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Kapitalismus

*Die Definitionen zu Kapitalismus sind – wie alle politischen Definitionen – umstritten. Worin
allerdings viele übereinstimmen, ist, dass Kapitalismus nicht nur eine Wirtschaftsordnung und -
epoche bezeichnet (ab dem 13. Jahrhundert Handelskapitalismus und ab dem 18. Jahrhundert
Industriekapitalismus), sondern auch eine Gesellschaftsordnung. Denn die Grundlagen des
Kapitalismus (Privateigentum an Produktionsmitteln, Steuerung der Produktion durch Markt und
Nachfrage, Reinvestition des Gewinns (Akkumulation) und Gewinnstreben beinflussen grundlegend
auch das Denken und Handeln der Menschen und formen somit auch unser Zusammenleben
(de.wikipedia.org). Im Zeitstrahl zum Thema Kapitalismus gehen wir folgenden Fragen nach:

*Wann und wie hat sich das heute fast global vorherrschende kapitalistische Wirtschaftssystem
entwickelt?

*Durch welche sozialen, politischen, gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hat sich der


Kapitalismus sich verändert?

*Wie entstanden aus Leibeigenen des Mittelalters lohnabhängige Arbeiter*innen? Welche Rolle
spielte die Landfrage?

*Wie veränderten sich die Besitzverhältnisse im Laufe der Jahrhunderte?

*Welche Wechselwirkungen hat die Machtstruktur Klasse, die dominant ist in Diskursen über
Kapitalismus, mit den Kategorien von „Rasse“?

*Wie war die Ausbeutung durch kapitalistische Strukturen in Europa mit der Eroberung und
Unterdrückung in den Amerikas, in Afrika, Asien und Australien verbunden?

*Welche Rolle spielten Geschlecht und Sexualität in der Entwicklung des Kapitalismus?

*Welche alternativen Wirtschaftssysteme gibt es?

Besonders auch an der Geschichte des Kapitalismus lässt sich erkennen, dass Geschichte nicht linear
verläuft und keinesfalls am Ende ist. Die im Zeitstrahl behandelten Aspekte sind begrenzt und können
allenfalls skizzieren, wie sich der Kapitalismus entwickelt hat. Wir versuchen aber besonders, in
hegemonialen Diskursen oft ungeschriebene Perspektiven zu beleuchten.”

Einz

Ich bin, weil wir sind und weil wir sind, bin ich.

Jahr: 1969

Autor*inneninfo:

John Mbiti (1931-2019) war ein kenianischer Theologe. Das Zitat basiert auf der in vielen Teilen
Afrikas verbreiteten Ubuntu-Philosophie, z.B. auf Zulu: ‘Umuntu ngumuntu ngabantu’ (Ein Mensch ist
ein Mensch durch andere Menschen).

Quelle:
John Mbiti (1974): Afrikanische Religion und Weltanschauung. Berlin-New York: Walter de Gruyter, S.
137

Kontext:

John Mbiti Ubuntu wird auf viele Bereiche angewendet wie Philosophie, als Grundlage für ein frei
verfügbares Computerbetriebssystem und als Inspiration für ein Wirtschaftssystem jenseits des
Kapitalismus. Im Gegensatz zu Descartes‘ Cogito ergo sum (Ich denke, also bin ich) spricht aus dieser
Geisteshaltung, dass – entgegen dem individualistischen Weltbild der Aufklärung – das Wohlergehen
der Menschen miteinander verknüpft ist. Erfolg ist demnach nicht die Anhäufung materiellen
Reichtums einzelner, sondern die „Wiederherstellung von Lebenskraft, der lebendige Geist, der
unsere Existenz durchdringt und die Welt, dessen Teil wir sind“ (Naudé 2010: 113). Piet Naudé, Prof.
an der Nelson-Mandela-Universität in Südafrika, schlägt vor, das die afrikanische Ubuntu-Philosophie
Grundlage eines neuen Handelssystems sein könne.

Zum Weiterlesen:

*Abeba Birhane (2017): Descartes was wrong: ‘a person is a person through other persons’.

* Piet J. Naudé (2010): Fair Global Trade: A Perspective from Africa. In: Geoff Moore: Fairness in
International Trade. Durham: Springer‘s.

Zwei

Ich muss arbeiten. Ich bin Haushaltsvorstand. Ich muss die Kinder ernähren. Obwohl du nur 9,35
Dollar verdienst, bedeuteten diese 9,35 Dollar zu überleben. Und als wir die Gewerkschaft hatten,
hatten sie das Gefühl, ich habe einen gewissen Schutz. Ich habe jemanden, der sich wirklich
interessiert.

Jahr: 1944

Autor*inneninfo:

Velma Hopkins (1909-1996) war eine Schwarze US-amerikanische Arbeiterin. Die von ihr
mitgegründete Gewerkschaft Local 22 wurde hauptsächlich von Schwarzen Frauen geführt und
kämpfte für wirtschaftliche, racial und Geschlechtergleichstellung. Die Jahrezahl des Zitats ist
geschätzt.

Quelle:

Korstad, Robert Rodgers (2003). Civil rights unionism : tobacco workers and the struggle for
democracy in the mid-twentieth-century South. Chapel Hill: University of North Carolina Press. S.
217.

Kontext:

Oft wurde die Mehrfachdiskriminierung von Schwarzen Arbeiter:innen (als Frauen, Schwarze und
Arbeiter:innen) nicht anerkannt. Darum wurden schon Anfang des Jahrhunderts Gewerkschaften wie
Local 22 gegründet, die genau dafür kämpften. 1989 prägte die Schwarze US-amerikanische Juristin
Kimberlé Williams Crenshaw dafür den Begriff der Intersektionalität. Ihr Fallbeispiel für
Mehrfachdiskriminierung war die Klage von Emma Degraffenreid und vier weiteren Schwarzen
Frauen, die in einer General Motors Fabrik als erste gekündigt wurden, vor weißen Frauen und
Schwarzen Männern (eds. 1989: “Demarginalizing the Intersection of Race and Sex. University of
Chicago Legal Forum. Issue 1, Artikel 8, S. 141ff). Während gegenwärtig über Race und Gender viel
gesprochen wird, gerät die Frage sozialer Klassen völlig in den Hintergrund. Schon im Jahr 2000, nach
einem ganzen Jahrzehnt des Neoliberalismus, kritisierte bell hooks: “Heutzutage ist es in Mode, über
Rasse oder Geschlecht zu sprechen. Das uncoole Thema ist Klasse” (bell hooks (2000): Where we
stand: Class matter, p. Vii).

Zum Weiterlesen:

*Kimberlé Williams Crenshaw (1989): Demarginalising the Intersection of Race and Sex: A Black
Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics. University of
Chicago Legal Forum. Issue 1, Article 8.

*bell hooks (2000): Where we stand: Class Matters. New York and London: Routledge.

Drei

Wenn der weiße Mann mit dem Native American in Frieden leben will, dann kann er in Frieden leben.
Behandle alle Menschen gleich. Gib allen die gleichen Gesetze. Gib allen die gleichen Chancen zu
leben und zu wachsen. Alle Menschen wurden vom großen spirituellen Meister erschaffen. Sie sind
alle Brüder. Die Erde ist die Mutter aller Menschen (…) Lass mich ein freier Mann sein, frei zu reisen,
frei mich niederzulassen, frei zu arbeiten, frei zu handeln.

Jahr: 1879

Autor*inneninfo:

Hinmaton-Yalaktit (1840-1904) auch bekannt als Chief Joseph, war Wal-lam-wat-kain, Angehöriger
einer Untergruppe der Nez-Percé aus dem Wallowa-Flusstal im nordöstlichen Oregon/USA. Er
machte sich während des Nez-Percé-Krieges einen Namen als kluger Taktiker.

Quelle:

Rede bei einem Besuch in Washington.

Kontext:

Chief Joseph der Ältere, Hinmaton-Yalaktits Vater, hatte der Gruppe Nez Percé Land in einer
Reservation „gesichert“ und sie damit sesshaft gemacht. In Folge des Goldrausches 1863 wurden die
Nez Percé allerdings von der Bundesregierung größtenteils wieder enteignet. Chief Joseph der Ältere
verbrannte danach die US-Flagge und seine Bibel. Nach seinem Tod führte Hinmaton-Yalaktit den
Widerstand der Nez Percé fort. Sein Freiheitsbegriff beinhaltet auch die Freiheit, Handel zu treiben.
Aber im Gegensatz (zu de Vitoria) stellt er den Gedanken der Gleichwertigkeit als grundlegend für
Handel dar. Hinmaton-Yalaktit prangert in der gleichen Rede (Besuch in Washington): „Ich habe
einige der großen weißen Chiefs gefragt, woher sie das Recht nehmen, den Native Americans zu
sagen, dass sie an einem Ort bleiben müssen, während die weißen Männer hingehen, wo sie wollen.
Sie konnten mir diese Frage nicht beantworten“ (www.pbs.org).

Zum Weiterlesen:

*Howards Zinn (1980): A People‘s History of the United States. 1492-present. New York: Harper
Collins.

*Die nachgesprochene Washingtoner Rede.


Vier

Heute habe ich nach über zwölf Jahren den Mitarbeiterstab des Internationalen Währungsfonds
verlassen (…). Für mich ist der Rückzug eine unbezahlbare Befreiung, denn damit habe ich den ersten
großen Schritt in die Richtung getan, in der ich hoffentlich meine Hände von dem reinwaschen kann,
was für mich das Blut von Millionen armer und hungernder Menschen ist … überall klebt es an mir;
manchmal habe ich das Gefühl, es gibt nicht genügend Seife auf der Welt, um mich von den Dingen
zu säubern, die ich in ihrem Namen tat.

Jahr: 1988

Autor*inneninfo:

David L. Budhoo ist Wirtschaftswissenschaftler aus Grenada in der Karibik. Von 1966 an war er beim
Internationalen Währungsfond tätig, später sogar als leitender Mitarbeiter. Er entwarf
Strukturanpassungsprogramme für Lateinamerika und Afrika. Sein Kündigungsschreiben mit dem
Titel „Genug ist genug“ von 1988 war mehr als 100 Seiten lang.

Quelle:

David L. Budhoo (1990): Enough ist enough. Dear Mr Camdessus … Open letter of resignation to the
Managing Director of the International Monetary Fund. New York: Horizon Press, S. 102
(Übersetzung aus Naomi Klein 2010: 362).

Kontext:

Besonders in den 1980er und 90er Jahren war die Strukturanpassungen der internationalen
Organisationen IWF und Weltbank besonders hart. Der offizielle Auftrag der Institutionen ist zwar
„Krisenprävention“, aber Bodhoo beschreibt, wie er Statistiken fälschte, um drastische neoliberale
wirtschaftliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Diese Statistiken ließen Länder (z.B. Trinidad und
Tobago) instabil aussehen und sie konnten keine oder nur schlechte Kredite mehr bekommen, so
dass nur noch Kredite von IWF und Weltbank möglich waren. Doch nicht nur von diesen werden
solche „Modernisierungen“ der Strukturen verlangt. 2016 sollte die kenianische Regierung das
Freihandelsabkommen EPA mit der EU unterzeichnen. „Als sich die Regierung sträubte, verhängte die
EU Einfuhrzölle auf kenianische Produkte. (…) Das Abkommen selbst belegt, was Freihandel unter
ungleichen Partnern bedeutet: Während nur 10% der afrikanischen Produkte auf dem Weltmarkt als
konkurrenzfähig gelten, ermöglicht es EPA, dass auf 80% der Exporte der Europäischen Union nach
Ostafrika keine Zölle erhoben werden dürfen“ (Medico International 2017).

Zum Weiterlesen:

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am
Main: Fischer, S. 230ff. und 361ff.

*Susan Meeker-Lowry (1995): Mr. Budhoo’s Bombshell: A people’s alternative to Structural


Adjustment.

*Medico International (Anne Jung, 2017): Ostafrika. Hunger durch Handel?

*David L. Budhoo (1990): Enough is enough.

Fünf

Freiheit des Handels. Die Spanier können den Handel unter den Native Americans rechtmäßig
weiterführen, solange sie deren Land keinen Schaden zufügen, wie z. B. durch die Einfuhr von Waren,
die ihnen fehlen, und indem sie dort entweder Gold oder Silber oder andere Waren exportieren, die
die Eingeborenen in Fülle haben. Die einheimischen Fürsten können ihre Untertanen weder daran
hindern, Handel mit den Spaniern zu führen; noch dürfen die Fürsten Spaniens den Handel mit den
Eingeborenen verhindern.

Jahr: 1532

Autor*inneninfo:

Francisco de Vitoria (1483 – 1546) war ein katholischer Moraltheologe, Dominikanermönch und
Naturrechtslehrer. Er lehrte an unterschiedlichen Universitäten Spaniens und äußerte sich in seinen
Schriften auch zu politischen Themen, wie Eroberungen und Handel in den Amerikas. De Vitoria war
zentral für die Entwickung der Begriffe „Handelsfreiheit“ und „Freiheit der Meere“ (für Handel).

Quelle:

Vitorias Schrift (1532): The First Relectio of the Reverend Father, Brother Franciscus de Victoria, On
the Indians Lately Discovered.

Kontext:

Das Recht und die Freiheit zu reisen und zu handeln werden von de Vitoria als fundamentale
Prinzipien eines natürlichen Rechts gesehen. Dieses Recht der Kaufleute wurde über evtl.
Einschränkungen und Protektionismus (Schutz vor Wareneinfuhr) durch adelige Herrscher:innen
gestellt (Fürsten). Allerdings waren die Handelsbeziehungen keineswegs Beziehungen unter
Gleichberechtigten. Das Gold und Silber, das (so de Vitoria) „die Eingeborenen in Fülle haben“ wurde
erst durch umweltzerstörenenden Bergbau und für Arbeiter:innen gefährliche und erniedrigende
Zwangsarbeit gewonnen. Deutsche Händler:innen und Fürst:innen hatten sogar Privatkolonien in
Lateinamerika, Afrika und Asien oder waren in den Sklavenhandel verwickelt (Potts 1988: 18). Zum
Beispiel war Großfriedrichsburg im heutigen Ghana im 17. Jahrhundert eine Kolonie des Großen
Kurfürsten Jakob von Kurland. Venezuela war von 1528 bis 1558 Hauskolonie des Bankhauses
Welsers (Reader der AG: 4ff.).

Zum Weiterlesen:

*Antony T. Anghie (2005): Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law. Cambridge:
Cambridge University Press.

*Lydia Potts (1988): Weltmarkt für Arbeitskraft. Hamburg: Junius.

*AG Weiße deutsche Frauen und Kolonialismus: „Weiße deutsche Frauen & Kolonialismus – Reader
zu einer Veranstaltung.“ C/o Infoladen. Kleiner Schäferkamp 46. 20357 Hamburg.

Sechs

Ich konzentrierte mich auf die Politik – Massenaktionen, den Marsch nach Bisho [Schauplatz des
definitiven Kräftemessens zwischen Demonstranten und Polizei] (…) Aber das war nicht der wirkliche
Kampf – der wurde über die Wirtschaft geführt. Und ich bin wirklich von mir selbst enttäuscht, dass
ich so naiv war.

Jahr: 2005

Autor*inneninfo:

William Gumede ist Journalist und Professor an der Universität Witwatersrand. Er ist ehem. ANC-
Aktivist und Anführer in der Studentenbewegung in Zeiten der Apartheid.
Quelle:

Interview mit Naomi Klein (2010: 285).

Kontext:

Während des Übergangs von Apartheid zu Demokratie Anfang der 1990er Jahre schauten laut
Gumede alle auf die politischen Verhandlungen als Garantie der politischen Freiheit für die nicht-
weiße südafrikanische Gesamtbevölkerung. Die wirtschaftlichen Regelungen wurden von ANC-
Kämpfer:innen nicht sehr beachtet. So konnte sich die weiße südafrikanische Elite die wirtschaftliche
Macht und ihren Reichtum sichern. Die ANC-Regierung wurde wirtschaftspolitisch entmachtet, sie
konnte weder Land und Wasser kostenlos verteilen, da es privatisiert wurde, noch Mindestlöhne
erheben – aufgrund einer Vereinbarung mit dem IWF (Klein 2010: 283).

Zum Weiterlesen:

*William Gumede (2005): Thabo Mbeki and the Battle for the Soul of the ANC. Cape Town: Zebra
Press.

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt
a.M.: Fischer, S. 451ff.

*Thomas Gebauer (2015): Aktuelle Konzepte zur Krisenbewältigung stabilisieren genau jene
Verhältnisse, die Krisen hervorrufen. In: medico international.

Sieben

Die Verletzung der Menschenrechte, das System institutionalisierter Brutalität, die drastische
Kontrolle und Unterdrückung jeglicher Form von Opposition werden als ein Phänomen diskutiert
(und oft verdammt), das rein gar nichts oder höchstens indirekt mit der klassischen ungezügelten
‚freien Marktwirtschaft‘ zu tun hat (…). Diese besonders bequeme Konsequenz eines sozialen
Systems, in dem ‚wirtschaftliche Freiheit‘ und politischer Terror ohne Berührungspunkte
nebeneinander existieren, erlaubt es den Finanzexperten, für ihren Begriff von ‚Freiheit‘ zu werben.

Jahr: 1976

Autor*inneninfo:

Orlando Letelier (1932-1976) war Botschafter Chiles unter Präsident Salvador Allende. Er wurde 1976
bei einem Autobombenanschlag unter General Pinochet ermordet.

Quelle:

Naomi Klein (2010: 137)

Kontext:

In den 1970er Jahren wurden in Lateinamerika (z.B. Chile), Asien (z.B. Indonesien) und Afrika (z.B.
Kongo) viele sozialistische Regierungen mit Unterstützung westlicher Geheimdienste gestürzt und
durch Diktaturen ersetzt. Den Ländern wurde so klargemacht, dass wenn sie wagten, einen
alternativen ‚dritten‘ Weg zu gehen, sie dafür mit staatlichem Terror zu bezahlen hätten (vgl. Klein
2010: 159). Die Diktatur in Chile war für viele ein Versuchslabor des Neoliberalismus. Für Letelier war
der neoliberale Ökonom Milton Friedman für Diktator Pinochets Verbrechen mitverantwortlich.
Westliche Firmen profitierten direkt von dem Militärregime Pinochets. Ford hatte auf dem
Fabrikgelände Internierungslager für aufsässige Arbeiter:innen (vgl. Klein 2010: 155). Claudia Acuña,
eine Journalistin, die die Diktatur im Nachbarland Argentinien erlebte, betont, wie schwierig es war,
zu erkennen, das Gewalt nur ein Mittel und nicht das Ziel war: Ziel war, eine neue
Wirtschaftsordnung durchzusetzen. Dies gelang: „Wir konnten die geheimen Folterzentren zerstören,
aber nicht das Wirtschaftssystem, das das Militär begonnen hatte“ (zitiert nach Klein 2010: 178).

Zum Weiterlesen:

*Orlando Letelier (1976): The Chicago Boys in Chile: Economic Freedom’s Awful Toll. In: The Nation
223, Nr. 28, S. 137-142.

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt
a.M.: Fischer.

Acht

Sobald ihr in die Gebiete des Feindes kommt, wird euch bewusst werden, was die Unterdrückung
durch den weißen Mann bedeutet. Imposante, prächtige Gebäude blicken von Bergeshöhen oder
Hügeln auf die winzigen Hütten der Eingeborenen herab. Finanziert wird der luxoriöse Lebensstil der
Weißen mit dem Geld, das diese kleine Minderheit durch blutige Unterdrückung aus den Asiaten
herauspresst.

Jahr: 1940

Autor*inneninfo:

Oberst Masanobu Tsuji (1901-1961) war ein japanischer Offizier, Militärstratege und Politiker. Er war
in Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs involviert, versteckte sich nach dem Krieg in
Thailand, um der Gerichtbarkeit zu entgehen, kehrte aber schon 1949 nach Japan zurück und wurde
Parlamentarier.

Quelle:

Arthur Zich (1980): Die aufgehende Sonne. Der Zweite Weltkrieg. Niederlande: Time-Life-Books, S.
123. Das Zitat entstand zwischen 1939 und 1945.

Kontext:

Japan war im Zweiten Weltkrieg Verbündeter Nazi-Deutschlands. „Nach außen benutzten die
japanischen Ideologen antikoloniale (…) Rhetorik, um Widerstand gegen die westlichen
Kolonialmächte zu schüren und Verbündete zu gewinnen – die Losung hieß ‚Asien den Asiaten‘“
(recherche international 2008: 107). Viele Menschen, z.B. in Indonesien, begrüßten zunächst die
japanische Armee, weil sie die niederländische Kolonialmacht vertrieb und deren ausbeutende
Plantagenwirtschaft abschaffte. Japan verteilte niederländischen Besitz an indonesische Bauern. Aber
schon bald ließen die Japaner:innen viele als Romusha (Zwangsarbeiter:innen) arbeiten. Ca. 4
Millionen Indonesier:innen kamen im Zweiten Weltkrieg dabei um (ebd.: 123). Der indonesische
Journalist Sunapati beschrieb das Vorgehen der Japaner:innen so: „Der Wolf geht aus der Hintertür
heraus, der Tiger kommt durch die Vordertür herein.“ (ebd.: 107) Anders ausgedrückt: „Die
europäischen Kolonialisten liefen davon, die japanischen Faschisten kamen!“ (ebd.).

Zum Weiterlesen:

*Rheinisches JournalistInnenbüro; recherche international (2012): Die Dritte Welt im Zweiten


Weltkrieg. Unterrichtsmaterialien zu einem vergessenen Kapitel der Geschichte. Köln.

*Jens Kroh (2008): Erinnern global. Erinnerungskultur in Russland und Asien. BpB Dossiert Geschichte
und Erinnerung.
*Care (Comfort Women Action for Redress and Education):

**Mark Caprio (2010): “Neo-Nationalist Interpretations of Japan’s Annexation of Korea: The


Colonisation Debate in Japan and South Korea.” In: The Asia-Pacific Journal Volume 8, Issue 44,
Number 4.

*Care (Comfort Women Action for Redress and Ed

Neun

Die Macht, Land einzuzäunen und Eigentum zu besitzen, wurde von euren Vorvätern durch das
Schwert geschaffen; die zuerst ihre Mitmenschen ermordet und danach deren Land geplündert und
gestohlen haben, um dieses Land hiernach euch, ihren Kindern, zu hinterlassen. Und darum, obwohl
ihr selbst nicht getötet oder gestohlen habt (…) und so rechtfertigt ihr [doch] die bösen Taten eurer
Väter, und diese Sünden eurer Väter werden euch und eure Kinder verfolgen bis in die dritte und
vierte Generation und länger bis die Wurzeln eurer blutigen und diebischen Macht aus diesem Land
herausgerissen sind.

Jahr: 1649

Autor*inneninfo:

Gerrard Winstanley (1609-1679) war ursprünglich Kleiderhändler, der aber im Bürgerkrieg bankrott
ging und danach zum protestantischen Reformer und politischen Aktivist in England wurde.

Quelle:

Gerrad Winstanley (1649): A declaration from the poor oppressed people of England.

Kontext:

Schon vor Winstanley gab es im 11. Jahrhundert viele Häretiker:innenbewegungen in Frankreich und
Italien, die sich gegen die Allmacht der Kirche und Staat auflehnten. Sie wurden meist von Frauen
gegründet (Federici 2014: 48). Jahrhunderte später, als Frauen bereits aus dem öffentlichen Leben
verdrängt waren, war Winstanley einer der berüchtigtsten Reformer (Digger, bzw. Buddler) Englands.
Digger werden oft als Vorgänger der Kommunist:innen bezeichnet. Sie besetzten und bearbeiteten
öffentliche Ländereien und verteilten die Erträge kostenlos an Bedürftige, um damit für eine
umfassende Landreform und das Gemeineigentum zu werben. Diesen Frühkommunismus
begründete Winstanley ausschließlich aus der Bibel heraus. Die Digger-Kommunen, die sich überall in
England gebildet hatten, wurden 1651 endgültig zerschlagen. Meistens waren dafür die lokalen
Landbesitzer verantwortlich.

Zum Weiterlesen:

*The Guardian (1999): Levels of Optimism.

*Silvia Federici (2014): Caliban und die Hexe: Frauen, der Körper und die ursprüngliche
Akkumulation. Wien: Mandelbaum.

Zehn

Die bürgerlichen Reformer, die ihre sozialen Reformen zur Bannung der Revolution durchführen
wollten, jedoch ja nicht auf Kosten des heiligen Profits, der Herrschaftsstellung der Bourgeoisie,
mussten eine andere wirtschaftliche Basis für die Reformen suchen. Sie fanden sie außerhalb ihres
Heimatlandes, in der Ausbeutung der kolonialen und halbkolonialen Völker, deren skrupellose,
unmenschliche Ausplünderung und Knechtschaft übernormale Profite einbrachte, aus denen die
Kapitalisten die Brosamen von gewerkschaftlichen Zugeständnissen und sozialen Reformen zahlten.

Jahr: 1924

Autor*inneninfo:

Clara Zetkin (1857-1933) war eine deutsche Marxistin, Frauenrechtlerin und Parlamentarierin für die
KPD bis 1933. Sie war eine begabte Rednerin und Erzfeindin von Paul von Hindenburg, dem
damaligem Reichspräsidenten, den sie als Diener des Kapitals bezeichnete. Sie starb im Moskauer
Exil.

Quelle:

Clara Zetkin (1924): Die Intellektuellenfrage. In: Protokoll. Fünfter Kongress der Kommunistischen
Internationale, Bd. II, S. 946-982.

Kontext:

Durch die Arbeiter:innenbewegung wurde besonders im 19. Jahrhundert Druck auf die deutsche
Reichsregierung aufgebaut. Reichskanzler Bismarck führte Reformen und Verbesserungen für die
Arbeiter:innen ein, um diese zu bändigen. Für Zetkin als Marxistin gab einen Zusammenhang
zwischen Wohlstand und Emanzipation der Arbeiter:innen im Globalen Norden und der Ausbeutung
von Arbeiter:innen im Globalen Süden. Nicht nur marxistische Historiker:innen wie Silvia Federici und
Walter Rodney sind der Meinung, die industrielle Revolution in Europa wäre nicht möglich gewesen
ohne Versklavung und das Plantagensystem im Globalen Süden, dessen verklavte Arbeitskräfte und
der Exportorientierung (Federici 2014: 129). Rodney spricht davon, dass europäische Arbeiter:innen
mit „Gewinnen aus Kolonialzeiten“ (Rodney 1972) bestochen wurden.

Zum Weiterlesen:

*Walter Rodney (1972): How Europe Underdeveloped Africa. London: Bogle-L’Ouverture


Publications.

*Maria Mies (1986): Patriachy and Accumulation on a World Scale. Women in the International
Division of Labour. London & New York: Zed Books.

*Silvia Federici (2014): Caliban and the Witch: Women, the Body and Primitive Accumulation. New
York: Automedia (auch in deutscher Übersetzung)

*Anne McClintock (1995): Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest. New
York: Routledge.

Elf

Die ineffizienten Staatsbetriebe in private Hände zu bringen ist von entscheidender Bedeutung für
die Gesundung der irakischen Volkswirtschaft.

Jahr: 2003

Autor*inneninfo:

Paul Bremer (geb. 1941) ist US-amerikanischer Diplomat und war ab 2003 Zivilverwalter im Irak.

Quelle:

Naomi Klein (2010: 480)


Kontext:

Naomi Klein beschreibt, dass Bremer als Zivilverwalter in Saddam Husseins Palast saß, Handels- und
Investitionsgesetze per Email entgegen nahm und sie dem irakischen Volk per Befehl auferlegte
(Klein 2010: 479). Bremer vertagte die für 2003 angesetzten Wahlen, ließ erst später Wahlen und
eine von Washington überwachte Demokratie zu. Das irakische Kabinett verabschiedete 2007 ein
Gesetz, mit dem es sich selbst entmachtete: U.a. hatte es danach keinerlei Mitbestimmungsrecht
mehr in der Aushandlung von Ölverträgen (ebd.: 527). Auch südeuropäischen Ländern ging es in der
Euro-Krise ähnlich. Griechische Parlamentarier:innen hatten wenig Mitspracherecht, als öffentliche
Güter verkauft wurden. Die Vorsitzenden des Privatisierungsfonds waren zusätzlich immun gegen
Strafverfolgung (Die Zeit, 16.06.2017: Spanien droht mit Veto gegen Griechenland-Hilfen).

Zum Weiterlesen:

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am
Main: Fischer, S. 451ff.

*David Harvey (2005): Der neue Imperialismus. Hamburg: VSA, S. 270ff.

Zwölf

Wir können in den Wald gehen und nehmen, was wir wollen, Fisch aus dem Fischteich und Wild aus
den Wäldern; wir können in den Wäldern, Wassern und Wiesen machen, was wir wollen.

Jahr: 1150

Autor*inneninfo:

Ein anonymer Leibeigener in einer englischen Chronik Mitte des 12. Jahrhunderts. Die
Leibeigenschaft entwickelte sich im mittelalterlichen Europa nach dem Ende der Verklavung von
Europäer:innen zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert. Leibeigene waren das Eigentum ihrer
Herr:innen, hatten aber mehr Freiheiten als versklavte Menschen und konnten die Gemeingüter
Wälder, Seen und Wiesen etc. nutzen.

Quelle:

Rodney Hilton (1973): Bond Men Made Free. Medieval Peasant Movements and the English Rising of
1381. New York: Viking Press Inc.

Kontext:

Trotz ihrer Bindung an Fürsten hatten Leibeigene eine gewisse Unabhängigkeit, denn sie konnten sich
durch Gemeingüter selbst ernähren. Mit dem Frühkapitalismus ab dem 16. Jahrhundert wurde Land
massiv privatisiert (Federici 2014: 68). Menschen verarmten und wurden abhängig von den schon ab
1530 geschaffenen Sozialsystemen (Federici 2014: 84). Landprivatisierung gab es auf der ganzen
Welt: Im 16. Jhd hatten europäische Händler:innen einen Großteil der Kanarischen Inseln
‚privatisiert‘ und in Zuckerplantagen umgewandelt. In den Amerikas war zu Beginn des 17. Jhd schon
ein Drittel des gemeinsam genutzten Landes der Native Americans von den Spanier:innen besetzt
(Federici 2014: 68). In deren Encomienda-System wurden dem Kolonisator die Bewohner:innen des
eroberten Landes von der spanischen Krone zugesprochen.

Zum Weiterlesen:

*Silvia Federici (2014): Caliban und die Hexe: Frauen, der Körper und die ursprüngliche
Akkumulation. Wien: Mandelbaum kritik & utopie.
Dreizehn

Die ineffizienten Staatsbetriebe in private Hände zu bringen ist von entscheidender Bedeutung für
die Gesundung der irakischen Volkswirtschaft.

Jahr: 2003

Autor*inneninfo:

Paul Bremer (geb. 1941) ist US-amerikanischer Diplomat und war ab 2003 Zivilverwalter im Irak.

Quelle:

Naomi Klein (2010: 480)

Kontext:

Naomi Klein beschreibt, dass Bremer als Zivilverwalter in Saddam Husseins Palast saß, Handels- und
Investitionsgesetze per Email entgegen nahm und sie dem irakischen Volk per Befehl auferlegte
(Klein 2010: 479). Bremer vertagte die für 2003 angesetzten Wahlen, ließ erst später Wahlen und
eine von Washington überwachte Demokratie zu. Das irakische Kabinett verabschiedete 2007 ein
Gesetz, mit dem es sich selbst entmachtete: U.a. hatte es danach keinerlei Mitbestimmungsrecht
mehr in der Aushandlung von Ölverträgen (ebd.: 527). Auch südeuropäischen Ländern ging es in der
Euro-Krise ähnlich. Griechische Parlamentarier:innen hatten wenig Mitspracherecht, als öffentliche
Güter verkauft wurden. Die Vorsitzenden des Privatisierungsfonds waren zusätzlich immun gegen
Strafverfolgung (Die Zeit, 16.06.2017: Spanien droht mit Veto gegen Griechenland-Hilfen).

Zum Weiterlesen:

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am
Main: Fischer, S. 451ff.

*David Harvey (2005): Der neue Imperialismus. Hamburg: VSA, S. 270ff.

Vierzehn

Das Problem mit Gewinnen aus dem Finanzsystem ist, dass sie nur durch Spekulationsblasen
geschaffen werden. Irgendwann gibt es zu viele Blasen und sie platzen.

Jahr: 2019

Autor*inneninfo:

Walden Bello (geb. 1945) ist ein philippinischer Soziologe und Direktor der NGO Focus on the Global
South. Bello war einer der ersten Globalisierungskritiker und im Widerstand gegen Diktator Marcos,
der von 1965-1986 der Machthaber der Philippinen war. Bello drang Anfang der 1980er Jahre in das
Büro der Weltbank ein und stahl ca. 3000 Seiten vertraulicher Dokumente, um die Zusammenarbeit
vom Internationalen Währungsfond (Schwesterorganisation der Weltbank) mit Diktator Marcos zu
belegen.

Quelle:

Walden Bello (2019): „We Have to Move to a Post-Capitalist System“. In: Jacobinmag 28.10.2019

Kontext:

Walden BelloIn den letzten Jahrzehnten fand eine zunehmende Finanzialisierung der Wirtschaft statt.
Statt mit Warenproduktion oder Dienstleistungen kann man mit Finanzgeschäften sehr viel Geld in
sehr kurzer Zeit verdienen oder verlieren. Bello beschreibt in seinem Buch „Dark Victory“ (1994), dass
diese Strategie besonders von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und US-Präsident
Ronald Reagan in den 1980er Jahren umgesetzt wurde, um den sich dekolonisierenden Globalen
Süden wieder zu unterwerfen. Zum Beispiel durch Währungsspekulation: Durch Gerüchte über
fehlende Dollarreserven in Thailand 1997 zogen Banken und Investoren sofort ihr Geld nicht nur dort
ab, sondern auch in anderen Staaten, die somit bankrottgingen.

Zum Weiterlesen:

*Walden Bello (1994): Dark Victory. The United States and Global Poverty. Amsterdam: Transnational
Institut.

*Ulrike Herrmann (2013): Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam. Die Geschichte
von Wachstum, Geld und Krisen. Frankfurt a.M.: Westend.

*Ranabir Samaddar (2017): Die Krise des Kapitalismus bedeutet nicht das Ende des Kapitalismus. In
glokal: connecting the dots. Lernen aus Geschichte(n) zu Unterdrückung und Widerstand. Berlin.

Das freie, in der Südsee zur Begründung von Kolonien noch offen stehende Gebiet ist (…) umfassend
(…). Die Berechtigung Deutschlands beruht in den zahlreichen, über viele Inselgruppen verbreiteten
deutschen Ansiedlungen und Handelsniederlassungen, in dem erheblichen Anteil seiner
Handelsflagge in der Südsee, in dem hohen Ansehen, welches seine Seemacht im Stillen Ozean
genießt, und in den Häfen, die sich die deutsche Seemacht gesichert hat.

Jahr: 1880

Autor*inneninfo:

Adolph von Hansemann (1826-1903) war Kolonialhändler und Bankier. Er machte die Bank seines
Vaters zur größten Privatbank des Deutschen Kaiserreiches.

Quelle:

Rheinisches JournalistInnenbüro & recherche international (2012: 156)

Kontext:

Adolph Hansemann Reichskanzler Bismarck bat den Unternehmer Hansemann, Möglichkeiten zu


entwerfen, wie die deutschen Kolonialziele im Pazifik durchgesetzt werden könnten. Die Vorschläge
von Hansemann, welche Gebiete kolonisiert werden sollten, wurden 1884, 1845 und 1899 von der
deutschen Kolonialpolitik fast genauso umgesetzt. In der Sprache Hansemanns werden nicht von
weißen Menschen besetzte und nicht durch internationale Handelsstrukturen „erschlossene“
Gebiete als „frei“ bezeichnet. Die deutsche Berechtigung, dort Kolonien zu gründen, sieht
Hansemann darin, dass deutsche Kaufleute sich sowieso schon dort verbreitet haben. Erfolgreicher
kapitalistischer Handel berechtigt demnach zur Kolonisierung nicht-Weißer.

Zum Weiterlesen:

*Rheinisches JournalistInnenbüro & recherche international (2012): Die Dritte Welt im Zweiten
Weltkrieg. Unterrichtsmaterialien zu einem vergessenen Kapitel der Geschichte.

Fünfzehn

Wenn dieser [wirtschaftliche] Schockansatz angenommen würde, sollte er meines Erachtens sehr
detailliert öffentlich bekannt gegeben werden, um zu einem sehr nahen Zeitpunkt in Kraft zu treten.
Je umfassender die Öffentlichkeit informiert ist, desto mehr werden ihre Reaktionen die Anpassung
erleichtern.

Jahr: 2000

Autor*inneninfo:

Milton Friedman (1912-2006) war Ökonom der Chicagoer Schule, ein Erfinder des Neoliberalismus
und Nobelpreisträger für Wirtschaft 1976. Das Zitat stammt aus einem Brief Friedmans an den
chilenischen Diktator Pinochet.

Quelle:

Naomi Klein (2010: 109)

Kontext:

Milton Friedman war der Meinung, dass Gesellschaften radikal verändert werden müssten: auf die
Bevölkerung sollten diese Veränderungen wie ein Schock treffen. Außerdem müssten die Kräfte der
Wirtschaft frei regieren können, ohne staatliche Eingriffe. Dieser Freiheitsbegriff ist als
Neoliberalismus in die Geschichte eingegangen. Friedmans Hauptwerk heißt daher auch „Capitalism
and Freedom“ (1962). Diese Freiheit bedeutet jedoch in erster Linie wirtschaftliche Freiheit, oft auf
Kosten von Mensch und Natur (vgl. Klein 2010: 85). Politiker sollten Schockstrategien für den Wandel
zum neoliberalen Kapitalismus einsetzen. Dafür müssen Krisensituationen wie Naturkatastrophen
ausgenutzt werden, so der Ökonom: Befinden sich Gesellschaften infolge einer Katastrophe in einer
Schockstarre, lassen sich wirtschaftliche Veränderungen am besten umsetzen. Denn in solchen
Ausnahmesituationen würden sich die Menschen „Reformen“ wie der Privatisierung von Bildung,
Gesundheit und Sozialem nicht widersetzen, weil sie überfordert wären. Friedman und seine Chicago
Boys (an der University of Chicago ausgebildete Ökonomen) experimentierten mit ihren Theorien vor
allem in Diktaturen wie in Chile unter General Pinochet.

Zum Weiterlesen:

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt
a.M.: Fischer.

*Silvia Federici (2014): Caliban und die Hexe: Frauen, der Körper und die ursprüngliche
Akkumulation. Wien: Mandelbaum kritik & utopie.

Sechzehn

Im Namen der Moral gegen ‚Exzesse‘ oder ‚Missbrauch‘ zu protestieren ist ein Fehler, der aktiver
Komplizenschaft nahe kommt. Es gibt hier keinen ‚Missbrauch‘ und keine ‚Exzesse‘, einfach nur ein
alles durchdringendes System.

Jahr: 1962

Autor*inneninfo:

Simone de Beauvoir (1908-1986) war eine französische Schriftstellerin und Feministin. Sie war mit
dem antikolonialen Widerstandskämpfer und Psychoanalytiker Franz Fanon befreundet, aktiv gegen
den Algerienkrieg und die kolonialen Bestrebungen Frankreichs. Sie kritisierte und analysierte
unterschiedliche Machtstrukturen wie Kapitalismus, Rassismus und Sexismus. Sie legte sich auch mit
vielen Linken an, weil sie behauptete, die Unterdrückung der Frau würde sich in kommunistischen
Staatsformen nicht automatisch auflösen. Auch mit anderen Feminist:innen stritt sie, weil sie der
Meinung war, das die Frau auch selbst an ihrer Unterdrückung mitwirkt und sich aus ihr befreien
muss.

Quelle:

Naomi Klein (2010: 179)

Kontext:

Oft werden nur extreme Auswirkungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems kritisiert, aber nicht
das Wirtschaftssystem an sich, das als einzig realistisches dargestellt wird (vgl. Klein 2010: 36). Einen
radikalen Systemwechsel zu fordern war in den 1960er Jahren sehr viel verbreiteter als zur heutigen
Zeit. Als Papst Franziskus 2013 pauschal sagte: „Kapitalismus tötet“ gab es einen großen Aufschrei in
deutschen Medien (welt.de (2013): Die Kirche sollte den Kapitalismus schätzen, Zeit.de (2013):
Heillose Kapitalismuskritik). In den 1960er Jahren setzten sich viele soziale Bewegungen und
antikoloniale Kämpfe in allen Erdteilen für radikale Systemwechsel ein. Eine Alternative zum
bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem war für viele Menschen viel eher vorstellbar als
heute.

Zum Weiterlesen:

*Naomi Klein (2010): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am
Main: Fischer.

*attac (2017): Kapitalismus – oder was? Über Marktwirtschaft und Alternativen. Bildungsmaterialien.

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