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nachrichten g 3336 6.6.2002 18. jahrg./issn 0945-3946 1,30 ¤
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„Angesichts der politischen Ent-
wicklungen im Nahen Osten erleben
wir eine öffentliche Debatte, die von
neuen Formen des Antisemitismus
geprägt wird. Dabei wird die legiti-
Info:
me und an sich nicht antisemitische
Kritik an der verhängnisvollen Poli-
tik der gegenwärtigen israelischen
Regierung mit einer pauschalen Dif-
famierung des Staates Israel oder Köln: Debakel für Neonazis. Die „Kameradschaft Köln“ und der „Nationale Sturm
Menschen jüdischen Glaubens in un- Köln“ hatten zu einer Demonstration aufgerufen, erschienen waren nur ganze 52
serem Land verbunden.“ „Kameraden“ – unter ihnen 15 Berliner Neonazis. Obwohl erst wenige Stunden vor
Darüber hinaus fänden „historisch dem Nazi-Auflauf bekannt wurde, dass dieser an einem neuen Ort in Köln und zu einer neu-
verzerrte Vergleiche“ mit dem „Ver- en Uhrzeit beginnen sollte, konnte dennoch trotz massiven Polizeiaufgebots dieser empfind-
nichtungskrieg“, eine Identifizierung lich gestört werden. Eine Gruppe von AntifaschistInnen blockierte den Weg. Anderthalb
von Flüchtlingslagern mit KZs und Stunden war Stillstand. Dann mussten die Nazis unter Polizeischutz über einen freigehalte-
Ähnliches nicht nur in der neofa- nen U-Bahn-Zugang den Platz räumen. An der antifaschistischen Demonstration, die vor Be-
schistischen Polemik statt. ginn des Nazi-Auflaufs in dessen unmittelbarer Nähe beendet wurde, hatten zuvor rund 500
„Ein schlimmes Beispiel“ böten Menschen teilgenommen.
die Äußerungen von FDP-Politiker
Möllemann: „Statt eine politische
Lösung der Probleme im Nahen Os-
ten, wie sie von der israelischen und Antifaschisten warnen
palästinensischen Friedensbewegung
gefordert wird, zu unterstützen, betä- vor einem
tigt er sich als ,Tabu-Brecher‘, in-
dem er aus erkennbar wahltaktischen
Gründen nicht nur antisemitische
neuen Antisemitismus
Ressentiments in unserer Gesell- zenden des Zentralrates der Juden, Michel das Verhalten eines Biedermannes, der
schaft bedient, sondern durch seine Friedmann, im Zusammenhang mit dem Benzinkanister ins Haus schleppt und an-
Art der öffentlichen Präsentation sie Fall Karsli, seien „nur die Spitze eines Eis- schließend den Brandstiftern noch die
auch noch forciert“. bergs, der offenkundig gesellschaftliches Streichhölzer aushändigt“.
„Endlich dürfe man sagen, was Bewusstsein widerspiegelt“. Behauptun- „Wir teilen die Sorge des Zentralrats der
man schon immer dachte“, laute eine gen wie jene, die Juden selber seien für die Juden in Deutschland über die Wiederbele-
der Reaktionen auf Möllemanns Vor- Zunahme des Antisemitismus verantwort- bung des Antisemitismus in einem bisher
stoß. Dessen öffentliche Anwürfe lich, lägen auf einer ähnlichen Linie wie nicht gekannten Ausmaß“, heißt es in der
gegen den stellvertretenden Vorsit- Nazi-Parolen von der „zionistischen Welt- Erklärung der beiden Bundessprecher der
verschwörung“. Dabei würden „die Opfer VVN-BdA. „Wir verurteilen das Spekulie-
zu Tätern gemacht und eine nicht greifbare ren auf Wähler aus dem rechten Lager.
Aus dem Inhalt: ,allgegenwärtige Bedrohung‘ herbei phan- Der Judenhass ist in unserem Land nach
FN und MNR vor den tasiert“. wie vor virulent; ihn wieder zu erwecken,
Parlamentswahlen . . . . . . . . . 7 „Im Endeffekt werden damit antisemiti- ist angesichts der deutschen Geschichte
Friedensbewegung ist sche Vorbehalte bedient und unterstützt, ein Verbrechen.“
jung geworden . . . . . . . . . . . 9 die in letzter Konsequenz zu Übergriffen, Bundessprecher der VVN-BdA
Der Stachel im Zentrum. . . . 10 Brandstiftungen und Friedhofschändungen Peter Gingold (Mitglied des Auschwitz-
führen.“ Die Erklärung, das habe man Komitees in der BRD)
„nicht gewollt“, sei „so glaubwürdig wie Dr. Ulrich Schneider (Historiker) ■
: meldungen, aktionen
ländern wegen des Verdachts auf Fort-
führung der verbotenen Neonazi-Organi-
sation „Blood & Honour" durchsucht
„Volksbegehren“ in gen Freiheit“ im vergangenen Jahr wurden, kann selbst die Bundesregie-
Niedersachsen? (41/2001) äußerte Schwenke u.a.: „Heu- rung ihre früheren Erfolgsmeldungen of-
te wittert man überall nationalsozialisti- fenkundig nicht mehr aufrecht erhalten.
Oberhausen. Die neofaschistische Zeit- sche Gefahr, sobald nur das Wörtchen So heißt es nun in der Antwort der
schrift „Unabhängige Nachrichten“ ruft „rechts“ oder „konservativ“ erscheint“. Bundesregierung auf eine Kleine Anfra-
zur Beteiligung an einer Unterschriften- Wenn die PDS an der Berliner Regierung ge der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke:
sammlung zur Genehmigung eines beteiligt werde, wünsche er sich einen Es „wurden Erkenntnisse über ein Zu-
„Volksbegehrens“ in Niedersachsen auf. „Aufstand der Anständigen“, der „richti- sammenwirken von Aktivisten verschie-
Die wahlberechtigten Bürgerinnen und gen Anständigen“, „nicht derart, wie dener früherer ‚Blood & Honour'-Sektio-
Bürger Niedersachsens sollen über fol- vom 9. November 2000, als man alles in nen bekannt. Auf dieser Ebene liegen
gende Frage abstimmen: „Sind Sie mit die Hände des Antifaschismus geraten einzelne Hinweise auf Aktivitäten ehe-
der Ausweitung der derzeit gegebenen ließ“, so Schwenke. Gast der Versamm- maliger ‚Blood & Honour'-Mitglieder
gesetzlichen Erlaubnis des Zuzugs von lung war auch Dr. Annette Kaminsky, bzw. auf Organisationsstrukturen vor, die
Ausländern aus Staaten außerhalb der derzeit kommissarische Geschäftsführe- auf Bemühungen um die Aufrechterhal-
Europäischen Union zur Besetzung hier rin der „Stiftung Aufarbeitung“ . tung oder Wiederherstellung der frühe-
angebotener Arbeitsplätze einverstan- hma ■ ren Handlungsfähigkeit und die öffentli-
den, ja oder nein?“. Die formulierte Fra- che Präsenz von ‚Blood & Honour' hin-
gestellung erfülle zwar „nur im Ansatz EU verweigert Korridor deuten." Darüber hinaus bestünden frü-
die Maßnahmen, die nötig wären, um die here persönliche Verbindungen ehemali-
Massenzuwanderung zu stoppen“, so die Kaliningrad. Mit der bevorstehenden ger „Blood & Honour"-Mitglieder fort.
„Unabhängigen Nachrichten“ (5/02), Erweiterung von EU und NATO um Po- In Einzelfällen würde auch nach dem
„weitergehende Forderungen wären aber len und Litauen droht dem Gebiet um Verbot noch Propagandamaterial von
gar nicht erst genehmigt worden“. Um das russische Kaliningrad die völlige „Blood & Honour" vertrieben, organi-
ein solches „Volksbegehren“ in Nieder- Isolation auf dem Landwege. Grund da- sierten ehemalige B & H-Mitglieder
sachsen zu ermöglichen, müssen bis zum für ist die Entscheidung der EU, die Ein- mehrere Konzerte, seien in Deutschland
1. September 25 000 Unterschriften ge- richtung eines visumfreien Korridors für mehrfach Bands aufgetreten, bei denen
sammelt werden. hma ■ Bürgerinnen und Bürger der Region ein Bezug zu B & H vermutet werden
durch polnisches und litauisches Gebiet kann. Auch seien der Bundesregierung
Anständig rechts abzulehnen. Begründet wird die Ent- einige deutsche Bands und CD-Anbieter
scheidung damit, das mit dem „Schenge- bekannt, die Kontakte zu ausländischen
Berlin. Die „Union der Opferverbände ner Abkommen“ alle Mitgliedsstaaten B & H-Mitgliedern unterhalten oder bei
kommunistischer Gewaltherrschaft“ verpflichtet sind, die Außengrenzen der B & H-Konzerten im Ausland aufträten.
(UOKG) hat auf ihrer letzten Mitglieder- EU besonders scharf zu überwachen. Die Nur wenige Monate nach dem Verbot
versammlung „Prüfsteine“ zur Bundes- EU ist der Auffassung, das eine von Ruß- hatten Landesämter für Verfassungs-
tagswahl aufgestellt. Darin wird neben land erwartete Regelung die EU-Außen- schutz und antifaschistische Initiativen
der „ideellen und materiellen Gleichstel- grenze durchlöchern und womöglich die über ein Fortbestehen von „Blood & Ho-
lung aller Opfer von Diktaturen“ auch Sicherheit der EU-Bürger gefährden nour"-Strukturen berichtet und Zweifel
„keine Partnerschaft demokratischer Par- würde. Der Gouverneur des Kaliningra- an dem Erfolg des Verbotes geäußert.
teien mit der PDS“ gefordert. Künftig der Gebietes, Wladimir Jegorow, be- Nachfragen der PDS bei der Bundesre-
will sich der Dachverband verschiedener zeichnete die EU-Entscheidung als „un- gierung (Bundestagsdrucksache 14/6137
antikommunistischer Gruppierungen den gerechtfertigt hart“ und „diskriminie- und 14/6417) stießen damals jedoch auf
Vereinigungen der früheren DDR-„Bür- rend“. Die EU wolle so „das Recht der Ignoranz und ein stoisches Festhalten an
gerrechtsbewegung“ annähern. Als neu- Kaliningrader, sich frei von der Oblast Erfolgsmeldungen seitens des Innenmi-
es Mitglied der UOKG wurde der Verein Kaliningrad ins übrige Rußland und um- nisteriums.
„Hilferufe von drüben“ aufgenommen. gekehrt zu bewegen“, beschneiden. Die Angesichts der Ermittlungen des Lan-
Der Verein war 1978 in Lippstadt als In- Haltung der EU könne das Kaliningrader deskriminalamtes Sachsen-Anhalt hat
itiative um Gerhard Löwenthal (früher Gebiet in einen wirtschaftlichen Kollaps die Bundesregierung nun offenbar kalte
„ZDF-Magazin“) und Helmut Kamphau- treiben, befürchtet Gouverneur Jegorow. Füße bekommen. Bleibt zu hoffen, dass
sen, beide auch Autoren der „Jungen Ohnehin sei die Wirtschaft des Gebietes Innenminister Schily in Zukunft War-
Freiheit“, gegründet worden. Kamphau- bisher schon zu 50% auf den westlichen nungen und Hinweise der antifaschisti-
sen, einst stellvertretender Vorsitzender Markt ausgerichtet. hma ■ schen Öffentlichkeit über Aktivitäten in
des Vereins, stand 1993 auf der Teil- der Neonazi-Szene nicht mehr aus Inter-
nehmerliste eines Lesertreffens der neo- Bundesregierung revidiert esse an Eigenlob oder aus ideologischen
faschistischen Zeitschrift „Recht und Gründen ignoriert. Ulla Jelpke ■
Wahrheit“ und referierte vor seinem Tod Erfolgsmeldungen zum Ver-
im Jahre 1998 noch bei den sog. „Repu- bot der Neonazi-Organisa- Antirassistisches Festival in
blikanern“ in Berlin. Im Hinblick auf die tion „Blood&Honour"
Öffentlichkeitsarbeit der UOKG wurde Brandenburg
beschlossen, den Kontakt zu Journalisten Berlin. Die Bundesregierung rückt erst- Am 15. Juni 2002 findet in Königswus-
künftig „persönlicher“ zu gestalten und mals von ihrer bisherigen Einschätzung terhausen auf der Festwiese das „Le
zu „intensivieren“. Neben dem neuen ab, dass das Verbot der Neonazi-Organi- monde est à nous – beats against racism“
Vorsitzenden der UOKG, Horst Schüler sation „Blood & Honour" vom Septem- statt. Dieses Festival wird bereits zum
(„Lagergemeinschaft Workuta“), sprach ber 2000 ein voller Erfolg gewesen sei. dritten Mal von einem Bündnis aus Anti-
auf der Versammlung auch Hans Nach der groß angelegten Durchsu- fa-Gruppen, Gewerkschaften und dem
Schwenke (früher „Vereinigte Linke“) chungsaktion des Landeskriminalamtes SPLIRTZ Brandenburg e.V. organisiert,
vom „Bund der Stalinistisch Verfolgten“ Sachsen-Anhalt, bei der am 25. April um die alternative Jugendkultur vor Ort
(BSV). In einem Interview mit der „Jun- 2002 über 40 Objekte in sieben Bundes- zu stärken.