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Deutschland.
Ein Wintermärchen
Heine, Heinrich, 1797-1856
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Seite 7
Deutschland
Ein Wintermärchen
Geschrieben im Januar 1844

Seite 9
Caput I
1
Im traurigen Monat November war's,
2
Die Tage wurden trüber,
3
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
4
Da reist' ich nach Deutschland hinüber.
5
Und als ich an die Grenze kam,
6
Da fühlt' ich ein stärkeres Klopfen
7
In meiner Brust, ich glaube sogar,
8
Die Augen begunnen zu tropfen.
9
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
10
Da ward mir seltsam zumute;
11
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
12
Recht angenehm verblute.
13
Ein kleines Harfenmädchen sang.
14
Sie sang mit wahrem Gefühle
15
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
16
Gerühret von ihrem Spiele.
17
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
18
Aufopfrung und Wiederfinden
19
Dort oben, in jener besseren Welt,
20
Wo alle Leiden schwinden.
21
Sie sang vom irdischen Jammertal,
22
Von Freuden, die bald zerronnen,
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23
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
24
Verklärt in ew'gen Wonnen.
25
Sie sang das alte Entsagungslied,
26
Das Eiapopeia vom Himmel,
27
Womit man einlullt, wenn es greint,
28
Das Volk, den großen Lümmel.
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29
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
30
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
31
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
32
Und predigten öffentlich Wasser.
33
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
34
O Freunde, will ich euch dichten!
35
Wir wollen hier auf Erden schon
36
Das Himmelreich errichten.
37
Wir wollen auf Erden glücklich sein
38
Und wollen nicht mehr darben;
39
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
40
Was fleißige Hände erwarben.
41
Es wächst hienieden Brot genug
42
Für alle Menschenkinder,
43
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
44
Und Zuckererbsen nicht minder.
45
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
46
Sobald die Schoten platzen!
47
Den Himmel überlassen wir
48
Den Engeln und den Spatzen.
49
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
50
So wollen wir euch besuchen
51
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
52
Die seligsten Torten und Kuchen.
53
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
54
Es klingt wie Flöten und Geigen!
55
Das Miserere ist vorbei,
56
Die Sterbeglocken schweigen.
57
Die Jungfer Europa ist verlobt
58
Mit dem schönen Geniusse
59
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,

60
Sie schwelgen im ersten Kusse.
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61
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
62
Die Ehe wird gültig nicht minder --
63
Es lebe Bräutigam und Braut,
64
Und ihre zukünftigen Kinder!
65
Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
66
Das bessere, das neue!
67
In meiner Seele gehen auf
68
Die Sterne der höchsten Weihe --
69
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
70
Zerfließen in Flammenbächen --
71
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
72
Ich könnte Eichen zerbrechen!
73
Seit ich auf deutsche Erde trat,
74
Durchströmen mich Zaubersäfte --
75
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
76
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.
Caput II
1
Während die Kleine von Himmelslust
2
Getrillert und musizieret,
3
Ward von den preußischen Douaniers
4
Mein Koffer visitieret.
5
Beschnüffelten alles, kramten herum
6
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
7
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
8
Auch nach verbotenen Büchern.
9
Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
10
Hier werdet ihr nichts entdecken!
11
Die Contrebande, die mit mir reist,
12
Die hab ich im Kopfe stecken.
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Hier hab ich Spitzen, die feiner sind
14
Als die von Brüssel und Mecheln,
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Und pack ich einst meine Spitzen aus,
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Sie werden euch sticheln und hecheln.
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Im Kopfe trage ich Bijouterien,
18
Der Zukunft Krondiamanten,

19
Die Tempelkleinodien des neuen Gotts,
20
Des großen Unbekannten.
21
Und viele Bücher trag ich im Kopf!
22
Ich darf es euch versichern,
23
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
24
Von konfiszierlichen Büchern.
25
Glaubt mir, in Satans Bibliothek
26
Kann es nicht schlimmere geben;
27
Sie sind gefährlicher noch als die
28
Von Hoffmann von Fallersleben! --
29
Ein Passagier, der neben mir stand,
30
Bemerkte mir, ich hätte
31
Jetzt vor mir den preußischen Zollverein,
32
Die große Douanenkette.
33
»Der Zollverein« --bemerkte er --
34
»Wird unser Volkstum begründen,
35
Er wird das zersplitterte Vaterland
36
Zu einem Ganzen verbinden.
37
Er gibt die äußere Einheit uns,
38
Die sogenannt materielle;
39
Die geistige Einheit gibt uns die Zensur,
40
Die wahrhaft ideelle --
41
Sie gibt die innere Einheit uns,
42
Die Einheit im Denken und Sinnen;
43
Ein einiges Deutschland tut uns not,
44
Einig nach außen und innen.«
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Caput III
1
Zu Aachen, im alten Dome, liegt
2
Carolus Magnus begraben.
3
(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl
4
Mayer, der lebt in Schwaben.)
5
Ich möchte nicht tot und begraben sein
6
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
7
Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet
8
Zu Stukkert am Neckarstrome.
9
Zu Aachen langweilen sich auf der Straß'
10
Die Hunde, sie flehn untertänig:

11
»Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
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Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.«
13
Ich bin in diesem langweil'gen Nest
14
Ein Stündchen herumgeschlendert.
15
Sah wieder preußisches Militär,
16
Hat sich nicht sehr verändert.
17
Es sind die grauen Mäntel noch,
18
Mit dem hohen, roten Kragen --
19
(Das Rot bedeutet Franzosenblut,
20
Sang Körner in früheren Tagen.)
21
Noch immer das hölzern pedantische Volk,
22
Noch immer ein rechter Winkel
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In jeder Bewegung, und im Gesicht
24
Der eingefrorene Dünkel.
25
Sie stelzen noch immer so steif herum,
26
So kerzengrade geschniegelt,
27
Als hätten sie verschluckt den Stock,
28
Womit man sie einst geprügelt.
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29
Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie,
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Sie tragen sie jetzt im Innern;
31
Das trauliche Du wird immer noch
32
An das alte Er erinnern.
33
Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur
34
Des Zopftums neuere Phase:
35
Der Zopf, der ehmals hinten hing,
36
Der hängt jetzt unter der Nase.
37
Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm
38
Der Reuter, das muß ich loben,
39
Besonders die Pickelhaube, den Helm,
40
Mit der stählernen Spitze nach oben.
41
Das ist so rittertümlich und mahnt
42
An der Vorzeit holde Romantik,
43
An die Burgfrau Johanna von Montfaucon,
44
An den Freiherrn Fouqué, Uhland, Tieck.
45
Das mahnt an das Mittelalter so schön,
46
An Edelknechte und Knappen,
47
Die in dem Herzen getragen die Treu

48
Und auf dem Hintern ein Wappen.
49
Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,
50
An Minne und frommes Dienen,
51
An die ungedruckte Glaubenszeit,
52
Wo noch keine Zeitung erschienen.
53
Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt
54
Vom allerhöchsten Witze!
55
Ein königlicher Einfall war's!
56
Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!
57
Nur fürcht ich, wenn ein Gewitter entsteht,
58
Zieht leicht so eine Spitze
59
Herab auf euer romantisches Haupt
60
Des Himmels modernste Blitze! -- --
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61
Zu Aachen, auf dem Posthausschild,
62
Sah ich den Vogel wieder,
63
Der mir so tief verhaßt! Voll Gift
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Schaute er auf mich nieder.
65
Du häßlicher Vogel, wirst du einst
66
Mir in die Hände fallen,
67
So rupfe ich dir die Federn aus
68
Und hacke dir ab die Krallen.
69
Du sollst mir dann, in luft'ger Höh',
70
Auf einer Stange sitzen,
71
Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei
72
Die rheinischen Vogelschützen.
73
Wer mir den Vogel herunterschießt,
74
Mit Zepter und Krone belehn ich
75
Den wackern Mann! Wir blasen Tusch
76
Und rufen: »Es lebe der König!«
Caput IV
1
Zu Köllen kam ich spät abends an,
2
Da hörte ich rauschen den Rheinfluß,
3
Da fächelte mich schon deutsche Luft,
4
Da fühlt' ich ihren Einfluß --
5
Auf meinen Appetit. Ich aß
6
Dort Eierkuchen mit Schinken,
7
Und da er sehr gesalzen war,

8
Mußt' ich auch Rheinwein trinken.
9
Der Rheinwein glänzt noch immer wie Gold
10
Im grünen Römerglase,
11
Und trinkst du etwelche Schoppen zuviel,
12
So steigt er dir in die Nase.
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In die Nase steigt ein Prickeln so süß,
14
Man kann sich vor Wonne nicht lassen!
15
Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,
16
In die widerhallenden Gassen.
17
Die steinernen Häuser schauten mich an,
18
Als wollten sie mir berichten
19
Legenden aus altverschollener Zeit,
20
Der heil'gen Stadt Köllen Geschichten.
21
Ja, hier hat einst die Klerisei
22
Ihr frommes Wesen getrieben,
23
Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,
24
Die Ulrich von Hutten beschrieben.
25
Der Cancan des Mittelalters ward hier
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Getanzt von Nonnen und Mönchen;
27
Hier schrieb Hochstraaten, der Menzel von Köln,
28
Die gift'gen Denunziatiönchen.
29
Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
30
Bücher und Menschen verschlungen;
31
Die Glocken wurden geläutet dabei
32
Und Kyrie eleison gesungen.
33
Dummheit und Bosheit buhlten hier
34
Gleich Hunden auf freier Gasse;
35
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
36
An ihrem Glaubenshasse. --
37
Doch siehe! dort im Mondenschein
38
Den kolossalen Gesellen!
39
Er ragt verteufelt schwarz empor,
40
Das ist der Dom von Köllen.
41
Er sollte des Geistes Bastille sein,
42
Und die listigen Römlinge dachten:
43
In diesem Riesenkerker wird
44
Die deutsche Vernunft verschmachten!

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45
Da kam der Luther, und er hat
46
Sein großes ›Halt!‹ gesprochen --
47
Seit jenem Tage blieb der Bau
48
Des Domes unterbrochen.
49
Er ward nicht vollendet --und das ist gut.
50
Denn eben die Nichtvollendung
51
Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft
52
Und protestantischer Sendung.
53
Ihr armen Schelme vom Domverein,
54
Ihr wollt mit schwachen Händen
55
Fortsetzen das unterbrochene Werk
56
Und die alte Zwingburg vollenden!
57
O törichter Wahn! Vergebens wird
58
Geschüttelt der Klingelbeutel,
59
Gebettelt bei Ketzern und Juden sogar;
60
Ist alles fruchtlos und eitel.
61
Vergebens wird der große Franz Liszt
62
Zum Besten des Doms musizieren,
63
Und ein talentvoller König wird
64
Vergebens deklamieren!
65
Er wird nicht vollendet, der Kölner Dom,
66
Obgleich die Narren in Schwaben
67
Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff
68
Voll Steine gesendet haben.
69
Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei
70
Der Raben und der Eulen,
71
Die, altertümlich gesinnt, so gern
72
In hohen Kirchtürmen weilen.
73
Ja, kommen wird die Zeit sogar,
74
Wo man, statt ihn zu vollenden,
75
Die inneren Räume zu einem Stall
76
Für Pferde wird verwenden.
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77
»Und wird der Dom ein Pferdestall,
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Was sollen wir dann beginnen
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Mit den Heil'gen Drei Kön'gen, die da ruhn
80
Im Tabernakel da drinnen?«

81
So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns
82
In unserer Zeit zu genieren?
83
Die Heil'gen Drei Kön'ge aus Morgenland,
84
Sie können woanders logieren.
85
Folgt meinem Rat und steckt sie hinein
86
In jene drei Körbe von Eisen,
87
Die hoch zu Münster hängen am Turm,
88
Der Sankt Lamberti geheißen.
89
Fehlt etwa einer vom Triumvirat,
90
So nehmt einen anderen Menschen,
91
Ersetzt den König des Morgenlands
92
Durch einen abendländ'schen.
Caput V
1
Und als ich an die Rheinbrück' kam,
2
Wohl an die Hafenschanze,
3
Da sah ich fließen den Vater Rhein
4
Im stillen Mondenglanze.
5
»Sei mir gegrüßt, mein Vater Rhein,
6
Wie ist es dir ergangen?
7
Ich habe oft an dich gedacht
8
Mit Sehnsucht und Verlangen.«
9
So sprach ich, da hört' ich im Wasser tief
10
Gar seltsam grämliche Töne,
11
Wie Hüsteln eines alten Manns,
12
Ein Brümmeln und weiches Gestöhne:
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13
»Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
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Daß du mich nicht vergessen;
15
Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,
16
Mir ging es schlecht unterdessen.
17
Zu Biberich hab ich Steine verschluckt,
18
Wahrhaftig sie schmeckten nicht lecker!
19
Doch schwerer liegen im Magen mir
20
Die Verse von Niklas Becker.
21
Er hat mich besungen, als ob ich noch
22
Die reinste Jungfer wäre,
23
Die sich von niemand rauben läßt
24
Das Kränzlein ihrer Ehre.

25
Wenn ich es höre, das dumme Lied,
26
Dann möcht ich mir zerraufen
27
Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
28
Mich in mir selbst ersaufen!
29
Daß ich keine reine Jungfer bin,
30
Die Franzosen wissen es besser,
31
Sie haben mit meinem Wasser so oft
32
Vermischt ihr Siegergewässer.
33
Das dumme Lied und der dumme Kerl!
34
Er hat mich schmählich blamieret,
35
Gewissermaßen hat er mich auch
36
Politisch kompromittieret.
37
Denn kehren jetzt die Franzosen zurück,
38
So muß ich vor ihnen erröten,
39
Ich, der um ihre Rückkehr so oft
40
Mit Tränen zum Himmel gebeten.
41
Ich habe sie immer so lieb gehabt,
42
Die lieben kleinen Französchen --
43
Singen und springen sie noch wie sonst?
44
Tragen noch weiße Höschen?
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45
Ich möchte sie gerne wiedersehn,
46
Doch fürcht ich die Persiflage,
47
Von wegen des verwünschten Lieds,
48
Von wegen der Blamage.
49
Der Alfred de Müsset, der Gassenbub,
50
Der kommt an ihrer Spitze
51
Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor
52
All seine schlechten Witze.«
53
So klagte der arme Vater Rhein,
54
Konnt' sich nicht zufriedengeben.
55
Ich sprach zu ihm manch tröstendes Wort,
56
Um ihm das Herz zu heben:
57
»Oh, fürchte nicht, mein Vater Rhein,
58
Den spöttelnden Scherz der Franzosen;
59
Sie sind die alten Franzosen nicht mehr,
60
Auch tragen sie andere Hosen.

61
Die Hosen sind rot und nicht mehr weiß,
62
Sie haben auch andere Knöpfe,
63
Sie singen nicht mehr, sie springen nicht mehr,
64
Sie senken nachdenklich die Köpfe.
65
Sie philosophieren und sprechen jetzt
66
Von Kant, von Fischte und Hegel,
67
Sie rauchen Tabak, sie trinken Bier,
68
Und manche schieben auch Kegel.
69
Sie werden Philister ganz wie wir
70
Und treiben es endlich noch ärger;
71
Sie sind keine Voltairianer mehr,
72
Sie werden Hengstenberger.
73
Der Alfred de Müsset, das ist wahr,
74
Ist noch ein Gassenjunge;
75
Doch fürchte nichts, wir fesseln ihm
76
Die schändliche Spötterzunge.
Seite 21
77
Und trommelt er dir einen schlechten Witz,
78
So pfeifen wir ihm einen schlimmern,
79
Wir pfeifen ihm vor, was ihm passiert
80
Bei schönen Frauenzimmern.
81
Gib dich zufrieden, Vater Rhein,
82
Denk nicht an schlechte Lieder,
83
Ein besseres Lied vernimmst du bald --
84
Leb wohl, wir sehen uns wieder.«
Caput VI
1
Den Paganini begleitete stets
2
Ein Spiritus familiaris,
3
Manchmal als Hund, manchmal in Gestalt
4
Des seligen Georg Harrys.
5
Napoleon sah einen roten Mann
6
Vor jedem wicht'gen Ereignis.
7
Sokrates hatte seinen Dämon,
8
Das war kein Hirnerzeugnis.
9
Ich selbst, wenn ich am Schreibtisch saß
10
Des Nachts, hab ich gesehen
11
Zuweilen einen vermummten Gast
12
Unheimlich hinter mir stehen.

13
Unter dem Mantel hielt er etwas
14
Verborgen, das seltsam blinkte,
15
Wenn es zum Vorschein kam, und ein Beil,
16
Ein Richtbeil, zu sein mir dünkte.
17
Er schien von untersetzter Statur,
18
Die Augen wie zwei Sterne;
19
Er störte mich im Schreiben nie,
20
Blieb ruhig stehn in der Ferne.
Seite 22
21
Seit Jahren hatte ich nicht gesehn
22
Den sonderbaren Gesellen,
23
Da fand ich ihn plötzlich wieder hier
24
In der stillen Mondnacht zu Köllen.
25
Ich schlenderte sinnend die Straßen entlang,
26
Da sah ich ihn hinter mir gehen,
27
Als ob er mein Schatten wäre, und stand
28
Ich still, so blieb er stehen.
29
Blieb stehen, als wartete er auf was,
30
Und förderte ich die Schritte,
31
Dann folgte er wieder. So kamen wir
32
Bis auf des Domplatz Mitte.
33
Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um
34
Und sprach: »Jetzt steh mir Rede,
35
Was folgst du mir auf Weg und Steg,
36
Hier in der nächtlichen Öde?
37
Ich treffe dich immer in der Stund',
38
Wo Weltgefühle sprießen
39
In meiner Brust und durch das Hirn
40
Die Geistesblitze schießen.
41
Du siehst mich an so stier und fest --
42
Steh Rede: was verhüllst du
43
Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?
44
Wer bist du und was willst du?«
45
Doch jener erwiderte trockenen Tons,
46
Sogar ein bißchen phlegmatisch:
47
»Ich bitte dich, exorziere mich nicht,
48
Und werde nur nicht emphatisch!
49
Ich bin kein Gespenst der Vergangenheit,

50
Kein grabentstiegener Strohwisch,
51
Und von Rhetorik bin ich kein Freund,
52
Bin auch nicht sehr philosophisch.
Seite 23
53
Ich bin von praktischer Natur
54
Und immer schweigsam und ruhig.
55
Doch wisse: was du ersonnen im Geist,
56
Das führ ich aus, das tu ich.
57
Und gehn auch Jahre drüber hin,
58
Ich raste nicht, bis ich verwandle
59
In Wirklichkeit, was du gedacht;
60
Du denkst, und ich, ich handle.
61
Du bist der Richter, der Büttel bin ich,
62
Und mit dem Gehorsam des Knechtes
63
Vollstreck ich das Urteil, das du gefällt,
64
Und sei es ein ungerechtes.
65
Dem Konsul trug man ein Beil voran,
66
Zu Rom, in alten Tagen.
67
Auch du hast deinen Liktor, doch wird
68
Das Beil dir nachgetragen.
69
Ich bin dein Liktor, und ich geh
70
Beständig mit dem blanken
71
Richtbeile hinter dir --ich bin
72
Die Tat von deinem Gedanken.«
Caput VII
1
Ich ging nach Haus und schlief, als ob
2
Die Engel gewiegt mich hätten.
3
Man ruht in deutschen Betten so weich,
4
Denn das sind Federbetten.
5
Wie sehnt' ich mich oft nach der Süßigkeit
6
Des vaterländischen Pfühles,
7
Wenn ich auf harten Matratzen lag,
8
In der schlaflosen Nacht des Exiles!
Seite 24
9
Man schläft sehr gut und träumt auch gut
10
In unseren Federbetten.
11
Hier fühlt die deutsche Seele sich frei
12
Von allen Erdenketten.

13
Sie fühlt sich frei und schwingt sich empor
14
Zu den höchsten Himmelsräumen.
15
O deutsche Seele, wie stolz ist dein Flug
16
In deinen nächtlichen Träumen!
17
Die Götter erbleichen, wenn du nahst!
18
Du hast auf deinen Wegen
19
Gar manches Sternlein ausgeputzt
20
Mit deinen Flügelschlägen!
21
Franzosen und Russen gehört das Land,
22
Das Meer gehört den Briten,
23
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
24
Die Herrschaft unbestritten.
25
Hier üben wir die Hegemonie,
26
Hier sind wir unzerstückelt;
27
Die andern Völker haben sich
28
Auf platter Erde entwickelt. -- --
29
Und als ich einschlief, da träumte mir,
30
Ich schlenderte wieder im hellen
31
Mondschein die hallenden Straßen entlang,
32
In dem altertümlichen Köllen.
33
Und hinter mir ging wieder einher
34
Mein schwarzer, vermummter Begleiter.
35
Ich war so müde, mir brachen die Knie,
36
Doch immer gingen wir weiter.
37
Wir gingen weiter. Mein Herz in der Brust
38
War klaffend aufgeschnitten,
39
Und aus der Herzenswunde hervor
40
Die roten Tropfen glitten.
Seite 25
41
Ich tauchte manchmal die Finger hinein,
42
Und manchmal ist es geschehen,
43
Daß ich die Haustürpfosten bestrich
44
Mit dem Blut im Vorübergehen.
45
Und jedesmal, wenn ich ein Haus
46
Bezeichnet in solcher Weise,
47
Ein Sterbeglöckchen erscholl fernher,
48
Wehmütig wimmernd und leise.
49
Am Himmel aber erblich der Mond,

50
Er wurde immer trüber;
51
Gleich schwarzen Rossen jagten an ihm
52
Die wilden Wolken vorüber.
53
Und immer ging hinter mir einher
54
Mit seinem verborgenen Beile
55
Die dunkle Gestalt --so wanderten wir
56
Wohl eine gute Weile.
57
Wir gehen und gehen, bis wir zuletzt
58
Wieder zum Domplatz gelangen;
59
Weit offen standen die Pforten dort,
60
Wir sind hineingegangen.
61
Es herrschte im ungeheuren Raum
62
Nur Tod und Nacht und Schweigen;
63
Es brannten Ampeln hie und da,
64
Um die Dunkelheit recht zu zeigen.
65
Ich wandelte lange den Pfeilern entlang
66
Und hörte nur die Tritte
67
Von meinem Begleiter, er folgte mir
68
Auch hier bei jedem Schritte.
69
Wir kamen endlich zu einem Ort,
70
Wo funkelnde Kerzenhelle
71
Und blitzendes Gold und Edelstein;
72
Das war die Drei-Königs-Kapelle.
Seite 26
73
Die Heil'gen Drei Könige jedoch,
74
Die sonst so still dort lagen,
75
O Wunder! sie saßen aufrecht jetzt
76
Auf ihren Sarkophagen.
77
Drei Totengerippe, phantastisch geputzt,
78
Mit Kronen auf den elenden
79
Vergilbten Schädeln, sie trugen auch
80
Das Zepter in knöchernen Händen.
81
Wie Hampelmänner bewegten sie
82
Die längstverstorbenen Knochen;
83
Die haben nach Moder und zugleich
84
Nach Weihrauchduft gerochen.
85
Der eine bewegte sogar den Mund
86
Und hielt eine Rede, sehr lange;

87
Er setzte mir auseinander, warum
88
Er meinen Respekt verlange.
89
Zuerst, weil er ein Toter sei,
90
Und zweitens, weil er ein König,
91
Und drittens, weil er ein Heil'ger sei, --
92
Das alles rührte mich wenig.
93
Ich gab ihm zur Antwort lachenden Muts:
94
»Vergebens ist deine Bemühung!
95
Ich sehe, daß du der Vergangenheit
96
Gehörst in jeder Beziehung.
97
Fort! fort von hier! im tiefen Grab,
98
Ist eure natürliche Stelle.
99
Das Leben nimmt jetzt in Beschlag
100
Die Schätze dieser Kapelle.
101
Der Zukunft fröhliche Kavallerie
102
Soll hier im Dome hausen.
103
Und weicht ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt
104
Und laß euch mit Kolben lausen!«
Seite 27
105
So sprach ich, und ich drehte mich um,
106
Da sah ich furchtbar blinken
107
Des stummen Begleiters furchtbares Beil --
108
Und er verstand mein Winken.
109
Er nahte sich, und mit dem Beil
110
Zerschmetterte er die armen
111
Skelette des Aberglaubens, er schlug
112
Sie nieder ohn' Erbarmen.
113
Es dröhnte der Hiebe Widerhall
114
Aus allen Gewölben, entsetzlich, --
115
Blutströme schossen aus meiner Brust,
116
Und ich erwachte plötzlich.
Caput VIII
1
Von Köllen bis Hagen kostet die Post
2
Fünf Taler sechs Groschen preußisch.
3
Die Diligence war leider besetzt,
4
Und ich kam in die offene Beischais'.
5
Ein Spätherbstmorgen, feucht und grau,
6
Im Schlamme keuchte der Wagen;

7
Doch trotz des schlechten Wetters und Wegs
8
Durchströmte mich süßes Behagen.
9
Das ist ja meine Heimatluft!
10
Die glühende Wange empfand es!
11
Und dieser Landstraßenkot, er ist
12
Der Dreck meines Vaterlandes!
13
Die Pferde wedelten mit dem Schwanz
14
So traulich wie alte Bekannte,
15
Und ihre Mistküchlein dünkten mir schön
16
Wie die Äpfel der Atalante!
Seite 28
17
Wir fuhren durch Mülheim. Die Stadt ist nett,
18
Die Menschen still und fleißig.
19
War dort zuletzt im Monat Mai
20
Des Jahres einunddreißig.
21
Damals stand alles im Blütenschmuck,
22
Und die Sonnenlichter lachten,
23
Die Vögel sangen sehnsuchtsvoll,
24
Und die Menschen hofften und dachten --
25
Sie dachten: »Die magere Ritterschaft
26
Wird bald von hinnen reisen,
27
Und der Abschiedstrunk wird ihnen kredenzt
28
Aus langen Flaschen von Eisen!
29
Und die Freiheit kommt mit Spiel und Tanz,
30
Mit der Fahne, der weiß-blau-roten;
31
Vielleicht holt sie sogar aus dem Grab
32
Den Bonaparte, den Toten!«
33
Ach Gott! die Ritter sind immer noch hier,
34
Und manche dieser Gäuche,
35
Die spindeldürre gekommen ins Land,
36
Die haben jetzt dicke Bäuche.
37
Die blassen Kanaillen, die ausgesehn
38
Wie Liebe, Glauben und Hoffen,
39
Sie haben seitdem in unserm Wein
40
Sich rote Nasen gesoffen -- -- --
41
Und die Freiheit hat sich den Fuß verrenkt,
42
Kann nicht mehr springen und stürmen;
43
Die Trikolore in Paris

44
Schaut traurig herab von den Türmen.
45
Der Kaiser ist auferstanden seitdem,
46
Doch die englischen Würmer haben
47
Aus ihm einen stillen Mann gemacht,
48
Und er ließ sich wieder begraben.
Seite 29
49
Hab selber sein Leichenbegängnis gesehn,
50
Ich sah den goldenen Wagen
51
Und die goldenen Siegesgöttinnen drauf,
52
Die den goldenen Sarg getragen.
53
Den Elysäischen Feldern entlang,
54
Durch des Triumphes Bogen,
55
Wohl durch den Nebel, wohl über den Schnee,
56
Kam langsam der Zug gezogen.
57
Mißtönend schauerlich war die Musik.
58
Die Musikanten starrten
59
Vor Kälte. Wehmütig grüßten mich
60
Die Adler der Standarten.
61
Die Menschen schauten so geisterhaft
62
In alter Erinnrung verloren --
63
Der imperiale Märchentraum
64
War wieder heraufbeschworen.
65
Ich weinte an jenem Tag. Mir sind
66
Die Tränen ins Auge gekommen,
67
Als ich den verschollenen Liebesruf,
68
Das ›Vive l'Empereur!‹ vernommen.
Caput IX
1
Von Köllen war ich drei Viertel auf acht
2
Des Morgens fortgereiset;
3
Wir kamen nach Hagen schon gegen drei,
4
Da wird zu Mittag gespeiset.
5
Der Tisch war gedeckt. Hier fand ich ganz
6
Die altgermanische Küche.
7
Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut,
8
Holdselig sind deine Gerüche!
Seite 30
9
Gestowte Kastanien im grünen Kohl!
10
So aß ich sie einst bei der Mutter!

11
Ihr heimischen Stockfische, seid mir gegrüßt!
12
Wie schwimmt ihr klug in der Butter!
13
Jedwedem fühlenden Herzen bleibt
14
Das Vaterland ewig teuer --
15
Ich liebe auch recht braun geschmort
16
Die Bücklinge und Eier.
17
Wie jauchzten die Würste im spritzelnden Fett!
18
Die Krammetsvögel, die frommen
19
Gebratenen Englein mit Apfelmus,
20
Sie zwitscherten mir: »Willkommen!«
21
»Willkommen, Landsmann« --zwitscherten sie --
22
»Bist lange ausgeblieben,
23
Hast dich mit fremdem Gevögel so lang
24
In der Fremde herumgetrieben!«
25
Es stand auf dem Tische eine Gans,
26
Ein stilles, gemütliches Wesen.
27
Sie hat vielleicht mich einst geliebt,
28
Als wir beide noch jung gewesen.
29
Sie blickte mich an so bedeutungsvoll,
30
So innig, so treu, so wehe!
31
Besaß eine schöne Seele gewiß,
32
Doch war das Fleisch sehr zähe.
33
Auch einen Schweinskopf trug man auf
34
In einer zinnernen Schüssel;
35
Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
36
Mit Lorbeerblättern den Rüssel.
Seite 31
Caput X
1
Dicht hinter Hagen ward es Nacht,
2
Und ich fühlte in den Gedärmen
3
Ein seltsames Frösteln. Ich konnte mich erst
4
Zu Unna, im Wirtshaus, erwärmen.
5
Ein hübsches Mädchen fand ich dort,
6
Die schenkte mir freundlich den Punsch ein;
7
Wie gelbe Seide das Lockenhaar,
8
Die Augen sanft wie Mondschein.
9
Den lispelnd westfälischen Akzent
10
Vernahm ich mit Wollust wieder.

11
Viel süße Erinnerung dampfte der Punsch,
12
Ich dachte der lieben Brüder,
13
Der lieben Westfalen, womit ich so oft
14
In Göttingen getrunken,
15
Bis wir gerührt einander ans Herz
16
Und unter die Tische gesunken!
17
Ich habe sie immer so lieb gehabt,
18
Die lieben, guten Westfalen,
19
Ein Volk so fest, so sicher, so treu,
20
Ganz ohne Gleißen und Prahlen.
21
Wie standen sie prächtig auf der Mensur
22
Mit ihren Löwenherzen!
23
Es fielen so grade, so ehrlich gemeint,
24
Die Quarten und die Terzen.
25
Sie fechten gut, sie trinken gut,
26
Und wenn sie die Hand dir reichen,
27
Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie;
28
Sind sentimentale Eichen.
Seite 32
29
Der Himmel erhalte dich, wackres Volk,
30
Er segne deine Saaten,
31
Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
32
Vor Helden und Heldentaten.
33
Er schenke deinen Söhnen stets
34
Ein sehr gelindes Examen,
35
Und deine Töchter bringe er hübsch
36
Unter die Haube --Amen!
Caput XI
1
Das ist der Teutoburger Wald,
2
Den Tacitus beschrieben,
3
Das ist der klassische Morast,
4
Wo Varus steckengeblieben.
5
Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
6
Der Hermann, der edle Recke;
7
Die deutsche Nationalität,
8
Sie siegte in diesem Drecke.
9
Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,
10
Mit seinen blonden Horden,

11
So gäb' es deutsche Freiheit nicht mehr,
12
Wir wären römisch geworden!
13
In unserem Vaterland herrschten jetzt
14
Nur römische Sprache und Sitten,
15
Vestalen gäb' es in München sogar,
16
Die Schwaben hießen Quiriten!
17
Der Hengstenberg wär' ein Haruspex
18
Und grübelte in den Gedärmen
19
Von Ochsen. Neander wär' ein Augur
20
Und schaute nach Vögelschwärmen.
Seite 33
21
Birch-Pfeiffer söffe Terpentin,
22
Wie einst die römischen Damen.
23
(Man sagt, daß sie dadurch den Urin
24
Besonders wohlriechend bekamen.)
25
Der Raumer wäre kein deutscher Lump,
26
Er wäre ein röm'scher Lumpazius.
27
Der Freiligrath dichtete ohne Reim,
28
Wie weiland Flaccus Horazius.
29
Der grobe Bettler, Vater Jahn,
30
Der hieße jetzt Grobianus.
31
Me hercule! Maßmann spräche Latein,
32
Der Marcus Tullius Maßmanus!
33
Die Wahrheitsfreunde würden jetzt
34
Mit Löwen, Hyänen, Schakalen
35
Sich raufen in der Arena, anstatt
36
Mit Hunden in kleinen Journalen.
37
Wir hätten einen Nero jetzt
38
Statt Landesväter drei Dutzend.
39
Wir schnitten uns die Adern auf,
40
Den Schergen der Knechtschaft trutzend.
41
Der Schelling wär' ganz ein Seneca
42
Und käme in solchem Konflikt um.
43
Zu unsrem Cornelius sagten wir:
44
»Cacatum non est pictum.«
45
Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht,
46
Die Römer wurden vertrieben,
47
Varus mit seinen Legionen erlag,

48
Und wir sind Deutsche geblieben!
49
Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch,
50
Wie wir es gesprochen haben;
51
Der Esel heißt Esel, nicht asinus,
52
Die Schwaben blieben Schwaben.
Seite 34
53
Der Raumer blieb ein deutscher Lump
54
In unserm deutschen Norden.
55
In Reimen dichtet Freiligrath,
56
Ist kein Horaz geworden.
57
Gottlob, der Maßmann spricht kein Latein,
58
Birch-Pfeiffer schreibt nur Dramen
59
Und säuft nicht schnöden Terpentin,
60
Wie Roms galante Damen.
61
O Hermann, dir verdanken wir das!
62
Drum wird dir, wie sich gebühret,
63
Zu Detmold ein Monument gesetzt;
64
Hab selber subskribieret.
Caput XII
1
Im nächtlichen Walde humpelt dahin
2
Die Chaise. Da kracht es plötzlich --
3
Ein Rad ging los. Wir halten still.
4
Das ist nicht sehr ergötzlich.
5
Der Postillon steigt ab und eilt
6
Ins Dorf, und ich verweile
7
Um Mitternacht allein im Wald.
8
Ringsum ertönt ein Geheule.
9
Das sind die Wölfe, die heulen so wild,
10
Mit ausgehungerten Stimmen.
11
Wie Lichter in der Dunkelheit
12
Die feurigen Augen glimmen.
13
Sie hörten von meiner Ankunft gewiß,
14
Die Bestien, und mir zu Ehre
15
Illuminierten sie den Wald,
16
Und singen sie ihre Chöre.
Seite 35
17
Das ist ein Ständchen, ich merke es jetzt,
18
Ich soll gefeiert werden!

19
Ich warf mich gleich in Positur
20
Und sprach mit gerührten Gebärden:
21
»Mitwölfe! Ich bin glücklich heut
22
In eurer Mitte zu weilen,
23
Wo so viel edle Gemüter mir
24
Mit Liebe entgegenheulen.
25
Was ich in diesem Augenblick
26
Empfinde, ist unermeßlich;
27
Ach! diese schöne Stunde bleibt
28
Mir ewig unvergeßlich.
29
Ich danke euch für das Vertraun,
30
Womit ihr mich beehret,
31
Und das ihr in jeder Prüfungszeit
32
Durch treue Beweise bewähret.
33
Mitwölfe! Ihr zweifeltet nie an mir,
34
Ihr ließet euch nicht fangen
35
Von Schelmen, die euch gesagt, ich sei
36
Zu den Hunden übergegangen,
37
Ich sei abtrünnig und werde bald
38
Hofrat in der Lämmerhürde --
39
Dergleichen zu widersprechen war
40
Ganz unter meiner Würde.
41
Der Schafpelz, den ich umgehängt
42
Zuweilen, um mich zu wärmen,
43
Glaubt mir's, er brachte mich nie dahin,
44
Für das Glück der Schafe zu schwärmen.
45
Ich bin kein Schaf, ich bin kein Hund,
46
Kein Hofrat und kein Schellfisch --
47
Ich bin ein Wolf geblieben, mein Herz
48
Und meine Zähne sind wölfisch.
Seite 36
49
Ich bin ein Wolf und werde stets
50
Auch heulen mit den Wölfen --
51
Ja, zählt auf mich und helft euch selbst,
52
Dann wird auch Gott euch helfen!«
53
Das war die Rede, die ich hielt,
54
Ganz ohne Vorbereitung;
55
Verstümmelt hat Kolb sie abgedruckt

56
In der »Allgemeinen Zeitung«.
Caput XIII
1
Die Sonne ging auf bei Paderborn
2
Mit sehr verdroßner Gebärde.
3
Sie treibt in der Tat ein verdrießlich Geschäft --
4
Beleuchten die dumme Erde!
5
Hat sie die eine Seite erhellt,
6
Und bringt sie mit strahlender Eile
7
Der andern ihr Licht, so verdunkelt schon
8
Sich jene mittlerweile.
9
Der Stein entrollt dem Sisyphus,
10
Der Danaiden Tonne
11
Wird nie gefüllt, und den Erdenball
12
Beleuchtet vergeblich die Sonne! -- --
13
Und als der Morgennebel zerrann,
14
Da sah ich am Wege ragen,
15
Im Frührotschein, das Bild des Manns,
16
Der an das Kreuz geschlagen.
17
Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
18
Dein Anblick, mein armer Vetter,
19
Der du die Welt erlösen gewollt,
20
Du Narr, du Menschheitsretter!
Seite 37
21
Sie haben dir übel mitgespielt,
22
Die Herren vom hohen Rate.
23
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
24
Von der Kirche und vom Staate!
25
Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
26
Noch nicht in jenen Tagen
27
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
28
Über die Himmelsfragen.
29
Der Zensor hätte gestrichen darin,
30
Was etwa anzüglich auf Erden,
31
Und liebend bewahrte dich die Zensur
32
Vor dem Gekreuzigtwerden.
33
Ach! hättest du nur einen andern Text
34
Zu deiner Bergpredigt genommen,
35
Besaßest ja Geist und Talent genug,

36
Und konntest schonen die Frommen!
37
Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar
38
Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel --
39
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
40
Als warnendes Exempel!
Caput XIV
1
Ein feuchter Wind, ein kahles Land,
2
Die Chaise wackelt im Schlamme,
3
Doch singt es und klingt es in meinem Gemüt:
4
»Sonne, du klagende Flamme!«
5
Das ist der Schlußreim des alten Lieds,
6
Das oft meine Amme gesungen --
7
»Sonne, du klagende Flamme!«, das hat
8
Wie Waldhornruf geklungen.
Seite 38
9
Es kommt im Lied ein Mörder vor,
10
Der lebt' in Lust und Freude;
11
Man findet ihn endlich im Walde gehenkt,
12
An einer grauen Weide.
13
Des Mörders Todesurteil war
14
Genagelt am Weidenstamme;
15
Das haben die Rächer der Feme getan --
16
Sonne, du klagende Flamme!
17
Die Sonne war Kläger, sie hatte bewirkt,
18
Daß man den Mörder verdamme.
19
Otilie hatte sterbend geschrien:
20
21
Und denk ich des Liedes, so denk ich auch
22
Der Amme, der lieben Alten;
23
Ich sehe wieder ihr braunes Gesicht,
24
Mit allen Runzeln und Falten.
25
Sie war geboren im Münsterland
26
Und wußte, in großer Menge,
27
Gespenstergeschichten, grausenhaft,
28
Und Märchen und Volksgesänge.
29
Wie pochte mein Herz, wenn die alte Frau
30
Von der Königstochter erzählte,
31
Die einsam auf der Heide saß

32
Und die goldnen Haare strählte.
33
Die Gänse mußte sie hüten dort
34
Als Gänsemagd, und trieb sie
35
Am Abend die Gänse wieder durchs Tor,
36
Gar traurig stehen blieb sie.
37
Denn angenagelt über dem Tor
38
Sah sie ein Roßhaupt ragen,
39
Das war der Kopf des armen Pferds,
40
Das sie in die Fremde getragen.
Seite 39
41
Die Königstochter seufzte tief:
42
»Oh, Falada, daß du hangest!«
43
Der Pferdekopf herunterrief:
44
»O wehe! daß du gangest!«
45
Die Königstochter seufzte tief:
46
»Wenn das meine Mutter wüßte!«
47
Der Pferdekopf herunterrief:
48
»Ihr Herze brechen müßte!«
49
Mit stockendem Atem horchte ich hin,
50
Wenn die Alte ernster und leiser
51
Zu sprechen begann und vom Rotbart sprach,
52
Von unserem heimlichen Kaiser.
53
Sie hat mir versichert, er sei nicht tot,
54
Wie da glauben die Gelehrten,
55
Er hause versteckt in einem Berg
56
Mit seinen Waffengefährten.
57
Kyffhäuser ist der Berg genannt,
58
Und drinnen ist eine Höhle;
59
Die Ampeln erhellen so geisterhaft
60
Die hochgewölbten Säle.
61
Ein Marstall ist der erste Saal,
62
Und dorten kann man sehen
63
Viel tausend Pferde, blankgeschirrt,
64
Die an den Krippen stehen.
65
Sie sind gesattelt und gezäumt,
66
Jedoch von diesen Rossen
67
Kein einziges wiehert, kein einziges stampft,
68
Sind still, wie aus Eisen gegossen.

69
Im zweiten Saale, auf der Streu,
70
Sieht man Soldaten liegen,
71
Viel tausend Soldaten, bärtiges Volk,
72
Mit kriegerisch trotzigen Zügen.
Seite 40
73
Sie sind gerüstet von Kopf bis Fuß,
74
Doch alle diese Braven,
75
Sie rühren sich nicht, bewegen sich nicht,
76
Sie liegen fest und schlafen.
77
Hochaufgestapelt im dritten Saal
78
Sind Schwerter, Streitäxte, Speere,
79
Harnische, Helme, von Silber und Stahl,
80
Altfränkische Feuergewehre.
81
Sehr wenig Kanonen, jedoch genug,
82
Um eine Trophäe zu bilden.
83
Hoch ragt daraus eine Fahne hervor,
84
Die Farbe ist schwarz-rot-gülden.
85
Der Kaiser bewohnt den vierten Saal.
86
Schon seit Jahrhunderten sitzt er
87
Auf steinernem Stuhl, am steinernen Tisch,
88
Das Haupt auf den Armen stützt er.
89
Sein Bart, der bis zur Erde wuchs,
90
Ist rot wie Feuerflammen,
91
Zuweilen zwinkert er mit dem Aug',
92
Zieht manchmal die Braunen zusammen.
93
Schläft er oder denkt er nach?
94
Man kann's nicht genau ermitteln;
95
Doch wenn die rechte Stunde kommt,
96
Wird er gewaltig sich rütteln.
97
Die gute Fahne ergreift er dann
98
Und ruft: »Zu Pferd'! zu Pferde!«
99
Sein reisiges Volk erwacht und springt
100
Lautrasselnd empor von der Erde.
101
Ein jeder schwingt sich auf sein Roß,
102
Das wiehert und stampft mit den Hufen!
103
Sie reiten hinaus in die klirrende Welt,
104
Und die Trompeten rufen.
Seite 41

105
Sie reiten gut, sie schlagen gut,
106
Sie haben ausgeschlafen.
107
Der Kaiser hält ein strenges Gericht,
108
Er will die Mörder bestrafen --
109
Die Mörder, die gemeuchelt einst
110
Die teure, wundersame,
111
Goldlockigte Jungfrau Germania --
112
Sonne, du klagende Flamme!
113
Wohl mancher, der sich geborgen geglaubt
114
Und lachend auf seinem Schloß saß,
115
Er wird nicht entgehen dem rächenden Strang,
116
Dem Zorne Barbarossas! -- -- --
117
Wie klingen sie lieblich, wie klingen sie süß,
118
Die Märchen der alten Amme!
119
Mein abergläubisches Herze jauchzt:
120
Caput XV
1
Ein feiner Regen prickelt herab,
2
Eiskalt, wie Nähnadelspitzen.
3
Die Pferde bewegen traurig den Schwanz,
4
Sie waten im Kot und schwitzen.
5
Der Postillon stößt in sein Horn,
6
Ich kenne das alte Getute --
7
»Es reiten drei Reiter zum Tor hinaus!« --
8
Es wird mir so dämmrig zumute.
9
Mich schläferte und ich entschlief,
10
Und siehe! mir träumte am Ende,
11
Daß ich mich in dem Wunderberg
12
Beim Kaiser Rotbart befände.
Seite 42
13
Er saß nicht mehr auf steinernem Stuhl,
14
Am steinernen Tisch, wie ein Steinbild;
15
Auch sah er nicht so ehrwürdig aus,
16
Wie man sich gewöhnlich einbild't.
17
Er watschelte durch die Säle herum
18
Mit mir im trauten Geschwätze.
19
Er zeigte wie ein Antiquar
20
Mir seine Kuriosa und Schätze.

21
Im Saale der Waffen erklärte er mir,
22
Wie man sich der Kolben bediene,
23
Von einigen Schwertern rieb er den Rost
24
Mit seinem Hermeline.
25
Er nahm einen Pfauenwedel zur Hand
26
Und reinigte vom Staube
27
Gar manchen Harnisch, gar manchen Helm,
28
Auch manche Pickelhaube.
29
Die Fahne stäubte er gleichfalls ab,
30
Und er sprach: »Mein größter Stolz ist,
31
Daß noch keine Motte die Seide zerfraß,
32
Und auch kein Wurm im Holz ist.«
33
Und als wir kamen in den Saal,
34
Wo schlafend am Boden liegen
35
Viel tausend Krieger, kampfbereit,
36
Der Alte sprach mit Vergnügen:
37
»Hier müssen wir leiser reden und gehn,
38
Damit wir nicht wecken die Leute;
39
Wieder verflossen sind hundert Jahr',
40
Und Löhnungstag ist heute.«
41
Und siehe! der Kaiser nahte sich sacht
42
Den schlafenden Soldaten,
43
Und steckte heimlich in die Tasch'
44
Jedwedem einen Dukaten.
Seite 43
45
Er sprach mit schmunzelndem Gesicht,
46
Als ich ihn ansah verwundert:
47
»Ich zahle einen Dukaten per Mann,
48
Als Sold, nach jedem Jahrhundert.«
49
Im Saale, wo die Pferde stehn
50
In langen, schweigenden Reihen,
51
Da rieb der Kaiser sich die Händ',
52
Schien sonderbar sich zu freuen.
53
Er zählte die Gäule, Stück vor Stück,
54
Und klätschelte ihnen die Rippen;
55
Er zählte und zählte, mit ängstlicher Hast
56
Bewegten sich seine Lippen.

57
»Das ist noch nicht die rechte Zahl« --
58
Sprach er zuletzt verdrossen --
59
»Soldaten und Waffen hab ich genung,
60
Doch fehlt es noch an Rossen.
61
Roßkämme hab ich ausgeschickt
62
In alle Welt, die kaufen
63
Für mich die besten Pferde ein,
64
Hab schon einen guten Haufen.
65
Ich warte, bis die Zahl komplett,
66
Dann schlag ich los und befreie
67
Mein Vaterland, mein deutsches Volk,
68
Das meiner harret mit Treue.«
69
So sprach der Kaiser, ich aber rief:
70
»Schlag los, du alter Geselle,
71
Schlag los, und hast du nicht Pferde genug,
72
Nimm Esel an ihrer Stelle.«
73
Der Rotbart erwiderte lächelnd: »Es hat
74
Mit dem Schlagen gar keine Eile,
75
Man baute nicht Rom in einem Tag,
76
Gut Ding will haben Weile.
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77
Wer heute nicht kommt, kommt morgen gewiß,
78
Nur langsam wächst die Eiche,
79
Und ›chi va piano va sano‹, so heißt
80
Das Sprüchwort im römischen Reiche.«
Caput XVI
1
Das Stoßen des Wagens weckte mich auf,
2
Doch sanken die Augenlider
3
Bald wieder zu, und ich entschlief
4
Und träumte vom Rotbart wieder.
5
Ging wieder schwatzend mit ihm herum
6
Durch alle die hallenden Säle;
7
Er frug mich dies, er frug mich das,
8
Verlangte, daß ich erzähle.
9
Er hatte aus der Oberwelt
10
Seit vielen, vielen Jahren,
11
Wohl seit dem Siebenjährigen Krieg,
12
Kein Sterbenswort erfahren.

13
Er frug nach Moses Mendelssohn,
14
Nach der Karschin, mit Intresse
15
Frug er nach der Gräfin Dübarry,
16
Des fünfzehnten Ludwigs Mätresse.
17
»O Kaiser«, rief ich, »wie bist du zurück!
18
Der Moses ist längst gestorben,
19
Nebst seiner Rebekka, auch Abraham,
20
Der Sohn, ist gestorben, verdorben.
21
Der Abraham hatte mit Lea erzeugt
22
Ein Bübchen, Felix heißt er,
23
Der brachte es weit im Christentum,
24
Ist schon Kapellenmeister.
Seite 45
25
Die alte Karschin ist gleichfalls tot,
26
Auch die Tochter ist tot, die Klencke;
27
Helmine Chézy, die Enkelin,
28
Ist noch am Leben, ich denke.
29
Die Dübarry lebte lustig und flott,
30
Solange Ludwig regierte,
31
Der Fünfzehnte nämlich, sie war schon alt,
32
Als man sie guillotinierte.
33
Der König Ludwig der Fünfzehnte starb
34
Ganz ruhig in seinem Bette,
35
Der Sechzehnte aber ward guillotiniert
36
Mit der Königin Antoinette.
37
Die Königin zeigte großen Mut,
38
Ganz wie es sich gebührte,
39
Die Dübarry aber weinte und schrie,
40
Als man sie guillotinierte.« -- --
41
Der Kaiser blieb plötzlich stille stehn,
42
Und sah mich an mit den stieren
43
Augen und sprach: »Um Gotteswill'n,
44
Was ist das, guillotinieren?«
45
»Das Guillotinieren« --erklärte ich ihm --
46
»Ist eine neue Methode,
47
Womit man die Leute jeglichen Stands
48
Vom Leben bringt zu Tode.
49
Bei dieser Methode bedient man sich

50
Auch einer neuen Maschine,
51
Die hat erfunden Herr Guillotin,
52
Drum nennt man sie Guillotine.
53
Du wirst hier an ein Brett geschnallt; --
54
Das senkt sich; --du wirst geschoben
55
Geschwinde zwischen zwei Pfosten; --es hängt
56
Ein dreieckig Beil ganz oben; --
Seite 46
57
Man zieht eine Schnur, dann schießt herab
58
Das Beil, ganz lustig und munter; --
59
Bei dieser Gelegenheit fällt dein Kopf
60
In einen Sack hinunter.«
61
Der Kaiser fiel mir in die Red':
62
»Schweig still, von deiner Maschine
63
Will ich nichts wissen, Gott bewahr',
64
Daß ich mich ihrer bediene!
65
Der König und die Königin!
66
Geschnallt! an einem Brette!
67
Das ist ja gegen allen Respekt
68
Und alle Etikette!
69
Und du, wer bist du, daß du es wagst,
70
Mich so vertraulich zu duzen?
71
Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon
72
Die kecken Flügel stutzen!
73
Es regt mir die innerste Galle auf,
74
Wenn ich dich höre sprechen,
75
Dein Odem schon ist Hochverrat
76
Und Majestätsverbrechen!«
77
Als solchermaßen in Eifer geriet
78
Der Alte und sonder Schranken
79
Und Schonung mich anschnob, da platzten heraus
80
Auch mir die geheimsten Gedanken.
81
»Herr Rotbart« --rief ich laut --»du bist
82
Ein altes Fabelwesen,
83
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
84
Auch ohne dich erlösen.
85
Die Republikaner lachen uns aus,
86
Sehn sie an unserer Spitze

87
So ein Gespenst mit Zepter und Kron';
88
Sie rissen schlechte Witze.
Seite 47
89
Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,
90
Die altdeutschen Narren verdarben
91
Mir schon in der Burschenschaft die Lust
92
An den schwarz-rot-goldnen Farben.
93
Das beste wäre, du bliebest zu Haus,
94
Hier in dem alten Kyffhäuser --
95
Bedenk ich die Sache ganz genau,
96
So brauchen wir gar keinen Kaiser.«
Caput XVII
1
Ich habe mich mit dem Kaiser gezankt
2
Im Traum, im Traum versteht sich, --
3
Im wachenden Zustand sprechen wir nicht
4
Mit Fürsten so widersetzig.
5
Nur träumend, im idealen Traum,
6
Wagt ihnen der Deutsche zu sagen
7
Die deutsche Meinung, die er so tief
8
Im treuen Herzen getragen.
9
Als ich erwacht', fuhr ich einem Wald
10
Vorbei, der Anblick der Bäume,
11
Der nackten hölzernen Wirklichkeit,
12
Verscheuchte meine Träume.
13
Die Eichen schüttelten ernsthaft das Haupt,
14
Die Birken und Birkenreiser
15
Sie nickten so warnend --und ich rief:
16
»Vergib mir, mein teurer Kaiser!
17
Vergib mir, o Rotbart, das rasche Wort!
18
Ich weiß, du bist viel weiser
19
Als ich, ich habe so wenig Geduld --
20
Doch komme du bald, mein Kaiser!
Seite 48
21
Behagt dir das Guillotinieren nicht,
22
So bleib bei den alten Mitteln:
23
Das Schwert für Edelleute, der Strick
24
Für Bürger und Bauern in Kitteln.
25
Nur manchmal wechsle ab, und laß

26
Den Adel hängen, und köpfe
27
Ein bißchen die Bürger und Bauern, wir sind
28
Ja alle Gottesgeschöpfe.
29
Stell wieder her das Halsgericht,
30
Das peinliche Karls des Fünften,
31
Und teile wieder ein das Volk
32
Nach Ständen, Gilden und Zünften.
33
Das alte Heilige Römische Reich,
34
Stell's wieder her, das ganze,
35
Gib uns den modrigsten Plunder zurück
36
Mit allem Firlifanze.
37
Das Mittelalter, immerhin,
38
Das wahre, wie es gewesen,
39
Ich will es ertragen --erlöse uns nur
40
Von jenem Zwitterwesen,
41
Von jenem Kamaschenrittertum,
42
Das ekelhaft ein Gemisch ist
43
Von gotischem Wahn und modernem Lug,
44
Das weder Fleisch noch Fisch ist.
45
Jag fort das Komödiantenpack,
46
Und schließe die Schauspielhäuser,
47
Wo man die Vorzeit parodiert --
48
Komme du bald, o Kaiser!«
Seite 49
Caput XVIII
1
Minden ist eine feste Burg,
2
Hat gute Wehr und Waffen!
3
Mit preußischen Festungen hab ich jedoch
4
Nicht gerne was zu schaffen.
5
Wir kamen dort an zur Abendzeit.
6
Die Planken der Zugbrück' stöhnten
7
So schaurig, als wir hinübergerollt;
8
Die dunklen Gräben gähnten.
9
Die hohen Bastionen schauten mich an,
10
So drohend und verdrossen;
11
Das große Tor ging rasselnd auf,
12
Ward rasselnd wieder geschlossen.
13
Ach! meine Seele ward betrübt

14
Wie des Odysseus Seele,
15
Als er gehört, daß Polyphem
16
Den Felsblock schob vor die Höhle.
17
Es trat an den Wagen ein Korporal
18
Und frug uns: wie wir hießen?
19
»Ich heiße Niemand, bin Augenarzt
20
Und steche den Star den Riesen.«
21
Im Wirtshaus ward mir noch schlimmer zumut,
22
Das Essen wollt' mir nicht schmecken.
23
Ging schlafen sogleich, doch schlief ich nicht,
24
Mich drückten so schwer die Decken.
25
Es war ein breites Federbett,
26
Gardinen von rotem Damaste,
27
Der Himmel von verblichenem Gold,
28
Mit einem schmutzigen Quaste.
Seite 50
29
Verfluchter Quast! der die ganze Nacht
30
Die liebe Ruhe mir raubte!
31
Er hing mir, wie des Damokles Schwert,
32
So drohend über dem Haupte!
33
Schien manchmal ein Schlangenkopf zu sein,
34
Und ich hörte ihn heimlich zischen:
35
»Du bist und bleibst in der Festung jetzt,
36
Du kannst nicht mehr entwischen!«
37
»Oh, daß ich wäre« --seufzte ich --
38
»Daß ich zu Hause wäre,
39
Bei meiner lieben Frau in Paris,
40
Im Faubourg-Poissonnière!«
41
Ich fühlte, wie über die Stirne mir
42
Auch manchmal etwas gestrichen,
43
Gleich einer kalten Zensorhand,
44
Und meine Gedanken wichen --
45
Gendarmen in Leichenlaken gehüllt,
46
Ein weißes Spukgewirre,
47
Umringte mein Bett, ich hörte auch
48
Unheimliches Kettengeklirre.
49
Ach! die Gespenster schleppten mich fort,
50
Und ich hab mich endlich befunden

51
An einer steilen Felsenwand;
52
Dort war ich festgebunden.
53
Der böse schmutzige Betthimmelquast!
54
Ich fand ihn gleichfalls wieder,
55
Doch sah er jetzt wie ein Geier aus,
56
Mit Krallen und schwarzem Gefieder.
57
Er glich dem preußischen Adler jetzt
58
Und hielt meinen Leib umklammert;
59
Er fraß mir die Leber aus der Brust,
60
Ich habe gestöhnt und gejammert.
Seite 51
61
Ich jammerte lange --da krähte der Hahn,
62
Und der Fiebertraum erblaßte.
63
Ich lag zu Minden im schwitzenden Bett,
64
Der Adler ward wieder zum Quaste.
65
Ich reiste fort mit Extrapost,
66
Und schöpfte freien Odem
67
Erst draußen in der freien Natur,
68
Auf bückeburg'schem Boden.
Caput XIX
1
Oh, Danton, du hast dich sehr geirrt
2
Und mußtest den Irrtum büßen!
3
Mitnehmen kann man das Vaterland
4
An den Sohlen, an den Füßen.
5
Das halbe Fürstentum Bückeburg
6
Blieb mir an den Stiefeln kleben;
7
So lehmigte Wege habe ich wohl
8
Noch nie gesehen im Leben.
9
Zu Bückeburg stieg ich ab in der Stadt,
10
Um dort zu betrachten die Stammburg,
11
Wo mein Großvater geboren ward;
12
Die Großmutter war aus Hamburg.
13
Ich kam nach Hannover um Mittagzeit
14
Und ließ mir die Stiefel putzen.
15
Ich ging sogleich die Stadt zu besehn,
16
Ich reise gern mit Nutzen.
17
Mein Gott! da sieht es sauber aus!
18
Der Kot liegt nicht auf den Gassen.

19
Viel' Prachtgebäude sah ich dort,
20
Sehr imponierende Massen.
Seite 52
21
Besonders gefiel mir ein großer Platz,
22
Umgeben von stattlichen Häusern;
23
Dort wohnt der König, dort steht sein Palast,
24
Er ist von schönem Äußern.
25
(Nämlich der Palast.) Vor dem Portal
26
Zu jeder Seite ein Schildhaus.
27
Rotröcke mit Flinten halten dort Wacht,
28
Sie sehen drohend und wild aus.
29
Mein Cicerone sprach: »Hier wohnt
30
Der Ernst Augustus, ein alter,
31
Hochtoryscher Lord, ein Edelmann,
32
Sehr rüstig für sein Alter.
33
Idyllisch sicher haust er hier,
34
Denn besser als alle Trabanten
35
Beschützet ihn der mangelnde Mut
36
Von unseren lieben Bekannten.
37
Ich seh ihn zuweilen, er klagt alsdann
38
Wie gar langweilig das Amt sei,
39
Das Königsamt, wozu er jetzt
40
Hier in Hannover verdammt sei.
41
An großbritannisches Leben gewöhnt,
42
Sei es ihm hier zu enge,
43
Ihn plage der Spleen, er fürchte schier,
44
Er halt' es nicht aus auf die Länge.
45
Vorgestern fand ich ihn traurig gebückt
46
Am Kamin, in der Morgenstunde;
47
Er kochte höchstselbst ein Lavement
48
Für seine kranken Hunde.«
Seite 53
Caput XX
1
Von Harburg fuhr ich in einer Stund'
2
Nach Hamburg. Es war schon Abend.
3
Die Sterne am Himmel grüßten mich,
4
Die Luft war lind und labend.
5
Und als ich zu meiner Frau Mutter kam,

6
Erschrak sie fast vor Freude;
7
Sie rief »mein liebes Kind!« und schlug
8
Zusammen die Hände beide.
9
»Mein liebes Kind, wohl dreizehn Jahr'
10
Verflossen unterdessen!
11
Du wirst gewiß sehr hungrig sein --
12
Sag an, was willst du essen?
13
Ich habe Fisch und Gänsefleisch
14
Und schöne Apfelsinen.«
15
»So gib mir Fisch und Gänsefleisch
16
Und schöne Apfelsinen.«
17
Und als ich aß mit großem App'tit,
18
Die Mutter ward glücklich und munter,
19
Sie frug wohl dies, sie frug wohl das,
20
Verfängliche Fragen mitunter.
21
»Mein liebes Kind! und wirst du auch
22
Recht sorgsam gepflegt in der Fremde?
23
Versteht deine Frau die Haushaltung,
24
Und flickt sie dir Strümpfe und Hemde?«
25
»Der Fisch ist gut, lieb Mütterlein,
26
Doch muß man ihn schweigend verzehren;
27
Man kriegt so leicht eine Grät' in den Hals,
28
Du darfst mich jetzt nicht stören.«
Seite 54
29
Und als ich den braven Fisch verzehrt,
30
Die Gans ward aufgetragen.
31
Die Mutter frug wieder wohl dies, wohl das,
32
Mitunter verfängliche Fragen.
33
»Mein liebes Kind! in welchem Land
34
Läßt sich am besten leben?
35
Hier oder in Frankreich? und welchem Volk
36
Wirst du den Vorzug geben?«
37
»Die deutsche Gans, lieb Mütterlein,
38
Ist gut, jedoch die Franzosen,
39
Sie stopfen die Gänse besser als wir,
40
Auch haben sie bessere Soßen.« --
41
Und als die Gans sich wieder empfahl,
42
Da machten ihre Aufwartung

43
Die Apfelsinen, sie schmeckten so süß,
44
Ganz über alle Erwartung.
45
Die Mutter aber fing wieder an
46
Zu fragen sehr vergnüglich,
47
Nach tausend Dingen, mitunter sogar
48
Nach Dingen, die sehr anzüglich.
49
»Mein liebes Kind! wie denkst du jetzt?
50
Treibst du noch immer aus Neigung
51
Die Politik? Zu welcher Partei
52
Gehörst du mit Überzeugung?«
53
»Die Apfelsinen, lieb Mütterlein,
54
Sind gut, und mit wahrem Vergnügen
55
Verschlucke ich den süßen Saft,
56
Und ich lasse die Schalen liegen.«
Seite 55
Caput XXI
1
Die Stadt, zur Hälfte abgebrannt,
2
Wird aufgebaut allmählich;
3
Wie'n Pudel, der halb geschoren ist,
4
Sieht Hamburg aus, trübselig.
5
Gar manche Gassen fehlen mir,
6
Die ich nur ungern vermisse --
7
Wo ist das Haus, wo ich geküßt
8
Der Liebe erste Küsse?
9
Wo ist die Druckerei, wo ich
10
Die »Reisebilder« druckte?
11
Wo ist der Austerkeller, wo ich
12
Die ersten Austern schluckte?
13
Und der Dreckwall, wo ist der Dreckwall hin?
14
Ich kann ihn vergeblich suchen!
15
Wo ist der Pavillon, wo ich
16
Gegessen so manchen Kuchen?
17
Wo ist das Rathaus, worin der Senat
18
Und die Bürgerschaft gethronet?
19
Ein Raub der Flammen! Die Flamme hat
20
Das Heiligste nicht verschonet.
21
Die Leute seufzten noch vor Angst,
22
Und mit wehmüt'gem Gesichte

23
Erzählten sie mir vom großen Brand
24
Die schreckliche Geschichte:
25
»Es brannte an allen Ecken zugleich,
26
Man sah nur Rauch und Flammen!
27
Die Kirchentürme loderten auf
28
Und stürzten krachend zusammen.
Seite 56
29
Die alte Börse ist verbrannt,
30
Wo unsere Väter gewandelt,
31
Und miteinander Jahrhunderte lang
32
So redlich als möglich gehandelt.
33
Die Bank, die silberne Seele der Stadt,
34
Und die Bücher, wo eingeschrieben
35
Jedweden Mannes Banko-Wert,
36
Gottlob! sie sind uns geblieben!
37
Gottlob! man kollektierte für uns
38
Selbst bei den fernsten Nationen --
39
Ein gutes Geschäft --die Kollekte betrug
40
Wohl an die acht Millionen.
41
Aus allen Ländern floß das Geld
42
In unsre offnen Hände,
43
Auch Viktualien nahmen wir an,
44
Verschmähten keine Spende.
45
Man schickte uns Kleider und Betten genug,
46
Auch Brot und Fleisch und Suppen!
47
Der König von Preußen wollte sogar
48
Uns schicken seine Truppen.
49
Der materielle Schaden ward
50
Vergütet, das ließ sich schätzen --
51
Jedoch den Schrecken, unseren Schreck,
52
Den kann uns niemand ersetzen!«
53
Aufmunternd sprach ich: »Ihr lieben Leut',
54
Ihr müßt nicht jammern und flennen,
55
Troja war eine bessere Stadt
56
Und mußte doch verbrennen.
57
Baut eure Häuser wieder auf
58
Und trocknet eure Pfützen,
59
Und schafft euch beßre Gesetze an

60
Und beßre Feuerspritzen.
Seite 57
61
Gießt nicht zu viel Cayenne-Piment
62
In eure Mockturtelsuppen,
63
Auch eure Karpfen sind euch nicht gesund,
64
Ihr kocht sie so fett mit den Schuppen.
65
Kalkuten schaden euch nicht viel,
66
Doch hütet euch vor der Tücke
67
Des Vogels, der sein Ei gelegt
68
In des Bürgermeisters Perücke. -- --
69
Wer dieser fatale Vogel ist,
70
Ich brauch es euch nicht zu sagen --
71
Denk ich an ihn, so dreht sich herum
72
Das Essen in meinem Magen.«
Caput XXII
1
Noch mehr verändert als die Stadt
2
Sind mir die Menschen erschienen,
3
Sie gehn so betrübt und gebrochen herum,
4
Wie wandelnde Ruinen.
5
Die mageren sind noch dünner jetzt,
6
Noch fetter sind die feisten,
7
Die Kinder sind alt, die Alten sind
8
Kindisch geworden, die meisten.
9
Gar manche, die ich als Kälber verließ,
10
Fand ich als Ochsen wieder;
11
Gar manches kleine Gänschen ward
12
Zur Gans mit stolzem Gefieder.
13
Die alte Gudel fand ich geschminkt
14
Und geputzt wie eine Sirene;
15
Hat schwarze Locken sich angeschafft
16
Und blendend weiße Zähne.
Seite 58
17
Am besten hat sich konserviert
18
Mein Freund der Papierverkäufer;
19
Sein Haar ward gelb und umwallt sein Haupt,
20
Sieht aus wie Johannes der Täufer.
21
Den ****, den sah ich nur von fern,
22
Er huschte mir rasch vorüber;

23
Ich höre, sein Geist ist abgebrannt
24
Und war versichert bei Bieber.
25
Auch meinen alten Zensor sah
26
Ich wieder. Im Nebel, gebücket,
27
Begegnet' er mir auf dem Gänsemarkt,
28
Schien sehr darnieder gedrücket.
29
Wir schüttelten uns die Hände, es schwamm
30
Im Auge des Manns eine Träne.
31
Wie freute er sich, mich wiederzusehn!
32
Es war eine rührende Szene. --
33
Nicht alle fand ich. Mancher hat
34
Das Zeitliche gesegnet.
35
Ach! meinem Gumpelino sogar
36
Bin ich nicht mehr begegnet.
37
Der Edle hatte ausgehaucht
38
Die große Seele soeben,
39
Und wird als verklärter Seraph jetzt
40
Am Throne Jehovas schweben.
41
Vergebens suchte ich überall
42
Den krummen Adonis, der Tassen
43
Und Nachtgeschirr von Porzellan
44
Feil bot in Hamburgs Gassen.
45
Sarras, der treue Pudel, ist tot.
46
Ein großer Verlust! Ich wette,
47
Daß Campe lieber ein ganzes Schock
48
Schriftsteller verloren hätte. -- --
Seite 59
49
Die Population des Hamburger Staats
50
Besteht, seit Menschengedenken,
51
Aus Juden und Christen; es pflegen auch
52
Die letztren nicht viel zu verschenken.
53
Die Christen sind alle ziemlich gut,
54
Auch essen sie gut zu Mittag,
55
Und ihre Wechsel bezahlen sie prompt,
56
Noch vor dem letzten Respittag.
57
Die Juden teilen sich wieder ein
58
In zwei verschiedne Parteien;
59
Die Alten gehn in die Synagog'

60
Und in den Tempel die Neuen.
61
Die Neuen essen Schweinefleisch,
62
Zeigen sich widersetzig,
63
Sind Demokraten; die Alten sind
64
Vielmehr aristokrätzig.
65
Ich liebe die Alten, ich liebe die Neu'n --
66
Doch schwör ich, beim ewigen Gotte,
67
Ich liebe gewisse Fischchen noch mehr,
68
Man heißt sie geräucherte Sprotte.
Caput XXIII
1
Als Republik war Hamburg nie
2
So groß wie Venedig und Florenz,
3
Doch Hamburg hat bessere Austern; man speist
4
Die besten im Keller von Lorenz.
5
Es war ein schöner Abend, als ich
6
Mich hinbegab mit Campen;
7
Wir wollten miteinander dort
8
In Rheinwein und Austern schlampampen.
Seite 60
9
Auch gute Gesellschaft fand ich dort,
10
Mit Freude sah ich wieder
11
Manch alten Genossen, z. B. Chaufepié,
12
Auch manche neue Brüder.
13
Da war der Wille, dessen Gesicht
14
Ein Stammbuch, worin mit Hieben
15
Die akademischen Feinde sich
16
Recht leserlich eingeschrieben.
17
Da war der Fucks, ein blinder Heid'
18
Und persönlicher Feind des Jehova,
19
Glaubt nur an Hegel und etwa noch
20
An die Venus des Canova.
21
Mein Campe war Amphitryo
22
Und lächelte vor Wonne;
23
Sein Auge strahlte Seligkeit,
24
Wie eine verklärte Madonne.
25
Ich aß und trank, mit gutem App'tit,
26
Und dachte in meinem Gemüte:
27
»Der Campe ist wirklich ein großer Mann,

28
Ist aller Verleger Blüte.
29
Ein andrer Verleger hätte mich
30
Vielleicht verhungern lassen,
31
Der aber gibt mir zu trinken sogar;
32
Werde ihn niemals verlassen.
33
Ich danke dem Schöpfer in der Höh',
34
Der diesen Saft der Reben
35
Erschuf, und zum Verleger mir
36
Den Julius Campe gegeben!
37
Ich danke dem Schöpfer in der Höh',
38
Der, durch sein großes Werde,
39
Die Austern erschaffen in der See
40
Und den Rheinwein auf der Erde!
Seite 61
41
Der auch Zitronen wachsen ließ,
42
Die Austern zu betauen --
43
Nun laß mich, Vater, diese Nacht
44
Das Essen gut verdauen!«
45
Der Rheinwein stimmt mich immer weich
46
Und löst jedwedes Zerwürfnis
47
In meiner Brust, entzündet darin
48
Der Menschenliebe Bedürfnis.
49
Es treibt mich aus dem Zimmer hinaus,
50
Ich muß in den Straßen schlendern;
51
Die Seele sucht eine Seele und späht
52
Nach zärtlich weißen Gewändern.
53
In solchen Momenten zerfließe ich fast
54
Vor Wehmut und vor Sehnen;
55
Die Katzen scheinen mir alle grau,
56
Die Weiber alle Helenen. -- -- --
57
Und als ich auf die Drehbahn kam,
58
Da sah ich im Mondenschimmer
59
Ein hehres Weib, ein wunderbar
60
Hochbusiges Frauenzimmer.
61
Ihr Antlitz war rund und kerngesund,
62
Die Augen wie blaue Turkoasen,
63
Die Wangen wie Rosen, wie Kirschen der Mund,
64
Auch etwas rötlich die Nase.

65
Ihr Haupt bedeckte eine Mütz'
66
Von weißem gesteiftem Linnen,
67
Gefältelt wie eine Mauerkron',
68
Mit Türmchen und zackigen Zinnen.
69
Sie trug eine weiße Tunika,
70
Bis an die Waden reichend.
71
Und welche Waden! Das Fußgestell
72
Zwei dorischen Säulen gleichend.
Seite 62
73
Die weltlichste Natürlichkeit
74
Konnt' man in den Zügen lesen;
75
Doch das übermenschliche Hinterteil
76
Verriet ein höheres Wesen.
77
Sie trat zu mir heran und sprach:
78
»Willkommen an der Elbe,
79
Nach dreizehnjähr'ger Abwesenheit --
80
Ich sehe, du bist noch derselbe!
81
Du suchst die schönen Seelen vielleicht,
82
Die dir so oft begegent
83
Und mit dir geschwärmt die Nacht hindurch,
84
In dieser schönen Gegend.
85
Das Leben verschlang sie, das Ungetüm,
86
Die hundertköpfige Hyder;
87
Du findest nicht die alte Zeit
88
Und die Zeitgenössinnen wieder!
89
Du findest die holden Blumen nicht mehr,
90
Die das junge Herz vergöttert;
91
Hier blühten sie --jetzt sind sie verwelkt,
92
Und der Sturm hat sie entblättert.
93
Verwelkt, entblättert, zertreten sogar
94
Von rohen Schicksalsfüßen --
95
Mein Freund, das ist auf Erden das Los
96
Von allem Schönen und Süßen!«
97
»Wer bist du?« --rief ich --»du schaust mich an
98
Wie'n Traum aus alten Zeiten --
99
Wo wohnst du, großes Frauenbild?
100
Und darf ich dich begleiten?«

101
Da lächelte das Weib und sprach:
102
»Du irrst dich, ich bin eine feine,
103
Anständ'ge, moralische Person;
104
Du irrst dich, ich bin nicht so eine.
Seite 63
105
Ich bin nicht so eine kleine Mamsell,
106
So eine welsche Lorettin --
107
Denn wisse: ich bin Hammonia,
108
Hamburgs beschützende Göttin!
109
Du stutzest und erschreckst sogar,
110
Du sonst so mutiger Sänger!
111
Willst du mich noch begleiten jetzt?
112
Wohlan, so zögre nicht länger.«
113
Ich aber lachte laut und rief:
114
»Ich folge auf der Stelle --
115
Schreit du voran, ich folge dir,
116
Und ging' es in die Hölle!«
Caput XXIV
1
Wie ich die enge Sahltrepp' hinauf
2
Gekommen, ich kann es nicht sagen;
3
Es haben unsichtbare Geister mich
4
Vielleicht hinaufgetragen.
5
Hier, in Hammonias Kämmerlein,
6
Verflossen mir schnell die Stunden.
7
Die Göttin gestand die Sympathie,
8
Die sie immer für mich empfunden.
9
»Siehst du« --sprach sie --»in früherer Zeit
10
War mir am meisten teuer
11
Der Sänger, der den Messias besang
12
Auf seiner frommen Leier.
13
Dort auf der Kommode steht noch jetzt
14
Die Büste von meinem Klopstock,
15
Jedoch seit Jahren dient sie mir
16
Nur noch als Haubenkopfstock.
Seite 64
17
Du bist mein Liebling jetzt, es hängt
18
Dein Bildnis zu Häupten des Bettes;
19
Und siehst du, ein frischer Lorbeer umkränzt
20
Den Rahmen des holden Porträtes.

21
Nur daß du meine Söhne so oft
22
Genergelt, ich muß es gestehen,
23
Hat mich zuweilen tief verletzt;
24
Das darf nicht mehr geschehen.
25
Es hat die Zeit dich hoffentlich
26
Von solcher Unart geheilet,
27
Und dir eine größere Toleranz
28
Sogar für Narren erteilet.
29
Doch sprich, wie kam der Gedanke dir,
30
Zu reisen nach dem Norden
31
In solcher Jahrzeit? Das Wetter ist
32
Schon winterlich geworden!«
33
»Oh, meine Göttin!« --erwiderte ich --
34
»Es schlafen tief im Grunde
35
Des Menschenherzens Gedanken, die oft
36
Erwachen zur unrechten Stunde.
37
Es ging mir äußerlich ziemlich gut,
38
Doch innerlich war ich beklommen,
39
Und die Beklemmnis täglich wuchs --
40
Ich hatte das Heimweh bekommen.
41
Die sonst so leichte französische Luft,
42
Sie fing mich an zu drücken;
43
Ich mußte Atem schöpfen hier
44
In Deutschland, um nicht zu ersticken.
45
Ich sehnte mich nach Torfgeruch,
46
Nach deutschem Tabaksdampfe;
47
Es bebte mein Fuß vor Ungeduld,
48
Daß er deutschen Boden stampfe.
Seite 65
49
Ich seufzte des Nachts und sehnte mich,
50
Daß ich sie wiedersähe,
51
Die alte Frau, die am Dammtor wohnt;
52
Das Lottchen wohnt in der Nähe.
53
Auch jenem edlen alten Herrn,
54
Der immer mich ausgescholten
55
Und immer großmütig beschützt, auch ihm
56
Hat mancher Seufzer gegolten.

57
Ich wollte wieder aus seinem Mund
58
Vernehmen den ›dummen Jungen!‹
59
Das hat mir immer wie Musik
60
Im Herzen nachgeklungen.
61
Ich sehnte mich nach dem blauen Rauch,
62
Der aufsteigt aus deutschen Schornsteinen,
63
Nach niedersächsischen Nachtigall'n,
64
Nach stillen Buchenhainen.
65
Ich sehnte mich nach den Plätzen sogar,
66
Nach jenen Leidensstationen,
67
Wo ich geschleppt das Jugendkreuz
68
Und meine Dornenkronen.
69
Ich wollte weinen, wo ich einst
70
Geweint die bittersten Tränen --
71
Ich glaube, Vaterlandsliebe nennt
72
Man dieses törichte Sehnen.
73
Ich spreche nicht gern davon; es ist
74
Nur eine Krankheit im Grunde.
75
Verschämten Gemütes, verberge ich stets
76
Dem Publiko meine Wunde.
77
Fatal ist mir das Lumpenpack,
78
Das, um die Herzen zu rühren,
79
Den Patriotismus trägt zur Schau
80
Mit allen seinen Geschwüren.
Seite 66
81
Schamlose schäbbige Bettler sind's,
82
Almosen wollen sie haben --
83
Ein'n Pfennig Popularität
84
Für Menzel und seine Schwaben!
85
O meine Göttin, du hast mich heut
86
In weicher Stimmung gefunden;
87
Bin etwas krank, doch pfleg ich mich,
88
Und ich werde bald gesunden.
89
Ja ich bin krank, und du könntest mir
90
Die Seele sehr erfrischen
91
Durch eine gute Tasse Tee;
92
Du mußt ihn mit Rum vermischen.«
Caput XXV

1
Die Göttin hat mir Tee gekocht
2
Und Rum hineingegossen;
3
Sie selber aber hat den Rum
4
Ganz ohne Tee genossen.
5
An meine Schulter lehnte sie
6
Ihr Haupt (die Mauerkrone,
7
Die Mütze, ward etwas zerknittert davon),
8
Und sie sprach mit sanftem Tone:
9
»Ich dachte manchmal mit Schrecken dran,
10
Daß du in dem sittenlosen
11
Paris so ganz ohne Aufsicht lebst,
12
Bei jenen frivolen Franzosen.
13
Du schlenderst dort herum und hast
14
Nicht mal an deiner Seite
15
Einen treuen deutschen Verleger, der dich
16
Als Mentor warne und leite.
Seite 67
17
Und die Verführung ist dort so groß,
18
Dort gibt es so viele Sylphiden,
19
Die ungesund, und gar zu leicht
20
Verliert man den Seelenfrieden.
21
Geh nicht zurück und bleib bei uns;
22
Hier herrschen noch Zucht und Sitte,
23
Und manches stille Vergnügen blüht
24
Auch hier, in unserer Mitte.
25
Bleib bei uns in Deutschland, es wird dir hier
26
Jetzt besser als eh'mals munden;
27
Wir schreiten fort, du hast gewiß
28
Den Fortschritt selbst gefunden.
29
Auch die Zensur ist nicht mehr streng,
30
Hoffmann wird älter und milder,
31
Und streicht nicht mehr mit Jugendzorn
32
Dir deine »Reisebilder«.
33
Du selbst bist älter und milder jetzt,
34
Wirst dich in manches schicken,
35
Und wirst sogar die Vergangenheit
36
In besserem Lichte erblicken.
37
Ja, daß es uns früher so schrecklich ging,

38
In Deutschland, ist Übertreibung;
39
Man konnte entrinnen der Knechtschaft, wie einst
40
In Rom, durch Selbstentleibung.
41
Gedankenfreiheit genoß das Volk,
42
Sie war für die großen Massen,
43
Beschränkung traf nur die g'ringe Zahl
44
Derjen'gen, die drucken lassen.
45
Gesetzlose Willkür herrschte nie,
46
Dem schlimmsten Demagogen
47
Ward niemals ohne Urteilspruch
48
Die Staatskokarde entzogen.
Seite 68
49
So übel war es in Deutschland nie,
50
Trotz aller Zeitbedrängnis --
51
Glaub mir, verhungert ist nie ein Mensch
52
In einem deutschen Gefängnis.
53
Es blühte in der Vergangenheit
54
So manche schöne Erscheinung
55
Des Glaubens und der Gemütlichkeit;
56
Jetzt herrscht nur Zweifel, Verneinung.
57
Die praktische äußere Freiheit wird einst
58
Das Ideal vertilgen,
59
Das wir im Busen getragen --es war
60
So rein wie der Traum der Liljen!
61
Auch unsre schöne Poesie
62
Erlischt, sie ist schon ein wenig
63
Erloschen; mit andern Königen stirbt
64
Auch Freiligraths Mohrenkönig.
65
Der Enkel wird essen und trinken genug,
66
Doch nicht in beschaulicher Stille;
67
Es poltert heran ein Spektakelstück,
68
Zu Ende geht die Idylle.
69
Oh, könntest du schweigen, ich würde dir
70
Das Buch des Schicksals entsiegeln,
71
Ich ließe dir spätere Zeiten sehn
72
In meinen Zauberspiegeln.
73
Was ich den sterblichen Menschen nie
74
Gezeigt, ich möcht' es dir zeigen:

75
Die Zukunft deines Vaterlands --
76
Doch ach! du kannst nicht schweigen!«
77
»Mein Gott, o Göttin!« --rief ich entzückt --
78
»Das wäre mein größtes Vergnügen,
79
Laß mich das künftige Deutschland sehn --
80
Ich bin ein Mann und verschwiegen.
Seite 69
81
Ich will dir schwören jeden Eid,
82
Den du nur magst begehren,
83
Mein Schweigen zu verbürgen dir --
84
Sag an, wie soll ich schwören?«
85
Doch jene erwiderte: »Schwöre mir
86
In Vater Abrahams Weise,
87
Wie er Eliesern schwören ließ,
88
Als dieser sich gab auf die Reise.
89
Heb auf das Gewand und lege die Hand
90
Hier unten an meine Hüften,
91
Und schwöre mir Verschwiegenheit
92
In Reden und in Schriften!«
93
Ein feierlicher Moment! Ich war
94
Wie angeweht vom Hauche
95
Der Vorzeit, als ich schwur den Eid,
96
Nach uraltem Erzväterbrauche.
97
Ich hob das Gewand der Göttin auf
98
Und legte an ihre Hüften
99
Die Hand, gelobend Verschwiegenheit
100
In Reden und in Schriften.
Caput XXVI
1
Die Wangen der Göttin glühten so rot
2
(Ich glaube in die Krone
3
Stieg ihr der Rum), und sie sprach zu mir
4
In sehr wehmütigem Tone:
5
»Ich werde alt. Geboren bin ich
6
Am Tage von Hamburgs Begründung.
7
Die Mutter war Schellfischkönigin
8
Hier an der Elbe Mündung.
Seite 70
9
Mein Vater war ein großer Monarch,

10
Carolus Magnus geheißen,
11
Er war noch mächt'ger und klüger sogar
12
Als Friedrich der Große von Preußen.
13
Der Stuhl ist zu Aachen, auf welchem er
14
Am Tage der Krönung ruhte;
15
Den Stuhl, worauf er saß in der Nacht,
16
Den erbte die Mutter, die gute.
17
Die Mutter hinterließ ihn mir,
18
Ein Möbel von scheinlosem Äußern,
19
Doch böte mir Rothschild all sein Geld,
20
Ich würde ihn nicht veräußern.
21
Siehst du, dort in dem Winkel steht
22
Ein alter Sessel, zerrissen
23
Das Leder der Lehne, von Mottenfraß
24
Zernagt das Polsterkissen.
25
Doch gehe hin und hebe auf
26
Das Kissen von dem Sessel,
27
Du schaust eine runde Offnung dann,
28
Darunter einen Kessel --
29
Das ist ein Zauberkessel, worin
30
Die magischen Kräfte brauen,
31
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
32
So wirst du die Zukunft schauen --
33
Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
34
Gleich wogenden Phantasmen,
35
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
36
Aufsteigen die Miasmen!«
37
Sie sprach's und lachte sonderbar,
38
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
39
Neugierig eilte ich, den Kopf
40
In die furchtbare Ründung zu stecken.
Seite 71
41
Was ich gesehn, verrate ich nicht,
42
Ich habe zu schweigen versprochen,
43
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
44
O Gott! was ich gerochen! -- -- --
45
Ich denke mit Widerwillen noch
46
An jene schnöden, verfluchten

47
Vorspielgerüche, das schien ein Gemisch
48
Von altem Kohl und Juchten.
49
Entsetzlich waren die Düfte, o Gott!
50
Die sich nachher erhuben;
51
Es war, als fegte man den Mist
52
Aus sechsunddreißig Gruben. -- -- --
53
Ich weiß wohl, was Saint-Just gesagt
54
Weiland im Wohlfahrtsausschuß:
55
Man heile die große Krankheit nicht
56
Mit Rosenöl und Moschus --
57
Doch dieser deutsche Zukunftsduft
58
Mocht' alles überragen,
59
Was meine Nase je geahnt --
60
Ich konnt' es nicht länger ertragen -- -- --
61
Mir schwanden die Sinne, und als ich aufschlug
62
Die Augen, saß ich an der Seite
63
Der Göttin noch immer, es lehnte mein Haupt
64
An ihre Brust, die breite.
65
Es blitzte ihr Blick, es glühte ihr Mund,
66
Es zuckten die Nüstern der Nase,
67
Bacchantisch umschlang sie den Dichter und sang
68
Mit schauerlich wilder Ekstase:
69
»Bleib bei mir in Hamburg, ich liebe dich,
70
Wir wollen trinken und essen
71
Den Wein und die Austern der Gegenwart,
72
Und die dunkle Zukunft vergessen.
Seite 72
73
Den Deckel darauf! damit uns nicht
74
Der Mißduft die Freude vertrübet --
75
Ich liebe dich, wie je ein Weib
76
Einen deutschen Poeten geliebet!
77
Ich küsse dich, und ich fühle, wie mich
78
Dein Genius begeistert;
79
Es hat ein wunderbarer Rausch
80
Sich meiner Seele bemeistert.
81
Mir ist, als ob ich auf der Straß'
82
Die Nachtwächter singen hörte --
83
Es sind Hymenäen, Hochzeitmusik,

84
Mein süßer Lustgefährte!
85
Jetzt kommen die reitenden Diener auch,
86
Mit üppig lodernden Fackeln,
87
Sie tanzen ehrbar den Fackeltanz,
88
Sie springen und hüpfen und wackeln.
89
Es kommt der hoch- und wohlweise Senat,
90
Es kommen die Oberalten;
91
Der Bürgermeister räuspert sich
92
Und will eine Rede halten.
93
In glänzender Uniform erscheint
94
Das Corps der Diplomaten;
95
Sie gratulieren mit Vorbehalt
96
Im Namen der Nachbarstaaten.
97
Es kommt die geistliche Deputation,
98
Rabbiner und Pastöre --
99
Doch ach! da kommt der Hoffmann auch
100
Mit seiner Zensorschere!
101
Die Schere klirrt in seiner Hand,
102
Es rückt der wilde Geselle
103
Dir auf den Leib --er schneidet ins Fleisch --
104
Es war die beste Stelle.«
Seite 73
Caput XXVII
1
Was sich in jener Wundernacht
2
Des weitern zugetragen,
3
Erzähl ich euch ein andermal,
4
In warmen Sommertagen.
5
Das alte Geschlecht der Heuchelei
6
Verschwindet Gott sei Dank heut,
7
Es sinkt allmählich ins Grab, es stirbt
8
An seiner Lügenkrankheit.
9
Es wächst heran ein neues Geschlecht,
10
Ganz ohne Schminke und Sünden,
11
Mit freien Gedanken, mit freier Lust --
12
Dem werde ich alles verkünden.
13
Schon knospet die Jugend, welche versteht
14
Des Dichters Stolz und Güte,
15
Und sich an seinem Herzen wärmt,

16
An seinem Sonnengemüte.
17
Mein Herz ist liebend wie das Licht
18
Und rein und keusch wie das Feuer;
19
Die edelsten Grazien haben gestimmt
20
Die Saiten meiner Leier.
21
Es ist dieselbe Leier, die einst
22
Mein Vater ließ ertönen,
23
Der selige Herr Aristophanes,
24
Der Liebling der Kamönen.
25
Es ist die Leier, worauf er einst
26
Den Paisteteros besungen,
27
Der um die Basileia gefreit,
28
Mit ihr sich emporgeschwungen.
Seite 74
29
Im letzten Kapitel hab ich versucht,
30
Ein bißchen nachzuahmen
31
Den Schluß der »Vögel«, die sind gewiß
32
Das beste von Vaters Dramen.
33
Die »Frösche« sind auch vortrefflich. Man gibt
34
In deutscher Übersetzung
35
Sie jetzt auf der Bühne von Berlin,
36
Zu königlicher Ergetzung.
37
Der König liebt das Stück. Das zeugt
38
Von gutem antiken Geschmacke;
39
Den Alten amüsierte weit mehr
40
Modernes Froschgequacke.
41
Der König liebt das Stück. Jedoch
42
Wär' noch der Autor am Leben,
43
Ich riete ihm nicht, sich in Person
44
Nach Preußen zu begeben.
45
Dem wirklichen Aristophanes,
46
Dem ginge es schlecht, dem Armen;
47
Wir würden ihn bald begleitet sehn
48
Mit Chören von Gendarmen.
49
Der Pöbel bekäm' die Erlaubnis bald,
50
Zu schimpfen statt zu wedeln;
51
Die Polizei erhielte Befehl,
52
Zu fahnden auf den Edeln.

53
O König! Ich meine es gut mit dir
54
Und will einen Rat dir geben:
55
Die toten Dichter, verehre sie nur,
56
Doch schone, die da leben.
57
Beleid'ge lebendige Dichter nicht,
58
Sie haben Flammen und Waffen,
59
Die furchtbarer sind als Jovis Blitz,
60
Den ja der Poet erschaffen.
Seite 75
61
Beleid'ge die Götter, die alten und neu'n,
62
Des ganzen Olymps Gelichter,
63
Und den höchsten Jehova obendrein --
64
Beleid'ge nur nicht den Dichter!
65
Die Götter bestrafen freilich sehr hart
66
Des Menschen Missetaten,
67
Das Höllenfeuer ist ziemlich heiß,
68
Dort muß man schmoren und braten --
69
Doch Heilige gibt es, die aus der Glut
70
Losbeten den Sünder; durch Spenden
71
An Kirchen und Seelenmessen wird
72
Erworben ein hohes Verwenden.
73
Und am Ende der Tage kommt Christus herab
74
Und bricht die Pforten der Hölle;
75
Und hält er auch ein strenges Gericht,
76
Entschlüpfen wird mancher Geselle.
77
Doch gibt es Höllen, aus deren Haft
78
Unmöglich jede Befreiung;
79
Hier hilft kein Beten, ohnmächtig ist hier
80
Des Welterlösers Verzeihung.
81
Kennst du die Hölle des Dante nicht,
82
Die schrecklichen Terzetten?
83
Wen da der Dichter hineingesperrt,
84
Den kann kein Gott mehr retten --
85
Kein Gott, kein Heiland, erlöst ihn je
86
Aus diesen singenden Flammen!
87
Nimm dich in acht, daß wir dich nicht
88
Zu solcher Hölle verdammen.

DETAILS
Publication title: Deutschland. Ein Wintermärchen; Stuttgart
Pages: 7 - 75
Publication date: 1979
Publisher: Reclam Verlag
Place of publication: Stuttgart
Country of publication: Germany
Publication subject: Literature
Source type: Book
Language of publication: German
Document type: Gedicht
ISBN: 978-3-15-002253-5
ProQuest document ID: 2355797129
Document URL: https://www.proquest.com/books/deutschland-ein-

wintermärchen/docview/2355797129/se-2?accountid=13042
Copyright: Copyright © by Philipp Reclam jun., Stuttgart
Last updated: 2020-07-06
Database: Die Deutsche Lyrik in Reclams Universal-Bibliothek,ProQuest One Literature
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Publication title: Deutschland. Ein Wintermärchen; Stuttgart

Publication date: 1979

Publisher: Reclam Verlag

Place of publication: Stuttgart