Sie sind auf Seite 1von 12
202 Das Satra des sechstén Patriarchen BUDDHISTISCHE STUDIEN DAS SUTRA DES SECHSTEN PATRIARCHEN OBERSETZT VON ERWIN ROUSSELLE, VORBEMERKUNG Mit dem VI. Kapitel schlieft die systematische Darlegung der Lehre des sechsten Patri- archen. Die abrigen vier Kapitel bringen Evginzungen (Gesprache, Schule der plétzlichen oder allmablichen Erleuchtung, Kaiserliche Anerkennung, Worte des Sterbenden). — Die Lehre von der ,,Plotzlichkeit der Erleuchtung, die den ganzen mihsamen Heilspfad innerer Reifung durch’ den Einbruch des Transzendenten ins Bewufitsein tberflissig macht, ver- Andert naturgemaS auch die Stellung zum Ethischen. An Stelle der mihevollen Selbstzucht und der BuSe und Beichto tritt die formlose reuige Besserung eines kurzen Entschlusses. Uber diese verinderte Anffassung des alten buddhistischen Heilspfades und der Beichtfeier spricht der Patriarch im ersten Teil der Rede des VI. Kapitels. Wie stark in der Grundein- stellung Gedanken des chinesischen Dauismus tber die Lehre des Buddha hinweggehen, mag auch noch daraus ersehen werden, daB nicht nur die vier Stufen des Heilspfades — Zucht, Versenkung, Schau, Exlésung — als gleichzeitig geschaut werden, sondern daB eine finkte Stufe hinzutritt: die Schau des erlésten Verstehens. Hierfir kann sich der Patriarch aller- dings uberhaupt nicht mehr auf buddhistische Vorbilder berufen, sondern mu} Lau-dst und Dschuang-dsi zitieren! Diesen Zustand der Vollendung trotz (oder nach) der Exlisung schildert er mit den Worten ,,seinen Glanz sinftigon“ und ,,sich der Dinge annehmen‘, also eine voll- kommene Wendung (oder Riickkehr) des Erlsten zu den Aufgaben des Alltags. Mit dieser Kronung des buddhistischen Heilspfades durch den dauistischen SchluB in einer fiinften Stufe seblieft sich der Kreis. — Hierauf aufbauend hat dbrigens spater der 10. Patriarch Liang-Gié vom Dung-schan (Grottenberg) — 807 bis 869 n. Chr. —- die berihmten finf Stufen gelehrt, die sich ginzlich von der buddhistischen Formel befreien, und dabei den Hobepunkt in dio Mitte, auf die dritte Stufe, zurtickverlest, so daB er nur drei aufstelgende hat, statt vier. Auf die dritte — die Ubergegensitzliche — folgen dann zwei absteigende. Die funfte, Ruckkehr zum Staube des Alltags und seinen Pflichten, wurde von ihm als »Riekkehr zu den Kohlen“ bezeichnet. igiésen Pantheismus der Meditationssekte wird auch die altbuddhistische Zufluchtsformel subjektiv-idealistisch umgedeutet, desgleichen das Trinitatsdogma der buddhistischen Scholastik. Kapitel VI REUIGE BESSERUNG Der Patriarch sah einmal, wie Gelehrte und Volk von Kanton, Schau-dschou und verschiedenen anderen Plitzen sich im Bergkloster versammelten, um die Lehre* zu héren, da bestieg er den Thronsitz, kiindete der Menge und sprach: »,.Kommt, ihr Wohlverstiindigen! Solches Verhalten muB in unserer eigenen Natur emporsteigen. Zu allen Zeiten und bei jedwedem Gedanken muB man seinen Geist in sich selbst reinigen, muf man seinen Wandel selbst ordnen, muf den eigenen Dharma-Leib erschauen und den Buddha des eigenen Geistes schauen. Selbsterlésung und Selbstzucht beginnen so erlangt zu werden, und es ist nicht Voraussetzung, hierher zu kommen. 33a dharma, ‘Ubersetat von Erwin Roustelle 203 L. Da ibr jedoch von weither gekommen seid und euch hier versammelt habt — wir alle haben miteinander einen urséichlichen Zusammenhang! —, so mége jetzt ein jeglicher von ouch in indischer Weise niederknien, und ich werde euch zunachst den fanffachen Dharma-Leib'-Weihrauch der eigenen Natur berliefern, Sodann will ich euch die formlose? reuige Besserung lehren.* ‘Die Menge kniete in indischer Weise nieder, und der Lehrer sprach: \,Der erste ist der Weihrauch der Zucht®, das ist: In euerom eigenen Gejet ist kein Fehler, kein Bases, keine Eifersucht, keine Gier, keine Gewalt tiitigkeit. Das heiBt: Weihrauch der Zucht. Der zweite ist der Weihrauch der Versenkung’, das ist: Bei Betrachtung der Objekte und Erscheinungen von Gut und Bése wird der eigene Geist nicht verwirrt, Das heiBt: Weihrauch der Versenkung. Der dritte ist der Weihrauch der Schau’. Der eigene Geist sei ohne Hindernisse, so schant er stindig die eigene Natur vermittels der Weisheits- erkenntnis und betatigt nichts Béses, und wenn er auch alles Gute pflegt, so haftet der Geist nicht daran. Ehret die Hohen, gedenket freundlich der Niedrigen, erbarmt euch der Armseligen! Das heiBts Weihrauch der Erkenntnis. ‘Der vierte ist der Weihrauch der Erlésung’, das heiBe: Euer eigener Geist hat nichts, woran er sich klammert, Er denkt weder das Gute noch denkt er das Schlechte, Frei ist er und ohne Bebinderungen. Das heift: Der Weihrauch der Erlésung. Der fiinfte ist der Weihrauch des erlésten Verstehens: Sobald der cigene Geist nicht mehr die Anklammerung an Gut und Base hat, so darf er nicht ins Leere versinken oder untitig bleiben, sondern muf breit lernen und Viel héren, um den eigenen urspringlichen Geist zu erkennen und die Wahrheit der Buddhas 2u durebdringen. Er ,sinftigt seinen Glanz® und ,nimmt sich der Dinge an™ ohne (Unterscheidung von) ,Ich‘ und ,Anderen‘. Unmittelbar erreicht er die Bodhi Tm dor Tyinitatatohre des Mahayana ist dor Dharmalsib dio metaphysische Gestalt des Buddha, ecin Vor~ qrtuarle oder Let gemcinsamer Woune dor Korpes der Bodbisattvas, sein Erscheinungaleb alo Weton; in den Sfpecon angen odo Puen dc einen etaphymachen Dua, ade alles erongo und lle aaa ener eistant. Dis tigene Natur (eas svabhiva) des Monschen ist, wit im Dauistau, im Grande identisch mit Cane er hund, Tt dies Hashait schauend erobt (nicht ungewoll), 0 it auch die Erosthet ds. Nach der Medi- der yeefout dus Absolute jensite dor Gegensatze von Verblendsiag und Esleuchtung, Der Mensch mul diesen Jere eet etiangon, indemer eth von der Verbisadung dutch Selbstorkenntnis, db. durch Erkenntns seiner abvaluten Buddhsnatar, erst. Ponies, db, trnszendnt, 2 Sale, State dos Hoilspfades im altoren Buddhivmus). 418. cama @, Stu). = raja 2, Stat) ¢ Sa. nlc Stu). iat me cas Daiedt-ging 50: ,Wissender rode nicht, Redender weil nicht. Br (dor Wissondo) sche coin ee ta hale seine Diosten sa. Er stumpft sce Sehise, enbwiat seine Knoten, einftigt soinen Cie Ue nem Staube, Das huidt dic gohennnisvolle Geminschat.” Das glicho wird vom Dau gesagt (Rag yn stamp wine Seis. shat tig rezgen Clana in oh on Sis hid ets Duchenne 1D. Dash V in der Geschichte vom Buckligen. Aut die Frag, was es Dedente, dal die ect ns enntenvollendet yarn, angwoveet dart Ronfaris: od und Leben, Eehaltang und Veral, Sete cee alg, Armut und Iichtum, Wordigket und Unwardgieit,Tadel und Lab, Hangor und Durst Kalle und Hitz, das nd die Wandlungea der Umetinde, der Laut des i 204 Das Siitra des sechsten Patriarchen (Erleuchtung), und seine wahre Natur kennt keinen Wechsel. Das heiBt: Weih- rauch des erlésten Verstehens. — — Wohlverstindige! Diese Arten Weihrauch mégen im Innern eines jeden emporsteigen! Sucht sie nicht drau8en! Nun will ich euch die formlose reuige Besserung® lehren, um die Sinden der drei Zeiten (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) auszutilgen und die Reinheit der drei Betditigangen (Leib, Wort, Geist) zu erlangen. Wohlverstindige! Jeglicher folge meinen Worten und spreche zu gleicher Zeit: ;Von unseren, der Schiller, fritheren Gedanken, jetzigen Gedanken, kiinftigen Gedanken, sei gar kein Gedanke von térichter Verblendung gefarbt. Wenn es vormals Taten gegeben hat, nimlich térichte Verblendung und andere Sinden, so seien sie siimtlich bereut und gebessert. Magen sie alle auf einmal ausgeldscht sein und niemals wieder hervorgerufen werden! Von unseren, der Schiller, fritheren Gedanken, jetzigen Gedanken, kiinftigen Gedanken sei gar kein Gedanke von liignerischem Trug gefirbt, Wenn es yormals schlechte Taten gegeben hat, nimlich lignerischen Trug und andere Siinden, so seien sie simtlich bereut. und gebessert. Magen sie alle auf einmal ausgeldscht sein und niemals wieder hervorgerufen werden! Von unseren, der Schiller, friiheren Gedanken, jetzigen Gedanken, kitnftigen Gedanken sei gar kein Gedanke von neidischer Eifersucht gefarbt, Und wenn es friher schlechte Taten gegeben hat, namlich neidische Eifersucht und andere Sinden, so seien sie ganzlich bereut und gebessert. Mégen sie alle auf einmal ausgeloscht sein und niemals wieder hervorgerufen werden!* Wohlverstindige! Das oben Gesagte stellt die formlose Reue und Besserung dar. Was heiBt ,JReue'? was heift ,Besserung*? Reue ist: semen frilheren Fehler bereuen, (ndmlich) alles, was vormals vorhanden war an bésen Taten, wie tarichte Verblendung, lignerischer Trug, neidische Eifersucht und andere Siinden, wird villig bereut, niemals wird es wieder hervorgerufen! Das bezeichnet man als Reue. Besserung ist: seine kinftigen Fehler bessern, (nimlich) alles, was von jetzt ab spiter an schlechten Taten sein mag, wie térichte Verblendung, liignerischer Trug, neidische Eifersucht und andere Sinden, ist jetzt ganzlich erkannt und wird fir immer abgeschnitten und nicht mehr hervorgerufen. Das bezeichnet man als Besserung. Daher die Bezeichnung: reuige Besserung. Der gewohnliche Mensch in seiner Verblendung versteht zwar seine friiheren Vergehen zu bereuen, aber er versteht nicht, seine kiinftigen Fehler zu bessern. Weil er sich nun nicht bessert, so erléschen die fritheren Sinden nicht, ander vor uns, aber kein Erkennen vermag ihren Ursprung ru ermossen. Darumn sind sie nicht wert, unser Gleich- gewicht zu stdren, und dinfon nicht in das Schatzhaus des Geistes cindvingen. Lat man dioses Gleichgewicht alles durchdringon, ohne an Heiterkeit 2u verlieren, list man Tag und Nacht keine Unterbrochung eintreten, so da man den Dingen ‘gegeniiber Frithlingsmilde zeigt, das ist das Sichannehmen, was die Jahreszeit heevorbringt in inserem Geist. Das ist es, was man die ,Vollendung der nonnt.“" eee yfouie® Besserung’ in der buddhistischon Liturgi sonst dio Bezeichnung fur den Ritus der gemefnsamen loichtfeien. Settee keh Be SINICA JG. XI. 1986 TAFELAT ‘Uhersotzt von Erwin Rousselle 205 und kinftige Fehler entstehen wiederum. Da nun die friheren Siinden nicht erléschen und die spiiteren Fehler wiederum entstehen — was heift da: ceuige Besserung ? 1. Wohlverstindige! Da ihr nun Reue und Besserung habt, so will ich mit, euch Wohlverstindigen die vier groBen Gelibde® ablegen. Ein jeder (von euch) hire aufmerksam und richtig zu: 1. Alle lebenden Wesen in unserem eigenen Geist” sind grenzenlos — ich gelobe, sie zu erldsen. 2. Die Tribungen’ im eigenen Geist sind grenzenlos, ich gelobe sie ab- ruschneiden. 3, Die Tore zur Wahrheit! im eigenen Geist sind unerschépflich. Ich selobe sie zu lernen, 4, Die uniibersteigbare Erleuchtetheit der Buddhas* in der eigenen Natur zelobe ich zu verwirklichen. Wohlverstindige! Habt ihr nicht gesagt: Alle lebenden Wesen sind grenzen- los, ich gelobe, sie zu erlésen ? Was besagt das? Das soll doch nicht etwa heifen, ich, Hui Neng, soll sie erlésen ? (Nein!) Wohlverstindige! Alle Lebewesen in unserem Geiste, ndmlich der so- genannte falsche und tarichte Geist, der trigerische Geist, der bise Geist, der neidische und eiferstichtige Geist, der Geist der bésen Gifte® und andere der- artige Geister, das sind simtlich: die Lebenden Wesen. Jedweder muB8 in der eigenen Natur sich selbst erlésen. Das heiBt die Wahre Erlésung. Was heiBt: Selbsterlésung in der eigenen Natur? Das heift: Da im eigenen Geiste falsche Ansicht, Erdenstaub und Unwissenheit sind, so wollen alle Lebewesen Erlésung durch rechte Ansicht, und wenn sie die rechte Ansicht haben, so benutzen sie die Weisheit der Schau", um Unwissenheit und Ver- blendung zu zerbrechen. Die einzelnen Lebewesen erlésen sich selbst. Kommt Verkehrtheit auf, werden sie durch das Richtige erlést. Kommt Verblendung auf, werden sie durch Erwachen erlést, kommt Bosheit auf, werden sie durch das Gute erldst. Solche Er- lésung wird als die echte Erldsung bezeichnet. Zweitens: bei den endlosen Triibungen, die man gelobt abzuscheiden, benutze man die Weisheit der Schau der eigenen Natur, um so von dem Geist Jer Nichtigkeit. und Falschheit freizuwerden. ® Die vier grofen Geldbde, mit denon der Wille, cin Bodhisattva 2u sein, sich kundtut, Der Inhalt der Bodbi- fattva-Gelabde wechselt in den einzelnen Sehulon nach Zahl und Art. ® Auch die Lebowefen sind nur Essehsinungon unseres BewuBtssis, 4@ Sa, dharma-dvara ,,Tor zur Wahrheit", Bozeichnung fr Sekte oder Schule. © Chinosisch Dau, sa. bodbi. # Sondern sio werden selbst durch die eigene Natur orlost. « Wahn, Bogiorde, HaB. 4 Sa. prajiia,transzendente Brkenntnis, Schau, Soo i 206 Das Satra des sechsten Patriarchen Ferner: bei den unerschopflichen Toren der Wahrheit (dharma), welche man zu erlernen gelobt, mu8 man selbst die (cigene) Natur erschauen und immer den rechten Dharma tun. Das heiBt Wahres Lernen. Endlich: die uniibersteigbare Erleuchtetheit (Dau) der Buddhas, welche wir zu erlangen gelobt haben. Da man immer demitig sein kann und in wahrhaft richtiger Weise handeln, so ist man sowohl der Ver- blendung wie der Erleuchtung (als einer Befangenheit im Gegensiitz- lichen) enthoben und wird standig die Schau hervorbringen und sowohl das Wahre wie das Falsche (weil nichtmetaphysische, unwirk- liche Gegensitzlichkeit) verwerfen. Das ist die Schau der Buddha- Natur. Das ist die Verwirklichung der Exleuchtetheit der Buddhas wihrend der Worte (des Geliibdes). Gedenkt stindig, euren Wandel zu ordnen, das ist die Kraft und die Methode der Gelibde! III. Wohlverstandige! Ihr habt jetzt die vier groBen Geliibde abgelegt. Ich will euch Woblverstindige auBerdem die formlosen drei Zufluchten Iehren, Wohlverstandige! Nehmt Zuflucht zur Erleuchtung, das ist die Warde der beiden Volikommenheiten* (Verdienst und Erkenntnis)! Nehmt Zuflueht zum Richtigen, das ist die Warde der Wunschentsagung! Nehmt Zuflucht zur Reinheit, das ist die Wiirde unter der Menge. Von heute ab nennt die Erleuchtung euren Lehrer. Nehmt keine Zuflucht zu falschen Teufeln® und Ketzereien. Benutzt das Drei-Kleinod der eigenen Natur, um selbst euch den Beweis zu liefern. Ich rate euch, Wohlverstindige, Zuflucht zu nehmen zu dem Drei-Kleinod der eignen Natur. Buddha, das ist die Erleuchtung, Dharma, das ist das Richtige, die Gemeinde, das ist die Reinheit. Hat man im eignen Geiste Zuflucht genommen zur Erleuchtung, so werden Falsches und Verblendetes nicht erzeugt, man vermindert die Winsche, wird zufrieden, vermag sich von Reichtum und Lust zu trennen, — das heiBt die Warde der beiden Vollkommenheiten. Hat man im eigenen Geist Zuflucht zum Richtigen genommen, so ist man bei jeglichem Gedanken obne falsche Ansicht. Wegen des Nichthabens von falscher Ansicht und um auf einmal frei zu sein von dem Haften an (der Unter- scheidung von) anderen und sich, Hochmut und Gier — das heift die Wiirde der Wunschentsagung. Hat man im eigenen Herzen Zuflucht zur Reinheit genommen, so ist die eigene Natur von keinerlei Erdenstaub und Wunsch nach Objekten in Mit- leidenschaft gezogen — das heiBt die Wiirde unter der Menge. Wenn ihr solchen Wandel pflegt, so nehmt ihr damit Zuflucht zu euch selbst. {Die sitliche Vottkommenkeit oder Verdienst und di geistige Volkommenbeit oder transaendente Erkenntais. ‘a. mara, Ubersotzt von Erwin Rousselle 207 Gewdhnliche Menschen verstehen das nicht, vom Morgen bis zur Nacht geloben sie die drei Zufluchten (zu Buddha, dem Dharma und der Gemeinde). ‘Wenn sie sagen: , Ich nehmemeine Zuflucht zu Buddha‘, wo istdenn. der Buddha? Wenn wir den Buddha nicht sehen, wo kénnen wir denn Zuflucht suchen ? Solche Worte werden also zum Unsinn. Wohlverstindige! Betrachte und priife ein jeder sich selbst, und wendet eueren Geist nicht verkehrt an! Der Sitra-Text* spricht Klar, daB man zu dem Buddha in sich selbst Zuflucht nimmt, nicht sagt er, daS man zu einem anderen Buddha Zuflucht nimmt. Nehmen wir nicht in uns selbst zum Buddha Zuflucht, so gibt es keinen anderen Ort der Zuflucht, Nachdem wir jetzt uns selber hiertiber klar geworden sind, so soll ein jeder zum Drei-Kleinod. des eigenen Geistes Zuflucht nehmen. Im Inneren die Natur des Geistes ordnen, im AuBeren ehrerbietig gegen andere sein — das ist die Zuflucht in uns selbst! — — Woblverstandige! Da ihr bereits zum Drei-Kleinod in euch selbst Zuflucht genommen habt, so sei ein jeder aufmerksam. Ich will jetzt von den drei Leibern der einen Substanz, dem Buddha unserer eigenen Natur, sprechen und euch die drei Leiber sehen und euch der eigenen Natur bewuBt werden lassen. Sprecht mir alle nach: »Mit meinem physischen Leib nehme ich Zuflucht zu dem Buddha des reinen (und metaphysischen) Dharma-Leibes! Mit meinem physischen Leib nehme ich Zuflucht zu dem Buddha des voll- kommenen Vergeltungsleibes! Mit meinem physischen Leib nehme ich Zuflucht zu dem Buddha des myriadenfachen Verwandlungsleibes!* ‘Wohlverstiindige! Unser physischer Leib ist eine Herberge; wir kénnen nicht sagen, daB wir zu ibm Zuflucht nehmen. Aber der obige Buddha mit den drei Leibern ist mitten in unserer Wesensnatur. Alle Menschen in der Welt haben ihn gemeinsam. Ist der eigene Geist verblendet, so sieht man nicht seine innere Natur und versucht dann, drauBen den Vollendeten® der Drei Leiber zu sehen, und sieht nicht, da man in der eigenen Person den Buddha der drei Leiber hat. Hrt nun, was ich sage! Ich will euch in euerer eigenen Person den ,Buddha der drei Leiber einer Wesensnatur‘ zeigen. Dieser Buddha der drei Leiber, der aus eurer eigenen Natur hervorgeht, kann nicht von aufen erlangt werden. Was heift nun Buddha des reinen Dharmaleibes? Auch die Natur der weltlichen Menschen ist urspriinglich rein, und die zabllosen ,Trager der Erscheinungen‘ (dharma) gehen aus unserer eigenen Natur hervor. Denkt man ‘an irgendwelches schlechtes Verhalten, so bringt man schlechte Taten hervor, denkt man an irgendwelches gutes Verhalten, so bringt man gute Taten hervor. Daf so die ,Trager der Erscheinungen’ (dharma) in unserer eigenen Natur sind, ist, wie da8.der. Himmel immer rein und Sonne und @ Avatampeaka-oGtra, Kapitel vom Reinen Wandel Sa. tathagata. 208 Das Satva des sechsten Patriarchen Mond immer hell sind und doch von ziehenden Wolken verdeckt werden, so da8 es nur oben hell, unten aber dunkel ist. Wenn aber plotzlich der Wind blast und die Wolken verjagt, dann ist es oben und unten hell, und die zehntausend Erscheinungen werden simt- lich deutlich. Die Natur der weltlichen Menschen wird immer umher- getriebea, umher wie die Wolken am Himmel. Wohlverstandige! Die Erkenntnis ist wie die Sonne, die Schau ist wie der Mond. Die (transzendente) Schau der Erkenntnis ist immer hell. Wenn wir aber im AuBeren an den sinnlich erfaBbaren Gebieten haften, so wird unsere Natur durch die umherzichenden Wolken im eigenen Gedenken verdeckt und kann nicht leuchten. Wenn wir dagegen auf einen Wobilverstandigen treffen und von ihm den wahren richtigen Dharma héren, so kinnen wir Verblendung und Téuschimg vertreiben, im Inneren und AuBeren erleuchtet werden, und die zahllosen Dharmas werden sich siimtlich in unserer eigenen Wesensnatur offenbaren. Der Mensch, der die Wesensnatur erschaut hat, ist genau so. Das heift der reine Dharmaleib-Buddha. Wohlverstindige! Im eigenen Geist Zuflucht zur eigenen Wesens- natur zu nehmen, das ist die Zuflucht zum wahren Buddha. Die Zu- flucht bei sich selbst ist: in der eigenen Natur vertreiben den Geist des Schlechten, den Geist der Eifersucht, den Geist der Kriecherei, den Geist der Selbstsucht, den Geist der Falschheit, den Geist der Menschenverachtung, den Geist der Uberheblichkeit, den Geist der verkehrten Meinung, den Geist der Anmaung und alle schlechten Taten in irgendeiner Lage. Stets bei sich die eigenen Fehler sehen und nicht uber Gut oder Schlecht der anderen sprechen, das ist die Zuflucht bei sich selbst. Wer sich stets einordnet und nach allen Seiten ehrerbietig ist, der ist beim Erschauen der eigenen Wesensnaturzum durehdringenden Verstehen gekommen, und hat keine weiteren Hemmungen und Hindernisse; das ist die Zuflucht bei sich selbst. Was heiBt der vollkommene Vergeltungsleib? Gleichwie eine einzige Lampe die Finsternis von Tausenden von Jahren vertreiben kann, so vermag cine einzige Erkenntnis die Torheit von zehntausend Jahren auszuldschen. Man muf nicht uber das Vergangene griibeln, denn die Vergangenheit ist vorbei und kann nicht abgeiindert werden. Man muf aber immer an die Zu- kunft denken; seien wir daher bei jedem Gedanken ganz hell und la8t uns in uns selbst unsere urspringliche Wesensnatur erschauen! Gut und Bése sind zwar einander entgegengesetzt, aber ihre urspriingliche Natur ist nicht zweier- fears SINICA JG. Xt. 1986 TAFEL 48 ‘Ubersetzt von Erwin Rousselle 209 lei. Diese nicht-zwiespaltige Natur wird als die wirkliche Natur bezeichnet. In dieser wirklichen Natur gibt es keine Infektion von Gut und Bése; das hei®t der Buddha des vollkommenen Ver- geltungsleibes. Steigt in unserer Natur ein einziger Gedanke auf, der schlecht ist, so léscht er die guten Taten von zahllosen Weltaltern aus; steigt in unserer Natur ein einziger Gedanke auf, der gut ist, so verhindert er die Sinden, und waren sie so zahlreich wie der Sand am Ganges. DaB wir, bis wir die ,uniibersteigbare Bodhi (Erleuchtung)‘ erschauen, bei jedem Gedanken uns selbst erschauen und nicht das urspriingliche Gedenken loslassen, wird bezeichnet als Vergeltungsleib. Was heiBt der myriadenfache Verwandlungsleib? Wenn wir nicht an die zahllosen Objekte der Erkenntnis* denken, so ist unsere Wesensnatur eigentlich wie die Leerheit. Wenn wir aber irgendwie lenken und abmessen, so wird das als Verwandlung (oder Erschei- 1ung) bezeichnet. Denken wir an schlechtes Verhalten, so verwandelt sich las zur Holle. Denken wir an gutes Verhalten, so verwandelt sich das zu rimmlischen Palasten. Giftiges und Schlechtes verwandeln sich in Drachen sder Schlangen. Erbarmen verwandelt sich in einen Bodhisattva. Die Schau verwandelt sich zur Oberwelt, Verblendung verwandelt sich zur Unterwelt. Die Wandlungen als Erscheinungen der eigenen Natur sind sehr zahlreich! Verblendete ‘Toren kénnen das nicht verstehen. Bei jedem Gedanken lassen Bases aufsteigen und wandeln immer den schlechten Pfad (Dau). Wenden ‘ie aber einen einzigen Gedanken dem Guten zu, so ist auch die Schau schon tstanden; das ist der myriadenfache Verwandlungsleib des Buddha der ‘igenen Natur. ‘Wohlverstndige! Der Dharmaleib ist in sich vollkommen, Beijeglichem Gedanken n der eigenen Natur sich selbst erschauen, das ist unser Ver- reltungsleib, in Nachfolge des Vergeltungsleibes denken und er- nessen, das ist unser Buddha des Erscheinungsleibes. Aus sich elbst zur Erleuchtung kommen, aus sich selbst das Verdienstliche inserer Natur pflegen, das ist unsere wahre Zuflucht. Haut und Fleisch ist unser physischer Leib. Der physische Leib ist unsere Terberge, man sage nicht Zuflucht, sondern laBt uns erwachen zu dem drei- achen Leib unserer eigenen Natur; dann erkennen wir den Buddha unserer ‘igenen Natur. Ich habe einen formlosen Hymnus. Wenn ibr ihn rezitieren oder behalten unt, so wird das bei seinen Worten bewitken, daB eure in Konen (sa. kalpa) ufgehduften Torheiten und Sinden auf einmal zerstreut werden und Jéschen, © Sa, dharma. 240 Das Sitra dee sechsten Patriarchen, Ubersetzt von Erwin Rousselle Der Hymnus lautet: Der Verblendete pflegt Verdienst und nicht den Pfad (Dau), Er meint immer nur, Pflege des Verdienstes sei der Pfad. Ist sein Verdienst an Almosen und Opfer auch grenzenlos, So sind doch vom Ursprung her im Geist wirksam die drei Ubel (Wahn, Ha, Begierde). Er hofft, die Sinden durch Pflege der Verdienste auszuléschen, Und erhiilt in einem spateren Leben sein Verdienst, doch die Siinden sind auch wieder da. Aber es gilt, die Ursachen der Siinden im Geist zu vertreiben. Ein jeder bereue und bessere sich wahrhaft in seiner eigenen Natur. Das ist die reuige Besserung des Mahayana der plitzlichen Erleuchtung. Sind der-verkehrte Wandel und die Gerechtigkeit ausgetrieben, dann ist er frei von Siinde. Der Schiiler des Dau, der stiindig die eigene Natur betrachtet, Ist von der gleichen Klasse wie die Buddhas. Unsere Patriarchen tiberlieferten lediglich die plétzliche Methode, Auf daB alle die Wesensnatur als die gleiche Substanz erschauen, Wenn ihr winscht, in Zukunft den Dharma-Leib zu sehen, So trennt euch von den Erscheinungen des Dharma und werdet im Geist rein. Strengt euch an, euch selbst zu beschauen und nicht zu ermiiden. Dureh das platzliche Aufhéren der kiinftigen Gedanken (im Tod) kommt alle Welt zur Ruhe. Wenn einer das Mahayana versteht und das Schauen der eigenen Natur erlangt, Soll er ehrfiirchtig die Hande falten und im tiefsten Herzen suchen.“ Der Patriarch sagte dazu: ,, Wohlverstandige! Ihr alle solltet diesen Hymnus rezitieren und ihm entsprechend euren Wandel ordnen. Schaut ihr bei seinen Worten eure Wesensnatur, so werdet ihr, auch wenn ihr tausend Meilen von mir entfernt seid, immer in meiner Gegenwart sein, Wenn ihr aber bei diesen Worten nicht zur Erleuchtung er- wacht seid, so sind wir tausend Meilen voneinander entfernt, trotzdem. wir uns von Angesicht zu Angesicht gegentiberstehen. Wozu habt ihr euch dann bemiht, von so weither zu kommen? Nun achtet auf euch selbst und fahrt wohl!" Die Versammlung hatte die Lehre* gehért. Da war keiner, der nicht zur Erleuchtung erwacht wire. Zufrieden freuten sie sich und wandelten ent- sprechend. Sa, dharma.

Das könnte Ihnen auch gefallen