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Massenpanik bei der Duisburger Love Parade 2010: „Es war, als ob sich die Erde aufgetan hätte“

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Titel

Schwarzer
Samstag
Wer hat Schuld am Tod von 21 Menschen bei der Duisburger
Love Parade? Nicht die Polizei, lautete das Mantra
von NRW-Innenminister Ralf Jäger. Doch die Staatsanwaltschaft
stellt nach monatelangen Ermittlungen fest:
Auch die Polizei leistete sich offenbar gravierende Fehler.

D
uisburg, die Love Parade, um nichts, weil die Anrufe im überlasteten
15.45 Uhr. Schnell, schnell, der Netz ständig geblockt werden. Oder der
Mann braucht jetzt eigentlich Lautsprecherwagen, der für die Fünfzehn-
zwei Hundertschaften, besser drei, besser te unten an der Rampe stehen soll. Stand
vier, er braucht sie für den Osttunnel, für leider am Morgen kaputt in der Werkstatt,
den Westtunnel, für die Rampe. kommt jetzt nicht mehr zu ihnen durch.
Aber alles, was er im Moment bekom- Als später die Menschen übereinander-
men kann, ist diese eine. Die Fünfzehnte kippen, als sie nach Luft schnappen, keu-
aus Köln und ein paar Kräfte aus Bochum, chen, um ihr Leben kämpfen, als auch
um die Rampe zu halten. Um sich gegen die Polizei nicht mehr weiß, was gerade
die Menge zu stemmen, die sich von allen wo passiert, bitten Beamte sogar einen
Seiten hierher schiebt, zu diesem Beton- Hubschrauberpiloten, der über dem Ge-
schlund, dem einzigen Eingang zur Love lände kreist, Durchsagen zu machen. Ein
Parade – und über Stunden ihr einziger verzweifelter Versuch, der scheitern muss.
Ausgang. Am Ende werden 21 Menschen tot sein,
Eine Hundertschaft, um die Katastro- untergegangen im Gedränge auf der Ram-
phe zu verhindern. pe, dem Flaschenhals für Hunderttausen-
Eine Hundertschaft gegen einhundert- de, die auf dem Gelände des alten Duis-
tausend. burger Güterbahnhofs feiern wollten. Sie
Genauso gut könnte Polizeirat Dirk H. sterben in einem Menschenberg, werden
aber auch versuchen, die Erdrotation auf- erstickt, erdrückt. Aber das ist nur die ana-
zuhalten. Mit nur einer Hand. Denn nicht tomische Todesursache. Denn sie sterben
mal alle Polizisten in seinem Abschnitt
kann er sofort einsetzen. Etliche laufen
Streife im Außengelände.
Und die anderen? Muss er jetzt kalt
ins Chaos werfen. Sie sind nicht nur zu
wenige, sie müssen sich auch erst mal zu-
rechtfinden. Denn sie stehen noch keine
WOLFGANG RATTAY / REUTERS

halbe Stunde hier, haben gerade die Vier-


te Hundertschaft aus Bielefeld abgelöst.
Was für ein Irrsinn: ein Schichtwechsel
mitten in den heißen Stunden der Love
Parade. Genau davor hatte Polizeirat H.
den „Vorbereitungsstab“ des Polizeiprä-
sidiums Duisburg schon vor einem Monat
gewarnt. Dass die Polizei dann nur „ein- Dieter Wehe, NRW-Polizeiinspekteur
geschränkt handlungsfähig“ wäre.
Tatsächlich musste sich die Fünfzehnte Wehe stritt nach der Love Parade jede
PETER MALZBENDER / WAZ FOTOPOOL

gerade durch die Massen quetschen, hatte Schuld seiner Beamten an der Kata-
Mühe, überhaupt an ihren Einsatzort zu strophe beharrlich ab. Einige seiner
kommen, und als sie es doch geschafft
hat, fehlt ihr alles, was sie hier braucht.
Aussagen im Innenausschuss des
Der Polizeifunk? Setzt häufig aus. Als Landtags werden jetzt durch die
hätte man das nicht schon vorher ahnen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
können, bei dem ganzen Stahlbeton rund in Frage gestellt.
um die Rampe. Und die Handys? Auch
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Einlass Ost Besucherstrom
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Karl-Lehr-Straße
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Norden
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en Auch die des Inspekteurs Dieter Wehe.
Wenn der nämlich im Innenausschuss be-
schwichtigt hatte, „es gab kein Kräftepro-
blem“, oder wenn er dort zur Vorrang-
schaltung für Polizeihandys sagte: „Die
hat es gegeben … eine Vorrangschaltung
vor allem an einem staatlichen Versagen, Es ist nun die Anatomie dieses staatli- ist komplett für den gesamten Einsatzzeit-
das zu diesem Stau auf der Rampe führte. chen Versagens, die nach monatelangen raum eingerichtet worden“ – dann hatte
Dass es ein Versagen der Stadtverwal- Ermittlungen erstmals in einem mehr als der Mann laut Recherchen der Ermittler
tung Duisburg war, stand schon kurz nach 400 Seiten starken Bericht der Staatsan- entweder keine Ahnung. Oder der oberste
dem 24. Juli 2010 fest. Sie hatte alles Mög- waltschaft Duisburg seziert worden ist. Schutzmann des Landes wollte vor allem
liche getan, um das Unmögliche zu schaf- Über 2500 Zeugen haben die Ermittler eines schützen: den Ruf der Polizei.
fen – diese Love Parade zu genehmigen. bislang vernommen, darunter mehrere
Sie hatte dafür die Paragrafen zum Tan- hundert Polizisten. Beamte wie den Poli- Die Planung
zen gebracht, für einen Totentanz, wie zeirat Dirk H., der in seiner Aussage ge-
sich am Tag der Love Parade herausstell- schildert hat, wie es war an diesem Nach- Love Parade? Ach ja. Was macht eigent-
te. Nun aber, zehn Monate danach, wird mittag mit nur einer Hundertschaft an lich die Love Parade? Etwa so lesen sich
klar: Auch die Polizei hat sich offenbar der Rampe. Männer und Frauen, die mit noch bis in den April 2010 manche Proto-
schwerwiegende Fehler geleistet. ihm auf dieser Rampe im Einsatz waren, kolle von Dienstbesprechungen der Duis-
Sie hat sich zwar nicht das abstruse Si- in Tunneln, an Eingangsschleusen, in den burger Polizeispitze. So als wäre die größ-
cherheitskonzept ausgedacht – das war Polizeiketten. Und die sagten, das sei alles te Techno-Party der Welt, zu der nach
der Veranstalter, die Firma Lopavent, die so furchtbar schnell gegangen, dass sie den Ankündigungen von Lopavent mehr
offenbar nur eines mit größter Sicherheit auch nicht verstanden hätten, woher all als eine Million Raver kommen sollten,
wollte: schöne Werbebilder für den die Leute plötzlich gekommen seien, „es noch ganz weit weg. Nicht nur, was die
Hauptsponsor, die Sportstudio-Kette war, als ob sich die Erde aufgetan hatte“. Zeit angeht. Auch in den Gedanken.
McFit und ihren Chef Rainer Schaller. Mit dem vertraulichen Bericht, datiert Die Stadt plant, aber was genau? Keine
Aber die Polizei hat es laufen lassen in auf den 17. Januar, zeichnen die Ermittler Ahnung, zum Stand könne man nichts
der Zeit der Planung. Und wenn Beamte ein erstes Panoramabild der Schuld: bei Neues berichten, heißt es im Protokoll vom
damals doch schon erhebliche Sicherheits- der Stadt, beim Veranstalter, aber eben 8. April, man habe weder aus dem Rathaus
bedenken hatten, wie ihr Inspekteur Die- auch bei der Polizei. „Schäbig“ nannte noch von Lopavent verlässliche Pläne be-
ter Wehe später im Landtagsinnenaus- NRW-Innenminister Ralf Jäger noch kurz kommen. Oder am 29. April: offizielle
schuss reklamierte, dann wiegt es umso nach der Katastrophe die ersten Vorwürfe Statements der Stadt? Weiter Fehlanzeige.
schwerer, dass die Polizei trotzdem nicht gegen seine Truppe. Nun aber deckt der Was man dazu wisse, habe man aus der
auf den Ernstfall vorbereitet war. Auf den Bericht der Staatsanwaltschaft reihenweise Zeitung; deshalb werde die Polizei jetzt
Fall nämlich, dass das Sicherheitskonzept Fehler auf, die bisher unbekannt waren, auf die Stadt zugehen, um für die „Planung
von Lopavent zusammenklappen würde. und er entlarvt manche Schutzbehauptung. dringend benötigte Details“ zu bekommen.
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Einlasssperre/Polizeiketten 3 Erneut
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Der Cr owd-Manager ordnet
Crowd-Manager ordnet an, beide Einlasssperree kann
Die Einlasssperr aufrechterhalten
kann nicht aufrechterhalten Auch die KKette
ette auf der Rampe löst sich auf.
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Eingänge Tunneln w werden, weitere
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eitere Menschen strömen Es kkommt
ommt zur Eskalation:
Eskalation: Die Massen drängen
drängen
und im unt eren Bereich
unteren Bereich der Hauptrampe
Hauptrampe Hauptrampe.
der Hauptr ampe. Die Polizeiketten Tunneln
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Polizeiketten in den Tunneln zu einer schmalen TTreppe,
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deren Fuß viele
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werden olizeiketten gebildet. kkönnen
önnen dem Ansturm nicht standhalten
standhalten und der Opf er zu Tode
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kommen.
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echen zusammen. Die Kette
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rrampe
ampe gerät
gerät nun von
von zwei
zwei Seiten unter Druck.
Seiten unter

Es scheint, als sei die Love Parade für und überall tun muss: Gefahren abweh- sprächsrunden im Rathaus, zu denen sie
die Polizei lange ein Fremdkörper gewe- ren, Leben retten. offenbar nicht eingeladen ist. Vermerke
sen. Und umgekehrt die Polizei für die Konnte also die Polizei nicht ahnen, und Mails zwischen den Ämtern, von de-
Love-Parade-Macher bei der Stadt, bei was auf der Rampe auf sie zukommen nen sie mutmaßlich nichts erfährt. Viel-
Lopavent. Im Prinzip ist das durchaus ver- könnte? Wurde sie kurzgehalten von der leicht auch nicht so genau erfahren wollte.
ständlich. Für die Sicherheit auf dem Verwaltung, vom Veranstalter? Schon Denn es gibt in so einem Genehmigungs-
Paradeplatz und im Tunnel musste Lopa- möglich. Aber keine mögliche Entschul- verfahren andere, die Regie führen. Lo-
vent sorgen, mit Ordnern, mit einem Si- digung. Im Jahr davor hatte die Stadt pavent stellt die Anträge, die Stadt arbei-
cherheitskonzept. Die Polizei war dage- Bochum die Love Parade abgesagt. Zu tet sie ab; die Polizei muss zwar mitspie-
gen für den Weg durch die Stadt zustän- gefährlich. Der damalige Bochumer Poli- len, aber nicht die Hauptrolle.
dig. Und auf dem Partygelände nur dann, zeipräsident hatte in einem Brandbrief Die Stadt also: Das Gezerre und Gekun-
wenn sie hätte tun müssen, was sie immer gemahnt, dass „Überleben“ wichtiger sei gel beginnt dort spätestens Anfang 2010.
als der „Spaßfaktor“. Und schon 2008, Ausgerechnet Wolfgang Rabe, der Ord-
bei der Love Parade in Dortmund, war nungsdezernent, der nachher sagen wird,
es offenbar ganz knapp gewesen. Tausen- dass Duisburg die Love Parade nicht absa-
de Raver flüchteten vor einem Platzregen gen wird, „auf keinen Fall“, sieht das bei
in eine Unterführung der Bundesstraße 1 einer Besprechung am 23. Februar noch
und in eine U-Bahn-Station. ganz anders. Er trifft sich mit den Spitzen
Einer, der damals beim Führungsstab seines Ordnungsamts. Dort wird gesagt,
HERMANN J. KNIPPERTZ / APN

saß, der Brandschutzexperte Klaus Schä- die Fläche sei doch viel zu klein, reiche
fer, erzählte den Love-Parade-Ermittlern vielleicht für 200 000 Menschen, und dann
in seiner Vernehmung, das Dortmunder würden 100 000 oder sogar 200 000 sozusa-
Gedränge sei so gefährlich gewesen, dass gen „vor der Tür“ stehen bleiben.
der Stab mit „Verletzten oder gar Toten“ Seine Leuten malen aus, wie es dann
gerechnet habe. Nur weil Polizisten die zu „Unmutsäußerungen“ kommen könn-
Massen auf offene Flächen lotsen konn- te, „oder mehr“, wie es im Protokoll heißt.
Wolfgang Rabe, Ordnungsdezernent ten, sei es nicht so weit gekommen. Auch Als hätten sie alles schon vorhergesehen:
die Duisburger Polizei muss diese Vorge- die Tumulte, das Geschubse und Gedrän-
Im Duisburger Rathaus für Sicherheit schichte eigentlich gekannt haben. gel, die aufgebrachten Raver, die vor zu-
und Recht zuständig, half Rabe, die Wahr ist aber auch: Es gibt in diesen gesperrten Eingängen stehen, all das, was
umstrittene Genehmigung für die Monaten vor der Love Parade tatsächlich fünf Monate später einen schwebend leich-
Dinge, von denen die Polizei nichts mit- ten Sommertag in einen schwarzen Sams-
Love Parade durchzudrücken. Mittler- bekommt. Treffen zwischen Stadtverwal- tag umkippen lassen wird.
weile wird er von der Staatsanwalt- tung und Lopavent, bei denen sie nicht Damals ist für Rabe noch klar, dass Lo-
schaft als Beschuldigter geführt. dabei ist, vielleicht auch nicht dabei sein pavent mehr Platz für die Parade braucht,
soll. Einen Workshop und mehrere Ge- und wenn sie das nicht bezahlen kann, weil
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das auch eine Geldfrage ist, dann muss die schen, aufgepumpt vor Ärger, und nicht
Sause eben „abgesagt werden“. Basta. Zu wenige auch vollgepumpt mit Alkohol.
diesem Zeitpunkt hielt sich Rabes Ord- Die Wege sind das Problem. Es gibt
nungsamt allerdings auch für die zuständi- nur eine Straße, die alle Besucher neh-
ge Genehmigungsbehörde. Das aber än- men müssen, die Karl-Lehr-Straße. Eine
dert sich Anfang März – und danach ändert Straße, die auch noch in einem Tunnel
Rabe offenbar auch seine Meinung, ob liegt. Die einen werden darauf von Wes-
man das Spektakel verantworten kann. ten kommen, die anderen von Osten, un-
Da nämlich lässt Lopavent die Stadt ten vor der Rampe sollen sich beide Strö-
zum ersten Mal wissen, dass sie das ganze me treffen und dann hochfließen auf das
Gelände einzäunen will. Eine geschlossene Gelände. Dies ist das einzige Mauseloch
Fläche, damit geht die Sache ans Bauord- im Zaun, um reinzukommen. Aber auch
nungsamt. Nicht mehr Rabes Revier. Jetzt das größte, um wieder rauszukommen.
gilt plötzlich die „Versammlungsstättenver- Und eine Falle, wenn gleichzeitig die ei-
ordnung“ Nordrhein-Westfalens, eine nen rein-, die anderen rauswollen.
„Sonderbauverordnung“, die betonharte Doch auch davor werden die Stadtmit-
Regel: nur zwei Menschen auf einem Qua- arbeiter sehr früh gewarnt. Schäfer, der
dratmeter. Bei den 90 000 Quadratmetern, Brandschutzexperte, der schon in Dort-
mit denen Lopavent zu der Zeit noch rech- mund dabei war, hält am 22. März einen
net, wären das 180 000 Raver, mehr nicht. Workshop für sie ab. Morgens erzählt er,
Selbst wenn keine Million käme, wie wie brenzlig es in Dortmund war. Die Da-
Schallers Truppe ständig tönte, wenn es men und Herren von Bauaufsicht und
nur die Hälfte wäre, würde das dazu führen, Ordnungsamt beginnen zu tuscheln.
dass 120 000 von den zwischen fünf und Dann, am Nachmittag, kommt Schäfer
zehn Uhr abends erwarteten 300000 Leu- auf die Duisburger Love Parade zu spre-
ten draußen bleiben müssten. Eine Befürch- chen, die Karl-Lehr-Straße, die Rampe.
tung, erneut nachzulesen im Protokoll einer Dass der Tunnel, durch den die Straße
Besprechung zwischen Ordnungsamt und führt, an der schmalsten Stelle nur 30 Me-
Bauordnungsamt von Anfang März. Au- ter breit sei. Das reiche höchstens für
ßerdem steht da, dass das Problem im Grun- 40 000 bis 60 000 Menschen in der Stunde,
de unlösbar sei und die Behördenmitarbei- ohne Gegenverkehr.
ter an diesem Tag extra an „mögliche straf- Dass hier aber über das Nadelöhr Ram-
rechtliche Konsequenzen“ erinnert wurden. pe die einen rein-, die anderen raussollen.
Damit sie nicht zu großzügig werden. Und dann noch eine T-Kreuzung aus
Man muss dazu allerdings sagen: Es Rampe und Straße – für so einen Knick
wird am 24. Juli auf der Rampe nicht des- braucht der Menschenstrom noch mehr
halb zur Katastrophe kommen, weil das Platz. Schäfer will dazu ein Wort gesagt
Partygelände weiter oben überfüllt war; haben: „Irrsinn“. Und hinterher, in klei-
große Teile der Fläche sind zwischen 15 nerer Runde, dass einer, der so etwas
und 17 Uhr noch ziemlich leer. Aber die plant, „sie nicht mehr alle hat“.
Wege dorthin werden mit Ravern volllau- Eingang, Ausgang, das müsse man
fen, die Sperren werden von denen über- doch trennen, unbedingt, er schlug des-
rannt, die zu lange draußen gewartet ha- halb noch vor, einen Ausgang zur Auto-
ben, um sich noch etwas von Ordnern bahn 59 aufzumachen. Aber das sei mit
und Polizisten gefallen zu lassen. Men- der Begründung „zu teuer“ abgelehnt Touristenattraktion Love Parade in Berlin 1998:
worden, sagte Schäfer den Ermittlern.
Dabei hätten ihm die Leute von der gelnde Übung“ in solchen Dingen. Nur
Stadt sogar recht gegeben, aber sie hätten lässt sich an ihrer Zuständigkeit nun mal
über politischen Druck von oben gespro- nicht rütteln. Also soll mit ihr mal ein
chen. Ja, das mit dem „politischen Druck“ Wörtchen gesprochen werden, Dezernent
FRIEDHELM GEINOWS / WAZ FOTOPOOL

sei wörtlich gefallen; eine Frau aus dem Rabe werde das vorbereiten und dazu mit
Ordnungsamt habe geklagt, dass ihr Chef ihrem Vorgesetzten reden. Das Ziel: „po-
kritische Hinweise schlicht ausblende. sitiven Einfluss auf Frau G. zu nehmen“.
Besonders einer ist offenbar irgend- Die Anwälte von Rabe und Bölling woll-
wann vom Warner zum Wegwischer mu- ten sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
tiert: Ordnungsdezernent Rabe. Glaubt So wird das in den folgenden Wochen
man einem Vermerk, den sich ein Lopa- noch oft gehen. Das Bauordnungsamt bis
vent-Anwalt gemacht hat, dann gibt es hoch zum zuständigen Dezernenten Jür-
am 28. April ein Treffen mit der Stadt. gen Dressler steht enorm unter Druck.
Jürgen Dressler, Baudezernent Rabe sitzt mit am Tisch, daneben sein Alle anderen in der Stadt wollen die Love
Ordnungsamtschef Peter Bölling, außer- Parade. Das graue Duisburg soll für einen
Der Stadtentwicklungsdezernent dem der Sprecher von Oberbürgermeister Tag endlich auch mal im ganzen Land hell
Dressler steht dem Duisburger Bau- Adolf Sauerland, aber keiner vom Bau- aufleuchten. Aber wenn es dann ein Groß-
amt vor, das die Techno-Party auf dem ordnungsamt. Lopavent beklagt sich über brand sein sollte, was da am Ende des Ta-
das Bauamt, das ständig mit der Sonder- ges leuchtet, will niemand mit den Streich-
alten Güterbahnhof in letzter Minute bauverordnung querkomme. Vor allem hölzern in der Tasche erwischt werden.
genehmigte. Auch gegen ihn wird in- eine Mitarbeiterin dort, die Frau G. Auch Rabe nicht. Der achtet offenbar
zwischen ermittelt. Ordnungsamtschef Bölling sagt laut Ver- genau darauf, dass nichts auf ihn zurück-
merk, die Dame habe anscheinend „man- fällt. Noch im Protokoll dieser Bespre-
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Titel

HANS EDINGER / AP
Auch das graue Duisburg sollte mal für einen Tag hell aufleuchten

chung am 28. April heißt es, er halte ein stellen. Es gebe da doch in Duisburg ein gen haben, schreibt der Anwalt. Bis hin
Expertengutachten für „hilfreich“, weil Büro, bekannt für „veranstalterfreundli- zur Absage des Spektakels.
bei der Stadt wohl keiner bereit sei, für che Gutachten“. Das bekommt am Ende Also kuscht die Stadt, und wer nicht
die Genehmigung ein großes Risiko zu tatsächlich den Auftrag für eine „Ent- kuschen will, der duckt sich weg. Auch
übernehmen. So ist das also. fluchtungsanalyse“; den Vorwurf eines Frau G., die Frau aus dem Bauordnungs-
Ein Fachmann mit einem guten Namen „Gefälligkeitsgutachtens“ weist es aller- amt. Die Widerspenstige. Eigentlich muss
soll deshalb eine Expertise liefern. Und dings scharf zurück. Lopavent am Tag der Love Parade die
gleichzeitig auch einen Persilschein? Falls Und doch riecht manches nach einer Besucher zählen, damit man immer weiß,
doch etwas schiefgeht? Im Protokoll steht, Kumpanei zwischen Lopavent und der wie viele Raver gerade auf dem Güter-
auf jeden Fall solle Michael Schreckenberg Stadt, die sich sogar E-Mails wie die vom bahnhof stehen, wie viele auf den Wegen
mitmachen. Schreckenberg, der renom- 5. Mai gefallen lässt. Da staucht ein Lo- dorthin. Genau das will Frau G. auch Lo-
mierte Panikforscher von der Uni Duis- pavent-Anwalt den Ordnungsdezernen- pavent vorschreiben.
burg. Aber in diesem Vermerk steht eine ten Rabe dafür zusammen, dass in der „Hallo die Herren“, schreibt Frau G.
andere Begründung, warum Schrecken- Verwaltung ziemlich unverblümt über die dazu am 11. Mai in einer Mail an ihre Kol-
berg „mit ins Boot“ kommen soll. Bei der auf dem Gelände maximal erlaubte Be- legen im Bauamt, nachdem Lopavent mal
Stadt befürchteten sie, dass er sonst Äu- sucherzahl geredet wird: 250 000. Das wieder gemurrt hat. Frau G. will es nun
ßerungen zur Love Parade machen könn- habe doch absolut vertraulich bleiben sol- so machen: Lopavent gibt der Stadt
te, „nicht gewünschte Äußerungen“, und len. Schließlich stehe Lopavent ohnehin schriftlich, dass sie zählen wird, damit
schlimmer noch: in der Öffentlichkeit. schon vor einer schwierigen „Herausfor- hat alles seine Ordnung, für die Akten
Ein Problem mit seiner Fachmeinung derung im PR-Bereich“, und wenn jetzt zumindest. Aber dafür bleiben alle Mit-
befürchtet die Runde dagegen offenbar so etwas „in der Presse hochkocht“ – statt arbeiter der Bauaufsicht bei der Love Pa-
nicht. Schreckenberg werde vermutlich der Millionenzahl, mit der Lopavent stän- rade einfach zu Hause, statt die Besucher-
die Expertise nämlich gar nicht selbst er- dig wirbt –, dann könne das schwere Fol- ströme zu kontrollieren. Genau so habe
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es ihr Chef Dressler auch schon Ord- Gefahrenabwehr ist ihre Pflicht. Aber Wenn es also noch Ende April in den
nungsdezernent Rabe vorgeschlagen. auch sie wird vor der Love Parade zum Dienstrunden der Duisburger Polizei heißt,
Und genau so wird es dann laut Staatsan- Freund und Helfer all derer, die am Ende man erfahre zu wenig und wenn, dann oft
waltschaft auch gemacht: Nicht einer aus jeder Prüfung nur ein Ergebnis hinnehmen nur aus der Zeitung, dann fragt die Polizei
dem Bauamt erscheint am 24. Juli bei der wollen: Die Love Parade muss kommen. möglicherweise einfach nur zu wenig, zu
Love Parade. „Diese Lösung finde ich Schon am 29. Oktober 2009 schickt die lasch nach. Schließlich stellt Lopavent am
doch charmant“, schreibt Frau G. Polizei ihre Emissäre in eine große Rat- 23. April in der Arbeitsgruppe auch schon
Charmant? Die Begründungen sind ver- hausrunde; danach steht bereits die ent- ihr Sicherheitskonzept vor; zwar nur einen
logen. Und was charmant genannt wird, scheidende Frage im Protokoll: ob nur Entwurf, aber immerhin. Eine Kopie bleibt
ist in Wahrheit schamlos. Keiner vom Bau- ein Ein- und Ausgang für die Love Parade sogar da, fürs Protokoll. Nachfragen? Sind
amt überprüft offenbar, ob Lopavent wirk- wirklich genug ist, erst recht, weil der an diesem Tag nicht verzeichnet.
lich tut, was sie tun muss; ein Vorwurf, zu „auch noch in einem Tunnel“ liegt. Der Dabei taucht der Tunnel nun sogar in
dem sich der Anwalt von Frau G. unter erste Hinweis für die Polizei, genug, um einer Liste der Vierer mit all den Aufga-
Hinweis auf die laufenden staatsanwalt- alarmiert zu sein. ben auf, die man noch abzuarbeiten hat.
schaftlichen Ermittlungen nicht äußern will. Um die Antwort soll sich im Vorberei- „Kern“ des Sicherheitskonzepts: kein
Die Polizei hat zwar von vielen dieser tungsstab der Love Parade eine Arbeits- Stau im Tunnel, steht da. Wieder so ein
Scharmützel nichts mitbekommen, als am gruppe kümmern, die Arbeitsgruppe 4, Knoten im Taschentuch: der Tunnel! Und
24. Juli ihr Einsatz beginnt. Aber ahnungs- Sicherheit. Im März treffen sich die „Vie- mindestens dreimal inspiziert die Polizei
los ist auch sie nicht, und arglos kann sie rer“ zum ersten, danach noch 15 Mal, und die Röhre und die Rampe; auch dabei:
deshalb nicht sein. Es gab genug Treffen, jedes Mal ist die Polizei dabei. Meist sogar Jörg Schalk, Düsseldorfer Polizeidirektor,
also genug Wissen, auch im Polizeipräsi- doppelt und dreifach, aus dem Duisbur- der am 24. Juli im Führungsstab mit ent-
dium. Die Polizei hätte deshalb in den Mo- ger Polizeipräsidium, natürlich, aber auch scheiden soll. Sind sie alle blind für die
naten vor der Love Parade eingreifen und aus dem Düsseldorfer, das zuarbeiten soll, Gefahr? Nein, sind sie nicht. Aber eben
das Schlimmste noch verhindern können; und aus der Bundespolizei. auch nicht hart und entschieden genug,

Polizeifahrzeug auf dem Weg zum Tunnel: Schichtwechsel in der kritischsten Einsatzphase

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um einzugreifen, durchzugreifen, notfalls Aber dann? Gibt sich die Polizei an-
die Parade abzusagen. scheinend mit ein paar kleinen Änderun-
Im Juni etwa, da sind es nur noch gut gen zufrieden. Die Stadt habe zugesagt,
vier Wochen bis zum Einsatz. Im Arbeits- Bedenken der Polizei zu berücksichtigen,
kreis Sicherheit reicht es Schalk nun end- sagte Polizeiinspekteur Wehe im Innen-
lich mit den großen Tönen von Lopavent. ausschuss. Als Polizisten der Duisburger
Wenn der Veranstalter immer sage, es kä- Staatsanwaltschaft vor der Love Parade

CARSTEN KOALL / VISUM


men eine Million Menschen, dann wolle den Stand der Dinge erklären, notieren
er jetzt auch mal wissen, wie die Leute die Strafverfolger jedenfalls hinterher, von
vom Gelände wegkämen, wenn die Wege einem Sicherheitsproblem sei keine Rede
mit neuen Besuchern schon verstopft seien. gewesen.
Und wie man an den Einlässen vor den Möglich, dass zu diesem Zeitpunkt
Tunneln verhindern wolle, dass sich die auch die Polizisten nur noch hören, was
Raver stauten, sauer darüber, dass sie nicht sie hören wollen – der Tunnelblick, der Rainer Schaller, Veranstalter
weiterkämen. Dass so etwas das ganze We- den kritischen Blick auf den Tunnel er-
gekonzept zusammenbrechen lassen kön- setzt. Etwa als ihnen Panikforscher Schre- Der Geschäftsführer von Lopavent
ne und damit „sicherheitsrelevant“ sei, das ckenberg am 12. Juli bestätigt, das bespro- machte mit der Love Parade jahrelang
sei doch wohl klar. Dafür brauche es gar chene Wegekonzept von Lopavent sei Werbung für seine Sportstudio-Kette
keine Million, dafür reichten auch schon „gut“. Richtig, sagt Schreckenberg dazu McFit. Vier seiner Mitarbeiter werden
weniger Besucher. Das müsse jetzt mal so heute, aber da habe er doch nur über die
ins Sitzungsprotokoll, verlangte Schalk. Es Strecken vom Duisburger Hauptbahnhof mittlerweile als Beschuldigte geführt;
waren die wichtigen, lebenswichtigen Fra- bis zu den Eingängen West und Ost ge- gegen Schaller selbst wurde bislang
gen, wie sich am 24. Juli zeigen sollte, und sprochen, nicht über das Veranstaltungs- kein Verfahren eingeleitet.
Schalk meinte es offenbar ziemlich ernst. gelände, den Tunnel, die Rampe. Er habe
doch sowieso nie den Auftrag gehabt, sich
um diese Teile zu kümmern. So sieht das eignet“ gewesen, derartige Massen sicher
auch die Staatsanwaltschaft, ermittelt zu leiten, schreiben die Ermittler. Die
nicht gegen ihn. Warum aber hakt damals Stadt hätte deshalb die Parade so nicht
kein Polizist nach? stattfinden lassen dürfen.
Einige Tage später, als Ordnungsdezer- Mit dem 24. Juli aber ändert sich der
nent Rabe in einer großen Schlussrunde Blick, mit dem die Staatsanwälte bis da-
vor der Love Parade fragt, ob einer noch hin gnädig auf die Polizei schauen. An
etwas zu sagen habe, was ihm nicht passe, diesem Tag gerät für sie nun auch die
meldet sich auch kein Polizist. Und dann Polizeiführung unter Verdacht.
eine Sitzung im Innenministerium in Düs-
seldorf. Wieder nichts Kritisches. Der Tag der Love Parade
Trotzdem: Die Duisburger Staatsan-
waltschaft hält so etwas nicht für strafbar. Die Polizei hat an diesem Tag ihr Einsatz-
Nicht was die Polizei angeht, nicht solan- gebiet in mehrere Abschnitte aufgeteilt.
ge es nur um die Zeit vor der Love Parade Zwei außen: West und Ost. Das sind die
geht. Die Polizei habe zwar gewarnt, je- Routen, auf denen die Raver vom Haupt-
doch formal keinen Einspruch gegen das bahnhof kommen, in einer Zangenbewe-
Sicherheitskonzept eingelegt. Musste sie gung. Die einen laufen im Westen am gan-
aber angeblich auch nicht. Es reichte nach zen Partygelände vorbei, die anderen im
Meinung der Strafverfolger, dass sie auch Osten, dann stehen sie vor der Eingangs-
das Gegenteil nicht getan hatte: nie aus- schleuse West, vor der Eingangsschleuse
drücklich zugestimmt, nie ihr Einverneh- Ost, da enden die beiden Abschnitte. Alles,
men erklärt. Einvernehmen – dieser Be- was nun kommt, gehört an diesem Nach-
griff ist im Gesetz nirgendwo definiert. mittag zum Sektor von Polizeirat Dirk H.
Aber er wird in der Zukunft wahrschein- Er hat den riskantesten Abschnitt er-
lich noch einmal eine große Rolle spielen. wischt, den Engpass, durch den sich alle
Vorerst bleibt für die Staatsanwälte die Raver pressen müssen. Von den beiden
Schuld an den Stadtmitarbeitern hängen. Schleusen bis hoch zum Festplatz. In die-
Ohne ausdrückliches Ja der Polizei soll sem Abschnitt liegt die Karl-Lehr-Straße
ihre Genehmigung bereits „formell rechts- mit dem Osttunnel, dem Westtunnel, liegt
widrig“ gewesen sein, wie es in der Akte in der Mitte die Rampe, auf der beide
der Anklagebehörde heißt. Ströme zusammenlaufen. Das große „T“.
Und davon abgesehen natürlich auch Nur dass in diesem Fall das „T“ nicht nur
wegen der „gravierenden Bedenken“, die für das Zusammentreffen von Rampe und
das Sicherheitskonzept von Lopavent bei Straße steht, sondern auch für Todesge-
der Stadt hätte auslösen müssen. Nur ein fahr. Dann nämlich, wenn die Ordner von
Eingang, der gleichzeitig Ausgang ist. Die Lopavent hier Unterstützung brauchten,
Besucher eingezwängt im Tunnel und auf die Polizei eingreifen müsste, so wie es
ANP PHOTO / ACTION PRESS

der Rampe. Keine Ausweichflächen. Au- ihr Einsatzbefehl vom 19. Juli vorschrieb.
ßerdem noch der Knick der T-Kreuzung. Und wenn sie dann nicht in der Lage
Und ohnehin viel zu wenig Platz für viel dazu wäre. Weil auch die Polizei Fehler
zu viele Besucher, die offenbar noch nicht macht. Oder schon längst gemacht hat.
mal richtig gezählt wurden. Das ganze T- In einer Übersicht der Love-Parade-Er-
Stück sei „von der Kapazität her nicht ge- mittler tauchen später 20 Hundertschaf-
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Titel

ten aus ganz Deutschland auf, die irgend- könnte. Sollte man tatsächlich auf diesem
wann am 24. Juli im Duisburger Einsatz Schichtwechsel bestehen, könne für zwei
waren. Aber für den T-Abschnitt waren Stunden nicht garantiert werden, dass die
laut Staatsanwaltschaft nur zwei einge- Polizei ihre Aufgaben ordnungsgemäß er-
plant: die Vierte aus Bielefeld, die Fünf- fülle. Er fordert, alles so zu lassen, wie es
zehnte aus Köln. Und das auch nicht mal geplant war, mit Dienstzeit von elf
gleichzeitig, sondern hintereinander. Vor- Uhr morgens bis zwei Uhr nachts, „durch-
gesehener Schichtwechsel: nachmittags, gehend“, „ohne Ablösesituation“.
wenn bereits riesiges Gedränge herrscht. Polizeirat Dirk H., der später die Ram-
Wer kommt denn auf so etwas? pe nicht mehr halten kann, gibt das dem
Die Ermittler sind auf einen Eintrag Vorbereitungsstab im Polizeipräsidium
vom 10. Juni in „Lupus“ gestoßen, dem sogar noch schriftlich. Wenn es bei der
internen Polizei-Logbuch. Eine Meldung Zwölf-Stunden-Vorgabe bleibe, dann ste-
an die Führungsstelle der Duisburger he ein Wechsel um 16 Uhr an, und davon
Polizei. Anruf aus dem Innenministerium, wird „erneut dringend abgeraten“. Denn
heißt es da, der Regierungsdirektor R. zu dieser Uhrzeit, davor habe auch der
R. habe in ein paar Tagen eine Bespre- Veranstalter gewarnt, könne der Besu-
chung mit dem Polizeihauptpersonalrat. cherandrang vor allem im Tunnel so stark
Der habe die Dienstzeiten bei der Love werden, dass die Polizei die Zugänge sper-
Parade auf die Tagesordnung gesetzt, nach- ren müsse. Die Wechselzeit falle in die
dem „eine Berufsvertretung“ in dieser Sa- „kritische Einsatzphase“.
che „Druck aufgebaut“ habe. Es werde be- Polizeirat H. wird recht behalten.
hauptet, die geplanten Dienstzeiten für die Die erste Schicht im „T“ wird am 24.
Love Parade seien zu lang, bis zu 20 Stun- Juli von der Vierten Hundertschaft aus
den, notfalls mehr. Das Innenministerium Bielefeld übernommen; sie hat noch einen
(IM) gehe davon aus, dass daran nichts halbwegs ruhigen Dienst. Der tödliche
wahr sei, weil „eine derartige Planung Sturm baut sich erst auf, draußen vor den
auch vom IM nicht mitgetragen würde“. Einlassschleusen. Der Ansturm der Raver.
Vier Tage später, kurz vor Ende der Erst mittags kurz nach zwölf Uhr öffnet
Amtszeit des damaligen Innenministers Lopavent die beiden Eingänge, eine Stun-
Ingo Wolf (FDP), ergeht dann Erlass Num- de verspätet, weil oben auf dem Platz die
mer 41.2-60.11.01 aus dem Ministerium: Planierraupe noch nicht fertig war. Aber
Höchstdienstzeit zwölf Stunden, inklusi- schon früh fehlen offenbar Ordner. Am
ve An- und Abfahrt. Also muss ausge- Westeingang haben sie nur die Hälfte der
wechselt werden. Einlassspuren besetzt, der Rest bleibt ge-
Die Polizei hatte laut Staatsanwalt- schlossen. Ein Lopavent-Anwalt sagte
schaft offenbar anders geplant, muss nun dazu, er habe „keine Anhaltspunkte“, dass
umplanen, dazu treffen sich kurz danach die in der Genehmigung vorgeschriebene
die Leiter der Einsatzabschnitte. Sie sind Zahl der Ordner „unterschritten“ worden
fassungslos. Einer von ihnen, so das Be- sei. Einen Ausgang gibt es nicht, nicht hier,
sprechungsprotokoll, weist eindringlich nicht jetzt. Erst als die Polizei mehr Ordner
darauf hin, dass die Ablösung am Nach- herbeizitiert und eine Ausgangsspur frei-
mittag nur unter großen Schwierigkeiten machen lässt, so die Staatsanwaltschaft,
auf das Veranstaltungsgelände kommen arbeitet die Schleuse West so, wie sie soll. Rettungskräfte bei der Versorgung von Verletzten
Um 13.33 Uhr stehen schon 20 000 Tech-
no-Fans im Westen, machen „enorm“ SPIEGEL zur Lautsprecheranlage nicht
Druck, wie es in einer Lupus-Meldung äußern. Mit funktionierenden Notfall-
heißt. Die Polizei zittert, dass die Schleu- durchsagen, sagt die Staatsanwaltschaft,
se überrannt werden könnte; da ist es erst wäre das Gedränge, wäre die Katastrophe
VOLKER HARTMANN / AP / DDP IMAGES

13.44 Uhr. wahrscheinlich nicht passiert.


Schon gegen 14 Uhr erfahren Polizisten Genauso unbegreiflich, warum um
von zwei Problemen, die aus diesem Tag 14.03 Uhr offenbar keiner schaltet, als bei
später einen Katastrophentag machen der Befehlsstelle der Vierten Hundert-
werden – und nehmen es offenbar so hin. schaft einer der wichtigsten Funksprüche
Zwei Beamte, zuständig für Lautsprecher- des Tages eingeht. Der Ordnerdienst,
durchsagen, melden sich bei Lopavent. heißt es da, schaffe es nicht, am Kopf der
Sie wollen sich an die Mikrofone setzen, Rampe mehr Personal heranzuziehen.
für Durchsagen, falls nötig. Denn der Ver- „Zwei Pusher vor Ort ist zu wenig.“
Ralf Jäger, NRW-Innenminister anstalter hatte im Genehmigungsverfah- „Pusher“, so heißen die privaten Ord-
ren garantieren müssen, dass er so eine ner, die oben an der Rampe stehen sollen
Kurz vor der Katastrophe hatte er sich Anlage bereitstellt, eine, mit der die und nur eine Aufgabe haben, nämlich
„zufrieden“ über „die enge Verzahnung Polizei notfalls die Musik weg- und sich den ankommenden Massen immer wie-
zwischen den Sicherheitsbehörden“ ge- selbst einschalten könnte. Und nun erfah- der zu sagen: „Hier nicht stehen bleiben,
ren die beiden Polizisten, dass sie stumm bitte weitergehen.“ An dieser Kante näm-
zeigt. Im Landtagsinnenausschuss sag- bleiben werden. Technisch nicht möglich, lich fahren die „Floats“ vorbei, die schwe-
te Jäger später, er werde „nicht zulas- heißt es lapidar. Warum das keiner früher ren Lastwagen mit den Discjockeys, und
sen, dass die Polizei als Sündenbock geprüft hat, nicht die Polizei, nicht die deshalb bleiben viele Besucher hier ste-
für die Fehler“ anderer herhalten muss. städtische Bauaufsicht, bleibt offen. Auch hen, statt weiterzugehen und die Rampe
Lopavent wollte sich gegenüber dem freizumachen.
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HERMANN J. KNIPPERTZ / APN
auf der Rampe: Ein Menschenberg, verklemmt, verkeilt – und unten liegen die ersten Toten

Zwölf Pusher hat Carsten Walter an- Jetzt beginnt sie, die entscheidende kein Funkgerät für den Einsatz zugeteilt
fangs dafür eingesetzt; Walter, der soge- Zeit, in der auch kleine Fehler immer worden. Warum nicht? Weil bei der Poli-
nannte Crowd-Manager, der für Lopavent gleich fatale Fehler sein werden, die sich zei vorher „bereits bekannt war“, dass
mit den Ordnern die Massen steuern soll. nicht mehr ausgleichen lassen. der Funk im Tunnel und in anderen Tei-
Doch glaubt man mehreren Zeugen, die Nach der Katastrophe hatte Crowd-Ma- len des Einsatzgebiets „nicht funktio-
bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt ha- nager Walter in einem SPIEGEL-Inter- niert“.
ben, dann hat er schon vor 14 Uhr von view gesagt, schon gegen 14.30 Uhr habe Ob der Beamte der Spätschicht ein
diesem Dutzend ein paar zum Einlass er die Polizei rufen wollen, wegen der Funkgerät am Mann hatte, ist umstritten.
West geschickt, ein paar andere abgestellt, Besucher, die sich oben an der Rampe Crowd-Manager Walter sagt nach wie vor,
um ein Kamerateam zu begleiten. stauten. Nur habe der Verbindungspoli- er habe keines bei ihm gesehen. Stattdes-
Walter sagt heute, er habe keine Pu- zist, der mit ihm in einem Container an sen habe der Beamte versucht, seine Leit-
sher abgezogen; und das Kamerateam sei der Rampe saß, kein Funkgerät dabeige- stelle per Handy zu erreichen.
nicht von Pushern, sondern von anderen habt, um einen Vorgesetzten zu rufen. Ei- Solche Polizeihandys sollten eigentlich
Ordnern begleitet worden. nen Einsatzführer, der etwas hätte ent- eine sogenannte Vorrangschaltung haben,
Fakt ist: Auf der Rampe standen viel scheiden dürfen. auch noch durchkommen, wenn die örtli-
zu wenig Pusher, und das erfuhren Poli- Falsch, bügelte später Wehe, der In- chen Mobilfunkzellen überlastet sind. Da-
zisten schon Stunden vor der Katastro- spekteur, im Landtag diesen Vorwurf weg; für hätte die Polizeiführung nach Ermitt-
phe. „der hatte ein Funkgerät“. Aber das war lerrecherchen zwei Dinge tun müssen:
Ihre Reaktion? Keine bekannt. Um allenfalls die halbe Wahrheit. Denn im Handys bei der Bundesnetzagentur als
14.42 Uhr dokumentiert eine Lupus-Mel- Container gab es wegen des Schichtwech- Vorrang-Handy anmelden. Und sie bei
dung, dass sich die Lage deshalb immer sels nacheinander zwei Verbindungsbe- Bedarf beim Mobilfunkunternehmen frei-
mehr zuspitzt: Die Besucher blieben oben amte. Und der Kollege der Frühschicht, schalten lassen. Doch laut den Ermittlun-
einfach stehen, deshalb gebe es einen Polizeioberkommissar P., sagte bei der gen hatte die nordrhein-westfälische Poli-
Rückstau bis in den Tunnel. Staatsanwaltschaft aus: Nein, ihm sei gar zei nur einen „verschwindend geringen“
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Titel

Teil ihrer Handys überhaupt bei der Bun- kaum Verbindung. Handys funktionieren
desnetzagentur gemeldet, wie es in einem nicht, von etwa 15.30 bis 18 Uhr, wie M.
Auswertungsvermerk heißt: das ganze Po- den Ermittlern schildert. Der Auftrag än-
lizeipräsidium Duisburg zum Beispiel nur dert sich alle paar Minuten. Von oben das
5. Köln 10. Düsseldorf 13. Dröhnen harter Einschläge, Beats mit
Aber noch nicht einmal diese „ge- 750 000 Watt Musikleistung. Im proviso-
flaggten“ Handys waren demnach freige- rischen Befehlsstand ihre Führer, zusam-
schaltet. Dazu sei es erst abends gegen 21 men mit dem Crowd-Manager. Lagebe-
Uhr gekommen, Stunden nach der Kata- sprechung im Container.
strophe. Das Fazit der Ermittler: Wären Sie entscheiden jetzt, sofort die beiden
alle Polizeihandys rechtzeitig angemeldet Eingänge zu schließen, den im Westen,
und freigeschaltet gewesen, wäre es „mit den im Osten; der Crowd-Manager gibt
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich- den Befehl an seine Schleusenwärter vor
keit“ zu keinen oder höchstens zu kleine- den Tunneln durch, fordert eine Bestäti-
ren Problemen mit dem überlasteten Netz gung, dass sie jetzt keinen mehr durchlas-
gekommen. „Um den Erfolg des laufenden sen. So soll die Rampe entlastet werden,
Ermittlungsverfahrens nicht zu gefährden, bis sich der Stau oben an der Kante auf-
dürfen und wollen wir uns nicht zu dessen gelöst hat. Die Fünfzehnte muss helfen,
Inhalten äußern“, sagte Ludger Harmeier, mit zwei Polizeiketten. Der erste Zug stellt
Sprecher des NRW-Innenministeriums, zu sich im Osttunnel auf, der dritte Zug im
den Vorwürfen. In Polizeikreisen heißt es, Westtunnel, nur je ein paar Dutzend Be-
man habe anstelle einer formalen Vorrang- amte, mehr hat der Abschnitt dafür jetzt
schaltung eine „Priorisierung“ direkt mit nicht. Und etwas später fällt die Entschei-
dem Mobilfunkanbieter vereinbart. dung, auch noch eine Polizeikette auf der
Doch nach Erkenntnissen der Ermittler Rampe aufzubauen. Die soll verhindern,
funktionierten schon am Nachmittag vie- dass Besucher, die schon gehen wollen,
le Polizeihandys nicht, etwa um 15.30 Uhr von oben die Rampe herunterlaufen.
in der Fünfzehnten Hundertschaft von Nur womit diese Kette ziehen? Es bleibt
Thorsten M. Es ist jene Kölner Einheit, nur noch der Zweite Zug, doch der hat ei-
die erst seit wenigen Minuten im Einsatz nen anderen Auftrag: im Außengelände si-
ist und die Vierte aus Bielefeld gerade ab- chern. Einige Beamte bleiben deshalb auf
gelöst hat. Jetzt muss ihr Führer auf der ihren Posten, 20 rennen zur Rampe. Aber Gedenkkreuz an der Treppe bei der Rampe: Das
Rampe wichtige Entscheidungen treffen, 20, das reicht nicht, um die Kette oben am
während seine Beamten kaum Zeit ha- Rampenkopf zu bilden, dafür brauchte multe vor den Schleusen, Panikgefahr. Im
ben, sich zurechtzufinden, „vor die Lage“ man, wie ein Polizist später den Ermittlern Osten beginnt der Schleusenmeister von
zu kommen, wie es M. später bei seiner vorrechnet, mindestens eine Hundert- Lopavent wieder mit Stoßöffnungen, um
Vernehmung nennen wird. schaft. Also stellen sich die 20 des Zweiten den Druck aus der Menge zu nehmen, im-
Die Beamten müssen sich in diesem Zugs unten auf die Rampe. An eine Stelle, mer wieder für ein paar Minuten, auf, zu,
Moment vorkommen, als wären sie mit an der Gitter stehen, die dort eigentlich auf, zu. Im Westen bekommt sein Ordner-
dem Fallschirm in ein Kampfgebiet abge- gar nicht hätten stehen sollen, weil sie die kollege offenbar einen fatalen Befehl. Den
worfen worden, mitten in die Schlacht. Rampe verengen. Die Kette kann aber Staatsanwälten sagte er, gegen 16 Uhr habe
Ihr Funk fällt immer wieder aus, auch nicht verhindern, dass immer noch Besu- ihn ein Polizeibeamter angewiesen, den
nach mehreren Kanalwechseln gibt es cher auf dem Heimweg die Rampe herun- Durchgang aufzumachen. Die angebliche
terlaufen, nach unten, in ihren Rücken. Begründung des Uniformierten: Sonst lau-
Wer die Idee für diese Kette hat, ist un- fe „seine“ Straße über, für die er vor dem
klar; die Staatsanwaltschaft sagt, der Westtunnel zuständig sei. Bis in den Januar
Crowd-Manager. Aber der Führer des hatte die Staatsanwaltschaft nicht klären
Zweiten Zugs gab in seiner Vernehmung können, wer dieser Beamte war.
an, er selbst habe sich das einfallen lassen. Doch es kam noch schlimmer. Um
Die Polizei also. Diese Kette unten auf 16.31 Uhr will ein Sanitäterteam aus dem
der Rampe wird dem Menschenschwall, Tunnel herausfahren, im Krankenwagen
der später aus den Tunneln strömen wird, ein Mann mit einem lebensgefährlichen
dann noch weniger Platz lassen. Zuckerschock. Doch an der Schleuse
DIRK KRÜLL / LAIF

Im Prinzip ist die Idee der Ketten trotz- drängen sich Tausende Menschen.
dem nicht falsch. Im Vermerk der Staats- Es ist ein Polizeioberkommissar, der nun
anwaltschaft heißt es, auf diese Weise hät- entscheidet, ein Zaunelement auszuhän-
te man durchaus Zeit gewinnen können, gen, um Platz für den Sani-Wagen zu schaf-
Carsten Walter, Crowd-Manager um den Stau am Rampenkopf aufzulösen. fen. Tatsächlich kann sich das Fahrzeug
Bislang haben die Ermittler weder Poli- durch den Pulk quetschen, der zum Party-
Der Psychologe steuerte am Tag zeirat H. noch Hundertschaftsführer M. gelände drängt, aber nur um den Preis,
der Love Parade die Besucherströme. zu Beschuldigten erklärt. Ohne funktio- dass für Minuten Hunderte Raver unge-
Als die Lage eskalierte und er nierende Funk- und Handyverbindungen bremst in den Tunnel laufen. Von all dem
Polizeiunterstützung brauchte, war hätten die beiden einfach nicht wissen erfährt Polizeirat H. auf der Rampe nichts.
können, was dann an den Eingangsschleu- Kurz danach filmen Überwachungska-
lange kein weisungsbefugter sen passieren würde. Und wie dann eines meras, wie der Tunnel regelrecht von
Beamter zu erreichen. Gegen zum anderen und alles zusammen zum Menschen geflutet wird. Die Polizeiketten
Walter ermittelt die Staatsanwalt- Tod von 21 Menschen führte. in der Unterführung sind bereits zusam-
schaft. Die Eingänge sind nämlich gar nicht mengebrochen, und nun gerät auch die
dicht. Lupus verzeichnet um 16.03 Uhr Tu- Kette auf der Rampe von zwei Seiten un-
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Derzeit 16 Beschuldigte führt die Staats-
anwaltschaft; nicht Sauerland, den Ober-
bürgermeister, der die Love Parade unbe-
dingt in Duisburg fahren lassen wollte,
nicht Schaller, den Lopavent-Geschäftsfüh-
rer und McFit-Chef, der den Massenauf-
lauf als Marketing-Mittel sah. Beide waren
womöglich zu weit weg von Anträgen und
Genehmigungen, von Tunnel und Rampe,
als dass sie strafrechtlich für das Debakel
geradestehen müssten. Aber wohl ihre Mit-
arbeiter. Bei der Stadt die Dezernenten
Rabe und Dressler, die Männer und Frauen
aus dem Bauamt, dem Ordnungsamt, dem
Bezirksamt, und bei Lopavent der Sicher-
heitschef oder der Crowd-Manager.
Bei der Polizei allerdings ist es umge-
kehrt. Dort muss sich der erste Mann ver-
antworten, der Leitende Polizeidirektor
Kuno S. Und damit könnte auch die Ver-
teidigungslinie von Innenminister Jäger
und Inspekteur Wehe in sich zusammen-
fallen: dass es vielleicht ein paar kleinere
Fehler bei der Polizei gegeben hat, aber
kein Großversagen.

NORBERT ENKER / DER SPIEGEL


Das Versagen der Polizei ergibt sich
aus der Summierung von Unzulänglich-
keiten, aus der Verkettung von Fehl- oder
Nichtentscheidungen, die am Ende in die
Katastrophe führten – wobei nicht jedes
Versäumnis mit den Mitteln des Straf-
soll der Eingang zur Love Parade sein? rechts verfolgt werden kann. Dem Poli-
zeiführer S. werfen die Staatsanwälte vor,
ter Druck, von unten, von oben, bis sie Masse Mensch, ein Menschenberg. Unten im Einsatzzentrum der Polizei über die
nicht mehr gehalten werden kann. liegen die Toten. Und die Polizisten in Außenkameras alles im Blick gehabt zu
Die Rampe. 26 Meter breit, 130 Meter der Nähe haben Glück gehabt, dass sie haben: den Menschenpfropf am Kopf der
lang. Betonwände auf beiden Seiten. Und selbst nicht hineingezogen worden sind. Rampe, schon gegen 15 Uhr, die fehlen-
an der Wand links die schmale Treppe. Können nicht mehr alle retten, manche den Pusher dort oben. Und er habe wis-
Die Todestreppe. nur noch ihr eigenes Leben. Es ist die sen müssen, dass im T-Stück doch viel zu
Sie hatten es gerade aus dem Tunnel schlimmste Art für einen Polizisten, sich wenig Kräfte standen, als er am Nachmit-
geschafft, Ina und ihre Bekannten, jetzt das Versagen einzugestehen: danebenzu- tag erfuhr, dass der Crowd-Manager die
standen sie im Gedränge, auf der Rampe, stehen, wenn andere sterben. Polizei längst um Hilfe gerufen hatte.
aber Ina hatte keine Ahnung, wo sie wa- Erst um 16.48 Uhr kommt aus dem Füh- Spätestens zu diesem Zeitpunkt, gegen
ren. Kein Schild, keine Lautsprecher- rungsstab der Polizei endlich der Not- 15.40 Uhr, so die Staatsanwälte, hätte
durchsage, sie sah nur die Köpfe; Köpfe, stopp-Befehl, beide Eingänge und die Vor- Kuno S. als oberster Polizist der Love Pa-
die ganze Rampe hoch. Ging es da oben sperren auf dem Weg dorthin zu schlie- rade handeln müssen: mit Verstärkungen,
weiter? Oder war das eine Sackgasse? ßen. Sofort, total, rigoros, mit der 18. die er ins T-Stück schickt und an die Ein-
Sie sagt zu ihren Bekannten, da links, Hundertschaft, die – endlich – als Verstär- gänge. Er hätte die Schleusen demnach
die Treppe. Sie wundert sich. So eine kung an die Westschleuse geschickt wird. sperren lassen müssen, notfalls mit aller
kleine Stiege, das soll der Eingang zur Es dauert am Ende nur ein paar Minuten. Gewalt. So wie es der Führungsstab dann
Love Parade sein? Aber wo sonst? Also Dann ist geschafft, was schon viel früher ja auch anordnete, aber eben erst um
zur Treppe, die Ersten laufen dort schon hätte passieren müssen: den Ansturm der 16.48 Uhr, als es zu spät war. Warum das
nach oben, auch Ina denkt jetzt, dass dies Raver komplett zu stoppen. nicht auch schon früher hätte möglich
der einzige Weg für sie alle ist. sein sollen? Die Staatsanwälte haben dar-
Für 21 wird es der Weg in den Tod. Staatsanwälte gegen die Polizei auf keine Antwort gefunden. Der Anwalt
Alle drängen, drücken zur schmalen von Kuno S. weist den Vorwurf, sein Man-
Treppe, sie stehen so eng, dass sie kaum Das also sind die Ereignisse, wie sie sich dant habe um 15.40 Uhr „polizeiliche
noch Luft in die Lungen ziehen können, für die Staatsanwaltschaft Duisburg im Maßnahmen pflichtwidrig unterlassen“,
und nun beginnt das Meer der Köpfe vor Januar darstellten, der Weg in eine Kata- als „unbegründet“ zurück.
dieser Treppe zu wogen, hin und her, wie strophe. Die Ermittlungen sind inzwi- Dennoch verdächtigen die Ermittler S.
Ähren im Wind, und dann, ganz langsam, schen weitergegangen, aber was soll sich nun der fahrlässigen Tötung, der fahrlässi-
drückt es die Ersten zurück nach hinten, noch ändern? Wer von einem „Unglück“ gen Körperverletzung. Weil er nicht getan
und die Nächsten, und die Nächsten auf spricht, wie das Innenminister Jäger nach habe, was getan werden musste: die Gefahr
die Nächsten, und sie liegen übereinan- der Love Parade getan hat, wird dafür in abwehren. Aber wer hat das an diesem
der, schichten sich auf, und die in diesem den Akten bislang kaum Belege finden. Tag schon? Und in den Wochen davor?
Berg liegen, können ihre Arme nicht Es geht nicht um unglückliche Umstände, Es gibt offenbar keine Unschuldigen
mehr bewegen, ihre Beine nicht, und es geht um unfassbares Unvermögen. mehr bei dieser Love Parade. Außer 21
manchmal nicht mal mehr ihre Finger. Nicht um schicksalhafte Wendungen, son- Opfern. A����� B�����, G���� B������,
Sind verklemmt, verkeilt, eine dichte dern um krasses Versagen. J����� D�������, S��� R����

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