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Lohnradar

Electrosuisse

Studie über die


Arbeitswelt in der
Elektrotechnik- und
Energiebranche

N° 02 2018

Visionen und Trends


Digital wird normal
Seite 10

Flexibler «Wadenbeisser»
Seite 20

Vom Kabel-Graben ins Digi-Tal


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Electrosuisse Lohnradar 2018

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Digitale Transformation als


Führungsherausforderung

Digital
wird normal
Wir verändern uns als Gesellschaft
und in der Art, wie wir uns
organisieren – von Systemen hin
zu Netzwerken.

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hoher Gebühren etwa, oder dass


sich grosse Plattformen zwischen
das Unternehmen und den Kunden
schieben und die Unternehmen ein
grosses Stück an Kontrolle und Kun-
dennähe verlieren.

Von Digitalisierung zu
digitaler Transformation
Eigentlich ist «Digitalisierung»
nicht der korrekte Begriff, um zu be-
schreiben, wie sich die gegenwärti-
ge Welt verändert. Eigentlich sollten
wir von «digitaler Transformation»
Virtualität und Realität verschmelzen immer mehr. Sich darin zurechtzufinden, ist nicht immer
ganz einfach. sprechen. Während Digitalisierung
im Grunde nichts anderes meint,
als die Übersetzung irgendwelcher

D
igitalisierung ist in fast allen analoger Werte in Bits und Bytes,
Branchen schon lange ein ist der Begriff «digitale Transforma-
Thema. Die allermeisten tion» – den wir erst etwa seit 2014
Firmen unterhalten eine Website, benutzen – viel umfassender. Er
mehrheitlich mit Verknüpfungen beschreibt einen grundlegenden
zu Social-Media-Profilen. Digitale gesellschaftlichen Veränderungs-
Unternehmensprozesse und die prozess, der weit über Technologie
«Sich voll auf Nutzung digitaler Technologien zur
Warenbeschaffung etablieren sich
hinaus geht und im Kern eine zuneh-
mende Vernetzung oder Konnektivi-
die digitale zunehmend. Bei Themen wie Kun- tät bedeutet. Diese Konnektivität

Welt einzu-
denkommunikation und Reputa- hat in den letzten Jahren nicht nur
tionsmanagement oder Personal- unser Kommunikationsverhalten

lassen, ist tat- prozessen wie Recruiting, interner


Kommunikation und Wissensma-
verändert, sondern auch Wert-
schöpfungsketten. Unternehmen

sächlich nicht nagement ist die Nutzung hingegen


noch weniger weit fortgeschritten.
wie Airbnb, Uber, Spotify, Amazon
oder Alibaba gründen alle ihre Ge-

einfach.» Zentrale Hürden für das Nichtnut-


zen digitaler Kanäle sind hinlänglich
schäftsmodelle auf dieser Konnek-
tivität.
bekannt: fehlende Zeit, fehlendes
Know-how, Datenschutzbedenken, Konnektivität: von Syste-
Kosten und fehlende Investitionssi- men zu Netzwerken
cherheit. Gegenwärtig erleben wir auf dem
Wer nicht mitmacht, läuft Ge- Hintergrund der digitalen Transfor-
fahr, den Anschluss an einen neuen mation und einer zunehmenden
Markt zu verlieren. Wer sich aber Vernetzung einen Übergang von
für einzelne Dienste entscheidet, Systemen hin zu Netzwerken. Und
Bild Doppelseite: AdobeStock

sollte in jedem Fall genau rechnen, dies mit ziemlich weitreichenden


damit es sich lohnt. Denn möglichen Folgen. Dominierende Organisa­
Vorteilen wie Umsatzsteigerung tionsformen in allen Bereichen der
durch neue Absatzmöglichkeiten Gesellschaft sind nicht mehr ge-
und grössere Bekanntheit stehen schlossene, top-down-gesteuer-
auch Risiken gegenüber. Die Gefahr te Systeme mit klaren Rollen und

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Funktionen, sondern offene, agile,


sich ständig im Wandel befindliche,
selbstorganisierende Netzwerke.
Im Kern ist digitale Transformation
damit ein Veränderungsprozess der
Organisationsstrukturen und -kultu-
ren.

Neue Werte und Normen


Die digitale Transformation geht
auch mit einer Reihe neuer Werte
und Normen, einer neuen Grund-
haltung Kunden und Mitarbeiten-
den gegenüber und einer neuen
Unternehmenskultur einher. Kun-
den und Mitarbeitende wünschen
Diejenigen Teams, die aus unterschiedlichen Menschen und Kompetenzen bestehen, haben
sich heute offene Kommunikation, die grösste Innovationskraft.
Transparenz und Partizipation. Die
Unternehmenskommunikation soll
offen, selbstkritisch, ehrlich und Dreiklang von Technologie, Prozes- se, z.B. digital von der Bauplanung
dialogbereit sein. Zudem ist Trans- sen und Kultur. Was wir heute brau- bis zur Bewirtschaftung, integrierte,
parenz gefordert: Wer heute als chen, sind Führungspersonen und modellbasierte Kollaboration, Auto-
Einzelperson insbesondere in Füh- strategische Gremien, die digitale mation in der Ausführung, z.B. der
rungsposition oder als Organisation Transformation auf diesen unter- Vernetzung von Planungsdaten mit
nicht transparent ist, ist suspekt. schiedlichen Ebenen denken kön- der konkreten Ausführung auf der
Und schliesslich Partizipation: Kun- nen. Baustelle, intelligente Logistik oder
den und Mitarbeitende möchten In der Regel finden wir heute digitale Service- und Kommunika-
heute auf Augenhöhe kommunizie- grosse Anstrengungen in vielen Un- tionskanäle, z.B. digitales Kunden-
ren und in Prozesse und Entscheide ternehmen auf der Ebene von Tech- management.
einbezogen werden. nologie und Daten: die richtigen,
vollständigen und standardisierten
Neue Handlungsfelder Daten an einem Ort zu haben; über
für Führung
Diese Kulturveränderung impli-
Echtzeit-Informationen zu verfügen,
mit gemeinsamen strukturierten
«Im Kern geht es
ziert auch neue Formen von Füh- Datenmodellen zu arbeiten und um einen sozialen
Transformations­
rung. Führungspersonen müssen neue Technologien wie digitale Pla-
sich mit der Tatsache auseinander- nungstools, mobile Cloudlösungen
setzen, dass sich Netzwerke nicht
top down steuern lassen. Sie müs-
für Projektplanung oder vernetzte
Maschinen zu nutzen. Das ist nicht prozess.»
sen sich darauf einlassen, dass per- ganz trivial, aber machbar. Und im
manent Interaktionen und Kräfte Moment wird hier vielerorts das
zur Wirkung kommen, die sich nicht meiste Geld investiert.
nach den Organisationsmustern der Eine zweite Ebene der digitalen Und die wichtigste Ebene digi-
Hierarchie richten. Transformation ist jene der durch- taler Transformation ist gleichzeitig
gängig digital gedachten Prozesse. auch jene, die am wenigsten Be-
1. Technologie, Prozesse
Bilder: AdobeStock

Hier wird es schon schwieriger für achtung erfährt, vielleicht weil sie
und Kultur im Einklang Unternehmen. Auf dieser Ebene gleich­­zeitig die schwierigste ist. Es
Ein erstes Handlungsfeld könn- sind Aufgaben angesiedelt wie: di- ist die Ebene der Organisationskul-
te man überschreiben mit dem gitale Durchgängigkeit der Prozes- tur.

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Das künftige, erfolgreiche Arbeitsmodell beruht auf permanenter Interaktion und Transparenz.

Hier geht es um Herausforde- eine Organisation braucht. Diese Bereich Radiologie oder Chirurgie,
rungen wie eine gemeinsame Di- Frage stellt sich ganz massiv auf juristische Berufe und sogar Krea-
gitalvision und -strategie, digitale dem Hintergrund der technologi- tivberufe sehen sich Veränderungen
Governance oder ganz generell um schen Veränderungen durch Auto- gegenüber.
die Leidenschaft für Veränderung. matisierung. Diverse Studien zeigen Die zunehmende Automatisie-
Diese Handlungsebene wird in den die möglichen Auswirkungen neuer rung bedeutet, dass es also bereits
meisten Unternehmen heute noch Technologien auf Arbeit auf. Die Pro- heute zu einer vorrangigen Leader­
nicht berücksichtigt, wäre aber die gnosen sind unterschiedlich. Dass ship-Aufgabe geworden ist, sich Ge-
entscheidende, um die beiden an- sich Arbeit aber verändert, Job­ danken darüber zu machen, welche
dern erfolgreich zu implementieren. anteile verloren gehen, ganz neue Kompetenzen eine Organisation
Tätigkeitsfelder entstehen, scheint künftig benötigt. Die University of
2. Zukunftskompetenzen jedoch unbestritten. Ebenso, dass Phoenix hat vor ein paar Jahren eine
Ein zweites Handlungsfeld für neben Fliessband-Jobs auch viele schöne Übersicht solcher «Future
Führungskräfte in Zeiten digitaler Tätigkeiten, die das Sammeln und Works Skills» zusammengestellt.
Transformation könnte man über- Verarbeiten von Daten umfassen, Und interessanterweise finden sich
schreiben mit Zukunftskompeten- von Maschinen übernommen wer- hier keine fachlichen oder techni-
zen der Mitarbeitenden oder «Fu- den. Damit rückt die Veränderung schen Kompetenzen, sondern viel-
ture Work Skills». Es ist heute eine von Job und Jobanteilen viel näher mehr Dinge wie:
auf dem Hintergrund digitaler Trans- an uns alle heran. Grossen Verände- – Sensemaking: die Fähigkeit, Din-
formation vorrangige Führungsauf- rungen unterworfen sind auch Beru- gen eine tiefere Bedeutung oder
gabe, sich mit der Frage auseinan- fe, die bisher als sicher galten: Beru- Wichtigkeit beimessen zu kön-
derzusetzen, welche Kompetenzen fe im Gesundheitswesen, etwa im nen, kritisches Denken

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– Novel and adaptive Thinking: benötigen, stehen heute noch nicht lungen zu übergeben, sondern als
die Fähigkeit, auch nach vielen in den Lehrplänen unserer Schulen. zentrale Aufgabe von Führung zu
Berufsjahren Dinge und Probleme Finnland hat übrigens auf diese neu- verstehen. Denn im Zentrum des
neu zu denken en Anforderungen reagiert und ist gegenwärtigen Transformationspro-
– Social Intelligence: soziale Intel- daran, das Schulsystem umzustel- zesses steht die Forderung von Mit-
ligenz len. Die Fächer wie Mathematik, arbeitenden und Kunden nach einer
– Cognitive Load Management: Sprachen oder Geografie werden in neuen Unternehmenskultur, die
die Fähigkeit zur Differenzierung, den Hintergrund gerückt und Kom- geprägt ist von offener Kommunika-
zur Unterscheidung von Wichti- petenzen wie Kommunikation, Kre- tion, Transparenz und Partizipation.
gem und Unwichtigem ativität, kritisches Denken und Zu-
– Cross Cultural Competency: Un- sammenarbeit ins Zentrum gestellt. Zur Autorin
tersuchungen zeigen, dass solche Als Prorektorin einer Luzerner
Gruppen am intelligentesten und Fazit Hochschule ist Frau Prof. Dr. Andréa
innovativsten sind, in denen Men- Digitale Transformation ist – das Belliger seit vielen Jahren Mitglied
schen verschiedenen Alters, mit wird oft vergessen – viel mehr als In- der Geschäftsleitung und in leiten-
unterschiedlichen Fähigkeiten und ternet und Social Media, mobile An- der Managementposition. Zudem
Arbeits- und Denkmustern sowie wendungen oder Sensoren, mehr führt sie das private Forschungs-
aus diversen Disziplinen zusam- als Big Data und Predictive Analytics. und Weiterbildungsinstitut IKF in
menarbeiten Digitale Transformation ist eigent- Luzern. Sie forscht, lehrt und berät
– Virtual Collaboration: trotz räum- lich kein technologischer, sondern Organisationen zu Fragen vonTrends
licher Trennung effizient zusam- ein gesamtgesellschaftlicher Ver- und Veränderungen im gesellschaft-
menzuarbeiten änderungsprozess, bei dem es um lichen Kommunikationsverhalten
Die Kompetenzen, die wir zur er- so etwas wie «Konnektivität» geht. und zu digitaler Transformation in
folgreichen digitalen Transformation Konnektivität bedeutet die zuneh- unterschiedlichen Branchen. Frau
mende Organisation unserer Welt Belliger ist als Verwaltungsrätin in
in Netzwerken. Dominierende Or- verschiedenen Schweizer Unter-
CAS Digitale Transforma- ganisationsform in allen Bereichen nehmen strategisch tätig (Finance,
tion, 10-tägiger Weiter­ der Gesellschaft sind nicht mehr Health, eLearning).
bildungskurs geschlossene, top down gesteuer-
#digitaletransformation #digitalisierung
te Systeme mit klaren Rollen und #futureworkskills # visionäresdenken
Nächste Durchführung: Funktionen, sondern offene, agile,
ab 15. März 2019 sich ständig im Wandel befindliche,
selbstorganisierende Netzwerke
Prof. Dr. Andréa Belliger
Weitere Infos: mit neuen Werten und Normen. Die Leiterin Institut für Kommunikation
& Führung IKF
www.ikf.ch, studium, angebote aktuellen Herausforderungen sind www.ikf.ch
deshalb nicht einfach den IT-Abtei-

Impressum

Herausgeber: Electrosuisse, Fachverband für Elektro-, Energie- und Informationstechnik, Fehraltorf  Gesamtverantwortung: Duri Sulser
Projektleitung: Bernadette Kohler  Redaktion Electrosuisse: Bernadette Kohler, Cynthia Hengsberger (franz.)  Gestaltung: Schmucki.
Agentur für Kommunikation AG, Wetzikon  Markt­forschungsinstitut: DemoSCOPE, Adligenswil  Produktion, Layout, Korrektorat
und Druck: Somedia Production AG, Glarus Autoren dieser Ausgabe: Andréa Belliger (IKF) | Josef Widmer (SBFI) | Pascal Studerus (Micro-
lino) | Beat Gassmann (ibk) | Michael Knabe (Beratung & Inspektion, Electrosuisse) | Sebastian Gaulocher, Anita Gertiser (FHNW) | Ulrich
Kunz (Expert Service 50, Electrosuisse) | Thomas Wegmann (together) | Daniel Hofmann (Weiterbildung, Electro­
suisse) |
Auflage:8 000 Exemplare; CHF 130.–/Exemplar; für Nicht-Mitglieder von Electrosuisse im Online-Shop erhältlich; Copyright: Electrosuisse;
Nachdruck und Auszüge nur mit Zustimmung von Electro­suisse (Mitglieder Service)  Hinweis: Die Fremdbeiträge geben die Meinung
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­ edaktion übereinstimmen. Die Auswertung der Umfrage erfolgte ge-
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