und
Pädagogische Anforderungen
an die
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Politische und Pädagogische Anforderungen an die Erziehung
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allgemeinen Besten in einem unauflöslichen Zusammenhange stehe, und eins nur durch
das andere bewirkt werden könne. …
Es ist auch nicht das Werk eines Kopfes, eines Regenten, oder einer heißen Begeisterung,
diese Vollkommenheit zu bewirken. … Es müssen Köpfe da sein, die den Wert der
Arbeitsamkeit und zugleich die allgemeine Fassung des menschlichen Verstandes kennen,
daß sie zu sagen wissen: Dies und Das ist für den Bürger brauchbar, und so und so muß es
ihm beigebracht werden. … Es muß endlich eine gute Polizei dasein, welche die Tüchtigen
und Brauchbaren nicht verrosten und verkommen läßt, sondern sie in Tätigkeit zu bringen
und für das Ganze nützlich zu machen weiß. Dies ist nicht das Werk eines Tages, einer
Verordnung, eines aufs Geradewohl hingeworfenen Instituts: es ist das Werk einer langen,
anhaltenden und in alle Teile greifenden Operation; die Maschine ist vielfach
zusammengesetzt, alle Räder müssen ihr Spiel haben, und das Triebwerk beständig
nachgesehn und nachgeholfen werden, wenn die abgezweckte Wirkung erfolgen, wahrer
Gewinn für das Ganze entstehen soll.
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Gott und Welt und Menschheit, auf selbstgewählten Bahnen in die Tiefen der Erkenntnis
führt; wenn er ssich über die Wendepunkte aller menschlichen Tätigkeit ein System von
deutlichen Begriffen gebildet hat, um Maß und Zusammenhang in sein und andrer Leben zu
bringen, und in sich selbst immer unabhängiger zu werden, voll ausdauernden
Widerstandes gegen jede äußere Hemmung, mit Selbstverleugnung und aufopfernder
Liebe; wenn ihn weniger der Stoff, als die Form desselben rührt, wenn er weniger zu
besitzentrachtet, als das zu sein, wozu ihn die Natur mit seiner Gestalt ins Dasein rief;
wenn er aus allem, was er sagt und tut, aus dem Ton seiner Stimme, aus Gebärde und
Anstand, ja selbst aus dem Leblosen, was ihn umgibt, seinen Sinn für das Bessere und
Schöne durchscheinen läßt, wie die himmlische Freudigkeit hervorleuchtet aus dem
irdischen Auge, wenn er überall etwas Höheres sucht, als das Leben geben und nehmen
kann: so hat der Tiermensch dagegen für das Höchste wie für das Niedrigste nur einen
Maßstab: den Ertrag. Der mit alleiniger Sorge gepflegte Trieb zur Selbsterhaltung mit
seinem Gefolge, dem Interesse, dem Genuß und der Eitelkeit ist es, der ihn allein zu
ermüdender Anstrengung spornt. Um zu leben, vergißt er, wozu er lebt, vergißt, daß der
Mensch nicht allein lebt vom Brot; um zu leben, überschüttet er sich mit theoretischem
Gedächtniswust, und hält's für Wissenschaft, zu wissen, was andere gewußt haben; um zu
leben, beugt er den Geist unter das Joch der Autorität und fährt in demütiger
Geistesarmut im Gleise der Gewohnheit hin; zurückbebend vor jeder kühnen Folgerung,
vor jeder neuen Entdeckung oder Anwendung einer Entdeckung, die ihn in seinem
mechanischen Schneckengange zu stören droht, brandmarkt er jeden Versuch dieser Art
mit dem höhnenden Namen der Aufklärung: selbst wenn er (ein seltener Fall!) durch Not
getrieben weiter geht und Neues zu entdecken versucht, so ist es ihm nicht um Wahrheit,
sondern nur um ein Rezept zum Wohlbefinden zu tun, und die Wissenschaft sinkt ihm
herab zum Hausmittel für den Hausbedarf. Auch alle seine moralische Tatkraft hat der
Egoismus verschlungen, und er würde diesem Götzen Recht und Treue, Gesetz und
Menschenglück, Freiheit und Vaterland opfern, wenn ihn nicht das Bedürfnis fremder
Hilfe, die Furcht vor der Staatsgewalt, oder vor einer qualenvollen Ewigkeit zurückhielte;
weit entfernt von der edlen Selbstliebe, die sich in andern fühlt und findet, ist er immer
nur sein eigner unersättlicher Bettler. Erwarte man doch von ihm nicht Äußerungen des
Gefühls für Ehre und Selbständigkeit, kühnen Widerstand gegen das, was ihn zur
Entäußerung seiner Menschenwürde nötigt, nicht Beweise uneigennütziger Geselligkeit,
nicht tätige, warme Teilnahme am höheren Gemeinwohl; der Gehorsam, der leidende
Gehorsam ist seine Tugend, die Gewohnheit Sein Gesetz;sich der Meinung sklavisch
unterwerfen, Geld zu schaffen, neue Erwerbsmittel zu erklügeln und sich um die übrige
Welt nicht zu bekümmern, das ist seine lustige Lebensweisheit. Nur der Besitz, nicht die
Art desselben, nur der Inhalt, nicht die Gestalt kann ihn vergnügen. Statt die Zeugin der
freien Gedankenwelt, die Sprache, zur möglichsten Vollkommenheit auszubilden, um
durch die klarste und gefälligste Befestigung der fliehenden Gedanken und Empfindungen
sein Selbstbewußtsein immer reiner und tiefer zu machen, sieht er in ihr nur ein
bequemes Mittel zum nützlichen Verkehr, und kann er sie als solches brauchen, so wähnt
er den Gipfel erreicht zu haben, von dem er auf alle jene göttlichen Genies, die in
vollendeter Darstellung ihrer Ideen uns den reinsten Spiegel veredelter Menschennatur
vorhalten, als auf Phantasien und utopische Grillenfänger selbstgenügsam herabschaut. Ja
selbst den Wert der erhabensten Meisterwerke der Kunst berechnet er nach Prozenten,
höchstens erpreßt ihm, wie Herrn Campe, das Anschaun der Gruppe des Laokoons
seinen tierischen Empfindungsschrei: o weh! Zur selbstsüchtigen Verschmitztheit, zur
moralischen Nullität, zur ärgsten Sklaverei, in die ein Mensch geraten kann, zur
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Abhängigkeit von dem Leblosen herabgesunken, schleicht oder taumelt er, je nach seinem
Temperament, von Begierde zu Genuß, von Genuß zu Begierde, endlich zur
allvereinigenden Ruhe - des Grabes.
Und wie? wird man einwerfen, Du wagst diese Knechtschaft jener edlen Freiheit
voranzusetzen? Heißt das nicht, den Menschen vom Altar des Ewigen fortreißen und ihn in
den Staub werfen, zum Opfer am Tieraltar? ihn vom Gottesdienst zum Götzendienst
verleiten? …
Man stelle ihn ins Leben hinein, jenen Idealsfreund! und man wird bedauernd sehen, wie
der herliche Turm, den er in die Wolken erbaute, krachend zusammenstürzt. Stellt ihn
mit seinem reinen Sinn für die einfache Wahrheit der Religion in die wirbelvollen
Spitzfindigkeiten der Dogmatik; mit seinem tiefen Rechtsgefühl in die verformelte
Jurisprudenz, unter den Wust streitender Gesetze, unter die tötenden Buchstaben der
Gerichte; mit seinem begeisterten Schönheitssinn in die verschrobenen Gebräuche des
bürgerlichen Lebens; mit seinem lebendigen Freiheitsgefühl und der eignen
Willensfestigkeit in die Fesseln der Regierungsformen oder des Kriegsdienstes, der ihn
zwingt, nicht der Sache, sondern dem Führer zu folgen; schmiedet die aufringende
Tätigkeit in den langsamen Geschäftsgang, drängt das rastlose Streben nach dem Bessern
in das einförmige Gewohnheitsgleis, spannt den Schwung der Gefühle an den Brotwagen
des Egoismus; laßt in auf dem Boden, wo er säen will, starre Unempfänglichkeit finden;
finden, wie die meisten durch den ermattenden Kampf für ihre Existenz, durch die tägliche
Bedürfnisvermehrung, durch die maschinenmäßige Künstlichkeit der geselligen
Verhältnisse an den Staub gefesselt sich schon überglücklich wähnen, wenn ihnen nur
vergönnt ist, die Stimme, die sie doch zuweilen an die Leere ihres Innern mahnt, so schnell
als möglich im gemeinen Vergnügungstaumel zu übertäuben. Laßt ihn Kälte finden, wo er
Wärme, Höflichkeit, wo er Herzlichkeit, Scheinsucht, wo er Gradsinn, engherzige
Selbstigkeit, wo er edle Selbstverleugnung suchte; kurz überall sein idealisches
Vorwärtsdringen durch unübersteigliche Mauern der Wirklichkeit eingeschlossen sehen -
was kann der Erfolg sein? Entweder er steht in schneidender Eigentümlichkeit über der
Masse, die ihn nicht faßt, und statt der ersehnten Ruhe wird ihm die Ehre zu Teil, bei
seinem Leben für einen Schwärmer gehalten zu werden, und - wenn's hoch kommt - nach
seinem Tode in Adelungs "Geschichte der menschlichen Narrheit" zu prangen. Oder er
wird, um den Dämon des Ideals zu bannen, sich in den Strudel des Lebens stürzen, sein
Glaube wird ihm zur Torheit werden, es wird ihm Torheit scheinen, die engen Schranken
seines Amtes zu erweitern, da ihn demütige Beschränktheit sichrer empfiehlt; durch
Taten, durch Wissenschaft, durch Verdienst, durch Liebe und Freundschaft, durch
Gradheit, durch edle Dreistigkeit zu erwerben, was ihm durch Worte, durch
Auswendiglernen, durch gläubige Folgsamkeit, durch Geld und List und Vettern und
Gevattern, durch Schmiegen und durch Biegen weit bequemer zu Gebote steht. …
Das sind die schönen Früchte eurer Bildung zur Humanität! … warum dann nicht den
nähern Weg zur Ruhe wählen und die einmal aufgekeimte Vernunft, statt sie durch Ausbil-
dung zu stärken, durch einseitige Befriedigung des entgegengesetzten Triebes wenigstens
unterdrücken, da ihre Erdrückung leider unmöglich ist. Nur dadurch werdet ihr das Leben
mit der Schule in Harmonie bringen, und den Zögling zu einem stillen, gehorsamen, gedul-
digen Arbeiter machen, der keine Störung erfährt und keine verursacht. Instinktmäßig
wird er sich an dem Leitseil des Staates gängeln lassen: denn ihm verdankt er seine Ruhe
und, wie er meint, den gedeihlichen Unterschied zwischen Recht und Unrecht. Geduldig
wird er, als Gelehrter, sich nicht die sauerste Mühe verdrießen lassen, um recht viel nach-
sagen zu können, was andere gesagt haben, und sich an der Hand des Beispiels und der
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Satzung, wenn gleich mit saurem Schweiß, doch angewundert und gelobt, durch die ver-
wickeltsten Geschäfte zu finden; geduldig, als Kaufmann, auf Haben und Gewinnen seinen
Gesichtskreis beschränkend, die übrigen Dinge gehen lassen wie sie eben gehen; geduldig,
als Handwerker, sich bei monotonischer Wiederholung des Brauchs der Vorfahren
gemächlich begnügen; geduldig, als Bauer, unter des Joches Last mit seinem Ochsen am
Pflug ziehen und sich's nicht einfallen lassen, jemals gegen den Stachel zu löcken. … Er ist
glücklich in seiner Beschränktheit, in seiner Entfesselung von allen edlen Bedürfnissen:
denn er strebt nach nichts, was er nicht durch ausharrende Arbeitsamkeit an sich bringen
könnte. Die Arbeit würzt ihm das Leben: denn er sieht in ihr das Mittel, seinen Genuß zu
erhöhen, und dieser wird nie getrübt durch eitle Wünsche; hat er genug errungen, so
genießt er in dem Rückblick auf die überstandene Mühe, oder im Hinblick auf seinen
Wohlstand einen Vorgeschmack des Himmels, dessen reizendes Kirchengemälde ihn so
oft erbaute. Grausam seid ihr, wenn ihr ihm zeigt, was ihr ihm nicht geben könnt. …
Um in Republiken mit sicherem Erfolg die Jugend zur Bestialität zu führen, darf man, wenn
ich mich nicht irre, folgende Hauptgrundsätze nicht aus den Augen verlieren.
I. In den aufwachsenden Staatsbürgern muß zwar nicht in gleichem Grade, doch in
allen ohne Ausnahme jene Eigenschaft entwickelt, und jede anderweitige Entwicklung
unter den härtesten Strafen verboten werden, damit nicht Dummheit oder eigensin-
nige Verkehrtheit der Eltern die wohltätigen Staatszwecke hemme. Denn da nur aus
dem Willen der einzelnen der herrschende Gesamtwille geboren wird, so kann auch
nur aus der partiellen Bestialität die totale hervorgehen.
II. Durch eine möglichst frühe Hemmung und Irreleitung des natürlichen Ganges der
Menschenbildung müssen die Elementarschulen in jedem Kinde die Grundfäden der
Bestialität anlegen. Überließe man den Menschen der Natur und seinen natürlichen
Erziehern, der Freude und dem Schmerz, so würde die unausrottbare Vernunft,
zumal in dem blühenden Menschenalter, die umschließende Hülle mit eigener Kraft
mächtig durchbrechen, und das Auge des Menschen auf die Wunder seines Ichs und
der Welt richten. Den unverkünstelten Willen redet die Gottheit an in der Natur,
und aus ihm heraus antwortet in Gebärde, Ton und Sprache der ahnende Glaube an
das Ewige. Daß sich das jugendliche Gemüt nicht einst von selbst dahin erhebe, dafür
sorge die erste Geistesnahrung. …
III. Sobald die Elementarbildung die kindliche Seele in ihrer Wurzel gefaßt und verdreht
hat, so werde, je nach Verschiedenheit der zufälligen Zwecke eines jeden, sofort
durch Industrieschulen für die allgemeine Vorbereitung zu den künftigen Berufsge-
schäften gesorgt, damit der jugendliche Verstand, nur auf dieses Ziel gerichtet, nie zu
sich selbst komme. Der Grad der Verstandesbildung, d.h. seiner Richtung zum Behuf
der künftigen Geschäftsbrauchbarkeit, muß nach dem Verhältnis der einzelnen
Berufserfordernisse höher oder niedriger sein, und daher die Bestialität, je nachdem
der Beruf größere oder geringere Klugheit erheischt, zwar sich vermindern, niemals
aber in Humanität ausarten.
IV. Die Wissenschaften müssen nicht als Nährerinnen und Pflegerinnen unserer Men-
schenwürde den Jüngling treiben, sondern als Lasttiere, mit des Leibes Notdurft und
Nahrung reichlich bepackt, von ihm getrieben werden, auf daß ihr Funke nicht etwa
zur leuchtenden und wärmenden Flamme angefacht, sondern möglichst bald unter
der Asche gemeiner Nützlichkeit erstickt werde. …
Aber, um aller Vorteile der Bestialität willen, nur den Jungen nicht in das klassische Alter-
tum geführt! Das hieße, das ganze herrliche Gebäude mutwillig wieder einreißen! Denn
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Humanität ist der Geist der Alten. Dieser Geist lebt in der Gesetzgebung wie in den Sit-
ten, in den Künsten und Wissenschaften der Griechen. Dieser Geist machte selbst den
starren römischen Gladiatorensinn empfänglich für Schönheit und Anmut; dieser Geist
störte die Völker aus der Ruhe, welche der Höchste wie der Niedrigste in den Armen der
Hierarchie gläubig genoß, und so lange über ihn nicht der Bannfluch ausgesprochen ist,
werden sie nimmer wieder zur Ruhe gelangen. Wenn dieser Geist den Jüngling in seiner
alten, eigentümlichen Kraft- und Charaktersprache, nicht aus verdolmetschten Nachklän-
gen anspricht, dann ist auch seine Ruhe dahin, die Gegenwart befriedigt ihn nicht mehr,
auf den Flügeln edler Ruhmbegierde hebt er sich über die Erde. Entrückt aus der
beschränkenden Umgebung in die alte biedere Heldenzeit des Homer, auf den Kampfplatz
des Leonidas, in das Theater des Sophokles, auf die Rednerbühne des Cicero, in die Aka-
demie des Plato, und nach Olympia zu den Siegern in jeglicher Kunst, fühlt er sich befeuert
nach dem Edelsten, Besten, Höchsten in einem bestimmten Kreise zu streben; durchdrun-
gen von der Ahndung dessen, was der Mensch sei, was er sein solle, was er wirken könne;
begeistert zu echt republikanischen Tugenden, zum Gefühl persönlicher Würde, die nicht
als Gnade annehmen will, was sie als Recht fordern kann, zur Klugheit im Rat, Entschlos-
senheit in Tat, Edelmut und Todesverachtung. Von den Philosophen lernt er reden, von
den Dichtern und Rednern philosophieren. Mit unwiderstehlich magnetischer Kraft dringt
die Sprache dieser Männer an sein Gemüt, er wird bewegt, gerührt, erschüttert, gefesselt.
…
Je weiter er ins Leben kommt, je mehr er sich durch die Alten an tiefgewurzelter
Gewandtheit gewachsen fühlt, desto stärker wird seine Unruhe, sein Wunsch, Maß und
Umriß und Einklang in seine Gedanken, Empfindungen, Phantasien und Sitten zu bringen,
und auch die Masse um sich her zu einem höheren Leben aufzuregen. Aber überall stößt
er auf verwirrende Anforderungen des bürgerlichen Lebens; er irrt und sieht überall Irr-
tum, da ihm in den Alten die leitende Tramontana aufgegangen ist. Aber macht ihn das
glücklich? Was sollen ihm solche aus den Alten eingesogenen Grundsätze: daß die Ehre
mehr wert sei als das Leben, daß überall nach dem Nutzen zu fragen sich nicht zieme für
liberale Gemüter, daß die Bildung zur Vernünftigkeit jeder Berufsbildung vorangehen
müsse, daß Wissenschaft das einzige Gut, Unwissenheit das einzige Übel sei, daß Überre-
dung die einzige Bedingung einer wohlbegründeten Herrschaft, und niemand zu Gesetzen
zu zwingen sei, von deren Güte man ihn nicht überzeugt habe; was sollen ihm viele andere
von der Art?
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Basis für eine dauerhafte alternative Produktions- und Lebensform: Vor einem Jahr kaufte
sie eine größere Landstelle weiter entfernt von der Stadt, auf der sie versucht, im bewuß-
ten Rückzug von der von ihr wahrgenommenen Deformation durch unsere Lebensweise
eine begrenzte Autonomie aufzubauen. Die Mitglieder der Gruppe qualifizieren sich hand-
werklich, renovierten ihr altes und ihr neues Haus und führten Renovierungsaufträge
durch. Sie ernähren sich durch die eigene Landwirtschaft und verkaufen ihre ökologisch
unbedenklich erzeugten Produkte. Wirtschaftspolitische Hilfe für "Selbständige" werden
wahrgenommen, ebenso Arbeitslosenunterstützung und Ausbildungsförderung, begonne-
nes Studium soll abgeschlossen werden. Ziel aber ist, daß keiner mehr "Draußen" arbeiten
gehen muß, daß sich die "Alternative" vom Verkauf ihrer Produkte ernähren kann. Der
Geldbedarf der Gruppe ist - abgesehen von den ersten Kauf- und Renovierungskrediten -
sehr gering; die Arbeitsbelastung ist hoch, doch die Arbeit wird gern getan.
Zweites Fallbeispiel: Vor acht Jahren brachen Peter und Petra ihr Lehrerstudium ab; denn
ein weiteres Einpauken von Wissen schien ihnen unnütz zu sein. Sie wollten zu zweit
leben und selbstbestimmt arbeiten. Mit Spannplatten und Handsäge begannen sie, Regale
herzustellen, die sie direkt an Bekannte oder Interessenten verkauften. Eine Krise durch
die Konkurrenz eines großen preisgünstigen schwedischen Möbelunternehmens meister-
ten sie durch die Umstellung auf Naturholzregale. Geld brauchen sie nur für einen
bescheidenen materiellen Bedarf. Beide arbeiten etwa halbtägig in ihrer Werkstatt, Peter
jetzt etwas mehr, Petra etwas weniger, seitdem zwei Kinder da sind. Die Kinder sollen
sehen, wie ihre Eltern arbeiten. Darüberhinaus sind Peter und Petra künstlerisch, sozial
und politisch aktiv. Sie beteiligen sich an der Dokumenta, initiierten und unterstützten
verschiedene Selbsthilfegruppen, so einen Kinderladen, ein Vorschulprojekt, eine Teestube
für Drogenabhängige, ein Jugendzentrum, schrieben eine Stadtzeitung, sind in der Bürgeri-
nitiative für Umweltschutz und bei den "Grünen " aktiv. Später wollen sie in eine größere
Kooperative einsteigen.
Drittes Fallbeispiel: Walter brach vor mehreren Jahren sein Berliner Philologie-Studium ab
und zog in die Provinz. Er eröffnete mit einem Freund eine Kneipe, aus der bald eine
unter Jugendlichen bekannte und gut besuchte Diskothek mit einem gewissen "Szene“ -
Image wurde. In der Diskothek arbeiten sechs oder sieben junge Leute, teils Berufslose,
vorher Arbeitslose, auch Studenten, zuständig für Theke, Küche, Musik. Sie sind unterein-
ander bekannt oder befreundet, mehr oder weniger aus dem gleichen "Milieu"; man kann
sie z.T. als "halbe Aussteiger" ansehen.
Viertes Fallbeispiel: Heidi, verheiratet mit einem Unteroffizier , zwei Kinder, bestand nach
längerem Hausfrauendasein vor einigen Jahren die Hochschulzulassungsprüfung und
begann ein Lehrerstudium. Vor einem Jahr brach sie ihr Studium ab, um mehr ihre künst-
lerischen Neigungen weiter zu verfolgen, als in einen doch nicht geliebten Beruf zu gehen.
Und sie errichtete - unterstützt durch ihren Mann - im letzten Jahr einen Laden für Bastel-
waren und führt darin auch Keramik- und andere Hobbykurse durch. Sie hat damit das
verwirklicht, was sie sich seit langem wünschte.
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Aus den bisher genannten Zahlen ergibt sich, daß das Erziehungs- und Bildungswesen der
Bundesrepublik bei weitem nicht mehr in der Lage ist, den Bedarf unserer Gesellschaft an
qualifizierten Nachwuchskräften zu decken und den durchschnittlichen Bildungsstand
unseres Volkes auf einem Niveau zu halten, das den Standards des zwanzigsten Jahrhun-
derts entspricht. Selbst seinen eigenen Lehrernachwuchs kann es nicht liefern.
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