m. Anm. Hau, IPRax 1999, 24).
7 Vgl. i.d.S. vor der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts Hausmann, FS W. Lorenz
(1991), S. 359 (376 ff.); Gildeggen, S. 176 f.; Schack, RabelsZ 58 (1994), 50; ebenso BGH v.
26.3.1969 – VIII ZR 194/68, BGHZ 52, 31 (34) = NJW 1969, 1536.

1150 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.364 § 7

könnte die Schiedseinrede zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichts vor einem deutschen
staatlichen Gericht nur auf eine Schiedsvereinbarung gestützt werden, die in formeller Hinsicht
entweder dem staatsvertraglich vereinheitlichten Sachrecht (Art. II Abs. 2 UNÜ, Art. I Abs. 2 lit. a
EuÜ) oder dem inländischen Prozessrecht (§ 1031 ZPO) genügt. Soweit das deutsche Recht aber
– wie z.T. in § 1031 Abs. 2–4 ZPO – geringere Formerfordernisse aufstellt als Art. II Abs. 2 UNÜ,
besteht auch bei dieser Anknüpfung die Gefahr, dass der Schiedseinrede des Beklagten vor dem
deutschen Gericht stattgegeben, die Schiedsklage aber vom Schiedsgericht wegen Formnichtigkeit
der Schiedsvereinbarung nach der ausländischen lex fori nicht angenommen wird1.

Den Vorzug verdient daher grundsätzlich eine Anknüpfung der Form von Schiedsverein- 7.362
barungen, die den Entscheidungseinklang zwischen dem ausländischen Recht am Sitz des
Schiedsgerichts und dem inländischen Recht am Sitz des staatlichen Einredegerichts soweit als
möglich wahrt. Dieses Ziel wird aber am besten durch den Ausbau von § 1025 Abs. 1 ZPO
zur allseitigen Kollisionsnorm erreicht, soweit die Formgültigkeit der Schiedsvereinbarung in
Rede steht. Diese beurteilt sich mithin nach dem (Sach-)Recht des vereinbarten auslän-
dischen Schiedsstaates2. Denn die Parteien bringen mit der Wahl eines ausländischen Schied-
sortes – mangels abweichender spezifischer Verfahrensvereinbarungen – zugleich zum Aus-
druck, dass das Schiedsgericht das an seinem Sitz geltende Verfahrensrecht anwenden möge.
Die ausdrückliche oder stillschweigende Wahl des Verfahrensrechts am Sitz des Schieds-
gerichts erstreckt sich aber dann auch auf die Frage der Form der Schiedsvereinbarung, wenn
diese am Schiedsort verfahrensrechtlich geregelt ist.
Vgl. High Court (Q.B.Div.) v. 28.7.1999 (XL Insurance Ltd. v. Owens Corning), YCA XXVI (2001)
869 (878 ff.)
Formgültigkeit der Schiedsklausel in einer Versicherungspolice trotz ausdrücklicher Wahl New Yorker
Rechts als Versicherungsvertragsstatut nach englischem Recht als dem am gewählten Schiedsort gel-
tenden Verfahrensstatut beurteilt: „... by stipulating for arbitration in London under the provisions of
the ... [Arbitration Act 1996] the parties chose English law to govern the matters which fall within
those provisions, including the formal validity of the arbitration clause and the jurisdiction of the ar-
bitral tribunal.“

Die allseitige Anwendung von § 1025 ZPO hilft freilich nicht weiter, wenn die Schiedseinrede 7.363
vor dem zuständigen deutschen staatlichen Gericht zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem
der Schiedsort noch nicht bestimmt ist. Da in dieser Situation auch der für die Anwendung
des UNÜ erforderliche Bezug zu einem anderen Vertragsstaat nicht feststeht, bleibt nur der
Rückgriff auf die allgemeine Kollisionsregel für die Form von Rechtsgeschäften in Art. 11
EGBGB3.

(2) Verbraucherschutz
Keine der vorgenannten Anknüpfungen kann freilich das Anliegen, inländische Verbraucher 7.364
mit Hilfe der verschärften Formerfordernisse des § 1031 Abs. 5 ZPO vor der Geltung von
Schiedsklauseln in internationalen Verträgen zu schützen, erreichen, wenn die Vereinbarung

1 Abl. zur Anwendung der lex fori des Einredegerichts daher Epping, S. 121 f.; Wagner, S. 373;
Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 24; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 3.
2 Epping, S. 122; zust. auch Weihe, S. 235 ff.; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 25. Aus-
drücklich abl. KG v. 18.1.2010 – 20 Sch 9/09, IPRspr. 2010 Nr. 300a.
3 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 26) = IPRax 2011, 499 (m. zust. Anm. Samt-
leben, IPRax 2011, 469, 471); Epping, S. 96 f., 123, 227; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031
Rz. 26; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 17.

Hausmann | 1151
§ 7 Rz. 7.364 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

eines Schiedsgerichts mit Sitz im Ausland nach Art. II Abs. 2 UNÜ formgültig vereinbart
wurde. Denn für diesen Fall wird § 1031 Abs. 5 ZPO in vollem Umfang durch Art. II Abs. 2
UNÜ verdrängt (vgl. dazu Rz. 7.319).
BayObLG v. 17.9.1998 – 4 Z Sch 1/98, BayObLGZ 1998, 219 = RIW 1998, 965
Formgültigkeit der Schiedsklausel „London“ in einem Kaufvertrag zwischen einem deutschen Privat-
kunden und einem englischen Händler über einen Jaguar XJ 220 allein nach Art. II Abs. 2 UNÜ ge-
prüft; § 1031 Abs. 5 ZPO nicht in Betracht gezogen.

7.365 Der Schutz des § 1031 Abs. 5 ZPO kann dem inländischen Verbraucher für diesen Fall auch
nicht mit Hilfe von Art. 6 Rom I-VO verschafft werden1, weil einerseits die vorrangige staatsver-
tragliche Sachnorm des Art. II Abs. 2 UNÜ zwingend die Anerkennung von nur privatschriftlich
geschlossenen Schiedsvereinbarungen auch im nicht-kaufmännischen Verkehr fordert, anderer-
seits Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO – im Gegensatz zu Art. 37 EGBGB a.F. – einer Anwendung
der Vorschrift auf Schiedsvereinbarungen entgegensteht. Bei Wertpapiergeschäften von Verbrau-
chern wird der erforderliche Schutz über § 101 WpHG gewährleistet (dazu Rz. 7.388, Rz. 7.405).
Hält man dies für nicht ausreichend, so bliebe als Ausweg nur die Erklärung des Handelssachen-
vorbehalts durch die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. I Abs. 3 S. 2 UNÜ2. Die geringe
praktische Bedeutung von grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen mit Schiedsklauseln au-
ßerhalb von Börsengeschäften rechtfertigt einen so weitgehenden Schritt aber kaum.

7.366 Ist die Schiedsvereinbarung hingegen nach Art. II Abs. 2 UNÜ formnichtig, so ist der Weg
zur Anwendung nationalen Rechts nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (Art. VII
Abs. 1 HS. 2 UNÜ) nicht nur eröffnet, wenn das nationale Recht mildere Formvorschriften
vorsieht (vgl. dazu schon Rz. 7.321 ff. m. ausf. Nachw.), sondern auch dann, wenn es eine
strengere Form als Art. II Abs. 2 UNÜ vorschreibt. Der BGH hat für diesen Fall den Schutz
deutscher Verbraucher bei Termingeschäften mit New Yorker Brokern mehrfach mit Hilfe von
§ 1031 Abs. 5 ZPO durchgesetzt. Hätten die Parteien keine Rechtswahl getroffen, so sei diese
Formvorschrift über Art. 29 Abs. 3 S. 2 EGBGB a.F. (heute: Art. 11 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO)
entsprechend anzuwenden, wenn der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
habe3. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn die Schiedsvereinbarung zugleich die Wahl
ausländischen Rechts enthalte. Die Schiedsabrede selbst sei zwar kein Verbrauchervertrag iSv.
Art. 29 Abs. 1 EGBGB a.F., so dass eine unmittelbare Anwendung dieser Kollisionsnorm auf
Schiedsvereinbarungen ausscheide. Beziehe sich die Schiedsabrede aber auf Rechtsstreitigkei-
ten aus oder im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag i.S.v. Art. 29 EGBGB a.F., so
sei die analoge Anwendung der Vorschrift geboten, weil sonst eine mit dem Verbraucher-
schutz nicht zu vereinbarende formfreie Unterwerfung inländischer Verbraucher unter die Ju-
risdiktion ausländischer Schiedsgerichte möglich wäre4.

1 Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 22 a.E.; Samtleben, IPRax 2011, 469 (475); a.A. zum
früheren deutschen Recht (§ 1027 Abs. 1 ZPO a.F., Art. 29 EGBGB) noch BGH v. 10.2.1998 – XI
ZR 305/96, IPRspr. 1998 Nr. 209; zust. Wagner, S. 374 f.
2 Epping, S. 121; Steinbrück, LMK 2011, 322740.
3 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 35) = SchiedsVZ 2011, 46 = IPRax 2011,
499 (m. Anm. Samtleben, IPRax 2011, 469); BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09, ZIP 2010, 2512
(Rz. 29) = GWR 2010, 582 m. Anm. P. Wagner; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, RIW 2011,
321 (Rz. 24 f.) = SchiedsVZ 2011, 157 m. Am. Spetzler; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 100/09, ZIP
2011, 1215 (Rz. 26) = RIW 2011, 406.
4 So BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 197/08, NJW-RR 2012, 49 (Rz. 19, 24) = ZIP 2011, 2325; BGH v.
12.4.2011 – XI ZR 341/08, NJW-RR 2011, 1287 (Rz. 19, 24) = WM 2011, 1437, jeweils unter Hin-
weis auf Hausmann in Staudinger, 13. Bearb. 2002, Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 287.

1152 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.369 § 7

Trotz der hier befürworteten prozessualen Qualifikation der Schiedsvereinbarung, die – eben- 7.367
so wie Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO – eine Anwendung der Kollisionsregeln des internationa-
len Vertragsrechts auf Schiedsvereinbarungen grundsätzlich ausschließt (Rz. 7.267 ff.,
Rz. 7.284 f.), erscheint die anloge Anwendung von Art. 6 und Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO zum
Schutz deutscher Verbraucher in dieser besonderen Situation vertretbar1. Die Anwendung von
§ 1031 Abs. 5 ZPO kommt hingegen auf diesem Wege nicht in Betracht, wenn die Schiedsver-
einbarung die Schriftform des Art. II Abs. 2 UNÜ wahrt2; insoweit ist der Leitsatz der BGH-
Entscheidung v. 8.6.20103 zu weit gefasst4.

b) Form der Schiedsvereinbarung nach § 1031 ZPO


aa) Allgemeines
Nach dem in Anlehnung an Art. 34 UNCITRAL-ModG neu gefassten § 1031 Abs. 1 ZPO 7.368
bedarf eine Schiedsvereinbarung auch im nicht-kaufmännischen Rechtsverkehr grundsätzlich
nur der Schriftform. Darin liegt eine erhebliche Erleichterung gegenüber der früheren Rege-
lung in § 1027 Abs. 1 S. 1 ZPO a.F. Das Erfordernis der Niederlegung der Schiedsabrede in
einer besonderen Urkunde wird nach § 1031 Abs. 5 ZPO nur noch für Schiedsvereinbarungen
in Verbraucherverträgen aufrechterhalten. Auf der anderen Seite hat die Neufassung die
Formanforderungen im kaufmännischen Rechtsverkehr verschärft, weil die nach § 1027 Abs. 2
ZPO a.F. bestehende Möglichkeit eines mündlichen oder stillschweigenden Abschlusses der
Schiedsvereinbarung nicht übernommen wurde5. § 1031 Abs. 1 ZPO knüpft insoweit vielmehr
an Art. II Abs. 2 UNÜ bzw. Art. I Abs. 2 EuÜ an. In Abweichung von diesen staatsvertragli-
chen Formvorschriften wie auch von Art. 7 Abs. 2 UNCITRAL-ModG sieht das deutsche
Recht in § 1031 Abs. 2–4 ZPO allerdings Ausnahmen vom Erfordernis der „doppelten“
Schriftlichkeit vor.

Durch die Einhaltung der Form des § 1031 ZPO sollen die Parteien davor bewahrt werden, 7.369
übereilt auf den Rechtsschutz durch staatliche Gerichte zu verzichten6. Daneben soll die Ein-
haltung der Form aber auch gewährleisten, dass die Schiedsvereinbarung – namentlich als
Schiedsklausel in AGB – nicht unbemerkt Vertragsbestan dteil wird7. In beiden Funktionen
dient die Formvorschrift nicht nur zu Beweiszwecken, sondern ist Gültigkeitsform8. Die
Form des § 1031 ZPO ist allerdings – wie die Schriftform nach Art. II Abs. 2 UNÜ auch (vgl.
Rz. 7.326) – nur für die Schiedsvereinbarung im engeren Sinne (d.h. die Derogation der Zu-

1 So auch so auch OLG Düssseldorf v. 15.11.2017 – VI-U (Kart) 8/17, SpuRt 2018, 73 (Rz. 55);
Steinbrück, LMK 2011, 322740; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 34; Voit in Musielak/
Voit, § 1031 ZPO Rz. 17; vgl. auch Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (984); Gildeggen,
S. 164 ff.
2 Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 38
3 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 26) = NJW-RR 2011, 548.
4 Zutr. Samtleben, IPRax 2011, 469 (472).
5 Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 5. Das alte Recht gilt allerdings für vor dem v. 1.1.1998 abge-
schlossene Schiedsvereinbarungen fort.
6 Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (453 f.); Gildeggen, S. 53 f.; Schwab/Walter, Kap. 49 Rz. 7; Schlos-
ser, Rz. 373; vgl. auch schwz. BG v. 7.2.1984, BGE 110 II, 54 (59); HandelsG Zürich v. 25.8.1992,
ZEuP 1994, 682 (684).
7 Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445; van den Berg, S. 173; Lindacher, FS Habscheid (1989), S. 167
(168); Epping, S. 61; krit. Schlosser, Rz. 378; Gildeggen, S. 86.
8 Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 10; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 4; Geimer
in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 39; einschränkend Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 1.

Hausmann | 1153
§ 7 Rz. 7.369 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ständigkeit staatlicher Gerichte) einzuhalten; sonstige (ergänzende) Verfahrensvereinbarun-


gen können hingegen formfrei getroffen werden1. Dies gilt auch für Vereinbarungen mit ganz
erheblicher Tragweite für die Parteien, wie die Wahl des Schiedsortes nach § 1043 Abs. 1
ZPO2, die i.d.R. über das (u.U. auch zwingend) anwendbare Verfahrensrecht bestimmt (vgl.
§ 1025 Abs. 1 ZPO), die Wahl der Verfahrensregeln (z.B. einer Schiedsordnung) nach § 1042
Abs. 3 ZPO oder die Wahl des in der Hauptsache anwendbaren Rechts nach § 1051 Abs. 1
ZPO.

bb) Schriftform
7.370 Bezieht sich die Schiedsvereinbarung auf ein Geschäft, bei dem die Beteiligten zu einem Zweck
gehandelt haben, der ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann
(vgl. § 14 BGB; dazu auch Rz. 7.377 ff.), so ist die Form nach § 1031 Abs. 1 Alt. 1 ZPO ge-
wahrt, wenn die Schiedsvereinbarung in einem von beiden Parteien unterzeichneten Schrift-
stück enthalten ist. Die Parteien müssen die Schiedsvereinbarung auch nicht persönlich unter-
schreiben; vielmehr reicht die Unterzeichnung durch einen – auch formlos – Bevollmächtigten
aus3. Auch eine nachträgliche einvernehmliche Änderung des Textes der Schiedsvereinbarung
oberhalb der Unterschriften ist zulässig4. Die Schriftform nach § 1031 Abs. 1 Alt. 1 ZPO wird
durch die elektronische Form (§ 126 Abs. 3, § 126a BGB)5, notarielle Beurkundung (§ 126
Abs. 4 BGB) oder Aufnahme in ein gerichtliches Protokoll (§ 127a BGB) ersetzt.

7.371 Anders als nach § 1027 Abs. 1 ZPO a.F. bedarf es nicht der Einhaltung der Schriftform i.S.v.
§ 126 BGB; ebenso wie nach Art. II Abs. 2 UNÜ genügt nach § 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO viel-
mehr auch ein Schriftwechsel, dh. ein Austausch von Schreiben, Fernkopien (Telefax), Tele-
grammen oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Ver-
einbarung sicherstellen (dazu näher Rz. 7.331 ff.)6. Zulässig ist danach insbesondere auch der
Abschluss von Schiedsvereinbarungen im elektronischen Geschäftsverkehr, z.B. durch den
Austausch von E-Mails7 oder durch Vertragsschluss im Internet, sofern die Nachrichten zum
Beweis der Schiedsvereinbarung dauerhaft abgespeichert werden8. Wegen der Einzelheiten

1 OLG Frankfurt a.M. v. 17.2.2011 – 26 Sch 13/10, SchiedsVZ 2012, 49 (55); OLG Hamburg v.
29.1.2004 – 11 W 93/03, GmbHR 2004, 795 = SchiedsVZ 2004, 266 (268); Epping, S. 28 f.; Geimer,
Rz. 3798; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 15; Voit in Musielak/Voit, § 1042 ZPO Rz. 33; Schlosser
in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 1 m.w.N.; ebenso schon früher Gildeggen, S. 85 ff.
2 Schlosser in Stein/Jonas, § 1043 ZPO Rz. 3; a.A. Lachmann, Rz. 343, der die Formerfordernisse des
§ 1031 ZPO auch auf die mit der Schiedsvereinbarung verbundenen Verfahrensvereinbarungen
erstrecken möchte.
3 Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 6; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 2; Schwab/Walter,
Kap. 5 Rz. 2.
4 BGH v. 27.6.1994 – III ZR 117/93, NJW 1994, 2300 (2301); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 222;
Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 3.
5 Schmitz, RNotZ 2003, 591 (600); Seiler in Thomas/Putzo, Rz. 2; Voit in Musielak/Voit, Rz. 4; Gei-
mer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 36; a.A. Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 29, jeweils zu § 1031
ZPO.
6 Vgl. dazu OLG Hamburg v. 30.7.1998 – 6 Sch 3/98, NJW-RR 1999, 1738; Münch in MünchKomm
ZPO, § 1031 Rz. 30 f. m.w.N.
7 OLG Celle v. 14.12.2006 – 8 Sch 14/05, YCA XXXII (2007), 372 (379); Berger, RIW 2001, 7 (9);
Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 31.
8 Moller, NZG 2000, 57 (58); Thümmel, FS Schütze (1999), S. 935 (944); Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 226; Lachmann, Rz. 346; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 4; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 7;
Voit in Musielak/Voit, Rz. 4; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 8, jeweils zu § 1031 ZPO.

1154 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.373 § 7

kann auf die Ausführungen zu Art. II Abs. 2 UNÜ (Rz. 7.330 f.) verwiesen werden. Auch die
Einhaltung einer für den Hauptvertrag vorgeschriebenen strengeren Form (z.B. notarielle Be-
urkundung) ist für die Schiedsvereinbarung jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn diese ge-
genüber dem Hauptvertrag selbständig ist; davon ist immer dann auszugehen, wenn die Par-
teien dem Schiedsgericht auch die Entscheidung über die Wirksamkeit des Hauptvertrages
eingeräumt haben. Die Regelung in § 1031 ZPO ist für die Form der Schiedsvereinbarung –
als Prozessvertrag – dann abschließend1.

cc) Verkehrssitte und Handelsbrauch


Über Art. II Abs. 2 UNÜ bzw. Art. 7 Abs. 2 UNCITRAL-ModG hinaus geht § 1031 Abs. 2 7.372
ZPO, der die Einhaltung der Schriftform nur durch eine Partei (oder durch einen Dritten)
genügen lässt, sofern das Schweigen der anderen (bzw. beider Parteien) „nach der Verkehrs-
sitte“ als Zustimmung zu dem Inhalt des schriftlichen Angebots anzusehen ist („halbe Schrift-
form“). Für die Frage, ob eine solche Verkehrssitte, d.h. ein entsprechender Handelsbrauch
(§ 346 HGB) besteht, dürften die zu Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO entwickelten Krite-
rien (zu diesen Rz. 7.98 ff.) weithin entsprechend gelten2. Eine Schiedsvereinbarung kann da-
her insbesondere durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben wirksam
geschlossen werden3. Da zumindest einseitige Schriftlichkeit erforderlich ist, reicht die Bran-
chenüblichkeit schiedsgerichtlicher Streiterledigung allein – anders als nach früherem Recht4
– allerdings für die Annahme einer formgültigen Schiedsvereinbarung kraft Handelsbrauchs
nicht mehr aus; erforderlich ist vielmehr eine Urkunde, in der auf den betreffenden Handels-
brauch Bezug genommen wird5. Ferner muss das von einer Partei übermittelte Schriftstück
der anderen Partei zumindest zugegangen sein6.

Abweichend von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO erkennt § 1031 ZPO auch die zwi- 7.373
schen den Parteien individuell entstandenen „Gepflogenheiten“ nicht als eigenständige For-
malternative an, soweit diese keine „Verkehrssitte“ bilden. Das Schweigen auf die in einem

1 BGH v. 22.9.1977 – III ZR 144/76, BGHZ 69, 260 (263) = NJW 1978, 212 (zu § 1027 ZPO a.F.);
Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 2 a.E.; Lachmann, Rz. 362 ff.; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 58;
Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 5, jeweils zu § 1031 ZPO.
2 So auch Münch in MünchKomm-ZPO, § 1031 Rz. 32.
3 Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/5274, S. 36 f.; KG v. 20.1.2011 – 20 Sch 9/04, SchiedsVZ
2011, 287 m. Anm. Spetzler; KG v. 18.1.2010 – 20 Sch 9/09, IPRspr. 2010 Nr. 300a; OLG Frankfurt
a.M. v. 27.8.2009 – 26 SchH 3/09, BeckRS 2010, 25197 = YCA XXXV (2010), 377; OLG Hamburg
v. 25.1.2008 – 6 Sch 07/07, SchiedsVZ 2009, 71; Epping, S. 73 ff.; Schütze, Rz. 127; Lachmann,
Rz. 347; Seiler in Thomas/Putzo Rz. 5; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 8, 29; Schlosser in Stein/
Jonas, Rz. 10; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 35, jeweils zu § 1031 ZPO m.w.N. Die Hinzufü-
gung einer Schiedsklausel wurde schon unter dem früheren Recht im kaufmännischen Rechtsver-
kehr nicht als erhebliche Abweichung von dem mündlich Vereinbarten aufgefasst, vgl. BGH v.
24.9.1952 – II ZR 305/51, BGHZ 7, 187 (190 ff.) = NJW 1952, 1336; BGH v. 25.5.1970 – VII ZR
157/68, WM 1970, 1050 = AWD 1970, 417 (419).
4 Vgl. BGH v. 3.12.1992 – III ZR 30/91, NJW 1993, 1798 = DZWiR 1993, 465 m. Anm. Berger;
Gildeggen, S. 199 ff.
5 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 69/16, SchiedsVZ 2017, 323 (Rz. 21) = NJW-RR 2017, 1531; Epping, S. 77;
Lachmann, Rz. 323; Schütze, Rz. 127 a.E.; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 229, 279 f.; Münch in
MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 32 a.E.; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 8; a.A. Schwab/Walter,
Kap. 5 Rz. 10.
6 OLG Brandenburg v. 13.6.2002 – 8 Sch 2/01, IPRax 2003, 349 (351) (m. Anm. Otto, IPRax 2003,
333); Münch in MünchKomm-ZPO, § 1031 Rz. 35.

Hausmann | 1155
§ 7 Rz. 7.373 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Vertragsangebot enthaltene oder auf der Rechnung abgedruckte Schiedsklausel genügt der
Form des § 1031 ZPO daher auch dann nicht, wenn es einer ständigen Übung in den Ge-
schäftsbeziehungen der Parteien entsprach1. Schließlich erfasst § 1031 Abs. 2 ZPO auch nicht
den Fall der schriftlichen Bestätigung einer nur mündlich geschlossenen Schiedsverein-
barung2, wie er für die Formgültigkeit internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach
Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO (Rz. 7.83 ff.) genügt.

dd) Bezugnahme auf AGB


7.374 Der im Handelsverkehr verbreiteten Praxis, in Verträgen auf AGB zu verweisen, die eine
Schiedsklausel enthalten, trägt § 1031 Abs. 3 ZPO Rechnung. Voraussetzung für die form-
wirksame Einbeziehung einer in AGB enthaltenen Schiedsklausel ist zunächst, dass das ver-
weisende Dokument – z.B. ein Vertragsangebot oder eine Auftragsbestätigung – den Former-
fordernissen des § 1031 Abs. 1 oder 2 ZPO genügt3. Die Übersendung von bloßen Rechnun-
gen, die eine Schiedsklausel enthalten, reicht nicht aus4. Zum anderen muss die in diesem
Schriftstück enthaltene Verweisung die Schiedsklausel zum Vertragsbestandteil machen.5
Entgegen dem Wortlaut des Abs. 3 bedarf es hierzu keines ausdrücklichen Hinweises auf die
in den AGB enthaltene Schiedsklausel; ebenso wie nach Art. II Abs. 2 UNÜ (dazu Rz. 7.337 ff.)
genügt vielmehr eine globale Bezugnahme auf die AGB, die nach deutschem Recht (§§ 145 ff.,
305 ff. BGB) geeignet ist, diese AGB in den geschlossenen Vertrag einzubeziehen6. Daran fehlt
es, wenn die Vertragsparteien auf einander widersprechende Klauseln verweisen oder eine
Partei durch eine „Abwehrklausel“ klarstellt, dass sie die AGB der anderen Seite auf keinen
Fall akzeptiert7. Die besondere Form des § 305 Abs. 2 BGB ist nach § 310 Abs. 1 BGB im
Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten bzw. Unternehmern (§ 14 BGB) nicht einzuhalten; im Fall
der Beteiligung von Verbrauchern wird § 305 Abs. 2 BGB aber durch § 1031 Abs. 5 ZPO ver-
drängt. Die inhaltliche Gültigkeit und Kontrolle von Schiedsklauseln in AGB ist von der Frage
ihrer Formgültigkeit i.S.v. § 1031 Abs. 3 ZPO zu trennen8 und beurteilt sich nach dem auf die
Schiedsvereinbarung anwendbaren – ggf. auch ausländischen – materiellen Recht (dazu
Rz. 7.309 f.).

7.375 Ob eine in AGB enthaltene Schiedsklausel materiell wirksam in den Vertrag einbezogen wur-
de, beurteilt sich nicht nach § 1031 Abs. 3 ZPO, sondern nach den hierfür entwickelten

1 Epping, S. 77 f. Vgl. auch BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, IPRax 2006, 266 (m. Anm. Geimer,
IPRax 2006, 233).
2 Epping, S. 78 f.
3 Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 37; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 13.
4 BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 3499 (3500); OLG Frankfurt v. 5.6.2009 – 14 Sch 19/
08, IPRspr. 2009 Nr. 275.
5 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 28 ff.) = RIW 2021, 233; OLG Ham-
burg v. 16.6.2016 – 6 Sch 6/14, RdTW 2017, 350.
6 Dies folgt aus einem Gegenschluss zu dem früheren Abs. 4; vgl. BGH v. 25.1.2007 – VII ZR 105/
06, NJW 2007, 789 = SchiedsVZ 2007, 273; OLG Köln v. 19.11.2010 – 19 Sch 7/10, IPRspr. 2010
Nr. 309; OLG Brandenburg v. 26.4.2006 – 4 U 161/05, NJOZ 2006, 2044 (2046 f.); BayObLG v.
17.9.1998 – 4Z Sch 1/98, NJW-RR 1999, 644 (645); Epping, S. 145; Seiler in Thomas/Putzo, Rz. 6/
7; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 13; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 38 f.; Geimer in Zöller,
§ 1031 ZPO Rz. 9 f., jeweils zu § 1031 ZPO.
7 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006 – 26 Sch 28/05, IHR 2007, 42 = IPRax 2008, 517 (m. Anm.
Schlosser, IPRax 2008, 497) = IPRspr. 2006 Nr. 212.
8 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 236 f.; a.A. Schütze, Rz. 104; Seiler in Thomas/Putzo, § 1031 ZPO
Rz. 6/7.

1156 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.376 § 7

Grundsätzen des deutschen Vertragsrechts. Eine Rechtswahl der Parteien bleibt bei der Prü-
fung des nationalen Sachrechts im Rahmen des Meistbegünstigungsgrundsatzes unberück-
sichtigt1. Sind die AGB einem Kaufvertrag über Waren beigefügt, der in den Anwendungs-
bereich des UN-Kaufrechts fällt, so bestimmt sich auch die Einbeziehung der Schiedsverein-
barung in diesen Kaufvertrag nach den auf dessen Zustandekommen vorrangig anzuwenden-
den Vorschriften der Art. 14 ff. CISG. Dies folgt aus einem Umlehrschluss aus Art. 19 Abs. 3
CISG, wonach eine abweichendeStreitbeilegungsklausel in der Annahmerklärung als wesentli-
che Änderung der Bedingungen des Angebots gilt, sowie aus Art. 81 Abs. 1 S. 2 CISG, dem-
zufolge die Vertragsaufhebung nicht die Bestimmungen des Vertrags über die Beilegung von
Streitigkeiten berührt. Der Grundsatz der Autonomie der Schiedsvereinbarung steht einer sol-
chen Anwendung des CISG auf die Frage des materiell wirksamen Zustandekommens von
Schiedsvereinbarungen nicht entgegen2. Die Anwendung des CISG ist allerdings auf das in
Art. 14 ff. geregelte Zustandekommen einer materiellen Einigung über die in AGB enthaltene
Schiedsklausel beschränkt; hinsichtlich der Form der Schiedsklausel verbelibt es hingegen bei
§ 1031 ZPO, so dass der Grundsatz der Formfreiheit des Art. 11 S. 1 CISG insoweit keine
Anwendung findet3.

ee) Konnossement
Eine Regelung zu Schiedsklauseln in Konnossementen findet sich nach der Streichung von 7.376
§ 1031 Abs. 4 ZPO durch Gesetz v. 20.4.20134 m.W.v. 25.4.2013 in § 522 Abs. 1 S. 3 HGB.
Danach hat der Verfrachter weiterhin die Möglichkeit, allein durch die Begebung eines von
ihm einseitig ausgestellten und unterzeichneten Konnossements an einen Dritten eine
Schiedsvereinbarung formgerecht abzuschließen. Diese muss allerdings – abweichend vom
bisherigen Recht – im Konnossement selbst enthalten sein, wobei ein Abdruck der sie enthal-
tenden AGB auf der Rückseite des Konnossements genügt. Die bloße Aufnahme einer Inkor-
porationsklausel in das Konnossement, in der ausdrücklich auf die erst im Chartervertrag
(vgl. § 557 HGB) enthaltene Schiedsklausel Bezug genommen wird, reicht hingegen nach gel-
tendem Recht nicht mehr5. Eine allgemeine Verweisung auf die Bedingungen des Charterver-
trags, die eine Schiedsklausel enthielten, war schon unter § 1031 Abs. 4 ZPO a.F. ebenso wenig
ausreichend wie nach Art. II Abs. 2 UNÜ6. Da § 522 Abs. 1 S. 3 HGB als „Sonderregelung für
Konnossemente“ konzipiert ist, findet § 1031 ZPO keine ergänzende Anwendung. Es gilt also
für Schiedsklauseln in Konnossementen weder die weitergehende Formerleichterung nach
§ 1031 Abs. 3 ZPO, noch ist die Einhaltung der Form nach § 1031 Abs. 1 und 2 ZPO erforder-
lich, so dass es auch nicht der Feststellung einer entsprechenden „Verkehrssitte“ bedarf7.

1 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 28 ff., 32 a.E.; Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1031 ZPO Rz. 13.
2 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 33 ff., 37; Schwenzer/Tebel, FS Magnus
(2014), S. 319 (329); Schroeter in Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, CISG, 7. Aufl., Vorbem. zu
Art. 14-24 CISG Rz. 50 ff. m.w.N.
3 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 38); Schwenzer/Tebel, FS Magnus
(2014), S. 319 (327 ff.)
4 BGBl. I 2013, 831.
5 BT-Drucks. 17/10309, S. 143; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 11.
6 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 238; Lachmann, Rz. 350; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 15; Münch in
MünchKomm ZPO, Rz. 43; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 15 ff.; Voit in Musielak/Voit, Rz. 7, jeweils
zu § 1031 ZPO; vgl. auch K. Schmidt, FS Herber (1999), S. 281 ff. sowie zum UNÜ Rz. 7.345 f.
7 Vgl. i.d.S. schon zu § 1031 Abs. 4 ZPO a.F. Epping, S. 79; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031
Rz. 43.

Hausmann | 1157
§ 7 Rz. 7.377 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ff) Verbrauchervertrag
7.377 Da die Vereinbarung schiedsgerichtlicher Streiterledigung auch bei Verbrauchergeschäften –
z.B. im elektronischen Handel oder bei Börsengeschäften an ausländischen Terminbörsen1 –
seit Ende der 1980iger Jahre an Bedeutung deutlich zugenommen hat, enthält § 1031 Abs. 5
ZPO eine besondere Schutzvorschrift für Verbraucher. Der Verbraucherbegriff bestimmt sich
auch insoweit nach § 13 BGB. Der streitgegenständliche Vertrag, für den die Zuständigkeit
des Schiedsgerichts begründet werden soll, darf deshalb nicht der gewerblichen oder selbstän-
digen beruflichen Tätigkeit der betreffenden Person zugerechnet werden können2. Diese Vo-
raussetzung ist auch bei Bank- und Börsengeschäften, die der Pflege des eigenen Vermögens
dienen, erfüllt, ohne dass es auf die Höhe der getätigten Umsätze ankommt3. Maßgebend ist
die Verbrauchereigenschaft im Zeitpunkt des Abschlusses der Schiedsvereinbarung; erlangt
der Verbraucher durch den Abschluss des Hauptvertrages, auf den sich die Schiedsverein-
barung bezieht, die Unternehmereigenschaft i.S.v. § 14 BGB (Existenzgründer), so bedarf es
der Einhaltung der Form des § 1031 Abs. 5 BGB nicht4.

7.378 Um dem Verbraucher die Risiken, die mit einem Verzicht auf den Rechtsschutz vor staatlichen
Gerichten verbunden sind, hinreichend deutlich vor Augen zu führen5, muss die Schiedsver-
einbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein,
so dass – abweichend von § 1031 Abs. 1 Alt. 2 ZPO – der Austausch von Dokumenten, ins-
besondere mittels moderner Kommunikationsformen, nicht ausreicht. Erforderlich ist viel-
mehr die Einhaltung der Schriftform i.S.v. § 126 BGB, die lediglich durch die elektronische
Form nach § 126a BGB ersetzt werden kann6. Das Erfordernis der Eigenständigkeit schließt
allerdings eine Stellvertretung nicht aus7. Für die Form der Vollmacht eines Verbrauchers zum
Abschluss einer Schiedsvereinbarung gilt § 1031 Abs. 5 ZPO nicht (vgl. Rz. 7.347).

7.379 Darüber hinaus darf die Urkunde oder das elektronische Dokument nach § 1031 Abs. 5 S. 2
BGB keine anderen Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren
beziehen, enthalten (sog. Trennungsgebot). Damit soll verhindert werden, dass sich der Ver-

1 Vgl. BGH v. 6.6.1991 – III ZR 68/90, NJW 1991, 2215 = IPRax 1992, 382 (m. Anm. Samtleben,
IPRax 1992, 362); OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, RIW 1995, 769 = IPRax 1997, 115
(m. Anm. Thorn, IPRax 1997, 98). Vgl. auch die st. Rspr. des XI. Zivilsenats des BGH zu Börsen-
termingeschäften deutscher Anleger an der New Yorker Börse seit Sommer 2010; dazu die Nachw.
in Rz. 7.364 ff.
2 Zum persönlichen Anwendungsbereich des § 1031 Abs. 5 ZPO näher Lachmann, Rz. 326 ff.;
Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 47 ff.
3 Vgl. zu Börsentermingeschäften BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 = NJW-RR
2011, 548; seither st. Rspr.
4 BGH v. 24.2.2005 – III ZB 36/04, BGHZ 162, 243 (246 ff.) = NJW 2005, 1273 = SchiedsVZ 2005,
157; OLG Düsseldorf v. 4.5.2004 – I-26 Sch 5/04, NJW 2004, 3192; Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 220; Lachmann, Rz. 330; ebenso schon zu § 1027 ZPO a.F. BGH v. 26.9.1996 – III ZR 30/95,
NJW 1996, 3217.
5 Zur Warnfunktion des § 1031 Abs. 5 ZPO vgl. Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 45; eben-
so schon zu § 1027 Abs. 1 S. 1 ZPO a.F. BGH v. 2.3.1978 – III ZR 99/76, BGHZ 71, 162 (165) =
NJW 1978, 1585.
6 Epping, S. 81; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 246; Lachmann, Rz. 352; Schütze, Rz. 125; Geimer in
Zöller, § 1031 ZPO Rz. 36; Münch in MünchKomm ZPO Rz. 53, 56 f.; Schlosser in Stein/Jonas
Rz. 24; Voit in Musielak/Voit, Rz. 10, jeweils zu § 1031 ZPO.
7 Lachmann, Rz. 352; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 2; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 24; Voit
in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 10; a.A. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/An-
ders/Gehle, § 1031 ZPO Rz. 9.

1158 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.380 § 7

braucher durch Unterzeichnung umfangreicher Formularverträge oder AGB einem Schieds-


gericht unterwirft, ohne die in dem vorformulierten Text versteckte Schiedsklausel wirklich
gelesen zu haben1. Daraus folgt aber nicht, dass die Schiedsvereinbarung auf einem gesonder-
ten Blatt stehen müsste; es genügt vielmehr, wenn sie auf dem gleichen Blatt wie der Haupt-
vertrag steht, von diesem jedoch deutlich abgesetzt und besonders unterschrieben ist2. Zuläs-
sig ist danach auch die ausdrückliche Bezugnahme auf eine – z.B. in AGB oder einem anderen
Vertrag enthaltene – Schiedsvereinbarung oder auf eine Schiedsgerichtsordnung, sofern nur
der Verweis einerseits hinreichend deutlich vom Hauptvertrag abgesetzt ist, andererseits ein-
deutig erkennen lässt, dass die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts begründen
wollen3. Die globale Verweisung auf eine Satzung oder AGB, die eine solche Schiedsklausel
enthalten, reicht hingegen im Rechtsverkehr mit Verbrauchern nicht aus.

Durch notarielle Beurkundung wird die Form des § 1031 Abs. 5 ZPO in jedem Falle gewahrt, 7.380
§ 1031 Abs. 5 S. 3 HS. 2 ZPO, weil der Notar die Beteiligten über die Tragweite einer Schieds-
klausel aufklärt4. Die notarielle Urkunde kann daher nicht nur andere Vereinbarungen enthal-
ten als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren beziehen; vielmehr gilt auch das
Trennungsgebot insoweit nicht mehr5. Andererseits reicht die Einhaltung der Form des
§ 1031 Abs. 5 ZPO wegen der Autonomie der Schiedsvereinbarung grundsätzlich auch dann
aus, wenn diese sich auf einen notariell zu beurkundenden Hauptvertrag bezieht; die Schieds-
vereinbarung ist also auch in diesem Fall nicht beurkundungsbedürftig6. Dies gilt auch dann,
wenn die Formvorschrift – wie z.B. § 311b Abs. 1 BGB oder § 15 Abs. 4 GmbHG – die Beur-
kundung aller Abreden erfordert. Eine Schiedsklausel in einem notariell beurkundeten Ver-
trag über den Verkauf und die Übertragung von Grundstücken und Gesellschaftsanteilen ist
daher nicht deshalb nach § 125 S. 1 BGB nichtig, weil sie auf eine Schiedsgerichtsordnung
Bezug nimmt, die nicht mit beurkundet worden ist7. Der notariellen Beurkundung steht ein
gerichtlicher Vergleich gleich (vgl. § 127a BGB)8.

1 Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 26; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 2 m.w.N.
2 Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 36; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 59; Schwab/Walter,
Kap. 5 Rz. 18; Lachmann, Rz. 353; ebenso schon früher BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ
38, 155 (162 f.) = NJW 1963, 203.
3 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 248; Reichold in Thomas/Putzo, Rz. 9 f.; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO
Rz. 37; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 22, jeweils zu § 1031 ZPO; Glossner/Bredow/Bühler, Rz. 84 f.;
ebenso schon früher BayObLG v. 9.9.1999 – 4 Z Sch 3/99, BayObLGZ 1999, 255 = BB 2000 Beil. 8,
S. 16 (18) m. Anm. Sessler, S. 9.
4 BT-Drucks. 13/5274, S. 37; BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466 = SchiedsVZ
2007, 163 (164); OLG München v. 12.2.2008 – 34 SchH 006/07, MDR 2008, 943; Schütze, Rz. 128;
Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 247.
5 BT-Drucks. 13/5274, S. 37; BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, MDR 2007, 903, SchiedsVZ 2007,
163 (164); Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 38; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 25; dazu
näher Tröder, MittRheinNotK 2000, 379 ff.
6 Schlosser, FS Böckstiegel (2001), S. 687 (709); Glossner/Bredow/Bühler, Rz. 88; Lachmann, Rz. 362 f.;
Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 47; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 10; ebenso schon zu
§ 1027 Abs. 1 S. 2 ZPO a.F. BGH v. 22.9.1977 – III ZR 144/76, BGHZ 69, 260 (263 ff.).
7 BGH v. 24.7.2014 – III ZB 83/13, BGHZ 202, 168 Rz. 13 ff. = NJW 2014,3652; Lachmann,
Rz. 362 f.; für Beurkundungserfordernis in diesen Fällen hingegen Tröder, MittRheinNotK 2000,
379 (381); Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 48.
8 Schütze, Rz. 129; Schwab/Walter, Kap. 6 Rz. 19.

Hausmann | 1159
§ 7 Rz. 7.381 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gg) Heilung von Formmängeln


7.381 Schließlich ordnet § 1031 Abs. 6 ZPO die Heilung von Formmängeln der Schiedsvereinbarung
durch die rügelose Einlassung auf die schiedsgerichtliche Verhandlung zur Hauptsache an.
Eine solche liegt vor, wenn der Schiedsbeklagte sich vor dem Schiedsgericht vorbehaltlos zur
Sache geäußert hat1. Ausreichend ist aber auch die Einreichung der schriftlichen Klageerwide-
rung vor der mündlichen Verhandlung, in der der Schiedsbeklagte die Unzuständigkeit des
Schiedsgerichts nicht rügt2. Die Heilung des Formmangels tritt unabhängig davon ein, ob sich
die Parteien bewusst waren, dass durch ihre rügelose Einlassung die Zuständigkeit des
Schiedsgerichts begründet wird3. Die bloße Mitwirkung an der Bildung des Schiedsgerichts –
z.B. durch Benennung eines Schiedsrichters oder Einzahlung eines Kostenvorschusses – ist al-
lerdings noch keine rügelose Einlassung (vgl. § 1040 Abs. 2 S. 2 ZPO)4. Ebenso wenig wird
der Formmangel geheilt, wenn der Schiedsbeklagte sich unter Aufrechterhaltung der Rüge der
Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nur hilfsweise zur Hauptsache einlässt5. Dies gilt aller-
dings nur dann, wenn der Vorbehalt sich zumindest auch auf den Mangel der Form bezieht;
der Vorbehalt anderer Mängel der Schiedsvereinbarung erhält dem Schiedsbeklagten hingegen
nicht das Recht, auch den Formmangel im weiteren Verfahren noch geltend zu machen6. Der
rügelosen Einlassung steht es gleich, wenn die Parteien die formnichtige Schiedsvereinbarung
in ihrem späteren Schriftverkehr bestätigt haben7. Die Vorschrift enthält keine eigenständige
Formvariante; vielmehr ersetzt das Verhandeln zur Hauptsache das Formerfordernis. Der all-
gemeinen Präklusionsvorschrift des § 1040 Abs. 2 ZPO kommt daneben nur eine untergeord-
nete Bedeutung zu8.

7.382 Geheilt wird durch die rügelose Einlassung nach § 1031 Abs. 6 ZPO nur der Mangel der
Form, dies allerdings mit Wirkung ex tunc9. Ist die Schiedsvereinbarung aus anderen Grün-
den unwirksam – z.B. wegen Willensmängeln oder wegen Verstoßes gegen §§ 134, 138 BGB
– oder fehlt sie überhaupt, so kann zwar in der Klageerhebung vor dem Schiedsgericht und
der rügelosen Einlassung des Schiedsbeklagten der Neu- oder Erstabschluss einer Schiedsver-
einbarung liegen. Voraussetzung hierfür ist freilich ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein

1 KG v. 17.12.2007 – 20 Sch 05/07, SchiedsVZ 2009, 179 (181); ebenso schon zu § 1027 Abs. 1 S. 2
ZPO a.F. RG v. 15.3.1935, RGZ 147, 213 (217) = JW 1935, 1850 m. Anm. Jonas; OLG Köln v.
16.12.1992 – 16 W 43/92, RIW 1993, 499 = IPRax 1993, 399 (m. Anm. Haas, IPRax 1993, 382).
2 Lachmann, Rz. 368; Schütze, Rz. 130; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 65; ebenso früher
BGH v. 22.5.1967 – VII ZR 188/64, BGHZ 48, 35 (43) = NJW 1967, 2057; BGH v. 2.12.1982 – III
ZR 85/81, NJW 1983, 1267 (1269) m.w.N.
3 Wackenhuth, KTS 1985, 425; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 5; Epping, S. 89; Geimer in Zöller, § 1031
ZPO Rz. 42; Voit in Musielak/Voit, § 1031 ZPO Rz. 13.
4 Vgl. BGH v. 2.4.1987 – III ZR 76/86, MDR 1987, 1004 = WM 1987, 1084 (1085); Schwab/Walter,
Kap. 5 Rz. 5 f. m.w.N. Hat eine Partei aber an der Konstituierung des Schiedsgerichts mitgewirkt
und sich in der vorprozessualen Korrespondenz auf die Schiedsvereinbarung berufen, so kann
eine spätere Geltendmachung von deren Ungültigkeit gegen Treu und Glauben verstoßen, vgl.
BGH v. 2.4.1987, aaO.
5 BGH v. 6.12.1962 – KZR 1/62, KTS 1963, 105 (106); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 244; Schütze,
Rz. 130; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 29; Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 67.
6 BGH v. 29.6.2005 – III ZB 65/04, NJW-RR 2005, 1659 = SchiedsVZ 2005, 259; Lachmann, Rz. 367;
Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 40; Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 28.
7 Seiler in Thomas/Putzo, § 1031 ZPO Rz. 13; ebenso zu Art. II Abs. 2 UNÜ OLG Hamburg v.
30.7.1998 – 6 Sch 3/98, NJW-RR 1999, 1738.
8 Vgl. Epping, S. 90 ff.; a.A. Schlosser in Stein/Jonas, § 1031 ZPO Rz. 28.
9 BGH v. 22.5.1967 – VII ZR 188/64, BGHZ 48, 35 (43) = NJW 1967, 2057; Münch in MünchKomm
ZPO, § 1031 Rz. 68.

1160 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.384 § 7

der Parteien, wenn dieses beim Erstabschluss der Schiedsvereinbarung gefehlt hat1. Ferner
darf der ursprüngliche Nichtigkeitsgrund im Zeitpunkt der rügelosen Einlassung nicht mehr
bestehen.

IV. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen


1. UN-Übereinkommen
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis
Nach Art. II Abs. 1 UNÜ muss sich der Schiedsvertrag auf ein „bestimmtes Rechtsverhältnis“ 7.383
beziehen. Damit sollen insbesondere unerfahrene Parteien davor geschützt werden, dass ihnen
für eine unabsehbare Vielzahl künftiger Streitigkeiten die Möglichkeit zur Anrufung staatlicher
Gerichte genommen wird2. Ein Rückgriff auf nationales Recht ist insoweit nicht nur dann aus-
geschlossen, wenn dieses strengere Anforderungen aufstellt; auch mildere Bestimmtheitserfor-
dernisse des einzelstaatlichen Recht bleiben – soweit nicht der Meistbegünstigungsgrundsatz
des Art. VII UNÜ eingreift – außer Betracht3. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der
Vereinbarung sind dabei dem Übereinkommen selbst und nicht dem nationalen Recht zu ent-
nehmen; in der Sache ergeben sich allerdings keine Abweichungen gegenüber der Regelung in
§ 1029 ZPO (dazu Rz. 7.396). Danach ist dem Bestimmtheitserfordernis insbesondere auch
durch die Vereinbarung einer Schiedsklausel in Rahmenverträgen (z.B. Vertragshändlerverträ-
gen) Genüge getan4. Ferner ist es nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. II Abs. 1 UNÜ
zulässig, die schiedsrichterliche Entscheidungsbefugnis auch auf nichtvertragliche Ansprüche
(z.B. aus Geschäftsführung ohne Auftrag, Bereicherung oder Delikt) zu erstrecken5.

b) Objektive Schiedsfähigkeit
Nach Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ kann die Anerkennung eines Schiedsspruches versagt werden, 7.384
wenn der Streitgegenstand nach dem Recht des Anerkennungsstaats nicht auf schiedsrichterli-
chem Wege geregelt werden kann. Danach ist eine Schiedsvereinbarung im Vollstreckungsver-
fahren vor deutschen Gerichten in jedem Falle unwirksam, wenn der Streitgegenstand nach
deutschem Recht nicht schiedsfähig ist. Sie wird darüber hinaus aber zT auch dann als unwirk-
sam erachtet, wenn die Schiedsfähigkeit lediglich nach dem Recht fehlt, das gem. Art. V Abs. 1
lit. a UNÜ auf die Schiedsvereinbarung anwendbar ist6. Diese kumulative Anknüpfung der ob-
jektiven Schiedsfähigkeit nach Art. V Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a UNÜ vermag freilich dann

1 BGH v. 22.5.1967 – VII ZR 188/64, BGHZ 48, 35 (45 f.) = NJW 1967, 2057; BGH v. 25.10.1983 –
KZR 27/82, BGHZ 88, 314 (318 f.) = MDR 1984, 377; OLG München v. 29.12.1976 – 1 W 1508/
76, KTS 1977, 180 = BB 1977, 865; Schwab/Walter, Kap. 5 Rz. 6; Seiler in Thomas/Putzo, § 1031
ZPO Rz. 14 f.; Geimer in Zöller, § 1031 ZPO Rz. 45.
2 van den Berg, S. 149; Bertheau, S. 28; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 8; Haas
in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 19.
3 van den Berg, S. 178 f.; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 7; a.A. Bertheau, S. 30 f.
4 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 19.
5 van den Berg, S. 148; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 8; Haas in Weigand, Art. II
UNÜ Rz. 20. Zust. Hi-Fert Pty Ltd. v. Kinkiang Maritime Carriers (N.S.W. 1997), YCA XXIII
(1998), 606 (617). Zur entsprechenden Auslegung von Schiedsklauseln s. Rz. 7.295 ff.
6 So Bertheau, S. 37 f.; Remiro Brotóns, Rec. des Cours 1984 I, 173 (243); Lew, S. 73; Nagel/Gottwald,
Rz. 18.40; Nolting, IPRax 1987, 349 (352); Bühler, IPRax 1989, 253 (254); Haas, S. 257; Gamauf,
ZfRV 2000, 41 (47); von Hülsen, S. 135 f.; Bork/Stöve, S. 58 f.; a.A. (nur Statut der Schiedsverein-
barung) Barber, S. 185 ff.

Hausmann | 1161
§ 7 Rz. 7.384 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nicht zu überzeugen, wenn die Schiedsvereinbarung einem Recht untersteht, das keinen hinrei-
chenden Bezug zum Streitgegenstand hat. Dies trifft insbesondere dann häufig zu, wenn man die
Schiedsvereinbarung nicht akzessorisch an das Statut des Hauptvertrages anknüpft, sondern
dem Recht des Schiedsortes unterwirft (zu dieser vorzugswürdigen Anknüpfung näher
Rz. 7.306 ff.), der nicht selten in einem „neutralen“ Land gewählt wird, zu dem weder die Ver-
tragsparteien noch der geschlossene Hauptvertrag einen Berührungspunkt aufweisen1. Darüber
hinaus kann die Anknüpfung der Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes nach Art. V Abs. 1 lit. a
UNÜ zu Wertungswidersprüchen führen, wenn das Statut der Schiedsvereinbarung vom Statut
des Hauptvertrages abweicht2. Aus diesem Grunde geht die Tendenz heute zu Recht dahin, in
Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ eine abschließende kollisionsrechtliche Regelung der objektiven Schieds-
fähigkeit des Streitgegenstandes zu sehen. Auch um die mit einer kumulativen Anwendung ver-
schiedener Rechte verbundenen Kompliktionen zu vermeiden, ist die objektive Schiedsfähigkeit
jedenfalls im Vollstreckungsverfahren nur nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu prüfen3.

7.385 Die vorgenannten Grundsätze gelten aber auch dann entsprechend, wenn der staatliche Rich-
ter nicht erst im Vollstreckungsverfahren, sondern bereits im Einredeverfahren über die ob-
jektive Schiedsfähigkeit zu befinden hat. Maßgebend ist in diesem Fall daher ausschließlich
die lex fori des Einredegerichts, weil der Gegenstand des Rechtsstreits zu diesem Recht eine
engere Beziehung hat als zu einem davon abweichenden Statut der Schiedsvereinbarung.
Denn die Vorschriften der lex fori über die objektive Schiedsfähigkeit sollen dem staatlichen
Einredegericht sein Rechtsprechungsmonopol sichern4.
App. Genova v. 7.5.1994, Riv.arb. 1994, 505 = YCA XXI (1996), 594 (599 f.)
Objektive Schiedsfähigkeit des Streits über die Lieferung von Kriegsschiffen durch einen italienischen
Hersteller an den Irak im Einredeverfahren nach italienischem Recht wegen des Irak-Embargos verneint.

7.386 In der Rechtsprechung der Vertragsstaaten wird die Anwendung von Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ
z.T. auf die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche beschränkt. Hingegen wird die objek-
tive Schiedsfähigkeit im Einredeverfahren teils nach dem Statut der Schiedsvereinbarung
(Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ) beurteilt5, teils aber auch im Wege einer autonomen Auslegung

1 Schlosser, Rz. 299; Barber, S. 30; Haas, S. 256 f.


2 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 56.
3 OLG Hamm v. 2.11.1983 – 20 U 57/83, IPRax 1985, 218 (m. Anm. Walter/Wackenhuth, IPRax
1985, 200) = YCA XIV (1989), 629; van den Berg, S. 152 f., 369; Bertheau, S. 28; Schlosser, Rz. 299;
Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (370 f.); Kröll, SchiedsVZ 2009, 40 (45); Geimer, Rz. 3811;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 75; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 1; Adolphsen in
MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 11 und Art. V UNÜ Rz. 67; Epping, S. 204 ff.
4 van den Berg, S. 152; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 75; Schwab/Walter, Kap. 44
Rz. 1; Bork/Stöve, S. 53 f.; Thorn, IPRax 1997, 98 (102 f.); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 58;
Epping, S. 210 ff. m.w.N. Zust. insb. die ital. Gerichtspraxis, vgl. Cass. v. 27.4.1979, Nr. 2429, Foro
it. 1980 I, 190 (192 f.); App. Bologna v. 21.12.1991, YCA XVIII (1993), 422 (423 f.); Trib. Bologna
v. 8.7.1987, Riv.dir.int.priv.proc. 1988, 740 = YCA XVII (1992), 534.
5 So insb. die frühere belg. Praxis; vgl. App. Bruxelles v. 4.10.1985, J.T. 1986, 93 m. Anm. Kohl =
YCA XIV (1989), 618; Trib. com. Bruxelles v. 5.10.1994, Rev.arb. 1995, 311 (315) m. zust. Anm.
Hanotiau = YCA XXII (1997), 637; ferner Nuyts, Le contrôle de l’arbitrabilité selon la loi du for
dans les Conventions de New York e de Genève et les concessions de vente exclusive à durée indé-
terminée en Belgique, RDC 1933, 1193 ff.; Hanotiau, Arb. Int. 12 (1996) Nr. 4, 391 (399); zu Recht
krit. dazu Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 11. Für eine (zumindest kumulative)
Anwendung der lex fori aber nunmehr belg. Cass. v. 15.10.2004, YCA XXXI (2006) 587 (594);
ebenso schon Trib. com. Bruxelles v. 20.9.1999, YCA XXV (2000), 673 (675).

1162 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.388 § 7

des Art. II Abs. 1 und Abs. 3 UNÜ ermittelt, wobei insbesondere die Entstehungsgeschichte
und der Normzweck der Vorschrift berücksichtigt wird1.

In Deutschland wurde Schiedsvereinbarungen die Anerkennung insbesondere dann versagt, 7.387


wenn die Vereinbarung eines ausländischen Schiedsgerichts iVm. einer Rechtswahl zu einer
Ausschaltung international zwingender deutscher Normen führte2. Nach geltendem deut-
schen Schiedsverfahrensrecht (§ 1030 Abs. 1 ZPO) kommt es – ebenso wie im schweizerischen
Recht (Art. 177 IPRG) – hingegen nur noch darauf an, dass Streitgegenstand ein vermögens-
rechtlicher Anspruch ist (dazu Rz. 7.403). Der Umstand allein, dass der Streitgegenstand des
Schiedsverfahrens durch Eingriffsnormen der lex fori iSv. Art. 9 Rom I-VO geregelt ist (dazu
Rz. 5.1 ff.), schließt die Schiedsfähigkeit i.S.v. Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ nicht aus3.
A.A. OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (m. krit. Anm. Röhl, IPRax 2007,
294)
Vereinbarung eines US-amerikanischen Schiedsgerichts in Handelsvertretervertrag mit einem deut-
schen Handelsverteter für unwirksam erklärt, weil die Gefahr bestehe, dass das vereinbarte Schieds-
gericht die zwingenden Vorschriften der HandelsvertreterRL 86/653/EWG über Ausgleich und Ent-
schädigung des Handelsvertreters nach Vertragsbeendigung nicht anwenden werde.
Besonders großzügig in dieser Hinsicht ist seit der Mitsubishi-Entscheidung des Supreme
Court4 die US-amerikanische Rechtsprechung, die nicht nur antitrust-Streitigkeiten, sondern
auch Ansprüche wegen Verstoßes gegen das Antikorruptionsgesetz („RICO“) für schiedsfähig
hält5.

c) Subjektive Schiedsfähigkeit
Voraussetzung für die Anerkennung einer Schiedsvereinbarung ist nach dem UNÜ weiterhin, 7.388
dass die Parteien zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung fähig, dh. als natürliche Personen
prozessfähig, als juristische Personen bzw. Gesellschaften parteifähig und ordnungsgemäß ver-
treten waren. Über diese Frage ist nach Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ nach dem Recht zu entschei-
den, das für die Parteien der Schiedsvereinbarung „persönlich maßgebend ist“. Das hiernach

1 So insb. die US- amerikanische Praxis, die von einer „strong presumption of arbitrability“ ausgeht;
vgl. Bergesen v. Joseph Muller Corp. (2nd Cir. 1983), 710 F. 2d 928 (933 = YCA IX (1984), 487;
Meadows Indemnity Co. Ltd. v. Baccala & Shoop Insurance Services, Inc. (E. D. N. Y. 1991), YCA
XVII (1992), 686 (689 ff.); Kamaya Co. Ltd. v. APC, Inc. (Ct. App. Wash. 1998), YCA XXIV
(1999), 837; Chelsea Square Textiles, Inc. v. Bombay Dyeing & MfG Co. (2nd Cir. 1999), 189 F. 3d
289 (294) = YCA XXV (2000), 1035; Sandvik AB v. Advent Int’l Corp. (3rd Cir. 2000), 220 F. 3d 99
(104) = YCA XXVI (2001), 961; Sphere Drake Ins. Ltd. v. Clarendon Nat. Ins. Co. (2nd Cir. 2001),
263 F. 3d 26 = YCA XXVII (2002), 700, (704).
2 Vgl. zu Termingeschäften an ausländischen Börsen BGH v. 15.6.1987 – II ZR 124/86, NJW 1987,
3193 = IPRax 1989, 163 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1989, 148).
3 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 76; vgl. schwz. BG v. 23.6.1992, SZIER 1994, 111 m.
Anm. Knöpfler = YCA XX (1995), 766 (Verstoß gegen Waffenembargo/Irak); ferner Rb. van Koo-
phandel Bruxelles v. 6.5.1993, YCA XXII (1997), 631 (635) (zwingender Schutz von belgischen
Vertriebshändlern); anders aber Trib.com. Bruxelles v. 20.9.1999, YCA XXV (2000), 673 (676).
4 Mitsubishi Motors Corp. v. Soler Chrysler Plymouth, Inc. (S. Ct. 1985), 473 U.S. 614 (1985) =
YCA XI (1986), 555.
5 Vgl. Shearson v. American Express v. MacMahon (S. Ct. 1987), 482 U.S. 220; Fischer Foundry
Systems, Inc. v. Hottinger GmbH (6th Cir. 1995), YCA XXII (1997), 897; ebenso die ICC-Schieds-
sprüche Nr. 6320, Clunet 1995, 986 m. Anm. Hascher und Nr. 8385, Clunet 1997, 1061 m. Anm.
Derains.

Hausmann | 1163
§ 7 Rz. 7.388 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

maßgebliche Personalstatut ist mit Hilfe der Kollisionsnormen der lex fori des Vollstreckungs-
gerichts bzw. – in der Einredesituation – des Einredegerichts zu ermitteln1. Vor deutschen Ge-
richten wird die subjektive Schiedsfähigkeit daher auch im Anwendungsbereich des UNÜ bis-
her für natürliche Personen nach deren Heimatrecht (Art. 7 EGBGB; dazu Rz. 6.1057 ff.)2, für
juristische Personen nach deren Personalstatut (Sitz- oder Gründungsrecht, vgl. Rz. 6.1 ff.) be-
stimmt3. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen ist freilich für
Schiedsvereinbarungen auf dem Gebiet des internationalen Vertrags- und Wirtschaftsrechts
wenig zeitgemäß; vorzuziehen ist insoweit – nicht zuletzt auch wegen einer drohenden Diskri-
minierung von in Deutschland lebenden EU-Ausländern (Art. 18 AEUV) – eine Anknüpfung
an den gewöhnlichen Aufenthalt4. Die subjektive Schiedsfähigkeit deutscher Parteien zum Ab-
schluss von Schiedsvereinbarungen über künftige Streitigkeiten aus Wertpapierdienstleistun-
gen und Finanztermingeschäften unterliegt daher auch im Anwendungsbereich des UNÜ –
z.B. beim Abschluss von Termingeschäften mit US-amerikanischen Brokerhäusern – den Be-
schränkungen durch § 101 WpHG (vgl. auch Rz. 7.405)5. Darin liegt kein Verstoß gegen Art. II
UNÜ, weil § 101 WpHG nicht die Form der Schiedsvereinbarung regelt, sondern die dem
nationalen Recht überlassene Bestimmung der subjektiven Schiedsfähigkeit der Parteien6.

d) Ordre public
7.389 Nach Art. V Abs. 2 lit. b UNÜ kann einem Schiedsspruch die Anerkennung und Vollstreckung
schließlich versagt werden, wenn er der öffentlichen Ordnung des Staates widerspricht, in
dem um Anerkennung bzw. Vollstreckung nachgesucht wird. Auch diese Vorschrift ist aus
den in Rz. 7.241 ff. genannten Gründen auf Schiedsvereinbarungen entsprechend anzuwen-
den, wenn diese bereits vor Erlass eines vom Übereinkommen erfassten Schiedsspruchs (z.B.
im Einredeverfahren) zu beurteilen sind7. Die Praxis der Vertragsstaaten geht insoweit zurecht
von einer restriktiven Auslegung des ordre public aus, so dass die Anerkennung einer
Schiedsvereinbarung nur scheitert, wenn die „most basic notions of morality and justice“ des
Forumstaates verletzt sind8. Der Verstoß des Hauptvertrages gegen zwingendes Recht der lex

1 Lehmann, SchiedsVZ 2003, 219 (224); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 76;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 20; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 18; Haas in
Weigand, Art. V UNÜ Rz. 21; ebenso ital. Cass. v. 23.4.1997, Nr. 10229, Riv.arb. 1998, 41 = YCA
XXIV (1999), 709; span. Trib. Supremo v. 17.2.1998, YCA XXVII (2002), 533 (535).
2 Berger, ZBB 2003, 77 (82); Huber, IPRax 2009, 134 (138); Czernich, NYÜ (2008), Art. II Rz. 41;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 19.
3 BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 f. = RIW 1998, 628 = IPRax 1999, 104 (m.
Anm. Schütze, IPRax 1999, 87).
4 Zutr. Samtleben, ZBB 2003, 69 (77) und IPRax 2011, 469 (475). Auch der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 18.11.2020 vollzieht
für die Geschäftsfähigkeit in Art. 7 Abs. 2 EGBGB den Übergang zur Anknüpfung an den ge-
wöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person, vgl. BT-Drs. 19/24445.
5 BGH v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 (Rz. 20 f.) = ZIP 2010, 786; BGH v. 8.6.2010 – XI
ZR 349/08, ZIP 2010, 2505 (Rz. 22) = NJW-RR 2011, 548 = IPRax 2011, 499 (m. Anm. Samtleben,
IPRax 2011, 469) = SchiedsVZ 2011, 46; BGH v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, ZIP 2011, 1219
(Rz. 20) = SchiedsVZ 2011, 157 = RIW 2011, 321.
6 BGH, jeweils vorige Fn.; a.A. Lehmann, SchiedsVZ 2003, 219 (224 f.); Jordans, Schiedsgerichte bei
Termingeschäften und Anlegerschutz, S. 263 ff., 267.
7 Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ Rz. 2; Gildeggen, S. 289 ff.
8 Vgl. Parsons & Whittemore Overseas Co., Inc. v. Soc. Gén. de l’Industrie du Papier (2nd Cir. 1974),
508 F 2d 969 (974 = YCA I (1976), 205; Fotochrome, Inc. v. Copal Co. (2nd Cir. 1975), 517 F. 2d
512 (516) = YCA I (1976), 202; dazu Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO 316 m.w.N.

1164 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.391 § 7

fori hindert daher die Erzwingung eines Schiedsverfahrens nach Art. II Abs. 3 UNÜ ebenso
wenig wie die bloße Möglichkeit, dass das Schiedsgericht diese zwingenden Vorschriften nicht
beachten wird; insoweit ist die nachträgliche Kontrolle im Rahmen der Anerkennung des
Schiedsspruchs vielmehr grundsätzlich ausreichend (vgl. aber auch Rz. 7.406 f.)1.

2. Europäisches Übereinkommen
a) Bestimmtes Rechtsverhältnis
Das EuÜ ist nach seinem Art. I Abs. 1 auf alle Schiedsvereinbarungen anwendbar, die „zum 7.390
Zwecke der Regelung von bereits entstandenen oder künftig entstehenden Streitigkeiten aus
internationalen Handelsgeschäften“ geschlossen werden. Diese Regelung stimmt mit Art. II
Abs. 1 UNÜ hinsichtlich der Gleichstellung von Schiedsabreden und Schiedsklauseln überein.
Sie weicht jedoch sowohl von Art. II Abs. 1 UNÜ wie auch vom autonomen deutschen Recht
(§ 1029 Abs. 1 ZPO, dazu Rz. 7.397) insofern ab, als sie keine Beschränkung auf Streitigkeiten
„aus einem bestimmten Rechtsverhältnis“ enthält. Damit sind Schiedsvereinbarungen auch in
Rahmenverträgen über Streitigkeiten aus mehreren oder sogar sämtlichen künftig abzuschlie-
ßenden internationalen Handelsgeschäften zwischen den Parteien zulässig2. Schranke ist allein
der ordre public des Anerkennungsstaates. Da das Übereinkommen hinsichtlich der Be-
stimmtheitserfordernisse ganz bewusst eine sehr liberale Haltung einnimmt, ist ein Rückgriff
auf schärfere Bestimmtheitsanforderungen der jeweiligen lex causae (z.B. § 1029 Abs. 1 ZPO)
unzulässig3.

Sind die Anwendungsvoraussetzungen sowohl für das UNÜ wie für das EuÜ erfüllt, so kann 7.391
ein Schiedsspruch auch dann nach Maßgabe von Art. V UNÜ anerkannt und vollstreckt wer-
den, wenn er den Bestimmtheitserfordernissen des Art. II Abs. 1 UNÜ nicht entspricht. Ist
der Anerkennungsstaat dem EuÜ erst nach dem UNÜ beigetreten, so folgt dies bereits aus
Art. VII Abs. 1 UNÜ (lex posterior derogat legi priori) (dazu schon Rz. 7.256 ff.)4. Nichts an-
deres gilt aber auch im umgekehrten Fall; denn das EuÜ versteht sich als eine Ergänzung zum
UNÜ mit dem Ziel, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche zu er-
leichtern5. Das EuÜ derogiert damit, soweit es neben dem UNÜ anwendbar ist, die strengeren
Anerkennungsvoraussetzungen des UNÜ ohne Rücksicht darauf, in welcher Reihenfolge die
beiden Übereinkommen für den Anerkennungsstaat in Kraft getreten sind6.

1 Thorn, IPRax 1997, 98 (104 f.); vgl. auch Belship Navigation, Inc. v. Sealift, Inc. (S.D. N. Y. 1995),
YCA XXI (1996), 799 (805 ff.).
2 von Hülsen, S. 32 f.; Gildeggen, S. 92; Moller, NZG 2000, 57 (58); Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 5;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 9; Schlosser, Rz. 372.
3 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (37) = NJW 1980, 2022; Mezger, RabelsZ 29
(1965), 231 (243); von Hülsen, S. 33, 99; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 401;
Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 5.; unrichtig daher OLG Hamburg v. 15.11.1995 – 5 U 169/95, ZIP
1995, 1903 = RIW 1996, 510.
4 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. I EuÜ Rz. 9.
5 Vgl. die Denkschrift zum EuÜ, BT-Drucks. 4/1597, S. 26 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061
ZPO Rz. 401.
6 Vgl. van den Berg, S. 96; Wackenhuth, ZZP 99 (1986), 445 (451); Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. I EuÜ Rz. 9.

Hausmann | 1165
§ 7 Rz. 7.392 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

b) Objektive Schiedsfähigkeit
7.392 Die Anknüpfung der objektiven Schiedsfähigkeit wirft im Hinblick auf Art. VI Abs. 2 S. 2
EuÜ die gleichen Probleme wie im Rahmen des UNÜ (dazu Rz. 7.384 ff.) auf. Teilweise wird
die Schiedsfähigkeit auch hier kumulativ nach Art. VI Abs. 2 S. 1 und S. 2 EuÜ angeknüpft;
danach ist die Schiedsvereinbarung also nur dann wirksam, wenn der Gegenstand sowohl
nach dem Schiedsvereinbarungsstatut als auch nach der lex fori des staatlichen Einrede- oder
Vollstreckungsgerichts schiedsfähig ist1. Demgegenüber verdient die einheitliche Anknüpfung
nach Maßgabe der lex fori des angerufenen Gerichts auch hier den Vorzug2. Ein deutsches
Gericht hat die Anerkennung der Schiedsvereinbarung mithin immer dann zu versagen, wenn
der Gegenstand nach § 1030 Abs. 1 ZPO nicht schiedsfähig ist; auf die großzügigere Haltung
eines ausländischen Schiedsstaates kommt es nicht an3.

c) Subjektive Schiedsfähigkeit
7.393 Gesondert angeknüpft wird auch im Rahmen des EuÜ die subjektive Schiedsfähigkeit. Maß-
gebend ist – wie nach Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ (Rz. 7.388) – gem. Art. VI Abs. 2 S. 1 EuÜ das
Personalstatut der jeweiligen Partei, das nach dem IPR des mit der Prüfung befassten Gerichts
zu bestimmen ist. Ein deutsches Gericht hat mithin auch insoweit bei natürlichen Personen
von Art. 7 EGBGB (dazu Rz. 6.1057 ff.) bzw. vom Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und
bei juristischen Personen vom Sitz- bzw. vom Gründungsrecht (dazu Rz. 6.1 ff.) auszugehen4.
BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = RIW 1998, 628 = IPRax 1999, 104 (m. krit.
Anm. Schütze, IPRax 1999, 87).
Subjektive Schiedsfähigkeit eines kroatischen Staatsunternehmens verneint, weil es nach kroatischem
Recht zum Abschluss von Außenhandelsverträgen nicht befugt war und deshalb „ultra vires“ gehan-
delt hatte.

3. Deutsches autonomes Schiedsverfahrensrecht


a) Bestimmtheitserfordernisse
aa) Anknüpfung
7.394 Für die Anknüpfung der Bestimmtheitserfordernisse gilt das zur Anknüpfung der Form von
Schiedsvereinbarungen Gesagte (Rz. 7.357 ff.) entsprechend. Liegt der Schiedsort im Inland,
so kann – soweit nicht vorrangige staatsvertragliche Regeln eingreifen (vgl. zu Art. II Abs. 1
UNÜ Rz. 7.383; zu Art. I Abs. 1 EuÜ Rz. 7.390 f.) – die Schiedseinrede im Verfahren vor deut-
schen Gerichten daher nur erfolgreich erhoben werden, wenn die Schiedsvereinbarung den Be-
stimmtheitserfordernissen des § 1029 Abs. 1 ZPO genügt, denn es handelt sich insoweit um
eine prozessuale Schranke der Zulässigkeit schiedsgerichtlicher Streiterledigung, die im Hin-
blick auf das Territorialitätsprinzip (§ 1025 Abs. 1 ZPO) bereits im Einredeverfahren zu beach-
ten ist5. In gleicher Weise richtet sich bei Vereinbarung eines inländischen Schiedsorts auch die
Frage, ob die Parteien das Schiedsgericht hinreichend bestimmt bezeichnet haben, nicht nach
dem Statut der Schiedsvereinbarung, sondern nach deutschem Recht als Verfahrensstatut.

1 So BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (39) = NJW 1980, 2022.
2 Hascher, YCA XVII (1992), 711 (733 f.); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 97; Adolphsen in
MünchKomm ZPO, Art. VI EuÜ Rz. 12.
3 Anders Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 (273); Schlosser, Rz. 300 f.; Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 2.
4 Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 20; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VI EuÜ Rz. 8.
5 Raeschke/Kessler/Berger, Rz. 313; Wagner, S. 593. Vgl. i.d.S. schon zum früheren Recht Hausmann,
FS W. Lorenz (1991), S. 359 (374).

1166 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.397 § 7

Liegt der Schiedsort im Ausland, so besteht hingegen über die Anknüpfung keine Einigkeit. 7.395
Teilweise wird das Bestimmtheitserfordernis als prozessuale Zulässigkeitsschranke auch im
Einredeverfahren nach der inländischen lex fori beurteilt1, teilweise wird auf das Statut der
Schiedsvereinbarung abgestellt. Richtigerweise sollte man im Interesse des internationalen
Entscheidungseinklangs bereits im Einredeverfahren vor deutschen Gerichten in allseitiger
Anwendung von § 1025 Abs. 1 ZPO die Bestimmtheitsanforderungen des am ausländischen
Schiedsort geltenden Rechts anwenden, wenn diese dort – wie in Deutschland (§ 1029 Abs. 1
ZPO) – im Verfahrensrecht geregelt sind.

bb) Bestimmtes Rechtsverhältnis


In Übereinstimmung mit Art. II Abs. 1 UNÜ ist eine Schiedsvereinbarung auch nach § 1029 7.396
Abs. 1 ZPO nur wirksam, wenn sie sich auf alle oder einzelne Streitigkeiten bezieht, die zwi-
schen den Parteien „in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis vertraglicher oder nichtver-
traglicher Art entstanden sind oder künftig entstehen“. Für die Entscheidung, ob ein bestimm-
te Streitigkeit von der Schiedsvereinbarung erfasst wird, kommt es auf den Lebenssachverhalt,
nicht auf die behauptete Anspruchsgrundlage an2. Danach wird der Kreis der erfassten Streitig-
keiten auch nach autonomem deutschen Schiedsverfahrensrecht durch die international übli-
che Formulierung „all disputes arising out of or in connection with this contract“ hinreichend
bestimmt umschrieben3. Ferner ist dem Bestimmtheitserfordernis des § 1029 Abs. 1 ZPO ge-
nügt, wenn sich die Schiedsvereinbarung auf eine Vielzahl von Einzelgeschäften bezieht, die
ihre Grundlage in einem Rahmenvertrag (z.B. einem Vertragshändlervertrag) haben4. Zu un-
bestimmt und daher unwirksam ist hingegen etwa eine Schiedsvereinbarung über „alle Streitig-
keiten aus der Geschäftsverbindung“ oder „alle Streitigkeiten aus künftigen Leistungen“5.

cc) Bestimmbares Schiedsgericht


Eine Schiedsvereinbarung ist ferner mangels genügender Bestimmtheit nichtig, wenn das da- 7.397
rin zur Entscheidung berufene Schiedsgericht weder eindeutig bestimmt noch bestimmbar ist,
weil nach der getroffenen Vereinbarung etwa zwei verschiedene ständige Schiedsgerichte in
Betracht kommen6. Die alternative Bestimmung von zwei Schiedsgerichten ist freilich idR da-
hin auszulegen, dass der Schiedskläger insoweit ein Wahlrecht hat7. Abreden über die Zahl

1 So Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (374).


2 BGH v. 4.10.2001 – III ZR 281/00, NJW-RR 2002, 387; Seiler in Thomas/Putzo, § 1029 ZPO Rz. 5.
3 Vgl. OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 (575 f.); Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1029 ZPO Rz. 27.
4 BGH v. 5.12.1963 – KZR 9/62, BB 1964, 59 = LM § 1025 ZPO Nr. 20; dazu näher Voit in Musie-
lak/Voit, Rz. 16; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 27; Münch in MünchKomm-ZPO, Rz. 74, jeweils zu
§ 1029 ZPO.
5 Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 ZPO Rz. 74; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 313; Schwab/Wal-
ter, Kap. 3 Rz. 15 f. m.w.N.
6 Vgl. etwa OLG Hamburg v. 16.1.1981 – 11 U 86/79, ZIP 1981, 170 = RIW 1982, 283 und BGH v.
2.12.1982 – III ZR 85/81, NJW 1983, 1267 = IPRax 1984, 148 (m. Anm. Timmermann, IPRax
1984, 136) (zur Schiedsklausel „Hamburger freundschaftliche Arbitrage und Schiedsgericht auf
Grund der Warenvereins-Bedingungen der Hamburger Börse e.V.“); ferner BayObLG v. 28.2.2000
– 4 Z SchH 13/99, BayObLGZ 2000, 57 (59) = BB 2000, Beil. 8, S. 15; Hochbaum, S. 50; Raeschke-
Kessler/Berger, Rz. 319; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 53; vgl. auch LG Hamburg v. 27.7.1990 –
70 O 56/89, RIW 1991, 419 = EWiR 1990, 1143 (LS) m. Anm. Frankenheim.
7 BGH v. 27.2.1969 – KTR 3/68, NJW 1969, 978 (979); BGH v. 30.1.2003 – III ZB 06/02, YCA
XXXII (2007) 303 (308); Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 47 m.w.N.

Hausmann | 1167
§ 7 Rz. 7.397 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

der Schiedsrichter, die Art ihrer Ernennung oder den Schiedsort sind freilich keine zwingen-
den Bestandteile einer wirksamen Schiedsvereinbarung. Haben die Parteien in der Schiedsver-
einbarung hierüber nichts bestimmt, so gelten die Vorschriften des vereinbarten Verfahrens-
statuts1, bei Geltung deutschen Rechts also die §§ 1034 ff. ZPO. Daher ist eine Schiedsklausel,
die nicht nur die Zahl der Schiedsrichter bezeichnet, sondern ergänzend ausdrücklich auf die
Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO verweist, hinreichend bestimmt2. Im Geltungsbereich des
EuÜ sind ferner sind insoweit die vorrangigen Vorschriften des Art. IV EuÜ zu beachten; da-
nach ist bei Zweifeln das zuständige Schiedsgericht im Verfahren nach Art. IV Abs. 5 i.V.m.
Abs. 3 EuÜ zu bestimmen3.

7.398 Im Übrigen sind an die Bestimmtheit des vereinbarten Schiedsgerichts keine übertriebenen
Anforderungen zu stellen; dem Wunsch der Parteien nach einer schiedsgerichtlichen Streiter-
ledigung ist vielmehr nach Möglichkeit zu entsprechen4. Haben diese ein nicht existierendes
institutionelles Schiedsgericht vereinbart, ist daher im Wege ergänzender Vertragsauslegung
zu prüfen, ob nicht ein bestimmtes anderes Schiedsgericht gemeint war5. Gleiches gilt, wenn
das vereinbarte Schiedsgericht nachträglich weggefallen ist6. Haben die Parteien sich z.B. da-
rauf verständigt, dass etwaige Streitigkeiten nach den „Rules of Conciliation and Arbitration of
the International Chamber of Commerce, Zürich“ entschieden werden sollen, so ist damit die
Schiedsgerichtsbarkeit der Internationalen Handelskammer in Paris und der Schiedsort Zü-
rich vereinbart, nicht hingegen die Schiedsordnung der Züricher Handelskammer7. Auch
kann eine Schiedsvereinbarung, die auf die Schiedsordnung der „German Chamber of Com-
merce“ Bezug nimmt, dahin auszulegen sein, dass die Schiedsgerichtsordnung der Deutschen

1 Vgl. zu dessen Bestimmung 6. Aufl., Rz. 3501 ff.


2 OLG Bamberg v. 3.2.2010 – 8 U 81/09, SchiedsVZ 2010, 279.
3 Vgl. dazu OLG Hamburg v. 15.11.1995 – 5 U 169/95, ZIP 1995, 1903 = RIW 1996, 510 („Schieds-
gericht bei der Internationalen Handelskammer in Zürich“).
4 Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 1; Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 29; ferner Research Center,
Inc. v. Sun Instruments Japan Co., Inc. (S.D. N. Y.), YCA XXI (1996), 830.
5 BGH v. 14.7.2011 – III ZB 70/10, NJW 2011, 2977 = SchiedsVZ 2011, 284; OLG Frankfurt v.
24.10.2006 – 26 Sch 6/06, SchiedsVZ 2007, 217 (218); OLG Karlsruhe v. 4.4.2007 – 1 U 232/06,
NJOZ 2007, 5365 (5369 f.); Kröll, NJW 2007, 743 (746). Seiler in Thomas/Putzo, § 1029 ZPO
Rz. 4.
6 Münch in MünchKomm ZPO, § 1032 Rz. 8; Schwab/Walter, Kap. 8 Rz. 13; Geimer in Zöller,
§ 1029 Rz. 101. Vgl. dazu App. Paris v. 20.3.2012, SchiedsVZ 2013, 238 m. Anm. Kühner.
7 Vgl. auch KG v. 15.10.1999 – 28 Sch 17/99, BB 2000, Beil. Nr. 8, S. 13 („German Central Chamber
of Commerce“); OLG Frankfurt a.M. v. 24.10.2006 – 26 Sch6/06, SchiedsVZ 2007, 217 („ICC
Brüssel“); ferner die ICC-Schiedssprüche Nr. 5294/1988, YCA XIV (1989), 137 (139) und
Nr. 7920/1993, YCA XXIII (1998), 80 („International Chamber of Commerce of Geneva“); vgl.
auch Trib.gr.inst. Paris v. 13.12.1988, Rev.arb. 1990, 521 („Chambre de Commerce Officielle à Pa-
ris“); ferner Scalbert/Marville, Rev.arb. 1998, 117 (120 ff.); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 329 ff.;
Lachmann, Rz. 377. Während das OLG Hamm mit Entscheidung v. 15.11.1994 (29 U 70/92, RIW
1995, 681 [682]) die Vereinbarung des „Schiedsgerichts der IHK in Paris mit Sitz in Zürich“ noch
als mehrdeutig und deshalb unwirksam erachtete, hat es zuletzt die Klausel „nach der Schieds-
gerichtsvereinbarung der LCIA mit Sitz in Zürich (London Court of International Arbitration)“
ergänzend dahin ausgelegt, dass der London Court of International Arbitration zuständig sein
und die Schiedsverhandlung in Zürich stattfinden solle (OLG Hamm v. 9.7.2013 – 21 U 16/13,
SchiedsVZ 2014, 38 [44]). Entsprechend für die Vereinbarung des „International Arbitration
Court in Switzerland“ ICC-Schiedsspruch Nr. 14581, YCA XXXVII (2012), 62 ff. m.w.Beisp. von
„pathologischen“ Schiedsklauseln.

1168 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.401 § 7

Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) vereinbart ist1. Gültig sind daher auch sog.
„short form arbitration clauses“2.

Zulässig ist auch eine alternative Schiedsklausel, die den Wohnsitzstaat des jeweiligen Schieds- 7.399
klägers3 oder Schiedsbeklagten4 als Schiedsland bestimmt. Gleiches gilt für eine Vereinbarung,
die dem Kläger ein Wahlrecht zwischen mehreren – eindeutig bestimmbaren – Schieds-
gerichten einräumt5. Auch eine Vereinbarung, der zufolge es dem jeweiligen Schiedskläger
überlassen bleibt, den Sitz des Schiedsgerichts im In- oder Ausland – und damit das anwend-
bare Verfahrensrecht – festzulegen, entbehrt nicht der erforderlichen Bestimmtheit6. In einem
den Einheitsbedingungen des Deutschen Getreidehandels unterliegenden deutsch-spanischen
Kaufvertrag wurde daher die Klausel „Arbitration of Seller“ zu Recht als hinreichend be-
stimmt erachtet7.

b) Objektive Schiedsfähigkeit
aa) Anknüpfung
§ 1061 Abs. 1 ZPO verweist für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schieds- 7.400
sprüche ausdrücklich auf Art. V UNÜ. Für die Anknüpfung der objektiven Schiedsfähigkeit
im Vollstreckungsverfahren gilt daher das zu Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ Gesagte (Rz. 7.384). Im
Rahmen des Einredeverfahrens ist hingegen – ähnlich wie bei der Anknüpfung der Form von
Schiedsvereinbarungen (dazu Rz. 7.357 ff.) – danach zu unterscheiden, ob der Schiedsort im
Inland oder im Ausland liegt.

Liegt der Schiedsort im Inland, so haben deutsche Gerichte die objektive Schiedsfähigkeit 7.401
gem. dem Territorialitätsprinzip (§ 1025 Abs. 1 ZPO) zwingend stets nach deutschem Recht,
d.h. nach § 1030 ZPO zu beurteilen8. Dem entspricht es, dass § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. a ZPO
die mangelnde Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands nach deutschem Recht ausdrücklich als

1 KG v. 3.9.2012 – 20 SchH 2/12, SchiedsVZ 2012, 337 (338). Zu weiteren Beispielen Schlosser in
Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 29; Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1029 ZPO Rz. 97.
2 Vgl. ital. Cass. v. 21.11.1983, Nr. 6925, YCA X (1985) 478 (zur Klausel: „Arbitration: in London if
necessary“).
3 App. Milano v. 2.7.1999, Riv.arb. 2000, 753 m. Anm. Muroni = YCA XXVI (2001), 807: Verein-
barung eines Stockholmer Schiedsgerichts bei Klage des Verkäufers, eines Pekinger Schiedsgerichts
bei Klage des Käufers ist wirksam.
4 App. Genf v. 11.12.1997, Bull. ASA 1997, 667 = YCA XXIII (1998), 764.
5 Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 37; vgl. BGH v. 20.6.1991, BGHR § 1025 ZPO Auslegung 2:
Klausel „Schiedsgericht des Verkäufers“ behält dem Verkäufer die Wahl des Schiedsgerichts vor,
die durch einen maschinenschriftlichen Hinweis in der Verkaufsbestätigung auf den „Hamburger
Futtermittel-Schlussschein Nr. IIa“ wirksam ausgeübt wird. Zum Verhältnis zwischen Schieds-
und Gerichtsstandsklausel vgl. Rz. 7.223 ff.
6 BGH v. 27.2.1969 – KZR 3/68, NJW 1969, 978 = BB 1969 Anm. Ulmer = ZZP 84 (1971), 203 m.
Anm. Habscheid = IPRspr. 1968/69 Nr. 255; Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 1; vgl. auch Court of Ap-
peal v. 20.5.1993 (Star Shipping AS v. China NFTT Corp.), YCA XXII (1997), 815 (822 ff.): Wahl-
recht des Klägers zwischen Londoner und Pekinger Schiedsgericht ist wirksam.
7 OLG München v. 16.8.2017 – 34 Sch 14/16, IHR 2018, 12 = NJOZ 2018, 1791.
8 OLG München v. 7.7.2014 – 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 (264) = IPRax 2016, 66 m.
Anm. M. Weller; Prütting in Prütting/Gehrlein, Rz. 9; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 22; Gei-
mer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 24; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 30, jeweils zu § 1030 ZPO; a.A.
Samtleben, ZZP Int. 16 (2011) 425 (446), der an den gewöhnlichen Aufenthalt des nicht-kaufmän-
nischen Schiedsbeklagten anknüpfen möchte.

Hausmann | 1169
§ 7 Rz. 7.401 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Aufhebungsgrund für einen inländischen Schiedsspruch anerkennt. Die Einführung dieses –


stets von Amts wegen zu berücksichtigenden – Aufhebungsgrundes erklärt sich aus dem mo-
dernen Verständnis der objektiven Schiedsfähigkeit im deutschen Sachrecht. Das hiernach be-
stehende Rechtsprechungsmonopol der deutschen staatlichen Gerichte für nicht schiedsfähige
Streitigkeiten können die Parteien auch nicht dadurch unterlaufen, dass sie die Schiedsverein-
barung ausländischem Recht unterstellen1. Aus diesem Grunde hat § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. a
ZPO auch Vorrang vor der für die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung allgemein geltenden
Kollisionsnorm in § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO; denn andernfalls „würde den Parteien eine
Dispositionsbefugnis eingeräumt, die ihnen nicht zusteht“2. Ebenso wie Art. V Abs. 2 lit. a
UNÜ ist auch § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. a ZPO bereits im Einredeverfahren vor dem staatlichen
Gericht entsprechend anzuwenden. Die internationale Zuständigkeit der deutschen staatlichen
Gerichte kann daher zugunsten eines in Deutschland tagenden Schiedsgerichts nur abbedun-
gen werden, wenn der Streitgegenstand iSv. § 1030 ZPO schiedsfähig ist3. Auch das Schieds-
gericht ist dann an die großzügige Bestimmung der Schiedsfähigkeit in § 1030 Abs. 1 ZPO
gebunden; es kann seine Zuständigkeit nicht deshalb ablehnen, weil der Streitgegenstand nach
dem auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren ausländischen Recht4 oder dem Recht eines
anderen Staates, in dem der deutsche Schiedsspruch vollstreckt werden soll, nicht schiedsfähig
ist5.

7.402 Liegt der Schiedsort im Ausland, so lassen sich dem geltenden Recht keine eindeutigen Vor-
gaben für die Anknüpfung der objektiven Schiedsfähigkeit entnehmen. Teilweise wird für die-
sen Fall weiterhin an der Maßgeblichkeit des Statuts der Schiedsvereinbarung festgehalten6.
Die Gründe, die im Anwendungsbereich der Staatsverträge zu einer Abkehr von der (kumula-
tiven) Anknüpfung der objektiven Schiedsfähigkeit an das Statut der Schiedsvereinbarung ge-
führt haben (dazu Rz. 7.384 ff.), legen es freilich nahe, die objektive Schiedsfähigkeit im Ein-
redeverfahren nach autonomem Recht auch dann ausschließlich nach der deutschen lex fori,
d.h. nach § 1030 ZPO, zu bestimmen, wenn der Schiedsort im Ausland liegt7. Auch eine selb-

1 Geimer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 24; Münch in MünchKomm ZPO, § 1030 Rz. 22; vgl. i.d.S. be-
reits vor der Reform Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (370 ff.); Schlosser, Rz. 304.
2 So die Regierungsbegründung in BR-Drucks. 211/96, S. 185 f.; zust. Hausmann, FS Stoll (2001),
S. 593 (605 f.); Borges, ZZP 111 (1998), 487 (494); Epping, S. 207 ff.; Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 165; Schlosser in Stein/Jonas, § 1030 ZPO Rz. 30; Münch in MünchKomm ZPO, § 1030 Rz. 22;
Geimer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 26 und § 1059 ZPO Rz. 46; Schwab/Walter, Kap. 24 Rz. 31; a.A.
Schütze, Rz. 119. Im Erg. ähnlich auch das schweizerische Recht, wo Art. 177 IPRG als „règle ma-
térielle de droit international privé“ stets Anwendung findet, wenn das Schiedsverfahren dem
schweizerischen Recht unterliegt, vgl. Bucher Rz. 90; dazu ICC-Schiedsspruch Nr. 8420/1996, YCA
XXV (2000), 328 (330 f.).
3 Berger, RIW 2001, 12; Epping, S. 202 f.; Geimer, Rz. 3811; Geimer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 26;
Schlosser in Stein/Jonas, § 1030 ZPO Rz. 30; Münch in MünchKomm-ZPO, § 1030 Rz. 22; a.A.
(Schiedsvereinbarungsstatut) Schütze, Rz. 119.
4 Für kumulative Anwendung von Schiedsvereinbarungsstatut und deutschem Recht in diesem Fall
hingegen Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (276); Voit in Musielak/Voit, § 1030
ZPO Rz. 10; Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 40; Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, Rz. 206;
differenzierend Kronke, RIW 1998, 257 (259).
5 Geimer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 24; vgl. ICC-Schiedsspruch Nr. 6474/1992, YCA XXV (2000),
279 (306) (zum Verhältnis von Art. 177 schweiz. IPRG zu Art. 26 ICC-Rules 1988).
6 So von Hülsen, S. 136.
7 Vgl. BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, RIW 2008, 644; Epping, S. 202 f.; Borges, S. 96; Münch in
MünchKomm ZPO Rz. 23; Schlosser in Stein/Jonas Rz. 30; wohl auch Geimer in Zöller, § 1030
ZPO Rz. 34; jeweils zu § 1030 ZPO; ebenso schon früher Schlosser, Rz. 304.

1170 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.403 § 7

ständige Anknüpfung der von § 1030 Abs. 1 ZPO aufgeworfenen Vorfragen (vermögensrecht-
licher Anspruch, Vergleichsbefähigung) hat insoweit auszuscheiden1.

bb) Deutsches Sachrecht


Da ein Interesse an einer ausschließlichen Zuständigkeit staatlicher Gerichte im Wesentlichen 7.403
nur für nicht-vermögensrechtliche Ansprüche besteht, wird in § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO – nach
dem Vorbild von Art. 177 Abs. 1 schweiz. IPRG – die grundsätzliche Schiedsfähigkeit von ver-
mögensrechtlichen Ansprüchen festgelegt2. Aus der Zielsetzung der Neuregelung folgt, dass
der Begriff der objektiven Schiedsfähigkeit weit auszulegen ist3. Die Ausdehnung der Schieds-
fähigkeit auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche hat insbesondere zur Folge, dass Vorschrif-
ten über Verfügungs-, Vergleichs- oder Verzichtsverbote, wie sie im BGB (§ 276 Abs. 3, § 311b
Abs. 4, § 1614 BGB), vor allem aber im Handels- und Gesellschaftsrecht (z.B. § 89b Abs. 4
HGB; §§ 50, 302 Abs. 2 AktG; § 9b Abs. 1, § 43 Abs. 3 S. 2 GmbHG) bestehen, die Schieds-
fähigkeit der zugrunde liegenden Ansprüche nicht mehr ausschließen4. Daher sind auch Be-
schlussmängelstreitigkeiten in Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht heute grundsätz-
lich schiedsfähig, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren die aus dem Rechtsstaatsprinzip fol-
genden Mindeststandards an Mitwirkungsrechten für alle der Schiedsvereinbarung unterwor-
fenen Gesellschafter wahrt5. Darüber hinaus kann auch aus dem bloßen Umstand, dass für
bestimmte Rechtsstreitigkeiten im Verfahren vor ordentlichen Gerichten eine – auch interna-
tional – ausschließliche Zuständigkeit normiert ist, nicht entnommen werden, dass eine
schiedsgerichtliche Streiterledigung ausgeschlossen sein soll6. Deshalb sind etwa auch Patent-
streitigkeiten – trotz § 65 Abs. 1 PatG – ohne Einschränkung schiedsfähig7. Ferner ist auch in
Streitigkeiten über inländische Grundstücke, inländische Gewerberäume oder Haustür-
geschäfte mit inländischen Verbrauchern eine Derogation der internationalen Zuständigkeit

1 Münch in MünchKomm ZPO, § 1031 Rz. 24; a.A. schwz. BG v. 23.6.1992, BGE 118 II, 353 (356).
2 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/5274, S. 34; dazu näher Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 154 ff.; Lachmann, Rz. 279 ff.; Geimer in Zöller, § 1030 ZPO Rz. 1; Münch in MünchKomm
ZPO, § 1030 Rz. 13; Epping, S. 191 ff.
3 Epping, S. 191; Berger, S. 24 und DZWiR 1998, 45 (48); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 160; Schütze,
Rz. 117; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, § 1030 ZPO Rz. 4; krit.
hingegen Voit in Musielak/Voit, § 1030 ZPO Rz. 1. Ebenso zum schwz. Recht BG v. 23.6.1992,
BGE 118 II, 353 (356); Lalive/Poudret/Reymond, S. 305 f. Vgl. zur Schiedsfähigkeit des Anspruchs
einer Gesellschaft auf Einzahlung der Einlage BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, NJW 2004, 2898
(2899 f.) = ZIP 2004, 1616 = GmbHR 2004, 1214 m. Anm. Papmehl = SchiedsVZ 2004, 97 m.
Anm. Habersack.
4 BT-Drucks. 13/5274, S. 34; Schütze, Rz. 117; Lachmann, Rz. 281; Wagner, S. 100, 586; Geimer in
Zöller, § 1030 ZPO Rz. 3; Schwab/Walter, Kap. 4 Rz. 4; Voit in Musielak/Voit, § 1030 ZPO Rz. 2.
5 BGH v. 6. 4. 2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 (Rz. 10 ff.) = NJW 2009, 1962; dazu näher
Münch in MünchKomm ZPO, § 1030 Rz. 35 ff. m.w.N.
6 BT-Drucks. 13/5274, S. 35; OLG Hamm v. 7.3.2000 – 15 W 355/99, ZIP 2000, 1013 = GmbHR
2000, 676 m. Anm. Emde; K. Schmidt, ZHR 162 (1998), 265 (270) ff.; Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 161 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1030 ZPO Rz. 3; Reichold in Thomas/Putzo, § 1030 ZPO
Rz. 2; Geimer, Rz. 3814. Vgl. schon zum früheren Recht BGH v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ
132, 278 = NJW 1996, 1753.
7 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 187 ff.; Schwab/Walter, Kap. 4 Rz. 11; Geimer in Zöller, § 1030 ZPO
Rz. 14; Schlosser in Stein/Jonas, § 1030 ZPO Rz. 6; ebenso schon früher Schlosser, Rz. 317; a.A. für
Klagen auf Nichtigerklärung und Zurücknahme von Patenten die Regierungsbegründung zu
§ 1030 ZPO, BT-Drucks. 13/5274, S. 35; Lachmann, Rz. 311 ff.; Münch in MünchKomm ZPO,
§ 1030 Rz. 33; Wieczorek/Schütze, § 1025 ZPO a.F. Rz. 17 m.w.N.

Hausmann | 1171
§ 7 Rz. 7.403 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

deutscher Gerichte zugunsten eines ausländischen Schiedsgerichts zulässig. Die Schranken für
Gerichtsstandsvereinbarungen (vgl. Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 19 bzw. Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-
VO oder § 40 Abs. 2 i.V.m. §§ 24, 29a, 29c Abs. 3 ZPO) gelten insoweit nicht1.

c) Subjektive Schiedsfähigkeit
7.404 Wie im Rahmen der Staatsverträge (dazu Rz. 7.388, Rz. 7.393) ist die subjektive Schiedsfähig-
keit, dh. die rechtliche Handlungsfähigkeit der Parteien beim Abschluss der Schiedsverein-
barung, auch nach autonomem deutschen Schiedsrecht gesondert anzuknüpfen. Sie unterliegt
weder dem Statut der Schiedsvereinbarung noch der lex fori des Einrede- bzw. Vollstreckungs-
gerichts, sondern dem Personalstatut der Parteien2. Dies ist für das Aufhebungsverfahren in
§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a Alt. 1 ZPO ausdrücklich bestimmt, gilt aber ebenso im Einredever-
fahren3. Vor deutschen Gerichten ist daher bei natürlichen Personen in vertrags- und wirt-
schaftsrechtlichen Streitigkeiten vom Recht des gewöhnlichen Aufenhalts4, bei Gesellschaften
und juristischen Personen vom Sitz- bzw. Gründungsrecht (dazu Rz. 6.1 ff.) auszugehen5. Der
inländische Rechtsverkehr wird allerdings entsprechend Art. 13 Rom I-VO gegen hier unbe-
kannte Einschränkungen der subjektiven Schiedsfähigkeit geschützt6. Ferner kann die Beru-
fung ausländischer Staatsunternehmen auf ihre mangelnde Fähigkeit zum Abschluss von
Schiedsvereinbarungen gegen Treu und Glauben verstoßen7. Der Schiedsbeklagte kann seine
aus der fehlenden Geschäfts- bzw. Prozessfähigkeit hergeleiteten Einwendungen gegen die
Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung auch nicht zurückhalten und abwarten, ob das Schieds-
verfahren für ihn günstig oder ungünstig ausgeht. Im Verfahren zur Anerkennung und Voll-
streckung ausländischer Schiedssprüche ist die Rüge der fehlenden subjektiven Schiedsfähig-
keit vielmehr ausgeschlossen, wenn sie nicht bereits im ausländischen Schiedsverfahren erho-
ben wurde8.

7.405 Für Schiedsvereinbarungen über künftige Rechtsstreitigkeiten aus Wertpapierdienstleistun-


gen und Finanztermingeschäften ist die subjektive Schiedsfähigkeit nach deutschem Sach-
recht (§ 101 WpHG) eingeschränkt9. Danach sind Schiedsvereinbarungen für deutsche Partei-

1 Geimer, Rz. 3814; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 58 f. und § 1030 ZPO Rz. 4; Münch in
MünchKomm ZPO, § 1030 Rz. 15; zu Einzelheiten s. die Kommentarliteratur zu § 1030 ZPO. Für
Einschränkung der Schiedsfähigkeit von Verbraucherstreitigkeiten analog Art. 25 Abs. 4, 19 Brüs-
sel Ia-VO Reich, ZEuP 1998, 981 (989 f.).
2 Vgl. Schlosser, Rz. 325 ff.; Geimer, Rz. 3815a, b; Geimer in Zöller, § 1025 ZPO Rz. 15; Münch in
MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 41 f.; vgl. auch BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, RIW 1998, 628.
3 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 21) = SchiedsVZ 2011, 46 und st. Rspr.
des XI. Zivilsenats.
4 Samtleben, ZBB 2003, 69 (77); a.A. (Art. 7 EGBGB) Berger, ZBB 2003, 77 (82); Schmidt-Ahrendts/
Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (275); Geimer, Rz. 3815a und Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 15;
Huber, IPRax 2009, 134 (138); Weihe, S. 133 f. Der Streit erledigt sich mit der Neufassung des
Art. 7 Abs. 1 EGBGB, die ab dem 1.1.2023 gilt, vgl. Rz. 6.1064.
5 Schlosser, Rz. 427; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 23; vgl. auch OLG Hamm v. 15.11.1994 – 29
U 70/92, RIW 1995, 681; BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = IPRax 1999, 104
(m. Anm. Schütze, IPRax 1999, 87) (zu Art. VI Abs. 2 EuÜ).
6 Vgl. dazu – sehr restriktiv – BGH v. 23.4.1998 (vorige Fn.); krit. dazu Geimer, Rz. 3815c-e.
7 Lachmann, Rz. 290; Schwab/Walter, Kap. 24 Rz. 5.
8 Vgl. Geimer, Rz. 3815 f.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 19b.
9 Vgl. dazu Ebbing, WM 1999, 1264 ff.; Lehmann, SchiedsVZ 2003, 219 ff.; Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1030 ZPO Rz. 10 f.

1172 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.407 § 7

en1 nur verbindlich, wenn beide Vertragsteile Kaufleute oder juristische Personen des öffent-
lichen Rechts sind. Nicht maßgeblich ist, ob auch die Schiedsvereinbarung oder der zugrunde-
liegende Hauptvertrag2 dem deutschen Recht unterliegt. An der Verbindlichkeit fehlt es beim
Abschluss von Börsentermingeschäften deutscher Anleger zum Zwecke der privaten Ver-
mögenspflege mit US-amerikanischen Broker-Häusern; die in solchen Verträgen regelmäßig
enthaltene Vereinbarung der Zuständigkeit US-amerikanischer Börsenschiedsgerichte ist da-
her nichtig3.

d) Eingriffsnormen
Der Umstand allein, dass gewisse Rechtsverhältnisse durch Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 7.406
Rom I-VO geregelt werden, berührt deren objektive Schiedsfähigkeit grundsätzlich nicht, weil
bei Abschluss der Schiedsvereinbarung oder im Einredeverfahren idR nicht vorhersehbar ist,
ob sich die Schiedsrichter an das zwingende Recht halten werden oder nicht. Die Einhaltung
inländischer Eingriffsnormen durch das Schiedsgericht ist vielmehr grundsätzlich erst im
Rahmen der Aufhebung des inländischen (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO) bzw. der Anerken-
nung und Vollstreckung des ausländischen Schiedsspruchs (Art. V Abs. 2 UNÜ) zu berück-
sichtigen4. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme nur dann zuzulassen, wenn im Zeit-
punkt der Entscheidung des inländischen Einredegerichts bereits mit Sicherheit feststeht, dass
das gewählte ausländische Schiedsgericht sich über Eingriffsnormen des deutschen Rechts
hinwegsetzen und damit unvereinbares ausländisches Recht anwenden wird, sofern der zu-
grunde liegende Sachverhalt außerdem einen hinreichenden Inlandsbezug aufweist5.

In der deutschen Praxis wurde insbesondere die Vereinbarung ausländischer Börsenschieds- 7.407
gerichte durch nicht börsentermingeschäftsfähige inländische Anleger aus diesem Grunde für
nichtig erklärt6. Diese Rechtsprechung ist allerdings bereits seit der Börsengesetznovelle 1989
überholt7; das Problem wird heute mit Hilfe von § 101 WpHG gelöst (dazu Rz. 7.405). Teil-
weise wird die Unwirksamkeit der Schiedsabrede zwischen deutschen Anlegern und US-ame-
rikanischen Brokern auch aus einer entsprechenden Anwendung von Art. 42 EGBGB (heute
Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO) hergeleitet, der eine vorweggenommene Rechtswahl für Ansprüche
aus unerlaubter Handlung jedenfalls durch eine Partei, die keiner kommerziellen Tätigkeit
nachgehe, verbiete. Darauf laufe nämlich die Schiedsabrede, die mit der Wahl New Yorker

1 Auch insoweit sollten als „deutsche“ Parteien alle natürlichen Personen angesehen werden, die ih-
ren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, vgl. Zimmer in Schwark/Zimmer, WpHG, 5. Aufl.
2020, § 101 Rz. 3.
2 Darauf stellen Nagel/Gottwald, Rz. 18.72 ab.
3 Vgl. zum früheren Recht BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 20 f.) =
SchiedsVZ 2011, 46; BGH v. 9.3.2010 – XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 (Rz. 21 f.) = ZIP 2010, 786 =
IPRax 2011, 497 (m. Anm. Engert/Groh, IPRax 2011, 458); BGH, v. 25.1.2011 – XI ZR 350/08, ZIP
2011, 1219 (Rz. 20) = SchiedsVZ 2011, 157 = RIW 2011, 321; dazu Mäsch, LMK 2011, 318032;
Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 19.
4 Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 47; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 170; ähnlich Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1030 ZPO Rz. 5 m.w.N.
5 Vgl. OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 332 m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294
(Gerichtsstandsvereinbarung; dazu Rz. 7.387); noch restriktiver Geimer in Zöller, § 1029 ZPO
Rz. 56; a.A. aber wieder Thorn/Nickel IPRax 2018, 541 (545).
6 BGH v. 15.6.1987 – II ZR 124/86, NJW 1987, 3193 = ZIP 1987, 1373 = IPRax 1989, 163 (m. Anm.
Samtleben, IPRax 1989, 148); OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, RIW 1995, 769 = IPRax
1997, 115 (m. Anm. Thorn IPRax 1997, 98).
7 Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 56.

Hausmann | 1173
§ 7 Rz. 7.407 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rechts verknüpft sei, im Ergebnis hinaus. Um der Unwirksamkeit der Rechtswahl für Ansprü-
che des Anlegers aus unerlaubter Handlung Rechnung zu tragen, müsse diese daher auf die
Schiedsabrede durchschlagen, weil nicht erwartet werden könne, dass das New Yorker
Schiedsgericht insoweit deutsches Recht anwenden werde1. Diese Argumentation vermag frei-
lich nicht zu überzeugen, weil auch das US-amerikanische Recht Privatanleger gegen betrüge-
rische Broker angemessen schützt2. Wird ein deutsches Schiedsgericht vereinbart, kann regel-
mäßig davon ausgegangen werden, dass dieses die zwingenden deutschen Normen anwendet3.

7.408 In jüngster Zeit hat sich die deutsche Schiedspraxis insbesondere mit dem Einfluss kartell-
rechtlicher Eingriffsnormen auf die Gültigkeit von Schiedsvereinbarungen beschäftigt. So
hatte sich der BGH in seiner bekannten „Pechstein“-Entscheidung mit der Frage zu befassen,
ob die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung deshalb zu verneinen war, weil das vereinbarte
Schiedsgericht seine marktbeherrschende Stellung i.S.v. § 19 GWB a.F. missbraucht hatte. Das
Gericht beurteilte diese Frage nach deutschem Recht, weil es um den Missbrauch einer markt-
beherrschenden Stellung gegenüber einer in Deutschland ansässigen Person gehe, die sich
i.S.v. § 130 Abs. 2 GWB a.F. (= § 185 Abs. 2 GWB n.F.) in Deutschland ausgewirkt habe, auch
wenn sie außerhalb des Geltungsbereichs des GWB veranlasst worden sei. Als Eingriffsnorm
der lex fori setze sich § 19 GWB a.F. nach Art. 34 EGBGB a.F. (heute: Art. 9 Abs. 2 Rom I-
VO) auch gegenüber einem hiervon abweichenden Schiedsvereinbarungsstatut durch4.

e) Ordre public
7.409 Die Anerkennung einer nach dem anwendbaren ausländischen Recht gültigen Schiedsverein-
barung kann schließlich nicht nur im Vollstreckungsverfahren (§ 1061 ZPO i.V.m. Art. V
Abs. 2 lit. b UNÜ), sondern bereits im Einredeverfahren vor deutschen Gerichten am ordre
public-Vorbehalt (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO analog) scheitern. Eine Prüfung der Schieds-
vereinbarung an diesem Maßstab ist vor allem dann wichtig, wenn eine deutsche Partei auf
ein Schiedsverfahren im Ausland verwiesen werden soll5. Dabei muss zwischen dem materiell-
rechtlichen und dem verfahrensrechtlichen ordre public unterschieden werden. Mit der An-
nahme eines Verstoßes der Schiedsvereinbarung gegen den materiellrechtlichen ordre public,
der darauf gestützt wird, in dem ausländischen Schiedsverfahren sei mit der Anwendung von
materiellem Recht zu rechnen, das zu einem mit dem deutschen ordcre public unvereinbaren
Ergebnis führen könnte, so dass schon die Verweisung der inländischen Partei auf das
Schiedsverfahren im Ausland verhindert werden müsse, ist aus den zuvor in Rz. 7.406 ge-
nannten Gründen größte Zurückhaltung geboten; insoweit reicht die nachträgliche Kontrolle
des ausländischen Schiedsspruchs regelmäßig aus6.

1 So OLG Düsseldorf v. 3.2.2011 – I-6 U 35/09, IPRspr. 2011 Nr. 296.


2 Samtleben, IPRax 2011, 469 (479); abl. auch BGH v. 8.6.2010 – IX ZR 349/08, SchiedsVZ 2011, 46
(Rz. 19).
3 OLG Düsseldorf v. 8.3.1990 – 6 U 213/89, WM 1990, 842 (845) = IPRspr. 1991 Nr. 221a; BGH v.
6.6.1991 – III ZR 68/90, ZIP 1991, 1231 = NJW 1991, 2215 = IPRax 1992, 382 (m. Anm. Samt-
leben, IPRax 1992, 362) = IPRspr. 1991 Nr. 221b; BGH v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, MDR 2005,
706 = NJW 2005, 1125 (1127).
4 BGH v. 7.6.2016 – KZR 6/15, BGHZ 210, 202 (Rz. 44) = NJW 2016, 2266 m. Anm. Heermann,
2224 = IPRax 2016, 458 (m. Anm. Thorn/Lasthaus, IPRax 2016, 426).
5 OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574.
6 Vgl. i.d.S. auch Schütze, JbPraxSchG 1 (1987), 91 (98); Schlosser, Rz. 323; Thorn, IPRax 1997, 98
(105).

1174 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.411 § 7

Im Übrigen reicht für einen Verstoß gegen den deutschen ordre public nicht jeder Wider- 7.410
spruch zu zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts aus. Erforderlich ist vielmehr, dass
die Schiedsvereinbarung Normen verletzt, die zu den Grundlagen des staatlichen und wirt-
schaftlichen Lebens in Deutschland zählen, oder dass sie mit elementaren Grundsätzen des
deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist1. Nicht ausreichend ist daher insbesondere,
dass sie bei Geltung deutschen Rechts einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standhal-
ten würde2.

Größere praktische Bedeutung hat demgegenüber die ordre-public-Kontrolle von Verfah- 7.411
rensvereinbarungen, die wegen der übermäßigen Benachteiligung einer Partei auch die
Schiedsvereinbarung als solche zu Fall bringen können. So ist eine Schiedsvereinbarung un-
wirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit dazu ausgenutzt
hat, den anderen Teil zu ihrem Abschluss oder zur Annahme von Bestimmungen zu nötigen,
die ihr im Verfahren ein deutliches Übergewicht über den anderen Teil einräumen. Daran ist
trotz der Streichung des § 1025 Abs. 2 ZPO a.F. durch die Reform von 1997 grundsätzlich fest-
zuhalten3. Zum ordre public zählt ferner das auch für Schiedsgerichte geltende Verbot, dass
niemand als Richter in eigener Sache tätig sein, jede Art schiedsrichterlicher Tätigkeit viel-
mehr ausschließlich von nicht beteiligten Dritten ausgeübt werden darf4. Der bloße Umstand,
dass der Schiedsort im Sitzstaat einer der Parteien gewählt wird (mit der Folge, dass die
Rechtsverfolgung für die andere Partei erschwert ist und die staatsgerichtliche Kontrolle durch
ein Gericht des Heimatstaats einer Partei ausgeübt wird), reicht für einen ordre public-Verstoß
jedoch nicht aus, wenngleich aus Gründen der Waffengleichheit Schiedsverfahren nach Mög-
lichkeit in einem „neutralen“ Land stattfinden sollten5. Ebenso wenig ist das Neutralitätsgebot
dadurch verletzt, dass das Schiedsgericht nur mit Schiedsrichtern besetzt ist, die die Staats-
angehörigkeit eines Schiedsbeteiligten innehaben6. Enthält die Schiedsvereinbarung lediglich
Bestimmungen zur Ausgestaltung des Verfahrens, die mit dem inländischen ordre public un-
vereinbar sind, weil etwa gegen die Gebote der Unbefangenheit der Schiedsrichter oder die
Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen wird, so führen diese Bestimmungen zwar idR zur
Aufhebung oder Nichtanerkennung des darauf beruhenden Schiedsspruchs; sie haben jedoch
im Zweifel nicht die Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung als solcher – und damit die Verwer-
fung der Schiedseinrede – zur Folge (vgl. dazu Rz. 7.210 m. Nachw.).

1 BGH v. 30.10.2008 – III ZB 17/08, NJW 2009, 1215 = SchiedsVZ 2009, 66 = IPRax 2009, 519;
OLG Frankfurt a.M. v. 24.11.2005 – 26 Sch 13/05, SchiedsVZ 2006, 219 (223); OLG Dresden v.
20.4.2005 – 11 Sch 01/05, SchiedsVZ 2005, 210 (211); Münch in MünchKomm ZPO, § 1059 Rz. 41;
Voit in Musielak/Voit, § 1059 ZPO Rz. 29; Schwab/Walter, Kap. 24 Rz. 37 f.
2 So ausdrücklich BGH v. 20.10.2008 (vorige Fn.).
3 Vgl. – unter Hinweis auf § 138 BGB – K. Schmidt, ZHR 162 (1998), 265 (282); Lachmann, Rz. 545;
Schütze, Rz. 121; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 10; vgl. aber einschränkend OLG Frank-
furt v. 29.6.1989 – 6 U (Kart) 115/88, RIW 1989, 911.
4 Vgl. zu den Anforderungen an die Neutralität von Schiedsrichtern BGH v. 3.7.1975 – III ZR 78/
73, BGHZ 65, 59 (62 f.) = NJW 1976, 109; BGH v. 7.3.1985 – III ZR 169/83, BGHZ 94, 92 (95) =
NJW 1985, 1903 = ZIP 1985, 1094; BGH v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70 (72) = EWiR
1986, 835 (LS) m. Anm. Schütze.
5 Vgl. OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574; ferner Böckstiegel, NJW 1975, 1577
(1579); Stumpf, RIW 1987, 821 ff.
6 OLG Hamm v. 6.7.1994 – 20 U 162/93, RIW 1994, 1052 = IPRax 1995, 386 (m. Anm. Schlosser,
IPRax 1995, 360).

Hausmann | 1175
§ 7 Rz. 7.412 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

V. Wirkungen der Schiedsvereinbarungen


1. Einredewirkung im Hauptsacheverfahren vor staatlichen Gerichten
a) Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit
7.412 Die Hauptwirkung der Schiedsvereinbarung liegt im Ausschluss der staatlichen Gerichtsbar-
keit und der Begründung der Schiedseinrede, wenn eine Partei Klage über den gleichen Streit-
gegenstand vor einem staatlichen Gericht erhebt.

b) UN-Übereinkommen
aa) Form und Zeitpunkt der Einrede
7.413 Das UNÜ regelt diese Wirkung in seinem Art. II Abs. 3 in Gestalt einer vereinheitlichten Sach-
norm, wenn es die im Einredeverfahren angerufenen Gerichte der Vertragsstaaten verpflichtet,
die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen, sofern eine Partei dies bean-
tragt. Diese Vorschrift bedarf freilich notwendig der Ergänzung durch nationales Recht.

7.414 So beurteilt sich die Frage, in welcher Form und bis zu welchem Zeitpunkt die Schiedseinrede
erhoben werden kann, nach dem Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts1. Wird die Ein-
rede vor einem deutschen Gericht erhoben, so bedarf sie keiner bestimmten Form und muss
nach § 1032 Abs. 1 ZPO spätestens vor der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache geltend
gemacht werden (dazu Rz. 7.422). Diese Sonderregelung hat Vorrang vor den allgemeinen
Präklusionsvorschriften nach § 276 Abs. 1 S. 2, § 282 Abs. 3 S. 2 und § 296 Abs. 3 ZPO; daher
muss die Schiedseinrede nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Klageerwiderungsfrist
erhoben werden2. Im Geltungsbereich des EuÜ sind ferner die speziellen Präklusionsnormen
des Art. VI EuÜ zu beachten.

bb) Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung


7.415 Die Schiedseinrede kann nach Art. II Abs. 3 UNÜ nur auf eine Schiedsvereinbarung gestützt
werden, die der Form des Art. II Abs. 2 UNÜ entspricht (dazu näher Rz. 7.318 ff.) und ferner
nicht „hinfällig, unwirksam oder unerfüllbar“ ist. Diese Voraussetzungen sind vom staatli-
chen Einredegericht voll nachprüfbar; dieses ist also auch vor der diesbezüglichen Entschei-
dung des Schiedsgerichts nicht auf eine bloße „prima facie“-Prüfung beschränkt3. Der sach-
rechtliche Gehalt dieser Regelung beschränkt sich insoweit darauf, dass den Gerichten der
Vertragsstaaten die Befugnis entzogen wird, völlig aus dem Rahmen fallende Nichtigkeits-
gründe eines nationalen Rechts unter die Begriffe „null and void, inoperative or incapable of
being performed“ zu subsumieren4.

1 BGH v. 10.5.2001 – III ZR 262/00, NJW 2001, 2176 = ZIP 2001, 1694; schwz. BG v. 22.5.1985,
BGE 111 Ia, 107 = YCA XII (1987), 509 (510 f.); ital. Cass. v. 16.10.1985, Nr. 5071, YCA XIII
(1988), 504 (506 f.); van den Berg, S. 137 ff.; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 27;
Haas in Weigand, Art. II Rz. 112.
2 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 (Rz. 15); BGH v. 10.5.2011 – III ZR 262/00,
BGHZ 147, 394 (396 f.); Schlosser in Stein/Jonas, § 1032 ZPO Rz. 5.
3 Schwz. BG v. 16.1.1995, BGE 121, 38 (41 f.) = YCA XXI (1996), 690; Schlosser, Rz. 400 ff.; abwei-
chend das autonome Schweizer Recht im Falle der Vereinbarung eines Schiedsgerichts mit Sitz in
der Schweiz, vgl. BG v. 29.4.1996, BGE 122 III, 139 (142 ff.).
4 Zutr. Schlosser, Rz. 248; Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 59; zust. Epping, S. 41 f.;
Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 30.Eine noch engere autonome Auslegung un-

1176 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.417 § 7

Eine dem UNÜ unterliegende Schiedsvereinbarung kann daher nach nationalem Recht nicht 7.416
etwa deshalb für unwirksam erklärt werden, weil gegen den ergehenden Schiedsspruch eine
förmliche Berufung zum staatlichen Gericht möglich ist oder der Spruch seine Wirksamkeit
verliert, sobald eine Partei binnen bestimmter Frist ein staatliches Gericht anruft1. Der Rah-
men des Art. II Abs. 3 UNÜ wird ferner auch gesprengt, wenn ein nationales Recht – anders
als § 1059 Abs. 5 ZPO – das Erlöschen einer Schiedsklausel anordnet, sofern ein auf ihrer
Grundlage ergangener Schiedsspruch von einem staatlichen Gericht aufgehoben wurde2. Glei-
ches hätte auch dann zu gelten, wenn ein nationales Recht aus der Unwirksamkeit des Haupt-
vertrages zwingend auf die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung schließen wollte3.
Schließlich reicht auch die Befürchtung, dass das Schiedsgericht aufgrund einer von den Par-
teien getroffenen kombinierten Schieds- und Rechtswahlklausel Eingriffsnormen des Rechts
am Sitz des staatlichen Einredegerichts nicht anwenden wird, für die Annahme der Nichtigkeit
der Schiedsklausel i.S.v. Art. II Abs. 3 UNÜ nicht aus4. „Nicht erfüllbar“ i.S.v. Art. II Abs. 3
UNÜ ist die Schiedsvereinbarung hingegen dann, wenn bereits zur Zeit der gerichtlichen Ent-
scheidung feststeht, dass dem Kläger schiedsgerichtlicher Rechtsschutz aufgrund rechtlicher
Hindernisse keinesfalls gewährt werden wird5.

Innerhalb des im Wege autonomer Auslegung zu gewinnenden Rahmens bestimmt freilich 7.417
über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung das von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ zur Anwen-
dung berufene nationale Recht6. Da nämlich nach diesem Recht über die (fortbestehende)
Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung im Exequaturverfahren zu befinden ist, darf die Gültig-
keit der Schiedsvereinbarung auch im Verfahren vor dem Einredegericht nicht anders beurteilt
werden (vgl. schon Rz. 7.263)7. Um eine einheitliche Auslegung der Schiedsvereinbarung im

ter Anerkennung einer „presumption in favor of arbitration“ befürwortet vor allem die amerikani-
sche Rechtsprechung, die eine Anwendung von Art. II Abs. 3 UNÜ auf Fälle von „duress, mistake
or fraud“ sowie auf Verstöße gegen „fundamental policies of the forum state“ beschränkt, vgl. Po-
dar Bros. v. I.T.A.D. Associates, Inc. (4th Cir. 1981), 636 F. 2nd 75 = YCA VII (1982), 379 (381);
Ledee v. Ceramiche Ragno (1st Cir. 1982), 684 F. 2d 184 (187) = YCA IX (1984), 471 (474); Rhône
Méditerranée Comp. v. Achille Lauro (3rd Cir. 1983), 712 F. 2d 50 = YCA IX (1984), 474 (480);
Oriental Commercial and Shipping Co. v. Rosseel N. V. (S.D. N.Y. 1985), YCA XII (1987), 532
(534); Marchetto v. De Kalb Genetics Corp. (N.D. Ill. 1989), YCA XV (1990), 581; Tennessee Im-
ports, Inc. v. Filippi (M.D. Tenn. 1990), YCA XVII (1992), 620 (624); Di Mercurio v. Sphere Drake
Ins. (1st Cir. 2000), 202 F. 3d 71 = YCA XXV (2000), 1121 (1123 ff.); zust. Mayer, Bull. ASA 1996,
376 ff.; Born/Koepp, FS Schlosser (2005), S. 59 (68). Eine solche autonome Auslegung widerspricht
indes der Kollisionsnorm in Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ, die insoweit ausdrücklich auf nationales
Recht verweist; zu Recht krit. daher auch Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 30.
1 van den Berg, S. 156; Schlosser, Rz. 248.
2 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 30.
3 Schlosser, Rz. 248; zust. Sojuzneftexport v. Joc Oil Ltd. (C. A. Bermuda 1989), YCA XV (1990), 384
(403 ff.).
4 Vgl. Riley v. Kingsley (10th Cir. 1992), 969 F. 2d 953 = YCA XIX (1994), 775 (778). Erst recht ge-
nügt die bloße Erschwerung der Rechtsdurchsetzung für eine Partei durch Vereinbarung eines für
sie weit entfernten Schiedsgerichts im kaufmännischen Rechtsverkehr nicht, um die Schiedsver-
einbarung als unwirksam anzusehen, vgl. Twi Lite Int’l, Inc. v. Anam Pacific Corp. (N.D. Cal.
1996), YCA XXIII (1998), 910 (914 f.) (USA/Korea).
5 Vgl. Samuel, Jurisdictional Problems, S. 92 f.; Epping, S. 41 f.
6 Bertheau, S. 38; van den Berg, S. 126 ff.; Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 5; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. II UNÜ Rz. 29. Zur Bestimmung des Statuts der Schiedsvereinbarung im Rahmen des
UNÜ näher Rz. 7.263 ff.
7 Remiro Brotóns, Rec. des Cours 1984 I, 251; Schlosser, Rz. 247; Adolphsen in MünchKomm ZPO,
Art. II UNÜ Rz. 29.

Hausmann | 1177
§ 7 Rz. 7.417 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Einrede- und im Anerkennungsverfahren zu gewährleisten, hat das Einredegericht ferner


auch über die objektive und die subjektive Schiedsfähigkeit, sowie über einen möglichen
Verstoß der Schiedsvereinbarung gegen den ordre public nach Maßgabe der einheitlichen Kol-
lisionsregeln in Art. V UNÜ zu befinden1.

7.418 Stellt das staatliche Einredegericht nach dem zuvor Gesagten rechtskräftig die Unwirksamkeit
der Schiedsvereinbarung fest, so bindet diese Entscheidung auch das Schiedsgericht2. Ein
dennoch ergehender Schiedsspruch wäre nach hM nicht nur aufhebbar, sondern nichtig3. Wie
schon unter der Brüssel I-VO ist jedes international zuständige Gericht eines EU-Mitglied-
staats auch nach Inkrafttreten der Brüssel Ia-VO (vgl. Rz. 7.9) am 10.1.2015 weiterhin zur
Prüfung der Vorfrage berechtigt, ob es an einer Sachentscheidung durch eine wirksame
Schiedsvereinbarung der Parteien gehindert ist. Der Vorschlag der EU-Kommission, die Zu-
ständigkeit für diese Entscheidung – nach dem Vorbild der neuen Regelung für Gerichts-
standsvereinbarungen in Art. 29 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.155 ff.) – in demjeni-
gen Mitgliedstaat zu konzentrieren, in dem der vereinbarte Schiedsort liegt4, ist in den endgül-
tigen Verordnungstext nicht übernommen worden. Auch anti-suit injunctions zur Absiche-
rung von Schiedsvereinbarungen sind im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO unzulässig5.

cc) Verweisung auf das Schiedsverfahren


7.419 Ist die Schiedsvereinbarung wirksam, so hat das Gericht die Parteien zwingend auf das
Schiedsverfahren zu verweisen, sofern ein entsprechender Antrag6 gestellt wird; dem Gericht
steht insoweit kein Ermessen zu7. Die Ausfüllung des Begriffs der „Verweisung“ ist dabei wie-
derum dem für das Einredegericht maßgeblichen nationalen Verfahrensrecht überlassen8. Die
Vertragsstaaten können daher – wie das deutsche Recht (§ 1032 Abs. 1 ZPO; dazu Rz. 7.422)
– eine Prozessabweisung verfügen, sich aber auch nach dem Vorbild der Common-Law-Staa-
ten mit einer bloßen Aussetzung des Verfahrens („stay of court proceedings“) bis zur Entschei-
dung des Schiedsgerichts begnügen. Eine eigentliche Verweisung auf das schiedsgerichtliche
Verfahren wird hingegen vom UNÜ nicht verlangt und kann jedenfalls nicht stattfinden,
wenn das Schiedsgericht noch nicht konstituiert ist9. Auch eine Verpflichtung der Vertrags-

1 Adolphsen in MünchKomm-ZPO, Art. II UNÜ Rz. 31, 32.


2 P. Huber, SchiedsVZ 2003, 73 (74); Voit in Musielak/Voit, § 1032 ZPO Rz. 9; Geimer in Zöller,
§ 1032 ZPO Rz. 14; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 34.
3 Vgl. P. Huber, SchiedsVZ 2003, 73 (74); Voit in Musielak/Voit, § 1032 ZPO Rz. 9; Geimer in Zöller,
§ 1032 ZPO Rz. 14; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. II UNÜ Rz. 34; ferner Lachmann,
Rz. 685.
4 Vgl. Art. 29 Abs. 4 des Kommissionsvorschlags v. 14.12.2010, KOM (2010) 748/3 endg.; dazu
Hausmann in unalexKomm, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 121.
5 EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (Allianz SpA v. West Tankers), NJW 2009,
1655 (m. Anm. Lehmann, NJW 2009, 1645) = SchiedsVZ 2009, 12; zust. Ilmer/Naumann, Final
curtain for anti-suit injunctions, IHR 2007, 64 (65); Dutta/Heinze, Anti-suit injunctions zum
Schutz von Schiedsvereinbarungen, RIW 2007, 411; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO
Rz. 45; Hausmann in unalexKomm, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 115 m.w.N.
6 An den „Antrag“ i.S.v. Art. II Abs. 3 UNÜ sind keine besonderen formalen Anforderungen zu
stellen; es genügt z.B. der Einwand, das angerufene staatliche Gericht sei nicht zuständig, vgl. ital.
Cass. S.U. v. 26.6.2001, Nr. 8744, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 407 (409).
7 Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 114 m.w.N.
8 Vgl. Schlosser, Rz. 401; Schwab/Walter, Kap. 45 Rz. 1; Gildeggen, S. 38; Adolphsen in MünchKomm
ZPO, Art. II UNÜ Rz. 34.
9 Schwab/Walter, Kap. 45 Rz. 1.

1178 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.421 § 7

staaten, einen besonderen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, mit dem der Schiedsbeklagte
unter Sanktionsandrohung angehalten wird, sich am Schiedsverfahren zu beteiligen, lässt sich
aus dem UNÜ nicht ableiten. Art. II Abs. 3 UNÜ hindert die Gerichte der Vertragsstaaten
lediglich an einer Sachentscheidung, solange das Schiedsverfahren noch durchgeführt werden
kann.

c) Europäisches Übereinkommen
Die in Art. II Abs. 3 UNÜ angeordnete Einredewirkung einer gültigen Schiedsvereinbarung 7.420
wird vom EuÜ ohne Weiteres vorausgesetzt1. Im Interesse einer Beschleunigung der Streiterle-
digung ist die Erhebung der Schiedseinrede freilich – ebenso wie die Berufung auf die Ungül-
tigkeit der Schiedsvereinbarung im Verfahren vor dem Schiedsgericht (vgl. Art. V Abs. 1 EuÜ)
– gem. Art. VI Abs. 1 EuÜ nur zeitlich begrenzt zulässig. Der maßgebende Zeitpunkt für die
Erhebung der Schiedseinrede hängt danach davon ab, ob diese Einrede nach der lex fori des
angerufenen staatlichen Gerichts prozessualer oder materiellrechtlicher Natur ist. Im ersteren
Fall muss sie vor Einlassung zur Hauptsache geltend gemacht werden; dies gilt namentlich im
Verfahren vor einem deutschen Einredegericht (vgl. § 1032 Abs. 1 ZPO)2. Handelt es sich hin-
gegen nach der maßgebenden Rechtsordnung um eine materiellrechtliche Einrede, so genügt
es, wenn sie gleichzeitig mit der Einlassung zur Hauptsache vorgebracht wird. Auch der Begriff
der „Einlassung zur Hauptsache“ ist nach Maßgabe der jeweiligen lex fori des befassten staat-
lichen Gerichts zu qualifizieren3.

d) Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht


aa) Anknüpfung
Die verfahrensrechtlichen Wirkungen der Schiedsvereinbarung beurteilen sich ausschließlich 7.421
nach der lex fori des mit ihrer Beurteilung befassten staatlichen Gerichts4. Im Verfahren vor
deutschen Gerichten begründet daher § 1032 ZPO – wie § 1025 Abs. 2 ZPO ausdrücklich
klarstellt – die Schiedseinrede unabhängig davon, ob ein deutsches oder ein ausländisches
Schiedsgericht vereinbart worden ist, und ohne Rücksicht darauf, welchem Recht die Schieds-
vereinbarung unterliegt5. Auch wenn die Schiedseinrede nach dem ausländischen Schiedsver-
einbarungsstatut oder dem Recht am ausländischen Schiedsort etwa von Amts wegen zu be-
rücksichtigen wäre, kann das deutsche Gericht die Klage doch nur auf eine entsprechende
Einrede des Beklagten hin abweisen6. Auch die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Schieds-
einrede im Verfahren vor deutschen Gerichten zu erheben ist, bestimmt sich – unabhängig
vom Statut der Schiedsvereinbarung – nach der deutschen lex fori7.

1 Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 (267); vgl. auch Rb. van Koophandel Kortrijk v. 1.10.1993, YCA
XX (1995), 1057.
2 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. zu § 1061 ZPO Rz. 419; ebenso in Italien Cass. v. 16.10.1985,
Nr. 5071, YCA XIII (1988), 504 (508 f.).
3 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VI EuÜ Rz. 3.
4 Sieg, RIW 1998, 102 (105); Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (275).
5 OLG Frankfurt a.M. v. 1.10.1998 – 1 U 163/96, RIW 1999, 461 IPRax 1999, 247 (251) (m. Anm.
Hau, IPRax 1999, 232); Schlosser in Stein/Jonas, § 1032 ZPO Rz. 48; Münch in MünchKomm
ZPO, § 1032 Rz. 19; Geimer, Rz. 3732 f.; Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 2; Wagner, S. 351.
6 LAG Hamburg v. 3.9.1973 – 2 Sa 82/73, BB 1974, 1441; Geimer, Rz. 3732 f.
7 Geimer, Rz. 3802.

Hausmann | 1179
§ 7 Rz. 7.422 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

bb) Prozesshindernis
7.422 Nach § 1032 ZPO begründet eine wirksame Schiedsvereinbarung im Verfahren vor deutschen
staatlichen Gerichten eine prozesshindernde Einrede. Wird der Streitgegenstand von der
Schiedsvereinbarung erfasst, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn der Beklagte
sich im Prozess auf die Schiedsvereinbarung beruft. Eine Aussetzung des Verfahrens nach
§ 148 ZPO bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts über seine Zuständigkeit (vgl. § 1040
Abs. 1 ZPO) – wie sie vor allem in den Verfahrensrechten der Common Law-Staaten üblich
ist („stay of proceedings“) – kommt nach deutschem Recht nicht in Betracht1; ebenso hat eine
Verweisung an das Schiedsgericht – wie sie in Art. II Abs. 3 UNÜ und Art. 8 UNCITRAL-
ModG vorgesehen ist – auszuscheiden2. Die Schiedseinrede greift allerdings nach § 1032 Abs. 1
letzter HS. ZPO – in Anlehnung an Art. II Abs. 3 UNÜ – dann nicht durch, wenn die Schieds-
vereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist, z.B. weil das Schiedsgericht sich
schon für unzuständig erklärt hat3. Die Wirksamkeit und Durchführbarkeit der Schiedsver-
einbarung hat das staatliche Gericht als Voraussetzung für die Begründetheit der Schiedsein-
rede von Amts wegen nach Maßgabe des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts4 zu
prüfen. Weist das angerufene staatliche Gericht in den Gründen seiner Entscheidung in der
Sache die von einer Partei erhobene Schiedsabrede zurück, so entfaltet diese Entscheidung
hinsichtlich der Wirksamkeit der Schiedsabrede jedenfalls keine Bindungswirkung gegenüber
Personen, die nicht Parteien dieses staatlichen Verfahrens waren oder deren Rechtsnachfolger
sind5.

2. Wirkung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor staatlichen


Gerichten
a) UN-Übereinkommen
7.423 Welche Kompetenzen den staatlichen Gerichten auf dem Gebiet des einstweiligen Rechts-
schutzes verbleiben, richtet sich im Geltungsbereich des UNÜ nicht nach der lex fori des an-
gerufenen Gerichts, sondern nach dem gem. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ auf die Schiedsverein-
barung anwendbaren Recht. Denn die Sperrwirkung der Schiedsvereinbarung gegenüber jed-
weder staatlichen Gerichtsbarkeit muss in allen Vertragsstaaten einheitlich bestimmt werden6.
Das UNÜ selbst hindert jedenfalls Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes durch staat-
liche Gerichte nicht, der auch in allen Staaten gewährt wird7. Die Kompetenz der staatlichen
Gerichte zur Unterstützung von Schiedsverfahren richtet sich demgegenüber nach dem
Schiedsverfahrensstatut.

1 Arg.: Kompetenz-Kompetenz des staatlichen Gerichts, vgl. Seiler in Thomas/Putzo, § 1032 ZPO
Rz. 1; Schlosser in Stein/Jonas, § 1032 ZPO Rz. 31; Voit in Musielak/Voit, § 1032 ZPO Rz. 9.
2 Geimer in Zöller, § 1032 ZPO Rz. 7; Münch in MünchKomm-ZPO, § 1032 Rz. 10.
3 OLG Düsseldorf v. 17.11.1995 – 17 U 103/95, RIW 1996, 239; ebenso schon früher BGH v.
21.11.1968 – VII ZR 77/66, BGHZ 51, 79 (83) = NJW 1969, 277(LS) m. Anm. Kötz.
4 BGH v. 21.9.1993 – XI ZR 52/92, NJW-RR 1993, 1519; Schütze, FS Schlosser (2005), S. 867 ff.;
Seiler in Thomas/Putzo, § 1032 ZPO Rz. 3; Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 5.
5 BGH v. 18.6.2014 – III ZB 89/13, MDR 2014, 1167= SchiedsVZ 2014, 284 Rz. 18.
6 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 84.
7 Vgl. House of Lords v. 21.1.1993 (Channel Tunnel Group Ltd. v. Balfour Beatty Construction Ltd.
u.a.), 3 W.L.R. 262 = YCA XIX (1994), 736 (745 ff.); dazu Karrer, IPRax 1994, 50 ff.; zur Problema-
tik näher Schlosser, ZZP 99 (1986), 241 ff. m.w.N.

1180 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.426 § 7

b) Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht


Anders als für die Entscheidung in der Hauptsache wird die Zuständigkeit der staatlichen Ge- 7.424
richte für vorläufige und sichernde Maßnahmen durch eine Schiedsvereinbarung nicht aus-
geschlossen, § 1033 ZPO. Begründet wird dies vor allem damit, dass der Rechtsschutz durch
ein Schiedsgericht im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit der angeordneten einstweiligen Maß-
nahmen deutlich hinter dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte zurückbleibt1.

Wird das Schiedsverfahren im Inland durchgeführt, so räumt § 1041 Abs. 1 ZPO allerdings 7.425
auch dem Schiedsgericht – vorbehaltlich einer abweichenden (nicht formbedürftigen) Partei-
vereinbarung – die Zuständigkeit für die Anordnung vorläufiger und sichernder Maßnahmen
ein. Die Vollziehung der vom Schiedsgericht angeordneten Maßnahmen im Wege der
Zwangsvollstreckung hängt jedoch nach § 1042 Abs. 2 ZPO von einer Zulassung durch das
zuständige staatliche Gericht ab. Nach deutschem Schiedsverfahrensrecht sind also das zu-
ständige staatliche Gericht nach § 1033 ZPO und das Schiedsgericht nach § 1041 ZPO neben-
einander für Maßnahmen des einstweiligen Rechtschutzes berufen2. Angesichts der Verzöge-
rung durch das Verfahren nach § 1042 Abs. 2 ZPO und wegen der Gefahr wechselseitiger Blo-
ckade der Verfahren wird empfohlen, von der Möglichkeit des § 1041 ZPO keinen Gebrauch
zu machen und den einstweiligen Rechtsschutz nur vor dem staatlichen Gericht zu suchen3.

3. Wirkung im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer


Schiedssprüche
a) Grundsatz
Da § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprü- 7.426
che auf das UNÜ verweist, beurteilt sich der Einfluss des Fehlens oder der Unwirksamkeit ei-
ner Schiedsvereinbarung auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprü-
che in Deutschland – vorbehaltlich der Geltung vorrangig anwendbarer anderer Staatsverträge
(§ 1061 Abs. 1 S. 2 ZPO) – nach Art. V UNÜ. Gemäß Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ ist die Anerken-
nung und Vollstreckung zu versagen, wenn dem ausländischen Schiedsverfahren keine wirk-
same Schiedsvereinbarung zugrunde gelegen hat. Diesem Versagungsgrund kommt in der
Praxis eine besonders große Bedeutung zu4. Die materielle Wirksamkeit der Schiedsverein-
barung bemisst sich dabei gem. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ primär nach dem gewählten Recht,
hilfsweise nach dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts (dazu näher Rz. 7.292 ff.). Demgegen-
über ist die Formwirksamkeit der Schiedsvereinbarung an der Vorschrift des Art. II UNÜ zu
messen, die lediglich durch die Meistbegünstigungsregel in Art. VII UNÜ eingeschränkt wird
(dazu näher Rz. 7.318 ff.). Darüber hinaus scheitert die Anerkennung und Vollstreckung eines

1 OLG München v. 26.10.2000 – U (K) 3208/00, SpuRt 2001, 64.


2 Vgl. Bandel, S. 267 ff.; Wyss, SchiedsVZ 2011, 194 ff. m.w.N.
3 Schütze, BB 1998, 1650 (1653); Lachmann, Rz. 2933 ff.; Schwab/Walter, Kap. 17a Rz. 23; Geimer in
Zöller, § 1041 ZPO Rz. 1.
4 Vgl. aus der jüngeren deutschen Praxis BGH v. 21.9.2005 – III ZB 18/05, NJW 2005, 2499 (2500) =
IPRax 2006, 266 (m. Anm. Geimer, IPRax 2006, 233); BayObLGZ 2002, 392 = RIW 2003, 383;
OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006 – 26 Sch 28/05, IPRax 2008, 517 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2008,
497); KG v. 18.5.2006 – 20 Sch 13/04, SchiedsVZ 2007, 100 m. Anm. Neelmeier; OLG Koblenz v.
28.7.2005 – 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260; OLG Celle v. 4.9.2003 – 8 Sch 11/02, SchiedsVZ
2004, 165; OLG Brandenburg v. 13.6.2002 – 8 Sch 2/01, IPRax 2003, 349 (m. Anm. Otto, IPRax
2003, 333); OLG Rostock v. 22.11.2001 – 1 Sch 3/2000, IPRax 2002, 401 (m. Anm. Kröll, IPRax
2002, 384);OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16 SchH 5/99, RIW 2000, 706.

Hausmann | 1181
§ 7 Rz. 7.426 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ausländischen Schiedsspruchs, dem keine wirksame Schiedsvereinbarung zugrunde liegt, auch


am Vorbehalt des inländischen ordre public gem. Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ, weil niemand ohne
freiwillige Unterwerfung von einem Schiedsgericht verurteilt werden darf1.

b) Präklusion
7.427 Obwohl das UNÜ – anders als das EuÜ (Art. V)2 – keine Präklusionsregel enthält, geht die
deutsche Praxis zu Recht davon aus, dass Einwendungen gegen den wirksamen Abschluss ei-
ner Schiedsvereinbarung nicht erstmals im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung
des ausländischen Schiedsspruchs vorgebracht werden können. Der Antragsgegner ist daher
insbesondere dann mit der Rüge des Fehlens oder der Ungültigkeit der getroffenen Schieds-
vereinbarung und der hieraus folgenden Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ausgeschlossen,
wenn er sich im Schiedsverfahren rügelos zur Sache eingelassen hat3. Dies sollte nicht nur in
Fällen materieller Unwirksamkeitsgründe gelten, sondern auch in Fällen der Formnichtigkeit
der Schiedsvereinbarung nach Art. II UNÜ4. Das für die Anerkennung und Vollstreckung des
ausländischen Schiedsspruchs zuständige deutsche Gericht ist insoweit an die tatsächlichen
Feststellungen und die rechtliche Bewertung des Schiedsgerichts zur Frage der Gültigkeit der
Schiedsvereinbarung nicht gebunden5.
7.428 Selbst wenn der Schiedsbeklagte am ausländischen Schiedsverfahren teilgenommen und dort
die Rüge der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung erhoben hatte, trat Präklusion nach st.
Rspr. des BGH zu § 1044 ZPO a.F.6 auch dann ein, wenn er es nach Beendigung des Schiedsver-
fahrens unterlassen hatte, seine Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung
mit den im Schiedsstaat zulässigen Rechtsbehelfen gegen die Entscheidung des Schiedsgerichts
vor den dortigen staatlichen Gerichten vorzubringen7. Eine Einschränkung galt nur für Schieds-
vereinbarungen in Verbraucherverträgen, die als missbräuchliche Klauseln i.S. der Richtline 93/
13/EWG vom 5.4.1993 anzusehen waren. Ihre Nichtigkeit konnte im Verfahren der Anerken-
nung oder Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs auch dann noch geltend gemacht wer-
den, wenn der Verbraucher diesen Einwand im Schiedsverfahren nicht erhoben hatte8.

1 OLG Rostock v. 22.11.2001 – 1 Sch 3/2000, IPRax 2002, 401; Adolphsen in MünchKomm ZPO,
Art. V UNÜ Rz. 72.
2 Nach Art. V EuÜ ist eine Partei, will sie Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts mit der
Begründung erheben, eine Schiedsvereinbarung bestehe nicht oder sei unwirksam, gehalten, dies
spätestens gleichzeitig mit ihrer Einlassung zur Hauptsache im Schiedsverfahren geltend zu ma-
chen, vgl. KG v. 4.6.2012 – 20 Sch 10//11, SchiedsVZ 2013, 112 (113).
3 OLG Koblenz v. 28.7.2005 – 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260 (261); OLG Schleswig v. 30.3.2000 –
16 SchH5/99, RIW 2000, 706 (707; Kröll, SchiedsVZ 2004, 113 (120); Mallmann, SchiedsVZ 2004,
152 (157); Geimer in Zöller, § 1061 Rz. 22; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 9.
4 OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16 SchH 5/99, RIW 2000, 706 (707); Kröll, ZZP 117 (2004), 453
(483); Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 9; a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2006
– 26 Sch 28/05, IPRax 2008, 517 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2008, 497); Mallmann, SchiedsVZ
2004, 152 (157).
5 OLG Celle v. 4.9.2003 – 8 Sch 11/02, SchiedsVZ 2004, 165.
6 § 1044 ZPO a.F. stellte allerdings nicht auf einen gültigen Schiedsvertrag, sondern auf die Rechts-
wirksamkeit des Schiedsspruchs ab.
7 BGH v. 26.6.1969 – VII ZR 32/67, BGHZ 52, 184 (188) = NJW 1969, 2093; BGH v. 7.1.1971 – VII
ZR 160/69, BGHZ 55, 162 (168) = NJW 1971, 986; BGH v. 21.10.1971 – VII ZR 45/70, BGHZ 57,
153 (156) = NJW 1972, 449; BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, NJW 1984, 2763 (2764).
8 EuGH v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU:C:2006:675 (Mostaza Claro/Centro Móvil Milenium
SL), Slg. 2006 I 10421 = NJW 2007, 135 = IPRax 2008, 515 (m. krit. Anm. Schlosser, IPRax 2008,
497) = YCA XXXII (2007), 127.

1182 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.430 § 7

Nach Aufhebung von § 1044 ZPO a.F. bestimmt sich die Anerkennung und Vollstreckung aus- 7.429
ländischer Schiedssprüche in Deutschland gem. § 1061 Abs. 1 ZPO nur noch nach dem UNÜ.
Ob sich hierdurch die Rechtslage geändert hatte, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung
und im Schrifttum streitig. Während teilweise an der Präklusionsrechtsprechung des BGH
auch unter dem neuen Recht festgehalten wurde1, sahen andere darin einen Verstoß gegen
Art. V UNÜ, der eine solche Rügepflicht des Schiedsbeklagten im Schiedsstaat nicht vorsieht2.
Der letzteren Ansicht hat sich der für die Schiedsgerichtsbarkeit zuständige III. Zivilsenat des
BGH in einer Grundsatzentscheidung angeschlossen3. Danach kann sich ein Antragsgegner
noch im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs
darauf berufen, dass dem Schiedsspruch keine (gültige) Schiedsvereinbarung zu Grunde liege;
denn weder § 1061 ZPO noch Art. V UNÜ enthielten einen Vorbehalt der Geltendmachung
ausländischer Rechtsbehelfe gegen den Schiedsspruch. Im Rahmen des durch das nationale
Recht in Bezug genommenen UNÜ kann der Einwand des Fehlens oder der Unwirksamkeit
der Schiedsvereinbarung also nicht mehr unter Hinweis auf eine unterlassene Geltendma-
chung befristeter Rechtsbehelfe im ausländischen Schiedsstaat zurückgewiesen werden4.

4. Drittwirkungen der Schiedsvereinbarung


Über die subjektive Reichweite einer Schiedsvereinbarung, dh den Kreis der an eine solche 7.430
Vereinbarung gebundenen Personen, enthalten weder das UNÜ noch das EuÜ eine Regelung.
Insoweit ist daher auch im Geltungsbereich der Staatsverträge auf das autonome Schiedsver-
fahrensrecht der Vertragsstaaten zurückzugreifen. Aus deutscher Sicht ist über die Drittwir-
kung einer Schiedsvereinbarung in erster Linie im Wege der Auslegung dieser Vereinbarung
zu befinden5; denn es ist primär Sache der Parteien, über die Einbeziehung Dritter in ihre
Schiedsvereinbarung zu entscheiden. Bei einer in AGB enthaltenen Schiedsklausel gehen
Zweifel nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des AGB-Verwenders6. Soweit es diesbezüglich er-
gänzend auf Auslegungsgrundsätze eines nationalen Rechts ankommt, entscheidet die Recht-

1 OLG Frankfurt a.M. v. 18.10.2007 – 26 Sch 1/07, BeckRS 2011, 25398; OLG Karlsruhe v. 14.9.2007
– 9 Sch 2/07, SchiedsVZ 2008, 47 (48); OLG Karlsruhe v. 3.7.2006 – 9 Sch 1/06, SchiedsVZ 2006,
281 (282) m. Anm. Gruber OLG Karlsruhe v. 27.3.2006 – 9 Sch2/05, SchiedsVZ 2006, 335 (336) =
IPRax 2007, 455 (m. Anm. Kröll, IPRax 2007, 430); OLG Hamm v. 27.9.2005 – 29 Sch 1/05,
SchiedsVZ 2006, 106 (108). OLG Stuttgart v. 14.10.2003 – 1 Sch 16/02, BeckRS 2003, 18189.
2 BayObLG v. 16.3.2000 – 4Z Sch 50/99, NJW-RR 2001, 431 (432); OLG Schleswig v. 30.3.2000 – 16
SchH 5/99, RIW 2000, 706 (708), Mallmann, SchiedsVZ 2004, 152 (157); Kröll, ZZP 117 (2004),
483 (488); Lachmann, Rz. 1323; Schlosser in Stein/Jonas, § 1061 ZPO Rz. 153; Schwab/Walter,
Kap. 30 Rz. 19. Gegen eine Präklusion zumindest für den Fall, dass das Schiedsgericht den Ab-
schluss einer Schiedsvereinbarung willkürlich angenommen hatte, OLG Rostock v. 2.11.2001 – 1
Sch 3/2000, IPRax 2002, 401 (405) (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 384).
3 BGH v. 16.12.2010 – III ZB 100/09, BGHZ 188, 1 (Rz. 9 ff.) = NJW 2011, 1290 = RIW 2011, 404
m. Anm. Schütze = IPRax 2012, 249 (m. Anm. Otto, IPRax 2012, 223); ebenso schon OLG Mün-
chen v. 19.1.2009 – 34 Sch 004/08, IPRspr. 2009 Nr. 270 und v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08,
SchiedsVZ 2009, 340. Zust. OLG Saarbrücken v. 30.5.2011 – 4 Sch 03/10, SchiedsVZ 2012, 48 (49);
Lachmann, Rz. 2542.
4 Für die Möglichkeit einer Präklusion der Zuständigkeitsrüge entgegen der vorzitierten BGH-Ent-
scheidung jedoch weiterhin Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. V UNÜ Rz. 12. Ebenso für an-
dere – nicht die Schiedsvereinbarung betreffenden – Rügen OLG Karlsruhe v. 4.1.2012 – 9 Sch 2/
09, SchiedsVZ 2012, 101.
5 BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 373/08, NJW-RR 2011, 1350 (Rz. 23) = RIW 2012, 81.
6 BGH v. 3.5.2011 – IX ZR 373/08, BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 373/08, MDR 2011, 1090 = NJW-RR
2011, 1350 (Rz. 24, 27).

Hausmann | 1183
§ 7 Rz. 7.430 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

sprechung über die Drittwirkungen einer Schiedsvereinbarung nach dem auf diese anwend-
baren Recht (Schiedsvereinbarungsstatut)1.

7.431 Vorzuziehen ist demgegenüber die Anwendung desjenigen Rechts, welches auf die Rechtsbezie-
hungen zwischen der ursprünglichen Partei der Schiedsvereinbarung und der Person anwend-
bar ist, deren Bindung an diese Schiedsvereinbarung in Frage steht 2; denn andernfalls könnten
die Parteien der Schiedsvereinbarung durch eine Rechtswahl die Frage der Einbeziehung von
Dritten zu deren Lasten beeinflussen. Demgemäß gilt etwa das Erbstatut bei Universalrechts-
nachfolge, das Verschmelzungsstatut bei Übernahme einer Gesellschaft oder juristischen Per-
son und das Zessionsstatut bei Einzelrechtsnachfolge3. Entsprechend ist das Statut der
Schiedsvereinbarung für die Bindung eines durch den Vertrag begünstigten Dritten4, das Recht
der befreiend übernommenen Schuld für die Bindung des Übernehmers5, das Gesellschaftssta-
tut für die Bindung der Gesellschafter6 und das Insolvenzstatut für die Bindung des Insolvenz-
verwalters7 an eine Schiedsvereinbarung maßgebend. In der internationalen Schiedsgerichts-
praxis wird insbesondere eine Bindung von „non-signatory“ Konzerngesellschaften an Schieds-
vereinbarungen häufig ohne Rückgriff auf ein bestimmtes nationales Recht angenommen8; aus
deutscher Sicht handeltes sich dabei um ein Problem der Vertretungsmacht9.

7.432 Bei Einzelrechtsnachfolge ist das Zessionsstatut auch in Bezug auf Schiedsvereinbarungen in
entsprechender Anwendung von Art. 14 Rom I-VO zu bestimmen. Aus Art. 14 Abs. 2 Rom I-
VO folgt aber, dass sich der Inhalt eines Schuldverhältnisses durch die Abtretung grundsätz-
lich nicht ändert und daher auch das maßgebliche Recht das Gleiche bleiben soll (dazu
Rz. 3.261 f.). Dies rechtfertigt es, die Frage, ob im Rahmen der Abtretungs- und Prozessfüh-
rungsermächtigungserklärung eine Schiedsbindung auf den Zessionar übergegangen ist, nach

1 BGH v. 8.11.2018 – I ZB 24/18, SchiedsVZ 2019, 355 (Rz. 11) = IPRax 2020, 238 (m. Anm. Schlos-
ser, IPRax 2020, 222); BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 20 f.) = IPRax
2016, 63 (m. Anm. Kröll, IPRax 2016, 43); OLG Saarbrücken v. 23.11.2017 – 4 U 44/16, ZInsO
2018, 1041 (Rz. 28); OLG Düsseldorf v. 11.7.1995 – 17 U 103/95, RIW 1996, 239; zust. Schwab/
Walter, Kap. 44 Rz. 24; Nagel/Gottwald, Rz. 18.76.
2 OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 = EWiR 1989, 933 (LS) m. Anm. Bredow;
Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 85; Haas in Weigand, Rz. 87 m.w.N.
3 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (276); Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 85; ebenso für den
Fall der Zession BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 22 ff.); einschränkend
(Kenntnis des Zessionars von der Schiedsklausel erforderlich) aber App. Paris, Rev. arb. 2012, 580.
4 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (276); vgl. i.d.S. auch schwz. BG v. 19.4.2011, Bull. ASA 2012, 655;
im Erg. auch Société française de Transport Maritime v. BP Oil International (E.D. Louis. 1990),
YCA XVII (1992), 653; Borsack v. Chalk & Vermilion Fire Arts, Ltd. (S.D.N.Y. 1997), YCA XXIII
(1998), 1038 (1041 ff.); Black & Veatch Int’l, Co. v. Wartsila NSD North America, Inc. (D. Kans.
1998), YCA XXV (2000), 878 (881).
5 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (276); vgl. allg. zur Anwendung des Rechts der übernommenen
Schuld auf die Verfügungswirkungen der privativen Schuldübernahme Hausmann in Staudinger,
Anh. zu Art. 16 Rom I Rz. 7 m.w.N.
6 Das Gesellschaftsstatut gilt auch für die Durchgriffshaftung, vgl. Rz. 6.169 ff. Der hiernach haften-
de Dritte ist allerdings nur ausnahmweise an eine zwischen der Gesellschaft und dem Gläubiger
getroffene Schiedsvereinbarung gebunden, vgl. Gross, SchiedsVZ 2004, 194 ff.
7 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (277); ebenso High Court Australia v. 6.3.1990 (Tanning Research
Laboratories, Inc.v. O’Brian), YCA XVI (1991), 521 (525 f.); Supreme Court Finland v. 27.2.1989
(Ky Finexim O. Ivanoff v. Ferromet), YCA XVI (1991), 536 (539).
8 Vgl. den ICC-Schiedsspruch Nr. 4131, Clunet 1983, 899 = YCA IX (1984), 131 in der Sache „Dow
Chemical“; dazu Busse, SchiedsVZ 2005, 118 ff.; Jürschik, S. 7 ff.; Wörle, S. 136 ff.
9 Mansel, FS Maier-Reimer (2010), S. 407 (414); Schwab/Walter, Kap. 44 Rz. 19.

1184 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.434 § 7

dem für die Schiedsvereinbarung geltenden Recht zu beurteilen. Dem Schuldner bleibt damit
das für sein Verhältnis zum Zedenten maßgebliche Recht, dem er aufgrund der Schiedsverein-
barung unterworfen ist, erhalten1.

Nach deutschem Recht wirkt eine Schiedsvereinbarung grundsätzlich nur im Verhältnis der 7.433
Parteien sowie ihrer (Gesamt- und Einzel-) Rechtsnachfolger2. Sie bindet auch den befreien-
den Schuldübernehmer und den durch einen Vertrag begünstigten Dritten. Dies gilt hingegen
nicht für Bürgen, Garanten und Schuldmitübernehmer, wenn diese dem Ausschluss der staat-
lichen Gerichtsbarkeit nicht nachweislich zugestimmt haben3. Auch Konzernunternehmen
sind grundsätzlich nicht an Schiedsvereinbarungen anderer Konzernunternehmen gebunden4.
Soweit das für die Drittwirkung der Schiedsvereinbarung maßgebende ausländische Recht
eine weitergehende Bindung Dritter vorsieht als das deutsche Recht, so liegt darin allein kein
Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB)5.

5. Schiedsvereinbarung und Aufrechnung


Die Frage, ob eine Schiedsvereinbarung zugleich das Verbot beinhaltet, sich im Prozess vor 7.434
dem staatlichen Gericht auf die Aufrechnung mit einer Gegenforderung zu berufen, über die
nach dem Inhalt der getroffenen Schiedsabrede das Schiedsgericht entscheiden soll, betrifft
zunächst die objektive Reichweite der Schiedsvereinbarung; maßgebend ist daher insoweit das
Statut der Schiedsvereinbarung6. Nach deutschem Recht lässt eine Schiedsvereinbarung zwar
die materiellrechtlichen Wirkungen der im Verfahren vor dem ordentlichen Gericht erklärten
Aufrechnung unberührt; sie enthält jedoch im Zweifel ein prozessuales Aufrechnungsverbot,
weil sonst – entgegen dem in ihr zum Ausdruck kommenden Parteiwillen – von einem staatli-
chen Gericht über die von der Schiedsvereinbarung erfassten Ansprüche entschieden würde7.
Erst wenn der Schiedsspruch gefällt und rechtskräftig ist, wird die Aufrechnung – im Verfah-

1 BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 23 f.) =, 63 (m. Anm. Kröll, IPRax 2016,
43); OLG Hamburg v. 17.2.1989 – 1 U 86/87, RIW 1989, 574 = EWiR 1989, 933 m. Anm. Bredow.
2 Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113 (115 ff.); Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (276); Nagel/Gott-
wald, § 18 Rz. 76; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 67; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 45 ff.;
Schütze in Wieczorek/Schütze, Rz. 35 ff., jeweils zu § 1029 ZPO. Vgl. zur Wirkung gegenüber dem
Zessionar BGH v. 2.10.1997 – III ZR 2/96, NJW 1998, 371 = ZIP 1997, 2082 = MDR 1998, 431 m.
Anm. Terlau; OLG Hamburg v. 29.1.2004 – 11 W 93/03, GmbHR 2004, 795 = SchiedsVZ 2004,
266 (268).
3 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274 (277); zu Einzelheiten Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 63 ff.;
Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 52; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 8 f., jeweils
m. ausf. Nachw. Insoweit gelten im Wesentlichen ähnliche Grundsätze wie für eine Drittwirkung
von Gerichtsstandsvereinbarungen; dazu Rz. 7.132 ff.
4 Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 77 m. ausf. Nachw. Anders die im frz. Recht entwickelte „group of com-
panies doctrine“; vgl. zu dieser den ICC-Schiedsspruch Nr. 4131/1982, YCA IX (1984), 131 ff.
(Dow Chemical); krit. Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1029 ZPO 44 ff. m.w.N.
5 BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, MDR 2014, 980 = SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 29).
6 Berger, RIW 1998, 426 f.; a.A. Geimer, Rz. 3817: Schiedsverfahrensstatut.
7 Vgl. BGH v. 22.11.1962 – VII ZR 264/61, BGHZ 38, 254 (256 f.) = NJW 1963, 243 (m. Anm. Nirk,
NJW 1963, 538) = JZ 1963, 681 m. abl. Anm. Henckel = ZZP 76 (1967), 461; OLG Düsseldorf v.
14.4.1983 – 6 W 62/82, 6 U 286/82, NJW 1983, 2149 = WM 1983, 771; OLG Hamm v. 26.5.1983 –
24 U 239/82, RIW 1983, 698 (699); OLG Zweibrücken v. 2.8.2013 – 2 U 6/13, MDR 2013, 1368;
Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 60; Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 13; Voit in Musielak/Voit,
§ 1029 ZPO Rz. 25; Seiler in Thomas/Putzo, § 145 ZPO Rz. 23; Lachmann, Rz. 497 f.; Geimer,
Rz. 3818; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 89.

Hausmann | 1185
§ 7 Rz. 7.434 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ren der Vollstreckungsabwehrklage – wieder zulässig1. Auch im Verfahren der Vollstreckbar-


erklärung eines ausländischen Schiedsspruchs kann daher – jedenfalls wenn der Aufrech-
nungsgegner sich auf die Schiedsklausel beruft – eine Aufrechnung nur mit solchen (streiti-
gen) Forderungen berücksichtigt werden, die nicht ihrerseits einer Schiedsabrede unterliegen2.

7.435 Wird umgekehrt vor dem Schiedsgericht eine Forderung eingeklagt und mit einer der Schieds-
vereinbarung nicht unterliegenden Forderung aufgerechnet, so muss konsequenterweise das
Gleiche gelten; die Aufrechnung darf vom Schiedsgericht nicht beachtet werden. Die Schiedsver-
einbarung begründet mithin das prozessuale Verbot, eine materiellrechtlich wirksame Aufrech-
nung geltend zu machen3. Etwas anderes gilt nur, wenn die zur Aufrechnung gestellte Gegen-
forderung rechtskräftig festgestellt oder unstreitig ist oder wenn die Parteien nachträglich die
Zuständigkeit des Schiedsgerichts – ausdrücklich oder konkludent (z.B. durch rügelose Einlas-
sung des Schiedsklägers) – auf die Entscheidung über die Gegenforderung erstreckt haben4.

6. Schiedsvereinbarung und Insolvenz einer Partei


7.436 Die Insolvenz einer Partei führt nicht zur Unwirksamkeit oder Undurchführbarkeit der Schieds-
vereinbarung5. Sie unterbricht auch nicht notwendig ein laufendes Schiedsverfahren. Hierüber
entscheidet vielmehr im Anwendungsbereich der EuInsVO 2015 nach deren Art. 18 – ebenso
wie im Verfahren vor einem staatlichen Gericht (dazu Rz. 6.671 ff. – die lex fori des Schieds-
gerichts6. Auch der Insolvenzverwalter ist an eine vom Gemeinschuldner getroffene Schiedsver-
einbarung gebunden7. Diese gilt allerdings nicht für originär in der Person des Insolvenzverwal-
ter entstandene Ansprüche, wie z.B. solche aus einer von ihm erklärten Insolvenzanfechtung8,
oder für Ansprüche als Folge des von ihm ausgeübten Wahlrechts nach § 103 InsO9.

1 BGH v. 17.1.2008 – III ZR 320/06, NJW-RR 2008, 556 = SchiedsVZ 2008, 94; Schlosser in Stein/
Jonas, § 1029 ZPO Rz. 60. Anders aber, wenn das Schiedsgericht bereits rechtskräftig über die Auf-
rechnung entschieden hat, vgl. OLG München v. 27.3.2013 – 34 Sch 27/10, SchiedsVZ 2013, 179
(180).
2 BGH v. 30.9.2010 – III ZB 57/10, NJW-RR 2011, 213 (Rz. 12) = MDR 2010, 1415; BGH v.
29.7.2010 – III ZR 48/09, SchiedsVZ 2010, 275 (Rz. 4); BGH v. 17.1.2008 – III ZR 320/06, NJW-
RR 2008, 556 (Rz. 10) = MDR 2008, 460; KG v. 20.1.2011 – 20 Sch 09/09, SchiedsVZ 2011, 287 m.
Anm. Spetzler; OLG Schleswig v. 15.5.2009 – 16 Sch 1/09, SchiedsVZ 2010, 276; Schwab/Walter,
Kap. 3 Rz. 13; Voit in Musielak/Voit, § 1060 ZPO Rz. 12.
3 Schreiber, ZZP 90 (1977), 415; Busse, MDR 2001, 729 (732); Köhne/Langner, RIW 2003, 361
(362 f.); Schütze, SchiedsVZ 2009, 245; Lachmann, Rz. 497; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 60; Seiler
in Thomas/Putzo, Rz. 9; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 85; Voit in Musielak/Voit, Rz. 24, jeweils
zu § 1029 ZPO; a.A. RG v. 2.6.1931, RGZ 133, 16 (19); Schwab/Walter, Kap. 3 Rz. 12; Münch in
MünchKomm-ZPO, § 1046 ZPO Rz. 23.
4 Berger, RIW 1998, 426 (429); Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 709; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO
Rz. 86; Voit in Musielak/Voit, § 1029 ZPO Rz. 24.
5 G. Wagner, KTS 2010, 39 (41 ff.); Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 74.
6 Court of Appeal v. 9.7.2009 (Elektrim S.A. v. Vivendi Telecom Int’l S.A.), YCA XXIV (2009), 313;
a.A. für die Schweiz BG v. 31.3.2009, YCA XXXIV (2009) 286 (291): Heimatrecht der insolventen
Partei.
7 Da die Schiedsvereinbarung kein gegenseitiger Vertrag ist, hat der Insolvenzverwalter insoweit
auch kein Wahlrecht nach § 103 InsO; vgl. dazu näher Wagner, KTS 2010, 39 ff.; Longrée/Ganten-
brink, SchiedsVZ 2014, 21 ff.; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 50; Schlosser in Stein/Jo-
nas, § 1029 ZPO Rz. 86 ff.
8 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, ZIP 2011, 1477 = SchiedsVZ 2011, 281.
9 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, ZIP 2013, 1359 (Rz.14) = ZZP 126 (2013) 111 m. Anm. Haas.

1186 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.437 § 7

7. Schadensersatz wegen Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung?


Trotz ihrer Rechtsnatur als Prozessvertrag (Rz. 7.206) entfaltet eine Schiedsvereinbarung – 7.437
ebenso wie eine Gerichtsstandsvereinbarung – nicht nur prozessuale, sondern auch materiell-
rechtliche Wirkungen. Aus diesem Grund ist die jüngste Rechtsprechung des BGH zur scha-
densersatzrechtlichen Sanktionierung der Verletzung internationaler Gerichtsstandsverein-
barungen (dazu näher Rz. 7.176 ff.)1 auch auf Schiedsvereinbarungen zu übertragen. Eine Ver-
tragspartei, die entgegen einer wirksam getroffenen Schiedsvereinbarung die staatlichen Ge-
richte anruft, hat der anderen Vertragspartei daher die dieser entstehenden Gerichts- und An-
waltskosten zur Verteidigung vor dem staaatlichen Gericht zu ersetzen, soweit sie der abrede-
widrig verklagten Partei nicht bereits durch das staatliche Gericht zugesprochen worden sind2.

VI. Das in Schiedsverfahren auf die Hauptsache anzuwendende Recht


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1 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 m. Anm. Wais = EuZW
2020, 143 m. Anm. Antomo.
2 Dazu näher Colberg, Der Schutz der Schiedsvereinbarung (2019) 187 ff. m.w.N.

Hausmann | 1187
§ 7 Rz. 7.437 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

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1188 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.438 § 7

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Zumbansen, Lex mercatoria: Zum Geltungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), 637.

1. Allgemeines
Nicht anders als ein staatliches Gericht steht auch ein Schiedsgericht in einem Fall mit Aus- 7.438
landsberührung vor dem Problem, welches Recht es auf den ihm vorgelegten Rechtsstreit an-
wenden soll. Die Lösung wird allerdings zusätzlich dadurch erschwert, dass internationale
Schiedsgerichte – im Gegensatz zu staatlichen Gerichten – nicht unbedingt an das an ihrem
Sitz geltende Verfahrens- und Kollisionsrecht gebunden sind, so dass sich in einem ersten
Schritt die Frage nach dem maßgeblichen Kollisionsrecht stellt. Diese Frage ist ein Dauerthe-

Hausmann | 1189
§ 7 Rz. 7.438 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ma der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit1, das in jüngster Zeit vor allem unter dem As-
pekt neue Aktualität erlangt hat, ob und ggf. in welchem Umfang Schiedsgerichte mit Sitz in
Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an die Rom I-Ver-
ordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht2 gebunden sind3.

2. Staatsverträge
a) UN-Übereinkommen
7.439 Das UNÜ regelt – wie schon der Titel erkennen lässt – vor allem die Anerkennung und Voll-
streckung des von einem Schiedsgericht mit Sitz in einem Vertragsstaat gefällten Schieds-
spruchs in allen anderen Vertragsstaaten. Es enthält hingegen keine Regelung zur Frage des
vom Schiedsgericht in der Sache anzuwendenden Rechts. Das Übereinkommen macht auch
die Anerkennung eines Schiedsspruchs nicht davon abhängig, dass das Schiedsgericht ein ganz
bestimmtes Recht angewandt hat, geht also – bis zur Grenze des ordre public (Art. V Abs. 2
lit. b UNÜ) – von einer Freiheit der Schiedsrichter in kollisionsrechtlicher Hinsicht aus.

b) Europäisches Übereinkommen
7.440 Eine Regelung des vom Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwendenden Rechts enthält hin-
gegen das für Deutschland und 15 weitere Mitgliedstaaten der EU sowie die meisten Nachfol-
gestaaten der ehemaligen Sowjetunion geltende Genfer Europäische Übereinkommen über die
internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 (EuÜ) in seinem Art. VII. Diese
Bestimmung hat Vorrang vor den Kollisionsnormen der Rom I-VO, soweit man die Verord-
nung überhaupt in internationalen Schiedsverfahren für anwendbar hält, Art. 25 Abs. 1
Rom I-VO. Danach gilt primär der Grundsatz der Parteiautonomie. Die Wahlfreiheit der Par-
teien ist zwar nach dem Wortlaut von Art. VII Abs. 1 S. 1 EuÜ nicht eingeschränkt; ihr sind
jedoch vor allem in sachlicher Hinsicht sowie durch Eingriffsnormen die gleichen Schranken
gezogen wie nach § 1051 Abs. 1 ZPO (dazu näher Rz. 7.450 und Rz. 7.457 ff.)4.

7.441 Mangels einer Rechtswahl wird die Bestimmung des anwendbaren Rechts in Art. VII Abs. 1
S. 2 EuÜ dem pflichtgemäßen Ermessen der Schiedsrichter überlassen; diese sind also nicht
an das Kollisionsrecht am Sitz des Schiedsgerichts gebunden5. Sie sind aber auch nicht berech-
tigt, das ihnen passend erscheinende materielle Recht eines bestimmten Staates unmittelbar
anzuwenden, sondern haben zunächst das Kollisionsrecht zu ermitteln, mit dessen Hilfe sie
dann das in der Sache anwendbare Recht bestimmen können6. Das ihnen eingeräumte Ermes-
sen üben sie freilich nur dann fehlerfrei aus, wenn sie von den Kollisionsnormen derjenigen
Rechtsordnungen ausgehen, die durch den Streitfall berührt sind7. Stimmen die Kollisionsnor-

1 Vgl. die Monografien von von Hoffmann, Lew, Grigera Naón und Kulpa, sowie den Sammelband
von Ferrari/Kröll (Hrsg.), jeweils nach Lit.-Verz.
2 EG-Verordnung Nr. 593/2008 v. 17.6.2008, ABl. EU 2008 Nr. L 177, S. 6.
3 S. insb. Mankowski, RIW 2011, 30 ff.; Hartenstein, TranspR 2010, 261 ff.; Hausmann, FS von Hoff-
mann (2011), S. 971 ff.
4 Schlosser in Stein/Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 432.
5 Lando, Arb. Int. 2 (1986), 106 f. (110); Blessing, J.Int. Arb. 14 (1997) Nr. 1 S. 39 (51); Martiny, FS
Schütze (1999), 529 (532); Schwab/Walter, Kap. 55 Rz. 2.
6 Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (972); Moller, NZG 2000, 57 (68); Schlosser in Stein/
Jonas, Anh. § 1061 ZPO Rz. 435; Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII EuÜ Rz. 6; Martiny in
MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 99.
7 Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (532); Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (972).

1190 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.444 § 7

men dieser Rechte überein, so ist grundsätzlich das hiernach maßgebliche Recht zugrunde zu
legen1. In jedem Fall sind nach Art. VII Abs. 1 S. 3 EuÜ die Bestimmungen des Vertrages und
die Handelsbräuche zu berücksichtigen.

Wegen des anerkannten Vorrangs von Staatsverträgen vor dem autonomen Schiedsverfah- 7.442
rensrecht sind auch Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland an Art. VII EuÜ gebunden, wenn
das Schiedsverfahren in den von Art. I EuÜ bestimmten sachlichen und räumlichen Anwen-
dungsbereich dieses Übereinkommens fällt. Sachlich gilt das Übereinkommen für Streitigkei-
ten aus internationalen Handelsgeschäften zwischen natürlichen oder juristischen Personen,
d.h. aus Geschäften, die auf eine grenzüberschreitende Leistung von Sachen, Diensten oder
Kapital gegen Entgelt gerichtet sind (vgl. näher Rz. 7.251 f.). In räumlicher Hinsicht ist erfor-
derlich, dass die Schiedsvertragsparteien bei Abschluss der Schiedsvereinbarung ihren ge-
wöhnlichen Aufenthalt bzw. ihren Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten des Übereinkom-
mens hatten (Art. I Abs. 1 lit. a EuÜ); näher Rz. 7.250.

3. Bindung von Schiedsgerichten mit Sitz in Mitgliedstaaten der EU an die


Rom I-VO?
Die Frage, welche Bedeutung das auf europäischer Ebene vereinheitlichte internationale Ver- 7.443
tragsrecht für internationale Schiedsgerichte hat, spielte bereits in der Diskussion um die Re-
form des deutschen Schiedsverfahrensrechts – damals noch in Bezug auf das Römische EG-
Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ)
vom 19.6.1980 – eine erhebliche Rolle. Wie der Begründung zum Reformgesetz vom
22.12.1997 zu entnehmen ist, ging der deutsche Gesetzgeber damals – anders als die von ihm
eingesetzte Reformkommission – von einer solchen Bindung der in Deutschland tagenden
Schiedsgerichte an das EVÜ aus2. Dies hat sich freilich allenfalls andeutungsweise im Geset-
zestext des § 1051 Abs. 2 ZPO niedergeschlagen, wo man bewusst von der Vorgabe in Art. 28
UNCITRAL-Modellgesetz abgerückt ist und sich hinsichtlich der objektiven Anknüpfung des
Vertragsstatuts an Art. 4 EVÜ orientiert hat3. Da der deutsche Gesetzgeber eine unmittelbare
Anwendung des EVÜ in Art. 1 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes ausdrücklich ausgeschlossen
hatte, ging die h.M. schon damals davon aus, dass § 1051 ZPO als speziellere Kollisionsnorm
für Schiedsverfahren den allgemeinen Vorschriften der Art. 27 ff. EGBGB vorgehe4.

Wegen dieser merkwürdigen Entstehungsgeschichte des § 1051 ZPO besteht auch im Hin- 7.444
blick auf die Rom I-VO Unsicherheit darüber, ob ein Schiedsgericht mit Sitz in Deutsch-
land alle oder zumindest gewisse Vorschriften der Rom I-VO direkt oder analog heranzie-
hen kann oder sogar muss5, oder ob die Rom I-VO für Schiedsrichter überhaupt nicht

1 Adolphsen in MünchKomm ZPO, Art. VII EuÜ Rz. 7.


2 Vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 52 (li.Sp.) unter Hinweis auf den Giuliano/Lagarde-Bericht, BT-
Drucks. 10/503, S. 44; dazu Solomon, RIW 1997, 981; Berger, DZWiR 1998, 45 (52).
3 Solomon, RIW 1997, 981 ff.; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I Rz. 102.
4 Vgl. Basedow, JPraxSch. 1 (1987), 3 (4); Sandrock, RIW 1992, 785 ff.; Schlosser, RIW 1984, 723
(727); Solomon, RIW 1997, 981 (986 ff.); Voit, JZ 1997, 123 f.; Martiny, FS Schütze (1999), S. 529
(533); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (451 ff.); Handorn, S. 69 f.; Vocke, S. 44 ff.; Zobel, S. 107 f.;
a.A. Schütze, Rz. 175. Eingehend dazu Blase, Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts als
Recht grenzüberschreitender Verträge (2001) S. 161 ff.
5 Für eine strikte Bindung an das EVÜ Weigand, WiB 1997, 1273 (1276); G. Wagner, FS Schumann
(2001), S. 535 (554), jeweils zum EVÜ; ebenso zur Rom I-VO Mankowski, RIW 2011, 30 ff.; Man-
kowski, FS von Hoffmann (2011), S. 1022 ff.; McGuire, SchiedsVZ 2011, 257 (262 ff.); Yüksel, JPIL
7 (2011), 177 f.; Czernich, WiBl 2013, 554 ff.; unentschieden Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 2.

Hausmann | 1191
§ 7 Rz. 7.444 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gilt1. Für eine Bindung könnte sprechen, dass die Rom I-VO in ihrem Art. 1 Abs. 1 lit. e aus-
drücklich nur Schiedsvereinbarungen, nicht hingegen die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt –
und damit auch die Bestimmung des auf den Hauptvertrag in einem Schiedsverfahren anzu-
wendenden Rechts – aus ihrem sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen hat2. Dies hat-
ten schon Giuliano und Lagarde in ihrem Bericht zum EVÜ betont3. Allerdings bezog sich
diese Äußerung ersichtlich nur auf die kollisionsrechtliche Beurteilung eines Vertrags durch
staatliche Gerichte4. Die Verfasser des EVÜ haben sich hingegen mit der Frage nach einer An-
wendung des Übereinkommens im schiedsgerichtlichen Verfahren nicht beschäftigt. Ansons-
ten hätte sich der Bericht etwa auch zum Verhältnis des EVÜ zu den abweichenden Kollisi-
onsnormen in Art. VII des Genfer Übereinkommens von 1961 (dazu Rz. 7.440 ff.) äußern
müssen. Auch die übrigen Vertragsstaaten sind unter Geltung des EVÜ nicht von einer Bin-
dung von Schiedsgerichten an dessen Kollisionsregeln ausgegangen, weil viele von ihnen –
wie außer Deutschland auch England, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich und
Spanien5 – noch nach Inkrafttreten des EVÜ Sonderkollisionsnormen für internationale
Schiedsverfahren verabschiedet haben. Hierzu wären sie aber im Falle einer Bindung an das
EVÜ auch nach dessen Art. 23 nicht berechtigt gewesen6. Dementsprechend war die Geltung
des EVÜ nach ganz hM auf Verfahren vor staatlichen Gerichten beschränkt7.

7.445 Zwar gibt es durchaus gute Gründe dafür, die Entscheidung kollisionsrechtlicher Fragen nicht
davon abhängig zu machen, welche Art von Gericht einen konkreten Rechtsstreit entscheidet,
zumal nicht selten neben dem für die Hauptsache zuständigen Schiedsgericht auch staatliche
Gerichte – etwa im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (dazu Rz. 7.423 ff.) – in der glei-
chen Rechtssache angerufen werden8. Auch wird man den Mitgliedstaaten das Recht nicht ab-
sprechen können, die auf ihrem Staatsgebiet tätigen Schiedsgerichte an die Vorgaben der
Rom I-VO zu binden9. Jedoch hat der deutsche Gesetzgeber von dieser Möglichkeit bisher gera-
de keinen Gebrauch gemacht10. Ferner haben auch die anderen Mitgliedstaaten ihre Sonderkol-
lisionsnormen für Schiedsverfahren nach Inkrafttreten der Rom I-VO nicht aufgehoben. Eine
Verpflichtung hierzu hätte aber – wegen des anerkannten Vorrangs des Unionsrechts vor dem
nationalen Recht – bestanden, wenn der europäische Gesetzgeber eine strikte Bindung auch von
Schiedsgerichten an das europäische Vertragskollisionsrecht hätte normieren wollen. Hierfür
findet sich aber in den Erwägungsgründen zur Rom I-VO nicht der mindeste Hinweis. Ein sol-

1 So Kronke, RIW 1998, 257 (262 f.) (zum EVÜ).


2 So insb. Mankowski, RIW 2011, 30 (31 ff.).
3 Giuliano/Lagarde-Bericht, BT-Drucks. 10/503, S. 44.
4 Zutreffend Sandrock, RIW 1992, 785 (792); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (445); Handorn,
S. 59 ff.; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 103.
5 Vgl. in England s. 46 (3) Arbitration Act 1996; in Frankreich Art. 1496 NCPC; in Italien Art. 834
Abs. 1 S. 2 C.p.c; in den Niederlanden Art. 1054 Rv; in Österreich § 603 ZPO; in Spanien Art. 34
Ley 60/2003 de Arbitraje; dazu Blessing, J.Int.Arb. 14 (1997) Nr. 1, S. 39 (52 ff.); Martiny, FS
Schütze (1999), S. 529 (533 f.) m.w.N.
6 Vgl. näher Mankowski, RIW 2011, 30 (33 ff.).
7 Vgl. Basedow, JbPraxSch 1 (1987) 3 (4); Sandrock, RIW 1992, 785 (792); Schlosser, RIW 1984, 723
(727); Solomon, RIW 1997, 981 (986 ff.); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (451 ff., 457); Martiny,
FS Schütze (1999), S. 529 (533); Blase, S. 161 ff. Weitere umf. Nachw. bei Mankowski, RIW 2011,
30 in Fn. 8.
8 Vgl. Hartenstein, TranspR 2010, 261 (265); Mankowski, RIW 2011, 30 (37).
9 Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (978); Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-
VO Rz. 103 a.E.; a.A. Solomon, RIW 1997, 981 (988 f.).
10 Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (532 ff.); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (456 f.); Harten-
stein, TranspR 2008, 143 (148); Kulpa, S. 346 ff.

1192 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.446 § 7

cher wäre aber angesichts der ablehnenden Haltung sowohl der Gesetzgeber wie des rechtswis-
senschaftlichen Schrifttums in den meisten Mitgliedstaaten gegenüber einer Bindung von
Schiedsgerichten an das EVÜ unbedingt zu erwarten gewesen1. Stattdessen betont der Erwä-
gungsgrund 7 zum materiellen Anwendungsbereich der Rom I-VO ausdrücklich die Parallelität
zur Brüssel I-VO2, die nur für staatliche Gerichte gilt3. Auch im Zuge der Reform der Brüssel I-
VO durch die am 10.1.2015 in Kraft getretene Brüssel Ia-VO ist die Autonomie der Schieds-
gerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit eher noch weiter gestärkt worden.
Nach Erwägungsgrund 12 zu dieser Verordnung kann die Entscheidung, die das staatliche Ge-
richt eines Mitgliedstaats über die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung getroffen hat, in den
anderen Mitgliedstaaten nicht nach dieser Verordnung anerkannt oder vollstreckt werden.

Darüber hinaus besteht bei Vertragsparteien, die eine Streitentscheidung einem internationa- 7.446
len Schiedsgericht übertragen, häufig der Wunsch nach mehr Flexibilität bei der Bestimmung
des anwendbaren Rechts, insbesondere nach einer Loslösung von der Geltung nur eines be-
stimmten nationalen Rechts (dazu näher Rz. 7.466 ff.)4. Deshalb räumen sowohl die meisten
nationalen Schiedsgesetze wie die Schiedsordnungen der bekannten Schiedsinstitutionen den
Parteien das Recht ein, das Schiedsgericht zu ermächtigen, den Rechtsstreit nach allgemeinen
Rechtsgrundsätzen zu entscheiden oder von einer Rechtsentscheidung ganz abzusehen und
nur eine Billigkeitsentscheidung („ex aequo et bono“) zu treffen. Diese Möglichkeiten kämen
aber bei einer strikten Bindung auch von Schiedsgerichten an die Rom I-VO nicht in Betracht.
Aus diesem Grunde hätten insbesondere diejenigen Mitgliedstaaten, die – wie Frankreich
oder das Vereinigte Königreich – Sitz von weltweit anerkannten institutionellen Schiedsgerich-
ten sind, der Rom I-VO ohne eine Öffnungsklausel zugunsten dieser Schiedsgerichte und ih-
rer Schiedsordnungen nicht zugestimmt, wenn man eine Verbindlichkeit der Verordnung
auch für internationale Schiedsgerichte in Betracht gezogen hätte. Dementsprechend hat
Frankreich sein nationales Kollisionsrecht für internationale Schiedsverfahren noch nach In-
krafttreten der Rom I-VO neu gefasst5. Daher sind für in der EU tagende Schiedsgerichte die
Kollisionsregeln der Rom I-VO ebenso wenig verbindlich wie zuvor jene des EVÜ6. Dies
schließt freilich nicht aus, dass Schiedsgerichte den Vorschriften der Rom I-VO eine „persua-
sive authority“ beimessen und sie insbesondere zur Schließung von Lücken beim Fehlen von
Kollisionsnormen im Sitzstaat oder zur Konkretisierung der in nationalen Gesetzen oder in
Schiedsordnungen enthaltenen Kollisionsnormen heranziehen7.

1 Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 8. 6; vgl. i.d.S. schon zum EVÜ Sandrock, RIW 1992, 785
(792); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (455); Handorn, S. 67 ff.; Zobel, S. 80 ff.
2 EG-Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 22.12.2001, ABl. EG 2001 L 12,
S. 1.
3 Vgl. Sandrock, RIW 1992, 785 (792); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (454); Handorn, S. 63 ff.;
von Hein, in MünchKomm, Einl. Rz. 320; anders Mankowski, RIW 2011, 30 (38).
4 Junker, RIW 1998, 741 (745 f.).
5 Vgl. Art. 1511 cpc i.d.F. v. 2011; ebenso in Portugal, vgl. Art. 52 SchiedsG.
6 So die heute h.M., vgl. Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (977 ff.); Pfeiffer, EuZW 2008,
622 (623); Hartenstein, TranspR 2010, 261 (264 ff.); Kondring, RIW 2010, 184 (189 ff.); Ostendorf,
SchiedsVZ 2010, 234 (237); Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (269 f.); Pfeiffer, NJW
2012, 1169 (1170 f.); Grimm, SchiedsVZ 2012, 189 ff.; Mayer in Corneloup/Joubert, S. 428 f.;
Schilf, RIW 2013, 678 ff.; Nueber SchiedsVZ 2014, 186 ff.; PWW/Brödermann/Wegen, Art. 1
Rom I-VO Rz. 20; von Hein in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 40; Martiny in
MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 103 a.E.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 6;
Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1051 Rz. 12; Nedden/Herzberg, Art. 21 ICC-SchO Rz. 8 ff.
7 So auch die meisten der in der vorigen Fn. Genannten.

Hausmann | 1193
§ 7 Rz. 7.447 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

4. Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht


a) Allgemeines
7.447 In Anlehnung an Art. VII EuÜ und Art. 28 des UNCITRAL-Modellgesetzes enthält auch das
autonome deutsche Schiedsverfahrensrecht seit der Reform von 1997 in § 1051 ZPO aus-
drückliche Kollisionsregeln für das vom Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwendende ma-
terielle Recht. Während die meisten ausländischen Rechte der modernen Auffassung folgen,
dass internationale Schiedsgerichte nicht an das Kollisionsrecht am vereinbarten Schiedsort
gebunden sind1, haben Schiedsgerichte, die ihren Sitz i.S.v. § 1043 Abs. 1 ZPO in Deutschland
haben, nunmehr gemäß § 1025 Abs. 1 ZPO zwingend die Kollisionsregeln des § 1051 Abs. 1
und 2 ZPO anzuwenden2. Eine von jeglichem Kollisionsrecht losgelöste unmittelbare Bestim-
mung des auf einen Vertrag anwendbaren Rechts, wie sie insbesondere in der französischen
Literatur vertreten wird3, hat damit für in Deutschland tagende Schiedsgerichte auszuschei-
den. Der deutsche Gesetzgeber hat vielmehr mit § 1051 ZPO ein staatliches Sonderkollisi-
onsrecht für internationale Schiedsverfahren geschaffen4. Damit ist auch bezüglich des von
Schiedsgerichten in der Hauptsache anzuwendenden Rechts danach zu unterscheiden, ob der
Schiedsort im Ausland oder im Inland liegt.

7.448 An der international verbreiteten Auffassung (vgl. die Nachw. zu Rz. 7.438)5, die früher auch in
Deutschland vorherrschte6, dass ein Schiedsgericht nicht an die Kollisionsnormen seines Sitz-
rechts gebunden sei, weil es – anders als für ein staatliches Gericht – an einer vorgegebenen lex
fori fehle, als deren Bestandteil die Kollisionsnormen anzuwenden wären, kann aus deutscher
Sicht seit der Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts von 1997 nur noch für im Aus-
land tagende Schiedsgerichte festgehalten werden. Vorbehaltlich etwaiger Einschränkungen
durch die ausländische lex fori kommt dem Schiedsgericht dann bei der Festlegung der maß-
geblichen Anknüpfungskriterien ein Ermessensspielraum zu7. Ausgangspunkt muss freilich
auch insoweit der Grundsatz der Parteiautonomie sein. Dabei ist auch eine Rechtswahl zuläs-
sig, die sich auf die Festlegung des vom Schiedsgericht anzuwendenden Kollisionsrechts be-
schränkt. Die Praxis internationaler Schiedsgerichte orientiert sich häufig an denjenigen An-
knüpfungskriterien, die in den in Betracht kommenden Kollisionsrechten (der Heimatstaaten
der Parteien, des Vertragsschwerpunkts sowie des Schiedslandes) übereinstimmend gelten8.

1 Vgl. zur These von der fehlenden lex fori internationaler Schiedsgerichte die umf. Nachw. bei
Mankowski, RIW 2011, 30 in Fn. 5.
2 Junker, RIW 1998, 742 (745); Sandrock, RIW 2000, 321 (323); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 2;
Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 1; Raeschke-Kessler/Berger Rz. 721; Schlosser in Stein/
Jonas, § 1051 ZPO Rz. 1.
3 Vgl. zur Bestimmung des in der Hauptsache anwendbaren Rechts „par voie directe“ Derains, FS
Goldman (1982), S. 29 (33 ff.); Lando, FS Zweigert (1981), S. 157 (170 ff.).
4 Sandrock, RIW 2000, 321 (323 f.); Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 1 f.; Geimer in Zöller,
§ 1051 ZPO Rz. 2.
5 Ferner den ICC-Schiedsspruch Nr. 1512/1971, YCA I (1976), 128 (129).
6 Vgl. Berger, S. 352 ff.; Sandrock, RIW 1992, 785 (787 ff.); Kronke, RIW 1998, 257 (262); Diedrich,
JuS 1998, 158 (164 f.); Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (530 f.), jeweils m.w.N; a.A. Böckstiegel,
FS Beitzke (1979), S. 443 ff.; Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1034 ZPO a.F. Rz. 14.
7 Sandrock, RIW 1992, 785 (789 f.); Schlosser, RIW 1994, 723 (727), jeweils m.w.N.
8 Vgl. zu dieser Regel der „Konkordanz“ der beteiligten Kollisionsrechte Sandrock, RIW 1992, 785
(794); Lando, Arb. Int. 2 (1986), 110 ff.; Drobnig, FS Kegel (1987), S. 95 (103); Basedow JbPraxSch.
1 (1987), 3 (16 ff.), jeweils m.w.N. Ferner die ICC-Schiedssprüche Nr. 953/1956, YCA III (1978)
214; Nr. 2272/1975, YCA II (1977) 151; Nr. 1990/1972, YCA III (1978) 217 f.; Nr. 2930/1982, YCA
IX (1984) 105 (106); Nr. 6281/1989, YCA XV (1990) 96.

1194 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.450 § 7

Führen die betroffenen Kollisionsrechte zu unterschiedlichen Ergebnissen, so wird nicht selten


auf die im staatsvertraglichen oder europäischen IPR kodifizierten Anknüpfungsprinzipien,
wie z.B. auf den Grundsatz der „engsten Verbindung“ (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO), zurückgegrif-
fen1. Hilfsweise wird das IPR oder das materielle Vertragsrecht des (neutralen) Schiedsorts an-
gewandt2.

Liegt der Schiedsort im Inland, so hat hingegen auch ein Schiedsgericht auf Grund des heute 7.449
geltenden Territorialitätsprinzips (§ 1025 Abs. 1 ZPO) die Vorgaben des deutschen Schieds-
verfahrensrechts in § 1051 ZPO hinsichtlich des auf die Hauptsache anzuwendenden Rechts
zu respektieren3. Dagegen wird zwar eingewandt, dass die Tätigkeit eines Schiedsgerichts seine
Grundlage allein im Parteiwillen habe; dieser müsse sich daher auch bei der Bestimmung des
anwendbaren Rechts – z.B. durch Verweisung auf von § 1051 ZPO abweichende Kollisions-
normen einer Schiedsordnung – durchsetzen4. Dies ändert freilich nichts daran, dass ein
Schiedsgericht mit Sitz in Deutschland seinen Schiedsspruch der Gefahr der Aufhebung we-
gen eines Verfahrensverstoßes (§ 1059 Abs. 2 lit. d ZPO) aussetzt, wenn es sich nicht an die
kollisionsrechtlichen Vorgaben des § 1051 ZPO hält5. Daher ist die Streitigkeit in Überein-
stimmung mit den Rechtsvorschriften zu entscheiden, die von den Parteien als auf den Inhalt
des Rechtsstreits anwendbar bezeichnet worden sind (§ 1051 Abs. 1 ZPO). Haben die Parteien
die anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht bestimmt, so ist das Recht des Staates anzuwen-
den, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist (§ 1051
Abs. 2 ZPO).

b) Sachlicher Anwendungsbereich
aa) Rechtswahl
Während die Rom I-VO den Parteien auf dem Gebiet des Schuldvertragsrechts in Art. 3 sehr 7.450
weitreichende Autonomie einräumt, ist diese nach Art. 14 Rom II-VO in Bezug auf außerver-
tragliche Schuldverhältnisse in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt, wenn nicht beide Parteien
einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen. Auf dem Gebiet des internationalen Sachen- oder
Personenrechts besteht nach dem noch nicht vereinheitlichten IPR der meisten Mitgliedstaa-
ten der EU überhaupt keine Rechtswahlmöglichkeit. Demgegenüber erwecken die Kollisions-
normen auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit – z.B. Art. VII EuÜ, § 1051 ZPO – den
Eindruck, als ob sie ohne Rücksicht auf den Streitgegenstand des Verfahrens umfassende Par-
teiautonomie gewähren würden, denn sie enthalten keinerlei Beschränkungen in sachlicher
Hinsicht. Danach könnten Parteien, die über das Eigentum an beweglichen Sachen – z.B. über
die Wirksamkeit eines Eigentumsvorbehalts an verkauften Waren – streiten, auch das hierauf
anwendbare Recht wählen. Gleiches würde etwa für Fragen der Geschäftsfähigkeit natürlicher
Personen oder der gesetzlichen Vertretung von Gesellschaften gelten. Die sachliche Reichweite
der uneingeschränkten schiedsrechtlichen Parteiautonomie ist jedoch im Wesentlichen auf in-

1 Vgl. i.d.S. Schlosser, RIW 1994, 773 (775 ff.) m.w.N; ferner die ICC-Schiedssprüche Nr. 2114
(1972), YCA V (1980), 189.
2 Vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 1455/1967, YCA III (1978) 215; Nr. 1598/1971, YCA III (1978)
216; Nr. 9771/2001, YCA XXIX (2004) 46 (52 ff.).
3 Junker, RIW 1998, 742 (745); Sandrock, RIW 2000, 321 (323); G. Wagner, FS Schumann (2001),
S. 535; Hartenstein, TranspR 2010, 261; Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234; Geimer in Zöller, § 1051
ZPO Rz. 2; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 2.
4 Solomon, RIW 1997, 981 (988 f.).
5 Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (445 ff.).

Hausmann | 1195
§ 7 Rz. 7.450 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

ternationale Schuldverträge teleologisch zu reduzieren. Dies folgt schon daraus, dass in diesen
Kollisionsnormen durchwegs klargestellt wird, dass die Bestimmungen „des Vertrages“ in je-
dem Fall vorrangig zu beachten sind1. Allerdings erstreckt sich eine Rechtswahl der Parteien
im Zweifel auch auf delikts- oder bereicherungsrechtliche Ansprüche, die in engem Zusam-
menhang mit dem streitgegenständlichen Schuldvertrag stehen2. Die Schranke nach Art. 14
Abs. 2 Rom II-VO ist nur bei einer auf außervertragliche Schuldverhältnisse beschränkten
Rechtswahl zu berücksichtigen. Soweit unterhalts- oder erbrechtliche Ansprüche den Gegen-
stand des Schiedsverfahrens bilden, dürfte es sich für das Schiedsgericht ferner anbieten, die
der Parteiautonomie nach dem Haager Unterhaltsprotokoll bzw. nach der EuErbVO gezoge-
nen Schranken zu respektieren, weil der deutsche Gesetzgeber das internationale Familien-
und Erbrecht bei der Zulassung der unbeschränkten Rechtswahl in § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO
nicht im Blick hatte3. Demgegenüber sind die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Parteien,
ihre gesetzliche oder gewillkürte Vertretung sowie sachenrechtliche Fragen mit Hilfe derjeni-
gen Kollisionsnormen gesondert anzuknüpfen, deren Anwendung das Schiedsgericht im kon-
kreten Fall für angemessen erachtet4. Für Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland empfiehlt
sich eine Anlehnung an die diesbezüglich im EGBGB (z.B. in Art. 7 und Art. 43 ff.) oder in
vorrangig geltenden Staatsverträgen (z.B. dem KSÜ) normierten Grundsätze.

bb) Objektive Anknüpfung


7.451 Der sachliche Anwendungsbereich der Kollisionsnormen in Art. VII Abs. 2 EuÜ, § 1051 Abs. 2
ZPO wird nur dadurch beschränkt, dass der Gegenstand des Verfahrens objektiv schiedsfähig
sein muss; aus der Sicht eines Schiedsgerichts mit Sitz in Deutschland muss es sich daher
nach § 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO um vermögensrechtliche Ansprüche handeln (dazu näher
Rz. 7.403)5. Für diese hat das Schiedsgericht das anwendbare Recht mit Hilfe des Kriteriums
der „engsten Verbindung“ zu bestimmen. Soweit es nicht um schuldvertragliche Ansprüche
geht, liegt es für das Schiedsgericht wiederum nahe, sich zur Konkretisierung der engsten Ver-
bindung an den Kollisionsnormen der einschlägigen Verordnungen und Staatsverträge des
EU-Rechts zu orientieren (vgl. zuvor Rz. 7.450). Eine strikte Bindung an die Rom II-VO, die
EuUntVO i.V.m. dem Haager Unterhaltsprotokoll sowie die künftige EuGüVO besteht aller-
dings ebenso wenig wie an die Rom I-VO6.

c) Rechtswahl
aa) Grundsatz
7.452 § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO geht – in Übereinstimmung mit Art. VII Abs. 1 EuÜ, Art. 3 Abs. 1
Rom I-VO und den Schiedsordnungen der wichtigsten institutionellen Schiedsgerichte – vom

1 Vgl. etwa Art. VII Abs. 1 S. 3 EuÜ; § 1051 Abs. 4 ZPO.


2 Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 11.
3 Für eine strikte Bindung des Schiedsgerichts an das europäische Kollisionsrecht auf den Gebieten
des Familienvermögens- und Erbrechts Mankowski, FS Schütze (2014), S. 369 (374 ff.).
4 Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 7; Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 3; Junker, RIW 1998,
742 (745) und in FS Sandrock (2000), S. 443 (459 f.); Kronke, RIW 1998, 257 (262); Vocke, S. 172 ff.;
Hartenstein, TranspR 2010, 261 (262); Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (983); Münch
in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 21. Gleiches gilt auch im Rahmen von Art. VII EuÜ, vgl. Schlos-
ser, Rz. 739; Schwab/Walter, Kap. 55 Rz. 1; a.A. Mezger, RabelsZ 29 (1965), 231 ff.
5 Mankowski, FS Schütze (2014), S. 369 (372).
6 Anders insb. Mankowski, FS Schütze (2014), S. 369 (374 ff.).

1196 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.453 § 7

Grundsatz der Parteiautonomie aus. Dabei ist die Bezeichnung des Rechts oder der Rechts-
ordnung eines bestimmten Staates – ebenso wie nach Art. 20 Rom I-VO, Art. 3a Abs. 1
EGBGB – gemäß § 1051 Abs. 1 S. 2 ZPO im Zweifel als unmittelbare Verweisung auf die Sach-
vorschriften dieses Staates zu verstehen; eine Rück- oder Weiterverweisung bleibt mithin nach
der Vermutungsregel in § 1051 Abs. 1 S. 2 ZPO grundsätzlich außer Betracht1. Anders als in
Verfahren vor staatlichen Gerichten, wo die Wahl von Sachnormen im Hinblick auf den Wort-
laut von Art. 20 Rom I-VO überwiegend als zwingend angesehen wird2, sind die Parteien eines
Schiedsverfahrens jedoch frei, den Schiedsrichtern auch nur das anzuwendende Kollisionsrecht
vorzuschreiben und damit die Vermutung zugunsten einer Sachnormverweisung zu widerle-
gen. Eine auf das Kollisionsrecht beschränkte Rechtswahl ist freilich nur anzunehmen, wenn
ein entsprechender Parteiwille hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist3. Nicht
erforderlich ist aber, dass die Parteien die Rechtswahl selbst vornehmen. Von der in § 1051
Abs. 1 S. 1 ZPO eingeräumten Parteiautonomie ist vielmehr auch das Recht der Parteien um-
fasst, diese Rechtswahl der von ihnen eingeschalteten Schiedsorganisation oder dem Schieds-
gericht zu überlassen4. Damit entspricht das deutsche Recht im Ergebnis der internationalen
Praxis, die eine Bindung an das IPR des Sitzrechts von vorneherein ablehnt. Das Zustandekom-
men und die materielle Wirksamkeit der getroffenen Rechtswahl beurteilen sich in entspre-
chender Anwendung von Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO nach dem gewählten Recht.

bb) Modalitäten
Anders als in Art. 3 Rom I-VO werden die Modalitäten der Rechtswahl in § 1051 Abs. 1 ZPO 7.453
nicht näher präzisiert. Dies gilt insbesondere bezüglich der stillschweigenden, der nachträgli-
chen und der partiellen Rechtswahl. Grundsätzlich dürften jedoch keine Bedenken bestehen,
die in Art. 3 Rom I-VO kodifizierten Regeln des europäischen Vertragskollisionsrechts auch
zur Konkretisierung von § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO ergänzend heranzuziehen5. Demgemäß wird
ein in Deutschland tagendes internationales Schiedsgericht auch eine stillschweigende
Rechtswahl nur annehmen dürfen, wenn diese sich mit hinreichender Sicherheit aus dem In-
halt des Vertrages oder den Umständen des konkreten Falles ergibt (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 2
Rom I-VO). Hierfür lässt man es zwar – dem Grundsatz „qui elegit arbitrum, elegit ius“ fol-
gend – in der Praxis grundsätzlich schon ausreichen, dass die Parteien den Schiedsort in ei-
nem bestimmten Land gewählt haben (vgl. dazu näher Martiny, Rz. 2.92 ff. m.w.N.)6. Dies

1 Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (980); Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 23;
Raeschke-Kessler/Berger Rz. 723; Lachmann Rz. 941; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-
VO Rz. 105 a.E.
2 Vgl. Mallmann, NJW 2008, 2151 (2153 ff.); Rugullis, ZVglRW 106 (2007) 217 (227); Pfeiffer,
EuZW 2008, 622 (623); Martiny in MünchKomm, Art. 20 Rom I-VO Rz. 6 m.w.N.; a.A. Haus-
mann in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 12; Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich,
Art. 20 Rom I-VO Rz. 3.
3 Vgl. § 1051 Abs. 1 S. 2 ZPO: „ausdrücklich“; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 24.
4 Geimer, IZPR Rz. 3870; Schwab/Walter, Kap. 55 Rz. 8; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 724; Handorn,
S. 106 ff.; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130 (135); a.A. Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 17.
5 Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (979 ff.); Martiny in MünchKomm, vor Art. 1
Rom I-VO Rz. 106; Münch in MünchKomm-ZPO, § 1051 Rz. 15. Für eine unmittelbare Bindung
McGuire, SchiedsVZ 2011, 263 ff.
6 Vgl. i.d.S. OLG Hamm v. 25.1.1993 – 8 U 250/91, NJW-RR 1993, 1445 (1446); OLG Düsseldorf v.
14.4.1992 – 18 U 224/91, TranspR 1992, 415; Schiedsgericht der Hamburger freundschaftlichen
Arbitrage v. 29.12.1998, IPRspr. 1998 Nr. 214 = YCA XXIV (1998) 13; ebenso zum UNÜ Nissho
Iwai Corp./M/V Joy Sea (E. D. La. 2002), YCA XXVII (2002) 869 (879); ferner Geimer in Zöller,
§ 1051 ZPO Rz. 3; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 15.

Hausmann | 1197
§ 7 Rz. 7.453 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dürfte freilich nur für ad hoc-Schiedsgerichte gelten, nicht hingegen schon dann, wenn die
Zuständigkeit einer international anerkannten Schiedsinstitution vereinbart wird. So wurde
schon mehrfach zu Recht entschieden, dass allein die Vereinbarung eines ICC-Schiedsgerichts
nicht ausreicht, um eine stillschweigende Wahl des französischen Rechts in der Hauptsache
anzunehmen1. Dagegen spricht bereits, dass die Schiedsordnungen dieser Schiedsinstitutionen
jeweils ausdrückliche Kollisionsregeln für den Fall vorsehen, dass die Parteien keine Rechts-
wahl getroffen haben; diese Vorschriften wären überflüssig, wenn sich die Anwendbarkeit des
Rechts am Sitz der Schiedsorganisation stets schon konkludent aus deren Beauftragung mit
der Durchführung des Verfahrens durch die Parteien ergeben würde (Rz. 2.95 f.)2.

7.454 Die Zulässigkeit einer Teilrechtswahl (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO) folgt in Verfahren vor
Schiedsgerichten bereits daraus, dass die einschlägigen Kollisionsnormen zumeist ausdrück-
lich die Wahl von „Rechtsvorschriften“ erlauben, also nicht die Wahl nur einer bestimmten
Rechtsordnung in toto verlangen3. Auch gegen eine nachträgliche Rechtswahl (vgl. Art. 3
Abs. 2 Rom I-VO) durch die Schiedsparteien – z.B. aus Anlass der Einleitung des Schiedsver-
fahrens – bestehen keine Bedenken, sofern hierdurch nicht die Rechte Dritter beeinträchtigt
werden. Aus dem Umstand allein, dass sich der Schiedsbeklagte gegen die auf ein bestimmtes
Recht gestützten Behauptungen des Schiedsklägers zur Wehr setzt, kann i.d.R. nicht geschlos-
sen werden, dass er der Geltung dieses Rechts stillschweigend zugestimmt habe.

7.455 Die Verweisung in § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO auf „Rechtsvorschriften“ („rules of law“, vgl.
Art. 28 Abs. 1 UNCITRAL-ModG) verdeutlicht weiterhin, dass die Parteien nicht notwendig
auf die Wahl einer einzigen nationalen Rechtsordnung beschränkt sind. Sie können vielmehr
Vorschriften verschiedener Rechtsordnungen miteinander kombinieren4 oder sich auf die
Wahl der Vorschriften eines bestimmten Staatsvertrages – z.B. des UN-Kaufrechts – beschrän-
ken5. Zulässig ist auch die Vereinbarung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen für internationa-
le Handelsverträge6. Vor allem aber sind die Parteien in einem internationalen Schiedsverfah-
ren – anders als nach der Rom I-VO vor staatlichen Gerichten7 – auch berechtigt, sich vom

1 OLG Stuttgart v. 23.5.1960 – 2 U 3/60, AWD 1960, 246; Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-
VO Rz. 52; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 15. Vgl. auch ICC-Schiedsspruch Nr. 2637
(1975), YCA II (1977) 153 f.
2 Im Erg. ebenso Münch in MünchKomm ZPO (vorige Fn.).
3 So ausdrücklich die Begründung zum deutschen Schiedsverfahrensreformgesetz, BT-Drucks. 13/
5274, S. 52; Münch, in: MünchKomm-ZPO, § 1051 Rz. 14; Lachmann Rz. 939; ebenso schon unter
Geltung des EVÜ Berger, DZWiR 1998, 45 (52); Junker, RIW 1998, 742 (745); Osterthun, TranspR
1998, 177 (183); Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (536).
4 Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 3; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 14; Schlosser in
Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 13; Lachmann, Rz. 1672.
5 Jansen/Spilker, RabelsZ 2013, 131 ff.; Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (538); P. Mayer, FS Lous-
souarn (1994), S. 275 ff.; vgl. etwa den ICC-Schiedsspruch Nr. 7585/1994, Clunet 1995, 1015. An-
dererseits umfasst die Wahl des nationalen Rechts eines Vertragsstaats des UN-Kaufrechts auch
die Vorschriften dieses Staatsvertrags. Dies gilt im Zweifel auch für die Streiterledigung durch ein
Schiedsgericht; vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 8324/1995, Clunet 1996, 1019; Nr. 8128/1995,
Clunet 1996, 1024; Nr. 8855/1997, Clunet 2000, 1070; Nr. 7645/1995, YCA XXVI (2000) 130
(131 f.); Nr. 10274/1999, YCA XXIX (2004), 89 (92 ff.).
6 Etwa der UNIDROIT Principles for International Commercial Contracts, vgl. Kronke, RIW 1998,
257 (262); Michaels, RabelsZ 62 (1998), 580 (598); Solomon, RIW 1997, 981 (982); Junker, FS San-
drock (2000), S. 443 (460 f.); Vocke, S. 53 f.; Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 13.
7 Die Rom I-VO verweist durchgängig nur auf das „Recht“ von Staaten, nicht auf „Rechtsregeln“,
vgl. Mankowski in Leible, Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 63 (90 ff.).

1198 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.456 § 7

nationalen Recht völlig zu lösen und das Schiedsgericht zu verpflichten, den Rechtsstreit allein
nach den Grundsätzen und Regeln der „lex mercatoria“ zu entscheiden (dazu näher
Rz. 7.466 ff.).

cc) Schranken
(1) Verbraucherschutz
Besondere Bedeutung hat in jüngerer Zeit die Frage erlangt, ob die besonderen Schranken, die 7.456
einer Rechtswahl der Parteien nach der Rom I-VO in Verbraucher-, Versicherungs- und Ar-
beitssachen gezogen sind (vgl. Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 3, Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO), auch
in Verfahren vor Schiedsgerichten zu beachten sind. Diese Frage wird vor allem in Bezug auf
internationale Verbraucherstreitigkeiten1 diskutiert, die – namentlich im Zusammenhang
mit Börsengeschäften – zunehmend auch von Schiedsgerichten zu entscheiden sind2. Sie wird
von denjenigen positiv beantwortet, die von einer strikten Bindung auch von Schiedsgerichten
an die Rom I-VO ausgehen (dazu näher Rz. 7.443 ff.)3. Eine solche Bindung und damit auch
eine unmittelbare Anwendung der Schranken, die einer Rechtswahl in Verbraucherverträgen
durch Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO gezogen sind, in Verfahren vor Schiedsgerichten ist indessen
aus den in Rz. 7.284 f. genannten Gründen abzulehnen4. Es kann sich deshalb nur die Frage
stellen, ob das Schiedsgericht – trotz des uneingeschränkten Bekenntnisses der für seine Ent-
scheidung maßgeblichen schiedsrechtlichen Kollisionsnormen zur Parteiautonomie – berech-
tigt ist, dem Verbraucher Rechtsschutz in entsprechender Anwendung von Art. 6 Abs. 2
Rom I-VO zu gewähren5. Diese Frage ist im Ergebnis zu bejahen, weil der deutsche Gesetz-
geber bei der Formulierung von § 1051 ZPO nur Streitigkeiten auf dem Gebiet des internatio-
nalen Handels im Blick hatte und in Verkennung der jüngeren Rechtsentwicklung von der feh-
lenden praktischen Bedeutung einer schiedsrichterlichen Erledigung von grenzüberschreiten-
den Verbraucherstreitigkeiten ausging6. Deren gestiegener praktischer Bedeutung ist daher –
ebenso wie bei der Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen (dazu näher Rz. 7.364 ff. m.w.N.)7

Die in Erwägungsgrund (13) angesprochene Verweisung auf nichtstaatliche Regelwerke ist daher
nur materiell-rechtlich gemeint; vgl. Althammer, JA 2008, 773 f.; Garcimartín Alférez, EuLF 2008
I, 67; Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 29 ff. m.w.N.
1 Für Arbeitsverträge spielt die Frage der der Bindung des Schiedsgerichts an Art. 8 Rom I-VO im
Hinblick auf die stark eingeschränkte Schiedsfähigkeit arbeitsrechtlicher Streitigkeiten (vgl. § 1030
Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 111 ff. ArbGG) keine nennenswerte Rolle.
2 Vgl. dazu die in Rz. 7.267 f., Rz. 7.364 ff. zitierte Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH zu
Börsentermingeschäften deutscher Anleger an der New Yorker Börse; ferner schon früher Bork/
Stöve, Schiedsgerichtsbarkeit bei Börsentermingeschäften (1992).
3 Vgl. in Bezug auf das EVÜ die Gesetzesbegründung zum SchiedsverfahrensreformG, BT-Drucks.
13/5274, S. 53.
4 Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1051 ZPO Rz. 12. Vgl. i.d.S schon zu Art. 29 EGBGB a.F. Solo-
mon, RIW 1997, 981 (983); Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (538); a.A. die Regierungsbegrün-
dung, BT-Drucks. 13/5274, S. 52; Junker, RIW 1998, 741 (745).
5 Abl. Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1051 ZPO Rz. 17; Voit in Musielak/Voit, § 1051 ZPO Rz. 3;
ebenso schon unter Geltung des EVÜ Solomon, RIW 1997, 981 (983); Junker, FS Sandrock (2000),
S. 443 (456).
6 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/5274 S. S3.
7 Zur Einschränkung der von den Parteien getroffenen Rechtswahl durch die zwingenden (Form-)
Vorschriften des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, bei Börsen-
termingeschäften deutscher Anleger an der New Yorker Börse vgl. BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 197/
08, NJW-RR 2012, 49 (Rz. 20 ff.) = ZIP 2011, 2325.

Hausmann | 1199
§ 7 Rz. 7.456 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

– im Wege einer analogen Anwendung von Art. 6 Abs. 2, Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO Rechnung
zu tragen1.

(2) Eingriffsnormen
7.457 Sieht man von den besonderen Schranken der Rechtswahl im Interesse der schwächeren Ver-
tragspartei ab, so begrenzt die Rom I-VO die Reichweite des Vertragsstatuts und damit auch
die Parteiautonomie vor allem durch sog. Eingriffsnormen. Darunter sind nach Art. 9 Abs. 1
Rom I-VO solche international zwingenden Vorschriften zu verstehen, deren Einhaltung
von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbeson-
dere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie
ungeachtet des nach der Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts auf alle Sachverhal-
te anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen (dazu näher Rz. 5.1 ff.). Nach
Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO ist ein angerufenes staatliches Gericht insbesondere berechtigt, die
Eingriffsnormen seiner lex fori auch gegenüber einem ausländischen Vertragsstatut durch-
zusetzen. Darüber hinaus besteht gem. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO in engen Grenzen die Mög-
lichkeit, auch den Eingriffsnormen desjenigen Staates Wirkung zu verleihen, in dem die ver-
traglichen Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind.

7.458 Obwohl § 1051 ZPO eine Einschränkung der Parteiautonomie durch Eingriffsnormen in Ver-
fahren vor internationalen Schiedsgerichten nicht ausdrücklich vorsieht, besteht jedoch weit-
hin Einigkeit darüber, dass sich auch Schiedsgerichte über international zwingende Normen
zur Wirtschaftslenkung – z.B. auf dem Gebiet des Devisen- und Währungsrechts, des Wett-
bewerbs- und Kartellrechts, des Kapitalmarkt- oder Grundstücksrechts – nicht ohne weiteres
hinwegsetzen können, wenn diese einen hinreichenden Bezug zum Gegenstand des Verfah-
rens haben2. Die entscheidende Frage lautet aber: Welche Eingriffsnormen, genauer: die Ein-
griffsnormen welcher Staaten, muss ein internationales Schiedsgericht dann berücksichtigen?

7.459 Auch für die Beantwortung dieser – bis heute trotz vielfältiger Bemühungen weithin ungeklär-
ten3 – Frage kommt es wieder darauf an, welche Bedeutung man der Rom I-VO für die inter-
nationale Schiedsgerichtsbarkeit beimisst. Diejenigen Autoren, die für eine Bindung auch von
Schiedsgerichten mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat an die Verordnung plädieren, befürwor-
ten eine Anwendung von Art. 9 Abs. 2 und 3 Rom I-VO auch in Schiedsverfahren4. Danach
hätte also auch ein Schiedsgericht primär die Eingriffsnormen der lex fori, d.h. seines jeweili-
gen Sitzstaates zugrunde zu legen. Dies vermag freilich schon deshalb nicht zu überzeugen,
weil ein internationales Schiedsgericht – anders als ein staatliches Gericht – organisatorisch
nicht in das Rechtssystem seines Sitzstaates eingegliedert ist. Vielmehr wählen die Parteien,
die ihren Sitz in verschiedenen Staaten haben, als Schiedsort nicht selten ein neutrales Land.
Da der Sitzstaat in einem solchen Fall keinerlei Bezug zum streitigen Rechtsverhältnis hat,

1 Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (984); G. Wagner, FS Schumann (2001), S. 535
(550 ff.); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 3; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 20; Seiler in Tho-
mas/Putzo, Rz. 1, jeweils zu § 1051 ZPO; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 109;
s. auch schon Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (538); einschränkend (nur ordre public) Vocke,
S. 122 ff.
2 Kronke, RIW 1998, 257 (263); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 4; Schwab/Walter, Kap. 55 Rz. 9;
Sachs/Niedermeier, FS von Hoffmann (2011), S. 1051 (1062 f.); Schiffer, ZVglRW 90 (1991) 890
m.w.N.
3 Vgl. Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 8; Hilbig, S. 14 ff., jeweils m. umf. Nachw.
4 Vgl. Mankowski, RIW 2011, 30 (42 ff.).

1200 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.460 § 7

wäre es wenig einsichtig, wenn man Schiedsgerichte verpflichten würde, gerade die Eingriffs-
normen ihres häufig zufälligen Sitzstaates anzuwenden, obwohl die Parteien für die Entschei-
dung des Rechtsstreits ein anderes Recht gewählt haben1.

Anders als ein staatlicher Richter ist ein Schiedsrichter bei seiner Sachentscheidung nicht den 7.460
Vorschriften der lex fori, sondern primär dem Parteiauftrag unterworfen. Danach hat er den
Rechtsstreit durch einen wirksamen und vollstreckbaren Schiedsspruch bzw. Schiedsvergleich
zu erledigen. Für die Anwendung von Eingriffsnormen entgegen dem von den Parteien ge-
wählten Vertragsstatut2 folgt daraus, dass ein Schiedsgericht Eingriffsnormen seines Sitzstaa-
tes nur ausnahmsweise dann anzuwenden hat, wenn andernfalls die Unwirksamkeit des
Schiedsspruchs und seine Aufhebung im Sitzstaat droht; denn für diesen Fall scheitert wegen
Art. V Abs. 1 lit. e UNÜ i.d.R. auch die Vollstreckung des Schiedsspruchs in allen anderen
Staaten. Auf der anderen Seite hat ein Schiedsgericht die Eingriffsnormen anderer Staaten in
deutlich weiterem Umfang zu berücksichtigen als ein staatliches Gericht, das fremden Ein-
griffsnormen nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Wirkung
verleihen darf. Denn um die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs in denjenigen Staaten si-
cherzustellen, in denen der Schiedskläger die Vollstreckung voraussichtlich betreiben wird,
empfiehlt es sich für das Schiedsgericht, auch einen Verstoß gegen zwingende Eingriffsnor-
men dieser Staaten – also insbesondere der Sitzstaaten der Parteien – zu vermeiden3; dies gilt
insbesondere bei einem drohenden Verstoß gegen das Kartellrecht potentieller Vollstreckungs-
staaten, auch wenn der streitgegenständliche Vertrag einem abweichenden Recht unterliegt4.
Auch dies zeigt, dass eine strikte Bindung von Schiedsgerichten an die Kollisionsnormen der
Rom I-VO – hier an deren Art. 9 Abs. 2 und 3 – der besonderen Interessenlage der interna-
tionalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht gerecht wird5.

1 Regelmäßig wird es schon am Anwendungswillen der Eingriffsnormen eines dem streitigen Sach-
verhalt gegenüber „neutralen“ Sitzstaates des Schiedsgerichts fehlen; wie hier Pfeiffer, EuZW 2008,
622 (624 f.); Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 8, 14; Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 4,
der einen „ernsthaften Bezug zu den jeweiligen Wertbewegungen“ fordert; a.A. freilich Man-
kowski, RIW 2011, 30 (43 f.); Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 22.
2 Die Eingriffsnormen des von den Parteien gewählten oder objektiv nach § 1051 Abs. 2 ZPO an-
wendbaren Rechts sind in jedem Falle zu beachten, vgl. Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1051
Rz. 26.
3 Vgl. Drobnig, FS Kegel (1987), S. 95; Horn, SchiedsVZ 2008, 209 (214); Blessing, 14 J.Int.Arb. 30 f.;
Lörcher/Lörcher, Rz. 188 ff.; Sachs, SchiedsVZ 2004, 124 (128); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 4;
Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 6; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 741 ff., jeweils m.w.N.
4 Vgl. zur Verpflichtung internationaler Schiedsgerichte zur Anwendung des EU-Kartellrechts
EuGH v. 1.6.1999 – C-126/97, ECLI:EU:C:1999:269 (Eco Swiss Time Ltd. v. Benetton Int’l NV),
Slg. 1999 I, 3079 (3093 f.) = EuZW 1999, 565 = YCA XXIV (1999) 629; Hoge Raad v. 25.2.2000,
N.J. 2000, 2261 m. Anm. Snijders = YCA XXV (2000) 475; schwz. BG v. 28.4.1992, BGE 118 II,
193 = Bull. ASA 1992, 368 = IPRax 1995, 459 (m. Anm. Schnyder, IPRax 1995, 465); schwz. BG v.
13.11.1998, BGE 118 II, 193 = Bull. ASA 1999, 529 (532) = YCA XXV (2000) 511; öOGH v.
23.2.1998, IPRax 2000, 314 (317 f.) m. Anm. Reimer; App. Paris v. 19.5.1993, Rev. arb. 1993, 645;
App. Bologna v. 21.12.1991, YCA XXVIII (1993) 422; ferner die ICC-Schiedssprüche Nr. 6932/
1992, Clunet 1994, 1065; Nr. 7539/1995, Clunet 1996, 1030; Nr. 8626/1996, Clunet 1999, 1074;
Nr. 8423/1998, Clunet 2002, 1079; Nr. 8433/1994, YCA XXVI (2001) 153 (154 ff.); Nr. 8423/1998,
Clunet 2002, 1079 ff.; Nr. 13730, YCA XXXVIII (2013), 80 (99 f.).
5 Dies räumt auch Mankowski, RIW 2011, 30 (43) ein.

Hausmann | 1201
§ 7 Rz. 7.461 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(3) National zwingendes Recht


7.461 Demgegenüber ist die Parteiautonomie in Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten
auch in reinen Inlandssachverhalten nicht in entsprechender Anwendung von Art. 3 Abs. 3
Rom I-VO und bei der Wahl drittstaatlichen Rechts auch nicht durch das zwingende Unions-
recht beschränkt, soweit es sich nicht um Eingriffsnormen i.S.v. Art. 9 Rom I-VO handelt1.
Denn Schiedsgerichte sind nicht Adressaten der Rom I-VO und daher nicht im gleichen
Maße an nur national zwingendes Recht gebunden wie staatliche Gerichte. Daher können die
AGB-Vorschriften der §§ 305 ff. BGB auch in reinen Inlandsfällen vor Schiedsgerichten aus-
geschlossen werden2.

d) Objektive Anknüpfung
7.462 Haben die Parteien das anzuwendende Recht weder ausdrücklich noch stillschweigend durch
Rechtswahl bestimmt, so ist das auf den Rechtsstreit anzuwendende Recht subsidiär im Wege
einer objektiven Anknüpfung zu ermitteln. In diesem Fall hat das Schiedsgericht nach § 1051
Abs. 2 ZPO unmittelbar das Recht des Staates anzuwenden, mit dem der Gegenstand des Ver-
fahrens die engsten Verbindungen aufweist. Durch diese Bezugnahme auf staatliches (Sach-)
Recht wird jedenfalls eine ausschließliche Anwendung von nichtstaatlichem Recht (z.B. der
lex mercatoria) durch das Schiedsgericht im Rahmen der objektiven Anknüpfung des Ver-
tragsstatuts ausgeschlossen (dazu näher Rz. 7.440 f.)3. Damit weicht der deutsche Gesetzgeber
in einem wesentlichen Punkt von der Vorgabe in Art. 28 Abs. 2 UNCITRAL-ModG4 sowie
von den Schiedsordnungen der bekannten Schiedsinstitutionen (Art. 35 Abs. 1 UNCITRAL-
SchiedsO 20105; Art. 21 Abs. 1 ICC-SchiedsO 20126) ab, die das Schiedsgericht ermächtigen,
die von ihm für anwendbar erachteten Kollisionsregeln („conflict of laws rules“) nach pflicht-
gemäßem Ermessen zu ermitteln7. Die internationale Schiedsgerichtspraxis geht insoweit
meist von den kollisionsrechtlichen Grundsätzen aus, die in den vom Rechtsstreit berührten
Rechtsordnungen übereinstimmend gelten8.

7.463 Zur Konkretisierung der „engsten Verbindung“ ist auch ein Schiedsgericht mit Sitz in
Deutschland – wie gezeigt (Rz. 7.445 f.) – an die Vorgaben in Art. 4 Rom I-VO nicht gebun-

1 Ostendorf, SchiedsVZ 2010, 234 (237); Kondring, RIW 2010, 184 (190); Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1051 ZPO Rz. 12; a.A. McGuire, SchiedsVZ 2011, 257 (264 f.); Münch in MünchKomm ZPO,
§ 1051 Rz. 22.
2 Pfeiffer, NJW 2012, 1169 ff.; Schütze in Wieczorek/Schütze, § 1051 Rz. 13.
3 Sandrock, RIW 2000, 321 (325); Handorn, S. 140 ff.; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130 (135); Raesch-
ke-Kessler/Berger Rz. 732; Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 37; Schlosser in Stein/Jonas,
§ 1051 ZPO Rz. 15.
4 Fehlt es an einer Vereinbarung der Parteien, so soll der Schiedsrichter nach Art. 28 Abs. 2 UNCI-
TRAL-ModG von den „conflict of law rules“ ausgehen, die er für anwendbar hält.
5 Art. 35 Abs. 1 UNCITRAL-SchiedsO 2010 gestattet es dem Schiedsrichter, sowohl Kollisionsregeln
als auch direkt materielle Rechtsregeln anzuwenden.
6 Mangels Rechtswahl durch die Parteien hat das Schiedsgericht nach Art. 21 Abs. 1 S. 2 ICC-
SchiedsO 2021 die Rechtsregeln anzuwenden, „die es für geeignet hält“. Es ist nicht verpflichtet, in
einem zweistufigen Verfahren zunächst das maßgebliche Kollisionsrecht festzulegen, sondern
kann sich unmittelbar für ein Sachrecht entscheiden (sog. „voie directe“), vgl. Nedden/Herzberg,
Art. 21 ICC-SchO Rz. 39; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 100.
7 Vgl. ICC-Schiedsspruch Nr. 8113/1995, YCA XXV (2000) 324 (325 ff.).
8 Vgl. Sandrock, RIW 1992, 785 (794 f.); Kronke, RIW 1998, 257 (263); Raeschke-Kessler/Berger,
Rz. 735.

1202 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.463 § 7

den, weil die in dieser Vorschrift normierten Kollisionsregeln für Schiedsgerichte nicht gelten1.
. Schiedsrichter sind allerdings auch nicht daran gehindert, sich zur Bestimmung der „engsten
Verbindung“ in schuldvertraglichen Streitigkeiten am Grundsatz der charakteristischen Leis-
tung und an den detaillierten Vorschriften zur Ermittlung des Schuldners dieser Leistung für
den jeweiligen Vertragstyp in Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO zu orientieren2, die wegen der
Ausweichklausel in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO ohnehin widerleglich sind3. Jedenfalls bei einem
Rechtsstreit zwischen Parteien aus Mitgliedstaaten der EU müsste ein Schiedsgericht wohl so-
gar näher begründen, warum es von den Grundsätzen in Art. 4 Rom I-VO abweicht4. In glei-
cher Weise ist das Schiedsgericht berechtigt, die Sonderregeln für die objektive Anknüpfung
von Beförderungsverträgen (Art. 5 Abs. 2, 3 Rom I-VO), Verbraucherverträgen (Art. 6 Abs. 1
Rom I-VO), Versicherungsverträgen (Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 und Abs. 3 UAbs. 2 Rom I-VO)
und Arbeitsverträgen (Art. 8 Abs. 2–4 Rom I-VO) zu berücksichtigen, wenn es über die engste
Verbindung eines solchen Vertrages nach § 1051 Abs. 2 ZPO zu entscheiden hat5. Der BGH
geht in seiner Rechtsprechung zu Börsentermingeschäften deutscher Anleger an der New Yor-
ker Börse im Rahmen des Einredeverfahrens vor deutschen staatlichen Gerichten bei Fehlen
einer Rechtswahl in st. Rspr. von einer objektiven Anknüpfung dieser Geschäfte sowie der hie-
rauf bezogenen Schiedsvereinbarung an das deutsche Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des
Privatanlegers aus (dazu näher Rz. 7.267 m.w.N.)6; daran müsste sich wohl auch ein Schieds-
gericht mit Sitz in Deutschland orientieren. Ferner hat das Schiedsgericht auch im Rahmen
der Anwendung des objektiv bestimmten Vertragsstatuts international zwingende (Eingriffs-)
Normen im gleichen Umfang zu berücksichtigen wie im Falle einer Rechtswahl.

1 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623); Wegen, FS Kühne (2009), S. 939 ff.; Hausmann, FS von Hoffmann
(2011), S. 971 (982 f.); Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 6; Martiny in MünchKomm, vor
Art. 1 Rom I-VO Rz. 111; offenlassend Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 5; ebenso schon zu den
gesetzlichen Vermutungen nach Art. 4 Abs. 2–4 EVÜ/Art. 28 Abs. 2–4 EGBGB Berger, DZWiR
1998, 45 (52 f.); Solomon, RIW 1997, 981 (983 ff.); Kronke, RIW 1998, 257 (263); Martiny, FS
Schütze (1999), S. 529 (540 f.); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (462); Kulpa, S. 346 f., 351 f.;
a.A. BT-Drucks. 13/5274 S. 33; Lörcher/Lörcher, Rz. 196 f. Vgl. auch BGH v. 8.5.2014 – III ZR
371/12, MDR 2014, 980 = SchiedsVZ 2014, 151 (Rz. 23; zur Abtretung).
2 Für eine Bedeutung von Art. 4 Rom I-VO als bloße Orientierungshilfe zur Konkretisierung der
„engsten Verbindung“ in § 1051 Abs. 2 ZPO die heute wohl h.M., vgl. Schmidt-Ahrendts/Höttler,
SchiedsVZ 2011, 267 (271); Handorn, S. 126 f.; Hartenstein, TranspR 2010, 261 (262); Geimer in
Zöller, § 1051 ZPO Rz. 5; Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 Rz. 15; Schütze in Wieczorek/Schütze,
§ 1051 Rz. 20; Lachmann, Rz. 1676. Dies entspricht einer heute auch von internationalen Schieds-
gerichten vielfach befolgten Praxis, vgl. den ICC-Schiedsspruch Nr. 7205/1993, Clunet 1995, 1031
m. Anm. Derains. Für eine striktere Bindung des Schiedsgerichts an die Vorgaben der Rom I-VO
hingegen Münch in MünchKomm ZPO, § 1051 Rz. 27 ff.
3 Vgl. zur Widerlegung der Vermutung des früheren Art. 4 Abs. 2 EVÜ den ICC-Schiedsspruch
Nr. 5314/1991, YCA XX (1995) 35.
4 Ebenso im Erg. auch Mankowski, RIW 2011, 30 (39); ferner schon Solomon, RIW 1997, 981 (984);
Kronke, RIW 1998, 257 (263), jeweils zum EVÜ.
5 Vgl. zu Verbraucherverträgen Hausmann, FS von Hoffmann (2011), S. 971 (984); Martiny in
MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 119; ebenso zu Art. 29 EGBGB a.F. Martiny, FS Schütze
(1999), S. 529 (541); a.A. (unmittelbare Anwendbarkeit) Lörcher/Lörcher, Rz. 202; Lachmann,
Rz. 943.
6 BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 (Rz. 35) = SchiedsVZ 2011, 46.

Hausmann | 1203
§ 7 Rz. 7.464 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

e) Billigkeitsentscheidung
7.464 Das Schiedsgericht ist grundsätzlich – ebenso wie ein staatliches Gericht – zu einer Rechtsent-
scheidung verpflichtet1. Zu einer reinen Billigkeitsentscheidung („ex aequo et bono“) ist der
Schiedsrichter – in Übereinstimmung mit Art. 21 Abs. 3 ICC-SchO 2012 – nur befugt, wenn
die Parteien ihn hierzu ausdrücklich2 ermächtigt haben; diese Ermächtigung kann bis zur
Entscheidung des Schiedsgerichts erteilt werden, § 1051 Abs. 3 S. 1 ZPO. Auch in diesem Fall
hat das Schiedsgericht gemäß § 1051 Abs. 4 ZPO in Übereinstimmung mit den Bestimmun-
gen des Vertrages und den bestehenden Handelsbräuchen zu entscheiden. Trifft das Schieds-
gericht trotz fehlender ausdrücklicher Ermächtigung eine Billigkeitsentscheidung, so über-
schreitet es seine Entscheidungsbefugnisse und der Schiedsspruch ist aus diesem Grunde nach
§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c ZPO aufzuheben3. Für den umgekehrten Fall gilt dies allerdings nicht;
ein zur Billigkeitsentscheidung ermächtigtes Schiedsgericht kann vielmehr i.d.R. sehr wohl
auch eine Rechtsentscheidung treffen, weil diese nur in seltenen Ausnahmefällen unbillig sein
wird4.

7.465 Eine Überschreitung der Entscheidungsbefugnis liegt ferner auch dann vor, wenn das Schieds-
gericht einen internationalen Rechtsstreit bewusst nach einem anderen materiellen Recht als
dem von den Parteien gewählten Recht oder dem in Ermangelung einer Rechtswahl nach
§ 1051 Abs. 2 ZPO maßgeblichen objektiven Vertragsstatut entschieden hat5. Anders ist hin-
gegen der Fall zu beurteilen, dass das Schiedsgericht irrtümlich das „falsche“ Recht zugrunde
legt, z.B. weil es eine Rechtswahlklausel missversteht oder den Begriff der „engsten Verbin-
dung“ in § 1051 Abs. 2 ZPO fehlerhaft interpretiert. Insoweit handelt es sich lediglich um eine
Verletzung materiellen Rechts, die wegen des Verbots der „révision au fond“ im Aufhebungs-
oder Anerkennungsverfahren nicht korrigiert werden kann6.

f) Anwendung der „lex mercatoria“


aa) Handelsbräuche und „lex mercatoria“
7.466 Nach einer international verbreiteten Auffassung besteht neben dem nationalen Recht und
dem Völkerrecht als dritte Rechtsmasse das transnationale Wirtschaftsrecht, das in Form ei-
ner modernen „lex mercatoria“ den Interessen der am grenzüberschreitenden Handel beteilig-
ten Parteien in besonderem Maße gerecht wird. Die Unzulänglichkeit einzelstaatlichen Rechts
für die Lösung komplexer Probleme des internationalen Wirtschaftsrechts sowie die Schwie-
rigkeiten einer Ermittlung des Vertragsstatuts mit Hilfe des Kollisionsrechts lassen vor allem

1 Geimer, Rz. 3874; Solomon, RIW 1987, 981.


2 Eine stillschweigende Ermächtigung genügt nicht, vgl. OLG München v. 22.6.2005 – 34 Sch 10/05,
SchiedsVZ 2005, 308 (309); Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 24; Geimer in Zöller, § 1051
ZPO Rz. 7; Voit in Musielak/Voit, § 1051 ZPO Rz. 4; ebenso zu Art. 21 Abs. 3 ICC-SchO Nedden/
Herzberg, Rz. 53.
3 OLG München v. 22.6.2005 – 34 Sch 10/05, SchiedsVZ 2005, 308; Hausmann, FS Stoll (2001),
S. 593 (600); Reichold in Thomas/Putzo, § 1059 ZPO Rz. 13; Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 7;
Lachmann, Rz. 1211. Vgl. auch BGH v. 26.9.1985 – III ZR 16/84, BGHZ 96, 40 = NJW 1986,
1436 = ZIP 1985, 1529. 1436.
4 Gottwald, FS Nagel (1987), S. 54 (61); Geimer, Rz. 3875.
5 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 966.
6 Vgl. LG Hamburg v. 18.9.1997 – 305 O 453/96, BB 1999, Beil. Nr. 4, 19 (21) = YCA XXV (2000)
710; Hausmann, FS Stoll (2001), S. 593 (601); Sandrock, JZ 1986, 370 (374); Raeschke-Kessler/Ber-
ger, Rz. 570; Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 9 und § 1059 ZPO Rz. 43. Ebenso zu Art. V UNÜ
Nissho Iwai Corp. v. M/V Joy Sea (E.D. La. 2002), YCA XXVII (2002) 869 (873).

1204 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.468 § 7

internationale Schiedsgerichte häufig auf einen solchen rechtsordnungsübergreifenden Lö-


sungsansatz ausweichen (vgl. dazu schon Rz. 7.455). Der Streit um die Rechtsnatur der lex
mercatoria betrifft insbesondere die Frage ihrer Autonomie gegenüber staatlicher Rechtset-
zung. Während die vor allem in der Praxis internationaler Schiedsgerichte heute überwiegen-
de Auffassung die lex mercatoria als ein eigenständiges Rechtssystem wertet, das internationa-
le Sachverhalte erfasst, ohne dass es hierfür des Rechtsanwendungsbefehls einer staatlichen
Rechtsordnung bedürfte1, lehnt die in Deutschland hL diesen transnationalen Ansatz ab. Ihr
zufolge kann die lex mercatoria lediglich kraft einer vom staatlichen Recht verliehenen Ver-
bindlichkeit existieren2.

Die Meinungsunterschiede rühren z.T. daher, dass bereits über den Inhalt der mit dem Begriff 7.467
der „lex mercatoria“ umschriebenen Regeln keine Einigkeit herrscht. Die Gegner des Konzepts
sehen in der lex mercatoria weder ein Rechtssystem noch überhaupt eine Ansammlung von
Rechtsnormen, sondern lediglich die Gesamtheit der auf die Bedürfnisse der internationalen
Wirtschaft abgestellten Handelsbräuche, dh. das Geflecht der Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen, Verkehrssitten und Handelsusancen, die teils von öffentlich-rechtlichen (z.B. ECE;
UNIDROIT) oder privaten (z.B. ICC; ILA; IATA) Organisationen vorformuliert bzw. auf-
gezeichnet worden sind und in bestimmten Branchen des grenzüberschreitenden Wirtschafts-
verkehrs allgemein zugrunde gelegt werden. Dazu werden etwa die Incoterms, die Einheitli-
chen Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive, die Einheitlichen Richtlinien
für Vertragsgarantien, z.T. auch die ECE-Allgemeinen Liefer- und Montagebedingungen für
den Export von Maschinen und Anlagen gezählt3.

Handelsbräuche und transnationales Recht sind indessen streng zu unterscheiden. Handels- 7.468
bräuche sind selbst keine Rechtsquelle, sondern können allenfalls als Vorstufe für die Ent-
wicklung von Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen und damit auch für die
lex mercatoria dienen4. Im Übrigen finden sie nur nach Maßgabe des als Vertragsstatut gelten-
den nationalen Rechts Anwendung5; dies allerdings auch dann, wenn die Parteien ihre Gel-
tung nicht ausdrücklich vereinbart haben6. Der richtig verstandene Begriff der lex mercatoria

1 Vgl. zu dieser autonomistischen Theorie insb. die vor Rz. 7.438 zitierten Arbeiten von Berger,
Goldman, Fouchard, Kahn und Stein; ferner etwa Schmitthoff, Das neue Recht des Welthandels,
RabelsZ 28 (1964), 59 (68 f.); Schmitthoff, International Trade and Private International Law, FS
Dölle II (1963), S. 264 ff.; Bonell, Das autonome Recht des Welthandels – Rechtsdogmatische und
rechtspolitische Aspekte, RabelsZ 42 (1978), 485 ff.; Schütte, Schiedsklauseln und transnationales
Recht, VersR 1982, 223 ff.
2 Vgl. Kegel/Schurig, § 1 IX, S. 110 f.; von Bar/Mankowski, IPR I § 2 Rz. 75 ff.; W. Lorenz, FS Neu-
mayer (1986), S. 407 ff.; Schlosser, Rz. 197 ff.; Schwab/Walter, Kap. 41 Rz. 18; Spickhoff, RabelsZ 56
(1992), 116 (125 ff.), jeweils m.w.N.; ebenso die ältere Rspr., vgl. RG v. 28.5.1936, JW 1936, 2058
(2059); vgl. auch House of Lords [1983] (Amin Rasheed Shipping Corp. v. Kuwait Insurance Co.),
W.L.R. 1983, 241 (249): „Contracts are incapable of existing in a legal vacuum. They are mere pie-
ces of paper devoid of all legal effects unless made by reference to some system of private law“.
3 Vgl. von Bar/Mankowski, IPR I § 2 Rz. 75 m.w.N.; Gottwald, FS Nagel (1987), S. 54 (64 f.); Pauls-
son, Rev.arb. 1990, 55 (60 ff.); Dasser, S. 63.
4 Böckstiegel, FS Beitzke (1979), S. 443 (457); Schlosser, RIW 1982, 857 (865); Gottwald, FS Nagel
(1987), S. 64 f.; Sandrock, JbPraxSchG 4 (1990), 131 (140); Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (130);
Berger, IPRax 1993, 281 (283); vgl. auch Mustill/Boyd, Commercial Arbitration, 2. Aufl. 1989,
S. 80 ff.
5 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 1051 Abs. 4 ZPO, BT-Drucks. 13/5274, S. 53; Sandrock, RIW
2000, 321 (324); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO Rz. 10.
6 Sandrock, RIW 2000, 321 (325).

Hausmann | 1205
§ 7 Rz. 7.468 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

umfasst demgegenüber nur im internationalen Handelsverkehr quasi gewohnheitsrechtlich


verfestigte Rechtsgrundsätze, wie z.B. die Prinzipien „pacta sunt servanda“, „Treu und Glau-
ben“, „Force Majeure“, „clausula rebus sic stantibus“ oder „exceptio non adimpleti contractus“,
ferner die Verpflichtung der Parteien zur Schadensminderung, die Vertragsauslegung „ut res
mageat quam pereat“ und „contra proferentem“, sowie die devisenrechtliche Risikoverteilung
nach Art. VIII Abs. 2 lit. b des Bretton-Woods-Abkommens1.

7.469 Diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen bloßen Handelsbräuchen und Rechtsnormen


der lex mercatoria hat auch in § 1051 ZPO und anderen modernen Schiedsgesetzen sowie
Schiedsordnungen ihren Niederschlag gefunden, wenn die Schiedsgerichte dort – ähnlich wie
in Art. VII Abs. 1 EuÜ – angehalten werden, stets die anwendbaren Handelsbräuche zu beach-
ten (§ 1051 Abs. 4 ZPO; Art. 21 Abs. 2 ICC-SchO) und den Streit nach den von den Parteien
gewählten „Rechtsvorschriften“ („rules of law“; „règles du droit“) zu entscheiden (§ 1051 Abs. 1
S. 1 ZPO). Der Begriff „Rechtsvorschriften“ umfasst nach der in der internationalen Handels-
schiedsgerichtsbarkeit gängigen Terminologie aber auch nichtstaatliches Recht, insbesondere
die Rechtsgrundsätze der lex mercatoria2.

bb) Voraussetzungen für die Anwendung der „lex mercatoria“ durch internationale
Schiedsgerichte
(1) Internationalität des Vertrages
7.470 Auch die Voraussetzungen für eine Anwendung der Rechtsgrundsätze der lex mercatoria in
dem zuvor beschriebenen engeren Sinn durch internationale Schiedsgerichte sind freilich
nach wie vor streitig. Weithin Einheit besteht lediglich darüber, dass Schiedsrichter die lex
mercatoria dann zugrunde legen dürfen, wenn die Parteien sie ermächtigt haben, nach Billig-
keit („ex aequo et bono“) zu entscheiden3. Daraus wird z.T. gefolgert, dass eine Entscheidung
nach diesen Rechtsgrundsätzen stets eine solche Ermächtigung der Parteien zur Billigkeitsent-
scheidung voraussetze4. Dabei wird freilich nicht hinreichend beachtet, dass es sich bei der lex
mercatoria um Rechtsnormen handelt, deren Bedeutung über die Lösung des konkreten Ein-
zelfalls hinausgeht. Die Ermächtigung zur Entscheidung eines Streits nach dem autonomen
Recht des Welthandels bedeutet nicht, dass der Schiedsrichter sich von der Billigkeit im kon-
kreten Einzelfall leiten lassen darf. Er ist vielmehr zu einer Rechtsentscheidung verpflichtet
und bedarf deshalb keiner Ermächtigung zu einer Entscheidung „ex aequo et bono“5.

1 Vgl. die Zusammenstellung von über 40 Grundsätzen der lex mercatoria bei Berger, International
Economic Arbitration (1993), S. 541 f.; ferner die umfassende Sammlung der vom Center of
Transnational Law entwickelten „Transnational Law Database“; dazu Berger, RIW 2002, 256 ff.
2 Delaume, Transnational Contracts (1988) S. 123 f.; Loquin, Clunet 1983, 293 (305); Berger, RIW
2002, 256 ff. Zur Normqualität der lex mercatoria auch Horn, FS K. Schmidt (2009), S. 724 ff.
3 Vgl. Bredin, L’amiable composition et le contrat, Rev.arb. 1984, 259 (262); Gentinetta S. 204; Das-
ser S. 299 ff.; von Hoffmann S. 228; Schlosser Rz. 191, 732, 749, 836. Vgl. auch die ICC-Schieds-
sprüche Nr. 3540/1980, Clunet 1981, 914 m. Anm. Derains 921 (924) und Nr. 3267/1979, YCA VII
(1982) 96 = Clunet 1980, 962.
4 So von Bar/Mankowski, Bd. I § 2 Rz. 113; von Hoffmann, IPRax 1984, 107 f.; Gottwald, FS Nagel
(1987), S. 54 (65); Triebel/Petzold, RIW 1988, 245 (250).
5 Mustill, Arb. Int. 1988, 86 (103); Lowenfeld, Lex Mercatoria: An Arbitrator’s View, Arb. Int. 1990,
133 (141); Derains, Clunet 1980, 966 f.; Ehricke, JuS 1990, 967 (969); Dasser, S. 209; Berger, IPRax
1993, 281 (285) mwN.

1206 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.472 § 7

Internationale Schiedsgerichte tendieren häufig – insbesondere in Investitionsverträgen mit staat- 7.471


lichen Parteien – bereits dann zu einer stillschweigenden Wahl der lex mercatoria, wenn die Par-
teien keine Wahl eines nationalen Rechts getroffen haben1. Im gleichen Sinne erklären sich die
sog. „Lando Principles of European Contract Law“ bereits dann für anwendbar, „when the parties
have not chosen any system of rules of law to govern their contract“2. Dahinter steht der von Gold-
man entwickelte Gedanke, dass bereits die Internationalität des Vertrages als transnationale Kol-
lisionsnorm die objektive Anknüpfung der lex mercatoria ermögliche3. Dem ist freilich zu wider-
sprechen; die Internationalität des Vertrages ist für die Abwahl staatlichen Rechts und die An-
wendbarkeit der autonomen Rechtsgrundsätze des Welthandels keinesfalls ausreichend4. Erfor-
derlich ist vielmehr eine – zumindest stillschweigende – Verweisung auf diese Grundsätze durch
die Parteien5. Da der Verzicht auf die Wahl eines nationalen Rechts ganz unterschiedliche Gründe
haben kann, ist er allenfalls ein (schwaches) Indiz für die Wahl der lex mercatoria, das notwendig
der Absicherung durch weitere Hinweise auf einen entsprechenden Parteiwillen bedarf6.
ICC-Schiedsspruch Nr. 7319/1992, YCA XXIV (1999) 141:
Rechtswahl in einem Alleinvertriebsvertrag zwischen einem frz. Unternehmen und einem irischen
Vertragshändler zugunsten der „laws and regulations applying to members of the ECC“ nicht als aus-
reichend für die Anwendung der lex mercatoria erachtet.

Dies gilt für Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland insbesondere seit der Kodifikation der 7.472
in Schiedsverfahren anzuwendenden Kollisionsregeln in § 1051 ZPO. Denn nach Abs. 2 dieser
Vorschrift hat das Schiedsgericht dann nicht „Rechtsvorschriften“, sondern „das Recht des
Staates“ anzuwenden, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engste Verbindung auf-
weist7. Deshalb vertrauen die Parteien bei Fehlen einer Rechtswahl darauf, dass die Schieds-
richter das Vertragsstatut nach Maßgabe von § 1051 Abs. 2 ZPO an das Recht eines bestimm-
ten Staates objektiv anknüpfen werden8. Allerdings bleibt eine ergänzende Anwendung der lex
mercatoria zur Ausfüllung von Lücken des hiernach anwendbaren staatlichen Rechts möglich9.

1 Vgl. Sapphire Int’l Petroleum Ltd. v. NIOC, I.L.R. 1967, 136; ICC-Schiedsspruch Nr. 1641/1969,
Clunet 1974, 888; Nr. 2991/1975, Clunet 1976, 989; Nr. 3131/1979, YCA IX (1984) 109 (110);
Nr. 3572/1982 (Deutsche Schachtbau- und Tiefbohr GmbH v. Rakoil), YCA XIV (1989) 111 (117);
Nr. 4131/1982, Clunet 1983, 899; Nr. 4338/1984, Clunet 1985, 981; Nr. 4381/1986, Clunet 1986,
1103; Nr. 5030/1992, Clunet 1993, 1004; Nr. 5565/1986, Clunet 1987, 1039; Nr. 5953/1989, Clunet
1990, 1056; Nr. 8365/1995, Clunet 1997, 1078; ICC-Teilschiedsspruch Nr. 5953 (Primary Coal Inc.
v. Compania Valenciana), Rev.arb. 1990, 701 (711); dazu Berger, IPRax 1993, 281 f.; Schieds-
gerichtshof Wien v. 26.10.1979, YCA VIII (1983) 362; a.A. aber die ICC- Schiedssprüche Nr. 6500/
1992, Clunet 1992, 1915 und Nr. 13129, YCA XXXIV (2009) 231 (240).
2 Art. 1.101 Abs. 3 der „Lando Principles“; dazu Hartkamp u.a. (Hrsg.), Towards an European Civil
Code (1994); Lando in Weyers (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht (1997) 81 (92 ff.); Blaurock,
ZEuP 1993, 247 (257 ff.).
3 Vgl. Goldman, Clunet 1990, 430 (440).
4 Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 13 a.E..
5 Sandrock, RIW 2000, 321 (322 ff.); Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 108; Siehr
in Holl/Klinke, S. 123; Berger, IPRax 1993, 281 (287).
6 Vgl. i.d.S. auch den ICC-Schiedsspruch Nr. 4650/1985, YCA XII (1987) 111 (112); ebenso ICC-
Schiedsspruch Nr. 8873/1997, Clunet 1998, 1917 (zu den UNIDROIT-Principles).
7 Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 2 a.E.
8 Vgl. näher Sandrock, RIW 2000, 321 (325 ff.); zust. Lachmann Rz. 939.
9 Vgl. die Schiedssprüche der öst. Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft v. 15.6.1994, RIW
1995, 590 m. Anm. Schlechtriem (zur Anwendung der UNIDROIT-Principles); ferner die ICC-
Schiedssprüche Nr. 4761/1984, Clunet 1986, 1137; Nr. 4761/1987, Clunet 1987, 1012.

Hausmann | 1207
§ 7 Rz. 7.473 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(2) Wahl der Parteien


7.473 Demgegenüber verdient eine ausdrückliche oder eine – mit hinreichender Sicherheit aus den
Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen zu entnehmende – konkludente Wahl
der lex mercatoria durch die Parteien grundsätzlich Anerkennung1. Der Gesetzgeber hat dies
in § 1051 Abs. 1 ZPO durch die Verwendung des Begriffs „Rechtsvorschriften“ zum Ausdruck
gebracht (vgl. schon Rz. 7.455). Die Bedenken gegen eine von staatlichem Recht losgelöste
Anwendung der lex mercatoria in Verfahren vor staatlichen Gerichten2 können vor internatio-
nalen Schiedsgerichten keine Geltung beanspruchen3. Dies entspricht nicht nur der überwie-
genden internationalen Schiedspraxis4; vielmehr trägt auch die staatliche Gerichtsbarkeit der
zunehmenden Verfestigung und Fortbildung der lex mercatoria als einer eigenständigen
Rechtsquelle Rechnung, indem sie auf dieser Grundlage ergangene Schiedssprüche anerkennt
und vollstreckt5.
LG Hamburg v. 18.9.1997 – 305 O 453/96, BB 1999 Beil. 4 S. 19/21 = YCA XXV (2000) 710
Zur Anerkennung eines frz. Schiedsspruchs, der den Streit über die Zahlungsverpflichtung aus einer
Bankgarantie nach der lex mercatoria entschieden hatte. Überschreitung der Grenzen der Schiedsabre-
de i.S.v. Art. V Abs. 1 lit. c UNÜ durch das Schiedsgericht verneint, weil die Parteien eine Rechtswahl
getroffen hatten, der zufolge die Bankgarantie „shall be governed by international law“.

1 So auch die heute h.M., vgl. schon die Gesetzesbegründung zum Schiedsverfahrensreformgesetz,
BT-Drucks. 13/5274, S. 52: „auf internationaler Ebene erarbeitete Vorschriften“; ferner Labes/Lör-
cher, MDR 1997, 420 (424); Solomon, RIW 1997, 420 (424); Berger, DZWiR 1998, 48 (52); Kronke,
RIW 1998, 257 (262); Martiny, FS Schütze (1999), S. 529 (536 f.); Pfeiffer, NJW 1999, 3678; San-
drock, RIW 2000, 321 (322); Beulker, S. 181 ff.; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130 (134); McGuire,
SchiedsVZ 2011, 257 (265 f.); Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (270); Raeschke-
Kessler/Berger, Rz. 727; Schlosser in Stein/Jonas, § 1051 ZPO Rz. 2; a.A. Hartenstein, TranspR
2010, 261 (262); Lachmann, Rz. 939; Mankowski, RIW 2011, 30 (40 f.) mit grundsätzlicher Kritik
an der lex mercatoria; von Bar/Mankowski, Bd. I § 2 Rz. 77 ff., 86; Münch in MünchKomm ZPO,
§ 1051 Rz. 14.
2 Dazu Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 36 f. m. Nachw.
3 Solomon, RIW 1997, 981 (982); Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (460 f.); Martiny in Münch-
Komm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 108; Kronke, RIW 1998, 257 (263); Geimer in Zöller, § 1051 ZPO
Rz. 4; Schwab/Walter, Kap. 55 Rz. 9; Schiffer, ZVglRW 90 (1991) 890 m.w.N.
4 Vgl. die ICC-Schiedssprüche Nr. 1782/1974, Clunet 1975, 925; Nr. 3540/1980, Clunet 1981, 914;
Nr. 3327/1981, Clunet 1982, 971; dazu Lowenfeld, S. 133 ff.; Paulsson, Rev.arb. 1990, 55 ff.; Berger,
Anm.J.Comp.L. 1998, 129 ff., jeweils m.w.N.
5 Vgl. in Frankreich: Cass. civ. v. 9.12.1981, Rev.arb. 1982, 183 m. Anm. Louchez = Clunet 1982, 931
m. Anm. Oppetit; Cass. v. 9.10.1984, D. 1985, 101 m. Anm. Robert; Cass. civ. v. 6.1.1987, Clunet
1987, 638 m. Anm. Goldman; App. Paris v. 13.7.1989, Rev.arb. 1990, 663 m. Anm. Lagarde = Clu-
net 1990, 430 m. Anm. Goldman, bestätigt durch Cass. civ. v. 22.10.1991, Rev.arb. 1992, 457 m.
Anm. Lagarde = Rev.crit.d.i.p. 1992, 113 m. Anm. Oppetit = Clunet 1992, 177 m. Anm. Goldman;
App. Paris v. 1.9.1989, Rev.crit.dip. 1990, 305 m. Anm. Oppetit; in England: Court of Appeals v.
24.3.1987 (Deutsche Schachtbau- und Tiefbohr GmbH/RAK Oil Co.), 2 All E.R. (1987) 769 =
YCA XIII (1988) 522 (530 ff.); dazu Kappus, IPRax 1990, 133; in Italien: Cass. v. 8.2.1982, Riv.dir.
int.priv.proc. 1982, 829; in Österreich: öOGH v. 18.11.1982 – 8 Ob 520/82, KTS 1983, 666 m.
Anm. Schlosser = IPRax 1984, 97 m. Anm. von Hoffmann 106 = RIW 1993, 868 m. Anm. Seidl-
Hohenveldern = YCA IX (1984) 159; in der Schweiz: OG Zürich v. 9.5.1985, Bl. Zürich. Rspr. 1986,
44; in den USA: The Ministry of Defence of the Islamic Republic of Iran/Cubic Defense Systems,
Inc., 29. F Supp. 2nd 1168 (1173). Vgl. dazu Schroeder/Oppermann, ZVglRW 99 (2000) 410 ff.
m.w.N.; a.A. insb. von Bar/Mankowski, IPR I § 2 Rz. 84 f.

1208 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.476 § 7

Auch in den „UNIDROIT-Principles for International Commercial Contracts“1 wird die Mög- 7.474
lichkeit einer Verweisung der Parteien auf diese „Principles“ ausdrücklich anerkannt2. Mit der
Kodifikation dieser Rechtsgrundsätze ist auch dem Bedenken der Unberechenbarkeit der Fallent-
scheidung durch internationale Schiedsgerichte auf der Grundlage der lex mercatoria in erhebli-
chem Umfang der Boden entzogen worden3. Die Gefahr einer Benachteiligung der schwächeren
Vertragspartei oder der Umgehung international zwingender Normen ist aber nicht größer als
bei einer Entscheidung nach nationalem Recht, weil auch die lex mercatoria in der Praxis der
internationalen Schiedsgerichte durch den transnationalen ordre public und die wirtschaftsrecht-
lichen Eingriffsnormen der Staaten begrenzt wird, mit denen der Sachverhalt eine hinreichend
enge Verbindung aufweist4. Erst recht bestehen keine Bedenken gegen die verbreitete Praxis in-
ternationaler Schiedsgerichte, die in dem von den Parteien gewählten nationalen Recht gefunde-
ne Lösung durch den Hinweis auf entsprechende Regeln der lex mercatoria zu untermauern5.

VII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung


1. Allgemeines
a) Durch eine Schiedsvereinbarung wird festgelegt, dass die Entscheidung einer Rechtsstrei- 7.475
tigkeit unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs durch Schiedsrichter erfolgen soll. Sie ist
auch für die Zwecke des Kollisionsrechts abzugrenzen von anderen Vereinbarungen, die häufig
zusammen mit ihr getroffen werden:
– dem Hauptvertrag, auf den sich die Schiedsvereinbarung bezieht;
– Vereinbarungen über das schiedsrichterliche Verfahren;
– dem Schiedsrichtervertrag zwischen den Parteien und dem Schiedsrichter und
– einer parallel getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung.

b) Da das Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit heute durch ein Geflecht multi- 7.476
und bilateraler Staatsverträge gekennzeichnet ist, muss in einem ersten Schritt geklärt werden,
ob staatsvertragliche Regelungen eingreifen. In Betracht kommen insbesondere
– das New Yorker UN-Übereinkommen von 1958 (UNÜ) und
– das Genfer Europäische Übereinkommen von 1961 (EuÜ).

1 Neufassung von 2010, abgedruckt auf der Homepage von UNIDROIT sowie in deutscher Überset-
zung in ZEuP 2013, 165 ff.
2 Zur Anwendung der „Principles“ in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vgl. ICC-Schieds-
spruch Nr. 10422/2001, Clunet 2003, 1143.
3 Vgl. dazu näher das Dossier des Institute of International Business Law and Practice (1995): UNI-
DROIT Principles for International Commercial Contracts – A New Lex Mercatoria?; ferner Bo-
nell, Verification of Law by Nonlegislative Means, The UNIDROIT Draft Principles for Interna-
tional Commercial Contracts, Am.J.Comp.L. 40 (1992) 617 ff.; Wichard, RabelsZ 60 (1996),
269 ff.; Boele-Woelki, IPRax 1997, 161 (164 ff.).
4 Vgl. Lalive, Ordre Public Transnational (Ou Réellement International) Et Arbitrage International,
Rev.arb. 1986, 329 ff.; Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 741 ff.; Schiffer, S. 62 ff. Dagegen für eine wei-
tergehende Begrenzung der vereinbarten Rechtsgrundsätze des internationalen Handels durch die
zwingenden Vorschriften des – nach allg. Grundsätzen ermittelten – Vertragsstatuts Giardina,
Clunet 1995, 547 (549 f.); Sandrock, RIW 2000, 321 (322).
5 So zu den UNIDROIT-Principles ICC-Schiedsspruch Nr. 7710/1995, Clunet 2001, 1148 m. Anm.
Derains und Nr. 8486/1996, Clunet 1998, 1047/1048 f. m. Anm. Derains; Raeschke-Kessler/Berger
Rz. 728 ff.

Hausmann | 1209
§ 7 Rz. 7.477 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.477 Unter den bilateralen Abkommen enthalten Vorschriften über die Anerkennung von Schieds-
vereinbarungen insbesondere
– der deutsch-amerikanische Freundschaftsvertrag von 1954 und
– der deutsch-tunesische Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag von 1966.

7.478 c) Der Anwendungsbereich der beiden wichtigsten Staatsverträge wird unterschiedlich be-
stimmt:

7.479 Das UNÜ ist nach seinem Art. I Abs. 1 anwendbar, wenn der Schiedsspruch in einem ande-
ren als dem Vollstreckungsstaat erlassen worden ist oder im Vollstreckungsstaat nicht als „in-
ländischer“ Schiedsspruch gilt. Die Bundesrepublik Deutschland hat den von ihr zunächst ein-
gelegten Territorialitätsvorbehalt nach Art. I Abs. 3 S. 1 UNÜ mit Wirkung vom 31.8.1998
zurückgenommen, so dass das Übereinkommen heute auch auf Schiedssprüche anzuwenden
ist, die im Hoheitsgebiet eines Nichtvertragsstaates ergangen sind. Schiedsvereinbarungen
unterliegen dementsprechend dem UNÜ, wenn der vereinbarte Schiedsort in einem anderen
Staat als dem Anerkennungsstaat liegt.

7.480 Ausgangspunkt für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des EuÜ ist nicht der Schieds-
spruch, sondern die Schiedsvereinbarung. Nach Art. I Abs. 1 EuÜ ist das EuÜ anwendbar,
wenn die Parteien der Schiedsvereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Sitz bei Ver-
tragsschluss in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Darüber hinaus muss die Schiedsverein-
barung die Regelung von Streitigkeiten aus „internationalen Handelsgeschäften“ betreffen.

7.481 Fällt eine Schiedsvereinbarung in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich meh-
rerer Staatsverträge, so ist in einem weiteren Schritt das Konkurrenzverhältnis zu klären. Da-
bei gilt im Verhältnis UNÜ-EuÜ die Grundregel „lex posterior derogat legi priori“. Im Verhält-
nis des UNÜ zu bilateralen Übereinkommen und zum autonomen Recht gilt der Meist-
begünstigungsgrundsatz nach Art. VII Abs. 1 UNÜ.

2. Statut der Schiedsvereinbarung


7.482 a) Das auf die Schiedsvereinbarung anzuwendende Recht ist im Geltungsbereich des UNÜ so-
wohl im Anerkennungs- wie im Einredeverfahren gem. Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ in erster Linie
nach dem von den Parteien gewählten Recht zu beurteilen; in Ermangelung einer Rechtswahl
richtet sich die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nach dem Recht des Landes, in dem der
Schiedsspruch ergangen ist bzw. ergehen soll. Die gleichen Kollisionsregeln gelten für Schieds-
vereinbarungen auch gem. Art. VI Abs. 2 EuÜ.

7.483 b) Ausgangspunkt für die Anknüpfung der Schiedsvereinbarung nach autonomem Recht ist
§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO. Die dort für das Aufhebungsverfahren normierte Kollisions-
regel ist in allen anderen Verfahrensstadien entsprechend anzuwenden. Maßgebend ist danach
in erster Linie der Grundsatz der Parteiautonomie. Die Rechtswahl kann auch noch nachträg-
lich (z.B. im Einredeverfahren) oder stillschweigend getroffen werden. Anhaltspunkte für eine
konkludente Rechtswahl sind einerseits das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht, anderer-
seits das gewählte Verfahrensstatut. Bei Fehlen einer gesonderten Rechtswahl für die Schieds-
vereinbarung verdient die Anknüpfung an das Recht des Schiedsorts den Vorzug vor dem
Gleichlauf zwischen Schiedsvertrags- und Hauptsachestatut.

1210 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.488 § 7

c) Das Statut der Schiedsvereinbarung entscheidet über diejenigen Fragen, die im staatsver- 7.484
traglichen oder autonomen Recht nicht durch vereinheitlichte Sachnormen geregelt sind und
für die keine Sonderanknüpfungen bestehen. Es gilt insbesondere für
– das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung;
– die Auslegung und objektive Reichweite der Schiedsvereinbarung (z.B. Erstreckung auf au-
ßervertragliche Ansprüche);
– die Aufhebung und Abänderung der Schiedsvereinbarung.

3. Form der Schiedsvereinbarung


a) Im Geltungsbereich des UNÜ hängt die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung nach Art. II 7.485
Abs. 2 UNÜ von der Einhaltung der dort normierten Formerfordernisse ab. Danach muss die
Schiedsvereinbarung entweder von beiden Parteien unterzeichnet oder in Briefen, Telegram-
men bzw. elektronischer Kommunikation enthalten sein, die sie gewechselt haben. Ausrei-
chend ist auch eine in AGB enthaltene Schiedsklausel, sofern die von den Parteien unterzeich-
nete Urkunde oder die ausgetauschten Schreiben ausdrücklich auf die AGB Bezug nehmen
und der Vertragspartner des Verwenders eine ausreichende Möglichkeit zur Kenntnisnahme
der formularmäßigen Schiedsklausel hatte. Formerleichterungen gelten im Rahmen laufender
Geschäftsbeziehungen und bei der Verwendung branchenüblicher AGB. Das Schweigen auf
ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das erstmals die Schiedsklausel enthält, genügt
hingegen ebenso wenig wie die bloße Entgegennahme eines Konnossements, das pauschal auf
die Bedingungen des – die Schiedsklausel enthaltenden – Chartervertrages verweist. Die
Formvorschrift in Art. II Abs. 2 UNÜ verdrängt schärfere Formanforderungen des nationalen
Rechts (z.B. § 1031 Abs. 5 ZPO). Aufgrund der Meistbegünstigungsklausel in Art. VII Abs. 1
UNÜ behalten jedoch mildere Formvorschriften des nationalen Rechts (z.B. § 1031 Abs. 2
und 3 ZPO) auch im Anwendungsbereich des UNÜ Bedeutung.

b) Die Voraussetzungen der Formgültigkeit von Schiedsvereinbarungen nach dem EuÜ (Art. I 7.486
Abs. 2 lit. a HS. 1 EuÜ) stimmen mit Art. II Abs. 2 UNÜ überein. Die Einhaltung der Schirift-
form ist jedoch im Rahmen des EuÜ nicht zwingend vorgeschrieben. Ausreichend ist vielmehr
auch die Einhaltung der Formerfordernisse nach nationalem Recht, wobei es auf das Sitzrecht
beider Vertragspartner ankommt.

c) Im autonomen deutschen Recht ist die Form der Schiedsvereinbarung auf Grund des in 7.487
§ 1025 Abs. 1 ZPO normierten Territorialitätsprinzips von deutschen staatlichen wie Schieds-
gerichten stets nach § 1031 ZPO zu beurteilen, wenn der Schiedsort im Inland liegt. Liegt er
im Ausland, so sollte die Formgültigkeit der Schiedsvereinbarung nach der lex fori des gewähl-
ten ausländischen Schiedsstaates beurteilt werden.

4. Zulässigkeit einer Schiedsvereinbarung


a) Eine Schiedsvereinbarung ist sowohl nach dem UNÜ (Art. II Abs. 1 UNÜ) wie nach auto- 7.488
nomem deutschen Recht (§ 1029 Abs. 1 ZPO) nur gültig, wenn sie sich auf Rechtsstreitigkei-
ten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis bezieht und wenn ferner das zur Entscheidung
berufene Schiedsgericht hinreichend bestimmbar ist. Insoweit handelt es sich um prozessuale
Zulässigkeitsschranken, die im Einredeverfahren vor deutschen staatlichen Gerichten ohne
Rücksicht auf den Standpunkt des Statuts der Schiedsvereinbarung gelten. Demgegenüber

Hausmann | 1211
§ 7 Rz. 7.488 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

muss sich die Schiedsvereinbarung nach dem EuÜ nicht auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis
beziehen.

7.489 b) Über die objektive Schiedsfähigkeit ist sowohl im Rahmen der Anerkennung und Vollstre-
ckung ausländischer Schiedssprüche wie im Einredeverfahren ausschließlich nach Maßgabe
der lex fori zu entscheiden; auf die Schiedsfähigkeit nach dem hiervon abweichenden Statut
der Schiedsvereinbarung kommt es daher in Verfahren vor deutschen Gerichten nicht an.
Dies gilt gleichermaßen im Geltungsbereich der Staatsverträge (Art. V Abs. 2 lit. a UNÜ;
Art. VI Abs. 2 S. 2 EuÜ) wie nach dem autonomen deutschen Recht. Demgegenüber wird die
subjektive Schiedsfähigkeit gesondert nach nationalem Kollisionsrecht angeknüpft.

7.490 c) Trotz objektiver Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes können sich weitere Schranken für
die Anerkennung internationaler Schiedsvereinbarungen ergeben:
– aus inländischen Eingriffsnormen;
– wegen Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit;
– wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot;
– wegen sonstiger Verletzungen des deutschen ordre public.

5. Wirkungen der Schiedsvereinbarung


7.491 a) Die Hauptwirkung der Schiedsvereinbarung besteht im Ausschluss der staatlichen Ge-
richtsbarkeit. Voraussetzungen und Schranken für die Erhebung der Schiedseinrede sind so-
wohl im UNÜ (Art. II Abs. 3) als auch im EuÜ (Art. V, VI) geregelt. Im Übrigen gilt im Ein-
redeverfahren vor deutschen Gerichten § 1032 ZPO.

7.492 b) Über die Drittwirkungen einer Schiedsvereinbarung, d.h. den Kreis der an eine solche Ver-
einbarung gebundenen Personen (Rechtsnachfolger, Gesellschafter, weitere Konzerngesell-
schaften), sollte entgegen der hM nicht das Schiedsvereinbarungsstatut, sondern das Recht
entscheiden, dem die Rechtsbeziehungen zwischen einer Partei der Schiedsvereinbarung und
dem an sie potentiell gebundenen Dritten unterliegen.

6. Das in Schiedsverfahren auf die Hauptsache anzuwendende Recht


7.493 a) Im Geltungsbereich des EuÜ wird das vom Schiedsgericht in der Hauptsache anzuwenden-
de Recht nach Art. VII EuÜ bestimmt. Danach gilt der Grundsatz der Parteiautonomie. Man-
gels Rechtswahl wird die Bestimmung des anwendbaren Rechts dem pflichtgemäßen Ermes-
sen des Schiedsgerichts überlassen.

7.494 b) Internationale Schiedsgerichte sind auch außerhalb des vorrangig anzuwendenden EuÜ
nicht an die Vorgaben der Rom I-VO gebunden. Sie sind jedoch nicht gehindert, die Verord-
nung zur Konkretisierung der in nationalen Schiedsgesetzen oder in Schiedsordnungen ent-
haltenen Kollisionsnormen ergänzend heranzuziehen.

7.495 c) Schiedsgerichte mit Sitz in Deutschland haben aufgrund des Territorialitätspinzips (§ 1025
Abs. 1 ZPO) zur Bestimmung des in der Hauptsache anzuwendenden Rechts die Kollisions-
normen in § 1051 ZPO zu respektieren. Auch danach können die Parteien das anwendbare
Recht ausdrücklich oder stillschweigend wählen. Der Rechtswahl sind allerdings vor allem
durch die Eingriffsnormen derjenigen Staaten, in denen der Schiedsspruch anschließend voll-
streckt werden soll, Schranken gezogen.

1212 | Hausmann
B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.501 § 7

In Ermangelung einer Rechtswahl hat das Schiedsgericht dasjenige Recht anzuwenden, zu

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