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VL: Technik und Gesellschaft. Kalter Krieg bis Reflexive Moderne | Prof. Dr.

Uwe Fraunholz

ESSAY: ZUR KRISE DES FORDISMUS.

R E F L E X I V E M O D E R N I S I E R U N G Die Folgen einer verselbstständigten Moderne werden von Beck


unter dem Begriff der Reflexiven Modernisierung zusammengefasst. So sei der gegenwärtige Abschnitt der
Moderne nicht das Resultat radikaler politischer Veränderungen, sondern eine latente Nebenfolge einer
verselbstständigten Modernisierung: „Die Modernisierung raubt kraft ihrer Verselbstständigung der
industriegesellschaftlichen Modernisierung ihre Grundlagen und Koordinaten“ [BECK, 1993, 58]. Die
Verzehrung ökonomischer und normativer Ressourcen „industrieller Modernisierung durch industrielle
Modernisierung“ [ebd., 59] vollziehe sich als systemimmanenter Prozess, der seinen Ausgang in den
fundamentalen Strukturen und Mechanismen industrieller Gesellschaften nehme und diese von innen heraus
umwälze. Das Veralten der industriellen Moderne gehe Hand in Hand mit der Entstehung der
„Risikogesellschaft“ [ebd., 35], einem gesellschaftlichen Entwicklungszustand institutioneller
Überforderung mit den, aus der Dynamik der Modernisierung entspringenden sozialen, politischen,
ökologischen und individuellen Risiken. Diese gesellschaftliche Entwicklung sei durch die systemische,
entscheidungsunabhängige Erzeugung von selbstverändernden, selbstgefährdenden und selbstauflösenden
Tendenzen gekennzeichnet, die von Politik und Gesellschaft zuerst nicht wahrgenommen, dann
unterschätzt und schließlich dadurch verstärkt werden, dass diese Gefahren durch die
industriegesellschaftliche Annahme der völligen Beherrschbarkeit legitimiert werden, was gleichzeitig ihre
angemessene Verarbeitung verhindere: „Die Konstellationen der Risikogesellschaft werden erzeugt, weil im
Denken und Handeln der Menschen und der Institutionen die Selbstverständlichkeiten der
Industriegesellschaft (der Fortschrittskonsens, die Abstraktion von ökologischen Folgen und Gefahren, der
Kontrolloptimismus) dominieren.“ [ebd., 36] Reflexive Modernisierung bedeutet demnach Neuerung und
Stagnation zugleich; es ist eine „Verewigung des Gleichen“ [ebd., 62].

Mit diesem Essay soll vor dem Hintergrund des Begriffs der Reflexiven Modernisierung ein Überblick über
den Beginn und das Ende der fordistischen Gesellschaftsformation gegeben werden. Der Niedergang des
Fordismus wurde durch Faktoren verursacht, die selbst Teil dieser Formation waren: Durch die
Radikalisierung immanenter ökonomischer Tendenzen und gesellschaftlicher Konfliktpotenziale, die latente
Nebenfolge der fordistischen Eigenlogik waren, wurden weitgehender gesellschaftlicher
Transformationsprozess eingeleitet, der zum Zerfall der fordistischen Gesellschaftsordnung führte.

N A C H K R I E G S O R D N U N G Mit dem Marshallplan von 1947 erfolgte eine gesellschaftliche


Umstrukturierung nicht nur Deutschlands, sondern ganz Westeuropas [vgl. DOERING-MANTEUFFEL /
RAPHAEL, 2012, 33 ff.]. Die Überführung Deutschlands in ein neues europäisches und globales
Ordnungsgefüge durch eine nationale Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft bezog ihre
ordnungspolitischen Inhalte aus den Erfahrungen, die die USA seit dem New Deal im Verlaufe der 1930er-
Jahre gesammelt haben. Durch eine nationale Koalition von Unternehmern, Gewerkschaften und Regierung
auf Basis eines liberalen Konsenses konnten Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit mit Hilfe des
Keynesianistischen Programms überwunden werden; der Regierung wurde die fiskalpolitische Steuerung
zugewiesen, um Beschäftigung, Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum in ein ausgewogenes Verhältnis
zueinander zu setzen und langfristig zu sichern.

Die Ausbreitung des liberalen Konsenses in Westeuropa gründete auf dem Verbund von Marktwirtschaft
und parlamentarischer Demokratie, der nach 1945 zur politökonomischen Norm werden sollte. Er wurde
von dem Glauben getragen, dass soziale Spannungen durch Produktivität und Wachstum überwunden
werden können. Die Idee von Klassenkampf und Revolution verlor an Aktualität angesichts der Subsumtion
der gewerkschaftlichen und unternehmerischen Interessen durch die marktwirtschaftliche Ordnung, die als

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Rahmen für die Aushandlung der unterschiedlichen Interessen diente; die Aushandlungen vollzogen sich in
Anbetracht der verschiedenen korporatistischen und arbeiterischen Traditionen der Länder der
entstehenden Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht auf gleiche Weise.

F O R D I S T I S C H E A R B E I T S O R G A N I S A T I O N Die auf die Weltwirtschaftskrise und den Zweiten


Weltkrieg folgende, sich zunächst in den USA herausgebildete „kapitalistische Formation“ [HIRSCH /
ROTH, 1986, 46] wird als Fordismus bezeichnet; Produktion, Handel und Finanzsysteme wurden
zunehmend internationalisiert, während sich neue Formen der internationalen Arbeitsteilung herausgebildet
hatten. Internationaler Konkurrenzdruck durch die „Realisierung komparativer Vorteile bei der Einführung
neuer Produktionsstrukturen und politischer Regulierungsmodi“ [ebd., 47], die Normierung der
entwickelten kapitalistischen Gesellschaften nach amerikanischem Vorbild, die selektive Industrialisierung
peripherer Länder sowie neue rohstoff- und arbeitskraftbezogene Ausbeutungsformen ermöglichten stabile
Profitraten und eine Periode des wirtschaftlichen Konjunkturaufschwungs und gesellschaftlichen
Wohlstands, die bis in die 1970er-Jahre anhielt. Der vereinheitlichende Charakter der fordistischen
Formation ergab sich aus der Unterordnung nationaler Gesellschaften unter spezifische, gleichgerichtete
strukturelle Anpassungsmechanismen eines hegemonial strukturierten Weltmarkts, durch den
„kapitalfraktionelle Gegensätze und Klassenkonflikte überformt und eigenständige Traditionen relativiert“
[ebd., 47] wurden.

Die graduelle Etablierung der fordistischen Arbeitsorganisation hatte eine Steigerung der
Arbeitsproduktivität zur Folge [vgl. ebd., 50]; sie resultierte aus einer weitgehenden Präzisierung und
Standardisierung der Produktionskomponenten, einer Zerlegung des Arbeitsprozesses bei gleichzeitiger
Vertiefung der Arbeitsteilung und einer Dequalifizierung der Produktionsstellen zugunsten der
Managementebene. Die Massenproduktion von Konsumgütern basierte auf dem arbeitsorganisatorischen
und technologischen Modell des Taylorismus. Aufgrund des nun merklich höheren Reallohnniveaus, das
sich „mit einer weitgehenden ökonomischen und sozialstrukturellen Homogenisierung und Egalisierung der
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verband“ [ebd., 51], konnten die industriell erzeugten
Massenprodukte von relevanten Teilen der Arbeiterklasse abgenommen werden.

In den 1950er-Jahren gelang es, die unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen der


westeuropäischen Länder auf eine gegenseitige Kompatibilität auszurichten, die auf der gemeinsamen
Ansicht beruhte, dass das makroökonomische Veränderungspotenzial durch staatliche Steuerung
aufgefangen und durch wissenschaftliche Planung und Expertise gehegt werden könne [vgl. DOERING-
MANTEUFFEL / RAPHAEL, 2012, 36 ff.]. Ein integratives Verständnis von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft
erlaubte es, Produktivität, Vollbeschäftigung und Wohlstand als ein gemeinsames Anliegen zu begreifen.
Damit erfüllte sich der Anspruch des amerikanischen Hilfsprogramms, im Zuge des Wiederaufbaus eine
homogene politische und wirtschaftliche Ordnung in Europa zu errichten und letzteres als einen offenen
Markt gestalterisch zu erschließen. Die Entfaltung der Volkswirtschaften vollzog sich auf Basis der geteilten
ordnungspolitischen Grundannahme eines verbindlichen Rahmens, bestehend aus Nationalstaat,
europäischer Integration, westlichem Bündnis unter Führung der USA und dem globalen Währungssystem
von Bretton Woods. Zusätzliche Kontur und Festigkeit erhielt diese gemeinsame Erhebung einzelnen
Länder zu einem neuen Europa durch den ideologisch und machtpolitisch geführten Kalten Krieg mit dem
zum Gegner erklärten Ostblock.

Die Rekordhöhen erklimmenden Wachstumsraten zwischen 1958 und 1967 führten zum einen dazu, dass
der Ertrag des Aufschwungs bis in die unteren Gesellschaftsschichten durchsickern konnte, und zum
anderen zu einem immer größer werdenden Reformdruck. Das selbsttragende fordistische
Produktionsmodell westeuropäischer Gesellschaften gründete auf der standardisierten, auf Zerlegung von

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Arbeitsschritten basierenden Massenproduktion und der damit einhergehenden stabilen Massennachfrage,


während die Gewerkschaften angesichts der Produktivitätssteigerung und den wachsenden
Unternehmergewinnen auch entsprechende Lohnzuwächse forderten, durch die die Massennachfrage stabil
bleiben konnte.

Privater Wohlstand und Massenkonsum waren Kennzeichen der zum Wirtschaftswunder stilisierten
Installation des neuen, fordistischen Produktionsregimes, Von 1957/58 bis 1973/74 kam es zu einer
Veränderung der Lebensformen und der materiellen Erwartungshaltung, während die Erinnerungen an den
Krieg verblassten. Es herrschte Aufbruchsstimmung: neue Jugendkulturen entstanden, das Stadtbild und
der Wohnraum wurden funktionalistisch umgestaltet und die Infrastruktur auf allen Ebenen der
Gesellschaft ausgebaut. Es herrschte eine gewisse Form von Arbeitsteilung: der niedrigbezahlte, nur niedrige
Qualifikationen verlangende Arbeitssektor wurde mit Arbeitsmigranten aus dem Mittelmeerraum besetzt,
während die Durchlässigkeit von hiesigen Arbeitnehmer hin zu besseren, höher-qualifizierteren Positionen
erweitert wurde; der Bedarf an ausgebildetem Fachpersonal stieg, weil qualitatives Wachstum sich nur über
technische Modernisierung, Automatisierung und Effizienzsteigerung von Industieranlagen realisieren ließ.
Die Politik arbeitete sich an einer umfangreichen Modernisierung und Reform der Gesellschaft ab, die auf
den Übergang von Industrieproduktion zu Wissensproduktion und Expertenwissen zulief; von staatlicher
Seite wurde diese sozioökonomische Entwicklung weniger moderiert als umfassend geplant. Während
Kapital und Arbeit in Deutschland miteinander arbeiteten, arbeiteten jene in Frankreich, Italien und
Großbritannien gegeneinander – das durch Streiks, politische Gewalt, leerlaufende Reformvorhaben und
massive Inflation gezeichnete und Italien bildete den Gegenpol zum deutschen Model von Globalsteuerung
und wirtschaftlicher Stabilität, das durch den sozialliberalen Konsens der Großen Koalition ermöglicht und
durch das 1967 verabschiedete Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft
beschlossen wurde.

Genanntes Gesetz enthielt Maßnahmen zur Stabilisierung des Preisniveaus, des Beschäftigungsgrades, der
Außenhandelsbilanz und des Wirtschaftswachstums; dieses Vorhaben war „Ausdruck einer technokratischen
Utopie, die meinte, den Fortschritt normieren und dauerhaft gestalten zu können“ [ebd., 42]. Die
Reformära stand im Zeichen einer Realutopie: nicht nur die Wirtschaft war Anwendungsfeld staatlicher
Steuerung und Modernisierung, sondern auch die Rechts- und Gesellschaftspolitik, die sich der
Emanzipation und Liberalisierung verschrieb; Fortschrittsoptimismus und der Glaube an die totale
Machbarkeit einer klassen- und schichtenübergreifenden, ideologiefreien, pragmatischen Modernisierung
bildeten die Leitprinzipien jener Zeit. Die sich in Formierung begriffene Neue Linke trat als
Gegenprotagonist auf, indem sie Zweifel an der Dauerhaftigkeit dieser Fortschrittssequenz anmeldete. Der
Klassenkampf kehrte zurück, wenn auch in anderer Form: in Ländern, in denen der liberale Konsens weniger
wirkmächtig und die gesellschaftliche Ungleichheit auch während des Aufschwungs deutlich sichtbar war,
verbanden sich die gegen die etablierten sozialen Normen aufbegehrenden Studentenproteste mit denen der
unqualifizierten Arbeiter, die für höhere Löhne kämpften und die Einlösung des kapitalistischen
Glücksversprechens einklagten. Die ‘68er-Bewegung „verkörperte den Aufbruch in eine offene, andere
Zukunft als die, welche die Planer der Globalsteuerung auf Dauer stellen wollten und mit dem Fortschritt
identifizierten“ [ebd., 44]; der politische und kulturelle US-amerikanische Führungsanspruch wurde in
Frage gestellt, während man gleichzeitig mit dem Kommunismus liebäugelte, bevor die Entspannungspolitik
vorankam. Die integrative Kraft westlicher Gesellschaften nahm seit dem Ende der 1960er-Jahre ab, ihr
innerer Zusammenhalt wurde geschwächt.

Auch die 1970er-Jahre standen im Zeichen von Modernisierung, die sich im Rahmen des etablierten
marktwirtschaftlich-liberalen Systems vollzog; die Aufgaben des Staates wurden ausgeweitet und dessen
Aufgabenfelder mit rationaler Planung und wissenschaftlichen Expertentum zu gestalten versucht. Man

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verfolgte die Vision einer Gesamtpolitik: zentral waren die Expansionen im Bildungswesen und im
Gesundheitsbereich, außerdem Städtebau, Raumordnung und Verkehrswesen wie auch Energie und
Umwelt. Das modernisierende Reformprogramm einte die liberalen und sozialdemokratischen Parteien,
doch es kam auch in gemäßigten konservativen Parteien zur Geltung, was als Zeichen für die Stärke dieses
modernistischen Paradigmas gewertet werden kann. Charakteristikum der Reformzeit von 1969 bis 1975
war die massive Beschleunigung des sozialstaatlichen Ausbaus, der wiederrum den gesellschaftlichen
Anspruch auf staatliche Leistungen vergrößerte. Die sozialpolitische Expansion leitete die finale Phase des
westeuropäischen Modernisierungsmodells ein; kritische Stimmen, die auf die veränderten
demographischen und zunehmend unsicher werdenden ökonomischen Rahmenbedingungen hinwiesen,
blieben ungehört. Die Erdölkrise von 1973/74 wurde zum ersten längeren Stresstest für das westeuropäische
Modell der Sozialpolitik. Jenem gelang es, die Gesellschaftsordnung des Booms für weitere drei Jahrzehnte
zu stabilisieren; rechtlich abgesicherte Leistungen und kollektive Erwartungen an individuelle
Zukunftssicherheit und Besitzstandswahrung wurden zur Selbstverständlichkeit. Konjunkturelle Umbrüche
wie auch der wirtschaftliche Strukturwandel konnten in den Folgejahrzehnten von den, nach dem
westeuropäischen Sozialmodell operierenden Gesellschaften einigermaßen abgefedert werden.

K R I S E D E S F O R D I S M U S Die Erlahmung der wirtschaftlichen Produktivität Ende der 1960er-Jahre


lässt sich auf das Scheitern der fordistischen Akkumulationsstrategie zurückführen [vgl. HIRSCH / ROTH,
1986, 78-103]. Jene Akkumulations- und Hegemonialstrukturen wurden aufgrund ihrer eigenen
ökonomisch-sozialen Dynamik zu einem limitierenden Faktor der Kapitalverwertung; ihre Etablierung war
anfängliche Bedingung für die Stabilisierung von Kapitalprofit und Wohlstand, bis die als Grundlage
dienenden ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen ihre eigene Krisenhaftigkeit
zeigten. Die Krise des Fordismus gründete in einer strukturellen und nachhaltigen Beeinträchtigung des
Kapitalprofits; ursächlich dafür war die Erschöpfung der in der tayloristischen Arbeitsorganisation liegenden
Produktionsreserven und die dadurch fehlende Möglichkeit zur Steigerung der relativen Mehrwertrate.
Rationalisierungsinvestitionen und Freisetzung von industriellen Arbeitskräften wirkten nur dämpfend und
das auch nur temporär, erhöhten aber die Kapitalintensität und verstärkten von dieser Seite her den Druck
auf die Profitrate; die Kapitalrentabilität äußerte sich ab 1970 in negativen jährlichen Zuwachsraten. Das
Auffangen der freigesetzten industriellen Arbeitskräfte durch die expandierenden staatlichen und
kommerziellen Dienstleistungssektoren zeigte sich als nicht wirksam, die Arbeitslosigkeit stieg drastisch an.

Arbeitsintensivierung, Dequalifikation, Monotonie und Entfremdung beeinträchtigten die Rekrutierung


von Arbeitskräften, der Rückgriff auf Arbeitsmigranten und Frauen half nur temporär, während die Formen
des Widerstands gegenüber den einseitigen, schlecht bezahlten und belastungsintensiven Arbeitsplätzen,
zunahmen. Das Erstarken der Lohnarbeiter in der fordistischen Prosperitätsphase, das sich in massiven
Reallohnsteigerungen, einer Nivellierung der Lohnstruktur, einer Ausdehnung der
Arbeitsschutzbestimmungen, sowie im Ausbau des sozialen Sicherungssystems äußerte, führten zu einer
spürbaren Erhöhung der Lohnnebenkosten und einer Verminderung der arbeitnehmerischen Flexibilität
gegenüber den Unternehmen. Das durch den Fordismus hervorgebrachte und institutionalisierte soziale
Kräfteverhältnis zeigte sein krisenhaftes, den organisatorischen und politischen Dynamiken inhärentes
Potenzial gerade in dem Moment, als hohe Produktivitätsfortschritte, steigende Profitraten und ein
forciertes Wachstum in Anbetracht der sich ändernden Bedingungen des Produktionsprozesses nicht mehr
möglich waren. Die

fordistischen Sozial- und Klassenbeziehungen, zentralbürokratischer Korporatismus, Keynesianismus und


sozialdemokratische Reformpolitik wurde[n]an diesem Punkt zur Schranke für die notwendige Anpassung
sozialer Strukturen und Reproduktionsbedingungen [ebd., 81 f.].

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Die Stabilisierungsversuche der auseinanderfallenden fordistischen Formation vor dem Hintergrund


wachsender Kapitalverwertungsschwierigkeiten und sinkender Profitraten wurden zur Ursache für eine
progressiv steigende Staatsverschuldung und eine Inflation bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Stagnation; von
staatlicher Seite reagierte man mit einer erfolgslosen Austeritätspolitik, die mit einer „offenen Preisgabe
‚keynesianischer‘ Prinzipien“ [ebd., 82] einherging und den Massenkonsum wegbrechen lies. Stagnierende
Reallöhne, schnell wachsende Arbeitslosigkeit und Kürzungen der Sozialleistungen wirkten sich zu Beginn
der Krise bereits negativ auf die Kaufkraft der Bevölkerung aus, so dass eine weitere Zunahme des
Massenkonsums nicht mehr möglich war, als es zu einer rationalisierungsbedingten Ausweitung der
Produktionskapazitäten kam [vgl. ebd.]; dies beschleunigte die Desintegration des fordistischen
Akkumulationsmodels, dessen Säulen die taylorisierte Massenproduktion und der expandierende
Massenkonsum waren. Die Krise des Fordismus war eine Krise der Kapitalverwertung im Rahmen einer
bestimmten Akkumulationsstrategie; eine rückläufige Mehrwertproduktion und der damit
zusammenhängende Fall der Profitraten lassen sich als die strukturellen Ursachen der fordistischen Krise
benennen.

ZERFALL DER HEGEMONIE Das Auseinanderbrechen des fordistisch-keynesianischen


Hegemonialprojekts äußerte sich auf politischer Ebene als Krise der Sozialdemokratie, deren staatlich-
bürokratisch gesteuerte Modernisierung aller Lebensbereiche zu einer unüberwindbaren Kluft zwischen
Politik und gesellschaftlichen Interessen geführt haben. Nachlassendes Wachstum und eine Verkleinerung
der „Konzessionsspielräume für materielle Kompensations- und Befriedigungsmaßnahmen“ [ebd., 94]
führten dazu, dass die latenten gesellschaftlichen Widerstände akut wurden.

Der stabile Rahmen der internationalen Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit zeigte bereits mit dem
Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods im Jahre 1971 Risse: dabei wurde von
amerikanischer Seite die Dollar-Gold-Konvertibilität aufgehoben und die Wechselkursbindung an den
Dollar beendet. Im Zuge der darauffolgenden Inflation kam es zu Verteilungskämpfen zwischen Arbeit und
Kapital, die Intensität der Arbeitskämpfe stieg im Vergleich zu den zwei vorigen Jahrzehnten; die soziale
Reformpolitik verlor an Handlungsmöglichkeiten und die Keynesianistische Ordnungspolitik an
Legitimität, da jenes Steuerungskonzept der in den meisten westeuropäischen Staaten auftretenden Preis-
Lohn-Spirale nicht im ausreichendem Maße entgegenwirken konnte. Mit dem Modell staatlicher
Globalsteuerung wurde gebrochen, vielmehr sollte die monetäre Stabilität über ein kontrolliertes Wachstum
der Geldmenge gesteuert werden; die geldpolitische Verantwortung wurde von der Regierung zur
Zentralbank verschoben. Es bahnte sich eine Ablösung des sozialliberalen Wirtschaftsmodells zugunsten des
monetaristischen Konzepts der wirtschaftsliberalen Chicago School an, welches auf eine Verminderung der
staatlichen Einflussnahme drängte; nach 1970 kam es zu einem Erstarken der seit Kriegsende in
Vergessenheit geratenen ordnungspolitischen Konzepte von Hayek und Friedman, die die „Agenturen zur
Verbreitung der marktradikalen Freiheitsideologie“ [DOERING-MANTEUFFEL / RAPHAEL, 2012, 50]
anführten. Hayek erhielt 1974 den Nobelpreis, die Auszeichnung Friedmans folgte 1976: Keynes wurde
begraben und der Neoliberalismus gefeiert.

Der Monetarismus schien als probates Mittel, um die globalen strukturellen Veränderungen des
industriellen Produktionssystems unter Kontrolle zu bringen. Mit dem Ende der Kohlegewinnung, der
Werften, Eisenhütten Webereien und Spinnereien endete auch die industrielle Moderne; verschiedene
Industriezweige konnten ihre Produktion nicht mehr gewinnbringend absetzen. Die beiden Ölkrisen in den
1970er-Jahren erfassten auch die Krisenbranchen und verstärkten damit den gesellschaftlichen
Strukturwandel:

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Gestiegene Energie- und Rohstoffpreise, Unsicherheit auf den Finanzmärkten und zurückgehende
internationale Nachfrage schlugen jetzt auf jene Krisenbranchen durch, die ohnehin schon mit
Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Die Wirtschaft mußte Kosten senken, rationalisieren, neue Märkte
erschließen. [ebd., 54]

Dieser strukturelle Bruch zwang die Menschen zu einem Mentalitätenwandel, ihr Erfahrungsraum und
Erfahrungshorizont strukturierten sich neu. Das Aufkommen der Mikroelektronik veränderte den
Charakter der Erwerbsarbeit: diese war nicht mehr durch körperliche Schwerstarbeit geprägt, da diese durch
verfahrenstechnische Neuerungen und EDV-gestützte Prozesssteuerung marginalisiert wurde; der
Industriearbeiter wurde vom höherqualifizierten Facharbeiter abgelöst, dessen Arbeit aus „Überwachen,
Steuern, Optimieren“ [ebd., 54] bestand. Rationalisierung und Marginalisierung führten zu Arbeitslosigkeit
und zu einem Gefühl existenzieller Unsicherheit; die Arbeitsmigranten waren davon in besonderem Maß
betroffen. Die Reform und Expansion des Bildungswesens sollten auf den Übergang in eine neue Ära des
Kapitalismus vorbereiten; die lange Tradition technischer Fach- und Fachhochschule in Deutschland sowie
das industrienahe, duale Ausbildungssystem zeigten sich hierbei als vorteilhaft, doch stellte Deutschland
unter den westeuropäischen Ländern eher eine Ausnahme dar. Durch die Expansion der
Bildungseinrichtungen entstand ein großer öffentlicher Sektor, dessen „arbeitsrechtliche und sozialpolitische
Privilegien“ [ebd., 57 f.] die dort beschäftigten Menschen vor den Turbulenzen und Instabilitäten des
Arbeitsmarkts schützten. Die Zahl der Beschäftigten nahm insbesondere im sozialen und öffentlichen Dienst
in den Jahren von 1970 bis 1985 zu; von allen Dienstleistungssektoren verzeichnete genannter Sektor
zwischen 1960 und 1990 den größten Zuwachs in den westeuropäischen Ländern.

Auf die sozialliberale Hegemonie des Fordismus folgte die Epoche des Finanzkapitalismus, welche durch die
Verlagerung der Wertschöpfung weg von der Industrie hin zu den Finanzmärkten charakterisiert ist. Die
damit zusammenhängende Entfesselung der Finanzmärkte durch die Politik und die neoliberalen think
thanks stellte einen, aus systemischen Gründen notwendigen Schritt dar: Den Finanzmärkten wurde vor
dem Hintergrund des fordistischen Zusammenbruchs implizit die Aufgabe aufgetragen, die Reproduktion
des Systems zu sichern und die dazugehörige Ideologie von Wachstum und Fortschritt zu gewährleisten.
Wert wurde und wird seitdem durch die Auslösung von Schuldzyklen produziert, da die Realwirtschaft
keine großflächigen Investitionsmöglichkeiten mehr für die kapitalistische Produktionsweise bietet. Die
Monetarisierung der Welt durch eine global agierende Kreditökonomie ermöglichte den kapitalistischen
Gesellschaften wieder, sich zu reproduzieren. Das fordistische Akkumulationsmodell wurde durch ein neues
Akkumulationsmodell abgelöst, welches in der Finanzsphäre lokalisiert ist und bis zum heutigen Tag zu
funktionieren scheint – abgesehen von den regelmäßigen Finanzkrisen. Die hegemonialen Strukturen
moderner finanzkapitalistischer Gesellschaften scheinen zu keinem Zeitpunkt in fundamentaler Weise
gefährdet [vgl. Quent et. al, 2016]; das Wachstumsparadigma und der Fortschrittsglaube bestimmen
weiterhin relevante Teile von Politik, Ökonomie und Gesellschaft [vgl. Lukas, 2013].

S C H L U S S B E T R A C H T U N G Durch die überblicksartige Rekonstruktion der gesellschaftlichen


Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg sollte herausgestellt werden, dass Becks These der reflexiven
Modernisierung hilfreich dafür ist, die gegenwärtigen Lebensverhältnisse in kapitalistischen Gesellschaften
besser verstehen zu können. Die Radikalisierung der Moderne führte zu problematischen Veränderungen in
modernen Gesellschaften, die intrinsischer Art sind und deshalb mit dem bisherigen gängigen intellektuellen
Repertoire weder zu erfassen noch zu verstehen sind. Die strukturimmanenten Widersprüche der
kapitalistischen Produktionsweise, wie sie im fordistischen Akkumulationsmodell zur Geltung gekommen
sind, lassen sich auf diese Weise nur bedingt unter Kontrolle bringen. Das Denken und Handeln in der
gegenwärtigen Politik ist pragmatisch ausgerichtet; die Umsetzung radikaler Programme, die die
immanenten Probleme auf einer fundamentalen Stufe angehen, sind aufgrund der Komplexität moderner
kapitalistischer Gesellschaften höchst unwahrscheinlich.

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Literaturverzeichnis
Beck, Ulrich. Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt am
Main: Suhrkamp, 1993.

Doering-Manteuffel, Anselm und Lutz Raphael. Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte
seit 1970. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012.

Hirsch, Joachim und Roland Roth. Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-
Fordismus. Hamburg: VSA, 1986.

Luks, Fred. Die Zukunft des Wachstums. Theoriegeschichte, Nachhaltigkeit und die Perspektiven einer
neuen Wirtschaft. Marburg: Metropolis, 2013.

Quent, Marcus. Absolute Gegenwart. Berlin: Merve, 2016.

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