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Vorwort
Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Rolf Born von der nordrhein-westfälischen
Landwirtschaftskammer. Dabei ist neben der Mitgestaltung bei der Themenfindung und der
Auswahl des Beispielraumes im Speziellen die umfangreiche Unterstützung der Diplomarbeit
mit Bereitstellung und Organisation vielfältiger Daten und Literaturen zu nennen.
Des Weiteren möchte ich mich gesondert bei Herrn Dr. Ralf Joest von der
Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz des Kreises Soest sowie Frau Hildegard
Stahn und Herrn Achim Grebe von der Abteilung Natur- und Landschaftsschutz des
Fachbereiches Bau, Kataster und Umwelt im Kreis Soest für die Bereitstellung von Daten und
die persönlichen Gespräche zu den Themenbereichen Agrarpolitik, Naturschutz und
Flächenverbrauch bedanken. Von weiteren Mitarbeitern des Kreises Soest und auch den
Kommunen des Kreises Soest habe ich nähere und weitergehende Informationen und Daten
erhalten. Des Weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Thomas Mosimann für die Übernahme der
Zweitprüfung.
Inhaltsverzeichnis III
Inhaltsverzeichnis
Vorwort……………………………………………………………………….. II
Inhaltsverzeichnis…………………………………………………………….. III
Abbildungsverzeichnis……………………………………………………….. V
Kartenverzeichnis…………………………………………………………….. VII
Tabellenverzeichnis…………………………………………………………... IX
Fotoverzeichnis……………………………………………………………… X
1 Einleitung…………………………………………………………………….. 1
2 Kulturlandschaft……………………………………………………………… 4
2.1 Definition Kulturlandschaft…………………………………………... 4
2.2 Rechtliche Rahmenbedingungen von Kulturlandschaften………......... 10
2.2.1 Nationale Ebene…………………………................................. 10
2.2.2 Internationale Ebene………………………………………….. 14
2.3 Bedeutung und Wert von Kulturlandschaften………………………... 16
2.3.1 Geschichtliche Bedeutung……………………………………. 18
2.3.2 Bedeutung für die Bevölkerung………………………………. 19
2.3.2 Ökologische Bedeutung………………………………………. 22
3 Kulturlandschaften und bedeutende Kulturlandschaftsbereiche in
Nordrhein-Westfalen…………………………………………………………. 25
4 Die Hellwegbörde – ein agrarisch intensiv genutzter Gunstraum im
mittleren Westfalen…………………………………………………………... 31
4.1 Naturräumliche Grundlagen………………………………………….. 31
4.1.1 Lage…………………………………………………………... 31
4.1.2 Geologie und Relief…………………………………………... 32
4.1.2.1 Präglaziale Formung der Westfälischen Bucht……….. 32
4.1.2.2 Glaziale und postglaziale Überformung……………… 35
4.1.3 Boden…………………………………………………………. 38
4.1.4 Klima…………………………………………………………. 41
4.2 Abriss der Landnutzungsgeschichte………………………………….. 44
4.3 Aktuelle Situation der Landwirtschaft………………………………... 48
5 Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung…………………………………... 56
5.1 Einflussfaktoren auf die Landwirtschaft und die Auswirkungen
auf die Hellwegbörde…………………………………………………. 56
5.1.1 Klimawandel………………………………………………….. 57
5.1.1.1 CO2-Düngeeffekt……………………………………... 58
5.1.1.2 Temperatur……………………………………………. 61
5.1.1.3 Niederschlag (Wasserverfügbarkeit)………………….. 67
5.1.1.4 Wetterextreme………………………………………… 69
Inhaltsverzeichnis IV
Abbildungsverzeichnis
Kartenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Fotoverzeichnis
1 Einleitung
In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung von Kulturlandschaften als öffentliches Gut
zusehends in der Gesellschaft anerkannt worden. Diese zunehmende Sensibilisierung des
Landschaftsschutzes geht einher mit einer verstärkten Vereinheitlichung und Nivellierung der
unterschiedlich ausgeprägten Kulturlandschaften. „Die Kulturlandschaften verändern ihr
Aussehen und ihre ökologische Struktur mit zunehmender Dynamik in Wirtschaft und
Gesellschaft immer schneller“ (JOB, H. U. STIENS, G., 1999. S.I). Das Tempo und die
Intensität der Veränderungen führen zu häufig vollständig verplanten und genutzten
Landschaften, die auch als „funktionale Landschaften“ (LOSCH, S. 1999. S.312) bezeichnet
werden (vgl. DOSCH, F. U. BECKMANN, G., 1999a. S.291 u. LOSCH, S. 1999. S.312).
Monotonie und Nivellierungen gehen unter diesen Bedingungen dabei häufig aus der früheren
Landschaftsvielfalt hervor (vgl. STIENS, G., 1999. S.322). „Eine Konservierung ‚unter der
Käseglocke’ […] aus der Vergangenheit in unsere heutigen Landschaften“ (GUNZELMANN, T.
U. SCHENK, W., 1999. S.347) ist jedoch überkommen, weist für die heutige Zeit nicht mehr
funktionale Elemente und Strukturen auf und ist - wenn überhaupt - nur auf kleinen,
inselartigen Flächen möglich. Daher ist die angepasste Weiterentwicklung der Landschaften
in großem Umfang unumgänglich (vgl. GUNZELMANN, T. U. SCHENK, W., 1999. S.347). Als
Einleitung 2
Aufgrund der großen Flächenanteile, die die Landwirtschaft nutzt, haben die Landwirte einen
sehr bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung der Kulturlandschaften. „Von jeher hat in
Deutschland vor allem die Landwirtschaft mit ihren Bewirtschaftungsweisen das Bild der
Kulturlandschaft geprägt“ (LOSCH, S., 1999. S.314). Die Landwirtschaft wird einerseits als
Bedrohung für die gewachsenen Kulturlandschaften und vorhandenen Strukturen und
Elemente, die die Landschaft prägen, angesehen, aber andererseits bieten sich in der
Landbewirtschaftung Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten einer in Gesellschaft und
Politik geforderten erhaltenden Kulturlandschaftsentwicklung. Das derzeit herrschende stark
gestiegene Interesse in der Öffentlichkeit an der zukünftigen Entwicklung und Erhaltung von
Kulturlandschaften ist auch an einer zunehmenden Zahl an Publikationen in diesem
Themenbereich erkennbar (vgl. JOB, H. U. STIENS, G., 1999. S.IIIf.). „Der Fortbestand einer
Agrarstruktur wie bisher ist eher unwahrscheinlich“ (LOSCH, S., 1999. S.315). Somit sind –
ähnlich wie in den vergangenen Jahrzehnten – massive Veränderungen in der Landwirtschaft
zu erwarten. Gerade in den intensiv agrarisch genutzten Gunsträumen hat die Landwirtschaft
maßgeblichen Einfluss auf das Landschaftsbild. Bei der Darstellung dieser Prozesse dient die
agrarisch intensiv bewirtschaftete Hellwegbörde im mittleren Westfalen als Beispielraum.
Der strukturelle Aufbau dieser Arbeit gliedert sich in zwei überblickartige Einführungen in
den thematischen Kontext der Kulturlandschaften sowie die Kulturlandschaft der
Hellwegbörde (s. Abb. 1). Aufbauend auf diesen Grundlagen werden die für die
Landwirtschaft maßgeblichen Einflussfaktoren mitsamt den Auswirkungen auf die
Hellwegbörde vorgestellt. Die separat betrachteten Einflussfaktoren werden anschließend in
den drei Entwicklungsszenarien „multifunktionale Landwirtschaft“, „marktnahe ökologische
Landwirtschaft“ und „agroindustrielle Landwirtschaft“ zusammengefasst, um die
Einleitung 3
Die wichtigsten Abbildungen und Karten sowie ausgewählte Fotos sind in digitaler Form der
Diplomarbeit in einer CD beigefügt.
2 Kulturlandschaft
Industrie-/Gewerbegebiete (s. Abb. 2). Diese Landschaftsräume werden von einigen Autoren
als Produktions- und Wirtschaftslandschaften bezeichnet und nicht mit zu den
Kulturlandschaften gezählt (vgl. WÖBSE, H. H., 1999. S.271 u. CURDES, G., 1999. S.333). Bei
Wöbse sind Kulturlandschaften nur die „positiv zu bewertende[n] Landschaften“ (WÖBSE, H.
H., 1999. S.271). Diese Sichtweise wird in folgender Definition ersichtlich:
„Kulturlandschaften sind vom Menschen gestaltete Landschaften, deren ökonomische,
ökologische, ästhetische und kulturelle Leistungen und Gegebenheiten in einem
ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, die eine kontinuierliche Entwicklungsdynamik
gewährleisten und langfristig geeignet sind, Menschen als Heimat zu dienen.“ (WÖBSE, H. H.,
1999. S.269 u. WÖBSE, H. H., 2002. S.184f.). Diese Definition umfasst sowohl die
soziokulturellen, als auch die ökologischen und ökonomischen Aspekte, die in den
Kulturlandschaften interagieren und erst das gegebene Erscheinungsbild der Landschaft
hervorrufen, welches jedoch nur eine Momentaufnahme der aktuellen Bedingungen unter
Berücksichtigung historischer Entwicklungen darstellt. Das Zitat bezieht sich mit dem
Ausdruck „Menschen als Heimat zu dienen“ bereits auf eine wichtige Funktion und
Bedeutung von Kulturlandschaften, welche in Kapitel 2.3 (Bedeutung und Wert von
Kulturlandschaften) näher betrachtet wird.
„Die Vielfalt an beteiligten Disziplinen, aber auch der Kontexte im gesellschaftlichen Diskurs
induzieren dabei auch eine Vielfalt an Begriffsdefinitionen“ (APOLINARSKI, I. et al., 2004. In:
BMVBS U. BBR, 2006. S.2). Dabei ist es sinnvoll auch die stark anthropogen überformten
urbanen und suburbanen Gebiete mit in die Kategorie der Kulturlandschaften hinzuzufügen,
da „Kulturlandschaften […] nicht nur ‚schöne’ Landschaften [sind]“ (JOB, H. U. STIENS, G.,
1999. S.I). Auch urbane Landschaften gelten als Kulturlandschaften, da „es sich hierbei um
eine in spezieller Weise gesellschaftlich in Wert gesetzte Landschaft [handelt], die Ausdruck
urbaner Lebensstile und Handlungsmuster [ist]“ (PRIEBS, A. In: BAUEROCHSE, A. et al.
(Hrsg.), 2007. S.92). Ebenso wird es in dieser Ausarbeitung gehalten, so dass in Mitteleuropa
bis auf sehr wenige und kleinräumige Ausnahmen und folglich auch im Bundesland
Nordrhein-Westfalen alle Landschaften Kulturlandschaften unterschiedlich starker
naturräumlicher und anthropogener Ausprägungen sind. „Der Mensch [ist] immer eine
wichtige, sogar entscheidende Gestaltungskraft für das gewesen, was wir unter dem Begriff
Kulturlandschaft verstehen“ (WÖBSE, H. H., 2002. S.14, vgl. auch FALTER, R. In:
BAYERISCHE AKADEMIE FÜR NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE [ANL] (Hrsg.), 1995.
S.37). Es gelten unabhängig von qualitativen und normativen Festlegungen alle durch den
menschlichen Einfluss veränderten Landschaften als Kulturlandschaften (vgl. RÖHRING, A.
In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.197 u. JANSSEN, G. In: MATTHIESEN, U. et al.,
2006. S.21).
Kulturlandschaft 6
Abb. 2: Landschaften
Eigene Abbildung, nach CULTURE-NATURE, 2006 u. VON HAAREN, C., 2004. S.23
Als Urlandschaften werden die nicht mehr existierenden Landschaften vor den verändernden
anthropogenen Überformungen jeglicher Art bezeichnet (s. Abb. 2). Naturlandschaften sind
vom Menschen nicht oder nur gering beeinflusste Gebiete, wohingegen die
Kulturlandschaften je nach Ausprägung mehr oder weniger stark vom Menschen beeinflusst
und überprägt werden (vgl. VON HAAREN, C., 2004. S.23, FESCHE, K., 2006. S.66 u. CULTURE-
NATURE, 2006). Die Kulturlandschaft stellt letztlich einen Raumausschnitt dar, dessen
naturräumlichen Grundlagen durch die menschlichen Einflussnahmen überformt werden.
Dabei gehen die vorhandenen natürlichen Bedingungen eine Symbiose mit menschlichen
Einflüssen und Nutzungen ein (vgl. FESCHE, K., 2006. S.66). Auf dem überwiegenden Teil
der Fläche wird die Kulturlandschaft durch die land- und forstwirtschaftliche Nutzung
geprägt, weshalb diesen Nutzungsformen eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. OTT, E.,
1997. S.10). „Allerdings bestimmen in neuerer Zeit die Zunahme großräumiger Siedlungs-,
Verkehrs- und Gewerbeflächen sowie andere Nutzungsweisen verstärkt die Entwicklung von
Landschaften und den Charakter“ (OTT, E., 1997. S.10).
In den Naturlandschaften prägen die natürlichen Faktoren und die natürliche Dynamik die
Landschaft, während der anthropogene Einfluss in diesen Landschaften nicht gegeben ist
bzw. nur marginal ist, wie beispielsweise durch Stoffeinträge über die Atmosphäre (vgl.
CULTURE-NATURE, 2006). Kulturlandschaften unterliegen allgemein einem zeitlich schnelleren
Wandel durch die anthropogenen Anpassungsprozesse als Naturlandschaften, welche in den
meisten Fällen in größeren Zeitspannen ablaufen (Gletscher, Bodenbildung, Reliefgestaltung,
etc.). „[Kulturlandschaften] stehen im Beziehungsgefüge zwischen Mensch, Natur und
Kulturlandschaft 7
Kultur“ (CULTURE-NATURE, 2006). Durch die Einflussmöglichkeiten des Menschen und die
natürlich ablaufenden Prozesse müssen Kulturlandschaften „als weitgehend instabil anerkannt
werden“ (MRASS, W., 1981. S.29). „Das Konstante der Landschaftsentwicklung ist ihr
Wandel“ (DOSCH, F. U. BECKMANN, G., 1999a. S.291), da sich Kulturlandschaften ständig
verändern, so dass Kulturlandschaften „Nutzlandschaften und immer im Wandel begriffen“
(KONOLD, W., 1998. S.279) sind. In diesem Wandel liegt weiterhin die Schwierigkeit „unseres
bildhaft-statischen Umganges vor allem mit der Kulturlandschaft, die wir häufig als ein
feststehendes Bild begreifen, in dem wir möglichst keine Veränderungen mehr zulassen
wollen“ (JESSEL, B. In: ANL (Hrsg.), 1995. S.8).
Aus der ursprünglichen Naturlandschaft, die ebenfalls durch die verschiedenen natürlichen
Prozesse ständigem Wandel und ständiger Dynamik unterworfen war, sind durch menschliche
Gruppen und Gesellschaften infolge von wirtschaftlichen und siedlungsmäßigen
Landschaftsveränderungen – je nach räumlicher und zeitlicher Dimension – charakteristische
Kulturlandschaften entstanden (vgl. LESER, H., 2001. S.424). „Die Naturlandschaften waren
[…] unterschiedlich gestaltet. Danach sind derartige Landschaften im Laufe der Zeit durch die
Aktivitäten des Menschen angepasst und umgestaltet und somit zu Kulturlandschaften
geworden“ (BURGGRAAFF, P. U. KLEEFELD, K.-D., 1998. S.151). Weiterhin ist die Schaffung
von Kulturlandschaft ein Prozess, „der bis an die Gegenwart heranreicht und sich auch in
Zukunft weiterhin vollziehen wird“ (BRINK, A. U. WÖBSE, H. H., 1989. S.3). Zu beachten ist
dabei allerdings, dass die die Landschaft verändernden Eingriffe im Zuge der
Industrialisierung und Globalisierung immer schneller und in größerem Umfang ablaufen und
Kulturlandschaft 8
folglich weiter reichende Auswirkungen auf die Kulturlandschaften haben (vgl. WÖBSE, H.
H., 1994. S.7). „Die Steigerung von Tempo und Intensität der Veränderungen zu häufig
vollständig verplanter und genutzter Landschaft“ (DOSCH, F. U. BECKMANN, G., 1999a. S.291)
ist ein Charakteristikum der letzten Jahrzehnte.
Der Terminus Kulturlandschaft besteht aus vielen Facetten, was an der Vielzahl inhaltlich
unterschiedlicher Definitionen auszumachen ist (vgl. KANGLER, G. U. VICENZOTTI, V. In:
BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.279). „Kulturlandschaft entzieht sich einer einzigen,
allgemeingültigen Definition“ (BMVBS U. BBR, 2006. S.4). Die folgende Definition
berücksichtigt sowohl die naturräumlichen Voraussetzungen, als auch die in heutiger Zeit
entscheidenden menschlichen Einflusspunkte, weshalb diese Abgrenzung des komplexen
Terminus Kulturlandschaft als einfach und kurz gehalten, aber dennoch sehr zutreffend zu
bewerten ist.
„Im geographischen Sinne repräsentiert die Kulturlandschaft somit den vom Menschen
entsprechend seinen existenziellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ästhetischen
Bedürfnissen eingerichteten und angepassten Naturraum, der im Laufe der Zeit mit einer
zunehmenden Dynamik entstanden ist und ständig verändert bzw. umgestaltet wurde und
noch wird“ (BURGGRAAFF, P. U. KLEEFELD, K.-D., 1998. S.169, 295 u. BURGGRAAFF, P., 2000.
S.11). Die Kulturlandschaft ergibt sich somit einfach ausgedrückt aus der Wechselwirkung
von natürlichen und menschlichen Faktoren im Laufe der Geschichte, wobei der
anthropogene Einfluss ständig zugenommen hat (vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al.
(Hrsg.), 2007. S.65).
In der Öffentlichkeit konzentriert sich der Begriff häufig auf ein ästhetisierendes
Erscheinungsbild einer vorindustriellen, kleinbäuerlichen Landschaft (vgl. GEBHARDT, H. et
al., 2007. S.819). Dieses konservierende Landschaftsbild hat hauptsächlich „den Erhalt der
Relikte aus der Kulturlandschaftsgeschichte zum Ziel“ (KONOLD, W., 1998. S.279) und steht –
sofern keine museale, statische Erhaltung des Menschen vorgenommen wird – dem real-
natürlichen und anthropogen bedingten Wandel entgegen. Mit diesem stetigen Wandel sind
strukturelle Veränderungen der Kulturlandschaft verbunden, wodurch sich auch der
Gesamtcharakter der Landschaft je nach Maßnahme verändert. So ist auch zu berücksichtigen,
dass der überwiegende Anteil der unter Naturschutz stehenden Flächen in Mitteleuropa
Kulturlandschaften sind, die nur mit anthropogenen Eingriffen zu erhalten sind (vgl. KÜSTER,
H., 1995. S.13 u. KÜSTER, H., 2006. S.2). Das, was man mit dem Naturschutz bewahrt und
früher häufig zunächst als Natur gehalten wurde, sind überwiegend vom Menschen gestaltete
Landschaften, also Kulturlandschaften. So ist die struktur- und abwechslungsreiche
Kulturlandschaft der vorindustriellen Zeit in der Öffentlichkeit allgemein positiv besetzt.
Durch die gemächlichen und in kleinen Schritten ablaufenden Veränderungen der damaligen
Zeit, die aus heutiger Sicht als extensive Bewirtschaftungsformen bezeichnet werden können,
ist zu einer ökologischen Bereicherung der Landschaft gekommen, die in Mitteleuropa zu
Kulturlandschaft 9
Beginn der industriellen Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Maximum
erreichte (vgl. LANGE, E. In: ANL (Hrsg.), 1995. S.111).
Der Kulturlandschaftsbegriff wird teilweise als wertender Begriff für einen idealen
Landschaftszustand verwendet (vgl. VON HAAREN, C., 2004. S.23). Dieses Leitbild ist an
möglichst große Naturnähe geknüpft, besonders an eine kleinbäuerliche, vorindustrielle
Landbewirtschaftung (vgl. WAGNER, J. M., 1999. S.13). Diese wertende Dimension beruht auf
der lange Zeit herrschenden Abhängigkeit der Kulturlandschaft und dessen
Erscheinungsbildes von der Agrargesellschaft (vgl. BMVBS U. BBR, 2006. S.30). Die heute
nur noch in Teilen vorhandene kleinbäuerliche Landnutzung, die (zumeist) eine extensive
Landbewirtschaftung beinhaltet, hat einen reich strukturierten, abwechslungsreichen
Landschaftscharakter (Strukturmosaik) zur Folge. „Als ‚eigentliche’ Kulturlandschaft wird oft
die vorindustrielle Agrarlandschaft gesehen“ (DIX, A., 2000. S.285). Im Zuge der
Modernisierung und Technisierung in der Landwirtschaft wurden diese vielfältigen
Kulturlandschaften häufig schon deutlich verändert. Die Veränderungen in der modernen
Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft führen zu „Verarmungs-, Verfremdungs-,
Normierungs- und Nivellierungseffekte[n]“ (WAGNER, J. M., 1999. S.13) in den
verschiedenen Kulturlandschaften.
Aufgrund dieser raschen Veränderungen wird heute häufig von historischen und gewachsenen
Kulturlandschaften gesprochen. Diese Begriffe finden sich auch in Gesetztexten des Bundes
und der Länder wider (s. Kap. 2.2, Rechtliche Rahmenbedingungen von Kulturlandschaften).
„Historische Kulturlandschaften geben Zeugnis vom Umfang früherer Generationen mit
Natur und Landschaft und vermitteln ein Bild des seinerzeitigen Standes von Wissenschaft
und Technik. Sie lassen Rückschlüsse auf das Mensch-Natur-Verhältnis unserer Vorfahren
zu, geben Ausdruck von ihrem Lebensstil, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten“ (BRINK, A.
U. WÖBSE, H. H., 1989. S.4 u. WÖBSE, H. H., 1994. S.8). Historische Kulturlandschaften sind
heute Landschaftsausschnitte, welche von menschlichen Aktivitäten der Vergangenheit
geprägt werden (vgl. WÖBSE, H. H., 1994. S.10). „Elemente und Strukturen […] sind dann
historische, wenn sie in der heutigen Zeit aus wirtschaftlichen, sozialen, politischen und
ästhetischen Gründen nicht mehr in der vorgefundenen Weise entstehen, geschaffen würden
oder fortgesetzt werden, sie also aus einer abgeschlossenen Geschichtsepoche stammen“
(HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.65). Diese Landschaften sind heute
nur noch auf wenigen Restflächen, zumeist in peripheren und somit wirtschaftlich
benachteiligten Räumen anzutreffen.
Abschließend bleibt aus dieser kurzen Übersicht der verbreiteten und anerkannten
Begriffserklärungen von Kulturlandschaften festzuhalten, „dass [in Kulturlandschaften]
gesellschaftlich-wirtschaftliche und natürliche Prozesse […] so intensiv verwoben [sind], dass
diese als sozial-ökologische Systeme verstanden werden müssen, die nur in interdisziplinärer,
Kulturlandschaft 10
Dieses Kapitel über die Rechtlichen Rahmenbedingungen und Gesetzestexte gibt einen
kurzen Überblick der wichtigsten Gesetze und rechtlichen Rahmenpunkte, die sich mit dem
Thema Kulturlandschaft befassen. Trotz der umfassenden Bedeutung gibt es in Deutschland
kein Kulturlandschaftsschutzgesetz, sondern der Schutz der Kulturlandschaften ist in
verschiedenen Gesetzen verankert (vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.),
2007. S.33 u. GRAAFEN, R., 1994. S.459).
In Paragraph 5 Absatz 1 BNatSchG wird weiterhin auf die besondere Bedeutung einer natur-
und landschaftsverträglichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für die Kultur- und
Erholungslandschaft hingewiesen. Alleine aus den großen Flächenanteilen, die der primäre
Sektor einnimmt, wird deren große Bedeutung ersichtlich.
Neben dem Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege werden die Kulturlandschaften
auch im novellierten Raumordnungsgesetz (ROG) von 1998 behandelt (vgl. ROG, 1998). Der
die 15 Grundsätze der Raumordnung regelnde Paragraph 2 nennt unter Absatz 2 Nummer 13:
„Die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge sowie die regionale
Zusammengehörigkeit sind zu wahren. Die gewachsenen Kulturlandschaften sind in ihren
prägenden Merkmalen sowie mit ihren Kultur- und Naturdenkmälern zu erhalten.“ Dieser
gesetzliche Schutz der Kulturlandschaften ist in Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 5 ROG zu
sehen, in dem es um eine nachhaltige Raumentwicklung zur Stärkung der prägenden Vielfalt
der Teilräume geht (vgl. JANSSEN, G. In: MATTHIESEN, U. et al. (Hrsg.), 2006. S.23 u. ROG,
1998). Diese Vielfalt der Teilräume und somit Kulturlandschaften ist mit raumordnerischen
Instrumenten derart zu sichern, dass die die einzelnen Teilräume prägenden landschaftlichen –
sowohl natürlich als auch anthropogen hervorgerufenen – Elemente und Strukturen zu
erhalten sind. Hierdurch wirkt das ROG dem Verlust räumlicher Besonderheiten, der
Vereinheitlichung des Erscheinungsbildes und dem Verlust der regionalen Identität
entgegenwirken (vgl. VON DER HEIDE, H.-J., 2002 u. RUNKEL, P., 2002. In: JANSSEN, G. In:
MATTHIESEN, U. et al. (Hrsg.), 2006. S.23).
2006 wurden durch die Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) die „Leitbilder und
Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland“ verabschiedet (vgl. GAILING,
L. et al., 2008. S.261). „Der traditionelle, im Raumordnungsgesetz (ROG) normierte Aspekt
des Kulturlandschaftsschutzes wird darin um die Aspekte der Nutzung, der integrierten und
identitätsstiftenden Entwicklung sowie des Managements von Kulturlandschaften ergänzt“
(GAILING, L. et al., 2008. S.261). In dem „Leitbild ‚Ressourcen bewahren, Kulturlandschaften
gestalten’ bildet ‚die Weiterentwicklung vielfältiger Kulturlandschaften’ einen besonderen
Kulturlandschaft 12
„Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des
Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und
unbesiedelten Bereich so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich,
wiederherzustellen, dass
1. die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts,
2. die Regenerationsfähigkeit und nachhaltige Nutzungsfähigkeit der Naturgüter,
3. die Tier- und Pflanzenwelt einschließlich ihrer Lebensstätten und Lebensräume sowie
4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und
Landschaft
auf Dauer gesichert sind“ (§ 1 BNatSchG u. § 1 LG NRW).
Ebenso werden die Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 2 BNatSchG)
auch im Gesetz zur Sicherung des Naturhaushaltes und zur Entwicklung der Landschaft
erneut aufgeführt (§ 2 LG NRW, vgl. LG NRW, 2007). Der § 2c des LG NRW geht neben der
Kulturlandschaft 13
besonderen Bedeutung der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft im ersten Absatz auch direkt
auf die Bedeutung des primären Sektors auf die Kulturlandschaft ein (§ 2c Abs. 3 LG NRW):
Das Entwicklungsziel zur „Erhaltung einer mit naturnahen Lebensräumen oder sonstigen
natürlichen Landschaftselementen reich oder vielfältig ausgestatteten Landschaft als
Lebensraum für die landschaftstypischen Tier- und Pflanzenarten oder die Erhaltung einer
gewachsenen Kulturlandschaft mit ihren biologischen und kulturhistorischen Besonderheiten“
(§ 18 Abs. 1 LG NRW) ist neben weiteren Entwicklungszielen in Paragraph 18
niedergeschrieben.
„Landwirtschaftliche Flächen und Wald sollen unter Berücksichtigung der Erfordernisse des
Umweltschutzes und der Landschaftspflege, der wirtschaftlichen und siedlungsstrukturellen
Erfordernisse als Freiflächen erhalten bleiben. Ihre Nutzung soll auch dazu beitragen, die
natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen sowie die Kulturlandschaft zu erhalten und zu
gestalten. In waldarmen Gebieten ist eine Erhöhung des Waldanteils anzustreben.“
Dieser Paragraph schützt die land- und forstwirtschaftlichen Flächen als zu erhaltende
Freiflächen, um einer ungeordneten, weite Flächen einnehmenden Suburbanisierung in den
ländlich geprägten Raum hinein entgegenzuwirken. Die nachhaltige Bewirtschaftung der
Acker-, Grünland- und Wald-/Forstflächen soll weiterhin die ökologische Vielfalt durch die
Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Flora und Fauna sowie auch die
Kulturlandschaft als umfassendes Schutzelement erhalten.
Das Ziel der Gesetze und Regelungen ist dabei „die räumlich differenzierten
Kulturlandschaften zu erhalten, oder umgekehrt formuliert: der Nivellierung des räumlich
differenzierten Kulturlandschaftsmusters entgegenzuwirken“ (QUASTEN, H. U. WAGNER, J. M.,
1996. S.305). So lässt sich schließlich allgemein festhalten, dass man in den Gesetzen
Kulturlandschaft 14
besonders seit 1990 zwar im Zuge der Novellierungen und erneuerten Fassungen und
Änderungen den Begriff der Kulturlandschaft vermehrt mit aufgenommen hat, dennoch aber
der Terminus in den Gesetzestexten und rechtlichen Rahmenbedingungen bis heute rechtlich
nicht abschließend definiert wurde (vgl. GRAAFEN, R., 1994. S.459).
Der Schutz und die weitere Erhaltung und Entwicklung von Kulturlandschaften ist über die
nationale Ebene hinausgehend auf europäischer und globaler Ebene ebenso ein Thema mit
zunehmender Bedeutung (vgl. SCHENK, W., 2000. S.223).
1995 verfasste der Europarat eine Deklaration zum Kulturlandschaftsschutz, der eine
interdisziplinäre Betrachtungsweise von Kulturlandschaften und die Berücksichtigung ihrer
regionalspezifischen Belange vorsieht (vgl. SCHENK, W., 2000. S.223 u. HÖNES, E.-R. In:
BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.42). Weitere wichtige Verordnungen für den Umgang
mit der Landschaft in europäischem Maßstab sind das 1999 in Potsdam beschlossene
Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK) und die Empfehlungen zur Raumordnung
des Ministerrates der Europäischen Union (EU) (vgl. ERMISCHER, G. In: BAUEROCHSE, A. et
al. (Hrsg.), 2007. S.28 u. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.41). Im
EUREK findet sich die Aufforderung zum kreativen Umgang mit Kulturlandschaften sowie
die konkrete Zielsetzung der Inwertsetzung, Erhaltung und Entwicklung der vielfältig
gestalteten Kulturlandschaften, da die vorhandene Gefahr der weiteren Zerstörung und
Nivellierung auf europäischer Ebene erkannt wurde (vgl. JOB, H. U. STIENS, G., 1999. S.IV,
STIENS, G., 1999. S.327, 329 u. LWL U. LVR, 2007a. S.21).
Am 20. Oktober 2000 wurde vom Europarat die zuvor entwickelte ELC in Florenz
verabschiedet (vgl. BMVBS U. BBR, 2006. S.88). Mit der Ratifizierung des zehnten Staates
trat die Konvention am 01. März 2004 in Kraft. Diese europäische Landschaftskonvention der
47 Mitgliedstaaten des Europarates wurde mittlerweile nach dem Stand vom 27. Oktober
2008 von 35 Staaten unterzeichnet und von 29 Staaten ratifiziert (vgl. COUNCIL OF EUROPE,
2008). Von den EU-Staaten haben bis auf Estland, Österreich und Deutschland alle Mitglieder
die ELC unterzeichnet. „Die Konvention ist eines der ersten internationalen Abkommen, das
ausschließlich den Schutz, die Pflege und die Planung von Landschaft zum Inhalt hat“
(BMVBS U. BBR, 2006. S.88f.). Alle Landschaften von naturnahen bis hin zu städtischen
Agglomerationsräumen werden in dieser Konvention behandelt. Dabei wird die Landschaft
als Schlüsselelement für das Wohl des Individuums und des Kollektivs betrachtet und eine
nachhaltige und bedachte Weiterentwicklung angestrebt. Die Vertragsstaaten verpflichten sich
nach Artikel fünf der ELC zu einer auf Landschaftsschutz, -pflege und -planung
ausgerichteten Politik (vgl. COUNCIL OF EUROPE, 2008). Anders als bei den Weltkultur- und
Weltnaturerbestätten der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
Kulturlandschaft 15
(UNESCO) geht es dem Europarat nicht um einen bewahrenden, sondern primär um einen
nachhaltigen und bewussten Umgang mit Landschaft. Das Deutschland die Europäische
Landschaftskonvention (noch) nicht unterschrieben hat, lässt vermuten, dass der
Landschaftsschutz als übergreifende, interdisziplinäre Aufgabe im Bundesumweltministerium
bisher nur eine untergeordnete Stellung einnimmt (vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et
al. (Hrsg.), 2007. S.43ff.). Nach Auffassung des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen entstünde ein schlechter Eindruck, wenn Deutschland, das durch die
Landschaftsplanung bereits viele Inhalte der Konvention abdecke, diese nicht unterzeichne
(vgl. RAT VON SACHVERSTÄNDIGEN FÜR UMWELTFRAGEN (SRU), 2004. S.186). Insbesondere
die Vorreiterwirkung für die osteuropäischen Staaten muss in Betracht gezogen werden.
Schließlich kann „mit geringem Aufwand ein gemeinsames europäisches Vorgehen im
Bereich Landschaftsschutz und Landschaftsplanung unterstützt werden“ (SRU, 2004. S.186).
Der Anspruch der ELC, alle Landschaften zu schützen, spiegelt ein ambitioniertes
völkerrechtliches Übereinkommen wider.
Das 1972 von der UNESCO verabschiedete und 1976 in Kraft getretene “Internationale
Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt”, welches erstmals Kultur
und Natur unmittelbar in Verbindung setzt, haben mehr als 180 Staaten unterzeichnet (vgl.
BMVBS U. BBR, 2006. S.54, HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.35 u.
BURGGRAAFF, P. U. KLEEFELD, K.-D., 1998. S.157). „Es ist das international bedeutendste
Instrument, das jemals von der Völkergemeinschaft zum Schutz ihres kulturellen und
natürlichen Erbes beschlossen wurde“ (BMVBS U. BBR, 2006. S.54). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass hierin eher die Benennung einzelner Landschaftsräume vorgenommen
wird, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit und herausragenden Bedeutung der Natur- und
Kulturgeschichte in bewahrender bzw. musealer Form erhalten bleiben sollen, es also letztlich
um die Konservierung des historischen Zustandes geht. Zu den Kulturgütern werden seit 1992
auch die aus der Wechselwirkung von Natur und Kultur entstandenen, besonderen
Kulturlandschaften gezählt.
Aufgrund des Reichtums und der Vielfalt der europäischen Kulturlandschaften „ist ihr
tatsächlicher und rechtlicher Schutz eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang“ (HÖNES, E.-
R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.82). Durch Gesetze, administrative
Maßnahmen, staatliche und kommunale Forderungen sowie die Rechtssprechung wurden die
Aufgaben des Kulturlandschaftsschutzes und der Kulturlandschaftspflege nachhaltig gefördert
(vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.83). Dennoch ist im Bereich
der Bekanntheit, Akzeptanz und Umsetzung der kulturlandschaftlich relevanten Gesetze noch
ein deutliches Verbesserungspotenzial sowohl auf nationaler als auch auf internationaler
Ebene vorhanden.
Kulturlandschaft 16
Die Bedeutung und somit auch der materielle und ideelle Wert von Kulturlandschaften sind
erst in der letzten Zeit durch den immer größeren Umfang und die größere Geschwindigkeit
des Landschaftswandels in der Öffentlichkeit deutlich geworden (vgl. OTT, E., 1997. S.22 u.
ERMISCHER, G. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.15, s. Abb. 3). Mit der
Industrialisierung nahm das Empfinden für den Verlust von Kulturlandschaften zu und das
Bedürfnis nach Erholung als Ausgleich eines zunehmend eintönigen Arbeitsalltages in den
städtisch-industriellen Räumen wurde nachhaltig gestärkt (vgl. DEMUTH, B., 2000. S.5). Eine
wichtige Bedeutung der Landschaft ist die Produktionsfunktion, jedoch geht die Funktion von
Kulturlandschaften „über das Erzeugen von Nahrung und Rohstoffen, also die
Produktionsfunktion hinaus“ (SUCCOW, M., 1995. S.89).
„Kulturlandschaften prägen die regionale Identität und das Image einer Region“ (RÖHRING, A.
In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.201). Der Wert der Kulturlandschaft ergibt sich
nicht aus einzelnen Elementen, sondern immer aus der gesamten Zusammensetzung des in der
Landschaft Vorhandenen, so dass eine integrale, alle Bereiche umfassende Bewertung und
Beurteilung der Landschaft notwendig ist (vgl. RÖHRING, A. In: BAUEROCHSE, A. et al.
(Hrsg.), 2007. S.198).
Bei der Betrachtung ist weiterhin entscheidend zu bedenken, dass die Kulturlandschaften
durch menschliche Bearbeitung, Nutzung und Bewirtschaftung der Naturlandschaft
entstanden sind und auch nur durch eine entsprechende Weiterführung dieser Bearbeitung,
Nutzung und Bewirtschaftung erhalten werden können (vgl. BRINK, A. U. WÖBSE, H. H.,
1989. S.26). Das Aussehen von etwa 80 % der Landesfläche Deutschlands wird dabei von nur
Kulturlandschaft 18
etwa 5 % der Bevölkerung bestimmt (vgl. HAMPICKE, U. In: ANL (Hrsg.), 1995. S.22). Die
Land- und Forstwirtschaft hat „als größter Flächennutzer […] das Erscheinungsbild, den
Stoffhaushalt und die Lebensraumfunktion unserer Kulturlandschaft seit jeher entscheidend
beeinflusst“ (ROTH, D. et al. In: ANL (Hrsg.), 1995. S.141). Langsame, kontinuierliche
Prozesse werden als deutlich weniger bedrohlich wahrgenommen als seltene Prozesse mit
größerer Einflusswirkung, da die in kleinen Schritten ablaufenden Veränderungen am Rande
des menschlichen Wahrnehmungshorizontes liegen (vgl. BREUSTE, J. In: ANL (Hrsg.), 1995.
S.67 u. CURDES, G., 1999. S.336).
Kulturlandschaften können hauptsächlich qualitativ, aber nicht bzw. nur deutlich vereinfacht
quantitativ bewertet werden, um somit schutzwürdige und als wertvoll bezeichnete
Kulturlandschaften zu definieren. Dies sind heutzutage insbesondere Landschaften, die an die
vorindustrielle, reich strukturierte und kleinbäuerliche Bewirtschaftungsweise erinnern. Die
heute noch vorhandenen Elemente und Strukturen der vergangenen Generationen inkl. der
Siedel- und Wirtschaftsformen, insbesondere der Landwirtschaft, weisen eine hohe
geschichtliche Bedeutung auf. Diese werden dann als historisch bezeichnet, wenn sie
heutzutage keinen wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Grund der Erhaltung mehr
aufweisen (vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.65). Sie vermitteln
ein Bild der Wirtschafts- und Lebensweisen, des Mensch-Natur-Verhältnisses und des
Standes von Wissenschaft und Technik früherer Generationen (vgl. DEMUTH, B., 2000. S.60f.,
s. Abb. 4). In Kulturlandschaften sind die verschiedenen historischen Phasen miteinander
vergesellschaftet (vgl. LWL U. LVR, 2007a. S.27f.). Das „Gewachsene“ ist das primär den
Wert bestimmende Merkmal und Kennzeichen der historischen Ebene und somit des
historischen Zeugniswertes. In der damaligen Zeit entstanden je nach Landschaftsraum aus
naturräumlich und siedlungsgeschichtlich differenzierten Nutzungsmöglichkeiten regional
unterschiedliche Kulturlandschaften und charakteristische Erscheinungsbilder. Dieser
historische Wert ist durch die seit einigen Jahrzehnten immer schneller und umfassender
ablaufende Globalisierung und Technisierung gefährdet. Die Landschaft wird bezeichnend die
„Trägerin der Geschichte“ (FELBER RUFER, P. et al., 2007. S.200) genannt. In den
vergangenen Jahrzehnten führten Flurbereinigungsmaßnahmen und die rasche
Modernisierung in der Landwirtschaft bereits in weiten Bereichen zu einem markanten
Landschaftswandel. So dominieren in den agrarisch geprägten Bereichen riesige Felder die
Landschaft, welche arm an vertikalen Strukturen (Bäume, Hecken, Schuppen, etc.) oder
Grünländern sind. Diese ausgeräumten Agrarlandschaften haben den ehemaligen Wert der
Kulturlandschaft zum Großteil schon eingebüßt. Auch die der intensiven Landwirtschaft
gegenläufige Nutzungsaufgabe der nur bedingt oder nicht rentablen Flächen – bisher
insbesondere in den Gebirgslagen der Fall – führt zu deutlichen Veränderungen der
Kulturlandschaft 19
Landschaft. Diese Wiederbewaldung auf den nicht weiter agrarisch genutzten Flächen hat
langfristig ebenfalls einen Wertverlust der Landschaft zur Folge, während in der
Sukzessionsphase durchaus qualitative Wertsteigerungen in den jeweiligen
Kulturlandschaften vorkommen können. Je nach Region ist der eine (Nutzungsintensivierung)
oder andere Trend (Nutzungsaufgabe) des Landschaftswandels dominierend.
Generell halten historische Elemente in der heutigen Landschaft die Geschichte lebendig und
liefern der Bevölkerung ein Bild des damaligen Lebens und Wirtschaftens, wodurch sich die
geschichtlich-kulturelle Bedeutung ergibt (vgl. BRINK, A. U. WÖBSE, H. H., 1989. S.3).
Kulturlandschaften sind ein öffentliches Gut an dem jeder partizipieren kann und von dem
niemand ausgeschlossen werden kann (vgl. APOLINARSKI, I. et al. In: MATTHIESEN, U. et al.
(Hrsg.), 2006. S.82ff.). Sie sollten daher als regionales Gemeinschaftsgut der Bevölkerung
angesehen werden.
Die Bedürfnisse nach Orientierung, Information, Schönheit und Heimat stellen die
bedeutendsten Komponenten der Landschaftsbewertung für die Bevölkerung dar (vgl.
WAGNER, J. M., 1999. S.41ff. u. QUASTEN, H. U. WAGNER, J. M., 1996. S.306ff.). „Die
Kulturlandschaft 20
wichtigsten Werte der historischen Kulturlandschaft sind Eigenart und Schönheit“ (WÖBSE,
H. H., 2002. In: DUELLI, R. In: TANNER, K. M. et al., 2006. S.109), woraus sich folglich die
Landschaftsästhetik ableitet (vgl. DUELLI, R. In: TANNER, K. M. et al., 2006. S.103). „Ob wir
[eine Landschaft] als wertvoll erachten, hängt in den meisten Fällen nur indirekt von ihrer
Biodiversität ab“ (DUELLI, R. In: TANNER, K. M. et al., 2006. S.103). Nach Duelli gibt es keine
signifikante Korrelation zwischen dem Artenreichtum einer Landschaft und der
naturräumlichen Ästhetik, wenngleich dies – z.B. bei artenreichen Almwiesen in den Alpen –
durchaus häufig der Fall ist (vgl. DUELLI, R. In: TANNER, K. M. et al., 2006. S.103). Auch
artenarme Landschaften können landschaftliche Ästhetik aufweisen, wie z.B. hochalpine
Gletscherlandschaften, kilometerlange Sandstrände, etc. Somit lässt sich der Wert einer
(Kultur-)Landschaft nicht zwangsläufig direkt mit der Biodiversität in den jeweiligen
Landschaften korrelieren. Bei der Betrachtung der Erlebnisfunktion (Erlebniswert) als eine
wichtige Bedeutung von Kulturlandschaften stehen das Bedürfnis nach Erholung und das
Landschaftserleben im Mittelpunkt (vgl. KANGLER, G. U. VICENZOTTI, V. In: BAUEROCHSE, A.
et al. (Hrsg.), 2007. S.341). Vielfältige, reich strukturierte und somit überwiegend als
ästhetisch zu bezeichnende Landschaften weisen zumeist eine hohe touristische Attraktivität
auf.
Das Bedürfnis nach Orientierung wird maßgeblich durch die Struktur des Raumes
hervorgerufen (vgl. WAGNER, J. M., 1999. S.42). Diese werden durch visuell wahrnehmbare
Ordnungselemente, wie Wege, Grenzlinien, flächenhafte Nutzungseinheiten, Brennpunkte
(Aussichtspunkte, Wegekreuzungen, etc.) und Merkzeichen, die sich durch ihre Einmaligkeit,
Besonderheit, durch Fernwirkung oder durch Kontrastwirkung auszeichnen, hervorgerufen.
„Fehlende oder schlechte Orientierung führt häufig zu Unbehagen, während ein
einprägsames, gut strukturiertes Landschaftsbild dagegen das emotionale Erleben eines
Landschaftsraumes positiv beeinflusst“ (WAGNER, J. M., 1999. S.42).
Das Bedürfnis nach Information (Stimulierung) ist mit dem Erkundungsdrang in Verbindung
zu setzen, welcher durch Neuigkeiten, Überraschungen und Unsicherheiten hervorgerufen
wird (vgl. WAGNER, J. M., 1999. S.43f.). Je mehr Informationen aus einem Raum entnommen
werden können, desto positiver wird sie gemeinhin bewertet. Dies wird durch eine Vielfalt an
Strukturen und Elementen im Raum erreicht, wenngleich ab einer bestimmten Obergrenze ein
Gefühl von Verwirrung und Ablehnung entsteht.
So ist ersichtlich, dass die verschiedenen Kulturlandschaften aufgrund ihrer differenzierten
Merkmale und Ausprägungen zur Herausbildung lokaler und regionaler Kulturen beitragen
und folglich ein entscheidender Baustein für die Schaffung von regionalen Identitäten
(Heimatgefühl) sind (vgl. HÖNES, E.-R. In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.44ff.). Je
stärker jemand in einer Landschaft zu Hause fühlt, desto positiver wird eine Landschaft als
Identifikationsmerkmal bewertet (vgl. WAGNER, J. M., 1999. S.45f.). Diese heimatlichen
Landschaften liefern das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. „Die Identifikation […]
mit einem Landschaftsraum […] beruht wesentlich auf der Unterscheidbarkeit der sinnlich
Kulturlandschaft 21
Ebenso sind „Kulturlandschaften […] in ihrer Sozialfunktion ein wertvolles Allgemeingut für
alle Menschen, für die in städtischen Räumen Lebenden ebenso wie für die Bewohner
ländlicher Gebiete“ (OTT, E., 1997. S.11). Dabei gehen die regionale Identität (Heimatgefühl)
und die Orientierung im Raum heute durch die Suburbanisierungsprozesse, teilweise
Wiederbewaldungen an ertragsschwachen Standorten und die zunehmende agrarische
Vereinheitlichung und Industrialisierung mehr und mehr verloren. Die suburbanen Bereiche
sind ein Raumtyp, welcher häufig weder die Vorteile des ländlichen noch des städtischen
Raumes aufweist, sondern die jeweiligen Nachteile vereinigt (vgl. HÖNES, E.-R. In:
BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.95).
„Wir laufen Gefahr den ureigenen Charakter einzelner Landschaften zu verlieren und
bewegen uns auf eine gleichförmige, gleichsam globalisierte Landschaft zu“ (ERMISCHER, G.
In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.28), in der die Prozesse der „ubiquitären
Verarmung und Homogenisierung“ (BURGGRAAFF, P., 1996. In: WAGNER, J. M., 1999. S.36)
zu beobachten sind. Durch diese Entwicklung entstehen für die Landschaft und deren
Bedeutung negativ zu erachtende Verarmungs-, Verfremdungs-, Normierungs- und
Nivellierungseffekte, die zu „Standardlandschaften“ (SCHENK, W., 2000. S.222) führen (vgl.
WAGNER, J. M., 1999. S.36 u. QUASTEN, H. U. WAGNER, J. M., 1996. S.303).
„Alleinstellungsmerkmale von Kulturlandschaften scheinen zu verschwinden“ (BMVBS U.
BBR, 2006. S.7). Die Nivellierung führt aus soziokultureller Sicht zu einem Verfall und zum
Verlust regionaler Charakterzüge. „Dieser Prozess hat zur Folge, dass das räumlich
differenzierte Muster unterschiedlicher Kulturlandschaften, das sich im Verlauf vieler
Jahrhunderte herausgebildet hat, nunmehr innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne
zumindest tendenziell wieder aufgelöst wird. Mit wachsender Intensität und Geschwindigkeit
werden sich die verschiedenen Kulturlandschaften immer ähnlicher“ (QUASTEN, H. U.
WAGNER, J. M., 2000. S.253, vgl. auch DOSCH, F. u. BECKMANN, G., 1999a. S.291). Die
genannten Effekte münden durch die ästhetische Wertminderung auch in einer Minderung der
Erlebniswertfunktion, des Heimatgefühls, der geschichtlichen Bezüge und zu einem
Inspirationsverlust. Daraus leitet sich die große Bedeutung ab, die der Erhaltung
Kulturlandschaft 22
Generell lässt sich sagen, dass der Wert der heutigen Kulturlandschaften aus
landschaftsökologischer Sicht sehr unterschiedlich ist. Während städtisch, industriell und
intensiv-agrarisch genutzten Landschaften eine eher geringe ökologische Bedeutung
zugeordnet wird, werden die strukturreichen, kleinbäuerlichen Kulturlandschaften als wertvoll
klassifiziert. In dieser kleinbäuerlichen Landschaft ergeben die vielen unterschiedlichen
Strukturen ein mosaikreiches Landschaftsbild. Viele ökologische Nischen und somit die
Artenvielfalt an Flora und Fauna bleiben häufig nur mit der traditionellen Bewirtschaftung der
Kulturlandschaft erhalten.
Mit dem Naturschutz schützt man in der Großzahl ökologisch wertvolle Kulturlandschaften,
die durch die Tätigkeiten des Menschen erst entstanden sind. Durch die die Landschaft
verändernden Einflüsse des Menschen – im unter natürlichen Bedingungen walddominierten
Mitteleuropa – ist die Anzahl der ökologischen Nischen und Habitate durch die Rodung der
Wälder und die großflächige Offenhaltung vergrößert worden. Daran gekoppelt stieg die
Anzahl der Tier- und Pflanzenarten mit der Entwicklung zunehmend differenzierter
Kulturlandschaften bis zu einem Maximum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig an
(vgl. LANGE, E. In: ANL (Hrsg.), 1995. S.111). „Es war dies die Zeit mit der höchsten
Artenvielfalt in Mitteleuropa. […] Kleinkammerung und Überschaubarkeit kennzeichneten
sie deshalb“ (SCHENK, W., 2000. S.222). Erst durch die weiträumige landwirtschaftliche
Nutzung konnten Arten des Offenlandes in Mitteleuropa heimisch werden bzw. ihre
räumliche Verbreitung ausdehnen. Anschließend gingen mit der immer schnelleren und
zusehends gravierenden Vergrößerung und Vereinheitlichung der Landschaftsstrukturen in
der Land- und Forstwirtschaft sowie auch durch großflächigere und veränderte Bauweisen der
Gebäude und Infrastruktureinrichtungen viele verloren bzw. die Lebensräume wurden
voneinander getrennt, so dass die Anzahl der Arten und auch die Anzahl der Individuen
innerhalb einer Art seitdem allgemein eine abnehmende Tendenz aufweisen. An diesem
Trend ist bis heute trotz vielfältiger Bemühungen keine signifikante Änderung ersichtlich.
„Dieser Verlust an Biodiversität wird von einer gleichzeitigen Reduzierung traditioneller
Kulturlandschaftsstrukturen und deren Elementen begleitet“ (KANGLER, G. U. VICENZOTTI, V.
In: BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.342), da eine hohe Biodiversität überwiegend an
extensiv bis höchstens halbintensiv genutzte Kulturlandschaften gebunden ist (vgl.
SCHUMACHER, W. In: OTT, E. (Hrsg.), 1997. S.49).
Neben diesen für die Tier- und Pflanzenwelt wichtigen landschaftsbezogenen Bedeutungen
und Werten ist besonders auch die Regulationsfunktion bei Stoff- und Energiekreisläufen zu
Kulturlandschaft 23
Die wichtigsten Bedeutungen von Kulturlandschaften sind in Abbildung 4 – nach den drei
Unterkategorien der Geschichte, Bevölkerung und Ökologie gegliedert – zusammenfassend
dargestellt. „Landschaftsbewertung hat jedoch immer zum Ziel, Entscheidungsgrundlage für
die zukünftige Entwicklung zu sein, d.h. dass daraus [Maßnahmen] abgeleitet werden sollen,
um den heutigen Zustand zu erhalten, wenn dieser als gut beurteilt wird, oder diesen zu
verbessern, wenn er als schlecht und verbesserungsfähig beurteilt wird“ (EGLI H.-R. In:
TANNER, K. M. et al., 2006. S.118).
„Auf der Ebene der Länder sollte ein Inventar der hochwertigen Kulturlandschaften erarbeitet
werden, mit dem zugleich eine Definition ihrer Grenzen und der zu schützenden Elemente
bzw. Ensembles einhergehen könnte“ (CURDES, G., 1999. S.342).
Eine erstmalige konkrete Abgrenzung und Entwicklung von Kriterien für Kulturlandschaften
in Nordrhein-Westfalen wurde 2000 von Burggraaff mit dem Fachgutachten zur
Kulturlandschaftspflege entwickelt (vgl. BURGGRAAFF, P., 2000, BURGGRAAFF, P. In:
SCHENK, W. et al. (Hrsg.), 1997. S.220ff. u. DIX, A., 2000. S.291). Auf Bundesebene leisteten
zwei Jahre zuvor Burggraaff und Kleefeld einen wichtigen Arbeitsschritt zur Abgrenzung
verschiedener Kulturlandschaften für die gesamte Bundesrepublik (vgl. BURGGRAAFF, P. U.
KLEEFELD, K.-D., 1998 u. DIX, A., 2000. S.291f.).
Die Abgrenzung weist häufig auch breite Grenzsäume und Übergansbereiche auf, so dass eine
linienscharfe Abgrenzung eigentlich nicht möglich ist. Die naturräumlichen Bedingungen sind
die Voraussetzung für die Etablierung von Gunst- und Ungunsträumen, aber auch für die
Verkehrserschließung und die prägenden Nutzungsarten. Relief, Boden, Wasser, Klima und
Vegetation sind die maßgeblichen naturbedingten Faktoren für die regionalen Ausprägungen
und die Grundlage der Bildung von unterschiedlichen Kulturlandschaften. Nordrhein-
Westfalen zeichnet sich durch eine Vielzahl von Landschaftsbildern aus, die von städtisch-
industriellen Räumen über weitflächige, intensiv genutzte Bördegebiete bis hin zu
kleinräumig gegliederten, eher extensiv genutzten und somit abwechslungs- und
strukturreichen Landschaften reichen. Weiterhin weisen auch die räumlich verschiedenen
Siedlungstypen und regionalen Baukulturen eine große Bedeutung für die Landschaftsstruktur
Kulturlandschaften in Nordrhein-Westfalen 27
auf. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren sowohl die Dorfformen (Einzelhöfe, Weiler,
Angerdörfer, Straßendörfer, Hufendörfer, etc.) als auch die Hausformen inklusive der
Baumaterialen regional verschieden. Diese Mannigfaltigkeit hat sich in den letzten 50 Jahren
deutlich vereinheitlicht und geht mit dem Verlust an regionaler Identität und Eigenart einher.
Dennoch sind einzelne Elemente, wie die Baumaterialen in Zusammenhang mit dem lokal
anstehenden Gestein, bis heute noch zu erkennen. Neben der Analyse war auch die Bewertung
eine entscheidende Aufgabe zur Benennung einzelner Kulturlandschaftsbereiche als
landesbedeutsam bzw. bedeutsam (vgl. LWL U. LVR, 2007a. S.13f.).
Die maßgeblichen Kriterien für diese Bereiche sind der historische Wert, der künstlerische
Wert, der Erhaltungswert, der Seltenheitswert, der regionaltypische Wert, der Wert der
räumlichen Zusammenhänge und Beziehungen, der Wert der sensoriellen
Wahrnehmungsebene sowie die Flächen- und Raumrelevanz. Landesbedeutsame
Kulturlandschaftsbereiche sind diejenigen, welche von besonders hoher Bedeutung und
Repräsentanz sind.
Kulturlandschaften in Nordrhein-Westfalen 28
Die für die weitere Arbeit relevante Kulturlandschaft der Hellwegbörde ist primär eine
agrarisch geprägte Kulturlandschaft, wenngleich besonders entlang des alten Handelswegs
von Unna über Soest nach Salzkotten eine Aneinanderreihung von Klein- und Mittelstädten
zu finden ist. Innerhalb der Kulturlandschaft der Hellwegbörde liegt die großflächig als
landesweit bedeutsamer Kulturlandschaftsbereich klassifizierte Soester Börde mit dem
Hellweg (s. Karten 1, 2 u. Kap. 4, Die Hellwegbörde). Neben den überwiegend
landwirtschaftlich genutzten Landschaftsbereichen, die von den Landschaftsverbänden
Westfalen-Lippe und Rheinland als landesbedeutsam oder bedeutsam eingestuft wurden,
gehören insbesondere historisch bedeutsame Bereiche dazu, wie das für Fundstellen der
gesamten Menschheitsgeschichte bekannte Wesertal zwischen Porta Westfalica und
Schlüsselburg oder die erhaltenen römischen Straßenverläufe am Niederrhein. Die Stadt Köln
Kulturlandschaften in Nordrhein-Westfalen 29
ist ebenso als landesbedeutsam eingestuft worden wie der durch die Montanindustrie geprägte
Zollverein-Nordstern in Essen und Gelsenkirchen inmitten des Ruhrgebietes (s. Tab. 1).
Kulturlandschaften in Nordrhein-Westfalen 30
4.1.1 Lage
Die Kulturlandschaft der Hellwegbörde reicht am Südabschluss der Westfälischen Bucht von
der Kreisstadt Unna östlich von Dortmund in einem bis zu 30 Kilometer breiten Steifen in
östliche Richtung bis in den Westen des Kreises Paderborn (vgl. LWL U. LVR, 2007b. S.28).
Mit dem Möhne- und Ruhrtal als südliche Grenze der Westfälischen Bucht ragt der
Naturraum an das Südergebirge mit dem Sauerland und Bergischen Land heran. Der östliche
Teil des Kreises Unna, der Süden der kreisfreien Stadt Hamm, weite Bereiche des Kreises
Soest mit Ausnahme der Gebiete nördlich der Lippe (Kernmünsterland) im Norden und den
südlich des Haarstrangs bzw. des Möhne- und Ruhrtals (Sauerland) gelegenen Gebieten,
sowie ein kleines Gebiet im Westen des Kreises Paderborn haben Anteile an der
Hellwegbörde (s. Karte 1). Im Norden grenzt die Hellwegbörde an das Kernmünsterland und
das Paderborner - Delbrücker Land, im Osten an die Paderborner Hochfläche und das mittlere
Diemeltal, im Süden an das Sauerland und im Westen an das Niederbergisch - Märkische
Land und das Ruhrgebiet.
Das heutige Erscheinungsbild der Westfälischen Bucht mitsamt der Hellwegbörde als
südlichen Abschluss resultiert einerseits aus der voreiszeitlichen, geomorphologischen
Formung als Schichtstufenland, woraus sich der Muldenbau der Bucht ergibt, und andererseits
aus der eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Überformung und Überprägung (vgl. MÜLLER-
WILLE, W., 1966a. S.204). Dabei bilden die voreiszeitlichen Prozesse die Großformen und
wichtigsten Relieftypen der Landschaft heraus, während die glazialen und postglazialen
Prozesse als zweites ordnendes Prinzip bei der Ausgestaltung des Naturraumes der
Westfälischen Bucht und insbesondere auch des Hellweggebietes zu benennen sind. Der
Hellweg wird in die nördliche Nieder- bzw. Unterbörde, die südlich anschließende Oberbörde
(Haarabdachung) und den Höhenzug des Haarstranges als südlichen Abschluss untergliedert.
Geologisch betrachtet ist die Westfälische Bucht eine flache Mulde, deren Achse in
Nordwest-Südost-Richtung verläuft (vgl. MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.152). Sie ist
überwiegend mit Ablagerungen der Oberen Kreide (ca. 100 bis 65 Millionen Jahre vor heute)
aus dem späten Mesozoikum (Erdmittelalter) ausgefüllt (s. Karte 4).
Die Nord- und Ostränder der Westfälischen Bucht wurden während der saxonischen Faltung
(Kreide) aufgebogen und verkippt (Teutoburger Wald, Wiehengebirge), während der
Hellwegbereich erst beim Übergang vom Tertiär (ca. 65 – 2,5 Millionen Jahre vor heute) zum
Quartär (2,5 Millionen Jahre vor heute bis heute) allmählich gehoben wurde. Bei dieser
Hebung des nördlichen Rheinischen Schiefergebirges wurden die Kreideschichten der
südlichen Bucht nicht in dem Maße steil gestellt wie diejenigen Schichten am Teutoburger
Wald und dem Wiehengebirge an der nördlichen und östlichen Buchtgrenze, jedoch hat diese
Hebung direkte Auswirkungen auf das oberflächlich anstehende Festgestein aus der
Oberkreide, welches sich je nach Entstehungszeit und -bedingung in der Zusammensetzung
und Mächtigkeit unterscheidet (s. u.). Aus dieser tertiärzeitlichen Hebung resultiert der
Anstieg des Hellwegraumes von der Lippe im Norden mit einer Höhenlage von nur etwa 70 m
ü NN auf etwa 250 bis knapp 400 m ü NN auf dem Haarkamm im Süden. Dabei steigt der
Haarstrang von West nach Ost an und erreicht in der Spitzen Warte nördlich von Rüthen mit
389 m ü NN den höchsten Punkt (vgl. FEIGE, W. In: MAYR, A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991.
S.26). Allgemein ist also ein von Nordwest (Hamm/Lippetal) nach Südost (Spitze Warte)
ansteigendes Gelände für den Hellwegraum charakteristisch, in der die Steigung zumeist
gering ist und etwa 1 bis 3° beträgt (vgl. MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.158). Daraus ergibt
sich eine zumeist nur geringe Reliefenergie, wobei die teilweise deutlich eingeschnittenen
Schledden sowie der Südhang des Haarstrangs Ausnahmen bilden (vgl. LWL U.
GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich II
Reliefenergie).
Die Ablagerungen aus dem Paläozoikum (Erdaltertum, ca. 540 bis 250 Millionen Jahre vor
heute), welche südlich der Westfälischen Bucht im Südergebirge oberflächlich anstehen,
wurden in der Westfälischen Bucht durch die Sedimentation im Mesozoikum und
insbesondere während der Oberkreide (Oberkreidemeer) überdeckt (vgl. MÜLLER-WILLE, W.,
1966a. S.156f.). Im Süden der Westfälischen Bucht sind aus dem Erdmittelalter ausnahmslos
kreidezeitliche Ablagerungen bekannt, da zuvor größtenteils Festlandbedingungen
vorherrschten (vgl. GEOLOGISCHES LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a.
S.22). Die Unterteilung der Oberkreide, in der die Entwicklung der Westfälischen Bucht als
eigene tektonische Baueinheit begann, erfolgt zeitlich aufeinander folgend in die
Untereinheiten Cenoman, Turon, Emscher und Senon (vgl. TEMLITZ, K. In: HEINEBERG, H.
(Hrsg.), 2007. S.27; s. Karte 4). In der oberflächennahen Anordnung kommt der Muldenbau
deutlich zum Vorschein, wobei besonders in der nördlichen Hälfte der Hellwegbörde die
kreidezeitlichen Sedimente durch die quartären Ablagerungen überdeckt wurden. Am Rand
der Bucht sind die ältesten Sedimente aus dem Cenoman als schmaler Steifen vorherrschend,
während zum Buchtinneren immer jüngere Sedimente vorherrschen, so dass der Kern der
Bucht von den jüngsten Sedimenten des Senon ausgefüllt wird. Die Cenoman-Schichten sind
in der Börde rund um Soest nur auf der Haarhöhe als schmaler Streifen oberflächlich
vorhanden, während sich weiter nordwärts ein mehrere Kilometer breiter Streifen der Turon-
Hellwegbörde 34
Schichten anschließt, dessen Nordgrenze von Werl über Soest, Geseke und Salzkotten nach
Paderborn parallel des Hellweges verläuft. Zu Beginn der Oberkreide (Cenoman) wurden
sowohl sandig-mergelige bis mergelig-kalkige Gesteine (Cenoman-Mergel) als auch
Kalkmergelsteine und Mergelkalksteine (Cenoman-Pläner) gebildet (vgl. GEOLOGISCHES
LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a. S.26ff.). In den Turonschichten
herrschen Tonmergel-, Mergelkalk- und Kalkmergelsteine vor. Nördlich des Hellweges,
welcher heute etwa durch die Hauptverkehrsstraße der B 1 eingegrenzt werden kann,
erscheinen die Emscher-Schichten (Coniac) als zu oberst gelegene kreidezeitliche
Ablagerungen, welche von Tonmergeln geprägt werden und allgemein kalkärmer sind als die
darunter liegenden und weiter südlich an die Oberfläche ausstreichenden Cenoman- und
Turonschichten. In etwa ab den Lippeniederungen sind dann die Senon-Schichten
vorherrschend, welche den gesamten zentralen Buchtkörper einnehmen. Folglich dominieren
am Hellweg die Schichten des Turon und Emscher.
Die gesamten Ablagerungen der Oberen Kreide bestehen aus Tonen und Kalken, die einzeln
oder in mächtigen Bänken auftreten, wobei der Kalkgehalt je nach Tiefe, Ausprägung und
Küstenentfernung des Oberkreidemeeres schwankt (vgl. MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.161).
Im Hellweggebiet nimmt der Kalkgehalt gemeinhin nach Westen hin ab, wodurch der stärkere
Abtrag und somit die geringere Höhe des Haarkammes nach Westen hin zu erklären ist (vgl.
MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.166). Einzelne Kalkbänke weisen einen CaCO3-Gehalt von
mehr als 90 % auf (vgl. FEIGE, W. In: MAYR, A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991. S.26).
Der Charakter der Bucht als Schichtstufenland, wobei die steileren Stufenstirne nach Süden
zum Sauerland und die flacheren Stufenflächen zur Westfälischen Bucht geneigt sind, wird
durch den Muldenbau sowie die Verteilung und Ausbildung der Kreideschichten bestimmt
und entstand mit der Hebung des nördlichen Rheinischen Schiefergebirges beim Übergang
von der Kreide zum Tertiär (vgl. MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.164 u. FEIGE, W. In: MAYR,
A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991. S.26). Durch diese Heraushebung und leichte Schrägstellung
liegen im Süden auf dem Haarstrang die ältesten Oberkreideschichten (Cenoman), die nach
Norden in immer jüngere Schichten der Oberkreide (Turon, Emscher, Senon) übergehen.
Aufgrund des in Teilen hohen Kalkgehaltes der Gesteine hat sich insbesondere im östlichen
Hellweggebiet und weiter östlich auf der Paderborner Hochfläche aufgrund des noch höheren
Kalkgehaltes in noch deutlicherer Ausprägung ein Halbkarstgebiet entwickelt (vgl. MÜLLER-
WILLE, W., 1966a. S.204). Da in regenreichen Phasen bzw. während der Schneeschmelze ein
beträchtlicher Teil des anfallenden Wassers oberflächlich abfließt, spricht man von einem
Halbkarst. Nur bei vollständig unterirdischer Entwässerung wird vom Vollkarst gesprochen
(vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Begleittext
Themenbereich II Karst. S.26). Die Karstausprägung wird im Hellweggebiet westwärts immer
schwächer, da sich mit abnehmendem Kalkgehalt kein typisches Karstgebiet herausbilden
konnte. Die Hellwegbörde wird durch die hier als „Schledden“ bezeichneten (Trocken-) Täler
gegliedert, welche dem Relief folgend etwa in Süd-Nord-Richtung verlaufen (s. Foto 6).
Hellwegbörde 35
Diese Schledden führen periodisch oder episodisch oberflächliches Wasser und reagieren sehr
empfindlich auf die Witterung. In das Gelände der Haarabdachung (Oberbörde) haben sich
die Schluchttäler einige Meter in das Gelände eingeschnitten und münden mit Schuttkegeln in
der fast ebenen Niederbörde.
Als abbaufähige Festgesteine sind Karbonatgesteine östlich von Soest in einem von West
nach Ost verlaufenden Streifen zu nennen, die das Gebiet Erwitte, Anröchte und Geseke
umfassen (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985.
Themenbereich II Abbauwürdige Lagerstätten). Diese marinen Ablagerungen sind zumeist als
helle Plänerkalksteine des späten Turon und früheren Emscher ausgebildet und werden für die
Zementindustrie in Erwitte, Geseke und Paderborn gebrochen (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE
KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Begleittext Themenbereich II Karst. S.27 u.
GEOLOGISCHES LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a. S.100). In den Turon-
Schichten ist insbesondere im Bereich Werl – Soest – Anröchte eine für den Soester Raum
typische grünsandige Ausprägung vorhanden, welche häufig noch bei älteren Gebäuden
(Bauerhäuser, Kirchen) anzutreffen ist und Teile der mittelalterlichen Kreisstadt Soest prägt
(s. Fotos 7 u. 8). Dieses Gestein wird auch als Hellweggrünstein bezeichnet und gelegentlich
je nach örtlicher Ausprägung als Werler, Soester und Anröchter Grünsandstein benannt (vgl.
MAASJOST, L. In: GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1986. S.379ff.).
Nachdem mit den Ablagerungen der Kreidezeit und im Tertiär mit der Heraushebung der
südlichen Westfälischen Bucht zum leicht nach Süden ansteigenden Haarstrang die
Grundstruktur des heutigen Hellwegraumes geschaffen wurde, folgte im Quartär die
eiszeitliche und auch nacheiszeitliche Überformung im Anschluss an die tertiären
Verwitterungs- und Abtragungsprozesse. Besonders entscheidend für die heutige Form und
die Schaffung der fruchtbaren Hellwegbörde waren die beiden letzten Gletschervorstöße
während des Pleistozäns (Eiszeitalter, ca. 2,5 bis 0,01 Millionen Jahre vor heute). Dies sind
die Saale-Eiszeit etwa 230.000 bis 130.000 Jahre vor heute und das Weichsel-Glazial,
welches vor ca. 115.000 Jahren begann, bis 10.000 Jahre vor heute reichte und in das Holozän
(Nacheiszeit) überging. Die beiden Eiszeiten wurden durch das Eem-Interglazial (Warmzeit)
getrennt. Die vor der Saale-Eiszeit und dem Holstein-Interglazial erfolgte Elster-Eiszeit weist
in weiten Bereichen des mitteleuropäischen Raumes einen ähnlich weit nach Süden
gerichteten Gletschervorstoß wie die Saale-Eiszeit auf. Für den westfälischen Raum gibt es
hierfür keine deutlichen Anzeichen, so dass die Elster-Eiszeit wohl nicht die Westfälische
Bucht erreichte. Dahingegen war die Bucht während des Drenthe-Stadiums in der Saale-
Eiszeit gänzlich mit Eis bedeckt (vgl. MÜLLER-WILLE, W., 1966a. S.181f.). Im Bereich des
Haarstranges reichte der am weitesten nach Süden gerichtete Gletschervorstoß aus
Hellwegbörde 36
Karte 5: Pleistozäne Ablagerungen und Formungen. Die schwarze Umrandung markiert die
Lage der Hellwegbörde
Quelle: MÜLLER-WILLE, W., 1966b. Abbildung 8, verändert
Maßgeblichen Einfluss auf das heutige Erscheinungsbild des Hellwegraumes hatte die
Weichsel-Eiszeit, wenngleich die Gletscher den westfälischen Raum nicht erreichten, sondern
die südwestlichste Ausdehnung nur etwa bis zur Elbe reichte (vgl. MÜLLER-WILLE, W.,
1966a. S.185). Somit lag der Hellwegraum im Periglazialgebiet. Löss sowie in geringerem
Umfang auch Sandlöss und Flugsand wurden äolisch advehiert und lagerten sich am
Hellwegaufstieg sowie im Lee des Haarstrangs ab, wodurch die Grundvoraussetzung für eine
fruchtbare Bodenentwicklung gegeben war. Heute ist der Löss weitgehend entkalkt und
durchweg als Lösslehm vorhanden. „Der Löss als ‚Geschenk’ kaltzeitlicher Staubstürme kann
in seiner Bedeutung als bodenbildender Faktor nicht hoch genug eingeschätzt werden“
(MERTENS, H. In: MAYR, A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991. S.44). Mit der Anwehung aus den
weitgehend vegetationslosen bzw. vegetationsarmen nordwestlichen Nachbargebieten
(Münsterland, Niederrhein) wurde der Hellwegraum flächendeckend je nach lokalen
Gegebenheiten in unterschiedlicher Mächtigkeit überzogen, wobei die Hauptsedimentation im
Hellwegbörde 37
Hochglazial vor 30.000 bis 13.000 Jahren stattfand (vgl. MERTENS, H. In: MAYR, A. U.
TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991. S.44f. u. SKUPIN, K. In: MAYR, A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991.
S.55). Die Flugsandsedimentation reichte bis weit in das Holozän hinein (vgl. GEOLOGISCHES
LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a. S.71). Von Süd nach Nord nimmt die
Lössmächtigkeit stetig zu und erreicht punktuell sogar mehr als 20 m in der Unterbörde (vgl.
GEOLOGISCHES LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a. S.47).
Grundsätzlich stellen sich die drei Haupteinheiten der Hellwegbörde folgendermaßen dar:
Erstens die durch Kalkgestein und Karstformen geprägte Haarhöhe, welche durch die
Abtragungsprozesse mittlerweile lössfrei ist, zweitens die Oberbörde, deren kalkhaltiger
Gesteinsuntergrund zumeist von Lösssedimenten überdeckt ist und die von zahlreichen
Hellwegbörde 38
Schledden durchschnitten wird, und drittens die durch den Löss und leichte Bodenwellen
(Emscherschichten) geprägte Unterbörde.
4.1.3 Boden
Die zuvor vorgestellten geologischen Bedingungen haben direkte Auswirkungen auf die
Verwitterung und Abtragungsprozesse sowie die Entwicklung der Böden im Hellweggebiet
im Anschluss an die periglaziale Überformung während des Weichsel-Glazials. Weiterhin
haben auch das Klima (s. u.), die Bodenorganismen und der Wasserhaushalt bedeutsamen
Hellwegbörde 39
Südlich der (Pseudogley-) Parabraunerden schließt sich ein etwa vom südlichen Soester Raum
im Westen nach Osten verbreiterndes Gebiet mit Dominanz von Braunerden und Pseudogley-
Braunerden an (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985.
Themenbereich II Bodentypen). Somit herrscht eine grobe Zweigliederung zwischen den
Hauptbodentypen der Parabraunerden im nordwestlichen und zentralen Hellwegraum im
Bereich mächtiger Lössauflagen und den Braunerden im südöstlichen Gebiet auf einer
geringmächtigen Lössschicht bzw. direkt auf den Oberkreidegesteinen vor. Das Gebiet der
(Pseudogley-) Braunerden wird nur kleinräumig von Pseudogleyen sowie Rendzina- und
Braunerde-Rendzina-Böden (s. u.) untergliedert. Die Braunerden entwickelten sich als
zumeist flachgründiger, basenreicher und lehmiger Bodentyp auf Kalkstein (vgl. LWL U.
GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Begleittext Themenbereich II
Böden. S.9; s. Kap. 4.1.2, Geologie und Relief). Pseudovergleyung tritt hierbei teilweise in
ebenen Gebieten und besonders bei Muldenlagen auf. Auf diesem Bodentyp dominiert bei
ausreichender Bodenmächtigkeit der Ackerbau, wobei die Bodenpunktezahl geringer ist als
die 60 bis 85 für Parabraunerden auf den Lössstandorten (vgl. HÖLKER, M., 2008. S.11 u. vgl.
MERTENS, H. In: MAYR, A. U. TEMLITZ, K. (Hrsg.), 1991. S.49).
Die (Braunerde-) Rendzinen treten in den von Braunerden dominierten Gebieten besonders
auf erosionsanfälligen, exponierten Geländepunkten (östliche Oberbörde) auf. Die aus den
Verwitterungsprodukten des Kalksteines entwickelten Rendzinen im Raum Anröchte sind
flachgründig mit humusreichem Ah-Horizont (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION
FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Begleittext Themenbereich II Böden. S.7 u. LIEDTKE, H. U.
MARCINEK, J. (Hrsg.), 2002. S.261). Auf diesem Boden kann nur wenig Wasser
oberflächennah gehalten werden, so dass der Großteil in den Untergrund abgeführt wird
(Karst).
In den Fluss- und Bachniederungen des Hellwegraumes haben sich mit Pseudogleyen und
Gleyen in räumlich geringem Ausmaß Auenböden entwickelt (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE
KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich II Bodentypen). In den Gebieten
der Unterbörde mit umgelagertem Löss aus den höher gelegenen Gebieten haben sich
Hellwegbörde 41
ebenfalls Pseudogleye und Gleye entwickeln können. Diese treten besonders in der
nordöstlichen Hellwegbörde zwischen Lippstadt, Erwitte und Geseke auf.
Karte 7: Bodentypen im südöstlichen Westfalen. Die schwarze Umrandung markiert die Lage
der Hellwegbörde
Quelle: LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich
II Bodentypen, verändert
4.1.4 Klima
Als Klima wird der charakteristische Durchschnitt der Wetter- und Witterungsbedingungen
verschiedener Parameter (Temperatur, Niederschlag, Wind, etc.) an einem Standort über
einen ausreichend langen Zeitraum bezeichnet.
In der nordwestlichen Hälfte der Hellwegbörde in etwa bis zur Linie Unna – Soest – Geseke
liegt die Jahresdurchschnittstemperatur des 50-jährigen Zeitraumes von 1881-1930 bei über 9
°C (vgl. DEUTSCHER WETTERDIENST (DWD), 1960. S.6-11). Mit zunehmender Höhenlage
sinkt südostwärts die Durchschnittstemperatur auf etwa 8 °C. Diese Angaben sind
Durchschnittswerte über mehrere Jahrzehnte, so dass berücksichtigt werden muss, dass in
Hellwegbörde 42
einzelnen Jahren teilweise deutliche Abweichungen mit negativem oder positivem Vorzeichen
auftreten. Die Zeiträume von 1931 bis 1960 und von 1960 bis 1980 weisen nahezu die
gleichen Durchschnittstemperaturen auf (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR
WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich II Lufttemperatur u. LUA NRW (Hrsg.), 2000.
S.16f.; s. Karte 8).
Karte 8: Lufttemperaturmittel im Zeitraum 1960 bis 1980. Die schwarze Umrandung markiert
die Lage der Hellwegbörde
Quelle: LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich
II Lufttemperatur, verändert
Die Hellwegbörde ist neben der Niederrheinischen Bucht, dem Ruhrgebiet und dem
südwestlichen Münsterland eines der wärmsten Gebiete NRWs. Die Temperaturunterschiede
zwischen den Niederungen nördlich von Werl und Soest und den Höhen des Haarstranges
betragen im Mittel ein bis zwei Kelvin. Die für die Landwirtschaft entscheidende
Vegetationsperiode verkürzt sich folglich mit zunehmender Höhenlage. In einem schmalen
Streifen über Dortmund, Unna, Werl und Soest ostwärts etwa bis Geseke liegen an
durchschnittlich 240 Tagen pro Jahr die Tagesmitteltemperaturen bei mindestens 5 °C.
Nördlich in der Lippeniederung, weiter östlich und mit zunehmender Höhenlage im Süden
vermindert sich die Vegetationsdauer und erreicht auf dem östlichen Haarkamm nur noch 215
Tage (vgl. DWD, 1960. S.24ff. u. BECKS, F., 1983. S.26). Der mittlere Klimaunterschied
Hellwegbörde 43
zwischen der Niederbörde und dem Haarstrang weist eine Zeitdauer von etwa zwei Wochen
auf (vgl. HÖLKER, M., 2008. S.12).
Für den Zeitraum von 1891 bis 1930 liegen die mittleren Jahresniederschlagssummen in der
Niederbörde unter 700 mm (vgl. DWD, 1960. S.38-51 u. MÜLLER-WILLE, W., 1966b. Abb.
10). Somit ist die untere Hellwegbörde neben den Leegebieten der Eifel, des Rothaargebirges
und des Weserberglandes eines der niederschlagsärmsten Gebiete Nordrhein-Westfalens. Für
die Referenzzeiträume von 1931 bis 1960 und 1951 bis 1980 liegen die
Niederschlagssummenwerte allgemein etwas höher und unterschreiten im Mittel nicht mehr
die 700 mm (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985.
Themenbereich II Jahresniederschlag; s. Karte 9).
Der für klimatologische Folgerungen eigentlich zu kurze und somit (noch) nicht
repräsentative Zeitraum von 1993 bis 2002 weist für den Standort Bad Sassendorf-
Ostinghausen einen deutlichen Sprung nach oben bei der Jahresdurchschnittstemperatur und
auch bei der Jahresniederschlagssumme auf (vgl. HÖLKER, M., 2008. S.12). Die in den letzten
zwei Jahrzehnten rasche und nahezu weltumspannend erfolgte Erwärmung wird als Beginn
einer sich intensivierenden, anthropogen bedingten Klimaänderung mit einem höheren
Temperaturniveau und somit einhergehend extremeren Einzelereignissen gewertet (s. auch
Kap. 5.1, Klimawandel). Die Station Ostinghausen wies im Zeitraum 1951 bis 1980 eine
Durchschnittstemperatur von 9,1 °C auf. Der Zeitraum von 1993 bis 2002 erreichte mit dem
Temperaturmittel von 10,1 °C bereits einen zweistelligen Wert. Weiterhin fielen in diesem
Zeitraum mit durchschnittlich etwa 860 mm mehr als 100 mm mehr Niederschlag als in dem
30-jährigen Zeitraum 1951 bis 1980 mit circa 750 mm.
Die ersten Funde des Menschen in der Hellwegbörde, die zu den ältesten Siedelplätzen in
Mitteleuropa zählt, sind aus der Altsteinzeit von vor etwa 12.000 Jahren bekannt (vgl.
HÖLKER, M., 2008. S.13ff.). Die Feuerstein- und Hirschhorngeräte wurden in der Unterbörde
gefunden. Die neolithische Revolution (Sesshaftwerden, Domestikation) vollzog sich am
Nordrand des Haarstranges im Vergleich zu weniger begünstigten Räumen frühzeitig etwa
6.000 bis 7.000 Jahren vor heute. „Die ackerbauliche Nutzung ist in einigen Regionen [wie
der Hellwegbörde] ein seit 7.000 Jahren persistentes Strukturkriterium“ (BURGGRAAFF, P. U.
KLEEFELD, K.-D., 1998. S.26). Dabei wird von einer relativ dichten Besiedlung der
Unterbörde und einer weniger ausgeprägten weiter südlich ausgegangen. Seitdem wird das
Gebiet dauerhaft – jedoch mit unterschiedlicher Dichte – bewohnt und beackert. Weizen,
Gerste, Hirse, Erbsen und Linsen wurden auf den Lössböden angebaut. Mit dieser verstärkten
Bodennutzung ging eine durch Waldweide und Schneitelwirtschaft bedingte Öffnung und
Auflichtung der Wälder einher. Um die Zeitenwende traten im Ackerbau Hafer und Roggen
als neue Getreidearten hinzu und die Landbewirtschaftung wird bereits als intensiv eingestuft.
Mit dem römischen Reich wurde Warenhandel betrieben und der Hellweg galt als Region mit
Hellwegbörde 45
„kulturellem Hochstand und großem Reichtum“ (HÖLKER, M., 2008. S.14). Die geplante
Anlage des Hellweges als Verkehrsweg geht auf das Jahr 784 zurück. Im Mittelalter war der
Soester Raum ein verhältnismäßig dicht besiedeltes Gebiet, während andernorts erst die
Rodungsperiode einsetzte.
„So war im 9. Jahrhundert das heutige Landschaftsbild [der Hellwegbörde] der nahezu
waldfreien, weiträumigen Feldlandschaft mit seinem Siedlungsnetz weitgehend vollständig
ausgebildet“ (HÖLKER, M., 2008. S.14; s. Karte 10). Die Bezeichnung der Kornkammer
Westfalens stammt aus dem Hoch- und Spätmittelalter, da Agrarprodukte im Überfluss
produziert werden konnten. Durch diese günstigen Voraussetzungen setzte bereits
überregionaler Handel (Hanse-Bund) ein. Ende des 19. Jahrhunderts begann der
Zuckerrübenanbau und Zuckerfabriken wurden errichtet. Seit dem Mittelalter ist eine
deutliche Steigerung der Erträge zu verzeichnen, die bis in die heutige Zeit anhält. Nur auf
den weniger ertragreichen Standorten, insbesondere in den Schledden, den Niederungen der
westlichen Unterbörde und der östlichen Oberbörde, wurde Grünlandwirtschaft betrieben oder
es entwickelten sich kleinere Waldgebiete (vgl. BURGGRAAFF, P., 2000. S.74). Durch diese
massive Ackerbauwirtschaft war der Anteil der Strukturelemente in der offenen
Feldlandschaft auf ein Minimum reduziert worden. „Vor allem in den agrarischen Gunstlagen
wurden maschinengerechte Landschaften für einen optimalen Maschineneinsatz geschaffen“
(LOSCH, S., 1999. S.311ff.; s. Fotos 1 - 3). Seit den 1960er Jahren wurden Anpflanzungen in
Form von Hecken, Baumreihen und Gebüschen vorgenommen, so dass der Gehölzanteil
mittlerweile bedeutender als zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist.
Der Hellwegraum wird traditionell von geschlossenen Dorfstrukturen und weiten, offenen und
intensiv ackerbaulich genutzten Freiräumen geprägt (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE
KOMMISSION FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Themenbereich IV Siedlungsformen). Aus dem
7. und 8. Jahrhundert stammen die ältesten bekannten Höfe und Ortschaften, wobei die
Siedlungen damals in Form geschlossener Haufendörfer errichtet wurden (vgl. HÖLKER, M.,
2008. S.14). In der westlichen Unterbörde nordwestlich der Linie Unna – Werl – Soest –
Lippstadt überwiegt die Einzelhofbesiedlung, wie sie für das nördlich angrenzende
Münsterland charakteristisch ist (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION FÜR WESTFALEN
(Hrsg.), 1985. Themenbereich IV Siedlungsformen). Neben den Einzelhöfen sind auch Weiler
und lockere Haufendörfer charakteristisch für diesen Abschnitt zwischen der Lippe und der
Bundesstraße 1 zwischen Unna und Soest. Diese in der Ebene der westlichen Unterbörde
befindlichen Siedlungen sind zumeist auf leicht erhöhten Standorten, wie den
Flugsanddecken, angelegt worden (vgl. GEOLOGISCHES LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN
(Hrsg.), 1995a. S.13). Hingegen dominieren südöstlich der angesprochenen Grenze von Unna
über Soest nach Lippstadt geschlossene Dorfstrukturen aus Haufendörfern, Weilern und
Straßendörfern, wobei das lockere Haufendorf die traditionelle und charakteristische
Siedlungsstruktur des Hellweges widerspiegelt (vgl. LWL U. GEOGRAPHISCHE KOMMISSION
FÜR WESTFALEN (Hrsg.), 1985. Begleittext Themenbereich IV Siedlungsformen. S.5). Diese
Hellwegbörde 46
Siedlungsform wird von Müller-Wille auch als Bördetyp bezeichnet (vgl. HENKEL. G. In:
HEINEBERG, H. (Hrsg.), 2007. S.98f.). In den letzten Jahrzehnten wurde diese zuvor
vorhandene Trennung der geschlossenen Siedlungsformen und den offenen Ackerflächen
durch die Suburbanisierung von Wohnungs- sowie Industrie- und Gewerbeflächen zwischen
Lippe und Haarstrang überprägt (s. Kap. 5.1.4.2, Flächenverbrauch). Daneben führen auch
Aussiedlerhöfe, welche vornehmlich zum Zwecke der Vergrößerung der
Landwirtschaftsbetriebe vorgenommen werden, und sonstige Baumaßnahmen, wie Ställe,
Scheunen, Verkehrswege, Biogasanlagen, Windkraftanlagen, etc., zu einer weiteren
Zersiedelung.
Als ein wichtiger, schon seit langer Zeit relevanter Wirtschaftszweig der Hellwegbörde ist die
Zementindustrie zu nennen. Besonders der Abbau der Gesteine in Steinbrüchen hat für die
Kulturlandschaft und das Landschaftsbild große Bedeutung. Gesteine werden hier bereits seit
langer Zeit – spätestens seit dem Spätmittelalter – abgebaut, wobei der Wert des kalkreichen
Gesteins für die Zementherstellung mit Abstand am größten ist (vgl. GEOLOGISCHES
LANDESAMT NORDRHEIN-WESTFALEN (Hrsg.), 1995a. S.101ff.). Heute bildet das
Zementrevier Erwitte/Anröchte/Geseke im östlichen Hellwegraum eine
landschaftsbedeutsame Abbaustruktur mit zahlreichen Steinbrüchen und Zementwerken.
Hellwegbörde 47
Karte 10: Entwicklung der Kulturlandschaft seit 900 n. Chr. Die schwarze Umrandung
markiert die Lage der Hellwegbörde
Quelle: BURGGRAAFF, P., 2000. S.66, verändert
Hellwegbörde 48
Aufgrund der vereinfachten Darstellung und Vergleichbarkeit werden die Daten des Kreises
Soest für den gesamten Hellwegraum als statistisch aussagekräftige Größe verwendet (s.
Karte 11). Der Kreis Soest nimmt die weitaus größten Flächenanteile sowohl der
Kulturlandschaft als auch des landesbedeutsamen Kulturlandschaftsbereiches innerhalb der
Hellwegbörde ein und umfasst den zentralen Untersuchungsraum, so dass die Verwendung
der Verwaltungseinheit des Kreises Soest zur Darstellung der gesamten Hellwegbörde
repräsentativ und aussagekräftig ist.
Karte 11: Kommunen des Kreises Soest mitsamt der Abgrenzung der Kulturlandschaft
Hellwegbörde
Der knapp 1.328 km² große Kreis Soest im nördlichen Regierungsbezirk (RB) Arnsberg wird
intensiv ackerbaulich genutzt und der Anteil der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche
übersteigt 62 % (s. Tab. 2 u. 3). Im forstwirtschaftlich geprägten Sauerland südlich von
Möhne und Ruhr, das einen Großteil des RB Arnsberg einnimmt, beträgt der
Landwirtschaftsanteil an der Gesamtfläche Südwestfalens nur 36 % und liegt somit deutlich
unter dem Schnitt des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen mit circa 50 %. Die Bedeutung der
landwirtschaftlichen Produktion im Hellwegraum im Vergleich zum RB Arnsberg wird auch
dadurch deutlich, dass der Kreis Soest zwar nur knapp 17 % der Regierungsbezirkfläche
Hellwegbörde 49
Bodenfläche Gebäude- und Betriebs- Erholungs- Verkehrs- Landwirtschafts- Wald- Wasser- Andere
insgesamt Freifläche fläche fläche fläche fläche fläche fläche Nutzung
Nordrhein-
3.408.650,52 432.576,93 36.973,39 58.362,31 236.227,99 1.690.255,43 864.172,65 65.605,75 24.476,07
Westfalen, ha
Nordrhein-
100 12,69 1,08 1,71 6,93 49,59 25,35 1,92 0,72
Westfalen (%)
Regierungsbezirk
800.282,07 89.903,19 5.525,69 9.304,54 53.703,30 289.867,55 336.506,10 11.014,24 4.457,46
Arnsberg, ha
Regierungsbezirk
100 11,23 0,69 1,16 6,71 36,22 42,05 1,38 0,56
Arnsberg (%)
Anteil an NRW
23,48 20,78 14,95 15,94 22,73 17,15 38,94 16,79 18,21
(%)
Kreis Soest, ha 132.757,15 10.899,12 740,41 1.136,01 7.220,84 83.193,58 26.336,49 2.564,28 666,42
Kreis Soest (%) 100 8,21 0,56 0,86 5,44 62,67 19,84 1,93 0,50
Anteil am RB
16,59 12,12 13,40 12,21 13,45 28,70 7,83 23,28 14,95
Arnsberg (%)
Anteil an NRW
3,89 2,52 2,00 1,95 3,06 4,92 3,05 3,91 2,72
(%)
Tab. 2: Flächennutzungsstatistik von NRW, vom Regierungsbezirk Arnsberg und vom Kreis
Soest in Hektar- und Prozentangaben (Stand: 31. Dezember 2007)
Eigene Tabelle, nach LDS NRW, 2008a
Anteil
Bodenfläche
Landwirtschaftsfläche, ha Landwirtschaftsfläche an
gesamt, ha
Gesamtfläche, %
Der Waldanteil beträgt im Kreis Soest knapp 20 %. Dieser Wert liegt circa fünf
Prozentpunkte unter dem landesweiten Schnitt von einem Viertel. Die meisten Waldflächen
liegen dabei im Gebiet südlich der Möhne in den Kommunen Warstein, Rüthen und
Möhnesee, während der Wald- und Forstanteil in der zentralen Börde sehr gering ist. Die
Städte Werl, Soest und Erwitte sowie die Gemeinde Bad Sassendorf im zentralen
Hellwegraum weisen Waldanteile von unter vier Prozent auf (vgl. LANDESAMT FÜR
DATENVERARBEITUNG UND STATISTIK NORDRHEIN-WESTFALEN (LDS NRW), 2008a). Nach
den land- und forstwirtschaftlichen Flächen nehmen die Wohn- und Industrieflächen
(Gebäude-, Frei- und Betriebsflächen) sowie die Verkehrswege die dritte und vierte Position
bezüglich der Flächenstatistik im Kreis Soest ein (s. Tab. 2).
87.000
Gewerbeflächen sowie
84.000 Verkehrswege die vom
81.000
landwirtschaftlichen Sektor
bearbeitete Fläche seit den
78.000
1990er Jahren leicht
75.000
rückläufig. Im Kreis Soest
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Entsprechend der agrarischen Eignung differiert das Verhältnis zwischen Acker- und
Grünland. Im Kreis Soest beträgt der Ackerlandanteil 82,4 % (vgl. LDS NRW, 2008g. S.33, s.
Abb. 6). Während im zentralen Bördebereich der Ackerlandanteil an der landwirtschaftlichen
Nutzfläche mit Anteilen von teilweise über 90 % (Werl, Soest, Möhnesee, Anröchte, Bad
Sassendorf) sehr hoch liegt, werden diese hohen Werte in den Randbereichen der
Hellwegbörde aufgrund der für den Ackerbau schlechteren Boden-, Wasser- und
Geländebedingungen nicht erreicht (s. auch Karte 7; s. Fotos 1 - 3). Diese deutliche
Konzentration auf die ackerbauliche Bewirtschaftung im Hellwegraum ist an die sehr gut
bearbeitbaren und ertragreichen Böden südlich der Lippe gebunden. So ist die
Kulturlandschaft der Hellwegbörde durch eine weitgehend offene Feldlandschaft dominiert,
die als prägend und traditionell bezeichnet werden kann und in der sich die
Grünlandwirtschaft auf ertragsschwächere Bereiche, wie den Schledden und den Niederungen
in der nordwestlichen Börde (Ahse, Lippe), konzentriert (s. Fotos 4 - 6). Dieses Verhältnis
Hellwegbörde 51
zwischen Acker- und Grünland, das im Hellwegraum deutlich zugunsten des Ackerlandes
ausgerichtet ist, hat sich nach einer Zeit der Ackerlanderweiterung in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts in den letzten Jahren nur noch geringfügig verändert. Der Ackerlandanteil
von 82,4 % für den Kreis Soest markiert einen sehr hohen Wert innerhalb von NRW und den
Höchstwert in der Westfälischen Bucht (vgl. BECKS, F., 1983. S.27).
75%
50%
25%
0%
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Abb. 6: Art der landwirtschaftlichen Flächen für den Kreis Soest im Jahr 2007:
1 Kreis Soest, 2 Anröchte, 3 Bad Sassendorf, 4 Ense, 5 Erwitte, 6 Geseke, 7 Lippetal, 8
Lippstadt, 9 Möhnesee, 10 Rüthen, 11 Soest, 12 Warstein, 13 Welver, 14 Werl, 15 Wickede/Ruhr
Eigene Abbildung, nach LDS NRW, 2008a
4.0
Getreide
8.3
Hülsenfrüchte
Hackfrüchte
15.6
0.7
Futterpflanzen
Schwarzbrachen,
Stilllegungen
Abb. 7: Anbauartenverteilung auf den Ackerflächen des Kreises Soest in Prozent 2007
Eigene Abbildung, nach LDS NRW, 2008g. S.24-33
Gemüse,
Blumen und Schwarzbrachen,
Getreide Hülsenfrüchte Hackfrüchte Spargel, Handelsgewächse Futterpflanzen
Zierpflanzen Stilllegungen
Erdbeeren
Kreis Soest 65,4 0,7 5,1 0,8 0,1 15,6 8,3 4,0
Regierungsbezirk
64,8 0,8 3,6 0,8 0,1 13,5 11,9 4,5
Arnsberg
Nordrhein-
59,4 0,6 9,1 2,1 0,3 7,3 17,2 4,1
Westfalen
Tab. 4: Bedeutung der verschiedenen Anbauarten für den Kreis Soest, den Regierungsbezirk
Arnsberg, Westfalen-Lippe und Nordrhein-Westfalen 2007 in Prozent
Eigene Tabelle, nach LDS NRW, 2008g. S.24-33
Hellwegbörde 53
In der Hellwegbörde (Kreis Soest) nahm 2007 der Weizen 52,5 % der Getreideflächen ein und
liegt somit deutlich an der Spitze vor der Gerste mit 32,3 % (vgl. LDS NRW, 2008g. S.24ff.,
s. Abb. 8). Circa fünf Prozent erreichen jeweils Mais (Körnermais und Corn-Cob-Mix) und
Triticale gefolgt von Hafer (3 %) und Roggen (2 %). Die nach dem Getreide zweitwichtigste
Anbaugruppe stellen die Handelsgewächse im Hellwegraum dar (s. Tab. 4). Dabei ist der
Winterraps (95 % der Handelsgewächse) die fast ausschließliche Anbauart, während
Sommerraps sowie Winter- und Sommerrübsen nur sehr vereinzelt angebaut wurden (vgl.
LDS NRW, 2008g. S.31ff.). Etwa 74 % der Futterpflanzen resultieren aus dem
Silomaisanbau. Das restliche Viertel teilen sich der Grasanbau auf Ackerland sowie der
Anbau von Klee, Kleegras und Klee-Luzerne-Mischungen. Die auf fünf Prozent der
Ackerflächen im Kreis Soest angebauten Hackfrüchte, besonders die Zuckerrübe, waren
früher deutlich bedeutender. Im Kreis Soest resultieren die Hackfrüchte aus etwa zwei Drittel
Zuckerrüben und Runkelrüben sowie etwa ein Drittel Kartoffelanbau.
Im Jahr 2007 stellten Weizen, Gerste, Raps, Mais und Zuckerrüben/Runkelrüben in dieser
Reihenfolge die fünf wichtigsten Anbauarten auf den Ackerflächen des Kreises Soest dar und
wurden zusammen auf 83,4 % der gesamten Ackerfläche angebaut (vgl. LDS NRW, 2008g.
S.24ff.).
20.000
Fläche [ha]
15.000
10.000
5.000
0
Roggen
Gerste
Hafer
Mais (ohne
Triticale
Sonstiges
Weizen
Silomais)
Für das Jahr 2008 verzeichneten die Anbauprodukte Weizen und Mais in Deutschland neue
Flächenrekorde (vgl. LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008a. S.46 u.
LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008d. S.16). Diese Entwicklung resultierte
maßgeblich aus dem zuvor deutlich gestiegenen Agrarmarktpreis und der Aufhebung der
Stilllegungspflicht. Der Maisanbau wurde in NRW um 12,8 % innerhalb eines Jahres
ausgedehnt. Dabei spielt neben der Preissteigerung für das Futtergetreide besonders auch die
wachsende Nachfrage nach Mais als Substanz in der Biomasseproduktion eine entscheidende
Hellwegbörde 54
Rolle. Bei den Getreidearten konnten bis auf Roggen alle Arten eine Ausdehnung der
Anbauflächen verzeichnen. Hingegen hat der Raps- und Rübsenanbau von 2007 auf 2008 an
Bedeutung verloren (-18 %). Durch die EU-Zuckermarktreform, die eine verträgliche
Reduzierung der Anbauflächen bewirken soll, ist die Zuckerrübenproduktion bereits deutlich
vermindert worden (2008: -14 % zu 2007). Daneben ging auch die Kartoffelproduktion (-6 %)
zurück, so dass für 2008 im Vergleich zu 2007 insgesamt verminderte Anbauflächen für
Hackfrüchte und Hülsenfrüchte, aber positive Entwicklungen für Getreide und Futterpflanzen
zu verzeichnen waren.
In der Zeit von 1979 bis 2007 hat sich in NRW die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe
von 107.000 auf noch 47.500 (-56 %) verringert (vgl. LDS NRW, 2008h. S.5, 20ff. u.
LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008c. S.11, 20ff.). Dabei geben NRW-weit
mittlerweile jedes Jahr circa drei von einhundert Höfen die Bewirtschaftung auf, so dass das
Motto „Wachsen oder Weichen“ durchaus angebracht erscheint. Die Flächen der
aufgegebenen Betriebe („Weichen“) werden von anderen Betrieben („Wachsen“)
übernommen. Alleine von 2003 bis 2007 verringerte sich die Betriebszahl in NRW um 12,9
Prozentpunkte. Daraus folgt, dass die verbliebenen Betriebe immer mehr Fläche
bewirtschaften. Seit 1979 hat sich die Durchschnittsgröße der LF der Betriebe um 10,5 ha
vergrößert.
40
LF/Betrieb [ha]
30
20
10
0
Kreis Soest Regierungsbezirk Westfalen-Lippe NRW
Arnsberg
Im Kreis Soest wurden 2007 1.830 Höfe bewirtschaftet, wobei in der Zeit von 1997 bis 2007
die relative Anzahl im Kreis um 24,1 % sank. Dabei wurde im Kreis insgesamt eine Fläche
von 77.199 ha genutzt. Das entspricht einer durchschnittlichen Größe von 42,2 ha/Betrieb.
Diese Größenstruktur ragt deutlich aus dem strukturellen Rahmen von Südwestfalen (RB
Arnsberg), Westfalen-Lippe und NRW heraus (s. Abb. 9).
Die betriebliche Größenstruktur im Kreis Soest zeigt die Ausrichtung der Betriebe mit großen
landwirtschaftlichen Nutzflächen auf den Agrarmarkt (s. Abb. 10). Insbesondere die mittleren
Betriebsgrößen sind im Hellwegraum unterrepräsentiert. Die Betriebe ab 30 Hektar LF (49,6
% aller Betriebe) bearbeiteten 2007 86,7 % der gesamten unter landwirtschaftlicher Nutzung
stehenden Flächen im Kreis Soest. Die Betriebsgrößenstruktur im Hellwegraum, die von recht
wenigen, dann aber zumeist großen Betrieben erreicht wird, ist typisch für die ertragreichen
und intensiv bewirtschafteten Bördegebiete.
Betriebsgrößenverteilung 2007
500
400
300
Anzahl
200
100
0
<2 2-5 5-10 10-15 15-20 20-30 30-50 50-100 > 100
Betriebsgrößen [ha]
5.1 Einflussfaktoren auf die Landwirtschaft und die Auswirkungen auf die
Hellwegbörde
„Die Frage, wie unserer Lebensraum im Kleinen wie im [Großen] in Zukunft gestaltet werden
soll, beschäftigt die Öffentlichkeit heute mehr als früher, weil die Eingriffsmöglichkeiten
größer sind, weil die Gefährdung der Umwelt zugenommen hat und weil die Wahrnehmung
der Gefährdung gewachsen ist“ (EGLI, H.-R. In: TANNER, K. M. et al., 2006. S.118f.).
Bei der zukünftigen Entwicklung von Kulturlandschaften spielt die Landwirtschaft eine
entscheidende Rolle, da sie große Flächenanteile einnimmt (vgl. SCHÜTTLER, K. In: OTT, E.,
1997. S.39ff.). In der intensiv agrarisch genutzten Hellwegbörde muss bedacht werden, dass
gerade der flächenhafte Ackerbau mit nur wenigen Strukturelementen für die Region prägend
ist. Daher sollten die Maßnahmen nicht auf eine übermäßige Ansiedlung von
Strukturelementen ausgerichtet sein, sondern angepasste Strategien, die der typischen Struktur
der Kulturlandschaft Rechnung tragen, bevorzugt werden. In der Hellwegbörde sind dies
zuerst die strukturarmen Ackerbereiche, welche von in Nord-Süd-Richtung verlaufenden
Schledden gequert werden. Diese ackerbaulich weniger rentablen Bereiche dienen der
Strukturierung und sind wichtige Elemente des Biotopverbundes zwischen der Münsterländer
Parklandschaft sowie der Lippeniederung im Norden und den Wäldern des nördlichen
Sauerlands südlich des Haarstrangs. Daher konzentrieren sich die ökologisch wertvollen und
strukturreichen Bereiche zumeist auf diese Geländeeinschnitte. Aber auch die offene
Ackerlandschaft stellt bei einigen Offenlandarten und Kulturfolgern einen wichtigen
Lebensraum dar (s. Kap. 5.1.4.1, Interessenkonflikte mit anderen Nutzungen - Naturschutz).
Der Agrarmarkt und die politischen Eingriffe in den Agrarhandel (Agrarpolitik) sind derart
eng vernetzt, dass für den hier benötigten Überblick nur eine kombinierte Betrachtung
sinnvoll erscheint. Die im Folgenden vorgestellten Einflussfaktoren auf die zukünftige
Landwirtschaft sowie die Auswirkungen auf das Landschaftsbild und die bedeutsame
Kulturlandschaft der Hellwegbörde behandeln die aus heutiger Sicht entscheidenden
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 57
Parameter, wobei beachtet werden muss, dass bei Zukunftsszenarien niemals alle relevanten
Zusammenhänge und Wirkungsgefüge in Gänze erfasst werden (können).
Abb. 11: Haupteinflüsse auf die zukünftige Struktur der Landwirtschaft in der Hellwegbörde
Eigene Abbildung
Abschließend werden für die Hellwegbörde und die Beispielgemeinden Bad Sassendorf und
Möhnesee drei Zukunftsszenarien vorgestellt, um die vorherigen Erläuterungen des
landwirtschaftlichen Strukturwandels konkret zu fassen und sichtbar zu machen (s. Kap. 5.2).
5.1.1 Klimawandel
„Wie die Kulturlandschaft in der weiteren Zukunft aussehen wird, lässt sich aufgrund
unvorhersehbarer Entwicklungen nur schwer prognostizieren. Wenn sich die Theorie der
anthropogenen globalen Klimaerwärmung bestätigt, werden schon allein deren Auswirkungen
auf die Vegetation das Landschaftsbild entscheidend verändern“ (LWL U. LVR, 2007a. S.40).
kommen wird, sind im europäischen Raum die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche
Produktion nicht pauschal als positiv oder negativ zu deklarieren, da eine Fülle von Faktoren
beachtet werden muss. In Südeuropa wird mit sinkenden und in Nordeuropa mit steigenden
landwirtschaftlichen Erträgen gerechnet.
5.1.1.1 C02-Düngeeffekt
Besonders das Kohlendioxid hat einen direkten und somit bedeutsamen Einfluss auf das
Wachstum und die Erträge von Kulturpflanzen (vgl. DIEPENBROCK, W. et al., 2005. S.29).
„Die wichtigste Wechselwirkung zwischen Klima und Vegetation ist [neben dem
Wasserangebot] durch die CO2-Aufnahme der Pflanzen bedingt“ (HAMBURGER
BILDUNGSSERVER, 2007). Durch den zunehmenden Gehalt von CO2 in der bodennahen
Atmosphäre führt dies bei Pflanzen allgemein zu positiven Effekten. Das Pflanzenwachstum
wird gefördert und die Strahlungs- und Wassernutzungseffizienz gesteigert. Der in Abbildung
12 ersichtliche positive Trend der CO2-Konzentration wird durch die menschlichen
Aktivitäten (Verkehr, Industrie, etc.) anhalten, was für das Pflanzenwachstum zunächst nicht
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 59
als negativ zu bewerten ist. Die heutige CO2-Konzentration von circa 385 parts per Million
(ppm, Teile je Million) liegt bereits etwa 100 ppm über den Werten zu Beginn der
Industrialisierung und wird nach Berechnungen des Intergovernmental Panel on Climate
Change (IPCC, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) in 50 Jahren bereits
zwischen 450 und 500 ppm liegen und weiter darüber hinaus ansteigen (vgl. SCHALLER, M. U.
WEIGEL, H.-J., 2007. S.11, ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.17 u. CHMIELEWSKI, F.-M., 2008.
S.76). Die durch die weitere Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration bedingte
„Stimulierung der pflanzlichen Photosynthese“ (ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.19) wird als
CO2-Düngeeffekt bezeichnet.
Dieser Effekt soll nach Berechnungen und Modellierungen einzelner Wissenschaftler bereits
fünf bis zehn Prozent des vergangenen Ertragszuwachses bei Kulturpflanzen begründen, was
jedoch nicht als sicher gilt (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.42, 88). Bei der
weiteren Betrachtung des CO2-Düngeeffektes muss zwischen den so genannten C3- und C4-
Pflanzen unterschieden werden. C3-Pflanzen, welche typisch für die mittleren Breiten sind,
umfassen alle Bäume und wichtige Anbaukulturen, wie Getreide, Reis und Kartoffeln (vgl.
HAMBURGER BILDUNGSSERVER, 2007). Die C4-Pflanzen können mithilfe eines
Konzentrations-Mechanismus den CO2-Gehalt in den Blättern um ein Vielfaches der
Umgebungsluft erhöhen. Da folglich auch weniger CO2 aufgenommen werden muss, um
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 60
Bei verschiedenen Versuchen wurden Mehrerträge für die wichtigsten Anbaukulturen bei
höheren Kohlendioxid-Konzentrationen der Luft festgestellt (vgl. ISERMEYER, F. (Hrsg.),
2004. S.23ff.). Realistische Versuche mit der FACE-Technik (Free Air Carbondioxide
Enrichment, Freiland-
Kohlendioxid-
Anreicherung) ergaben in
Braunschweig
Ertragszuwächse von acht
bis 16 % bei
Wintergerste, -weizen
und Zuckerrüben. Bei
Kartoffeln wurden in
Versuchen teilweise noch
deutlich höhere
Zuwächse erreicht (vgl.
SCHALLER, M. U.
WEIGEL, H.-J., 2007.
S.97ff.). Während eine
weitere CO2-
Anreicherung in der Luft Abb. 13: Reaktion der C3-/C4-Pflanzen auf die CO2-Erhöhung
kaum noch direkte Quelle: CHMIELEWSKI, F.-M., 2008. S.76
Auswirkungen auf die
Erträge und Biomasseproduktion der C4-Pflanzen hat, sind bei C3-Pflanzen
Kohlendioxidanreicherungen vermutlich bis etwa 800 ppm mit positiven Rückkopplungen
verbunden (vgl. CHMIELEWSKI, F.-M., 2008. S.76; s. Abb. 13). Bei den C4-Pflanzen wirkt
sich ein erhöhtes CO2-Niveau indirekt infolge eines verringerten Wasserbedarfs ebenfalls
positiv aus. Bei den jüngsten Veröffentlichungen des IPCC-Berichtes wird bis 2100 – je nach
Szenario – mit CO2-Konzentrationen von 540 bis 970 ppm gerechnet (vgl. SCHALLER, M. U.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 61
WEIGEL, H.-J., 2007. S.20, 88). Da bei höheren Kohlendioxidkonzentrationen die Ressourcen
Licht, Wasser und Nährstoffe effizienter von den Pflanzen genutzt werden, wird die
Transpirationsmenge verringert. Dies ist positiv für zukünftig wohl häufiger auftretende
Trockenperioden im Sommerhalbjahr zu bewerten, da die Pflanzen für die gleichen Prozesse
und Ertragsausbeuten bei erhöhter CO2-Konzentration geringere Wassermengen benötigen.
Die negativen Effekte anderer Auswirkungen des Klimawandels (Temperatur, Wassermangel,
Extreme, etc.; s. folgende Kapitel) können durch die erhöhte CO2-Konzentration abgemildert
bzw. sogar umgekehrt werden. Bei günstigen sonstigen Standortbedingungen (Licht-,
Nährstoff-, Wasserversorgung) profitieren die Kulturpflanzen von einer erhöhten CO2-
Konzentration.
5.1.1.2 Temperatur
Bei der Erstellung regionaler Klimaszenarien für das Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde
Ende 2004 ausgehend vom Referenzzeitraum 1951 bis 2000 für den Zeitraum bis zur Mitte
des 21. Jahrhunderts (2055) eine Temperaturerhöhung von durchschnittlich 1,5 bis 2 K
simuliert (vgl. GERSTENGARBE, F.-W. et al., 2004. S.19ff.). Die
Jahresdurchschnittstemperatur im Hellwegraum wird zur Mitte des 21. Jahrhunderts demnach
zwischen 11 und 12 °C liegen. Die Höhenlagen auf dem Haarstrang werden ebenfalls knapp
zweistellige Temperaturwerte erreichen (s. Karte 12). Dadurch wird sich in der Hellwegbörde
die Vegetationsperiode um etwa zwei Wochen verlängern. Aufgrund der allgemein höheren
Temperaturen nimmt auch die für einige Kulturpflanzen wichtige Kennziffer der Temperatur-
bzw. Wärmesumme zu.
Darüber hinaus wird auch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts der Temperaturwert im
Durchschnitt weiter kontinuierlich ansteigen, wenngleich bis dahin eventuell deutliche
Einsparungen der anthropogenen Treibhausgasemissionen erreicht seien sollten (vgl.
UMWELTBUNDESAMT (UBA) U. MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR METEOROLOGIE, 2006. S.4). In
etwa 100 Jahren könnte die Temperatur in weiten Teilen NRWs und der Hellwegbörde bis zu
4 K über den heutigen Referenzwerten liegen, wobei circa 3 K als am realistischsten
angesehen werden (vgl. SPEKAT, A. et al., 2007. S.29ff. u. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J.,
2007. S.20, 29).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 63
Karte 12: Prognostizierte Temperaturen für Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2046 bis 2055.
Die schwarze Umrandung markiert die Lage der Hellwegbörde. Zum Vergleich s. Karte 8
Quelle: GERSTENGARBE, F.-W. et al., 2004. S.47, verändert
Die Landwirtschaft hat sich an diese allmähliche Erwärmung und somit deutlich veränderten
Ausgangsbedingungen – besonders für den Ackerbau – anzupassen. Bereits heute ist eine
Verschiebung der Anbauzonen nach Norden und in die Höhe zu erkennen (vgl. MUNLV,
2007b. S.21f.). Durch das höhere Temperaturniveau wird es zu Flächenausweitungen von
Wärme liebenden Kulturen (Mais, Sonnenblumen) kommen. Dabei ist aber zu
berücksichtigen, dass durch den immer früheren Beginn der Vegetationszeit die Gefahr von
Spätfrösten steigen wird, da es auch in Zeiten des Klimawandels durchaus kalte
Witterungsabschnitte geben wird, obwohl diese immer seltener werden (vgl. SCHALLER, M. U.
WEIGEL, H.-J., 2007. S.86, 195).
„Die Temperatur ist ein fundamentaler Faktor, der alle biologischen und chemischen Prozesse
in Organismen und Ökosystemen beeinflusst“ (WEIGEL, H.-J. In: ISERMEYER, F. (Hrsg.),
2004. S.19). Dabei weist jede Pflanze bezüglich Stoffwechsel und Wachstum eine
Optimaltemperatur bzw. einen optimalen Temperaturbereich auf. Der optimale
Temperaturbereich der meisten Getreidearten liegt zwischen 18 und 25 °C sowie von Mais
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 64
zwischen 25 und 30 °C (vgl. CHMIELEWSKI, F.-M., 2008. S.77, 83, 195). Folglich führt eine
Temperaturerhöhung bei Pflanzen unterhalb des Optimums zu einer Leistungssteigerung und
oberhalb zu einer konträren Wirkung. Besonders C4-Pflanzen, wie Mais, weisen ein hohes
Temperaturoptimum auf, so dass besonders diese Kulturpflanzen von einer weiteren
Temperaturerhöhung profitieren (vgl. WEIGEL, H.-J. In: ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.19ff.,
84 u. DIEPENBROCK, W. et al., 2005. S.143). Pflanzen, wie Zuckerrüben und Grünlandarten,
die auf eine längere Vegetationsperiode und eine erhöhte Durchschnittstemperatur mit
Wachstum reagieren, werden ebenso positiv von einem erhöhten Temperaturniveau
profitieren. Anders sieht dies bei Getreide aus, da es mit festgelegten Reife- und
Entwicklungsstadien an die vorhandenen Temperatur- bzw. Wärmesummen gekoppelt ist. Die
durch die höhere Temperatur bedingte Entwicklungsbeschleunigung der Getreidearten führt
folglich zu einer Verkürzung der für den Ertrag entscheidenden Kornfüllungsphase und somit
zu verminderten Erträgen. Da die Assimilate beispielsweise von Winterweizen bei Werten
unter 20 °C optimal im Korn eingelagert werden, liegt u. A. das Ertragsniveau im Norden
Deutschlands (Schleswig-Holstein) höher als im Rest der Republik (vgl. CHMIELEWSKI, F.-
M., 2008. S.77, SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.143 u. LÜTKE ENTRUP, N. U.
OEHMICHEN, J., 2000. S.263). Bei dem prognostizierten Temperaturanstieg wird der
Getreideertrag besonders von den höheren Atmungsverlusten und der Verkürzung der
Kornbildungsphase limitiert.
Weizen, die wichtigste Anbaukultur der Hellwegbörde, stellt von den Getreidearten die
höchsten Ansprüche an den Standort (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.43f., 84,
195 u. REIDSMA, P., 2007. S.58f.). Wintermilde, sommerwarme und strahlungsintensive
Klimate sind günstige Voraussetzungen. Ein relativ kühles Frühjahr und ein warmer, aber
nicht heißer Frühsommer sind ideal für hohe Weizenerträge, da bereits Werte über 28 °C zu
Hitzestress führen. Weizen gehört – wie oben bereits angesprochen – zu den Kulturarten, die
auf Temperatursummen reagieren. Diese Arten werden als determinierte Anbaukulturen
bezeichnet. Beim Ertrag ist unter den heutigen Klimabedingungen ein Nord-Süd-Gefälle
innerhalb Deutschlands ersichtlich, welches im Zuge des Klimawandels in der Tendenz
erhalten bleiben wird. Die Kornfüllungsphase hängt von der Temperatursumme ab, so dass
hohe Temperatur während dieser Zeit zu einer Verkürzung der Kornfüllungsphase und somit
zu einem verminderten Ertrag führen. Daher werden die Erträge des Weizens im Zuge des
Klimawandels aufgrund der Eigenschaft als determinierte Kulturart und des eintretenden
Hitzestresses ab circa 28 °C eher negativ beeinflusst. Weniger gegen Hitze empfindlich ist die
Gerste, welche nach dem Weizen die zweitwichtigste Getreideart Mitteleuropas ist, und erst
ab circa 35 °C (Sommergerste) mit Notreife reagiert (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J.,
2007. S.48ff., 84f. u. LÜTKE ENTRUP, N. U. OEHMICHEN, J., 2000. S.330, 353). Limitierendes
Anbaumerkmal ist die nur mäßige Frostresistenz, deren Gefährdung mit zunehmender
Erwärmung abnehmen wird, aber nicht ausgeschlossen werden kann. Wie bereits erwähnt und
für die Halmfrüchte typisch, benötigt die Gerste ein feucht-kühles Frühjahr und einen mäßig-
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 65
Ein Beispiel für das in einigen Jahrzehnten wahrscheinliche Klima zeigte der
mitteleuropäische Hitzesommer 2003 (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.7, 46,
59ff., s. auch 5.1.1.2.2, Niederschlag (Wasserverfügbarkeit)). Die landwirtschaftlichen
Erträge lagen 2003 z. T. deutlich unter den Durchschnittserträgen der vergangenen Jahre. Die
Erträge erreichten 2003 66 – 100 % der durchschnittlichen Ertragszahlen, wobei die meisten
Ertragsdefizite bei zehn bis 20 Prozentpunkten lagen. Winterungen (Wintergetreide, Raps)
litten dabei weniger unter der sommerlichen Trockenheit als die Sommerungen, wie z. B.
Mais, da bereits zu Beginn der Hitzewelle das Wachstum der überwinternden Arten nahezu
abgeschlossen war.
Dabei wird – wie auch heute schon – die Niederschlagsvariabilität zwischen den einzelnen
Jahren groß sein, so dass die Jahressummen in der Größenordnung zwischen etwa 600 und
1.300 mm schwanken werden. Daraus resultiert eine große Unsicherheit der
Wasserverfügbarkeit für die Anbaukulturen. Zukünftig wird die Anzahl der Tage mit großen
Niederschlagsmengen zunehmen, da die Luftmassen mit zunehmender Temperatur mehr
Wasserdampf aufnehmen können.
Zwar wird sich die absolute Niederschlagssumme durchschnittlich nur geringfügig verändern,
jedoch wird es im Jahresverlauf recht deutliche Verschiebungen geben (vgl. SPEKAT, A. et al.,
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 68
2006. S.17ff., SPEKAT, A. et al., 2007. S.35ff. u. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007.
S.29f.). Während für das Winterhalbjahr zunehmende Niederschlagsmengen simuliert
werden, werden die Sommermonate in Zukunft immer trockener. Die im Hellwegraum
niederschlagsreichste Jahreszeit (Sommer) wird in Zukunft deutlich trockener werden und die
Niederschlagsmenge bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts um etwa 25 % abnehmen. Dagegen
werden im Herbst, Winter und Frühjahr die Niederschlagsmengen größer. Aufgrund der
Erwärmung wird – trotz der leicht erhöhten Niederschlagssumme – eine Abnahme der
klimatischen Wasserbilanz bis zum Zeitraum 2046 bis 2055 erwartet.
Karte 13: Prognostizierte Änderung der Jahresniederschlagssumme des Zeitraumes 2046 - 2055
im Vergleich zum Zeitraum 1951 - 2000. Die schwarze Umrandung markiert die Lage der
Hellwegbörde
Quelle: GERSTENGARBE, F.-W. et al., 2004. S.73, verändert
Das Verhältnis zwischen Verdunstung und Niederschlag wird sich innerhalb der
Vegetationsperiode weiter zugunsten der Verdunstung verschieben, woraus sich eine
verstärkte negative klimatische Wasserbilanz (Niederschlagsdefizit) ergeben wird (vgl.
SPEKAT, A. et al., 2006. S.54ff.). Im Hellwegraum war die klimatische Wasserbilanz während
der Vegetationsperiode gemittelt für den Zeitraum 1951 bis 2000 mit 30 – 90 mm leicht
negativ und bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird sich das Niederschlagsdefizit auf 90 – 150
mm erhöhen. Gerade die prognostizierte sommerliche Niederschlagsreduktion
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 69
(Sommertrockenheit) wird sich direkt auf das pflanzliche Wachstum auswirken. Obgleich die
Häufigkeit von Starkniederschlägen zunehmen wird, ist insgesamt im Hellwegraum eher mit
trockeneren Bedingungen (Wasserknappheit) zu rechnen. Die dominierenden Böden in der
Hellwegbörde weisen die positiv zu beurteilende Eigenschaft und Fähigkeit auf, Wasser über
lange Zeiträume für die Pflanzen verfügbar im Boden zu speichern (s. Kap. 4.1.3). Folglich
können trockene Witterungsabschnitte relativ gut überdauert werden, sofern die
niederschlagsfreie bzw. –arme Periode nicht zu lang wird. Dennoch benötigen die einzelnen
Anbaukulturen unterschiedlich viel Wasser und reagieren demzufolge unterschiedlich auf die
veränderten Niederschlagsbedingungen. „Innerhalb einer relativ weiten Temperaturspanne
bestimmt letztendlich der Niederschlag bzw. der Wasserhaushalt, welche Kultur erfolgreich
angebaut werden kann“ (SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.106). Jede Art benötigt zur
Bildung eines Kilogramms Trockenmasse eine bestimmte Menge an Wasser (vgl.
DIEPENBROCK, W. et al., 2005. S.28). C4-Pflanzen (Hirse, Mais) gebrauchen relativ wenig
Wasser, während die Getreidearten, Raps, Kartoffeln und Sonnenblumen im Vergleich dazu
viel Wasser zum Wachstum gebrauchen.
Überwinternde Arten (Wintergetreide, Raps), die ihre längsten Entwicklungsphasen im
Herbst und Frühjahr durchlaufen, benötigen generell weniger Wasser als die Sommerformen
(Sommergetreide, Mais). Blattfrüchte (Zuckerrüben, Kartoffeln) haben aufgrund ihrer relativ
langen Vegetationszeit einen höheren Wasserbedarf als Getreide. Bei Wassermangel können
deutliche Ertragseinbußen die Folgen sein, wie z. B. im heißen und trockenen Sommer 2003.
Ein häufiger auftretendes Defizit an Wasser würde abseits der kostspieligen Alternative einer
Beregnung die Verlagerung von den Sommerformen zu den überwinternden Kulturen
bedeuten (vgl. CHMIELEWSKI, F.-M., 2008. S. 83). Neben der Trockenheit gefährden aber
auch die zunehmende Gefahr von Starkregenfällen das Wachstum und die Reife der
Anbaukulturen (s. Kap. 5.1.1.4, Wetterextreme).
5.1.1.4 Wetterextreme
Während sich auf allmähliche Veränderungen, wie einem steigenden CO2-Gehalt in der
Atmosphäre, einer zunehmenden Durchschnittstemperatur sowie einer Konzentration der
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 70
Zunächst ist festzuhalten, dass eine mehrere Faktoren des Klimawandels umfassende Analyse
der zukünftig zu erwartenden Erträge der landwirtschaftlichen Kulturen mit großen
Unsicherheiten verbunden ist (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.109).
Fasst man die wichtigsten Einflüsse des Klimawandels auf die erwartete landwirtschaftliche
Produktion zusammen, ergeben sich für die verschiedenen Anbaukulturen teilweise recht
deutliche Unterschiede. Die atmosphärischen Veränderungen werden die Landwirte
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 71
Der CO2-Düngeeffekt vermindert die als negativ eingestuften Auswirkungen bei den
Getreidearten, die von den Klimaelementen Temperatur und Niederschlag sowie von
Wetterextremen hervorgerufen werden (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.110,
145f.). Alleine durch den vom Menschen verursachten Anstieg der CO2-Luftkonzentration
können die mit zunehmender Temperatur negativ eingestuften Ertragsprognosen im Zuge des
Klimawandels deutlich minimiert bzw. bei einigen Kulturen sogar umgekehrt werden.
Dadurch werden die Ertragseinbußen bei den beiden für die Hellwegbörde wichtigsten
Getreidearten Weizen und Gerste voraussichtlich bei nur wenigen Prozentpunkten liegen (vgl.
SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.153ff.). Der Mais wird unter den simulierten
klimatischen Bedingungen im Laufe des 21. Jahrhunderts weiter an Bedeutung gewinnen. Bei
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 72
sich verschlechternden Ertragssicherheiten werden die Erträge von Zuckerrübe und Kartoffel
leicht ansteigen. Ebenso werden auch die meisten Gemüsesorten vom Klimawandel
profitieren.
Da die Ertragssicherheit unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden wird und somit
auf den weniger produktiven Standorten häufiger geringere Erträge erzielt werden, wird sich
in Zukunft vermutlich der Ackerbau in den Gunstregionen wie der zentralen Hellwegbörde
weiter intensivieren, während auf weniger günstigen Standorten die Landbewirtschaftung
extensivere Züge annehmen wird (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.158).
C3-Pflanzen ++ O - - o
Weizen ++ - - - -
Gerste + - - - -
Triticale + - - - -
Roggen + -- - - --
Hafer + -- - - --
Raps + - - - -
Zuckerrübe ++ + - - +
Kartoffel ++ + -- - o
Gemüse ++ + -- - +
Sonnenblumen + ++ - - +
Obst ++ ++ + - ++
Wein ++ ++ + - ++
C4-Pflanzen + ++ + - ++
Mais + ++ + - ++
Chinaschilf (Miscanthus) + ++ + - ++
Hirse, Sorghum + ++ + - ++
Dabei sind die Züchtung anderer Sorten, wie z. B. bei der Zuckerrübe die Innovation
„Winterrübe“ als Antwort auf die immer milderen Winter, die Verwendung von Arten aus
dem Süden (Miscanthus, Sonnenblumen) und die im Zuge der verlängerten
Vegetationsperiode möglichen Zweifrucht-Nutzungssysteme mit zwei Ernten pro Jahr als
Anpassungsmöglichkeiten und -strategien an den Klimawandel zu nennen (vgl. SCHALLER, M.
U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.165 u. MUNLV, 2007b. S.34).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 73
Die Preise auf dem Agrarmarkt setzen sich neben der teilweise recht starken
Politikbeeinflussung aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage zusammen. Da im 20.
Jahrhundert das Angebot an landwirtschaftlichen Produkten häufig die Nachfragemenge
überschritten hat, lagen die Preise – mit deutlichen Schwankungen versehen – recht niedrig
(vgl. VON WITZKE, H. et al., 2008. S.I, 5ff., s. Abb. 15).
Abb. 15: Entwicklung der realen internationalen Nahrungsmittelpreise von 1900 - 1990, Mittel
des Zeitraumes 1977 - 1979 = 100
Quelle: TYERS, R. U. ANDERSON, K. 1992. In: VON WITZKE, H. et al., 2008. S.6, verändert
Die Landwirtschaft hat im Zuge des Bevölkerungswachstums immer mehr Nahrungsmittel für
immer mehr Menschen produziert, jedoch stieg durch die Ausdehnung der
landwirtschaftlichen Nutzflächen und die Produktivitätssteigerung das Angebot stärker als die
Nachfrage. Da die Flächen für die landwirtschaftliche Produktion begrenzt sind, resultierte in
den vergangenen Jahrzehnten aus der steigenden Produktivität (Erträge) der größte Einfluss
auf der Angebotsseite. Dieser aufgrund des Angebotüberhangs als Megatrend von sinkenden
Weltmarktpreisen bezeichnete jahrzehntelange Zustand ist seit einigen Jahren beendet,
nachdem in den 1990er Jahren historische Tiefststände für Getreide und Ölsaaten auf den
Weltagrarmärkten erreicht wurden (vgl. MUNLV, 2008a. S.12 u. HEISSENHUBER, A. In:
BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND VERBRAUCHERSCHUTZ
(BMELV) (Hrsg.), 2008. S.49; s. Abb. 16). Die weltweit steigende Nachfrage und die
witterungsbedingt stark schwankenden Produktionsmengen haben zu einer recht
angespannten Versorgungslage geführt, weil die als Ausgleichspuffer verwendeten
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 74
Abb. 16: Preisentwicklung von 1996 (= 1.0) bis 2008 und erwarteter Trend bis 2017
Quelle: OECD U. FAO, 2008. S.25
Aufgrund des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage ist eine Produktionsausweitung
erforderlich, um die Nachfrage decken zu können. Abseits des Nahrungsmittel- und
Futtermarktes spielt seit einigen Jahren auch der Bioenergiesektor einen an Bedeutung
steigenden Einfluss im Handel mit agrarischen Gütern (vgl. VON WITZKE, H. et al., 2008. S.2,
10ff.). Neben der gestiegenen Nachfrage für die Nutzung agrarischer Erzeugnisse für
Bioenergie sind besonders das Bevölkerungswachstum und steigende Pro-Kopf-Einkommen
in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern die Hauptgründe für die zunehmende
Nachfrage nach agrarischen Erzeugnissen. Diese drei Hauptargumente werden in den
kommenden Jahrzehnten weiter an Bedeutung gewinnen. 2050 werden bereits über neun
Milliarden und zum Ende des 21. Jahrhunderts voraussichtlich etwa zwölf Milliarden
Menschen zu ernähren sein (vgl. BROCKMEIER, M. U. VON LEDEBUR, O. In: ISERMEYER, F.
(Hrsg.), 2004. S.4). Bereits heute steht pro Person durchschnittlich nur noch etwa ein Viertel
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 75
2007/2008 stiegen die Preise auf dem Agrarmarkt für etwa ein Jahr deutlich an (vgl. VON
WITZKE, H. et al., 2008. S.III; s. Abb. 16). „Vorübergehend ist die extreme Preisspitze“
(TANGERMANN, S., 2007. S.26f.) der Jahre 2007 und 2008, die durch Ernteausfälle in
wichtigen Produktionsländern, wie Australien, resultierte. Aufgrund deutlich gestiegener
Angebotsmengen konnte dieses hohe Preisniveau nicht lange auf derartig hohem Level
bestehen und sackte bereits im Herbst 2008 in ein Zweijahrestief ab (vgl. WIEDUWILT, R. U.
SCHRAA, M. In: ZMP, 2008. S.18). So kostete Weizen Ende Oktober 2008 auf dem Weltmarkt
nur noch 50 % des Wertes von Januar 2008. Dies zeigt die möglichen und in der Zukunft zu
erwartenden Schwankungen auf dem Weltagrarmarkt bei einem insgesamt positiven
Preistrend (vgl. ORGANISATION FOR ECONOMIC CO-OPERATION AND DEVELOPMENT (OECD)
U. FOOD AND AGRICULTURE ORGANIZATION OF THE UNITED NATIONS (FAO), 2008. S.11). Die
in Abbildung 16 prognostizierten allmählichen Preissteigerungen bis zur Mitte des nächsten
Jahrzehnts werden aufgrund des Nachfrage-Angebot-Verhältnisses auch in der Folgezeit
Bestand haben, wobei die Schwankungen nach oben und unten zunehmen werden.
Möller hat 2004 die Produktionskosten in der Landwirtschaft zwischen deutschen und
nordamerikanischen Großbetrieben am Beispiel des Weizenanbaus miteinander verglichen,
um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem liberalen Weltagrarmarkt aufzuzeigen (vgl. MÖLLER,
C., In: ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.165ff.). Bei Unterlassung von politischen Eingriffen
hängt die Wettbewerbsfähigkeit und somit letztlich die Wirtschaftlichkeit (Rentabilität) der
landwirtschaftlichen Betriebe unmittelbar mit den Produktionskosten zusammen. Zwar ist in
diesem Beispiel für einen Betrieb aus der Magdeburger Börde der Kostenaufwand je
Flächeneinheit dreimal so hoch wie im Vergleichsbetrieb in North Dakota, allerdings sind in
der fruchtbaren und intensiv genutzten Magdeburger Börde parallel dazu die Weizenerträge
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 76
etwa dreimal so hoch wie in North Dakota, so dass sich die Produktionskosten je Tonne
Ertrag ausgleichen. „Es muss allerdings zu denken geben, dass der ausgewählte ostdeutsche
Betrieb trotz günstiger Betriebsstruktur und wesentlich höherer Erträge nicht in der Lage ist,
kostengünstiger zu produzieren als der US-Betrieb“ (ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.167), da
eigentlich die Stückkosten mit zunehmenden Erträgen abnehmen sollten. Daraus lässt sich
schließen, dass die für den Wettbewerb bedeutenden rechtlichen Rahmenbedingungen
mitentscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind, da die deutschen Landwirte
bisher den Ertragsvorteil nicht in einen Kostenvorteil umwandeln konnten. Neben den
gesetzespolitischen Gründen sind auch die hohen Arbeitserledigungskosten aufgrund der im
weltweiten Maßstab verhältnismäßig kleinen Betriebe und kleinen Ackerflächen in
Deutschland dafür mitverantwortlich. Dieses Beispiel für den Weizenanbau kann nicht auf
andere Anbaukulturen übertragen werden, da gerade im Weizenanbau die Erträge innerhalb
Deutschlands massiv höher liegen als im überkontinentalen Ausland. Bei anderen
Anbaukulturen, wie Mais, Zuckerrübe und Ölsaaten, ist der Ertragsvorteil Deutschlands
teilweise deutlich geringer, woraus sich für die deutschen Betriebe höhere Produktionskosten
und folglich eine geringere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltagrarmarkt ergeben. Die
hohen Produktionskosten innerhalb Deutschlands machen die für den Ackerbau – besonders
auch in der Hellwegbörde – sehr vorteilhaften naturräumlichen Voraussetzungen, die sich an
den hohen Ertragszahlen ablesen lassen, zunichte. Eigentlich ist die deutsche Landwirtschaft
heute auf dem Weltagrarmarkt nur im Weizenanbau weltweit konkurrenzfähig, sofern
politische Einflussnahmen völlig fehlen. Somit ist unter rein marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten ein rascher Strukturwandel zu erwarten, welcher jedoch bisher in großem
Maße von den agrarpolitischen Maßnahmen eingedämmt wurde. Ohne diese Maßnahmen
würde sich im Zuge des Strukturwandels die Betriebszahl deutlich reduzieren sowie die
aufgegebenen Flächen von leistungsstärkeren Betrieben übernommen werden. Darüber hinaus
würden die weniger rentablen und ertragreichen Standorte aus der Produktion fallen bzw.
teilweise extensiv genutzt werden (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.68). Diese
Entwicklung beträfe in der Hellwegbörde unter rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten
die von Nord nach Süd verlaufenden Schledden, Teilbereiche der östlichen Oberbörde sowie
des östlichen Haarstrangs (Rendzina- und Pseudogley-Böden) und die grund- und
stauwasserbeeinflussten Pseudogley-Böden in der westlichen Unterbörde mitsamt der
Lippeniederung (s. auch Kap. 4.1.3 u. Karte 7). Dagegen ist auf den ertragreichen Flächen, die
die zentrale Hellwegbörde prägen, von einer weiterhin intensiven Landbewirtschaftung
auszugehen (s. Kap. 5.1.2.3, Auswirkungen der Entwicklungen von Agrarmarkt und
Agrarpolitik auf die Hellwegbörde).
In Zukunft wird sich durch die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU und durch
die Marktliberalisierungstendenzen im Zuge der WTO-Verhandlungen (World Trade
Organization, Welthandelsorganisation) die europäische und deutsche Landwirtschaft noch
stärker an die zuvor beschriebenen Entwicklungen auf dem Weltagrarmarkt anpassen müssen,
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 77
wenngleich seit den 1990er Jahren durch die agrarpolitischen Reformen besonders die
Annäherung der europäischen Getreide- und Ölsaatenmärkte an die Weltagrarmärkte schon
weit fortgeschritten ist (vgl. ISERMEYER, H. In: DEUTSCHE LANDWIRTSCHAFTS-GESELLSCHAFT
(DLG), 2004. S.108f. u. POSEKANY, C., 2007. S.3). Für die nächsten Jahrzehnte wird der
europäischen Landwirtschaft nach einem lang andauernden Trend eines schrumpfenden
Wirtschaftsbereiches die Rolle eines prosperierenden Sektors zugetraut (vgl. VON WITZKE, H.,
2008. S.7). Die agrarpolitischen Rahmenbedingungen haben sich und werden sich weiterhin
signifikant ändern (vgl. BROCKMEIER, M. U. VON LEDEBUR, O. In: ISERMEYER, F. (Hrsg.),
2004. S.159ff., NORGALL, T. In: OTT, E. (Hrsg.), 1997. S.85 u. ISERMEYER, H. In: DLG, 2004.
S.109). So wird für alle Anbaukulturen in Deutschland die Wettbewerbsfähigkeit im globalen
Agrarhandel anzustreben sein, die – wie oben dargestellt – bisher nur beim Weizen gegeben
ist. „Landwirtschaft [muss] schon heute oder in naher Zukunft zu Weltmarktpreisen
produzieren“ (NORGALL, T. In: OTT, E. (Hrsg.), 1997. S.85). Die 2008 erfolgte Aufhebung der
Stilllegungsverpflichtung hat die direkten Auswirkungen der auch für die weitere Zukunft
bestehenden Nachfragesteigerung des Agrarmarktes auf die hiesige Landwirtschaft bereits
deutlich gemacht (vgl. HEISSENHUBER, A. In: BMELV (Hrsg.), 2008. S.49).
5.1.2.2 EU-Agrarpolitik
„Die Geschichte der Agrarpolitik in der Europäischen Union (EU) ist eine Geschichte
umfangreicher staatlicher Interventionen und ständiger Reformen“ (KIRSCHKE, D. U. WEBER,
G., 2004. S.1). 1957 wurde mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
(EWG) auch die Geschichte der GAP eingeleitet (vgl. EGGERS, J., 2005. S.20). Seit den
1960er Jahren entwickelte sich unter der Zielsetzung der Nahrungsmittelsicherheit besonders
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 78
unter den deutschen und französischen Interessen eine protektionistische Markt- und
Preispolitik heraus (vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.14). Dabei wurden die
Inlandspreise über das Niveau des Weltagrarmarktes gehoben. Dazu wurden Zölle erhoben,
um den europäischen Markt gegen die ausländischen Anbieter abzuschirmen. Innerhalb des
EU-Binnenmarktes verhinderten Interventionsregelungen einen Preisrückgang. Bis zum Ende
der 1960er Jahre war die europäische Agrarpolitik mit der Intensivierung der
landwirtschaftlichen Produktion unter Missachtung umweltrelevanter Aspekte gleichzusetzen,
die seit den 1970er Jahren Aktualität erlangten (vgl. EGGERS, J., 2005. S.21f.). Mit der
steigenden Produktion wurde die EU zu einem Exporteur, so dass der Weltmarktzugang mit
Exportsubventionen erleichtert wurde und die europäischen Produkte somit konkurrenzfähig
angeboten werden konnten (vgl. TANGERMANN, S., 2005. S.2). „Die EU schützte über viele
Jahrzehnte die heimische Agrarproduktion durch hohe Außenzölle und garantierte […]
Produktabnahme zu festgelegten Mindestpreisen“ (MUNLV, 2008a. S.14). Ausgehend von
diesen politischen Rahmenbedingungen konnten als Folgeeffekt die negativen Auswirkungen
der Überproduktion beobachtet werden (vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.19 u.
SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.34). Diese Auswirkungen der Überproduktion
innerhalb Europas können mit den Begriffen der Milchseen und Butterberge umschrieben
werden. Schrittweise wurden in der Folgezeit mit einer restriktiven Preispolitik und Reformen
die negativen Effekte eingedämmt. Dazu sind Mengenquotierungen und zunächst auf
freiwilliger Basis Flächenstilllegungen eingeführt worden.
Die Agrarreform von 1992, die so genannte McSharry-Reform, leitete eine grundlegende
Änderung der europäischen Agrarpolitik unter verstärkter Berücksichtigung ökologischer,
sozial- und strukturpolitischer Gesichtspunkte ein (vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.1
u. EGGERS, J., 2005. S.25, FARWICK, J. U. KRÄMER, J., 2008. S.1 u. KNICKEL, K., 2002. S.132).
Wesentliche Elemente der Reform waren der Abbau der Preisstützung, die Einführung von
Direktzahlungen, die obligatorische Flächenstilllegung sowie die Einführung der Flächen-
und Tierprämie (s. Tab. 6). „Während in der Agrarpolitik der EU bis zur Umsetzung der
GAP-Reform von 1992 vornehmlich markt- und preispolitische Maßnahmen zur Anwendung
kamen, erlangten fortan direkte Transferzahlungen als agrarpolitisches Instrument eine
zentrale Bedeutung“ (FARWICK, J. U. KRÄMER, J., 2008. S.1). Die umfangreichen Zahlungen
nahmen und nehmen weiterhin einen beträchtlichen Anteil des gesamten EU-Haushaltes ein,
wobei der Anteil rückläufig ist. In der aktuellen Förderperiode 2007 bis 2013 entfallen knapp
43 % des EU-Haushaltes auf die Zahlungen im Zusammenhang mit der GAP, wobei zu
bedenken ist, dass davon nur etwa ein Drittel die Ebene der Landwirte erreicht (vgl. VON
RUSCHKOWSKI, E. U. VON HAAREN, C., 2008. S.329 u. WALTER, N. In: DLG, 2004. S.19).
Über 30 % des Einkommens der EU-Landwirte erfolgt aus Subventionszahlungen im
Zusammenhang mit der EU-Agrarpolitik (vgl. TANGERMANN, S., 2007. S.24). Dieser
Subventionsanteil liegt deutlich über den Werten der auf den Weltagrarmarkt orientierten
Nationen, wie Brasilien, Neuseeland, Australien und den USA, aber unter den Werten der
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 79
„Subventionshochburgen“, wie Japan und die Schweiz. Mit der finanziellen Unterstützung
sollen insgesamt die Ernährungssicherheit, das Einkommen der Landwirte sowie der Umwelt-
und Ressourcenschutz mitsamt des Erhaltes der Kulturlandschaft gewährleistet werden (vgl.
KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.7 u. MILLER, J., 2007b. S.28). Der Begriff der
Multifunktionalität der Landwirtschaft verkörpert dabei die Kombination sowohl der waren-
als auch der nicht-warenbezogenen Produkte, die von den Landwirten erbracht werden. Es
„entstehen externe Nutzen und Kosten im Agrarbereich, weil gesellschaftliche Ziele verfolgt
werden, die über die klassische Wohlfahrtszielsetzung hinausgehen und die durch
marktwirtschaftliche Lenkungsmechanismen allein nicht erreicht werden können“ (KIRSCHKE,
D. U. WEBER, G., 2004. S.8). Dennoch kann sich die EU eine „Landwirtschaft, die weit über
dem Preisniveau des Weltmarkts liegt, auf Dauer nicht mehr leisten“ (SCHMIDT, G. U. JASPER,
U., 2001. S.58), so dass Reformen nötig wurden und auch weiterhin sind.
Die nach dem Agrarkommissar McSharry benannte Reform begründet für die Ackerfrüchte
einen Abbau der Preisstützung mit gleichzeitiger Ersetzung durch produktspezifische
Flächenprämien (vgl. EGGERS, J., 2005. S.25ff.; s. Tab. 6). Flankierend sind ebenfalls
umweltrelevante Maßnahmen, wie Extensivierungen und Aufforstungen, in die McSharry-
Reform eingegangen. Da sich die Erwartungen an die McSharry-Reform nur teilweise erfüllt
haben und sich insbesondere die Umweltbelastungen nicht wie erhofft deutlich verringerten,
wurde ein weiterer Reformschritt unumgänglich. Somit folgte 1999 als Fortsetzung der 1992
begonnenen Entwicklungen die Agenda 2000 (s. Tab. 6).
2003 erfolgte die Halbzeitbewertung der Agenda 2000 mit einigen Neuerungen und
weiterführenden Reformen, die in den Luxemburger Beschlüssen verankert sind. Seit diesen
Reformbeschlüssen und den Haushaltsplanungen im Zusammenhang mit der Förderperiode
2007 bis 2013 ist die GAP in zwei große Säulen zu gliedern. Einerseits die Markt-, Preis- und
Handelspolitik (Preisstützungsmaßnahmen, Interventionseinkäufe, private Lagerbeihilfen,
Exporterstattungen, Direktzahlungen, Zölle, etc.), die als erste Säule der GAP bezeichnet
wird, und andererseits die Politik der zweiten Säule, in die die nachhaltige Entwicklung des
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 80
ländlichen Raumes fällt (vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.18, 26ff. u. EGGERS, J.,
2005. S.27ff. u. MUNLV, 2007a. S.8; s. Abb. 17). Das finanzielle Schwergewicht liegt mit
einem Anteil von aktuell circa 80 % weiterhin deutlich innerhalb der ersten Säule, wenngleich
der finanzielle Rahmen für die zweite Säule seit der Einführung im Jahr 2000 stetig ausgebaut
wurde und weiter ausgebaut wird (vgl. VON RUSCHKOWSKI, E. U. VON HAAREN, C., 2008.
S.330, s. auch Abb. 19).
Abb. 17: Allgemeiner Aufbau der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (Zeitraum 2007 - 2013)
Eigene Abbildung, nach MUNLV, 2007a. S.8
Die GAP ist seit den Luxemburger Beschlüssen auf die Entkopplung der Direktzahlungen von
der Produktion (Betriebsprämien), die Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von
gewissen Standards (Cross Compliance), die Kürzung der Direktzahlungen (Modulation), die
Maßnahmen zur Förderung des ländlichen Raumes (zweite Säule) und auf den weiteren
Abbau von Markteingriffen (Zollsenkungen, Exporterstattungen, etc.) ausgerichtet (vgl.
KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.35ff. u. WALTER, N. In: DLG, 2004. S.17ff.; s. Abb. 17).
Damit wird die Umorientierung der EU-Agrarpolitik von einer protektionistischen
Marktpolitik hin zu einer direkten Unterstützung der Landwirtschaft fortgeführt.
Berechnungen der OECD zufolge werden durch den Agrarprotektionismus die
Nahrungsmittelpreise in der EU heute noch etwa 20 % über den Weltmarktwerten gehandelt.
Dieser Prozentsatz wird in den nächsten Jahren weiterhin deutlich zu senken sein. „Momentan
wird gerade eine Landwirtschaftspolitik, die Massenproduktion belohnt, abgelöst durch eine,
die sich an Fläche orientiert. Sie kann landschaftsästhetische und andere auf
Kulturlandschaften bezogene Ziele mit einbeziehen“ (HAUSER, S. In: BMVBS U. BBR, 2006.
S.11). So hat sich bisher zwar die Struktur der Stützung deutlich verändert und dadurch die
Weltmarktorientierung verstärkt, jedoch blieb das Niveau der Stützung bei diesen
Umwälzungen auf dem hohen Level bestehen (vgl. TANGERMANN, S., 2007. S.24 u. MUNLV,
2008a. S.11, s. auch Abb. 19).
Durch die Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion sind keine speziellen
landwirtschaftlichen Produktionsausrichtungen für die Erhaltung der Direktzahlungen mehr
nötig und somit gänzlich unabhängig von der tatsächlichen landwirtschaftlichen Erzeugung
(vgl. SEIDL, A., 2006. S.312 u. MILLER, J., 2007b. S.29). Diese Entkopplung stellt das
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 81
Daneben spielt seit einigen Jahren die zweite Säule der GAP eine zunehmende Bedeutung
innerhalb der Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik (vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER,
G., 2004. S.39ff. u. EGGERS, J., 2005. S.40ff.). Diese Förderung bezieht sich in besonderem
Maße auf die nicht-marktbezogenen und somit gesellschaftspolitischen Ziele innerhalb des
ländlichen Raumes, wobei der Anteil durch die Kürzungen der Direktzahlungen mitsamt der
Mittelumschichtung von der ersten in die zweite Säule allmählich erhöht wird (Modulation).
Die Modulation beträgt 5 % der Direktzahlungen und wird bis 2012 auf 10 % erhöht, jedoch
erhalten Betriebe mit einem Direktzahlungsumfang von weniger als 5.000 Euro den Wert der
Modulation zurück (vgl. BORCHARDT, K.-D., 2003. S.39 u. EUROPÄISCHE KOMMISSION,
2008b). Die in der zweiten Säule finanzierten Maßnahmen zur Förderung des ländlichen
Raumes sind in den vergangenen Jahren bereits deutlich ausgeweitet worden, so dass der
Finanzrahmen mittlerweile bei circa 20 % des GAP-Finanzbudgets liegt und mithilfe der
Modulation weiter erhöht wird (vgl. VON RUSCHKOWSKI, E. U. VON HAAREN, C., 2008. S.330,
s. auch Abb. 19). Die Schwerpunkte innerhalb der Entwicklung des ländlichen Raumes liegen
in „der Stärkung des Agrar- und Forstsektors, der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der
ländlichen Gebiete und dem Schutz der Umwelt und des ländlichen Raumes“ (EGGERS, J.,
2005. S.29). Hiermit werden die über die eigentliche Produktion von Nahrungs- und
Futtermitteln sowie Rohstoffen hinausgehenden gesellschaftlich erwünschten Ziele verfolgt
(SEIDL, A., 2006. S.313, 325). Diese Ziele werden mit dem Begriff der Multifunktionalität
umfasst, womit die ökologisch, sozioökonomisch und kulturell ausgerichteten externen
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 83
Leistungen der Landwirtschaft honoriert werden (vgl. WÜSTEMANN, H., 2008. S.16f.). Die
Maßnahmen innerhalb der zweiten Säule haben unmittelbar Auswirkungen auf das
Erscheinungsbild der Kulturlandschaften. Die Finanzierung der zweiten Säule der GAP
innerhalb Deutschlands erfolgt durch die EU, die Bundesrepublik, die Länder und teilweise
auch durch private Mittel. Für die aktuelle Förderperiode 2007 bis 2013 wurde 2005 mit der
Verordnung 1698/2005 der „Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
ländlichen Raumes“ (ELER) eingerichtet und die zweite Säule somit in einen eigenständigen
Politikbereich erhoben (vgl. TIETZ, A. (Hrsg.), 2007. S.1 u. BMELV, 2006b. S.3).
In Nordrhein-Westfalen setzt im Förderzeitraum 2007 bis 2013 das NRW-Programm
„Ländlicher Raum“ die ELER-Verordnung um und ist für die Umsetzung und den
Finanzrahmen der zweiten Säule der GAP innerhalb NRWs bindend (vgl. MUNLV, 2008b.
S.8ff.). Im NRW-Programm sind drei inhaltliche Schwerpunkte und der methodische
Schwerpunkt LEADER zu differenzieren, wobei jedem Schwerpunkt eine bestimmte
Mindestzuwendung zusteht (vgl. MUNLV, 2008b. S.8ff.; s. Abb. 18). Der zweite
Schwerpunkt zur „Verbesserung der Umwelt und Landschaft“ kann in der Förderperiode
2007 bis 2013 im NRW-Programm „Ländlicher Raum“ über 65 % der Fördermittel verfügen,
der Schwerpunkt I „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft“
erhält 20 %, der Schwerpunkt III „Steigerung der Lebensqualität im ländlichen Raum und
Diversifizierung“ den Mindestsatz von zehn Prozentpunkten und auf LEADER entfällt die
festgeschriebene Mindestmenge von fünf Prozent. Nordrhein-Westfalen betont folglich
besonders die Verbesserung der Umwelt und Landschaft. Mit diesen vier Schwerpunkten wird
die Etablierung „einer multifunktionalen Land- und Forstwirtschaft sowie eines vitalen und
attraktiven ländlichen Raumes“ (MUNLV, 2008b. S.12ff.) vorangetrieben.
Der zweite Schwerpunkt, der in NRW aufgrund der finanziellen Fokussierung auf diesen
Bereich am bedeutsamsten ist, umfasst die freiwilligen Leistungen im Rahmen des Natur- und
Umweltschutzes, die über die gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandards (Cross
Compliance) hinausgehen (vgl. MUNLV, 2008b. S.27ff.). Innerhalb der zweiten Säule spielen
die Agrarumweltmaßnahmen mitsamt des Vertragsnaturschutzes die größte Bedeutung für
den Erhalt des ländlichen Raumes und somit der Kulturlandschaft. Alleine die
Agrarumweltmaßnahmen als Einzelmaßnahme innerhalb des zweiten Schwerpunktes
beanspruchen 41 % der gesamten zur Verfügung stehenden Mittel des NRW-Programms
„Ländlicher Raum“, was aber im Gesamtkontext der GAP-Zahlungen aus erster und zweiter
Säule nur wenige Prozentpunkte darstellt. „Agrarumwelt- und Kulturlandschaftszahlungen
stellen […] weder eine Subvention noch einen Transfer an die Landwirtschaft dar, sondern
eine Entlohnung der Landwirte für die Erfüllung einer wichtigen gesellschaftlichen Funktion,
der Bereitstellung von öffentlichen Gütern im ländlichen Raum“ (KNICKEL, K., 2002. S.141).
Da die Maßnahmen im Zusammenhang mit den Agrarumweltmaßnahmen vorrangig dem
Natur- und Landschaftsschutz auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen dienen und nur
nachrangig der landwirtschaftlichen Produktion an sich zuzuordnen sind, werden die für den
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 84
Hellwegraum relevanten und im Rahmen der zweiten Säule angebotenen Maßnahmen des
zweiten Schwerpunktes „Verbesserung der Umwelt und der Landschaft“ im Naturschutz-
Kapitel behandelt (s. Kap. 5.1.4.1).
Ende 2008 verständigten sich die EU-Agrarminister im Rahmen des „Health Check“
(Gesundheitscheck) der Gemeinsamen Agrarpolitik auf einige Neuerungen zur weiteren
Modernisierung und Vereinfachung (vgl. EUROPÄISCHE KOMMISSION, 2008b). Dazu zählen
die bereits seit 2008 geltende Aufhebung der Stilllegungsverpflichtung, das langsame
Anheben der Milchquote bis zum Auslaufen 2015, die Entkopplung der Direktzahlungen von
allen Produkten mit Ausnahme der Mutterkuh-, Schaffleisch- und Ziegenfleischprämie, die
Umwandlung der Marktintervention in ein reines Sicherheitsnetz und die Stärkung der
zweiten Säule durch die Anhebung der Modulation bis 2012 auf zehn Prozent. „Die
internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft wurde in der
Vergangenheit durch die EU-Agrarpolitik gewährleistet. Dieser agrarpolitische Schutz wird
zurzeit deutlich reduziert“ (ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.175).
„Die Liberalisierung der EU-Agrarmärkte bleibt eine zentrale Aufgabe der EU-Agrarpolitik“
(KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.47). Grundlegende Ziele der europäischen Agrarpolitik
sind die Marktorientierung der Landwirtschaftsproduktion, die Einkommenssicherung der
Landwirte und eine auf ökologische Aspekte ausgerichtete nachhaltige Landbewirtschaftung
(vgl. KIRSCHKE, D. U. WEBER, G., 2004. S.55f.). Trotz der bereits erfolgten Umorientierungen
im Rahmen der GAP „ist die EU-Agrarpolitik noch weit von der Vision einer international
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 85
Als Resultat ist festzuhalten, dass sich mittelfristig nur derjenige am Weltagrarmarkt wird
durchsetzen können, der zu den neuen Preisen kostendeckend produzieren kann. Abseits von
Wachstum und Spezialisierung werden sich mit den verschärften Wettbewerbsbedingungen
Landwirte aus der marktorientierten Intensivlandwirtschaft zurückziehen (vgl. PETERSON, V.
In: DLG, 2004. S.126f.). Die Veränderungen (Liberalisierung der Märkte, geringere
Zahlungen) werden eine stärkere Segregation der Landnutzungen im ländlichen Raum mit
zunehmender Rationalisierung begründen. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche
Entwicklungstendenzen abzeichnen (vgl. DEMUTH, B., 2000. S.65; s. Tab. 7). In den
Gunstlagen wird sich die landwirtschaftliche Nutzung mit intensiver Bewirtschaftungsform
konzentrieren, während in den Ungunstlagen die landwirtschaftliche Nutzung extensiv
weiterbetrieben oder sogar gänzlich aufgegeben wird (vgl. LEIDWEIN, A., 2003e. S.7ff.).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 87
5.1.2.3 Auswirkungen der Entwicklungen von Agrarmarkt und Agrarpolitik auf die
Hellwegbörde
Als wahrscheinlichste Entwicklung in der Zukunft ist neben den steigenden Weltmarktpreisen
für Agrarerzeugnisse eine Reduktion der finanziellen Unterstützung aus den Mitteln der GAP
mit Fokussierung der Zahlungen auf die entkoppelten Direktzahlungen aus der ersten Säule
und den freiwilligen Maßnahmen im Zusammenhang mit der zweiten Säule anzusehen, da die
marktpreispolitischen Zahlungen aller Voraussicht nach nicht mehr aufrecht erhalten werden
(s. Abb. 19). Diese Entwicklung von steigenden Weltmarkpreisen einhergehend mit einer
verringerten finanziellen Unterstützung aus den Mitteln der GAP wird eine verstärkte
Weltmarktorientierung der Landwirtschaft hervorrufen. In der nachfolgenden Tabelle ist dies
unter dem Begriff „multifunktionale Landwirtschaft“ als eines von drei Szenarien aufgeführt
(s. Tab. 7). Dabei wird davon ausgegangen, dass nach 2013 die entkoppelten Direktzahlungen
schrittweise heruntergefahren werden, während zeitgleich der finanzielle Umfang in der
zweiten Säule der GAP ansteigen wird (s. Abb. 19). Diese aus heutiger Sicht
wahrscheinlichste Entwicklungsrichtung wird zwei anderen, weniger wahrscheinlichen
Szenarien gegenübergestellt. Einerseits eine mögliche Erhaltung der Zahlungen auf dem
heutigen hohen Niveau („Status quo“) und andererseits die komplette Zurückführung der
finanziellen Unterstützung („freier Markt“). Steigende Weltmarktpreise werden für alle drei
Szenarien angenommen. Bei der folgenden Darstellung der Auswirkungen auf die
Kulturlandschaft der Hellwegbörde wird die Entwicklung nach dem aktuell
wahrscheinlichsten Szenario der multifunktionalen Landwirtschaft verfolgt.
Das Erscheinungsbild der Landschaft wird maßgeblich von der Anzahl der Höfe, der
Hofgröße und auch der Schlaggröße bestimmt. Unter den zu erwartenden Veränderungen auf
dem Agrarmarkt und im Zusammenhang mit der GAP wird sich die Anzahl der
landwirtschaftlichen Betriebe in der Hellwegbörde dezimieren und die frei werdenden
Flächen von den verbliebenen größeren Betrieben übernommen werden. Somit werden vor
allem die kleinen und mittleren Betriebe aus dem Gunstraum der zentralen Hellwegbörde
verschwinden, während in den weniger ertragreichen Randbereichen eine heterogene
Größenstruktur der Landwirtschaftsbetriebe weitgehend erhalten bleiben wird. In der
Hellwegbörde überwiegt die innerdörfliche Lage der landwirtschaftlichen Betriebe, so dass
eine Hoferweiterung mit neuen Betriebsgebäuden bzw. eine gänzlich neue Hofstelle in
Dorfrandlage oder außerhalb in der offenen Feldflur erforderlich ist, um
Betriebsvergrößerungen durchzuführen. Die schleichende, aber fortwährende Bebauung mit
neuen landwirtschaftlichen Gebäuden für die wachsenden Betriebe hat in der Feldflur
deutliche Auswirkungen auf das typische Erscheinungsbild der Hellwegbörde, das traditionell
von weitflächig unbebauten Ackerbaugebieten mit eingelagerten geschlossenen Dorfformen
geprägt wird. Diese Entwicklung wird bei der intensiven Bewirtschaftung auf den
Gunststandorten eine weitere Vergrößerung der Flächen und eine zunehmende
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 88
Vereinheitlichung der Kulturlandschaft zur Folge haben. In der Hellwegbörde wird diese
Entwicklung weite Flächen betreffen, wovon nur die ertragsschwachen Standorte ausgespart
werden. Diese ertragsschwachen Standorte sind die durch die Hellwegbörde in Nord-Süd-
Richtung verlaufenden Schledden, die Rendzina- und Pseudogley-Standorte in der östlichen
Oberbörde und auf dem östlichen Haarstrang sowie die in der westlichen Niederbörde grund-
und stauwasserbeeinflussten Pseudogley-Böden mitsamt der Lippeniederung im
Übergangsbereich zum Kernmünsterland (s. Karte 14). Folglich wird sich für die
Hellwegbörde unter den Weltagrarmarktbedingungen einhergehend mit EU-Zahlungen für die
hohen sozialen und ökologischen Standards der Landwirtschaft (entkoppelte
Direktzahlungen) eine Fokussierung der intensiven Ackerbautätigkeiten auf die zentrale
Hellwegbörde ergeben, während die weniger ertragreichen und somit weniger
wirtschaftlichen Flächen wohl der Intensivbewirtschaftung verloren gehen werden. Auf
diesen Flächen wird im Zuge der finanziellen Unterstützung zur Erhaltung und nachhaltigen
Weiterentwicklung des ländlichen Raumes (zweite Säule der GAP) von den verbliebenen
kleineren und mittleren Betrieben primär eine eher extensive Landbewirtschaftung
durchgeführt werden (Zu- und Nebenerwerbslandwirtschaft). Dort bietet sich neben den
natur- und landschaftsschutzorientierten Zielen weiterhin die Produktion zur
Energieerzeugung an.
Diese Entwicklungen haben deutliche Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, da die zwei
gegenläufigen Trends der Extensivierung in den Randlagen der Börde und andererseits die
intensive Landbewirtschaftung im zentralen Bördebereich zu konträren Entwicklungen führen
werden. Eine völlige Aufgabe der ackerbaulichen Tätigkeit von größeren Flächen wird auch
in den weniger produktiven Bereichen der Hellwegbörde unwahrscheinlich sein, da dort im
Rahmen der an Bedeutung gewinnenden zweiten Säule Zahlungen an die Landwirte eine
extensive Weiternutzung begründen. Die ertragreichen Standorte im zentralen Bereich der
Börde werden sich unter intensiver Landbewirtschaftung an den Weltagrarmarkt anpassen,
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 89
während in den weniger produktiven Randbereichen eine Extensivierung stattfinden wird, die
sich infolge der öffentlichen Zahlungen an gesellschaftlichen Zielen (Erhaltung der
Kulturlandschaft, Ressourcenschutz, etc.) orientieren wird. Die auch in der Zukunft
flächendeckende Landbewirtschaftung – sowohl in intensiver als auch in extensiver Form –
ist „unverzichtbar für die Erhaltung, die Pflege und Entwicklung der Kulturlandschaft“ (OTT,
E. (Hrsg.), 1997. S.24) der Hellwegbörde.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 90
Auswirkungen der erwarteten Entwicklung von Agrarmarkt und Agrarpolitik auf die Landwirtschaft in der Hellwegbörde
Zahlungen aus 1.
nur auf wenigen, kleinen recht viele,
steigende und 2. Säule in fast flächendeckend langsamer
"Status quo" Flächen - unterschiedlich
Marktpreise heutigem in der Hellwegbörde Strukturwandel
(Agrarumweltmaßnahmen) große Betriebe
Finanzrahmen
große
auf weniger ertragreichen Weltmarktbetriebe in
insgesamt primär Standorten (Pseudogley- der zentralen
weniger Gunststandorte und Rendzinaböden: nur marginal auf Hellwegbörde,
"multifunktionale
steigende Zahlungen, (Parabraun- und Schledden, tlw. auch sehr mäßiger kleine und mittlere
Landwirtschaft"
Marktpreise Direktzahlungen Braunerdestandorte westliche Unter- und ertragsschwachen Strukturwandel Betriebe mit
(s. Karte 14)
geringer, 2. Säule in der zentralen östliche Oberbörde, Standorten extensiver
bedeutsamer Hellwegbörde) östlicher Haarstrang, Bewirtschaftung auf
Lippeniederung) ertragsschwächeren
Standorten
Tab. 7: Drei Szenarien der prognostizierten Entwicklung von Agrarmarkt und Agrarpolitik mit den Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der
Hellwegbörde. Die „multifunktionale Landwirtschaft“ stellt das aus heutiger Sicht wahrscheinlichste Szenario dar
Eigene Tabelle
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 91
Karte 14: Zukünftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Kreis Soest nach dem Szenario „multifunktionale Landwirtschaft“
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 92
5.1.3.1 Einleitung
„Die Land- und Forstwirtschaft wird in Zukunft eine wesentliche Grundlage der nachhaltigen
Energieversorgung der Gesellschaft darstellen. Sie verwaltet den größten Teil der Fläche und
damit des solaren Einkommens der Gesellschaft. Damit ist die Land- und Forstwirtschaft auch
der Verwalter jener Ressourcen, die fossile Energieträger ablösen werden“ (BIRNSTINGL-
GOTTINGER, B. et al., 2007. S.1).
Das schnelle Wachstum der Weltbevölkerung, die Annäherung der Schwellenländer an den
Standard der Industrienationen und die prognostizierte Verknappung wichtiger Ressourcen
haben in den vergangenen Jahren zu einem beginnenden Umdenken in der Energiewirtschaft
geführt (vgl. RADERMACHER, F. J., 2008. S.4f.). Im Kyoto-Protokoll hat sich Deutschland
neben vielen anderen Industrienationen dazu verpflichtet, den in besonderem Maße
treibhausgaswirksamen Ausstoß von Kohlendioxid deutlich zu verringern. Um dieses mittel-
und langfristig zu realisieren und die Abhängigkeit von den endlichen fossilen Energieträgern
beenden zu können, sind die Substitution durch Erneuerbare Energien (EE, Regenerative
Energien), die Energieeinsparung und die Energieeffizienzsteigerung die drei bedeutendsten
Aufgaben (vgl. STEIN, C., 2006. S.7). Die Ziele der Bundesregierung sind es den Anteil der
Erneuerbaren Energien von 2000 bis 2010 zu verdoppeln sowie bis 2010 mindestens 12,5 %
des Strombedarfs und 4,2 % der bereitgestellten Primärenergie aus Regenerativen Energien zu
gewinnen. Bis 2020 sollen 25 bis 30 % des Stroms aus Erneuerbaren Energien gewonnen
werden (vgl. NIKIONOK-EHRLICH, A. In: NEUE ENERGIE, 2008b. S.16). Um diese Ziele zu
verwirklichen trat 2000 das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft, welches in der
Folgezeit zweimal novelliert wurde (s. Kap. 5.1.3.2, Gesetze für den Vorrang Erneuerbare
Energien). Auf europäischer Ebene wurde Anfang 2007 vom Europäischen Rat eine
Reduktion der CO2-Emissionen von 20 % bis zum Jahr 2020 im Vergleich zum Referenzjahr
1990 als mittelfristiges Ziel ausgegeben, was einer markanten Umstellung der
Energieversorgung auf dem gesamten Kontinent bedarf (vgl. KOPETZ, H., 2007. S.2).
Langfristig soll die Reduktion auf 50 % des 1990-Ausgangsniveaus anwachsen (vgl. PLANK,
J., 2007. S.20). Ebenso ist entschieden worden, dass ebenfalls bis 2020 20 % der
Gesamtenergie aus Erneuerbaren Energien gewonnen werden sollen. Die Erneuerbaren
Energien liefern „die einzigartige Chance zu einer emissionsfreien und klimafreundlichen
Energieversorgung“ (KOPETZ, H., 2003. S.2). Die eingeschlagene Energie- und Umweltpolitik
öffnet den Landwirten neue Optionen der landwirtschaftlichen Produktion.
Wärme und Kraftstoff aus regenerativen Quellen zur Verfügung gestellt werden (vgl.
NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.6f., s. Abb. 20).
Das Ziel bis 2010 den Strombedarf Deutschlands zu 12,5 % aus Regenerativen Energien zu
gewinnen, wurde 2007 mit einem Anteil von 14,2 % am gesamten Strommarkt bereits
überschritten. Bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien spielt die Windenergie mit
45 % vor der Wasserkraft (23 %) und der Bioenergie (22 %) die größte Bedeutung. Die
anderen Erneuerbaren Energien nehmen nur wenige Prozentpunkte auf dem regenerativen
Strommarkt ein. Auf dem Wärmemarkt steigerten sich die Erneuerbaren Energien 2007 im
Vergleich zu 2006 um 0,8 auf 5,8 %, wobei die Bioenergie die überragende Rolle spielt. Circa
8 % des gesamten Kraftstoffverbrauchs stammen aus Nachwachsenden Rohstoffen.
Besonders wichtig für die Kulturlandschaft der Hellwegbörde sind die Wind- und
Biomasseenergie. Einerseits haben die Windkraftanlagen eine weiträumige Wirkung auf das
Erscheinungsbild der Landschaft (s. Kap. 5.1.3.3, Windenergie) und andererseits hängt die
landwirtschaftliche Produktion zunehmend auch von dem Nutzungs- und Ertragspotential der
Kulturpflanzen für den Bioenergiesektor (s. Kap. 5.1.3.4, Bioenergien) ab, so dass der Fokus
in den folgenden Kapiteln auf diese beiden Erneuerbaren Energien gelegt wird. Durch den
Aufstieg in den vergangenen Jahren ist die Biomasse „nach der Windenergie […] damit die
nächste Sparte der erneuerbaren Energien […], die in großem Umfang erschlossen wird“
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 94
(STEIN, C., 2006. S.7) und folglich ein großes Energiepotential bietet (vgl. KOPETZ, H., 2007.
S.3). Die Energieerzeugung benötigt Fläche und teilweise „kann der Flächenbedarf der
Energieinfrastruktur beträchtliche Ausmaße annehmen, mancherorts dominiert sie sogar das
Landschaftsbild“ (HABERL, H., 2006. S.111).
Mit dem Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG)
aus dem Jahr 2000 und der Novellierung 2004 werden die Ziele verfolgt „im Interesse des
Klima-, Natur- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu
ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die
Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, Natur und Umwelt zu schützen,
einen Beitrag zur Vermeidung von Konflikten um fossile Energieressourcen zu leisten und die
Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien
zu fördern“ (EEG, 2004. § 1 [1]).
In der Novellierung des Gesetzes 2004 wurde festgeschrieben, dass der Anteil der
Erneuerbaren Energien bis 2010 mindestens 12,5 % und bis 2020 mindestens 20 % der
gesamten Stromversorgung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland erreichen soll (vgl.
EEG, 2004. § 1 [2]). Um diese Ziele erreichen zu können, wurden die Netzbetreiber
(Energiekonzerne) zum vorrangigen Anschluss, zur vorrangigen Abnahme, Übertragung und
Vergütung des Stroms aus Erneuerbaren Energien rechtlich verpflichtet (vgl. EEG, 2000. §§
2, 3 u. EEG, 2004. §§ 2, 4, 5).
Zu den Erneuerbaren Energien zählen nach § 3 Absatz 1 EEG von 2004 die Wasserkraft
inklusive Wellen-, Gezeiten-, Salzgradienten- und Strömungsenergie, die Windenergie, die
solare Strahlungsenergie, die Geothermie, die Biomasseenergie einschließlich Bio-, Deponie-
und Klärgas sowie außerdem auch die biologisch abbaubaren Abfälle aus Haushalten und
Industrien (vgl. EEG, 2004. § 3 [1]).
Die Vergütung der Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien ist im Gesetz für den Vorrang
der Erneuerbaren Energien aus dem Jahr 2000 festgelegt worden und wurde 2004 mit der
Gesetzesnovellierung an die sich rasch wandelnden Bedingungen angepasst (vgl. EEG, 2000.
§§ 4-8 u. EEG, 2004. §§ 6-11). Damit sind je Kilowattstunde (kWh) von den Netzbetreibern
je nach Art der Erneuerbaren Energie gesetzlich verankerte Mindestvergütungen an die
Energieerzeuger zu zahlen (s. Tab. 8). Die gesetzlich festgelegten Mindestvergütungen sind
mit Ausnahme der Wasserkraft für den Zeitraum von 20 Jahren zu zahlen (vgl. EEG, 2004. §
12). Am 01. August 2004 trat die EEG-Novellierung in Kraft, wovon maßgeblich die
Biomasseproduktion mit verbesserten Vergütungen profitierte (s. Tab. 8). Dabei wurden für
die kleineren Biomasseanlagen durch höhere Mindestvergütungen Anreize geschaffen (vgl.
STEIN, C., 2006. S.8ff.).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 95
Im August 2007 konnte sich die Bundesregierung auf ein Energie- und Klimapaket
verständigen, das so genannte Meseberg-Paket (vgl. NIKIONOK-EHRLICH, A. In: NEUE
ENERGIE, 2008b. S.16ff.). Dieses Paket mitsamt seinem 29-Punkte-Programm soll
Deutschland als „Vorreiter in Sachen Klimaschutz“ (NIKIONOK-EHRLICH, A. In: NEUE
ENERGIE, 2008b. S.16) festigen. Das Meseberg-Paket reicht über die Energiewirtschaft hinaus
und betrifft ebenso die Bereiche Gebäude und Verkehr wie den privaten Verbrauch. Als Folge
dieses Paketes wurde die erneute Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes
erforderlich, um die selbst auferlegten Ziele erreichen zu können. Zu diesen Zielen zählt auch,
dass der Anteil der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien bis 2020 auf 25 bis 30 %
ansteigen soll, was somit einige Prozentpunkte über der Zielsetzung der Novellierung von
2004 mit 20 % liegt. Einhergehend mit diesem Ziel sollen weiterhin die CO2-Emissionen
gesenkt werden. Von 1990 bis 2007 konnte der CO2-Ausstoß in Deutschland bereits um 20,1
% gesenkt werden und bis 2020 sollen nach dem Meseberg-Paket weitere 14,2 % folgen. Zur
konkreten Umsetzung wurde 2007/2008 mit der Überarbeitung des Erneuerbaren-Energien-
Gesetzes begonnen, so dass am 06. Juni 2008 vom Deutschen Bundestag eine neuerliche
Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes verabschiedet werden konnte, welche mit
Jahresbeginn 2009 in Kraft trat (vgl. LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008j. S.19).
Durch die in nur kurzen Zeitspannen ablaufenden Novellierungen des Gesetzes für den
Vorrang Erneuerbarer Energien wird ersichtlich, dass die laufend hervorgebrachten
technischen Innovationen im jungen Wirtschaftsbereich der Erneuerbaren Energien sowie die
ambitionierten Klimaschutzziele recht kurzfristige Anpassungen benötigen. Neben der
übergreifenden Zielsetzung 25 bis 30 % des Stroms aus Erneuerbaren Energien zu gewinnen,
soll in besonderem Maße die Kraft-Wärme-Kopplung ausgeweitet werden (vgl. NIKIONOK-
EHRLICH, A. In: NEUE ENERGIE, 2008b. S.16, s. Tab. 9).
Die für den Bereich zwischen Lippe und Möhne/Ruhr relevanten Energien aus Wind und
Biomasse profitieren besonders durch die neu geltenden Mindestvergütungen (vgl. BISCHOF,
R. In: BUNDESVERBAND WINDENERGIE e. V., 2008. S.1). Auf dem seit 2002 abflauenden
Wachstumsmarkt Windenergie wird bereits für das Jahr 2009 aufgrund der neu geltenden
Vergütungsvorschriften mit einem Nachfrageplus gerechnet. Da die Einspeisevergütung von
Windstrom in Anbetracht der stark gestiegenen Anlagenkosten in den letzten Jahren zu gering
wurde, liegt die Mindestvergütung seit Januar 2009 mit 9,2 Cent/kWh für Onshore-Anlagen
einen halben Cent höher als zuvor (vgl. NIKIONOK-EHRLICH, A. In: NEUE ENERGIE, 2008b.
S.17 u. BUNDESVERBAND WINDENERGIE e. V., 2008. S.1, s. Tab. 8 u. 9). Das mit großen
Potentialen versehene Repowering, welches nach Einschätzung des Bundesverbandes
WindEnergie e. V. voraussichtlich ab 2010 in größerem Maße einsetzen wird, erhält
finanzielle Unterstützung. Anlagen, welche bei der Neuinstallation die zwei- bis fünffache
Leistung der mehr als zehn Jahre alten Altanlage aufweisen, erhalten den Repowering-Bonus,
dessen Kriterien zur finanziellen Unterstützung mit der zweiten EEG-Novellierung
vereinfacht wurden (vgl. MAY, H. In: NEUE ENERGIE, 2008a. S.17).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 97
5 – 20 MW 7,79 Cent/kWh
Windenergie (Onshore)
9,2 Cent/kWh für fünf Jahre, ab 2010 jährliche Degression von
1%/Jahr bis zur Grundvergütung von 5,02 Cent/kWh
Repowering Zuschlag von 0,5 Cent/kWh
Tab. 9: Mindestvergütung für Bio- und Windenergie seit Januar 2009
Eigene Tabelle, nach NIKIONOK-EHRLICH, A. In: NEUE ENERGIE, 2008b. S.19
Die Aufträge für Biogasanlagen sind seit 2007 durch die enorm gestiegenen Rohstoffpreise
deutlich zurückgegangen, so dass ähnlich wie bei der Windenergie auch in der
Biomassebranche höhere Vergütungen zum Erreichen eines wirtschaftlich rentablen Niveaus
nötig wurden (vgl. MAY, H. In: NEUE ENERGIE, 2008a. S.19). Bei der Biomasse liegt die
Grundvergütung seit 2009 nur bei den kleinsten Anlagen unter 150 kW geringfügig höher als
zuvor, wohingegen die größeren Anlagen gleichzeitig eine etwas geringere Grundvergütung
erhalten. Diese Grundvergütung kann mithilfe verschiedener Bonuszahlungen deutlich erhöht
werden, wodurch die Anreize zur Installation von Biomasseanlagen ausgebaut wurden. So
wird ähnlich wie bei der Windenergie davon ausgegangen, dass die Energieerzeugung aus
Biomasse ab 2009 mit den neuen EEG-Tarifen wieder eine positivere Entwicklung aufweisen
wird.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 98
5.1.3.3 Windenergie
Seit 1998 sind nach § 35 des Baugesetzbuches Windkraftanlagen rechtlich privilegiert (vgl.
BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.108). Danach sind Windräder im Außenbereich –
sofern bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden – zu genehmigen. Von 1998 bis 2005
ist die Anzahl der Windkraftanlagen in Deutschland von circa 6.000 auf 17.000 angestiegen,
wobei in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die meisten
Windkraftanlagen installiert sind (vgl. SCHMITT, M. et al., 2006. S.405). Deutschlandweit
stehen heute knapp 20.000 und in Nordrhein-Westfalen rund 2.500 Windkraftanlagen (vgl.
NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.5, 34f. u. ASBRAND, A. In: LANDWIRTSCHAFTLICHES
WOCHENBLATT, 2008b. S.26f.). Diese etwa 2.500 NRW-Windkraftanlagen weisen eine
Nennleistung von circa 2.400 MW auf. Jedoch sind seit 2005 kaum neue Windkraftanlagen
hinzugekommen, was auf die erhöhten Marktpreise und somit höheren Investitionskosten
zurückzuführen ist. Die Anlagenpreise sind in den vergangenen Jahren um mehr als 10 %
angestiegen, so dass eine Veränderung der EEG-Mindestvergütung für Windstrom nötig
wurde. Aufgrund der seit 2009 geltenden erhöhten EEG-Vergütung für den Windstrom wird
nach den letzten Jahren, die aufgrund der hohen Stahl- und Kupferpreise nur mäßige
Zuwächse verzeichneten, nun wieder mit verstärkten Investitionen im Windenergiesektor
gerechnet (s. Kap. 5.1.3.2, Gesetze für den Vorrang Erneuerbarer Energien u. Tab. 9). Bis
zum Jahr 2020 wird davon ausgegangen, dass in Deutschland an Land 45.000 MW und auf
der See 10.000 MW Windleistung installiert sein werden, was in etwa einer
Leistungsverdopplung entspricht (vgl. BISCHOF, R. In: BUNDESVERBAND WINDENERGIE e. V.,
2008. S.1). Bis dahin werden viele an weniger geeigneten Standorten platzierte
Windkraftanlagen bzw. Windparks abgebaut sein, während an windertragsreichen Standorten
moderne Windparks mit hoher Leistungen große Strommengen produzieren werden (vgl.
DÜRRSCHMIDT, W. In: BMVBS U. BBR, 2006. S.38).
Besonders die finanzielle Unterstützung des Repowerings, welches mit der zweiten EEG-
Novelle deutlich vereinfacht wurde, bietet enorme Leistungssteigerungspotentiale. Ein
Hindernis, das das Repowering begrenzt, ist die in vielen Kommunen festgelegte
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 99
Die Windenergie hat neben der großen Bedeutung der regenerativen Stromerzeugung einen
sehr bedeutenden Einfluss auf das Landschaftsbild und die Kulturlandschaft einer Region,
wobei häufig von einer „Verspargelung“ der Landschaft gesprochen wird (vgl. ASBRAND, A.
In: LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008b. S.26f.; s. Fotos 10 - 12). Zwar ist die
direkte Flächeninanspruchnahme gering, jedoch ist die indirekte, visuelle
Flächeninanspruchnahme umso größer. Die Windkraftanlagen sind meistens sehr weiträumig
sichtbar, stellen die höchsten Infrastruktureinrichtungen einer weiten Umgebung dar und
lassen die Landschaft mitsamt den vertikalen Strukturen (Wälder, Hecken, Häuser, Kirchen)
eher klein erscheinen. Die hohe Vertikalerstreckung der Windräder bildet folglich einen
Blickfang, der von der eigentlichen Landschaft ablenkt und den Verlust des traditionellen
Maßstabes hervorruft. Während Windräder häufig Höhen von 100 m erreichen, ragen Bäume
und die meisten Bauwerke in ländlichen Gegenden nicht über 30 m hinaus (vgl. (NOHL, W.
In: TANNER, K. M. et al. (Hrsg.), 2006. S.223). Neben dem Maßstabsverlust werden folgende
landschaftsästhetische Effekte von Windkraftanlagen als negativ eingestuft: Eigenartverluste,
technische Überfremdung, Strukturbrüche, Belastungen der Weitsicht,
Horizontverschmutzungen, Sichtverriegelungen, Rotorbewegungen, Verlust der Stille und die
Störungen der Nachtlandschaft (vgl. NOHL, W. In: TANNER, K. M. et al. (Hrsg.), 2006.
S.223ff.). „Windkraftanlagen […] haben ästhetisch bereits ganze Landschaftsräume
grundlegend verändert“ (NOHL, W. In: TANNER, K. M. et al. (Hrsg.), 2006. S.215) und „für
viele Bewohner wurde dadurch ihr Bild der eigenen Landschaft zerstört“ (ERMISCHER, G. In:
BAUEROCHSE, A. et al. (Hrsg.), 2007. S.18). Diese Großbauten werden als „nicht
landschaftsgerecht“ (NOHL, W. In: TANNER, K. M. et al. (Hrsg.), 2006. S.221) oder
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 101
Trotz dieser negativen Effekte für die Kulturlandschaft und die ortsansässige Bevölkerung
wird wie in Abbildung 21 dargestellt auch zukünftig die Energieerzeugung aus Wind zum
Erreichen des Klimaschutzziels und zum Ziel des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren
Energien weiter ausgedehnt werden. Dabei werden in der Landschaft kaum neue Windparks
errichtet werden, sondern es wird das Repowering mit zahlenmäßig deutlich reduzierten, aber
dafür höheren und leistungsstärkeren Anlagen dominieren. Um das technische
Steigerungspotential ausschöpfen zu können, werden die teilweise in den Kommunen
festgelegten Höhenbegrenzungen für Windkraftanlagen zukünftig wohl größtenteils
abgeschafft oder aber die Höhenbegrenzung deutlich in den dreistelligen Meterbereich
angehoben werden. Große Windparks mit mehreren Dutzend Anlagen werden in Zukunft
schrittweise von wenigen Großanlagen ersetzt werden. Diese modernen Windparks werden
sich auf geeigneten Standorten konzentrieren, während die Windräder auf den weniger
geeigneten Standorten verschwinden werden.
In der Hellwegbörde wird die Eignung der Windenergienutzung maßgeblich von der
Höhenlage bestimmt (vgl. WERNER, J. In: HEINEBERG, H. (Hrsg.), 2007. S.44f.). Mit
zunehmender Höhe steigt die durchschnittliche Windgeschwindigkeit an, so dass in der
Hellwegbörde in südliche bis südöstliche Richtung hinauf bis zum Haarkamm die Eignung
stetig zunimmt. Die südliche Hellwegbörde stellt zusammen mit der östlich anschließenden
Paderborner Hochfläche das bedeutendste Windenergiegebiet in Westfalen dar. Der
Haarstrang ragt mit einer Höhendifferenz von circa 200 bis 300 m deutlich über die flache
Westfälische Bucht hinaus. Folglich sind in der Hellwegbörde gerade die Oberbörde und der
Haarstrang die besten Standorte für die Windenergienutzung. Aufgrund der günstigen
Voraussetzungen der Windenergienutzung in den höheren Bereichen der Hellwegbörde ist die
Windenergiedichte in Windkraftanlagen pro Quadratkilometer (WKA/km²) im Kreis Soest
deutlich höher als in NRW und Deutschland (s. Abb. 22). Im Kreis Soest stehen mittlerweile
etwa 270 Windkraftanlagen, wobei sich bis auf wenige Ausnahmen alle Windkraftanlagen des
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 102
Kreises in der
Windenergiedichte in
Kulturlandschaft der
Windkraftanlagen/Quadratkilometer (WKA/km²)
0,3 Hellwegbörde befinden
Windenergiedichte [WKA/km²]
Karte 15: Aktuelle Verteilung der Standorte von Windkraftanlagen (WKA) im Kreis Soest
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 104
Karte 16: Zwei Szenarien der zukünftigen Standortverteilung für Windkraftanlagen (WKA) im
Kreis Soest. Oben: Reduktion der WKA auf ca. 120 Großanlagen. Unten: Reduktion der WKA
auf ca. 80 Großanlagen mit ausschließlicher Konzentration auf die Höhenlagen der
Hellwegbörde
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 105
5.1.3.4 Bioenergie
5.1.3.4.1 Einleitung
„Biomasse ist das größte erneuerbare Energiepotenzial, das wir in Europa haben“ (KOPETZ,
H., 2007. S.3). Während andere Erneuerbare Energien aus Sonne, Wind und Wasser aufgrund
von jahreszeitlichen oder täglichen Schwankungen nicht ständig verfügbar sind, ist Biomasse
reichlich vorhanden und kann konserviert werden, so dass Biomasse zu jeder benötigten Zeit
verfügbar ist (vgl. GRAß, R. U. SCHEFFER, K., 2005. S.435 u. SCHWARZBÖCK, R., 2005. S.3).
„Die Rolle der Biomasse als Energieträger wird in den kommenden Jahren ständig zunehmen,
sie wird zur wichtigsten erneuerbaren Energiequelle werden“ (KOPETZ, H. 2006. S.8) und die
Wachstumsbranche der kommenden Jahrzehnte darstellen (vgl. KOPETZ, H. 2006. S.12).
Die Landschaft wird nicht wie bei der Windkraftnutzung oder den anderen Erneuerbaren
Energien nur durch die zur Energieerzeugung nötigen Anlagen beeinflusst und technisch
überprägt, sondern in ganz besonderem Maße auch durch die angebauten Kulturpflanzen, die
für die dezentrale Energieerzeugung verwertet und in Strom, Wärme und Treibstoff
umgewandelt werden (vgl. MUNLV, 2008a. S.38 u. SEIDL, A., 2006. S.314). „Die biologische
Abbaubarkeit, der geschlossene CO2-Kreislauf und die kontinuierliche Regenerierbarkeit sind
wichtige Umweltvorteile der nachwachsenden Rohstoffe“ (RATSCHOW, J.-P. In: LÜTKE
ENTRUP, N. U. OEHMICHEN, J., 2000. S.756). Die Nutzung von Bioenergie und die Preise für
landwirtschaftliche Produkte hängen maßgeblich vom Rohölpreis ab (vgl. MÜLLER, A., 2007.
S.7f.). Bis zum Sommer 2008 ist der Preis je Barrel Rohöl von 30 US-Dollar Ende 2000 auf
über 140 US-Dollar angestiegen, um dann bis Anfang 2009 auf circa 40 US-Dollar/Barrel
Rohöl abzustürzen (vgl. TECSON, 2009). Mittel- und langfristig wird jedoch wieder mit
steigenden Rohölpreisen gerechnet, was wiederum direkte Rückkopplungen auf die
landwirtschaftliche Produktion und die Bioenergiebranche haben wird. Diese Prognose der
steigenden Ölpreise und die neuerliche Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes
werden zu einer weiteren Expansion des Bioenergiesektors führen (vgl.
LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008f. S.22, s. Kap. 5.1.3.2, Gesetze für den
Vorrang Erneuerbarer Energien u. Tab. 9). Bisher ist der Einsatz von Nachwachsenden
Rohstoffen überwiegend teurer als von fossilen Energieträgern, was sich jedoch mit den
langfristig steigenden Ölpreisen und dem fortschreitenden technischen Fortschritt im
Bioenergiesektor ändern dürfte (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.72ff.).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 106
Bei der Stromerzeugung reicht die Bandbreite von Biomasseheizkraftwerken mit MW-
Leistungen bis hin zu landwirtschaftlich genutzten Biogasanlagen, die meistens eine Leistung
von 80 bis 500 kW aufweisen. Mit dem EEG werden insbesondere die kleinen Biogasanlagen,
die von den Landwirten betrieben werden, durch hohe Vergütungen gefördert (s. Kap. 5.1.3.2,
Gesetze für den Vorrang Erneuerbarer Energien). Biogasanlagen für die Stromerzeugung
haben in den letzten Jahren aufgrund der rechtlich verankerten, hohen Einspeisevergütungen
aus dem EEG einen deutlichen Aufschwung erlebt, so dass der Energiepflanzenanbau für die
Vergärung in den Biogasanlagen seit Ende der 1990er Jahre deutlich zugenommen hat. Der
Boom in den Jahren 2005 und 2006 wurde maßgeblich durch den 2004 in Kraft getretenen
EEG-Bonus für die Verwertung Nachwachsender Rohstoffe bei gleichzeitig sehr niedrigen
Getreidepreisen ausgelöst (vgl. NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.9). In den
letzten Jahren ist jedoch aufgrund der deutlich gestiegenen agrarischen Rohstoffpreise die
Nachfrage nach neuen Anlagen zur Erzeugung von Biostrom rückläufig gewesen. Durch die
hohen Rohstoffpreise wurde der Verkauf zur Nahrungs- und Futtermittelerzeugung rentabler
als die Biomassenutzung, so dass der Biogasboom ab 2007 spürbar nachgelassen hat. Ende
2006 standen deutschlandweit etwa 3.300 und in NRW circa 230 Biogasanlagen mit einem
räumlichen Landesschwerpunkt im viehreichen westlichen Münsterland (vgl. LANDESAMT
FÜR NATUR, UMWELT UND VERBRAUCHERSCHUTZ NORDRHEIN-WESTFALEN (LANUV), 2008.
S.80 u. AMMERMANN, K., 2008. S.108). Die Zahl der Biogasanlagen hat sich zwischen 2000
und 2006 verdreifacht (vgl. BECKMANN, G., 2006. S.31). Mit der erneuten EEG-Novellierung
wird ab 2009 wieder mit der verstärkten Errichtung neuer Biogasanlagen und der
Biomassenutzung für die Energieerzeugung gerechnet (vgl. BROCKMANN-KÖNEMANN, P. In:
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 107
Die thermische Nutzung (Wärme) von Biomasse als Alternative zu fossilen Brennstoffen
erfolgt über Heizwerke und Heizkraftwerke sowie über die bei der Stromerzeugung aus
Biogas anfallende Abwärme (vgl. MUNLV, 2006. S.116f.). In den Heizkraftwerken können
einerseits Gehölze aus der Forstwirtschaft (Scheitholz, Holzschnitzel, Holzpellets) und
andererseits Ganzpflanzen oder Pflanzenteile, beispielsweise Stroh, der auf
landwirtschaftlichen Nutzflächen angebauten Kulturpflanzen eingesetzt werden (vgl. SEIDL,
A., 2006. S.314). Bei der Wärmeerzeugung in modernen Biomasseverbrennungsanlagen
können etwa 80 bis 90 % der Primärenergie in die Endenergie umgewandelt werden, so dass
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 108
die Verluste mit nur ein bis zwei Zehnteln gering sind (vgl. KOPETZ, H., 2005. S.14 u.
KOPETZ, H., 2007. S.5).
Zu den fossilen Treibstoffen stellen heute die Biokraftstoffe die einzige Alternative dar.
Biodiesel und Bioethanol sind die aktuell bedeutsamsten regenerativen Kraftstoffe (vgl.
MUNLV, 2006. S.117, BIRNSTINGL-GOTTINGER, B. et al., 2007. S.69f. u. BREUER, T. U.
HOLM-MÜLLER, K., 2006. S.55). In der Europäischen Union wird bis 2010 durch die
europäische „Richtlinie zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderer
erneuerbarer Kraftstoffe im Verkehrssektor vom Mai 2003“ (RODE, M. U. KANNING, H., 2006.
S.103) ein Biokraftstoffanteil von 5,75 % angestrebt (vgl. SEIDL, A., 2006. S.314,
SALCHENEGGER, S. U. PÖLZ, W., 2005. S.31 u. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.72).
Bis 2020 soll dieser Wert 10 % erreichen (vgl. VON WITZKE, H. et al., 2008. S.15).
Mittlerweile nehmen Biokraftstoffe einen Anteil von knapp acht Prozentpunkten auf dem
deutschen Kraftstoffmarkt ein, wobei Biodiesel den mit Abstand bedeutendsten Biokraftstoff
stellt (vgl. NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.6f.). Dieser Anteil wurde mit
einer hohen Besteuerung des fossilen Treibstoffs bei gleichzeitiger Steuerbefreiung für
Biotreibstoffe erzielt (vgl. KOPETZ, H., 2005. S.17 u. ISERMEYER, F. U. ZIMMER, Y., 2006.
S.22ff.). Die Steuerbefreiung für Biodiesel und Pflanzenöl wurde allerdings 2006 aufgrund
der hohen Erdölpreise aufgehoben und der Steuersatz wird bis 2012 schrittweise angehoben,
während zeitgleich andere Biotreibstoffe, wie Bioethanol und synthetische Kraftstoffe, noch
steuerfrei verbleiben (vgl. BACHLER, A., 2008. S.25). In den herkömmlichen Treibstoffen
muss seit 2007 ein mit der Zeit ansteigender Prozentanteil an Biokraftstoffen enthalten sein
(Beimischungsverpflichtung). Zur Herstellung von Biodiesel wird in Deutschland fast immer
Rapsöl verwendet, was in den vergangenen Jahren zu einem ähnlichen Boom wie in der
Biogasbranche führte (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.73, BACHLER, A., 2008.
S.25, SEIDL, A., 2006. S.314 u. RATSCHOW, J.-P. In: LÜTKE ENTRUP, N. U. OEHMICHEN, J.,
2000. S.767). Deutschland ist der weltweit größte Biodieselproduzent. Für die Zukunft wird
Bioethanol und insbesondere den synthetischen Kraftstoffen ein großes Entwicklungspotential
eingeräumt (vgl. MUNLV, 2006. S.117). Aus Nachwachsenden Rohstoffen werden mithilfe
chemischer oder biochemischer Methoden Kraftstoffe erzeugt, wie beispielsweise die BtL-
Kraftstoffe („Biomass to Liquid“). Ethanol wird durch Vergärung aus Zucker und Stärke
(Kohlenhydrate) gewonnen, so dass sich besonders Kulturpflanzen mit hohem Zucker- bzw.
Stärkegehalt, wie Kartoffeln, Zuckerrüben und fast alle Getreidearten, eignen (vgl.
RATSCHOW, J.-P. In: LÜTKE ENTRUP, N. U. OEHMICHEN, J., 2000. S.765). Getreide eignet sich
besonders aufgrund der geringen Kosten bei der Ethanolherstellung (vgl. EISENBEIß, G. U.
WAGNER, G., 2006. S.5). Die Verwendung von Mais zur Ethanolherstellung nimmt bei den
Getreidearten die mit Abstand größte Bedeutung ein (vgl. LANDWIRTSCHAFTLICHES
WOCHENBLATT, 2008d. S.10). Im Gegensatz zum Biodiesel (Dieselmotoren) eignen sich
Bioethanol und die synthetischen Kraftstoffe für Otto-Motoren (vgl. SEIDL, A., 2006. S.314).
Die Biokraftstoffe werden in solche der ersten und zweiten Generation unterschieden (vgl.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 109
SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.75). Zu der ersten Generation zählen Biodiesel und
Bioethanol, bei denen die Ausbeute aufgrund der ausschließlichen Verwendung der öl- bzw.
stärkehaltigen Pflanzenbestandteile deutlich geringer ist als bei den Biokraftstoffen der
zweiten Generation. Zu der sich noch in der Entwicklung befindlichen zweiten Generation
gehören die BtL-Kraftstoffe, wofür Biomasse mit hohen Trockenmassegehalten vorteilhaft ist
(vgl. WERNER, A. et al., 2005. S.430). Es wird damit gerechnet, dass die Etablierung der
zweiten Generation noch einige Jahre dauern wird und die zweite Generation der
Biokraftstoffe zumindest bis 2020 noch keine bedeutenden Ausmaße erreicht haben wird (vgl.
VON WITZKE, H., 2008. S.17f.). Auch das in Biogasanlagen erzeugte Gas kann nach der
Aufbereitung als Kraftstoff (Methankraftstoff) genutzt werden (vgl. KOPETZ, H., 2007. S.3 u.
PERSSON, M., 2007. S.25f.). Die BtL-Kraftstoffe weisen je Flächeneinheit eine höhere
Produktivität als die Kraftstoffe der ersten Generation auf. Die Erzeugung von Biodiesel
(Rapsmethylester) ist in Europa dominierend und weist mit einem Umwandlungsverhältnis
der Primär- in die Endenergie von 87 % einen deutlich höheren Wirkungsgrad als Ethanol mit
circa 50 % auf (vgl. KOPETZ, H., 2005. S.14f.).
Im Bioethanolsektor sind die USA (Mais) und Brasilien (Zuckerrohr) die größten
Produzenten, während in der EU die Erzeugung von Biodiesel dominiert (vgl. VON WITZKE,
H., 2008. S.15f.). 80 bis 90 % der weltweiten Biodieselproduktion finden in der EU statt. Ab
einem Preis von 30 bis 35 US-Dollar pro Barrel Rohöl ist Ethanol aus brasilianischem
Zuckerrohr auf dem Weltkraftstoffmarkt konkurrenzfähig (vgl. MÜLLER, A., 2007. S.8 u.
ISERMEYER, F. U. ZIMMER, Y., 2006. S.2ff.). Treibstoff aus südostasiatischem Palmöl kann ab
einem Rohölpreis von etwa 40 US-Dollar je Barrel wirtschaftlich rentabel angeboten werden
und ab circa 60 US-Dollar/Barrel Rohöl ist Ethanol aus nordamerikanischem Mais
konkurrenzfähig. Ohne jegliche politische Eingriffe (Schutzzölle, Subventionen) liegt dieser
Wert für die europäischen Biotreibstoffe bei 60 bis 90 US-Dollar je Barrel Rohöl. Folglich ist
die Erzeugung europäischen Biotreibstoffs auf dem liberalen Weltmarkt weniger rentabel als
aus Übersee.
Damit die Bioenergie zukünftig einen beträchtlichen Teil der Energieversorgung mit Strom,
Wärme und Kraftstoff bereitstellen kann, sind auf der technischen Seite besonders die
Umwandlungsverluste von der Primär- zur Endenergie zu minimieren und möglichst niedrige
Produktionskosten je Energieeinheit anzustreben (vgl. KOPETZ, H., 2007. S.3). Die
Umwandlungsverluste zwischen den unterschiedlichen Bioenergien schwanken je nach
Verfahren stark (vgl. KOPETZ, H., 2005. S.14f. u. KOPETZ, H., 2007. S.3ff.). Besonders hohe
Wirkungsgrade weisen die Wärmeerzeugung, die Kraft-Wärme-Kopplung sowie die
Biodieselproduktion aus Rapsöl und die Methankraftstofferzeugung aus Biogas auf. Dagegen
weisen die Stromerzeugung ohne Wärmenutzung und die Ethanolproduktion unter den heute
technischen und marktfähigen Möglichkeiten deutlich geringere Wirkungsgrade auf. Aus
diesen Erkenntnissen heraus sollte der Fokus der Biomassenutzung auf die Wärmenutzung
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 110
aus Biomasse zur Substitution von Elektro-, Kohle- und Ölheizungen, auf die Kraft-Wärme-
Kopplung und die Biokraftstoffproduktion gelegt werden (vgl. KOPETZ, H., 2007. S.5).
5.1.3.4.3 Energiepflanzen
Neben der Bioenergienutzung aus Wäldern und Forsten (Rest- und Altholz) wird Biomasse
von landwirtschaftlichen Flächen maßgeblich aus Getreide- und Ölpflanzen sowie
perennierenden Gräsern, wie Miscanthus (Chinaschilf), und schnell wachsenden Baumarten
(Kurzumtriebsplantagen) geliefert (vgl. DIEPENBROCK, W. et al., 2005. S.248). Durch diesen
neuen Absatzmarkt für Kulturpflanzen sind aus Landwirten nun auch „Energiewirte“
(BMVBS U. BBR, 2006. S.35) geworden. Auf etwa zwei Millionen Hektar bzw. auf circa 12
% der landwirtschaftlichen Nutzfläche werden in Deutschland mittlerweile Pflanzen zur
energetischen Verwertung angebaut (vgl. AMMERMANN, K., 2008. S.108 u. NEUE ENERGIE
SPEZIAL, 2008. S.4; s. Abb. 23).
Nach einigen Jahren mit deutlicher Flächenexpansion für den Anbau Nachwachsender
Rohstoffe stieg dieser Wert 2008 nicht weiter an und stagnierte bei circa zwei Millionen
Hektar. Gründe sind die massiv angestiegenen Nahrungs-Rohstoffpreise sowie die
Verhandlungen über die Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. In etwa die
Hälfte der Fläche für Nachwachsende Rohstoffe wird vom Rapsanbau für die Biodiesel-
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 111
Nachdem Holz als Energielieferant verbunden mit den sehr niedrigen Ölpreisen (1960-1972)
deutlich an Bedeutung verloren hat, führen nun steigende Energiepreise, zunehmendes
Umweltbewusstsein und die technischen Möglichkeiten der vollautomatischen
Feuerungsanlagen zu einem erstarkenden Interesse an der Energieverwertung des Holzes (vgl.
RATSCHOW, J.-P. In: LÜTKE ENTRUP, N. U. OEHMICHEN, J., 2000. S.757ff., PALLAST, G. et al.,
2006. S.144ff. u. RODE, M., 2005. S.406). Neben der Holznutzung aus Wäldern und Forsten
werden seit einigen Jahren die Marktfähigkeit und das Ertragspotential von
Kurzumtriebsplantagen untersucht. Dazu eignen sich besonders die schnellwüchsigen und
hochproduktiven Laubbäume von Weide, Pappel, Erle und Robinie. Holz gilt als der
problemloseste Energieträger (vgl. BRÜGGEMANN, C. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.30).
Die Rentabilität der Kurzumtriebsplantagen ist auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen
schlechter als bei der Flächenbewirtschaftung mit anderen Kulturpflanzen, wie Getreide, Raps
und Zuckerrübe, so dass die schnellwüchsigen Kurzumtriebsplantagen auf den
landwirtschaftlich genutzten Flächen wohl keine relevante Bedeutung erlangen werden (vgl.
PALLAST, G. et al., 2006. S.156). Auf Grenzertragstandorten liefert hingegen der Anbau
schnell wachsender Gehölze eine Möglichkeit der Flächennutzung.
Raps bildet aufgrund des Biodieselbooms die wichtigste Pflanze zur Erzeugung von
Bioenergie in Deutschland (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG
(BMBF), 2008. S.19f., SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.74, AMMERMANN, K., 2008.
S.108 u. NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.4). Circa 70 % vom Winterraps werden zur
Biokraftstoffproduktion verwendet. Rapsstroh ist aufgrund unerwünschter Eigenschaften für
die Strom- und Wärmeerzeugung (Verbrennung) nicht geeignet.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 112
Getreide kann sowohl für die Strom- und Wärme- als auch für die Kraftstoffherstellung
genutzt werden. Die Verwertung hängt dabei unmittelbar vom Marktpreis ab (vgl.
MÜHLHAUSEN, C. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.29). Liegen die Rohstoffpreise hoch,
wie zum Beispiel 2007/2008, dann ist die Verwertung zur Bioenergieerzeugung weniger
wirtschaftlich als die Nahrungs- und Futtermittelverwendung. Die Ethanolherstellung aus
Getreide erlebt seit einigen Jahren eine deutliche Expansion, wenngleich die Größenordnung
deutlich unter der Biodieselproduktion von Raps liegt. Unter den Getreidearten nimmt Mais
die mit Abstand größte Bedeutung bei der Ethanolherstellung ein (vgl.
LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008d. S.10). In den Biogasanlagen können
unterschiedliche Kulturen als Ganzpflanzen verwendet werden, wofür sich in hiesigen Breiten
besonders Leguminosen, Mais und andere Getreidearten eignen (vgl. WIKLICKY, L., 2007.
S.27). Bei der Biogaserzeugung dominiert die Verwendung von Mais mit deutlichem Abstand
vor der Grassilage (vgl. BECKMANN, G., 2006. S.28 u. WALLA, C. U. SCHNEEBERGER, W.,
2005. S.36). Von 2004 auf 2005 stieg in Deutschland alleine die Anbaufläche für die
Maisverwertung in Biogasanlagen von 10.500 auf 70.000 ha und im Jahr 2006 auf über
160.000 ha (vgl. HERRMANN, A. U. TAUBE, F., 2006. S.165 u. SCHULTZE, C. U. KÖPPEL, J.,
2007. S.270). Mais weist aufgrund der hohen Biomasseproduktion ein höheres Potential auf
als die anderen Getreidearten, Raps und auch als die Kurzumtriebsplantagen, so dass folglich
die Erzeugung von Strom und Wärme aus Mais aus energetischen Gründen zu bevorzugen ist
(vgl. KOPETZ, H., 2005. S.16, GRAß, R. U. SCHEFFER, K., 2005. S.435 u. SCHALLER, M. U.
WEIGEL, H.-J., 2007. S.73). Die optimale Maisverwertung wird mit der Verbrennung von
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 113
trockenem Silomais (Silage) erreicht, aber auch die Nutzung von frischem Silomais zur
Erzeugung Erneuerbarer Energien liefert ebenfalls höhere Energieerträge als die
Energieerzeugung aus Kurzumtrieben (Weiden), Raps und Körnermais. Für feuchte
Biomasse, wie Pflanzensilage und Gülle, ist die Fermentation zur Biogaserzeugung die
effektivste Form der Energieumwandlung (vgl. EISENBEIß, G. U. WAGNER, G., 2006. S.3). Um
höhere Biomasseerträge zu erzielen, wird Mais gezüchtet, welcher „anstatt Kolben
auszubilden die gesamte Assimilate in zusätzliche vegetative Masse (Blätter und Stängel)
investiert“ (SCHITTENHELM, S. et al. In: FAL, 2006. S.34). Der Energiemais liefert
mittlerweile den 1,5-fachen Mengenertrag von Silomais (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J.,
2007. S.74).
Während der Roggenanbau in der Nahrungs- und Futtermittelproduktion auf mittleren und
guten Standorten nicht mit den anderen Getreidearten mithalten kann und folglich nur auf den
ertragsschwachen Standorten angebaut wird, sind die Eigenschaften des Roggens als
Energiepflanze positiv zu bewerten (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.50,
HERRMANN, A. U. TAUBE, F., 2006. S.171ff. u. RODE, M., 2005. S.407f.).
Zuckerrüben weisen ein ähnlich hohes energetisches Leistungspotential wie der Mais auf (vgl.
BRAUN, J. U. LORLEBERG, W. In: LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008m. S.22ff. u.
LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008c. S.28f.). Die Gasausbeute in Biogasanlagen
liegt sogar über den Werten von Silomais, jedoch dämmen die hohen Produktionskosten von
Zuckerrüben die guten Bioenergieerträge ein.
Neben des Anbaus von nur einer Anbaukultur auf einem Ackerschlag ist bei der
Biomassenutzung zur Energiegewinnung auch der Mischanbau verschiedener Kulturpflanzen
möglich (vgl. SCHITTENHELM, S. U. NEUMANN, T. In: FAL, 2006. S.35, RODE, M., 2005.
S.408f. u. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.73). Aufgrund der effizienteren Nutzung
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 114
von Licht, Wasser und Nährstoffen ist der Biomasseertrag beim Mischanbau höher. Mögliche
Artenzusammensetzungen sind die Kombination verschiedener Getreidearten, Mais mit
Sonnenblumen, Mais mit Zuckerhirse oder auch Sonnenblumen mit Topinambur. Neben dem
Mischanbau bietet sich auch die Zweikulturnutzung an (vgl. SCHITTENHELM, S. et al. In: FAL,
2006. S.35, PAULSEN, H. M. U. RAHMANN, G. In: ISERMEYER, F. (Hrsg.), 2004. S.62ff. u.
SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.74; s. Abb. 25).
Dabei werden innerhalb einer Vegetationsperiode zwei Kulturen geerntet. Die Erstkultur
(Wintergetreide, Raps) wird vor der Vollreife möglichst zum Biomassehöchstertrag
(Milchreife) geerntet und anschließend direkt die zweite Kultur (Mais, Sonnenblume)
ausgesät. Beispiele für Zweikulturnutzungssysteme sind Weizen-Mais, Roggen-
Sonnenblumen, Roggen-Mais und Winterhafer-Sudangras (vgl. GRAß, R. U. SCHEFFER, K.,
2005. S.437). Die Zweikulturnutzungssysteme weisen weiterhin positive ökologische Aspekte
gegenüber den Monokulturen auf (ganzjährige Bodenbedeckung Erosionsschutz,
Artenreichtum, Humusbildung, etc.). Mit den Zweikulturnutzungssystemen können die
jährlichen Biomasseerträge erhöht werden und liegen über den Erträgen einer Anbaukultur,
wenngleich die Vegetationszeit je Kultur verkürzt ist (vgl. GRAß, R. U. SCHEFFER, K., 2005.
S.436f). Einhergehend mit der sich im Zuge des Klimawandels verlängernden
Vegetationsperiode wird die Zweikulturnutzung an Bedeutung zunehmen.
Abseits der Energiepflanzen erhalten die Landwirte seit 2009 erhöhte Bonuszahlungen für die
Gülleverwertung in Biogasanlagen, sofern der Anteil der Gülle 30 % übersteigt (vgl.
NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.8 u. DORNINGER, K., 2005. S.42). Gülle
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 115
fällt als „Abfallprodukt“ (SALCHENEGGER, S. U. PÖLZ, W., 2005. S.29) in der Viehhaltung an,
so dass die Bioenergieverwertung wirtschaftlich sinnvoll ist, wenngleich die Biogasausbeute
nur gering ist und deutlich hinter der Potentialen von Nachwachsenden Rohstoffen, wie
Zuckerrübe, Mais und Roggen, zurückbleiben (vgl. HERRMANN, A. U. TAUBE, F., 2006.
S.171).
5.1.3.4.4 Zukunft der Bioenergie und Auswirkungen auf die Kulturlandschaft der
Hellwegbörde
Unter den politischen Rahmenbedingungen des Meseburg-Paketes wird auch zukünftig ein
weiterer Ausbau der Bioenergie nötig sein, um die auferlegten Ziele zu erreichen, so dass
dadurch die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrung-, Futtermittel- und Energieproduktion auf
den Landwirtschaftsflächen weiter zunehmen wird, insbesondere da der Bedarf in allen drei
Bereichen weiter zunehmen wird (vgl. MUNLV, 2008a. S.39).
Die Bioenergie wird die bedeutsamste erneuerbare Energiequelle der Zukunft werden und
große Zuwachsraten erreichen (vgl. KOPETZ, H., 2006. S.8ff.). Wichtige Trends, mit denen die
Biomassebranche kalkulieren muss, sind die in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach
wieder steigenden Rohölpreise und auch die allgemein ansteigenden Preise für die
agrarischen Rohstoffe (s. o.). Bei der Produktion von Bioenergie besteht der Vorteil der
stabileren und berechenbareren Preise im Vergleich zu den stark schwankenden Preisen für
die endlichen Energien, wie dies auch in den letzten Jahren deutlich geworden ist (vgl. SEIDL,
A., 2006. S.314f.).
Um die Bedeutung des Bioenergiesektors auszubauen, ist neben der technischen
Weiterentwicklung auch der Wirkungsgrad der verschiedenen Anlagen eine wichtige
Kenngröße (vgl. KOPETZ, H., 2005. S14f. u. KOPETZ, H., 2007. S.3ff.). Die höchsten
Wirkungsgrade werden mit der reinen Wärmeerzeugung, der Kraft-Wärme-Kopplung sowie
der Kraftstofferzeugung (Biodiesel und Methankraftstoff) erzielt. Bei der reinen
Wärmeerzeugung wird zumeist auf Holz in unterschiedlicher Form (Holzscheitel, Holzpellets,
etc.) zurückgegriffen, während die Landwirtschaft im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung
aus Biogas und der Kraftstofferzeugung eine hohe Bedeutung aufweist. Es ist davon
auszugehen, dass die Energiepreise in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einen
Aufwärtstrend aufweisen werden, was mit einer „Umwidmung von Agrarflächen zugunsten
der Bioenergie“ (ISERMEYER, F. U. ZIMMER, Y., 2006. S.5) einhergehen wird. Nach
verschiedenen Szenarien wird sich zwischen 2006 und 2020 die Biomassenutzung in
Deutschland um den Faktor 1,6 bis 4,5 erhöhen können (vgl. HABERL, H., 2006. S.120). Ein
anderes Szenario hält gar eine Verachtfachung der Bioenergieerzeugung bis 2020 für
möglich, wofür auch die erneute Novellierung mit Inkrafttreten von Anfang 2009 von
Bedeutung ist (vgl. NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE SPEZIAL, 2008. S.8f.). Nach einem
detaillierten Szenario der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR) könnten bis 2030
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 116
Bis 2020 sollen 10 % des Kraftstoffverbrauchs aus Biomasse erzielt werden (vgl. VON
WITZKE, H. et al., 2008. S.15). Momentan dominiert die Verwendung von Biodiesel (Raps),
jedoch wird in Zukunft besonders mit der weiteren Ausdehnung von Bioethanol (Getreide,
Mais, Zuckerrüben, etc.) und weiterhin mit der Marktfähigkeit der synthetischen Kraftstoffe
aus der zweiten Generation (BtL-Kraftstoff) ab circa 2020 gerechnet (vgl. MUNLV, 2006.
S.117 u. VON WITZKE, H., 2008. S.17f.). Somit wird die Abhängigkeit der
Biokraftstofferzeugung vom Raps abnehmen und dafür die Bedeutung von Kulturpflanzen mit
hohem Zucker- bzw. Stärkegehalt (Bioethanol) und mit hohen Trockenmassegehalten
(synthetischer Kraftstoff) für die biogene Kraftstofferzeugung zunehmen. Dennoch spielt
auch zukünftig die Biodieselproduktion aus Rapsöl die größte Rolle und wird auch weiter
ausgebaut werden, wenngleich die Ethanolherstellung markant aufholen wird. Für Bioethanol
wird der Schwerpunkt beim Mais und anderen Getreidearten liegen, wobei auch der
Zuckerrübe und Kartoffel aufgrund des hohen Zucker- bzw. Stärkegehaltes gewisse
Marktanteile zugetraut werden.
Einhergehend mit dem Wachstum der Bioenergiebranche wird zukünftig eine weitere
Ausdehnung der Anbauflächen mit Nachwachsenden Rohstoffen nötig sein. Es wird generell
davon ausgegangen, dass die heute bereits verbreiteten Hauptanbaukulturen auch bei der
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 117
Aufgrund der hohen Wirkungsgrade und dementsprechend Wirtschaftlichkeit wird bei der
Biogaserzeugung zur Kraft-Wärme-Kopplung durch die hohen Biomasseerträge der Fokus
auf Mais liegen. Dabei wird der biomassereiche Energiemais dominieren, wobei der
Mischanbau mit Sonnenblumen und anderen Arten aufgrund der hohen Biomasseerträge
zunehmen wird. Beim Zweikulturnutzungssystem bietet sich die Kombination von
Wintergetreide und Mais an. Die Erträge bei der Zweikulturnutzung sind trotz der kürzeren
Vegetationsphasen je Anbaukultur insgesamt höher als beim Maisanbau in Monokultur (s.
Abb. 25). Die Bedeutung des Zweikulturnutzungssystems wird im Zuge des Klimawandels
verbunden mit verlängerten Vegetationsperioden weiter zunehmen (s. auch Kap. 5.1.1,
Klimawandel).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 118
Folglich wird im Bereich des Energiepflanzenanbaus in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
der Anbau von Raps und Mais weiterhin die größte Bedeutung haben bzw. noch an Dominanz
zunehmen können (vgl. SCHALLER, M. U. WEIGEL, H.-J., 2007. S.76f.). Insbesondere der
Maisanbau wird an Fläche weiter deutlich expandieren. Die Ausdehnung des Maisanbaus
erfolgt besonders zu ungunsten des Getreideanbaus, so dass abseits der Gunsträume teilweise
sogar der Mais den Weizen als Leitart ablösen könnte. „Auf [großen] Flächen prägen
weiträumige […] Mais- und Rapsfelder das Landschaftsbild“ (BMVBS U. BBR, 2006. S.34)
der Zukunft. Dabei bieten der Mischanbau mit Sonnenblumen oder Zuckerhirse und die
Zweikulturnutzung mit Wintergetreide als Erstkultur interessante und ertragreiche
Alternativen im Energiepflanzenanbau, die die zunehmend zu erwartenden Maismonokulturen
auflockern können (vgl. SCHITTENHELM, S. U. NEUMANN, T. In: FAL, 2006. S.34). Durch
diese Anbausystemen sind des Weiteren positive ökologische (geringerer Schädlingsdruck,
Humusbildung, Biodiversität, Bodenbedeckung Erosionsschutz, etc.) und auch positive
landschaftliche Effekte möglich. Während bei Monokulturen kaum unterschiedliche Farben
und Formen auftreten, sind bei der Zweikulturnutzung und dem Mischanbau die Ackerflächen
abwechslungsreicher.
„Sicher ist, dass ein ernsthafter Ausbau der energetischen Biomassenutzung beträchtliche
Auswirkungen auf Kulturlandschaften haben“ (HABERL, H., 2006. S.122) wird. Gebiete, in
denen der Getreideanbau dominiert, könnten zukünftig in Raps- und besonders in
Maisanbaugebiete zur energetischen Verwertung umgewandelt werden. Während heute
bereits circa ein Achtel der Ackerfläche zur energetischen Verwertung genutzt wird, ist in den
kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einer weiteren Zunahme zu rechnen. „Große Flächen
werden […] einseitig genutzt und führen zur Verarmung von Landschaft und Biodiversität“
(BMVBS U. BBR, 2006. S.35). Dies kann regional zu eintönigen, gleichartig gestalteten
Landschaften aus Mais und Raps führen (vgl. SCHULTZE, C. U. KÖPPEL, J., 2007. S.269).
Denkbar sind kleinräumig aber auch hohe Strukturen, wie Kurzumtriebsplantagen,
Miscanthus, Sonnenblumen, etc., sowie der Misch- und Zweikulturenanbau auf den
Ackerflächen, die das Erscheinungsbild der Landschaft differenzieren und
abwechslungsreicher gestalten können. Somit können diese Anbauformen und -arten in
ansonsten intensiven Ackerbaugebieten (Getreideanbau) wie der Hellwegbörde zu
verschiedenen Formen, Farben und Strukturen führen. Der Energiepflanzenanbau bietet
gewisse Potentiale der ökologisch verträglichen Landwirtschaft mit geringen Düngemengen,
artenreichen Fruchtfolgen und ganzjähriger Bodenbedeckung, die die nachhaltige
Bewirtschaftung der Kulturlandschaft ermöglichen, jedoch gilt die Ausdehnung von
Monokulturen bzw. artenarmen Fruchtfolgen „als wirtschaftlich günstigste Lösung“ (RODE,
M. U. KANNING, H., 2006. S.104). An dieser Stelle könnte zukünftig besonders die
Agrarpolitik eine die Umwelt und Landschaft schonende Landbewirtschaftung mit speziellen
Anreizprogrammen fördern.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 119
Im Kreis Soest befinden sich zurzeit elf Biogasanlagen, wobei davon sieben Anlagen
ausschließlich mit Nachwachsenden Rohstoffen bestückt werden (vgl. KAISER, K., 2008, s.
Karte 17 u. Foto 9). Die zurzeit betriebenen Biogasanlagen benötigen eine landwirtschaftliche
Fläche von circa 2.000 Hektar, was einem Flächenanteil von circa 2,5 % an der gesamten
landwirtschaftlichen Nutzfläche im Kreis Soest entspricht. Des Weiteren sind zwei Anlagen
genehmigt worden und ein weiteres Genehmigungsverfahren wird derzeit durchgeführt. In
Lippetal und Warstein wird außerdem über die Errichtung weiterer Biogasanlagen
nachgedacht. Aus dieser Entwicklung wird deutlich, dass die Tendenz für den Bau neuer
Biogasanlagen in der Hellwegbörde weiterhin positiv ist (vgl. HOFFMANN, F., 2008).
Karte 17: Aktuelle Standorte der Biogasanlagen im Kreis Soest mit Darstellung der verwendeten Biomasse (Nawaro = ausschließliche Verwendung
Nachwachsender Rohstoffe; andere Biomasse = Verwendung verschiedener Substrate)
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 121
Der Energiepflanzenanbau wird sich in der Hellwegbörde parallel zu der Verteilung der
Biogasanlagen besonders auf die Randbereiche und weniger produktiven Standorte
konzentrieren, da in der zentralen Börde auf den ertragreichen Böden die Vermarktung der
Ernteprodukte von Getreide und Raps höhere Einnahmen generiert. Auf den ertragsstarken
Standorten ist tendenziell nur der Zwischen- und Zweitfruchtanbau zur dezentralen
energetischen Verwertung sinnvoll, womit zeitgleich positive Effekte für die
Bodenfruchtbarkeit einhergehen würden. Daneben können die zur Nahrungs- und
Futtermittelproduktion vorgesehenen Kulturpflanzen bei schlechter Qualität ebenfalls als
Energiequelle genutzt werden. Auf den mäßigen bzw. eher schlechten Bodenstandorten wird
zukünftig unter Marktbedingungen der Anbau von Marktfrüchten nicht oder nur bedingt
rentabel sein, so dass dort der Anbau von Energiepflanzen zur Strom-, Wärme- und
Kraftstofferzeugung eine echte Alternative bieten wird (s. auch Kap. 5.1.2, Agrarmarkt und
Agrarpolitik). Mit der energetischen Nutzung können diese Flächen vor einer möglichen
Nutzungsaufgabe bewahrt werden und somit kann das typische Landschaftsbild der agrarisch
geprägten Hellwegbörde erhalten bleiben. Aktuell werden auf circa 15 % der Ackerfläche des
Kreises Soest Raps und auf knapp 10 % der Ackerfläche Mais angebaut (s. Kap. 4.3, Aktuelle
Situation der Landwirtschaft). Der Rapsanteil liegt im Kreis Soest deutlich über den NRW-
Werten. Während ein Großteil des angebauten Rapses in die Biodiesel- und
Pflanzenölerzeugung gelangt, wird Mais zumeist als Viehfutter oder zur lokalen
Bioenergienutzung verwertet. Es ist davon auszugehen, dass die Anteile von Raps und
besonders von Mais an der Ackerfläche in der Hellwegbörde aufgrund des erwarteten
Ausbaus der energetischen Verwertung zunehmen werden, wobei sich diese Ausdehnung auf
die ertragsschwächeren Bereiche konzentrieren wird. Auch die Zuckerrübe, welche aktuell
auf circa 4 % der Ackerfläche im Kreis Soest angebaut wird, könnte aufgrund der Bedeutung
für die Bioethanolherstellung weiter in gewissem Umfang in der Hellwegbörde angebaut
werden (s. Kap. 4.3, Aktuelle Situation der Landwirtschaft). Da die Hellwegbörde relativ
vieharm ist und folglich Getreidestroh nicht in derart großen Mengen wie in viehreichen
Gebieten erforderlich ist, kann der für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit nicht notwendige
Anteil des Strohs in Energie umgewandelt werden (vgl. NEUMANN, H. In: NEUE ENERGIE
SPEZIAL, 2008. S.28f.).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 122
Karte 18: Zwei Szenarien der zukünftigen Verteilung von Biogasanlagen im Kreis Soest. Oben:
Kontinuierlicher Ausbau der Biogaserzeugung. Unten: dauerhaft hohe agrarische
Rohstoffpreise einhergehend mit verringerten EEG-Mindestvergütungen
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 123
5.1.4.1 Naturschutz
Abseits dieser Schutzkategorien hat sich die EU zur Aufgabe gemacht, ein
zusammenhängendes Schutzgebietsnetz unter der Bezeichnung NATURA 2000 aufzubauen
(vgl. MUNLV, 2006. S.310ff.). Durch das NATURA 2000-Biotopverbundnetz soll mithilfe
eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume insbesondere der
Artenrückgang gestoppt werden, um die biologische Vielfalt zu sichern bzw. gegebenenfalls
wiederherzustellen. Zu dem Schutzgebietsnetz NATURA 2000 zählen die Vogelschutzgebiete
nach der Vogelschutzrichtlinie von 1979 und die seit 1992 in die FFH-Richtlinie (Flora-
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 125
Während sich die obigen Naturschutzmaßnahmen durch die Ausweisung von Schutzgebieten
auf bestimmte Flächen konzentrieren, sind im Rahmen der zweiten Säule der Gemeinsamen
Agrarpolitik auf allen landwirtschaftlich genutzten Flächen naturschutzrelevante Maßnahmen
möglich, die über die Umweltmindeststandards (Cross Compliance) hinausgehen (s. Kap.
5.1.2.2, EU-Agrarpolitik). „Im Mittelpunkt der Kooperation zwischen Landwirtschaft und
Umweltschutz stehen die Agrarumweltmaßnahmen und der Vertragsnaturschutz“ (MUNLV,
2008a. S.25). Diese Maßnahmen leisten einen beträchtlichen Beitrag zum
Kulturlandschaftsschutz bzw. zur nachhaltigen Entwicklung der agrarisch geprägten
Kulturlandschaften im Zuge der sich immer stärker auf den Agrarmarkt ausrichtenden und
somit wandelnden Landwirtschaft. Im Zusammenhang mit der Aufhebung der
Stilllegungsverpflichtung erhöht sich die Bedeutung der Agrarumweltmaßnahmen für den
Natur-, Umwelt- und Kulturlandschaftsschutz nochmals, da die ehemals extensiv genutzten
Stilllegungsflächen weitgehend wieder in die intensive Landbewirtschaftung aufgenommen
wurden.
Seit Mitte der 1980er Jahre wurde eine Vielzahl von Programmen eingeführt, um den
Naturschutzaspekt in der sich intensivierenden und technisierenden Landwirtschaft zu
integrieren (vgl. MUNLV, 2006. S.314). Die Ackerstreifen- und
Feuchtwiesenschutzprogramme bildeten 1985 den Anfang, gefolgt von weiteren Programmen,
wie dem Mittelgebirgsprogramm 1986, dem Streuobstwiesenprogramm 1990 und dem
Kulturlandschaftsprogramm 1993. 2000 wurden alle Einzelprogramme in den
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 127
Auch nach Ablauf der aktuellen Förderperiode im Jahr 2013 wird der Vertragsnaturschutz ein
fester Bestandteil an der Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Naturschutz bleiben bzw.
die Bedeutung wird weiter zunehmen, wobei sich die Ackerflächenmaßnahmen in der
Hellwegbörde auch in Zukunft primär auf die weniger produktiven Standorte fokussieren
werden.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 129
5.1.4.2 Flächenverbrauch
Seit vielen Jahrzehnten gehen immer mehr land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen
durch den Bedarf an Wohn-, Gewerbe/Industrie- und Verkehrsflächen verloren, so dass heute
noch etwas mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands und NRWs landwirtschaftlich
genutzt wird (vgl. LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008b. S.10). Aktuell dienen
rund 62 % der Soester Kreisfläche als landwirtschaftliche Nutzfläche, jedoch hat sich dieser
Anteil in den letzten Jahren infolge kontinuierlich ablaufender Ausweitungen der
Versiegelung durch Neubausiedlungen, Straßenneubauten sowie neue Industrie- und
Gewerbegebiete verringert, wobei auch die Landwirtschaft durch Aussiedlungen der
gesamten Hofstelle aus der geschlossenen Ortsbebauung oder durch neue Wirtschaftsgebäude
(Scheunen, Ställe) in die freie Feldflur maßgeblich dazu beiträgt (s. auch Tab. 2 u. Abb. 5).
Für die Zukunft wird in der Hellwegbörde zwar – wie auch in vielen anderen Regionen – mit
einem Bevölkerungsrückgang von einigen Prozentpunkten gerechnet, jedoch wird sich im
Zuge des ansteigenden Flächenbedarfs je Person auch weiterhin die als Flächenverbrauch
bezeichnete Umwidmung der Nutzung von den landwirtschaftlichen Freiflächen hin zu
versiegelten Flächen fortsetzen (vgl. MIELKE, B. U. SCHULZE, K. In: HEINEBERG, H. (Hrsg.),
2007. S.80f. u. BUCHER, H. et al., 2004. S.120ff.; s. Karte 22). Abseits der in der Karte
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 130
Heute werden täglich etwa 80 bis 100 Hektar Freiflächen in Deutschland für die Ausdehnung
der Wohn-, Arbeits- und Verkehrsinfrastruktur umgewandelt, wobei dieser Flächenbetrag
zwischen 1960 und 1970 noch bei 120 Hektar/Tag lag (vgl. DEMUTH, B., 2000. S.22 u.
DOSCH, F. U. BECKMANN, G., 1999a. S.302f.). Auf Nordrhein-Westfalen entfallen dabei
aktuell etwa 18 Hektar pro Tag (vgl. QUAS, M. In: LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT,
2008b. S.20). In nur etwa 50 Jahren hat sich die versiegelte Fläche in Deutschland verdoppelt,
wenngleich der Versiegelungstrend auf weiterhin hohem Niveau leicht negativ ist.
Entscheidende Bedeutung bei dem hohen Flächenverbrauch hat die Suburbanisierung, also
die ausufernde Bebauung mit städtischen Gestaltungs- und Lebensweisen besonders zum
Zweck der Wohnfunktion in die Randbereiche der Städte und Dörfer (vgl. ANL (Hrsg.), 1995.
S.65f.). Von den 1950er bis in die 1980er Jahre konzentrierte sich der
Suburbanisierungsprozess auf die unmittelbar stadtnahen Bereiche, während sich dieser
Prozess seitdem auch auf die ländlichen Räume ausgeweitet hat (vgl. CURDES, G., 1999.
S.335). Die Versiegelung wird maßgeblich durch tagtäglich stattfindende kleine
Baumaßnahmen hervorgerufen, so dass die Ausmaße des Flächenverbrauchs in kleinen
Zeitskalen kaum wahrgenommen werden, da sie sich „am Rande des
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 131
Weil sich in Zukunft der Flächenverbrauch fortsetzen wird, betrifft dies die Landwirtschaft
unmittelbar. Zur Bereitstellung der Rohstoffe für Nahrungs- und Futtermittel sowie
Erneuerbare Energien werden immer weniger Flächen zur Verfügung stehen. In der Politik ist
erkannt worden, dass „ein weiterer Verlust von Agrarflächen wie bislang […] nicht
hinzunehmen [ist]“ (ASBRAND, A. In: LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008n. S.24).
Daher hat der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister Eckhard Uhlenberg das als
„Allianz für die Fläche“ bezeichnete Programm ins Leben gerufen, um den Verlust
landwirtschaftlicher Flächen in NRW von aktuell 18 auf fünf Hektar je Tag zu verringern
(vgl. QUAS, M. In: LANDWIRTSCHAFTLICHES WOCHENBLATT, 2008b. S.20 u. MUNLV, 2006.
S.269). Trotz dieses ambitionierten Ziels wird es auch zukünftig weiterhin Tag für Tag einen
Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche geben. Diese kontinuierliche Umwidmung wird in
der Zukunft die in den vergangenen Jahrzehnten ersichtlichen gravierenden Auswirkungen
auf die Kulturlandschaft fortführen, wenngleich mit der „Allianz für die Fläche“ dieser
Prozess verlangsamt werden könnte. Für die offene Agrarlandschaft der Hellwegbörde hat der
Flächenverbrauch eine große Bedeutung. Das prägende Landschaftsbild offener, unverbauter
Flächen wird – wie auch heute schon – mehr und mehr durch Baumaßnahmen überformt, so
dass die Kulturlandschaft fortlaufend Veränderungen erfährt. Abseits der „Allianz für die
Fläche“ wir das Vogelschutzgebiet Hellwegbörde Auswirkungen auf den Flächenverbrauch in
der Hellwegbörde haben (s. Kap. 5.1.4.1, Naturschutz). So soll sich im Zuge der
„Vereinbarung Hellwegbörde“ der Flächenverbrauch auf die an die bestehenden Ortschaften
angrenzenden Interessengebiete der Siedlungsentwicklung konzentrieren, während die
anderen Gebiete des Vogelschutzgebietes als weitgehend offene Feldlandschaft erhalten
bleiben und somit dort die Bautätigkeiten auf ein absolutes Minimum heruntergefahren
werden sollen.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 132
Abb. 26: Einordnung der drei Szenarien in die Entwicklungsrichtungen der ökonomischen und
ökologischen sowie globalen und regionalen Orientierung
Eigene Abbildung
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 133
Karte 23: Lage der Beispielgemeinden Bad Sassendorf und Möhnesee im Kreis Soest
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 134
wobei sich dieses Spektrum an den Klimawandel anpassen wird. Folglich bieten sich dort
neben den Hauptanbaukulturen Weizen, Gerste, Mais und Raps – auch zur Erzeugung von
Strom, Wärme und Kraftstoff – der Anbau von Sonnenblumen, Zuckerrüben, Kartoffeln,
Gemüsekulturen und die Grünlandwirtschaft als Alternativen an. Die Grünlandwirtschaft wird
sich dabei auf die nassen Standorte an den Fließgewässern, in den Niederungen sowie auf die
Ortsrandlagen konzentrieren. Aufgrund der hohen Biomasseproduktion liefern auch der Zwei-
und Mischkulturenanbau attraktive Nutzungsformen der energetischen Verwertung, die
zukünftig an Bedeutung gewinnen werden. Besonders auf den Grünlandstandorten und auf
der Südseite des Haarstrangs ist durch das höhere Temperaturniveau mit einer Ausdehnung
des Obstbaus zu rechnen. Abseits dieser Kulturpflanzen werden Miscanthus, Sudangras, Hirse
und die Kurzumtriebsplantagen mit Ausnahme kleinräumiger Flächen wohl keine Bedeutung
erlangen.
Folglich wird die Landbewirtschaftung in der Hellwegbörde nach dem Szenario der
multifunktionalen Landwirtschaft in Zukunft voraussichtlich flächendeckend weiterbetrieben
werden, wobei eine grobe Zweiteilung in einen intensiv genutzten Zentralbereich der Börde
und eine eher extensivere und differenziertere Landnutzungsform auf den weniger
produktiven Standorten möglich ist. Die Gunststandorte fokussieren sich auf den zunehmend
liberalisierenden Weltagrarmarkt, während auf den anderen Standorten die Bedeutungen des
Natur- und Landschaftsschutzes sowie der dezentralen Energieversorgung eine tragende Rolle
zur Aufrechterhaltung der agrarisch geprägten, offenen Kulturlandschaft spielen werden. Dort
wird sich im Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung besonders aus der zweiten
Säule der Strukturwandel langsamer als in den besonders produktiven Bereichen vollziehen,
so dass viele der heute noch aktiven Klein- und Mittelbetriebe die Bewirtschaftung fortführen
können. Unter diesen Entwicklungstendenzen ist ein bedeutsamer Flächenanteil mit völliger
Nutzungsaufgabe nicht zu erwarten.
Abseits der aus obigen Gründen zunehmenden Anzahl an Biogasanlagen, welche sich auf die
ertragsschwächeren Bereiche und dort an Standorte mit günstigen Voraussetzungen zur Kraft-
Wärme-Kopplung konzentrieren werden, wird sich im Zuge des aufkommenden Repowerings
bis in circa 30 Jahren die Anzahl der Windkraftanlagen deutlich reduziert haben (s. Kap.
5.1.3, Erneuerbare Energien). Diese dann etwa 80 bis 100 Windkraftanlagen auf dem Gebiet
des Kreises Soest werden einhergehend mit einer deutlichen Leistungssteigerung mehr
regenerativen Strom liefern können als die bisherigen etwa 270 Anlagen. Dabei wird sich die
Windkraftnutzung auf den windstarken Bereichen der Haarhöhe abspielen. In einigen
wenigen Konzentrationsflächen werden diese Anlagen stehen, während dazwischen Schneisen
der Biotopvernetzung und im Speziellen dem Vogelschutz dienen. Die als europäisches
Vogelschutzgebiet ausgewiesene Hellwegbörde liefert vielen Offenlandarten Lebensraum,
Brut- und Rastmöglichkeiten, jedoch ist auch die Bedeutung für den Vogelzug zu bedenken,
so dass breite, windkraftlose Schneisen eine ökologische und besonders ornithologische
Bedeutung aufweisen. Die Windräder werden dabei zum allergrößten Anteil außerhalb der
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 136
Gebietskulisse des Vogelschutzgebietes liegen. Weiterhin ist aus Gründen des Naturschutzes
die zu erwartende Tendenz der Extensivierung auf weniger produktiven Standorten zunächst
positiv einzustufen, jedoch sind dafür öffentliche Zahlungen unumgänglich, um ein
Mindestmaß an landwirtschaftlicher Tätigkeit aufrecht zu erhalten (s. Kap. 6,
Managementstrategie).
Abseits dieser Aspekte ist insbesondere der Flächenverbrauch eine in Bezug auf die
Landschaftsstruktur sehr wichtige Komponente (s. Kap. 5.1.4.2, Flächenverbrauch). Der
Flächenverbrauch wird trotz aller Anstrengungen in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich
landwirtschaftlich genutzte Flächen in Anspruch nehmen. Folglich wird sich die von
geschlossener Ortsbebauung mit weiten Ackerflächen geprägte Kulturlandschaft der
Hellwegbörde weiter wandeln. Neben den Interessen der Siedlungs- und Industrieentwicklung
haben in der Hellwegbörde auch die Steine- und Erdenindustrie sowie die Landwirtschaft an
sich eine große Bedeutung im Rahmen des landwirtschaftlichen Flächenverbrauchs. Im
Bereich Erwitte/Anröchte/Geseke im Osten des Kreises Soest befinden sich großräumig
abbaufähige Gesteine zur Zementherstellung. In der Landwirtschaft werden sich besonders
die Betriebe im Gunstraum der zentralen Hellwegbörde auf die zunehmende
Weltmarktorientierung mit Betriebsvergrößerungen einstellen müssen. Dies erfolgt entweder
über die Aussiedlung der gesamten Hofstelle aus der geschlossenen Bebauung oder über die
Errichtung von neuen Wirtschaftsgebäuden im Außenbereich.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 137
Karte 24: Entwicklung der Erneuerbaren Energien und der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität nach dem Szenario der multifunktionalen
Landwirtschaft mit der Lage des Querschnitts in Abbildung 27
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 138
Abb. 28: Querschnitt durch die Gemeinden Bad Sassendorf und Möhnesee. Querschnittsverlauf siehe Karte 25
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 141
Ebenso wie im Szenario der multifunktionalen Landwirtschaft wird sich auch bei der
Ausweitung regionaler Wertschöpfungsketten unter Beachtung ökologischer Aspekte die
Landnutzung in den Gunsträumen der Hellwegbörde zusehends auf den Weltagrarmarkt
ausrichten (s. Karte 26, 27 u. Abb. 29, 30). Weizen, Gerste, Mais und Raps werden dabei die
wichtigsten Anbaukulturen darstellen, wobei im Zuge des mäßigen Strukturwandels die
Betriebszahl absinken und als Folge die durchschnittliche Betriebsgröße parallel dazu
ansteigen wird (s. auch Abb. 9 u. 10). Die Gunststandorte weisen dabei eine
Agrarmarktorientierung auf, bei der die Aspekte des Naturschutzes und der regionalen und
somit dezentralen Energieversorgung eine nur untergeordnete Rolle spielen werden. Nach
diesem Szenario werden sich die Zahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik primär auf die
zweite Säule konzentrieren, während die Direktzahlungen immer weiter heruntergefahren
werden. Abseits der Gunststandorte wird sich der teilweise bereits heute erkennbare Trend
des Ausbaus der marktnah und ökologisch ausgerichteten Landwirtschaft verstärken, wobei
finanzielle Unterstützungen aus öffentlicher Hand, wie die GAP-Zahlungen, erforderlich sind
(s. Kap. 6, Managementstrategie). An Standorten, wo sich die agrarische Wirtschaftlichkeit
im Zusammenhang mit dem sich weiter liberalisierenden Weltmarkt negativ darstellen wird,
werden die Themen der regionalen Wertschöpfungsketten und Vermarktungsstrategien an
Bedeutung gewinnen können, sofern die öffentliche Unterstützung gewährleistet ist. Folglich
wird sich in den weniger produktiven Bereichen der Börde ein vielfältiges Anbaumuster
ergeben, bei dem neben den heutigen Hauptanbaukulturen Getreide inkl. Mais und Raps auch
Sonnenblumen, Kartoffeln, Zuckerrüben, Gemüse, Obst sowie die Vieh- und
Grünlandwirtschaft in bedeutsamem Umfang das Landschaftsbild mitgestalten werden. Dabei
werden sich – auch aufgrund der längeren Vegetationsperiode – der Misch- und
Zweikulturenanbau ausdehnen können. Des Weiteren kann sich auf der sonnenexponierten
Südseite des Haarstrangs im Zuge des Klimawandels neben dem Obstanbau auch der Wein
als eine lukrative Anbaukultur darstellen und zur Diversifizierung der Landwirtschaft
beitragen. In diesen dann nicht primär auf den liberalen Weltmarkt ausgerichteten Bereichen
ist folglich ein abwechslungsreiches Landschaftsbild unterschiedlicher Nutzungsformen
möglich, wobei die dezentrale Energieversorgung mit der Nutzung von Nachwachsenden
Rohstoffen und von Windkraft eine große Rolle spielen wird. Während die Gunststandorte
aufgrund der Weltmarktkonkurrenz in intensiver Form bewirtschaftet werden, ist auf den
anderen Standorten eine eher extensive und Naturschutzaspekte verfolgende
Bewirtschaftungsform wahrscheinlich. In der auf regionaler Vermarktung ausgerichteten
Produktionslandwirtschaft erfolgt die Vermarktung auch direkt auf den Höfen oder in kleinen
Dorfläden, wobei die Themen Bio- und Ökolandbau – als Gegenpol zur global ausgerichteten
Intensivproduktion in den Gunsträumen – zunehmende Bedeutung erlangen werden. Neben
der Produktionslandwirtschaft ist besonders in den ertragsschwächeren Bereichen auch die
Bereitstellung anderer Dienstleistungen, wie Ferien auf dem Bauernhof oder die Errichtung
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 142
von Hofcafés, etc., eine alternative Einnahmequelle des ländlichen Raumes. Wie auch in den
anderen Szenarien stellt der kontinuierliche Flächenverbrauch ein großes Problem der
nachhaltigen Kulturlandschaftserhaltung und -entwicklung dar. Die typische
Kulturlandschaftsstruktur weiter, unverbauter Ackerflächen wird schleichend, aber
kontinuierlich durch ausufernde Neubauten an den Dörfern und Städten sowie durch die
Errichtung von Neubauten in der offenen Feldflur verändert.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 143
Karte 26: Entwicklung der Erneuerbaren Energien und der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität nach dem Szenario der marktnahen ökologischen
Landwirtschaft mit der Lage des Querschnitts in Abbildung 29
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 144
Abb. 30: Querschnitt durch die Gemeinden Bad Sassendorf und Möhnesee. Querschnittsverlauf siehe Karte 27
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 147
Sollten sich die öffentlichen Zahlungen der Gemeinsamen Agrarpolitik zukünftig deutlich
stärker reduzieren als zurzeit als wahrscheinlich angenommen wird, müsste sich die
Landwirtschaft noch deutlich stärker auf den Weltagrarmarkt mit ansteigenden Marktpreisen
ausrichten als es zurzeit nach dem Szenario der multifunktionalen Landwirtschaft zu erwarten
ist (s. Abb. 19). Bei der agroindustriellen Ausrichtung auf ökonomische und globale
Interessen ist negativ zu beurteilen, dass die hohen Produktionskosten in Deutschland und in
weiten Teilen Europas die Gewinne der im weltweiten Maßstab quantitativ und qualitativ sehr
hohen Ertragszahlen deutlich reduzieren. Die Landwirtschaft hat sich unter diesen
Bedingungen auf ökonomische Rentabilität einzustellen, um weltweite Konkurrenzfähigkeit
zu erlangen. Einhergehend mit der Liberalisierung des Agrarmarktes wird dies in der
Hellwegbörde zu einer Aufteilung in einen intensiv genutzten Gunstraum und einen Bereich
mit Nutzungsaufgabe bzw. unter Verfolgung von Natur- und Landschaftsschutzzielen sowie
zum Zwecke des Energiepflanzenanbaus zu einer extensiven Landnutzungsform führen (s.
Karte 28, 29 u. Abb. 31, 32). Auf den Gunststandorten wird sich die Produktion auf die
ertragsstarken Kulturen konzentrieren. Da heute weitgehend nur die Weizenproduktion in den
Gunsträumen Deutschlands im Vergleich zu den überkontinentalen Konkurrenten auf dem
Weltmarkt rentabel ist, ist auch zukünftig mit einer Fokussierung auf nur wenige Kulturarten
(Weizen, Gerste, Mais und Raps) zu rechnen. Mit den positiven Effekten im Zuge des
Klimawandels wird sich besonders der Maisanbau weiter ausdehnen können, jedoch wird
unter rein marktwirtschaftlichen Interessen die Produktion von Weizen die lukrativste
Einnahmequelle für die Landwirte bleiben. Auf den Gunststandorten wird es infolge der
Weltmarktausrichtung zu einem raschen Strukturwandel kommen, so dass letztlich nur noch
wenige Großbetriebe die größten Flächenanteile bewirtschaften werden. Außerhalb der nach
diesem Szenario intensiv genutzten Gunststandorte sind die weniger produktiven Flächen
nicht rentabel zu bewirtschaften, sofern die öffentlichen Zahlungen – wie nach diesem
Szenario – auf ein Minimum reduziert werden sollten. Als Folge dieser Unwirtschaftlichkeit
ist mit Flächennutzungsaufgaben und -extensivierungen zu rechnen, so dass dort die
Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung von anderen als den GAP-
Zahlungen aus öffentlicher und privater Hand abhängt (s. Kap. 6, Managementstrategie).
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 148
Karte 28: Entwicklung der Erneuerbaren Energien und der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität nach dem Szenario der agroindustriellen
Landwirtschaft mit der Lage des Querschnitts in Abbildung 31
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 149
Abb. 32: Querschnitt durch die Gemeinden Bad Sassendorf und Möhnesee. Querschnittsverlauf siehe Karte 29
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 152
Ohne jegliche finanzielle Unterstützung der Landwirte wird sich unter den alleinigen
Wettbewerbsbedingungen des Freihandels das Landschaftsbild der Hellwegbörde extrem
wandeln (s. Tab. 7). Einerseits in einen intensiv genutzten Streifen der zentralen Börde und
andererseits in sich daran anschließende Bereiche inkl. der Schledden mit Nutzungsaufgabe
(s. Karte 30, 31 u. Abb. 33, 34). Auf den weniger produktiven Standorten ist nur marginal mit
einer Aufrechterhaltung der Grünlandwirtschaft zu rechnen. Diese Entwicklung schließt
jegliche öffentliche Zahlungen für die Landwirte aus, wozu auch die Zahlungen für den
Energiepflanzenanbau und für den Naturschutz zählen. Demnach würde es neben der
Möglichkeit der intensiven Weltagrarmarktorientierung für die Landwirtschaft keine
Alternative geben. Die Standorte mit Nutzungsaufgabe werden sich unter diesen Bedingungen
langfristig im Laufe der Sukzession zu Waldgebieten entwickeln.
Um die Hellwegbörde aus kulturlandschaftlichen Gründen weiterhin als offene und agrarisch
geprägte Kulturlandschaft zu erhalten und weiter zu entwickeln, sind finanzielle Maßnahmen
für die weniger begünstigten Standorte unter rein agrarmarktwirtschaftlichen Gesichtspunkten
unumgänglich (s. Kap. 6, Managementstrategie). Die Biomasseproduktion zur dezentralen
Energieversorgung wird eine nur geringe Rolle spielen. Während auf den Gunststandorten die
Weltvermarktung der Hauptanbaukulturen höhere Erträge generieren wird und sich
infolgedessen die energetische Biomassenutzung in Biogasanlagen weitgehend auf den
Zwischen- und Zweitfruchtanbau zu konzentrieren hat, wirken sich auf den weniger
ertragreichen Flächen die hohen Produktionskosten negativ aus. Insgesamt werden daher nur
verhältnismäßig wenige Flächen der Verwertung in Biogasanlagen dienen. Dagegen werden
Raps und Mais besonders für die Biokraftstofferzeugung weiterhin relevante Bedeutung als
Nachwachsende Rohstoffe aufweisen, wobei die energetische Verwertung auf überregionaler
Ebene (Weltagrarmarkt) erfolgt und nicht direkt der dezentralen Energieversorgung zugeführt
wird.
Dieses Szenario macht deutlich, dass auf den weniger produktiven Standorten die agrarische
Weiterbewirtschaftung von öffentlichen Zahlungen abhängt. Abseits der je nach Standort
konträren Entwicklungen wird sich weiterhin der Flächenverbrauch als ein die Landschaft
prägender Prozess fortführen und die landwirtschaftlich genutzte Fläche weiter dezimieren.
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 153
Karte 30: Entwicklung der Erneuerbaren Energien und der landwirtschaftlichen Nutzungsintensität nach dem Extremszenario der agroindustriellen
Landwirtschaft mit der Lage des Querschnitts in Abbildung 33
Szenarien einer zukünftigen Agrarnutzung 154
Abb. 34: Querschnitt durch die Gemeinden Bad Sassendorf und Möhnesee. Querschnittsverlauf siehe Karte 31
Managementstrategie 157
6 Managementstrategie
Mit den Direktzahlungen werden die hohen sozialen und ökologischen Standards der
europäischen Landwirtschaft finanziell honoriert, um die EU-Landwirte aus ökonomischer
Sicht wettbewerbsfähig aufzustellen. Diese finanzielle Unterstützung wird in Deutschland in
der aktuellen Förderperiode bis 2013 auf einen bundeslandweit einheitlichen Wert
ausgerichtet, der bei der Einhaltung der Cross Compliance-Vereinbarungen ausgezahlt wird.
Ab 2013 werden aller Voraussicht nach diese Direktzahlungen vermindert werden. Die
Zahlungen für die zweite Säule konnten in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut
werden und werden auch in den nächsten Jahren weiter ausgedehnt werden. Die zweite Säule
umfasst die freiwilligen und primär auf ökologische Aspekte ausgerichteten Maßnahmen zur
Entwicklung des ländlichen Raumes, die sich explizit auf die Leistungen abseits der
landwirtschaftlichen Produktion konzentrieren. Mit dem in den vergangenen Jahren
eingeschlagenen Weg der verstärkten Umwidmung der Mittelzuwendungen von der ersten in
die zweite Säule hat die Landwirtschaft als öffentliches Gut und als multifunktional
agierender Wirtschaftszweig an Akzeptanz gewonnen. Zukünftig wird sich der relative Anteil
der zweiten Säule am GAP-Budget weiter erhöhen.
Zahlungen für die Landbewirtschafter zur Erfüllung gesellschaftlich erwünschter Ziele, wie
die langfristig erhaltende Kulturlandschaftsentwicklung, werden mit dem sich zunehmend
liberalisierenden Weltagrarmarkt und den verminderten Direktzahlungen zwingend
erforderlich sein. Die Zahlungen werden dabei auf immer mehr Flächen nötig werden, da sich
nur die Landwirte in den Gunsträumen bei verminderten bzw. wegfallenden
Managementstrategie 160
Die Einführung und Etablierung einer auf der Erhaltung von Kulturlandschaften
ausgerichteten Managementstrategie berücksichtigt im Speziellen den gesellschaftlichen Wert
und die gesellschaftliche Bedeutung von regional verschieden ausgeprägten
Kulturlandschaften, so dass ein eigenständiger Bereich außerhalb der GAP erforderlich ist,
um der Bedeutung und dem Wert der Kulturlandschaften gerecht zu werden. Die
Managementstrategie „Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ wird abseits der primär auf
ökologische Aspekte ausgerichteten zweiten Säule der GAP, die weiter an Bedeutung
gewinnen wird, den flächenhaften Schutz der Kulturlandschaften in den Vordergrund stellen.
Mit der Managementstrategie „Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ können je nach lokalen
Standortvoraussetzungen differenzierte Maßnahmen durchgeführt werden. In der agrarisch
geprägten Kulturlandschaft der Hellwegbörde ist wie bei den zuvor entwickelten Szenarien
die Gliederung in Gunst- und Ungunsträume eine an die agrarischen Standortvoraussetzungen
angepasste Unterteilung (s. Karte 14). Je nach Standortvoraussetzung sind zur erhaltenden
Kulturlandschaftsentwicklung differenzierte Maßnahmen erforderlich. In der Hellwegbörde
liefern die in Karte 14 aufgrund der naturräumlichen Verhältnisse abgegrenzten Gunst- und
Ungunsträume im Kreis Soest zwei zu unterscheidende Maßnahmenräume für die
Managementstrategie „Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ (s. Abb. 37). In anderen
Kulturlandschaften sind entsprechend den gegebenen Standortvoraussetzungen ebenfalls
landwirtschaftlich privilegierte und benachteiligte Bereiche abzugrenzen. Diese
Managementstrategie berücksichtigt nur die zuvor erarbeiteten Entwicklungsrichtungen der
agrarischen Nutzungsintensität in der Hellwegbörde, wohingegen in anderen
Kulturlandschaften andere Managementstrategien erforderlich seien können. Dies ist
insbesondere in großräumig benachteiligten Gebieten der Fall, wo sich die Landwirtschaft im
Zuge des sich liberalisierenden Agrarmarktes aus rein wirtschaftlichen Gründen zukünftig
weiträumig zurückziehen wird. In den Gunsträumen der Hellwegbörde wird die
landschaftliche Grundstruktur zukünftig mit der Intensivlandwirtschaft erhalten bleiben,
wobei hier ökologische Aspekte – besonders unter Berücksichtigung des europäischen
Vogelschutzgebietes Hellwegbörde – Relevanz aufweisen. Mit der 2008 erfolgten Aufhebung
der Stilllegungsverpflichtung (10 % der LF) fielen die extensiv genutzten und somit
ökologisch wertvollen Flächen als Inseln innerhalb des ansonsten intensiv genutzten
Managementstrategie 161
Gunstraumes weitgehend weg. Folglich ist auch der Individuenschutz innerhalb des
Vogelschutzgebietes Hellwegbörde deutlich erschwert worden, da sich mit der flächenhaften
Intensivnutzung die Lebensbedingungen für die in der Hellwegbörde lebenden
Offenlandarten, wie Wiesenweihe und Wachtelkönig, verschlechtert haben. Im Zuge der
Managementstrategie ist in den Gunsträumen eine Verpflichtung an die Landbewirtschafter
notwendig, die eine ökologische Landnutzung auf einem gewissen Ackerflächenanteil
erforderlich macht. In den Bereichen der Intensivlandwirtschaft innerhalb der Hellwegbörde
ist ein relativer Anteil von fünf bis zehn Prozentpunkten von so genannten „ökologischen
Ausgleichsflächen“ sinnvoll, die jeder Landwirt nach gewissen Kriterien bewirtschaften muss.
Mit einem Flächenanteil von einem Zehntel bis einem Zwanzigstel an der
landwirtschaftlichen Nutzfläche gehen die ökologisch wertvollen Maßnahmen deutlich über
den relativen Anteilen des aktuell betriebenen Vertragsnaturschutzes hinaus (s. Kap. 5.1.4.1,
Naturschutz). Dabei sollte in den variabel zu gestaltenden „ökologischen Ausgleichsflächen“
die ackerbauliche Bewirtschaftung derart erfolgen, dass die Ernteprodukte vermarktet werden
können, aber die Landnutzung sich an extensive Nutzungsstrukturen und ökologischen
Interessen orientiert. Hierzu bieten sich in der Hellwegbörde an die Bedürfnisse des
Vogelschutzes orientierte Maßnahmen an, wozu spezielle Kulturarten, der Verzicht auf die
Bearbeitung in speziellen Zeiträumen, der Verzicht oder die Minimierung des Einsatzes von
Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, etc. zählen. Somit können die bereits bestehenden
Maßnahmen im Rahmen der zweiten Säule und der „Vereinbarung Hellwegbörde“ erweitert
werden. Da sich die Managementstrategie „Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ besonders
auf landschaftsrelevante Aspekte bezieht, ist im Gunstraum der Hellwegbörde die notwendige
Einflussnahme geringer als in den weniger begünstigten Gebieten. Abseits der zweiten Säule
und den Maßnahmen der „Vereinbarung Hellwegbörde“ liefert die Einführung von so
genannten „ökologischen Ausgleichsflächen“ in den intensiv genutzten Bereichen ein
weiteres Standbein der Beachtung ökologischer Aspekte. Das Hauptaugenmerk der
Managementstrategie innerhalb der Hellwegbörde ist jedoch auf die weniger ertragreichen
Standorte in der westlichen Unterbörde, der Lippeniederung, den Schledden, der östlichen
Oberbörde und dem östlichen Haarstrang zu richten. Ohne finanzielle Unterstützungen der
Landbewirtschafter ist die Nutzungsaufgabe eine unter rein liberal-wirtschaftlichen Kriterien
zu erwartende Entwicklungsrichtung (s. Kap. 5.2.3, Agroindustrielle Landwirtschaft).
Folglich würden sich diese ertragsschwächeren Bereiche bei Reduktion bzw. Einstellung der
finanziellen Unterstützung als Folge der Nutzungsaufgabe zu Wäldern entwickeln, so dass
sich das typische Erscheinungsbild der landwirtschaftlich geprägten, offenen Agrarlandschaft
deutlich verändern würde. Aufgrund dieser Entwicklungsmöglichkeit ist die
Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Flächennutzung von öffentlichen Zuzahlungen an
die Landwirte abhängig. Mithilfe von Maßnahmen in der Managementstrategie
„Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ kann in den weniger produktiven Bereichen der
Hellwegbörde das Landschaftsbild erhalten werden, wobei nachhaltige Aspekte zu
berücksichtigen sind. Die Landwirte erhalten im Rahmen der Managementstrategie
Managementstrategie 162
In Zukunft wird die Verfolgung gesellschaftlich erwünschter Ziele, wie der erhaltenden und
nachhaltigen Entwicklung und Pflege von Kulturlandschaften, von der Gesellschaft finanziert
werden müssen. Die Kulturlandschaftspflege kann im Zuge der sich weiter technisierenden
Landwirtschaft und des sich zusehends liberalisierenden Agrarmarktes nicht weiter als
kostenlos anfallendes Beiprodukt der agrarischen Tätigkeit angesehen werden. Auf dem freien
Weltagrarmarkt sind nur wenige Gunsträume in Deutschland im globalen Maßstab
konkurrenzfähig, wozu auch die Gunsträume innerhalb der Hellwegbörde zu zählen sind.
Hingegen sind auf vielen heute noch landwirtschaftlich genutzten Flächen die öffentlichen
Zuzahlungen im Rahmen der GAP ein entscheidendes Standbein der andauernden
Landbewirtschaftung. Mit den zukünftig sich verringernden GAP-Zahlungen müssen diese
Mindereinnahmen durch andere Zahlungen kompensiert werden, um die Kulturlandschaften
in den typischen Ausprägungen und Besonderheiten erhalten zu können. Hierzu bietet sich die
Einführung eines gesonderten Managementkonzeptes, dem „Gemeinschaftswohl
Kulturlandschaft“, an. Mit dem Managementkonzept sind je nach Kulturlandschaft
differenzierte Maßnahmenpakete erforderlich, so dass beispielsweise in den Gebirgslagen
andere Aspekte beachtet werden müssen als in der Hellwegbörde. Die in den vergangenen
Jahren zunehmend in der Öffentlichkeit anerkannte Bedeutung von intakten
Kulturlandschaften wird in den kommenden Jahren weiter fortschreiten. Die
Multifunktionalität der Landwirtschaft liefert weit über die eigentliche Bereitstellung von
Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Energie (Produktionslandwirtschaft) hinausgehende
Wohlfahrtseffekte. Die für die Umsetzung nötigen Geldmittel für das „Gemeinschaftswohl
Kulturlandschaft“ sind aus verschiedenen Quellen zu generieren und auf regionaler Ebene
entsprechend der Bedürfnisse zu verteilen. Neben europäischen, Bundes- und Landesmitteln
für die Managementstrategie ist auf regionaler Ebene der Fördertopf durch verschiedene
Einnahmequellen zu erhöhen. Dazu bieten sich Zahlungen an, die erforderlich werden, wenn
Freiflächen in andere Nutzungen – Wohnsiedlungen, Verkehrsinfrastruktureinrichtungen,
Industrie- und Gewerbeanlagen sowie Steinbrüche – überführt werden. Die betreffenden
Kommunen müssen bei der Ausweisung und Genehmigung der Flächenumwidmung
zugunsten der obigen Nutzungsansprüche ebenso Zahlungen an das „Gemeinschaftswohl
Kulturlandschaft“ entrichten wie diejenigen, die sich auf diesen Flächen niederlassen
(Privatpersonen, Firmen, etc.). Durch die Etablierung eines solchen Zahlungsapparates kann
das Grundkontingent der Zahlungen von europäischer, bundesdeutscher und bundeslandweiter
Ebene entsprechend erweitert werden. Gleichzeitig würden diese zusätzlich zu erbringenden
Geldmittel den übermäßigen Flächenverbrauch eindämmen können, während andererseits die
Errichtung neuer Wohn- und Industriegebäude innerhalb der geschlossenen Bebauung mit
finanziellen Anreizen gefördert werden sollte. Mit derart ausgerichteten Regelungen würde
der kontinuierliche Flächenverbrauch reduziert werden können. Der Aufbau des Fördertopfes
Managementstrategie 163
Abb. 36: Allgemeiner Aufbau der Managementstrategie „Gemeinschaftswohl Kulturlandschaft“ für landwirtschaftlich geprägte Kulturlandschaften
Eigene Abbildung
Managementstrategie 165
7 Fotoserie
Foto 1: Agrarischer Gunstraum zwischen Altengeseke und Klieve im Nordwesten der Gemeinde
Anröchte inmitten der zentralen Hellwegbörde. Blickrichtung: Nordosten
Foto 3: Agrarischer Gunstraum zwischen Lohne und Enkesen im Klei östlich von Soest in der
Gemeinde Bad Sassendorf. Blickrichtung: Osten
Foto 6: Agrarischer Ungunstraum einer Schledde westlich von Altenmellrich im Südwesten der
Gemeinde Anröchte. Blickrichtung: Norden
Fotoserie 170
Foto 9: Biogasanlage am Stüttingshof östlich von Bittingen auf der Haar (Gemeinde Ense).
Blickrichtung: Westen
Foto 10: Großer Windpark auf der östlichen Haar zwischen Uelde, Effeln und Drewer auf dem
Gebiet der Gemeinde Anröchte und den Städten Warstein und Rüthen. Blickrichtung: Westen
Fotoserie 172
Foto 11: Größenvergleich von Windrädern mit anderen vertikalen Strukturen (Gebäude,
Bäume und Wegekreuz inmitten der Feldflur neben der Birke). Blickrichtung: Südosten
Foto 12: Kleiner Windpark an der Grenze zwischen Bad Sassendorf und Erwitte. Blickrichtung:
Südwesten
Zusammenfassung 173
8 Zusammenfassung
Die Hellwegbörde ist aufgrund der günstigen standörtlichen Voraussetzungen geprägt von
einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung. Der Kernbereich der Hellwegbörde ist neben
28 anderen Landschaftsräumen in Nordrhein-Westfalen von den Landschaftsverbänden
Westfalen und Rheinland als landesbedeutsam deklariert worden. Mit dieser
bundeslandweiten Untersuchung der Kulturlandschaften wird der Bedeutung und dem Wert
von regional differenzierten Kulturlandschaften in besonderem Maße Rechnung getragen.
Wenngleich die Bedeutung von Kulturlandschaften in der vergangenen Jahren zunehmend in
der Öffentlichkeit an Akzeptanz gewonnen hat, werden Kulturlandschaften in den
Gesetzestexten bisher zumeist nur beiläufig erwähnt. Die Schwierigkeit des Schutzes und
Erhaltes von regional verschieden ausgeprägten Kulturlandschaften liegt dabei in den sich
uniformierenden Entwicklungen, so dass eine an ökologischen, ökonomischen und
soziokulturellen Nachhaltigkeitskriterien orientierte erhaltende Kulturlandschaftsentwicklung
verfolgt werden sollte.
Die Landwirtschaft stellt infolge der großen Flächenanteile für die Kulturlandschaften eine
äußerst bedeutende Komponente dar. Die agrarische Flächennutzung charakterisiert teilweise
ganze Landschaften, wie zum Beispiel die Kulturlandschaft Hellwegbörde. Somit wirken sich
Veränderungen in der Landwirtschaft, welche im Zuge des sich industrialisierenden und
technisierenden Agrarsektors immer größere Ausmaße einnehmen, unmittelbar auf das
Landschaftsbild aus. Besonders die Schlaggrößen, Betriebsgrößen und Anbaukulturen
charakterisieren das Landschaftsbild in agrarisch geprägten Kulturlandschaften. Diese
Komponenten werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten besonders von den
Faktoren Klimawandel, Agrarmarkt, Agrarpolitik, Erneuerbare Energien, Naturschutz und
Flächenverbrauch beeinflusst.
Mit dem anthropogen verursachten Klimawandel werden die Kulturpflanzen und Nutztiere
besonders von einer veränderten Zusammensetzung der bodennahen Atmosphäre, einer
höheren Durchschnittstemperatur, einem differenzierten Wasserangebot und Wetterextremen
betroffen sein. Je nach Anbaukultur wirken sich die atmosphärischen Veränderungen
unterschiedlich aus. Während die C4-Pflanzen von einer wärmeren Atmosphäre profitieren
werden, sind die Auswirkungen bei den C3-Pflanzen differenzierter zu betrachten. Für die
Zusammenfassung 174
Nach dem jahrzehntelangen Trend sinkender Weltagrarmarktpreise ist seit wenigen Jahren ein
Aufwärtstrend erkennbar, welcher aufgrund des sich ändernden Verhältnisses zwischen
Angebot und Nachfrage in der Tendenz erhalten bleiben wird. In diesen langfristigen Trend
steigender Agrarmarktpreise werden kurzfristige Schwankungen nach oben und unten große
Ausmaße einnehmen. Der Agrarmarkt innerhalb der EU wurde in den vergangenen
Jahrzehnten sehr stark durch politische Eingriffe manipuliert. Die weitgehende Abschottung
der europäischen Agrarmarktpreise vom Weltmarkt wird seit einigen Jahren zunehmend
abgebaut und somit die europäische Landwirtschaft an den freien Markt angenähert. Während
die marktpolitischen Stützungen sukzessive abgebaut werden, erhalten die Landwirte für die
hohen sozialen und ökologischen Standards mittlerweile Direktzahlungen sowie für
freiwillige Maßnahmen im Rahmen der ländlichen Entwicklungspolitik (Zweite Säule der
Gemeinsamen Agrarpolitik) Zahlungen. In Zukunft werden die Direktzahlungen und die
Zahlungen im Zusammenhang mit der zweiten Säule die Stützpfeiler der Gemeinsamen
Agrarpolitik bilden, wobei der gesamte Zahlungsumfang reduziert werden wird, die relativen
Anteile der Direktzahlungen ab- und die der zweiten Säule zunehmen werden. Aufgrund
dieser Entwicklungstendenzen auf dem Agrarmarkt und in der Agrarpolitik ist davon
auszugehen, dass sich die Landbewirtschaftung auf den Gunststandorten der Hellwegbörde
unabhängig von den öffentlichen Zahlungen auf den Weltagrarmarkt ausrichten wird.
Hingegen ist auf den weniger produktiven Standorten (Pseudogley-Böden der westlichen
Unterbörde, Lippeniederung, Pseudogley- und Rendzina-Böden der östlichen Oberbörde und
teilweise des Haarstrangs, Schledden) mit einer extensiveren Landnutzung zu rechnen, wobei
die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik eine wichtige Rolle spielen wird.
Von den Erneuerbaren Energien sind die Wind- und Bioenergiebranche die wichtigsten
Sektoren innerhalb der Hellwegbörde. Die Hellwegbörde stellt zusammen mit der östlich
anschließenden Paderborner Hochfläche das wichtigste Windenergiegebiet Westfalens dar. Im
Kreis Soest befinden sich zurzeit etwa 270 Windkraftanlagen, die in Bezug auf das
Landschaftsbild eine große Bedeutung aufweisen. In den kommenden Jahren wird das
Repowering – also der Austausch alter Anlagen durch leistungsstarke und moderne
Neuanlagen –, was mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz finanziell gefördert wird, in
verstärktem Maße einsetzen. Folglich wird sich in den kommenden Jahrzehnten die Anzahl
der Windkraftanlagen in der Hellwegbörde reduzieren und dabei besonders auf die
windstarken Standorte in der Oberbörde und auf dem Haarstrang konzentrieren. Die
Bioenergie hat neben den technischen Anlagen, wie den Biogasanlagen, direkte
Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Anbaukulturen. Raps und Mais stellen die
Zusammenfassung 175
Neben dem Klimawandel, dem Agrarmarkt und der Agrarpolitik sowie den Erneuerbaren
Energien spielen auch die Naturschutzaspekte und die Flächennutzungsumwidmung eine
große Bedeutung für das Erscheinungsbild landwirtschaftlich geprägter Kulturlandschaften.
Neben den Natur- und Landschaftsschutzgebieten wird mit NATURA 2000 ein europäisches
Schutzgebietsnetz aus FFH- und Vogelschutzgebieten aufgebaut. In der Hellwegbörde
befinden sich einige, zumeist kleinräumige FFH-Gebiete (Fließgewässer, Wälder). Große
Teile der Hellwegbörde wurden als Vogelschutzgebiet anerkannt. Im Vogelschutzgebiet
Hellwegbörde wurde mit der „Vereinbarung Hellwegbörde“ neben dem Individuenschutz
bedeutender Vogelarten auch der Lebensraumschutz als wichtiges Ziel deklariert.
Kleinflächig wird von Landwirten eine an ornithologische Zielsetzungen orientierte
Landbewirtschaftung im Rahmen dieser Vereinbarung durchgeführt. Daneben bieten die in
der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik verankerten Agrarumweltmaßnahmen
verschiedene Möglichkeiten der Landnutzung zur Erreichung naturschutzfachlicher Ziele.
Diese Maßnahmen der Landwirte im Rahmen der „Vereinbarung Hellwegbörde“ und der
Agrarumweltmaßnahmen (Vertragsnaturschutz) führen kleinflächig zu verbesserten
Lebensraumbedingungen, jedoch reichen die in der Hellwegbörde abgeschlossenen Verträge
nicht aus, um landschaftsrelevante Bedeutung zu erlangen.
Die durch die agrarische Nutzung geprägte Hellwegbörde verliert kontinuierlich durch
Baumaßnahmen an landwirtschaftlicher Nutzfläche, so dass das charakteristische
Erscheinungsbild der Kulturlandschaft fortwährend verändert wird. Dieses Problem des
schleichenden, aber dauerhaft ablaufenden Flächenverbrauches stellt eine große Bedrohung
für die regional gewachsenen Kulturlandschaften dar.
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http://www.zmp.de/info/Jahresbericht.pdf. Abruf: 14. Januar 2009.
Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich diese Arbeit selbstständig und nur mit den
angegebenen Hilfsmitteln und Hilfeleistungen angefertigt habe. Aus fremden Quellen direkt
oder indirekt übernommene Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und noch nicht
veröffentlicht.