Sie sind auf Seite 1von 229

ADHS bei Erwachsenen

&

Asperger bei Erwachsenen

Der große 2-in-1-Ratgeber für Betroffene


& Angehörige

© 2022 Svenja Hold


Über die Autorin

Svenja Hold, geboren und aufgewachsen in Hamburg, ist erfolgreiche


Ratgeber-Autorin im Bereich der Psychologie. Ihre beruflichen Ziele
sahen jedoch, während ihrer Kindheit und schulischen Ausbildung,
lange Zeit ganz anders aus. Erst als sie in ihrer Jugend selbst mit
Depressionen zu kämpfen hatte, wuchs ihr Interesse für die
Psychologie und brachte sie schließlich auf den Erfolgsweg als
Schriftstellerin.

In ihrer beruflichen Praxis befasste sie sich in den vergangenen


Jahren regelmäßig mit Forschungen zu den Themen Autismus und
ADHS. Besonders die Therapie von ADHS und dem Asperger-
Syndrom bei Erwachsenen war dabei ein zentraler Bestandteil ihrer
Arbeit.

Im Jahr 2021 kam Svenja Hold zu dem Entschluss, ihr Wissen und
ihre Erfahrungen in Form eines Ratgebers zum Thema ADHS bei
Erwachsenen zu veröffentlichen. Dafür entwickelte sie einen
Selbsttest mit 40 Fragen sowie ihr eigenes 5-Wochen-Selbsthilfe-
Programm für betroffene Personen.

Im Jahr 2022 folgte dann ihr Ratgeber zum Thema Asperger bei
Erwachsenen, der ebenfalls einen Selbsttest sowie zahlreiche
praktische Tipps und Übungen beinhaltet.

Ihr Ziel mit diesem 2-in-1-Buch, das beide Ratgeber vollumfänglich


beinhaltet, ist es, möglichst viele Betroffene und Angehörige zu
erreichen und ihnen einen Weg zum besseren Verständnis sowie eine
einfache und unkomplizierte Möglichkeit zur Selbsthilfe zu bieten. Ihre
eigens dafür entwickelten Übungen können dabei problemlos in den
Alltag integriert werden und somit die Lebensqualität von Betroffenen
erheblich steigern.
Inhalt
Über die Autorin

Vorw ort

1. ADHS – komplexer als das typische Klischee

2. Symptome

2.1 Konzentrationsschwierigkeiten
2.2 Neigung zur Hyperaktivität
2.3 Impulsivität

3. Unterschiedliche Gesichter – die Subtypen

3.1 Nach DSM-5


3.1.1 Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsive ADHS-Ausprägung
3.1.2 Vorwiegend Unaufmerksame ADHS-Ausprägung
3.1.3 ADHS-Mischtypus
3.2 Nach ICD-10
3.2.1 ADS (ohne Hyperaktivität)
3.2.2 Hyperkinetische Störung
3.2.3 Einfache Aufmerksamkeits- & Hyperaktivitätsstörung

4. Das auch noch?! ADHS kommt selten allein

4.1 Störungen des Sozialverhaltens


4.2 Verringerte Stresstoleranz
4.3 Fehlendes Organisationsvermögen
4.4 Innere Unruhe
4.5. Erhöhte Risikobereitschaft
4.6 Suchterkrankungen
4.7 weitere psychische Auswirkungen
4.7.1 Angst
4.7.2 Depression
4.7.3 Borderline
4.7.4 Bipolare Störung
4.7.5 Autismus
4.7.6 Essstörungen

5. Warum gerade ich? Die Ursachen klären

5.1 Umwelteinflüsse
5.2 Genetik

6. Entstehung und Verlauf

6.1 Kindheit und Jugend mit ADHS


6.2 Auswirkungen einer ausbleibenden ADHS-Diagnose

7. ADHS und Partnerschaft

8. Positive Ausw irkungen: ADHS als Chance

8.1 Was kann ADHS? Stärken erkennen


8.2 Was braucht ADHS? Stärken fördern
8.3 Beispiele für berufliche Potenziale: Stärken nutzen
8.4 Tipps für den beruflichen Alltag mit ADHS

9. Umgang mit Vorurteilen: Entstigmatisierung von ADHS

9.1 Mythen und Fakten


9.1.1 „ADHS gibt es nicht“
9.1.2 „ADHS ist eine Erfindung der Pharmaindustrie“
9.1.3 „ADHS kann gar nicht sicher diagnostiziert werden“
9.1.4 „ADHS wächst sich aus“
9.1.5 „ADHS wird durch falsche Erziehung hervorgerufen“
9.1.6 „ADHS wird durch soziale Umweltfaktoren ausgelöst.“
9.1.7 „ADHS wird nur durch falsche Ernährung ausgelöst“
9.1.8 „ADHS kann mit Drogen behandelt werden“
9.1.9 „Betroffene brauchen nur mehr Outdoor-Aktivitäten“
9.1.10 „Gute Erziehung hilft besser als jedes Medikament“
9.1.11 „Eine Psychotherapie reicht vollkommen aus“
9.1.12 „Psychopharmaka sind gefährliche Drogen“
9.1.13 „Betroffene werden mit Medikamenten ruhiggestellt“

10. Behandlungsmöglichkeiten

10.1 Psychoedukation
10.2 Die Diagnose
10.3 Der Weg zu einer geeigneten Therapie
10.4 Medikamentöse Behandlung
10.4.1 Wie wirkt MPH?
10.4.2 Atomoxetin – eine Alternative
10.5 Psychotherapie
10.6 Alternativen und Ergänzungen zur Verhaltenstherapie

11. Bin ich betroffen? Ein Selbsttest

11.1 Der Test


11.2 Die Auswertung

12. In fünf Wochen zum Erfolg – Der ADHS den Kampf ansagen

12.1 Woche 1: Aufmerksamkeitsstörung


12.1.1 Übung 1: Runter vom Gas!
12.1.2 Übung 2: Bekanntes neu entdecken
12.1.3 Übung 3: Fünf Sinne – fünf Dinge
12.1.4 Weitere Tipps gegen Konzentrationsschwierigkeiten
12.2 Woche 2: Hyperaktivität
12.2.1 Übung 4: Den Atem spüren
12.2.2 Übung 5: Progressive Muskelentspannung
12.2.3 Übung 6: Imagination
12.2.4 Weitere Tipps gegen Hyperaktivität & Anspannung
12.3 Woche 3: Impulsivität
12.3.1 Übung 7: Imaginäres Stoppschild
12.3.2 Übung 8: Mind-Body-Check
12.3.3 Übung 9: Wie im Film
12.3.4 Weitere Tipps
12.4 Woche 4: Selbstbewusstsein und Selbstwert stärken
12.4.1 Übung 10: Körperhaltung
12.4.2 Übung 11: positive Affirmationen
12.4.3 Übung 12: Das Selbstliebe-Armband
12.5 Woche 5: Die Zielgerade ist in Sicht
12.6 Tipps zum Umgang mit Rückschlägen

13. Top 10: Die zehn goldenen Regeln im Umgang mit ADHS

14. Nur Mut!

15. Weiterführende Links

Vorw ort

1. Was ist das Asperger-Syndrom?

1.1 Symptome von Asperger-Austismus


1.1.1 Symptome laut ICD-10 und DSM-5
1.1.2 Schweregrade einer ASS
1.1.3 Symptome bei Erwachsenen
1.2 Abgrenzung: Asperger vs. andere Autismus-Formen
1.2.1 Asperger und Kanner
1.2.2 A-typischer Autismus
1.2.3 Ein breites Spektrum
1.2.4 Die Grauzone autistischer Merkmale
1.3 Ursachen, Entstehung und Verlauf des Asperger-Syndroms
1.3.1 Ursachen
1.3.2 Entstehung und Verlauf
1.3.3 Komorbidität: Auftreten mit anderen Erkrankungen
1.4 Häufigkeit des Asperger-Syndroms
1.5 Exkurs: Besonderheiten bei Frauen mit Asperger
1.6 Exkurs: Über die Identifikation mit dem Asperger-Syndrom

2. Asperger: Herausforderungen & Chancen

2.1 Der Alltag mit Asperger-Autismus: Fallbeispiele


2.2 Asperger und Beruf
2.2.1 Berufsfindung: Geeignete Berufe für Betroffene
2.2.2 Ausbildung mit Asperger
2.2.3 Den Berufsalltag meistern
2.3 Asperger und die Liebe
2.4 Tipps zum Umgang mit Menschen im Autismus-Spektrum
2.5 Wahrnehmung von auß en
2.6 Stärken und Chancen: Was kann Asperger?

3. Bin ich betroffen? – Ein Selbsttest

3.1 Der Test


3.2 Die Auswertung
Punkteverteilung

4. Selbstw irksamkeit: Tipps und Übungen für den Alltag

4.1 Körper, Gestik und Mimik


4.1.1 Gefühle wahrnehmen
4.1.2 Körperübungen
4.2 Geist und Seele
4.3 Offene Kommunikation
4.4 Soziale Interaktion
4.5 Sensorische Wahrnehmung

5. Professionelle Hilfe

5.1 Therapeutische und unterstützende Angebote bei Asperger


5.1.1 Medikamente
5.1.2 Unterstützungsangebote
5.1.3 Therapeutische Angebote
5.2 Dein Weg zum Therapieplatz

6. Die Top 10 Learnings auf den Punkt gebracht

7. Fazit: Jetzt darf Ruhe einkehren

8. Weiterführende Links

Schlussw ort
ADHS bei Erwachsenen

Der praktische Ratgeber zum Meistern


des Alltags mit ADHS

© 2021 Svenja Hold


Vorwort

ADHS? Aber das haben doch nur Kinder! So lautet ein weit
verbreiteter Irrglaube. Zugegeben, auch ich selbst habe bis vor ein
paar Jahren angenommen, dass ADHS nur im Kindesalter auftritt.

Doch falsch gedacht: Laut Studien leiden bis zu 4,5% der


Erwachsenen an der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung
oder einem Subtypen dieser Erkrankung. Im Kindesalter sind es bis
zu 7% und damit deutlich mehr, doch sowohl hier als auch bei den
erwachsenen Betroffenen gibt es wohl eine deutlich höhere
Dunkelziffer, da die Diagnose aus verschiedenen Gründen nicht
immer klar gestellt werden kann. Oft sind psychische Belastungen
auch heute noch schambesetzt – oder die Betroffenen wissen schlicht
nichts von ihrer Erkrankung. Auch kann es sein, dass eine andere
psychische Störung, die ADHS gewissermaßen „überlagert“, eher an
die Oberfläche tritt als ihr möglicher Verursacher – die ADHS selbst.

All dies sind Themen, die in dem vor dir liegenden Ratgeber
besprochen werden. Auch möchte ich darüber aufklären, was ADHS
eigentlich genau ist, welche Symptome und Begleitsymptome
auftreten können, welche Subtypen und Komorbiditäten
(Nebenerkrankungen) eine Rolle spielen können, wie ADHS entsteht
und verläuft, was mögliche Ursachen sind und welche Möglichkeiten
zur Behandlung es gibt.

Zusätzlich möchte ich darauf hinweisen, dass ADHS-Patienten häufig


mit Stigmata konfrontiert werden (wie etwa das klassische Beispiel
des „Zappelphilipps“ zeigt) und was du tun kannst, um zur
Bekämpfung dieser Vorurteile beizutragen.

Doch ADHS kann mehr: Welche Chancen diese Erkrankung bietet,


soll natürlich nicht verschwiegen werden!

Des Weiteren möchte ich dir mithilfe eines Selbsttests eine


Möglichkeit bieten, deine eigene Betroffenheit zu überprüfen.

Und zu guter Letzt folgt dann das Kernstück dieses Ratgebers: Ein
Programm aus verschiedenen interessanten Übungen, mit denen du
deine Symptomatik selbst besser kennen und einschätzen lernst und
mithilfe derer du bewusst mit den einzelnen Aspekten, die diese
Erkrankung mit sich bringt, entgegen wirken kannst.
Bist du bereit? Dann los!

„Auch die Reise zu sich selbst beginnt mit dem ersten Schritt.“

(Urheber unbekannt)
1. ADHS – komplexer als das
typische Klischee

Vielleicht hast du auch dieses Bild eines herumkaspernden, niemals


stillsitzenden, tausend sich wiederholende Fragen stellenden Kindes
im Kopf, wenn du an ADHS denkst. Zumindest ist dies das klassische
Klischee vom Klassenclown, das die meisten Menschen mit ADHS
verbinden. Doch natürlich handelt es sich dabei eben nur um ein
Klischee, das oft sehr wenig mit der Realität zu tun hat. Wie du weißt,
sind nämlich nicht nur Kinder von der Störung betroffen.

Wie aber äußert sich ADHS bei Erwachsenen?

Schlüsseln wir doch das Wort erst einmal auf.

A = Aufmerksamkeit
D = Defizit
H = Hyper-/Hypoaktivität
S = Störung

Also eine Störung, bei der die Aufmerksamkeit gehemmt und die
Aktivität entweder übersteigert (hyper-) oder gedämpft (hypo-) ist.
Klingt erst einmal simpel und verständlich – ist aber recht komplex.
Vor allem, wenn wir berücksichtigen, dass nicht jede ADHS sich auf
dieselbe Weise äußert und es signifikante Unterschiede in der
Ausprägung der Störung gibt.
Bei manchen Betroffenen kommt eher das „A“ in
Aufmerksamkeitsstörung zutage, manche fallen dadurch auf, dass sie
einen unfassbaren Bewegungsdrang haben. Wieder andere gelten als
berüchtigte Tagträumer. Und dann gibt es auch Ausprägungen, in
denen alle Symptome zugleich und in unheimlich hohem Maße
auftreten.

Na, verwirrt?

Schauen wir uns die einzelnen Symptome nun einmal genauer an.
2. Symptome

2.1 Konzentrationsschwierigkeiten

Betroffenen von ADHS fällt es auffallend schwer, sich über einen


längeren Zeitraum auf eine Aufgabe oder Tätigkeit zu konzentrieren.
Dies kann sich sowohl auf das berufliche als auch das Privatleben
auswirken. Im Job fällt auf, dass Betroffene häufig Schwierigkeiten
haben, sich auf ihre Arbeit zu fokussieren. Es schleichen sich häufig
Flüchtigkeitsfehler (etwa beim Ausfüllen von Formularen) ein und
Umgebungsreize (wie z.B. der Ausblick aus dem Fenster, das Handy,
Licht- und Geräuschquellen, Bewegungen im Blickfeld) sorgen
überaus schnell für Ablenkung. Auch die eigenen Gedanken
schweifen leicht vom Wesentlichen ab – Betroffene „erwischen“ sich
häufig bei Tagträumereien oder finden sich in Gedankenkarussells
wieder.

Auch berichten Betroffene häufig von erhöhter Reizempfindlichkeit


(etwa auf Geräusche), welche schnell zu Reizüberflutung führen kann.

Zudem gelten Betroffene einer ADHS als „Könige der Prokrastination“


– sie neigen stark dazu, Dinge vor sich her zu schieben, die
unangenehm sind oder viel Nachdenken bzw. ein großes
Durchhaltevermögen erfordern – etwa wichtige Entscheidungen oder
langwierige Abgaben (z.B. Hausarbeiten im Studium).

Zudem fällt es Betroffenen schwer, sich lange auf Gespräche zu


konzentrieren. Lange Meetings werden als überdurchschnittlich
anstrengend wahrgenommen.

Weiter berichten ADHS-Betroffene davon, Probleme im


Straßenverkehr zu haben, da sie sich nicht lange aufs Autofahren
konzentrieren können. Dies führt zu einer erhöhten Unfall- sowie
Verletzungsgefahr.

Im Studium oder Job kann es aufgrund der Erkrankung mit ADHS zu


Abmahnungen kommen, etwa, wenn Betroffene Deadlines nicht
einhalten, Termine vergessen, sich nicht organisieren und
strukturieren können oder ihre Leistungsfähigkeit aufgrund
mangelnder Konzentration nachlässt.

2.2 Neigung zur Hyperaktivität

Nicht nur fällt es ADHS-Betroffenen schwer, lange stillzusitzen,


weshalb sie sich etwa im Büro oftmals fehl am Platz fühlen. Gehörst
du zu den Menschen, die beim Telefonieren oder Zähneputzen gerne
herumlaufen, ständig mit den Fingern trommeln, mit den Füßen
wippen, sich an der Frisur oder Kleidung herumzupfen oder die
Körperhaltung wechseln, kann dies ebenfalls ein Zeichen für ADHS
sein.

Selbst beim Kinobesuch kann das lange Stillsitzen zur


Herausforderung werden. Betroffene haben das Gefühl, ständig in
Bewegung sein zu „müssen“ – sie fühlen sich innerlich angetrieben,
wie von einem Motor, der sich nicht abschalten lässt.

Im Gegensatz zur Hyper- kann auch Hypoaktivität, also das genaue


Gegenteil der Hyperaktivität, Teil der ADHS-Erkrankung sein. Hier ist
eher die Rede vom sogenannten ADS. Lies hierzu mehr in Kapitel
3.2.1.

2.3 Impulsivität

Ein weniger klischeebesetztes, aber doch ausschlaggebendes


Merkmal von ADHS ist die Impulsivität bzw. übersteigerte Ungeduld.

Impulsive Vertreter der ADHS-Betroffenen sehen schnell „rot“ und


neigen zu heftigen, aber kurzen Wutausbrüchen, selbst bei kleinen
Provokationen. Sie neigen dazu, Dinge zu tun oder zu sagen, ohne
darüber nachzudenken – aus dem Affekt heraus – und oftmals
bereuen sie diese anschließend.

Auch neigen ADHS-Betroffene häufig dazu, ihre Mitmenschen im


Gespräch zu unterbrechen, die Sätze anderer zu beenden und zu
schnell oder auffallend viel zu reden.

Genauso kann dazugehören, dass Betroffene im Straßenverkehr an


unübersichtlichen Stellen überholen, drängeln oder zu schnell fahren.

Beim Einkaufen zeigt sich eine ADHS, wenn Betroffene spontan


unüberlegte, hohe Ausgaben tätigen oder sie Probleme haben, in der
Schlange vor der Kasse abzuwarten, bis sie an der Reihe sind.
3. Unterschiedliche Gesichter – die
Subtypen

In diesem Kapitel widmen wir uns der offiziellen, international gültigen


Einteilung in verschiedene Unterformen der ADHS. Bei DSM-5 und
ICD-10 handelt es sich um die zwei größten und am weitesten
verbreiteten Klassifikationssysteme für Krankheiten. Hier sind alle bis
dato bekannten Symptome und Krankheitsbilder aufgeführt, was
einen Vergleich einzelner Krankheitsbilder untereinander und damit die
möglichst eindeutige Einordnung verschiedener Symptome
vereinfacht. Beide Systeme sind weltweit anerkannt.

3.1 Nach DSM-5

3.1.1 Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsive ADHS-


Ausprägung

Dieser ADHS-Typus zeichnet sich dadurch aus, dass die


Leitsymptome der Hyperaktivität und der Impulsivität gegeben, das
der Aufmerksamkeitsstörung allerdings weniger ausgeprägt ist. Diese
Form von ADHS wird fünfmal häufiger männlichen als weiblichen
Betroffenen zugeordnet.

3.1.2 Vorwiegend Unaufmerksame ADHS-


Ausprägung
Hier ist die Rede vom sogenannten ADS – der Aufmerksamkeits-
Defizit-Störung ohne Hyperaktivität. Häufig ist festzustellen, dass
Betroffene des ADS-Typus eher durch Hypoaktivität (nach Helga
Siemchen), also träge, langsame Bewegungen und geringer Aktivität
auffallen. Geistige Abwesenheit und Zurückhaltung sind die
prägenden Merkmale dieses Typus. Impulsive Handlungsweisen sind
hier gar nicht oder nur selten zu beobachten. Hier ist die Anzahl
weiblicher betroffener etwa doppelt so hoch wie die der männlichen
Betroffenen.

3.1.3 ADHS-Mischtypus

Wenn sowohl die Unaufmerksamkeit als auch die Hyperaktivität und


die Impulsivität als Teil der ADHS-Ausprägung auftreten, ist die Rede
vom Kombinierten Erscheinungsbild der ADHS. Betroffene dieses
Typus haben es durch die dreifache Belastung der miteinander
wirkenden Symptomatiken besonders schwer. Die einzelnen
Symptome fallen abwechselnd stärker ins Gewicht. Es überwiegt mal
der unaufmerksame, mal der hyperaktiv-impulsive Typus, wodurch ein
zwiespältiges Bild der Erkrankung entsteht. Betroffene fallen
besonders stark auf und passen noch weniger ins System, als bei
den einzelnen Symptomen der Fall.

3.2 Nach ICD-10

Der ICD-10 kategorisiert die ADHS-Störung eher nach auffälligem


Sozialverhalten.
3.2.1 ADS (ohne Hyperaktivität)

Hierunter fallen, wie auch im DSM-5, diejenigen Betroffenen, die


lediglich in ihrer Konzentration gestört, nicht aber hyperaktiv oder
impulsiv sind.

3.2.2 Hyperkinetische Störung

Wenn Betroffene insbesondere durch aggressives Verhalten (mitunter


auch durch Diebstahl oder Körpergewalt) auffallen und zugleich die
drei Kernmerkmale von ADHS aufweisen, spricht man von einer
hyperkinetischen Störung.

3.2.3 Einfache Aufmerksamkeits- &


Hyperaktivitätsstörung

Hiervon ist laut ICD-10 die Rede, wenn Betroffene zwar nicht impulsiv
oder anderweitig sozial unverträglich (etwa gewalttätig) agieren,
jedoch große Schwierigkeiten mit der Konzentration und/oder
Hyperaktivität haben.
4. Das auch noch?! ADHS kommt
selten allein

4.1 Störungen des Sozialverhaltens

Aufgrund der Schwierigkeiten von ADHS-Betroffenen kann es zu


Schwierigkeiten im sozialen Umgang mit anderen Menschen kommen.
Wie bereits erwähnt, entstehen in Partnerschaften mit an ADHS
erkrankten Menschen häufig Kommunikationsprobleme in
Zusammenhang mit der kurzen Aufmerksamkeitsspanne oder
Erwartungen von außen können oftmals nicht erfüllt werden (etwa
Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit). Oft ist Unpünktlichkeit eine Folge von
ADHS, da Betroffene häufiger als andere die Zeit vergessen oder ihre
Wertgegenstände suchen müssen, bevor sie das Haus verlassen
können. Auch sind betroffene Menschen häufig leichter reizbar und
geraten schnell in Wut, was mit der Impulsivität dieser ADHS-
Ausprägung begründet werden kann.

4.2 Verringerte Stresstoleranz

In unserer schnelllebigen Welt geraten ADHS-Betroffene häufig


zwischen die „Mühlsteine“ des Systems, da sie den hohen
Leistungsansprüchen (wie etwa Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit,
rechtzeitige Abgabe von Aufgaben) nicht gerecht werden können.
Ihnen wird vorgehalten, sie seien „zu langsam“ – dabei arbeiten sie,
so schnell es ihnen unter ihren Bedingungen möglich ist. Sie benötigen
aufgrund ihrer kurzen Aufmerksamkeitsspanne mehr Pausen als
andere, was negativ auffällt. Dadurch geraten sie häufiger in
Stresssituationen, mit denen sie, bedingt durch ihre Erkrankung,
weniger gut umgehen können – ein Teufelskreis. Ihre
Belastungsgrenze ist schneller erreicht, als die von vielen anderen
Menschen – sie sind eher Reizüberflutung und Überforderungen
ausgesetzt. Dies führt auch schneller zu weiteren psychischen
Belastungen (siehe Kapitel 4.7).

4.3 Fehlendes Organisationsvermögen

Menschen, die an ADHS erkrankt sind, wird häufig nachgesagt, sie


seien extrem „verpeilt“. Damit ist ihr fehlendes
Organisationsvermögen gemeint, sprich: Es fällt ihnen schwerer, ihren
Alltag sinnvoll zu strukturieren, gesunde Routinen zu entwickeln und
diese auch einzuhalten. Prioritäten zu setzen, scheint oftmals beinahe
unmöglich – denn ADHS-Betroffene wechseln rasch die Interessen
und können daher schwer entscheiden, was gerade das wichtigste
„To do“ auf ihrer Agenda ist.

Auch neigen sie dazu, Dinge zu verlieren, zu verlegen oder zu


vergessen (z.B. Haustürschlüssel).

4.4 Innere Unruhe

Auch innerlich zeigt sich der Bewegungsdrang in Zusammenhang mit


ADHS: Betroffene leiden häufig daran, dass sie ihren Kopf nur schwer
zur Ruhe bekommen. Das geht teilweise so weit, dass sich Probleme
beim Ein- oder Durchschlafen zeigen.
4.5. Erhöhte Risikobereitschaft

Immer wieder ist festzustellen, dass erwachsene ADHS-Betroffene


teilweise einen Hang zu risikobehafteten (Extrem-)Sportarten haben,
was erhöhte Unfall- und Verletzungsgefahr birgt. Auch in
Zusammenhang mit finanziellen Angelegenheiten oder anderen
geschäftlichen Belangen kann diese Risikobereitschaft zutage treten.

4.6 Suchterkrankungen

Menschen, die nicht um ihre ADHS-Erkrankung wissen, geraten


schneller in die Fänge einer Sucht als andere. Suchtmittel, die auf
andere Menschen eher stimulierende Auswirkungen haben, wirken auf
ADHS-Betroffene beruhigend. Die Unkenntnis über ihre Erkrankung
und das damit verbundene fehlende Bewusstsein birgt hier ein
besonderes Risiko, da Betroffene sich nicht bewusst für andere Mittel
zur Beruhigung entscheiden können.

Sind sich Betroffene ihrer Erkrankung bewusst, kann es dennoch


sein, dass sie ein Suchtmittel (etwa Marihuana) wählen, um ihre
Symptome zu lindern. Da es ihnen schwerfällt, ein „gesundes“ Maß
für verschiedene Dinge (auch Ernährung zählt hier dazu, s.a. Kapitel
4.7.6) zu finden, geraten sie eher in eine Sucht.

Daher werden bei ADHS-Betroffenen doppelt so häufig


Suchterkrankungen diagnostiziert wie bei anderen Menschen.

4.7 weitere psychische Auswirkungen


Neben der Sucht sind ADHS-Betroffene auch eher veranlagt, andere
psychische Erkrankungen zu entwickeln. Neben einer ADHS treten
häufig Angsterkrankungen, Depressionen, Borderline, Bipolare
Störungen, Autismus und Essstörungen in Komorbidität auf.

4.7.1 Angst

Betroffene einer ADHS-Störung neigen häufig dazu, innere


Anspannung zu entwickeln. Dies geht einher mit Unruhezuständen und
erhöhter Reizempfindlichkeit, was dazu beitragen kann, dass
Betroffene eher Angsterkrankungen entwickeln. Genauer gesagt, ist
dies bei bis zu einem Viertel der von ADHS betroffenen Menschen der
Fall.

Dies erklärt sich wie folgt: Aufgrund der empfindlicheren


Wahrnehmung von Umweltreizen (wie etwa Lärm) nehmen betroffene
Menschen diese deutlich stärker wahr. Entsprechend ausgeprägter
sind auch ihre Reaktionen. Wo andere Menschen entspannt bleiben
oder nur im geringen Maße unruhig werden, bekommen ADHS-
Betroffene es mit starken Ängsten (etwa vor großen
Menschenmengen) zu tun.

Auch in Prüfungssituationen zeigt sich dieser Umstand, da Menschen


mit ADHS sich tendenziell eher unvorbereitet fühlen (durch
Unkonzentriertheit oder Prokrastination beim Lernen für die Prüfung).
Zudem zeigt sich bei ihnen durch den erhöhten Erwartungsdruck von
außen große Angst vor Misserfolg oder Ablehnung und eine große
Unsicherheit in Zusammenhang mit ihren Ängsten.
4.7.2 Depression

Menschen mit ADHS haben, bedingt durch ihre Erkrankung, große


Schwierigkeiten, sich – vor allem an die hohen Leistungserwartungen
– anzupassen. Ständig in ein Raster passen zu müssen, aus dem sie
immer wieder herausfallen, kostet unheimlich große Energiereserven.
Da Betroffene Schwierigkeiten haben, ein gesundes Maß (auch bei
der Anpassung und der Überschreitung ihrer persönlichen Grenzen)
zu finden, ist ihr „Akku“ schneller leer, als bei anderen Menschen.
Erschöpfung stellt sich ein.

Wenn die Ursache hierfür unerkannt bleibt, geraten Betroffene immer


wieder in diese Situation; es entsteht eine Abwärtsspirale aus
fehlender Energie und fehlendem Anpassungsvermögen.
Überforderung und Frustration können dafür sorgen, dass
Betroffenen ihr innerer Antrieb abhanden kommt. Zudem stellt sie die
mangelnde Fähigkeit, im System zu funktionieren – insbesondere im
Vergleich zu anderen, die scheinbar mühelos den Anforderungen
standhalten, während sie selbst an lapidaren „Kleinigkeiten“ scheitern
– vor die Schwierigkeit, ihren Selbstwert zu erkennen:
Minderwertigkeitsgefühle und Selbstzweifel sind häufig die Folge. So
kann sich neben der ADHS aus der Erschöpfung heraus, nicht
genügen zu können, eine bisweilen schwere Depression entwickeln.

4.7.3 Borderline

Die Herausforderung im Zusammenhang mit ADHS und Borderline ist,


eine klare Grenze zu ziehen. Einige Symptome, wie mangelnde
Konzentrationsfähigkeit, Unstrukturiertheit und Impulsivität, treten bei
beiden Störungen auf. Wenn zusätzlich starke
Stimmungsschwankungen, hohe Verletzlichkeit auf emotionaler Ebene
und selbstverletzende sowie suizidale Tendenzen auftreten, ist es
sehr wahrscheinlich, dass die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine
Rolle spielt. Es wird davon ausgegangen, dass neben weiteren
Faktoren auch eine vorliegende ADHS-Erkrankung die Entwicklung
einer Borderline-Störung begünstigt.

Nicht selten bleibt die zugrundeliegende ADHS-Erkrankung


Betroffener unentdeckt, da die Borderline-Symptome oftmals mehr
Raum einnehmen und die Gesundheit der Betroffenen stärker
gefährden. Liegt der Fokus ausschließlich auf der Borderline-Störung
und die ADHS wird nicht erkannt, kann auch erstere oft nicht
hinlänglich und nachhaltig behandelt werden.

4.7.4 Bipolare Störung

Wie auch bei Borderline überschneiden sich die Symptome von ADHS
mit jenen einer Bipolaren Störung (auch: manische Depression), was
ebenfalls dazu führt, dass eine der beiden Erkrankungen häufig
unerkannt (und damit unbehandelt) bleibt. Die Bipolare Störung weist
immer wieder auch „symptomfreie“ Zeiten auf. Wenn in diesen
Phasen dennoch Impulsivität und mangelnde Konzentrationsfähigkeit
auftreten, spricht das für eine zusätzliche Erkrankung mit ADHS.

4.7.5 Autismus
Auch bei der sogenannten Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
überschneiden sich die Symptome mit den charakteristischen
Kernsymptomen der ADHS. An Autismus erkrankte Menschen haben
ebenso Schwierigkeiten, sich und ihren Alltag sinnvoll zu strukturieren
und Prioritäten zu setzen. Sie verlieren sich gern in Details, was dazu
führt, dass auch sie von der Außenwelt als „langsam“ oder
„verträumt“ wahrgenommen werden.

Laut Studien leiden 80% der an Autismus erkrankten Kinder


gleichzeitig an ADHS. Andersherum wird bei 50% der Kinder, die an
ADHS erkrankt sind, außerdem eine ASS diagnostiziert. Zurzeit wird
ein möglicher genetischer Zusammenhang zwischen ADHS und ASS
untersucht. Oftmals legen die ADHS-Symptome sich im
Erwachsenenalter; dies ist bei Autismus nicht der Fall. Doch auch
eine ADHS-Erkrankung kann im Erwachsenenalter fortbestehen (s.a.
Kapitel 6.2).

4.7.6 Essstörungen

Durch die bereits erwähnte mangelnde Fähigkeit, das „richtige Maß“


der Dinge zu finden neigen ADHS-Betroffene auch dazu, eine
Essstörung zu entwickeln.

Dies kann in beide Richtungen gehen: Es gibt Fälle, in denen


betroffene Menschen berichten, sich nicht lange genug oder in
ausreichendem Maße aufs Essen konzentrieren zu können, um
genügend Nahrung zu sich zu nehmen.
Andersherum gibt es auch Betroffene, die nicht bewusst genug bei
der Sache sind, um zu erkennen, wann sie satt sind, um dann mit
dem Essen aufhören zu können. Oder sie essen immer wieder auch
zwischendurch, ohne die nötige Selbstkontrolle, sich dies
abzugewöhnen.

Zusätzlich fördert ADHS-bedingte Impulsivität eine Neigung zu


Essanfällen, in denen innerhalb kürzester Zeit enorme Massen an
Nahrungsmitteln zu sich genommen werden. Die Entwicklung einer
Bulimie („Ess-Brech-Sucht“) wird hierdurch begünstigt.

Ebenso kann eine ADHS dazu führen, dass betroffene Menschen


nicht von selbst dazu in der Lage sind, ausreichend Flüssigkeit zu sich
zu nehmen, da sie das Trinken schlicht vergessen.
5. Warum gerade ich? Die Ursachen
klären

5.1 Umwelteinflüsse

„ADHS ist die Folge von falscher Erziehung.“ Dieses Vorurteil hält sich
hartnäckig, wenn es um die Ursache von ADHS geht – und sorgt
dafür, dass reihenweise verzweifelte Eltern die Schuld bei sich
suchen.

Fragwürdige oder unbedachte Erziehungsmethoden sind nicht als


Auslöser von ADHS zu verstehen. Sie können lediglich dazu
beitragen, dass die Symptome stärker zutage treten – wenn Eltern
ihrem Kind etwa überdurchschnittlich viel Zeit vor dem Bildschirm
erlauben und für zu wenig Ausgleich durch Bewegung sorgen. Auch,
wenn Kindern verboten wird, ihre persönlichen körperlichen Grenzen
auszutesten, fördert das den Bewegungsdrang und die
Risikobereitschaft, kann aber auch Unsicherheiten und Ängste
hervorrufen.

Zu den Umwelteinflüssen, die eine ADHS-Erkrankung fördern, zählen


Drogen- oder Nikotinkonsum während der Schwangerschaft,
Geburtskomplikationen oder eine Frühgeburt.

5.2 Genetik
Möchte man die eigentlichen Ursachen für ADHS erforschen, muss
man tiefer graben – und zwar im Bereich der Genetik.

Ursächlich für die Erkrankung ist laut der Wissenschaft ein


Ungleichgewicht von Noradrenalin und Dopamin. Dies sind Hormone
bzw. Botenstoffe, die als Überträger von Informationen dienen.
Herrscht eine unausgewogene Sättigung eines der beiden Stoffe,
führt dies zu einer Disbalance im Nervensystem. Noradrenalin ist
unter anderem als Stresshormon bekannt, hier erklärt sich also,
weshalb Betroffene häufig an innerer oder äußerer Unruhe leiden.
Dopamin regelt unter anderem den Blutdruck und ist auch als
Glückshormon bekannt, was ebenfalls den Bewegungsdrang und die
erhöhte Gehirnaktivität eines ADHS-Patienten – und damit
einhergehend die Unfähigkeit, sich auf eine Sache vollständig zu
konzentrieren – erklären kann.

Ein Ungleichgewicht dieser Botenstoffe kann einerseits erblich bedingt


sein – daran trägt niemand die Schuld und dies kann auch nicht
beeinflusst werden. Interessant ist hier auch, dass eineiige Zwillinge
in ca. 60-80% der Fälle beide von ADHS betroffen sind (ein
bekanntes Beispiel hierfür bilden Mary-Kate und Ashley Olsen,
Schauspielerinnen). Bei zweieiigen Zwillingen beläuft sich die
beidseitige Erkrankung mit ADHS auf etwa 35%.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Angehörige ersten Grades (Eltern und


Kinder) ebenfalls ADHS haben, ist drei- bis fünffach erhöht.
6. Entstehung und Verlauf

Der unausgeglichene Stoffwechsel Betroffener wirkt sich


insbesondere auf Gehirnregionen aus, in welchen die
Verhaltenssteuerung und Aufmerksamkeit gesteuert werden.

Laut der Forschung wird in bestimmten Regionen des Gehirns


weniger Blutzucker verbraucht, sprich: Insbesondere die rechte,
vordere Hirnregion ist weniger stark durchblutet.

Es herrscht ein Mangel der genannten Botenstoffe, weil diese durch


eine genetische Veränderung im sogenannten „Dopamin-Transporter-
Gen“ schneller verbraucht werden, als bei Nicht-Betroffenen, wodurch
die Übertragung von Signalen gestört ist. Dies wirkt sich negativ auf
das Aufmerksamkeits- und Motivationssystem im Gehirn aus.

6.1 Kindheit und Jugend mit ADHS

Im Kindesalter ist häufig vom sogenannten „Zappelphillip-Syndrom“


die Rede. Die Hyperaktivität lässt mit fortschreitendem Alter nach, sie
kehrt sich gewissermaßen nach innen. Daher sind betroffene
Jugendliche und Erwachsene häufig von innerer Unruhe und
Anspannung geplagt.

Impulsivität und Konzentrationsschwierigkeiten bleiben häufig


bestehen, womit im Jugendalter häufig Schulprobleme und eine
Neigung zu riskanten Handlungen „auf der Suche nach dem Kick“
einhergehen: Diebstahl und Drogenkonsum beispielsweise sind in
Verbindung mit ADHS häufig zu beobachten. Auch gesteigerte
Selbstwertproblematiken, Leistungsverweigerung und Schwierigkeiten
in der eigenen Organisation treten nun vermehrt zutage. Das Risiko
für eine Entwicklung komorbider Erkrankungen wie etwa Depression
ist deutlich erhöht.

6.2 Auswirkungen einer ausbleibenden ADHS-


Diagnose

Gerade, wenn die ADHS unerkannt bleibt, bestehen die


Problematiken bis ins Erwachsenenalter fort. Oftmals werden
Erkrankungen, die ggf. aus der ADHS heraus entstehen, erkannt
(etwa Depression) oder sogar fälschlicherweise diagnostiziert,
während die ADHS selbst weiter unter der Oberfläche „brodelt“.
Daher können (vermeintliche) komorbide Erkrankungen häufig auch
nur unzureichend behandelt werden – ab einem gewissen Punkt
scheint die offenliegende Erkrankung zureichend therapiert und doch
gibt es immer wieder „Rückfälle“ – eben aufgrund der bislang
unbehandelten ADHS, die weiter für Schwierigkeiten sorgt.

Dass die Ursache für ihre Probleme nicht bekannt ist, bedeutet für
die meisten Betroffenen einen zusätzlichen Stressfaktor, da sie sich
ständig fragen, was bei ihnen „falsch“ ist oder weshalb sie –
insbesondere im Vergleich mit Altersgenossen oder Kollegen –
einfachste Dinge nicht „auf die Reihe kriegen“. Misserfolge und
Frustration erhalten immer wieder Einzug ins Leben Betroffener. Sie
fallen negativ auf und fühlen sich als Person falsch, charakterschwach
oder nicht liebenswert – das kratzt am Selbstwert und kann erst recht
die Entwicklung depressiver Verstimmungen oder ähnlicher
psychischer Erkrankungen fördern. Ihre Stärken bleiben oft im
Verborgenen, da der Fokus meistens auf den negativen
Eigenschaften liegt, die eine ADHS mit sich bringt.

Gerade weil sie schnell negativ auffallen und sich nicht recht ins
allgemeine Bild einfügen können, wechseln Erwachsene ADHS-
Betroffene auffallend häufig den Beruf, die Arbeitsstelle oder das
persönliche Umfeld (etwa durch Umzüge). Sie befinden sich mehr als
andere auf der Suche nach „sich selbst“, während sie im Grunde
genommen nach den Ursprüngen für ihre Schwierigkeiten suchen.

Die ADHS-Diagnose bedeutet für viele Betroffene, vor allem im


Erwachsenenalter, eine große Erleichterung, da sie vielerlei Hinweise
und Antworten auf die Frage nach dem „Warum“ mit sich bringt.
7. ADHS und Partnerschaft

Betroffene von ADHS haben häufig mit Problemen in der


Partnerschaft zu kämpfen. Stimmungsschwankungen, ständiges
Chaos oder Unzuverlässigkeit bilden Konfliktherde, die in der
Kommunikation mit dem Gegenüber häufig eskalieren können,
insbesondere, wenn die Auslöser immer wieder auftreten. Ist die
Diagnose ADHS nicht bekannt, sorgt das schnell für Unverständnis
bei anderen, was besonders in Partnerschaften gegenseitige
Verletzungen hervorrufen kann.

Mögliche heftige Wutausbrüche erschweren die Kommunikation mit


ADHS-Betroffenen, denn ihr Verhalten ist oftmals unberechenbar.
Kränkungen und Zwiespälte sind keine Seltenheit. Typisch in
Konstellationen mit ADHS-Betroffenen sind auch niemals endende
Diskussionen, da zum Teil zwischen Themen hin und her gesprungen
wird und man keinen Punkt findet, an dem man eine Einigung oder
einen Kompromiss finden kann.

Verabredungen einzuhalten, ist in Verbindung mit ADHS-Betroffenen


oft schwierig. Es ist sinnvoll, ausreichend zeitlichen Puffer
einzuplanen, um pünktlich zur Familienfeier oder zum Grillabend mit
Freunden zu erscheinen.

Weitere Beispiele für Konfliktpotenziale in Partnerschaften im


Zusammenhang mit ADHS sowie mögliche Lösungswege findest du
auf den Seiten des Infoportals für Erwachsene mit ADHS. Hier sind
klassische Beispiele zu Themen wie Kommunikation, Impulskäufe,
Stimmungsschwankungen, Organisation und Sexualität anhand von
kurzweiligen Comics dargestellt, die immer auch Erklärungen und
Vorschläge zur Bewältigung bereit halten. Den Link hierzu sowie
weitere interessante und nützliche Internetseiten findest du in Kapitel
15.
8. Positive Auswirkungen: ADHS als
Chance

ADHS kann mehr! Sich dessen bewusst zu werden und auch positive
Merkmale ihrer Erkrankung wahrzunehmen, ist für ADHS-Betroffene
eine Erleichterung und Bestärkung ihrer Person.

Im Folgenden gehe ich deshalb auf die positiven Eigenschaften ein,


die ADHS mit sich bringt, und darauf, was Betroffene im besonderen
Maße benötigen, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Schließlich
nenne ich beispielhaft Berufsgruppen, in denen ADHS-Betroffene mit
ihren Eigenheiten gut aufgehoben sind und gebe auch einfach
umsetzbare Tipps für den Berufsalltag mit ADHS an die Hand.

8.1 Was kann ADHS? Stärken erkennen

In ADHS-Betroffenen steckt eine große Neugier und Wissbegierde


auf die Welt und alles, was sie zu bieten hat. Ihre Interessengebiete
sind breit gefächert. Sie können sich für viele Dinge faszinieren und
stürzen sich begeistert auf neue Herausforderungen. Ist ihr Interesse
erst einmal geweckt, kann sie so schnell nichts mehr davon
abbringen, sich intensiv, hyperfokussiert und tiefgreifend mit den
Dingen auseinandersetzen. Sie stürzen sich mit Leidenschaft und
einer riesigen Einsatzbereitschaft in die Forschung zu diesem einen
Thema oder die Arbeit an einem Projekt.

Ihr flexibler Verstand hilft ihnen dabei, Zusammenhänge in ihrer


komplexen Gesamtheit zu begreifen und vielschichtig an eine
Problematik heranzugehen. Dabei sind sie mit ihrem kreativen Geist
unkonventionellen Ideen gegenüber offen und erbringen häufig
qualitativ hochwertige Leistungen, über die andere oft nur staunen
können – denn Nicht-Betroffene können den Gedanken Betroffener
oft nicht folgen. Unter ihnen befinden sich viele Hochbegabte.

Zudem steckt in Menschen mit ADHS großer Mut, Risiken


einzugehen, aber gleichzeitig auch die nötige
Verantwortungsbereitschaft für ihr Handeln. Ihre Spontanität
ermöglicht es ihnen, flexibel auf sich ändernde Umstände zu
reagieren.

Sie gelten als durchsetzungsfähig und hartnäckig sowie aufgrund


oftmals negativer Lebenserfahrungen als konflikterprobt. Ihre Intuition
hilft ihnen dabei, Situationen realistisch einzuschätzen und gesunde
Entscheidungen treffen zu können.

ADHS-Betroffene verfügen über einen ausgeprägten


Gerechtigkeitssinn. Sie setzen sich – gern auch selbstlos – für andere
ein und können sich überdurchschnittlich gut in ihre Mitmenschen
hineinversetzen. Eine Kombination aus Sensibilität, Ehrlichkeit und
Emotionalität, gepaart mit einer großen Portion gesunden
Menschenverstandes sorgt dafür, dass an ADHS erkrankte
Menschen in allem einen Sinn suchen und den Wunsch in sich tragen,
diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

8.2 Was braucht ADHS? Stärken fördern

Um ihre Stärken vollumfänglich auszuleben und sich zu entfalten,


benötigen an ADHS erkrankte Menschen zunächst einmal ein
übergeordnetes, „großes“ Ziel – zur Einordnung ihres Tuns in ein
Großes Ganzes. Sie brauchen etwas zu Tun, was ihren Möglichkeiten
entspricht (ohne dauerhaft zu über- oder unterfordern) und
insbesondere ihre Interessen dauerhaft stimuliert. Haben sie erst
einmal „ihr“ Ziel gefunden, gilt es, dieses zu verfolgen und sich danach
auszurichten, um darauf basierend ihr volles Potenzial ausschöpfen zu
können. Dahinter steckt bestenfalls eine Motivation, die von innen
kommt und mit ihren Werten harmoniert – von außen gelenkt, fühlen
sich Betroffene schnell in die Ecke gedrängt und in eine Form
gepresst; so „funktionieren“ zu müssen, schlimmstenfalls noch bei
einer monotonen Arbeit, grenzt ihren kreativen Geist zumeist zu sehr
ein – ihr Potenzial ist gehemmt.

Wenn sie stattdessen in möglichst großer Bewegungs- und


Ideenfreiheit ihr tägliches Werk verrichten und selbstbestimmt agieren
können, motiviert sie das besonders und fördert ihren kreativen Flow.

Zunächst sollten Betroffene dafür sorgen, dass sie in dem Knäuel aus
Ideen einen soliden Anfang finden – einen Grundstein, die Basis für
ihr Tun, sowie einen roten Faden, an dem sie sich festhalten,
orientieren und absichern können, damit sie ihr übergeordnetes Ziel
nicht aus den Augen verlieren unter all den Eindrücken und dem
Ideenreichtum.

Je mehr es ihnen gelingt, den Fokus aufs Ziel zu behalten und je mehr
Struktur sie sich aneignen können, desto besser können sie auf ihr
volles Potenzial zugreifen.

Auch ist es von Bedeutung, dass sie sich sicher und wohl mit dem
fühlen, was sie tun. Sind ihr Selbstwert und ihre soziale Kompetenz
hoch, können sie bestmöglich auf ihre Ressourcen zugreifen.

8.3 Beispiele für berufliche Potenziale: Stärken


nutzen

In welchen beruflichen Gebieten ADHS-Betroffene am besten


aufgehoben sind, lässt sich natürlich nicht pauschalisieren. Es gilt
stets das eigene Interesse als wichtigster Faktor. Üben Betroffene
eine Tätigkeit aus, die ihren Werten und ihrem Potenzial entspricht
und sie gleichzeitig dauerhaft aus eigener Motivation heraus agieren
können, können sie – egal in welchem Bereich – große Leistungen
erzielen.

Oft ist bei ADHS-Betroffenen zu beobachten, dass sie sich aufgrund


ihrer breit gefächerten Interessen mehrere Berufe oder
Qualifikationen erarbeiten, um im Berufsalltag die nötige Abwechslung
zu erhalten.

In Zusammenhang mit ihrer großen Wissbegierde und Kreativität


finden sich unter Betroffenen häufig Erfinder, Literatinnen oder
Künstler und damit Menschen, die es bevorzugen, außergewöhnliche
Wege zu gehen und sich dabei an eigenen Richtungen zu orientieren,
anstatt auf platt getrampelten Pfaden zu bleiben.

Falls du zu den Menschen gehörst, die angesichts der vielen


Möglichkeiten (noch) nicht wissen, welche Berufsfelder am ehesten
für sie infrage kommen, möchte ich dir nun eine beispielhafte
(unvollständige) Liste an die Hand geben, um dich in deinen
Möglichkeiten zu bestärken und zu inspirieren:
Pflege / Hilfe

Politik

Journalismus / Medien

(kreative) handwerkliche Berufe

gestalterische oder darstellende Berufe (etwa Bühnenbild,


Schauspiel)

Dienstleistung (etwa das Friseurhandwerk)

Forschung

Berufe mit hohem Bewegungsanteil

Berufe unter freiem Himmel (etwa Försterei, Garten- und


Landschaftsbau)

Einige Berufsfelder, die eine dauerhaft hohe Aufmerksamkeit


erfordern und mit großem Risiko oder enormer Stressbelastung
einhergehen (z.B. Unfallchirurgie), sind eher nicht geeignet.

Doch ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ADHS-Betroffene


sich in ihrer Berufswahl nicht nach ihrer Erkrankung richten und davon
einschränken lassen müssen.
Mit einer guten Behandlung und der Aneignung gewisser
Vorgehensweisen in Bezug auf ihre Krankheit (mehr dazu in Kapitel
10 und 12) können ADHS-Symptome heutzutage so weit abgemildert
werden, dass sich neue berufliche Perspektiven eröffnen können.

8.4 Tipps für den beruflichen Alltag mit ADHS

Im beruflichen Alltag leistungsfähig und motiviert zu bleiben, ist


gerade unter Einfluss einer ADHS-Erkrankung besonders schwierig.
Hierzu habe ich ein paar Hinweise und Tipps für dich
zusammengestellt, die es ADHS-Betroffenen erleichtern, ihren
Arbeitsalltag sinnvoll zu strukturieren und an ihre Fähigkeiten und
Bedürfnisse anzupassen.

Tipp 1:

Multitasking ist nicht nur für Menschen, die nicht von ADHS betroffen
sind, eine Stressfalle. Sich mehrere Dinge gleichzeitig vorzunehmen
und diese dann auch in angemessener Qualität abzuschließen, ist
nicht nur praktisch unmöglich, sondern birgt auch enorme
Stressbelastung. Insbesondere ADHS-Betroffene sollten Multitasking
also vermeiden und sich ihre Arbeit in kleine „Häppchen“ aufteilen, die
sie Schritt für Schritt ans Ziel führen. Erst nach Erreichung eines
Zieles sollte das nächste angesteuert werden. Um sich die Arbeit zu
erleichtern, helfen Strukturpläne und Prioritäten-Listen (s. Kapitel
12.1.4.4).

Tipp 2:
Oftmals streben insbesondere ADHS-Betroffene danach, alles richtig
und möglichst fehlerlos machen zu wollen. Dieser Perfektionismus und
das Verlieren in (teilweise unwichtigen) Details hindert sie am
Weiterkommen und verpasst ihrer Motivation einen Dämpfer. Also:
Lieber den Perfektionismus links liegen lassen, als das
übergeordnete Ziel aus den Augen zu verlieren.

Tipp 3:

Monotone Tätigkeiten sind für Menschen mit ADHS vergleichbar mit


der Hölle selbst. Sie brauchen Abwechslung und eine Tätigkeit, die
ihren Geist belebt. Daher können ADHS-Betroffene betriebsintern um
eine Versetzung in einen Arbeitsbereich bitten, bei denen ihre
Kreativität beansprucht wird.

Tipp 4:

Zwischen intensiven Arbeitsphasen sollten ADHS-Betroffene sich


immer wieder daran erinnern, sich ausreichend Pausen zu gönnen und
ab und zu mal einen Gang zurückzuschalten. Auch ein gesunder
Schlafrhythmus ist für die Leistungsfähigkeit essenziell.

Tipp 5:

Birgt der eigene Arbeitsbereich (etwa im Großraumbüro) viele


Ablenkungsmöglichkeiten, sollte dieser angepasst werden, z.B. durch
die Erlaubnis, über Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung Musik zu
hören. Ein Beispiel für fokussierende Musik findest du unter den
weiterführenden Links in Kapitel 15. Auch ist der Umzug an einen
ruhigeren Arbeitsplatz ist ggf. empfehlenswert.
Tipp 6:

Manchen ADHS-Betroffenen fällt das Arbeiten im Team und die


Teilnahme an zeitintensiven Besprechungen schwer – sie können
darum bitten, einer Einzeltätigkeit zugewiesen zu werden.

Tipp 7:

Um Prokrastination zu vermeiden, können regelmäßige Timer zur


Erinnerung an eine Aufgabe eine mögliche Hilfestellung sein.

Tipp 8:

Wenn Anerkennung von außen fehlt, können Betroffene sich (natürlich


auch zusätzlich) ein eigenes Belohnungssystem ausdenken, zum
Beispiel, indem sie sich nach einer festgesetzten Arbeitsperiode (z.B.
dreißig Minuten) eine kurze Pause (z.B. fünf Minuten) an der frischen
Luft gönnen.

Tipp 9:

In manchen Fällen, insbesondere bei schweren Ausprägungen, ist es


sinnvoll, die Vorgesetzten und Kollegen über die eigene ADHS-
Betroffenheit aufzuklären. Dies sollte in einem gesicherten,
entspannten Rahmen erfolgen, um Vorurteilen vorzubeugen. Auch ist
darauf zu achten, dass das eigene Verhalten nicht durch die
Erkrankung entschuldigt wird. Lies im nächsten Kapitel, was du noch
tun kannst, um der Stigmatisierung von ADHS in deinem persönlichen
Umfeld vorzubeugen.
9. Umgang mit Vorurteilen:
Entstigmatisierung von ADHS

Immer wieder haben Menschen, die an ADHS oder einem Subtypus


erkrankt sind, im sozialen Umfeld schwer mit Vorurteilen zu kämpfen.

„Der will doch nur Aufmerksamkeit!“

„Die träumt schon wieder!“

„Na, wirst du mit Medikamenten ruhig gestellt?“

Diese oder andere Bemerkungen dürften die allermeisten Betroffenen


nur zu gut kennen.

Auch das Vorurteil, nicht mithalten zu können, „dümmer“ zu sein als


andere, besteht häufig. Dabei ist es nicht fehlender Intellekt, der
dafür sorgt, dass die Leistungen schlecht sind. Auch nicht Faulheit
oder bloßer Unwille. Die Unfähigkeit, sich auf eine Sache länger zu
konzentrieren und mit den Gedanken bei vielen verschiedenen Dingen
zu sein, sorgt aber natürlich dafür, dass es von außen so aussehen
kann, Betroffene hätten Probleme, mit dem Leistungsniveau ihres
Umfeldes mitzuhalten.

Dass viele Menschen ihre Unsicherheit überspielen und lieber Witze


reißen und lauthals ablenken, anstatt zum Kern ihrer Probleme zu
stehen, liegt mitunter daran, dass sie selbst oft gar nicht so genau
wissen, was eigentlich Sache ist und wie sie darüber sprechen sollen.
Alle Menschen wollen Teil einer Gemeinschaft sein – Andersartigkeit
oder gar psychische Störungen passen mit diesem Grundbedürfnis
nicht zusammen.

Auch wenn die Aufklärung und Enttabuisierung bezüglich mentaler


Belastungen und psychischer Gesundheit heutzutage immer weiter
voran schreitet, besteht in den Köpfen vieler Menschen nach wie vor
die Vorstellung von mental „Gestörten“, die in Schwererziehbaren-
Einrichtungen oder gar der Psychiatrie (der „Klapse“) untergebracht
werden – das Gegenteil von Inklusion.

Dieses überholte Bild geben viele unterbewusst und vollkommen


unbeabsichtigt an folgende Generationen weiter, wodurch auch diese
oft ein verqueres Bild davon entwickeln, wie an dieser Stelle mit
Menschen, die Andersartigkeiten aufweisen, umgegangen wird.

So fällt es Betroffenen verständlicherweise schwer, offen über ihre


mentale Störung zu sprechen – einerseits, weil sie sich derer vielleicht
nicht bewusst sind, andererseits aus großer Angst davor, „falsch“ zu
sein und ausgeschlossen zu werden.

Wie kannst du als Betroffener nun anderen vermitteln, dass deine


Einschränkungen nichts schlimmes oder abnormales sind?

Zunächst gilt es, dich selbst tief davon zu überzeugen, dass du nicht
„falsch“ bist, und dich so, wie du bist, vollkommen anzunehmen. Mit
all deinen kleinen „Macken“, die ja jeder Mensch irgendwo hat.

Informiere dich so genau es geht selbst über deine Störung. Nur so


kannst du andere faktenbasiert aufklären und dazu beitragen, der
Stigmatisierung entgegenzuwirken. Dass du dieses Buch in der Hand
hältst, ist eine von vielen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung –
auf andere gehe ich zum Schluss noch einmal näher ein.

Versuche, dein ADHS losgelöst von deinem Charakter zu sehen und


auch bewusst so zu definieren.

Was helfen kann, ist auch, dem ADHS einen Namen zu geben –
vielleicht sogar einen lustigen, um dem Ganzen den Schrecken noch
ein wenig zu nehmen. Wenn dann eine Auffälligkeit zutage tritt, der
das ADHS zugrunde liegt, könnest du zukünftig etwa so darüber
sprechen:

„Mein ADHS träumt schon wieder!“

Oder:

„«Günther» träumt schon wieder.“

Oder auch:

„Hey, «Günther», ich muss mich jetzt noch zwei Stunden


konzentrieren!“

Statt dir selbst vorzuwerfen bzw. vorwerfen zu lassen, du seiest


unaufmerksam, bezieht sich dies nun direkt auf das ADHS. Das klingt
im ersten Moment vielleicht kindisch, kann jedoch sehr wirkungsvoll
sein.
Mit dem Namen und dem Wissen kannst du dann auch anderen
besser erklären, was los ist.

Dass du ein wenig Angst vor der Reaktion deines Gegenübers hast,
ist ganz normal. Die meisten Menschen – sofern sie dir wohlgesonnen
sind – werden deine Herangehensweise jedoch zumindest
akzeptieren, wenn nicht sogar begrüßen und dich unterstützen. Wenn
nicht, lohnt es sich, darüber nachzudenken, dein Umfeld (wie etwa die
Arbeitsstelle) zu wechseln.

9.1 Mythen und Fakten

Immer wieder kursieren interessante Mythen über ADHS. Um diese


zu bekämpfen, schreibe ich sie im Folgenden einmal für dich auf und
erkläre dir gleichzeitig, warum es sich dabei aus psychologischer und
wissenschaftlicher Sicht um Unwahrheiten handelt.

9.1.1 „ADHS gibt es nicht“

Seit vielen Jahren ist ADHS als allgemein anerkannte Erkrankung


gelistet. Die Ursachen werden noch immer erforscht. In den letzten
dreißig Jahren ist die wissenschaftliche Datensammlung zu ADHS
stark gewachsen – sowohl die genetischen Zusammenhänge als auch
wirksame Therapiesysteme konnten etabliert werden. Die Rolle von
Umwelteinflüssen wird noch immer (und immer wieder) untersucht.
9.1.2 „ADHS ist eine Erfindung der
Pharmaindustrie“

Schnell wird bei der Suche nach „Schuldigen“ für Krankheiten die
Pharmaindustrie dafür verantwortlich gemacht – denn diese verdient
schließlich Millionen mit Medikamenten. Natürlich liegt da die
Behauptung nahe, dass sich Krankheiten „ausgedacht“ würden, um
noch mehr Gewinn zu machen.

Doch die Hersteller haben keinen Einfluss darauf, ob Krankheiten


allgemein als solche anerkannt und in die bekannten Kataloge (z.B.
ICD-10 und DSM-5) aufgenommen werden.

Dass sie heute öfter diagnostiziert wird, heißt nicht, dass es sich bei
ADHS um eine sogenannte „Modeerkrankung“ handelt oder die
Diagnose vorschnell getätigt wird.

Das häufigere Auftreten der Krankheit heutzutage steht in Verbindung


damit, dass ADHS wie auch andere psychische Erkrankungen (etwa
Depression) heute bewusster wahrgenommen werden und daher eine
breitere Masse darüber in Kenntnis ist als noch vor ein paar Jahren.
Doch Hinweise auf ADHS – wenn auch unter anderem Namen –
finden sich schon seit mehr als zwei Jahrhunderten in der Literatur.

9.1.3 „ADHS kann gar nicht sicher diagnostiziert


werden“
- Nicht anhand eines Blutbildes oder anderer „Schnelltests“, das ist
richtig. Für die Diagnose von ADHS durch kompetente Fachärzte
werden verschiedene „Werkzeuge“ genutzt, wie etwa ausführliche
Anamnese-Gespräche, Fragebögen, klinische Untersuchungen und
Verhaltensbeobachtung. Gerade bei ADHS wird sehr darauf
geachtet, andere mögliche Diagnosen zuvor auszuschließen und
Begleiterkrankungen festzustellen, da es, wie in Kapitel 4
beschrieben, starke Überschneidungen gibt.

9.1.4 „ADHS wächst sich aus“

Lange Zeit war ADHS als Kinderkrankheit bekannt, die mit den
Jahren „verschwindet“. Heute ist klar: So einfach ist es nicht. ADHS
ist eine psychologische Störung, die lebenslang massiven Einfluss auf
Betroffene haben kann. Die gute Nachricht: Betroffene, bei denen
eine ADHS erkannt und behandelt wird, lernen langfristig den Umgang
mit den eigenen Symptomen, sodass der Einfluss der Krankheit auf
das eigene Leben minimiert werden kann.

9.1.5 „ADHS wird durch falsche Erziehung


hervorgerufen“

„… und Eltern, die in der Erziehung versagen, nutzen es als Ausrede.“


Wie bereits in Kapitel 5 beschrieben, handelt es sich bei ADHS
keineswegs um die Folge missglückter Erziehung. Egal, wie gut ein
Kind erzogen wurde – durch die Erkrankung mit ADHS neigt es zu
auffälligem oder provozierendem Verhalten. Für Außenstehende
wirken betroffene dann häufig unerzogen, faul oder frech – doch es
hilft, hinter die Kulissen zu blicken und die Gründe zu erfahren, um
solche Vorurteile zu vermeiden.

Zu etwa 80 Prozent liegen die Ursachen für ADHS in der Genetik,


sodass häufig die Eltern ADHS-betroffener Kinder selbst unter der
Erkrankung leiden.

Die Erziehung und die Symptome von ADHS können sich gegenseitig
bedingen – doch die Erziehung bildet nicht den Ursprung der
Problematik.

Und noch eine Erinnerung: Jeder Mensch macht Fehler – auch in der
Erziehung (die ja sowieso vollkommen unterschiedlich gestaltet
werden kann). Das ist ganz normal, denn niemand ist perfekt.

9.1.6 „ADHS wird durch soziale Umweltfaktoren


ausgelöst.“

Wie bereits beschrieben, liegen die Ursprünge einer ADHS


hauptsächlich im genetischen Bereich. Umweltfaktoren und
Begleiterkrankungen können eine ADHS-Erkrankung lediglich
beeinflussen. Beispielsweise kann ein problematisches Umfeld, wie
schlechte soziale Bedingungen oder fragwürdige
Erziehungsmethoden, Symptome einer ADHS verstärken. Ausgelöst
wird diese dadurch aber nicht.

9.1.7 „ADHS wird nur durch falsche Ernährung


ausgelöst“
Dies ist ein Mythos, der sich bisher hartnäckig hält. Zucker zum
Beispiel gilt als begünstigend für Hyperaktivität. Jedoch konnten
Zusammenhänge zwischen ADHS und der Ernährung bislang nicht
eindeutig nachgewiesen werden.

9.1.8 „ADHS kann mit Drogen behandelt werden“

Marihuana, Alkohol und anderen Substanzen wird nachgesagt, dass


sie durch ihre entspannende Wirkung ADHS-Symptome lindern
können. Daher greifen auffallend viele Betroffene zu derlei
Substanzen, um ihre ADHS – auch unbewusst bei unerkannter
Erkrankung – zu „zügeln“.

Die Wirkung der meisten dieser Substanzen beruht auf einer


Erhöhung der Dopaminkonzentration im Gehirn. Dadurch wird der
durch ADHS bedingte Dopaminmangel temporär ausgeglichen – die
Symptome werden gelindert.

Doch die Wirkung von Drogen lässt nach einer Weile nach, sodass
die ADHS-Symptome immer wieder an die Oberfläche treten. Wieder
zu Drogen zu greifen, ist verführerisch – und kann schnell zu einer
Sucht führen, sodass dann nicht nur die ADHS, sondern gleichzeitig
auch eine Sucht behandelt werden muss.

9.1.9 „Betroffene brauchen nur mehr Outdoor-


Aktivitäten“
Dass sportliche Betätigung und Spaziergänge dabei helfen, innere
Unruhe abzubauen und Langeweile vorzubeugen, ist bekannt.

Auch helfen einige Sportarten (wie z.B. Klettern) dabei, die


Konzentrationsfähigkeit zu steigern – sodass diese bei der
Behandlung von ADHS unterstützend wirken können.

Doch eine ADHS ist komplexer als das und bedarf ganzheitlicher
Therapieansätze, um die Erkrankung ursächlich zu behandeln. Sport
alleine reicht nicht aus.

9.1.10 „Gute Erziehung hilft besser als jedes


Medikament“

Da es sich bei ADHS um eine Stoffwechselerkrankung handelt, lässt


sie sich auch entsprechend behandeln. Die Wirksamkeit von speziell
für ADHS entwickelten Medikamenten ist stichhaltig belegt – mehr
dazu in Kapitel 10.4.

Die Verhaltensauffälligkeiten, die mit ADHS einhergehen, stellen nur


die von außen sichtbaren Symptome dar. So kann eine liebevolle,
konsequente Erziehung sich zwar positiv auf die Beziehung zwischen
Eltern und Kind auswirken, doch sie wird die Auslöser dieser
Erkrankung nicht an ihrer Wurzel bekämpfen, da diese organisch und
nicht sozial bedingt sind.

9.1.11 „Eine Psychotherapie reicht vollkommen


aus“
Zunächst einmal muss sichergestellt sein, dass Betroffene dazu in der
Lage sind, konzentriert und proaktiv an therapeutischen Behandlungen
teilzunehmen. Bevor sie sich nicht ausreichend konzentrieren und
regulieren können, können therapeutische Sitzungen nicht ihre volle
Wirkung entfalten.

So sollte der medikamentöse Ausgleich des Dopaminmangels, durch


den die ADHS-Symptome hervorgerufen werden, als erstes erfolgen,
um im nächsten Schritt – wenn der oder die Betroffene
aufnahmefähig genug ist – mit der Therapie zu beginnen.
Verhaltenstherapie alleine hat nachweislich keine nachhaltige Wirkung
auf ADHS.

9.1.12 „Psychopharmaka sind gefährliche Drogen“

Da Psychopharmaka die Stoffwechselvorgänge im Gehirn


beeinflussen, haben sie einen schlechten Ruf, der oft mit Ängsten und
Vorurteilen einhergeht. Psychopharmaka werden mit Drogen auf eine
Stufe gestellt.

Natürlich können Psychopharmaka – wie andere Medikamente auch –


Nebenwirkungen haben, dies ist nicht von der Hand zu weisen.

Doch solange diese nicht missbräuchlich verwendet werden, sind sie


nicht gefährlicher als andere Medikamente.
9.1.13 „Betroffene werden mit Medikamenten
ruhiggestellt“

Auf ADHS abgestimmte Medikamente sorgen dafür, dass die


Kernsymptome der Erkrankung gemildert werden. Wenn ein Mensch,
der sonst hyperaktiv, unaufmerksam und impulsiv ist, durch
Medikamente zur Ruhe kommt und weniger angespannt ist, sieht das
von außen schnell so aus wie eine „Ruhigstellung“. Doch dieses
Vorurteil sorgt nur für die weitere Stigmatisierung von ADHS und der
Behandlung dessen.

Zumeist kann erst durch die Einnahme der Medikamente eine


ganzheitliche Therapie ermöglicht werden. Natürlich werden
Betroffene durch Medikamenteneinnahme ruhiger – aber das wird von
ihnen zumeist als absolute Erleichterung wahrgenommen.
10. Behandlungsmöglichkeiten

Es gibt milde Verläufe von ADHS und wenn die Symptome frühzeitig
erkannt werden, gibt es auch Chancen, dass du selbst mit der
Unterstützung deines Umfeldes, die Symptome soweit mindern
kannst, dass es gar nicht erst zu einem stärkeren Ausbruch der
Erkrankung kommt.

Ist dein ADHS jedoch bereits so stark ausgeprägt, dass du es (zum


Beispiel mithilfe von Entspannungsübungen wie die im vierwöchigen
Programm dieses Ratgebers beschriebenen) nicht schaffst, die
Symptome soweit zu lindern: Zweifle nicht an dir. Du hast nichts
falsch gemacht und trägst nicht die Schuld an deiner Erkrankung
(ebenso wenig wie deine Eltern).

Niemand erwartet von dir, dass du dazu in der Lage bist, eine solch
tiefgreifende und sich oft bereits jahrelang entwickelnde Störung aus
eigener Kraft bekämpfen zu können.

Es gibt etablierte Therapiekonzepte, die dich mit der Hilfe von dazu
ausgebildeten und nicht in deinem Privatleben involvierten Personen
dazu befähigen, die ADHS erfolgreich und nachhaltig zu bewältigen.

Drei Aspekte spielen bei der Behandlung einer ADHS tragende


Rollen: Die Psychoedukation, die medikamentöse Behandlung und die
Psychotherapie. Im Folgenden gehe ich auf alle drei Punkte näher ein
und erkläre, wie die einzelnen Punkte mit deinem Therapieerfolg
zusammenhängen.
Bei ADHS ist es besonders wichtig, dass die Behandlung multimodal
erfolgt, das heißt, dass auf den unterschiedlichsten Ebenen an die
Problematik herangegangen wird. Die Psychoedukation (also
Information und Beratung) ist bereits Teil des Behandlungsprozesses.

10.1 Psychoedukation

Zu wissen, womit du es zu tun hast, kann dir große Erleichterung


verschaffen, aber das Wissen über Ursachen und Symptome reicht
natürlich nicht aus, um der ADHS den Kampf anzusagen.

Inwieweit genau du betroffen bist bzw. wie deine individuelle


Ausprägung der Symptomatik aussieht und wie du im Einzelnen
dagegen vorgehen kannst, findest du am besten im Zuge einer
entsprechenden Beratung heraus.

Diese kann einerseits beim Hausarzt erfolgen, aber es gibt auch


psychosoziale Dienste, die eine Anlaufstelle für solche
Beratungsanliegen darstellen. Wo in deiner Umgebung solche
Beratungen angeboten werden, lässt sich am besten im Internet oder
durch den Anruf beim Hausarzt herausfinden. In aller Regel kann man
dir dort Adressen und Telefonnummern nennen.

Deine Beratung wird dir genauere Informationen liefern über die


Möglichkeiten, die du hast und die Formen der Behandlung, die
individuell auf deine Erkrankung abgestimmt sind.

10.2 Die Diagnose


Wenn du einen Termin bei deiner hausärztlichen Praxis vereinbart
hast, wird dort als erstes eine genaue Untersuchung erfolgen und
anhand der Ergebnisse die Diagnose gestellt.

Diese kann sehr unterschiedlich ausfallen, denn ADHS ist, wie du


inzwischen weißt, eine sehr individuelle Erkrankung mit vielen
„Gesichtern“.

Bis heute wurde kein Mittel zur Diagnose gefunden, welches auf
Laboruntersuchungen und biochemischen Verfahren, also der
Untersuchung des Gehirns, fußt. Hier wird sich bislang der
Beobachtungen bedient, die du in Zusammenhang mit den
auftretenden Einschränkungen gemacht hast.

Zunächst soll ausgeschlossen werden, dass deine Symptome andere


Ursachen haben. Die Beschwerden können beispielsweise mit einer
Schilddrüsenerkrankung zusammenhängen; diese gilt es, auch mittels
einer körperlichen Untersuchung, auszuschließen.

Es werden außerdem Fragen zu alltäglichen Dingen gestellt, die du


nach bestem Wissen und anhand deiner Erfahrungen beantworten
solltest, damit möglichst genau eingegrenzt werden kann, wie die
individuelle Ausprägung deiner Symptomatik aussieht.

Als Vorbereitung und zur Gedankenstütze für den Termin zur


Anamnese (Erstuntersuchung) kannst du den Fragebogen in diesem
Ratgeber zur Hilfe nehmen.

Sind alle anderen möglichen Erkrankungen ausgeschlossen, wirst du


weitergeleitet an eine spezialisierte Facharztpraxis oder ein auf ADHS
spezialisiertes Testzentrum.

Dort findet die vollständige Abklärung über deine Erkrankung statt –


erst dann wird auch die endgültige Diagnose gestellt, sofern die
Symptome tatsächlich entsprechend stark ausgeprägt sind,
mindestens seit sechs Monaten bestehen und Einschränkungen in
mindestens zwei Lebensbereichen verursachen (etwa beruflich und
familiär).

Auch hierbei wird wieder anhand von genauer Beobachtung und der
Auswertung deiner Erfahrungen eingeschätzt, wie hochgradig deine
ADHS ist und welche individuellen Ausprägungen du zeigst.

Meist kommt noch die Kontaktaufnahme zu Personen aus deinem


nahen Umfeld hinzu, um eine Einschätzung von außen, aus deinem
sozialen Kreis, in die Diagnosestellung mit einzubeziehen.

Hierbei werden ebenfalls Fragebögen (ähnlich dem hier beigefügten)


eingesetzt, die auf die jeweils Befragten zugeschnitten sind, sodass
möglichst intensive Einblicke aus allen Bereichen gegeben sind.
Dieses Verfahren hat sich in der Diagnose und Behandlung von ADHS
bewährt.

Nachdem die eindeutige und detaillierte Diagnose gestellt ist, wird im


nächsten Schritt besprochen, welche Behandlung für dich am besten
infrage kommt, sodass dir bestmögliche Hilfe zuteil werden kann.

10.3 Der Weg zu einer geeigneten Therapie


Wenn du dich zu einer Verhaltenstherapie anmelden möchtest, kannst
du unterschiedlich vorgehen. Zum Einen kannst du therapeutische
Praxen in deinem Umfeld recherchieren, in denen Verhaltenstherapie
angeboten wird. Diese abzutelefonieren und zu hoffen, dass dort
Kapazitäten frei sind, ist mühsam und kann mitunter frustrierend
enden, denn Therapien sind begehrt und es gibt oft lange Wartelisten.
Dein Befund, also die Diagnose über das ADHS, hilft dir dabei,
gegebenenfalls schneller einen Platz zu ergattern; sie kann als eine
Art Überweisungsschein dienen.

Je nachdem, wie stark sich die ADHS auf dein alltägliches Leben
negativ auswirkt (was ja im Befund festgehalten ist), erhältst du
tendenziell schneller einen Platz, da dann die Dringlichkeit deutlich
wird. Du kannst dich über die Homepage deiner Krankenkasse
ebenfalls über Praxen in deiner Umgebung, die die Verhaltenstherapie
anbieten, informieren. Dich vorab mit deiner Krankenkasse in
Verbindung zu setzen, ist sowieso sinnvoll, da dann direkt dort
sichtbar wird, dass du Bedarf an einer entsprechenden Behandlung
hast und geklärt werden kann, inwieweit deine Kasse die Kosten für
eine solche Therapie deckt. In den allermeisten Fällen wird eine
Psychotherapie von den Krankenkassen übernommen, vor allem,
wenn bereits eine spezialisierte Diagnose gestellt wurde.

Auf den Internetseiten der Kassenärztlichen Vereinigung und der


Deutschen Psychotherapeutenvereinigung kannst du ebenfalls nach
Therapeuten suchen, die in deinem Wohnort Verhaltenstherapien
anbieten. Bei der Terminservicestelle der Kassenärztlichen
Vereinigung kannst du dich auf eine zentrale Warteliste setzen lassen.
Dort wird dir innerhalb von vier Wochen ein Termin in einer Praxis
vermittelt, die so kurzfristig Termine für ein Erstgespräch frei hat.

Zudem gibt es eine App namens „Therapieplatzfinder“ – diese erfüllt


dieselben Anforderungen wie o.g., zusätzlich kannst du dich allerdings
hier zu den Öffnungszeiten der Praxen per Benachrichtigung auf dem
Handy erinnern lassen, dort anzurufen. Auch kannst du hier nach
Therapieform filtern und dir direkt ausschließlich die Praxen anzeigen
lassen, die verhaltenstherapeutische Arbeit anbieten. Dies ist ein
praktisches Helferlein, um bei all den verschiedenen Praxen den
Überblick zu behalten.

Wenn du einen Termin zum Erstgespräch in einer therapeutischen


Praxis ergattern konntest, ist die erste Hürde bereits überwunden.

Du kannst dir dann vor Ort auch direkt ein persönliches Bild von der
behandelnden Person schaffen. Hast du das Gefühl, dort gut
aufgehoben zu sein?

Nach der ersten Sitzung findet die sogenannte Probatorik statt, in der
überprüft wird, ob sich Therapeut und Patient verstehen und sich die
Arbeit miteinander vorstellen können. Auch schaut die therapeutische
Begleitung hier noch einmal genau auf die einzelnen Symptome, um
einen „Fahrplan“ für deine individuelle Therapie zu erstellen, also die
Therapie auf deine ganz persönliche Ausprägung der ADHS
anzupassen.

Im Anschluss an die erste(n) Sitzung(en) kannst du reflektieren, ob


diese die richtige Praxis oder Behandlungsform darstellt. Falls sich
Zweifel regen, nimm diese in jedem Fall ernst und begib dich auf die
Suche nach einer Alternative. Dies bedeutet zwar mehr Aufwand und
Mühe, doch wenn du dich nicht wohl fühlst, bringt die beste Therapie
nichts. Bist du aufgrund einer mangelhaften Beziehung zu deiner
therapeutischen Begleitung nicht motiviert und engagiert bei der
Therapie dabei, kann die vor dir sitzende Fachkraft noch so gut
ausgebildet und geduldig sein – in diesem Fall wird die Therapie
höchstwahrscheinlich ins Leere laufen. Also ist es in einem solchen
Fall ratsam, die Augen nach anderen Praxen oder neuen Wegen offen
zu halten, um dir ein angenehmes und erfolgreiches Therapieerlebnis
zu ermöglichen.

Nach Absprache kann es möglich und sogar therapiefördernd sein,


einzelne Therapiesitzungen gemeinsam mit Menschen aus deinem
Umfeld durchzuführen – je nachdem, welche Problematiken im Verlauf
der Therapie aufkommen.

10.4 Medikamentöse Behandlung

Je nach Ausprägungen der Erkrankung ist es sinnvoll, Medikamente


als hilfreichen Stützpfeiler mit einzubeziehen. Die Medikation dient
nicht zur „Ruhigstellung“, sondern lediglich dazu, die starken
Symptome zu lindern, sodass eine weiterführende Therapie möglich
wird. Wenn du beispielsweise so sehr mit den Gedanken woanders
bist und dich immer wieder ablenken lässt, dass du dich nicht auf
längere Gespräche konzentrieren kannst, wird eine Therapiesitzung
wenig erfolgversprechend sein. Die Medikamente sorgen also dafür,
dass du zumindest insofern ruhiger wirst, dass eine Basis für alle
weiteren Schritte geschaffen wird.
Die Medikamente lindern also die „offensichtlichen“ Symptome, die
Ursachen und tiefer gehenden Auswirkungen werden erst im weiteren
Verlauf der Therapie geklärt und bearbeitet.

Es gibt verschiedene Mittel, die zur Behandlung von ADHS-


Symptomen genutzt werden. Eines davon ist Methylphenidat (MPH).
Hierbei handelt es sich um eines der am besten erforschten Mittel,
die heutzutage zur medizinischen Behandlung von ADHS eingesetzt
werden.

Die Dosierung wird individuell auf deine Bedürfnisse angepasst.


Grundsätzlich gilt hierbei, dass gerade so viel verschrieben wird, wie
nötig ist, um die Symptome soweit zu drosseln, dass weitere Arten
der Behandlung möglich werden. Gleichermaßen wird darauf
geachtet, dass du so wenig wie möglich von dem Medikament
erhältst, um so sanft es geht in deinen Organismus einzugreifen.

Meist wird die Dosis zunächst gering angesetzt, um zu schauen, wie


sich die Gabe des Mittels auf deinen Stoffwechsel auswirkt. Verträgst
du das MPH gut, wird die Dosis Schritt für Schritt erhöht, bis die
optimale Menge erreicht ist. Dies alles geschieht unter genauer
Beobachtung und Kontrolle des behandelnden ärztlichen
Fachpersonals, du solltest also nicht selbstständig die Dosis
anpassen.

Oft stellt sich im Zusammenhang mit Medikamenten zur Behandlung


psychischer Erkrankungen die Frage nach dem Suchtrisiko, die diese
eventuell bergen. An dieser Stelle kann Entwarnung gegeben werden:
Untersuchungen zeigten bei keinem der heute zugelassenen
Medikamente zur Behandlung von ADHS Anzeichen, dass diese
süchtig machen. Es gab teilweise sogar gegenteilige Beobachtungen
zu verzeichnen, nämlich insofern, dass das Risiko, später eine Sucht
zu entwickeln, eher vermindert wurde.

Nebenwirkungen bei der Einnahme von MPH sind kaum verzeichnet.


Die einzigen Punkte, die hierbei genannt werden, sind
Appetitlosigkeit, Auswirkungen auf den Herz-Kreislauf und
Schlafstörungen. Du solltest das MPH also stets erst nach dem
Frühstück einnehmen, und auch die regelmäßige Überprüfung von
Pulsfrequenz und Blutdruck sind ratsam. Zudem sollte es nicht direkt
vor dem Schlafengehen eingenommen werden.

10.4.1 Wie wirkt MPH?

MPH beinhaltet Stoffe, die für einen Ausgleich der Botenstoffe


Noradrenalin und Dopamin sorgen. Das Problem wird also direkt dort
„gepackt“, wo es die größten biochemischen Auswirkungen auf
deinen Stoffwechsel hat. Durch den Ausgleich werden die Symptome
deutlich geschwächt.

Es kann vorkommen, dass du das MPH nicht gut verträgst oder dass
es nicht anschlägt. Auch die Wirkung von Medikamenten auf den
Organismus ist sehr individuell und kann unterschiedlich ausfallen. Für
diesen Fall gibt es Dexamfetamin. Hierbei handelt es sich um einen
alternativen Wirkstoff, die im Grunde dasselbe tut wie das MPH und
auch auf dieselbe Weise wirkt, aber eine leicht veränderte
Zusammensetzung der Stoffe beinhaltet, sodass es von deinem
Organismus gegebenenfalls besser aufgenommen und verarbeitet
werden kann. Die Nebenwirkungen sind hier dieselben wie auch beim
MPH. Auch die Dosierung ist ähnlich flexibel, aber auch hier sollte auf
eine Einnahme nach dem Frühstück und nicht zu kurz vor dem
Zubettgehen geachtet werden.

10.4.2 Atomoxetin – eine Alternative

Sollten weder MPH noch Dexamfetamin bei dir die gewünschte


Wirkung zeigen, kann das daran liegen, dass deiner ADHS eine
andere Störung des Spiegels und der Zufuhr von Noradrenalin und
Dopamin zugrunde liegt. Hierfür wurde Atomoxetin entwickelt.

Atomoxetin sorgt dafür, dass die Wiederaufnahme von Noradrenalin


im Gehirn gehemmt wird; somit steigt die Konzentration des Stoffes
an und die Funktionen des Gehirns werden sozusagen auf ein
angemessenes, „normales“ Level gebracht.

Dieser Wirkstoff wird im Normalfall bei einer Mahlzeit, im besten Fall


zum Frühstück, eingenommen und wirkt dann über den ganzen Tag.

Gut zu wissen ist hierbei, dass es eine Weile (bis zu mehreren


Wochen) dauert, bis sich im Gehirn ein Spiegel aufgebaut hat, das
heißt, dass erst dann genug des Wirkstoffes in deinem Organismus
vorhanden ist, damit es seine volle Wirkung entfalten kann.

Auch dieses Medikament ist nicht frei von möglichen Nebenwirkungen.


Am häufigsten treten, wie auch bei den vorher genannten,
Appetitlosigkeit und erhöhter Blutdruck auf. Auch Kopfschmerzen,
Übelkeit und Müdigkeit gehören dazu. Allerdings treten diese
Nebenwirkungen meist nicht dauerhaft auf, sondern lassen mit der
Zeit nach.

Wenn mit Gabe eines Medikamentes die Symptome der ADHS


soweit geschwächt wurden, dass es dir möglich ist, dich für längere
Zeit zu konzentrieren, steht meistens eine therapeutische Behandlung
auf dem Plan.

10.5 Psychotherapie

Es gibt vielerlei Formen der Psychotherapie. Die Verhaltenstherapie


hat sich zur Behandlung von ADHS durchgesetzt, da sie genau an den
Punkten ansetzt, die für Betroffene Probleme bereithalten – nämlich
auffällige und unangemessene (mitunter heftige) Verhaltensweisen
und -muster, die das alltägliche Leben mit ADHS anstrengend und
bisweilen unstrukturierbar machen.

Im Unterschied zur tiefenpsychologisch fundierten Therapie wird hier


nicht tief in der Vergangenheit der Betroffenen nach den Ursachen
von Problemen geforscht – diese sind im Falle einer ADHS-
Erkrankung meist von recht eindeutiger Natur, auch wenn sie zunächst
nicht so scheinen.

Die Verhaltenstherapie verlegt sich also darauf, lösungsorientiert


vorzugehen und mithilfe einer therapeutisch ausgebildeten Person die
Muster aufzubrechen, die du aufgrund deiner Erkrankung entwickelt
hast, und Alternativen zu erarbeiten. Du lernst, deine Muster zu
erkennen und dich bewusst dafür zu entscheiden, diesen nicht zu
folgen, sondern dich stattdessen bewusst für das antrainierte,
positive Verhalten zu entscheiden.
Wenn du beispielsweise feststellst, dass du dazu tendierst,
aufzustehen und herumzulaufen, kannst du dagegen lenken und dich
darauf besinnen, dass dieser Impuls nicht notwendig zu befolgen ist,
sondern dass es in der gegebenen Situation angemessener ist, sitzen
zu bleiben. Du lernst, die Impulse wahrzunehmen, zu filtern, zu
hinterfragen und aktiv zu steuern.

Positive Verstärkung ist eines der grundlegenden Elemente einer


Verhaltenstherapie bei ADHS. Noch so kleine Anregungen können
dich dazu motivieren, positives Verhalten öfter zu zeigen. Hierbei kann
auch von einer Art System Gebrauch gemacht werden.

Sich selbst zu belohnen, kann mitunter schwierig sein – aber es


funktioniert. Wenn du dir etwa ein erreichbares Ziel vornimmst (etwa:
„Heute lerne ich zehn, zwanzig, dreißig Minuten für die Uni“ –
langsame Steigerung ist absolut empfehlenswert!) und für jedes Mal,
wenn du eine Etappe erreicht hast, eine Belohnung ausdenkst (wie
ein Stück deiner Lieblings-Schokolade), ist die Motivation, die zehn
Minuten zu schaffen, gleich viel höher.

Vorbilder sind ein etablierter Weg, sich selbst neues Verhalten


anzutrainieren. Wenn du herausfinden möchtest, wie andere
erfolgreich mit ADHS leben und umgehen gelernt haben, sowie das
Beste aus ihren (auch ADHS-bedingten) Stärken ziehen, kannst du im
Internet oder in Büchern die Geschichten einiger bekannter
Persönlichkeiten lesen. Beispiele hierfür stellen Eckart von
Hirschhausen (Arzt, Autor und Kabarettist), Jan Ullrich (Profi-
Radrennfahrer), Whoopi Goldberg (Schauspielerin) und Paris Hilton
(Modedesignerin, Fotomodell, Schauspielerin, Sängerin und
Unternehmerin) dar.

Das Einüben und etablieren neuer Verhaltensstrategien ist ebenso ein


wichtiger Faktor in der ADHS-Therapie. Diese alternativen Muster
wirst du mit deiner therapeutischen Begleitung besprechen. Zur
Stabilisierung des neuen Verhaltens werden die neuen „Regeln“
anhand verschiedener, beispielhafter Situationen immer wieder geübt,
damit du lernst, sie bald auch von selbst abrufen zu können. Die
therapeutische Begleitung kann hierzu auch verschiedene Rollen (wie
etwa die eines Kollegen) einnehmen, um dich in eine realistische(re)
Übungssituation zu versetzen.

Die Therapie dient dazu, zu lernen, die eigenen Verhaltensweisen zu


beobachten und zu hinterfragen, um sich selbst besser einschätzen
und die Muster auflösen zu können (kognitive Strategien). Hierfür wird
die therapeutische Begleitung dir immer wieder Fragen stellen, zum
Beispiel nach den Gründen für spezifische Verhaltensweisen – etwa:
„Hast du gemerkt, dass du gerade wieder aufgestanden bist?“ oder
„Warum bist du gerade aufgestanden?“

Hierdurch wirst du dazu angeregt, das eigene Verhalten zu


hinterfragen, (neu) zu bewerten und dich demnach zukünftig für eine
andere Reaktion oder Handlung zu entscheiden. So lernst du, dich
selbst zu regulieren und Selbstmanagementstrategien anzuwenden.

Nur wenn dir bewusst wird, dass du diese und jene Muster zeigst und
du die Gründe dafür verstehen lernst, kannst du auch bewusst etwas
daran ändern. Oft gibt es für Handlungen im Zusammenhang mit
ADHS keine speziellen oder bedeutsamen Gründe – auch, das zu
erfahren, bringt dich einen großen Schritt weiter.

Beeinflusst die ADHS auch dein Verhältnis zu anderen Menschen,


kann soziales Kompetenztraining dich darauf vorbereiten, im Umgang
mit anderen künftig anders (angepasst) zu reagieren. Damit du dir
bewusst werden kannst, wie du dich im sozialen Umfeld verhältst,
werden auch hier beispielhafte Übungen zur Hilfe genommen. Du
erlangst Selbstbewusstsein sowie die Fähigkeit zu kooperativem
Verhalten und kannst deine Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit
verbessern.

Im Zuge der Verhaltenstherapie kommen nicht nur Übungen und


Gespräche zum Einsatz. Oftmals werden auch entspannende und
ausgleichende Elemente hinzugezogen. Diese sorgen dafür, dass du
dich besser zurücknehmen und die Anspannungen, die eine ADHS mit
sich bringt, loslassen kannst.

Bekannte und etablierte Beispiele für Entspannungstechniken sind


das Autogene Training und die Progressive Muskelentspannung
(PMR) nach Jacobsen.

Es kann für ADHS-Betroffene eine Herausforderung sein, sich


bewusst zu entspannen. Umso wichtiger ist ein kompetenter,
geduldiger Umgang seitens der therapeutischen Begleitung, aber
auch die Offenheit von Patient:innen, sich auf diese Art der Übungen
einzulassen.

Im Autogenen Training geht es darum, dich mit kurzen, mantraartigen


Sätzen zu einer tiefen Entspanntheit zu verhelfen. Der Fokus liegt auf
der langsamen, eingängigen Wiederholung einzelner Körperpartien,
die sich nun entspannen dürfen (etwa: „Deine Arme sind warm und
schwer.“).

Im Zuge der PMR liegt der Fokus darauf, den Unterschied zwischen
Anspannung und Entspannung wahrzunehmen und sich dessen
bewusst zu werden. Es soll gezeigt werden, wie genau – und wie gut!
– sich Entspannung anfühlen kann.

Beide Verfahren kommen in diversen therapeutischen Maßnahmen


zum Einsatz, dies zeigt die Vielfältigkeit dieser Übungen. Ihre Wirkung
beschränkt sich nicht auf die geistige, mentale Ebene, sondern
verknüpft diese mit der körperlichen Wahrnehmung, wodurch der
Effekt der Entspannung ebenfalls auf beiderlei Ebenen eintreten darf.

Auch Yoga gehört zu den bekanntesten Entspannungstechniken, bei


denen eine Vereinigung von Körper und Geist stattfindet.

10.6 Alternativen und Ergänzungen zur


Verhaltenstherapie

Findet sich in absehbarer Zeit keine therapeutische Begleitung, mit


der du dir eine Zusammenarbeit vorstellen kannst oder stellt sich im
Laufe der Probatorik heraus, dass die Verhaltenstherapie (allein)
nicht ausreicht, um dir die nötige Unterstützung zu gewährleisten, gibt
es zusätzlich die Möglichkeit, andere Therapieverfahren
auszuprobieren.
Auch hier gilt wieder, abzuklären, ob und inwieweit diese von deiner
Krankenkasse übernommen werden, aber das ist in der Regel kein
Problem, denn auch diese können von fachärztlichem Personal
verordnet werden.

Die Ergotherapie ist ein solches alternatives Verfahren und ebenfalls


geeignetes Mittel zur Behandlung einer ADHS. Sie stellt die
Wahrnehmung und die Motorik Betroffener in den Vordergrund und
fördert auch soziale und kommunikative Kompetenzen.

Auch der Einsatz des Biofeedback-Verfahrens kann hilfreich sein. Hier


werden dir über einen Bildschirm deine Gehirnaktivitäten gezeigt
(sehr vereinfacht gesagt). Du kannst genau beobachten, wie deine
unterbewusste Reaktion auf verschiedene Reize aussieht und lernst,
auf diese Reize entsprechend (und bewusst!) zu reagieren. Die
Veranschaulichung der Gehirnaktivität kann dabei helfen.

Zwei weitere Beispiele für alternative Therapiekonzepte sind zum


Einen die Lerntherapie, zum Anderen die Logopädie. Diese beiden
Verfahren sind nicht spezifisch für die Behandlung von ADHS
ausgelegt, können aber dennoch hilfreich sein, da sie deine Therapie
ergänzen und somit auf eine ganzheitliche (multimodale) Ebene
bringen.

In der Lerntherapie liegt der Fokus darauf, dir zu zeigen, wie du das
„Lernen lernst“. Dies kann insbesondere im studentischen Kontext
hilfreich sein. Die Ursachen für Schwierigkeiten, die du beim Lernen
hast, werden im Einzelnen beleuchtet. Dann wirst du Schritt für Schritt
an die Fähigkeit herangeführt, Probleme eigenständig zu identifizieren
und Lösungswege zu finden.
Durch kleine Übungen werden die Sinneswahrnehmung, die
Konzentration und die Feinmotorik geschult. Mittels sich
wiederholender Vorgehensweisen fördert die Lerntherapie die
Automatisierung des Lernens und die Entwicklung von Strategien, die
das eigenverantwortliche Lernen begünstigen.

Zudem zeigt die Lerntherapie Wege auf, mit der Zeit kleine
Erfolgserlebnisse auch als solche wahrnehmen und darauf aufbauend
weitere (auch größere) Erfolge erreichen können. Die bewusste
Wahrnehmung positiver Erlebnisse sorgt für eine Steigerung des
Selbstvertrauens und des Selbstwertes Betroffener.

Auch kann Stoff, den du dir bislang aufgrund deiner ADHS nicht
einprägen konntest, hier nachgearbeitet werden.

Zusätzlich zu den verschiedenen Formen der Therapie kann sich, wie


bereits kurz erwähnt, auch Yoga äußerst positiv auf die geistige und
körperliche Verfassung auswirken.

Yoga ist eine Bewegungsform aus Indien, die auf einer


philosophischen Lehre beruht. Es geht darum, ein Gleichgewicht vom
„innen“ (innerhalb des Geistes) und „außen“ (die körperliche Ebene)
herbeizuführen und dabei auf sanfte Weise das Bewusstsein für die
geistigen und körperlichen Bewegungen zu öffnen. Diese
„Vereinigung“ (Sanskrit) findet unter anderem unter Zuhilfenahme des
Atems statt, der Körper und Geist verbindet.

Unter Anleitung von ausgebildeten Lehrpersonen wird die


Aufmerksamkeit auf den bewussten Atem gelenkt, der im Rhythmus
der verschiedenen Bewegungen und Körperhaltungen (den
sogenannten Asanas) fließen soll.

Diese Bewegungen wirken sich ausgleichend und beruhigend auf


Körper und Geist aus und stärken das Körperbewusstsein.
11. Bin ich betroffen? Ein Selbsttest

Nun hast du bereits eine Menge über ADHS gelernt. Bist du dir
dennoch unsicher, ob du von dieser Störungsform betroffen bist?

Der folgende Test kann dir Klarheit verschaffen. Beantworte die


folgenden Fragen mit „ja“ oder „nein“ – möglichst, ohne lange über sie
nachzudenken. Der erste Impuls ist häufig der, der am ehesten der
Wirklichkeit entspricht.

Die anschließende Auswertung hilft dir dabei, deine Antworten zu


beurteilen und herauszufinden, ob und in welcher Ausprägung du
Anzeichen von ADHS zeigt.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass dieser Test
keine ausführliche Diagnose in einer ärztlichen Praxis ersetzt. Diese
verschafft dir zum Einen noch mehr Klarheit. Zum Anderen kann dort
gleich mit dir besprochen werden, wie du weiter vorgehen möchtest
und welche Behandlungsformen für dich infrage kommen.

Nun aber erst einmal „ran an den Speck“!

Auf geht’s!

11.1 Der Test

1. Hast du häufig Probleme, eine Aufgabe erfolgreich abzuschließen,


sobald die wesentlichen Punkte erledigt sind?
2. Fällt es dir schwer, deinen Alltag und anfallende To Dos sinnvoll zu
strukturieren?

3. Vergisst du häufig Termine, Verabredungen oder Verpflichtungen?

4. Neigst du dazu, Dinge aufzuschieben, die viel Nachdenken mit sich


bringen?

5. Erwischt du dich dabei, herum zu zappeln, Hände oder Füße zu


„verknoten“, wenn du lange sitzt? Fällt es dir insgesamt schwer,
lange still zu sitzen?

6. Fühlst du dich häufig gehetzt oder von einem inneren „Motor“


angetrieben, fällt es dir schwer, dich zu entspannen und einfach
mal nichts zu tun?

7. Brauchst du immer Action?

8. Bist du schnell genervt oder gereizt?

9. Neigst du zu Ungeduld?

10. Gerätst du leicht in Wut?

11. Lässt du dich leicht provozieren?

12. Sagst du häufig Dinge, ohne darüber vorher nachzudenken, die


du später bereust?
13. Handelst du häufig, ohne nachzudenken – aus dem Affekt
heraus?

14. Herrscht in deiner Wohnung oder an deinem Arbeitsplatz schnell


mal das Chaos?

15. Fällt es dir schwer, Prioritäten zu setzen?

16. Verlegst du häufig deine Wertsachen, etwa Schlüssel oder


Portemonnaie?

17. Fühlst du dich schnell in die Ecke gedrängt oder erdrückt?

18. Neigst du unter Belastung zu Angst?

19. Kannst du schlecht mit Routine umgehen?

20. Fällt es dir schwer, Strukturen und Routinen, wenn sie da sind,
einzuhalten?

21. Neigst du in Stresssituationen zu Überreaktionen oder


Blockaden?

22. Ist eines deiner Elternteile an ADHS erkrankt?

23. Fällt es dir schwer, Abmachungen einzuhalten?

24. Hast du Schwierigkeiten, dich zu konzentrieren (auf der Arbeit,


beim Lesen, beim Fernsehen…)?
25. Bist du oft geistesabwesend? Sagen andere dir nach, ein
Tagträumer zu sein?

26. Lässt du dich leicht ablenken?

27. Bereitet es dir Mühe, dich auf (v.a. lange) Gespräche zu


konzentrieren?

28. Wurde dir als Kind nachgesagt, dass du nicht dein volles
Potenzial ausschöpfst?

29. Stürzt du dich oft voreilig in Dinge, ohne vorher (ausreichend)


darüber nachzudenken?

30. Verlierst du schnell das Interesse an Dingen?

31. Ist deine Stimmung wechselhaft und geht hoch hinaus und tief
hinunter?

32. Bist du häufig überdreht oder albern?

33. Bist du schnell für Neues begeisterungsfähig?

34. Leidest du häufig an Langeweile?

35. Kehrt nur schwer Ruhe in deinem Kopf ein? Führt dies auch zu
Schlafschwierigkeiten?

36. Möchtest du häufig viele Dinge gleich gern tun?


37. Fällt es dir schwer, dich zu entscheiden und bei einer Sache zu
bleiben?

38. Verlierst du schnell den Fokus?

39. Fühlst du dich unwohl damit, wenn etwas länger dauert als
geplant?

40. Würdest du sagen, du lebst mit erhöhter Risikobereitschaft?

11.2 Die Auswertung

Es gilt nun, herauszufinden, wie wahrscheinlich es ist, dass du an


ADHS erkrankt bist und wo genau die Erkrankung in deinen Alltag
eingreift.

Je öfter du mit „ja“ geantwortet hast, desto mehr typische ADHS-


Anzeichen zeigst du. Andersherum gilt: Es ist unwahrscheinlich, dass
du an ADHS erkrankt bist, wenn du nur vereinzelt mit „ja“ geantwortet
hast.

0-10 Mal „ja“

Ein paar Anzeichen zeigst du schon, die für eine Erkrankung mit
ADHS sprechen. Jedoch können deine Symptome auch andere
Auslöser haben. Schaue dir genau an, in welchen Bereichen du
belastet bist. Manche ADHS-Symptome finden sich auch in anderen
psychischen Belastungen wieder (wie etwa Schlafstörungen bei
Depression). Kläre für dich weitere mögliche Hintergründe für deine
Symptome ab. Eine Rücksprache mit ärztlichem Fachpersonal ist in
jedem Fall sinnvoll, wenn deine Problematiken einen Leidensdruck bei
dir hervorrufen.

11-30 Mal „ja“

Es spricht vieles dafür, dass deine Symptome mit einer ADHS


zusammenhängen. Dennoch macht es Sinn, andere mögliche
Ursachen abzuklären. Sprich im Zusammenhang mit deinen
Symptomen mit einer fachlich ausgebildeten Person (etwa deinem
Hausarzt/deiner Hausärztin) – diese wird dir mehr dazu sagen
können, ob deine Symptomatik von einer ADHS oder anderen
psychischen Belastungen hervorgerufen wird. Wenn du Sicherheit
hast, kannst du dich direkt hinsichtlich der Frage beraten lassen, ob
eine therapeutische Behandlung sinnvoll ist oder es für dich ausreicht,
wenn du – etwa anhand der Übungen im nächsten Kapitel – in
Eigenregie Schritte unternimmst, um deiner Erkrankung einen
Rahmen zu geben, in dem du gut mit ihr umgehen lernst.

31-40 Mal „ja“

Dass du an ADHS erkrankt bist, ist ziemlich wahrscheinlich. Die


Übungen und Tipps auf den folgenden Seiten können dir helfen, deine
Symptomatik zu lindern – doch es ist sicherlich auch hilfreich für dich,
eine zusätzliche therapeutische Behandlung in Betracht zu ziehen.
Lasse dich bestenfalls fachlich beraten und hole dir Sicherheit über
deine Diagnose in einer Arztpraxis – dort erhältst du zusätzliche
Informationen und kannst dich über das weitere Vorgehen bestens
beraten lassen.
12. In fünf Wochen zum Erfolg – Der
ADHS den Kampf ansagen

Nun bist du bestens informiert und kannst mit ziemlicher Sicherheit


sagen, ob du von ADHS betroffen bist oder nicht. Bis zu einem
möglichen Therapieantritt können allerdings einige Wochen ins Land
gehen.

Was du bereits jetzt tun kannst, um an deiner Störung zu arbeiten und


somit eine Linderung der Symptome zu erzielen, zeigen dir die
folgenden Übungen, die ich in Form eines fünfwöchigen Programms
für dich vorbereitet habe.

Die Übungen kannst du ganz einfach zu Hause ausführen. Dabei ist


es von enormer Wichtigkeit, dass du dich nicht unter Druck setzt –
Zwang führt nicht zum gewünschten Ergebnis, sondern erwirkt
tendenziell eher das Gegenteil.

Das Credo lautet hier: Nicht gegen, sondern mit der Störung arbeiten!
Du kannst dir deine positiven Charaktereigenschaften und die tollen
Eigenheiten, die du aufgrund der ADHS entwickelt hast, zunutze
machen, um die negativen Ausprägungen langsam, aber sicher in den
Hintergrund rücken zu lassen.

Sei dir bitte bewusst, dass es lange Zeit dauern kann, bis du erste
Erfolge verzeichnen kannst.
Klappt etwas nicht sofort, nimm dir die Zeit, dich zu sammeln und
versuche es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Es ist noch
kein Meister vom Himmel gefallen!

12.1 Woche 1: Aufmerksamkeitsstörung

Im Zusammenhang mit Störungen der Konzentration und des


bewussten Sein im Hier und Jetzt haben sich Achtsamkeitsübungen
bewährt. Sie helfen dir dabei, bei der Sache zu bleiben, wo deine
Gedanken sonst schnell abschweifen würden.

Es ist sinnvoll, mit kurzen, einfachen Übungen zu starten und dich


dann langsam zu steigern. So kannst du mehr kleine
Erfolgserlebnisse sammeln, anstatt an den schwierigeren Übungen
direkt zu scheitern und die Lust zu verlieren.

Wenn du merkst, dass deine Gedanken dennoch – besonders zu


Beginn – immer wieder abschweifen, mach dir keine Vorwürfe: Das
ist ganz normal. Achtsamkeit muss man üben, so wie andere
Fähigkeiten auch. Einmal bewusst tief atmen hilft dir dabei, ins Hier
und Jetzt zurückzukehren.

Im Folgenden habe ich dir drei Achtsamkeitsübungen


zusammengestellt, mit denen ich bereits gut Erfahrungen gemacht
habe. Weitere Übungen findest du im Internet.

12.1.1 Übung 1: Runter vom Gas!


Stell dir vor, du fährst mit 100 km/h mit dem Auto durch eine
wunderschöne Landschaft. Frage dich selbst: Wie viel von dieser
Landschaft wirst du wohl wahrnehmen können? In deinem Gedächtnis
verbleibt wahrscheinlich eher etwas wie ein verschwommenes Foto.
Schade drum, oder nicht?

Mit dieser Übung möchte ich dich einladen, die Dinge, die du täglich
tust, wieder mit vollem Bewusstsein zu erledigen.

Schalte regelmäßig einen Gang herunter, etwa abends vor dem


Zubettgehen. Führe deine alltäglichen Bewegungen und Handlungen
zehn Minuten lang mit verlangsamter Geschwindigkeit aus, so als
hätte jemand die Wiedergabegeschwindigkeit eines Filmes auf Slow
Motion gestellt.

Du wirst feststellen, dass du nicht nur bewusster bei der Sache bist,
bei allem, was du tust, sondern dass auch deine Geduld und dein
Gleichgewicht (z.B. beim Hinsetzen) auf die Probe gestellt werden.

12.1.2 Übung 2: Bekanntes neu entdecken

In unserer schnelllebigen Gesellschaft sind wir ständig neuen Reizen


und Eindrücken ausgesetzt. Dabei bleiben altbekannte
Sinneswahrnehmungen oft auf der Strecke und auch die neuen
Erfahrungen nehmen wir nur wie im Zeitraffer wahr.

Nimm dir täglich die Zeit, altbekannten Dingen mehr Aufmerksamkeit


zu schenken. Am besten geht das bei einem Ritual, welches du
sowieso täglich durchführst (etwa die morgendliche Körperpflege).
Wie fühlt sich der Griff deiner Zahnbürste an? Wie viele Knöpfe hat
eigentlich deine Fernbedienung? Wie scheint die Sonne in deine
Wohnung und zu welcher Tageszeit scheint sie wo ganz besonders
hell?

Diese Übung soll dir zeigen, wie facettenreich deine Umgebung


eigentlich ist und stärkt deine Wahrnehmung für Kleinigkeiten. Sie
beugt Langeweile durch Monotonie vor und „zwingt“ dich dazu, den
Dingen, die du tust, deine volle Konzentration zu widmen.

12.1.3 Übung 3: Fünf Sinne – fünf Dinge

Hierbei geht es darum, dir bestimmte Sinneseindrücke bewusst zu


machen oder vorzustellen. Setze dich entspannt und aufrecht hin.
Schließe die Augen und atme ein paar Mal bewusst ein und aus, um
im Hier und Jetzt anzukommen.

Dann öffne die Augen wieder. Schaue dich aufmerksam im Raum um.
Und nun suche dir fünf Dinge, die du mit deinen fünf Sinnen
wahrnehmen kannst. Das können Dinge sein, die sich in deiner
direkten Umgebung befinden, aber auch solche, von denen du weißt,
dass sie sich im Raum nebenan befinden.

Beispiele hierfür können sein:

Sehen: Der Schreibtisch, der Obstkorb, der Nachbargarten beim


Blick aus dem Fenster
Hören: Vogelgezwitscher, Verkehrslärm, das Summen des
Kühlschranks

Riechen: frischer Kaffee, eine Duftkerze, dein Haarshampoo

Schmecken: deine Lieblingsschokolade, ein Apfel, der Rotwein, den


du gestern Abend genossen hast

Fühlen: das Polster vom Sofa, die kühlen Fliesen im Bad, die Wärme
der Heizung

12.1.4 Weitere Tipps gegen


Konzentrationsschwierigkeiten

12.1.4.1 Förderung der Konzentration beim Arbeiten

Stelle dein Telefon auf lautlos oder verbanne es außer Reichweite.

Hänge ein „Bitte nicht stören“-Schild vor die Tür.

Stelle deinen Schreibtisch vor eine Wand anstatt mit Ausblick aus
dem Fenster.

Halte Snacks und Getränke griffbereit, damit du es vermeidest,


während der Arbeit aufstehen zu müssen.

Räume deinen Arbeitsplatz auf, bevor du anfängst.

12.1.4.2 Realitäts-Check
Bist du noch bei der Sache? Überprüfe mithilfe eines Timers deine
Aufmerksamkeitsspanne. Stelle dir hierzu einen Wecker, z.B. auf
sieben Minuten. Frage dich, wenn er losgeht: Bin ich noch
konzentriert?

Passe den Wecker an deine Aufmerksamkeitsspanne an und hole


dich jedes Mal, wenn du feststellst, dass du abgeschweift bist, zurück
zu dem, was du eigentlich tun möchtest. Vergiss nicht, dich selbst zu
loben, wenn es dir über die volle Zeit gelingt, konzentriert zu bleiben.

12.1.4.3 Fragen gegen die Prokrastination

Wenn du dich beim Prokrastinieren erwischst, stelle dir folgende


Fragen, um dem Einhalt zu gebieten:

Weshalb schiebe ich diese Aufgabe vor mir her?

Was muss ich tun? Ist mir die Aufgabe klar?

Wie lange möchte ich dabei bleiben?

Bis wann muss die Sache erledigt sein?

Welche negativen Folgen kann es haben, wenn ich die Sache


nicht erledige?

Welche positiven Auswirkungen hat es, wenn ich meine Aufgabe


fristgerecht erfülle?
Wie möchte ich mich nach Abschluss der Aufgabe belohnen?

Vergiss auch nicht, dass du dich zusätzlich damit motivieren kannst,


dir selber immer wieder zu sagen, dass du das schaffen kannst.

12.1.4.4 Prioritäten setzen: Das Eisenhower-Prinzip

Hast du auch oft das Gefühl, dir wachsen deine To Dos über den
Kopf? Du weißt nicht, wo du anfangen sollst und was das wichtigste
ist?

Hier kann das Eisenhower-Prinzip Abhilfe schaffen.

Schreibe dir eine Tabelle, die du nach „wichtig“ / „unwichtig“ und


„dringend“ / „nicht dringend“ aufteilst.

Sortiere nun deine To Dos in diese Tabelle ein.

Dinge, die wichtig und dringend sind – insbesondere solche, die nur
wenig Zeit in Anspruch nehmen, erledige sofort.

Für Dinge, die wichtig sind, aber nicht sofort erledigt werden müssen,
lege dir einen festen Termin an.

Dinge, die zwar dringend, dir persönlich aber nicht wichtig sind, frage
einen Kollegen nach Unterstützung – das Delegieren von Aufgaben ist
absolut legitimes Mittel, um deine Prioritäten zu strukturieren.

Und Dinge, die schließlich weder wichtig noch dringend sind, können
weg – entweder ganz, oder du verschiebst sie auf einen Termin in
weiter Zukunft und überprüfst dann erneut, ob du sie noch erledigen
möchtest.
Weitere Erklärungen zum Eisenhower-Prinzip und ein Muster für die
Tabelle findest du als Link in Kapitel 15.

12.1.4.5 Strategien gegen das Verlegen von wichtigen Gegenständen

Wenn es dir gelingt, deine Sachen immer an einem festen Platz


aufzubewahren, wirst du dir langfristig eine Menge Zeit und Energie
sparen und Frustration sowie Stress vorbeugen können. Hänge den
Schlüssel beispielsweise an ein Schlüsselbrett und beschrifte
zusätzlich die einzelnen Haken. Dein Handy oder Portemonnaie
findest du am schnellsten, wenn du es immer an denselben Platz
legst, etwa in eine Schublade – auch diese kannst du beschriften. Es
macht, vor allem zu Beginn, Sinn, einmal am Tag zu überprüfen, ob
jedes Ding an seinem Platz liegt – zum Beispiel abends, vor dem
Zähneputzen. Baue dies ruhig in deine tägliche Routine ein.

12.2 Woche 2: Hyperaktivität

Gegen Hyperaktivität oder innere Anspannung haben sich besonders


drei Strategien bewährt: Achtsamkeit durch Atmung, die regelmäßige
Anwendung von Entspannungstechniken und Imaginationsübungen. Zu
diesen drei Strategien stelle ich dir in Woche zwei jeweils ein Beispiel
vor.

12.2.1 Übung 4: Den Atem spüren


Normalerweise denken wir nicht über unseren Atem nach, da es sich
dabei um einen Reflex handelt, also einen automatisierten Vorgang.
Diese Achtsamkeitsübung lädt dich dazu ein, dir deinen Atem einmal
so richtig bewusst zu machen, um deinen Körper und deinen Geist
miteinander zu verbinden.

Setze oder lege dich an einen ruhigen Ort, an dem du nicht gestört
wirst.

Schließe die Augen.

Lege eine Hand auf deinen Bauch, die andere auf deine Brust.

Atme tief durch die Nase ein.

Wohin fließt dein Atem? Lasse ihn deine Lungen erfüllen oder atme
bewusst in deinen Bauch hinein.

Halte für einen Augenblick die Luft an.


Atme dann durch deinen leicht geöffneten Mund wieder aus, als
würdest du eine Kerze sanft ausblasen.

Wiederhole diesen Rhythmus ein paar Mal. Wenn es dir hilft, kannst
du jeweils zählen – etwa vier Sekunden einatmen, vier Sekunden die
Luft anhalten und acht Sekunden ausatmen. Das Ausatmen solltest du
länger ziehen als das Einatmen.

12.2.2 Übung 5: Progressive Muskelentspannung


Über die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, auch PME
oder auf englisch PMR genannt, habe ich dir in Kapitel 10.5 bereits
etwas erzählt. Nun kannst du selbst einmal ausprobieren, ob das was
für dich ist.

Setze dich auch hierfür aufrecht hin oder lege dich auf den Rücken.
Schließe die Augen und nimm dir einen Moment Zeit, ganz bei dir
anzukommen.

Nun spanne nacheinander jede einzelne Körperpartie bewusst sehr


stark an und lasse sie dann wieder los. Gehe dabei von unten, von
deinen Füßen, nach oben zu deinem Kopf. So kannst du deinen
Körper ganz bewusst in den gegenteiligen Zuständen völliger An- und
Entspannung erleben.

Am besten nimmst du dir zu Beginn eine gesprochene Anleitung zur


Hilfe, du findest zahlreiche Videos dazu auf YouTube.

Übrigens: PMR lässt sich prima in den Alltag einbauen, da du es


sowohl im Liegen und Sitzen, aber auch im Stehen und sogar beim
Laufen durchführen kannst.

12.2.3 Übung 6: Imagination

Die Imagination hilft dir dabei, Abstand zu nehmen von all den
Gedanken, die den lieben langen Tag so in deinem Kopf
herumspuken. Besonders wertvoll sind hierfür angeleitete
Fantasiereisen, wie du sie zum Beispiel auf YouTube findest. Ein
Beispiel habe ich dir in Kapitel 15 angefügt.
Aber es hilft auch, dir einfach selbst ein Szenario auszudenken.
Versetze dich zum Beispiel zurück in deine Kindheit und stelle dir mit
geschlossenen Augen vor, wie du durch die Straßen deiner
Heimatstadt oder durch das Fantasy-Szenario aus deinem
Lieblingsbuch (z.B. Das Hogwarts-Schloss aus Harry Potter) läufst.
Oder wähle einen Ort, an dem du Kraft tanken kannst und dich wohl
fühlst (z.B. Wald, Strand).

Wie sieht es dort aus? Welche Jahreszeit herrscht? Scheint die


Sonne? Welche Geschäfte oder Räume kannst du erkunden? Wem
begegnest du?

Je mehr Details du einbaust, desto wirksamer ist die Imagination.

Du kannst dir auch einen sogenannten Anker erschaffen. Darunter


versteht man eine Handlung wie eine Handbewegung, die du mit der
Imaginationsreise verknüpfst, indem du sie immer ausführst, wenn du
mit der Übung beginnst (z.B. streichst du dir mit der rechten Hand
über den linken Unterarm). Wenn du diese Handlung dann im
Alltagsgeschehen ausführst, versetzt du dich damit wie automatisch
wieder zurück an deinen gedanklichen Kraftort, weil die Bewegung
dich an die Übung erinnert. So kannst du im Alltag schnell deine
Gedanken beruhigen und fokussieren.

12.2.4 Weitere Tipps gegen Hyperaktivität &


Anspannung

12.2.4.1 Abwechslung bei der Arbeit


Gestalte deinen Alltag mit einer Mischung aus monotonen und
abwechslungsreichen Aufgaben. Acht Stunden lang auf der Arbeit
dasselbe zu tun, wird mit ADHS schwierig.

Gönne dir ausreichend (kleine) Pausen, insbesondere zwischen dem


Wechsel aus Monotonie und Abwechslung, und vergiss auch deine
Mittagspause nicht.

Wenn du merkst, dass du in eine Phase höherer Aktivität oder innerer


Anspannung wechselst, mache eine Entspannungsübung und suche
dir dann eine eher monotone Aufgabe, die dein Aktivitätslevel niedrig
hält.

Vermeide Aktivitäten, bei denen du lange sitzen musst. Übst du eine


Bürotätigkeit aus, sprich mit deinen Vorgesetzten über die mögliche
Anschaffung eines sogenannten Standing Desks.

12.2.4.2 Freizeitgestaltung

Gestalte deine Freizeit aktiv und vielseitig, zum Beispiel durch die
Ausübung von Ausdauer- oder Kraftsport sowie kreativen Hobbys
(musikalisch, handwerklich oder künstlerisch).

Verbringe regelmäßig Zeit mit Menschen, die dir gut tun.

Vermeide unbedingt Freizeitstress, der durch erzwungene und eng


getaktete Abläufe entsteht!

Respektiere die Bedürfnisse anderer


Wenn du etwas aktives unternehmen möchtest, deine Mitmenschen
aber lieber Ruhe haben möchten – akzeptiere das. Du kannst auch
allein aktiv werden.

Wenn du einer Abmachung zugestimmt hast, sorge dafür, dass diese


auch eingehalten wird – von beiden Seiten. Das verschafft dir
Sicherheit und Struktur.

12.3 Woche 3: Impulsivität

In Woche drei geht es um deinen inneren Vulkan. Ist dieser auch


ständig kurz vor dem Ausbrechen, sodass du leicht gereizt bist oder
Wutausbrüche dich und dein Umfeld belasten, können dir die
folgenden Übungen helfen. Auch gebe ich dir weitere Tipps, um etwa
Impulskäufe zu vermeiden.

12.3.1 Übung 7: Imaginäres Stoppschild

Wenn du in Rage bist oder kurz davor stehst, zu explodieren, ist es


schwierig, dich zu beruhigen. Bevor du etwas unbedachtes sagst
oder tust, hilft es, dir ein riesiges, knallrotes Stoppschild vorzustellen.
Sage dir auch innerlich selbst: STOPP! - oder sprich es sogar aus,
das macht den Gedanken noch greifbarer.

Dann atme bewusst ein und aus, schließe vielleicht sogar die Augen,
und zähle, bis sich dein Atem beruhigt hat.

Erst dann reagiere.


Es kann auch hilfreich sein, um Ruhe zu bitten oder den Raum zu
wechseln, wenn sonst von außen weitere Provokationen kommen
würden.

Werde dir bewusst darüber, was dich so wütend macht und überlege
dir genau, was du deinem Gegenüber sagen möchtest. Denke an die
Konsequenzen deines Handelns und vermeide Verletzungen.
Formuliere deine Gedanken möglichst sachlich und verständlich, um
zu einem gesunden Kommunikationsklima beizutragen.

12.3.2 Übung 8: Mind-Body-Check

Nimm dir für diese Übung mindestens einmal am Tag Zeit – es reicht
schon ein kurzer Moment, um dein (körperliches und geistiges)
Befinden zu überprüfen. Dabei ist es hilfreich, von einer sogenannten
Stimmungsampel Gebrauch zu machen:

grün: Alles ist im „grünen Bereich“. Du bist gelassen und


entspannt – deine Situation kann bleiben, wie sie ist.

gelb: Achtung! Deine Anspannung ist hoch, du bist im Stress.


Denke daran, regelmäßige Pausen einzulegen und ergreife
Maßnahmen, um dein Stresslevel zu senken.

rot: „Alarmstufe rot“. Du bist kurz vor dem Kontrollverlust – dein


Vulkan droht, zu explodieren. Was kannst du tun, um dich runter zu
bringen? Schaue dir dazu auch die anderen Übungen
(insbesondere die Entspannungsübungen aus Kapitel 12.2) noch
einmal an.

Wenn es dir gut geht, ist es empfehlenswert, dir Notizen für die
Stufen „gelb“ und „rot“ zu machen. Was tut dir gut? Was bringt dich
runter?

Beispiele hierfür sind:

körperliche Aktivität

Yoga, Meditation

spazieren gehen, Natur

ein Schaumbad

ausreichend gesundes Essen und Trinken (Wasser oder Tee)

kreative Aktivitäten (z.B. Musik machen, zeichnen)

sicheres soziales Umfeld (Freunde, Familie)

12.3.3 Übung 9: Wie im Film

Zunächst einmal ist es essenziell, dass du dich ein wenig beruhigst.


Konzentriere dich hierfür auf deinen Atem und schließe für einen
Moment die Augen. Wenn du merkst, dass dein Herzschlag sich
etwas verlangsamt hat, beginne mit der Übung.
Stelle dir vor, es bist nicht du, der diese Situation erlebt, sondern eine
Figur in einem Film. Gib dir und deinem Gegenüber gedanklich einen
anderen Namen, versetze eure Wohnung / Arbeitsstelle in eine
andere Stadt. Beobachte die Situation gewissermaßen von außen
und nimm so eine Perspektive ein, die dir den nötigen Abstand
verschafft, um mit ein wenig mehr Klarheit und weniger persönlicher
Involviertheit zu agieren. So kannst du etwas objektiver an die Sache
herangehen und vermeidest es, dein Gegenüber zu verletzen und
selbst verletzt zu werden.

12.3.4 Weitere Tipps

12.3.4.1 Impulskäufe vermeiden

Analysiere deine Finanzsituation: Wie hoch sind deine Einnahmen,


deine Fixkosten, Rücklagen und geplante Ausgaben? Was übrig
bleibt, steht dir zur freien Verfügung. Die Klarheit darüber ist meist
schon sehr ernüchternd. Zusätzlich kann es helfen, einen Puffer
einbauen (gewähre dir also statt etwa 100 Euro zur freien Verfügung
nur 25 Euro).

In einer Partnerschaft ist es sinnvoll, Rücksprache zu halten und


Vereinbarungen zu treffen. Eure finanzielle Situation geht euch beide
etwas an – zieht gemeinsam an einem Strang, dann seid ihr stärker.

12.4 Woche 4: Selbstbewusstsein und Selbstwert


stärken
Sind dein Selbstbewusstsein und dein Selbstwert aufgrund der
Einschränkungen und negativen Auswirkungen, die deine ADHS mit
ich bringt, gestört, kannst du sie in Woche vier deines
Selbsthilfeprogramms mithilfe der folgenden Übungen stärken. Auch
gebe ich dir hilfreiche Tipps für den Umgang mit Rückschlägen an die
Hand.

12.4.1 Übung 10: Körperhaltung

Überprüfe regelmäßig deine Körperhaltung. Sie und deine innere,


geistige Haltung, beeinflussen dich gegenseitig.

Bist du niedergeschlagen, sinkst du tendenziell eher in dir zusammen.


Wenn du gut drauf bist, bewegst du dich eher aufrecht.

Andersherum funktioniert das auch: Bist du niedergeschlagen, kannst


du mit einem Aufrichten deiner Körperhaltung bewirken, dass du dich
selbstbewusster und wohler in deiner Haut fühlst.

Extra-Tipp: Auch ein Lächeln wirkt Wunder – egal, ob es ernst


gemeint ist oder nicht. Das kann dein Gehirn nämlich nicht
unterscheiden: Durch die Bewegung der Mundwinkel werden
Glückshormone ausgeschüttet, die dafür sorgen, dass du dich
augenblicklich besser fühlst. Probier es gleich mal aus! Die
regelmäßige Anwendung dieses Tipps vor dem Spiegel verhilft dir
nachhaltig zu mehr Wohlbefinden.
12.4.2 Übung 11: positive Affirmationen

Sage dir selbst gute Worte – sie sind Balsam für deine Seele. Das
können zum Beispiel Dinge sein, die du an dir magst, die du gut
kannst oder Glaubenssätze für Dinge, die du noch erreichen
möchtest. Dabei ist es wichtig, negative Formulierungen mit „nicht“
oder „keine“ sowie Konjunktive und Modalwörter wie „würde“ und
„kann“ zu vermeiden. Baue dir im Kopf deine eigene Realität – das
hilft dir dabei, sie zu erreichen und motiviert an deinen Zielen zu
arbeiten.

Beispiele für positive Affirmationen in Zusammenhang mit ADHS sind:

„Ich arbeite motiviert und fokussiert an meiner heutigen Aufgabe."

„Ich gönne mir regelmäßig kleine Pausen.“

„Ich bewege mich gerne an der frischen Luft.“

"Ich bin ein guter Zuhörer.“

„Ablenkungen machen mir nichts aus – ich bleibe am Ball.“

„Ich habe es verdient, glücklich zu sein.“

„Ich bin gut, so wie ich bin.“

„Ich akzeptiere mich so, wie ich bin.“


„Ich akzeptiere meine Schwächen und fokussiere mich auf meine
Stärken.“

12.4.3 Übung 12: Das Selbstliebe-Armband

Menschen, die mit fortlaufenden Hindernissen und Schwierigkeiten


konfrontiert sind, tendieren zu übermäßig starker Selbstkritik. Der
innere Kritiker ist besonders groß und laut – doch es gibt in deinem
Inneren noch andere Stimmen, denen du Gehör schenken kannst.
Überlege dir, welche Stimmen das noch sein können (z.B. Mut,
Selbstliebe, Vertrauen, Geduld) und denke dir Sätze aus, die diese
positiven Mitglieder deines inneren Rates sagen können, wenn der
innere Kritiker mal wieder pöbelt.

Zusätzlich kannst du dir ein Armband kaufen, welches du wenden


kannst. Mache auf beiden Seiten eine Markierung. Jedes Mal, wenn
du dich dabei erwischst, dich selbst zu kritisieren, drehe das Armband
um.

Ziel ist es, das Armband erst einmal einen Tag, dann eine Woche und
schließlich einen Monat lang auf einer Seite zu behalten.

Blicke nach vorn – die Vergangenheit kannst du nicht ändern, aber du


bestimmst, wie dein Morgen aussieht. Selbst, wenn heute ein mieser
Tag ist – es ist ein mieser Tag, kein mieses Leben.

12.5 Woche 5: Die Zielgerade ist in Sicht


In Woche fünf möchte ich dir nun keine neuen Übungen mehr an die
Hand geben. Nun gilt es, deine Erkenntnisse und Erfahrungen aus den
letzten Wochen zu reflektieren. Überlege dir, welche Übungen dir
besonders gutgetan und geholfen haben, und welche eher nicht.
Wiederhole deine Lieblingsübungen und baue sie dir in deinen
Tagesablauf ein. Festige so deine Routinen und deine Sicherheit im
Umgang mit den Tipps.

Für den Notfall halte dir die wirksamsten Tipps und Übungen aus
diesem Buch immer vor Augen – zum Beispiel, indem du sie dir auf
Karteikarten schreibst und in deiner Wohnung an einen bestimmten
Platz legst. Dann weißt du in kritischen Situationen immer, wohin du
dich wenden kannst, um dich selbst aufzufangen.

12.6 Tipps zum Umgang mit Rückschlägen

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es dir auf Anhieb gelingen wird, all
die Tipps aus diesem Buch auf Anhieb perfekt umzusetzen. Und das
ist auch gar nicht dein Ziel. Vielmehr ist dein Ziel, langfristig und
nachhaltig dafür zu sorgen, dass es dir besser geht. Die persönliche
Entwicklung ist eine große Aufgabe – kleine Rückschläge gehören
dazu. Das ist ganz normal.

Um besser mit kritischen Situationen und Rückschlägen umgehen zu


können, probiere folgende Tipps aus:

Schreibe ein Dankbarkeitstagebuch, in welches du täglich notierst,


worüber du dich heute gefreut hast. So lenkst du deinen Fokus auf
das, was du hast und weg von dem, was nicht geklappt hat.
Die Angst vor neuerlichem Versagen ist groß – und auch das ist mehr
als verständlich. Anstatt dir Horrorszenarien auszudenken und in
Gedanken ständig um die Frage zu kreisen: „Was ist, wenn…?“ -
stelle die Frage um. Ergänze sie um das Wörtchen „schon“ – klein,
aber äußerst wirksam. Die Frage lautet nun: „Was ist SCHON,
wenn…?“ - Und die Antwort darauf: Damit werde ich fertig!

Richte deinen Fokus auf das Gute – denn auch und gerade aus
Krisen kannst du etwas lernen. Es kann hilfreich sein, dir deine
Erfolge und Lektionen regelmäßig zu notieren – so rücken sie mehr in
dein Bewusstsein.
13. Top 10: Die zehn goldenen
Regeln im Umgang mit ADHS

1. Du hast ADHS – aber du bist nicht deine Störung. Denke immer


daran, der Störung mit der nötigen Distanz zu begegnen und sie
nicht mit deinem Charakter und Wesen zusammen in einen Topf zu
werfen. Reduziere dich selbst nicht auf die ADHS und lasse auch
nicht zu, dass andere dies tun.

2. Dir fällt es aufgrund der ADHS schwerer als anderen Menschen,


einfachste Aufgaben zu erledigen und alte Verhaltensweisen durch
neue zu ersetzen. Bis du das schaffst, kann eine Weile vergehen.
Verzweifle nicht an Vergleichen mit Menschen ohne ADHS.

3. Gemeinsam seid ihr stärker als die Störung – lasse nicht zu, dass
die ADHS dich und deine Lieben entzweit und einen Schatten über
euer (familiäres) Band wirft.

4. Es ist kein Zeichen von Scheitern, wenn du eine Therapie in


Anspruch nimmst. Sich Hilfe zu suchen, ist stark und richtig. Du
musst das nicht alleine bewältigen.

5. Sorge für dich selbst. Nur, wenn du möglichst ausgeglichen und


gelassen bist, kannst du der ADHS den Kampf ansagen, ohne,
dass sie dir den letzten Nerv raubt.

6. Manchmal wird deine ADHS dir Grenzen aufzeigen oder


Rückschläge verursachen. Das ist ganz normal. Bleibe geduldig
und achte deine Grenzen.

7. Niemand hat Schuld daran, dass du eine ADHS entwickelt hast.


Nicht deine Eltern und schon gar nicht du selbst!

8. Die alten Muster aufzubrechen, ist harte Arbeit – belohne dich


regelmäßig selbst!

9. Sage dir selbst, dass du dich liebst – egal, wie sehr die ADHS dein
Leben negativ geprägt hat: Es gibt immer einen Weg da raus!

10. Denke daran, welche positiven Eigenschaften du hast, die


vielleicht sogar mit der ADHS zusammenhängen. Fördere diese
Eigenschaften – mache aus einer vermeintlichen Schwäche eine
Stärke! Schaue dir dazu an, wie du deine Stärken am besten
nutzen kannst, um sie voll zu entfalten.
14. Nur Mut!

Wirf mal einen Blick zurück auf die vergangenen Wochen: Wie fühlt
sich das an? Konntest du schon erste Erfolge verzeichnen? Oder tust
du dir nach wie vor schwer mit der Umsetzung deiner Ziele?

Lässt der geeignete Therapieplatz auf sich warten oder bist du dir
nach wie vor unsicher, ob eine Therapie überhaupt das richtige für
dich ist?

All das ist vollkommen in Ordnung. Und es gehört dazu.

Du bist drauf und dran, die beste Version deiner Selbst zu werden –
das ist ein hartes Stück Arbeit und es gehört sehr viel Mut und auch
Durchhaltevermögen dazu.

Niemand ist perfekt und auch du musst es nicht sein.

Die Auseinandersetzung mit deiner psychischen Störung kostet dich


eine Menge Energie – also vergiss nicht, zwischenzeitlich einen Gang
herunter zu schalten und dir Pausen zu gönnen!

Mach mal wieder einen Spaziergang, triff dich mit Freunden auf ein
Bier oder einen Kaffee – du hast es dir redlich verdient.

Du allein entscheidest, wie viel Energie du in was hinein steckst und


wann du mal Abstand brauchst. Und es ist vollkommen okay, zu
sagen: Heute nicht.
Heute möchte ich mal nicht reflektieren und an meinem Verhalten
arbeiten.

Heute möchte ich mal einfach sein.

Heute nehme ich mir vor, einfach mal nichts zu tun.

Und morgen schaue ich mir an, was ich aus mir machen kann – trotz
oder gerade wegen meiner ADHS!

Sie gehört zu mir und es ist okay, dass sie da ist.

Sie ist nichts, was ich bekämpfen muss – sondern sie birgt auch
Chancen.

Besinne dich regelmäßig auf das, was du bereits lernen durftest und
das, was du noch erreichen möchtest. Das hält deine Motivation
langfristig aufrecht.

Und wenn du mal einen schlechten Tag hast, denke daran: Das Leben
ist ein Tanz, den du so gestalten kannst, wie du es möchtest.

„Nicht umsonst steckt im Wort ‚Selbstakzeptanz das Wörtchen


TANZ.“

(Urheber unbekannt)
15. Weiterführende Links

ADHS gemeinsam begegnen:

www.adhs-infoportal.de

Hier findest du allgemeine und spezifische weiterführende


Informationen über ADHS.

Das AD(H)S-Kompendium:

www.adxs.org

Allgemeine Informationen zu ADHS.

Zentrales ADHS-Netz:

www.zentrales-adhs-netz.de

Allgemeine Informationen zu ADHS.

ADHSpedia:

https://www.adhspedia.de/wiki/Hauptseite

Eine Zusammenstellung von tiefergehenden Infos rund ums Thema


ADHS.

ADHS20+:
https://adhs20plus.ch/adhs-bei-erwachsenen/

Infos zu ADHS, speziell zugeschnitten auf erwachsene Betroffene.

Selbstmanagement bei ADHS:

https://www.adhs-ratgeber.com/adhs-selbstmanagement.html

Hier findest du eine Broschüre zum kostenlosen Download zum


Thema Selbstmanagement.

Jeder ist anders – Du bist ok!:

www.ich-bin-ok.com

Eine Zusammenstellung für ADHS-Betroffene. Hier gibt es auch


weiterführende Informationen zum Thema „ADHS und Sucht“.

Speziell für Frauen:

https://www.lifeline.de/krankheiten/adhs/erwachsene/#frauen

Informationen insbesondere für weibliche Betroffene.

Beziehungsprobleme:

https://www.adhs-ratgeber.com/adhs-partnerschaft.html
Hier findest du Lösungsansätze für typische Beziehungsprobleme in
Zusammenhang mit ADHS.

ADHSpedia:

https://www.adhspedia.de/wiki/ADHS_und_Beruf

Weitere spannende Infos zur Berufswahl bei ADHS.

Vorbilder:

https://www.adxs.org/wissenswertes-zu-adhs/prominente-adhs-
betroffene

Hier findest du eine Auflistung weiterer prominenter ADHS-


Betroffener, die dir als Vorbilder dienen können.

Bertas Meditation:

https://www.youtube.com/watch?v=qt3s1HmYW8k&t=28s

Eine angeleitete Meditationsreise zu deinem Kraftort.

Fokus trotz ADHS:

https://www.youtube.com/watch?v=CSgL0qB7DEY&t=3711s

Ein Beispiel für Musik, die dir dabei hilft, beim Arbeiten oder Lernen
Fokussiert zu bleiben.
Prioritäten:

https://www.impulse.de/management/selbstmanagement-
erfolg/eisenhower-prinzip

Hier findest du eine detaillierte Erklärung zur Eisenhower-Matrix, mit


der du deine Prioritäten im Griff behältst.
Asperger bei Erwachsenen

Der praktische Ratgeber zum Meistern


des Alltags mit dem Asperger-Syndrom

© 2022 Svenja Hold


Vorwort

Viele Menschen denken in Zusammenhang mit Autismus wohl sofort


an Raymond „Rain Man“ Babbitt aus dem gleichnamigen Film mit
Dustin Hofmann von 1988. Ich gebe zu, mir ging es lange Zeit
genauso. Dir auch? Doch „Rain Man“ zeigt eine sehr spezifische Form
des Autismus, das sogenannte Savant-Syndrom, bei dem die
Beeinträchtigung sehr stark ausgeprägt ist und zusätzlich in
Zusammenhang mit überdurchschnittlicher Intelligenz sowie einer oder
mehrerer Inselbegabungen einhergeht.

An dieser Stelle möchte ich direkt mit einem Vorurteil brechen: Nicht
alle Autisten sind wie Rain Man. Autismus ist nicht gleich Autismus –
mittlerweile weiß man: Es gibt sehr große Unterschiede in der
Ausprägung der Autismus-Spektrum-Störung (ASS), wie der
übergeordnete Begriff lautet.

Oftmals wird Autismus bereits im frühen Kindesalter erkannt,


wodurch viele betroffene Kinder von Beginn an Ausgrenzung,
Exotisierung und Ablehnung erfahren – bis heute. Das Bild von Rain
Man hat sich in vielen Köpfen eingebrannt; so herrschen eine Menge
Vorurteile gegenüber Betroffenen. Zwar hat die Störung nicht immer
so weitreichende Konsequenzen, wie in Rain Man gezeigt, und doch –
mit der Störung zu leben, birgt bis ins Erwachsenenalter große
Herausforderungen und die Angst, stigmatisiert und ausgegrenzt zu
werden, ist allgegenwärtig.

Es gibt unterschiedliche Formen einer ASS. Ich konzentriere mich in


diesem Buch auf den sogenannten Asperger-Autismus und beziehe
mich dabei insbesondere auf erwachsene Betroffene – denn in
einigen Fällen wird erst im Erwachsenenalter die Diagnose gestellt,
was das Leben Betroffener meist komplett umkrempelt.

In diesem Ratgeber möchte ich mit gängigen Vorurteilen aufräumen.


Er stellt ein Hilfsangebot für Betroffene dar, aber auch für Menschen,
die Betroffene in ihrem Umfeld wissen. Ich möchte darüber berichten,
wie Asperger-Autismus definiert ist, welche Symptome auftreten und
wo die Unterschiede zu anderen Formen des Autismus liegen. Es liegt
mir sehr am Herzen, Betroffenen und denjenigen, die vermuten,
betroffen zu sein, einen Wegweiser und Mutmacher an die Hand zu
geben. Daher möchte ich auch die Stärken von Asperger-Betroffenen
hervorheben und darauf hinweisen, wie sie ihre Stärken im Berufs-
und Privatleben nutzen können.

Doch es bleibt nicht bei schnöder Theorie: Um etwas mehr Sicherheit


darüber zu erlangen, ob und wie sehr du vom Asperger-Syndrom
betroffen bist, ergänze ich die Fakten um einen Selbsttest. Zusätzlich
liefere ich dir praktische Anregungen, Tipps und Übungen zur
sofortigen Umsetzung, die das Leben mit Asperger erleichtern. Du
gewinnst also nicht nur neue Kenntnisse, sondern erlernst auch
förderliche Strategien, also Fähigkeiten, die dir dein Leben erleichtern
und die Sonne in dir wieder strahlen lassen können.

Falls du aufgrund deiner Beeinträchtigung nicht alleine


zurechtkommst, gehe ich auch darauf ein, wie und wo du dir Hilfe
suchen kannst. Denn – das nehme ich hier bereits vorweg, da ich
finde, dass es nicht oft und deutlich genug gesagt werden kann: Hilfe
anzunehmen, ist keine Schande! Du bist nicht allein.
Du bist nicht das einzige „Alien“ in dieser Welt – vielen geht es
ebenso wie dir. Und es gibt Menschen in deinem Leben, die dich
unterstützen und dich so annehmen, wie du bist – selbst dann, wenn
du sie vielleicht selbst noch nicht sehen kannst.

Nun tauche mit mir gemeinsam ein in die Welt des Asperger-
Autismus. Ich lade dich ein, tieferes Verständnis über deine Welt zu
erlangen und eine neue Sichtweise auf dich und dein Leben zu
gewinnen.

Und noch einmal, weil’s so schön ist: Du bist nicht allein!

„Die Menschheit ist ein Universum – wir sind alle leuchtende Sterne
am Himmel.“

(Urheber unbekannt)
1. Was ist das Asperger-Syndrom?

Um Asperger zu verstehen, möchte ich zunächst kurz erklären, was


es mit dem Oberbegriff Autismus (heute meist Austimus-Spektrum-
Störung oder kurz ASS) auf sich hat. Unter Autismus versteht man
gemeinhin eine Entwicklungsstörung auf neurologischer Ebene bzw. in
der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die Auswirkungen
auf die soziale Interaktion, Kommunikation und das Verhalten
Betroffener haben.

Das Asperger-Syndrom ist eine Ausprägung der ASS, die erstmals


vom österreichischen Kinderarzt Hans Asperger beschrieben wurde.
Damals bezog er sich seinem Beruf entsprechend dabei auf Kinder;
auf die genauen Symptome, die erwachsene Betroffene zeigen, gehe
ich in Kapitel 1.1 genauer ein. Asperger beobachtete bei vier seiner
Patienten bestimmte auffällige Verhaltensweisen. Dazu gehörten
geminderte(r) Anteilnahme und Gefühlsausdruck und die mangelnde
Fähigkeit, Gefühle anderer Menschen zu erkennen und Reaktionen
einzuordnen. Sie blieben für sich, anstatt soziale Kontakte zu suchen,
und nahmen kaum an sozialer Interaktion teil. Stattdessen widmeten
sie sich hochkonzentriert und tiefgehend bestimmten Themen, die als
eher ungewöhnliche Interessen bezeichnet werden könnten. Auch war
zu erkennen, dass sie sich auffälliger Gestik und Mimik bedienten und
ihr Sprachgebrauch erstaunlich präzise und dabei seltsam formell und
monoton anmutete. Hinzu kamen die Feststellung leichter motorischer
Störungen bis hin zu ungeschicktem Verhalten. Die Diagnose
Asperger-Autismus wird zumeist erst im Alter von drei Jahren gestellt,
da sich Betroffene zuvor weitgehend erwartungsgemäß entwickeln.
Zu beobachten ist häufig eine überdurchschnittlich frühe und schnelle
Entwicklung der Sprache und eine durchschnittliche oder hohe
Intelligenz.

Die Entwicklungen eines Menschen mit ASS können sehr


unterschiedlich sein. Einige Betroffene können im Erwachsenenalter
ein vollkommen unauffälliges Berufs- und Sozialleben führen. Andere
wiederum sind ihr Leben lang auf ausgeprägte Unterstützung
angewiesen. Da die Symptome im Erwachsenenalter häufig weniger
ausgeprägt sind als im Kindesalter, ist es schwierig, bei Erwachsenen
eine eindeutige Diagnose zu stellen, weshalb viele Fälle – die im
Kindesalter unentdeckt bleiben – nie erkannt werden. In solchen
Fällen bleibt das entsprechende (auch eigene) Verständnis für
gewisse Besonderheiten und oft auch die eigentlich benötigte
Unterstützung aus.

Um dem entgegenzuwirken, gehe ich im Folgenden nun genau auf die


Symptome ein, die Asperger-Autismus mit sich bringen kann. Wie
schon gesagt, sind diese häufig sehr unterschiedlich ausgeprägt.

1.1 Symptome von Asperger-Austismus

Beim ICD (International Statistical Classification of Diseases and


Related Health Problems) und DSM (Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders) handelt es sich um zwei Kataloge der
Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) zur Einordnung und
Abgrenzung verschiedener Krankheits- und Störungsbilder zueinander.
Die Kataloge gelten zur Vereinfachung der Diagnosestellung weltweit
einheitlich und werden regelmäßig geprüft und ergänzt bzw.
überarbeitet. Beim DSM-5 handelt es sich um die fünfte Auflage; der
ICD-10 soll in naher Zukunft vom ICD-11 abgelöst werden. In ihnen
sind die einzelnen Symptome ganz genau festgehalten, die dabei
helfen, Autismus im Kindesalter zu diagnostizieren. Im Anschluss an
die Erklärung der einzelnen Symptome nach den Katalogen gehe ich
genauer darauf ein, welche Symptomatiken sich im Erwachsenenalter
(erst oder noch) zeigen. Die angeführten Beispiele sind weder
erschöpfend, noch Teil der Kataloge, sondern dienen lediglich der
Veranschaulichung der einzelnen Symptome.

1.1.1 Symptome laut ICD-10 und DSM-5

Bis ins dritte Lebensjahr sind beim Asperger-Syndrom die Fähigkeiten


zur sozialen Interaktion Selbsthilfe und Anpassung sowie
Wissbegierde in Bezug aufs Umfeld altersgemäß entwickelt.

Betroffene zeigen allgemein zunächst einmal nicht unbedingt eine


bedeutsame Unterentwicklung in Sprache oder Kognition und
verfügen über einen altersentsprechend durchschnittlichen oder
überdurchschnittlichen Intellekt.

Sie gehen bereits früh bestimmten Routinen oder Ritualen nach bzw.
verlangen nach ihnen. Hinzu kommt motorisches Ungeschick oder eine
Verzögerung der motorischen Entwicklung. Auch können sich
wiederholende motorische Ausdrücke sich zeigen.

Ab dem dritten Lebensjahr zeigen sich die eindeutigen Symptome


dann wie folgt:

Es bestehen zum Einen dauerhaft anhaltende Schwierigkeiten (aktuell


oder vergangen) im Bereich sozialer (verbaler wie nonverbaler)
Kommunikation und Interaktion in mehreren Lebensbereichen (z.B. zu
Hause und im Kindergarten).

Hierzu gehören zum Beispiel:

Schwierigkeiten in Bezug auf Blickkontakt: Betroffene können


Blickkontakt nicht im angemessenen Rahmen aufbauen oder
halten.

Eingeschränkte Mimik und Gestik: Sie drücken sich recht einseitig


und monoton aus oder zeigen nicht auf Gegenstände (außer, um
sie gereicht zu bekommen). Auf Winken reagieren sie nicht oder
unangemessen. Ihr Gesichtsausdruck ist neutral oder übertrieben.

Auffällige Körperhaltung: Sie weisen eine untypische


Körperhaltung auf, z.B. indem sie sich von Zuhörer:innen
wegdrehen, anstatt sich ihnen zuzuwenden.

Keine Beziehungen: Gemeinsame Interessen oder Aktivitäten mit


anderen bleiben aus oder beschränken sich auf ein notwendiges
Minimum (z.B. um Hilfe zu erhalten). Freundschaften zu entwickeln
oder aufrecht zu erhalten, fällt Betroffenen schwer. Wenn sie mit
anderen spielen, dann eher mit älteren oder jüngeren, weniger mit
gleichaltrigen Kindern.

Unterdurchschnittlicher emotionaler Ausdruck: Betroffene Kinder


zeigen ihre Gefühle nicht oder sehr begrenzt; sie lachen oder
weinen etwa wenig bis gar nicht. Sie wirken häufig „kalt“ oder
„abgeklärt“, ihnen fehlt es an Wärme, Herzlichkeit und
Zugewandtheit im Ausdruck gegenüber anderen. Sie wissen nicht,
wie sie unterschiedlichen Gefühlen (verbal oder nonverbal)
verständlich Ausdruck verleihen.

Ausbleibende emotionale Anteilnahme: Wenn anderen etwas


zustößt, sind sie nicht dazu in der Lage, Mitgefühl zu zeigen oder
sie lassen sich nicht von allgemeiner Heiterkeit anstecken, wenn
etwas lustiges passiert.

Mangelhafte Interpretation der Emotionen anderer: Betroffenen


fällt es schwer, unterschiedliche Emotionen anhand des
Gesichtsausdruckes anderer Menschen zu deuten.

Dem sozialen Kontext unangepasstes Verhalten: Sie integrieren


sich wenig bis gar nicht und verhalten sich oft unangemessen (z.B.
indem sie in einer unangebrachten Situation plötzlich anfangen, laut
zu sprechen oder ohne ersichtlichen Grund lächeln oder lachen).
Sie stellen „unangebrachte“ Fragen oder tätigen „unangebrachte“
Aussagen (die sie jedoch selbst nicht als unangebracht
wahrnehmen).

Ungewöhnliche Art sozialer Annäherung: Andere werden


aufdringlich angefasst oder sogar abgeleckt.

Fehlender Wunsch der sozialen Interaktion: Betroffene zeigen


nicht das Bedürfnis, sich in bestehende Gruppen einzubringen und
sind gern für sich allein. Sie erzählen häufig nicht, was sie
(emotional) beschäftigt.

Mangelndes Verständnis der Konventionen sozialer Interaktionen:


Betroffene sind auffallend dominant oder zurückhaltend.
Fehlerhafte Anwendung gängiger Kommunikationsregeln: Sie
unterbrechen andere, können Gesprächen nicht folgen, erzählen
ohne Kontext drauflos (ohne einschätzen zu können, ob sich
andere dafür interessieren) oder verstehen die Worte des
Gesagten, jedoch nicht den Zweck, den sie verfolgen. Oftmals
reagieren sie nicht auf den eigenen Namen, fangen von selbst
keine Gespräche an bzw. führen diese einseitig (eher als
Vorträge).

Ungewöhnlicher Sprachausdruck: Betroffene weisen in ihrer


Sprache oftmals ungewöhnliche Anwendungen von Intonation,
Tonfall, Rhythmus, Betonung oder Lautstärke auf.

Mangelnde Empathie (ab viertem Lebensjahr): Sie können sich


nicht gut in andere hineinversetzen und bemerken es nicht, wenn
sie andere verletzt haben, diese traurig oder gestresst sind.

Rollen-/Fantasiespiele: Mit anderen fallen ihnen diese schwer,


daher bleiben diese eher aus (ab dem fünften Lebensjahr). Im
Spiel mit sich selbst zeigen sich diese Schwierigkeiten nicht, denn
Betroffene leben gewissermaßen in ihrer eigenen Welt.

Mangelndes Verständnis von Humor/Ironie: Betroffene tun sich


schwer, widersprüchliche Aussagen zu verstehen bzw.
interpretieren diese so, wie sie gesagt werden. Sie erkennen nicht,
wenn andere sich über sie lustig machen.

Ungewöhnliche und sehr spezifische Ängste: Zum Beispiel Panik


vor Gabeln, Männern mit Hüten, der Farbe Rosa
Hinzu kommen sich wiederholende, nach strengen Mustern
ablaufende Verhaltensweisen und routinierte bzw. ritualisierte
Aktivitäten.

Merkmale hierfür sind:

Sprache: Betroffene wiederholen etwa das zuvor Gesagte oder


bestimmte Fragen, bedienen sich eigentümlicher Worte bzw.
Phrasen oder zeigen häufig bestimmte Gesten, die oft nur für
Vertrauenspersonen entschlüsselt werden können. Auch kann es
vorkommen, dass sie bestimmte verbale Ausdrücke wiederholt von
anderen verlangen. Sie muten häufig aufgrund formeller Wortwahl
wie „kleine Erwachsene“ an oder sprechen von sich selbst in der
dritten Person. Auch bestimmte wiederkehrende Laute (z.B.
Quietschen, Summen) können auftreten.

Ungewöhnliche Bewegungsmuster: Zum Beispiel im Kreis drehen,


den Oberkörper wiegen, auf Zehenspitzen gehen. Auch starke
Verspannungen oder ungewöhnliche Grimassen können auftreten.

Gebrauch von Gegenständen: Spielsachen werden nicht ihrem


eigentlichen Zweck nach verwendet (sondern beispielsweise
nebeneinander aufgereiht und lediglich betrachtet, anstatt
tatsächlich mit ihnen zu spielen), Türen auf und zu machen, Licht
an- und ausschalten.

Widerstand gegen Veränderungen: Strenges Beharren auf exakt


denselben Abläufen, Wegen, Nahrungsmitteln etc. Falls diesem
Wunsch nach Beständigkeit nicht nachgekommen wird, führt dies
oft zu extremen Stressreaktionen Betroffener.

Ungewöhnliche Routinen und zwanghaftes Verhalten: Zum


Beispiel „muss“ ein Betroffener sich immer erst drei Mal im Kreis
drehen, bevor er oder sie in ein Auto steigt. Oft geht auch
gesteigerter Perfektionismus damit einher.

Auch kann die Entwicklung spezieller Interessen oder Begabungen


(sog. Inselbegabungen) eine Rolle spielen.

Hyperfokus: Betroffene gehen in intensiver, höchst konzentrierter


Auseinandersetzung mit bestimmten, inhaltlich oft speziellen
Themengebieten auf. Während andere Gleichaltrige als
Lieblingstiere etwa Pferde oder Hunde angeben, sind es für
Betroffene eher atypische Tiere und spezifische Arten (z.B.
Blattschneideameisen).

Begrenzte „Allgemeininteressen“: Dinge, die Gleichaltrige


interessieren (z.B. bestimmte Sportarten, Spiele), sind für
Betroffene oft nicht von Bedeutung.

Beschäftigung mit (objektiv irrelevanten) Details: In Bezug auf


Spielmaterialien etwa liegt der Fokus nicht auf dem beabsichtigten
Zweck des Spielens, sondern auf Formen, Farben, Geräuschen
oder Oberflächenbeschaffenheit der Gegenstände.

Bindung zu Gegenständen: Bestimmte Dinge sind aus dem Leben


Betroffener nicht wegzudenken. Wenn diese verloren gehen,
stresst das Betroffene enorm. Dies können objektiv
„bedeutungslose“ Dinge wie ein Gummiband sein, aber genauso
gut „wertvollere“ Gegenstände (etwa eine Kette).

Faszination für Symbole, Zahlen oder Buchstaben: Betroffene


sind häufig außergewöhnlich gut dazu in der Lage, sich gewisse
Fakten einzuprägen oder zuzuordnen. Die Beschäftigung mit
bestimmten Symbolen, Buchstaben oder Zahlen ist häufig auffällig
gegeben.

Zusätzlich fallen häufig die Über- oder Unterempfindlichkeit auf


sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an sensorischen
Aspekten der Umgebung ins Gewicht.

Hohe Schmerztoleranz: Betroffene stecken sich etwa unberührt


die Finger in die Augen oder zeigen bei schweren Verletzungen wie
Verbrennungen keine oder verminderte Reaktionen. Oder sie
gehen bei Minusgraden barfuß oder im T-Shirt vor die Tür.

Oberflächenstrukturen, Beschaffenheit: Die Haptik oder auch


Konsistenz von Dingen üben oft eine gewisse Faszination auf
Betroffene aus oder sie lehnen diese ab.

Taktile Empfindlichkeit: Häufig mögen sie es nicht, auf gewisse


Weise oder mit bestimmten Gegenständen berührt zu werden (z.B.
Frotteehandtücher). Zähneputzen, Haare kämmen oder Nägel
schneiden kann zu außergewöhnlich starken Abwehrreaktionen
führen.

Ablehnung bestimmter Geräusche: Das Klingeln eines Telefons


oder die Stimme eines bestimmten Menschen kann
Stressreaktionen hervorrufen.

Sensorische Untersuchung: Dinge (aber z.T. auch Menschen oder


sogar Tiere) werden ungewöhnlich intensiv und nicht
altersentsprechend mit allen Sinnen erforscht (z.B. Berühren,
Riechen, Anlecken).

Fokus auf sensorische Reize: Betroffene richten ihre


Aufmerksamkeit immer wieder mit allen Sinnen auf bestimmte
Dinge oder Lebewesen (auch sich selbst), indem sie sie
genauestens (aus unterschiedlichen, oft sehr nahen Winkeln)
betrachten, anhören, berühren, anlecken oder an ihnen riechen.

Faszination auf visuelle Reize: Licht und Schatten oder sich


drehende Gegenstände erwecken häufig ein besonderes Interesse
Betroffener (z.B. laufende Waschmaschinen).

Augen: Betroffene zeigen häufig ungewöhnliches Blinzeln, starren


Gegenstände an oder beobachten Menschen (z.T. nur) aus den
Augenwinkeln.

Es folgen weitere wichtige Kriterien zur expliziten Einordnung von


Klienten als ASS-Betroffene, die im DSM angeführt sind.

Es ist zu beachten, dass die Symptome tatsächlich erst ab dem


dritten Lebensjahr auftreten, sich jedoch verstärkt zeigen und
„einschleifen“, sobald die Anforderungen, die das Umfeld an
Betroffene heranträgt, ihre Fähigkeiten übersteigen (z.B. Danke
sagen, Hände schütteln zur Begrüßung). Im späteren Verlauf kann es
vorkommen, dass Betroffene sich sogenannte Bewältigungsstrategien
aneignen, um ihre „Schwächen“ nicht geltend zu machen (z.B.
entgegen dem eigenen Willen trotzdem die Hand des Gegenübers
ergreifen, weil dies so erlernt wurde; über einen Witz mitlachen, wenn
andere lachen).

Es muss eine deutliche Beeinträchtigung hinsichtlich des sozialen oder


schulischen/beruflichen Lebens erkennbar sein, die nicht auf
intellektuelle oder globale Entwicklungsstörungen zurückzuführen ist.
Diese können ko-existieren; es ist nicht selten, dass geistige oder
körperliche Behinderungen gemeinsam mit Formen der ASS auftreten
(Komorbidität, siehe hierzu auch Kapitel 1.3.3). Doch diese sollten
differenziert voneinander betrachtet werden. ASS tritt sehr häufig
auch allein auf. Daher muss spezifiziert werden, ob die ASS im
jeweiligen Fall mit oder ohne

intellektuelle oder körperliche Behinderung,

Sprachentwicklungsverzögerung,

medizinischen oder genetischen Krankheiten,

bestimmten Umweltrisikofaktoren (z.B. Raucher in der Familie),

entwicklungsneurologischen oder psychologischen Störungen


(z.B. ADHS)

Verhaltensstörungen (z.B. Zwangserkrankungen)

oder Katatonie (Krämpfen, Muskelzuckungen)


einhergeht.

Hinweis: Die Klassifikationen in den bestehenden Katalogen ist für die


Nutzung durch Fachleute (z.B. Ärzten, Psychiatern) vorgesehen. Von
einer Selbstdiagnose durch nicht ausgebildete Menschen rate ich
explizit ab; die genannten Kriterien dienen jedoch der Aufklärung und
Einordnung über bestimmte Symptomatiken.

1.1.2 Schweregrade einer ASS

Zusätzlich zur Symptom-Klärung muss für eine Diagnose nach DSM-5


die Einordnung des Schweregrades erfolgen, der wie folgt
kategorisiert ist.

Grad 1: Unterstützung benötigt

Die Defizite in verbaler und nonverbaler Kommunikation führen ohne


Unterstützung zu Beeinträchtigungen. Soziale Interaktion wird häufig
nicht selbst initiiert; die Reaktion auf Näherungsversuche anderer ist
häufig inadäquat und sorgt für Schwierigkeiten, was die Entstehung
und Aufrechterhaltung von Freundschaften stört. Mangelnde
Flexibilität, restriktive oder ritualisierte Verhaltensweisen sind für
Außenstehende erkennbar und beeinträchtigen einen oder mehrere
Lebensbereiche. Selbstorganisation und Anpassung ist problematisch
und kann zu Unselbstständigkeit Betroffener beitragen.

Grad 2: Beträchtliche Unterstützung notwendig


Die Defizite in verbaler und nonverbaler Kommunikationsfähigkeit sind
so ausgeprägt, dass trotz Unterstützung die soziale Interaktion
beeinträchtigt ist. Mangelnde Flexibilität, restriktive oder ritualisierte
Verhaltensweisen sind für Außenstehende gut erkennbar und
beeinträchtigen einige Lebensbereiche.

Grad 3: Sehr beträchtliche Unterstützung notwendig

Es bestehen schwere Defizite in verbaler und nonverbaler


Kommunikationsfähigkeit, die soziale Interaktion schwierig bis
unmöglich machen. Zu beobachten ist eine deutlich geminderte
Flexibilität im Verhalten, was zu häufigen und starken
Stressreaktionen hinsichtlich kleinster Veränderungen führt.
Restriktives, perfektionistisches oder ritualisiertes Verhalten sorgen
für erhebliche Einschränkungen in allen Lebensbereichen.

Die Einordnung in Schweregrade einer ASS zeigt auf, wie


unterschiedlich die Formen und auch der Verlauf einer ASS und die
damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Lebens Betroffener
ausfallen können.

Es ist in jedem Fall zu beachten, dass die Symptome nur dann als
solche gelten können, wenn sie eine nicht altersgemäße Entwicklung
aufweisen, immer wieder vorkommen und das Leben Betroffener
beeinträchtigen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie aktuell
auftreten. Im Fall von Asperger-Autismus können auch Rückschlüsse
auf die Vergangenheit eines Menschen gezogen werden, die eine
„nachträgliche“ bzw. verspätete Diagnose bis ins Erwachsenenalter
ermöglichen.
1.1.3 Symptome bei Erwachsenen

Menschen sind extrem anpassungsfähig. Daher schaffen es viele


Betroffene, sich im Laufe der Zeit mit ihren Belastungen zu
arrangieren, indem sie sich alternative Verhaltens- und
Handlungsmuster von ihren Mitmenschen abschauen. Sie entwickeln
Strategien für den Umgang mit ihrer ganz individuellen Ausprägung.
Häufig sind die Symptome von Asperger im Erwachsenenalter
deshalb weniger ausgeprägt, und doch nehmen sie erheblichen
Einfluss auf das alltägliche Leben Betroffener. Wenn sie dazu in der
Lage sind, unter gewissen Voraussetzungen, die sie sich oft mühsam
selbst erschaffen müssen, ein beinahe „störungsfreies“ Leben zu
leben, ist auch von hochfunktionalem Autismus die Rede. Doch
natürlich zeigen sich auch in diesem Fall bestimmte Merkmale, die auf
die Zugehörigkeit zum Autismus-Spektrum hindeuten.

Im Folgenden möchte ich nun noch einmal im Detail auf die


Symptome eingehen, die Menschen mit Asperger bis ins
Erwachsenenalter zeigen.

Im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikationsfähigkeit


zeigen sich folgende Schwierigkeiten:

Sprachgebrauch und -verständnis: Smalltalk fällt schwer, da der


Sinn dahinter nicht gegriffen werden kann. Wechselseitiger
Gesprächsaustausch kann sich problematisch gestalten, da
Betroffene das Hin und Her oft nicht mitverfolgen können und
demnach nicht wissen, dass die Reihe an ihnen ist. Humorvolle
Anspielungen oder auch Ironie wird nicht verstanden, da
Äußerungen wörtlich genommen werden. Häufig entstehen
Missverständnisse, unter anderem deshalb, weil (insbesondere
subtile) Gesichtsausdrücke, Gesten oder Tonfälle missinterpretiert
werden. Die Tonalität wirkt häufig monoton, die Wortwahl formell.

Umgang mit Gefühlen: Fehlt die offene Kommunikation über


Gefühle und Bedürfnisse, können Menschen im Spektrum diese
nur schwer einschätzen. Wenn Intentionen oder Aussagen unklar
sind, führt das häufig dazu, dass Betroffene nicht
erwartungsgemäß reagieren und dadurch egoistisch oder
distanziert wirken. Konflikte sind vorprogrammiert. Zudem haben
Betroffene häufig keinen (guten) Zugang zu ihrer eigenen
Gefühlswelt, was es ihnen erschwert, die Gefühle anderer
nachvollziehen zu können (fehlende Empathie).

Blickkontakt: Diesen aufrechtzuerhalten, lenkt Betroffene oftmals


von dem ab, was gesprochen wird. Die Interpretation
verschiedener Blicke fällt schwer, weshalb sie misslingt und nicht
die gewünschte oder erwartete Reaktion gezeigt wird. Auch sind
Betroffene oft nicht dazu in der Lage, selbst mithilfe bestimmter
Gestik, Mimik und Blicken die „richtigen“ Signale zu senden und
nutzen Blicke daher meistens nicht zu einem bestimmten Zweck.

Regeln: Was für die einen sonnenklar ist, stellt für andere immer
wieder Fettnäpfchen dar, in die sie immer wieder treten.
Ungeschriebene Gesetze können Betroffene nicht lesen, sie
müssen sich gesellschaftliche „Codes“ erst erschließen und
übersetzen.

Rückzug: Soziale Interaktion kostet Menschen im Spektrum mehr


Anstrengung als nicht-autistische Menschen, weshalb erstere
meistens mehr Konzentration und Energie aufwenden müssen, um
sich im Miteinander mit anderen zurechtzufinden. Anschließend
brauchen sie entsprechend länger, um ihre „sozialen Batterien“
wieder aufzuladen. Sozialer Druck, der von außen an sie
herangetragen wird, führt nicht selten zu Angst, weshalb sie sich
häufig aus sozial fordernden Situationen zurückziehen oder sich
direkt ganz heraushalten, wenn möglich.

Initiative: Betroffene haben häufig Schwierigkeiten, auf andere


(ihnen unbekannte) Menschen zuzugehen oder Aufgaben von sich
aus zu übernehmen, da sie sich der jeweilig angebrachten
Umgangsform nicht sicher sind.

Kreativität: Von Asperger betroffene Menschen sind sehr auf


ihren Verstand angewiesen und stützen sich sehr auf Logik und die
Faktenlage. Es kann ihnen daher schwer fallen, kreativ zu arbeiten.

Weiter geht es im Hinblick auf Fokus, Interessen und dem Umgang


mit Veränderungen:

Perspektive: Menschen im Spektrum sehen häufig eher die


Details und konzentrieren sich darauf, als das „große Ganze“
wahrzunehmen. Hierbei verlieren sie sich oft auch in
Perfektionismus und halten sich mit „Kleinigkeiten“ (objektiv
betrachtet) auf (die für sie in dem Moment aber von großer
Bedeutung sind). So kann beispielsweise Kofferpacken, Aufräumen
oder das (Um-)Dekorieren der eigenen Wohnung auffällig viel Zeit
beanspruchen.
Spezialinteressen: Betroffene interessieren sich meist eingehend
für ganz spezifische Themen, die weitreichender Natur sein können
(z.B. Blattschneideameisen, Literatur, Nahrungsmittelherstellung,
Zimmerpflanzen). In diese Gebiete arbeiten sie sich sehr fokussiert
ein. Doch die Interessengebiete können auch wechseln und sich
gegenseitig ablösen.

Flexibilität: Betroffenen fällt es meistens sehr schwer, sich auf


Veränderungen einzustellen, vor allem dann, wenn diese plötzlich
vonstatten gehen. Bestimmte Routinen und Abläufe (auch
hinsichtlich Bewegungen) geben ihnen Sicherheit. Falls diese nicht
eingehalten werden können, erfolgt eine Stressreaktion. An
Spontanität ist oft nicht oder nur sehr begrenzt zu denken;
Entscheidungen zu treffen, fällt Betroffenen häufig schwer.

In Bezug auf die sensorische Wahrnehmung lassen sich bei


erwachsenen Asperger-Betroffenen folgende Symptome erkennen:

Reizverarbeitung: Das Gehirn Betroffener arbeitet etwas anders


als das von nicht Betroffenen, wodurch Reize stärker (grelles Licht,
laute Geräusche, unerträglich intensives Parfüm, unerwartete
Berührung) oder schwächer (eigener Körpergeruch fällt nicht auf,
Musik muss wirklich laut sein) wahrgenommen werden. Reize, die
andere nicht stören, werden häufig als unangenehm empfunden.

Sensorische Überforderung: Dieses im Volksmund auch gern als


Reizüberflutung bezeichnete Symptom zeigt sich in Umgebungen,
die enorm viele Reize beinhalten (z.B. Schule, Supermarkt). Hierbei
kann das Gehirn die vielen Reize nicht mehr verarbeiten, was zu
unangenehmen Gefühlen (Hilflosigkeit, Überforderung, bis hin zu
Panik) führen und betroffene Menschen daran hindern kann, wie
gewohnt zu funktionieren.

Motorische Schwierigkeiten: Fehlendes oder vermindertes


Körpergefühl kann dazu führen, dass Betroffene sich häufiger
stoßen als andere oder (unbewusst) eine auffällige
Körperhaltung/Gangart annehmen. Feinmotorik kann eine
Schwierigkeit darstellen (z.B. unordentliche Handschrift), ebenso
verschiedene Bewegungsabläufe bzw. die allgemeine
Körperorientierung, weshalb Sportarten schwer fallen können
(fallen diese jedoch ins Spezialinteresse Betroffener, werden sie
nicht selten mit großem Erfolg ausgeübt).

1.2 Abgrenzung: Asperger vs. andere Autismus-


Formen

Nun möchte ich kurz auf die Unterschiede zwischen Asperger-


Austismus und anderen Ausprägungen im Spektrum eingehen, um
diese klar voneinander zu differenzieren. Neben dem Asperger-
Autismus zählen der frühkindliche (auch Kanner-)Autismus und der
atypische Autismus zum Spektrum der ASS. Der bereits erklärte
hochfunktionale Autismus ist als Unterform ebenso zu nennen, die
durch die enorme Anpassung Betroffener entsteht.

Der bedeutendste Unterschied zwischen Asperger und anderen


Formen der ASS besteht wohl in der Entwicklung von Sprache und
Kognition.
1.2.1 Asperger und Kanner

Während Hans Asperger bei „seinen“ Klienten eine


altersentsprechende Sprachentwicklung bis zum dritten Lebensjahr
beobachtete, führte Leo Kanner etwa zur selben Zeit, aber
unabhängig von Asperger, an, seine Klienten wiesen sprachliche
Entwicklungsverzögerungen auf.

Die Intelligenz ist in allen Fällen durchschnittlich bis hoch ausgeprägt,


wohingegen die psychomotorische oder sozial interaktive Entwicklung
Auffälligkeiten aufweist, ebenso die Wahrnehmung und Verarbeitung
von Umwelteinflüssen und Sinnesreizen.

1.2.2 A-typischer Autismus

Während frühkindlicher und Asperger-Autismus sich recht ähnlich sind


und nur geringfügige Unterschiede hinsichtlich der frühkindlichen
Entwicklung verzeichnen, gibt es mit dem sogenannten atypischen,
also untypischen Autismus eine dritte Klassifikation des Autismus-
Spektrums. Wie der Name schon sagt, weist diese Form Merkmale
auf, die nicht den beiden zuvor genannten entsprechen.

In manchen Fällen besteht bei Einsetzen der (selben) Symptome ein


höheres Alter betroffener Menschen. Ich habe beispielsweise einmal
eine Frau kennengelernt, die erst in der Schulzeit plötzlich aufhörte, zu
sprechen, und stattdessen damit begann, nur noch über Laute und
Gesten zu kommunizieren, auffällige Bewegungen zu zeigen sowie
zwanghaft bestimmte Routinen zu verlangen.
Auch kann es sein, dass die Beeinträchtigungen im selben Alter wie
die vorgenannten auftreten, jedoch andere Auffälligkeiten oder
Symptome anderer Ausprägung zeigen. So werden die Kriterien für
frühkindlichen oder Asperger-Autismus nicht erfüllt, doch die
Einschränkungen lassen sich trotzdem im Bereich des Autismus
verorten.

1.2.3 Ein breites Spektrum

Während die Unterteilung in drei unterschiedliche Formen von


Autismus eher pragmatischer Natur ist – nämlich, um eine klare
Diagnose stellen zu können – macht das in der Praxis für Betroffene
jedoch keinen Unterschied. Ob sie ein Jahr früher oder später zu
sprechen beginnen oder die Auffälligkeiten erst in der Schule
auftreten – die Herausforderungen bleiben dieselben. Oftmals wird
eher nach der Stärke und Ausprägung der Symptome unterschieden.
Der eine weist mehr Stereotypien auf, die andere hat mehr
Schwierigkeiten in zwischenmenschlicher Interaktion, der dritte
versinkt tief in seinem Spezialgebiet. Die Tendenzen sind oft nur
minimal zu differenzieren, was eine klare Abgrenzung schwierig bis
unmöglich macht.

Kein Mensch gleicht mit seinen autistischen Zügen dem anderen –


jeder wohnt in einem eigenen Zimmer im großen Haus des Autismus;
für jedes Zimmer einen eigenen Namen zu erfinden, ist meines
Erachtens nach unnötige Energieverschwendung.

Somit dürfte nun auch klar sein, weshalb heute eher vom Autismus-
Spektrum die Rede ist: Es gibt nicht den einen Autismus. Autismus ist
eine Bandbreite unterschiedlichster Ausprägungen. Selbst innerhalb
der einzelnen Autismus-Diagnosen gibt es von Mensch zu Mensch
teilweise nur graduell unterschiedliche Ausprägungen der
Symptomatik, die die Übergänge sind fließend.

1.2.4 Die Grauzone autistischer Merkmale

Selbst dann, wenn eine klare Einordnung ins Autismus-Spektrum


anhand der Diagnosekriterien nicht eindeutig möglich ist oder nicht
genug Merkmale zutreffen, um Autismus klar zu diagnostizieren: Es
gibt sehr viele Menschen, deren Symptome teilweise eben doch dem
Autismus zugeordnet werden können. Diese befinden sich in einer
Grauzone, da nicht sicher gesagt werden kann, ob es sich nun um
klassische Autismus- Symptome handelt (da andere Kriterien unerfüllt
bleiben), oder die betroffenen Menschen in ihrer Persönlichkeit und
ihren Fähigkeiten „nur“ autistische Züge aufweisen, ohne diese jedoch
klar als Beeinträchtigung einordnen zu können.

Und hier liegt wohl der Kern der Sache: Solange Menschen, die
autistische Merkmale zeigen, dadurch nicht in ihrem Alltag massiv
oder zumindest in großen Teilen eingeschränkt sind, werden diese
Merkmale keiner autistischen Störung direkt zugeschrieben.

1.3 Ursachen, Entstehung und Verlauf des


Asperger-Syndroms

1.3.1 Ursachen
Ebenso wenig, wie die Einordnung ins Autismus-Spektrum manchmal
eindeutig möglich ist, kann eine allgemeingültige Ursache für das
Asperger-Syndrom festgestellt werden. Vielmehr spielen
verschiedene Aspekte eine Rolle. In diesem Kapitel widmen wir uns
unterschiedlichen möglichen Auslösern und Bedingungen, die die
Entwicklung einer ASS begünstigen.

Biologische Faktoren

Es ist bekannt, dass die biologischen Voraussetzungen einen


wesentlichen Teil dazu beitragen, ob eine ASS sich entwickelt oder
nicht.

So konnte die Forschung inzwischen nachweisen, dass die


Entwicklung des Gehirns Betroffener bereits vor der Geburt anders
verläuft, als bei Menschen außerhalb des Spektrums. Es wurde
festgestellt, dass die Funktionen und Strukturen bestimmter Bereiche
– vor allem beider Schläfenlappen und der Frontallappen – sowohl bei
Kindern, aber auch bei Jugendlichen und Erwachsenen verändert
sind. Dies erklärt bestimmte Auffälligkeiten im Verhalten und der
Kognition Betroffener, z.B. die erhöhte Fähigkeit zur logischen
Schlussfolgerung und Schwierigkeiten in Selbstorganisation und
Zielorientierung.

Auch spielt die Genetik eine wichtige Rolle – Autismus ist vererbbar.
Ist ein Elternteil von einer ASS betroffen, liegt das Risiko, dass das
Kind ebenfalls mit der genetischen Grundlage für ASS zur Welt
kommt, bei 70 bis 80 Prozent.
Ich möchte an dieser Stelle nicht allzu sehr ins Wissenschaftliche
abdriften und in die Tiefen der molekulargenetischen Hintergründe
einsteigen; nur so viel: Bekannt ist eine Vielzahl genetischer
Mutationen und Beeinträchtigungen, die die Entstehung einer ASS
begünstigen, wie etwa das sogenannte fragile-X-Syndrom, bei dem
ein X-Chromosom beschädigt bzw. brüchig – fragil – ist und somit die
Erbanlage schwächt. Dieses Syndrom tritt bei zirka drei Prozent
Betroffener auf und ist bereits gut erforscht. Derzeit besteht an dieser
Stelle ein Ansatz zur Forschung an einem Medikament, welches auch
in Zusammenhang mit Autismus Wirkung zeigen könnte. Mehr zum
Thema Medikamente erfährst du in Kapitel 5.1.1.

Wenn es sich um eineiige Zwillinge handelt, ist davon auszugehen,


dass beide Kinder betroffen sein werden – Ausnahmen, bei denen
Umweltfaktoren eine Rolle spielen, bestätigen die Regel.

Umwelteinflüsse

Ist das Alter der Eltern zum Zeitpunkt der Zeugung bzw. Geburt ihres
Kindes erhöht, kann dies Einfluss auf die mögliche Entwicklung einer
ASS nehmen, wie unterschiedliche Studien anzeigen. Diese erklären
das damit, dass in höherem Alter bestimmte Mutationen eher im
Erbmaterial auftreten bzw. in höherer Zahl vorhanden sind.

Nicht nur das Alter der Eltern, sondern auch andere Faktoren spielen
während der Schwangerschaft und Geburt eine Rolle. Erkrankt die
werdende Mutter etwa an Röteln oder anderen Infektionskrankheiten,
begünstigt das die Entstehung von Autismus maßgeblich. Auch eine
Diabeteserkrankung oder die Einnahme bestimmter Medikamente,
wie etwa Antiepileptika, fördern ASS. Hinzu kommt ein erhöhtes
Risiko bei einer extremen Frühgeburt sowie bei termin-geborenen
Kindern, die direkt nach der Geburt Lungenfunktionsprobleme oder
einen zu niedrigen Blutzuckerspiegel aufweisen. Diese wirken sich
negativ auf das Gehirn Neugeborener aus, da dieses auf Zucker als
Energiequelle und ausreichend Sauerstoff angewiesen ist.

Was allerdings durch Studien als ursächlich ausgeschlossen werden


konnte, sind Alkoholkonsum und psychosoziale Belastungen der
Mutter.

Es ist wahrscheinlich, dass nicht ausschließlich die Gene oder


Umwelteinflüsse die Störung begünstigen, sondern dass es immer ein
Zusammenspiel aus beidem ist. Jedoch konnte inzwischen mit dem
lange bestehenden Vorurteil aufgeräumt werden, dass
Erziehungsfehler oder Liebesentzug eine Rolle bei der Entwicklung
einer ASS einnehmen. Solche psychosozialen Faktoren (zu denen
beispielsweise auch Mobbing gehört) fördern höchstens bestimmte
Komorbiditäten.

1.3.2 Entstehung und Verlauf

Wie bereits beschrieben, zeigen sich erste Symptome des Asperger-


Syndroms in der Regel ab dem dritten Lebensjahr. Es können
einzelne Symptome in Kombination auftreten, aber auch eine ganze
Bandbreite – je nach Ausprägung der Erkrankung. Manche
Symptome zeigen sich auch nur in bestimmten Situationen, zum
Beispiel kann ein betroffenes Kind mit vertrauten Personen durchaus
Augenkontakt eingehen, während es mit den Kindern und
Erziehungspersonen im Kindergarten an dieser Stelle Schwierigkeiten
aufweist. Wie gesagt: Menschen im Autismus-Spektrum sind ebenso
individuell wie ihre Symptomatik.

Während sich einige Symptome volksmundlich „auswachsen“, also mit


steigendem Lebensalter schwächer werden oder gänzlich zurück
gehen, können andere mit der Zeit hinzukommen. So kann es sein,
dass ein betroffenes Kind im Kindergarten noch eher dazu in der
Lage war, Freundschaften zu erhalten, während ihm dies in der
Grundschule dann auffällige Schwierigkeiten bereitet. Viele
Symptome werden im Laufe der Zeit jedoch eher schwächer als
stärker.

Das heißt jedoch nicht, dass die Störung „von allein verschwindet“ –
im Gegenteil. Wie bereits beschrieben, ist es für Betroffene mit
enormen Anstrengungen verbunden, ihre Symptome zu bekämpfen
und bedeutet nicht selten eine vollständige Unterdrückung des
eigenen Wesens, um sich an bestehende Konventionen anzupassen
und nicht mehr (negativ) aufzufallen. Oft verstecken sie sich hinter
einer Fassade aus erlerntem Verhalten, anstatt sich so zu geben, wie
es ihren eigentlichen Voraussetzungen und ihrer Wesensart
entspräche.

Diese hochgradig komplexe Anpassungsstrategie ist vergleichbar mit


der Forschung an einer unbekannten Spezies oder dem Erlernen
einer Fremdsprache – mit dem gewichtigen Unterschied, dass hierfür
keine Doktortitel oder Zertifikate ausgestellt werden. Vielmehr bleiben
diese Bemühungen und enormen Errungenschaften unsichtbar, da sie
sich größtenteils lediglich im (Unter-)Bewusstsein Betroffener
abspielen.
Hierzu ist es notwendig, die eigene Umgebung genau zu beobachten
und das Verhalten der Menschen zu studieren, um zu verstehen, was
genau die Erwartung hinter bestimmten Verhaltensweisen ist, die an
die Betroffenen herangetragen wird – zumal sie häufig (in einigen
Fällen sogar überdurchschnittlich) intelligent sind, wodurch die
Erwartungen noch erhöht werden. Um nur ein paar Beispiele zu
nennen:

Soziale Zusammenkünfte: Es wird vorausgesetzt, sich auf der


Familienfeier nett mit allen zu unterhalten, die lieben Verwandten
(die man nur einmal im Jahr sieht) zu begrüßen wie alte Bekannte
oder sich herzlich und aufrichtig für Geschenke zu bedanken,
selbst, wenn man nichts mit ihnen anfangen kann.

Leistungsdruck bei der Arbeit: Es werden Geschwindigkeit und


Qualität erwartet. Der Leistungsdruck ist enorm und es stehen
Aufgaben an der Tagesordnung, die für nicht-autistische Menschen
in der Regel keine Herausforderung darstellen (z.B. Telefonieren).

Anordnungen nachkommen: Es soll getan werden, was verlangt


wird – selbst, wenn es dazu keine klaren Angaben gibt oder die
geforderte Handlung vollkommen unlogisch ist.

Viele Betroffene erkennen mit der Zeit also, wann sie ins
„Fettnäpfchen“ treten und wie sie sich ins bestehende bzw.
gewünschte Bild einfügen können. Sie lernen durch die Wiederholung
von „Versuch und Irrtum“ demnach,…

sich artig bei Tante Erna für den zwanzigsten hässlichen und
kratzigen Strickpulli zu bedanken, damit sie glücklich ist;
dass Telefonieren nun einmal etwas ist, das dazugehört, wenn
man im Büro arbeitet, und dass man sich vorher Notizen machen
kann, um sich dabei sicher zu fühlen.

Regeln zu befolgen, anstatt sie zu hinterfragen und sich den


Wünschen anderer zu fügen.

Nicht immer gelingt eine allumfassende Anpassung; so kann es


beispielsweise vorkommen, dass Betroffene beruflich äußerst
erfolgreich sind, jedoch außerhalb der Arbeitszeit keinerlei soziale
Kontakte pflegen und auf Hilfe im Haushalt und beim Einkaufen
angewiesen sind. Oder aber sie sind weder beruflich noch sozial
erfolgreich, werden aber als Künstler oder Musikerhoch gelobt.

Je nachdem, wie sehr und in wie vielen Lebensbereichen Betroffene


sich anpassen können, gelingt es ihnen im Erwachsenenalter häufig,
ein stabiles Leben zu führen. Weder beruflich noch familiär zeigen
sich in diesen Fällen dann Auffälligkeiten. Wem diese Anpassung nicht
schwerfällt, etwa, weil die Symptome von Beginn an nicht sonderlich
ausgeprägt waren, wird tendenziell auch keine großen
Schwierigkeiten haben, ein ruhiges Leben fernab der Identifikation mit
den eigenen Beeinträchtigungen zu führen.

An dieser Stelle möchte ich dennoch auch darauf hinweisen, dass


Menschen im Spektrum oftmals deutlich sensibler auf äußere
Einflüsse reagieren als andere. So kann schon ein einzelnes
schwerwiegendes Erlebnis (etwa der plötzliche Tod eines geliebten
Menschen) ausreichen, damit die mühsam über Jahre oder
Jahrzehnte aufgebaute Fassade einstürzt.
Ganz und gar „störungsfrei“ ist das Leben betroffener Menschen also
nie – denn selbst, wenn nach außen hin der perfekte Schein eines
nicht-autistischen, funktionierenden Individuums gewahrt wird, dass
alles gut ist und in geregelten Bahnen läuft, ist dies zumeist mit vielen
geistigen Anstrengungen Betroffener verbunden. Sie können sich nicht
auf ihre Intuition berufen und müssen sich deshalb allein auf ihren
Verstand verlassen. Die ständige Anpassung an eine
leistungsorientierte und nach bestimmten Regeln und Konformitäten
gebaute Welt erfordert eine Menge Aufmerksamkeit und Energie, wie
auch den starken Willen, sich anzupassen und die nötige Disziplin.

Die Krux an der Sache ist: Je besser ein Mensch – unabhängig


davon, ob im Spektrum oder nicht – nach außen hin (scheinbar)
funktioniert, desto weniger Unterstützung erhält er und desto bessere
Leistungen werden von ihm erwartet. Umso größer ist damit oft die
Hürde, sich für die dysfunktionalen Bereiche im Leben Unterstützung
zu suchen und das Risiko, immer wieder anzuecken. Das führt nicht
selten dazu, dass Menschen im Spektrum zusätzlich von anderen
Entwicklungsstörungen oder psychischen Belastungen betroffen sind.
Welche das sind, erfährst du auf den folgenden Seiten.

1.3.3 Komorbidität: Auftreten mit anderen


Erkrankungen

Durch die zunächst fehlende Anpassung und den ständigen Fokus auf
die negativen Seiten des Autismus geraten die meisten Betroffenen
unbeabsichtigt in ein negatives Licht. Dies führt nicht selten zu
Ausgrenzung und Mobbing, sowohl in der Schule als auch bis ins
Erwachsenenalter hinein. Der eigene Selbstwert leidet; das Gefühl,
sich verstecken zu müssen und nicht so angenommen zu werden, wie
man nun einmal ist, nimmt zu. Auch kann der Eindruck entstehen,
nicht in die Gesellschaft hineinzupassen – weil die Menschen im
Umfeld keinerlei Probleme zu haben scheinen, diese Welt zu
verstehen und sich nach ihr auszurichten, während Betroffenen selbst
anscheinend entscheidende Erklärungen und Anleitungen vorenthalten
wurden.

Betroffene Menschen ziehen sich nicht selten vor sozialen Kontakten


zurück, um nicht weitere Erfahrungen dieser Art machen zu müssen.
Auch überhöhter Leistungsdruck bzw. Perfektionismus und damit
verbunden der unbedingte Wunsch, zu gefallen, können eine Rolle im
Leben betroffener Menschen spielen. All dies führt unweigerlich dazu,
dass neben der ASS weitere Störungsbilder und mentale Belastungen
auftreten können. An dieser Stelle möchte ich einige Beispiele
nennen, doch ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit – so
viele Menschen es auf der Welt gibt, so unterschiedlich können sich
auch Belastungen auf die mentale Gesundheit jedes einzelnen
auswirken.

Depressionen

Die wohl am häufigsten durch Autismus entstehende psychische


Belastung ist die Depression. Studien ergaben, dass 57% der von
Autismus betroffenen Teilnehmenden an Depressionen erkrankt sind
oder waren. Zum Vergleich: die Rate der von Depression Betroffenen
liegt bei der Gesamtbevölkerung nur bei etwa 6%.
Wer depressiv ist, hat nicht einfach nur eine „schlechte Phase“ – so
ein gängiges Vorurteil. Das ganze Leben scheint sinnlos, jegliches
Gefühl von Freude und Leichtigkeit verblasst. Durch das ständige
Anecken und Scheitern in verschiedenen Lebensbereichen, die
Autismus mit sich bringen kann, beschleicht Betroffene oft das
Gefühl, insgesamt ein Misserfolg zu sein, es niemandem recht
machen zu können. Darunter leidet der Selbstwert; Gefühle von
Schuld und Wertlosigkeit sind allgegenwärtig.

Häufig ist das Urvertrauen bzw. Selbstvertrauen gestört. Durch die


sich anhäufenden Probleme geraten Betroffene in negative
Überzeugungen und Grübeleien. Alles wird als aussichtslos
betrachtet, sie trauen sich nichts mehr zu. Durch die ewigen negativen
Gedankenspiralen können massive Schlafstörungen entstehen, die in
der Folge verminderte Konzentrationsfähigkeit mit sich bringen
können. Auch verminderter oder gesteigerter Appetit sind eine
mögliche Folge. Im schlimmsten Fall gehen die negativen
Überzeugungen und Grübelspiralen so weit, dass Betroffene sich
selbst verletzen, sich das Leben nehmen oder es zumindest
versuchen.

Nicht selten gehen mit Depressionen auch massive Ängste einher,


insbesondere die Angst vor dem Scheitern, Zukunftsängste oder
soziale Ängste.

Angst- und Panikstörungen, Phobien

Ängste können auch unabhängig von Depressionen auftreten. Auch


Panikstörungen oder Phobien sind bei Menschen im autistischen
Spektrum nicht selten. Ängste äußern sich vor allem durch
katastrophale Überzeugungen und Gedanken, durch die körperliche
Abwehrreaktionen hervorgerufen werden – ein Schutzmechanismus
des Körpers, der seit Beginn der Menschheit in jedem von uns wohnt.

Zu den Symptomen von Angst gehören vor allem Herzrasen, Zittern,


Schwitzen, kalte und feuchte Hände, Mundtrockenheit, der allseits
bekannte „Kloß im Hals“, Atembeschwerden, Übelkeit, Magendruck,
Muskelverspannungen und allgemeine Ruhelosigkeit. Im Falle einer
Panikstörung steigert sich die Angst bis hin zu extremer und real
erscheinender Todesangst, die zu Ohnmacht führen kann. Auch gehen
mit Angststörungen oftmals Schlafstörungen einher.

Schlafstörungen

Schlafstörungen äußern sich auf verschiedene Weise. Probleme beim


Ein- oder Durchschlafen, extrem langer Schlaf (mehr als neun
Stunden) oder deutlich zu frühes Aufwachen treten auf. Das Gefühl,
schlechter zu schlafen als sonst oder (selbst, wenn genug
Schlafenszeit erreicht wird), nicht erholt aufzuwachen, begleiten
Menschen mit Schlafstörungen den ganzen Tag.

Essstörungen

Auch Essstörungen können aus dem Gefühl, nicht richtig zu sein, nicht
dazu zu passen, nicht angenommen zu werden oder negativ
aufzufallen, entstehen. Zu den Hauptformen von Essstörungen zählen
Magersucht, Bulimie und unkontrollierte Essanfälle. Klassische
Symptome sind ständige Sorgen in Bezug auf Essen und das eigene
Körpergewicht, Panik vorm Zu- oder Abnehmen, extreme
Schwankungen des Körpergewichts, die Ablehnung des eigenen
Körpers, ständiger Vergleich mit anderen, extreme Neigung zum
Kalorienzählen, Nahrungsverweigerung oder nicht aufhören können zu
essen und heimliches Essen (weil es unerträglich ist, dass einem
beim Essen zugesehen wird). All das geht einher mit einem hohen
Leidensdruck.

Aufmerksamkeitsstörungen

Nicht selten ist die Aufmerksamkeit betroffener Menschen massiv


gestört. Wenn sie sich beispielsweise in einer Situation wiederfinden,
in der sie enormer Reizüberflutung ausgesetzt sind, verlieren sie den
Fokus auf das, was eigentlich in dem Moment wichtig ist (z.B. beim
Einkaufen im Supermarkt). Auch die oben genannten Belastungen
gehen oft mit Konzentrationsschwierigkeiten einher – wer sich ständig
Sorgen macht, etwas falsch zu machen, verliert häufig das
Wesentliche aus den Augen.

Aggressionen/Autoaggressives Verhalten

Auch können Betroffene leicht mit Aggressionen zu kämpfen haben.


Wer sich der eigenen Gefühle und Bedürfnisse nicht bewusst ist, weil
er ständig darauf bedacht ist, es allen anderen recht zu machen und
in die Norm zu passen, lebt diese nicht aus, sondern unterdrückt sie
(unbewusst). Dies führt unweigerlich oft dazu, dass die Emotionen –
die unter der Oberfläche weiter brodeln – sich einen eigenen Weg an
die Oberfläche des Bewusstseins suchen. Die Folge ist vergleichbar
mit unkontrollierbaren Vulkan-, sprich: Wutausbrüchen. Ein weiteres
mögliches Ventil für Emotionen ist autoaggressives, also
selbstverletzendes Verhalten (z.B. „Ritzen“).
Zwangsstörungen

Autoaggressives Verhalten kann zu den Zwangsstörungen gezählt


werden. Hierbei kanalisieren Betroffene die eigenen Sorgen, Ängste
und andere negative Gefühle und das Streben nach Perfektion, um
nicht (negativ) aufzufallen mit bestimmten Ritualen und (oft
übertriebenen) Verhaltensweisen. Ein weiteres Beispiel für
Zwangsstörungen ist der Waschzwang bzw. Putzzwang, bei dem
Betroffene akribisch und in beinahe schon ungesundem Maße darauf
bedacht sind, ihren Körper bzw. die eigene Wohnung frei von
Verunreinigungen jeglicher Art (sei es Bakterien, Körperflüssigkeiten,
Staub oder Dreck) zu halten. Hierbei muss beachtet werden, dass die
ritualisierten Vorgänge im Zuge des Autismus unabhängig von
Zwangserkrankungen zu betrachten sind. Die Zwangsstörung entsteht
bei Menschen im Spektrum eher noch „oben drauf“ aufgrund
negativer Erfahrungen.

Ebenso ist zu differenzieren zwischen Begleiterkrankungen wie den


oben genannten, die durch die Belastungen entstehen, die Menschen
im autistischen Spektrum erfahren, und koexistierenden
neurobiologischen Entwicklungsstörungen, die zusätzlich bereits von
Beginn an bestehen können.

ADHS

Die Ursache der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung


(ADHS) liegt ebenso in den biologischen Voraussetzungen eines
Menschen. Diese ähneln denen des Autismus-Spektrums zum Teil
sehr, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass beides häufig
gemeinsam auftritt. Die drei Kernsymptome einer ADHS äußern sich
in massiven Konzentrationsschwierigkeiten, Hyperaktivität und
Impulsivität. Daraus entsteht die oftmals erkennbare Desorganisation
Betroffener, erhöhter Bewegungsdrang und häufige
Stimmungswechsel. Hinzu kommt eine geringe Stress- und
Frustrationstoleranz.

Tourette-Syndrom

Das Tourette-Syndrom zeigt deutliche Überschneidungen zum


Autismus-Spektrum: Auch hierbei spielen die Genetik, mögliche
Infektionskrankheiten und Sauerstoffmangel bei der Geburt eine
wesentliche Rolle.

Tourette äußert sich hauptsächlich in Form motorischer Tics, z.B.


Grimassen schneiden, Blinzeln, das (unbeabsichtigte) Berühren von
Menschen oder Gegenständen, selbst- oder fremdverletzende
Handlungen oder obszöne Gesten (Kopropraxie), und vokaler Tics
wie etwa Quieken, Schnalzen, aber auch die Äußerung von (oft
zusammenhanglosen) Wörtern bis hin zu ganzen Sätzen und auch
Beleidigungen oder Schimpfwörtern (Koprolalie), die unkontrolliert
hervorbrechen.

Natürlich ist nicht gesagt, dass mit Autismus grundsätzlich die oben
genannten oder weitere Erkrankungen und Störungen einhergehen.
Das Auftreten solcher Begleiterscheinungen ist individuell zu
betrachten. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass die
Komorbidität möglich ist und hiermit oftmals weitere Symptome
erklärt werden können, die nicht in der Symptomatik des autistischen
Spektrums liegen.
1.4 Häufigkeit des Asperger-Syndroms

Du bist nicht allein! Wenn du den Eindruck hast oder vielleicht sogar
bereits weißt, dass du dich im autistischen Spektrum befindest,
möchte ich an dieser Stelle ganz klar darauf hinweisen: Du bist nicht
der einzige Mensch auf diesem Planeten, der sich so fühlt und
dieselben oder ähnliche Probleme hat.

Im Folgenden möchte ich einmal genauer darauf eingehen, wie viele


Menschen sich im Autismus-Spektrum wiederfinden. Hier kann
aufgrund mangelhafter Daten keine Einordnung der Häufigkeit in
Deutschland erfolgen; die folgenden Daten stammen aus
länderübergreifenden Untersuchungen in Europa, Kanada und den
USA.

Demnach wird ungefähr bei 0,7 % der Allgemeinbevölkerung, also bei


sechs bis sieben von tausend Personen, eine Betroffenheit
festgestellt. Die Dunkelziffer könnte aber deutlich höher liegen, denn
nicht alle Betroffenen gehen überhaupt zum Arzt (Grund hierfür
können Scham oder Angst sein) oder ihnen wird keine eindeutige
Diagnose zugeschrieben.

Den frühkindlichen Autismus betreffen hiervon eine bis drei Personen,


ebenso den Asperger-Autismus. Andere tiefgreifende
Entwicklungsstörungen, darunter auch der A-typische Autismus, sind
mit drei bis vier von tausend Personen beziffert.

Es ist kein Unterschied zwischen Betroffenen in Bezug auf die soziale


Schicht, die Herkunft oder Kultur zu erkennen – demnach findet sich
das Asperger-Syndrom, ebenso wie andere Formen des Autismus, in
jeglichen sozialen Schichten und Gruppen.

Untersuchungen zufolge tritt Asperger häufiger bei männlichen und


männlich gelesenen Personen auf, als beim weiblichen Geschlecht
bzw. weiblich gelesenen Personen. Auf eine Frau/ein Mädchen mit
einer klaren Diagnose kommen zwei bis drei Männer bzw. Jungen.
Der Grund hierfür kann nicht klar benannt werden; vermutlich liegt das
daran, dass das Asperger-Syndrom bei Frauen und Mädchen
seltener erkannt wird.

1.5 Exkurs: Besonderheiten bei Frauen mit


Asperger

Zu Beginn der Asperger-Forschung ging man davon aus, dass


ausschließlich Jungen die volle Ausprägung des Syndrom träfe, da
zunächst keine Fälle betroffener Mädchen bekannt waren. Später
änderte sich diese Ansicht durch gegensätzliche Beobachtungen und
Forschungsergebnisse.

Die Forschung erschloss 1981 ein Verhältnis zwischen männlichen


und weiblichen Betroffenen von 15:1. 1993 entstand durch eine sehr
viel größer angelegte Studie das Bild eines Verhältnisses von 4:1
(Jungen:Mädchen). Und 2017 wurde dieser Welt erneut
überschrieben – der aktuell angenommene Wert, der nun nicht mehr
anhand von Beobachtungen des Lehrpersonals berechnet wurde,
sondern aus zugrundeliegenden Gehirnuntersuchungen hervorging,
liegt bei 3:1.
Wie gesagt – vermutlich liegt die Dunkelziffer insgesamt, und
insbesondere die betroffener Mädchen und Frauen, noch sehr viel
höher. Es wäre nicht verwunderlich, wenn in weiteren Studien
herauskäme, dass das tatsächliche Verhältnis 1:1 beträgt.

Laut Carol Povey, Direktorin des britischen Zentrums für


Austismusforschung und -unterstützung, kann sich Autismus bei
Frauen und Mädchen auf andere Weise zeigen, als bei Männern und
Jungen. Dies führt nicht selten dazu, dass sie keine Diagnose
erhalten und das Leben bestreiten müssen, ohne einen erkennbaren
Grund zu haben, weshalb sie sich so anders, so fremd fühlen.

Vermutlich hängt dies mit der sozialen Rolle zusammen, die Frauen
Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang geprägt hat. Ihr
Hauptaugenmerk lag lange Zeit in der Versorgung der Familie, dem
Großziehen der Kinder und dem Haushalt. Von ihnen wurde der
Gehorsam gegenüber männlichen Bezugspersonen verlangt, wodurch
sie häufig sowieso zurückhaltender und stiller erzogen wurden, als es
Jungen zugestanden wurde. Damit fiel ihre Anpassung – die sowieso
gefordert war – nicht auf und konnte von der Forschung nicht als
Strategie gegen autistische Merkmale gewertet werden.

Mädchen und Frauen gelten nach wie vor gemeinhin als


anpassungsfähiger und haben weniger Schwierigkeiten damit, soziale
„Codes“ zu entschlüsseln als Jungen und Männer. Das ist fatal, denn
ein „wildes Mädchen“ erzeugt somit automatisch mehr negative
Aufmerksamkeit und findet sich schneller in der Erwartungshaltung
wieder, sich zurückzuhalten und anzupassen.
Die diagnostischen Tests für Asperger und andere Formen des AS
wurden auf Grundlage der Beschreibung von Jungen ausgearbeitet
und bis heute wenig angepasst. Somit fallen Mädchen mit
Spezialinteressen eher seltener ins autistische Klischee eines
Technik-Nerds oder Mathegenies und damit aus dem AS-Raster.
Dass Mode, Literatur oder Tiere ebenso als Spezialinteressen gelten
können, wird häufig übersehen.

In den letzten Jahren erfolgt meiner Meinung nach eine Art


„Erwachen“ in der Gesellschaft. Themen wie Feminismus bzw.
Emanzipation und mentale Gesundheit rücken in den Fokus und
werden Schritt für Schritt enttabuisiert (wobei es wohl noch lange
dauern wird, bis wirklich niemand mehr Angst hat, wegen einer
mentalen Belastung Unterstützung und therapeutische Begleitung zu
suchen). Dadurch rückt das Thema „Frauen im Autismus-Spektrum“
immer mehr in den Fokus der Forschung. Das führt dazu, dass immer
mehr Frauen die Diagnose „Asperger“ bzw. ASS und damit eine
mögliche Erklärung für all ihre alltäglichen Herausforderungen erhalten
können.

1.6 Exkurs: Über die Identifikation mit dem


Asperger-Syndrom

Menschen, die vom Asperger-Syndrom betroffen sind, haben oft


bereits von Kindesbeinen an große Schwierigkeiten, sich im Leben
zurechtzufinden. Sie nehmen größte Anstrengungen auf sich, um
angepasst zu wirken, und unterdrücken damit Jahre, wenn nicht
Jahrzehnte lang ihr wahres Selbst. Die Suche nach dem Warum
bestimmt ihre Welt: Warum bin ich so anders? Warum fühle ich mich,
wie ein Alien auf einem fremden Planeten? Warum gelingt mir nicht,
was andere spielend meistern? Warum werde ich nicht so akzeptiert,
wie ich bin? Warum trete ich anderen immer wieder auf den Schlips,
auch, wenn ich noch so sehr aufpasse? Warum hält keine meiner
Beziehungen? Die Liste mit Fragen wie diesen ist unerschöpflich.

Tritt dann der Fall ein, dass sie die Diagnose erhalten, wirkt diese als
einheitliche Antwort auf all die Fragen, die sie ihr Leben lang
begleiten. Plötzlich ist da eine ganz und gar logische Erklärung, mit
der sie arbeiten können. Mit deren Hilfe sie auf ihr Leben
zurückblicken und erkennen können: Aha, darum war das so. Sie
sehen ihr Leben plötzlich in einem anderen Licht und verstehen sich
selbst auf einer tieferen Ebene. Sie können sich neu kennenlernen,
die Situation neu bewerten. Die Selbstvorwürfe werden schwächer –
denn niemand ist schuld an bzw. verantwortlich für die eigene
neurobiologische Entwicklung. Auch Vergebung spielt häufig eine
Rolle: Sich selbst – und anderen, die ebenso wenig über die
Betroffenheit mit dem Asperger-Syndrom Bescheid wussten.

Zukünftig kann es mit Blick auf die Zugehörigkeit zum AS gelingen,


Herausforderungen nun anders zu begegnen. Neue, wirklich hilfreiche
Strategien können erschlossen werden. Und sehr oft fällt es
Betroffenen mit einer Diagnose auch leichter, zu sich selbst zu stehen
und sich so zu zeigen, wie sie sind – denn nun können sie ihr
Verhalten und ihre Besonderheiten auch anderen einfach erklären.
„Ich bin Autist und das ist nichts schlimmes!“ könnte ein Satz sein, der
ihnen dazu verhilft, sich neu in der Welt zu orientieren und ihren
Selbstwert, der in vielen Fällen auf dem bisherigen Weg stark
geschwächt wurde, wieder aufzubauen.
Nicht allen gelingt diese Wandlung verständlicherweise – denn ein
angeknackstes Selbstbewusstsein zu reparieren, ist und bleibt harte
Arbeit an sich selbst. Sich selbst aufrichtig zu lieben und
anzuerkennen, ist – nicht nur, aber gerade für – Menschen im
Spektrum eine lebenslange Aufgabe und ein Prozess mit Höhen und
Tiefen.

Doch nun gibt es da einen Hoffnungsschimmer, eine Gruppe von


Menschen, denen sie sich endlich doch zugehörig fühlen können –
denn diese sehen sich häufig, genauso wie sie selbst, als „Aliens“ in
einer menschlichen Welt. Da ist plötzlich eine Gemeinschaft, der sie
angehören, ohne etwas dafür tun zu müssen, ohne Anstrengungen, in
der Autismus normal ist und sie ganz sie selbst sein dürfen.

„Das Privileg, du selbst zu sein, ist ein Geschenk, das viele als
selbstverständlich hinnehmen, aber für autistische Menschen ist es
das großartigste und seltenste Geschenk überhaupt.“

(Alyssa Aleksanian, Künstlerin und Lyrikerin)


2. Asperger: Herausforderungen &
Chancen

Ob nun eine Diagnose gestellt wurde oder nicht – in jedem Fall birgt
der Alltag mit Asperger eine Menge Besonderheiten. Nicht selten
„beherrscht“ das Syndrom das alltägliche Leben Betroffener
geradezu – die Einschränkungen beziehen sich meist auf mehr als nur
einen Lebensbereich und sorgen für eine Menge Probleme und
Herausforderungen.

Gerade, wenn die Diagnose erst im Erwachsenenalter erfolgt, stellt


das für betroffene Menschen oftmals eine Erleichterung dar –
plötzlich fällt der berühmt-berüchtigte „Groschen“ und alles rückt
etwas mehr an seinen Platz – schlicht deshalb, weil auf einmal viele
Dinge eine Erklärung erhalten, die es vorher nicht gab. Häufig suchen
Betroffene die Schuld an den vielen Dingen, die in ihrem Leben schief
laufen oder ihnen überdurchschnittlich viele Schwierigkeiten bereiten,
zunächst bei sich. Dass es für all das eine logische Erklärung gibt,
nimmt einen großen Teil der Last von den Schultern Betroffener.

Natürlich wird dadurch nicht alles plötzlich leicht – Asperger ist und
bleibt eine große Beeinträchtigung.

2.1 Der Alltag mit Asperger-Autismus:


Fallbeispiele
Der Alltag birgt für jeden Menschen individuelle Herausforderungen.
Diese auf nicht-autistische Menschen ausgelegte Welt hält jedoch
gerade für Personen im Spektrum eine Menge Schwierigkeiten bereit;
Situationen, die für andere Menschen leicht zu bewältigen sind,
sorgen bei Asperger-Autisten schnell für Überforderung.

Ich möchte ein paar beispielhafte Situationen nennen, die sehr


deutlich zeigen, welche Hürden Betroffene tagtäglich meistern
müssen.

1.) Sinnesreize

Einkaufen gehen wird für Lucia oft zum Höllenritt. Die vielen bunten
Farben überfordern ihr Auge. Sie braucht ewig, um sich für ein
Produkt zu entscheiden, von dem es zwanzig Ausführungen in einem
meterlangen Regal gibt. Das Rattern der Einkaufswägen dröhnt in
ihren Ohren und lenkt sie von ihren Gedanken ab. Die engen Gänge
und die Nähe zu anderen Einkaufenden beim Anstehen an der Kasse
verursachen häufig Panik bei ihr, die sie jedoch nicht zeigen darf. Und
dann ist sie schließlich an der Reihe: Sie versucht, so schnell und
dennoch geordnet wie möglich, ihre Waren aufs Band zu legen, damit
sie den Überblick behält und sie nicht beim Einpacken in Stress gerät
– dennoch ist das häufig der Fall, denn die Menschen um sie herum
wissen nichts von ihrer Beeinträchtigung und drängeln häufig. Das ist
einer der Gründe, warum sie sehr genau darauf achtet, wie viel sie
bezahlen muss, um schon das nötige Kleingeld parat zu haben, bevor
sie sich an der Kasse anstellt (sofern sie nicht sowieso mit der Karte
bezahlt).

2.) Körperwahrnehmung
Pedro arbeitet in einem Büro, in dem es sehr klare Abläufe und
Strukturen gibt. Das tut ihm sehr gut und er fühlt sich in seinem
Arbeitsumfeld sehr wohl. Dennoch neigt er dazu, sich immer wieder
an denselben Tischkanten oder Türrahmen zu stoßen, da er die
Grenzen seines eigenen Körpers nicht so wahrnehmen kann, wie
andere Kollegen.

3.) Berührungen

Martin ist im Freundeskreis immer sehr unsicher. Manche seiner


Freunde haben die Angewohnheit, andere ohne Vorwarnung zu
pieksen, zu kitzeln oder zu umarmen. Für ihn ist das schnell zu viel,
doch er traut sich nicht, sich zu beschweren, aus Angst, dann nicht
mehr dazu zu gehören.

4.) Gespräche

Als seine Kollegin vollkommen durchnässt zur Arbeit kommt und meint
„Es regnet Bindfäden!“, geht Ole vollkommen verblüfft zum Fenster,
um nach den Schnüren Ausschau zu halten. Als er ihre Aussage
infrage stellt, handelt ihm das den Spott des gesamten Teams ein, da
er die Metapher wörtlich genommen hat.

5.) Nonverbale Kommunikation

Julias Chef kommt mit einem verschmitzten Grinsen und


Augenzwinkern auf sie zu und meint: „Na, denen hast du aber
ordentlich Feuer unterm Hintern gemacht!“ Was er meinte, war, dass
sie die Kunden der Bar, in der sie arbeitet, dazu gebracht hat,
ordentlich Trinkgeld zu zahlen – doch sie macht sich den Rest des
Abends Gedanken darüber, was er damit wohl gemeint hat und ob
sie etwas falsch gemacht hat.

6.) Soziale Anforderungen

Mia ist hin- und hergerissen. Einerseits möchte sie unbedingt auf dem
Geburtstag ihrer besten Freundin dabei sein. Andererseits kann sie
den Lärm von Partys nicht ertragen und fühlt sich auch sozial schnell
überfordert. Sie tippt schnell eine Nachricht ins Handy: „Tut mir Leid,
ich kann heute Abend nicht kommen, ich muss mit der Katze in die
Klinik!“ - obwohl ihr Stubentiger kerngesund auf der Couch
schlummert. Mia traut sich nicht, „ohne Grund“ abzusagen und denkt
sich lieber eine stichhaltige Ausrede aus, um ihre Freundin nicht zu
verletzen und den Abend trotzdem allein verbringen zu können.

7.) Routinen geben Sicherheit

Das erste, was Paul morgens nach dem Aufstehen macht, ist, Kaffee
zu kochen und währenddessen seine Morgenwäsche zu machen.
Eines Morgens jedoch will die Kaffeemaschine einfach nicht
anspringen – was ihn vollkommen aus der Bahn wirft. Plötzlich ist
seine Routine, die er sonst akribisch verfolgt, zunichte gemacht.
Menschen außerhalb des Spektrums würden nun wohl einfach auf
den morgendlichen Kaffee verzichten, doch für Paul bedeutet das,
dass ans Zähneputzen nun erst einmal nicht zu denken ist. Die
Kaffeemaschine reparieren kann er allerdings auch nicht mal eben –
und um sie zur Reparatur zu bringen, müsste er sich erst die Zähne
putzen. Außerdem hatte er heute bei der Arbeit einen wichtigen
Termin – doch ohne Kaffee und Zähneputzen ist auch daran nicht zu
denken. Er meldet sich bei der Arbeit notgedrungen krank und nimmt
sogar die eventuelle Rüge seines Chefs in Kauf – denn plötzlich kann
er nur noch daran denken, unbedingt diese Kaffeemaschine
reparieren zu müssen. So eine „Kleinigkeit“ (objektiv betrachtet)
bringt also seinen kompletten Tagesablauf durcheinander und handelt
ihm womöglich noch Ärger ein.

8.) Spezialinteresse

Caro ist unendlich nervös: Heute Nachmittag ist sie auf ein Date
verabredet, auf das sie lange gehofft hat. Es soll zum Spazieren in
den Park gehen – den Ort hat sie ausgesucht, da sie sich dort sehr
wohl fühlt. Nachdem sie mit Hilfe einer Freundin (denn alleine hätte
sie das nicht gemeistert) Stunden mit der Vorbereitung verbracht hat,
um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, fährt sie los. So weit,
so gut – Ben hat akzeptiert, dass sie ihn zur Begrüßung nicht direkt
umarmen möchte. Stattdessen schütteln sie sich, etwas peinlich
berührt, förmlich die Hand und spazieren los. Während der Runde um
den Teich fasst Caro Mut und beginnt, mit Ben über ihr absolutes
Lieblingsthema zu sprechen: Alte Bauwerke der griechischen Antike.
Sie ist begeistert, denn sie kann Ben keine Anzeichen dafür ansehen,
dass er kein Interesse daran hat. So gehen sie Runde um Runde um
den Teich. Der Abend scheint gut zu laufen, hat Caro im Gefühl. Am
nächsten Tag dann der Schock: Ben schreibt: „Hey Caro, ich finde
dich ja echt süß, aber dein stundenlanges Gefasel über die alten
Griechen halte ich echt kein zweites Mal aus. Sorry – das war’s
einfach nicht.“ Caro ist enttäuscht – warum hat er das nicht einfach
gesagt? Gleichzeitig macht sie sich Vorwürfe: Hat sie seine
Anzeichen von Desinteresse einfach übersehen?
Diese Beispiele dienen dazu, einen ersten Einblick in den
herausfordernden Alltag von Menschen mit Asperger zu geben.
Genauere Informationen dazu, wie schwierig es für Betroffene ist, im
Arbeitsleben Fuß zu fassen und welche Konflikte sie im Privatleben
häufig zu meistern haben, beschreibe ich auf den nächsten Seiten.

2.2 Asperger und Beruf

Die 40-Stunden-Woche ist nach wie vor gängiges Arbeitsmodell in


vielen Bereichen – Überstunden vorprogrammiert. Der Leistungsdruck
steigt gefühlt immer weiter an – da ist es schon für Menschen
außerhalb des Spektrums schwierig, allen Anforderungen gerecht zu
werden. Asperger-Autisten sind äußerst sensibel und deutlich weniger
belastbar als andere Menschen. Sie haben oft große Probleme, eine
Arbeitsstelle zu finden und diese dann auch zu behalten, sind häufig
arbeitslos oder unter ihrem Bildungsniveau beschäftigt. Hierzu ein
paar Zahlen und Fakten (laut Studien):

52% der Menschen im Spektrum haben Abitur


(Allgemeinbevölkerung: 46%)

39% haben einen Hochschulabschluss (Allgemeinbevölkerung:


29%)

80% haben eine abgeschlossene Berufsausbildung (Lehre oder


Studium)

Trotzdem sind

60% arbeitslos,
10% deutlich unter ihrem Ausbildungsniveau beschäftigt (nur rund
15 bis 20% der Autisten in Deutschland arbeiten auf dem ersten
Arbeitsmarkt)

und nur 30% entsprechend ihrem Ausbildungsniveau beschäftigt.

Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten, die für sie den Berufsalltag


besonders herausfordernd machen. Welche Schwierigkeiten das –
von Berufsfindung über Ausbildung und Bewerbungsgesprächen bis
hin zum alltäglichen Berufsleben – sind, erfährst du im folgenden
Kapitel.

2.2.1 Berufsfindung: Geeignete Berufe für


Betroffene

Zu Beginn eines jeden Berufseinstiegs stellt sich für jeden von uns die
Frage: Welchen Beruf möchte ich ergreifen? Die vielen Möglichkeiten,
die der moderne Arbeitsmarkt bietet, überfordern nicht nur Menschen
im Spektrum. Doch gerade diese fragen sich besonders: In welchem
Beruf bin ich mit meinen Stärken und Interessen, aber eben auch mit
meinen Schwierigkeiten gut aufgehoben?

Bestimmte Punkte sollten in der Berufswahl besondere


Aufmerksamkeit finden, damit einem erfolgreichen Abschluss und
Start ins Berufsleben möglichst wenig entgegensteht. Dazu gehört
beispielsweise, dass ein Beruf gewählt wird, der möglichst wenig
Spontanität erfordert, damit die Anstrengung, sich immer neuen
Gegebenheiten anzupassen, wegfällt oder zumindest gemindert wird.
Es gibt verschiedene Institutionen, die von Autismus betroffenen
Menschen nicht nur bei der Entscheidung über den eigenen
Berufsweg, sondern darüber hinaus auch bei der Jobsuche und der
Integration von Autisten in den Arbeitsbereich helfen, etwa das
Berufsbildungswerk (BBW) – dazu mehr im nächsten Kapitel.

Ich möchte im Folgenden eine Auswahl von Berufen aus


verschiedenen Themengebieten nennen, die gute allgemeine
Voraussetzungen für Menschen im Spektrum bieten. Natürlich ist es
dennoch sehr individuell, welcher Beruf für einzelne Personen am
besten geeignet ist. Einen guten Anhaltspunkt für die Berufswahl
bildet in jedem Fall das individuelle Spezialinteresse der Betroffenen.

Berufe in der IT

Hier eignen sich beispielsweise die klassische Informatik in


verschiedenen Fachrichtungen (z.B. Systemintegration, Anwendungs-
oder Spielentwicklung, die IT-Systemelektronik, Mediendesign oder
Softwareentwicklung. Bram Cohen, der Erfinder von BitTorrent, ist im
digitalen Bereich ein populäres Beispiel.

Sprachliche Berufe

Wer an Sprache oder Literatur interessiert ist, kann sich


beispielsweise ins Feld der Sprachforschung stürzen, in der
Logopädie, der Touristikbranche, einer Buchhandlung oder Bibliothek
sowie als Fremdsprachenkorrespondent arbeiten.

Wissenschaftliche Berufe
Die Forschung ist ein weites Feld voller unterschiedlicher
Möglichkeiten – die thematische Bandbreite ist schier unendlich. Wer
an der Arbeit im Labor interessiert ist, kann sich beispielsweise in
folgenden Berufen ausbilden lassen: Pharmazeutisch-technischer
Assistent, Baustoffprüfer, Fachkraft für Abwassertechnik,
Hygienekontrolleur oder Lebensmittelmanager.

Juristische Berufe

Menschen mit großem Interesse an Recht und/oder


Verwaltungsaufgaben finden vielleicht im Jurastudium, oder, auf
Ausbildungsberufe bezogen, als Bürokaufleute, Notare,
Finanzberater, Steuerfachangestellte oder Versicherungsfachleute ihr
berufliches Glück.

Kreative Berufe

Wer gern kreativ arbeitet, ist in Bereichen wie dem


Bauingenieurwesen, dem Produktdesign, Mediendesign, Audio
Engineering, im Musikinstrumentenbau, der Malerei und Lackiererei,
dem Garten- und Landschaftsbau, als Bauzeichner, als
Medienkaufmann/-frau oder als Raumausstatter gut aufgehoben.
Wusstest du, dass Dan Aykroyd (Ghostbusters) und Schöpfer von
Pokémon, Satoshi Tajiri, dem autistischen Spektrum angehören?

Soziale Berufe

Gerade von Autismus betroffene Menschen haben häufig weniger


schöne Erfahrung im Zusammenspiel mit anderen Menschen gemacht
und wissen daher, wie es ist, zu Randgruppen dazuzugehören, sich
nicht integrieren zu können oder unter mentalen Belastungen zu
leiden. Oft schulen sie ihre Fähigkeit, Emotionen und
zwischenmenschliche Kommunikation zu entschlüsseln, besonders
stark, um ihre vormaligen Defizite auszugleichen. Wer also trotz (oder
gerade wegen) persönlicher negativer Erfahrungen mit Menschen
zusammenarbeiten möchte, kann dies beispielsweise als Arzt,
Artzhelfer, Krankenpfleger, Psychologe oder im weiten Feld der
Sozialen Arbeit tun.

Allgemein kann gesagt werden, dass Menschen im autistischen


Spektrum größere Chancen haben, beruflich sehr erfolgreich zu
werden, als nicht-autistische Menschen. Sie fokussieren sich meist so
stark auf ein bestimmtes Thema, dass sie gefragte Experten in ihrem
jeweiligen Spezialgebiet werden können.

2.2.2 Ausbildung mit Asperger

Eine Ausbildung oder ein Studium zu meistern, ist mit hohem


Leistungsdruck verbunden. Dass Menschen im Autismus-Spektrum oft
am System scheitern, zeigen vermehrte Wechsel oder Abbrüche von
Ausbildung oder Studium, unter anderem wegen Über- oder
Unterforderung, mangelnder Fähigkeit zur Selbstorganisation,
missglückter Integration in die Gruppe oder verminderter
Belastbarkeit bzw. psychischen Belastungen (bis hin zum Burn Out,
was einer beruflichen Erschöpfungs-Depression entspricht).

Doch nicht alle Betroffenen scheitern – Menschen, die einen


Studienplatz oder eine Ausbildungsstelle ergattern können, bei dem
sie sich vollständig ihrem Spezialinteresse widmen können, und dazu
notwendige Unterstützung erhalten bzw. eine feste Struktur haben,
leisten nicht selten Großes in ihrem Fachbereich und bestehen die
Prüfungen zum Teil sogar mit Bestnoten.

Das kann für Betroffene ermutigend sein – vor allem Menschen, die
gerade erst am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen oder einen
Neuanfang wagen, können Hoffnung schöpfen. Betriebe suchen
motivierte und engagierte Auszubildende, Universitäten interessierte
und lernbegeisterte Studierende – da ist die Zugehörigkeit zum
Spektrum erst einmal unerheblich.

Auch wenn die Offenheit in Bezug auf die eigene Diagnose schwierig
erscheint, da die Angst vor Verurteilen tief sitzt, ist die direkte
Kommunikation empfehlenswert. Probleme sollten nicht ausgesessen,
sondern ihre Lösung angestrebt werden.

Hierzu ist es ratsam, zunächst eine Vertrauensperson, etwa die


Teamleitung oder einen Dozenten um ein Vier-Augen-Gespräch zu
bitten. Ein solches Gespräch bietet dem Gegenüber die Möglichkeit,
Fragen zu stellen und erzeugt Vertrauen.

Einschränkungen und besondere Bedürfnisse können in einem solch


vertrauten Rahmen erklärt werden, am besten anhand von konkreten
Beispielen, da nicht-autistische Menschen es oft schwer haben, sich
in Betroffene hineinzuversetzen. Was beispielsweise helfen kann, um
die Umgebungsreize möglichst zu minimieren und die persönliche
Belastungsgrenze nicht überzustrapazieren, ist ein kleines Einzel-
statt des gängigen Großraumbüros, fest strukturierte Arbeitsplätze
und regelmäßige Pausen. Auch kann die Erlaubnis, mit Kopfhörern zu
arbeiten, erbeten werden. Die Aufgabenverteilung kann ebenfalls zur
Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen – Betroffene
möchten vielleicht lieber Routine-Aufgaben übernehmen, die im
restlichen Team weniger beliebt sind. Eventuell ist zur Unterstützung
ein sogenanntes „Tandem“ möglich, also der Zusammenschluss mit
einem nicht-autistischen Kollegen bzw. einer nicht autistischen
Kommilitonin. Erfahrungsgemäß birgt dies oft wunderbare
Möglichkeiten, weil die sich ergänzenden Sichtweisen häufig
überdurchschnittliche Arbeitsergebnisse erzielen. In jedem Fall gibt es
vielseitige Möglichkeiten, die Stärken Betroffener voll zur Geltung zu
bringen.

Es ist nichts schlimmes, um Hilfe zu bitten – im Gegenteil. Bist du dir


über deine Schwierigkeiten bewusst, zeugt das von guter
Selbstreflexion und Charakterstärke. Zudem kann auch eher
Rücksicht auf deine Besonderheiten genommen und Verständnis für
eventuelle Schwierigkeiten gezeigt werden, wenn die anderen
Bescheid wissen.

Sollte trotz allen Anpassungen und Bemühungen der Versuch, eine


Ausbildung bzw. ein Studium zu vollenden, wiederholt misslingen, gibt
es die Möglichkeit, auf das sogenannte Berufsbildungswerk (BBW)
zurückzugreifen. Hier werden autismus-gerechte Bedingungen
geschaffen und Unterstützung geboten, z.B. in Form von
entsprechend ausgestatteten und strukturierten Arbeitsplätzen,
reizarmer Atmosphäre, kleinen Berufsschulklassen, genügend
Pausenzeiten, geschulten Ausbildern, professioneller psychologischer
Begleitung und ein behutsames Heranführen an den allgemeinen
Arbeitsmarkt. Auch die Berufsfindung wird hier leicht gemacht: Es
können in ausgewählten Partnerbetrieben Praktika absolviert werden,
um in fördernder Umgebung realistische Einblicke in verschiedene
Berufe zu gewinnen.

2.2.3 Den Berufsalltag meistern

Während Kinder mit Asperger heute bereits einige Unterstützung


erhalten, z.B. in Form von Schulbegleitern, und das Bewusstsein für
Betroffene langsam steigt, stehen Erwachsene mit Asperger noch
immer größtenteils allein da und müssen ihren Berufsalltag ohne
Unterstützung meistern – ganz zu schweigen davon, dass sie, wie
bereits beschrieben, oftmals selbst gar nicht so genau über ihre
Betroffenheit Bescheid wissen.

Häufig erfahren sie auch am Arbeitsplatz Ausgrenzung oder sehen


sich zumindest mit Unverständnis konfrontiert, wenn es um ihre
persönlichen Besonderheiten und Schwierigkeiten geht. Selbst in der
Arbeitsvermittlung durch das Jobcenter ist die Kenntnis über
Asperger nicht sehr verbreitet, wodurch die Sensibilität und das
Verständnis oft auf der Strecke bleiben. Für Erwachsene im
Spektrum gibt es kaum autismus-spezifische Unterstützung wie
soziale Kompetenztrainings für den Berufsalltag – da die
Auffälligkeiten in der Schule und in der Ausbildung bzw. im Studium
nicht ausschlaggebend „genug“ waren, um die aktuellen
Schwierigkeiten zu „rechtfertigen“ (allein, dass sie das müssen,
kommt einer Diskriminierung gleich), werden für entsprechende
Maßnahmen kaum einmal Gelder mobilisiert.

Dabei ist es nur allzu verständlich, dass spätestens im Berufsleben


die Schwierigkeiten Betroffener so hochgradig werden, dass sie auf
Unterstützung angewiesen wären; während in der Schule, in der
Ausbildung und im Studium zumeist noch gewisse Strukturen
vorgegeben sind und es klare Anforderungen und Abläufe gibt, sind
Betroffene ab dem Einstieg ins Berufsleben mehr und mehr auf sich
allein gestellt.

Natürlich gibt es auch in den allermeisten Berufen spezifische


Strukturvorgaben, doch die Einhaltung dieser läuft mehr oder weniger
in Eigenregie ab; dementsprechend ist die Erwartungshaltung schon
an Berufseinsteiger hoch. Zudem sind Unternehmen einer nicht-
autistischen Welt eben von und für nicht-autistische(n) Menschen
geschaffen – die Arbeitswelt ist voll von ungeschriebenen Gesetzen,
Ritualen und Regeln, die es Menschen im Spektrum erschweren, sich
in bestehende Strukturen zu integrieren. Für sie bedeutet der
Berufsalltag oft sensorische Überlastung, Multitasking, häufige
Unterbrechungen, plötzliche Veränderungen, nicht ausreichend oder
nur indirekt kommunizierte Erwartungen und überfordernde
Anforderungen an soziales Miteinander am Arbeitsplatz.

Was das genau bedeuten kann, möchte ich noch einmal anhand eines
Fallbeispiels verdeutlichen.

Fallbeispiel: Georg

Georg, der jahrelang auf Jobsuche war und auch Erfahrungen mit
Mobbing gemacht hat, ist heute als Softwaretester angestellt. Er sah
sich bereits während des Bewerbungsprozesses mit maßgeblichen
Schwierigkeiten konfrontiert. Zum Beispiel gab es widersprüchliche
Angaben über die Gestaltung der Bewerbungsunterlagen, was es ihm
erschwerte, sich für ein Konzept zu entscheiden. Wenn er jedoch
seine eigenen Ideen umsetzte, wurde er häufiger zu
Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Im nächsten Schritt hätte er sich laut eigenen Angaben gefreut, wenn


die Fragen im Bewerbungsgespräch präzise und direkt gestellt
worden wären. Die Bitte, etwas über sich zu erzählen, überforderte
ihn maßlos. Was sein Gegenüber nun genau von ihm hören wollte,
konnte er sich anhand der vagen Formulierung nicht
zusammenreimen. Alles Wichtige hatte er ja bereits im Lebenslauf
und im Bewerbungsanschreiben formuliert – die Zahlen und Fakten
kannte sein Gegenüber daher. Was gab es da noch zu erzählen?

Eine zusätzliche Hürde besteht oft darin, dass Unternehmen studierte


Bewerber denjenigen bevorzugen, die eine Ausbildung absolviert
haben – obwohl einige Asperger-Autisten das Studium trotz
Bestnoten (und eher aufgrund der Überforderung bei der
Selbstorganisation) abbrechen, werden sie nicht weiter in Betracht
gezogen.

Georg machte zunächst eine Lehre in der Metallverarbeitung,


wechselte dann aber später in den Software-Bereich, wofür er sich
die notwendigen Kenntnisse, abgesehen von ein paar speziellen
Schulungen, größtenteils selbst aneignete – bereits als Kind waren
Computer sein Spezialgebiet. Die Schulungen waren mit
Eselsbrücken und Visualisierung der Vorgänge autismus-gerecht
aufgearbeitet worden, sodass er schneller zum gewünschten Ziel
kam.

Georg hat das Glück, in seinem Beruf seine besonderen Stärken gut
einbringen zu können. Insbesondere sein Vermögen zum logischen
Denken hilft ihm enorm bei der Umsetzung seiner beruflichen Inhalte,
was einen großen Gewinn für seinen Arbeitgeber darstellt. So präzise
er selbst arbeitet, so schnell bringen ihn jedoch auch unpräzise
Aufgabenstellungen aus dem Konzept. Dies bringt den Vorteil mit
sich, dass durch seinen Wunsch nach Konkretisierung die
Aufgabenstellungen allgemein präzisiert wurden, was nicht nur ihm
hilft, sondern auch seinen Kollegen. Die Fehlerquote und die
Notwendigkeit für Rückfragen wurde durch sein Zutun minimiert.

Georg mag an seinem beruflichen Umfeld besonders gern, dass es


seinen Interessen und Fähigkeiten entspricht und er Wertschätzung
für seine Arbeit erhält. Auch hat er viele Freiheiten, beispielsweise
kann er auch aus dem Home Office arbeiten. Es sitzen maximal vier
Kollegen in einem Büro. Seine Kollegen zeigen sich verständlich und
nehmen Georgs Wunsch, etwa bei zu lauten Geräuschen von
draußen die Fenster zu schließen, ernst. Seit er bei seinem jetzigen
Arbeitgeber beschäftigt ist, gab es keinen einzigen negativen
Zwischenfall im Kollegium, denn er wird akzeptiert, wie er ist.
Inzwischen kann Georg sogar manchmal zu Kundenprojekten fahren,
was ihn zwar immer noch Überwindung kostet, aber möglich ist.

Einzig der Umgang mit Ablenkungen fällt ihm schwer: Ein Wunsch
wäre besser schallisolierte Fenster, da er den Straßenlärm extrem
wahrnimmt und als konzentrationsstörend empfindet. Das sorgt in
manchen Fällen dafür, dass er aus seinem Arbeitsrhythmus kommt
und länger als andere braucht, um wieder in den Prozess
hineinzufinden.

Die Möglichkeit zur Bildung von sogenannten Tandems habe ich ja


bereits angesprochen; an dieser Stelle möchte ich noch einmal
betonen, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Denk- und
Sichtweisen extrem gut ergänzen und damit exzellente
Arbeitsergebnisse hervorbringen können. Weitere Tipps für die
Zusammenarbeit mit Menschen im Spektrum habe ich in Kapitel 2.4
zusammengefasst.

So kann die Integration eines Menschen im Spektrum ins Team und


damit insgesamt die Förderung der Neurodiversität dafür sorgen,
dass die Kommunikation und der Umgang im Team sowie die
Arbeitsatmosphäre insgesamt verbessert werden. Effiziente
Kommunikation steigt – auch zwischen nicht-autistischen Menschen –;
die erhöhte Notwendigkeit zur Rücksichtnahme stärkt den Teamgeist.
Auch kann beobachtet werden, dass Mitarbeiter ausnehmend gern in
Unternehmen arbeiten, die sich Vielfalt nicht nur auf die Fahne
schreiben, sondern sie aktiv leben.

2.3 Asperger und die Liebe

Entgegen der üblichen Vorurteile, dass Menschen im Spektrum


emotionslos wären, haben die meisten Betroffenen (nämlich laut einer
Studie 93%) durchaus Interesse daran, eine zwischenmenschliche
Beziehung zu führen, angenommen und geliebt zu werden. Dies ist ein
menschliches Grundbedürfnis, welches auch (und insbesondere)
Menschen betrifft, die in ihrem Leben bereits viel Ablehnung erfahren
haben.

Eine interessante Beobachtung derselben Studie ist, dass sich


Menschen im Spektrum wohler fühlen, wenn sie sich in einer
Beziehung mit Menschen befinden, die ebenfalls dem Spektrum
zugehörig sind.
Wie viele Menschen im Spektrum eine eigene Familie gründen, ist
nicht mit Zahlen belegt, doch vermutlich ist die Zahl derjenigen etwa
oder jedenfalls annähernd gleich hoch, wie die derer außerhalb des
Spektrums. Oftmals wird der Autismus eines Elternteils sogar erst
deshalb erkannt, weil seine eigenen Kinder die Diagnose erhalten.

Fälschlicherweise wurde und wird teilweise auch heute noch


angenommen, betroffene Menschen wären nicht dazu in der Lage,
Kinder großzuziehen, was immer wieder zu Sorgerechtskonflikten im
Falle einer elterlichen Trennung führt.

In den meisten Fällen beschäftigen sich Menschen im Spektrum sehr


eingehend mit Themen wie zwischenmenschlicher Interaktion
allgemein und oft, sofern sie den Wunsch haben, eine eigene Familie
zu gründen, speziell auch mit Pädagogik und Kindererziehung. Somit
können Autisten in der Regel gute Eltern sein – dem steht nichts
entgegen.

In Partnerschaften mit Menschen im autistischen Spektrum gibt es ein


paar Besonderheiten zu beachten – welche das sind, erkläre ich im
nächsten Kapitel. An dieser Stelle möchte ich darauf plädieren, dass
Betroffene, sofern sie von ihrer Zugehörigkeit zum Spektrum wissen,
einen möglichst offenen Umgang mit ihren Besonderheiten pflegen –
denn wer sich erklärt, dem kann das meiste Verständnis
entgegengebracht werden. Auch trägt der offene Umgang mit dem
Thema zur Entstigmatisierung von Autismus bei, was im Bestfall dafür
sorgt, dass von Autismus betroffene Menschen insgesamt – nicht nur,
aber eben auch bei der Partner-Suche – mit weniger Vorurteilen
konfrontiert sind. Auf dieses Thema gehe ich in Kapitel 2.5 noch
einmal näher ein.

2.4 Tipps zum Umgang mit Menschen im


Autismus-Spektrum

Jeder Mensch hat individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse – nicht nur


Menschen im Spektrum. Bei jenen weichen diese jedoch von denen
nicht-autistischer Menschen ab und sollten daher besondere
Beachtung finden. Wenn das soziale und berufliche Umfeld Bescheid
weiß, ist die erste Hürde bereits genommen. Im Folgenden möchte
ich ein paar Grundregeln nennen, deren Umsetzung den Alltag für
Menschen mit Autismus – beruflich und privat –deutlich erleichtern
können – und die sie deshalb auch ruhig kommunizieren sollten.

1. Ruhe und Routinen

Ein Großraumbüro oder ein Klassenzimmer ist kein geeignetes


Arbeitsumfeld für Menschen im Spektrum. Stimmengewirr,
durcheinander klingelnde Telefone und ein insgesamt hoher
Geräuschpegel können die Sinne Betroffener überfordern. Daher ist
ein ruhiges, ablenkungsarmes Arbeitsumfeld empfehlenswert. Auch
eine ruhige (vielleicht sogar naturnahe) Wohnsituation (etwa möglichst
ohne spielende Kinder im Innenhof oder trampelnde Nachbarn) trägt
zum Wohlbefinden und funktionierenden Alltag mit Menschen im
Spektrum bei. Zudem sollte Rücksicht auf das erhöhte Ruhebedürfnis
Betroffener genommen werden – laute Partys oder Werkzeuge
sollten, wenn überhaupt, nur nach genauer Absprache stattfinden
bzw. verwendet werden.
Auf Veränderungen reagieren Betroffene äußerst sensibel, weshalb
feste Routinen etabliert und nach Möglichkeit von allen Beteiligten
berücksichtigt werden sollten. Wenn Kollegen ein wichtiges Anliegen
haben, sollten sie einen Termin für die Besprechung festlegen und ihn
dem betroffenen Kollegen subtil mitteilen, beispielsweise in einer E-
Mail oder mittels Eintragung im Kalender. Persönliche
Unterbrechungen, vor allem im Sinne eines „Pläuschchens
zwischendurch“, sollten unbedingt vermieden werden.

Zu Hause sollten betroffene Menschen die Unterstützung finden, die


sie brauchen – etwa, indem Routinen gefördert und Veränderungen
wie etwa das Umstellen der Möbel oder ein Abendessen mit
Freunden vorab genau besprochen werden.

2. Kommunikation

Mitmenschen sollten sich darüber bewusst sein, dass es kein Zeichen


von Unhöflichkeit oder Desinteresse seitens Betroffener ist, wenn sie
im Gespräch keinen Augenkontakt aufnehmen oder aufrecht erhalten.
Zudem ist es wichtig, zu beachten, dass autistische Menschen nicht
(gut) zwischen den Zeilen lesen können – Äußerungen sollten daher
stets direkt und unironisch erfolgen; Anweisungen sollten klar und
eindeutig gestellt, Erwartungen unmissverständlich geklärt werden.
Wenn Menschen im Spektrum etwas sehr direkt und ehrlich
ansprechen, ist ihr Ziel dabei nicht, andere zu verletzen – sie sagen
die Dinge offen heraus, anstatt sie zu beschönigen, wozu andere
Menschen häufig neigen. Diese Eigenschaft sollte ihnen nicht zur Last
gelegt, sondern akzeptiert und mit Wertschätzung betrachtet werden,
um Konflikte zu minimieren.
3. Offenheit und Rücksichtnahme

Die Besonderheiten betroffener Menschen können ein Gewinn für das


gesamte Team bzw. Umfeld darstellen, weshalb sie klar kommuniziert
werden sollten und dürfen. Insbesondere die Teamleitung sollte sich
offen und verständnisvoll zeigen und die Besonderheiten betroffener
Kollegen dem Rest des Teams verständlich machen. Autismus sollte
nicht als „Störung“ gelten – stattdessen sollten die Besonderheiten als
Stärken herausgestellt werden. Denn wer Bescheid weiß, versteht
bestimmte Dinge eher und kann sich rücksichtsvoll und loyal zeigen.
Das gilt natürlich allgemein, ist aber in Zusammenhang mit Autismus
besonders wichtig.

2.5 Wahrnehmung von außen

Obwohl die oben genannten Punkte gefühlt heutzutage immer mehr


Beachtung finden, trauen sich viele neurodiverse und/oder psychisch
belastete Menschen nach wie vor nicht, zu ihren Besonderheiten zu
stehen. Das liegt insbesondere an dem Stigma, mit welchem
psychische Erkrankungen und neurologische Entwicklungs-
„Störungen“ belegt sind.

An dieser Stelle möchte ich einmal ganz deutlich sagen: Sofern die
Diagnose eine eindeutige Einordnung ins Autismus-Spektrum darstellt,
ist sie rein klinisch betrachtet als Entwicklungsstörung und damit als
Behinderung anzusehen. Es bringt rein gar nichts, die
Unzulänglichkeiten Betroffener klein zu reden, nach dem Motto, „Ach,
er ist ja nur Autist!“ - Das trägt viel eher dazu bei, dass betroffene
Menschen sich mit ihren Schwierigkeiten nicht ernst genommen
fühlen. Vielmehr sollten Betroffene – wie alle anderen Menschen mit
Behinderungen auch – unter Rücksichtnahme auf ihre speziellen
Bedürfnisse vollkommen in ihr Umfeld integriert werden.

Ob der Autismus den jeweils betroffenen Menschen beeinträchtigen


und damit „stören“ oder ob sie als Besonderheiten angesehen werden
und Fähigkeiten der Menschen in hohem Maß sichtbar machen
können, hängt vor allem damit zusammen, wie die Umwelt auf den
jeweiligen Menschen reagiert und wie hoch der damit einhergehende
Leidensdruck ist.

In der Medizin werden logischerweise eher die Beeinträchtigungen


gesehen, die es zu verringern gilt. Sofern nicht klar ist, weshalb sich
Betroffene auf diese oder jene Weise anders verhalten – es also
keine klare Diagnose gibt, anhand derer sich die Schwierigkeiten
erklären lassen, verstehen Betroffene sich selbst nicht und fühlen sich
oft grundsätzlich falsch. Vor allem, wenn sie für ihre Probleme und
Andersartigkeit von außen verurteilt werden, führt das zu
Ausgrenzungs-Erfahrungen; der Leidensdruck steigt.

Befindet sich ein betroffener Mensch in einem wohlwollenden,


fürsorglichen sowie respekt- und verständnisvollen Umfeld, können
sich vollkommen neue Möglichkeiten erschließen. Somit ist es eine
Sache der Perspektive, ob man den Autismus als Problem oder als
Herausforderung, als Feind oder Freund, als Schwäche oder Stärke
begreift.

Immer wieder liest und hört man von der Unterordnung der
verschiedenen Autismus-Formen in die übergeordnete Kategorie der
Autismus-Spektrum-Störung. Worte haben Bedeutung und sollten
angepasst werden. Viele Betroffene, darunter auch Linus Müller,
Gründer von Autismus-Kultur, fordern dazu auf, die Überkategorie als
Autismus-Spektrum zu definieren, wodurch das Hauptaugenmerk nicht
mehr auf der damit einhergehenden Entwicklungsstörung, sondern auf
der Vielseitigkeit der Menschen liegt, die dem Spektrum angehören.
Dies wäre ein wertvoller Beitrag zur Entstigmatisierung von Autismus
und zur Integration Betroffener.

Früher sah man in autistischen Menschen meistens Sonderlinge, die


spezielle Begabungen hatten, ansonsten aber wenig zur
Gemeinschaft beitragen konnten. In den Köpfen der Menschen gab
und gibt es bis heute stereotype Bilder, wie „die Autisten“ aussehen,
sich verhalten und aus dem System fallen. Jeder kennt wohl
Raymond „Rain Man“ Babbitt aus dem, bereits im Vorwort
erwähnten, gleichnamigen Film von 1988 mit Dustin Hofmann – dieser
Film zeigt eindrucksvoll, welche Schwierigkeiten das Leben im
Spektrum mit sich bringt. Doch er zeigt auch eine sehr stereotype
Form des frühkindlichen, also Kanner-Autismus. Was in den Medien
gezeigt wird, ist leider häufig dazu verdammt, eine Allgemeingültigkeit
zu erhalten. Wohl die wenigsten Menschen hatten (jedenfalls
bewusst) in ihrem Leben persönlichen Kontakt zu Menschen im
Spektrum und kennen sich mit Autismus wenig aus, daher können sie
die Vielschichtigkeit dessen tendenziell nicht greifen – schlicht, weil
ihnen andere Beispiele fehlen.

Heute sprechen Forscher häufig vom sogenannten „Autism Advance“,


also den Vorteilen, die autistische Menschen gegenüber nicht-
autistischen Menschen mitbringen. Diese Sicht stellt Autsimus nicht
als Erkrankung oder Behinderung dar, sondern einfach als eine
besondere Art der Hirnentwicklung.
Viele berühmte Wissenschaftler und andere Personen des
öffentlichen Lebens gelten als Angehörige des Spektrums, darunter
zum Beispiel Albert Einstein, Wolfgang Amadeus Mozart und Greta
Thunberg. Würde es den Autismus nicht geben, wären vermutlich
einige der heute wichtigsten Entdeckungen (etwa elektrisches Licht,
Flugreisen, das Internet) nie gemacht worden.

Gehen wir noch einen Schritt weiter, stellen wir eine deutliche
Diskrepanz zwischen Menschen dar, die die Diagnose „Autismus“
erhalten und solchen, bei denen die Diagnose zwar womöglich
ausbleibt, die jedoch aufgrund ihrer außergewöhnlichen Talente oder
Fachkenntnisse positiv auffallen. Von diesen spricht die Gesellschaft
fortan und rückblickend als „Genies“, „Künstler“, „Musiker“ oder
„Wissenschaftler“ – während andere, die nicht berühmt sind, auf ihrer
Diagnose „sitzen bleiben“ und fortan in ihrem Wirkungskreis als
Mensch mit Asperger-Syndrom bekannt sind. Es wäre doch
wunderbar, eine Entwicklung dahingehend zu beobachten, dass wir
die Menschen nicht mehr anhand ihrer Schwierigkeiten verurteilen,
sondern ihre Stärken als solche anerkennen, ohne sie mit Labels wie
etwa „Autist“ zu versehen.

Die Diagnose sollte eine Grundlage für die Erklärung von


Besonderheiten bieten, nicht aber für die (De-)Klassifizierung eines
Menschen nach seinem Syndrom, seinen Schwächen und Problemen.
Wenn wir uns von den Problemen abwenden, ist da plötzlich viel mehr
Raum für Komplimente, für Anerkennung und Wertschätzung eines
jeden Menschen, unabhängig von seiner neurobiologischen oder
mentalen Voraussetzungen. Linus Müller befürwortet in seinen
Ausführungen die Verbreitung des Begriffes Aspie, der eine Abkehr
von negativ konnotierten Krankheitsbezeichnungen ermöglicht und sich
stattdessen deutlich besser in bestehende, positiv konnotierte
Bezeichnungen von Lebensstilen oder Besonderheiten einfügen lässt:
Genie, Maler, Aspie, Forscher, Gesangstalent.

Damit es uns gesamtgesellschaftlich gelingt, unsere Sichtweise auf


Aspies und andere „Menschen mit Behinderungen oder psychischen
Belastungen“ zu überdenken, ist es hilfreich, sich in die Sichtweise
Betroffener einzufühlen. Das Leben von Aspies kann eben nur so
richtig nachvollzogen werden, wenn man durch ihre „Brille“ schaut.

Ich möchte an dieser Stelle einmal ein wenig auf mögliche


Erziehungs- und Umgangsstrategien eingehen, die es ermöglichen,
die Wahrnehmung auch auf die Chancen zu richten, die Eltern von
Aspie-Kindern und Mitmenschen von Aspies (egal, welchen Alters)
haben, um ihnen deutlich zu machen, dass sie dazu gehören und gut
und richtig sind, wie sie sind.

Dass Betroffene Unterstützung brauchen, ist klar. Insbesondere beim


Lernen sozialer Vorgänge benötigen sie von Kindesbeinen an, aber
auch später, als Erwachsene (denn es wird ja immer wieder neue
soziale Situationen geben) mehr Unterstützung als Menschen
außerhalb des Spektrums. Doch der Fokus sollte grundsätzlich auf
dem Potenzial liegen, welches Einzelne mitbringen, anstatt sie auf
ihre „Schwächen“ zu reduzieren. Mit Geduld und Verständnis ist ihnen
allemal besser geholfen, als damit, in Schubladen gesteckt und damit
(wenn auch unbewusst und unbeabsichtigt) ausgegrenzt zu werden.

Um soziale Interaktion zu erlernen, ist sinnvolle Bestätigung vonnöten.


Lob wird von Aspies anders wahrgenommen – so reagieren sie in
vielen Fällen nicht auf lobende Worte, da Aussagen wie
beispielsweise „Das ist aber nett von dir“ aus ihrer Perspektive wenig
Aussagekraft besitzen. An dieser Stelle sollte stattdessen konkrete
Sprache verwendet werden, die für Betroffene nachvollziehbar ist
(z.B. „Das ist eine kluge Idee!“). Es lohnt sich immer, verschiedene
Wege auszuprobieren; seien es erlernte Körpersprache wie ein
anerkennender Blick, verabredete Belohnungen wie die Ermöglichung
eines Zugangs zum jeweiligen Interessengebiet (z.B. Klavierunterricht
oder ein neues Buch über die Tiefsee) oder der klassische „Bienchen-
Sticker“ im Hausaufgabenheft von Kindern.

Außenstehende sollten sich darum bemühen, die Sichtweise ihres


Gegenübers kennenzulernen, um ihr Lob auf eine Weise zu
kommunizieren, dass es auch entsprechend ankommt. Ist
beispielsweise bekannt, dass ein befreundeter Aspie sehr gern
Kugelschreiber sammelt, könnte man ihm zum Dank für einen
erwiesenen Gefallen beim nächsten Treffen ein besonders
ausgefallenes Exemplar mitbringen.

Natürlich darf auch Kritik geübt werden, um Grenzen aufzuzeigen und


Regeln zu vermitteln – dennoch sollte darauf geachtet werden, dass
diese auf verständliche und fördernde Art geäußert wird. Auch sollte
das Lob die Kritik überwiegen, damit Betroffene nicht in die
Verlegenheit geraten, „immer nur“ auf ihre Fehler hingewiesen zu
werden.

Es ergibt außerdem Sinn, Dinge positiv hervorzuheben, von denen


bekannt ist, dass Betroffene diese an sich selbst gut finden (wie etwa
besonderes Fachwissen oder ihre logische Denkfähigkeit). Auf diese
Weise wird ihnen das Gefühl vermittelt, gesehen zu werden, wie man
ist, und wichtig zu sein. Dieses Gefühl bleibt aus, wenn ausschließlich
Dinge gelobt werden, die für die Betroffenen keine oder nur wenig
Bedeutung haben (wie etwa Großzügigkeit oder Hilfsbereitschaft).

Ehrliches Interesse an den Spezialgebieten Betroffener ist


gleichbedeutend mit Zuwendung und Anerkennung.

Menschen im Spektrum befinden sich in einem Dilemma: Wenn sie


soziale Interaktivität ablehnen oder nicht der Norm entsprechend auf
sie reagieren, da sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird,
geraten sie in eine Außenseiter-Stellung, aus der sie nur schwer
wieder heraus kommen – denn wenn sich niemand einem
Außenstehenden annimmt und ihm die Welt außerhalb des Spektrums
erklärt, kann er bestimmte Dinge nicht oder nur in verzweifelter
Bemühung in Erfahrung bringen. Ein Teufelskreis.

Jeder nicht-autistische Mensch kennt wohl das beklemmende Gefühl,


aus dem Straßenverkehr gezogen zu werden, und sei es lediglich für
eine Routinekontrolle. Unwillkürlich fragt man sich, ob mit dem
Fahrzeug alles in Ordnung ist, etwas am Fahrstil zu bemängeln wäre,
und geht in kurzzeitig aufflammender Panik noch einmal durch, wo
das Warndreieck und der Erste-Hilfe-Kasten liegen. Aus Aspie-Sicht
gleicht jeder Tag einer unerwarteten Polizeikontrolle – nur dass die
„Polizisten“ alle möglichen Menschen in ihrem Umfeld sein können. Sie
fragen sich ständig, ob sie einen Fehler gemacht haben, sie nur
„herausgezogen“ (also ausgegrenzt) werden, weil irgendetwas an
ihrem Fahrzeug (ihrer äußeren Erscheinung oder ihrem Verhalten)
nicht stimmt bzw. auffällig ist.
Es kann Betroffenen vielleicht helfen, die Einladungen zu sozialer
Interaktion weniger als Hürde und mehr als Chance zu sehen, eine
neue Regel zu erlernen und damit eine weitere „Quest“ im „Spiel“
ihres Lebens „freizuschalten“ (wobei ich „Spiel“ in diesem Sinne nur
symbolisch meine; es ist mir vollkommen klar, dass das Leben mit
Autismus in einer nicht-autistischen Welt bei Weitem kein „Spiel“ im
lustigen Sinne darstellt).

Menschen, die nicht dem autistischen Spektrum angehören, sollten


ihre Sichtweise erweitern, um sich besser in ihre betroffenen
Mitmenschen hineinversetzen zu können. Das Interesse an
ungewöhnlichen Themen, bestimmte Begebungen, ungewöhnliche
Tonfälle, Gesichtsausdrücke oder Gesten sollten normalisiert oder
zumindest als gleichwertig akzeptiert werden, anstatt sie zu
verurteilen. Es ist hilfreich, die Bedeutung von unerwarteten oder
andersartigen Verhaltensweisen zu erfragen. Statt „Guck nicht so
böse/ernst!“ könnte man fragen: „Was möchtest du mir mit diesem
Gesichtsausdruck sagen?“ Anstatt Vorurteile zu pflegen und zu
verbreiten, sollte man Gelegenheiten erkennen: Die Gelegenheit,
neue Freundschaften zu schließen, authentisch mit Stärken und
„Schwächen“ (auch den eigenen!) umgehen zu lernen – nach dem
Motto „So bin ich eben, und ich bin gut, so wie ich bin!“ – und die
Gelegenheit zum Perspektivenwechsel, um Lösungen statt Probleme
zu sehen und etwas über- und voneinander zu lernen.

Der Mensch besitzt von Natur aus ein eher soziales und
gemeinschaftliches Wesen; alles Gegenläufige wird als „abnorm“
wahrgenommen. Eine gewisse Arroganz scheint somit in der Natur
des Menschen zu liegen. Es liegt jedoch bei jedem einzelnen von uns,
unser komplexes Dasein und unsere Anpassungsfähigkeit
dahingehend zu nutzen, diese Arroganz zugunsten von (hoffentlich
bald ehemaligen) Randgruppen zu überwinden.

Die heutige Welt ist voller Herausforderungen: die Bewahrung


persönlicher Freiheiten, die Rettung des Planeten, das Management
fortschreitender Digitalisierung und Globalisierung. Wenn wir den
Aspies unter uns endlich die verdiente (positive!) Aufmerksamkeit
schenken und ihnen wirklich Gelegenheit geben, sich mit all ihren
Stärken vollkommen in der Gesellschaft einzubringen und diese
fördern statt Menschen im Spektrum auf ihre Schwierigkeiten zu
reduzieren, können sich völlig neue Wege und Erkenntnisse
offenbaren.

2.6 Stärken und Chancen: Was kann Asperger?

Welche Besonderheiten Asperger-Autismus mit sich bringt, die


betroffene Menschen als persönliche Stärken ansehen und nutzen
können, erkläre ich auf den folgenden Seiten. Ich teile diese der
Übersichtlichkeit halber ein wenig auf, wobei ich mich an den
übergeordneten Kategorien der zugrundeliegenden Symptome
orientiere.

Kommunikation und soziale Interaktion

Die objektive Wahrnehmung kann dazu beitragen, dass Menschen im


Spektrum in Konfliktsituationen besonders gut vermitteln können,
tendenziell weniger von überbordenden Emotionen gelenkt werden,
vorurteilsfrei auf andere zugehen und sie annehmen, wie sie sind.
Was ihre Werte und Entscheidungen betrifft, sind sie sehr klar und
unbestechlich. Sie sagen – ungeachtet dessen, ob dies nun gerade
„angemessen“ scheint oder nicht – ehrlich, was sie denken, was
offener Kommunikation zugute kommt. Sie beobachten sich selbst
und andere sehr genau und können deshalb als reflektiert und
besonnen gelten. Termine wie Geburtstage oder Jubiläen merken sie
sich spielend, dank ihrer guten Auffassungsgabe merken sie sich
leicht die Vorlieben und Abneigungen ihrer Mitmenschen. Auch
zeichnet sie ein hohes Maß an Loyalität und Zuverlässigkeit aus –
wenn ein von Autismus betroffener Mensch einmal eine Verabredung
zugesagt hat, wird er in den seltensten Fällen absagen. Auch ist
Pünktlichkeit unter Menschen im Spektrum eine verbreitete
Eigenschaft. Mit Apsies lassen sich häufig tiefgehende und
interessante Gespräche führen, anstatt mittels Smalltalk nur an der
Oberfläche zu kratzen. In Aspies finden sich gute und geduldige
Zuhörer, die nicht urteilen oder vorschnell etwas unterstellen. Sie
haben häufig eine Neigung zu Verbalhumor (wie Wortspielen) und
ziehen andere mit ihrer bunten, gewählten, wortreichen Sprache in
ihren Bann. Zudem halten viele Betroffene an dem unerschütterlichen
Glauben an echte Freundschaft fest und sind damit außergewöhnlich
fürsorglich.

Routinierte bzw. ritualisierte Aktivitäten und Verhaltensweisen

Routineaufgaben machen Menschen im Spektrum wenig aus – im


Gegenteil, sie fühlen sich damit sogar häufig sehr wohl. So können
sie ihr Umfeld um die – oft unliebsamen, weil „eintönigen“ – Aufgaben
(z.B. Wäsche falten, Kaffeemaschine sauber machen) erleichtern.
Betroffene können durch ihre strengen Routinen einen Fels in der
Brandung darstellen, der anderen, „chaotischen Köpfen“ Sicherheit
und Struktur gibt. Mit ihrer ruhigen, gut organisierten und
ordnungsliebenden Art können sie andere Menschen unterstützen,
denen es an Struktur und Ausgeglichenheit mangelt.

Spezielle Interessen und Begabungen

Wenn ein Mensch im Spektrum mit einem Problem konfrontiert ist,


wird er tendenziell alles daran setzen, dieses zu lösen. Dabei können
ihm seine speziellen Interessensgebiete, Fähigkeiten und sein
umfassendes Fachwissen von großem Nutzen sein. Was für
Menschen, die weniger im Thema sind, eine unüberwindbare Hürde
darstellt, ist für Autisten oftmals eher eine spannende
Herausforderung. Betroffene Menschen verfügen in der Regel über
einen fantastischen Blick für Details sowie Muster und erkennen
damit spielend leicht Anomalien und Fehler. Ihr logisches
Denkvermögen und ihre außerordentliche Gründlichkeit macht sie zu
exzellenten und oft originellen Problemlösern, die oft
überdurchschnittlich hohe Qualität abliefern. Überhaupt legen sie auf
Qualität sehr hohen Wert. In Einzelsportarten und -spielen wie
Bowling, Ballett oder Schach können sie große Leistungen erbringen,
ebenso in ihrer beruflichen Laufbahn.

Sensorische Wahrnehmungsverarbeitung

Was vielen Betroffenen häufig zur Last fällt – nämlich ihre sensiblen
Sinnesorgane und die damit verbundene erhöhte Wahrnehmung von
Reizen – kann in manchen Bereichen des Lebens durchaus auch zum
Vorteil gereichen: So können sie sich bei der Fehlersuche in einem
System eher auf ihre akustische und optische, aber auch haptische
Wahrnehmung verlassen und sehr präzise arbeiten.
Gelingt es der Gesellschaft, Autismus aus seinem Stigma zu lösen
und die Chancen zu erkennen, die mit ihm einhergehen, können
betroffene Menschen maßgeblich an Lebensqualität gewinnen.
3. Bin ich betroffen? – Ein Selbsttest

Du hast bis hierher gelesen, bist dir aber nach wie vor unsicher, ob
deine Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer möglichen
Zugehörigkeit zum autistischen Spektrum stehen? Der folgende Test
bietet dir einen weiteren Anhaltspunkt, um dich selbst besser
kennenzulernen und dein Verhalten oder gewisse Merkmale besser
einordnen zu können. Er ersetzt jedoch nicht die vollständige
professionelle Diagnose durch fachärztliches Personal – von einer
Selbstdiagnose rate ich explizit ab – sondern dient nur zur ersten
Einschätzung. Es spricht aber auch nichts dagegen, die Ergebnisse
im Zusammenhang mit der Diagnose zu besprechen und als
vorbereitende „Notizen“ mit in die Sprechstunde zu nehmen – dann
hast du eine Übersicht und kannst im Gespräch nichts wichtiges
vergessen.

Die Aussagen, die ich dir im Folgenden vorstelle, kannst du sowohl


auf deine aktuelle Situation als auch auf deine Vergangenheit
beziehen. Für jedes „ja“, also jede Aussage, die du bestätigen
kannst, gibt es einen Punkt. Wenn die Antwort also heute und/oder
früher „ja“ lautet, kannst du dir dafür einen Punkt notieren. Im
Anschluss erfährst du, was deine jeweilige Punktzahl bedeutet.

Nun geht’s aber erst einmal los mit den Fragen. Viel Spaß und
interessante Erkenntnisse wünsche ich dir auf einem weiteren Schritt
auf dem Weg zurück zu dir!

3.1 Der Test


1. Es fällt dir schwer, Freundschaften und Beziehungen aufzubauen
und/oder aufrecht zu erhalten.

2. Du umgibst dich eher mit Älteren oder Jüngeren, weniger mit


Gleichaltrigen.

3. Du bist gern für dich, Kontakte zu anderen sind dir nicht so wichtig.

4. Es ist dir unangenehm, dich in soziale Gruppen einzubringen.

5. Du unternimmst wenig bis gar nichts mit anderen Menschen.

6. Deine sozialen Kontakte beschränken sich häufig oder immer auf


ein notwendiges Minimum (z.B., um Hilfe zu erhalten oder, weil es
von dir erwartet wird).

7. Du redest kaum oder gar nicht über die Dinge, die dich emotional
beschäftigen.

8. Es fällt dir schwer, unterschiedliche Emotionen anhand des


Gesichtsausdruckes anderer Menschen zu deuten.

9. Es fällt dir oft schwer, dich in andere hineinzuversetzen. Wenn du


sie gekränkt hast, merkst du es (erst) nicht.

10. Es fällt dir schwer, dich (auch im Spiel) in andere


hineinzuversetzen.
11. Du lebst „in deiner eigenen Welt“ und hast das Gefühl, nicht dazu
zu passen.

12. Du lachst und/oder weinst sehr selten.

13. Es fällt dir schwer, deine eigenen Gefühle zu zeigen oder sie klar
zu benennen.

14. Du wirkst auf andere manchmal arrogant oder distanziert.

15. Es fällt dir schwer, Anteilnahme zu zeigen, wenn es jemandem


schlecht geht.

16. Du verhältst dich oft (unangemessen) dominant oder


zurückhaltend, manchmal sogar, ohne es selbst zu merken.

17. Du unterbrichst andere häufig.

18. Es fällt dir schwer, Gesprächen zu folgen und zu merken, wenn


die Reihe, zu erzählen, an dir ist.

19. Manchmal erzählst du ohne Kontext drauf los, ohne darauf zu


achten, ob dein Gegenüber an dem interessiert ist, was du sagst.

20. Du reagierst nicht oder nur schwer auf den eigenen Namen.

21. Du stößt anderen mit deinem Verhalten oft vor den Kopf, z.B.
wenn du „zu laut“ sprichst oder in einer (für dich unersichtlich)
unangebrachten Situation anfängst, zu lachen.
22. Du stellst Fragen, die andere offenbar stören. Warum sie deine
Fragen stören, verstehst du jedoch nicht.

23. Unklare Aussagen oder Erwartungen verunsichern dich massiv.

24. Häufig hast du das Gefühl, Teilnehmer eines Spiels zu sein, zu


dem die anderen die Regeln schreiben, sie dir aber vorenthalten.

25. Es fällt dir schwer, auf andere zuzugehen.

26. Nach sozial fordernden Situationen brauchst du lange Ruhezeiten,


um dich zu erholen.

27. Dir wird nachgesagt, deine Sprache sei ungewöhnlich in Bezug auf
Betonung, Tonalität, Sprachmelodie und/oder Lautstärke.

28. Deine Sprache wirkt auf andere monoton.

29. Deine Wortwahl fällt sehr formell aus.

30. Du verstehst häufig die Worte des Gesagten, aber nicht den Sinn
dahinter (z.B. Phrasen).

31. Es fällt dir schwer, zu erkennen, wenn jemand etwas ironisch oder
lustig meint.

32. Mit widersprüchlichen Aussagen kannst du nichts anfangen.

33. Du erkennst nicht, wenn sich über dich lustig gemacht wird.
34. Smalltalk fällt dir schwer; du siehst darin keinen Sinn. Lieber
unterhältst du dich über tiefgehende Themen.

35. In der Kommunikation mit anderen entstehen häufig


Missverständnisse, weil du (insbesondere subtile)
Gesichtsausdrücke, Gesten oder Tonfälle nicht einordnen kannst.

36. Es fällt dir schwer, Blickkontakt aufzubauen oder zu halten.

37. Blickkontakt lenkt dich von dem, was gesagt wird, ab.

38. Es fällt dir schwer, Blicke richtig zu deuten.

39. Dein Ausdruck wirkt auf andere recht einseitig. Du zeigst selten
bis nie auf Gegenstände und reagierst nicht auf Winken.

40. Dein Gesichtsausdruck ist häufig neutral, starr oder übertrieben.

41. Dir wird häufig nachgesagt, traurig oder wütend auszusehen, auch
wenn das nicht zutrifft.

42. Gesten und Mimik richtig zu deuten und selbst anzuwenden, fällt
dir schwer.

43. Deine Körperhaltung ist recht starr.

44. Manchmal drehst du dich unbewusst im Gespräch von deinem


Gegenüber weg.
45. Es fällt dir schwer, die (körperlichen) Grenzen anderer zu
erkennen und zu wahren. Häufig stehst du laut anderen zu nah an
ihnen oder auffällig weit weg.

46. Als Kind hast du dazu geneigt, andere (von außen betrachtet)
aufdringlich anzufassen oder sie sogar abzulecken.

47. Du beginnst selten bis nie Gespräche von dir aus.

48. Oft führst du Gespräche sehr einseitig, fast monologartig.

49. Du wiederholst häufig das zuvor Gesagte oder bestimmte Fragen.

50. Du bedienst dich einem besonderen Wort- und Phrasenschatz.

51. Zur Kommunikation nutzt du auch spezifische Gesten, die nur


„Eingeweihte“ kennen.

52. Du verlangst von anderen häufig die Wiederholung bestimmter


Phrasen, Wörter oder Gesten.

53. Du sprichst von dir selbst in der dritten Person, anstatt in der Ich-
Form.

54. Du gibst bestimmte Laute (Quietschen, Brummen, Seufzen)


repetitiv von dir.

55. Du bedienst dich bestimmter Bewegungsmuster (z.B. im Kreis


drehen, Blinzeln).
56. Du zeigst starke Verspannungen oder verziehst dein Gesicht.

57. Du nutzt Gegenstände (wie Spielsachen, Büroutensilien) nicht


(nur) zu ihrem vorgegebenen Zweck, sondern erfährst sie lieber
mit deinen Sinnen (z.B. betrachten, betasten).

58. Bestimmte Dinge tust du nicht, um etwas bestimmtes zu


erreichen, sondern eher aus Routine/Gewohnheit (z.B. Türen auf
und zu machen).

59. Du beharrst streng auf einmal etablierten Abläufen, Wegen,


Nahrungsmitteln und dergleichen.

60. Abweichungen von deiner Routine (z.B. ein anderer Weg zur
Arbeit) stressen dich enorm.

61. Du gehst manchen Verhaltensweisen wie im Zwang nach.

62. Du hast einen gesteigerten Drang zum Perfektionismus.

63. Du konzentrierst dich lieber und eher auf die Details als das große
Ganze.

64. Häufig hältst du dich mit (objektiven) „Kleinigkeiten“ auf, die für
dich aber in dem Moment von großer Bedeutung sind.

65. Du brauchst für manche Dinge (z.B. Aufräumen, Koffer packen,


Körperhygiene) deutlich mehr Zeit als andere.
66. Es fällt dir schwer, dich auf (v.a. unvorhergesehene und plötzliche)
Veränderungen einzustellen.

67. Deine Routinen geben dir enorme Sicherheit, du bist wenig


spontan.

68. Es fällt dir schwer, Entscheidungen zu treffen – doch einmal


getroffen, bleibst du dabei.

69. Du kannst dich ohne Probleme stundenlang auf bestimmte


Themen und Aufgaben (auch Routinetätigkeiten) konzentrieren.

70. Dein(e) Interessengebiet(e) ist/sind eher speziell – doch darüber


weißt du einfach alles und es macht dir Spaß, Neues dazu in
Erfahrung zu bringen und diese Kenntnisse mit anderen zu teilen.

71. Dinge, die andere interessieren (wie das Wetter oder Fußball),
empfindest du eher als belanglos.

72. Zu manchen (objektiv eher unbedeutenden) Gegenständen (wie


etwa einem Gummiband oder Kugelschreibern) hast du eine
besondere Bindung.

73. Wenn du deine(n) Glücksbringer verlierst, stresst dich das enorm.

74. Symbole, Zahlen oder Buchstaben faszinieren dich.

75. Daten oder Fakten kannst du dir sehr gut einprägen.

76. Dein Schmerzempfinden ist nicht sonderlich ausgeprägt.


77. Bestimmte Oberflächenstrukturen oder Konsistenzen faszinieren
dich, andere erfüllen dich mit heftigem Ekel oder Ablehnung.

78. Du magst es nicht oder nicht immer, auf bestimmte Arten berührt
zu werden.

79. Bestimmte Geräusche lösen Stress in dir aus.

80. Du untersuchst Dinge in hohem Maße mit allen Sinnen.

81. Visuelle Reize (z.B. sich drehende Gegenstände) üben große


Anziehung auf dich aus.

82. Du nimmst sensorische Reize (wie Gerüche, Lichter, Farben,


Vibrationen, Geräusche) deutlich stärker oder schwächer wahr als
andere Menschen.

83. Reize, die andere nicht stören, empfindest du häufig als


unangenehm (z.B. Stimmengewirr im Café).

84. Du hast häufig das Gefühl, von deiner sensorischen Wahrnehmung


komplett überfordert zu sein, insbesondere in einer Umgebung mit
vielen Reizen (z.B. Supermarkt).

85. Diese Reizüberflutung kann sogar Panik in dir auslösen.

86. Du hast häufig das Gefühl, deinen Körper nicht richtig zu spüren.

87. Du stößt dich sehr häufig.


88. Deine Handschrift ist unordentlich.

89. Feinmotorische Aufgaben bereiten dir Schwierigkeiten.

90. Bestimmte Sportarten fallen dir besonders schwer oder leicht.

91. Allgemein stützt du dich lieber auf die Fakten, die du mit deinem
Verstand greifen kannst, als auf emotionale Dinge.

92. Es fällt dir besonders schwer oder leicht, kreativ zu arbeiten.

93. Lösungen zu entwickeln, ist ein großes Talent von dir.

94. Du hast im Laufe deines Lebens einige Strategien entwickelt, die


dir deinen Alltag erleichtern (z.B. schüttelst du Hände, wenn es
von dir erwartet wird, auch, wenn du dich damit nicht wohlfühlst
oder lachst mit anderen über Witze, wenn gelacht wird, um nicht
als Spaßbremse dazustehen).

95. Du hast allgemeine (z.B. auf Versagen, Ablehnung, Existenz oder


Zukunft bezogene) oder sehr spezifische Ängste (z.B. rote
Fingernägel).

96. Deine Entwicklung vollzog sich ab dem dritten Lebensjahr nicht


altersgemäß.

97. Deine Schwierigkeiten bestehen dauerhaft oder zeigen sich


regelmäßig.
98. Dein Leben wird von deinen Schwierigkeiten in einem oder mehr
Lebensbereichen maßgeblich beeinträchtigt.

99. Du fühlst dich insgesamt „falsch“ oder wertlos.

100. Dich plagen psychische Belastungen wie Depressionen oder


Schlafstörungen.

3.2 Die Auswertung

Der Übersichtlichkeit halber habe ich den Fragenkatalog in


unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Grundsätzlich gilt: Je mehr
Aussagen du bestätigen konntest (egal, ob aktuell oder in deiner
Vergangenheit), desto wahrscheinlicher ist es, dass du dich im
autistischen Spektrum befindest.

1 bis 26: Soziale Interaktion

Dieser Abschnitt ist in die vier folgenden Bereiche eingeteilt:

Unfähigkeit, mit Gleichaltrigen zu interagieren (1 bis 6)

mangelnder Wunsch, mit Gleichaltrigen zu interagieren (7 bis 15)

mangelndes Verständnis für soziale Signale (16 bis 20)

sozial und emotional unangemessenes Verhalten (21 bis 26).

Sofern du in mindestens zwei dieser Bereiche mindestens eine


Aussage mit „ja“ bestätigt hast, fällst du in diesem Bereich sehr
wahrscheinlich ins autistische Spektrum.

27 bis 35: Rede- und Sprachbesonderheiten

Wenn du mindestens drei der vorgegebenen Aussagen bestätigen


kannst, befürwortet das auch hier die Zugehörigkeit zum autistischen
Spektrum. Insbesondere, wenn du eine besonders formelle Sprache
hast, dir von anderen nachgesagt wird, du würdest besonders
monoton oder übertrieben betont sprechen oder du Aussagen von
anderen häufig missverstehst, ist die Wahrscheinlichkeit besonders
gegeben.

Hinzu können ab dem dritten Lebensjahr auch Verzögerungen in der


Sprachentwicklung kommen.

36 bis 48: Nonverbale Kommunikationsprobleme

Hier gibt es folgende Unterteilung:

Blicke (36 bis 38)

Gestik und Mimik (39 bis 42)

Körperhaltung und Grenzen (43 bis 46)

Gespräche (47 bis 48)

Wenn du in mindestens zwei der Abschnitte jeweils mindestens einen


Punkt zählst, bekräftigt das weiter eine mögliche Diagnose mit
Asperger.
49 bis 68: Repetitive Routinen

Sofern du entweder für dich selbst bestimmte Routinen in einem oder


mehreren Lebensbereichen strikt verfolgst und/oder dies von anderen
verlangst und mindestens einer der Punkte 49 bis 68 auf dich zutrifft,
ist hieraus möglicherweise ein weiteres Hauptsymptom von Asperger
erkennbar.

69 bis 75: Eingeengte Interessen

Sofern du entweder wenig bis gar kein Interesse an anderen


Aktivitäten oder Themen feststellst, erkennen kannst, dass du
bestimmte Aktivitäten nach genauen Mustern immer wiederholst oder
manchen Tätigkeiten nur aus Routine als mit tatsächlicher Bedeutung
nachgehst, spricht dies ebenfalls für die Zugehörigkeit zum
autistischen Spektrum.

76 bis 85: Wahrnehmung sensorischer Reize

Auch für diesen Bereich gilt: Sofern du mindestens einen der Punkte
bestätigen kannst, stellt das einen weiteren Punkt auf deiner
„Autismus-Skala“ dar.

86 bis 90: Motorische Unbeholfenheit

Zusätzlich zu allen oben genannten wird für die Diagnostik im


Autismus-Spektrum die motorische Unbeholfenheit als
ausschlaggebendes Merkmal betrachtet.
90 bis 100: Allgemein

Zuletzt habe ich noch ein paar allgemeine Fragen ergänzt, die dir
helfen können, deine Zugehörigkeit ins Spektrum besser einzuordnen.

Punkteverteilung

0 bis 33 Punkte:

Eine Einordnung in das autistische Spektrum ist relativ


unwahrscheinlich, und wenn, befindest du dich im Spektrum sehr nah
am Rand. Sofern dich deine Besonderheiten nicht einschränken,
besteht kein Grund zur Sorge. Andernfalls kannst du dich natürlich auf
Asperger testen lassen, aber zusätzlich ist es empfehlenswert, wenn
du die Untersuchung auf andere Belastungen (etwa durch ADHS) in
Erwägung ziehst.

34 bis 66 Punkte:

Dass du dem autistischen Spektrum angehörst, ist durchaus möglich.


Lasse deine Vermutung gerne im Zuge einer fachärztlichen Beratung
und Diagnose überprüfen – dann hast du Gewissheit. Auch solltest du
darüber nachdenken, dich auf zusätzliche Belastungen hin testen zu
lassen, um genau zu wissen, was los ist.

67 bis 100 Punkte:

Es ist fast undenkbar, dass du kein Aspie bist. Gehe dennoch zum
Arzt und lasse dir die Bestätigung geben – denn nur mit einer
offiziellen Diagnose kannst du auch eventuell benötigte
Unterstützungen erhalten. Versuche, es von der guten Seite zu
betrachten: Nun weißt du, was los ist, und kannst fortan dir selbst und
anderen mögliche Konflikte erleichtern, weil du eine Erklärung hast.
Und: Wo liegen deine ganz persönlichen „Aspie-Talente“?

Vollkommen gleich, an welcher Stelle im Spektrum du dich


wiederfindest: Du kannst nun, da du den Grund kennst, viel
abgeklärter mit deinen alltäglichen Herausforderungen umgehen.
Versuche, offen zu sein – damit erleichterst du anderen den Umgang
mit dir und vor allem dir selbst dein Leben.
4. Selbstwirksamkeit: Tipps und
Übungen für den Alltag

Nicht nur mit Offenheit erreichst du viel eher deine Ziele und erfüllst
dir deine besonderen Bedürfnisse. Auf den folgenden Seiten möchte
ich dir wertvolle Tipps und Übungen an die Hand geben, mit denen du
zu mehr Balance und Gelassenheit im Umgang mit schwierigen
Situationen findest, einen besseren Zugang zu deinen Gefühlen und
Bedürfnissen und damit zu dir selbst schaffen kannst und welche
Kniffe dir dabei helfen können, Situationen, die bislang für dich
unüberwindbare Hürden dargestellt haben, endlich zu meistern.

4.1 Körper, Gestik und Mimik

Zu Beginn stelle ich dir ein paar Übungen und hilfreiche Tipps vor, mit
denen du deine Körperwahrnehmung schulen und deine emotionale
Wahrnehmung (bei dir selbst und anderen) trainieren kannst.

4.1.1 Gefühle wahrnehmen

Meditation

„Meditation ist nichts für mich“ – diesen Satz höre ich nur allzu oft.
Doch gerade auch Menschen, die von sich selbst sagen, dass sie
niemals meditieren könnten, können meiner Meinung nach am meisten
davon profitieren, wenn sie es dann doch versuchen und es ihnen
gelingt. Dazu soll gesagt sein: Meditation hat viele Gesichter. Für den
einen ist es vielleicht hilfreich, sich in Buddha-Haltung auf ein Kissen
zu setzen und die Augen zu schließen, für einen anderen ist es die
Arbeit im Garten oder die Pflege der Zimmerpflanzen, die zu einem
meditativen Zustand verhilft.

Mit Meditation ist nämlich gemeint, im Hier und Jetzt zu sein und sich
voll im Bewusstsein zu befinden. Wenn du es mit einem Einstieg in die
Welt der klassischen Zen-Meditation versuchen möchtest, kann ich dir
empfehlen, dir auf YouTube eine angeleitete, eher kurze Meditation
herauszusuchen. Bist du ganz mutig, kannst du es auch allein
probieren.

Mache dir vielleicht eine Kerze und leise Entspannungsmusik an (auch


hier der Verweis auf YouTube) und sorge dafür, dass die nächsten
Minuten nur dir gehören.

Setze oder lege dich bequem hin, zum Beispiel auf eine Yogamatte
oder ein Kissen, aber dein Lieblingssessel tut es für den Anfang auch.
Schließe die Augen und konzentriere dich auf deinen Atem. Du kannst
auch zu zählen beginnen: 1 – einatmen – 2 – ausatmen – 3 –
einatmen, und so weiter. Das beruhigt den Geist und lenkt den Fokus
auf den Atem. Versuche nicht, an nichts zu denken – das wird nicht
klappen. Siehe das innere deines Kopfes eher als den Himmel an –
und Gedanken, die kommen, als kleine Schäfchenwolken. Betrachte
sie kurz, nimm sie wahr („Da ist ein Gedanke. Um den kann ich mich
später wieder kümmern.“). Beiße dich jedoch nicht an ihnen fest,
sondern lasse sie ziehen. Mit dem nächsten Ausatmen darf der Wind
sie weiterschieben. Merkst du, wie dein Geist sich beruhigt?

Alba Emoting
Alba Emoting ist eine in den 1980er Jahren von der Psychologin Dr.
Susana Bloch entwickelte Methode, die dazu verhilft, einen
bewussten Umgang mit den eigenen Emotionen zu lernen.

Dabei setzt du deinen Atem ebenfalls bewusst ein, um deine


Emotionen wahrzunehmen, zu definieren, zu leben und auch bewusst
zu verändern.

Der Atem stellt für deine Gefühle demnach das dar, was für deine
Bewegungen das Skelett ist - beide bedingen einander und hängen
miteinander zusammen.

Auch birgt die Methode eine neutrale Haltung, in die du aus den
verschiedenen Gefühlen zurück treten kannst. Das ermöglicht es dir,
dein Gefühl mit etwas Abstand zu betrachten und neu zu bewerten.

1) Angst

Dein Mund ist weit geöffnet. Du atmest viel Luft auf einmal ein und
lässt sie Stück für Stück, unregelmäßig und eher passiv durch den
(noch immer weit geöffneten) Mund wieder ausströmen. Dabei hast
du deine Augen weit aufgerissen und dein Körper angespannt und
starr oder tendiert in seiner Bewegung nach hinten oder unten.

2) Wut/Ärger

Deine Lippen und Zähne sind fest aufeinander gepresst, dein Blick
richtet sich starr geradeaus. Du lehnst dich nach vorn und spannst
deine Muskulatur stark an. Dabei atmest du schnell und kurz durch
die Nase ein und aus.

3) Traurigkeit

Dein Mund ist leicht geöffnet, deine Augen sind halb geschlossen,
dein Blick fokussiert nicht. Dein Körper ist gebeugt, du bewegst dich
langsam. Nun atme stoßweise durch die Nase ein und so vollständig
wie möglich durch den Mund aus.

4) Freude

Setze ein Lächeln auf, sodass deine Zähne zu sehen sind. Dein
Körper ist entspannt. Du atmest kurz und schwungvoll durch die Nase
ein und durch den Mund stoßweise wieder aus.

5) Zärtlichkeit

Deine Lippen liegen entspannt aufeinander und zeigen ein leichtes


Lächeln. Dein Kopf ist leicht zur Seite geneigt und deine
Gesichtsmuskeln sind entspannt. Dein Körper beugt sich tendenziell
nach vorne. Dein Atem fließt sanft durch die Nase ein und aus.

6) Erotik

Wiege deinen Körper sanft nach vorn und hinten. Lasse deinen Blick
weich werden, ohne zu fokussieren. Öffne deinen Mund relativ weit,
aber lasse ihn dabei entspannt. Nun darf relativ viel Luft durch den
Mund ein und wieder aus strömen.
7) Neutralhaltung und Step Out

Forme deinen Mund so, als würdest du sanft eine Kerze auspusten.
Deine Augen dürfen einen Punkt auf Augenhöhe fixieren, dein Körper
ist aufgerichtet, dabei aber entspannt. Du atmest durch die Nase ein
und durch den leicht geöffneten Mund wieder lang aus.

4.1.2 Körperübungen

Um deine Körperwahrnehmung zu schulen, gibt es verschiedene


Möglichkeiten. Ich persönlich empfehle immer gern Yoga, da dies so
unendlich viele verschiedene Praktiken und Level beinhaltet, dass
einfach für jeden was dabei ist. Auch hier möchte ich noch einmal auf
YouTube verweisen, wo du sehr viele sehr gute Anfänger-Tutorials
finden kannst. Doch natürlich gibt es auch andere Möglichkeiten für
die Schulung der Körperwahrnehmung.

Als Beispiel habe ich dir eine kleine Dehnungsübung für die Seiten
herausgesucht. Setze dich hierfür aufrecht hin (am besten im
Schneidersitz, aber Hauptsache, du kannst für ein paar Minuten
entspannt und aufrecht auf dem Boden sitzen). Spüre in deinen
Körper hinein: Wie fühlt er sich jetzt gerade an? Lege beide Hände zu
den Seiten auf dem Boden ab. Mit der nächsten Einatmung hebe die
Arme über beide Seiten in kreisenden Bewegungen nach oben und
führe sie mittig vor der Brust beim Ausatmen zusammen. Dann lege
sie wieder zu beiden Seiten deines Körpers ab. Nun hebe mit der
nächsten Einatmung nur die rechte Hand über deinen Kopf und beuge
deinen Oberkörper zur linken Seite, wenn du ausatmest. Ziehe mit
der rechten Hand so weit nach links, wie du kannst und halte die
Spannung im Arm und im Oberkörper aufrecht. Wie fühlt sich deine
rechte Seite nun an? Spürst du eine Dehnung? Mit der nächsten
Einatmung richte dich wieder auf und wiederhole das Ganze auf der
anderen Seite. Spüre auch hier nach. Bleibe im Anschluss an diese
Übung noch ein paar Minuten ruhig sitzen, um sie wirken zu lassen.

Grenzen erforschen

Wenn du Schwierigkeiten damit hast, die Grenzen anderer korrekt


einschätzen zu können, kann dir vielleicht ein Tanzkurs helfen. Am
besten suchst du dir hierzu einen Partner, mit dem du sehr vertraut
bist. Empfehlenswert sind Einzelstunden, bei denen der Tanzlehrer
bzw. die Tanzlehrerin sich vollkommen auf euch fokussieren kann.
Hierbei lernst du nicht nur die Abstände kennen, die für einen
gelungenen Paartanz ideal sind, sondern stärkst mit den rhythmischen
Bewegungen gleichzeitig deine Körperwahrnehmung.

Ausgleich schaffen

Oftmals hilft es Betroffenen, sich einen Ausgleich für Körper, Geist


und Seele zu schaffen. Das kann zum Beispiel mit Bewegung
gelingen. Hast du eine Sportart gefunden, die dir gut tut, schaffst du
dir damit einen wunderbaren Ausgleich zum stressigen Alltag, kannst
Emotionen abbauen und im Hier und Jetzt ankommen. Obwohl ich
selbst beispielsweise sehr ungern joggen gehe, merke ich jedes Mal,
wenn ich es dann doch tue, wie gut mir das eigentlich tut – probiere
es also ruhig mal aus! Aber natürlich gibt es neben Joggen auch noch
viele, viele andere Sportarten: Erlaubt ist, was gefällt.

4.2 Geist und Seele


Nicht nur dein Körper braucht einen Ausgleich – auch dein Geist freut
sich, wenn er herunterfahren darf. Durch Entspannungsübungen,
gesunde Routinen und die Fokussierung – ohne Zwang – auf dein(e)
Spezialgebiete kannst du deiner Seele Gutes tun und neue Kraft
schöpfen.

Bodyscan

Eine der bekanntesten Entspannungstechniken ist der sogenannte


Bodyscan. Setze dich hierfür aufrecht auf einen Stuhl, lege beide
Hände auf deinen Oberschenkeln ab, stelle die Füße fest auf den
Boden und entspanne deine Glieder. Schließe deine Augen und atme
einmal lang ein und wieder aus. Und nun richte deine Aufmerksamkeit
bei jedem Atemzug auf ein anderes Körperteil – du kannst dir auch
vorstellen, wie ein „Licht“ durch sie hindurch fließt. „Scanne“ von unten
nach oben deinen Körper: Erst die Fußsohlen, die Zehenspitzen, die
Oberseite der Füße und die Knöchel. Dann fließe hoch zu deinen
Waden, den Schienbeinen und verweile kurz bei deinen Knien. Wie
fühlen sich deine Oberschenkel heute an? Spürst du, wie ihre
Unterseite auf der Sitzfläche ruhen? Dein Gesäß? Wie fühlt sich dein
Becken heute an? Scanne deinen Bauch, deine Finger und Hände,
deine Unter- und dann die Oberarme. Bemerke, wie dein Rücken die
Lehne deines Stuhls berührt. Fließe durch deine Brust in deine
Schultern, deinen Nacken und deinen Hals. Bei deinem Gesicht
angekommen, nimm wahr, wie entspannt du deinen Kiefer hängen
lässt, der Punkt zwischen deinen Augenbrauen sich entspannt. Kannst
du vielleicht sogar deine Ohren fühlen? Wo liegen deine Haare? Wenn
du bei deinem Scheitel angekommen bist, verweile hier für einen
Augenblick mit deiner Aufmerksamkeit. Atme noch ein paar ruhige
und tiefe Atemzüge. Und dann lass los und öffne deine Augen wieder.

Gesunde Routinen

Überlege dir einmal, welche deiner Routinen förderlich sind – diese


kannst du auf jeden Fall beibehalten (z.B. den Tee am Morgen).
Schaue aber auch darauf, welche deiner stereotypen
Verhaltensweisen vielleicht eher hinderlich sind und dich mehr Energie
kosten, al sie dir geben – etwa das Fernsehen am Abend. Schaffe dir
dafür Alternativen, die deine Entspannung fördern, anstatt dich zu
(über)fordern. Gelingt es dir vielleicht, einen festen Termin in der
Woche zu finden, den du in der Natur verbringst (falls du das nicht eh
bereits tust)? Nachgewiesenermaßen trägt Zeit im Grünen
maßgeblich zu unserer Entspannung bei.

Spezialinteresse fördern

Sofern du deinem persönlichen Interessengebiet nicht sowieso


bereits beruflich nachgehst, schaue dich nach Möglichkeiten um, dir
dies zu erfüllen – im wahrsten Sinne, denn eine erfüllte Tätigkeit
steigert die innere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit erheblich. Hast
du Interessen, die sich nicht so einfach mit deinem Beruf vereinbaren
lassen, schaffe dir hierfür extra Spots in deiner Freizeit, ganz ohne
Zwang – besuche zum Beispiel einen Programmier-Kurs, Gitarren-
Unterricht oder einen Workshop für Obstbaum-Schnitt – die
Möglichkeiten zur interessenbezogenen Freizeitgestaltung sind
wahrhaft unendlich!

4.3 Offene Kommunikation


Ich habe bereits beschrieben, wie groß die Schwierigkeiten von
Aspies in Bezug auf die zwischenmenschliche Kommunikation sind.
Diese kann jedoch auch speziell trainiert werden.

Kommunikationstraining

In einem extra Training lernst du die Grundlagen der Kommunikation


noch einmal sehr differenziert kennen und kannst deine
Anpassungsstrategien dahingehend überdenken, ob sie demnach
zielführend sind oder eher nicht. Hier lernst du faktenbasiert und
anhand von anschaulichen Beispielen, welche Besonderheiten die
zwischenmenschliche Kommunikation bietet, wo mögliche Fallstricke
liegen und wie du diese zukünftig umgehen kannst.

Über Gefühle sprechen

Ich weiß, das scheint wie eine Mammutaufgabe – doch oftmals hilft
es ungemein, in einem ruhigen Gespräch die eigenen Gefühle so
objektiv wie möglich zu erklären. Das hilft deinem Gegenüber dabei,
dich zu verstehen und auf dich einzugehen, und auch du lernst seine
Sichtweise kennen. Ihr begegnet euch auf Augenhöhe statt im
Konflikt. Versuche dabei auf Ich-Botschaften zurückzugreifen wie „Ich
fühle mich…, wenn…“ – das Weglassen von Vorwürfen (auf beiden
Seiten!) überbrückt Distanz und kann zeigen, dass dich die
Geschehnisse nicht kalt lassen.

Nachfragen stellen – ja, du darfst!


Bist du dich unsicher, was dein Gegenüber von dir erwartet,
versuche, Klarheit zu schaffen. Indem du gezielte Nachfragen stellst,
sieht dein Gegenüber, dass du dir Mühe gibst, seine Erwartungen zu
erfüllen. Folgende Fragen können dir zum Beispiel dabei helfen:

Was genau meinst du mit…? Bis wann genau soll der Auftrag fertig
sein? Wo genau treffen wir uns?

4.4 Soziale Interaktion

Die soziale Interaktion stellt Menschen im Spektrum immer wieder vor


unüberwindlich scheinende Hürden. Es wird von allen Menschen
erwartet, dass sie wissen, was Sache ist – doch du hast das
Handbuch nicht bekommen. Stelle dich den Herausforderungen des
alltäglichen Lebens bewusst und mit Bedacht. Taste dich Stück für
Stück an das „Rätsel Mensch“ heran und steigere dich langsam –
damit minimierst du das Risiko, dich zu überfordern.

Klein anfangen

Wenn du dich nicht direkt in eine Vier-Augen-Situation begeben


möchtest, kannst du klein anfangen. Nimm dir zum Beispiel vor, heute
mal einen Freund anzurufen, vielleicht auch jemanden, mit dem du
regelmäßig in Kontakt stehst – das ist leichter, denn da weißt du, was
dich erwartet. Bewaffne dich mit Stift und Zettel und notiere dir
zunächst die Fakten: Wann rufst du an? Wen rufst du an? Weshalb?
Notiere dir vielleicht auch ein paar Fragen, die du stellen möchtest
und Hinweise, die dir das Gespräch erleichtern können. Lasse dir
darunter ein wenig Platz für Notizen, um dir aufzuschreiben, was dein
Gegenüber antwortet. Im Anschluss an das Gespräch reflektiere, wie
es gelaufen ist und frage – vielleicht mit etwas Abstand – auch bei
deinem Gesprächspartner nach, wie er oder sie das Gespräch
empfunden hat und ob es Verbesserungsvorschläge gibt.

Flucht nach vorn

Wenn du dich bereit fühlst, kannst du dich auf ein kleines Abenteuer
einlassen. Klingt schlimm – ist es aber nicht. Überlege dir eine
Situation, in der du normalerweise schrecklich überfordert bist (z.B.
Einkaufen). Schreibe dir auf, was genau es ist, das dich daran
überfordert, und notiere auch Strategien, die zur Minderung deiner
Überforderung beitragen (z.B. eine Brille, die die Farben etwas
abschwächt) und dir bei der Bewältigung der Situation helfen (z.B.
eine Einkaufsliste, die der Reihenfolge deines Weges im Supermarkt
entspricht). Lege dir vielleicht auch ein Mantra zurecht wie „Ich habe
Zeit und die anderen auch“ oder „Ich gehe in meinem Tempo und das
ist okay!“ So gewappnet fällt es dir sicher etwas leichter, dich mit
deiner Herausforderung auseinanderzusetzen.

V.I.P.-Liste

Um in überfordernden Situationen weniger das Gefühl zu haben,


alleine zu sein, kann es helfen, wenn du dir eine V.I.P.-Liste schreibst.
Hier notierst du die wichtigsten Menschen in deinem Leben – bei mir
stehen zum Beispiel mein Freund und meine Mama mit an oberster
Stelle. Verabrede mit ihnen, dass du immer anrufen kannst, wenn du
sie brauchst – und glaube daran, dass sie dir zur Seite stehen, selbst,
wenn sie nicht sofort ans Handy gehen sollten. Für den Fall, dass du
niemanden erreichst oder dir kein einziger Mensch einfällt, den du auf
deine Liste schreiben könntest, notiere dir die Nummer der
Notfallseelsorge (z.B. 0800.1110111) – dort ist in aller Regel immer
jemand zu erreichen, mit dem du dein Problem besprechen kannst.

Für ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit kann dir die Ankerübung
behilflich sein, die ich im nächsten Abschnitt beschreibe.

4.5 Sensorische Wahrnehmung

Das Leben fordert dich tagtäglich mit all seinen Farben, Geräuschen
und dem chaotischen Leben, das da draußen herrscht. Doch auch
gegen Reizüberflutung gibt es verschiedene hilfreiche Mittel.

Rückzugsort

Jeder Mensch hat so ein paar Orte im Leben, an denen er viel oder
regelmäßig Zeit verbringt. Sei es dir Arbeit, die Bahn, der Supermarkt
um die Ecke oder das eigene Zuhause – all diese Orte beherbergen
eine Menge Reize. Doch es gibt sicherlich auch an jedem einzelnen
dieser Orte eine Möglichkeit für dich, einmal kurz durchzuschnaufen
und dir eine kleine Pause von all den Sinneseindrücken zu gewähren.
Auf der Arbeit kannst du dich kurz nach draußen verabschieden und
eine Runde um den Block spazieren oder dir auf dem Gelände ganz in
Ruhe eine ruhige Ecke suchen. In der Bahn gibt es vielleicht ein
ruhiges Abteil oder einen Platz, an dem du nicht so eng mit anderen
zusammen stehen musst. Im Supermarkt gibt es doch immer diese
großen Betonsäulen – verstecke dich kurz dahinter und schließe die
Augen. Und zu Hause kannst du dir sowieso einen ganz reizarmen
Platz erschaffen, an dem du einfach in Stille sein kannst – zum
Beispiel der gemütliche Sessel, in dem du immer deinen Tee trinkst.
Probier aus, was da für dich funktioniert – es gibt sicher einen
passenden Ort für dich, überall auf der Welt.

Geräuschunterdrückende Kopfhörer als Game-Changer

Zusätzlich zu deinem kurzen Rückzugsort habe ich noch einen sehr


wertvollen weiteren Tipp für dich, den ich nun bereits von
verschiedenen Menschen gehört habe – geräuschunterdrückende
Kopfhörer (Noise Cancelling Kopfhöhrer). Je nach Qualität gelingt es
damit tatsächlich, in eine vollkommene Stille einzutauchen – mitten
unter Leuten. Das ist sicherlich eine sehr angenehme und
stressreduzierende Maßnahme – vielleicht hilft sie ja auch dir, im
Gewusel des Alltags besser den Kopf über Wasser zu behalten.

Ankerübung

Ein sogenannter Anker kann dir ebenfalls helfen, in stressigen


Situationen besser zurecht zu kommen. Für mich war das
beispielsweise ein Stressball, den ich ganz subtil in meiner
Manteltasche mit mir herum tragen und immer in meine Faust
schließen konnte, wann immer mir alles zu viel wurde. Das kann aber
auch eine bestimmte Handbewegung oder ein Mantra sein, welches
du dir im Kopf vorsagst (z.B. „Mir kann nichts passieren – ich bin in
Sicherheit!“). Verknüpfe deinen persönlichen Anker mit einer guten
Erfahrung – nutzt du ihn beispielsweise während einer Fantasiereise,
kann er dir dabei helfen, dich in deiner akuten Belastungssituation
gedanklich und emotional zurück an den Ort zu bringen, zu dem die
Fantasiereise dich getragen hat, und dir so zum Abbau von Stress
und zur Förderung von Entspannung beizutragen.
5. Professionelle Hilfe

Solltest du mit den Übungen in diesem Buch nicht allein weiter


kommen, kann es helfen, dir professionelle Unterstützung zu suchen.
Das ist nichts schlimmes, im Gegenteil – die Fähigkeit, dir Hilfe zu
suchen, zeugt von unheimlicher Stärke. Bevor ich dir erkläre, welche
unterstützenden Angebote es für Menschen im Spektrum gibt und wie
du an einen Therapieplatz kommst, möchte ich zunächst die Frage
klären, ob Autismus heilbar ist.

Wie ich in Kapitel 1.3.2 bereits beschrieben habe, ändern sich die
Ausprägungen von Autismus mit zunehmendem Alter. Manche
Schwierigkeiten werden mit der Zeit weniger, dafür kommen andere
hinzu – das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Häufig eignen
sich betroffene Menschen mit der Zeit Bewältigungsstrategien an (wie
die Nutzung von geräuschunterdrückenden Kopfhörern), doch ganz
verschwinden werden die Herausforderungen wohl nie, da Autismus
keine Krankheit, sondern eine Form der Neurodiversität, die damit
vielmehr eine Wesensart darstellt. Der entscheidende Faktor liegt
wohl in der Perspektive, die jeder einzelne einnimmt – und damit
meine ich neben Menschen im Spektrum auch und gerade diejenigen,
die nicht betroffen sind. Ändert sich etwas an der Einstellung zu
Autismus, kann das einen entscheidenden Beitrag zur Lebensqualität
Betroffener darstellen – wie in Kapitel 2.5 bereits ausführlich
erläutert. Also, kurz gesagt: Nein, Autismus ist nicht heilbar – aber die
Meinung über Menschen im Spektrum ist es.
5.1 Therapeutische und unterstützende Angebote
bei Asperger

Wer eine Diagnose erhalten hat, kann auf eine Vielzahl


therapeutischer und unterstützender Angebote hoffen. Welche das
sind, erfährst du auf den folgenden Seiten.

5.1.1 Medikamente

Gegen Asperger selbst gibt es keine Medikamente, wohl aber gegen


mögliche Begleiterscheinungen (wie etwa ADHS oder Depressionen).
Diese werden vom Arzt oder Psychiater verordnet und sind stets in
Rücksprache mit diesem einzunehmen. Auch pflanzliche Mittel wie
Johanniskraut, welches eine beruhigende Wirkung hat, sind denkbar.
Doch auch hierfür ist eine Rücksprache mit dem Arzt
empfehlenswert.

5.1.2 Unterstützungsangebote

Wenn auch schwer zu finden und noch schwerer zu ergattern – es


gibt sie: Unterstützungsangebote, speziell für erwachsene Menschen
im autistischen Spektrum ausgelegt. Ich möchte hier einige Beispiele
nennen, doch die Aufzählung ist nicht erschöpfend.

Asperger-Selbsthilfe-Gruppen
Hierbei handelt es sich um Gesprächskreise, in denen Betroffene sich
über ihre Herausforderungen austauschen können und gemeinsam mit
einer ausgebildeten Anleitungs-Person an möglichen
Lösungsstrategien arbeiten können. Außerdem gibt es betreute
Gruppenreisen und Freizeitangebote speziell für Menschen im
Spektrum. Und wer weiß – vielleicht entstehen in einer solchen
Gruppe dann auch endlich echte Freundschaften!

Ambulant betreutes Wohnen

Es gibt sogenannte Aspie-WGs, die gemeinsam in einem Haus


wohnen und dabei aber in sich geschlossene Wohnbereiche haben.
Manchmal werden Gemeinschaftsräume wie die Küche auch geteilt.
Hier können sie sich gegenseitig unterstützen und erhalten zusätzliche
Betreuung von ausgebildeten Helfern, die regelmäßig vor Ort sind und
in einigen Fällen auch für Notfälle bereit stehen. Unterstützung gibt es
dann zum Beispiel:

bei Terminorganisation und Durchführung,

beim Papierkram,

in sozialen Konflikten,

beim Einkaufen und im Umgang mit Geld,

beim Aufräumen und Putzen

und sogar bei der Körperhygiene, falls nötig und gewünscht.


Integrationsfachdienst

Hier arbeiten Personen, die oftmals speziell für den Umgang mit
Menschen im Spektrum geschult sind. Sie helfen Betroffenen bei der
Arbeitssuche und bieten auch Unterstützung an, wenn ein Arbeitgeber
gefunden wurde.

Unternehmen

Einige Unternehmen stellen ausschließlich oder gezielt Mitarbeitende


im Autismus-Spektrum an. Hier werden die Arbeitsbedingungen
explizit an die Besonderheiten und Bedürfnisse ihrer Arbeitnehmer
angepasst.

Schwerbehindertenausweis

Wer zu einem gewissen Grad (siehe hierzu auch Kapitel 1.1.2) im


Spektrum liegt, kann einen Schwerbehindertenausweis beantragen.
Dieser bringt unter anderem die Vorteile des Kündigungsschutzes und
eines Steuerfreibetrages mit sich.

Sensorisches Integrationstraining

Diese spezielle Schulung dient der Förderung der


Wahrnehmungsverarbeitung und wird häufig im Rahmen einer
Ergotherapie angeboten.

Assistenzhund
Wer Hunde kennt und liebt, wird sich ihrer beruhigenden Wirkung
bewusst sein. Gerade im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung
kann ein tierischer Begleiter dazu beitragen, dass Betroffene sich im
Falle einer Reizüberflutung schneller beruhigen oder weniger leicht in
Stress geraten. Auch dient er dazu, Menschen auf Abstand zu halten
oder ihnen einen Eindruck vom Wesen der Menschen zu vermitteln
(Wie geht der Mensch auf den Hund zu?).

5.1.3 Therapeutische Angebote

Aufgrund der Vielzahl an negativen Erfahrungen, die betroffene


Menschen häufig erleiden, kann eine Therapie durchaus Sinn machen,
um die Erlebnisse aufzuarbeiten.

Es gibt unterschiedliche Therapieformen für unterschiedliche Anliegen


– so kann die kognitive Verhaltenstherapie bei Angststörungen helfen
und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie die Stärkung
des Selbstwertes fördern. Welche Therapieform für dich die beste
ist, entscheidest du am besten in Rücksprache mit deiner beratenden
Person und anhand deiner persönlichen Situation.

In der Gesprächstherapie werden vergangene Konflikte aufgearbeitet


und Herausforderungen besprochen, vor denen du immer wieder
stehst. Die Rücksprache mit einer professionellen Begleitung kann dir
dabei helfen, deine Perspektive zu verändern und damit eine andere –
neurotypische – Sichtweise kennenzulernen. Das hilft dir, Konflikte
aus der Welt zu schaffen und neue Wege zu beschreiten, indem du
verschiedene Dinge (z.B. Gesprächstechniken) kennen lernst, die du
im Alltag anwenden und üben kannst.
Neben der klassischen Psychotherapie gibt es weitere therapeutische
Angebote wie Ergotherapie, Kunsttherapie, Logopädie oder
Tiergestützte Therapie. Diese werden jedoch leider nicht in allen
Fällen von den Krankenkassen übernommen. Die Kostenübernahme
ist – auch hinsichtlich einer Psychotherapie – im Einzelfall vorher zu
klären; dazu kann dir dein Hausarzt oder die psychologische Beratung
in jedem Fall mehr sagen.

5.2 Dein Weg zum Therapieplatz

Doch wie findest du nun die Unterstützung, die du brauchst? Ganz so


einfach ist das leider nicht, denn psychotherapeutische Praxen sind
häufig überlastet. Du kannst Therapeuten in deiner Umgebung
abtelefonieren oder dich auf der Homepage deiner Krankenkasse
orientieren – oftmals stellt diese eine Übersicht über Ärzte und
Therapeuten zur Verfügung, mit denen sie zusammenarbeitet.

Zusätzlich kannst du dich über die sogenannte Kassenärztliche


Vereinigung oder die Deutschen Psychotherapeutenvereinigung auf
eine zentrale Warteliste für einen Therapieplatz setzen lassen. In der
Regel wird dir dort innerhalb von vier Wochen ein Termin für ein
Erstgespräch vermittelt – doch hierbei hast du keinen Einfluss auf die
Wahl der Praxis und musst eventuell längere Fahrzeiten in Kauf
nehmen.

Ich habe außerdem gute Erfahrungen mit einer App namens


Therapieplatzfinder gemacht. Dort werden dir die Therapeuten in
deiner Umgebung nach Entfernung und Therapieform aufgelistet,
zudem erhältst zu Informationen zu Sprechzeiten und eine
Telefonnummer. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, dich via
Erinnerungsfunktion deines Handys an die Sprechzeiten der
ausgewählten Praxen erinnern zu lassen, was die Organisation der
Anrufe enorm erleichtert.

Konntest du einen Termin für ein Erstgespräch (die Anamnese)


ergattern, ist die erste Hürde bereits geschafft – Glückwunsch! Im
ersten Zusammentreffen lernst du deine potenzielle therapeutische
Begleitung und die Praxisräume kennen und kannst dir ein Bild von
der jeweiligen Arbeitsweise machen. Dir werden Fragen zu deiner
Situation gestellt, die deinem Gegenüber dabei helfen,
herauszufinden, wie genau die Unterstützung aussieht, die du
benötigst.

Hast du einen guten ersten Eindruck gewonnen, kannst du nun


weitere Termine ausmachen. Die ersten bis zu fünf Termine einer
psychotherapeutischen Behandlung nennen sich Probatorik – hier
nähert ihr euch noch ein Stückchen weiter dem Kern deiner
Schwierigkeiten und könnt schauen, ob ihr euch eine Zusammenarbeit
vorstellen könnt. Auch wird nun das Therapieziel festgelegt und der
Weg, wie ihr gemeinsam dieses Ziel erreichen könnt.

Im Anschluss an die probatorischen Sitzungen geht es dann mit der


richtigen Therapie los – in der Regel werden von den Krankenkassen
zunächst einige Sitzungen bewilligt, doch die Therapie kann jederzeit
verlängert werden.
6. Die Top 10 Learnings auf den
Punkt gebracht

Wenn du das Buch bis hierhin gelesen hast, wirst du vielleicht erstmal
etwas überwältigt von den vielen verschiedenen Tipps und
Informationen sein. Um die wichtigsten Kernaussagen nochmals zu
unterstreichen, habe ich hier die Top 10 Learnings aus den vorherigen
Kapiteln für dich zusammengefasst.

1. Das Asperger-Syndrom ist keine Krankheit, sondern eine Form der


Neurodiversität.

2. Neben alltäglichen Herausforderungen birgt Autismus auch eine


Menge Stärken und Chancen für Betroffene.

3. Offene Kommunikation, Wertschätzung und Rückhalt sind


elementare Bausteine für den Umgang mit Menschen im
Spektrum.

4. Werde dir deiner besonderen Bedürfnisse bewusst und vertritt


diese – damit kannst du Stück für Stück die Maske der
„Normalität“ ablegen und dein buntes, authentisches Ich zeigen.

5. Es gibt eine Menge Unterstützungsangebote für Menschen im


Spektrum – da findest sicherlich auch du etwas Passendes für
dich.

6. Autismus liegt kein Erziehungsfehler zugrunde.


7. Wenn du es schaffst, deinen Alltag nach deinen besonderen
Bedürfnissen auszurichten und dir selbst eine „Insel der Ruhe“ zu
sein, kannst du bald deine gesamte schöpferische Kraft entfalten.

8. Du bist genauso viel wert wie jeder andere Mensch auf diesem
Planeten – ob im Spektrum oder nicht.

9. Es ist eine extreme Leistung, die du in deinem Leben bisher mit all
der Anpassung und der Unterdrückung deines wahren Wesens
bisher erbracht hast – klopfe dir ruhig öfter mal selbst auf die
Schulter!

10. Du bist ein wertvoller Teil dieser Gesellschaft – vergiss das nicht.
7. Fazit: Jetzt darf Ruhe einkehren

Da hast du ganz schön was geleistet – mehr, als die Großzahl der
anderen Menschen. Du hast dein Leben lang dein wahres Ich
versteckt, irgendwann erkannt, dass du Unterstützung benötigst und
nun hast du dieses Buch gelesen – eine Meisterleistung.

Warum? Weil viele Menschen, selbst solche, die sich nicht ihr Leben
lang verstellen mussten, nicht einmal zu der Einsicht kommen, dass
sie – vielleicht an anderen Stellen als du, aber dennoch – Hilfe
brauchen. Damit bist du ihnen ein ganzes Stück voraus.

Du hast bis hierher durchgehalten – sei stolz auf dich. Erkenne deine
Leistung an. Und dann lehne dich einen kleinen Augenblick zurück –
und fühl mal, wie gut sich das anfühlt. Du nimmst dein Leben in die
Hand und tust aktiv etwas dafür, dass sich deine Situation verbessert.
Du läufst keinen fremden Idealen und Erwartungen mehr hinterher,
und rackerst dich ab, um die Anerkennung zu bekommen, die dir so
sehnlichst wünscht – denn mit dem Eingeständnis, dass du
Unterstützung brauchst, erkennst du dich selbst bereits ein Stück weit
an.

Der erste Schritt ist also gemacht – jetzt darf Ruhe einkehren. Du
darfst, nachdem du dich mühsam den Berg hoch gekämpft hast,
verweilen und zu Atem kommen. Eine Pause machen, Den Ausblick
genießen.

Und dann darfst du – ganz in deinem Tempo, auf deine einzigartige


Art – deinen Weg fortschreiten, wann immer du so weit bist. Deinen
Lebensweg – den Weg zu dir selbst.

Ich wünsche dir, dass dort in Zukunft nicht mehr so viele Steine liegen
– sondern Blumen wachsen. Blumen, die dir zeigen, wie schön das
Leben sein kann, wenn du du selbst bist. Denn:

„Es ist nichts falsch daran, autistisch zu sein. Du hast nur dieses
eine Leben. Es wäre schade, wenn du es damit verbringst, jemand
anderes zu sein!“

(Linus Müller, Autist und Gründer von Autismus-Kultur)


8. Weiterführende Links

Verschiedene Blogs und Foren rund ums Thema Autismus:

https://www.autismus.de

https://autismus-kultur.de

https://autismus-institut.de

https://autismusforumschweiz.ch

Autismus und Beruf:

https://auticon.de/autismus/

https://www.aubi-plus.de/blog/ausbildung-mit-autismus-gute-berufe-
fuer-autisten-4275/
Schlusswort

Ich hoffe, dass ich dir mit diesem 2-in-1-Ratgeber eine Hilfestellung in
deiner aktuellen Situation bieten konnte und du somit neuen Mut
schöpfen konntest.

Wenn dem so ist, würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn du das
Buch weiterempfehlen würdest! Vielleicht kennst du ja jemanden, dem
es auch einen Hilfe sein könnte.

Ich wäre dir also sehr dankbar, wenn du mich somit auch weiterhin
unterstützen würdest, damit ich auch in Zukunft meiner Arbeit
nachgehen kann und Menschen wie dir mit meinem Wissen und
meinen Erfahrungen helfen kann.

Ich danke dir nochmals für dein Interesse und wünsche dir von
Herzen ganz viel Kraft und alles nur erdenklich Gute!

Svenja Hold
Kognitive Verhaltenstherapie:

Depressionen und Persönlichkeitsstörungen überwinden in nur 28 Tagen mit


kognitiver Psychologie

Die sogenannte Kognitive Verhaltenstherapie ist die mit Abstand erfolgreichste


Psychotherapieform der Welt und kann für die unterschiedlichsten Probleme, wie unter
anderem auch Depressionen und Persönlichkeitsstörungen angewandt werden. Mein Buch zu
diesem Thema bietet auch für ADHS-Betroffene eine weitere Möglichkeit zur Selbsthilfe und
könnte somit auch interessant für dich sein. Du findest es, indem du auf den folgenden Link
klickst:

https://amzn.to/2Hyre0A (Werbelink)
ADHS bei Kindern & Autismus bei Kindern:

Der große 2-in-1-Ratgeber zur Unterstützung von Eltern betroffener Kinder

Sowohl ADHS, als auch Autismus sind vererblich und wie Erwachsene, sind nicht selten auch
Kinder bereits von beiden Störungen betroffen. Falls du bereits Nachwuchs hast, könnte mein
2-in-1-Buch zu diesem Thema also interessant für dich sein. Du findest es, indem du auf den
folgenden Link klickst:

https://amzn.to/3HK9Wbu (Werbelink)
Haftungsausschluss

Der Inhalt dieses Buches wurde mit großer Sorgfalt geprüft und erstellt. Für die Vollständigkeit,
Richtigkeit und Aktualität der Inhalte kann jedoch keine Garantie oder Gewähr übernommen
werden. Der Inhalt dieses Buches repräsentiert die persönliche Erfahrung und Meinung des
Autors. Es kann daher keine juristische Verantwortung oder Garantie für den Erfolg der
genannten Tipps und Ratschläge übernommen werden. Der Autor übernimmt keine
Verantwortung für das Nicht-Erreichen der im Buch beschriebenen Ziele. Dieses Buch enthält
Links zu anderen Webseiten. Auf den Inhalt dieser Webseiten hat der Autor keinen Einfluss.
Deshalb kann für diesen Inhalt auch keine Gewähr übernommen werden. Für die Inhalte der
verlinkten Seiten ist der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich.
Rechtswidrige Inhalte konnten zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht festgestellt werden.
Impressum

ADHS bei Erwachsenen & Asperger bei Erwachsenen

Der große 2-in-1-Ratgeber für Betroffene & Angehörige

ISBN: 9798361633883

Copyright © 2022 Svenja Hold

1. Auflage

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des
Autors

Kontakt: Stefan Lenz, Keplerstraße 81a Top 6, AT-8020 Graz

Coverdesign: Heinz Haanewald

Lektorat: Annette Frokrich

Das könnte Ihnen auch gefallen