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Anwendung und Kostenübernahme der anthroposophischen Misteltherapie in der

gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei Tumorerkrankungen

Die anthroposophische Misteltherapie (also unter Verwendung von Mistelgesamtextrakten wie den
Mistelpräparaten Abnoba viscum, Helixor, Iscador, Iscucin - in Abgrenzung zu auf Mistellektin
standardisierten phytotherapeutischen Mistelpräparaten) wird in der Therapie von definierten
Präkanzerosen und gutartigen sowie bösartigen Geschwulstkrankheiten eingesetzt. Die
Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist im Rahmen einer palliativen
Therapie eindeutig in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) geregelt (siehe unten Ziff. 2).

Darüber hinaus ist eine Kostenübernahme beim Einsatz der Mistel zur Behandlung schwerwiegender
Nebenwirkungen der Chemotherapie denkbar (dazu unten Ziffer 3).

1.) Adjuvante und neoadjuvante (= kurative) Therapieindikation

Die Misteltherapie kann im Rahmen der adjuvanten und neoadjuvanten Tumortherapie eingesetzt
werden. Sie ist für die Verringerung des Rückfall-(Rezidiv-)Risikos in der adjuvanten
Behandlungssituation zugelassen und wird häufig in Verbindung mit anderen onkologischen
Therapien (z.B. Chemotherapie, Strahlentherapie, Anti-Hormontherapie) angewendet. Neben einer
Verbesserung der Verträglichkeit und der Verringerung von Nebenwirkungen einer konventionellen
Therapie ist in dieser Behandlungssituation das Ziel der Misteltherapie eine dauerhafte Überwindung
der Erkrankung.

Die gesetzlichen Krankenkassen können die Kosten der Misteltherapie in dieser Behandlungssituation
übernehmen, sind dazu aber seit einem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 11.05.2011 (Az. B 6 KA
25/10 R) nicht mehr verpflichtet. Die Kostenübernahme muss daher in dieser Konstellation im
Einzelfall und vorab mit der Krankenkasse geklärt werden. Versicherte können bei ihren
Krankenkassen einen Antrag auf Kostenerstattung im Einzelfall nach § 13 Abs. 3 SGB V für auf
Privatrezept verordnete Mistelpräparate stellen.

2.) Palliative Therapieindikation

Bei der palliativen Therapieindikation ist eine kurative Therapie nicht mehr möglich. Dies ist in der
Regel dann der Fall, wenn Fernmetastasen vorhanden sind (M1-Stadium), wenn der Tumor
inoperabel ist oder nicht vollständig im Gesunden entfernt werden konnte (R1- oder R2-Stadium).
Auf die Länge der verbleibenden Lebenserwartung kommt es hingegen nicht an.1

Die Kostenübernahme für die Misteltherapie in dieser Behandlungssituation ist für die gesetzlichen
Krankenkassen in der AM-RL durch Ziffer 32 Anlage I AM-RL i.V.m. § 12 Abs. 6 AM-RL verbindlich und
eindeutig geregelt. Die Verordnung hat auf Kassenrezept zu erfolgen. Das Bundessozialgericht hat
mit Urteil vom 15.12.2015 (Az: B 1 KR 30/15) die Verordnungsfähigkeit auch anthroposophischer -
nicht auf Mistellektin normierter- Mistelpräparate in der palliativen Therapie bestätigt. Die Presse-
Medieninformation Nr. 29/15 zu diesem Urteil lautet: “Krankenkassen müssen nur palliativ
eingesetzte anthroposophische Mistelpräparate bezahlen”. Demnach besteht zwar kein Anspruch in
der adjuvanten Therapie, wohl aber in der palliativen Therapie.

1
Vgl. Beschluss des Bayer. LSG vom 12.05.2015 – L 5 KR 144/15 ER
Eine zeitliche Limitierung der Kostenübernahme für die palliative Misteltherapie gibt es nicht,
solange aus ärztlicher Sicht Behandlungsbedarf besteht. In dem besonders günstigen Fall, dass eine
komplette Rückbildung/Entfernung aller Tumormanifestationen auf Dauer gelingt, ist davon
auszugehen, dass die ursprünglich palliative Behandlungssituation in eine kurative übergegangen ist.

3.) Behandlung von schweren Nebenwirkungen der Chemotherapie

Die anthroposophische Misteltherapie wird im Rahmen der Behandlung und Reduktion


schwerwiegender Nebenwirkungen, die im Rahmen der onkologischen Therapie auftreten,
eingesetzt.

Hier kommt eine Verordnung von Mistelpräparaten nach § 12 Abs. 8 AM-RL in Betracht. Nach dieser
Vorschrift werden die Kosten nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der gesetzlichen
Krankenversicherung übernommen, wenn sie zur Behandlung schwerwiegender unerwünschter
Arzneimittelwirkungen (UAW) von Arzneimitteln eingesetzt werden2.

Hier ist vor allem an das chemotherapie-assoziierte Erschöpfungssyndrom (Cancer Related Fatigue)
zu denken, das die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen kann und somit die
Definition „schwerwiegend" nach §12 Abs. 3 AM-RL3 erfüllt. Ein Cancer Related Fatiguesyndrom
(CRF) ist vom National Comprehensive Cancer Network (NCI) als anhaltendes Gefühl von Müdigkeit
definiert, das in Zusammenhang mit Krebs und Krebstherapie auftritt. Es gilt als schwerwiegend und
behandlungsbedürftig ab einer fatigue numeric scale (FNS) >/=4.

Da es sich hier bei der Regelung in § 12 Abs. 8 AM-RL um eine nicht tumorspezifische und nicht
mistel-spezifische allgemeine Generalklausel handelt und bisher keine Konkretisierungen seitens der
Kassen bekannt geworden sind, lassen sich keine belastbaren Aussagen treffen, ab welchem Grad
z.B. Nebenwirkungen einer Chemotherapie als schwerwiegend anerkannt oder über welche
Zeitspanne hinweg Nebenwirkungen als chemotherapie-assoziert eingestuft werden. Ungeklärt ist
auch, ob eine Verordnung auch schon zur Vermeidung einer noch nicht eingetretenen, nach
ärztlichem Ermessen aber ansonsten eintretenden unerwünschten Arzneimittelwirkung erfolgen
kann.

Bei Fragen sollten diese im jeweiligen Einzelfall mit der Krankenkasse geklärt werden. Auch hier gilt
der Grundsatz des § 5 Abs. 1 S. 2 AM-RL, wonach bei der Beurteilung von Arzneimitteln der
besonderen Therapierichtungen der besonderen Wirkungsweise dieser Arzneimittel Rechnung zu
tragen ist.

2
§ 12 Abs. 8 AM-RL lautet: Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die zur Behandlung der beim
bestimmungsgemäßen Gebrauch eines zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
verordnungsfähigen Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen (unerwünschte
Arzneimittelwirkungen; UAW) eingesetzt werden, sind verordnungsfähig, wenn die UAW schwerwiegend im
Sinne des Absatzes 3 sind.
3
Schwerwiegend ist eine Nebenwirkung demnach, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der
Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt
(vgl. § 12 Abs.3 AM-RL)

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