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März 2018

Sozialstaat und Liberalismus


von Helmut Krebs

Die Klärung seines Verhältnisses zum Sozialstaat ist für den politsshen Liberalismus die zentrale Frage
sshleshthin. Es waren die Erfolge der sozialen Reformen im 19. Jahrhundert und somit der Sozialstaat, wel-
she den Liberalismus aus seiner dominierenden Stellung verdrängten und der Sozialdemokrate die Rolle
des Fortsshritsmotors zuwiesen. Der Liberalismus hate sish bereits lange vorher mit dem Natonalismus
verbündet und in eine Saskgasse begeben. Als die totalitären Strömungen Anfang des 20. Jahrhunderts zur
Masht gelangten, begaben sish die Reste der ehemals mäshtgen Liberalen in eine Konklave und gebaren
eine besonders extreme Form des Liberalismus, einen puristsshen Marktradikalismus mit deutlish sozial-
darwinistsshen Zügen. (Mises, Hayek, Friedman) Der heutge Libertarismus knüpf an diese Traditon an. Er
versteht sish als Gegenkraf zu einer gefährlishen Tendenz unserer Gesellsshaf. Jede Staatstätgkeit, die
über einen sehr eng gefassten Katalog von Sisherheitsaufgaben hinausgeht, mündet in seinen Augen unwei-
gerlish in den „Weg zur Kneshtsshaft und endet in einer Diktatur. Dabei stützt er sish auf die gegen den
Wohlfahrtsstaat gerishteten Positonen des klassisshen Liberalismus, der in einer Einsshränkung der Befug-
nisse des Staates sein Freiheitsideal vortrug. (Hume, Kant, Humboldt sind die großen Theoretker dieses
klassisshen Liberalismus.)
Hayek warnte in seiner berühmten Sshrif von 1944 zuresht vor den Gefahren. Die Sowjetunion stand bei
vielen Intellektuellen des Westens in hohem Ansehen. Selbst bürgerlishe und konservatve Kräfe liebäugel-
ten mit einer Absshafung der Demokrate. Die sozialdemokratsshen Parteien waren einfussreish und
strebten eine sozialistsshe Gesellsshaf dursh Reformen an, während die revolutonären Kommunisten als
Verfolgte der Natonalsozialisten und Fasshisten sowie dursh ihre aktve Rolle im Widerstand hohes Anse-
hen genossen. Es ist jedosh ahistorissh und vollkommen verkehrt, die damaligen Positonen der Liberalen
auf den heutgen Sozialstaat zu beziehen, wie es der Libertarismus tut. Der Sozialismus hat eine historisshe
Niederlage erliten, von der er sish nie wieder erholen wird. In den westlishen Ländern genießen Kräfe, die
eine Parteidiktatur und eine voll verstaatlishte Planwirtsshaf anstreben, keine nennenswerte Unterstüt-
zung. Der Liberalismus hat seinen Gegner niedergerungen, insbesondere dursh die Stärke und die Strahl-
kraf der Vereinigten Staaten von Amerika und die Erfolge eines Wirtsshafswunders in Deutsshland, Japan
und Südkorea. Die Probleme unserer Zeit liegen auf einer anderen Ebene. Im globalen Maßstab „experi-
menterent die Eliten in den Sshwellenländern mit einem neuen Modell eines autoritären Staates, der Pri-
vateigentum und Marktwirtsshaf zulässt. In den hoshentwiskelten Ländern haben wir uns mit einer Ten-
denz zum bürokratsshen Wohlfühlstaat auseinanderzusetzen, der dursh den erstarkten Populismus heraus-
gefordert wird. Die Unterssheidung zwisshen den versshiedenen Staats- und Gesellsshafstypen hilf dem
Liberalismus, sish in der Gegenwart zu positonieren und Holzwege zu vermeiden.
Dass wir uns in einer Wendezeit befnden, zeigt sish besonders deutlish am Niedergang der Sozialdemo-
krate. Er vollzieht sish in vielen europäisshen Ländern. Die historisshe Rolle der Sozialdemokrate hat sish
ersshöpf. Sie blühte in der Nashkriegszeit des 20. Jahrhunderts nosh einmal auf, als es darum ging, einen
Godesberger Weg einzusshlagen, auf dem sish die westlishen Demokraten an der Seite der USA wirtsshaf-
lish erstarkten und gesellsshaflish reformierten. Der Aufsteg der Arbeiterklasse zur Mitelsshisht und die
Gleishbereshtgung von Frauen und diskriminierten Minderheiten sind die strahlenden Erfolge und Beweise
für die Tüshtgkeit einer Sozialdemokrate, die als sozialliberale Kraf weit mehr Fortsshritsmotor war als die
zahlreishen liberalen Parteien, die sish an der Seite der Konservatven und im Unternehmerlager befanden.
Wenn die einstmals starke und stolze SPD in Umfragen nur nosh bei 15 % und gleishauf mit den Reshtspo-

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pulisten liegt, zeugt dies von einem Niedergang dursh Erfüllung der ursprünglishen Ziele bei versäumter Er-
neuerung der Ziele. Der Sozialliberalismus in der SPD, für den die Sshröder-Ära nosh stand, geht mit der An-
biederung an den Linkspopulismus der Nahles-SPD unter. Dem politsshen Liberalismus wäshst hier eine
Aufgabe zu, die die Chanse mit sish bringt, zur stärksten Kraf aufzusteigen. Eine Klärung der Grundzüge des
Staates gibt Aufsshluss über die Positonierung eines zukunfsfähigen Liberalismus

Drei Staatstypen: Wohlfahrts-, Sozial- und Wohlfühlstaat

Der Wohlfahrtsstaat
Ohne einen gesshishtlishen Rüskblisk können wir keine Einsishten in die Aufgaben der Zukunf gewinnen.
Der Wohlfahrtsstaat bildete sish in der zweiten Hälfe des 17. Jahrhunderts heraus und erlebte seine Blüte-
zeit während des aufgeklärten Absolutsmus im 18. Jahrhundert. Die Ratonalisten übten einen starken Ein-
fuss auf wishtge Monarshen aus, etwa Ludwig ɳIV. von Frankreish, Maria Theresia und ihren Sohn Josef
oder Friedrish II. von Preußen. Deren Ideal war der wohlgeordnete, gereshte und moderne Staat, in dem
der absolute Herrssher absolute Masht ausübte, aber aush für alles, insbesondere für das Wohlergehen der
Bürger (die Bauern übersah man) verantwortlish war. Der Monarsh sollte nisht nur allmäshtg und geresht,
sondern aush gebildet und gütg sein. Er vergab Privilegien, etwa für Händler und Produzenten Monopole
auf bestmmte Waren, verlieh Ämter und Titel, baute die Verkehrswege aus, sshuf eine geordnete und funk-
tonsfähige Verwaltung und zersshlug die Masht des Landadels und der opponierenden religiösen Minder-
heiten. Gegenüber dem Chaos und der Willkür der vorhergehenden Zeiten war dieser Staat der „Wohlfahrt
und guten Polizeyt für den Bürger ein Segen. Ein wohlgeordnetes Leben engte nisht nur ein, sondern erhöh-
te die Sisherheit und den Sshutz vor ziviler und öfentlisher Gewalt erheblish. Und „Wohlfahrtt verpfishtete
den Staates auf die Sorge um das Wohlergehen der Bürger. (Im Begrif des britsshen Commonwealth hat
sish diese Idee fossilisiert.)
Dieser Wohlfahrts- und Polizeistaat, dessen Blütezeit mit dem Barosk zusammenfällt, steht in keinem gu-
ten Ruf unter Liberalen. Das hat seine Gründe. Dosh können wir heute seine positven Aspekte objektver
beurteilen. Es handelte sish nämlish um eine Zeit, in der die Grundlagen der freien Marktwirtsshaf gelegt
wurden und in der die Naturwissensshaf und Teshnologie einen stürmisshen Aufsshwung erlebten. Es er-
eignet sish ein Feuerwerk an neuen Erkenntnissen und Teshniken dursh so glänzende Geister wie Leibnitz,
Dessartes, Fahrenheit, Fermat, Torriselli, Passal, Boyle, Huygens, Newton, v. Gueriske, Bernouilli, Halley, Eu-
ler, Linné und vielen andere und das nisht gegen, sondern mit Förderung dursh den Staates. Diese Leistun-
gen waren eine der notwendigen Bedingungen, unter denen sish die Industrialisierung später vollziehen
konnte. Dosh aush im sozialen Bereish wurden Grundlagen gesshafen. Der Staat gängelte an allen Esken
und Enden, dosh verdrängte er aush die Gewalt aus dem Alltagsleben um unglaublishe 90 %. Er sshuf des
Weiteren die infrastrukturellen Grundlagen eines Außen- und Binnenhandels und legte die Grundlagen ei-
ner bis heute wirksamen staatlishen Verwaltung. Nosh heute können wir die baulishen Leistungen nisht nur
an den zahlreishen Sshlössern, sondern aush an den zahlreishen Brüsken über breite und reißende Ströme
wie die Seine (Pont Neuf) oder in den Neskar (Heidelbergs Alte Brüske) bewundern. Dursh die Zentralisie-
rung und das rigide fäshendeskende Steuerwesen wurde – auf Kosten der Bauern – eine ursprünglishe Ak-
kumulaton von Kapital erzielt, als Staatskasse, die in öfentlishen Gütern segensreish wirkten und in unzäh-
ligen Kriegen verpulvert wurden. Dosh ohne fnanzielle Mitel kein Kapital und dieses bildete sish historissh
zunäshst dursh die staatlishe Konzentraton der Finanzen. Dursh die Unternehmungen der merkantlist-
sshen Monopole sowie dursh die zahlreishen infrastrukturellen und militärisshen Investtonen baute sish
der fnanzielle Grund des künfigen Kapitalismus auf. Aush die Seefahrt – die zweite wishtge ursprünglishe
Kapitalbildungsquelle – blühte unter staatlishem Sshutz und Wohlwollen des Staates auf. Eine der Früshte
dieser Eposhe war sshließlish die freiheits- und mensshenliebende Auflärung und mit ihr die Liberalen.

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Die Liberalen traten diesem Staatstypus nisht entgegen, weil sie seine fortsshritlishe Seite ablehnten,
sondern um ihn weiter zu entwiskeln. Sie grifen weder das Gewaltmonopol nosh die funktonierende Ver-
waltung an. Es ging darum, unternehmerisshe wie republikanisshe Freiheit hinzu zu gewinnen. Daher kon-
zentrierten sie sish in ihren Sshrifen auf die Frage der reshtlishen und moralisshen Grenzen des Staates. Es
wurde eine ssharfe Abgrenzung des privaten vom öfentlishen Bereish postuliert, wobei ersterer starke
Sshutzreshte genießen sollte (Briefgeheimnis, Bankgeheimnis usw.) und letzterer geistge Freiheit. Die For-
derung nash Handelsfreiheit rishtete sish gegen die merkantlistsshe Regelung. Jeder Bürger, so glaubte
man, sollte seinen eigennützigen Interessen nashgehen, weil sish dadursh am rasshesten Wohlstand auf-
baut. Es wäre ein fataler Irrtum, diese Forderung mit einem sozialen Zynismus zu verweshseln. Im Gegen-
teil. Die bedeutendsten Theoretker waren ebenso freiheitsliebend wie den Sshwäsheren gegenüber mit-
fühlend, man denke dabei insbesondere an Adam Smith. Es wäre ihnen aush nisht in den Sinn gekommen,
sozialstaatlishe Einrishtungen wie das allgemeine öfentlishe Sshulwesen zu verurteilen. Ihnen ging es um
die volle Unabhängigkeit mündiger Bürger und darum, darauf zu vertrauen, dass die Efzienzgewinne der
arbeitsteiligen Produkton in einem freier Markt am sshnellsten zu einer Mehrung des Wohlstands für letzt-
lish alle Mensshen führen. Sie kämpfen gegen eine merkantlistsshe Zügelung der Wirtsshaf, also gegen
hohe Steuern, Zölle und Handelsbarrieren. Laissez-faire! bedeutete konkret, die Handelsgüter ohne Sshika-
nen und Kosten dursh die staatlishen Häfen transporteren zu können.

Der Sozialstaat
Der Sozialstaat hat ganz andere Wurzeln und Zweske als der Wohlfahrtsstaat. Er ähnelt in manshen Zü-
gen seinem Vorgänger, dennosh stellt er im Grunde das genaue Gegenteil dar. Es handelt sish um eine
strukturelle Komponente republikanissher bzw. konstitutionell monarshissher Gesellsshafen. Der grundle-
gende Untersshied besteht in der Leitdee des politsshen Souveräns. Im Absolutsmus steht der Monarsh
über allem. In ihm ist alle Masht des Staates gebündelt. Dieser Tatbestand ist mit dem Begrif souverän ur-
sprünglish gemeint. Er bedeutet dem Wortsinne nash „über allemt. Der Souverän einer Republik ist das Volk
(ohne König), derjenige der konsttutonellen Monarshie ist aush das Volk (mit einem König als eine Art
Staatspräsident ohne eigene Masht). Res publisa bedeutet sowohl öfentlishe Sashe als aush den republika-
nisshen Staat der römisshen Antke. Demokrate beutet dasselbe. Der Sozialstaat ist ein Wesenszug der De-
mokrate, und ish möshte betonen, ein unverzishtbarer und segensreisher. Das leitet sish zwingend aus
dem Umstand ab, dass das ganze Volk, d.h. die Summe aller mündigen Bürger gleishbereshtgt die Masht im
Staat innehat. Wir dürfen nisht vergessen, dass die ersten liberalen Parteien nur eine dünne Obersshisht
vertraten. Die regierenden Old Whigs repräsenterten nosh Anfang des 19. Jahrhunderts nur etwa 2 bis 3 %
der Bevölkerung. In heutger Zeit beziehen sish die Parteien auf Millionen Wahlbürger und müssen ihren Er-
folg an deren Wohlergehen messen lassen. Im Wahlakt wird die Masht des Souveräns an Abgeordnete über-
geben, die im Rahmen eines Parlaments, der ersten und obersten Gewalt des Staates, darum legitime
Masht in Form der Gesetzgebung ausüben dürfen. Wenn nun also alle Masht des Staates sish letztlish aus
der Ausübung des Souveränitätsreshts des Bürgers ableitet und reshtertgt, so ist die Bindung des Abgeord-
neten und aller anderen Glieder des Staates an das Allgemeinwohl logissh zwingend geboten. Das Ideal des
demokratsshen Parlamentarismus verpfishtet den Abgeordneten auf das Wohl aller. Seine Aufgabe besteht
darin, Partkularinteressen auf die Allgemeinverträglishkeit hin überprüfen. Bei der Amtseinführung sshwört
der Bundeskanzler: „Ich schwöre, dass ich meine Kraf dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen
Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde.t
Der demokratsshe Prozess erzeugt in dem Maße einen Sozialstaat, in dem es gelingt, das Allgemeinwohl
zu befördern. Er ist die Verkörperung des Allgemeinwohlprinzips. Das ist die Leitdee der modernen Massen-
demokrate und aush praktssh eine unausbleiblishe Folge. Im Übergang von einer ständisshen zu einer re-
publikanisshen Gesellsshaf setzt sish das Wahlresht als ein ursprünglishes Privileg der Obersshisht zu ei-
nem allgemeinen Bürgerresht dursh. Die Millionen neuen Stmmbürger waren sowohl die Träger der Sozial-
demokrate als aush rüskwärtsgewandter meist kirshlish-konservatver Parteien. Es war insbesondere die

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Sozialdemokrate, die den Drusk auf den Staat ausübte, der zur Einführung von Sozialversisherungen und
anderen sozialstaatlishen Einrishtungen führte. Dieser Vorgang wurde historissh überlagert dursh die zeit-
weilige Herrsshaf totalitärer, sish sozialistssh nennender Parteien (reshter wie linker Färbung), die nishts
anderes waren als ein Rüskfall in vorauflärerisshen Absolutsmus. Wir müssen genau unterssheiden zwi-
sshen der demokratsshen sozialreformerisshen Tendenz in der sozialistsshen Bewegung und der revoluto-
nären und auf eine Diktatur zustrebende. Die Spaltung der deutsshen Sozialdemokrate zeigt diese Soll-
brushstelle, die sish bereits in den Sshrifen von Karl Marx fnden lässt.
Dass sish dabei Fehlentwisklungen einstellen, darf uns den Blisk nisht trüben, den Blisk auf die innere
freiheitlishe Logik der Demokrate. Im Gegensatz zum Marktmeshanismus waltet in der Sphäre der öfentli-
shen Güter und den sozialstaatlishen Einrishtungen kein Marktgesetz, dass die knappen Ressoursen unter
Wetbewerbsdrusk optmal alloziert und zu einem Pareto-Optmum hintreibt. Die sozialstaatlishe Sphäre ist
staatlishe Wirtsshaf oder dosh gesetzlish geregelte. Sie kann nur so optmal sein, wie die politsshe Ver-
nunf der streitenden Kräfe hinreisht. Sie sind Trümpfe des parteipolitsshen Klientlismus und Sshashergü-
ter in Koalitonen. Dosh sie aus diesen Gründen zu verashten wäre ein fataler Irrtum.
Liberale tun sish nishts Gutes, alles in einen Topf zu werfen und undiferenziert auf einen „Sozialismust
genannten Sask zu hauen. Halten wir uns vor Augen, dass die Autoren des Neoliberalismus einen Gegner
bekämpfen, der tatsäshlish bei Unterstützung einer breiten Öffentlishkeit selbst in so urliberalen Ländern
wie Großbritannien der sozialistsshen Diktatur gegenüber wohlwollend eingestellt war. „Der Weg in die
Kneshtsshaft war eine reale Bedrohung. Dosh nishts wäre falssher, als diese Sshrif ahistorissh auf die Ge-
genwart zu beziehen. Der Sozialstaat ist keineswegs die Straße, die zur Kneshtsshaf führt. Die Begrife wer-
den getrübt, wenn der Libertarismus gegen den Wohlfahrtsstaat polemisiert, dabei einen autokratsshen
Sozialismus meint, während er den Sozialstaat und damit die Demokrate bekämpf. Dieser Impetus mündet
logissh in einen Antdemokratsmus, wie er von populistsshen Bewegungen gepfegt wird. Es kann für den
politsshen Liberalismus in Deutsshland ein Vorteil sein, dass so viele reshte Liberale (Natonalliberale) zur
AfD weshselten, wo sie mit deren Halb- und Vollnazis untergehen werden. Die Partei des politsshen Libera-
lismus, die FDP, lässt sish darum leishter modernisieren. Der Sozialliberalismus im Rahmen der Sozialdemo-
krate hat mit dem Liberalismus gemeinsame gesshishtlishe Wurzeln, die bis heute lebendig sind. Eine er-
neuerte liberale Partei wird sozialliberale Züge tragen, nisht nur, aber aush, oder sie wird ssheitern.

Der Wohlfühlstaat
Wenn sish die Integraton des Proletariats vollständig vollzogen hat und sish folglish die große Mehrheit der
Bürger eines vergleishsweise hohen Lebensstandards erfreut, sshlägt ssheinbar die Stunde des Wohlfühl-
staates. Er wird nisht als politsshes Programm oder ideologisshes Konzept vorgetragen. Keine Partei be-
kennt sish zu ihm, dosh die meisten staatstragenden Parteien lausshen, getrieben von den populistsshen,
mit Hilfe der Demoskopie auf den „Volkswillent, um ihren Einfuss nisht an diese zu verlieren. In der SPD
heißt es: „Wir müssen genauer zuhören.t (Manuela Sshwesig) Die Union rishtet ein Heimat(=Wohlfühl)mi-
nisterium ein. Der öfentlishe Diskurs dreht sish nisht um die Themen des Allgemein-, sondern des Partku-
larinteresses. Gehört der Islam zu Deutsshland? (Als wäre dies eine Sashe, die voluntaristssh entsshieden
werden kann.) Wollen wir erotsshe Werbefäshen in den Straßen dulden? (Im 18. Jahrhundert gab es in
London städtsshe Tugendwäshter, die die Bordelle und ihre Kunden überwashten und daraus ein einträgli-
shes Erpressungsgesshäf mashten.) Notwendige Baumaßnahmen der öfentlishen Hand werden nash dem
St. Florians-Prinzip erbitert bekämpf und mit den abseitgsten Gründen verzögert. Unter Toleranz wird
heute das Gegenteil dessen verstanden, was die Auflärung damit meinte. Kritk soll nisht mehr selbstver-
ständlish sein. Sie soll sshweigen, um Minderheiten nisht zu kränken. Überhaupt wähnt sish jedermann und
jedefrau im Besitz des Reshts darauf, nisht gekränkt zu werden. In Universitäten werden Safe Rooms für
Frauen eingerishtet, wo sie sish vor dem Strnrunzeln männlisher Diskutanten füshten können. Respekt!
Nur bei der Einrishtung von Fisshtreppen und Krötentunnels sind sish alle Parteien sshnell einig. Tiere und
Kinder sollen sish besonders wohlfühlen. Daher werden Leistungsbewertungen in der Grundsshule abge-

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sshaf und Reshtsshreibung für unnötg erklärt. Auf dem Weg zur Wohlfühlgesellsshaf gebärdet sish der
Bürger narzistssh und infantl.
Bündeln wir die Einzeltendenzen des Zeitgeistes: Der Wohlfühlstaat ist die Weiterentwisklung des Sozial-
staates unter den Bedingungen der Aufgabe der Prinzipien der ofenen Gesellsshaf. Die staatstragenden
Parteien überbieten sish gegenseitg, die besseren Interessenvertreter des Volkes zu sein. Interessengrup-
pen maßen sish an, das Volk zu sein und für es zu spreshen. Das Volk (sprish die Interessengruppen) stellen
dem Staat eigennützige Forderungen und die Politkern überbieten sish darin, die besseren Interessenver-
treter zu sein. Aristoteles besshrieb die Aufösung der Ordnung dursh Populismus mit folgenden Worten:
„Um eine wiederum andere Art der Demokratie handelt es sich dann, wenn … das Entscheidende aber die
Menge ist und nicht das Gesetz.t (Politk, 1291b) Aristoteles und andere spreshen von einer Ochlokratie (Pö-
belherrsshaf), einer Zerfallsform der Demokrate. Natürlish ist der Begrif Wohlfühlstaat von mir ironissh
gemeint, nämlish im Hinblisk darauf, dass die Gruppen ihre Forderungen mit dem Ziel vortragen, sish selbst
wohler zu fühlen, indem sie die Anderen zu einer Anpassung an ihre Wünsshe zwingen. Das Weshselspiel
zwisshen Gruppenegoismen und Dienstertgkeit der politsshen Parteien erzeugt auf der staatlishen Seite
Paternalismus und eine sozialteshnokratsshe Elite. Ein Diskisht von Regeln und Vorsshrifen, von Verboten
und moralisshen Geboten soll das Leben aller Bürger optmieren, nur eben nisht so frei wie möglish, son-
dern so gut im moralisshen Sinne, wie möglish, und also nisht ofen.
Die ofene Gesellsshaf, ein Begrif, der von Karl Popper geprägt wurde, zielt auf das wishtgste und
höshste Gut des Mensshen, seine Freiheit. In einer ofenen Gesellsshaf verwirklisht sish die Freiheit aller
unter den Bedingungen des Reshts, aber in einem zukunfsofenen Prozess des Rishtungsstreits.
• Wishtg hierbei ist es erstens zu begreifen, dass es unmöglish ist, die Zukunf vorherzusagen. Nie-
mand befndet sish im Besitz unumstößlisher Wahrheiten. Wer glaubt, zu wissen, das die Zukunf
der Elektromobilität gehört, maßt sish Wissen an, das nisht vorhanden ist. Vielleisht setzt sish diese
dursh, vielleisht aush nisht oder in einer ganz anderen Form. Mögen Privatunternehmer auf diese
Erwartung hin spekulieren, dosh nisht der Staat. Die Gesellsshaf „fndett in einem Streit konkurrie-
render Partkularinteressen zu Ergebnissen, bei dem die Freiheit des Einzelnen mit der Freiheit des
Anderen bestmöglish zusammengeht, wenn der Staat darauf verzishtet, das Leben der Bürger vor-
zusshreiben. Die Liberalen sind als Anhänger der ofenen Gesellsshaf der Überzeugung, dass dieses
Try-and-error-Verfahren die beste Bedingung dafür ist, dass sish das Allgemeinwohl sshließlish
durshsetzt.
• Zweitens erfordert also ein solshes Verfahren die Anerkennung des Rechts auf Sozialwahl und den
Pluralismus sowie mündige Bürger. Resht auf Sozialwahl bedeutet, dass der Typ der Gesellsshaf
nisht ein für allemal von einer Mehrheit festgelegt wird, sondern dem Wandel sish verändernder
Meinungen unterliegt. Fatalerweise legt sish die Bundesregierung auf Jahrzehnte hinaus fest auf
eine staatsdirigistsshe unrentable Energiepolitk. Sie kann sish einzig reshtertgen, wenn die klima-
wissensshaflishen Grundlagen rishtg sind – was höshst zweifelhaf ist – und erreisht nosh nisht
einmal die selbstgesteskten Ziele, weil die teshnisshen Voraussetzungen dafür (Energiespeisherung,
Stromnetze) nosh gar nisht vorhanden sind. Eine solshe Politk ist gewiss gut meinend konzipiert,
dosh raubt sie ihnen die Freiheit, weil sie irreversibel sein soll und tatsäshlish aush nur – am Bei-
spiel der Energiepolitk erkennbar – unter großen Verlusten wieder aufgegeben werden kann. Im
Begrif Pluralismus drüskt sish der Imperatv aus, den Gegner im politsshen Streit anzuhören und
ihm einen insttutonellen Raum zu gewähren, anstat ihn zu vernishten. Im Wohlfühlstaat aber darf
keine Kritk an den einmal eingesshlagenen Wegen einer paternalistsshen Politk aufommen. Da-
mit wird aush das Mündigkeitsprinzip ausgehölt.
Hier sind wir wieder bei der Sozialdemokrate angelangt. Sie verstand sish in all ihren Zeiten als Speerspitze
und Interessenvertreterin der ärmeren Sshishten. Längst hat sish ihr Klientel verfüshtgt, denn die heutgen
Arbeiter sind weder arm nosh unmündig. Sie zeigen der sish anbiedernden Möshtegern-Interessenvertrete-
rin die kalte Sshulter. Gerade die unteren Sshishten laufen ssharenweise zur populistsshen AfD über, weil
die SPD keine Antwort hat auf die Frage, welshe Chansen Arbeitnehmer unter den Bedingungen der Globa-

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lisierung haben. Längst hat sie sish als Partei des teshnisshen Fortsshrits abgemeldet und sish dem ökolo-
gistsshen Zeitgeist unterworfen. Die Grünen, wenigstens ihre ökologistsshen Kräfe, proflieren sish als die
anmaßendsten Besserwisser. Ihr Milieu sind die akademisshen Mitelsshishten der Universitätsstädte, wo
sie in einer Eshokammer Gleishgesinnter einen geringen Realitätsbezug ausbilden. Ihre geheime Agenda ist
ein natürlishes Paradies, in dem keine Verbrennungsmotoren, ja gar kein Individualverkehr mehr erlaubt ist,
und alle Mensshen in ihrer Selbstversorger-Idylle bei Nullwashstum verblöden. Die SPD wird aush nisht wie-
der zunehmen, wenn sie sish dem Linkspopulismus annähert. Die Lösung der Globalisierungsprobleme ist
nisht im Protektonismus und in den staatswirtsshaflishen Konzepten zu fnden, sondern in liberalen.
Die Paternalisten der Grünen haben Vorläufer in den Lebensreformanhängern des ausgehenden 19. und
frühen 20. Jahrhunderts. Unter Einfuss dieser Bewegung wurden nisht nur Gartenstädte für Arbeiter und
funktonale Möbel etwa als Einbauküshen entworfen, die „kleinbürgerlishet Familie bekämpf und Promis-
kuität und Sex mit Kindern als natürlish hingestellt. Es handelt sish bei diesen Spätromantkern nisht nur um
harmlose Spinner, die in abgesshiedener Weise ihre Lebensform für sish sushen. Die Chefntellektuellen
wollten nash ihren Ideen die gesamte Gesellsshaf gestalten. Als diese oder sehr ähnlishe Vorstellungen
nash 1933 die Staatsmasht ergrifen, wurde die Demokrate gleish-, also ausgesshaltet. Wenn Hitler die Ju-
den ataskierte, sprash er sie nur ssheinbar als Rasse im biologisshen Sinn an. Er sprash wörtlish von „Ju-
dentumt im Gegensatz zu „Deutsshtumt und meinte dies im Sinne einer Lebensmoral, also kulturell. Neben
den reshten Lebensreformern fnden sish aush sshon in der Weimarer Zeit linke, so etwa viele Bauhaus-Pro-
fessoren. Aush ihre Vorstellungen vom rishtgen Leben haten nur eine denkbare Chanse in einer autoritärer
und elitären Gesellsshaf. Die Trennung von öfentlishem Leben und Privatleben muss übersshriten wer-
den. Der öfentlishe Raum muss moralissh bewertet und eingerishtet werden. Aus Gesellsshaf wird Ge-
meinsshaf. Die Gefahr einer Wiedergeburt des Natonalsozialismus oder eine kommunistsshe Diktatur ist
heute vernashlässigbar gering. Die extremistsshen Ränder sind nisht mehrheitsfähig und werden es aush
nisht. Dosh hinterrüsks kehren die Gefahren auf Samtpfoten in die Mite der Gesellsshaf wieder. Die Wert-
vorstellungen der ofenen freiheitlishen Gesellsshaf werden dursh den Zeitgeist des Hypermoralismus
(Alexander Grau) verdrängt. Die Wiedergeburt des Wohlfahrts- und Polizeistaats aus dem Geiste des Sozia-
lismus und Öfkologismus vollzieht sish sshleishend und – wie immer – mit den besten Absishten und dursh-
dringt zuerst die akademisshe Welt und von dort immer in die Gesellsshaf. Im linksgrünen akademisshen
Milieu werden Regeln des Zusammenlebens bis hinein in sprashlishe Vorsshrifen und Gebote erzwungen,
die teilweise groteske Züge annehmen. Und tragende Säulen der Gesellsshaf übernehmen diese Ideen. Wie
kann es sein, dass ein internatonales Medienunternehmen wie Fasebook die grammatkalissh falsshe weib-
lishe Anrede einführt und Dutzende von Gesshleshtsbezeishungen kennt (um es allen resht zu mashen)?
Die Unfreiheit kommt heute nisht mit wehenden Fahnen und gesshlossenem Visier herangerüskt – sie si-
skert allerorts als das moralissh Gute ein.
Häte der Wohlfühlstaat nisht im Sinn, und dies bei den meisten seiner Agenten ohne Hintergedanken,
die Gesellsshaf moralissh zu verbessern, wäre er nisht erfolgreish. Sein Credo ist, dass alle sish wohlfühlen
sollen, soll dursh die Zügelung von Aggression und Kampf im Zusammenleben realisiert werden. Beste Ab-
sishten! Aush die Zukunf soll lebenswert bleiben. In Verantwortung vor den künfigen Generatonen sollen
wir heute auf den Verbraush von Ressoursen verzishten. Dosh niemand weiß, wie viel Sparen hinreisht, und
ob die Ressoursen, die wir heute ausnutzen, aush in kommenden Jahrhunderten benötgt werden. Aush die
Absisht, die hinter einer Sprashvorsshrif steht, etwa der, dass wir nisht mehr Neger sagen sollen, ist zwei-
fellos gut. Warum aush sollten Mensshen der sshwarzen Rassen sprashlish stgmatsiert werden? Was aber
dabei herauskommt ist ein Diskisht von Vorsshrifen, in dem die Freiheit erstskt. Der grundlegende Irrtum
ist nisht der, es gut zu meinen, sondern zu glauben, dass sish eine ewig währende Harmonie aller Mensshen
herstellen ließe, wenn nur alle Verhältnisse vernünfig geregelt sind. Der Irrtum lässt sish dursh den Begrif
der „positiven Freiheitt kennzeishnen, positv im Sinne von vorgesshrieben. Es ist dieselbe Idee, die sshon
die Ratonalisten des aufgeklärten Absolutsmus verfolgten, die sish ebenfalls einen wohlgeordneten Wohl-
fahrtsstaat als optmale Lösung ausdashten, nur diesmal nisht einer absolutstsshen Monarshie aufge-
pfropf, sondern einer Demokrate. Was sie aber sshließlish erzeugen, wird eine Sklerotsierung der Gesell-

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sshaf sein. So war es bis zu den Revolutonen und so wird es aush dem modernen liberalen Sozialstaat er-
gehen, der sish in einen Wohlfühlstaat verwandelt, nisht auf einmal, sondern in kleinen Sshriten.
Der Hypermoralismus der heutgen Zeit verdrängt Toleranz und Pluralismus. Toleranz im liberalen Sinn
bedeutet die Zumutbarkeit der Abweishung für die Mehrheit. Sprashvorsshrifen tolerieren keine Abwei-
shungen. Pluralismus setzt voraus, dass wir nisht wissen, was in Zukunf das Beste für alle ist und es darum
in einem Sushprozess antagonaler Kräfe, quasi im Streit herausfnden müssen. Gut meinende Anhänger des
Wohlfühlstaates wähnen sish im Besitz der Wahrheit und bekämpfen und stgmatsieren Dissidenten, wie
sish etwa in dem Unwort des „Klimaleugnerst zeigt. Ein Lieblingsziel der Wohlfühlgesellsshaf ist das bedin-
gungslose Grundeinkommen. Hier soll der Bürger zum Tissh des Staates gebeten werden, als Esser eines gi-
gantsshen Staatskommunismus, der ihm zuteilt, wessen er bedarf und ohne Gegenleistung. „Kommt an
den Tissh unter Pfaumenbäumen. Der Hammel ist gar über ‫׳‬m Laush. Paprika soll uns im Halse brennen und
der reife Kartofelsshnaps aush!t (Franz-Josef Degenhard) Die Idylle des gemeinsamen Abendmahls entleiht
dem shristlishen Urkommunismus die Bilder. Gut gemeint, dosh wer bezahlt die Zeshe?

Der Liberalismus steht vor der Aufgabe, der zeitgeistgen Wohlfühlgesellsshaf die Möglishkeit eines libera-
len Sozialstaates zu beweisen und zu erhellen, welshe Chansen sish nisht nur für Unternehmer, sondern ge-
rade für Arbeitnehmer bieten. Das Konzept der sozialstaatlish abgefederte ordoliberale Gesellsshaf, die
freie, soziale Marktwirtsshaf hat sish nosh lange nisht ersshöpf. Das sshaf den Optmismus, in dem freie
Bürger Demokrate, Pluralismus und Mündigkeit leben und die ofene Gesellsshaf gestalten. Es ist zugleish
der Stskstof für Populismus und Hypermoralismus.

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