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PS Qualitative Systemwissenschaften
Thema:
Graz, 23.06.2005
Selbstorganisation des Lernens
Inhalt
INHALT ............................................................................................................................1
EINLEITUNG .....................................................................................................................2
4. VERSCHIEDENE LERNBEGRIFFE..............................................................................15
4.1. DAS SIGNALLERNEN ..............................................................................................15
4.2. LERNEN DURCH VERSUCH UND IRRTUM ..................................................................16
4.3. LERNEN AM ERFOLG ..............................................................................................16
4.4. LERNEN AM MODELL .............................................................................................17
4.5. LERNEN ALS ADAPTION DURCH ASSIMILATION UND AKKOMMODATION ..................17
4.6. LERNEN IN FREIHEIT ..............................................................................................17
6. NACHWORT .............................................................................................................19
7. LITERATURVERZEICHNIS ........................................................................................20
1
Selbstorganisation des Lernens
Einleitung
Als theoretische Grundlage dienen mir hauptsächlich die Bücher von Klotz, Anette:
Selbstorganisation des Lernens und Drumbl, Peter: Lernen und Organisation, aus denen ich
ausgewählte Kapitel behandle. Siehe:
Literaturverzeichnis, Seite 20.
Systeme die nur Energie (und keine Materie) mit der Umgebung austauschen werden als
geschlossene Systeme betrachtet. Angenommen ein geschlossenes System befindet sich
auch im Gleichgewicht, wird auch keine Entropie mehr erzeugt.2 Dissipative Strukturen
sind somit geschlossene Systeme, die nur Energie mit ihrer Umgebung austauschen.
1
Keil-Slawik, 1985, 93 in: http://www.hyperkommunikation.ch/lexikon/dissipativ.htm
2
vgl. Klotz, 2003, 53
2
Selbstorganisation des Lernens
Dissipative Strukturen sind sehr empfindlich was ihre globale Umgebung betrifft. Z.B.
Größe des Systems, Temperatur, etc. Die äußeren Bedingungen beeinflussen wesentlich die
Art der dissipativen Struktur. Weiters ist es für das Auftreten einer dissipativen Struktur
erforderlich, dass eine der Umgebungsvariablen einen kritischen Wert übersteigt. Wie dies
bei Eiskristallen oder biologischen Systemen der Fall ist.
„Menschen sind selbst eine weiterentwickelte Form dissipativer Strukturen. Als lebende
Wesen tauschen sie Energie und Materie mit ihrer Umwelt aus, sind also offene Systeme,
die fernab vom Gleichgewicht leben“3
Auf das Kennen lernen von Personen bezogen bedeutet das, dass durch permanenten
überkritischen Energieeintrag eine dissipative Struktur in unserem Gehirn aufgebaut wird.
Meldet sich jemand im Proseminar dauernd zu Wort, stellt dies den überkritischen
Energieeintrag dar und man merkt sich die Person. So wird beispielsweise Klaus bei allen
relativ schnell eine dissipative Struktur aufgebaut haben! Siehe dazu auch Kapitel 3.2 „Das
Gedächtnis im Proseminar“
1.2. Synergetik
Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „Lehre vom
Zusammenwirken.“4 Gerade die Natur bietet hier eine Vielzahl an Beispielen, wo sowohl
Tiere untereinander als auch Tiere mit Pflanzen Synergien eingehen.
Die Synergetik ist ein Forschungsgebiet, das aber auch über anderen Disziplinen erstreckt
wie etwa Physik, Chemie, Soziologie aber auch Ökonomie. Die Aufgabe der Synergetik ist
es „...die Gesetzmäßigkeiten herauszufinden, die der Selbstorganisation von Systemen in
den verschiedenen Wissenschaftsbereichen zugrunde liegen.“5
Wichtig ist es hier zu erwähnen, dass die Entstehung von Ordnung aus dem Chaos in einem
synergetischen System unabhängig vom materiellen Substrat, also der Umgebung bzw.
deren Umwelt ist, auf dem die Vorgänge stattfinden.6
3
Prigogine, 1992, 221 in Klotz, 2003, 63
4
Haken, 1995, 21 in Klotz, 2003, 64
5
ebd., 26
6
vgl. Klotz, 2003, 65
3
Selbstorganisation des Lernens
Hier lässt sich sagen, dass aus der Synergie einer Person mit einer bestimmten Umgebung
(oder auch bestimmtes Auftreten, Verhalten,...) es erleichtert, diese wieder zu erkennen. So
fällt es einem oft schwer, jemand bspw. beim Einkaufen zu erkennen, den man sonst immer
nur an der Uni sieht. Siehe dazu auch Kapitel 3.5 Anwendungskontext.
1.3. Chaostheorie
Der Begriff Chaos wird heute vielfach falsch verstanden. Da umgangssprachlich eine
Abwertung damit verbunden ist. Dies kommt beispielsweise im Verkehrschaos oder in der
Unordnung zum Ausdruck.
Im ursprünglichen Sinne stammt das Wort aus dem Griechischen und bedeutet die
klaffende, weit offen stehende Leere des Weltraums.8
In den Naturwissenschaften werden heute damit Erscheinungen in der Natur beschrieben,
die in ständiger Bewegung sind.
Grundlegend verschieden davon ist wiederum das „deterministische Chaos“, sozusagen ein
vorgeschriebenes Chaos. Ein Beispiel dafür ist die Flüssigkeitsbewegung beim Erhitzen.
„Bei der Bewegung von Flüssigkeiten können sich in Abhängigkeit des Erhitzungsgrades
einer horizontalen Flüssigkeitsschicht ganz verschieden Muster ergeben. [...] Diese wirre
7
Binnig, 1992, 171 in: Klotz, 2003, 85
8
vgl. Klotz, 2003, 85
4
Selbstorganisation des Lernens
Bewegung unterliegt, wie wir heute mit Recht annehmen können, den Gesetzen der
chaotischen Bewegungen.“9 In vielen dynamischen Prozessen werden bei
Phasenübergängen chaotische Situationen durchschritten, die sich an den
Bifurkationspunkten zu neuen höheren Ordnungen stabilisieren können. Nicht-lineare
Systeme können über einen oder mehrere Bifurkationspunkte indeterministisch verlaufen
d.h. ein Prognose über deren Ziel bzw. Weg ist nicht oder nur sehr schwer möglich. Bsp.:
Wettervorhersage.10
Der Begriff autopoietisch stammt aus dem Griechischen: autos = selbst und poiein =
machen. Die Theorie wurde zu Beginn der 1970er Jahre von Humberto R. Maturana und
von Francisco J. Varela begründet.
„Die Theorie der Autopoiese besagt, dass komplexe Systeme sich in ihrer Einheit, ihren
Strukturen und Elementen kontinuierlich und in einem operativ geschlossenen Prozess mit
9
Klotz, 2003, 86
10
vgl. Klotz, 2003, 98
11
Klotz, 2003, 98f
12
Duden Fremdwörterlexikon
13
vlg. Klotz, 2003, 100
5
Selbstorganisation des Lernens
Hilfe der Elemente reproduzieren, aus denen sie bestehen. Dabei reproduzieren sie nicht
nur ihre eigene Autopoiesis, sondern auch ihr Bild von der Systemumwelt.“14
Ein Beispiel für autopoietische Entwicklung eines Systems ist die Entwicklung der Sprache.
Ein Teilbereich des kommunikativen Verhaltens ist die Sprache. Sprache und
Kommunikation sind somit nicht identisch. „Die Schnittstelle von ontogenetischem (= die
Entwicklung des Individuums betreffend; Duden) und kommunikativem Verhalten bildet das
sprachliche Verhalten“15
Sprache ist als Resultat liebevoller Kooperationen entstanden. Nach Maturana und Varela
ist „... die Existenz des Lebendigen sowohl in ontogenetischen als auch im phylogenetischen
(= die Stammesgeschichte betreffend; Duden) natürlichen Driften nicht auf Konkurrenz
angelegt.“16
Die Autopoiesetheorie verbindet die Organisation von Lebewesen mit deren Fähigkeiten.17
Der Begriff Kybernetik stammt von dem griechischen Wort kybernetes (Steuermann) ab.
Kybernetik ist die Forschungsrichtung, die sich mit der Untersuchung von
Rückkoppelungseffekten und der Kommunikation innerhalb maschineller und
physiologischen Systemen befasst. Kybernetische Modelle bilden vielfach die Grundlage
der Automation und eines großen Teils der Computertechnologie.18
Die Kybernetik geht über die üblichen Maschinenoperationen mit einem eindeutigen
Ursache-Wirkung-Zusammenhang hinaus. „Sensoren wirken durch (Rück-) Meldungen
über den Zustand der Effektoren (Gerät, mittels dessen in einem Regelkreis der Regler auf
die Regelgröße einwirkt; Duden) des Systems auf die Operationen mit ein. Dieses Schema
[...] zeichnet sich eher durch die Anlehnung an biologische Systeme aus.“19
14
Goorhuis auf: http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at:4711/LEHRTEXTE/Goorhuis98a.html von Stangl, W., Linz, 2003
15
Klotz, 2003, 129
16
Maturana/Varela, 1987, 213 in: Klotz, 2003, 130
17
vgl. Klotz, 2003, 131
18
vgl. Klotz, 2003, 134
19
ebd.
6
Selbstorganisation des Lernens
Sind die operativen Eigenschaften einer trivialen Maschine nicht bekannt, können sie
analytisch bestimmt werden. Dazu ist es notwendig, für jedes Eingangssignal das
entsprechende Ausgangssignal aufzuzeichnen. Das Ergebnis ist der Unterschied zwischen
diesen beiden und folglich die Definition dieser Funktion.
Bei nicht-trivialen Maschinen hängen die Operationen von den jeweiligen „inneren
Zuständen“ ab. Diese inneren Zustände wiederum hängen von den vorangegangenen
Operationen ab.
Hierbei werden zwei Arten von Operationen unterschieden. Die erste wird als
Wirkungsfunktion A bezeichnet, sie stellt die zustandsabhängige Verknüpfung von Eingang
20
nach von Foerster in: http://www.hyperkommunikation.ch/lexikon/triviale_maschine.htm
21
nach: von Foerster in: http://www.hyperkommunikation.ch/lexikon/triviale_maschine.htm
7
Selbstorganisation des Lernens
x und Ausgang y her. Der Zustand der Wirkungsfunktion A wird von der Variablen e
bestimmt. Diese wiederum wird von der (zweiten) Wirkungsfunktion B vorgeschrieben.
Wobei x in beiden Fällen als Eingang der Wirkungsfunktionen dient.22
„Das Verhalten von Menschen ist aber dem von nicht-trivialen Maschinen zu vergleichen.
Wie aber verhält sich ein nicht-trivialer Mensch gegenüber einer nicht-trivialen Welt, die
analytisch unbestimmbar, vergangenheitsabhängig und nicht voraussagbar ist? Er kann die
Frage ignorieren, die Welt trivialisieren oder eine Epistemologie (Erkenntnistheorie) der
Nicht-Trivialität entwickeln.“23
Der Biologie Ludwig von Bertalanffy prägte den Begriff des „Fließgleichgewichts“, er
schuf dadurch ein neues Verständnis für die Thermodynamik lebender Systeme.
„Der Organismus ist kein geschlossenes System, das stets die identischen Bestandteile
enthält; die elementare Tatsache des Stoffwechsels erweist ihn vielmehr als ein offenes
System, das sich in einem ständigen Austausch von Substanzen erhält.“24
Die vier „Gesetze der Ökodynamik“ nach Paslack: „... natürlich Systeme streben (1.) nach
Strukturerhaltung, (2.) nach Stabilität, (3.) versuchen sie, den Vorrang des Ganzen vor den
Teilen zu bewahren und (4.) steuern sich selbst.“26 Ökosysteme sind somit Systeme, die zu
Wachstum, Gestaltung und Komplextitätszunahme befähigt sind. Ökosysteme sind in der
22
vgl. Klotz, 2003, 139
23
Klotz, 2003, 141 nach v. Foerster, 1992, 66
24
Bertalanffy/Beier/Laue. 1977, 1 in: Klotz, 2003, 146
25
Klotz, 2003, 147
26
Paslack, 1991, 166 in: Klotz, 2003, 147
8
Selbstorganisation des Lernens
Lage, ihre Umwelt zu gestalten und dadurch die Bedingungen ihrer Entwicklung in Grenzen
selbst zu bestimmen.27
Bezüglich der Stabilität Ökologischen Systemen führte der Ökologe Holling die
Unterscheidung zwischen den Begriffen Stabilität und Elastizität ein. „Ökosysteme mit
hoher Variabilität und Elastizität weisen nur eine geringe Homogenität auf und können
stark fluktuieren; gerade dadurch sind sie in besonderem Maße überlebens- und
evolutionsfähig“28
2.1. Offenheit
Offenheit ist eine notwendige Voraussetzung für Selbstorganisation. Nach Prigogine sind
Menschen ähnlich, wie eine weiterentwickelte Form dissipativer Strukturen, mit allen
charakteristischen Eigenschaften.29 „Sie tauschen mit ihrer Umgebung Energie und Materie
aus, sind somit auch offene Systeme, die weitab vom thermodynamischen Gleichgewicht
agieren.“30
Neben dem Austausch von Energie und Materie spielt auch Information eine wichtige
Rolle. Offenheit für Informationen ist für das Lernen essentiell. Menschen als offene
Systeme bieten somit alle Voraussetzungen für die Selbstorganisation und gleichzeitig auch
Lernen im Sinne der Selbstorganisation steuern und gestalten können.31
27
vgl. Klotz, 2003, 148
28
Paslack, 1991, 170 in: Klotz, 2003, 150
29
vgl. Prigogine, 1992, 221 in: Klotz, 2003, 164
30
Klotz, 2003, 164
31
vgl. ebd., 165f
9
Selbstorganisation des Lernens
2.2. Geschichtlichkeit
In der klassischen Dynamik wurde Zeit als Bewegung aufgefasst, im zweiten Hauptsatz der
Thermodynamik als Irreversibilität, in der Biologie und der Soziologie als Steigerung der
Komplexität.
Das Zeitverständnis ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstorganisation, denn darauf
aufbauend wird die Steigerung der Komplexität begründet. „An Bifurkationspunkten kommt
es zu kritischen Fluktuationen, die zu Instabilitäten führen. In diesem Moment ‚testet’ das
System verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten aus, um sich anschließend für eine zu
entscheiden. Dieser Vorgang ist irreversibel und führt zur Steigerung der Komplexität.“32
Intentionalität (=Lehre von der Ausrichtung aller psychischen Akte auf ein reales oder
ideales Ziel; Duden). Freiheit als Wahl und Kreativität setzen voraus, dass ein Organismus
neben der Fähigkeit zu handeln auch die Fähigkeit entwickelt hat, diese
Handlungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen zu wollen. Intention entsteht dort, wo
Spannung auftritt.35
32
Klotz, 2003, 166f
33
ebd., 168
34
ebd.
35
vgl. ebd., 169
10
Selbstorganisation des Lernens
Die Zeit kurz nach der Geburt eines Säuglings ist sehr wichtig für die Ausbildung des
Gehirns. Dies ist die Phase in der sich die neuronalen Verbindungen des Nervensystems und
des Gehirns bilden. Ist diese Phase nach wenigen Lebensjahren abgelaufen, können diese
bestehenden Verbindungen nicht mehr modifiziert werden. Dies ist sinnvoll, da sich
Verarbeitungsprozesse höherer Ordnung organisieren können, wenn die
Systemeigenschaften der Peripherie bereits stabilisiert sind.37
36
ebd.
37
vgl. Singer, 1989, 58 in: Klotz, 2003, 196f
38
vgl. Klotz, 2003, 197
11
Selbstorganisation des Lernens
Im sensorischen Gedächtnis werden flüchtige Impressionen sensorischer Reize jeder Art nur
ein, zwei Sekunden aufbewahrt. Es sind uns auch nicht alle Informationen, die
aufgenommen werden bewusst. Wird dieser Informationen nicht weitere Aufmerksamkeit
geschenkt, gehen sie verloren.39 Ein Beispiel hiefür wäre die Fragestellung: „Wie sah die
Person aus, die mir gerade auf der Straße entgegenkam?“ Hatte die Person nicht
irgendetwas besonders Auffälliges an sich, worüber man nachdenkt, wird man das
Aussehen innerhalb weniger Sekunden vergessen haben.
Beschäftigt man sich mit den Informationen aus dem sensorischen Gedächtnis, so gehen die
Information über in das Kurzzeitgedächtnis. Die Behaltensdauer beträgt hier etwa 20
Sekunden. Nach dieser Zeit zerfällt die Gedächtnisspur wieder, es sei denn, sie wird durch
Wiederholen oder ähnlichem gefestigt. Würde man im oben genannten Beispielfall mit der
betreffenden Person sprechen, geht das Aussehen in das Kurzzeitgedächtnis über und man
kann sie sich folglich länger merken.
39
vgl. ebd.
40
Drumbl, 2003, 52
12
Selbstorganisation des Lernens
Weiters verfügt das Gehirn über eine Art internes Kontrollsystem, das sofort darüber
informiert, ob eine gesuchte Information gespeichert ist oder nicht. „Dieses Wissen um
einmal gelernte Informationen ist nicht an den Inhalt der betreffenden Daten gebunden. Es
dient vielmehr dazu, unnötige Suchläufe nach eventuell vorhandenem Wissen zu vermeiden
und den enormen Speicher des Gedächtnisses nur dann zu durchsuchen, wenn Aussicht
besteht, die gewünschten Informationen zu finden.“42
Bezogen auf das Proseminar und das kennen lernen der Teilnehmer, bedeutet das, dass man
sich Kollegen, die immer wieder auf sich aufmerksam machen, durch Wortmeldungen,
schwätzen, ungewöhnliches Aussehen usw. viel schneller merkt als Andere. So hat man sich
Raphael, Stefan, Klaus und Veronika schnell gemerkt. Allerdings weiß man dann erst das
Aussehen der Personen. Die Zuordnung der Namen stellt abermals eine große
Herausforderung dar.
In der Vorstellungsrunde, in der sich jeder kurz vorgestellt hat, gingen die Namen in das
sensorische Gedächtnis über, hat man versucht, sich den Namen einzuprägen, ging er
zumindest in das Kurzzeitgedächtnis über. Aber spätestesten ein paar Leute später war der
Name wieder weg.
41
vgl. Klotz, 2003, 198
42
Drumbl, 2003, 49
13
Selbstorganisation des Lernens
Durch stetiges Wiederholen der Namen, sei es durch ein Gespräch mit dem Nachbarn, oder
durch Nachfrage, geht der Name gemeinsam mit dem Aussehen in das Langzeitgedächtnis
über.
Etwas einfacher ist es, sich den Proseminarleiter zu merken. Üblicherweise geht man schon
mit dem Namen des Leiters in die Lehrveranstaltung. Ich weiß, „Qualitative
Systemwissenschaften macht Christian Lapp!“ Diesen Namen hatte man schon öfters
verwendet, sei es bei der Anmeldung oder in der Diskussion über das Proseminar, und war
somit bereits im Langzeitgedächtnis. In der Lehrveranstaltung selbst wird dann nur mehr
das fehlende Bild der Person ergänzt.
Das Gedächtnis ist nach heutigem Stand der Wissenschaft keine geschlossene Einheit, d.h.
es lassen sich verschiedene Systeme innerhalb des Langzeitgedächtnisses unterscheiden:
- das semantische Gedächtnis beinhaltet ein Netz aus Assoziationen und Konzepten,
die dem allgemeinen Weltwissen zugrunde liegen,
- das prozedurale Gedächtnis hat seine Aufgaben im erlernen von Fähigkeiten, die für
den Alltag erforderlich sind, und
- das episodische Gedächtnis, welches Erinnerungen an Vorfälle der persönlichen
Vergangenheit bewahrt.43
Schacter unterschied weiters auch noch zwischen implizitem und explizitem Gedächtnis.
„Das explizite Gedächtnis ermöglicht bewusste Quellenerinnerungen, d.h., man kann sich
daran erinnern, einen bestimmten Inhalt gelernt oder erfahren zu haben. Anders ist es beim
impliziten Gedächtnis. Es bezeichnet den Umstand, dass Menschen von vergangenen
Erlebnissen beeinflusst werden, ohne sich bewusst zu sein, dass sie sich erinnern.“44
43
vgl. Klotz, 2003, 198
44
Klotz, 2003, 199 nach: Schacter, 2001, 264
14
Selbstorganisation des Lernens
3.5. Anwendungskontext
Weiters ist an dieser Stelle noch zu erwähnen, dass der Anwendungskontext eine sehr
wichtige Rolle spielt. Sieht man z.B. eine Person aus der Proseminargruppe, die man noch
nicht sehr gut kennt, beispielsweise in der Stadt beim Einkaufen, so erkennt man diese
vielfach nicht auf Anhieb. Das interne Kontrollsystem unseres Gedächtnisses sagt uns zwar,
„ich kenne diese Person“, aber man weiß nicht woher. Würde man dieselbe Person an der
Uni sehen, würde man sie vielleicht eher erkennen. Dies gilt nicht nur für die äußeren
Umstände sondern auch, wenn man unter Drogeneinfluss erlerntes Wissen wieder abrufen
will. Man erhält bessere Ergebnisse, wenn man bei der Wiedergabe im selben Zustand ist.
Das gilt nicht nur für Drogen, sondern auch für herkömmlich Genuss- und Suchtmittel wie
Nikotin oder Alkohol.45
Lernt man nun beim Ausgehen am Abend unter Alkoholeinfluss jemanden kennen, so ist es
nicht ungewöhnlich, diese Person anderen Tages, nüchtern, nicht sofort wieder zu erkennen!
4. Verschiedene Lernbegriffe
Hierbei werden Reaktionen aufgrund von Reizen ausgelöst. Diese Reaktionen sind
genetisch vorprogrammiert und können nicht erlernt werden. Dazu zählen Reaktionen, wie
jene der Pupille, die sich rasch verengt, sobald es heller wird. Diese Reaktion kann auch
nicht beeinflusst werden.
Es ist allerdings möglich, den, die Reaktion auslösenden Reiz, zu substituieren. So zeigten
Versuche von Pawlow mit Hunden, dass nicht nur das Futter selber zu einer ungelernten
Reaktion der Speichelabsonderung führte, sondern nach einer Weile der Speichelfluss sich
erhöhte, sobald der Hund den Überbringer des Futters erkannte. Dieses Lernen wird als
mechanisches oder Signallernen bezeichnet.46
45
vgl. Drumbl, 2003, 65
46
vgl. Klotz, 2003, 205f
15
Selbstorganisation des Lernens
„Die Methode von Versuch und Irrtum findet sich bei allen zum Lernen befähigten Tieren.
Den höchsten Grad der Anwendung findet sie bei den Säugetieren, [...] um Flexibilität und
schnelle Anpassung an Umweltbedingungen zu realisieren.“47
Kennt man nun eine Person nur flüchtig, und ist man sich des Namens nicht mehr sicher, so
wird man den Namen raten. Ist es der Falsche, so wird man nach den Richtigen fragen und
versuchen, ihn sich zu merken. Durch das abermalige Wiederholen besteht die
Wahrscheinlichkeit, dass der Name ins Langzeitgedächtnis kommt und dort behalten bleibt.
47
Drumbl, 2003, 93
48
vgl. Lefrancois, 1986, 35 in: Klotz, 2003, 208
16
Selbstorganisation des Lernens
„Diese soziale Lerntheorie versucht, die kognitive Psychologie mit den Prinzipien der
Verhaltensmodifikation in eine Synthese zu bringen“49
Sie bezeichnet, dass das menschliche Lernen zu einem großen Teil aus dem Beobachten des
Verhaltens anderer Menschen und dem Nachahmen passiert. So kann beispielsweise das
Autofahren durch sprachliche Instruktionen und durch Demonstration am Modell
wirkungsvoll erlernt werden.
Im weiteren Sinne kann man sagen, dass man sich Personen besser merken kann, wenn man
deren Verhalten und Ausdrucksweise kennt, als wenn man sie nur beschrieben bekommt
bzw. ein Foto sieht.
Assimilation bedeutet, dass man früher Erlerntes auf die aktuelle Situation anwendet.
Akkommodation hingegen bedeutet, dass eine, bereits in der Vergangenheit erlernte
(assimilierte), Reaktion etwas verändert auf die Situation angewandt wird.
„An jeder Aktivität sind Assimilation und Akkommodation beteiligt, da neue
Verhaltensweisen immer auf alten Strukturen basieren, und da bei jeder Ausführung von
bereits bekannten Aktivitäten irgendeine Strukturveränderung stattfindet.“50
Jeder Mensch besitzt die natürliche Fähigkeit zu lernen. „Die Ambivalenz rührt daher, das
jedes signifikante Lernen Schmerz mit sich bringt, der entweder mit dem Lernprozess selbst
verbunden ist, oder mit der Änderung bzw. Aufgabe früher gelernter Dinge.“51 Kann sich
der Lernende mit dem Lerninhalt identifizieren oder ihn zum eigenen Vorteil nutzen, findet
signifikantes Lernen statt. Ähnlich verhält es sich mit der Lerngeschwindigkeit, erscheint
49
Klotz, 2003, 210 nach: Bower/Holgard, Bd. II, 1984, 283
50
Klotz, 2003, 228 nach: Lefrancois, 1986, 126
51
Klotz, 2003, 242
17
Selbstorganisation des Lernens
ihm das Ziel wichtig und die zur Verfügung stehenden Mittel, lernt er mit größter
Geschwindigkeit.52
Weiters gilt auch „Lernen ist dann sehr effektiv, wenn sich der Lernende direkt und
erfahrbar mit praktischen Fragen konfrontiert sieht: signifikantes Lernen durch Tun.“53 Der
Lernprozess wird ebenfalls gefördert durch die Mitbestimmung des Lernenden.
Dies zeigt sich sehr deutlich in Kursen mit geringer Teilnehmerzahl. Hier ist es möglich die
Teilnehmer aktiv in die Präsentation des Stoffes miteinzubeziehen, die Teilnehmer werden
gefordert, lernen bereits aktiv mit und sind nicht so gelangweilt, wie in einen monotonen
Frontalvortrag.
Die dauerhaftesten Ergebnisse erhält man, wenn das Lernen selbst initiiert ist und der
Lernende seine Gefühle und seinen Intellekt mit einbezieht.
Das zeigt sich am Besten, wenn man Dinge lernt, die einem Spaß machen bzw. die man
freiwillig macht. So liest man für sein Hobby schnell mal ein Buch, das im Rahmen der Uni
womöglich eine Qual wäre, wenn man es unfreiwillig lesen müsste!
Ein treffendes Zitat von dem Physiker Fritjoff Capra: „Ein lebendes System ist ein sich
selbst organisierendes System, was bedeutet, dass sein Ordnung in Bezug auf Struktur und
Funktion nicht von der Umwelt aufgezwungen, sondern vom System hergestellt wird.“54
Grundsätzlich lässt sich bei der Implikation von Selbstorganisation beim Lernen sagen,
dass, je mehr Freiheitsgrade für Selbstorganisation und Lernen bestehen, desto besser wird
Lernen gelingen. Dies widerspricht allerdings grundsätzlich der „Erziehungsbedürftigkeit“
der Menschen, die in den 1960er und 1970er Jahren davon ausging, die menschliche Natur
sei auf Erziehung angelegt.55
„Menschen sind auf Lernen gerichtet und nicht auf Erziehung. Jede erzieherische
Einflussnahme von außen ist vor dem Hintergrund der Fremd- bzw. der Selbstorganisation
auf seine Notwendigkeit hin zu analysieren. Wird diese kritische Auseinandersetzung
52
vgl. ebd.
53
ebd.
54
ebd., 243
55
vgl. Klotz, 2003, 315
18
Selbstorganisation des Lernens
übergangen, läuft Erziehung auf Manipulation hinaus und statt Selbstfindung entsteht
Entfremdung.“56
Diese genaue Hinterfragung führte auch Christian durch, bevor er Einfluss auf eine der
Proseminargruppen nahm. Dennoch war es praktisch nicht vorhersehbar, wie sich die selbst
organisierende Gruppe verhält.
Eine wesentliche Rolle spielt ebenfalls das persönlich Verhältnis zwischen dem Lehrenden
und dem Lernenden. Steht dieses Verhältnis unter Spannung, finden sie keinen Zugang
zueinander. Es besteht keine gegenseitige Offenheit und „...der Lernende wird keine
Erleichterung in seinem sich in Spannung befindenden Organismus erleben.“57
6. Nachwort
Selbstorganisiertes Lernen scheint die Lösung aller Lernprobleme zu sein. Aber leider ist es
sehr schwierig ein solches System in einem eingefahrenen und praktisch fremdorganisierten
System wie der Universität zu implementieren. Vorschläge dafür wurden beim
Forschungskolloquium eingebracht, bspw. dass es möglich wäre, wenn ein Grundwissen
über selbstorganisierte Systeme bei den Studenten vorausgesetzt werden kann. Somit wäre
es möglich Fächer zu lehren, die inhaltlich nichts mit Systemwissenschaften zu tun haben.
56
ebd., 316
57
ebd., 319
19
Selbstorganisation des Lernens
7. Literaturverzeichnis
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