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Oktober 2010
WIRTSCHAFT
Die Opposition gegen den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart Widerstand gegen Großprojekte völkerung in anderen auf die Kraft der politischen Institutio-
21 hat viele Menschen in Deutschland in ihrer Heftigkeit über- nen. In manchen Orten gehen vor allem Grundstücks-
rascht. Die Proteste heizen auch die Diskussion über die De- te sie erfolgen? Ähnliche Fragen stellen sich auch die Men- besitzer auf die Barrikaden, in anderen ist der Naturschutz ei-
mokratie an: Wie viel Mitsprache ist beim Bau von Großpro- schen in anderen demokratischen Staaten. Während die Pro- ne größere Motivation für Widerstand. Neun Auslandskorre-
jekten nötig, erwünscht, legitim und über welche Kanäle soll- testkultur in einigen Ländern ausgeprägt ist, vertraut die Be- spondenten der SZ schildern ihre Beobachtungen.
Geld entscheidet Trotz aller Liebe Beim Kohl endet die Geduld
Infrastruktur ist ersehnt, Immobilienentwickler sind gefürchtet Ureinwohner legen sich mit Brasiliens populärem Präsidenten an Ein Staudamm-Bau treibt den Gemüsepreis – und damit die Wut
Von Nikolaus Pipe r milien mit geringem Einkommen reser- Von Peter Burghar dt zerstörerisch, sondern obendrein unrent- Von Christoph Ne idhart betten werden ausgebaggert, Sumpfgebie-
viert werden. Der Entwurf für den Kom- abel, weil der Xingú die meiste Zeit des te trockengelegt. Dazu kommen Straßen,
New York – Die Sa- plex stammte von dem Stararchitekten Buenos Aires – Der Jahres nicht genügend Wasser führe. Seoul – In Südkorea Radwege, Freizeitparks und Hotels. Die
che ist einfach: Der Frank Gehry, was Atlantic Yards für die vermutlich belieb- Und Regisseur James Cameron wetterte wird der Kohl Flüsse führten immer weniger Wasser, ihr
Konflikt um Stutt- Stadt noch attraktiver macht. teste Präsident der bei einem Ortstermin ebenfalls dagegen. knapp. Innerhalb Schlamm sei mit Schwermetallen vergif-
gart 21 wäre in den Auf der anderen Seite standen die Ein- Welt ist begeistert In anderen Ländern Lateinamerikas von sechs Wochen tet, sagt Young Soogil, Beauftragter des
Vereinigten Staa- wohner aus der Nachbarschaft. Sie von mächtigen Tur- finden die Rebellen allerlei Vorbilder für hat sich der Preis Präsidenten für das Projekt. Zudem wer-
ten so nicht mög- glaubten, dass das Projekt in seinen riesi- binen, sie sind für ihren Kampf gegen die bauwütige Zen- verfünffacht. Die de es wegen des Klimawandels seltener,
lich, und zwar aus zwei Gründen. Er- gen Dimensionen ihr vertrautes Wohn- ihn ein entscheidender Antrieb für Brasi- trale. Am Rande von Mexiko-Stadt sorg- Opposition schimpft, das sogenannte aber stärker regnen. Die Staudämme wür-
stens liegt das Land mit der Modernisie- umfeld zerstören würde. Die fraglichen liens Aufstieg zur Wirtschaftsmacht. Als ten hartnäckige Aufständische vor Jah- Vier-Flüsse-Projekt sei schuld. Das den helfen, die Trinkwasserversorgung zu
rung seiner Eisenbahnen um Jahrzehnte Viertel mit ihren hundert Jahre alten Rei- vor einigen Monaten in Millionen Haus- ren dafür, dass die Pläne für den Groß- Neun-Milliarden-Euro-Unterfangen hat sichern und Überschwemmungen zu ver-
hinter Europa zurück. Zweitens sind Aus- henhäusern standen noch in den achtzi- halten zwischen São Paulo und Rio de Ja- flughafen nach Straßenschlachten wie- schon 105 Quadratkilometer landwirt- hindern. Mit dem Ausbaggern würden die
gaben für die Infrastruktur ein progressi- ger Jahren davor, sich zu einem Slum zu neiro der Strom ausfiel, da war sich Luiz der in der Schublade verschwanden. In schaftlicher Fläche zerstört. Präsident giftigen Sedimente entfernt. Young preist
ves Anliegen. Gerade der liberale, um entwickeln. Inzwischen sind sie jedoch Inácio Lula da Silva erst recht sicher, Cochabamba in Bolivien verhinderten Lee Myung-bak spricht von einer Restau- das Projekt sogar als Teil des „grünen
den Klimawandel besorgte Teil der Öf- angenehme, fast idyllische Wohngegen- dass seine Heimat dieses Megaprojekt na- Herausforderer die Privatisierung der lo- rierung der wichtigsten Flüsse. Das Pro- New Deal” Südkoreas.
fentlichkeit drängt auf Investitionen in den geworden. Die Anwohner organisier- mens Belo Monte braucht. Ende August kalen Wasserversorgung. Es war dort der jekt soll sein Denkmal werden. Doch Kohl Die vergifteten Flussböden wurden
die Eisenbahnen. ten sich in Bürgerinitiativen und klagten unterschrieb der frühere Gewerkschaf- Beginn des politischen Umschwungs, der kostet nun mehr als Schweinefleisch. Aus kürzlich schon gereinigt und zu 97,3 Pro-
Das bedeutet nicht, dass Amerikaner vor Gericht. ter und Metallarbeiter den Konzessions- Evo Morales an die Macht brachte. Kohl macht man Kimchi, ein rohes Sauer- zent für saniert erklärt, schreibt Kim
keine Konflikte um Großprojekte ken- Viele der Bedenken bestätigten sich in vertrag für das Wasserkraftwerk am Rio In Brasilien bescherte eine grüne (und kraut, das die Koreaner zu jeder Mahlzeit Jung-wk, Professor für Umweltstudien an
nen. Nur sehen die ganz anders aus als in der Rezession. Ratner geriet in Geld- Xingú im Amazonasgebiet. Mehr als elf evangelikale) Welle der alternativen Kan- essen. Ohne Kimchi können sie nicht le- der National-Universität. Sein Gutachten
Deutschland. Häufig brechen sie auf, schwierigkeiten und musste die Kosten Gigawatt soll die dann drittgrößte Stau- didatin und Naturschützerin Marina Sil- ben, für Kimchi würden sie auf die Straße widerlegt jedes Argument der Regierung.
wenn mächtige Immobilienentwickler in drastisch senken. Unter anderem verzich- stufe des Planeten ab 2015 liefern, elf Mil- va in der ersten Runde der Präsident- gehen. 2000 Professoren haben sich hinter ihn ge-
gewachsene Wohn- und Geschäftsviertel tete er auf den teuren Entwurf Gehrys. liarden Dollar wird das Monstrum vor- schaftswahl kürzlich fast 20 Prozent der Und das können sie: Südkoreas Studen- stellt. Das Projekt zerstöre die Flüsse, das
eingreifen und versuchen, die Politik für Damit ging auch der ästhetische Reiz von aussichtlich kosten. Auch Dilma Rous- Stimmen und zwang die industriefreund- ten zwangen mit endlosen Protesten in Habitat vieler Vögel, es belaste die Um-
sich zu instrumentalisieren. Und meist Atlantic Yards verloren. Die Arena wer- seff, die Lula beerben will, zählt zu den liche Favoritin Rousseff in die Stich- den 1980er Jahren die Diktatur in die welt und gefährde die Trinkwasserversor-
werden sie dann mit Geld gelöst. de aussehen wie ein Flugzeug-Hangar, Antreibern. Doch Lula und Dilma tref- wahl. Verhindert werden kann der Bau- Knie, Hunderte bezahlten die Demokratie gung, so Kim. Während andere Länder ih-
Ein typischer Fall ist das Projekt At- schrieb die New York Times. Trotzdem fen auf einen Widerstand, der noch unan- beginn von Belo Monte zwar kaum mehr, mit ihrem Leben. Bürgerbewegungen setz- re Flüsse renaturierten, denaturiere Süd-
lantic Yards in Brooklyn. Hier sollen auf wurde das Projekt weitergetrieben. genehm werden kann. dafür hat es der ansonsten außerordent- ten die Schließung von US-Militärstütz- korea seine Gewässer. Der Professor zeigt:
einem ehemaligen Bahngelände der Jetzt ging es nur noch um eine Frage: Nicht nur Umweltschützer sind ent- lich populäre Lula bereits zu weit voran- punkten durch. Und vor zwei Jahren zwan- Das Vier-Flüsse-Projekt ist eine Neuaufla-
Long Island Railroad eine neue Arena Darf „Eminent Domain“, die amerikani- setzt von dem Riesenbauwerk im bedeu- getrieben. Aber von der Opposition aus gen sie Präsident Lee, das Importverbot ge des verhinderten Kanals. Die geplanten
für das Basketball-Team der „Nets“ und sche Form des Enteignungsverfahrens, tendsten Naturraum der Erde. Auch Ur- Ortsansässigen und internationalen Sym- für US-Rindfleisch neu zu verhandeln. Da- Staudämme sind jene, die für den Kanal
Tausende neuer Wohnungen entstehen. auf ein privates Projekt wie Atlantic einwohner an dem Fluss lehnen den Vor- pathisanten wird noch zu hören sein, für hielten sie drei Monate lang Mahn- geplant waren. Dazugekommen sind bloß
Nach sieben Jahren zum Teil erbitterten Yards angewandt werden? Und wie viel stoß ab, 12 000 Menschen müssten umge- wenn die Maschinen anrücken. Die india- wachen. Dann stoppten sie das Projekt die Radwege, Hotels und Erholungszonen
Streits begannen die Bauarbeiten am 1. Geld bekommen die Enteigneten? Im No- siedelt werden. „Solange ich am Leben nischen Kritiker waren trotz versproche- des Präsidenten, einen Kanal durch die – mehr Beton.
März. Es ist mit einem Volumen von 4,9 vember entschied ein Berufungsgericht bin, werde ich Nein sagen zur Zerstörung ner Entschädigungen außer sich vor Halbinsel zu bauen. Jetzt wollen Opposi- Weil das Projekt bis zum Ende von Lees
Milliarden Dollar – nach dem Wiederauf- in der Enteignungssache zu Ratners der indigenen Völker“, verkündete Rao- Wut, als Lula die Verträge mit den Bau- tion und Umweltschützer den Kim- Amtszeit 2012 fertig werden soll, peitsch-
bau des World Trade Centers – derzeit Gunsten. Im April gab Daniel Goldstein, ni Metyktire vom kämpferischen Stamm firmen unterschrieb. Man habe „ein Ge- chi-Preis dazu nutzen, aus dem Widers- te dieser die Bauarbeiten voran, bevor die
das zweitgrößte Bauvorhaben New der letzte Protestierer, auf. Gegen die der Kayapó, einer der Wortführer. Die In- fühl der Revolte bei all der Ungerechtig- tand gegen das Vier-Flüsse-Projekt eine Gutachten erstellt waren. Nach zehn Mo-
Yorks. Zahlung von drei Millionen Dollar ver- dianer haben sich längst zum Protest for- keit“, klagte Aktivistin Sheyla Juruna. Volksbewegung zu machen. naten Bauzeit ist das Mega-Projekt zu ei-
Entwickler von Atlantic Yards ist ließ er seine Wohnung und trat als Vorsit- miert, und sie finden prominente Unter- „Unsere Gegenwehr muss neue Formen Südkorea ist ein Land der Großprojek- nem Drittel fertig. Dabei fangen die Ge-
Bruce Ratner, ein ruppiger Unternehmer zender der wichtigsten Bürgerinitiative stützung. Raoni trat gemeinsam mit dem annehmen. Wir sind bereit für den Krieg, te. Hier werden noch neue Städte aus dem richte erst an, die 9300 Klagen zu behan-
aus Ohio. Der Eigentümer der Nets brach- zurück. britischen Sänger Sting auf. „Das ist das wenn die Regierung nicht hören will.“ Boden gestampft wie sonst nur in China. deln. Die Anwälte sagen, die Demokratie
te Bürgermeister Michael Bloomberg Herz des Amazonas“, sprach der Pop- Lee, einst Chef eines Baukonzerns, will an und der Rechtsstaat stünden auf dem
und den Stadtrat hinter sich mit dem Ver- star, „und alles, was hier passiert, be- den vier Flüssen 16 Staumauern Spiel. Obwohl Lee ihnen Arbeitsplätze ver-
sprechen, Brooklyn neu zu beleben und trifft die Welt.“ Der österreichische Bi- errichten, Hunderte Kilo- sprach, rufen sogar die Gewerkschaften
neue Jobs zu schaffen. Knapp ein Drittel schof Erwin Kräutler leistet den Demons- meter sollen in Dämme zum Widerstand auf. Aber wirksamer als
der geplanten Wohnungen sollten für Fa- tranten in seiner Diözese Altamira Bei- gelegt werden, die Fluss- alle Aufrufe wird der Kimchi-Preis sein.
stand. Für ihn ist Belo Monte nicht nur