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Metastasiertes
Anne Schlesinger-Raab1
Renate Eckel2
Jutta Engel1
Mammakarzinom: Keine
Hansjörg Sauer3
Udo Löhrs4
Lebensverlängerung
Michael Molls5
Dieter Hölzel1, 2 seit 20 Jahren
Zusammenfassung Mammakarzinoms. Die im TRM dokumentierten
Behandlungsergebnisse sind international ver-
sed controversially. Results of the Munich
Cancer Registry in metastasized breast cancer
Ob die Behandlung fortgeschrittener meta- gleichbar. Darüber hinaus kann der große Nut- are presented in detail. Multivariate analysis
stasierter Krebserkrankungen in den letzten 20 zen des Mammographiescreenings und der ad- emonstrates that survival after metastases is
Jahren die Überlebensraten überzeugend ver- juvanten Therapie mit den Krebsregisterdaten significantly related to age, grade, receptor
bessert hat, wird kontrovers diskutiert. Ent- überzeugend belegt werden. status and survival time without metastases.
sprechende Ergebnisse des Tumorregisters vom In contrast survival has not been influenced
Tumorzentrum München (TRM) werden am Bei- Schlüsselwörter: Mammakarzinom, Metasta- by time of diagnosis of the primary tumour
spiel des Mammakarzinoms detailliert aufberei- sierung, Lebenserwartung, Dokumentation, or of the metastasis and of the treating insti-
tet. Multivariate Analysen ergeben, dass das Krebsregister tution in 20 years. The literature displays sur-
Überleben ab Metastasierung signifikant ab- vival rates after metastases with only remote
hängt von Alter, Grading, Rezeptorstatus und variation over the past 40 years. The treat-
metastasenfreier Zeit. Der Zeitpunkt der Dia-
gnose der Primärerkrankung oder der Metasta-
Summary ment results are comparable with the litera-
ture. In addition the benefit of mammo-
sierung und die behandelnde Klinik haben kei- Metastasized breast cancer: no graphy screening and adjuvant treatment can
nen relevanten Einfluss. Zwischen 1980 und improvement of life expectancy in the past be demonstrated convincingly with the same
2000 kam es zu keiner stetigen Verbesserung. two decades data source.
Die Literatur belegt seit mehr als 40 Jahren ver- Whether treatment of advanced metastasi-
gleichbare, nur geringfügig variierende Überle- zed cancer has led to substantial improve- Key words: breast cancer, metastasis, life expec-
bensraten nach erfolgter Metastasierung des ment of survival in the last 20 years, is discus- tancy, documentation, cancer registry

D
aten des Tumorregisters vom Tu- nisse der jeweiligen Kontrollgruppe und sease-Management-Programm (DMP)
morzentrum München (TRM) deuten damit auf einen ausbleibenden Brustkrebs erhebliche Fortschritte ver-
zeigen für das Mammakarzinom Therapiefortschritt (8–10). Im Gegen- kündet (11), die mit den Anfang 2004
zur Lebensverlängerung ab Fernmeta- satz dazu werden seit der ersten Stellung- publizierten Ergebnissen des M. D. An-
stasierung in den letzten 20 Jahren kei- nahme der Deutschen Gesellschaft für derson Hospital in Texas vergleichbar
ne relevanten Fortschritte (1–4). Diese Hämatologie und Onkologie zum Di- sein sollen (12). Seit 25 Jahren soll sich
Aussage wurde auch von der Laienpres- dort die 5-Jahres-Überlebensrate jähr-
se aufgegriffen und hat durch eine lich um ein Prozent verbessert haben
1 Tumorregister München (TRM) des Tumorzentrums
reißerische Begriffswahl und überspitz- und scheint heute fast schon 50 Prozent
München (TZM) am Institut für medizinische Informati-
te Schlussfolgerungen zu erheblichen onsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) (Lei-
erreicht zu haben.
Verunsicherungen geführt (5). Zum Teil ter: Prof. Dr. rer. biol. hum. Dieter Hölzel), Ludwig-Maximi- Es stellt sich die Frage, ob in Deutsch-
wird aber auch noch der Aussage einer lians-Universität, München land Innovationen der letzten Jahre re-
2 Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Bio-
Stagnation der Überlebensraten wider- gional unterschiedlich umgesetzt wur-
sprochen. metrie und Epidemiologie (Direktor: Prof. Dr. rer. nat. Ul- den, große Versorgungsunterschiede be-
rich Mansmann), Ludwig-Maximilians-Universität, Mün-
Wegen ausbleibender Therapieerfol- chen
stehen und die Aussagen der texani-
ge bei häufigen Krebserkrankungen 3 Projektgruppe Mammakarzinom des Tumorzentrums schen Gruppe belastbar sind.
kam 2004 auch das US-amerikanische München (Leiter: Prof. Dr. med. Hansjörg Sauer), Medizi- In diesem Artikel wird am Beispiel
Wirtschaftsmagazin Fortune zu einer nische Klinik III, Klinikum Großhadern der Ludwig-Maxi- des Mammakarzinoms der Krankheits-
milians-Universität, München
kritischen Bilanz. Es wurden sogar die 4 Tumorzentrum der medizinischen Fakultäten der LMU verlauf einer Krebserkrankung nach
Strategien der Krebsforschung der letz- und der Technischen Universität München (Vorsitzender Metastasierung beschrieben und die
ten 30 Jahre hinterfragt (6). Epidemiolo- und Direktor des Institutes für Pathologie: Prof. Dr. med. Ergebnisse werden mit der Literatur
gische Daten aus den USA belegen Udo Löhrs), Ludwig-Maximilians-Universität, München verglichen. Darüber hinaus wird vor
5 Tumorzentrum der medizinischen Fakultäten der LMU
ebenfalls eine Stagnation (7).Aber auch dem Hintergrund der tatsächlich erfolg-
und der TUM (Stellvertretender Vorsitzender und Direktor
neue randomisierte Studien zu fortge- der Klinik für Strahlentherapie und Radiologische Onko-
ten Versorgung eine längst überfällige
schrittenen Krebserkrankungen zeigen logie am Klinikum rechts der Isar: Prof. Dr. med. Michael kooperativ gestaltete Dokumentation
zu älteren Studien vergleichbare Ergeb- Molls), Technische Universität, München gefordert.

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Methodik gen und niedergelassenen Ärzte aus- Ergebnisse


gewertet. Pathologisch abgesicherte lo-
Die Daten für das Krebsregister des koregionäre Rezidive werden vollstän- Im TRM sind von 1978 bis 2002 zum
Tumorzentrums München haben re- dig erfasst, Metastasierungen bei Brust- Mammakarzinom 2 141 primäre M1-
gionale Kliniken und Ärzte seit 1978 krebs werden zu zwei Drittel regi- Befunde und 7 189 Metastasierungen
eingebracht. Heute kooperieren alle striert. nach einem primären M0-Befund ver-
gynäkologischen Kliniken in der Regi- Je nach Definition der Untergruppe fügbar (Tabelle 1). Ausgeschlossen wur-
on München mit dem Tumorzentrum können aufgrund fehlender Daten bei den alle Patientinnen mit Zweitmali-
München. Dies entspricht einem Ein- der Auswertung die Fallzahlen vari- gnomen (n= 1 656). Der Altersmittel-
zugsgebiet von 3,8 Millionen Einwoh- ieren. Allerdings sind die Befundvertei- wert ist nach der vollzähligen Erfassung
nern. Für dieses Gebiet ergibt sich seit lungen und die Langzeitversorgungser- angestiegen und beträgt seit 1998 62,0
1998, dem Jahr des In-Kraft-Tretens des gebnisse in Untergruppen bezüglich des Jahre, bei Diagnosestellung der Meta-
Bayerischen Krebsregistergesetzes, ei- Stadiums, der Zahl befallener Lymph- stase 63,3 Jahre. Das Sterbealter liegt
ne Inzidenz invasiver Mammakarzino- knoten und der Behandlungsmodalitä- bei 65,3 Jahren. Im Vergleich dazu ster-
me von 151 pro 100 000 Frauen. Auf ten konsistent und international ver- ben Brustkrebspatientinnen, die nach
Deutschland bezogen bedeutet dies, gleichbar (3). Die Lokalrezidivraten Registerdaten geheilt sein dürften, mit
dass mehr als 60 000 Frauen jährlich sind von den bekannten Prognosefakto- 79,2 Jahren und damit nahe dem Ster-
neu an Brustkrebs erkranken würden. ren und der adjuvanten Primärtherapie bealter von 83,9 Jahren bei kardiovas-
Seit dem Jahr 1978 ist für das Einzugs- abhängig. kulären Todesursachen.
gebiet ein Follow-up von 95,5 Prozent Tumorregister sind prospektive Ko- In Tabelle 2 sind die Ergebnisse von
erreicht worden. Mit dem Jahr 1998 hortenstudien. Die Analysen basieren sechs Cox-Modellen zusammengestellt.
dürfen die Todesbescheinigungen sy- auf Klinikkohorten, Behandlungsko- Im ersten Modell wird das Gesamtüber-
stematisch eingearbeitet werden. Von horten und kalendarischen Kohorten. leben ab Diagnose des Primärtumors
1994 an übermitteln alle Einrichtun- Zur Aussagekraft geben Fallzahlschät- für 15 523 Patientinnen aus den Jahren
gen für Pathologie ihre Befunde, seit zungen eine Orientierung. Bei einer 1988 bis 2003 in Abhängigkeit von den
1996 zusätzlich auch Progressionsbe- Überlebenszeit von 22 Monaten (Me- Variablen Alter, pT-, pN- und M-Kate-
funde. dian) kann mit 1 000 Patienten ein sig- gorie (gemäß der TNM-Definition: pT,
Im Tumorregister vom Tumorzentrum nifikanter Unterschied ab einer Diffe- Primärtumor; pN, regionärer Lymph-
München wurden seit Beginn der Doku- renz von 13 Wochen nachgewiesen knoten; M, Fernmetastase), Grading
mentation auch Verlaufsereignisse be- werden. Im Vordergrund stehen multi- und Rezeptorstatus dargestellt. In die-
rücksichtigt. Hierfür werden Folgeer- variate Analysen. Ihre Aussagen wer- ser Kohorte starben 3 376 Patientinnen.
hebungsbögen und Arztbriefe der Kli- den mit Kaplan-Meier-Überlebenskur- Im zweiten Modell wird die Bedeutung
niken, Strahlentherapeuten, Patholo- ven beschrieben. derselben Variablen für das Überleben

´ Tabelle 1 1

Basisdaten zu den Patientenkohorten 1978–2002


Charakteristika alle primär M1 Metastase nach bisher ohne 1998–2002
Patientinnen n = 2 141 tumorfreiem Metastase alle Patientinnen
n = 40 979 Intervall n = 31 649 n = 12 026*

Zweitmalignome (%) 16,4 20,1 15,6 18,2 16,1


Nur Einfachmalignome
Anzahl 34 247 1 831 6 458 25 958 10 090
Alter bei Diagnose (Jahre) 58,2 61,9 55,8 58,6 60,7
pT (%)
pT1 49,8 16,0 31,5 55,8 55,2
pT2 37,9 35,8 48,6 35,7 35,2
pT3–4 12,3 48,2 19,9 8,5 9,6
pN* (%) 45,8 88,7 67,4 38,9 41,5
Grading G3 (%) 36,4 54,0 48,5 32,8 35,3
HR neg. (%) 18,7 22,4 26,7 17,1 15,7
Sterbealter in Jahren (MW) 67,2 65,0 62,4 73,0 69,7
relatives 5-Jahres-Überleben (%) 82,4 24,1 56,7 94,5 87,1
MW, Mittelwert; HR, Hormonrezeptor-Status; Die Prozentwerte beschreiben den jeweiligen Sachverhalt ohne Einbezug der fehlenden Werte. * 1998–2002 Epidemiologisches Gebiet I und II und Stadt München

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ab Metastasierung aufgezeigt. Es wur- rung prognostisch relevanter als die pT- heterogener, signifikanter Effekt zeigt.
den 2 513 Patientinnen mit Metastasie- Kategorie. Im Modell 3 wird der Ein- Der Aufenthalt in definierten Kliniken
rung aus den Jahren 1978 bis 2003 fluss der metastasenfreien Zeit für vier oder Klinikgruppen ergab, wie im Mo-
berücksichtigt, von denen 1 794 star- Zeitintervalle geschätzt. Diese ist der dell 6 dargestellt, keinen erkennbaren
ben. Die unterschiedliche prognosti- stärkste Einflussfaktor. Im Modell 4 Zusammenhang hinsichtlich des Über-
sche Bedeutung der Variablen wird wird die kalendarische Zeit der Diagno- lebens. So ist beispielsweise das Be-
deutlich. Die pT- und pN-Kategorie ha- se des Primärtumors berücksichtigt. handlungsvolumen der entsprechenden
ben ab Metastasierung nur geringe Be- Hier konnte kein signifikanter Zusam- Einrichtung nicht relevant.
deutung, eine primäre Metastasierung menhang festgestellt werden. Dies be- Die Bedeutung einiger Prognosefak-
hat im Vergleich zur Metastasierung deutet, dass der Zeitpunkt der Diagno- toren der multivariaten Analyse soll im
nach einem metastasenfreien Intervall se von 1980 bis etwa 1998 keine Rolle Folgenden auch mit univariaten Ka-
ein um 40 Prozent geringeres relatives spielt. Im fünften Modell wird die ka- plan-Meier-Kurven aufgezeigt werden.
Risiko. Grading und ein negativer Hor- lendarische Zeit der Diagnose der Me- Die Grafiken 1 und 2 zeigen die geringe
monrezeptorstatus sind ab Metastasie- tastasierung eingeführt, für die sich ein Abhängigkeit des Überlebens ab Meta-

´ Tabelle 2...
Cox-Modelle zum Gesamtüberleben für alle Patientinnen (1988 bis 2003) und für Patientinnen mit
Fernmetastasierung (1978 bis 2003)
Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Modell 5 Modell 6
alle alle mit Fern- alle mit Fern- alle mit Fern- alle mit Fern- ab 1988: Fern-
Patientinnen metastasen metastasen metastasen metastasen metastasen
n = 15 523 / n = 2 513 / n = 2 513 / n = 2 513 / n = 2 513 / mit Kliniken*
3 376 gestorben 1 794 gestorben 1 794 gestorben 1 794 gestorben 1 794 gestorben n = 1 550 /
1 093 gestorben
relatives Risiko relatives Risiko relatives Risiko relatives Risiko relatives Risiko relatives Risiko

Alter < 50 Jahre 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00


50–69 Jahre 1,05 1,14 1,14 1,13 1,13 1,12
 70 Jahre 2,52 1,61 1,59 1,59 1,59 1,50
pT-Kategorie pT1 (Ref.) 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
pT2 1,57 1,20 1,19 1,20 1,20 1,17
PT3 2,20 1,34 1,28 1,28 1,28 1,21
pT4 2,60 1,26 1,20 1,22 1,21 1,23
pN-Kategorie pN0/X (Ref.) 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
pN+ 1,82 1,26 1,23 1,23 1,24 1,28
PrimärmetastasenM0 (Ref.) 1,00 1,00 – – – –
M1 3,52 0,56 – – – –
Grading G1 (Ref.) 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
G2 1,52 1,50 1,44 1,48 1,46 1,19
G3 2,11 1,87 1,75 1,80 1,79 1,47
HR-Status positiv (Ref.) 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
negativ 1,56 1,78 1,69 1,68 1,68 1,62
Auftreten der M1 (Ref.) 1,00 1,00 1,00 1,00
1. Metastase < 24 Monate 2,15 2,15 2,12 2,24
nach Erst- 24–< 48 Monate 1,83 1,83 1,81 1,89
diagnose  48 Monate 1,27 1,30 1,26 1,42
Datum der 1978 bis < 1985 0,78
Erstdiagnose 1985 bis < 1990 1,02
1990 bis < 1995 0,91 – –
1995 bis < 2000 1,00
 2000 (Ref.) 1,00
Datum der 1978 bis < 1985 0,55 nicht enthalten
Metastasen- 1985 bis < 1990 1,13 1,36
diagnose 1990 bis < 1995 0,89 1,05
1995 bis < 2000 0,93 1,05
 2000 (Ref.) 1,00 1,00
Kliniken Nr. 1 (Ref.) 1,00
Nr. 2–9 0,82–
1,56
Ref., Referenzgruppe; * für 9 Kliniken, die hinreichend den Krankheitsverlauf der Patientinnen dokumentiert hatten, wurde der Einfluss geprüft

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Grafik 1 wird die M1-Kohorte in ver- lung, der Hormon- oder Chemothera-
schiedene Zeitintervalle und pie, stehen die Ergebnisse im Einklang
nach dem Rezeptorstatus dif- mit der Literatur.
ferenziert. Dies veranschau- Die Funktion der Qualitätssiche-
licht die Ergebnisse der mul- rung von Krebsregistern wird durch die
tivariaten Analyse, den feh- Nachweisbarkeit des Nutzens gesichert
lenden Trend und die Bedeu- wirksamer Therapien offenbar. Wenn
tung des Rezeptorstatus. involvierte Fachgebiete kooperieren,
verbessert sich die Aussagekraft der
Daten.Allerdings könnte angesichts ei-
Diskussion nes Meldedefizits fortgeschrittener,
prognostisch ungünstiger Erkrankun-
Die Ergebnisse sind aus ei- gen die tatsächliche Situation sogar
nem Krebsregister abgelei- noch ungünstiger sein.
tet. Deshalb wird zuerst auf Die hohen Erfassungsraten, die spe-
die Datenqualität eingegan- zialisierten teilnehmenden Zentren und
gen. Wenn vollständige Da- die internationale Vergleichbarkeit
ten für multivariate Modelle sprechen für eine brauchbare Daten-
gefordert werden, ist es of- qualität (4, 6–10). Implizit gilt das damit
fensichtlich, dass sich die auch für das Überleben ab einer festge-
Fallzahl reduziert. Dies kann stellten Metastasierung. Dafür ist der
Überleben ab Metastasierung in Abhängigkeit von der
pT-Kategorie (n = 4 791)
auf Veränderungen der Do- Einfluss wichtiger Faktoren mit multi-
kumentationsinhalte im Lauf variaten Analysen zu kontrollieren. Für
der Zeit und auf unvollstän- die bekannten Prognosefaktoren des
stasierung vom Primärtumorstatus (pT) dige Daten zurückgeführt werden. Lo- Primärtumors (Modell 1, Tabelle 2) be-
und der Zahl positiver Lymphknoten. kal- und Lymphknotenrezidive wer- steht eine wesentlich geringere Abhän-
Im Kontrast dazu steht die Prognose den vollständig, Fernmetastasierun- gigkeit ab der Metastasierung (Modell
nach einem Lokalrezidiv (Grafik 3). gen unvollständig gemeldet. Selbst- 2). Ein primärer M1-Befund ist sogar
Das Gesamtüberleben ab der Diagnose verständlich sind die Grenzen der Da- prognostisch günstiger. Bemerkenswert
beträgt für alle Brustkrebspatientinnen tenqualität von Krebsregistern zu be- ist die Stabilität der relativen Risiken
nach 10 Jahren 60 Prozent, nach einem achten. Zur adjuvanten Therapie sind (RR) in den Modellen 2 bis 6. Insgesamt
Lokalrezidiv 50 Prozent. nur globale Hinweise verfügbar. Un- zeigt sich nach Adjustierung auf die we-
In der Grafik 4 wird die Abhängig- vollständige Krankheitsver-
keit der Prognose von der Länge des läufe können mit Selektio- Grafik 2
metastasenfreien Intervalls aufge- nen verbunden sein. Insbe-
zeigt. Darüber hinaus kann das Über- sondere fehlen aber differen-
leben von 18 365 Patientinnen mit zierte Daten zur Behandlung
primären M1-Befunden aus den USA der Metastasen. Ob dadurch
abgelesen werden, die zwischen 1975 die Relevanz der Daten ein-
und 1995 behandelt wurden (7). Weil geschränkt wird, hängt von
kein Trend erkennbar war, wurde der der zu treffenden Aussage ab.
Behandlungszeitraum von 20 Jahren Ein Gütekriterium ist die
zusammengefasst. Die Grafiken 5 und Vollständigkeit der Nachbe-
6 bestätigen die multivariate Analyse obachtung. Seit Gründung
bezüglich der fehlenden Verbesserung des TRM ist bei 95,5 Prozent
des Überlebens ab Metastasierung im aller Patienten bekannt, wo
20 Jahre währenden Zeitraum für M1- sie leben oder wann sie
Patientinnen ebenso wie für alle Pati- gestorben sind. Diese Daten
entinnen mit Metastasen. Grafik 7 ermöglichen es, Überlebens-
präsentiert neben der Kohorte mit kurven ab der Diagnose, et-
Metastasen außerdem Patientinnen wa bei positiven Lymphkno-
mit Lokalrezidiven, aufgeschlüsselt ten, zu erstellen. Diese Er-
nach dem Zeitraum der Diagnose. Für gebnisse sind logisch konsi-
das 5-Jahres-Überleben ab dem Zeit- stent und mit anderen Studi-
punkt des Lokalrezidivs ergibt sich ei- en vergleichbar (3). Auch
ne Verbesserung von 1980 bis 1984 von bezüglich der Lokalrezidiv- Überleben ab Metastasierung in Abhängigkeit von der
circa 30 Prozent auf 70 Prozent in den raten oder der adjuvanten Zahl der positiven Lymphknoten (LK), (n = 4 396); pN+,
Jahren 1995 bis 2000. In der Grafik 8 Therapien, wie der Bestrah- o. n. A., positive Lymphknoten, ohne nähere Angaben

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Grafik 3 noch differenziell für rezeptor- tive 5-Jahres-Überlebensrate beträgt in


positive oder -negative Befun- den USA aktuell 25,5 Prozent (15), im
de (Grafik 8). Das ist von TRM 24,5 Prozent. Beachtenswert ist
besonderem Interesse. Zum ei- deshalb die Verbesserung des 5-Jahres-
nen müssten innovative Thera- Überlebens bei einem M1-Befund, die
pien, deren Wirksamkeit in vie- drei französische Tumorzentren publi-
len Studien belegt wird, das ziert haben. Die relative 5-Jahres-Über-
Überleben verbessert haben. lebensrate lag zwischen 1988 und 1994
Zum anderen könnte die Wei- bei nur elf Prozent (16), wohingegen
terentwicklung der Diagnostik von 1995 bis 2000 eine Quote von 28
zu einer früheren Erkennung, Prozent erreicht wurde. Die frühere
also Vorverlegung von Meta- niedrige Überlebensrate in den drei
stasen geführt haben. Diese Zentren steht im Widerspruch zu einer
Vorverlegung durch Diagno- umfassenderen Analyse (17).Todd et al.
stik („lead time“-Effekt) ist werteten die Entwicklung der Überle-
multivariat an der scheinbar bensraten bei primärem M1-Befund an
besseren Prognose des primä- der Yale-Universität aus. Von 1920 bis
ren M1-Befundes im Vergleich 1965 stieg die 5-Jahres-Überlebensrate
zur Metastasierung nach einem von 5 auf 25 Prozent an, und zwar nicht
metastasenfreien Intervall von aufgrund einer wirksameren Therapie
weniger als zwei Jahren er- sondern wegen einer verbesserten Sta-
kennbar (Modell 3). ging-Diagnostik, also ebenfalls eine
pTN, Primärtumor, regionäre Lymphknoten; pT1 N0, Tumor bis 2 Wenn sich mit einem kürze- Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts
cm, keine regionären Lymphknoten befallen; pT1 N+,Tumor bis 2
ren metastasenfreien Intervall der Metastasierung durch eine standar-
cm, regionäre Lymphknoten befallen pT2 N0, Tumor 2 bis 5 cm,
keine regionären Lymphknoten befallen; pT2 N+, Tumor 2 bis 5 die Prognose verschlechtert, disierte Dignostik (18). Trotz der nach
cm, regionäre Lymphknoten befallen; pT3,Tumor größer als 5 cm; so ist es unlogisch, dass sich 1965 eingesetzten systemischen Kombi-
pT4, Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung auf die Brust- für das kürzeste Intervall, also nationstherapien hatte sich die Überle-
wand oder die Haut für einen M1-Befund, eine bensrate bis 1980 nicht weiter erhöht.
bessere Prognose ergeben Debonis et al. ermittelten sogar kon-
Überleben ab Lokalrezidiv in Abhängigkeit von Untergrup-
pen der pTN-Kategorie, (n = 2 195)
sollte. Seit 1978 ist
keine Verbesserung Grafik 4
bei Patientinnen mit
sentlichen Prognosefaktoren, einschließ- einem M1-Befund nachzuwei-
lich der Diagnosezeitpunkte, kein Fort- sen. Daraus folgt unter ande-
schritt innerhalb von 20 Jahren. rem, dass weder das Staging
Die univariaten Kaplan-Meier-Kur- zu einer früheren Erkennung
ven beschreiben diese Ergebnisse.Auch von M1 geführt hat, noch dass
wenn keine Therapiemaßnahmen im sich die Therapie in diesem
TRM erfasst werden, ist davon auszuge- Zeitraum verbesserte. Auch
hen, dass zumindest in den großen Kli- bei Gruppierung nach dem
niken die aktuellen Therapiestandards Rezeptorstatus ergibt sich
umgesetzt werden (13). Die Projekt- keine Verbesserung. Bei Pati-
gruppe Mammakarzinom des Tumor- entenzahlen von 1 000 pro
zentrums München ist seit 25 Jahren ak- Gruppe würden Verbesserun-
tiv und hat lange vor der ersten nationa- gen von 13 Wochen statistisch
len Leitlinie regelmäßig Manuale mit signifikant werden. Eine sol-
Empfehlungen zur Diagnostik, Thera- che Fallzahl beleuchtet zu-
pie und Nachsorge herausgegeben und gleich die Problematik der
aktuelle Studienergebnisse propagiert Objektivierung individueller
(14). Das TRM hat vielfach belegt, dass ärztlicher Erfahrung.
mit einer solchen Infrastruktur und In Übereinstimmung mit
qualifizierten Versorgungsträgern flä- diesen Ergebnissen stehen die
chendeckend eine hohe, international SEER-Daten aus den USA
vergleichbare Versorgungsqualität er- von 1975 bis 1995. Bei 18 365 Zum Vergleich werden die Ergebnisse der SEER-Daten von 1975
reichbar ist (1, 2, 7–10). Patientinnen mit primärem bis 1995 mit 18 365 Patientinnen mit einem primären M1-Befund
angegeben (7). M1, Metastase bei Primärbefund
Grafik 5 lässt für primäre M1-Befunde M1-Befund konnte ebenfalls
keine Verbesserung erkennen, weder in keine Verbesserung doku- Überleben ab Metastasierung in Abhängigkeit von der
einzelnen Kliniken (Tabelle 2, Modell 6), mentiert werden (7). Die rela- Länge des metastasenfreien Intervalls (n = 6 473)

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Grafik 5 den: Auch wenn keine Daten ganz offensichtlich. Metastasierung und
zur Therapie verfügbar sind, Lokalrezidive werden zusammengefas-
müsste sich eine zunehmende st und als Progression definiert. Es gibt
Verbesserung der Prognose zudem eine deutliche Verschiebung zu
über die Kalenderzeit als kon- prognostisch günstigeren Stadien über
tinuierliche Reduktion des die Zeit. Damit steigt der Anteil der Lo-
relativen Risikos niederschla- kalrezidive mit besserer Prognose, wie
gen. Das ist nicht der Fall. auch die Grafiken 3 und 7 mit TRM-Da-
Eine Hypothese für die Hete- ten zeigen. In den 1990er-Jahren wird
rogenität wird im Cochrane sogar eine Verbesserung der Überle-
Review zum Vergleich von bensrate von fast 20 Prozent belegt, die
Chemo- und Hormontherapie bisher in keiner Studie publiziert wur-
aufgestellt (20). Die Chemo- de. Zur Behandlung wird nur angege-
und nicht die Hormonthera- ben, dass es 1950 vier Chemotherapeu-
pie verkleinert Tumoren, aber tika gab, heute dagegen 25. Die Verbes-
eine Hormontherapie verlän- serung der Prognose nach einem Lokal-
gert das Überleben. Ende der rezidiv (Grafik 7) kann nicht auf die Be-
1980er-Jahre wurden vom Tu- handlung zurückgeführt werden. Viel-
morzentrum München für Un- mehr werden Primärtumoren zuneh-
tergruppen mit Fernmetasta- mend früher entdeckt. Deshalb treten
sen anthrazyklinhaltige Medi- im Krankheitsverlauf mit Lokalrezidi-
Überleben ab Metastasierung bei einem primären M1-Be- kationen als zu bevorzugende ven weniger Metastasen auf.
fund für 4 kalendarische Intervalle nach dem Diagnoseda-
tum, (n = 1 434); M1, Metastase bei Primärbefund
erste Therapie empfohlen. Ei- Die Ergebnisse des TRM und die Li-
ne Einschränkung erfolgte An- teratur zeigen, wie wichtig die Diskus-
fang der 1990er-Jahre zugun- sion eigener Daten aus dem Versor-
stante Überlebensraten für die Zeit von sten der Hormontherapie (14). Die rela- gungsalltag ist. Eine lediglich mentale
1955 bis 1980 (19). Diese Daten belegen tiven Risiken von 1985 bis 1995 stimmen Reproduktion der eigenen Erfahrung,
eine mindestens 40 Jahre währende Sta- mit der zentralen Aussage des Cochrane beflügelt durch das Wissen über ver-
gnation. Reviews überein. Der Einfluss einzelner gleichbares Handeln zu Studien oder
Ebenso konnte nach einer Metasta- Kliniken ist klein, heterogen und unab- zu anderen Institutionen, ist fehleran-
sierung im Anschluss an einen metasta- hängig von den Behandlungszahlen. fällig, verkennt die Umsetzungsproble-
senfreien Zeitraum kein Fortschritt er- Vergleiche sind auch mit randomisier- matik und Methodik einer empirischen
zielt werden (Grafik 6). Aufgrund des ten Studien möglich. Aus den 1980er- Wissenschaft. Einige aus einer solchen
zeitlichen Abstands zwischen Primärtu- Jahren gibt es wenige Untersuchungen Einstellung resultierende Kritikpunkte
mor und Metastase sind zwei Ver- mit größeren Patientenkollek-
gleichsmöglichkeiten zu unterscheiden. tiven. Außerdem dominierte Grafik 6
Das Überleben ab Fernmetastasierung das Zielkriterium „Anspre-
kann entweder zur Kalenderzeit der chen des Tumors“ und nicht
Diagnose des Primärtumors oder zur „Überleben“. Nachdem die
Diagnose der Fernmetastase in Bezie- Schwächen von Surrogatpara-
hung gesetzt werden. Würde durch eine metern erkannt wurden, än-
a posteriori erfolglose adjuvante Thera- derte sich auch das Studiende-
pie das Auftreten von Metastasen ver- sign. Davon abgesehen ist das
zögert und die danach folgende Überle- Ansprechen des Tumors oder
benszeit verkürzt, wäre diese Spätwir- des Tumormarkers trotzdem
kung mit einer Gruppierung nach der ein wichtiges Kriterium in
Kalenderzeit der Primärdiagnose durch der täglichen Versorgung. Der
zunehmend ungünstigere Verläufe Vergleich zu Studien mit sorg-
nachzuweisen. Das ist nicht der Fall, wie fältig ausgewählten Kohorten
Modell 4 in Tabelle 2 belegt. belegt, dass kein nennens-
Wenn Therapieinnovationen zur Be- werter Unterschied im Überle-
handlung von Metastasen verfügbar ben ab Metastasierung besteht
wären, müsste sich dies in der Gruppie- (8–10).
rung hinsichtlich der Kalenderzeit der Im Widerspruch dazu steht
Diagnose der Metastase auswirken. die Arbeit von Giordano et al.
Modell 5 zeigt nur ein leicht erhöhtes vom M. D. Anderson Hospital Überleben ab Metastasierung für 4 kalendarische Inter-
Sterberisiko für die Zeit von 1985 bis in Houston/Texas (12). Die valle nach dem Diagnosedatum der ersten Metastase,
1990. Dies kann wie folgt erklärt wer- Schwächen dieser Arbeit sind (n = 5 546)

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der TRM-Ergebnisse sind zu nennen. tineversorgung hinzuweisen. Grafik 7


Es wird behauptet, dass eine sich Beispielsweise sind Fortschrit-
verbessernde Versorgung in Zentren te bei der Therapie des Ho-
durch eine schlechter werdende außer- dentumors mit Cisplatin oder
halb dieser Einrichtungen kompensiert beim Ovarialkarzinom durch
werde. Dieses Argument ist nicht die Radikalität der Operation
schlüssig und multivariat nicht zu bele- in Verbindung mit einer Che-
gen. Warum soll eine Hormontherapie motherapie feststellbar. Wenn
besser wirken, wenn sie in Zentren ver- viele gesicherte Effekte und
ordnet wird? Darüber hinaus ist auch Trends mit den Daten des
die Aussage, dass in Studien bessere Er- TRM belegt werden können,
gebnisse erreicht werden, nicht gesi- dann ist es nicht plausibel, wes-
chert (13). Lediglich für aufwendige halb speziell Aussagen zum
Operationen, beispielsweise an Öso- Überleben ab Metastasierung
phagus oder Pankreas, konnte eine Ab- falsch sein sollen.
hängigkeit vom Behandlungsvolumen Es besteht die Gefahr, dass
dokumentiert werden (21). unter dem Erwartungsdruck
Kritiker behaupten, dass eine schlech- der Patientinnen Studiener-
ter werdende Nachsorge und die damit gebnisse überinterpretiert wer-
verbundene spätere Erkennung von Me- den. Allerdings sollten kei-
tastasen den Fortschritt im TRM zunich- ne 5-Jahres-Überlebensraten
te mache. Dagegen wird in einem nach Metastasierung von 50
Cochrane Review gefolgert, dass eine in- Prozent genannt werden, Überleben ab Diagnose eines Lokalrezidivs und/oder
Lymphknotenrezidivs (LK/LR) und ab Metastasierung
tensive Nachsorge keinen Nutzen bringt wenn sich mit der Literatur (MET) für 4 kalendarische Intervalle; (n = 6 104)
(22). Da selbst die Hochdosistherapie und mit eigenen Ergebnissen
bei hohem Metastasierungsrisiko ohne nur 25 Prozent belegen lassen.
Vorteil ist und auch beim primären M1- Es ist sogar bedenklich, wenn mit sol- auf Platz 2, der tumorspezifischen Morta-
Befund kein positiver Trend nachweis- chen Fehlinterpretationen auch For- lität, gefolgt von Surrogatmarkern wie
bar ist, scheint der Nutzen einer besseren schungsstrategien wie die Prüfung eng- Senkung des Tumormarkerlevel oder der
Nachsorge fraglich. maschiger, psychisch belastender, appa- Tumorverkleinerung, ist zu akzeptieren.
Krebsregister mit ihren prospekti- rativ aufwendiger Nachsorge, die in der Dann könnte die Lebensqualität im Ver-
ven Kohorten sind das Instrument, auf Literatur längst widerlegt wurde (22), gleich zur Senkung von Markerleveln
Versorgungsqualität, Fortschritte und begründet werden. Beispielshaft ist da- und zu Tumorverkleinerungen mehr
damit auch auf Probleme in der Rou- gegen die Diskussion im Wirtschaftsma- Bedeutung gewinnen. Kommunikation
gazin Fortune. Mit der glei- über Behandlungsziele und über die
Grafik 8 chen Aussage des ausgeblie- verfügbare effiziente Symptomkontrolle
benen Fortschritts wurde in wären ein Schritt zu mehr Offenheit, die
den USA ein kritischer Dis- Betroffene so eher von unlauteren Heils-
kurs zur Strategie der Krebs- versprechern fernhalten könnte.
forschung geführt, in die jähr- Welche Konsequenzen können aus
lich etwa 14,4 Milliarden den vorgestellten Fakten gezogen wer-
Dollar investiert werden (6). den? Bei Brustkrebs besteht die Mög-
Natürlich ist es unlogisch, lichkeit der wirksamen Früherkennung,
aus der Stagnation von Überle- die in Deutschland seit Jahren unzurei-
bensraten auf Nutzlosigkeit chend genutzt wird. Eine Minimaldoku-
und fehlende Fortschritte der mentation mit Datum, Befund, Medika-
Palliativmedizin zu schließen. menten oder Therapieschemata und eine
Ebenso unglaubwürdig ist es Ergebnisbeurteilung am Ende jedes The-
auch, jede neue Therapie- rapieblocks würden zu mehr Transparenz
option bei offensichtlich ver- und möglicherweise zu neuen Erkennt-
gleichbarer Wirkung als Fort- nissen führen. Eine solche Dokumentati-
schritt zu propagieren und on ist nicht bürokratisch.Sie kostet für al-
dabei die Kosten unbeachtet le Krebserkrankungen weniger als der
zu lassen (23). Die mit der evi- mit dem DMP Brustkrebs verbundene
denzbasierten Medizin aner- Aufwand (24). Es könnten wertvolle Er-
Überleben ab einem primären M1-Befund für 2 kalendari-
sche Intervalle gruppiert nach dem Hormonrezeptorsta-
kannte Rangfolge der Out- fahrungen mit „natürlichen Experimen-
tus; Rez+, rezeptorpositiv; Rez-, rezeptornegativ; (n = 846); comekriterien von Gesamt- ten“, beispielsweise bei Ablehnung oder
M1, Metastase bei Primärbefund mortalität, der Lebensqualität bei Kontraindikationen für eine vorgese-

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hene Therapie, gesammelt werden. Dies 8. Ejlertsen B, Mouridsen H, Langkjer S et al.: Phase III 17. Arveux P, Grosclaude P, Reyrat E et al.: Breast can-
gilt besonders, wenn eine Placebogruppe study of intravenous vinorelbine in combination with cer survival in France: A relative survival analysis
epirubicin versus epirubicin alone in patients with ad- based on 68,449 cases treated in the 20 French
mit ausgefeilter Symptomtherapie in kli- vanced breast cancer: a Scandinavian Breast Group comprehensive cancer centers between 1980 and
nischen Studien als unethisch eingestuft Trial (SBG9403). J Clin Oncol 2004; 22: 2313–20. 1999. Proc Am Soc Clin Oncol 2003; 22: 855 (abstr
wird. Allerdings wird die Bedeutung der 9. Biganzoli L, Cufer T, Bruning P et al.: Doxorubicin and 3437).
Dokumentation der eigenen Erfahrung paclitaxel versus doxorubicin and cyclophosphamide 18. Todd M, Shoag M, Cadman E: Survival of women
as first-line chemotherapy in metastatic breast can- with metastatic breast cancer at Yale from 1920 to
im Versorgungsalltag immer noch unzu-
cer: The European Organization for Research and 1980. J Clin Oncol 1983; 1: 406–8.
reichend vermittelt. Neugier auf und Treatment of Cancer 10961 Multicenter Phase III Trial. 19. Debonis D, Terz J, Eldar S, Hill L: Survival of patients
Transparenz der Versorgungsrealität sind J Clin Oncol 2002; 20: 3114–21. with metastatic breast cancer diagnosed between
für die Medizin ein Weg, den Druck 10. Sledge G, Neuberg D, Bernardo P et al.: Phase III trial 1955 and 1980. J Surg Oncol 1991; 48: 158–63.
durch unrealistische Heilsversprechen zu of doxorubicin, paclitaxel, and the combination of do- 20. Wilcken N, Hornbuckle J, Ghersi D: Chemotherapy
xorubicin and paclitaxel as front-line chemotherapy alone versus endocrine therapy alone for metasta-
mindern. Allerdings fehlt bisher den for metastatic breast cancer: an intergroup trial tic breast cancer (Cochrane Review). Chichester,
Krankenkassen für die Unterstützung (E1193). J Clin Oncol 2003; 21: 588–92. UK: John Wiley & Sons Ltd. The Cochrane Library
klinischer Krebsregister ein starker An- 11. Seeber S, Schütte J, Freund M: Stellungnahme des Ge- 2004.
reiz vom Gesetzgeber. Hervorzuheben schäftsführenden Vorsitzenden der Deutschen Gesell- 21. Hewitt M for the Committee on Quality of Health
ist abschließend, dass die Erfolge des schaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) zum Care in America and the National Cancer Polocy Bo-
„Disease-Management-Programm“ Mammakarzinom. ard: Interpreting the volume-outcome relationship
Mammographiescreenings und der ad- InFoOnkologie 2002; 5: 257. in the context of cancer care. Washington D.C.: In-
juvanten Therapie zum erkennbaren 12. Giordano SH, Buzdar AU, Smith TL, Kau SW, Yang Y, stitute of Medicine 2001.
Rückgang der Sterblichkeit führen. Die Hortobagyi GN: Is breast cancer survival improving? 22. Rojas M, Telaro E, Russo A, Moschetti I, Coe L, Fos-
Kosten der Metastasierung nähern sich Cancer 2004; 100: 44–52. sati R et al.: Follow-up strategies for women treated
13. Peppercorn JM, Weeks JC, Cook EF, Joffe S: Compari- for early breast cancer (Cochrane Review). Art. No.:
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handlung. outside clinical trials: conceptual framework and 23. Garattini S, Bertele V: Efficacy, safety, and cost of
structured review. Lancet 2004; 363: 263–70. new anticancer drugs. BMJ 2002; 325: 269–71.
Die Autoren danken allen Ärzten und Kliniken, die mit ih- 14. Sauer HH: Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie 24. Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregie-
rer Dokumentationsleistung zur Transparenz der Versor- und Nachsorge, Mammakarzinome. Schriftenreihe rung auf eine „Kleine Anfrage“ (Drucksache
gungssituation in der Region München beitragen. Der des Tumorzentrums München. 10. Auflage München, 14/4464). Bürokratie und Kosten durch Disease-
Dank gilt auch den Reviewern für ihre kritisch-konstrukti- Wien, New York: Zuckschwerdt Verlag, 2005. Management-Programme. Drucksache 15/4593
ven Vorschläge. 15. National Cancer Institut: Ries L, Eisner M, Kosary C, 2004.
Hankey B, Miller B et al.: SEER Cancer Statistics
Manuskript eingereicht: 3. 1. 2005, revidierte Fassung an- Review 1975-2001. http://seer.cancer.gov/csr/1975_ Anschrift für die Verfasser:
genommen: 30. 6. 2005 2001/results_mergeed/sect_04_breast.pdf (zuletzt ak- Prof. Dr. rer. biol. hum. Dieter Hölzel
tualisiert 2004). Klinikum Großhadern / IBE
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- 16. Andre F, Slimane K, Bachelot T et al.: Breast cancer Marchioninistraße 15
ne der Richtlinien des International Committee of Medi- with synchronous metastases: trends in survival dur- 81377 München
cal Journal Editors besteht. ing a 14-year period. J Clin Oncol 2004; 22: 3302–8. E-Mail: hoe@ibe.med.uni-muenchen.de

❚ Zitierweise dieses Beitrags:


Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2706–2714 [Heft 40]

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schen Krebsregisters am Tumorzentrum München – ge leiden immer mehr Menschen – in Schweden – 40 Prozent der erwachse-
Schwerpunkt: Larynx, Lunge, Niere. München, Bern, nen Bevölkerung, an den Symptomen der Refluxkrankheit. Warum auch im-
Wien, New York: Zuckschwerdt Verlag; 2004. (alle mer mehr jüngere Personen unter Sodbrennen leiden, ist unklar.
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Refluxpatienten (n = 3153) Lifestyle-Faktoren im Vergleich zu einer Kon-
gement-Programm Brustkrebs. Dtsch Arztebl 2004; trollgruppe von 40 210 Personen ohne entsprechende Symptome.
101: A 1810–9 [Heft 25]. Nikotinkonsum und Kochsalzzufuhr erwiesen sich dabei als Risikofakto-
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